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German Pages [448] Year 2005
Stephan Kühn / Iris Platte / Heinrich Wottawa
Psychologische Theorien für Unternehmen Mit 41 Abbildungen und 27 Tabellen
2., neu bearbeitete Auflage
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. ISBN 3-525-46240-9 © 2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.
Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip? – Annäherung an ein Tabu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Akzeptanz der individuellen Nutzenmaximierung – auch ein Thema für die Personalwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Subjektive Gerechtigkeit – ein problematischer Punkt zielorientierter Verhaltenssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Subjektive Nutzenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Nicht alles kann vernünftig sein – Grenzen rationaler Handlungssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Menschenkenntnis – eine unverzichtbare Grundlage für erfolgreiches Verhalten im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Ebenen der Personenbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Wahrnehmungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Prognosen – Basis jeder Personalentscheidung . . . . . . . . . . . . 2.5 Verzerrungen bei der Interpretation von Informationen . . . . 2.6 Maßnahmen zur Optimierung der Menschenkenntnis . . . . .
57 63 70 88 100 106 114
Wozu lebt der Mensch? – Motivationstheorien als Basis erfolgreichen Personaleinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Was Menschen bewegt – Eigenschaftstheorien der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Handlungspläne und Soll-Ist-Vergleiche – Basis der Handlungssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Leistung macht Spaß – manchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 25 36 41
121 124 129 151 157
6 4.
5.
6.
7.
Inhalt
Zeitgerechte Motivatoren – Spaß ist wichtig, aber ganz ohne Leistungsanreize geht es nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Mitarbeitermotivation – auch eine Frage des Menschenbilds 4.2 Grenzen extrinsischer Arbeitsmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Intrinsische Arbeitsmotivation und Führung . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Integrative Modelle der Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Grenzen der Nutzung intrinsischer Motivation . . . . . . . . . . . . 4.6 Individualisierter Motivations-Mix als Lösungsvorschlag . . . .
169 170 179 187 193 199 201
Persönliche Macht – das missverstandene Tabu moderner Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Machttheoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Machtmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Machtmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Einflussgrößen auf das Machthandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Konsequenzen für die Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . .
211 214 217 224 237 238
Führen und Geführt-Werden – das komplexe Zusammenspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Bedürfnisbefriedigung der Geführten als Grundlage der Definition von Führungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Auswahl von Führungspersonen und die Folgen für das Selbstbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Psychologische Führungstheorien – und ihre nicht immer erwünschten Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Lösungsansätze zur Erreichung der Rollenflexibilität . . . . . . . . Konflikte – Grundlage von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Systemimmanente Spannungen als Grundlage von Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Unterschiedliche Handlungsentwürfe als Konfliktursache . . . 7.3 Verteilungskämpfe als Konfliktquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Gruppen als Ursache von Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Organisationen als Ursache von Konfliktpotenzialen . . . . . . . . 7.6 Modelle der Konfliktnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241 241 248 256 273 277 278 285 292 296 300 304
7
Inhalt
8.
9.
Die manchmal schwierigen Partner – Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Solidarität versus individuelle Durchsetzung – ein grundlegendes Gegensatzpaar unseres Wertesystems . . . . . . . 8.2 Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Psychologische Bedingungen unbefriedigender Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Und immer wieder aufs Neue – das Grundprinzip »vertrauensvolle Kooperation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Effiziente Organisationsstrukturen – vor allem eine psychologische Gestaltungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Das Unternehmen – ein offenes, komplexes System . . . . . . . . 9.2 Zielkongruenz zwischen Mitarbeitern und Unternehmen – ein nicht vollständig erreichbares, aber stets anzustrebendes Ideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Effiziente Organisationsgestaltung – auch eine Folge der erreichten Bedürfniserfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Rollenerwartungen und ihre Beeinflussung durch die Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Organisationsentwicklung – Chaos oder geplante Gestaltung der Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10. Stillstand ist Rückschritt – Grundlagen erfolgreicher Personalund Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Metaphern des Personalbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Finanzierungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Persönliche Qualifikationen für eine erfolgreiche Personalarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Erfolgsmessung und Beurteilung der Personalarbeit . . . . . . . . 10.5 Durchführung von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Zukunftsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
315 316 321 329 336
345 345
350 353 356 367
373 373 377 381 383 388 395
8 11. Aus Beschäftigten »Mitarbeiter« machen – Fragen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Bereiche der Unternehmenskultur und deren Erfassung . . . . . 11.2 Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen . . . . . 11.3 Werteorientierte Personalpolitik – keine theoretische Utopie, sondern konkrete Unternehmensgestaltung . . . . . . . .
Inhalt
397 397 401 410
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Verzeichnis der Theorieübersichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Stichwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
Vorwort
Die Leistungen der Psychologie für Unternehmen werden zunehmend erkannt und genutzt. Die Anzahl der in der Wirtschaft tätigen Psychologen hat stark zugenommen – zum Beispiel in Personalabteilungen –, und auch die Nachfrage nach externer Beratung mit wirtschaftspsychologischem Know-how steigt ständig. Trotz dieser insgesamt sehr positiven Entwicklung werden in Unternehmen psychologische Erkenntnisse immer noch in einem viel zu geringen Ausmaß genutzt. Auch scheinen in der Wirtschaft tätige Psychologen selbst heute noch immer wieder erklären zu müssen, warum sie für die Erledigung bestimmter Aufgaben qualifizierter sind als Angehörige anderer Berufsgruppen. Ein Grund dafür ist, dass sich fast jeder selbst für einen »guten Psychologen« hält. Einstellungsentscheidungen treffen oder Gruppen führen könne man schließlich auch ohne Psychologie studiert zu haben, so eine weit verbreitete Überzeugung. Für viele Aufgaben reiche schließlich der »gesunde Menschenverstand«, und man könne andere Menschen auch »ohne viel Psychologie« motivieren und richtig einschätzen. In gewisser Weise stimmt das auch. Wir Menschen haben in unserer Evolution viele Fähigkeiten erworben, die für das eigene Überleben und den Erfolg der Gruppe entscheidend waren. So können wir die Stimmung von anderen Menschen sehr gut erfassen. Es ist sogar möglich, das Geschlecht eines Menschen selbst bei schlechter Sicht auf weite Entfernung anhand nur weniger Bewegungen zu erkennen. Solche Mechanismen haben sich wegen der Überlebens- oder Fortpflanzungsvorteile in Millionen Jahren entwickelt, sodass wir tatsächlich alle eine »gute Menschenkenntnis« vorweisen. Aber welche Überlebensvorteile in der Steinzeit sollten uns befähigen, bei einem Bewerber zu erkennen, ob er in zwei Jahren eine Gruppenleitung in der IT-Abteilung übernehmen kann? Oder sind Führungsmechanismen, die früher erfolgreich waren, auch in der ganz konkreten aktuellen Situation eines Unternehmens wirklich die besten? Die Berücksichtigung fundierter psychologischer Kenntnisse kann viele Maßnahmen im Unternehmen optimieren, für die ein »Alltagsverständnis« nicht ausreicht.
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Vorwort
Ein Hemmnis für die noch immer unzureichende Nutzung psychologischer Kenntnisse in der Wirtschaft liegt in dem fehlenden Wissen vieler Entscheidungsträger. Wissenschaftlich fundierte Darstellungen psychologischer Theorien sind vielfach sehr abstrakt und praxisfern, und für »Laien« gedachte Bücher sind nicht selten so trivial, dass auch gutwillige Leser nach dem Durchblättern denken, dass sie das alles eigentlich auch schon vorher gewusst haben. Das vorliegende Buch versucht, weder zu abstrakt noch zu oberflächlich zu sein. Aus diesem Grund wurde ein problemorientierter Ansatz gewählt. Entgegen der typischen Struktur von Lehrbüchern, in denen die Inhalte ausgehend von den Denkkonzepten der Grundlagenforschung strukturiert werden, wird hier von konkreten Problembereichen ausgegangen – wobei sich die Auswahl auf jene Gebiete beschränkt, in denen die Autoren Praxiserfahrungen haben. Für die jeweiligen Problempunkte werden mehrere psychologische Theorien dargestellt und ihre Anwendbarkeit zur Optimierung der Praxissituation diskutiert. Zur Erleichterung der Lesbarkeit werden dabei die theoretischen Befunde in »Theorieübersichten« auf ihre relevanten Kernaussagen beschränkt dargestellt. Trotz des Bemühens um eine Straffung der Ausführungen war es notwendig, circa 80 solcher Kurzdarstellungen aufzunehmen, um wenigstens einen ersten Überblick über einen Teil der für die Bewältigung von Praxisaufgaben relevanten psychologischen Theorien geben zu können. Da wir vom Problem her denken, mag die Auswahl dieser Theorien unter wissenschaftshistorischen und wissenschaftssystematischen Gesichtspunkten willkürlich erscheinen. Es ist wegen der Vielzahl psychologischer Theorien jedoch nicht vermeidbar, je nach der persönlichen Erfahrung, aber auch nach »Vorlieben« für einzelne Konzepte Schwerpunkte zu setzen. Mehrere der ausgewählten Konzepte gelten aufgrund des erreichten Forschungsstands als »altmodisch« und für den wissenschaftlichen Fortschritt nicht mehr relevant. Wir haben solche Ansätze aber dann aufgenommen, wenn wir meinen, dass in der Praxis ihr Anregungswert für neue, kreative Ideen hoch ist. Oft kann man auf Basis einer nicht mehr »aktuellen« Theorie leichter viele für die Praxis nützliche Überlegungen aufbauen als auf einem in der Grundlagenforschung gerade »modernen« Konzept. Die Darstellungen der einzelnen Ansätze sind oft knapp und vereinfachend, sie berücksichtigen nur wenige der sonst wissenschaftstypischen »Konjunktive« und Gültigkeitseinschränkungen. Damit werden sie der Komplexität des bereits vorliegenden Kenntnisstands nicht ganz gerecht. Diese viele Details auslassende Darstellung ist nur zum Teil auf Umfangsbegrenzungen zurückzuführen. Wir sind der Meinung, dass häufig nur die »Kerne« von Konzepten für die praktische Anwendung brauchbar sind und viele für die Grundlagenforschung hochinteressante Details dabei eher stören.
Vorwort
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Das Buch wendet sich besonders an Praktiker in Unternehmen, aber auch an Psychologiestudenten im Hauptdiplom oder in einem Bachelor- oder Masterstudiengang mit einer wirtschaftspsychologischen Orientierung. Bei den Formulierungen wurde auf die Lesbarkeit für Praktiker (vor allem Führungskräfte mit hohem Interesse an Psychologie) sowie die Mitarbeiter von Personalabteilungen und Trainer) geachtet. Bei der Gestaltung der Theorieübersichten stand im Vordergrund, dass sie eine gute Grundlage zur Vermittlung der Theorieinhalte in Seminaren und Trainings von Wirtschaft und Verwaltung bilden, wobei natürlich für diese Anwendung dann noch eine weitere didaktische Aufbereitung nötig ist. Den Erfahrungen der Autoren nach hat sich die zum »Nachschlagen« schnelle Verfügbarkeit einer großen Anzahl von Theorien auch als Vorbereitung für schwierige Beratungsgespräche bewährt – sowohl im Zusammenhang mit Organisationsfragen als auch für das Einzel-Coaching. Trotz aller Mühe ist manches nicht einfach verständlich. Ebenso wenig wie beispielsweise in der Physik sind auch komplexe psychologische Theorien nicht einfach zu verstehen. Dazu ist das »Thema Mensch« viel zu facettenreich. Das Streben nach einer Komplexitätsreduktion ist zwar gerade für die Praxis wichtig, aber nicht immer möglich, wenn man den Nutzen solcher Konzepte für die Lösung von Aufgaben zum Beispiel im Personalbereich nicht zu sehr beeinträchtigen möchte. Das Verstehen kann auch durch einen weiteren Grund erschwert werden: Jeder Mensch besitzt, aufbauend auf seinen persönlichen Erfahrungen und Überzeugungen, sein eigenes, individuelles Bild vom Menschen; in gewisser Weise hat somit jeder seine eigene Psychologie. Diese subjektiven Erklärungen können jedoch stark in Widerspruch mit den Erkenntnissen der wissenschaftlichen Psychologie stehen, was deren Verständnis erheblich erschweren kann. Nicht selten besteht die eigentliche Herausforderung bei der Beschäftigung mit psychologischen Ansätzen nicht in der Komplexität der Inhalte, sondern in der Auseinandersetzung mit den Widersprüchen zu den eigenen persönlichen Überzeugungen. Es ist jedoch sehr spannend, interessant und persönlich bereichernd, die eigene Sichtweise durch die Rezeption wissenschaftlicher Befunde zu erweitern. Dies kann schließlich zu einer wirklich »psychologischen Sichtweise« und einer verstärkten Nutzung psychologischer Erkenntnisse in der Praxis führen. Stephan Kühn, Iris Platte, Heinrich Wottawa
Einleitung
Alle relevanten Vorgänge im Wirtschaftsleben beruhen auf menschlichem Verhalten. Das betrifft nicht nur die offensichtlichen Bereiche wie das Personalwesen oder das Marketing, sondern auch betriebswirtschaftliche Vorgänge – auch Maschinen sind »Produkte« von menschlichem Handeln. Die einzige Ausnahme sind Naturkatastrophen wie Blitzschlag oder Erdbeben. Die Folgen solcher nicht von Menschen geschaffener Einflüsse beziehen sich jedoch, wenn sie für das Wirtschaftsleben relevant sein sollen, wiederum auf von Menschen geschaffene Gebäude oder technische Einrichtungen, die man bei einer anderen Art von Verhaltenssteuerung sicherer auslegen, besser schützen oder an anderen Orten hätte errichten können. Demzufolge ist die Psychologie (als Wissenschaft vom menschlichen Verhalten) im Prinzip geeignet, optimierende Gestaltungsvorschläge für alle Wirtschafts- und Unternehmensbereiche zu fundieren. Aus dieser Vielzahl von Fragestellungen werden in den folgenden Kapiteln nur jene Bereiche ausgewählt, die man gewöhnlich unter dem Oberbegriff »Human-Relations-Management« zusammenfasst. Andere wichtige Gestaltungsaufgaben der Psychologie, zum Beispiel im Bereich der ergonomischen Produktgestaltung, der Arbeitssicherheit oder des Marketings, werden ausgeklammert – nicht wegen einer Geringschätzung ihrer Bedeutung für die Praxis und die Psychologie, sondern aufgrund der notwendigen Beschränkung des Umfangs dieser Darstellung. Auch innerhalb des Bereichs des Human-Relations-Managements mussten Schwerpunkte gesetzt werden. Zu Beginn steht das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem als solches im Mittelpunkt. Es werden die ethischen und psychologischen Grundlagen des Prinzips der Nutzenmaximierung herausgearbeitet. Es soll gezeigt werden, welche Bedingungen geschaffen werden müssen, damit neben dem individuellen Erfolgsstreben auch ein den sozialen Zusammenhalt sicherndes Gefühl der Gerechtigkeit (bei den in marktwirtschaftlichen Systemen bestehenden ungleichen Einkommens- und Einflussmöglichkeiten) erhalten bleibt. Da Unternehmen auch immer soziale Gefüge darstellen und Menschen einen nicht unerheblichen Teil ihrer Zeit in diesen sozialen Zusammenhängen
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Einleitung
verbringen, kommt dem Thema Menschenkenntnis in organisationalen Kontexten eine besondere Bedeutung zu (Kapitel 2). Menschenkenntnis umfasst nicht nur die Beschreibung von Personen, sondern bezieht sich auch auf die Erklärung menschlichen Verhaltens und auf die Prognose. Schließlich ist eine ausführliche Diagnostik im Rahmen einer Stellenbesetzung nur dann sinnvoll, wenn daraus zuverlässige Prognosen erstellt werden können. Auf die drei Bereiche Beschreiben, Erklären und Prognostizieren wird jeweils in eigenen Abschnitten eingegangen. Es werden ferner mögliche Wahrnehmungsverzerrungen dargestellt und Maßnahmen, die zu einer Optimierung der Menschenkenntnis beitragen können. Die Kapitel 3 und 4 beschäftigen sich mit Fragen der Motivation und möglichen Einflussfaktoren auf die Motivation. Während in Kapitel 3 theoretische Aspekte der Motivation und wissenschaftlich-psychologische Konzepte verstärkt im Vordergrund stehen, wird in Kapitel 4 besonders auf praktische Gestaltungsgesichtspunkte eingegangen. In Kapitel 3 werden die Bedeutung von Motiven und die Relevanz von Handlungsfolgen für die Verhaltenssteuerung dargestellt. Ein für den organisationalen Kontext besonders wichtiges Thema ist die Leistungsmotivation. Die Möglichkeiten und Grenzen externer Leistungsanreize werden in Kapitel 4 diskutiert sowie auf die Bedeutung des »Spaßes an der Arbeit« eingegangen. Es wird gezeigt, dass die menschliche Motivation besonders unter sich schnell ändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Werten zu komplex ist, als dass mit »einfachen« Motivatorensystemen eine als ausreichend einzuschätzende Motivation gesichert werden könnte. Aus psychologischer Sicht erscheint es wenig angebracht, entweder nur auf die extrinsische oder nur auf die intrinsische Motivation zu setzen. Sinnvoll ist die Nutzung beider Motivquellen. Die Methode der Zielfestlegung und die Gestaltung individueller Anreizsysteme werden zum Abschluss von Kapitel 4 diskutiert. Die sich anschließenden Kapitel 5 und 6 befassen sich mit den beiden Themen Macht und Führung. Macht ist ein Aspekt, der in Unternehmen in einem erstaunlich hohen Ausmaß tabuisiert wird. Dabei ist gerade die Gewährung von Gestaltungsmöglichkeiten ein wichtiger Motivationsfaktor. So streben beispielsweise die meisten Führungskräfte nach Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten, wobei sich viele aufgrund der sozial negativen Bewertung nicht offen zu diesem Streben bekennen (dürfen). Die zwiespältige Haltung, die häufig zum Begriff Macht eingenommen wird, erinnert durchaus an die Tabuisierungsund Verdrängungsmechanismen des Sexualtriebs in der viktorianischen Zeit. Macht wird häufig mit Machtmissbrauch gleichgesetzt, was einer offenen Auseinandersetzung mit den machtthematischen Inhalten auch nicht gerade för-
Einleitung
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derlich ist. Dabei hätte eine entsprechende Auseinandersetzung viele Vorteile. Die Nutzung dieses wichtigen handlungsleitenden Motivs für die Organisationsgestaltung könnte sich positiv auf eine sachgerechte Konfliktregelung und die Effizienz von Organisationen auswirken. Ohne das Offenlegen von Machtwünschen und Machtstrukturen können die notwendigen das Machtmotiv fördernden Bedingungen nicht geschaffen werden. (Tatsächlich klagen die meisten Unternehmen über einen Mangel an Nachwuchs-Führungskräften, die mit hohem Engagement das Unternehmen nach eigenständigen Ideen gestalten wollen!) Ferner behindert die Tabuisierung die rationale Diskussion über die notwendigen Mechanismen zur Kanalisierung des individuellen Machtstrebens. Dies kann im Endeffekt den Missbrauch von Macht sogar begünstigen. Die Frage, wer in Unternehmen Macht hat und wie Macht verteilt ist, führt unmittelbar zum Thema Führung. Für die moderne Organisationsgestaltung und Organisationsentwicklung ist besonders das Selbstbild der Führungskräfte relevant: die Art, wie sie ihre Rolle als Vorgesetzter wahrnehmen und, gesteuert von ihrem darauf gestützten persönlichen Anspruchsniveau, tatsächlich ausfüllen. Die damit zusammenhängenden psychologischen Theorien werden in Kapitel 6 besprochen. In Abschnitt 6.3 findet sich eine Darstellung einiger psychologischer Führungstheorien, wobei es auffällig ist, dass Führungsansätze, die in der Wissenschaft als längst überholt gelten, weiterhin das Selbstbild eines beträchtlichen Teils der Führungskräfte dominieren. Eine mögliche Erklärung dafür könnte der große Zeitabstand zwischen der wissenschaftlich-theoretischen Entwicklung und dem Wirksamwerden dieser Vorstellungen im Unternehmensalltag sein. Die Kapitel 7 und 8 befassen sich mit innerbetrieblichen Konflikten, wobei besonders auf die Konflikte zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretung eingegangen wird (Kapitel 8). Im Gegensatz zu manchen laienhaften Vorstellungen, wie sie etwa auf der Basis einer Vorstellung vom Unternehmen als »gut geölt laufende Maschine« nahe liegen, wird aus psychologischer Sicht das Auftreten von Konflikten als eine wichtige Grundlage für Innovationen und damit für die Anpassung des Unternehmens an die sich wandelnde Umwelt betrachtet. Nicht die Konflikte an sich sind etwas Schlechtes, sondern der unsachgemäße Umgang mit ihnen. Für eine sachgerechte Gestaltung und Regelung von Konflikten bietet gerade die Psychologie eine Fülle wissenschaftlicher Theorien und Forschungsergebnisse an, die stärker als derzeit noch üblich in der Praxis genutzt werden sollten. In Kapitel 8 wird auf die nicht immer einfache Kooperation zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgebervertretung eingegangen. In diesem Bereich werden leider von psychologisch unzureichend geschulten Verantwortungsträ-
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Einleitung
gern sehr viele unnötige, dysfunktionale Konflikte verursacht. Es wird in diesem Kapitel besonderer Wert darauf gelegt, die psychologischen Gründe für die unterschiedliche Betonung von »Gruppensolidarität« und »individueller Durchsetzung« sowie die daraus folgende unterschiedliche Strukturierung der eigenen Wahrnehmung zu verdeutlichen. Natürlich gibt es strukturelle Gegensätze zwischen Management und Mitarbeitervertretung. Viele Reibungspunkte und auch die besonders dem Betriebsrat vorgeworfene und immer wieder beklagte »Destruktionsstrategie« gehen häufig jedoch nicht auf sachlich-inhaltliche Interessengegensätze zurück, sondern auf fehlendes Verständnis für die Position des anderen. In den drei letzten Kapiteln dieses Buchs stehen allgemeine Gestaltungsaspekte bezüglich der Organisation und des Personalbereichs im Vordergrund. Kapitel 9 beschäftigt sich mit der Schaffung effizienter Organisationsstrukturen, die auch in den Bereich psychologischer Gestaltungsarbeit fällt. Natürlich sind technische und betriebswirtschaftliche Vorgänge die Grundlage für die jeweilige Unternehmensstruktur, aber innerhalb der (meist viel zu eng gesehenen) festen Rahmenbedingungen verbleiben erhebliche Freiräume, die unter psychologischen Aspekten sinnvoll genutzt werden sollten. Zielkongruenz zwischen Mitarbeitern und Organisation ist zwar ein stets anzustrebendes Ideal, doch sicherlich nicht vollständig zu erreichen (Abschnitt 9.2). Organisationsmitglieder sind zwar immer Träger bestimmter sozialer Rollen, die das sozial erwünschte Verhalten in einem gewissen Rahmen festlegen, doch sind Menschen, vor dem Hintergrund möglicher Rollenkonflikte, immer auch aufgefordert, diese Rollen individuell auszugestalten (Abschnitt 9.4). Schließlich wird der Frage nachgegangen, in welchem Ausmaß sich Organisationsentwicklung planen und kontrollieren lässt und inwieweit immer auch mit nicht geplanten Effekten zu rechnen ist. In Kapitel 10 werden verschiedene Modelle zum Selbstverständnis des Personalbereichs diskutiert sowie auf unterschiedliche Finanzierungsmodelle eingegangen. Ein wichtiger Themenbereich ist die persönliche Qualifikation für eine Tätigkeit im Personalbereich. Thematisiert werden auch Möglichkeiten der Optimierung der Personalarbeit und die Sicherung der Innovationskraft. Man kann es immer wieder erleben, dass Personalfachleute zwar ausgezeichnete Konzepte und Trainingsmaßnahmen für andere Unternehmensbereiche vorschlagen, bei sich selbst aber mit modernen Konzeptionen, wie etwa der »kundenorientierten Organisationsform«, eher zurückhaltend sind. Tatsächlich hat die Psychologie sehr viel dazu beizutragen, dass in den meisten Unternehmen der Übergang von der »alten Personalverwaltung« zu einem modernen Human-Relations-Management eingeleitet wird.
Einleitung
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Abschließend widmet sich Kapitel 11 den Fragen des Wertewandels und einer zeitgemäßen Unternehmenskultur – ein schillernder Begriff, der leider sehr oft missbräuchlich verwendet wird. Von besonderer Bedeutung ist eine adäquate Passung der Unternehmenskultur zur Kultur der übrigen Gesellschaft. Eine solche Passung erscheint aus psychologischer Sicht erforderlich, da bei einer großen Diskrepanz zwischen der Kultur innerhalb und außerhalb des Unternehmens Schwierigkeiten bei der Gewinnung leistungsstarken Nachwuchses entstehen. Dieser hat häufig schon aufgrund des Wertewandels andere als von konservativ geführten Unternehmen geprägte Kulturerwartungen. Bei einer nicht angemessenen Passung könnten zudem Akzeptanzprobleme des Unternehmens in relevanten gesellschaftlichen Teilgruppen auftreten.
1.
Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip? – Annäherung an ein Tabu
Das Prinzip der Nutzenmaximierung scheint für viele Menschen ein Tabu zu sein. Man betrachtet entsprechende Handlungsstrategien als egoistisch, eigennützig und dem Zusammenleben sozialer Gemeinschaften abträglich. Dabei wird in der Ethik die Nutzenmaximierung des Öfteren thematisiert. Viele ethische Sichtweisen beschäftigen sich in einem normativen Sinne damit, welchen Zielen menschliches Handeln dienen soll und was Menschen für sich als wertvoll und nützlich anerkennen und empfinden sollen. Es wird damit vollständig anerkannt, dass Menschen bestrebt sind, ihren jeweils persönlichen Nutzen zu vermehren, was sich natürlich nicht nur auf materielle Aspekte allein beschränkt.
Exkurs: Ethische Fragen des Nutzenprinzips
Ethische Fragen des Nutzenprinzips können aus drei Perspektiven betrachtet werden: die philosophische, die religiöse und die ökonomische Perspektive. 1) Philosophische Perspektive: Es sind zwei grundsätzliche Standpunkte der Moralphilosophie zu unterscheiden: a) Inhaltsethischer Standpunkt: Dieser besagt, dass Sittlichkeitswerte inhaltlich genauer festgelegt werden sollen, und zwar indem hypothetische Forderungen oder Imperative aufstellt werden. Dies kann erfolgen nach der Form: »Wenn du das erreichen willst, musst du so handeln!« Man unterscheidet zwei Grundauffassungen: – Eudaimonismus oder Glückseligkeitslehre: Das Ziel des sittlichen Handelns soll das Erreichen eines Zustands der »Glückseligkeit« sein. Zu den wichtigsten Glückseligkeitslehren werden der Hedonismus und der Utilitarismus gezählt. Im Rahmen des Hedonismus bezieht sich das sittliche Handeln nur auf den Handelnden selbst, während es sich beim Utilitarismus auf die Mitmenschen bezieht (»Wohlfahrtsethik«). Der Zielzustand ist demnach, einer größtmöglichen Anzahl von Menschen ein größtmögliches Glück zuteil werden zu lassen.
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
– Perfektionismus oder Vervollkommnungslehre: Das Ziel des sittlichen Strebens besteht in der Entwicklung bestimmter Fähigkeiten. Der Zielzustand liegt in der allseits gebildeten Persönlichkeit als Idealtypus. b) Formalethik Kants: Kerngedanke der kantschen »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« (Kant 1785) ist der so genannte »Kategorische Imperativ«: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten können!« Damit sind zwei Forderungen verbunden: – Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit. – Die Freiheit des Einzelnen hat mit der Freiheit aller übrigen Menschen vereinbar zu sein: »Handle so, dass du die Würde der Menschheit sowohl in deiner Person als in der jedes anderen jederzeit achtest und die Person immer zugleich als Zweck, nie als bloßes Mittel gebrauchst!« 2) Religiöse Perspektive: Die Gerechtigkeitsforderung der christlichen Sozialethik ist auf zwei Prinzipienpaaren begründet: Personen- versus Gemeinwohlprinzip und Subsidiaritäts- versus Solidaritätsprinzip. Die verschiedenen Prinzipien sollen näher erläutert werden: a) Personen- versus Gemeinwohlprinzip: – Personenprinzip: Als »Ebenbild Gottes« ist der Mensch von einer »unbedingten Würde«, sodass er niemals den Zielen anderer Personen als Mittel unterworfen werden darf. – Gemeinwohlprinzip: Unter »Gemeinwohl« wird das gemeinsame Wohl einer in wechselseitiger Verflechtung ihrer Lebensgestaltung und Bedürfnisbefriedigung lebenden Menschheit verstanden. Die Gemeinwohlsicherung ist das Ziel jeder Form von Gesellschaft. Sie ist zudem eine personale Verpflichtung, die auf der Basis der Universalität des Evangeliums Christen zu dieser zentralen Haltung verpflichtet. b) Subsidiaritäts- versus Solidaritätsprinzip: – Subsidiaritätsprinzip: Der Ursprung des Subsidiaritätsprinzips liegt in der katholischen Soziallehre seit der Enzyklika von Papst Pius XI. (1931). Die Forderung nach Subsidiarität beinhaltet die Verpflichtung zur Hilfestellung durch die Mitglieder der Gemeinschaft. Dies gilt vor allem dann, wenn die Sicherung des Gemeinwohls durch übergeordnete Instanzen nicht (mehr) gewährleistet zu sein scheint. – Solidaritätsprinzip: Die Forderung nach Solidarität wird in einer Enzyklika aus dem Jahr 1968 (»Populorum progressio«) betont: Das weltweite Solidaritätsprinzip besagt, dass die Eigenständigkeit von Personen in ih-
Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
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rer Selbstentfaltung niemals auf Kosten anderer gehen darf. Die »stärkeren« Mitglieder der Gemeinschaft sind dazu aufgefordert, stets Rücksicht auf die Bedürfnisse und Interessen der »Schwächeren« zu nehmen, wobei man zwar die helfende Autorität des Stärkeren anerkennt, diese jedoch Kontrollen unterwirft. 3) Ökonomische Perspektive: In der Wirtschafts- und Unternehmensethik sind zwei Ansätze zu nennen: die Moralphilosophie nach Adam Smith und die Unternehmensethik. a) Moralphilosophie nach Adam Smith (Smith 1776, 1999): In Betracht kommen folgende Grundüberlegungen zur Gestaltung menschlichen Handelns nach moralischen Gesichtspunkten: – Entkoppelung von Handlungsmotiven und moralisch erwünschten Handlungsergebnissen: Das Handlungsziel des Einzelnen sollte es nicht sein, das gesamtwirtschaftliche Ergebnis zu verbessern. Vielmehr ergibt sich die Verbesserung gewissermaßen »automatisch« aus dem individuellen Streben der Individuen nach individueller Nutzenmaximierung und durch die Einzelhandlungen vieler Menschen (Arbeitsteilung). – Ersetzung der Individualethik durch eine Institutionsethik: Für die moralische Qualität der Wirtschaftsbeziehungen sind nicht mehr die moralischen Motive von Einzelpersonen ausschlaggebend, sondern die sich in institutionellen Regelungen manifestierende Moral. – Folgen für die moralethischen Grundlagen der Marktwirtschaft: 1) »Konsumentensouveränität«: Es wird nur solches Handeln belohnt, das den Konsumenten dient. 2) »Wettbewerbsprinzip«: Durch die Anforderungen des Marktes und durch den darauf bezogenen Wettbewerb hat prinzipiell jeder Mensch die Möglichkeit, sein Leben in Abstimmung mit der Gemeinschaft zu gestalten (»Wohlstand dient der Ermöglichung von Freiheit!«). 3) »Kooperationsprinzip«: Ziel der Kooperation soll es sein, einen Wohlstand für alle zu schaffen, der sich auf einen konsensmäßigen »Regelkatalog« für das aufeinander bezogene Handeln stützt. Dieser Wohlstand stellt eine Voraussetzung für die Freiheit aller Personen dar. b) Die Unternehmensethik kann sich sowohl auf unternehmensinternes als auch auf unternehmensexternes Handeln beziehen: – Auf unternehmensinterne Strukturen bezogene Ethik: Für die Realisierung ethisch vertretbaren Handelns ist es wichtig, dass innerhalb des Unternehmens nicht (oder nur eingeschränkt) das Wettbewerbsprinzip, sondern das Kooperationsprinzip als Koordinationsmechanismus praktiziert
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wird. Moderne Führungskonzeptionen ermöglichen die Umsetzung ethischer Maximen, etwa durch Mitbestimmung am Arbeitsplatz, die Akzeptanz des Arbeitnehmers als Person (und nicht ausschließlich als Produktionsfaktor) sowie Information und Kommunikation. – Auf die Unternehmensumwelt bezogene Ethik: Die Leistungen eines Unternehmens sollten sich an Nutzen-Kosten-Gesichtspunkten orientieren, da diese dem Wettbewerbsprinzip des Marktes unterliegen. Gemeinnütziges Handeln des Unternehmens steht bei dieser »Kalkulation« oftmals im Gegensatz zu den Erfordernissen und Auflagen des Marktes. So können beispielsweise einem Unternehmen durch die Realisierung gemeinnütziger Aktionen Wettbewerbsnachteile entstehen. Auch ethisch orientierte politische Proklamationen, wie die amerikanische Verfassung, haben die individuelle Nutzenmaximierung als eines ihrer obersten Prinzipien. So sieht beispielsweise der Amtseid des deutschen Bundeskanzlers vor, den »Nutzen des deutschen Volks zu mehren«.
Exkurs: »Ideologie sozialer Marktwirtschaft« – Rechtliche und politische Grundlagen
In den Verfassungen der meisten westlichen Staaten ist das Recht des Einzelnen, seine Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen – solange dieses nicht dem Wohl anderer Personen oder dem Staat schadet – festgelegt. Darüber hinaus findet man in den verschiedenen Verfassungen zahlreiche Hinweise auf die Verpflichtung des Staates gegenüber seinen Bürgern, dieses Recht durch Gesetze und staatliche Auflagen sicherzustellen. Vier Beispiele seien genannt (Hervorhebungen durch den Verf.): – Eid des Bundespräsidenten, Bundeskanzlers und der Minister der Bundesrepublik Deutschland (Grundgesetz, Artikel 56): »Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. (So wahr mir Gott helfe).« – Antrittsreden US-amerikanischer Präsidenten (Ausschnitte): John F. Kennedy (1960): »I stand today facing West on what was once the last frontier. From the lands that stretch 3000 miles behind me, the pioneers
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of old gave up their safety, their comfort, and sometimes their lives to build a new world here in the West. They were not the captives of their own doubts, the prisoners of their own price tags. Their motto was not, every man for himself – but all for the common cause. … That is the question of the new frontier. That is the choice our nation must make – a choice that not merely between two men or two parties, but between the public interest and private comfort – between national greatness and national decline – between the fresh air of progress and the stale, dark atmosphere of ›normalcy‹ – between determined dedication and creeping mediocrity.« Jimmy Carter (Carter 1976): »… Ours was the first society openly to define itself in terms of both spirituality and of human liberty. It is the unique selfdefinition which has given us an exceptional appeal – but it also imposes on us a special obligation – to take on those moral duties which, when assumed, seem invariably to be in our own best interests.« Ronald Reagan (Reagan 1981): »Government can and must provide opportunity, not smother it; foster productivity, not stifle it. If we look to the answer as to why for so many years we achieved so much, prospered as no other people on earth, it was because here is this land we unleashed the energy and individual genius of Man to greater extent than has ever been done before.« – Französische Verfassung, Bürgerrechte (1789): Art. 1: »Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Die gesellschaftlichen Unterschiede können nur im gemeinen Nutzen begründet sein.« Art. 4: »Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet: Die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen hat also nur die Grenzen, die den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss eben dieser Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden.« – Verfassung der Italienischen Republik (1967): Art. 3, Abs. 2: »Es ist die Aufgabe der Republik, die Hindernisse wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art zu beseitigen, die die Freiheit und Gleichheit der Bürger tatsächlich begrenzen, und die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die wirksame Teilnahme aller Arbeitenden an der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gestaltung des Landes verhindern.« Art. 4, Abs. 2: »Jeder Staatsbürger ist verpflichtet, im Rahmen seiner Mög-
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lichkeiten nach eigener Wahl eine Tätigkeit oder Funktion auszuüben, die zum materiellen oder geistigen Fortschritt der Gesellschaft beiträgt.« Art. 41, Abs. 1,2: »Die privatwirtschaftliche Initiative ist frei. Sie darf nicht im Gegensatz zum Gemeinwohl oder in einer Weise ausgeübt werden, die der Sicherheit, Freiheit und der Würde des Menschen schadet.« Wenn von »Nutzen« die Rede ist, sind keineswegs nur materielle Werte gemeint (»Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!«). Als »nützlich« können auch Anerkennung, soziale Zugehörigkeit, Status empfunden werden. Was Menschen als ihren jeweiligen Nutzen betrachten, kann sehr unterschiedlich sein. Besonders freie Marktwirtschaften orientieren sich am Prinzip der »Maximierung der Summe des Ertrags aller Individuen« (»Maximierung des Gesamtnutzens«). Dies ist nicht identisch mit der Vorstellung einer »Maximierung des Ertrags jedes einzelnen Individuums«. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen ein individuelles Ertragsmaximierungsprinzip den Gesamtnutzen, das heißt die Summe aller individuellen Erträge, schädigt. Ein Beispiel hierfür sind Preisabsprachen zwischen Anbietern. Diese Preisabsprachen sorgen zwar dafür, dass sich der individuelle Gewinn der Anbieter erhöht, sie schädigen jedoch auf Dauer die Gesamtleistung des Systems, zum Beispiel durch überhöhte Preise. Daher werden entsprechende Gegenmaßnahmen wie durch den Erlass bestimmter Gesetze (etwa Kartellgesetze) getroffen. Die Zielsetzung der freien Marktwirtschaft ist nicht die Maximierung des individuellen Nutzens, sondern die des zusammengefassten Nutzens der Gemeinschaft (vgl. die im Exkurs auf S. 22 dargestellten Zielsetzungen in der Amerikanischen Verfassung oder dem Amtseid des deutschen Bundeskanzlers). Während in einer freien Marktwirtschaft das Ziel der »Maximierung des Gesamtnutzens« gilt, wird in der sozialen Marktwirtschaft noch ein weiteres Ziel verfolgt: Der »Schaden« (im Sinne des Versagens von Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung) darf für kein Mitglied eine gesellschaftlich allgemein anerkannte Grenze überschreiten. Auf dieser Grundlage werden Systemregelungen etabliert, die auch den Gesamtertrag senken können, da ein Teil der Leistungsanreize entfällt. So senken möglicherweise bestimmte Regelungen, wie Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe und Kündigungsschutzregelungen, die Anreize für bestimmte Leistungen, etwa die eigenverantwortliche Vorsorge. Andererseits steigen durch diese Systemregelungen das allgemeine subjektive Sicherheitsempfinden und damit die allgemeine Lebensqualität in der Gemeinschaft. Deshalb wurde die soziale Marktwirtschaft nicht nur in Hinblick auf die allein auf materielle Bedürfnisse bezogene »Nut-
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zenmehrung« in fortschrittlich organisierten Staaten etabliert, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der sozialen und emotionalen Bedürfnisse. Anscheinend bestehen gerade bei vielen jungen Menschen emotionale Widerstände gegen das Prinzip der Nutzenmaximierung. Dies ist möglicherweise die Folge eines Erziehungsstils, der zum Teil von einer Idealvorstellung wie der der »Aufopferung für andere« ausgeht. Damit sind jedoch unauflösbare Spannungen nicht nur in privater, sondern auch in beruflicher Hinsicht programmiert. Die Tabuisierung des Strebens nach individueller Nutzenmaximierung verhindert beispielsweise eine offene und rationale Auseinandersetzung über das Verhältnis zwischen dem eigenen Einsatz für das Unternehmen und den dafür erhofften oder erhaltenen Nutzenwerten, die sich in Geld, Anerkennung oder Status ausdrücken können (s. Theorieübersicht: Anreiz-Beitrags-Theorie auf S. 26). Die Folge ist nicht selten ein Gefühl des Ausgenutztwerdens. Gerade in sozialen Organisationen, bei denen die »Fürsorge für den Anderen« eine wichtige Handlungsmaxime ist, kann die Verleugnung der individuellen Nutzenmaximierung ein großes Optimierungshindernis für die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen darstellen. Sieht die Wertorientierung und die Kultur einer Organisation auch nur implizit eine solche Tabuisierung vor, fällt es schwer, die Leistungen des Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitern als Ausgleich für die erbrachte Arbeit zu thematisieren. Eine offene und klare Auseinandersetzung über die jeweiligen Beiträge der Mitarbeiter einerseits und den Forderungen derselben an das Unternehmen andererseits ist somit nur schwer möglich. Ansprüche an das Unternehmen, zum Beispiel Lohnforderungen, lassen sich allenfalls nur mit einer »moralischen« Argumentation rechtfertigen, beispielsweise wegen eines höheren Bedarfs aufgrund von Kindern. Oft herrscht in den entsprechenden Organisationen ein Klima vor, das unhinterfragt von den Mitarbeitern ein Höchstmaß an Motivation und Einsatz verlangt, auch ohne einen entsprechenden Ausgleich. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn es gerade in solchen Betrieben zu den bekannten Phänomenen wie Selbstaufgabe, Aufopferung für andere bis hin zum Burn-out kommt.
1.1
Akzeptanz der individuellen Nutzenmaximierung – auch ein Thema für die Personalwirtschaft
In der Psychologie ist unumstritten, dass die persönliche Nutzenoptimierung das Verhalten von Menschen steuert. Es spielt dabei keine Rolle, ob dem Einzelnen seine »Nutzenmaximierung« im Sinn einer expliziten Kalkulation be-
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
wusst ist oder ob entsprechende Einflüsse eher implizit, das heißt ohne einen aktiven Überlegungsvorgang, das Verhalten steuern. Die Grundgedanken dieser Überlegung sowie einige praktische Konsequenzen können folgendermaßen beschrieben werden (vgl. Ausführungen zu den Motivationstheorien in Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129):
Theorieübersicht: Anreiz-Beitrags-Theorie
Die Kernaussage der Anreiz-Beitrags-Theorie (s. Barnard 1938; Hentze 1990; Nick 1974) ist, dass Nutzenüberlegungen Entscheidungen und das Verhalten von Mitarbeitern lenken. Damit sich Mitarbeiter engagieren, muss das Unternehmen Leistungsanreize zur Verfügung stellen: Die Leistungsbeiträge der Mitarbeiter müssen so honoriert werden, dass diese aus ihrem Einsatz für das Unternehmen einen (subjektiven) Nutzen ziehen können. Prinzipiell haben (potenzielle) Mitarbeiter vier Möglichkeiten, auf die von einem Unternehmen gebotenen Leistungsanreize zu reagieren: – Eintrittsentscheidung: Potenzielle Mitarbeiter entscheiden sich aufgrund eines für sie antizipierten positiven Nutzen-Kosten-Kalküls zum Eintritt in das Unternehmen. – Teilnahmeentscheidung: Angesichts eines subjektiv positiven, ausgeglichenen Nutzen-Kosten-Verhältnisses erfüllen Mitarbeiter die an sie herangetragenen Aufgaben und Rollen und setzen ihre Fähigkeiten und Kenntnisse zur Erfüllung der Unternehmensaufgaben ein. – Austrittsentscheidung: Bei einer negativen Nutzenbilanz entschließen sich Mitarbeiter zum Verlassen des Unternehmens. Zu einer Austrittsentscheidung kann es jedoch auch dann kommen, wenn Handlungsalternativen (Beschäftigung in einem anderen Unternehmen) einen größeren Nutzen versprechen. – Kompensationsentscheidung: Eine negative Nutzenbilanz muss nicht zwangsläufig eine Austrittsentscheidung zur Folge haben. Hierfür können folgende Gründe vorliegen: der Wechsel in ein anderes Unternehmen ist mit hohen Kosten verbunden, die Beschäftigung in einem anderen Unternehmen bedeutet eine noch größere negative Nutzenbilanz oder eine Beschäftigung in einem anderen Unternehmen steht nicht zur Verfügung. In einem solchen Fall versuchen Mitarbeiter auf anderen Wegen die subjektive Beitrags-Belohnungs-Balance (Kosten-Nutzen-Balance) wieder herzustellen. Dies kann aufseiten des Nutzens beispielsweise durch entsprechende Lohnforderungen erfolgen oder aufseiten der Kosten durch Senkung dersel-
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ben, was sich beispielsweise in Absentismus oder Arbeitsverweigerung ausdrücken kann. Die vier Handlungsmöglichkeiten lassen sich in einem Vier-Feld-Schema (s. Tabelle 1) darstellen. Tabelle 1: Vier Handlungsalternativen im Rahmen der Anreiz-Beitrags-Theorie Entscheidung
Nutzenbilanz aus Sicht des Mitarbeiters positiv
negativ
Verbleib im Betrieb
Teilnahmeentscheidung
Kompensationsentscheidung
Wechsel (Eintritt/Austritt)
Eintrittsentscheidung
Austrittsentscheidung
Aus der Anreiz-Beitrags-Theorie lassen sich für die Praxis folgende Konsequenzen ziehen: Für Unternehmen sollte es ein Ziel sein, einen Zustand des »organisationalen Gleichgewichts« herzustellen. Dieser Gleichgewichtszustand kann dann als gegeben betrachtet werden, wenn die Anreizangebote der Organisation ausreichen, um das Engagement der Mitarbeiter zu wecken, aufrechtzuerhalten oder zu steigern. Dabei sind natürlich die Kosten entsprechender Maßnahmen zu beachten. Bei der Gestaltung des organisationalen Anreiz-Systems sind folgende Punkte zu berücksichtigen: – Die dargebotenen Anreize und die damit verbundene Personalpolitik müssen den Mitarbeitern einsichtig machen, wieso sich ihr Arbeitseinsatz gerade für dieses Unternehmen lohnt. Die Anreize sollten somit die »Handschrift« des Unternehmens tragen. Es reicht sicherlich nicht aus, Mitarbeiter nur durch Sachleistungen (Entgelt, Prämien, vermögenswirksame Leistungen et cetera) zu motivieren, denn diese können potenziell auch von anderen Unternehmen geboten werden (vgl. Ausführungen zum Kostenproblem der so genannten extrinsischen Arbeitsmotivation in Abschnitt 4.2 Grenzen extrinsischer Arbeitsmotivation, S. 179). Die Schaffung günstiger Arbeitsplatzbedingungen (Betriebsklima, Arbeitsplatzgestaltung, Partizipation), das Aufzeigen von Fortbildungs- und Aufstiegschancen sowie besondere Sozialleistungen dürften einen hohen Stellenwert besitzen. – Personalmarketing-Maßnahmen sollten nicht nur auf den externen Arbeitsmarkt ausgerichtet sein, sondern müssen auch den internen Arbeitsmarkt beachten. Die damit verbundene »Werbung für das Unternehmen« kann dazu beitragen, den Wert des Unternehmens in den Augen der eigenen Mitarbeiter zu erhöhen.
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
– Um die gewünschte Wirkung auf die individuellen Verhaltensentscheidungen der Mitarbeiter zu erzielen, ist es wichtig, dass sich das Anreizsystem durch eine hohe Transparenz und Verständlichkeit auszeichnet. Für die praktische Personalarbeit in Wirtschaftsunternehmen ist die Berücksichtigung des Prinzips der individuellen Nutzenmaximierung vor allem in drei Bereichen von Bedeutung: – Mitarbeitermotivation: Akzeptiert man den Grundsatz, dass jeder Mensch bei überlegten Handlungen subjektiv versucht, seinen Nutzen zu maximieren, ist die Kenntnis der individuellen Nutzenstruktur von fundamentaler Bedeutung. Es ist daher wichtig zu wissen, was den Betreffenden subjektiv als besonders nützlich erscheint (vgl. Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129). Die Kenntnis über die Nutzenstruktur kann sowohl im Rahmen von Maßnahmen der Arbeitsgestaltung als auch bei der Schaffung von motivierenden Anreizsystemen eine wichtige Rolle spielen. Optimal ist es, wenn Maßnahmen, die für das Unternehmen günstig sind, zugleich auch den subjektiven Nutzenkalkulationen der Mitarbeiter entsprechen. Dies kann viel öfter als man denkt erreicht werden, etwa bei der Arbeitsgestaltung und der Aufgabenverteilung. – Konfliktmanagement: Die prinzipielle Akzeptanz der Nutzenmaximierung durch einzelne Mitarbeiter kann eine wesentliche Grundlage zur Reduktion oder Lösung von Konflikten sein (vgl. Kapitel 7). Wird das Streben nach individueller Nutzenmaximierung nicht tabuisiert, lassen sich Konflikte leichter ansprechen und es können leichter für alle annehmbare Lösungen gefunden werden, ohne diese Konflikte über »Nebenschauplätze« oder emotionale Angriffe auszutragen. Insbesondere Verteilungskonflikte (vgl. Abschnitt 7.3 Verteilungskämpfe als Konfliktquelle, S. 292) können so zumindest sachlich gelöst werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass Mitarbeiter auch dann nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung handeln, wenn dies nicht mit der offiziellen Unternehmensideologie in Einklang steht. Akzeptiert man dies nicht, werden Konflikte durch das Vorschieben von immer neuen, manchmal der Realität nicht entsprechenden Argumenten verschleppt, vielleicht sogar immer weiter verstärkt. Typische Beispiele findet man dazu vor allem im Hinblick auf die Machtmotivation (vgl. Kapitel 5): In manchen Unternehmen gehört es zu den unausgesprochenen Grundsätzen, das individuelle Streben nach persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten nicht offen zu artikulieren. Bei notwendigen organisatorischen Veränderungen, die möglicherweise eine Verschiebung oder eine Beschneidung des eigenen Machtbereichs zur Folge haben, kann es dann zu sachlich
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nicht nachvollziehbaren Widerständen kommen. Denkbar sind auch Dauerkonflikte in verschiedenen Unternehmensbereichen aufgrund subjektiv unbefriedigender Gestaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz. – Außendarstellung: Der Erfolg eines Unternehmens hängt stark von seiner Akzeptanz und Anerkennung innerhalb der Gesellschaft als Ganzes ab, besonders auch von denjenigen Personen, die in unmittelbaren Kontakt zum Unternehmen stehen, wie Kunden, Zulieferer, Anteilseigener. Um selbst den größtmöglichen Nutzen aus den entsprechenden Schnittstellenkontakten zu ziehen, sollten Unternehmen bemüht sein, die Wertvorstellungen und Nutzenvorstellungen der jeweiligen Adressaten zu berücksichtigen. Ein einfacher »Test«, um festzustellen, wie stark das Prinzip der persönlichen Nutzenmaximierung in einem Unternehmen tabuisiert ist, ist die Frage »Arbeiten Sie bei uns, um Ihren persönlichen Nutzen zu mehren oder setzen Sie sich für die Unternehmensziele ein?« Es ist erstaunlich, dass nur wenige Gesprächspartner (vor allem, wenn man diese Frage im Beisein von Vorgesetzten stellt) sich zur persönlichen Nutzenmaximierung bekennen und, im Idealfall, die teilweise Kongruenz zwischen dem Einsatz für die Unternehmensziele und der eigenen Nutzenmaximierung herausarbeiten. Wenn jedoch selbst viele Unternehmenskulturen zu einer solchen Form der »Anpassung« Anlass geben, darf man sich nicht wundern, dass auch in der gesellschaftlichen Diskussion und in der Erziehung und Sozialisation kein Bekenntnis zum Nutzenmehrungsprinzip erfolgt. Warum sollte man eine gewinnorientierte Wirtschaftsform akzeptieren, wenn in den Unternehmen selbst das gleiche Prinzip für das Handeln der Mitarbeiter nicht anerkannt wird? Auf die hohe Bedeutung von Nutzenüberlegungen für die Beurteilung sozialer Beziehungen, die auch für die Gestaltung des Verhältnisses zwischen Mitarbeitern und Unternehmen relevant sind, verweist die Austauschtheorie.
Theorieübersicht: Austauschtheorie
Die Kernaussage der Austauschtheorie (Social Exchange Theory; s. Bierhoff 1981, 1984; Frey u. Greif 1997; Gergen et al. 1980; Irle 1975; Thibaut u. Gruder 1969; Thibaut u. Kelley 1959, 1978; Wunderer u. Grunwald 1980) ist, dass Personen ihre sozialen Beziehungen auf dem Hintergrund von Nutzenüberlegungen beurteilen. So versuchen beispielsweise Mitarbeiter die sozialen Beziehungen so zu wählen oder zu beeinflussen, dass sich ihre Gewinne und der Umfang der Nettobelohnungen nach Abzug der eigenen Aufwendungen maximieren.
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
Stehen mehrere soziale Partner zur Verfügung oder zur Wahl, so wird ein Mitarbeiter denjenigen bevorzugen, der ihm die größten persönlichen Zugewinne verspricht. Soziale Beziehungen können auf zweierlei Weise bewertet werden: – Die betreffende Person orientiert sich bei der Einschätzung der sozialen Beziehung an einem auf Erfahrungen beruhenden allgemeinen Vergleichsstandard: Ein Mitarbeiter schätzt sein gegenwärtiges Gehalt auf dem Hintergrund branchenüblicher Sätze als zufrieden stellend ein. – Die betreffende Person orientiert sich an aktuellen Vergleichen: Verglichen mit dem Gehaltsangebot eines anderen Unternehmens schätzt der Mitarbeiter seine gegenwärtigen Bezüge als gering ein. Die Entstehung, Aufrechterhaltung und Beendigung einer sozialen Beziehung hängt von folgenden Faktoren ab: – Konsequenzen, die von den Interaktionsteilnehmern (also Unternehmen und Mitarbeiter) hinsichtlich ihrer sozialen Austauschprozesse antizipiert werden: Hierbei werden sowohl auf Unternehmensseite als auch auf Mitarbeiterseite nicht nur kurzfristige Gewinne von Bedeutung sein. Beispiel: Die Beschäftigung von Auszubildenden bedeutet für ein Unternehmen zunächst einen Anstieg der Kosten. Die Verantwortlichen entscheiden sich dennoch zur Einstellung von Auszubildenen, da sie sich hiervon längerfristig einen Nutzen versprechen. – Vorhandensein oder Realisierbarkeit alternativer Interaktionen: Ein Unternehmen wird sich in Zeiten eines entspannten Arbeitsmarktes weniger darum bemühen, mittelmäßig befähigte oder engagierte Mitarbeiter durch entsprechende Anreize im Unternehmen zu halten. Ebenso wird ein Mitarbeiter, der viel versprechende Aussichten auf dem Arbeitsmarkt hat, nur eingeschränkt bereit sein, ungünstige Konditionen in seinem Unternehmen zu akzeptieren. – Vermutungen darüber, welchen subjektiven Nutzen der Gegenüber aus der Interaktion zieht oder zu ziehen beabsichtigt: Die Erfindung eines Mitarbeiters hat für sein Unternehmen große Gewinne zur Folge; die Prämie, die er von dem Unternehmen für seine Erfindung erhält, fällt jedoch unverhältnismäßig gering aus. Dieser Aspekt spielt jedoch häufig nur eine untergeordnete Rolle, da sich Nutzenüberlegungen vorrangig auf die Sicherstellung des eigenen Nutzens beziehen und somit der Fokus auf den eigenen »Gewinnen« liegt. Je nachdem zu welchem Ergebnis die Bewertung der Austauschbeziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeiter geführt hat, können folgende Konsequenzen unterschieden werden:
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– »Schicksalskontrolle«: Ein Unternehmen kann durch entsprechende Weisungen und Verfügungen auf das Verhalten der Mitarbeiter Einfluss nehmen, ohne dass die Mitarbeiter etwas daran ändern können. Beispiel: Entlassung. – »Verhaltenskontrolle«: Indem Unternehmen bestimmte Leistungsanreize bieten, die einen hohen Nutzen für die Mitarbeiter darstellen, werden die Mitarbeiter motiviert, das gewünschte Verhalten zu zeigen (vgl. Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129). Beispiel: Mitarbeiterführung und -motivation. – »Reflexive Kontrolle«: Die Mitarbeiter können ihre Ergebnisse selbst steuern, unabhängig davon, was das Unternehmen tut. Beispiel: Kündigung durch Mitarbeiter. Um die Attraktivität des sozialen Austauschprozesses für beide Interaktionspartner zu steigern und zu erhalten, ist es notwendig, dass eine »gerechte« Aufteilung (vgl. Theorieübersicht: Gerechtigkeits- und Fairnesstheorien, S. 36) der Gewinne erfolgt. Ziel personalpolitischer Überlegungen sollte es daher sein, eine Koordination zwischen den Gewinnerwartungen der an dem Austauschprozess beteiligten Personen anzustreben, die es erlaubt, einen möglichst hohen Gesamtgewinn (so genannte »optimal Joint-Profit-Exchange«) zu realisieren. Dabei muss unter Umständen in Kauf genommen werden, dass die Austauschpartner nicht ihren individuellen Maximalgewinn erzielen. Die hohe Bedeutung von Nutzenüberlegungen für die Beurteilung sozialer Beziehungen wird bei Individuen jedoch erst auf einer späten Entwicklungsstufe der Moral erkannt. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Menschen ihre sozialen Beziehungen auf diese Art und Weise beurteilen.
Theorieübersicht: Stadientheorie der moralischen Entwicklung
Schwerpunkt der Stadientheorie der moralischen Entwicklung (s. Döbert u. Nunner-Winkler 1980; Oerter u. Montada 1985) ist der Ablauf und die qualitative Ausdifferenzierung moralischer Vorstellungen im Entwicklungsprozess. Wichtig sind die Stadientheorie nach Piaget (1935) und die Entwicklungsstadien moralbezogener Argumentation nach Kohlberg (1963, 1964, 1969, 1974). In der Stadientheorie Piagets besteht die moralische Entwicklung von Personen im schrittweisen Erlangen einer moralischen Autonomie. Diese besteht darin, dass der Sinn von Normen für das Leben in der Gemeinschaft einsichtig wird. Es werden zwei Stadien unterscheiden.
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In dem Stadium der Heteronomie herrscht ein Autoritätsdenken vor. Regeln werden durch Autoritäten vorgegeben, die das Recht haben, Abweichungen von diesen Regeln zu sanktionieren. Ein Verstoß gegen Normen ist in diesem Stadium gleichbedeutend mit Ungehorsam gegenüber der Autorität, was mit einer Sühnestrafe geahndet werden muss. In dem Stadium der Autonomie entscheiden die Personen selbst, welche Normen und Vereinbarungen sie für das Zusammenleben für sinnvoll und zweckmäßig erachten. Sofern extern gesetzte Gebote und Verbote bestehen, werden diese unter Bezugnahme von Maßstäben der Gerechtigkeit (vgl. Theorieübersicht: Gerechtigkeits- und Fairnesstheorie, S. 36) überprüft. Ein Verstoß gegen Normen kommt einer Verletzung einer auf Vereinbarung beruhenden Regelung zwischen Partnern gleich. Die auf einen Normenverstoß folgende Sanktionierung besteht nicht primär in einer Sühne, sondern sie beinhaltet nach Möglichkeit eine Wiedergutmachungsleistung. Sanktionierungen sollen den Sinn der Normen, die verletzt wurden, demonstrieren. Beim Stadienmodell von Kohlberg geht es nicht um den Inhalt moralischer Auffassungen und Haltungen, sondern darum, wie diese gerechtfertigt werden. Kohlberg unterscheidet insgesamt drei Niveaus mit insgesamt sechs Stufen moralbezogener Argumentation. Diese werden nacheinander durchlaufen, wobei jedoch nicht alle Menschen im Lauf ihres Lebens die letzten Stufen erreichen. 1) Vormoralisches/vorkonventionelles Niveau Stufe l: – Die Person orientiert sich an Strafe und Gehorsam. – Nur sichtbare (quantifizierbare) Konsequenzen entscheiden, ob eine Handlungskonsequenz positiv oder negativ ist. – Die Person ordnet sich der normgebenden Autorität unter, um negative Sanktionen zu vermeiden. Stufe 2: Eine instrumentelle Orientierung der Person an den eigenen Bedürfnissen dominiert – das heißt, nicht allgemeine Gerechtigkeitsprinzipien, sondern die eigenen Interessen der Person sind hier maßgebend. 2) Konventionell-konformistisches Niveau Die Person orientiert sich in diesem Stadium an für sie wichtigen Partnern. Die vorherrschende Verhaltenstendenz der Person besteht in der Erhaltung wichtiger Sozialbeziehungen. Stufe 3: – Es erfolgt eine Orientierung an interpersonellen Beziehungen. – Konflikte in dieser Phase entstehen dadurch, dass es der Person nicht ge-
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lingt, die Interessen aller wichtigen Sozialpartner gleichermaßen und gleichzeitig zu berücksichtigen. Stufe 4: – Die Orientierung wendet sich von persönlich bekannten Personen ab und geht über zu übergreifenden Systemen, wie Staat oder Unternehmensleitung. – »Law and Order«-Haltung: Die Person orientiert sich maßgeblich an Gesetz und Ordnung 3) Nachkonventionelles Niveau Stufe 5: – Einsicht der Person, dass das Normensystem wandelbar ist und infrage gestellt werden kann. – Die Person argumentiert vornehmlich nach utilitaristischen Prinzipien entsprechend der Maxime, dass die Gewinne für möglichst viele Personen maximiert werden sollen. Stufe 6: – Die Person bemüht sich, allgemein gültige ethische Prinzipien auf der Basis idealistischer Modelle aufzufinden. Vor allem Verfechter intrinsischer Arbeitsmotivation (vgl. Abschnitt 4.3 Intrinsische Arbeitsmotivation und Führung, S. 187) haben gegen die Auffassung argumentiert, Menschen würden sich bei der Steuerung ihres Verhaltens am Nutzenmaximierungsprinzip orientieren. Manchen erscheinen Nutzenmaximierungsmodelle des menschlichen Verhaltens vor allem dann zu technizistisch, dem inneren Streben des Menschen nach Selbstverwirklichung nicht angemessen und in gewisser Weise für das Menschsein entwürdigend, wenn auch noch eine formelhafte Darstellung gewählt wird (vgl. Theorieübersicht: Instrumentalitätstheorie, S. 132, oder Leistungsmotivation, S. 157). Die Argumentation, dass Menschen sich nicht am Nutzenmaximierungsprinzip orientieren, übersieht jedoch, dass es irrational und wenig nachvollziehbar wäre, seine Handlungen so auszuwählen, dass man absichtlich das beeinträchtigt, was man für gut und richtig hält (also seinen subjektiven Nutzen im weitesten Sinne). So basieren beispielsweise viele psychologische Motivationstheorien auf der Annahme, dass Menschen jene Handlungsalternative auswählen, mit der sich das am höchsten bewertete Ziel (am subjektiv wahrscheinlichsten) erreichen lässt (vgl. die in Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129, dargestellten Motivationstheorien). Problematisch ist nicht das Nutzenmaximierungsprinzip als solches, sondern die Frage, welche Aspekte als subjektiv nützlich erlebt werden. Zeigt jemand ein herausragendes altruisti-
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sches Verhalten (etwa die Widmung seines Lebens der Versorgung Not leidender Kinder in Entwicklungsländern), dann stellt für ihn die Vermeidung des Leids dieser Gruppe einen höheren subjektiven Nutzen dar als der Erwerb von Besitz oder Bequemlichkeit. Das Besondere an herausragenden, ethisch begründeten Leistungen ist nicht, dass die Handelnden bereitwillig zum Teil erhebliche unmittelbare negative Folgen auf sich nehmen, sondern dass die betreffenden Menschen für sich ein Bewertungssystem erarbeitet haben, das »höhere« Werte stärker beachtet als »niedrigere« Bedürfnisbefriedigungen. Der Nutzen einer Erfüllung persönlicher Wertmaßstäbe wird anscheinend höher eingeschätzt als mögliche, sich daraus ergebende Nachteile. So stellen die zuweilen anzutreffenden ethischen Aufforderungen, dem Gemeinwohl zu dienen und sich für die Gemeinschaft einzusetzen (siehe z. B. christliche Sozialethik), keinen Widerspruch zu dem Prinzip der individuellen Nutzenmaximierung dar, da diese ethischen Prinzipien an den Menschen appellieren, den Dienst an der Gemeinschaft als für sich nützlich und wertvoll zu empfinden. In jedem Fall muss man akzeptieren, dass der subjektive Nutzen etwas sehr Individuelles ist und in keiner Weise nach einer Gleichung mit für alle Menschen identischen Gewichtungsparametern beschrieben werden kann. Indem jedoch auch Verhaltensweisen, die im Allgemeinen als selbstlos bezeichnet werden, ein individuell nutzbringender Charakter unterstellt wird, ist die Nutzenmaximierungsbehauptung kaum widerlegbar. Sie stellt sich damit als immun gegenüber Entkräftungs- und Falsifikationsversuchen dar, was ihre Überzeugungskraft sehr beeinträchtig (vgl. S. 154). In der Tat ist die Nutzenmaximierungsbehauptung empirisch nicht prüfbar und kann daher nicht als »wissenschaftlich« gelten (vgl. Popper 2002, S. 137f.). Sie beschreibt keine »wissenschaftliche Gesetzmäßigkeit«. Sie tritt jedoch auch nicht mit dem Anspruch der »Wissenschaftlichkeit« an, sondern stellt eine Prämisse dar, die sich an dem Anspruch misst, für die Praxis hilfreich und förderlich zu sein, beispielsweise bei der Lösung von Problemen. Man mag die Frage stellen, warum an der These des allgemeinen Nutzenmaximierungsprinzips festgehalten werden soll, wenn es manchen aufgrund der emotionalen Färbung dieses Begriffs schwer fällt, unter »Nutzen« auch die mühevolle Aufopferung für andere zu verstehen. Es wäre schließlich ebenso möglich, anstelle von »Nutzenmaximierung« auch davon zu sprechen, dass sich manche Menschen eben intrinsisch für Aufgaben einsetzen, ohne dafür eine wie immer geartete Belohnung erhalten zu wollen. Eine solche Auffassung vom Menschen ist auch »schöner«, idealistischer und fördert damit vielleicht die Anzahl derjenigen, die sich an übergeordneten Idealen orientieren. Der Grund, warum dringend empfohlen wird, an dem Nutzenmaximierungsmo-
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dell als Grundvorstellung der menschlichen Verhaltenssteuerung im Betrieb festzuhalten, ist der häufig zu beobachtende Missbrauch idealistischer Grundmodelle, die die subjektive Nutzenmaximierung negieren (»Reife Mitarbeiter setzen sich selbstlos für die Interessen des Unternehmens ein!«). Diese idealistischen Modelle können zu Fehlentwicklungen führen: – Ein Vorgesetzter entzieht sich seiner Aufgabe, motivationsförderliche Arbeitsbedingungen zu schaffen nach dem Motto: »Wenn der ›reife‹ Mitarbeiter sich ohnedies aus innerer Verantwortung heraus voll für das Unternehmen einsetzt, ist jeder, der das nicht in ausreichendem Maß tut, eben ›unreif‹, sodass die Schuld für Motivationsmängel nicht in der Organisation oder im Vorgesetzten, sondern bei ihm selbst liegt.« – Mitarbeiter können in einen unerträglichen Spannungszustand zwischen der akzeptierten »idealistischen« Arbeitsideologie einerseits und ihren auf Dauer doch nicht zu verdrängenden Bedürfnissen andererseits geraten. Bedauerliche Folgen davon finden sich vor allem in Pflegeberufen. Dieser Spannungszustand könnte ein Grund für die erhebliche Quote von Berufswechslern in diesem Bereich liegen. – Idealistische, die subjektive Nutzenmaximierung abwertende Appelle stehen im Widerspruch zu einer pluralistischen, auf der sachgerechten Durchsetzung von Einzelinteressen aufbauenden Gesellschaftsordnung. Es wäre vor diesem Hintergrund gegen die Grundlage einer modernen Gesellschaft, von Mitarbeitern einen Verzicht auf persönlichen Nutzen zu erwarten. Stattdessen ist deutlich zu machen, welche Aspekte (zum Beispiel Nebenfolgen und Auswirkungen auf andere Menschen) man bei der Verfolgung der eigenen Ziele auch innerhalb des Unternehmens beachten sollte. Eine weitere, sehr alltägliche Folge eines implizit vertretenen »idealistischen Modells« ist, dass viele Vorgesetzte einen hohen Arbeitseinsatz ihrer Mitarbeiter ohne darauf folgenden erkennbaren Nutzen für absolut selbstverständlich halten. Dies kann zu einer Abnahme der Arbeitszufriedenheit (vgl. Theorieübersicht: Arbeitszufriedenheit, S. 194) und der Arbeitsmotivation der Mitarbeiter führen.
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
Subjektive Gerechtigkeit – ein problematischer Punkt zielorientierter Verhaltenssteuerung
Kein soziales System kann im Wettbewerb erfolgreich bestehen, wenn sich die Mitglieder nicht mit diesem identifizieren. Man fühlt sich aber nur dann einer solchen Einrichtung auf Dauer zugehörig, wenn man sich dort als gerecht behandelt wahrnimmt. Ungerechte Regelungen finden keine Akzeptanz, ungerechte Vorgesetzte werden abgelehnt. Selbst erhebliche Anreize zur Leistung (etwa finanzielle Belohnungen) verlieren ihre motivationssteigernde Wirkung, wenn diese aus subjektiver Sicht ungerecht vergeben werden (vgl. Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129). Das Erleben subjektiver Gerechtigkeit ist damit fundamental für die Arbeitszufriedenheit, das Betriebsklima und die Leistungsbereitschaft.
Theorieübersicht: Gerechtigkeits- und Fairnesstheorien
Dem Gerechtigkeitserleben im Unternehmen können verschiedene Auffassungen von Gerechtigkeit zugrunde liegen (s. Adams 1965; Homans 1961; Lerner 1975; Mikula 1980a, 1980b, 1981, 1983; Neuberger 1974; Rosenstiel 1978; Walster et al. 1978; Wunderer u. Grunwald 1980): – Allgemeines Gerechtigkeitsprinzip: Im Glauben an eine prinzipiell gerechte Welt soll jeder das erhalten, was er »verdient«. Dieses sehr subjektive und durch die jeweils vorliegende Ideologie geleitete Gerechtigkeitsprinzip kann nicht nur im Sinne sozialstaatlicher Ideen interpretiert werden, sondern wird auch dann oft angeführt, wenn es um die Sicherung einmal erreichter Besitzstände geht. – Verfahrensgerechtigkeit: Ressourcen (etwa in einem Unternehmen) sollen nach klar formulierten und allgemein akzeptierten Regeln verteilt werden. Die Verfahrensweise bei der Verteilung muss somit eindeutig und allgemein verbindlich vorliegen. Beispiel: Alle Mitarbeiter einer Produktionseinheit werden nach den Kriterien Stückzahl, Alter und Familienstand entlohnt. Die Verfahrensgerechtigkeit entspricht im Wesentlichen dem Fairnessprinzip im Sport – es haben sich alle an vereinbarte Spielregeln zu halten. Verstöße dagegen müssen sanktioniert werden. Im normalen Spielgeschehen wird die Sinnhaftigkeit der Regeln nicht infrage gestellt; wer damit nicht einverstanden ist, wählt zweckmäßigerweise einen anderen Sport, ein anderes Spiel. – Verteilungsgerechtigkeit: Bei der Verteilungsgerechtigkeit geht es um die
Subjektive Gerechtigkeit
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Festlegung richtiger, für die Mitglieder der jeweiligen sozialen Organisation akzeptabler Regelungen. Hier gibt es verständlicherweise erhebliche Differenzen zwischen Menschen, vor allem in Abhängigkeit ihrer eigenen ideologischen Position, ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Bedürfnissituation. Die einzelnen Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme unterscheiden sich stark darin, welche Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit dominieren. Wenn von einer »gerechten« Verteilung von Ressourcen die Rede ist, können Menschen hierunter sehr Unterschiedliches verstehen. Man spricht zwar von demselben Begriff »Gerechtigkeit«, legt diesem jedoch sehr unterschiedliche Bezugssysteme zugrunde. Dies äußert sich nicht selten in Konflikten, nach welchen Regeln und Prinzipien Ressourcen zu verteilen sind. Dabei nimmt jeder für sich in Anspruch, »die« gerechte Lösung zu vertreten. Es lassen sich mindestens vier Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit unterscheiden: 1) »Gleichheitsgerechtigkeit« – jeder das Gleiche: Jede Person erhält den gleichen absoluten Teil, unabhängig von Bedürfnissen und Leistungen. Dieses Prinzip ist letztlich nicht sehr plausibel, stellt jedoch oft die automatisch gewählte Grundlage von Aufteilungen unter »Partnern« dar (Prinzip der Gleichverteilung des Gewinns unter Geschäftsfreunden). 2) »Bedarfsgerechtigkeit« – gleich bleibendes Verhältnis von Bedarf/Bedürfnis und Ertrag: Die Verteilung von Ressourcen orientiert sich am individuellen Bedarf und den individuellen Bedürfnissen. Dieses Prinzip findet sich bei der Gehaltsfindung im öffentlichen Dienst, wo unabhängig von der Leistung das Gehalt nach dem Familienstand und der Kinderzahl variiert: Wer für mehr Personen finanziell zu sorgen hat, benötigt für eine annähernd gleiche Bedürfnisbefriedigung eine höhere Entlohnung als eine Person, die nur für sich allein Sorge zu tragen hat. Ein ähnliches Denkprinzip findet sich bei Sozialplänen, wo die soziale Situation die Chance auf ein Verbleiben im Unternehmen stärker beeinflusst als die Leistungsfähigkeit, oder bei von der Familiensituation abhängigen Steuersystemen. 3) »Leistungsgerechtigkeit« – gleich bleibendes Verhältnis von Leistung und Ertrag: Die Verteilung orientiert sich an den erbrachten Leistungen. Dies ist bei einer prozentualen Umsatz-Beteiligung im Vertrieb realisiert, wenn stets ein fester Prozentsatz des vom Außendienstmitarbeiter erreichten Umsatzes als Prämie ausgeschüttet wird. Gerechtigkeit wird dann erlebt, wenn das relative Verhältnis von den erzielten Belohnungen zu den eingebrachten Leistungen bei allen Personen identisch ist. Wichtig ist jedoch, dass der Vergleichspartner, den ein Mitarbeiter zur Einschätzung seines Input-OutputVerhältnisses auswählt, im Hinblick auf bestimmte Vergleichsdimensionen
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
(Alter, Qualifikationen et cetera) »relevant« ist. So wird ein jüngerer Mitarbeiter ein geringeres Input-Output-Verhältnis bei einem Kollegen seiner Altersgruppe als ungerecht empfinden (relevante Vergleichsperson), während er dieses bei einem älteren Mitarbeiter nicht tut (irrelevante Vergleichsperson). Eine Putzfrau wird zur Einschätzung, ob ihr Einkommen (entsprechend der Leistungsgerechtigkeit) im Vergleich zu anderen Personen gerecht ist, sicherlich nicht das Input-Output-Verhältnis eines Vorstandsvorsitzenden heranziehen. Die Leistungsgerechtigkeit scheint zunächst aus Unternehmersicht besonders nahe liegend, da das unternehmerische Risiko zum Teil von den Mitarbeitern mitgetragen wird (weniger Leistung = weniger Lohn). Es wird jedoch in der Praxis oft nicht angewandt. Ein Beispiel hierfür sind die degressiven Prämienregelungen in Abhängigkeit vom erzielten Umsatz, etwa im Tankstellenbereich oder im Anlagenbau. Ziel solcher Regelungen ist es, Mitarbeiter mit besonders hohen Umsatzchancen nicht »ungerecht« (nach dem Gleichheitsprinzip) hoch im Vergleich zu anderen Mitarbeitern zu bezahlen. Dies weist darauf hin, dass in vielen Situationen mehrere Gerechtigkeitsprinzipien gleichzeitig Anwendung finden. 4) »Anstrengungsgerechtigkeit« – gleich bleibendes Verhältnis von Anstrengung/ Bemühung und Ertrag: Die Verteilung erfolgt in Relation zur persönlichen Anstrengung anstatt im Verhältnis zur tatsächlich erbrachten Leistung. Sie bemisst sich nach der Anstrengung und dem Einsatz zur Leistungserbringung und ist unabhängig von der tatsächlich erbrachten Leistung. Viele Menschen empfinden es jedoch als ungerecht, wenn relativ leistungsschwache Personen trotz großen persönlichen Einsatzes den gleichen Ertrag erhalten wie Kollegen, die eine bessere Leistung (auch ohne hohen Einsatz) erreichen. Es ist nachvollziehbar, dass diesem Gerechtigkeitsprinzip daher viele leistungsstarke Mitarbeiter nicht ohne weiteres zustimmen. Allerdings wirkt es gerade auf Leistungsschwächere demotivierend, wenn ihre (hohen) Anstrengungen nicht durch eine entsprechende Ertragsverteilung gewürdigt werden. Dieses Gerechtigkeitsprinzip findet beispielsweise Anwendung bei der Leistungsbeurteilung in Lehr-Lern-Settings wie in der Schule, wo zumindest teilweise das Bemühen der Schüler bei der Notenfindung berücksichtigt wird. Auch kann dieses Gerechtigkeitsprinzip dann eine wichtige Rolle spielen, wenn eine Verfolgung der »Leistungsgerechtigkeit« nicht möglich ist. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn sich der individuelle Leistungsbeitrag nur schwer messen oder quantifizieren lässt, wie in Teilen der Personalarbeit (vgl. Abschnitt 10.4 Erfolgsmessung und Beurteilung der Personalarbeit, S. 383).
Subjektive Gerechtigkeit
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In Abbildung 1 werden die Prinzipien formal dargestellt.
Abbildung 1: Formale Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit
Für die Regelung gesellschaftlicher Verhältnisse ist die Frage entscheidend, welche der hier genannten Gerechtigkeitsprinzipien als Grundlage genommen werden. Für eine »freie Marktwirtschaft« erscheint die Leistungsgerechtigkeit nach Prinzip 3 nahe liegend. Allerdings könnten aus diesem Prinzip für einzelne Individuen inakzeptable Nachteile entstehen, sodass dieses als alleiniges Prinzip für eine »soziale Marktwirtschaft« unvereinbar wäre (vgl. Abschnitt 8.1 Solidarität versus individuelle Durchsetzung – ein grundlegendes Gegensatzpaar unseres Wertesystems, S. 316). Daher findet man in gesellschaftlichen Systemen mit einer »sozialen Marktwirtschaft« oftmals eine Mischung aller zuvor genannten Gerechtigkeitsprinzipien (zum Beispiel progressive Besteuerung der Einkommen). Da die Zustände in den einzelnen Unternehmen am ehesten dann von den Mitarbeitern akzeptiert werden, wenn sie von ihrer grundlegenden Gerechtigkeitsorientierung her den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen entsprechen (vgl. Kapitel 11), empfiehlt es sich dringend, auch bei unternehmensinternen Verfahrensweisen die Nebenbedingung der »Vermeidung nicht akzeptabler Nachteile für Einzelne« zu berücksichtigen. Neben den ohnedies durch das Betriebsverfassungsgesetz geregelten Punkten bezieht sich diese ergänzende Forderung vor allem auf Entlohnungssysteme, Verfahren zur Mitarbeiterbeurteilung und Regelungen zum Auf- und auch Abstieg im Karriereverlauf.
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
Die sachgerechte Berücksichtigung von subjektiven Gerechtigkeitstheorien für die Unternehmensgestaltung wird dadurch erschwert, dass die Bevorzugung der einzelnen hier dargestellten Konzepte vom Zustand sowohl der Gesamtgesellschaft als auch des einzelnen Unternehmens abhängt. In Zeiten einer Konzentration der Bedürfnisse auf der Ebene der Existenzsicherung (vgl. Abschnitt 3.1 Was Menschen bewegt – Eigenschaftstheorien der Motivation, S. 124), wie in den Aufbaujahren der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg oder in wirtschaftlich schwierigen Phasen eines Unternehmens, werden eher jene Regelungen als »gerecht« interpretiert, die besondere Motivationsbedingungen für die (kurzfristige) Erhöhung der Leistung bieten. Zu solchen gehört die Leistungsgerechtigkeit anstelle der Anstrengungsgerechtigkeit. Je stärker jedoch die Existenzbedürfnisse erfüllt sind, desto mehr wird das subjektive Gewicht auf Konzepte gelegt (zum Beispiel »Bedarfsgerechtigkeit«), die Vorteile auf der sozialen Beziehungsebene bringen: Die Berücksichtigung emotionaler Bedürfnisse und des persönlichen Bemühens des Einzelnen gerät zunehmend in den Vordergrund. Die Folge davon ist, dass Regelungen, die etwa in der Aufbauphase eines neu gegründeten Unternehmens konsensfähig waren, mit zunehmendem wirtschaftlichem Erfolg immer mehr infrage gestellt werden. Daher sollten entsprechende Regelungen rechtzeitig den neuen Bedingungen angepasst werden. Auch die Ansicht, welche Nachteile für eine Person als zumutbar gelten, ist Änderungen unterworfen (wie beispielsweise die Diskussion um Kürzungen im Sozialbereich zeigt). Ein weiterer, unter Umständen folgenreicher Aspekt im Zusammenhang mit Gerechtigkeitsvorstellungen ist die Wahl der Vergleichsgruppe. Ein schwieriges volkswirtschaftliches Problem in dieser Hinsicht ergibt sich aus dem unterschiedlichen Produktivitätszuwachs einzelner Branchen. Würde man von der Gerechtigkeitsvorstellung »Ertrag wird im Verhältnis zu der tatsächlich erbrachten Leistung aufgeteilt« in reiner Form ausgehen, müssten Bereiche mit hoher Steigerung der Produktivität (etwa durch automatisierte Fertigung) wesentlich höhere durchschnittliche Lohnsteigerungen erhalten als in dieser Hinsicht weitgehend stagnierende Branchen (beispielsweise der öffentliche Dienst). Stellten die Mitarbeiter zur Lohnbemessung tatsächlich das jeweilige Vergleichskriterium (Ertrag, Produktivitätszuwachs) in den Vordergrund, wäre dies vielleicht akzeptabel. Da Personen sich jedoch an den Vergleichskriterien wie ähnliche Vorbildung oder ähnliche Stellendefinition orientieren, wäre eine solche dem tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsprinzip folgende Lohnentwicklung gesellschaftlich nicht annehmbar. Der gleiche Mechanismus gilt unternehmensintern: Die von einzelnen Bereichen erzielten Ertragssteigerungen des Unternehmens werden subjektiv »gerecht« auch zu einer Verbesserung der
Subjektive Nutzenbewertung
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Situation in leistungsschwächeren Unternehmensteilen herangezogen. Letztlich dürfte nur aus solchen Ausgleichsprozessen das von vielen Unternehmen gewünschte »Wir-Gefühl« folgen. Man sollte daher bei allen Maßnahmen zur Identifikationsförderung etwa in Konzernen überdenken, ob die äußere Gestaltung der Corporate Identity zur Erreichung dieses Wir-Gefühls ausreicht oder ob letztlich nicht nur ein für den Mitarbeiter tatsächlich erlebbarer, wechselseitiger Ausgleich in der »gerechten« Verteilung von Erträgen eine solide Grundlage schaffen kann. Es gibt verschiedene Arten, wie Mitarbeiter auf einen Zustand reagieren, den sie als ungerecht empfinden. Folgende Verhaltensweisen können Mitarbeiter bei subjektiv wahrgenommener Ungerechtigkeit zeigen: – Veränderung des eigenen Outputs (Steigerung oder Senkung der Anstrengung; Überstunden), – Veränderung des eigenen Inputs (Gehaltsforderung), – Neubewertung von Einsatz und Ertrag, – Änderung der Vergleichsbasis (vorzugsweise werden Personen oder Personengruppen gewählt, deren Input-Output-Verhältnis noch unausgewogener ist), – Einwirken auf die Vergleichsperson (in Akkordgruppen werden solche Kollegen beeinflusst, die den Akkord »drücken«), – Verlassen der unbefriedigenden Situation (Absentismus, Kündigung). Hier zeigen sich deutliche Parallelen zur Anreiz-Beitrags-Theorie (s. Theorieübersicht: Anreiz-Beitrags-Theorie, S. 26). Auch bei dieser wird der Output in Relation zum Ertrag gesetzt. Die Reaktionsmöglichkeiten im Fall eines subjektiv empfundenen Ungleichgewichts zuungunsten des Individuums ähneln sich stark. Für Vorgesetzte kann dies bedeuten, entsprechende Reaktionen ihrer Mitarbeiter auf »Ungerechtigkeit« erkennen und wahrgenommene Unstimmigkeiten bei der Verteilung von Belohnungen (Ressourcen) reduzieren zu müssen.
1.3
Subjektive Nutzenbewertung
Es bestehen interindividuelle Unterschiede, was Menschen als nützlich empfinden. Doch auch die Nutzenbewertung eines einzelnen Individuums kann Schwankungen unterliegen. Zwei Aspekte spielen hierbei eine besondere Rolle: der Grenznutzen und die dynamische Nutzenbewertung.
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
Grenznutzenprobleme Der subjektive Nutzen beispielsweise einer Bedürfnisbefriedigung ist nur in den seltensten Fällen proportional zum Ausmaß der objektiven Gegebenheiten. Typische funktionale Zusammenhänge zwischen objektivem Zustand und subjektivem Nutzen sind in Abbildung 2 schematisch skizziert.
Abbildung 2: Typische funktionale Zusammenhänge zwischen objektivem Zustand und subjektivem Nutzen
Direkt proportionale, also lineare Zusammenhänge (Kurvenverlauf a) sind bezüglich des subjektiven Nutzens praktisch nicht vorhanden. Was sich empirisch nachweisen lässt, sind monotone Funktionen wie im Kurvenverlauf b. Typisch hierfür sind finanzielle Aspekte: Je mehr Geld man erhält, desto höher ist auch der subjektive Nutzen. Allerdings ist der Nutzenzuwachs pro Geldeinheit nicht immer derselbe.
Subjektive Nutzenbewertung
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Im Kurvenverlauf c ist ein nicht monotoner Zusammenhang wiedergegeben. Dies wäre etwa typisch für das Ausmaß des Interesses des Vorgesetzten an der privaten Situation des Mitarbeiters. Gar kein Interesse bedeutet sehr wenig Nutzen, ein »mittleres« Ausmaß wird als besonders angenehm erlebt, Übersteigerungen wirken hingegen zudringlich und lästig, sodass der Nutzen wieder abnimmt. Die gleiche Beziehung zeigt sich übrigens bei vielen für die Arbeitsleistung relevanten Variablen, beispielsweise im Hinblick auf den Zusammenhang von »Anstrengung« und »Leistung« (auch hier führt übersteigerte Anstrengung zur Leistungsabnahme) oder »Arbeitszeit« und »Arbeitseffektivität«. Der Grenznutzen wird anhand der Kurvenverläufe d und e verdeutlicht. So nimmt das Ausmaß des Nutzenzuwachses immer mehr ab, je höher die bereits erreichte finanzielle Entlohnung ist (Fall d). Ab einem bestimmten Niveau bleibt der Nutzen schließlich konstant. In diesem Fall ist der so genannte Grenznutzen erreicht. Ein weiterer Einsatz des Mittels der Lohnsteigerung führt zu keiner zusätzlichen Bedürfnisbefriedigung, sodass eine Lohnsteigerung nicht mehr sinnvoll ist. Eine besondere Form der Nutzenfunktion weisen die so genannten »Hygienefaktoren« auf, die auf das Konzept von Herzberg (1966) zurückgehen (vgl. S. 197). Die objektive Erfüllung eines Bedürfnisses bietet zunächst einen stark zunehmenden Nutzen. Nach Erreichen eines Grenzwertes ist aber eine weitere Steigerung nicht mehr mit einem Nutzengewinn verbunden (Funktionsverlauf e). Ein typisches Beispiel ist die Körperpflege: Wird dieser nicht ausreichend nachgegangen, entsteht ein erheblicher Nachteil. Jede Steigerung ist mit einem bedeutenden Nutzen verbunden, aber über einen »vernünftigen« Wert hinaus bringt sie keinerlei Vorteile mehr mit sich. Charakteristische Beispiele im Unternehmen sind die Beeinträchtigung der Arbeitsmotivation durch Lärm, »hässliche« Ausstattung der Arbeitsräume und Streit mit Kollegen. In diesen Fällen ist die Verbesserung der Situation bis zu einem als vernünftig oder normal angesehenen Ausmaß sehr nützlich, eine darüber hinausgehende Verbesserung führt aber nicht zu einer weiteren Steigerung der Arbeitszufriedenheit.
Dynamische Aspekte der Nutzenbewertung Die Nutzenbewertung eines Individuums kann starken Veränderungen über die Zeit unterliegen. Hierbei müssen noch nicht einmal erkennbare äußere Faktoren eine Rolle spielen. Zum einen gibt es den Effekt, dass unmittelbar nach der Bedürfnisbefriedi-
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
gung eine »Sättigung« eintritt und sich dieses befriedigte Bedürfnis mit der Zeit wieder aufbaut. Dies gilt keineswegs nur für die Nahrungsaufnahme oder andere Basisbedürfnisse, sondern auch für soziale Anerkennung: Wer schon lange keine positive Rückmeldung mehr über seine Leistung erhalten hat, wird eine solche in besonders starkem Maß anstreben. Ein weiteres Beispiel ist die Möglichkeit zu einem hierarchischen Aufstieg im Unternehmen: unmittelbar nach einer Beförderung ist dieses Bedürfnis befriedigt und nimmt mit zunehmender Gewöhnung an die neue Situation wieder zu. Ein anderer Mechanismus (Coombs u. Avrunin 1977; Wottawa 1984) bezieht sich auf die Veränderung der subjektiven Einschätzung einer einmal getätigten Handlung oder eingetretenen Situation. Ist eine Tätigkeit sowohl mit positiven als auch mit negativen Aspekten verbunden (beispielsweise Überstunden mit Mehreinnahmen und Verlust an Freizeit), so wird bei einer Kumulation über die Zeit das Anwachsen der unerwünschten Aspekte (Nachteile) beschleunigt, wohingegen sich die Zunahme der positiven Aspekte verlangsamt (vgl. Abbildung 3). Selbst wenn eine Tätigkeit zu Beginn große Vorteile für die Person mit sich bringt, ergibt sich mit Fortschreiten der Zeit, dass sowohl der kumulierte wie auch der aktuelle Nutzen geringer bewertet wird als die wahrgenommenen Nachteile (Kosten, Aufwand). Geht man davon aus, dass sich Personen in ihrem Handeln am Prinzip der Nutzenmaximierung orientieren, so ist auf diesem Hintergrund ein Tätigkeitswechsel zu erwarten.
Abbildung 3: Dynamische Veränderung von Nutzen- und Schadensaspekten
Für die Arbeitsmotivation bringt die oben beschriebene dynamische Veränderung von Nutzen- und Schadensaspekten die Schwierigkeit mit sich, dass eine zunächst als zufrieden stellend erlebte Vereinbarung (etwa ein bestimmtes Ausmaß an Arbeitseinsatz einerseits, bestimmte Belohnungen als Entgelt dafür
Nicht alles kann vernünftig sein
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andererseits) durch das bloße Vergehen von Zeit, ohne sonstige Veränderungen, als unangemessen erlebt wird. Der gleiche Mechanismus gilt natürlich sowohl für Vorgesetzte als auch für Mitarbeiter und erklärt die oft anzutreffende wechselseitige Enttäuschung bei länger andauernden Arbeitsbeziehungen. Die Lösung dafür kann nicht in einer immer weiteren Steigerung der externen Arbeitsanreize bestehen. Denn diese stellen sich den besprochenen Grenznutzenproblemen und der Situationsbewertung durch den Vorgesetzten entgegen. Vielmehr muss man versuchen, entweder die Situation als solche (zum Beispiel die Arbeitsinhalte) von Zeit zu Zeit neu zu strukturieren oder durch sich selbst verstärkende positive Lernvorgänge eine Stabilisierung der Situation zu erreichen. Dies verweist auf die hohe Bedeutung der intrinsischen Arbeitsmotivation (vgl. Abschnitt 4.3 Intrinsische Arbeitsmotivation und Führung, S. 187). Die dynamische Veränderung der Nutzenbewertung kann für die praktische Personalarbeit folgende Bedeutungen haben: – Einstellungsschwankungen können reduziert werden, indem man versucht, entweder die positiven oder die negativen Aspekte des Bewertungsobjekts zu ignorieren oder einer Neubewertung zu unterziehen. Das Management kann durch eine entsprechende Umsetzung der Unternehmensphilosophie hiebei eine Vorbildfunktion leisten. – Ausgehend von der Beobachtung, dass die Einstellung von Personen zu Sachverhalten (wellenförmigen) Schwankungen unterliegen kann, ist es sinnvoll, Mitarbeitern von Zeit zu Zeit andere Tätigkeiten zuzuweisen und auf die veränderten Anreizwirkungen bestimmter Tätigkeiten zu reagieren. – Treten bei den Mitarbeitern keine Schwankungen trotz wahrgenommener Ambivalenz des Beurteilungsgegenstands auf, so ist anzunehmen, dass die Bewertungsstruktur der Mitarbeiter sehr viel komplexer ist und Verknüpfungen zu anderen Einstellungsobjekten vorliegen können. Es müssen bislang unbekannte Einflussfaktoren angenommen werden, die in Erfahrung zu bringen sind.
1.4
Nicht alles kann vernünftig sein – Grenzen rationaler Handlungssteuerung
Obgleich, wie betont, vieles dafür spricht, dass sich Menschen bei der Auswahl ihrer Handlungen am Prinzip der Nutzenmaximierung orientieren, greift eine solche Sichtweise zu kurz, und zwar sowohl für den einzelnen Mitarbeiter als auch für das Unternehmen als Ganzes. Im Folgenden werden die wichtigsten
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
unvermeidbaren Begrenzungen nutzenmaximierender Rationalität zusammengefasst.
Theorieübersicht: Rationalitätstheorie
Die Kernaussage der Rationalitätstheorie (s. Cohen et al. 1972; Jungermann 1983; Morgan 1986; Simon 1990; Westerlund u. Sjöstrand 1981) ist, dass streng rationales Entscheiden und Handeln, wie es die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie postuliert, im (betrieblichen) Alltag nicht möglich ist. Dafür gibt es zahlreiche Gründe: 1) Das menschliche Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungssystem ist begrenzt und kann nur eine bestimmte Anzahl von Eindrücken und Daten aufnehmen und verarbeiten (»kognitives Defizitmodell«). 2) Da nicht alle entscheidungsrelevanten Daten quantifizierbar sind und selbst quantifizierbare Daten einen Interpretationsspielraum zulassen, ist es nicht möglich, in einem Unternehmen ein für alle Mitarbeiter verbindliches Bewertungs- oder Präferenzsystem vorzugeben. 3) Auch die Entscheidung darüber, wie groß der Umfang der für die Problemlösung zu beschaffenden Information sein soll, ist unter Umständen bereits durch »irrationale« Größen beeinflusst. Hier könnte das psychologische Bedürfnis nach Unsicherheitsreduktion und Risiko-Vermeidung mit ökonomischen Nutzen-Kosten-Kalkülen des noch sinnvollen Informationszugewinns konkurrieren. 4) Ferner sind Entwicklungsprognosen und Trendvorhersagen nur in wenigen Bereichen möglich und als Entscheidungsgrundlage geeignet. Daher können vor allem bei Entscheidungen, die weit in die Zukunft reichen, Annahmen über zukünftige Entwicklungen zum Tragen kommen, die nur wenig abgesichert sind. 5) Schließlich versuchen Menschen nicht endlos, ihre Entscheidungen zu optimieren und ihren persönlichen Nutzen zu maximieren. Sie geben sich in der Regel mit dem Erreichen eines bestimmten Anspruchsniveaus zufrieden. Auch pragmatische Einflüsse können die Güte der Problemlösungen beeinflussen. So wird die Entscheidungsqualität nicht selten durch folgende Faktoren beeinflusst: – Aktuelle Dringlichkeit der Problembearbeitung: Je dringlicher eine Entscheidung ist, desto eher muss mit einer abnehmenden Rationalität gerechnet
Nicht alles kann vernünftig sein
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werden, da beispielsweise die Zeit für das Abwägen von Alternativen oder für die Aufnahme weiterer Informationen nicht zur Verfügung steht. Doch selbst bei weniger dringlichen Entscheidungen werden zuweilen nicht optimale Vorschläge akzeptiert. Beispiel: Die Mitarbeiter eines Unternehmens werden von ihrem Vorgesetzten um Zustimmung hinsichtlich einer Umgestaltung ihrer Arbeitsplätze gebeten, die von den Mitarbeitern als ungünstig und nachteilig bewertet wird. Da die Umgestaltung jedoch erst in einem Jahr stattfinden soll, gehen die Mitarbeiter davon aus, dass noch genügend Zeit für Veränderungen ist und sich die Pläne so oder so noch wandeln. Um unnötige Auseinandersetzungen zum aktuellen Zeitpunkt zu verhindern, stimmen sie den Vorschlägen des Vorgesetzten »vorläufig« zu. – Augenblickliche Verfügbarkeit von Handlungsalternativen: Unter Umständen ist man in einer kritischen Situation gezwungen, eine Handlungsalternative zu wählen, die den Schaden zwar nicht beseitigt, ihn zumindest aber vermindert. – Zusammensetzung von Entscheidungsgremien oder Anwesenheit bestimmter Personen: »Meinungsführer«. – Zeitpunkt für eine Entscheidung vor dem Hintergrund politischer und strategischer Überlegungen. Als Beispiel für eine betriebliche (nicht rationale, nicht optimale) »Mülleimerentscheidung« können Entscheidungen angeführt werden, die in einer mehrstündigen Besprechung am Ende der Tagesordnung stehen. Sie werden oftmals nicht mehr erschöpfend diskutiert, sondern nur noch mit dem Ziel einer möglichst schnellen Beendigung der Sitzung »abgehakt«. Die Entscheidungsträger nehmen dabei bewusst oder unbewusst in Kauf, dass die getroffene Entscheidung rationalen Kriterien nicht voll entspricht. Da es in der betrieblichen Praxis oft unmöglich ist, Entscheidungen auf rein rationaler Grundlage zu fällen, sind subjektive Setzungen (etwa hinsichtlich der Zeitperspektive des erwarteten Nutzens) ebenso unvermeidbar wie eine persönliche Bewertung der aus der Entscheidung folgenden Konsequenzen. Aber selbst dann, wenn eine akzeptable Nutzenfestlegung vorliegt, wäre eine rein rationale Entscheidungsstrategie in Situationen mit der für beruflich relevante Entscheidungen typischen Komplexität nur unter zwei Bedingungen möglich: – Person: Die Fähigkeit des Menschen zur Informationsaufnahme und Speicherung (s. Theorieübersicht: Aufmerksamkeit und Kurzzeitgedächtnis, S. 49) müsste so groß sein, dass alle relevanten Informationen erfasst, erinnert und verarbeitet werden können. Aufgrund der Komplexität beruflicher
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
Entscheidungen kann davon jedoch nur in Ausnahmefällen ausgegangen werden. – Situation: Die sachlichen Voraussetzungen für Entscheidungen auf sicherer Folgenabschätzung oder auch nur für Entscheidungen mit kalkulierbarem Risiko (s. Theorieübersicht: Individuelle Entscheidungsfindung, S. 51) müssten gegeben sein. Das heißt, die Situation muss so konstituiert sein, dass möglichst wenig Zufallseinflüsse vorhanden sind, sodass eine Folgenabschätzung möglich ist (vgl. Begriff der »Reinforcement-Struktur« in der Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151). Entscheidungen unter Risiko zeichnen sich dadurch aus, dass sämtliche möglichen Folgen einer Entscheidung zwar bekannt sind, nicht jedoch die spezifischen Autretenswahrscheinlichkeiten der jeweiligen Folgen. In der Regel sind diese beiden Bedingungen nicht erfüllt. Sollten sie dennoch ausnahmsweise vorliegen oder auf der Basis sorgfältiger Szenario-Studien als annähernd gegeben erscheinen, können formale Konzepte zur Maximierung des erwarteten Nutzens sehr hilfreich sein (s. Theorieübersicht: Subjektiver Nutzen, S. 52). In Unternehmen handelt es sich jedoch in den meisten Situationen um »Entscheidungen unter Unsicherheit« bei denen im Gegensatz zu »Entscheidungen unter Risiko« noch nicht einmal sämtliche potenziellen Folgen bekannt sind. Es ist daher nicht überraschend, dass das individuelle Entscheidungs- und Auswahlverhalten von Mitarbeitern »zufälligen« Schwankungen unterliegt, wofür verschiedene Erklärungsansätze erarbeitet wurden (s. Theorieübersicht: Theorie des Wahlverhaltens, S. 54). Im Sinne einer Nutzenoptimierung für Unternehmen sind vor diesem Hintergrund folgende Konsequenzen zu ziehen: – Errichtung dezentraler Organisationsstrukturen, – Möglichkeit zu mehr Entscheidungsautonomie auf den verschiedenen Unternehmensebenen, – Entlastung der höheren Entscheidungsinstanzen durch Delegation bestimmter Entscheidungen, – zeitliche und inhaltliche Aufspaltung von Gremiensitzungen (etwa durch zeitliche Trennung von Informationssammlung und Entscheidungsfindung), – dynamische Vernetzung zwischen den einzelnen zuständigen Instanzen. Die Grenzen der Rationalität von Entscheidungen zeigen, dass man »irrationalen« Aspekten, wie etwa der Stimmungslage oder der subjektiven Einschätzung der Situation durch erfahrene Mitarbeiter, einen gewissen Raum gewähren sollte. Einerseits ist eine möglichst rationale und langfristig orientierte Pla-
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nung wichtig, andererseits sollten aber nicht so enge, organisatorische Regelungen getroffen werden, dass sich individuelle Sichtweisen nicht durchsetzen können. Dies führt zu der Frage, welche Organisationsstrukturen für die Gestaltung von Unternehmen, besonders in der Personalarbeit, angemessen sind (s. Kapitel 9 und Kapitel 10).
Theorieübersicht: Aufmerksamkeit und Kurzzeitgedächtnis
Die Kapazität menschlicher Informationsverarbeitung ist begrenzt und wird unter anderem durch gerichtete Aufmerksamkeitsprozesse bestimmt (s. Cheng 1985; Glass u. Holyoak 1986; LaBerge 1981; Norman 1976; Wessels 1984). Diese Aufmerksamkeitsprozesse beziehen sich unmittelbar auf die Aneignung und Speicherung von Informationen. Daher gehen sie direkt mit den Abläufen des so genannten Kurzzeitgedächtnisses (»unmittelbares Gedächtnis«) einher. Informationen werden hier für maximal 30 Sekunden gespeichert. Durch Wiederholen der Information können diese jedoch beliebig lange behalten werden. Das Kurzzeitgedächtnis hat einen begrenzten Umfang, das heißt, die Anzahl der kurzfristig wahrnehmbaren und verfügbaren Informationen ist auf sieben (plus/minus zwei) Einheiten beschränkt. Man spricht von der »Magischen Zahl 7«, der so genannten »Gedächtnisspanne«. Die Begrenztheit der Gedächtnisspanne ist ein Grund dafür, wieso die Aufmerksamkeit von Personen in der Regel selektiv angelegt ist. Es wird nur ein Teil der Informationen vollständig verarbeitet, andere Teile werden nur unvollständig behandelt oder sogar vollkommen ignoriert. Das Phänomen der »selektiven Aufmerksamkeit« kann durch folgende Modellvorstellungen transparenter gemacht werden: – »Filter-Modell« oder »Flaschenhals-Modell« (Broadbent 1958): Das Informationsverarbeitungssystem arbeitet mit nur einem Kommunikationskanal, der ein begrenztes Fassungsvermögen hat. Deshalb wird aus der Gesamtmenge der eingehenden Informationen immer nur eine einzige herausgefiltert, verarbeitet und dem Kurzzeitgedächtnis zugeführt. Diesen Prozess stellt man sich bildlich in Form eines Flaschenhalses vor, durch den nur eine einzige Information hindurchgehen kann. – »Abschwächungsmodell« (Treisman 1964): Die Selektion der Aufmerksamkeit findet auf der Basis mehrerer Analysen der eingehenden Informationen statt. Bei der Informationsselektion handelt es sich um einen Abschwächungsprozess und nicht wie im Filter-Modell um einen »Allesoder-nichts-Prozess«. Gemäß dieser Modellvorstellung wird die nicht beachtete Information also nicht vollständig weggefiltert, sondern nur weni-
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
ger ausgiebig bearbeitet als die Information, auf die sich die Aufmerksamkeit zentriert. – Im Rahmen des »Modells der späten Selektion« (Shiffrin u. Gardner 1972) geht man davon aus, dass alle eingehenden Informationen erkannt werden und die Selektion erst bei der Überführung ins Kurzzeitgedächtnis stattfindet. Der Vorzug dieses Modells besteht darin, dass es der Tatsache gerecht wird, dass Personen mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen können. Obgleich Menschen nicht alle aufgenommenen Informationen verarbeiten können, sind sie in der Lage, mehrere Aufgaben gleichzeitig ausführen, beispielsweise das Telefonieren und Notieren (sog. »Multi-Tasking«). Unter dieser Perspektive lässt sich »Aufmerksamkeit« als ein Prozess der Verteilung kognitiver Ressourcen charakterisieren. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Art, wie gedankliche Ressourcen verteilt werden, von situativen Faktoren abhängt. Entsprechend des Modells der Ressourcen-Allokation erfolgt die Zuteilung derselben unbewusst und entsprechend der aktuellen Aufgabenerfordernisse recht flexibel. Die Annahme, dass Personen ihre Informationsverarbeitungskapazitäten flexibel aufteilen können, hat beispielsweise in der Personalentwicklung und bei der täglichen Delegation von Aufgaben an Mitarbeiter eine wichtige Bedeutung: Hat ein Mitarbeiter bei der Aufgabenerledigung allgemein Schwierigkeiten, so könnte der Vorgesetzte irrtümlich annehmen, dass dieser nur über geringe Potenziale verfügt. Diese Vermutung führt in der Praxis oftmals dazu, dass die Leistungserwartungen an solche Mitarbeiter gesenkt werden, was wiederum zur Folge haben kann, dass sich die Arbeitsergebnisse noch weiter verschlechtern. Möglicherweise verfügen die entsprechenden Mitarbeiter aber über das notwendige Leistungsvermögen. Sie sind jedoch nicht in der Lage, die Ressourcen adäquat zu verteilen, um die Aufgabenerledigung schnell und effizient vornehmen zu können. Durch zusätzliche Arbeitsstrukturierungsmaßnahmen und Vermittlung spezieller Arbeitstechniken können Vorgesetzte dazu beitragen, dass die jeweiligen Mitarbeiter auf wirksamere Art und Weise von ihren Ressourcen Gebrauch machen. Aus dem Ressourcen-Allokations-Modell wird auch deutlich, dass es möglich ist, die kognitiven Ressourcen zu trainieren und effizient einzusetzen: Die Effizienz der kognitiven Verarbeitung kann gesteigert werden, indem man große Informationseinheiten verarbeitet und nicht kleine Einheiten sequenziell abarbeitet. Das heißt, dass es aufgrund von Trainings in einem gewissen Rahmen möglich sein kann, zwei oder mehr Tätigkeiten zu fusionieren und gleichzeitig auszuführen. Die dahinter stehende Annahme geht davon aus, dass
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durch den Trainingsprozess das Handlungsschema automatisiert wird. Die durchgeführte Aktivität wird derart hoch entwickelt, dass sie mühelos und ohne bewusste Steuerung stattfinden kann. Man spricht auch von »passiver« Aufmerksamkeit. Ein einfaches Beispiel für Steuerung, die mittels Training laufend weniger Bewusstsein verlangt, ist das Schalten von Gängen beim Autofahren. Dies ist schon nach kurzer Zeit so weit automatisiert, dass es keine Probleme mehr bereitet, sich beispielsweise nebenher noch zu unterhalten.
Theorieübersicht: Individuelle Entscheidungsfindung
Die Theorie der individuellen Entscheidungsfindung (s. Raiffa 1973) beschreibt, wie Personen ihre Entscheidungen in Abhängigkeit von einer aktuellen Informationslage treffen. Bei betrieblichen Entscheidungen sind vollständige und »sichere« Informationen eher die Ausnahme. Selbst vermeintlich »sichere« Informationen, die vorab zur Verfügung stehen, haben möglicherweise eine nur geringe Bedeutung, da sie grundsätzlich von der Qualität der zugrunde gelegten Beurteilungsdimension abhängig sind. Die daraus entstehenden Unsicherheiten und Zweifel, möglicherweise auch Konflikte, erschweren Entscheidungen erheblich. Das Treffen einer »rationalen« Entscheidung ist bei einer unvollständigen Informationslage nicht möglich. Entscheidungsträger müssen im beruflichen Alltag daher in der Regel »unter Risiko« handeln, dass sie zwar die möglichen Folgen ihrer Entscheidungen kennen, nicht jedoch deren jeweilige spezifische Eintrittswahrscheinlichkeiten. Die Theorien zum Wahlverhalten unter Risiko (»Risky Choice«) haben derartige Entscheidungssituationen zum zentralen Gegenstand. In der Praxis ist die Situation vollkommener Unkenntnis jedoch so selten wie die einer vollständigen Informationslage. Meist liegen zumindest einige Informationen oder zumindest Erfahrungswerte vor. Das Entscheidungsproblem kann durch das Erstellen einer so genannten »Ergebnismatrix« (»Payoff-Matrix«, s. Tabelle 2) besser strukturiert und die Entscheidungssituation somit transparenter gemacht werden. Insbesondere in der Phase der Entscheidungsvorbereitung kann die Payoff-Matrix als ein Klarheit schaffendes Werkzeug eingesetzt werden.
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
Tabelle 2: Beispiel für eine Payoff-Matrix Mögliche Umweltlagen
Alternativen Mitarbeiter einstellen
Keine zusätzlichen Mitarbeiter einstellen
Steigende Auftragslage
Kapazität entspricht der Beschäftigung
Kapazitäten reichen nicht aus. Folge: Verlust von Aufträgen
Gleichbleibende Auftragslage
Überschuss an Personalkapazität
Kapazitäten ausreichend. Folge: keine zusätzlichen Personalkosten
Theorieübersicht: Subjektiver Nutzen
Theorien, die ein rationales Entscheidungsverhalten des Entscheidungsträgers annehmen, postulieren, dass Personen für jede mögliche Handlungsalternative einen Nutzen-Erwartungswert berechnen (Coombs et al. 1970). Daraufhin wird die Alternative mit dem höchsten Erwartungswert ausgewählt (vgl. Theorieübersicht: Instrumentalitätstheorie, S. 132). Formal ausgedrückt bedeutet das:
∑ u = pi × xi Dabei gilt: u Wert einer Entscheidung pi Wahrscheinlichkeit des Eintretens der Handlungsfolge i xi Wert (Valenz) der Handlungsfolge i Folgende Kriterien können für Entscheidungen herangezogen werden: – Maximax-Kriterium: Wahl derjenigen Alternative, deren maximal mögliches Ergebnis das höchste im Vergleich zu den Maxima der anderen Alternativen ist. – Maximin-Kriterium: Für alle denkbaren Alternativen wird der minimal mögliche Wert (Nutzen) bestimmt; die Alternative, deren schlechtestes Ergebnis (relativ zu den anderen Alternativen) noch das Beste ist, wird ausgewählt. Kurz: Die Entscheidung fällt zugunsten jener Alternative, die den minimalen Gewinn maximiert. – Pessimismus-Optimismus-Kriterium: Für jede Alternative wird sowohl der minimale als auch der maximale Wert bestimmt und dann die günstigste Alternative ausgewählt.
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Der Nachteil dieser rationalen Entscheidungskriterien besteht jedoch darin, dass sie von – für die Praxis unrealistischen – Voraussetzungen ausgehen, nämlich, dass Personen über ein nahezu unendliches Gedächtnis verfügen und die Nutzenbestimmung auf streng kalkulatorischer Basis erfolgt. Aufgrund dieser Beschränkungen ist es für die (Personal-)Praxis sinnvoller, die oben angeführten kalkulatorischen Extremisierungsprinzipien durch ein Zufriedenheitsprinzip zu ersetzen. Dieses besteht darin, dass ein Entscheidungsträger die erste Alternative auswählt, die ihn gemäß der von ihm als wichtig erachteten Kriterien zufrieden stellt. Auch aus einem anderen Grund entspricht das formale Modell nicht der Praxis: Denkt man daran, dass Menschen horrende Summen für Zusatzversicherungen ausgeben, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass ein entsprechender Schadensfall eintritt, minimal ist, so wird deutlich, dass Personen oftmals objektiven Erwartungswerten zuwiderhandeln. Die Theorie subjektiven Nutzens versucht, dieses Verhalten zu erklären. Anstatt von einem Erwartungswert auszugehen, der die Entscheidung leitet, erscheint es nach dieser Theorie sinnvoller, den subjektiven Nutzen zu betrachten, den Menschen mit bestimmten Handlungsalternativen in Verbindung bringen. Durch diesen Ansatz können subjektive Präferenzen und die individuelle Risikobereitschaft des Entscheidungsträgers mitberücksichtigt werden. So weist die Theorie darauf hin, dass bei einem bereits hohen erzielten Nutzen vergangener Entscheidungen (beispielsweise eine gute Finanzlage) der subjektive Nutzen zusätzlicher Gewinne abnimmt. Die so genannte »marginale Nutzen-Hypothese« geht davon aus, dass die Nutzenfunktion ab einem bestimmten (hohen) Niveau »negativ beschleunigt ist« (s. Fall d in Abbildung 3, S. 44). Der objektive Nutzen eines Zugewinns nimmt demnach mit der Wurzel des aktuellen Wertes ab, wohingegen bei einem negativen aktuellen Wert der Verlust mit dem Quadrat zunimmt. Diese theoretische Sichtweise wird der beschränkten Informationsverarbeitungskapazität des Entscheidungsträgers am ehesten gerecht, da sie nicht fordert, dass alle möglichen Alternativen bewertet werden müssen. Gerade für den ökonomischen Kontext, in dem die Suche nach Alternativen oftmals kostspielig oder unmöglich ist, erscheint dieser Ansatz plausibel.
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Nutzenmaximierung als oberstes Prinzip?
Theorieübersicht: Theorien des Wahlverhaltens
Theorien des Wahlverhaltens (Coombs et al. 1970; Luce 1959; Thurstone 1928) versuchen zu erklären, warum das individuelle Wahlverhalten von Personen durch Inkonsistenzen geprägt ist. Unter gleichen Bedingungen treffen Personen nicht immer die gleichen Entscheidungen. Das individuelle Wahlverhalten von Personen unterliegt Schwankungen. Hierfür können folgende Ursachen infrage kommen: – Die Person hat im Zeitraum zwischen einer früher getroffenen Entscheidung und der aktuellen Entscheidung dazugelernt. – Das durch die Entscheidung betroffene Bedürfnis der Person hat zwischenzeitlich eine Sättigung erfahren. Beispiel: Ein Mitarbeiter verdient so viel, dass finanzielle Anreize für ihn eher bedeutungslos geworden sind. – Die Präferenzen der Person haben sich mit der Zeit verändert. Beispiel: Berufsanfänger werden für gewöhnlich sehr viel stärker durch finanzielle Angebote angesprochen, als dies bei älteren Mitarbeitern der Fall ist. – Die Wahlentscheidungen von Personen unterliegen Zufallsprozessen, die momentane Änderungen des Entscheidungsverhaltens bewirken. So kann die Höhe der Aufmerksamkeit auf bestimmte entscheidungsrelevante Kriterien stark durch aktuelle äußere Einflüsse beeinflusst werden. Beispiel: Ein mit der Personalauswahl beauftragter Mitarbeiter hat kürzlich in einem Fachblatt gelesen, dass es bei der Einschätzung von Bewerbern hauptsächlich auf die so genannten Schlüsselqualifikationen (vgl. Theorieübersicht: Schlüsselqualifikationen, S. 408) ankommt. Beim nächsten Auswahlgespräch richtet er daher sein Augenmerk auf dieses Kriterium und vernachlässigt einige der vormals für ihn relevanten Beurteilungsaspekte, etwa die Examensnote. Die probabilistischen Entscheidungstheorien haben dieses scheinbar zufällige Verhalten von Entscheidungsträgern zum zentralen Gegenstand. Ausgehend von der Basisannahme, dass die dem Verhalten zugrunde liegenden Entscheidungsalternativen zufallsverteilt sind, unterscheidet man grundsätzlich zwei unterschiedliche Modellannahmen: Zeitlich konstante Nutzenmodelle zur Beschreibung und Erklärung des Entscheidungsverhaltens gehen davon aus, dass jede Entscheidungsalternative einen in zeitlicher Hinsicht konstanten Nutzwert hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Alternative einer anderen vorgezogen wird, ist eine Funktion der Distanz zwischen ihren Nutzwerten. In diesem Fall handelt es sich daher bei Entscheidungen primär um ein Unterscheidungsproblem zwischen den gege-
Nicht alles kann vernünftig sein
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benen Alternativen. Je größer die Distanz der Nutzwerte verschiedener Alternativen voneinander ist, desto einfacher ist die Entscheidung für den Mitarbeiter und desto konsistenter wird die aktuelle Entscheidung im Vergleich zu früheren Entscheidungen. Nutzenmodelle auf Zufallsbasis postulieren, dass der Entscheidungsträger immer die Alternative mit dem höchsten Nutzwert wählt. Dieser Nutzwert ist allerdings nicht konstant, sondern zufallsverteilt. Demzufolge ist der zugrunde liegende Auswahlmechanismus eindeutig festgelegt, wohingegen der Nutzwert jeder Alternative von Situation zu Situation veränderlich ist. Für die Personalpraxis können folgende Konsequenzen gezogen werden: – Entscheidungen werden durch vielfältige Faktoren beeinflusst, die bei der Einschätzung der Qualität von Entscheidungen in Rechnung gestellt werden müssen (Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger, Ausmaß der Unterschiedlichkeit von verschiedenen Entscheidungsalternativen et cetera). – Bei der Gestaltung von Anreiz- und Anerkennungssystemen sollte man die aktuelle Bedürfnislage der betreffenden Mitarbeiter mitberücksichtigen, um nicht in einem bereits gesättigten Bereich seine Ressourcen einzusetzen (vgl. Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129). – Bei wichtigen Entscheidungen empfiehlt sich sowohl eine personelle als auch zeitliche Verteilung. So kann beispielsweise die Elaboration und das Generieren von Alternativen auf mehrere Zeitpunkte verteilt werden. Damit können in die Entscheidung eingehende Zufallsschwankungen weitgehend ausgeschaltet werden.
2.
Menschenkenntnis – eine unverzichtbare Grundlage für erfolgreiches Verhalten im Unternehmen
Der Erfolg der meisten Entscheidungen im Unternehmen hängt davon ab, dass man Kunden, Mitarbeiter oder Vorgesetzte richtig einschätzt. Dies gilt für die Verhandlungsführung, die Auswahl und Platzierung von Mitarbeitern, die Schaffung eines erfolgsfördernden Arbeitsklimas und die Gestaltung der Kommunikation bei offiziellen Besprechungen ebenso wie bei informellen Gesprächen. Stets ist für die Zielerreichung erforderlich, das wahrscheinliche Verhalten der Gesprächspartner einzuschätzen und das eigene Handeln in der jeweiligen Situation entsprechend der angestrebten Reaktion des Gesprächspartners zu adaptieren. »Menschenkenntnis« und die darauf aufbauende Gestaltung des eigenen Verhaltens sind somit eine unverzichtbare Grundlage sowohl zum Erreichen des angestrebten Unternehmenserfolgs als auch zur Durchsetzung eigener Interessen. Wenn man sagt, dass man einen anderen Menschen »kennt«, dann bezieht sich diese Aussage in der Regel nicht nur darauf, wie man einen Menschen einschätzt. Es geht auch um Erklärungen, wozu und warum sich ein Mensch in der entsprechenden Art und Weise verhält oder verhalten hat. Ein weiterer Aspekt von »Kennen« bezieht sich auf die Vorhersage, das heißt, wie sich ein Mensch zukünftig verhalten und entwickeln wird. Diese drei Bereiche der Menschenkenntnis – Verhalten beschreiben, erklären und vorhersagen – bauen aufeinander auf; um beispielsweise Vorhersagen zu machen, sind Kenntnisse über den aktuellen »Zustand« der Person erforderlich. Man sollte sich stets vor Augen halten, dass alles, was man über einen Menschen zu wissen glaubt, immer mit Unsicherheit verbunden ist. Bei jedem der drei Bereiche – Beschreiben, Erklären, Prognostizieren – treten spezifische Schwierigkeiten auf. Folgende Gründe sind hierfür maßgeblich: 1) An der Steuerung menschlichen Verhaltens können viele Faktoren beteiligt sein. Diese müssten bei einer Verhaltensprognose mit einbezogen werden, was teilweise nur sehr schwer bis gar nicht möglich ist. So ist die Situation, so wie sie sich dem Handelnden subjektiv darstellt und nicht wie sie sich (ebenfalls subjektiv) einem außen stehenden Beobachter erschließt, maßgeblich für das Handeln einer Person. Um die Richtigkeit einer Prognose zu
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Menschenkenntnis
steigern, müsste man sich die »subjektive Welt« des Beobachteten zu Eigen machen, was in vielen Fällen nicht ohne weiteres möglich sein dürfte. 2) Es gibt eine nicht abschätzbare Vielzahl potenziell beobachtbarer Merkmale, die bei jedem Menschen vorliegen. Selbst wenn man versuchen würde, mit einem gigantischen Aufwand und ungeachtet aller Nutzen-Kosten-Überlegungen möglichst alle Merkmale zu erfassen, würde dies (analog zur heisenbergschen Unschärfe-Relation in der Physik) daran scheitern, dass sich während der notwendigen Beobachtung die zuerst erfassten Merkmale verändert haben, bevor die letzten Merkmale erhoben wurden. Schon allein deshalb ist eine »vollständige« Kenntnis unserer Mitmenschen nicht möglich. 3) Ein weiterer Grund besteht oft in der Person des Wahrnehmenden selbst. Neben den kognitiven Begrenzungen gibt es bei vielen Mitarbeitern im Unternehmen eine emotionale Barriere, die darin besteht, dass man über den anderen gar nicht (zu viel) wissen und sich nicht zu sehr in seine Lebenswelt, seine Wünsche und Befürchtungen hineinversetzen möchte. Bei manchen Unternehmenskulturen der Vergangenheit gehörte es sogar zum Selbstverständnis der Führung, sich an »harten Fakten« zu orientieren und auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter sowie auf die zwischenmenschlichen Beziehungen im Unternehmen möglichst keine Rücksicht zu nehmen. Man kann sich im betrieblichen Alltag nur bemühen, eine so weit wie möglich der Realität entsprechende Einschätzung der Mitmenschen zu erarbeiten. Auch bei noch so großem Bemühen wird man niemals ein exaktes, vollständiges Bild seiner Mitarbeiter erhalten, sodass mit Überraschungen immer gerechnet werden muss. Der Aspekt »Richtigkeit (der Einschätzung)« als Gütemaß der Wahrnehmung sollte jedoch auch kritisch betrachtet werden. So stellt sich die Frage, woran die Richtigkeit der eigenen Wahrnehmung eigentlich überprüft werden kann oder überprüft werden sollte. Ist beispielsweise die eigene Wahrnehmung von einem Arbeitskollegen erst dann als richtig zu bezeichnen, wenn sie mit der Wahrnehmung anderer Arbeitskollegen übereinstimmt? Oder sollte zur Überprüfung der beobachtete Arbeitskollege selbst befragt werden (Übereinstimmung mit der Selbstwahrnehmung des Arbeitskollegen)? Andere Kriterien könnten beispielsweise das Urteil des Vorgesetzten, Ergebnisse diagnostischer Verfahren (Tests), Wahrnehmungsurteile von Familienangehörigen des Mitarbeiters darstellen. Und für welches Kriterium zur Überprüfung der Richtigkeit der eigenen Wahrnehmung entscheidet man sich, wenn der Vorgesetzte und diagnostische Verfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen? Sofern es
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sich beispielsweise um Prognosen objektiver Daten (wie beruflicher Erfolg, ausgedrückt im mittleren monatlichen Einkommen über die gesamte Berufsdauer) handelt, könnte das Urteil an solchen objektiven Kennzahlen überprüft werden. Doch dürfte sich die Personenwahrnehmung in den meisten Fällen nicht auf solche, objektiv nachprüfbaren Sachverhalte beziehen. Unzweifelhaft ist, dass die subjektive Sicherheit einer Einschätzung kein Kriterium für die Richtigkeit der Einschätzung ist. Dies wird in der Alltagswahrnehmung jedoch häufig nicht beachtet, was dann paradoxerweise dazu führen kann, dass das Streben nach einer hohen Einschätzungssicherheit die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Fehlurteilen zusätzlich erhöhen kann (vgl. S. 84). Ferner vollzieht sich Personenwahrnehmung immer in sozialen Kontexten. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen bestimmte Interpretationsund Deutungsmuster präferiert werden, die von sozialer Gruppe zu Gruppe unterschiedlich sein können. So können die Auffassungen im Hinblick auf »Höflichkeit« oder »stilvoller Kleidung« sehr divergieren. Gruppen neigen dazu, eine gemeinsame »Weltsicht« zu entwickeln (vgl. Theorieübersicht: A-B-XTheorie, S. 80 und Abschnitt 8.2 Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung«, S. 321, insbesondere Theorieübersicht: Informelle Kommunikation, S. 325), sodass man davon ausgehen kann, dass die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung ausübt (zum sozialen Einfluss auf die Wahrnehmung vgl. Forgas 1999). Es ist auch zu berücksichtigen, dass besonders in betrieblichen Kontexten die Personenwahrnehmung in vielen Fällen ziel- und zweckgerichtet erfolgt. Daher könnten auch funktionelle Maßstäbe (beispielsweise die Nützlichkeit) als Gütemaß der Wahrnehmung infrage kommen: Die Mitarbeiter einer Arbeitsgruppe nehmen ihren Vorgesetzten als eine Person wahr, die »ständig etwas auszusetzen hat und nur Kritik äußert«. Obgleich diese Wahrnehmung vom Vorgesetzten nur »die halbe Wahrheit« widerspiegelt (tatsächlich äußert der Vorgesetzte auch viel Lob), kann die gemeinsam geteilte Wahrnehmung der Mitarbeiter eine stark identitätsstiftende und für den Zusammenhalt der Gruppe wichtige Funktion ausüben. Dies wirkt sich möglicherweise günstig auf das Gruppenklima und die Arbeitsleistung aus. Obgleich die Wahrnehmung vom Vorgesetzten nicht unbedingt als richtig einzustufen ist (gemessen an der Anzahl kritischer Äußerungen versus Lob seitens des Vorgesetzten), kann sie damit in Hinblick auf die Arbeitsleistung der Gruppe sehr funktional sein. Es gibt unterschiedliche Gründe, weshalb Informationen über Personen gesammelt werden. Für den betrieblichen Alltag lassen sich folgende typische Fälle nennen:
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1) Informationssammlung als Selbstzweck (der Erhebungsvorgang an sich stellt einen Nutzen dar), 2) zielgerichtete, entscheidungsvorbereitende Informationssammlung, 3) identitätsstiftende Informationssammlung, 4) vorbeugende Informationssammlung mit dem Ziel einer späteren Verwendung. Das Vorgehen »Informationssammlung als Selbstzweck« findet sich in Betrieben relativ häufig. Anscheinend stellt die damit verbundene Kommunikation an sich schon eine Befriedigung dar und ist geeignet, dass Anschlussbedürfnis (vgl. S. 131) von Mitarbeitern zu erfüllen. Man kann die Informationssammlung als Selbstzweck daher vor allem dann beobachten, wenn die eigentlichen Arbeitsinhalte als nicht ausreichend befriedigend angesehen werden oder bei der Arbeitsgestaltung auf die Anschlussbedürfnisse der Mitarbeiter und Führungspersonen nicht genügend Rücksicht genommen wird. Zwar verbessert die Informationssammlung als Selbstzweck nicht unbedingt die Kenntnis über Mitarbeiter und Kollegen, sie kann aber durchaus förderlich für das Betriebsklima sein, sofern sie nicht in lästiger Weise übertrieben wird. Eine hohe Informationsdichte über andere Menschen, gerade auch zu »unsachlichen« Punkten, fördert das Gefühl der Zugehörigkeit und der Vertrautheit. Dies ist in Unternehmen besonders wichtig, wenn damit Spannungen zwischen der Mitarbeiterschaft und Führungspersonen abgebaut werden können, die als Folge der Machtdistanz zwangsläufig immer wieder auftreten (vgl. Theorieübersicht: Machtdistanz-Reduktion, S. 228). In Betrieben findet sich am häufigsten eine zielgerichtete, durch unmittelbar anstehende Entscheidungen begründende Informationssammlung. Dafür stehen entsprechende professionelle Instrumente der Personalarbeit zur Verfügung, deren Einsatz im Regelfall kosteneffizient ist. Allerdings kann eine solche Informationssammlung bei den Mitarbeitern oder beim Betriebsrat auch Unmut auslösen. Zum Beispiel dann, wenn der Eindruck entsteht, es würde der »gläserne Mitarbeiter« geschaffen. Daher sollte bei solchen Maßnahmen immer auch der Verwendungszweck der Informationen und der mögliche Nutzen für die Mitarbeiter genannt werden. In Gruppen besteht generell ein »Druck« zur Kommunikation und zum Informationsaustausch (»pressure to communicate«). Die auf dieser Basis ausgetauschten und gesammelten Informationen haben den Zweck, eine positive Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen zu fördern und die Homogenität unter den Mitarbeitern zu erhöhen (s. Theorieübersicht: Informelle Kommunikation, S. 325). Dazu gehört beispielsweise auch der Austausch
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(wahrer oder unwahrer) »Mythen« über den Unternehmensgründer oder die Angehörigen des Top-Managements. Diese Art von Vertrauen schaffender Informationssammlung erstreckt sich meist über einen langen Zeitraum, erfolgt selten zielorientiert und ist (wenn man den Zeitverlust als solchen nicht berücksichtigt) um so nützlicher, je mehr Zeit man mit dieser Art von Informationssammlung verbringt. Die vorbeugende Informationssammlung hat den Nutzen, dass beispielsweise bei dringenden Personalentscheidungen nicht viel Zeit und Einsatz für die Informationssammlung über potenzielle Kandidaten eingesetzt werden muss. Das Zurückgreifen auf bereits vorhandene Daten ermöglicht somit schnellere Entscheidungen. Auch besteht der Vorteil, dass Informationen möglicherweise über einen längeren Zeitraum gesammelt wurden, was die Aussagekraft im Vergleich zu punktuell erhobenen Informationen erhöht. Allerdings ist eine vorbeugende Informationssammlung nicht immer realisierbar und sie kann auch mit einigen Problemen verbunden sein: 1) In einigen typischen Situationen ist eine »vorbeugende« Informationssammlung aus Sachgründen nicht möglich, etwa bei der Auswahl externer Bewerber. In solchen Fällen empfiehlt sich eine systematische Informationssammlung gemäß den Möglichkeiten der psychologischen Diagnostik. 2) Es besteht die Möglichkeit, dass die »vorbeugende« Informationssammlung auf Kosten anderer Arbeitsinhalte geht, sodass die Fortführung nicht mehr angebracht erscheint. In solchen Situationen sollte geprüft werden, ob der Aufwand für andere Aufgaben tatsächlich mehr zum wirtschaftlichen Gesamterfolg beiträgt als die sachliche Fundierung später notwendiger Entscheidungen. Leider wird hier häufig die kurzfristige Perspektive (akuter Arbeitsdruck) auf Kosten des längerfristigen Erfolgs überbewertet. 3) Möglicherweise werden die gesammelten Informationen »vergessen« und sind gerade dann nicht mehr abrufbar, wenn sie für eine anstehende Entscheidung benötigt werden. Gegen diesen berechtigten Einwand helfen nur »Merkhilfen« (s. Abschnitt 2.6 Maßnahmen zur Optimierung der Menschenkenntnis, S. 114). 4) Informationen veralten und sind vielleicht überholt, wenn eine Entscheidung ansteht. Man denke nur daran, wie stark sich ein junger Mitarbeiter beim Eintritt ins Unternehmen oder bei der Übernahme einer neuen Position verändern kann. Es wäre sehr bedauerlich, wenn Fehlentscheidungen aufgrund veralteter Informationen getroffen werden. 5) Auch kann eine »vorbeugende« Informationssammlung von den Betroffenen negativ erlebt werden, etwa beim Einsatz umfangreicher und in kurzen Abständen wiederholter Personalbeurteilungsbögen, dem Sammeln detail-
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lierter Leistungsdaten oder einem zu häufigen, als aufdringlich empfundenen persönlichen Gespräch. Es kommt auch hier auf ein vernünftiges, unter Nutzen-Kosten-Gesichtspunkten zu verantwortendes Ausmaß an. Es ist also wenig ratsam, die vorbeugende Informationssammlung zu übertreiben. Allerdings dürfte in vielen Unternehmen ohnehin eher die Tendenz nach zu geringer anstatt zu intensiver Informationssammlung (zum Beispiel bezüglich persönlicher Interessen und Entwicklungswünsche der Mitarbeiter) bestehen. Um die notwendige Begrenzung der Informationsaufnahme bei der Personenwahrnehmung zu steuern, ist die Überprüfung der durch die Informationssammlung ausgelösten Kosten-Nutzen-Aspekte erforderlich. Die Personenwahrnehmung und eine gezielte Informationssammlung können dazu führen, dass man Mitmenschen besser versteht als bisher. Dieses »Verstehen« des anderen muss jedoch nicht zwangsläufig bedeuten, auf dessen Wünsche mehr als sachlich sinnvoll Rücksicht zu nehmen. Unangenehme Entscheidungen müssen, wenn sie notwendig sind, auch gegen die nachvollziehbaren Wünsche von negativ Betroffenen durchgesetzt werden. Führungspersonen sollten die daraus möglicherweise entstehenden Spannungen und die persönliche Betroffenheit nicht durch Verdrängen subjektiv lösen wollen, sondern darauf hinarbeiten, dass die Entscheidungsgründe akzeptiert werden. Andere »verstehen« muss somit nicht bedeuten, sich den Zielen der Mitmenschen unterzuordnen, sondern kann dazu genutzt werden, andere Personen zu lenken. Ein besonderer Weg der Erfassung relevanter Aspekte von Menschen im betrieblichen Kontext ist die psychologische Eignungsdiagnostik, die eine Vielzahl von systematischen Verfahren zur Informationssammlung erarbeitet hat. Auf dieses psychologische Teilgebiet wird in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels nicht eingegangen. Einen Einblick in die Denkweise geben Wottawa und Hossiep (1987), ein Überblick über die Fülle der eingesetzten Verfahren findet sich bei Jäger (1988). Eine umfassende Darstellung von speziell im Managementbereich einsetzbaren Vorgehensweisen ist bei Sarges (1989) und Sarges und Wottawa (2001) zu finden. Allerdings hilft auch die beste Kompetenz zur Informationssammlung natürlich nichts, wenn das Interesse an anderen Menschen fehlt.
