Prozeßverträge: Privatautonomie Im Verfahrensrecht 3161470222, 9783161581496, 9783161470226


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German Pages 849 [873] Year 1998

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Allgemeiner Teil
1. Kapitel: Qualifikation verfahrensbezogener Vereinbarungen
A. Der Rechtscharakter des Prozeßrechts
B. Die Qualifikation vertraglicher Vereinbarungen
I. Grundlegende Klarstellungen
1. Trennung von Qualifikations- und Zulässigkeitsfragen
2. Notwendigkeit einheitlicher Qualifikationskriterien
3. Die Bedeutung der Lehren zur Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht
4. Verzicht auf die Vertragsqualifikation?
II. Das maßgebliche Zuordnungskriterium
1. Abgrenzung mit Hilfe des Prozeßhandlungsbegriffs
2. Abgrenzung anhand der Vertragsparteien
3. Differenzierung zwischen Vertragstatbestand und Vertragswirkungen
4. Inhaltliche Zuordnungskriterien
III. Präzisierung der Gegenstandstheorie
1. Disposition über ein prozeßrechtliches Rechtsverhältnis
2. Hypothetische Normqualifikation
3. Berücksichtigung von Zweck und Gesamtcharakter des Vertrags
C. Verfügungs- und Verpflichtungsverträge
D. Mehrere Vertragsregelungen
I. Alternativen und Streitstand
II. Einheitliche Qualifikation
III. Doppelnatur oder Doppeltatbestand?
E. Zusammenfassung
2. Kapitel: Die Zulässigkeit von Prozeßverträgen
A. Meinungsstand
B. Der Begriff des dispositiven Rechts
C. Normdisposition: Verträge im Rahmen dispositiven Zivilprozeßrechts
I. Die Möglichkeit dispositiven öffentlichen Rechts
II. Privatautonomie und publizistisches Prozeßrecht
III. Grenzen prozessualer Dispositionsfreiheit
IV. Gründe für zwingendes Recht
V. Zwingendes und dispositives Zivilprozeßrecht
1. Zwingende Vorschriften zum Schutz von Privatinteressen
2. Zwingende Vorschriften zum Schutz von Allgemeininteressen
a) Konkrete öffentliche Einzelinteressen
b) Das allgemeine öffentliche Interesse an kosteneffektiver Zivilrechtspflege
D. Befugnisdisposition: Vereinbarungen über prozessuale Befugnisse
I. Disponibilität als notwendiges Attribut subjektiver Berechtigungen
II. Disposition über prozessuale Befugnisse und Privatautonomie
III. Einwände
1. Entgegenstehende Allgemeinwohlbelange
2. Schutzbedürfnisse
3. Das „Formproblem“
E. Materiell-rechtliche Restriktionen der Privatautonomie
I. Gesetzliche Einschränkungen der Parteiherrschaft im Zivilprozeß
1. Normdispositionen
a) Die Zulässigkeit des Schiedsvertrags
b) Einschränkungen der Prorogation
2. Einschränkungen der Befugnisdisposition
II. Allgemeine Prinzipien
1. Zwingendes Privatrecht und prozessuale Dispositionsfreiheit
2. Unverzichtbarkeit: Bindung ex ante und ex post
a) Unverzichtbare Ansprüche
b) Prozessuale Rechtsfolgen der Unverzichtbarkeit
3. Unverzichtbarkeit als Regelfolge der Unabdingbarkeit?
III. Exkurs: Umdeutung unzulässiger Prozeßverträge in zulässige Rechtsgeschäfte des materiellen Rechts
F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen für Prozeßverträge
I. Voraussetzungen von Vertragsgerechtigkeit
II. Verfahrensbezogene Vereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
1. Der Anwendungsbereich des AGBG
2. Anwendbarkeit des AGBG auf Prozeßverträge
3. Kontrollfähigkeit verfahrensbezogener Klauseln
a) Abweichung von dispositivem Prozeßrecht
b) Disposition über prozessuale Befugnisse
4. Maßstäbe der Inhaltskontrolle
a) Die besonderen Klauselverbote der §§ 10 und 11 AGBG
b) Prozeßbezogene Vereinbarungen und § 9 AGBG
aa) Die Systematik des § 9 AGBG
bb) § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG: Die Leitbildfunktion des Prozeßrechts
cc) § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG: Aushöhlung wesentlicher Vertragspflichten
dd) Die Generalklausel des § 9 Abs. 1 AGBG
aaa) Anwendungsbereich
bbb) Unangemessene Benachteiligung
III. Prozeßvereinbarungen außerhalb Allgemeiner Geschäftsbedingungen
1. Die Sicherungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre
2. Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen
3. Vertragliche Inhaltskontrolle aufgrund von § 242 BGB
4. Das Beispiel der Ausgleichsquittung
IV. Übersehbarkeitserfordernis und Bestimmtheitsgrundsatz
G. Rechtsvergleich: Vertragsfreiheit im U.S.-amerikanischen Zivilprozeßrecht
I. Einführung
II. Gerichtsstandsvereinbarungen
1. Dispositionen über die Subject Matter Jurisdiction
2. Dispositionen über Territorial Jurisdiction und Venue
a) Die Non-Ouster-Doktrin als Ausgangspunkt
b) Die Bremen-Entscheidung als Wendepunkt
c) Gerichtsstandsvereinbarungen im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher
d) Stellungnahme
III. Schiedsverträge
1. Das Erbe des englischen Rechts
2. Der Federal Arbitration Act
3. Inflation und Deflation der Public Policy Exception
4. Ex-ante-Prüfung der Schiedsvereinbarung und ex-post-Kontrolle des Schiedsspruchs
5. Kritik und Stellungnahme
IV. Fazit
H. Zusammenfassung
3. Kapitel: Wirkungen der Prozeßverträge
A. Meinungsstand
B. Wirkung im Primärprozeß
I. Verpflichtung und Verfügung
1. Der Verfügungs- und der Verpflichtungsbegriff des materiellen Privatrechts
2. Folgerungen für das Recht der Prozeßverträge
a) Normdispositionen
b) Dispositionen über prozessuale Befugnisse
c) Ergebnis
II. Die Einwirkung der Prozeßverträge auf den Primärprozeß
1. Normdispositionen
2. Disposition über prozessuale Befugnisse
a) Die Grundregel
b) Prozeßverträge mit Gegenleistungspflicht
c) Grenzen der Wirksamkeit von Verpflichtungsverträgen
aa) Verpflichtung zu einem prozessualen Unterlassen
bb) Verpflichtung zum Tun
III. Der Modus der Einwirkung auf den Primärprozeß
1. Kritik der Einredetheorie
a) Unterlassen der Einrede als konkludenter Aufhebungsvertrag
b) Der Einredecharakter der exceptio doli
c) Die exceptio pacti
2. Dispositionen über prozessuale Befugnisse
a) Zulässigkeitsvoraussetzungen und Zulässigkeitseinreden
b) Prüfung von Amts wegen vs. Einredelast
c) Wirkung ipso iure vs. Wirkung ope exceptionis
3. Normdispositionen
4. Ergebnis
C. Durchsetzung von Prozeßverträgen mit Hilfe von Sekundärprozessen
I. Schadensersatzansprüche
1. Bestehen von Schadensersatzansprüchen
2. Durchsetzbarkeit der Schadensersatzansprüche im Klageweg
II. Erfüllungsansprüche
1. Erfüllungsansprüche im nationalen Zivilprozeß
2. Besonderheiten des internationalen Zivilprozesses
3. Die Vollstreckung von Erfüllungsansprüchen
III. Der Rechtsweg für Ansprüche aus Prozeßverträgen
D. Zusammenfassung
4. Kapitel: Die Rechtsgeschäftslehre der Prozeßverträge
A. Allgemeine Grundsätze
B. Einzelprobleme
I. Kompetenznormen
II. Formerfordernisse
III. Auslegung und Umdeutung
IV. Willensmängel bei Prozeßverträgen
1. Anwendbarkeit der materiell-rechtlichen Grundsätze
2. Beschränkungen der Beachtlichkeit von Willensmängeln
V. Bedingung und Befristung
VI. Rechtsnachfolge und Bindung Dritter
1. Meinungsstand
2. Stellungnahme
3. Einzelprobleme der Rechtsnachfolge
a) Gesamtrechtsnachfolge
b) Einzelrechtsnachfolge
c) Interzessionen
d) Veräußerung von Sachen
VII. Teilnichtigkeit: Das Verhältnis von Prozeßvertrag und Rechtsgeschäft
1. Meinungsstand
2. Stellungnahme
a) Anwendbarkeit des § 139 BGB
b) Der hypothetische Parteiwille
c) Die Rechtslage beim Schiedsvertrag
VIII. Vertrag oder einseitiges Rechtsgeschäft?
C. Exkurs: Prozeßverträge und einverständliches Parteihandeln
D. Zusammenfassung
5. Kapitel: Prozeßverträge im internationalen Zivilprozeßrecht
A. Der Stand der Dogmatik
B. Die ratio der lex fori
C. Das autonome deutsche Kollisionsrecht der Prozeßverträge
I. Zulässigkeits- und Wirkungsstatut
1. Allgemeine Grundsätze
2. Prorogation der deutschen internationalen Zuständigkeit
3. Derogation, Schiedsvertrag und Klageverzicht
4. Zusammenfassung
II. Geschäftsstatut
III. Formstatut
D. Sonderregeln internationaler Abkommen
I. Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem EuGVÜ
1. Zulässigkeit und Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß Art. 17 EuGVÜ
2. Geschäfts- und Formstatut europäischer Zuständigkeitsvereinbarungen
II. Das UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche
III. Fazit
E. Zusammenfassung
Besonderer Teil
6. Kapitel: Disposition über die Klagebefugnis
A. Meinungsstand
B. Klagbarkeit, Klagerecht und Rechtsschutzanspruch
I. Der vollkommene Anspruch und seine Einschränkungen
II. Das Verhältnis von Anspruch und Klagerecht
III. Materiell-rechtliches Klagerecht?
IV. Rechtsschutzanspruch und Klagerecht
V. Das prozessuale Klagerecht als Objekt der Privatautonomie
VI. Ergebnis
C. Die Disposition über die Klagebefugnis im Dickicht möglicher Anspruchsverkürzungen
I. Naturalobligation, Stundung und pactum de non petendo
II. Die Disposition über die Klagebefugnis in der Praxis
1. Die peremptorische Disposition über die Klagebefugnis
2. Der dilatorische Klageverzicht, insbesondere im Rahmen von Schlichtungs-, Güte- und Musterprozeßvereinbarungen
3. Der Ausschluß des Rechtswegs
D. Rechtsnatur des Klagbarkeitsausschlusses
E. Zulässigkeit der Disposition über die Klagebefugnis
I. Zulässigkeit prozessualer Verpflichtungsverträge
II. Öffentliche Interessen
III. Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit
1. Dilatorischer Klageverzicht
a) Private Schlichtungsverfahren
b) Musterprozeßvereinbarungen
2. Peremptorischer Klageverzicht
IV. Einschränkungen der Privatautonomie
F. Die Verbandsgerichtsbarkeit
I. Beschränkungen des Rechtsschutzes im Mitgliedschaftsverhältnis
II. Vereinsautonomie und Privatautonomie
III. Qualifikation satzungsmäßiger Rechtsschutzverkürzungen
IV. Zulässigkeit satzungsmäßiger Rechtsschutzverkürzungen
1. Zulässigkeitsmaßstäbe
2. Zulässigkeit von Dispositionen über die Klagebefugnis
3. Wirksamkeit satzungsmäßiger Beurteilungs- und Ermessensspielräume
4. Vereinsinterne Vorverfahren und Rechtsbehelfsfristen
V. Exkurs: Satzungsmäßige Schiedsklauseln
1. Voraussetzungen der Verbands-Schiedsgerichtsbarkeit
2. Die Vereinbarung der Verbands-Schiedsgerichtsbarkeit
3. Zulässigkeit satzungsmäßiger Schiedsklauseln
G. Zusammenfassung
7. Kapitel: Einverständliche Verfahrensbeendigung
A. Selbständige Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen
B. Rücknahmeversprechen im Rahmen außergerichtlicher Vergleiche
C. Prozeßvergleich und “abstrakter” Prozeßbeendigungsvertrag
I. Prozeßvergleich
II. „Abstrakter“ Prozeßbeendigungsvertrag
D. Der Rechtsmittelverzicht
I. Typen und Geschäftsrecht
1. Typen des Rechtsmittelverzichts
2. Rechtsgeschäft oder Prozeßvertrag?
3. Rechtsgeschäftslehre
II. Zulässigkeit
1. Berufungsverzicht
2. Verzicht auf die übrigen Rechtsmittel der ZPO
III. Wirkung des Rechtsmittelverzichts
IV. Zusammenfassung der Ergebnisse
E. Zusammenfassung
8. Kapitel: Kompetenzverträge
A. Gerichtsstandsvereinbarungen
B. Dispositionen über die funktionelle Zuständigkeit
C. Dispositionen über die Geschäftsverteilung
D. Disposition über den Rechtsweg
E. Schiedsvereinbarung
I. Rechtscharakter
II. Die Rechtsgeschäftslehre der Schiedsvereinbarung
III. Zulässigkeit
1. Schiedsfähigkeit
2. Bestimmtheitsgrundsatz
3. Inhaltskontrolle von Schiedsklauseln
F. Exkurs: Privatautonome Erweiterung gerichtlicher Kompetenzen
G. Zusammenfassung
9. Kapitel: Beweisverträge
A. Materiell-rechtliche Feststellungs- und prozessuale Geständnisverträge
I. Die Entwicklung der Problematik
II. Materiell-rechtliche Feststellungsverträge
III. Prozessuale Gestaltungsmöglichkeiten
1. Zulässigkeit einverständlicher Dispositionen über die tatsächliche Urteilsgrundlage und präjudizielle Rechtsverhältnisse
a) Wahrheitspflicht und Geständnisrecht
b) Grenzen der Dispositionsfreiheit
aa) Offenkundigkeit und Rechte Dritter
bb) Prozessuale und materiell-rechtliche Dispositionsfreiheit
cc) Zusammenfassende Würdigung
c) Dispositionen über präjudizielle Rechtsverhältnisse
2. Zulässigkeit von Verpflichtungsverträgen
IV. Die Abgrenzung zwischen prozessualem Geständnisvertrag, materiell-rechtlichem Feststellungsgeschäft und außergerichtlichem Geständnis
V. Vertragliche Fiktionen und Vermutungen
VI. Fazit
B. Schiedsgutachtenvereinbarungen
I. Inhalt und Wirkung von Schiedsgutachtenvereinbarungen
II. Die Ausgestaltung des Schiedsgutachtenrechts
1. Grenzen der Bindung an die Schiedsgutachtenvereinbarung
2. Gerichtliche Kontrolle des Schiedsgutachtens
a) Ergebniskontrolle
b) Verfahrenskontrolle
aa) Schiedsgutachtenklauseln in AGB und Individualvereinbarungen
bb) Gewährleistung schiedsgutachterlicher Unabhängigkeit
cc) Recht auf Gehör
III. Die Zulässigkeit von Schiedsgutachtenvereinbarungen
C. Beweismittelverträge
D. Vertragliche Dispositionen über die Beweiswürdigung
E. Beweislastverträge
F. Beweisverträge in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
I. Die Fiktionen des § 10 Nrn. 5 und 6 AGBG
II. Schadenspauschalierung gemäß § 11 Nr. 5 AGBG
III. Das Verbot von Beweislastverträgen gemäß § 11 Nr. 15 AGBG
G. Zusammenfassung
10. Kapitel: Dispositionen über Urteilswirkungen
A. Vertragliche Dispositionen über die Urteilsrechtskraft
I. Der vertragliche Verzicht auf die Rechtskraft
II. Unterwerfung unter die Urteilsrechtskraft
B. Vollstreckungsvereinbarungen
I. Typen, Abgrenzung und Rechtsnatur von Vollstreckungsvereinbarungen
1. Typen möglicher Vereinbarungen
2. Abgrenzung gegenüber materiell-rechtlichen Parallelerscheinungen
3. Der Dispositionsgegenstand der Vollstreckungsvereinbarung
a) Vollstreckungsbeschränkende Vereinbarungen
b) Vollstreckungserweiternde Vereinbarungen
c) Fazit
II. Die Zulässigkeit der Vollstreckungsvereinbarungen
1. Vollstreckungsbeschränkende Verträge
2. Vollstreckungserweiternde Vereinbarungen
a) Disposition über die Pfändungsschutzvorschriften
b) Dispositionen über die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
III. Der Wirkungsmodus der Vollstreckungsvereinbarungen
1. Vollstreckungsvereinbarungen vor Urteilserlaß
2. Die Geltendmachung vollstreckungsbeschränkender Vereinbarungen
3. Vollstreckungserweiternde Vereinbarungen
C. Die vollstreckbare Urkunde
D. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
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Prozeßverträge: Privatautonomie Im Verfahrensrecht
 3161470222, 9783161581496, 9783161470226

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 33

ARTIBUS

Gerhard Wagner

Prozeßverträge Privatautonomie im Verfahrensrecht

Mohr Siebeck

Gerhard Wagner: Geboren 1962, 1982-1987 Studium in Göttingen und München; 1989 Promotion; im Jahr 1989 Forschungstätigkeit für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit; 1992 Zweites Juristisches Staatsexamen; 1992-1997 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Göttingen; 1994-1995 Studium an der University of Chicago Law School, Master of Laws; 1997 Habilitation; seither Lehrtätigkeit an den Universitäten Göttingen und Regensburg.

Als Habilitation auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Wagner, Gerhard: Prozeßverträge : Privatautonomie im Verfahrensrecht / Gerhard Wagner. — Tübingen : Mohr Siebeck, 1998 (Jus privatum ; Bd. 33) ISBN 3-16-147022-2

978-3-16-158149-6 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

© 1998 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde aus der Garamond-Antiqua von niemeyers satz in Tübingen gesetzt, von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610

Für Karen

Vorwort

Die heutige Rechtspolitik wird von einem Bestreben nach Senkung der Staatsausgaben, Deregulierung und Flexibilisierung bestimmt, das auch vor der Justiz nicht halt macht. Die vorliegende Studie ist ebenfalls darum bemüht, die Kosten des Zivilprozesses im Zaum zu halten und seinen Nutzen für die Parteien zu steigern, will diese Ziele aber nicht durch legislatorische Eingriffe erreichen, sondern das paradigmatische Gestaltungsmittel der Privatautonomie - den Vertrag - für das Prozeßrecht revitalisieren. Darüber hinaus versteht sie sich auch als Handbuch des Prozeßvertragsrechts, dessen es angesichts der Zerfaserung dieses Rechtsgebiets und der Herausbildung von Sonderdogmatiken einzelner Vertragstypen dringend bedarf. Die Arbeit, deren Ansatz und Forschungsprogramm in der Einleitung näher erläutert ist, wurde von der Juristischen Fakultät der Georg-AugustUniversität Göttingen im Sommersemester 1997 als Habilitationsschrift angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Uwe Diederichsen, der mich in vielerlei Hinsicht gefördert und mir stets den für wissenschaftliche Arbeit erforderlichen Freiraum gewährt hat. Zu danken habe ich auch den Koreferenten, Herrn Professor Dr. Wolfram Henckel und Herrn Professor Dr. Joachim Münch, sowie der gesamten Göttinger Fakultät für die unproblematische Durchführung des Habilitationsverfahrens. Danken möchte ich schließlich meinen Eltern, Hubert und Inge Wagner, insbesondere auch für ihre Hilfe bei den Korrekturen. Ohne einen großzügigen Druckkostenzuschuß der Deutschen Forschungsgemeinschaft hätte die Arbeit nicht in dieser Form erscheinen können. Das Manuskript wurde Ende 1996 abgeschlossen, für die Veröffentlichung jedoch auf den Stand vom Juni 1998 gebracht. Insbesondere ist das inzwischen in Kraft getretene Schiedsverfahrensgesetz eingearbeitet, mit dem das deutsche Schiedsrecht auf eine neue Grundlage gestellt worden ist. Die erst am 1.1.1999 in Kraft tretende Zweite Zwangsvollstreckungsnovelle, mit der die in der Praxis bedeutsamen Ratenzahlungsvereinbarungen erstmals eine gesetzliche Regelung erfahren haben, wurde ebenfalls bereits berücksichtigt. Die Darstellung des U.S.-amerikanischen Prozeßvertragsrechts ist 1994/95 während eines Aufenthalts an der University of Chicago Law School entstanden; insoweit konnten nur einzelne Ergänzungen nachgetragen werden. Auf eine abschließende Zusammenstellung der Ergebnisse ist aus Raumgründen

VIII

Vorwort

zugunsten der am Ende der einzelnen Kapitel zu findenden Zusammenfassungen verzichtet worden. Letztere sind aus sich heraus verständlich, lassen sich hintereinander weg lesen und ermöglichen so dem eiligen Leser einen raschen Überblick. Göttingen, im August 1998

Gerhard Wagner

Inhaltsübersicht

Vorwort

VII

Abkürzungsverzeichnis

XXI

Einleitung

1 Allgemeiner Teil

1. Kapitel: Qualifikation verfahrensbezogener Vereinbarungen

11

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von Prozeßverträgen

48

3. Kapitel: Wirkungen der Prozeß Verträge

212

4. Kapitel: Die Rechtsgeschäftslehre der Prozeß Verträge

278

5. Kapitel: Prozeßverträge im internationalen Zivilprozeßrecht

346

Besonderer Teil 6. Kapitel: Disposition über die Klagebefugnis

391

7. Kapitel: Einverständliche Verfahrensbeendigung

504

8. Kapitel: Kompetenzverträge

556

9. Kapitel: Beweis Verträge

608

10. Kapitel: Dispositionen über Urteilswirkungen

711

Literaturverzeichnis

786

Sachverzeichnis

821

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Abkürzungsverzeichnis

VII XXI

Einleitung

1

A l l g e m e i n e r Teil 1.

Kapitel: Qualifikation verfahrensbezogener Vereinbarungen

11

A. Der Rechtscharakter des Prozeßrechts

13

B. Die Qualifikation vertraglicher Vereinbarungen

17

I. Grundlegende Klarstellungen 1. Trennung von Qualifikations-und Zulässigkeitsfragen 2. Notwendigkeit einheitlicher Qualifikationskriterien 3. Die Bedeutung der Lehren zur Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht 4. Verzicht auf die Vertragsqualifikation? II. Das maßgebliche Zuordnungskriterium 1. Abgrenzung mit Hilfe des Prozeßhandlungsbegriffs 2. Abgrenzung anhand der Vertragsparteien 3. Differenzierung zwischen Vertragstatbestand und Vertragswirkungen 4. Inhaltliche Zuordnungskriterien III. Präzisierung der Gegenstandstheorie 1. Disposition über ein prozeßrechtliches Rechtsverhältnis 2. Hypothetische Normqualifikation 3. Berücksichtigung von Zweck und Gesamtcharakter des Vertrags

17 17 18 20 20 22 22 23 25 27 28 28 32 33

C. Verfügungs- und Verpflichtungsverträge

35

D. Mehrere Vertragsregelungen

38

I. Alternativen und Streitstand II. Einheitliche Qualifikation III. Doppelnatur oder Doppeltatbestand?

38 41 43

XII

2.

Inhaltsverzeichnis E . Zusammenfassung

46

Kapitel: D i e Zulässigkeit v o n P r o z e ß v e r t r ä g e n

48

A . Meinungsstand

48

B . D e r Begriff des dispositiven R e c h t s

52

C . N o r m d i s p o s i t i o n : Verträge im R a h m e n dispositiven Zivilprozeßrechts

57

I. Die Möglichkeit dispositiven öffentlichen Rechts

57

II. Privatautonomie und publizistisches Prozeßrecht

59

III. Grenzen prozessualer Dispositionsfreiheit

64

IV. Gründe für zwingendes Recht

71

V. Zwingendes und dispositives Zivilprozeßrecht 1. Zwingende Vorschriften zum Schutz von Privatinteressen 2. Zwingende Vorschriften zum Schutz von Allgemeininteressen . a) Konkrete öffentliche Einzelinteressen b) Das allgemeine öffentliche Interesse an kosteneffektiver Zivilrechtspflege

77 77 78 80 81

D . Befugnisdisposition: Vereinbarungen über prozessuale Befugnisse

86

I. Disponibilität als notwendiges Attribut subjektiver Berechtigungen

87

II. Disposition über prozessuale Befugnisse und Privatautonomie . . . .

88

III. Einwände 1. Entgegenstehende Allgemeinwohlbelange 2. Schutzbedürfnisse 3. Das „Formproblem" E . Materiell-rechtliche Restriktionen der P r i v a t a u t o n o m i e

90 90 91 96 97

I. Gesetzliche Einschränkungen der Parteiherrschaft im Zivilprozeß 1. Normdispositionen a) Die Zulässigkeit des Schiedsvertrags b) Einschränkungen der Prorogation 2. Einschränkungen der Befugnisdisposition

98 98 98 101 102

II. Allgemeine Prinzipien 1. Zwingendes Privatrecht und prozessuale Dispositionsfreiheit . . 2. Unverzichtbarkeit: Bindung ex ante und ex post a) Unverzichtbare Ansprüche b) Prozessuale Rechtsfolgen der Unverzichtbarkeit 3. Unverzichtbarkeit als Regelfolge der Unabdingbarkeit?

106 106 114 114 115 119

III. Exkurs: Umdeutung unzulässiger Prozeßverträge in zulässige Rechtsgeschäfte des materiellen Rechts

122

Inhaltsverzeichnis F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen für Prozeß Verträge I. Voraussetzungen von Vertragsgerechtigkeit II. Verfahrensbezogene Vereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen 1. Der Anwendungsbereich des AGBG 2. Anwendbarkeit des AGBG auf Prozeß vertrage 3. Kontrollfähigkeit verfahrensbezogener Klauseln a) Abweichung von dispositivem Prozeßrecht b) Disposition über prozessuale Befugnisse 4. Maßstäbe der Inhaltskontrolle a) Die besonderen Klauselverbote der §§ 10 und 11 AGBG . . . b) Prozeßbezogene Vereinbarungen und § 9 AGBG aa) Die Systematik des § 9 AGBG bb) § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG: Die Leitbildfunktion des Prozeßrechts cc) § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG: Aushöhlung wesentlicher Vertragspflichten dd) Die Generalklausel des § 9 Abs. 1 AGBG aaa) Anwendungsbereich bbb) Unangemessene Benachteiligung III. Prozeßvereinbarungen außerhalb Allgemeiner Geschäftsbedingungen 1. Die Sicherungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre 2. Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen 3. Vertragliche Inhaltskontrolle aufgrund von § 242 BGB 4. Das Beispiel der Ausgleichsquittung

XIII 125 125 130 130 131 133 134 138 140 140 140 141 144 147 148 148 149 159 159 162 165 169

IV. Ubersehbarkeitserfordernis und Bestimmtheitsgrundsatz

172

G. Rechtsvergleich: Vertragsfreiheit im U.S.-amerikanischen Zivilprozeßrecht

175

I. Einführung II. Gerichtsstandsvereinbarungen 1. Dispositionen über die Subject Matter Jurisdiction 2. Dispositionen über Territorial Jurisdiction und Venue a) Die Non-Ouster-Doktrin als Ausgangspunkt b) Die Bremen-Entscheidung als Wendepunkt c) Gerichtsstandsvereinbarungen im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher d) Stellungnahme III. Schiedsverträge 1. Das Erbe des englischen Rechts 2. Der Federal Arbitration Act 3. Inflation und Deflation der Public Policy Exception 4. Ex-ante-Prüfung der Schiedsvereinbarung und ex-post-Kontrolle des Schiedsspruchs 5. Kritik und Stellungnahme IV. Fazit

175 177 178 180 181 182 184 185 190 190 192 193 199 202 208

Inhaltsverzeichnis

XIV

3.

H. Zusammenfassung

209

Kapitel: Wirkungen der Prozeß Verträge

212

A. Meinungsstand

213

B. Wirkung im Primärprozeß

219

I. Verpflichtung und Verfügung 1. Der Verfügungs- und der Verpflichtungsbegriff des materiellen Privatrechts 2. Folgerungen für das Recht der Prozeß vertrage a) Normdispositionen b) Dispositionen über prozessuale Befugnisse c) Ergebnis

220 221 223 225 232

II. Die Einwirkung der Prozeßverträge auf den Primärprozeß 1. Normdispositionen 2. Disposition über prozessuale Befugnisse a) Die Grundregel b) Prozeßverträge mit Gegenleistungspflicht c) Grenzen der Wirksamkeit von Verpflichtungsverträgen . . . . aa) Verpflichtung zu einem prozessualen Unterlassen bb) Verpflichtung zum Tun

233 233 233 233 236 236 236 237

III. Der Modus der Einwirkung auf den Primärprozeß 1. Kritik der Einredetheorie a) Unterlassen der Einrede als konkludenter Aufhebungsvertrag b) Der Einredecharakter der exceptio doli c) Die exceptio pacti 2. Dispositionen über prozessuale Befugnisse a) Zulässigkeitsvoraussetzungen und Zulässigkeitseinreden . . . b) Prüfung von Amts wegen vs. Einredelast c) Wirkung ipso iure vs. Wirkung ope exceptionis 3. Normdispositionen 4. Ergebnis

238 238

C. Durchsetzung von Prozeßverträgen mit Hilfe von Sekundärprozessen I. Schadensersatzansprüche 1. Bestehen von Schadensersatzansprüchen 2. Durchsetzbarkeit der Schadensersatzansprüche im Klageweg II. Erfüllungsansprüche 1. Erfüllungsansprüche im nationalen Zivilprozeß 2. Besonderheiten des internationalen Zivilprozesses 3. Die Vollstreckung von Erfüllungsansprüchen III. Der Rechtsweg für Ansprüche aus Prozeßverträgen D. Zusammenfassung

219

239 239 241 242 243 245 247 252 254 254 254 254 259 263 263 267 271 274 276

Inhaltsverzeichnis 4.

Kapitel: Die Rechtsgeschäftslehre der Prozeßverträge

278

A. Allgemeine Grundsätze

278

B. Einzelprobleme

280

I. Kompetenznormen II. Formerfordernisse

280 287

III. Auslegung und Umdeutung

291

IV. Willensmängel bei Prozeßverträgen 1. Anwendbarkeit der materiell-rechtlichen Grundsätze 2. Beschränkungen der Beachtlichkeit von Willensmängeln

293 293 296

V. Bedingung und Befristung VI. Rechtsnachfolge und Bindung Dritter 1. Meinungsstand 2. Stellungnahme 3. Einzelprobleme der Rechtsnachfolge a) Gesamtrechtsnachfolge b) Einzelrechtsnachfolge c) Interzessionen d) Veräußerung von Sachen VII. Teilnichtigkeit: Das Verhältnis von Prozeßvertrag und Rechtsgeschäft 1. Meinungsstand 2. Stellungnahme a) Anwendbarkeit des §139 BGB b) Der hypothetische Parteiwille c) Die Rechtslage beim Schiedsvertrag VIII. Vertrag oder einseitiges Rechtsgeschäft?

5.

XV

302 303 303 306 308 309 311 316 321 324 324 326 326 328 331 336

C. Exkurs: Prozeßverträge und einverständliches Parteihandeln . . .

337

D. Zusammenfassung

343

Kapitel: Prozeßverträge im internationalen Zivilprozeßrecht

346

A. Der Stand der Dogmatik

348

B. Die ratio der lex fori

353

C. Das autonome deutsche Kollisionsrecht der Prozeßverträge . . . .

357

I. Zulässigkeits- und Wirkungsstatut 1. Allgemeine Grundsätze 2. Prorogation der deutschen internationalen Zuständigkeit 3. Derogation, Schiedsvertrag und Klageverzicht 4. Zusammenfassung

358 358 358 360 366

II. Geschäftsstatut III. Formstatut

367 372

XVI

Inhaltsverzeichnis

D . Sonderregeln internationaler A b k o m m e n I. Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem E u G V Ü 1. Zulässigkeit und Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß Art. 17 E u G V Ü 2. Geschäfts- und Formstatut europäischer Zuständigkeitsvereinbarungen II. Das UN-Ubereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche III. Fazit

376 377 377 382 385 387

E. Zusammenfassung

388

Besonderer Teil

6.

K a p i t e l : D i s p o s i t i o n ü b e r die K l a g e b e f u g n i s

391

A. Meinungsstand

392

B. Klagbarkeit, Klagerecht und Rechtsschutzanspruch

397

I. Der vollkommene Anspruch und seine Einschränkungen II. Das Verhältnis von Anspruch und Klagerecht

397 400

III. Materiell-rechtliches Klagerecht?

403

IV. Rechtsschutzanspruch und Klagerecht

404

V. Das prozessuale Klagerecht als Objekt der Privatautonomie VI. Ergebnis

408 413

C . D i e D i s p o s i t i o n ü b e r die K l a g e b e f u g n i s i m D i c k i c h t m ö g l i c h e r Anspruchsverkürzungen I. Naturalobligation, Stundung und pactum de non petendo II. Die Disposition über die Klagebefugnis in der Praxis 1. Die peremptorische Disposition über die Klagebefugnis 2. Der dilatorische Klageverzicht, insbesondere im Rahmen von Schlichtungs-, Güte- und Musterprozeßvereinbarungen 3. Der Ausschluß des Rechtswegs

413 413 421 421 424 433

D . R e c h t s n a t u r des K l a g b a r k e i t s a u s s c h l u s s e s

437

E . Zulässigkeit der D i s p o s i t i o n ü b e r die K l a g e b e f u g n i s

439

I. Zulässigkeit prozessualer Verpflichtungsverträge II. Öffentliche Interessen III. Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit 1. Dilatorischer Klageverzicht a) Private Schlichtungsverfahren

439 441 443 445 445

Inhaltsverzeichnis b) Musterprozeßvereinbarungen 2. Peremptorischer Klageverzicht

F.

448 450

IV. Einschränkungen der Privatautonomie

454

Die Verbandsgerichtsbarkeit

456

I. Beschränkungen des Rechtsschutzes im Mitgliedschaftsverhältnis . II. Vereinsautonomie und Privatautonomie

456 459

I I I . Qualifikation satzungsmäßiger Rechtsschutzverkürzungen

464

IV. Zulässigkeit satzungsmäßiger Rechtsschutzverkürzungen 1. Zulässigkeitsmaßstäbe 2. Zulässigkeit von Dispositionen über die Klagebefugnis 3. Wirksamkeit satzungsmäßiger Beurteilungs- und Ermessensspielräume 4. Vereinsinterne Vorverfahren und Rechtsbehelfsfristen

470 470 473

V. Exkurs: Satzungsmäßige Schiedsklauseln 1. Voraussetzungen der Verbands-Schiedsgerichtsbarkeit 2. Die Vereinbarung der Verbands-Schiedsgerichtsbarkeit 3. Zulässigkeit satzungsmäßiger Schiedsklauseln

7.

XVII

475 479 482 483 489 496

G. Zusammenfassung

501

Kapitel: Einverständliche Verfahrensbeendigung

504

A. Selbständige Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen . . .

504

B . Rücknahmeversprechen im R a h m e n außergerichtlicher Vergleiche C. Prozeßvergleich und "abstrakter" Prozeßbeendigungsvertrag I. Prozeßvergleich II. „Abstrakter" Prozeßbeendigungsvertrag D . D e r Rechtsmittelverzicht I. Typen und Geschäftsrecht 1. Typen des Rechtsmittelverzichts 2. Rechtsgeschäft oder Prozeß vertrag? 3. Rechtsgeschäftslehre II. Zulässigkeit 1. Berufungsverzicht 2. Verzicht auf die übrigen Rechtsmittel der Z P O

510 514 514 520 527 527 527 534 535 537 537 541

I I I . Wirkung des Rechtsmittelverzichts

546

IV. Zusammenfassung der Ergebnisse

553

E. Zusammenfassung

554

Inhaltsverzeichnis

XVIII 8.

Kapitel: Kompetenzverträge

556

A . Gerichtsstandsvereinbarungen

556

B. Dispositionen über die funktionelle Zuständigkeit

563

C. Dispositionen über die Geschäftsverteilung

570

D. Disposition über den Rechtsweg

573

E. Schiedsvereinbarung

578

I. Rechtscharakter II. Die Rechtsgeschäftslehre der Schiedsvereinbarung III. Zulässigkeit 1. Schiedsfähigkeit 2. Bestimmtheitsgrundsatz 3. Inhaltskontrolle von Schiedsklauseln

9.

578 582 583 583 593 594

F. Exkurs: Privatautonome Erweiterung gerichtlicher Kompetenzen

598

G. Zusammenfassung

605

Kapitel: Beweisverträge

608

A. Materiell-rechtliche Feststellungs- und prozessuale Geständnisverträge

610

I. Die Entwicklung der Problematik II. Materiell-rechtliche Feststellungsverträge

611 615

III. Prozessuale Gestaltungsmöglichkeiten 1. Zulässigkeit einverständlicher Dispositionen über die tatsächliche Urteilsgrundlage und präjudizielle Rechtsverhältnisse . . . . a) Wahrheitspflicht und Geständnisrecht b) Grenzen der Dispositionsfreiheit aa) Offenkundigkeit und Rechte Dritter bb) Prozessuale und materiell-rechtliche Dispositionsfreiheit cc) Zusammenfassende Würdigung c) Dispositionen über präjudizielle Rechtsverhältnisse 2. Zulässigkeit von Verpflichtungsverträgen

632 633 635 640

IV. Die Abgrenzung zwischen prozessualem Geständnisvertrag, materiell-rechtlichem Feststellungsgeschäft und außergerichtlichem Geständnis

643

V. Vertragliche Fiktionen und Vermutungen VI. Fazit

620 621 621 628 628

649 654

Inhaltsverzeichnis

B. Schiedsgutachtenvereinbarungen I. Inhalt und Wirkung von Schiedsgutachtenvereinbarungen II. Die Ausgestaltung des Schiedsgutachtenrechts 1. Grenzen der Bindung an die Schiedsgutachtenvereinbarung . . . 2. Gerichtliche Kontrolle des Schiedsgutachtens a) Ergebniskontrolle b) Verfahrenskontrolle aa) Schiedsgutachtenklauseln in AGB und Individualvereinbarungen bb) Gewährleistung schiedsgutachterlicher Unabhängigkeit cc) Recht auf Gehör III. Die Zulässigkeit von Schiedsgutachtenvereinbarungen

XIX

655 656 667 667 667 668 671 671 673 677 679

C. Beweismittelverträge

683

D. Vertragliche Dispositionen über die Beweiswürdigung

692

E. Beweislastverträge

697

F. Beweisverträge in Allgemeinen Geschäftsbedingungen

699

I. Die Fiktionen des § 10 Nrn. 5 und 6 AGBG II. Schadenspauschalierung gemäß § 11 Nr. 5 AGBG III. Das Verbot von Beweislastverträgen gemäß § 11 Nr. 15 AGBG . . . G. Zusammenfassung 10. Kapitel: Dispositionen über Urteilswirkungen A. Vertragliche Dispositionen über die Urteilsrechtskraft I. Der vertragliche Verzicht auf die Rechtskraft II. Unterwerfung unter die Urteilsrechtskraft B. Vollstreckungsvereinbarungen I. Typen, Abgrenzung und Rechtsnatur von Vollstreckungsvereinbarungen 1. Typen möglicher Vereinbarungen 2. Abgrenzung gegenüber materiell-rechtlichen Parallelerscheinungen 3. Der Dispositionsgegenstand der Vollstreckungsvereinbarung a) Vollstreckungsbeschränkende Vereinbarungen b) Vollstreckungserweiternde Vereinbarungen c) Fazit II. Die Zulässigkeit der Vollstreckungsvereinbarungen 1. Vollstreckungsbeschränkende Verträge 2. Vollstreckungserweiternde Vereinbarungen a) Disposition über die Pfändungsschutzvorschriften

700 701 703 707 711 711 711 720 729 731 731 732 743 743 749 749 750 750 754 756

XX

Inhaltsverzeichnis

b) Dispositionen über die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung III. Der Wirkungsmodus der Vollstreckungsvereinbarungen 1. Vollstreckungsvereinbarungen vor Urteilserlaß 2. Die Geltendmachung vollstreckungsbeschränkender Vereinbarungen 3. Vollstreckungserweiternde Vereinbarungen

764 768 769 772 776

C . D i e vollstreckbare U r k u n d e

778

D. Zusammenfassung

783

Literaturverzeichnis

786

Sachverzeichnis

821

Abkürzungsverzeichnis

Die deutschsprachigen Abkürzungen folgen den Vorschlägen von Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., Berlin/New York 1993. Für die englischen Gerichtsentscheidungen wurden die üblichen Abkürzungen verwendet, wie sie etwa bei Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. Tübingen 1996, S. X I ff. zusammengestellt sind. Die folgenden Abkürzungen amerikanischer Rechtsprechung und Literatur entsprechen denjenigen des Uniform System of Citation (The Bluebook), herausgegeben von Columbia Law Review, Harvard Law Review, the University of Pennsylvania Law Review & Yale Law Journal, 15. Aufl., Cambridge, Mass. 1991. Am. J. Comp. L.

American Journal of Comparative Law

B. Y. U. L. Buffalo L. Rev.

Brigham Young University Law Review Buffalo Law Review

Cal. Ct. App. Cal.App.3d Cal.Rptr. Cardozo L. Rev. Cir. Co. Rep. Col. L. Rev. Cornell Int'l L.J.

California Court of Appeal California Appelate Reports, 3rd Series California Reporter Cardozo Law Review Circuit Court of Appeal Coke Reports Columbia Law Review Cornell International Law Journal

ERISA

Employee Retirement Income Security Act

F.2d, 3d FAA FELA Fed.R.Civ.P. Fla. L. Rev. Fordham L. Rev

Federal Reporter, 2nd, 3rd Series Federal Arbitration Act Federal Employers Liability Act Federal Rules of Civil Procedure Florida Law Review Fordham Law Review

Harv. L. Rev.

Harvard Law Review

Ky. L.J.

Kentucky Law Journal

Minn. L. Rev.

Minnesota Law Review

N.Y.C.P.L.R.

New York Civil Practice Law and Rules

XXII

Abkürzungsverzeichnis

Notre Dame L. Rev. Nw. U. L. Rev. N.Y.U.L. Rev.

Notre Dame Law Review Northwestern University Law Review New York University Law Review

Ohio St. J. on Disp. Resol.

Ohio State Journal on Dispute Resolution

P.2d

Pacific Reporter, 2nd Series

R I C O Act

Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act

S. Cai. L. Rev. Stan. L. Rev. St. Mary's L.J.

Southern California Law Review Stanford Law Review St. Mary's Law Journal

Tex. Int'l L.J Tul. L. Rev.

Texas International Law Journal Tulane Law Review

U. C. Davis L. Rev. U. Chi. L. Rev. U. Pitt. L. Rev. U.S. U.S.C.A. U C L A L. Rev.

University of University of University of United States United States University of

Yale L. J.

Yale Law Journal

California at Davis Law Review Chicago Law Review Pittsburgh Law Review Reports Code Annotated California at Los Angeles Law Review

Einleitung

Die Justiz ist ein Teil des Staatsapparats und als solcher gegenwärtig unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck im Hinblick auf ihre Kosten 1 . Für die Zivilgerichtsbarkeit ist die Lage besonders prekär, weil die aufgewendeten Mittel einerseits jetzt schon als zu hoch empfunden werden2, und andererseits der Umfang ihrer Belastung ständig wächst3. Die an sich naheliegende Remedur einer Vermehrung der Richterstellen steht nicht zur Verfügung, denn eine Aufblähung der Obergerichte kollidierte mit deren Aufgabe, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten, und eine signifikante personelle Verstärkung der unteren Instanzen scheidet im Hinblick auf die dadurch verursachte Kostenbelastung von vornherein aus. Das kontinuierliche Wachsen der Nachfrage nach richterlicher Streitentscheidung vermittelt allerdings ganz zu Unrecht den Eindruck, der Zivilprozeß gegenwärtigen Zuschnitts stelle für die Parteien ein attraktives Instrument der Streitentscheidung dar. Tatsächlich verliert das staatliche Gerichtssystem zumindest im ständig an praktischer Bedeutung gewinnenden Bereich des internationalen Handels- und Wirtschaftsrechts immer mehr „Marktanteile" an die private Schiedsgerichtsbarkeit*. Die Gründe dafür sind vielfältig und stehen nur zum Teil mit der Ausgestaltung des Zivilprozeßrechts im Zusammenhang; insbesondere der neutrale Status der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit dürfte für die notwendig an eine Nation gebundene staatliche Gerichtsbarkeit kaum einzuholen sein5. Gleichwohl ist nicht zu bezweifeln, daß auch die Flexibilität des schiedsrichterlichen Verfahrens sowie die vergleichsweise

1 Vgl. dazu die - auch auf die dritte Gewalt bezogenen - Vorschläge des Sachverständigenrats „Schlanker Staat", dargestellt bei Meyer-Teschendorf/Hofmann, ZRP 1998, 132. 2 Vgl. etwa die Begründung des Bundesrats-Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit, BTDrucks. 13/6398, S. 13; Hoffmann-Riem, ZRP 1997, 190; Krumsiek, ZRP 1995, 173, 174 f.; Leutheusser-Schnarrenberger, NJW 1995, 2441 ff. 3 Hoffmann-Riem, ZRP 1997, 190: „Man schätzt eine jährliche Steigerungsrate von 3 - 5 % " . Vgl. auch das Datenmaterial in BT-Drucks. 13/6398, S. 12 f. 4 Vgl. Böckstiegel, DRiZ 1996, 267, 268 ff.; Raeschke-Kessler, FS Nirk, S. 915, 916 f.; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 41 Rdnr. 1 m.w. Nachw.; Schiitze/Tscheming/ Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, Rdnrn. 1 ff.; Zöller-Gelmer, § 1025 Rdnr. 2. 5 Zu diesem praktisch überaus wichtigen Motiv für die Vereinbarung von Schiedsklauseln im internationalen Rechtsverkehr eingehend unten, 5. Kapitel, S. 347.

2

Einleitung

kurze Verfahrensdauer wichtige, auch im internen Rechtsverkehr beachtliche Motive für die Abkehr von der staatlichen Gerichtsbarkeit sind 6 . Der Gesetzgeber reagiert auf die geschilderte Situation durch in schneller Folge erlassene Novellen zur ZPO, deren erklärtes Ziel es ist, Schwächen des Zivilprozeßrechts zu beseitigen, die Effektivität der gerichtlichen Arbeit zu steigern, die Verfahrensdauer günstig zu beeinflussen 7 und die Kosten des Justizapparates zu senken bzw. am weiteren Steigen zu hindern 8 . Obwohl die bisherigen Maßnahmen nicht unerhebliche Eingriffe in die ZPO brachten, ist ein durchgreifender Erfolg ausgeblieben9. Folglich ist die Debatte um weitere Einschnitte auch nach Erlaß des Rechtspflege-Entlastungsgeseztes 1993 nicht verstummt 10 , sondern durch Vorschläge einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe 11 und der Konferenz der Justizminister 12 sowie die Verhandlungen des 61. Deutschen Juristentages 13 perpetuiert worden. Vorläufiger Kulminationspunkt dieser Diskussion ist der Bundesrats-Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit, nach dem u. a. das Einzelrichterprinzip weiter verstärkt, die Rechtsmittelsummen erneut erhöht und der Beschwerderechtszug begrenzt werden soll 14 . Unabhängig davon, ob die durch das Justizsystem verursachten Kosten im Hinblick auf seine Leistungen tatsächlich als überhöht anzusehen sind 15 , liegt auf der Hand, daß die Verschlankung des Zivilprozesses nicht ad infinitum vorangetrieben werden kann. Insbesondere die allein durch das Kostensparmotiv bestimmten Regelungsvorschläge der Justizministerkonferenz bzw. 6 Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, Rdnrn. 5 ff., Schwab/ Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 1 Rdnr. 8; Zöller-Gelmer, § 1025 Rdnr. 2. 7 Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12.1990, BGBl. I, S. 2847; RechtspflegeEntlastungsgesetz vom 11.1.1993, BGBl. I, S. 50. 8 Vgl. die Begründung der Bundesregierung zum RpflVereinfG, BT-Drucks. 11/3621, S. 20 f.; Begründung der Bundesregierung zum RpflEntlG, BT-Drucks. 12/1217, S. 17 f. 9 Treffend Flotho, DRiZ 1996, 353: „Der Frust sitzt tief, nachdem sich das sog. Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 als Flop erwiesen hat." 10 Nachweise oben, Fn. 2. 11 Dazu Boysen, ZRP 1996, 291; Marqua, DRiZ 1996, 72 ff.; Renk, DRiZ 1996, 69 f. 12 Dazu Bartels, ZRP 1996, 297 ff. 13 Vgl. dazu Gutachten von Gottwald: „Empfiehlt es sich, im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes Maßnahmen zur Vereinfachung, Vereinheitlichung und Beschränkung der Rechtsmittel und Rechtsbehelfe des Zivilverfahrensrechts zu ergreifen?", in: Verhandlungen des 61. DJT I, S. A 9 ff.; weiter Flotho, DRiZ 1996, 353 ff. 14 BT-Drucks. 13/6398; vgl. auch die Übersicht in ZRP 1997, 122. 15 Vgl. dazu einerseits die Begründung des Bundesrats-Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit, BT-Drucks. 13/6398, S. 13, wo herausgestellt wird, daß die „Richterdichte" in Deutschland im Weltvergleich ihresgleichen sucht; andererseits Schäfer, DRiZ 1996, 461 ff., der die Kosten des Justizsystems angesichts seiner Leistungen nicht für überhöht hält. Tatsächlich muß bei Vergleichen mit anderen Ländern stets berücksichtigt werden, daß die Zahl der Richter und Anwälte maßgeblich von der Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Parteien und damit von der Ausgestaltung des Zivilprozeßrechts abhängt.

Einleitung

3

des Bundesrats-Entwurfs dürften „an die Grenze des Vertretbaren" und vielleicht schon darüber hinaus gehen16. Auf der anderen Seite löst auch das bloße Beharren auf herkömmlichen, mit dem Rechtsstaatsgedanken untermauerten verfahrensrechtlichen Gewährleistungen die bestehenden Probleme nicht. Tatsächlich scheint die Praxis nicht einer primitiveren, sondern einer flexibleren Verfahrensordnung zu bedürfen, die sich den Erfordernissen und Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls - sicherlich innerhalb gewisser Grenzen - anpassen kann. Dieses Flexibilisierungsinteresse hat der Gesetzgeber als berechtigt anerkannt, indem er das Schiedsrecht mit der Absicht novelliert hat, die mit der Arbeit der Schiedsgerichte verbundene Entlastung der staatlichen Gerichtsbarkeit durch weitgehenden Verzicht auf Einschränkungen der Schiedsfähigkeit zu steigern17. Es besteht jedoch kein Grund, an der Modifikation des Normalprozesses interessierte Parteien sofort auf die Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen, und damit eine weitgehend liberalisierte, private Gerichtsbarkeit neben ein petrifiziertes und starres staatliches Justizsystem zu stellen. Gleichwohl konzentriert sich die Deregulierungsdebatte im Zivilprozeßrecht paradoxerweise auf Maßnahmen des Gesetzgebers, die wiederum die typischen Nachteile staatlicher Regulierung heraufbeschwören. So ist beispielsweise mit Recht bezweifelt worden, ob die hoheitliche Verordnung eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens tatsächlich nennenswerte Kostenvorteile bringen wird18, zumal selbst im günstigen Fall zu prüfen bliebe, ob die Vorteile es rechtfertigen, die Parteien mit der Durchführung eines Vorverfahrens zu belasten, an dem sie nicht interessiert sind, das sie Geld kostet und das die Gewährung von Rechtsschutz hinauszögert19. Wie ernst diese Einwände zu nehmen sind, zeigt sich daran, daß der Bundesrat das obligatorische Schlichtungsverfahren gleichsam mit schlechtem Gewissen, nämlich nur für Ansprüche mit einem Wert von bis zu eintausend DM sowie für Streitigkeiten über nachbarrechtliche Quisquilien einführen will20. Privatautonom vereinbarte Schlichtungsverfahren können darüber weit hinausgehen und sind im übrigen unbedenklich, weil die Betroffenen selbst 16 So mit Recht Bartels, ZRP 1996, 297, 300; vgl. auch Flotho, DRiZ 1996, 353, 354 ff.; MünchKommZPO-G. Lüke, Einl. Rdnr. 104. 17 Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts (SchiedsVfG) vom 22.12.1997, BGBl. I, S. 3224; Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/5274, S. 34 f. Zur Einordnung dieser Reform in die Programmatik des „Schlanken Staates" Meyer-Teschendorf/Hofmann, ZRP 1998, 132, 134 f. 18 Bartels, ZRP 1996, 297, 298: Es sei „nicht damit zu rechnen, daß diese Gütestelle praktisch eine Justizentlastung bewirken wird". 19 Eichele, ZRP 1997, 393 f., der die „Zumutbarkeit des außergerichtlichen Schieds[?]verfahrens" in Frage stellt. 20 Art. 2 des Bundesrats-Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit, BT-Drucks. 13/6398. Der vorgeschlagene § 15a EGZPO führt das obligatorische Schlichtungsverfahren allerdings nicht selbst ein, sondern ermächtigt lediglich die Länder, entsprechende Regelungen zu treffen.

4

Einleitung

die Vor- und Nachteile einer solchen Prozedur kalkulieren können 21 . Ein weiteres Beispiel für die Überlegenheit des vertraglichen Selbststeuerungsmechanismus im Vergleich zur staatlichen Regulierung ist die zwangsvollstreckungsrechtliche Ratenzahlungsvereinbarung. Der Gesetzgeber der Zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle hat sie in § 813a Z P O zwar auf eine gesetzliche Grundlage stellen wollen 22 , damit aber den Rückgriff auf die kontraktliche Lösung der Problematik nicht erübrigt, sondern erst recht notwendig gemacht 23 . Aber auch abgesehen von diesen Einzelfällen ist in Erinnerung zu rufen, daß der Vertrag - und nicht das Gesetz - das paradigmatische Gestaltungsmittel der Privatautonomie ist. Dieses Instrument privatautonomer Selbstregulierung bedarf der Revitalisierung im Bereich des Zivilprozesses, wenn dessen Effizienz verbessert, also der Nutzen aller Beteiligten erhöht und ihre Kosten minimiert werden sollen. Eine Untersuchung zur Problematik der Prozeßverträge kann auf einen erheblichen Fundus an Rechtsprechung und Literatur zurückgreifen. Die Judikatur bietet reiches Anschauungsmaterial zu den verschiedenen Vertragstypen, verzichtet aber ihrer Aufgabe gemäß weitgehend auf die Erarbeitung allgemeiner, typenübergreifender Rechtsgrundsätze. Dieser Mangel wird noch dadurch verstärkt, daß Prozeß Verträge in sämtlichen materiell-rechtlichen Zusammenhängen auftreten können, an denen sich die Geschäftsverteilung der Obergerichte orientiert, so daß die Zuständigkeit für das Prozeßvertragsrecht nicht bei einem einzigen bzw. einigen wenigen Spruchkörpern konzentriert, sondern über die Senate der einzelnen Obergerichte verstreut ist. Die Literatur hat sich zwar intensiv um die von der Judikatur vernachlässigten allgemeinen Grundsätze bemüht, ist dabei jedoch häufig auf einer vergleichsweise abstrakten theoretischen Ebene stehen geblieben und hat die Praxis wohl auch deshalb kaum zu beeinflussen vermocht. Diese Einschätzung trifft noch am wenigsten auf die Arbeit /. Kohlers aus dem Jahr 1887 zu, der sich nach Inkrafttreten der C P O erstmals ausführlich und auf breiter rechtsvergleichender Grundlage „über prozeßrechtliche Verträge und Kreationen" geäußert hat 24 . Kurze Zeit vorher hatte O. Bülow das Thema bereits in seiner Abhandlung über „Dispositives Civilprozeßrecht" gestreift, verfahrensbezogenen Vereinbarungen außerhalb ihres gesetzlich definierten Anwendungsbereichs jedoch jede Legitimation abgesprochen: Ein Prozeßvertrag sei nichts anderes als eine „krasse Gesetzesverletzung" 25 . Ausgehend von den rechtstheoretischen Vorarbeiten Bülows, aber ohne dessen ablehnende Haltung gegenüber der 21 Ähnlich Greger, ZRP 1998, 183, 184 ff.; eingehend unten, 6. Kapitel, C II 2, S. 424 ff., E III 1, S. 445 ff. 22 Vgl. § 813a ZPO i. d. F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften vom 17.12.1997, BGBl. I, S. 3039. 23 Vgl. dazu ausführlich unten, 10. Kapitel, B I 2, S. 738 ff. 24 J. Kohler, Gruch. Beitr. 31 (1887), 276 ff., 481 ff. 25 Bülow, AcP 64 (1881), 1, 64.

Einleitung

5

Privatautonomie im Verfahrensrecht zu übernehmen, hat Schiedermair sich in seiner 1935 erschienenen Habilitationsschrift den „Vereinbarungen im Zivilprozeß" zugewandt. Während er in den Wertungen weitgehend der relativ liberalen Rechtsprechung folgte, indem er die Zulässigkeit der Prozeßverträge mit der Frage nach dem Umfang dispositiven Zivilprozeßrechts identifizierte, konzentrierte er sich vor allem auf die dogmatische Konstruktion der Prozeßverträge, die er durch Rückgriff auf den privatrechtlichen Verfügungsbegriff zu bewältigen suchte. Einen ganz anderen Ansatz als Schiedermair verfolgte Baumgärtel in seiner „Wesen und Begriff der Prozeßhandlung" gewidmeten Habilitationsschrift, in der er auf die Erarbeitung allgemeiner Grundsätze bewußt verzichtete, um in induktiver Methode eine ganze Reihe verschiedener Vertragstypen jeweils gesondert zu untersuchen 26 . In methodischer Hinsicht steht diesem Ansatz auch die Arbeit von P. Schlosser nahe, der unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlich legitimierten - insbesondere von Baumgärtel für das Prozeß vertragsrecht indessen strikt abgelehnten 27 - Maxime „in dubio pro libertate" daran ging, die Grenzen für „Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozeß" neu zu bestimmen 28 . Neben diesen monographischen Behandlungen des Gesamtthemas und seiner Betreuung durch die Lehrbuch- und Kommentarliteratur 29 findet sich eine Fülle von Arbeiten zu Einzelproblemen - beispielsweise zu den Schadensersatzpflichten bei prozeßvertragswidrigem Verhalten 30 , zur Rechtsnachfolge in Prozeß Verträge 31 oder zur Anfechtbarkeit verfahrensbezogener Vereinbarungen 32 - sowie zu einzelnen Prozeßvertragstypen, wie Klagerücknahmeversprechen 33 , Musterprozeß Ver34 einbarungen , den verschiedenen Formen der Beweisverträge 35 und den

26 Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozeßhandlung einer Partei im Zivilprozeß (1957), S. 184 ff. 2 7 Vgl. die Besprechung der Arbeit Schlossers durch Baumgärtel, M D R 1969, 173. 28 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozeß (1968), S. 9 f., 12 ff., 43 ff. 2 9 Vgl. insoweit vor allem A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VIII, S. 175 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 6 6 , S. 367 ff.; Stein/Jonas-Leipold., Vor §128 Rdnrn. 236 ff.; aus der Aufsatzliteratur Teubner/Künzel, M D R 1988, 720 ff. 3 0 Vgl. H.-J. Hellwig, N J W 1968, 1072 ff.; Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien (1976), S. 176 ff.; Zeiss, N J W 1967, S. 703 ff. 31 Meyer-Lindemann, J Z 1982, 592 ff.; Soehring, Die Nachfolge in Rechtslagen aus Prozeßverträgen (1968); ders., N J W 1969, 1093 ff. 32 Orfanides, Die Berücksichtigung von Willensmängeln im Zivilprozeß (1982), S. 113 ff., 191 ff.; ders., ZZP 100, 63 ff. (1987); Zeiss, N J W 1969, 166 ff. 33 Barz, Das Klagezurücknahme-Versprechen (1933); Mende, Die in den Prozeßvergleich aufgenommene Klagerücknahme (1976). 3 4 Vgl. dazu die dem Musterprozeß gewidmeten Dissertationen von Siebert und Haug (beide 1973); sowie Arens, JbRSozRth 4, S. 344 f. 35 Dickhoff, Rechtsnatur und Wirksamkeit von Beweisvereinbarungen im Zivilprozeß (1940); Eickmann, Beweis Verträge (1987); Knecht, Beweisverträge im Zivilprozeß (1937); Sachse, Beweisverträge, ZZP 54, 409 ff. (1929).