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Ebenen der Personenbeschreibung
Menschen können auf verschiedenen Ebenen beschrieben werden: Physiognomische Merkmale (Physiognomie: äußere Erscheinung eines Lebewesens, besonders der Gesichtsausdruck) können unmittelbar erhoben werden und werden zuweilen sehr stark affektiv erlebt. So kann man oftmals schon »auf den ersten Blick« eine Einschätzung hinsichtlich Sympathie/Antipathie vornehmen. Physiognomische Merkmale spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, sich ein »Bild« von einer Person zu machen. So ist das Passbild bei Bewerbungsschreiben in Deutschland obligatorisch. Aus physiognomischen Merkmalen wird in der Regel sehr schnell auf Persönlichkeitsmerkmale geschlossen. Auch haben physiognomische Merkmale bei der Identifizierung von Personen eine wichtige Bedeutung. Zu sozio-biografischen Aspekten einer Person gehören unter anderem Alter, Geburtsort, Familienstand, Ausbildung, Position, beruflicher Werdegang. Diese Daten sind in der Regel gut dokumentiert und dürften in der Regel ohne größere Schwierigkeiten zu erheben sein. Auch sind sie zweifelsfrei nachprüfbar, weshalb mit einer geringen Verfälschungstendenz (bei Stellenbewerbungen) gerechnet werden kann. Die Verhaltensergebnisse (Leistungsergebnisse) von Mitarbeitern bestimmen in erheblichem Ausmaß den Erfolg von Unternehmen. Die Anzahl der richtigen Antworten in einem Intelligenztest oder die Anzahl der abgeschlossenen Versicherungsverträge in einem Quartal sind mögliche Beispiele für Verhaltensergebnisse. Die Erfassung der Leistungsergebnisse von Mitarbeitern ist für viele Unternehmen ein wichtiges Anliegen. Besonders im Rahmen des »management by objectives« (vgl. Abschnitt 4.6 Individualisierter Motivations-Mix als Lösungsvorschlag, S. 201) kommt dieser Beschreibungsebene eine besondere Bedeutung zu. Ebenso wie die bisher dargestellten Beschreibungsebenen ist das Verhalten von Menschen direkt erfassbar. Die Beobachtung kann sich sowohl auf größere komplexe Verhaltenseinheiten beziehen (Begrüßung eines anderen Menschen) als auch auf relativ kleine Einheiten (Fingerbewegungen auf einer Computertastatur). Die differenzierte Erfassung des Verhaltens kann eine wichtige Rolle spielen, beispielsweise bei der Arbeitsplatzgestaltung. (Persönlichkeits-)Eigenschaften sind nicht direkt erfassbar, sondern können nur aus Indikatoren, wie dem Verhalten (oder den Ergebnissen des Verhaltens), erschlossen werden. So gilt beispielsweise jemand als fleißig (Persönlichkeitseigenschaft), der viel arbeitet (Verhalten). Zur Beschreibung der Person auf Ebene von Persönlichkeitseigenschaften sind Kategorien, so genannte Per-
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sönlichkeitsvariablen, erforderlich. Da diese das Ergebnis menschlicher Anschauungen und Betrachtungsweisen sind, werden sie auch als »Konstrukte« bezeichnet. Eine Aufzählung wichtiger Variablen findet sich in der Theorieübersicht: Einige psychologisch relevante Persönlichkeitskonstrukte, S. 67. Hinsichtlich der Beziehung zwischen den dargestellten Ebenen ist Folgendes anzumerken:
Physiognomische Merkmale – Persönlichkeitseigenschaften Viele Menschen sind der Meinung, anhand physiognomischer Merkmale auf bestimmte Eigenschaften bei anderen Menschen schließen zu können. Beispiel: »Eine hohe Stirn weist auf hohe Intelligenz hin!« oder »Krauses Haar, krauser Kopf!« Zwar ist die Bedeutsamkeit physiognomischer Merkmale für die menschliche Interaktion unbestritten. Man denke beispielsweise an die Wirkung körperlicher Attraktivität auf andere Menschen. Auch können physiognomische Merkmale wesentlich die Einschätzung von Sympathie und Antipathie (etwa bei einem Erstkontakt) beeinflussen. Unbestritten ist auch, dass sich an gewissen physiognomischen Merkmalen mit Einschränkungen bestimmte sozio-biografische Eigenschaften wie das Alter abschätzen lassen und, wenn man veränderbare Aspekte wie Kleidung hinzunimmt, auch Aspekte wie Sozialstatus, vorhandene übertriebene Eitelkeit und Ähnliches. Wissenschaftlich ist die Auffassung jedoch nicht haltbar, man könne aus physiologischen Merkmalen wesentliche Schlüsse auf Eigenschaften (beispielsweise Intelligenz) ziehen. (Auch wenn die subjektive Sicherheit, mit der solche Einschätzungen vorgenommen werden, recht hoch sein mag.) Die Aussagekraft körperlicher Merkmale zum Erschließen der Persönlichkeit wird im Allgemeinen von vielen Menschen überschätzt.
Sozio-biografische Merkmale – Persönlichkeitseigenschaften Im Alltag ist es durchaus üblich, von sozio-biografischen Merkmalen auf Persönlichkeitseigenschaften, Verhalten und Leistungsergebnisse zu schließen. So gelten beispielsweise Frauen als besonders sozial und teamfähig oder junge Menschen als besonders belastbar. In der Tat korrelieren viele sozio-biografische Merkmale in verschiedener Weise mit anderen Merkmalen und es konnten in vielerlei Hinsicht geschlechtsspezifische Unterschiede nachgewiesen werden. So basieren beispielsweise biografische Fragebögen auf Untersuchun-
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gen zwischen bestimmten biografischen Merkmalen und Merkmalen anderer Ebenen, wie zum Beispiel Leistungskriterien. (Die dabei empirisch gefundenen Zusammenhänge sind jedoch lediglich statistischer Art, ohne dass ein inhaltlicher Zusammenhang postuliert wird, weswegen biografische Fragebögen nur für einen jeweils spezifischen Kontext gelten.) Im Alltagsverständnis vieler Menschen wird die Bedeutung sozio-biografischer Merkmale jedoch vielfach überzeichnet und überbewertet. Schlüsse aus diesen Merkmalen sind problematisch, da sie Gültigkeit für eine ganze Gruppe von Menschen beanspruchen (»alle Frauen sind teamfähig«), ohne die jeweiligen Individuen zu berücksichtigen. So mag es beispielsweise durchaus Frauen geben, die nicht als sozial und teamfähig eingeschätzt werden, und junge Menschen, die kaum belastbar sind. Sofern sich beispielsweise ein Personalverantwortlicher von der Vorstellung leiten lässt, dass mit dem Alter die Leistungsfähigkeit und Flexibilität abnimmt, kann es passieren, dass entsprechende Bewerber allein aufgrund ihres Alters abgelehnt werden, ohne dass sie eine Gelegenheit bekommen hätten, ihr Leistungspotenzial unter Beweis zu stellen. Dies kann zu großen Fehlentscheidungen führen – nicht nur zum Nachteil der einzelnen Bewerber, sondern auch für das Unternehmen.
Verhaltensergebnisse – Verhalten, Persönlichkeitseigenschaften Mit dem Zusammenhang zwischen Verhaltensergebnissen einerseits und Persönlichkeitseigenschaften oder dem Verhalten andererseits beschäftigt sich eine ganze Reihe von Theorien. Es geht hierbei unter anderem um Fragen der Zuschreibung und Erklärung gegebener Verhaltens- oder Leistungsergebnisse sowohl aus der Sicht der Betroffenen als auch aus Sicht externer Beobachter. Beispiel: Spricht eine hohe Punktzahl in einer Geschicklichkeitsaufgabe für die hohe Geschicklichkeit der Testperson oder für die relative Einfachheit der Aufgabe? Es ist zu beobachten, dass Menschen oft unangemessen stark dazu tendieren, Verhaltensergebnisse auf personenbedingte Faktoren zurückzuführen. Dies wird auch als fundamentaler Attributionsfehler (Ross 1977) bezeichnet (vgl. S. 98). Ferner geht es um Fragen nach den personellen Voraussetzungen hoher Leistungsergebnisse: Welchen Grad an Geschicklichkeit müssen beispielsweise die Mitarbeiter einer Montageabteilung aufweisen, um eine gewisse Stückzahl in der geforderten Qualität und in einer bestimmten Zeit herstellen zu können? Auch geht es um Fragen, in welchem Maß die Ergebnisse von der Verhaltensausführung abhängen. Während manche Ansätze von der Existenz optimaler
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Verhaltensausführungen ausgehen (»the best way«, der für alle Mitarbeiter Gültigkeit besitzt und den es herauszufinden gilt), gehen andere Ansätze davon aus (z. B. management by objectives), dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, zu optimalen Ergebnissen zu kommen.
Verhalten – Persönlichkeitseigenschaften Das Verhalten eines Menschen wird als ein wichtiger Indikator für die Persönlichkeit betrachtet (vgl. Theorieübersicht: Persönlichkeitstheorien, S. 71). So gilt jemand, der viel arbeitet, als fleißig. Die Beschreibung einer Person auf Ebene von Persönlichkeitseigenschaften kann als eine abstrakte, verallgemeinerte Form der Verhaltensbeschreibungen aufgefasst werden. »Die Zusammenfassung vieler und verschiedener Verhaltensweisen in gemeinsamen Kategorien (den Traits) gewährleistet Ökonomie und führt deshalb zu einer Entlastung unserer informationsverarbeitenden Systeme. Würden sich die Mitmenschen und die Differentielle Psychologie nur mit den einzelnen Verhaltensweisen beschäftigen, ergäben sich beträchtliche Probleme daraus, der ungeheuren Fülle von Einzelbeobachtungen gerecht zu werden« (Amelang u. Bartussek 2001, S. 50). Eigenschaftsbeschreibungen erscheinen auch aus einem weiteren Grund sehr nützlich und vorteilhaft: Sie implizieren die Möglichkeit, Verhaltensvorhersagen für Situationen zu treffen, für die bisher noch keine Beobachtungsmöglichkeiten bestanden (vgl. Abschnitt 2.4 Prognosen – Basis jeder Personalentscheidung, S. 100). Den Persönlichkeitseigenschaften wird nicht selten ein energetisierender und richtungslenkender Einfluss auf das Verhalten zugeschrieben. So wird besonders im Rahmen alltagspsychologischer Persönlichkeitstheorien den Eigenschaften eine ursächliche Kraft für das Verhalten von Menschen beigemessen (»weil Person X intelligent ist, löst sie viele Denksportaufgaben richtig«, »jemand arbeitet viel, weil er fleißig ist«). Diese Auffassung ist recht problematisch. Da Persönlichkeitseigenschaften selbst nicht direkt beobachtbar sind, können sie nur mit anderen Gegebenheiten wie dem Verhalten erfasst werden. Zwischen Eigenschaften und dem Verhalten besteht somit ein Verhältnis wie zwischen Bezeichnetem und Zeichen: Das Verhalten dient als Indikator für das interessierende Persönlichkeitsmerkmal (Indikandum) (vgl. Grubitzsch 1991, S. 19; Amelang u. Zielinski 2002, S. 9). Demnach wird ein Mensch als fleißig bezeichnet (Indikandum), weil er viel arbeitet (Indikator). Persönlichkeitseigenschaften zur Ursache des Verhaltens zu erklären, beispielsweise im Sinne von »er ist fleißig, deswegen arbeitet er viel«, würde jedoch bedeuten, das Indi-
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zierte zur Ursache des Indikators zu erklären (vgl. Heckhausen 1989, S. 10). »Dabei handelt es sich freilich um einen Zirkelschluss oder um eine sinnfreie Tautologie ohne zusätzlichen Erklärungswert, da eine Verhaltensbereitschaft nunmehr zur Ursache desjenigen Verhaltens gemacht wird, aus dem sie selbst zuvor erschlossen wurde« (Amelang u. Bartussek 2001, S. 51). Jemand arbeitet nicht viel, weil er fleißig ist, sondern er gilt als fleißig, weil er viel arbeitet. Die Psychologie hat auf der Basis empirischer Studien eine Vielzahl von Persönlichkeitskonstrukten erarbeitet, anhand derer sich Menschen beschreiben lassen. Ein Teil davon, der besonders für die betriebliche Praxis von Bedeutung sein kann, findet sich kurz skizziert in der folgenden Theorieübersicht.
Theorieübersicht: Einige psychologisch relevante Persönlichkeitskonstrukte
In Anlehnung an Amelang und Bartussek (2001) kann man die wichtigsten psychologischen Persönlichkeitskonstrukte drei Hauptklassen zuordnen (Herrmann 1985; Schneewind 1984). Nachfolgend eine Auswahl wichtiger Konstrukte, die in psychologischen Theorien und Testverfahren aufzufinden sind: – Psychodynamische Persönlichkeitskonstrukte: Aggressivität, Ängstlichkeit, Dominanz, Durchsetzungsvermögen, Extraversion/Introversion, Fähigkeit zum Erfolg, Frustrationstoleranz, Geselligkeit, Kreativität, Repression/Sensitization. – Verhaltenstheoretische Persönlichkeitskonstrukte: Kontrollüberzeugung (»locus of control«), zwischenmenschliches Vertrauen (Interpersonal Trust), soziale Beeinflussbarkeit, Team-/Kooperationsfähigkeit, Führungsneigung, Autoritätsabhängigkeit, Belohnungsaufschub (delay of gratification), Anschlussmotivation, Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Handlungskontrolle. – Kognitive Persönlichkeitskonstrukte: Ambiguitätstoleranz, Intelligenz, Reflexivität/Impulsivität, kognitive Steuerung und Kontrolle, kognitive Komplexität, kognitive Strukturiertheit, Lernfähigkeit. Einige der genannten Konstrukte sind allgemein geläufig, etwa die Neigung zur Aggressivität oder Ängstlichkeit. Weitere, die im allgemeinen Sprachgebrauch weniger verbreitet sind, werden im Folgenden erläutert: Unter Ambiguitätstoleranz wird die Fähigkeit verstanden, mit widersprüchlichen Informationen oder Situationen mit unvermeidbaren Vor- und Nachteilen emotional umzugehen (s. Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82). Bei hoher Ambiguitätstoleranz entsteht in solchen Situationen keine
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Belastung. Bei niedriger Ambiguitätstoleranz wird in besonders hohem Maß danach gestrebt, die bestehende Ambiguität zu beseitigen oder zu verdrängen. Mit Belohnungsaufschub wird die Tendenz von Personen beschrieben, ohne Motivationsverlust lange auf die Belohnung ihrer Handlungen warten zu können (Mischel u. Gilligan 1964). Dies ist in manchen beruflichen Tätigkeiten besonders erforderlich, beispielsweise bei der konzeptuellen Arbeit in der Personalentwicklung. Dem Belohnungsaufschub steht die Tendenz entgegen, kurzfristige Rückmeldungen über Erfolg oder Misserfolg zur Aufrechterhaltung eines hohen Motivationspotenzials zu benötigen. Der Belohnungsaufschub als quasi eine selbst auferlegte (vorübergehende) Frustration stellt ein wesentliches Element der Selbstkontrolle und Selbststeuerung des Verhaltens dar und ist eine wichtige Voraussetzung für das soziale Leben. Begünstigend für den Belohnungsaufschub ist eine »puritanische Charakterstruktur« (protestantische Ethik) und Religiosität. In die gleiche Richtung wirkt eine hohe subjektive Gewissheit (Erwartung), dass die angestrebten Folgen tatsächlich auch eintreten werden (vgl. Theorieübersicht: Instrumentalitätstheorie, S. 132). Mit Frustrationstoleranz ist das Ausmaß gemeint, mit dem es Menschen gelingt, mit Misserfolgen ohne übertriebene emotionale Belastung umzugehen. Man spricht dann von einer hohen Frustrationstoleranz, wenn Misserfolge in einer Art »weggesteckt« werden, die eine sorgfältige Analyse der Ursachen beinhaltet, aber nicht zu einer dysfunktional langen Ursachensuche mit erheblichem Stresserleben führt. Das Ausmaß der Handlungskontrolle (Kuhl 1984, 1986) wird auf einer eindimensionalen Skala abgebildet, deren Pole als »handlungsorientiert« versus »lageorientiert« bezeichnet werden. Im Zustand der Handlungsorientierung drängen Personen auf eine schnelle Umsetzung der gefassten Intentionen. Dagegen sind Personen im Zustand der Lageorientierung mit sich wiederholenden Kognitionen beschäftigt, die sich auf vergangene, gegenwärtige und zukünftige Situationen beziehen. Zu einer Lageorientierung kann es beispielsweise durch widersprüchliche Informationen kommen, die zuerst geklärt werden müssen, bevor gehandelt werden kann. Außerdem können gehäufte Misserfolge oder auch das Eintreten von unerwarteten Ereignissen eine Lageorientierung fördern. Es gibt persönliche Unterschiede in der Neigung zur Handlungs- oder Lageorientierung. Anstelle von Lageorientierung wird gelegentlich auch die Bezeichnung Analyseorientierung verwendet. Diese (weniger negativ gefärbte) Bezeichnung soll die Tendenz von Menschen beschreiben, eine eingehende Situationsanalyse und Berücksichtigung möglichst vieler Informationen zulasten einer schnellen und möglicherweise risikobehafteten Entscheidung (Handlungsorientierung) zu bevorzugen. Das Begriffspaar Hand-
Ebenen der Personenbeschreibung
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lungs- versus Lageorientierung ist vergleichbar mit dem in der Copingforschung (der Forschung zum Umgang von Individuen mit Anforderungen und Belastungen im weitesten Sinne) verwendeten Begriffspaar Lösungs- (für Handlungs-) versus Problem- (für Lage-) Orientierung. Das Konstrukt der Kontrollüberzeugung (»Maß für Verantwortlichkeit«; Rotter 1954, 1966; Rotter et al. 1962) gibt das Ausmaß wieder, in dem sich Menschen selbst Kontrolle über das eigene Leben und über Ereignisse, von denen sie betroffen sind, zuschreiben. Mit der englischen Bezeichnung »locus of control of reinforcement« wird die Erwartung bezüglich der Instanz (»locus«) zum Ausdruck gebracht, die für die Verhaltenskonsequenzen (»reinforcement«) verantwortlich (»control«) sein soll. Unterschieden wird zwischen internaler und externaler Kontrolle: – Internale Kontrolle (»Ich bestimme meine Umwelt«): Die Person ist der Überzeugung, einen hohen Einfluss auf das eigene Leben (und über Verstärker, vgl. Theorieübersicht: Operante Konditionierung, S. 130) zu haben. Die Verhaltenskonsequenzen werden auf das eigene Verhalten zurückgeführt und diesem zugeschrieben. – Externale Kontrolle (»Meine Umwelt wird nicht durch mich bestimmt«): Die Person ist der subjektiven Überzeugung, wenig Kontrolle und Einflussmöglichkeiten zu besitzen. Die auf eine Handlung folgenden Ergebnisse (Bekräftigungen) werden mehr oder minder als unabhängig von der eigenen Handlung betrachtet und vornehmlich Faktoren zugeschrieben, die außerhalb (external) von der eigenen Person liegen, wie Glück, Zufall, Schicksal, andere Menschen (mit mehr Macht). Es werden zwei verschiedene Arten externaler Kontrolle unterschieden: – Externalität, die durch ein Gefühl der Machtlosigkeit bedingt ist: Betroffene haben das Gefühl der sozialen Abhängigkeit von anderen, mächtigeren Personen. – Externalität, die durch Fatalismus bedingt ist, das heißt durch die generalisierte Erwartungshaltung, dass die Welt unstrukturiert und ungeordnet ist und dass das Leben und Ereignisse von Schicksal, Glück, Pech und Zufall abhängen. Entscheidend ist ausschließlich das subjektive Kontrollerlebnis der jeweiligen Individuen. Es ist unerheblich, wie viel Kontrolle tatsächlich »objektiv« besteht. Empirische Befunde weisen darauf hin, dass die Kontrollüberzeugung keine überdauernde Persönlichkeitseigenschaft ist, sondern stark in Abhängigkeit von der Situation variieren kann (Asendorpf 1999; Weiner 1980). Weitere Ausführungen zur Kontrollüberzeugung finden sich in den Darstellungen zur
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Menschenkenntnis
Instrumentalitätstheorie (Theorieübersicht: Instrumentalitätstheorie, S. 132) und zum Konzept der persönlichen Verursachung (Theorieübersicht: Persönliche Verursachung, S. 185). Mit Repression versus Sensitization ist die Tendenz gemeint, beim Auftreten unerwarteter Eindrücke diese entweder nicht zur Kenntnis zu nehmen und die Wahrnehmung zu unterdrücken (Repression) oder in besonderer Weise diesen neuen Aspekten die Aufmerksamkeit zuzuwenden (Sensitization). Unter der Selbstwirksamkeitsüberzeugung (self-efficacy) wird die Überzeugung und das Bewusstsein von Personen verstanden, gefordertes Verhalten, wenn nötig, beherrschen und ausführen zu können (»ich kann, wenn ich will«). Sie wird auch als subjektive Kompetenzerwartung oder als Überzeugung instrumenteller Kompetenz (Asendorpf 1999) bezeichnet. In positivem Sinne beeinflusst sie die Aufnahme (Initiation), die Dauer der Verhaltensausführung und die Anstrengungsbereitschaft, vor allem bei Nicht-Erreichen eines Handlungsziels. Ausführlichere Hinweise finden sich bei Amelang und Bartussek (2001).
2.2
Wahrnehmungsprozesse
Wahrnehmung wird von vielen Menschen als ein passiver Prozess aufgefasst. »Dem Menschen, der unbefangen um sich schaut, kommen seine eigenen Augen wie eine Art Fenster vor. Öffnet er die Vorhänge, die Lider, so ›ist‹ da draußen die sichtbare Welt der Dinge und der anderen Wesen. Nichts könnte den Verdacht erwecken, daß irgendeine der daran erkennbaren Eigenschaften ihren Ursprung im Betrachter habe oder auch nur von seiner Natur mitbestimmt sei …« (Metzger 1975, S. 15). Viele Menschen vertreten die Auffassung, dass Wahrnehmungsinhalte durch den Prozess der Wahrnehmung nicht beeinflusst werden: »Die Welt ist eben so, wie sie sich mir darstellt!« Wahrnehmung, besonders die Personenwahrnehmung, ist jedoch in höchstem Maß ein aktiver und produktiver Prozess. So tragen internale Prozesse wesentlich dazu bei, wie Informationen aufgenommen und verarbeitet werden. Dies kann den Eindruck, den man von einem anderen Menschen bekommt, nachhaltig beeinflussen. Auch das subjektive Bild vom Menschen im Allgemeinen beziehungsweise die subjektiven Persönlichkeitstheorien haben einen großen Einfluss darauf, wie man andere Menschen einschätzt.
Wahrnehmungsprozesse
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Theorieübersicht: Persönlichkeitstheorien
In gewisser Weise sind alle Menschen Persönlichkeitspsychologen. Sie entwickeln Vorstellungen von Menschen, konstruieren Begriffe, um Individuen zu beschreiben, und erstellen Modelle, mit deren Hilfe sie das Verhalten von Menschen erklären und vorhersagen. Somit besitzt jeder Mensch eine Theorie vom Menschen oder – um es kurz zu sagen – eine Persönlichkeitstheorie (Pervin 2000). Es können wissenschaftliche von den alltagspsychologischen Persönlichkeitstheorien unterschieden werden (vgl. Asendorpf 1999). Im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Persönlichkeitstheorien erfüllen die alltagspsychologischen nicht die Kriterien, die seitens der Wissenschaften verlangt werden. Dazu gehört beispielsweise, dass die Begriffe, die in den Theorien verwendet werden, expliziert werden, dass Theorien empirisch prüfbar sind und dass die Aussagen einer Theorie alle bekannten Phänomene des Gegenstandsbereichs erklären. Vollständige Persönlichkeitstheorien bestehen aus insgesamt vier Teilgebieten; sie treffen Aussagen zu folgenden Bereichen (Pervin 2000, S. 25): – Struktur der Person: Strukturelle Konzepte geben die stabilen und beständigen Aspekte der Persönlichkeit wieder. Einige Theorien bilden ein komplexes strukturelles System, in dem viele einzelne Komponenten miteinander verbunden sind. Andere Theorien hingegen stellen ein einfaches strukturelles System dar. So geht beispielsweise das psychoanalytische Verständnis von einem Instanzenmodell mit lediglich drei verschiedenen Ebenen aus (vgl. Freud 1982). – Funktionale Prozesse der Person: Es wird geklärt, wie die strukturellen Komponenten der Persönlichkeit zusammenwirken und wie daraus das Verhalten entsteht. Das am meisten akzeptierte Modell innerhalb der früheren Motivationstheorien war das Modell der Spannungsreduktion, dem zufolge der Organismus als etwas betrachtet wurde, das nach Ruhe oder Balance strebt (Homöostase) (vgl. Theorieübersicht: Balance-Theorie, S. 77). – Wachstum und Entwicklung: Vollständige Persönlichkeitstheorien treffen Aussagen über Wachstums- und Entwicklungsvorgänge eines Menschen. Wachstum und Entwicklung stehen in einem engen Zusammenhang mit den strukturellen und prozessualen Konzepten. Persönlichkeitstheorien beschreiben Entwicklungsprozesse und ihre jeweiligen Determinanten, zu denen auch situative Faktoren gezählt werden. – Psychopathologie und Verhaltensänderung: Es werden auch Aussagen zur Phänomenologie und Entwicklung verschiedener Arten von psychischen
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Störungen gemacht. Außerdem sollen Verfahrensweisen dargestellt werden, mithilfe derer es möglich erscheint, beispielsweise in Psychotherapien pathologisch erscheinendes Verhalten zu verändern. Während in der Wissenschaft der Anspruch besteht, Persönlichkeitstheorien explizit zu formulieren, hat man es im Alltag vielfach mit Persönlichkeitstheorien zu tun, die unbewusst vorliegen. Diese werden auch als »implizite Persönlichkeitstheorien« bezeichnet und können als »die Summe akkumulierter Erfahrungen und Hypothesen darüber, wie Attribute und Persönlichkeitszüge bei anderen Menschen organisiert sind« (Forgas 1999, S. 36), definiert werden. Obgleich alltagspsychologische Persönlichkeitstheorien in der Regel nicht kritisch hinterfragt und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden, spielen sie eine wichtige Rolle, so in der Wahrnehmung anderer Personen und ihres Verhaltens. Dazu einige Beispiele: – Aussagen wie »dicke Menschen sind gemütlich« oder »große Menschen können sich besser durchsetzen« postulieren einen Zusammenhang zwischen den jeweiligen Merkmalen (auch wenn dieser nicht unbedingt vorhanden sein muss) und können dazu führen, dass von einigen beobachtbaren Merkmalen der Personen auf (bislang) nicht beobachtete Merkmale (Durchsetzungsfähigkeit) geschlossen wird (vgl. zum »logischen Fehler« S. 107). – Auch Kategoriensysteme, die sich auf Menschen beziehen, können Bestandteil einer Persönlichkeitstheorie sein. So enthalten manche dieser Systeme beispielsweise die Kategorien »Softie« oder »Streber« und treffen Aussagen über die typischen Merkmale von Personen, die diesen Kategorien zugeordnet werden (vgl. zum Begriff des Stereotyps S. 110). An jeder Wahrnehmung, an jeder Reaktion auf ein Objekt oder ein Ereignis in der Umgebung ist ein »Akt der Kategorisierung« (Brunner 1958) beteiligt. Persönlichkeitstheorien können somit Einfluss darauf nehmen, wie Menschen andere Menschen in der Personenwahrnehmung auch bei einer nur geringen Anzahl beobachteter Merkmale einordnen und kategorisieren. – Bestandteil von Persönlichkeitstheorien können auch Aussagen wie »was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr« sein. An dieser Aussage wird deutlich, welchen Einfluss Persönlichkeitstheorien auf die (in diesem Fall eher pessimistische) Einschätzung von Entwicklungspotenzialen bei Menschen und die Vorhersage menschlichen Verhaltens haben können (s. Abschnitt 2.4 Prognosen – Basis jeder Personalentscheidung, S. 100).
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Natürlich können auch – umgekeht – die Ergebnisse einer Personenwahrnehmung die allgemeinen Auffassungen vom Menschen beeinflussen. Es besteht somit eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen subjektiven Persönlichkeitstheorien und den Wahrnehmungsergebnissen, wodurch unter anderem die Möglichkeit zu einer Verfestigung von Auffassungen (»man sieht nur das, was ins Konzept passt«) und zu Phänomenen einer Selffullfilling Prophecy gegeben ist (vgl. Theorieübersicht: Theorie X und Y, S. 175). Insbesondere in sozialen Beurteilungssituationen, beispielsweise bei der Personalauswahl, wird die Wahrnehmung und Beurteilung auch durch die in diesem Rahmen ablaufenden Interaktionen bestimmt. Die Wahrnehmung der Interaktionspartner und ihre Reaktionen aufeinander modifizieren laufend die subjektiv aufgenommenen Informationen. Es ist zudem möglich, dass das Wahrnehmungsgeschehen selbst einen direkten Einfluss auf den Beobachteten ausübt, sodass bei einem Einstellungsgespräch nicht von einer vollkommen gleich bleibenden Informationslage für den Beurteiler ausgegangen werden kann. Preiser hat einen Katalog von Allgemeinaussagen über die Personenwahrnehmung und -beurteilung zusammengestellt (im Folgenden zit. n. Preiser 1979, S. 10–12).
Exkurs: Grundaussagen über die Personenwahrnehmung und Personenbeurteilung
Aufgrund von Alltagserfahrungen und empirischen Forschungsergebnissen lässt sich ein ganzer Katalog von Allgemeinaussagen über Personenwahrnehmung und -beurteilung aufstellen. Die folgenden Aussagen beschreiben nur, sie erklären noch nichts; sie liefern jedoch die Basis für die weitere wissenschaftliche Diskussion: Beurteilung und »Erster Eindruck«: – Jeder soziale Kontakt zwischen Menschen geht einher mit einer gegenseitigen Beurteilung. Beurteilungen finden fast immer in sozialen Interaktionen statt. – Bereits ein oberflächlicher Kontakt oder sogar der Anblick einer Fotografie oder einer Schriftprobe sind Anlass für die Bildung eines »Ersten Eindrucks«. Alle Menschen neigen dazu, ihre Mitmenschen auch bei nur minimaler Informationsgrundlage zu beurteilen. – Beurteilungen nach dem »Ersten Eindruck« sind stark geprägt von eigenen Erfahrungen mit äußerlich ähnlichen Personen, von Vorurteilen und von
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populärpsychologischen, vorwissenschaftlichen Theorien der »Menschenkenntnis«. – Das Aussehen einer Person ist keine geeignete Grundlage für die Abgabe von Persönlichkeitsbeurteilungen; es enthält kaum relevante Informationen. – Beurteilungen aufgrund kurzfristiger Kontakte sind stark geprägt von der jeweiligen Situation, in der diese Kontakte stattfinden. Beurteilung als Eigenschaftszuschreibung: – Persönlichkeitsbeurteilungen im Alltag verwenden vielfach umgangssprachliche Eigenschaftsbegriffe. – Eigenschaftsbegriffe der Alltagssprache sind Kurzbeschreibungen von Personen und deren Handlungen, sie bieten jedoch keine Erklärungen für eine Persönlichkeit und deren Verhalten. – Eigenschaftsbegriffe werden nicht von allen Menschen in der gleichen Bedeutung verwendet; mit einem Begriff sind unterschiedliche Interpretationen und Bewertungen impliziert. – Frei formulierte Persönlichkeitsbeurteilungen sind sehr schwer hinsichtlich ihrer »Richtigkeit« zu bewerten, da sie meist nicht an überprüfbaren Kriterien verankert sind. – Frei formulierte Persönlichkeitsbeurteilungen sind untereinander nur schwer vergleichbar, da gleichartige Sachverhalte unterschiedlich ausgedrückt werden können, zum Beispiel »Peter macht häufig seine Hausaufgaben nicht«, »Peter arbeitet widerwillig«, »Peter drückt sich vor unangenehmen Aufgaben«, »Peter ist faul«. Beurteilung und Entscheidung: – Beurteilung beinhaltet immer eine Entscheidung zwischen mehreren Möglichkeiten: Nominalentscheidungen (Auswahl wichtiger Merkmale), Alternativentscheidungen (Merkmal vorhanden/nicht vorhanden), quantitative Entscheidungen (Bestimmung des Ausprägungsgrades von Merkmalen). – Beurteilung ist (fast) nie bloße Feststellung eines augenblicklichen Zustandes oder Vorgangs; sie beinhaltet praktisch immer auch eine Prognose, das heißt eine Extrapolation auf zukünftiges Verhalten in zukünftigen Situationen. – Beurteilung ist (fast) nie Selbstzweck; sie ist Bestandteil eines umfassenderen Entscheidungsprozesses. Beurteilung und Prognose stehen praktisch immer im Dienste einer handlungssteuernden Entscheidung.
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Beurteilung als Prozess: – Beurteilung basiert auf Informationssammlung durch Beobachtung (im weitesten Sinn), und zwar Beobachtung von Menschen und von Situationen, in denen sich diese Menschen befinden. – Beurteilung ist ein Informationsverarbeitungsprozess nach bestimmten Regeln, die aus eigenen Erfahrungen, von anderen Personen und aus psychologischen Forschungsergebnissen stammen können. – Beurteilung ist ein Vorgang, der Zeit braucht, und bei dem mehrere Phasen unterschieden werden können. – Beurteilung ist das Ergebnis von Lernprozessen, die sich auf die Sammlung, Klassifikation und Ordnung von Daten, auf deren Verarbeitung und auf den Beurteilungsmaßstab beziehen. – Beurteilungsprozesse zeigen interindividuelle Differenzen (Unterschiede zwischen Beurteilern aufgrund deren Persönlichkeit und Lerngeschichte) und intraindividuelle Differenzen (Unterschiede bei einem Beurteiler in Abhängigkeit von der Beurteilungssituation und den beurteilten Personen). In diesem Abschnitt werden einige Prozesse, die bei der Wahrnehmung eine Rolle spielen können, dargestellt und es wird aufgezeigt, in welcher Weise sie das Wahrnehmungsergebnis beeinflussen können. Auch wenn man sich noch so große Mühe um Offenheit oder Unvoreingenommenheit gibt, ist nicht nur im betrieblichen Alltag nahezu jedes Gespräch durch Vorannahmen geprägt. Beispiel: Man hat schon vor Gesprächsbeginn gewisse Vermutungen über die Leistungsfähigkeit oder die Interessen des Gesprächspartners, sei es aufgrund einer langjährigen Kenntnis, eines flüchtigen Eindrucks bei neuen Mitarbeitern, der Durchsicht der schriftlichen Unterlagen oder auch nur allgemeiner Vorurteile gegenüber Teilgruppen (Führungsnachwuchskräfte, »typische« Techniker oder Juristen et cetera; vgl. zu Stereotypen S. 110). Dieses Faktum ist nicht zu vermeiden, da ein Vorgehen von (vorläufigen) Hypothesen die menschliche Informationsverarbeitung generell prägt.
Theorieübersicht: Gating-Theorie
Die Gating-Theorie (s. Bruner 1957; Kompa 1989; Lilli 1982) beschäftigt sich mit dem Prozess der selektiven Aufmerksamkeit bei der Beobachtung und Beurteilung anderer Personen. Beurteiler, zum Beispiel Interviewer im Personalbeurteilungsgespräch, sind keine objektiven »Informationsverarbeiter«, sondern unterliegen in der Art ihrer Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
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subjektiven Einflüssen. Dies können Erwartungen, Wünsche und Vorurteile sein. Das Vorhandensein spezifischer Erwartungshaltungen bewirkt, dass bestimmte Informationen bereitwilliger wahrgenommen werden als andere (»selektive Aufmerksamkeit«). Der Wahrnehmungsprozess lässt sich anhand von vier Stufen beschreiben: 1) Annehmen einer Erwartungshaltung (Hypothese). Das Wahrnehmungsobjekt wird einer sehr groben Kategorie zugewiesen. Beispiel: Ein Lehrling wird der Kategorie »positiv« zugeordnet. 2) Aufnahme von weiteren Informationen über das Wahrnehmungsobjekt mit dem Ziel der genaueren Einordnung (bisherige Leistungsnoten während der Ausbildung, soziales Verhalten). 3) Bestätigung oder Verwerfen der Ausgangshypothese oder Kategorisierung des Wahrnehmungsobjekts (der Lehrling befindet sich im Leistungsvergleich mit den anderen Lehrlingen im oberen Drittel). Im Weiteren werden nur noch solche Informationen aufgenommen, die dazu geeignet sind, die vorgenommene Kategorisierung zu überprüfen. 4) Der Kategorisierungsprozess wird abgeschlossen, die Informationssuche eingestellt und die getroffene Zuordnung gegenüber widersprüchlichen oder falsifizierenden Eindrücken abgeschottet. Je stärker die Erwartungshaltung des Beurteilers im Hinblick auf eine bestimmte Kategorie ist, der das Beurteilungsobjekt angehören könnte, desto geringer ist die Menge der unterstützenden Zusatzinformationen, die zur Bestätigung der Ausgangshypothese aufgenommen wird. Entsprechend gilt, dass bei einer starken Ausgangshypothese eine größere Menge an widersprechenden und nicht erwartungskonformen Informationen notwendig ist, um die Hypothese zu widerlegen. Je unsicherer oder unvollständiger die Informationslage ist, desto größer ist die Tendenz, die Wahrnehmung nach der dominierenden Erwartungshaltung zu organisieren. In diesem Fall erhält auch die Meinung anderer Personen eine besondere Bedeutung, da daran die eigene Hypothese validiert werden kann (vgl. Theorieübersicht: Soziale Vergleichsprozesse, S. 322). Entscheidend für den Erfolg der Informationssammlung im Gespräch ist, dass nicht ausschließlich nach einer Bestätigung der Ausgangshypothesen gesucht wird. Leider wirken bestimmte psychologische Prozesse in eine Richtung, die auf eine Abwehr der nicht zu den Ausgangshypothesen passenden Informationen zielt. Dies ist im Wesentlichen das Streben nach einer »Balance« beziehungsweise kognitiven Widerspruchsfreiheit zwischen den Hypothesen und den Wahrnehmungsinhalten.
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Theorieübersicht: Balance-Theorie
Die Balance-Theorie (Heider 1946, 1958; Frey u. Greif 1997) geht von Triaden aus, zu denen jeweils drei Elemente gehören. Diese »Elemente« können beispielsweise Personen, Objekte, Meinungen, Werthaltungen oder Fakten sein. Typischerweise gehören zu einer Triade eine Person (P), eine weitere Person (O) und ein Objekt (X), weswegen auch von »P-O-X-Triade« gesprochen wird. Jedes Element der Triade steht mit jedem anderen Element dieser Triade in einer Beziehung. Es gibt somit drei Beziehungen. Diese können jeweils positiv oder negativ sein, sodass es insgesamt 23=8 Beziehungsmuster gibt (s. Abbildung 4).
Abbildung 4: Mögliche Beziehungsmuster von P-O-X-Triaden
Im Mittelpunkt der balancetheoretischen Betrachtungen steht die Aus- oder Unausgeglichenheit der Triaden. Ein triadisches System befindet sich in einem Balancezustand, wenn keine oder zwei Negativbeziehungen vorliegen. Eine ungerade Anzahl negativer Beziehungen weist dagegen auf ein Ungleichgewicht, auf einen Spannungszustand hin. Dies ist leicht nachvollziehbar, wenn man folgende Aussage unter zwei Freunden (positive Verbindung) betrachtet: »Dein Freund ist auch mein Freund (drei positive Verbindungen). Dein Feind ist auch mein Feind (zwei negative, eine positive Verbindung)!« Vier der möglichen Konfigurationen stellen somit einen Ungleichgewichtszustand dar (untere Reihe in Abbildung 4), die anderen vier einen Gleichgewichtszustand (obere Reihe in Abbildung 4). Die Theorie besagt nun, dass Systeme nach einem Gleichgewichtszustand streben. So tendieren beispielsweise Menschen danach, ihre Einstellungen, Werthaltungen, Überzeugungen untereinander und
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mit ihrem Verhalten widerspruchsfrei, das heißt »konsistent« zu organisieren. Liegt eine konsistente Organisation der Kognitionen nicht vor, befindet sich das System im Ungleichgewicht. Dieser spannungsgeladene Zustand wird von Menschen in der Regel als unangenehm empfunden. Sie sind daher motiviert, ihr Handeln so auszurichten und ihre Kognitionen so umzuorganisieren, dass wieder ein Gleichgewichtszustand eintritt. Beispiel: Ein Vorgesetzter versucht in einem Gespräch mit einem Mitarbeiter, der allgemein als wenig motiviert gilt, die Bereitschaft herauszufinden, neue Aufgaben zu übernehmen. Zur Überraschung des Vorgesetzten erklärt sich der Mitarbeiter bereit, die infrage stehenden neuen Aufgaben zu übernehmen. Dies führt zu einem Ungleichgewicht im kognitiven System des Vorgesetzten, da sich »geringe Motivation« und die »Übernahme neuer Aufgaben« nicht miteinander vertragen. Diese negative Verbindung steht somit zwei positiven Verbindungen gegenüber (s. Abbildung 5).
Abbildung 5: Grafische Darstellung des Beispiels
Um ein Gleichgewicht zu erzielen, kann der Vorgesetzte die Einschätzung »wenig motiviert« aufgeben, was in dem kognitiven System möglicherweise weitere erhebliche Umstellungsprozesse erfordert. Umstellungen der eigenen subjektiven Weltsicht erfordern stets »Energie« und werden häufig auch als unangenehm erlebt. Um vieles einfacher wäre es allerdings für die Führungsperson, nach anderen Erklärungen zu suchen, die die aufgetretene kognitive Dissonanz (vgl. Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82) beseitigen können. Dies muss nicht zwingend ein bewusster Vorgang sein, sondern kann auch unbewusst ablaufen! Der Vorgesetzte könnte beispielsweise vermuten, der Mitarbeiter täusche sein Interesse nur vor, um damit die verbundenen
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Vorteile zu erzielen, oder seine Zustimmung sei nur ironisch gemeint. Zum Schutz der ursprünglichen Hypothese stellt der Vorgesetzte somit weitere Hypothesen auf und könnte vor diesem Hintergrund geneigt sein nachzufragen: »Meinen Sie denn das wirklich ernst?« Es erfordert wenig Fantasie, sich den weiteren (vermutlich negativen) Gesprächsverlauf auszumalen. Im Regelfall besteht ein System nicht nur aus drei Elementen, sondern aus vielen sich überlappenden Teilsystemen mit jeweils drei Elementen. Für diesen Fall lautet die theoretische Aussage, dass das System bestrebt ist, möglichst viele Triaden in einen Gleichgewichtszustand zu bekommen. Da das Ungleichgewicht einiger bestimmter Teilsysteme störender sein kann als das anderer, kann es sinnvoll erscheinen, die Teilsysteme unterschiedlich zu gewichten. Eine Veränderung eines Teilsystems kann weitgehende Folgen für das gesamte System nach sich ziehen. Ein System mit sich überlappenden Teilsystemen, das sich in einem vollständigen Gleichgewichtszustand befindet, ist somit extrem anfällig dafür, wieder in einen Ungleichgewichtszustand zu fallen. Schon die Änderung einer einzigen Beziehung zwischen zwei Elementen kann dies bewirken. Daraus kann eine weitgehende Neustrukturierung des gesamten Systems erforderlich werden. Das Beispiel zeigt, welchen negativen Einfluss das starre Festhalten an Ausgangshypothesen haben kann. Ein flexibler Umgang mit den eigenen Vermutungen kann im genannten Beispiel sicherlich sehr zweckdienlich sein. Ferner ist zu beachten, dass Vermutungen die Tendenz haben, sich selbst zu bestätigen. Ein negativer Gesprächsverlauf zwischen dem Vorgesetzten und dem Mitarbeiter könnte auch dazu führen, dass Letzterer zunehmend von seiner anfänglich geäußerten Bereitschaft, die neuen Aufgaben zu übernehmen, wieder abrückt. Das Gespräch würde somit schließlich im Sinne einer Selffulfilling Prophecy zu einer Bestätigung der Ausgangsvermutung des Vorgesetzten führen (zum Zusammenhang zwischen dem Bild vom Mitarbeiter, dem Vorgesetztenverhalten und dem Mitarbeiterverhalten s. Abschnitt 4.1 Mitarbeitermotivation – auch eine Frage des Menschenbilds, S. 170). Es gibt weitere Theorien, die auf dem Balance-Modell beruhen. Zu ihnen gehören die A-B-X-Theorie und die kognitive Dissonanztheorie (s. Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82).
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Theorieübersicht: A-B-X-Theorie
Die Theorie (Crott 1979; Newcomb 1978) beschäftigt sich mit dem interpersonalen Einfluss auf die Konsistenz des kognitiven Systems einer Person. Personen sind bestrebt, sich in ihrer Umwelt zu orientieren. Dies geschieht, indem sie Informationen über andere Personen und Objekte im Rahmen von Kommunikationsprozessen sammeln. Die Orientierung gegenüber einem Objekt oder einer Sache wird als »Einstellung« (attitude), die Orientierung gegenüber einer Person als »Anziehung« (attraction) bezeichnet. Die Orientierungen mehrerer Personen gegenüber demselben Objekt sind nicht unabhängig voneinander und bedürfen daher einer Koordinierung. Die Notwendigkeit, diese zu koordinieren, ergibt sich unter anderem aus der Tatsache, dass sich viele Sachverhalte nicht objektiv-physikalisch, sondern nur durch den Austausch sozialer Informationen einschätzen lassen (vgl. Theorieübersicht: Soziale Vergleichsprozesse, S. 322). Ein einfaches A-B-X-System besteht aus zwei Personen (A und B) und einem Objekt X. Grundelemente eines solchen Systems sind: – die Einstellung von A zu X (Objekt oder Person), – die Einstellung von B zu X, – die »Attraktion« von A gegenüber B, – die »Attraktion« von B gegenüber A. Die Orientierungen der Personen A und B hinsichtlich des Objekts X sind dann symmetrisch, wenn sie im Hinblick auf Wertung und Intensität der Einstellungen gleichartig sind (s. Abbildung 6).
Abbildung 6: A-B-X-System
Im Allgemeinen suchen Menschen bevorzugt symmetrische Beziehungen auf, da sich die zwischenmenschliche Koordination dann besonders einfach gestal-
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tet. Selbstverständlich müssen symmetrische Beziehung nicht immer als gegeben angenommen werden: Sie können zweifelsohne auch das Ergebnis einer wechselseitigen Koordination sein. Die gegenseitige Bestätigung, die Menschen durch symmetrische Beziehungen erfahren, gibt ihnen Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Asymmetrische Beziehungen werden hingegen von den beteiligten Personen als unangenehm empfunden und führen zum Bestreben, diese in eine symmetrische Beziehung zu überführen. Dies kann durch die Kommunikationsaufnahme geschehen. Das Ausmaß des Strebens nach Symmetrie ist abhängig von situativen beziehungsweise strukturellen Bedingungen und von Persönlichkeits- und Motivationsmerkmalen der Personen. Das Ausmaß ist groß unter folgenden Bedingungen: – stark ausgeprägtes Anschlussmotiv, – autoritäre Persönlichkeitsstruktur, – Druck zur Gruppenbildung, beispielsweise in Verhandlungssituationen, – hohe Sympathie zwischen A und B, – große wahrgenommene Einstellungsdiskrepanz zwischen A und B, – hohe subjektive Wichtigkeit des Objekts für die Personen, – hohe subjektive Wichtigkeit des Objekts für die Beziehung zwischen den beteiligten Personen, – hohe subjektive Sicherheit hinsichtlich der eigenen Einstellung. Ziel des Strebens nach Symmetrie ist es, eine Einstellungsähnlichkeit zwischen den Interaktionspartnern zu erzeugen. Das Streben nach Symmetrie muss allerdings bei Vorliegen der genannten Bedingungen nicht zwangsläufig einsetzen. Es konnte gezeigt werden, dass Personen, die ihre Entscheidungen auf einer umfassenden Informations- und Beurteilungsgrundlage treffen (»kognitiv differenzierte« Personen), aber auch Personen mit geringem Selbstwertgefühl, balancierte Systeme nicht übermäßig bevorzugen (vgl. Zajonc 1968a, 1968b). Auch Personen, die einen symmetrischen und damit spannungslosen Zustand als langweilig erleben, könnten bestrebt sein, unsymmetrische Beziehungen aufzusuchen. Personen neigen vor allem unter folgenden Bedingungen zum Aufsuchen, zur Herausbildung asymmetrischer Systeme: – Asymmetrie wird von den beteiligten Personen als angenehm empfunden. – Die Herstellung einer symmetrischen Beziehung könnte die Störung anderer kognitiver Konstellationen nach sich ziehen. – Die beteiligten Personen streiten um knappe Güter. Auch Faktoren wie erzwungene Gruppenmitgliedschaft und die Zugehörigkeit zu mehreren sozialen Gruppen könnten Abweichungen von dem postulierten
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Prinzip des Strebens nach Symmetrie bewirken. Beobachtungen zeigen zudem, dass Personen oft ein mittleres Niveau kognitiver Spannung aufsuchen. Die Befunde weisen darauf hin, dass sowohl strukturelle Bedingungen als auch häufig anzutreffende Persönlichkeitszüge eine hohe Meinungshomogenität innerhalb von Gruppen sowie große Meinungs- und Bewertungsunterschiede zwischen den Gruppen erwarten lassen. Im betrieblichen Bereich ist aus Gründen der Abgrenzung und des Selbstverständnisses bestimmter betrieblicher Gruppierungen (zum Beispiel Geschäftsleitung versus Arbeitnehmervertretung) mit der Aufrechterhaltung und Institutionalisierung asymmetrischer Strukturen zu rechnen (vgl. Abschnitt 8.2 Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung«, S. 321). Als eine der einflussreichsten sozialpsychologischen Theorien zeigt die Dissonanztheorie intrapersonelle Konflikte auf, die auch für die Personalpraxis von großer Bedeutung sind. So können kognitive Dissonanzen Ursache dafür sein, dass Entscheidungsträger Informationen selektiv aufnehmen und verarbeiten oder auf dem einmal gewählten Standpunkt insistieren – auch wenn dieser objektiv gesehen falsch ist. Auch das Festfahren der Kommunikation zwischen Vertretern unterschiedlicher Standpunkte kann mit kognitiven Dissonanzen und dem Umgang damit zusammenhängen.
Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie
Schwerpunkt der kognitiven Dissonanztheorie (s. Festinger 1957; Frey u. Gaska 1993) ist die Bewahrung oder Wiederherstellung der Widerspruchsfreiheit von Gedankengängen. Gemäß dieser Theorie streben Personen ein Gleichgewicht ihres kognitiven Systems an, zu dem Meinungen, Werthaltungen und Wissenseinheiten gezählt werden. Hierbei sind solche Kognitionen bedeutsam, die in einer relevanten Beziehung zueinander stehen. Wenn sich Kognitionen inhaltlich oder logisch widersprechen, stehen sie in einer dissonanten Beziehung zueinander. Beispiel: Der Wunsch eines Mitarbeiters »Ich möchte im Unternehmen Karriere machen!« kann im Widerspruch zum Wunsch »Ich möchte viel Zeit für mein Privatleben haben!« stehen. Das Ausmaß der kognitiven Dissonanz ist von der subjektiven Wichtigkeit der betroffenen Kognitionen für die Person und von der Anzahl anderer Kognitionen, die durch die widersprüchliche Kognition dissonant werden, abhängig. Wird eine Dissonanz wahrgenommen, sind Personen in der Regel bestrebt, diese zu reduzieren. Dabei stehen mehrere Möglichkeiten zu Verfügung:
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– Addition neuer konsonanter Kognitionen: »Durch die Altersstruktur im Unternehmen habe ich gute Chancen, trotz eines zeitintensiven Privatlebens, schnell in eine höhere Position zu kommen.« Konsonante Kognitionen dienen gewissermaßen als Brückenschlag. Dem Mitarbeiter wäre es demnach möglich, Karriere zu machen, ohne dabei Abstriche in seinem Privatleben hinnehmen zu müssen. – Subtraktion (Ignorieren, Verdrängen) dissonanter Kognitionen: »Mein Privatleben wird durch meine Aufstiegsabsichten nicht gemindert!« oder: »Karriere ist auch dann möglich, wenn ich viel Zeit in mein Privatleben stecke!« Diese Form der Dissonanzreduktion geht teilweise erheblich an der Realität vorbei und hat nicht selten »verspätete Einsichten« zur Folge. – Substitution oder Austausch von dissonanten durch konsonante Kognitionen: »Eine innerbetriebliche Karriere würde auch die Qualität meines Privatlebens verbessern.« Welche der widersprüchlichen Kognitionen verändert wird, hängt von deren Änderungswiderstand ab. Dieser ist umso größer, je mehr weitere Kognitionen mit der betreffenden Kognition in einer konsonanten Beziehung stehen. Mit zunehmender Anzahl konsonanter Beziehungen wächst die Wahrscheinlichkeit, dass durch die Änderung der widersprüchlichen Kognition neue dissonante Beziehungen entstehen. Im Rahmen der Dissonanztheorie wurden verschiedene Situationen näher untersucht, in denen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten kognitiver Dissonanzen besonders hoch ist. Exemplarisch soll an dieser Stelle kurz auf die Entstehung von Dissonanz nach Entscheidungen eingegangen werden. Eine Entscheidung zwischen Möglichkeiten kann insofern bei einer Person eine Dissonanz auslösen, als dass die Person auf die positiven Aspekte der nicht gewählten Alternative verzichten und die negativen Begleiterscheinungen der gewählten Alternative akzeptieren muss. Diese Dissonanzen, die auch als Nachentscheidungskonflikte (»postdecisional dissonance«) bezeichnet werden, können auf dreierlei Art und Weise reduziert werden: – Durch Änderung der Attraktivität der Alternativen, das heißt Erhöhung der Attraktivität der gewählten Alternative bei Herabsetzung der wahrgenommenen Günstigkeit der verworfenen Alternative. – Durch selektive Suche nach konsonanten Informationen: Informationen, die die gewählte Alternative aufwerten, werden in ihrer Wertigkeit stark gewichtet. Hingegen werden Informationen, die der präferierten Alternative widersprechen, in ihrer Wertigkeit systematisch abgewertet. – Durch Bestätigung der Entscheidung durch Dritte: Der Hersteller schreibt
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nach dem Kauf eines Produkts den Kunden an und gratuliert diesem zu seiner Kaufentscheidung. Menschen suchen aus mehreren Gründen nach einer Bestätigung ihrer Vorannahmen: 1) Die Auftretenswahrscheinlichkeit kognitiver Dissonanzen wird verringert – die Person wird davor bewahrt, möglicherweise als unangenehm erlebte Änderungen ihrer Meinungen und Einsichten vorzunehmen. 2) Es wird sehr schnell ein hohes Maß subjektiver Sicherheit in der eigenen Einschätzung erreicht (was als angenehm empfunden wird) – Personen sind schon nach sehr kurzer Zeit der Meinung, die richtige Einschätzung getroffen zu haben. 3) Schließlich kann aufgrund der subjektiv erlebten Sicherheit in der eigenen Einschätzung und des Fehlens kognitiver Dissonanzen die Informationssammlung (etwa bei Bewerbungsgesprächen) schon nach kurzer Zeit beendet werden: Wozu weiter suchen, wenn ohnehin schon alles klar und in sich stimmig ist? Diese Form der Informationssammlung erweist sich vordergründig als sehr ökonomisch. Gerade bei Führungskräften, die in Gesprächsführung relativ ungeschult sind, kann beobachtet werden, dass sie sich in einem Interview mit Bewerbern schon nach etwa zwei Minuten auf eine bestimmte Entscheidung festlegen. Die Weiterführung des Gesprächs erfolgt nur noch, um die einmal getroffene Entscheidung zu bestätigen und die allgemeine Informationsdichte zum Bewerber zu erhöhen. Manche Führungskräfte und Personalfachleute sind sogar stolz darauf, dass sie (vermeintlich) in der Lage sind, in kurzer Zeit einen (vermeintlich) »richtigen« Eindruck von ihren Mitmenschen bekommen zu können. Das, was an einem solchen Vorgehen geschätzt wird, ist die Kürze der Informationssammlung und die hohe subjektive Entscheidungssicherheit, die durch das Ausschalten von Zweifeln an der getroffenen Entscheidung erzielt wird. Dabei wird jedoch leicht übersehen, dass die subjektive Entscheidungssicherheit nicht unbedingt ein Maßstab für die Richtigkeit der Entscheidung ist. Der Nachteil eines kurzen Vorgehens liegt in der hohen Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung. Besonders gravierend ist, dass die Gefahr einer Fehleinschätzung zunehmen kann, je bedeutsamer eine Entscheidung ist und je größer der Nutzen einer hohen subjektiven Entscheidungssicherheit empfunden wird. Insbesondere bei bedeutsamen Entscheidungen – mit großen finanziellen Folgen oder solchen, die nur schwer umkehrbar sind – streben Entscheidungsträger nach einer ho-
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hen subjektiven Entscheidungssicherheit ohne Dissonanzen und Zweifeln. Da jedoch eine breite Informationssammlung die Wahrscheinlichkeit von Dissonanzen erhöht und die gezielte Suche nach hypothesenkonformen Informationen das subjektive Sicherheitsgefühl verstärkt, kommt es oft zu einer Einengung der Informationsaufnahme. Dies steht im Gegensatz zu der Auffassung, dass gerade wichtige Entscheidungen auf einer breiten Informationsgrundlage gefällt werden sollen und sich mit Einengung der Informationsaufnahme das Risiko einer Fehlentscheidung erhöht. Das Streben nach einer hohen subjektiven Sicherheit kann sich somit als kontraproduktiv erweisen und sich ins Gegenteil verkehren (Zunahme des Risikos einer Fehlentscheidung). Daher sollte bei personenbezogenen Entscheidungen unter massivem Erfolgsdruck niemals nur die verantwortliche Führungskraft allein entscheiden. Es empfiehlt sich, unternehmensinterne oder externe Berater einzuschalten, die nicht in der unmittelbaren Verantwortung stehen. Verzichtet man auf dieses Prinzip, sind massive Fehlentscheidungen gerade bei der Personalauswahl und Personalplatzierung unvermeidbar. Hierzu ein Beispiel: Ein Autohändler kaufte nach langjährigen Verhandlungen ein großes Autohaus. Für diese neue Akquisition wurde dringend ein mit den örtlichen Verhältnissen vertrauter Geschäftsführer gesucht. Als »Ideallösung« bot sich ein Bewerber an, der bisher die Konkurrenzmarke in derselben Region betreut hatte und bereit war zu wechseln. Der Autohändler war so von der Eignung des Geschäftsführers überzeugt, dass er keine widersprechenden Hypothesen und Vermutungen zu seiner Überzeugung entwickelte. So dachte er nicht daran, dass der Geschäftsführer möglicherweise völlig ungeeignet sein könnte und dass es sich bei diesem »überraschend glücklichen« Arrangement um einen typischen Fall der »Personalentsorgung« (Outplacement) durch die Konkurrenzfirma handeln könnte. Der Geschäftsführer wurde eingestellt, was sich jedoch einige Zeit später als eine Fehlentscheidung erwies. Das Aufstellen widersprechender Hypothesen hätte zwar in der aktuellen Entscheidungssituation eine erhebliche kognitive Dissonanz bei dem Autohändler ausgelöst, hätte sich langfristig jedoch bezahlt gemacht. Dem Autohändler wäre unter diesen Umständen mit Sicherheit aufgefallen, dass eine Stellenbesetzung mit dem Geschäftsführer nicht optimal ist, sodass er von der Einstellung abgesehen hätte. Leider besteht die Tendenz, die Ursachen dieser Fehleinschätzungen, wenn sie denn offenbar werden sollten, nicht im Verfahren der Informationssammlung zu suchen, sondern in externen Faktoren, beispielsweise in der bewussten Irreführung durch den Gesprächspartner. Die Strategie einer »vorbeugenden« breiten Informationssammlung (s. S. 59) kann helfen, Fehlentscheidungen vorzubeugen. Sollte eine akute Ent-
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Menschenkenntnis
scheidungssituation auftreten, wäre eine breite Informationsbasis möglicherweise bereits vorhanden. Da nur noch wenige Informationen einzuholen wären, könnte dies den (zeitlichen) Druck auf die Entscheidungsträger erheblich vermindern. Nach dieser Theorie werden mögliche Unterschiede zwischen der eigenen Meinung und der Meinung des Beurteilten je nach Größe dieser Unterschiede größer (Kontrastierung) oder kleiner (Assimilierung) wahrgenommen, als sie tatsächlich sind.
Theorieübersicht: Assimilations-Kontrast-Theorie
Die Theorie (s. Frey u. Greif 1997; Sherif u. Hovland 1961; Sherif u. Sherif 1968) beschäftigt sich mit dem Einfluss der Einstellung einer urteilenden Person auf die soziale Wahrnehmung. Die Einstellung einer urteilenden Person stellt insofern einen zentralen »Ankerreiz« dar, als dass daran die Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit der Einstellungen, Aussagen oder Handlungen einer anderen Person gemessen wird. Die Assimilations-Kontrast-Theorie besagt, dass Einstellungsunterschiede bis zu einem gewissen Grad assimiliert, das heißt unterbewertet werden. Oberhalb einer gewissen Toleranzschwelle werden die Meinungsdifferenzen jedoch kontrastiert, also größer wahrgenommen, als sie tatsächlich sind. Ab welchem Diskrepanzumfang der eine oder andere Effekte eintritt, ist vom Zustimmungs-Ablehnungskontinuum, auf dem die eigene Einstellung zu einem Sachverhalt abgebildet wird, abhängig: Fällt eine Einstellungsaussage in den Akzeptanzbereich, wird sie assimiliert; fällt die Einstellungsaussage in den Bereich der Zurückweisung, wird sie entsprechend kontrastiert. Tritt der Fall ein, dass die Einstellungsaussage in die Indifferenzzone des Beurteilers fällt, so tritt keiner der beiden Effekte auf (vgl. Abbildung 7).
Abbildung 7: Zustimmungs-Ablehnungskontinuum
Beispiel: Ein Vorgesetzter, der einen beratenden Führungsstil präferiert (s. Theorieübersicht: Führungsstile, S. 258), sucht einen neuen Gruppenleiter. Ein Bewerber, der sich zwar für einen beratenden Führungsstil ausspricht, jedoch auch Tendenzen in Richtung eines patriarchalischen Führungsstils erkennen
Wahrnehmungsprozesse
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lässt, wird vom Vorgesetzten der Kategorie »beratender Führungsstil« zugeordnet (Assimilation). Dagegen ordnet er einen anderen Bewerber, der sich eindeutig im Sinne eines patriarchalischen Führungsstils äußert, in die Kategorie eines autoritären Führungsstils (Kontrastierung). Der Umfang der abgebildeten Bereiche ist nicht konstant, sondern variiert in Abhängigkeit vom »Ego-Involvement«, das heißt von der Bedeutung (Zentralität), die ein Einstellungsobjekt für den Beurteilenden besitzt. Ist eine spezifische Einstellung oder Meinung für den Entscheidungsträger sehr bedeutungsvoll (starkes Ego-Involvement), so wird der Indifferenzbereich verkleinert. Entsprechend erhöhen sich die Assimilations- oder Kontrasteffekte, was bis zu einer »Urteilspolarisierung« führen kann (kein Indifferenzbereich). Entsprechend der Assimilations-Kontrast-Theorie neigt man somit gerade bei subjektiv wichtigen Themen dazu, nur jene Personen als passend oder geeignet aufzufassen, die eine von der eigenen Auffassung nur relativ gering abweichende Meinung vertreten. Dies kann zu einer zu starken Homogenisierung des Meinungsspektrums im Unternehmen führen, wenn die für Personalentscheidungen verantwortlichen Führungskräfte nur jene Personen für Einstellungen oder Beförderung akzeptieren, die ihnen in relevanten Auffassungen sehr ähnlich sind. Die Folge ist eine sehr große Starrheit der Unternehmenskultur sowie eine geringe Fähigkeit des Unternehmens, sich an veränderte Marktbedingungen mit grundlegenden Innovationen anzupassen. Dieser Mechanismus kann aber auch in umgekehrter Weise wirken. Zum Beispiel in der Form, dass man bei als zugehörig empfundenen Personen (Mitarbeitern, Freundeskreis) bestehende Meinungsunterschiede nicht zur Kenntnis nimmt und diese herunterspielt (assimiliert). Das kann dadurch geschehen, dass auftretende Unterschiede zeitlich instabil attribuiert werden: »Das hat er jetzt nur so gesagt, in Wirklichkeit meint er das nicht!« Eine Konsequenz davon kann sein, dass gerade in wichtigen und konfliktreichen Situationen die im Grunde genommen schon lange bestehenden aber lange assimilierten Meinungsverschiedenheiten »plötzlich« hervortreten und den Betroffenen bewusst werden. Die Beteiligten sind dann sehr über die »plötzlichen« und unerwarteten Meinungsunterschiede überrascht. Hinzu kommt, dass durch einen Übergang von einem Assimilationseffekt zu einem Kontrasteffekt die Wahrnehmung der Unterschiede noch zusätzlich gesteigert wird. Interessant ist, dass viele Menschen dann mit der Ursachenzuschreibung »Mein angeblicher Freund hat mich die ganze Zeit betrogen!« und der daraus resultierenden massiven Verstimmung reagieren. Dabei wird an die Möglichkeit einer Wahrnehmungsverzerrung in der Vergangenheit in Form eines Assimilationseffekts oft
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Menschenkenntnis
nicht gedacht. Meist ist nicht die (unterstellte) »Bösartigkeit« des Anderen der Grund für Missverständnisse, sondern die eigene fehlende Bereitschaft, den »Tatsachen klar ins Gesicht« zu schauen. Die psychologischen Mechanismen, die zu einer verzerrten Wahrnehmung führen, können auch absichtlich dazu benutzt werden, beim Gesprächspartner einen verzerrten, für die eigene Person besonders günstigen Eindruck auszulösen. Besonders wichtig ist ein solches Vorgehen bei Einstellungsgesprächen, aber auch im Verkauf oder in der Verhandlungsführung. So basieren viele Hinweise, wie sie in Zusammenhang mit »Hilfen« für Stellenbewerbungen seit einigen Jahren zu beobachten sind, auf dem Assimilationseffekt. Da Bewerber in der Regel davon ausgehen, dass Vorgesetzte oder Beurteiler ein gewisses Maß an so genanntes »Impression-Management« für selbstverständlich halten, tendieren sie zunehmend zu solchen Techniken und gezielten Trainings bei der Vorbereitung auf das Bewerbungsgespräch. Trainings und entsprechende Informationen erhöhen jedoch das Anspruchsniveau der Firmenvertreter an die von den Bewerbern erbrachten »Leistungen« im Auswahlprozess. Somit wird mit zunehmender Verbreitung dieser Techniken ein immer höheres Ausmaß ihrer Nutzung erforderlich, um eine günstige Beurteilung zu erhalten. Der Einsatz solcher Techniken zur Eindruckssteuerung ist trotz der hohen Verbreitung nicht ohne Probleme. Die Informationen und Trainings zur »optimalen« Gestaltung von schriftlichen Bewerbungsunterlagen, zum Führen von Bewerbungsgesprächen und die verschiedenen Formen der »Testknacker« reduzieren den Informationswert der Beobachtungen. Die Unterschiede zwischen den Bewerbern in den an diesen Indikatoren deutlich werdenden Fähigkeiten werden durch den unterschiedlich guten Zugang zu entsprechenden Informationen und Trainings verzerrt. In gleicher Weise führt die Verbreitung von Selbstpräsentationstechniken in Unternehmen zu einem immer feineren Umgang miteinander. Dies macht es Personen, die sich an solche Spielregeln nicht halten wollen oder können, immer schwerer, ihre vorhandene Leistungsfähigkeit deutlich werden zu lassen.
2.3
Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis
Menschen geben sich in der Regel nicht mit einer Beschreibung anderer Personen zufrieden. Sie wollen die gewonnenen Informationen auch praktisch nutzbar machen, zum Beispiel im Rahmen einer Stellenbesetzung. Um Verhalten zu verstehen, vorherzusagen oder kontrollieren zu können, versuchen Menschen, die Ursachen der Äußerungen des anderen zu ergründen. Sie wollen das
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Verhalten erklären. Es stellt sich jedoch das Problem, dass es in der Regel verschiedene Erklärungsmöglichkeiten gibt. So kann das aggressive Verhalten eines Mitarbeiters Ausdruck einer leichten Reizbarkeit, einer erhöhten Verletzbarkeit oder auch einer vorübergehenden Verstimmung (aktuelle Auseinandersetzung mit einem Kollegen) sein. Die verschiedenen Möglichkeiten der Ursachenzuschreibung, das heißt Möglichkeiten, sich das Verhalten und die Verhaltensergebnisse zu erklären (zu »attribuieren«) lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: – Internale Attribution: Die Ursachen werden innerhalb der Person gesehen – zum Beispiel in Anstrengung, Absicht, Persönlichkeitsmerkmalen, Fähigkeit. – Externale Attribution: Die Ursachen werden außerhalb der Person gesehen – zum Beispiel in der Situation, der Aufgabenschwierigkeit. Manchmal wird auch der »Zufall« als Ursache für Handlungsergebnisse in Erwägung gezogen. Ein Beispiel ist das zutreffende Bezeichnen einer verdeckten Spielkarte. Problematisch ist die Ursachenzuschreibung »Zufall« jedoch deswegen, da es schwer fällt, sich den »Zufall« als eine beeinflussende Instanz vorzustellen. Das Attributionsmodell von Heider (1958) stellt anschaulich dar, wie sich Menschen das Verhalten und die Handlungsergebnisse (sowohl von anderen Menschen als auch der eigenen Person) erklären.
Theorieübersicht: Attributionsmodell von Heider
Das Attributionsmodell von Heider (1958, 1977) beschäftigt sich mit dem Interpretationsprozess, mit dem sich Menschen Ereignisse und Handlungen erklären und diesen Ursachen zuschreiben. Dieses Modell geht von zwei Ursachengruppen aus (Abbildung 8): die Person und die Umwelt. Nach diesem Modell werden vier Faktoren für das Handeln und für die Handlungsergebnisse als ursächlich betrachtet: – Person: Motivation (Bemühen) und Fähigkeit (internale Attribution); – Umwelt: Aufgabenschwierigkeit und Zufall (externale Attribution). Um zu entsprechenden Schlüssen zu gelangen, greifen Personen auf vielerlei Informationen zurück. Ob beispielsweise die Fähigkeit als Ursache für das Verhaltensergebnis betrachtet wird, hängt unter anderem von der Angemessenheit der Schwierigkeit der zu lösenden Aufgabe ab. So wird bei einer erfolgreichen Aufgabenbewältigung das Können einer Person nur dann als »Urheber« in Be-
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Menschenkenntnis
Abbildung 8: Attributionsmodell von Heider
tracht gezogen, wenn der Beurteiler die Fähigkeiten der Person der Aufgabenschwierigkeit als angemessen ansieht. Das implizite Wissen über das mögliche Zusammenwirken potenzieller Ursachenfaktoren spielt somit eine entscheidende Rolle. Die im Attributionsmodell genannten Erklärungsweisen erscheinen zwar recht plausibel, sie sind aber stark vereinfacht, weswegen sie auch als »naiv« bezeichnet werden (Mischel 1984). Die praktische Relevanz des Attributionsmodells zeigt sich beispielsweise bei der Beurteilung der Ergebnisse von Leistungstests, wie sie im Rahmen einer Stellenbesetzung durchgeführt werden. Für die Güte der Aufgabenerfüllung wird folgender Zusammenhang angenommen:
× Motivation Aufgabenerfüllung = Fähigkeit --------------------------------------------------Schwierigkeit
× Zufall
Es sind somit alle vier im Attributionsmodell postulierten Faktoren vertreten. In der Gleichung findet sich auch die so genannte LKW-Formel wieder. Nach dieser ist die Leistung L (Aufgabenerfüllung) das Resultat aus dem Können K (Fähigkeit) und dem Wollen W (Motivation und Anstrengung). Dieser Zusammenhang wird auch im Leistungsdeterminanten-Konzept von Berthel und Becker (2003) postuliert. Die Leistungsergebnisse lassen jedoch nur dann Rückschlüsse auf die Fähigkeit einer Person zu, wenn davon ausgegangen wird, dass Anstrengung und Schwierigkeit über alle Testpersonen hinweg ähnlich sind und der Zufallseinfluss gegen Null geht. Während sich die Vergleichbarkeit der Schwierigkeit durch die Vorlage gleicher Aufgaben relativ einfach realisieren lässt, scheint
Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis
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dies für die Anstrengung nicht der Fall zu sein. Es wird jedoch die (allerdings sehr problematische) Annahme aufgestellt, dass die Anstrengung aller Testpersonen maximal und damit vergleichbar sein müsste, da es sich um eine Prüfungssituation handelt. Hat eine Person die geforderte Aufgabe erfüllt, kann auf das Ausmaß der Anstrengung nach folgender Gleichung geschlossen werden (ohne Berücksichtigung des Zufallfaktors) (Heider 1958, S. 111): Schwierigkeit Anstrengung = ----------------------------Fähigkeit Entsprechend kann auf das Ausmaß der Fähigkeit nach folgender Gleichung geschlossen werden: Schwierigkeit Fähigkeit = ----------------------------Anstrengung Auf diesen zwei verschiedenen Arten der Attribution (Fähigkeit versus Bemühung oder Anstrengung) basiert auch das Konzept »Over- versus Underachiever«. Als ein Overachiever wird eine Person bezeichnet, die bei geringer Fähigkeit den gewünschten Erfolg durch hohe Anstrengung erreicht – als ein Underachiever dagegen eine Person, die trotz geringer Bemühungen aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Fähigkeiten Erfolg erlangt. Die Kritik an dem Attributionsmodell richtet sich unter anderem auf die Annahme, dass sich Fähigkeit und Bemühung gegenseitig kompensieren können. Dies mag zwar auf einige Aufgaben durchaus zutreffen, beispielsweise auf solche, bei denen Fähigkeitsunterschiede durch einen unterschiedlichen Zeiteinsatz ausgeglichen werden können. Allerdings dürfte dies für die meisten Aufgaben nur sehr eingeschränkt gelten. Sofern jemand eine Fremdsprache nicht beherrscht, wie sollte er da durch vermehrte Bemühungen einen in dieser Fremdsprache abgefassten Text verstehen können? Ferner ist die Annahme, dass vermehrte Anstrengung zu einer besseren Aufgabenerfüllung führt, kritisch zu betrachten. Der Annahme widerspricht das aus der Leistungsmotivationsforschung (s. Abschnitt 3.4 Leistung macht Spaß – manchen, S. 157) bekannte Phänomen des »Abwürgens unter Druck« (Baumeister 1984). Damit wird eine Leistungsverschlechterung in Situationen beschrieben, in denen es gerade darauf ankommt, hohe Leistungen zu erzielen, und in denen sich Personen daher besonders anstrengen. Dieses Phänomen zeigt sich vor allem bei Anwesenheit kritischer Beobachter, einer leistungsab-
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Menschenkenntnis
hängigen Belohnung und Sanktionierung sowie bei einer hohen Ich-Relevanz der Aufgabe. Erklärt wird dieses Phänomen damit, dass sich in den entsprechenden Situationen die Aufmerksamkeit zunehmend von der eigentlichen Aufgabe auf die eigene Person und das eigene Handeln verlagert (Ich-Orientierung). Dadurch kommt es zu einer Störung der Informationsverarbeitung und automatisierter Handlungsabläufe. Dieses Phänomen kann das Versagen in Prüfungssituationen erklären. Im Rahmen einer Leistungsbeurteilung von Mitarbeitern sollten daher vorliegende schlechte Ergebnisse nicht voreilig auf fehlende Anstrengung oder Fähigkeiten attribuiert werden. Es ist auch die Möglichkeit des »Abwürgens unter Druck« in Betracht zu ziehen. Dies könnte zu völlig anderen praktischen Konsequenzen zur Steigerung der Leistung führen als bei einer Attribution auf Fähigkeit und Anstrengung. Fähigkeit und Aufgabenschwierigkeit werden im Allgemeinen für einen überschaubaren Zeitraum als relativ konstant angesehen. Die Motivation kann sich dagegen schon in kurzen Zeiträumen sehr stark verändern. Um zu einer angemessenen Ursachenerklärung des Verhaltens zu gelangen, muss daher die Konsistenz des Verhaltens in Betracht gezogen werden. Somit sollte das Verhalten der einzuschätzenden Person zu mehreren Zeitpunkten und unter verschiedenen Bedingungen beobachtet werden. Auf diesen Aspekt geht die Attributionstheorie von Kelley (1967) ein.
Theorieübersicht: Attributionstheorie von Kelley
Grundsätzlich stehen einem Beobachter drei Möglichkeiten zur Verfügung, auf die er Verhalten attribuieren und zurückführen kann: 1) Person: Potenzieller Ursachenfaktor ist die handelnde Person selbst. 2) Situation: Potenzieller Ursachenfaktor sind aktuelle Entitäten, wie Aufgaben, Umwelt und Sachverhalte. 3) Zeitliche Umstände: Potenzieller Ursachenfaktor ist der Zeitpunkt, zu dem das beobachtete Verhalten oder Ereignis auftritt. Zur Interpretation des Verhaltens handelt ein Beobachter ähnlich wie ein Sozialwissenschaftler. Er setzt das Verhalten des Beobachteten in Bezug zum Verhalten anderer Personen, zu anderen Aufgaben und berücksichtigt dabei auch verschiedene Zeitpunkte. Um zu richtigen Ursachenschlüssen zu gelangen, ist somit eine mehrmalige Beobachtung erforderlich, bei der die drei möglichen Ursachen in jeweils unterschiedlichen Kombinationen zueinander vorkom-
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Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis
men. Nach Kelley (1973, S. 108) wird »ein Effekt … derjenigen seiner möglichen Ursachen zugeschrieben, mit der er, über die Zeit hinweg kovariiert«. (Daher wird im Rahmen dieses Attributionsmodells auch von Kovariationsprinzip gesprochen.) Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Ein Vorgesetzter stellt fest, dass die Leistung des Mitarbeiters A in der Mittagszeit bei der Annahme von Bestellungen zu wünschen übrig lässt. Um zu überprüfen, auf welche der drei möglichen Ursachen die schlechten Leistungen zurückzuführen sind (die Person des Mitarbeiters A, zum Beispiel Qualifikation; die Tageszeit; die Arbeitsaufgabe), vergleicht er die Leistungen des Mitarbeiters A mit denen von zwei weiteren Mitarbeitern (B und C), und zwar zu verschiedenen Tageszeiten (morgens, mittags, abends) und bei verschiedenen Aufgaben (Bestellungen annehmen, Kundendatenpflege, Bearbeiten von Reklamationen). Er führt somit insgesamt 3 x 3 x 3 = 27 Beobachtungen durch (s. Tabelle 3). Tabelle 3: Beobachtungsschema Zeit
morgens
Situation
Best. Kunden
mittags Rekl. Best. Kunden
nachmittags Rekl. Best. Kunden
Rekl.
Mitarbeiter A Mitarbeiter B Mitarbeiter C
Kelley unterscheidet nun drei verschiedene Informationsarten: – »Konsensus« (Personenkriterium): Der Konsensus bezieht sich auf die Frage, ob es zwischen den Personen Leistungsunterschiede gibt (Kovariation von Leistung und Person). Der Konsensus ist hoch, wenn zwischen den Mitarbeitern keine Leistungsunterschiede festzustellen sind. Er ist hingegen niedrig, wenn Mitarbeiter A zu jedem Zeitpunkt und bei jeder Aufgabe eine von den anderen Mitarbeitern abweichende Leistung zeigt. – »Konstanz« (Situationskriterium oder Entität): Die Konstanz bezieht sich darauf, inwiefern ein Zusammenhang zwischen Leistung und verschiedenen Situationen (oder Aufgaben) vorliegt. Sie ist hoch, wenn keine Variationen vorhanden sind, die Leistung über alle Situationen also konstant ist (Kelley verwendete den Begriff »Distinktheit«, der jedoch im Gegensatz zu den anderen beiden Informationsarten umgekehrt »gepolt« definiert wurde, das heißt »ist hoch, wenn Variationen vorhanden«). – »Konsistenz« (Zeitkriterium oder Umstand): Das Konsistenzkriterium bezieht sich darauf, inwieweit die Leistungen der Mitarbeiter in Bezug auf die
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Menschenkenntnis
Zeit (Tageszeit) schwanken. Die Konsistenz ist dann hoch, wenn keine Schwankungen festzustellen sind. Sie ist niedrig, wenn alle Mitarbeiter unabhängig von der Arbeitsaufgabe mittags eine verringerte Leistung zeigen (aufgrund von »Mittagsmüdigkeit«). Sollte der Vorgesetzte aufgrund seiner Beobachtungen feststellen, dass beispielsweise alle Mitarbeiter zu jeder Tageszeit bei der Aufnahme von Bestellungen schlechte Leistungen zeigen (hoher Konsensus, hohe Konsistenz, niedrige Konstanz), wird er die schlechten Leistungen von Mitarbeiter A weder auf die Person noch auf die Tageszeit zurückführen, sondern auf die Aufgabe. Es gibt »Ideal-Informationsmuster«, die eine eindeutige und leichte Attribution auf eine der drei möglichen Ursachen erlauben (s. Tabelle 4). Tabelle 4: Ideale Informationsmuster zur Attributionen auf Person, Zeit und Entität Informationsart
Attribution auf
Konsensus
Konstanz
Konsistenz
niedrig
hoch
hoch
Person
hoch
niedrig
hoch
Situation (Entität)
hoch
hoch
niedrig
Zeit
Diese Ideal-Informationsmuster dürften in der Praxis allerdings wohl nur äußerst selten anzutreffen sein, sodass die Festlegung auf eine bestimmte Attribution schwer fallen kann und die favorisierte Attribution mit Unsicherheiten verbunden ist. Muss der Beurteiler eine Ursachenzuschreibung aufgrund einer einzigen Beobachtung (einmaliges Auswahlgespräch) treffen, so kann er nicht auf das Kovariationsprinzip zurückgreifen, sondern muss sich an dem »Konfigurationsprinzip« orientieren: – »Abwertungsprinzip«: Bei der Attribution wird eine bestimmte Ursache abgewertet, wenn noch andere Ursachen für das Zustandekommen des Effekts prinzipiell denkbar sind. Beispiel: Wenn ein Bewerber, dem man aufgrund seiner Bewerbungsunterlagen viel zutraut, bei der Lösung einer Aufgabe schlecht abschneidet, so kann der Ursachenfaktor »Person« zugunsten anderer Faktoren (wie »Aufgabenschwierigkeit«) abgewertet werden. Das schlechte Abschneiden wird dann nicht auf die mangelnden Fähigkeiten des Bewerbers zurückgeführt, sondern auf die (hohe) Aufgabenschwierigkeit. – »Aufwertungsprinzip«: »Liegt für einen Effekt eine plausible hemmende als auch eine plausible förderliche Ursache vor, dann wird die Rolle der för-
Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis
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derlichen Ursachen für das Auftreten des Effektes stärker bewertet als für den Fall, wo sie allein als plausible Ursache für den Effekt vorhanden wäre« (Kelley 1972). Beispiel: Findet ein Bewerber für ein Unternehmensplanspiel am Ende eines zehnstündigen Beurteilungstags (= hemmende Ursache) aufgrund seiner Problemlösungsstrategien (= förderliche Ursache) noch die bestmögliche Lösung, so wird der »Personfaktor« noch positiver bewertet. Ohne eine mehrfache Beobachtung ist es prinzipiell nicht möglich, bei Vorliegen mehrerer Erklärungsansätze die zutreffende Erklärung eindeutig zu identifizieren. In solchen Situationen kommt es dann zu den beschriebenen Abwertungs- oder Aufwertungsprinzipien. Im Übrigen reicht in den meisten Fällen eine Wiederholung der Beobachtung über die Zeit nicht aus, wenn dabei die entscheidenden Einflüsse konstant bleiben. Meist ist es für eine fundierte Interpretation erforderlich, zu »experimentieren«, das heißt durch entsprechende Eingriffe sicherzustellen, dass sich entscheidende Bedingungen zwischen den Beobachtungen verändern. Bei der Einschätzung der Konsensusinformation kann ein Effekt eintreten, der als »falscher Konsensus-Effekt« bezeichnet wird (Ross et al. 1977). Personen nehmen fälschlicherweise an, die überwiegende Mehrheit der Menschen zeige Verhaltensweisen und Einstellungen, die den eigenen entsprechen: »So wie ich mich in der Situation verhalten habe, würde sich doch jeder (mit einem gesunden Menschenverstand) verhalten!« Dagegen werden Einstellungen und Verhaltensweisen von Personen, die von den eigenen abweichen, als unüblich und ungewöhnlich betrachtet. Es handelt sich hierbei um eine Überschätzung des Konsensus. Ursache für diesen Effekt könnte die Tatsache sein, dass Menschen vornehmlich Kontakt mit den Personen haben, denen sie ähneln. In den Ausführungen zur A-B-X-Theorie (Theorieübersicht: A-B-XTheorie, S. 80), der Gruppenbildung (Theorieübersicht: Bildung sozialer Gruppen, S. 337) und der Blockbildung (Abschnitt 8.2 Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung«, S. 321) werden die Prozesse beschrieben, die möglicherweise damit zusammenhängen. Menschen erhalten somit einen falschen Eindruck von der wahren (populationsübergreifenden) Verteilung von Verhaltensweisen und Einstellungen. Die Auffassung, viele Menschen würden einem selbst ähnlich sein, ist zwar angesichts der »nicht repräsentativen Personenstichprobe« von Personen, mit denen Individuen täglich zu tun haben, nachvollziehbar. In Bezug auf die Gesamtbevölkerung kann dies jedoch schnell zu einer fehlerhaften KonsensusEinschätzung führen: Ein Vorgesetzter, der viel mit anderen Vorgesetzten zu tun hat, die sich ebenso wie er bei der Bewerberauswahl auf ihr »Fingerspit-
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zengefühl« (also ohne explizite Beurteilungskriterien) verlassen, empfindet es als fragwürdig und sonderbar, dass ein gerade erst neu eingestellter Vorgesetzter die Wichtigkeit der Entscheidungsvorbereitung und Explikation von Entscheidungsregeln bei der Bewerberauswahl betont. Auf die besondere Bedeutung der Ursachenzuschreibung durch Vorgesetzte bezüglich des Verhaltens von Mitarbeitern verweist die Attributionstheorie der Führung (Green u. Mitchell 1979). Auf der Basis des Attributionsmodells von Heider und der Attributionstheorie von Kelley werden die wichtigsten Einflüsse auf die Ursachenzuschreibung von Vorgesetzten (»Vorgesetzten-Attribution«) dargestellt. Es wird verdeutlicht, wie komplex und durch wie viele Störfaktoren die »Menschenkenntnis« und die Einschätzung von Vorgesetzten bezüglich der Verhaltensursachen von Mitarbeitern beeinflusst wird. Die meisten erfahrenen Führungspersonen verstehen es, auch ohne Kenntnis solcher systematischer Zusammenstellungen ein annähernd zutreffendes Bild ihrer Umgebung zu erarbeiten. Einige der doch immer wieder auftretenden Einschätzungsfehler können aber ausgeräumt werden, wenn man die im Folgenden dargestellten Einflussgrößen als Rahmenkonzept für eine systematische Ursachenanalyse nutzt. Die Theorie verdeutlicht, dass das Verhalten von Führungspersonen gegenüber Mitarbeitern in erheblichem Ausmaß von den eigenen Attributionen beeinflusst wird.
Theorieübersicht: Attributionstheorie der Führung von Green und Mitchell
Die Attributionstheorie der Führung nach Green und Mitchell (1979; s. Mitchell u. Wood 1980; nicht zu verwechseln mit der Attributionstheorie der Führung nach Calder, S. 251) benennt wichtige Einflussfaktoren auf die Vorgesetzten-Attribution (siehe rechte »Spalte« in Abbildung 9). Sie stützt ihren Erklärungsansatz auf die Attributionstheorie von Kelley. Eine wesentliche Komponente der Attributionstheorie der Führung sind die »Kausalschemata«, das heißt die von Führungskräften habitualisierten Strategien der Ursachenzuschreibung und Standarddeutungen. Hier reichen sehr wenige Informationen aus, um auf einen bestimmten Ursachenfaktor zu attribuieren. Diese Schemata werden dann bevorzugt eingesetzt, wenn aufgrund von Zeitdruck, unzureichender oder widersprüchlicher Informationslage eine erschöpfende Ursachenanalyse nicht möglich ist. In Anlehnung an Neuberger (2002, S. 550) lässt sich das Attributionsmodell von Green und Mitchell (1979) folgendermaßen zusammenfassen:
Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis
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Abbildung 9: Attributionsmodell von Green und Mitchell (1979)
Ferner wird verdeutlicht, dass das Verhalten des Vorgesetzten entscheidend von der Vorgesetzten-Attribution abhängt. Führt beispielsweise ein Vorgesetzter die schlechten Leistungen eines Mitarbeiters auf mangelnde Fähigkeiten zurück, wird er möglicherweise eine Qualifizierungsmaßnahme ins Auge fassen. Glaubt er dagegen, die schlechten Leistungen gehen auf mangelnden Einsatz zurück, wird er den Druck auf den Mitarbeiter erhöhen. Allgemein tendieren Menschen dazu, internale Variablen (Persönlichkeitseigenschaften) im Rahmen von Attributionen zu bevorzugen. So werden das Verhalten und die Leistungen (»Mitarbeiter X schließt gute Verträge ab, weil seine Verhandlungskompetenz sehr hoch ist«) auf die individuelle Person zurückgeführt. Auch im Hinblick auf das Milgram-Experiment (Milgram 1963) konnte festgestellt werden, dass zur Erklärung des Verhaltens des »Bestrafers« den »Personenkräften« erheblich mehr Bedeutung beigemessen wird als dem situativen Druck (etwa Kleidung und Aufforderung des Versuchsleiters).
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Menschenkenntnis
Viele der im Alltag anzutreffenden internalen Attributionen erscheinen logisch jedoch nicht zwingend und unangemessen. Attributionen auf die Person werden vielfach stark überbewertet, was als »fundamentaler Attributionsfehler« bezeichnet wird (Ross 1977, vgl. Heckhausen 1989, S. 413; Meyer u. Försterling 1993, S. 206).
Exkurs: Der fundamentale Attributionsfehler
Im Folgenden werden mögliche Erklärungen gegeben, warum Menschen internale Attributionen bevorzugen. Ein internales Attributionsmuster kann mit der durchaus richtigen Beobachtung erklärt werden, dass verschiedene Menschen sich in derselben Situation oft unterschiedlich verhalten. Wenn sich mehrere Menschen in der gleichen Situation unterschiedlich verhalten, müssen diese Unterschiede – so wird geschlossen – auf Unterschiede in der Person, das heißt der Persönlichkeit, beruhen (vgl. Theorieübersicht: Attributionstheorie von Kelley, S. 92). Außerdem kann argumentiert werden, dass, auch wenn eine Attribution auf die Situation sehr nahe liegend erscheint, letztlich immer auch Personenfaktoren vorliegen. Schließlich ist für das Verhalten nicht die Situation »an sich« entscheidend, sondern die subjektive Wahrnehmung der Situation und ihre individuelle Bedeutung, wobei, wie in Abschnitt 2.2 Wahrnehmungsprozesse, S. 70, erläutert, die Wahrnehmung immer auch ein Produkt des Individuums ist. Das Bild des von der »Situation getriebenen Menschen« verträgt sich nicht mit der Überzeugung von einem »freien und selbstverantwortlichen Menschen mit freiem Willen«. In der Tat gibt es eine Reihe eindrucksvoller geschichtlicher Beispiele, in denen Menschen trotz großer Risiken und hoher Strafandrohungen (situativer Druck) ein ihrer Überzeugung nach moralisch hoch zu bewertendes Verhalten gezeigt haben. Die Ansicht, dass sich Individuen auch bei wechselnden Situationen in ähnlicher Weise verhalten (transsituative Konsistenz), legt eine internale Attribution nahe. So will beispielsweise ein Mitarbeiter nicht nur bei der Arbeit durch hohe Leistungen überzeugen, sondern versucht dies auch im privaten Bereich (Freizeitsport), was zu dem Schluss führen kann, dass der Mitarbeiter allgemein sehr leistungsmotiviert ist. Auch verspricht die Attribution auf die Persönlichkeit für Menschen einen sehr hohen subjektiven Nutzen, da der Informationsgehalt einer Beschreibung auf der Persönlichkeitsebene höher empfunden wird als die Beschreibung auf der Verhaltensebene. Persönlichkeitseigenschaften stellen relativ globale Kon-
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zepte dar, aus denen auch eine Vielzahl von bislang nicht beobachteten Verhaltensweisen abgeleitet werden (vgl. Analogieschluss, S. 102). Gilt ein Mitarbeiter als sehr verhandlungskompetent, kann daraus nicht nur gefolgert werden, dass er sich gut auf Verhandlungen vorbereitet, sondern auch, dass er die Äußerungen des Verhandlungspartners sehr genau registriert, flexibel auf diesen eingeht, die Verhandlung nachbereitet et cetera. Da zudem Persönlichkeit als etwas konzeptionalisiert wird, das im Gegensatz zum Verhalten zumindest mittelfristig sehr stabil ist, wird Beschreibungen auf der Persönlichkeitsebene auch ein hoher prognostischer Wert zugeschrieben. So erscheint vielen die (verhaltensbezogene) Aussage »Person X hat fast alle Aufgaben (gemeint sind beispielsweise Aufgaben, wie sie in einem Intelligenztest vorkommen könnten) richtig gelöst!« in weitaus geringerem Umfang geeignet, um Aussagen über zukünftige Verhaltensweisen zu machen als beispielsweise die Aussage »Person X hat einen sehr hohen Intelligenzquotienten!«. Die zweite Aussage erzeugt außerdem den Eindruck, Feststellungen über bislang nicht beobachtete Verhaltensweisen (etwa Geschicklichkeit) treffen zu können. Ein fehlerhafter Schluss von einem bekannten auf ein bislang nicht erhobenes Merkmal der Person wird auch als logischer Fehler bezeichnet (S. 107). Gegen die Überbewertung internaler Attributionen sprechen jedoch folgende Argumente (vgl. Heckhausen 1989, S. 5): Eine Person handelt immer in Bezug auf Situationen, sodass Situationseffekte und Personeneffekte untrennbar miteinander verbunden sind. Person setzt immer schon Situation und Situation immer Person voraus (Bowers 1973; zit. n. Heckhausen 1989, S. 5). Allein aus diesem Grund wäre eine nahezu vollständige Attribution des Verhaltens auf die Person unangemessen. Der Schluss auf die Person liegt nahe, wenn eine heterogene Personengruppe (zum Beispiel Alter, Geschlecht) vor dem Hintergrund einer relativ geringen Variation der Situation beobachtet wird. Allerdings wird Situationsvariablen dann subjektiv ein hoher Einfluss zugeschrieben, wenn die Variation der Situationen breiter ist als die unter den Personen (Olweus 1976). Die Art zu attribuieren hängt wesentlich mit der eigenen Beobachterperspektive zusammen (vgl. zum Auffälligkeits-Effekt Abschnitt 2.5 Verzerrungen bei der Interpretation von Informationen, S. 106). Als (außen stehender) Beobachter neigt man besonders leicht dazu, Verhalten auf die Person zu attribuieren, während das eigene Verhalten aus der Perspektive des Handelnden selbst vorwiegend mit Besonderheiten der Situation begründet wird (Jones u. Nisbett 1971). Beispiel: Ein Mitarbeiter verhält sich über einen längeren Zeitraum gegenüber einem Kollegen gereizt bis aggressiv. Während der Mitarbeiter dazu tendiert, sein gereiztes Verhalten beispielsweise mit einer mangelnden Koope-
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rationsbereitschaft seines Kollegen bei der Aufgabenerledigung zu erklären (»Es macht mich wütend, dass Kollege X nicht mit anpackt, wenn es drauf ankommt!«), neigen Außenstehende dazu, dieses Verhalten eher auf die leicht reizbare bis aggressive Persönlichkeit des Mitarbeiters zurückzuführen (»Der ist leicht reizbar!«). Eine »einfühlende« Beobachtung, das heißt ein Hineinversetzen in die andere Person, oder die Befragung der beobachteten Person zu den von ihr als wichtig betrachteten Ursachen kann bei der Ursachenerschließung auf die hohe subjektive Bedeutung situativer Faktoren hinweisen. Auch Verhaltensbeschreibungen können einen sehr hohen prognostischen Nutzen haben (vgl. zum Repräsentationsschluss S. 101), sodass zum Zweck der Prognose der »Umweg« über die Persönlichkeit nicht unbedingt beschritten werden muss. Insbesondere bei Auswahlverfahren, deren Nutzen gerade darin gesehen wird, Informationen über Personen zu bekommen, kann es schnell zu einer Überbewertung personenbezogener Merkmale kommen. Es sollten daher bei der Einschätzung von Bewerbern die Merkmale der Beurteilungssituation besonders berücksichtigt werden.
2.4
Prognosen – Basis jeder Personalentscheidung
Ein wichtiger Bereich der »Menschenkenntnis« bezieht sich auf die Vorhersage des Verhaltens und der Entwicklung der Person. Ein teures und zeitaufwendiges Testverfahren beispielsweise im Rahmen einer Stellenbesetzung wäre wenig sinnvoll, wenn man davon ausgehen müsste, dass die darauf gestützten Prognosen nur für einen kurzen Zeitraum Gültigkeit besäßen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Messergebnisse selbst über die Zeit stabil bleiben. So ändern sich Fachwissen, die Fähigkeit zur Präsentation oder das Verhalten in Gruppendiskussionen (zum Beispiel bei Hochschulabsolventen) oft innerhalb einer relativ kurzen Zeit nach Antritt der ersten Stelle sehr stark. Trotzdem kann die zum Zeitpunkt der Bewerbung schon vorhandene Kompetenz in diesen Bereichen ein sehr guter Prädiktor für den Berufserfolg sein. Zur Erhöhung der Prognosegüte können psychologisch erprobte Verfahren einen wichtigen Beitrag leisten. Die Bereiche, auf die sich Prognosen beziehen können, gleichen im Wesentlichen denen, die bereits in Abschnitt 2.1 Ebenen der Personenbeschreibung, S. 63, genannt wurden. Von besonderer Bedeutung sind dabei Folgende:
Prognosen
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– Leistungs-/Handlungsergebnisse: Wie wird sich die Leistung eines Mitarbeiters X entwickeln? – Verhalten: In welchem Maß ist das in der Testsituation gezeigte Verhalten des Bewerbers X auch auf andere Situationen und Aufgaben übertragbar? Diese Frage stellt sich dann, wenn sich die zukünftigen Arbeitsanforderungen für das Auswahlverfahren nur schwer simulieren lassen oder starken Veränderungen unterliegen. – Person: Wie wird sich die Persönlichkeit des Mitarbeiters X entwickeln? Ziel einer Prognose ist es, zu einer Funktionsaussage nach dem Schema »Wenn y eintritt, dann wird diese Person mit z reagieren« zu gelangen, die für eine große Bandbreite an Situationen y gilt. Dafür reicht jedoch die rein deskriptive Erfassung von Personenmerkmalen nicht aus. Eine solche Funktionsaussage kann in verschiedener Weise hergeleitet werden: Beobachtet man ein bestimmtes Verhalten, das die Person in der Vergangenheit gezeigt hat, unterstellt man im Induktionsschluss, dass sie das gleiche Verhalten auch in der Zukunft zeigen wird. Beispiel: Kann eine Mitarbeiterin ein bestimmtes Textverarbeitungssystem bedienen, wird sie dieses voraussichtlich auch noch nächste Woche können. Zwar ist dieser Schluss nicht logisch zwingend, er stellt jedoch eine sehr einfache und für Fertigkeiten und Kenntnisse gut brauchbare und verlässliche Schlussweise dar (Amelang u. Zielinski 2002, S. 13). Zeigt eine Person in einer bestimmten Situation (etwa der Simulationsaufgabe in einem Assessment-Center) ein bestimmtes Verhalten, wird in einem Repräsentationsschluss davon ausgegangen, dass sie dieses Verhalten auch in einer ähnlichen Situation zeigt (»reale« Berufssituation). Reagiert ein Bewerber in einem Assessment-Center (Beobachtungssituation) auf eine kritische Frage (Ereignis) in einer bestimmten Art (etwa unbeholfen oder nervös), so nimmt man an, dass dieses Verhalten auch außerhalb des Assessment-Centers auf eine kritische Frage hin gezeigt wird. Somit wird ein Zusammenhang zwischen dem gezeigten Verhalten innerhalb und dem Verhalten außerhalb der Beobachtungssituation hergestellt (vgl. Schaller 1999, S. 443). Entscheidend ist, dass die Testaufgaben möglichst genau die realen Arbeitsaufgaben widerspiegeln und eine Stichprobe der Arbeitsaufgaben darstellen (»sample«; vgl. Amelang u. Zielinski 2002, S. 19) – diese damit »repräsentieren«. Der Sicherstellung der so genannten Inhaltsvalidität kommt somit eine wichtige Bedeutung zu. Da Simulationen jedoch immer in bestimmte Kontexte eingebunden sind (Bewerbungssituation), die ebenfalls einen Einfluss auf das Verhalten ausüben können, sind die Verhaltensbeobachtungen in simulierten Settings möglicherweise nicht direkt auf die realen Bedingungen übertragbar.
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Menschenkenntnis
Beim Korrelationsschluss wird ein Zusammenhang zwischen einem beobachteten und einem anderen (nicht beobachteten) Verhalten hergestellt (vgl. Amelang u. Zielinski 2002, S. 19; Schaller 1999, S. 443). Beispiel: Einem Mitarbeiter, der gelegentlich lügt, wird aus Sicht seiner Kollegen möglicherweise auch zugetraut, dass er vertrauliche Informationen und Mitteilungen unbefugt an andere weitergibt. Es könnte sich jedoch das Problem eines logischen Fehlers ergeben (vgl. S. 107). Entscheidend für den Korrelationsschluss ist die Sicherstellung der Kriteriumsvalidität, das heißt dass tatsächlich ein (empirischer) Zusammenhang zwischen dem beobachteten und dem Merkmal, auf das geschlossen wird, besteht. Von einem Analogieschluss wird gesprochen, wenn von (aktuellen) Persönlichkeitseigenschaften auf (zukünftiges) Verhalten geschlossen wird (vgl. Amelang u. Zielinski 2002, S. 10). Hierin kommt stark die Annahme zum Ausdruck, dass sich Personen entsprechend ihrer jeweiligen Persönlichkeitseigenschaften verhalten (vgl. Theorieübersicht: Persönlichkeitstheorien, S. 71; zum Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Verhalten vgl. S. 66 und Abschnitt 2.3 Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis, S. 88). Da »Persönlichkeit« als etwas Situationsübergreifendes aufgefasst wird, ist es ein wichtiges Merkmal des Analogieschlusses, dass Vorhersagen für eine große Bandbreite von Situationen getroffen werden: Ein intelligenter Mensch wird in vielen verschiedenen Situationen ein »intelligentes« Verhalten zeigen. Um den Analogieschluss zu ziehen, ist jedoch die Kenntnis der Persönlichkeitseigenschaften erforderlich. Dies geschieht auf Grundlage von Verhaltensbeobachtungen. Auch hierbei greift der Grundsatz der Situationsunspezifität von Persönlichkeitseigenschaften, sodass eine infrage stehende Eigenschaft in einer großen Bandbreite an Situationen anhand einer großen Bandbreite an Verhaltensweisen in Erfahrung gebracht werden kann. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Schlussarten wird somit nicht direkt von Verhalten auf Verhalten geschlossen, sondern über den »Umweg« der Persönlichkeitseigenschaften: Verhalten – Persönlichkeitseigenschaften – Verhalten. Beispiel: Das beobachtbare Verhalten eines Bewerbers (etwa geschicktes Antworten im Einstellungsinterview) wird auf eine zugrunde liegende Eigenschaft zurückgeführt (»verbales Geschick«) und daraus geschlossen (Analogieschluss), dass auch in anderen Situationen (etwa Verkaufsgesprächen) eine gute Leistung zu erwarten ist. Entscheidend für den Analogieschluss ist die Sicherstellung der Konstruktvalidität, das heißt, dass das entsprechende Verhalten zu dem jeweiligen Konstrukt »gehört«. In Abbildung 10 werden die Schlussarten gegenübergestellt.
Prognosen
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Abbildung 10: Schlussarten
Für den Bereich von Einstellungsinterviews konnte Cook (1979) folgende Verarbeitungsregeln empirisch nachweisen. – Identifikationsregeln (vgl. Induktionsschluss): Die den Beurteiler interessierenden Kriterien werden direkt aus dem beobachtbaren Verhalten des Kandidaten gewonnen. – Assoziationsregeln (vergleichbar mit dem Korrelationsschluss, jedoch auf Ebene von Persönlichkeitseigenschaften): Von den aus dem Bewerberverhalten erschlossenen Merkmalen wird auf weitere Personenmerkmale generalisiert. Beispiel: Ein Kandidat, der kritisch ist, wird als wenig loyal eingestuft. – Kombinationsregeln (vgl. Analogieschluss): Das Verhalten des Bewerbers (der zu beurteilenden Person) wird zunächst beobachtet. Aufgrund der beobachteten Merkmale schließt der Beurteiler auf bestimmte (nicht direkt beobachtbare) Eigenschaften des Kandidaten; durch die Einschätzung der Eigenschaftsausprägung schließt der Beurteiler auf das eigentlich relevante Zielkriterium (»Analogieschluss«) und formuliert dementsprechend sein Gesamturteil.
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Menschenkenntnis
– Attributionsregeln (vgl. Abschnitt 2.3 Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis, S. 88): Die Ursachen für das Handeln und die Handlungsergebnisse des Probanden werden entweder seiner Person (Fähigkeit, Wissen, Persönlichkeit) zugeschrieben oder aber den Begleitumständen (Situation). Im Rahmen von Vorhersagen können implizite Persönlichkeitstheorien (vgl. Theorieübersicht: Persönlichkeitstheorien, S. 71) eine entscheidende Rolle spielen. Wie bereits angedeutet können Persönlichkeitstheorien wie »Was Fritzchen nicht lernt, lernt Fritz nimmer mehr!« das Ergebnis eines sich selbst verstärkenden Kreislaufs oder einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung sein können (s. Abbildung 11): Warum sollte ein Vorgesetzter, der davon ausgeht, dass einige seiner Mitarbeiter nicht besonders lernfähig sind, diese zu Qualifizierungsmaßnahmen schicken? Allerdings haben es Mitarbeiter, die nicht oder nur selten in den Genuss von Qualifizierungsmaßnahmen kommen, sehr viel schwerer, Vorgesetzte von ihren Potenzialen und Kompetenzen zu überzeugen als solche Mitarbeiter, die regelmäßig entsprechende Maßnahmen in Anspruch nehmen dürfen. Die geringe Qualifikation interpretiert der Vorgesetzte jedoch wieder als eine Bestätigung seiner impliziten Persönlichkeitstheorien (vgl. Theorieübersicht: Theorie X und Y, S. 175).
Abbildung 11: Prognosen und implizite Persönlichkeitstheorien
An diesem Beispiel wird deutlich, dass die längerfristige Stabilität von Eigenschaften auch eine Folge rückkoppelnder, sozialer Prozesse sein kann. Wenn Menschen miteinander in Interaktion treten, bestehen in der Regel mehr oder minder spezifische Erwartungen und Annahmen darüber, wie sich der andere verhalten wird. Diese Erwartungen können jedoch maßgeblich das eigene Verhalten beeinflussen – und zwar in einer Art und Weise, dass die Reaktionen des Gegenübers die vorhandenen Erwartungen bestätigen (vgl. zum Erwartungsfehler S. 109). Dies führt zu einem Kreislauf, in dem sich die jeweiligen Erwartungen und Verhaltensweisen wechselseitig stabilisieren und verstärken (sich selbst erfüllende Prophezeiung).
Prognosen
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Dass die dargestellten Prozesse tatsächlich stattfinden, konnte in vielen empirischen Studien eindrücklich belegt werden. So wurde nachgewiesen, dass Lehrer jene Schüler weniger fördern (im Sinne von weniger Aufmerksamkeit schenken, selteneres Aufrufen im Unterricht et cetera), die ihrer Meinung nach weniger leistungsfähig sind (vgl. Rosenthal u. Jacobson 1971; Ausführungen zum Erwartungsfehler, S. 109f.). Auch kann das vielfach geäußerte Gefühl von Vorgesetzten, »alles selbst machen zu müssen«, in zahlreichen Fällen die Folge einer fehlerhaften Einschätzung von Mitarbeitern sein, die sich in einer zu skeptischen Beurteilung der Leistungsfähigkeit und Selbständigkeit der Mitarbeiter ausdrückt (was dem Engagement der Mitarbeiter sicher nicht förderlich ist). Im Rahmen einer Personenwahrnehmung sollte man sich der Möglichkeit solcher sich selbst erfüllender Prophezeiungen bewusst sein und das eventuelle Vorhandensein solcher Prozesse unbedingt berücksichtigen. Eine weitere wichtige Frage bei Prognosen ist, inwieweit davon ausgegangen werden kann, dass ein Verhalten, das in einer bestimmten Situation gezeigt wurde (beispielsweise Prüfungssituation), auch in anderen (unähnlichen) Situationen gezeigt wird. Wird ein Mitarbeiter, der sich bei organisationsinternen Verhandlungen gegenüber Kollegen sehr freundlich und kompromissbereit zeigt, sich in gleicher Weise auch gegenüber Lieferanten verhalten? Es handelt sich somit nicht um die Frage nach der zeitlichen Stabilität des Verhaltens, sondern nach der transsituativen Konsistenz, das heiß nach der Gleichartigkeit des Verhaltens über verschiedene Situationen hinweg. Könnte man von einer hohen transsituativen Konsistenz ausgehen, ließe sich das Verhalten von Personen auf Basis einer Verhaltensbeobachtung in einer bestimmten Situation (zum Beispiel bei einer Bewerbung) für die verschiedensten Situationen prognostizieren. Obgleich im Alltag die Meinung weit verbreitet ist, das Verhalten sei über verschiedene Situation recht stabil, kann von einer transsituativen Konsistenz des Verhaltens nicht unbedingt ausgegangen werden. Das Verhalten ist sehr kontextsensitiv (»man verhält sich nicht immer gleich«), weswegen Verhaltensprognosen für Situationen, die auf Verhaltensbeobachtungen in anderen Situationen beruhen, fehleranfällig sein können. Zur Verbesserung der Prognose schlagen Amelang u. Bartussek (2001, S. 660ff.) Folgendes vor: Prognosen sollten nicht nur auf einer einzigen Beobachtung beruhen, sondern es sollten mehrere Beobachtungsgelegenheiten genutzt werden. Die Ergebnisse der Beobachtungen sind anschließend zu aggregieren (zum Beispiel durch Mittelung). Es empfiehlt sich, Personen in verschiedenen Situationen (große Bandbreite der Situationsstichprobe) zu beobachten, sodass daraus Informationen über die transsituative Konsistenz des Verhaltens gewonnen werden können.
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Menschenkenntnis
Zur Beobachtung sollten besonders solche Situationen ausgewählt werden, in denen sehr unterschiedliche Verhaltensweisen der zu beobachtenden Personen erwartet werden. Entsprechende Situationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie relativ schwach und uneindeutig strukturiert sind, das heißt beispielsweise, dass es keine oder nur sehr allgemeine Instruktionen, wenige formelle Regelungen gibt, kein Zwang zur Ausführung bestimmter Verhaltensweisen besteht (wie Halten bei roter Ampel). Es sollte die subjektive Situationswahrnehmung und -deutung der beobachteten Person berücksichtigt werden. Beruhen Prognosen auf Selbstaussagen der jeweiligen Personen, bietet es sich an, für eine hohe selbstzentrierte Aufmerksamkeit zu sorgen, bevor entsprechende Selbstaussagen getroffen werden. Dies kann für die Durchführung von Persönlichkeitstests bedeuten, dass den Testpersonen ausreichend Zeit eingeräumt wird, um über Fragen zu ihrer Person nachzudenken, und von einer »möglichst schnellen« Bearbeitung abgesehen wird. Ferner könnte die Identifikation von Personengruppen mit besonders hoher Vorhersagbarkeit innerhalb einer gegebenen Gesamtstichprobe die Prognose verbessern (vgl. Amelang u. Bartussek 2001, S. 664ff.). Die Realisierung der beiden erst genannten Vorschläge kann durch das Sammeln von Informationen auf Vorrat (»vorbeugende Informationssammlung«, s. S. 60) sehr unterstützt werden.
2.5
Verzerrungen bei der Interpretation von Informationen
Die Kenntnis psychologischer Gesetzmäßigkeiten – wie etwa Mechanismen zur Fehlinterpretation von Information – verhindert deren Wirksamkeit ebenso wenig, wie das Wissen über die physikalischen Gesetze deren Wirkung auf den Menschen aufhebt. Es kann aber zur Fehlervermeidung beitragen, wenn man sich der wichtigsten Störeffekte bewusst ist. Aus diesem Grund sind die wichtigsten »Beurteilungsfehler« üblicher Bestandteil bei Beobachtertrainings für Assessment-Center und bei der Vorbereitung von Vorgesetzten auf die Durchführung von Mitarbeiterbeurteilungen. Im Folgenden werden wichtige Fehler aufgeführt, die in Zusammenhang mit der Wahrnehmung und Beurteilung von Personen auftreten können. 1) Referenzfehler: Systematische Verschiebung oder Verzerrung von Urteilen. a) Antwort-Tendenzen: Tendenz, bestimmte Antwortarten oder bestimmte Pole grafischer Skalen zu bevorzugen. Beispiel: Ein Beurteiler kreuzt in einem Beurteilungsbogen vorzugsweise jene Kästchen an, die sich weit rechts befinden.
Verzerrungen bei der Interpretation von Informationen
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b) Ja-Sage-Fehler, Nein-Sage-Fehler: Eine Form von Antworttendenzen, die in der Bevorzugung positiver oder negativer Antwortkategorien zum Ausdruck kommt. Beispiel: Ein Beurteiler bevorzugt in einem Beurteilungsbogen die vorgegebene Antwortkategorie »trifft voll zu« gegenüber der Antwortkategorie »trifft nicht zu«. c) Mildefehler: Es werden vorzugsweise positive Urteile abgegeben. d) Strengefehler: Tendenz zu negativen Urteilen. e) Zentraltendenz: Tendenz zur Mitte und zu indifferenten Antworten. Beispiel: Ein Beurteiler kreuzt in einem Bogen vorzugsweise jene Antworten an, die grafisch in der Mitte liegen. Manchmal kann es vorkommen, dass Personen bestrebt sind, eine fehlende Antwort unbedingt zu vermeiden. Dies kann dazu führen, dass selbst dann, wenn sich die Perswon nicht zu einer inhaltlichen Antwort in der Lage sieht, eine Antwort abgibt und dann zu einer Antwort in der »goldenen Mitte«, das heißt im indifferenten Bereich, tendiert. f) Schwarz-Weiß-Malerei: Tendenz zu extremen Urteilen. 2) Korrelationsfehler: Systematische Abweichung aufgrund von vermuteten oder unterstellten (tatsächlich aber nicht unbedingt vorhandenen) Korrelationen von Merkmalen. a) Logischer Fehler: Zwei Merkmale werden aufgrund einer vermuteten logischen Beziehung ähnlich beurteilt. Beispiel: »Je größer Menschen sind, desto durchsetzungsstärker sind sie!« b) Halo-Effekt (Hof-Effekt, Überstrahlungsfehler): Von einzelnen (aber hervorstechenden) Merkmalsausprägungen wird auf die Ausprägung einer großen Bandbreite von Merkmalen geschlossen. Beispiel: Die gute, stilvolle Kleidung eines Mitarbeiters veranlasst seinen Vorgesetzten dazu, ihn als besonders fleißig, verantwortungsbewusst, zuverlässig und selbständig einzuschätzen. c) Verallgemeinerungsfehler: Aufgrund spezifischer Merkmale wird auf generelle Persönlichkeitsmerkmale geschlossen. Beispiel: In einer Auseinandersetzung schreit ein ansonsten ruhiger Mitarbeiter einen Arbeitskollegen laut an. Ab diesem Moment gilt er als extravertiert und cholerisch. d) Fehler der Nähe: Merkmale, die auf dem Beurteilungsbogen nahe beieinander stehen, werden ähnlich beurteilt. 3) Interaktionsfehler: Darunter sind Beurteilungsfehler zu verstehen, die sich aufgrund der Interaktion zwischen dem Beurteilten und dem Beurteiler ergeben.
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Menschenkenntnis
a) Leniency-Effekt: Dabei handelt es sich um eine Form des Mildefehlers, der in der hohen subjektiven Bedeutung des Beurteilungsgegenstands für den Beurteiler begründet liegt. Je wichtiger das Objekt oder die Person für den Beurteiler ist, desto größer ist die Tendenz, ein positives Urteil abzugeben. Beispiel: Ein Mitarbeiter beurteilt seinen direkten Vorgesetzten wohlwollender als einen Kollegen (da er im Fall einer kritischen Beurteilung möglicherweise mit negativen Konsequenzen zu rechnen hat). b) Sympathiefehler: Mildefehler, der deswegen auftritt, weil der Beurteilte dem Beurteiler sympathisch ist. Beispiel: Ein Vorgesetzter beurteilt sympathische Mitarbeiter positiver als unsympathische. (So ist der in Paarbeziehungen vorzufindende Umstand, dass »Liebe blind macht«, sicherlich auch als eine Form des Sympathiefehlers zu interpretieren.) c) Empathiefehler: Mildefehler, der zustande kommt, weil der Beurteiler sich in den Beurteilten hineinversetzt (»mitfühlende« Beobachtung). Beispiel: Ein Prüfer bezieht die Fehler eines Prüflings bei der Gesamtbeurteilung kaum ein und begründet dies mit der hohen Nervosität des Prüflings. Der Prüfer war selbst in Prüfungen immer sehr nervös gewesen, was seiner Meinung nach die Ursache für Fehler war. d) Projektionsfehler: Im Beurteilten werden Merkmale (Wünsche, Ansichten, Gefühle, Motive, »Fehler«) wahrgenommen oder diesem zugeschrieben, die man entweder selbst (nicht) hat, sich selbst (nicht) zuschreibt oder die man selbst (nicht) haben möchte. Beispiel: Ein Vorgesetzter, der vom Management für schlechte Quartalszahlen verantwortlich gemacht wird, ist der Überzeugung, seine Mitarbeiter hätten die alleinige Verantwortung für das schlechte Quartalsergebnis zu übernehmen. Er projiziert seine eigenen Fehler somit auf seine Mitarbeiter. e) Assimilierungs- und Kontrastierungsfehler: Tendenz, ähnliche Merkmale zwischen dem Beurteilten und dem Beurteiler zu assimilieren (das heißt »ähnlicher« zu beurteilen, als sie tatsächlich sind) und abweichende Merkmale zu kontrastieren (das heißt »abweichender« zu beurteilen, als sie tatsächlich sind) (vgl. Theorieübersicht: Assimilations-Kontrast-Theorie, S. 86). f) Übertragungsfehler: Im Beurteilten werden Merkmale oder Motive wahrgenommen, die ein früherer Interaktionspartner mit einer ähnlichen sozialen Beziehung hatte. Beispiel: Ein Mitarbeiter hatte einen sehr autoritären Vorgesetzten. Obgleich der neue Vorgesetzte einen ganz anderen Führungsstil pflegt, wird er ähnlich autoritär eingeschätzt wie sein Vorgänger. g) Hawthorne-Fehler: Darunter sind Fehlurteile zu verstehen, die darauf be-
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ruhen, dass Menschen sich in Beobachtungssituationen möglicherweise anders verhalten als sonst (Beobachtungen können zu einer Verhaltensänderung bei den Beobachteten führen). Voraussetzung für den Hawthorne-Fehler ist, dass die Beurteilten wissen, dass sie beobachtet werden. In den zwanziger Jahren (1924–1927) wurden in den HawthorneWerken der Western Electric Company in Chicago unter Leitung des australischen Anthropologen Mayo Untersuchungen zum Einfluss der Beleuchtungsintensität der Arbeitsplätze auf die Produktivität von Arbeiterinnen durchgeführt. Es wurden zwei Gruppen von Arbeiterinnen gebildet und die Arbeitsplätze der Arbeiterinnen je nach Gruppenzugehörigkeit unterschiedlich stark beleuchtet. Es stellte sich in Einklang mit den zuvor aufgestellten Hypothesen heraus, dass eine höhere Beleuchtungsintensität zu einer höheren Produktivität beitrug. Allerdings war eine erhöhte Produktivität auch dann zu beobachten, wenn die Beleuchtungsstärke reduziert wurde! Diese Feststellung führte dazu, bislang nicht berücksichtigte Faktoren anzunehmen, die die Produktivität beeinflussten. Es konnte gezeigt werden, dass das Wissen der Arbeiterinnen, an einem Experiment teilzunehmen und somit unter besonderer Beobachtung zu stehen, sich wesentlich auf das Verhalten und damit die Produktivität auswirkte. Diese Untersuchungen waren Auslöser für die »eigentlichen« Hawthorne-Studien, deren Gegenstand die Arbeitsbedingungen und die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern waren. Sie fanden in der Zeit von 1927 bis 1932 statt und werden als Wegbereiter des Human-Relations-Ansatzes im Organisationsbereich betrachtet (Mayo 1933; Roethlisberger u. Dickson 1934; Whitehead 1938). h) Soziale Erwünschtheit: Ähnlich wie beim Hawthorne-Fehler beruht der Urteilsfehler der sozialen Erwünschtheit darauf, dass Menschen dazu tendieren, sich in Beobachtungssituationen anders zu verhalten. Sie versuchen, einen möglichst positiven Eindruck von sich selbst beim Beurteiler zu hinterlassen, wobei die Effektivität dieses Verhaltens sicherlich stark von der Kenntnis des Wertesystems des Beurteilers abhängt. Beispiel: Ein Mitarbeiter strengt sich in unmittelbarer Gegenwart seines Vorgesetzten besonders an, sodass der Vorgesetzte einen falschen (das heißt zu positiven) Eindruck von der Einsatzbereitschaft des Mitarbeiters bekommt. i) Erwartungsfehler (Rosenthal-Effekt; Pygmalion-Fehler; Confirming-Bias, Fehler der sich selbst erfüllenden Prophezeiung) (Rosenthal u. Jacobson 1971): Tendenz, seine Erwartungen, Annahmen, Hypothesen und Meinungen in Beobachtungen und Beurteilungen zu bestätigen. Als Rosen-
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Menschenkenntnis
thal-Effekt wird bezeichnet, wenn Menschen bewusst oder unbewusst gerade jene Verhaltensweisen präferieren, der Folgen oder Ergebnisse ihre vorgefassten Meinungen und Erwartungen bestätigen. Glaubt beispielsweise ein Recruiter, dass der Sohn seines Freundes überdurchschnittliche Fähigkeiten hat, verhält er sich tendenziell (auch ohne jede bewusste Manipulationsabsicht) im Interview so, dass der Bewerber durch sein Verhalten auch bei anderen, zunächst neutralen Interviewführenden einen guten Eindruck hinterlässt. Jedoch kann auch ein Bewerber einen Erwartungsfehler begehen: Geht er beispielsweise davon aus, dass ein Interviewer ihn unfreundlich behandelt, verhält er sich möglicherweise so, dass sich seine Annahme tatsächlich bestätigt. 4) Erinnerungsfehler: Darunter werden Fehler verstanden, die sich daraus ergeben, dass aufgenommene Informationen nicht sofort entsprechend dem ursprünglichen Zweck verwendet werden können und daher »zwischengespeichert« werden müssen. a) Primacy-Recency-Effekt: Hierbei handelt es sich um einen Reihenfolgeeffekt. Der Gesamteindruck einer Person wird durch die ersten und letzten empfangenen Informationen maßgeblich geprägt (ausführliche Darstellung bei Forgas 1992, S. 64f.). So kann beispielsweise der Primacy-Effekt mit einer Bedeutungsassimilation erklärt werden: die Bedeutung der nachfolgenden Eindrücke (Adjektive) verschiebt sich in Richtung größerer Konsistenz mit den vorangegangenen Eindrücken (vgl. Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82). Eine wichtige Bedeutung hat der Primacy-Effekt, wenn sich Personen kennen lernen und einen »ersten Eindruck« voneinander bekommen. Zwar ist der erste Eindruck für die nachfolgende Interaktion oftmals der entscheidendste (da nachfolgende Eindrücke an diese »angepasst« bzw. assimiliert werden), jedoch ist er nicht unbedingt der zuverlässigste. b) Tendenz zur Komplettierung: Ein Eindruck wird komplettiert, indem das zum Teileindruck passende Stereotyp (Lippmann 1922) aktualisiert wird. Stereotypen (gr. stereo: starr, fest, ständig, unbeweglich; typos: Muster, Gattung, Modell, Abdruck, Spur, Eindruck, Zeichen) liegt die Vorstellung von subjektiven und stark vereinfachten Kategorieeinteilungen von Menschen zugrunde, die sich möglicherweise aus dem Wunsch nach einer Komplexitätsreduktion und dem Streben nach einer »Denkökonomisierung« erklären lässt. Stereotype sind vereinfachte Bilder von Menschen, bei denen ein Zusammenhang zwischen bestimmten Eigenschaften oder Verhaltensweisen in einer dem jeweiligen, subjektiven Bild entsprechend
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typischen Art unterstellt wird. So reicht oftmals schon die Berufsbezeichnung aus, um Menschen einem bestimmten Stereotyp zuzuordnen und entsprechende Merkmale abzuleiten oder über bislang nicht beobachtete Merkmale zu urteilen. Die Tendenz zur Komplettierung beruht darauf, dass auf der Grundlage weniger Einzelmerkmale die beurteilte Person einem Stereotyp zugeordnet wird und wegen diesem Stereotyp Urteile über bislang nicht beobachtete Merkmale getroffen werden (vgl. Ausführungen zum logischen Fehler, S. 107). c) Interferenzeffekte: Durch hintereinander ablaufende Ereignisse oder Lernprozesse wird eine kognitive Interferenz, die zum Vergessen von Informationen führt, hervorgerufen. Beeinflussen bereits vorhandene Erfahrungen die Wiedergabe neuer (aber ähnlicher!) Informationen, spricht man von »proaktiver Hemmung«: kognitive Aktivitäten vor einer Lernaufgabe verringern die Wiedergabeleistung. Wird die Wiedergabe neuer Informationen hingegen durch die Ereignisse gestört, die nach dem Lernprozess stattfinden, spricht man von »retroaktiver Hemmung«. Die Wiedergabeleistung ist am größten, wenn weder vor noch nach der Lernaufgabe eine relevante kognitive Tätigkeit stattfindet. Der Effekt der retroaktiven Hemmung ist stärker als der der proaktiven Hemmung, das heißt, kognitive Tätigkeiten stören vor einer Lernaufgabe weniger als nach der Lernaufgabe! Beispiel (retroaktive Hemmung): Ein Vorgesetzter will sich im Anschluss an ein Gespräch mit einem Stellenbewerber Notizen dazu machen, als er einen wichtigen Anruf erhält und sehr konzentriert auf das Anliegen des Anrufers eingehen muss. Nach dem Telefonat fällt es ihm schwer, sich an wichtige Punkte des Bewerbungsgesprächs zu erinnern. d) »Kreatives Vergessen«: Das Vergessen einzelner, relativ unverbundener Informationen besteht hierbei nicht in dem Verlust von Einzelheiten, sondern in der kognitiven Umarbeitung der Einzelinformationen zu einer kohärenten, stimmigen Gesamtinformation. Beispiel: Ein guter Mitarbeiter hat einen Fehler begangen, den man von ihm nicht erwartet hätte. Dieser Fehler wird ihm aufgrund seiner sonst sehr guten Leistungen nachgesehen und auf »äußere Bedingungen« zurückgeführt. Eine Veränderung des Urteils über den Mitarbeiter findet somit nicht statt. e) Auffälligkeitseffekt: Besonders auffällige Merkmalsausprägungen einer Person werden besonders gut erinnert. Beispiel: Die Kleidung eines Bewerbers ist einem Recruiter sehr gut im Gedächtnis geblieben, da diese sich in besonderem Maß von der Kleidung der übrigen Bewerber abhob.
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5) Attributionsfehler: Unter Attributionsfehlern werden solche Verzerrungen verstanden, die in Zusammenhang mit der Erschließung von Ursachen auftreten können (vgl. Bradley 1978; Hamilton 1979; Hansen 1980). a) Fundamentaler Attributionsfehler (s. S. 98): Tendenz von Beurteilern, Handlungen anderer Personen eher auf deren spezifische Personenmerkmale als auf situative Faktoren zurückzuführen. Beispiel: Kann ein Bewerber im Auswahlgespräch für ein Fallbeispiel nur eine mittelmäßige Antwort auf eine gestellte Fachfrage geben, so wird dieses sehr viel eher bereitwillig auf die fehlenden Kenntnisse des Kandidaten attribuiert als zum Beispiel auf die stark angstinduzierende Auswahlsituation. b) Self-serving-bias (selbstwertdienliche Attribution): Darunter ist ein Attributionsmuster zu verstehen, das die Steigerung des Selbstwerts (vgl. Theorieübersicht: Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung, S. 331) zum Ziel hat (»hedonistische Verzerrung«). So ist etwa zu beobachten, dass in Bezug auf Leistungssituationen Erfolg als persönlicher Verdienst attribuiert (internale Attribution) wird, wohingegen Misserfolge als nicht durch die eigene Person bedingt betrachtet werden (externale Attribution). Beispiel: In einem Bewerbungsgespräch schreibt ein Kandidat A sein gutes Examen seinen persönlichen Fähigkeiten zu. Hingegen weist Kandidat B, der ein schlechteres Ergebnis als A erzielt hat, darauf hin, dass die Anforderungen an seiner Fakultät sehr hoch waren (s. Tabelle 5). Tabelle 5: Selbstwertdienliches Attributionsmuster Stabilität
Attributionsmuster internal (bei Erfolg) kontrollierbar
external (bei Misserfolg) nicht kontrollierbar
stabil
Fleiß
Fähigkeit
Aufgabenschwierigkeit
variabel
Anstrengung
Konzentration (-sfähigkeit)
Zufall
Das Ausmaß einer selbstwertdienlichen Attribution hängt von einer Reihe von Faktoren ab. – Erfolgsorientierte Personen neigen besonders zu selbstwertdienlichen Attributionen (vgl. Theorieübersicht: Leistungsmotivation, S. 157). – Hohe Selbstaufmerksamkeit fördert Attributionsasymmetrien im Sinne einer selbstwertdienlichen Attribution (Federhoff u. Harvey 1976). – Bei einer unkritischen Öffentlichkeit ist das Ausmaß der »hedonistischen Verzerrung« sehr viel größer als bei einer kritischen Öffentlichkeit (vgl.
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Johnson et al. 1964). Dies lässt sich möglicherweise mit dem Effekt der sozialen Erwünschtheit erklären. – Zur Aufdeckung von Entwicklungspotenzialen, besonders vor dem Hintergrund unerwarteter Misserfolge, tendieren Personen zu einer selbstkritischen Attribution. c) Attributionsverschiebung aufgrund von Empathie: Die »mitfühlende« Beobachtung kann zu einem Attributionsmuster führen, das den Beobachteten in ein günstiges Licht stellt (im Gegensatz zur selbstwertdienlichen Attribution, bei der es darum geht, mittels einer entsprechenden Attribution sich selbst in ein positives Licht zu stellen). So werden Misserfolge des Beobachteten auf externe Faktoren und Erfolge auf interne Faktoren des Beobachteten zurückgeführt. Bei der »neutralen« Beobachtung sind solche Attributionsunterschiede nicht festzustellen (Gould u. Sigall 1977). Beispiel: Ein Bewerber zeigt bei einem Probevortrag im Rahmen eines Assessment-Centers deutliche Anzeichen von Nervosität. Der Beurteiler kann sich gut in den Bewerber hineinfühlen, da er bei seiner eigenen Bewerbung in der Vortragsaufgabe ebenfalls sehr nervös war. Er führt das gezeigte Verhalten des Bewerbers nicht auf eine mögliche fehlende Selbstsicherheit zurück, sondern allein auf die besonderen Umstände der Bewerbungssituation. d) Attributionsverschiebung aufgrund von Sympathie: Diese Form der Attributionsverschiebung ist vergleichbar mit der Attributionsverschiebung aufgrund von Empathie. Der Grund für die Verschiebung ist jedoch nicht das Hineinversetzen in die Situation des Beurteilten, sondern Sympathie und Zuneigung. Ist die Beziehung zwischen beurteilter Person und dem Beurteiler sehr positiv oder kennen sich beide Personen recht gut, so ist der Beurteilende sehr viel eher dazu bereit, positive Handlungsergebnisse der zu beurteilenden Person internal zu attribuieren (also durch die Person und Merkmale veranlasst zu sehen). Entsprechend wird im Fall negativer Ergebnisse schneller auf externale Einflüsse (ungünstige Situation) geschlossen. Diese Attributionsverzerrung kann auch als Sympathiefehler im Kontext der Ursachenerschließung bezeichnet werden. Beispiel: Ein Vorgesetzter führt die Erfolge eines ihm sympathischen Mitarbeiters auf dessen überdurchschnittliche Kompetenz und Einsatzbereitschaft zurück. Als der Mitarbeiter in relativ geringen Zeitabständen mehrere Misserfolge vorzuweisen hat, führt der Vorgesetzte diese auf die hohen Anforderungen und den Zeitdruck zurück, unter dem der Mitarbeiter steht. e) Erwartungsbestätigung: Wird der Beurteiler durch das Verhalten der zu
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beurteilenden Person in seinen Erwartungen bestätigt, so attribuiert er die Ursachen des Verhaltens auf die Person des Bewerbers. Sind die Handlungsergebnisse hingegen nicht erwartungskonform, so neigen die Beurteiler dazu, die äußeren Bedingungen hierfür verantwortlich zu machen. Beispiel: Ein Personalverantwortlicher ist der Überzeugung, dass ein autoritärer Führungsstil besonders dazu geeignet ist, Mitarbeiter zu motivieren. Die Äußerung einer Person, die sich auf eine Vorgesetztenstelle bewirbt und diese Meinung bestätigt, führt der Personalverantwortliche auf die besondere Intelligenz und Einsichtsfähigkeit des Bewerbers zurück. Bei einem anderen Bewerber, der hingegen von einem beratenden Führungsstil überzeugt ist, führt der Personalverantwortliche die entsprechenden Äußerungen auf die schlechte Ausbildung zurück sowie auf den Umstand, dass der Bewerber als Berufseinsteiger noch keine Gelegenheit dazu gehabt hatte, die Vorzüge des autoritären Führungsstils in der Praxis zu erleben. f) Auffälligkeitseffekte, Perspektivverzerrungen (Taylor u. Fiske 1975): Beobachter attribuieren denjenigen Personen eine größere kausale Kontrolle über eine Interaktion, die sie am besten sehen können. So könnte es im Rahmen von Assessment-Centern vorkommen, dass aufgrund der Sitzanordnung Beobachter bestimmte Teilnehmer besser und leichter beobachten können als andere und ihnen infolgedessen mehr Verantwortung an dem sozialen Geschehen (etwa Teilnehmerdiskussion) zuschreiben. g) Attributionsverzerrungen aufgrund von Statusunterschieden: Entscheidungen werden auf den freien Willen des Entscheidungsträgers attribuiert, wenn dieser einen hohen Status hat, während die Entscheidungen statusniedrigerer Personen tendenziell auf »Zwang« attribuiert werden (Thibaut u. Riecken 1955). Ursache für diese Attributionsverschiebung könnte sein, dass Personen mit einem hohen Status mehr Macht und damit Handlungsfreiheit zugeschrieben werden.
2.6
Maßnahmen zur Optimierung der Menschenkenntnis
Wenn man seine Menschenkenntnis im Unternehmen verbessern möchte, setzt dies zunächst voraus, dass man sich der Grenzen seiner eigenen diagnostischen Kompetenz bewusst wird. Leider sprechen die in den vorhergehenden Abschnitten besprochenen psychologischen Mechanismen dafür, dass man die Gültigkeit seines eigenen Wissens hinsichtlich anderer Menschen weit überschätzt. Hinzu kommt, dass die diesem Wissen gelegentlich widersprechenden
Maßnahmen zur Optimierung der Menschenkenntnis
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Erfahrungen herunterspielt werden. Darüber hinaus sollte man bedenken, dass eine Veränderung von verfestigten Gewohnheiten immer lästig ist und Mühe bereitet. Zur Verbesserung der Personenwahrnehmung können folgende Hinweise nützlich sein:
Überprüfung der Mängel des aktuellen Menschen-/Mitarbeiterbilds Bevor man an die Verbesserung geht, sollte man feststellen, wo konkrete Defizite in der bisherigen Einschätzung relevanter Gesprächspartner liegen. Am besten macht man sich dazu einmal die Mühe, für eine kleine Anzahl von (ca. fünf) Mitarbeitern, Vorgesetzten oder Verhandlungspartnern aufzuschreiben, über deren Verhalten man sich im Lauf der etwa letzten zwölf Monate gewundert und welche (subjektiven) Erklärungen man für das überraschende Verhalten des Gesprächspartners gefunden hat. Oft zeigt sich schon bei diesem Schritt eine gewisse Systematik der eigenen Wahrnehmungsverzerrung, etwa wenn sich die »Überraschungs-Situationen« bei den fünf ausgewählten Personen ähnlich sind oder wenn die Erklärungsmuster sich sehr gleichen.
Verbesserung des Informationsfilters Die Wahrnehmungsfehler, die auf ein zu starkes Filtern von Informationen zurückgehen, können dadurch reduziert werden, indem die Menge der aufgenommenen Informationen erhöht wird. Ferner sollten Informationen mit hoher Aussagekraft besonders berücksichtigt werden. Dafür benötigt man fundierte Annahmen darüber, welche Aspekte im Verhalten von Mitmenschen überhaupt diagnostisch relevant sein könnten. Die Aufzählung in der Theorieübersicht: Einige psychologisch relevante Persönlichkeitskonstrukte« auf S. 67 kann hierbei eine Orientierung geben.
Informationen ohne Zeitdruck sammeln Nahezu alle Mechanismen, die die Einschätzung von Menschen verzerren oder beeinträchtigen, nehmen unter akutem Zeit- und Entscheidungsdruck an Bedeutung zu. Deshalb wird zur besseren Einschätzung von Mitmenschen dringend angeraten, Überlegungen über deren mögliche Verhaltensweisen und mögliche Reaktionen auf bestimmte Ereignisse ohne zeitlichen Druck anzu-
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stellen. Dies erfordert, dass man sich an einem normalen Arbeitstag bewusst anstrengt, sich entsprechende Gedanken »auf Vorrat« zu machen. Nimmt man sich diese Zeit nicht oder hat sie aufgrund der (subjektiven oder objektiven) Arbeitsbelastung tatsächlich nicht, ist eine Senkung der Qualität der Entscheidungen für die Auswahl oder den Einsatz von Mitarbeitern unvermeidbar.
Falsifikation statt Bestätigung des subjektiven Wissens Klare Entscheidungen sind im betrieblichen Alltag notwendig und man erwartet gerade von Führungspersonen, dass sie wissen, was richtig ist (vgl. zu den Erwartungen an Führungspersonen den Exkurs auf S. 251f.). Dies drängt Führungspersonen dazu, vorhandene Zweifel nicht nach außen hin zu zeigen und diese mit der Zeit auch in (vermeintlich) eigenem Interesse, zur Vermeidung von psychischem Stress, zu verdrängen. Möglicherweise führt dies zu vorschnellen Urteilen und erschwert es, eventuelle Umweltveränderungen (beispielsweise die Weiterentwicklung der Mitarbeiter) wahrzunehmen und entsprechend zu berücksichtigen. Im Zusammenhang mit der psychologischen Eignungsdiagnostik, bei der dieses Problem prinzipiell auch auftreten kann, wurde von Sarges (1989) vorgeschlagen, bewusst eine Falsifikationsstrategie anzuwenden. Wenn man sich in einem Einstellungsinterview ein vorläufiges Bild von einem Bewerber gemacht hat, sollte man diese Meinung zumindest vor sich selbst klar zum Ausdruck bringen, indem man beispielsweise die vermuteten relevanten Eigenschaftsausprägungen auf dem Interviewbogen ankreuzt. Anschließend sollten dann bewusst Informationen gesucht werden, die diesem Eindruck widersprechen könnten. Das bewusste Sammeln von Informationen, die im Widerspruch zum ersten Eindruck stehen, soll vorschnelle Schlüsse und Fehlattributionen vermeiden (vgl. Theorieübersicht: Gating-Theorie, S. 75, Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82, und die Ausführungen über Attributionsfehler auf S. 112ff.).
Experimentieren und Nachfragen Die besprochene Vielzahl von Erklärungsmöglichkeiten für ein und das gleiche Verhalten führt leicht zu Irrtümern, die man vorbeugend und nicht unter Entscheidungsdruck prüfen sollte. So können Fehlinterpretationen bei der Beurteilung von Leistungsergebnissen auftreten, wie bei der unzureichenden Erle-
Maßnahmen zur Optimierung der Menschenkenntnis
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digung eines Arbeitsauftrags durch einen neuen Mitarbeiter. Bevor man diesen in die Rubrik »unfähig« einsortiert, sollte man durch die versuchsweise Zuordnung anderer Arbeitsaufgaben unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade prüfen, ob dieses aufgetretene Versagen nicht external zu attribuieren ist oder zwischenzeitlich stattfindende Lernvorgänge die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters wesentlich gesteigert haben. Der sinnvolle Einsatz von Strategien zur Vermeidung solcher Irrtümer setzt die Beachtung der vorhergehenden Empfehlungen voraus. Nur wenn man die Falsifikation seines Eindrucks betreibt und sich überdies ausreichend Zeit für die erforderliche Informationssammlung nimmt, ist eine systematische Verbesserung der Menschenkenntnis möglich.
Lösen des Speicherproblems Die Grundvoraussetzung zur Vermeidung von Fehleinschätzungen aufgrund von »Speicherproblemen« ist, dass es eine vom persönlichen Gedächtnis unabhängige Speicherung der erworbenen Erkenntnisse gibt, etwa indem aufgenommene Informationen schriftlich festgehalten werden. Dem stehen aber zum Teil erhebliche Widerstände entgegen: Es widerstrebt (verständlicherweise) vielen Menschen, informell erhaltene Informationen über Mitarbeiter und Kollegen aufzuschreiben. Viele Gesprächspartner würden bei Kenntnis einer solchen »Aufzeichnungsstrategie« dies sehr negativ bewerten, da sie sich eventuell »ausgehorcht«, »bespitzelt« oder »manipuliert« fühlen. Das könnte dazu führen, dass sich die Gesprächspartner zukünftig in ihren Äußerungen zurückhalten, was die Informationsaufnahme erschweren würde. In betrieblichen Zusammenhängen könnte es auch sein, dass solche Aufzeichnungen als Bestandteil der Personalakte aufgefasst werden und sich somit Probleme der Berechtigung zur Einsichtnahme, der Informationspflicht des Betroffenen ergeben. Am leichtesten lassen sich dabei die rechtlichen Probleme ausräumen, da es nicht verboten ist, sich private Aufzeichnungen (etwa in Form eines »Tagebuchs«) über die Erfahrungen im Betrieb zu machen. Diese dürften dann aber selbstverständlich nur als private Erinnerungen und nicht als offizielle Schriftstücke in betriebliche Entscheidungen einfließen. Die eher emotionalen Vorbehalte, die die Einschätzung des Stils des gegenseitigen Umgangs betreffen, sind wesentlich schwerer auszuräumen. Für offizielle Beurteilungsvorgänge, wie bei Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen oder formalen Mitarbeiterbeurteilungen, wird man im Sinne der Objektivität und Gerechtigkeit in
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Menschenkenntnis
den meisten Fällen um Aufzeichnungen nicht umhin kommen. Dies gilt besonders für Mitarbeiterbeurteilungen, da sonst die Gefahr besteht, dass nur die »unangenehmen« Vorkommnisse während des Beurteilungszeitraums erinnert werden. Sofern schriftliche Aufzeichnungen (oder gar computergestützte Erfassungsmöglichkeiten) für die Verbesserung der Menschenkenntnis abgelehnt werden, verbleibt als Ersatz eigentlich nur, sich die Zeit für ein häufiges Überdenken der Einschätzungen des Kontaktpartners zu nehmen. Dabei werden allerdings die gedächtnisverzerrenden Effekte nicht ausgeschlossen, sondern nur reduziert, sodass weiterhin einige Irrtümer zu erwarten sind. Aber vielleicht sind gerade diese Irrtümer der Grund, warum viele Menschen eine solche im Alltagsleben übliche Vorgehensweise als »menschlich« auffassen.
Gesprächsführung und Gesprächstechniken Viele Führungspersonen stehen bei Personalentscheidungen oft unter einem erheblichen Zeitdruck, etwa weil eine aktuelle Problemsituation nicht vorhersehbar war (beispielsweise die überraschende Kündigung eines wichtigen Mitarbeiters). In solchen Situationen ist, neben Durchsicht von Akten und eventuell vorhandenen fachpsychologischen diagnostischen Informationen, die Informationssammlung im persönlichen Gespräch von überragender Bedeutung. Aus diesem Grund ist eine effektive Gesprächsführung für die Qualität der aufgenommenen Informationen und der darauf aufbauenden personenbezogenen Entscheidungen im Unternehmen besonders wichtig. Bedauerlicherweise fehlt es bei vielen Führungspersonen an der Beherrschung der dafür notwendigen Techniken.
Einbezug der Situation Im Bestreben, Aussagen über eine Person zu machen, wächst die Gefahr eines fundamentalen Attributionsfehlers (s. S. 98), sodass die Äußerungen der Person in unangemessen starker Weise auf diese selbst zurückgeführt werden. Dieses Risiko kann verhindert werden, indem man bei der Beobachtung den Blick bewusst von der Person weglenkt und auf die Situation richtet. Ein Verstehen der Person gelingt einem oftmals viel leichter, wenn man nicht nur versucht, sie »von außen« zu betrachten. Es kann hilfreich sein, eine »psychologische Sichtweise« einzunehmen, die darin besteht, sich in die Person hineinzuverset-
Maßnahmen zur Optimierung der Menschenkenntnis
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zen und »ihre Brille« aufzusetzen. Man wird schnell feststellen, dass man dadurch automatisch eine auf die Situation gerichtete Perspektive erhält. Allerdings wäre eine alleinige Berücksichtigung situativer Faktoren ebenso unangemessen wie eine ausschließlich personenbezogene Perspektive.
Interaktion zwischen Person und Situation berücksichtigen Bei einer Erklärung menschlichen Verhaltens, die sowohl personen- als auch situationsbezogene Aspekte berücksichtigt, sollten Person und Situation nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Es sollte auch die Interaktion zwischen Person und Situation untersucht werden. Im Gegensatz zu Skinner, der behauptete, dass »eine Person nicht auf die Umgebung einwirkt, sondern die Umgebung wirkt auf das Individuum ein« (Skinner 1971, S. 211) (ganz im Sinne einer externalen Attribution), stellte Bowers (1973) fest, dass »Situationen ebenso gut eine Funktion der Person sind, wie das Verhalten der Person eine Funktion der Situation ist«. So wird man beispielsweise eine ruhige und möglichst ungestörte Situation aufsuchen (bzw. für diese sorgen), wenn man entspannen will. Ein weiteres Beispiel: Berufswahlentscheidungen (Auswahl der Situation) können nachhaltig die zukünftige Persönlichkeitsentwicklung (Einfluss der beruflichen Situation auf die Person) prägen (vgl. Diskussion zur »Selektionshypothese« und »Sozialisationshypothese«). Diese Interaktion zwischen Person und Umwelt kann in den beiden Gleichungen U = f (P) und P = f (U) ausgedrückt werden. Ein wichtiges Merkmal der Mensch-Umwelt-Beziehung ist die Reziprozität (Bronfenbrenner 1981). Insbesondere dann, wenn Menschen sich über einen längeren Zeitraum wiederholt in der gleichen Umgebung befinden (z. B. Arbeitsplatz), ist von wechselseitigen Abstimmungsprozessen zwischen Person und Umwelt auszugehen. Person und Umwelt »spielen« sich gewissermaßen aufeinander ein und es findet eine fortlaufende Entwicklung dieses Prozesses statt. Es sollte daher, wenn das Verhalten eines Mitarbeiters mit situativen Einflüssen erklärt wird, geprüft werden, in welchem Maße der Mitarbeiter aktiv an der Gestaltung der Situation mitgewirkt hat und diese in seinem Sinne beeinflusst hat. Alle Möglichkeiten zu einer guten Menschenkenntnis können nur dann funktionieren, wenn man sich generell – ohne konkreten Verwendungszusammenhang – für seine Mitmenschen interessiert und ihnen eine prinzipiell positive Grundhaltung entgegenbringt. Ohne eine solche Grundeinstellung des »Men-
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Menschenkenntnis
schenmögens« sollte man schon aus genanntem Grund prinzipiell keine Führungsfunktion oder gar eine Tätigkeit im Bereich der Personalarbeit anstreben.
3.
Wozu lebt der Mensch? – Motivationstheorien als Basis erfolgreichen Personaleinsatzes
Das Thema Motivation spielt in Unternehmen eine große Rolle. Anlässe, um sich mit Fragen der Motivation auseinander zu setzen, gibt es in Unternehmen genügend: – Ein Mitarbeiter zeigt ein von den anderen Mitarbeitern stark abweichendes Verhalten. – Es besteht die Absicht, zielgerichtet Einfluss auf das Verhalten von Organisationsmitgliedern zu nehmen. – Bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen stellt sich die Frage, welchen Einfluss situative Gegebenheiten auf die Motivation haben. Die Beeinflussung menschlichen Verhaltens dürfte auch dann von großer Bedeutung sein, wenn der Erfolg des Unternehmens weniger auf externe Faktoren (wie beispielsweise die Marktsituation) als vielmehr auf das spezielle Handeln der Unternehmensangehörigen zurückgeführt wird. Um das Verhalten zu beeinflussen, sind neben Kenntnissen und Informationen über die konkret von möglichen Maßnahmen betroffenen Personen auch Kenntnisse über das menschliche Verhalten im Allgemeinen erforderlich. Motivationstheorien versuchen, verhaltensauslösende, -steuernde und -beendende Bedingungen zu beschreiben und zu erklären. Ferner beschäftigen sie sich mit dem Verhalten in Hinblick auf die inhaltliche Ausrichtung, Intensität und Zeitdauer. Der Begriff Motivation ist ein Sammelbegriff für die verschiedensten psychologischen Prozesse, »deren gemeinsamer Kern darin besteht, dass ein Lebewesen sein Verhalten um der erwarteten Folgen willen auswählt und hinsichtlich Richtung und Energieaufwand steuert« (Heckhausen 1989, S. 10). Davon ist die Verwendung des Motivationsbegriffs, wie er im Alltag verwendet wird, abzugrenzen: Hier wird unter einem »motivierten« Menschen oft eine Person voller Tatendrang, Engagement, Aktivität, Initiative verstanden. Motivationstheorien lassen sich im Wesentlichen in zwei Gruppen einteilen: 1) Inhaltstheorien der Motivation befassen sich mit der Bestimmung und Strukturierung von Motiven und Bedürfnissen (beispielsweise physiologi-
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Wozu lebt der Mensch?
sche versus Selbstverwirklichungsbedürfnisse; vgl. Abschnitt 3.1 Was Menschen bewegt – Eigenschaftstheorien der Motivation, S. 124). 2) Prozesstheorien der Motivation befassen sich mit der Beschreibung und Analyse von Prozessen der Handlungssteuerung, wobei der Nutzen einer Handlung, aber auch die Erlebnisqualität im Vordergrund stehen kann (vgl. Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129, und Abschnitt 3.3 Handlungspläne und Soll-Ist-Vergleiche – Basis der Handlungssteuerung, S. 151). Heckhausen (1989, S. 4) hat die Motivationstheorien danach klassifiziert, welche Art der Verhaltenserklärung in ihnen zum Ausdruck kommt (vgl. Abschnitt 2.3 Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis, S. 88), und spricht von Verhaltenserklärung auf den ersten, zweiten oder dritten Blick. Mit der gewählten Nummerierung wird kein Stadienmodell postuliert, dass etwa der erste Blick eine Voraussetzung für den dritten wäre. Vielmehr kommt darin die Häufigkeit der gewählten Erklärungsmuster zum Ausdruck. 1) »Erster Blick«: Die Ursache des Verhaltens wird in der Person des Handelnden gesehen. Unterschiede im Verhalten werden auf individuelle Dispositionen und ihre jeweiligen Ausprägungen zurückgeführt (vgl. Abschnitt 3.1 Was Menschen bewegt – Eigenschaftstheorien der Motivation, S. 124). So besagt beispielsweise die freudsche Theorie (vgl. Freud 1982), dass Menschen durch unbekannte (unbewusste) innere Kräfte gelenkt werden. Der Einfluss der Situation spielt nur insofern eine Rolle, als dass er Motive lediglich »wachruft«. Die personenzentrierte Sichtweise ist sehr verbreitet, da doch für die Erklärung menschlichen Verhaltens nichts näher zu liegen scheint als der Mensch selbst (und seine »inneren« Motive). Und außerdem: Wie sollten sich Verhaltensunterschiede zwischen verschiedenen Menschen, die sich in derselben Situation befinden, besser erklären lassen, als mit individuellen Unterschieden in der Person und der Persönlichkeit? (Zur Kritik an dieser Sichtweise s. S. 66 und Exkurs: Der fundamentale Attributionsfehler, S. 98. Auf die entsprechenden Motivationstheorien wird in Abschnitt 3.1 Was Menschen bewegt – Eigenschaftstheorien der Motivation, S. 124, eingegangen.) 2) »Zweiter Blick«: Die Ursache des Verhaltens wird in der Situation gesehen. Es gibt viele Motivationstheorien, die vornehmlich aus den dreißiger und vierziger Jahren stammen und versuchen, Zusammenhänge zwischen den situativen Reizen (Stimuli) und den daraus resultierenden Reaktionen (Responses) zu erforschen. Im Gegensatz zu den Theorien des ersten Blicks werden die Determinanten des Handelns nicht innerhalb, sondern außer-
Wozu lebt der Mensch?
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halb des Organismus gesehen. »Innere Zustände«, beispielsweise aktuelle Bedürfnisse, werden zwar nicht ausgeblendet, sie werden jedoch auch als situative Determinanten aufgefasst. Die Kritik an dieser Sichtweise bezieht sich darauf, dass dieser tendenziell ein mechanistisches Menschenbild zugrunde liegt und den Menschen (überspitzt formuliert) als »Reiz-ReaktionMechanismus« (vgl. Abschnitt 4.1 Mitarbeitermotivation – auch eine Frage des Menschenbilds, S. 170) auffasst. 3) »Dritter Blick«: Dieser Blick ist durch eine Sowohl-als-auch-Perspektive charakterisiert. Sowohl die Person als auch die Situation werden als verhaltensrelevant betrachtet. So formuliert beispielsweise Lewin (1963, S. 271) die Gleichung V=f (P, U), nach der das Verhalten (V) (und das Erleben) eines Individuums eine »Funktion der Person (P) und ihrer Umwelt (U) ist« (vgl. S. 119). (Auf die entsprechenden Motivationstheorien wird in Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129 eingegangen.) Heckhausen (1989, S. 6) führt ferner einen vierten Blick an, der sich auf Erklärungen bezieht, warum ein Verhalten nicht ausgeführt wird, beispielsweise weil die entsprechenden Realisierungsmöglichkeiten in der Situation nicht gegeben sind. Viele Motivationstheorien beschäftigen sich ausschließlich mit der Phase der Entschlussbildung, die auch »prädezisionale Motivationsphase« genannt wird und mit der Intentionsbildung (»Rubikon«) abgeschlossen ist. Der Entschluss, etwas Bestimmtes zu tun, reicht allein jedoch nicht aus, damit es zur Verhaltensausführung kommt. Eine Handlung wird demnach nicht automatisch vollzogen, sobald es zu einer »resultierenden Motivationstendenz« gekommen ist. Im Alltag kann dies beispielsweise immer wieder dann beobachtet werden, dass Menschen trotz fester Absichten – zum Beispiel sich mit einem Arbeitskollegen über einen Konflikt aussprechen – nicht »ins Handeln kommen«. Es muss daher zwischen dem Entschluss, eine bestimmte Handlung auszuführen (Intention), und der Handlung selbst (Realisierung der Intention) unterschieden werden. Theorien, die sich mit Fragen der Handlungsvorbereitung und der Handlungsinitiierung beschäftigen, werden Volitionstheorien genannt. Auch wie Handlungen gegenüber konkurrierenden Intentionen abgeschirmt (Vermeidung von Ablenkung) und wie Handlungen bis zur Zielerreichung aufrechterhalten werden (»Persistenz von Handlungen«), fällt in den Bereich der Volitionstheorien. Diese Aspekte haben eine hohe praktische Relevanz, wenn es darum geht, wie das »Versanden« von Handlungen verhindert werden kann oder wie dafür gesorgt werden kann, dass unerledigte oder unterbrochene Handlungen wieder aufgenommen werden.
124
Wozu lebt der Mensch?
Zum Zweck der Persönlichkeits- und Motivationsdiagnostik stehen zahlreiche psychologische Verfahren zur Verfügung. Dazu gehören biografische Fragebögen (Schuler u. Stehle 1990; Stehle 1990), Lebenslaufanalysen, speziell gestaltete Übungen in Assessment-Centern und fachlich fundiert vorbereitete (Bewerber-)Interviews. Zudem können standardisierte Verfahren zur Erfassung des motivationalen Gehalts von Arbeitstätigkeiten geeignet sein (Hackman u. Oldham 1974). Auch die im Wirtschaftsbereich nur mit sehr großen Bedenken und auch rechtlichen Problemen einsetzbaren projektiven Verfahren (s. Hörmann 1982) sind hier zu nennen. In vielen Fällen wird jedoch eine speziell »maßgeschneiderte« Analyse das optimale Vorgehen sein – beispielsweise die teilnehmende Beobachtung oder die Aufarbeitung von »kritischen Ereignissen« (Flanagan 1954). Weitere Darstellungen zum Thema Motivation finden sich bei Rosenstiel (1975), Schmalt und Meyer (1976) und Steers und Porter (1975).
3.1
Was Menschen bewegt – Eigenschaftstheorien der Motivation
Das Verhalten von Menschen auf ihre »inneren Zustände« und »Eigenschaften« zurückzuführen (personenzentrierte Verhaltenserklärung), ist Inhalt vieler Motivationstheorien (»erster Blick«). Dabei werden recht unterschiedliche Aspekte thematisiert. So geht beispielsweise die Instinkttheorie (McDougall 1908) von Instinkten als verhaltensantreibende Kraft aus. Andere Theorien betonen die Rolle so genannten Grundemotionen (Tomkins 1970), während die intuitiv-charakterologische Eigenschaftstheorie (Charakterologie) die Rolle von Eigenschaften (Lersch 1938) hervorhebt. Eine weitere Theorie (Maslow 1954), die auch als das hierarchische Bedürfnismodell (»Bedürfnispyramide«) bezeichnet wird, setzt sich mit der Rolle von Bedürfnissen auseinander und wird weiter unten beschrieben. Unter Motiven werden relativ überdauernde Wertungs- und Verhaltensdispositionen verstanden, die dem Handeln zugrunde liegen und durch situative Merkmale oder Anreize aktiviert werden (vgl. Atkinson 1964; Seel 2000; Heckhausen 1989, S. 2). Es handelt sich demnach um latente Verhaltensbereitschaften, positive Zielzustände zu erreichen sowie negative Zielzustände zu vermeiden. Sie werden durch Anreize verhaltenssteuernd wirksam. Das jeweilige Verhalten von Menschen wird somit als das Ergebnis aus einem Zusammenspiel ihrer Handlungsbereitschaft (»Motive«) und der handlungsrelevanten Situationsmerkmale (»Anreize«) aufgefasst, die sie zu einem bestimmten Verhal-
Was Menschen bewegt
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ten antreiben. Motive lassen sich nach »Inhaltsklassen von Handlungszielen« unterscheiden – wie Leistung, Macht, Hilfeleistung. Viele Ansätze gehen von einem so genannten Generalmotiv aus. Diese monothematische Sichtweise stellt einen einzigen, globalen »Beweggrund« für das Verhalten in den Vordergrund. Je nach theoretischer Ausrichtung werden dabei ganz unterschiedliche Grundmotive unterstellt, auf die sich jegliches Verhalten in letzter Konsequenz zurückführen lässt: – Hedonismus/Befriedigung (Behavioristen), – Erhaltung der Art (Evolutionstheoretiker), – Sexualität/Triebe (Psychoanalytiker), – Reduktion existenzieller Ängste, – Gütervermehrung. Ausgehend vom Grundmotiv »Hedonismus« würde dies für die Interpretation des Verhaltens von Menschen in Betrieben bedeuten: Mitarbeiter arbeiten, um ihr Wohlbefinden zu erhalten. Demnach wählen Menschen diejenigen Handlungen aus einer Menge von Handlungsalternativen aus, die zu einer maximalen subjektiven Zufriedenheit führen. In diesem Prinzip ist ein Grundkonflikt zwischen Mitarbeitern und Unternehmen angedeutet. Dieser besteht darin, dass das Handeln nach hedonistischen Prinzipien mit den Zielen der Unternehmung oft kollidiert und aufgrund technischer, finanzieller und personeller Rahmenbedingungen nahezu unmöglich ist (vgl. Theorieübersicht: Ziel-Kongruenz-Theorie, S. 351). Die menschliche Verhaltenssteuerung ist aber wesentlich differenzierter, sodass ein polythematischer Erklärungsansatz mit mehreren, in ihrer Ausprägung auch individuell verschiedenen Motivklassen angezeigt ist. Im Gegensatz zu einer monothematischen Sichtweise nimmt der polythematische Ansatz die Existenz mehrerer formal und inhaltlich unterscheidbarer »Motivklassen« an. Für die Praxis bedeutet dies, dass ein Mitarbeiter nicht nur sein – wie auch immer geartetes – Wohlbefinden vermehren möchte, sondern mit seinem Verhalten auch ganz konkrete Ziele verfolgt, wie Existenzsicherung, soziale Akzeptanz und Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Selbstverwirklichung. Diese Betrachtungsweise ist für die Personalpraxis relevant, da nur auf dieser Basis sinnvolle personalpolitische Maßnahmen abgeleitet werden können. Wie in Kapitel 1 ausgeführt, kann man davon ausgehen, dass Menschen bei überlegten Handlungen die für sie subjektiv »nützlichste« auswählen. Demnach besteht eine erfolgreiche Motivation zur (guten) Arbeit im Wesentlichen darin, dass die Alternative »Arbeiten« einen subjektiv größeren Nutzen als »Nicht-Arbeiten« erbringt. Dies führt zur Frage, was Menschen allgemein und
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Wozu lebt der Mensch?
Mitarbeiter im Besonderen als »nützlich« betrachten. Generell liegt immer dann ein »Nutzen« für die Person vor, wenn eines der zahlreichen menschlichen Bedürfnisse befriedigt wird. Eine allgemein sehr bekannte Theorie ist die Bedürfnistheorie nach Maslow. Sie unterstellt mehrere Motivklassen, die in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen.
Theorieübersicht: Bedürfnishierarchie nach Maslow
Das hierarchische Motivationsmodell von Maslow (1954; Gebert u. Rosenstiel 1989; Wunderer u. Grunwald 1984) klassifiziert Bedürfnisse und beschreibt die Beziehungen der jeweiligen Bedürfnisklassen zueinander (s. Abbildung 12). Bedürfnisse sind relativ breite, wenig spezifizierte Antriebsdeterminanten, von denen vielfach angenommen wird, dass sie angeboren sind (Markus u. Wurf 1987). Die zentralen Annahmen der Theorie sind: – Alle Individuen streben nach der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse. – Bedürfnisse stehen in einer hierarchischen Rangfolge. – Die Befriedigung der Bedürfnisse einer Stufe ist Voraussetzung für die Entwicklung von Bedürfnissen der nächsthöheren Stufe. – Die Bedürfnisse niedrigerer Stufen müssen nicht immer vollständig befriedigt werden. Regelmäßige Befriedigung ist ausreichend. – Menschen streben immer nach der obersten Stufe. Das Modell teilt die Bedürfnisse von Menschen in zwei Hauptklassen ein, die in einer hierarchischen Beziehung zueinander stehen: Defizitbedürfnisse sind hierarchisch untergeordnete Bedürfnisse. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre Nichterfüllung das Wohlbefinden des Mitarbeiters verringert, ihre Befriedigung jedoch nicht unmittelbar zur Verbesserung des Wohlbefindens führt: – Bedürfnis nach Wertschätzung, Anerkennung, Status et cetera (»Ich-Bedürfnisse«). – Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Kontakt (»soziale Bedürfnisse«) (vgl. zum Anschlussmotiv S. 131). – Bedürfnis nach Gewährung und Schutz des persönlichen und sozialen Status (»Sicherheitsbedürfnisse«). – Bedürfnis nach Nahrung, Schlaf (»physiologische Bedürfnisse«). Wachstumsbedürfnisse repräsentieren das Verlangen des Mitarbeiters nach Verwirklichung seiner Möglichkeiten (»Selbsterfüllung«). Selbstverwirklichungs-
Was Menschen bewegt
127
motive werden von der Person nur dann thematisiert, wenn die Defizitbedürfnisse befriedigt sind. Zu den Wachstumsbedürfnissen gehört auch das Bedürfnis nach Erfolgserlebnissen und Entfaltung individueller Fähigkeiten (»Selbstverwirklichung«).
Abbildung 12: Bedürfnispyramide nach Maslow
Beide Motivklassen stehen in einem »dynamischen Prinzip« zueinander: Der Wunsch der Person nach Befriedigung der »höheren« Bedürfnisse setzt die Befriedigung der hierarchisch tiefer angesiedelten Motive voraus. Das heißt, die Wachstumsbedürfnisse erlangen erst nach der Befriedigung der Defizitmotive motivationale Bedeutung. Das Prinzip »Ein befriedigtes Bedürfnis motiviert nicht!« gilt nur für die niedrigeren Bedürfnisse, nicht jedoch für die Wachstumsmotive. Hauptkritikpunkte an der Bedürfnishierarchie von Maslow sind: – Es gibt keine empirischen Untersuchungen, die die Annahmen der Theorie hinreichend bestätigen. – Das Konzept der Selbstentfaltungsbedürfnisse ist recht vage und begünstigt zirkuläre Interpretationen. – Für die Erfüllung einer Bedürfnisstufe existiert kein objektives Kriterium. Das subjektive Empfinden von »ausreichend befriedigt« ist maßgeblich. Welches Ausmaß an Bedürfnisbefriedigung als ausreichend angesehen wird, hängt von der persönlichen Erwartung ab, die stark von sozialen Vergleichsprozessen geprägt ist (s. »Gerechtigkeitsvorstellungen« in Abschnitt 1.2 Sub-
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Wozu lebt der Mensch?
jektive Gerechtigkeit – ein problematischer Punkt zielorientierter Verhaltenssteuerung, S. 36, und Theorieübersicht: Soziale Vergleichsprozesse, S. 322). Ein Auszubildender ist mit einem Einkommen zufrieden, das für den Facharbeiter indiskutabel wäre, ein Meister begnügt sich mit Führungsmitteln, die sein Vorgesetzter nicht akzeptieren würde. Diese Gerechtigkeitsvorstellungen können sogar die übliche Wirkung von Leistungsanreizen ins Gegenteil verkehren (vgl. Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129). Während das hierarchische Bedürfnismodell von Maslow die einzelnen Bedürfnisschwerpunkte eines Menschen noch als relativ unabhängig von seinen konkreten Lebensumständen ansieht, stellen andere Konzepte einen Zusammenhang zwischen Bedürfnissen und den jeweiligen situativen Kontexten her. Ein Beispiel für eine dynamische Theorie, die die Situationsabhängigkeit der individuellen Bedürfnisse berücksichtigt, ist die Bedürfnistheorie nach Alderfer.
Theorieübersicht: Bedürfnistheorie nach Alderfer
Das Grundprinzip der Bedürfnistheorie von Alderfer (1972) ist, dass die (subjektive) Bedürfnisbefriedigung auf einer unteren Ebene die Bedeutung der darüber liegenden Bedürfnisebene erhöht (vgl. Abbildung 13). Umgekehrt führt eine Frustration auf der höheren Motivebene zu einer zunehmenden Bedeutung der darunter liegenden. Die einzige Ausnahme dieses allgemeinen Prinzips findet sich hinsichtlich der Gestaltungs- und Machtbedürfnisse; je mehr diese Motivklassen befriedigt werden, desto höher wird auch deren subjektive Bedeutung. Machtstreben ist nach dieser Theorie nicht zu sättigen (vgl. zur Machtmotivation Abschnitt 5.3 Machtmotivation, S. 224). Erlebnisse in den Führungsetagen von Unternehmen scheinen diese theoretische Vermutung gelegentlich zu bestätigen. Die Theorie von Alderfer ist wegen der vielen subjektiven Parameter (individuelle Grenzen für »zufrieden« und »frustriert«) empirisch nicht überprüfbar. Sie stellt somit keine Theorie im wissenschaftlichen Sinne dar. Allerdings kann sie als eine konzeptuelle Grundlage für die Strukturierung und (meist nachträglichen) Erklärung von Situationen aufgefasst werden. Dies trifft für gesellschaftliche Veränderungen zu, etwa dem so genannten Wertewandel (vgl. Abschnitt 11.2 Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen, S. 401). Aus den Motivationstheorien ergeben sich für die Gestaltung von Anreiz-Systemen zur Mitarbeitermotivation erhebliche Konsequenzen, auf die in Abschnitt 3.4 Leistung macht Spaß – manchen, S. 157, näher eingegangen wird.
Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage
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Abbildung 13: Bedürfnistheorie nach Alderfer (1972)
Sowohl die Bedürfnishierarchie von Maslow als auch das Modell von Alderfer gehen davon aus, dass »höhere« Bedürfnisse vor allem dann Bedeutung erlangen, wenn eine subjektiv zufrieden stellende Befriedigung der »niederen« Bedürfnisebenen gesichert ist. Man sollte diese Überlegung jedoch nicht verabsolutieren. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen etwa trotz völlig unzureichender Ernährungslage ethisch herausragende Verhaltensweisen gezeigt wurden (häufig zitiert werden hier Beispiele aus Konzentrationslagern). Trotzdem ist der prinzipielle Ansatz einer dynamischen Bedürfnisbefriedigung eine wichtige Grundlage sachgerechter Mitarbeitermotivation.
3.2
Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage
Aufgrund ihrer hohen Vorhersagekraft im Hinblick auf menschliches Verhalten hat eine Gruppe von Motivationstheorien eine besondere Bedeutung für den praktischen Kontext. Es handelt sich hierbei um die so genannten Wertmal-Erwartung-Theorien. Typisches Merkmal für diese ist, dass das Verhalten nicht als etwas verstanden wird, das durch vorangegangene Stimuli ausgelöst wird, sondern sich auf zukünftige Stimuli (den Handlungskonsequenzen) ausrichtet. Bei diesen Theorien haben neben personenbedingten auch situative Faktoren eine große Bedeutung. Eine wichtige Theorie, die das Handeln und die Auftretenswahrscheinlichkeit von Handlungen vor dem Hintergrund der Handlungsfolgen betrachtet, ist die Theorie der operanten beziehungsweise der instrumentellen Konditionierung.
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Wozu lebt der Mensch?
Theorieübersicht: Operante Konditionierung
Kernaussage der Theorie der operanten Konditionierung ist, dass die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens von den (nachfolgenden) Konsequenzen des Verhaltens abhängig ist. Anhand von Tierexperimenten kam Thorndike (1911) zu dem Ergebnis, dass sich die Auftretenswahrscheinlichkeit jenes Verhaltens erhöht, das zu einer Befriedigung von Bedürfnissen führt (zum Beispiel Verhaltensweisen, die den Zugang zu Futter ermöglichen). Den Zusammenhang zwischen Verhalten und Situation oder Konsequenzen nannte er »Gesetz der Wirkung« (law of effect) (Thorndike 1911, S. 244): »The greater the satisfaction or discomfort, the greater the strengthening or weakening of the bond.« Später wurde von Skinner (1938) die Theorie der operanten Konditionierung formuliert. Die Bezeichnung »operantes Verhalten« wurde gewählt, um diese Verhaltensform vom so genannten respondenten Verhalten abzugrenzen. Letzteres erfolgt entsprechend einer klassischen Konditionierung (Pawlow 1898, 1927) als Reaktion auf einen Reiz (das heißt, das Verhalten erfolgt zeitlich betrachtet nach der Reizwahrnehmung). Beim operanten Verhalten wird das Verhalten dagegen in Erwartung auf einen bestimmten (zukünftig eintretenden) Reiz instrumentell (das heißt als Mittel zum Zweck) ausgeführt. Die Verhaltensausführung erfolgt somit (zeitlich betrachtet) vor dem Reiz. Die Theorie der operanten Konditionierung geht davon aus, dass Verhalten, das einen angenehmen Reiz zur Folge hat (Belohnung), »verstärkt« wird und somit häufiger gezeigt wird (positive Verstärkung). Ein Verhalten kann auch dadurch verstärkt werden, indem unangenehme Reize reduziert oder entfernt werden (Fernbleiben einer Bestrafung; negative Verstärkung; s. Tabelle 6). Mit einer Verminderung bestimmter Verhaltensweisen muss hingegen dann gerechnet werden, wenn das Verhalten einen unangenehmen Reiz zur Folge hat (Bestrafung Typ 1) oder ein angenehmer Reiz entfernt wird (Bestrafung Typ 2). Tabelle 6: Operante Konditionierung Reiz wird
Art des Reizes angenehm
unangenehm
hinzugefügt
positive Verstärkung
Bestrafung Typ 1
entfernt
Bestrafung Typ 2
negative Verstärkung
Ergänzend sei erwähnt, dass die manchmal anzutreffende Formulierung »Belohnungen führen zu einer Verstärkung von Verhalten« irreführend sein kann. Belohnungen können auch gegenteilige Effekte bewirken und zu einer Reduk-
Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage
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tion derjenigen Verhaltensweisen führen, deren Auftretenswahrscheinlichkeit durch Belohnungen eigentlich erhöht werden sollte (s. S. 146). Daher empfiehlt sich die Verwendung des Begriffs »Verstärker«. Skinner definierte diesen Begriff nicht inhaltlich (zum Beispiel »ist ein angenehmer Reiz«), sondern spricht dann von einem Verstärker, wenn ein Reiz die Auftretenshäufigkeit eines bestimmten Verhaltens steigert oder beim Entfernen die Auftretenshäufigkeit senkt. Das Konzept der operanten Konditionierung findet in der betrieblichen Praxis eine breite Anwendung. So fußen letztlich viele Modelle einer leistungsabhängigen Entlohnung auf der Vorstellung, dass sich Mitarbeiter bei in Aussicht gestelltem angenehmen Reiz (höhere Entlohnung) zu einer höheren Leistung (Verhalten) motivieren lassen. Gleichzeitig werden unerwünschte Verhaltensweisen durch Androhung von Sanktionen unterdrückt. Nach Kleinbeck und Schmidt (1976) sind die für die betriebliche Praxis wichtigsten Handlungsfolgen und Leistungsanreize folgende (vgl. Exkurs: Leistungsmotivation und Erfolg auf S. 167): – Machtbezogene Folgen (Machtmotivation und -bedürfnis): Gewinn oder Verlust von Einfluss auf Personen und Situationen. – Leistungsbezogene Folgen (Leistungsmotivation und -bedürfnis): Informationen über die Tüchtigkeit des eigenen Handelns. – Kontaktbezogene Folgen (Anschlussmotivation und -bedürfnis): Folgen für zwischenmenschliche Beziehungen. Die Motivation, die dadurch zustande kommt, dass das Verhalten zur Erlangung nachfolgender, positiv bewerteter Aspekte (oder Vermeidung negativer Konsequenzen) instrumentell eingesetzt wird, wird extrinsische Motivation genannt (Deci 1975; Deci u. Ryan 1987a, 1991). Hierbei ist es unerheblich, ob die Belohnungen external vermittelt werden (Lob durch den Vorgesetzten) oder internal (Selbstbelohnung, intern vermittelte Belohnung; vgl. S. 160 und Abbildung 20, S. 161): So kann eine hohe Motivation auch beispielsweise durch das Streben, auf die eigene Leistung stolz zu sein, begünstigt werden. Internal vermittelte Belohnungen spielen im Rahmen der Leistungsmotivation (s. Abschnitt 3.4 Leistung macht Spaß – manchen, S. 157) eine wichtige Rolle (»Es erfüllt mich mit Stolz, wenn ich es schaffe!«) oder wenn es darum geht, die eigenen Leistungsgrenzen in Erfahrung zu bringen (»Ich will sehen, ob ich es schaffe!«). Dagegen wird von einer intrinsischen Motivation gesprochen, wenn das Verhalten nicht wegen seiner Konsequenzen durchgeführt wird, sondern die Tätigkeit an sich eine positive Valenz hat. Man führt die Tä-
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Wozu lebt der Mensch?
tigkeit ihrer selbst Willen durch, das heißt, weil sie an sich Spaß und Freude bereitet. Intrinsisch motiviertes Verhalten wird aus Interesse gezeigt und verstärkt sich aus begleitenden Gedanken und Gefühlen. Csikszentmihalyi (1999) spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten »Fluss-Erleben« (»Flow-Erleben«). Eine weitere Konzeption, die Verhaltenskonsequenzen als maßgeblich dafür betrachtet, ob das jeweilige Verhalten ausgeführt wird, ist die Instrumentalitätstheorie von Vroom (1964). Sie benennt neben der Wertigkeit (Valenz) der Verhaltensfolgen noch zwei weitere Aspekte, die verhaltenssteuernd wirken: die Kontingenzerwartung und die Instrumentalitätserwartung.
Theorieübersicht: Instrumentalitätstheorie
Gemäß der Instrumentalitätstheorie von Vroom (1964; s. Atkinson 1964; Field 1979; Neuberger 1990; Vroom u. Yetton 1973) wird die Stärke einer Handlungstendenz durch folgende Aspekte beeinflusst (vgl. Theorieübersicht: Subjektiver Nutzen, S. 52): – Ergebniserwartung (Kontingenzerwartung) E: Subjektive Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass auf ein bestimmtes Verhalten ein bestimmtes Ergebnis folgt. – Instrumentalitätserwartung I: Subjektive Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass mit einem bestimmten Verhaltensergebnis bestimmte Folgen verbunden sind. – Valenz (Bewertung) der Folgen V: Subjektive Bewertung der Handlungsfolgen. Die Wert- und Erwartungseinschätzungen werden entsprechend dieser Theorie für alle relevanten Handlungsmöglichkeiten vorgenommen, die einer Person zur Verfügung stehen. Die Person wird dann dasjenige Verhalten auswählen, für das die Erwartungen und die Wertigkeit des zu erzielenden Handlungsergebnisses als günstig eingeschätzt werden. Richtung, Intensität und Ausdauer von Handlungstendenzen sind somit davon abhängig, welche Erwartungen und Wertvorstellungen Personen hinsichtlich der Effizienz ihres Verhaltens vor dem Hintergrund der vorliegenden Situation haben. In Abbildung 14 wird der Zusammenhang an einem Beispiel mit zwei Handlungsergebnissen mit jeweils zwei Folgen verdeutlicht. (Für eine zur Auswahl stehende Handlungsalternative können selbstverständlich auch mehr [oder weniger] Handlungsergebnisse und Ergebnisfolgen berücksichtigt werden.)
Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage
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Abbildung 14: Instrumentalitätstheorie
Die Motivationsstärke für bestimmte Handlungsalternativen errechnet sich aus der Summe aller möglichen Produkte aus Valenzen, Instrumentalitäten und Erwartungen: Motivation M = ∑ (Bewertung V x Instrumentalitätserwartung I x Ergebniserwartung E) Im obigen Beispiel wäre dies die Summe aus vier Produkten: M = E1 x I1a x V1a + E1 x I1b x V1b + E2 x I2a x V2a + E2 x I2a x I2b Diese Berechnung wird für jede der infrage stehenden Verhaltensalternativen durchgeführt. Es setzt sich schließlich das Verhalten mit dem höchsten Summenwert durch. Der resultierende Leistungseinsatz eines Mitarbeiters ist demnach hoch, wenn – die Ergebniserwartung (Kontingenzerwartung) hoch ist, das heißt, es besteht eine hohe Erwartung, dass das eigene Handeln zu den gewünschten Handlungsergebnissen führt, – die Instrumentalität hoch ist, das heißt, die Handlungsergebnisse ziehen mit großer Sicherheit bestimmte Folgen nach sich, – diese Folgen und Endresultate von hohem Wert (Valenz) für die betreffende Person sind. Beispiel: Ein Mitarbeiter in der Fertigung überlegt, ob er in Zukunft sorgfältiger arbeitet. Dies würde mit hoher Wahrscheinlichkeit (hohe Ergebniserwartung) zu einer Qualitätsverbesserung (Ergebnis 1) der von ihm gefertigten Produkte führen. Er würde jedoch auch mehr Zeit pro gefertigtem Stück benötigen (Ergebnis 2). Für die bessere Qualität rechnet er mit hoher Wahrscheinlichkeit (Instrumentalität) mit einer positiven Rückmeldung seitens der Quali-
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tätssicherung (Folge 1a) und mit einem Lob seines Vorgesetzten (Folge 1b). Beides ist ihm außerordentlich wichtig (hohe Valenz), da sich daraus mögliche Aufstiegschancen ergeben. Dafür, dass er mehr Zeit benötigt, rechnet er mit einem Tadel durch seinen Vorgesetzten (Folge 2a mit geringer Valenz). Die Wahrscheinlichkeit dafür ist jedoch recht gering (Instrumentalität), da sich der durch den Mitarbeiter verursachte Zeitnachteil aufgrund der Gruppenarbeit nicht so leicht auf ihn zurückführen lässt. Die Berechnung zeigt, dass es sich für ihn lohnt, sorgfältiger als bisher zu arbeiten. Für die Auswahl von Handlungsalternativen ist nicht entscheidend, wie stark sich die Ergebniserwartung oder Instrumentalitätserwartung »objektiv« oder für Dritte darstellt. Entscheidend ist die subjektive Bewertung dieser Wahrscheinlichkeiten. Beispiel: Ein Vorgesetzter verspricht seinen Mitarbeitern für den Fall einer besonders schnellen Erledigung der Aufgabe gewisse Sonderleistungen. Ein neuer Mitarbeiter vertraut dem Vorgesetzten und schätzt daher die Instrumentalität zwischen schneller Aufgabenerledigung und Sonderleistung als hoch ein. Ein anderer Mitarbeiter hingegen, der in der Vergangenheit schon häufiger die Erfahrung machen musste, dass der Vorgesetzte sich im Nachhinein nicht mehr an seine Zusagen »erinnern« kann, schätzt die Instrumentalität als relativ gering ein und ist daher auch wenig bestrebt, sich besonders einzusetzen. An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass die Ergebniserwartung und Instrumentalitätserwartung stark von vorangegangenen Erfahrungen beeinflusst wird. Die Instrumentalitätstheorie weist enge Bezüge zum bereits dargestellten Konzept der Kontrollüberzeugung (s. S. 69) auf. »Die Rottersche KontrollÜberzeugung ist eine Erwartung bezüglich der Instrumentalität, die eigene Handlungsergebnisse für weitere Folgen, die man selbst nicht unmittelbar kontrollieren kann, haben werden« (Heckhausen 1989, S. 391). Demnach korrespondiert eine hohe internale Kontrollüberzeugung mit einer hohen Instrumentalitätserwartung, einer hohen Ergebnis-Folgen-Erwartung (vgl. Theorieübersicht: erweitertes Erwartungsmodell, S. 140). Die Instrumentalitätstheorie bildet die Grundlage für das Erwartungs-ValenzModell, das im Folgenden dargestellt wird.
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Theorieübersicht: Erwartungs-Valenz-Modell von Porter und Lawler
Die Berücksichtigung des integrierten Wert-mal-Erwartung-Modells von Porter und Lawler (1968; s. Neuberger 1974; Wunderer u. Grunwald 1980) kann bei der Beeinflussung der Leistungsmotivation (vgl. Theorieübersicht: Leistungsmotivation, S. 157) und der Arbeitszufriedenheit (vgl. Abschnitt 4.4 Integrative Modelle der Arbeitszufriedenheit, S. 193) der Mitarbeiter hilfreich sein. Die Theorie von Porter und Lawler greift auf die zentralen Annahmen der Instrumentalitätstheorie von Vroom (1964) zurück, indem sie postuliert, dass sich die Handlungstendenz einer Person aus mehreren Komponenten zusammensetzt: – Erwartung der Person, dass ihr Handeln ein Ergebnis bewirkt (Ergebniserwartung), – Erwartung der Person, dass ein (Handlungs-)Ergebnis mit bestimmten Folgen verknüpft ist (Instrumentalitätserwartung), – Valenz des Handlungsergebnisses. Die Erweiterungen, die Porter u. Lawler vornahmen, lassen sich in folgenden Punkten kurz zusammenfassen: 1) Es gibt zwei Faktoren, die die Ergebniserwartung beeinflussen: a) An anderen beobachtete und eigene Erfahrungen in ähnlichen Situationen. b) Das eigene Selbstwertgefühl: je höher das Selbstwertgefühl desto höher die subjektive Erwartung. 2) Es gibt zwei Faktoren, die die Instrumentalität beeinflussen: a) »Kontrollüberzeugung« (s. S. 69): internale versus externale Kontrolle (Rotter 1954). Von externaler Kontrolle wird gesprochen, wenn eine Person der Meinung ist, die »Folgen« wären durch die Umwelt und nicht durch ihr eigenes Handeln eingetreten. b) Erfahrungen und Lerngeschichte der Person. 3) Die Leistung einer Person ist abhängig von: a) Anstrengungsbereitschaft und Motivation, wie sie sich nach der Instrumentalitätstheorie von Vroom »errechnet«, b) Fähigkeiten (vgl. Theorieübersicht: Attributionsmodell von Heider, S. 89), c) »Problemlösungsansatz«, das heißt, die Person muss wissen, wie sie in einer konkreten Situation ihre Fähigkeiten zum Einsatz bringen kann und was von ihr erwartet wird. 4) Die Beziehung zwischen Leistung und Belohnung ist abhängig von der Art der Motivation.
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a) Extrinsisch motivierte Personen (durchgezogene Linie in Abbildung 15) erbringen Leistungen, um dafür Belohnungen zu erhalten (vgl. S. 131), b) Intrinsisch motivierte Personen (gestrichelte Linie in Abbildung 15: Modell von Porter und Lawler) handeln aus eigenem »innerem« Antrieb, das heißt aus »Spaß an der Tätigkeit« heraus. Sie handeln nicht, um positives Feedback durch Dritte (oder sich selbst) zu erhalten. Intrinsisch motivierte Personen erhalten ihre »Belohnungen« sicherer und unmittelbarer als die extrinsisch motivierten Personen. Je nachdem, ob eine Person davon überzeugt ist, die Konsequenzen ihres Handelns selbst beeinflussen zu können (»interne Kontrolle«), oder ob sie annimmt, dass diese durch die Umwelt determiniert werden (»externe Kontrolle«), erhöht oder verringert sich die subjektiv erlebte Wahrscheinlichkeit für den erwarteten Handlungsausgang. Wenn also ein Mitarbeiter von sich glaubt (oder durch den Vorgesetzten vermittelt bekommt), dass er zu einer guten Leistung nicht imstande ist, dann wird er wenig motiviert sein, sich anzustrengen. Die Beziehung zwischen der Leistung des Mitarbeiters und den dazugehörigen Belohnungen spielt eine wichtige Rolle im Rahmen der Arbeitsmotivation. Im Fall einer »extrinsischen Motivation« ist ein Mitarbeiter darauf angewiesen, dass seine Leistung von anderen gesehen wird, um auf diese Weise die erhofften Belohnungen zu erhalten. Bezieht der Mitarbeiter seine Motivation aus der Aufgabe selbst, so kann er das Arbeitsergebnis direkt an seinen selbstgesetzten Anforderungen messen und erfährt die Belohnung somit unmittelbar. 5) Belohnungen rufen nicht automatisch Zufriedenheit hervor. Der Wert der Belohnung wird an der subjektiven Vorstellung von einer gerechten oder »fairen« Belohnung (vgl. Abschnitt 1.2 Subjektive Gerechtigkeit – ein problematischer Punkt zielorientierter Verhaltenssteuerung, S. 36) für die erbrachte Leistung gemessen. Zufriedenheit wird dann erlebt, wenn die Belohnung in einem angemessenen Verhältnis zur Leistung steht. Das Modell von Porter und Lawler wird in Abbildung 15 dargestellt (vereinfachte Darstellung). Eine geringe Ergebniserwartung kann zu einer völligen Handlungsblockade führen. Darauf verweist die Theorie der gelernten Hilflosigkeit von Seligman (1975). Der Lernbegriff, der dem Namen dieser Theorie zugrunde liegt, ist so zu verstehen, dass aufgrund einer Reihe fehlender Kontingenzerfahrungen (das Handeln hat nicht zu den beabsichtigten Ergebnissen geführt) die Ergebniserwartung gegen Null geht.
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Abbildung 15: Modell von Porter und Lawler
Theorieübersicht: Gelernte Hilflosigkeit
Die Theorie der gelernten Hilflosigkeit (Seligman 1975; s. Hanusa u. Schulz 1977; Heckhausen 1989; Koller u. Kaplan 1978) beschreibt einen Zustand, in dem Menschen die Wirkung ihres Verhaltens (etwa zur Beseitigung eines unangenehmen Zustands) so gering einschätzen, dass sie dieses Verhalten, zu dem sie grundsätzlich in der Lage sind, nicht mehr einsetzen. Dieser Zustand lässt sich im Rahmen der Instrumentalitätstheorie (vgl. Theorieübersicht: Instrumentalitätstheorie, S. 132) als eine geringe Ergebniserwartung beschreiben: Die Betroffenen stellen keine Verknüpfung zwischen dem eigenen Handeln und den möglichen Handlungsergebnissen und Folgen her, sodass es zu keiner Motivationstendenz kommt. Die Folge davon ist, dass die Möglichkeiten einer aktiven Situationsveränderung von vornherein nicht mehr ergriffen werden. Dies hat jedoch wiederum zur Folge, dass sich die Betroffenen mögliche Erfolgserlebnisse vorenthalten (»Wer handelt, kann verlieren, wer nicht handelt, hat schon verloren!«). Da eine hohe Verhaltenskontingenz (Zusam-
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menhang zwischen eigenem Handeln und Ergebnissen) jedoch nur dann erfahrbar ist, wenn gehandelt wird, führt das Verharren im Status quo dazu, dass positive Erfahrungen kaum noch gemacht werden können. Der Zustand der »gelernten Hilflosigkeit« ist somit ein Zustand, der sich selbst fixiert und der nur schwer aufgelöst werden kann. Im Einzelnen können folgende mögliche Konsequenzen gelernter Hilflosigkeit unterschieden werden: – Motivationales Defizit: Der Mitarbeiter unternimmt mit der Zeit immer weniger Versuche, in das Geschehen handelnd einzugreifen. – Emotionales Defizit: Der Mitarbeiter gerät durch das Gewahrwerden seiner Hilflosigkeit in eine deprimierte (oder sogar depressive) Stimmung. – Kognitives Defizit: Nach dem oftmaligen Erleben von Misserfolg wird der Mitarbeiter in anderen (jedoch ähnlichen!) Situationen nur sehr schwer akzeptieren, dass diese durch sein Handeln beeinflussbar sind. Ursachen für gelernte Hilflosigkeit sind unter anderem sich wiederholende Erfahrungen, dass das eigene Verhalten zu keinerlei Ergebnissen geführt hat. Entsprechend tritt ein Zustand der Resignation und einer geringen Kontingenzerwartung (»Es hat ja eh keinen Zweck!«) ein. Bei einem Mitarbeiter kann eine geringe Ergebniserwartung entstehen, wenn er beispielsweise andauernd die Erfahrung macht, dass seine besonderen Bemühungen und Anstrengungen nicht den gewünschten Effekt (Beförderung, Gehaltserhöhung) erbringen. Seligman versteht die Entstehung von Hilflosigkeit als einen Lernprozess, daher auch die Bezeichnung gelernte Hilflosigkeit. Die Stärke der erlernten Hilflosigkeit hängt jedoch auch davon ab, wie die betreffende Person die Misserfolge interpretiert und worauf sie diese zurückführt (vgl. Abschnitt 2.3 Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis, S. 88). Hierbei sind drei Dimensionen von Bedeutung: – Internale versus externale Ursachenzuschreibung (Attribution): Führt eine Person den Misserfolg auf sich selbst zurück, wie kognitive Defizite oder mangelnde Motivation, spricht man von einer internalen Ursachenzuschreibung. Beispiel: Ein Mitarbeiter führt eine fehlerhafte Montage auf seine fehlende Geschicklichkeit zurück. Bei situativen Ursachen spricht man dagegen von einer externalen Ursachenzuschreibung: Ein Mitarbeiter führt eine fehlerhafte Montage auf die mangelnde Qualität der Montageteile zurück. – Stabile versus variable Attribution: Betrachtet die Person die Faktoren, die sie für den Misserfolg verantwortlich macht, als relativ überdauernd (zum Beispiel Feinmotorik), wird dies als eine stabile Attribution bezeichnet. Wird eine vorübergehende Müdigkeit als Grund für den Misserfolg angesehen,
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handelt es sich um eine variable (in diesem Fall zugleich auch internale) Attribution. – Global versus spezifisch: Entscheidend ist ebenfalls, ob die Person den Misserfolg auch auf andere Situationen überträgt (globalisiert) oder den Misserfolg nur für diejenigen oder ähnliche Situationen gelten lässt, in denen er eingetreten ist. So könnte ein Mitarbeiter, der im Einkauf wenig erfolgreich war, denken, dass er auch bei einem möglichen Wechsel in den Verkauf nur geringe Leistungen vorweisen kann (global). Ein anderer Mitarbeiter könnte sich dagegen sagen, dass der Einkauf nun mal nicht sein Gebiet sei und er besser im Verkauf arbeiten sollte, wo er sehr erfolgreich ist (spezifisch). Alle drei Dimensionen sind miteinander kombinierbar. Dabei wirkt sich eine Attribution, die internal, stabil und zugleich global erfolgt, besonders negativ auf die Kontingenzerwartung aus. Entscheidend ist nicht, worauf der Misserfolg tatsächlich, objektiv zurückzuführen ist, sondern welche Ursachenzuschreibung die Person selbst vornimmt. Dies kann beispielsweise erklären, warum ein leistungsschwacher Mitarbeiter keine motivationalen Defizite aufweist, während ein anderer ebenfalls leistungsschwacher Mitarbeiter diese deutlich zeigt. Während der eine external attribuiert (»Die schlechten Leistungen liegen nicht an mir!«), führt der Zweite die schlechten Leistungen auf sich selbst zurück (»Ich hab nun mal zwei linke Hände, da hat es eh keinen Zweck!«). Man muss daher zwischen motivational günstigen und ungünstigen Attributionsstilen unterscheiden. Das Zwei-Prozess-Modell von Koller und Kaplan (1978) unterscheidet zwischen kognitiven und motivationalen Aspekten beim Erlernen von Hilflosigkeit: – Kognitiver Entstehungshintergrund: Hilflosigkeit entsteht in der Regel dann, wenn Personen den Misserfolg in einer ungünstigen Art attribuieren. Jedoch müssen nicht unbedingt kontinuierliche Misserfolgserlebnisse bei der Aufgabenbewältigung vorliegen, damit es zum Entstehen gelernter Hilflosigkeit kommt. Auch dann, wenn ein Misserfolg nur sporadisch auftritt oder die Wege einer erfolgreichen Problemlösung für den Mitarbeiter nicht einsichtig sind, kann es zur gelernten Hilflosigkeit kommen. Daher sollten Rückmeldungen eines Vorgesetzten zu bestehenden Problemen Informationen enthalten, die dem Mitarbeiter die Lösung dieser Probleme ermöglichen. – Motivationaler Entstehungshintergrund: Die Rückmeldung von Misserfolgen verstärkt den Effekt der Nicht-Kontrollierbarkeit noch mehr und wirkt zusätzlich demotivierend. Die Rückmeldung von Erfolg hat hingegen eine eher mindernde Wirkung auf die gelernte Hilflosigkeit, das heißt, die Hilf-
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losigkeit ist nach rückgemeldetem Misserfolg stärker als nach rückgemeldetem Erfolg. Besonders anfällig für das Erlernen von Hilflosigkeit sind Personen, die Misserfolg vorschnell mit eigener Unfähigkeit statt mit unzureichender Anstrengung oder hoher Aufgabenschwierigkeit erklären (internale, stabile Attribution). Diese Art der Ursachenzuschreibung wirkt besonders entmutigend und führt dazu, dass die betreffenden Personen schnell deprimiert und sogar depressiv werden. Ein anderer Entstehungshintergrund für gelernte Hilflosigkeit sind solche Frustrationserlebnisse, bei denen die erzielten Handlungsergebnisse nicht mehr wie bisher mit positiven Folgen und Anreizen verbunden sind. Die Person muss in so einem Fall feststellen, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen ihrem Verhalten und früher üblichen Handlungsfolgen aufgehoben ist. Die dargestellten Theorien betonten die Bedeutung der Erwartungen, die sich auf den Zusammenhang zwischen dem eigenen Handeln und den Folgen beziehen. So kann sich beispielsweise die Erbringung beruflicher Leistungen nur dann als nützlich für einen Mitarbeiter erweisen, wenn zwischen dem eigenen Verhalten und dem Erreichen beruflicher Ziele ein kausaler Zusammenhang hergestellt werden kann (hohe Ergebnis- und Instrumentalitätserwartung). Es ist jedoch denkbar, dass sich gewisse Folgen auch ohne eigenes Zutun einstellen. So ist der wirtschaftliche Gesamterfolg eines Unternehmens zumindest teilweise auch von konjunkturellen Schwankungen abhängig. Auf diese Erwartung geht die folgende Theorieübersicht ein.
Theorieübersicht: Erweitertes Erwartungsmodell
Das erweiterte Erwartungsmodell (s. Heckhausen 1989; Weiner 1976) geht neben den beiden im Rahmen der Instrumentalitätstheorie von Vroom (s. Theorieübersicht: Instrumentalitätstheorie, S. 132) genannten Erwartungen noch von einer dritten Erwartung aus. Diese bezieht sich darauf, dass Situationen von sich aus zu einem Ergebnis führen können. Demnach können folgende Erwartungen unterschieden werden: Die H-E-Erwartung (Kontingenzerwartung nach der Instrumentalitätstheorie) bezieht sich darauf, dass der Handelnde das Ergebnis durch eigenes Handeln zu erbringen glaubt. Die Person stützt sich dabei auf subjektive Wahrscheinlichkeitseinschätzungen. Beispiel: Ein Mitarbeiter versucht, die Wahrscheinlichkeit
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einer baldigen Beförderung durch die Übernahme schwieriger Aufgaben zu erhöhen. Die E-F-Erwartung (Folgenerwartung oder Instrumentalität nach der Instrumentalitätstheorie) ist die Erwartung, dass ein Ergebnis eine bestimmte Folge nach sich ziehen wird, die für die Person eine spezifische Valenz hat. Beispiel: Ein Mitarbeiter koppelt an eine Beförderung für ihn wünschenswerte Folgen, wie höheres Gehalt, gesteigerte Einflussnahmemöglichkeiten, sozialer Aufstieg (Status). In der S-E-Erwartung geht die Person davon aus, dass die Situation auch ohne eigenes Zutun von sich aus zu einem Ergebnis führt. Beispiel: Ein Mitarbeiter rechnet fest damit, dass er aufgrund seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit irgendwann ohne zusätzlichen Leistungseinsatz befördert wird. In Abbildung 16 sind die drei Erwartungen grafisch dargestellt (n. Kleinbeck u. Schmidt 1976).
Abbildung 16: Drei Arten von Erwartungen im Motivierungsprozess
Die Folgen einer hohen Situations-Ergebnis-Erwartung bei geringen H-E- und E-F-Erwartungen seien an einem Beispiel beschrieben: Ein Gruppenmitglied ist der Meinung, dass die Gesamtleistung seiner Arbeitseinheit nicht wesentlich von ihm abhänge, da sein Beitrag zur Gruppengesamtleistung relativ gering sei. Dies könnte zur Auffassung führen: »Auf mich kommt es ja nicht an, die Gruppe macht das schon!«, mit der Folge, dass sich der Mitarbeiter aus seiner Verantwortung herauszieht, einen Beitrag zur Gruppenleistung beizusteuern. Um eine kontinuierliche Motivation der Mitarbeiter zu erzielen, ist es daher notwendig, die Mitarbeiterbeziehungen und den Arbeitserfolg so zu gestalten, dass diese von den Mitarbeitern als selbst verursacht erlebt werden (s. Theorieübersicht: Attributionsmodell von Heider, S. 89). Entsprechende Gestaltungspotenziale finden sich insbesondere bei kooperativen Führungsformen (Wunderer u. Grunwald 1980).
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Die Vermutung eines Zusammenhangs zwischen dem eigenen beruflichen Verhalten und dem angestrebten Nutzen ist in keiner Weise selbstverständlich. In vielen Fällen wirkt auch der Führungsstil des Unternehmens gegen eine solche Verbindung, was eine geringe Kontingenz- und Instrumentalitätserwartung der Mitarbeiter zur Folge haben kann. Typische Beispiele dafür finden sich in vielen Unternehmen: – Zahlreichen Führungskräften der mittleren Ebene ist es nicht möglich, klare Kontingenzen zwischen Mitarbeiterverhalten und Verhaltensfolgen aufzubauen, da sie nicht mit Sicherheit davon ausgehen können, dass ihre Empfehlungen (bezüglich der Aufgabenzuweisung, der Beförderung oder der Gewährung materieller/immaterieller Vorteile) von den übergeordneten Entscheidungsträgern akzeptiert werden. Es liegt dann nahe, statt einem offenen Gespräch über die Grenzen der eigenen Einflussmöglichkeit, mit dem Ziel der »Gesichtswahrung«, auf Vereinbarungen mit den Mitarbeitern gänzlich zu verzichten. – Der Motivationswert von Leistungsanreizen wird erheblich von den Vermutungen der Mitarbeiter beeinflusst, mit welcher Wahrscheinlichkeit der angestrebte Erfolg durch das eigene Verhalten erreicht wird. Es ist jedoch in der Unternehmenspraxis keineswegs so, dass jede vom Mitarbeiter erbrachte besondere Leistung auch belohnt wird. In vielen Fällen ist das Ergebnis vom nicht vorhersehbaren Verhalten anderer (etwa von Kollegen, die sich zum Erreichen der gleichen Beförderungsposition ebenfalls anstrengen) abhängig (vgl. Theorieübersicht: Bezugsnormorientierung, S. 164). – Auch ist gerade die Freiheit, nach eigenem Belieben entscheiden zu können, ein wesentliches Element der Motivation von Führungskräften (vgl. Abschnitt 5.3 Machtmotivation, S. 224). In einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis entsteht die Verbindung zwischen Arbeitsergebnis und der extrinsischen Bedürfnisbefriedigung nicht unmittelbar, sondern über den Umweg der Entscheidung und des Verhaltens des Vorgesetzten. Dies gilt auch dann, wenn feste Regeln (etwa eine Beteiligung der Verkäufer am Umsatz) bestehen, da diese Regeln erst unter Mitwirkung des Vorgesetzten zustande gekommen sein dürften. – Materielle Verbesserungen werden nicht nur aufgrund persönlicher Leistungen, sondern auch aufgrund allgemeiner Regelungen (prozentuale Gehaltssteigerungen für alle Mitarbeiter) oder verhaltensunabhängiger persönlicher Bedingungen (Lebensalter, Betriebszugehörigkeit) gewährt. – Die soziale Anerkennung durch den Vorgesetzten ist in vielen Fällen unabhängig von der erbrachten Leistung. Beispiel: Ein Vorgesetzter lobt entweder überhaupt nicht oder verteilt als Folge eines falsch verstandenen Füh-
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rungskräftetrainings Lob und Anerkennung unabhängig von der konkreten Mitarbeiterleistung. Es kann sogar sein, dass die soziale Anerkennung im Kollegenkreis durch unerwünschtes Verhalten steigt, etwa bei dem Austragen von Konflikten mit unbeliebten Vorgesetzten. – Es wird nicht immer nach durchschaubaren Regeln befördert, sondern (zumindest aus der Sicht der Mitarbeiter) nach subjektiven und nicht durch Leistung essenziell beeinflussbaren Entscheidungen höherer Instanzen. Die unzureichende Nutzung des beruflichen Aufstiegs als Motivator ist in vielen Unternehmen verbreitet, vielleicht deshalb, weil sich die Führungsspitze oft nicht durch klare Regelungen in ihrem Entscheidungsspielraum festlegen lassen möchte. So zeigte eine Mitarbeiterbefragung in einem größeren Unternehmen im Ruhrgebiet, dass 70 Prozent der Befragten nicht über die Beförderungsregelungen informiert waren. An den dargestellten Theorien ist deutlich geworden, dass neben einer hohen Kontingenzerwartung und einer hohen Folgenerwartung auch die Valenz (Wertigkeit) der Handlungsfolgen eine wichtige Rolle im Motivationsprozess spielt. Für die Praxis ist es somit von hoher Bedeutung, dass die subjektiven Wertigkeiten der in Aussicht gestellten Handlungsfolgen bekannt sind, damit diese effektiv als verhaltenssteuerndes Instrument eingesetzt werden können. So wird für einen Berufsanfänger mit relativ niedrigem Einkommen und gleichzeitig hohen finanziellen Bedürfnissen die Möglichkeit zur Gehaltssteigerung als Arbeitsmotivator wesentlich wirksamer sein als für einen älteren Mitarbeiter, der seine privaten finanziellen Angelegenheiten weitgehend zufrieden stellend geregelt hat. Dieser wird wesentlich mehr an der Befriedigung anderer Bedürfnisse, wie etwa sozialer Anerkennung oder Gestaltungsmöglichkeit, interessiert sein. Es spricht somit einiges gegen die Verwendung allgemeiner Motivationsmaßnahmen im Unternehmen, die auf die besondere Lebenssituation und die damit verbundenen unterschiedlichen Mitarbeiterbedürfnisse keine Rücksicht nehmen. Die Valenzen möglicher Handlungsfolgen hängen stark mit den Bedürfnissen der Individuen zusammen. Somit sollten diese Bedürfnisse berücksichtigt werden. Der folgende Exkurs geht auf die Bedeutung wichtiger arbeitsbezogener Bedürfnisse ein und benennt darauf aufbauende Anreizmöglichkeiten.
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Exkurs: Motivierende arbeitsbezogene Bedürfnisse
Allgemein beobachtbare, arbeitsbezogene Bedürfnisse finden sich in Tabelle 7 zusammengefasst (Quelle: Bertelsmann Stiftung 1987; Klassifikation der Bedürfnisse nach den auf S. 131 beschriebenen wichtigen Handlungsfolgen und Leistungsanreizen durch den Verf.). Tabelle 7: Arbeitsbezogene Bedürfnisse Machtbezogene Folgen
Leistungsbezogene Folgen
– selbständige Arbeitserledigung – Ideen durchsetzen – freie Gestaltungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeit – Einfluss, Entscheidungsbefugnisse erlangen und ausüben
– sich Herausforderungen – anderen helfen stellen – gutes Betriebsklima – Vermögen schaffen, viel – Verantwortung für AllgeGeld verdienen meinheit tragen – etwas leisten – langfristige Sicherung von Beschäftigung und Einkommen – etwas Bleibendes schaffen – sich fortbilden – vorwärts kommen – gesicherte Altersversorgung – gutes Firmenimage – genügend Freizeit – interessante, fordernde Tätigkeiten ausüben
Anschlussbezogene Folgen
In den letzten Jahren konnte ein grundlegender Wandel arbeitsbezogener Bedürfnisse festgestellt werden. Da bei Motivationsmaßnahmen auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter eingegangen werden muss, um erfolgreich zu sein, sollten Betriebe den Wandel der arbeitsbezogenen Bedürfnisse beachten (s. Tabelle 8). In Tabelle 9 sind Anreizmöglichkeiten zur Erfüllung arbeitsbezogener Bedürfnisse dargestellt. Tabelle 8: Wandel arbeitsbezogener Bedürfnisse (Opaschowski 1988, S. 16) Traditionelle Bedürfnisse
Neue (freizeitorientierte) Bedürfnisse
Leistung, Erfolg Anerkennung Einkommen, Eigentum, Vermögen Ehrgeiz, Fleiß Disziplin, Ordnung, Pflichterfüllung Macht, Prestige
Spaß, Freude, Wohlbehagen Sozialkontakte Selbst-aktiv-Sein Selbstentfaltung Erlebnis-, Genusswert Kreativität und Originalität
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Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage Tabelle 9: Anreizmöglichkeiten und arbeitsbezogene Bedürfnisse Bedürfnisse
Anreize Positiv (Belohnung)
Negativ (Bestrafung)
Grundlegende physiologische Bedürfnisse
Lohn- und Gehaltsregelungen, Verweis, Tadel, Abmahnung, Erfolgsbeteiligungen, betriebliche Streichung von freiwilligen LeiSozialleistungen stungen
Persönlicher und sozialer Status
Lohn- und Gehaltsregelungen, Zuweisung gering geschätzter TäErfolgsbeteiligungen, Provisiotigkeiten, Versetzung, Befördenen, Tantiemen, betriebliche So- rungsstopp zialleistungen (zusätzliche Altersversorgung, Versicherungen, aller Art), Kündigungsschutz (einzelvertragliche Regelungen), Belegschaftsaktien, Performance, Share Plans, Management, Accounting Systeme, Cafeteria Systeme, Mitarbeitergespräche, Arbeitszeitflexibilisierung, Job Sharing, Job Splitting, Vorsorgeuntersuchungen für Manager
Zwischenmenschlicher Kontakt (soziale Bedürfnisse)
Betriebsklima, UnternehmensEinzelarbeit, Outing, Mobbing, kultur, Führungskultur, Betriebs- Beschränkung auf formale Mitarfeste beitergespräche
Wertschätzung, Anerkennung (Ich-Bedürfnisse)
Führung, Partizipation, Weiterbildungsmöglichkeit, Kongressteilnahme, Executive Housing, Incentive-Reisen, ManagementCoaching, Jubiläumszuwendungen, Outplacement-Beratung
Beschneidung persönlicher Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse, Erhöhung der Kontrolle, Dienstaufsicht, Disziplinarverfahren, persönliche Kritik
Selbstverwirklichung, Erfolgserlebnisse
Arbeitsplatzgestaltung (Job enrichment), betriebliches Vorschlagswesen, Auszeichnungen für besondere Leistungen
Beschneidung persönlicher Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse, Erhöhung der Kontrolle, Dienstaufsicht, Disziplinarverfahren, persönliche Kritik
Im Prinzip kann man davon ausgehen, dass die Befriedigung der hier dargestellten Bedürfnisse positiv erlebt wird. Allerdings gilt die einfache Vermutung »je höher das Ausmaß der Bedürfnisbefriedigung, desto größer der Nutzen« nicht in so einfacher Weise. Vielmehr ist der subjektive Nutzen davon abhängig, – welche anderen Bedürfnisse in welchem Ausmaß erfüllt sind (vgl. Theorieübersicht: Bedürfnishierarchie nach Maslow, S. 126), – wie hoch das jeweilige Bedürfnis selbst bereits gestillt ist (vgl. Grenznutzenprobleme, S. 42),
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– wie viel Zeit seit dem letzten Erreichen der Bedürfnisbefriedigung vergangen ist (Sättigungseffekte; vgl. zur dynamischen Nutzenbewertung, S. 43) und – welches Ausmaß an Bedürfnisbefriedigung als angemessen gilt (vgl. zur subjektiven Gerechtigkeit Abschnitt 1.2 Subjektive Gerechtigkeit – ein problematischer Punkt zielorientierter Verhaltenssteuerung, S. 36). Es reicht somit nicht, Handlungsfolgen in Aussicht zu stellen, von denen beispielsweise ein Vorgesetzter aufgrund allgemeiner Annahmen lediglich vermutet, sie würden von den Betroffenen positiv (Belohnungen) oder negativ (Bestrafung) aufgefasst. Entscheidend ist die subjektive Einschätzung der Betroffenen. Selbst Anreize, die von den Betroffenen positiv empfunden werden, können ihre verhaltensverstärkende Wirkung verfehlen und teilweise sogar eine gegenteilige Handlungstendenz auslösen: 1) Die Nicht-Beachtung von Gerechtigkeitsvorstellungen (vgl. Theorieübersicht: Gerechtigkeits- und Fairnesstheorien, S. 128) kann dazu führen, dass sich die übliche Wirkung von Leistungsanreizen ins Gegenteil verkehrt. Typisch dafür sind (finanzielle) Prämien, die in Abhängigkeit von der erbrachten Leistung gezahlt werden. Eine hohe Prämie kann sich für die Motivation schädlich auswirken, wenn ein Mitarbeiter seine Leistung besser als die eines Kollegen einschätzt und dieser (subjektiv) »schlechtere« Kollege eine gleich hohe oder sogar höhere Prämie erhält. Nicht nur in psychologischen Experimenten kommt es vor, dass unter den nachfolgend genannten Alternativen Person A die für sie in materieller Hinsicht schlechtere Alternative (Alternative 2) bevorzugt: – Alternative 1: »Person A bekommt als Belohnung 20 Punkte, Person B 50 Punkte« – Alternative 2: »Person A bekommt 5 Punkte und Person B bekommt 3 Punkte«. 2) Ein weiterer Grund könnten Reaktanzeffekte sein (vgl. Theorieübersicht: Reaktanztheorie, S. 334). Hohe Leistungsanreize können einen sehr hohen Aufforderungscharakter besitzen, sodass sie von den Betroffenen möglicherweise als stark freiheitseinschränkend wahrgenommen werden. Durch in Aussicht gestellte Belohnungen wird möglicherweise ein gewisser Zwang zur Tätigkeitsausführung erlebt (Deci u. Ryan 1987b), der dazu führen kann, dass sich Menschen in ihrer Autonomie beeinträchtigt fühlen. Der Versuch, das eigene Autonomieerleben sicherzustellen oder wieder herzustellen, kann darin münden, die Leistungsanreize offen abzulehnen (»Ich tu
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es auch ohne Geld!«) oder ein Verhalten zu zeigen, das dazu führt, gerade nicht in den »Genuss« der in Aussicht gestellten Belohnungen zu kommen (»Ich lass mich doch nicht kaufen!«). 3) Ferner muss bei Stärkung der extrinsischen Motivation mit einer Senkung der intrinsischen Motivation gerechnet werden. Erhält man für eine Tätigkeit, die zunächst an sich Spaß macht, eine zusätzliche Belohnung, so kann die Freude an dieser Tätigkeit dadurch reduziert werden. Die Reduktion intrinsischer Motivation durch extrinsische Bekräftigungen konnte in vielen Studien empirisch nachgewiesen werden und wird als Korrumpierungseffekt bezeichnet (Heckhausen 1989, S. 461ff.). Es ist selbstverständlich, dass Menschen im Regelfall auch deswegen arbeiten, weil sie ihren Lebensunterhalt sichern müssen, sodass stets von einem gewissen Maß an extrinsischer Motivation ausgegangen und laufend mit einer »Korrumpierung« der intrinsischen Motivation gerechnet werden muss. In diesem Sinne verliert sich die Freude an der Arbeit schon allein aufgrund der (finanziellen) Entlohnung. Die Korrumpierung kann zur Folge haben, dass die Tätigkeit nach Ausbleiben der Belohnungen nicht mehr oder seltener als vorher ausgeführt wird. Was ursprünglich dazu gedacht war, die Motivation zu fördern (Leistungsanreize), kann dazu führen, dass es nur noch dann zu einer Motivation kommt, wenn Leistungsanreize geboten werden. Insgesamt betrachtet, kann dies schließlich eine negative »Motivationsbilanz« bewirken. Insbesondere dann, wenn beispielsweise aus Kostengründen die Leistungsanreize nicht mehr aufrechterhalten werden können (zum Kostenproblem von Leistungsanreizen s. S. 181), muss mit starken Demotivationseffekten gerechnet werden. Besonders leistungsbezogene Entlohnungssysteme zeigen nachteilige Auswirkungen auf die intrinsische Motivation. So korrumpieren erwartete Belohnungen stärker als unerwartete (Lepper et al. 1973). Wird eine leistungskontingente Belohnung betont, wirkt dies einschränkender, als wenn diese Betonung ausbleibt (Ross 1975). Als Ursache für den Korrumpierungseffekt wird das geschilderte subjektive Empfinden der Autonomiegefährdung bei hohen Leistungsanreizen vermutet. Externe Bekräftigungen müssen jedoch nicht in jedem Fall eine Reduktion der intrinsischen Motivation bewirken (William 1980): entscheidend ist das Maß der subjektiv empfundenen so genannten »Überveranlassung« (»over-justification«) zu bestimmten Tätigkeiten (Deci 1975; Deci u. Ryan 1985). Aus dem nachgewiesenen Korrumpierungseffekt könnte der »umgekehrte« Mechanismus abgeleitet werden: Die intrinsische Motivation für uninteressante Tätigkeiten, die man nur aufgrund von in Aussicht gestellten Belohnungen auf sich genommen
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hat, steigt gerade dann an, wenn die Belohnungen ausbleiben (DeCharms 1968). Dieser Frage wurde bislang kaum nachgegangen (Heckhausen 1989, S. 457). 4) Leistungsabhängige Belohnung und Sanktionierung können auch eine IchOrientierung bei der Handlungsausführung begünstigen. Dies kann zu einer Leistungsverschlechterung gerade in solchen Situationen führen, in denen es darauf ankommt, gute Leistungen zu zeigen. Dieses Phänomen wird als »Abwürgen unter Druck« (Baumeister 1984) bezeichnet und kann möglicherweise das unerwartete Versagen in Prüfungssituationen erklären (vgl. S. 91). Die in diesem Abschnitt bisher dargestellten Theorien verweisen auf einige Aspekte, die beachtet werden sollten, um das Verhalten über in Aussicht gestellte Handlungsfolgen (Leistungsanreize) effektiv zu steuern (vgl. Abschnitt 4.3 Intrinsische Arbeitsmotivation und Führung, S. 187): – Es sollten die individuellen Bedürfnis- und Motivlagen der Mitarbeiter berücksichtigt werden. Es sollte sichergestellt werden, dass die gebotenen Leistungsanreize eine hohe subjektive Valenz bei den Mitarbeitern besitzen. Dies schließt mit ein, dass die Anreize ausreichend groß sind. Die Berücksichtigung der individuellen Bedürfnislage dürfte in der Praxis jedoch nicht immer ganz einfach sein, da hierzu die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter in Erfahrung gebracht werden müssten. Dies kann mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden sein und setzt auch die Mitteilungsbereitschaft der Mitarbeiter voraus. Ferner könnte auch die Erstellung individueller Anreizsysteme (vgl. Abschnitt 4.3 Intrinsische Arbeitsmotivation und Führung, S. 187) an sich erhebliche Probleme bereiten. – Das Verhalten, das verstärkt oder belohnt werden soll, muss aus der subjektiven Sicht der Zielpersonen als das effektivste erscheinen, um die in Aussicht gestellten Belohnungen zu erhalten oder Bestrafungen zu vermeiden. Oft geht der motivierende Effekt individualisierter Leistungsanreize (Prämienzahlungen oder Verbesserung der Beförderungschancen) verloren, weil der Vorgesetzte zumindest aus der Sicht des Mitarbeiters für eine sachlich zutreffende Leistungseinschätzung nicht befähigt ist. So könnten einem Mitarbeiter andere Wege als die Leistungserbringung zweckmäßiger erscheinen, um in den Genuss von Belohnungen zu kommen, etwa das Vortäuschen von Leistungen (vgl. zur Notwendigkeit eines erhöhten Kontrollaufwands bei Nutzung extrinsischer Motivation S. 183). – Die Gerechtigkeitsvorstellungen der Mitarbeiter sollten beachtet werden (vgl. Theorieübersicht: Gerechtigkeits- und Fairnesstheorien, S. 36).
Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage
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– Sollte der Einsatz von Leistungsanreizen geplant sein, um spezifische Motivationsdefizite zu beheben, sind zuvor die Ursachen, die zu der geringen Motivation geführt haben könnten, eingehend zu analysieren (vgl. S. 156). Die Darbietung von Leistungsanreizen ist nicht generell geeignet, Motivation zu fördern. Zur Analyse von Motivationsdefiziten kann das allgemeine Handlungsmodell eine Hilfe sein (vgl. Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151). – Leistungsabhängige Belohnungen und Sanktionierungen können eine IchOrientierung bei der Handlungsausführung begünstigen, was zum »Abwürgen unter Druck« (s. S. 91) und damit zu einer Leistungsverschlechterung führen kann. Leistungsanreize sollten daher so dargeboten werden, dass dieses Phänomen nicht eintritt. – Die Beschaffenheit von Leistungsanreizen sollte so sein, dass nicht der Eindruck der Freiheitseinengung bei den Mitarbeitern ausgelöst wird und somit nicht die Gefahr von Reaktanzreaktionen (vgl. Theorieübersicht: Reaktanztheorie, S. 334) entsteht. Insbesondere im Rahmen von Innovationen sollte auf Anreize zur Förderung einer Verhaltensänderung aus diesem Grunde verzichtet werden (vgl. Theorieübersicht: Innovationstheorie, S. 388). – Mitarbeiter sollten der Überzeugung sein, dass ihr eigenes Zutun maßgeblich das eigene Leistungsergebnis (oder das des Unternehmens, der Abteilung) beeinflusst. Das heißt, sie sollten eine hohe Kontingenzerwartung vorweisen (und eine hohe externale Kontrollüberzeugung, s. S. 69). Situationen sollten daher so beschaffen sein, dass sie eine Folgenabschätzung ermöglichen (vgl. S. 48) und eine durchschaubare Reinforcement-Struktur besitzen (vgl. Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151). Dies setzt eine klare und transparente Leistungsbeurteilung und Regeln zur Vergabe von Leistungsanreizen voraus und bedeutet zugleich, dass Führungspersonen ihre Reaktionen auf das Mitarbeiterverhalten klar festlegen. Dadurch wird auch der manchmal bei Mitarbeitern anzutreffenden Vermutung vorgebeugt, der Vorgesetzte vergebe willkürlich Leistungsanreize. Einige Hindernisse beim Aufbau klarer Kontingenzen wurden bereits dargestellt. Empfehlenswert ist es, die Leistungsanreize zeitnah zur erbrachten Leistung zu verteilen. (So wird im juristischen Bereich immer wieder gefordert, den Zeitabstand zwischen Gesetzesüberschreitung und Sanktion möglichst kurz zu halten, um die Kontingenz zu verdeutlichen). – Ferner sollte verhindert werden, dass es zu dem Korrumpierungseffekt kommt (s. S. 147). Belohnungen als Grundlage einer extrinsischen Motivation tragen die Gefahr in sich, dass die möglicherweise vorhandene intrinsische Motivation »korrumpiert« wird. Das heißt, die intrinsische Motivation
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Wozu lebt der Mensch?
wird erheblich reduziert und die Mitarbeiter tun im Extrem nur noch dann etwas, wenn ihnen dafür etwas geboten wird. Dies kann nicht im Interesse eines Unternehmens liegen. – Die Berücksichtigung möglicher sozialer und interaktionaler Effekte beim Einsatz von Leistungsanreizen ist ebenfalls wichtig. Es ist anzunehmen, dass sich das Bild von den Verantwortlichen bei den Mitarbeitern in eine positive Richtung verändert, wenn die Belohnungen großzügig bemessen sind. Dagegen kann es zu einer offenen Ablehnung im Fall von Bestrafungen kommen (vgl. Abschnitt 5.2 Machtmittel, S. 217), wenn diese als ungerechtfertigt empfunden werden. – Führungskräfte sollten sich an einem Mitarbeiterbild orientieren, das Mitarbeiter als aktiv handelnde und entscheidende Individuen betrachtet (vgl. Abschnitt 4.1 Mitarbeitermotivation – auch eine Frage des Menschenbilds, S. 170). Die Vorstellung jedoch, dass Mitarbeiter selbst »Verursacher« sind und nicht eine passive, vom Vorgesetzten gelenkte Größe, widerspricht (leider) noch immer dem Verständnis mancher Führungskräfte. Dies ist mit ein Grund, warum sich spezifische Motivationsdefizite in patriarchalisch geführten Unternehmen zeigen. Diese ohnehin für die Führungskräfte schon schwierige Situation im Feld der Motivation wird noch dadurch erschwert, dass aufgrund von Sättigungseffekten in den »einfachen« materiellen Anreizen zunehmend die Aufgabe besteht, Kontingenzen zwischen dem Mitarbeiterverhalten und Belohnungen im Bereich der sozialen Anerkennung oder der Gestaltungsmöglichkeiten zu sichern (vgl. zu den Arten von Leistungsanreizen S. 131). Dies ist ein schwieriger, zum Teil auch tabuisierter Vorgang (vgl. Kapitel 5). Ferner muss geklärt werden, auf welcher Ebene externe Leistungsanreize geboten werden. Es lassen sich zwei grundlegende Entlohnungssysteme unterscheiden: 1) Externe Leistungsanreize werden zum einen auf individuellem Niveau geboten (etwa Einzelakkord oder Prämienlöhne, Aufstiegschancen). Eine Leistungssteigerung wird jedoch nur dann erreicht, wenn die oben genannten Aspekte beachtet werden. Spontane und kreative Leistungen, die über das geforderte Rollenverhalten hinausgehen, werden durch dieses Belohnungsund Anreizsystem jedoch nicht beeinflusst. 2) Externe Leistungsanreize werden auf Gruppenebene in Form von »Systembelohnungen« geboten. Dabei erhalten alle Mitarbeiter einer Arbeitsgruppe unabhängig von den jeweiligen Einzelleistungen das Gleiche (vgl. »Gleichheitsgerechtigkeit«, Theorieübersicht: Gerechtigkeits- und Fairnesstheorien,
Handlungspläne und Soll-Ist-Vergleiche
151
S. 36), etwa bei einer Prämienauszahlung. Dieses Belohnungssystem kann folgende Konsequenzen haben: Fluktuation und Absentismus nehmen ab, die individuellen Leistungen der Mitarbeiter gehen im Hinblick auf Qualität und Quantität nicht über das geforderte Mindestniveau hinaus und die Auftretenswahrscheinlichkeit kreativen und spontanen Mitarbeiterverhaltens bleibt unverändert (gering). Es ist deutlich geworden, dass mit einfachen, rein mechanistisch verstandenen Systemen für Leistungsanreize häufig nicht nur Geld verschwendet wird, sondern sogar Demotivationseffekte auftreten können. Die Zusammenhänge zwischen Bedürfnisbefriedigung, Leistungsanreizen und Arbeitszufriedenheit sind viel komplexer, als man bei einer Betrachtung des Unternehmens und der darin tätigen Menschen nach dem Modell »Maschine mit Zahnrädern« (vgl. Theorieübersicht: Mitarbeiterbilder, S. 170) meinen sollte.
3.3
Handlungspläne und Soll-Ist-Vergleiche – Basis der Handlungssteuerung
Eines der wichtigsten Basiskonzepte zur systematischen Erfassung menschlicher Verhaltenssteuerung ist das allgemeine Handlungsmodell.
Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell
Das allgemeine Handlungsmodell (s. Cranach et al. 1980; Hacker 1978; Lantermann 1980; Semmer u. Pfäfflin 1978; Volpert 1974, 1980, 1983) versteht Handlungen als einen Prozess, der sich aus einer Anzahl von Einzelbewertungen und -entscheidungen zusammensetzt und vielfältige Anpassungsvorgänge durchläuft, bevor es zur eigentlichen, beobachtbaren Handlung kommt. Das Modell geht davon aus, dass Menschen ihr Verhalten nach bestimmten Zielen ausrichten: Existenzsicherung, Machtgewinn, Leistung, Ansehen (vgl. S. 131: »Handlungsfolgen und Leistungsanreize«). Sie sind für die verschiedenen Personen nicht gleichermaßen bedeutsam, sondern sind nach den subjektiven Vorlieben und Bedürfnissen des Einzelnen gegliedert. Eine Person nimmt einen Soll-Ist-Vergleich zwischen ihren Handlungszielen und der Situation vor: Liegt eine Soll-Ist-Diskrepanz vor, werden unter Berücksichtigung der eigenen Möglichkeiten (Fähigkeiten, Kenntnisse) Handlungspläne und Verhaltensstrategien entwickelt. Diese werden nach subjektiven Kriterien gewichtet und un-
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Wozu lebt der Mensch?
ter Nutzen-Kosten-Gesichtspunkten bewertet. Die Handlungsalternative mit dem günstigsten Nutzen-Kosten-Verhältnis wird dann zum Zweck der Zielerreichung ausgewählt und umgesetzt. Die daraus entstandenen Handlungsergebnisse und -folgen gehen in einem Feedbackkreislauf wiederum in den Prozess der Handlungsbewertung und -vorbereitung ein. Solange die Soll-IstDiskrepanz besteht, wird der gesamte Prozess mit den notwendigen Korrekturen durchlaufen (»Handlungsregulation«). Ist das Ziel für die Person schließlich erreicht, werden keine weiteren Handlungen unternommen. Handlungen werden darüber hinaus durch soziale Steuerung direkt (über sozialen Einfluss) und indirekt (über verinnerlichte Normen) kontrolliert. Der Einfluss des sozialen Umfelds spielt somit eine wichtige Rolle für die Planung, Bewertung, Regulierung und Durchführung von Handlungen. Der konkrete Handlungsablauf wird in Abbildung 17 (erweitert nach Lantermann 1980) dargestellt. Auf einige der dargestellten Begriffe wird kurz eingegangen: – Unter antizipatorische Folgenabschätzung ist die Fähigkeit von Menschen, die Folgen ihres Handelns im Vorfeld abschätzen zu können, zu verstehen. – Situationen besitzen eine durchschaubare Reinforcement-Struktur, wenn sie so beschaffen sind, dass sie eine Folgenabschätzung ermöglichen (vgl. S. 48). Dies bedeutet, dass die Situation so strukturiert ist, dass bei bestimmten Handlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmte Folgen eintreten und dieser Zusammenhang für die Akteure schon vor Handlungsausführung potenziell erkennbar ist (hohe Kontingenzerwartung). Situationen mit starken Zufallseinflüssen oder »vielen Unbekannten« erfüllen diese Bedingungen beispielsweise nicht. – Unter instrumentelle Kompetenz ist die Fähigkeit von Menschen zu verstehen, die gewählten Handlungen auch tatsächlich (auf der Ebene von Skills) ausführen zu können. So mag es für einen Mitarbeiter wenig sinnvoll erscheinen, ein Werkstück passgenau manuell bearbeiten zu wollen, wenn er über die dafür erforderliche Feinmotorik nicht verfügt. Damit eine erlebte Ist-Soll-Diskrepanz im allgemeinen Handlungsmodell tatsächlich zu einer Aktion führt, muss es eine zur Reduktion dieser Diskrepanz drängende »Kraft« geben. Diese kann bei einer einfachen, monothematischen Sichtweise das Bestreben sein, »Lust« zu erreichen und »Unlust« zu vermeiden. Da aber die menschliche Verhaltenssteuerung wesentlich differenzierter ist, erscheint ein polythematischer Erklärungsansatz angemessen (vgl. Abschnitt 3.1 Was Menschen bewegt – Eigenschaftstheorien der Motivation, S. 124).
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Abbildung 17: Handlungsmodell
Handlungspläne und Soll-Ist-Vergleiche
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Wozu lebt der Mensch?
Gegen solche Modellvorstellungen wird nicht selten eingewandt, dass sie in gewissem Sinne tautologisch sind. Postuliert man den Grundsatz, dass jeder Mensch die für ihn nützlichste Handlung wählt, dann erschließt sich einem externen Beobachter die gewählte Handlung eben als die subjektiv nützlichste. Dies lässt sich wiederum als Beleg für den vermuteten Grundsatz anführen – und so fort. Es ergibt sich eine unzulässige zirkuläre Argumentation, die empirisch nicht widerlegbar und daher für den Erkenntnisfortschritt unbrauchbar ist (zur Kritik an der Nutzenmaximierungshypothese s. S. 34). Das allgemeine Handlungsmodell tritt jedoch nicht mit dem Anspruch an, für jeden konkreten Mitarbeiter in einer konkreten Situation mit absoluter Sicherheit vorhersagen zu können, wie dieser sich verhalten wird. Der eigentliche Wert dieses Modells für die praktische Arbeit im Personalwesen besteht darin, dass es einen Verantwortlichen darauf aufmerksam machen kann, welche Aspekte für die Verhaltenssteuerung relevant sein können. Für die betriebliche Praxis können folgende Konsequenzen aus dem allgemeinen Handlungsmodell gezogen werden: 1) Die Verbesserung von Handlungsplänen, die für die Ausführung von Arbeitstätigkeiten erforderlich sind, ist an folgende Bedingungen geknüpft: a) Mitarbeiter müssen über angemessene Handlungsstrategien (Regeln zur Erkennung und Einschätzung von tätigkeitsbezogenen Problemen) verfügen. b) Es müssen Übungen zur Ausführung der erforderlichen Fertigkeiten beispielsweise auf der Grundlage von Trainings durchgeführt werden. c) Umfang und Dauer der praktischen Einübung der erforderlichen Fertigkeiten: Je länger diese praktische Einübung erfolgt, desto automatisierter läuft die Handlung ab. Je routinierter ein Mitarbeiter bei der Durchführung seiner Arbeitsaufgabe vorgeht, desto gezielter kann er Störungen im Handlungsablauf vorhersehen und beheben. d) Entwicklung von Kontroll- und Regulierungsmechanismen zur Ausführung der Tätigkeiten. 2) Das allgemeine Handlungsmodell spielt auch in Zusammenhang mit Trainings sozialer Kompetenzen eine wichtige Rolle. Sozial erwünschtes Verhalten wird hierbei als ein komplexer Handlungsprozess verstanden, der nach einzelnen Teilschritten des Handlungsschemas zerlegt werden kann. Die einzelnen Abschnitte des Handlungsablaufs werden in einem Training nach konsensmäßig festgelegten Kriterien beurteilt. Abschließend erfolgt die Einübung von Handlungssequenzen in konkreten Rollenspielsituationen und praktischen Übungen.
155
Handlungspläne und Soll-Ist-Vergleiche
3) Das allgemeine Handlungsmodell bietet auch Hinweise zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen: a) Überprüfung der Angemessenheit des Handlungsrepertoires zur Bewältigung der Arbeitsaufgabe, b) Überprüfung des sozialen Einflusses der Arbeitsgruppe auf die Handlungsdurchführung, c) Entwicklung von Maßnahmen zur Reduzierung von tätigkeitsbezogenen Problemen im Handlungsablauf. In Tabelle 10 wird der heuristische Wert des allgemeinen Handlungsmodells verdeutlicht. Dies geschieht am Beispiel einer auf dem Handlungsmodell gestützten Analyse möglicher Ursachen für Motivationsdefizite. Tabelle 10: Ursachen für Motivationsdefizite, strukturiert nach dem Handlungsmodell Symptome
Mögliche Folgen (Beispiele)
Mögliche Störungsursache
Fehlendes Engagement Konflikte, Intrigen Innere Kündigung resignative Schonhaltung
Absentismus (unlösbare) Führungsprobleme Einstellen jeglicher Mitarbeit
Beruflich sinnvolle Handlungen sind: – weniger effizient als private – weniger effizient als unerwünschte/schädliche – überhaupt nicht effizient (negatives Aufwands-/Ertragsverhältnis)
Allgemeine Aktivitätseinschränkungen
Depressives Erscheinungsbild
Handlungen werden generell als ineffizient erlebt
Zaudern, Aufschieben
Versagensängste, Stressfolgen
Erstellung von Handlungsplänen überfordert kognitiv (Situation zu komplex)
Unsicherheit, Angst (steigt mit höherer Motivation an)
Hilflosigkeit, keine Aktivität: – beruflich – völlig
Subjektiv nicht steuerbare Handlungsfolgen (keine Prognosemöglichkeit, Willkür anderer) – nur im Beruf – Allgemein
Alle Frustrationskennzeichen
Hohe Aggression gegen: – sich selbst – andere
»Bester« Handlungsplan wird verhindert durch: – internale Ursachen (Selbstbindung, Kompetenzmängel) – externale Ursachen (Zwänge, Befehle)
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Wozu lebt der Mensch?
Das Wissen über die Ursachen von Motivationsdefiziten ist für die Einleitung adäquater Interventionen sehr wichtig. Liegt das Problem darin, dass ein Mitarbeiter nicht weiß, welche Verhaltensweisen die von ihm angestrebten gewünschten Effekte haben (fehlende Möglichkeit der prospektiven Wirkungsabschätzung), dann führt beispielsweise eine Maßnahme zur Erhöhung des Wunsches nach Erfolg (zum Beispiel durch die Ankündigung von Belohnungen) nicht zu einer Verringerung des Problems, sondern zu einer Intensivierung. Eine mögliche Folge dieser Problemkonstellation wäre eine zunehmende Inaktivität des Mitarbeiters auf der Basis der »gelernten Hilflosigkeit« (s. Theorieübersicht: Gelernte Hilflosigkeit, S. 137). Sinnvoller wäre es, mittels eines Trainings dem Mitarbeiter die Folgen verschiedener Verhaltensweisen zu vermitteln. Auch könnten eine (temporäre) Senkung des Leistungsdrucks und eine Entspannung der affektiven Situation angezeigt sein. Sollte die Ursache der Inaktivität jedoch in der Bevorzugung einer palliativen Spannungsreduktion liegen, wäre diese Intervention kontraindiziert. Das Handlungsmodell lässt sich auch für andere Einsatzgebiete für Analysen einsetzen. Ein Beispiel wird auf S. 287 bei der Analyse von Konfliktursachen dargestellt. Auch bei der Analyse des Lebenslaufs bei Einstellungsinterviews, bei der Entwicklungs- und Karriereplanung von Mitarbeitern oder auch bei Fragen der optimalen Arbeitsplatzgestaltung kann das Handlungsmodell verwendet werden. Auf der Basis von konzeptuellen Ausarbeitungen, wie sie als Beispiel in Tabelle 10 skizziert wurden, ist es relativ einfach, Regeln für die sachgerechte Situationsdiagnostik und damit für mögliche Interventionen zu erarbeiten. Diese können in dem hier dargestellten Beispiel in einem Leitfaden für Gespräche von Vorgesetzten mit Mitarbeitern liegen. Bei gehäuftem Auftreten des beschriebenen Problems kann auch eine Mitarbeiterbefragung angezeigt sein. Außerdem könnte darüber nachgedacht werden, ob die Führungs- und Kommunikationsstrukturen sowie die im Unternehmen eingesetzten Anreize tatsächlich geeignet sind, die gewünschte Erhöhung der Mitarbeitermotivation zu bewirken.
Leistung macht Spaß – manchen
3.4
157
Leistung macht Spaß – manchen
Ein Motiv, das in Unternehmen eine sehr große Rolle spielt, ist das so genannte Leistungsmotiv. Dieses Motiv wird im Folgenden erläutert.
Theorieübersicht: Leistungsmotivation
Die Theorie der Leistungsmotivation (s. Atkinson 1957; Schneider u. Schmalt 1981; Weiner 1976) beschäftigt sich mit den Voraussetzungen und Determinanten leistungsmotivierten Verhaltens. Der Begriff »Leistungsmotiv« bezieht sich auf die Motivklasse »Leistung« und drückt sich in einem besonderen »Bedürfnis nach Leistung« (need for achievement), im Sinne guter Ergebnisse, und der besonderen Wertschätzung hoher Leistungen aus. Das Leistungsmotiv ist »das Bestreben, die eigene Tüchtigkeit in allen jenen Tätigkeiten zu steigern oder möglichst hoch zu halten, in denen man einen Gütemaßstab für verbindlich hält und deren Ausführung deshalb gelingen oder misslingen kann« (Heckhausen 1965). Nach Atkinson (1964) versteht man unter »Leistungsmotivation« die Prädisposition, Erfolge anzustreben und nach einer erbrachten Leistung Stolz zu erleben. Es können sechs Bestimmungsstücke der Leistungsmotivation unterschieden werden: 1) Zielsetzung: Hoher Anspruch (Gütemaßstab) an die eigenen Handlungsergebnisse. 2) Affekte: Furchtlosigkeit, Leistungsstolz. 3) Selbstverpflichtung: Anstrengung, Ausdauer, Beharrlichkeit. 4) Konkurrenz: Wettbewerbsorientierung. 5) Attribution: Internalität. 6) Konsequenzreiche Bewertung: Selbstkontrolle, Lernbereitschaft, Flexibilität. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei, dass die eigene Leistung als solche angestrebt wird, dass man im Prinzip auch unabhängig von externalen Anreizen stolz auf den erbrachten Erfolg ist und dass man sich eines persönlichen Gütemaßstabs bedient. Allerdings wird in den Arbeiten zur Theorie der Leistungsmotivation deutlich, dass die persönliche Ausprägung dieses Motivs stark von den Erfahrungen (etwa der sozialen Anerkennung) und den im Lauf der Sozialisation mit Leistung erzielten externen Anreizen (»Belohnungen«) abhängt. Leistungsmotiviertes Verhalten ist an folgende Voraussetzungen geknüpft: – Die Person muss ihrem Handeln ein Bewertungsmaß zugrunde legen. Hier-
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Wozu lebt der Mensch?
bei kann es sich um einen so genannten autonomen Standard handeln, der sich dadurch auszeichnet, dass sich Personen selbst entsprechende Ziele oder Maßstäbe setzen, oder um einen heteronomen Standard, der sich aus dem sozialen Vergleich mit anderen Personen ergibt (vgl. Theorieübersicht: Bezugsnormorientierung, S. 164). – Sie muss den gewählten (gesetzten) Gütemaßstab für sich als verbindlich betrachten. – Die Person muss über eine realistische Einschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten verfügen. Im Rahmen der Leistungsmotivation wird zwischen der Erfolgsorientierung (Streben, Erfolg zu suchen) und der Misserfolgsorientierung (Streben, Misserfolg zu vermeiden) unterschieden. Der Hintergrund dieser Unterscheidung soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden: Ein Mitarbeiter der Forschungsund Entwicklungsabteilung kann durch neue Erfindungen seinem Unternehmen viel Nutzen bringen. Das Ausbleiben von Erfindungen stellt jedoch (abgesehen von Material- und Personalkosten) für das Unternehmen keinen Schaden dar. Da er im Grunde (idealtypisch) »nichts falsch machen kann«, steht für den Mitarbeiter das Streben, Erfolg zu suchen, im Vordergrund. Dagegen können im Rahmen einer Sachbearbeiter-Tätigkeit beispielsweise Fehler beim Ausfüllen von Formularen zu Reklamationen und Verwirrungen führen, was einen Schaden für das Unternehmen darstellt. Das korrekte Ausfüllen von Formularen wird als eine Selbstverständlichkeit betrachtet. Da der Sachbearbeiter (überspitzt formuliert) im Grunde »nur was falsch machen kann«, steht für ihn das Streben, Misserfolg zu vermeiden, im Vordergrund. In der Theorie der Leistungsmotivation wird leistungsmotiviertes Verhalten als eine Funktion von Situationsvariablen und Personenvariablen (Motive) aufgefasst (in Anlehnung an Schneider 1976), weswegen die Theorie auch zu den Wert-mal-Erwartung-Motivationstheorien (vgl. Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129) gezählt wird (s. Abbildung 18). Da das Streben, Erfolg zu suchen und das Streben, Misserfolg zu vermeiden, nicht jeweils immer in »Reinform« vorliegen, wird die Ausprägung des Leistungsmotivs (M) nach folgender Gleichung berechnet (ME steht für das Streben nach Erfolg; MM steht für das Streben nach Vermeidung von Misserfolg): M=ME – MM Für das Leistungsmotiv ergibt sich somit ein positiver Wert bei (vorwiegend) erfolgsorientierten Personen und ein negativer Wert bei (vorwiegend) misserfolgsorientierten Personen. Entsprechend des Risiko-Wahl-Modells von Atkinson (1957) errechnet sich
Leistung macht Spaß – manchen
159
Abbildung 18: Leistungsmotiviertes Verhalten als Funktion von Situations- und Personenvariablen
die Stärke leistungsmotivierten Handelns (resultierende Tendenz) (T) aus dem Produkt dreier Faktoren: – Leistungsmotiv (M), – Erwartungskomponente (W), das heißt Wahrscheinlichkeit bei einer Aufgabe Erfolg zu haben (Erfolgserwartung oder Aufgabenschwierigkeit), – Valenzkomponente (A), das heißt Erfolgsanreiz oder antizipierte Affekte von Erfolg und Misserfolg. Die Erwartungskomponente und die Valenzkomponente spielen auch in der bereits beschriebenen Instrumentalitätstheorie (s. Theorieübersicht: Instrumentalitätstheorie, S. 132) eine wichtige Rolle. Die Leistungsmotivation errechnet sich folgendermaßen: T=MxWxA Da davon ausgegangen wird, dass die Freude über das Bestehen einer Aufgabe (Valenzkomponente) umso größer ist, je schwieriger die Aufgabe ist (Erwartungskomponente), verhalten sich Erfolganreiz (A) und Erfolgserwartung (W) gewissermaßen invers zueinander. Dies drückt sich in der folgenden Gleichung aus: A=1–W Demzufolge haben objektive Bedingungen keinen generellen Anreizwert (Valenz), vielmehr definiert sich dieser vor dem Hintergrund der Situation und der partizipierenden Personen. Die Stärke leistungsmotivierten Handelns (T) kann somit in Abhängigkeit zweier Faktoren gesehen werden, nämlich dem Leistungsmotiv (M) und der Aufgabenschwierigkeit (W): T = M x W x A = M x W x (1 – W) = M x (W – W2) Grafisch wird der Zusammenhang in Abbildung 19 dargestellt.
160
Wozu lebt der Mensch?
Abbildung 19: Stärke leistungsmotivierten Handelns
Das Ausmaß des Leistungsmotivs wird durch spezifische Einflüsse im Lauf der Sozialisation determiniert: – intrinsischer Wert der Leistung (soziale Relevanz der Aufgabe; Beteiligung des Mitarbeiters an der Zielbildung; vgl. Coch u. French 1948), – soziale Anerkennung der Leistung (beispielsweise durch Mitarbeiter und Vorgesetzte; vgl. Locke 1975), – extrinsischer Wert der Leistung (Leistung als Mittel zur Erlangung anderer Werte). Dabei sind folgende lerntheoretische Faktoren maßgeblich: Modelle (Vorbilder), Bestrafung (Sanktionen, Tadel) und Belohnung (Lob, materielle Gratifikationen). Auch die Selbstbewertung hat bei der Leistungsmotivation eine wichtige Bedeutung (Heckhausen 1989). Neben den fremdvermittelten Folgen von Handlungsergebnissen (zum Beispiel Gratifikationen durch Vorgesetzte) gibt es auch so genannte selbstvermittelte Folgen (vgl. zur intrinsischen und extrinsischen Motivation S. 131). Diese können sich in eigenen positiven oder negativen Reaktionen und Selbstbewertungen in Bezug auf das erzielte Handlungsergebnis äußern. Der Handelnde ist dadurch unabhängiger von fremdvermittelten Folgen. Demnach ist leistungsmotiviertes Handeln, wie vielfältige Beobachtungen auch bestätigen, prinzipiell auch ohne externe Belohnungen möglich (s. Abbildung 20; nach Heckhausen 1989, S. 448).
Leistung macht Spaß – manchen
161
Abbildung 20: Modell der Selbstbewertung
Die Art der Selbstbewertung wird durch kognitive Zwischenprozesse beeinflusst. Die selbstgesetzten persönlichen Standards (Anspruchsniveau) ermöglichen einer Person, die Ergebnisse in einer ihr eigenen Weise zu interpretieren und zu deuten. Je nachdem, ob das Ergebnis den selbst gesetzten Standards entspricht, fällt die Selbstbewertung positiv oder negativ aus. Die Art der Attribution und Ursachenzuschreibung der Ergebnisse ist dafür verantwortlich, ob die Person die Leistung ihren Fähigkeiten und ihrer Anstrengung zuschreibt (internale Attribution) oder ob sie das Ergebnis durch die Aufgabenschwierigkeit oder Zufallseinflüsse verursacht sieht (externale Attribution) (vgl. Weiner 1976; vgl. Abschnitt 2.3 Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis, S. 88). Die praktischen Konsequenzen der Leistungsmotivationstheorie konnten empirisch weitgehend bestätigt werden: – Aufgabenwahl: Erfolgsorientierte Personen wählen, wie vom Risiko-WahlModell vorhergesagt, Aufgaben mit mittleren Schwierigkeitsgraden bevorzugt aus. Misserfolgsorientierte tun dies zwar ebenso, jedoch bei weitem nicht so ausgeprägt (Atkinson u. Litwin 1960). Aufgaben mittlerer Schwierigkeit sind in besonderem Maß geeignet, die eigenen Fähigkeiten einzuschätzen (zur Begründung s. Theorieübersicht: Attributionsmodell von Heider, S. 89). – Leistungseffizienz: Erfolgsorientierte Personen haben ihre größte Leistungseffizienz bei mittleren Schwierigkeitsgraden, misserfolgsorientierte Personen dagegen bei sehr leichten oder sehr schwierigen Aufgaben (Karabenick u. Youssef 1968). Letztere erreichen unabhängig von der Schwierigkeit der Aufgabe nicht die Leistungseffizienz erfolgsorientierter Personen (s. Abbildung 19). – Ausdauer: Erfolgsorientierte zeigen sinnvollerweise eine hohe Ausdauer bei Aufgaben, deren Lösung sehr wahrscheinlich ist, eine niedrige Ausdauer
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Wozu lebt der Mensch?
hingegen, wenn die Erfolgsaussichten sehr gering sind. Misserfolgsorientierte weisen unabhängig von den Erfolgsaussichten immer eine mittlere Ausdauer auf (Oltersdorf 1978). – Anspruchsniveausetzung: Erfolgsorientierte Personen setzen sich realistisch erreichbare Ziele und orientieren sich bei der Anspruchsniveausetzung am bereits erreichten Leistungsstand. Und zwar in der Form, dass das Anspruchsniveau immer etwas oberhalb der erreichten Leistung liegt (vgl. die Prozesse zur Entstehung der progressiven Zufriedenheit in der Theorieübersicht: Arbeitszufriedenheit, S. 194). Misserfolgsorientierte setzen sich dagegen in der Regel immer sehr hohe oder sehr niedrige Ziele. Bei ihnen ist auch eine atypische Verschiebung des Anspruchsniveaus zu verzeichnen: bei Erfolg verringern sie ihr Anspruchsniveau, bei Misserfolg erhöhen sie es (Moulton 1965). – Attribution: Misserfolgsorientierte weisen ein wenig selbstwertdienliches Attributionsmuster (s. S. 112) auf. Sie neigen beispielsweise dazu, Erfolg auf Zufall (anstatt auf Fähigkeiten oder Anstrengung) und Misserfolg auf mangelnde Anstrengung (anstatt auf Aufgabenschwierigkeit und Zufall) zu attribuieren (Meyer 1973; Schmalt u. Meyer 1976). Die Selbstbewertungsbilanz kann bei Misserfolgsorientierten im Vergleich zu Erfolgsorientierten erheblich schlechter ausfallen, auch wenn im tatsächlichen Handlungsergebnis möglicherweise kaum Unterschiede bestehen. Die überhöhten Standards (Anspruchsniveau) Misserfolgsorientierter und ihre Neigung, sehr schwere Aufgaben auszuwählen, beschränken die Möglichkeiten positiver Selbstbewertung, da die Wahrscheinlichkeit, dass die Leistungsergebnisse den selbst gesetzten Standards genügen, geringer ist als bei Erfolgsmotivierten. Andererseits führt die Wahl ausgesprochen leichter Aufgaben und das Setzen unangemessener, zu geringer Standards (was vermutlich auf das Bestreben zurückgeht, negative Selbstbewertung zu verhindern) zu Ergebnissen, die kaum als »Erfolge« bezeichnet werden können (»Solche leichten Aufgaben kann ja jeder schaffen!«). Diese Einschätzung, die von den Misserfolgsorientierten durchaus geteilt wird, trägt nicht gerade zu einer Erhöhung des Selbstwerts bei. Zudem werden diese »Erfolge« auch noch von einem wenig selbstwertdienlichen Attributionsmuster begleitet. Dieses drückt sich darin aus, dass die »Erfolge« external auf die geringe Aufgabenschwierigkeit und nicht beispielsweise auf eigene Fähigkeiten attribuiert werden. Aufgaben mittlerer Schwierigkeitsgrade bei einem realistischen Anspruchsniveau, wie sie von Erfolgsorientierten bevorzugt werden, ermöglichen hingegen in hohem Maß das Erreichen dieser Standards. Gleichzeitig erlauben sie bei Erfolg ein selbstwert-
Leistung macht Spaß – manchen
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dienliches Attributionsmuster, bei dem der Erfolg internal beispielsweise auf eigene Fähigkeiten zurückgeführt wird. Außerdem ermöglichen mittelschwere Aufgaben sehr gut die Einschätzung eigener Fähigkeiten. Wie in der Theorieübersicht der Leistungsmotivation beschrieben, wird leistungsmotiviertes Handeln nicht nur wegen seiner externen Folgen betrieben, sondern auch in Hinblick auf die zu erwartenden Selbstbewertungsfolgen (vgl. S. 160). Da die Wahrscheinlichkeit einer negativen Selbstbewertung bei Misserfolgsorientierten sehr viel höher ist, kann die motivierende Funktion dieses internal vermittelten Folgenfaktors sehr gering ausfallen. Bei Misserfolgsorientierten muss daher allgemein mit einer geringeren Motivation gerechnet werden. Auch sind sie zur Aufrechterhaltung ihrer Motivation in sehr viel größerem Maß von externen Belohnungen abhängig als Erfolgsorientierte. Eine außen stehende Person mag dazu neigen, ein geringes Streben nach Leistung als ein gering ausgeprägtes Leistungsmotiv in Form eines fixierten Persönlichkeitszugs zu interpretieren (Verhaltenserklärung auf den »ersten Blick«; S. 122). An den dargestellten Zusammenhängen wird jedoch deutlich, dass solche Zuschreibungen nicht zwingend sind. Das geringe Streben nach Leistung kann auch eine Folge eines Systems motivationsrelevanter Informationsverarbeitung sein, wie dem Attributionsstil oder der Anspruchsniveausetzung. Des Weiteren besitzt dieses System die Möglichkeit, dass es sich durch die ausgelösten, subjektiv erlebten Misserfolgserlebnisse und negativen Selbstbewertungen immer wieder von neuem stabilisiert und sich rückkoppelnd verstärkt. Um eine kontinuierliche Leistungsmotivation der Mitarbeiter zu erzielen, ist es daher ratsam, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Erfolge von den Mitarbeitern als selbst verursacht erlebt werden (internale Attribution; vgl. Abschnitt 2.3 Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis, S. 88). Vor dem Hintergrund der obigen Darstellungen ist dies vor allem bei Mitarbeitern anzuraten, die als misserfolgsorientiert eingeschätzt werden. Auch bei stark arbeitsteiligen Fertigungsprozessen sollte eine Veränderung der Arbeitsbedingungen in entsprechender Weise in Betracht gezogen werden. Denn hier ist die Gefahr besonders groß, dass sich die einzelnen Mitarbeiter »nur als ein kleines Zahnrädchen« im gesamten Fertigungsprozess verstehen. Schwierig ist die entsprechende Gestaltung der Arbeitsbedingungen generell bei solchen Fertigungsprozessen, an denen sehr viele Personen beteiligt sind. Da sich Führungspersonen üblicherweise lieber mit hoch motivierten »Spitzenleistern« als mit Mitarbeitern beschäftigen, die man zur Nutzung ihres Potenzials unterstützen muss, kann die Gestaltung von Arbeitsbedingungen, die sich positiv für die Leistungsmotivation auswirken, eine besondere Herausfor-
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Wozu lebt der Mensch?
derung darstellen. Nach Wunderer und Grunwald (1980) bieten vor allem kooperative Führungsformen das entsprechend erforderliche Gestaltungspotenzial. Ferner sollten die Anspruchsniveausetzung und die Selbstbewertungsfolgen nach Erfolg und Misserfolg von Mitarbeitern regelmäßig geprüft werden. Die Bezugsnormorientierung spielt im Rahmen leistungsmotivierten Handelns eine wichtige Rolle.
Theorieübersicht: Bezugsnormorientierung
Wie in der Theorieübersicht: Leistungsmotivation« (S. 157) beschrieben, kommt der Leistungsbewertung bei der Leistungsmotivation eine wichtige Bedeutung zu. Dabei ist es jedoch nicht unerheblich, woran die Leistung gemessen wird, das heißt welcher Maßstab und welche Bezugsnorm der Leistungsbewertung zugrunde gelegt wird. Unterschieden werden können im Wesentlichen drei Arten von Bezugsnormen (vgl. Heckhausen 1989, S. 271): – Sachliche, aufgabenbezogene Bezugsnorm: Die individuelle Leistung wird an sachlichen Maßstäben gemessen. Definition von Erfolg: »Sachliche Maßstäbe möglichst gut erfüllen!« Beispiel: Die Leistungsqualität eines in der Produktion tätigen Mitarbeiters misst sich an der Genauigkeit seiner Arbeit. – Soziale Bezugsnorm: Die individuelle Leistung wird an der Leistung anderer Personen gemessen. Definition von Erfolg: »Besser sein als andere!« – Individuelle Bezugsnorm: Die individuelle Leistung wird an den Leistungsergebnissen derselben Person zu früheren Zeitpunkten gemessen. Definition von Erfolg: »Besser sein als bisher!« Die Auswirkungen der Bezugsnormorientierung auf die Motivation wurden insbesondere in Lernsituationen untersucht (Rheinberg 1980; Dickhäuser u. Rheinberg 2003). Es konnte gezeigt werden, dass sich eine individuelle Bezugsnormorientierung besonders positiv auf motivations- und leistungsrelevante Faktoren auswirkt. Personen mit einer individuellen Bezugsnormorientierung setzen sich in stärkerem Ausmaß realistische Anspruchsniveaus, sind weniger misserfolgsorientiert und prüfungsängstlich, haben einen günstigeren Attributionsstil, indem sie Misserfolg in einer selbstwertdienlichen Art auf variable Faktoren attribuieren (s. S. 112), und sind zuversichtlicher hinsichtlich ihres Erfolgs. Ein Grund für diese positiven Effekte könnte sein, dass bei einer individuellen Bezugsnorm die Bewertung in vollem Umfang von der eigenen Person abhängt, das heißt der eigenen Kompetenzentwicklung, Anstrengung et cetera (situative Einflüsse, die sich potenziell auch auf die Leistungen anderer
Leistung macht Spaß – manchen
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Personen auswirken könnten, einmal außer Acht gelassen). Bei der sozialen Bezugsnormorientierung hängen dagegen die Beurteilung im Wesentlichen auch von den Leistungen der anderen Personen ab, auf die man selbst keinen Einfluss nehmen kann. Somit haben Personen bei einer individuellen Bezugsnorm höhere Kontrollmöglichkeiten über die eigenen Bewertungen. Bezugsnormen in Form sozialer Beurteilungskriterien beeinträchtigen das Interesse an einer Aufgabe, während aufgabenbezogene Beurteilungskriterien dieses steigern (Harackiewitz et al. 1987). In vielen Unternehmen dürfte die soziale Bezugsnormorientierung sehr verbreitet sein und bevorzugt werden. Dieses Prinzip ist von der Personaleinstellung (»Wer ist der beste Kandidat?«) bis zu Aufstiegsentscheidungen (»Wer ist am besten für die Beförderung geeignet?«) in vielen Bereichen von Unternehmen anzutreffen. Dennoch sollte aus motivationspsychologischen Gründen auch für eine individuelle Bezugsnormorientierung gesorgt werden, zum Beispiel indem in Leistungsbeurteilungen oder Mitarbeitergesprächen auf vergangene Leistungen Bezug genommen wird und diese mit den aktuellen Leistungen verglichen werden. Ein in leistungsthematischer Hinsicht relevanter Faktor ist auch das Konzept der Kontrollüberzeugung (s. S. 69). Menschen, die von einer hohen Kontrolle über ihre Umwelt überzeugt sind (internale Kontrollüberzeugung), orientieren sich sehr viel stärker an Langzeitplänen und zeigen sehr viel mehr Neugier als Personen mit einer externalen Kontrollüberzeugung. Diese neigen dagegen in sehr viel höherem Ausmaß zu Konformität und begründen ihr Handeln mit Sachzwängen. Es ist offensichtlich, dass Menschen, die der Meinung sind, dass die Umwelt und ihr Leben vorrangig von Glück, Zufall und Schicksal bestimmt wird, sich weitaus weniger verantwortlich für ihr Leben und ihre Umgebung fühlen und auch weniger Initiative zeigen als Menschen mit einer internalen Kontrollüberzeugung. Wichtige Unterschiede konnten in folgenden Bereichen festgestellt werden (Amelang u. Bartussek 2001): – Soziale Beeinflussbarkeit: Menschen mit einer externalen Kontrollüberzeugung sind leichter sozial zu beeinflussen. Sie sind suggestibler, beugen sich leichter sozialem Konformitätsdruck und sind leichter durch das Urteil anderer zu beeinflussen. – Informationssuche: Menschen mit einer internalen Kontrollüberzeugung suchen gezielter und kompetenter nach Informationen, prüfen bei entsprechenden Aufgaben verstärkt Zusatzinformationen und ihre Behaltensleistung ist höher.
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Wozu lebt der Mensch?
– Anspruchsniveau: Menschen mit einer internalen Kontrollüberzeugung setzen sich ein Anspruchsniveau, das realistischer ist (Burger 1985). – Kausalattribution: Menschen mit einer internalen Kontrollüberzeugung zeigen in höherem Ausmaß ein selbstwertdienliches (vgl. S. 112) und motivationsförderliches Attributionsmuster (Burger 1985). – Leistungsverhalten: Menschen mit einer internalen Kontrollüberzeugung sind leistungsorientierter. Ihre höheren Leistungen gehen auf bessere Informationsverarbeitungsstrategien und auf einen höheren Belohnungsaufschub (»delay of gratification«; s. Theorieübersicht: Einige psychologisch relevante Persönlichkeitskonstrukte, S. 67) zurück. Bei Misserfolg sind Personen mit einer internalen Kontrollüberzeugung allerdings hilfloser und deprimierter als Personen mit einer externalen Kontrollüberzeugung. Bei Erfolg neigen sie dagegen zu einer Überschätzung ihrer Kontrolle. Aufgrund der Zusammenhänge zwischen Kontrollüberzeugung einerseits und Anspruchsniveau, Kausalattribution und Leistungsverhalten andererseits, ist eine internale Kontrollüberzeugung in leistungsthematischer Hinsicht sehr viel positiver zu beurteilen als eine externale. Für Unternehmen kann es sich daher lohnen, situative Bedingungen zu schaffen, die den Mitarbeitern ein hohes Kontrollgefühl vermitteln, das heißt dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter davon überzeugt sind, Einfluss auf ihre (Arbeits-)Umgebung ausüben zu können. Die dominierende Leistungsmotivationstendenz der Person (Erfolgsorientierung versus Misserfolgsvermeidung) hat auch bereits bei der Berufswahl einen wichtigen Einfluss (Kleinbeck 1975). Misserfolgsängstliche Personen wählen eher Tätigkeiten, die sie stark über- oder unterfordern. Personen mit Erfolgsorientierung treffen in der Regel realistische Berufswahlen. Dieses Berufswahlverhalten korrespondiert mit der Nutzung von Informationen, die die Personen für ihre Entscheidung heranziehen, das heißt, misserfolgsmotivierte Personen informieren sich schlechter oder blocken sogar entscheidungsrelevante Informationen ab. Dieser Befund dürfte auch für die spätere Beförderungs- oder Entwicklungsstrategie von Mitarbeitern eine nachhaltige Bedeutung haben. In der praktischen Arbeit sollte berücksichtigt werden, dass sich das Leistungsmotiv in verschiedener Weise äußern kann. Wenn eine Person von »Hoffnung auf Erfolg« bei ihrer Leistungserbringung gedrängt ist, wird sie viele verschiedene Aktivitäten ausprobieren, auftretende relative Misserfolge nicht allzu gravierend empfinden und Innovationen (vgl. Abschnitt 10.5 Durchführung von Innovationen, S. 388) positiv gegenüberstehen. Überwiegt die »Furcht
Leistung macht Spaß – manchen
167
vor Misserfolg«, versucht die betreffende Person häufig, ihre Aktivität auf vertraute Aufgaben zu beschränken. Dies ist vor allem dann von Nachteil, wenn die berufliche Position ein hohes Maß an eigenständiger Zielsetzung erfordert, wie es bei vielen Führungsaufgaben und vor allem bei Verkaufs- und Marketingtätigkeiten der Fall ist. Leistungsmotivation ist zwar eine notwendige, für sich allein genommen aber noch keine ausreichende Erfolgsgrundlage. Entscheidend ist eine optimale Kombination dreier Motive, zu denen neben der Leistungsmotivation die Machtmotivation (s. Abschnitt 5.3 Machtmotivation, S. 224) und die Anschlussmotivation gehören (vgl. zu den für die betriebliche Praxis relevanten Handlungsfolgen und Leistungsanreizen S. 131). Dies konnte in Studien gezeigt werden. Zwei werden hier exemplarisch beschrieben.
Exkurs: Leistungsmotivation und Erfolg
Einige Studien zeigen, dass eine hohe Leistungsmotivation für Manager in leitenden Positionen eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung ist, um erfolgreich zu sein (s. Kock 1975; McClelland 1982). Vielmehr scheint es darauf anzukommen, dass Manager in großen Unternehmen in der Lage sind, ein Organisationsklima zu schaffen, das innerhalb des organisatorischen Rahmens die Bedingungen für effizientes Handeln ermöglicht. Hierzu ist unter anderem der gezielte Einsatz von Machtmitteln notwendig. Ein Ergebnis auf dem Hintergrund einer Untersuchung von McClelland und Boyatzis (1982) beim amerikanischen Konzern AT&T weist darauf hin, dass ein für den wirtschaftlichen Erfolg optimales Organisationsklima dann zustande kommt, wenn leitende Manager ein hohes Leistungsmotiv, kombiniert mit einem stark ausgeprägten Machtmotiv und einem niedrigen Anschlussmotiv besitzen. Das so genannte »Führungsmotivmuster« ist dadurch gekennzeichnet, dass die Manager ihre hohe Machtmotivation im Sinne des »sozialisierten Machtverhaltens« einsetzen. Die Erkenntnisse von Kock (1965) aus einer Studie mit finnischen Unternehmen der Textilindustrie weisen ebenfalls darauf hin, dass ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen einem starken Macht- und Leistungsmotiv der Führungskräfte (bei gleichzeitig niedrigem Anschlussmotiv) und ökonomischen Kriterien (Zuwachsrate des Umsatzes des Unternehmens) besteht. Übereinstimmend zeigt sich in beiden Studien, dass die Leistungsmotivation allein noch keine durchgreifende Wirkung auf den Erfolg hat. Erst die Kombi-
168
Wozu lebt der Mensch?
nation aller drei Motive ist ausschlaggebend (hohes Leistungs- und Machtmotiv bei geringem Anschlussmotiv). Zur Erfassung dieser drei Motive bietet sich das Multi-Motiv-Gitter für Anschluss, Leistung und Macht (MMG) von Schmalt et al. (2000) an. Eine sehr differenzierte Erfassung des Leistungsmotivs ermöglicht das Leistungsmotivationsinventar (LMI) von Schuler und Prochaska (2001).