6

Einleitung

Vollstreckungsvereinbarungen 36 . Diese Untersuchungen nehmen häufig einzelne Judikate zum Anlaß einer näheren Auseinandersetzung und bedienen sich zu diesem Zweck der allgemeinen Prozeßvertragsrechtslehre in ihren verschiedenen Varianten wie eines Steinbruchs. Durch diese Verfahrensweise und weiter begünstigt durch die Zersplitterung der Rechtsprechung hat sich zu einigen Vertragstypen jeweils ein Sonderrecht entwickelt, das zwar die Mängel der vergleichsweise kopflastigen allgemeinen Prozeßvertragslehre kompensiert, die Handhabbarkeit des Rechtsgebiets insgesamt jedoch wesentlich erschwert. Die vorliegende Arbeit versucht diese Schwächen zu vermeiden, indem zwar zunächst die gemeinsamen Probleme sämtlicher Prozeßverträge in einem Allgemeinen Teil erarbeitet werden, die dabei gewonnen Erkenntnisse dann aber im Besonderen Teil anhand der praktisch wichtigsten und dogmatisch interessantesten Vertragstypen überprüft und konkretisiert werden. Neben dieser Systematisierungsaufgabe verfolgt die Untersuchung auch inhaltliche Interessen, und zwar vor allem in normativer, aber auch in analytischer Hinsicht. Was letztere anlangt, so kann die heutige Dogmatik des Prozeßvertrags von derjenigen zum verwaltungsrechtlichen Vertrag genauso profitieren wie sich der verwaltungsrechtliche Vertrag in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts gerade auch unter Rückgriff auf die damals vergleichsweise fortgeschrittene Prozeßvertragslehre entwickeln und gegenüber dem Verwaltungsakt profilieren konnte 37 . Die Fruchtbarkeit des Verwaltungsvertragsrechts für das hier gestellte Thema bewährt sich vor allem bei der Suche nach Kriterien, mit deren Hilfe überhaupt erst zwischen privatrechtlichen und prozeßrechtlichen Verträgen unterschieden und auf diese Weise der Gegenstand des Prozeßvertragsrechts definiert werden kann 38 . Hier gilt es von dem auf Schiedermair zurückgehenden Vorurteil Abstand zu nehmen, als könne es Prozeßverträge nur in Gestalt „unmittelbar" wirkender „Verfügungen" geben, was zu schwer lösbaren Verkrampfungen und Fehlkonstruktionen geführt hat, wie etwa die Auffassung des Klagerücknahmeversprechens als Verfügung über das Recht, „den Prozeß [...] fortzusetzen" 3 9 . Kernstück des Allgemeinen Teils ist indessen die Prüfung der Zulässigkeit der Prozeßverträge, bei der naturgemäß die gesetzlich nicht ausdrücklich 36 Bohn, Vollstreckungsausschließende Verträge (1955); Emmerich, Zulässigkeit und Wirkungsweise der Vollstreckungsverträge, Z Z P 82, 413 ff. (1969); Raatz, Vollstreckungsverträge (1935); Roquette, Vollstreckungsverträge, Z Z P 49, 160 ff. (1925); Scherf, Vollstreckungsverträge (1971); Schug, Zur D o g m a t i k des vollstreckungsrechtlichen Vertrages (1969). 3 7 Vgl. Apelt, Der verwaltungsrechtliche Vertrag (1920), S. 12 ff., 120 ff. 3 8 Vgl. dazu unten, 1. Kapitel, B II 4, S. 27 f.; B III, S. 28 ff. 39 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 69; dem folgend A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VIII, S. 176 f.; M ü n c h K o m m Z P O - G . Lüke, Einl. Rdnr. 289; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 II 2, S. 368; Sachse, ZZP 54, 409, 418; ähnlich Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 71 f.

Einleitung

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legitimierten Typen im Vordergrund des Interesses stehen40. Entgegen einer verbreiteten Praxis sind analytische Differenzierungen wie die Unterscheidung zwischen materiell-rechtlichen und prozessualen Verträgen nicht dazu geeignet, zur Definition des legitimen Bereichs prozessualer Privatautonomie normativ relevante Gesichtspunkte beizutragen41. Vielmehr ist trotz der heute etablierten und in der Sache nicht in Frage zu stellenden analytischen Trennung zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht auf einem Wertungszusammenhang zwischen Privat- und Zivilprozeßrecht zu bestehen. Wie insbesondere W. Henckel gezeigt hat, lassen sich die für die ZPO grundlegenden Dispositions- und Verhandlungsmaximen sowie ihre Einzelregelungen nur unter Rückgriff auf das materiell-rechtliche Prinzip der Privatautonomie verstehen und normativ überzeugend rechtfertigen42. Aus vertragsrechtlicher Perspektive erscheint die ZPO als Summe prozessualer naturalia negotii, deren Geltung bei jedem Rechtsgeschäft für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung stillschweigend vereinbart wird. Auf dieser Grundlage ist die für das Prozeßvertragsrecht entscheidende Frage dahin zu formulieren, ob und ggfs. inwieweit das Zivilprozeßrecht Raum für verfahrensbezogene accidentalia negotii läßt. Eine genauere Untersuchung dieser Frage zeigt, daß entgegen der heute nahezu allgemein akzeptierten Auffassung die Zulässigkeit von Prozeßverträgen der Dispositivität des Zivilprozeßrechts nicht akzessorisch ist und die Zulässigkeitsproblematik schon deshalb nicht in einer Abwägung zwischen Allgemein- und Privatinteressen aufgeht43. Ihrer Funktion als accidentalia negotii processualis entsprechend hat sich für prozeßvertragliche Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgrund einer in Teilbereichen geradezu überbordenden Rechtsprechung eine umfangreiche Dogmatik entwickelt, die von der Zivilprozeßrechtslehre bisher kaum zur Kenntnis genommen wird und mit ihrer zum Teil sehr restriktiven Position, die vielen Vertragstypen die Zulässigkeit a limine abspricht, kaum in Einklang zu bringen ist. Wie wichtig es ist, zwischen prozessualen Zulässigkeitsvoraussetzungen einerseits und den Anforderungen des allgemeinen Vertragsrechts andererseits deutlich zu unterscheiden, zeigt schließlich ein Blick in das U.S.-amerikanische Zivilprozeßrecht, das in jüngster Zeit von dem einen Extrem der Petrifizierung des Prozeßrechts gegenüber privatautonomen Dispositionen in das andere einer die notwendigen Sicherungen der Privatautonomie und Vertragsgerechtigkeit außer acht lassenden und daher falsch verstandenen Liberalisierung verfallen ist44. Die für die Zulässigkeitsproblematik fundamentale funktionale Sicht der Prozeßverträge sowie der in diesem Bereich hergestellte WertungszusamVgl. 2. Kapitel, S. 48 ff. Vgl. dazu 2. Kapitel, C I, S. 57 ff.; E III, S. 122 ff. 42 Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 41, 262, 349 und passim; zustimmend Zöllner, AcP 190, 471, 479, 493 f. 43 Vgl. 2. Kapitel, B, S. 52 ff. 44 Vgl. unten, 2. Kapitel, G, S. 175 ff. 40 41

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Einleitung

menhang zwischen dem materiellen Privat- und dem formellen Zivilprozeßrecht bewährt sich auch bei der Erarbeitung ihrer Rechtsgeschäftslehre45. Obwohl der Rückgriff auf das Vertragsrecht des B G B allseits akzeptiert ist, zeigt sich die herrschende Meinung bei der Umsetzung im einzelnen oft inkonsequent, indem sie etwa das verfahrensrechtliche accidentale negotii nicht der für das Rechtsgeschäft insgesamt geltenden Form unterwirft46. Schließlich lassen sich auch die durch Prozeßverträge aufgeworfenen kollisionsrechtlichen Probleme, die insbesondere im Zusammenhang mit Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen von erheblicher und ständig wachsender praktischer Bedeutung sind, nur auf der Grundlage einer Dogmatik lösen, die die analytische Trennung zwischen Privat- und Prozeßrecht nicht normativ überhöht, sondern den zwischen beiden Rechtsgebieten bestehenden Wertungszusammenhang beachtet47. Der Aufbau des Besonderen Teils orientiert sich grob an den verschiedenen Prozeßstadien, beginnt also mit der Disposition über das Klagerecht und endet mit der Untersuchung der Vollstreckungsvereinbarungen, wobei die zu erörternden Vertragstypen zu insgesamt fünf Gruppen zusammengefaßt werden. Wegen des Standorts der Prozeßverträge auf der Schnittstelle zwischen materiellem Privat- und Zivilprozeßrecht erweist es sich in vielen Fällen als unvermeidlich, vor der Behandlung der entscheidenden normativen Zulässigkeitsprobleme zunächst dogmatisch-analytische Grundlagen zu erarbeiten und beispielsweise das Verhältnis von „Anspruch und Klagerecht" 48 , materiell-rechtlichem Schuldanerkenntnis und prozessualem Geständnisvertrag, materiell-rechtlicher Haftungsbeschränkung und verfahrensrechtlicher Vollstreckungsvereinbarung, zu bestimmen. Die Arbeit weicht diesen mühsamen Erörterungen schon deshalb nicht aus, um der gedankenlosen Proliferation von Rechtsinstituten keinen Vorschub zu leisten und sich Rechenschaft über das praktische Bedürfnis nach prozeßvertraglichen Gestaltungen abzulegen. Ziel der einschlägigen Untersuchungen ist dementsprechend auch nicht die weitere Verfeinerung und Differenzierung, sondern die Strukturierung und Vereinfachung des dogmatischen Instrumentariums. Das erste Kapitel des Besonderen Teils ist den Verträgen gewidmet, mit denen über die Befugnis zur Klage disponiert wird49. Während die literarische Kontroverse um diesen Vertragstyp mit den Unklarheiten über die Nachfolgeinstitute der römisch-rechtlichen actio (Klagerecht, Rechtsschutzanspruch) belastet ist, verdankt er seine praktische Bedeutung zu allererst den dilatorischen Dispositionen über das Klagerecht, insbesondere im Rahmen Unten, 4. Kapitel S. 278 ff. Vgl. dazu unten, 4. Kapitel, B II, S. 287 ff. 47 Vgl. 5. Kapitel, S. 346 ff. 48 So die gleichnamige Schrift von Konrad Hellwig B, S. 397 ff. 4 9 Unten, 6. Kapitel, S. 391 ff. 45 46

aus dem Jahr 1900; dazu 6. Kapitel,

Einleitung

9

von Schlichtungs- und Musterprozeßvereinbarungen, deren besondere Bedeutung für die Effizienzsteigerung des Zivilprozeßrechts bereits angesprochen worden ist 50 . In engem Zusammenhang damit stehen die Rechtsschutzbeschränkungen des Vereinsrechts, die sich weitgehend verselbständigt haben, nach der hier vertretenen Auffassung jedoch einer Reintegration in das (Prozeß-) Vertragsrecht bedürfen - und dieser auch weitgehend fähig sind 51 . Das Kapitel über die Einverständliche Verfahrensbeendigung behandelt die verschiedenen Gestaltungsmittel, mit denen die Parteien einen bereits anhängigen Rechtsstreit unter Meidung eines Urteils beenden können 52 , nämlich Prozeßvergleich, Klagerücknahmeversprechen, außergerichtlicher Vergleich und Rechtsmittelverzicht. Diese vergleichende Betrachtung fördert Zusammenhänge zutage, mit deren Hilfe sich die festgefügten Fronten manches Streits um die Rekonstruktion der genannten Institute aufbrechen und ihre Dogmatik wesentlich vereinfachen läßt. Letzteres würde insbesondere dem Institut des Rechtsmittelverzichts zugute kommen, das durch die Proliferation verschiedener Dispositionsmodalitäten, die ihrerseits zum Teil je eigenen Regeln unterliegen, schwer gezeichnet ist. Mit Kompetenzverträgen disponieren die Parteien über die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit bzw. im Verhältnis zwischen letzterer und der privaten Schiedsgerichtsbarkeit 53 . Den Anwendungsbereich der Gerichtsstandsvereinbarung hat der Gesetzgeber der Gerichtsstandsnovelle in einer sozialpolitischen Überreaktion übermäßig beschnitten, indem er dem Verbraucher in § 38 ZPO sogar die Befugnis aus der Hand geschlagen hat, eine ihm günstige Zuständigkeitsregelung wirksam zu vereinbaren 54 . Genauere Untersuchungen der gesetzlich nicht geregelten Dispositionen über die funktionelle Zuständigkeit und den Rechtsweg zeigen, daß auch insoweit die von der herrschenden Meinung postulierte Petrifizierung der Zuständigkeitsordnung kaum durchzuhalten ist und in der Sache nur teilweise gerechtfertigt werden kann. Die Auseinandersetzung mit dem Schiedsrecht ist nicht nur wegen seiner besonderen praktischen Bedeutung, sondern auch deshalb interessant, weil es der Gesetzgeber erst kürzlich novelliert hat 55 . In einem Exkurs ist schließlich die weitgehend vernachlässigte, jedoch durchaus relevante Frage zu erörtern, ob die Parteien die Kompetenzen der Zivilgerichte durch Vereinbarung auch erweitern können 56 . Vgl. oben, S. 3 f. Unten, 6. Kapitel, F, S. 456 ff. 5 2 Unten, 7. Kapitel, S. 504 ff. 5 3 8. Kapitel, S. 556 ff. 5 4 Zur sachlich gebotenen und methodisch möglichen Korrektur des § 38 ZPO unten, 8. Kapitel, A, S. 560 f. 5 5 8. Kapitel, E, S. 578 ff.; vgl. auch 6. Kapitel, F V, S. 482 ff. 5 6 8. Kapitel, F, S. 598 ff. 50 51

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Einleitung

Die dogmatische Einordnung und Behandlung der sog. Beweisverträge ist seit mehr als einhundert Jahren umstritten, obwohl es insoweit an Versuchen namhafter Dogmatiker, einschließlich Windscheids, nicht gefehlt hat 57 . Die heutige Lehre tradiert weitgehend identische Rechtsinstitute im materiellen Privatrecht und im Zivilprozeßrecht, deren Verhältnis zueinander ungeklärt bleibt. Jenseits der insoweit gebotenen analytischen Vorklärungen werfen Vereinbarungen über die tatsächliche Urteilsgrundlage, den Beweismitteleinsatz, die Beweiswürdigung und die Beweislast tiefgreifende Fragen nach dem Verhältnis zwischen Richtermacht und Parteiherrschaft sowie Wahrheitspflicht und Geständnisrecht auf. Von besonderer praktischer Bedeutung ist schließlich die Schiedsgutachtenvereinbarung, die ihre schillernde Existenz den Unklarheiten der Beweisvertragslehre verdankt und darüber hinaus wichtige Querverbindungen zum dilatorischen Klageverzicht im Rahmen von Schlichtungsvereinbarungen aufweist 58 . Der Besondere Teil schließt mit einer Untersuchung der Dispositionen über die Urteilswirkungen, als die sich Verträge über die Aufhebung oder Ausdehnung der Rechtskraft sowie die verschiedenen Typen von Vollstreckungsvereinbarungen bezeichnen lassen59. Insoweit gilt es zu begründen, daß sich der Wertungszusammenhang zwischen Privat- und Zivilprozeßrecht nicht nur im Erkenntnis-, sondern auch im Zwangsvollstreckungsverfahren durchhalten und für die Lösung von Einzelfragen, wie etwa den Verzicht auf den Pfändungsschutz, fruchtbar machen läßt 60 .

57 58 59 60

Unten, 9. Kapitel, A I, S. 610 ff. Unten, 9. Kapitel, B, S. 655 ff. 10. Kapitel, S. 711 ff. 10. Kapitel, B II 2 a, S. 756 ff.

Allgemeiner Teil

1. Kapitel

Qualifikation verfahrensbezogener Vereinbarungen

Parteivereinbarungen, die einen Bezug zum Zivilprozeß aufweisen, kommen in der Praxis häufig vor, werden von der Z P O jedoch nur in wenigen Ausschnitten geregelt. Die wichtigsten einschlägigen Regelungen des Gesetzes sind diejenigen über die Gerichtsstandsvereinbarung in den §§ 38 ff. Z P O und das Schiedsrecht der §§ 1025 ff. Z P O . Der überaus bedeutsame Prozeßvergleich wird in § 794 Abs. 1 Nr. 1 Z P O angesprochen, Vereinbarungen über Art und Höhe der Sicherheitsleistung (§ 108 Abs. 1 S. 2 ZPO), die Abkürzung gesetzlicher Fristen (§ 224 Abs. 1 S. 1 ZPO), die Person des Sachverständigen (§ 404 Abs. 4 Z P O ) sowie über Zeit, Ort sowie Art und Weise der Verwertung gepfändeter Sachen (§§ 816 Abs. 1, 2, 825 Abs. 1 S. 2 Z P O ) werden erwähnt. Daneben hat die Praxis eine Vielzahl von Abreden mit Bezug zum Erkenntnis- oder Vollstreckungsverfahren entwickelt, die sich mittlerweile zu Vertragstypen des Rechtsverkehrs ausdifferenziert haben. Dies gilt etwa für Schlichtungsvereinbarungen, Klagerücknahmeversprechen, Verträge über den antizipierten Verzicht auf Rechtsmittel, Beweisverträge, Musterprozeß- und Vollstreckungsvereinbarungen. Unabhängig davon, ob ein bestimmter Vertragstypus in der Z P O geregelt ist oder nicht, stellt sich die Frage nach seinem Rechtscharakter. Die Regelung einer bestimmten Vereinbarung durch die Verfahrensordnung entzieht diese zwar dem Streit um ihre Zulässigkeit, ist für sich allein genommen jedoch nicht dazu geeignet, die Qualifikationsfrage zugunsten des Prozeßrechts zu prädestinieren. Beispielsweise hält eine verbreitete Meinung die Prorogation für einen materiell-rechtlichen Vertrag 1 , den Prozeß vergleich für einen zugleich materiell- und verfahrensrechtlich zu qualifizierenden 1 BGHZ 49, 384, 386; 57, 72, 75; 59, 23, 26 f.; BGH, NJW 1971, 323, 324 (mit krit. Anm. Gelmer); NJW 1986, 1438, 1439 (mit krit. Anm. Geirrter); NJW 1989, 1431, 1432; AK-ZPO-Röhl, § 38 Rdnr. 7; v. Bar, Internationales Privatrecht II, Rdnr. 554; Baumbach/ Lauterbach-Hartmann, §38 Rdnr. 2; Lorenz, AcP 157, 265, 280 f.; MünchKommZPOPatzina, § 38 Rdnr. 10; Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 44 f.; ders., Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 85 f.; Rosenberg, Stellvertretung im Prozeß, S. 100; ders., Zivilprozeßrecht, 9. Aufl., § 36 I 1, S. 146; Scback, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdnr. 432; Stove, Gerichtsstandsvereinbarungen, S. 92. Zur Gegenauffassung unten, 8. Kapitel, A, S. 556 f.

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1. Kapitel:

Qualifikation

prozeßbezogener

Vereinbarungen

Zwitter 2 , und beim Schiedsvertrag hat sich der BGH erst vor kurzem zu einer prozeßrechtlichen Einordnung bekannt3. Eine ausführliche Erörterung der Rechtsnatur verfahrensbezogener Vereinbarungen mag überflüssig, sogar schädlich erscheinen4. Die Lehre vom Prozeßvertrag ist zu recht stolz darauf, den Doktrinarismus vergangener Epochen überwunden zu haben, in denen aus der Rechtsnatur eines Handlungsakts gewissermaßen automatisch und ohne weitere Begründung konkrete Rechtsfolgen deduziert wurden 5 . Die später erfolgte Hinwendung zur Einzelfallwürdigung und Interessenabwägung hat ohne Zweifel ihre Verdienste, deren Preisgabe nicht zur Debatte steht. Beispielhaft ist insoweit die Arbeit Baumgärtels, in der er einige Typen von Prozeßverträgen ausführlich erörtert und dabei im Einzelfall und je für sich über das für Zulässigkeit, Wirkungen und Abschlußvoraussetzungen der Vereinbarung maßgebliche Regime entscheidet6. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Vorgehensweise auf Kosten der Klarheit, Übersichtlichkeit sowie der Abstimmung der gewonnen Einzelergebnisse untereinander geht. Vor allem aber drängt sich die Frage nach deren Verallgemeinerbarkeit an vielen Stellen auf, wobei sich zeigt, daß dies doch in erheblichem Umfang möglich ist7. Der Bestimmung 2 RGZ 142, 1, 3 f.; 161, 253, 255; BGHZ 16, 388, 390 f.; 79, 71, 74; 86, 184, 186 f.; BGH, NJW 1980, 1752, 1753; 1753, 1754; 1982, 2072, 2073; 1993, 1995, 1996; BAG, AP Nr. 2, 3, 4, 7, 10, 21, 24, 29 und 31 zu §794 ZPO; BAG, NZA 1992, 134; aus der Literatur Baur/Grunsky, Zivilprozeßrecht, Rdnr. 147; Erman-Seiler, §779 Rdnr. 31; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 4 8 I, S. 174; G. Lüke, JuS 1965, 482, 483; Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 146; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 86 f.; Rosenberg/'Schwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht, §131 III, S. 768; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 186 ff.; Staudinger-Marburger, 13. Bearb., § 779 Rdnr. 91; Thomas/Putzo, § 794 Rdnr. 3; Zeiss, Zivilprozeßrecht, Rdnr. 517; Zöller-Stöber, §794 Rdnr. 3; wohl auch Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 5 5 I, S. 218, § 7 0 I, S. 272 f.; ohne konstruktive Festlegung Lehmann, Prozeß vergleich, S. 101 mit Fn. 27, S. 117 ff. Zur Gegenauffassung vgl. die Nachweise unten, in Fn. 148. 3 BGHZ 99, 143, 147 (= ZZP 100, 452 m. zust. Anm. Schwab)-, zuvor schon (allerdings beiläufig) BGH, NJW 1952, 1336; weitere Nachweise, auch zu den Gegenauffassungen, unten, bei Fn. 149 ff. 4 Kornblum, FamRZ 1973, 416, 417: „Die Frage nach der Rechtsnatur einer juristischen Figur ist heutzutage unpopulär. Das gilt im besonderen Maße für die Abgrenzung des Prozeßrechts vom materiellen Recht [...].", der sich selbst diesem Trend jedoch nicht anschließt. 5 Vgl. Orfanides, Berücksichtigung von Willensmängeln, S. 202, mit einem Beispiel aus dem Kommentar von Baumbach/Lauterbach zur Berücksichtigung von Willensmängeln bei der Prorogation: „Bis zur 29. Auflage dieses Werks wurde der Standpunkt vertreten, daß die Gerichtsstandsvereinbarung als Prozeßhandlung wegen Willensmängeln nicht anfechtbar sei. Ab der 30. Auflage wird dagegen die Ansicht vertreten, daß die Gerichtsstandsvereinbarung als materiellrechtlicher Vertrag anfechtbar sei." Zu K. Hellwig treffend Kornblum, FamRZ 1973, 416, 417: „überspitzt formaljuristische Argumentation". 6 Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 184-280. 7 Treffend Arens, Willensmängel, S. 89, der konstatiert, daß Baumgärtel das Problem zwar für jeden einzelnen Vertragstyp gesondert erörtert, jedoch folgendes feststellt: „Er kommt dann aber bei allen prozessualen Verträgen zu dem Ergebnis, daß die Ausgestaltung

A. Der Rechtscharakter

des

Prozeßrechts

13

der Rechtsnatur eines Aktes kann schließlich auch eine gewisse Orientierungsfunktion für die Rechtsanwendung nicht abgesprochen werden, wenngleich die oben kritisierten Automatismen zu vermeiden sind 8 . Auf eine Einordnung verfahrensbezogener Vereinbarungen in eine bestimmte Teilrechtsordnung soll deshalb nicht verzichtet und zu diesem Zweck zunächst in der gebotenen Kürze die Rechtsnatur des Prozeßrechts bestimmt werden.

A. Der Rechtscharakter des Prozeßrechts Das materielle Recht regelt die Rechtsbeziehungen unmittelbar zwischen den beteiligten Rechtssubjekten und unabhängig vom Bestehen staatlicher Rechtsschutzeinrichtungen 9 . Als solches ist es nicht identisch mit dem Privatrecht, sondern ist in weiten Teilen öffentliches Recht. Beispielsweise regelt das materielle Steuerrecht die öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat als Steuergläubiger und dem Bürger als Steuerschuldner, das Sozialversicherungsrecht diejenigen zwischen den öffentlichrechtlichen Sozialversicherungsträgern und ihren Mitgliedern usw. Die fünf Rechtswege der deutschen Justizorganisation sind jeweils für bestimmte materiell-rechtliche Teilrechtsordnungen kompetent, etwa für das allgemeine Privatrecht, das Arbeitsrecht, das allgemeine Verwaltungsrecht sowie das Steuer- und das Sozialrecht. Die Zivilgerichte entscheiden nicht nur über „bürgerliche Rechtsstreitigkeiten" im Sinne des § 13 GVG, sondern auch über zahlreiche öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, die ihnen kraft Sonderregelung zugewiesen sind. Das Prozeßrecht hingegen ist „formelles Recht" I0, es regelt das Verfahren „von und vor Rechtspflegeorganen [...], das auf ein bestimmtes Rechtspflegeziel ausgerichtet ist" 11. Der Ablauf eines mehr oder weniger förmlichen Verfahrens und dessen Ausrichtung auf eine autoritative Entscheidung eines Rechtsstreits durch eine von den Streitparteien unabhängige Instanz kennzeichnen das Prozeßrecht. Unabhängig davon, ob eine bestimmte Verfahrensordnung die Durchsetzung privatrechtlicher oder publizistischer Rechte regelt, wird das Prozeß-

des Tatbestandes nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts zu erfolgen habe" (Hervorhebung hinzugefügt). 8 So mit Recht Kornblum, FamRZ 1973, 416, 417 f. 9 Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 21, 24 f.; dem folgend A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 II, S. 3; Stein/Jonas-Schumann, 20. Aufl., Einl. I D Rdnr. 29. 10 Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 6 ff.; MünchKommZPO-G. Lüke, Einl. Rdnr. 26. 11 Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 21 und S. 24 f.; genauso A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 II, S. 3; Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 4; Stein/JonasSchumann, 20. Aufl., Einl. I D Rdnr. 29; der Sache nach auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 1 V, S. 5.

14

1. Kapitel: Qualifikation

prozeßbezogener

Vereinbarungen

recht ganz ü b e r w i e g e n d als ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h q u a l i f i z i e r t 1 2 . D a s K r i t e r i u m der S u b o r d i n a t i o n s t h e o r i e für die A n n a h m e ö f f e n t l i c h e n R e c h t s ist erfüllt, weil das G e r i c h t als O r g a n der r e c h t s p r e c h e n d e n G e w a l t des Staates u n d damit h o h e i t l i c h tätig w i r d , den P a r t e i e n also n i c h t gleich-, s o n d e r n ü b e r g e o r d n e t i s t u . E n t s p r e c h e n d e s gilt f ü r die inhaltlich der S u b o r d i n a t i o n s t h e o r i e nahe stehende materiale Z u o r d n u n g s l e h r e , die auf die B e r e c h t i g u n g V e r p f l i c h t u n g des Staates gerade in seiner E i g e n s c h a f t als

und

Hoheitsträger

a b s t e l l t 1 4 , sowie die f o r m a l e Z u o r d n u n g s l e h r e , die sich damit b e g n ü g t , d a ß ein T r ä g e r ö f f e n t l i c h e r G e w a l t - gleich in w e l c h e r E i g e n s c h a f t - a u s s c h l i e ß liches Z u o r d n u n g s s u b j e k t

der fraglichen R e c h t s s ä t z e i s t 1 5 . D a s

Zivilpro-

z e ß r e c h t schafft die R e c h t s - u n d V e r f a h r e n s g r u n d l a g e für eine der drei f u n d a m e n t a l e n u n d in den A r t t . 9 2 ff. des G r u n d g e s e t z e s n ä h e r

ausgestalteten

Staatsgewalten. E s ist T e i l der „ V e r f a s s u n g " d e r J u d i k a t i v e u n d als s o l c h e s T e i l des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s . N a c h h e u t e allgemein v e r b r e i t e t e r A u f f a s s u n g entsteht m i t der E i n l e i t u n g des P r o z e s s e s , also m i t der Z u s t e l l u n g der K l a g e s c h r i f t an den B e k l a g t e n , ein dreiseitiges Prozeßrechtsverhältnis

zwischen Gericht und Parteien16. N e b e n

12 Vgl. die ausführliche Erörterung bei H.-J. Hellwig, Systematik, S. 45-57; weiter RGZ 36, 421; 102, 217, 220; 105, 351, 355; 111, 276, 279; Barz, Klagerücknahmeversprechen, S. 5, 10; Bülow, Prozeßeinreden, S. 2; ders., AcP 64, 1, 51, 69, 107; Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 147 ff.; ders., Zivilprozeßrecht, S. 4; K. Hellwig, System I, § 3 I, S. 5 f.; Henckel, Thrazische Abhandlung, S. 10, 12; Mes, Der Rechtsschutzanspruch, S. 84 f.; Minnerop, Materielles Recht und einstweiliger Rechtsschutz, S. 19 ff.; MünchKommZPOG. Lüke, Einl. Rdnr. 21; Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 2 ff.; Oertmann, ZZP 45, 389, 419; Rosenberg/Scbwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 1 VI, S. 5 f.; Schönke/SchröderNiese, Zivilprozeßrecht, § 1 III S. 9 f.; Staehelin, FS Giger, S. 643 f.; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 236; Stein/Jonas-Schumann, 20. Aufl., Einl. Rdnr. 95h; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720 f., 723; Wach, Handbuch, § 9 II, S. 114 f. A. A. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 1 Rdnrn. 27 f.; Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rdnr. 24 Fn. 32; Zöllner, AcP 190, 471, 484 f.; Säcker, in: MünchKommBGB, Einl. Rdnr. 5, die wohl sämtlich den Standpunkt vertreten, die Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht - bzw. materiellem/formellem Recht - liege derjenigen zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht voraus. 13 Vgl. für die Subordinationstheorie Christ, Verwaltung zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 31 ff.; Koch/Rubel, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 55; von ihr geht auch die Rechtsprechung aus, vgl. GemS-OGB, BGHZ 97, 312, 314; 102, 280, 283; 108, 284, 286, ergänzt sie aber mit Hilfe der Kriterien der konkurrierenden Theorien, vgl. etwa GemS-OGB, BGHZ 102, 280, 283; 108, 284, 287. 14 Bacbof, FS 25 Jahre BVerwG, S. 1, 11 ff.; Ehlers, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rdnrn. 26 ff. ß Erichsen, Jura 1982, 537, 540 f. 16 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 11, S. 87 f.; Bülow, Prozeßeinreden, S. 1 ff.; Dölle, FS Riese, S. 279, 290; Henckel, Gerechtigkeitswert, S. 12; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 32, S. 114; MünchKommZPO-G. Lüke, Einl. Rdnr. 28; Stein/Jonas-Schumann, 20. Aufl., Einl. Rdnrn. 228 f.; Zöller-Vollkommer, Einl. Rdnr. 52. Nach K. Hellwig, System I, § 3 I, S. 6, § 138 II, S. 396 f., § 139 IV, S. 400 f., besteht das Prozeßrechtsverhältnis nur zwischen dem Gericht und jeder einzelnen Partei, nach TiaumbacWLauterbach-Hartmann, Grundz. § 128 Rdnr. 4 f., umgekehrt nur zwischen den Parteien und nicht zwischen diesen und dem Gericht.

A. Der Rechtscharakter

des

Prozeßrechts

15

die zwischen den Parteien möglicherweise bestehende materiell-rechtliche Rechtsbeziehung tritt demnach eine prozessuale Relation, die von der herrschenden Meinung ebenfalls dem öffentlichen Recht zugeordnet wird 17 . Die vorstehende Begründung für den publizistischen Charakter des Prozeßrechts beschränkt sich jedoch zunächst auf das Verhältnis zwischen dem Gericht als Hoheitsträger einerseits und den Parteien andererseits und trifft nicht auch ohne weiteres auf das Verhältnis unter den Parteien zu. Folgerichtig wird der öffentlich-rechtlichen Qualifikation des Prozeßrechtsverhältnisses unter den Parteien u. a. von Larenz/Wolf entgegengehalten, letztere stünden einander gleichgeordnet gegenüber und seien auch während des Prozesses zur privatautonomen Disposition über das geltend gemachte Recht befugt 18 . Indessen ist schon zweifelhaft, ob sich die einzelnen Seiten des prozessualen Dreiecksverhältnisses in dieser Weise differenzieren und unterschiedlich qualifizieren lassen 19 . Die - unbestritten hoheitlichen - Rechte und Pflichten des Gerichts sind zwar abstrakt in der Prozeßordnung geregelt, hängen im Einzelfall aber maßgeblich vom Verhalten der Parteien ab. Das zeigen gerade die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehenden Prozeß Verträge20, gilt aber auch für sonstige einverständliche Dispositionsakte wie den sog. prozessualen Gesamtakt 21 . Ein Beispiel dafür ist die beiderseitige Erledigungserklärung nach § 91a ZPO, die den Weg zu einem Urteil für alle Prozeßbeteiligten versperrt 22 . Die Bindung auch des Gerichts an die prozessualen Dispositionsakte der Parteien läßt sich auf materiell-privatrechtlicher Grundlage kaum erklären. Darüber hinaus lassen sich die den Parteien obliegenden prozessualen Pflichten, wie etwa die Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 Z P O nicht materiell-privatrechtlich verstehen. Dies zeigt sich besonders deutlich in dem Fall, in dem zwischen den Parteien eines Rechtsstreits kein materiell17 Bülow, Prozeßeinreden, S. 2, 3; ders., AcP 64, 1, 107; H.-J. Hellwig, Systematik, S. 50 f.; Henckel, Gerechtigkeitswert, S. 12; MünchKommZPO-G. Lüke, Einl. Rdnr. 28; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 2 II, S. 9 f.; Schönke/Schröder-Nzese, Zivilprozeßrecht, § 2 III, S. 27; Stein/Jonas-Schumann, 20. Aufl., Einl. Rdnr. 230; Wach, Handbuch, § 9 II, S. 116 f. 18 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 1 Rdnr. 28 (genauso auch Larenz, Allgemeiner Teil, 7. Aufl., § 1 I a, S. 4 f.); eingehend Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 299 ff., 301; Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 71 f.; weitere Nachweise der älteren Literatur zum gemeinen Zivilprozeß bei Wach, Handbuch, § 9 II, S. 114, Fn. 1 a. E. 19 Wach, Handbuch, § 9 II, S. 116. 2 0 So auch Schiedermair, Vereinbarungen, S. 54, Fn. 21. 2 1 Der Gesamtakt ist im Unterschied zum Prozeßvertrag keine Vereinbarung der Prozeßparteien untereinander, sondern setzt sich aus übereinstimmenden prozessualen Erklärungen beider Parteien an das Gericht zusammen; vgl. dazu ausführlich unten, 4. Kapitel, C, S. 337 ff. 2 2 Ob es sich bei der beiderseitigen Erledigungserklärung um einen Gesamtakt handelt oder um einen Prozeßvertrag ist umstritten; die h. M. qualifiziert sie als Gesamtakt, so etwa MünchKommZPO-Z.¿Kí¿íc¿er, § 91a Rdnr. 23; nunmehr auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 132 II, S. 778; a. A. O L G Hamburg, MDR 1958, 250, im Anschluß an Habscheid, FS Lent, S. 153, 157 ff.; 160; ders. JZ 1963, 579; wieder anders Stein/Jonas-ßork, § 91a Rdnr. 36: privilegierte Klagerücknahme.

16

1. Kapitel: Qualifikation

prozeßbezogener

Vereinbarungen

privatrechtliches Rechtsverhältnis besteht23. Erfindet ein Kläger einen Sachverhalt, um den Beklagten, mit dem ihn keinerlei materiell-rechtliche Rechtsbeziehungen verbinden, mit einem Schadensersatzprozeß zu überziehen, so lassen sich die innerprozessualen Rechte und Pflichten der Parteien nur verfahrensrechtlich erklären. Demgegenüber leugnete Goldschmidt nicht nur das Bestehen eines Prozeßrechtsverhältnisses, sondern stellte darüber hinaus das Bestehen prozessualer Rechte und Pflichten der Parteien grundsätzlich in Abrede 24 . Indessen läßt sich die Geltung prozessualer Pflichten nach der Einfügung des § 138 Abs. 1 ZPO durch die Novelle 1933 wohl nicht mehr bestreiten und auch die Reduktion sämtlicher Verfahrensrechte auf „Verheißungen eines bestimmten richterlichen Verhaltens" 25 verkennt den Gegenwartsbezug von Prozeßhandlungen, die nicht nur auf ein Urteil zielen, sondern auch auf eine aktuelle Prozeßlage einwirken. Insoweit sind sie nicht nur „Verheißungen", sondern haben als verfahrensrechtliche Rechtsmacht einen eigenständigen Wert als echte subjektive Rechte des Prozeßrechts 26 . Larenz/Wolf räumen dementsprechend selbst ein, daß eine gespaltene Qualifikation des Dreiecksverhältnisses zwischen Gericht und Parteien nicht befriedigen kann27. Ihrem Vorschlag, das Prozeßrecht angesichts seiner Mittelstellung als tertium zu Privatrecht und öffentlichem Recht anzusehen, ist zuzugeben, daß die hoheitliche Qualifikation des Prozeßrechts den Blick auf seine dienende Rolle im Verhältnis zum materiellen Privatrecht nicht versperren darf. Das Prozeßrecht dient zu allererst der Durchsetzung materieller Privatrechte und muß diesem Zweck angemessen sein28. Deshalb erscheint es als verfehlt, aus der öffentlich-rechtlichen Qualifikation des Prozeßrechts auf Einschränkungen der Privatautonomie der Parteien zu schließen, denn: „Aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Zivilprozeßrechts läßt sich nichts ableiten" 29 . Auf der anderen Seite bedarf es nicht der Anerkennung einer dritten großen Teilrechtsordnung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, etwa des „Sozialrechts" im Sinne Gierkes, um die Privatrechtsbezogenheit des Zivilprozeßrechts zu legitimieren und dieses Grundprinzip in

Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 2 II, S. 10. Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, § 2, S. 4 f. 25 Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, § 2, S. 4. 26 Ähnlich Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, S. 111 f. 27 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 1 Rdnr. 28 (genauso auch Larenz, Allgemeiner Teil, 7. Aufl., § 1 I a, S. 5). 28 Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 62 f. Dieser Gesichtspunkt wird konsequenterweise von denjenigen betont, die eine Klassifizierung des Prozeßrechts anhand des Schemas öffentliches Recht/Privatrecht ablehnen; vgl. etwa Zöllner, AcP 190, 471, 484 f., sowie sogleich im Text. 29 $te'm/]onas-Scbumann, 20. Aufl., Einl. Rdnr. 95 a. E.; vgl. weiter Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 149: „Die Feststellung des öffentlich-rechtlichen Charakters erschließt uns also das Wesen des Prozeßrechts noch weniger als das des Strafrechts"; ähnlich Schönke/Schröder-Mese, Zivilprozeßrecht, § 1 III, S. 10 f. Gleichwohl ist die Gefahr, aus der öffentlich-rechtlichen Natur des Prozeßrechts (falsche) Schlüsse zu ziehen, allgegenwärtig. 23 24

B. Die Qualifikation

vertraglicher

Vereinbarungen

17

der Praxis zur Geltung zu bringen 30 . Die publizistische Teilrechtsordnung erscheint schon längst nicht mehr als ein monolithischer Block, der die Regelung obrigkeitlicher Zwangsmaßnahmen zum Gegenstand hat. Vielmehr hat sich das öffentliche Recht in vielen Bereichen an privatrechtliche Formen angelehnt, wie die Beispiele des Sozialversicherungsrechts und des öffentlichrechtlichen Vertragsrechts zeigen. Die traditionsreichen Forderungen, einen zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht stehenden Zwitter anzuerkennen, um das Sozial- und auch das Prozeßrecht angemessen einordnen zu können, haben sich deshalb zu recht nicht durchsetzen können. Die Dichotomie von öffentlichem und privatem Recht reicht für analytische Zwecke aus und darf in ihrer normativen Bedeutung allgemein - und keineswegs nur im Sozial- und Prozeßrecht - nicht überbewertet werden 31 .

B. Die Qualifikation vertraglicher Vereinbarungen

I. Grundlegende 1. Trennung von Qualifikations-

Klarstellungen und

Zulässigkeitsfragen

Wie bereits angedeutet, besteht bei zahlreichen Vertragstypen, wie etwa der Gerichtsstandsvereinbarung, dem Schiedsvertrag und dem Prozeßvergleich, keine Einigkeit über die richtige Qualifikation. Auf diese Probleme wird gesondert bei der Behandlung der jeweiligen Geschäftstypen einzugehen sein. Zunächst bedarf es jedoch der Klärung, nach welchen Kriterien die Zuordnung eines Vertrags zum Prozeßrecht oder Privatrecht überhaupt vorzunehmen ist. Während die Rechtsprechung diese grundsätzliche Frage des Prozeßvertragsrechts ignoriert und sich nur zur Qualifikation einzelner Vertragstypen äußert, herrscht in der Literatur Streit um das richtige Zuordnungskriterium. Bei der Darstellung des Streitstands wird herkömmlich 30 Klassisch v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, § 4 S. 26 f.; ders., Genossenschaftstheorie, S. 155 ff., der allerdings die analytische Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht anerkennt, nämlich „eine rein positive Grenzziehung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, die das Sozialrecht in der Mitte durchschneidet" (Deutsches Privatrecht, § 4 , S. 27; genauso Genossenschaftstheorie, S. 158, 162). Aktuell Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rdnrn. 20 ff., der mit dem Begriff des Sozialrechts allerdings nicht primär das Sozialversicherungsrecht, sondern vor allem das materialisierte Privatrecht, insbesondere das Arbeitsrecht und das soziale Mietrecht, zu erfassen sucht (a. a. O., Rdnr. 19 mit Fn. 17); dagegen etwa Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 6; zweifelnd Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 1 Rdnrn. 38 f. 31 Vgl. Henckel, Thrazische Abhandlung, S. 10, 12, 31 f.; a. A. offenbar Zöllner, AcP 190, 471, 484 f.

18

1. Kapitel: Qualifikation prozeßbezogener

Vereinbarungen

zwischen einer extrem materiell-rechtlichen, einer extrem prozeßrechtlichen und einer vermittelnden Auffassung, die sich ihrerseits weiter differenziert, unterschieden32. Das insoweit maßgebliche Zuordnungskriterium wird darin gesehen, inwieweit die verschiedenen Ansichten Prozeßverträge überhaupt anerkennen. Beispielsweise sieht Schiedermair in Kohler den Begründer einer extrem prozeßrechtlichen, in K. Hellwig hingegen einen Vertreter der vermittelnden Auffassung33, obwohl beide Autoren die Abgrenzung zwischen materiell-rechtlichen und prozessualen Verträgen anhand desselben Kriteriums vornehmen und allein die Zulässigkeit solcher Vereinbarungen unterschiedlich beurteilen34. Die darin liegende Vermischung von Qualifikationsund Zulässigkeitsfragen ist jedoch nicht dazu geeignet, die eigentlichen Meinungsverschiedenheiten herauszuarbeiten, sondern verschleiert im Gegenteil die wesentlichen Unterschiede. Die Zulässigkeitsproblematik ist von der Qualifikationsfrage nicht nur zu trennen, sondern muß deren Beantwortung darüber hinaus voraussetzen, denn die Anwendung prozeßrechtlicher Zulässigkeitsmaßstäbe ist erst möglich, nachdem der prozessuale Rechtscharakter einer Vereinbarung erwiesen ist. Im folgenden ist somit zu untersuchen, anhand welcher Kriterien eine bestimmte Vereinbarung einem konkreten Rechtsgebiet zugeordnet werden kann. Dabei wird sich erweisen, daß eine eigenwillige Lösung der Zuordnungsfrage durch die verschiedenen Teilrechtsordnungen von vornherein nicht in Betracht kommt.

2. Notwendigkeit

einheitlicher

Qualifikationskriterien

Angesichts der Ubiquität der Vertragskategorie stellt sich ständig die Aufgabe, konkrete Vereinbarungen einer für sie maßgeblichen Teilrechtsordnung zuzuweisen. Da der Kernbereich der zivilgerichtlichen Tätigkeit bürgerliche Rechtsstreitigkeiten betrifft, geht es bei der Zuordnung verfahrenbezogener Verträge zudem in der Regel auch um die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht. Was die in den ordentlichen Rechtsweg verwiesenen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten anlangt, so stellt sich insoweit die Problematik der Zuordnung des Vertrags zum öffentlichen Prozeßrecht oder zu einem Gebiet des materiellen Verwaltungsrechts. Die Abgrenzung des materiell-privatrechtlichen vom prozeßrechtlichen Vertrag kann nicht ohne Rücksicht auf entsprechende Lösungen auf der Scheidelinie anderer Teilrechtsordnungen gelöst werden. Eine allgemeine Abgrenzungslehre muß dazu in der Lage sein, jeden Vertrag einem bestimmten Rechtsgebiet zuzuordnen. Ohne innere Widersprüche kann dies nur geleistet werden, wenn das Abgrenzungskriterium stets dasselbe ist bzw. 32 33 34

So H.-J. Hellwig, Systematik, S. 31 ff.; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 11 ff. Schiedermair, Vereinbarungen, S. 12 ff. /. Kohler, Gruch. Beitr 31, 276, 481; K. Hellwig, System I, §§ 150-152, S. 448 ff.

B. Die Qualifikation

vertraglicher

Vereinbarungen

19

nur eine begrenzte und jeweils identische Mehrzahl von Abgrenzungskriterien zum Einsatz kommt. Die Qualifikation eines Vertrages als privat- oder öffentlich-rechtlich kann nicht davon abhängen, welches Teilgebiet des öffentlichen Rechts - etwa das Steuerrecht, das Verwaltungsrecht oder das Sozialrecht - im konkreten Fall als Zuordnungsmaterie in Betracht kommt. Selbst die von der Rechtsprechung benutzten Abgrenzungskriterien variieren nicht je nach den Rechtsgebieten, die im konkreten Fall Zuordnungskandidaten sind 35 . Folglich hat die Dogmatik zum öffentlich-rechtlichen Verwaltungsvertrag auch für die Lehre vom ebenfalls öffentlich-rechtlichen Prozeßvertrag Bedeutung, was in der prozeßrechtlichen Literatur allerdings bisher kaum bemerkt worden ist 36 . Das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes vom 25. 5. 1976, das von den Ländern ausdrücklich oder der Sache nach übernommen worden ist, enthält einen besonderen Abschnitt, der dem öffentlich-rechtlichen Vertrag gewidmet ist 37 . Damit hat der Gesetzgeber einem in der Verwaltungsrechtswissenschaft schwelenden Streit um die Zulässigkeit des Vertrags als Handlungsform der Verwaltung den Boden entzogen 38 . Entgegen dem Sprachgebrauch des VwVfG gelten diese Vorschriften nicht schlechthin für alle öffentlich-rechtlichen Verträge, sondern nur für solche, die im Rahmen behördlicher Verwaltungst'iugkc'tt abgeschlossen werden 39 . Diese Restriktion ergibt sich aus dem Anwendungsbereich des VwVfG, der gemäß § 1 auf die „öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden" beschränkt ist. Damit sind nicht nur staatsrechtliche und völkerrechtliche Verträge, sondern auch prozeßrechtliche Vereinbarungen dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes entzogen. Obwohl sich das VwVfG demnach auf den verwaltungsrechtlichen Vertrag konzentriert, hat es der Dogmatik zum öffentlich-rechtlichen Vertrag allgemein erheblichen Auftrieb gegeben und die Verwaltungspraxis zu einem vermehrten Einsatz dieses Handlungsinstruments provoziert. Trotzdem bleibt das öffentlich-rechtliche Vertragsrecht mit zahlreichen

35 Vgl. GemS-OGB, BGHZ 97, 312 (Privat-/Sozialversicherungsrecht); BGHZ 32, 214 (Privatrecht/öffentliches Baurecht); BVerwG, MDR 1976, 874 (Privatrecht/Kulturverwaltungsrecht); BAG, NJW 1991, 943 (Arbeits-/Beamtenrecht); O L G Schleswig, NVwZ 1988, 761 (Privat-/Sozialhilferecht). 36 Als Ausnahmen sind vor allem Forsthoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 14 1, S. 281, Fn. 21; sowie Schwab, FS Baumgärtel, S. 503, 512, zu nennen. 37 BGBl. I, S. 1253; Teil IV, §§ 54 ff. 38 Vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs zum VwVfG, BT-Drucks. 7/910, S. 76 f., sowie die historische Darstellung von Maurer, DVB1 1989, 798, 799 ff. Auch nach der Kodifikation ist die grundsätzliche Kritik nicht verstummt; vgl. Christ, Verwaltung zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 155 ff.; Püttner, DVB1 1982, 122, und dagegen wiederum Göldner, JZ 1976, 352. 39 Vgl. statt aller Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdnr. 68; Kopp, VwVfG, Vor §54 Rdnr. 1; Meyer, in: Meyer/Borgs, VwVfG, §54 Rdnrn. 12 ff.; Scherzberg, JuS 1992, 205.

20

1. Kapitel: Qualifikation prozeßbezogener

Vereinbarungen

Zweifelsfragen belastet, zu denen auch die Problematik der Abgrenzung des öffentlich-rechtlichen vom privatrechtlichen Vertrag zählt. 3. Die Bedeutung der Lehren öffentlichem Recht

zur Abgrenzung

von Privatrecht

und

Die Sogwirkung des klassischen Streits um die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht ist so groß, daß in der Literatur immer wieder versucht wird, die dazu entwickelten Abgrenzungstheorien unmittelbar auf den zu beurteilenden Vertrag oder Realakt anzuwenden40. In Wahrheit ist es jedoch unergiebig und sinnlos, etwa mit der Interessentheorie zu fragen, ob ein bestimmter Vertrag oder Realakt dem öffentlichen Interesse dient, oder mit der Subjektionstheorie zu untersuchen, ob der Vertrag ein Uber/Unterordnungsverhältnis konstituiert. Die verschiedenen Abgrenzungstheorien beziehen sich auf Rechtsnormen und dienen deren Einordnung in das öffentliche Recht oder Privatrecht, nicht dagegen auf Handlungen*1. Deren Qualifikation ist nur insoweit unproblematisch, als schon die Handlungs/orm über die Zuordnung zu einem bestimmten Rechtsgebiet entscheidet. So ist ein Verwaltungsakt unabhängig von seinem Inhalt stets dem öffentlichen Recht zuzuordnen, weil ein Privatrechtssubjekt so gar nicht handeln kann42. Zahlreiche Handlungsformen sind jedoch rechtlich ambivalent oder besser: neutral, sind also beiden Teilrechtsordnungen zugehörig. Dies gilt vor allem für die Realakte, beispielsweise Immissionen oder Fahrten mit dem Kfz, aber auch für bestimmte Rechtsakte und insbesondere für Verträge43. 4. Verzicht auf die Vertragsqualifikation

?

In der Literatur ist vorgeschlagen worden, auf die Qualifikation „neutraler" Handlungsakte, die nicht schon wegen ihrer formalen Qualität dem

4 0 Vgl. etwa Salzwedel, Öffentlich-rechtlicher Vertrag, S. 81 ff.; K. Lange, JuS 1982, 500, 501; beide in bezug auf Verträge allgemein; Zuleeg, JuS 1985, 106, 107 f., der die Einordnung einer Bürgschaft mit Hilfe der Subjektions-, Sonderrechts- und Hoheitstheorie versucht; ähnlich Bachof, FS 25 Jahre BVerwG, S. 1, 15, der mit Hilfe der Abgrenzungstheorien den Rechtscharakter eines Hausverbots klären will. 41 Christ, Verwaltung zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 26 f., 40 f., 112; Erichsen, Jura 1982, 537, 542; Scherer, NJW 1989, 2724, 2726; Schmidt-Aßmann/Krebs, Städtebauliche Verträge, S. 102; ähnlich Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rdnrn. 20 ff. 42 Erichsen, Jura 1982, 537, 542; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rdnr. 24. Uber die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts ist damit natürlich noch nichts gesagt. Zudem kann im konkreten Fall problematisch sein, ob überhaupt ein VA vorliegt; vgl. dazu am Beispiel des Hausverbots Maurer, a.a.O. 43 Apelt, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, S. 123 f.

B. Die Qualifikation

vertraglicher

Vereinbarungen

21

öffentlichen Recht zuzuordnen sind, ganz zu verzichten und sie einem „gemeinen" oder „gemeinsamen" Recht, das sowohl der privatrechtlichen wie auch der öffentlich-rechtlichen Teilrechtsordnung zur Verfügung stünde, zuzuordnen 44 . In der Sache unterscheidet sich diese Auffassung von der oben bereits abgelehnten Lehre vom „Sozialrecht", verstanden als privat- und öffentlich-rechtliche Elemente in sich vereinender Zwitter, lediglich dadurch, daß sie sich nicht auf Rechtsnormen, sondern auf bestimmte Handlungsformen, nämlich auf Realakte und Verträge bezieht. Tatsächlich steht außer Zweifel, daß die Kategorie des Vertrags einen prominenten Platz in jeder allgemeinen Rechtslehre beanspruchen könnte und in diesem Sinne der Differenzierung zwischen öffentlichem und privatem Recht vorgeordnet ist. Diese Einsicht ändert jedoch nichts daran, daß auf die Zuordnung eines Handlungsakts zu der einen oder anderen Teilrechtsordnung de lege lata nicht verzichtet werden kann 45 . Einer Qualifikationsentscheidung im Verhältnis Privatrecht/Verwaltungsrecht bedarf es schon deshalb, um den richtigen Rechtsweg für Streitigkeiten im Rahmen eines Vertragsverhältnisses bestimmen zu können 46 . Im übrigen enthalten die §§ 54 ff. VwVfG nur für den Verwaltungsvertrag geltende Sonderregeln, setzen eine entsprechende Qualifikation also voraus. Im Verhältnis zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht hängt die Anwendbarkeit des bürgerlich-rechtlichen Vertragsrechts einerseits bzw. der speziell für Prozeßverträge geltenden Regeln andererseits, von einer entsprechenden Qualifikationsentscheidung ab, an der sich nicht zuletzt auch das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht orientiert 47 . Und selbst soweit diese Normenkomplexe kongruent sind, spielt die Zuordnung des Vertrages zu einem Rechtsgebiet noch eine Rolle, etwa im Revisionsverfahren, in dem das Revisionsgericht einen Prozeßvertrag uneingeschränkt, einen materiell-rechtlichen Vertrag dagegen nur in den Grenzen

4 4 So vor allem Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 75 ff., 82 f.; ähnlich Pestalozza, Formenmißbrauch des Staates, S. 181 f., mit eigenwilliger Lösung der Rechtswegproblematik; ablehnend Christ, Verwaltung zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 37 ff.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 42 ff.; mit Bezug auf die Abgrenzung zwischen materiell-rechtlichen und prozeßrechtlichen Verträgen bereits genauso Ehrenzweig, Grünh. Zeitschr. 18, 228, 244: „[...] wenn die Rechtsgeschäfte mit processualer Wirkung dem Processrecht zugewiesen werden, [dann ist] die Lehre von den Rechtsgeschäften als eine dem materiellen und dem formellen Rechte gemeinsame Partie zu erklären und zu behandeln." (Hervorhebung hinzugefügt). 45 Bachof, FS 25 Jahre BVerwG, S. 1, 11 mit Fn. 54, 12; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdnr. 73; Erichsen, in: ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rdnr. 1. 4 6 Während für Ansprüche aus einem privatrechtlichen Vertrag gemäß § 13 G V G der ordentliche Rechtsweg gegeben ist, sind für öffentlich-rechtliche Vertragsstreitigkeiten die Verwaltungsgerichte zuständig, wie § 40 Abs. 2 S. 1 V w G O für vertragliche Schadensersatzansprüche ausdrücklich anordnet; vgl. statt aller Erichsen, in: ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rdnr. 6; Kopp, VwVfG, § 62 Rdnr. 8. Vgl. dazu eingehend unten, 5. Kapitel, C, S. 357 ff.

22

1. Kapitel: Qualifikation

prozeßbezogener

Vereinbarungen

des § 561 Abs. 2 ZPO überprüfen dürfte48. Insgesamt handelt es sich um ein nicht nur theoretisches Problem. II. Das maßgebliche

Zuordnungskriterium

Auf der eben erarbeiteten Grundlage scheiden einige Vorschläge zur Abgrenzung materiell-rechtlicher von prozeßrechtlichen Verträgen von vornherein aus, weil sie zur Lösung des beschriebenen Zuordnungsproblems nicht geeignet sind. 1. Abgrenzung

mit Hilfe des

Prozeßhandlungsbegriffs

Eine von Rosenberg begründete Auffassung glaubt, das Zuordnungsproblem mit Hilfe eines restriktiven Prozeßhandlungsbegriffs erledigt zu haben49. Dem liegen die Prämissen zugrunde, daß (1) nur eine Prozeßhandlung den Tatbestand eines Prozeßrechtsgeschäfts bilden kann, (2) nur diejenige Handlung Prozeßhandlung ist, die das Verfahren unmittelbar gestaltet und (3) Prozeß Verträge keine unmittelbare Verfahrensgestaltung bewirken50. Verfahrensbezogene Vereinbarungen fallen somit per definitionem aus dem Bereich des Prozeßrechts heraus und müssen zwangsläufig vom materiellen Recht aufgefangen werden51. Dies soll selbst für diejenigen Vertragstypen gelten, die in der ZPO eine ausdrückliche Regelung erfahren haben, wie etwa die Gerichtsstandsvereinbarung (§§ 38 ff.) sowie die Einigungen über die Art der Sicherheitsleistung (§ 108) und die Abkürzung gesetzlicher Fristen (§ 224) 52 . Es liegt auf der Hand, daß diese Lehre ganz auf das Zivilprozeßrecht zugeschnitten ist und deshalb als Baustein einer allgemeinen Lehre von der Abgrenzung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Verträge nicht in Betracht kommt. Abgesehen von diesem grundsätzlichen Einwand kann die Auffassung Rosenbergs aber auch im einzelnen nicht überzeugen53. Weder ist 4 8 Dies gilt jedenfalls dann, wenn man den Prozeßvertrag mit dem weiten Prozeßhandlungsbegriff als Prozeßhandlung auffaßt, so Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 289, 291; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 30 ff.; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 167 f.; Steinßoans-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 161; wohl auch Zöller-Greger, Vor § 128 Rdnrn. 14, 26; a. A. etwa Schwab, FS Baumgärtel, S. 503, 504 f.; Eickmann, Beweisverträge, S. 27 f. 4 9 Vgl. Rosenberg, Stellvertretung im Prozeß, S. 57, 63, 64 f., 99 ff.; genauso BGHZ 49, 384, 386 f.; 57, 72, 75, zu Prorogation und Schiedsvertrag; Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 44, 82 ff.; ders., Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 85, 150; wohl auch Bülow, AcP 64, 1, 62 ff.; ähnlich Eickmann, Beweisverträge, S. 27 f. 50 Rosenberg, Stellvertretung im Prozeß, S. 57, 63, 64 f.; zur wechselvollen Entwicklung der Rosenberg'schen Ansicht vgl. H.-J. Hellwig, Systematik, S. 31 mit Fn. 35. 51 Rosenberg, Stellvertretung im Prozeß, S. 99 ff. 52 Rosenberg, Stellvertretung im Prozeß, S. 100. 53 Vgl. zum folgenden Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 31 ff.

B. Die Qualifikation

vertraglicher

Vereinbarungen

23

ihr der Nachweis gelungen, daß der Prozeßhandlungsbegriff notwendig auf einseitige Handlungen verengt werden muß 5 4 , noch leuchtet es ohne weiteres ein, warum ausgerechnet der Prozeßhandlungsbegriff für die materiell-rechtliche oder prozessuale Qualifikation von Handlungsakten maßgeblich sein soll, die nach dieser Lehre gar keine Prozeßhandlungen sind. Tatsächlich wird bis heute darum gestritten, ob der Begriff der Prozeßhandlung auf einseitige und unmittelbar verfahrensgestaltende Akte zu beschränken ist 5 5 oder ob auch zweiseitig-kontraktliche Erklärungen der Parteien untereinander einzubeziehen sind 56 . Dieser Streit mag hier dahin stehen 57 , denn selbst die Adoption eines engen Prozeßhandlungsbegriffs würde es nicht rechtfertigen, den Vertrag aus dem Prozeßrecht gänzlich zu verbannen 58 . Diese Schlußfolgerung setzt vielmehr die weitere Prämisse voraus, daß das Prozeßrecht nur einen einzigen Handlungsakt zuläßt - eben die einseitige Prozeßhandlung. Angesichts des Umstands, daß auch das materielle Recht mit mehreren Typen von Handlungsakten arbeitet, neben dem Vertrag etwa auch einseitige Rechtshandlungen und Gesamtakte kennt, versteht sich die Beschränkung des Prozeßrechts auf einen einzigen Typus keineswegs von selbst, sondern bedürfte einer besonderen und bisher fehlenden Begründung. Schließlich kann es von einem derart restriktiven Standpunkt aus kaum gelingen, die zweifellos prozessualen Wirkungen der gesetzlich anerkannten Vertragstypen, etwa derjenigen von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen gemäß § § 3 8 f., 1032 Abs. 1 Z P O , befriedigend zu erklären 59 .