4.
Zeitgerechte Motivatoren – Spaß ist wichtig, aber ganz ohne Leistungsanreize geht es nicht
Zu den beliebtesten Themen von Führungskräftetrainings gehören »Motivationsseminare«, mit deren Hilfe Führungskräfte in die Lage versetzt werden sollen, ihre Mitarbeiter zu motivieren und sie zu guten Leistungen bei gleichzeitig hoher Arbeitszufriedenheit und angenehmem Betriebsklima zu veranlassen. Man vermag sich heute (zum Glück) kaum noch vorzustellen, dass früher gerade in der fehlenden Zufriedenheit von Untergebenen eine wesentliche Motivation für gute Arbeitsleistung gesehen wurde. Diesbezüglich einige Beispiele für subjektive Theorien erfolgreicher Mitarbeitermotivation: – Calvin (1509-1564): »Wenn das Volk arm ist, bleibt es Gott gehorsam.« – Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1770-1840): »Man erzeigt dem einzelnen Menschen und der menschlichen Gesellschaft keine Wohltat, wenn man über die Grenzen seines Standes und Berufs hinaus ihn belehrt und ihm Kenntnisse beibringt, die er nicht braucht und Ansprüche und Bedürfnisse anregt und weckt, welche zu befriedigen seine Lage nicht gestattet.« – Der preußische Minister Rudolf von Camphausen (1803-1890): »Die Löhne müssen reduziert werden, damit die Leistungen besser werden!« – Alfred Krupp, Erlass von 1872 an die Arbeiter der Gussstahlfabriken (Krupp 1928, S. 280): »Ich erwarte und verlange volles Vertrauen, lehne jedes Eingehen auf unberechtigte Forderungen ab, werde, wie bisher, jedem gerechten Verlangen zuvorkommen; fordere daher alle diejenigen auf, welche sich damit nicht begnügen wollen, je eher desto lieber zu kündigen, um meiner Kündigung zuvorzukommen, und so in gesetzlicher Weise das Etablissement zu verlassen, und anderen Platz zu machen, mit der Versicherung, dass ich in meinem Hause, wie auf meinem Boden Herr sein und bleiben werde.« In absoluten Notsituationen, wenn vom »Gewähren« des Arbeitslohns das Ausmaß an Unterernährung der Familie abhängt, erfordert es kaum psychologische Überlegungen, einen hohen Arbeitseinsatz zu erzwingen. Der gesellschaftliche Fortschritt hat das Motivieren von Mitarbeitern jedoch erheblich schwieriger gemacht. In diesem Sinne kann die starke Nachfrage nach Konzepten für verbesserte Mitarbeitermotivation als ein Zeichen dafür verstanden
170
Zeitgerechte Motivatoren
werden, dass die Kompetenz der Führungskräfte mit dem gesellschaftlichen Fortschritt nicht ganz Schritt gehalten hat. Entsprechend dem hohen Bedarf an Konzepten zur Mitarbeitermotivation hat sich auch die Psychologie intensiv mit den Fragen der Arbeitsmotivation und besonders der Arbeitszufriedenheit (vgl. Abschnitt 4.4 Integrative Modelle der Arbeitszufriedenheit, S. 193) beschäftigt. Diese Theorien bieten jedoch alle keine einfache Problemlösung, im Gegenteil: Je mehr Befunde die Psychologie zu diesem Thema erarbeitet hat, desto deutlicher wird, dass es einfache und generell wirksame »Rezepte« der Mitarbeitermotivation nicht geben kann. Die konkrete Gestaltung im Unternehmen kann nur durch flexible Personen geleistet werden. Hierbei sollten sich die Verantwortlichen von »einfachen« Denkbildern aus der Technik, der Rechtswissenschaft oder den Wirtschaftswissenschaften lösen und sich stattdessen auf die Komplexität und Individualität der menschlichen Verhaltenssteuerung einstellen.
4.1
Mitarbeitermotivation – auch eine Frage des Menschenbilds
Welches Motivatorensystem als richtig oder passend betrachtet wird, hängt stark von den präferierten Persönlichkeitstheorien und dem Menschen- und Mitarbeiterbild ab. Das »Bild vom Mitarbeiter« unterlag starken Veränderungen, wie in der folgenden Theorieübersicht dargestellt wird.
Theorieübersicht: Mitarbeiterbilder
Das Bild vom Mitarbeiter hat sich im Lauf der Zeit mehrmals verändert (vgl. Tabelle 11; s. Borg u. Bergermaier 1995; Staehle 1999). Mit dazu beigetragen haben neben gesellschaftlich-politischen Entwicklungen auch wissenschaftliche Untersuchungen und Erkenntnisse. Im Wesentlichen lassen sich fünf Mitarbeiterbilder unterscheiden: – Economic man: Mitarbeiter sind verantwortungsscheu und passiv. Sie handeln rational entsprechend der Maxime des größten (materiellen) Gewinns und lassen sich in erster Linie durch monetäre Anreize motivieren. Sie werden von der Organisation kontrolliert, motiviert und »manipuliert«. – Social man: Menschen sind in erster Linie sozial motiviert. Kontrollen des Vorgesetzten und monetäre Anreize haben für die Verhaltenslenkung eine geringere Bedeutung als soziale Normen. Aufgrund der Sinnentleerung der Arbeit wird sozialen Beziehungen ein hoher Wert beigemessen.
171
Mitarbeitermotivation Tabelle 11: Bild vom Mitarbeiter im zeitlichen Wandel Bild vom Mitarbeiter Zeit Arbeitnehmer gilt als …
economic man social man 1900 Biomechanisches System
Mitarbeiter Maschine wird betrachtet als … Grundorientie- Klassische rung Organisationslehre Schlagworte Disziplin, Ordnung, Planung, Hierarchie, funktionelle Klarheit, Spezialisierung, Rigidität, Routine
Theorien
Rolle des Managements
30er Mensch mit Gefühlen
Kind
self-actualizing man 60er Intelligentes und zielorientiertes System
Roboter
complex man 80er Persönlichkeit mit eigenem Urteil, Werten und Wachstumsmotiven Individuum
Postmaterieller Wertewandel Selbstverwirklichung, intrinsische Motivation, Interessen, Herausforderungen, Spaß, Werte, Unternehmenskultur, Unternehmensziele, Selbstbelohnung durch Erfolg Scientific Ma- Human-Relati- Verhaltenswis- Individualisienagement/ ons-Ansatz; senschaftliche rungskonzepte, Taylorismus; HawthorneEntscheiSituationstheoBürokratieStudie dungstheorien; rie Ansatz (Weber (Roethlisber- Zwei-Fak1922); ger u. Dickson toren-Theorie Theorie X 1939) (Herzberg et (McGregor al. 1959); Be1960) dürfnispyramide (Maslow 1954); Theorie X und Y (McGregor 1960) Messen, um zu Interesse zei- klären, definie- abstimmen, ren, Rahmen- überzeugen, organisieren, gen, Zufriedenheit für al- bedingungen motivieren, adjustieren, Partizipation verbessern le herstellen »schmieren« Emotionale und soziale Werte Stolz auf den Betrieb, Zugehörigkeit, Status, Anerkennung, Prestige, Sicherheit, allgemeine Einstellungen zum Betrieb
Menschen sind lernfähig und intelligent Klare und differenzierte Ziele, IncentiveSysteme, individuelle Leistungsmessung, Feedback, begrenzte kooperative Führung
neuere Entwicklungen 90er kreatives Wesen und verantwortungsbewusster Bürger BusinessPartner Systemisches Denken Interaktion mit anderen Systemen, Kundenorientierung, Flexibilität, Corporate Citizenship, Risiko und Verantwortung, soziale Kompetenz
Systemtheoretische Ansätze (soziotechnischer Systemansatz) (Trist u. Bamfort 1951)
einbinden, strategisch ausrichten, Empowerment, unterstützen
172
Zeitgerechte Motivatoren
– Self-actualizing man: Menschen haben Werte, Ansprüche und Bedürfnisse, die bei der Verhaltensausführung eine wichtige Rolle spielen. Menschen streben nach Autonomie und Selbst-Kontrolle. Statt der Fremd-Motivierung bevorzugen sie die Selbst-Motivierung. – Complex man: Mitarbeiter sind äußerst wandlungs- und lernfähig. Motive verändern sich in Abhängigkeit unterschiedlicher Systeme und Situationen. Die Dringlichkeit von Bedürfnissen unterliegt ebenfalls einem fortwährenden Wandel. – Neuere Entwicklungen: Mitarbeiter streben in hohem Maß nach Autonomie und Verantwortung. Statt Unter- und Einordnung bevorzugen sie Kontakte zu autonomen Individuen und Systemen. Kommunikation und soziale Kompetenz stellen wichtige Werte dar. Kritisiert wird die Systematik der Mitarbeiterbilder, weil ihnen eine empirische Fundierung fehlt und es sich bei ihnen vornehmlich um die Gedankenkonstrukte der jeweiligen Forscher handele (Weinert 1984). Auf der Grundlage von schriftlichen Befragungen entwickelte Weinert (1984) eine Taxonomie impliziter Theorien von Vorgesetzten über ihre Mitarbeiter, die zwölf Dimensionen unterscheidet, wie beispielsweise: der Mensch als passives und unselbständiges Wesen, als optimaler Entscheidungsfäller, der nach Führung suchende Mensch und der von innen gelenkte Mensch. Die gefundenen zwölf Dimensionen von Menschenbildern konnten nach solchen mit positiver und solchen mit negativer Tendenz gruppiert werden. Somit kann Weinerts Untersuchung als eine empirische Bestätigung einer dualistischen Klassifikation angesehen werden. Nach Schein (1980) werden Management- und Organisationsstrategien in hohem Maß den Annahmen über Mitarbeiter angepasst. So beschreibt er die organisatorischen Konsequenzen der jeweiligen Mitarbeiterbilder wie folgt (Schein 1980, S. 50ff.): – Economic man: Klassische Management-Funktionen, wie Planen, Organisieren, Motivieren, Kontrollieren stehen im Mittelpunkt. Die Organisation hat die Aufgabe, irrationales Verhalten zu neutralisieren und zu kontrollieren. – Social man: Die soziale Anerkennung der Mitarbeiter durch den Vorgesetzten oder der Gruppe stehen im Mittelpunkt. Bedürfnisse nach Anerkennung, Zugehörigkeitsgefühl und Identität müssen befriedigt werden. Gruppenanreizsysteme treten an die Stelle von individuellen Anreizsystemen. Gruppenarbeit wird gefördert. – Self-actualizing man: Die Mitbestimmung am Arbeitsplatz steht im Vorder-
Mitarbeitermotivation
173
grund. Für die Mitarbeiter gewinnt die intrinsische auf Kosten der extrinsischen Motivation zunehmend an Bedeutung. Führungspersonen sind Unterstützer und Förderer. Sie sind nicht dazu da, zu motivieren und zu kontrollieren. Stattdessen delegieren sie Entscheidungen. Ihre Amts-Autorität wird abgelöst von der Fach-Autorität. – Complex man: Manager sind Diagnostiker der Situation. Sie müssen Unterschiede erkennen und Verhalten situationsgemäß variieren können. Es gibt keine generell richtige Organisation. Auf die hohe Bedeutung des Mitarbeiterbilds bei der Gestaltung von Motivatorensystemen verweist auch Sprenger (1991) in dem Buch »Mythos Motivation«. Er zeigt auf, dass ein pessimistisches Mitarbeiterbild (zum Beispiel Mitarbeiter als Reiz-Reaktions-Maschine) zu einem Verständnis von Motivation führen kann, das erhebliche Nachteile für ein Unternehmen mit sich bringen kann (zum Beispiel die Abnahme intrinsischer Motivation). Um entsprechende Nachteile zu beheben, erscheinen Korrekturen am Detail, etwa in Form noch differenzierter ausgearbeiteter Entlohnungssysteme, ungeeignet. Vielmehr ist eine grundlegende Veränderung des Mitarbeiterbilds erforderlich.
Exkurs: Mitarbeitermotivation – eine Frage des Menschenbilds
In seinem Buch »Mythos Motivation« weist Sprenger (1991) darauf hin, dass Theoretiker und Praktiker die Frage der Motivierung von Mitarbeitern aus einer falschen Perspektive zu beantworten versuchen. Der große »Irrtum« der meisten Motivierungsversuche besteht in dem zugrunde gelegten negativen oder pessimistischen Menschen-(Mitarbeiter-)Bild: – Mitarbeiter sind der Tendenz nach »Leistungsverweigerer«. Sie »leisten aus sich heraus nicht das, was sie sollen und wofür sie bezahlt werden«. Anthropologisch ausgedrückt: »Eigentlich wollen Menschen nicht arbeiten, nicht leisten; sie suchen nach Lust ohne Anstrengung, nach Entspannung statt nach Spannung im Leben« (Sprenger 1991, S. 37; vgl. zur monothematischen Sichtweise von Motiven Abschnitt 3.1 Was Menschen bewegt – Eigenschaftstheorien der Motivation, S. 124). – Mitarbeiter sind »hierarchisch gestaffelte Bedürfnisbündel« (vgl. Theorieübersicht: Bedürfnishierarchie nach Maslow, S. 126) – Mitarbeiter sind »Reiz-Reaktions-Maschinen«. Mit diesem Menschenbild korrespondiert auch das Vorgesetztenverhalten im
174
Zeitgerechte Motivatoren
Unternehmen: Führungskräfte zeigen eine geringe Erwartung an die Leistung ihrer Mitarbeiter, missachten deren fachliche Kompetenz, trauen ihren Mitarbeitern keine eigenverantwortlichen Tätigkeiten zu, führen exzessive Kontrollen durch und wissen und können immer alles besser als ihre Mitarbeiter. Die dargestellten Grundannahmen finden ihren Niederschlag in betrieblichen Motivationsstrategien. Die vier wichtigsten dieser Strategien sind in Tabelle 12 aufgeführt. Tabelle 12: Betriebliche Motivationsstrategien Technik
Strategie
Bedrohen
X
Bestrafen
X
»Zwang«
»Ködern« (X)
Bestechen Belohnen Belobigen
»Verführung«
»Vision« X
X X
X
X
X
Beispiele für die aufgeführten Strategien sind: – »Zwangs-Strategie«: motivierende Abmahnung; – »Köder-Strategie«: Bonus-Systeme; – »Verführungs-Strategie«: Programme zur »Corporate Identity«; – »Visions-Strategie«: Führen durch Vision. Die meisten der »klassischen« Motivierungsstrategien im Unternehmen haben paradoxe Begleiterscheinungen und kontraproduktive Nebenwirkungen: – Die intrinsische Motivation der Mitarbeiter wird durch externe Belohnungen verringert, während die extrinsische Motivation durch Belohnungen immer mehr an Bedeutung gewinnt (»Korrumpierungseffekt«, S. 147). – Das Arbeitsklima verschlechtert sich. – Bei individuellen Boni nimmt die Kooperationsbereitschaft ab. – Bei Anreizen auf Gruppenebene nehmen die Abteilungsegoismen zu. – Das Misstrauen der Vorgesetzten gegenüber ihren Mitarbeitern kann auf Basis des Erwartungsfehlers (vgl. S. 109) zu einer Selffulfilling Prophecy werden (»sich selbst erfüllende Voraussage«, das heißt Zunahme der Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt, wenn es vorher bereits erwartet wird): Die Mitarbeiter verhalten sich so, wie sie glauben, dass ihr Vorgesetzter es von ihnen verlangt, das heißt, traut ein Vorgesetzter seinen Mitarbeitern nur wenig zu, so zeigen sie auch eine geringere Leistung.
Mitarbeitermotivation
175
Aus diesen Überlegungen zieht Sprenger das Resümee: Das Problem der Mitarbeitermotivation kann nicht durch ausgeklügelte Anreizpläne, monetäre Leistungen, Incentive-Reisen oder Ähnliches gelöst werden, sondern muss am demotivierenden Verhalten der Vorgesetzten ansetzen. Maßnahmen zur Erhaltung der Mitarbeitermotivation fangen schon bei der Auswahl von Führungspersonen an. Diese Auswahlentscheidung soll auch später regelmäßig überprüft und revidiert werden können. Die Aufgabe von Vorgesetzten besteht im Rahmen einer leistungsfördernden Unternehmenskultur darin, die Mitarbeiter ernst zu nehmen, sie zu fordern und zu fördern. Vorgesetzte sollen sich so – sukzessive – selbst überflüssig machen. Ein motivierendes Vorgesetztenverhalten muss von einer entsprechenden Organisationsstruktur flankiert werden. Diese sollte so angelegt sein, dass sie die physische und geistige Aktivität der Mitarbeiter nicht über Gebühr einengt, sondern Freiräume sowohl für die Planung als auch für die Durchführung der eigenen Aktivitäten zulässt. Die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit sollte den Mitarbeitern ständig transparent sein. Vorgesetzte haben jedoch oftmals gar nicht so unrecht mit ihren Ansichten über »den« Mitarbeiter. Schließlich sind die Annahmen von Vorgesetzten über ihre Mitarbeiter auch das Resultat von Wahrnehmungsprozessen. Es ist somit verständlich, dass eine Veränderung des Mitarbeiterbilds auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen kann. Sofern sich am Verhalten der Mitarbeiter nichts ändert, erscheint eine wesentliche Veränderung des Mitarbeiterbilds nicht angemessen. Der Management-Theoretiker und Unternehmensberater McGregor (1960, 1970) verweist jedoch darauf, dass das von Führungspersonen beklagte Verhalten der Mitarbeiter gerade eine Folge des eigenen Führungsverhaltens ist.
Theorieübersicht: Theorie X und Y
McGregor beschäftigte sich besonders mit den Fragen des Verhältnisses zwischen den Annahmen der Führungspersonen über die Mitarbeiter und dem tatsächlichen Mitarbeiterverhalten. Dabei stellte er fest, dass die Annahmen der Führungspersonen das Mitarbeiterverhalten relativ zutreffend widerspiegeln. Er beobachtete ferner, dass diese Annahmen der Führungspersonen über die Mitarbeiter wesentlich das Führungsverhalten beeinflussen. So lautet beispielsweise eine – auch noch heute weit verbreitete – Annahme: »Der Durchschnittsmensch hat eine angeborene Abneigung gegen Arbeit und versucht, ihr aus dem Weg zu gehen, wo er kann.« Außerdem zögen Mitarbeiter es vor, »an die Hand genommen zu werden«. Ein Mitarbeiter »möchte sich vor Verant-
176
Zeitgerechte Motivatoren
wortung drücken, besitzt verhältnismäßig wenig Ehrgeiz und ist vor allem auf Sicherheit aus«. Daher müsse er »meist gezwungen, gelenkt, geführt und mit Strafe bedroht werden«, damit er die Arbeitsaufgaben erfüllen könnte (McGregor 1970, S. 47f.). Viele Führungspersonen betrachten ihr Führungsverhalten als »natürliche Konsequenz« und »angemessene Reaktion« auf das Verhalten der Mitarbeiter. Der besondere Verdienst von McGregor liegt darin, eine Verbindung zwischen dem Führungsverhalten und dem Mitarbeiterverhalten herzustellen. Zwar bezeichnet der Begriff Führung die Einflussnahme der Führungsperson auf das Verhalten seiner Mitarbeiter, doch scheint dieser Zusammenhang zwischen Führungsverhalten und dem Mitarbeiterverhalten interessanterweise besonders dann ausgeblendet zu werden, wenn sich dysfunktionale Effekte im Mitarbeiterverhalten zeigen. (Dies hängt vermutlich mit den Mechanismen eines selbstwertdienlichen Attributionsmusters, s. S. 112, zusammen.) Nach McGregor reagieren Mitarbeiter sehr differenziert auf das Verhalten der Führungspersonen. Dualistische Ansätze verwenden vielfach Extremtypen, das heißt gegensätzliche idealtypische Modelle. McGregor formulierte so ein Gegensatzpaar in Bezug auf Mitarbeiterbilder und gab ihnen die Bezeichnung Theorie X und Theorie Y. Die wichtigsten Annahmen der Theorien X und Y werden in Tabelle 13 (in Anlehnung an McGregor 1960, S. 33ff. und S. 47f.) dargestellt. Tabelle 13: Wichtige Annahmen der Theorie X und Y Theorie X
Theorie Y
Bild vom Mitarbeiter
Mitarbeiter haben eine angeborene Abscheu vor Arbeit und versuchen, sie so weit wie möglich zu vermeiden.
Der Mensch strebt nach Selbstverwirklichung. Arbeit kann in dieser Hinsicht einen wichtigen Beitrag liefern und zur Zufriedenheit beitragen.
Konsequenzen für die Führung
Mitarbeiter müssen daher kontrolliert, geführt und mit Strafandrohung gezwungen werden, einen produktiven Beitrag zur Erreichung der Organisationsziele zu leisten.
Gewährung von Handlungsspielräumen und Möglichkeiten der Selbstkontrolle. Schaffung von Arbeitsanreizen, die der Befriedigung von Ich-Bedürfnissen und dem Streben nach Selbstverwirklichung Rechnung tragen
Mitarbeiterverhalten
Mitarbeiter verhalten sich sehr passiv, zeigen keine Initiative und Verantwortung und leisten »Dienst nach Vorschrift«.
Mitarbeiter zeigen Engagement, Initiative, Kreativität und Verantwortung. Hohe Identifikation mit den Zielen der Organisation.
Mitarbeitermotivation
177
Der Zusammenhang zwischen Mitarbeiterverhalten, Bild vom Mitarbeiter und Führungsverhalten ist keine linearer, sondern ein zirkulärer. Die zirkulären Zusammenhänge zwischen Annahmen über Mitarbeiter, Führungsverhalten und Mitarbeiterverhalten werden in Abbildung 21 verdeutlicht (vgl. Abbildung 11, S. 104).
Abbildung 21: Theorie X und Y
Die Annahmen der Vorgesetzten über ihre Mitarbeiter erweisen sich nach dieser Darstellung als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Da diese zirkulären Zusammenhänge oftmals nicht erkannt werden, bleibt die Wirkung der eigenen Ansichten über Mitarbeiter vielfach verborgen. Es ist davon auszugehen, dass in den meisten Betrieben das Potenzial für selbstverantwortliches und eigeninitiatives Arbeiten vorhanden ist. Dieses Potenzial sollte jedoch nicht durch ein fehlverstandenes Verständnis von Führung ungenutzt bleiben. Zur Wiederentdeckung dieses Potenzials empfiehlt McGregor Vorgesetzten, ihr Menschenbild zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Sie sollten sich gewissermaßen paradox zu ihren Annahmen verhalten und den Mitarbeitern mehr Handlungsspielräume und Möglichkeiten zur Selbstkontrolle gewähren. Er versichert ihnen, dass die Mitarbeiter infolgedessen zunehmend mehr Initiative, Engagement und Verantwortung zeigen werden, so wie es die Theorie Y beschreibt.
178
Zeitgerechte Motivatoren
Vorgesetzte mit einem pessimistischen Mitarbeiterbild sollten, bevor sie ein neues Motivatorensystem einführen, ihr Mitarbeiterbild kritisch überprüfen. Solange sich am Mitarbeiterbild nichts Grundlegendes ändert, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine grundsätzliche Veränderung des Motivatorensystems nicht erfolgt und lediglich Veränderungen im Detail vorgenommen werden (etwa ein noch differenzierteres Prämiensystem). Die Folge davon wird sein, dass es nicht zu einer wesentlichen Veränderung der negativen und aus Sicht des Vorgesetzten unbefriedigenden Begleiterscheinungen der aktuellen Motivationsmethoden kommt. Manchmal kann es empfehlenswert sein, bewusst Motivatorensysteme einzusetzen, die ein negatives Mitarbeiterbild konterkarieren: Ein Vorgesetzter räumt bewusst seinen Mitarbeitern zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten ein, obgleich er der Meinung ist, dass Mitarbeiter gelenkt, gesteuert und kontrolliert werden müssen, um gute Arbeitsergebnisse zu gewährleisten. Die Ausführungen von McGregor verweisen darauf, dass Vorgesetzte die Ursachen mangelnder Motivation nicht nur bei den Mitarbeitern suchen sollten, sondern auch im speziellen Führungsverhalten. Die Frage, mit der sich Vorgesetzte manchmal an Personalfachleute wenden, »Was kann ich tun, um meine Mitarbeiter zu motivieren?«, zeugt stark von einem Mitarbeiterbild entsprechend der Theorie X (»Mitarbeiter sind zunächst demotiviert und müssen erst durch die Führungsperson motiviert werden«). Dagegen verweist die Frage »Welche Umstände demotivieren meine Mitarbeiter?« auf eine Auffassung, die stark der Theorie Y entspricht und Mitarbeiter grundsätzlich als engagiert und motiviert betrachtet. In der obigen Darstellung wurde implizit die Sichtweise von Vorgesetzten übernommen. Man könnte in die Darstellung des Kreislaufs auch die Sichtweise der Mitarbeiter mit einbeziehen, was die Berücksichtigung des »Bildes vom Vorgesetzten« erfordert. Die Erweiterung des Modells wird in Abbildung 22 veranschaulicht.
Abbildung 22: Erweitertes, transaktionales Vorgesetzen-Mitarbeiter-Modell
Grenzen extrinsischer Arbeitsmotivation
179
Die Abbildung verdeutlicht, dass Mitarbeiter und Vorgesetzter sich in einem System wechselseitiger Beeinflussungen befinden und sich in ihrem Verhalten aufeinander beziehen. Zwischen Mitarbeitern und Vorgesetztem findet eine Interaktion statt, die über die Zeit einem Entwicklungsprozess unterliegt. Dies führt dazu, dass sich Mitarbeiter und Vorgesetzte immer mehr aufeinander einstellen. In dem Maß, wie das Bild vom Mitarbeiter ein Spiegel des Mitarbeiterverhaltens ist, kann somit auch das Mitarbeiterverhalten und das Bild vom Vorgesetzten ein Spiegel des Führungsverhaltens sein. Kreisförmige Prozesse haben die Tendenz, sich wechselseitig zu verstärken. Dies kann zu starren Verhaltensmustern und festen Vorstellungen über den anderen führen, sodass eine Veränderung der Mitarbeiter-Vorgesetzten-Interaktion möglicherweise sehr schwierig ist. Sofern zwischen Mitarbeitern und Vorgesetztem ein positives Verhältnis besteht, erscheint dies nicht weiter problematisch. Manchmal kann es jedoch passieren, dass aus diesem Kreislauf ein Teufelskreislauf entsteht, der nur schwer aufgelöst werden kann. Eine mögliche Intervention wird eventuell dadurch erschwert, dass den Beteiligten vielfach nicht bewusst ist, dass es sich bei Interaktionen um zirkuläre Prozesse handelt. Jeder der Beteiligten setzt in diesem Kreislauf einen anderen Anfangspunkt: Mitarbeiter erklären ihr Verhalten mit dem Vorgesetztenverhalten, Vorgesetzte erklären ihr Verhalten mit dem Verhalten der Mitarbeiter. »Es scheint eine menschliche Eigenart zu sein, das eigene Verhalten immer als Reaktion zu erleben. Dies erklärt zu einem guten Teil den merkwürdigen Umstand, dass sich in konfliktreichen Auseinandersetzungen meist alle im Recht fühlen« (Schulz von Thun 1981, S. 85). Jede Kommunikation enthält in der unterschiedlichen Sicht der verschiedenen Partner eine Struktur, die als Interpunktion einer Ereignisabfolge erscheint. Diese Tatsache beschreiben Watzlawick et al. (2000, S. 57) als eines von fünf Axiomen über die menschliche Kommunikation.
4.2
Grenzen extrinsischer Arbeitsmotivation
Viele Ansätze der Mitarbeitermotivation bauen auf der in der abendländischen Kultur tief verankerten Vorstellung auf, dass Arbeit im Prinzip etwas Negatives sei, das es nach Möglichkeit zu vermeiden gelte. In der christlichen Vorstellung beginnt die Arbeit mit der Vertreibung aus dem Paradies (»Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen« als Strafe für den Sündenfall), im antiken Griechenland war »normale« Arbeit den Sklaven oder den unteren Sozialschichten vorbehalten, und im Römischen Reich kritisierte Seneca (4 v. Chr. –
180
Zeitgerechte Motivatoren
65 n. Chr.) mit der ironischen Feststellung »Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir« die Philosophenschulen seiner Zeit, die Schul- aber nicht Lebensweisheit lehrten. Bildung war etwas Schönes, Positives – nichts, was man für die Verbesserung der »Arbeit«, im Sinne der Sicherung des Lebensunterhalts, einzusetzen hatte. Dies ist eine Auffassung, die sich in Resten auch heute noch im Lehrkörper der Universitäten, weniger bei den Studierenden, findet. (Man darf nicht vergessen, dass Humboldt seinen Lebensunterhalt mit dem Erbe von seiner Mutter bestreiten konnte und diesbezüglich nicht auf Lehre oder Forschung angewiesen war.) Diese prinzipiell negative Haltung, in der die Arbeit als etwas Entfremdetes gesehen wird, das man nur gezwungenermaßen auf sich nimmt, setzt sich in unserer Sprache fort. Man erhält für die Arbeit ein »Entgelt« (wie »Entschädigung«), eventuell sogar eine »Kompensation«. Die Freizeit wird als Gegensatz zur Arbeitszeit gesehen (ist Arbeit eigentlich unfrei?) und die für die Arbeit gewählten sprachlichen Umschreibungen wie etwa »Tretmühle« oder »Maloche« verweisen ebenfalls auf negative Emotionen. Auch wenn sich allmählich eine andere Grundhaltung zur Arbeit abzuzeichnen scheint, ist dieses negativ-entfremdete Bild heute noch dominierend – auch unter Führungspersonen. Diese sehen zwar häufig ihre eigene Tätigkeit nicht als in diesem Sinne negative »Arbeit« an und würden daher für sich auch die Notwendigkeit besonderer Motivationshilfen durch externe Anreize verneinen, sind aber überwiegend der Meinung, ihre Mitarbeiter zur Arbeit erst motivieren zu müssen. Einen wesentlichen Bestandteil einer solchen (negativen) Vorstellung von Arbeit stellt die extrinsische Arbeitsmotivation dar: Die Arbeitstätigkeit wird nicht ihrer selbst wegen durchgeführt, sondern lediglich als Mittel zum Zweck. Das eigene Verhalten führt zu einem bestimmten Ergebnis, das seinerseits eine Folge für die Bedürfnisbefriedigung hat. Man arbeitet also nicht etwa deswegen, weil die Aufgabe an sich Spaß macht (intrinsische Motivation), sondern weil man andere, durch die Arbeit indirekt erreichbare Vorteile anstrebt. Möchte man auf dieser Grundlage Motivatoren erarbeiten, so kann die Zusammenstellung der Bedürfnisse des Motivationsmodells von Maslow (s. Theorieübersicht: Bedürfnishierarchie nach Maslow, S. 126) eine wichtige Kreativitätshilfe sein. Beispiele für darauf aufbauende Anreizmöglichkeiten sind im Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129 zusammengestellt. Dort wird auch zwischen positiven Anreizen (»Belohnungen«) und zu vermeidenden negativen Folgen (»Bestrafungen«) unterschieden (vgl. Theorieübersicht: Operante Konditionierung, S. 130). Im Allgemeinen gilt, dass eine Person durch die in Aussicht gestellte Bedürf-
Grenzen extrinsischer Arbeitsmotivation
181
nisbefriedigung dann besonders zu einer hohen Aktivität motiviert wird, wenn möglichst viele Defizite bei ihrer Bedürfnisbefriedigung bestehen und daher ein hoher Arbeitseinsatz als »normal« akzeptiert wird. In diesem Sinne entsprechen die zu Beginn dieses Kapitels dargestellten subjektiven Auffassungen erfolgreicher Arbeitsmotivation (vgl. S. 169) nicht nur dem früheren Laienverständnis, sondern auch den Ergebnissen der wissenschaftlichen Psychologie. Hat man ein entsprechend differenziertes und in den allgemeinen gesellschaftlichen Rahmen (vgl. Kapitel 11) passendes Motivatorensystem erarbeitet, braucht eine Führungsperson (angeblich) nur noch eine möglichst stringente und vom Mitarbeiter durchschaubare Verbindung zwischen Leistung und Belohnung/Bestrafung herzustellen (vgl. S. 149) und zum Zweck einer hohen Ergebnis- und Instrumentalitätserwartung für deren Einhaltung zu sorgen. Diese Konzeption besticht durch ihre Einfachheit und durch ihre Passung zu der alten abendländischen Tradition. Allerdings haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse inzwischen so geändert, dass die beschriebenen, einfachen und nahe liegenden Motivatoren und Motivatorensysteme nicht mehr mit der früher gegebenen Effektivität genutzt werden können. Sie haben unter den heutigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erhebliche Nachteile, zu denen unter anderem hohe Kosten, hoher Kontrollaufwand und Entfremdung gehören.
Das Kostenproblem Die einfachste Möglichkeit der Schaffung von Belohnungen sind materielle Anreize, die entweder in Form von Geldzahlungen oder in geldwerten Leistungen (Urlaubsreisen, Sachgeschenke und dergleichen) zugewiesen werden können. In Anbetracht der im Abschnitt 1.3 Subjektive Nutzenbewertung, S. 41 diskutierten Probleme ergeben sich daraus aber folgende Schwierigkeiten: – Die dominierenden Motivatoren auf der materiellen Bedürfnisebene stoßen bei »arrivierten« Mitarbeitern immer mehr auf Grenznutzenprobleme. Die Einkommenssteigerung (zusätzlich gebremst durch progressive Besteuerung) wirkt bei gleicher absoluter Höhe immer weniger als Leistungsanreiz. Dies hat zur Folge, dass für den gleichen Motivationsgewinn immer höhere Beträge für den Mitarbeiter aufgewendet werden müssen. Auf den Umstand, dass Leistungsanreize und Handlungsfolgen für Individuen unterschiedliche Wertigkeiten besitzen können, wurde bereits in Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129 verwiesen. – Die Verwendung von »Strafen« im materiellen Bereich (etwa Gehaltsreduk-
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Zeitgerechte Motivatoren
tionen) stoßen zwar nicht auf Grenznutzenprobleme, aber auf eine Vielzahl von rechtlichen Vorschriften, die ein solches Vorgehen faktisch verhindern. Gleiches gilt für die Bedrohung der Existenzsicherung (durch Kündigung), was als gezielte Maßnahme gegen »unmotivierte« Einzelpersonen nur in extremen Fällen von Fehlverhalten rechtlich möglich ist. – Die Motivatoren der sozialen Bedürfnisebene sind ebenfalls auf Dauer nur bedingt steigerbar, da eine zunehmende Gewährung solcher Vorteile den dadurch erreichten subjektiven Nutzen beeinträchtigt (eine zu große Verteilung von »Statussymbolen«). In vielen Fällen ist auch eine direkte Kontingenz zwischen dem Arbeitsverhalten und der Bedürfnisbefriedigung (zwischenmenschliche Zuwendung) nicht explizit herstellbar. – Der Entzug von Mitteln der Bedürfnisbefriedigung auf der Beziehungsebene ist zwar rechtlich möglich, hat aber so gravierende negative Auswirkungen auf das Arbeitsklima, dass solche »Strafdrohungen« sinnvollerweise in den meisten Fällen unterbleiben. Sie dürften eher unbeabsichtigt von Führungspersonen eingesetzt werden, wie etwa das emotionale und nicht rational gesteuerte Vermeiden von Kontakten zu Mitarbeitern, die man nicht besonders schätzt. – Die Gewährung oder der Entzug von Motivatoren der Selbstverwirklichungs- und Gestaltungsebene stoßen auf ähnliche Probleme wie im Fall der sozialen Motive. Hinzu kommt, dass eine Machtreduktion von Führungspersonen meist nicht mit mehr produktiver beruflicher Leistung, sondern eher mit unternehmensinternen »Kampfmaßnahmen« beantwortet wird. Ein weiterer Kostenaspekt ist, dass ein Mitarbeiter die Möglichkeit zur Bedürfnisbefriedigung nicht nur in seinem jeweiligen Unternehmen hat. Auch andere Unternehmen können materielle Anreize bieten, die möglicherweise sogar über denen des derzeitigen Unternehmens liegen. Insbesondere bei gesuchten, am Arbeitsmarkt nicht in ausreichender Menge verfügbaren Spezialisten kann es zu einer einseitigen Nutzung dieser Bedürfnisebene kommen. Dabei kann es passieren, dass Unternehmen versuchen, sich gegenseitig mit materiellen Anreizen zu überbieten, um knappe Arbeitskräfte zu halten oder zu gewinnen. Dies führt bei den Unternehmen unter Umständen zu sehr hohen Kosten. Es kann somit auf Dauer nicht zweckmäßig sein, wertvolle Mitarbeiter ausschließlich über externe Motivatoren an das Unternehmen binden zu wollen, da die externen Anreize in gleicher Weise von anderen Unternehmen geboten werden können.
Grenzen extrinsischer Arbeitsmotivation
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Kontrollaufwand Damit Leistungsanreize eine Steigerung der Motivation bewirken, ist die Sicherstellung einer größtmöglichen Kontingenz zwischen Arbeitsleistung und Leistungsanreizen erforderlich. Diese Kontingenz bleibt jedoch ohne Wirkung, wenn nicht eine laufende Leistungskontrolle der Mitarbeiter stattfindet: Eine leistungsabhängige Entlohnung ist nicht möglich, wenn die erbrachte Leistung nicht kontinuierlich erfasst wird. Ein Problem hierbei könnte sein, dass zwischen der tatsächlich erbrachten Leistung und der (beispielsweise vom Vorgesetzten) registrierten Leistung erhebliche Unterschiede bestehen können, vor allem dann, wenn sich die Mitarbeiterleistung nicht direkt quantifizieren lässt (gefertigte Stückzahlen). Durch diese nicht materiell-sachliche, sondern über die Einschätzung anderer Menschen laufende Verbindung zwischen Arbeitsleistung und extrinsischen Motivatoren besteht die Möglichkeit, dass Mitarbeiter die gewünschten Folgen nicht durch Leistung, sondern durch andere Formen der Beeinflussung der für die Folgen zuständigen Entscheidungsinstanz anstreben (zum Beispiel besondere Formen der »Beziehungspflege« zum Vorgesetzten). Tatsächlich ist dieses Verhalten auch völlig legitim, wenn Arbeit tatsächlich rein external motiviert wird. In einem solchen Fall entfallen Variablen wie »innere Bindung an das Unternehmen« oder »Freude an der eigenen Leistung« als wichtige Motivatoren. Einige in Unternehmen häufige Verhaltensweisen, die bei einer solchen »Motivations«-Situation den maximalen Nutzen bei geringst möglichem Aufwand zur Folge haben, sind etwa: – Einseitige Ausnutzung von Prämienregelungen auf Kosten des Unternehmensgewinns. Beispiel: Einem Handelsvertreter, dessen Prämien sich am eigenen Umsatz bemessen, erscheint es vorteilhaft, seinen Umsatz durch das Gewähren besonderer Preisnachlässe oder anderer Vorteile für seine Kunden zu steigern, was dem Unternehmensgewinn insgesamt abträglich ist. – Erreichen sozialer Anerkennung durch vorgetäuschte Arbeit, also beispielsweise durch die Ausnutzung von Mitarbeitern und Kollegen. Schließlich hat auch der einschätzende Vorgesetzte Wahrnehmungsverzerrungen (vgl. Abschnitt 2.5 Verzerrungen bei der Interpretation von Informationen, S. 106), die man geschickt nutzen kann. – Missbrauch von Regelungen, die vor allem zum Schutz von Mitarbeitern eingeführt wurden. Warum sollte jemand (wiederum rein extrinsische Arbeitsmotivation unterstellt) nicht alle verfügbaren Möglichkeiten der Krankschreibung, des Abschiebens und Verzögerns von Arbeiten oder bis knapp an die Grenze der Kündigungsmöglichkeit gehende Reduktion der eigenen
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Zeitgerechte Motivatoren
Anstrengung als Optimierungsstrategie seines persönlichen Wohlergehens verfolgen? Alle diese Strategien sind an sich nicht »verwerflich«, sondern sie entsprechen bei einer external motivierten Arbeitshaltung dem rationalen Verhalten zur persönlichen Nutzenmaximierung. Das psychologisch Erstaunliche ist nicht, dass solche Fehlverhaltensweisen tatsächlich manches Mal auftreten, sondern dass sie nicht wesentlich häufiger sind. Die einzige Möglichkeit, um solche schädlichen Verhaltensweisen einzuschränken, sind zunehmende Kontrollen. Dies hat zur Folge, dass Prämienregelungen immer diffiziler und komplizierter werden, die Arbeit möglichst durch objektive Kennziffern bis ins Kleindetail überwacht wird und die Nutzung von Schutzregelungen für Mitarbeiter in Sondersituationen starken Einschränkungen unterliegt. Je stärker sich aber Menschen kontrolliert fühlen, desto größer wird auch die Tendenz, diese Kontrollen zu umgehen und das nicht gewünschte (und durch den Kontrollaufwand vielleicht sogar erst richtig reizvoll gewordene) Verhalten auszuführen (vgl. Theorieübersicht: Reaktanztheorie, S. 334). Abgesehen von der moralischen und rechtlichen Begrenzung der Kontrollmöglichkeiten unter den heute gegebenen Arbeitsbedingungen und den durch Kontrolle ausgelösten Kosten stößt dieses Konzept in vielen Tätigkeitsbereichen auch auf sachlich nicht vermeidbare Grenzen. Die Bereitschaft zum Produzieren hochwertiger innovativer Ideen kann ebenso wenig durch Kontrollmaßnahmen gefördert werden wie die optimale Durchführung der Arbeit in vielen Dienstleistungsberufen. Da solche Arten von Tätigkeiten zunehmend an Bedeutung gewinnen (vgl. Kapitel 9), ist hier eine nicht überschreitbare Grenze des Effekts rein extrinsischer Arbeitsmotivation vorhanden.
Entfremdungsprobleme Abgesehen von der materiellen Komponente stellt sich für jeden Menschen die Frage, ob er die Befriedigung der Bedürfnisse in der Arbeit oder im Privatleben sucht. Schließlich kann man soziale Anerkennung, zwischenmenschliche Zuwendung und Gestaltungsmöglichkeiten auch in der Familie, im Freundesund Bekanntenkreis, in Vereinen oder politischen Organisationen sowie bei der Pflege eines »Hobbys« gewinnen. Die Anstrengung für die Arbeit lohnt sich also nur dann, wenn sich die Bedürfnisbefriedigung im Arbeitsleben besser und leichter erreichen lässt als im Privatleben. Dies ist bei einer entfremde-
Grenzen extrinsischer Arbeitsmotivation
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ten Sichtweise der Arbeit als »Zwang« (und einem halbwegs ausreichenden Geschick in der Gestaltung der Freizeit) wohl nur selten gegeben. Die vom Arbeitgeber gebotenen »Motivatoren« konkurrieren also nicht nur mit den Angeboten anderer Unternehmen, sondern auch mit den Freizeitmöglichkeiten. Interessant ist, dass hohe finanzielle Leistungsanreize dieses Problem sogar noch verschärfen. Das verbesserte Einkommen erhöht die finanziellen Möglichkeiten der Mitarbeiter im Privatleben und führt zu größeren Handlungsund Gestaltungsspielräumen sowie zu einer Steigerung der Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten im außerbetrieblichen Bereich. Eine Konsequenz daraus ist das Streben nach möglichst geringer Arbeitszeit. Warum soll man schließlich auf die Erfüllung der relevanten Bedürfnisse in der Freizeit verzichten, wenn es möglich ist, mit einem relativ geringen Zeitaufwand die subjektiv benötigte finanzielle Grundlage zu erarbeiten? Dass eine solche Einstellung natürlich nicht den Wohlstand der Gesellschaft und die internationale Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft fördert, ist selbstverständlich. Eigentlich ist sie aber eine zwingend logische Folge aus den Versuchen, die Arbeitsmotivation auf eine ausschließlich extrinsische Basis zu stellen. Ein weiterer Nachteil extrinsischer Bekräftigungen könnte die Reduktion intrinsischen Interesses an der Arbeitsaufgabe (vgl. Korrumpierungseffekt, s. S. 147) sein. Auch muss damit gerechnet werden, dass Mitarbeiter unter dem »Druck« einer ausgesetzten Belohnung ein weniger anspruchsvolles Niveau der Aufgabenausführung bevorzugen (Harter 1978; Shapira 1976) und flüchtiger arbeiten. Dieser Druck kann auch zu einem so genannten »Pawn«-Erleben führen.
Theorieübersicht: Persönliche Verursachung
Das Konzept der »persönlichen Verursachung« (»personal causation«) und der »kausalen Autonomie« unterscheidet zwei Persönlichkeitstypen, deren Namensgebung in Anlehnung an das Schachspiel erfolgte (DeCharms 1968): Verursacher (Origins) betrachten sich selbst als Auslöser des eigenen Handelns und erleben ihr Handeln als frei und selbstbestimmt. Wohingegen Bauern (Pawns) Dritte und äußere Zwänge als Auslöser für das eigene Handeln betrachten. Sie erleben ihr Handeln eher als fremdbestimmt. Die Einstufung von Personen auf der als kontinuierlich definierten OriginPawn-Dimension erfolgt nach dem Kriterium, inwieweit Personen sich selbst oder äußere Umstände als »Verursacher« des eigenen Handelns einschätzen. Entscheidend ist, wie das eigene Verhalten subjektiv erlebt wird und nicht, wie
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Zeitgerechte Motivatoren
andere Personen die Verursachung des Handelns einschätzen. Das Konzept der »persönlichen Verursachung« richtet sich nur auf die Verursachung des Handelns, nicht jedoch auf die Verursachung von (Handlungs-)Ergebnissen. Mit Letzterem beschäftigen sich Konzepte wie beispielsweise die Kontrollüberzeugung (s. S. 69). Während unter »persönlicher Verursachung« das Ausmaß beschrieben wird, in welchem Menschen subjektiv davon überzeugt sind, selbst Verursacher des eigenen Handelns zu sein, ist unter Kontrollüberzeugung das Ausmaß zu verstehen, in dem sich Menschen selbst Kontrolle über das eigene Leben und über Ereignisse, von denen sie betroffen sind, zuschreiben. Auch ist das Konzept abzugrenzen von dem Konstrukt der Selbstwirksamkeitsüberzeugung (s. S. 70). Dieses bezieht sich auf die Überzeugung, ein Verhalten bei Bedarf ausführen zu können (im Sinne von dazu fähig sein), während sich das Konzept der »persönlichen Verursachung« darauf bezieht, ob man sich selbst als Verursacher der eigenen Handlungen betrachtet. Der Zustand, in dem man deutlich spürt, Auslöser des eigenen Verhaltens zu sein, wird als »Origin-Feeling« bezeichnet. Dieses ist gekennzeichnet durch das Gefühl der Selbstbestimmung und davon, selbst Herr der eigenen Entscheidungen und Handlungen zu sein. Dagegen erleben sich Menschen mit »Pawn-Feeling« eher als fremdbestimmt und herumgestoßen. Die Ausprägung des Erlebens der persönlichen Autonomie hat erhebliche Konsequenzen auf die Motivation. Origins zeigen sehr viel mehr Initiative und Verantwortung. Ihre Arbeitsintensität ist höher als bei Pawns, und sie sind in höherem Ausmaß bestrebt, sich Ziele zu setzen. Auf die hohe Bedeutung des Autonomieerlebens verweist auch die Theorie der Selbstbestimmung (vgl. Deci u. Ryan 1993). Sie benennt drei Bedürfnisse, die einen entscheidenden Einfluss auf die Motivation haben: Autonomy (Autonomie, Selbstbestimmung), Effectancy (Kompetenz) und Affiliation (soziale Eingebundenheit). Das Streben nach Erfüllung dieser Bedürfnisse kann eine wichtige Grundlage intrinsischer Motivation sein. Ob sich Menschen eher als Origins oder als Pawns erleben, hängt sehr stark von situativen Faktoren ab (Tausch u. Tausch 1971). So zeichnet sich beispielsweise eine Pawn-begünstigende Situation durch einen autokratischen Führungsstil (s. Theorieübersicht: Führungsstile, S. 258) aus, während ein OriginKlima von Entscheidungsspielräumen geprägt ist. Das Erleben persönlicher Verursachung kann durch Setzen realistischer Ziele, Erkennen eigener Stärken und Schwächen, Bestimmung konkreter Handlungsweisen zur Erreichung der gesteckten Ziele sowie Rückmeldung gefördert werden (DeCharms 1972).
Intrinsische Arbeitsmotivation und Führung
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In Anbetracht der vielfältigen Probleme extrinsischer Arbeitsmotivatoren lässt sich zusammenfassend feststellen, dass sich die Betonung dieser Anreizsysteme in der Wirtschaft nicht logisch-konzeptuell nachvollziehen lässt. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Folge von Grundeinstellungen, die den heutigen Arbeitsbedingungen und der Bereitschaft vieler Menschen zum Engagement im Beruf nicht mehr entspricht. Vermutlich würde heute jedes Unternehmen in Kürze in Konkurs gehen, wenn seine Mitarbeiter tatsächlich nur so viel arbeiten würden, wie zur Vermeidung von Nachteilen innerhalb des eingeführten Motivationssystems vonnöten ist. Hier sind nicht kleine Details im Rahmen entsprechender Motivationssysteme (Verbesserung der Kontingenz zwischen Verhalten und Belohnung oder gar eine zunehmende Verfeinerung der Kontrollmechanismen) zu verändern, sondern das prinzipielle Menschenbild, das einer solchen Konzeption von Motivation zugrunde liegt (vgl. Theorieübersicht: Mitarbeiterbilder, S. 170).
4.3
Intrinsische Arbeitsmotivation und Führung
Man kann dem Zerrbild einer rein extrinsischen Motivation, nach der Menschen als ein von außen zur Arbeit getriebenes »Reflexbündel« (vgl. Theorieübersicht: Mitarbeiterbilder, S. 170) betrachtet werden, die Vorstellung »Arbeit als Glück bereitende Selbsterfüllung« gegenüberstellen. Es ist biologisch gesehen keineswegs so, dass der Normalzustand des Menschen die Inaktivität wäre, die er nur wegen äußerer Zwänge gelegentlich unterbricht. Im Gegenteil: Unser gesamter Organismus ist auf Aktivität angelegt. Praktisch von Geburt an suchen wir aus innerem Antrieb heraus Gelegenheiten zum Handeln, natürlich immer wieder unterbrochen durch (ebenfalls als angenehm erlebte) Ruhephasen. Da überdies bei jeder auch nur halbwegs gelungenen Sozialisation davon ausgegangen werden kann, dass Menschen zur Kooperation mit anderen befähigt sind und nicht nur unmittelbar egozentrische Ziele verfolgen, sind alle Voraussetzungen für produktives Arbeiten auch ohne externe, von anderen Menschen gezielt eingesetzte »Motivatoren« gegeben. Man kann auf dieser Grundlage durchaus plausibel ein Weltbild konzipieren, in dem die Menschen ausschließlich aus innerem Antrieb heraus beglückt ihre Arbeit verrichten und sich freuen, damit etwas Positives für die Gesellschaft zu leisten. Auf dieser Basis kann leicht die Vorstellung von der »Arbeit als Glück bereitende Selbsterfüllung« entstehen. Vor dem Hintergrund eines in unserer Denktradition noch immer dominierenden Weltbilds erzwungener, entfremdeter Arbeit mag manchen von uns diese Vorstellung jedoch absurd erscheinen. Sie ist aber in Anbe-
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Zeitgerechte Motivatoren
tracht der heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse nicht weniger irreal als das Bild des »von außen gesteuerten Reflexbündels« von Mitarbeitern in einem modern geführten Unternehmen. Es gibt viele Beweise für die enorme Bedeutung »freiwilliger« Arbeit. Nur einige seien herausgegriffen: – Zu allen Zeiten haben gesellschaftliche Eliten »gearbeitet«, auch wenn sie es aufgrund ihrer Macht und ihres Vermögens bei einer rein extrinsischen Betrachtung nicht nötig gehabt hätten. In Anbetracht der gesicherten materiellen Existenz und des hohen Sozialstatus wurden dabei Tätigkeiten ausgewählt, die bei ihrer Ausübung eine besondere Befriedigung von Gestaltungsmotiven boten (Politik, Militär, Verwaltung). Zwar gab es auch schon früher das »Playboy-Syndrom«, doch hat stets ein überwiegender Teil der privilegierten gesellschaftlichen Gruppen die freiwillige Übernahme von Verantwortung einem »arbeitslosen« Leben vorgezogen. – Heute arbeitet ein erheblicher Anteil von Personen, vor allem in herausgehobenen Positionen, ohne echten externalen Nutzen. Viele erfolgreiche Freiberufler und Spitzenkräfte der Wirtschaft sind schon lange vor ihrem altersbegründeten Ausscheiden, das viele Personen aus dieser Gruppe überdies noch so lange wie möglich hinauszögern, in jeder »externalen« Hinsicht ausreichend gesättigt, ohne dass sie ihren Arbeitseinsatz wesentlich reduzieren würden. – In sehr vielen »normalen« Arbeitsverhältnissen gibt es keine relevanten positiven externen Anreize und nur bei extremen Leistungsausfällen negative Sanktionen. Trotzdem arbeiten die meisten Menschen in solchen Positionen im Vergleich zu der für eine Sanktionsvermeidung notwendigen Grenze relativ viel. Hierzu gehört ein erheblicher Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die für sich keine weiteren Beförderungsmöglichkeiten mehr sehen, und jene Mitarbeiter in der Wirtschaft, für die zwar nicht rechtlich aber faktisch eine ähnliche Kombination von Sicherheit und fehlenden Leistungsanreizen wie für Beamte gegeben ist. – Die enorme Aktivität und Leistung vieler Menschen im Freizeitbereich zeigt, wie viel Potenzial im Berufsleben nicht ausreichend genutzt wird. Straßenfeste werden »freiwillig« mit erstaunlichem Geschick organisiert, der Schriftverkehr oder die Kasse des Vereins mit einer Akribie geführt, wie sie sonst nur herausragende Buchhalter an den Tag legen, und sogar einfachste Tätigkeiten (wie etwa die Beseitigung von Müll) werden in der Freizeit freudig von Personen ausgeführt, die im Betrieb nicht im Traum daran denken würden, auch nur ihren eigenen Schreibtisch zu säubern. Allerdings dürften der Umfang und die gesellschaftliche Bedeutung ehrenamtlicher
Intrinsische Arbeitsmotivation und Führung
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Tätigkeit in Deutschland nicht so hoch sein wie in anderen Ländern. In Großbritannien ist etwa die regelmäßige Mitarbeit in »Charities« wesentlich weiter verbreitet. Angesichts der Existenz hoher intrinsischer Arbeitsmotivation stellt sich die Frage: Warum ist die hohe intrinsische Arbeitsmotivation nicht in den subjektiven Weltbildern von Führungspersonen über die Motivation ihrer Mitarbeiter in ausreichendem Maß enthalten? Es ist bemerkenswert, dass im Gegensatz dazu die meisten Führungspersonen nicht im Geringsten daran zweifeln, dass sie selbst zumindest zu einem erheblichen Teil intrinsisch motiviert sind. Die Gründe dafür könnten sein: – Gefährdung der eigenen Position: Führungspersonen befürchten bei intrinsischer Arbeitsmotivation der Mitarbeiter eine subjektive Entwertung der eigenen Funktion. Wozu braucht man eigentlich noch Führung, wenn alle Mitarbeiter eigenmotiviert ihre Tätigkeit verrichten? – Unzureichende Empathie: Manchen fällt es schwer, sich vorzustellen, dass etwa für einen ungelernten Arbeiter das sorgfältige, in einer ganz bestimmten Weise erfolgende Stapeln leerer Fässer ebenso intrinsisch befriedigend sein kann wie für die Führungskraft das Entwerfen einer neuen Unternehmenskonzeption. – Unreflektierte Übernahme von Denkmodellen aus anderen Bereichen, vor allem aus der Technik: Eine »Maschine« tut nichts aus intrinsischer Motivation, sondern leistet nur dann etwas, wenn man ihr Energie von außen zuführt. Warum sollte dies bei Menschen anders sein? – In manchen Fällen liegt möglicherweise auch eine Form von Klassendenken vor: »Ich bin/wir sind« intrinsisch motiviert, die »anderen« sind es nicht, mit allen daraus folgenden Konsequenzen (vgl. zur »Blockbildung« zwischen sozialen Gruppen Abschnitt 8.2 Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung«, S. 321). Dies begründet stärker als graduelle Leistungsunterschiede besondere Privilegien und unterstützt den eigenen Führungsanspruch. Das Unterstellen unterschiedlich motivierter »Klassen« findet sich aber nicht nur bei (einigen) Führungspersonen, sondern war auch fundamental für die klassische Arbeiterbewegung. In Anbetracht der Bedingungen industrieller Arbeitsplätze in der Gründerzeit, die aufgrund der enormen zeitlichen und körperlichen Belastung eine intrinsische Motivation kaum nahe legten, reduzierte sich die theoretische Analyse im Wesentlichen auf die Unterscheidung zwischen denjenigen, die ihre Arbeit »verkaufen«, und den anderen, die die
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Arbeitsergebnisse finanziell für sich nutzen wollten. Aus dieser Zweiteilung ergab sich logisch ein wechselseitiger Kampf, der vonseiten der Arbeitnehmer nur durch solidarisches Verhalten gewonnen werden konnte. Kampfziel war dabei, den Aufwand (Arbeitszeit und Arbeitsintensität) so gering und die dafür erzielte Entlohnung so hoch wie möglich zu halten. Die Gegenseite vertrat »naturgemäß« die umgekehrte Zielsetzung. Diese »Frontstellung« und damit die Solidarität der Arbeitnehmer (vgl. Abschnitt 8.1 Solidarität versus individuelle Durchsetzung – ein grundlegendes Gegensatzpaar unseres Wertesystems, S. 316) ist aber dann gefährdet, wenn Mitarbeiter ihre Tätigkeit intrinsisch motiviert ausführen. Wer Spaß an der Arbeit hat, ist mehr an der individuellen Ausgestaltung seiner Tätigkeit interessiert (was eine kontinuierliche Kooperation mit der Führungskraft erfordert) als am solidarischen Kampf um zum Beispiel kürzere Arbeitszeiten. Dies mag mit ein Grund dafür sein, weshalb bei Gewerkschaftsvertretern in manchen Unternehmen Vorhaben zur Verbesserung der intrinsischen Arbeitsmotivation durch individualisierte Arbeitsgestaltung auch heute noch manchmal auf Schwierigkeiten stoßen. Der Grundirrtum des Marxismus im Hinblick auf die Veränderung des Kapitalismus könnte möglicherweise seinen Ursprung in der Missachtung intrinsischer Arbeitsmotivation haben. Die Vorhersage von Marx, dass sich auf Dauer die Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger Kapitaleigner, deren Anzahl noch dazu durch Prozesse der Kapitalkonzentration schrumpft, nicht halten kann, war völlig zutreffend. Abgelöst wurde diese Schicht aber nicht durch eine Machtübernahme der Arbeiter (wie von Marx angenommen), sondern durch eine in sich vielfach geschichtete Gruppe von Führungspersonen. Die Motivation dieser Gruppe liegt im Wesentlichen nicht in den unmittelbaren persönlichen Folgen des Unternehmensgewinns (sofern sie überhaupt an diesem direkt beteiligt sind). Entscheidend sind vielmehr die Identifikation mit der übernommenen Aufgabe und die damit verbundene intrinsisch motivierte Vertretung der Interessen des Unternehmens. Die Entwicklung einer solchen Gruppe lässt sich natürlich nicht voraussagen, wenn man die Arbeit für ein Unternehmen als rein external motiviert ansieht. Bei einer streng psychologisierenden Sichtweise kann man sogar die These vertreten, dass das praktische Scheitern des Sozialismus in Osteuropa zum Teil auf die Vernachlässigung der intrinsischen Arbeitsmotivation zurückgeht. Weder die Führungsstrukturen noch die Gestaltung der meisten Arbeitsplätze nahmen auf diese Motivgruppe ausreichend Rücksicht. Auch wurde dem Aspekt der Befriedigung von Gestaltungsbedürfnissen (vgl. S. 131) vieler Mitarbeiter kaum Beachtung geschenkt. Es wäre fatal, wenn auch die heutigen Meinungsführer in der (westlichen) Wirtschaft das Streben nach intrinsischer Arbeits-
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motivation in allen Hierarchiestufen der Unternehmen in gleicher Weise verkennen und infolgedessen die zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen ebenso falsch einschätzen würden. Bei extrinsischen Arbeitsanreizen muss eine Führungsperson dafür sorgen, dass Mitarbeiter bei guter Arbeitsleistung eine hohe Chance haben, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Das gleiche Prinzip gilt für die Nutzung der intrinsischen Motivation, nur muss hier nicht die Kombination von Mitarbeiter, Leistung und Belohnung, sondern die Verbindung zwischen Mitarbeiter, Leistung und Arbeitsinhalten (Arbeitsbedingungen) optimiert werden. Die Grundlage dafür ist eine prinzipielle Passung des Stelleninhabers zu seinem Tätigkeitsfeld. Daher sollte man schon bei der Einstellung und Personalplatzierung beachten, ob angesichts der Motivationslage eine entsprechende (mittelfristige) Übereinstimmung besteht. Dabei treten folgende Probleme auf: – Die Persönlichkeit, besonders die Motivstruktur von Mitarbeitern wird zu wenig beachtet, was auch mit den Schwierigkeiten der Erfassung dieser Aspekte ohne entsprechende psychologische Instrumente zusammenhängt. – Man muss damit rechnen, dass in vielen Fällen Bewerber bestrebt sind, sich in den entscheidenden Variablen »schlechter« darzustellen, als sie wirklich sind. Dies gilt zumindest dann, wenn Bewerber in Anbetracht fehlender beruflicher Alternativen dazu geneigt sind, Positionen mit einer relativen Unterforderung anzustreben. Während die meisten diagnostischen Instrumente sich als resistent gegenüber Verfälschungen »nach oben« erweisen (so kann niemand durch »Vortäuschen« in einem Leistungstest besonders gute Werte erreichen), sind nahezu alle diagnostischen Verfahren gegenüber Verfälschungen »nach unten« anfällig. Wenn man sich mangels Alternativen trotz guter Fachkenntnisse, starker Teamfähigkeit und hohem Ehrgeiz für eine eher »einfache« Stelle mit wenig Entwicklungsmöglichkeiten bewirbt, ist es nicht sehr schwer, sich glaubwürdig als »passend« für diese Positionen darzustellen. – Natürlich trifft es mindestens ebenso oft auch das Gegenteil in Erscheinung: Bewerber, die mit »Blenden« versuchen, eine weit über ihrem Potenzial liegende Stelle zu erhalten. Hier können allerdings professionelle eignungsdiagnostische Instrumente helfen, Fehlentscheidungen zu vermeiden. – Besonders schwierig ist die Prognose der Entwicklung des Anspruchsniveaus und der Motivation über die Zeit. So ist gerade bei zunächst hoher Passung zwischen Anspruchsniveau und Arbeitsanforderung mit einer hohen Motivation und einer erfolgsbringenden Aufgabenerfüllung zu rechnen. Dies kann jedoch dazu führen, dass das Anspruchsniveau des Mitarbeiters an seine Arbeitsstelle wächst, sodass die ursprüngliche Passung nicht
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Zeitgerechte Motivatoren
mehr gegeben ist. Im weiteren Verlauf kann es schließlich zu einer Abnahme der intrinsischen Arbeitsmotivation kommen. Diese Schwierigkeiten führen dazu, dass die auch heute noch in vielen Unternehmen übliche »Laiendiagnostik« schnell an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kommt und durch wissenschaftlich fundierte Verfahren ergänzt werden müsste. Allerdings ist auch die psychologische Eignungsdiagnostik bei ihrem derzeitigen Entwicklungsstand nicht ganz befriedigend. Es müssen gerade im Hinblick auf die Erfassung der motivationalen Passung noch wesentliche Fortschritte erzielt werden. Abgesehen von dem diagnostischen Problem ergibt sich aufgrund der internen Dynamik der Motivationsvariablen die Notwendigkeit einer fortlaufenden, zielgerichteten Veränderung der Arbeitssituation, was nur durch die entsprechenden Führungspersonen geleistet werden kann. Hierbei sind zwei Strategien möglich: – Eine vom Arbeitserfolg abhängige Stellengestaltung: Als Folge der erbrachten Leistung werden zielgerichtete Veränderungen der Arbeitsaufgabe und der Arbeitsbedingungen vorgenommen. Bei diesem Vorgehen wird, analog zur Verwendung externaler Motivatoren, eine der persönlichen Motivation des Mitarbeiters besonders entgegenkommende Arbeitszuweisung oder Arbeitsgestaltung als Belohnung für besondere Leistung geboten: typisch etwa bei Beförderungen. – Eine vom Arbeitserfolg unabhängige Stellengestaltung: Die Gestaltung der Arbeitsaufgaben und Arbeitsbedingungen erfolgt nicht in Abhängigkeit von der Leistung des Mitarbeiters, sondern hat den Sinn, sein Wohlbefinden am Arbeitsplatz und damit seine Leistung zu fördern. Ein Beispiel dafür wäre das Einsetzen eines wenig erfolgreichen Verkäufers im (vielleicht sogar persönlich angestrebten) Innendienst, nicht als »Belohnung« für den schlechten Verkauf, sondern in der Erwartung einer dort besseren Leistung. Beide Strategien haben spezifische Vor- und Nachteile. Die »eleganteste« Form ist die Arbeitsgestaltung ohne Bezug zur erbrachten Leistung, also ohne einen expliziten Belohnungscharakter. Sie erfordert aber nicht nur ein ungewöhnliches Geschick der Führungsperson, sondern auch besonders glückliche externe Umstände, die eine stark auf die jeweilige Person abgestellte Arbeitsgestaltung ermöglichen. Praktisch realisiert wird dieses Vorgehen daher vor allem bei Spezialisten in den »Think-Tanks« in der Forschung und Entwicklung, das heißt Personen ohne konkret zugewiesene Arbeitsaufgabe (wie wissenschaftliche Mitarbeiter an Universitäten) und bei Führungspersonen der obersten
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Ebene, denen man die Gestaltungsmöglichkeit ihres Arbeitsbereichs oftmals ebenso weitgehend überlässt wie die Auswahl ihrer bevorzugten konkreten Arbeitsinhalte. Die erste Strategie entspricht von der Grundkonstruktion her dem Vorgehen einer externalen Motivation, da hier als Motivationsanreiz Belohnungen eingesetzt werden. Sie erweitert aber nicht nur die Menge der von der Führungsperson nutzbaren Leistungsanreize, sondern vermeidet auch Entfremdungseffekte, da »Mehrarbeit« (höhere Eigenständigkeit und Verantwortung, anspruchsvollere Arbeitsinhalte, vergrößerter Zuständigkeitsbereich) in diesem Fall positiv erlebt wird. Statt in einer solchen Neugestaltung der eigenen Aufgabe eine zusätzliche Belastung zu sehen, die (zum Beispiel laut Tarifvertrag) durch ein höheres »Entgelt« abgegolten werden muss, wirken solche Veränderungen an sich als Belohnung. Ein Problem dieses Vorgehens liegt in der Art der zu bewältigenden Arbeit. Schließlich müssen auch diejenigen Tätigkeiten, die über ein geringes Potenzial einer intrinsischen Motivation verfügen, von jemandem erledigt werden. Eine andere Schwierigkeit ist die in vielen Tarifverträgen formal festgelegte Zuordnung von Arbeitsinhalten und Bezahlung. So darf etwa im öffentlichen Dienst einer Sekretärin der Gehaltsgruppe BAT VII so gut wie nichts zur selbständigen Erledigung überlassen werden, auch wenn sie dazu befähigt ist und solche Aufgaben gerne übernehmen würde. Geht der Vorgesetzte darauf ein (entweder aufgrund der Arbeitsmotivation der Mitarbeiterin oder wegen der Entlastung seiner eigenen Tätigkeit), läuft er Gefahr, dass daraus ein Rechtsanspruch auf eine höhere Bezahlung resultiert. Steht im jeweiligen Haushaltsplan aber dafür keine Position zur Verfügung, muss der Vorgesetzte im Extremfall damit rechnen, auf dem Regressweg die Gehaltsdifferenz aus seinem eigenen Einkommen bestreiten zu müssen. Offensichtlich konnten sich die Verantwortlichen solcher Regelungen nicht vorstellen, dass dem persönlichen Potenzial angemessene, »höherwertige« Tätigkeiten für viele Mitarbeiter wesentlich mehr Freude bringen als einfache. Dies ist eine typische Folge des Negierens der intrinsischen Arbeitsmotivation.
4.4
Integrative Modelle der Arbeitszufriedenheit
Die erreichte Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit ist stets ein Ergebnis der subjektiven Bedürfnisse, der Merkmale der Arbeitssituation und dem konkreten Ausmaß der Bedürfnisbefriedigung. Auf diese Zusammenhänge verweist das Modell der Arbeitszufriedenheit von Bruggemann (1974).
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Zeitgerechte Motivatoren
Theorieübersicht: Arbeitszufriedenheit
Das Modell der Arbeitszufriedenheit (s. Gebert u. Rosenstiel 1989; Six u. Kleinbeck 1989) beschreibt verschiedene Arten und Qualitäten der Arbeitszufriedenheit. Bei der Betrachtung der Entstehung und Ausprägung von Arbeitszufriedenheit (AZ) stellt Bruggemann (1974) die Interaktion von Person und Situation in den Vordergrund. Arbeitszufriedenheit ist das Ergebnis eines kognitiven Informationsverarbeitungsprozesses, der folgende Komponenten umfasst: 1) Soll-Ist-Vergleich zwischen den Erwartungen des Mitarbeiters (Soll-Zustand) und der gegebenen (Arbeits-)Situation (Ist-Zustand), 2) Veränderung oder Aufrechterhaltung des Anspruchsniveaus (Soll-Zustand) in Abhängigkeit vom Grad der Bedürfniserfüllung, 3) Problembearbeitungsstrategien für den Fall der Nichtbefriedigung von Erwartungen oder Bedürfnissen (Problemlösung, -fixierung, -verdrängung). Die Entstehung der diversen Ausprägungen von Arbeitszufriedenheit findet sich vereinfacht in Abbildung 23 dargestellt (in Anlehnung an Bruggemann et al. 1975, S. 134f.).
Abbildung 23: Modell der Arbeitszufriedenheit
Integrative Modelle der Arbeitszufriedenheit
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Fällt der Soll-Ist-Vergleich positiv aus, das heißt erfüllt der Ist-Zustand den Soll-Zustand, kommt es zu Zufriedenheit. Werden im Weiteren das Anspruchsniveau (AN) beziehungsweise die Erwartungen (Soll-Zustand) erhöht, entsteht dadurch erneut eine (selbst herbeigeführte) Soll-Ist-Differenz und damit eine Unzufriedenheit. Da davon ausgegangen wird, dass die Person versuchen wird, diese erneute Soll-Ist-Differenz durch eine Veränderung oder Angleichung des Ist-Zustands auszugleichen, spricht man von der »progressiven Arbeitszufriedenheit«. Wird dagegen das Anspruchsniveau beibehalten, bezeichnet man dieses als »stabilisierte Arbeitszufriedenheit«. Fällt der Soll-Ist-Vergleich negativ aus, das heißt erfüllt der Ist-Zustand nicht den Soll-Zustand, kommt es zur Unzufriedenheit. Die Angleichung oder Herabsenkung des Solls wird als »resignative Zufriedenheit« (s. Abb. 23) bezeichnet. Für die Beibehaltung des Anspruchsniveaus können drei verschiedene Arten der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit unterschieden werden. Die subjektiv empfundene Soll-Ist-Differenz kann dadurch aufgehoben werden, indem die Wahrnehmung des Ist-Zustands verfälscht wird, sodass es zur so genannten »PseudoZufriedenheit« kommt. Werden keine Versuche zur Aufhebung der Soll-Ist-Differenz unternommen, wird von der »fixierten Arbeitsunzufriedenheit« gesprochen. Zur »konstruktiven Arbeitsunzufriedenheit« kommt es, wenn der Mitarbeiter konkrete Versuche unternimmt, die Soll-Ist-Differenz durch eine Veränderung des Ist-Zustands zu beheben. Die Formen der Arbeitszufriedenheit oder -unzufriedenheit können danach unterschieden werden, inwieweit eine Veränderung am Soll-Zustand und am Ist-Zustand vorgenommen wird: 1) Veränderung am Soll-Zustand (Anspruchsniveau): – progressive Zufriedenheit, – resignative Zufriedenheit. 2) Veränderung am Ist-Zustand: – Pseudo-Zufriedenheit (Veränderung erfolgt nur in Bezug auf den subjektiv wahrgenommenen Ist-Zustand), – konstruktive Unzufriedenheit. 3) Keine Veränderung, weder am Soll- noch am Ist-Zustand: – stabilisierte Zufriedenheit, – fixierte Unzufriedenheit. Die Veränderung des Anspruchsniveaus (2. Prozess) und die Problembearbeitungsstrategien (3. Prozess) wirken bei den meisten Arten der Zufriedenheit in Richtung eines Ausgleichs zwischen Soll- und Ist-Zustand (aus diesem Grunde könnte es sich anbieten, anstelle von »konstruktiver Unzufriedenheit« die Be-
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Zeitgerechte Motivatoren
zeichnung »konstruktive Zufriedenheit« einzuführen). Bei zwei Formen der Arbeitszufriedenheit ist aufgrund der genannten Prozesse jedoch mit einer fortgesetzten Soll-Ist-Differenz zu rechnen: bei der progressiven Zufriedenheit und bei der fixierten Unzufriedenheit. (Daher könnte es sich bei der »progressiven Zufriedenheit« auch anbieten, von »progressiver Unzufriedenheit« zu sprechen.) Diese Soll-Ist-Differenzen können als ein »unbalancierter« Zustand verstanden werden, der von den betroffenen Person in besonderem Maß Toleranz gegenüber kognitiven Dissonanzen (oder das Aushalten kognitiver Dissonanzen) und kognitiven Spannungen (vgl. Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82) erfordert. Wie in der Abbildung gezeigt, kommt das Modell von Bruggemann der Forderung nach Berücksichtigung der intrapersonalen Dynamik bei der Entstehung und Änderung von Arbeitszufriedenheit sehr nahe. Demgegenüber muss kritisch angemerkt werden, dass das Modell die Bedingungen für das Eintreten von Anspruchsniveauveränderungen sowie die Auswahl der jeweiligen Problemlösungsstrategien durch Mitarbeiter nur unbefriedigend erklärt. Bei dem Modell von Bruggemann wird deutlich, dass die durch den Soll-IstVergleich ausgelöste Zufriedenheit (bzw. Unzufriedenheit) für sich allein nicht immer positiv (bzw. negativ) hinsichtlich der Arbeitsmotivation zu bewerten ist. Eine positive Befindlichkeit kann dazu führen, dass man die Situation beibehält, ohne weitere Verbesserungen herbeiführen zu wollen. Das kann nach dem Prinzip »Stillstand ist Rückschritt« zumindest für den größten Teil der Beschäftigten nicht wünschenswert sein (stabilisierte Arbeitszufriedenheit). Dagegen bieten Mitarbeiter mit einer progressiven Zufriedenheit oder einer konstruktiven Unzufriedenheit das größte Potenzial, Veränderungen umzusetzen. So kann beispielsweise Arbeitsunzufriedenheit in konstruktiver Form motivationsfördernd wirken, wenn die Situation so beschaffen ist, dass neue Problemlösungsversuche und Anstrengungen eine objektive Verbesserung erwarten lassen. Hingegen kann auch der Fall eintreten, dass Unzufriedenheit keinen motivationssteigernden Effekt hat und sich sogar insgesamt negativ auswirken kann. Bei einem unbefriedigenden Soll-Ist-Vergleich ist Arbeitszufriedenheit dann möglich, wenn das Anspruchsniveau gesenkt wird, was zu einer resignierenden Haltung bis hin zur inneren Kündigung reichen kann (resignative Zufriedenheit), oder wenn dazu übergegangen wird, die Situation verfälscht wahrzunehmen, um vor sich und anderen das Bild eines zufriedenen Mitarbeiters aufrechterhalten zu können (Pseudo-Zufriedenheit). An beiden »Bewältigungsstrategien« kann ein Unternehmen auf Dauer kein
Integrative Modelle der Arbeitszufriedenheit
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Interesse haben. Es besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter eher zu diesen »subjektiven« Strategien der »Zufriedenheitssteigerung« tendieren, da sich diese in der Regel sehr viel leichter umsetzen lassen als konstruktive Veränderungen des Ist-Zustands (was immer auch das Potenzial neuer Konflikte mit Vorgesetzten oder Kollegen beinhaltet). Die vielfältigen Formen der Arbeitszufriedenheit sollten beachtet werden, wenn in einem Mitarbeitergespräch (oder einer Mitarbeiterbefragungen) die Aussage vorgebracht wird: »Ich bin zufrieden.« Ob ein hoher Grad von Zufriedenheit für das Unternehmen positiv ist oder auf fehlendem Änderungswillen, Motivationsverlust und auf dem Aufbau von subjektiven »Scheinwelten« bei den Mitarbeitern beruht, kann allein aus dieser Zufriedenheitseinschätzung nicht abgeleitet werden. In gleicher Weise sind auch Befunde einer relativ geringen Arbeitszufriedenheit nicht ausschließlich negativ zu sehen. In jedem Fall kommt es darauf an, in welcher Weise das Unternehmen oder die Führungsperson Äußerungen der Arbeitszufriedenheit interpretiert. In einem Mitarbeitergespräch sollten daher die Gründe eventueller Zufriedenheitsäußerungen ausfindig gemacht werden, um somit Anhaltspunkte für die Art der (Un-)Zufriedenheit zu erhalten.
Theorieübersicht: Zwei-Faktoren-Theorie der Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmotivation
Im Mittelpunkt der Theorie von Herzberg (1966) stehen die Faktoren, die die Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmotivation von Mitarbeitern beeinflussen. Herzberg verwendete die »Methode der kritischen Ereignisse« (Critical Incident Technique). Er setzte ein halbstrukturiertes Interview ein, bei dem die Mitarbeiter gebeten wurden, sich an Arbeitssituationen zu erinnern, bei denen sie besonders zufrieden oder unzufrieden waren. Es zeigte sich, dass Arbeitszufriedenheit und Arbeitsunzufriedenheit nicht Pole einer einzigen Dimension sind, sondern zwei unterschiedliche Dimensionen darstellen. Ferner konnten Faktoren identifiziert werden, die einen Einfluss auf die Zufriedenheit beziehungsweise die Unzufriedenheit haben. Jene Faktoren, die die Arbeitszufriedenheit beeinflussen, nannte Herzberg »Motivatoren«, Faktoren mit Einfluss auf die Arbeitsunzufriedenheit »Hygienefaktoren«: Motivatoren sind Bedingungen, die sich unmittelbar aus dem Arbeitsvollzug ableiten und Arbeitszufriedenheit fördern. Wichtige Motivatoren sind Leistungserfolg, Anerkennung, Entfaltungsmöglichkeiten, Übernahme von Verantwortung. Positive Ausprägungen der Motivatoren führen zu einer Arbeits-
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Zeitgerechte Motivatoren
zufriedenheit, negative Ausprägungen jedoch nicht zu einer Unzufriedenheit der Mitarbeiter. Hygienefaktoren sind Arbeitsbedingungen (Kontextfaktoren), die nicht unmittelbar mit der Arbeit selbst zusammenhängen, wie Gehalt, soziale Beziehungen am Arbeitsplatz, Status, Führungsbeziehungen et cetera. Charakteristisch für Hygienefaktoren ist, dass ihre negative Ausprägung zu einer Arbeitsunzufriedenheit der Mitarbeiter führt. Positive Ausprägungen dieser Faktoren können zwar bewirken, dass sich die Arbeitsunzufriedenheit reduziert – allerdings können sie nicht direkt Arbeitszufriedenheit hervorrufen. Arbeitszufriedenheit und Arbeitsunzufriedenheit sind gemäß der Theorie als unabhängige Dimensionen zu betrachten und repräsentieren nicht – wie durch zahlreiche andere Autoren angenommen – die Extrema eines bipolaren Kontinuums. Das heißt, dass die Faktoren, die zur Herbeiführung von Arbeitszufriedenheit beitragen, andere sind als die, die zur Arbeitsunzufriedenheit von Mitarbeitern führen (s. Abbildung 24).
Abbildung 24: Zufriedenheit und Unzufriedenheit als unabhängige Faktoren
Herzberg rät Führungskräften mit Personalverantwortung davon ab, Mitarbeiter mit Hygienefaktoren motivieren zu wollen. Stattdessen schlägt er den gezielten Einsatz von Motivatoren vor, etwa in Form einer »Arbeitsanreicherung« (job enrichment): Die Arbeitsaufgabe wird strukturell erweitert und gibt den Mitarbeitern so die Gelegenheit, ihre Kompetenzen zu erweitern. Herzberg hat die einer derartigen Aufgabenausweitung zugrunde liegenden Prinzipien wie in Tabelle 14 dargestellt zusammengefasst (eine Auswahl aus Herzberg 1988, S. 68).
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Grenzen der Nutzung intrinsischer Motivation Tabelle 14: Zugrunde liegende Prinzipien der Aufgabenausweitung und beteiligte Motivatoren Prinzip
Beteiligte Motivatoren
Mehr Verantwortlichkeit der Einzelnen für ihre Arbeit
Verantwortung, Anerkennung
Mehr Befugnisse an einzelne Mitarbeiter im Rahmen ihrer Verantwortung, Anerkennung, LeiTätigkeit; mehr Autonomie stung Abbau einiger Kontrollen unter Beibehaltung der Verantwortlichkeit
Verantwortung, persönliche Leistung
Vergabe von »Sonderaufgaben« an Einzelne, um ihnen zu ermöglichen, sich zu Experten zu entwickeln
Verantwortung, Entwicklung, Aufstieg
Hauptkritikpunkte an der Theorie von Herzberg sind: Es besteht die Möglichkeit, dass die aufgefundenen Ergebnisse lediglich stabile Attributionstendenzen der befragten Mitarbeiter widerspiegeln, und arbeitsplatzübergreifende Generalisierungen der aufgefundenen Faktoren sind nur in engen Grenzen möglich.
4.5
Grenzen der Nutzung intrinsischer Motivation
Maßnahmen zur Mitarbeitermotivation stoßen jedoch bei ausschließlicher Berücksichtigung intrinsischer Motivatoren auf Probleme und Grenzen, die eine alleinige Nutzung dieses Ansatzes verhindern: 1) Es gibt keine vollständige Passung zwischen den zu erledigenden Arbeiten und den für Menschen motivierenden Tätigkeiten. Die Arbeitsinhalte unterliegen technischen und organisatorischen Zwängen, während die Ansprüche der Mitarbeiter an die Arbeit durch Bildung, gesellschaftliche Werte und soziale Vergleichsprozesse (vgl. Theorieübersicht: Soziale Vergleichsprozesse, S. 322) bestimmt werden. Die gesellschaftlichen Werte werden zwar auch durch die »harten« Fakten der Arbeit indirekt beeinflusst, jedoch nicht in völliger inhaltlicher Übereinstimmung und schon gar nicht in perfekter zeitlicher Kongruenz. 2) Ohne externale Motivation (zumindest in Teilbereichen) ist das Koordinierungsproblem bei Arbeitsteilung nicht zu lösen, auch nicht bei völliger Akzeptanz der gemeinsamen Ziele durch jeden Einzelnen. Unterschiedliche persönliche Erfahrungen und Schwerpunktsetzungen führen auch in diesem Fall zu individuell verschiedenen Bevorzugungen von Teilschritten, sodass für die Koordination eine »Führungsinstanz« mit entsprechenden Macht- und Motivationsmitteln erforderlich ist. 3) Analog zu den Problemen einer Nutzung extrinsischer Motivation (bei der
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Zeitgerechte Motivatoren
im Prinzip die Freude der Mitarbeiter an der Arbeitsaufgabe egal ist, solange die gewünschte Leistung erbracht wird), kann bei rein intrinsischer Motivation die subjektive Bedeutung der Arbeitsleistung hinter den positiven Folgen der Arbeitserbringung zurückstehen. So besteht die Möglichkeit, dass trotz hoher Arbeitszufriedenheit nur eine geringe Arbeitsleistung vollbracht wird (so machen manche Menschen alles extrem gründlich, leisten insgesamt aber zu wenig), was sowohl betriebs- als auch volkswirtschaftlich inakzeptable Konsequenzen hätte. Man vergleiche dazu etwa den Freizeitsport mit den Leistungen professioneller, also auch external motivierter Mannschaften! 4) Eine prinzipielle Begrenzung liegt auch im Problem des so genannten »ultimate criterion«. Welche Folgen, welchen Nutzen oder Motivationswert eine bestimmte Handlung für einen Menschen hat, kann in vollem Umfang erst abgeschätzt werden, wenn das Leben dieses Menschen zu Ende ist. Ob das Erreichen der angestrebten Beförderung tatsächlich nützlich war, hängt etwa von der zusammenfassenden Bewertung der Ereigniskette »Beförderung – mehr Freude an der Arbeit – mehr Stress – Herzinfarkt – Frühpensionierung – tiefe Glückserlebnisse aufgrund der dadurch möglichen Reisen – tödlicher Unfall auf einer dieser Reisen – dadurch Vermeidung einer sonst eingetretenen schweren und leidvollen Krebserkrankung« ab. Die Unmöglichkeit der vollständigen Kenntnis von Konsequenzen, die sich bei der Wahl einer anderen Handlung ergeben hätten, verhindert eine wirklich optimale Verhaltenssteuerung. 5) Es gibt offensichtlich eine Reihe von Bedingungen, unter denen die intrinsische Motivation für eine Tätigkeit abnehmen oder sogar ganz verloren gehen kann. Dazu zählen Belohnungen (vgl. Korrumpierungseffekt, S. 147), Überwachung, Terminsetzung und Setzung sozialer Bezugsnormen (vgl. Theorieübersicht: Bezugsnormorientierung, S. 164). Eine Wirtschaft und eine Gesellschaft, die aus lauter »Bohemiens« oder »Selbstverwirklichern« bestehen, wären in ihrer Leistungsfähigkeit genauso wenig akzeptabel wie eine Gesellschaft, in der jeder als »fremdbestimmtes Reflexbündel« arbeitet. Eine zeitgemäße Arbeitsmotivation muss beide Komponenten enthalten, wobei zur Sicherung des optimalen Ergebnisses in der Wirtschaft die intrinsische Arbeitsmotivation stärker genutzt werden sollte. So ist im privaten Bereich die »betriebliche Gewinnmaximierung« ein (in dieser absoluten Form) heute längst nicht mehr zutreffendes Leitbild. Im öffentlichen Bereich wäre dagegen ein verbesserter Ansatz zur Nutzung externer Motivatoren besonders nützlich, da dieser wie auch andere Non-Profit-Organisationen
Individualisierter Motivations-Mix als Lösungsvorschlag
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immer noch stark von der Grundidee des »selbstlosen Aufopferns für das Gemeinwohl« ausgeht. Extrinsische Motivation wird aber auch schon wegen des Problems der Sicherung des Lebensunterhalts stets unverzichtbar bleiben. Sie muss aber durch intrinsische Arbeitsanreize ergänzt werden, auch wenn diese wesentlich höhere Anforderungen an Führungspersonen stellen als die »bewährten« Konzepte der Vergangenheit.
4.6
Individualisierter Motivations-Mix als Lösungsvorschlag
Eine zeitgemäße Lösung für das »Problem« Mitarbeitermotivation kann nicht in einem Entweder-oder liegen. Ebenso wenig, wie im Konsumgüter-Marketing entweder nur der »Produktnutzen« oder nur der durch die Werbung vermittelte »Zusatznutzen« zum Herbeiführen der gewünschten Kaufentscheidung verwendet wird, kann es sich ein modernes Unternehmen leisten, auf einen Teil der relevanten Motivatoren in der Personalführung zu verzichten. Jedes Motivationskonzept sollte drei Punkte berücksichtigen: – Akzeptanz der subjektiven Nutzenmaximierung als Grundlage der Verhaltenssteuerung (das menschliche Verhalten ist prinzipiell nutzenmaximierend angelegt). – Zielvereinbarung mit Ergebniskontrollen, da diese der Verhaltenskontrolle meist überlegen sind. – Einsatz individualisierter Anreizsysteme, da der subjektive Nutzen von Motivatoren sehr unterschiedlich ist. Jeder dieser Punkte mag trivial erscheinen, hat aber eine Reihe von Konsequenzen, die im betrieblichen Alltag (leider) noch immer nicht voll berücksichtigt werden (zum ersten Punkt s. Abschnitt 1.1 Akzeptanz der individuellen Nutzenmaximierung – auch ein Thema für die Personalwirtschaft, S. 25). Sie werden im Folgenden erläutert.
Nicht Verhalten festlegen, sondern Ziele vereinbaren! Einer der einfachsten Wege zur Erhöhung der intrinsischen Arbeitsmotivation ist das Einräumen von Möglichkeiten, Gestaltungsmotive bei der Arbeit zu befriedigen. Dies setzt jedoch zwingend voraus, dass man den Mitarbeitern nicht im Detail vorschreibt, was sie zu tun haben (Verhaltenskontrolle). Stattdessen
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Zeitgerechte Motivatoren
sollten – möglichst im Konsens – die Ergebnisse der Arbeit festgelegt werden (Ergebniskontrolle; vgl. Abschnitt 10.4 Erfolgsmessung und Beurteilung der Personalarbeit, S. 383). Wie der Einzelne dann diese Arbeit erbringt, sollte ihm so weit wie möglich selbst überlassen sein. Diese Konzeption führt in Anlehnung an das Prinzip des »management by objectives« zur Führungsstrategie des »goal-settings«. Dabei vereinbart der Vorgesetzte einige (drei bis fünf) besonders wichtige Ziele für eine bestimmte Zeitperiode, überprüft deren Einhaltung und stellt sicher, dass die bei Zielerreichung in Aussicht gestellten Belohnungen auch tatsächlich gewährt werden. Eine Zusammenstellung der bei dieser Strategie zu beachtenden psychologischen Faktoren bietet die folgende Theorieübersicht.
Theorieübersicht: Goal-Setting-Theorie
Die Goal-Setting-Theorie (Locke 1969, 1984) stellt Ziele und Zielvereinbarungen als Motivatoren und Regulatoren des Mitarbeiterverhaltens heraus (vgl. Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151). Es wird davon ausgegangen, dass das Handeln von Personen durch weitgehend bewusste Ziele und Intentionen geleitet wird. Die individuellen Ziele der Person fungieren als Handlungsregulatoren, da sie einen für die Person spezifischen Wert besitzen. Alle Arten von Zielen, seien es Basisziele (wie das Streben nach Existenzsicherung) oder »anspruchsvolle« Ziele (zum Beispiel das Bedürfnis nach Selbstentfaltung), lassen sich durch ihre besonderen Inhaltskomponenten und durch ihre »Intensität« (Wichtigkeit, Zentralität) charakterisieren. Locke und Latham (1990) geben einen Überblick über mögliche Faktoren, die die Zielauswahl und das »Goal-Commitment« einer Person beeinflussen (Auswahl): 1) Faktoren, die die wahrgenommene Erwünschtheit oder Angemessenheit der Verfolgung eines bestimmten Ziels beeinflussen: a) Autoritäten/Vorgesetzte, – Kommunizierte Legitimität der Zielverfolgung, – Belohnungen und Sanktionen, – Vermittlung normativer Informationen, – Gewährung von Aufstiegschancen, persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten, – Unterstützung, – Ausüben von Druck,
Individualisierter Motivations-Mix als Lösungsvorschlag
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b) Arbeitsgruppe, – Gruppendruck, Gruppennormen, Gruppenziele, – Vorbildfunktion, Modellwirkung, – Konkurrenz zwischen Kollegen, Arbeitsklima, c) Valenz und Instrumentalität der Ziele (vgl. Theorieübersicht: Instrumentalitätstheorie, S. 132), d) Ego involvement (Involviertheit der Person). 2) Faktoren, die die wahrgenommene Fähigkeit, ein Ziel zu erreichen, beeinflussen: a) Erwartungen der Person, b) Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (s. Theorieübersicht: Einige psychologisch relevante Persönlichkeitskonstrukte, S. 67), c) Attributionsmuster, d) Aufgabenschwierigkeit. Die vorherrschenden Bedingungen der Arbeitssituation werden von den Mitarbeitern wahrgenommen und auf dem Hintergrund ihrer persönlichen Ziele einer Bewertung unterzogen. Mit dieser Bewertung gehen Emotionen der Mitarbeiter einher, die sich als Arbeitszufriedenheit oder Arbeitsunzufriedenheit interpretieren lassen (vgl. Abschnitt 4.4 Integrative Modelle der Arbeitszufriedenheit, S. 193). Arbeitszufriedenheit (AZ) ist demnach das Produkt aus der Differenz zwischen den berufsbezogenen Erwartungen und den tatsächlichen Bedingungen, die die Realisierung individueller Ziele flankieren, und der Bedeutsamkeit. Formal ausgedrückt: AZ = (Soll-Ist-Differenz) x Bedeutsamkeit Ein hoher Zielerreichungsgrad wird als positiver emotionaler Zustand erlebt, der je nach den vorherrschenden Standards und Werthaltungen zur Zufriedenheit der Mitarbeiter führt. Da die Mitarbeiter auch das Verhalten von Vorgesetzten vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Ziele wahrnehmen, wirkt ein Feedback, das ein Vorgesetzter gibt, nie direkt auf die Leistungen der Mitarbeiter, sondern nur indirekt über die Einwirkung auf das Goal-Setting. Aus diesem Grund sind laut der Theorie auch Maßnahmen zur Arbeitsanreicherung (Job enrichment), die nicht auf die Erfüllung der Interessen der Mitarbeiter gerichtet sind, ohne Effekt für die Arbeitsproduktivität der Mitarbeiter. Enrichment-Maßnahmen haben per se noch keinen positiven Effekt. Erst wenn sie in der Form erfolgen, dass die Mitarbeiter dadurch ihre Ziele und Interessen erfüllen können, entfal-
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Zeitgerechte Motivatoren
ten sie ihre positive Wirkung. Dadurch führt erst die Kombination von GoalSetting und Job-Enrichment zu einer nachweisbaren Steigerung der Produktivität und Arbeitszufriedenheit (s. Walters 1975). Die Weg-Ziel-Theorie der Führung, die die besondere Bedeutung von Zielen im Rahmen der Mitarbeitermotivation durch Vorgesetzte betont, wird in der folgenden Theorieübersicht vorgestellt.
Theorieübersicht: Weg-Ziel-Theorie der Führung
Die Weg-Ziel-Theorie (Evans 1970; Gebert 1976; House 1971; Neuberger 1976, 1990; Wunderer u. Grunwald 1980) stellt die Beziehung zwischen Vorgesetztenverhalten und Mitarbeitermotivation in den Vordergrund. Die Qualität, Intensität und Ausrichtung menschlichen Verhaltens ist das Ergebnis eines rationalen Bewertungs- und Entscheidungsprozesses. Die Stärke der Motivation ist unter anderem von folgenden Informationen abhängig, die der Person zur Verfügung stehen müssen: – Welche Handlungsalternativen sind verfügbar? – Welche Ergebnisse und Konsequenzen sind mit den einzelnen Handlungsalternativen verbunden? – An welche Bedingungen ist das Auftreten der Ereignisse geknüpft? – Welche subjektiven Wahrscheinlichkeiten sind für das gemeinsame Auftreten von Handlung, Ergebnis und Konsequenzen gegeben? – Wie sind die Ergebnisse zu bewerten? – Nach welchen Kriterien sollen die Handlungsalternativen ausgewählt werden? Die vorherrschende Entscheidungsstrategie im Rahmen der Weg-Ziel-Theorie ist das »Maximierungsprinzip«: Eine Person entscheidet sich für diejenige Alternative, die für sie den größten durchschnittlichen Nutzen nach sich zieht. Die Höhe der Motivation errechnet sich aus insgesamt sieben Faktoren, die in der linken Spalte von Tabelle 15 aufgeführt sind. Der Wert der Weg-Ziel-Theorie in der Praxis liegt darin, dass aus diesen motivationsrelevanten Faktoren Möglichkeiten zur Beeinflussung der Mitarbeitermotivation durch den Vorgesetzten hergeleitet werden können (rechte Spalte von Tabelle 15).
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Individualisierter Motivations-Mix als Lösungsvorschlag Tabelle 15: Beeinflussungsmöglichkeiten durch Vorgesetzte und Gestaltung von Anreizsystemen Aspekte, die die Motivation von Mitarbeitern beeinflussen
Beeinflussungsmöglichkeiten durch Vorgesetzte
Intrinsische Valenz der Tätigkeit (Motivierung – durch die Aufgabe selbst) – – –
Gewährung größerer Autonomie Mehr Abwechslung Sinnhaftigkeit der Tätigkeit Übertragung komplexerer Aufgaben
Extrinsische Valenz der Tätigkeit (Bedingungen – Gestaltung der Arbeitsbedingungen des Tätigkeitsvollzugs) – Arbeitsklima Instrumentalität der Tätigkeit (Erreichen ex- – Klare Aufgabendefinition trinsisch bedeutsamer Konsequenzen durch ein – Strukturierende Eingriffe bestimmtes Verhalten) – Gestaltung organisatorischer bedingungen
Rahmen-
Intrinsische Valenz der Ergebnisse (Befriedi- – Vermittlung von Normen und Standards zur gung durch die verwirklichten Ziele) Verfolgung bestimmter Ziele Extrinsische Valenz der Ergebnisse (Würdigung – Belohnung oder Sanktionierung der der Konsequenzen des Mitarbeiterverhaltens) Mitarbeiterleistung – Gestaltung der Anerkennungsmaßnahmen Instrumentalität der Ergebnisse (Verknüpfung – Verstärkungs- und Feedbackverhalten der erreichten Ergebnisse mit den erwarteten – Beurteilungsverhalten Belohnungen) Zusammenhang zwischen Tätigkeit der Mitar- – Eindeutige Zielabsprachen beiter und den Handlungsresultaten – Planungs- und Koordinationshilfen
Der Weg-Ziel-Ansatz stellt (entsprechend den genannten Eingriffsmöglichkeiten) folgende Anforderungen an das Vorgesetztenverhalten: – Der Vorgesetzte muss die »Wege« und Ziele seiner Mitarbeiter (er-)kennen. – Der Führungseinfluss soll so genutzt werden, dass ein Vorgesetzter seinen Mitarbeitern »Wege« eröffnet und erleichtert, »Ziele« aufzeigt und diese für die Mitarbeiter attraktiv macht. – Ein Vorgesetzter muss seine Führungsmittel auf die individuellen Handlungsentscheidungen von all seinen Mitarbeitern abstimmen. Maßnahmen auf kollektivem Niveau sind deshalb wenig Erfolg versprechend. Die Theoriedarstellungen haben verdeutlicht, dass nicht das technische Vorgehen der »Zielvereinbarung« allein den Erfolg garantiert, sondern dass Zielvorgaben in ein breites Konzept einer motivierenden Mitarbeiterführung eingebettet sein müssen. Ein Vorgesetzter, der Ziele bei einer Abteilungsbesprechung im pseudodemokratischen Stil vorgibt, diese irreal hoch ansetzt (»damit sich die Leute auch wirklich anstrengen«) und für den Fall der Nicht-Erreichung mit negativen Konsequenzen droht (die er dann oft »aus Gnade« unterlässt), wird bei Anwendung der Goal-Setting-Technik (»Wir müssen das tun, weil die
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Zeitgerechte Motivatoren
Unternehmensführung diese Ziele erreichen will«) vermutlich mehr Schaden anrichten als ohne Zielvorgabe. Moderne Motivationsmethoden setzen (leider) ein modernes Umfeld der Unternehmenskultur voraus und können nicht in gleicher Weise wie ein verbesserter Maschinentyp »zwangsweise« in das Unternehmen eingebracht werden. Ein Beispiel für umfassende Maßnahmen zur Verbesserung der Motivation in einem modern geführten Unternehmen gibt der folgende Exkurs.
Exkurs: »Identifikationsmanagement im Außendienst« (aus: Uhl 1990)
Aufgrund jahrzehntelanger Erfahrungen im Außendienstbereich und der Beobachtung vielfältiger inner- und außerbetrieblicher Veränderungen erprobt die 3M Deutschland GmbH im Bereich »Commercial Markets« eine neue Strategie der Mitarbeiterführung und -motivierung. Eine Grundüberlegung des Ansatzes ist die Beobachtung, dass die Attraktivität von betrieblichen Anreizen zur Mitarbeitermotivierung (»Incentives«) zeitlichen Schwankungen (im Sinne von Modeerscheinungen) unterliegt: Stehen heute noch die Incentives »Schlemmen«, »Geld«, »Reisen und Erleben« sowie »Fitness und Sport« für Außendienstmitarbeiter im Vordergrund, so zeichnet sich für die Zukunft eine Interessenverlagerung in Richtung »Prominenz«, »Familie«, »Soziales Engagement«, »Umwelt-Sponsoring« und so weiter ab. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, dass Führungskräfte für ihre Außendienstmitarbeiter solche Anreize auswählen, die der veränderten Interessen- und Bedürfnislage angepasst sind. Bei der Auswahl zeitgemäßer Mittel zur Mitarbeitermotivierung ist darüber hinaus zu beachten: »Eine Mitsprache der Betroffenen bei der Auswahl der Incentives zahlt sich immer aus. Denn schon die Geste allein vergrößert die Identifikation mit dem Unternehmen«. Aus dieser Sichtweise resultiert das so genannte »Identifikations-Management«. Dieses zielt – in Abgrenzung zu konventionellen Methoden der Mitarbeitermotivierung – darauf ab, den Mitarbeitern die »Identität« des Unternehmens nahe zu bringen. Dies beinhaltet, dass die Führungskräfte die Unternehmensidentität an die Mitarbeiter weitergeben, indem sie ethische Normen, Ziele, Strategien und Programme des Unternehmens transparent machen und vorbildhaft vorleben. Das geforderte Verhalten der Führungskräfte muss durch strukturelle und organisatorische Maßnahmen unterstützt werden, die unter anderem in einer offenen Informationspolitik, einer personenorientierten Aus- und Weiterbildung, einer transparenten
Individualisierter Motivations-Mix als Lösungsvorschlag
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Entgeltpolitik, in der Partizipation der Mitarbeiter bei Planungs- und Entscheidungsprozessen sowie in der Gewährung von Freiräumen zur persönlichen Entfaltung des einzelnen Mitarbeiters bestehen. In der 3M-Konzeption findet auch der Einsatz »klassischer« Motivatoren Platz. Allerdings hat sich ihr Stellenwert zu den oben genannten Maßnahmen relativ verändert. Das neue Incentive-Management lässt sich für den Außendienstbereich in folgenden Schlagwörtern zusammenfassen: – personenorientierte Führung, – individuelle Personalentwicklungsmaßnahmen, – Motivation durch Information, – selektive Verkäuferauswahl.
Individualisierte Anreizsysteme Für eine wirklich effiziente (kostengünstige Gestaltung von Anreizsystemen ist ein individualisiertes Vorgehen angezeigt. Hierbei sollten die folgenden fünf Teilschritte beachtet werden: 1) Erarbeitung unternehmensbezogener Kernziele von Mitarbeitern: Ein Vorgesetzter überlegt, welche Bedürfnisbereiche bei einem bestimmten Mitarbeiter noch relevant (das heißt nicht ausreichend gesättigt) sein könnten und noch keinen Grenznutzen erreicht haben. Er versucht, entsprechende Informationen über den Mitarbeiter zu bekommen (vgl. zur Informationssammlung S. 60) und prüft seine daraus gezogenen Schlüsse und Vorstellungen so weit wie möglich im Gespräch mit dem Mitarbeiter. Eine Ausnahme davon könnten manche tabuisierten Bereiche darstellen, wie zum Beispiel die Machtmotivation (vgl. Kapitel 5). Von den zu erarbeitenden Bedürfnissen werden die drei wichtigsten ausgewählt, die auch als »unternehmensrelevante Kernziele« des Mitarbeiters bezeichnet werden können. 2) Auswahl der vom Unternehmen zur Verfügung stellbaren Leistungsanreize: Die meisten unternehmensrelevanten Kernziele der Mitarbeiter können in vielfältiger Weise befriedigt werden. Beispiel: Das Bedürfnis nach vermehrter sozialer Anerkennung kann durch Statussymbole im Unternehmen, durch Beförderung, aber eventuell auch durch eine vom Unternehmen bezahlte Spende an einen Verein, in dem der Mitarbeiter besonders aktiv ist, erreicht werden. Meist liegt noch in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation des Mitarbeiters eine viel größere Anzahl von Möglichkeiten vor. Daher
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Zeitgerechte Motivatoren
muss man nach der Festlegung der Bedürfnisse klären, welche Befriedigungsmöglichkeiten das Unternehmen im Prinzip bieten kann. Hierfür sind als Gedächtnishilfe entsprechende Auflistungen sehr hilfreich. Des Weiteren sind jene Möglichkeiten auszuwählen, die auch unter Beachtung von Nebenfolgen (etwa die Gleichbehandlungsproblematik) besonders angemessen erscheinen. Diese Anreize werden auf ihre aktuelle Realisierbarkeit im Unternehmen hin geprüft und anschließend mit dem Mitarbeiter besprochen, um sicherzustellen, dass sie auch aus seiner Sicht attraktiv sind. Es ist selbstverständlich, dass dabei nicht nur an extrinsische, sondern auch an intrinsische Anreize (Gestaltung der Arbeitssituation) zu denken ist. 3) Zielvereinbarung mit den Mitarbeitern: Entsprechend dem Goal-Setting (Theorieübersicht: Goal-Setting-Theorie, S. 202) wird mit den Mitarbeitern vereinbart, was für die nächste Zeit konkret von ihnen erwartet wird. Dabei kann natürlich auch die Aufrechterhaltung eines zufrieden stellenden Niveaus Ziel der Vereinbarung sein. Ferner wird konkret geklärt, welche Folgen der Mitarbeiter aus der Zielerfüllung (oder bei einem bestimmten Ausmaß der Zielerfüllung) erwarten kann. Hier ist besonders wichtig, dass nicht nur die Hoffnung oder der gute Wille des unmittelbaren Vorgesetzten in die Vereinbarung einfließt, sondern dass die Einhaltung dieser Zusagen durch das Unternehmen gewährleistet ist. 4) Herstellen der Kontingenz zwischen Zielerreichung und vereinbarten Folgen: Dies entspricht der üblichen Kontrollfunktion des Vorgesetzten, wobei allerdings besonders Wert darauf gelegt werden sollte, nicht nur am Ende der vereinbarten Zeitperiode, sondern auch fortlaufend das Ausmaß der Zielerreichung zu überprüfen. Im Bedarfsfall sind dem Mitarbeiter geeignete Hilfestellungen zu geben. 5) Fortlaufende Aktualisierung aller Systemparameter: Aus den in Abschnitt 1.3 Subjektive Nutzenbewertung, S. 41, dargestellten Gründen (etwa Sättigungseffekten) kann die Festlegung der unternehmensrelevanten Kernziele nicht als statisch aufgefasst werden. Die jeweils für den Mitarbeiter aktuelle Motivsituation ist daher immer wieder neu zu klären. Das Gleiche gilt für die im Unternehmen verfügbaren Motivatoren, sodass spätestens im Jahresabstand die Situation neu zu durchdenken und mit dem Mitarbeiter zu besprechen ist. Gegen dieses Vorgehen gibt es zahlreiche Einwände, die zum Teil berechtigt, zum Teil aber auch möglicherweise nur vorgeschoben sind. Einige Beispiele: – »Das Ganze kostet zu viel Zeit.« Dies ist richtig, wenn der Vorgesetzte weniger mit »Führen« als mit Sachbearbeiteraufgaben zu tun hat oder die Füh-
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rungsspanne zu hoch ist (mehr als acht bis zwölf unmittelbar unterstellte Mitarbeiter). In diesen Fällen sind neue Aufgabenverteilungen im Führungskräftebereich in jedem Fall angezeigt, und zwar auch unabhängig von dieser Strategie zur Motivation. – »Ein solches Vorgehen ist zu teuer.« Dies stimmt sicher nicht, da umfassende Motivierungsansätze besonders unter Einbeziehung intrinsischer Arbeitsmotivation weniger finanzielle Aufwendungen verursachen als die gebräuchlichen extrinsischen Belohnungen. – »Unsere Mitarbeiter wollen so etwas nicht«. Dieses Argument kann stimmen, wenn die Unternehmenskultur eher eine »Frontstellung« zwischen Mitarbeitern und Unternehmen fördert als eine wechselseitige Kooperation (vgl. zur »Blockbildung« zwischen sozialen Gruppen Abschnitt 8.2 Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung«, S. 321). In diesem Fall sind natürlich unabhängig vom Motivationsproblem Maßnahmen zur Beseitigung solcher Zustände angezeigt. – »Auch wenn es funktionieren sollte: Es ist nicht unser Stil und wir wollen es nicht.« Dieses Argument ist sicher das entscheidende, und auch sachlich ist einer solchen emotionalen Grundhaltung nichts entgegenzusetzen. Niemand kann ein Unternehmen zwingen, gegen seine eigenen Überzeugungen zu handeln. Letztlich entscheidet langfristig der Markt über die tatsächlichen Stärken und Schwächen von Führungskulturen. Das Einhalten der zuvor skizzierten Technik ist keine unverzichtbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Motivationsarbeit durch die Führungskräfte. Wichtiger als die Details des hier beschriebenen technischen Vorgehens sind die prinzipielle Haltung gegenüber den Mitarbeitern, die emotionale Akzeptanz ihrer Bedürfnisse und die Bereitschaft, so weit wie möglich im Unternehmen den Wünschen der Mitarbeiter entgegenzukommen. Auf der Basis einer solchen emotionalen Grundhaltung sind viele Führungskräfte auch ohne eine bestimmte Arbeitsstrategie in der Lage, ihre Mitarbeiter positiv zu motivieren. Vorschläge wie das hier dargestellte schrittweise Vorgehen können eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern bezüglich der Motivation nicht ersetzen, aber klarer strukturieren. Dabei können sie auch helfen, durch eine Systematisierung des Vorgehens rechtzeitig positive Eingriffsmöglichkeiten und unerwünschte Nebeneffekte zu erkennen.
5.
Persönliche Macht – das missverstandene Tabu moderner Unternehmenskultur
Man lernt eine Kultur besonders gut dadurch kennen, indem man jene Aspekte betrachtet, über die im Regelfall nicht oder nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. In jeder Gesellschaft scheint es Tabus zu geben, das heißt Verbote, die als »unverhandelbar« gelten. Diese Verbote können sich beispielsweise auf bestimmte Verhaltensweisen beziehen oder auf das Ansprechen bestimmter Themen. Vermutlich werden solche Themen tabuisiert, die eine Quelle emotionaler Spannungen sind und das Gefühl einer Bedrohung der eigenen Situation auslösen. Drei Faktoren können zu Tabus führen: – Allgemein anerkannte religiöse oder moralisch-ethische Wertvorstellungen: In fundamentalistisch orientierten islamischen Gesellschaften besteht das Verbot des Geldausleihens gegen Zinsen. Allerdings versucht man dieses Verbot dadurch zu umgehen, indem durch geschickt gestaltete Vertragsbedingungen dem Kreditgeber ein Gewinn zugesichert wird, ohne dass dieser als »Zins« bezeichnet werden könnte. – Nachteile für andere Personen derselben Gruppe: In einer Arbeitsgruppe gelten außergewöhnliche Anstrengungen und Leistungen Einzelner als unerwünscht, da den anderen Mitgliedern dadurch berufliche Nachteile erwachsen könnten, wie ausbleibende Prämienzahlungen oder Beförderungschancen. So ist zu verstehen, dass entsprechende Leistungsträger in Bezug auf ihre Leistung diffamiert werden, durch Äußerungen wie »Streber« oder »… will sich wieder aufspielen«. Einer solchen Tabuisierung besonderer Anstrengungen und Leistungen sollte im Interesse des Unternehmens durch geeignete Maßnahmen vorgebeugt werden. – Verteilung »knapper« Güter: Unter Arbeitskollegen bestehen Vorbehalte, über das eigene Einkommen zu sprechen. Die Missachtung dieses »Geheimhaltungsgebots« kann zu Neidreaktionen bei Kollegen oder Missmut bei Kunden führen, was einen erheblichen Rechtfertigungsdruck auf die betreffende Person und unerwünschte Konsequenzen nach sich ziehen kann. Vor diesem Hintergrund wird die immer wieder zu beobachtende Tabuisierung der Thematik »Macht bei Führungspersonen« nachvollziehbar. Alle drei
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Persönliche Macht
genannten Faktoren, die einer Tabuisierung förderlich sind, treffen auch auf dieses Thema zu: 1) Der mehrheitlich, auf demokratischen Prinzipien aufbauende gesellschaftliche Konsens und die Gleichberechtigung im Hinblick auf die politische Willensbildung stehen im Widerspruch zur Existenz großer Machtfülle bei einzelnen Personen. 2) Die Machtausübung veranlasst den Einzelnen, den Machtadressaten zu der Befürchtung, dass ihm dadurch persönliche Nachteile entstehen (was kein Widerspruch zu einem möglicherweise gleichzeitigen Bestreben darstellen muss, selbst möglichst viel Einfluss zu gewinnen). 3) Macht ist, zumindest im Alltagsverständnis dieses Begriffs, prinzipiell ein »knappes Gut«, sodass derjenige, der über einen überdurchschnittlichen Anteil daran verfügt, mit ähnlichen Neidreaktionen rechnen kann wie im Fall eines hohen Einkommens. Es kann auch vorkommen, dass Bedürfnisse tabuisiert werden, was dann der Fall sein dürfte, wenn folgende Bedingungen zutreffen: – Es besteht ein Widerspruch zwischen der Bedürfnisbefriedigung und »übergeordneten« normativen Vorstellungen. – Die Befriedigung des Bedürfnisses ist für die Individuen von hoher Bedeutung und vermutlich mit einem besonderen, hohen Lustgewinn verbunden. – Das Bedürfnis wird von vielen Angehörigen einer Gesellschaft geteilt. Die hier genannten Punkte treffen auf das Bedürfnis nach Macht zu, sodass es offensichtlich vielen Individuen schwer fällt, ihrem Wunsch nach mehr Macht und Einflussmöglichkeiten offen Ausdruck zu geben. Bei einer derart starken Tendenz, eine offene Diskussion über das Thema »Macht« oder »Bedürfnis nach Macht« zu unterdrücken, stellt sich die Frage, warum man denn überhaupt versuchen sollte, dieses Thema offen anzusprechen. Hierfür gibt es mindestens drei gute Gründe: Die Tabuisierung zentraler Bedürfnisse hat selten zur Konsequenz, dass diese Bedürfnisse tatsächlich nicht befriedigt werden. Vielmehr ergibt sich daraus, dass ihrer Erfüllung nicht offen, sondern lediglich im Verborgenen nachgegangen wird. Dadurch entziehen sich die damit verbundenen Verhaltensweisen einer Diskussion und einer Kontrolle von außen, weswegen sie eine Eigendynamik entfalten können, die weit reichende unerwünschte Folgen haben kann (beispielsweise Machtmissbrauch in verschiedenster Form). Die Gewährung von persönlicher Macht und Gestaltungsmöglichkeiten ist ein starker, im oberen Führungskräftebereich vermutlich der stärkste Motiva-
Persönliche Macht
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tor. Die Nutzung desselben wird aber in Unternehmen durch eine Tabuisierung wesentlich erschwert. So sind finanzielle Anreize oder der gezielte Einsatz von Beförderungschancen weit verbreitet, wohingegen erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten auf der schon erreichten Position oft vernachlässigt werden – und dies, obwohl das gezielte Einräumen von Macht wesentlich weniger kostet als eine für gut verdienende Führungskräfte noch zusätzlich attraktive finanzielle Zusatzbelohnung. Die Ausübung von Macht ist ein wichtiger Faktor zur Sicherung des Fortbestehens eines Unternehmens. Je größer ein Unternehmen ist und je komplexer die Arbeitsabläufe sind, desto wichtiger werden Instanzen, die die Koordination und Abstimmung zwischen den jeweiligen Subsystemen gewährleisten (siehe folgenden Exkurs). Je unabhängiger Unternehmensteile werden und je mehr Entscheidungs- und Führungsbefugnisse in Untereinheiten delegiert werden, desto mehr Personen braucht man, die Führungspositionen und Positionen, die mit viel Macht ausgestattet sind, einnehmen. Ohne die Tendenz zur Übernahme von zielsetzenden und koordinierenden Funktionen ist ein modernes Unternehmen nicht leistungsfähig.
Exkurs: Bedeutung von Macht
In der Evolutionsgeschichte hingen die Überlebenschancen von Menschen, ähnlich wie bei in Gruppen lebenden Tieren, vermutlich stark von der Art der wechselseitigen Abstimmung und Koordination der Gruppenmitglieder untereinander ab. Schon für relativ einfache Gruppenaktivitäten, etwa das Sammeln von essbaren Pflanzen, war eine wechselseitige Koordination und damit Beeinflussung der Mitglieder der Gruppe erforderlich. Dies traf erst recht bei stärker arbeitsteiligem Verhalten zu, wie etwa dem Jagen großer Tiere in der Steinzeit. Man benötigte in diesen Fällen nicht unbedingt einen besonders hervorgehobenen »Mächtigen«. Es mussten jedoch in irgendeiner Art Möglichkeiten einer gegenseitigen Beeinflussung zwischen den Gruppenmitgliedern und Mechanismen der Konfliktregelung vorhanden sein. Die Bedeutung solcher Abstimmungs- und Konfliktregelungsprozesse wurde immer größer, je komplizierter die Aufgaben und je langfristiger die Handlungskonsequenzen wurden. So war es erforderlich, gefährliche Verhaltensweisen zu verhindern (Sammeln und Essen giftiger Pflanzen) und gruppenschädigende Verhaltensweisen zu unterbinden (kurzfristiger Verbrauch von Nahrungsmitteln statt Vorratshaltung für absehbare Mangelzeiten). Zur Durchsetzung solcher für das Überleben der Gruppe ungemein wichtigen Regeln war die Ausübung von Macht unverzicht-
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Persönliche Macht
bar. Folglich war die Existenz eines »Mächtigen« mit einer mehr oder weniger großen Machtdistanz zu anderen Gruppenmitgliedern verbunden. Die Akzeptanz von Machtausübung und damit die Existenz von Machtdistanz, das heißt einem unterschiedlichen Ausmaß an Machtfülle zwischen den jeweiligen Gruppenmitgliedern, führen zu folgenden Fragen: – Von welchen Faktoren hängen die Bereitschaft und Motivation zur Übernahme von Macht ab (Bedingungen individueller Machtmotivation)? Diese Frage wird in Abschnitt 5.3 Machtmotivation, S. 224, erörtert. – Wie erfolgt der Prozess der individuellen Zuweisung von Machtfülle an die jeweiligen Personen, das heißt, wie wird der Mächtigste der Gruppe bestimmt? Zur Frage, in welcher Art und Weise »Macht als übertragbares Gut« vergeben wird, siehe Abschnitt 6.2 Auswahl von Führungspersonen und die Folgen für das Selbstbild, S. 248. – Welche Erwartungen knüpfen sich an die persönlichen Eigenschaften von Mächtigen? Hierzu siehe Abschnitt 6.2 Auswahl von Führungspersonen und die Folgen für das Selbstbild, S. 248. Als wichtige Schlüsselbegriffe zum Thema »Macht« sind zu nennen: Machtausübung, Machtausübender, Machtempfänger, Machtadressat, Machtfunktion, Machtdistanz, Machtmittel, Machteinwirkung, Folgebereitschaft, Machtfülle, Machthandeln, Machtquellen, Machtbasen, Machtmotivation, Machtverhalten, Machtdemonstration, Machtmissbrauch.
5.1
Machttheoretische Ansätze
»Macht« kann folgendermaßen definiert werden: »A hat in dem Ausmaß Macht über B, als er B dazu veranlassen kann, etwas zu tun, was B sonst nicht tun würde« (Dahl 1957). Damit stellt sich »Macht« als eine gezielte Einflussnahme eines Systems durch ein anderes dar. Die wissenschaftlich-psychologische Beschäftigung mit dem Machtbegriff hat zu einer Reihe von Ausdifferenzierungen geführt, die in diesem Abschnitt dargestellt werden. Insbesondere folgende Punkte sind bei der Definition des Machtbegriffs zu berücksichtigen: – Macht ist ein relationaler Begriff, der mindestens zwei Systeme zueinander in Beziehung setzt: einen Machtausübenden und einen Machtempfänger. – Eine Voraussetzung der Machtausübung besteht darin, dass beide Systeme miteinander direkt oder indirekt über andere zwischengeschaltete Systeme in Kontakt stehen.
Machttheoretische Ansätze
215
– Durch den Einsatz von Macht wird eine qualitative oder quantitative Veränderung eines Zustands (zum Beispiel Verhalten eines Mitarbeiters) hervorgerufen: »Qualitativ« meint, dass der Mitarbeiter durch die Machteinwirkung beispielsweise zentrale Einstellungen oder Haltungen verändert. »Quantitativ« beschreibt den Umfang des gezeigten Verhaltens: Ein Mitarbeiter kommt nach Androhung negativer Konsequenzen durch seinen Vorgesetzten seltener zu spät zur Arbeit. – Der Effekt der Machteinwirkung muss sich nicht unbedingt im Handeln des Machtempfängers manifestieren, sondern kann (zunächst) im Bewusstsein des Beeinflussten eine Veränderung herbeiführen. – Mit dem Einsatz von Machtmitteln ist das Ziel einer gerichteten Einflussnahme verknüpft, die sich auf das Denken, Fühlen oder Handeln des Machtadressaten beziehen kann. – Macht ist kein einseitiger Prozess, sondern ist durch vielfältige Rückkoppelungsbeziehungen zwischen Machtausübenden und Machtempfänger gekennzeichnet. Da es sich beim Thema Macht um einen sehr vielschichtigen Sachverhalt handelt, ist es hilfreich, die verschiedenen machttheoretischen Ansätze in ein Rahmenkonzept einzuordnen. Witte (1989, 2002) hat eine Klassifikation vorgestellt, die drei Ebenen unterscheidet, auf die sich die Machtausübung beziehen kann: 1) Individualsystem: Einzelpersonen. 2) Mikrosystem: kleine überschaubare Gruppen (Kleingruppen, Abteilungen, Divisionen). 3) Mesosystem: Institutionen, die konkret abgrenzbar sind und in denen auch indirekte Kontakte der Individuen (über Dienstwege, allgemeine Anweisungen et cetera) beobachtet werden können (zum Beispiel Unternehmen). Durch die Kombination dieser drei Ebenen mit den drei von ihm differenzierten thematischen Aspekten von Macht entsteht ein Schema, in das die machttheoretischen Ansätze eingeordnet werden können (s. Tabelle 16). Die Klassifikation wird in leicht gekürzter und modifizierter Form dargestellt.
216
Persönliche Macht
Tabelle 16: Rahmenkonzept für machttheoretische Ansätze (modifiziert n.Witte 2002) Umfang der Machtausübung (»die Machtausübung bezieht sich auf …«)
Qualitative Aspekte von Macht Wahrnehmung/ Denken
Emotion/Motivation
Handeln
Individualsystem (Einzelpersonen)
Mittel potenzieller Macht (s. Abschnitt 5.2)
Machtmotivation (s. Abschnitt 5.3)
Handlungsmöglichkeiten zur Ausübung von Macht
Mikrosystem (kleine überschaubare Gruppen)
Kommunikationstheorie der Macht
Sozial-emotionale Aspekte der Macht
Formen der direkten Beeinflussung
Mesosystem (Institutionen)
Intraorganisatorische Beeinflussungsmittel
Machtdistanz-Reduktions-Theorie (s. Abschnitt 5.3.2, S. 228)
Führungsverhalten (s. Kapitel 6 zum Thema Führung)
Die Klassifikation der theoretischen Ansätze auf den beiden genannten Dimensionen stellt nur eine Schwerpunktbildung der jeweiligen Ansätze dar. In der Regel wirken bei der Machtausübung alle qualitativen Aspekte zusammen. Auch der Umfang der Machtausübung lässt sich nicht immer klar definieren. Dennoch hilft diese Akzentuierung, die Hauptrichtung der theoretischen Konzepte und ihre Erklärungskraft herauszuarbeiten. Im Alltagsgebrauch führt die Verwendung des Machtbegriffs dann zu Missverständnissen, wenn dieser mit Begriffen wie »dysfunktionaler Autoritätsausübung«, »Willkürherrschaft« oder gar »Gewalt« gleichgesetzt wird. Natürlich kann Macht von Machtausübenden willkürlich und dysfunktional eingesetzt werden, dies ist aber keineswegs die Regel. Es gibt Machtmissbrauch, dieser ist jedoch nicht an besondere Machtfülle gebunden, sondern zeigt sich auch bei Personen mit nur sehr wenig Macht über andere. Der Begriff »Macht« trifft keine Aussage darüber, zu welchem Zweck, in welchem Umfang und mit welchen Konsequenzen Macht eingesetzt wird. Die bei vielen Menschen anzutreffende assoziative, emotional geprägte subjektive Gleichsetzung von »Macht« und »Machtmissbrauch« kann eine mögliche Folge der bereits oben beschriebenen Tabuisierung des Themas »Macht« sein. Andersherum kann die negative Besetzung des Machtbegriffs durch eine nicht ausreichende Abgrenzung vom Begriff des Machtmissbrauchs förderlich für die Tabuisierung sein.
Machtmittel
5.2
217
Machtmittel
Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Macht gegenüber anderen Menschen auszuüben. Praktisch jede Art der Kommunikation und Kooperation kann dazu benutzt werden, das Verhalten anderer zu beeinflussen. Selbst ein Lächeln kann – sofern gezielt eingesetzt – ein Mittel der Machtausübung in einer konkreten Situation sein.
Theorieübersicht: Machtmittel
Eine wichtige Klassifikation von Machtmitteln haben French und Raven (1959) vorgestellt, die von Raven und Kruglanski (1970; s. Raven u. Rubin 1983) erweitert wurde. Die wichtigsten Machtmittel wurden wie folgt zusammengefasst: – Macht durch Belohnung (reward power): Vorgesetzte besitzen die Möglichkeit, Mitarbeiter in ihrem Verhalten zu bestärken, indem sie ihnen Dinge zukommen lassen, die von den Mitarbeitern mit positiven Affekten verbunden sind und als wünschenswert betrachtet werden (positive Verstärkung; vgl. Theorieübersicht: Operante Konditionierung, S. 130). Dazu können gehören: Prämien, Boni, Incentive-Reisen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Dinge, die von Mitarbeitern als negativ erlebt werden, von ihnen fernzuhalten und zu reduzieren (negative Verstärkung). Hierzu gehören die Verhinderung des Arbeitsplatzverlustes oder des sozialen Abstiegs. Dieses Machtmittel lässt sich in einer allgemeinen Form wie folgt beschreiben (zit. n. Heckhausen 1989, S. 362–363): »Die Stärke der Macht hängt von der Erwartung B’s ab, wieweit A in der Lage ist, eines seiner (B’s) Motive zu befriedigen und wieweit A dies von einem erwünschten Verhalten B’s abhängig macht.« – Macht durch Zwang/Bestrafung (coercive power): Durch Androhung von Sanktionen können Vorgesetzte Einfluss auf die Art und den Umfang unerwünschter Verhaltensweisen ihrer Mitarbeiter nehmen. Auch hierbei lassen sich zwei Arten der Bestrafung unterscheiden. Bei der Bestrafung gemäß Typ I kommen Mittel zum Einsatz, die negativ bewertet werden, zum Beispiel die Androhung einer Abmahnung. Beim Typ II werden den Mitarbeitern Dinge, die von ihnen positiv bewertet werden, vorenthalten oder zurückgenommen. Im Beispiel: Aufschub der Beförderung oder Rücknahme freiwilliger Zusatzleistungen. Allgemeine Form: Die Stärke der Macht hängt von der Erwartung B’s ab, wieweit A in der Lage ist, B für unerwünschte Handlungen durch Entziehung der Möglichkeit zur Befriedigung bestimm-
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Persönliche Macht
ter Motive zu bestrafen und wieweit A dies von dem unerwünschten Verhalten B’s abhängig macht. Der Zwang besteht darin, dass durch Strafandrohung der Handlungsspielraum B’s eingeengt wird. Legitimierte Macht (legitimate power): Die legitimierte Macht von Unternehmensangehörigen ergibt sich aus der ihnen zugewiesenen Funktion im Unternehmen. Der Organisation und ihren Führungskräften wird durch unternehmensinterne, gesetzliche und tarifliche Regelungen ein gewisses Recht eingeräumt, auf das Verhalten ihrer Mitarbeiter Einfluss zu nehmen, das in direktem Zusammenhang mit der Erfüllung von Unternehmensaufgaben steht. Allgemeine Form: Hier handelt es sich um internalisierte Normen von B, die ihm sagen, dass A befugt ist, die Einhaltung gewisser Verhaltensnormen zu überwachen und, falls nötig, durchzusetzen. Identifikationsmacht/Vorbildmacht (referent power): Macht durch Identifikation konstituiert sich dadurch, dass der Vorgesetzte oder die Organisation bestimmte Eigenschaften besitzt, die die Mitarbeiter positiv bewerten und die sie zu ihren Werthaltungen machen. Solche Eigenschaften können beispielsweise Image und Prestige sein. Allgemeine Form: Sie beruht auf der Identifikation von B mit A, auf B’s Wunsch, so zu sein wie A. Expertenmacht (expert power): Die Machtbasis besteht in diesem Fall in speziellen Kenntnissen einer Person oder von Gruppen, wie Stabsabteilung oder Personalabteilung, in einem spezifischen Bereich. Die Machtbasis kann jedoch auch in der Unkenntnis der anderen Personen oder Gruppierungen bestehen. Allgemeine Form: Ihre Stärke hängt von dem Ausmaß ab, mit dem B besondere Kenntnisse, Einsichten oder Fertigkeiten hinsichtlich des infrage stehenden Verhaltensbereichs A zuschreibt. Informationsmacht (informational power). Macht wird ausgeübt, indem wichtige Informationen gezielt gefiltert, verfälscht oder gar nicht erst weitergeleitet werden. Allgemeine Form: Sie ist dann wirksam, wenn A Dinge mitteilen kann, die B die Folgen seines Verhaltens in einem neuen Licht erscheinen lassen.
Eine weitere Unterscheidung von Machtmitteln bezieht sich darauf, auf welchen »Bereich« des Menschen sie gerichtet sind: – Kognitive Machtmittel setzen an den Kognitionen an; die Beeinflussung erfolgt beispielsweise mittels Argumentieren oder Informieren. – Affektive Machtmittel bauen auf Gefühlen auf, etwa das Auslösen von Angst durch »Drohverhalten« oder »Liebesentzug«. – Konative Machtmittel setzen direkt am Verhalten an, zum Beispiel Freiheitsentzug.
Machtmittel
219
Vom Begriff »Machtmittel« ist der Begriff »Machtbasen« abzugrenzen. Während sich der Begriff »Machtmittel« auf die Dinge bezieht, die konkret eingesetzt werden, um Einfluss auszuüben, liegt dem Begriff »Machtbasen« ein rollentheoretisches Verständnis zugrunde. So übt ein Vorgesetzter qua seiner formellen Position Macht aus, die ihm beispielsweise das Recht einräumt, Anweisungen zu geben. Ebenso kann auch das gute Verhältnis zu einem Vorstandmitglied als Machtbasis bezeichnet werden. Im Folgenden werden einige wichtige Aspekte dargestellt, die bei Einsatz von Machtmitteln von Bedeutung sein und wesentlich die Effektivität der Machtausübung beeinflussen können. Ansehen des Machtinhabers: Problematisch ist es, wenn ein starkes Gefälle zwischen legitimierter Macht und Identifikationsmacht vorliegt. Beispiel: Eine Führungsperson besitzt eine hohe legitime Macht, ihre Identifikationsmacht ist jedoch gering. Zwar hat sie dann aufgrund der ihr offiziell zugewiesenen Funktion einen hohen Einfluss, jedoch genießt sie ein geringes Ansehen bei ihren Untergebenen, wodurch deren Folgebereitschaft stark beeinträchtigt sein kann. Dies kann möglicherweise zu einem Dauerkonflikt im Unternehmen führen. Ein ähnliches Problem tritt in Zusammenhang mit der Informationsund Expertenmacht auf. Experten mit geringer Identifikationsmacht stoßen bei der Weitergabe ihrer Informationen auf geringe Akzeptanz und hohen Widerstand, was sich darin äußern kann, dass die übermittelten Informationen von der Gruppe abgelehnt und nicht verwendet werden (s. Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82). Dieses Phänomen tritt selbst dann auf, wenn die Informationen, die ein »unbeliebter« Experte weiterleitet, für die Gruppe anerkanntermaßen wichtig sind. Erst wenn nach einiger Zeit der nicht geachtete Experte bei den Personen in Vergessenheit geraten ist, »löst« sich die Information allmählich von seiner Person und kann erst dann unabhängig von ihrem Überbringer beurteilt werden. Dadurch wird es möglich, dass die übermittelte Information schließlich für gut befunden und akzeptiert wird. Dieser Mechanismus wird auch als »Sleeper-Effekt« (Kelman 1961) bezeichnet. Konflikte, die in der geringen Akzeptanz des »Mächtigen« begründet sind, können manchmal nur dadurch gelöst werden, indem dieser ausscheidet oder seine formale Position durch die Zuweisung weniger verantwortungsvoller Aufgaben abgewertet wird. Wegen der damit verbundenen negativen Konsequenzen (mögliches Ende der beruflichen Karriere des Betroffenen, Konflikte und Reibungsverluste bei der Einarbeitung der neuen Verantwortlichen) sollte die Zuweisung von Führungsaufgaben sehr sorgfältig überlegt werden – auch im Interesse eines »Bewerbers«. Ein gewisses Maß an Akzeptanz als »Führer« durch
220
Persönliche Macht
die Gruppe ist in vielen Fällen unverzichtbar und kann beispielsweise nicht durch Fachwissen kompensiert werden. Machtdemonstration: Der Einsatz von Machtmitteln ist oft mit »Kosten« (keineswegs nur monetärer Art) verbunden, was besonders für das Machtmittel »Sanktionen« gilt. Daraus erklärt sich das Bestreben von effizienten »Mächtigen«, auf den konkreten Einsatz von Machtmitteln möglichst zu verzichten. Die bloße Anwesenheit von Machtmitteln allein reicht aber nicht aus, um Einfluss ausüben zu können. Für die Wirksamkeit von Machtmitteln ohne deren konkreten Einsatz ist es notwendig, dass sich die Zielpersonen des Vorhandenseins und der Wirkungen der Machtmittel bewusst sind und den Einsatz für wahrscheinlich halten. Simon (1990) schreibt dazu: »An organization member is seldom presented with an ultimatum ›to do so or so or suffer the consequences‹. Rather, he anticipates the consequences of continual insubordination or failure to please the person or persons who have the ability to apply sanctions to him, and this anticipation acts as a constant motivation without expressed threats from any person.« Ein Machtinhaber muss in der Lage sein, den Machtempfängern zu vermitteln, dass er nicht nur im Besitz entsprechender Machtmittel ist, sondern unter gegebenen Umständen auch bereit ist, diese einzusetzen. Sofern er diesbezüglich eine hohe Glaubwürdigkeit besitzt, dürfte es in vielen Fällen nicht erforderlich sein, dass er von seinen Machtmitteln wirklich Gebrauch macht. »Wer Macht (glaubhaft) demonstriert, braucht diese nicht einzusetzen!« Der konkrete Einsatz von Machtmitteln ist nicht erforderlich, wenn die Machtdemonstration überzeugend erfolgt. In dieser Hinsicht kommt der Kommunikation zwischen Machthabenden und den Zielpersonen eine entscheidende Bedeutung zu. Die Informationen hinsichtlich der Machtmittel und ihres Einsatzes müssen nicht unbedingt im Rahmen einer direkten Interaktion zwischen Machthabenden und Machtempfängern vermittelt werden. Auch »abschreckende Beispiele« (»Lernen am Modell«) können Machtempfänger von dem Vorhandensein von Machtmitteln, der Bereitschaft des Machthabenden, diese einzusetzen, und von den Konsequenzen überzeugen, sodass es zu einer Folgebereitschaft kommt. Eindruck des Machtmissbrauchs bei den Zielpersonen: Bei Personen mit relativ hohem Bildungsgrad spielt die Expertenmacht in der Regel eine größere Rolle als die Identifikationsmacht. Bemerken die Zielpersonen allerdings, dass die machtausübende Person ihre Expertise einsetzt, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen und nicht, um beispielsweise den Erfolg des Unternehmens voranzubringen, kann es zu einer Abnahme der Folgebereitschaft und zum so
Machtmittel
221
genannten Bumerang-Effekt (Kelman 1958) kommen. Dieser Effekt bezeichnet den Umstand, dass die Beeinflussungsbemühungen des Machthabers genau das Gegenteil bewirken. Beispiel: Ein Teamleiter benutzt seinen besseren Überblick über ein Projekt dazu, nur solche Arbeiten selbst zu übernehmen, die relativ sicher im Rahmen des vorgegebenen Zeitplans abgewickelt werden können. Dies kann dazu führen, dass er erhebliche Probleme haben wird, in schwierigen Situationen von seinen Mitarbeitern besonderen Einsatz für die Einhaltung von Terminen zu erreichen. Zusätzlicher Druck könnte diese Reaktanz eher noch erhöhen. Der Bumerang-Effekt ist ein gutes Beispiel dafür, wie stark die Wirkung der Machtmittel von den Zielpersonen und deren Akzeptanz der »Mächtigen« abhängt. Kontakt zwischen Machthaber und Zielperson: Der Einsatz von Machtmitteln kann Auswirkungen auf andere Bereiche des Kommunikationsgeschehens zwischen Machtausübenden und -empfänger haben. Wird das Mittel »Macht durch Belohnung« eingesetzt, wird sich die Tendenz der Mitarbeiter zu einem engeren Kontakt zum Machthaber erhöhen, da dies die Chance auf weitere Belohnungen fördert. (Es ist überwiegend mit angenehmen Erlebnissen verbunden, wenn man die Führungskraft trifft.) Umgekehrt wird »Macht durch Zwang« Kontaktvermeidung bewirken. (Wer spricht gerne freiwillig mit seinem Vorgesetzten, wenn es bei Kontakten überwiegend zu negativen Erlebnissen, Kritik, Nörgeln kommt?) Es ist offensichtlich, dass für die meisten Führungsaufgaben die Tendenz zur Erhöhung der Kontaktdichte vorzuziehen ist. Leider ist es für viele Führungskräfte »normal«, den Kontakt zu den Mitarbeitern aktiv nur dann zu suchen, wenn »etwas passiert« ist. Kommt es aufgrund von »Macht durch Zwang« zu einer abnehmenden Tendenz der freiwilligen Kontaktaufnahme, muss die Kontaktaufnahme durch ergänzende Maßnahmen sichergestellt werden. Dies kann beispielsweise aktiv durch die Führungskraft geschehen, was jedoch mit dem Nachteil eines erheblichen Aufwands an Zeit und Energie verbunden sein kann. Eine andere Möglichkeit wäre, durch den Einsatz weiterer Machtmittel, die Kontaktaufnahme zu erzwingen. Dies war in großem Stil in Japan während der Feudalzeit durch das »Sankim-Kotai-System« der Fall. Die Feudalherren besuchten jedes Jahr in regelmäßigen Abständen die Hauptstadt und mussten dort eine bestimmte Zeit in der Nähe (und der »Macht«) des Shoguns verbringen. Auch im Unternehmen finden sich entsprechende »Kontaktrituale«, bei denen die Kontaktdichte jedoch auf Kosten der Effizienz der Aufgabenerledigung gehen kann. Ein Beispiel dafür ist ein (tatsächlich existierendes) Unternehmen mit etwa 400 Mitarbeitern, bei dem die gesamte Führungsspitze (Geschäftsführung und Bereichsleiter) an jedem Morgen gemein-
222
Persönliche Macht
sam für etwa eineinhalb Stunden bei einer »Postbesprechung« beisammensaß und es überdies als selbstverständlich angesehen wurde, sich nochmals während des Mittagessens wieder zutreffen. Tabelle 17: Machtmittel nach Kipnis et al. (1980) Machtmittel
Entsprechung nach French u. Raven (1959)
Beispiele
Erreichte Position (»assertiveness«)
legitime Macht
– Anordnungen geben – Forderungen stellen
Sanktionen (»sanctions«)
Macht durch Zwang
– Mit Versetzung oder Entlassung drohen – Beförderungsstopp – Lohnerhöhungen aussetzen
Affektive Strategie (»ingratiation«)
Identifikationsmacht
– Dem anderen betont Wertschätzung entgegenbringen – Loben, schmeicheln – Das Selbstwertgefühl des Anderen steigern
Rationalisieren (»rationality«)
Expertenmacht
– Überzeugen – Argumentieren, Gründe angeben – Planen
1) allgemeine Machmittel
2) Machtmittel gegenüber Vorgesetzten Gegenseitigen Nutzen auf- Belohnungsmacht zeigen (»exchange of benefits«)
– Einen Ausgleich anbieten – Zusätzliche Leistungen anbieten
Höhere Instanzen anrufen legitime Macht (»upward appeal«)
– Eine Bitte an höhere Instanzen richten – Informelle Unterstützung von »oben« einholen – Beschwerde über Dienstweg einlegen
Blockieren (»blocking«)
– Arbeitstempo verringern – Mitarbeit verweigern – Anweisungen sabotieren
Macht durch Zwang
3) Machtmittel gegenüber Untergebenen Koalieren (»coalitions«)
Macht durch Zwang
– Sich mit Mitarbeitern solidarisch erklären, Erhöhen des Konformitätsdrucks – Unterstützung für Anforderungen bei Mitarbeitern suchen – Gemeinsame Zielsetzungen und Perspektiven aufzeigen
Machtmittel
223
Der Einsatz des Machtmittels »Informationszurückhaltung« kann durch die zunehmende Bedeutung von Informationen für die sachgerechte Gestaltung des Unternehmens immer weniger akzeptiert werden. Dies sollte nicht nur für die zur Erledigung der Sachaufgaben erforderlichen und meist von oben nach unten vermittelten Informationen gelten, sondern in gleicher Weise auch für die Durchlässigkeit der Informationen von unten nach oben. Leider gibt es in vielen Unternehmen noch streng zu befolgende Vorschriften, nach denen Informationen nur auf dem Dienstweg mit einer »Gate-keeper-Funktion« (Filterfunktion) des unmittelbaren Vorgesetzten weitergegeben werden dürfen. Solche Regelungen entsprechen in keiner Weise modernen Vorstellungen von Unternehmenskultur und sollten sobald wie möglich abgebaut werden. Allerdings erschweren mächtige Personen, die versuchen, durch eine zurückhaltende Informationsweitergabe die Machtdistanz zu weniger mächtigen Personen zu erhalten und zu vergrößern, diesen Prozess (vgl. Theorieübersicht: Machtdistanz-Reduktion, S. 228). Daher erscheint es manchmal angebracht, sachgerechte Kommunikationsstrukturen auch gegen das geschlossene Gruppeninteresse der »Mächtigen« in der mittleren Führungsebene durchzusetzen. Nach Kipnis et al. (1980) lassen sich die in Organisationen angewandten Machtmittel in drei Hauptkategorien aufteilen: allgemeine Machtmittel, Machtmittel gegenüber Vorgesetzten und Machtmittel gegenüber Untergebenen (s. Tabelle 17). Der Einsatz innerorganisationaler Machtmittel steht stets in Zusammenhang mit dem verfolgten Ziel. Witte (2002) hat hierzu folgende Postulate entworfen: – Verfolgt eine Person ein Ziel, bei dem sie auf die Unterstützung durch andere Personen angewiesen ist, dann setzt sie in jedem Fall eine affektive Strategie (ingratiation) als Machtmittel ein. Gegenüber Mitarbeitern kann ein Vorgesetzter diese Strategie auch durch den Einsatz legitimer Machtmittel verstärken. – Verfolgt eine Person ein konkretes Ziel, das sich operationalisieren lässt und nicht diffus ist wie die Delegation bestimmter Aufgaben, dann setzt die Person legitime Macht ein, ganz gleich, welchen hierarchischen Status sie hat. – Wenn die Person ein Ziel verfolgt, das ihr Vorteile und Vergünstigungen bringen soll, so setzt sie gegenüber Vorgesetzten emotionale und indirekte Machtmittel ein, gegenüber Kollegen zusätzlich noch Blocking als indirekte Zwangsmacht und gegenüber Mitarbeitern legitime Macht und Zwangsmacht, ohne hier von der emotionalen Strategie Gebrauch zu machen. – Steht bei der Zielverfolgung das Gesamtwohl des Unternehmens im Vordergrund, so verfolgt die Person – wiederum unabhängig von ihrer Position –
224
Persönliche Macht
andere Strategien. Im Allgemeinen überwiegen hierbei rationale Argumente und die legitime Macht, die sich aus der erreichten Position ergibt. Der wesentliche Vorzug des Ansatzes von Kipnis et al. (1980) im Vergleich zu dem von French und Raven (1959) besteht demnach darin, dass der Einsatz der genannten innerorganisationalen Machtmittel in Zusammenhang mit zwei Faktoren gebracht wird (vgl. Übersicht in Tabelle 18): die hierarchische Position der beteiligten Personen und die daran geknüpften sozialen Regeln sowie die spezifischen Zielvorstellungen der beteiligten Personen. Tabelle 18: Machtmittel in Unternehmen (in Anlehnung an Witte 2002, S. 236) Position Ziele
Vorgesetzter
Kollege
Mitarbeiter
Hilfe bei der eigenen Arbeit
Ingratiation
Ingratiation
Assertiveness, Ingratiation
Weitergabe von Arbeit (Delegation)
Assertiveness, Exchange of Benefits
Assertiveness, Exchange of Benefits
Assertiveness, Coalitions
Vergünstigungen erlangen
Ingratiation
Ingratiation, Blocking
Coalitions
Qualität der Leistung erhöhen
Assertiveness, Blocking, Rationality
Assertiveness, Exchange of Benefits, Rationality, Coalitions
Assertiveness, Rationality
Herbeiführen von Veränderungen
Assertiveness, Ingratiation
Assertiveness
Assertiveness, Rationality
Die möglichen Mittel und Strategien beim Einsatz von Macht in Unternehmen sind unterschiedlich komplex und richten sich nach den Zielen, die von den Organisationsmitgliedern aktuell oder langfristig verfolgt werden. Es gibt für die Nutzung dieser »Machtspiele« Naturtalente. Die bewusste Nutzung der vielfältigen Einflussmöglichkeiten und die Kenntnis der Prozesszusammenhänge können vielen Unternehmensangehörigen helfen, ihre Ziele – und damit oft auch die Interessen des Unternehmens – besser durchzusetzen.
5.3
Machtmotivation
Für das organisierte Handeln in Gruppen ist die Existenz »Mächtiger« mit mehr oder weniger großer Machtdistanz zu den anderen Gruppenmitgliedern unerlässlich. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Personen entsprechende Rollen bevorzugt übernehmen wollen, und wovon es abhängt, dass manche
Machtmotivation
225
Menschen mehr als andere zu machtvollen Positionen drängen (Bedingungen der individuellen Machtmotivation). Gäbe es in dieser Hinsicht keine Heterogenität, wäre mit Reibungsverlusten aufgrund von verlängerten Suchprozessen (Wer übernimmt die Führung?) oder, bei generell hoher Ausprägung dieses Motivs, mit erheblichen Kämpfen um die Führungsrolle zu rechnen. Nicht die Gleichheit, sondern die Unterschiedlichkeit der Menschen in sozialen Organisationen ermöglicht eine effektive Rollenverteilung.
5.3.1 Formen der Machtmotivation Für die Aufgabenverteilung in Unternehmen ist wesentlich, dass es nicht eine einheitliche Machtmotivation gibt, sondern dass diese in vielfältiger Weise ausdifferenziert ist. Nach Schmalt (1987) kann man sich das Motiv folgendermaßen vorstellen: »… the power might be conceived as a motivational tendency that is aroused by an existing or anticipated asymmetry in status and/or resources between at least two persons, promising the experience of loss of control. Thus two motivational components have to be discerned: ›Hope of power‹ and ›Fear of power‹ (in the sense of fear of losing power).«
Theorieübersicht: Machtmotivation
Machtmotivation (s. Simon 1990) ist ein sehr komplexes Phänomen, für das es bislang keine einheitliche Begriffsbestimmung gibt. Man ist sich jedoch weitgehend darüber einig, dass individuelle Unterschiede im Machthandeln, das heißt im Umgang und in der Ausübung von Macht, durch eine unterschiedliche Ausprägungen des Machtmotivs begründet sind. Die individuelle Ausprägung des Machtmotivs kann vor dem Hintergrund folgender Teilaspekte betrachtet werden (Heckhausen 1989): – Bestrebungen einer Person, eigene Machtquellen zu erschließen und zu vermehren. – Fähigkeit der Person, die Motive anderer Personen schnell und richtig zu erfassen, um das eigene Machthandeln effizient darauf abzustimmen. – Bereichsspezifität des Machthandelns. Dies betrifft die Frage danach, in welchen Situationen die Macht eingesetzt wird.
226
Persönliche Macht
Im Folgenden werden Aspekte genannt, die eine wichtige Rolle in Zusammenhang mit der Höhe des Machtmotivs spielen können. Diese können je nach Individuum eine unterschiedliche Bedeutung haben. Mögliche Ziele, an welche die Person ihr Machthandeln knüpft, können beispielsweise sein, das eigene Machtgefühl zu steigern oder andere Personen zu beeinflussen. Hierbei sind zwei Gründe für das Machthandeln zu differenzieren (McClelland et al. 1953): – Sozialisierte Macht: Macht wird mit dem Ziel verfolgt und eingesetzt, anderen Personen zu helfen (altruistisches Verhalten). Dabei ist das Machtmotiv stark ausgeprägt. Gleichzeitig wird eine starke Hemmungstendenz wirksam. Das heißt, die Person strebt in hohem Maß nach Einfluss, hat zugleich jedoch Hemmung, diesen Einfluss gegenüber anderen Menschen geltend zu machen. – Personalisierte Macht: Macht wird hier mit dem Ziel eingesetzt, durch die direkte Konfrontation mit dem Gegner den eigenen Einflussbereich zu vergrößern. Das Machtmotiv ist wiederum hoch ausgeprägt, geht allerdings nur mit einer schwachen Hemmungstendenz einher. Die Furcht vor den Folgen des eigenen Machthandelns kann darin begründet liegen, dass machtthematische Interaktionen nicht einseitig sind, sondern wechselseitig durch die Beteiligten beeinflusst werden. Furcht kann in Hinblick auf folgende Aspekte bestehen: – Zuwachs an eigenen Machtmitteln und der daraus erwachsenen Verantwortung, – Verlust eigener Machtquellen, – Ausübung von Macht und den sich daraus gegebenenfalls unerwünschten Konsequenzen für die weitere Interaktion (vgl. Theorieübersicht: Machtmittel, S. 217), – Gegenmacht des/der anderen, – Erfolglosigkeit des Einsatzes eigener Macht. Manche Verhaltensweisen von Führungskräften sind nicht durch einen übersteigerten Drang nach positiver Machtausübung determiniert, sondern durch die Furcht vor dem Machthandeln anderer. Typische Anzeichen dafür sind intensive Bemühungen nach einer Ausbreitung der formellen Machtquellen (bei gleichzeitig hoher Aggressivität), ohne dass ein Ziel erkennbar wäre, das diese Anhäufung von Zuständigkeiten als gerechtfertigt erscheinen ließe. In diesen Fällen liegt die sachgerechte Gegenmaßnahme nicht in dem Versuch einer Beschneidung der angehäuften Machtquellen. Stattdessen sollte man versuchen,
Machtmotivation
227
mit den Betroffenen die Ursachen ihres Verhaltens zu klären und, soweit dies aufgrund der objektiven Gegebenheiten möglich ist, ihre Befürchtungen zu zerstreuen. Leider setzen solche Gespräche ein sehr hohes Vertrauenspotenzial voraus, das aber dann infrage gestellt ist, wenn in dem Versuch der Beruhigung ein indirekter Angriff des antizipierten Gegners gesehen wird. Deshalb liegt hier ein besonders günstiges Einsatzfeld für externes Coaching vor. Neben den persönlichkeits- und erfahrungsbedingten Unterschieden der Ausprägung des Machtmotivs sind allgemeine situative Determinanten für die Höhe der Machtmotivation mit entscheidend. Geht man von der Motivationstheorie von Alderfer aus (vgl. Theorieübersicht: Bedürfnistheorie nach Alderfer, S. 128), so ist mit einer Zunahme der Machtmotivation zu rechnen, wenn die Existenzbedürfnisse und die sozialen Bedürfnisse subjektiv ausreichend erfüllt erscheinen. Gerade bei erfolgreichen Führungskräften kann diese Bedingung als erfüllt gelten, da angenommen werden kann, dass Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit, soziale Anerkennung, Statussymbole et cetera in ausreichendem Maß vorhanden sind. Somit stellen vermutlich macht- und gestaltungsbezogene Motivatoren die einzig wirklich relevanten Motivatoren für diese Personengruppe dar. Unter psychologische Mechanismen der Machtdistanz-Reduktion schließlich ist das natürliche Streben von Menschen zu verstehen, die Machtdistanz zu mächtigeren Personen durch einen Zuwachs an eigener Macht auszugleichen. Andersherum streben Personen mit viel Macht danach, die Distanz zu Personen mit wenig Macht zu vergrößern, und zwar ebenfalls durch einen Zuwachs an eigener Macht. Da im Rahmen dieses Mechanismus noch eine Reihe weiterer Aspekte beachtenswert sind, ist diesem Thema ein eigener Abschnitt gewidmet (s. Abschnitt 5.3.2 Reduktion von Machtdistanz als Motivator). Neben der Machtmotivation spielt auch die Motivation, sich führen zu lassen, eine wichtige Rolle. Beide Motivationstendenzen sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Bereitschaft zur Einfügung in funktionsgerechte Hierarchien ist für den Erfolg von Gruppen und Organisationen ebenso unverzichtbar wie die Übernahme von Führungsaufgaben. Auch hier ist wichtig, dass die Einordnung in hierarchische Systeme nicht zum Selbstzweck wird, und dass sie zum Beispiel nicht auf Kosten der Kritikfähigkeit und selbständigen Ausfüllung der eigenen Zuständigkeitsbereiche geht. Auch kann es nicht um eine kritiklose Anerkennung der Befehle »von oben« gehen. Es ist eine der spannendsten Aufgaben der Unternehmensorganisation und der Personalentwicklung, die für die Erfüllung der Aufgaben optimale Mischung aus Anpassung einerseits sowie Selbständigkeit und Veränderungsstreben andererseits sicherzustellen.
228
Persönliche Macht
5.3.2 Reduktion von Machtdistanz als Motivator Allein das Vorhandensein eines Machtungleichgewichts kann für Personen ein Motivator zur Steigerung der eigenen Macht sein. Demnach streben Menschen mit weniger Macht danach, ebenso viel Macht zu besitzen wie eine mächtigere Person. Die hinter dieser Dynamik stehenden Mechanismen werden in der folgenden Theorieübersicht erläutert.
Theorieübersicht: Machtdistanz-Reduktion
Mulder (1977) formuliert auf Basis seiner machttheoretischen Überlegungen in Organisationen 15 Postulate (s. Witte 1985). Er geht davon aus, dass Mitarbeiter ein Bestandteil organisationaler Hierarchien sind, wodurch sie sich in einem sozialen Gefüge befinden. Demnach sind einem Mitarbeiter andere Personen in Bezug auf die Machtfülle über- oder unterlegen. 1) Indem Personen Macht ausüben, erlangen sie Befriedigung. 2) Das Ausmaß subjektiv wahrgenommener Machtunterschiede (Machtdistanz) ist für die Betroffenen entscheidender als die Angemessenheit oder Nicht-Angemessenheit der Machtausübung. 3) Personen mit weniger Macht versuchen, den Machtunterschied zwischen sich und Mächtigeren zu vermindern. 4) Das Bedürfnis, Machtunterschiede zu reduzieren, ist unabhängig von einer gerade erlebten Machtzunahme, wie beispielsweise durch Beförderung. 5) Personen mit weniger Macht zeigen dann eine starke Tendenz zur Machtdistanz-Reduktion, wenn sie von sich glauben, mehr Selbstvertrauen zu besitzen als der Mächtigere. 6) Bei geringer Machtdistanz steigt das Bedürfnis, diese Distanz zu verkleinern. 7) Eine Person wird auch dann Tendenzen zur Machtdistanz-Reduktion zeigen, wenn die Hierarchie, der sie angehört, eine »umgekehrte Y-Hierarchie« ist und sich die Person in der Mitte zwischen Mächtigen und Machtlosen glaubt. 8) Das Bedürfnis nach Gleichstellung und Distanz-Reduktion greift nicht nur bei der Machtdimension, sondern ist auch in anderen Bereichen zwischenmenschlicher Beziehungen anzutreffen, wie beispielsweise Aggressivität oder Hilfeverhalten. Entscheidend ist jedoch in allen Fällen die subjektive Wahrnehmung der Personen.
Machtmotivation
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9) Bei der Reduktion von Machtdistanzen steigen die erwarteten Kosten schneller als die realen Gewinne. 10) Mächtigere Personen versuchen, die Machtdistanz zu weniger mächtiger Personen zu erhalten oder zu vergrößern. 11) Mit zunehmender Distanz zu weniger Mächtigen wächst in der Person das Bedürfnis, die Distanz zu vergrößern. 12) Die Tendenz zur Machtdistanz-Reduktion ist bei selbstbewussten, hoch machtmotivierten Personen besonders groß. 13) Eine große Machtdistanz wird durch Partizipation (im Sinne der Beteiligung an Entscheidungen) noch vergrößert. 14) Führungspersonen, die ihre Macht mit Nachdruck demonstrieren, gelten als selbstbewusst. 15) Soziale Systeme sind in Krisensituationen auf Führungspersonen angewiesen, die selbstbewusst Macht ausüben können. Die genannten Punkte können wie folgt zusammengefasst werden: Die Ausübung von Macht stellt eine Befriedigung dar. Die subjektiv wahrgenommene Machtdistanz hat eine wichtige Bedeutung. Menschen mit weniger Macht streben nach einer Reduktion der Machtdistanz (zu Mächtigeren), während Menschen mit viel Macht zu einer Vergrößerung der Machtdistanz (zu Personen mit weniger Macht) streben. In diesen theoretischen Annahmen spiegelt sich das Konzept der Kontakttendenz (Schneider 1977) wider, wonach Personen Kontakt zu mächtigeren Personen suchen und den zu machtlosen Personen vermeiden. Dieser Kontaktwunsch ist allerdings nicht linear ansteigend, sondern nimmt nach einem erreichten Schwellenwert (Maximum) wieder langsam ab. (Der »einfache« Mitarbeiter sucht den Kontakt zum Teamleiter und zum Abteilungsleiter, aber nicht mehr zum Konzernvorstand.) Im Folgenden wird auf drei der genannten Regeln näher eingegangen: Regel 2) besagt, dass mögliche Konflikte in Unternehmen und die damit zusammenhängenden Mechanismen, wie die Wahrnehmungsverzerrung, stärker von wahrgenommenen Machtunterschieden als von der Angemessenheit der Machtausübung abhängen. So kann schon allein das Vorhandensein einer Machtdistanz Auslöser für Unzufriedenheit bei den weniger Mächtigen sein, ohne dass dabei das konkrete Verhalten des Mächtigeren eine besondere Rolle spielt. Diese Unzufriedenheit kann sich beispielsweise in der Zuschreibung negativer Persönlichkeitseigenschaften gerade zu markanten Führungspersönlichkeiten oder in der Haltung äußern, wonach »die da oben alles falsch machen«. Zwar besteht die Möglichkeit, dass tatsächlich »die falschen« Personen
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Persönliche Macht
in dem System Karriere machen oder dass sich durch Veränderungen der Unternehmenskultur andere Anforderungen an Führung ergeben, die von den Führungspersonen noch nicht ausreichend beachtet worden sind. Möglich ist aber auch, dass negative Einstellungen gegenüber Führungspersonen eine Folge der Mechanismen der Macht-Distanz-Reduktion sind und nicht unbedingt auf ein Versagen der Führungspersonen, sondern etwa auf unzureichende Aufstiegsmöglichkeiten des Führungsnachwuchses in einem Unternehmen hindeuten. Der »Gruppenkonsens« der unterstellten Mitarbeiter, dass »die da oben alles falsch machen«, bedeutet daher nicht unbedingt den Nachweis von Fehlverhalten oder mangelnder Führungskompetenz der hierarchisch übergeordneten Personen. Oftmals ist dieser negative Zuschreibungsmechanismus vielen Führungskräften leider nicht bekannt. Es überrascht in Trainings immer wieder, wie schwer es Führungskräften fällt, bei (manchmal wirklich ungerechtfertigten) negativen Zuschreibungen an ihre Person durch die Mitarbeiter auch an die Möglichkeit einer Bedürfnisbefriedigung der hierarchisch untergeordneten Personen gemäß Regel 2) zu denken, und diese nicht als einen persönlichen Angriff zu sehen. Während weniger mächtige Personen nach einer Reduktion der Machtdistanz streben (wie es beispielsweise zur Sicherung des Nachfolgers zweckmäßig ist), versuchen mächtige Personen, diese Machtdistanz zur vergrößern. Gemäß Regel 10 sind mächtige Personen bestrebt, ihre Machtposition zu sichern, auszubauen und Machtverlust zu vermeiden (vgl. Theorieübersicht: Machtmotivation, S. 225). Dies kann jedoch mit dysfunktionalen Verhaltensweisen mit entsprechenden Konsequenzen verbunden sein: – Geheimhalten von Führungspotenzialen bei zugeordneten Mitarbeitern: Ein Vorgesetzter erkennt beispielsweise bei einem ihm untergebenen Mitarbeiter Führungspotenziale. Er weist jedoch die für die Karriereentwicklung zuständige Personalentwicklungsabteilung aus Angst davor, dass dieser Untergebene zu einer Konkurrenz für ihn werden könnte, nicht darauf hin. Solchen dysfunktionalen Effekten kann durch institutionalisierte Verfahren zur Potenzialerkennung entgegengewirkt werden, etwa durch offene Bewerbungsmöglichkeiten, Entwicklungs-Assessment-Center, standardisierte und kontrollierte Beurteilungsverfahren, »Sechs-Augen-Prinzip«. – Fehlende Förderung gerade potenziell leistungsstarker Führungsnachwuchskräfte (vgl. Regel 12) bis hin zu einem Vakuum unterhalb einer besonders starken Führungskraft. – Einsatz erfolgsschädigender Kampf- und Manipulationstechniken, die von unsachgerechter Aufgabenverteilung im eigenen Zuständigkeitsbereich bis
Machtmotivation
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hin zu gezielter Rufschädigung reichen können. Auch hier sind die Personalarbeit und die Führungskultur des Unternehmens besonders gefordert. Für die moderne Unternehmensgestaltung ist Regel 13) besonders bedeutsam. Diese besagt, dass partizipativ geführte, sich selbst regulierende Arbeitsgruppen die Machtdistanz zwischen den Mitarbeitern vergrößern und nicht verkleinern. Dies mag zunächst paradox klingen, insbesondere dann, wenn »Macht« mit »Befehlsgewalt« gleichgesetzt wird. Denn es ist bekanntlich ein wichtiges Element sich selbst regulierender Arbeitsgruppen, dass Entscheidungsbefugnisse auf die gesamte Gruppe verlagert werden und nicht in der Hand einer einzelnen Person oder einer kleinen Gruppe von Personen liegen. Der Grund für diese Regel liegt darin, dass Partizipation eine Zunahme der Einflüsse bedeutet, die auf eine Entscheidungsfindung einwirken. Wer nun über das größere Geschick oder die besseren Rahmenbedingungen zur Steuerung dieser Einflüsse verfügt, wird sich besonders leicht und oft durchsetzen. Schon ein geringes Übergewicht über mehrere relevante Einflüsse garantiert in der Summe das Zustandekommen der von einer einzelnen Person gewünschten Variante. Mit jedem weiteren Mal, bei dem sich eine entsprechende Person erfolgreich durchsetzt, orientieren sich die anderen Personen, die an der Entscheidung partizipieren, zunehmend an den Vorstellungen der durchsetzungsstärksten Person, auch in Bezug auf künftige Entscheidungen. Damit steigert das »freie Spiel der Kräfte« die Durchsetzungschancen des oder der »Stärkeren«. Unter Gleichen zu arbeiten, kann daher zu enormen Grabenkämpfen führen. Flache Hierarchien erweisen sich oft als nachteilig für das Betriebsklima. Dies gilt besonders, wenn fehlende Aufstiegsmöglichkeiten nicht explizit genannt werden und durch den viel beschworenen Teamgeist als Beschwichtigungsformel kaschiert werden. Viele der manchmal als starr und übertrieben formal empfundenen Entscheidungsregeln in Organisationen dienen ganz im Sinne vieler Organisationsmitglieder dazu, den Einfluss einzelner Mächtiger zu begrenzen: beispielsweise durch klare Abgrenzung der Zuständigkeiten, vorgeschriebene Informationswege, Eingriffsmöglichkeiten der höheren Ebene. Eine sehr nachdenklich stimmende Beobachtung ist, dass bei selbstregulierenden Arbeitsgruppen (vgl. Theorieübersicht: Modell überlappender Arbeitsgruppen, S. 364), wie etwa im Produktionsbereich, eine deutliche Tendenz der einzelnen Teams besteht, leistungsschwächere Gruppenmitglieder unter erheblichen Druck zu setzen, wenn diese durch ihren relativ geringen Beitrag den von der Gruppe hoch motiviert angestrebten Erfolg nicht in dem erwünschten Maß fördern. Die mit dem Teamgedanken verbundene Botschaft »Wir sind alle
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Persönliche Macht
gleich wichtig« oder »Jeder macht alles« entspricht vielfach nicht der Realität. Oftmals spielt der Teambegriff nur eine taktische Rolle, indem er zwar Modernität suggeriert, tatsächlich jedoch dem Zweck dient, bestehende Herrschaftsverhältnisse und Interessengegensätze zwischen Mitarbeitern zu überdecken (vgl. Reppesgaard 2003). Teams können schnell zu einem Instrument der sozialen Kontrolle umfunktioniert werden und einen größeren Druck auf einzelne Gruppenmitglieder ausüben als in starren Hierarchien. Hinzu kommt, dass die Kontrolldichte innerhalb von Teams viel höher ist als die durch Vorgesetzte. (So ist man in der Produktion mit den Kollegen den ganzen Tag zusammen, während der Meister nur manchmal vorbeikommt.) Hier sollte der Gefahr einer zu starken Einflussnahme durch einige wenige Personen auf Kosten der Schwächeren durch kontrollierende Maßnahmen entgegengewirkt werden.
5.3.3 Entwicklung des Machtmotivs Hinsichtlich der Entwicklung des Machtmotivs können vier so genannte »Reifestadien der Macht« unterschieden werden. Dieser Typologie der Entwicklungsstadien von Macht liegt eine Sichtweise des Machtmotivs zugrunde, dass es Menschen zunächst nur darum geht, sich mächtig und stark zu fühlen, wobei das Ausmaß der tatsächlichen Machtfülle unerheblich ist. Erst in zweiter Hinsicht zielt das Machtmotiv darauf ab, seinen Einfluss tatsächlich zu vergrößern.
Theorieübersicht: Reifestadien der Macht
Die Entwicklung der Machtmotivation verläuft in vier Stadien, die aufeinander aufbauend, nacheinander durchlaufen werden (s. McClelland 1975, 1978; Winter 1973): 1) Stadium 1: »In sich Aufnehmen der Macht« (»Intake«): Die Machtmotivation ist noch gering ausgeprägt. Es liegt die Tendenz vor, sich an Vorbildern zu orientieren und in der Nähe zur Macht (d. h. einer machtvollen Person) eine ausreichende Befriedigung der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten zu finden. Das Machtgefühl einer Person wird durch den Kontakt mit einer mächtigen Person gesteigert, die sie unterstützt, ihr Kraft gibt oder sie inspiriert. So wird ein Junior-Manager durch die »formenden« Eingriffe seines Vorgesetzten in seinem Machtverhalten gestärkt. Führungskräfte, deren Entwicklung der Machtmotivation auf dieser Stufe endet, sind in der Regel
Machtmotivation
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nicht genügend durchsetzungsfähig, um ihrer Rolle gerecht zu werden. Die in dieser Phase häufigen, manchmal ins Skurrile übergehenden Anpassungsvorgänge, zum Beispiel hinsichtlich Kleidung, Haar- und Barttracht, Gestik und Sprechweisen, sollten nicht als persönliches Fehlverhalten überinterpretiert werden. Sie ergeben sich aus diesen allgemeinen Entwicklungsprozessen. Übertreibungen sollten jedoch durch Beratung eingedämmt werden. 2) Stadium 2: »Unabhängig sein« (»Autonomy«). In dieser Phase ist die Machtmotivation hoch, die Motivhemmung hingegen gering ausgeprägt. Die Person strebt in hohem Maß nach Macht und setzt diese »ungehemmt« zur Verfolgung eigener Ziele ein. In diesem Stadium lässt sie sich nicht mehr durch andere stärken, sondern »stärkt sich selbst«. Führungskräfte verhalten sich oftmals wie »Konquistadoren«, die bestrebt sind, ihre persönlichen Herrschaftsstrukturen aufzubauen und zu stärken. Äußerlich zeigt sich dieses Streben oft in einem Anhäufen von Prestigeobjekten und Statussymbolen. 3) Stadium 3: »Sich-Durchsetzen« (»Assertion«). Dieses Stadium ist wie das vorherige durch eine hohe Machtmotivation bei einer gleichzeitig niedrigen Hemmung gekennzeichnet. Die Person zeigt vornehmlich ein kompetitives Verhalten und versucht, sich gegenüber anderen durchzusetzen, um auf andere Personen Eindruck zu machen. Dementsprechend entwickeln sich gerne »imperiale Machtstrukturen«, die oft mit einem rücksichtslosen, aber effizienten Organisationsverhalten der Führungskraft einhergehen. Die zweite und die dritte Phase stellen gemeinsam die »Aufbauphase« dar, in der sich die Person auch als »Eroberer« bezeichnen lässt. Zum Ende dieser Reifungsphase geht die »imperiale Motivationsstruktur« sukzessiv in soziales Machthandeln (Stadium 4) über. 4) Stadium 4: »Hervorbringen« (»Generativity«): Es besteht eine hohe Machtmotivation bei gleichzeitig hoher Hemmung. Dies bewirkt, dass die Führungsperson ihre Fähigkeiten unter Umständen selbstlos zum Wohl des Unternehmens und seiner Mitglieder einsetzt. Das Machtverhalten wird vom Prinzip »Pflichterfüllung« geleitet. Die Person setzt ihre ganze Energie in den Dienst einer Sache oder einer sozialen Gruppe, eines Unternehmens. Der Erhalt und Ausbau der eigenen Position wird nicht mehr so stark verfolgt wie in den beiden vorangegangenen Phasen. Was eine erfolgreiche Führungskraft im letzten Stadium ihres hierarchischen Karriereverlaufs kennzeichnet, lässt sich wohl am besten mit dem Begriff des »Herrschers« ausdrücken. Die letzte Stufe repräsentiert das, was man in der Politik auch als »Elder Statesman« bezeichnet oder als »Graue Eminenz« in manchen
234
Persönliche Macht
Unternehmen. Leider erreichen nur wenige Führungskräfte während ihrer aktiven beruflichen Zeit dieses Stadium. Im Übrigen fällt auf, dass der Großteil im Rahmen der modernen Führungskräfteentwicklung darauf drängt, diese letzte Stufe zumindest in Teilaspekten schon in einer möglichst frühen Phase des beruflichen Aufstiegs zu verwirklichen. Die Reifestadien der Macht finden sich in Tabelle 19. Tabelle 19: Reifestadien der Macht Objekte der Macht
Quellen der Macht Andere
Selbst
Selbst (sich stärker fühlen)
Stadium I: In sich aufnehmen
Stadium II: Unabhängig sein
Definition:
»Es« (Gott, meine Mutter, mein Führer, Nahrung) stärkt mich
Ich stärke, überwache, leite mich selbst
Handlungskorrelate:
Machtorientierte Lektüre
Ansammlung von Prestigegütern
Entwicklungsstand:
Versorgt werden
Unabhängigkeit, Wille
Andere (zu beeinflussen)
Stadium IV: Hervorbringen
Stadium III: Sich durchsetzen
Definition:
»Es« (Religion, meine Gruppe) drängt mich zum Dienen und zur Einflussnahme auf andere
Ich mache Eindruck, habe Einfluss auf andere
Handlungskorrelate:
Mitgliedschaft in Organisationen
Wettkampfsport, Debattieren
Entwicklungsstand:
Gegenseitigkeit, Prinzipientreue, Pflicht
sich selbst behauptende Aktionen
Es wäre falsch, in diesen vier Entwicklungsstadien eine wertende Reihung zu sehen. Ein »höheres« Stadium bedingt in keiner Weise eine überlegene Passung zu bestimmten Führungsaufgaben. So wäre etwa die letzte Entwicklungsstufe nur sehr bedingt geeignet, die operative Führung eines kleinen Vertriebsteams zu übernehmen. Werden diese Passungsgesichtspunkte von Führungsaufgaben und Reifestadien der Macht nicht beachtet, können Versagensängste und ein Verlust der Arbeitsmotivation die Folge sein. Man beobachtet dies sowohl bei einem zu langen Verbleiben in einer einmal übernommenen Funktion, zu der der neue Reifegrad nicht mehr passt, als auch in einer vorschnellen Zuweisung, wie im Fall einer Beförderung eines »Eroberers«, in eine Funktion, die vor allem eine »schöpferische« Machtanwendung erfordert. Da leider noch immer
Machtmotivation
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in vielen Unternehmen das offene Gespräch über motivationale Probleme im Führungskräftebereich verpönt ist, geht durch fehlende Beachtung dieses Passungsaspekts erhebliches Führungspotenzial verloren, das jedoch durch eine Personalarbeit, die stärker psychologische Aspekte berücksichtigt, genutzt werden könnte.
5.3.4 Zum Umgang mit Machtmotivation in Unternehmen Wie in der Einleitung zu diesem Kapitel ausgeführt, ist Machtmotivation und eine ungleiche Verteilung von Macht zumindest in arbeitsteiligen Gruppen ein erheblicher Vorteil für den Erfolg eines Unternehmens. Machtmotivation kann jedoch auch für ein Unternehmen negative Effekte haben, zum Beispiel wenn – einzelne Personen in sehr hohem Maß Macht angehäuft haben und diese noch ausbauen wollen, – die Machtmotivation vieler Mitglieder eines Unternehmens besonders hoch ausgeprägt ist, sodass es zu großen Reibungsverlusten kommt. Nach der Bedürfnistheorie von Alderfer (s. Theorieübersicht: Bedürfnistheorie nach Alderfer, S. 128) werden die Macht- und Gestaltungsbedürfnisse durch Befriedigung nicht gesättigt, sondern intensiviert. Darin besteht für erfolgreiche Führungskräfte tendenziell die Gefahr, dass sich die Machtmotivation verselbständigt: Je mehr Macht man besitzt, desto mehr Macht möchte man erhalten. Dieser Mechanismus wird auch in Regel 10 der Theorie zur Machtdistanz-Reduktion beschrieben (s. Theorieübersicht: MachtdistanzReduktion, S. 230). Möglicherweise ist dieser so genannte »Cäsarenwahn«, mit dem die übersteigerte, von der Realität abgehobene Machtausübung als Selbstzweck bei einigen römischen Kaisern bezeichnet wurde, nur die logische Folge dieser motivationsbezogenen Gesetzmäßigkeit. Dem Kreislauf einer immer stärker werdenden Aufschaukelung kann am besten entgegengewirkt werden, indem das Ausmaß persönlicher Machtmöglichkeiten begrenzt wird, sodass es immer wieder zu Frustrationen im Bereich der Machtausübung kommt. Im politischen Bereich finden sich Institutionen wieder, die die Ergebnisse des Machthandelns fortlaufend überprüfen (»Checks«), etwa der Bundesdeutsche Rechnungshof, oder Einrichtungen, die der Machtregulation und dem Machtausgleich dienen (»Balances«), wie der Bundesrat. Ein System von »Checks and Balances« sollte nicht nur in politischen Bereichen selbstverständlich sein, sondern auch bei der Gestaltung der Unternehmensorganisation, wie es etwa für die Entscheidungen über die Förderung von Mitarbeitern
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Persönliche Macht
im Abschnitt 5.3.2 Reduktion von Machtdistanz als Motivator, S. 228, beschrieben wurde. Gelegentlich erlebt man Abweichungen von diesem Prinzip (zum Beispiel bei selbständigen Unternehmern). Auch in Großbetrieben kann sich die effektive Umsetzung dieses Systems als schwierig erweisen: In die Organisationsstruktur sind zwar entsprechende Kontrollen integriert, diese werden aber durch personelle Verflechtungen oder Versagen der Kontrollinstanzen (etwa durch »starke« Vorstandvorsitzende) konterkariert. Es ist erschreckend, wie häufig konkrete Analysen von Entscheidungsverläufen in Unternehmen Hinweise auf diesbezügliche Fehlentwicklungen geben. Besonders schwierig kann die Situation werden, wenn ab einem bestimmten Niveau der Verselbständigung persönlicher Machtmotivation die Tendenz eintritt, sich gegenüber Rückmeldungen über das eigene Fehlverhalten abzuschotten. Dies kann beispielsweise dazu führen, Rückmeldungen einer nachgeordneten Führungsperson, die es »gewagt« hat, diese Barriere zu überwinden, nicht als hilfreichen Hinweis zu interpretieren, sondern als ein Versagen der »störenden« Kraft. Hier liegt eine ganz besondere Verantwortung für externe Unternehmensberatungen. Denn diese haben aufgrund ihrer geringen Abhängigkeit eine etwas höhere Chance, die Wahrnehmungsabwehr zu durchbrechen. Das Streben nach Macht und damit das Infragestellen der Inhaber von Führungspositionen sind für die Funktionsfähigkeit von Gruppen und Organisationen unerlässlich. Der Gesamterfolg eines Unternehmens wird jedoch dann fragwürdig, wenn das Streben nach Macht zu großen Machtkämpfen führt, sodass die Aufgabenbearbeitung gegenüber der Sicherung von Machtpositionen in den Hintergrund gerät. Zur Verhinderung solcher Reibungsverluste sind »Spielregeln« für das Austragen von Machtdistanz-Konflikten für die Unternehmensgestaltung von besonderer Bedeutung. Damit die funktionalen Aspekte von Macht und Machtmotivation im Sinne der Unternehmensaufgaben genutzt werden können und dysfunktionale Aspekte nicht zum Tragen kommen, ist eine sorgfältige Ausbalancierung erforderlich. Diese kann sich an folgenden Dimensionen orientieren: – statische Verteilung von Macht versus flexibler Umgang mit Machtverteilung, – strenge hierarchische Gliederung versus Abbau von Machtdistanz, – Schaffung hoher Machtpositionen versus Kontrolle von Macht und Machtbegrenzung, – Akzeptanz von Führung versus Infragestellen von Machtpositionen, – Einfügen in organisationale Hierarchien versus Konkurrenz um Macht.
Einflussgrößen auf das Machthandeln
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Hierbei fällt der Personalabteilung eines Unternehmens eine große Verantwortung zu.
5.4
Einflussgrößen auf das Machthandeln
Das Machtverhalten von Personen wird unter anderem durch folgende Aspekte gelenkt: – Wissen der Person über die Verfügbarkeit von Machtquellen und Machtmitteln, – Entschluss der Person, von den potenziellen Machtmitteln Gebrauch zu machen, – Konsequenzen des Machthandelns, – Einschätzung von Machtquellen und Machtmitteln, über welche die Machtempfänger möglicherweise verfügen (mit anschließender Kosten-NutzenAbwägung). Eine Zusammenstellung der wichtigsten Einflussgrößen findet sich in Abbildung 25 (leicht verändertes Modell von Cartwright 1965 und Kipnis 1974, S. 89; zit. n. Heckhausen 1989, S. 365). Für die richtige Einschätzung der Motive einer Führungs- oder Führungsnachwuchskraft sind die oben aufgeführten Teilaspekte eine wichtige Grundlage. Sie ermöglichen die optimale Passung einer Person zu bestimmten Führungsaufgaben. Es kann einer Führungsperson beispielsweise um den Ausbau der eigenen Machtquellen in Verbindung mit dem Aufstieg in eine höhere hierarchische Position gehen. Dies ist typisch für den hierarchischen Aufstieg in einem nach dem Prinzip der Linienorganisation strukturierten Unternehmen. Im Gegensatz dazu kann eine Person auch nur den Einfluss an sich anstreben. Sie legt dabei keinen Wert darauf, eine herausgehobene hierarchische Position zu erlangen. Zu einer solchen Motivation passen »graue Eminenzen«, wie sie sich gerade im Personalbereich häufig entwickeln. Auch für moderne Formen der Unternehmensführung, etwa bei Projektarbeit im Rahmen von Matrixorganisationen, kann diese Motivationslage wesentlich funktionaler sein als das Streben nach objektiv festgelegten Machtquellen.
238
Persönliche Macht
Abbildung 25: Einflussgrößen des Machthandelns
5.5
Konsequenzen für die Unternehmenskultur
Die wichtigsten Folgerungen für die praktische Personal- und Führungsarbeit in Unternehmen zur optimalen Nutzung der Machtmotivation für den Unternehmenserfolg können wie folgt zusammengefasst werden: 1) Keine Tabuisierung des Macht-Themas. Eine sinnvolle Nutzung und die Vermeidung unerwünschter Folgen sind nur in einer Unternehmenskultur möglich, in der das Machtstreben offen diskutiert werden kann. 2) Individuelles Machtstreben ist als notwendige, nützliche und unverzichtba-
Konsequenzen für die Unternehmenskultur
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re Erfolgsgrundlage für Organisationen zu akzeptieren – und nicht als eine »Schwäche« von Mitarbeitern und Führungskräften anzusehen! 3) Berücksichtigung der Entwicklungsstadien der Machtmotivation bei der Beurteilung des Machthandelns. Warum sollte beispielsweise ein älter gewordener Personalvorstand, der die letzte Stufe der Reifeentwicklung der Macht erreicht hat, nicht Freude daran haben, durch »Führungsleitlinien« das Unternehmen auch noch für Jahrzehnte nach seinem Ausscheiden gestalten zu wollen? Eventuell daraus resultierende Konflikte sollten dämpfend und nicht aufschaukelnd bearbeitet werden. 4) Akzeptanz der aufgrund psychologischer Gesetzmäßigkeiten sich verschiebenden Machtmotivation sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht. Was bezüglich der Leistungsfähigkeit oder der Interessenverschiebung von Spezialistentätigkeiten zu Generalistentätigkeiten weithin akzeptiert wird, sollte auch für analoge Entwicklungen im Machtbereich gelten. 5) Einhaltung erstellter »Spielregeln« bei der Machtverteilung und bei Machtkämpfen. Es besteht letztlich nur dann eine Chance, solche Regelungen wirklich mit Leben zu füllen, wenn man offen über ihren Sinn diskutieren kann, was die eingangs aufgestellte Forderung nach Enttabuisierung des Macht-Themas voraussetzt. 6) Das Ausmaß persönlicher Machtausübung begrenzen. Um die Verselbständigung der Machtmotivation bei zu großer Macht zu verhindern (»Cäsarenwahn«), sind immer wieder »Frustrationen« durch eine Begrenzung persönlicher Machtausübung sicherzustellen. 7) Neben einem hohen Machtmotiv ist bei Führungskräften auf ein hohes Leistungsmotiv bei einem niedrigen Anschlussmotiv zu achten. Führungskräfte sollen demnach in der Lage sein, ein Organisationsklima zu schaffen, das innerhalb des organisationalen Rahmens die Bedingungen für effizientes Handeln ermöglicht. 8) Um einen Anreiz für leistungsstarke Individuen zur Übernahme machtvoller Positionen zu bieten, muss die Übernahme von Führungsrollen attraktiv sein. Was passiert, wenn gegen dieses Prinzip verstoßen wird, zeigten die Probleme der unteren und mittleren Führungsebene im planwirtschaftlichen System der damaligen DDR. Personen in diesen Ebenen wurden vielfach geringer entlohnt als die ihnen Untergebenen (ein Meister erhielt weniger als Facharbeiter), sodass ein wichtiger Anreiz für diese Führungsebenen und die damit verbundenen Qualifizierungsmaßnahmen verloren ging. Ferner sollte sichergestellt werden, dass für die einzelnen mit Macht ausgestatteten Positionen entsprechend vorbereitete, mit Teilaufgaben bereits erfolgreich betraute Nachwuchsführungskräfte zur Verfügung stehen.
240
Persönliche Macht
9) Für die Zukunft besonders bedeutsam könnte die beschriebene Tatsache der Zunahme von Machtdistanz bei partizipativer Entscheidungsfindung werden. Hier sollten unbedingt Indikatoren für die Unternehmenssteuerung geschaffen werden, die eine übertriebene und damit für den Erfolg (und eventuell auch für humane Aspekte der Unternehmenskultur) dysfunktional werdende Machtverteilung innerhalb selbstregulierender Gruppen unterbinden. Es erscheint einleuchtend, dass eine erfolgreiche Führungskraft das Bedürfnis nach Gestaltung und Macht haben muss. Selbstverständlich darf es aber nicht um Macht an sich gehen, sondern um deren Ausübung im Sinne der Gruppe oder der Organisation. Es ist bedenklich, wenn gesellschaftliche Entwicklungen dazu führen, dass besonders bekannte Personen eine machtvolle Position (zum Beispiel politische Ämter) beziehen, jedoch hinsichtlich ihrer Führungskompetenz skeptisch bewertet werden. Für den Führungsnachwuchs werden Vorbilder benötigt, die nicht nur angesichts der großen Einflussmöglichkeiten entsprechende Führungspositionen anstreben, sondern auch aufgrund der Möglichkeiten der Durchsetzung von Handlungsschritten, die im Interesse des Unternehmens stehen.
6.
Führen und Geführt-Werden – das komplexe Zusammenspiel
Entwicklungen in der Unternehmensorganisation und der Unternehmenskultur sind in Anbetracht der sich laufend ändernden wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unverzichtbar. Diese notwendigen Entwicklungen werden jedoch nicht selten dadurch behindert, dass Führungspersonen Auffassungen von ihrer Führungsrolle vertreten, die in keiner Weise den sich veränderten Rahmenbedingungen entsprechen. Leider tragen manche »Führungstheorien« (s. Abschnitt 6.3 Psychologische Führungstheorien – und ihre nicht immer erwünschten Auswirkungen, S. 256) zu einer Verfestigung solcher Fehleinschätzungen bei. Es kann sich für ein Unternehmen sehr positiv auswirken, wenn Führungspersonen flexibler in der Ausübung ihrer Führungsrollen werden und dabei verstärkt die (verschiedenen) Bedürfnisse der Geführten an die Führung berücksichtigen.
6.1
Bedürfnisbefriedigung der Geführten als Grundlage der Definition von Führungsaufgaben
In Kapitel 5 wurde dargestellt, wie sich in menschlichen Gruppen das Machtund Gestaltungsmotiv entwickelt haben könnte (s. Exkurs: Bedeutung von Macht, S. 213). In vergleichbarer Weise könnten sich auch die Bedürfnisse der Geführten und ihre Erwartungen an Führungspersonen und die Führungsstrukturen allmählich herausgebildet haben. Man versteht viele Reibungspunkte in Unternehmen besser, wenn man davon ausgeht, dass die aktuellen Führungsstrukturen in vielen Punkten den »ursprünglichen« Bedürfnissen der Geführten widersprechen. Für die Erfolgssicherung einer Gruppe (oder eines Unternehmens) sind sechs Aspekte von Bedeutung: 1) Zielsetzung: Die Gruppe muss ein einheitliches Ziel anstreben, damit die Beiträge der einzelnen Gruppenmitglieder sinnvoll zu einem Gesamtergebnis führen können. Es müssen daher Verfahren der Zielvereinbarung existieren, die von allen Gruppenmitgliedern anerkannt werden.
242
Führen und Geführt-Werden
2) Organisation der Arbeitsteilung: Um organisatorische Lücken oder Doppelarbeiten zu vermeiden, muss eine entsprechende Abstimmung der Teilaufgaben durchgeführt werden. 3) Sachentscheidungen: Die Gruppe muss in der Lage sein, Sachentscheidungen zu treffen. Dies muss auch dann gewährleistet sein, wenn für die Erledigung von Teilaufgaben die Kenntnisse der damit betrauten Gruppenmitglieder nicht ausreichen oder die mit der Lösung betrauten Personen zu unterschiedlichen Lösungswegen tendieren. 4) Motivation: Gemeinsame Gruppenarbeiten erfordern die Erledigung der Teilaufgaben zu vereinbarten Zeitpunkten, auch dann, wenn ein Gruppenmitglied im vorgesehenen Zeitraum eigentlich nicht den geplanten Arbeitseinsatz zeigen möchte (zum Beispiel wegen einer persönlichen Bevorzugung anderer Tätigkeiten oder anderer Formen der Bedürfnisbefriedigung). Zur Sicherung des Gesamterfolgs für alle sind daher Hilfen bei der Überwindung solcher »Motivationsdefizite« erforderlich. Gleiches gilt für die Durchsetzung langfristiger Arbeitsziele und Erfolge im Gegensatz zu einer kurzfristigen Zeitperspektive, die vielen Gruppenmitgliedern vermutlich eher nahe liegt. 5) Konfliktregelung: Es bedarf Formen der Konfliktregelung, um zu verhindern, dass Konflikte zu einer Spaltung der Gruppe führen oder eine effektive Aufgabenerledigung und Verfolgung des Gruppenziels behindern. Konflikte können bei unterschiedlichen Teil-Zielsetzungen von Gruppenmitgliedern oder bei der Aufteilung des erzielten Gewinns (Verteilungskonflikte) entstehen. Der Schutz schwächerer Gruppenmitglieder gegenüber starken Mitgliedern einer Gruppe, das Unterbinden dysfunktionaler Auseinandersetzungen zwischen den stärkeren Gruppenmitgliedern und die Sanktionierung von Verstößen gegen Gruppenregeln verlangen, dass es eine Instanz gibt, die über ein Machtmonopol (eingeschränkt durch festgelegte Regeln der Machtausübung) verfügt. 6) Ergänzende Bedürfnisbefriedigung: Wenn ein Gruppenmitglied aufgrund besonderer Umstände seine berechtigten Bedürfnisse (Sicherheit, Anerkennung, Entwicklungsmöglichkeit) in der Gruppe nicht befriedigen kann, muss dafür gesorgt werden, diesen Missstand zu beseitigen: je nach Problemlage durch das Herbeiführen einer Versöhnung der Konfliktparteien, durch soziale Aufwertung eines Gruppenmitglieds durch besonderes Lob für erbrachte Leistung oder durch die Förderung der persönlichen Entwicklung, indem besonders anspruchsvolle Aufgaben übertragen werden.
Bedürfnisbefriedigung der Geführten
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Zur Erfüllung dieser Aufgaben bedarf es nicht grundsätzlich einer Führungsperson (diese können auch von den Gruppenmitgliedern übernommen werden). Es sind jedoch diejenigen Aufgaben, deren Erfüllung durch die Führungsperson von den Gruppenmitliedern erwartet wird. So muss beispielsweise eine Führungsperson in der Lage sein, Sachentscheidungen zu treffen, für eine kontinuierliche Motivation der Gruppenmitglieder zu sorgen, Konflikte zu regeln et cetera. Es ist plausibel, dass für die Erledigung dieser Aufgaben die Ausstattung der Führungsrolle mit einem Mindestmaß an Macht unerlässlich ist. Die geschilderte Aufgabenvielfalt entspricht nicht nur einer plausiblen Spekulation über die historische Entwicklung, sondern findet sich in der gleichen Form auch heute in vielen selbstregulierenden Gruppen überschaubarer Größe wieder, zum Beispiel in informellen, nicht organisierten Jugendgruppen. In Unternehmen sind diese Strukturen ebenfalls zu beobachten, etwa bei der Herausbildung informeller Führer von Projektteams. Häufig findet man genau dieses Führungsverhalten auch bei guten Vorarbeitern oder Sekretariatsleitungen. Im Prinzip bestehen die gleichen Erwartungen an die Führungskraft auch dort, wo eine formelle Einsetzung von »oben« erfolgte. Diese für die Akzeptanz und damit für den Führungserfolg entscheidenden Aufgaben sind aber kaum Bestandteil der offiziellen Positionsbeschreibung. Sie finden sich eher in alltagssprachlichen Formulierungen bei der Beschreibung einer »guten« Führungskraft. Typisch sind etwa Aussagen wie »sagen, wo es lang geht«, »die Abteilung im Griff haben« oder »er kümmert sich um seine Leute«. Es herrscht ein weitgehender Konsens darüber, dass eine »gute« Führungskraft alle die hier skizzierten Aufgaben beherrschen sollte. Leider entspricht die tatsächlich gelebte Ausfüllung der Führungsrolle in vielen Unternehmen noch immer nicht dieser an sich selbstverständlichen Grundlage. Ein Grund dafür könnte die Auffassung der Unternehmenskultur als »Maschine mit Zahnrädern« sein (s. Kapitel 11). Wenn man sich in einem Modell »das Unternehmen als Maschine mit Zahnrädern« als ein »von oben« beauftragter »Macht- und Entscheidungsträger« vorstellt, sind folgende Fehlinterpretationen der Führungsrolle nahe liegend: – Statt Präzisierung der Zielsetzung und Organisation der Arbeitsteilung im Sinne eines Austarierens von Wünschen und Fähigkeiten werden Zielvereinbarungen linear von oben nach unten weitergegeben und Teilaufgaben zugewiesen. – Aus einer Führungsperson, die möglichst richtigen Sachentscheidungen in unklaren Situationen unter Einbezug der in der Gruppe vorhandenen Kenntnisse herbeiführt, wird der alle Entscheidungen an sich reißende »Oberexperte«.
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Führen und Geführt-Werden
– Aus einem Vorgesetzten, der zur Überbrückung kurzfristiger Motivationsdefizite einzelner Gruppenmitglieder Hilfestellungen bietet, wird der »Kontrolleur mit Sanktionsmacht«. – Statt einer sorgfältigen Konfliktregelung unter Beachtung der berechtigten Einzelinteressen aller Beteiligten werden Auseinandersetzungen nur als unsachgemäße Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs gesehen und nach Möglichkeit durch Machteinwirkung unterdrückt. – Die ergänzende Bedürfnisbefriedigung von Gruppenmitgliedern in Sondersituationen degeneriert oft zum höchstens einmal im Jahr als Pflichtübung durchgeführten »Beurteilungsgespräch«. Das wichtigste Ziel ist hierbei dann nicht das Eingehen auf den Mitarbeiter und seine besondere Situation, sondern die Erfüllung formaler (und innerlich oft nicht akzeptierter) Vorgaben der Personalabteilung. Natürlich ist die Kombination aller dieser Negativentwicklungen ein Zerrbild, das in einer so extremen Form (zum Glück) der Unternehmenswirklichkeit nicht gerecht wird. Es gibt aber, abgesehen von personalen Gründen, wie der Motivation der Führungskräfte oder dem jeweiligen Entwicklungsstadium der Machtausübung (s. Abschnitt 5.3.3 Entwicklung des Machtmotivs, S. 232), auch strukturelle Gründe, die vor allem in den zurückliegenden Jahrzehnten die Entstehung der hier übertrieben negativ dargestellten Fehlauffassung von der richtigen Führungsrolle gefördert haben. Folgende strukturelle Aspekte sind hierbei zu nennen: – die Selektionsmechanismen von Führungskräften (vgl. Abschnitt 6.2 Auswahl von Führungspersonen und die Folgen für das Selbstbild, S. 248) und damit einhergehende Auswirkungen auf das Selbstbild dieser Gruppe, – die Entwicklung wissenschaftlicher Führungstheorien (vgl. Abschnitt 6.3 Psychologische Führungstheorien – und ihre nicht immer erwünschten Auswirkungen, S. 256), die von dem eindimensionalen Kriterium »Effizienz« anstelle der notwendigen Vielfalt der Führungsrolle ausgehen, – organisatorische Bedingungen, die eine Zergliederung der Führungsrolle in Teilaufgaben fördern, ohne die notwendige Integrität von Führung ausreichend zu beachten. Auch wenn sie in modern geführten Unternehmen und vor allem in Dienstleistungsunternehmen nicht mehr die Bedeutung haben, wie in produktionsorientierten Konzernen während der Aufbauzeit nach dem zweiten Weltkrieg, bilden diese Strukturen wegen der üblichen Nachahmung des Führungsverhaltens der »alten Garde« durch die jüngeren Führungskräfte noch immer ein
Bedürfnisbefriedigung der Geführten
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relevantes Hindernis für die moderne Organisationsentwicklung. Bei Maßnahmen, deren Ziel es ist, das Führungsverhalten zu verändern, sollte jedoch bedacht werden, dass Verhalten nicht so stark durch »theoretische Erläuterungen« oder »Management-Trainings« geändert werden kann, da gerade im Betrieb eine hohe Orientierung an erfolgreichen »Vorbildern« besteht. Dieser Nachahmungsmechanismus ist natürlich dann besonders wirksam, wenn Führungs- oder Führungsnachwuchskräfte sehr daran interessiert sind, zu einem späteren Zeitpunkt selbst die Position des »Vorbilds« einzunehmen. Die besonderen Bedingungen dieser Art von Lernen (in der Psychologie als »Lernen am Modell« bezeichnet) sind in der folgenden Theorieübersicht zusammengefasst. Sie sollten bei jeder Intervention mit dem Ziel der Organisationsentwicklung beachtet werden.
Theorieübersicht: Sozial-kognitive Lerntheorie
Schwerpunkt der sozial-kognitiven Lerntheorie (Bandura 1965; s. Bandura 1986; Mielke 1984; Mischel 1973; Rotter et al. 1972) ist der Einfluss (sozialer) Faktoren auf das Erlernen, Steuern und Modifizieren sozialer Verhaltensweisen. Die Theorie geht davon aus, dass die von einer Person gezeigten Verhaltensweisen aus dem interaktiven Zusammenwirken von Personenmerkmalen und Umweltfaktoren resultieren (vgl. Abschnitt 2.3 Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis, S. 88). Das von der Person gezeigte Verhalten wirkt dabei wiederum auf die Personvariablen und die Umwelt zurück (»reziproker Determinismus«). Durch die Annahme einer gegenseitigen Beeinflussung der Faktoren eröffnet sich für die Person durch das Aufsuchen oder Meiden von Situationen die Möglichkeit, ihre persönliche Lage und Entwicklung selbst zu steuern. Das so genannte »Lernen am Modell« stellt eine Lernform dar, die den Prozess des Lernens erheblich beschleunigt und kostspielige Fehler mit unter Umständen fatalen Konsequenzen verringert: Durch die Beobachtung eines »Modells« (Kollege, Vorgesetzter) akquiriert die Person ein spezifisches Wissen, das sie sich somit nicht durch zum Beispiel eine Try-and-Error-Strategie erwerben müsste, die möglicherweise viele negative Erfahrungen und Rückschläge beinhaltet. Zwischen der Beobachtung einer anderen Person und der Nachahmung ihres Verhaltens liegt eine Reihe von Prozessen, auf die spezifische Einflüsse wirken. Ob das erworbene Wissen zur Ausführung der entsprechenden Handlung führt, hängt unter anderem von den Verstärkungserwartungen der Person ab (vgl. Theorieübersicht: Instrumentalitätstheorie, S. 132). Diese
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Führen und Geführt-Werden
Erwartungen können wiederum aus den Erfahrungen in sozialen Situationen »gelernt« worden sein oder sich von den persönlichen Standards der Person ableiten (so genannte »Selbstbekräftigung«). Die Teilprozesse, die das Modellernen steuern, lassen sich in Anlehnung an Bandura (1977, 1979) wie in Abbildung 26 darstellen. Die »Selbstwirksamkeitsüberzeugungen« (s. Theorieübersicht: Einige psychologisch relevante Persönlichkeitskonstrukte, S. 67) der Person haben als handlungsregulierende Größen einen zentralen Stellenwert in der sozial-kognitiven Lerntheorie. Das organisationale Verhalten von Mitarbeitern kann sowohl direkt als auch indirekt beeinflusst werden. Als direkte Beeinflussung können direkte Belohnungen oder Sanktionierungen aufgefasst werden (vgl. Theorieübersicht: Operante Konditionierung, S. 130). Als indirekte Beeinflussung gilt das »Bereitstellen« von Modellen, die das gewünschte Verhalten zeigen und somit eine »stellvertretende Bekräftigung« auf die Zielperson ausüben. Allerdings darf diese Beeinflussung nicht im Sinne einer vollständig funktionierenden Steuerung des Mitarbeiterverhaltens verstanden werden. Die äußeren Beeinflussungsmöglichkeiten werden erst dann bei einem Mitarbeiter verhaltenswirksam, wenn auf seiner Seite die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind (s. Abbildung 26). Um das organisationale Verhalten von Mitarbeitern gezielt beispielsweise auf spezielle Anforderungen und Veränderungen (im Rahmen von Organisationsentwicklungsmaßnahmen) abstimmen zu können, bedarf es sowohl einer Kombination aus Personalauswahl, Mitarbeitermotivierung und angemessenem Verhaltenstraining vor Ort (durch entsprechende Modelle) als auch Schulungsmaßnahmen, die dem Entwicklungsbedarf des einzelnen Mitarbeiters entsprechen.
Bedürfnisbefriedigung der Geführten
Abbildung 26: Sozial-kognitive Lerntheorie
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6.2
Führen und Geführt-Werden
Auswahl von Führungspersonen und die Folgen für das Selbstbild
Für den Fortbestand von Gruppen ist es nicht gleichgültig, welches Gruppenmitglied die anderen führt. Die Gruppe kann nur dann Erfolg haben, wenn sich das »richtige« Verhalten auch im Konflikt durchsetzt. Die heute üblichen Erwartungen an Führungspersonen bezüglich ihrer Qualifikationen lassen sich aus den Verhältnissen der Kleingruppen in der früheren Menschheitsgeschichte und den in Abschnitt 6.1 Bedürfnisbefriedigung der Geführten als Grundlage der Definition von Führungsaufgaben, S. 241, beschriebenen Bedürfnissen an die Führungsrollen ableiten (Erwartung an Führungspersonen hinsichtlich der Übernahme von Aufgaben). Diese Erwartungen sind: – Zielsetzung und Entscheidungsorientierung: Die Führung muss in der Lage sein, aufbauend auf ihrem Wissen und den Gruppennormen auch kurzfristig Entscheidungen zu treffen und konkrete Ziele zu formulieren, die für alle Gruppenmitglieder verständlich und akzeptabel sind. Dies gilt besonders dann, wenn aufgrund einer unsicheren Situation eine subjektiv zweifelsfrei richtige Entscheidung nicht getroffen werden kann. – Nutzung von »Unterführern« bei größeren Organisationen: Da die Vielzahl der bereits genannten Aufgaben mit steigender Gruppengröße (ab etwas 60 Mitgliedern) nicht mehr durch eine einzige Person allein bewältigt werden kann, ist eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher machtbezogener Rollen in größeren Gemeinschaften notwendig. – Überlegendes Wissen: Die Folgen einer Handlung sind vielfach nicht deterministisch zu bestimmen, sondern nur mit einer mehr oder weniger zuverlässigen Wahrscheinlichkeitsabschätzung vorauszusehen. Dies erfordert, dass sich das »überlegende Wissen« durchsetzt. Es liegt also nahe, besonders erfahrene Personen mit entsprechenden Entscheidungen zu betrauen. Hier mag vielleicht der Grund dafür liegen, dass »alten« Personen eine besondere Führungskompetenz zugeschrieben wird. – Antizipation bevorstehender Veränderungen: Führungspersonen sollten in richtiger Weise die Zukunft antizipieren können, um möglichst früh auf bevorstehende Veränderungen (angesichts wirtschaftlicher Rahmenbedingungen) reagieren zu können. – Handlungsorientierung: Neben dem Treffen von Entscheidungen muss auch sichergestellt werden, dass diese schnell umgesetzt werden können. Die schnelle und konsequente Durchsetzung auch einer weniger optimalen Alternative kann sehr viel nützlicher sein als ständiges Zögern und Neuabwä-
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gen einer optimalen Entscheidung. Daraus resultiert die »nicht von Zweifeln angekränkelte« Führung. Persönliche Überzeugungskraft (»Charisma«): Für die Motivation der Gruppe ist es wichtig, dass die durchgesetzten Entscheidungen als richtig und angemessen empfunden werden. Dies gilt vor allem dann, wenn rationale Gründe nicht in ausreichendem Maß vorhanden sind. Selbst im Fall von Unsicherheit muss die Führungskraft persönlich überzeugen und auch in schwierigen Situationen bestehende Zweifel ausräumen können. Hierbei kann die »Ausstrahlung« und das »Charisma« einer Führungsperson eine wichtige Rolle spielen. Fähigkeit zur Konfliktlösung, auch in Grenzfällen: Die institutionalisierte, normenadäquate Konfliktregelung setzt voraus, dass im Notfall der Führende direkt oder indirekt durch »Verbündete« in der Lage ist, das richtige Verhalten zu erzwingen. Dies mag ein Grund dafür sein, dass im emotionalen Begriffsverständnis vieler Menschen »Macht« mit »Gewalt« gleichgesetzt wird, was in keiner Weise den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Erkennen von und weitgehende Übereinstimmung mit den Gruppennormen: Konflikte zwischen Gruppenmitgliedern können durch unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen (vgl. Abschnitt 1.2 Subjektive Gerechtigkeit – ein problematischer Punkt zielorientierter Verhaltenssteuerung, S. 36) bei der Verteilung knapper Ressourcen entstehen. Von der Führung verlangt dies, sich berechenbar und in Übereinstimmung mit allgemein akzeptierten Gruppennormen konfliktregelnd einzuschalten. Insofern wird vorausgesetzt, dass die Führung in der Lage ist, schnell und richtig auch implizite Gruppennormen zu erkennen. Verteidigung der Gruppe und einzelner Gruppenmitglieder nach außen: Das unterstellte überlegene Wissen, die Bindung an die Gruppennormen und damit an die Gruppeninteressen sowie die direkte oder indirekte Fähigkeit zur (im Notfall auch gewaltsamen) Konfliktlösung legen es nahe, dass sehr schwierige Aufgaben, besonders die Kontaktaufnahme zu unbekannten und damit möglicherweise feindlichen Gruppen, durch die Führungsperson selbst geleitet oder zumindest koordiniert werden. Die Repräsentation der Gruppe nach außen und das demonstrative Einhalten von Gruppennormen und -werten sind darüber hinaus wesentliche Funktionen im Umgang mit schlecht kalkulierbaren und eventuell feindlichen Fremdgruppen.
Es ist somit für das Fortbestehen einer Gruppe nicht unerheblich, wer die Führungsrolle übernimmt. Die wesentliche Frage, die sich dabei stellt, ist, wie eine
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Person zur Führungsperson bestimmt wird. Im Wesentlichen können drei Möglichkeiten unterschieden werden, die zur Übernahme einer Führungsrolle führen: – Die Gruppe bestimmt ihren Führer selbst, etwa durch einen sich allmählich entwickelnden Konsens (wie auch heute in vielen frei strukturierten Gruppen) oder durch formelle Wahl (s. Abschnitt 6.2.1 Bestimmung des Führers durch die Gruppe). – Die Ernennung durch »mächtige« Personen ist besonders in Monarchien mit Erbfolge (Einsetzung durch »Gottes Gnaden«) anzutreffen und spiegelt sich auch in Führungsentscheidungen der Kapitaleigner wieder (Bestimmung des Vorstandsvorsitzenden). Diese Form ist heute die häufigste, von Existenzgründern abgesehen, vielleicht sogar die einzig wichtige Bestimmungsform von Führung in der Wirtschaft (Abschnitt 6.2.2 Bestimmung der Führungsperson als Folge der Ernennung durch »Mächtige«, S. 254). – Die Führungsmacht wird durch »Eroberung« anderer erlangt. Diese dritte Möglichkeit, die früher für die Gestaltung von Gesellschaften von hoher Bedeutung war (besonders deutlich bei Feudalstaaten, etwa der Ausbildung der normannischen Oberschicht in England nach 1066), ist heutzutage nur noch selten anzutreffen. Allerdings kommt dieses Modell manchmal zum Einsatz, wenn nach Unternehmensaufkäufen Schwierigkeiten zwischen dem »neuen« und »alten« Management zu lösen sind. Diese Auswahlformen haben sehr unterschiedliche Konsequenzen für das Selbstbild und damit auch für das Verhalten der Führungskräfte. Die ersten beiden Formen werden im Folgenden näher beschrieben.
6.2.1 Bestimmung des Führers durch die Gruppe In demokratischen Staaten ist im gesellschaftlichen Raum die Bestimmung des »Führers« durch die Wahl der »Geführten« das vorherrschende Prinzip (Wahl von Personen in politische Ämter). Aber auch für viele Organisationen, wie Vereine, ist diese Form der Bestimmung des Führers kennzeichnend. Es wäre unvorstellbar, entsprechende Positionen beispielsweise durch eine Auswahlkommission unter Einsatz diagnostischer Instrumente, wie sie im Arbeitsleben alltäglich sind, zu besetzen. Dabei mag der Einsatz professioneller Techniken zur Feststellung von (Mindest-)Eignung vor dem Hintergrund der immer wieder anzutreffenden Zweifel an der Sachkompetenz politischer Führungseliten sicherlich für viele ein reizvoller Gedanke sein. Auch die »Vererbung« von politischer Macht als legitimierendes Prinzip erscheint heute als unvorstellbar, ob-
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wohl bei vielen durchaus eine gewisse Bewunderung für Monarchen besteht und es eine auffallende Häufung herausgehobener Politiker aus einigen wenigen »Clans« etwa in den Vereinigten Staaten gibt. Es wäre interessant zu untersuchen, welche historischen und strukturellen Unterschiede dazu geführt haben, dass im Arbeitsleben im Vergleich zum politischen Bereich ganz andere Prinzipien der Legitimation von Führung und Macht gelten, wie zum Beispiel die Bestimmung nach Eignungskriterien oder durch Vererbung des Unternehmensbesitzes (s. Abschnitt 6.2.2 Bestimmung der Führungsperson als Folge der Ernennung durch »Mächtige«, S. 254). Im Arbeitsleben haben die Mitarbeiter nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Besetzung von Führungspositionen. Die angewandten Prinzipien können sich nach wie vor behaupten, obgleich sie nach heutigen politischen Maßstäben nicht als demokratisch bezeichnet werden können. Allerdings greifen neuere Modelle der Organisationsstruktur diese Aspekte auf und räumen Mitarbeitern sehr viel direktere Einflussmöglichkeiten auf die Auswahl ihrer Vorgesetzten ein als bisher (s. Theorieübersicht: Modell überlappender Arbeitsgruppen, S. 364). Entwicklungsgeschichtlich gesehen war die Überlebenschance von Gruppen wesentlich höher, wenn diese durch einen »Führer« koordiniert wurden. Infolge der geringen Lebenserwartung und seiner besonderen Gefährdung aufgrund seiner Vorbildfunktion bei schwierigen Aufgaben mussten Mechanismen entwickelt werden, mittels derer nach Ausfall des Führers relativ schnell ein Nachfolger bestimmt werden konnte. Vermutlich bestand dieser Mechanismus in einer informellen Konsensbildung. Obwohl diese Mechanismen an nicht organisierten Jugendgruppen schon früh in der Sozialpsychologie untersucht wurden (s. Hofstätter 1956), und damit deren Wirkung auch in unserer Zeit nachgewiesen ist, wurde im Rahmen von »Führungstheorien« dieser Aspekt erst relativ spät aufgegriffen. Ein Attributionsmodell, das auf dieser Grundlage aufbauend Vorstellungen über die informelle Führerauswahl enthält, stellt Calder (1977) vor.
Theorieübersicht: Attributionstheorie der Führung von Calder
Schwerpunkt der Theorie (nicht zu verwechseln mit Attributionstheorie der Führung nach Green u. Mitchell, s. S. 96) ist der Prozess der Zuschreibung von Führungsqualitäten (s. Neuberger 1990). Die Theorie geht davon aus, dass es »Führung« im Sinne eines allgemein gültigen, abstrakten Prinzips nicht gibt. Aufgrund seiner Unklarheit und Vielgestaltigkeit wird »Führung« als ein Begriff der Alltagssprache aufgefasst, der wissenschaftlich »nicht lebensfähig« ist.
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Daher stellt sich die Frage, wie Menschen dazu kommen, einer Person »Führungsqualitäten« zuzuschreiben. Für eine Führungsperson ist es bezeichnend, dass sie von den anderen Gruppenmitgliedern als solche (subjektiv) wahrgenommen wird. Ob ein Mensch als »Führer« einer Gruppe bezeichnet wird, ist daher nicht primär von seiner Qualifikation abhängig, sondern davon, ob er die Erwartungen der Gruppe an eine Führungsperson erfüllt. Führung zeigt sich immer in Form konkreter Handlungen. So ist es erforderlich, dass sich die Führungsperson in ihrem Verhalten von den anderen Mitgliedern der Bezugsgruppe abhebt. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer Person »Führerqualitäten« zugeschrieben werden, ist besonders hoch, wenn die Effekte verschiedener Handlungsalternativen sich deutlich voneinander unterscheiden lassen (das heißt es nicht gleichgültig ist, welche Handlung gewählt wird) und die gewählte Handlungsalternative nicht dem Kriterium der sozialen Erwünschtheit entspricht, das heißt, wenn es gilt, soziale Widerstände zu überwinden. Das nachfolgend dargestellte Flussdiagramm nach Calder (1977; s. Abbildung 27) zeigt, wie eine Person durch den Wahrnehmungs- und Attributionsprozess anderer Personen zum Führer »gemacht« wird. Erläuterungen zur Abbildung: – Vorstufe: das Vorverständnis in der Bezugsgruppe, welche Handlungen oder Handlungswirkungen einer Person als für eine Führungskraft charakteristisch angesehen werden (implizite Führungstheorien, Führungsstereotypen et cetera). – Stufe I: Beobachtungsphase und Sammlung von »Indizien«. – Stufe II: Beweisführung, das heißt Überprüfung, ob das Verhalten wirklich führungsrelevant ist, und Akzeptieren des Verhaltens als »beweiskräftig«. – Stufe III: Bewertung der gesammelten Informationen. Überprüfung der Beobachtungen auf nicht gemeinsame Wirkungen des Führerverhaltens und des Verhaltens der anderen Personen. – Stufe IV: individuelle Verzerrungen der Attribution durch die Beobachter (Attributionsfehler) durch Voreingenommenheiten und Interessen. Allgemein gültige Eigenschaften von Personen, die für eine Führungsrolle prädestinieren, gibt es demnach nicht. Ob jemand als Führer »identifiziert« wird, hängt von der Vorstellung der Gruppe im Hinblick auf Führung ab. Daher wird nicht von der Annahme einer generellen Führungspersönlichkeit ausgegangen. Eine Person kann nur für eine bestimmte Gruppe als Führungsperson beschrieben werden. So ist verständlich, dass Führungspersonen sehr unterschiedliche Eigenschaften haben (können).
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Abbildung 27: Attributionstheorie der Führung nach Calder
Aus der Theorie von Calder ist die Notwendigkeit abzuleiten, Führungsleitlinien für die Geführten verständlich zu kommunizieren und diese zur Übernahme der darin beschriebenen (und nicht selbst gesetzten) Normen zu bewegen. Ferner stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang Führungsverhalten tatsächlich durch Trainings, Schulungen und so fort erlernbar ist. Die von Calder beschriebenen und in zahlreichen Gruppenuntersuchungen nachgewiesenen Mechanismen lassen sich auch bei diagnostischen Auswahlverfahren für Führungskräfte nutzen. Lässt man etwa eine kleine Gruppe von Bewerbern gemeinsam die Maßnahmen zur Optimierung einer Unterneh-
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mens-Simulation in einem Planspiel besprechen, wird schnell deutlich, wer über die Fähigkeiten verfügt, den Gruppenmitgliedern zunächst zuzuhören, einen sich abzeichnenden Konsens als Erster klar zu artikulieren und in eine von allen zumindest zunächst akzeptierte Handlungsanweisung zu übersetzen. Genau diese Mechanismen (vgl. zu den Erwartungen an »Führer« S. 248), das frühe Erkennen von Gruppennormen oder Gruppenmeinungen, das schnelle Übertragen dieses Wissens in eine klare Zielsetzung und das Organisieren der darauf folgenden Handlungsschritte können wichtige Voraussetzungen dafür sein, zum Führer ernannt zu werden. Als Konsequenz sollte das Selbstbild einer Führungsperson einem multifunktionalen Rollenverständnis gemäß den Anforderungen an die Führungsrolle, wie in Abschnitt 6.1 Bedürfnisbefriedigung der Geführten als Grundlage der Definition von Führungsaufgaben, S. 241, dargestellt, entsprechen. Ihr Commitment muss der Gruppe gehören und sie muss deren Bedürfnisse nach besten Kräften in vielfältiger Weise erfüllen. Dazu benötigt die Führungsperson eine große Verhaltensvariabilität, entsprechend den von Situation zu Situation verschiedenen vordringlichen Gruppenbedürfnissen. Je nach Situation muss sie Ziele auch gegen Widerstände durchsetzen, Kontrahenten versöhnen, motivierend unterstützen oder notwendige Sanktionen erzwingen. Es ist daher selbstverständlich, dass nicht eine einzelne Persönlichkeits- oder Fähigkeitsdimension oder gar eine bestimmte Art von Verhalten den erfolgreichen Führer beschreiben kann. Dies ist auch der Grund, warum die zunächst in der Führungspsychologie häufigen Versuche, bestimmte Persönlichkeitseigenschaften von Führungspersonen zu bestimmen, versagen mussten (Neuberger 2002).
6.2.2 Bestimmung der Führungsperson als Folge der Ernennung durch »Mächtige« Eine besonders in politischen Systemen von einigen Gesellschaften anzutreffende Rechtfertigung der bereits eingenommenen Führungsposition ist der »Ernennungsgedanke«. Typische Beispiele dafür sind die »Ernennung« durch übernatürliche Mächte: Abstammung der Führer von den Göttern bei primitiven Stämmen und frühen Hochkulturen (etwa die Abstammung des japanischen Kaisers von der Sonnengottheit), »Gottesgnadentum« im Mittelalter, Behauptung der »Ernennung« durch abstrakte Kräfte (durch »Vorsehung«). Aus der (unterstellten) »Ernennung« ergibt sich, dass sich die Führungsrolle beispielsweise weder durch besonders hervorgehobene Qualifikationen noch durch Abstimmung in der Gruppe legitimieren muss. Diese Legitimation von
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Führung hat für den Führer den besonderen Vorteil, dass die Geführten viel eher dazu bereit sind, die Machtdistanz zwischen sich und der Führung zu akzeptieren. Dies geschieht umso mehr, je »großartiger« die Mächtigen sind und je weniger ihre Autorität in Zweifel gezogen werden kann. Zudem haben es viele unerwünschte Konkurrenten schwer, einen vergleichbaren Legitimationshintergrund aufzubauen. Führer müssen daher kaum mit Machtkonflikten (mit anderen, »aufstrebenden« Personen) rechnen, was bei anderen Legitimationsformen jedoch durchaus der Fall sein könnte. In Wirtschaft und Verwaltung erfolgt die Ernennung des Führungspersonals üblicherweise durch dazu machtmäßig befugte Entscheidungsträger. Es liegt nahe, dass damit das Commitment der Ernannten den Interessen der Entscheidungsträger gehört. Verfolgt man nun diesen Gedanken von der untersten Führungsebene bis zur Unternehmensspitze, dann bleibt als letzte Machtinstanz und damit als die Basis der Zielsetzung aller Führungspersonen in unserer Wirtschaftsstruktur der Kapitaleigner. Dessen Macht stützt sich im Regelfall – wenn er das Unternehmen nicht selbst aufgebaut hat – nicht auf eigene Leistung oder Fähigkeiten, sondern auf das akzeptierte Prinzip der Erbfolge. Der größte Teil der faktischen Macht über Menschen wird auch in demokratischen Staaten in dieser Form weitergegeben beziehungsweise vererbt. Der Kapitaleigner ist in kleinen oder mittelständischen Unternehmen oft eine konkrete Person oder eine kleine Personengruppe, die sich aktiv in das Unternehmensgeschehen einbringt. In großen Unternehmen gibt es ihn aber meist überhaupt nicht als konkret erlebbaren Menschen, sodass aus dem personifizierten »Kapitaleigner« ein abstraktes Prinzip »Interessen des Kapitals« wird – was manchmal so diffus und nebulös bleibt wie die »Vorsehung«. Als Konsequenz folgt bei dieser sicher vereinfachten Betrachtungsweise das Commitment der Führungskräfte eines Unternehmens letztlich einem abstrakten Kapitalvermehrungsprinzip. Dieser Leitgedanke dürfte, wenn auch nicht vollständig, das Grundprinzip des Selbstverständnisses von Führungskräften beschreiben – in den letzten Jahren mit zunehmender Tendenz. Zum Glück orientieren sich viele Führungspersonen nicht ausschließlich an einem kurzfristigen abstrakten Kapitalvermehrungsprinzip. Sie sehen die zusätzlichen Aufgaben von Führung und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und bemühen sich, diesen gerecht zu werden – allerdings häufig nur als zusätzliche Aufgabe neben dem »eigentlichen« Führungsziel. Wenn die Kapitalvermehrung tatsächlich die einzige Aufgabe der Führungskräfte wäre, hätte im gesellschaftlichen Wettkampf der Marxismus möglicherweise gute Chancen gehabt. Seine Kritik am Kapitalismus baute im Wesentlichen auf der Verabsolutierung der Kapitalvermehrung als Unternehmensziel auf.
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Selbstverständlich ist die Gewinnerzielung die Voraussetzung für die Existenz der einzelnen Unternehmen und den gesamten gesellschaftlichen Wohlstand. In gleicher Weise war in der Urzeit die Sicherung einer ausreichenden Ernährungsbasis durch gemeinschaftliches Jagen oder Sammeln eine unverzichtbare Grundfunktion von Führung. Beschränkt sich aber das Selbstbild der Führungskraft nur darauf, und werden aus diesem Grund die anderen Teilaspekte der Führungsrolle nicht in ausreichender Weise erfüllt, leidet letztlich auch das Ausmaß der Erfüllung der Bedürfnisse der Gruppe. Eine auf bloße Machtentscheidungen begründete Führung wird im Rahmen der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung immer mehr infrage gestellt. Man ist immer weniger bereit (vgl. die Ausführungen zum Wertewandel und zur Unternehmenskultur in Kapitel 11), ohne Einsicht in den Nutzen einer Rollendifferenzierung Führung zu akzeptieren. Macht oder Gewalt werden zunehmend durch Argumentation und Überzeugung verdrängt. Zumindest ist dies die Richtung, in die die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse laufen. Entsprechend sollte eine erfolgreiche Organisationsentwicklung (wenn auch oft gegen massive Widerstände) das Unternehmen auf einen solchen Zustand hin fördern. Es ist erforderlich, dass diese relativ einfachen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem stattgefundenen gesellschaftlichen Wertewandel zunehmend Eingang in die Unternehmenspraxis finden.
6.3
Psychologische Führungstheorien – und ihre nicht immer erwünschten Auswirkungen
Die in den letzten Jahrzehnten dominierenden psychologischen Theorien der Führung, die häufig aus Befragungen und Beobachtungen von Führungskräften entwickelt wurden, können als Versuch gedeutet werden, die im vorigen Abschnitt dargestellte eindimensionale Orientierung von Führungspersonen am Prinzip der Kapitalvermehrung (in diesen Theorien im Regelfall als »Produktionsorientierung« oder »Aufgabenorientierung«) zu durchbrechen. Dies war ein schwieriges und wichtiges Unterfangen, da die von Führungskräften überwiegend internalisierten betriebswirtschaftlichen Vorstellungen über den »Homo oeconomicus« solche Überlegungen zur »Mitarbeiterorientierung« oder »Kontaktorientierung« erschwerten. Die wichtigsten Entwicklungen im Bereich der Führungstheorien können als eine stufenweise Erweiterung des Konzepts der eindimensionalen Orientierung am Kapitalvermehrungsprinzip verstanden werden:
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Im Rahmen der Führungsstilforschung wurde versucht, Führungsverhalten zu beschreiben und zu klassifizieren. Es wurden Führungsstile formuliert, die das Führungsverhalten prototypisch beschreiben (s. Theorieübersicht: Führungsstile, S. 258). Der Unterschied zwischen ein- und mehrdimensionalen Führungsstiltheorien bezieht sich auf die Anzahl an Dimensionen, anhand derer das Führungsverhalten beschrieben wird. Neben der Beschreibung und Klassifikation des Führungsverhaltens wurde auch die Effizienz betrachtet, mit der Vorgesetzte führen. Es wurde versucht, Führungsstile zu identifizieren, die sich als besonders effizient erweisen. So wird im Rahmen der ManagerialGrid-Theorie (s. Theorieübersicht: Managerial-Grid-Theorie, S. 261) behauptet, dass sich eine gute Führungsperson dadurch auszeichnet, dass sie zwei Aspekten gleichermaßen gerecht wird: der »Produktionsorientierung« und der »Mitarbeiterorientierung«. Die Effizienz des Führungsverhaltens scheint nicht nur von der Person des Vorgesetzten abzuhängen, sondern auch von der Situation. Dies führte zu einer Integration personen- und situationsbezogener Faktoren. Es wurde postuliert, dass die entsprechenden Führungsstile je nach gegebener Situation unterschiedlich effektiv sein können. Demnach kann ein Führungsstil in einer bestimmten Situation sehr effektiv sein, in einer anderen Situation weniger. Als besonders kennzeichnende Merkmale für die Führungssituation wurden beispielsweise der Kenntnisstand und die Arbeitsmotivation der Mitarbeiter (s. Theorieübersicht: Situative Reifegradtheorie, S. 264) sowie die Kontrollmöglichkeiten der Mitarbeiter (s. Theorieübersicht: Kontingenztheorie der Führung, S. 266) betrachtet. Ferner wurde die Fähigkeit der Vorgesetzten zur angemessenen Situationsdiagnostik thematisiert und ihre Verhaltensflexibilität im Sinne einer situationsangemessenen Auswahl des jeweils am günstigsten erscheinenden Führungsstils (s. Theorieübersicht: 3-D-Theorie der Führung, S. 269). Transaktionale Ansätze betonen dagegen die beiderseitige Beeinflussung von Mitarbeitern und ihren Vorgesetzten und den sich daraus ergebenden Entwicklungsprozessen über die Zeit. Es wird nicht mehr nur eine unidirektionale Beeinflussung vom Vorgesetzten auf die Untergebenen postuliert. Auch Mitarbeiter können demnach durch ihr Verhalten ihre Vorgesetzten »lenken« (s. Theorieübersicht: Theorie X und Y, S. 175). Dieser Ansatz hat zu Publikationen geführt, die sich mit den Möglichkeiten der Beeinflussung der Vorgesetzten durch die Mitarbeiter auseinander setzen und so aussagekräftige Titel tragen wie »Wie führe ich meinen Chef?« (Stöger 2000). Dass die Beeinflussung der Vorgesetzten durch ihre Mitarbeiter auch als eine Form der Führung aufgefasst werden sollte, spiegelt sich in Führungsdefinitionen wider, die Füh-
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Führen und Geführt-Werden
rung schlicht als eine »zielbezogene Einflussnahme auf andere« umschreiben (Molt u. Rüttinger 1988) und weniger die formalen Weisungsbefugnisse und Rollenzuschreibungen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern betonen (vgl. Staehle 1980, S. 338: »Führung als Funktion ist eine Rolle …«).
Theorieübersicht: Führungsstile
Die Führungsforschung war lange Zeit von dem Bestreben gekennzeichnet, Persönlichkeitseigenschaften zu finden, hinsichtlich derer sich erfolgreiche von weniger erfolgreichen Führungspersonen unterscheiden. Führungsstile stellen idealtypische Beschreibungen von Führungsverhalten dar. Diese Beschreibungen dienen unter anderem der Klassifikation des Führungsverhaltens. Dabei stellt sich jedoch die Frage, anhand welcher Dimensionen und Kriterien die Klassifikation vorgenommen wird. Ein sehr verbreitetes Kriterium ist die Dominanz und der Entscheidungsspielraum des Vorgesetzten. Dabei wird das Ausmaß des Entscheidungsspielraums der Führungsperson gegenläufig zur Größe des Entscheidungsspielraums der Untergebenen konzeptualisiert. Ein entsprechendes, eindimensionales Führungsstilkonzept haben Tannenbaum und Schmidt (1958) vorgelegt. Sie unterscheiden folgende Führungsstile (Darstellung erfolgt nach absteigendem Entscheidungsspielraum des Vorgesetzten): – Autoritärer Führungsstil: Der Vorgesetzte entscheidet und ordnet an. – Patriarchalischer Führungsstil: Der Vorgesetzte entscheidet. Er ist jedoch bestrebt, die Untergebenen von seinen Entscheidungen zu überzeugen, bevor er diese anordnet. – Beratender Führungsstil: Der Vorgesetzte entscheidet. Er gestattet jedoch Fragen zu seinen Entscheidungen, um durch deren Beantwortung deren Akzeptanz zur erreichen. – Konsultativer Führungsstil: Der Vorgesetzte informiert seine Untergebenen über seine beabsichtigen Entscheidungen. Die Untergebenen haben die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern, bevor der Vorgesetzte die endgültige Entscheidung trifft. – Partizipativer Führungsstil: Die Gruppe entwickelt Vorschläge. Aus der Zahl der gemeinsam gefundenen und akzeptierten möglichen Problemlösungen entscheidet sich der Vorgesetzte für die von ihm favorisierte. – Delegierender Führungsstil: Die Gruppe entscheidet. Der Vorgesetzte zeigt zuvor das Problem auf und legt den Entscheidungsspielraum fest.
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– Kooperativer Führungsstil: Die Gruppe entscheidet. Der Vorgesetzte fungiert als Koordinator nach innen und nach außen hin. Zur Unterscheidung einer Reihe weiterer Führungsstile wird neben der Dominanzdimension noch eine weitere herangezogen: die Beziehungsdimension. Die Einteilung von Führungsstilen findet auf den beiden Dimensionen »Dominanz« und »Beziehung« wie folgt statt: – Autoritärer Führungsstil: hohe Dominanz, geringe Beziehung. – Autoritativer Führungsstil: hohe Dominanz, hohe Beziehung. Der Vorgesetzte entscheidet. Im Gegensatz zum autoritären Führungsstil zeichnet sich das Verhalten des Vorgesetzten durch eine hohe Mitarbeiterorientierung aus. Er ist an der Meinung der Untergebenen interessiert und versucht, diese in seinen Entscheidungen zu integrieren. – Permissiver, demokratischer Führungsstil: geringe Dominanz, hohe Beziehung. Die Untergebenen entscheiden. Der Vorgesetzte nimmt dabei eine teilnehmende, kooperative, unterstützende und einfühlende Haltung ein. – Laisser-faire, vernachlässigender Führungsstil: geringe Dominanz, geringe Beziehung. Die Untergebenen entscheiden. Der Vorgesetzte lässt die Untergebenen weitgehend selbst gewähren. Er hat kein sonderliches Interesse an seinen Untergebenen und ihren Entscheidungen. Seine Haltung ihnen gegenüber ist von Gleichgültigkeit geprägt. In Abbildung 28 wird die Klassifikation der Führungsstile veranschaulicht (vgl. Abbildung 31, S. 269).
Abbildung 28: Zweidimensionales Führungsstilmodell
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Dieses zweidimensionale Führungsstilmodell weist große Ähnlichkeiten mit dem so genannten interpersonalen Verhaltenszirkel von Leary (1957) auf, in dem die beiden Dimensionen »Dominanz versus Unterwerfung« (Dominanzund Kontrolldimension) und »Liebe versus Hass« (Beziehungsdimension) unterschieden werden. Andere mehrdimensionale eigenschaftszentrierte Führungskonzepte bauen dagegen auf den beiden Dimensionen Aufgaben- und Produktorientierung einerseits und Mitarbeiter- und Personenorientierung andererseits auf, wobei die letztere Dimension vergleichbar mit der Beziehungsdimension (s. nachfolgende Theorieübersicht: Managerial-Grid-Theorie«) ist. Es existieren ferner so genannte »historische« Führungsstile (vgl. Weber 1922), die sich durch eine hohe Aufgabenorientierung bei einer geringen Personenorientierung auszeichnen: – Der Vorgesetzte orientiert sich im bürokratischen Führungsstil an formal festgelegten Vorschriften bezüglich des Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnisses. – Im patriarchalischen Führungsstil orientiert er sich an überlieferten Vorschriften. – Der charismatischer Führungsstil beruht auf dem Vorhandensein eines in hohem Maß von den Untergebenen akzeptierten Führers und seiner »untergebenen Jünger«. Ein weiterer Führungsstil stellt der Lean-Management-Führungsstil dar. Dieser zeichnet sich durch eine Enthierarchisierung, Dezentralisierung und Teamorientierung aus. Die Herstellung eines zielgerichteten Kommunikationsprozesses, die Gestaltung eines positiven Teamumfelds und die Wahrnehmung und Beseitigung kommunikativer Störungen im Team stellen wichtige Merkmale dar. An der Führungsstilforschung wurde reichlich Kritik geübt, was dazu führte, dass sie zunehmend an Bedeutung verlor. Einige Kritikpunkte seien beispielhaft aufgeführt: – Die Operationalisierung der Führungsstile (Beschreibung von Verhaltensweisen, die einen bestimmten Führungsstil indizieren) und die Messung des Führungsverhaltens ist sehr schwierig. Die Erfassung und Bewertung von Führungsverhalten wird stark von aktuellen Interaktionen geprägt, sodass beispielsweise die Sicherung der Objektivität schwer zu gewährleisten ist. – Es findet keine Berücksichtigung situativer Gegebenheiten statt. In der Praxis ist jedoch der Erfolg des Führungsverhaltens stark von situativen Einflüssen abhängig.
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– Die mit der Führungsstilforschung verbundene Suche nach dem besten Führungsstil musste zwangsläufig scheitern. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass es das allgemein beste Führungsverhalten oder die allgemein besten Führungseigenschaften gibt. Zwar konnten einige Dimensionen gefunden werden, in denen sich Unterschiede zeigten – wie Intelligenz, Ausdrucksfähigkeit, Selbstsicherheit, soziale Aktivität (Stogdill 1948) –, doch erschienen die Ergebnisse insgesamt als recht dürftig und wenig brauchbar (Stogdill 1974). Die im Folgenden beschriebene Managerial-Grid-Theorie gehört zu den mehrdimensionalen Führungsstiltheorien. Zur Einteilung der von ihr postulierten Führungsstile verwendet sie zwei Dimensionen, die typische Anforderungen an Führungspersonen darstellen. Die Dimension »Produktorientierung« beschreibt, wie stark sich eine Führungsperson auf die Erfüllung sachlich-rationaler Ansprüche der Produktion konzentriert. Das Eingehen auf die emotionalen Bedürfnisse der Mitarbeiter wird dagegen als »Mitarbeiterorientierung« bezeichnet.
Theorieübersicht: Managerial-Grid-Theorie
Schwerpunkt der Theorie (s. Blake u. Mouton 1980; Wunderer u. Grunwald 1980) ist die situationsspezifische Angemessenheit von Führungsstilen. Eine Führungsperson muss im Unternehmen zweierlei Zielsetzungen verfolgen: – Produktorientierung: Eingehen auf die sachlich-rationalen Ansprüche der Produktion (Unternehmensaufgabe). – Mitarbeiterorientierung: Eingehen auf die sozio-emotionalen Bedürfnisse der Unternehmensmitglieder. Das Verhaltensgitter (Managerial-Grid) stellt ein Koordinatensystem mit den Dimensionen »Produktorientierung« versus »Mitarbeiterorientierung« dar und gibt die Wechselbeziehungen zwischen den beiden als gegensätzlich angenommenen Führungsorientierungen wieder. Beide Führungsdimensionen können im Rahmen des Modells neun verschiedene Ausprägungsgrade annehmen, sodass sich theoretisch 92 = 81 Führungsstile unterscheiden lassen. Im Rahmen des vorliegenden Modells wird allerdings eine Einschränkung auf fünf wesentliche Führungstypen vorgenommen (s. Abbildung 29): Die einzelnen Führungsstile lassen sich in Anlehnung an Bleicher und Meyer (1976) folgendermaßen charakterisieren:
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Führen und Geführt-Werden
Abbildung 29: Managerial-Grid
Stil 1/1 (»Impoverished-Management«) Die Führungskraft zeigt ein geringes Interesse sowohl an der Aufgabenerfüllung als auch an den Belangen der Mitarbeiter. Wichtige Verhaltensindikatoren für das Vorliegen dieses Führungsstils sind: – Der Vorgesetzte meidet Kritik aus Angst vor Machtverlust. – Starke Entscheidungsdezentralisation. – Der Vorgesetzte erteilt unverbindliche Anordnungen. – Keine Förderung der Mitarbeiter. – Mangelndes Führungsverhalten durch primäre Konzentration auf Erhaltung des Status quo. Stil 1/9 (»Country-Club-Management«) Die Führungsperson konzentriert sich stark auf zwischenmenschliche Beziehungen und gestaltet diese vor dem Hintergrund eines positiven Menschenbilds. Wichtige Indikatoren sind: – der Vorgesetzte schafft Arbeitsbedingungen, die die Leistungsmotivation anregen, – starke Entscheidungsdelegation,
Psychologische Führungstheorien
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– Unterstellungsverhältnis wird durch informelle Beziehungen ergänzt (ersetzt), – der Vorgesetzte sucht mit Mitarbeitern gemeinsam nach Lösungen (Basis: umfassende Informationspolitik; Teamorientierung), – geringes Konfliktpotenzial; Konflikte werden unter Umständen geleugnet mit der Folge eines geringen Innovationspotenzials (s. Kapitel 7, S. 277). Stil 5/5 (»Middle-of-the-road-Management«) Die mittelmäßig starke Konzentrierung der Führungskraft auf beide Dimensionen bewirkt einen Kompromiss aus Produkt- und Mitarbeiterorientierung. Bei dieser Kompromisslösung besteht noch ein Optimierungspotenzial. Wichtige Indikatoren sind: – mittlere Entscheidungsdezentralisation, – hierarchische Unterstellungsverhältnisse, – der Vorgesetzte erteilt verbindliche Weisungen und Anordnungen, – formale und informelle Kommunikation mit Mitarbeitern, – Förderung organisationsgerechten Mitarbeiterverhaltens. Stil 9/1 (»Task-Management«) Das Führungsverhalten ist (auf der Basis eines pessimistischen Menschenbilds) einseitig auf die Aufgabenerledigung gerichtet und ist ethisch schwer vertretbar. Wichtige Indikatoren sind: – hoher Strukturierungs- und Konkretisierungsgrad der Arbeitsaufgaben, – streng hierarchische Unterstellungsverhältnisse mit klarer Abgrenzung von Kompetenzen und Entscheidungsbefugnissen, – die Kommunikation erfolgt nur auf dem Dienstweg; nur die effizientesten Mitarbeiter werden gefördert, – die Mitarbeitermotivierung erfolgt ausschließlich über finanzielle Anreize und Androhung von Sanktionen, – der Mensch wird als »Maschine« betrachtet. Stil 9/9 (»Team-Management«) Die gleichzeitige maximale Produkt- und Mitarbeiterorientierung der Führungsperson gilt als optimales Führungsverhalten. Aus dieser Führungshaltung resultiert sowohl eine hohe Arbeitsleistung als auch eine hohe Zufriedenheit (vgl. Theorieübersicht: Arbeitszufriedenheit, S. 194) der Mitarbeiter. Die Identifikation der Mitarbeiter mit den Unternehmenszielen und der Unternehmensaufgabe ist besonders stark ausgeprägt. Wichtige Indikatoren sind: – weitgehende Entscheidungsdezentralisation (Gruppen und Einzelentscheidungen),
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– Anordnungen werden auf der Basis gemeinsamer Problemlösungen getroffen, – kollegiale Arbeitsbeziehungen, – Beförderungskriterien für Mitarbeiter sind Problemlösungsfähigkeit und soziale Eignung, – direkte Konfrontation mit Konflikten mit anschließender sachlicher Problemlösung, mit der Folge eines großen Innovationspotenzials. Problematisch am Managerial-Grid-Modell ist, dass es eine monokausale Beziehung zwischen Führungsverhalten einerseits und der Leistung sowie der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter andererseits unterstellt. Der Ansatz kann in der Praxis zwar hilfreich sein, das Spektrum verschiedener Führungsstile besser zu überschauen. Er berücksichtigt allerdings nicht, dass ein und derselbe Führungsstil unter verschiedenen situativen Bedingungskonstellationen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Die Situative Reifegradtheorie baut auf der Managerial-Grid-Theorie auf, indem sie die dort beschriebenen Dimensionen zur Einteilung der Führungsstile verwendet. Sie belässt es jedoch nicht bei einer Beschreibung der Führungsstile, sondern beschäftigt sich mit der Frage, welcher Führungsstil in Abhängigkeit der Situation am zweckmäßigsten ist. Als eine wichtige situative Variable wird der aufgabenrelevante »Reifegrad« der Mitarbeiter betrachtet.
Theorieübersicht: Situative Reifegradtheorie
Schwerpunkt der Theorie (Hersey u. Blanchard 1977) ist die Effizienz des Führungsverhaltens in Abhängigkeit vom »Reifegrad« der Mitarbeiter. Der Führungsstil eines Vorgesetzten kann durch dessen Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung beschrieben werden. Die Effektivität des gezeigten Führungsverhaltens wird jedoch nachhaltig durch eine Situationsvariable beeinflusst: dem Reifegrad der Mitarbeiter. Dieser manifestiert sich in verschiedenen beobachtbaren Merkmalen und kann vom Vorgesetzten durch die Einschätzung von 14 Kriterien zu einem »Maturity-Score« verrechnet werden. Zu diesen Merkmalen zählen die Fähigkeit des Mitarbeiters (Kenntnisse, Erfahrungen), die Leistungs-/Arbeitsmotivation sowie die »psychologische Reife« (Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Streben nach Selbstverwirklichung). Um eine maximale Verhaltenseffektivität zu erreichen, sollte die Führungs-
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kraft ihren Führungsstil dem festgestellten Reifegrad der Mitarbeiter anpassen. Der optimale Führungsstil wird in der Abbildung 30 durch eine Kurve wiedergegeben.
Abbildung 30: Effizienz des Führungsverhaltens in Abhängigkeit vom »Reifegrad« der Mitarbeiter
Der LEAD-Fragebogen (Leader-Effectiveness and Adaptability Description) soll die Führungsstilflexibilität eines Vorgesetzten durch Vorgabe verschiedener Problemsituationen erfassen. Die Güte des je nach situativer Konstellation gewählten Führungsstils wird in einem Adaptability-Wert und in einem Effectiveness-Wert zusammengefasst. Umfassende empirische Überprüfungen dieses Diagnose-Instruments stehen allerdings noch aus. Zur situativen Reifegradtheorie ist kritisch anzumerken, dass (auch) diese mit der einseitigen Betonung der Variablen »Reifegrad« einen monokausalen Zusammenhang mit dem Führungserfolg unterstellt. Darüber hinaus ist das von den Autoren zugrunde gelegte Menschen- und Mitarbeiterbild sehr idealistisch: Ein reifer Mitarbeiter identifiziert sich absolut mit der Arbeitsaufgabe und macht die Ziele der Organisation zu seinen eigenen. Dies ist eine Annahme, die auf dem Hintergrund des Wissens anderer psychologischer Theorien, wie der Ziel-Kongruenz-Theorie (vgl. Theorieübersicht: Ziel-Kongruenz-Theorie, S. 351), den Theorien des Wertewandels (vgl. Kapitel 11) und der Nutzen-
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Führen und Geführt-Werden
maximierungshypothese (Kapitel 1, S. 19) in der bestehenden (verabsolutierenden) Form nicht haltbar erscheint. Eine weitere Führungstheorie, die situative Faktoren berücksichtigt, ist die so genannte Kontingenztheorie der Führung. Sie postuliert, dass die Führungsperson und die Führungssituation zueinander »passen« müssen, damit eine hohe Führungsleistung erreicht wird. Die in einem Betrieb bestehenden Kontrollmöglichkeiten über den Arbeitsprozess werden dabei als wichtige situative Dimension aufgefasst. Von den Führungsstilen, die ein Vorgesetzter zeigt, wird angenommen, dass diese in der Person des Vorgesetzten verankert sind.
Theorieübersicht: Kontingenztheorie der Führung
Schwerpunkt der Kontingenztheorie der Führung (Fiedler 1983; s. Neuberger 2002; Wunderer u. Grunwald 1980) ist die Führungsleistung und die Führungseffektivität, von der angenommen wird, dass sie von der »Passung« der Führungsperson zur Führungssituation abhängt. Die Führungsleistung hängt von zwei Faktoren ab: Führungsstil der Führungsperson und »Situative Günstigkeit«. Führungsstil der Führungsperson (LPC-Wert) Fiedler (1983) geht davon aus, dass der Führungsstil eine sehr stabile Persönlichkeitskonstante ist, die sich kaum verändern lässt. Gemäß der Theorie wird der Führungsstil, im Gegensatz beispielsweise zur Managerial-Grid-Theorie (s. Theorieübersicht: Managerial-Grid-Theorie, S. 261), als ein eindimensionales Kontinuum mit den beiden Polen Aufgabenorientierung versus Beziehungsorientierung definiert. Entgegen vieler anderer Führungstheorien wird der Führungsstil nicht als eine spezifische Verhaltensweise aufgefasst, sondern als ein persönlichkeitstypischer Wahrnehmungsstil. Zur Erfassung und Messung des Führungsstils einer bestimmten Führungsperson steht daher nicht das Verhalten der Führungsperson im Vordergrund, sondern die Art, wie sie ihre Untergebenen wahrnimmt. Fiedler hat zu diesem Zweck die so genannte LPC-Skala entworfen, die 18 Polaritäten (zum Beispiel angenehm versus unangenehm, freundlich versus unfreundlich) mit jeweils acht Abstufungen enthält. Die Führungskraft wird aufgefordert, einen ihrer Untergebenen anhand dieser Skala zu beschreiben. Typischerweise ist dies derjenige Mitarbeiter, mit dem die Führungsperson am schlechtesten zusammenarbeiten kann (LPC – least preferred coworker). Die
267
Psychologische Führungstheorien
18 Einschätzungen werden zu einem einzigen Wert verrechnet. Ein geringer LPC-Wert zeigt an, dass die Führungskraft den Mitarbeiter durchgängig mit negativen Charakteristika belegt und ihn damit abwertet. Die Führungsperson gilt somit als aufgabenorientiert. Ein hoher LPC-Wert verweist darauf, dass die Führungskraft trotz der schlechten Zusammenarbeit auch die »guten Seiten« des »least preferred coworker« wahrnehmen kann. Sie lässt sich daher als beziehungsorientiert beschreiben. Führungspersonen mit einem mittelmäßig stark ausgeprägten LPC-Wert werden als »sozial unabhängig« bezeichnet. Dies beinhaltet, dass sie relativ unabhängig von den Meinungen und Werthaltungen der Untergebenen entscheiden und weder an der sozialen Gruppe noch an der Aufgabe übermäßig interessiert ist. »Situative Günstigkeit« Die »situative Günstigkeit« ist ein Maß dafür, in welchem Umfang die Situation im Betrieb Kontrollmöglichkeiten über den Arbeitsprozess und das Arbeitsergebnis enthält. Die Führungssituation kann durch drei Dimensionen näher präzisiert werden: – Beziehung: Qualität der Führer-Geführten-Beziehung. – Aufgabenstruktur: Ausmaß, in dem die Aufgabe klar definiert ist, die damit verbundenen Ziele explizit und die Wege zur Zielerreichung festgelegt sind. – Positionsmacht: Legale Macht der Führungskraft, das Verhalten von Mitarbeitern sanktionieren (belohnen/bestrafen) zu können. Dichotomisiert man die Ausprägungsgrade dieser drei Dimensionen (in eine jeweils hohe versus niedrige Ausprägung), so führt dies zu 23 = 8 Kombinationsmöglichkeiten, die die unterschiedlichen Ausprägungsgrade situativer Günstigkeit widerspiegeln (s. Tabelle 20: Ausprägungsgrade situativer Günstigkeit). Tabelle 20: Ausprägungsgrade situativer Günstigkeit Führer-Geführten-Beziehung
Aufgabenstruktur
Positionsmacht
(1)
+
+
+
(2)
+
+
-
(3)
+
-
+
(4)
+
-
-
(5)
-
+
+
(6)
-
+
-
(7)
-
-
+
(8)
-
-
-
268
Führen und Geführt-Werden
Zeile (1) entspricht einer sehr hohen situativen Kontrolle, wohingegen Zeile (8) auf eine sehr niedrige situative Günstigkeit hindeutet. Ein Beispiel für Situationen mittlerer Günstigkeit liefert Zeile (4): Situationen mit unstrukturierten Aufgaben und einem beliebten Vorgesetzten, der aufgrund der komplexen Aufgabe mit der Gruppe kooperieren muss. Zeile (5) hingegen zeigt Situationen mit strukturierten Aufgaben und einem bei der Gruppe unbeliebten Vorgesetzten, der deshalb diplomatisch vorgehen muss. Fiedler behauptet nun, dass der aufgabenorientierte Führungsstil in den Situationen, die eine sehr hohe oder aber eine sehr niedrige situative Kontrolle ermöglichen, die besten Leistungen hervorbringt. In hoch günstigen Situationen beispielsweise zeigen Führungskräfte mit hohem LPC-Wert keine besonderen Bemühungen zur Herstellung guter interpersoneller Beziehungen, sondern handeln eher strukturierend und direktiv, das heißt vornehmlich an der Aufgabenerledigung interessiert. In Situationen mit mittlerer Ausprägung der Kontrollmöglichkeit ist der beziehungsorientierte Führungsstil am effektivsten. Führungskräfte mit niedrigem LPC-Wert verhalten sich besonders freundlich und interpersonal interessiert. Personen mit Führungsverantwortung können dann am erfolgreichsten handeln, wenn sie in eine Situation gebracht werden, die ihrer zentralen Motivation (Aufgaben- und Beziehungsorientierung) entspricht. Die Führungsleistung ist somit direkt abhängig von der vorherrschenden situativen Kontrollmöglichkeit, das heißt der wahrgenommenen Sicherheit, dass die gestellte Aufgabe befriedigend bewältigt werden kann. Aus diesem Grund ist es nicht möglich, von »guten« oder »schlechten« Führungskräften zu sprechen, sondern von einer »guten« oder »schlechten« Passung zwischen Führungsperson und situativer Gegebenheit. Fiedler war der Erste, der eine situative Führungstheorie entwickelte, die empirisch prüfbar war. Seine Theorie hat überdies eine Reihe empirischer und methodologischer Arbeiten angeregt. Die Behauptung, dass die Führungsleistung in der beschriebenen Weise vom Führungsstil und von der situativen Günstigkeit abhängt, konnte jedoch empirisch nicht überzeugend gestützt werden (vgl. Neuberger 2002, S. 501). Eine weitere Theorie, die situative Faktoren berücksichtigt, ist die so genannte 3-D-Theorie der Führung. Wie die Kontingenztheorie der Führung beschreibt auch sie die Effektivität der Führung als eine Funktion von Führungsstil und situativen Gegebenheiten.
Psychologische Führungstheorien
269
Theorieübersicht: 3-D-Theorie der Führung
Die 3-D-Theorie der Führung (Reddin 1970, 1977; s. Neuberger 1991) geht im Gegensatz zur Managerial-Grid-Theorie (s. Theorieübersicht: ManagerialGrid-Theorie, S. 261) davon aus, dass es nicht »den« optimalen Führungsstil gibt. Die Effektivität des Führungsverhaltens ist demnach sowohl vom Führungsstil als auch von den situativen Bedingungen abhängig. Wichtige situative Merkmale, die in Hinblick auf die Führungsleistung relevant sein könnten, sind beispielsweise: – formelle und informelle Organisation der Unternehmung, – Arbeitsbedingungen und -anforderungen, – Verhalten, Erwartungen, Werte der Mitarbeiter, – Einstellungen (gleichrangiger) Kollegen, – Einstellungen und Führungsstil des/der nächsthöheren Vorgesetzten (Managementphilosophie). Das Führungsverhalten lässt sich anhand der beiden Dimensionen Aufgabenorientierung (AO) sowie Beziehungs- und Kontaktorientierung (BO) beschreiben, wobei wie beim Managerial-Grid-Modell davon ausgegangen wird, dass diese unabhängig voneinander sind. Werden die beiden Grunddimensionen Aufgabenorientierung und Beziehungsorientierung in jeweils eine hohe und eine niedrige Ausprägung dichotomisiert, so lassen sich vier Grundstile des Führungsverhaltens (Abbildung 31) unterscheiden (vgl. Abbildung 28, S. 259).
Abbildung 31: Grundstile des Führungsverhaltens
Die zusätzliche Dimension »Effektivität« spiegelt die Angemessenheit der Anpassung des Führungsstils an die Erfordernisse der Situation wider. Abbildund 32 stellt den Zusammenhang dar (Reddin 1977, S. 28).
270
Führen und Geführt-Werden
Abbildung 32: 3-D-Modell der Führung von Reddin
Entsprechend dem 3-D-Modell werden als zentrale Führungseigenschaften die Fähigkeit zur Situationsdiagnostik und -veränderung des Vorgesetzten sowie dessen Verhaltensflexibilität (Bandbreite der verfügbaren Führungsstile) angesehen. Da nicht nur das Vorgesetztenverhalten verschiedene Ausprägungen annehmen, sondern auch die Führungssituation in gewisser Weise »flexibel« sein kann, wird das Zusammenspiel beider Dimensionen in Form von »Flex-Karten« grafisch verdeutlicht: In das Koordinatensystem Kontaktorientierung/ Aufgabenorientierung wird in Form von Kreisen (Ellipsen) das vorliegende Führungsverhalten und die Situationskonstellation eingezeichnet. Sind beide Kreise nahezu deckungsgleich, so spricht dies für den Erfolg des speziellen Führungsverhaltens in der vorherrschenden Situation. Die »Theorie X« und die als Gegensatz dazu formulierte »Theorie Y« beschäftigen sich weniger mit den Führungsstilen und der Frage nach effizienter Führung als vielmehr mit der gegenseitigen Beeinflussung von Vorgesetzten und Untergebenen (vgl. Theorieübersicht: Theorie X und Y, S. 175). Zwar verfügen Mitarbeitern formal gesehen über keine Beeinflussungsmöglichkeiten bezüglich ihres Vorgesetzten, doch greift eine Sichtweise zu kurz, die den Einfluss der Mitarbeiter auf das Führungsverhalten nicht berücksichtigt. Führung setzt die
Psychologische Führungstheorien
271
Kommunikation zwischen Führer und Geführtem voraus, sodass Führung als ein interaktionelles Geschehen aufgefasst werden muss. Menschliche Interaktionen sind jedoch immer durch beiderseitige Beeinflussungen geprägt. Neben den oben beschriebenen, typischen Vertretern von Führungstheorien gibt es noch zahlreiche Ergänzungen und Erweiterungen, etwa in der Form zusätzlicher Beschreibungsdimensionen des Führungsstils. Im Prinzip beruhen sie auf der Dualität von Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung. Diese Dualität wird einerseits weiter ausdifferenziert, andererseits werden die Vorschläge für optimales Führungsverhalten in Anbetracht der zahlreichen Moderatoreffekte und Wechselwirkungsvariablen in der Führungspraxis erweitert. Die beschriebenen mehrdimensionalen Führungstheorien stellen sicher einen erheblichen Fortschritt gegenüber den eindimensionalen, betriebswirtschaftlich oder technisch orientierten Ansätzen dar. Sie bieten auch mehr praktische Gestaltungshilfen, die »Persönlichkeit« von Führungskräften in Abgrenzung zu Nicht-Führungspersonen herauszuarbeiten (Ghiselli 1963). Trotz dieser positiven Aspekte haben sie aber auch Nachteile, die beispielsweise nach Seminaren zu solchen Theorien vor allem im Hinblick auf das Selbstbild von Führungspersonen zu beobachten sind. Diese Kritik bezieht sich jedoch nicht auf die Leistungsfähigkeit der Theorien an sich, sondern auf beobachtbare »Missverständnisse« bei Führungspersonen. Besonders auffällige Schwierigkeiten dieser Art sind: – Der Begriff »gute« oder »effiziente« Führung wird nach solchen Trainings von den Teilnehmern leicht als ein im Wesentlichen eindimensionales Konstrukt mit den Dimensions-Endpunkten »sehr gut« oder »sehr schlecht« aufgefasst. Ein Erkennen der unterschiedlichen Teilrollen von Führung in einem modernen Unternehmen unterbleibt. Dies trifft zumindest für einen Teil der Rezeption dieser Theorien in Führungskräftetrainings zu. In den wissenschaftlich-empirischen Untersuchungen selbst wurden durchaus verschiedene Indikatoren des Führungserfolgs verwendet. – Die Gegenüberstellung der Aufgaben- und der Mitarbeiterorientierung (in den einzelnen theoretischen Ansätzen werden verschiedene Bezeichnungen dafür verwendet) impliziert bei Laien leicht die Vorstellung eines »Entweder-oder«: Entweder ist eine Führungskraft aufgabenorientiert (»der Experte, der etwas Hilfreiches für das Unternehmen tut«) oder sie ist verstärkt mitarbeiterorientiert (im Extremfall »der gute Mensch für den Sozialklimbim«). Diese Dichotomie führt leicht zu einer Stereotypbildung bezüglich Kollegen oder Vorgesetzten, wenn man diese Grundorientierungen als Persönlichkeitseigenschaften im Sinne einer zeit- und situationsüberdauernden Verhaltensdisposition auffasst. Sie kann auch zu der Vorstellung führen,
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Führen und Geführt-Werden
dass eine Rollenteilung angemessen ist: für das »Handfeste« der Linienvorgesetzte, für den »Sozialklimbim« die Personalabteilung. – Die in allen diesen Theorien vertretene Forderung nach einer situationsangemessenen Mitarbeiterorientierung wird häufig als eine Aufforderung zur Manipulation missverstanden. Geht man von einem eindimensionalen Führungseffektivitäts-Kriterium aus, dann ist nach einem solchen Konzept die Mitarbeiterorientierung eine Menge von Verhaltensweisen, die gezeigt werden, um den Mitarbeiter so zu manipulieren, dass er in maximaler Weise zum Erfolg der Führung beiträgt. Die vielfältigen Formen der Bedürfnisbefriedigung des Mitarbeiters gehören bei diesem Verständnis nicht zum selbstverständlichen Kern jeder Führungsrolle, sondern werden rein instrumentell eingesetzt: »Humantechnologie« statt zwischenmenschliches Interesses. Eine solche Haltung ist bei jungen, leistungsstarken und karriereorientierten Führungskräften (aber keinesfalls nur bei ihnen) zu beobachten. Sie ist relativ typisch für den Reifegrad des »Eroberers« (s. Theorieübersicht: Reifestadien der Macht, S. 232). Natürlich führt ein solches Verständnis der eigenen Führungsrolle bei den Mitarbeitern häufig zu einer emotionalen Abwehr der eingesetzten »Führungsmittel«. Das erfolgreiche Vortäuschen von Mitarbeiterorientierung, wenn diese nicht als emotionale Grundhaltung vorhanden ist, sondern nur als technische Hilfe eingesetzt wird, erfordert ein schauspielerisches Talent, über das nur wenige Menschen verfügen. Die Lösung für diese Auffassungsprobleme muss darin liegen, dass man sich von einem isolierten Konstrukt »Führung« löst und stattdessen den Erfolg in den Teilbereichen der jeweiligen Führungsrollen im Hinblick auf seine Bedingungen und seine Optimierungsmöglichkeiten untersucht. Dies führt zur WegZiel-Theorie der Führung (s. Theorieübersicht Weg-Ziel-Theorie, S. 204). Für die einzelnen Teilaufgaben, beispielsweise für die Mitarbeitermotivation, werden entsprechend spezielle psychologische Determinanten herausgearbeitet. Konsequenterweise werden heute viele Trainings im Führungskräftebereich nicht mehr mit dem Ziel einer allgemeinen »Führungsoptimierung« konzipiert, sondern sie konzentrieren sich auf möglichst konkrete Fragestellungen.
Lösungsansätze zur Erreichung der Rollenflexibilität
6.4
273
Lösungsansätze zur Erreichung der Rollenflexibilität
Eine ganzheitliche Betrachtung der Führungsaufgaben entspricht zwar der Unternehmensrealität, beinhaltet aber eine wesentliche Gefahr: die potenzielle Überforderung der Leistungsfähigkeit von Führungspersonen. Man darf nicht vergessen, dass die Vorbereitung von Nachwuchskräften für Führungsaufgaben auch heute noch in vielen Fällen unstrukturiert verläuft: – Die meisten wirtschaftsbezogenen Studiengänge vermitteln zwar hervorragendes Fachwissen, aber nur sehr wenig soziale Kompetenzen, die für fachübergreifende Teilrollen der Führung unverzichtbar sind. – Die praktische Erfahrung des Berufsanfängers konzentriert sich zunächst auf die ordnungsgemäße Erledigung von Spezialisten- und Fachfunktionen mit wenig sachübergreifenden Lernmöglichkeiten, wenn nicht ein sorgfältiges Traineeprogramm geboten wird. – Spezielle Trainings, in denen Führungskompetenzen vermittelt werden sollen, werden zwar in den meisten Unternehmen für den Nachwuchs ermöglicht, doch sind diese vom Umfang her meist unzureichend. 15 Trainingstage zur Schulung von Kompetenzen vor Übernahme der ersten Führungsfunktion reichen nicht aus, wobei selbst dieser zeitliche Rahmen nur in wenigen Unternehmen geboten wird. – Der Transfer der Trainingsinhalte in das eigene Verhalten wird dadurch erschwert, dass vor der Übernahme von Führungsfunktionen viele Trainingsinhalte praktisch nicht anwendbar sind, da die entsprechende eigenverantwortliche Aufgabenstellung fehlt. Das hat zur Folge, dass man Führungskompetenz »auf Vorrat« erlernen muss, manches Mal mit sehr langem zeitlichen Abstand zwischen Training und erster praktischer Anwendung. Als Konsequenz wird bei Übernahme von Führungsfunktionen zunächst meist das Verhalten von »Modellen«, also der eigenen Vorgesetzten, imitiert (s. Theorieübersicht: Sozial-kognitive Lerntheorie, S. 245) – ein Mechanismus, der für die Fortführung dysfunktionaler Führungsverhaltensweisen in vielen Unternehmen sorgt. – Da aufgrund organisatorischer Gegebenheiten die Schwachstellen des eigenen Führungsverhaltens gerade im Bereich der mitarbeiterbezogenen Führungsrollen nicht erkennbar werden, wird das einmal eingeschlagene Verhalten verstärkt und damit die »alten« Verhaltensweisen der Führungspersonen gefestigt. Diese innovationshemmenden Mechanismen wären weniger schädlich, wenn sich nicht aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen der Wirtschaft er-
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Führen und Geführt-Werden
hebliche neue Anforderungen ergeben hätten. Aber gerade für jene Führungskräfte, die ein gutes Gespür für den Innovationsbedarf haben, kann die intensive Beschäftigung mit psychologischen Führungskonzeptionen ein zusätzliches Problem darstellen. Die zunehmende Kenntnis des Komplexitätsgrads der Führung macht vielen die Schwierigkeiten dieser Rolle erst bewusst und verhindert das selbstverständliche Fortführen von (unter den damaligen Bedingungen im Großen und Ganzen) bewährten Verhaltensweisen. Ebenso wie die »Aufklärung« über Erziehungsprobleme zu einer erheblichen Verunsicherung vieler Eltern geführt hat, da die Erziehung der Kinder nicht mehr »selbstverständlich« erfolgte, kann auch das Detailwissen die Unsicherheit der Führungskräfte (vor allem des Nachwuchses) erhöhen. Daraus folgt unter Umständen eine Zunahme von Versagensangst, die (ähnlich wie das Streben nach Macht, vgl. Kapitel 5) zu den besonders tabuisierten Themen in Unternehmen gehört. Allerdings kann eine solche Bedrohung zumindest zeitweilig leistungssteigernd wirken. Besonders in wirtschaftlich schwierigen Situationen ist mit einer Abnahme der (möglicherweise gerade erst eingeführten) Flexibilität des Führungsverhaltens zu rechnen, obwohl man diese gerade in solchen Krisensituationen besonders benötigen würde. Ferner könnten dysfunktionale Verhaltensweisen, zum Beispiel Konkurrenzkämpfe, verstärkt auftreten. In Stresssituationen neigen Menschen generell dazu, auf gut gelernte und aus diesem Grund einfache »Verhaltensweisen« zurückzugreifen (Regressionseffekt). Das bedeutet für die meisten Führungspersonen eine einseitige Betonung der Rolle »Experte«, da sie in der Regel im fachlichen Bereich einen wesentlich besseren Ausbildungsstand vorweisen dürften als in allgemeinen Führungskompetenzen. Auf die damit verbundenen Probleme, etwa in Bezug auf die sachgerechte Mitarbeitermotivation, wurde bereits in Kapitel 4. Zeitgerechte Motivatoren – Spaß ist wichtig, aber ganz ohne Leistungsanreize geht es nicht, S. 169, verwiesen. Ein Lösungsweg zur Reduktion der Komplexität der Führungsrolle liegt in der Ausbildung von Spezialistenfunktionen. Ebenso wie die Unternehmensleitung unter sachlichen Gesichtspunkten meist in verschiedene Ressorts gegliedert ist, kann man auch versuchen, die Führungsfunktionen auf verschiedene Personen aufzuteilen. Im Extremfall übernimmt dann der PR-Berater die Aufgabe zur Sinngebung der Arbeit, die Arbeitsverteilung der Abteilungsleiter, die Bereitstellung von benötigtem Wissen die Mitarbeiter von Stäben oder die Abteilung Forschung und Entwicklung, die Mitarbeitermotivation die Personalabteilung, die Konfliktregelung der Betriebsrat und der Spezialist für die Trainingsangebote des Unternehmens widmet sich dem Bedürfnis der Mitarbeiter nach einer weiteren persönlichen Entwicklung. Eine solche, wenn hier auch
Lösungsansätze zur Erreichung der Rollenflexibilität
275
überzeichnete Aufteilung ist in vielen Unternehmen anzutreffen und zum Teil nicht zu ändern. Man kann von keiner Führungsperson erwarten, dass sie in allen Teilbereichen aufgrund ihrer Kenntnisse und ihrer Handlungskompetenz so leistungsstark ist wie die für die jeweiligen Punkte spezialisierten Fachkräfte. Gibt es aber ausschließlich eine solche Rollenverteilung ohne eine die Führungsfunktion im Ganzen wahrnehmende Person, dann führt diese tayloristische Arbeitsteilung (die man im Produktionsbereich wegen ihren negativen Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeiter und die Qualität der Produkte einschränkt) zu einem emotional unbefriedigenden Betriebsklima. Auf solche Unternehmen passt die Metapher »Maschine« (jeder Mitarbeiter als Zahnrad) oder vielleicht »Computer« (umfassend koordinierte, aber emotionsfreie Zusammenarbeit) (vgl. Kapitel 11). Moderne, qualitativ gute Menschenführung ist mit einer solchen Organisationsform ebenso wenig zu gewährleisten wie zufriedene, ihre Führungsaufgabe (und nicht nur ihre Leitungsfunktion) motiviert ausfüllende Führungspersonen. Aus diesem Grund muss der unmittelbare Vorgesetzte ein »Generalist in Menschenführung« bleiben (oder wieder werden), der selbstverständlich bei Teilfunktionen durch Spezialisten unterstützt wird. Ohne eine solche Funktion ist eine Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen nicht zu erreichen. Die Bedeutung des Empfindens persönlicher Verantwortung für Mitarbeiter wurde in der Psychologie lange nicht ausreichend beachtet, vielleicht, weil sich für dieses Konstrukt erhebliche Messprobleme einstellen. Auf der Grundlage einer Unterscheidung zwischen »In-Group«-Mitarbeitern, für die sich der Vorgesetzte verantwortlich fühlt, und »Out-Group«-Personen, die zwar durchaus formal dem gleichen Vorgesetzten zugewiesen sein können, für die dieser aber kein persönliches Verantwortungsgefühl entwickelt, wurde der Vertical-DyadLinkage-Ansatz entwickelt. Ziel der Organisationsentwicklung im Unternehmen muss es sein, Voraussetzungen zu schaffen, die eine echte »In-Group«-Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitern ermöglichen.