2. Abgrenzung

anhand der

Vertragsparteien

Der Komplementärfehler zur Lehre Rosenbergs wird von Gern begangen, der die Qualifikationsfrage allein vom Standpunkt des Verwaltungsvertrags angeht und insoweit auf den Status der an dem Vertrag beteiligten Subjekte abstellen will: Ausschlaggebend sei, „ob zumindest einer der Vertragspartner in seiner Eigenschaft als öffentlich-rechtlicher Sonderrechtsträger (Hoheits-

54 Vgl. zum heutigen Stand der Prozeßhandlungslehre und deren Spaltung in einen engen und einen weiten Prozeßhandlungsbegriff Schwab, FS Baumgärtel, S. 503 ff. 5 5 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 63 II, IV, S. 345 f.; Schwab, FS Baumgärtel, S. 503, 504 f.; Thomas/Putzo, Einl. III Rdnrn. 3, 6; ambivalent Zöller-Greger, Vor § 128 Rdnrn. 14, 26. 5 6 So Baumbach/Lauterbach-//e« als solcher zu begründen. Darüber hinaus wurden generelle Anforderungen für sämtliche Prozeßverträge entwickelt, die sich nur als Reaktion auf die spezifische Problematik formularmäßiger Vereinbarungen verstehen lassen. So sollte nach ganz überwiegender Auffassung der Bestimmtheitsgrundsatz der §§ 40 Abs. 1,1029 Abs. 1 Z P O verallgemeinert und auf sämtliche Vertragstypen ausgedehnt werden 347 . Vereinzelt wurde darüber hinaus gefordert, Prozeßverträge nur dann zuzulassen, wenn dem sog. „Ubersehbarkeitserfordernis" genüge getan, also die prozessuale Situation, die die Prozeßvereinbarung regeln wollte, bereits eingetreten war 348 . Die Gefahr voreiliger und unbedachter Bindungen, denen mangels echter Selbstbestimmung der Parteien die Richtigkeitsgewähr privatautonomer Regelungen nicht zukommt, droht aber zuerst und vor allem beim Vertragsschluß durch Allgemeine Geschäftsbedingungen. Dementsprechend haben die Vorschriften über die Gerichtsstandsvereinbarung und den Schiedsvertrag Änderungen erfahren, die die Gefährdungen der Privatautonomie durch die Kautelarpraxis mit Hilfe der Verschärfung der an den Vertragsschluß zu stellenden Formerfordernisse in den Griff zu bekommen suchten. Dies gilt sowohl für die Gerichtsstandsnovelle des Jahres 1974 als auch für die Novelle 1933, die § 1027 Z P O a. F. umgestaltet hat, um Schiedsvereinbarungen im Massengeschäft mit Nicht-Kaufleuten unmöglich zu machen 349 . Das SchiedsVfG vom 22.12.1997 schließlich verfolgt zwar insgesamt den Zweck einer Liberalisierung des Schiedsrechts 350 , behält den Formzwang im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher jedoch bei (§ 1031 Abs. 5 Z P O ) und unterwirft sogar Schiedsvereinbarungen des Handelsverkehrs einem - wenn auch gemilderten - Schriftlichkeitsgebot (§ 1031 Abs. 1 - 4 ZPO). Eine moderne Prozeßvertragslehre muß dem Umstand Rechnung tragen, daß die Inhaltskontrolle von Formularverträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen heute gesetzlich geregelt und fest etabliert ist und gerade auch für verfahrensbezogene Vereinbarungen erhebliche praktische Bedeutung erlangt hat. Mißbräuche der Vertragsinhaltsfreiheit durch Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen können unter den heutigen rechtlichen 346 Obwohl die Problematik durchaus gesehen wird, vgl. Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 220 Fn. 219; Kempf, ZZP 73, 342, 382 f.; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 87. 347 Vgl. oben, A, S. 51, Fn. 15. 348 Vgl. oben, unter A, S. 50 f., Fn. 11. 349 Rosenberg, ZZP 58, 283, 352 ff.; ausführlich dazu unten, 6. Kapitel, F V 2, S. 491 ff. 350 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/5274, S. 1 unter A.

130

2. Kapitel: Die Zulässigkeit

von

Prozeßverträgen

Rahmenbedingungen kein Grund mehr sein, bestimmte Vertrags typen

schal für unzulässig zu erklären. In dem Maße, in dem das AGBG

pau-

Vertrags-

gerechtigkeit verbürgt, kann auf die Auszeichnung gesetzlicher Vorschriften als ius cogens und prozessualer Befugnisse als indisponibel verzichtet werden. Eine konsistente und der Praxis angemessene Dogmatik der Zulässigkeit verfahrensbezogener Vereinbarungen muß deshalb zwischen Prozeßvereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und solchen in Individualvereinbarungen differenzieren.

II. Verfahrensbezogene Vereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen 1. Der Anwendungsbereich

des AGBG

Nach der ursprünglichen Konzeption des AGBG beschränkte sich sein Geltungsbereich gemäß § 1 auf „Allgemeine Geschäftsbedingungen", die dort definiert werden als „alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluß eines Vertrags stellt". Unter diesen Voraussetzungen unterliegen die entsprechenden Vertragsklauseln gemäß § 24 AGBG selbst dann der richterlichen Inhaltskontrolle, wenn sie gegenüber einem Kaufmann Verwendung finden. Lediglich die Maßstäbe der Inhaltskontrolle sind für Klauseln des kaufmännischen Rechtsverkehrs modifiziert, weil § 24 AGBG die Anwendung der §§ 10, 11 AGBG ausschließt, dann in S. 2 aber klarstellt, daß die speziellen Klauselverbote dieser Vorschriften insoweit mit Hilfe von § 9 AGBG durchgesetzt werden können. Quer zu diesem ursprünglichen Regelungskonzept des AGBG steht die Politik der Europäischen Union, die sich im Bereich des Vertragsrechts an dem Regelungsziel des Verbraucherschutzes orientiert und daran ihre Rechtssetzungsakte im Bereich der Privatrechtsharmonisierung ausrichtet. Dies gilt auch mit Blick auf die am 5.4.1993 erlassene Richtlinie „über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen" 3M , die der deutsche Gesetzgeber mit Wirkung vom 19.7.1996 umgesetzt hat 352 . Der in das AGBG neu eingefügte § 24a über „Verbraucherverträge" enthält nunmehr besondere Vorschriften für Vereinbarungen zwischen einem „Unternehmer", also einer in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelnden Person, und einem „Verbraucher", der als natürliche Person definiert wird, die den Vertrag zu einem privaten Zweck abschließt. Für den so umschriebenen Adressatenkreis bringen die Nrn. 1 und 2 des § 24a AGBG wichtige Er351 Richtlinie 93/13/EWG vom 5.4.1993, ABl.EG Nr. L 95 vom 21.4.1993, S. 29; abgedruckt auch in EuZW 1993, 352; NJW 1993, 1838. 352 Vgl. Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des AGB-Gesetzes und der Insolvenzordnung vom 19.7.1996, BGBl. I, S. 1013.

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen für

Prozeßverträge

131

Weiterungen des Anwendungsbereichs des A G B G : Während § 24a Nr. 1 A G B G noch an dem herkömmlichen Erfordernis vorformulierter, für eine Vielzahl von Fällen bestimmter Vertragsbedingungen festhält und lediglich auf das Merkmal des „Stellens" verzichtet, erstreckt § 24a Nr. 2 A G B G die wichtigsten Vorschriften des A G B G auch auf Individualverträge, sofern deren Bedingungen nur vorformuliert worden sind. Dem herkömmlichen Regelungsansatz des A G B G , der auf die Kompensation des Ausfalls sowohl der Richtigkeitsgarantien des Vertragsabschlußmechanismus als auch der Qualitätsgewährleistungen des Wettbewerbs bezogen war, wird mit dem verbraucherpolitischen Schutzanliegen des § 24a A G B G ein zweiter Regelungszweck an die Seite gestellt, der in das ursprüngliche Konzept des A G B G nicht ohne weiteres zu integrieren ist 353. Trotz dieser Erweiterung bleiben die ursprüngliche Regelungsintention des A G B G und die diese umsetzenden Bestimmungen der §§ 1-24 A G B G von zentraler theoretischer wie praktischer Bedeutung. Seine Auswirkungen auf die Zulässigkeit verfahrensbezogener Vereinbarungen werden deshalb anhand dieses klassischen Konzepts dargestellt. Dabei sind die zahlreichen Streitfragen, die die Inhaltskontrolle einzelner Vereinbarungstype« aufwirft, an dieser Stelle zugunsten allgemeiner Probleme bei der Anwendung des A G B G auf Prozeßverträge beiseite zu lassen. In diesem Zusammenhang stellt sich zuerst die Frage, ob das A G B G auf Prozeßverträge überhaupt anwendbar ist. Erst im Anschluß daran können seine Zulässigkeitsmaßstäbe mit Blick auf verfahrensbezogene Vereinbarungen konkretisiert werden. Auf die verbraucherschutzrechtliche Inhaltskontrolle auch von Individualverträgen gemäß § 24a A G B G ist dann im Zusammenhang mit den Gerechtigkeitsgarantien des allgemeinen Vertragsrechts zurückzukommen 354 .

2. Anwendbarkeit

des AGBG auf

Prozeßverträge

Für den Anwendungsbereich des A G B G ist - vorbehaltlich der durch die §§ 23, 24 A G B G bewirkten Einschränkungen für einzelne Rechtsbereiche und Kaufleute - der Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen maßgeblich. Das Gesetz gilt nach dem Wortlaut seines § 1 für „Vertragsbedingungen" allgemein, ohne Rücksicht auf die Teilrechtsordnung, der ein konkreter Vertrag zuzuordnen ist. Deswegen wäre es an sich möglich, das A G B G auch auf öffentlich-rechtliche Verträge anzuwenden 355 . Seine Verbindlichkeit zumindest für den Verwaltungsvertrag ergibt sich jedenfalls aus der Verweisung

353 Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2194; Ulmer, EuZW 1993, 337, 338, 341; ders., in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24a Rdnr. 1; v. Westphalen, BB 1996, 2101. 354 Vgl. unten, F III 2, S. 162 ff. 355 So offenbar MünchKommBGB-ÄTöfz, § 1 AGBG Rdnr. 3, entgegen der h. M. (zu dieser die Nachw. in der nächsten Anmerkung).

132

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

der §§ 59 Abs. 1, 62 S. 2 VwVfG auf das privatrechtliche Vertragsrecht, weil letzteres das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen einschließt 356 . Unabhängig von der Rechtslage beim Verwaltungsvertrag sind prozessuale Vereinbarungen nach einhelliger Auffassung unter den Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 A G B G zu subsumieren 357 . Die Rechtsprechung hat das Recht zur Inhaltskontrolle von Klauseln verfahrensbezogenen Inhalts seit jeher selbstverständlich und ohne Begründung für sich in Anspruch genommen 358 . Darüber hinaus wird selbst die in einer notariellen Urkunde erklärte Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 5 Z P O unter das A G B G gebracht, obwohl es sich in diesem Fall nach herrschender Meinung nicht um einen Vertrag, sondern um eine einseitige prozessuale Erklärung handelt 359 . Tatsächlich wird nur diese Lösung dem engen Wertungszusammenhang zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht gerecht, dem verfahrensbezogene Vereinbarungen ihre Anerkennung erst verdanken. Soweit sich die Privatautonomie in die prozessuale Sphäre hinein fortsetzt, muß auch der Anwendungsbereich derjenigen Vorschriften erstreckt werden, die dazu bestimmt sind, ihre Funktionsbedingungen zu sichern. In funktionaler Hinsicht unterscheiden sich Prozeßvereinbarungen nicht von den materiellrechtlichen accidentalia negotii; beide Instrumente regeln die Einzelheiten der 3 5 6 So BVerwG, NJW 1986, 2589, 2590; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 62 Rdnr. 11; Erman-H. Hefermehl, § 1 AGBG Rdnr. 4; Palandt-Heinrichs, Vor § 8 AGBG Rdnr. 5; Soergel-t/. Stein, § 1 AGBG Rdnr. 4; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 1 Rdnr. 14; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, Einl. Rdnr. 20; a. A. offenbar Staudinger-ScWosser, 12. Aufl., § 1 AGBG Rdnr. 4; vgl. auch BGHZ 107, 273, 275, wo die Anwendbarkeit des AGBG auf Vertragsbedingungen der in Privatrechtsform handelnden Verwaltung Verträge bejaht wird. 3 5 7 Erman-//. Hefermehl, § 1 AGBG Rdnr. 6; Palandt-Heinrichs, § 1 A G B G Rdnr. 2; Schmidt-Saher, Allgemeine Geschäftsbedingungen, 2. Aufl., Rdnrn. F 242 ff.; SoergelU. Stein, § 1 AGBG Rdnr. 7; Staudinger-ScWosser, 12. Aufl., § 1 AGBG Rdnr. 9; Stein/ Jonas-Bork, §38 Rdnr. 56a; Stein/Jonas-ScWosser, § 1025 Rdnr. 22; Stürner, JZ 1977, 431; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 1 Rdnr. 15; Brandner, a.a.O., Anh. §§9-11 Rdnrn. 400 ff., 620 ff.; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 1 Rdnr. 8, § 9 Rdnrn. G 131 ff., P 31 ff., S 1 ff, S 11 ff.; Zöller-Vollkommer, § 38 Rdnr. 9; für die Zeit vor Inkrafttreten des AGBG bereits Emmerich, ZZP 82, 413, 418 f.; vgl. aber Sternke, Prozessuale Klauseln in AGB, die zwar die Voraussetzungen des § 1 AGBG bejaht (S. 143 ff.), dann eine direkte Anwendung des A G B G verneint, weil die Maßstäbe des § 9 A G B G „nicht paßt[en]" (S. 180 ff., 209), im Ergebnis das AGBG insgesamt aber analog auf Prozeß vertrage anwenden will (S. 210 f.). Aber wie kann ein Gesetz analog auf einen Sachverhalt angewendet werden, auf den es „nicht paßt"?! 3 5 8 Vgl. oben, F I, S. 128, Fn. 344. 3 5 9 Vgl. hierzu zuerst Stürner, JZ 1977, 431 f.; 639 f.; weiter M. Wolf, in: Wolf/Horn/ Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. G 209; aus der Rechtsprechung die Nachw. aus der vorherigen Fußnote sowie Münch, NJW 1991, 795, 798 mit umfassenden Nachw. der Rechtsprechung und Literatur in Fn. 23; a. A. allein Dietlein, JZ 1977, 637, 638, der die Anwendbarkeit des AGBG auf die Unterwerfungserklärung freilich nicht wegen ihres prozessualen Charakters, sondern allein im Hinblick auf ihre Einseitigkeit, also die fehlende Vertragseigenschaft, verneint. Vgl. eingehend dazu unten, 10. Kapitel, C, S. 778 ff.

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen

für

Prozeßverträge

133

Vertragsabwicklung und Anspruchsdurchsetzung 360 . Auf eben diesen Bereich der vertraglichen Nebenabreden im Sinne des § 8 A G B G zielen die Kautelen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die ratio legis des A G B G , nämlich Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit trotz Ausfalls der Garantiefunktion des Vertragsabschlußmechanismus, trifft deshalb nicht nur auf das materielle Schuldrecht, sondern auch auf das Prozeßvertragsrecht zu. Das A G B G ist folglich auch auf Prozeßvereinbarungen anwendbar, soweit diese in Formularverträgen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sind.

3. Kontrollfähigkeit

verfahrensbezogener

Klauseln

Das A G B G unterwirft nicht sämtliche vorformulierten Vertragsbedingungen der Inhaltskontrolle, sondern beschränkt sich in § 8 A G B G auf solche Klauseln, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Diese Voraussetzungen werden in der Literatur zum Teil so verstanden, als dienten die §§ 9 - 1 1 A G B G allein der Absicherung dispositiver Gesetzesvorschriften gegenüber der Kautelarpraxis. In Ermangelung dispositiven Rechts fehle es an einem Kontrollmaßstab, der als Folie der Inhaltskontrolle dienen könne 361 . Für ein solches Verständnis des § 8 A G B G scheint auch § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G zu sprechen, der die wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Rechts ausdrücklich zum Maßstab der Inhaltskontrolle macht. Tatsächlich ist die mit einer restriktiven Interpretation des § 8 A G B G einhergehende Beschränkung der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen weder im Hinblick auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift noch unter teleologischen Gesichtspunkten zu halten. § 8 A G B G unterwirft ausdrücklich nicht nur von Rechtsvorschriften abweichende Klauseln, sondern auch gesetzesergänzende Vertragsbestimmungen der Inhaltskontrolle. Diese Entscheidung setzt sich im Text des § 9 A G B G fort, dessen Abs. 2 nicht allein das dispositive Gesetzesrecht, sondern in seiner Nr. 2 auch Natur und Zweck des Vertrags zum Maßstab der Inhaltskontrolle nimmt. Die Gesetzesmaterialien ergeben zudem, daß der Gesetzgeber mit § 8 A G B G lediglich eine Umfunktionierung des A G B G in ein Instrument der Preiskontrolle und der richterlichen Normenkontrolle verhindern wollte 362 . Schließlich würde es dem Schutzzweck des A G B G widersprechen, wenn das gesamte gesetzlich nicht vertypte Schuldrecht seiner Anwendung entzogen würde. Verträge, die weder im B G B noch in einem Spezialgesetz geregelt sind, haben eine Inhaltskontrolle indessen besonders nötig, da es in diesem Vgl. bereits oben, C II, S. 60. So etwa Schaefer, VersR 1978, 4, 7 f.; ähnlich Niebling, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 62 ff.: die Inhaltskontrolle erfordere einen Vergleich der AGB-Regelung mit „Rückgriffsnormen"; ders., WM 1992, 845. 362 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S. 22. 360 361

134

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

Bereich an ius cogens naturgemäß fehlt. Insgesamt beharrt die heute herrschende Meinung deshalb mit Recht auf einer extensiven Interpretation des § 8 A G B G , die sich eng an die legislatorischen Motive anlehnt und die Vorschrift als Ausnahmebestimmung versteht 363 . Somit erstreckt sich die Inhaltskontrolle auf sämtliche Vertragsklauseln, die den Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfüllen, und nicht entweder (1) als deklaratorische Klauseln gesetzliche Bestimmungen wiederholen oder (2) die vertraglichen Hauptleistungen betreffen 364 . Die zuletzt genannte Voraussetzung ist bei solchen Vertragsbestimmungen zu bejahen, die essentialia negotii betreffen bzw. das vertragliche Synallagma konstituieren. Auf dieser dogmatischen Grundlage ist nunmehr zwischen Prozeßvereinbarungen, die auf eine Abweichung von dispositivem Prozeßrecht gerichtet sind, und solchen, mit denen über prozessuale Befugnisse disponiert wird, zu differenzieren. a) Abweichung

von dispositivem

Prozeßrecht

Vereinbaren die Parteien eine Rechtsfolge, die von dispositivem Prozeßrecht abweicht, scheint der Anwendbarkeit der §§ 9 - 1 1 A G B G nichts im Wege zu stehen, weil eine Abweichung von Rechtsvorschriften i. S. d. § 8 A G B G vorliegt. Die Kompetenz der Gerichte zur Inhaltskontrolle solcher Regelungen ist jedoch gleichwohl problematisch, wie am Beispiel der Gerichtsstandsvereinbarung demonstriert werden soll. Die §§ 38-40 Z P O sind durch Gesetz vom 21.3.1974 365 in die Prozeßordnung eingefügt worden, um den Mißbrauch der Befugnis zur Prorogation einzudämmen. Dabei zielte der Gesetzgeber gerade auf die „typischen Massengeschäfte", die „unter Zugrundelegung typisierter Formularverträge (Allgemeiner Geschäftsbedingungen) abgeschlossen" werden 366 . Da die Gerichtsstandsvereinbarung vor 1974 gemäß § 38 ZPO a. F. unbeschränkt zulässig war 367 , wurden entsprechende Klauseln routinemäßig in Allgemeine Geschäftsbedingungen aufgenommen, die sich gegenüber dem Verbraucher - mangels entgegen stehender eigener

3 6 3 Dabei ist allerdings streitig, ob Inhaltskontrolle die Regel und § 8 A G B G nur die zu Unrecht positiv formulierte Ausnahme ist, so Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 8 Rdnr. 5, oder umgekehrt in Treue zum Wortlaut des § 8 AGBG Kontrollfreiheit die Regel und Inhaltskontrolle die Ausnahme ist, wenn auch in der Praxis die Ausnahme die Regel überwiegt, so M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 8 Rdnr. 3. 364 Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 8 Rdnrn. 1, 5 f.; Erman-H. Hefermehl, § 8 AGBG Rdnrn. 1 f.; MünchKommBGB-iföiz, § 8 AGBG Rdnrn. 1, 3; SoergelU. Stein, § 8 AGBG Rdnrn. 1 f.; Staudinger-ScWosser, 12. Aufl., § 8 AGBG Rdnrn. 1, 4. 3 6 5 BGBl I, S. 753; vgl. dazu bereits oben, unter C V 1, S. 77 f. 3 6 6 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf des Bundesrates über ein Gesetz zur Änderung der Zivilprozeßordnung, BT-Drucks. 7/268, S. 4; weitere Nachweise zur Entstehungsgeschichte bei Diederichsen, BB 1974, 377 in Fn. 6; Schiller, NJW 1979, 636 in Fn. 4; Stein/Jonas-.ßor&, Vor § 38 Rdnr. 1; vgl. auch Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 220, Fn. 219. 3 6 7 § 38 ZPO a. F. hatte folgenden Wortlaut: „Ein an sich unzuständiges Gericht des ersten Rechtszugs wird durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien zuständig".

F. Allgemeine

Zulässigkeitsgrenzen

für

Prozeßverträge

135

Bedingungen - in aller Regel durchsetzten und in diesem Bereich die gesetzliche Zuständigkeitsordnung zu Makulatur machten 368 . Gemäß § 38 Abs. 1, 3 ZPO in der Fassung der Gerichtsstandsnovelle sind antizipierte Gerichtsstandsvereinbarungen im internen Rechtsverkehr unwirksam, wenn sie von Personen abgeschlossen werden, die nicht Vollkaufleute im Sinne der §§ 1 ff. HGB sind. Im Verkehr mit dem Verbraucher spielt die Inhaltskontrolle von Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen demnach keine Rolle mehr. Umgekehrt stellt sich jedoch die Frage, ob die Ermächtigung des § 38 Abs. 1. ZPO zugunsten von Vollkaufleuten durch die Kautelen des § 9 AGBG beschränkt wird, Gerichtsstandsklauseln auch im kaufmännischen Verkehr also nicht generell zulässig sind, obwohl die ZPO diesem Personenkreis ausdrücklich die Befugnis zur Abweichung von der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung einräumt. Insoweit wird die Auffassung vertreten, Gerichtsstandsvereinbarungen unter Vollkaufleuten seien nach Inkrafttreten der §§ 38 ff. ZPO nicht mehr der für Allgemeine Geschäftsbedingungen sonst geltenden Inhaltskontrolle zu unterwerfen 369 . Dieselbe Problematik stellt sich auch beim Schiedsvertrag, dessen Zustandekommen und Wirksamkeit in den §§ 1029 Abs. 2, 1031 ZPO vergleichsweise detailliert geregelt ist. Im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher wird die formularmäßige Vereinbarung einer Schiedsklausel seit jeher praktisch unmöglich gemacht, weil 1031 Abs. 5 ZPO n. F. genauso wie § 1027 Abs. 1 ZPO a. F. eine ausdrückliche und schriftliche Erklärung in einer gesonderten Urkunde verlangt. Da der frühere § 1027 Abs. 2 ZPO für Vollkaufleute eine Ausnahme machte, wurde von einer verbreiteten Meinung auf die generelle Zulässigkeit formularmäßiger Schiedsklauseln im kaufmännischen Verkehr geschlossen 370 . Dieser Standpunkt ließe sich auch unter dem neuen Recht vertreten, denn obwohl die § 1031 Abs. 1-4 ZPO nunmehr formale Anforderungen auch an Schiedsvereinbarungen des Handelsverkehrs stellen, setzen die §§ 1029 Abs. 2, 1031 Abs. 3 ZPO die Möglichkeit der Vereinbarung von Schiedsklauseln im Rahmen Allgemeiner Geschäftsbedingungen ausdrücklich voraus 371 . Schließlich sollen auch Schiedsgutachtenabreden wegen § 8 AGBG nicht den Schranken des AGBG unterliegen, weil anderenfalls eine richterliche Normenkontrolle des § 319 BGB stattfinden müsse 372 .

368 Zu den Mißständen vor der Neufassung der §§ 38-40 ZPO eingehend Diedericbsen, BB 1974, 377; Heilberg, ZZP 57, 448, 450; Löwe, NJW 1970, 2236 ff.; ders., NJW 1974, 473 f.; Vollkommer, NJW 1973, 1591; ders., in: Zöller, 11. Aufl., Anh. §§ 38^10; vgl. auch Stein/Jonas-Bork, Vor § 38 Rdnr. 1. 369 So Löwe, in: Löwe/v. Westphalen/Trinkner, AGBG, 1. Aufl., § 9 Rdnr. 95; für den internationalen Handelsverkehr genauso Stoll, FS Kegel, S. 623, 653; für die Zeit vor Inkrafttreten des AGBG auch Diedericbsen, BB 1974, 377, 383; Löwe, NJW 1974, 473, 475. 370 Sieg, NJW 1992, 2992, 2993. 371 Zu den aus den Neuregelungen des SchiedsVfG zu ziehenden Schlußfolgerungen vgl. 8. Kapitel, E III 3, S. 594 f. 37/ Sieg, NJW 1992, 2992, 2993; Wittmann, Schiedsgutachten, S. 82 f.

136

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

Die dogmatischen Prämissen, die den geschilderten Ansichten zugrunde liegen, sind vor allem von Canaris herausgearbeitet worden, allerdings nicht am Beispiel prozessualer Vereinbarungen, sondern mit Blick auf die Zinsund Tilgungsklauseln in Annuitätendarlehen auf der Grundlage von § 20 Abs. 2 Hypothekenbankgesetz m . Canaris vertritt den verallgmeinerungsfähigen Standpunkt, § 8 A G B G sei analog auf solche Klauseln anzuwenden, die durch gesetzliche Erlaubnisnormen gedeckt seien und sinnvoller Weise nur mit Hilfe von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgenutzt werden könnten. Die ratio der Vorschrift, eine Kontrolle spezialgesetzlicher Regelungen des Interessenausgleichs durch das § 9 A G B G anwendende Gericht zu verhindern, treffe auch auf diese gesetzlichen Ermächtigungen zu. Gegen diese Auffassung von Canaris ist einzuwenden, daß sie die normative Bedeutung expliziter Erlaubnisnormen überschätzt, indem sie aus einer bestimmten Regelungsiec/?«z& auf ein materielles Vorrangverhältnis schließt. Zur Statuierung ausdrücklicher Erlaubnisnormen sieht sich der Gesetzgeber nämlich in aller Regel nur dort veranlaßt, wo sich die Nachgiebigkeit der gesetzlichen Regelung nicht schon von selbst versteht. So fehlen im Privatrecht weithin explizite Erlaubnisnormen während sie im öffentlichen Wirtschaftsverwaltungsrecht - zu dem auch § 20 Hypothekenbankgesetz zählt angezeigt sind, wenn der Gesetzgeber den Parteien einen Regelungsspielraum einräumen will. Solche Erlaubnisse unterscheiden sich nicht prinzipiell von der allgemeinen Kompetenz, die sich für das Privatrecht aus dem Prinzip der Privatautonomie ergibt. U m deren Sicherung ist das A G B G aber gerade bemüht, und es unterliegt deshalb keinem Zweifel, daß die Wahrnehmung der „Generalerlaubnis" der Privatautonomie der Inhaltskontrolle unterliegt 374 . Zwar trifft zu, daß der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des A G B G auf bestimmte Sachbereiche ausschließen kann, wie dies in § 23 A G B G auch geschehen ist. Aus dem bloßen Vorhandensein einer Ermächtigung zu privatautonomer Regelung läßt sich aber nicht auf einen entsprechenden legislatorischen Willen schließen 375 . Neben diesen allgemeinen Erwägungen spricht gegen die Ausklammerung Canaris, NJW 1987, 609, 611 f.; ders., NJW 1987, 2407, 2408 f. Vgl. Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 95; Löwe, NJW 1987, 937 Fn. 1; besonders prägnant Zoller, BB 1987, 421, 422: „Ist - um es auf die Spitze zu treiben - nicht jede AGB-Klausel im Rahmen von §§ 134, 138 BGB allein die deklaratorische Wiedergabe der vertraglichen Inhaltsfreiheit?" 3 7 5 So auch M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 8 Rdnr. 25: „Argumentationslasten für denjenigen, der von einem allgemein anerkannten Grundsatz abweichen will"; im Ergebnis genauso BGHZ 100, 157, 179 (zu §651 h BGB); 106, 43, 45 (zu § 2 0 Abs. 2 HypBG); Erman-H. Hefermehl, § 8 AGBG Rdnr. 4; Löwe, NJW 1987, 937, 938 f.; MünchKommBGB-tföiz, § 8 AGBG Rdnr. 2; Niebling, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 33 ff.; ders., WM 1992, 845, 848 f.; Palandt-Heinrichs, § 8 Rdnr. 8; Soergel-t/. Stein, § 8 AGBG Rdnr. 18; Sternke, Prozessuale Klauseln in AGB, S. 167 ff.; differenzierend Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 96 f., die eine Inhaltskontrolle ablehnt, wenn die Erlaubnisnorm die Ausfüllung gerade durch Allgemeine Geschäftsbedingungen erlaubt. 373

374

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen

für

Prozeßverträge

137

gerade von Gerichtsstandsvereinbarungen aus der Inhaltskontrolle, daß die §§ 38 ff. Z P O als lex prior zum A G B G nicht zwischen Individualvereinbarungen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen differenzieren. O b die Tatsache, daß die antizipierte Prorogation im kaufmännischen Verkehr de facto wohl nur in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorkommt, bereits ausreicht, um einen Vorrang der § § 3 8 ff. Z P O zu begründen, ist auch unter den Prämissen der Theorie von der Erlaubnisnorm zweifelhaft. Die Regelungskonzeption des Gesetzgebers hat sich nämlich zwischen dem Erlaß der §§ 38 ff. ZPO im Jahr 1974 und demjenigen des A G B G zwei Jahre später gewandelt: Während die zivilprozessualen Regeln über die Prorogation noch ein ausschließlich auf Verbraucherschutz ausgerichtetes Konzept verfolgen376, knüpft das A G B G gerade nicht an den Status des Kunden bzw. die konstitutionelle Überlegenheit des Verwenders an, sondern gilt mit seinen wichtigsten Bestimmungen gemäß § 24 A G B G auch für Kaufleute. Diese legislatorische Grundentscheidung zieht Konsequenzen aus der Einsicht, daß die Gefahren für die Vertragsgerechtigkeit, die die Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen heraufbeschwören, nicht in einem ökonomischen, sozialen bzw. intellektuellen Ungleichgewicht zwischen Verwender und Geschäftspartner ihre Ursache haben, sondern auf dem kumulierten Ausfall sowohl des Vertragsabschlußals auch des Wettbewerbsmechanismus beruhen 377 . Die §§ 38 ff. ZPO einerseits und das A G B G andererseits verfolgen also unterschiedliche Regelungskonzepte 378 . Die Schlußfolgerung, die prozessualen Vorschriften regelten die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen im kaufmännischen Rechtsverkehr auch insoweit abschließend, als sie in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sind, ist deshalb nicht plausibel. Dementsprechend kann heute als gesichert gelten, daß Gerichtsstandsklauseln im kaufmännischen Verkehr der Inhaltskontrolle am Maßstab des § 9 A G B G unterliegen 379 , und gleiches gilt für den Schiedsgutachten376 Vgl. Kornblum, ZHR 138, 478 ff.; Schiller, NJW 1979, 636 sowie die Begründung des Bundesrates zum entsprechenden Gesetzentwurf, BT-Drucks. 7/268, S. 5: Schutz „sozial schwacher und geschäftlich unkundiger Personen" als ratio legis. 377 Vgl. soeben, unter I, S. 127 f. 378 So auch Schiller, NJW 1979, 636; LG Karlsruhe, JZ 1989, 690, 691; NJW 1996, 1417 f., und im Ergebnis auch die herrschende Meinung, vgl. die nachfolgende Anmerkung. Eingehend zur Entstehungsgeschichte der Gerichtsstandsnovelle Sternke, Prozessuale Klauseln in AGB, S. 137 ff. 379 Eingehend bereits Kornblum, ZHR 138, 478, 480 ff., weiter O L G Karlsruhe, NJW 1996, 2041; O L G Köln, NJW-RR 1990, 419, 420; LG Karlsruhe, JZ 1989, 690 f.; NJW 1996, 1417; LG Bielefeld, NJW 1993, 2690, 2691; Baumbach/Lauterbach-KirmM«rc, §38 Rdnrn. 6 ff.; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, Anh. §§9-11 Rdnr. 401; Erman-//. Hefermehl, § 9 AGBG Rdnr. 212; Graba, in: Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, AGBG, § 9 Rdnr. 86; MünchKommBGB-ßrfseifow, § 12 AGBG Rdnr. 22; MünchKommZPO-Patzina, § 38 Rdnr. 21; Palandt-Heinrichs, § 9 AGBG Rdnr. 87; Schiller, NJW 1979, 636; Sternke, Prozessuale Klauseln in AGB, S. 140 f.; Soergel-i/. Stein, § 9 AGBG Rdnr. 78; Stein/Jonas-5o?-&, § 38 Rdnr. 10; Stove, Gerichtsstandsvereinbarungen, S. 80 f.; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. G 135; Zöller-Vollkommer, § 38 Rdnr. 9. Der

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

vertrag 38°. Im Schiedsrecht schließlich befürwortete die herrschende Meinung zum alten Recht die Anwendung des A G B G auf Schiedsklauseln auch bzw. gerade dann, wenn die Klausel den Wirksamkeitsvoraussetzungen der §§ 1025 ff. Z P O a. F. standhielt 381 , und entsprechendes muß im Rahmen des neuen § 1031 Z P O gelten 382 . Eine Berücksichtigung der Wertungen der §§ 38 Abs. 1,1031 Z P O , 317 ff. B G B auch im Rahmen der §§ 9-11 A G B G ist damit selbstverständlich nicht ausgeschlossen 383 . b) Disposition über prozessuale

Befugnisse

Problematisch ist auch die Behandlung solcher Verträge, mit denen die Parteien über die Ausübung ihnen zustehender prozessualer Befugnisse disponieren. Mit Bezug auf ein Klagerücknahmeversprechen ließe sich etwa argumentieren, die Verpflichtung zur Klagerücknahme sei eine vertraglich geschuldete Hauptleistung, essentiale negotii des Klagerücknahmevertrages. Diese Wertung ist in der Tat unvermeidlich, wenn das Klagerücknahmeversprechen als selbständige Vereinbarung abgeschlossen wird, was in der Praxis allerdings der Regelfall sein dürfte. Verspricht der Kläger beispielsweise die Rücknahme der Klage, falls der Beklagte die gerichtlich geltend gemachte Forderung erfüllt, ist die Klagerücknahme die einzig geschuldete Hauptleistung. Einer Inhaltskontrolle am Maßstab des A G B G ist der Vertrag nicht zugänglich, denn als Maßstab käme insoweit allein die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung in Betracht. Eine Preiskontrolle, also die gerichtliche Uberprüfung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses, soll durch § 8 A G B G aber gerade verhindert werden. Entsprechendes muß für sonstige Vereinbarungen gelten, in denen die Disposition über eine prozessuale Befugnis Gegenstand der Hauptleistungspflicht einer Partei ist, wenn also in einer selbständigen Vereinbarung versprochen wird, ein Rechtsmittel zurückzunehmen, im Rahmen einer aktuell bevorstehenden Beweisaufnahme ein BGH hat bisher nur dazu Stellung genommen, ob im Verfahren nach § 13 A G B G auch Verstöße gegen §§ 38 ff. ZPO gerügt werden können und diese Frage bejaht; vgl. BGHZ 101, 271, 273 f. (= ZIP 1987, 1185, 1186 = ZZP 101, 200 mit insoweit zust. Anm. Lindacher)-, BGH, NJW 1983, 1320, 1322. 3 8 0 BGHZ 101, 307, 317 ff.; 115, 329, 331 ff.; BGH, NJW 1981, 2351, 2353; NJW 1983, 1854, 1855; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, Anh. § § 9 - 1 1 Rdnr. 620; Erman-H. Hefermehl, § 9 AGBG Rdnr. 305; Palandt-Heinrichs, § 9 A G B G Rdnr. 127; Soergel-U.Stein, § 9 AGBG Rdnr. 104; Staudinger-ScWosser, 12. Aufl., § 9 A G B G Rdnr. 153; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnrn. S 11 ff., 16. 3 8 1 BGHZ 115, 324 f.; O L G Düsseldorf, NJW-RR 1997, 372, 373 f. (= WM 1996, 1903, 1905 f.); Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, Anh. §§9-11 Rdnr. 621; ErmanH. Hefermehl, § 9 AGBG Rdnr. 304; Graba, in: Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, AGBG, § 9 Rdnr. 110; MünchKommBGB-.Ri*!oW, Vor § 128 Rdnr. 63; grundlegend Bötticber, Die Gleichheit vor dem Richter, S. 9 ff.; treffend AK-ZPO-£. Schmidt, Einl. Rdnr. 89: Das „ohnedies zu grobe Raster der Verfassung" dürfe nicht „zum Ausgangsort für dann doch nur dezisionistische Beliebigkeit" werden. Trotz alledem für ein verfassungsrechtliches Prinzip der Verfahrensfairneß und ein dem korrespondierendes allgemeines Prozeßgrundrecht Karwacki, Anspruch auf fairen Zivilprozeß, S. 42 ff. 4 5 2 BGH, NJW 1982, 178, 179 f.; 1992, 1628, 1630; Brandner, in: Ulmer/Brandner/ Hensen, AGBG, § 9 Rdnrn. 71, 73; MünchKommBGB-ÄTöte, § 9 A G B G Rdnr. 2; PalandtHeinnchs, § 9 A G B G Rdnr. 7; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnrn. 50, 100; a. A. für den Verbandsprozeß BGH, NJW 1994, 318, 319.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

Gerichtsstandsvereinbarung rechtfertigen könnte 453 . Ein klarer Fall von Unangemessenheit liegt hingegen vor, wenn dem Kunden durch Allgemeine Geschäftsbedingungen die Erklärung eines peremptorischen Klageverzichts zugeschrieben wird, weil auf diese Weise die ihm zustehenden materiellen Rechte auf prozeßvertraglichem Weg völlig entwertet werden454. Allgemein kann für formularmäßige Dispositionen über prozessuale Befugnisse als Grundsatz gelten, daß sie nur unter der Voraussetzung symmetrischer Geltung für beide Parteien in Allgemeinen Geschäftsbedingungen akzeptabel sind455. So ist beispielsweise ein antizipierter Rechtsmittelverzicht im Interesse einer beschleunigten Erledigung der Sache unbedenklich, solange er für beide Seiten gleichermaßen und nicht nur zu Lasten des Kunden und für den Fall eines dem Verwender günstigen Urteils gilt. Akzeptabel wäre auch eine Vereinbarung im Rahmen eines Vertrages über die Feuerversicherung einer Bibliothek, nach der der Nachweis über die Bibliotheksbestände nur mit Hilfe eines bei einer neutralen Stelle geführten Katalogs geführt werden kann, so daß andere Beweismittel sowohl für den Versicherer als auch für den Versicherungsnehmer ausgeschlossen wären456. Das berechtigte Anliegen einer solchen Vereinbarung ist es, in einer vorhersehbar schwierigen Beweissituation umfangreiche und kostspielige Beweisaufnahmen über mit letzter Sicherheit ohnehin nicht mehr aufklärbare Tatsachen durch antizipierte Einigung auf ein sicheres und faires Beweismittel zu vermeiden. Umgekehrt läge ein Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit vor, wenn ein Schadensversicherer beispielsweise eine Klausel verwenden würde, nach der der Versicherungsnehmer den Eintritt des Versicherungsfalls durch zwei „unabhängige Zeugen" nachweisen muß 457. Spezielle Konsequenzen ergeben sich für die Inhaltskontrolle solcher Abreden, mit denen die Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte zugunsten privater Surrogatverfahren dauernd oder zeitweilig, insgesamt oder in bezug auf einzelne Streitpunkte ausgeschlossen wird, wie dies etwa bei Schiedsverträgen, Schiedsgutachten-, Schlichtungs- und Musterprozeßvereinbarungen der Fall ist. Insoweit ist es geboten, zwischen der Ausgestaltung des vorgesehenen Vor- bzw. Surrogatverfahrens einerseits und der Wirksamkeit einer Klausel, mit der ein an sich angemessenes Verfahren inauguriert wird, andererseits zu unterscheiden. Genauer unten, 8. Kapitel, A, S. 562 f. Vgl. dazu ausführlich unten, 6. Kapitel, E III 2, S. 452 f. 4 5 5 Zu diesem Anwendungsfall des Gebots der „Waffengleichheit" Graba, in: Schlosser/ Coester-Waltjen/Graba, AGBG, § 9 Rdnr. 57; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. 136, beide allerdings ohne Bezug auf Prozeß Vereinbarungen. 4 5 6 Beispiel nach Bülow, AcP 64, 1, 63, m. w. Nachw. aus den zeitgenössischen (1881) Versicherungsbedingungen der Feuerversicherer. 4 5 7 Beispiel in Anlehnung an LG München I, NJW 1983, 1685; ähnlich auch der Sachverhalt der Entscheidung O L G Oldenburg, NJW-RR 1992, 1527, nach dem der Verkäufer von Einbauküchen eine Mängelrüge nur akzeptieren wollte, wenn sie außer von dem Kunden von zwei Zeugen unterschrieben war. 453

454

F. Allgemeine

Zulässigkeitsgrenzen

für

Prozeßverträge

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Was die erste Stufe der Inhaltskontrolle anlangt, so ist die Vereinbarung einer privat organisierten Prozedur in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber § 9 Abs. 1 A G B G nicht zu rechtfertigen, wenn das Vor- oder Surrogatverfahren nicht seinerseits in gerechter und angemessener Weise geordnet ist. So ist für das Schiedsrecht anerkannt, daß von den ausweislich der §§ 1035 Abs. 1,1042 Abs. 3 ZPO (vgl. §§ 1028 ff. ZPO a. F.) weithin dispositiven Regelungen über die Konstituierung des Schiedsgerichts und das schiedsrichterliche Verfahren im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht in einer den Kunden benachteiligenden Weise abgewichen werden darf 458 . Im Schiedsgutachtenrecht fehlt es zwar an entsprechenden gesetzlichen Regelungen, Rechtsprechung und Literatur haben sich dadurch jedoch nicht gehindert gesehen, im Rahmen von § 9 A G B G verfahrensrechtliche Anforderungen zu entwickeln, die eine Schiedsgutachtenabrede erfüllen muß, um die Inhaltskontrolle passieren zu können 459 . Entsprechendes gilt schließlich auch für Schlichtungsklauseln460 sowie Musterprozeß Vereinbarungen 461 . Während Einzelheiten hier nicht interessieren, bedarf es der Auseinandersetzung mit einer insbesondere für das Schieds- und Schiedsgutachtenrecht entwickelten Gegenmeinung, die die Möglichkeit unangemessener Klauseln in diesen Bereichen a limine zurückweist 462 . Statt der Inhaltskontrolle gemäß § 9 A G B G sollen die Sicherungen des jeweiligen Sonder458 So auch OLG Düsseldorf, NJW 1996, 400 f.; NJW-RR 1997, 372, 373 f. (= WM 1996, 1903, 1905 f.); mit Bezug auf eine Individualvereinbarung und folglich auf der Grundlage von § 138 BGB BGHZ 106, 336, 339 (= JZ 1989, 588 mit zust. Anm. Walter)-, zu den im Rahmen von § 9 AGBG zu stellenden Anforderungen an Schiedsverträge auch Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, Anh. § § 9 - 1 1 Rdnr. 621; Erman-H. Hefermehl, § 9 Rdnr. 304; MünchKommBGü-Basedow, § 12 AGBG Rdnrn. 32 f.; PalandtHeinrichs, § 9 AGBG Rdnr. 126; Staudinger-ScWosser, 12. Aufl., § 9 AGBG Rdnr. 153; Stein/Jonas-ScWosser, § 1025 Rdnr. 22; Sternke, Prozessuale Klauseln in AGB, S. 277 ff.; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnrn. S 8 ff.; vgl. auch unten, 6. Kapitel, F IV 3, S. 499; 8. Kapitel, E III 3, S. 595 f. 459 BGH, NJW 1981, 2351, 2353; 1983, 1854, 1855; Brandner, in: Ulmer/Brandner/ Hensen, AGBG, Anh. § § 9 - 1 1 Rdnr. 620; Erman-H. Hefermehl, § 9 AGBG Rdnr. 305; Mentis, Schranken prozessualer Klauseln, S. 174 ff.; Palandt-Heinrichs, § 9 AGBG Rdnr. 127; Staudinger-Schlosser, 12. Aufl., § 9 AGBG Rdnr. 153; Sternke, Prozessuale Klauseln in AGB, S. 299 ff.; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnrn. S 19, S 25 ff.; speziell zu § 18 Nr. 3 VOB/B Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 18 Anm. III, IV 3; ausführlich dazu unten, 9. Kapitel, B II 2 b, S. 671 ff. 460 Vgl. nur BGH, NJW 1977, 2263 f.; zum Vereinsrecht auch BGHZ 29, 352, 355; 47, 172, 174; 55, 381, 390 f.; BGH, NJW 1960, 2143, 2144; NJW 1977, 2263 f.; RG, JW 1932, 1197; KG, NJW 1988, 3159; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, 1271, 1272; Schlosser, Vereinsgerichtsbarkeit, S. 182 ff.; Sternke, Prozessuale Klauseln in AGB, S. 299 ff.; ausführlich unten, 6. Kapitel, E III 1 a, S. 445 ff.; F IV 4, S. 479 ff. 461 BGHZ 92, 13, 15 ff. (= NJW 1984, 2408 = JR 1985, 150 mit krit. Anm. Lindacher); BGH, NJW 1988, 197, 198; Hensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, Anh. § § 9 - 1 1 Rdnr. 192; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. P 33; ausführlich unten, 6. Kapitel, E III 1 b, S. 449 f. 462 So für Schiedsgerichts- und Schiedsgutachtenklauseln Sieg, NJW 1992, 2992, 2993; für Schiedsgutachtenklauseln Wittmann, Schiedsgutachten, S. 83 f.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

rechts, also der §§ 1034 ff., 1042 ff. Z P O bei Schiedsverträgen sowie der für Schiedsgutachtenvereinbarungen praeter legem entwickelten Verfahrensgrundsätze, gewährleisten, daß der Kunde nicht benachteiligt wird. Diese Argumentation scheitert indessen bereits daran, daß es sich in beiden Fällen um weithin dispositives Recht handelt, das im Hinblick auf Formularverträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen der Absicherung durch das A G B G nicht weniger bedarf als jede andere gegenüber Parteivereinbarungen nachgiebige Materie 463 . Andererseits wird durch die Verlagerung der Schutzanstrengungen auf das dispositive Schiedsvertrags- und Schiedsgutachtenrecht die Möglichkeit verbaut, in bezug auf die jeweils zu stellenden verfahrensrechtlichen Anforderungen zwischen Vereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Individualabreden zu differenzieren. Die Einsicht, daß der Privatautonomie im Fall des durch einen anspruchsvollen Konsens beider Parteien gedeckten Einzelvertrags ein breiterer Spielraum einzuräumen ist als bei Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ist die bloße Kehrseite des in § 1 Abs. 1, 2 A G B G zum Ausdruck gekommenen Grundgedankens der Inhaltskontrolle, die den partiellen Ausfall vertraglicher Richtigkeitsgewähr kompensieren will. Gleichwohl muß der Besonderheit von Klauseln, die eine für den Verwender und den Kunden gleichermaßen geltende Verfahrensordnung inaugurieren, im Rahmen der Inhaltskontrolle Rechnung getragen werden. Der sonst im Rahmen von § 9 Abs. 1 A G B G geltende Grundsatz, nach dem allein auf die Benachteiligung des Kunden abzustellen ist und eventuelle Beeinträchtigungen von Verwenderinteressen außer Betracht zu bleiben haben 4 6 4 , kann hier keine Geltung beanspruchen 465 . Die in dieser Weise verfahrende Rechtsprechung müßte konsequenterweise jedes Verfahren, das prozessuale Befugnisse im Interesse effizienter und schneller Streiterledigung einschränkt, als unangemessene Benachteiligung des Kunden qualifizieren, selbst wenn die Waffengleichheit in dem Surrogatverfahren ebenfalls gewährleistet ist. Wäre es richtig, auch bei der Ausgestaltungskontrolle in bezug auf Surrogatverfahren allein die Beeinträchtigung des Kunden zu berücksichtigen, müßten insbesondere Schiedsklauseln generell an § 9 A G B G scheitern, weil sie den •Rechtsschutz jedenfalls auf eine einzige, noch dazu nicht-staatliche Instanz reduzieren 466 . Eine derart strikte Einschränkung des zulässigen WirkungsSo auch Staudinger-Schlosser, 12. Aufl., § 9 AGBG Rdnr. 153. Vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 7/3919, S. 23 sowie BGH, NJW 1987, 837, 838; v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, § 9 Rdnr. 146; PalandtHeinrichs, § 9 AGBG Rdnr. 7; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. 56. 4 6 5 Zumindest mißverständlich daher BGHZ 101, 307, 319 (= JZ 1987, 1124 mit insoweit zust. Anm. M. Wolf, S. 1130) zu einer Schiedsgutachtenvereinbarung; BGHZ 115, 329, 334 (= NJW 1992, 433) zum Schiedsvertrag; BGHZ 92, 13, 16 f. zu einer Musterprozeßvereinbarung. 4 6 6 So in der Tat Sternke, Prozessuale Klauseln in AGB, S. 196 ff., die daraus die Konsequenz zieht, das AGBG insgesamt passe für Prozeßverträge nicht (S. 209 f.), um es dann aber doch analog auf verfahrensbezogene Vereinbarungen anzuwenden (S. 210 f.)! 463 464

F. Allgemeine

Zulässigkeitsgrenzen

für

Prozeßverträge

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bereichs von Schiedsklauseln wird jedoch nicht vertreten, wäre in der Sache nicht gerechtfertigt und widerspräche im übrigen auch dem positiven Recht der §§ 1029 Abs. 2, 1031 Abs. 3 ZPO, nach denen eine Schiedsvereinbarung auch durch Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen getroffen werden kann. Uberaus problematisch ist schließlich, ob die Inhaltskontrolle von Schiedsund Schiedsgutachtenvereinbarungen sowie Schlichtungs- und Musterprozeßklauseln auf die Gewährleistung von Verfahrensgerechtigkeit innerhalb des Vor- oder Surrogatverfahrens zu beschränken ist oder ob auch eine Klausel, die ein angemessen ausgestaltetes Verfahren vorschreibt, gegen § 9 Abs. 1 A G B G verstoßen kann. Während diese Frage von einem Teil der Literatur verneint wird 467 , hat die Rechtsprechung nicht gezögert, Schiedsgutachtenklauseln auch ohne Rücksicht auf Mängel ihrer inhaltlichen Ausgestaltung mit Hilfe des § 9 Abs. 1 A G B G zu invalidieren 468 . Tatsächlich ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Rechtssubjekte mit den Prozeduren privater Streitschlichtung nicht in gleicher Weise vertraut sind. Soweit der Ausgang dieser Verfahren auch vom sachgerechten und geschickten Vorgehen der Beteiligten innerhalb des Surrogatverfahrens abhängt - was gerade im Fall des auf die sachverständige Feststellung von Tatsachen bezogenen Schiedsgutachtens allerdings nicht der Fall sein dürfte 469 kann sich ein geschäfts- bzw. „verfahrensgewandter" Verwender erhebliche Vorteile gegenüber seinen weniger erfahrenen Kunden verschaffen, weil eine entsprechende Vereinbarung die Möglichkeit der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes jedenfalls verzögert 470 und das staatliche Gericht an die Ergebnisse des Vor- bzw. Surrogatverfahrens in materiell-rechtlicher oder prozessualer Hinsicht gebunden ist 471 . Unter dieser Voraussetzung asymmetrischer „Verfahrensgewandtheit" der beiden Vertragspartner können selbst fair ausgestaltete Vor- oder Surrogatverfahren die Chancen der Rechtsdurch-

467 So für Schiedsgutachtenvereinbarungen Sieg, N J W 1992, 2992, 2993; StaudingerSchlosser, 12. Aufl., § 9 A G B G Rdnr. 152; Wittmann, Schiedsgutachten, S. 83; für Schiedsklauseln Sieg, N J W 1992, 2992, 2993; für Musterprozeßvereinbarungen Lindacber, J R 1985, 151 f. 468 B G H Z 115, 329, 332 ff. (= N J W 1992, 433 = LM Nr. 46 zu § 9 (Cl) A G B G mit zust. Anm. Marly)-, zustimmend Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, A G B G , Anh. §§ 9-11 Rdnr. 620; Erman-H. Hefermehl, § 9 A G B G , § 9 Rdnr. 305; Palzndt-Heinrichs, § 9 AGBG Rdnr. 127; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, A G B G , § 9 Rdnr. S 15. 4 6 9 Dazu ausführlich unten, 9. Kapitel, B III, S. 682 f. 4 7 0 Vgl. für den Schiedsvertrag die Regelung des § 1032 Abs. 1 ZPO; Schlichtungs-, Musterprozeß- und Schiedsgutachtenvereinbarungen enthalten einen dilatorischen Klageverzicht, der eine verfrüht erhobene Klage unzulässig macht; dazu eingehend unten, 6. Kapitel, C II 2, S. 424 ff.; 9. Kapitel, B I, S. 665 f. 471 Der Umfang dieser Bindung variiert jedoch je nach Art des Surrogatverfahrens und existiert bei Schlichtungsverfahren gar nicht. Vgl. aber für den Schiedsvertrag die Bestimmungen des § 1059 Abs. 2 ZPO; zu Schiedsgutachten unten, 9. Kapitel, B II 2 a, S. 668 ff.; zu Musterprozeß Vereinbarungen unten, 10. Kapitel, A II, S. 727 ff.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit

von

Prozeßverträgen

Setzung für den Kunden erheblich schmälern und ihn deshalb unangemessen benachteiligen. Diese Überlegungen stimmen mit der Wertung des Schiedsrechts - als der einzigen gesetzlichen Regelung eines ein Surrogatverfahren inaugurierenden Prozeßvertrags - überein. Die Formvorschrift des § 1031 Abs. 5 ZPO verlangt nämlich im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher eine besondere, eigens unterschriebene Urkunde und macht es auf diese Weise de facto unmöglich, im Wege Allgemeiner Geschäftsbedingungen eine Schiedsklausel zu vereinbaren 472 . Der legislatorische Grund für diese Regelung besteht in der Vermutung, daß Verbraucher weniger „verfahrensgewandt" sind und deshalb die Gefahr besteht, daß sie die ihnen zustehenden Rechte in einem Schiedsverfahren nicht wirksam durchsetzen können 473 . Im kaufmännischen Verkehr kann dagegen mit einiger Zuversicht von der Geschäftsgewandtheit der Akteure und der Vertrautheit mit privaten Vor- und Surrogatverfahren ausgegangen werden, so daß ein Bedürfnis für das formularfeindliche Erfordernis einer gesonderten Urkunde nicht besteht, worauf in den Formvorschriften des § 1031 Abs. 1 - 4 ZPO folgerichtig auch verzichtet wird. Schiedsklauseln, die ein faires Verfahren vor einem neutralen Schiedsgericht inaugurieren, scheitern dann auch nicht ohne weiteres an § 9 Abs. 1 AGBG 4 7 4 . Andererseits liegt auf der Hand, daß die Kaufmannschaft kein monolithischer Block ist, sondern erhebliche Unterschiede in der Vertrautheit mit dem Instrumentarium privater Streitentscheidung durch Schiedsrichter bestehen. Die Inhaltskontrolle von Schiedsklauseln, die im kaufmännischen Verkehr 472 MünchKommBGB-SiiseJow, § 12 AGBG Rdnr. 12; Schwab /Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 5 Rdnr. 19; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. S 2. Der Anwendungsbereich des AGBG überschneidet sich nur dann mit demjenigen des § 1031 Abs. 5 ZPO, wenn die in der Urkunde verkörperte Schiedsgerichtsvereinbarung als solche i. S. d. § 1 Abs. 1 AGBG mehrfach verwendet wird. In diesen seltenen Fällen wird die Klausel jedoch regelmäßig gegen § 9 Abs. 1 AGBG verstoßen; vgl. M. Wolf, in: Wolf/ Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnrn. S 4 f.; a. A. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 5 Rdnr. 19. Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn es sich um ein Verfahren handelt, das auch einem geschäftsungewandten Verbraucher ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten bietet. Damit erübrigen sich auch die Versuche der Literatur, die Ausnahmen von der Unzulässigkeit solcher Schiedsklauseln, die im Verkehr mit dem Verbraucher eingesetzt werden, zu begründen; vgl. etwa M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. S 4, wo ein „besonderes Bedürfnis für die Einsetzung eines Schiedsgerichts" gefordert wird; Pahndt-Heinrichs, § 9 AGBG Rdnr. 126 a. E., der ohne Bezug zu dem hier erarbeiteten Kriterium darauf abstellt, ob der Streitgegenstand „vor allem technisches oder handwerkliches Fachwissen erfordert". 473 Begründung zum SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 37; genauso zum früheren Recht Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 5, Vor Rdnr. 1; Stein/Jonas-Schlosser, § 1027 Rdnr. 1; ähnlich BGHZ 71, 162, 165 f.; Baumbach/Lauterbaclwlfterj, §1027 Rdnr. 1. 474 Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, Anh. §§ 9-11 Rdnr. 621; Erman-H. Hefermehl, § 9 AGBG Rdnr. 304; MünchKommBGB-Basedow, § 12 AGBG Rdnr. 33; Palandt-Heinrichs, § 9 AGBG Rdnr. 126; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 5 Rdnr. 19; Stein/Jonas-ScWojser, § 1025 Rdnr. 22.

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen für

Prozeßverträge

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eingesetzt werden, muß deshalb jenseits der Gewährleistung ihrer angemessenen inhaltlichen Ausgestaltung darauf bedacht sein, daß sich der Kunde in dem konkret vereinbarten Verfahren zurechtfinden kann und daher kein erhöhtes Risiko fehlerhafter Entscheidung zu seinen Lasten besteht. Diese Bedingungen werden am ehesten im Rahmen des internationalen Handelsverkehrs 4 7 5 und bei der Branchen-Schiedsgerichtsbarkeit erfüllt sein. § 1031 Z P O erweist sich somit als eine relativ grobschlächtige Umsetzung des maßgeblichen Wertungskriteriums hinreichender Verfahrensgewandtheit des Kunden und bedarf deshalb im Bereich des kaufmännischen Verkehrs der Ergänzung durch die Inhaltskontrolle von Schiedsvereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

III. Prozeßvereinbarungen außerhalb Allgemeiner Geschäftsbedingungen 1. Die Sicherungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre Soweit eine Individualvereinbarung im Sinne des § 1 Abs. 2 A G B G vorliegt, setzen die §§ 134, 138 B G B der Vertragsinhaltsfreiheit Grenzen, die als allgemeine Rechtsgedanken auch für Prozeß Verträge verbindlich sind 4 7 6 . Unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit ist vor allem § 138 Abs. 1 B G B von Bedeutung, der nicht nur der Bewahrung öffentlicher Interessen, sondern vor allem auch dem Schutz der wirtschaftlich oder intellektuell schwächeren Vertragspartei vor Ubervorteilung durch den Gegner dient 4 7 7 und insbesondere verhindern will, daß eine Partei die andere durch Ausnutzung von Übermacht ihrer wirtschaftlichen Freiheit beraubt 4 7 8 . Eine solche Knebelung kann auch durch prozessuale Mittel geschehen, etwa 4 7 5 MünchKommBGB-Äzsecfoze>, § 12 AGBG Rdnr. 36; Mentis, Schranken prozessualer Klauseln, S. 142; Sternke, Prozessuale Klauseln in AGB, S. 270 ff.; zur Ubiquität von Schiedsklauseln im internationalen Handelsverkehr vgl. Raeschke-Kessler/Bühler, ZIP 1987, 1157; Raeschke-Kessler, FS Nirk, S. 915, 918: „keine Alternative" zur Schiedsgerichtsbarkeit. 4 7 6 Für die Rechtsprechung ergibt sich dies schon aus der Formel, zulässig seien Prozeßverträge, die nicht gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstießen, mit der sie die Zulässigkeitsproblematik insgesamt zu bewältigen versucht, vgl. oben, S. 52. Beispielsfälle bei RGZ 70, 59, 60; 118, 171, 173 (antizipierter Rechtsmittelverzichtsvertrag); BGHZ 10, 22, 27 (pactum de non petendo); BGHZ 106, 336, 338 (Schiedsvertrag). Aus der Literatur für Geltung der §§ 134, 138 BGB Baumbach/Lauterbach-Hartmann, Einl. III Rdnr. 11; H.-J. Hellwig, Systematik, S. 95; Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 112; Oertmann, ZZP 45, 389, 409; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 145; Soergel-Hefermehl, § 138 Rdnr. 16; Staehelin, FS Giger, S. 643, 650; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 243; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 722. Nach der hier vertretenen Auffassung gilt das allgemeine Vertragsrecht des BGB ohne weiteres auch für Prozeßverträge, vgl. unten, 4. Kapitel, A, S. 278 ff. 477 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 41 Rdnrn. 5 ff., 34 ff.; MünchKommBGB-Af^erMaly, §138 Rdnr. 78; Palandt-Heinrichs, §138 Rdnr. 24; Soergel-Hefermehl, §138 Rdnr. 86. 478 MünchKommBGB-Mayer-Maly, § 138 Rdnrn. 64 f.; Palandt-Heinrichs, § 138 Rdnr. 39; Soergel -Hefermehl, §138 Rdnrn. 116 ff.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 36 ff.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

indem die Durchsetzung von Ansprüchen durch Klageverzichtserklärungen, Beweislastumkehrungen, unangemessen ausgestaltete Schiedsklauseln o. ä. praktisch unmöglich gemacht wird. Diese Fallgruppe des § 138 B G B erfordert aber stets eine Einengung der ökonomischen Gesamtsituation der Partei und erlaubt es nicht, Prozeßvereinbarungen auch schon dann beiseite zu schieben, wenn die Entschließungsfreiheit der Partei in bezug auf den einzelnen betroffenen Anspruch durch die vertragliche Bindung eingeschränkt wird 479. Die Annahme sittenwidrigen Verhaltens setzt im übrigen einen unter Würdigung aller Umstände besonders groben Verstoß gegen die Vertragsgerechtigkeit voraus 480 und bleibt damit ein auf den individuellen Einzelfall zugeschnittener, weitmaschiger Ausnahmetatbestand, der hinter den Kontrollmaßstäben des A G B G weit zurückbleibt 481 . Gleiches gilt für die auf § 242 B G B gestützte Arglisteinrede, nach der die mißbräuchliche Ausübung legal bestehender Rechtspositionen unzulässig ist. Dieses Rechtsinstitut dient der auf die inhaltliche Ausgestaltung solcher Rechtspositionen konzentrierten Vertragsgerechtigkeit nur mittelbar und kommt als Grundlage einer Inhaltskontrolle von Individualverträgen somit nicht in Betracht 482 . In Ergänzung zu der allgemeinen Regelung des § 138 B G B versagte die 1933 eingefügte Sonderregelung des § 1025 Abs. 2 Z P O a. F. Schiedsvereinbarungen die Anerkennung, wenn sie das Verfahren unfair ausgestalteten, insbesondere ein parteiliches Schiedsgericht inaugurierten, und ihr Zustandekommen der Ausnutzung der wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit einer Vertragspartei verdankten. Diese Vorschrift war zwar als Erweiterung des § 138 B G B gemeint 483 , stellte aber immer noch sehr strenge Anforderungen an einen richterlichen Eingriff 484 . Nur ihre erste Alternative hat die Neuregelung des Schiedsrechts durch das SchiedsVfG überlebt, und auch dies nur in stark veränderter Gestalt: Gibt die Schiedsvereinbarung einer Partei bei der Zusammensetzung des Schiedsgerichts ein Ubergewicht, ist gemäß § 1034 Abs. 2 Z P O nur diese Abrede, nicht aber die Schiedsvereinbarung insgesamt unwirksam. Die benachteiligte Partei kann sich dann an das staatliche Gericht mit der Bitte wenden, den oder die Schiedsrichter abweichend von der vereinbarten Ernennungsregelung zu bestellen. Diese Rechtsfolge gilt allgemein und ist nicht davon abhängig, daß die einseitige Auswahl 479 So aber Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 245; vgl. dagegen M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 36 ff. 480 Vgl. statt aller Palandt-Heinrichs, § 138 Rdnr. 34. 481 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 17 ff. m. w. Nachw.; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 129; U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 176; a. A. allein Hönn, JZ 1983, 677, 682. 482 Vgl. aber H. Roth, BB 1987, 997, 983 f., der zwar die Inhaltskontrolle nicht ausgehandelter Individualverträge auf der Grundlage von § 242 BGB ablehnt, jedoch im Einzelfall bei „institutionellem Rechtsmißbrauch" mit der exceptio doli helfen will. 483 Rosenberg, ZZP 58, 283, 352 f. 484 Vgl. Baumbach/Lauterbach-^&ers, § 1025 Rdnrn. 32 ff.; MünchKornrnZPO-Afoier, § 1025 Rdnrn. 8 ff.; Zöller-Geimer, § 1025 Rdnr. 62; sehr optimistisch hinsichtlich der Potentiale des § 1025 Abs. 2 ZPO a. F. hingegen Emmerich, ZZP 82, 413, 419.

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen für

Prozeßverträge

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der Schiedsrichter auf der Ausnutzung der Überlegenheit der privilegierten Partei beruht. Anders als § 1025 Abs. 2 a. F. Z P O , dessen analoge Anwendung auf sämtliche Prozeßvertragstypen vereinzelt befürwortet worden war 4 8 5 , stellt § 1034 Abs. 2 Z P O eine schiedsvertragsspezifische Regelung dar, deren Anwendung außerhalb ihres Geltungsbereichs von vornherein nicht in Betracht kommt. Jenseits der §§ 134, 138 B G B bleibt die Vertragsgerechtigkeit bei Individualvereinbarungen der Wirkung des Vertragsmechanismus sowie den durch die allgemeine Rechtsgeschäftslehre verbürgten Sicherungen der Privatautonomie anvertraut. Die Vorschriften über.die Geschäftsfähigkeit, die Form, Abgabe und Auslegung von Willenserklärungen sowie Willensmängel sind bei konsequenter Anwendung nicht zu unterschätzende Garanten der normativen „Richtigkeit" der vertraglichen Regelung, die den Verzicht auf die richterliche Inhaltskontrolle legitimieren 486 . Der Ausbau der culpa in contrahendo zu einem Schutzinstrument vor unzulässigen Beeinflussungen der Willensbildung im Rahmen der Vertragsanbahnung würde es zudem ermöglichen, bereits im Vorfeld von § 138 B G B auf Abweichungen von dem Ideal der individuellen Aushandlung durch wohl informierte und rational handelnde Parteien zu reagieren 487 . Im Hinblick auf den Rechtsverkehr zwischen Kaufleuten, Selbständigen und anderen gewerblich tätigen Personen reichen die eben angesprochenen Institute des allgemeinen Vertragsrechts ohne weiteres aus, um die „Richtigkeit" der vertraglichen Regelung zu gewährleisten. Anlaß zu Zweifeln mag hingegen der Vertragsschluß mit dem Verbraucher geben, weil letzterer in aller Regel geschäftlich unerfahren, juristisch inkompetent sowie in Relation zu einem Unternehmen wirtschaftlich in der schwächeren Position ist, so daß die Gefahr besteht, daß der Unternehmer für ihn selbst günstige Bedingungen ohne Rücksicht auf den Nachteil des Verbrauchers durchsetzt. Unabhängig davon, ob diese Prämissen wirklich zutreffen und die Vorteile eines Sonder-Konsumentenrechts die Nachteile einer tiefgreifenden Fragmentierung des Vertragsrechts rechtfertigen 488 , schafft der europarechtlich motivierte § 24a A G B G eine Rechtsgrundlage für die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen, deren Anwendungsbereich über Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinn von § 1 Abs. 1 A G B G weit hinausreicht 489 .

4 8 5 Für eine analoge Anwendung des ersten Teils von § 1025 Abs. 2 Z P O a. F. (Nötigung zum Vertragsabschluß durch Ausnutzung einer wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit) auf andere Prozeßverträge als den Schiedsvertrag Emmerich, ZZP 82, 413, 419; Mentis, Schranken prozessualer Klauseln, S. 49 ff.; für Zuständigkeitsvereinbarungen erwogen von Schiedermair, Vereinbarungen, S. 90. 4 8 6 Vgl. bereits oben, F I, S. 125 ff. 4 8 7 Vgl. dazu St. Lorenz, JZ 1997, 277, 281 f.; ders., N J W 1997, 2578, 2579 f. 4 8 8 Exemplarisch die Kritik bei Brandner/Ulmer, BB 1991, 701, 702 f.; dagegen wiederum Damm, J Z 1994, 161, 167 ff. 4 8 9 Vgl. bereits oben, unter F II 1, S. 130 f.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit

2. Inhaltskontrolle

von

von

Prozeßverträgen

Verbraucherverträgen

§ 24a Nr. 1 AGBG entfernt sich allerdings nur einen vergleichsweise kleinen Schritt vom ursprünglichen Regelungskonzept des AGBG, indem er zugunsten des Verbrauchers fingiert, daß die Vertragsbedingungen vom Unternehmer gestellt worden sind, sofern es sich bei diesen im übrigen um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 Abs. 1 AGBG handelt. Es bleibt somit bei der Voraussetzung, daß die Bedingungen für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert worden sind, also mehrfach zur Anwendung kommen sollen490. Praktische Bedeutung hat diese Erweiterung des Anwendungsbereichs der Inhaltskontrofle vor allem für Vertragsbedingungen, die von Dritten stammen, insbesondere von einem Notar 491 . Die umstrittene Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH, der notarielle Grundstückskaufverträge unter Berufung auf § 242 BGB der Inhaltskontrolle auch dann unterwirft, wenn der Vertragsinhalt dem Verkäufer nicht im Sinne eines „Stellens" zugerechnet werden kann492, wird dadurch auf eine sichere gesetzliche Grundlage gestellt. Während sich § 24a Nr. 1 AGBG somit durchaus noch in das ursprüngliche Regelungskonzept des AGBG einfügt, wird es durch die in § 24a Nr. 2 AGBG bewirkte Ausdehnung der Inhaltskontrolle auf Individualverträge gesprengt. Die Vorschrift setzt nämlich nicht mehr voraus, daß es sich um Vertragsbedingungen handelt, die für eine Vielzahl von Verträgen ausgearbeitet worden sind, sondern begnügt sich damit, daß „der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluß nehmen konnte" 493. Zweifelhaft ist indessen, ob § 24a Nr. 2 AGBG die Vorformulierung des Vertrags gerade durch den Unternehmer voraussetzt oder ob die durch § 24a Nr. 1 AGBG bewirkte Ausdehnung der Inhaltskontrolle auf Drittbedingungen auch im Rahmen von § 24a Nr. 2 AGBG gilt. Praktische 490 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24a Rdnr. 3; a. A. v. Westphalen, BB 1996, 2101 f. 491 Vgl. die Begründung der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/2713, S. 7; PalandtHeinrichs, § 24a Rdnr. 8; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24a Rdnr. 36. 492 So die ständige Rechtsprechung; BGHZ 74, 204, 209 f.; 101, 350, 353 ff.; 108, 164, 168 ff.; BGH, NJW 1984, 2094 f.; 1988, 1972 f.; vgl. dazu auch Erman-Ä Hefermehl, §1 Rdnr. 15; Palandt-Heinrichs, Vor § 8 AGBG Rdnr. 6; G. Stein, Inhaltskontrolle, S. 114 ff.; Wiedemann, FS Kummer, S. 175 ff.; a. A. Medicus, Zur gerichtlichen Inhaltskontrolle notarieller Verträge, S. 13 ff., 22 ff., MünchKommBGB-^öiz, § 1 AGBG Rdnrn. 8 f.; H. Roth, BB 1987, 977, 980 ff.; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 1 Rdnrn. 76 ff.; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 1 Rdnr. 51. Zum einseitigen „Stellen" notarieller Vertragstexte BGHZ 102, 152, 158; MünchKommBGB-tföiz, § 1 AGBG Rdnr. 8; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 1 Rdnr. 32a. 493 § 1 Abs. 1 AGBG gilt zwar auch für die erstmalige Verwendung eines Formulars, setzt jedoch voraus, daß es mehrfach eingesetzt werden soll, wobei die Grenze bei drei bis fünf Einsätzen liegt; vgl. BGH, NJW 1981, 2344, 2345; NJW-RR 1988, 57, 58 (Vorformulierung allein reicht für §§ 1 ff. AGBG nicht aus); Palandt-Heinrichs, § 1 AGBG Rdnr. 6; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 1 Rdnr. 25; M. Wolf, in: Wolf/ Horn/Lindacher, AGBG, § 1 Rdnr. 14.

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen für

Prozeßverträge

163

Bedeutung hat diese Frage wiederum vor allem für die Notariatspraxis, denn in diesem Bereich ist es die Regel, daß den Parteien eine vorgefertigte Vertragsurkunde vorgelegt wird. Während die herrschende Meinung nicht nur notarielle Formularverträge im Sinne von § 24a Nr. 1 A G B G , sondern wegen § 24a Nr. 2 A G B G auch vom Notar individuell ausgearbeitete Vereinbarungen der Inhaltskontrolle unterwerfen will 494 , fordert die Gegenansicht im Rahmen von § 24 a Nr. 2 A G B G zwar kein „Stellen" der Bedingungen durch den Unternehmer, aber doch die Zurechenbarkeit des vorformulierten Vertragsinhalts, so daß insbesondere notarielle Individualvereinbarungen keiner gerichtlichen Billigkeitsaufsicht unterliegen 495 . Für diese einschränkende Auslegung von § 24a Nr. 2 A G B G spricht § 14 Abs. 1 S. 2 B N o t O , der dem Notar die Neutralität zur Pflicht macht, so daß ein verbraucherschutzpolitisch motiviertes Eingreifen nicht erforderlich scheint. Die Einschaltung eines zur Neutralität verpflichteten Dritten ändert an der vom Gesetzgeber vorausgesetzten Asymmetrie der Verhandlungssituation zwischen Unternehmer und Verbraucher jedoch nur dann etwas, wenn er den Vertragsinhalt gegenüber beiden Parteien gleichermaßen zur Disposition stellt, was in der Notariatspraxis nicht stets gewährleistet ist. Folgerichtig soll nach der einschlägigen EG-Richtlinie die Inhaltskontrolle bereits dann zum Schutz des Verbrauchers eingreifen, wenn er mit einem vorformulierten Vertragstext konfrontiert wurde - ganz unabhängig davon, wer das Formular erstellt hat 496 . Angesichts dieser europarechtlichen Vorgaben ist die Inhaltskontrolle von Individualverträgen auch auf notarielle Vertragsurkunden zu erstrecken. Mit diesem Zwischenergebnis ist die Problematik indessen noch nicht erledigt. Den durchaus vorhandenen Potentialen der Notariatspraxis für die Vertragsgerechtigkeit kann nämlich trotz Eröffnung der Inhaltskontrolle im Rahmen von § 24a A G B G angemessen Rechnung getragen werden. Ansatzpunkte dafür sind die Ausnahmeklauseln der Nrn. 1 und 2 sowie die durch § 24a Nr. 3 A G B G bewirkte Modifikation des Kontrollmaßstabs. Die erstgenannten Ausnahmetatbestände schließen die Inhaltskontrolle von vornherein aus und ähneln damit dem sog. Aushandelnseinwand des § 1 Abs. 2 A G B G , ohne ihn wörtlich zu reproduzieren. Während gemäß § 24a Nr. 1 A G B G nämlich solche Klauseln kontrollfest sind, die von dem Verbraucher „in den 494 Brandner, AnwBl. 1994, 335, 337; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2193; ders., in: Palandt, § 24a AGBG Rdnr. 12; Kanzleiter, DNotZ 1996, 867, 869; Klaas, FS Brandner, S. 247, 251. 495 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24a Rdnrn. 43 f. 496 Vgl. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG vom 5. 4. 1993, AB1.EG Nr. L 95 vom 21.4.1993, S. 29 ff. (abgedruckt auch in EuZW 1993, 352; NJW 1993, 1838): „Eine Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde, ist als mißbräuchlich anzusehen, ..."; Art. 3 Abs. 2: „Eine Vertragsklausel ist immer dann als nicht im einzelnen ausgehandelt zu betrachten, wenn sie im voraus abgefaßt wurde...". Das Merkmal des „Stellens" ist deshalb gemeinschaftsrechtlich unzulässig; vgl. Brandner, AnwBl. 1994, 335, 337; Heinrichs, NJW 1995, 153, 157 f.; ders., in: Palandt, § 24a A G B G Rdnr. 12; Klaas, FS Brandner, S. 247, 251; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, Art. 3 RiLi Rdnr. 23.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

Vertrag eingeführt worden sind", stellt § 24a Nr. 2 A G B G darauf ab, daß der Verbraucher auf den Vertragsinhalt „Einfluß nehmen konnte". Die erstgenannte Exemption ist vom Unternehmer zu beweisen und zielt vor allem auf die - praktisch nicht sehr wichtigen - Fälle, in denen dem Verbraucher selbst die Durchsetzung „seines" Vertragsformulars gelingt, das von einem ihm nahe stehenden Verband erstellt worden ist 497 . Wesentlich größere praktische Bedeutung dürfte indessen die Ausnahmeklausel des § 24a Nr. 2 A G B G erlangen, und zwar schon deshalb, weil der Nachweis des Nichtbestehens einer Einflußmöglichkeit bei Individualverträgen dem Verbraucher obliegt, so daß im Fall des non liquet eine Inhaltskontrolle ausscheidet™. Angesichts des deutlich abweichenden Wortlauts kann es auch nicht überzeugen, die Exemption des § 24a Nr. 2 A G B G kurzerhand mit dem Aushandelnseinwand des § 1 Abs. 2 A G B G gleichzusetzen und den dafür geltenden anspruchsvollen Voraussetzungen zu unterwerfen 499 . Vielmehr ist an dieser Stelle dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die Parteien einen Individualvertrag geschlossen haben, dessen Bedingungen von einem neutralen Dritten aufgesetzt worden sind. Handelt es sich um einen notariellen Vertragsentwurf, ist eine Einflußmöglichkeit des Verbrauchers schon dann zu bejahen, wenn eine eingehende Belehrung über den Inhalt erfolgte und die Bereitschaft bestand, auf dessen Anderungswünsche einzugehen 500 . Für eine solche Interpretation des § 24a Nr. 2 A G B G spricht schließlich auch Nr. 3 der Vorschrift, wonach bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung im Sinne des § 9 A G B G „auch die den Vertragsschluß begleitenden Umstände zu berücksichtigen [sind]". Der abstrakt-generelle Maßstab der Inhaltskontrolle wird damit um konkrete Umstände des Einzelfalls angereichert, soweit letztere für das Maß an Richtigkeitsgewähr, das der konkreten Vereinbarung zuzumessen ist, von Bedeutung sind. Dazu zählen nicht nur Ort und Zeit des Vertragsabschlusses, sondern vor allem das Maß der Aufklärung des Verbrauchers über den Vertragsinhalt. Die durch § 24a Nr. 3 A G B G bewirkte Modifikation des Kontrollmaßstabs muß sich folglich keineswegs notwendig zugunsten des Verbrauchers auswirken, sondern ist ergebnisoffen: Die Berücksichtigung der Einzelfallumstände kann durchaus ergeben, daß eine prima facie gegebene unangemessene Benachteiligung letzt-

4 9 7 Vgl. die Begründung der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/2713, S. 7 (ADACFormular für Autokauf); Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2193; ders., in: Palandt, § 24a A G B G Rdnr. 9; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24a Rdnrn. 37, 39. 498 Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2193; ders., in: Palandt, § 24a AGBG Rdnr. 13; Ulmer, in: Ulmer/Brandfter/Hensen, AGBG, § 24a Rdnr. 51; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, Art. 3 RiLi Rdnr. 30; a. A. v. Westphalen, BB 1991, 2101, 2103. 4 9 9 So aber Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2193; ders., in: Palandt, § 24a A G B G Rdnr. 13; v. Westphalen, BB 1996, 2101, 2103; a. A. Klaas, FS Brandner, S. 247, 254 f.; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24a Rdnr. 47. 5 0 0 Übereinstimmend Klaas, FS Brandner, S. 247, 255 f.; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/ Hensen, AGBG, § 24a Rdnr. 50.

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen für

Prozeßverträge

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lieh nicht zur Invalidierung der fraglichen Klausel führt 501 . Der Umstand, daß der Vertrag von einem zur Neutralität verpflichteten Notar ausgearbeitet worden ist, ist folglich dazu geeignet, eine sonst unwirksame Klausel zu retten, soweit den Neutralitäts- und Belehrungspflichten im konkreten Einzelfall genügt worden ist. Insgesamt bleibt festzustellen, daß im Rechtsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern sämtliche Vertragsbedingungen der Inhaltskontrolle durch das Gericht unterliegen, auf deren Inhalt der Verbraucher keinen Einfluß nehmen konnte, weil sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits vorformuliert waren. Soweit die §§ 1 ff. A G B G noch Schutzlücken gelassen haben sollten, sind sie durch § 24a A G B G geschlossen worden. Für das Prozeßvertragsrecht folgt aus diesem Befund, daß der Schutz des Schwächeren es keineswegs erfordert, die Privatautonomie durch Nichtzulassung von Vertragstypen pauschal einzuschränken. Vielmehr bestätigt sich erneut, daß das geltende Recht ein wesentlich differenzierteres Instrumentarium bereit hält, um die Vertragsgerechtigkeit auch im Rahmen vermeintlicher Ungleichgewichtslagen zu gewährleisten. Die früher notwendige Alles-oder-NichtsEntscheidung zwischen der generellen Zulassung und der pauschalen Invalidierung von Vertragstypen ist damit endgültig obsolet geworden.

3. Vertragliche Inhaltskontrolle aufgrund von $ 242 BGB Der Anwendungsbereich des A G B G ist in doppelter Weise beschränkt, nämlich nicht nur durch die Legaldefinition Allgemeiner Geschäftsbedingungen in § 1 A G B G , sondern darüber hinaus auch durch die Bereichsausnahmen des § 23 A G B G , dessen praktisch wichtiger Abs. 1 das gesamte Arbeits-, Erb-, Familien- und Gesellschaftsrecht ausklammert. Im Bereich der genannten Materien kommt im übrigen auch eine Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen gemäß § 24a A G B G nicht in Betracht 502 . Wegen der Funktion verfahrensbezogener Vereinbarungen als accidentalia negotii processualis können die Bereichsausnahmen des § 23 A G B G nicht unvermittelt auf Prozeßvereinbarungen angewendet werden. Statt dessen ist auf das materiell-rechtliche Rechtsverhältnis abzustellen, auf das sich die prozessuale Nebenbestimmung bezieht. Das A G B G ist also nicht anwendbar, wenn die Vereinbarung zwar die Begriffsbestimmung des § 1 A G B G erfüllt, jedoch beispielsweise Teil eines arbeits- oder gesellschaftsrechtlichen Ver501 Brandner, AnwBl. 1994, 335, 337; ders., in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 9 Rdnr. 180; Palandt-Heinrichs, § 24a AGBG Rdnr. 17. 502 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24a Rdnr. 9; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2191 f., der im Wege einer teleologischen Reduktion allerdings die Ausklammerung gesellschaftsrechtlicher Vermögensanlagen vermeiden will. Letzteres dürfte nicht erforderlich sein, weil die Satzung dem Publikum zugänglicher Kapitalanlagegesellschaften ohnehin der allgemeinen Inhaltskontrolle am Maßstab des § 242 BGB unterliegt; vgl. dazu sogleich im Text sowie unten, 6. Kapitel, F IV 1, S. 471.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

träges im Sinne des § 23 Abs. 1 A G B G ist. Der Gesetzgeber hat von einer Erstreckung des A G B G auch auf das Arbeits- und Gesellschaftsrecht abgesehen, weil die Vertragsinhaltsfreiheit in den genannten Bereichen durch zwingendes Recht ohnehin gewährleistet schien 503. Diese Einschätzung hat sich in beiden Bereichen als unzutreffend erwiesen, weil das ius cogens in seinem Anwendungsbereich notwendig beschränkt ist und das auch im Arbeits- und im Gesellschaftsrecht durchaus vorhandene dispositive Gesetzesrecht sowie die Betätigung der Privatautonomie allgemein der Absicherung durch die Inhaltskontrolle nicht ausgehandelter Vertragsklauseln bedarf 504 . Folgerichtig nimmt die Rechtsprechung die Kompetenz zur Inhaltskontrolle von Verträgen auch im Arbeitsrecht 505 sowie für das Recht der Kapitalanlagegesellschaften 506 und das Vereinsrecht 507 in Anspruch und stützt sich insoweit auf das allgemein gültige Prinzip von Treu und Glauben. Wie bereits angesprochen, ist schließlich der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle auf der Grundlage von § 242 BGB auch im allgemeinen Zivilrecht auf notarielle Kaufverträge über Immobilien ausgedehnt worden 5 0 8 . Für das Prozeßvertragsrecht stellt sich die Frage nach der Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit in den genannten Fällen besonders dringend, weil zum einen im Arbeits- und im Gesellschaftsrecht differenzierte gesetzliche Zulässigkeitsmaßstäbe für Prozeßverträge offensichtlich fehlen und andererseits sowohl der rechtshistorische Hintergrund der vorhandenen zivilprozessualen Regelungen der §§ 38 ff., 1031, 1034 Abs. 2 Z P O (vgl. §§ 1025 Abs. 2, 1027 Z P O a. F.) 509 als auch die reichhaltige Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle verfahrensbezogener Vereinbarungen 510 deutlich machen, daß diese 503 Begründung der Bundesregierung zum AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S. 41; Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, A G B G , § 2 3 Rdnrn. 2, 35, 70; M ü n c h K o m m B G B - f i a W o w , § 2 3 A G B G Rdnrn. 2, 9; Palandt-Heinrichs, § 23 A G B G Rdnrn. 2, 4; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 23 Rdnr. 3. 504 Vgl. einstweilen nur Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, A G B G , § 23 Rdnrn. 35, 71; MünchKommBGB-Basedow, § 2 3 A G B G Rdnrn. 2, 10; Palandt-Heinrichs, § 2 3 A G B G Rdnrn. 2, 4. 505 Vgl. dazu, die Rechtsprechung zusammenfassend BAG, N J W 1996, 2117, 2118 m. w. Nachw.; aus der Literatur ausführlich Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 159 ff., 223 ff.; U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 149 ff., 237 ff.; beide mit vielen w. Nachw.; zuvor schon v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 128 ff., 153 ff.; Säcker, Übermachtkontrolle, S. 80 ff., 175 ff., 201 ff., S. 85: Allgemeine Arbeitsbedingungen als „Spielart der Allgemeinen Geschäftsbedingungen". Vgl. auch den Überblick bei Coester-Waltjen, AcP 190, 1, 5 ff.; Horn, in: W o l f / H o r n / Lindacher, AGBG, § 23 Rdnrn. 39 ff.; MünchArbR-Äiciardi, § 14 Rdnrn. 37 ff. 506 B G H Z 64, 238, 241 f.; 84, 11, 13 f.; 104, 50, 53; B G H , N J W 1982, 877, 879; N J W 1982, 2495; ausführlich dazu Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 124 ff.; Horn, in: W o l f / H o r n / Lindacher, AGBG, § 23 Rdnrn. 81 ff.; kurz Coester-Waltjen, AcP 190, 1, 8 ff. jeweils m. w. Nachw. 507 B G H Z 63, 282, 285 f.; 105, 306, 316 ff.; B G H , W M 1972, 1249; N J W 1995, 583, 585; ausführlich dazu unten, 6. Kapitel, F IV 1, S. 470 ff. 508 Vgl. die Nachweise oben, S. 162, Fn. 492. 509 Vgl. dazu oben, F II 3 a, S. 134 f.; unten, 6. Kapitel, F V 2, S. 491 ff. 510 Vgl. oben, F I, S. 128, Fn. 344.

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen

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Prozeßverträge

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Materie Mißbräuchen der Vertragsfreiheit gegenüber durchaus anfällig ist. Da den eben angedeuteten Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Grenzen von Privatautonomie und richterlicher Inhaltskontrolle hier nicht in allen Einzelheiten nachgegangen werden kann 511 , beschränken sich die folgenden Überlegungen auf das maßgebliche Grundprinzip. Ein grundlegender Einwand gegen eine Ausdehnung der Inhaltskontrolle über das A G B G hinaus lautet, letzteres sei eine abschließende Regelung, so daß eine Uberprüfung von Verträgen am Maßstab des § 242 BGB nicht mehr in Betracht kommen könne 512 . Aus der Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 AGBG folgt indessen nur die Unanwendbarkeit des AGBG, nicht aber auch die Unzulässigkeit der vertraglichen Inhaltskontrolle als solcher, die im Arbeits- und Gesellschaftsrecht schon vor Inkrafttreten des A G B G etabliert war. Ihre Rücknahme in diesen Bereichen widerspräche nicht nur dem Willen des historischen Gesetzgebers 513 , sondern auch dem objektiven Schutzzweck des Gesetzes 514 . Von entscheidender Bedeutung bleibt jedoch die Definition der Aufgreifkriterien für die Inhaltskontrolle außerhalb des AGBG 5 1 5 . Gelingt es nicht, hierfür verläßliche Maßstäbe zu entwickeln, stehen Vertragsinhaltsfreiheit und Privatautonomie in jedem Einzelfall zur Disposition der Gerichte und damit nur noch auf dem Papier. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Lösungen dieser Problematik werden diskutiert: Ein restriktiver, jüngst vor allem von U. Preis vertretener Ansatz beschränkt sich darauf, die Wertungen des A G B G über seinen eigenen Anwendungsbereich hinaus zu verallgemeinern 516 . In der Sache werden damit die konsequenterweise als ver511 Vgl. den Überblick bei Coester-Waltjen, AcP 190, 1, 5 ff.; Medicus, Zur gerichtlichen Inhaltskontrolle notarieller Verträge, S. 21 ff.; ausführlich Fastrieb, Inhaltskontrolle, S. 79 ff., 94 ff., 107 ff., 124 ff., 159 ff.; speziell zum Arbeitsrecht U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 149 ff., 237 ff. 512 So H. Roth, BB 1987, 977, 980 ff.; Tönnies, VersR 1989, 1023, 1029 f. 513 Vgl. etwa den Bericht des Rechtsausschusses zu § 23 des Entwurfs des AGBGesetzes, BT-Drucks. 7/5422, S. 13: „Für die in Absatz 1 vom sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommenen Rechtsgebiete (Arbeits-, Erb-, Familien- und Gesellschaftsrecht) finden bei der Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen die schon bisher geltenden Rechtsmaßstäbe weiterhin Anwendung. Mit dieser Feststellung soll vor allem klargestellt werden, daß die Herausnahme dieser Rechtsbereiche aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes die bisherige Inhaltskontrolle vorformulierter Klauseln [...] insbesondere am Maßstab des § 242 BGB nicht berührt." 514 Eingehend B. Preis, AuR 1979, 97, 100 f.; U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 240 ff.; vgl. weiter Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 236; Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 23 Rdnrn. 4, 31, MünchArbR-Ricbardi, § 14 Rdnrn. 45, 66; sowie Erman- Werner, § 2 3 Rdnr. 3; MünchKommBGB-ÄtjeflioTO, § 23 A G B G Rdnr. 2; Palandt-Hemn'cAi, § 23 A G B G Rdnr. 2; Soergel- U. Stein, § 2 3 A G B G Rdnr. 5; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 2 3 Rdnrn. 3 f. 515 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 172; Coester-Waltjen, AcP 190, 1, 16 ff.; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 1 Rdnrn. 52 ff.; ausführlich Fastrieh, Inhaltskontrolle, S. 215 ff.; U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 255 ff., 274 ff. 516 U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 256 ff., 274 ff.; nicht wesentlich abweichend CoesterWaltjen, AcP 190, 1, 25; die neben der massenhaften Verwendung der Vertragsbedingungen allerdings zusätzlich auf ihre Intransparenz abstellen will.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

fehlt eingeschätzten Bereichsausnahmen des § 23 A G B G für das Arbeits- und Gesellschaftsrecht im Interesse eines wertungskonsistenten Privatrechtssystems wieder rückgängig gemacht und der Inhaltskontrolle sämtliche - aber auch nur solche - Vertragsbedingungen unterworfen, die vom Verwender einseitig gestellt und mehrfach verwendet werden517. Der gegensätzliche, von Fastrich repräsentierte Standpunkt geht darüber noch hinaus, indem er das AGBG nur als einen Anwendungsfall legitimer richterlicher Inhaltskontrolle auffaßt und letzterer damit auch den Zugang zu Individualverträgen - also nicht einseitig gestellten und mehrfach verwendeten Vertragsbedingungen eröffnet 518 . Trotz dieser grundlegenden, bis an das Grundverständnis von Privatautonomie und Privatrecht heranreichenden Meinungsverschiedenheit besteht doch insoweit Einigkeit, als einerseits die Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 AGBG eine Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen in diesen Bereichen nicht hindern soll und andererseits Individualverträge im anspruchsvollen Sinn des § 1 Abs. 2 AGBG, die durch einen echten Konsens der Beteiligten legitimiert sind, der Inhaltskontrolle entzogen bleiben müssen519. Sofern die Vertragspartner über den Vertragsinhalt ernsthaft verhandeln, und im Falle eines vorformulierten Vertrags der Verwender dessen Inhalt wirklich zur Disposition stellt, besteht kein Anlaß, das Prinzip „stat pro ratione voluntas" zu negieren und richterliche Angemessenheitsvorstellungen an die Stelle des von den Parteien gewollten Interessenausgleichs zu setzen. Unterschiedlich beurteilt wird dagegen vor allem die Frage, ob auch solche Vertragsklauseln zu kontrollieren sind, die nicht unter den Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 Abs. 1 A G B G fallen, weil es an der Mehrfachverwendung der Klauseln oder an dem „Stellen" durch eine Seite fehlt, die aber auch nicht im anspruchsvollen Sinn des § 1 Abs. 2 A G B G ausgehandelt wurden520. Für die wichtigste Fallgruppe, nämlich Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern, ist diese Streitfrage allerdings vom Gesetzgeber in § 24a Nrn. 1, 2 AGBG zugunsten der Inhaltskontrolle entschieden worden 521 . Klärungsbedürftig sind somit nur noch diejenigen Konstellationen, in denen die Vertragsparteien auf par stehen, es sich also entweder 5 1 7 Dieser Gesichtspunkt zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk von U. Preis, Vertragsgestaltung, vgl. etwa S. VII, 256, 258. 518 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 223 ff., nennt neben der durch das AGBG repräsentierten noch zwei weitere Fallgruppen legitimer Inhaltskontrolle, nämlich (2) die durch die Beteiligungsstruktur insbesondere von Massengesellschaften sowie (3) die durch existentielle Abhängigkeit einer Seite von den Leistungen der Gegenseite bei Unausgewogenheit der Marktverhältnisse (wie möglicherweise im Arbeits- und Wohnungsmietrecht) bedingte Störung der vertraglichen Richtigkeitsgewähr. 5 1 9 Vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 271 ff.; genauso G. Stein, Inhaltskontrolle, S. 46 f., 111 f.; M. Wolf, NJW 1977, 1937; ders., RdA 1988, 270, 272 f.; U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 289 f. 5 2 0 Dafür Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 223 ff.; dagegen U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 279 ff. 521 Vgl. dazu soeben, unter F III 2, S. 162 ff.

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen für

Prozeßverträge

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um ein Privatgeschäft zwischen zwei Verbrauchern oder um eine Transaktion des Handelsverkehrs zwischen zwei Unternehmen handelt 522 . Unter dieser Voraussetzung paritätischer Verhandlungspositionen kann ein Verzicht auf das Merkmal des einseitigen „Stellens" der Bedingungen durch einen der Vertragspartner indessen nicht in Betracht kommen, weil sonst einer Partei ohne zureichenden Grund das Risiko des Fehlverhaltens eines Dritten, insbesondere eines Notars, auferlegt würde 523 . Genauso zweifelhaft erschiene auch ein allgemeines Absehen von der Häufigkeit der Klauselverwendung. Von asymmetrisch verteilten Informations- und Verhandlungskosten kann keine Rede sein, wenn der eine Teil Kosten und Mühe auf sich nimmt, einen Vertrag für einen konkreten Einzelfall auszuarbeiten, um den Entwurf seinem potentiellen Vertragspartner zur Annahme vorzulegen. Es ist nicht einzusehen, warum letzterem die Aufgabe der Überprüfung der Bedingungen auf ihre Angemessenheit vor Abschluß des Vertrages durch eine richterliche ex-post-Kontrolle abgenommen werden sollte 524 . Im Ergebnis ist damit eine Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 Abs. 1 A G B G auf der Grundlage von § 242 B G B auch im Arbeits - und Gesellschaftsrecht zulässig. Da die ratio der Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 A G B G - nämlich die weitgehende Verrechtlichung beider Rechtsbereiche durch ius cogens - für Prozeßverträge nicht eingreift, gilt dieser Grundsatz für die verfahrensrechtlichen accidentalia negotii von Gesellschaftsverträgen allgemein und ist nicht auf das Recht der Kapitalanlagegesellschaften und das Vereinsrecht beschränkt 525.

4. Das Beispiel der

Ausgleichsquittung

Die Funktionsfähigkeit sowohl der allgemeinen Sicherungen der Privatautonomie als auch der arbeitsrechtlichen Inhaltskontrolle lassen sich mit Bezug auf Prozeßvereinbarungen anhand eines bereits angesprochenen Beispiels demonstrieren, nämlich der sog. Ausgleichsquittung. Es ist weithin üblich, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine „Quittung" zur Unterschrift vorlegt, in der dieser erklärt, seine Arbeitspapiere, Restlohn, Zeugnis usw. erhalten sowie keine weitergehenden Ansprüche gegen den Arbeitgeber aus der Beendigung des Arbeits522 Obwohl die Begriffe Unternehmer (§ 24a AGBG) und Kaufmann (§§ 24 AGBG, 1 ff. HGB) nicht völlig kongruent sind, überschneiden sie sich doch in einem weiten Bereich, der durch das Handelsrechtsreformgesetz vom 22.6.1998, BGBl. I, S. 1474, noch vergrößert worden ist; vgl. Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24 Rdnr. 6, § 24a Rdnrn. 5, 14 ff. 523 Genauso auch Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 102 ff.; im Anschluß an M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 1 Rdnr. 51; a. A. G. Stein, Inhaltskontrolle, S. 101 ff. 524 Auch insoweit übereinstimmend Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 100 f.; genauso CoesterWaltjen, AcP 190, 1, 20 f.; im Ergebnis genauso Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 1 Rdnr. 84; genauso zur Rechtslage nach Inkrafttreten der §§ 24a ff. AGBG ders., in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24a Rdnr. 44. 525 Vgl. dazu ausführlich unten, 6. Kapitel, F IV 1, S. 470 ff.

170

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

Verhältnis zu haben. Dabei wird in aller Regel ein aus einem Formularbuch entnommenes Formblatt verwendet 526 , so daß ein hinreichendes „Auf greifkriterium" für die Inhaltskontrolle vorliegt 527 . Das B A G hat dem Verzicht auf Ansprüche „aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses" die Bedeutung einer Disposition über die Kündigungsschutzklage beigelegt, die Ausgleichsquittung also im Sinne eines Klageverzichts bzw. - wenn die Kündigungsschutzklage bereits erhoben war - als Klagerücknahmeversprechen ausgelegt528. Die dagegen erhobene Kritik hat sich nicht anders zu helfen gewußt, als den Verzicht auf das Klagerecht schlechthin oder jedenfalls im Bereich des zwingend ausgestalteten Kündigungsschutzrechts für unzulässig zu erklären 529 . Nach den oben erarbeiteten Grundsätzen ist der Klageverzicht bzw. das Klagerücknahmeversprechen als Disposition über eine prozessuale Befugnis auch im Geltungsbereich zwingenden Rechts zulässig, solange die Disposition - wie im Fall der Ausgleichsquittung - ex post, also nach Ausspruch der Kündigung erfolgt. Jedoch kann unter Berücksichtigung aller dem Arbeitgeber bekannten Umstände der Unterschrift des Arbeitnehmers regelmäßig nicht der objektive Erklärungswert beigelegt werden, er werde sich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch Anrufung der Gerichte zur Wehr setzen 530 . Das B A G konnte zum gegenteiligen Ergebnis nur gelangen, indem es sich über die allseits anerkannte interpretatorische Grundregel hinweggesetzt hat, nach der die kompensationslose Aufgabe subjektiver Rechtspositionen nicht leichthin angenommen oder gar vermutet werden darf 531 . Wegen des Formularcharakters der Ausgleichsquittung wären im übrigen trotz § 23 Abs. 1 A G B G das in § 3 A G B G positivierte Verbot überraschender 526 Vgl. den Formulierungsvorschlag bei Schaub, Arbeitsrechtliche Formularsammlung, § 19 3, S. 189 f. 527 So mit Recht Fastrieb, Inhaltskontrolle, S. 236 f.; U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 498; im Ergebnis genauso Moritz, BB 1979, 1610, 1614 f.; B. Preis, AuR 1979, 97, 99 ff. 528 BAG, AP Nr. 5 zu § 4 KSchG (= DB 1978, 1842 = EzA Nr. 13 zu § 4 KSchG), BAG, AP Nr. 6 zu § 4 KSchG (= NJW 1979, 2267 = DB 1979, 1465 = EzA Nr. 15 zu § 4 KSchG); EzA Nr. 1 zu § 4 KSchG Ausgleichsquittung; Grunsky, Anm. zu BAG, AP Nr. 6 zu § 4 KSchG; Frohner, AuR 1975, 108, 109 f.; Hueck-i;. Hoyningen-Huene, KSchG, § 1 Rdnr. 13; Käppier, Anm. zu BAG, EzA Nr. 13 zu § 4 KSchG; K R - M Wolf, KSchG, 3. Aufl., Grunds. Rdnr. 580; MünchArbR-Wan^, § 123 Rdnr. 14; Sebwerdtner, in: MünchKommBGB, Anh. § 622 Rdnrn. 164, 170; ders., Anm. zu BAG, EzA Nr. 12 zu § 4 KSchG; eingehend Apel, Ausgleichsquittung, S. 57 ff. Das BAG nennt allerdings neben Klageverzicht und -rücknahmeversprechen auch noch den materiell-rechtlichen Aufhebungsvertrag und den Vergleich als mögliche Auslegungsergebnisse einer Ausgleichsquittung. In der Praxis spielen letztere - soweit ersichtlich - indessen keine Rolle. 529 LAG Düsseldorf, EzA Nr. 14 zu § 4 KSchG; Apel, Ausgleichsquittung, S. 60 ff.; Herscbel, Anm. zu BAG, EzA Nr. 15 zu § 4 KSchG; Sebwerdtner, in: MünchKommBGB, Anh. § 622 Rdnr. 162; ders., Anm. zu BAG, EzA Nr. 12 zu § 4 KSchG. 530 So mit Recht Apel, Ausgleichsquittung, S. 70 f.; Trinkner, BB 1967, 999, 1000 f. 531 Reichel, JherJb. 85, 1, 31: „Verzichte werden nicht vermutet!"; Gamillscbeg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 18 II 2, S. 806: „Warum in aller Welt sollte der Arbeitnehmer auch auf alle diese Rechte verzichten?".

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen

für

Prozeßverträge

171

Klauseln und die Unklarheitenregel des § 5 A G B G als allgemeine Rechtsgedanken zu beachten gewesen 532 . Entsprechend § 3 A G B G muß der Arbeitnehmer nicht ohne weiteres damit rechnen, daß in einem Schriftstück, in dem die Aushändigung der Arbeitspapiere und der Empfang des Restlohns quittiert werden soll, auch rechtsgeschäftliche Erklärungen von erheblicher Tragweite enthalten sind. Ist der Anspruchsverzicht jedoch drucktechnisch hervorgehoben oder wird der Arbeitnehmer sonst auf den Erklärungsinhalt hingewiesen, fordert der Rechtsgedanke des § 5 A G B G eine Formulierung, die den Verzicht auf die Kündigungsschutzklage eindeutig erkennen läßt 5 3 3 . Selbst wenn diese Anforderungen erfüllt sind, steht dem Arbeitnehmer immer noch die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 B G B offen, sofern ihm der Nachweis gelingt, daß er die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung nicht erkannt hat 534 . Wird dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber ausdrücklich suggeriert, die in der Ausgleichsquittung enthaltenen Erklärungen seien für ihn belanglos, kommt eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung in Betracht 5 3 5 ; verweigert der Arbeitgeber die Aushändigung der Arbeitspapiere für den Fall, daß der Arbeitnehmer die Ausgleichsquittung nicht unterschreibt, kann letzterer die Erklärung gemäß § 123 Abs. 1 B G B wegen Drohung anfechten 536 . Schließlich sind Minderjährige durch § 107 B G B vor dem Rechtsverlust durch einseitigem Verzicht geschützt, wenn nicht der gesetzliche Vertreter eine Ermächtigung nach § 113 B G B erteilt hat 537 . Sind die eben genannten Kautelen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre eingehalten, ist die in der Ausgleichsquittung enthaltene Disposition über das Klagerecht schließlich auf ihre Angemessenheit hin zu kontrollieren 538 . Ein 5 3 2 BAG, NJW 1996, 2117, 2118 m. w. Nachw.; Apel, Ausgleichsquittung, S. 67 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 18 II 2, S. 805 f.; Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 23 Rdnr. 45; U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 496; ausführlich B. Preis, AuR 1979, 97, 100 ff.; zum Sonderfall einer Ausgleichsquittung außerhalb des Arbeitsrechts genauso O L G Hamm, NJW-RR 1988, 687. 5 3 3 So die ständige Rechtsprechung des BAG seit dem Urteil AP Nr. 5 zu § 4 KSchG; vgl. weiter BAG, AP Nr. 6 KSchG mit zust. Anm. Grunsky (= NJW 1979, 2267); zum Verzicht auf den Entgeltfortzahlungsanspruch auch BAG, AP Nr. 3 zu § 9 LFZG (= NJW 1981, 1285). 5 3 4 Eingehend dazu Apel, Ausgleichsquittung, S. 143 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 18 II 2, S. 807; KR-Friedrich, KSchG, § 4 Rdnr. 310; MünchArbR-Wan£, § 123 Rdnr. 31; MünchKommBGB-ScWrdözer, Anh. § 622 Rdnr. 171. 535 KR-Friedrich, KSchG, § 4 Rdnr. 310; MünchArbR-Warc&, § 123 Rdnrn. 29 f. 5 3 6 BAG, EzA Nr. 1 zu § 4 KSchG Ausgleichsquittung; KR-Friedrich, KSchG, § 4 Rdnr. 310; MünchArbR- Wank, § 123 Rdnr. 31. 5 3 7 Wird die Ermächtigung unbeschränkt erteilt, deckt sie nach der ausdrücklichen Regelung des §113 Abs. 1 S. 1 BGB auch Rechtsgeschäfte, die die „Aufhebung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses" betreffen, und damit auch den in einer Ausgleichsquittung erteilten Klageverzicht. Vgl. LAG Hamm, DB 1971, 779 f.; MünchKommBGB-Giffer, §113 Rdnr. 11; Palandt-Heinrichs, §113 Rdnr. 4; a. A. KR-Friedrich, KSchG, § 4 Rdnr. 309, dessen Bedenken in der Sache nicht unberechtigt, angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 113 Abs. 1 S. 1 BGB aber wohl lediglich de lege ferenda von Bedeutung sind. 5 Vgl. dazu Apel, Ausgleichsquittung, S. 83 f.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 236 f.; KRM. Wolf, KSchG, 3. Aufl., Grunds. Rdnr. 580; U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 497 f.

172

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

unmotivierter und kompensationsloser Verzicht auf die Kündigungsschutzklage wird in aller Regel einer Inhaltskontrolle kaum standhalten können, während ein dringendes Bedürfnis des Arbeitgebers, die Stelle umgehend wieder neu zu besetzen und deshalb klare Verhältnisse schaffen zu wollen, oder dessen Entgegenkommen in anderen Streitfragen den Klageverzicht legitimieren kann. Damit zeigt sich, daß die um die Wertungen des AGB-Gesetzes ergänzten Kautelen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre durchaus ausreichen, um einen angemessenen Interessenausgleich auch im Prozeßvertragsrecht und selbst in solchen Bereichen sicherzustellen, in denen nicht ohne weiteres von der Verhandlungsparität der Vertragsparteien ausgegangen werden kann. Die gegen die Rechtsprechung des B A G gerichtete Kritik hat sich zwar im Ergebnis als weithin zutreffend, das dogmatische Mittel einer pauschalen oder auf das Kündigungsschutzrecht beschränkten Invalidierung des Klageverzichts allerdings als ebenso unrichtig wie überflüssig erwiesen.

IV. Übersehbarkeitserfordernis

und Bestimmtheitsgrundsatz

Wie bereits angedeutet, wurden die Gefahren, die der prozessualen Waffengleichheit vor allem infolge des massenhaften Einsatzes von Formularverträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen drohten, von der Prozeßrechtslehre frühzeitig erkannt 539. Die zur Bewältigung des Problems angebotenen Lösungen waren allerdings radikal - und mußten es vor der Etablierung richterlicher Inhaltskontrolle formularmäßiger Klauseln vielleicht auch sein. Während die ältere Literatur die nicht von der Prozeßordnung anerkannten Vertragstypen kategorisch ablehnte 540 , sollte später das sog. „Übersehbarkeitserfordernis", nach dem eine Partei auf ein prozessuales Recht erst dann verzichten kann, wenn die prozessuale Situation, in der es ausgeübt werden könnte, eingetreten ist, einen gewissen Schutz vor Ubervorteilung durch Formularverträge bieten 541 . Diesem Zweck dient in letzter Linie auch der Bestimmtheitsgrundsatz der §§ 40 Abs. 1, 1029 Abs. 1 Z P O (= § 1026 Z P O a. F.), der folglich von einer verbreiteten Meinung für alle Prozeßvertragstypen verallgemeinert wird 542 . Tatsächlich sollte § 40 Abs. 1 Z P O nach den Vorstellungen der Gesetzesverfasser die Aufgabe zukommen, „einer

Vgl. oben, F I, S. 128 f. Vgl. oben, A, S. 49 m. Nachw. in Fn. 7. 541 Vgl. oben, A, S. 50 f. ra. Nachw. in Fn. 11. 542 Der Bezug des Bestimmtheitsgrundsatzes auf die Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit wird besonders deutlich bei Emmerich, ZZP 82, 413, 419, der den Ausfall der Inhaltskontrolle bei Individualvereinbarungen mit Hilfe des Bestimmtheitsgrundsatzes kompensieren will. Ahnlich Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 III, S. 368; vgl. auch die Darstellung der historischen Entwicklung des Bestimmtheitserfordernisses bei Mentis, Schranken prozessualer Klauseln, S. 33 ff., 37 f. 539

540

F. Allgemeine Zulässigkeitsgrenzen für

Prozeßverträge

173

willkürlichen Aufhebung des allgemeinen Gerichtsstands vor[zu]beugen" 543 , und entsprechendes gilt im Ergebnis auch für die schiedsvertragliche Parallelregelung des § 1029 Abs. 1 Z P O 544 . Sowohl beim Ubersehbarkeitserfordernis als auch beim Bestimmtheitsgrundsatz handelt es sich um formale Anforderungen an Zeitpunkt und Fassung der Vereinbarung, mit deren Hilfe ein Mindestmaß an Vertragsgerechtigkeit gewährleistet werden soll. Als solche tendieren sie dazu, das gesetzte Ziel entweder übermäßig oder in zu geringem Maße zu erfüllen. Während das Ubersehbarkeitserfordernis die Zulässigkeit von Dispositionen über prozessuale Befugnisse auf einen bestimmten Zeitraum nach Anhängigkeit des Rechtsstreits beschränkt, so daß antizipierte Vereinbarungen pauschal invalidiert werden, ist die praktische Schutzwirkung des Bestimmtheitsgrundsatzes als überaus gering einzuschätzen. Insbesondere kann er solche Dispositionen nicht verhindern, die schon zusammen mit dem Abschluß des materiellrechtlichen Vertrags - regelmäßig im Wege Allgemeiner Geschäftsbedingungen - für alle Streitigkeiten aus diesem Vertragsverhältnis vereinbart werden 545 . Dementsprechend hat der seit jeher geltende § 4 0 Abs. 1 Z P O die durch den massenhaften Einsatz vorformulierter Gerichtsstandsklauseln verursachten Mißstände nicht verhindern können, was den Gesetzgeber - insoweit ganz in der Tradition eines Teils der Zivilprozeßrechtslehre - dazu veranlaßt hat, antizipierte Gerichtsstandsvereinbarungen unter Nichtkaufleuten durch die Gerichtsstandsnovelle 546 fast gänzlich zu verbieten, um dem Ubersehbarkeitserfordernis genüge zu tun 5 4 7 . Gerade die Regelung der §§ 38 ff. n. F. Z P O ist jedoch ein beredtes Beispiel für die Schattenseiten formaler Zulässigkeitsschranken nach Art des Ubersehbarkeitserfordernisses, weil die Gerichtsstandsnovelle dem Verbraucher sogar die Möglichkeit einer ihn begünstigenden antizipierten Prorogation auf seinen allgemeinen Gerichtsstand aus der Hand geschlagen hat, wodurch sich die Schutzrichtung des Gesetzes in ihr Gegenteil verkehrt 548 . Das A G B G vermeidet derartige Schwächen, weil es einem gänzlich anderen Regelungsmodell folgt und die Zulässigkeit einer bestimmten Klausel weder vom Status der Parteien als Kaufleute und Verbraucher noch von Zeitpunkt und inhaltlicher Bestimmtheit der Vereinbarung abhängig macht, sondern die Vertragsgerechtigkeit selbst in jedem Einzelfall zum Prüfungsmaßstab nimmt 5 4 9 . Die oben erarbeiteten differenzierten Zulässigkeitsmaßstäbe des A G B G für Prozeßverträge erübrigen den Rückgriff auf formale ZulässigHahn, Materialien II/l, S. 161. Vgl. dazu eingehend unten, 8. Kapitel, E III 2, S. 593 f. 545 Mentis, Schranken prozessualer Klauseln, S. 39 f.; MünchKommZPO-PrffZ!«;», § 40 Rdnr. 5; Stein/Jonas-ßor&, § 40 Rdnr. 1; Zöller-Vollkommer, § 40 Rdnr. 3. 5 4 6 Gesetz vom 20.12.1974, BGBl. I, S. 753. 5 4 7 Vgl. die Begründung des entsprechenden Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 7/268, S. 4. 548 Vgl. dazu unten, 8. Kapitel, A, S. 560 f. 5 4 9 Vgl. bereits oben, F II 3 a, S. 134 f. 543

544

174

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

keitsvoraussetzungen wie Übersehbarkeitserfordernis und Bestimmtheitsgrundsatz. Dementsprechend hat selbst Baumgärtel, als prominenter Verfechter des Übersehbarkeitserfordernisses, seine Bemühungen um einen angemessenen Schutz vor unüberlegten Bindungen nach Inkrafttreten des A G B G ganz auf dessen Auslegung und Anwendung verlagert 550 . Was schließlich Individualvereinbarungen anlangt, so werden sie im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher durch § 24a A G B G ebenfalls einer strikten Inhaltskontrolle unterworfen, während im übrigen die in den §§ 134, 138 B G B positivierten allgemeinen Schranken der Privatautonomie Bindungen verhindern, daß die „die Entschlußfreiheit [einer Partei] in untragbarer Weise eingeschränkt würde" 5 5 1 . Hält sich eine individuell ausgehandelte Vereinbarung innerhalb dieser Grenzen, so besteht kein Grund, der Privatautonomie von vornherein zu mißtrauen und Prozeßverträge nur zuzulassen, sofern sie bestimmte Anforderungen im Hinblick auf den Zeitpunkt ihres Abschlusses oder die Bestimmtheit der getroffenen Regelung erfüllen. Sowohl auf das Übersehbarkeitserfordernis 552 als auch auf die analoge Anwendung der §§ 40 Abs. 1, 1029 Abs. 1 Z P O 553 auf gesetzlich nicht geregelte Prozeßverträge kann somit verzichtet werden. Schiedermair hatte demgegenüber geglaubt, die Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes für sämtliche Prozeßverträge mit deren vermeintlicher „Verfügungswirkung" begründen zu können 5 5 4 . Abgesehen davon, daß auch prozessuale Verpflichtungsverträge anzuerkennen sind, so daß keine Notwendigkeit besteht, sämtliche Prozeßvereinbarungen in das Prokrustesbett des Verfügungsgeschäfts zu pressen 555 , würde der Regelungszweck der §§ 40 Abs. 1, 1029 Abs. 1 Z P O gründlich mißverstanden, wenn er auf die für materiell-rechtliche Verfügungen geltenden Prinzipien der Spezialität und Bestimmtheit bezogen würde. Der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz dient nicht der Garantie eines Mindestmaßes an Vertragsgerechtigkeit, sondern gilt der Sorge um die Klarheit und Publizität der Zuordnung von Vermögensgegenständen zu einem bestimmten Rechtssubjekt 556 . Dementsprechend kann sich bei der Ubereignung beweglicher Sachen die gemäß §§ 929 ff. B G B erforderliche Einigung auch auf Sachen beziehen, die erst in 5 5 0 So, mit Blick auf Beweisvereinbarungerl, Baumgärtel, FS Fasching, S. 67 ff., passim, insb. S. 76. 551 Vgl. die Formel von Leipold, in: Stein/Jonas, Vor § 128 Rdnr. 245. 5 5 2 So auch H.-J. Hellwig, Systematik, S. 85 f.; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 70 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §66 III, S. 368; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 242; Zöller-Greger, Vor § 128 Rdnr. 32. 553 So auch Grunsky, Grundlagen, § 23 II, S. 208 f.; dem folgend Eickmann, Beweisverträge, S. 23 f. 5 5 4 So aber Schiedermair, Vereinbarungen, S. 73 f.; genauso H.-J. Hellwig, Systematik, S. 85. 555 Vgl. oben, 1. Kapitel, C, S. 35 ff.; unten, 3. Kapitel, B I 2, S. 221 ff. 556 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 4 III, S. 31 f.; Staudinger-Sez'/er, 13. Bearb., Einl. §§ 854 ff. Rdnr. 54; Westermann-//. P. Westermann, Sachenrecht I, § 3 II, S. 21 f.

G. Vertragsfreiheit

im US.-amerikanischen

Zivilprozeßrecht

175

der Zukunft vom Veräußerer erworben werden, und sind unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit gerade sog. „Allformeln" unverdächtig, mit der sämtliche Gegenstände, die ein bestimmtes Merkmal erfüllen, zum Gegenstand der Übereignung gemacht werden 557 . Im Rahmen des Zessionsrechts reicht es sogar aus, wenn die Forderung im Zeitpunkt ihrer Entstehung zweifelsfrei identifiziert und dem Kreis der abgetretenen Rechte zugerechnet werden kann 558 , während das ihr zugrunde liegende Rechtsverhältnis im Zeitpunkt der Abtretung weder schon zu bestehen noch individuell bezeichnet zu werden braucht 559 . Mit der in den §§ 40 Abs. 1, 1029 Abs. 1 Z P O artikulierten Sorge um die Vertragsgerechtigkeit hat all dies nichts zu tun.

G . Rechtsvergleich: Vertragsfreiheit im U.S.-amerikanischen Zivilprozeßrecht I.

Einführung

Abschließend sollen die soeben herausgearbeiteten Grundsätze des deutschen Prozeßvertragsrechts mit denjenigen des U.S.-amerikanischen Zivilprozeßrechts konfrontiert werden. Der Vergleich gerade mit dem Recht der Vereinigten Staaten drängt sich auf, weil diese Rechtsordnung der Parteiautonomie auch im Prozeß einen weitaus größeren Spielraum einräumt, als dies in Deutschland und anderen, der kontinental-europäischen Rechtstradition verpflichteten Staaten der Fall ist. Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Zivilprozeßrechts im Verhältnis zwischen Deutschland und den USA ist allerdings aus mehreren Gründen kein leichtes Unterfangen 560 . Zum einen gibt es „das" amerikanische Zivilprozeßrecht nicht, sondern statt dessen eine Vielzahl von Verfahrensordnungen der Einzelstaaten sowie die Federal Rules of Civil Procedure (Fed.R. Civ.P.), die für das Verfahren vor den Bundesgerichten gelten 561 . Die Rede von „dem" Zivilprozeßrecht der Vereinigten Staaten ist nur deshalb vertretbar, weil die verschiedenen dort geltenden Zivilprozeßrechte trotz nicht unerheblicher Unterschiede im einzelnen gemeinsamen Grundprinzipien fol557 BGH, NJW 1986, 1895, 1896; 1994, 133, 134; MünchKommBGB-Qxdc/fe, §929 Rdnr. 83, Anh. § 929 Rdnr. 19; Palandt-Bassenge, § 930 Rdnrn. 3, 4. 558 Vgl. nur Erman-H. P. Westermann, § 398 Rdnr. 11; Larenz, Schuldrecht I, §34 III, S. 584; YAwx&t-Heinrichs, § 398 Rdnrn. 11, 14; Staudinger-Kaduk, 12. Aufl., § 398 Rdnrn. 43d ff., 80 ff. 559 RGZ 55, 334 f.; BGH, NJW 1965, 2197; Erman-H. P. Westermann, § 398 Rdnr. 11; Palandt-Heinrichs, § 398 Rdnr. 11; Staudinger-Kaduk, 12. Aufl., § 398 Rdnr. 43e. 560 Vgl. allgemein zu den ,,Probleme[n] der Rechtsvergleichung im Verhältnis Vereinigte Staaten von Amerika - Deutschland" den gleichnamigen Aufsatz von Großfeld, RabelsZ 39, 5 ff., speziell mit Blick auf das Prozeßrecht a.a.O., S. 13 ff. 561 Vgl. die Übersicht bei Junker, ZZP 101, 241 ff., 291 f.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

gen, die sich von den der deutschen oder einer anderen kontinental-europäischen Zivilprozeßordnung zugrunde liegenden Maximen deutlich abheben. Die Verfahrensrechte Kontinentaleuropas und der U S A bewegen sich zwar innerhalb des Rahmens einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung, füllen diesen jedoch in einer Weise aus, die unterschiedlicher kaum sein könnte 562 . Kennzeichnend für das amerikanische System sind u. a. die hohe Zahl von Anwälten und eine relativ kleine Schar von Richtern; die Rekrutierung des Justizstabs aus der Anwaltschaft; denkbar umfangreiche Pflichten der Parteien, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken; die Durchführung eines besonderen, praktisch fast ausschließlich von den Anwälten gesteuerten Aufklärungsverfahrens vor dem eigentlichen Prozeß (pretrial discovcry); die Urteilsfindung durch Laien (jury), die auch im Bereich des Zivilprozesses die Konzentration des Hauptverfahrens auf eine einzige, kontinuierliche Verhandlung (trial) sowie ein umfangreiches und hoch differenziertes Beweisrecht (law of evidence) erfordert; eine durch die Möglichkeiten der discovery sowie die Schwerfälligkeiten des trials bedingte überaus hohe Vergleichsrate von über 9 0 % aller anhängigen Fälle 563 ; und schließlich der Grundsatz der Nichterstattung von Anwaltskosten (sog. American rule) sowie die Üblichkeit des Erfolgshonorars (contingent fee) 564. Insgesamt sieht das amerikanische Zivilprozeßrecht die Richtigkeit des Prozeßergebnisses am besten durch einen möglichst freien und fairen Wettbewerb der Parteien um den Prozeßgewinn (adversary system) gewährleistet, der privatautonomem Handeln weite Spielräume eröffnet. Innerhalb des so abgesteckten institutionellen Rahmens hat der amerikanische Zivilprozeß eine Dynamik entfaltet, die trotz allenthalben beklagter Auswüchse die deutsche Zivilrechtspflege wie eine wohlfahrtsstaatliche Bürokratie erscheinen läßt. Es ist hier nicht der Ort, diese tiefgreifenden und in den beiden Rechtskulturen tief verwurzelten Unterschiede im einzelnen nachzuzeichnen oder gar zu bewerten. Für die vorliegende Untersuchung ist allein interessant, wie sich die besondere Akzentuierung der prozeduralen Parteiautonomie durch das amerikanische Zivilprozeßrecht auf die Beurteilung verfahrensbezogener Vereinbarungen auswirkt. Unter den eben kurz vorgestellten Prämissen wäre zu erwarten, daß Prozeßverträge in den Vereinigten Staaten in weit größerem Umfang als hierzulande zulässig sind. Wie sogleich zu zeigen sein wird, trifft diese Vermutung aber allenfalls für die jüngste Vergangenheit zu. 562 Zum Vergleich des amerikanischen mit dem deutschen Zivilprozeßrecht vgl. Gerber, 34 Am. J. Comp. L. 745, 748 ff., 767 f.; Kaplan, 9 Buffalo L. Rev. 409; v. Mehren, 63 Notre Dame L. Rev. 609; Stürner, FS Stiefel, S. 763, 766 ff.; Taniguchi, FS Schwab, S. 487 ff. sowie die Diskussion um den Aufsatz von Langbein, The German Advantage in Civil Procedure, 52 U. Chi. L. Rev. 823, nämlich Bernstein, 21 U. C. Davis L. Rev. 587; Allen/Köck/ Riechenberg/Rosen, 82 Nw. U. L. Rev. 705; Langbein, 82 Nw. U. L. Rev. 763; Allen, 82 Nw. U. L. Rev. 785 ff.; Reitz, ZZP 104, 381 ff. 563 Vgl. Heidenberger, RIW 1997, 464: Vergleichsquote von 96,8%. 564 Vgl. die Einführung in das US-amerikanische Zivilprozeßrecht von Schuck.