Theorieübersicht: Vertical-Dyad-Linkage-Ansatz
Schwerpunkt des Vertical-Dyad-Linkage-Ansatzes (Dansereau et al. 1975; Graen u. Schiemann 1978; s. Graen et al. 1982) ist das personen- und subgruppenspezifische Führungsverhalten. Eine Führungskraft hat gegenüber verschiedenen Mitarbeitern oder Subgruppen von Mitarbeitern keinen einheitlichen Führungsstil, sondern agiert personenspezifisch und somit heterogen. Entsprechendes gilt natürlich auch für die Einstellungen und Erwartungen der
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Führen und Geführt-Werden
Geführten im Hinblick auf den Vorgesetzten und dessen Verhalten. Deshalb ist es sinnvoll, eine Analyse des Führungsverhaltens auf einer Makro-Ebene, die eine einheitliche Beziehungskonstellation des Vorgesetzten zu all seinen Mitarbeitern unterstellt, zugunsten einer Perspektive aufzugeben, die einzelne »vertikale Dyaden« als Analyseeinheiten heranzieht. Die Führer-Geführten-Beziehung kann im Rahmen dieses Ansatzes drei unterschiedliche Qualitäten annehmen: – »In-Group-Exchange«: Wird ein Mitarbeiter von seinem Vorgesetzten als InGroup-Member betrachtet, so erfährt er eine besondere Förderung und Unterstützung bei der Entwicklung seiner Fähigkeiten. Die »high-quality«Beziehung ist dadurch gekennzeichnet, dass ein reziproker Austausch zwischen beiden Personen stattfindet, eine weitgehende Loslösung von formalen Verhaltensrollen vorgenommen wird und die persönlichen Erträge beider Personen als voneinander unabhängig angesehen werden. Eine solche Beziehung bewirkt darüber hinaus, dass die Übereinstimmung und gegenseitige Bejahung von Führungskraft und Mitarbeiter sehr hoch ist. – »Middle-Group-Exchange«: Was die Qualität der Führer-Geführten-Dyade anbetrifft, befinden sich Middle-Group-Mitarbeiter in einer Mittelstellung. – »Out-Group-Exchange«: Ein Out-Group-Mitarbeiter wird von seinem Vorgesetzten gemäß den formalen hierarchischen Rollen unterwiesen und kontrolliert, nicht aber protegiert oder gefördert. Bei Vorliegen dieser Qualität der Führer-Geführten-Dyade ist die Übereinstimmung mit dem Vorgesetzten nur sehr gering. Die persönlichen »Schicksale« beider Personen werden nur als sehr locker miteinander verknüpft erlebt. Das differenzielle oder subgruppenspezifische Vorgesetztenverhalten findet auch seinen Niederschlag im Verhalten und der Leistung der Mitarbeiter: InGroup-Mitarbeiter sind zufriedener, stärker leistungsmotiviert und passen sich stärker an Verhalten und Einstellungen des Vorgesetzten an als OutGroup-Mitarbeiter. Auf dem Hintergrund der Durchführung von Längsschnittstudien konnte gezeigt werden, dass vertikale Dyaden – und damit auch das Führungsverhalten eines Vorgesetzten – einem zeitlichen Wandel (im Sinne einer Entwicklung) unterworfen sind. Diese in anderen Verhaltensbereichen als selbstverständlich angenommene Beobachtung fand allerdings in der Führungsforschung lange Zeit keine Beachtung.
7.
Konflikte – Grundlage von Innovationen
In nicht wenigen Unternehmen ist ein ausgeprägtes Harmoniestreben anzutreffen. Man hätte es am liebsten, wenn in allen wichtigen Fragen alle der gleichen Meinung wären und für die prinzipiell unvermeidbaren Verteilungsprobleme (Höhe der Gehälter et cetera) allgemein akzeptierte generelle Regelungen vorlägen, sodass alle Mitarbeiter des Unternehmens ihre ganze Kraft der »eigentlichen« Arbeit widmen könnten. Ein solches Bild einer spannungsfreien Organisation ist sicher verlockend. Spannungsfreie Zufriedenheit ist jedoch ein großes Hindernis für innovative Verbesserung und führt leicht zu einer Verfestigung bestehender Verhältnisse (vgl. Zustand der »stabilisierten Zufriedenheit« in der Theorieübersicht: Arbeitszufriedenheit, S. 194). Insofern können Spannungen und Konflikte auch positive Aspekte für ein Unternehmen darstellen (vgl. Zustand der »konstruktiven Arbeitsunzufriedenheit« im Modell der Arbeitszufriedenheit). Weitere Ursachen für Starrheit und mangelnde Innovationsfreudigkeit bezüglich Unternehmensstrukturen liegen zumindest in einigen gut untersuchten psychologischen Mechanismen: 1) Vermeidung unnötiger Risiken: Jede Innovation bringt eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Scheiterns mit sich, wohingegen die Beibehaltung der bewährten Mechanismen den als zumindest subjektiv positiv erlebten Zustand mit einiger Sicherheit fortführt. 2) Minimierung des psychischen Energieaufwands: Die Durchsetzung jeder Innovation benötigt in gewissem Umfang Kraft und »Energie«, deren Einsatz nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Innovation mit großer Wahrscheinlichkeit einen erhöhten Nutzen für das Unternehmen bietet. 3) Lernen am Erfolg: Generell werden erfolgsbringende Verhaltensweisen beibehalten und mit größerer Häufigkeit gewählt (s. Theorieübersicht: Operante Konditionierung, S. 130), sodass im Fall allgemeiner Zufriedenheit mit der Situation eine Verfestigung der vertrauten Verhaltensmechanismen erfolgt. 4) Mangel an Zielen: Eine Innovation erscheint nur dann sinnvoll, wenn eine Diskrepanz zwischen Ist- und Sollzustand erlebt wird (vgl. Theorieüber-
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
sicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151). Fehlt diese, wie das bei allgemeiner Zufriedenheit der Fall ist, entfällt die Grundlage für das Streben nach Veränderung und zielgerichtetes Handeln. Viel schädlicher als ein gewisses Ausmaß an Spannungen und Unzufriedenheit ist Innovationsmangel. Nicht jeder Konflikt trägt jedoch die Möglichkeit einer Verbesserung der bestehenden Situation in sich. Es kommt auf das Ausmaß und die Regeln der Konfliktaustragung an, was sich als ein wichtiges Feld für die praktische Gestaltungsarbeit in Unternehmen darstellt. Insofern können sowohl Spannungsfreiheit als auch zu starke Konflikte zu einer Verschlechterung der Situation führen. In Unternehmen sollte daher ein Mindestmaß an Spannungen und Unzufriedenheit vorhanden sein, um das Streben nach Veränderungen und Innovationen zu sichern. Diese Spannungen sollten jedoch nicht so groß sein, dass sie sich beispielsweise aufgrund von Reibungsverlusten dysfunktional und unzweckmäßig für das Unternehmen auswirken. Im folgenden Abschnitt wird anhand der Balance-Theorie die wichtige Bedeutung von Spannungen als Anlass für innovative Weiterentwicklungen und Veränderungen dargestellt. Die daran anschließenden Abschnitte gehen auf mögliche Ursachen und auf die verschiedenen Arten von Konflikten ein. Hierbei werden vier Aspekte beleuchtet: unterschiedliche Handlungsentwürfe, Verteilungskämpfe, Gruppen und Organisationen. Schließlich erfolgt die Darstellung eines Modells der konstruktiven Konfliktnutzung.
7.1
Systemimmanente Spannungen als Grundlage von Veränderungen
Spannungen können Auslöser für Veränderungen sein, die mit dem Ziel durchgeführt werden, wieder einen Gleichgewichtszustand zu erzeugen. Ein wichtiges psychologisches Modell zur Erklärung spannungsreduzierender Tendenzen ist die Balance-Theorie (s. Theorieübersicht: Balance-Theorie, S. 77). Die bei Einzelpersonen nachweisbaren psychologischen Mechanismen gelten in vergleichbarer Weise ebenso für Organisationen, sodass für diesen Abschnitt auch die Bezeichnung »System« gewählt wird.
Systemimmanente Spannungen als Grundlage von Veränderungen
279
Beispiel Ein Vorgesetzter P hat eine positive Beziehung zu einem bestimmten Mitarbeiter O und eine skeptische Haltung gegenüber einem anderen Mitarbeiter X (s. Abbildung 33). Da der beliebte Mitarbeiter die Leistungsfähigkeit seines Kollegen X negativ einschätzt, liegen zwei Negativ-Beziehungen innerhalb der Triade vor und das kognitive System des Vorgesetzten befindet sich in einem Gleichgewichtszustand.
Abbildung 33: Beispiel für eine P-O-X-Triade
Sollte sich jedoch beispielsweise zum Jahresabschluss herausstellen, dass der unbeliebte Mitarbeiter X exzellente Ergebnisse erzielt hat, könnte sich die Beziehung des Vorgesetzten P zu seinem Mitarbeiter X in eine positive Beziehung wandeln. Damit wäre nur noch eine negative Beziehung vorhanden. Der bisherige Balancezustand droht durch einen inkonsistenten und unbalancierten Zustand ersetzt zu werden. In dieser Situation hat der Vorgesetzte verschiedene Möglichkeiten, seine Kognitionen und sein Handeln so zu verändern, dass wieder ein Gleichgewichtszustand erreicht wird: – Nicht-Akzeptanz der neuen Information: Die positiven Informationen über seinen Mitarbeiter X könnte er beispielsweise entkräften, indem er die Ursachen für die guten Ergebnisse auf andere Faktoren als den Mitarbeiter X zurückführt (vgl. Abschnitt 2.3 Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis, S. 88, Theorieübersicht: Attributionsmodell von Heider, S. 89). Er könnte argumentieren: »Die guten Ergebnisse sind auf die gute Konjunktur und auf das Kundenverhalten zurückzuführen.« – Veränderung der Beziehung zum Mitarbeiter O: Der Vorgesetzte akzeptiert die Information über seinen Mitarbeiter X und die Beziehung zu ihm verändert sich in eine positive Richtung. Ein Ausgleich könnte dann darin bestehen, dass der Vorgesetzte seine Beziehung zum Mitarbeiter O ebenfalls ändert, und zwar in eine negative Richtung. So könnte er sich sagen: »Mit-
280
Konflikte – Grundlage von Innovationen
arbeiter O ist zwar ein sympathischer Mensch, aber er hat nicht so gute Arbeit geleistet!« Damit wäre wieder eine gerade Anzahl negativer Beziehungen vorhanden und somit ein Gleichgewicht hergestellt. Durch Veränderungen der Beziehungen in einer Triade können sich jedoch auch Umorientierungen in den kognitiven Systemen der anderen zwei beteiligten Personen ergeben (Mitarbeiter O versucht, eine positive Beziehung zu Mitarbeiter X herzustellen, um beispielsweise nicht als »schwarzes Schaf« in der Triade zu gelten). Dies könnte erneut Spannungen nach sich ziehen. Besondere Schwierigkeiten bereiten Systeme, die sich in einem Ungleichgewichtszustand befinden und diesen aufgrund ihrer Struktur nicht auflösen können:
Beispiel Ein Vorgesetzter, der erkennt, dass eines der von ihm eingesetzten Führungsmittel sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt (s. Abbildung 34), ist ein Beispiel für ein System im Ungleichgewichtszustand. In einem solchen System existieren zwei Triaden: 1) Vorgesetzter (P) – Führungsmittel (X) – Vorteile 2) Vorgesetzter (P) – Führungsmittel (X) – Nachteile Da das Führungsmittel zwingend mit seinen Vor- und Nachteilen verbunden ist, haben die entsprechenden Verbindungen einen positiven Charakter. Die Verbindung Vorgesetzter – Vorteile ist selbstverständlich positiv, die Verbindung Vorgesetzter – Nachteile entsprechend negativ. Für den Vorgesetzten ist es nun unmöglich, das System so zu organisieren, dass sich die beiden darin enthaltenen Triaden gleichzeitig in einem Gleichgewichtszustand befinden. Je nachdem, welche Triade er ins Gleichgewicht bringen möchte, muss er mal ein positives und mal ein negatives Verhältnis zum Führungsmittel (Verbindung Vorgesetzter – Führungsmittel) entwickeln. Ein Gleichgewicht in der Triade Vorgesetzter – Führungsmittel – Vorteile geht mit einem positiven Verhältnis zum Führungsmittel einher. Damit gerät jedoch die Triade Vorgesetzter – Führungsmittel – Nachteile ins Ungleichgewicht (ungerade Anzahl negativer Beziehungen). Der diesem Beispiel zugrunde liegende Konflikt dürfte vielen Menschen bekannt sein. Insbesondere dann, wenn sich die Vor- und Nachteile eines Objekts im Hinblick auf ihre subjektive Bedeutung und Ausprägung sehr gleichen, fällt
Systemimmanente Spannungen als Grundlage von Veränderungen
281
Abbildung 34: System in nicht auflösbarem Ungleichgewichtszustand (Beispiel 1)
es schwer, eine eindeutige Haltung zu diesem Objekt zu entwickeln. Die Folge ist eine ambivalente Einstellung gegenüber diesem, was sich in Unentschlossenheit in Entscheidungssituationen bemerkbar machen kann und vielfach als recht unangenehm empfunden wird. Das Problem lässt sich auch an einem sozialen System verdeutlichen, in dem sich drei Mitarbeiter untereinander sehr schätzen (positive Verbindungen), der Vorgesetzte aber zu einem von ihnen eine stabile positive (Mitarbeiter 1) und zu einem anderen eine stabile negative (Mitarbeiter 2) Einstellung hat (s. Abbildung 35).
Abbildung 35: System in nicht auflösbarem Ungleichgewichtszustand (Beispiel 2)
In diesem Fall ist es für den verbleibenden Mitarbeiter (Mitarbeiter 3) unmöglich, einen Zustand herzustellen, in dem alle Triaden, in die er involviert ist, balanciert sind. Lehnt er den Vorgesetzten ab, entsteht eine Spannung im Verhältnis zu Mitarbeiter 1, baut er zum Vorgesetzten eine positive Beziehung auf,
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
ergibt sich ein Ungleichgewicht im Verhältnis zu Mitarbeiter 2. Hieran wird deutlich, wie schwer es manchmal in Unternehmen sein kann, die sozialen Verhältnisse so zu gestalten, dass alle Beteiligten diesen Zustand als »balanciert« wahrnehmen. Veränderungen können bewirken, dass das System mit der Zeit in sich widerspruchsfreier wird und damit die Grundlage für ein konsequentes, für andere berechenbares Verhalten bietet. Unternehmen können auf Basis der BalanceTheorie gezielt Innovationen in Gang setzen. Es sollten jedoch folgende Voraussetzungen erfüllt sein, damit es auf der Basis von Spannungen zu nutzbringenden Innovationen kommen kann: – Es bestehen im System Spannungen, die von einer Unausgeglichenheit der Beziehungen zwischen den Elementen des Systems herrühren. – Informationen, die die Spannungen des Systems wiedergeben (beispielsweise mögliche Nachteile einer gewählten Handlung) werden nicht verdrängt. Leider kann oftmals genau das Gegenteil beobachtet werden (vgl. Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82). So wird eine kritische Auseinandersetzung mit einer Handlung mit Phrasen blockiert wie »Nicht schon wieder!« oder »Das haben wir doch schon entschieden!«. – Es stehen innovative Handlungsalternativen mit einer positiven Relation zwischen Vor- und Nachteilen zur Verfügung. Überwiegen die Vorteile nicht, kann es zu »Modeströmungen« kommen, die keinen echten Fortschritt bieten und nach kurzer Zeit wieder fallen gelassen werden. Solche »Moden« findet man in vielen Bereichen der »Management-Lehren«. – Die Innovationen lassen sich dauerhaft im Unternehmen verankern. Ist dies nicht der Fall und werden die »Innovationen« nur periodisch als Selbstzweck implementiert, kann es vorkommen, dass die balancierten Zustände nur vorübergehend vorherrschen. Die Folge kann ein wellenförmiges Schwanken der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit der Mitarbeiter sein. Andererseits besteht jedoch auch die Möglichkeit, Innovationen zu verhindern. Dies lässt sich beispielsweise dadurch erreichen, indem das System früh in einem Gleichgewichtszustand oder auch nur in einem vermeintlichen Gleichgewichtszustand (vgl. Zustand der »Pseudo-Zufriedenheit« im Modell der Arbeitszufriedenheit; s. Theorieübersicht: Arbeitszufriedenheit, S. 194) gehalten oder in diesen zurückgeführt wird. Dazu beitragen können unter anderem: – gezielte und isolierte zeitige Veränderungen der Beziehungen zwischen einzelnen Elementen eines Systems,
Systemimmanente Spannungen als Grundlage von Veränderungen
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– Nicht-Beachtung neuer Informationen (Informationsabwehr), – Vermeidung einer Neubewertung von Beziehungen trotz gegenteiliger Informationen. Je fundierter die subjektiv vertrauten Einschätzungen sind, desto eher liegt es nahe, gegenteilige Informationen abzuwehren und auf eine Neubewertung einer Beziehung zu verzichten. Es gibt jedoch Situationen, in denen die Möglichkeit der Informationsabwehr nicht besteht und man keine Möglichkeit hat, zu einem stabilen Gleichgewichtszustand zu kommen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn man sich für eine von zwei Handlungsalternativen entscheiden muss und beide mit nicht verdrängbaren Vor- und Nachteilen verbunden sind. Es kann angenommen werden, dass jene Variante gewählt wird, die mit einem insgesamt höheren Nutzen verbunden ist. Überwiegen also die Vorteile gegenüber den Nachteilen, würde man das infrage stehende Führungsmittel einsetzen. Diese einfache Lösung kann jedoch an der dynamischen Bewertung der Vor- und Nachteile scheitern. In den meisten Situationen gilt das Gesetz, dass Vorteile bei sonst identischen Bedingungen mit der Zeit subjektiv immer weniger positiv bewertet werden, während die Nachteile zunehmend gravierender erlebt werden (vgl. zur dynamischen Nutzenbewertung S. 43). Das bestehende Ungleichgewicht für die Triade »Vorgesetzter (P) – Führungsmittel (X) – Nachteile« gewinnt zunehmend an Bedeutung und damit auch das Anliegen, das bestehende Ungleichgewicht in dieser Triade (vgl. Abbildung 35, S. 281) zu beseitigen. Dies kann Anstoß für Innovationen sein, zum Beispiel der Entwurf und der Einsatz eines neuen Führungsmittels. Innovationen und fortlaufende Veränderungen können allgemein als eine wichtige Voraussetzung dafür betrachtet werden, dass Unternehmen konkurrenzfähig bleiben und sich am Markt dauerhaft behaupten können (»man muss die Dinge fortlaufend verändern, damit sie so bleiben, wie sie sind«). Dies gilt für die verschiedenen Unternehmen sicherlich in unterschiedlichem Maß. So stehen Unternehmen, die ein Hightech-Produkt herstellen, unter einem größeren Innovationsdruck als Unternehmen, die ein ausgereiftes und standardisiertes Produkt fertigen (»Spaghetti-Fabrik«). Entsprechend der genannten Theorie besteht jedoch bei jeglichen Veränderungen und Innovationen, besonders bei den erfolgreichen, die Gefahr, dass diese einen Zustand herbeiführen, der von den Betroffenen als so spannungsfrei und balanciert wahrgenommen wird, sodass jeder Gedanke an einen möglichen Bedarf weiterer Innovationen überflüssig erscheint und das Unternehmen Gefahr läuft, zu erstarren. Veränderungen können sich demnach insofern als dysfunktional erweisen, als dass sie die Voraussetzungen für eine spätere Erstarrung eines Unternehmens lie-
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
fern. Typisch ist dies für neue Unternehmen, deren Gründer eine innovative Idee umgesetzt haben und weit »vorne« lagen – dann aber nicht erkannten, dass sich im Laufe der Jahre der Markt und der Stand der Technik stark verändert hat. Dieser Gefahr kann entgegengewirkt werden, indem für eine zweckmäßige Balance zwischen innovationsfreundlichen Spannungen und nutzbringenden Veränderungen gesorgt wird. Außerdem besteht die Möglichkeit, Innovationen selbst in einem relativ spannungsfreien System anzustoßen, unter anderem durch Personalwechsel. So rotieren in vielen Großunternehmen Führungskräfte routinemäßig. Kommt eine Person in ein neues Umfeld oder tritt eine neue Führungskraft in ein bestehendes soziales Gefüge ein, sind die bisherigen Beziehungen zwangsläufig aufgelöst. Dies kann enorme Umorientierungen erforderlich machen, was zur Umsetzung innovativer Konzepte führen kann, die möglicherweise schon als notwendig erkannt worden sind, bislang jedoch immer wieder verschoben wurden. Wichtig dabei ist allerdings, dass man als Folge eines solchen Personalwechsels die bisherigen Problempunkte nicht außer Acht lässt. Leider wird der Vorbereitung des »Nachfolgers« für rotierende Führungspositionen in vielen Unternehmen nicht das Augenmerk geschenkt, das zum Anstoß für Innovationen notwendig wäre. Hier liegt eine Verantwortung für eine innovationsorientierte Gestaltung der Personalarbeit. Eine weitere Möglichkeit, Innovationen anzustoßen, besteht darin, Mitarbeitern regelmäßig neue Aufgaben zu übertragen. Dadurch werden Mitarbeiter dazu angeregt, sich laufend mit ihrer Tätigkeit neu auseinander zu setzen und neue Verhaltensweisen einzuüben. Leider wird im Unternehmensalltag hiervon in der Regel noch zu wenig Gebrauch gemacht. Wird der gleiche Aufgabenbereich zu lange übertragen, ist es nahe liegend, dass Veränderungen eingeschliffener Verhaltensweisen kaum möglich sind. Gefährdet werden Innovationen auch dadurch, dass die Chance zur Informationsabwehr mit steigender Macht und damit mit der erreichten hierarchischen Position im Unternehmen zunimmt. Kritik an Verhaltensweisen oder Entscheidungen der Führungsspitze wird oft schon durch eine »vorbeugende Selbstzensur« der unterstellten Führungskräfte verhindert. Diesem Phänomen muss man durch die Schaffung einer entsprechend offenen Unternehmenskultur und einer sorgfältigen Auswahl von Personen für höherwertige Führungsaufgaben entgegenwirken.
Unterschiedliche Handlungsentwürfe als Konfliktursache
7.2
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Unterschiedliche Handlungsentwürfe als Konfliktursache
Konflikte können eine Vielzahl von Ursachen haben. Die Kenntnis dieser Ursachen kann entscheidend für die Konfliktlösung und die innovative Nutzung des Konfliktpotenzials sein, da sie die Festlegung auf sinnvoll erscheinende Interventionsstrategien ermöglicht. Als Rahmenkonzept, das die Suche nach Konfliktursachen und ihrer Analyse unterstützt, können zwei Ansätze dienen. Zum einen handelt es sich dabei um das allgemeine Handlungsmodell (s. Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151), das eine Reihe von Punkten benennt, an denen sich Konflikte manifestieren können. Es bewährt sich vor allem dann, wenn es sich um Auseinandersetzungen bei der Bewertung von (geschäftlichen) Aktivitäten handelt. So kann ein Konflikt entstehen, wenn Personen die infrage stehenden Handlungspläne unterschiedlich bewerten, was mit den verschiedenen Erfahrungen der jeweiligen Personen zusammenhängen könnte, oder wenn die Handlungsergebnisse unterschiedlich eingestuft werden.
Theorieübersicht: Konflikttypen
Konflikte weisen folgende Basismerkmale auf: Zwischen den Akteuren – wie Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen – besteht ein aufeinander bezogenes Handeln (Interaktion), und im Rahmen der Interaktion handelt mindestens ein Beteiligter so, dass eine andere beteiligte Person eine Unvereinbarkeit von Denken, Fühlen oder Wollen zwischen beiden Personen wahrnimmt. Anhand von Konflikttypologien (s. Glasl 1990; Pondy 1967) kann man versuchen herauszufinden, um welches Anliegen es den Konfliktparteien bei der Auseinandersetzung überhaupt geht. Die nachfolgend ausgeführten Konflikttypen unterscheiden sich sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der Zielsetzung, mit der die Konflikte geführt werden. – Reibungskonflikt: Die Konfliktpartner stehen in einem festgelegten Positionsverhältnis zueinander (etwa Unternehmensleitung versus Betriebsrat), das wechselseitig von den Akteuren respektiert wird. Streitfragen stellen dabei die Position der Akteure nicht infrage, sondern zielen höchstens auf eine relative Verbesserung der eigenen Position ab. Beispiel: Ein Betriebsrat fordert von der Geschäftsleitung mehr Informationen in Bezug auf soziale Fragen. – Positionskampf (»Machtkampf«): Einer der Konfliktpartner ist mit der ihm zugeschriebenen Position nicht einverstanden und möchte diese grundle-
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
gend verändern. Beispiel: Der Betriebsrat fordert ein Mitspracherecht bei ökonomischen und technischen Fragen. Das Bedürfnis nach Veränderung und Verbesserung der eigenen Position muss nicht zwangsläufig mit einer Veränderung der sonstigen Rahmenbedingungen einhergehen. – Systemveränderungskonflikt: Bei diesem Konflikttyp soll eine Änderung des Gesamtrahmens (oder die Verhinderung einer solchen Veränderung) herbeigeführt werden. Beispiel: Die Unternehmensorganisation wird von einem Einliniensystem zu einem divisionalen Leitungssystem reorganisiert. Da diese Konfliktart in der Regel weit reichende strukturelle Veränderungen nach sich zieht, spricht man auch von einem »struktur-orientierten Konflikt« (Rapoport 1974). Ferner sind folgende wichtige Äußerungsformen von Konflikten voneinander abzugrenzen: – Formgebundener versus formloser Konflikt: Beim formgebundenen Konflikt bedienen sich die Konfliktparteien bestimmter Konfliktverhaltensweisen, die sich bereits bewährt haben und anerkannt sind (Streik, Schlichtungsverfahren). Aufgrund des relativ stark festgelegten Konflikthandelns der Parteien im Gesamtrahmen der Institution bezeichnet man diese Konfliktform auch als »institutionalisierten Konflikt«. Dem entgegengesetzt liegen bei den formlosen Konflikten keine vorgegebenen Verhaltens- und Verhandlungsstrategien vor. Diese Konfliktform tritt vor allem bei Systemveränderungskonflikten auf, in denen innovatives Verhalten der Konfliktpartner notwendig ist. Anfänglich formgebundene Konflikte können durch eine Eskalation des Konfliktgeschehens in formlose Konflikte übergehen. – Heißer versus kalter Konflikt: Kennzeichen heißer Konflikte sind eine gereizte Gesprächsatmosphäre und der Einsatz extensiver und offenkundiger Kampftechniken. Kalte Konflikte hingegen führen zu einer Lähmung aller äußerlich sichtbaren Handlungen. Dem Konfliktgegner werden unterschwellig Frustrationen und Hassgefühle entgegengebracht. Die Auseinandersetzung findet somit nur indirekt statt und kann dazu führen, dass sich das Konfliktpotenzial zunehmend steigert und sich über das gesamte soziale System ausbreitet. Im Folgenden wird ein Konflikt dargestellt, in dem es um die Wahl einer optimalen Strategie bezüglich der geschäftlichen Aktivität geht. Diese Sachfrage entpuppte sich jedoch nur als vordergründige Konfliktursache. Als eigentliche Konfliktursache trat zunehmend die hohe Heterogenität der Führungsmannschaft in den Vordergrund.
Unterschiedliche Handlungsentwürfe als Konfliktursache
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Beispiel Allgemeine Situation In einem mittelständischen Unternehmen mit dem Schwerpunkt Anlagenbau wurde über Monate hinweg intensiv die Frage diskutiert, ob in Ergänzung zu der bisherigen Strategie der auftragsspezifischen Sonderanfertigungen auch einfache, standardisierte und »per Katalog« aus dem Lager verkaufbare Produkte hergestellt werden sollten. Die Auseinandersetzungen waren sehr massiv. Es bildeten sich zwei Lager heraus, die zumindest in Besprechungen und Schriftsätzen stets sachgerecht argumentierten. Als Pro-Argumente wurden die Möglichkeit einer gleichmäßigeren Auslastung der Produktionskapazitäten und die erwartete Gewinnung neuer Kunden angeführt. Die Gegenargumente bezogen sich auf die Kosten der Lagerhaltung und den befürchteten Imageverlust vom »Maßschneider« zum »billigen Jakob«. Die emotionale Beteiligung war aber so hoch, dass es unwahrscheinlich erschien, dass die vorgebrachten sachbezogenen Meinungsunterschiede tatsächlich die eigentliche Konfliktursache darstellten. Darüber hinaus war eine Kompromisslösung (vgl. Theorieübersicht: Konfliktlösungsmodell von Thomas, S. 306) hier nicht möglich. Es wurde daher versucht, die eigentlichen Konfliktursachen herauszufinden. Problemanalyse Um ein zutreffendes Bild von der Situation zu erhalten, wurden strukturierte Interviews mit den Führungskräften durchgeführt. Die Befragungen orientierten sich dabei an den Hauptpunkten des allgemeinen Handlungsmodells (s. Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151). Bei der Ist-Lage der Leistungskraft des Unternehmens gab es erhebliche Auffassungsunterschiede, die von »eigentlich voll zufrieden stellend« bis »muss dringend geändert werden, wenn wir in der Zukunft eine Chance haben wollen« reichten. Da allen Führungskräften die gleichen unternehmensbezogenen Fakten bekannt waren, dürften die Unterschiede vor allem durch emotionale Einschätzungsfaktoren bedingt gewesen sein. Im Zusammenhang mit einem Wechsel des Firmeninhabers war vor kurzer Zeit ein Teil der alten Führungskräfte ausgeschieden und vom neuen Inhaber durch Personen von außen ersetzt worden. Die »Alten« bewerteten die Situation wesentlich günstiger als die Neuen. Bezüglich der vorrangig anzustrebenden Ziele, also der Soll-Situation, zeichneten sich in den Gesprächen deutliche Unterschiede in der relativen Gewichtung zwischen den Zielen »Sicherung der langfristigen wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit des Unternehmens« und der »Sicherung der Beschäftigung der vorhandenen Mitarbeiter« ab.
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
Bei der Einschätzung der verfügbaren Mittel stand vor allem die Frage der Qualifikation der Mitarbeiter im Vordergrund. Dies soll im Weiteren näher erläutert werden. Verfügbare Mittel Eine Konfliktseite hob für den Ingenieur- und Produktionsbereich das technische Wissen und die Flexibilität der Mitarbeiter hervor, deren Einsatz für standardisierte Routineaufgaben eine »Vergeudung« darstellen würde. Dagegen äußerte sich das andere Lager in dieser Hinsicht viel skeptischer – in Sätzen wie »Wir haben ja wirklich ein paar gute Leute, aber ein großer Teil der Mitarbeiter hat die beste Zeit schon hinter sich!« – Bezüglich der zulässigen Mittel zeigten sich unterschiedliche Einschätzungen des erwünschten finanziellen Engagements des neuen Eigentümers. Der Teil der Führungskräfte mit sehr langer Betriebszugehörigkeit wollte versuchen, auch in Zukunft aus eigener Finanzkraft zu bestehen. Hingegen war es für die neu in das Unternehmen hinzugekommenen Führungskräfte selbstverständlich, dass die für die neue Geschäftsstrategie erforderlichen Investitionen und der sich durch die zukünftige Lagerhaltung erhöhende Finanzbedarf durch den Eigentümer sichergestellt würden. – Bei der prospektiven Mittelbewertung sahen jene Führungskräfte, die stets mit individuell auf die Kundenwünsche zugeschnittenen Entwicklungsprojekten betraut waren, nur in kundenspezifischen Lösungen eine echte Erfolgschance. Ein Teil der Führungskräfte mit einem anderen beruflichen Hintergrund betrachtete die durch die Standardisierung möglichen Preisvorteile als entscheidendes Verkaufsargument. – Bezüglich der subjektiven Kosten-Nutzen-Bewertung war möglicherweise die Vorbildung der Entscheidungsträger besonders wichtig. Jene Personen, die allem Anschein nach besonderen Spaß an kreativen technischen Problemlösungen hatten, fürchteten wahrscheinlich einen Verlust an spannenden Arbeitsinhalten und eventuell auch an persönlicher Wichtigkeit für das Unternehmen. Deutung Die hier dargestellte, an den Hauptpunkten des allgemeinen Handlungsmodells orientierte Problemanalyse (Analyse des Ist-Zustands, der Mittel und des Soll-Zustands aus der jeweils individuellen Perspektive der Beteiligten) zeigt, dass die sachimmanenten Argumente, auch wenn sie mit voller Überzeugung von allen Beteiligten vertreten wurden, doch in gewissem Sinne nur vorgeschoben waren. Letztlich war die eigentliche Konfliktursache die hohe Hetero-
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genität der Führungsmannschaft, die sich als Folge des Eigentümerwechsels ergeben hatte. Dieser Wechsel war verständlicherweise von den »alten« Führungskräften als eine Bedrohung erlebt worden. Die damit verbundene Unsicherheit dürfte dazu geführt haben, die eigentlichen Auffassungsunterschiede nicht offen auszusprechen, da diese im Wesentlichen in dem Versuch einer Beibehaltung des Status quo und in der Ablehnung der von dem neuen Eigentümer (vermutlich) gewünschten Innovationen lagen. In einem solchen Fall darf die Konfliktlösung weder in Form eines Gutachtens einer Unternehmensberatung über den wahrscheinlichen Erfolg der neu vorgeschlagenen Geschäftspolitik liegen, noch in themenzentrierten Workshops der betroffenen Führungskräfte. Notwendig ist vielmehr die Aufarbeitung des Konflikts zwischen den »Alten« und den »Neuen«, vor allem der Abbau der Angst der etablierten Führungskräfte vor dem neuen Eigentümer. Hierzu können gemeinsame Trainings aller Führungskräfte sehr nützlich sein. Bei diesen dürfen aber nicht nur die anstehenden Sachprobleme besprochen werden, sondern man muss auch den Emotionen gerecht werden, die den unterschiedlichen Einschätzungen zugrunde liegen. Hierzu gehört das offene Besprechen der bestehenden Konfliktlinien, wobei sich der Einsatz von Moderationstechniken zum Vermeiden einer zu »heißen« Diskussion mit bleibenden Verstimmungen empfiehlt. Darüber hinaus müssen vor einer solchen Veranstaltung die objektiven Grundlagen bestehender Befürchtungen – beispielsweise eine mögliche Trennung des neuen Eigentümers von einem Teil der noch vorhandenen Führungskräfte – geklärt werden. Zumindest sind hier klare Spielregeln, an denen sich die potenziell betroffenen Führungskräfte orientieren können, auszuarbeiten. Es wäre fatal, wenn aufgrund einer Fehleinschätzung der Konfliktursachen, wie sie gerade bei einem Streit um objektiv schwierige strategische Entscheidungen nahe liegt, falsche Interventionsmaßnahmen eingeleitet würden. Ohne eine ausreichende Ursachenanalyse werden Sachentscheidungen oft auch als Signal aufgefasst und möglicherweise fehlinterpretiert. Im dargestellten Beispiel wäre ohne eine solche Aufklärung vermutlich die endgültige Entscheidung zugunsten von »nur Sonderanfertigungen« als eine Stärkung der Position der »alten« Führungskräfte auf Kosten der Innovationsneigung der neuen aufgefasst worden. Die Entscheidung »Katalog-Angebote« dagegen wäre möglicherweise als eine negative Bewertung der Leistung der »alten« Mannschaft verstanden worden. Im Folgenden wird ein weiterer Konfliktfall am Beispiel der nachträglichen Bewertung von Assessment-Centern behandelt.
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
Beispiel Allgemeine Situation In einem Industrieunternehmen war es dem Personaldirektor nach längerem Bemühen gelungen, für die Auswahl des Führungskräftenachwuchses Assessment-Center als eignungsdiagnotisches Instrument einzuführen. Diese wurden für jährlich etwa zehn zu besetzende Stellen mit 40 bis 50 Bewerbern unter Moderation einer externen Personalberatung durchgeführt. Nach zwei Jahren teilte der Personalvorstand mit, dass die Assessment-Center wieder abgeschafft werden müssten, da »sich das Ganze ja doch nicht lohnt«. Ein Konflikt lag nun insofern in versteckter Form vor, als dass der Personaldirektor durch die Einstellung dieses Programms frustriert wurde. Er selbst hatte den Eindruck gewonnen, dass die mit diesem Verfahren ausgewählten jungen Führungskräfte um vieles positiver zu beurteilen waren als jene, die mit dem alten Verfahren gefunden wurden. Konfliktursachen Aufgrund der im Rahmen eines anderen Projektes in diesem Unternehmen gewonnenen Informationen lassen sich folgende Konstellationen für die unterschiedliche Bewertung des Assessment-Centers vermuten: – Ausführungskontrolle: Die Personalabteilung war mit der Durchführung der Assessment-Center, die den üblichen professionellen Standards genügten, voll zufrieden. Nicht so aber ein Mitglied des Betriebsrates: »Da sitzen junge Menschen, die jahrelang studiert haben, zahllose Prüfungen abgelegt haben, und jetzt müssen sie endlich einen Job bekommen!« – Ergebnisfeststellung: Für den Personaldirektor stand das Verhalten der ausgewählten Führungsnachwuchskräfte im Mittelpunkt, das er, wie schon erwähnt, sehr positiv bewertete. – Handlungsfolgen: Für die Personalabteilung war das Assessment-Center zusätzlich zu dem guten Ergebnis der Auswahl mit einer Reihe weiterer positiver Aspekte verbunden: – ein fachlich anregender Kontakt mit einer externen Personalberatung, – die Möglichkeit der Durchführung von Beobachtertrainings für die oberen Führungskräfte (in vielen Unternehmen fast die einzige Möglichkeit, diesen Personen neue Konzepte von Führung und Kooperation unauffällig nahe zu bringen), – verbesserte Grundlagen für die Personalentwicklung, da in AssessmentCentern auch außerfachliche Leistungsanforderungen transparent werden, die den betrieblichen Bildungsbedarf verdeutlichen können
Unterschiedliche Handlungsentwürfe als Konfliktursache
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Für den Personalvorstand dürfte hingegen die skeptische Haltung des Betriebsrates, der der Einführung von Assessment-Centern ursprünglich nur halbherzig zugestimmt hatte, besonders relevant gewesen sein. Es gibt Hinweise darauf, dass der Personalvorstand in Besprechungen mit dem Betriebsrat im Fall »Assessment-Center« eine hohe Kompromissbereitschaft demonstrierte, um ihn in anderen strittigen Angelegenheiten zum Einlenken zu bewegen (»Damals bei dem Assessment-Center haben wir auf Ihre Wünsche Rücksicht genommen, jetzt sind Sie dran!«). Ferner dürfte für den Personalvorstand, der möglicherweise an der Leistungsfähigkeit des Führungsnachwuchses generell nicht zweifelte (und vermutlich selbst auf allen Stufen seiner Karriereentwicklung ohne das Instrument des Assessment-Centers ausgewählt worden war), noch ein weiterer Aspekt im Zentrum gestanden haben. Die Organisation von Assessment-Centern verzögert das Einstellungsverfahren, da bei Freiwerden einer Stelle nicht sofort eine Bewerbung akzeptiert wird. Die Bewerber werden systematisch zu Gruppen zusammengefasst und werden dann zu einem Termin, an dem die als Beobachter eingesetzten Führungskräfte des Unternehmens Zeit haben, eignungsdiagnostisch untersucht. Diese Zeitverzögerung kann aber leicht zu dem Vorwurf der Führungskräfte führen, dass die Personalabteilung nicht in der Lage ist, trotz des großen Arbeitsanfalls schnell eine geeignete Person für eine vakante Stelle bereitzustellen. Der Druck auf den Personalvorstand, eine schnelle Auswahl zu treffen, erscheint auch für andere Vorstandsbereiche plausibel, da Führungskräfte bei Terminschwierigkeiten gerne auf Ursachen zurückgreifen, die sie nicht selbst zu verantworten haben (in diesem Fall also auf die »langsame« Arbeit der Personalabteilung) (vgl. Ausführungen zur selbstwertdienlichen Attribution, S. 112). Interpretation Situationen, in denen sich der Erfolg nicht an einfachen und allgemein eingeführten Indikatoren (Umsatz oder Gewinn) festmachen lässt, sind besonders anfällig gegenüber Konflikten bezüglich der Bewertung von Resultaten. Diese Bewertung erfolgt zudem häufig interessenbezogen. Leider ist bei den meisten Aufgaben der qualitativen Personalarbeit der Erfolg nicht leicht messbar. In der dargestellten Situation war für den Personalvorstand eine negative Bewertung des Assessment-Centers sehr nahe liegend. Der Nutzen in den für ihn möglicherweise besonders vordringlichen Aspekten war sehr bescheiden, dagegen die Kosten in Form von Ärger mit dem Betriebsrat und den Kollegen sicher überwiegend. Die Nebenfolgen, die durch die plötzliche Entscheidung der Abschaffung der Assessment-Center ausgelöst wurden – beispielsweise die De-
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motivierung des Personaldirektors und die Verringerung der Validität der Auswahlentscheidung – wurden vermutlich nicht gesehen. Die Möglichkeit einer Konfliktlösung entfiel hier schon aufgrund der situativen Rahmenbedingungen. Sie hätte jedenfalls nicht in einer Sachdiskussion über den objektiven Nutzen von Assessment-Centern bestehen können, auch wenn es für Personalleute gelegentlich nahe liegt, als Rechtfertigung vor allem Kostenargumente zu betonen. Diese Kostenargumente hätte beispielsweise darin bestehen können, den Aufwand für das Verfahren den geschätzten Kostenvorteilen des Unternehmens durch leistungsstärkere Mitarbeiter gegenüberzustellen. Ebenso dysfunktional wären Kompromisse gewesen – etwa den Aufwand für die Durchführung der Assessment-Center zu reduzieren und dabei Qualitätseinbußen in Kauf zu nehmen. Das Kostenargument dürfte, wie in vielen personalbezogenen Entscheidungen, letztlich keine relevante Rolle gespielt haben. Sinnvoll wäre die vorbeugende Konfliktverhinderung gewesen, vor allem die fortgesetzte Aufklärungsarbeit gegenüber dem Betriebsrat und das rechtzeitige Erkennen der durch die Zeitverzögerung ausgelösten Probleme. Dass dies nicht geschah, weist auf die große Bedeutung außerfachlicher Kompetenzen auch für Mitarbeiter der Personalabteilung hin. Die hier beispielhaft dargestellte Verwendung des allgemeinen Handlungsmodells (s. Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151) für die Analyse von Konfliktursachen lässt sich natürlich auch auf andere Bereiche der Verhaltensanalyse erweitert anwenden (s. S. 156). Die Möglichkeiten zur Analyse von Motivationsdefiziten auf dieser Basis wurden anhand Tabelle 10: Ursachen für Motivationsdefizite, strukturiert nach dem Handlungsmodell, S. 155, vorgestellt.
7.3
Verteilungskämpfe als Konfliktquelle
Die Struktur von Verteilungskonflikten ist einfach: Zwei oder mehrere Personen wollen ein knappes Gut erlangen, beispielsweise einen Anteil am Gewinn des Unternehmens. Neben dem Versuch der Durchsetzung der jeweiligen Eigeninteressen (möglichst viel vom »Kuchen abzubekommen«) sind dabei unterschiedliche Vorstellungen über die »gerechte« Vorgehensweise (vgl. Theorieübersicht: Gerechtigkeits- und Fairnesstheorien, S. 36) eine wichtige Konfliktursache. Im Folgenden wird das Grundmodell von Verteilungskonflikten anhand des Konfliktmodells von Vitz und Kite (1970) dargestellt. Es erleichtert
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das Verständnis von Auseinandersetzungen, die sich auf die Verteilung von Macht und Einfluss beziehen, etwa zwischen verschiedenen Führungskräften, verschiedenen Bereichen des Unternehmens oder auch zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung. Es mag etwas verwirrend erscheinen, dass das Konfliktmodell von Vitz und Kite von »Koalitionspartnern« statt von »Konfliktpartnern« oder »Konfliktgegnern« spricht. Der Grund dafür ist, dass im Mittelpunkt des Modells Personen und Systeme stehen, die, da sie ein gemeinsames Ziel anstreben, miteinander koalieren müssen.
Theorieübersicht: Konfliktmodell von Vitz und Kite
Das Konfliktmodell von Vitz und Kite (1970, s. Popp 1988) besagt, dass ein Konflikt zwischen zwei oder mehreren Koalitionspartnern sowohl externe als auch interne Ursachen haben kann: Eine externe Konfliktursache ist dann gegeben, wenn ein Koalitionsmitglied aufgrund einer unternehmensexternen »Bedrohung« dazu gezwungen wird, einen Teil seiner Ressourcen an den externen »Angreifer« abzugeben. Beispiel: Aufgrund des günstigeren Angebots wird eine Abteilung dazu gezwungen, ihre Produktion einem externen Zulieferer zu überlassen. Die frei gewordenen Ressourcen (etwa finanzieller Art) werden zumindest zu einem wichtigen Teil dem Zulieferer übertragen. Eine interne Konfliktursache ist dann gegeben, wenn die miteinander koalierenden Partner selbst um die Aufteilung von Ressourcen (erzielte Gewinne) streiten. Beispiel: Eine Linienstelle bezieht eine Stabstelle bei allen Fragen in eine Entscheidungsvorbereitung mit ein. Die »Lorbeeren« der Entscheidung beansprucht sie jedoch einzig für sich. In einer Koalition von zwei Parteien kann man sich die Höhe des Konflikts als eine umgekehrt u-förmige (kurvilineare) Funktion vorstellen (s. Abbildung 36). Demnach ist der Konflikt bei einer mittleren Diskrepanz zwischen den individuellen Ressourcen am größten. Dies wird wie folgt begründet: Die Konflikthöhe nimmt ab einem bestimmten Unterschied zwischen den Ressourcen ab, da es für die Koalitionspartner nicht sinnvoll erscheint, für immer kleiner werdende Unterschiede ausgedehnte Konflikte zu führen. Auch bei besonders großen Unterschieden ist die Konfliktintensität gering, da die Koalitionspartner mit besonders niedrigen Ressourcen auf einen Vergleich mit den ressourcenstärksten Koalitionspartnern (vgl. Theorieübersicht: Soziale Vergleichsprozesse, S. 322) verzichten. Bei einer sehr großen Ressourcendiskrepanz nimmt dementsprechend das Konfliktpotenzial zwischen den Koalitionspartnern ab. Bei einer externen Konfliktursache sind ressourcenstarke Partner jedoch im
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
Abbildung 36: Konflikthöhe in Abhängigkeit von der Diskrepanz zwischen den individuellen Ressourcen
Fall einer mittleren Ressourcendiskrepanz dazu bereit, einen Beitrag zur Bewältigung zu leisten, dessen Größe sich proportional an den Ressourcen orientiert. Ressourcenschwache Partner fordern hingegen für sich einen geringeren als den proportionalen Beitrag. Es kann schwierig sein, das Konfliktmodell in der Praxis einzusetzen: Die Ressourcen der verschiedenen Koalitionspartner lassen sich oft nur schwer zueinander in Beziehung setzen, etwa weil sie nur unzureichend quantifizierbar sind. Beispiel: Die Ressourcen der Vertriebsabteilung lassen sich durch die getätigten Umsätze und Gewinne als monetäre Größen leicht erfassen. Hingegen können die Ressourcen von Abteilungen, die Dienstleistungen erbringen, wie die Personal-, PR- oder Rechtsabteilung, bekanntlich nur schwer quantifiziert werden. Außerdem ist das Konfliktmodell zwar prinzipiell auf den Koalitionsfall (Konfliktfall) mit mehr als zwei Partnern anwendbar, allerdings gibt es keine theoretischen Aussagen bezüglich des Ausmaßes des Koalitionskonflikts in Abhängigkeit von der Gruppengröße. Schwierig für die Konfliktparteien wird die Situation, wenn das Ergebnis der eigenen Durchsetzungsstrategie vom Verhalten des Kontrahenten abhängt. So hat oftmals nicht nur das eigene Verhalten, sondern auch die Strategie eines Konkurrenten (Angebote, Preise) Einfluss darauf, ob man von einem potenziellen Kunden das knappe Gut »Auftrag« erhält oder nicht. Noch schwieriger wird die Situation, wenn das Verhalten des Konfliktpartners nicht bekannt ist oder nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit abschätzbar ist. Ähnliche Situationen finden sich in vielen Lebensbereichen: – Studien- und Berufswahl: Wenn sich viele Schulabgänger auf den gleichen,
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besonders attraktiven Beruf vorbereiten, führen das Überangebot an qualifizierten Arbeitskräften und der erhöhte Konkurrenzdruck bei den Stellenbewerbungen zu einer Senkung der Attraktivität. – Bemühungen mit dem Ziel, eine bestimmte Beförderungsposition zu erhalten: Wenn mehrere Personen dieses Ziel verfolgen, sinkt die im Durchschnitt erwartbare »Rendite« des investierten Aufwands. – Entscheidung für die Aufnahme bestimmter Geschäftsfelder: Entscheiden sich auch andere Unternehmen, in das favorisierte Geschäftsfeld einzusteigen, sinkt die Attraktivität zum Eintritt in diesen Markt. Da solche Situationen eine gewisse Ähnlichkeit mit einer bestimmten Art von Spielen (wie Schach) haben, werden optimale Strategien bei unbekanntem Verhalten des »Spielpartners« im Rahmen der Spieltheorie bearbeitet. Eine ausführliche, gut lesbare Einführung in die formalen Grundlagen geben Jones (1980) und Rauhut et al. (1979). Besonders wichtig ist bei all diesen Überlegungen, dass die meisten sozialen Konflikte keine Nullsummenspiele sind. Nullsummenspiele zeichnen sich dadurch aus, dass der Gewinn des einen zulasten des anderen geht und umgekehrt, sodass die Summe der Gewinne (oder Verluste) aller Spieler insgesamt immer bei Null liegt. In den vielen für Unternehmen relevanten Situationen kann aus dem Gewinn eines »Spielpartners« nicht zwangsläufig auf den Verlust eines anderen »Spielpartners« geschlossen werden. Ein geschicktes strategisches Verhalten kann dazu führen, dass beide »Spielpartner« sich als Gewinner präsentieren können, auch wenn sich die Höhe der Gewinne unterscheiden. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass bei einer dysfunktionalen Strategiewahl beide verlieren. Die Option, dass beide gewinnen können, ist wohl der wichtigste Ansatzpunkt zur Konfliktlösung in den oben dargestellten Situationen. Die Wahl einer in diesem Sinne für die »Mitspieler« optimalen Strategie wird jedoch durch eine Vielzahl rechtlicher Regelungen verhindert. Gesetzliche Begrenzungen solcher Optimierungsstrategien finden beispielsweise in Gesetzen zur Verhinderung marktbeherrschender Monopole ihren Ausdruck, was sich in Kartellgesetzen oder in Vorschriften für öffentliche Ausschreibung niederschlägt. Ein anderes Beispiel für entsprechende gesetzliche Regelungen ist das Recht auf freie Berufswahl. Eine wichtige Optimierungsstrategie zur Erhöhung beiderseitiger Gewinne ist die Ausschaltung eventueller »Mitspieler«. Durch das Recht auf freie Berufswahl fällt es somit den jeweiligen Interessengruppen (etwa Kammern oder Berufsverbänden) schwer, die Anzahl entsprechend ausgebildeter Personen zu steuern und zu begrenzen, um damit den An-
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teil der Gewinne auf die bereits ausgebildeten und berufstätigen Personen zu erhöhen. Durch die gesetzlichen Regelungen wird auf die hohe Bedeutung der Strategiewahl zur Lösung von Verteilungskonflikten für die Gesellschaft verwiesen. Solche Reglementierungen, die ein (spieltheoretisch betrachtet) optimales Verhalten aus Sicht der Akteure verhindern und für diese erhebliche Nachteile mit sich bringen, werden im Interesse der durch den Wettbewerb ausgelösten Vorteile von der Gesellschaft begrüßt. Wenn von Konflikten in Unternehmen die Rede ist, denkt man gerne an Verteilungssituationen. Ein großer Vorteil von Verteilungskonflikten gegenüber anderen Konfliktarten ist, dass im Regelfall die Konfliktursachen offen zutage treten, sodass nur bedingt Scheinargumente herangezogen werden können. Sie sind daher in der Regel gut (das heißt sachlich) lösbar und haben keine größeren Auswirkungen auf die Arbeit des Gesamtunternehmens, auf das Streben nach Innovationen. Der Anteil dieses Konflikttyps ist zwar in Unternehmen relativ groß, es sollte jedoch nicht verkannt werden, dass es noch andere Arten von Konflikten gibt, die ein Unternehmen vor ernsthafte Probleme stellen können. »Richtige« Konflikte entstehen beispielsweise an unterschiedlichen Auffassungen im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung des Unternehmens.
7.4
Gruppen als Ursache von Konflikten
Konflikte können nicht nur zwischen einzelnen Personen, sondern auch zwischen Gruppen bestehen. Diese können sich in Vorurteilen, diskriminierendem Verhalten oder Feindseligkeiten zwischen den Angehörigen der jeweiligen Gruppen äußern. Es bedarf dazu noch nicht einmal eines konkreten Anlasses. Gumplowicz (1909) wies darauf hin, dass der Zusammenhalt der Gruppenmitglieder innerhalb einer Gruppe (Kohäsion, »Wir-Gefühl«) mit der Ablehnung anderer Gruppen und der Abgrenzung von diesen einhergeht. Somit kann allein die Existenz verschiedener Gruppen ausreichen, damit es zu Spannungen und Konflikten zwischen diesen kommt. In den so genannten »Ferienlagerexperimenten« (Sherif u. Sherif 1953) wurde versucht, für dieses Phänomen eine Erklärung zu finden. Es wurden Konfliktsituationen (Sportwettkämpfe) geschaffen, in denen der Gewinn der einen Gruppe nur auf Kosten der anderen Gruppe zu erreichen ist (Nullsummenspiel). LeVine und Campbell (1972) führten für diese Konfliktsituation die Bezeichnung »realistischer Gruppenkonflikt« ein.
Gruppen als Ursache von Konflikten
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Theorieübersicht: Theorie des realistischen Gruppenkonflikts
Die Ferienlagerexperimente vollzogen sich in einer Reihe aufeinander folgender Stufen, anhand derer sich die Entwicklung und eventuelle Lösung von Konflikten zwischen Gruppen verdeutlichen lassen (s. Sherif 1966; Tajfel et al. 1971): 1) Innerhalb einer Anzahl elf- bis zwölfjähriger Jungen, die in ihren Ferien an einem Jugendlager teilnahmen, entwickelten sich innerhalb weniger Tage spontane Freundschaftsgruppen von zwei bis vier Personen. 2) Die Jugendlagerteilnehmer wurden durch den Leiter in zwei Gruppen eingeteilt, wobei darauf geachtet wurde, dass die zuvor spontan gebildeten Freundschaftsgruppen aufgelöst wurden, deren jeweiligen Mitglieder also unterschiedlichen Gruppen zugewiesen wurden. Die im Anschluss daran durchgeführten Aktivitäten, die jeweils nur mit den Mitgliedern der eigenen (neu gebildeten) Gruppe durchgeführt werden durften, führten innerhalb der jeweiligen Gruppen zu einer ausgeprägten Gruppenstruktur (Intergruppenstruktur), Rollen- und Statusbeziehungen, gemeinsamen Zielen und Verhaltensnormen. 3) Die Einführung einer Konkurrenzsituation zwischen den beiden Gruppen in Form von Wettkampfspielen (Nullsummenspiele) bewirkte eine starke Feindseligkeit zwischen den Gruppen. Diese äußerte sich in abwertenden Einstellungen und negativen Stereotypen gegenüber den Mitgliedern der anderen Gruppe und zu einem Anstieg der Solidarität innerhalb der jeweiligen Gruppen. 4) Es war sehr schwer, die Feindseligkeiten zwischen den beiden Gruppen durch Ermahnungen an die Gruppenmitglieder und gemeinsame, Gruppen übergreifende Aktivität rezeptiver Art (Kinobesuch) zu verringern. Erst durch die Bearbeitung übergeordneter, gemeinsamer Ziele, auch so genannten »super ordinate goals« (Reparieren der Wasserversorgung, von der alle Mitglieder betroffen sind) ließen sich die Konflikte und Spannungen zwischen den beiden Gruppen lösen. Eine Situation wie die im geschilderten Ferienlagerexperiment ist vielfach auch in Unternehmen anzutreffen: Verschiedene Abteilungen konkurrieren um die Zuweisung von Ressourcen (zum Beispiel finanzieller Art) oder verschiedene Personengruppen (Belegschaft versus Unternehmensleitung) »kämpfen« um das knappe »Gut« Macht. Die Verringerung von Feindseligkeiten zwischen den Gruppen kann durch die Formulierung übergeordneter Ziele (die Sicherung der Überlebensfähigkeit des Unternehmens auf dem Markt) und durch die Notwendigkeit kooperativen Handelns erreicht werden.
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
Das Verhalten zwischen den Angehörigen verschiedener Gruppen wird davon beeinflusst, ob und in welcher Art eine funktionale Zielabhängigkeit und damit die Notwendigkeit einer Kooperation bestehen. Es lassen sich zwei Qualitäten von Abhängigkeiten unterscheiden: – Positive Abhängigkeit: Die jeweiligen Gruppenziele lassen sich nur gemeinsam erreichen. Dadurch besteht die Notwendigkeit einer Kooperation zwischen den Gruppen. Infolgedessen werden sich die Beziehungen zwischen den Gruppen, beziehungsweise den Gruppenmitgliedern, harmonisieren. – Negative Abhängigkeit: Die eine Gruppe kann ihr Ziel ähnlich wie bei einem Nullsummenspiel nur auf Kosten der anderen Gruppe erreichen. Aus dieser Form der Abhängigkeit resultieren feindselige, antagonistische Beziehungen zwischen den Angehörigen der Gruppen. Die Konkurrenzsituation zwischen den Gruppen fördert dabei die Solidarität der Gruppenmitglieder innerhalb der jeweiligen Gruppen. Übergeordnete Ziele führen demnach zu eher freundschaftlichen Beziehungen zwischen Gruppen, während eine objektive Inkompatibilität der Zielverfolgung von Gruppen Konflikte erzeugt. In weiterführenden Studien konnte jedoch nachgewiesen werden, dass es oft nicht einmal Interessenkonflikten zwischen Gruppen bedarf, um soziale Kategorisierungen und Feindseligkeiten zwischen diesen hervorzurufen. Das sogenannte »Minimale-Gruppen-Paradigma« besagt, dass allein die Zuteilung von Personen zu diskreten Gruppen ausreicht, um eine Präferenz der eigenen Gruppe bei den Gruppenangehörigen und eine Abneigung gegenüber anderen Gruppen hervorzurufen. Hierzu ist es noch nicht einmal notwendig, dass die beteiligten Gruppenmitglieder in irgendeiner Form Kontakt zueinander haben, also direkt interagieren. Es bedarf auch keiner Informationen über die Mitglieder der anderen Gruppen oder über die Gründe für die spezifische Gruppeneinteilung, um das diskriminierende Verhalten zwischen den Mitgliedern der einzelnen Gruppen auszulösen. Allein das Wissen um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe kann reichen, eine Ingroup-Outgroup-Diskriminierung hervorzurufen. Diese Diskriminierung kann sogar so weit gehen, dass absolute Gewinne für die eigene Gruppe zugunsten von relativen Gewinnen im Vergleich zu den anderen Gruppen in den Hintergrund treten. Gruppen begnügen sich mit geringeren absoluten Gewinnen, wenn sie dadurch die relative Differenz zu den anderen Gruppen vergrößern können (vgl. S. 146).
Gruppen als Ursache von Konflikten
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Interessant ist die psychologische Situation der Repräsentanten der jeweiligen Gruppen. Diese können teilweise einander widersprechenden Einflüssen ausgesetzt sein: – Gruppen neigen dazu, als Repräsentanten Personen auszuwählen, die eine von der Gegnergruppe möglichst extrem abweichende eigene Position beziehen (vgl. Abschnitt 6.2 Auswahl von Führungspersonen und die Folgen für das Selbstbild, S. 248). Die Gruppe erwartet von ihrem Repräsentanten einen besonders hohen, über das durchschnittliche Maß hinausgehenden Einsatz bei der Durchsetzung der Gruppeninteressen. – Die zwangsläufig höhere Kommunikationsdichte zwischen den Repräsentanten konkurrierender Gruppen führt in vielen Fällen jedoch zu einem besseren Verständnis für die gegnerische Position, als es dem Durchschnitt der eigenen Gruppenmitglieder entspricht. In gleicher Weise führt in vielen Fällen die Kommunikationsdichte auch zu einer gegenüber dem Durchschnitt erhöhten emotionalen Akzeptanz des Gegners. Ein hohes Verständnis für die konkurrierende Gruppe kann jedoch die eigene Position als Repräsentant in der eigenen Gruppe schwächen. – Wird der Repräsentant von der gegnerischen Gruppe jedoch angegriffen, führt dies zu einer Stärkung in der eigenen Gruppe: Der Inhaber eines Unternehmens teilte kurz vor der Betriebsratswahl per Rundschreiben allen Mitarbeitern mit, dass er in der Wiederwahl eines bestimmten Betriebsratsmitglieds eine erhebliche Beeinträchtigung des sozialen Klimas im Unternehmen sehen würde. Dies wurde von den Mitarbeitern als Angriff auf das Betriebsratsmitglied verstanden. Dessen Akzeptanz festigte sich unter den Mitgliedern und er wurde – zur großen Verwunderung des Unternehmensinhabers – mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt! Eine Konsequenz diesen psychologischen Gegebenheiten sind »Schaukämpfe«, wie sie besonders bei Tarifverhandlungen oder politischen Beschlüssen zu beobachten sind. Auch wenn bei sachlich-rationaler Überlegung in den meisten Fällen das Verhandlungsergebnis bis auf einen sehr engen Spielraum schon vor Beginn der Gespräche feststeht, müssen Extrempositionen aufgebaut werden. Dies dient der Sicherung der Position der Gruppenrepräsentanten, was wiederum für die Funktionsfähigkeit der Gruppen von hoher Bedeutung ist. Die Repräsentanten müssen quasi ihr Letztes geben, was sich in einer nicht mehr nachvollziehbar langen Verhandlungsdauer oder im Zeitpunkt der Einigung manifestiert. Dabei spielt es unter Umständen keine Rolle, dass sich solche »Inszenierungen« erschwerend auf die Lösung eines Konflikts auswirken können: Von welchem Verhandlungsteam kann man sagen, dass es nach 20-stün-
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
diger Verhandlungsdauer noch effektiv verhandelt? Warum sollte ausgerechnet eine Zeit wie zwischen zwei und drei Uhr morgens, in der das Wachsein besonders schwer fällt, dafür geeignet sein, zu einer sinnvollen Einigung zu kommen? Man sollte jedoch die Bedeutung solcher Rituale nicht unterschätzen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil zur Förderung der Kohäsion der Mitglieder einer Gruppe und sie dienen auch dazu, die Machtdistanz zwischen den Repräsentanten und den übrigen Gruppenmitgliedern akzeptabel erscheinen zu lassen (vgl. Kapitel 5). Für die positive Nutzung potenzieller Konflikte ist es das günstigste, diese vor dem Auftreten in produktive Bahnen zu lenken. Die vorbeugende Aufbereitung der sachlichen und emotionalen Konfliktgegebenheiten in Form von Workshops kann sehr zweckmäßig sein. Voraussetzung für den Erfolg solcher Maßnahmen ist stets eine Unternehmenskultur, die das offene Besprechen von tabuisierten Themen ermöglicht. Ein besonders wichtiger Aspekt ist dabei die Akzeptanz der persönlichen Machtmotivation (vgl. Abschnitt 5.3 Machtmotivation, S. 224).
7.5
Organisationen als Ursache von Konfliktpotenzialen
In den beiden vorangegangenen Abschnitten wurden Konflikttypen besprochen, die sich entweder auf den Wettbewerb von Konkurrenten um ein knappes Gut oder auf Konflikte zwischen Gruppen bezogen. Einen dritten Aspekt, der das Entstehen von Konflikten wesentlich beeinflusst, stellen Organisationen dar.
Theorieübersicht: Organisationen als Konfliktpotenzial
Organisationen stellen vor dem Hintergrund zweier grundlegender Perspektiven ein Konfliktpotenzial dar (s. Glasl 1990; Lievegoed 1974): unter dem Aspekt der Abhängigkeitsbeziehungen der Parteien und unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Organisationstypus. Zunächst wird die Organisation als Konfliktpotenzial unter dem Aspekt der Abhängigkeitsbeziehungen der Parteien dargestellt. Personen wie Abteilungen eines Unternehmens sind in der Regel voneinander abhängig. Im betrieblichen Rahmen können drei Arten von Abhängigkeitsverhältnissen unterschieden werden, die zu verschiedenen Konfliktpotenzialen führen können:
Organisationen als Ursache von Konfliktpotenzialen
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In einer synergetisch vertikalen Dependenz stehen die Mitarbeiter in einem Unter- oder Überstellungsverhältnis zueinander. Die übergeordnete Instanz kann durch Weisung und Sanktionen in die Entscheidungsprozesse der nachgeordneten Stellen eingreifen. Konflikte in dieser Abhängigkeitsbeziehung resultieren oft daraus, dass die übergeordnete Instanz versucht, ihren Machtspielraum weiter auszubauen oder ihre Macht zu missbrauchen. Maßnahmen zur Reduzierung derartiger Konflikte bestehen in der Regel darin, die Position der unterstellten Stellen zu stärken und sie vor ungerechtfertigten Sanktionen zu schützen. In einer synergetisch lateralen Interdependenz haben Mitarbeiter oder Abteilungen einen klar begrenzten Aufgaben- und Kompetenzbereich und sind untereinander gleichrangig. Die wechselseitige Abhängigkeit der Partner entsteht dadurch, dass ihre Einzelaktivitäten im Hinblick auf das Gesamtziel koordiniert werden müssen. Ein »lateraler Konflikt« zwischen den Partnern kann darin bestehen, dass sie sich durch Zurückhaltung von Informationen gegenseitig in ihrer Aufgabenerfüllung behindern. Als Gegenmaßnahme zur Bewältigung lateraler Konflikte ist der Einsatz zusätzlicher Koordinationsmechanismen anzustreben, etwa in Form so genannter »Vortrittsregeln«. Eine synergetische, sequenziell laterale Interdependenz liegt im Unternehmen in Form von komplex vernetzten Vorgängen vor, bei denen alle Aktivitäten in einer festgelegten Reihenfolge ablaufen. Das ist dann der Fall, wenn die Personalabteilung erst eine Stellenausschreibung vornehmen kann, wenn sie von der betreffenden Fachabteilung die Personalanforderung erhält. Im Produktionsbereich ist die Fließbandfertigung das Paradebeispiel für eine derartige Abhängigkeitsbeziehung zwischen vor- und nachgelagerten Stellen. Diese sequentielle Abhängigkeit kann dann zu einem Konflikt führen, wenn sie – wie eine vertikale Abhängigkeit – nur in eine Richtung beeinflussbar erlebt wird und dementsprechend eine Einflussnahme in umgekehrter Richtung nicht möglich ist. Die zweite Perspektive, unter der Organisationen als Konfliktpotenzial betrachtet werden können, bezieht sich auf den Organisationstypus. Diese Perspektive ist für die Personalarbeit von besonderer Bedeutung. Es lassen sich drei Organisationstypen voneinander unterscheiden: 1) Charakteristisch für den Organisationstyp der Produktorganisation ist die Zerlegung des Gesamtprozesses in viele voneinander abhängige Einzelhandlungen (Arbeitsteilung). Planungs- und Koordinierungsinstanzen haben daher bei der Produktorganisation einen noch größeren Stellenwert als in den beiden anderen Organisationstypen. Ein Konfliktpotenzial ergibt sich, wenn folgende Prinzipien missachtet werden:
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
– Die Bedeutung und organisationale Einordnung der Einzeltätigkeiten muss selbst bei starker Arbeitsteilung für die Stelleninhaber transparent bleiben. – Die Gestaltung von Einzeltätigkeiten in stark arbeitsteiligen Organisationssystemen muss nach den Gestaltungsprinzipien der »humanistischen Arbeitsstrukturierung«, wie zum Beispiel der Vermeidung stark monotoner oder repetitiver Tätigkeiten, vorgenommen werden. 2) Der Organisationszweck der Dienstleistungsorganisation entspricht der »Befriedigung psychologischer Bedürfnisse«. Zwei Beispiele für Konfliktpotenziale in Dienstleistungsorganisationen seien genannt: – Ad-hoc-Dienstleistungen können bei mangelnder Organisation zu Kapazitätsengpässen und somit zu Konflikten führen. – Zur Absicherung von Eventualfällen bei der Dienstleistungserbringung wird eine formale Überreglementierung vorgenommen, die die persönlichen Freiräume der Mitarbeiter einengt. 3) Das Hauptziel der professionellen Organisation besteht in der Produktion von Ideen (zum Beispiel in einer Werbeagentur). Zur Erreichung des Organisationsziels ist es wichtig, dass den Mitarbeitern »professionelle Freiheiten« zugesprochen werden. Konflikte treten in der Regel dann auf, wenn diese freiheitlichen Grundprinzipien durch autoritäre Strukturen wie Aufbau- und Ablaufbeziehungen konterkariert werden. Während noch vor etwa einem Jahrzehnt die Produktorganisation für die Wirtschaft weitgehend charakteristisch war, sieht man eine zunehmende Tendenz, die psychologischen Organisationsgrundlagen immer mehr zu einer Dienstleistungsorganisation oder zu einer professionellen Organisation hin zu verlagern – indem auf Maßnahmen der Unternehmensorganisations- sowie der Führungskräfte- und Mitarbeiterentwicklung zurückgegriffen wird (vgl. die unterschiedlichen Kulturformen von Unternehmen, Abschnitt 11.1 Bereiche der Unternehmenskultur und deren Erfassung, S. 397). Als Konsequenz treten manche Konfliktursachen in den Hintergrund, wie die Frage nach der Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit, die sich vor allem bei monotonen Arbeitstätigkeiten und einer stark zergliederten Produktionskette stellt. Andere Konfliktursachen gewinnen demgegenüber an Bedeutung, wie zum Beispiel das subjektive Empfinden unnötiger Beschneidung von Entscheidungsbefugnissen, Verteilungskonflikte zwischen Mitarbeitern oder der Zugang zu Produktionskapazitäten bei Engpässen. Die rechtzeitige Antizipation dieser
Organisationen als Ursache von Konfliktpotenzialen
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Verschiebung der Konfliktpotenziale und die vorbeugende Bereitstellung von Maßnahmen einer adäquaten Konfliktregelung sollten zu den selbstverständlichen Begleitmaßnahmen entsprechender Maßnahmen der Organisationsentwicklung gehören. Besonders deutlich wird dies in vielen Unternehmen dann, wenn sich die Führungsspitze noch an »überholten« Konfliktursachen orientiert, obgleich das mittlere Management sich schon längst an den Bedingungen einer beispielsweise »professionellen Organisation« orientiert. Ein Problem dabei könnte sein, dass die daraus entstehenden Konflikte nicht dem in produktionsbezogenen Organisationen üblichen Muster wie »Führungskraft mit niedriger hierarchischer Position strebt höhere hierarchische Position an« entsprechen (im Sinne der Konflikttypen einen typischen Positionskampf beschreibend; vgl. Theorieübersicht: Konflikttypen, S. 285). Vielmehr wird die Berechtigung hierarchischer Eingriffe gegen überlegene Fachkenntnis oder professionelle Grundsätze als solche infrage gestellt. Somit liegt in diesem Fall ein »Systemveränderungskonflikt« (vgl. Theorieübersicht: Konflikttypen, S. 285) vor, der andere Eingriffsmöglichkeiten erfordert. Während bei einem Positionskampf oder auch bei Reibungskonflikten der Nachweis der besonderen Durchsetzungs- oder Leistungsfähigkeit eines der beiden Kontrahenten zu einer zumindest vorübergehenden beidseitig akzeptierten Konfliktlösung führen kann, lassen sich Diskussionen über die Notwendigkeit einer Systemveränderung nicht durch das Herausstellen persönlicher Kompetenzen regeln. Die Vermengung dieses Sachverhalts durch hochrangige Führungskräfte, die in dem Bestreben nach einer Kultur- und Systemveränderung im Unternehmen nur einen Positionskampf der nachgeordneten Führungsebenen sehen wollen oder können, dürfte einer der schwierigsten Aspekte bei der Lösung von Generationskonflikten in Unternehmen sein. Organisationale Konflikte können neben negativen Auswirkungen, beispielsweise die Abnahme der Produktivität oder ein erhöhter Koordinationsund Kontrollaufwand, auch positive Konsequenzen nach sich ziehen: Sie können dazu führen, dass sich Organisationsmitglieder vertieft mit der bestehenden Organisationsform auseinander setzen, was eine größere Identifikation mit dem Unternehmen zur Folge haben kann. Konflikte können somit auch ein Entwicklungspotenzial für organisationale Strukturen darstellen.
304
7.6
Konflikte – Grundlage von Innovationen
Modelle der Konfliktnutzung
Konflikte sind nicht grundsätzlich als etwas Negatives zu bewerten. Sie enthalten auch Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Stärkung des Unternehmens. Daher kann es nicht Aufgabe von Vorgesetzten oder des Personalmanagements sein, Konflikte prinzipiell zu vermeiden oder zu beseitigen. Ob Konflikte bekämpft, geduldet oder sogar gefördert werden, sollte von deren Art und ihrer bisherigen Austragung abhängen. Sowohl zur Beseitigung als auch zur Förderung von Konflikten ist eine Offenlegung und Präzisierung der Situation sinnvoll. Dies wird im Folgenden anhand des Konfliktmodells von Deutsch (1973) verdeutlicht.
Theorieübersicht: Konfliktmodell von Deutsch
In Konflikten können folgende Motive eine Rolle spielen (s. Crott 1985): Bei der kooperativen Motivation verfolgen die beteiligten Personen ihre jeweils eigenen Interessen, denken jedoch dabei auch an das Wohl der anderen Beteiligten, bei der kompetitiven Motivation versuchen sie, ihre jeweils eigenen Interessen zu verfolgen und dabei bessere Resultate zu erzielen als die anderen Beteiligten, wobei die Personen bei der individualistischen Motivation ihre jeweils eigenen Interessen ohne Rücksicht auf die anderen Beteiligten verfolgen. Die individualistische Orientierung ist zu einem gewissen Anteil in allen Motivationen enthalten. So kann man nicht davon ausgehen, dass beispielsweise kooperativ motiviertes Verhalten vollständig auf individuelle Nutzenüberlegung verzichten kann (vgl. Abschnitt 1.1, S. 25). Man unterscheidet generell zwischen produktiven und konstruktiven Konflikten einerseits und destruktiven Konflikten andererseits. Produktive Konflikte weisen folgende Kennzeichen auf: Es liegt ein Mindestmaß an Motivation vor, das Problem zu lösen, es sind die situativen Voraussetzungen zur Generierung unterschiedlicher Lösungsansätze gegeben und die Personen haben Ideen zur Problemlösung, aus denen verschiedene Lösungswege abgeleitet werden können. Ein produktiver Konfliktverlauf kann dann stattfinden, wenn die Beteiligten eine vorherrschend kooperative Einstellung haben. Diese Einstellung ist an spezifische Verhaltensweisen gekoppelt: offener, unzensierter Informationsaustausch, Akzeptanz der Bedürfnisse der anderen Personen, Sensibilität für ähnliche Interessen und prinzipielle Wertschätzung der anderen Beteiligten. Destruktive Konflikte weisen demgegenüber folgende Merkmale auf: Das
Modelle der Konfliktnutzung
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kompetitive Motiv bei den Beteiligten ist dominant, die Konfliktgegner werden hinsichtlich ihrer Ziele und Bedürfnisse nur selektiv und verzerrt wahrgenommen, außerdem sind die Personen nur sich selbst verpflichtet und wollen ihr bisheriges Vorgehen rechtfertigen. Ein destruktiver Konfliktverlauf kann folgende Konsequenzen haben: – Kommunikationsmöglichkeiten werden unzureichend genutzt. – Es werden falsche oder gefilterte Informationen weitergeleitet. – Die anderen Beteiligten werden absichtlich getäuscht. – Bei den Beteiligten treten starke Wahrnehmungsverzerrungen auf. Beispiel: Man erlebt sich selbst als kooperativ, die anderen Personen werden hingegen als kompetitiv und feindselig wahrgenommen. Die Situationsmerkmale haben einen wichtigen Einfluss auf das Konfliktgeschehen. Sie wirken zwar nicht direkt auf den Konfliktverlauf, sie gehen aber indirekt über die subjektive Wahrnehmung der Betroffenen in diesen mit ein. Folgende Fragen sind in der Konfliktsituation von großer Bedeutung: – Lassen sich die Interessen der Beteiligten miteinander vereinbaren oder sind sie entgegengesetzt? – Sind die Handlungen der anderen Personen den eigenen Interessen dienlich oder hinderlich? – Welche Wirkungen haben die Handlungen der anderen Personen auf die eigene Person? – Welche Einstellungen und Verhaltensweisen der anderen Personen sind dominant? Zur Lösung von Konflikten sind einige Regeln zu beachten: – Konfliktträchtige Aspekte der Situation müssen transparent gemacht werden. – Bei der Gestaltung der Konfliktlösungssituation ist auf eine günstige Atmosphäre in zeitlicher und räumlicher Hinsicht zu achten. – Kommunikationsstörungen müssen aufgezeigt und beseitigt werden. – Es sollte ein Schlichter oder Moderator in die Konfliktlösungssituation einbezogen werden, um auf die Einhaltung zwischenmenschlicher »Spielregeln« zu achten. – Die erarbeiteten Lösungen müssen auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüft werden. – Übereinkünfte zur Problemlösung sollten möglichst von allen Beteiligten mitgetragen werden. Mehrheitsentscheidungen über Lösungsvorschläge sind vor diesem Hintergrund nur mit Vorsicht zu behandeln. – Der verabschiedete Problemlösungsvorschlag muss nach außen hin für
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
möglichst alle Teilnehmer attraktiv und wünschenswert erscheinen. Eine Übereinkunft sollte keinen Gesichtsverlust für einzelne Beteiligte enthalten. Das Konfliktmodell von Deutsch (1973) sieht auch einen angemessenen Einsatz von Macht (vgl. Kapitel 5) als ratsam an. Dieser wird dann empfohlen, wenn der Opponent überhaupt nicht zur Raison zu bringen ist. Allerdings ist bei der Machtdemonstration darauf zu achten, dass diese dosiert eingesetzt wird. Eine zu starke Demonstration von Macht hat oft den unerwünschten Effekt, dass Konfliktpartner mit noch stärkerem Widerstand reagieren (vgl. Theorieübersicht: Reaktanztheorie, S. 334). Im Folgenden werden verschiedene Formen möglicher Konfliktbewältigungen und eine Klassifikation von Konfliktbearbeitungsstilen anhand des Konfliktlösungsmodells von Thomas (1976) dargestellt.
Theorieübersicht: Konfliktlösungsmodell von Thomas
Die zeitliche Perspektive spielt bei vielen Konflikten in Unternehmen eine wichtige Rolle. So ist man beispielsweise gezwungen, mit einem Konfliktpartner, der sich im selben Unternehmen befindet, auf unabsehbare Zeit zusammenzuarbeiten. Viele Auseinandersetzungen verlaufen daher nur verdeckt. Man spricht in diesen Fällen von »Konfliktunterdrückung«. Eine lang anhaltende Konfliktunterdrückung kann jedoch eine allgemeine Unzufriedenheit der Mitarbeiter zur Folge haben und macht Innovationen auf der Basis positiver Konfliktlösungen unwahrscheinlich. In Anlehnung an das ManagerialGrid-Modell (Blake u. Mouton 1980) hat Thomas (1976; s. Gebert u. Rosenstiel 1989) ein zweidimensionales Zuordnungsmodell entwickelt, in das sich die wichtigsten Konfliktlösungsstile einordnen lassen (s. Abbildung 37). Die Grundeinstellungen der Konfliktpartner und Konfliktgruppen lassen sich entsprechend Abbildung 37, in den beiden Dimensionen »Betonung eigener Interessen« und »Beachtung fremder Interessen« jeweils auf einer NeunerSkala beschreiben. Die Kombination der beiden Dimensionen ergibt den vorherrschenden Konfliktbearbeitungsstil einer Person. Wichtig an diesem Modell ist, dass die »Betonung eigener Interessen« und die »Beachtung fremder Interessen« nicht als Extrempole einer einzigen Dimension betrachtet werden, sondern als zwei voneinander unabhängige Dimensionen. Die 9/9-Konfliktbearbeitungsstrategie wird als die theoretisch günstige herausgestellt. Wichtige Merkmale dieser Strategie sind:
Modelle der Konfliktnutzung
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Abbildung 37: Konfliktlösungsstile nach Thomas 1976
– Die Konfliktbearbeitung zielt nicht darauf ab, Meinungsverschiedenheiten vorschnell zu glätten (»Smoothing«), sondern will durch die Herausstellung von Gegensätzen und Reibungspunkten den eigentlichen Kern des Konflikts transparent machen. – Auf einen nach Harmonie strebenden Kompromiss wie dem 5/5-Konfliktbearbeitungsstil wird bewusst verzichtet. – Die Strategie erfordert absolute Offenheit der Beteiligten, da nur so der wirkliche Problemkern freigelegt werden kann. – Die Konfliktlösung auf der Basis dieser Strategie führt zu langfristigen, stabilen Konfliktlösungen. Ein offenkundiger Nachteil des Modells besteht darin, dass die 9/9-Strategie insofern unrealistisch erscheint, als sie in der Praxis wohl nur äußerst selten verwirklicht werden kann. Auch wird die spezifische Art der Konflikte, etwa Beurteilungskonflikte (vgl. Abschnitt 7.2 Unterschiedliche Handlungsentwürfe als Konfliktursache, S. 285) oder Verteilungskonflikte (vgl. Abschnitt 7.3 Verteilungskämpfe als Konfliktquelle, S. 292), bei der Forderung nach dieser »Ideallösung« nicht berücksichtigt. Leider besteht bei vielen Führungskräften die Tendenz, bei Konflikten statt einer 9/9-Lösung einen Kompromiss zu suchen. Die Strategie des »Jeder gibt ein bisschen nach« kann zwar bei der Verteilung knapper Güter recht nützlich sein, zum Beispiel beim Aushandeln des Preises in Verkaufsgesprächen. Außerhalb der Verteilung quantitativ teilbarer Güter ist sie jedoch nur in sehr wenigen
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
Situationen wirklich die beste Lösungsstrategie. Nachgeben in Konflikten führt nicht selten zu einem erheblichen Motivationsverlust, die getroffene Konfliktlösung zu unterstützen und sich an deren Umsetzung aktiv zu beteiligen. Da das spezifische Merkmal eines Kompromisses darin besteht, dass beide Parteien nachgeben, können vom Motivationsverlust auch beide Parteien betroffen sein, sodass schließlich keiner der Beteiligten die gefundene Lösung ernsthaft unterstützt! Mit einem Verlust der Motivation ist insbesondere dann zu rechnen, wenn die »Lösung« unter Einschaltung einer »externen Macht« (Vorgesetzter) oder durch andere »Zwangseinwirkungen« (informeller Gruppendruck wie Stöhnen oder Wegschauen bei Verteidigung einer der Alternativen) zustande gekommen ist. Kompromisse haben ferner den Nachteil, dass sie bei nicht teilbaren Gütern zumindest bei einer Konfliktpartei in der Regel die völlige Aufgabe ihrer Position verlangt. Viele in Unternehmen umstrittene Fragen gestatten sinnvollerweise keine »halben Lösungen«, etwa bei Personalentscheidungen, Marketingstrategien oder bei der Entscheidung zwischen qualitativ verschiedenen Formen der technischen Ausstattung des Produktionsbereichs. Kompromisse können dann, wenn sie vor dem Hintergrund indirekter Zwangsituationen durch Gruppendruck oder Einschaltung von Vorgesetzten zustande gekommen sind, zu Frustrationen führen. Diese Frustrationen stellen oft die psychologische Grundlage für zunächst unterdrückte, aber schließlich manifeste Aggressionen gegen die anderen beteiligten Personen dar. Folgende Strategien können geeignet erscheinen, gegenüber der Forderung nach teilweisem Nachgeben eine nachhaltigere Lösung zu erzielen: – Erhöhung der Abstraktionsebene der Konfliktinhalte: Es entspannt die Situation oft wesentlich, wenn man mit den Konfliktpartnern gemeinsam jene Abstraktionsstufe der Zielsetzung erarbeitet, auf der noch ein Konsens besteht (s. Theorieübersicht: Theorie des realistischen Gruppenkonflikts, S. 297). Dies ist in Unternehmen praktisch immer möglich und kann unter Zuhilfenahme des allgemeinen handlungstheoretischen Modells erfolgen (vgl. Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151). Der Grundsatz des gemeinsamen Anstrebens eines hohen Unternehmenserfolgs sollte zumindest immer konsensfähig sein. Es empfiehlt sich, von diesem gemeinsamen Ziel aus die umstrittenen Punkte neu durchzuarbeiten und dabei die ebenfalls noch konsensfähigen Normen zu beachten (beispielsweise Normen bezüglich der als zulässig erscheinenden Mittel zur Erreichung des Zieles). Oft zeigt sich dann von selbst, an welcher Stelle die Meinungsunterschiede beginnen. So kann sich beispielsweise herausstellen, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Folgen bestimmter Maßnahmen unterschiedlich eingeschätzt wird. Entweder ist dann durch das Hinzuziehen von
Modelle der Konfliktnutzung
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weiteren Sachinformationen eine gemeinsame Meinungsbildung möglich oder es muss akzeptiert werden, dass eine Entscheidung für eine bestimmte Alternative notwendig ist. Dabei sollte unbedingt beachtet werden, dass dies ohne Gesichtsverlust für einen der Beteiligten erfolgt. Ist die Erarbeitung einer gemeinsamen Zielsetzung auf einer hohen Abstraktionsebene nicht möglich, was bei einer echten »Feindschaft« zwischen den Personen der Fall sein kann, bleiben im Allgemeinen nur noch radikale personenbezogene Maßnahmen als Interventionsmöglichkeit übrig. – Emotionale Entspannung: Irrationale Gefühle spielen im Management eine weit größere Rolle, als es dem offiziellen Bild desselben entspricht und von den Beteiligten eingestanden wird. Dabei können irrationale Gefühle häufig auch sehr sinnvoll sein, da Zielsetzungen und Bewertungen von Handlungen oftmals keine rationalen Festlegungen ermöglichen, sondern emotionsbedingte Festlegungen erfordern (vgl. Theorieübersicht: Rationalitätstheorie, S. 46). Wenn irrationale Gefühle jedoch eine zur Konfliktlösung notwendige intellektuelle Durchdringung eines Problems behindern, können sie außerordentlich schädlich sein. Beispiel: In einem Konflikt schaukelt sich die Stimmung innerhalb der Mitglieder einer Gruppe so hoch, dass es dem Gruppenleiter zunehmend schwerer fällt, sachliche Argumente in die Diskussion einzubringen. – Konkretisierung der Nutzenfunktion: Während in manchen Situationen die Konfliktursache durch eine zu konkrete Diskussionsebene verdeckt wird, kann in anderen Fällen für die Auseinandersetzung die Verwendung von zu abstrakten Begriffen hinderlich sein. So ist es beispielsweise möglich, dass die Konfliktparteien zwar die Standpunkte der Gegenseite gut kennen, sich aber nicht über die emotionale Bedeutung und den subjektiven Nutzen der jeweiligen Standpunkte im Klaren sind. Bleiben diese Aspekte unberücksichtigt, kann es selbst trotz intensiver Bemühungen schwer fallen, eine Lösung zu finden. Auseinandersetzungen in Unternehmen über organisatorische und hierarchische Zuständigkeiten lassen sich gelegentlich in einer für alle Seiten zufrieden stellenden Weise nur lösen, indem geklärt wird, was der eigentliche Nutzen für den erweiterten Zuständigkeitsbereich bei den jeweiligen Kontrahenten ist. Geht es in Wirklichkeit um den mit einem größeren Zuständigkeitsbereich verbundenen Status, kann es langfristig wesentlich günstiger sein, einem der beiden Konfliktpartner mit einer anderen Begründung den angestrebten Status zuzugestehen, als einen dauernden Unruheherd zu schaffen. Steht eine konkrete Einfluss- und Gestaltungsabsicht im Vordergrund, bietet die Regelung der konkreten Sachfrage oder die Eröffnung anderer Einflusskanäle eine gute Lösung. Es kann also in Kon-
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
fliktsituationen sehr sinnvoll sein, von Standpunkten Abstand zu nehmen und auf die hinter ihnen liegenden subjektiven Nutzenaspekte zu sprechen zu kommen. Möglicherweise ist es erforderlich, einen externen Berater hinzuzuziehen, bevor sich die Fronten verhärten und die Konflikte bereits einen destruktiv-emotionalen Charakter angenommen haben. Welche wichtige Rolle eine Konkretisierung der Nutzenfunktion in Konflikten haben kann, soll an den beiden folgenden Beispielen verdeutlicht werden.
Beispiel Bei den Friedensverhandlungen zwischen Israel und Ägypten war die Zugehörigkeit der Sinaihalbinsel zu einem der beiden Staaten ein besonders umstrittener Punkt. Ein typischer Kompromiss hätte vermutlich in der Teilung dieses Landes an irgendeiner nach den jeweiligen Machtverhältnissen auszuhandelnden Grenzlinie bestanden. Dies hätte sich für keinen der Kontrahenten auf Dauer als zufrieden stellend erwiesen. Wie erzählt wird, wurde hier in den Verhandlungen eine dauerhafte Lösung dadurch erreicht, indem untersucht wurde, welchen Nutzen eigentlich der Landbesitz für die Konfliktpartner hatte. Für Ägypten lag dieser Nutzen vor allem in der Wiederherstellung des eigenen Staatsgebiets. Zudem war der Nationalstolz durch die israelische Besetzung der Sinaihalbinsel als Folge des Sechstagekriegs schwer getroffen. Für die israelische Seite war hingegen der dominante Nutzen der Landbesitz und der damit verbundene zeitliche Abstand zwischen einem neuerlichen Ausbruch eines Konflikts und der unmittelbaren Bedrohung des eigenen Staatsterritoriums. Nach Klärung dieser Sachlage war eine zufrieden stellende Lösung dadurch möglich, dass die alten Grenzen wieder hergestellt wurden, Ägypten aber auf die Stationierung von Truppen in einem Teil seines Staatsgebiets verzichtete.
Beispiel Zwischen dem Inhaber eines kleineren mittelständischen Unternehmens und seinem Verkaufsleiter existierte eine auch in emotionaler Hinsicht heftig ausgetragene Auseinandersetzung um einen Firmenwagen. Der Vorgänger des Verkaufsleiters, der vor kurzem ausgeschieden war, hatte einen solchen Wagen zu seiner Verfügung gehabt. Dies hatte zu Unstimmigkeiten innerhalb des Unternehmens geführt, da die hierarchisch gleichgestellten anderen Abteilungs-
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leiter darin eine ungerechtfertigte Bevorzugung des Verkaufsleiters sahen. Aus diesem Grund wollte der Inhaber der Firma dem Nachfolger des alten Verkaufsleiters keinen Firmenwagen mehr zur Verfügung stellen. Stattdessen schlug er eine Regelung vor, die in einer »Anschaffungshilfe« für einen standesgemäßen Neuwagen und einer sehr großzügigen Bemessung des Kilometergelds für beruflich bedingte Fahrten bestand. Der Inhaber war sehr verärgert, als der neue Verkaufsleiter dieses Angebot, das ihn finanziell sogar besser gestellt hätte als die Firmenwagen-Regelung des Vorgängers, empört ablehnte. Aus dieser Situation entwickelte sich in den nächsten Monaten ein regelrechter Kleinkrieg, der das emotionale Klima zwischen dem Inhaber und dem Verkaufsleiter schwer belastete. Schließlich wurde ein externer Berater hinzugezogen. Die Problemursache konnte rasch identifiziert werden. Für den Firmeninhaber war der Nutzen ausschließlich auf die Bereiche »Geldwert des Firmenwagens« und »Vermeidung von Konflikten mit den anderen Abteilungsleitern« konzentriert. Für den ersten Teilnutzen hatte er ein ausgezeichnetes Angebot gemacht. Für den zweiten Teilnutzen, das heißt die Konfliktvermeidung mit den anderen Abteilungsleitern, erwartete er ein besonderes Verständnis des neuen Verkaufsleiters. Er musste dessen Ablehnung und erst recht das danach immer wieder auf verschiedenen Wegen verfolgte Ziel, doch einen Firmenwagen zu bekommen, als unverschämt oder »nimmt überhaupt keine Rücksicht auf meine Situation« interpretieren. Für den Verkaufsleiter dagegen war der Nutzen des umstrittenen Firmenwagens ein völlig anderer. Er war lange Zeit unter dem früheren Verkaufsleiter tätig gewesen, der ein im gesamten Unternehmen sehr geachteter Mann gewesen war. Mitarbeiter, Kollegen und vermutlich auch er selbst waren sich unsicher, ob er mit Übernahme der Leitungsfunktion auch alle damit verbundenen Funktionen ebenso erfolgreich ausfüllen könnte wie sein Vorgänger und damit ein gleichwertiger Ersatz sein würde. Die finanziellen Aspekte des Firmenwagens waren ihm relativ unwichtig. In erster Linie ging es ihm darum, in diesem sichtbaren Prestige- und Statussymbol den äußeren Nachweis für die Gleichwertigkeit seiner Person und Leistung gegenüber dem Vorgänger zu erhalten. Ohne Firmenwagen hätte er sich seinem Vorgänger gegenüber abgewertet gefühlt. Aus diesem Grund hatte er auch zunächst die Verweigerung eines Firmenwagens bei Übernahme der Stelle für sich akzeptiert. Mit jedem erreichten geschäftlichen Erfolg drang er jedoch mehr darauf, die seiner Meinung nach zustehende Anerkennung zu bekommen. Da das Unternehmensklima eine offene Kommunikation nicht förderte, waren dem Firmeninhaber diese emotionalen Implikationen des Firmenwagen-Problems völlig unbekannt. Es war ihm daher auch nicht möglich, einen Lösungsvorschlag zu machen, der diesem Aspekt Rechnung trug.
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Im Prinzip wäre es möglich gewesen, beiden Interessen gleichzeitig gerecht zu werden, also eine Konfliktlösung gemäß dem 9/9-Typ anzustreben. Diese hätte darin bestehen können, neben einer Regelung der finanziellen Aspekte (Akzeptanz des Angebots des Firmeninhabers) auch für eine befriedigende soziale Anerkennung der Leistung des neuen Vertriebsleiters zu sorgen, etwa in Form einer öffentlichen Anerkennung der Leistung oder der Zuweisung anderer Statussymbole. Vermutlich wäre es schon ausreichend gewesen, wenn der Inhaber des Öfteren im persönlichen Gespräch die Leistung und die Gleichwertigkeit des neuen Vertriebsleiters gegenüber seinem Vorgänger hervorgehoben hätte. Gerade die persönliche Anerkennung unterblieb aber aufgrund des Dauerkonflikts um den Firmenwagen und der dadurch ausgelösten Spannungen. Solche sich verstärkenden Negativ-Regelkreise, auch Teufelskreis genannt, sind in Konfliktsituationen häufig. Leider konnte hier der Konflikt nicht wie angeführt geregelt werden, da die Situation wegen der mehrmonatigen Spannungen bereits zu verfahren war. Die »Lösung« bestand in einem Unternehmenswechsel des Verkaufsleiters, wodurch dem Firmeninhaber ein wertvoller Mitarbeiter verloren ging. Dieses Beispiel zeigt, dass man beim Auftreten emotional-destruktiver Konflikte sobald wie möglich intervenieren und eventuell einen externen Berater hinzuziehen sollte. Zum Abschluss dieses Kapitel wird die Konzeption einer Veranstaltung zur Förderung einer konstruktiven Behandlung von Konfliktsituationen dargestellt. Es soll gezeigt werden, wie man durch gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen Mitarbeiter für eine positive Konfliktbewältigung sensibilisieren kann.
Beispiel Teilnehmer der Veranstaltung waren Marketingleiter verschiedener europäischer Tochterfirmen eines mittelständischen, international tätigen Unternehmens. Diese bildeten zusammen ein Team, das erst kurze Zeit zuvor neu zusammengestellt wurde. Ziel der Veranstaltung war es, die Mitglieder des Teams in die Lage zu versetzen, in Besprechungen besser zu kooperieren und so den Nutzen für das Unternehmen im Sinne einer verbesserten Zielerreichung zu steigern. Die Veranstaltung gliederte sich in vier Phasen:
Modelle der Konfliktnutzung
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Phase 1: Strategiefindung In der Anfangsphase sollte geklärt werden, wie das Team vorgehen muss, damit konsensfähige Maßnahmen erarbeitet werden können. Der Konsens ist besonders im Hinblick auf die spätere Umsetzung der Maßnahmen von großer Bedeutung. Es wurden daher folgende Fragen diskutiert: – Welchen Nutzen haben die Aktivitäten des Teams für das Gesamtunternehmen? – Welche Bedeutung hat die Gruppe für die einzelnen Unternehmensmitglieder, wie beispielsweise Mitarbeiter und Führungskräfte? – Zu welchen anderen Interessengruppen im Unternehmen muss das Team gegebenenfalls in Konkurrenz treten? Um die Strategiefindung zu unterstützen und die Transparenz des Prozesses zu erhöhen, wurden durch den Moderator das Allgemeine Handlungsmodell sowie zentrale Erkenntnisse aus der Motivationspsychologie als theoretische Inputs eingebracht. Methodisch kamen in dieser Phase Kurzvorträge, Diskussionen und Kleingruppenarbeit zur Nutzenabwägung und zu Fragen der Mitarbeitermotivation zum Einsatz. Phase 2: Kooperation im Team Diese zweite Phase konzentrierte sich auf die Klärung, welche Einflüsse, etwa emotionaler oder interessenbedingter Art, die Effektivität der Arbeit in Gremien verringert. Ziel war es, die wichtigsten Störeinflüsse transparent zu machen und so weit wie möglich auszuräumen. Inhaltlich konzentrierte sich diese Phase daher in erster Linie auf folgende Fragen: – Wie sind die beruflichen Rollen (vgl. Theorieübersicht: Soziale Rollen, S. 356) der Teilnehmer definiert? Welches Rollenverständnis haben die Führungskräfte? Wie gehen sie mit der Rollenvielfalt ihrer Position um? Welche Rollenkonflikte sind typisch? – Von welchen Gremienentscheidungen sind die Mitarbeiter und Unternehmensbereiche betroffen? Durch die Einbeziehung psychologischer Theorien sollte das Durchlaufen dieser Phase erleichtert und die Qualität der Ergebnisse erhöht werden. Hierfür eigneten sich beispielsweise Theorien zur Entwicklung von Machtbedürfnissen (vgl. Kapitel 5), zu Führungskonzeptionen (vgl. Kapitel 6) und zur Funktionsweise von Arbeitsteams (vgl. Abschnitt 8.4 Und immer wieder aufs Neue – das Grundprinzip »vertrauensvolle Kooperation«, S. 336).
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Konflikte – Grundlage von Innovationen
Die methodische Umsetzung dieser Phase erfolgte auf der Basis von Kurzvorträgen mit anschließenden Diskussionen, dem Einsatz von Kreativitätstechniken sowie der Erarbeitung von Problemlösungen in Kleingruppen. Phase 3: Verbesserung der Kommunikation im Team Das zentrale Anliegen dieser Phase bestand darin, nicht nur die Fähigkeit der Workshopteilnehmer zum Austausch von Sachinformationen zu erhöhen, sondern sie auch für den Beziehungsaspekt in der zwischenmenschlichen Kommunikation zu sensibilisieren. Eine verbesserte Kommunikationsfähigkeit, die Fähigkeit zur Empathie im Gespräch sowie eine Steigerung der parallelen Informationsverarbeitung sollten den Prozess der Konsensfindung im Team erleichtern. Zur Realisierung dieser Ziele erhielten die Teilnehmer unter anderem theoretische Informationen über wichtige Modelle der Kommunikationspsychologie, über nützliche Fragetechniken und über die Einsatzmöglichkeiten der Moderationstechnik. Methodisch wurde diese Phase durch Kurzvorträge und Diskussionen in Kleingruppen gestaltet. Ebenso bestand die Möglichkeit zur Teilnahme an einem Einzeltraining mit anschließendem Feedback. Phase 4: Vereinbarung von Spielregeln Um die in den vorangegangenen Phasen erarbeiteten Grundlagen für eine positive Nutzung von Konflikten dauerhaft anwenden zu können, war es notwendig, im Team verbindliche Vereinbarungen und »Spielregeln« festzulegen. Zu diesen Vereinbarungen gelangte man über folgende Arbeitsschritte: – Endgültige Konsensfindung über die Ziele des Teams. – Abschätzung der Außenwirkungen zielbezogener Teamaktivitäten. – Erarbeitung von Kriterien zur Einschätzung der erreichten Ziele. – Vereinbarung über Folgeaktivitäten in Abhängigkeit der festgelegten Kriterien. In dieser Phase wurde die Goal-Setting-Theorie (vgl. Theorieübersicht: GoalSetting-Theorie, S. 202) vorrangig behandelt. Die praktische Durchführung der einzelnen Arbeitsschritte erfolgte unter Einsatz von Kleingruppenarbeiten, Moderation und Kreativitätstechniken. Nach einer Dauer von insgesamt vier Halbtagen wurde der Workshop mit einem Abschlussgespräch beendet.
8.
Die manchmal schwierigen Partner – Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
Bei vielen Hochschulabsolventen sind unzutreffende Vorurteile über die Rolle von Betriebsräten sowie über die psychologische und gesellschaftspolitische Bedeutung der Betriebsratsarbeit anzutreffen. Bei manchen bleibt diese Haltung auch noch nach vielen Berufsjahren bestehen, obgleich solche Vorurteile zuweilen zu recht inadäquaten Verhaltensweisen führen. Die Unkenntnis über die subjektive Weltsicht der »anderen Seite« dürfte bei Betriebsratsmitgliedern wesentlich schwächer ausgeprägt sein als beim Führungskräftenachwuchs. Dies liegt vermutlich daran, dass die meist lange Sozialisation der Betriebsräte im Unternehmen dazu führt, dass diese die Perspektive ihrer jeweiligen Vorgesetzten sowie die Perspektive des Unternehmens als Gesamtheit kennen lernen. Nicht selten stammen Betriebsratsmitglieder selbst aus der unteren Führungsebene. Ein konfliktförderndes Potenzial auf der Seite der Arbeitnehmervertretung findet man jedoch dann, wenn einzelne Personen sehr stark von Ideologien geprägt sind und wenn sie ihre Tätigkeit im Betriebsrat als eine Möglichkeit betrachten, wenigstens im Kleinen an der Umgestaltung des Kapitalismus zu einer sozialistischen Wirtschaftsordnung zu arbeiten. In solchen Fällen ist die Konfliktquelle nicht Unkenntnis, sondern eine prinzipielle Unverträglichkeit der Zielsetzungen zwischen den Verhandlungspartnern. Entsprechend ist eine Konfliktregelung durch Kompromiss nur sehr selten zugänglich (zu den Problemen eines solchen Vorgehens vgl. Theorieübersicht: Konfliktlösungsmodell von Thomas, S. 306). Es ist offensichtlich, dass eine wechselseitige Konfliktvermehrung den Interessen beider Verhandlungspartner schadet. In den folgenden Abschnitten werden einige psychologische Mechanismen dargestellt, deren Kenntnis die Kooperation erleichtern kann. Auf die für die praktische Arbeit im Unternehmen ebenfalls sehr wichtigen rechtlichen Grundlagen, auf die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes, wird dabei nicht eingegangen. Ausführliche Informationen zu diesem Punkt finden sich beispielsweise bei Halbach et al. (2000). Zunächst wird die Bedeutung (gelebter) Solidarität innerhalb von Organisationen und die Bedeutung der Arbeitnehmervertretung thematisiert (Abschnitt 8.1 Solidarität versus individuelle Durchsetzung – ein grundlegendes
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
Gegensatzpaar unseres Wertesystems). Anschließend werden psychologische Prozesse beschrieben, die dazu beitragen können, dass Gruppen, wie die Arbeitgebergebervertretung einerseits und die Arbeitnehmervertretung andererseits, sich zunehmend voneinander abschotten und »Blöcke« bilden. Diese Blockbildung kann die Entstehung gegensätzlicher Haltungen und Positionen begünstigen, was eine Einigung zum Teil als unmöglich erscheinen lässt (Abschnitt 8.2 Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung«). In Abschnitt 8.3 Psychologische Bedingungen unbefriedigender Verhandlungen, wird dargestellt, warum es trotz wohlgemeinter Versuche schwierig sein kann, Lösungen gemeinsam auszuhandeln. Weitere Aspekte, die die Verhandlungen zwischen der Arbeitnehmer- und der Arbeitgebervertretung erschweren können, werden in Abschnitt 8.4 Und immer wieder aufs Neue – das Grundprinzip »vertrauensvolle Kooperation«, beschrieben. Der abschließende Exkurs legt schließlich Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Unternehmensleitung und Betriebsrat dar.
8.1
Solidarität versus individuelle Durchsetzung – ein grundlegendes Gegensatzpaar unseres Wertesystems
Sobald Menschen soziale Gruppen bilden, gibt es ein grundlegendes Dilemma zwischen der Forderung »Jedem nach seinen Bedürfnissen« und »Jedem nach seiner Leistung« (zu den damit verbundenen Gerechtigkeitsvorstellungen vgl. Abschnitt 1.2 Subjektive Gerechtigkeit – ein problematischer Punkt zielorientierter Verhaltenssteuerung, S. 36). Zur Gewährleistung des Fortbestehens der Gruppe ist der Schutz der eventuell nur vorübergehend Schwächeren möglicherweise von nachrangiger Bedeutung. Er ist jedoch zur Stärkung des Sicherheitsgefühls der Gruppenmitglieder unverzichtbar. Dies gilt auch für die Stärkeren, da auch sie, etwa durch Krankheit, geschwächt werden könnten. Wird jedoch der Aspekt der Stärkung des subjektiven Sicherheitsgefühls zu stark betont, besteht die Gefahr, dass die Motivation der Individuen nachlässt, einen Beitrag zum Gruppenerfolg zu leisten: Die Bedürfnisbefriedigung erscheint ihnen unabhängig vom eigenem Tun mehr oder weniger gesichert. Eine solche Tendenz ist vor allem dann zu erwarten, wenn die Abhängigkeit des gesamten Gruppenerfolgs vom Einzelnen nicht oder nur sehr schwer erkennbar wird (vgl. Theorieübersichten zur Attribution in Abschnitt 2.3 Erklärungen als Teil der Menschenkenntnis, S. 88, und Ausführungen auf S. 163). Je größer die Gruppe und je weniger erkennbar der Beitrag der Individuen zum Gruppenergebnis ist, desto mehr ist mit einer solchen Demotivierung zu rech-
Solidarität versus individuelle Durchsetzung
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nen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Missbrauch von sozialen Leistungen, die bekanntlich aus einer »anonymen« Kasse bezahlt werden. Das Prinzip »Jedem nach seiner Leistung« fördert im Gegensatz dazu die persönliche Anstrengung. Es kann jedoch, wenn es als Prinzip verabsolutiert wird, zur Verweigerung der Unterstützung schwächerer Gruppenmitglieder führen und damit auch gegen die (längerfristigen) Interessen der leistungsstarken Individuen verstoßen. In praktisch allen Kulturen lassen sich Mischformen des Wertesystems nachweisen. Die abendländische Kultur ist überwiegend durch das Leistungsprinzip geprägt. In der Literatur werden dafür zwei wichtige Gründe genannt. Voraussetzung dafür, dass sich das Wettbewerbs- und Leistungsprinzip in gesellschaftlich legitimierter Form entwickeln kann, ist die Ausbildung oder das Vorhandensein in sich abgeschlossener sozialer Gruppen und Identitäten (Nationen, lokale Volksgruppen etc.). Die Bildung solcher sozialen Gruppen wurde durch die geografische Vielfalt Europas stark bedingt. Die ungleiche Ressourcenverteilung (Fruchtbarkeit der Ackerböden, Erzvorkommen) in Europa führt dazu, dass manche Gruppen über weniger Ressourcen verfügen als andere Gruppen und somit bestrebt sind, Zugang zu den Ressourcen der anderen Gruppen zu bekommen. Dies kann auf zwei Wegen erfolgen. Sofern sich eine Gruppe einer anderen Gruppe kämpferisch überlegen fühlt, besteht die Gefahr, dass sie dies durch kriegerische Auseinandersetzungen zu erreichen versucht. Gleich starke Gruppen dürften dagegen die andere Möglichkeit, nämlich den Handel, bevorzugen. Diese Form des Austausches ist jedoch von zwei wesentlichen Bedingungen abhängig: – Die eigene Gruppe muss selbst Ressourcen zur Verfügung stellen (können), und zwar in solchen Mengen und so kostengünstig, dass sie für die andere Gruppe interessant erscheinen. – Die Abgabe von Ressourcen führt nicht zu einem Mangel bei der eigenen Gruppe. So führen beispielsweise Staaten in der Regel nur dann Nahrungsmittel aus, wenn dadurch keine Nahrungsmittelknappheit bei der eigenen Bevölkerung eintritt. Dies setzt voraus, dass Überschüsse vorhanden sind oder produziert werden können. Diese beiden Bedingungen fördern »Leistung« in der Herstellung von Gütern über den unmittelbaren persönlichen Bedarf hinaus. Der Betonung des Leistungsprinzips, das auch als typisch für eine »bürgerlich« bezeichnete Ideologie auffasst wird, wirkt aber seit jeher den in so gut wie allen Religionen enthaltenen Forderungen nach Mitleid und Almosen für die Armen entgegen. Auch Rechtssysteme, vor allem aber soziale Gewohn-
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
heiten, sahen selbst bei Hörigkeits- oder Feudalverhältnissen eine »Fürsorgepflicht« der Mächtigen und Starken gegenüber den ihnen unterstellten Personen vor. Besonders ausgeprägt war diese Verpflichtung beispielsweise in der japanischen feudalstaatlichen Kultur, die auch heute noch wesentlich die Unternehmenskultur bei der Entscheidungsfindung, vor allem aber die besondere Fürsorgepflicht gegenüber der Stammbelegschaft, beeinflusst (vgl. Theorieübersicht: Theorie Z, S. 412). Offensichtlich wurde die tradierte Fürsorgepflicht in der Frühphase des Kapitalismus zu wenig beachtet. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die neue Schicht der »Mächtigen« zum überwiegenden Teil nicht aus der alten herrschenden Klasse kam. Auch die unüberlegte Übertragung bisheriger Arbeitsbedingungen (zum Beispiel die tägliche Arbeitszeit) kann eine große Rolle gespielt haben. So sind große Unterschiede in der Belastung eines ZwölfStunden-Arbeitstags bei traditioneller Arbeit im Handwerk gegenüber einem Zwölf-Stunden-Arbeitstag an den Maschinen in den Fabrikhallen der Gründerzeit anzunehmen. Spätestens seit der bismarckschen Sozialgesetzgebung (unabhängig von den auch stark parteipolitischen Überlegungen, die Bismarck dazu veranlasst haben mögen) besteht aber ein breiter gesellschaftlicher Konsens in Deutschland, dass auch in der kapitalistischen Wirtschaftsform Grundprinzipien der Solidarität einzuhalten sind. Die Bedeutung des Solidaritätsprinzips hat in den letzten Jahrzehnten gerade in Zusammenhang mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage im Allgemeinen und einer zunehmenden Verschlechterung der Lage am Arbeitsmarkt im Besonderen deutlich nachgelassen (vgl. zum Wertewandel Abschnitt 11.2 Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen, S. 401). Auch politische Entwicklungen werden als Grund für die zunehmende Entsolidarisierung betrachtet (Richter 1995; vgl. Anhut u. Schröder 2001). Dennoch sind nach wie vor Räume gelebter Solidarität in Betrieben feststellbar. Da viele Beschäftigte es als schwierig betrachten, sich als Einzelpersonen gegenüber dem Vorgesetzten durchzusetzen, tendieren sie dazu, auf die Solidarität anderer zurückzugreifen. Sie lassen ihre Interessen indirekt über den Betriebsrat (mit-)vertreten, was oftmals auch Erfolg versprechender erscheint. Für die Teilgruppe der so denkenden Beschäftigten, die sich heute nicht mehr eindeutig nach Hierarchieebene, Bildung oder Funktion definieren lässt, ist es eine akzeptierte Gruppennorm, sich vertreten zu lassen. Den Betriebsräten wird damit eine »Schutzfunktion« zugewiesen, die auch in übersteigerter Form ihr Selbstverständnis prägen kann. Im Gegensatz dazu ermöglichen Schulen und Universitäten so gut wie keine Erfahrungen gelebter Solidarität in der hier dargestellten, für die Konfliktsitua-
Solidarität versus individuelle Durchsetzung
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tion der Arbeitnehmervertretung mit dem Management typischen Weise. Zwar kann man durchaus in Gruppen lernen (analog zur Teamarbeit im Betrieb), in der eigentlichen Leistungs- oder Prüfungssituation ist aber prinzipiell jeder auf sich gestellt, oft sogar in Konkurrenz zu seinen Kollegen. Eine über die Lernleistung hinausgehende gruppenweise Interessenvertretung ist zwar organisatorisch vorhanden (Schülervertretung, AStA), entbehrt aber an Schulen und Universitäten eines Kampfmittels. So genannte »Streiks« oder andere Formen der Leistungsverweigerung (durch Studierende) lösen vielleicht kurzfristig eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit für Probleme aus, schädigen aber niemals die »Mächtigen«, sondern tendenziell nur die Lernenden selbst. Die Anforderungen der Prüfungen und schon gar der späteren Berufstätigkeit werden durch solche »Streiks« von Studierenden nicht beeinflusst, sodass die »verweigerte« Leistung irgendwann nachgeholt werden muss. Mit negativen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die »Gegenseite« ist im Gegensatz zu Streiks in Unternehmen nicht zu rechnen. Die Offenheit der Bildungssysteme und die freie Berufswahl verstärken überdies die Konkurrenzsituation zwischen den Schülern und den Personen, die in der Berufsausbildung stehen, und fördern die Bereitschaft, sich bei Bedarf auch individuell durchzusetzen. Beim typischen Führungskräftenachwuchs, also überdurchschnittlich durchsetzungsfähige und leistungsmotivierte junge Menschen, dürfte diese Bereitschaft von vornherein besonders stark ausgeprägt sein. Für diesen Personenkreis ist vor dem Hintergrund des Vertrauens in die eigene Durchsetzungsfähigkeit das unmittelbare Gespräch mit dem Vorgesetzten zur Vertretung der eigenen Interessen wesentlich nahe liegender als die Vertretung durch einen Gruppenrepräsentanten. Ein Sich-Vertreten-Lassen könnte als Schwäche ausgelegt werden, würde in vielen Unternehmen sicherlich sehr unangenehm auffallen und von den Vorgesetzten in der Potenzialeinschätzung für die Führungsqualität wohl überwiegend negativ bewertet werden. Der hier dargestellte Gegensatz zwischen Solidarität und individueller Durchsetzung ist eine wichtige Ausgangsbasis für die Missverständnisse zwischen Betriebsrat und Management. Diese treten besonders dann auf, wenn die Rollenzwänge des anderen nicht ausreichend beachtet werden. Die Abgrenzung voneinander wird zusätzlich durch eine Reihe psychologischer Determinanten verstärkt, etwa durch die Entwicklung von sozialer Identität.
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
Theorieübersicht: Soziale Identität
Die Theorie der sozialen Identität (s. Mummendey u. Otten 2002; Tajfel 1978, 1979; Turner 1975) beschäftigt sich mit Ingroup-Outgroup-Beziehungen als Grundlage für die soziale Differenzierung von Personen. Unter sozialer Identität wird derjenige Teil des Selbstkonzepts verstanden, der aus dem Wissen über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (unter Berücksichtigung der individuellen emotionalen Bedeutung dieser Zugehörigkeit) erwächst. Menschen sind bestrebt, sich Orientierung und Ordnung in ihrem sozialen Umfeld zu verschaffen und somit eine eigene soziale Identität aufzubauen. Dies lässt sich nicht durch Isolation erreichen, sondern nur durch den Vergleich der eigenen Gruppe mit anderen Gruppen. Fällt dieser Vergleich positiv aus, gewinnt das Gruppenmitglied eine positive soziale Identität und sein Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen Gruppe wird dadurch gestärkt. Besteht die Gefahr, dass sich die eigene Gruppe nicht positiv von den betrachteten Vergleichsgruppen abhebt, so gibt es die Möglichkeit, durch Fehlinterpretationen (in-group-bias) oder durch die Wahl einer »lower status group« als Vergleichsbasis eine positive Bewertung der eigenen Gruppe wieder aktiv herzustellen. Voraussetzung für den Vergleich ist das soziale Kategorisieren, das heißt das Segmentieren von Personen in Ingroups versus Outgroups, wie »Arbeitgebervertreter« versus »Arbeitnehmervertreter«. Die Existenz einer Ingroup-Outgroup-Differenzierung muss also gegeben sein, unabhängig davon, ob eine Konkurrenzsituation vorliegt oder nicht. Die Theorie geht davon aus, dass das Verhalten und die Beziehungen zu Mitgliedern anderer Gruppen stark von der sozialen Identität geprägt werden. Individuen verhalten sich demnach immer als Angehörige oder Repräsentanten ihrer jeweiligen sozialen Gruppe. Soziale Interaktionen sind vor diesem Hintergrund weniger durch die individuellen Beziehungen als vielmehr durch die Beziehungen zwischen den Gruppen geprägt. Die Homogenität innerhalb von Gruppen wird mit den sozial geteilten, das heißt auf sozialen Konsens begründeten Sichtweisen erklärt. Der Führungskräftenachwuchs ordnet sich aufgrund seiner eigenen Einschätzung und Werthaltung selbstverständlich dem Management zu und erfährt aus dieser Zuordnung heraus, bedingt durch die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Gruppe im Vergleich zu anderen Arbeitnehmergruppen, eine erhebliche soziale Aufwertung. Umgekehrt werden in Unternehmen vielfach Betriebsräte gewählt, die sich gerade nicht mit dem Management identifizieren und sich daher von dieser sozialen Gruppe in Vergleichsprozes-
Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten
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sen ebenso deutlich abgrenzen wie der Führungskräftenachwuchs von der Arbeitnehmervertretung (vgl. zur psychologischen Situation von Repräsentanten einer Gruppe S. 299). Die Abgrenzung der verschiedenen sozialen Gruppen wird zusätzlich durch Mechanismen verstärkt, die auf balancetheoretischen Modellen aufbauen (s. Abschnitt 2.2 Wahrnehmungsprozesse, S. 70). Die Ausarbeitung dieser Einflüsse erfolgt besonders im Rahmen der A-B-X-Theorie (s. Theorieübersicht: A-BX-Theorie, S. 80). Demnach suchen Personen bevorzugt symmetrische Beziehungen auf, das heißt Beziehungen, in denen die Einstellungen zweier Personen hinsichtlich eines Objekts in Wertung und Intensität gleichartig sind, da sich die zwischenmenschliche Koordination dann besonders einfach gestaltet. In Anbetracht der unterschiedlichen Werthaltungen, der tendenziell sich immer weiter auseinander entwickelnden Bewertungs- und Einstellungssysteme sowie der zumindest partiell objektiven Interessengegensätzlichkeit in Detailfragen, ist es psychologisch gesehen nicht verwunderlich, dass die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Management gelegentlich Schwierigkeiten bereitet. Dagegen überrascht immer wieder, in wie zahlreichen Unternehmen die Kooperation im Großen und Ganzen gut funktioniert. Dies dürfte eine Folge davon sein, dass die Basisinteressen beider Gruppen, nämlich ein sich am Markt erfolgreich behauptendes Unternehmen, übereinstimmen. Allerdings könnte in vielen Unternehmen, vor allem im mittelständischen Bereich, noch vieles getan werden, um die Zusammenarbeit zu optimieren.
8.2
Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung«
Gelegentliche, auch harte Auseinandersetzungen müssen kein Hindernis für eine langfristige, vertrauensvolle Kooperation sein. Schwierig wird die Situation allerdings, wenn nicht mehr über einzelne (prinzipiell im Konsens lösbare) Fragen gestritten wird, sondern sich die Auseinandersetzungen immer mehr verallgemeinern, nahezu alle Probleme letztlich nach einem Freund-FeindSchema behandelt werden und damit die Tendenz zur Bildung von miteinander kämpfenden Blöcken besteht. Die Gefahr einer solchen Entwicklung ist umso größer, je weniger emotionales Verständnis zwischen den beteiligten Gruppen besteht. Nach der Theorie sozialer Vergleichsprozesse wirken mehrere psychologische Mechanismen tendenziell in Richtung einer solchen Block- oder Gruppenbildung.
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
Theorieübersicht: Soziale Vergleichsprozesse
Kernaussage der Theorie sozialer Vergleichsprozesse (Festinger 1954; s. Goethals u. Nelson 1973; Frey et al. 1993; Hakmiller 1966; West u. Wicklund 1980; Wheeler 1966) ist, dass Menschen danach streben, eigene Meinungen und Fähigkeiten zu bewerten (»there exists in human organism a drive to evaluate his opinions and abilities …«, Festinger 1954, S. 117). Die Ursache für dieses Streben wird darin gesehen, dass neben der korrekten Einschätzung der Situation auch die richtige Einschätzung der eigenen Meinungen und Fähigkeiten eine wichtige Grundlage dafür ist, in sozialen Situationen adäquat handeln zu können. Die Theorie trifft eine Reihe weiterer Aussagen: – Bevorzugung von objektiven gegenüber sozialen Kriterien: Zur Einschätzung eigener Meinungen und Fähigkeiten stehen im Wesentlichen zwei verschiedene Arten von Kriterien zur Verfügung: Objektive Kriterien sind solche, die intersubjektiv überprüfbare Informationen liefern, wie die Ergebnisse eines Intelligenztests oder die pro Zeiteinheit gefertigte Stückzahl. Soziale Kriterien sind solche, die Informationen auf Basis eines Vergleichs zwischen Individuen liefern, zum Beispiel »ist intelligenter als« oder »arbeitet schneller als« (ohne dabei die absoluten Werte näher zu spezifizieren). Festinger geht davon aus, dass Menschen zur Einschätzung ihrer Meinungen und Fähigkeiten zunächst objektive Kriterien heranziehen und erst, wenn diese nicht zur Verfügung stehen, auf soziale Kriterien zurückgreifen. Stehen beide Kriterien nicht zur Verfügung, kommt es zu instabilen und unpräzisen Kognitionen. Personen sind dann für jede Art von Informationen (Feedback), die diese Unsicherheiten beseitigen könnten, besonders empfänglich. – Auswahl von Vergleichspersonen – die Ähnlichkeitshypothese: In der ursprünglichen Fassung der Theorie wird davon ausgegangen, dass Menschen zum Zweck des sozialen Vergleichs bevorzugt solche Personen auswählen, von denen sie annehmen, dass sie ähnlich leistungsstark sind. Empirische Untersuchungen deuten allerdings darauf hin, dass Menschen besonders die Personen auswählen, die ihnen in Merkmalen ähnlich sind, die einen identitätsstiftenden Charakter haben (zum Beispiel Geschlecht). Andernfalls orientieren sie sich an Merkmalen, von denen sie ausgehen, dass sie einen Einfluss auf die Leistung haben könnten (Alter, Anstrengung, Erfahrung). Die Tendenz, zu Vergleichszwecken ähnliche Personen auszuwählen, kann jedoch dann stark zurückgehen, wenn die Person davon ausgeht, bei diesem Vergleich schlecht abzuschneiden. Um ihr Selbstwertgefühl nicht noch weiter zu strapazieren, wird sie Vergleichspersonen heranziehen, von denen sie annimmt, dass diese noch schlechter abgeschnitten haben als sie selbst (»downward comparison«).
Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten
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– Streben nach Diskrepanzreduktion: Stellt eine Person im Rahmen eines sozialen Vergleichs fest, dass es in ihren Meinungen und ihren Fähigkeiten Unterschiede zu anderen relevanten (siehe Ähnlichkeitshypothese) Personen gibt, wird sie versuchen, diese Diskrepanz zu beseitigen. Da Gruppen allgemein nach einer größtmöglichen Uniformität streben, sind Personen, die sich mit Personen derselben Gruppe vergleichen, bemüht, mögliche Unterschiede auszugleichen. Das Streben nach Diskrepanzreduktion hängt jedoch einerseits stark von der Relevanz der betreffenden Fähigkeiten und Meinungen und andererseits von der Attraktivität der Gruppe ab. Zum Ausgleich bestehender Diskrepanzen bieten sich folgende Strategien an: a) Das von der Gruppe abweichende Individuum versucht, sich der Gruppe anzugleichen. b) Das von Gruppe abweichende Individuum versucht, den Gruppenstandard dem eigenen Niveau anzugleichen. c) Bei Misslingen beider zuvor genannten Strategien kann es zu einem Abbruch des Vergleichs kommen, indem das abweichende Individuum entweder von sich aus die Gruppe verlässt oder von der Gruppe ausgeschlossen wird. Ob jedoch eine Gruppe verlassen wird, hängt stark von deren Bedeutung, der grundsätzlichen Möglichkeit des Verlassens der Gruppe, dem individuellen Selbstwertgefühl und der Bedeutsamkeit der Unterschiede ab. Während der Ausgleich von Meinungsunterschieden im Wesentlichen von der Änderungsbereitschaft der beteiligten Personen abhängt, kann die Angleichung bestehender Unterschiede im Hinblick auf die Fertigkeiten schnell an »natürliche Grenzen« stoßen. – Streben, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern: Es wird postuliert, dass Menschen fortlaufend daran interessiert sind, ihre eigenen Fähigkeiten zu verbessern (»There is an unidirectional drive upwards in the case of abilities which is largely absent in opinions«, Festinger 1954, S. 124). Dies wird damit begründet, dass eine Steigerung der Fähigkeiten es ermöglicht, besser in der Umwelt agieren zu können. Dieses Aufwärtsstreben steht in gewisser Konkurrenz zum genannten Uniformitätsdruck. Eine einmal erreichte Uniformität innerhalb der Gruppe kann durch das Streben einzelner Individuen nach Verbesserung eigener Fähigkeiten wieder infrage gestellt werden. Das Aufwärtsstreben erhält auch den Wettbewerb zwischen den Individuen innerhalb der Gruppe aufrecht. Allerdings sind dem Streben nach Verbesserung eigener Fähigkeiten auch gewisse Grenzen gesetzt. Einerseits kann der Fall eintreten, dass das Aufwärtsstreben mit sozialen Sanktionen
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
belegt wird (Verwendung abwertend gemeinter Begriffe wie »Streber«), andererseits sind der Verbesserung von Fähigkeiten auch »natürliche« Grenzen gesetzt. Das von der Theorie postulierte Bedürfnis nach Bewertung eigener Meinungen und Fähigkeiten hat weit reichende Implikationen für die Bildung von Gruppen und organisationalen Strukturen. Die Segmentierung in viele (relativ homogene) Gruppen ermöglicht einer Organisation (und im weitesten Sinne auch einer Gesellschaft) die Koexistenz vielfältiger Meinungen und führt darüber hinaus zur Ausbildung eines Statussystems in Organisationen. Die Theorie kann helfen, verschiedene Phänomene im Betrieb zu erklären: Das Streben nach Homogenität innerhalb sozialer Gruppen führt dazu, dass sich Personen, die sich in Fragen der Mitarbeitervertretung aktiv engagieren, untereinander als ähnlich und daher zusammengehörig erleben. Dies betrifft natürlich auch diejenigen, die sich bewusst von ihnen vertreten lassen. Aufgrund des Ähnlichkeitspostulats unterbleiben Vergleichsprozesse mit typischen Arbeitgebervertretern. Solche Vergleiche werden allenfalls zu dem Zweck durchgeführt, die eigene Meinung gegenüber dieser gegnerischen Gruppe abzugrenzen. Der Vergleich mit den Arbeitgebervertretern zur Abgrenzung kann jedoch dazu führen, dass besonders leistungsstarke Personen nicht mehr die hierarchisch Gleichgestellten, sondern die unmittelbar übergeordneten Führungspersonen als Vergleichsgruppe wählen, wodurch sie der (solidarischen) Gruppenvertretung verloren gehen und »auf die andere Seite« wechseln können. Möglicherweise tragen hierzu auch moderne Verfahren der Potenzialbeurteilung bei, da sie die Bedeutung der sozialen Herkunft einer Person und die Bedeutung des Berufs- und Bildungsabschlusses für die Gruppenzugehörigkeit relativieren. Daraus ergibt sich die gesellschaftlich problematische Konsequenz, dass es zunehmend schwieriger wird, besonders kompetente Mitarbeiter für gewerkschaftliche oder betriebsratsbezogene Aufgaben zu gewinnen. Denn je mehr in dieser Hinsicht leistungsstarke Personen durch den zunehmenden Bedarf an Führungskräften und die vorhandenen Trainingsmöglichkeiten auf die »andere Seite« (entsprechend ihrer subjektiven Vergleichseinstellung) hinübergezogen werden, desto weniger Organisations-, Vertretungs- und Kampfpotenzial verbleibt den Mitarbeitervertretungen. Gleichzeitig wird die Gruppe der Mitarbeiter, die sich vom Betriebsrat unabhängig von den rechtlichen Bestimmungen auch wirklich »psychologisch« vertreten fühlt, tendenziell homogener und fördert somit eine »Blockbildung«. Diese wird durch den Uni-
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formitätsdruck weiter verstärkt. Die »Aufsteiger« werden früher oder später den Vergleich mit ihrer bisherigen Gruppe aufgeben. In gleicher Weise erfolgt natürlich auch (nach vorangegangenen »Bekehrungsversuchen«) eine psychologische Ausgrenzung des »Aufsteigers« durch die frühere Bezugsgruppe. Eine weitere Quelle der Fronten- und der Blockbildung liegt in den Bedingungen der informellen Kommunikation und den damit zusammenhängenden Tendenzen zur Korrektur von Meinungen, die von der Gruppennorm abweichen.
Theorieübersicht: Informelle Kommunikation
Schwerpunkt der Theorie der informellen Kommunikation (Festinger 1950; Festinger u. Thibaut 1951) ist die Herbeiführung von Uniformität mittels Kommunikation. Innerhalb von Gruppen gibt es einen »pressure to communicate«, das heißt einen Druck, Nachrichten unter den Gruppenmitgliedern auszutauschen. Die kommunizierten Informationen sollen dazu dienen, die Uniformität relevanter Urteile und Verhaltensweisen in der Gruppe zu erhöhen. Die Tendenz zur Kommunikation uniformitätsstiftender Informationen ist unter folgenden Bedingungen besonders ausgeprägt (vgl. Theorieübersicht: A-B-X-Theorie, S. 80): – Die Meinungen der Gruppenmitglieder divergieren stark. – Der Gegenstand (Ereignis, Objekt, Person), auf den sich die Meinungsunterschiede der Gruppenmitglieder beziehen, ist für die Existenz der Gruppe funktional. – Die Kohäsion der Gruppe ist groß. Ein einzelnes Gruppenmitglied wird besonders dann zum Austausch uniformitätsstiftender Informationen tendieren, wenn folgende Bedingungen gegeben sind (diese ähneln in gewisser Weise den bereits genannten): – Die Diskrepanz der Einschätzungen zu einem zentralen Thema zwischen der betreffenden Person und einem anderen Gruppenmitglied ist hoch. – Der Adressat, auf den sich die Kommunikation richtet, wird als erwünschtes Gruppenmitglied angesehen. – Es liegt eine hohe Erwartung bei der betreffenden Person (Kommunikator) vor, dass die Botschaft beim Adressaten eine Meinungs- oder Einstellungsänderung in die gewünschte Richtung bewirken wird.