G. Vertragsfreiheit im U.S.-amerikanischen

Zivilprozeßrecht

177

Die nachfolgende Darstellung konzentriert sich ganz auf die Zulässigkeitsfrage und klammert vorwiegend dogmatisch-analytische Probleme, wie etwa die Abgrenzung zwischen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Vereinbarungen und die Bestimmung des Wirkungsmodus von Prozeßverträgen von vornherein aus, weil insoweit Gegenstücke in der amerikanischen Lehre fehlen und das Interesse an begrifflichen Fragestellungen dort ohnehin gering ist. Zudem finden zahlreiche Vertragstypen des deutschen Prozeßrechts im Recht der Vereinigten Staaten und umgekehrt solche des amerikanischen Rechts in Deutschland kein Pendant. Die Zulässigkeit einer vertraglichen Disposition über das Recht auf jury trial 565 ist aus deutscher Sicht ebensowenig interessant wie das durch Fed.R.Civ.P. 29 gewährleistete und von der Praxis rege genutzte Recht der Parteien bzw. ihrer Anwälte, im Rahmen der pretrial discovery durch schriftliche Vereinbarung (stipulation) Zeit, Ort und Umstände von Zeugen- und Parteivernehmungen festzulegen sowie die in den Fed.R.Civ.P. 26 ff. geregelten Voraussetzungen, Schranken und Prozeduren der discovery fast einschränkungslos zu modifizieren 566 . Im Vordergrund der Erörterungen stehen deshalb zwei Vertragstypen, die in beiden Rechtsordnungen vorkommen und relativ unabhängig sind von den jeweils vorherrschenden zivilprozessualen Rahmenbedingungen, nämlich die Gerichtsstandsvereinbarung (forum selection clause) und der Schiedsvertrag (arbitration agreement).

II.

Gerichtsstandsvereinbarungen

Mit Gerichtsstandsvereinbarungen disponieren die Parteien über die gesetzliche Zuständigkeitsordnung. Der für das deutsche Recht maßgeblichen Differenzierung zwischen sachlicher, internationaler und örtlicher Zuständigkeit entspricht in den Vereinigten Staaten die Unterscheidung zwischen subject matter jurisdiction, territiorial jurisdiction und venue 567 . Die Bedeutung der territiorial jurisdiction geht über diejenige der deutschen internationalen Zuständigkeit jedoch weit hinaus, denn sie definiert nicht nur 565 Obwohl es sich bei dem Recht auf einen jury trial um eine durch den VII. Zusatzartikel zur Bundesverfassung gesicherte Garantie handelt, ist der antizipierte vertragliche Verzicht zulässig; vgl. K.M.C. Co., Inc. v. Irving Trust Co., 757 F.2d 752, 755 ff. (6th Cir. 1985); Leasing Service Corp. v. Crane, 804 F.2d 828, 832 (4th Cir. 1986); Whirlpool Financial Corp. v. Sevaux, 866 F.Supp. 1102, 1005 (N.D. III. 1994), Phoenix Leasing, Inc. v. Sure Broadcasting, Inc., 843 F.Supp. 1379, 1384 f. (D. Nev. 1994); Kimi Jewelers, Inc., v. Advance Burglar Alarm, 555 N.Y.S.2d 51, 52 (N.Y. App. Div. 1990); Wright & Miller, Practice and Procedure: Civil 2d § 2321, Vol. 9, S. 163 ff. 566 Dazu Haydock/Herr, Discovery, § 1.11.1, S. 64 ff.; Junker, Discovery, S: 69 f.; Wright & Miller, Practice and Procedure: Civil 2d §§ 2091 f., Vol. 8, S. 683 ff.; Schack, Einführung, S. 46. Ausgenommen sind lediglich die der Verfahrensbeschleunigung dienenden Fristen der Fed.R.Civ.P. 33, 34 und 36, was dem Rechtsgedanken des § 224 Abs. 1 S. 1 ZPO entspricht. 567 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 9 ff.; Schack, Einführung, S. 18 ff.

178

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

die internationale Zuständigkeit der U.S.-Gerichte, sondern darüber hinaus und vor allem auch die Kompetenzverteilung unter den Gerichten der verschiedenen Bundesstaaten. Hauptanknüpfungspunkte der territorialen Zuständigkeit sind die Belegenheit der Sache (jurisdiction in rem) und die Gerichtspflichtigkeit der Person (in-personam jurisdiction), die ihrerseits auf dem Vorliegen zumindest „minimaler" Beziehungen dieser Person zu dem Forumstaat (minimum contacts) beruht 5 6 8 . Die territorial jurisdiction betrifft also die Gerichtsunterworfenheit der Parteien, insbesondere die Verpflichtung des Beklagten, sich vor dem vom Kläger angerufenen Gericht zu verteidigen. Die Frage nach der örtlichen Zuständigkeit (venue) ist im Vergleich dazu eine vergleichsweise belanglose Frage nach der Geschäftsverteilung innerhalb einer bestimmten - territorial zuständigen - Jurisdiktion, zum Beispiel unter den Gerichten eines bestimmten Bundesstaates. Die subject matter jurisdiction schließlich löst das föderale Problem der Kompetenzverteilung zwischen den Bundesgerichten und den Fora der Einzelstaaten.

1. Dispositionen über die Subject Matter Jurisdiction In der amerikanischen Rechtsprechung und Literatur ist allgemein anerkannt, daß Dispositionen der Parteien über die subject matter jurisdiction nicht möglich sind. Eine von Gesetzes wegen nicht gegebene Zuständigkeit eines Bundesgerichts wird also nicht dadurch geschaffen, daß die Parteien eine entsprechende vertragliche Vereinbarung treffen oder der Beklagte sich rügelos einläßt 569 . Das Fehlen der subject matter jurisdiction ist vielmehr durch die Gerichte sämtlicher Instanzen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen 570 , wie Fed.R.Civ.P. 12 (h) (3) ausdrücklich bestätigt 571 . 568 Vgl. dazu Scback, Einführung, S. 23 ff. m. w. Nachw. Die für die heutige Zeit maßgebenden Leitentscheidungen sind International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S. 310 (1945); World-Wide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S. 286 (1980); Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462 (1985). 569 Capron v. van Noorden, 6 U.S. (2 Cranch) 126, 127 (1804); People's Bank v. Calhoun, 102 U.S. 256, 260 f. (1880); Neirbo Co. v. Bethlehem Shipbuilding Corp., Ltd., 308 U.S. 165, 167 f. (1939); Insurance Corp. of Ireland, Ltd. v. Compagnie des Bauxites de Guinee, 456 U.S. 694, 701 f. (1982); United States Catholic Conference v. Abortion Rights Mobilization, Inc., 487 U.S. 72, 77 (1988); Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 12; James/Hazard/Leubsdorf, Civil Procedure, S. 70, 193; Solimine, 25 Cornell Int'l L.J. 51, 65 f.; Wright & Miller, Practice and Procedure: Civil 2d § 1393, Vol. 5A, S. 764 ff.; Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 62, 81. 570 Mitchell, Insurance Commissioner of California v. Maurer, 293 U.S. 237, 244 (1934); Insurance Corp. of Ireland, Ltd. v. Compagnie des Bauxites de Guinee, 456 U.S. 694, 702 (1982); Hoots v. Commonwealth of Pennsylvania, 639 F.2d 973, 978 (3rd Cir, 1981); Koke v. Phillips Petroleum Co., 730 F.2d 211, 214 (5th Cir. 1984); Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 12 f.; James/Hazard/Leubsdorf, Civil Procedure, S. 193 f.; Rubin, 28 UCLA L. Rev. 478, 515 f.; Wright & Miller, Practice and Procedure: Civil 2d § 1393, Vol. 5A, S. 773 f.; ausführlich und kritisch Martineau, 1988 B. Y. U. L. Rev. 1 ff., 34. 571 „Whenever it appears by suggestion of the parties or otherwise that the court lacks

G. Vertragsfreiheit im U.S.-amerikanischen

Zivilprozeßrecht

179

Der maßgebende Grund für den völligen Ausschluß privater Dispositionsspielräume in diesem Bereich ist allerdings unklar. Der weit verbreitete Hinweis, das Fehlen von subject matter Jurisdiction betreffe „the ,very power' of the court to try the case" 572 behauptet lediglich das Ergebnis und liefert keine Begründung. Maßgebend kann auch nicht die Sorge um die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative in ihrer Garantiefunktion für bürgerliche Freiheit sein 573 , weil Dispositionen über die subject matter jurisdiction nicht den Herrschaftsbereich der Gerichte gegenüber dem Bürger vergrößern, sondern lediglich innerhalb der Sphäre der Judikative die Gewichte unter den verschiedenen Trägern der richterlichen Gewalt verschieben. Die Prorogation zugunsten der Bundesgerichte beschneidet die Kompetenzen weder des Kongresses noch der Gesetzgebungskörperschaften der Einzelstaaten; betroffen sind allein die Zuständigkeiten der einzelstaatlichen Gerichte in ihrer Funktion als „courts of general jurisdiction". Dispositionen über die subject matter jurisdiction sind kein Problem der horizontalen Gewaltenteilung, sondern stören die vertikale Gewaltenteilung zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten 574 . Artt. I—III der Bundesverfassung der Vereinigten Staaten regeln die Kompetenzen der Legislative (Art. I), Exekutive (Art. II) und Judikative (Art. III) nicht nur im Verhältnis zueinander zum Zweck horiziontaler Gewaltenteilung, sondern definieren darüber hinaus auch ihre Zuständigkeiten gegenüber den Einzelstaaten im Sinne vertikaler Gewaltenteilung. Gemäß Art. III See. 2, der die Kompetenzen der Bundesgerichte umschreibt, also des „one supreme Court" und der „such inferior Courts as the Congress may from time to time ordain and establish" (Art. III See. 1), erstreckt sich die Justizgewalt des Bundes u. a. auf Streitigkeiten zwischen Bürgern verschiedener Einzelstaaten, sog. diversity jurisdiction, und auf solche Klagen, in denen um die Anwendung eines Bundesgesetzes oder der Verfassung selbst gestritten

jurisdiction of the subject matter, the court shall dismiss the action" (Hervorhebung hinzugefügt). 572 Rubin, 28 UCLA L. Rev. 478, 516; ähnlich Neirbo Co. v. Bethlehem Shipbuilding Corp., Ltd., 308 U.S. 165, 167 (1939): „The jurisdiction of the federal courts [...] is a grant of authority to them by Congress and thus beyond the scope of litigants to confer" (Frankfurter, J.); Freytag v. Commissioner of Internal Revenue, 501 U.S. 868, 896 f. (1991) (Scalia, J., dissenting); James/Hazard/Leubsdorf, Civil Procedure, S. 70; Wright & Miller, Practice and Procedure: Civil 2d § 1350, S. 204 f. 573 So aber United States Catholic Conference v. Abortion Rights Mobilization, Inc., 487 U.S. 72, 77 (1988): „The distinction between subject-matter jurisdiction and waivable defenses is not a mere nicety of legal metaphysics. It rests instead on the central principle of a free society that courts have finite bounds of authority, some of constitutional origin, which exist to protect the citizens ..." (Kennedy, J.); genauso Solimine, 25 Cornell Int'l L.J. 51, 66 574 In diese Richtung Insurance Corp. of Ireland, Ltd. v. Compagnie des Bauxites de Guinee, 456 U.S. 694, 702 (1982): „Subject-matter jurisdiction, then, [...] functions as a restriction on federal power" (White, J.); Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 12.

180

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

wird, federal question jurisdiction 575 . Auf der Grundlage der zu Art. III See. 2 der Verfassung erlassenen Bundesgesetze hat sich ein relativ kompliziertes System ausschließlicher und konkurrierender Bundeszuständigkeiten entwickelt, das die Gewaltenteilungsproblematik einer differenzierten Lösung zuführt. Der Umfang der subject matter jurisdiction der Bundesgerichte ist also in seinen Grundzügen durch die Verfassung festgelegt, die nicht nur eine sachgerechte Aufgabenverteilung unter den verschiedenen Spruchkörpern, sondern vor allem auch die Abgrenzung und Begrenzung der Bundeszuständigkeiten gegenüber denjenigen der Einzelstaaten gewährleisten will. Aus dieser Funktion der subject matter jurisdiction folgt ohne weiteres die Indisponibilität der Materie gegenüber Parteivereinbarungen.

2. Dispositionen

über Territorial

Jurisdiction

und

Venue

Dispositionen über die territoriale und solche über die örtliche Zuständigkeit werden in der amerikanischen Rechtsprechung nicht voneinander geschieden, sondern nach einheitlichen Grundsätzen behandelt576. Tatsächlich enthält eine Gerichtsstandsvereinbarung in den meisten Fällen Verfügungen sowohl über die territoriale Zuständigkeit einer bestimmten Jurisdiktion als auch über die örtliche Zuständigkeit der Gerichte innerhalb dieser Jurisdiktion 577. Die für Gerichtsstandsvereinbarungen typische und für die Zulässigkeitsproblematik entscheidende Verschiebung prozessualer Vorteile und Lasten beruht jedoch in aller Regel bereits auf der Modifikation der territorialen Zuständigkeit, also der Stipulation, daß allein die Gerichte eines bestimmten Bundesstaates der USA oder einer ausländischen Nation zur Entscheidung über die Sache kompetent sein sollen.

5 7 5 Art. III See. 2: „The judicial Power shall extend to all Cases, in Law and Equity, arising under this Constitution, the Laws of the United States, and [...] to Controversies [...] between the Citizens of different States ..." 5 7 6 Vgl. die Zusammenstellung der Möglichkeiten in Weidner Communications, Inc. v. Prince Bandar al Faisal, 859 F.2d, 1302, 1305 f. (7th Cir. 1988); Lederman, 66 N.Y.U. L. Rev. 422, 432 ff.; Mullenix, 57 Fordham L. Rev., 291, 322 ff. Für Anknüpfung an die örtliche Zuständigkeit Stewart Organization, Inc., v. Ricoh Corp., 487 U.S. 22, 24 ff. (1988); Plum Tree, Inc. v. Stockment, 488 F.2d 754, 756 ff. (3rd Cir. 1973); Bense v. Interstate Battery System of America, Inc., 683 F.2d 718, 720 (2nd Cir. 1982); Shute v. Carnival Cruise Lines, 897 F.2d 377, 387 f. (9th. Cir. 1990); für Anknüpfung an die territoriale personal jurisdiction Weidner Communications, Inc. v. Prince Bandar al Faisal, 859 F.2d, 1302, 1305 f. (7th Cir. 1988); für beides A. I. Credit Corp. v. Liebman, 791 F.Supp. 427, 429 ff. (S.D.N.Y. 1992); für die gesetzliche Kreation einer „Zapata-Motion", mit der die Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung geltend gemacht werden kann Lederman, 66 N.Y.U. L. Rev. 422, 435 mit Fn. 78, 447. Vgl. auch Heiser, 45 Fla. L. Rev. 553, 563 ff.; Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 62, 79. 5 7 7 So ausdrücklich in dem Fall A. I. Credit Corp. v. Liebman, 791 F.Supp. 427, 428 (S.D.N.Y. 1992).

G. Vertragsfreiheit

a) Die Non-Ouster-Doktrin

im U.S.-amerikanischen

als

Zivilprozeßrecht

181

Ausgangspunkt

Die ältere Rechtsprechung stand Gerichtsstandsklauseln gänzlich ablehnend gegenüber und bekannte sich zur sog. „non-ouster" Doktrin, nach der den Parteien nicht die Macht zukommt, die Jurisdiktionsgewalt des Gerichts auszuschließen578: „Agreements in advance to oust the courts of the jurisdiction conferred by law are illegal and void" 579. Wie in diesem Satz bereits anklingt, beschränkte sich diese strikte Haltung allein auf antizipierte, also vor der Entstehung der Streitigkeit abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarungen. Einer nachträglichen Gerichtswahl kann die Zulässigkeit bereits deshalb nicht abgesprochen werden, weil Fed.R.Civ.P. 12 (h) (1) die nicht rechtzeitige Geltendmachung eines Mangels der territorialen und örtlichen Zuständigkeit als Verzicht auf diese Einrede behandelt mit der Folge, daß der Fehler geheilt ist und damit ggfs. ein an sich inkompetentes Gericht zuständig wird. Die Regeln über personal jurisdiction und venue sind demnach verzichtbare „personal privileges" 580, über die eine Partei jedenfalls nach Entstehen der Streitigkeit disponieren kann, indem sie den Zuständigkeitsmangel nicht rügt oder eine vertragliche Bindung hinsichtlich der Zuständigkeit eines bestimmten Forums eingeht581. Folgerichtig hat der Supreme Court der Vereinigten Staaten bereits in seiner älteren Rechtsprechung Klauseln in Kreditverträgen akzeptiert, mit 5 7 8 Die grandlegenden Fälle sind Nute v. Hamilton Mutual Insurance Co., 72 Mass. (6 Gray) 174, 181 ff. (Mass. 1856); Home Insurance Company v. Morse, 78 U.S. (20 Wall) 445, 451 (1874); Nashua River Paper Co. v. Hammermill Paper Co., 223 Mass. 8, 19; 111 N.E. 678, 679 ff. (1916) m. vielen w. Nachw. Einen Überblick über das ältere case law geben Gilbert, 65 Ky. L.J. 1, 7 ff.; Lederman, 66 N.Y.U. L. Rev. 422, 427 ff.; Reese, 13 Am. J. Comp. L. 187, 188; M/S Bremen and Unterweser Reederei GmbH v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 9 f. Fn. 10 (1972) mit vielen w. Nachw.; Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 65 ff. 579 Insurance Company v. Morse, 87 U.S. (20 Wall) 445, 451 (1874). Die Unzulässigkeit von Zuständigkeitsderogationen wurde zum Teil auch mit der Indisponibilität der vom Gericht zu gewährenden „remedies" - im Gegensatz zu den der Privatautonomie unterliegenden „rights" - begründet; vgl. Nute v. Hamilton Mutual Insurance Co., 72 Mass. (6 Gray) 174, 181 (Mass. 1856); Home Insurance Company v. Morse, 87 U.S. (20 Wall) 445, 452 f. (1874). 580 Neirbo Co. v. Bethlehem Shipbuilding Corp., Ltd., 308 U.S. 165, 168 (1939). Genauso Hoffman v. Behimer, 363 U.S. 335, 343, 359 f. (1960); Leroy v. Great Western United Corp., 443 U.S. 173, 180 (1979); General Contracting & Trading Co., LLC v. Transamerican Steamship Corp., 940 F.2d 20, 22 (1st Cir. 1991). 581 General Contracting & Trading Co., LLC v. Transamerican Steamship Corp., 940 F.2d 20, 23 (1st Cir. 1991); Gitler v. Russian Co., 108 N.Y.S. 793, 794 f. (N.Y. App. Div. 1908). Die Disposition durch „waiver" (Verzicht) oder „forfeiture" (Verwirkung) bezieht sich stets auf ein bereits entstandenes prozessuales Recht und ist selbst im Bereich des Strafbzw. Strafprozeßrechts möglich (vgl. etwa zum sog. plea bargain Brady v. United States, 397 U.S. 742, 747 f. (1969); Bodenkircher v. Hayes, 434 U.S. 357, 361 f. (1978); Town of Newton v. Rumery, 480 U.S. 386, 393 (1986)). Die antizipierte Verfügung über zivilprozessuale Rechte wird dagegen von der amerikanischen Lehre - wie auch der deutschen - als „contract" (Vertrag) rekonstruiert. Vgl. dazu neben der oben zitierten Entscheidung ausführlich Rubin, 28 UCLA L. Rev. 478, 512 ff.; weiter Solimine, 25 Cornell Int'l L.J. 51, 80 f.

182

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

denen der Schuldner einwilligte, daß eine eventuelle Klage einer mit dem Gläubiger verbundenen, in einer bestimmten Jurisdiktion wohnenden Person als seinem Vertreter zugestellt werde, um damit quasi auf vertraglichem Weg die Voraussetzungen der personal Jurisdiction zu schaffen582. Darüber hinaus soll es sogar zulässig sein, daß der Gläubiger dazu ermächtigt wird, ohne vorherige Benachrichtigung des Schuldners für diesen einen Anwalt zu bestellen, der dann vor Gericht sämtliche klagebegründenden Tatsachen zugesteht, so daß ein Anerkenntnisurteil ergehen kann583. b) Die Bremen-Entscheidung

als

Wendepunkt

Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, daß die non-ousterRegel in der jüngeren Rechtsprechung als Leerformel und das zu ihrer Stützung vorgebrachte Argument, Gerichtsstandsvereinbarungen verstießen gegen die „public policy", also das Allgemeininteresse, als petitio principii entlarvt worden ist. Bereits in einer viel beachteten concurring opinion aus dem Jahr 1949 hatte der Bundesrichter Learned Hand offen ausgesprochen, es gebe kein „absolute taboo" gegen antizipierte Gerichtsstandsvereinbarungen; für ihre Verbindlichkeit komme es allein auf die Angemessenheit (reasonableness) der vertraglichen Regelung an584. Diesen Überlegungen hat sich der Supreme Court der Vereinigten Staaten 1972 in der grundlegenden Entscheidung M/S Bremen and Unterweser Reederei GmbH v. Zapata OffShore Company angeschlossen und damit das amerikanische Zivilprozeßrecht für Gerichtsstandsvereinbarungen grundsätzlich geöffnet585. In dem zugrunde liegenden Fall hatte sich eine deutsche Reederei gegenüber einer texanischen Olgesellschaft vertraglich dazu verpflichtet, eine im Golf von Mexiko stationierte Olbohrplattform bis in die Adria zu schleppen, wobei für eventuelle Streitigkeiten London als Gerichtsstand bestimmt wurde. Der Konvoi geriet dann bereits im Golf von Mexiko in einen schweren Sturm, in dem die Plattform so erheblich beschädigt wurde, daß der Hafen von Tampa im Bundesstaat Florida angelaufen werden mußte, wo Zapata eine Schadensersatzklage erhob. Im Gegensatz zum Berufungsgericht586 folgte der Supreme Court der vertraglichen Gerichtswahl zugunsten der Londoner Gerichte, National Equipment Rental, Ltd. v. Szukhent, 375 U.S. 311, 315 ff. (1963). Zu diesen sog. cognovit-clauses Overmeyer Co., Inc. v. Frick Co., 405 U.S. 174, 185 ff. (1972); Swarb v. Lennox, 405 U.S. 191, 200 f. (1972); Atlantic Leasing & Financial, Inc. v. IPM Technology, Inc., 885 F.2d 188, 191 f. (4th Cir. 1989); eingehend zum ganzen Hopson, 29 U. Chi. L. Rev. 111. 584 Krenger v. Pennsylvania Railroad Co., 174 F.2d 556, 560 f. (2nd Cir. 1949) (Hand, CJ, concurring); genauso auch W. M. H. Muller & Co. v. Swedish American Line, LTD, 224 F.2d 806, 808 (2nd Cir. 1955); Ehrenzweig, Conflict of Laws, S. 146 ff. 585 M/S Bremen and Unterweser Reederei GmbH v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 8 ff. (1972); dazu Gilbert, 65 Ky. L.J. 1, 24 ff.; Peterson, IPRax 1993, 421 f.; Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 70 ff.; Sandrock, FS Stiefel, S. 625, 632 ff. 586 Die Entscheidungen sind abgedruckt in 428 F.2d 888 und 446 F.2d 907 (5th Cir. 1969). 582

583

G. Vertragsfreiheit im U.S.-amerikanischen

Zivilprozeßrecht

183

weil die alte non-ouster-Doktrin Ausdruck provinziellen Denkens sei, das den Anforderungen des modernen internationalen Handelsverkehrs nicht gerecht werde587. Die Vereinigten Staaten könnten nicht zugleich mit anderen Nationen Handel treiben wollen und gleichzeitig darauf bestehen, alle Streitigkeiten nur von heimischen Gerichten entscheiden zu lassen. Zudem handele es sich hier um eine von erfahrenen Kaufleuten ausgehandelte Vereinbarung, die den von der beklagten Reederei für ihre Dienste geforderten Preis beeinflußt habe. Ein gerichtlicher Eingriff in das vertragliche Aquivalenzverhältnis komme nicht Betracht, weil der Beklagten die Prozeßführung vor den als neutral und sachkompetent bekannten englischen Gerichten ohne weiteres zuzumuten sei. Von Rechtsschutzverweigerung könne unter diesen Umständen trotz Derogation der Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte keine Rede sein. Obwohl die Bremen-Entscheidung die Wende zu einem liberaleren Gerichtswahlrecht markiert, war ihre Bindungswirkung im technischen Sinn auf einen äußerst kleinen Bereich beschränkt, nämlich auf Gerichtsstandsvereinbarungen, die von Kaufleuten, im internationalen Handelsverkehr im Bereich des Seerechts (admiralty law) geschlossen wurden. Gleichwohl ging der Trend weiter in Richtung Liberalisierung, denn die Instanzgerichte begannen sofort, die Grundsätze der Bremen-Entscheidung über das Seerecht und den internationalen Handelsverkehr hinaus auf den inneramerikanischen Rechtsverkehr zu erstrecken588. Der Erfolg des neuen Paradigmas wurde nicht zuletzt durch seine Aufnahme in das Restatement of the Law bestätigt, das sich den „reasonableness"-Test ausdrücklich zu eigen machte589. Andererseits blieb eben dieses Kriterium in hohem Maße ambivalent, weil es sowohl die prozeßrechtliche Gewährleistung einer für die Parteien und für Zeugen angemessenen Gerichtswahl ähnlich der Lehre vom forum non conveniens als auch genuin vertragsrechtliche Elemente der „Richtigkeitsgewähr" in sich vereinte und darüber hinaus dazu dienen sollte, materiell-rechtliche Restriktionen der Privatautonomie in das Prozeßrecht hinein zu verlängern590. Eine Gerichtsstandsvereinbarung soll „unreasonable" und damit 587 M/S Bremen and Unterweser Reederei GmbH v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 10 ff. (1972). 588 Berne v. Interstate Battery System of America, Inc., 683 F.2d 718, 720 ff. (2nd Cir. 1982); Hodes v. S.N.C. Achille Lauro et Altrigestione, 858 F.2d 905, 909 ff. (3rd Cir. 1988); Royal Bed and Spring Co., Inc. v. Famossul Industria, 906 F.2d 45, 48 ff. (1st Cir. 1990); Northwestern National Insurance Co. v. Donovan, 916 F.2d 372, 375 ff. (7th Cir. 1990); Bonny v. Society of Lloyd's, 3 F3d 156, 159 ff. (7th Cir. 1993); Full-Sight Contact Lens Corp. v. Soft Lenses, Inc., 466 F.Supp. 71, 73 ff. (S.D.N.Y. 1978); Ritchie v. Carvel Corp., 714 F. Supp. 700, 702 ff. (S.D.N.Y. 1989); A. I. Credit Corp. v. Liehman, 791 F.Supp. 427, 430 ff. (S.D.N.Y. 1992). 589 Restatement of the Law, 2nd, Conflict of Laws, Sec. 80: „The parties' agreement as to the place of the action cannot oust a state of judicial jurisdiction, but such an agreement will be given effect unless it is unfair or unreasonable". 590 Vgl. besonders deutlich Bonny v. Society of Lloyd's, 3 F3d 156, 160 (7th Cir. 1993).

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

unbeachtlich sein, wenn einer von drei ganz unterschiedlichen Tatbeständen vorliegt, wenn nämlich entweder (1) die Zustimmung des Gegners durch Täuschung, Drohung, Gewalt oder durch ein schwerwiegendes Ungleichgewicht an Verhandlungsstärke erzwungen wurde; oder (2) der Verweis an das prorogierte Gericht de facto einer Rechtsschutzverweigerung gleichkäme, weil der Partei nicht zugemutet werden kann, sich vor diesem Gericht gegen die Klage zu verteidigen; oder (3) die Gerichtsstandsvereinbarung einer „public policy", also dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung zwingender Normen des materiellen Rechts zuwider läuft. Unter diesen Prämissen blieb zunächst offen, wie auf der Grundlage des reasonableness-Tests ein Fall zu entscheiden wäre, in dem ein Gerichtsort vereinbart wurde, der zwar nicht unangemessen im Sinne der forum non conveniens-Lehre ist, die Gerichtsstandsvereinbarung jedoch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffen wird, die ein Unternehmen im Verkehr mit dem Verbraucher einsetzt.

c) Gerichtsstandsvereinbarungen mit dem Verbraucher

im

Rechtsverkehr

Die eben beschriebene Konstellation lag dem Supreme Court im Jahr 1991 in Gestalt des Falls Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute zur Entscheidung vor 591 . Ein aus dem Bundesstaat Washington stammendes Ehepaar hatte eine Kreuzfahrt entlang der Pazifikküste Mexikos gebucht, deren Start- und Zielhafen Los Angeles war. Während einer offiziellen Besichtigungstour durch das Schiff rutschte die Klägerin in der Kombüse auf einer feuchten Matte aus und erlitt erhebliche Verletzungen. Gegen die in ihrem Heimatstaat erhobene Schadensersatzklage verteidigte sich die in Miami ansässige Kreuzfahrtlinie mit dem Hinweis, auf der Rückseite der Tickets seien ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen abgedruckt gewesen, die u. a. eine Klausel enthielten, nach der für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Kreuzfahrt ausschließlich Gerichte in dem Bundesstaat Florida zuständig sein sollten. Das Berufungsgericht hielt diese Gerichtsstandsvereinbarung mit Blick auf die in der Bremen-Entscheidung aufgestellten Kriterien für unwirksam, weil sie nicht individuell ausgehandelt worden sei und die Verweisung der Klägerin an ein die Weite eines ganzen Kontinents entferntes Gericht einer Rechtsschutzverweigerung gleich käme 592. Die große Mehrheit des U.S. Supreme Court vertrat den gegenteiligen Standpunkt und hielt die Gerichtsstandsklausel mit der Begründung aufrecht, sie schaffe Rechtssicherheit für beide Parteien, die Beklagte habe ein berechtigtes Interesse an der Konzentration sämtlicher Verfahren an ihrem Geschäftssitz in Florida und der damit erzielte Rationalisierungsvorteil komme über einen entsprechend günstigeren Preis

591 592

499 U.S. 585 (1991). Shute v. Carnival Cruise Lines, 897 F.2d 377, 387 f. (1990).

G. Vertragsfreiheit

im U.S.-amerikanischen

Zivilprozeßrecht

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für die Kreuzfahrt wieder dem Passagier zugute 593 . Diese Entscheidung ist in der Literatur auf nahezu einhellige Ablehnung gestoßen 594 . d)

Stellungnahme

Tatsächlich ist die Entwicklung des amerikanischen Rechts insoweit ein Lehrstück, als sie die Schwierigkeiten und Gefahren deutlich hervortreten läßt, die durch eine Vermischung prozessualer und vertragsrechtlicher Gesichtspunkte in einem einzigen Amalgam - der „reasonableness" - verursacht werden. Die vor der Bremen-Entscheidung herrschende non-ouster-Doktrin appellierte zwar an das Allgemeininteresse, konnte dieses aber nicht konkret benennen und war in Wahrheit ursprünglich wohl dadurch motiviert, daß die englischen Richter von den Parteien bezahlt wurden und deshalb nicht geneigt waren, lukrative Fälle an konkurrierende Gerichte abzugeben 595 . Die alte Lehre wollte dementsprechend auch nur die Derogation, nicht aber die Prorogation einschränken 596 . Obwohl diese pekuniäre Motivation in den USA nie eine Rolle gespielt hatte, blieb es bei dem Verbot von Gerichtsstandsvereinbarungen, weil zwischenzeitlich erkannt worden war, daß ihre eigentliche Problematik in der Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit liegt. Genauso wie in Deutschland fanden sich Gerichtsstandsvereinbarungen nämlich vor allem in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Unternehmen, die sie auch gegenüber Verbrauchern durchzusetzen suchten 597 . So gesehen ist es kein Wunder, daß der Supreme Court seine ablehnende Haltung gegenüber solchen Dispositionen erstmals in einem Fall lockerte, in dem es um eine internationale Vereinbarung ging, die von erfahrenen Kaufleuten individuell ausgehandelt worden war. Die in der ZJreraew-Entscheidung und ihren Epigonen propagierte reasonableness-Doktrin krankt jedoch daran, daß sie Anforderungen an den Inhalt der Vereinbarung, die der prozessualen forum-non-conveniens-Lehre nahe kommen, mit den auf die Sicherung von Privatautonomie bedachten Grundregeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre vermengt und die dadurch hergestellte Gemengelage durch einen materiell-rechtlichen Vorbehalt der public policy um noch einen weiteren Gesichtspunkt anreichert. Resultat dieser Vorgehensweise ist ein WirksamCarnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S. 585, 593 f. (1991). Goldman, 86 Nw. U. L. Rev. 700; Heiser, 45 Fla. L. Rev. 553; Liesemer, 53 U. Pitt. L. Rev. 1025; Mullenix, 27 Tex. Int'l L.J. 323; Purcell, 40 UCLA L. Rev. 423; Solimine, 25 Cornell Int'l L.J. 51; vgl. auch Jayme, IPRax 1993, 42 f.; Peterson, IPRax 1993, 421, 424 f.; Schack, Einführung, S. 32. 595 Reese, 13 Am. J. Comp. L. 187, 188 f., der sich insoweit auf Learned Hand als Gewährsmann beruft. 596 Gilbert, 65 Ky. L.J. 1, 5 ff.; Reese, 13 Am. J. Comp. L. 187; Solimine, 25 Cornell Int'l L.J. 51, 54. 597 Ehrenzweig, Conflict of Laws, S. 147 f.; zum Parallelproblem im internationalen Privatrecht, wo die Freiheit der Parteien zur Wahl des ihren Vertrag bestimmenden Rechts immer dann in Frage gestellt worden ist, wenn der Sachverhalt einen Vertragsschluß unter Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, insbesondere im Verkehr mit dem Verbraucher (contracts of adhesion) betraf, Ehrenzweig, 53 Col. L. Rev. 1072, 1076 ff. 593 594

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

keitstest für Gerichtsstandsvereinbarungen, der zwischen öffentlichen Interessen, prozessualen Forderungen an den Inhalt der Klausel und den allgemeinen Sicherungen der Rechtsgeschäftslehre nicht mehr unterscheiden kann 59S . Nur so läßt es sich erklären, daß der Supreme Court in Carnival Cruise Lines eine Gerichtsstands"vereinbarung" zu honorieren gewillt war, die nach einfachsten und grundlegensten Prinzipien des allgemeinen Vertragsrechts gar nicht wirksam zustandegekommen war. Das Gericht erledigt diese Gesichtspunkte mit dem Hinweis, die Klägerin habe eingeräumt, von der Klausel Kenntnis gehabt zu haben 599 . Tatsächlich befand sie sich auf der Rückseite des entsprechenden Tickets, das die beklagte Kreuzfahrtlinie erst ausgestellt und der Klägerin übersandt hatte, nachdem letztere die Reise gebucht und den Reisepreis bezahlt hatte 600 . Darüber noch hinausgehend hat ein Berufungsgericht in einem ganz ähnlich gelagerten Fall selbst solche Vertragsbestimmungen akzeptiert, die auf einem Ticket abgedruckt waren, das den Passagieren erst ausgehändigt wurde, nachdem sie bereits von New York nach Genua geflogen und gerade im Begriff waren, das Kreuzfahrtschiff zu besteigen601. Nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen werden Allgemeine Geschäftsbedingungen, die ein Teil der anderen Partei erst nach Geschäftsabschluß zukommen läßt, aber gerade nicht Vertragsbestandteil602. In dem Fall Carnival Cruise Lines lag in Wahrheit also gar keine Gerichtsstandsvereinbarung vor; eine Zulässigkeitsprüfung war nicht erforderlich603. Es handelte sich um einen „easy case", der unter Anwendung einfachster vertragsrechtlicher Regeln zu entscheiden war 604 , deren Vernachlässigung durch den Supreme Court sich mit der ambivalenten Fassung des reasonablenessTests in der Bremen-Entscheidung allerdings erklären läßt. Bleibendes Verdienst des Urteils in Carnival Cruise Lines ist es zwar, nunmehr auch für den Rechtsverkehr mit Verbrauchern innerhalb der USA klargestellt zu haben, daß der Wirksamkeit von Gerichtsstandsklauseln öffentliche Interessen nicht In diese Richtung auch die Kritik von Stempel, 65 Tul. L. Rev. 1377, 1388 f. Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S. 585, 590 (1991): „Second, we do not address the question whether respondents had sufficient notice of the forum clause before entering the contract for passage. Respondents essentially have conceded that they had notice of the forum-selection provision". 600 Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S. 585, 587 (1991); vgl. auch die Sachverhaltsschilderung in Shute v. Carnival Cruise Lines, 897 F.2d 377, 379 f. (1990). 601 Hodes v. S.N.C. Achille Lauro et Altrigestione, 858 F.2d 905, 909 ff. (3rd Cir. 1988). 6 0 2 Vgl. für das deutsche Recht Palandt-Heinrichs, § 2 A G B G Rdnr. 6; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 2 Rdnr. 34; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 2 Rdnr. 36.; insoweit wohl übereinstimmend auch MünchKommBGB-Jfötz, § 2 AGBG Rdnr. 7; speziell zum Fall von Klauseln auf Flugtickets LG Berlin, NJW 1982, 343, 344. 603 So auch die Entscheidung Northwestern National Insurance v. Donovan, 916 F.2d 372, 376 (7th Cir. 1990), die vom Supreme Court zustimmend zitiert wird, obwohl Judge Posner dort mit Blick auf die Berufungsentscheidung in Carnival Cuise Lines ausführt, die forum selection clause sei in diesem Fall unbeachtlich, weil sie der Kundin erst nach Vertragsschluß mitgeteilt wurde. 6 0 4 So auch Purcell, 40 UCLA L. Rev. 423, 438 f.; vgl. auch den Titel der Arbeit von Mullenix: „Another Easy Case, Some More Bad Law...", 27 Tex. Int'l L.J. 323. 598 599

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entgegenstehen 605 . Leider hat das Gericht jedoch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, weil es übersehen hat, daß auf die Einhaltung elementarer Sicherungen der Privatautonomie auch bei Gerichtsstandsvereinbarungen nicht verzichtet werden kann 606 . Aus vertragsrechtlicher Perspektive ist die Entscheidung des Supreme Court aber nicht nur deshalb defizitär, weil sie die rechtsgeschäftlichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung der Klausel mißachtet, sondern auch wegen ihres Verzichts auf eine Inhaltskontrolle der konkreten Gerichtsstandsvereinbarung. Das Gericht erledigt diese Prüfung mit dem aus dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hinreichend bekannten sog. Preisargument 607 , nach dem der Kunde an den durch die Klausel ermöglichten Rationalisierungsvorteilen des Verwenders in Gestalt eines niedrigeren Preises partizipiert 608 . Während diese Überlegung auf individuell ausgehandelte Vertragsbestimmungen zutrifft und damit eine Begründung für den Satz „pacta sunt servanda" liefert, gilt sie beim Vertragsschluß durch Allgemeine Geschäftsbedingungen gerade nicht 609 . Weil der Verbraucher typischerweise nicht dazu in der Lage ist, die Regelungen verschiedener Anbieter miteinander zu vergleichen - und dies im Hinblick auf die Kosten eines solchen Unterfangens auch gar nicht erst versuchen sollte - fällt der Wettbewerbsmechanismus bei diesen Klauseln aus. Der maßgebende Indikator für den Wettbewerb auf dem jeweiligen Markt ist der Produktpreis, wodurch der Anbieter gezwungen wird, jedwede Klausel zu adoptieren, die ihm einen noch so geringen Kostenvorteil bringt, ohne Rücksicht darauf, ob der Kunde bereit wäre, für eine ihm günstigere Vertragsgestaltung einen die zusätzlichen Kosten des Verwenders übersteigenden höheren Preis zu zahlen. So wird beispielsweise der Wettbewerb auf dem Markt für Kreuzfahrten den einzelnen 605 Vgl. aber Mullenix, 57 Fordham L. Rev. 291, 331 f., 366 ff., die antizipierte Dispositionen über die Gerichtszuständigkeit nicht zulassen will und damit wieder zu der überwundenen non-ouster-Doktrin zurückkehrt. 606 Ein Gegenbeispiel, in der die beiden Aspekte deutlich auseinandergehalten werden, ist die Entscheidung Northwestern National Insurance v. Donovan, 916 F.2d 372, 374 ff. (7th Cir. 1990) (Posner, J.). Vgl. auch den wahrhaft makabren Fall Weidner Communications, Inc. v. Prince Bandar al Faisal, 859 F.2d, 1302 (7th Cir. 1988), in der dem Geschäftsführer der Klägerin bei einem Besuch in Saudi Arabien von dem Beklagten neben der Einwilligung in eine drastische Reduktion des Vertragspreises auch die Zustimmung zur Prorogation auf die saudi-arabischen Gerichte abgepreßt wurde, indem ihm vorher auf dem Marktplatz von Riaydh die Enthauptung von drei mutmaßlichen Straftätern vorgeführt wurde, um ihm anschließend zu bedeuten, aufgrund seiner - des Beklagten - Beziehungen zum Königshaus könnte ihm - dem Repräsentanten der Klägerin - ähnliches passieren. Das Gericht weigerte sich natürlich, diese Gerichtsstandsvereinbarung zu akzeptieren, a.a.O., S. 1309 f. 607 Vgl. dazu bereits oben, S. 150 mit Fn. 438. 608 Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S. 585, 594 (1991); genauso auch Northwestern National Insurance v. Donovan, 916 F.2d 372, 377 f. (7th Cir. 1990). 609 Zur „richtigen" ökonomischen Analyse von Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute ausführlich Goldman, 86 Nw. U. L. Rev. 700, 716 ff.; wenig ergiebig hingegen Scheibel, RIW 1995, 197, 200 f.; vgl. allgemein oben, F I, S. 127 f.; F II 4 b dd bbb, S. 150.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

Veranstalter dazu zwingen, im Interesse der Kostenminimierung den Ort seines Sitzes als Gerichtsstand festzuschreiben, obwohl dem Kunden dadurch u. U. Nachteile zugefügt werden, die die Einsparungen des Veranstalters weit übersteigen. Diese schlechthin für Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltenden Überlegungen hätten auch in dem Fall Carnival Cruise Lines eine Inhaltskontrolle der Gerichtsstandsvereinbarung erfordert, die die dissenting opinion mit Recht angemahnt hat 610 . Wie problematisch die von der Kreuzfahrtlinie gewählte Vertragsgestaltung ist, wird in einem Parallelfall besonders deutlich, in dem 238 Kläger von derselben Gesellschaft Schadensersatz verlangten, nachdem das Schiff trotz einer Sturmwarnung ausgelaufen war und zahlreiche Passagiere in dem kurze Zeit später einsetzenden Unwetter verletzt worden waren. Obwohl die große Mehrzahl der Verletzten aus Kalifornien und anderen westlichen Bundesstaaten der USA stammte, kein einziger in Florida wohnte und Start- wie Endpunkt der Reise wiederum Los Angeles war, hob der U.S. Supreme Court das Urteil eines kalifornischen Berufungsgerichts auf, das die Gerichtsstandsvereinbarung wegen deren Unangemessenheit mißachtet hatte 611 . Mag auch die Wertung des deutschen Rechts, das derartige Vereinbarungen im internen Rechtsverkehr mit dem Verbraucher in § 38 ZPO fast gänzlich verbietet, über das Ziel hinausschießen 612, so spricht doch viel dafür, daß der U.S.-Supreme Court in seiner jüngeren Rechtsprechung zu großzügig verfährt und der Vertragsgerechtigkeit bei Gerichtsstandsvereinbarungen zu wenig Beachtung beimißt. Wie bereits kurz angesprochen, enthält der in der Bremen-Entscheidung zugrunde gelegte reasonableness-Test über die auf Vertragsgerechtigkeit und forum non conveniens bezogenen Kriterien hinaus noch eine dritte Prüfungsstufe, nämlich die Vereinbarkeit der Zuständigkeitsabrede mit der „public policy". Diese Voraussetzung spielt in dem sogleich zu erörternden Schiedsrecht eine zentrale Rolle 613 , ist aber auch bei Gerichtsstandsvereinbarungen beachtlich. Grundlegend sind insoweit zwei Entscheidungen in Fällen, in denen Eisenbahnengesellschaften versuchten, ihre strikte Haftung 610 Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S. 585, 600 (1991) (Stevens, J., dissenting); genauso bereits das Berufungsurteil Shute v. Carnival Cruise Lines, 897 F.2d 377, 388 f. (1990); sowie der Parallelfall Carnival Cruise Lines v. Superior Court, 222 Cal.App.3d 1548, 1555 f., 272 Cal.Rptr. 515, 520 (Cal. Ct. App. 1990). Gegen eine Invalidierung von Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber Konsumenten hingegen Hodes V. S.N.C. Achille Lauro et Altrigestione, 858 F.2d 905, 913 (3rd Cir. 1988); vgl. auch Northwestern National Insurance Co. v. Donovan, 916 F.2d 372, 377 f. (7th Cir. 1990), wo zwar eine Inhaltskontrolle abgelehnt, jedoch gleichzeitig betont wird, die Beklagten seien „well-to-do individuals (millionaires, in fact...)", die sich immerhin auf ein hoch riskantes Steuersparmodell eingelassen hätten. 611 Vgl. Carnival Cruise Lines v. Superior Court, 111 S. Ct. 1614 (1991); das Berufungsurteil ist Carnival Cruise Lines v. Superior Court, 222 Cal.App3d 1548, 272 Cal.Rptr. 515, 520 (Cal. Ct. App. 1990); zur weiteren Behandlung der Sache siehe 286 Cal.Rptr. 323; vgl. zu diesem Fall auch Peterson, IPRax 1993, 421, 423 f. 6 1 2 Vgl. dazu ausführlich unten, 8. Kapitel, A, S. 560 f. 6 1 3 Vgl. sogleich, unter III 3, S. 193 ff.

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für Arbeitsunfälle nach dem Federal Employers Liability Act (FELA) durch Stipulation solcher Fora abzumildern, die dem geschädigten Arbeitnehmer weniger gewogen waren als die Gerichte in den Zentren New York und Chicago. Sowohl das für New York zuständige Bundes-Berufungsgericht als auch der Supreme Court der Vereinigten Staaten wußten sich nicht anders zu helfen, als diejenige Bestimmung des FELA, die das Gesetz als ius cogens auszeichnet, indem sie Haftungseinschränkungen und -ausschlüße zugunsten des Arbeitgebers ausdrücklich untersagt, unmittelbar auf die Gerichtsstandsklausel anzuwenden 614 . Die abweichenden Meinungen der Richter Hand und Frankfurter stellten demgegenüber mit Recht klar, daß die Wahl eines Forums keine Disposition über zwingendes materielles Haftungsrecht darstellt und deshalb nicht unter Normen subsumiert werden kann, die Freizeichnungsklauseln verbieten 615 . Gleichwohl trifft es zu, daß die 'Wertungen des materiellen Rechts auch für das Prozeßrecht beachtlich sind, was den Supreme Court in der BremenEntscheidung dazu veranlaßt hat, dem reasonable-Test einen „public policy"Vorbehalt einzufügen. Danach sind Gerichtsstandsklauseln im Bereich zwingenden materiellen Rechts nicht schlechthin unwirksam, sondern nur dann im Einzelfall unbeachtlich, wenn das prorogierte Gericht keine Gewähr für die Beachtung solcher Bestimmungen bietet, die nach der einheimischen Rechtsordnung auch im internationalen Rechtsverkehr durchgesetzt werden sollen 616 . Dies entspricht der Rechtslage in Deutschland, nach der eine Derogation der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte unwirksam ist, wenn sie der Umgehung von Normen dient, die dem ordre public zuzurechnen sind 617 . Für den internen Rechtsverkehr läßt sich ein solcher Vorbehalt indessen jedenfalls dann nicht machen, wenn es sich bei der konkreten Norm um eine solche des Bundesrechts handelt, an das sämtliche Gerichte gleichermaßen gebunden sind. Die Ausnutzung regionaler Unterschiede bei der Auslegung einheitlichen Rechts, um die es den EisenbahnGesellschaften in den FELA-Fällen zu tun war, kann kaum einen Verstoß gegen die „public policy" begründen. Die Berufung auf öffentliche Interessen war in dieser Fallgruppe aber auch gar nicht nötig, um die Gerichtsstandsvereinbarung beiseite zu schieben, weil die Eisenbahngesellschaften dem 614 Boyd v. Grand Trunk Western Railroad Co., 338 U.S. 263, 265 (1949); Krenger v. Pennsylvania Railroad Co., 174 F.2d 556, 557 ff. (2nd Cir. 1949); genauso auch Akerly v. New York Central R. Co., 168 F.2d 812, 814 f. (6th Cir. 1948). 615 Boyd v. Grand Trunk Western Railroad Co., 338 U.S. 263, 266 (1949) (Frankfurter, J., dissenting); Krenger v. Pennsylvania Railroad Co., 174 F.2d 556, 562 (2nd Cir. 1949) (Hand, CJ., dissenting); genauso auch Akerly v. New York Central R. Co., 168 F.2d 812, 815 f. (6th Cir. 1948) (Miller, J., dissenting). Vgl. für das deutsche Recht ausführlich oben, E II, S. 106 ff. 616 M/S Bremen and Unterweser Reederei GmbH v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1, 15 f. (1972); vgl. weiter Bonny v. Society of Lloyd's, 3 F3d 156, 160 ff. (7th Cir. 1993). 617 Vgl. dazu unten, 5. Kapitel, C I 3, S. 366. Bei der internen Gerichtsstandsvereinbarung spielt dieser Vorbehalt keine Rolle, weil die deutschen Zivilgerichte in aller Regel dasselbe (Bundes-) Recht anwenden und dabei einheitlichen Grundsätzen folgen.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

regelmäßig schwer verletzten Arbeitnehmer seine Zustimmung abgenötigt hatten, indem sie die Zahlung eines für letzteren lebenswichtigen Vorschusses auf die Entschädigung von seiner Unterschrift unter ein entsprechendes Formular abhängig machten 618 . Damit zeigt sich erneut, daß eine pauschale Invalidierung von Prozeßverträgen im Bereich zwingenden Rechts nicht nur rechtsdogmatisch verfehlt, sondern darüber hinaus auch im Interesse der Vertragsgerechtigkeit nicht geboten ist 619 .

III. 1. Das Erbe des englischen

Schiedsverträge Rechts

Der U.S.-Supreme Court hat den Schiedsvertrag mitunter als Sonderfall der Gerichtsstandsvereinbarung angesprochen 620 . Tatsächlich stimmen Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen zwar nicht in ihrem prorogativen Aspekt, aber immerhin in ihrer derogativen Wirkung überein, indem sie die Zuständigkeit eines nach der Legalordnung kompetenten staatlichen Gerichts ausschließen 621 . Dementsprechend kann es nicht verwundern, daß das common law Schiedsvereinbarungen ursprünglich genauso feindselig gegenüber stand wie der Vereinbarung der Zuständigkeit eines staatlichen Gerichts; im Bereich des Schiedsrechts steht wohl sogar die historische Wiege der non-ouster-Doktrin, nach der es den Parteien nicht zusteht, die an sich bestehende Kompetenz eines staatlichen Gerichts durch Vereinbarung auszuschließen 622 . Obwohl Schiedssprüche in England verbreitet akzeptiert wurden, sollte die Schiedsvereinbarung bis zu seinem Erlaß widerruflich bleiben, so daß einer schiedsunwilligen Partei jederzeit der Weg zum staatlichen Gericht offenstand 623. Das Urteil des House of Lords in Scott v. Avery aus dem Jahr 1856 brachte eine erste Wende in der englischen Rechtspre6 1 8 Vgl. Boyd v. Grand Trunk Western Railroad Co., 338 U.S. 263, 263 f. n. 2 (1949); Krenger v. Pennsylvania Railroad Co., 174 F.2d 556, 557 n. 2, 561 f. (2nd Cir. 1949) (Hand, CJ, dissenting); Akerly v. New York Central R. Co., 168 F.2d 812, 813 (6th Cir. 1948). 6 1 9 Vgl. dazu für das deutsche Recht ausführlich oben, E II, S. 106 ff. 620 Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506, 519 (1974); Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 630 (1985); vgl. auch Gitler v. Russian Co., 108 N.Y.S. 793, 794 (N.Y. App. Div. 1908). 621 Meacham v. Jamestown, F. & C. R. Co., 105 N.E. 653, 655 (N.Y. 1914) (Cardozo, J., concurring); vgl. dazu auch unten, 5. Kapitel, C I 3, S. 360. 6 2 2 Die Formulierung taucht wohl erstmals auf in dem englischen Fall Kill v. Hollister, 95 Engl. Rep. 532 (= 1 Wils K. B. 129) (1746), vgl. weiter die wichtige Entscheidung Scott v. Avery, 10 Engl. Rep. 1121, 1135, 1138 (5 H.L. Cases 811, 845 ff.) (1856); in der Sache grundlegend Vynior's Case, 77 Engl. Rep. 597, 598 f. (= 8 Co. Rep. 81b, 82a) (1609); ausführlich zu historischen Entwicklung vgl. die Schilderung in Kulukundis Shipping Co., S/A v. Amtorg Trading Corp., 126 F.2d 978, 982 ff. (2nd Cir. 1942) (Frank, J.), sowie Sayre, 37 Yale L. J. 595, 598 ff.; Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 272 f. m. w. Nachw. aus der Rechtsprechung der englischen Gerichte; Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 103 ff.; Sandrock, FS Stiefel, S. 625, 642 ff.; Schack, Einführung, S. 85. 6 2 3 So ausdrücklich Vynior's Case, 77 Engl. Rep. 597, 598 f. (= 8 Co. Rep. 81b, 82a) (1609).

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chung, indem es die Entscheidung des Schiedsgerichts als Bedingung für das Entstehen des umstrittenen Anspruchs (condition precedent) rekonstruierte, so daß eine vor Erlaß des Schiedsspruchs erhobene Klage als verfrüht abgewiesen werden konnte 624 . Gleichwohl wurde die non-ouster-Doktrin nochmals bekräftigt und das Schiedsverfahren de facto zu einer Art Vorschaltverfahren degradiert625. Die amerikanischen Gerichte übernahmen die relativ schiedsfeindliche Haltung des englischen common law und rezipierten sowohl die Lehre von der Widerruflichkeit von Schiedsvereinbarungen626 als auch die non-ousterDoktrin 627 , die Cardozo mit den Worten zusammenfaßte: „The jurisdiction of the courts is established by law, and is not to be diminished, any more than it is to be increased, by the convention of the parties" 62S . Die von Scott v. Avery eingeleitete Wendung zur „condition precedent" hat das amerikanische Recht hingegen nicht in vollem Umfang mitvollzogen; vielmehr wurden die Schiedsrichter auf die Klärung von Tatsachen beschränkt, während die Entscheidung über die „general question of liability" den staatlichen Gerichten vorbehalten blieb 629 . Bestimmend für die relativ schiedsfeindliche Haltung sowohl der englischen als auch der amerikanischen Gerichte scheint zum einen wiederum das letztlich pekuniäre Interesse der englischen Richter an der Entscheidung möglichst vieler Fälle gewesen zu sein630, zum anderen und für das amerikanische Recht wichtiger - aber auch die angesichts der in früheren Zeiten erheblichen Unwägbarkeiten des Schiedsverfahrens durchaus Scott V. Avery, 10 Engl. Rep. 1121, 1135 ff. (5 H.L. Cases 811, 845 ff.) (1856). Scott v. Avery, 10 Engl. Rep. 1121, 1135 f. (Lord Chancellor Cranworth), 1138 (Lord Campbell) (5 H.L. Cases 811, 845 f., 853) (1856). 626 Tobey v. County of Bristol, 23 F. Cas. 1313, 1321 (No. 14.065) (C.C.D. Mass. 1845); Oregon & W. Mortgage Savings Bank v. American Mortgage Co., 35 F. 22, 23 (C.C. Or. 1888). 627 Home Insurance Company v. Morse, 20 Wall 445, 450 f. (1874); United States Asphalt Refining Co. v. Trinidad Lake Petroleum Co., 222 F. 1006, 1007 ff (S.D.N.Y. 1915); Gitler v. Russian Co., 108 N.Y.S. 793, 794 (N.Y. App. Div. 1908); Meacham v. Jamestown, F. & C. R. Co., 105 N.E. 653, 656 (N.Y. 1914) (Cardozo, J., concurring). Allgemein zur Entwicklung des amerikanischen Schiedsvertragsrechts Kulukundis Shipping Co., S/A v. Amtorg Trading Corp., 126 F.2d 978, 984 (2nd Cir. 1942) (Frank, J.); Ehrenzweig, Conflict of Laws, S. 153 ff.; Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 273 ff. m. w. Nachw.; Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 106 f.; Sandrock, FS Stiefel, S. 625, 645 f. 628 Meacham v. Jamestown, F. & C. R. Co., 105 N.E. 653, 656 (N.Y. 1914). 629 Hamilton v. Liverpool, London and Globe Insurance Co., 136 U.S. 242, 255 (1890); Red Cross Line v. Atlantic Fruit Co., 264 U.S. 109, 121 (1924). Vgl. auch Kulukundis Shipping Co., S/A v. Amtorg Trading Corp., 126 F.2d 978, 984 (2nd Cir. 1942), sowie die concurring opinion von Cardozo, J., in Meacham v. Jamestown, F. & C. R. Co., 105 N.E. 653, 655 (N.Y. 1914). 630 Vgl. Lord Campbell in Scott v. Avery, 10 Engl. Rep. 1121, 1138 (5 H.L. Cases 811, 853) (1856), der die Ablehnung der Schiedsgerichtsbarkeit so erklärt: „It probably originated in the contests of the different courts in ancient times for extent of jurisdiction, all of them being opposed to anything that would altogether deprive every one of them of jurisdiction". Weitere Nachweise in Kulukundis Shipping Co., S/A v. Amtorg Trading Corp., 126 F.2d 978, 984 n. 16 (2nd Cir. 1942). 624

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berechtigte Sorge um den Schutz vor Übervorteilung im Wege einer Schiedsklausel, also der Gesichtspunkt der Vertragsgerechtigkeit 631 . Damit steht die Entwicklung des common law zum Schiedsrecht erneut im Zeichen einer unentwirrbaren Verquickung publizistischer und genuin privatrechtlicher Regelungsmotive.