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
Die Bereitschaft der Zielperson (Adressat), ihre von der Gruppennorm abweichende Haltung zu ändern, ist davon abhängig, – wie intensiv der Uniformitätsdruck in der Gruppe ist, – wie stark die Gruppenkohäsion und die Attraktivität ist, weiterhin ein Mitglied der Gruppe zu sein, – wie stark sich die individuellen Bedürfnisse des Adressaten in dessen Haltung widerspiegeln – und wie sehr sein Standpunkt dem einer anderen (alternativen) Gruppe entspricht. Die Behandlung und Beeinflussung abweichender Gruppenmitglieder durch einen legitimen Repräsentanten der Gruppe variiert je nach der erlebten Diskrepanz der gruppenrelevanten Meinungsunterschiede. Empirische Untersuchungen (Festinger u. Thibaut 1951) haben gezeigt, dass es eine umgekehrt uförmige Beziehung zwischen dem Ausmaß der Abweichung von der Gruppennorm und dem Ausmaß der Beeinflussungsversuche durch konservative Gruppenmitglieder gibt: Bis zu einem bestimmten Grad der Devianz nimmt der Umfang der gesendeten Botschaften zu; nach dem Überschreiten eines »kritischen Punktes« nehmen die Beeinflussungsversuche allerdings ab. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Angleichung mittels Kommunikation zu erreichen, geringer wird, je größer der Unterschied ist. Der Ausschluss eines Mitglieds aus der Gruppe ist besonders dann wahrscheinlich, wenn die Gruppe hoch kohäsiv und die diskrepant eingeschätzte Thematik für die Gruppe sehr relevant ist. Die beschriebenen Kernaussagen der Theorie informeller Kommunikation stellen die gruppenorientierte Grundlage für die kurz darauf konzipierte »Theorie der sozialen Vergleichsprozesse« (S. 322) dar, die als individuumsorientiertes Pendant charakterisiert werden kann. In einem Unternehmen entsteht nach dieser Theorie bei strittigen Fragen, bei denen auch Meinungsunterschiede innerhalb der Arbeitnehmergruppe bestehen, ein besonders hohes Streben nach Austausch uniformitätsstiftender Informationen innerhalb der Arbeitnehmergruppe. Die Konsequenz ist, dass Mitteilungen »von oben«, die vom Inhalt her geeignet sind, die Uniformität zu beeinträchtigen, unabhängig von ihrer sachlichen Richtigkeit weniger aufgenommen und damit weniger einstellungswirksam werden als Informationen, die in Richtung Gruppenhomogenität wirken. Zeigt ein Gruppenmitglied oder ein »Randmitglied« (etwa ein bestimmter Mitarbeiter der Personalabteilung) eine von der dominierenden Meinung abweichende Auffassung, wird mit ihm
Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten
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nur so lange diskutiert, bis sich herausstellt, dass die Meinungsdiskrepanz den »kritischen Punkt« überschritten hat. Gerade bei relevanten Themen finden bei zu großer Diskrepanz ein Abbruch der Kommunikation und eine Zuordnung dieses Menschen zur »Feindgruppe« statt. Diese Ausgrenzung führt ihrerseits zu einer skeptischen Bewertung der von dieser Person kommenden Informationen. Dieser Mechanismus erschwert wesentlich eine differenzierte Betrachtungsweise bei Auseinandersetzungen, obgleich er wegen der hohen Bedeutung, »geschlossen« aufzutreten, besonders aufseiten der Mitarbeitervertretung (aber nicht nur da!) ausgeprägt ist. Die Abwehr von Auffassungen, die der Gruppenmeinung widersprechen, wird noch dadurch begünstigt, dass für viele verhaltensrelevante Bereiche keine objektiven Fakten, sondern nur unterschiedlich bewertbare subjektive Einschätzungen möglich sind.
Theorieübersicht: Soziale Urteilstheorie
Schwerpunkt der sozialen Urteilstheorie (Social Judgement Theory) (Hammond et al. 1975; Brehmer 1976) sind Konflikte, die im Zusammenhang mit Beurteilungen und Entscheidungen durch Gruppen entstehen können. Die Social Judgement Theory versucht, die Entstehung interpersonaler Konflikte auf dem Hintergrund kognitiver (und nicht – wie bei vielen anderen Theorien – auf der Basis motivationaler oder sozialer) Prozesse zu erklären. Sie geht davon aus, dass es Situationen gibt, in denen die Einschätzung von Tatbeständen in erster Linie auf den subjektiven Einschätzungen der beteiligten Personen beruhen muss, da objektive Informationen nicht oder nur in geringem Ausmaß vorhanden sind. Das von einer Person gefällte Urteil stützt sich damit nicht nur auf eine Analyse der Ist-Lage, sondern resultiert aus spezifischen Erfahrungen der Personen. Ein interpersonaler Zugang zu den Beurteilungs- und Entscheidungskriterien ist daher oft nicht möglich. Die Einschätzungen sind von einer »Quasi-Rationalität« gekennzeichnet. Durch die Intransparenz des Urteilsverhaltens für außen stehende Personen ergeben sich für diese Interpretations- und Spekulationsspielräume, weshalb sich eine Person so und nicht anders entschieden hat. Es kommt zu einem interpersonalen kognitiven Konflikt. Da Spekulationen und Gerüchte zusätzlich das Misstrauen der am Entscheidungsprozess beteiligten Personen schüren, besteht die Gefahr, dass sich aus dem zunächst kognitiven Problem auch ein emotionaler Konflikt entwickelt. Die formale Grundlage der urteilstheoretischen Thesen besteht in der An-
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
nahme, dass es zwischen der Beurteilungsaufgabe und dem kognitiven System der Person eine Beziehung gibt, die sich anhand von mathematisch-statistischen Methoden (lineare Modelle, multiple Regression) und formalen Modellen der allgemeinen Psychologie (brunswiksches Linsenmodell) näher bestimmen lässt. Man geht davon aus, dass der Beurteilungsgegenstand aufgrund einer Reihe von Indikatoren (Hinweise, Einzelinformationen) eingeschätzt wird. Den Beurteilern und Entscheidungsträgern ist dabei allerdings weder die eigene Gewichtungs- und Beurteilungsstrategie bewusst, noch kennen sie die der anderen Entscheidungsträger. Um den Beurteilungskonflikt (vgl. Abschnitt 7.2 Unterschiedliche Handlungsentwürfe als Konfliktursache, S. 285) zwischen mehreren Personen einschätzen zu können, muss die Beziehung der kognitiven Systeme der Personen (Anteil der Beurteilungsübereinstimmung; Konsistenz der Systeme) näher betrachtet werden. Für systematische Unterschiede können im Wesentlichen zwei Quellen angenommen werden: – Die beteiligten Personen gewichten und »verrechnen« die eingegangenen Informationen und Indikatoren unterschiedlich. – Die Beurteilungs- und Entscheidungsheuristiken der Personen sind nicht konsistent. (Dieses ist besonders bei unsicherer Informationslage der Fall.) Die Inkonsistenz der Beurteilungsstrategien kann dazu führen, dass auch dann ein Konflikt zwischen den Entscheidungsträgern auftritt, wenn sich diese in der Sache prinzipiell einig wären. Bei Mitgliedern ständiger Entscheidungsgruppen, zum Beispiel Gremien, ist zu beobachten, dass sie mit der Zeit ihre persönlichen Gewichtungsregeln einander angleichen. Diese Angleichung bewirkt zwar oberflächlich eine soziale Anpassung, führt aber auch dazu, dass die Unsicherheit der einzelnen Entscheidungsträger (vgl. Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82) und die Gefahr der Fehlerhaftigkeit bei den nach den neuen Regeln getroffenen Entscheidungen anwächst. Viele zwischen dem Management und der Mitarbeitervertretung strittige Themen erfordern eine sachgerechte Einschätzung der Zukunft, damit es zu einer Übereinkunft kommen kann. Solche Einschätzungen können sich beispielsweise auf die allgemeine Konjunkturentwicklung, den vermutlichen Unternehmensgewinn (wenigstens für das nächste Jahr), das Verhalten der Konkurrenz (bei beabsichtigten Investitionen oder Schließung von Teilanlagen) oder auf zukünftige politische Rahmenbedingungen beziehen. Solche Prognosen sind nur auf der Basis der Verrechnung einer Vielzahl vorhandener Indikatoren erstellbar. Die Gewichtung und das Zusammenspiel dieser Informationsteile er-
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329
öffnet dabei einen breiten Interpretationsspielraum, der (schon zur Vorbereitung von Verhandlungspositionen) von den beteiligten Gruppen interessengeleitet ausgefüllt werden kann. Neben der taktisch eingenommenen, bewussten Pointierung von Zukunftseinschätzungen, die sich in einem offenen Gespräch möglicherweise noch relativ leicht aneinander angleichen ließen, spielen dabei auch Einschätzungen eine Rolle, die von einem langjährigen Konformitätsdruck herrühren und die von den Personen selbst als »echte« Wahrheiten und nicht als taktische Finesse erlebt werden. »Wahrheiten« sind nicht ohne weiteres verhandlungsfähig, weswegen man sich diesen durch Verhandlungen auch kaum annähern kann. Gerade in der Gremienarbeit (bei Sitzungen des Betriebsrats oder der Geschäftsleitung) werden sich mit der Zeit diese subjektiven Einschätzungen der sich als »In-Group« erlebenden Mitglieder einander angenähert haben und gewinnen dadurch – da die Bezugspersonen die gleiche Auffassung vertreten – zusätzlich an (subjektivem) Wahrheitswert. Wenn sich dieser Mechanismus aufschaukelt, stehen sich zu guter Letzt Verhandlungsteams in Sitzungen gegenüber, die in Kernfragen des Unternehmens von unterschiedlichen, aber gemäß der eigenen subjektiven Überzeugung für absolut wahr gehaltenen Positionen ausgehen. Das kann die Möglichkeit einer Konsens- und Kompromissfindung von Grund auf zunichte machen. Hierin könnte einer der Gründe liegen, warum im Betriebsverfassungsgesetz für viele Streitfragen die Möglichkeit der Anrufung einer Schiedsstelle vorgesehen ist. Denn diese hat als »neutrale Instanz« eine größere Chance, in ihrer Auffassung von »Wahrheit« von den Konfliktparteien akzeptiert zu werden.
8.3
Psychologische Bedingungen unbefriedigender Verhandlungen
Bei einer oberflächlichen Betrachtung der Problemsituation könnte man meinen, dass sich in einem vernünftigen Gespräch bei gutem Willen aller Beteiligten eigentlich stets ein im Interesse beider Seiten liegender Lösungsweg finden lassen sollte. Schließlich verfolgen beide Seiten in wesentlichen Fragen ein gemeinsames Ziel (Sicherung des Unternehmenserfolgs), und die zu findenden Vereinbarungen sollten den Zweck haben, den Gesamtnutzen aller Beteiligten zu erhöhen. So ist der Versuch einer Konfliktlösung durch das Herausarbeiten übergeordneter gemeinsamer Ziele eine oft sehr zweckmäßige Vorgehensweise (s. Theorieübersicht: Theorie des realistischen Gruppenkonflikts, S. 297, und mögliche Strategien der Konfliktlösung auf S. 308). Gerade bei Ingroup-Outgroup-Auseinandersetzungen werden diese mit dem Ziel geführt, dass beide
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
Parteien von einem Abschluss profitieren können, wenn auch nicht in gleich hohem Maß. Probleme könnten allerdings die Nutzendefinitionen bereiten. Verhandlungslösungen beziehen sich in der Regel nicht nur auf einen einzigen Aspekt, sondern umfassen mehrere Bereiche gleichzeitig. Die durch die Verhandlungslösung bereichsbezogenen Teil-Nutzenwerte lassen sich je nach Interessenlage unterschiedlich bewerten und miteinander verrechnen (s. Abschnitt 1.4 Nicht alles kann vernünftig sein – Grenzen rationaler Handlungssteuerung, S. 45). Auch kann bei einer emotional starken »Blockbildung« im Fall einer Ingroup-Outgroup-Auseinandersetzung die Tendenz bestehen, die relative Differenz zur anderen Gruppe im Verhandlungsergebnis möglichst zu vergrößern, auch wenn dies nur durch (möglicherweise auch unterschiedlich hohe) Verluste auf beiden Seiten erreicht werden kann. Diese Tendenz findet sich übrigens nicht nur bei Verhandlungen, die von Gruppenvertretern geführt werden, sondern – wie in Abschnitt 1.2 Subjektive Gerechtigkeit – ein problematischer Punkt zielorientierter Verhaltenssteuerung, S. 36, dargelegt – auch im individuellen Bereich (s. Tajfel 1979; Tajfel et al. 1971; Turner 1978). Für die Verhandlungsführung zwischen Mitarbeitervertretung und Management kann eine an der Differenz des relativen Verhandlungserfolgs (statt am absoluten Nutzen jeder Gruppe) festgemachte Zielsetzung dazu führen, dass der Verweis auf übergeordnete gemeinsame Interessen nicht mehr greift. Die Neigung zu einer solchen Strategie ist dann besonders groß, wenn das Machtgefälle hoch ist. Denn der »Unterlegene« kann dann unabhängig vom eigenen realen Gewinn wenigstens seine Fähigkeit zur Beeinträchtigung der Interessen des anderen unter Beweis stellen. Dies dürfte eine der Ursachen dafür gewesen sein, warum gerade bei (sowohl in rechtlicher als auch in organisatorischer Hinsicht) relativ schwachen Gewerkschaften, wie in Großbritannien in den siebziger Jahren, dysfunktionale Streiks sehr häufig waren. Sie wirkten sich sowohl auf das Unternehmen als auch auf das Einkommen und die Arbeitsplatzsicherheit der Mitarbeiter schädigend aus. Bei den wesentlich mächtigeren deutschen Gewerkschaften fehlte ein solches Verhalten stattdessen weitgehend. Auch wenn man sich gelegentlich über Verzögerungen oder sogar Verhinderungen von Arbeitsvorhaben bei der Personalabteilung ärgert, so hilft die starke rechtliche Stellung der Betriebsräte durch das Betriebsverfassungsgesetz doch, Verhandlungsergebnisse mit negativem Gesamtnutzen zu vermeiden. Neben diesen allgemein-strukturellen Bedingungen spielen bei der Verhandlungsführung aber auch individualpsychologische Komponenten eine große Rolle, besonders das Streben nach Selbstwerterhöhung der jeweiligen Verhandlungsteilnehmer. Gerade in wichtigen, formellen Gesprächen vertreten
Psychologische Bedingungen unbefriedigender Verhandlungen
331
die Kontrahenten nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern sind von Gruppen oder Institutionen als Repräsentanten delegiert, um die Wünsche der Gruppe so optimal wie möglich durchzusetzen (vgl. Abschnitt 7.4 Gruppen als Ursache von Konflikten, S. 296). Ein Versagen kann daher nicht nur objektive Nachteile (Ansehensverlust, Reduzierung der Chance auf Wiederwahl) zur Folge haben, sondern berührt auch tief das persönliche Selbstwertgefühl. Es gibt wohl nur wenige Menschen, denen es gleichgültig wäre, den Erwartungen der sie entsendenden Gruppe in schwierigen Verhandlungen nicht gerecht zu werden. Die grundlegenden Mechanismen des Selbstwertschutzes und der Selbstwerterhöhung werden in der folgenden Theorieübersicht dargestellt.
Theorieübersicht: Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung
Selbstwerttheoretische Aussagen lassen sich im Prinzip auf zwei Grundannahmen zurückführen (s. Dauenheimer et al. 2002): – Personen sind bestrebt, ihr Selbstwertgefühl zu schützen und zu erhöhen. – Das Bedürfnis nach Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung ist vom vorhandenen Selbstwertgefühl abhängig. Je geringer das Selbstwertgefühl einer Person ist, desto mehr ist sie motiviert, sich vor unangenehmen, selbstwertschädigenden Einflüssen zu schützen. Um das Bedürfnis nach Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung zu befriedigen, stehen einer Person unterschiedliche Strategien zur Verfügung. – Selektive Informationssuche: Personen selektieren positive Informationen bezüglich ihrer Fähigkeiten und Eigenschaften und vermeiden Informationen, die selbstwertbedrohend sein könnten. Es kommt zwar vor, dass Personen auch augenblicklich selbstwertbedrohliche Informationen aufnehmen. Dies geschieht allerdings nur dann, wenn sie für sich daraus langfristig positive Folgen, wie die Verbesserung der eigenen Fähigkeiten, antizipieren können. Positive Informationen, die mit dem Selbstwertgefühl der Person in Einklang stehen, werden nicht nur bereitwilliger gesucht, sondern auch günstiger (glaubwürdiger, zutreffender) beurteilt. In diesem Zusammenhang ist auch kennzeichnend, dass der Informationsträger, der die selbstwertbestätigenden und erhöhenden Informationen übermittelt, weitaus positiver, das heißt sympathischer und kompetenter, eingeschätzt wird als ein Übermittler selbstwertbedrohender Informationen. – Spezifische Wahrnehmung und Beurteilung eigener und fremder Merkmale
332
Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
(Eigenschaften, Leistungen): Hier können drei Strategien beschrieben werden. 1 Egozentrische Wahrnehmungsverzerrungen: Personen mit hohem Selbstwertgefühl neigen zu einer Überschätzung ihrer eigenen positiven Eigenschaften und zu einer Unterschätzung persönlicher Negativeigenschaften. Diese Sichtweise wirkt sich auch auf das Gerechtigkeitsempfinden (vgl. Abschnitt 1.2 Subjektive Gerechtigkeit – ein problematischer Punkt zielorientierter Verhaltenssteuerung, s. S. 36) der »selbstbewussten« Person aus: Sie überschätzt oft die materiellen oder immateriellen Aufwendungen, die sie in eine soziale Beziehung eingebracht hat. Für Personen mit geringem Selbstwertgefühl gilt das Gegenteilige: Sie tendieren eher dazu, ihre Leistungen und Anstrengungen zu negativ und zu gering einzuschätzen. 1 Selektive Gewichtung zentraler Urteilsdimensionen: Personen neigen zur Überbewertung der an sich selbst festgestellten positiven Eigenschaften. Diejenigen Eigenschaften und Fähigkeiten, die eine Person bei sich selbst als positiv bewertet, werden oft zum Vergleichsstandard mit anderen Personen erhoben. 1 Selbstwertschutz durch die negative Einschätzung anderer Personen (»downward comparison«): Personen wählen zum Zweck des sozialen Vergleichs (vgl. Theorieübersicht: Soziale Vergleichsprozesse, S. 322) solche Vergleichspartner oder -gruppen aus, die auf den salienten Beurteilungsdimensionen schlechtere Ergebnisse erzielen als sie selbst. Auf diese Weise schützen und erhöhen sie ihr eigenes Selbstwertgefühl. Diese Selbstwertschutzstrategie basiert auch auf der Orientierung an Vorurteilen: Nimmt die Person beispielsweise eine Bedrohung ihres Status wahr, so orientiert sie sich zum Zweck des Selbstwertschutzes an Stereotypen und Vorurteilen, die die selbstwertbedrohende Personengruppe abwerten und das Gewicht der negativen Information mindern. – Selbstwertdienliche Attribution von Erfolgen und Misserfolgen (vgl. S. 112): Personen sehen die Ursachen für ihren Erfolg in ihren persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten (Selbstwerterhöhung), die Ursachen für Misserfolg hingegen in externen Faktoren (Selbstwertschutz). Dieser psychologische Mechanismus wird auch als »self-serving-bias« bezeichnet. Selbstwertdienliche Attributionen finden darüber hinaus auch bei der Übernahme von Verantwortung für die Gruppenleistung statt: Ist die Gruppe erfolgreich, so schätzen die einzelnen Gruppenmitglieder ihren eigenen Beitrag zur Gruppenleistung sehr viel höher ein als bei einem negativen Ergebnis.
Psychologische Bedingungen unbefriedigender Verhandlungen
333
Die drei in der Theorie des Selbstwertschutzes und der Selbstwerterhöhung genannten Mechanismen erschweren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Einen weiteren oft anzutreffenden Mechanismus stellen die erheblichen Erinnerungseffekte selbstwertrelevanter Informationen dar. Diese Erinnerungseffekte können bei den Gesprächspartnern den Eindruck von Unzuverlässigkeit oder sogar absichtlichem Lügen erwecken: Menschen können von der Wahrheit ihrer vorgetragenen Meinung »Diese Position habe ich nie vertreten!« vollständig überzeugt sein, obgleich der Meinungswechsel möglicherweise erst wenige Stunden zurückliegt. Wie stark solche Erinnerungseffekte in Zusammenhang mit dem Bestreben nach Selbsterhöhung wirken können, zeigt eine (unvergessliche) Begebenheit mit dem Personaldirektor eines größeren deutschen Unternehmens. Im Anschluss an eine Präsentation, die von Mitgliedern des Betriebsrats sehr kritisch diskutiert worden war, erklärte der Personaldirektor einem externen Personalberater mit lauter, vor Emotion bebender Stimme: »Hier saß vor ein paar Wochen der … und hat gedacht, dass er sich als Betriebsrat Folgendes … herausnehmen kann. Und hier habe ich ihn fristlos entlassen, sofort, auf der Stelle!« Die Darstellung dieses Vorfalls war offensichtlich von innerer Überzeugung getragen. Es fiel dem Mann anscheinend überhaupt nicht auf, dass der »vor Wochen fristlos entlassene« Betriebsrat sich sehr lebhaft an der gerade stattgefundenen Diskussion über die Präsentation beteiligt hatte. Er hinterließ auch in keiner Weise einen »verschüchterten« Eindruck in seinem Verhalten gegenüber dem Personaldirektor. Der kurze zeitliche Abstand lässt es ausgeschlossen erscheinen, dass seitens des Personaldirektors eine absichtliche Fehldarstellung erfolgte. Hier setzten offensichtlich die in der obigen Theorieübersicht dargestellten Mechanismen ein. Auch wenn derartige Extremfälle selten sein dürften, sollte man bei zunächst unverständlichem Verhalten von Verhandlungspartnern an eine Wahrnehmungs- und Gedächtnisverzerrung der hier dargestellten Art denken – natürlich nicht nur aufseiten des Managements, sondern auch bei den Mitgliedern des Betriebsrates. Letztere scheinen solchen Verzerrungseffekten der Wahrnehmung und des Gedächtnisses vor allem dann zu unterliegen, wenn sich zwischen zwei Gesprächsterminen die »Beschlusslage« (in Gremien oder vonseiten der Gewerkschaft) geändert hat (vgl. die Theorieübersicht: A-B-XTheorie, S. 80). Ein weiteres Phänomen, das vor allem die emotionale Befindlichkeit von Verhandlungsteams massiv beeinträchtigen kann, sind plötzliche, durch den aktuellen Gesprächsverlauf nicht erklärbare aggressive Ausbrüche einzelner Partner. Vor allem die fehlende Passung zu der Gesprächssituation zerstört da-
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
bei das Verhandlungsklima. Bei sehr hitzigen Phasen der Diskussion oder bei besonders emotional berührenden Punkten gibt es eine Reihe von als (informell) zulässig angesehenen aggressiven Verhaltensweisen, auf die man in standardisierter Form reagieren kann. Bei unpassender, überraschend auftretender Aggression fehlen jedoch entsprechende Antwort-»Rituale«, sodass Unsicherheit oder ebenso irrationale Gegenaggressionen die Folge sein können. Eine Ursache für (aus der aktuellen Situation heraus) nicht verständliches aggressives Verhalten können subjektiv empfundene Freiheitseinschränkungen sein, auf die die Betroffenen mit Abwehr reagieren.
Theorieübersicht: Reaktanztheorie
Schwerpunkt der Reaktanztheorie (s. Brehm 1972; Dickenberger et al. 1993; Grabitz-Gniech u. Grabitz 1973; Wicklund 1974) sind die Reaktionen von Menschen auf subjektiv erlebte Freiheitseinengung. Fühlt sich eine Person in ihrer Verhaltensfreiheit eingeschränkt oder droht ihr eine solche Einschränkung, entsteht ein Bedürfnis, die bedrohte Freiheit wiederherzustellen. Man bezeichnet dieses Bedürfnis als »Reaktanz«. Für die weitere Darstellung der reaktanztheoretischen Annahmen soll folgende Situation aus der betrieblichen Praxis als Beispiel dienen: Ein neu eingestellter Außendienstmitarbeiter wurde einige Tage nach Aufnahme seiner Tätigkeit von seinem Vorgesetzten dazu angehalten, bei Kundenkontakten seine Kleidung dem offiziellen Erscheinungsbild der Firma anzupassen und sich entsprechend konservativ zu kleiden. Bis zu diesem Zeitpunkt zeigte der betroffene Mitarbeiter eine Vorliebe für auffallend bunte Hemden. Da er den Sinn dieser Weisung nicht einsehen konnte und sich in seiner persönlichen Freiheit eingeengt fühlte, war reaktantes Verhalten die Folge. Dieses kann folgende Formen annehmen: – Die Person missachtet die Faktoren, die ihre Freiheit bedrohen, und setzt ihr Verhalten in der bisherigen Weise fort. Der Außendienstmitarbeiter ignoriert den Einwand des Vorgesetzten und verändert seine äußere Erscheinung nicht. Oftmals wird allerdings auf eine solche Reaktion zugunsten einer indirekten, durch die einengende Instanz weniger gut kontrollierbaren Reaktanzhandlung verzichtet. – Die indirekte Wiederherstellung der Freiheit kann darin bestehen, dass die Person ein anderes Verhalten aus derselben Klasse wie das eingeengte realisiert. Der Außendienstmitarbeiter kommt zwar der Forderung nach, konservative Hemden zu tragen, wählt dazu allerdings auffällig bunt gemusterte Krawatten.
Psychologische Bedingungen unbefriedigender Verhandlungen
335
– Die Person kann versuchen, über subjektive (personinterne) Reaktanzreaktionen ihre bedrohte Freiheit wiederherzustellen. In der Regel handelt es sich hierbei um kognitive Umstrukturierungen, beispielsweise die Abwertung der eingeschränkten Verhaltensalternative (»erzwungene Einsicht«). Der Mitarbeiter sagt sich, dass bunte Hemden ohnehin nicht dem Modetrend entsprechen. – Reaktanzeffekte können sich allerdings auch direkt im Verhalten der Person manifestieren, beispielsweise indem sie auf die wahrgenommene Freiheitseinschränkung mit aggressivem Verhalten reagiert und so versucht, auf die reaktanzinduzierende Quelle Einfluss zu nehmen. Der Mitarbeiter reagiert auf die Weisung des Vorgesetzten mit einem entsprechenden Kommentar zu dessen Erscheinungsbild. Die sich direkt im Verhalten niederschlagenden Reaktanzeffekte werden jedoch von der sozialen Gruppe oft nicht akzeptiert. Wie man am Beispiel sieht, läuft die Person bei der Realisierung einiger Reaktanzreaktionen Gefahr, dass ihr reaktantes Verhalten durch Sanktionen von der freiheitseinengenden Instanz geahndet wird. Daher neigen Personen dazu, ihre Reaktanzreaktion solange zurückzuhalten, bis sich eine Gelegenheit ergibt, in der die Reaktanzreaktion »straffrei« offen zum Ausdruck gebracht werden kann. Die Intensität der Reaktanz ist unter anderem von folgenden Faktoren abhängig: – subjektive Wichtigkeit (Valenz) der Freiheit, – Umfang der bedrohten oder eingeschränkten Freiheit, – Stärke der subjektiven Überzeugung, vorher Freiheit gehabt zu haben, – individuelle Bereitschaft der Person, Reaktanzverhalten zu zeigen. Die in der Theorieübersicht zur Reaktanztheorie angegebenen Bedingungen für eine hohe Intensität der Reaktanz sind in vielen Situationen bei den Mitgliedern des Betriebsrates gegeben (zum Beispiel die Wichtigkeit des Themas, der Umfang der Einengung). Nicht selten werden innovative Vorschläge vonseiten des Unternehmens gerade bei Fragen der Personalarbeit von den Betriebsräten als eine Einschränkung von Freiräumen oder Gestaltungsmöglichkeiten empfunden. Diese Haltung ist auf der Basis von Ingroup-OutgroupEffekten (vgl. Abschnitt 8.2 Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung«, S. 321) psychologisch nahe liegend. Von den typischerweise zu erwartenden Gegenmaßnahmen kommt eine indirekte Wiederherstellung der Freiheit in Betracht (das Durchsetzen des Betriebsrates in einer anderen Frage zum Ausgleich eines Nachgebens im stritti-
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
gen Punkt) oder aggressives Verhalten. Wird dieses nicht sofort gezeigt, etwa wegen der Wichtigkeit der zu besprechenden Punkte, kann es später, wenn eine zur Realisierung des Aggressivitätswunsches »günstigere« Situation vorliegt, plötzlich auftreten. Eine »günstige« Situation kann beispielsweise vorhanden sein, wenn eine relative Entspannung zwischen den Konfliktparteien besteht und daher mit einer geringen Gegenwehr des Verhandlungspartners gerechnet wird. Oder auch im Fall eines unwichtigen Themas, sodass sich der Schaden aufgrund von Aggressivität in Grenzen hält. Die Kenntnis der hier dargestellten Mechanismen verhindert natürlich nicht ihre Wirksamkeit in konkreten Verhandlungssituationen. Man kann sich aber bemühen, sie in ihrer störenden Wirkung ein wenig einzuschränken. Wichtig ist, in entsprechenden Situationen möglichst emotionsfrei die Hypothese zu prüfen, ob die bei dem üblichen Alltagsverständnis nahe liegenden Erklärungen der Verhandlungsbeeinträchtigung tatsächlich zutreffen oder ob vielleicht mit einer Auswirkung der hier dargestellten Mechanismen zu rechnen ist. Im Übrigen treten diese Effekte natürlich nicht nur in Gesprächen zwischen Management und Betriebsrat auf, sondern sind ebenso für andere Formen der gruppenbezogenen Verhandlungsführung charakteristisch.
8.4
Und immer wieder aufs Neue – das Grundprinzip »vertrauensvolle Kooperation«
Die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Management wäre möglicherweise einfacher, wenn es nicht auf beiden Seiten laufend zur Bildung neuer sozialer Gruppen käme. Die Zusammensetzung des Betriebsrates ändert sich durch Ausscheiden und Neuwahlen mittelfristig immer wieder. Die »Verweildauer« der relevanten Verhandlungspartner aufseiten des Managements ist wegen Fluktuation oder Zuweisung neuer Aufgaben jedoch oft noch weniger stabil. Jede neue soziale Gruppenzusammensetzung bringt gleichzeitig den typischen Prozess der Gruppenstrukturierung mit sich, wie er in der folgenden Theorieübersicht skizziert ist.
Das Grundprinzip »vertrauensvolle Kooperation«
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Theorieübersicht: Bildung sozialer Gruppen
Schwerpunkt der Theorie sind die Prozesse, die eine funktionsfähige Gruppe konstituieren. Als »Gruppe« wird eine soziale Einheit definiert, die folgende Merkmale aufweist: – Die Anzahl der Mitglieder ist mindestens zwei. – Mitglieder einer Gruppe interagieren relativ häufig miteinander zur gleichen Zeit, am gleichen Ort. – Die Gruppenmitglieder haben untereinander von Angesicht zu Angesicht Kontakt (face-to-face). – Gruppen entwickeln eine eigene Identität (Wir-Gefühl, Zusammengehörigkeitsgefühl), indem ihre Mitglieder gemeinsame Ziele verfolgen und sich an gleichen Normen und Werten orientieren. Es gibt verschiedene Modelle, die den Ablauf der Gruppenbildung beschreiben. Zwei dieser Modelle werden hier vorgestellt.
Inhaltlich orientiertes Modell von Sherif (1968, 1969) Das Modell weist auf eine Reihe wichtiger Prozesse hin, die bei der Heranbildung einer funktionsfähigen Gruppe durchlaufen werden müssen. Die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Komponenten findet im Rahmen dieses Modells keine nähere Betrachtung. 1) Gruppengründung: Die Basis für die Gründung einer Gruppe ist die Motivation von Personen, durch die Formierung einer Gruppe und der damit verbundenen gemeinsamen Aktivitäten ihre Ziele zu erreichen. 2) Gruppenstrukturierung: In der Gruppe bildet sich ein Rollen- und Statussystem heraus, wobei zunächst die extremen Rollen (Führer versus Handlanger) und erst danach die mittleren Ränge (zum Beispiel Vorarbeiter) besetzt werden. 3) Herausbildung von Gruppennormen: Auf der Basis von Konsens oder Überzeugung werden »Spielregeln« für das soziale Miteinander in der Gruppe und in Bezug zu anderen Gruppen der sozialen Umwelt etabliert. Diese Regeln werden großteils informell und nur zu einem geringen Anteil formal kommuniziert. 4) Aufgabendefinition und Aufgabenerfüllung: Es wird versucht, die an die Gruppe herangetragenen oder die sich aus den Zielen der Gruppe selbst generierenden Aufgaben zu erledigen. Hierbei können die individuellen Bei-
338
Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
träge der Gruppenmitglieder, die Nutzung von Synergieeffekten aus den einzelnen Problemlösungsbeiträgen und die spezifische Organisation der Aufgabenerledigung eine wichtige Rolle spielen.
Phasenmodell der Gruppenentwicklung nach Tuckman (1965) Das Phasenmodell orientiert sich an den Vorgängen in nicht direktiv geführten Gruppen (Tabelle 21). Tabelle 21: Phasenmodell der Gruppenbildung Phase
Bezeichnung
Gruppenstruktur
Aktivität der Gruppe zur Aufgabenerledigung
1
Formierung (»forming«)
Unsicherheit gegenüber Situation; Erprobung situationsadäquaten Verhaltens; starke Orientierung an der Person des Führenden
Formulierung von Gruppenzielen; Definition von Regeln; Festlegung von Verfahrensweisen
2
Sturm und Drang (»storming«)
Furcht vor Freiheitseinengung; Emotionale Ablehnung der Konflikte zwischen den Grup- Aufgabenanforderungen penmitgliedern; Rebellion gegen den Führenden; Herausbildung eines Wir-Gefühls
3
Normierung (»norming«)
Bildung von Gruppennormen; Toleranz unter den Gruppenmitgliedern; Lösungsansätze für interpersonale Probleme
4
Aufgabenerledigung (»performing«)
Stabilisierung der Rollenstruk- Bewertung von Lösungstur; Instrumentalisierung von möglichkeiten; sachgerechte Rollenanforderungen im Aufgabenerledigung Sinne der Aufgabe
Offener Informationsaustausch; gezielter Ressourceneinsatz; Kooperation
Während der Phase der »Formierung« werden Grundsatzpositionen diskutiert und neue Konzepte als Möglichkeit in den Raum gestellt. Diese werden aber aufgrund der Unsicherheit gegenüber der neuen Situation selten in konkrete Lösungen oder Vereinbarungen übertragen. Die »Sturm- und Drangzeit« ist oft durch Konflikte innerhalb der Gruppen geprägt. Nicht selten wird die jeweilige Gegenseite auch zur Durchsetzung der eigenen Position in der »InGroup« instrumentalisiert. Eine wirklich zielbezogene Aufgabenerledigung ist in dieser Phase kaum möglich. Erst allmählich setzt die Phase der Normierung ein, nach der (endlich!) eine echte Aufgabenorientierung erfolgen kann. Zum
Das Grundprinzip »vertrauensvolle Kooperation«
339
vollständigen »Lebenszyklus« einer Gruppe gehört auch die Auflösung der Gruppe. In der so genannten Auflösungsphase (»adjourning«) werden die Aufgaben abgeschlossen und die bestehenden Beziehungen allmählich gelockert. Die einzelnen Phasen der Gruppenentstehung können bis zu mehreren Monaten andauern. Da die personellen Wechsel aufseiten der beiden Verhandlungsparteien im Allgemeinen zeitlich nicht aufeinander abgestimmt sind, folgt aus diesem Phasenmodell, dass die Zeitdauer, in der in beiden Gruppen gleichzeitig eine Aufgabenorientierung vorliegt, verhältnismäßig kurz ist. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich besonders für Unternehmer, die die verantwortlichen Manager routinemäßig austauschen, etwa in einem Dreijahreszyklus, wie es in amerikanisch geführten Konzernen oft der Fall ist. Das für ein kooperatives Verhandlungsverhalten wichtige wechselseitige Vertrauen wird im Wesentlichen dann entstehen, wenn beide Gruppen sich in der Phase der Aufgabenorientierung befinden und erleben, dass sie gemeinsam effizient zu Lösungen kommen, die für alle Beteiligten wünschenswert sind. Gerade dies wird jedoch durch einen zu häufigen Wechsel verhindert. Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass ein zu seltener Austausch zwischen den Personen gerade bei einer Blockbildung (vgl. Abschnitt 8.2 Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung«, S. 321) nur geringe Innovationschancen bietet. Neben dem Grundsatz »Never change a winning team« sollte die Notwendigkeit einer sorgfältigen Einarbeitung der neuen Gruppenmitglieder in den aktuellen Diskussionsstand auf beiden Seiten besonders beachtet werden. Im Übrigen verweisen auch Erfahrungsberichte aus der Praxis, wie im folgenden Exkurs dargestellt, auf die hohe Bedeutung eines gegenseitigen Vertrauens.
Exkurs: Gestaltungsmöglichkeiten der Zusammenarbeit von Unternehmensleitung und Betriebsrat (n. Zander 1986)
Obwohl im Wesentlichen die gesetzlichen Regelungen der Betriebsverfassung dem Betriebsrat zahlreiche Mitbestimmungsmöglichkeiten einräumen, ist das Betriebsverfassungsgesetz auch ein Schutzrecht für den Arbeitgeber und somit eine Basis für die Gestaltung der Kooperation von Unternehmensleitung und Betriebsrat. So legt §77 Abs.1 BetrVG das Direktionsrecht der Unternehmensleitung fest, das heißt ein Organisationsrecht sowie die Zuständigkeit für die Planung und Durchführung von Entscheidungen. Im Gegensatz hierzu gibt es kein »Mitdirektionsrecht« des Betriebsrates. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates gelten nur für personal- und sozialpolitische Grundsatzentscheidungen.
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
Als Mitglied des Vorstands der Reemtsma Zigarettenfabriken GmbH (Hamburg) zuständig für Personal und Verwaltung schätzte Prof. E. Zander die Gestaltungsmöglichkeiten für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat 1986 wie folgt ein und hebt zwei Faktoren als Basis für den Gestaltungsspielraum der Unternehmensleitung hervor. – Beachtung der gesetzlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrates: Die Grundlage für eine wirkungsvolle Gestaltung der Zusammenarbeit von Management und Betriebsrat besteht in der umfassenden Kenntnis der gesetzlich festgelegten Beteiligungsrechte, ihrer Extensionen und Grenzen. Ein in der Praxis erstaunlich oft zu beobachtender Fehler des Managements besteht nach Zanders Meinung darin, dass dem Betriebsrat unbewusst zu viele Einflussmöglichkeiten, die weit über die Gesetze hinausgehen, eingeräumt werden. Dieser Fehler kann dahingehend irreparabel sein, dass »der Betriebsrat in der Regel an seinen ›wohlerworbenen‹ Besitzständen festhält und die gewonnene Position nicht räumen will. Der betriebliche Konflikt ist da«. Das heißt jedoch nicht, dass das Management prinzipiell versuchen sollte, den Einfluss und die Einbeziehung des Betriebsrates auf dem geringstmöglichen Niveau zu halten. Eine intendierte Einbeziehung des Betriebsrates über das gesetzliche Maß hinaus kann personalpolitisch durchaus sinnvoll sein. Als Beispiel führt Zander die verstärkte Einbeziehung des Betriebsrates bei der Reemtsma-Gruppe im Bereich der betrieblichen Ausund Weiterbildung an: In diesem Bereich wird dieser nicht nur in die Konzeption und Steuerung, sondern auch in die Durchführung entsprechender Maßnahmen einbezogen. Dies geschieht in der Form, dass die Reemtsma GmbH gemeinsame Seminare für Führungskräfte, Betriebsräte und Aufsichtsratsmitglieder anbietet oder indem Betriebsratsmitglieder in Seminaren als Trainer eingesetzt werden. – Art der Zusammenarbeit mit dem Betriebspartner: Neben der Ausgewogenheit gesetzlich vorgegebener Rechte und Pflichten ist für die Gestaltung der Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ein weiterer Faktor von ebenso großer Bedeutung: die vertrauensvolle Zusammenarbeit beider Betriebspartner. »Vertrauensvolle Zusammenarbeit meint den Willen zum Ausgleich und das Streben nach ausgewogenen Lösungen durch gleichwertige Partner. Wer seinen Betriebsrat lediglich als notwendiges Übel behandelt, darf sich nicht wundern, wenn dieser aus dem dadurch vermittelten Minderwertigkeitsgefühl heraus Dienst nach Vorschrift macht.« Des Weiteren betont Zander, dass der Stil der Zusammenarbeit und die Art, wie die Unternehmensleitung den Betriebsrat behandelt, einen nachhaltigen Einfluss auf dessen Aktionen und dessen Selbstverständnis ausübt: »Wer seinen Partner nicht
Das Grundprinzip »vertrauensvolle Kooperation«
341
ernst nimmt oder versucht, ihn … über den Tisch zu ziehen, oder wer ihn im Ungewissen lässt, darf sich über einen ängstlich am Gesetz klebenden Betriebsrat nicht wundern. Eine solche Betriebsvertretung wird keine Rechtsposition aufgeben, und sei sie noch so belanglos. Nur ein kenntnisreicher, selbstbewusster und vom Unternehmen geachteter Betriebsrat … wird seine Entscheidungen selbst treffen, im Bewusstsein, dass er – zusammen mit dem Arbeitgeber – Hauptorgan der Betriebsverfassung ist und nicht die Gewerkschaft.« Für die Entwicklung von Vertrauen ist neben der persönlichen Informationsdichte die Machtdistanz (s. Abschnitt 5.3.2 Reduktion von Machtdistanz als Motivator, S. 228) und der Entwicklungsstand der Gesprächspartner hinsichtlich ihres Reifegrads der Machtausübung (s. Theorieübersicht: Reifestadien der Macht, S. 232) von hoher Bedeutung. Personen, die sich auf der ersten Stufe ihrer Machtentwicklung befinden, kommen als selbständige Verhandlungspartner nicht infrage, da sie von der jeweiligen Gegenseite höchstens als Informationslieferant, nicht aber als Entscheidender akzeptiert werden. Die Phase des »Eroberers« ist aufgrund der Kombination von hohem Durchsetzungsstreben mit (noch) unzureichender Hemmung und Kontrolle der Machtausübung nur in speziellen Konfliktsituationen zweckmäßig. Meistens sind Verhandlungspartner auf dieser Entwicklungsstufe einer Konsensfindung eher abträglich. Es ist daher wichtig, dass zumindest die (formellen oder informellen) Verhandlungsleiter beider Seiten die letzte Entwicklungsstufe bereits erreicht haben oder sich in der Phase des »Herrscher«-Zustands schon relativ weit dem letzten Schritt angenähert haben. Eine weitere unverzichtbare Vertrauensgrundlage ist ein offener wechselseitiger Informationsaustausch. Diesem stehen aber nicht nur organisatorische Regelungen entgegen, sondern auch die Notwendigkeit, interne Überlegungen aus verhandlungstaktischen Gründen erst zum richtigen Zeitpunkt an die Gegenseite weiterzugeben. Ferner wird die Weitergabe von Informationen nur bei einem prinzipiell guten emotionalen Klima akzeptiert und wechselseitig verstanden. Das Zurückhalten von Information kann zu massiven Verstimmungen zwischen den Verhandlungsparteien führen. Diese können dann auftreten, wenn aus Sicht des potenziellen Informationsempfängers Informationen vorwiegend aus »sozialen« Gründen zurückgehalten werden, etwa zur Machtausübung oder Selbstaufwertung, und wenn durch diesen mangelnden Informationsaustausch eine Lösung »in der Sache« wesentlich behindert wird.
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Kooperation von Management und Arbeitnehmervertretung
Theorieübersicht: Güter-Theorie
Die Güter-Theorie (Commodity Theory; Brock 1968) beschäftigt sich mit der Veränderung der Bewertung von Objekten. Jedes Gut wird danach bewertet, wie reichlich es zur Verfügung steht. Je knapper es ist, desto mehr muss sich eine Person anstrengen, um es zu erhalten, und desto höher wird es bewertet. Allein schon die (antizipierte) Bedrohung der Nicht-Verfügbarkeit eines Gutes wird von Personen, die dieses Gut anstreben, als unangenehm empfunden. Bei »Gütern« muss es sich nicht zwangsläufig um materielle Dinge handeln. Auch immaterielle Aspekte wie Informationen oder Erfahrungen werden als »Güter« betrachtet. Unter folgenden Bedingungen bekommt beispielsweise eine Information einen besonders hohen Wert beigemessen: – Die Information ist nur unter starkem Druck auf den Informationsträger verfügbar. – Die nach der Information strebende Person muss sich besonders anstrengen, um diese zu erhalten und sie für sich nutzbar zu machen (»streng vertrauliche« Mitteilung). – Die Person muss besonders lange warten, bis sie die Information erhält. – Es gibt viele wichtige Gründe, die Information geheim und für andere Personen unzugänglich zu machen. – Der Empfänger nimmt wahr, dass es nur eine geringe Anzahl an Personen gibt, die die gleiche Information haben. – Die wahrgenommene Anzahl derjenigen Personen, die auch nach der betreffenden Information streben, sinkt im Verhältnis zu der Gesamtzahl der potenziellen »Konkurrenten«. – Die Mühe für den Informationsträger, die Information zurückzuhalten oder zu übermitteln, ist besonders groß. Eine Wirkung auf das Verhalten und auf die Einstellungen entwickeln »Güter« wie Informationen jedoch nur unter folgenden Bedingungen: – Die Person muss potenziell dazu imstande sein, das Gut zu besitzen. – Das Gut muss für die Person erstrebenswert erscheinen, das heißt, es muss für die Person eine spezifische Valenz haben. – Das Gut muss übertragbar sein, das heißt den Besitzer wechseln können. Einen besonderen Stellenwert erhält die Güter-Theorie bei zusätzlicher Berücksichtigung der Aussagen der Reaktanztheorie (s. Theorieübersicht: Reaktanztheorie, S. 334). Demnach wird ein Gut dann für eine Person besonders wichtig, wenn die Person durch die Knappheit oder Nichtverfügbarkeit des
Das Grundprinzip »vertrauensvolle Kooperation«
343
Gutes ihre persönliche Wahlfreiheit als eingeschränkt wahrnimmt. In der betrieblichen Personalpraxis ist somit dann mit entsprechenden Reaktanzreaktionen der Mitarbeiter zu rechnen, wenn das Unternehmen eine stark restriktive Informationspolitik betreibt. Ähnliches gilt, wenn den Mitarbeitern das (in der Regel knappe) Gut »Macht« nur in geringem Ausmaß zur Verfügung gestellt wird und ihnen geringe Gestaltung- und Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt werden. Eine »gute« Information wird für den Besitzer (Informationsträger) umso wichtiger, je mehr Personen als Interessenten infrage kommen, je weniger diese Information verfügbar ist und je höher der Aufwand ist, um an die Information zu kommen. Alle drei Aspekte werden maximiert, wenn sich der Informationsinhaber auf Andeutungen beschränkt (um das Interesse zu gewinnen), sein Wissen aber nicht weitergibt oder nur einem kleinen, zur Verschwiegenheit verpflichteten Personenkreis mitteilt. Als Konsequenz sind gerade vor dem Hintergrund der Reaktanztheorie (s. Theorieübersicht: Reaktanztheorie, S. 334) massive Verstimmungen die Folge. Diese können sich zusätzlich noch durch die häufig verzerrte Vermittlung des eigentlichen Sachverhalts erhöhen. Diese Verzerrungen gehen oft nicht auf Informationsfehler an sich zurück, sondern haben ihre Ursachen vielfach in einer interessengeleiteten, zielgerichteten Veränderung der Inhalte. Leider fällt es vielen Personen auf beiden Seiten schwer, auf die Ausnutzung eines Informationsvorsprungs zur Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls, des (vermeintlichen) Ansehens oder der Chance zur Machtausübung zu verzichten. Auch dies fällt bei einem gewissen Erfahrungs- und Reifegrad wesentlich leichter als in der beruflichen Aufbauphase. Ob es sich dabei um eine Tätigkeit im Management oder im Betriebsrat handelt, erweist sich dabei als gleichgültig.
9.
Effiziente Organisationsstrukturen – vor allem eine psychologische Gestaltungsarbeit
Man kann das Problem der Organisationsgestaltung in Unternehmen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Ein Techniker wird sich wahrscheinlich vornehmlich mit Fragen des Materialflusses beschäftigen, ein Betriebswirt mit Aspekten wie Zuständigkeiten, Informationssysteme und Entscheidungskompetenzen, während ein Jurist ein rechtlich korrektes Entscheidungssystem in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellen wird. Alle diese für den Unternehmenserfolg unverzichtbaren organisatorischen Regelungen funktionieren aber de facto nur, wenn sich die Mitarbeiter gemäß dem abstrakten Organisationsplan verhalten und die nicht allgemein geregelten oder faktisch nicht regelbaren Freiräume im Sinne des Unternehmens nutzen und somit aktiv zum Erfolg des jeweiligen Systems beitragen. Dies ist in keiner Weise selbstverständlich und nicht durch einfache »Weisung« zu erzwingen. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Mitarbeiter die gewählte Organisationsform akzeptieren und so auch ihre eigenen (beruflichen) Interessen verfolgen können. In diesem Sinne wird die Frage der Unternehmensorganisation zu einer psychologischen Gestaltungsarbeit.
9.1
Das Unternehmen – ein offenes, komplexes System
Gerade aus technischer und betriebswirtschaftlicher Sicht liegt es nahe, Organisationspläne mit dem Ziel zu erstellen, die Wirklichkeit des Unternehmens mit einem ausreichenden Annäherungsgrad abzubilden. Sicher sind solche Basispläne notwendig, um eine gewisse Übersichtlichkeit der Unternehmensstruktur zu gewährleisten. Faktisch ist aber jedes Unternehmen ein offenes Gebilde, das aus einer Vielzahl von sich wechselseitig ergänzenden (gelegentlich auch bekämpfenden) und interagierenden Subsystemen besteht. Aus diesem Grund sind dynamische Modelle zur Abbildung eines Unternehmens unverzichtbar. Die wichtigsten Aspekte eines offenen Systems finden sich in der folgenden Theorieübersicht.
346
Effiziente Organisationsstrukturen
Theorieübersicht: Offene Systeme
Bei der Theorie offener Systeme (s. Greif 1983; Katz u. Kahn 1978) geht es um die Beziehungen innerhalb und zwischen den jeweiligen Teilsystemen eines Unternehmens. Unternehmen lassen sich als offene Systeme verstehen, die mit ihrer Umgebung in einem ständigen Austauschprozess (etwa von Ressourcen) stehen. Unternehmen als offene Systeme weisen unabhängig ihres Komplexitätsniveaus bestimmte Merkmale auf: – Aufnahme von Ressourcen (Rohmaterialien, Mitarbeiter, Know-how) aus der externen Umgebung. – Veränderung des Inputs, um ein bestimmtes Ergebnis (Produkte, Dienstleistungen) zu erzielen. – Abgabe der produzierten »Güter« an die Umwelt. – Vorliegen gleich bleibender Umwandlungsprozesse, um die aufgenommenen Ressourcen im Sinne der Unternehmensaufgabe zu transformieren. – Maximierung des Verhältnisses von aufgenommenen Ressourcen zur Menge der erstellten »Produkte« oder Minimierung des Inputs bei Aufrechterhaltung des Outputs. – Beschränkung der Informationsaufnahme auf das Wesentliche. – »Dynamischer Ruhezustand«, das heißt, das System strebt nach einer fortschreitenden Optimierung, ohne allerdings seine wesentlichen Merkmale zu verändern. – Entwicklung des Systems in Richtung einer zunehmenden Differenzierung und Aufgabenspezialisierung. – Koordination differenzierter Systeme durch gemeinsame Normen und Werte sowie durch Kontrollen. – Flexibilität bei der Zielverfolgung (»Equifinalität«). Unternehmen spalten sich funktional in verschiedene Teil- und Untersysteme auf, die zur Erfüllung der Unternehmensaufgabe sinnvoll koordiniert werden müssen: – Hauptaufgaben produktiver/ökonomischer Systeme sind die Produktion von Gütern oder Dienstleistungen und die Mehrwertbildung. Beispiel: Produktionsabteilung des Unternehmens. – Hauptaufgaben von Aufrechterhaltungssystemen sind das Herantragen von Rollenerwartungen an die Mitarbeiter und die Erhaltung der sozialen Ordnung. Beispiel: Ausbildungs-/Weiterbildungsabteilung.
Das Unternehmen – ein offenes, komplexes System
347
– Hauptaufgaben adaptiver Systeme sind die Ideenfindung und Erarbeitung von Problemlösungen. Beispiel: Unternehmensleitung; Führungskräfte. Ein Unternehmen als offenes System kann eine Koordination und Integration seiner Teilsysteme (Abteilungen, Divisionen, Stabstellen) erreichen: Die verschiedenen Rollen der Mitarbeiter müssen dazu funktional aufeinander bezogen werden, die Rollenerwartungen müssen mit Normen kombiniert werden und das Unternehmen muss seine Werte und Ziele transparent machen und für Mitarbeiter als verbindlich erklären (vgl. Kapitel 11). Jedes Teilsystem eines Unternehmens entwickelt seine eigenen Interessen und Ziele. Daher ist es entscheidend, das Gesamtsystem so zu gestalten, dass es nicht zu einer Kollision der »Eigeninteressen« der jeweiligen Subsysteme kommt. Stattdessen sollten die Subsysteme so zusammenwirken, dass der gewünschte Effekt gesichert und eine optimale Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems gewährleistet ist. Dies gilt in gleicher Weise innerhalb der einzelnen SubOrganisationssysteme auch für die Mitarbeiter. Daher sollte jedes Teilsystem und jeder Mitarbeiter die Ziele des gesamten Unternehmens kennen und bereit sein, sich diese zu Eigen zu machen. Hierzu ist erforderlich, dass die Ziele und die Bedeutung der individuellen Beiträge zur Zielerreichung für die Mitarbeiter transparent sind. Nur wenn Mitarbeiter abschätzen können, welche Handlungen für den Gesamtzusammenhang effizient sind, können sie angemessene Verhaltensweisen wählen (vgl. Abschnitt 3.2 Handlungsfolgen als Motivationsgrundlage, S. 129). Man kann versuchen, das Zusammenspiel der einzelnen Organisationseinheiten durch streng definierte »Funktionen« und institutionalisierte Verfahrenskontrollen sicherzustellen, wie es »bürokratische« Strukturen postulieren. Es ist jedoch wesentlich effizienter und entspricht um vieles mehr einer modernen Auffassung von Unternehmenskultur, wenn eine weitgehende Zielkompatibilität der Einzelinteressen mit den Unternehmenszielen angestrebt wird. Eine solche Konzeption ist umso wichtiger, je schwieriger die Kontrolle und Sanktionierung von Verhalten durch eine zentrale Instanz ist (vgl. S. 183). In der nächsten Theoriedarstellung geht es um bevorzugte »Denkweisen« in offenen und geschlossenen Systemen.
348
Effiziente Organisationsstrukturen
Theorieübersicht: Netzwerkmodell des Handelns
Die Organisation von Wissen stellt man sich in Form von Schemata vor (s. Wessels 1984), die hierarchisch gegliedert sind (etwa Obst als Oberbegriff für Apfel und Birne; s. Abbildung 38 am Beispiel von möglichen Strategien des Lernens).
Abbildung 38: Hierarchische Organisation von Wissensinhalten
Zur Erläuterung der in der Abbildung verwendeten Begriffe soll folgendes Beispiel dienen. Ein Büromitarbeiter hat das Unternehmen gewechselt und will sich gleich zu Beginn seiner Anstellung mit den Unternehmensleitlinien vertraut machen. Obgleich er viel zu erledigen hat, sagt er sich, dass es für einen guten Start in das neue Unternehmen wichtig sei (Motivationskontrolle – der Mitarbeiter motiviert sich selbst), die Leitlinien zu kennen. Er versucht sich zu entspannen (Emotionskontrolle) und bittet seinen (neuen) Arbeitskollegen, ihn in der nächsten Viertelstunde nicht zu stören (Umweltkontrolle). Er schreibt sich die wichtigsten Punkte der Leitlinien heraus und untergliedert diese nach seinen eigenen Vorstellungen in Über- und Unterpunkte (Organisieren). Manche Stellen liest er mehrmals (Wiederholung, Informationsaufnahme), um sie sich besser einzuprägen. Auch sagt er sie mehrmals im Stillen vor sich her (Wiederholung, Informationswiedergabe). Es erscheint ihm sinnvoll, die Leitlinien des neuen Unternehmens mit denen seines vorherigen Unternehmens zu vergleichen (Verknüpfen). Am Abend ist er interessiert zu erfahren, ob er die Leitlinien tatsächlich gut gelernt hat (Überwachung des Lernerfolgs als eine Form metakognitiver Lernstrategien), und berichtet sie seiner Lebenspartnerin. Entsprechend zur hierarchischen Organisation von Wissensinhalten kann
Das Unternehmen – ein offenes, komplexes System
349
man sich die Auswahl von Handlungen und Zielen als ein »Abarbeiten« eines hierarchisch gegliederten Entscheidungsbaums vorstellen, der mehrere mögliche Entscheidungspfade enthält, wie zum Beispiel Handlungsalternativen, Zielalternativen und Strategien. Im Gegensatz dazu lässt sich die Organisation von Wissensinhalten im Gedächtnis (zum Beispiel Handlungsalternativen) aber auch in Form eines Netzwerks beschreiben, das aus Propositionen und Relationen besteht (s. Abbildung 39): Propositionen (auch Elemente genannt) stellen die Knoten im Netzwerk dar. Sie repräsentieren die derzeitig vorhandenen und aktivierbaren Subjekte, Objekte und Verhaltensmöglichkeiten. Auch ist in ihnen die Strategie, nach der Handlungsalternativen ausgewählt werden, gespeichert, nicht jedoch die Handlungsalternativen selbst. Die Relationen stellen die Verbindungen zwischen den Propositionen dar. Sie lassen sich durch die Verben »möchten«, »können« »müssen« und »wollen« beschreiben und werden daher auch als Motivationsvariablen bezeichnet.
Abbildung 39: Netzwerkstruktur von Wissensinhalten
Ob eine Person (oder Organisation) nun in Bezug auf ein vorliegendes Objekt in einer bestimmten Situation eine Handlung ausführt, ist sowohl von den Propositionen als auch von den Relationen abhängig. Für unterschiedliche Situationslagen werden von den Handelnden spezifische »Kontextkonzepte« entwickelt. In diesen sind die Ausführungsbedingungen einer Handlung enthalten. Je nach Detaillierungsgrad des Kontextkonzepts variiert die Generalisierungsbreite der betreffenden Handlung. Dies bedeutet, dass für konkretere Kontextkonzepte weniger Situationen relevant sind als für breite. In wiederkehrenden (ähnlichen) Situationen ist daher eine Übereinstimmung zwischen der vorliegenden Situation und einem entsprechenden Handlungskonzept zu erwarten. Ein Entscheidungsträger ist somit viel eher in der Lage, spontan eine Handlungsalternative auszuführen.
350
Effiziente Organisationsstrukturen
Für den Fall, dass für eine bestimmte Kombination von Propositionen (so genannte Elementenkombination) eine Handlungsalternative spontan nicht aktiviert wird, beginnt ein Suchprozess. Dieser besteht darin, dass das Netzwerk »abgetastet« wird. Die jeweilig vorherrschende Motivationsvariable bestimmt, in welche Richtungen sich der Suchprozess bewegt. Ein paralleles Abtasten in verschiedenen Netzwerkteilen ist dabei möglich. Bei der »Möchten«Relation ist zu beachten, dass die auf die Zielerreichung gerichtete Erwartung (Instrumentalität) eine wichtige Rolle spielt. In »Problemsituationen« ist das Ziel zwar definiert, der Weg zur Zielerreichung aber blockiert. Dementsprechend bedarf es eines genauen Abtastens der »Können«-Netzwerke, bis eine realisierbare Handlung aufgefunden ist. Aus der dargestellten Theorie können für Organisationssysteme folgende Konsequenzen gezogen werden: In offenen Systemen sind »Können«- und »Möchten«-Netzwerke wichtig, um die notwendige Flexibilität in der Handlungsauswahl (Anpassung an sich verändernde, dynamische Situationen) zu erzielen. In geschlossenen Systemen überwiegen »Wollen«- und »Müssen«-Netzwerke und führen so zu einer relativ unflexiblen Gruppe von Handlungsstrategien.
9.2
Zielkongruenz zwischen Mitarbeitern und Unternehmen – ein nicht vollständig erreichbares, aber stets anzustrebendes Ideal
Man kann, vereinfacht gesehen, zwei extreme Prinzipien der Systemsteuerung in Unternehmen gegenüberstellen. Der eine Pol ist eine vollständige externe Verhaltenskontrolle der Mitarbeiter, wie sie in Utopien des »großen Bruders« ihren literarischen Niederschlag finden (Orwell 1949). Die andere Extremform ist ein Unternehmen, in dem alle Mitarbeiter ausschließlich ihre eigenen Interessen befriedigen und in Folge einer optimalen Organisationsgestaltung gleichzeitig das Unternehmen zum leistungsstärksten Anbieter machen. Aus Sicht eines Unternehmens können mit beiden Systemsteuerungsprinzipien hohe Arbeitsleistungen erzielt werden. Die Effizienz eines Systemsteuerungsprinzips hängt jedoch stark von den Produktionsverhältnissen, der Gesellschaftsform und dem gesellschaftlichen Wertebewusstsein ab. Für komplexere Produktionstätigkeiten wie die Fertigung von Hightech-Produkten ist die Konzentration auf externe Verhaltenskontrollen nur sehr bedingt geeignet. Die Kosten eines strengen Kontrollsystems wären bei anspruchsvollen Tätigkeiten so hoch, dass die Effektivität des Systems leiden würde. Im besonderen Maß gilt dies natürlich für alle Arbei-
Zielkongruenz zwischen Mitarbeitern und Unternehmen
351
ten, deren Ergebnis nicht immer leicht zu überprüfen ist, etwa in Bereichen des Dienstleistungssektors. Heutzutage sind zumindest in den westlichen Ländern viele Tätigkeiten in Wirtschaftsunternehmen dadurch gekennzeichnet, dass sie sich institutionalisierten Verhaltenskontrollen weitgehend entziehen. Überdies sind »harte« Sanktionen (nicht allzu gravierenden) Fehlverhaltens nur schwer durchsetzbar. Die Organisation eines Unternehmens muss daher darauf ausgerichtet sein, Zielkonflikte zwischen den Bedürfnissen der Mitarbeiter und den Organisationszielen weitgehend abzuwenden. Auf die Chancen und Grenzen einer solchen Organisationskonzeption verweist die Ziel-Kongruenz-Theorie, die im Folgenden skizziert wird. Theorieübersicht: Ziel-Kongruenz-Theorie
Schwerpunkt der Theorie (s. Argyris 1957, 1964, 1970, 1980, 1985; Bateson 1981) sind mögliche Konflikte zwischen den Zielen des Unternehmens und den Bedürfnissen der Mitarbeiter. Mitarbeiter sind in einem Unternehmen einem ständigen Spannungszustand ausgesetzt, der aus einer Gegenläufigkeit ihrer persönlichen Bedürfnisse und den durch die Organisationsstruktur vorgegebenen Rahmenbedingungen hervorgeht. Die Struktur von Unternehmen, die ökonomische Ziele verfolgen, weist in der Regel folgende Merkmale auf: – Orientierung an rationalen Normen, – Betonung organisatorischer Strukturen, – Zuweisung formalisierter Rollen, – Unterstellungs- und Weisungsverhältnisse, – Aufgabenspezialisierung, – rigide Autoritätsstrukturen, – administrative Kontrollen (Verfahrens- und Verhaltenskontrollen). Nahezu entgegengesetzt ist die Bedürfnisstruktur »reifer« Mitarbeiter angelegt: – Bedürfnis nach Aktivität, Ablehnung passiver Rollenzuweisungen, – Streben nach relativer Unabhängigkeit, – Wunsch nach Gleichbehandlung und Anerkennung, – zunehmende Selbst-Aktualisierungstendenzen. Werden die Ziele der Mitarbeiter durch die Organisationsstruktur blockiert, so hat dies oftmals zur Folge, dass auch der Zielerreichungsgrad des Unternehmens abnimmt: Produktivität und Effektivität sinken, Reaktionskosten durch Absentismus und Fluktuation nehmen zu und das Arbeits- und Betriebsklima verschlechtert sich.
352
Effiziente Organisationsstrukturen
Die Theorie der Ziel-Kongruenz weist auf einige Möglichkeiten hin, wie das Unternehmen zu einer (zumindest teilweisen) Integration der gegenläufigen Zielperspektiven gelangt. So kann das Konflikterleben der Mitarbeiter zwischen den eigenen Zielen und den Zielen des Unternehmens durch die Errichtung so genannter »Kollegialsysteme« vermindert werden. Dazu wären folgende Organisationsstrukturmerkmale zu realisieren: eine stärkere Integration von Einzelfunktionen in die übergeordneten Arbeitsprozesse, flexible und transparente Aufgabenanforderungen sowie der Ausbau von Entscheidungskompetenzen und Handlungsfreiräumen für die einzelnen Mitarbeiter in Hinblick auf ihre jeweiligen Arbeitsbereiche. Die Ziel-Kongruenz-Theorie stellt heute die Grundlage jeder innovativen Unternehmenskultur dar. Die meisten »Führungsrichtlinien«, »Organisationsgrundsätze« und Maßnahmen zur Verbesserung des »Wir-Gefühls« sind Versuche, die Unternehmensorganisation dahingehend zu entwickeln, den Forderungen dieser Theorie so weit wie möglich gerecht zu werden. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich in jedem Unternehmen eine auf dieser Basis aufbauende Organisationsgestaltung umsetzen lässt. Nicht selten bleiben alle mit großem Aufwand verabschiedeten »Richtlinien« weitgehend folgenlos. Ein Grund dafür ist sicher die allgemeine Starrheit von menschlichen Verhaltensweisen und die daraus resultierenden Innovationshindernisse. Ein anderer wichtiger Grund ist die Abhängigkeit der optimalen Organisationsstruktur von der Unternehmensaufgabe und von den Rahmenbedingungen im Unternehmen sowie in der Unternehmensumwelt. Dadurch kann die Gestaltung der Organisationsstruktur, die eine Ziel-Kongruenz in gewünschtem Maß berücksichtigt, stark behindert werden. Ferner ist die Lösung derart grundlegender Konflikte wenig aussichtsreich, wenn das Problemlösungsverhalten der Mitarbeiter durch bewusste, unbewusste oder geheim gehaltene Handlungsziele, zum Beispiel die Erhaltung von Statusvorteilen oder alleinige Kontrolle über die Verteilung von Ressourcen, konterkariert wird. Die von solchen »Problemlösungsvorschlägen« des Managements betroffenen Mitarbeiter werden in diesen Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf entsprechende Weise reagieren, indem sie wichtige Informationen filtern, Daten zu spät weiterleiten oder Entscheidungen übergeordneter Stellen unterlaufen. Dieses Beziehungsmuster zwischen den Mitarbeitern oder den Interessengruppen verfestigt sich schnell und wird so (unbemerkt) institutionalisiert, was dem Unternehmenserfolg nicht dient. Zwar ist der Anteil derjenigen Personen, die angeben, sich selbst bei der Arbeit verwirklichen zu können, das heißt eigene Ideen und Zielvorstellungen im Beruf verfolgen zu können, im Zeitraum von 1999 bis 2003 von 28 Prozent auf
Effiziente Organisationsgestaltung
353
39 Prozent gestiegen (Opaschowski 2003). Jedoch bedeutet dies umgekehrt, dass dies auf knapp zwei Drittel der Berufstätigen nicht zutrifft. Auffällig sind dabei die Unterschiede zwischen den Berufsgruppen. Während der Anteil der Personen, die der Meinung waren, sich im Beruf verwirklichen zu können, unter den Selbständigen (59 %), Führungskräften (47 %) und Beamten (41 %) überdurchschnittlich hoch war (bezogen auf das Jahr 2003), liegt der Anteil bei Angestellten (35 %) und Arbeitern (33 %) niedriger. Selbstverwirklichung und die Verfolgung persönlich relevanter Ziele scheinen somit nach wie vor ein Privileg für Minderheiten zu sein. Für die meisten ist Selbstverwirklichung bei der Arbeit eine Legende und ein Wunschtraum mit der Konsequenz, dass viele von ihnen die Verfolgung ihrer Ziele auf außerberufliche Bereiche wie Familie, Hobby, Sport verlagern. Maßnahmen, die die Qualität des Problemlösungsverhaltens verbessern können, sind folgende: – Den einzelnen Mitarbeitern wird eine höhere Selbstkontrolle eingeräumt. – Bestehende Problemlösungspraktiken sollten unter Anleitung eines externen, psychologisch geschulten Beraters diskutiert werden. Abwehrhaltungen sollten offen gelegt werden. – Kompetenztrainings für Organisationsmitglieder mit weit reichenden Entscheidungsbefugnissen, die aufgrund ihrer Position Veränderungen bewirken können. Unabhängig von den Schwierigkeiten bei der Realisierung einer größtmöglichen Ziel-Kongruenz sollte es jedoch nicht das Ziel der Unternehmensleitung sein, eine vollständige Passung zwischen den Unternehmenszielen und den Zielen der Mitarbeiter anzustreben. Eine derartige Forderung wäre sowohl aus ökonomischer als auch aus psychologischer Perspektive unrealistisch.
9.3
Effiziente Organisationsgestaltung – auch eine Folge der erreichten Bedürfniserfüllung
Es entspricht einer »modernen« Unternehmensorganisation, die Struktur nach dem Beispiel eines organischen Systems aufzubauen. Die einzelnen Subsysteme stehen – vergleichbar mit den einzelnen Organen eines Organismus – in einem stetigen Wechselspiel zueinander. Sie ergänzen sich in ihrer Leistung für das Gesamtsystem und sie ermöglichen durch ihre Flexibilität eine schnelle Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen. Bei dieser Konzeption ist der »Mit-Arbeiter« ganz im Sinne der Ziel-Kongruenz-Theorie auch ein »MitDenker« und »Mit-Entscheider«.
354
Effiziente Organisationsstrukturen
Man kann allerdings nicht leugnen, dass für bestimmte Aufgaben eine »mechanistische« Organisation zweckmäßiger sein kann. Die Vor- und Nachteile mechanistischer und organischer Systeme werden im Weiteren aufgeführt.
Theorieübersicht: Mechanistische und organische Systeme
Die Theorie mechanistischer und organischer Systeme (s. Burns u. Stalker 1961; Woodward 1965; Wunderer u. Grunwald 1980) betont die Wichtigkeit von Situationsfaktoren für die Gestaltung von Organisationsstrukturen. Für die Gestaltung von Organisationssystemen gibt es keinen »Idealtyp« (von dem Bürokratiemodelle ausgehen). Effektive Organisationsformen sind solche, die auf die Veränderung äußerer Faktoren (Marktsituation, Branchenentwicklung, Konjunktur) flexibel und schnell mit Veränderungen in den entsprechenden Bereichen des Organisationssystems und der Organisationsstruktur reagieren. »Organische« Organisationsstrukturen lassen sich wie in Tabelle 22 dargestellt von »mechanistischen« Strukturen abgrenzen. Es stellt sich die Frage, welche der beiden Organisationsstrukturen unter Berücksichtigung der situativen Gegebenheiten die überlegenere ist: Bei veränderlicher Umweltlage, wie hohe Dynamik, schnelle Anpassungsnotwendigkeit, hohe Unbestimmtheit, ist die organische der mechanistischen Struktur überlegen. Handelt es sich um Routinevorgänge oder Eilentscheidungen, so kann die mechanistische Organisationsstruktur die effizientere sein. Ausgehend von den heutigen Umweltbedingungen – schnelle Marktentwicklung, hohe Umweltdynamik, hohe Anforderungen an Technik und Mitarbeiter – scheint die Errichtung flexibler, organischer Strukturen für viele Unternehmen empfehlenswert. Es dürfte objektiv zutreffen, dass die heutigen Marktverhältnisse für die meisten Unternehmen eine »organische« Struktur nahe legen. Aus der subjektiven Sicht nicht weniger Führungskräfte sind aber die Voraussetzungen für ein mechanistisches System eher gegeben als für ein organisches: das Streben nach Stabilität, Homogenität des Inputs, berechenbare Art der Entscheidungsfindung oder ein Überwiegen von Spezialistentätigkeiten mit klaren, formell festgelegten Zuständigkeitsbereichen. Maßnahmen zur Organisationsentwicklung, die den Übergang von einer mechanistischen zu einer organischen Gestaltung des Unternehmens unterstützen wollen, berücksichtigen oftmals jedoch diesen Aspekt der subjektiven Bevorzugung mechanistischer Systeme zu wenig. Es ist nicht sinnvoll, Führungskräfte aller Ebenen in der Handhabung »organischer« Strukturen zu schulen, wenn die erlebte Arbeitswirklichkeit ei-
355
Effiziente Organisationsgestaltung Tabelle 22: Gegenüberstellung mechanistischer und organischer Systeme Dimension
mechanistisch
organisch
Strukturen
ruhig, stabil
dynamisch, flexibel
Einfluss
gering
hoch
Input
homogen
heterogen, veränderlich
1) Organisationsumwelt
2) Übergeordnetes Organisationssystem Zielstruktur
Ausrichtung auf wenige Ausrichtung auf multiple Ziele, Ziele ständige Zielanpassung
Entscheidungsfindung
berechenbar
nicht abschätzbar
Ausrichtung auf
Leistung
Problemlösung
Interpersonale Beziehungen
formell
informell
Statusstruktur
klar definiert
diffus
Motivationssystem
exzentrisch, Geld, Status
intrinsisch, Selbstverwirklichung
Menschenbild
Theorie X
Theorie Y
Weisung
top-down
horizontal, diagonal
Führungsstil
autokratisch
demokratisch
Kontrolle über
Regeln, Vorschriften
Kontakt zu und zwischen Mitarbeitern
Kontrollart
Verfahrenskontrolle
Ergebniskontrolle
Kontrollperson
Vorgesetzter
Mitarbeiter selbst
3) Psychologisches System
4) Führungssystem
5) Kontrollsystem
ner Anwendung solcher Konzepte entgegensteht. Die Folge ist häufig ein zu langsamer, eventuell vollständig unterbleibender Wandel im Verhalten der Führungskräfte und somit in der Organisationskultur. Dies kann schließlich zu Fehleinschätzungen der Praktikabilität und Effektivität der eingeleiteten Innovationsprozesse und Personalentwicklungsmaßnahmen führen. Auffallend ist die Ähnlichkeit einer solchen Organisationskonzeption mit der in Abschnitt 3.1 Was Menschen bewegt – Eigenschaftstheorien der Motivation, S. 124, dargestellten Bedürfnistheorie von Alderfer (s. Theorieübersicht: Bedürfnistheorie nach Alderfer, S. 128). Die in den »organischen« Organisationsformen betonten Werte von Aktivität, Selbstverwirklichung und Eigenverantwortung sind nach diesem Modell erst dann zu erwarten, wenn die Ebenen der Existenzsicherung und der sozialen Anerkennung ausreichend befriedigt sind. Dies steht im Einklang mit der Tendenz, dass gerade in Krisensituationen,
356
Effiziente Organisationsstrukturen
bei denen die wirtschaftlichen Erfolge von Unternehmen nachlassen oder sogar Verluste auftreten, kurzfristig auf mechanistische Systeme umgeschwenkt wird. Da besonders in solchen Zeiten eine erhöhte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen gewährleistet sein sollte, kann dies jedoch höchst kontraproduktiv sein. Bei hoher Umweltdynamik und schwierigen Anpassungsprozessen sind die Flexibilität und die aktive Beteiligung aller Mitarbeiter an der Problemlösung besonders gefordert. Hier könnte das organische Modell seine eigentliche Überlegenheit zeigen. Eine Lösung des Dilemmas kann darin liegen, dass in Zeiten einer guten wirtschaftlichen Ertragslage die moderne Organisationskultur so fest verankert wird, dass sie von den Führungskräften (auch der unteren Ebene!) selbst dann nicht angezweifelt wird, wenn vorübergehend die Frage der Existenzsicherung alle anderen Aspekte überstrahlt.
9.4
Rollenerwartungen und ihre Beeinflussung durch die Organisationsstruktur
Welche Funktion ein Mitarbeiter in einem Unternehmen auszufüllen hat und welches Bündel von Verhaltens- und Rollenerwartungen an ihn gestellt wird, ist eine entscheidende Frage für die Effektivität der Organisation.
Theorieübersicht: Soziale Rollen
Menschen sind in sozialen Kontexten immer Inhaber bestimmter Rollen, das heißt, wenn Menschen miteinander interagieren, so tun sie dies immer in ihren jeweils spezifischen Rollen. Es können drei Perspektiven der Rollentheorie unterschieden werden (Fischer u. Wiswede 2002, S. 456ff.): Verbunden mit der strukturfunktionalistischen Perspektive ist die Vorstellung von der »Rolle als soziale Hülse«. In einem sozialen System gibt es bestimmte Positionen, etwa die des Vorgesetzten. Jeder, der diese Position einnimmt, übt damit die Rolle des Vorgesetzten aus. Die Rolle existiert somit unabhängig einer konkreten Person, wobei die Personen als Träger dieser Rolle wechseln können. »Die Rolle ist demnach ein anonymer Bestandteil eines stetig vorgegebenen Rechts- und Pflichtgefüges, das der Veränderbarkeit weitgehend entzogen ist« (Fischer u. Wiswede 2002, S. 456). Entsprechend der strukturfunktionalistischen Perspektive könnte eine extreme Position lauten, dass Menschen je nach ihrer eingenommenen Rolle lediglich Ausführende eines gesellschaftlich fixierten Programms sind und ihr Handeln im Wesentlichen gesellschaftlich
Rollenerwartungen und ihre Beeinflussung durch die Organisationsstruktur
357
vorgeschrieben ist. Man denke daran, wie schlagartig und in welch hohem Umfang sich manchmal das Verhalten, aber auch die Ansichten und Meinungen von Personen verändern, die vom Mitarbeiterstatus in Führungspositionen befördert werden. In der interaktionistischen Perspektive sind Rollen nicht wie bei der strukturfunktionalistischen Perspektive a priori vorgegeben und formal festgelegt, sondern ergeben sich erst in Interaktionen durch Gestaltung- und Aushandlungsprozesse. Rollen werden ausprobiert, werden angeeignet, spielen sich ein, werden durch die Interaktionspartner bestätigt, können aber auch wieder verworfen werden. Es findet kein »role-taking« (rezeptive Übernahme einer fremden Rolle), sondern ein »role-making« (Turner 1962) statt, das heißt eine aktive Rollenselbstgestaltung. Rollen können fortlaufend verändert werden – daher der Begriff der »weichen« Rolle – oder, wenn der Prozess des Aushandelns nicht fortgeführt wird, sich »verhärten«. Ein typisches Beispiel für Interaktionen, in denen Rollen selbst ausgehandelt werden, sind partnerschaftliche Beziehungen. Die sozialpsychologische Perspektive schließlich stellt den Versuch einer Integration beider zuvor genannten Perspektiven dar. Sie betont einerseits den Prozess der Rollengestaltung, andererseits berücksichtigt sie aber auch, dass den Gestaltungsoptionen oftmals Grenzen gesetzt sind. Ferner versucht sie, rollentheoretische Perspektiven empirisch zu prüfen. Eine Person, die einem bestimmten Rolleninhaber mit rollenbezogenen Erwartungen gegenübertritt, wird als Rollensender bezeichnet. Ihre Erwartungen nennt man Rollenbilder. Für diese gilt, dass sie positionsspezifisch, mehr oder weniger verbindlich und mehr oder weniger eindeutig sind. Als Rollenselbstbild bezeichnet man das Verständnis, das ein Rolleninhaber selbst von der eigenen Rolle hat. Als Rollenfremdbild werden diejenigen Erwartungen bezeichnet, die externe Personen, also die Rollensender, an den jeweiligen Rolleninhaber stellen. Die Gesamtheit dieser Rollenbilder bezeichnet man als Rollenset. Die Rolle des Rollensenders und die des Rolleninhabers sind oftmals komplementär zueinander, zum Beispiel Vorgesetzter – Mitarbeiter, Lehrer – Schüler. Rollensender sind daher zugleich immer auch Rollenempfänger und umgekehrt. Da Menschen Mitglied verschiedener sozialer Bezugssysteme sind, bedeutet dies, dass sie Träger mehrerer, verschiedener Rollen gleichzeitig sind. So können für die Rollendefinition eines Mitarbeiters folgende Rollensender von Bedeutung sein: – innerorganisatorisch: Vorgesetzter, Kollegen, Unterstellte, Organisation (Stäbe, Spezialisten, Gremien, Ausschüsse), Nebenhierarchie (Betriebsrat);
358
Effiziente Organisationsstrukturen
– außerorganisatorisch: Arbeitskontakte mit externen Stellen (Kunden, Lieferanten), Familienmitglieder, Freizeitkontakte (Verein), gesellschaftliche Werte (Normen, Gesetze). Aus dieser Rollenvielfalt können sich Rollenkonflikte ergeben. Es lassen sich sechs Arten von Rollenkonflikten unterscheiden: 1) Intra-Sender-Konflikt: Ein Rollensender hat an einen Rolleninhaber mehrere verschiedene, miteinander inkompatible und widersprüchliche Rollenerwartungen. 2) Inter-Sender-Konflikt: Zwei verschiedene Rollensender haben an denselben Rolleninhaber gegensätzliche Rollenerwartungen. 3) Rollenambiguität: Der Rollensender formuliert seine Erwartungen nur unklar. 4) Inter-Rollen-Konflikt: Der Rolleninhaber kann zwei verschiedene Rollen nur schwer miteinander vereinbaren. 5) Rollenüberlastung: Die Anhäufung verschiedener Rollen führt zu einer Überlastung. 6) Personen-Rollen-Konflikt: Persönliche Überzeugungen stehen im Widerspruch zu den Sachzwängen der eigenen Rolle. Die Rollenkonflikte werden in Abbildung 40 veranschaulicht (n. Neuberger 2002, S. 323).
Abbildung 40: Rollenkonflikte
Die Lösung von Rollenkonflikten wird durch die jeweiligen Rollen selbst nicht vorgegeben. Die Konflikte müssen von den Individuen individuell gelöst werden. So kann ein Mensch beispielsweise in gewissem Umfang selbst auf das
Rollenerwartungen und ihre Beeinflussung durch die Organisationsstruktur
359
vorhandene Rollenbild Einfluss nehmen. Auch kann er innerhalb eines bestimmten Rahmens frei seine Rollen auswählen und somit sein Rollenset beeinflussen. Welche Verhaltensalternativen einem Mitarbeiter im Fall von Rollenkonflikten zur Verfügung stehen, wird in der Theorieübersicht: AstonModell zur Gestaltung soziotechnischer Systeme« auf S. 362 beschrieben. Vor dem Hintergrund der rollentheoretischen Betrachtung müssen die Rollen der einzelnen Mitarbeiter nicht zwangsläufig als das verhaltensbestimmende Element aufgefasst werden. Menschen sind somit nicht einfach nur Ausführende eines gesellschaftlich fixierten (Rollen-)Programms. Für soziale Konflikte im Unternehmen könnten Rollenkonflikte eine mögliche Ursache sein und sollten untersucht werden. Die meisten Mitarbeiter handeln nach den Rollenerwartungen, die explizit oder auch implizit an sie herangetragen werden. Es kann zu den subjektiven, impliziten Rollenerwartungen an eine Sekretärin gehören, dass sie prinzipiell nur auf Anweisung handelt und bei Terminkollisionen nicht selbständig Besprechungstermine verlegt. Sie würde ein entsprechend aktives Verhalten als »Überschreitung« ihrer Rollendefinition verstehen, sodass sie es dementsprechend unterlässt. Für das Erlernen des Rollenverhaltens kann es genügen, dass der Vorgesetzte im genannten Beispiel bei der ersten selbständigen Terminverlegung aus irgendwelchen Gründen negativ reagiert, obwohl er an sich eine solche Selbständigkeit befürwortet. Wird diese negative Reaktion aber nicht ausführlich erklärt und die prinzipielle Erwünschtheit der Eigenaktivität betont, kann ein einziges negatives Erlebnis dieser Art gerade in der Anfangsphase der Zusammenarbeit eine restriktive Festlegung des Rollenverständnisses zur Folge haben. Besonders massiv treten Probleme der Rollendefinition bei einem Wechsel von Führungskräften auf, wenn beispielsweise bei der Übernahme eines Unternehmens die Geschäftsführung ausgetauscht wird. Die in derartigen Situationen oft abwartend-skeptische Haltung der Mitarbeiter kann zu dem Eindruck führen, dass sie eine mögliche Veränderung ihres bisherigen Rollenverhaltens ablehnen. Diese abwartend-skeptische Haltung kann jedoch auch die Folge widersprüchlicher oder unklarer Rollenerwartungen der neuen Geschäftsführung sein. Menschen sind in der Regel auch bei impliziten Rollenerwartungen sehr sensibel gegenüber solchen »Fehlern«. In gleicher Weise zeigen sich unterschiedliche Rollenbilder in internationalen Unternehmen. So besteht zwischen Deutschland und Frankreich ein erheblicher Unterschied bezüglich der Erwartung an die Selbständigkeit von
360
Effiziente Organisationsstrukturen
Mitarbeitern (mit einer Neigung zu einem höheren Ausmaß an Bevormundung in Frankreich). Die Konsequenzen unterschiedlicher Rollenbilder, Werthaltungen und Einstellungen von Führungskräften und Mitarbeitern für das Personalmanagement in multinationalen Unternehmen hat Marr (1991) beschrieben. Im Gegensatz zu älteren, heute teilweise als überholt angesehenen Managementkonzepten hat sich die Meinung durchgesetzt, dass eine extensive Abgrenzung von Rollen, Aufgaben und Detail-Zielen für die einzelnen Mitarbeiter eines Unternehmens nicht die effizienteste Gestaltungsform ist. Vor dem Hintergrund der Unternehmensgestaltung als offenes System und der notwendigen Flexibilität der Rollendefinitionen wurden »Konzepte der organisationalen Effektivität« erarbeitet.
Theorieübersicht: Organisationale Effektivität
Das Konzept der organisationalen Effektivität (s. Greif 1983; Hackman u. Oldham 1980; Katz u. Kahn 1978; Wunderer u. Grunwald 1980) beschäftigt sich mit den Kennzeichen und Bedingungen effektiver Organisationsstrukturen vor dem Hintergrund einer systemtheoretischen und rollentheoretischen Perspektive. Unternehmen sind »offene Systeme«, die in ihrer Struktur nicht eindeutig und endgültig festgelegt sind, sondern durch Austauschvorgänge mit der Umwelt und durch das Rollenverhalten der Mitarbeiter beeinflusst werden. Sie bedienen sich zur Aufgabenerfüllung einer strikten, formalen Rollenverteilung. Neue Organisationsmitglieder bekommen ihre zu erfüllende Rolle im Arbeitsprozess über entsprechend kommunizierte Rollenerwartungen vermittelt. Effektive Organisationen weisen folgende Kennzeichen auf: – Die Personalauswahl erfolgt auf der Basis von expliziten, im Konsens festgelegten Rollenerwartungen. Durch die Bewerberauswahl nach Rollenkriterien wird die Fluktuations- und Absentismusrate, die möglicherweise auf der Unzufriedenheit des Stelleninhabers mit seiner Rolle basiert, reduziert. – Die Rollenausführung durch die Mitarbeiter ist an hohen Leistungs- und Qualitätsstandards orientiert. – Die Mitarbeiter zeigen über die eigentliche funktionale Rollenerfüllung hinaus spezifische Verhaltensweisen, wie Kooperation, Loyalität, kreatives Verhalten, Bereitschaft zu selbständiger Weiterbildung und positive Darstellung des Unternehmens nach außen hin.
Rollenerwartungen und ihre Beeinflussung durch die Organisationsstruktur
361
Für den Unternehmenserfolg sind entsprechend dem Modell der organisationalen Effektivität grundlegende Verhaltensweisen wichtig. Diese entziehen sich meist einer exakten Definition im Sinne einer Verhaltensvorschrift und gehen über die funktionale Rollenerfüllung hinaus (Loyalität, Kreativität). Daraus folgt, dass eine zu strenge, zu stark sanktionierte Festlegung der einzelnen funktionellen Rollen kontraproduktiv ist. Nur eine offene Rollengestaltung ermöglicht Mitarbeitern den für ihre persönliche Motivation wichtigen Freiraum und gleichzeitig für das Unternehmen eine ausreichende Flexibilität. Bei der Rollengestaltung sollte jedoch darauf geachtet werden, dass die Tendenz zu einer Neudefinition der Rolle gering bleibt. Durch personalpolitische Maßnahmen kann die Auftretenswahrscheinlichkeit effektiven Mitarbeiterverhaltens erhöht und dadurch der Ertrag für das Unternehmen maximiert werden. Die Effektivität des Mitarbeiterverhaltens ist dann am größten, wenn die Person durch das entsprechende Verhalten auch individuelle Ziele verfolgen kann (vgl. Theorieübersicht: Ziel-KongruenzTheorie, S. 351). Als Beispiele für solche Ziele seien hier Selbstverwirklichung oder befriedigende soziale Kontakte innerhalb der Arbeitsgruppe genannt. Auch die Wahrscheinlichkeit für spontanes und kreatives Mitarbeiterverhalten ist auf dieser Grundlage größer. Die Obergrenze der maximal erreichbaren organisationalen Effizienz wird durch das bevorzugte Motivations- und Entlohnungssystem festgelegt (vgl. Kapitel 2). Bei der Gestaltung von Organisationsstrukturen und bei der Arbeitsstrukturierung ist zu fordern: – Große Organisationen müssen zugunsten kleinerer (relativ) selbständiger, jedoch stark miteinander vernetzter Unternehmenseinheiten dezentralisiert werden (vgl. Theorieübersicht: Aston-Modell zur Gestaltung soziotechnischer Systeme, S. 362). – Organisationale Rollen müssen um Koordinationsaufgaben erweitert werden. – Eine direkte vertikale Koordination von Gruppen muss ohne direkte Einschränkung aller hierarchischen Instanzen möglich sein (s. Theorieübersicht: Modell überlappender Arbeitsgruppen, S. 364). – Der notwendige Informationsfluss muss sich am konkreten Arbeitsbedarf und nicht nur an festgelegten hierarchischen Strukturen orientieren. Vertikale, hierarchieübergreifende Informationssysteme müssen weiterentwickelt werden. – Die Organisationsstruktur muss (zum Beispiel durch Puffersysteme) genügend Freiräume enthalten, um auch informelle Koordinationsaktivitäten der Mitarbeiter zuzulassen.
362
Effiziente Organisationsstrukturen
Insbesondere die größeren Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland haben genau diesen Entwicklungsprozess seit mehreren Jahren erfolgreich eingeleitet. Dies trägt wesentlich dazu bei, den Übergang von mechanistischen zu organischen Systemen zu fördern und führt zudem zu einer Stärkung der Eigenverantwortung der Mitarbeiter aller Hierarchieebenen. Auf keinen Fall sollte jedoch versucht werden, das von der Unternehmensleitung neu gewünschte Rollenverhalten durch strenge Rollenvorschriften und Androhung negativer Sanktionen (wie Versetzung, Beförderungsstopp oder Kündigung) zu erreichen. Das Erzwingen bestimmter Verhaltensweisen gegen den emotionalen Widerstand der Betroffenen führt nur in Ausnahmefällen dazu, dass Mitarbeiter das gewünschte Verhalten zeigen (nämlich dann, wenn keine Möglichkeit besteht, in ein anderes Unternehmen oder in eine andere Abteilung zu wechseln). In der Regel zieht erzwungenes Leistungsverhalten negative Konsequenzen nach sich: – Die Austritte von guten Mitarbeitern (die zu attraktiveren Unternehmen wechseln können) nehmen zu. – Mitarbeiter, die im Unternehmen bleiben, setzen die Quantität und die Qualität ihrer Leistungen auf ein Mindestniveau herunter und leisten »Dienst nach Vorschrift«. – Kreatives und spontanes Mitarbeiterverhalten, das eine wichtige Basis für organisationale Effektivität darstellt, wird nur sporadisch oder überhaupt nicht gezeigt. Stattdessen sollte auf Argumentation und Überzeugung gesetzt werden.
Theorieübersicht: Aston-Modell zur Gestaltung soziotechnischer Systeme
Die Organisationsstruktur von Unternehmen lässt sich nach diesem Modell (s. Kieser u. Kubicek 1978; Pugh et al. 1975; Pugh u. Hinings 1976) anhand folgender Strukturmerkmale beschreiben: – Zentralisierung: Entscheidungsgewalt (Wer? Wo? Wie viel?), Kommunikation (Qualität, Intensität). – Strukturierung: Standardisierung, Formalisierung, Aufgabenkomplexität. – Differenzierung: Positionen (Anzahl; Arten; Beziehungen), Funktionen (Anzahl; Arten; Beziehungen), Anzahl der Hierarchieebenen, Kontrollspanne, Größe der Organisation.
Rollenerwartungen und ihre Beeinflussung durch die Organisationsstruktur
363
Die Organisationsstruktur ist eine wichtige Determinante für die Ausübung bestimmten Rollenverhaltens durch die Organisationsmitglieder. Allerdings können die Auffassungen über »richtiges« Rollenverhalten (Verhalten gemäß den Rollenerwartungen) nicht direkt aus den strukturellen Merkmalen einer Organisation abgeleitet werden, sondern bedürfen einer (konsensmäßigen) Festlegung. Oft sind die an Mitarbeiter herangetragenen Rollenerwartungen unvollständig, unterschiedlich oder sogar widersprüchlich. Mitarbeiter haben verschiedene Möglichkeiten, mit diesen Rollenmehrdeutigkeiten und -diskrepanzen umzugehen, und können somit indirekt dazu beitragen, dass sich die Organisationsstruktur allmählich wandelt: – Der Mitarbeiter handelt nur nach den Erwartungen, die für ihn miteinander vereinbar sind, und unterlässt diskrepante Pflichten. – Er schließt sich Kollegen an, die ebenfalls unvereinbare Rollen zu erfüllen haben und damit in bestimmter Weise umgehen. Es bildet sich eine »Subkultur«. – In verschiedenen Situationen zeigt der Mitarbeiter unterschiedliches Rollenverhalten. – Der Mitarbeiter entwickelt eine »Erwartungshierarchie« in Abhängigkeit von den Vorgesetzten, die ihre Erwartungen an ihn herantragen (Macht, Legitimation). – Er versucht, Probleme an andere zu delegieren und Verantwortung abzuschieben. – Durch Informationsgewinnung und durch Einwirken auf seine Beziehungspartner versucht der Mitarbeiter, seine Rolle neu zu definieren. Vor dem Hintergrund des Aston-Modells wurden Manager aus Fertigungsund Dienstleistungsbetrieben befragt, um die Zusammenhänge zwischen folgenden Gegebenheiten zu untersuchen: – Vorliegende Organisationsstrukturen und Rollenwahrnehmung der Mitarbeiter. – Von den Mitarbeitern wahrgenommene Rollenerwartungen und tatsächlich gezeigtes Verhalten. Die Ergebnisse für den deutschen (nicht aber für den englischen!) Sprachraum sind erstaunlich und den Alltagserwartungen zum Teil widersprechend: Die Organisationsstruktur hat im Vergleich zu anderen situativen Faktoren (Führung, Arbeitsbeziehungen, Art der Tätigkeit) den stärksten Einfluss auf die Rollenwahrnehmung der Mitarbeiter. Trotz bürokratischer Strukturen und strenger Rollenerwartungen können Mitarbeiter ihre Rolle als »nicht-bürokra-
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Effiziente Organisationsstrukturen
tisch« und relativ flexibel wahrnehmen. Dieses Ergebnis wird als Indiz dafür gesehen, dass vor allem Manager ihre Rolle zwar als exakt definiert beschreiben (bürokratische Struktur), aber keinesfalls eine Einengung ihrer Entscheidungsspielräume erleben. Im Vergleich zu einer englischen Stichprobe besteht bei Managern in Deutschland lediglich der Wunsch nach einem unbürokratischen, nicht-konformen Rollenverhalten, während bei englischen Managern dieser Wunsch erheblich häufiger auch in tatsächliches Verhalten umgesetzt wird.
Theorieübersicht: Modell überlappender Arbeitsgruppen
Als Grundlage des Modells der überlappenden Gruppen (linking pin model) hat Likert (1967, 1972) zwei Prinzipien formuliert:
Prinzip der unterstützenden Beziehung (supportive relationship) Likert (1972) leitet dieses Prinzip aus seinen Erkenntnissen ab, wonach sich Menschen allgemein danach sehnen, Verständnis und Anerkennung zu bekommen und sich wünschen, geschätzt und geachtet zu sein. Untergebene reagieren »günstig«, wenn diesen Bedürfnissen Rechnung getragen wird, sie sich unterstützt fühlen und an ihr Selbst- und Wertbewusstsein appelliert wird. Das Gefühl des Rückhalts und der Anerkennung verstärkt ferner die Motivationskräfte von Mitarbeitern. Die Arbeitsgruppe, in der Mitarbeiter einen Großteil ihrer Zeit verbringen, kann in erheblichem Maß dazu beitragen, diese Bedürfnisse zu erfüllen. Daher ist die Förderung entsprechender Interaktionen notwendig. Neben dem festen Zusammenhalt und guten zwischenmenschlichen Beziehungen sind Bindung und Loyalität eines Individuums zur Gruppe entscheidend für deren Leistungsstärke. Allerdings zählen für Mitarbeiter nicht die Dinge, »so wie sie sind«; entscheidend ist die jeweilige subjektive Sicht der Mitarbeiter. Somit kommt es nicht nur darauf an, dass einem Mitarbeiter tatsächlich Unterstützung geboten wird, wichtig ist, dass er diese auch aus seiner eigenen Perspektive als solche auffasst. Führung und andere Prozesse in der Organisation sollten daher darauf abzielen, dass die Mitarbeiter sämtliche Interaktionen und alle Beziehungen innerhalb der Organisation als für ihren Persönlichkeitswert erhaltend und fördernd beurteilen. Die Unternehmensführung schöpft erst dann alle Möglichkeiten der Menschenführung aus, »wenn jeder Mitarbeiter einer oder
Rollenerwartungen und ihre Beeinflussung durch die Organisationsstruktur
365
mehreren wirksam funktionierenden Arbeitsgruppen angehört, die einen hohen Grad an Gruppenkohäsion, gute zwischenmenschliche Beziehungen und weitgesteckte Leistungsziele aufweisen« (Likert 1972, S. 103). »Die Führung und andere Prozesse in der Organisation müssen darauf abzielen, dass jedes Mitglied mit einem Maximum an Wahrscheinlichkeit jede Interaktion und alle Beziehungen innerhalb der Unternehmung (aus der Sicht seiner Umwelt, seiner Wertmaßstäbe und Erfahrungen) als für seinen Persönlichkeitswert und seine eigene Bedeutung erhaltend und fördernd beurteilt« (Likert 1972, S. 102).
Prinzip der Gruppenentscheidung (group decision making) Likert konnte feststellen, dass Gruppen unter folgenden Bedingungen leistungsstark sind: – Die Gruppe genießt viel Autonomie. – Der Vorgesetzte konzentriert sich auf die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für selbstregulierte Arbeit und die Förderung von Mitarbeiterpotenzialen. – Die Führung erfolgt rückkoppelnd (»Feedback«) und weniger steuernd (»Feedforward«). Daher sollten Entscheidungen in der Gruppe unter Einbezug aller Mitglieder getroffen werden – dies ist auch im Sinne einer erfolgreichen Implementierung der gemeinsam getroffenen Entscheidungen. Der Führungsstil sollte partizipativ und nicht autoritär sein. Alle eventuell auftretenden Konflikte sollen innerhalb der Gruppe und nicht beispielsweise durch den Vorgesetzten gelöst werden. Die Forderung nach einer aktiven, verantwortlichen Partizipation der Einzelnen an Entscheidungsprozessen korrespondiert stark mit McGregors Prinzip der Integration (McGregor 1960, S. 49). Dieses soll gewährleisten, dass den Zielen des Unternehmens und den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeiter in gleicher Weise Rechnung getragen wird (vgl. Theorieübersicht: ZielKongruenz-Theorie, S. 351). Das Modell überlappender Gruppen versteht sich als Alternative zur Linienorganisation. Die Interaktionen finden nicht in einer straffen Hierarchie statt, sondern in einem Netz von sich überlappenden Arbeitsgruppen. Diese bilden das Rückgrat der Organisation und lösen sowohl die horizontale als auch die vertikale Stellenstruktur ab. Das Modell wird in Abbildung 41 verdeutlicht.
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Effiziente Organisationsstrukturen
Abbildung 41: Modell überlappender Arbeitsgruppen (aus: Likert 1972, S. 111)
Die jeweiligen Arbeitsgruppen werden nach Fachwissen zusammengestellt und weisen idealerweise einen hohen Grad an Gruppenkohäsion auf. Nach Maßgabe der Spezialisierung und Arbeitsteilung zwischen den Arbeitsgruppen werden ihnen Teilaufgaben zugewiesen. Die Koordination der Arbeitsgruppen erfolgt über die Gruppenkoordinatoren (»linking pin«), die die Schlüsselfiguren dieses Systems darstellen und Verbindungsfunktionen ausüben. Die Gruppenkoordinatoren werden von den Mitgliedern der Gruppe gewählt, sind jeweils Mitglied zweier Arbeitsgruppen und sorgen für den notwendigen Informationsaustausch. Sie lösen damit den traditionellen Vorgesetzten ab. Statt einer streng abwärts gerichteten Koordination in hierarchischen Systemen liegt im System der überlappenden Arbeitsgruppen der Schwerpunkt auf der Aufwärtsintegration. Kritisch wird an dem Modell der überlappenden Arbeitsgruppen die Rolle des Gruppenkoordinators gesehen (vgl. Staehle 1999). Er kann seine Funktion dazu nutzen, den Informationsaustausch zwischen den Gruppen zu seinem Vorteil zu filtern, zu färben oder zu stoppen und dadurch seine eigene Machtposition auszubauen. Sollte er einen autoritären Verhaltensstil zeigen, der dem eines autoritären Vorgesetzten in Linienorganisationen ähnelt, wären kaum noch Unterschiede zwischen diesem Modell und einer Linienorganisation festzustellen. Auch besteht die Gefahr, dass leistungsschwächere Gruppenmitglieder unter einen erheblichen (Gruppen-)Druck gesetzt werden, wenn sie durch ihren relativ geringen Beitrag den von der Gruppe hoch motiviert angestrebten Erfolg nicht in dem erwünschten Maß fördern (vgl. S. 231).
Organisationsentwicklung
9.5
367
Organisationsentwicklung – Chaos oder geplante Gestaltung der Zukunft?
Im Gegensatz zu starren, mechanistischen Systemen ist in Anbetracht der Vielzahl der wechselseitigen Beziehungen in einem »Organismus« eine exakte Vorhersage der Folgen eines bestimmten »Inputs« in vielen Fällen nicht möglich. Diese prinzipielle Unsicherheit bezieht sich nicht nur auf die möglichen Einflüsse. Auch »Zufallseinflüsse« können eine entscheidende Rolle spielen und sich zu massiven Effekten aufschaukeln. Diese Systemeigenschaft führte in der Mathematik zur Entwicklung der Chaos-Theorie, die als Grundvorstellung vielen komplexen Systemen auch im naturwissenschaftlichen Bereich zugrunde liegt. Sie führt zu der vermutlich etwas überspitzten Aussage, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings durch das Aufschaukeln dieses »Zufallsfehlers« zu einem Wirbelsturm führen kann (oder zu einem Verhindern des Auftretens eines sonst stattfindenden Unwetters). Bedenkt man, dass die Anzahl der Einflussgrößen beim Wetter zwar enorm, aber wesentlich weniger komplex ist als im Fall der menschlichen Verhaltenssteuerung in einer vernetzten Unternehmensorganisation, kann man sich vorstellen, welch große Auswirkungen »Kleinigkeiten« im Verhalten einzelner Führungskräfte oder Mitarbeiter haben können. Man versucht beispielsweise, sich plötzlich auftretende irrationale Massenphänomene zu erklären, etwa das fluchtartige Verlassen der Werkshallen als Folge subjektiv empfundener massiver Geruchsbelästigung der Mitarbeiter, obgleich sich entsprechende Geruchsquellen objektiv nicht nachweisen ließen (vgl. Smith et al. 1978). Solche sozialen Prozesse könnten möglicherweise aber auch auf sich aufschaukelnde (Wahrnehmungs-)Fehler und eine Form der Stimmungsübertragung zurückzuführen sein. Man spricht hier auch vom Phänomen der »sozialen Ansteckung« (Forgas 1999, S. 253): Es scheint eine grundlegende Tendenz bei Menschen zu geben, so zu denken und zu handeln wie andere Menschen, wobei anscheinend die bloße Zugehörigkeit zu einer Gruppe ausreicht, das eigene Verhalten dem der Gruppe anzupassen. Die hier dargestellte Möglichkeit, dass auch »Kleinigkeiten« erhebliche und schwer vorhersagbare Konsequenzen haben können, besagt selbstverständlich nicht, dass komplexe Systeme (deren Subsysteme sehr stark untereinander vernetzt sind) überhaupt nicht steuerbar sind. Auch bei einem hoch komplexen Organismus gibt es viele massive Eingriffe (Verletzungen, Nahrungsentzug et cetera), deren Folgen sich (fast) präzise vorhersagen lassen. Gerade weil auch solche Systeme auf viele Eingriffe in der erwarteten Weise reagieren, bemerken manche in »mechanistischen« Welten sozialisierte Führungskräfte erst sehr
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Effiziente Organisationsstrukturen
spät, dass Abweichungen von den erwarteten Folgen nicht unbedingt auf »Fehler« zurückzuführen sind, sondern sich auch aus systematischen, im System strukturell angelegten Gründen ergeben können. Manche Führungspersonen gelangen zu dieser Erkenntnis erst, nachdem sie trotz vieler Versuche feststellen mussten, dass manche Abweichungen oder »Zufallseffekte« dauerhaft nicht zu verhindern sind. Auf »Fehler« zurückgehende Störungen wären im Grunde relativ einfach zu beheben, vergleichbar mit einem kaputten Zahnrad, das lediglich ausgewechselt werden muss. Unabhängig von »Fehlern« gibt es in komplexen Systemen immer wieder viele nicht beabsichtigte Folgen von Interventionen. Viele nicht gezielt geplante, sondern »zufällig« gezeigte Verhaltensweisen von Führungskräften können starke Konsequenzen nach sich ziehen. Akzeptiert eine Führungskraft für das Unternehmen das Modell eines organismischen, hoch komplexen Systems, muss dies nicht bedeuten, auf Steuerung zu verzichten. Als Konsequenz könnte eine besondere Sensibilität im Controlling jenseits betriebswirtschaftlicher Kennzahlen (»Was läuft bei uns wirklich ab?«) und eine sehr hohe Kontrolle des eigenen Verhaltens gezogen werden, um unerwünschte Folgen einzuschränken. Im Einklang mit dieser Diskussion wurde die »Theorie des organisierenden Handelns« entwickelt, die im Folgenden dargestellt wird.
Theorieübersicht: Theorie des organisierenden Handelns
Die Theorie des organisierenden Handelns geht vor allem auf Weick (1977a, 1977b, 1979, 1985) zurück. Organisationen sind keine in sich einheitlichen, rationalen Gebilde, sondern setzen sich aus einzelnen Organisationssegmenten (Abteilungen, Problemfelder, Zuständigkeitsbereiche) zusammen. Diese Teileinheiten einer Organisation sind nur bedingt fest miteinander verknüpft. Daneben existiert eine Vielzahl von instabilen, »lockeren« Verknüpfungen. Daher ist die Organisationsstruktur nicht starr und eindeutig einschätzbar, sondern beinhaltet eine große Anzahl unbekannter Freiheitsgrade, die einer rationalen Erfassung schwer zugänglich sind. Deswegen erscheint der Versuch der Organisationsmitglieder, Aktionen rational durchzuführen (Planen, Koordinieren, Kontrollieren), wenig Erfolg versprechend. Handeln ist lediglich unter Unsicherheit möglich. Die Folgen dieser lockeren Strukturverbindungen sind eine unsichere, vieldeutige Handlungsgrundlage, eine unzureichende Planbarkeit und verminderte Kontrollmöglichkeiten. Dies führt bei den Mitarbeitern zu Unsicherheiten,
Organisationsentwicklung
369
die als unangenehm empfunden werden und sich beispielsweise in Form von Anspannungen äußern können. Daraus entwickelt sich das Bestreben, diesen Zustand zu beenden und die Situation steuerbar zu machen. Indem Mitarbeiter alles daransetzen, den als unangenehm erlebten Spannungszustand zu reduzieren, werden neue Handlungs- und Betrachtungsweisen erforderlich. Anpassungsvorgänge und Veränderungen sind vielfach erst dann möglich, wenn die Mitarbeiter das »kreative Chaos« durchlebt haben und dort wichtige Informationen gewinnen konnten. Unsicherheit wird somit gleichsam zum Motor für Innovation und Kreativität in Unternehmen (vgl. Kapitel 7). Zur Reduzierung der Unsicherheiten können beispielsweise folgende Möglichkeiten in Betracht gezogen werden: – Einführung von eindeutigen, umfassenden, strengen Regeln, – Abfassung dieser Regeln im Konsens, – unmittelbares Feedback auf Handlungseffekte, – kontinuierliche Aufmerksamkeit hinsichtlich der Aktivitäten der Mitarbeiter. Im Rahmen solcher Innovations- und Anpassungsprozesse spielen Kommunikation, Aktion und Interaktion der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle. Auch während des Veränderungsprozesses sind die Handlungen der Mitarbeiter nicht unbedingt als »rational« zu bezeichnen, da folgende Prinzipien auch im Organisationsentwicklungsprozess wirksam sein können: Ziele werden erst durch Handeln entdeckt, Aktion geht der Intention voraus und Lösungen suchen nach Problemen. Die Mitarbeiter können die Inputs, die sie in einen Prozess hineingeben, steuern. Der Output entzieht sich aber ihren Beeinflussungsmöglichkeiten, da es keine einfachen, einseitig angelegten Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gibt. Die Prozesse beeinflussen sich wechselseitig (»mutuelle Kausalität«). Neben der Unmöglichkeit wirklich rationalen Handelns innerhalb von Unternehmen (vgl. Abschnitt 1.4 Nicht alles kann vernünftig sein – Grenzen rationaler Handlungssteuerung, S. 45) postuliert die Theorie ferner die Unmöglichkeit einer rationalen Sichtweise der Unternehmensumwelt. Es gibt nicht »die« (objektive) Umwelt eines Unternehmens, sondern lediglich subjektive Umwelt-Interpretationen der Unternehmensmitglieder (vgl. Ausführungen in Kapitel 2). Beispiel: Die Lieferkonditionen eines externen Lieferanten werden nicht nur aufgrund objektiver Vergleiche (Preis-Leistungsverhältnis) und Zuverlässigkeit eingeschätzt, sondern sie werden maßgeblich durch die Interpretation dieser Daten beurteilt. Damit hebt die Theorie die Bedeutung der subjektiven Wahrnehmung der Umwelt hervor. Vor diesem Hintergrund wird die
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Effiziente Organisationsstrukturen
Umwelt nicht als objektiv gegeben, sondern als das Ergebnis (organisationsinterner) Deutungs- und Interpretationsvorgänge angesehen. Die Theorie widerspricht somit den so genannten »Kontingenzansätzen«, die die Umwelt als Ausgangsbedingung für unternehmerisches Handeln ansehen. Beispiel: Als »Konkurrenz« nimmt ein Konzern nur solche Unternehmen wahr, die fremden Eignern zuzuordnen sind und nicht dem eigenen Konzernverband angehören. Tochtergesellschaften werden somit nicht der »Umwelt« der Unternehmung zugerechnet. Daher werden sie, obgleich sie möglicherweise dieselben Märkte beliefern (und somit de facto eine Konkurrenz darstellen), entsprechend dieser Interpretationsrichtlinie nicht als Konkurrenz wahrgenommen. In der Praxis verhalten sich Manager in der Regel so, als wäre »rationales« Handeln im Sinne exakter Planungen und Vorhersagen auch unter Unsicherheit möglich. So setzen sie sich über die nicht vorhandene Kontinuität und Berechenbarkeit von Unternehmensstrukturen hinweg. Da gemäß der Theorie rationales Handeln unter Unsicherheit jedoch nicht möglich ist, wird Rationalität vielfach lediglich vorgetäuscht. Dies geschieht am effektivsten dadurch, dass Begründungen für Maßnahmen und Aktionen erst dann geliefert werden, wenn die jeweiligen Handlungen bereits vollzogen wurden und die Handlungsergebnisse bereits eingetreten sind. Indem die Begründungen erst im Nachhinein gegeben werden, erhalten sie den Charakter einer gewissen Beliebigkeit. »Rationalität« wird somit vom Management als »rhetorisches Mittel« benutzt, um Handlungen zu legitimieren. Die dahinter stehende Problematik hat jedoch viel mit der Verunsicherung zu tun, die Menschen in Anbetracht von Situationen empfinden, die von ihnen als nicht steuerbar erlebt werden. Bei allgemein positiver Stimmungslage, wenn zum Beispiel der wirtschaftliche Erfolg von Jahr zu Jahr zunimmt, kann man mit der erlebten Unsicherheit durchaus emotional zurechtkommen. Treten aber Krisen auf und wird die Umwelt als zu unüberschaubar für geplantes Verhalten erlebt, wird schnell der Ruf nach »einfachen Lösungen« laut. Darin kommt der Wunsch nach einer (wenngleich auch nur subjektiv erlebten, nicht aber objektiv gegebenen) Komplexitätsreduktion zum Ausdruck. Möglicherweise ist den Akteuren bewusst, dass einfache Lösungen für komplexe Probleme oft nicht den gewünschten Erfolg bringen. »Einfache« Lösungen können jedoch den subjektiven Eindruck erzeugen, die Situation wieder besser »in Griff zu bekommen«, und das Gefühl vermitteln, wieder handlungsfähig zu sein und sich nicht mehr als bloßer »Spielball« des Geschehens zu erleben. Der Wunsch nach einfachen Lösungen ist sowohl im gesamtgesellschaftlichen Kontext (dort in der Bevorzugung »starker Männer« oder Parteien mit einfachen Heilsversprechungen)
Organisationsentwicklung
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als auch im innerbetrieblichen Bereich (Rückkehr zu autoritärer Führung, hierarchischer Organisationsform) zu beobachten. Vor diesem Hintergrund ist für die Organisationsentwicklung zu empfehlen: – Mitarbeiter sollten ihre Vorstellungen und Modelle vom Unternehmen als ein mechanisches Gefüge aufgeben und stattdessen Vorstellungen präferieren, die das Unternehmen als einen Organismus mit einer organischen Organisationsform zum Inhalt haben. Dies wäre auch explizit zum Ausdruck zu bringen. – »Anarchische Strukturen« und das »kreative Chaos« sollten zur Erzielung von Handlungsvorteilen systematisch genutzt werden. – Innovationen und vor allem das »Chaos« sollten nicht in dem Sinne übertrieben werden, dass einmal theoretisch für richtig befundene Ausrichtungen stringent verfolgt werden. Man sollte vielmehr den aktuellen persönlichen Entwicklungsstand der Mitarbeiter und der Führungskräfte berücksichtigen und auf dieser Basis allmählich die neuen, weniger übersichtlichen Organisationsformen einführen. Zu diesem Zweck sind Führungsbeziehungen entsprechend zu gestalten und Führungs- und Unternehmungsleitsätze festzulegen. Bei aller Erfordernis einer erhöhten Flexibilität und stärkeren Vernetzung der Organisationsstrukturen darf auch der Gesichtspunkt der notwendigen Ordnung, Sicherheit und Überschaubarkeit nicht außer Acht bleiben. Die Kunst effektiver und erfolgreicher Organisationsentwicklung besteht in der Berücksichtigung und allmählichen Veränderung der für das jeweilige Unternehmen optimalen Mischung aus beiden Extremen.
10. Stillstand ist Rückschritt – Grundlagen erfolgreicher Personal- und Organisationsentwicklung
Leistungsfähige Personalarbeit in einem Unternehmen ist nur dann möglich, wenn die Verantwortlichen neben den fachlichen Qualifikationen, die als selbstverständlich vorausgesetzt werden können, auch die Fähigkeit besitzen, die Interessen des Personalbereichs gegen Widerstände durchzusetzen. Qualitative Personalarbeit erfordert im Gegensatz zur Personalverwaltung personelle und finanzielle Ressourcen, die in Konkurrenz zu anderen Anforderungen an die Finanzkraft eines Unternehmens stehen (zum Beispiel Marketingmaßnahmen). Nicht immer hat die Unternehmensleitung ohne fachliche Beratung ein ausreichendes Verständnis für die Ressourcenanforderungen des Personalbereichs. Vor allem scheint es in manchen Unternehmen die Tendenz zu geben, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten am ehesten in diesem Bereich zu sparen, obgleich gerade der Personalbereich für die zukünftige Unternehmensentwicklung von entscheidender Bedeutung ist und in schwierigen Zeiten die Personalentwicklung und die Förderung der Motivation der Mitarbeiter besonders wichtig ist.
10.1 Metaphern des Personalbereichs Der Personalbereich war in der Aufbauphase der Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg ein relativ unwichtiges »Anhängsel« der Unternehmensorganisation, das im Wesentlichen mit der administrativen Abwicklung von Einstellungen und Gehaltszahlungen beschäftigt war. Erst allmählich entwickelte sich daraus ein selbständiger Bereich, dessen Entwicklung durch den wissenschaftlichen Fortschritt in den einschlägigen Disziplinen sowie der Einführung neuer Mitbestimmungsformen wesentlich gefördert wurde (etwa Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretung bei der Besetzung des Personaldirektors in der Montanindustrie oder des Personalvorstands in Aktiengesellschaften). Es werden hier drei Metaphern des Personalbereichs in Unternehmen und die sich daraus ergebenden Folgen dargestellt. Anhand der Metaphern kann das mögliche Selbstverständnis, das heißt das Leitbild des Personalbereichs
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Grundlagen erfolgreicher Personal- und Organisationsentwicklung
von sich selbst verdeutlicht werden. Die drei Metaphern sind: die Personalabteilung als Behörde, als Machtinstrument oder als Dienstleister für das Unternehmen.
Die Personalabteilung als Behörde Entsprechend der historischen Entwicklung war das Selbstverständnis von Personalabteilungen zunächst von Verwaltungsaufgaben geprägt. Als Konsequenz daraus ergab sich ein eigentlich nur für Behörden typisches Denken. Dieses ist zum Beispiel dadurch gekennzeichnet, dass ein Vorgang nur dann bearbeitet wird, wenn dies aufgrund bestehender Vorschriften getan werden muss, und nicht, wenn es darum geht, ein Problem schnell und »unbürokratisch« zu lösen. Das Denken in Zuständigkeiten und das peinlich genaue Einhalten von Verfahrensregeln führt dazu, dass die Personalabteilung zumindest in einem konkurrenz- und kundenorientierten Unternehmen als Fremdkörper empfunden wird, der die Leistungsfähigkeit insgesamt nicht fördert, sondern durch Verzögerungen bremst. Eine solche Abgrenzung ist in der Regel wechselseitig, das heißt nicht nur die Personalabteilung grenzt sich als etwas Besonderes von den anderen Unternehmensbereichen ab, sondern wird auch von diesen ausgegrenzt (zum Thema »Blockbildung zwischen Gruppen« vgl. Abschnitt 8.2 Psychologische Bedingungen der Entwicklung von Dauerkonflikten durch »Blockbildung«, S. 321). Leider sind die externen Mechanismen, die das Selbstverständnis als »Behörde« nahe legen, keineswegs nur auf die historische Entwicklung begrenzt. Sofern zur Personalabteilung auch die notwendige Personalverwaltung wie etwa die Lohnabrechnung und dergleichen gehört, muss zumindest in gewissen Teilbereichen ein verwaltungsmäßiges Denken gesichert sein. So ist die exakte Einhaltung aller Vereinbarungen und Vorschriften etwa bei der Lohn- und Gehaltsabrechnung eine Selbstverständlichkeit. Überdies unterliegen zahlreiche Vorgänge im Personalwesen einer sehr engen rechtlichen Kontrolle und Regelung, die in den letzten Jahren eher zugenommen als abgenommen haben. Man kann davon ausgehen, dass nahezu alle Verstöße gegen das umfangreiche Regelungswerk »Arbeitsrecht« von den Mitarbeitern mit Unterstützung des Betriebsrats moniert werden, was einem »Behörden-Denken« stark förderlich ist. Vor allem dann, wenn der Leiter des Personalbereichs aufgrund seiner Ausbildung und seiner fachlichen Schwerpunktsetzung dem Arbeitsrecht oder der Lohnabrechnung persönlich verbunden ist, dürfte eine besondere Tendenz bestehen, den gesamten Personalbereich nach dieser Grundkonzeption auszurichten.
Metaphern des Personalbereichs
375
Wichtigstes Bestreben der Personalabteilung als »Behörde« ist es, die Regeln möglichst fehlerfrei einzuhalten. Das Entwickeln von vorausschauenden Perspektiven für eine innovative Personalarbeit spielt dabei eine weniger bedeutende Rolle.
Die Personalabteilung als Machtinstrument Ein anderes Leitbild des Personalbereichs, zumindest in den für die qualitative Personalarbeit entscheidenden Teilbereichen wie Mitarbeiterauswahl, Personalentwicklung und Führungsmittel, ist das eines Machtinstruments der Unternehmensleitung oder einiger Personen mit Leitungsfunktion. Die Aspekte der Personalarbeit prägen wesentlich die langfristige Entwicklung des Unternehmens. Es liegt daher nahe, dass sich gerade in potenziellen Konfliktsituationen einzelne Führungspersonen dieses Bereichs als Instrument zur Durchsetzung der von ihnen angestrebten Veränderungen oder zur Verhinderung von Veränderungen bedienen. Der Fall kann dann eintreten, wenn ein Unternehmen von einem anderen übernommen wird und die Spitze Wert auf eine homogene Führungskultur legt. Es ist vorstellbar, dass dabei die bisherige Führungskultur gewissermaßen »mit aller Macht« durch eine neue ausgetauscht wird. Ein anderer häufiger Ausgangspunkt dieses Selbstverständnisses des Personalbereichs ist ein neu ernanntes Vorstandsmitglied oder der Wechsel des Inhabers in einem mittelständischen Unternehmen. Die Personalarbeit hat naturgemäß die Aufgabe, einen Beitrag zur Veränderung des Unternehmens zu leisten. Schwierig wird dies jedoch dann, wenn der angestrebte Innovationsprozess von der Personalabteilung oder von Führungskräften und Mitarbeitern des Unternehmens nicht als ein gemeinsames Ziel zur Verbesserung der Leistungskraft gesehen wird, sondern als ein Versuch zur Durchsetzung von Partikularinteressen einzelner verantwortlicher Personen. In diesem Fall werden die Maßnahmen der Personalabteilung von den anderen verantwortlichen Personen mit Skepsis betrachtet und so weit wie möglich unterlaufen. Auch kann ein Aufbau von »Gegenmacht« die Folge sein. Dies kann zu größeren Konflikten im Unternehmen führen und die qualitative Personalarbeit unmöglich machen, da diese auf den Konsens von Führungskräften und Mitarbeitern angewiesen ist. Es sollte daher alles unternommen werden, mögliche Interessenkonflikte zeitig zu minimieren (vgl. Abschnitt 7.6 Modelle der Konfliktnutzung, S. 304), damit es gar nicht erst zum Versuch kommt, Partikularinteressen über die Personalarbeit durchzusetzen.
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Grundlagen erfolgreicher Personal- und Organisationsentwicklung
Die Personalabteilung als Dienstleister Ein völlig anderes, eher modernes Selbstverständnis der Personalarbeit ist das eines »Dienstleisters«. Die Personalabteilung bemüht sich, den Wünschen der »Kunden« gerecht zu werden und deren Bedürfnisse so weit wie möglich zu befriedigen. Dazu gehört: – Eine Erhebung der tatsächlichen Bedürfnisse im Unternehmen und die Berücksichtigung der dabei erzielten Ergebnisse. In den Hintergrund gerät dabei die Durchsetzung von Strategien, die einzig oder vorwiegend von der Personalabteilung für richtig gehalten werden. – Werbung im Unternehmen, da nur dann Angebote nachgefragt werden, wenn diese bekannt und hinsichtlich einer Nutzen-Kosten-Kalkulation für positiv befunden werden. Ein solches Sichverkaufen steht aber im völligen Gegensatz zu der emotionalen Grundhaltung von Verantwortlichen, die die Metapher der Personalabteilung als Behörde und Machtinstrument verinnerlicht haben. – Der Nutzen der Nachfrage von Dienstleistungen aus dem Personalbereich muss für die Verantwortlichen erlebbar sein, was in vielen Fällen nicht ohne weiteres der Fall ist. Häufig lassen sich die positiven Effekte der Personalarbeit nicht eindeutig auf diese attribuieren, sodass es nicht immer leicht fallen dürfte, den Nutzen der Personalarbeit nach außen hin darzustellen und zu vermitteln (vgl. Abschnitt 10.3 Persönliche Qualifikationen für eine erfolgreiche Personalarbeit, S. 381). Es mag in konkreten Situationen schwierig, bisweilen unmöglich sein, sich ausschließlich für eines der drei Leitbilder zu entscheiden. Man sollte als Verantwortlicher klären, welches Leitbild das bevorzugte darstellt, und die Konsequenzen bedenken, die die eine oder andere Entscheidung in dieser Hinsicht mit sich bringt. So sollte sich etwa eine »Behörde« nicht wundern, wenn der für den Vertrieb zuständige Vorstand eine eigene, in seiner Verantwortung angesiedelte Personalentwicklung aufbaut oder wenn bei der Metapher »Machtinstrument« eine massive Reaktanz verschiedener Unternehmensbereiche selbst auf elementarste Wünsche oder Vorschläge der Personalabteilung erfolgt.
Finanzierungsmodelle
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10.2 Finanzierungsmodelle Für die Durchsetzung der Interessen des Personalbereichs im Unternehmen ist es ein erhebliches Problem, dass der Eindruck entstehen könnte, dieser verursache nur Kosten, während andere Teilbereiche, wie der Vertrieb, die an sich angestrebten Erlöse erwirtschaften. Natürlich wäre diese Sichtweise ebenso verkürzt wie die Vorstellung, dass der Einkauf von Rohmaterial eine den Geschäftserfolg schädigende Vorgehensweise ist, weil dort Geld ausgegeben wird. Trotzdem ist der reine »Ausgaben-Charakter« des Personalbereichs ein Hinderungsgrund für die Durchsetzung qualitativer Arbeit, vor allem dann, wenn aufgrund der Wirtschaftslage alle scheinbar unnötigen Kosten reduziert werden müssen. Die Alternative zu dieser Konstruktion ist die Einrichtung der »Personalabteilung als Profit-Center«, das seine Kosten durch Überweisung aus den produktiven Bereichen deckt, also etwa durch die »Bezahlung« von Beratungsoder Bildungsangeboten durch unternehmensinterne Abrechnung. Beide Varianten, das »Gemeinkostenmodell« und die »Profit-Center-Organisation«, haben Vor- und Nachteile.
Gemeinkostenmodell Werden die Leistungen der Personalabteilung als Gemeinkosten auf die anderen Bereiche nach den üblichen betriebswirtschaftlichen Maßstäben aufgeschlüsselt, ergibt sich als Vorteil, dass die Personalarbeit relativ unabhängig ist und sich nicht nur an den vordergründigen oder kurzfristigen Interessen der potenziellen »Abnehmer« orientieren muss. Dies erleichtert die Durchsetzung von Maßnahmen, die sich erst langfristig erfolgssteigernd bemerkbar machen, wie zum Beispiel Programme zur langfristigen Verbesserung der Mitarbeiteridentifikation mit dem Unternehmen. Auch Maßnahmen, die von den Führungskräften mit Linienverantwortung zunächst skeptisch beurteilt werden, können bei dieser Verrechnungsform leichter durchgesetzt werden. Dazu gehören Bildungsmaßnahmen, von denen in erster Linie die Mitarbeiter selbst profitieren und nur indirekt auch das Unternehmen, oder die Einrichtung von Assessment-Centern zur Bewerberauswahl. Fachlich begründete Innovationen können dadurch erleichtert werden. Von Nachteil ist beim Gemeinkosten-Modell vor allem die Abhängigkeit von der persönlichen Durchsetzungskraft der für diesen Unternehmensbereich verantwortlichen Führungspersonen. Da viele Verantwortliche in Linienfunk-
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Grundlagen erfolgreicher Personal- und Organisationsentwicklung
tionen das Gefühl haben, bei einer solchen Regelung keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung der Personalarbeit nehmen zu können, ist mit Reaktanz (vgl. Theorieübersicht: Reaktanztheorie, S. 334) oder zumindest doch mit einem erheblichen Überzeugungsbedarf für die entsprechenden Maßnahmen zu rechnen. Im Regelfall hat die Personalabteilung bei diesem Modell auch keine wirklich einsatzfreudige Lobby, die hilft, die Interessen der Personalentwicklung durchzusetzen. Dies gilt ganz besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
Profit-Center-Organisation Die Vor- und Nachteile der Profit-Center-Organisation sind im Wesentlichen spiegelbildlich zu den oben genannten. Die Akzeptanz in der Linie ist um Vieles höher, da durch die in eigener Verantwortung festgelegte »Nachfrage« ein unmittelbarer Einfluss möglich ist. Behördenartige Erstarrungen der Personalabteilung werden vermieden, da diese durch die Abhängigkeit von unternehmensinternen Nachfragern an einer fortlaufenden Verbesserung ihrer Angebote interessiert ist. Auch ist mit einer größeren Realitätsnähe im Hinblick auf das unmittelbare Alltagsgeschäft im Unternehmen zu rechnen. In manchen Unternehmen existieren sogar Möglichkeiten, dass finanziell günstigere Angebote nicht bei der unternehmenseigenen Personalabteilung, sondern extern angefordert werden können. Dadurch wird die Personalabteilung zwangsläufig flexibler, innovationsfreudiger und »kundenorientierter«. Die Nachteile der Profit-Center-Organisationen liegen in der oft nur kurzfristigen Planungsperspektive, der Konzentration auf unmittelbar erfolgssteigernde Maßnahmen und der Schwierigkeit langfristiger konzeptueller Arbeit. So kann es vorkommen, dass sich das gemachte Angebot zur Personalentwicklung nicht an dem tatsächlich nachweisbaren und absehbaren Mangel an fachlichen und außerfachlichen Qualifikationen orientiert, sondern an den aktuell gut »verkaufbaren« Seminaren et cetera. Längerfristig wirkende Maßnahmen setzen in einem solchen Fall eine erhebliche Überzeugungsarbeit bei den Linienvorgesetzten voraus, was naturgemäß wesentlich mehr Zeit in Anspruch nimmt als im Gemeinkosten-Abrechnungsmodell. In Tabelle 23 werden die Vor- und Nachteile dieser Modelle gegenübergestellt.