2. Der Federal Arbitration Act Die Parlamente sowohl Englands als auch der Vereinigten Staaten standen dem Schiedsvertrag wesentlich positiver gegenüber als die Justiz und versuchten, den traditionellen Widerstand der Richterschaft auf legislativem Weg zu brechen. Eine erste Reaktion des englischen Gesetzgebers erfolgte bereits im Jahr 1698 6 3 2 , blieb aber ohne durchschlagende Wirkung, weil die Verbindlichkeit der Schiedsabrede von einer entsprechenden „rule of court" abhängig gemacht wurde. Dieses und die folgenden Sondergesetze wurden dann durch den Arbitration Act des Jahres 1889 zusammengefaßt 633 . In Amerika machte der Staat New York im Jahre 1920 mit einem einflußreich gewordenen Schiedsrechtsstatut den ersten Schritt 6 3 4 , während die amerikanische Union am 12. Februar 1925 den „Federal Arbitration Act" (FAA) in Kraft setzte 635 . Zweck dieses zuletzt genannten Gesetzes, dessen Geltungsbereich sich auf das Seehandelsrecht („maritime transaction") und den zwischenstaatlichen sowie internationalen Rechtsverkehr („commerce among the several states or with foreign nations . . . " 636 ) beschränkt, war die Herstellung eines für die Schiedsgerichtsbarkeit günstigeren juristischen Klimas. Schiedsvereinbarungen sollten auf dieselbe vertragsrechtliche Grundlage gestellt werden wie jeder andere Kontrakt und insbesondere auch vor Erlaß des Schiedsspruchs nicht mehr frei widerruflich, sondern bindend sein 637 . F A A 631 Vgl. etwa Tobey v. County of Bristol, 23 F. Cas. 1313, 1321 (No. 14.065) (C.C.D. Mass. 1845); Sayre, 37 Yale L.J. 595, 603, 610 ff.; Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 105; eingehend Ehrenzweig, Conflict of Laws, S. 150 ff., der mit Recht darauf hinweist, daß Sir Coke in seinem Bericht über Vynior's Case die Widerruflichkeit der Schiedsvereinbarung u. a. mit der entsprechenden Rechtslage beim Testament begründet, also auf allgemeine Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre zurückgegriffen hatte; vgl. 77 Engl. Rep. 597, 600 (= 8 Co. Rep. 81b, 82a) (1609). In Kill v. Hollister, 95 Engl. Rep. 532 (= 1 Wils K. B. 129) (1746) ist von rechtsgeschäftlichen Überlegungen allerdings nichts mehr zu spüren. 6 3 2 Arbitration Act, 9 Will. 3, ch. 15 (1698); dazu und zur weiteren Entwicklung Sayre, 37 Yale L.J. 595, 605 ff. 6 3 3 Arbitration Act, 52 & 53 Vict. ch. 49 (1889); zuletzt wesentlich geändert im Jahr 1979, 27 & 28 Eliz. 2 ch. 42. 6 3 4 The Arbitration Law of New York, Laws of New York 1920 ch. 275, heute kodifziert in N.Y. Civ. Prac. L & R. §§ 7501 et seq.; vgl. dazu etwa Red Cross Line v. Atlantic Fruit Co., 264 U.S. 109, 118 ff. (1924) (Brandeis, J.). 6 3 5 43 Stat. 883 ff., kodifiziert als Title 9 des U.S.C.A. 6 3 6 Vgl. die Begriffsbestimmungen in Sec. 1 FAA. 637 Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506, 510 f. (1974); Dean Witter Reynolds, Inc. v. Byrd, 470 U.S. 213, 219 (1984) (jeweils m. w. Nachw. aus den Gesetzesmaterialien); Volt

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See. 2 bestimmt demgemäß, ein Schiedsvertrag sei „valid, irrevocable, and enforceable, save upon such grounds as exist at law or in equity for the revocation of any other contract". Diese Wertung wird in den folgenden Bestimmungen umgesetzt, indem der Vertragstreuen Partei das Recht eingeräumt wird, ein unter Verstoß gegen die Schiedsabrede vor einem staatlichen Gericht angestrengtes Verfahren aussetzen zu lassen (stay of proceedings; F A A Sec. 3) sowie eine Anordnung des staatlichen Gerichts zur Durchführung des Schiedsverfahrens zu erlangen (order to compel arbitration; F A A Sec. 4).

3. Inflation und Deflation der Public Policy Exception Obwohl Sec. 2 des F A A die Wirksamkeit eines Schiedsvertrags allein dem allgemeinen Vertragsrecht unterstellt und von Ausnahmen mit Blick auf bestimmte Streitgegenstände weder hier noch sonst die Rede ist, hat es sich die Rechtsprechung stets vorbehalten, die Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands zu prüfen. In der grundlegenden Entscheidung Wilko v. Swan aus dem Jahr 1953 versagte der U.S.-Supreme Court einer Schiedsabrede die Wirksamkeit, die in einem Vermögensverwaltungsvertrag zwischen einem Kunden und einem Börsenmakler bzw. -händler (Broker) enthalten war 638 . Um dieses Ergebnis zu erreichen, subsumierte das Gericht die Schiedsklausel unmittelbar unter eine Vorschrift des Wertpapierhandelsrechts, die letzteres als ius cogens auszeichnete, indem sie vertragliche Haftungsfreizeichnungen und -einschränkungen zugunsten des Börsenhändlers für nichtig erklärte 639 . Die Begründung nahm ausdrücklich auf die ähnliche Rechtsprechung zu Gerichtsstandsvereinbarungen im Bereich des F E L A bezug 640 und stellte heraus, die großzügig zugunsten des Kunden ausgestalteten Gesetzesbestimmungen über die territoriale und örtliche Zuständigkeit würden durch eine Derogation der Zuständigkeit staatlicher Gerichte untergraben. Dem Argument des Berufungsgerichts, das die Schiedsklausel honoriert hatte, die Parteien behielten trotz der zwingenden Ausgestaltung der HaftungsvorschrifInformation Sciences, Inc. v. Board of Trustees of Stanford University, 489 U.S. 468, 474 (1988); Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 24 (1991); Bhatia v. Johnston, 818 F.2d 418, 421 (5th Cir. 1987); Cohen v. Wedbush, Noble, Cooke, Inc., 841 F.2d 282, 285 (9th Cir. 1988); Speidel, Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 168 f. 638 Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 430 ff. (1953); dazu Fletcher, 71 Minn. L. Rev. 393, 404 ff.; Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 178 ff.; Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 286 ff.; Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 516 ff.; Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 112 f.; Sandrock, FS Stiefel, S. 625, 652 f. 639 Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 434 ff. (1953) Einschlägig war See. 14 des Federal Securities Act 1933, 15 U.S.C.A. See. 77 a et seq., der folgenden Wortlaut hat: „Any condition, stipulation, or provision binding any person acquiring any security to waive compliance with any provision of this subchapter or of the rules and regulations of the Commission shall be void". 640 Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 437 (1953) mit Hinweis auf Boyd v. Grand Trunk Western Railroad Co., 338 U.S. 263, 265 (1949); vgl. dazu bereits oben, G II 2 d, S. 188 f. mit Fn. 614 f.

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ten des Securities Act die Freiheit zur Verfügung über den Schadensersatzanspruch, was durch die Zulässigkeit einer vergleichsweisen Einigung bestätigt werde641, begegnete das oberste Gericht mit der Differenzierung zwischen der - zulässigen - Verfügung über einmal entstandene Ansprüche und der - unzulässigen - Vereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit für künftig entstehende Schadensersatzansprüche642. Darüber hinaus stellte der Supreme Court darauf ab, daß der Securities Act um den Schutz des investitionswilligen Kunden bemüht sei und der mit dem Broker geschlossene Vermögensverwaltungsvertrag samt Schiedsklausel typischerweise nicht individuell ausgehandelt werde 643, wie dies gerade auch in dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt der Fall war644. Mit dieser Entscheidung war die Grundlage dafür gelegt, die Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands im Einzelfall gerichtlich zu überprüfen. So setzte sich das u. a. für den Staat New York zuständige - und daher besonders einflußreiche - Bundes-Berufungsgericht in der Leitentscheidung American Safety Equipment v. Maguire über eine in einem Lizenzvertrag enthaltene Schiedsklausel hinweg, um die Entscheidung einer kartellrechtlichen Streitigkeit entgegen der Vereinbarung der Parteien an sich zu ziehen645. Die Bekämpfung der Trusts sei keine reine Privatangelegenheit, sondern von öffentlichem Interesse und dürfe deshalb nicht privaten Schiedsrichtern überantwortet werden, deren Neutralität gerade in bezug auf die sensible Antitrust-Materie nicht sichergestellt sei. Kartellrechtsrelevante Schiedsklauseln seien typischerweise in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Vertriebs- und Lizenzverträgen oder sonstigen Vereinbarungen versteckt, also nicht individuell ausgehandelt, sondern einseitig gerade von derjenigen Partei gesetzt, der ein Verstoß gegen das Kartellierungsverbot vorgeworfen werde. Schließlich sei ein Schiedsgericht nicht dazu geeignet, die in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht äußerst komplexen Fragen des Kartellrechts zu entscheiden646. Der U.S.-Supreme Court selbst hat seine Rechtsprechung zur Wilko v. Swan, 201 F.2d 439, 444 (2nd Cir. 1953). Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 438 (1953). 643 Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 434 f. (1953) 644 Der Umstand, daß die Schiedsklausel Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Börsenhändlers war, wurde nicht weiter vertieft, weil die Kläger keine vertragsrechtlichen Einwände gegen die Wirksamkeit der Schiedsklausel erhoben hatten; vgl. Wilko v. Swan, 201 F.2d 439, 442 (2nd Cir. 1953). 645 American Safety Equipment Corp. v. Maguire & Co., 391 F.2d 821, 826 f. (2nd Cir. 1967); vgl. zu dieser Entscheidung Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 181 f.; Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 296 ff.; Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 503 ff.; Rabmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 118 f.; Sandrock, FS Stiefel, S. 625, 653 f.; Zimmer, Schiedsrichterliche Entscheidung von Kartellrechtsstreitigkeiten, S. 22 ff. 646 American Safety Equipment Corp. v. Maguire & Co., 391 F.2d 821, 827 (2nd Cir. 1967). Zusammenfasssend Posner, J., in University Life Insurance Co. v. Unimiarc Ltd, 699 F.2d 846, 850 f. (7th Cir. 1983): Antitrust issues „are at once too difficult to be decided competently by arbitrators - who are not judges, and often not even lawyers - and too important to be decided otherwise than by competent tribunals". 641 642

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Schiedsunfähigkeit bestimmter Ansprüche vor allem auf arbeitsrechtliche Schutzvorschriften erstreckt. So soll die auf die Diskriminierungsverbote der Bürgerrechtsgesetze gestützte Kündigungsschutzklage eines wegen seiner Hautfarbe entlassenen Arbeiters genauso wenig schiedsfähig sein 647 wie der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nach dem Fair Labor Standards Act 6 4 8 . Maßgebend für diese Entscheidungen war wiederum das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Gleichberechtigungsgesetze 649 , die Unverzichtbarkeit der jeweils streitgegenständlichen Ansprüche 650 sowie Zweifel des Gerichts an der Neutralität der Schiedsrichter und an der effektiven Wahrnehmung der Rechtsposition des Klägers durch die das Schiedsverfahren für den Anspruchsteller betreibende Gewerkschaft 651 . Weitere Fälle mangelnder Schiedsfähigkeit betreffen das Familienrecht sowie das Patent- und das Konkursrecht 652 . Vor dem eben geschilderten Hintergrund ließ sich mit Recht von einer gegen die Wirksamkeit des Schiedsvertrags gerichteten „public policy defense" sprechen 653 , deren Name allerdings insofern mißverständlich ist, als es der um die Einschränkung der Schiedsfähigkeit bemühten Judikatur nicht nur um öffentliche Interessen, sondern stets auch um den Schutz eines Vertragspartners vor Ubervorteilung durch den Gegner zu tun war 654 . Nachdem dieses Prinzip in den Jahren nach Wilko v. Swan zunächst expandierte, ist seit Mitte der 80er Jahre eine starke Gegenbewegung zu verzeichnen, wobei der Supreme Court nunmehr von einer Vermutung zugunsten der Schiedsfähigkeit ausgeht und sich nur unter strengen Voraussetzungen vom Gegenteil überzeugen lassen will 655 . Der Ursprung des Nieder647 Alexander v. Gardner-Denver Co., 415 U.S. 36, 44 ff. (1973) - zu Title VII des Civil Rights Act 1964, 42 U.S.C.A., See. 2000e et seq.; McDonald v. City of West Branch, 466 U.S. 284, 288 ff. (1984) - zum Civil Rights Act 1871, §42 U.S.C.A. § 1983; dazu Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 321 ff. 648 Barrentine v. Arkansas-Best Freight System, Inc., 450 U.S. 728, 737 ff. (1981); dazu Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 307 ff. Alexander v. Gardner-Denver Co., 415 U.S. 36, 45 (1973). 650 Alexander v. Gardner-Denver Co., 415 U.S. 36, 51 (1973); Barrentine v. ArkansasBest Freight System, Inc., 450 U.S. 728, 740 (1981). 651 Alexander v. Gardner-Denver Co., 415 U.S. 36, 58 n. 19 (1973); Barrentine v. Arkansas-Best Freight System, Inc., 450 U.S. 728, 742 (1981); McDonald v. City of West Branch, 466 U.S. 284, 291 (1984). 6 5 2 Vgl. die Übersicht über die Rechtsprechung bei Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 333 ff.; Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 493 ff., 512 ff., 533 ff., jeweils m. w. Nachw. 653 Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 488 ff. 6 5 4 Dies gesteht Sterk durchaus zu, vgl. 2 Cardozo L. Rev. 481, 485 f., 543. 655 Moses H. Cone Memorial Hospital v. Mercury Construction Corp., 460 U.S. 1, 24 (1983): „questions of arbitrability must be addressed with a healthy regard for the federal policy favoring arbitration"; genauso Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 626 (1985); Shearson/American Express, Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220, 226 (1987); Rodriguez de Quijas v. Shearson/American Express, Inc., 490 U.S. 477, 481 (1989); Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 25 (1991); Bhatia v. Johnston, 818 F.2d 418, 421 (5th Cir. 1987); Pearce v. E. F. Hutton Group, Inc., 828 F.2d 826, 829 (D.C. Cir. 1987); Cohen v. Webush, Noble, Cooke, Inc., 841 F.2d 282, 285 (9th Cir. 1988).

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

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gangs der public policy defense war indessen bereits mit der Entscheidung des Supreme Court in Scherk v. Alberto-Culver Company aus dem Jahr 1974 gelegt 656 . In diesem Fall hatte ein amerikanisches Unternehmen von einem in der Schweiz lebenden deutschen Staatsangehörigen mehrere Kapitalgesellschaften einschließlich einer Anzahl von Warenzeichen erworben, die sich entgegen einer angeblichen Zusicherung des Verkäufers als umstritten bzw. nicht bestehend erwiesen. Nach dem Kaufvertrag sollten sämtliche Streitigkeiten vor dem Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer in Paris ausgetragen werden. Obwohl sich die amerikanische Klägerin darauf berief, sie sei von dem Veräußerer der Gesellschaftsanteile über die Güte der Warenzeichen getäuscht worden und damit eine Verletzung des Wertpapierhandelsrechts geltend machte, so daß eine Anwendung der in Wilko v. Swan entwickelten Grundsätze nahe gelegen hätte 657 , hielt das oberste Gericht die Schiedsklausel für wirksam, weil es sich um eine grenzüberschreitende Transaktion handelte, für die die internationaler Toleranz verpflichteten Prinzipien der Bremen-Entscheidung gelten müßten 65S . Die Frage, ob auch die individuelle Aushandlung der Schiedsklausel unter den Parteien eine Abweichung von der auf Formularverträge gemünzten Wz7&o-Entscheidung rechtfertigen könnte, wurde ausdrücklich offen gelassen659. 1984 versetzte der Supreme Court der public policy exception dann in der viel diskutierten Mitsubishi-Entscheidung einen weiteren Schlag, indem er die Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Streitigkeiten entgegen einer fest gefügten, an American Safety Equipment v. Maguire anschließenden Rechtsprechung der Bundes-Berufungsgerichte 660 jedenfalls in Fällen mit internationaler 656 Scherk v. Alberto Culver Co., 417 U.S. 506, 513 ff. (1974); dazu Fletcher, 71 Minn. L. Rev. 393, 408 ff.; Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 289 ff.; Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 115 ff.; Sandrock, FS Stiefel, S. 625, 655. 657 Wilko v. Swan war nicht unmittelbar einschlägig, weil sich die Klägerin nicht auf den Federal Securities Act aus dem Jahr 1933, sondern auf den 1934 erlassenen Federal Securities Exchange Act, 15 U.S.C.A. See 78 et seq., berufen hatte. Während der Securities Act den Wertpapier-Primärmarkt regelt, also insbesondere für die Erstemission von Aktien gilt, regelt der Securities Exchange Act den Sekundärmarkt, also den Handel mit im Verkehr befindlichen Papieren. Das Gericht ließ im Ergebnis offen, ob die Bejahung der Schiedsfähigkeit entgegen Wilko v. Swan auch mit dem abweichenden Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen des Securities Exchange Act gerechtfertigt werden könnte; vgl. Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506, 513 f. (1974); offen auch noch Dean Witter Reynolds, Inc. v. Byrd, 470 U.S. 213, 215 f. n. 1 (1985). Die Bundes-Berufungsgerichte haben die Prinzipien der Wilko-Entscheidung hingegen stets auch auf Ansprüche aus dem Securities Exchange Act 1934 erstreckt und deren Schiedsfähigkeit verneint; vgl. Weissbuch v. Merill Lynch, Pierce, Fenner & Smith, Inc., 558 F.2d 831, 833 ff (7th Cir. 1977); Merill Lynch, Pierce, Fenner & Smith, Inc. v. Moore, 590 F.2d 823, 827 ff. (lOth Cir. 1978); DeLancie v. Birr, Wilson & Co., 648 F.2d 1255, 1258 f. (9th Cir. 1981). 658 Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506, 518 f. (1974) unter Hinweis auf M/S Bremen and Unterweser Reederei GmbH v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1 (1972); dazu ausführlich oben, G II 2 b, S. 182 ff. 659 Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506, 512 f. n. 6 (1974). 660 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 723 F.2d 155, 162 ff. (Ist Cir. 1983); vgl. weiter Helfenbein v. International Industries, Inc., 438 F.2d 1068, 1070 (8th

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Beteiligung bejahte 661 . In der Begründung bekennt sich das Gericht zu dem völkerrechtlichen Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme sowie zu einer schiedsfreundlichen Haltung, bezeugt Respekt vor der Arbeit internationaler Schiedsgerichte und weist das u. a. in American Safety vorgebrachte Argument, private Schiedsgerichte seien zur Verhandlung der Antitrust-Materie wegen deren Komplexität ungeeignet, explizit zurück 662 . Obwohl das Antitrust-Recht auch öffentliche Interessen schütze, seien diese nicht stark genug, um die privatautonome Verfügung über kartellrechtliche Ansprüche auszuschließen; der Berechtigte sei weder dazu verpflichtet, seine Rechte auch tatsächlich geltend zu machen oder gar einzuklagen, noch daran gehindert, einen Vergleich abzuschließen663. Im übrigen könnten die amerikanischen Gerichte im Exequaturverfahren überprüfen, ob das heimische Kartellrecht beachtet worden ist 664 . Schließlich beruhigt sich das Gericht mit der Feststellung, die entscheidungserhebliche Schiedsklausel sei nach den Maßstäben der Rechtsgeschäftslehre wirksam, insbesondere verdanke sie ihr Zustandekommen nicht einem Mißbrauch überlegener Verhandlungsstärke665. Konnte bis dato noch von einem Sonderrecht für „internationale Transaktionen" gesprochen werden, nach dem die Schiedsfähigkeit im grenzüberschreitenden Handelsverkehr, insbesondere bei individuell und von Kaufleuten ausgehandelten Schiedsklauseln, großzügiger ausfällt als sonst 666 , ging Cir. 1971); Cobb v. Lewis, 488 F.2d 41, 47 (5th Cir. 1974); N.V. Maatschappij Voor Industríele Waarden v. A.O. Smith Corp., 532 F.2d 874, 876 (2nd Cir. 1976); University Life Insurance Co. v. Unimiarc Ltd, 699 F.2d 846, 850 f. (7th Cir. 1983; Posner, J.); Lake Communications, Inc. v. ICC Corp., 738 F.2d 1473, 1477 ff. (9th Cir. 1984). 661 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 628 ff. (1985); dazu Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 183 ff.; v. Zumbusch, 22 Tex. Int'l L. J. 291, 294 ff.; Sandrock, FS Stiefel, S. 625, 661 ff.; Zimmer, Schiedsrichterliche Entscheidung von Kartellrechtsstreitigkeiten, S. 29 ff. 662 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 629, 634 (1985). 663 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 636 (1985). 664 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 (1985). 665 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 632 (1985). In dem Fall ging es um die Auflösung eines Vertragshändlervertrags zwischen einem japanisch/U.S.-amerikanischen joint venture (Mitsubishi Motors) und einem puerto-ricanischen Automobilgroßhändler (Soler Chrysler-Plymouth). 6 6 6 In diese Richtung Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, 161 ff., der auf dem rechtsvergleichenden Hintergrund der Entscheidungen des Supreme Court in Bremen v. Zapata und Scherk v. Alberto-Culver den Vorschlag macht, auch in Deutschland ein „nationales Sonderrecht für internationale Sachverhalte" zu entwickeln. Diesem Petitum ist nach Carnival Curise Lines v. Shute sowie den im folgenden dargestellten Entscheidungen zum Schiedsvertragsrecht die rechtsvergleichende Grundlage abhanden gekommen, denn der Supreme Court unterscheidet heute nicht mehr zwischen internationalen und internen Sachverhalten. Gegen eine Differenzierung des Schiedsrechts anhand des unbestimmten und leicht manipulierbaren Kriteriums der „Internationalen Transaktion" im übrigen auch der Dissent von Douglas, J., in Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506, 529 f. (1974); Stevens, J., in Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 658 (1985); v. Zumbusch, 22 Tex. Int'l L. ]. 291, 316 ff.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

der Supreme Court kurze Zeit später daran, seine schiedsfreundliche Haltung auch für den internen Rechtsverkehr innerhalb der Vereinigten Staaten auszumünzen. In Shearson/American Express, Inc. v. McMahon ging es wieder um einen Wertpapierhandelsvertrag, den ein Ehepaar mit einem Börsenhändler geschlossen hatte, dessen Allgemeine Geschäftsbedingungen eine Schiedsklausel zugunsten des Schiedsgerichts der New Yorker Börse enthielten 667 . Der einzige Unterschied zu Wilko v. Swan bestand darin, daß die Kläger in McMahon ihren Anspruch nicht auf den Securities Act 1933, sondern auf den Securities Exchange Act von 1934 stützten. Gleichwohl bejahte der Supreme Court die Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands und überwies dem Schiedsgericht sogar die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche aus dem berüchtigten „Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act" ( R I C O Act) 668. Die Ansicht, Schiedsklauseln könnten unmittelbar unter Normen subsumiert werden, die Haftungsfreizeichnungen oder -einschränkungen verbieten, wurde aufgegeben und statt dessen betont, die Begründung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts bewirke keine Einschränkung materieller Rechte. Der vertragsrechtlich naheliegende Einwand, die Schiedsklausel sei nicht frei ausgehandelt sondern Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Börsenhändlers gewesen und werde nunmehr gegen nicht-kaufmännische Klienten durchgesetzt, wurde als für die Schiedsfähigkeit irrelevant zurückgewiesen 669 . Statt dessen vertraute das Gericht darauf, die den Wertpapierhandel überwachende Aufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission) werde die faire Ausgestaltung des Schiedsverfahrens sicherstellen. Obwohl der Wz/^o-Entscheidung damit de facto die argumentative Basis entzogen war, konnte sich das Gericht nicht dazu durchringen, dieses Urteil explizit durch overrruling zu verwerfen und versuchte statt dessen, die zwischen den beiden Wertpapierhandels-Gesetzen aus den Jahren 1933 und 1934 bestehenden - im Ergebnis allerdings zu vernachlässigenden - Formulierungsunterschiede als Basis einer Differenzierung zu nutzen 670 . Keine zwei Jahre später ließ sich die Auseinandersetzung mit Wilko nicht mehr auf diese Weise umgehen, denn in einem weiteren reinen Inlandsfall stützte sich die 667 Shearson/American Express, Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220, 227 ff. (1987); dazu Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 187 ff. 668 1 8 U.S.C.A. See. 1961 et seq.; vgl. Shearson/American Express, Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220, 238 ff. (1987). Der RICO Act wurde zwar zum Zweck der Bekämpfung der Mafia und ähnlicher Strukturen der Wirtschaftskriminalität erlassen, für den Supreme Court war jedoch maßgebend, daß nur in neun Prozent aller RICO-Klagen dem Beklagten kriminelles Verhalten vorgeworfen wird, 482 U.S. 220, 242. Das Gericht sah deshalb keinen maßgebenden Unterschied zu anderen wirtschaftsrechtlichen Regularien, wie etwa den Kartellgesetzen oder dem Kapitalanlagerecht, 482 U.S. 220, 239 f. Dem folgend Kowalski v. Chicago Tribüne Co., 854 F.2d 168, 173 (7th Cir. 1988, Posner, J.); gegen die Schiedsfähigkeit von RICO-claims noch S. A. Mineracao da Tinidade-Samitri v. Utah International, Inc., 745 F.2d 190, 196 (2nd Cir. 1984). 669 Shearson/American Express, Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220, 230 (1987). 670 Zu den Unterschieden zwischen dem Securities Act 1933 und dem Securities Act 1934 bereits oben, Fn. 657.

G. Vertragsfreiheit

im U.S.-amerikanischen

Zivilprozeßrecht

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gegen einen Börsenhändler vorgehende Klägerin auf den Securities Act 1933, so daß die Wz7&o-Entscheiung unmittelbar einschlägig war. Der Supreme Court zögerte in Rodriguez de Quijas v. Shearson/American Express, Inc. keinen Augenblick, seine frühere Rechtsprechung mit den schon aus dem McMahon-XJrteil geläufigen Argumenten aufzugeben 671 . Schließlich hat sich der Supreme Court auch wieder dem Arbeitsrecht zugewandt und seine ältere Rechtsprechung, nach der Ansprüche aus den Bürgerrechts- und Gleichberechtigungsgesetzen nicht schiedsfähig sind, in Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp. zwar nicht explizit aufgegeben672, die auf ein ganz ähnliches Gesetz gegen die ¿«/iersbedingte Diskriminierung von Arbeitnehmern gestützte Kündigungsschutzklage aber gleichwohl dem in einem Formular-Dienstvertrag vereinbarten Schiedsgericht zur Entscheidung überwiesen 673 . Dem Umstand, daß es sich um einen „contract of adhesion" handelte, wurde keine durchschlagende Bedeutung zugemessen674. Die Bekräftigung der Rechtsprechung zu den Bürgerrechtsgesetzen in Gilmer läßt zudem offen, ob eine ausdrückliche Einbeziehung dieser Ansprüche in den Geltungsbereich der Schiedsklausel die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte auch insoweit hätte derogieren können 675 . Schließlich hat ein Bundes-Berufungsgericht auch die Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten aus dem Employee Retirement Income Security Act (ERISA) 676 bejaht 677 . 4. Ex-ante-Prüfung des Schiedsspruchs

der Schiedsvereinbarung

und

ex-post-Kontrolle

Insgesamt läßt sich heute eine sehr schiedsfreundliche Haltung des U.S.amerikanischen Rechts konstatieren, die sich keineswegs auf Streitigkeiten des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs beschränkt, sondern sich in glei671 Rodriguez de Quijas v. Shearson/American Express, Inc., 490 U.S. 477, 479 ff. (1989); dazu Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 294 ff. 672 Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 26 ff. (1991); vgl. Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 328 ff.; anders Nicholson v. CPC Int'l, Inc., 877 F.2d 221, 230 f. (3rd Cir. 1989). 673 Vgl. darüber hinaus auch die Entscheidung Pearce v. E.F. Hutton Group, Inc., 828 F.2d 826, 829 (D.C. Cir. 1987), in der die Schiedsfähigkeit eines Anspruchs des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber ebenfalls bejaht wurde. 674 Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 33 (1991), es handelte sich allerdings um einen Dienstvertrag mit einem Manager. Dazu unten, S. 206, Fn. 709. 675 Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 33 ff. (1991). 676 29 U.S.C.A. See. 1001 et seq. 677 Arnulfo P. Sulit, Inc. v. Dean Witter Reynolds, Inc., 847 F.2d 475, 477 ff. (8th Cir. 1988); genauso der Dissent in Bird v. Shearson Lehmann/American Express, Inc., 871 F.2d 292, 298 ff. (2nd Cir. 1989) (Cardamone, J., dissenting); gegen die Schiedsfähigkeit von ERSIA-claims Bird v. Shearson Lehmann/American Express, Inc., 871 F.2d 292, 295 ff. (2nd Cir. 1989); Lewis v. Merrill Lynch, Pierce, Fenner & Smith, Inc., 431 F.Supp. 271, 274 ff. (E.D. Pa 1977); ähnlich Fox v. Merrill Lynch & Co., Inc., 453 F.Supp. 561, 564 f. (S.D.N.Y. 1978); vgl. zum ganzen Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 302 ff.; Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 521 ff.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

eher Weise auch auf den internen Bereich erstreckt 678 . Diese Einschätzung gilt nicht nur für die Problematik der Schiedsfähigkeit spezialgesetzlich begründeter Ansprüche, sondern genauso für die Behandlung der sonstigen Gültigkeitsvoraussetzungen einer Schiedsvereinbarung. Für die jüngere Zeit grundlegend ist insoweit die Entscheidung Dean Witter Reynolds, Inc. v. Byrd, in der der Supreme Court angekündigt hat, einmal getroffene Schiedsabreden „rigorously" durchzusetzen und dafür auch eine Spaltung des Streitgegenstands zwischen Schiedsgericht und staatlichem Gericht in Kauf zu nehmen 679 . Was den durch das allgemeine Vertragsrecht gewährleisteten Schutz vor Ubervorteilung anlangt, so hilft es der schiedsunwilligen Partei nach dem sog. „separability"-Grundsatz der Entscheidung Prima Paint Corp. v. Flood & Conklin Mfg. Corp. nichts, wenn sie die Gültigkeit des Vertrags insgesamt mit entsprechenden Einwendungen anzugreifen sucht 680. Die Verteidigung hat vielmehr nur Erfolg, wenn die schiedsunwillige Partei die Unwirksamkeit der Schiedsklausel selbst - etwa wegen Täuschung oder Drohung - darlegen und beweisen kann, wofür die Unwirksamkeit des materiell-rechtlichen Vertrags allein nicht ausreicht. Der bloße Umstand, daß die Schiedsabrede Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der schiedswilligen Partei ist, rechtfertigt im übrigen selbst außerhalb des kaufmännischen Rechtsverkehrs weder eine Inhaltskontrolle noch gar ihre Mißachtung 681 . 6 7 8 So auch Kowalski v. Chicago Tribune Co., 854 F.2d 168, 173 (7th Cir. 1988, Posner, J.) hinsichtlich kartellrechtlicher Streitigkeiten. 6 7 9 „ ... even if the result is .piecemeal' litigation", Dean Witter Reynolds, Inc. v. Byrd, 470 U.S. 213, 221 (1984); die Entscheidung räumt mit der sog. „intertwining doctrine" auf, nach denen die staatlichen Gerichte zur Entscheidung des Streits insgesamt berufen waren, wenn nur ein nicht-schiedspflichtiger Teil des Streitgegenstandes mit schiedspflichtigen Ansprüchen rechtlich und tatsächlich verwoben war; vgl. dazu Fletcher, 71 Minn. L. Rev. 393, 414 ff. 680 Prima Paint Corp. v. Flood & Conklin Mfg. Corp., 388 U.S. 395, 402 ff. (1967); ähnlich bereits Moseley v. Electronic & Missile Facilities, Inc., 374 U.S. 167, 170 f. (1963); Robert Lawrence Co., Inc. v. Devonshire Fabrics, Inc., 271 F.2d 402, 409 ff. (2nd Cir. 1959), dem folgend Moses H. Cone Memorial Hospital v. Mercury Construction Corp., 460 U.S. 1, 24 (1983); Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 632 (1985); American Safety Equipment Corp. v. Maguire & Co., 391 F.2d 821, 826 (2nd Cir. 1967); Amoco Transport Co. v. Bugsier Reederei und Bergungs AG, 659 F.2d 789, 794 (7th Cir. 1981); Schacht v. Beacon Insurance Co., 742 F.2d 386, 389 f. (7th Cir. 1984); Bhatia v. Johnston, 818 F.2d 418, 421 (5th Cir. 1987); Cohen v. Wedbush, Noble, Cooke, Inc., 841 F.2d 282, 286 (9th Cir. 1988); Rush v. Oppenheimer & Co., Inc., 681 F.Supp. 1045, 1048 ff. (S.D.N.Y. 1988); vgl. dazu Kupperman/Freeman, 65 Tul. L. Rev. 1547, 1563 ff.; Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 175 ff.; Stempel, 65 Tul. L. Rev. 1377, 1397 ff.; ältere Rechtsprechung bei Kronstein, 54 Yale L. J. 36, 54 f.; kritisch ders., 38 N.Y.U. L. Rev. 661, 679 ff. 681 Shearson/American Express, Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220, 230 (1987); Rodriguez de Quijas v. Shearson/American Express, Inc., 490 U.S. 477, 483 f. (1989); Pierson v. Dean, Witter, Reynolds, Inc., 742 F.2d 334, 339 (7th Cir. 1984); Bayma v. Smith, Barney, Harris, Upham and Co., Inc., 784 F.2d 1023, 1024 f. (9th Cir. 1986); Bhatia v. Johnston, 818 F.2d 418, 421 f. n. 4 (5th Cir. 1987); Cohen v. Wedbush, Noble, Cooke, Inc., 841 F.2d 282, 2.86 (9th Cir. 1988); a. A. Arnulfo P. Sulit, Inc. v. Dean Witter Reynolds, Inc., 847 F.2d 475, 479 (8th Cir. 1988) (Gibson, J., dissenting).

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Zivilprozeßrecht

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Schließlich muß auch der Standard, an dem der Schiedsspruch im Exequaturverfahren zu messen ist, als ausgesprochen großzügig bezeichnet werden. FAA See. 10 enthält einen Katalog von Gründen für die Aufhebung des Schiedsspruchs und nennt insoweit Prozeßbetrug (See. 10a), Parteilichkeit der Schiedsrichter (See. 10b), vorsätzliche Verweigerung rechtlichen Gehörs (See. 10c) und Nichtbeachtung der Grenzen der Schiedsvereinbarung (See. lOd). Auf die materielle Richtigkeit bzw. Vertretbarkeit des Schiedsspruchs scheint es dementsprechend überhaupt nicht anzukommen; insbesondere fehlt ein §§ 1059 Abs. 2 Nr. 2b, 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. Art. V Abs. 2 lit. b U N Ü vergleichbarer ordre-public-Vorbehalt. Obwohl die amerikanischen Gerichte die einzelnen Nichtigkeitsgründe des FAA See. 10 sehr eng auslegen682, hat sich im Anschluß an FAA See. lOd immerhin ein weiteres Erfordernis für die Wirksamkeit des Schiedsspruchs entwickelt, das die Beachtung des einschlägigen materiellen Rechts durch die Schiedsrichter sicherstellen soll. Danach verfällt ein Schiedsspruch der Aufhebung, wenn er auf einem „manifest disregard of the law" beruht683. Diese Formulierung läßt zwar an sich alle Möglichkeiten offen, wird de facto aber ebenfalls äußerst restriktiv gehandhabt und eine offenbare Nichtbeachtung materiellen Rechts nur dann angenommen, wenn ein Fall von Rechtsbeugung vorliegt. Erforderlich ist also, daß die Schiedsrichter die an sich anzuwendende Rechtsnorm erkannt, ihre Applikation jedoch bewußt verweigert haben684. Gleiches gilt auch für den erstmals in der Entscheidung W.R. Grace & Co. v. International Union of United Rubber Workers anerkannten Einwand eines Verstoßes gegen die „public policy", mit dem die Wirksamkeit eines Schiedsspruchs ebenfalls angegriffen werden kann685. Hier handelt es sich nicht um eine dem Exequaturverfahren adaptierte Form der aus der Wz/^o-Entscheidung geläufigen public policy exception686, sondern um einen engen Ausnahmetatbestand, der im Zuständigkeitsbereich 682 United Paper Workers Int'l Union v. Misco, Inc., 484 U.S. 29, 38, (1987): „Courts thus do not sit to hear claims of factual or legal error by an arbitrator..."; vgl. weiter Steelworkers v. Enterprise Wheel & Car Corp., 363 U.S. 593, 596 ff. (1960); eingehende Darstellung bei Kupperman/Freeman, 65 Tul. L. Rev. 1547, 1603 ff.; Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 191 ff. 683 Grundlegend Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 436 f. (1953); vgl. ferner Merrill Lynch, Pierce, Fenner & Smith, Inc. v. Bobker, 808 F.2d 930, 933 ff. (2nd Cir. 1986); Advest, Inc. v McCarthy, 914 F.2d 6, 8 ff. (1st Cir. 1990); ausführlich dazu Kupperman/Freeman, 65 Tul. L. Rev. 1547, 1620 ff. m. w. Nachw. in Fn. 416; vgl. weiter Force/Mavronicolas, 65 Tul. L. Rev. 1461, 1505 ff.; Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 197 f.; Sever, 65 Tul. L. Rev. 1661, 1678 f. 684 Vgl. die Nachweise in der vorherigen Anmerkung. 685 W. R. Grace & Co. v. Local 759, International Union of the United Rubber, Cork, Linoleum & Plastic Workers, 461 U.S. 757, 764, 766 (1983); weiter United Paper Workers Int'l Union v. Misco, Inc., 484 U.S. 29, 38, 42 f. (1987); dazu Kupperman/Freeman, 65 Tul. L. Rev. 1547, 1627 f.; Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 196 f. 686 Schack, Einführung, S. 87; übersehen von Zimmer, Schiedsrichterliche Entscheidung von Kartellrechtsstreitigkeiten, S. 43 ff., der dieses auf das Exequaturstadium und die Arbeits-Schiedsgerichtsbarkeit gemünzte Kriterium kurzerhand mit der auf die Schiedsfähigkeit bezogenen „public policy exception" identifiziert.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit

von

Prozeßverträgen

der in den USA fest etablierten Arbeits-Schiedsgerichtsbarkeit garantieren soll687, daß der Schiedsspruch nicht zu Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit führt 688 .

5. Kritik und

Stellungnahme

Die erhebliche Liberalisierung des Schiedsrechts durch fast gänzliche Zurücknahme der public policy exception im Bereich der Schiedsfähigkeit ist in der Literatur zum Teil heftig kritisiert worden 689 . Die Stoßrichtung der jeweils gegen die Rechtsprechung vorgebrachten Einwände ist jedoch ebenso uneinheitlich wie die Vorschläge für eine Neuorientierung des Schiedsrechts weit auseinandergehen. Zur Debatte stehen im wesentlichen drei Optionen, nämlich: (1) Aufwertung des Schiedsverfahrens durch seine Ausstattung mit Verfahrensgarantien, die denjenigen des öffentlichen Prozeßrechts gleichwertig sind690; (2) Revitalisierung der früheren public policy exception691; und (3) Einsatz des allgemeinen Vertragsrechts zur Gewährleistung echter Selbstbestimmung auch im Schiedsrecht692. Der zuerst genannte Vorschlag trifft insoweit einen richtigen Punkt, als das Schiedsverfahrensrecht einen Mindeststandard an Verfahrensgerechtigkeit gewährleisten muß und durchaus fraglich erscheint, ob das U.S.-amerikanische Recht in dieser Hinsicht das Notwendige geleistet hat693. Insbesondere erscheint es als bedenklich, wenn 687 Die Anwendbarkeit dieser „public policy exception" außerhalb der Arbeits-Schiedsgerichtsbarkeit ist zweifelhaft, weil der Supreme Court der Auffassung zuneigt, der Schiedsrichter arbeitsrechtlicher Streitigkeiten sei auf die Auslegung und Anwendung der zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft ausgehandelten Kollektivverträge beschränkt und dürfe die staatliche Gesetzgebung - wie etwa die Bürgerrechts- und Gleichberechtigungsgesetze - gar nicht beachten; vgl. Alexander v. Gardner-Denver Co., 415 U.S. 36, 53 f. (1973); Barrentine v. Arkansas-Best Freight System, Inc., 450 U.S. 728, 744 (1981); McDonald v. City of West Branch, 466 U.S. 284, 290 f. (1984); W. R. Grace & Co. v. Local 759, International Union of the United Rubber, Cork, Linoleum & Plastic Workers, 461 U.S. 757, 764, 766 (1983): „[The arbitrator's] view of his own jurisdiction precluded his consideration of this question, and, in any event, the question of public policy is ultimately one for resolution by the courts". 68 Vgl. etwa Iowa Electric Light & Power Co. v. Local Union 204 of the International Brotherhood of Electrical Workers, 834 F.2d 1424, 1428 f. (8th Cir. 1987): Das Gericht hob einen Schiedsspruch auf, um die Entlassung eines Angestellten durchzusetzen, der unter Verstoß gegen Sicherheitsbestimmungen mit einem Nuklearreaktor experimentiert hatte. Der Arbeitnehmer begründe eine Gefahr für „public health or safety" (a.a.O., S. 1428). Vgl. auch Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 197: Anwendungsbereich „sharply proscribed"; Kupperman/Freeman, 65 Tul. L. Rev. 1547, 1627: „Rarely will an arbitrator's award be so egregious that enforcement of it would violate public policy under the Grace test". 689 Vgl. Sever, 65 Tul. L. Rev. 1661, 1688 ff.; Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 190 f, 205 ff.; Stempel, 65 Tul. L. Rev. 1377, 1426 ff.; Schack, Einführung, S. 86 f.: „laissezfaire-Einstellung". 690 Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 209 ff. 691 Sever, 65 Tul. L. Rev. 1661, 1688 ff. 692 Stempel, 65 Tul. L. Rev. 1377, 1379 f., 1393 f., 1426 ff.; kurz bereits in: ders., 22 St. Mary's L.J. 259, 350 ff. Vgl. dazu sogleich unten, S. 205 f.

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Zivilprozeßrecht

203

der Supreme Court einerseits den Standpunkt vertritt, Schiedsgerichte könnten das materielle Recht ebenso gut durchsetzen wie ein staatliches Forum, was vom Gericht im Exequaturverfahren zu überprüfen sei, und sich andererseits (noch) nicht dazu bereit gefunden hat, die äußerst engen Voraussetzungen für eine Aufhebung des Schiedsspruchs durch eine Aufweichung des „manifest disregard of the law" Standards zu erweitern 694 . Eine Anpassung der Regeln über die Unverbindlichkeit des Schiedsspruchs an die Liberalisierung der für den Anwendungsbereich der Schiedsgerichtsbarkeit zentralen Voraussetzung der Schiedsfähigkeit ist demnach geboten. Abgesehen von dieser Modifikation der ex-post-Kontrolle kann eine Aufblähung des Schiedsverfahrens um beinahe alle Verfahrensgarantien und Ausforschungsmöglichkeiten des amerikanischen Zivilprozeßrechts nicht empfohlen werden 695 , weil damit die Unterschiede zwischen dem relativ formalen, aufwendigen und daher schwerfälligen Verfahren vor den staatlichen Gerichten und dem vergleichsweise freien, flexiblen und schnellen Schiedsverfahren weitgehend eingeebnet würden, was schließlich die Institution der Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt in Frage stellte. Ein Schiedsverfahren, das die Vor- und Nachteile des Normalprozesses mehr oder weniger genau repliziert, ist keine echte Alternative und deshalb für die Parteien uninteressant 696 . Der Vorschlag einer Revitalisierung der public policy exception kann für sich in Anspruch nehmen, daß es einen Kern nicht-schiedsfähiger Streitigkeiten gibt. In den Status- und Sorgerechtsangelegenheiten des Familienrechts kommt wegen der intensiven Betroffenheit öffentlicher Interessen (Statusfragen) oder der Belange am Schiedsvertrag nicht beteiligter Dritter (Sorgerecht) 697 eine Streitentscheidung durch private Schiedsgerichte nicht in Frage 698 . In der aktuellen Diskussion spielen diese Fallgruppen indessen überhaupt keine Rolle; umstritten ist allein die Schiedsfähigkeit wirtschafts694 So auch Force!Mavronicolas, 65 Tul. L. Rev. 1461, 1506 ff.; Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 349 f.; zuvor bereits Kronstein, 38 N.Y.U. L. Rev. 661, 669 ff. 695 So aber Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 209 ff. 696 Force/Mavronicolas, 65 Tul. L. Rev. 1461, 1464 ff., 1505 ff., mit Anschauungsmaterial aus der Praxis der New York Maritime Arbitration; Kupperman/Freeman, 65 Tul. L. Rev. 1547, 1584 f., die mit Hilfe empirischer Daten belegen, daß die relative Formlosigkeit des Schiedsverfahrens in Streitigkeiten des Wertpapierhandelsrechts keineswegs zu einer Benachteiligung des Kunden vor den institutionellen Börsen-Schiedsgerichten führt, a.a.O., S. 1572 f. 697 Vgl. den Fall Agur v. Agur, 32 N.Y.S.2d 772 (1969), in dem die Eltern im Rahmen eines Trennungsvergleichs in Ubereinstimmung mit orthodoxem jüdischen Recht vereinbart hatten, die Mutter solle das Sorgerecht bis zum 6. Geburtstag des Kindes ausüben - und der Vater in der nachfolgenden Zeit. Das New Yorker Gericht weigerte sich, der praktischen Umsetzung dieser Vereinbarung durch Verweis der Sache an ein zur Anwendung jüdischen Rechts verpflichtetes Schiedsgericht Vorschub zu leisten und berief sich zur Begründung mit Recht auf „the child's best interests" (a.a.O., S. 777). 698 Dazu ausführlich Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 493 ff. m. w. Nachw. aus der Rechtsprechung, die in diesem Bereich ganz überwiegend solche der Gerichte der Einzelstaaten ist.

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2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

und arbeitsrechtlicher Ansprüche. In diesen Bereichen muß der Versuch, bestimmte Streitigkeiten als einer Entscheidung durch Schiedsrichter nicht zugänglich auszuzeichnen, indessen an eben jenen Widersprüchen scheitern, an denen bereits die Wilko-Doktrin krankte. Nach Wilko sollte sich die Unverbindlichkeit des Schiedsvertrags allein auf das Einrede Stadium, also auf seine Durchsetzung vor einem staatlichen Gericht gegenüber einer schiedsunwilligen Partei beschränken und nicht auch für das Exequatursta.dium gelten, so daß Schiedssprüche über schiedsunfähige Streitigkeiten gleichwohl für vollstreckbar zu erklären waren. Darüber hinaus wurde selbst in der Einredesituation eine nach Entstehung der Streitigkeit geschlossene Schiedsvereinbarung auch in bezug auf vermeintlich schiedsunfähige Ansprüche mit der Begründung akzeptiert, die Parteien könnten sich nach unbestrittener Auffassung über Ansprüche aus dem Wertpapierhandels-, Kartell- und Arbeitsrecht vergleichen699. Eine Differenzierung zwischen Schiedsabreden ex ante und solchen ex post kann jedoch nicht mit zur „public policy" kondensierten öffentlichen Interessen, sondern allein mit Erwägungen der Vertragsgerechtigkeit, nämlich dem Schutz der Partei vor antizipierten und deshalb unüberlegten Dispositionen, gerechtfertigt werden700. Tatsächlich krankt die Rechtsprechung des Supreme Court weniger an einer fehlerhaften Konzeption der Schiedsfähigkeit als vielmehr an der Vermischung dieser überwiegend publizistisch motivierten Zulässigkeitsvoraussetzungen des Schiedsvertrags mit den auf Vertragsgerechtigkeit und den Schutz vor Ubervorteilung zielenden Anforderungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre701. Genauso wie im Recht der Gerichtsstandsvereinbarung hat dies auch im Schiedsrecht dazu geführt, daß mit der - an sich gebotenen - Befreiung des Schiedsrechts von publizistischen Umklammerungen auch die privatrechtlichen Sicherungen des Vertragsrechts über Bord geworfen worden sind. So richtig es war, die zwischen zwei Kaufleuten im Einzelfall ausgehandelte Schiedsklausel in dem Fall Scherk v. Alberto-Culver

699 Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 437 f. (Reed, J.), 438 f. (Jackson, J., concurring) (1953); Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 633 (1985); Shearson!American Express, Inc. v. McMahon, 482 U.S. 220, 233 (1987); Rodriguez de Quijas v. Shearson/American Express, Inc., 490 U.S. 477, 479 f. n. * (1989); American Safety Equipment Corp. v. Maguire & Co., 391 F.2d 821, 827 (2nd Cir. 1967); Gardner v. Shearson, Hammermill & Co., 433 F.2d 367, 368 (5th Cir. 1970); Cohb v. Lewis, 488 F.2d 41, 47 ff. (5th Cir. 1974); dazu Fletcher, 71 Minn. L. Rev. 393, 407, 422; Stempel, 22 St. Mary's L.J. 259, 268; ders., 65 Tul. L. Rev. 1377, 1419 f.; Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 507 ff.; v. Zumbusch, 22 Tex. Int'l L. J. 291, 298 f.; Rahmann, Ausschluß staatlicher Gerichtszuständigkeit, S. 114, 119; Zimmer, Schiedsrichterliche Entscheidung von Kartellrechtsstreitigkeiten, S. 27 f. 700 Fletcher, 71 Minn. L. Rev. 393, 422; Zimmer, Schiedsrichterliche Entscheidung von Kartellrechtsstreitigkeiten, S. 28; nicht überzeugend dagegen der Rechtfertigungsversuch von Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 508 f. n. 96. 701 Stempel, 65 Tul. L. Rev. 1377, 1394 f.; ders., 22 St. Mary's L.J. 259, 350 ff.; ähnlich, allerdings im affirmativen Sinn, Sterk, 2 Cardozo L. Rev. 481, 486 f.

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Zivilprozeßrecht

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Co. auch in bezug auf Ansprüche aus dem Wertpapierhandelsrecht durchzusetzen, so verfehlt war es, diese Lösung ohne weiteres auf Fälle wie Shearson/American Express, Inc. v. McMahon zu übertragen, in denen sich ein Unternehmen unter Berufung auf eine in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Schiedsklausel gegen eine Schadensersatzklage seiner kaufmännisch nicht erfahrenen Kunden verteidigte. Die Vermischung publizistischer und genuin vertragsrechtlicher Schutzanliegen in der durch Wilko v. Swan begründeten public policy exception haben dem Supreme Court den Zugang zu den maßgeblichen Differenzierungen zwischen ausgehandelten und formularmäßigen Schiedsvereinbarungen sowie zwischen kaufmännischem Rechtsverkehr und Rechtsbeziehungen zum Verbraucher verbaut702. Nur auf einer solchen, den allgemeinen Sicherungen der Privatautonomie verpflichteten dogmatischen Grundlage läßt sich schließlich auch den berechtigten Bedenken Rechnung tragen, die einige Gerichte mit Blick auf die Unabhängigkeit von Schiedsrichtern geltend gemacht haben, wenn letztere ihre Kompetenzen einer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gerade derjenigen Partei verdanken, deren Handlungsfreiheit durch die streitgegenständlichen Regularien des Wirtschaftsrechts eingeschränkt wird 703 . Die Verneinung der Schiedsfähigkeit solcher Streitigkeiten schießt nicht nur über das Ziel hinaus, indem sie selbst solche Vereinbarungen invalidiert, die die Parteien individuell und unter Verabredung eines fairen Verfahrens vor einem neutralen Schiedsrichter ausgehandelt haben, sondern bleibt umgekehrt auch hinter dem gebotenen Maß an Rechtsschutz zurück, weil das eigentliche Problem - also die einseitige Auswahl der Schiedsrichter und die Ausgestaltung der Verfahrensregeln durch nur eine Partei - gar nicht als solches erkannt und gelöst wird. Vielmehr werden einige wenige Streitigkeiten als besonders wichtig und daher schiedsunfähig ausgezeichnet, während in allen übrigen Fällen ein durch Allgemeine Geschäftsbedingungen inauguriertes, zugunsten des Verwenders parteilich ausgestaltetes Schiedsverfahren offensichtlich toleriert werden soll 704. Geboten ist statt dessen eine generelle Inhaltskontrolle nicht individuell konsentierter Schiedsklauseln, mit der sowohl die Neutralität der zur Entscheidung berufenen Schiedsrichter als auch die faire Ausgestaltung der das Prozedere regelnden Verfahrens7 0 2 Vgl. demgegenüber die differenzierten Beurteilungskriterien bei Stempel, 65 Tul. L. Rev. 1377, 1433 ff. Ansätze in dieser Richtung auch bei Speidel, 4 Ohio St. J. on Disp. Resol. 157, 205 f. 7 0 3 Vgl. etwa American Safety Equipment Corp. v. Maguire & Co., 391 F.2d 821, 827 (2nd Cir. 1967): „Since commercial arbitrators are frequently men drawn for their business expertise, it hardly seems proper for them to determine these issues [i.e., antitrust controversies] of great public interest". Genauso Cobb v. Lewis, 488 F.2d 41, 47 (5th Cir. 1974). 7 0 4 So bereits der Dissent von Justice Frankfurter in Wilko v. Swan, 346 U.S. 427, 440 (1953); „It is one thing to make out a case of overreaching as between the parties bargaining not at arm's length. It is quite a different thing to find in the anti-waiver provision of the Securities Act a general limitation on the Federal Arbitration Act". Ahnlich Stempel, 65 Tul. L. Rev. 1377, 1394 f.

206

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

bestimmungen zu gewährleisten ist 705 . Daß der in der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung dominierende Ansatz bei der Schiedsfähigkeit die eigentliche Problematik verfehlt, zeigt sich schließlich auch im Arbeitsrecht, in dem der Supreme Court den von den Kollektivparteien beherrschten institutionalisierten Schiedsorganen die Entscheidung über spezialgesetzlich verbriefte Bürger- und Gleichheitsrechte im Ergebnis mit Recht vorenthalten hat 706 . Die Begründung stellt zutreffend heraus, eine effektive Wahrnehmung dieser Ansprüche durch die u. U. ganz anderen Interessen einer bestimmten internen Majorität verpflichtete Gewerkschaft sei nicht gewährleistet707. Die auf der Hand liegende - allerdings vertragsrechtliche - Konsequenz, daß die Gewerkschaft zur Durchsetzung höchstpersönlicher Bürgerrechte ihrer Mitglieder weder auf rechtsgeschäftlichem Weg ermächtigt noch von Gesetzes wegen legitimiert ist, wird jedoch übersehen und statt dessen die Schiedsfähigkeit dieser Ansprüche kurzerhand verneint708. Dabei ist gar nicht ersichtlich, was gegen ein Schiedsverfahren auch über diese Streitgegenstände sprechen sollte, sofern ihm der betroffene Arbeitnehmer selbst in einem anspruchsvollen Sinn zugestimmt hat 709 . Eine konsequente Auswertung der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre auch für das Prozeßvertragsrecht erfordert es schließlich, der durch die Prima /^¿«¿-Entscheidung inaugurierten gesonderten Wirksamkeitsprüfung je für den materiell-rechtlichen Vertrag und die Schiedsklausel nach Maßgabe der „separability"-Doktrin vertragsrechtlich motivierte Grenzen zu setzen 710 . Obgleich es sicher nicht in Betracht kommen kann, die Kompetenz des Schiedsgerichts bereits dann zu verneinen, wenn die schiedsunwillige Partei 7 0 5 In diese Richtung die Entscheidung des Supreme Court of California in Graham v. Scissor-Tail, Inc. 28 Cai. 3d 807, 818 ff., 623 P.2d 165, 171 ff., 171 Cal.Rptr. 604, 610 ff., in der das Gericht eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Schiedsklausel invalidiert, nach der ein zugunsten des Verwenders voreingenommener Schiedsrichter über zukünftig entstehende Streitigkeiten entscheiden sollte. Vgl. zu den Schlußfolgerungen für das deutsche Recht oben, F II 4 b dd bbb, S. 155 ff.; unten, 6. Kapitel, F V 3, S. 499; 8. Kapitel, E III 3, S. 595 f. 706 Alexander v. Gardner-Denver Co., 415 U.S. 36, 44 ff. (1973); Barrentine v. ArkansasBest Freight System, Inc., 450 U.S. 728, 737 ff. (1981); McDonald v. City of West Branch, 466 U.S. 284, 288 ff. (1984). 707 Alexander v. Gardner-Denver Co., 415 U.S. 36, 58 n. 19 (1973); Barrentine v. Arkansas-Best Freight System, Inc., 450 U.S. 728, 742 (1981); McDonald v. City of West Branch, 466 U.S. 284, 291 (1984). 7 0 8 Berechtigte Kritik daher bei Stempel, 65 Tul. L. Rev. 1377, 1435, 1443 ff. 7 0 9 Bezeichnenderweise hat der Supreme Court seine restriktive Rechtsprechung zur Schiedsfähigkeit arbeitsrechtlicher Streitigkeiten um bürgerrechtliche Diskriminierungsverbote erstmals in einem Fall gelockert, in dem der „Arbeitnehmer" Manager und die Schiedsvereinbarung in dem von ihm unterschriebenen Anstellungsvertrag enthalten war; vgl. Gilmer v. Interstate/Johnson Lane Corp., 500 U.S. 20, 23 (1991), mit ausdrücklicher Abgrenzung gegenüber dem Schiedsverfahren gemäß Kollektivvertrag a.a.O., S. 34 f.; vgl. bereits oben, S. 199 mit Fn. 674. 7 1 0 Zur separability-Doktrin oben, III 4, S. 200, mit Fn. 680. Zur folgenden Kritik ausführlich Kupperman/Freeman, 65 Tul. L. Rev. 1547, 1563 ff.

G. Vertragsfreiheit

im US.-amerikanischen

Zivilprozeßrecht

207

irgendwelche Einwendungen gegen den materiell-rechtlichen Vertrag vorbringt, geht es umgekehrt zu weit, wenn einige Obergerichte die Auffassung vertreten, nur spezifisch auf die Schiedsklausel gerichtete Unwirksamkeitsgründe seien von dem staatlichen Gericht im Einredestadium zu prüfen 711 . Vielmehr ist es möglich, daß Schiedsklausel und Hauptvertrag an ein und demselben Mangel leiden712, etwa wenn beide auf einem betrügerischen Plan zur Ubervorteilung des Vertragspartners beruhen, den das parteilich besetzte Schiedsgericht exekutieren soll 713 . In diesem Fall hat sich das staatliche Gericht der Wirksamkeit der Schiedsklausel ebenso zu vergewissern wie dann, wenn die schiedsunwillige Partei geltend macht, dem die Schiedsklausel enthaltenden Vertrag niemals zugestimmt zu haben 714 . Tatsächlich scheint sich der Supreme Court in neueren Entscheidungen in diese Richtung zu bewegen, denn in dem Fall First Options of Chicago, Inc. v. Manual Kaplan hat das Gericht der Vorstellung, die Schiedsrichter könnten unter Inanspruchnahme einer Kompetenz-Kompetenz mit bindender Wirkung für das staatliche Gericht über die Wirksamkeit der Schiedsklausel entscheiden, eine deutliche Absage erteilt715. Danach sind die Parteien zwar durchaus befugt, auch die Entscheidung über den Bestand einer wirksamen Schiedsvereinbarung dem Schiedsgericht zu übertragen, eine entsprechende Vermutung, daß sie dies getan haben, besteht jedoch nicht. Ohne die Prima Paint-Doktrin auch nur mit einem Wort zu erwähnen, verlangt das Gericht für die Annahme eines solchen Parteiwillens vielmehr „clear and unmistakable evidence" 716 . Auf die entsprechenden Probleme im deutschen Recht wird noch zurückzukommen sein717. Im Ergebnis wäre also die strikte Beachtung der allgemeinen vertragsrecht711 So Schacht v. Beacon Insurance Co., 742 F.2d 386, 389 f. (7th Cir. 1984): „Appellant nowhere contends that the alleged fraud in the inducement applied solely to the arbitration clause. Its claim of fraud applies equally to all provisions of the contract. Thus, [...] the district court properly concluded that Prima Paint precludes the court from addressing that claim". (Hervorhebung hinzugefügt). 712 Rush v. Oppenheimer & Co., Inc., 681 F.Supp. 1045, 1048 ff. (S.D.N.Y. 1988); Kupperman/Freeman, 65 Tul. L. Rev. 1547, 1570 f. 713 Ebenso H. W. Moseley v. Electronic & Missile Facilities, Inc., 374 U.S. 167, 171 (1963). 7 1 4 So auch Robert Lawrence Co., Inc. v. Devonshire Fabrics, Inc., 271 F.2d 402, 411 f. (2nd Cir. 1959): Schiedsklausel unbeachtlich „if defendant denied ever agreeing to anything". Noch weitergehend Kulukundis Shipping Co., S/A v. Amtorg Trading Corp., 126 F.2d 978, 985 ff. (2nd Cir. 1942). 715 First Options of Chicago, Inc. v. Kaplan, 514 U.S. 938 (1995) = ZZPInt. 1 (1996), S. 425, 426 ff. mit Anm. Schlosser, a.a.O., S. 449 f. 716 First Options of Chicago, Inc. v. Kaplan, 514 U.S. 938 (1995) = ZZPInt. 1 (1996), S. 425, 427.; ähnlich bereits AT & Technologies, Inc. v. Communications Workers, 475 U.S. 643, 649 (1986): „Unless the parties clearly and unmistakably provide otherwise, the question of whether the parties agreed to arbitrate is to be decided by the court, not the arbitrator". Vgl. auch einen Fall aus der berühmten „Steelworkers Trilogy": United Steelworkers of America v. "Warrior & Gulf Navigation Co., 363 U.S. 574, 582 f. n. 7 (1960). 7 1 7 Unten, 4. Kapitel, VII 2 b, c, S. 331 ff.

208

2. Kapitel:

Die Zulässigkeit

von

Prozeßverträgen

liehen Sicherungen der Privatautonomie - ergänzt um eine Ausweitung der ex-post-Kontrolle von Schiedssprüchen 718 - besser als Restriktionen im Bereich der Schiedsfähigkeit dazu geeignet, Verfahrensgerechtigkeit und -effizienz einerseits sowie das öffentliche Interesse an der Beachtung gesetzgeberischer Wertungen im Bereich des Wirtschaftsrechts andererseits miteinander in Einklang zu bringen.

IV. Fazit Der Durchgang durch das U.S.-amerikanische Recht der Gerichtsstandsvereinbarung und des Schiedsvertrags hat die für die Zulässigkeit von Prozeßverträgen charakteristischen Problemlagen nochmals beleuchtet. Bei der Lösung der Zulässigkeitsfrage sind die Gerichte der Vereinigten Staaten quasi von einem Extrem in das andere geraten. In der älteren Judikatur wurde unter Berufung auf den zwingenden Charakter der Zuständigkeitsordnung (nonouster) bzw. vermeintliche öffentliche Interessen (public policy) die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen a limine verneint und diejenige von Schiedsverträgen in erheblichem Umfang beschnitten. Die Sicherungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und die Vertragsgerechtigkeit spielten in diesem Zusammenhang nur unselbständige Nebenrollen. Als sich die Petrifizierung des Prozeßrechts gegenüber der Privatautonomie nicht mehr rechtfertigen ließ, wurden Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen jedoch nicht nur von ihren publizistisch motivierten Zulässigkeitsschranken befreit, sondern die um den Schutz der disponierenden Partei besorgten Kautelen des allgemeinen Vertragsrechts ebenfalls über Bord geworfen. Die allenthalben geübte Kritik an der neueren Rechtsprechung des U.S.-Supreme Court ist daher berechtigt. Eine Rückkehr zu einem wieder mehr publizistischen Interessen verpflichteten Prozeßverständnis kommt gleichwohl nicht in Betracht. Die Entwicklung des amerikanischen Prozeßvertragsrechts bestätigt vielmehr die oben für das deutsche Recht erarbeitete Einsicht, nach denen die Zulässigkeitsfrage vor allem ein Problem des allgemeinen Vertragsrechts ist. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, in denen greifbare öffentliche Interesse tangiert werden, sind Prozeßverträge tatsächlich „like any other contract" 719 .

718 Andeutungen in diese Richtung finden sich immerhin in Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614, 638 (1985). 719 Northwestern National Insurance Co. v. Donovan, 916 F.2d 372, 376 (7th Cir. 1990, Posner, J.) mit Blick auf Gerichtsstandsvereinbarungen.

H.

Zusammenfassung

209

H. Zusammenfassung 1. Zwischen dem materiellen Privatrecht und seinem zugehörigen Verfahrensrecht besteht ein Wertungszusammenhang. In normativer Hinsicht entsprechen die auf die streitige Auseinandersetzung bezogenen Verfahrensregeln der Z P O den naturalia negotii des materiellen Rechts. Prozeßvereinbarungen gehören in analytischer Hinsicht zwar dem öffentlichen Recht an, sind jedoch den materiell-rechtlichen Nebenbestimmungen des subjektiven Rechts funktional äquivalent; sie sind verfahrensbezogene accidentalia negotii. Als solchen kann ihnen die Zulässigkeit nicht pauschal abgesprochen werden: Die Petrifizierung von Verfahrensregeln, die einem der Privatautonomie verpflichteten materiellen Recht dienen, kann ebenso wenig in Betracht kommen wie die Abschiebung berechtigter Flexibilisierungsinteressen der Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit. 2. Entgegen der herrschenden Meinung ist der legitime Anwendungsbereich des Prozeßvertrags nicht koextensiv mit dem Umfang dispositiven Zivilprozeßrechts. Die Disposition über prozessuale Befugnisse, deren Ausübung den Parteien nach der ZPO freigestellt ist, widerspricht nicht dem Geltungsanspruch von Rechtsnormen und hat folglich mit der Problematik dispositiven Rechts nichts zu tun. Die Zulässigkeit der Befugnisdisposition ergibt sich ohne weiteres aus dem normativen Nexus zwischen Privatrecht und Zivilprozeßrecht. 3. Soweit die Parteien von Bestimmungen des positiven Zivilprozeßrechts abweichen (Normdisposition), um das Verfahrensrecht ihren individuellen Bedürfnissen anzupassen, bedürfen sie dafür der gesetzlichen Ermächtigung. Letztere wird in den §§ 38 ff., 108 Abs. 1 S. 2, 224, 404 Abs. 4, 816 Abs. 1, 2, 825 Abs. 1 S. 2, 1025 ff. Z P O ausdrücklich ausgesprochen und ist im übrigen durch Auslegung der konkret betroffenen Rechtsnorm zu ermitteln. Der zwischen Privat- und Verfahrensrecht bestehende Wertungszusammenhang erfordert die Angabe konkreter Gründe, die eine Einschränkung der prozessualen Parteiautonomie fordern und legitimieren. In diesem Zusammenhang bedarf es allerdings keiner Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Zwingendes Zivilprozeßrecht ist - ebenso wie das materielle Privatrecht - keineswegs notwendig durch öffentliche Belange motiviert, sondern dient in vielen Fällen dem Schutz des einzelnen, hier also der Gewährleistung eines fairen Verfahrens im Parteiinteresse. Soweit publizistische Belange eine Rolle spielen, ist zwischen konkreten Zwecken des Allgemeinwohls, wie beispielsweise der Information der Öffentlichkeit, und dem allgemeinen öffentlichen Interesse am effizienten Einsatz knapper Justizressourcen zu differenzieren. Letzteres legitimiert nicht nur die lex-fori-Regel des internationalen Zivilprozeßrechts, sondern hat auch Bedeutung für das interne Verfahren: Prozeßvertraglichen Gestaltungen, mit denen die Parteien mehr Justizressourcen für sich in Anspruch zu nehmen suchen, als ihnen nach der Prozeßordnung zusteht, ist die Gefolgschaft zu versagen.

210

2. Kapitel: Die Zulässigkeit von

Prozeßverträgen

4. Der zwischen Privat- und Zivilprozeßrecht bestehende Wertungszusammenhang ist nicht nur dazu geeignet, verfahrensbezogene Vereinbarungen zu legitimieren, sondern bewährt sich auch bei der Bestimmung von deren Grenzen. Einschränkungen der materiell-rechtlichen Privatautonomie sind folglich auch für das Prozeßrecht verbindlich, wie am Beispiel der §§ 29a, 616 f., 1030 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 ZPO, 4, 101 ArbGG deutlich zum Ausdruck kommt. Außerhalb dieser Sonderregelungen kommt es entscheidend darauf an, bestehende Restriktionen der Privatautonomie nicht zu überzeichnen. Ius cogens bezweckt nämlich in aller Regel lediglich die Sicherung der Entstehung eines Rechts und läßt die Befugnis der Parteien zur Disposition ex post unberührt. Der Gläubiger eines durch zwingendes Recht gesicherten Anspruchs kann über diesen nicht nur tatsächlich disponieren, indem er seine Geltendmachung unterläßt, sondern auch auf rechtsgeschäftlichem Weg über ihn verfügen, indem er ihn stundet oder erläßt - oder einen Prozeßvertrag schließt. Nur ausnahmsweise, und de lege lata lediglich im Arbeits- und Wirtschaftsrecht, erstreckt sich der Ausschluß privatautonomer Regelungsmacht auch auf die Verfügung über bereits entstandene Ansprüche. Soweit derartige Restriktionen bestehen, sind sie selbstverständlich auch für das Prozeßvertragsrecht beachtlich, bleiben aber eine begründungsbedürftige Ausnahme: Der Geltungsmodus des zwingenden Rechts schließt den Verzicht auf bestehende Ansprüche nicht ohne weiteres aus. 5. Die ältere Lehre wußte sich gegenüber Mißbräuchen der prozessualen Dispositionsfreiheit in der Regel nur durch Invalidierung ganzer Vertragstypen zu helfen. Diesem Regelungsmuster folgt teilweise auch noch die Gerichtsstandsnovelle von 1974, wenig später ist seine Legitimationsgrundlage jedoch durch Inkrafttreten des A G B G entfallen. Die Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen schließt den Mißbrauch der Vertragsfreiheit im Bereich des Massenverkehrs zuverlässig aus, und darüber hinaus wird der Verbraucher durch § 24a A G B G sogar vor mißbräuchlichen Klauseln in vorformulierten Individualverträgen geschützt. Zusammen mit den Sicherungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre verbürgt das AGBG auch im Prozeßvertragsrecht ein hohes Schutzniveau, das die Diskriminierung bestimmter Typen von Prozeßvereinbarungen weithin erübrigt. Bei der Anwendung des A G B G im einzelnen erweist sich wiederum die Differenzierung zwischen Verträgen im Rahmen dispositiven Prozeßrechts und Dispositionen über prozessuale Befugnisse als fruchtbar, weil insoweit gemäß § 9 Abs. 2 Nrn. 1, 2 A G B G differenzierte Prüfungsmaßstäbe anzulegen sind. In der Sache kommt es darauf an, vertraglichen Verstößen gegen das Gebot der prozessualen Waffengleichheit mit Hilfe der Inhaltskontrolle entgegenzutreten. Spezielle Aufmerksamkeit erfordern diejenigen Vereinbarungen, mit denen ein Surrogatverfahren inauguriert wird, wie dies bei Schieds-, Schlichtungsund Musterprozeßvereinbarungen der Fall ist. Insoweit ist eine zweistufige Prüfung angebracht: Zunächst ist die faire Ausgestaltung des außergerichtlichen Verfahrens selbst strikt zu gewährleisten, während es sodann darauf

H.

Zusammenfassung

211

ankommt, ob die Anordnung eines fair ausgestalteten Surrogatverfahrens dem Verwender dadurch entgegenkommt, daß er seine im Verhältnis zum Kunden überlegene Verfahrensgewandtheit ausspielen kann. 6. Das A G B G gilt nur für Allgemeine Geschäftsbedingungen und für vorformulierte Einzelverträge im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher, nicht aber für sonstige Individualvereinbarungen und generell nicht im Arbeitsund Gesellschaftsrecht. Die in § 23 Abs. 1 A G B G normierten Bereichsausnahmen sind jedoch von der Rechtsentwicklung de facto wieder rückgängig gemacht worden, weil die Inhaltskontrolle von Satzungen und Gesellschaftsverträgen auf der Grundlage des § 242 BGB heute ebenso anerkannt ist wie die Inhaltskontrolle Allgemeiner Arbeitsbedingungen und sonstiger Formularverträge des Arbeitsrechts. Die Vertragsgerechtigkeit erscheint unter modernen Bedingungen deshalb umfassend gewährleistet, so daß eine Liberalisierung des Prozeßvertrags auch außerhalb des Anwendungsbereichs des A G B G gerechtfertigt und geboten ist. 7. Der Rechtsvergleich mit dem U.S.-amerikanischen Zivilprozeßrecht bestätigt zum einen die auch für das deutsche Recht verbindliche Liberalisierungstendenz. Auf der anderen Seite beleuchtet die amerikanische Entwicklung die Gefahren einer Dogmatik, die zwischen zwingenden öffentlichen Interessen, Restriktionen des materiell-rechtlichen Dispositionsspielraums und elementaren, der Vertragsgerechtigkeit verpflichteten Prinzipien der Rechtsgeschäftslehre nicht unterscheiden kann. Wegen der Verschmelzung aller drei Gesichtspunkte in dem für Gerichtsstandsvereinbarungen geltenden „reasonableness-Test", bzw. in der für den Schiedsvertrag zentralen Voraussetzung einer weit verstandenen „arbitrability", war stets die Gefahr begründet, daß der Abbau der publizistisch motivierten Schranken der prozessualen Parteiautonomie auch unverzichtbare Gebote der Vertragsgerechtigkeit mit sich reißt, wie dies in der jüngeren Rechtsprechung des obersten Gerichts der USA auch geschehen ist. Da das deutsche Recht überaus wirksame Sicherungen auch der prozessualen Vertragsgerechtigkeit bereithält, läßt sich aus dieser amerikanischen Entwicklung kein Argument für die Petrifizierung des Verfahrensrechts herleiten.

3. Kapitel

Wirkungen der Prozeßverträge

Die Bestimmung der Wirkungen eines Prozeßvertrags macht in der Regel keine Schwierigkeiten, wenn sich die Parteien vertragskonform verhalten, also beispielsweise eine anhängige Klage in Erfüllung eines Rücknahmeversprechens vom Kläger zurückgenommen wird. Probleme entstehen erst im umgekehrten Fall, wenn also der Kläger sein Rechtsschutzbegehren unter Verstoß gegen das von ihm gegebene Versprechen nicht zurücknimmt. Unabhängig von den sogleich darzustellenden Meinungsverschiedenheiten läßt sich eine grundlegende Differenzierung ausmachen, an der sich auch die folgenden Erörterungen orientieren. Zum einen geht es um den Einfluß von Prozeßverträgen auf denjenigen Rechtsstreit, auf den sie sich beziehen, zum Beispiel um die Frage, wie sich die Nichterfüllung eines Klagerücknahmeversprechens auf das anhängige Verfahren auswirkt. Dieser Rechtsstreit kann als Primärprozeß bezeichnet werden. Unabhängig davon kommen verfahrensbezogene Vereinbarungen aber auch als Grundlage für Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche in Betracht, bei denen sich die Frage nach ihrer Durchsetzbarkeit in einem weiteren Rechtsstreit stellt. Letzterer wird im folgenden Sekundärprozeß genannt. Wie die beiden vorangegangenen Kapitel gezeigt haben, bestehen erhebliche Meinungsverschiedenheiten über Rechtsnatur und Zulässigkeit verfahrensbezogener Vereinbarungen, die im Rahmen der nunmehr zu behandelnden Thematik noch nachwirken. Die Feindseligkeit insbesondere der älteren Literatur gegenüber Prozeßverträgen und das Ausweichen der Rechtsprechung auf materiell-rechtliche Ersatzkonstruktionen machte die Bestimmung der Wirkungen von Prozeßverträgen schwieriger, als sie es sonst gewesen wäre. Weitere Komplexität hat die Problematik dadurch erhalten, daß Schiedermair einen Neubeginn der Prozeßvertragslehre versuchte, indem er aus dem materiellen Recht die Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsverträgen übernahm und den Verfügungscharakter verfahrensbezogener Vereinbarungen als eine analytische Notwendigkeit ausgab. Da Verpflichtungsgeschäften aus begrifflichen Gründen prozessuale Wirkung versagt werden mußte, hatte die Kategorie des Verfügungsgeschäfts sämtliche Vertragstypen aufzunehmen, denen verfahrensrechtliche Rechtsfolgen vindi-

A. Meinungsstand

213

ziert werden sollten. Die Folgen dieser selbstgeschaffenen Zwänge belasten die Diskussion über die Wirkungen von Prozeßverträgen bis heute.

A. Meinungsstand Die auf die Frage nach den Wirkungen verfahrensbezogener Vereinbarungen von Rechtsprechung und Literatur gegebenen Antworten decken das gesamte Spektrum denkbarer Möglichkeiten ab. Eine Extremposition wird von Niese markiert, der mit K. Hellwig und Goldschmidt gesetzlich nicht geregelte Prozeßverträge für schlechthin unzulässig hält 1 , die vertragliche Disposition über prozessuale Befugnisse jedoch als materiell-rechtliche Vereinbarung auffaßt und ihnen auf diese Weise doch noch zur Anerkennung verhilft. Konsequenterweise kann den so verstandenen materiell-rechtlichen Verträgen über prozessuale Beziehungen aber kein Einfluß auf den Primärprozeß eingeräumt werden. Hat sich der Kläger vertraglich zur Rücknahme der Klage verpflichtet, besteht nach Niese also keine Möglichkeit, ihn im anhängigen Prozeß zur Rücknahme der Klage zu zwingen oder den Rechtsstreit auf sonstige Weise gegen seinen Willen ohne Sachurteil zu beenden2. Aber auch was einen möglichen Sekundärprozeß anlangt, lehnt es Niese ab, dem Vertrag im Wege einer Erfüllungsklage zur Durchsetzung zu verhelfen, weil als Prozeßvertrag unzulässige Vereinbarungen auch nicht über den Umweg eines materiell-rechtlichen Rechtsgeschäfts Eingang in den Primärprozeß finden dürften: „Die Annahme eines klagbaren Anspruchs auf Erfüllung würde die Folge haben, daß das vom Staat zur Rechtsverwirklichung eingesetzte Organ, das Gericht, selbst dazu helfen müßte, seine Aufgabe, der Rechtsfindung, zu erschweren" 3 . Die einzige Wirkung, die ein Vertrag über die Ausübung prozessualer Befugnisse nach dieser Auffassung hervorzubringen imstande ist, besteht darin, eine Rechtsgrundlage für Schadensersatzansprüche zu begründen, deren Durchsetzung im Wege eines Sekundärprozesses dann allerdings nichts im Wege stehen soll 4 . Ähnlich restriktiv ist der Standpunkt Mendelssohn Bartholdys, der im Fall des Klagerücknahmeversprechens aber immerhin Erfüllungsansprüche auf „Abgabe der Willenserklärung der Klagerücknahme" gewähren will, die der Beklagte noch im

Vgl. oben, 2. Kapitel, A, S. 49 f., Fn. 7 ff. Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 82 ff.; ders., Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 150 f.; ähnlich Oertmann, ZZP 45, 389, 426 f., für den antizipierten Rechtsmittelverzicht. 3 Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 87; genauso ders., Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 150 f. 4 Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 89; ders., Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 151; Oertmann, ZZP 45, 389, 426 f. 1

2

214

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

Rahmen des Primärprozesses im Wege der Widerklage durchsetzen können soll 5 . Die Gegenposition zu den eben beschriebenen Ansätzen ist vor allem von Schlosser formuliert worden. Ausgehend von der Einsicht, daß etwa fortbestehende Skrupel hinsichtlich der Zulässigkeit von Prozeßverträgen die Anknüpfung sachlich gebotener Rechtsfolgen nicht hindern sollten, postuliert er die denkbar stärkste, nämlich „unmittelbare", Wirkung von Prozeßvereinbarungen 6. Prozeßhandlungen, die entgegen einer vertraglichen Unterlassungspflicht vorgenommen wurden, etwa ein vertragswidrig eingelegter Rechtsmittelverzicht, seien unwirksam, ohne daß es der Geltendmachung einer entsprechenden Einrede bedürfe. Gleiches soll sogar für vertraglich übernommene Handlungspflichten gelten, so daß das Klagerücknahmeversprechen den Rechtsstreit auch dann beendet, wenn der Kläger sich nicht vertragskonform verhält: „Mit Bekanntwerden des Klagerücknahmeversprechens gilt die Klage [...] als zurückgenommen mit der Folge, daß die Rechtshängigkeit des Anspruchs beendet ist; dann aber ist auch für eine klagabweisende Entscheidung wegen der durch das Klagerücknahmeversprechen mitgewollten Unklagbarkeit des Anspruchs kein Raum mehr" 1 . Weder die eine noch die andere der eben geschilderten „Extrempositionen" haben sich in Rechtsprechung und Literatur durchsetzen können, die ganz überwiegend eine Lösung favorisieren, die von Schlosser treffend als „Einredetheorie" bezeichnet worden ist. Verfahrensbezogenen Vereinbarungen wird zwar anders als nach Niese eine Wirkung im Primärprozeß zugestanden, die jedoch - entgegen Schlosser - regelmäßig keine „unmittelbare" sein soll. Lediglich einigen der im Gesetz geregelten Vertragstypen, wie etwa der Gerichtsstandsvereinbarung, werden „prozessuale Verfügungswirkung" bzw. „Gestaltungswirkung" zugebilligt, die das Gericht von Amts wegen zu beachten hat 8 . Abgesehen von diesen Sonderfällen wirken verfahrensbezogene Vereinbarungen nur dann auf den Primärprozeß ein, wenn sie von dem begünstigten Teil durch Erhebung einer Einrede geltend gemacht werden. Die herrschende 5 Mendelssohn Bartholdy, Anm. zu RG, JW 1921, 1244 f. (= RGZ 102, 217); ganz ähnlich Thomas/Putzo, § 269 Rdnr. 2, die allerdings parallel dazu dem Beklagten eine Einrede gewähren, die zur Prozeßabweisung führen soll (dazu sogleich); ablehnend Barz, Klagerücknahmeversprechen, S. 22 f. 6 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 49 ff.; dem grundsätzlich folgend Emmerich, ZZP 82, 413, 421; ähnlich, wenn auch nicht ganz so weit gehend MünchKommZPOG. Luke, Einl. Rdnr. 289, wohl auch Johannsen, Anm. zu BGH, LM Nr. 1 zu § 307 ZPO. 7 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 72 (Hervorhebung hinzugefügt); für den Rechtsmittelzurücknahmevertrag genauso a. a. O., S. 82; ähnlich wohl Herschel, Anm. zu BAG, AP Nr. 4 zu § 4 KSchG; insoweit anders MünchKommZPO-G. Lüke, Einl. Rdnr. 289, § 269 Rdnr. 12, nach dem Klage- bzw. Rechtsmittelrücknahmeversprechen den Rechtsstreit nicht ohne weiteres beenden, sondern das vertragswidrig weiterverfolge Begehren als unstatthaft zu verwerfen ist. 8 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 99 f.; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 246; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 723; Zöller-Greger, Vor § 128 Rdnr. 26; für die Prorogation auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 II, S. 367.

A.

Meinungsstand

215

Meinung bildet allerdings keinen monolithischen Block, sondern zerfällt ihrerseits in verschiedene Ansätze, die sich in zahlreichen Punkten voneinander unterscheiden. Ein von Schiedermair begründeter Hauptstrang der Einredetheorie folgert aus dem Begriff des Prozeßvertrags seine unmittelbare prozeßrechtliche Wirkung, die der aus dem materiellen Recht bekannten Verfügungswirkung ähnlich sei9. Mit der positiven Verfügungswirkung, etwa mit der Prorogation eines sonst nicht kompetenten Gerichts, würden prozessuale Rechtslagen begründet, während ein Vertrag mit negativer Verfügungswirkung, beispielsweise die Derogation einer sonst bestehenden Zuständigkeit, prozessuale Rechtslagen aufhebe 10 . Selbst Vereinbarungen nach Art des Klagerücknahmeversprechens seien keine schuldrechtlichen Verpflichtungs-, sondern prozessuale Verfügungsverträge, mit denen auf ein prozessuales Recht verzichtet werde. Verspreche der Kläger die Rücknahme seines Begehrens, verzichte er in Wahrheit auf das Recht zur Fortsetzung des anhängigen Prozesses, so daß die gleichwohl weiterbetriebene Klage als unzulässig abzuweisen sei 11 . Trotz ihrer prozessualen Verfügungswirkung müsse das Gericht Prozeßvereinbarungen allerdings nur ausnahmsweise, etwa im Fall der Gerichtsstandsvereinbarung, von Amts wegen berücksichtigen12. Regelmäßig und insbesondere bei den praktisch wichtigen Verzichtsverträgen, bedürfe es dagegen der Erhebung einer prozessualen Einrede durch den vertraglich Begünstigten, um das Gericht zu ihrer Beachtung zu veranlassen B . Die negative Verfügungswirkung einer 9 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 95 f.; genauso A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VIII, S. 176 f.; H.-J. Hellwig, Systematik, S. 59; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 II, S. 368; Siebert, Musterprozeß, S. 25. 10 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 97 ff.; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VIII, S. 177; H.-J. Hellwig, Systematik, S. 61; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 II, S. 367. 11 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 117 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 II, S. 367 f.; § 130 I 2, S. 756; Siebert, Musterprozeß, S. 42 ff. 12 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 99; genauso H.-J. Hellwig, Systematik, S. 62. Ob außer der Gerichtsstandsvereinbarung noch weitere Prozeßverträge von Amts wegen zu berücksichtigen sind, läßt Schiedermair offen. Gegen eine Prüfung von Amts wegen auch BGHZ 24, 15, 19; BGH, NJW 1984, 669. 13 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 125 ff.; genauso A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VIII, S. 176 f.; H.-J. Hellwig, Systematik, S. 59; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 II, S. 367 f.; § 130 I 2, S. 756; Siebert, Musterprozeß, S. 42 ff.; ähnlich Eickmann, Beweisverträge, S. 29 f., der Prozeßverträge zwar durchgängig materiell-rechtlich qualifiziert (S. 27 f.), aus ihnen aber gleichwohl eine dem § 1032 Abs. 1 ZPO (= § 1027a ZPO a. F.) entsprechende prozessuale Einrede herleiten will; ähnlich auch Baumgärtel, der bei Verfügungsverträgen wie Schiedermair eine prozessuale Einrede, bei Verpflichtungsverträgen hingegen eine exceptio doli annimmt, vgl. ders., Prozeßhandlung, S. 208 f., 264 f. Auf der Grundlage der von Schiedermair vertretenen Auffassung von der Verfügungswirkung der Prozeßverträge wird die zu ihrer Berücksichtigung erforderliche Einrede zum Teil abweichend qualifiziert, nämlich als exceptio doli oder exceptio pacti. Im erstgenannten Sinn wohl A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, §30 VIII, S. 177. Im Sinne einer exceptio pacti hingegen Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 6 6 II, S. 367 f.; für die patentrechtliche Nichtangriffsabrede auch BGHZ 10, 22, 23 (= JZ 1953, 667 m. zust. Anm. Moser

216

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

Prozeßvereinbarung sei weniger einer von Amts wegen zu prüfenden Proze&voraussetzung als vielmehr den Prozeßhindernissen vergleichbar, die anerkanntermaßen ebenfalls nur auf Einrede zu berücksichtigen sind H . Während Schiedermair demnach nur prozessuale Verfügungsverträge kennt und gleichwohl für deren Beachtung in aller Regel die Erhebung einer Einrede fordert, will eine andere, insbesondere auch in der Rechtsprechung verbreitete Meinung für den Anwendungsbereich der Einredetheorie zwischen Verfügungs- und Verpflichtungsverträgen differenzieren. Gerade die Verfügungsverträge - etwa die Gerichtsstandsvereinbarung oder ein vertraglicher Verzicht auf das Klagerecht - sollen regelmäßig von Amts wegen zu beachten sein, während Verpflichtungsverträge nach dieser Auffassung stets einer Einrede des Gläubigers bedürfen, um das Gericht zu ihrer Berücksichtigung zu veranlassen15. Die dadurch provozierten Fragen nach dem Rechtscharakter der Verpflichtungsverträge, der Qualifikation der Einrede sowie dem Modus ihrer Einwirkung auf den anhängigen Primärprozeß bleiben jedoch unklar und umstritten. Der überwiegende Teil der Judikatur und der Literatur qualifiziert die Verpflichtungsverträge materiell-rechtlich und die aus ihnen abgeleitete Einrede als eine exceptio doli, aufgrund derer die vertragswidrige Prozeßhandlung verworfen bzw. die entgegen einem Klagerücknahmeversprechen weiterverfolgte Klage als unzulässig abgewiesen wird 16 . Verbreitet wird zur Rechtfertigung dieser Rechtsfolgen auch auf das ebenfalls in § 242 B G B verwurzelte Verbot des venire contra factum proprium rekurriert17. Nach anderer Ansicht handelt es sich hingegen um eine sog. exceptio pacti, die ebenfalls die eben genannten prozessualen Rechtsfolgen äußern soll 18 . v. Filseck = GRUR 1954, 23 m. zust. Anm. Alexander-Katz); Benkard-Äogge, PatentG, § 22 Rdnr. 25a; /. Kohler, Patentrecht, S. 378; Lindenmaier-.Rö'W, § 37 Rdnr. 6; v. Maitzahn, FS v. Gamm, S. 597, 602; Schulte, PatentG, § 81 Rdnr. 23. 14 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 126 f. 15 Allgemeine Aussagen zu dieser Problematik lassen sich nur selten finden. Vgl. aber immerhin Grunsky, Grundlagen, §23 II 2, S. 211; Stein/Jonas-Leipold, Vor §128 Rdnrn. 246 f.; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 723 f.; Thomas/Putzo, Einl. III Rdnrn. 7 f. Ähnlich auch Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 208 f., 264 f., nach dem Verfügungsverträge eine Prozeßeinrede, Verpflichtungsverträge hingegen eine exceptio doli processualis begründen. Speziell zum Klageverzicht Reichel, JherJb. 60, 38, 78 ff., weitere auf Einzelfragen bezogene Nachweise in den folgenden Anmerkungen. 16 RGZ 102, 217, 222 f.; 159, 186, 190; RG, SeuffA 83 (1929), Nr. 183, S. 222; BGH, NJW 1964, 549, 550; 1985, 189; NJW-RR 1989, 802; AK-ZPO -Wassermann, § 269 Rdnr. 2; Baumbach/Lauterbach-Hiiriwiinw, Grundz. §128 Rdnr. 50, §269 Rdnr. 10; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 264 f.; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 294 f.; Käppier, Anm. zu BAG, EzA Nr. 13 zu § 4 KSchG, S. 72; H. Roth, Einrede, S. 243; Stein/JonasLeipold, Vor § 128 Rdnr. 247; M. Wolf, Anerkenntnis, S. 51. 1 7 BGH, NJW 1984, 805; NJW-RR 1989, 802. 18 BGHZ 10, 22, 23 ff.; 28, 45, 52; BGH, NJW 1986, 198; Barz, Klagerücknahmeversprechen, S. 54 ff.; Baumgärtel, FS Schima, S. 41, 42 f. Fn. 11; Schwab, FS Baumgärtel, S. 503, 512; Siebert, Musterprozeß, S. 42, 71; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 724; Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, S. 105 f.; ders., NJW 1967, 703, 706 mit Fn. 48; wohl auch Zöller-Greger, Vor § 128 Rdnr. 32.

A. Meinungsstand

217

Unabhängig von der Möglichkeit, die Wirkung von Prozeßverträgen im Primärprozeß zur Geltung zu bringen, stellt sich die Frage nach ihrer Durchsetzbarkeit im Wege eines Sekundärprozesses. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den internationalen Zivilprozeß, weil häufig nicht gewährleistet ist, daß ausländische Gerichte privatautonomen Dispositionen Folge leisten 19, kann aber auch im internen Zivilrechtsverkehr zum Problem werden. Beispielsweise hatte das OLG Bamberg über eine Klage zu entscheiden, mit der ein Bauherr die Verurteilung eines Nachbarn zur Rücknahme einer von letzterem angestrengten verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung begehrte20. Das Gericht verneinte im konkreten Fall zwar das Vorliegen eines Klagerücknahmeversprechens, bejahte indessen grundsätzlich die Möglichkeit, derartige Vereinbarungen mit Hilfe eines Sekundärprozesses durchzusetzen21. Damit befand sich das O L G im Einklang mit einem Teil der höchstrichterlichen Rechtsprechung, denn bereits das RG hatte die Klage auf Rücknahme eines Strafantrags ohne weiteres akzeptiert22 und der B G H hat diese Rechtsprechung nicht nur fortgesetzt 23 , sondern darüber hinaus auch die klageweise Geltendmachung einer vollstreckungsbeschränkenden Vereinbarung zugelassen24. Indessen finden sich in der Judikatur auch Gegenbeispiele, die diesem großzügigen Standpunkt nicht folgen 25 , und in der Literatur stößt er ebenfalls nur zum Teil auf Zustimmung26, während ganz überwiegend die Durchsetzung von Prozeßverträgen mit Hilfe von Sekundärprozessen für unzulässig gehalten wird. Eine besonders strikte Ansicht lehnt Erfüllungsklagen aus prinzipiellen Gründen und a limine ab: Andernfalls werde die Stufung der Instanzen und die daran anknüpfende differenzierte Zuständigkeitsordnung überspielt und der „Verschachtelung" von Prozessen Vorschub geleistet27. Ein moderaterer Standpunkt begründet die Unzulässigkeit von Sekundärprozessen hingegen damit, einer Erfüllungsklage fehle im Hinblick auf die nach der herrschenden Meinung gegebenen Einredebefugnis im Primärprozeß das Rechtsschutzbedürfnis und hält sich damit die Möglichkeit offen, Ausnahmen anzuerkennen

Vgl. dazu eingehend unten, unter C I 1, S. 256; C II 2, S. 267 ff. O L G Bamberg, DVB1 1967, 55 mit krit. Anm. Hillermeier, DVBl 1967, 19, 20 f. 2 1 O L G Bamberg, DVBl 1967, 55, 57. 2 2 RGZ 42, 60, 64 f. 2 3 BGH, NJW 1974, 900 mit abl. Anmerkung Meyer, S. 1325 f.; genauso O L G München, MDR 1967, 223. 2 4 BGH, NJW 1968, 700 f. 2 5 BGH, NJW 1965, 1803. 26 Barz, Klagerücknahmeversprechen, S. 18 ff.; Baumbach/Lauterbach-//oW, Vor § 128 Rdnr. 246; Z ö l l e r - G r e g e r , Vor § 128 Rdnr. 26. 105 RGZ 102, 217, 222; 123, 84, 85; Barz, Klagerücknahmeversprechen, S. 28 ff.; Baumgärtel, ZZP 86, 353, 364; Eickmann, Beweis Verträge, S. 29; Grunsky, Grundlagen, § 23 II 2, S. 211; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 69 III 2, S. 271; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 62; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 724. 103

104

234

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

und zwar besonders dann, wenn die Disposition über prozessuale Befugnisse mit der hier vertretenen Auffassung nicht als Verfügungsgeschäft, sondern als Verpflichtungsvertrag qualifiziert wird. Die Gegenauffassung hat damit vergleichsweise wenig Mühe, denn ist eine konkrete prozessuale Befugnis durch entsprechende Verfügung aufgegeben worden, ist die gleichwohl vorgenommene Prozeßhandlung unzulässig und muß vom Gericht zurückgewiesen werden106. Tatsächlich scheint der Verpflichtungscharakter eines Vertrages seiner Berücksichtigung im Primärprozeß entgegen zu stehen. Wer sich lediglich verpflichtet, ein Rechtsmittel nicht einzulegen, hat über die prozessuale Befugnis noch nicht verfügt. Letztere besteht fort und kann weiterhin ausgeübt werden. Vor diesem Hintergrund wird verbreitet versucht, die Einwirkung der - materiell-rechtlich qualifizierten - Verpflichtungsverträge auf den Primärprozeß mit Hilfe einer Einrede zu begründen, die entweder als exceptio doli oder als exceptio pacti qualifiziert wird. Wie noch näher zu zeigen sein wird, können diese Lösungen indessen nicht überzeugen107. Sie sind jedoch nicht nur dogmatisch unhaltbar, sondern darüber hinaus auch überflüssig, um die Wirkung der Verpflichtungsverträge im Primärprozeß zu begründen. Die Differenzierung zwischen Verfügung und Verpflichtung hängt im materiellen Recht eng mit der Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft zusammen. Eben dieser Aspekt macht im vorliegenden Zusammenhang Schwierigkeiten, weil bei Anerkennung der Beachtlichkeit verfahrensrechtlicher Verpflichtungsverträge im Primärprozeß die Verpflichtung unter der Hand in eine Erfüllung umzuschlagen scheint. Das materielle Recht erlaubt jedoch demjenigen, der sich erst verpflichtet hat, über die Erfüllung seiner Verpflichtung noch zu disponieren. Der Gläubiger erhält durch die Verpflichtung keinen unmittelbaren Zugriff auf Person und Vermögen des Schuldners, sondern muß sich dafür des gerichtlichen Zwangsvollstreckungsapparats bedienen, was im Regelfall ein vollstreckbares Urteil und damit die Durchführung eines Erkenntnisverfahrens voraussetzt, in dem sich ein Gericht der Wirksamkeit der Verpflichtung vergewissert. Erst Uberprüfung und Sanktion der Verpflichtung durch ein Gericht legitimieren also die zwangsweise Erfüllung der Verpflichtung108.

106 Vgl. Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 208: „Der antizipierte Rechtsmittelverzicht begründet jedoch insofern unmittelbar einen prozessualen Tatbestand, als die Befugnis zur Einlegung des Rechtsmittels im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung erlischt [...]. Dieser Tatbestand ist die Grundlage für die Verwerfung des Rechtsmittels [•••]"• Genauso Schiedermair, Vereinbarungen, S. 115 f f 1 1 7 . 107 Vgl. dazu sogleich, unter B III 1 b, c, S. 239 ff. 108 Die Regelung des § 794 Abs. 1 ZPO widerspricht der These von der legitimatorischen Kraft des gerichtlichen Urteils für den zwangsweisen Zugriff auf den Schuldner und sein Vermögen nicht. Auch bei den sonstigen Zwangsvollstreckungstiteln handelt es sich

B. Wirkung im

Primärprozeß

235

Diese Ratio des Grundsatzes, daß eine Verpflichtung nicht ohne weiteres in ihre Erfüllung umschlagen darf, ist entscheidend auch für die Definition seiner Grenzen. Die prozessualen Verpflichtungsverträge weisen nämlich die Besonderheit auf, daß sie nicht außerhalb des Prozesses stehen, sondern sich auf den Rechtsstreit selbst beziehen. An letzterem ist aber ein staatliches Gericht von vornherein beteiligt, das die Aufgabe hat, die Zulässigkeit von Prozeßhandlungen der Parteien zu überprüfen 109 . Mit einer Metapher Bülows läßt sich deshalb sagen, „daß also das Prozeßrechtsverhältniß sich gleichsam [...] selbst überwacht" u 0 . Das Gericht ist dabei keineswegs auf die deklaratorische Feststellung beschränkt, eine bestimmte Prozeßhandlung sei unbeachtlich, weil die Partei die jeweilige Befugnis durch Verfügung aufgegeben habe. Eine Prozeßhandlung ist nicht nur dann als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Partei die jeweilige Handlungsbefugnis gänzlich fehlt, sondern auch in dem Fall, daß die Partei mit der Ausübung der Befugnis gegen ihr obliegende Pflichten verstößt. Nicht nur Beschränkungen des rechtlichen Könnens, sondern auch solche des rechtlichen Dürfens sind also bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Prozeßhandlung zu bedenken. Dementsprechend muß das Gericht prüfen, ob eine bestimmte Prozeßhandlung gegen die Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 Z P O verstößt. Genauso muß auch die Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung beachtet und ggfs. die rechtswidrige Prozeßhandlung als unzulässig zurückgewiesen werden 111 . Dem „Schuldner" geschieht dadurch kein Unrecht, denn er kann nicht mehr verlangen, als daß ein Gericht die Wirksamkeit seiner Verpflichtung prüft, bevor es Sanktionen verhängt. Die Schwierigkeiten mit der Begründung der Einwirkung der Verpflichtungsverträge auf den Primärprozeß, die den von Schiedermair eingeleiteten Trend zur Annahme von Verfügungswirkungen so begünstigt haben, erweisen sich danach als Scheinproblem 112 .

nämlich bis auf den Fall des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO sämtlich um gerichtliche Entscheidungen bzw. - im Fall des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO - um einen gerichtlich zertifizierten Vertrag. Und die vollstreckbare Urkunde verschiebt lediglich die Initiativlast für das Gerichtsverfahren vom Gläubiger (Leistungsklage) auf den Schuldner (Vollstreckungsgegenklage). 109 Deubner, JuS 1989, 750, 752 in Fn. 9; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 291. 110 Bülow, Prozeßeinreden, S. 304. 111 Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 294 f. 112 Ähnlich MünchKommZPO-G. Lüke, Einl. Rdnr. 289.

236

b) Prozeßverträge

3. Kapitel: Wirkungen der

mit

Prozeßverträge

Gegenleistungspflicht

Die eben erarbeitete Lösung ermöglicht auch eine dogmatisch zwanglose Erfassung derjenigen Vereinbarungen, bei denen die Verpflichtung zu einem bestimmten prozessualen Verhalten im synallagmatischen Verhältnis zu einer Gegenleistungspflicht steht, wie etwa im Fall des entgeltlichen, im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs gegebenen Klagerücknahmeversprechens l u . H. J. Hellwig hat auf dem Boden der Verfügungstheorie viel Mühe darauf verwandt, Prozeßverträge mit Gegenleistungspflicht angemessen zu erfassen, was allerdings nur mit einem unverhältnismäßigen konstruktiven Aufwand möglich war 114 . Auf die von ihm vorgeschlagene Kombination eines synallagmatischen Grundgeschäfts mit einer gleichzeitig abgeschlossenen, durch Erfüllung der Gegenleistungspflicht aufschiebend bedingten, verfügenden Prozeßvereinbarung kann die hier vertretene Auffassung verzichten 115 . In dem eben genannten Vergleichsbeispiel ist die Geld schuldende Partei entsprechend § 320 Abs. 1 S. 1 B G B vorleistungspflichtig, weil die Klage erst nach Erfüllung des Anspruchs zurückgenommen werden soll. Mit Zahlung wird die Fortsetzung des Prozesses unzulässig 116 .

c) Grenzen der Wirksamkeit von

Verpflichtungsverträgen

aa) Verpflichtung zu einem prozessualen

Unterlassen

Im Anschluß an ein Urteil des B G H 1 1 7 wird die Meinung vertreten, die Einrede der Unzulässigkeit einer bestimmten Prozeßhandlung gehe ins Leere, wenn die vertragswidrige Prozeßhandlung den Rechtsstreit beendet, beispielsweise der Berufungskläger das Rechtsmittel vertragswidrig zurückgenommen habe 118 . Die Beendigung des Rechtsstreits sei vom Gericht von Amts wegen zu beachten, und die Parteien seien nicht dazu in der Lage, die Wirkungen der Rechtsmittelrücknahme einverständlich wieder zu beseitigen. Diese Überlegung könnte der Einwirkung der Verpflichtungsverträge auf den Primärprozeß unabhängig von ihrem Wirkungsmodus Grenzen setzen. In Wahrheit wird mit dem Argument, die Parteien könnten die einmal erfolgte Rechtsmittelrücknahme nicht mehr ungeschehen machen, ganz zu unrecht suggeriert, über die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme könne

Vgl. oben, 1. Kapitel, D II, S. 41 f.; 7. Kapitel, B, S. 513 f. Vgl. bereits soeben, unter I 2 b, S. 227. 115 Ähnlich Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, S. 193 f. 116 So im Ergebnis auch O L G Frankfurt/Main, NJW-RR 1991, 805, 806; WM 1992, 784, 785 f., allerdings unter Verengung der Argumentation auf das Aktienrecht und ohne die Bezüge zum Recht der Prozeßverträge herauszuarbeiten. 1 BGHZ 20, 198, 205. Zum Sachverhalt dieses Urteils vgl. unten, Fn. 139. 118 Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 248. 113

114

B. Wirkung im

Primärprozeß

237

nicht gestritten werden, weil der Prozeß mit der vertragswidrigen Rechtsmittelrücknahme endgültig erledigt sei. Wird ein Rechtsstreit nicht durch Klage- oder Rechtsmittelrücknahme, sondern durch Prozeßvergleich (scheinbar) beendet, so ist indessen allgemein anerkannt, daß die Unwirksamkeit des Vertrags jedenfalls dann noch geltend gemacht und das Weiterbetreiben des in Wahrheit noch anhängigen Prozesses verlangt werden kann, wenn sich die Partei auf einen verfahrensrechtlichen Mangel des Prozeßvergleichs beruft" 9 . Auch über die Wirksamkeit einer Klagerücknahme kann selbstverständlich im Rahmen des dann noch weiter anhängigen Rechtsstreits verhandelt werden. Falls das Gericht die Wirksamkeit der Klagerücknahme verneint, hat es dies in Form eines Zwischenurteils gemäß § 303 Z P O auszusprechen und den Rechtsstreit in der Sache fortzusetzen 120 . Schließlich gesteht der B G H selbst zu, daß die Rechtsmittelrücknahme von dem jeweiligen Gericht auf ihre Vereinbarkeit mit Treu und Glauben zu überprüfen sei, was voraussetzt, daß der Rechtsstreit trotz Rücknahmeerklärung zunächst anhängig bleibt 121 . Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund im Fall der Prozeßbeendigung durch Zuwiderhandlung gegen eine vertragliche Unterlassungspflicht ein solches Verfahren nicht möglich und angemessen sein sollte 122 . Auch nachdem der Berufungskläger sein Petitum zurückgenommen hat, kann der Berufungsbeklagte die Unzulässigkeit der Rücknahme noch geltend machen. Unter diesem Gesichtspunkt bestehen also keinerlei Wirkungsgrenzen für prozessuale Verpflichtungsverträge. bb) Verpflichtung

zum

Tun

Die Verpflichtung zu einem prozessualen Unterlassen kann demnach vom Gericht stets berücksichtigt werden, weil es über die Zulässigkeit der zu unterlassenden Prozeßhandlung entscheiden muß. Bei Verpflichtungen zu einem prozessualen Tun besteht diese Möglichkeit oft nicht. Hat sich eine Partei dazu verpflichtet, gegen ein Urteil Rechtsmittel einzulegen, unterläßt sie dies aber, besteht im Rahmen des Primärprozesses keine Möglichkeit zur Berücksichtigung des vertragswidrigen Verhaltens; insbesondere ist es nicht

119 Vgl. BGHZ 28, 171, 174 ff.; 51, 141; 79, 71, 75; BGH, NJW 1983, 2034; Baumbach/Lauterbach-Z/arim^ra«, Anh § 307 Rdnrn. 37, 39; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 48 VII, S. 177; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 131 IV, S. 771 f.; Stein/JonasMünzberg, § 794 Rdnr. 47; Thomas/Putzo, § 794 Rdnr. 36; Zöller-Stöber, § 794 Rdnr. 15a. 120 BGHZ 4, 328, 336 ff., 341; Jauernig, Zivilprozeßrecht, §48 VII, S. 177; MünchKommZPO-G. Luke, §269 Rdnr. 35; Stein/Jonas-Schumann, §269 Rdnr. 41; ZöllerGreger, § 269 Rdnr. 19b. Dort auch Nachweise zu der umstrittenen Frage, ob ein Zwischenurteil oder ein Beschluß nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO zu ergehen hat, wenn das Gericht in dem Zwischenstreit zu dem Ergebnis gelangt, die Klagerücknahme sei wirksam. 121 BGHZ 20, 198, 206 f. 122 Genauso Siebert, Musterprozeß, S. 73 f.

238

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

möglich, so zu verfahren, als ob das Rechtsmittel eingelegt worden wäre 1 2 3 . In diesen Fällen ist der Prozeß Vereinbarung die Einwirkung auf den Primärprozeß somit versagt, und es stellen sich nur noch die Fragen nach Erfüllungs- und Schadensersatzansprüchen, die dann allerdings in einem Sekundärprozeß durchzusetzen wären 124 . Zwischen den Fallgruppen der Verpflichtung zu einem Tun einerseits, zu einem Unterlassen andererseits, steht das Klagerücknahmeversprechen 125 . Bei diesem kann der Verstoß gegen die vertragliche Pflicht im Primärprozeß berücksichtigt werden, weil letzterer anhängig bleibt. Das Gericht kann und muß deshalb darüber entscheiden, ob die Fortsetzung des Prozesses zulässig ist und die Klage ggfs. als unzulässig abweisen 126 .

III. Der Modus der Einwirkung

auf den

Primärprozeß

Die Erkenntnis, daß die Prozeßverträge in weitem Umfang der Berücksichtigung im anhängigen Primärprozeß fähig sind, präjudiziert noch nicht die Frage, auf welche Weise dies zu geschehen hat. Die Antwort darauf sieht die herrschende Meinung darin, daß der Prozeßvertrag einer „Einrede" des Begünstigten bedarf, um das Gericht zu seiner Beachtung anzuhalten 127 . Diese Lehre ist vor allem auf Verträge zugeschnitten, mit denen die Parteien über die Ausübung prozessualer Befugnisse disponieren, wird aber auch in bezug auf vertragliche Modifikationen des Prozeßrechts vertreten 128 . Tatsächlich betrifft die einzige positiv-rechtliche Regelung einer durch einen Prozeßvertrag motivierten Einredebefugnis in § 1032 Abs. 1 Z P O (= § 1027a Z P O a. F.) gerade keinen Fall der vertraglichen Disposition über prozessuale Befugnisse.

1. Kritik der

Einredetheorie

Wie oben bereits dargestellt, bekennt sich die herrschende Meinung zwar zur einredebegründenden Wirkung verfahrensbezogener Vereinbarungen, verknüpft damit jedoch ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Rechtscharakter der Einrede. Einige Stränge der Einredetheorie geben dabei von vornherein Anlaß zu Kritik. Vgl. ausführlich oben, B I 2 b, S. 228 f. Vgl. dazu unten, C, S. 254 ff. 125 Vgl. oben, B I 2 b, S. 227. 126 Vgl. im einzelnen unten, 7. Kapitel, A, S. 507 ff. 127 Vgl. oben, A, S. 214 ff. 128 So allgemein Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §66 II, S. 367 f., die nur für die Prorogation eine Ausnahme (Berücksichtigung von Amts wegen) machen wollen und im übrigen eine exceptio pacti für erforderlich halten; H.-J. Hellwig, Systematik, S. 59, 62, 100; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 221, der die Wirkungen der Derogation nur auf Einrede eintreten lassen will. 123 124

B. Wirkung im

Primärprozeß

a) Unterlassen der Einrede als konkludenter

239

Aufhebungsvertrag

Dies gilt zunächst für die zur Begründung der Einredetheorie vorgebrachte Überlegung, in dem rügelosen Geschehenlassen des vertragswidrigen Verhaltens durch den Begünstigten liege die konkludente Annahme des Angebots zum Abschluß eines Aufhebungsvertragsm. Träfe dieses Argument zu, wäre der Begünstigte eigentlich gar nicht gehalten, eine „Einrede" zu erheben, sondern ein Vertragsangebot des Gegners zurückzuweisen. Auch läge es dann nahe, das Unterlassen der Rüge im Fall des § 39 Z P O als konkludente Annahme einer Offerte zum Abschluß einer Gerichtsstandsvereinbarung zu deuten, was offensichtlich verfehlt wäre 130 . Dementsprechend kommt es im Rahmen des § 39 Z P O nicht darauf an, ob der Beklagte die Unzuständigkeit des Gerichts erkannt und bewußt auf seine Einrede verzichtet hat 131 . Die Konstruktion eines Aufhebungsvertrags setzt hingegen voraus, daß beide Parteien mit Erklärungsbewußtsein und Geschäftswillen handeln, also beispielsweise das Verhalten des Klägers, der entgegen einem entsprechenden Verzicht ein Rechtsmittel einlegt, als Angebot zur Aufhebung des Rechtsmittelverzichts und die Passivität des Beklagten als Akzept dieser Offerte auszulegen ist. Eine solche Interpretation des Parteiverhaltens muß zumindest dann ausscheiden, wenn Streit um die Wirksamkeit des Prozeßvertrags besteht, im Beispiel der vertragswidrig handelnde Kläger also an die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts glaubt. Umgekehrt läßt sich das passive Verhalten der Gegenseite nicht als Annahmeerklärung auslegen, wenn sie von dem Prozeßvertrag nichts wissen kann, etwa weil eine Rechtsnachfolge stattgefunden hat. Obgleich nicht geleugnet werden kann und soll, daß die Parteien dazu berechtigt sind, einen Aufhebungsvertrag zu schließen, kommt diese Überlegung als Begründung für ein Einredeerfordernis nicht in Betracht.

b) Der Einredecharakter

der exceptio doli

Eine insbesondere auch von der Rechtsprechung vertretene Meinung faßt die Vereinbarungen über prozessuale Befugnisse als schuldrechtliche Verpflichtungsverträge auf. Handele der Schuldner einer solchen Verpflichtung 129 So insbesondere Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 265; Neumann, Vertraglicher Ausschluß der Klagbarkeit, S. 45 f.; Siebert, Musterprozeß, S. 43; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 725; Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, S. 105, 138; ders., NJW 1967, 70, 706 mit Fn. 47. Grundlegend bereits J. Kohler, Gruch. Beitr. 31, 481, 514, der allerdings ausdrücklich einräumt, das Unterlassen der Rüge könne „aufhebend wirken, auch wenn diese Aufhebung von den Parteien nicht intendirt ist". Wie sich dies mit den allgemeinen Prinzipien der Rechtsgeschäftslehre vertragen soll, die J. Kohler ausdrücklich anwenden will (a. a. O., S. 504: „Prinzipien, welche in unserer heutigen Kulturwelt eine überwiegende Geltung erlangt haben"), bleibt unerfindlich. 13° Vgl. Stein/Jonas-ßonfe, § 39 Rdnr. 1. 131 Vgl. MünchKornrnZPO-PaiziVw, §39 Rdnr. 5; Stein/Jonas-Bork, § 3 9 Rdnr. 13; Thomas/Putzo, § 39 Rdnr. 5; Zöller-Vollkommer, § 39 Rdnr. 11.

240

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

zuwider, nehme beispielsweise die Klage nicht wie versprochen zurück, könne der Gläubiger diesem Verhalten mit einer exceptio doli begegnen 132 , wobei zum Teil ausdrücklich auf den Gedanken des venire contra factum proprium rekurriert wird 133 . Auf diese „Einrede" hin, soll die abredewidrig nicht zurückgenommene Klage als unzulässig abgewiesen werden. Die eben vorgestellte Begründung ist derart inkonsistent, daß sie als ernsthafter Versuch zur Lösung der hier interessierenden Problematik eigentlich gar nicht in Betracht gezogen werden dürfte. Unklar ist zunächst, auf welche Weise sich aus einem materiell-rechtlichen Vertrag eine Einrede ableiten lassen soll, die die prozessuale Wirkung der Unzulässigkeit der Klage hervorbringt 134 . Doch selbst wenn Dispositionen über prozessuale Befugnisse mit der hier vertretenen Auffassung als verfahrensrechtliche Verpflichtungsverträge qualifiziert werden, bleibt unerfindlich, warum es zur Durchsetzung einer vertraglichen Verpflichtung eines Rückgriffs auf § 242 B G B bedarf. Zwar beruhen das Verbot des venire contra factum proprium und das Gebot des pacta sunt servanda „auf der gleichen fides-Forderung" 135, das moderne Vertragsrecht geht aber nicht in diesen allgemeinen Geboten auf, sondern verfügt über eigene, von § 242 B G B unabhängige und differenzierte Durchsetzungsregeln. Schließlich überzeugt die auf Treu und Glauben gestützte Begründung der Einredetheorie schon deshalb nicht, weil sie wie selbstverständlich davon ausgeht, der Arglisteinwand sei eine „Einrede" im technischen Sinn, wonach ein bestimmter Tatbestand nur dann zu berücksichtigen ist, wenn sich der durch ihn Begünstigte auf ihn beruft 136 . Für die exceptio doli wird jedoch nahezu allgemein gelehrt, es handele sich gerade nicht um eine Einrede, sondern um eine „von Amts wegen" zu berücksichtigende Einwendung™. Dies

132 RGZ 102, 217, 222 f.; 159, 186, 190; RG, SeuffA 83 (1929), Nr. 183, S. 222; BGH, NJW 1964, 549, 550; 1985, 189; NJW-RR 1989, 802; KK-ZVO-Wassermann, §269 Rdnr. 2; Baumbach/Lauterbach-Z/artmiiK«, Grundz. § 128 Rdnr. 50, § 269 Rdnr. 10; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 264 f.; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 294 f.; Käppier, Anm. zu BAG, EzA Nr. 13 zu § 4 KSchG, S. 72; H. Roth, Einrede, S. 243; Stein/JonasLeipold, Vor § 128 Rdnr. 247; M. Wolf, Anerkenntnis, S. 51. 133 BGH, NJW 1984, 805; NJW-RR 1989, 802; für Vollstreckungsvereinbarungen greift auch Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 370 f., auf den Gedanken des venire contra factum proprium zurück, ohne allerdings die Einredekonstruktion im übrigen zu adoptieren. So mit Recht (Hertmann, ZZP 45, 389, 424; Orfanides, Berücksichtigung von Willensmängeln, S. 201; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 48 f. 135 Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 27; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 370 f. 136 Zu den verschiedenen Bedeutungen des Einredebegriffs vgl. sogleich, unter 2 a, S. 243. 137 Ausführlich Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 45 ff.; BGHZ 37, 142, 152; 31, 78, 84 f.; O L G Frankfurt/Main, NJW-RR 1991, 805, 806; BaumbachlhzMetbach-Hartmann, Einl. III Rdnr. 55; Erman- Werner, §242 Rdnr. 205; Larenz, Schuldrecht I, § 10 II h, S. 143 f.; MünchKommBGB-G. H. Roth, §242 Rdnr. 49; Palandt-

B. Wirkung im

Primärprozeß

241

gilt auch in bezug auf das wenig ausgebildete Institut der exceptio doli processualis138. Dementsprechend hat der BGH in einem älteren Urteil ganz entgegen seiner üblichen Rechtsprechung zu Prozeßverträgen ausgesprochen, die treuwidrige Zurücknahme der Berufung gegen ein Scheidungsurteil müsse unberücksichtigt bleiben, „ohne daß es, um die Unwirksamkeit geltend zu machen, der Erhebung einer Einrede [...] bedurfte", weil „auch im Verfahrensrecht der Grundsatz von Treu und Glauben" gelte139. Deshalb bleibt unerfindlich, warum selbst Schlosser als der schärfste Kritiker der Einredetheorie letzterer ohne weiteres einräumt, eine exceptio doli processualis erlange „nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen in der Tat nur Relevanz [...], wenn sich die Partei auf sie beruft, der sie zusteht" 140 . Allgemeine Rechtsgrundsätze besagen gerade das Gegenteil. Das Maß der Widersprüche wird schließlich endgültig voll, wenn es der BGH derjenigen Partei, die einer prozeßvertraglichen Verpflichtung zuwiderhandelt, gestattet, sich gegen die vertraglich motivierte - wie auch immer zu qualifizierende - „Einrede" des Gegners mit Hilfe einer ebenfalls aus § 242 BGB hergeleiteten „Gegeneinrede der Arglist" zu verteidigen, die dann ihrerseits auch noch von Amts wegen zu berücksichtigen sein soll (!) H1 . c) Die exceptio pacti Die eben vorgetragenen Einwände werden nur zum Teil ausgeräumt, wenn die gegen vertragswidriges Verhalten gewährte Einrede nicht als exceptio doli

Heinrichs, §242 Rdnrn. 15, 41; Soergel-Teichmann, §242 Rdnr. 279. Differenzierend hingegen H. Roth, Einrede, S. 258 ff.; Staudinger-/. Schmidt, 13. Bearb., § 242 Rdnrn. 314 ff. Die Rede von der Prüfung „von Amts wegen" ist allerdings falsch; es geht nicht um eine amtswegige Prüfung der Voraussetzungen des § 242 BGB durch das Gericht - wie etwa in bezug auf die Sachurteilsvoraussetzungen (dazu sogleich im Text) sondern um den Charakter des § 242 BGB als Einwendung, auf die sich der Begünstigte nicht noch besonders berufen muß; richtig Jahr, JuS 1964, 125, 131 f.; H. Roth, Einrede, S. 254 f.; Staudinger-/. Schmidt, § 242 Rdnr. 315. 138 Vgl. Stein/Jonas-Schumann, 20. Aufl., Einl. Rdnrn. 260 f.; BGHZ 20, 198, 206 (zu dieser Entscheidung sogleich im Text); wohl auch OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 1991, 805, 806; WM 1992, 784, 785; unter anderem dogmatischen Vorzeichen (eigenständiges prozeßrechtliches Verbot arglistigen Verhaltens, ohne Rückgriff auf Treu und Glauben) auch Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, S. 138 f. 139 BGHZ 20, 198, 206. In dem zugrundeliegenden Fall hatte die Ehefrau im September 1944 ein Scheidungsurteil des LG Breslau erwirkt, gegen das der Beklagte beim OLG Breslau Berufung eingelegt hatte. Noch bevor über letztere entschieden war, stellte das OLG seine Gerichtstätigkeit ein und flohen die Parteien in die spätere Bundesrepublik, wo sie bis 1954 wieder als Eheleute zusammenlebten. Im Jahr 1955 erklärte der Ehemann vor dem nunmehr zuständigen OLG München die Rücknahme der Berufung gegen das Urteil des LG Breslau. 140 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 54. 141 So ausdrücklich BGH, NJW 1968, 794, 795 re. Sp. oben. Zur „Gegeneinrede der Arglist" ausführlich unten, 4. Kapitel, B IV 1, S. 294 ff.

242

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

aufgefaßt, sondern in eine exceptio pacti umgewidmet wird142. Zwar läßt sich dieser Begriff ohne weiteres wörtlich nehmen, also im Sinne einer vertraglich motivierten Einrede im technischen Sinn verstehen. Dieser Vorteil muß jedoch mit dem Rekurs auf einen gänzlich unpassenden Begriff bezahlt werden. Die exceptio pacti ist - genauso wie die exceptio doli - eine Schöpfung des römischen Rechts 143 . Während der förmliche Erlaß einer Forderung vom Iudex ohne weiteres zu beachten war, galt das nicht für das sog. pactum de non petendo, durch das die Geltendmachung einer Forderung befristet oder auf Dauer ausgeschlossen wurde. In beiden Fällen war der Einwand nicht ipso iure, sondern nur dann zu beachten, wenn der Prätor eine exceptio in die Klagformel eingefügt hatte144. In die heutige Dogmatik übersetzt, handelt es sich um eine materiell-rechtliche Einrede, die sowohl die moderne Stundungseinrede (exceptio pacti dilatoria) als auch diejenige des unbefristeten pactum de non petendo (exceptio pacti peremptoria) umfaßt145. Damit ist sie nicht dazu geeignet, die prozessuale Wirkung der Einrede aus einem wie auch immer qualifizierten Verpflichtungsvertrag über verfahrensrechtliche Befugnisse zu begründen. Dementsprechend räumt Zeiss ein, diese Einrede habe „mit der exceptio pacti des römischen Rechts nicht viel mehr als die Bezeichnung gemein" - um dann gleichwohl an ihr festzuhalten146. Zur dogmatischen Begründung der Wirkungsweise von Prozeßverträgen ist die exceptio pacti unter diesen Umständen jedenfalls nicht geeignet.