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Finanzierungsmodelle
Tabelle 23: Vor- und Nachteile des Personalbereichs als Gemeinkostenmodell und als Profit-CenterOrganisation Organisationsform
Vorteile
Nachteile
Gemeinkostenmodell – Personalabteilung relativ unabhängig; muss nicht unbedingt (kurzfristige) Interessen der anderen Abteilung berücksichtigen – Durchsetzung langfristiger Personalmaßnahmen möglich
– Abhängig von der persönlichen Durchsetzungskraft des Verantwortlichen der Personalabteilung – Hohe Reaktanz der anderen Abteilungen möglich – Zum Teil große Überzeugungsarbeit bei Projekten erforderlich – Keine »Lobby«, besonders in schwierigen Zeiten
Profitcenter-Modell
– Kurzfristige Planungsperspektive – Konzentration auf unmittelbar erfolgssteigernde Maßnahmen – Schwierigkeiten bei langfristiger konzeptioneller Arbeit – Hohe Überzeugungsarbeit bei langfristigen Maßnahmen erforderlich
– Hohe Akzeptanz – Vermeidung behördenartiger Erstarrung – Personalabteilung hat Interesse an fortlaufender Verbesserung – Auch externe Angebote abrufbar – Personalabteilung flexibler, innovationsfreudiger, kundenorientierter – Hohe Akzeptanz – Hohe Realitätsnähe
Die Entscheidung der Finanzierungsform hängt von den spezifischen Gegebenheiten eines Unternehmens ab. Es scheint die Tendenz zu geben, dass allmählich verstärkt Aspekte des Profit-Centers in die Gestaltung der Personalarbeit, besonders im Bereich der Personalentwicklung, aufgenommen werden. Viele größere Konzerne versuchen, die qualitative Personalarbeit partiell auszugliedern, auch in der Erwartung, Kunden am externen Markt, das heißt außerhalb des Unternehmens, zu gewinnen (allerdings nicht immer mit Erfolg). Für die meisten Unternehmen dürfte derzeit eine Mischform der günstigste Weg sein. Ein Teil der qualitativen Personalarbeit könnte durch Gemeinkosten abgedeckt werden. Dazu könnten die Entwicklung neuer Formen der Bewerberselektion gehören oder die Entwicklung neuer Instrumente zur Stützung von Beförderungsentscheidungen oder Fortbildungsangeboten, die über den unmittelbaren Arbeitsbezug hinausgehen. Andere Teile wären dagegen durch die konkrete Nachfrage zu finanzieren. Dies könnte beispielsweise die Weiterbildung in fachlichen und außerfachlichen Kompetenzen, die Durchführung der Personalauswahl mit etablierten Instrumenten oder unternehmensinterne Beratungsleistungen betreffen. In Einzelfällen kann es sich auch anbieten, Aspekte der Personalverwaltung den Budgets der einzelnen Linienvorgesetzten
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zuzurechnen. Dies könnte deren Motivation steigern, unnötige und kostspielige (etwa im Fall gerichtlicher Auseinandersetzungen) Konflikte zu vermeiden. Im Übrigen sollte man bei der Entscheidung für die eine oder andere Finanzierungsform die Leitbildfunktion der Personalarbeit nicht unterschätzen. Für alle Mitarbeiter eines Unternehmens, besonders für die Führungskräfte stellt der Kontakt zur Personalabteilung eine besonders wichtige Quelle für das Erleben der konkreten Unternehmenskultur dar. Das tatsächlich erlebte Unternehmensklima hängt wesentlich davon ab, wie mit Bewerbern verfahren wird, wie die Personalarbeit auf den Wunsch von Mitarbeitern nach einer persönlichen Entwicklungsberatung reagiert und in welcher Weise Führungspersonen ihr weiteres Aufstiegspotenzial oder die Einschätzung ihrer nicht weiteren Förderwürdigkeit mitgeteilt wird. Ein einziges Negativ-Erlebnis mit der Personalabteilung in solchen Fragen kann dazu führen, dass Betroffene die meist in Hochglanzbroschüren festgehaltenen »Führungsgrundsätze« oder »Unternehmensleitsätze« für eine Farce halten und zum Schluss kommen, dass diese der Alltagsrealität in keiner Weise gerecht werden. Diese besondere Leitbildfunktion sollte mitberücksichtigt werden, wenn strukturelle Entscheidungen über den Personalbereich erwogen werden. So wird sich eine »Behörde« völlig anders verhalten als ein »interner Dienstleistungsanbieter«, der dem Zwang unterliegt, mit dem Verkauf seiner Angebote innerhalb des Unternehmens zur Sicherstellung der eigenen Finanzierung beizutragen. Man kann daher die Struktur des Personalbereichs auch dazu nutzen, langfristige Veränderungen im Unternehmen zu unterstützen. Möchte man etwa eine Steigerung der Kundenorientierung des Unternehmens bewirken, könnte es sehr zweckmäßig sein, an eine zumindest teilweise Profit-Center-Organisation zu denken. Soll im Gegensatz dazu in einem zu rasch und zu chaotisch wachsenden Betrieb der Aspekt von Struktur und Ordnung gestärkt werden, kann die zumindest vorübergehende Einrichtung einer »Behörde« eine nützliche Maßnahme sein. Man hat daher auch in dieser Frage zwischen der Passung des Personalbereichs und des Gesamtunternehmens zur Vermeidung von Gruppenabgrenzungen und Gruppenkonflikten abzuwägen. Zusätzlich sollten auch mögliche Erfordernisse zur Durchsetzung langfristiger Innovationen in die Entscheidung einbezogen werden. Wichtig ist, dass eine solche Entscheidung auf der Basis strategischer Überlegungen erfolgt. Sie sollte beispielsweise nicht auf Entscheidungen zur Anpassung an andere Unternehmen basieren oder in Form einer bloßen Fortschreibung eines vor Jahrzehnten eingerichteten Zustands.
Persönliche Qualifikationen für eine erfolgreiche Personalarbeit
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10.3 Persönliche Qualifikationen für eine erfolgreiche Personalarbeit In der Vergangenheit war in vielen Unternehmen das Image der Personalarbeit für den leistungsstarken Führungskräftenachwuchs alles andere als attraktiv. Die guten Betriebswirte strebten nach Aufgaben im Controlling oder im Marketing, die Techniker nach Forschungs- und Entwicklungsaufgaben oder nach der Übernahme von Linienverantwortung in der Produktion. Juristen fühlten sich am wohlsten in Rechtsabteilungen oder als Justiziar. Nicht selten übernahm die Personalarbeit jemand, der dies ursprünglich gar nicht wollte oder der mangels konkurrenzfähiger Leistungen im eigentlich angestrebten Bereich dahin abgeschoben wurde. Die Verhältnisse änderten sich, von einigen Ausnahmen abgesehen, erst allmählich mit der zunehmenden Bedeutung der Personalarbeit und der Bereitschaft, darauf spezialisierte Akademiker, wie Wirtschaftspsychologen oder auch Personen mit einer anderen sozialwissenschaftlichen Ausbildung, einzustellen. Wegen der zunehmenden Gestaltungsfreiräume des Personalbereichs ist die Passung der Mitarbeiter zu den Aufgaben dieses Bereichs wichtiger als in der Vergangenheit. Im Folgenden werden einige wichtige erforderliche Qualifikationen genannt (vgl. Theorieübersicht: Einige psychologisch relevante Persönlichkeitskonstrukte, S. 67). Ein besonders wichtiger Aspekt zufrieden stellender Arbeit im Personalwesen ist die Akzeptanz eines langfristigen Belohnungsaufschubs. Die wirklichen Erfolge einer Personalaufnahme, einer Beförderung oder eines sorgfältig geplanten Entwicklungskonzepts zeigen sich nur mittelfristig, manchmal erst in einer Perspektive von 10–15 Jahren (etwa bei Programmen zur langfristigen Führungskräfteentwicklung). Wer im Personalbereich kurzfristige Erfolgsrückmeldungen sucht, wird überwiegend enttäuscht werden. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Fähigkeit, zwischen Handlungs- und Lageorientierung (Kuhl 1983) situationsadäquat wechseln zu können. Ein Teil der Personalarbeit erfordert eine hohe Lageorientierung. Dazu gehört die Beachtung rechtlicher Bestimmungen. Es muss daher den Verantwortlichen ähnlich wie einem Notar besonders wichtig sein, Vorschriften exakt einzuhalten. Im Gegensatz dazu verlangen andere Bereiche, beispielsweise die Beratung oder personelle Einzelentscheidungen, eine hohe Handlungsorientierung. Dies ist dann wichtig, wenn schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen. Das Pendeln zwischen diesen beiden Arbeitsstilen und eine ausreichende Passung zu dieser Doppelstruktur sind daher für eine befriedigende Arbeit wichtig. Ebenfalls unverzichtbar ist eine hohe Frustrationstoleranz und die Akzep-
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tanz von Unsicherheit (Ambiguitätstoleranz). Auch bei bestem Bemühen sind gelegentliche Misserfolge in der Personalarbeit unvermeidbar. Das Annehmen von gelegentlich auch sehr schwerwiegenden persönlichen Fehlern, die Verarbeitung des damit verbundenen Stresses und die Bereitschaft, in unklaren und nicht präzise vorhersagbaren Entscheidungssituationen nach der Strategie der maximalen Risiko-Minimierung vorzugehen, ohne dadurch einen Motivationsverlust zu erleiden, ist äußerst zweckmäßig. Hinsichtlich der kognitiven Anforderungen ist beim unmittelbaren Umgang mit anderen Menschen wie in der Personalarbeit die Fähigkeit zur Bewältigung von Doppel- oder Mehrfachaufgaben, also die Belastbarkeit herauszustellen. Man muss in entsprechenden Situationen in der Lage sein, gleichzeitig gemäß seinem eigenen Konzept zu handeln, die Reaktionen der Gesprächspartner und Trainingsteilnehmer wahrzunehmen und kognitiv zu verarbeiten sowie simultan die »Programme« zur Veränderung des ursprünglichen, konzeptionsgestützten Vorgehens ablaufen zu lassen. Diese kognitiven Leistungen gründen sich unter anderem auf einem »Einfühlen« in soziale Situationen, was sich durch geeignete Trainingsprogramme schulen lässt. Erleichtert wird dieses Verhalten, wenn eine intrinsische Hilfeleistungsmotivation vorliegt, wenn also das Fördern und die Unterstützung anderer Personen an sich als befriedigend erlebt wird. Notwendig ist ferner eine prinzipiell positive Grundhaltung anderen Menschen gegenüber, ohne die man seinen beruflichen Schwerpunkt nicht in der qualitativen Personalarbeit suchen sollte. Dies gilt letztlich für alle Personen mit unmittelbarer Führungsverantwortung. Im Prinzip haben es die Mitarbeiter der Personalabteilung besonders leicht, eine langfristige Sinnhaftigkeit in ihrer Tätigkeit zu sehen. Bei gesättigten Märkten lässt sich in der Produktion und im Marketing sowie im Verkauf eine Sinngebung oft nur in einer relativen Überlegenheit gegenüber der Konkurrenz finden, was langfristig jedoch oft auch als unbefriedigend erlebt wird. Im Gegensatz dazu beinhaltet die Arbeit im Personalbereich, zu der die Verbesserung der Situation von Menschen, die Steigerung ihrer Arbeitszufriedenheit, die Förderung ihrer Einsatzbereitschaft und deren Unterstützung bei ihrer persönlichen Weiterentwicklung gehört, eine sehr schöne, auf Dauer zufrieden stellende und »ehrbare« Zielsetzung. Dieser Vorteil der Arbeit im Personalbereich kann aber nur genutzt werden, wenn man sich selbst als Ursache der ausgelösten Wirkungen versteht (vgl. Theorieübersichten zur Attribution: »Attributionsmodell von Heider, S. 89, und Attributionstheorie von Kelley, S. 92). Leider trägt ein Teil der Arbeitsbedingungen in vielen Personalabteilungen nicht gerade dazu bei, dass Erfolge auf die eigene Leistung attribuiert werden. Hierzu einige Beispiele:
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– Die Handlungsfreiheit ist gerade für Anfänger im Personalbereich relativ gering, da diese sich meist an relativ strenge Vorgaben wie Verträge, Rechtsbestimmungen oder Vereinbarungen zur Personalentwicklung zu halten haben. – Die nicht vermeidbaren Fehler, die bei Personalentscheidungen auftreten können, können bei deutlich werdenden negativen Konsequenzen die Tendenz fördern, die Verantwortung von sich zu schieben und externale Ursachen als die eigentlichen Bedingungen herauszuarbeiten. – Wenn der Personalbereich nur auf kurzfristige Aufträge der Unternehmensbereiche reagiert und keine eigenen langfristigen Konzeptionen aufbaut, entsteht fast zwangsläufig das Gefühl, die Umwelt in nur einem relativ engen, nicht allzu relevant erlebten Teilausschnitt beeinflussen zu können. Es gibt Möglichkeiten, mit denen eine Attribution der Erfolge auf die eigene Person gefördert werden kann: Erforderlich ist ein Klima der Fehlerakzeptanz bei gleichzeitiger Sicherung einer sachgerechten Entscheidungsgrundlage. Außerdem ist das Gewähren ausreichender Freiräume im Sinne einer echten Delegation von Verantwortung auch bei schwierigen Aufgaben der Personalarbeit erforderlich. Und schließlich sind überzeugende Personen wichtig, die als Verantwortliche im Personalwesen deutlich machen, dass die Personalarbeit kein »Anhängsel« der Unternehmensorganisation darstellt, sondern in der Lage ist, eigene Gestaltungskonzepte für das Unternehmen zu entwickeln. Man muss allerdings auch sehen, dass die Erfüllung dieser nahe liegenden Forderungen auch zu Spannungen im Unternehmen führen kann. Daher braucht es eine entsprechend moderne Unternehmenskultur und risikofreudige Vorgesetzte, die den Nutzen der Entwicklung ihrer Mitarbeiter im Zweifelsfall auch über den reibungslosen Ablauf etwa bei der Personalarbeit stellen.
10.4 Erfolgsmessung und Beurteilung der Personalarbeit Die Grundvoraussetzung für die erfahrungsgestützte Verhaltensoptimierung ist die Rückmeldung bezüglich der durch das eigene Verhalten ausgelösten Folgen (vgl. Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151). Diese Rückmeldung muss mit einer Bewertung des Nutzens der Handlungen verbunden sein (vgl. Abschnitt 1.3 Subjektive Nutzenbewertung, S. 41), was jedoch in der Personalarbeit sehr viel schwerer ist als beispielsweise im Vertrieb. Oft verhindern auch Gewohnheiten und eine Orientierung an dysfunktionalen Leitbildern die Möglichkeiten einer ergebnisgestützten Optimierung.
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Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten, als Vorgesetzter den Erfolg eines Systems durch steuernde Eingriffe zu sichern und zu kontrollieren: Bei der Inputkontrolle wird alles sorgfältig kontrolliert, was in das System eintritt – Rohmaterial, Personal, Organisationsform. Personalabteilungen, die nach diesem Prinzip geführt werden, zeichnen sich durch eine Konzentration auf die Qualität der eingesetzten Instrumente und Trainer aus. Man vertraut darauf, dass dadurch ein besonders günstiges Ergebnis gesichert wird. Sofern überhaupt eine systematische Erfolgsbewertung (etwa im Bereich der Personalentwicklung) erfolgt, beschränkt sich diese auf die Überprüfung der InputQualität. Die Überprüfung erfolgt beispielsweise mithilfe von Einschätzungsskalen, die von Seminarteilnehmern ausgefüllt werden, und bezieht sich auf die Qualität der Unterbringung und der Mahlzeiten und auf den allgemeinen Eindruck von der Kompetenz des Trainers. Besonders im öffentlichen Bildungswesen, das vielfach als Modell für die unternehmensinterne Ausbildung dient, dominiert die Inputkontrolle. (Ein Umdenken scheint allerdings vor dem Hintergrund der PISA-Studie, eine seit 2000 zyklisch durchgeführte, international standardisierte Leistungsmessung bei 15-jährigen Schülern, in Gang gekommen zu sein. Bundesdeutsche Schüler schnitten dabei weit unter den Erwartungen ab; vgl. Baumert et al. 2001; OECD 2001.) Für die Tätigkeit an öffentlichen Schulen werden die Lehrer sehr sorgfältig und im Rahmen des Referendariats in unmittelbarer Kontrolle des späteren Dienstgebers vorbereitet. Dabei wird ihre vermutliche Leistungsfähigkeit vor Aufnahme in den Schuldienst überprüft. Ihnen wird eine wohl definierte und sorgfältig kontrollierte Menge an Arbeitsmitteln, wozu auch Schulbücher und andere Instrumente gehören, zugestanden. Dies ist alles »Input«. Eine tatsächliche Verhaltenskontrolle steht nicht im Zentrum. So finden etwa Visitationen durch Direktoren und Schulräte nach der Probezeit nur noch sehr selten statt und meist nur im Rahmen von Personalbeurteilungen, wenn es um Aufstiegsentscheidungen geht (mit entsprechend vorbereiteten »Sonder-Vorführungen«). Hauptzweck der Visitationen ist jedoch nicht die kollegiale Hilfe zum Besserwerden. Eine Kontrolle des Outputs in einer das Schulsystem übergreifenden Form findet in Deutschland (möglicherweise noch) nicht statt. Dagegen ist dies in den Vereinigten Staaten durch eine kontinuierlich durchgeführte externe Evaluation des Lernerfolgs der Absolventen üblich. Bei der Verhaltenskontrolle gibt man detaillierte Verhaltens- und Verfahrensschritte vor, kontrolliert die Einhaltung dieser Regeln und sieht darin die Grundlage des Erfolgs. Das Prinzip der Verhaltenskontrolle ist typisch für den Bereich der öffentlichen Verwaltung und liegt daher auch für jene Personalabteilungen nahe, die nach dem Grundmodell »Behörde« (s. Abschnitt 10.1 Me-
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taphern des Personalbereichs, S. 373) strukturiert sind. Auf die unerwünschten Konsequenzen eines solchen Ansatzes wurde bereits verwiesen. Bei der Ergebniskontrolle schließlich beschränken sich die Vorgaben im Wesentlichen auf die Zielsetzung für das gewünschte Ergebnis. Es bleibt den Mitarbeitern weitgehend selbst überlassen, mit welchem Input und mit welchem Verhalten im Detail das gewünschte Ergebnis erreicht wird (Management by objectives; vgl. Abschnitt 4.6 Individualisierter Motivations-Mix als Lösungsvorschlag, S. 201). Die Nutzung des Prinzips der Ergebniskontrolle setzt jedoch voraus, dass man das Ergebnis in irgendeiner Form messen, quantifizieren kann. Dies ist in Anbetracht der genannten langfristigen Zeitperspektiven und den Schwierigkeiten bei der Erfassung eines Großteils der vielen Parameter, die für den Erfolg der Personalarbeit relevant sein könnten, nicht immer einfach. Doch steht heute eine Reihe von Techniken zur Verfügung, die eine Erfolgsmessung – zumindest annähernd zufrieden stellend – ermöglicht. Ein Teil der skeptischen Einschätzungen solcher Bewertungsmaßnahmen vieler Praktiker im Personalbereich könnte darauf zurückgehen, dass es dem klassischen Denken einer »Behörde« völlig widerspricht, sich einer Ergebniskontrolle auszusetzen. So gilt in »Behörden« oftmals der Satz (der typisch für das »Verwaltungsdenken« ist): »Eine Verwaltungsvorschrift muss befolgt werden, unabhängig davon, ob sie tatsächlich einen positiven Effekt hat oder nicht.« Erst wenn man über die Veränderungen, die durch die Arbeit der Personalabteilung erwirkt werden, ebenso sprechen kann, wie beispielsweise über Umsatzzahlen, ist eine vollständige Gleichwertigkeit und Anerkennung dieses Bereichs im Unternehmen zu erwarten. Dafür müssen die Effekte der Personalarbeit messbar und quantifizierbar gemacht werden. Hierbei stellt sich die Frage nach den Kriterien, hinsichtlich derer beurteilt wird, und nach den Beurteilungs- und Evaluationsmethoden. Es soll auf zwei Gruppen von Ansätzen eingegangen werden: Bei den ökonomisch-betriebswirtschaftlichen Ansätzen stehen Kostenaspekte im Vordergrund. Gearbeitet wird dabei mit Methoden der Soll- und Plankostenrechnung. Es wird dadurch versucht, die Vergleichbarkeit des Personalbereichs mit anderen Unternehmensbereichen zu optimieren. Diese Ansätze haben jedoch drei entscheidende Nachteile: – Bei der Beurteilung konzentriert man sich in erster Linie auf »harte« Kriterien. So genannte »weiche« Faktoren, die ebenso für den unternehmerischen Erfolg eine wichtige Rolle spielen können (wie Mitarbeiterzufriedenheit), spielen nur eine untergeordnete Rolle. Diese Tendenz zeigt sich bei Führungskräftetrainings im Rahmen von EDV-gestützten Unternehmensplan-
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spielen selbst dann, wenn vor der Durchführung auf die besondere Bedeutung von »weichen« Faktoren für den Unternehmenserfolg hingewiesen wird. – Es besteht die Gefahr, dass man sich bei einer Erfolgskontrolle zu stark an Kostenkriterien orientiert. Diese stellen jedoch in keiner Weise die einzigen (»harten«) Kontrollaspekte für die Unternehmenssteuerung dar, weswegen es zu Verzerrungen bei der Beurteilung in eine negative Richtung kommen kann. Ferner wird dadurch die Sichtweise von der »Personalabteilung als Kostenfaktor« verstärkt, was eher eine Konzentration auf Input- und Verhaltenskontrolle nahe legt als den Aufbau eines ergebniskontrollierten Vorgehens. – Die Bestimmung des Nutzens einer Maßnahme (»Wie viel Bruttoertrag bringt die Zunahme der Mitarbeiterzufriedenheit um eine Einheit?«) wird vernachlässigt, obgleich diese eine Bedingung zur Rechtfertigung von Ausgaben im Personalbereich darstellt. Pädagogisch-psychologische Ansätze (s. Thierau et al. 1999) konzentrieren sich beispielsweise auf folgende Kriterien: – Messbarer Lernerfolg nach einem Training, – Häufigkeit von Verhaltensänderungen hinsichtlich eines bestimmten trainierten Aspekts, – Ausmaß der Nachfrage nach Bildungsangeboten, was als Indikator für die positive oder negative Bewertung vorangegangener Bildungsangebote betrachtet werden kann. Leider stellen die genannten Kriterien nur Detailaspekte dar, was zur Folge haben kann, dass sich in einer Diskussion über den Nutzen einer Weiterbildung plötzlich »harte« Argumente (hinsichtlich der Kosten) und »weiche« Argumente (Lerneffekt) gegenüberstehen. Es ist anzunehmen, dass eventuelle Verteilungskonflikte in einer solchen Situation selten zugunsten der Bildungsarbeit ausfallen. Der Aspekt des Nutzens der Personalarbeit für das Unternehmen sollte im Rahmen einer Evaluation einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Die Personalarbeit dient nicht dem Selbstzweck, sondern es wird von ihr erwartet, dass sie auf Aspekte im Unternehmen Einfluss nimmt, die für den Unternehmenserfolg relevant sind. Dies könnten beispielsweise sein: – personenbezogene Aspekte, wie Mitarbeiterzufriedenheit, Identifikation mit dem Unternehmen, intrinsische Arbeitsmotivation, Fluktuation, Fehlzeiten, Reduktion bestimmter Fehlverhaltensweisen; – Sozialindikatoren, wie Beschwerden, Konflikthäufigkeit, Übernahme defi-
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nierter Führungsverhaltensweisen, Intensivierung des Verhaltens im zwischenmenschlichen Bereich; – systembezogene Aspekte, wie die Art des tatsächlichen Informationsflusses, tatsächlich stattfindende Entscheidungsprozesse, Beachtung der Unternehmenswirkung nach außen; – für das Unternehmen als Ganzes berechenbare Aspekte, wie die Häufigkeit der externen Besetzungen von Führungspositionen trotz des beschlossenen Grundsatzes »Aufstieg vor Einstieg«, der Verlust hoch qualifizierten eigenen Personals an die Konkurrenz oder nachweisbarer Imageverlust oder nachweisbare Imageverbesserung in relevanten Netzwerken. Dies sind nur einige Beispiele, hinsichtlich derer die Beurteilung der Personalarbeit möglich ist. Allerdings kann von einer Akzeptanz solcher Kriterien nicht immer ausgegangen werden: – Die Ausprägung vieler Kriterien verändert sich nur langfristig. Manchmal sind jedoch kurzfristige Erfolgsmessungen wünschenswert. – Es besteht Unklarheit darüber, in welchem Ausmaß die genannten Kriterien (etwa Mitarbeiterzufriedenheit) tatsächlich mit dem unternehmerischen Erfolg in Verbindung stehen. – Vielfach gibt es keine Möglichkeiten des empirischen Nachweises, dass die Verbesserung hinsichtlich eines Kriteriums (zum Beispiel geringere Fehlzeiten) tatsächlich auf eine bestimmte Maßnahme zurückzuführen ist. So könnte eine positive Veränderung auch ohne die entsprechende Maßnahme eingetreten sein (Placebo-Effekt der Maßnahme), möglicherweise sogar in einem noch sehr viel stärkerem Ausmaß (negativer Effekt einer Maßnahme). – Entscheidend für die Akzeptanz solcher nicht unmittelbar finanziell erfassbaren Kontrollvariablen ist ihre Festlegung vor Durchführung einer Maßnahme. Die relevanten Zielgrößen müssen vor Eintreten der empirischen Ergebnisse gemäß der Richtung und noch besser. Im Hinblick auf das erwünschte Ausmaß von den Verantwortlichen festgelegt werden. Diese Schwierigkeiten beziehen sich jedoch nicht ausschließlich auf Maßnahmen der Personalabteilung, sondern betreffen durchaus auch Maßnahmen anderer Unternehmensbereiche. Dazu ein Beispiel aus dem Marketingbereich: Der Gewinn neuer Marktanteile muss nicht zwangsläufig mit einem höheren Ertrag verbunden sein, und ob eine bestimmte Werbestrategie nicht eine Fehlentscheidung war, lässt sich auch nicht immer feststellen: Wäre die Strategie verworfen worden, hätte dies eventuell sogar mehr Erfolg gebracht (beispielsweise bei einer das Image schädigenden Werbung).
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Um die genannten Kriterien bei der Evaluation der Personalarbeit zu implementieren, kann jedoch einige Aufklärungsarbeit erforderlich sein. Dies betrifft sowohl die Verantwortlichen für den Personalbereich als auch die Führung des Gesamtunternehmens. Von der fachlichen Perspektive haben Techniker (Qualitätskontrolle), Juristen (gewonnene, verlorene Prozesse) und Marketingspezialisten (Marktforschung) eine viel größere Nähe zu am Output orientierten Evaluationskriterien als die typischen Experten für die Personalarbeit. Für eine Vertiefung der Evaluationsansätze und Evaluationsmöglichkeiten im Personalbereich sei auf Sonntag (1992) hingewiesen.
10.5 Durchführung von Innovationen Es ist an sich selbstverständlich, dass im Personalbereich genauso wie in allen anderen Unternehmensteilen aufgrund der sich ändernden Rahmenbedingungen immer wieder Innovationen notwendig sind (vgl. Abschnitt 11.2 Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen, S. 401). Obgleich in den letzten Jahrzehnten diesbezüglich erhebliche Fortschritte erreicht wurden, könnte man noch einige Verbesserungen erzielen. In Anlehnung an die Typologie von Innovationsprozessen von Lewin (1947) soll im Folgenden gezeigt werden, wie kognitive Dissonanzen (vgl. Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82) bei den von Innovationsmaßnahmen betroffenen Mitarbeitern entstehen können. Ferner wird dargestellt, wie anhand gezielter Informationsvermittlung, zum Beispiel durch die Personalabteilung, die erlebten Inkonsistenzen eventuell vermindert werden können.
Theorieübersicht: Innovationstheorie
Der Prozess der Innovation (s. Böhnisch 1979; Lewin 1947) erfolgt in drei Phasen 1. Phase des Innovationsprozesses: »Unfreezing« Gemäß den üblichen Innovationsmodellen setzt jeder Innovationsprozess zuerst ein »Auftauen« voraus, in dem es zu einem Aufbrechen und einem Loslösen von bewährten Verhaltensweisen kommt. Dieser Vorgang wird von vielen Beteiligten als schmerzlich empfunden, ist aber unumgänglich, um zum Stadium der Veränderung zu gelangen. In dieser Phase des Innovationsprozesses geht es primär darum, die von den
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Maßnahmen betroffenen Mitarbeiter für die Notwendigkeit von Innovationen zu sensibilisieren. Hierzu ist es in der Regel notwendig, dass die Betroffenen mit der Tatsache konfrontiert werden, dass ihr bisheriges Verhalten – Arbeitserledigung, Entscheidungsfindung, Kommunikationsverhalten – nicht optimal war. Durch das Infragestellen des bisherigen Verhaltens wird das kognitive Gleichgewicht der Betroffenen gestört, das heißt, es werden Dissonanzen induziert. Das Ausmaß der erlebten Dissonanz ist in hohem Maß davon abhängig, wie zufrieden die Mitarbeiter mit ihrem bis zu diesem Zeitpunkt praktizierten Verhalten waren: Bei Mitarbeitern, der bislang mit sich selbst und mit ihren Formen der Aufgabenerledigung zufrieden waren, sind sehr viel stärkere Dissonanzen zu erwarten als bei Personen, die den alten Zustand sowieso als nicht sonderlich befriedigend empfanden. Die Personalabteilung kann auch über die Ausnutzung des so genannten »Public Commitment« von Unternehmensmitgliedern versuchen, ihre Interessen und Vorschläge durchzusetzen. Dabei wird ein wichtiger Betroffener möglichst zu einer freiwilligen und offenen Stellungnahme gegen den als defizitär erkannten Zustand veranlasst. Im besten Fall führt dieses »Public Commitment« dazu, dass die Person die eingeführte Innovation später als ihre eigene Idee betrachtet. 2. Phase des Innovationsprozesses: »Moving« In dieser Phase des Änderungs- oder Anpassungsprozesses werden die betroffenen Mitarbeiter von den Personen, die die Innovation durchführen, mit dem gewünschten Verhalten vertraut gemacht. Durch eine gezielte Unterstützung und Einübung der neuen Verhaltensweisen sollen die Mitarbeiter ihr kognitives Gleichgewicht, das durch die erste Phase gestört wurde, sukzessiv wieder finden. Im Rahmen der Unterstützung durch die aktiv Innovierenden, wie zum Beispiel die Personalabteilung oder der Fachvorgesetzte, ist ein steter Informationsfluss von zentraler Bedeutung. Es ist entscheidend, dass den Betroffenen vermittelt wird, dass durch die Verhaltensanpassung für sie höhere persönliche Erträge (zum Beispiel in Form zusätzlicher finanzieller Zuwendungen) zu erwarten sind und dass die zu erwartenden persönlichen Aufwendungen relativ unbedeutend sind. Neben der für die Überzeugung der betroffenen Mitarbeiter wichtigen Expertenmacht ist auch die »Referent-Power« (Macht durch Identifikation, Vorbildfunktion; s. Theorieübersicht: Machtmittel, S. 217) derjenigen Personen bedeutsam, die die Innovation durchführen. Das modellhafte Vorleben gewünschter Verhaltensweisen (vgl. Theorieübersicht: Sozial-kognitive Lerntheorie, S. 245) kann in dieser Phase das Auftreten von Innovationswiderständen erheblich vermindern.
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Es ist ratsam, im Rahmen dieser Innovationsphase auf den Einsatz von Belohnungen für das erwünschte Verhalten weitgehend zu verzichten. Die dissonanztheoretischen Befunde weisen darauf hin, dass verstärkt mit Dissonanzen zu rechnen ist, wenn versucht wird, Verhalten, das den Einstellungen der Betroffenen entgegensteht, durch Belohnungen zu »motivieren« (vgl. Korrumpierungseffekt, S. 147). Da Belohnungen ähnlich wie Zwangsmaßnahmen einen sehr starken Aufforderungscharakter haben können, sehen sich Personen durch entsprechende Belohnungen in ihrer Freiheit eingeschränkt (vgl. Theorieübersicht: Reaktanztheorie, S. 334). Es besteht die Möglichkeit, dass die Mitarbeiter versuchen, ihre Freiheit sicherzustellen, indem sie in einem noch viel stärkeren Ausmaß an den ursprünglichen Einstellungen festhalten. Dies hat den Effekt, dass sich die Dissonanz zum »belohnten« Verhalten noch erhöht. An eine anhaltende Verhaltensänderung ist unter solchen Bedingungen nicht mehr zu denken. Belohnungen können das gewünschte Verhalten vermutlich allenfalls nur für eine begrenzte Dauer forcieren. Da es für eine dauerhafte Durchsetzung von Maßnahmen jedoch einer tief greifenden Dissonanzreduktion bedarf, ist ein bewusster Verzicht auf die nur kurzfristig hervorrufende »Reward-Power« (Macht durch Belohnung; s. Theorieübersicht: Machtmittel, S. 217) angezeigt. 3. Phase des Innovationsprozesses: »Freezing« Wenn schließlich eine neue Verfahrensweise eingeführt wurde, muss diese gefestigt (»eingefroren«) werden, um eine Konstanz und Kontinuität der Verhaltensweisen zu sichern. Unter dem Verfestigen von Anpassungs- oder Änderungsverhalten versteht man eine Stabilisierung des zurückgewonnenen kognitiven Gleichgewichts. Die Personalabteilung kann in dieser Phase die Aufrechterhaltung der gewünschten Effekte durch eine gezielte Informationspolitik sowie durch Übungs- und Transferhilfen bewirken. Die Durchführung von Innovationen im Bereich der vorhandenen Sozialstrukturen eines Unternehmens führt nicht selten zu massiven Widerständen der betroffenen Mitarbeiter (s. Abschnitt 11.3 Werteorientierte Personalpolitik – keine theoretische Utopie, sondern konkrete Unternehmensgestaltung, S. 410). Es gibt zahlreiche Untersuchungen zu allgemeinen Innovationswiderständen, von denen hier einige dargestellt werden.
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Theorieübersicht: Widerstände bei der Einführung von Innovationen
Mögliche Erscheinungsformen von Widerständen (s. Kirsch et al. 1979) bei der Einführung von Innovationen können sein: – Betroffene weigern sich, das durch die Innovierenden erkannte Problem zu akzeptieren. – Bei Fragen, die die Innovation betreffen, versuchen die Mitarbeiter auszuweichen oder aber diese abzuwerten. – Die betroffenen Personen verweigern die Teilnahme in der geforderten Form. – Es kommt zu verdeckter oder offener Sabotage. Die diesen Widerständen zugrunde liegenden Faktoren lassen sich nach Böhnisch (1979) folgenden Gruppen zuordnen: 1) Persönliche Faktoren: a) Persönlichkeitseigenschaften der Betroffenen, zum Beispiel Rigidität, Ängstlichkeit, Bedürfnis nach subjektiver Sicherheit, Flexibilität, b) Motivation oder Lernbereitschaft, sich neue Kenntnisse, Fähigkeiten anzueignen und sich auf neue Strukturen einzustellen, c) Einstellungen, Meinungen, Werthaltungen und Gewohnheiten der Mitarbeiter (konservativ versus liberal), d) biografische Merkmale, wie Alter, Berufserfahrung, Dauer der Betriebszugehörigkeit. 2) Faktoren des sozialen Umfelds: a) Meinungen, Einstellungen und Werthaltung von wichtigen Bezugspersonen im Unternehmen, b) Gruppendruck und Konformitätsdruck. Dies kann dazu führen, dass die Ausführung der neu erlernten Verhaltensweisen nicht nur verweigert wird, sondern möglicherweise sogar in gegenteiliges Verhalten umschlägt. 3) Merkmale der Organisation: a) Flexibilität der Organisationssysteme, vor allem des Kommunikations-, Leitungs- und Kontrollsystems, b) Charakteristika der Unternehmensphilosophie und -kultur. 4) Präsentation der Innovation: a) Ort, Zeit, Anlass und Atmosphäre der Ankündigung, b) Mitsprache- und Partizipationsmöglichkeiten der Betroffenen, c) Beziehungsklima zwischen aktiv Innovierenden und betroffenen Mitarbeitern, wie zum Beispiel Wertschätzung, Anerkennung (versus Geringschätzung), Bevormundung.
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5) Merkmale der Innovation: a) subjektiver Nutzen für die Betroffenen, b) Zusätzlich erwarteter Aufwand durch die Innovation, c) Einfachheit der Handhabung und Umsetzbarkeit der Innovation. Nach Chin und Benne (1976) gibt es im Wesentlichen drei Grundtypen von Innovationsstrategien, um Neuerungen im Unternehmen durchzusetzen: – Empirisch rationale Strategie: Mitarbeiter können durch rationale Informationen überzeugt werden. Die Umsetzung dieser Strategie erfolgt durch die Verbesserung des Informationsstands der Betroffenen und durch den Ausbau der Kommunikationsstrukturen. – Normative Strategie: Mitarbeiter orientieren sich an soziokulturellen Normen und Werten. Die Umsetzung dieser Strategie erfolgt durch eine Veränderung wahrgenommener Normen der Betroffenen (zum Beispiel Appell an Solidarität mit Kollegen) und durch eine Veränderung von Werten und Einstellungen durch die Unternehmenskultur. – Macht- und Zwangsstrategie: Mitarbeiter können nicht überzeugt werden, sondern müssen zu den Veränderungen gezwungen werden. Die Umsetzung dieser Strategie erfolgt durch die Nutzung von Verfügungsgewalt über Belohnungen und Sanktionen und durch die Berufung auf Gesetze, Verträge oder Betriebsvereinbarungen. Ein interessanter Problempunkt im Zusammenhang mit Innovationswiderständen ist, dass das jeweilige Menschenbild der Verantwortlichen einen entscheidenden Einfluss darauf hat, ob eine infrage stehende Maßnahme als Erfolg versprechend aufgefasst wird oder nicht. Diese Welt- und Menschenbilder entsprechen im Wesentlichen dem Paradigmenbegriff von Kuhn (1967): Ein Paradigma besteht aus einem Kern, der die im Alltagsleben im Allgemeinen nicht hinterfragten Grundannahmen enthält. Eine solche Grundannahme könnte beispielsweise sein: »Mitarbeiter müssen von außen motiviert werden!« oder »Führungskräfte sind die Einzigen, die für die Regelung von Arbeitsabläufen tatsächlich fachliches Wissen haben!« Ausgehend von diesen nicht infrage gestellten Grundannahmen entwickelt sich eine Menge von Hypothesen über das »richtige« Verhalten (vgl. Abschnitt 4.1 Mitarbeitermotivation – auch eine Frage des Menschenbilds, S. 170). Die Beurteilung der »Richtigkeit« dieser Hypothesen erfolgt dabei ohne weitere Erfahrung. Wenn man den Ausführungen von Kuhn bezüglich der Veränderbarkeit von Paradigmen folgt, so gibt es drei Möglichkeiten einer grundlegenden Veränderung von Strukturen:
Durchführung von Innovationen
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– »Biologische« Lösung: Jene Personen, die von einem bestimmten Paradigma geprägt sind, scheiden aus dem Unternehmen aus. – Existenzielle Krise: Sowohl Unternehmen als auch einzelne Unternehmensmitglieder ändern ihre Grundkonzeption nur dann, wenn die Fortführung zu einer massiven existenziellen Bedrohung, wie beispielsweise Konkurs, führen würde. – Erfolgsgesättigte Langeweile: Wenn die Möglichkeiten innerhalb eines solchen Paradigmas keine weiteren Verbesserungen und keinen als befriedigend erlebten Fortschritt mehr bringen, kann es allmählich zu dem Wunsch nach »Neuem« kommen, nach dem Bestreben, (wieder) »etwas Tolles« aufzubauen. Dies führt manchmal zu einer Veränderung der bisherigen Grundkonzeption. Unterstellt man, dass für grundlegende Innovationen in der Personalarbeit paradigmatische Veränderungen im Unternehmen beziehungsweise in der Denkweise der Verantwortlichen Voraussetzung sind, kann man spekulativ die gezeigten Möglichkeiten des Paradigmenwechsels auf die Personalarbeit übertragen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum bei Innovationen in der Regel mit Widerständen zu rechnen ist. Ferner können Innovationen durch psychologische Prozesse wie »Lernen durch Wiederholung« und »Lernen am relativen Erfolg« (vgl. Theorieübersicht: Operante Konditionierung, S. 130) behindert werden. Einige Beispiele: – Ein etabliertes Verfahren der Personalauswahl, das zur Beförderung der jetzt verantwortlichen Führungspersonen geführt hat, muss zwangsläufig gut sein (zumindest aus der Sicht der danach selektierten Verantwortlichen). – Lange Zeit eingesetzte Trainingskonzepte (und Trainer) verstärken sich von selbst, da man das, was man selbst immer wieder in solchen Veranstaltungen sagt oder hört, im Lauf der Zeit nahezu zwangsläufig für »richtig« hält. (Man denke an den psychologischen Mechanismus, dass der subjektiv wahrgenommene Wahrheitsgehalt einer Aussage allein durch deren Wiederholung gesteigert werden kann.) – Wurde einmal ein Verfahren, zum Beispiel ein Mitarbeiterbeurteilungsbogen oder ein Instrument der Nachfolgeplanung, gegen zunächst starke Widerstände erfolgreich etabliert, besteht oft die verständliche Tendenz, eine ähnliche Innovation nicht ohne zwingenden Grund nochmals auf sich zu nehmen. Selbst erfolgreiche Innovationen können aufgrund der damit verbundenen Mühe subjektiv als »negativ sanktioniert« erlebt werden und somit die Bereitschaft zu einer Wiederholung solcher Vorhaben senken.
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Grundlagen erfolgreicher Personal- und Organisationsentwicklung
Ein weiterer struktureller Punkt von Innovationshindernissen im Personalbereich könnten die Fehleinschätzungen sein, dass doch »alles gut läuft«, was dazu führt, dass die Notwendigkeit von Veränderungen nicht erkannt wird. Folgende drei Mechanismen können hierzu beitragen: Die große persönliche Verantwortung bei Personalentscheidungen reduziert aufgrund der Theorie der kognitiven Dissonanz (s. Theorieübersicht: Kognitive Dissonanztheorie, S. 82) die Bereitschaft, Fehlentscheidungen vor sich selbst zuzugeben. Lassen sich diese nicht leugnen, werden diese zur Stärkung des Selbstwertgefühls im Sinne einer selbstwertdienlichen Attribution (vgl. S. 112) external attribuiert (s. Theorieübersicht: Attributionsmodell von Heider, S. 89). Die Folge ist, dass die Notwendigkeit von Veränderung nicht erkannt wird. Da im Allgemeinen keine klaren, in messbaren Größen festgelegten Ziele für die Personalarbeit bestehen, fehlt häufig das Erleben einer für das Einleiten zielgerichteter Handlungen notwendigen Diskrepanz zwischen Ist- und Sollwert (s. Theorieübersicht: Allgemeines Handlungsmodell, S. 151). Schließlich fehlt meist auch die Möglichkeit eines Vergleichs, da für viele Entscheidungen keine Alternativen erprobt werden können. So lässt sich etwa die Position einer Führungskraft nur mit einer bestimmten Person und nicht »versuchsweise« mit mehreren denkbaren Bewerbern besetzen. Ferner können die Gründe für den Erfolg und Misserfolg so vielfältig sein, dass sie nicht allein auf die Personalarbeit zurückgeführt werden können. Die genannten Schwierigkeiten lassen sich am ehesten überwinden, wenn es einen intensiven Erfahrungsaustausch zwischen den mit der Personalarbeit betrauten Personen aus verschiedenen Unternehmen gibt. Es ist vor diesem Hintergrund sehr erfreulich, dass die wechselseitige Information der Verantwortlichen im Personalwesen anlässlich von Tagungen, Kongressen, Symposien oder Erfahrungsaustauschgruppen sehr offen ist. Dieser Erfahrungsaustausch bezieht sich beispielsweise auf konzeptuelle Überlegungen in der Personalarbeit oder konkrete Erfahrungen mit eingesetzten Instrumenten. Der Nutzen dieses wechselseitigen Informationsaustausches für das eigene Unternehmen wird von vielen höher eingeschätzt als der denkbare Konkurrenzvorteil einer »Geheimhaltungsstrategie«, sodass viele Unternehmen daran teilnehmen. Selbstverständlich unterliegen jedoch einige Bereiche einem absoluten Vertraulichkeitsschutz.
Zukunftsperspektiven
395
10.6 Zukunftsperspektiven Prinzipiell ist die langfristige Entwicklung der qualitativen Personalarbeit in Hinblick auf einen langfristigen Unternehmenserfolg sehr positiv einzuschätzen. Diese Entwicklung wird verstärkt durch den Wertewandel (s. Abschnitt 11.2 Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen, S. 401), die dadurch bedingt höheren Anforderungen und Ansprüche der Mitarbeiter an ihr Unternehmen in personalrelevanten Bereichen und die wachsenden Ansprüche der Kunden an die Leistungsfähigkeit besonders derjenigen Mitarbeiter, die im unmittelbaren Kundenkontakt stehen. Allerdings wird der Ausbau von Ressourcen für die qualitative Personalarbeit und die Steigerung der Leitungsfähigkeit der Führungskräfte im Bereich zeitgemäßer Personalführung nicht linear erfolgen. Konjunkturelle Krisen werden immer wieder zur Folge haben, dass den »unteren« Bedürfnissen der Unternehmen und der Mitarbeiter (zum Beispiel Existenzsicherung) zumindest phasenweise eine besonders hohe Bedeutung zugewiesen wird. Dann besteht eine besonders starke Tendenz, im Sinne einer kurzfristigen Ertragsverbesserung kostenintensive Fortschritte in der Personalarbeit zu reduzieren. Dies muss für die Qualität in diesem Bereich nicht unbedingt schädlich sein. Entscheidend sind das Selbstverständnis der Führungskräfte und die Art des alltäglichen, wechselseitigen Umgangs miteinander, der zumindest kostenneutral ist. Es wird wesentlich von der Außendarstellung des Personalbereichs durch die Verantwortlichen abhängen, wie schnell der bestehende positive Trend im Bereich der Qualitätssteigerung der Personalarbeit verlaufen wird. Neben der gezielten Nutzung notwendiger psychologischer Kenntnisse zur Durchsetzung der Bereichsinteressen benötigt man auch quantifizierbare, hinsichtlich ihres Nutzens für die anderen Unternehmensteile evidente Indikatoren. Die Verantwortlichen müssen bereit sein, solche Indikatoren nicht nur innerhalb, sondern auch zur Außendarstellung des Personalbereichs zu verwenden. Dies ist auch dann zu tun, wenn sich herausstellt, dass im Verantwortungsbereich der Personalabteilung ein nicht optimaler Erfolg nachgewiesen wird. Das damit verbundene »unternehmerische Denken« auch bei den für den Personalbereich Verantwortlichen und der Mut zum Risiko wird in den einzelnen Unternehmen die entscheidende Grundlage für eine schnelle Leistungssteigerung der qualitativen Personalarbeit sein.
11. Aus Beschäftigten »Mitarbeiter« machen – Fragen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur
Für die Führung von Mitarbeitern, die effiziente Gestaltung von Organisationsformen und eine effiziente Unternehmensführung ist eine ausreichende Passung des Unternehmens in die gesellschaftliche Kultur eine unverzichtbare Erfolgsgrundlage. Sicher gibt es hierbei gewisse Freiräume, anders wäre schließlich auch eine Veränderung der Unternehmenskultur nicht möglich. Eine zu große Diskrepanz zu den allgemein akzeptierten gesellschaftlichen (Wert-) Vorstellungen wird aber bei Mitarbeitern und Kunden auf Widerstand stoßen. Mit Widerstand muss besonders dann gerechnet werden, wenn die Abweichung des Unternehmens nicht im Trend, sondern in der gegenläufigen, zu konservativen Richtung liegt. Leider sind auch nicht wenige interessante und zukunftsweisende Organisationsänderungen in der Wirtschaft dadurch in Verruf geraten, dass sie vor dem Hintergrund der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung zu fortschrittlich waren. Ein Beispiel hierfür ist die damals sehr umstrittene Arbeitsgestaltung der Produktion bei Volvo in den siebziger Jahren (s. Gebert u. Rosenstiel 1989).
11.1 Bereiche der Unternehmenskultur und deren Erfassung »Kultur« ist ein nur schwer zu definierender und sehr allgemeiner Begriff.
Theorieübersicht: Kulturtheorien
Der Kultur-Begriff (s. Deal u. Kennedy 1982; Peters u. Waterman 1990) kann in Bezug auf Unternehmen aus zwei Perspektiven betrachtet werden: Die Unternehmung ist eine Kultur. Diese Perspektive bezieht sich auf die Entscheidungsform einer Unternehmenskultur, wie »sichtbare« Normen, Standards, Verhaltensrichtlinien, Regeln. Unternehmenskulturen lassen sich durch bildhafte Metaphern und Analogien beschreiben: – Maschinenmetapher: Das Unternehmen wird als Instrument zur Erreichung
398
Fragen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur
der Unternehmensziele betrachtet. Wichtig ist, dass das Instrument stets einwandfrei funktioniert. – Organisationsmetapher: Das Unternehmen muss sich den Bedingungen der äußeren Umwelt anpassen, um ihr inneres Gleichgewicht zu erhalten und um überleben zu können. Wichtig ist, dass das Unternehmen in engem Austausch mit der »Außenwelt« steht. – Theatermetapher: Das Unternehmen ist nach innen und außen ein Schauplatz, in dem betriebliche »Spielchen« stattfinden. Wichtig ist, dass jedes Firmenmitglied seine Rolle gut spielt und die »Kritiker« (Kunden und Konkurrenzunternehmen) möglichst wenig hinter die Kulissen schauen können (vgl. auch Goffman 2003). Die für ein Unternehmen charakteristische Kultur findet ihren direkten Niederschlag in der konkreten Gestaltung des Unternehmens. Insbesondere die Aufbauprinzipien und die Wahl der Gestaltungsinstrumente sind wichtige Hinweise auf die vorliegende Unternehmenskultur. Ein Unternehmen hat eine Kultur. Diese Perspektive richtet sich auf die Inhalte und die Begründungen für die kulturellen Erscheinungsformen einer Firma. Die Orientierung an einem geistigen, immateriellen Bedeutungssystem oder aber an einem instrumentellen, materiellen System zur soziokulturellen Gestaltung ist denkbar. Zu den Inhalten der Unternehmenskultur gehören als zentrale Punkte das Verhältnis der Menschen zur Natur, die Bedeutung von Realität und Wahrheit, Annahmen über das Wesen des Menschen und sein Verhalten sowie Annahmen über die Beziehung von Menschen untereinander. Diese Punkte finden sich in der Regel in den Unternehmensleitlinien und Führungsgrundsätzen wieder. Die Kultur eines Unternehmens wird als Bindeglied aufgefasst, das Mitarbeiter unterschiedlicher Arbeitsplätze verbindet und ihre Tätigkeit in einen gemeinsamen Sinnzusammenhang stellt. Um im Unternehmen eine Kultur zu schaffen, die den Unternehmenserfolg begünstigt, muss zunächst einmal die Beschaffenheit der kulturellen Ist-Situation festgestellt werden. Im Rahmen eines solchen »Kultur-Checks« können Mitarbeiterbefragungen, Interviews mit Schlüsselpersonen, Werteprofile und so weiter durchgeführt beziehungsweise erarbeitet werden. Außerdem kann die Betrachtung offensichtlicher Kulturmerkmale hilfreich sein. Hierzu zählen sprachliche Äußerungen (Geschichten, Anekdoten, Slogans), Handlungen (Routineverhalten, Traditionen, Rollen, Rituale) und Kulturgüter oder »Artefakte« (Statussymbole, Architektur, Kleidung, Firmenlogos). Das Auffinden und Verarbeiten unternehmensbezogener Werte ist Aufgabe
Bereiche der Unternehmenskultur und deren Erfassung
399
des Managements. Die Führungskräfte fungieren als Vorbilder, die die als wichtig erachteten Werte vorleben (vgl. Theorieübersicht: Sozial-kognitive Lerntheorie, S. 245) und die Mitarbeiter dazu bewegen sollen, diese Werte zu lernen und schließlich zu ihren eigenen zu machen.
Im Zusammenhang mit der Unternehmensgestaltung ist es wichtig zu berücksichtigen, dass es in jeder Kultur Festsetzungen in Bezug auf zumindest folgende Bereiche gibt: – Konsens bezüglich der als zulässig angesehenen Ziele: In manchen Kulturen ist das Streben nach persönlicher Sonderstellung durch Status oder Besitz zulässig, während dies in anderen Kulturen hingegen ein Verstoß gegen existierende Normen sein kann. So wurden in weiten Teilen Russlands bis in das 19. Jahrhunderts hinein die Ackerböden in den einzelnen Dorfgemeinschaften in bestimmten Abständen neu verteilt, um dauerhafte Einkommensunterschiede als Folge guter Böden zu vermeiden. Die Festlegung der in der jeweiligen Kultur zulässigen Ziele steht in engem Zusammenhang mit der Frage nach den akzeptierten Werten. – Begrenzung der zulässigen Mittel: Letztlich kann keine Kultur nur nach dem Motto »Der Zweck heiligt die Mittel« organisiert werden. So werden je nach Kultur Einschränkungen auch für als durchaus erfolgreich betrachtete Mittel als erforderlich betrachtet. So galt etwa bis vor wenigen Jahren in Großbritannien die Prügelstrafe an Schulen noch als zulässig, während sie in Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht einmal mehr »denkbar« gewesen wäre. Für die deutsche Wirtschaft ist typisch, dass die Führungskräfte die im Betriebsverfassungsgesetz geregelten Mitsprache- und Eingriffsmöglichkeiten des Betriebsrates als völlig normal ansehen, während in einigen anderen europäischen Ländern und in den Vereinigten Staaten ein solches »Führungsmittel« für die Unternehmensgestaltung auf zunächst völliges Unverständnis stößt. Dies steht in engem Zusammenhang mit der Frage nach den akzeptierten Normen. – Gemeinsame Vorannahmen über die als aussichtsreich angesehenen Ziel-Mittel-Verbindungen: Diese sind keineswegs nur durch die empirischen Gesetzmäßigkeiten, sondern kulturspezifisch durch Grundüberzeugungen bestimmt. So würde in den meisten Unternehmen in Deutschland heute ein gemeinsames Gebet zur Steigerung des Geschäftserfolgs nicht als aussichtsreiche Ziel-Mittel-Beziehung angesehen werden. Im Prinzip ist aber das Gebet als Mittel ebenso zulässig, wie das angestrebte Ziel des geschäftlichen Erfolgs. In Tirol finden auch heute noch »Bittprozessionen für eine bessere Witterung« statt. Die gemeinsamen Vorannahmen über die als aussichts-
400
Fragen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur
reich angesehenen Ziel-Mittel-Verbindungen stehen in engem Zusammenhang mit der Frage nach den irrationalen Überzeugungen einer Kultur und den zulässigen Ritualen. – Festlegung der kulturspezifischen Leitbilder: Während etwa in der Antike Erwerbsarbeit eher verpönt war, ist ein entsprechend hoher beruflicher Einsatz heute erstrebenswert. Die im Mittelalter leitbildhaften Vorstellungen von (freiwilliger) Armut und persönlichem Gehorsam, wie sie sich beispielsweise auch heute noch in Mönchsorden ausdrücken, sind als Modell für den Führungskräftenachwuchs nicht akzeptabel. Jedes gesellschaftliche Leitbild der »idealen« Kultur wirkt auch auf die Unternehmen zurück und bewirkt dort eine unterschiedliche Betonung von »richtigen«, im Prinzip positiv zu bewertenden Einstellungen und Verhaltensweisen. Dies steht in engem Zusammenhang mit der Frage nach den kulturspezifischen Tugenden. Im Allgemeinen denken Angehörige einer Kultur nicht darüber nach, welche Besonderheiten ihre eigene Lebensumgebung trägt. Je bewusster aber ein Unternehmen die eigenen kulturellen Merkmale reflektiert, desto eher kann es diese an die sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen anpassen. Neuberger und Kompa (1987) haben Konzepte zur Erfassung der unternehmensspezifischen Kulturen erstellt. Ihr Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der immateriellen Bedeutungssysteme. Die Analyse geht von Kulturmerkmalen aus, die einen besonderen Symbolwert haben, also Geschichten, Witze, Rituale oder äußere Anzeichen wie Statussymbole, Raumgestaltung und Mitarbeiterbekleidung. Dadurch ergibt sich ein qualitativer Überblick, der auch die sonst nur schwer fassbaren Besonderheiten eines Unternehmens einschließt. Näheres zu diesem Vorgehen findet sich bei Dülfer (1988). Ein anderes, vor allem für die Arbeit in Workshops konstruiertes Instrument wurde vom Wirtschaftspsychologischen Institut (WIP) in Dortmund entwickelt und nennt sich »Unternehmenskultur-Screening«. Grundlage ist die Überlegung, dass man seit Gründung der Bundesrepublik im Wesentlichen drei typische Phasen der Unternehmenskultur beobachten kann: Am Anfang stand die Aufbauphase, mit einer starken Betonung materieller Aspekte und der Maschinen-Metapher als besonders gute Beschreibung für die Struktur eines Unternehmens. Mit der ersten Konjunkturkrise 1967 setzte eine Phase der Stagnation und Besinnung ein; sie dauerte bis Anfang der achtziger Jahre. Im Vordergrund stand dabei vor allem eine zeitgerechte Informationsverarbeitung, das Leitbild war der Computer. Bei der aktuellen Kulturphase werden rein quantitative Wachstumsaspekte durch qualitative Überlegungen partiell ersetzt. Leitbild ist dabei die Organismus-Metapher.
Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen
401
Für die zwanzig bei der Unternehmensgestaltung wichtigen Dimensionen – beispielsweise Art der Entscheidungsfindung, Informationsfluss, Bildungsgrad der Mitarbeiter – wurden für jede der drei dargestellten Kulturphasen typische Aussagen formuliert. Die Gesprächspartner oder die Workshopteilnehmer wählen für jede dieser 20 Dimensionen eine der jeweils drei zur Wahl stehenden Aussagen aus, die sie für das Unternehmen als besonders passend oder wünschenswert halten. Die praktische Erfahrung zeigt, dass damit in kurzer Zeit ein für viele Gestaltungsaufgaben relevanter Überblick über die Besonderheiten der jeweiligen Unternehmenskultur gewonnen werden kann. Allerdings bezieht sich dieser Ansatz mehr auf objektive oder zumindest als objektiv erlebte Verhältnisse und weniger auf Symbole und Rituale, wie sie bei Neuberger und Kompa (1987) im Vordergrund stehen. Eine Veränderung offensichtlicher Kulturmerkmale wie sprachliche, materielle und verhaltensbezogene Symbole kann viele Vorteile mit sich bringen. Die Einbettung von möglicherweise zunächst abstrakten Normen, Werten und Denkschemata in konkrete Geschichten bewirkt, dass sie viel leichter verständlich (da konkret), handhabbarer (wegen der Modellwirkung der Personen in den Geschichten) und einprägsamer (aufgrund der allgegenwärtigen Slogans und Logos) werden. Allerdings können entsprechende Veränderungen auch zu Kritik vonseiten der Arbeitnehmervertreter führen. Die Gestaltung der Unternehmenskultur wird oft als Machtmittel der Unternehmensführung verstanden, das die Mitarbeiter nicht über Einsicht und Verstand, sondern über eher irrationale und emotionale Faktoren zum gewünschten Verhalten bewegen soll. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass Gewerkschaften und Betriebsräte einen Machtverlust befürchten, wenn sich die Mitarbeiter die Werte und Ziele der Unternehmung zu Eigen machen.
11.2 Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen Der so genannte Wertewandel war ein zentrales Thema der Diskussion zur zeitgerechten Unternehmenskultur und hat auch heute noch eine große Bedeutung. Insbesondere im Zusammenhang mit Personalmarketing und mit Fragen der Mitarbeitermotivation ist eine Steuerung unternehmensbezogener Ziele und Werte der Mitarbeiter entscheidend.
402
Fragen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur
Theorie: Wertewandel
Aufgrund wirtschaftlicher, sozialer und technologischer Entwicklungen hat in westlichen Staaten eine Verlagerung der Werthaltungen und des subjektiv erlebten Grenznutzens stattgefunden (vgl. Abschnitt 1.3 Subjektive Nutzenbewertung, S. 41 und Theorieübersicht: Subjektiver Nutzen, S. 52): »Selbstentfaltungswerte« werden heutzutage im Vergleich zu Pflicht- und Akzeptanzwerten höher und positiver bewertet, als dies beispielsweise noch in den sechziger Jahren der Fall war. Werte, die an Bedeutung und subjektiver Verbindlichkeit verloren haben (s. Inglehart 1977; Klages 1987; Rosenstiel et al. 1987; Wilpert 1989), sind: – Werte mit gesellschaftlichem Bezug: Disziplin, Gehorsamkeit, Pflichterfüllung, Treue, Unterordnung, Fleiß, Bescheidenheit. – Werte mit individuellem Bezug: Selbstbeherrschung, Enthaltsamkeit, Pünktlichkeit, Fügsamkeit, Anpassungsbereitschaft. Diese Werte können insgesamt auch als Pflicht- und Akzeptanzwerte bezeichnet werden. Werte, die dagegen an Bedeutung gewonnen haben, sind: – Werte mit gesellschaftspolitischem Bezug: Emanzipation von Autoritäten, Gleichbehandlung, Partizipation, Demokratie, Autonomie. – Individuelle (hedonistische) Werte: Genuss, Abwechslung, Ausleben emotionaler Bedürfnisse, Kreativität, Selbstverwirklichung, Eigenständigkeit. Dass die Wertestruktur von Mitarbeitern sich gewandelt hat, bedeutet nicht, dass ausschließlich die heutzutage bedeutsamen Werte betrachtet werden müssen, um Mitarbeiter zu motivieren und zufrieden zu stellen. Pflicht- und Akzeptanzwerte sind nach wie vor von Bedeutung – allerdings auf einem anderen Niveau. Die zentrale Überlegung muss sich daher an einem Mehr-oder-weniger und nicht an einem Entweder-oder orientieren. Beispiel: Ein Mitarbeiter, der gerade eine Familie gegründet hat, wird Pflicht- und Akzeptanzwerten eine höhere subjektive Verbindlichkeit zuschreiben. Davon verspricht er sich möglicherweise eine Befriedigung seiner Sicherheitsbedürfnisse, wie feste Anstellung, regelmäßiges Einkommen et cetera. Hingegen wird ein aufstrebender, ungebundener Mitarbeiter diesem »Sicherheitsfaktor« möglicherweise eine geringere Bedeutung zuschreiben und eher an der Befriedigung seiner Selbstverwirklichungsbedürfnisse interessiert sein. Mitarbeiter, die sowohl Pflicht- und Akzeptanzwerte als auch Selbstverwirklichungswerte gleichermaßen für sehr wichtig und subjektiv erachten (»aktive Realisten«), können am besten mit den Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt umgehen.
Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen
403
Es fällt auf, dass eine sehr hohe Übereinstimmung mit der Bedürfnishierarchie nach Alderfer besteht (s. Theorieübersicht: Bedürfnistheorie nach Alderfer, S. 128; vgl. Theorieübersicht: Bedürfnishierarchie nach Maslow, S. 126); je stärker in einer Gesellschaft die unteren Bedürfnisebenen erfüllt sind, desto stärker werden Wünsche nach Selbstentfaltung akzeptiert, auch wenn diese einer rein quantitativ verstandenen Produktivitätssteigerung entgegenstehen. Von besonderer Auswirkung ist dieser Aspekt für die Arbeitszeitgestaltung. Je mehr Selbstverwirklichung akzeptiert wird, desto mehr muss das Unternehmen bereit sein, den Mitarbeitern auch größere Freiräume bei der Verteilung ihrer Arbeitszeit einzuräumen. Während in den Aufbaujahren der Bundesrepublik starre Arbeitszeiten üblich waren, brachte es der Wertewandel mit sich, dass hier eine Flexibilisierung gewünscht ist, die weit über die schon in den siebziger Jahren entwickelten Gleitzeitmodelle hinausgeht. Gerade von jungen, hoch qualifizierten Spezialisten, etwa Informatikern, wird häufig eine individuelle Festlegung des Arbeitsumfangs gewünscht. Dazu können beispielsweise eine 30-Stunden-Woche bei entsprechender Gehaltsreduktion gehören oder eine den eigenen privaten Gegebenheiten folgende, für die Unternehmensorganisation ungewöhnliche Arbeitseinteilung. Letztere kann eine Drei-TageWoche sein oder die freie Arbeitszeiteinteilung im Rahmen eines festen monatlichen Arbeitskontingents. Entsprechende Modelle, die für die Mitarbeitermotivation von hoher Bedeutung sein können, setzen natürlich umfangreiche Koordinations- und Abstimmungsaktivitäten voraus, was die verantwortlichen Führungspersonen herausfordert. In vielen Fällen ist aber nicht nur diese zusätzliche Koordinationsaufgabe der Grund für die emotionale Ablehnung. Der gerade bei älteren Führungskräften anzutreffende Widerstand dürfte tiefer gehende Ursachen haben. Zum einen betrachtet es die höchste Führungsspitze eines Unternehmens oftmals als selbstverständlich, dass sie auch noch um 19 Uhr abends auf die Erreichbarkeit der nachgeordneten Führungskräfte im Unternehmen bauen kann. Ein anderer Aspekt ist, dass sich gerade manche Führungskräfte mit verantwortlichen Managementaufgaben nicht vorstellen können, dass es für leistungsstarke Mitarbeiter überhaupt einen relevanteren Lebensinhalt als die Erledigung beruflicher Pflichten geben könnte. Gerade an diesem Punkt zeigt sich der Wandel in der Wertsetzung, der zumindest Teile auch des hochbegabten Führungskräftenachwuchses erfasst hat (s. Höhler 1991). Allerdings hat in den vergangenen drei Jahren ein massiver Stimmungsumschwung in der Bereitschaft zu Mehrarbeit bei den Arbeitnehmern stattgefunden. Während die Bereitschaft zu Wochenendarbeit, einem Zehn-StundenTag, partiellem Urlaubsverzicht und späteren Eintritt in den Ruhestand von
404
Fragen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur
1993 bis 2000 kontinuierlich abnahm, ist zwischen 2000 und 2003 in allen Bereichen ein sprunghafter Anstieg zu verzeichnen, der in drei der vier genannten Bereichen das Ausgangsniveau von 1993 sogar noch überschreitet (Opaschowski 2003; s. Tabelle 24). Tabelle 24: Bereitschaft von Arbeitnehmern zu Mehrarbeit (Angaben in Prozent) Bereitschaft zu
1993
1995
2000
Wochenendarbeit
20
19
15
2003 23
Zehn-Stunden-Tag
21
19
14
22
Partieller Urlaubsverzicht
6
5
3
7
Späterer Eintritt in den Ruhestand
7
6
5
7
Begründet wird dies vor dem Hintergrund der anhaltenden Konjunkturkrise und steigenden Sozialabgaben. Die Angst vor Wohlstandsverlusten wird mit einer Haltung beantwortet, die sich mit »mehr arbeiten und mehr verdienen« oder »Geld- statt Zeitkultur« bezeichnen ließe. Dies führt zu der paradoxen Entwicklung, dass zwar immer weniger Menschen Arbeit finden, diejenigen jedoch, die eine Arbeit gefunden haben, dafür immer länger arbeiten. Die Zahlen sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass rund 42 Prozent der Arbeitnehmer im Hinblick auf ihre Arbeitszeit »alles beim Alten« belassen möchten und mit den aktuellen Regelungen durchaus zufrieden sind. Unabhängig davon ist aber die Tendenz zur stärkeren Individualisierung ein allgemeiner, langfristiger gesellschaftlicher Trend, der sich auch bei der Gestaltung der Arbeitszeit auswirkt. Die Karriereorientierung der Mitarbeiter und ein entsprechender Einsatz für die Erfüllung der Unternehmensaufgaben kann nur dann realisiert werden, wenn sich die Mitarbeiter mit den Zielen des Unternehmens identifizieren und sich diese zu einem gewissen Grad zu Eigen machen (vgl. Theorieübersicht: Ziel-Kongruenz-Theorie, S. 351). Vor diesem Hintergrund erscheint eine werteorientierte Personalpolitik unerlässlich, bei deren Entwicklung folgende Punkte zu berücksichtigen sind: – Managementstrategien müssen einen Ausgleich zwischen den Grundinteressen der Mitarbeiter, die sich auf ein höheres Anspruchsniveau verlagert haben, und den immer komplexer werdenden Ansprüchen am Arbeitsplatz anstreben. – Um die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Arbeitsplatz und mit dem Unternehmen zu sichern, müssen sie die Gestaltung von Technik und Organisation als einen Prozess erfahren, an dem sie aktiv mitwirken können.
Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen
405
Dies fördert eine hohe internale Kontrollüberzeugung (s. S. 153). Um dies zu gewährleisten, sind zwei grundlegende Strategien notwendig: Zum einen müssen organisatorische Rahmenbedingungen erfüllt sein, wie zum Beispiel Führungs-, Kommunikations-, Kontroll-, Leistungssysteme, die die Mitwirkung der Mitarbeiter ermöglichen; zum anderen sind sozialpädagogische Maßnahmen in Form von Qualifizierungsangeboten erforderlich, um das notwendige Know-how zu entwickeln. – Das im beruflichen Alltag ständig bewusst werdende Diskrepanzerleben zwischen den eigenen Wünschen und Bedürfnissen einerseits und den beruflichen Erfordernissen andererseits muss reduziert werden. Mitarbeitergespräche wie auch Gesprächs- und Diskussionsrunden nehmen hier einen zentralen Stellenwert ein. – Die Informationspolitik sollte so gestaltet sein, dass innerbetriebliche Informationen über Ziele, Grundsatzfragen, Strategien unverfälscht zu erhalten sind und eventuelle Gerüchte, Vorurteile und Fehlinformationen keine Verwirrung stiften können (vgl. Theorieübersicht: Güter-Theorie, S. 342). – Die Reduktion von Wertekonflikten sowie die Entschärfung von Identifikationskrisen müssen ein fester Bestandteil von Organisationsentwicklungsvorhaben und Veränderungsstrategien sein.
Beispiel: Werteorientierte Personalpolitik bei BMW (nach Bihl 1987) Die Grundüberzeugung lautet: Werteorientierte Personalpolitik und ein sichtbar gelebtes Führungsverhalten sind die Grundbausteine einer Unternehmenskultur, die eine langfristige Basis für den Unternehmenserfolg darstellen können (s. Tabelle 25).
406
Fragen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur
Tabelle 25: Ziele und Mittel der werteorientierten Personalpolitik bei BMW Ziele
Mittel/Konzepte
Sicherung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens
– Personalentwicklungsmaßnahmen, insbesondere Qualifizierung – Leistungsfördernde Gestaltung des Entgeltsystems und der Mitarbeiterführung – Arbeitsplatzgestaltung und Flexibilisierung der Organisationsstrukturen
Erhöhung der Identifikation, Motivation und Leistungsbereitschaft; Abbau resignativer Arbeitszufriedenheit (»innere Kündigung«; s. Theorieübersicht: Arbeitszufriedenheit, S. 194)
– Berücksichtigung des Wertespektrums der Mitarbeiter
Orientierung des Führungsverhaltens an ethischen Zielen
– – – –
Gestaltung der Führungskultur Erhöhung der Ausbildungszahlen Einrichtung eines Behindertenprojekts Aufwärtsbeurteilung
Leistung und Gegenleistung; Information und Kommunikation
– – – –
Veränderung der Entgeltsysteme Qualitative Personalplanung Zielgruppenspezifische Medien Zusatzausbildung für ausländische Mitarbeiter
Selbstverwirklichung
– Organisationsentwicklung – Lernstattgruppen – Sportangebote
Selbständigkeit und Individualität
– Flexibilisierung der Arbeitszeit – Teilzeitarbeit
Als Handlungsmaxime für die Unternehmensmitglieder werden folgende Punkte formuliert: 1) Die Führungskräfte haben eine Vorbildfunktion zu erfüllen (vgl. Theorieübersicht: Sozial-kognitive Lerntheorie, S. 245). 2) Jedes Organisationsmitglied ist zur vollen Identifikation mit dem Unternehmen aufgefordert (vgl. Theorieübersicht: Ziel-Kongruenz-Theorie, S. 351). 3) Die Äußerung konstruktiver Kritik gehört zu den Pflichten eines jeden Mitarbeiters (vgl. 7.6 Modelle der Konfliktnutzung, S. 304). 4) Gefasste Entschlüsse sind in absehbarer Zeit zu realisieren. 5) Leistung verlangt Gegenleistung (vgl. 1.1 Akzeptanz der individuellen Nutzenmaximierung – auch ein Thema für die Personalwirtschaft, S. 25). Wichtig ist, dass die Personalpolitik so gestaltet wird, dass die Ziele der Mitarbeiter und die des Unternehmens in Einklang gebracht werden können (vgl. Theorieübersicht: Ziel-Kongruenz-Theorie, S. 351).
407
Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen
Mit den Formen der Unternehmensorganisationen und den damit verbundenen Wertvorstellungen ist die Frage der »Arbeitstugenden« verknüpft. Diese hängen offensichtlich in sehr hohem Maß von den in der jeweiligen Gesellschaft dominierenden Produktionsverhältnissen ab. Der Bedeutungswandel von Arbeitstugenden ist in Tabelle 26 dargestellt (Opaschowski 2003, S. 19). Tabelle 26: Arbeitstugenden im Wandel Rang
1981
1999
1
Fleiß
Fleiß
Fleiß
2
Pflichterfüllung
Selbstvertrauen
Selbstvertrauen
3
Selbstvertrauen
Selbständigkeit
Kontaktfähigkeit
4
Leistungsstreben
Pflichterfüllung
Pflichterfüllung
5
Selbständigkeit
Ehrgeiz
Selbständigkeit
6
Selbstbeherrschung
Kontaktfähigkeit
Ehrlichkeit/ Offenheit
7
Kontaktfähigkeit
Leistungsstreben
Höflichkeit
8
Aufgeschlossenheit
Höflichkeit
Leistungsstreben
9
Ehrgeiz
Selbstbeherrschung
Ehrgeiz
Höflichkeit
Aufgeschlossenheit
Aufgeschlossenheit
10
2003
»Alte« Arbeitstugenden wie Fleiß und Pflichterfüllung sterben demnach im Arbeitsleben nicht aus. So konnte sich »Fleiß« im betrachteten Zeitraum von 1981 bis 2003 als wichtigste Anforderung im Arbeitsleben behaupten. Dass »alte« Arbeitstugenden nicht an Bedeutung verlieren, kann folgendermaßen erklärt werden: War beispielsweise die Tugend »Pünktlichkeit« im Mittelalter nur ein sehr relativer Begriff, wurde sie mit Beginn der maschinellen Produktion besonders bedeutsam. Viele Produktionsabläufe funktionieren nur, wenn alle Mitarbeiter ihre Tätigkeit zum gleichen Zeitpunkt beginnen und damit den entsprechenden Fertigungsfluss sicherstellen. In gleicher Weise ist eine Bereitschaft zur Unterordnung in »von oben« festgelegte Arbeitsstrukturen (etwa bei Fließbandtätigkeit) unverzichtbar, sodass für die Aufbauphase auch in der Bundesrepublik Deutschland die »Pflicht- und Akzeptanzwerte« (s. Theorieübersicht: Wertewandel, S. 402) im Zentrum standen. Was jedoch im Zeitvergleich auffällt, ist, dass zwei Kompetenzbereiche deutlich an Bedeutung gewonnen haben: Selbstvertrauen (Eigenkompetenz) und Kontaktfähigkeit (Sozialkompetenz). Daran wird deutlich, dass die persönlichkeitsbezogenen Anforderungen im beruflichen Alltag gestiegen sind (und voraussichtlich noch ansteigen werden). Die starke Abnahme der maschinengebundenen Tätigkeit und die damit verbundene Zunahme des Dienstleistungssektors erbrachte zwingend auch ei-
408
Fragen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur
ne Verlagerung in den gewünschten Arbeitshaltungen. Zwar werden Pflichtund Akzeptanzwerte in gewissen Grenzen nach wie vor benötigt, sie verändern aber ihre faktische Bedeutung. »Pünktlichkeit« stellt nicht mehr einen (abstrakten) Wert an sich dar, sondern wandelt sich zu einer Verhaltensweise mit instrumentellem Charakter, bei der der unmittelbare Nutzen für den Akteur im Vordergrund steht. Da Pünktlichkeit eine Tugend ist, die für eine große Bandbreite beruflicher Situationen von Nutzen sein kann, wird diese auch zu den Schlüsselqualifikationen gezählt.
Theorieübersicht: Schlüsselqualifikationen
Die besondere Beachtung des Konzepts der »Schlüsselqualifikationen« (Bunk 1991) geht auf Aktivitäten zur Flexibilitätsforschung des Instituts für Arbeitsund Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit in den siebziger und achtziger Jahren zurück. Schnelle und starke Veränderungen der Qualifikationsanforderungen im Berufsalltag und die schwere Prognostizierbarkeit zukünftiger Qualifikationsanforderungen machten es erforderlich, Eigenschaften und Fähigkeiten zu benennen, die erstens für eine große Anzahl von Positionen und Funktionen sowie zweitens zur Bewältigung von (unvorhersehbaren) Änderungen hinsichtlich der beruflichen Anforderungen von Nutzen sein können. Mertens (1974) versteht unter »Schlüsselqualifikation« ein weitgehend inhaltlich dekontextuiertes, entspezialisiertes, vielfältig nutzbares Wissen und Können. »Unter Schlüsselqualifikationen versteht man erlernbare allgemeine, also inhaltsunspezifische Fähigkeiten, Strategien und Einstellungen, die man bei der Lösung von Problemen und beim schnellen Erwerb neuer Informationen in möglichst vielen Inhaltsbereichen nutzen kann« (Weinert 1996, S. 16). Heutzutage erfährt der Begriff der »Schlüsselqualifikationen« eine enorme Bedeutungsvielfalt. So erstellten Didi et al. (1993) eine Liste mit 654 verschiedenen Kompetenzen, Eignungsmerkmalen et cetera, die allein in der berufspädagogischen Literatur unter dem Begriff »Schlüsselqualifikation« gefasst werden. Darunter finden sich beispielsweise: – formale kognitive Qualifikationen (abstraktes und analytisches Denken, Transferfähigkeit), – generell erlernbare Fähigkeiten (Fremdsprachen), – Arbeitstugenden (Ausdauer, Zuverlässigkeit, Genauigkeit), – Persönlichkeitsmerkmale (Verantwortungsgefühl), – Werthaltungen (Pflichtbewusstsein, Dienstbereitschaft, Anpassungsbereitschaft),
Der Wertewandel und seine praktischen Konsequenzen
409
– individuelle Kompetenzen (Lernfähigkeit, Selbstvertrauen), – soziale Kompetenzen (Kommunikations-, Kooperations-, Teamfähigkeit, Durchsetzungsvermögen). Die Kritik an dem Konzept der Schlüsselqualifikation bezieht sich vor allem auf den enormen Bedeutungsumfang und die Begriffsunschärfe. Die Beliebigkeit der Auslegung des Begriffs »Schlüsselqualifikation« schränkt den konkreten Nutzen in der Praxis erheblich ein. Zudem ist zu berücksichtigen, dass je allgemeiner und inhaltsunabhängiger Fähigkeiten und Lösungsstrategien sind, ihr Nutzen zur Lösung konkreter, situationsgebundener Probleme und Aufgaben desto geringer ist. Weitere Schwierigkeiten stellen die Messbarkeit und die Lehrund Erlernbarkeit von Schlüsselqualifikationen dar. Zwar können Menschen bis zu einem gewissen Grad zu »Spezialisten für das Allgemeine« ausgebildet werden, doch gilt es als gesichert, dass viele Persönlichkeitsmerkmale nicht »lernbar« noch dauerhaft veränderbar sind. Intelligenz und Kreativität als komplexe Systeme allgemeiner Denk- und Lernfähigkeit lassen sich beispielsweise durch zeitlich begrenzte Trainingsprogramme nicht nachhaltig verbessern.
Trotz der Kritik am Konzept der Schlüsselqualifikationen kann dieses besonders im Bereich der beruflichen Ausbildung dazu beitragen, dass neben den rein fachlichen Qualifikationen auch die Notwendigkeit der »persönlichen Qualifikationen« nicht übersehen wird und diese entsprechend gefördert werden. Die Erfassung und Förderung vielfältig nutzbarer Fähigkeiten und Eigenschaften wird zunehmend für Bewerber und Auszubildende im gewerblichen Bereich interessant, da auch hier durch eine sich verändernde Arbeitsorganisation neue Anforderungen an die Arbeitshaltungen entstehen. Die gezielte Entwicklung von Schlüsselqualifikationen wird auch bei anderen Mitarbeitergruppen in Unternehmen als bedeutsam betrachtet (s. Stangel-Meseke 1993). Trainingsmaßnahmen und andere Methoden der Personalentwicklung zur Förderung moderner Werthaltungen und Arbeitstugenden im Unternehmen können aber nur dann Erfolg haben, wenn sie in eine entsprechend strukturierte, wertorientierte Personalarbeit eingebettet sind. Bleiben die Anwendungsmöglichkeiten solcher Trainingsinhalte auf die Seminarsituation begrenzt, sind die dafür erforderlichen Ausgaben nicht nur wenig effizient eingesetzt, sondern unter Umständen kontraproduktiv. Eine starke Spannung zwischen »fortschrittlichen« Trainingsinhalten und der erlebten Unternehmensrealität fördert Unzufriedenheit, Konflikte und eventuell auch die Bereitschaft zum Unternehmenswechsel – oft gerade der besten und innovativsten Mitarbeiter.
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Fragen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur
11.3 Werteorientierte Personalpolitik – keine theoretische Utopie, sondern konkrete Unternehmensgestaltung Die Ausführungen in den beiden vorangegangenen Abschnitten werden manchen Führungskräften als irreal für die praktische Arbeit im Unternehmen erscheinen. Vor allem älteren Führungskräften fällt es schwer, sich von früheren »Selbstverständlichkeiten« für die (angeblich) sachgerechte Motivation (vgl. Kapitel 4) und Information von Mitarbeitern zu lösen. Da die strukturellen Vorstellungen während der Aufbauphase der Bundesrepublik sich als sehr Erfolg versprechend erwiesen haben, ist eine solche Beharrungstendenz – vor dem Hintergrund psychologischer Motivationstheorien: »Erfolgreiche Verhaltensweisen werden immer häufiger eingesetzt« – auch noch in der NachfolgerGeneration verständlich (vgl. Theorieübersicht: Operante Konditionierung, S. 130 und Theorieübersicht: Widerstände bei der Einführung von Innovationen, S. 391). Auch ist es nachvollziehbar, dass gerade Führungsebenen mit besonders hoher Gestaltungsmacht (Vorstände, Geschäftsführer, Bereichsleiter) zur Beibehaltung jener Unternehmenskultur neigen, in der sie ihren persönlichen beruflichen Aufstieg erreicht haben. Psychologisch gesehen ist daher nicht der Ärger der »modernen Jungen unten« über die »veralteten Gewohnheiten der da oben« verwunderlich. Vielmehr erstaunt die Tatsache, dass ein erheblicher Anteil gerade von Spitzenkräften die Modernisierung der Personalarbeit vorantreibt, oft gegen den massiven Widerstand der mittleren Führungsebene. Die Erfolgschancen von Kultur verändernden Maßnahmen sind differenziert zu betrachten. Eine Vielzahl von Studien zur konkreten Auswirkung von Organisationsentwicklungsmaßnahmen (s. Dülfer 1988) zeigt, dass ein Erfolg von Kultur verändernden Vorhaben in keiner Weise sicher ist. Ein solcher Innovationsprozess benötigt erhebliche Anstrengungen und eine sehr kompetente Begleitung, um die angestrebte Modernisierung der Organisation zu erreichen. Übereinstimmend geht die Befundlage dahin, dass ein wirklicher Erfolg am ehesten zu erwarten ist, wenn eine »Top-down-Strategie« verfolgt wird. Entsprechend steht die Unternehmensspitze hinter einem solchen Vorhaben und formt auch ihr eigenes Verhalten gemäß der neuen Kultur aus (vgl. Conrad u. Sydow 1984). Gelegentlich scheinen auch »Bottom-up-Strategien« erfolgreich zu sein, sprich der Versuch, auf der Mitarbeiterebene ohne Führungsverantwortung zu beginnen und allmählich die veränderten Bedingungen nach oben wachsen zu lassen. Eine nahezu völlige Übereinstimmung in der Literatur besteht dahingehend, dass ein Versuch der Organisationsveränderung durch Eingriffe auf der
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mittleren Führungsebene keinen Erfolg hat. Die so motivierten »Neuerer« werden in diesem Fall gleichzeitig von oben und von unten demotiviert und fallen rasch in die früheren Verhaltensweisen zurück. Leider zeigt die Praxis, dass die meisten Unternehmen zunächst versuchen, eine Veränderung durch Eingriffe in der mittleren Ebene auszulösen. Der Grund dafür dürfte sein, dass man einerseits diesen Führungskräften noch vonseiten der Unternehmensspitze die Modernisierung »verordnen« kann, ihnen andererseits aber schon zutraut, selbst als Vorbild für die zugeordneten Mitarbeiter zu wirken. Auf der Basis der vorhandenen Befundlage kann einem solchen Ansatz keine gute Erfolgsaussicht beigemessen werden. Bei der Durchführung von Innovationen kann sich die Orientierung an bereits bestehenden und bewährten Modellen anbieten. Die meisten Entscheidungsträger in der Wirtschaft neigen dazu, neuartige Wege erst dann zu beschreiten, wenn es bereits Modelle gibt, also Beispiele erfolgreich realisierter Maßnahmen der zur Diskussion stehenden Art. Eine solche Orientierung an Anpassungsentscheidungen und dem Prinzip »Lernen am Modell« ist durchaus zweckmäßig, um in unklaren Entscheidungssituationen mit komplex vernetzten Einflüssen kein unkalkulierbares Risiko einzugehen (vgl. Theorieübersicht: Sozial-kognitive Lerntheorie, S. 245). Wie schwierig es ist, richtige Entscheidungen ohne die Möglichkeit der Nachahmung erfolgreicher Vorbilder zu treffen, zeigen die Arbeiten von Dörner und Kreuzig (1983) oder PutzOsterloh und Schroiff (1987) für Darstellungen von Kleinunternehmen im Modell: Selbst leistungsstarke Probanden haben bei der Bewältigung komplexer Simulationssysteme erhebliche Schwierigkeiten und gelangen zu bedenklichen Ergebnissen. Je erfolgreicher dabei aber ein »Modell« ist, desto bereitwilliger werden die dort eingeführten Innovationen selbst übernommen. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich die Diskussionen über die Modernisierung der Unternehmensorganisation und der Personalpolitik zunächst sehr stark am japanischen Modell orientierten. In den Vereinigten Staaten dominierte sowohl im Hinblick auf den erzielten Unternehmensgewinn als auch auf die Mitarbeiterbindung an das Unternehmen der Grundsatz der »Kurzfristigkeit der Handlungsperspektiven« (Kultur A), was bislang als sehr Erfolg versprechend betrachtet wurde. Es war daher vor allem für amerikanische Unternehmen eine große Überraschung, dass die japanische Kultur, die ganz im Gegensatz dazu auf langfristige Erfolge setzt (Kultur J), sich in wichtigen modernen Industrien als weitaus überlegener erwies. Ein weiteres Modell einer Unternehmenskultur stellt die so genannte »Theorie Z« dar, die im Folgenden dargestellt wird.
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Theorieübersicht: Theorie Z
Als Ende der siebziger Jahre der weltweite Erfolg einiger japanischer Unternehmen nicht mehr zu übersehen war und dieser sich zu einer ernsthaften Herausforderung für US-amerikanische Unternehmen entwickelte, reduzierte sich die Kultur vergleichende Managementforschung von Mehrländerstudien zunehmend auf den Zweiländervergleich Amerika-Japan. Man ging davon aus, dass für den japanischen Erfolg in hohem Ausmaß die besondere Kultur japanischer Unternehmen verantwortlich war. Ouchi (1981) fand auf der Basis Kultur vergleichender Studien schließlich erhebliche Unterschiede zwischen den japanischen und den nordamerikanischen Gesellschaften und ihren Organisationen heraus, obgleich beide im Wesentlichen ähnliche Aufgaben zu erfüllen hatten. Die signifikanten Merkmalsunterschiede zwischen nordamerikanischen, bürokratischen Organisationen (Typ A) und japanischen Organisationen (Typ J) beschreibt Ouchi (1981, S. 58) wie in Tabelle 27 dargestellt. Tabelle 27: Merkmalsunterschiede nordamerikanischer und japanischer Unternehmenskulturen Dimensionen
Typ A
Typ J
Allgemein
mobil, individualistisch, wettbewerbsorientiert
stabil, kollektivistisch, auf Vertrauen aufbauend
Mitarbeiterschaft
heterogen
homogen
Beschäftigung
kurzfristig
lebenslang
Leistungsbewertung
häufig
selten
Beförderung
schnell
langsam
Karriereweg
spezialisiert (»Professionalismus«)
breit (»wandering around«)
Kontrollmechanismen
explizit
implizit
Entscheidungsfindung und Verantwortung
individuell
kollektiv
Mitarbeiterorientierung
segmentiert
ganzheitlich
Auf Basis seiner Ergebnisse und in Weiterentwicklung der Arbeiten von McGregor (1960) über die Theorie X und Y (vgl. Theorieübersicht: Theorie X und Y, S. 175) entwickelte Ouchi (1981) die Theorie Z (s. Hentze 1990; Vollmer 1985), die ein normatives Führungsmodell darstellt. Er ging dabei davon aus, dass sich die japanische Unternehmenskultur nicht eins zu eins auf amerikanische Unternehmen übertragen lässt. Z-Organisationen sind originär amerikanisch, sie haben jedoch ein japanisches Profil. Wichtige Merkmale sind: – Es gibt eine faktische, jedoch nicht formal geregelte lebenslange Beschäfti-
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–
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– – – –
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gung. Mitarbeiter sollen die Perspektive eines langfristigen Beschäftigungsverhältnisses geboten bekommen. Damit sollen folgende Ziele erreicht werden: Erfüllung der Sicherheitsbedürfnisse der Mitarbeiter, Reduktion von Unsicherheit, Bindung an das Unternehmen. Mitarbeiter sollen vollständig in den Betrieb integriert werden und dort (und nicht in ihrer Freizeit) ihrer Selbstverwirklichung nachgehen können. Der Umfang von Richtlinien wird stark begrenzt. Als zentrales Richtziel dient die verbindliche Unternehmensphilosophie. Die vertrauensvolle Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten ist die Basis für die Objektivierung des betrieblichen Entscheidungsprozesses. Die Mitarbeiter sollen aus den eigenen Reihen rekrutiert und aufgebaut werden. Es werden weniger Leistungsbewertungen und eine langsamere Beförderung als in Typ-A-Organisationen durchgeführt. Es wird eine Balance zwischen impliziten und expliziten Kontrollmechanismen angestrebt. Es wird Wert auf eine homogene Mitarbeiterschaft gelegt, ohne jedoch auf die Beschäftigung von Minderheiten zu verzichten.
Z-Organisationen schaffen spezifische Rahmenbedingungen, um die Organisationsziele zu realisieren: ganzheitliche Betrachtung der Mitarbeiter, partnerschaftlicher Umgang der Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern (etwa kollektive Entscheidungsfindung), intensive horizontale und vertikale Kommunikation sowie langsame innerbetriebliche Laufbahnentwicklung für qualifizierte Mitarbeiter.
Die für Japan typisch angesehene Unternehmenskultur ist sehr viel besser einer (weitgehenden) Erfüllung »traditioneller« Bedürfnisse angepasst als die »typisch« amerikanische Kulturform. So geben beispielsweise fast drei Viertel (71 %) aller Berufstätigen in Deutschland an, so arbeiten zu wollen wie ihre Eltern, nämlich fest angestellt und mit geregeltem Feierabend (Opaschowski 2003). Diese Tendenz ist bei Angestellten und Arbeitern (mit 70 % und 75 %) besonders hoch ausgeprägt, während sie bei Führungspersonen, Selbständigen und Beamten (mit 65 % bis 69 %) geringer ausfällt. Auch steigt das Bedürfnis nach einem geregelten Arbeitsverhältnis mit zunehmendem Alter. Dem »Jobnomadentum« mit immer wieder wechselnden Arbeitsverhältnissen, vielen Wohnortwechseln, hohen Anforderungen an die Flexibilität und möglicherweise vielen Brüchen in der Berufsbiografie erteilen
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viele Berufstätige eine Absage und nehmen dies nur gezwungenermaßen in Kauf. Trotz der Verlockung von Anpassungsentscheidungen an erfolgreiche Modelle sollte man die Übertragbarkeit der Theorie Z auf ein Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland jedoch sehr kritisch prüfen. Dies betrifft zunächst die Einbettung eines Unternehmens in die gesellschaftlich dominierende Kultur. Man darf nicht übersehen, dass in Europa spätestens seit der Renaissance die Selbstverwirklichung des Individuums ein Kernstück des europäischen Wertesystems ist. In Japan hingegen war bis zur Revolution 1877 das kulturelle Leitbild auf dem Vertrauens- und Loyalitätsverhältnis einer feudalstaatlichen Organisation durch die statusmäßige (nicht wirtschaftliche) Dominanz der Samurai-Kaste geprägt. Das gerade von Amerikanern mit Verwunderung zur Kenntnis genommene lebenslange Beschäftigungsverhältnis der Stammbelegschaft dürfte im Wesentlichen die Übertragung der Prinzipien eines Lehensverhältnisses auf die Gestaltung von Arbeitsbeziehungen gewesen sein. In gleicher Weise sind vermutlich auch die enorm lange Arbeits-(genauer: Anwesenheits-) Zeit und die wenigen und kaum in Anspruch genommenen Urlaubstage zu beurteilen. Man kann sich schlecht vorstellen, dass ein Lehensmann seinem Fürsten im europäischen Mittelalter nur zu bestimmten Tagesstunden zur Verfügung stand und überdies ein Anrecht darauf hatte, einen beträchtlichen Teil des Jahres ohne Auftrag außerhalb des fürstlichen Herrschaftsgebiets zu verbringen. Diese Übertragung von Gewohnheiten aus anderen Produktionsformen für die Gestaltung von Arbeitsbeziehungen ist auch in Europa nachweisbar. Die aus heutiger Sicht enorm langen Arbeitszeiten zu Beginn der industriellen Revolution entsprechen im Wesentlichen den »Anwesenheitszeiten« der Gesellen in Handwerksbetrieben oder der Dienstleute auf einem Bauernhof. Man könnte vermuten, dass sich die japanische Unternehmenskultur infolge eines steigenden Wohlstands der japanischen Bevölkerung und einer zu erwartenden Veränderung der Bedürfnissituation der Menschen den westlichen Unternehmenskulturen zunehmend angleicht. So folgt aus den motivationstheoretischen Überlegungen von Alderfer (s. Theorieübersicht: Bedürfnistheorie nach Alderfer, S. 128), dass materieller Wohlstand den Drang nach sozialer Anerkennung und Selbstverwirklichung verstärkt. Übereinstimmend mit diesen Überlegungen zeigten sich in Europa mit Erreichen eines hohen materiellen Wohlstands ein vermehrtes Streben nach mehr Freizeit und ein hoher, nach außen demonstrierter Konsum, der vermutlich zu einem erheblichen Teil von der Festigung und dem Ausbau des Sozialstatus geleitet ist. In den japanischen Unternehmen dürfte jedoch zumindest derzeit die Grundlage für eine solche Kulturübertragung nur bedingt gegeben sein. Zum
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einen kann man soziale Anerkennung und Selbstverwirklichung kulturspezifisch auch in ganz anderer Weise erwerben, etwa durch herausragende Pflichterfüllung, Aufopferung für die Organisation oder Verschmelzung mit den übergeordneten Zielen der Gemeinschaft. Zum anderen orientiert man sich im Sinne der üblichen Anpassungsentscheidungen nur an den Vorbildern, die der eigenen Einschätzung nach erfolgreich sind. Viele wirtschaftspolitische Maßnahmen der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union mit dem Ziel einer Abschottung gegen japanische Konkurrenz zeigen, dass man diese in vielen Punkten für überlegen hält. Es wäre psychologisch nicht plausibel, sich an Unternehmenskulturen anzupassen, die sogar nach Einschätzung ihrer Vertreter als leistungsschwächer angesehen werden. Daher dürfte es zu einer Angleichung der japanischen an die westlichen Unternehmenskulturen nicht auf Basis des materiellen Erfolgs allein, wie häufig herausgestellt (s. Rosenstiel et al. 1991), kommen. Sofern dies überhaupt erfolgen sollte, dürfte dies auf der Basis einer Übernahme der westlichen Lebensform insgesamt geschehen. In keinem Fall wäre es zu vertreten, Einzelelemente der Theorie Z für die eigene Personalpolitik herauszugreifen. Wenn überhaupt, dann kann nur das gesamte System des japanischen Modells erfolgreich sein. So findet man einige seiner Aspekte – wie ein lebenslanges Beschäftigungsverhältnis, die Rekrutierung der Mitarbeiter aus den eigenen Reihen, langsame Beförderung von Mitarbeitern und Leistungs- und Verhaltensbeurteilungen als nicht zentrale Kriterien der Gehaltsfindung – fast perfekt im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik realisiert, besonders im Berufsbeamtentum. Es dürfte aber nur wenige Experten geben, die in dieser Personalpolitik die Grundlage für ein besonders effizientes, innovatives und sich am Markt erfolgreich behauptendes Unternehmen sehen. Für die Modernisierung der Unternehmenskultur folgt daraus, dass es ein wirklich überzeugendes Modell, das man einfach unreflektiert übernehmen könnte, nicht gibt und vielleicht sogar, wie in der notwendigen Passung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen, kulturübergreifend auch nicht geben kann. Für die Gestaltung des Fortschritts ist es daher notwendig, dass innerhalb jeder Gesellschaft neue Formen der Personalpolitik erprobt werden. Mehrere fortschrittliche Unternehmen in der Bundesrepublik haben daher mit der Organisationsentwicklung in Richtung innovative Unternehmenskultur und Personalpolitik begonnen. Dazu ein Beispiel.
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Beispiel: Organisationsentwicklungsprozess bei der Hoesch-Stahl AG (Hoesch Stahl AG 1991) 1. Ausgangssituation Der Organisationsentwicklungsprozess bei der Hoesch-Stahl AG wurde Ende der achtziger Jahre mit der Einführung einer neuen Strukturorganisation aufgenommen. Durch die Neuorganisation aller Unternehmensbereiche sollte eine bessere Ausschöpfung der Absatz- und Ergebnispotenziale herbeigeführt werden. Wichtige Einzelziele für die Organisationsentwicklung waren dabei: – verbesserte Markt- und Kundenorientierung, – stärkere Einbeziehung der Mitarbeiter aller Ebenen in die unternehmerische Verantwortung mit dem Ziel, die Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen zu erhöhen und das Kosten- und Ergebnisbewusstsein zu schärfen, – straffere Führungs- und Arbeitsorganisation auf allen Ebenen und – anforderungsgerechte Qualifizierung der Mitarbeiter. Nach der Einführung der Spartenorganisation 1991 wurde der Schwerpunkt der Organisationsentwicklungsmaßnahmen auf die Struktur- und Aufgabenorganisation des Ressorts »Personal« gelegt. Wesentliche Fragestellungen für die Organisationsentwicklung in diesem Bereich waren: – strategische Ausrichtung der Personalarbeit, – Orientierung der Personalpolitik sowohl an wirtschaftlichen Zielen als auch an den sozialen Verpflichtungen des Unternehmens, – Rolle des Ressort »Personal« im betrieblichen Funktions- und Kooperationsgefüge, – Organisationsgrundsätze der Spartenorganisation. Aus diesen zentralen Fragestellungen wurden – in Abstimmung mit der Personalvertretung – folgende Zielsetzungen abgeleitet: 1) Verringerung der Führungsstellen. 2) Verringerung der Führungsebenen. 3) Erweiterung der quantitativen und qualitativen Leitungsspanne. 4) Orientierung der Personalpolitik sowohl an wirtschaftlichen als auch an den sozialen Verpflichtungen des Unternehmens. 5) Einsatz von Fachteams zur Sicherung des Know-how.
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2. Teilergebnisse des Organisationsentwicklungsprozesses Organisation der dezentralen Personalarbeit Die Funktionen und Kompetenzen der dezentralen Personalabteilungen werden so erweitert, dass diese möglichst alle operativen Personalaufgaben selbständig bearbeiten können. Zu diesen Aufgaben zählen: – Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle der »klassischen« Personalaufgaben, wie Personalplanung, -beschaffung, -einsatz, -entwicklung. – Übernahme zusätzlicher Funktionen in Projekten mit personalspezifischen Themenstellungen. Beispiel: Entwicklung bereichsspezifischer Qualifizierungskonzepte, Initiierung von Veränderungsprozessen in der Arbeitsorganisation, Fragen der Ergonomie und Arbeitssicherheit. Die Dezentralisierung der operativen Personalarbeit bei zentraler Steuerung soll mit der Intensivierung der Kommunikation zwischen allen Funktionsträgern sowie mit einer Institutionalisierung der Kooperationsbeziehungen einhergehen. Organisation der zentralen Personalarbeit – Zusammenfassung inhaltsähnlicher Einzelfunktionen zu Arbeitssystemen, wie Abspaltung der Verwaltungs- und Sozialdienstleistungen von den Kernfunktionen des Personalwesens. – Für die Zentralabteilungen werden – jeweils abhängig von der Mitarbeiteranzahl – Personalreferenten zur Verfügung gestellt, die als Ansprechpartner für alle Personalfragen fungieren. Die Tätigkeit der Personalreferenten wird durch eine übergeordnete Instanz koordiniert. – Ein so genannter »Personalleiterkreis« soll als Institution zur Informationssicherung, Koordination und Beratung von Grundsatzfragen sowie Anregung von Projekten zu übergreifenden Problemen eingesetzt werden.
Die in diesem Beispiel aufgenommenen allgemeinen Grundsätze dürften in den meisten modernen Unternehmen in der Bundesrepublik »verbal« akzeptiert sein. Das Problem ist nicht mehr das allgemeine Lippenbekenntnis zur Modernität in der Personalpolitik, sondern das konkrete Umsetzen solcher Konzeptionen in die betriebliche Praxis. Hier gibt es noch viel zu tun. Auch wenn mit Rückschlägen zu rechnen ist, ist es als erfreulich zu vermerken, dass die Anzahl erfolgreicher Unternehmen zunimmt, die für eine immer schnellere Verbreitung dieses Gedankenguts und dessen praktischer Realisierung sorgen. Im Übrigen dürfte der allgemeine gesellschaftliche Wertewandel die Über-
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nahme solcher neuen Formen der Personalpolitik erzwingen – zumindest in solchen mittleren und größeren Unternehmen, die sich auf Dauer behaupten wollen.
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Verzeichnis der Theorieübersichten
3-D-Theorie der Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A-B-X-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines Handlungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anreiz-Beitrags-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Assimilations-Kontrast-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aston-Modell zur Gestaltung soziotechnischer Systeme . . . . . . . . . . . . . Attributionsmodell von Heider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Attributionstheorie der Führung von Calder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Attributionstheorie der Führung von Green und Mitchell . . . . . . . . . . . Attributionstheorie von Kelley . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufmerksamkeit und Kurzzeitgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Austauschtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Balance-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedürfnishierarchie nach Maslow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedürfnistheorie nach Alderfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bezugsnormorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildung sozialer Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einige psychologisch relevante Persönlichkeitskonstrukte . . . . . . . . . . . Erwartungs-Valenz-Modell von Porter und Lawler . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweitertes Erwartungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führungsstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gating-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gelernte Hilflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerechtigkeits- und Fairnesstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Goal-Setting-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Güter-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Individuelle Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informelle Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Innovationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumentalitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269 80 151 26 194 86 362 89 251 96 92 49 29 77 126 128 164 337 67 135 140 258 75 137 36 202 342 51 325 388 132
434
Verzeichnis der Theorieübersichten
Kognitive Dissonanztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfliktlösungsmodell von Thomas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfliktmodell von Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfliktmodell von Vitz und Kite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikttypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontingenztheorie der Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturtheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungsmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Machtdistanz-Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Machtmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Machtmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Managerial-Grid-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechanistische und organische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitarbeiterbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modell überlappender Arbeitsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Netzwerkmodell des Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offene Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operante Konditionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisationale Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisationen als Konfliktpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche Verursachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlichkeitstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rationalitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reaktanztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reifestadien der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlüsselqualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Situative Reifegradtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Urteilstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Vergleichsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozial-kognitive Lerntheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stadientheorie der moralischen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjektiver Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorie des organisierenden Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorie des realistischen Gruppenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorie X und Y . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorie Z . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82 306 304 293 285 266 397 157 228 217 225 261 354 170 364 347 346 130 360 300 185 71 46 334 232 408 331 264 320 356 327 322 245 31 52 368 297 175 412
Verzeichnis der Theorieübersichten
435
Theorien des Wahlverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertical-Dyad-Linkage-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weg-Ziel-Theorie der Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertewandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerstände bei der Einführung von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziel-Kongruenz-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei-Faktoren-Theorie der Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmotivation
54 275 204 402 391 351 197
Stichwortregister
A Absentismus 41, 351 Abwertungsprinzip 94 A-B-X-Theorie 79, 80, 321 Akzeptanzwerte 402 Ambiguität 68 Ambiguitätstoleranz 67 Analogieschluss 102 Anreiz-Beitrags-Theorie 26, 27, 41 Anreizsysteme 205 Anschlussmotiv 167, 168, 239 Anschlussmotivation 131 Anspruchsniveau 161, 162, 195, 196 Ansteckung, soziale 367 Anstrengungsgerechtigkeit 38 Arbeitnehmervertretung 319 Arbeitsanreicherung 198, 203 Arbeitsaufgabe 94 Arbeitsbedingungen 155 Arbeitsklima 57, 205 Arbeitsmotivation, intrinsische 33, 189 Arbeitstugenden 407, 408 Arbeitsunzufriedenheit 195, 196, 198 Arbeitszeit 404 Arbeitszufriedenheit 194, 195, 196, 197, 198, 200, 204, 264 Assimilations-Kontrast-Theorie 86, 87 Assimilierungsfehler 108 Aston-Modell 362 Attribution 91, 92, 94, 96, 138 externale 89, 112, 161 internale 89, 98, 112, 161, 163 selbstwertdienliche 112, 332, 394 Attributionsasymmetrien 112 Attributionsfehler 112, 252 fundamentaler 65, 98, 112 Attributionsmodell 89, 90, 91, 93 Attributionsmuster, selbstwertdienliches 162, 163 Attributionstheorie 92, 96, 251
Führung 96 Auffälligkeitseffekt 111, 114 Aufgaben 271 Aufgabenorientierung 269 Aufmerksamkeit 49 Aufwertungsprinzip 94 Austauschtheorie 29 Autonomie 172, 186, 199, 205 kausale 185 Autonomieerleben 186 Autonomiegefährdung 147 Autoritätsdenken 32 B Balance-Theorie 77, 282 Bedarfsgerechtigkeit 37 Bedeutungsassimilation 110 Bedürfnis 148 Bedürfnisbefriedigung 20, 24, 34, 127 Bedürfnishierarchie 126, 127, 129 Bedürfnismodell 128 Bedürfnispyramide 124, 127, 171 Bedürfnistheorie 128, 129, 355 Beförderung 138 Belohnung, leistungsabhängige 149 Belohnungsaufschub 68, 166, 381 Belohnungsmacht 222 Berufsbeamtentum 415 Bestrafung 217 Betriebsklima 351 Betriebsrat 315, 316, 374 Beurteilungsfehler 106 Bewertungssystem 34 Beziehungsorientierung 266 Bezugsnorm 164, 200 Bezugsnormorientierung 164, 165 Blockbildung 324, 325, 330, 339 Bottom-up-Strategie 410 Bumerang-Effekt 221 Burn-out 25
438 C Cäsarenwahn 235 Chaos-Theorie 367 Charakterologie 124 Charisma 249 Checks and balances 235 Coercive power 217 Confirming-Bias 109 Country-Club-Management 262 Critical Incident Technique 197 D Defizitmotive 127 Delay of gratification 166 Determinismus, reziproker 245 Diagnostik 61 Dienst nach Vorschrift 176, 340, 362 Dienstleistungsorganisation 302 Dissonanzen 83 kognitive 388 Dissonanzreduktion 83 Dissonanztheorie 83 kognitive 79, 82 Downward comparison 322 Durchsetzungsfähigkeit 72 E Effektivität, organisationale 360 Eignungsdiagnostik 62, 192 Eindruck, erster 73, 110 Eindruckssteuerung 88 Einkommensunterschiede 399 Empathiefehler 108 Entfremdungsprobleme 184 Entscheidungsfindung, individuelle 51 Entscheidungsprozess 74 Entscheidungssicherheit 84 Entscheidungsträger 243 Entscheidungsverhalten 54 Erfolgsbewertung 384 Erfolgskontrolle 386 Erfolgsorientierung 158 Erfolgsrückmeldungen 381 Ergebniskontrolle 201, 202, 355, 385 Erinnerungsfehler 110 Ertragsmaximierungsprinzip 24 Erwartungsbestätigung 113 Erwartungsfehler 109 Erwartungskomponente 159 Erwartungs-Valenz-Modell 134, 135
Stichwortregister Erwünschtheit, soziale 109 Ethik 19, 21, 22, 68 Eudaimonismus 19 Existenzbedürfnisse 227 Expert power 218 Expertenmacht 218, 219, 220, 222 F Fairnesstheorien 36 Falsifikationsstrategie 116 Falsifikationsversuch 34 Fatalismus 69 Feedback 171, 203 Fehleinschätzung 84 Fehler, logischer 107 Ferienlagerexperimente 296 Filter-Modell 49 Flaschenhals-Modell 49 Flow-Erleben 132 Fluktuation 351 Folgebereitschaft 219, 220 Folgenabschätzung, antizipatorische 152 Formalethik 20 Fragebögen, biografische 64 Freezing 390 Freiheit 24 Freiheitseinengung 149 Frustrationstoleranz 68, 381 Führer-Geführten-Beziehung 276 Führung 241, 249, 251, 255, 256 3-D-Modell 270 3-D-Theorie 269 Attributionstheorie 96, 251 Kontingenztheorie 266, 268 Führungserfolg 243, 265 Führungsgrundsätze 380 Führungskompetenzen 273, 274 Führungskräftebereich 212 Führungskräftetraining 143 Führungsleistung 266, 268 Führungsmotivmuster 167 Führungsposition 251, 254 Führungsrolle 241, 243, 244, 248, 252, 254, 256, 273 Fehlinterpretationen 243 Führungsstile 257, 258, 260, 266, 275 Führungsstrukturen 241 Führungstheorien 256 Führungsverhalten 243, 257 Fürsorgepflicht 318
439
Stichwortregister G Gate-keeper-Funktion 223 Gating-Theorie 75 Gedächtnisspanne 49 Gegenmacht 226 Gemeinkostenmodell 377, 379 Gemeinschaft 34 Gemeinwohl 20, 24, 34, 201 Gemeinwohlprinzip 20 Gerechtigkeit 36 Gerechtigkeitsforderung 20 Gerechtigkeitsprinzipien 32 Gerechtigkeitstheorien 36 Gerechtigkeitsvorstellungen 40, 148 Gesetz der Wirkung 130 Gesprächsführung 118 Gestaltungsmotive 188, 201 Gewerkschaften 330 Gewerkschaftsvertreter 190 Gewinne 33 Gewinnerwartungen 31 Gleichgewichtszustand 278 Gleichheitsgerechtigkeit 37 Glückseligkeitslehre 19 Goal-Setting 202, 203, 208 Theorie 202 Grenznutzen 41, 43, 207, 402 Grenznutzenprobleme 42, 45, 181, 182 Grundemotionen 124 Gruppenbildung 337, 338 Gruppendruck 391 Gruppenhomogenität 326 Gruppenkohäsion 326, 365 Gruppenkonflikt, realistischer 297 Gruppenkoordinatoren 366 Gruppennorm 248, 254, 326, 337, 338 Günstigkeit, situative 267 Güter-Theorie 342 H Halo-Effekt 107 Handlungsfolgen 129 Handlungsfreiräume 352 Handlungsinitiierung 123 Handlungskontrolle 68 Handlungsmodell, allgemeines 151, 154, 285, 288, 292, 308 Handlungsorientierung 68 Handlungspläne 154 Handlungsregulation 152
Handlungsregulatoren 202 Handlungssteuerung 122 Handlungsstrategien 154 Hawthorne-Fehler 108, 109 Hedonismus 19, 125 Hemmung proaktive 111 retroaktive 111 Hilflosigkeit, gelernte 137 Hof-Effekt 107 Homo oeconomicus 256 Human-Relations-Ansatz 109 Hygienefaktoren 42, 43, 198 I Ich-Orientierung 92, 148, 149 Identifikation 176 Identifikationsmacht 218, 219, 220, 222 Identifikationsregeln 103 Identität, soziale 320 Imperativ, kategorischer 20 Impoverished-Management 262 Impression-Management 88 Individualethik 21 Induktionsschluss 101 Informational power 218 Informationsdichte 60, 341 Informationsmacht 218, 219 Informationssammlung 60, 61, 62, 75, 76, 85 Informationsverarbeitung 49, 75 Inhaltsvalidität 101 Innovationen 277, 282, 283, 284, 306, 369, 371, 388, 389, 391, 411 Innovationsprozess 388, 389, 410 Innovationstheorie 388 Innovationswiderstände 389, 390 Inputkontrolle 384 Instinkttheorie 124 Institutionsethik 21 Instrumentalitätserwartung 132 Instrumentalitätstheorie 132, 133 Interaktionsfehler 107 Interaktionspartner 73 Interessenkonflikte 298, 375 Interessenvertretung 319 Interferenzeffekte 111 J Ja-Sage-Fehler 107 Job enrichment 198, 203
440 Jobnomadentum 413 Joint-Profit-Exchange 31 K Kapitalismus 190, 255, 315, 318 Kapitalkonzentration 190 Kartellgesetz 24 Koalitionskonflikt 294 Kombinationsregeln 103 Kommunikation, informelle 325 Kompetenzen instrumentelle 152 soziale 154, 409 Komplexitätsreduktion 110, 370 Kompromiss 292, 307, 315 Konditionierung, operante 130 Konflikt 32, 37, 51, 277, 286, 304, 375 heißer 286 kalter 286 lateraler 301 Konfliktbearbeitungsstrategie 306 Konfliktbewältigungen 306 Konfliktlösung 249, 289, 292, 306, 309 Modell von Thomas 306 Konfliktmanagement 28 Konfliktmodell von Deutsch 304 von Vitz und Kite 293 Konfliktregelung 242, 249 Konflikttypen 285 Konflikttypologien 285 Konfliktursachen 285, 286 Konformitätsdruck 329 Konsensus 93, 94 Effekt, falscher 95 Konsistenz Kriterium 93 transsituative 105 Konstruktvalidität 102 Konsumentensouveränität 21 Kontaktorientierung 256 Kontextfaktoren 198 Kontingenz 208 Erfahrungen 136 Erwartung 132, 138, 149 Theorie 266, 268 Kontrasteffekt 87 Kontrastierungsfehler 108 Kontrollaufwand 183 Kontrollüberzeugung 69, 134, 165
Stichwortregister Kooperation 21, 315, 321 Kooperationsprinzip 21 Korrelationsschluss 102 Korrumpierungseffekt 147, 149, 185 Kosten 22 Kovariationsprinzip 93, 94 Kreativität 176 Kriteriumsvalidität 102 Kultur 25, 397, 410 A 411 Checks 398 J 411 Theorien 397 Kündigung 41 Kurzzeitgedächtnis 49, 50 L Lageorientierung 68 Laiendiagnostik 192 Law and Order-Haltung 33 LEAD-Fragebogen 265 Lean-Management-Führungsstil 260 Legitimate power 218 Leistungsanreize 24, 26 Leistungsbewertung 164 Leistungseffizienz 161 Leistungsfähigkeit 37 Leistungsgerechtigkeit 37, 39 Leistungsmessung 171, 384 Leistungsmotiv 157, 158, 159, 167, 239 Leistungsmotivation 131, 157, 167, 262 Leistungsprinzip 317 Leistungsverschlechterung 149 Leniency-Effekt 108 Lernen am Erfolg 277 am Modell 220, 245, 411 durch Wiederholung 393 Lerntheorie, sozial-kognitive 245, 247 Linienorganisation 366 Linking pin model 364 LKW-Formel 90 LPC-Skala 266 LPC-Wert 266, 267, 268 M Macht 167, 190, 211, 212, 213, 214, 217, 223 durch Belohnung 217 durch Zwang 217, 221, 222 legitime 222, 223
441
Stichwortregister legitimierte 218 personalisierte 226 Reifestadien 232, 234 sozialisierte 226 Machtadressat 212 Machtausgleich 235 Machtausübende 215 Machtausübung 212, 214, 215, 217, 219, 229 Reifegrad 341 Machtbasen 219 Machtbedürfnisse 128 Machtbegrenzung 236 Machtbereich 239 Machtdemonstration 220 Machtdistanz 214, 224, 228, 229, 230, 240, 255, 300, 341 Reduktion 227, 228, 229 Machteinwirkung 215 Machtempfänger 215, 220 Machtfülle 212, 214, 216 Machtgefühl 226 Machthandeln 233 Machtinhaber 219, 220 Machtinstrument 376 Machtkämpfe 236, 239 Machtkonflikte 255 Machtlosigkeit 69 Machtmissbrauch 212, 216, 220 Machtmittel 215, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 237 affektive 218 kognitive 218 konative 218 Machtmotiv 167, 226, 239 Machtmotivation 28, 131, 167, 214, 225, 227, 232, 233, 235, 238, 239, 300 Machtquellen 225, 226, 237 Machtreduktion 182 Machtregulation 235 Machtspiele 224 Machtstreben 238 Machtstrukturen 233 Machtunterschiede 228, 229 Machtverlust 230 Machtverteilung 239, 240 Management by objectives 63, 66, 202, 385 Managerial-Grid 261, 262 Modell 306 Theorie 261 Marktwirtschaft 24
freie 24, 39 soziale 22, 24 Marxismus 190, 255 Maschinenmetapher 397 Maximax-Kriterium 52 Maximin-Kriterium 52 Menschenbild 115, 177, 187, 262, 355, 392 Menschenkenntnis 57, 74, 100, 114 Methode der kritischen Ereignisse 197 Middle-of-the-road-Management 263 Mildefehler 107 Minimale-Gruppen-Paradigma 298 Misserfolgsorientierung 158 Mitarbeiter, gläserne 60 Mitarbeiterbild 115, 150, 170, 171, 172, 176, 177, 187, 265 Mitarbeiterbindung 411 Mitarbeitermotivation 28, 173, 204 Mitarbeiterorientierung 256, 257, 261, 271 Mitarbeiterverhalten 176 Mitbestimmung 22 Modell überlappender Arbeitsgruppen 364 Moralentwicklung 32 Moralphilosophie 19, 21 Motiv 157 Motivation 25, 121, 122, 186 extrinsische 147 intrinsische 147, 171, 200 Mythos 173 Motivationsdefizite 149, 155, 156 Motivationsdiagnostik 124 Motivationsmodell 126 Motivationsseminare 169 Motivationsstrategien 174 Motivationsstruktur 233 Motivationstendenzen 227 Motivationstheorien 71, 121, 123, 124 Motivatoren 197, 198, 199 Motive 121, 124 Mülleimerentscheidung 47 Multi-Motiv-Gitter 168 Mythos Motivation 173 N Nachentscheidungskonflikte 83 Nein-Sage-Fehler 107 Normen 31, 32, 170, 337 Nullsummenspiel 295, 298 Nutzen 19, 22, 23, 24, 26, 28, 29, 31, 34, 183 Nutzenbewertung 41, 43
442 Nutzenbilanz 26 Nutzenfunktion 43, 53, 309 Nutzen-Hypothese, marginale 53 Nutzen-Kosten Gesichtspunkte 152 Kalkül 26 Kalkulation 376 Überlegungen 58 Verhältnis 26, 152 Nutzenmaximierung 19, 21, 22, 25, 28, 29, 44 Nutzenmaximierungsprinzip 33, 34 Nutzenmehrung 25 Nutzenmodelle 54, 55 Nutzenoptimierung 25, 48 Nutzenprinzip 19 Nutzenüberlegungen 26 Nutzenzuwachs 43 O Organisationsentwicklung 354, 371, 415 Maßnahmen 410, 416 Organisationsgestaltung 345, 350, 352 Organisationskultur 355, 356 Organisationsmetapher 398 Organisationsstruktur 48, 49, 351, 352, 354, 360, 361, 362, 363, 368 Organisationsveränderung 410 Origins 185, 186 Overachiever 91 Over-Justification 147 P Partizipation 171 Partizipationsmöglichkeiten 391 Pawns 185, 186 Perfektionismus 20 Personalabteilung 375, 376, 377, 417 Personalarbeit 49, 375, 376, 379, 383, 417 qualitative 373, 382 Personalbereich 373, 376 Personalentwicklung 379 Personalmarketing 27 Personalpolitik 27, 415, 417 werteorientierte 405 Personalverwaltung 374 Personalwesen 374 Personenbeurteilung 73 Personenwahrnehmung 59, 62, 70, 72, 73 Persönlichkeit 20, 23, 64, 66, 71, 74 Persönlichkeitsbeurteilungen 74
Stichwortregister Persönlichkeitseigenschaften 63, 64, 65, 66 Persönlichkeitskonstrukte 64, 67, 166 kognitive 67 verhaltenstheoretische 67 Persönlichkeitsmerkmale 63 Persönlichkeitstheorien 66, 71, 72 implizite 72 Perspektivverzerrungen 114 Pessimismus-Optimismus-Kriterium 52 Pflicht 402 Playboy-Syndrom 188 Positionskampf 285, 303 Postdecisional dissonance 83 P-O-X-Triade 77, 279 Preisabsprachen 24 Pressure to communicate 60, 325 Primacy-Effekt 110 Primacy-Recency-Effekt 110 Produktionsfaktor 22 Produktionsorientierung 257 Produktorganisation 301, 302 Produktorientierung 260, 261 Profit-Center-Organisation 377, 378, 379, 380 Prognose 57, 59, 74, 100, 101 Prognosegüte 100 Projektionsfehler 108 Prophezeiung sich selbst erfüllende 104, 109, 177 Pseudo-Zufriedenheit 195 Pygmalion-Fehler 109 Q Qualifikation 93 Qualifikationsanforderungen 408 Qualifizierungsangebote 405 R Rationalität 48, 370 Rationalitätstheorie 46 Reaktanz 334, 335 Reaktanzeffekte 146 Reaktanzreaktionen 149 Reaktanztheorie 334, 342 Referent power 218 Referenzfehler 106 Reibungskonflikt 285 Reifegradtheorie, situative 264 Reihenfolgeeffekt 110 Reinforcement-Struktur 152 Reiz-Reaktion-Mechanismus 123
443
Stichwortregister Reiz-Reaktions-Maschine 173 Repräsentationsschluss 101 Repression 70 Reward power 217 Risiko-Wahl-Modell 158, 161 Role-making 357 Role-taking 357 Rolle 357 Rollen 26, 357, 361 soziale 356 Rollenambiguität 358 Rollenbilder 357 Rollendefinition 357, 359 Rollenerwartungen 347, 356, 358, 359, 363 Rollenfremdbild 357 Rollengestaltung 361 Rollenkonflikte 358 Rollenselbstbild 357 Rollensender 357 Rollenset 357 Rollenüberlastung 358 Rollenverhalten 363 Rosenthal-Effekt 109 S Schaukämpfe 299 Schlüsselqualifikationen 408, 409 Selbstaufmerksamkeit 112 Selbstbestimmung 186 Selbstbewertung 161 Selbstbewertungsbilanz 162 Selbstentfaltung 21 Selbstverwirklichung 171, 176, 361, 403, 414, 415 Selbstwahrnehmung 58 Selbstwerterhöhung 112, 331, 332, 333 Selbstwertgefühl 331 Selbstwertschutz 331, 332, 333 Selbstwirksamkeitsüberzeugung 70, 186 Self-efficacy 70 Selffulfilling prophecy 79, 104, 174, 177 Self-serving-bias 112, 332 Sensitization 70 Sinnentleerung 170 Sittlichkeitswerte 19 Sleeper-Effekt 219 Social Exchange Theory 29 Social Judgement Theory 327 Solidarität 20, 190, 298, 318, 319 Solidaritätsprinzip 20
Sozialethik christliche 20, 34 Sozialisation 157, 187 Sozialismus 190 Stadientheorie der moralischen Entwicklung 31 Streik 319 Strengefehler 107 Subjektiver Nutzen 52 Subsidiarität 20 Subsidiaritätsprinzip 20 Sympathiefehler 108 Systeme, soziotechnische 362 Systemsteuerungsprinzipien 350 Systemveränderungskonflikt 286 T Task-Management 263 Taylorismus 171 Team-Management 263 Theatermetapher 398 Theorie des organisierenden Handelns 368 Theorie X 171, 175, 176, 177, 270, 355, 412 Theorie Y 171, 175, 176, 177, 270, 355, 412 Theorie Z 411, 412, 414, 415 Top-down-Strategie 410 U Übertragungsfehler 108 Überveranlassung 147 Underachiever 91 Unfreezing 388 Uniformitätsdruck 325 Unternehmensaufgaben 26 Unternehmensethik 21 Unternehmensgestaltung 399 Unternehmensidentität 206 Unternehmensklima 380 Unternehmenskultur 29, 240, 256, 347, 352, 383, 397, 401, 405, 411, 412, 415 Screening 400 Unternehmensleitsätze 380 Unternehmensorganisation 352 Unternehmensphilosophie 413 Unternehmensstruktur 345 Unternehmensumwelt 22 Ursachenerklärung 92 Ursachenzuschreibung 89, 94 Urteilstheorie, soziale 327 Utilitarismus 19
444 V Valenzkomponente 159 Verfahrensgerechtigkeit 36 Verfälschungstendenz 63 Vergleichsprozesse, soziale 322 Verhaltensdispositionen 124 Verhaltensergebnisse 63 Verhaltensgitter 261 Verhaltenskontrolle 201, 384 Verhaltensprognose 57 Verhaltenszirkel, interpersonaler 260 Verhandlungen 330 Verhandlungsführung 330 Verstärkung negative 130 positive 130 Verteilungsgerechtigkeit 36, 37, 39 Verteilungskonflikte 28, 292, 296, 302, 386 Vertical-Dyad-Linkage-Ansatz 275 Verursachung persönliche 185, 186 Vervollkommnungslehre 20 Verzerrung hedonistische 112 Volitionstheorien 123 Vorbildmacht 218 Vorgesetzten-Attribution 96 W Wachstumsmotive 127 Wahlverhalten 54 Wahrnehmung 59, 70, 72, 75, 88 Wahrnehmungsprozess 76 Wahrnehmungsverzerrung 87 egozentrische 332 Weg-Ziel-Ansatz 205
Stichwortregister Weg-Ziel-Theorie 204 Werte 24, 34, 172, 199, 337, 346, 347, 398, 402 Wertekonflikte 405 Wertewandel 171, 256, 265, 395, 401, 402, 403, 417 Werthaltungen 77, 218, 320, 391, 402, 409 Wert-mal-Erwartung-Theorie 129 Wertmaßstäbe 34 Wertorientierung 25 Wertvorstellungen 211 Wettbewerbsprinzip 21 Willensbildung 212 Willkürherrschaft 216 Wir-Gefühl 296, 337, 338, 352 Wirtschaftsethik 21 Wohlfahrtsethik 19 Z Zentraltendenz 107 Zielerreichung 347 Zielerreichungsgrad 203, 351 Zielkonflikte 351 Ziel-Kongruenz 352, 353 Ziel-Kongruenz-Theorie 351, 352, 353 Zielsetzung 385 Zielvereinbarungen 201, 202, 205, 208, 243 Zielvorstellungen 224 Zufriedenheit 169, 176, 195, 196, 198, 277 konstruktive 196 progressive 195 resignative 195 stabilisierte 195 Zusammengehörigkeitsgefühl 337 Zwangsmacht 223 Zwei-Faktoren-Theorie 197
Die Autoren
Stephan Kühn, Diplom-Psychologe, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Psychologie der Universität Bochum und Dozent an der Business and Information Technology School gGmbH (BITS, staatlich anerkannte Private Hochschule), Iserlohn. Dr. Iris Platte, Diplom-Psychologin, ist Beraterin und Trainerin in den Bereichen Personal und Change Management und Leiterin Personal und Management Training in einer international tätigen Unternehmensberatung. Prof. Dr. Heinrich Wottawa leitet die Arbeitseinheit Methodenlehre, Diagnostik und Evaluation an der Fakultät für Psychologie der Universität Bochum und ist Geschäftsführender Gesellschafter der Firma ELIGO GmbH.
Wenn Sie weiterlesen möchten ... Christine Kirbach / Christian Montel / Stefan Oenning / Heinrich Wottawa
Recruiting und Assessment im Internet Werkzeuge für eine optimierte Personalauswahl und Potenzialerkennung Das Internet erlaubt die Steigerung der Qualität und Effizienz von Personalentscheidungen. Voraussetzung dafür sind spezielle eignungsdiagnostische Tools, die die Vorteile der netzgestützten Prozessgestaltung zum Tragen bringen können. Das Buch präsentiert, wie sich im Recruiting damit effizient das Personalmarketing, die Abwicklung der Bewerbung und die automatisierbare Vorselektion, das weitergehende Screening unter Nutzung von PC-gestützten psychologischen Testverfahren und die Endauswahl mit Interviews oder Assessment-Centers gestalten lassen. Ebenso wird auf die Potenzialerkennung von Mitarbeitern, etwa bei internen Stellenbewerbungen, das Erkennen von Führungsnachwuchs und die Beratung in der Personalentwicklung eingegangen. Entscheidend ist die Möglichkeit, solche Verfahren auch auf dem spezifischen Kompetenzmodell des Unternehmens aufzubauen, vor allem in der internationalen Personalarbeit. Diese Prozessabläufe werden einschließlich des psychologisch-fachlichen Hintergrunds und der verfügbaren Tools diskutiert und anhand eines Dutzends Projektbeispiele (u. a. bei Allianz, Deutsche Bank, DKV, Siemens, RWE) konkret dargestellt. Ergänzt wird dieses Material durch eine CD-ROM mit Screenshots der eingesetzten Testverfahren und Mustergutachten.
Sylvia Schroll-Machl
Die Deutschen – Wir Deutsche Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben Das Buch wendet sich zum einen an jene, die mit Deutschen von ihrem Heimatland aus zu tun haben, oder als Expatriate, der für einige Zeit in Deutschland lebt, zum anderen an die Deutschen, die mit Partnern aus aller Welt im Geschäftskontakt stehen, sei es per Geschäftsbesuch oder via Kommunikationsmedien. Für die erste Gruppe ist es wichtig, Informationen über Deutsche zu erhalten, um sich auf uns einstellen zu können. Für Deutsche selbst ist es hilfreich zu erfahren, wie unsere nicht-deutschen Partner uns erleben, um uns selbst im Spiegel der anderen zu sehen. Sylvia Schroll-Machl berichtet auf dem Hintergrund langjähriger Praxis als interkulturelle Trainerin und Wissenschaftlerin über viele typische Erfahrungen mit uns Deutschen und typische Eindrücke von uns. Es geht ihr aber auch darum, diese Erlebnisse und Erfahrungen aus deutscher Sicht zu beleuchten, damit die nicht-deutschen Partner entdecken, wie wir eigentlich das meinen, was wir sagen und tun. Zudem beschäftigt sich die Autorin auch mit den kulturhistorischen Hintergründen, die uns Deutsche prägen.
Psychologie und Beruf 1: Christina Schachtner (Hg.)
3: Matthias Hüsgen
Das soziale Feld im Umbruch
Projektteams
Professionelle Kompetenz, Organisationsverantwortung, innovative Methoden 2004. 220 Seiten mit 12 Abb. und 3 Tab., kartoniert ISBN 3-525-45150-4
Im Zuge des gegenwärtigen Globalisierungsprozesses erodiert das Soziale oder konstituiert sich bereits wieder neu. Das Buch arbeitet die Konturen einer neuen Professionalität im sozialen Feld heraus, die sich in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbruchsituation bewähren muss.
2: Wolfgang G. Weber / Pier-Paolo Pasqualoni / Christian Burtscher (Hg.)
Wirtschaft, Demokratie und soziale Verantwortung Kontinuitäten und Brüche 2004. 422 Seiten mit 2 Abb. und 11 Tab., kartoniert ISBN 3-525-45151-2
In seiner konzeptionellen und praktischen Ausrichtung leistet das Buch eine Verbindung zwischen Ansätzen der Wirtschaftsdemokratie, Wirtschaftsethik, Corporate Citizenship und Humanisierung des Arbeitslebens.
Das Sechs-Ebenen-Modell zur Selbstreflexion im Team – Instrument und Einsatz 2005. 273 Seiten mit 23 Abb. und 31 Tab., kartoniert ISBN 3-525-45152-0
Das Sechs-Ebenen-Modell bietet ein Instrument für Projektteams, das über Selbstreflexion zu einer verbesserten Zusammenarbeit führt.
5: Martina Mörth / Imke Söller
Handbuch für die Berufsund Laufbahnberatung 2005. 226 Seiten mit 6 Abb. und 3 Tab., kartoniert. ISBN 3-525-45154-7
Ein theorie- und praxisorientiertes Handbuch für Berufs- und Laufbahnberater und solche, die es werden wollen. Auch Ratsuchende und interessierte Laien, die sich auf eine differenzierte Betrachtung der Gegebenheiten und Anforderungen in der heutigen Arbeitsgesellschaft einlassen möchten, werden von diesem Buch profitieren.
Handlungskompetenz im Ausland Mit Cartoons von Jörg Plannerer
Sabine Foellbach / Katharina Rottenaicher / Alexander Thomas Beruflich in Argentinien 2002. 149 Seiten mit 10 Cartoons, kartoniert. ISBN 3-525-49053-4
Renate Ferres / Friederike Meyer-Belitz / Bettina Röhrs / Alexander Thomas Beruflich in Mexiko 2005. 154 Seiten mit 8 Cartoons, kartoniert. ISBN 3-525-49060-7
Susanna Brökelmann / Christin-Melanie Fuchs / Stefan Kammhuber / Alexander Thomas Beruflich in Brasilien 2006. 134 Seiten mit einigen Cartoons, kartoniert ISBN 3-525-49059-3
Tatjana Yoosefi / Alexander Thomas Beruflich in Russland 2003. 132 Seiten mit 8 Cartoons, kartoniert ISBN 3-525-49056-9
Alexander Thomas / Eberhard Schenk Beruflich in China 2. Auflage 2005. 148 Seiten mit 11 Cartoons, kartoniert ISBN 3-525-49050-X Stefan Schmid / Alexander Thomas Beruflich in Großbritannien 2003. 169 Seiten mit 11 Cartoons, kartoniert. ISBN 3-525-49051-8 Marlis Martin / Alexander Thomas Beruflich in Indonesien 2002. 177 Seiten mit 11 Cartoons, kartoniert. ISBN 3-525-49052-6 Iris Petzold / Nadja Ringel / Alexander Thomas Beruflich in Japan 2006. 150 Seiten mit 8 Abb., kartoniert ISBN 3-525-49061-5 Claude-Hélène Mayer / Christian Boness / Alexander Thomas Beruflich in Kenia und Tansania 2003. 154 Seiten mit 10 Cartoons, kartoniert. ISBN 3-525-49054-2
Michaela Stemplinger / Sandra Haase / Alexander Thomas Beruflich in der Slowakei 2006. 148 Seiten mit einigen Cartoons, kartoniert. ISBN 3-525-49063-1 Claude-Hélène Mayer / Christian Boness / Alexander Thomas Beruflich in Südafrika 2004. 154 Seiten mit 3 Karten, 4 Tabellen und 10 Cartoons, kartoniert. ISBN 3-525-49057-7 Andreas Brüch / Alexander Thomas Beruflich in Südkorea 2., überarbeitete Auflage 2004. 163 Seiten mit 8 Cartoons, kartoniert ISBN 3-525-49058-5 Sylvia Schroll-Machl / Ivan Nový Beruflich in Tschechien 2003. 144 Seiten mit 8 Cartoons, kartoniert ISBN 3-525-49055-0 Emily Slate / Sylvia Schroll-Machl Beruflich in den USA 2006. Ca. 150 Seiten mit einigen Cartoons, kartoniert. ISBN 3-525-49062-3