2. Dispositionen über prozessuale

Befugnisse

Nachdem sich die Begründung der Einredetheorie mit Hilfe der exceptiones doli und pacti als nicht tragbar erwiesen hat, kommt nur noch die Figur der Prozeßeinrede als dogmatische Stütze für das Einredeerfordernis in Betracht. Begriff und Funktion der Prozeßeinrede sollen im folgenden zunächst anhand der Fallgruppe der prozessualen Verpflichtungsverträge erörtert wer-

142 So für Prozeßverträge allgemein BGH, NJW 1986, 198; Barz, Klagerücknahmeversprechen, S. 54 ff.; Baumgärtel, FS Schima, S. 41, 42 f. Fn. 11; Schwab, FS Baumgärtel, S. 503, 512; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 724; Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, S. 105 f.; ders., NJW 1967, 703, 706 mit Fn. 48; wohl auch Zöller-Greger, Vor § 128 Rdnr. 32; speziell für die patentrechtliche Nichtangriffsabrede BGHZ 10, 22, 23 (= JZ 1953, 667 m. zust. Anm. Moser v. Filseck = GRUR 1954, 23 m. zust. Anm. Alexander-Katz); Benkard-Äogge, PatentG, § 22 Rdnr. 25a; /. Kohler, Patentrecht, S. 378; v. Maitzahn, FS V. Gamm, S. 597, 602; Schulte, PatentG, § 81 Rdnr. 23. 143 Vgl. zum folgenden Condanari-Michler, RE 18, 2138; Jahr, JuS 1964, 125, 132; Käser, Das römische Privatrecht, § 150 II, S. 640, 642; Honsell/Mayer-Maly/Selh, Römisches Recht, § 103 II, S. 266 f.; Reichel, JherJb. 85, 1; Siher, Römisches Recht II, § 99, S. 268. 144 Zur Funktion der Einrede im römischen Recht vgl. H. Roth, Einrede, S. 13 f. m. w. N.; Windscheid/Kipp, Pandekten I, § 47 Fn. 1, S. 203 f. 145 Zur Stundung und zum pactum de non petendo eingehend unten, 6. Kapitel, C I, S. 413 ff. 146 Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, S. 106 Fn. 24.

B. Wirkung im

Primärprozeß

243

den. Erst auf dieser Grundlage kann auch der Wirkungsmodus der Modifikationsverträge bestimmt werden 147 . a) Zulässigkeitsvoraussetzungen

und

Zulässigkeitseinreden

Der Begriff der Einrede wird im materiellen Recht und im Zivilprozeß unterschiedlich gebraucht 148 . Im materiellen Recht dient er zur Kennzeichnung derjenigen Gegenrechte, die den Anspruch nicht vollständig vernichten und von dem Berechtigten geltend gemacht werden müssen, damit sie im Prozeß berücksichtigt werden. Diese beiden Merkmale unterscheiden die Einrede von den rechtshindernden und den rechtsvernichtenden Einwendungen im Sinne des materiellen Rechts. Der zivilprozessuale Begriff der Einrede dient hingegen der Abgrenzung zum Klageleugnen, also dem Bestreiten des Klagegrundes, und umfaßt sämtliche vom Beklagten darzulegenden und zu beweisenden Umstände, also sowohl die Einreden als auch die Einwendungen des materiellen Rechts. Alle diese Institute beziehen sich aber auf materiell-rechtliche Tatbestände und sind daher nicht dazu geeignet, die hier interessierende Problematik klären zu helfen, denn vertragliche Dispositionen über prozessuale Befugnisse betreffen nicht den materiell-rechtlichen Anspruch bzw. die Verteidigung des Beklagten zur Sache, sondern die Zulässigkeit von Prozeßhandlungen149. Neben den „Einreden" gegen den vom Kläger geltend gemachten Anspruch kennt die ZPO auch Einreden gegen die Zulässigkeit der Klage, sog. Prozeßeinreden. Vor der Vereinfachungsnovelle enthielt die Z P O in § 274 a. F. Regelungen über „prozeßhindernde Einreden", wie etwa diejenigen der Unzuständigkeit des Gerichts, der Unzulässigkeit des Rechtswegs, der Rechtshängigkeit usw. Diese Vorschrift ist abgeschafft worden, weil es sich bei einigen dieser Einreden gar nicht um echte Einreden, sondern um Sachurteilsvoraussetzungen handelte 150 . Heute werden als prozeßhindernde Einreden nur noch die Einreden des Schiedsvertrags gemäß § 1032 Abs. 1 ZPO, der mangelnden Kostenerstattung nach § 269 Abs. 4 Z P O sowie der mangelnden Sicherheitsleistung gemäß § 110 Abs. 1 Z P O anerkannt 151 , während die übrigen Fälle des § 274 Abs. 2 a. F. Z P O den Sachurteilsvoraussetzungen zugerechnet werden. Vgl. unten, B III 3, S. 252 f. Vgl. zum folgenden Jahr, JuS 1964, 125, 128; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 104 I, II, S. 588 ff.; Stein/Jonas-Leipold, § 146 Rdnr. 4; v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, § 17 I S. 289. 149 Allgemein zur Abgrenzung materiell-rechtliche/prozeßrechtliche Einrede H. Roth, Einrede, S. 242 f. 150 Vgl. Stein/Jonas-Schumann, 20. Aufl., Einl. Rdnr. 313; zum früheren Recht Stein/ Jonas-Schumann!Leipold, 19. Aufl., § 274 Anm. 2. 151 Vgl. statt aller Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 96 IV, S. 537 f.; Stein/Jonas-Schumann, 20. Aufl., Einl. Rdnr. 317. A.A. in bezug auf §§ 110, 269 Abs. 4: Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 33 VI, S. 118 f.; Schlosser, Zivilprozeßrecht I, Rdnr. 290. 147

148

244

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

Was sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Instituten 152 ? Ein bestimmter Tatbestand ist Sachurteilsvoraussetzung, wenn das Gericht über eine Klage in der Sache erst entscheiden darf, wenn sein Vorliegen feststeht. Sachurteilsvoraussetzungen muß das Gericht von Amts wegen beachten. Zwar gilt nicht der Untersuchungsgrundsatz, jedoch muß das Gericht etwaigen Zweifeln von sich aus nachgehen 153 . An das Bestreiten und Nichtbestreiten der Parteien, an gerichtliche Geständnisse sowie an die Beweisantritte der Parteien ist es nicht gebunden 154 . Läßt sich der Sachverhalt nicht vollständig aufklären, gehen verbleibende Zweifel zu Lasten des Klägers bzw. derjenigen Partei, die das Sachurteil begehrt; sie trägt also die objektive Beweislast für das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen 155 . Die echten prozeßhindernden Einreden verhindern ebenfalls den Erlaß eines Sachurteils. Im Gegensatz zu den Sachurteilsvoraussetzungen muß ihnen das Gericht aber nicht von Amts wegen nachgehen, sondern es bedarf einer Einrede des Beklagten, um das Gericht zu ihrer Beachtung zu veranlassen. Unterläßt der Beklagte die Geltendmachung der Einrede zum frühest möglichen Zeitpunkt, so kann er sie gemäß §§ 296 Abs. 3, 295 Abs. 1 Z P O verlieren. Prozeßeinreden sind jedoch nicht nur verwirkbar, sondern auch verzichtbar, und ihre tatsächlichen Voraussetzungen sind vom Beklagten zu beweisen. Macht er die Prozeßeinrede geltend und läßt sich der ihr zugrunde liegende Sachverhalt nicht aufklären, so gehen Zweifel zu seinen Lasten 156 . Die Prozeßeinrede unterscheidet sich folglich durch drei Merkmale von der Sachurteilsvoraussetzung 157 : (1) Das Vorliegen der Prozeßeinrede ist 152 Vgl. zum folgenden Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 56, S. 223 f.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 96 S. 534 ff.; grundlegend, wenn auch überzeichnend und mit inadäquater Terminologie (,,Prozeß"voraussetzungen) Bülow, Prozeßeinreden, S. 312. 153 Grunsky, Grundlagen, § 22 I, S. 199 ff., 203; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 25 X, S. 87; Rosenberg/Scbwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 96 V, S. 538; Schlosser, Zivilprozeßrecht I, Rdnr. 171; Ste'm/Jorias-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 95; Rimmelspacher, Prüfung von Amts wegen, S. 159, der von Leipold, a. a. O., Fn. 379, m. E. zu Unrecht in Gegensatz zur h. M. gebracht wird. 154 RGZ 70, 179, 185; Jauernig, Zivilprozeßrecht, §25 X, S. 87; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 78 V, S. 434; Rimmelspacher, Prüfung von Amts wegen, S. 159 ff., 166 f.; Schlosser, Zivilprozeßrecht I, Rdnr. 171; Stdn/joms-Leipold, Vor §128 Rdnrn. 91a, 96. 155 Jauernig, Zivilprozeßrecht, §25 X, S. 87, §33 V, S. 117; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 56 IV, S. 224; Rimmelspacher, Prüfung von Amts wegen, S. 175 ff., 179; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 96 V, S. 538; Schlosser, Zivilprozeßrecht I, Rdnr. 171. 156 Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 56 I, IV, S. 223, 224; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 96 V, S. 539. 157 Klassisch Bülow, Prozeßeinreden, S. 312, nach dem „der Thatbestand des Prozeßverhältnisses, wie der des materiellen Streitverhältnisses in einen positiven und einen negativen Bestandtheil zerfällt: daß auch die Prozeßvoraussetzungsthatsachen zum Theil auf Rechnung des Klägers, zum Theil auf Rechnung des Beklagten stehen: daß sie gleichsam zur einen Hälfte nach der Licht-, zur anderen nach der Schattenseite hin liegen. Wie es sich mit dieser Vertheilung im Einzelnen verhält, kann freilich so wenig wie die materielle Beweislastfrage durch eine einzige Formel entschieden werden". Ahnlich ders., AcP 62, 1, 57 f. Fn. 48; AcP 64, 1, 31 f., Fn. 20.

B. Wirkung im

Primärprozeß

245

nicht von Amts wegen, sondern erst nach ihrer Geltendmachung durch den Beklagten zu berücksichtigen; (2) Der Beklagte trägt für das Vorliegen ihrer tatsächlichen Voraussetzungen die Beweislast; (3) Das mit der Prozeßeinrede geltend gemachte Prozeßhindernis ist verzichtbar und unterliegt der Präklusion (§§ 296 Abs. 3, 295 Abs. 1 ZPO). All das gilt nicht nur für die Sachurteilsvoraussetzungen der Klage, sondern entsprechend für diejenigen der Widerklage, für Rechtsmittel sowie für sonstige Prozeßhandlungen, wobei sich die Parteirollen entsprechend umkehren. Deshalb wird im folgenden statt von Sachurteilsvoraussetzungen und Prozeßeinreden verallgemeinernd von Zulässigkeitsfora^Metzwwge« und Zulässigkeitseiwrecfett gesprochen.

b) Prüfung von Amts wegen vs. Einredelast In der Literatur wird verbreitet aus dem Umstand, daß Dispositionen über verfahrensrechtliche Befugnisse die Zulässigkeit von Prozeßhandlungen betreffen, kurzerhand darauf geschlossen, der Vertrag unterläge der Prüfung von Amts wegen 158 . Dieses Vorgehen beruht offensichtlich auf einem Kurzschluß, weil - wie soeben herausgearbeitet - die Gesamtheit der Voraussetzungen für den Erlaß eines Sachurteils keineswegs immer von Amts wegen zu prüfen sind, sondern von der Z P O zum Teil als Einreden ausgestaltet worden sind, was gerade auch auf einen prominenten Prozeßvertragstyp, nämlich die Schiedsvereinbarung, zutrifft. Für vertragliche Dispositionen über prozessuale Befugnisse muß im folgenden geklärt werden, ob ihnen das Regime der Zulässigkeitsvoraussetzungen oder dasjenige der Zulässigkeitseinreden angemessen ist, ob also der Vertrag vom Gericht von Amts wegen oder nur auf Einrede zu berücksichtigen ist, ob die Geltendmachung des Prozeßvertrags verzichtbar ist sowie der Präklusion unterliegt und wer die Beweislast für sein wirksames Zustandekommen trägt. Die zuletzt genannte Problematik der Beweislast ist dabei ohne weiteres dahingehend zu entscheiden, daß der durch den Prozeßvertrag Begünstigte seinen Tatbestand darlegen und beweisen muß 159 . Diese Lösung entspricht der allgemeinen Grundregel der Beweislast, nach der diejenige Partei, die aus einer Norm ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, deren Voraussetzungen beweisen muß 160 . Zu einer Ausnahme von der Normentheorie besteht bei Prozeßverträgen keinerlei Anlaß; die Verlagerung der Beweislast auf den Gegner mit der Folge, daß er das NichtZustandekommen bzw. die Unwirk158 So für Prozeßvoraussetzungen allgemein H.-J. Hellwig, Systematik, S. 62; für den Klageverzicht Neukirchner, Ausschluß der Klagbarkeit, 57 f.; Stech, Klagbarkeit und Unklagbarkeit, S. 185; Stán/]on¡LS-Schumann, Vor § 253 Rdnrn. 87, 127; für den antizipierten vertraglichen Rechtsmittelverzicht Habscheid, N J W 1965, 2369, 2372; Stein/JonasGrunsky, § 514 Rdnr. 22. 159 Genauso Schiedermair, Vereinbarungen, S. 127. 160 Vgl. statt aller Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 5 0 IV, S. 187 f.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 117 II, S. 670 f.

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3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

samkeit des Prozeßvertrags nachzuweisen hätte, kommt nicht ernsthaft in Betracht. Was die Verzichtbarkeit und Präklusionsfähigkeit des aus dem Prozeßvertrag hergeleiteten Einwands angeht, so orientiert sich die Auslegung der §§ 296 Abs. 3, 295 Z P O daran, ob die verletzte Norm bzw. die nicht erfüllte Zulässigkeitsvoraussetzung allein dem Privatinteresse der gegnerischen Partei zu dienen bestimmt ist 161 . Mit prozessualen Verpflichtungsverträgen wird über Befugnisse disponiert, deren Ausübung die Prozeßordnung den Parteien freistellt, weil Allgemeinwohlbelange nicht betroffen sind. Bereits deshalb kann die tatsächliche Durchsetzung einer in Ausnutzung der prozessualen Vertragsfreiheit geschlossenen Vereinbarung nicht ihrerseits durch überindividuelle Interessen geboten sein. Soweit das Prozeßrecht den Parteien die Freiheit einräumt, einen Prozeßvertrag zu schließen, sind sie selbstverständlich auch dazu befugt, ihn wieder aufzuheben oder seine Geltendmachung einfach zu unterlassen, um auf diese Weise zum „Normalprozeß" der Z P O zurückzukehren 162 . Dementsprechend hat der Beklagte gemäß § 1032 Abs. 1 Z P O die Wahl, ob er auf der Durchführung des Schiedsvertrags beharren oder ob er sich auf den Rechtsstreit vor dem staatlichen Gericht einlassen will, etwa um den bei Prozeßabweisung eintretenden Zeitverlust sowie die Kosten und Mitwirkungspflichten des Schiedsverfahrens zu vermeiden. Diese Überlegungen präjudizieren schließlich den Modus, nach dem Prozeßvereinbarungen vom Gericht zu berücksichtigen sind. Mangels öffentlichen Interesses an der Durchsetzung der vertraglichen Regelung läßt sich eine Prüfung von Amts wegen nicht begründen. Das Gericht ist nicht dazu verpflichtet, vertraglich motivierten Zweifeln an der Zulässigkeit einer Prozeßhandlung nachzugehen. Auf dieser Grundlage ließe sich die Alternative Zulässigkeitsvoraussetzung oder Zulässigkeitseinrede mit Schiedermair zugunsten der Einrede entscheiden: „Der tiefere Grund hierfür [für das Einredeerfordernis] [...] liegt darin, daß Rechtsmittelverzichts-, Rücknahmeund Beweisvertrag inhaltlich negative Zulässigkeitsbedingungen sind. Es fehlt hier nicht an einer positiven Voraussetzung der Zulässigkeit der Klage, des Rechtsmittels usw., sondern es liegen Umstände vor, die deren an sich gegebene Zulässigkeit ausschließen. Die Verzichtsverträge sind daher ihrem Wesen nach, wie der Schiedsvertrag, Prozeßhindernisse und nicht Prozeßvoraussetzungen [...]" 1 6 3 . 161 So, mit unterschiedlichen Nuancen der Formulierungen im einzelnen BGHZ 86, 104, 114; Baumbach/Lauterbach-Z/arimaran, §295 Rdnrn. 1, 15; Hagen, JZ 1972, 505, 509; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 30 IX, S. 110 f.; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 6 II, S. 27; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 68 I, S. 373; Stein/Jonas-Leipold, § 295 Rdnr. 4; Thomas/Putzo, § 295 Rdnr. 3; Zöller-Greger, § 295 Rdnr. 4. 162 BGHZ 24, 15, 19 (= NJW 1957, 791= LM Nr. 2 zu § 1040 ZPO m Anm. Johannsen)-, BGH, NJW 1984, 669; RGZ 58, 151, 153; 150, 392, 395; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 54 f. 163 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 126 f.; ähnlich Thomas/Putzo, Einl. III Rdnr. 8; Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, S. 104 f.; ausdrücklich anders Baumgärtel, AcP 169, 186,

B. Wirkung im

Primärprozeß

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c) Wirkung ipso iure vs. Wirkung ope exceptionis Die relativ eindeutig zu treffende Entscheidung zwischen von Amts wegen zu berücksichtigender Zulässigkeitsvoraussetzung einerseits, der Parteidisposition unterliegender Prozeßeinrede andererseits, verdeckt die schwierige Frage nach der Ausschließlichkeit dieser Alternative. So sicher es auch ist, daß die vertraglichen Dispositionen über prozessuale Befugnisse nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, so folgt allein daraus doch nicht mit Notwendigkeit die Richtigkeit der Einredelösung. Der eben erarbeitete Beweislastgrundsatz sowie die Verzichtbarkeit der vertraglichen Wirkungen sind nicht nur mit der Einredetheorie kompatibel, sondern auch mit einer dritten Kategorie, die der Einwendung des materiellen Rechts entspricht. Das Gericht hat materiell-rechtliche Einwendungen zwar nicht von Amts wegen zu berücksichtigen, also etwaigen Zweifeln an der Erfüllung der Schuld gemäß § 362 BGB nicht von sich aus nachzugehen, der Erfüllungseinwand verlangt aber auch nicht die Erhebung einer Einrede; ergibt er sich aus dem Vortrag des Klägers, ist der Anspruch ohne weiteres abzuweisen. Nach der Diskussion um die materiell-rechtliche Einrede kann als geklärt gelten, daß der prozessuale Wirkungsmodus der Einwendung mit der Prüfung von Amts wegen gar nichts zu tun hat 164 . Bei der Prüfung von Amts wegen ist die prozessuale Dispositionsfreiheit der Parteien eingeschränkt, bei der bürgerlichrechtlichen Einwendung dagegen nicht. Tatsächlich unterscheidet sich die materiell-rechtliche Einrede in folgenden zwei Punkten von der Einwendung 165 : (1) Die Einrede vernichtet den Anspruch nicht vollständig, sondern läßt einige Anspruchsfunktionen fortbestehen, (2) ein Teil der Rechtsfolgen ist nicht an das Bestehen der Einredelage geknüpft, tritt nicht ipso iure, sondern erst ope exceptionis ein, setzt also die Ausübung des Einrederechts voraus. Während die erste Besonderheit der materiell-rechtlichen Einrede, die bloße Anspruchshemmung, bei den prozessualen Zulässigkeitseinreden keine Entsprechung hat, trifft der zweite Gesichtspunkt, also die Differenzierung zwischen ipso-iure- und ope-exceptionis-Wirkung auch auf Prozeßeinreden zu. Genau an diesem Punkt setzt Schlosser an, indem er die Wirkung der Prozeßverträge nach Art einer materiell-rechtlichen Einwendung ausgestaltet, die das Gericht zwar nicht von 188, der der von ihm vertretenen Version der Einredetheorie selbst das letzte Standbein entzieht, indem er leugnet, daß es sich bei der Geltendmachung einer vertraglichen Disposition über prozessuale Befugnisse um eine prozessuale Zulässigkeitseinrede handelt, obwohl er sowohl die Annahme einer exceptio doli (ZZP 86, 353, 364; anders noch Prozeßhandlung, S. 264 f.) als auch einer exceptio pacti (ZZP 86, 353, 364; AcP 169, 181, 184) ablehnt. 164 Jahr, JuS 1964, 125, 131 f.; H. Roth, Einrede, S. 254 f.; Staudinger-/. Schmidt, 13. Bearb., § 242 Rdnr. 315.; v. Tuhr, Allgemeiner Teil I I / l , § 17, S. 292. Mißverständlich ist es daher, wenn gelehrt wird, eine materiell-rechtliche Einwendung sei „von Amts wegen" zu berücksichtigen, so aber Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 94, sowie die h. M. zu § 242 BGB, vgl. oben, S. 240 f. mit Fn. 137. 165 Jahr, JuS 1964, 125, 129 f.; H. Roth, Einrede, S. 267 f.

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3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

Amts wegen erforschen, aber doch auch ohne Einrede des Begünstigten berücksichtigen muß 1 6 6 . Diese Lehre ist nicht widerlegt, wenn die Prozeßverträge lediglich der Prüfung von Amts wegen entzogen werden. Die Begründung einer ipso-iure-Wirkung vertraglicher Dispositionen über prozessuale Befugnisse scheint von vornherein an der positiv-rechtlich vorgegebenen Differenzierung zwischen Zulässigkeitsvoraussetzungen und Zulässigkeitseinreden zu scheitern. Diese Dichotomie ist ihrerseits Frucht der neueren Prozeßrechtswissenschaft, die die ältere monolithische Lehre von den Prozeßeinreden aufbrach und eine große Anzahl dieser „Einreden" als Sachurteilsvoraussetzungen entlarvte. Tatsächlich scheint selbst Schlosser heute auf dem Standpunkt zu stehen, die Alternative aus Prüfung von Amts wegen und Einredeobliegenheit sei eine ausschließliche in dem Sinne, „daß es den allgemeinen Strukturen unseres Prozeßrechts mehr entspricht, die Einredeobliegenheit an die Disponibilität einer Rechtslage zu koppeln" 167. Tatsächlich kann eine disponible Rechtslage nicht der Prüfung von Amts wegen unterliegen; die Annahme einer ipso-iure-Wirkung ist damit jedoch keineswegs ausgeschlossen. Dem positiven Prozeßrecht ist die dritte, der materiellrechtlichen Einwendung entsprechende Kategorie auch durchaus geläufig 168 . Verstößt der Vortrag einer Partei gegen die Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 Z P O , hat das Gericht die jeweiligen Behauptungen unberücksichtigt zu lassen, ohne daß der Gegner sich auf diesen Tatbestand besonders berufen müßte; selbst bei Säumnis des Beklagten und trotz § 331 Abs. 1 S. 1 Z P O darf das Gericht bewußt unwahren Vortrag des Klägers nicht berücksichtigen 169 . Darüber hinaus läßt sich das Schema aus der von Amts wegen zu berücksichtigenden Zulässigkeitsvoraussetzung und dem erst nach Einrede beachtlichen Zulässigkeitshindernis auf die Verträge im Bereich dispositiven Prozeßrechts

166 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 49, 52: „daß für eine Prüfung von Amts wegen kein Raum ist, dürfte sich von selbst verstehen". Dieser Standpunkt harmoniert mit Schlossers Haltung gegenüber peremptorischen Einreden des materiellen Rechts, die er in Einwendungen umdeutet, vgl. ders. JuS 1966, 257, 268. 167 Schlosser, in: Stein/Jonas, § 1040 Rdnr. 5, mit Blick auf die Fragen, (1) ob die materielle Rechtskraft des Schiedsspruchs von Amts wegen oder nur auf Einrede zu berücksichtigen ist, und (2) ob die Parteien auf die Rechtskraft des Schiedsspruchs verzichten können. Entgegen seiner früheren Auffassung, die Rechtskraft sei von Amts wegen zu beachten, aber trotzdem disponibel (Stein/Jonas-ScWosser, 20. Aufl., § 1040 Rdnr. 6), soll sie nunmehr nur noch ope exceptionis zu berücksichtigen sein. Tatsächlich war der in der 20. Aufl. vertretene Standpunkt unhaltbar, weil eine der Parteidisposition unterliegende Frage nicht der Prüfung von Amts wegen unterliegen kann. In Betracht kommt allein eine ipso-iureWirkung der Rechtskraft des Schiedsspruchs nach Art einer Einwendung, wie sie Schlosser für Prozeßverträge allgemein vertreten, für den Fall des rechtskräftigen Schiedsspruchs nun aber ohne Not aufgegeben hat. 168 Vgl./. W. Planck, KritV 11, 161, 178 f., der meint, das Vorbringen des Beklagten zur Zulässigkeit könne genauso gegliedert werden wie dasjenige zur Begründetheit, nämlich in (1) Leugnung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen, (2) Zulässigkeitseinwendungen, (3) Zulässigkeitseinreden. 169 MünchKommZPO-Petm, § 138 Rdnr. 17; Stein/Jonas-Leipold, § 138 Rdnr. 12.

B. Wirkung im

Primärprozeß

249

ohnehin nicht bruchlos übertragen, weil sich diese Vereinbarungen nicht stets in Zulässigkeitskriterien hinsichtlich einzelner Prozeßhandlungen übersetzen lassen 170 . Auch angesichts der Diskussion um den Wert der Einrede als dogmatischer Kategorie des materiellen Rechts 171 bedarf es der Anführung sachlicher Gründe, die eine Entscheidung zwischen der ipso-iure- und der opeexceptionis-Wirkung legitimieren können. Insoweit spricht das Bedürfnis nach Rechtsklarheit, d. h. Eindeutigkeit der Verfahrenslage und Vermeidung von Schwebezuständen, gegen die Einredetheorie 172 . Letztere stellt es dem Berechtigten anheim, ob und ggfs. wann er sich auf die Einrede beruft und damit die Vertragswirkungen herbeiführt. Verstößt der Kläger gegen ein Klagerücknahmeversprechen, so begeht das Gericht keinen Verfahrensfehler, wenn es die vertragswidrige Prozeßhandlung zuläßt: Solange der Gegner die Einrede nicht erhoben hat, ist die Fortsetzung des Prozesses nicht nur scheinbar, sondern auch tatsächlich zulässig. Damit scheidet auch eine Heilung nach § 295 Z P O aus 173 . Der Beklagte hätte es demnach in der Hand, sich geraume Zeit später, zum Beispiel nachdem eine Beweisaufnahme zu seinen Ungunsten ausgegangen ist, auf das Klagerücknahmeversprechen zu berufen und damit die Unzulässigkeit der Klage herbeizuführen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma wäre die analoge Anwendung der für prozeßhindernde Einreden geltenden Präklusionsvorschriften der §§ 296 Abs. 3, 282 Abs. 3 ZPO auf sämtliche Prozeßhandlungen, denen ein vertragliches „Zulässigkeitshindernis" entgegen steht 174 . Diese Vorschriften sind aber ganz auf Prozeßeinreden zugeschnitten, die der Beklagte vor der Verhandlung zur Sache vorbringen muß; auf Prozeßverträge, die nicht die Zulässigkeit der Klage insgesamt, sondern einzelne Prozeßhandlungen innerhalb des Verfahrens betreffen, passen sie nicht. Diesen Schwierigkeiten versucht H. J. Hellwig zu entgehen, indem er in letzter Linie - also kumulativ zu §§ 295, 296 Abs. 3 (n. F. = § 274 Abs. 1 a. F.) Z P O - auf den ,,Gedanke[n] der prozessualen Überholung" rekurriert, um eine verspätete Geltendmachung von Prozeßverträgen abzuschneiden 175 . Dabei handelt es sich jedoch um eine Verlegenheitslösung, denn wie das Beispiel der Geltendmachung eines Klagerücknahmeversprechens nach unerwünschtem Ausgang der Beweisaufnahme zeigt, können Schwebezustände sehr lange dauern, ohne daß eine prozessuale Überholung eintritt.

Vgl. sogleich, unter B III 3, S. 252 f. Vgl. Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 97; Schlosser, JuS 1966, 257, 263 ff., 268, der jedenfalls die peremptorische Einrede als dogmatische Kategorie für überflüssig hält. Verteidigt wird die (peremptorische) Einrede von H. Roth, Einrede, S. 167 f., allerdings nur in bezug auf das Hemmungsmoment; zum Erfordernis der Geltendmachung a. a. O., S. 162 f. 17 Dieser Gesichtspunkt wird angedeutet von Baumgärtel, AcP 169, 186, 187. 173 Dies verkennt offenbar H.-J. Hellwig, Systematik, S. 100. 174 In diese Richtung H.-J. Hellwig, Systematik, S. 100; gegen ihn Baumgärtel, AcP 169, 170 171

186, 188. 175

H.-J. Hellwig, Systematik, S. 100 f.

250

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

Ein Vorteil der Einredelösung, der diesen schwerwiegenden Nachteil aufwiegen könnte, ist nicht ersichtlich. Die Existenz der materiell-rechtlichen Einrede wird vor allem damit begründet, sie gebe der Privatautonomie Raum 1 7 6 : Der Einredeberechtigte soll frei entscheiden können, ob er sich auf die Einredelage beruft und damit bestimmte Rechtsfolgen herbeiführt oder ob er darauf verzichtet. Die paradigmatische Einredesituation ist deshalb durch eine Verbindung von Vorteilen und Lasten für den Einredeberechtigten gekennzeichnet 177 . Die Verjährung, die den Schuldner potentiell von seiner Verpflichtung befreit, ist ihm nicht immer nützlich, weil die Berufung darauf langfristig wertvolle Geschäftsverbindungen stören oder sogar zerstören kann. Folglich ist es sinnvoll, dem Schuldner die Entscheidung zu überlassen, ob er die möglicherweise drohenden Nachteile auf sich nehmen will oder nicht. Umgekehrt ist die Annahme einer Einwendung angemessen, wenn „es keinem Zweifel unterliegen [kann], daß der Beklagte sie berücksichtigt zu sehen wünscht" 178. Für die hier interessierende Problematik des Wirkungsmodus von Prozeßverträgen trägt dieses Kriterium indessen nichts aus, weil es zwar durchaus Zweifeln unterliegen kann, ob die begünstigte Partei „sie berücksichtigt zu sehen wünscht", die Entscheidungsfreiheit des Berechtigten im Prozeß jedoch auch ohne Einredeobliegenheit gewährleistet ist 179 . In aller Regel wird der Verpflichtete gegen den Vertrag verstoßen, ohne ihn dem Gericht vorher zur Kenntnis zu bringen, zum Beispiel einen bestimmten Beweisantrag stellen und dem Gericht einen Beweisvertrag, nach dem eben dieser Beweisantrag unterbleiben soll, verschweigen. In dieser Situation hat der Gegner auch bei Annahme der ipso-iure-Wirkung des Vertrags die Entscheidung darüber in der Hand, ob die Beweisvereinbarung durchgeführt werden soll oder nicht. Beruft er sich darauf, muß das Gericht den Beweisantrag zurückweisen; tut er es nicht, wird der Verfahrensfehler des Gerichts - um einen solchen handelt es sich unter der Hypothese einer ipsoiure-Wirkung des Vertrags - gemäß § 295 Z P O geheilt. Natürlich können die Parteien den Vertrag auch einverständlich wieder aufheben; dieses Umwegs

176 Speziell mit Bezug auf Prozeßverträge Grunsky, Grundlagen, §23 II, S. 211; zur materiell-rechtlichen Einrede Windscheid/Kipp, Pandekten I, § 47, S. 206 f. H. Roth, Einrede, S. 162, spricht der Autonomiefunktion legitimatorische Kraft „als Grund für die Beibehaltung der Einrede als eigenständiges Rechtsinstitut" ab, weil die Privatautonomie auch durch Gestaltungsrechte gewährleistet werde. Diese Einschätzung trifft allenfalls für materiell-rechtliche, nicht aber für Prozeßeinreden zu, weil diese ausschließlich durch ihre ope-exceptionis-Wirkung gekennzeichnet sind. 177 Vgl. ausführlich H. Roth, Einrede, S. 27 f., 295 f.; Windscheid/Kipp, Pandekten I, § 47 Fn. 1 S. 206 f.; kurz Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 97. Der zweite von H. Roth, Einrede, S. 295 f., entwickelte Gesichtspunkt, die Notwendigkeit einer höchstpersönlichen Entscheidung über die Ausübung der Einrede, spielt im vorliegenden Zusammenhang dagegen keine Rolle. Gegen das Kriterium der Vorteile und Lasten Schlosser, JuS 1966, 257, 264 f. 178 Windscheid/Kipp, Pandekten I, § 47 Fn. 1, S. 207. 179 Vgl. soeben, unter B III 1 a, S. 239.

B. Wirkung im Primärprozeß

251

bedarf es aber wegen § 295 Z P O gar nicht, um die Dispositionsfreiheit des Berechtigten zu gewährleisten. Ein auf das Ergebnis durchschlagender Unterschied zwischen Einredelösung und ipso-iure-Wirkung ergibt sich allein im Säumnisverfahren 18°. Ist der Gegner säumig, kann ein vertragswidriges Verhalten der präsenten Partei in zwei Fällen relevant werden, wenn nämlich (1) der erschienene Kläger gegen ein Klagerücknahmeversprechen verstößt und die Klage nicht zurücknimmt oder (2) er entgegen dem Versprechen, kein Versäumnisurteil zu beantragen, den Antrag nach §331 Abs. 1 Z P O stellt 181 . Verschweigt der Kläger bei Säumnis des Beklagten dem Gericht den Vertragsschluß, unterscheiden sich die beiden Wirkungsmodi allerdings nicht, weil der Beklagte jedenfalls im Einspruchsverfahren die ipso-iure-Wirkung geltend machen bzw. die Einrede erheben kann. Trägt er hingegen selbst vor, sich vertraglich zur Rücknahme der Klage bzw. zur Unterlassung des Antrags nach § 331 Abs. 1 Z P O verpflichtet zu haben, führt die Einredelösung zu unbilligen Ergebnissen 182 . Schließen die Parteien etwa einen Vergleich, in dem sich der Beklagte zur Zahlung einer bestimmten Summe und der Kläger zur Klagerücknahme verpflichtet, so ist es nur folgerichtig, wenn der Beklagte einem gleichwohl noch anberaumten Termin in dem Vertrauen fernbleibt, der Kläger werde sich vertragskonform verhalten 183 . Gleiches gilt für die Verpflichtung, ein Versäumnisurteil nicht zu beantragen. Nach der Einredelösung müßte das Gericht jedoch den Beklagten selbst dann verurteilen, wenn sich die Vertragsverletzung des Klägers aus seinem eigenen Vortrag ergibt. Sowohl das Interesse an Rechtsklarheit im Verfahrensrecht als auch die Interessenlage im Säumnisverfahren sprechen nach allem für eine ipso-iureWirkung vertraglicher Dispositionen über prozessuale Befugnisse und damit gegen die herrschende Einredetheorie 184 . Wie sogleich zu zeigen sein wird, entspricht dies auch der Rechtslage bei Verträgen im Rahmen dispositiven Prozeßrechts.

180 Rimmelspacher, JuS 1988, 953, 955 (der allerdings meint, sich zwischen Prüfung von Amts wegen und Einredelast entscheiden zu müssen); Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 52; Windscheid/Kipp, Pandekten I, § 47 Fn. 1, S. 207. 181 Zu diesem Vertragstyp vgl. eingehend Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 94 ff.; Stein/Jonas-Schumann, 20. Aufl., Vor § 330 Rdnr. 21, sowie MünchKommZPOPrütting, § 330 Rdnr. 26. 182 Vgl. allgemein Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 97; mit Bezug auf Prozeß Verträge Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 52. 183 Sofern der Beklagte selbst die ihm obliegende Pflicht erfüllt hat; zur Berücksichtigung der Gegenleistung vgl. bereits oben, B II 2 b, S. 236. 184 So auch Emmerich, 72.V 82, 413, 420 f.; MünchKommZPO-G. Lüke, Einl. Rdnr. 289; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 57.

252 3.

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

Normdispositionen

Es entspricht einer verbreiteten Auffassung, daß Prozeßverträge mit „Gestaltungswirkung" im anhängigen Prozeß - womit Abreden im Bereich dispositiven Prozeßrechts gemeint sind - , in der Regel von Amts wegen zu berücksichtigen sind 185 . Indessen ist die Prüfung von Amts wegen bei einem der wichtigsten Prozeß Vertragstypen, der Schiedsvereinbarung, in § 1032 Abs. 1 ZPO gerade nicht angeordnet. Wie soeben ausgeführt, ist auch kein normativer Grund dafür ersichtlich, Prozeßverträge der Prüfung von Amts wegen zu unterwerfen 186 . Gleichwohl wird in bezug auf die Gerichtsstandsvereinbarung gelehrt, das Gericht müsse eine solche Abrede von Amts wegen beachten m . Diese Ansicht ist mißverständlich und mit der gesetzlichen Regelung der Prorogation in den §§ 38 ff. Z P O nur schlecht vereinbar. Die §§ 38, 40 Z P O ermächtigen die Parteien in gewissem Umfang, die gesetzliche Zuständigkeitsordnung zu modifizieren, während § 39 ZPO eine Obliegenheit des Beklagten zur Rüge der Unzuständigkeit begründet, indem er im Falle der rügelosen Verhandlung die Zuständigkeit des Gerichts fingiert 188 . Dies schließt die Befugnis des Beklagten ein, auf Rechte aus einer Gerichtsstandsvereinbarung zu verzichten, indem er im Fall der Derogation die gewillkürte Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht rügt. Umgekehrt ist ein nach der Legalordnung unzuständiges Gericht nicht dazu verpflichtet, der Möglichkeit einer Zuständigkeitsbegründung durch Gerichtsstandsvereinbarung von Amts wegen nachzugehen, wenn der beweisbelastete Kläger insoweit nichts vorträgt 189 . Die Prüfung von Amts wegen ist aber gerade dadurch charakterisiert, daß die Parteien über den Prüfungsgegenstand nicht disponieren können und das Gericht deshalb an das Parteivorbringen, einschließlich eines übereinstimmenden Vortrags beider Seiten, nicht gebunden ist. Diese Rechtsfolge ist nur angemessen, soweit § 40 Abs. 2 Z P O die Zuständigkeitsordnung der Verfügungsmacht der Parteien entzieht, soweit also Gerichtsstandsvereinbarungen 185 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 99 f.; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 246; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 723; Zöller-Greger, Vor § 128 Rdnr. 26. 186 Vgl. soeben, unter B III 2 b, S. 246. 187 Besonders deutlich Baur/Grunsky, Zivilprozeßrecht, Rdnr. 55; Stein/Jonas-5or&, § 38 Rdnr. 65: „Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob seine Zuständigkeit durch Vertrag begründet oder ausgeschlossen ist."; vgl. weiter Baumbach/Lauterbach-Hartmann, Übers § 38 Rdnr. 2; Zöller-Vollkommer, § 38 Rdnr. 43. 188 Die Schranken des § 38 ZPO spielen für die Frage nach dem Umfang der innerprozessualen Dispositionsfreiheit der Parteien keine Rolle, weil die Vorschrift, wie sich aus §38 Abs. 3 ZPO ergibt, nur die antizipierte, vor Entstehen der Streitigkeit geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung betrifft. Auch der Bestimmtheitsgrundsatz des § 40 Abs. 1 ZPO ist stets erfüllt, wenn sich die Parteien bereits im Prozeßstadium befinden. 189 So mit Recht Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnrn. 98 f.; in dieselbe Richtung Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 3 9 I, S. 191 f.; Thomas!Putzo, § 3 8 Rdnr. 3; wohl auch MünchKommZPO-Paizi«a, § 38 Rdnr. 43, der die Prüfung von Amts wegen auf die Frage der Wirksamkeit eines Prorogationsvertrags beschränkt.

B. Wirkung im

Primärprozeß

253

ohnehin unzulässig sind. Lediglich die Einhaltung der vereinbarungsfesten Zuständigkeiten ist also durch Prüfung von Amts wegen sicherzustellen 19°. Diese Überlegungen werden durch § 331 Abs. 1 S. 2 Z P O bestätigt, der die Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung im Säumnisverfahren in der Weise regelt, daß diesbezügliches Vorbringen des Klägers, zum Beispiel die Berufung auf eine entsprechende Klausel in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, entgegen § 331 Abs. 1 S. 1 Z P O nicht als zugestanden gilt. Diese Regelung wäre unverständlich und überflüssig, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung der Prüfung von Amts wegen unterläge, denn derartige, der Dispositionsfreiheit der Parteien entzogene Umstände umfaßt die Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 S.l Z P O ohnehin nicht 191 . Damit bleibt erneut die Entscheidung zwischen dem Wirkungsmodus der Einwendung und demjenigen der Einrede. Diese beiden Kategorien sind jedoch ganz auf den Beklagten bzw. den Gegner desjenigen, der eine bestimmte Prozeßhandlung vorgenommen hat, zugeschnitten. Modifizieren die Parteien einverständlich das für sie geltende Verfahrensrecht, ist es nicht immer möglich, eine Partei von vornherein als (Einrede-) Berechtigte auszuzeichnen, um ihr Gegenrechte für den Fall einer Vertragsverletzung einzuräumen. Beim Schiedsvertrag funktioniert dies nur deshalb, weil sich der Ausschluß des Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten als Zulässigkeitshindernis einer Prozeßhandlung, nämlich der Klage, formulieren läßt. Entsprechendes gilt für die vereinbarte Fristabkürzung nach § 224 Abs. 1 Z P O und prompt wird auch für diesen Fall vertreten, die Überschreitung der vereinbarten Frist sei nur auf Einrede zu berücksichtigen 192 . Dieser Ansatz hat jedoch Grenzen: Die Einigung der Parteien beispielsweise über die Art der Sicherheitsleistung (§ 108 Abs. 1 S. 2 Z P O ) oder über einen abweichenden Ort der Versteigerung der Pfandsache ( § 8 1 6 Abs. 2 Z P O ) kann nicht mehr in ein Zulässigkeitshindernis einer Prozeßhandlung übersetzt werden. Auch die Vereinbarung der Zuständigkeit eines nach der Legalordnung inkompetenten Gerichts, läßt sich mit dem auf Gegenrechte gemünzten Schema von Einwendung und Einrede nicht erfassen. Nach allem tritt auch die Wirkung der Verträge im Rahmen dispositiven Verfahrensrecht - einschließlich der Gerichtsstandsvereinbarung 193 - ipso iure ein. Nur diese Rechtsfolge entspricht dem Inhalt von Vereinbarungen, die das Verfahrensrecht pro futuro modifizieren.

190 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §37 II, S. 186; Stein/JonasBork, § 39 Rdnr. 13, der von einer „Einrede der Unzuständigkeit" spricht. 191 Baumbach/Lauterbach-//ari»Mttn, §331 Rdnr. 4; MünchKommZPO-Pr«fizng, §331 Rdnr. 4; Stein/]onas-Schumann, § 331 Rdnr. 4; Zöller-Herget, § 331 Rdnr. 1. 192 Stein/Jonas-//. Roth, § 224 Rdnr. 3. 193 Im Ergebnis genauso Kornblum, FamRZ 1976, 416, 422.

254

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

4. Ergebnis Die Wirkung von Prozeßverträgen im Primärprozeß bedarf grundsätzlich nicht der Erhebung einer Einrede durch die begünstigte Partei. Etwas anderes gilt nur, soweit die Einredeobliegenheit positiv-rechtlich angeordnet ist, was de lege lata allerdings nur im Fall der Schiedsvereinbarung zutrifft. Umgekehrt ist eine Prüfung von Amts wegen nicht geboten; das Gericht muß den Vertrag nur berücksichtigen, wenn er von einer der Parteien vorgetragen und sein Zustandekommen im Bestreitensfall von derjenigen Partei, die aus dem Vertrag Rechtsfolgen herleitet, bewiesen wird. Berücksichtigt das Gericht eine wirksame Vereinbarung nicht, wird dieser Verfahrensfehler gemäß § 295 Z P O geheilt, wenn er nicht rechtzeitig gerügt wird.

C. Durchsetzung von Prozeß Verträgen mit Hilfe von Sekundärprozessen Wie soeben ausführlich dargelegt, ist es in aller Regel möglich und geboten, verfahrensbezogene Vereinbarungen bereits in dem Rechtsstreit, auf den sie sich beziehen, zu berücksichtigen und das vertragswidrige Verhalten einer Partei zu sanktionieren. Gleichwohl stellt sich die Frage nach der Durchsetzbarkeit von Prozeßverträgen mit Hilfe selbständiger Sekundärklagen, die auf Schadensersatz oder auf Erfüllung der Prozeßvereinbarung gerichtet sein können. Nicht nur der Bestand derartiger Ansprüche ist zweifelhaft, sondern auch die Möglichkeit ihrer Geltendmachung mit Hilfe eines weiteren Rechtsstreits. Unter diesem zuletzt genannten Gesichtspunkt erscheint die Zulassung von Erfüllungsklagen als besonders problematisch, weil die Gefahr zu bestehen scheint, daß das mit dem Sekundärprozeß befaßte Gericht in das Verfahren vor dem Forum des Primärprozesses hineinregiert. Angesichts dieser Sonderproblematik ist zunächst das Feld der Schadensersatzansprüche abzustecken.

I. Schadensersatzansprüche 1. Bestehen von Schadensersatzansprüchen Es entspricht einer von Schiedermair begründeten Tradition, Prozeßverträge ausschließlich und notwendig als Verfügungsgeschäfte bzw. als Verträge mit verfügungsähnlicher Wirkung zu qualifizieren 194 . Damit fehlt es an Verpflichtungswirkungen, die als Grundlage für Schadensersatzansprüche in Betracht kommen könnten. Die hier vertretene Auffassung erkennt hingegen 194

Vgl. Schiedermair,

Vereinbarungen, S. 96, 105 ff.

C. Durchsetzung von Prozeßverträgen

in Sekundärprozessen

255

prozessuale Verpflichtungsverträge an und hat deshalb keine Schwierigkeiten mit der Anknüpfung von SchadensersatzansprüchenI95. Im Fall der Nichterfüllung prozessualer Verpflichtungsverträge, wenn zum Beispiel ein Zeuge entgegen einer entsprechenden vertraglichen Verpflichtung benannt wurde, Klage oder Rechtsmittel trotz eines Klage- oder Rechtsmittelrücknahmeversprechens weiterverfolgt wurden, oder entgegen einer vollstreckungsbeschränkenden Vereinbarung aus einem Titel vollstreckt worden ist196, kann die Partei also zum Schadensersatz verpflichtet sein, soweit einem solchen Anspruch die Rechtskraft des Ersturteils nicht entgegensteht197. Die Rechtsgrundlage dafür ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 275 ff., 320 ff. BGB m . Das allgemeine Schuldvertragsrecht ist - wie das Vertragsrecht des BGB überhaupt - Ausdruck allgemeiner Rechtsgedanken, die ohne weiteres auch für Prozeßverträge maßgeblich sind Anders stellt sich die Problematik bei Verträgen im Rahmen dispositiven Prozeßrechts dar, die zwar keine Verfügungswirkungen äußern200, aber die Parteien auch nicht ohne weiteres dazu verpflichten, sich entsprechend der verabredeten Modifikation des Prozeßrechts zu verhalten, sondern lediglich die maßgeblichen Verfahrensregeln modifizieren. Bei diesem Typus scheint es an einem vertragsrechtlichen Anknüpfungspunkt für Schadensersatzansprüche zu fehlen. In aller Regel ist aber auch kein praktisches Bedürfnis dafür ersichtlich, weil der „Verstoß" gegen eine solche Prozeßvereinbarung etwa die Klage vor dem gewillkürt unzuständigen Gericht - beim Gegner keinen oder jedenfalls keinen ersatzfähigen Schaden verursacht. Macht der Beklagte die Gerichtsstandsvereinbarung geltend, wird die Klage abgewiesen oder auf Antrag des Klägers an das zuständige Gericht verwiesen, wobei dem Beklagten in beiden Fällen die ihm entstandenen Kosten gemäß §§ 91, 281 Abs. 3 S. 2 ZPO zu erstatten sind, er also schadlos gestellt wird. Entsprechend ist die Rechtslage, wenn ein Anspruch eingeklagt wird, der einer Schiedsvereinbarung untersteht. Der Vertragstreue Teil wird indessen einen Schaden erleiden, wenn entgegen einer Schieds- oder Gerichtsstandsvereinbarung vor einem ausländischen 195 Im Ergebnis genauso H.-J. Hellwig, Systematik, S. 60 ff.; ders., NJW 1968, 1072, 1075 f.; Hopt, Unberechtigte Verfahrenseinleitung, S. 266 f.; K.-J. Götz, Ersatzansprüche bei Rechtsverfolgung, S. 134 f.; Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, S. 210; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 II, S. 368. 196 Vgl. BGH, WM 1985, 35: Schadensersatz wegen Bruch des Versprechens, einen Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach Zahlung des Schuldners zurückzunehmen. 197 Dazu sogleich, unter 2, S. 261 ff. 198 H.-J. Hellwig, Systematik, S. 108 ff.; a. A. BGH, WM 1985, 35 f., der auf positive Forderungsverletzung der durch den Vollstreckungszugriff zwischen Gläubiger und Schuldner begründeten „gesetzlichen Sonderverbindung privatrechtlicher Art" abstellt, obwohl der Gläubiger die Rücknahme des Vollstreckungsantrags „zugesagt" hatte! 199 Vgl. unten, 4. Kapitel, A, S. 278 ff. 200 Vgl. oben, B I 2 a, S. 223 f.

256

J. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

Gericht geklagt wird und das maßgebliche Prozeßrecht der sog. American Rule folgt, nach der die außergerichtlichen Kosten der obsiegenden Partei nicht zu erstatten sind201. Die Frage des Schadensersatzes für prozeßvertragswidriges Verhalten spielt deshalb vor allem im internationalen Zivilprozeßrecht eine Rolle. Regelmäßig geht es um den Schutz europäischer Parteien vor Klagen in den Vereinigten Staaten, deren Erfolgsaussichten wegen der früheren Feindseligkeit der U.S.-amerikanischen Gerichte gegenüber Gerichtsstandsvereinbarungen sogar durchaus erheblich waren202. Während die herkömmliche Auffassung im deutschen internationalen Zivilprozeßrecht es ablehnt, den Verstoß gegen Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen durch Schadensersatzansprüche zu sanktionieren203, dringt infolge des in den achtziger Jahren ausgebrochenen „Justizkonflikts" zwischen Europa und den USA die Gegenauffassung vor204. Die Gewährung von Ersatzansprüchen setzt indessen voraus, daß die Gerichtsstands- oder Schiedsvereinbarung nicht nur eine Modifikation des Prozeßrechts bewirkt, indem sie eine sonst gegebene Gerichtskompetenz zugunsten derjenigen eines konkurrierenden staatlichen oder privaten Forums ausschließt, sondern darüber hinaus die Parteien auch verpflichtet, sich ausschließlich an das vereinbarte Gericht zu wenden und keine Klage vor inkompetenten Fora zu erheben. Tatsächlich erkennt die herrschende Lehre seit der grundlegenden Arbeit H. J. Hellwigs neben der „Verfügungswirkung" der Prozeßverträge und kumulativ zu ihr auch eine Verpflichtungswirkung verfahrensbezogener Vereinbarungen an, als „Verpflichtung des Belasteten, sich der negativen Verfügungswirkung entsprechend zu verhalten" 205. Dies soll nicht nur für die mit negativer Verfügungswirkung ausge201

Gottwald,

FS Henckel, S. 295, 307 f.; vgl. zur American Rule oben, 2. Kapitel, G I,

S. 176. Vgl. dazu sowie zur heutigen Rechtslage oben, 2. Kapitel, G II 2 a, S. 181 f. Gelmer, Internationales Zivilprozeßrecht, Rdnrn. 1118, 1120; Kropholler, in: Hdb. IZVR-I, Rdnr. 168; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 769 ff.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdnr. 772; wohl auch Hopt, Unberechtigte Verfahrenseinleitung, S. 265 ff.; offen Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozeßrecht, Rdnr. 114; auch in den Kommentaren zu den §§ 38 ff. ZPO fehlt jeder Hinweis auf entsprechende Verpflichtungswirkungen. 204 Baum, in: Herausforderungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts, S. 185, 195; Gottwald, FS Henckel, S. 295, 308; Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 203; H. Koch, in: Herausforderungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts, S. 85, 98; Kurth, Inländischer Rechtsschutz, S. 60 ff.; Schlosser, Justizkonflikt, S. 37 ff.; Schröder, FS Kegel, S. 523, 530 ff.; Stürner, in: Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 3, 52; grundlegend Schröder, FS Kegel, S. 523, 532. 205 H.-J. Hellwig, Systematik, S. 65 f.; ähnlich a.a.O., S. 72: „Diese Wirkungen [Verfügung und Verpflichtung] bauen gegenseitig auf einander auf und richten sich inhaltlich gegenseitig an einander aus ..."; vgl. auch ders., NJW 1968, 1072, 1075 f.; dem folgend A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 3 0 VIII, S. 177; Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, S. 204 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 II, S. 368; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 248 a. E.; im Ergebnis genauso Barz, Klagerücknahmeversprechen, S. 26 f. 202 203

C. Durchsetzung von Prozeßverträgen

in Sekundärprozessen

257

statteten Dispositionen über prozessuale Befugnisse, wie Verzicht auf Klage, Rechtsmittel oder Beweismittel, gelten, die in Wahrheit als Verpflichtungsverträge zu rekonstruieren sind, sondern insbesondere auch für die abdrängende Gerichtsstandsvereinbarung206. Letztere wird von der hier vertretenen Auffassung zwar nicht als Verfügungsgeschäft qualifiziert, sondern als Vertrag im Rahmen dispositiven Prozeßrechts, ein in normativer Hinsicht überzeugender Grund, den Parteien die Begründung von Verpflichtungswirkungen zu versagen, ist jedoch nicht ersichtlich207. Die Parteien können die Schadensersatzpflicht bei Klagen vor gewillkürt unzuständigen Gerichten des Auslands also durch eine explizite Abrede regeln und damit eine prozeßvertragliche Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche kreieren. Nicht dieser, letztlich nur die Privatautonomie konkretisierende Grundsatz ist problematisch, sondern die daraus gezogene Schlußfolgerung, die im Rechtsverkehr üblichen Gerichtsstands- und Schiedsklauseln enthielten stets und ohne weiteres eine solche zusätzliche Verpflichtung, deren Verletzung Schadensersatzansprüche auslöste. Verpflichtungswirkung und Schadensersatzbewehrung werden so zu Ingredienzen des dispositiven Rechts von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, für dessen Begründung die bloße dogmatische Möglichkeit einer Kombination von „Verfügungs-" und Verpflichtungswirkungen nicht ausreicht. Vielmehr wäre nachzuweisen, daß die geschilderten Rechtsfolgen dem - tatsächlichen oder hypothetischen - Willen der großen Mehrzahl derjenigen Parteien entsprechen, die solche Vereinbarungen abschließen. Davon kann weder im nationalen noch im internationalen Rechtsverkehr die Rede sein. Die Aufnahme der Verpflichtungswirkung in das dispositive Recht der Gerichtsstandsvereinbarung und des Schiedsvertrags würde im Ergebnis dazu führen, daß die Rechtsfolgen der §§91 ff. ZPO über den Geltungsbereich des deutschen Rechts hinaus erstreckt würden. Ein Amerikaner, der mit einer deutschen Partei die ausschließliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte vereinbart, müßte im Fall der Klage vor seinen einheimischen Gerichten dem Gegner die Anwaltskosten ersetzen - wenn auch nicht aufgrund der dort geltenden Prozeßordnung, so doch wegen der Verpflichtungswirkung der Gerichtsstandsvereinbarung. Ein solches Resultat mag angesichts der in den USA üblichen, die Gerichtspflichtigkeit von Fremdstaatern bereits bei schwächsten Kontakten zum Gerichtsstand begründenden „long arm statutes" 208 aus deutscher Sicht zu wünschen sein; eine entsprechende Erklärung der ausländischen Partei läßt sich dadurch nicht ersetzen. Für deren Willen, nicht nur die ausschließliche 206 H.-J. Hellwig, Systematik, S. 64 ff., 65; ders., NJW 1968, 1072, 1075 f.; K.-J. Götz, Ersatzansprüche bei Rechts Verfolgung, S. 134 f.; Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, S. 210; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 II, S. 368. 7 Vgl. oben, 1. Kapitel, C, S. 35 ff.; speziell für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen Schröder, FS Kegel, S. 523, 531 f.; H. Koch, in: Herausforderungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts, S. 85, 98; Kurth, Inländischer Rechtsschutz, S. 68 ff. 208 Vgl. dazu Schuck, Einführung, S. 23 f.

258

3. Kapitel: Wirkungen der

Prozeßverträge

Kompetenz eines deutschen Gerichts zu begründen, sondern darüber hinaus auch noch für den Fall einer Klage vor den einheimischen Gerichten die dort geltende American Rule zu korrigieren, bieten gewöhnliche Gerichtsstandsund Schiedsvereinbarungen keinerlei Anhaltspunkte. Die vereinbarte ausschließliche Zuständigkeit zeitigte sonst wesentlich einschneidendere Rechtsfolgen als die gesetzliche ausschließliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte, deren „Verletzung" durch Klagen vor ausländischen Fora jedenfalls nicht ohne weiteres zum Schadensersatz verpflichtet 209 . Dieser Zusammenhang wird noch deutlicher, wenn das Gericht seine Kompetenz zu unrecht für gegeben hält und in der Sache entscheidet, weil der Beklagte die Gerichtsstandsvereinbarung nicht beweisen konnte. Wiederum ist ein relevanter Unterschied zu dem Alternativfall, in dem der Kläger den Gerichtsstand durch Vortrag falscher, aber vom Beklagten nicht zu widerlegender gesetzlicher Zuständigkeitstatsachen erschleicht, nicht ersichtlich. Im übrigen muß die Klage vor dem gewillkürt unzuständigen Gericht keineswegs anstößig sein, sondern kann durchaus in redlicher Absicht erfolgen, wenn etwa die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung oder ihre Modifikation durch eine nachfolgende Abrede geltend gemacht wird. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit ebenso wie internationale Schiedsverträge in aller Regel von rechtlich versierten Kaufleuten abgeschlossen werden, denen ohne weiteres zuzumuten ist, die Verpflichtungswirkung ihrer Abrede ausdrücklich zu stipulieren. Soweit sie das nicht tun, ist davon auszugehen, daß sie den herkömmlichen und auch für die gesetzliche Zuständigkeitsordnung anerkannten Rechtszustand zugrunde legen, nach dem ein Verstoß gegen eine ausschließliche Kompetenz nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Soweit die Parteien keine Verpflichtungswirkung vereinbart haben, bleibt es also bei den allgemeinen Grundsätzen der Haftung für unlautere Prozeßführung, die in Rechtsprechung und Literatur zwar umstritten sind 210 , im vorliegenden Zusammenhang jedoch keiner umfassenden Aufarbeitung bedürfen. Allerdings würde die soeben erarbeitete Differenzierung zwischen Verpflichtungsverträgen über prozessuale Befugnisse und einverständlichen Modifikationen des Verfahrensrechts de facto hinfällig, wenn mit einer in der Literatur vertretenen Meinung die in § 138 Abs. 1 Z P O positivierte Wahrheitspflicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 B G B anerkannt 2 0 9 Übereinstimmend, wenn auch mit Blick auf Erfüllungsansprüche Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 770 f., der allerdings das Recht der Parteien zur Begründung von Verpflichtungswirkungen gänzlich zu leugnen scheint: „Für ein ,right not to be sued abroad' kraft Prozeßvertrags ist somit kein Raum." Für die insoweit gegebene Begründung, die §§ 38 ff. ZPO ordneten „nicht lediglich die unmittelbare Berücksichtigung der Prorogation an, sondern zugleich deren Grenzen", gibt es indessen weder Anhaltspunkte im Gesetzestext noch normativ überzeugende Gründe. 2 1 0 Vgl. dazu K.-J. Götz, Ersatzansprüche bei Rechtsverfolgung; Häsemeyer, Schadenshaftung; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 291 ff.; Hopt, Unberechtigte Verfahrenseinleitung, S. 134 ff., 217 ff.; Kurth, Inländischer Rechtsschutz, S. 60 ff.

C. Durchsetzung von Prozeßverträgen

in Sekundärprozessen

259

würde211, so daß jedweder wahrheitswidrige oder unvollständige Vortrag als Anknüpfungspunkt für Schadensersatzansprüche in Betracht käme. Eine konsequente Umsetzung dieses Grundsatzes scheidet jedoch bereits deshalb aus, weil sie die Rechtskraft des Urteils im Primärprozeß vollständig aus den Angeln heben würde, während eine restriktive Handhabung, die ein Wiederaufrollen des Streits nur bei vorsätzlichem Handeln sowie bei Vorliegen eines Restitutionsgrundes gemäß § 580 ZPO erlauben würde212, de facto lediglich die allgemeine Haftung für Prozeßbetrug gemäß §§ 263 StGB, 823 Abs. 2 BGB verdoppelt. Praktische Relevanz kann eine Schadensersatzhaftung für Wahrheitspflichtverletzungen demnach nur für Begleitschäden haben, deren Ersatz mit der Rechtskraft des Ersturteils nicht konfligiert, weil sie außerhalb des Streitgegenstands des Primärprozesses liegen. Insoweit bleibt jedoch fraglich, ob der Schutzzweck der prozessualen Wahrheitspflicht sich auf solche Rechtsgüter erstreckt, die gar nicht Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits sind. Umgekehrt darf das differenzierte materiell-rechtliche Haftungssystem nicht überspielt werden, indem unter Berufung auf § 138 Abs. 1 ZPO eine Haftung für allgemeine Vermögensschäden begründet wird, die zudem allein auf die Rechtsausübung im Prozeß beschränkt bliebe. Die prozessuale Wahrheitspflicht ist deshalb kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB 2 1 3 und eignet sich folglich auch nicht dazu, Verträgen im Rahmen dispositiven Prozeßrechts eine Bewehrung durch Schadensersatzansprüche zu vindizieren. 2. Durchsetzbarkeit

der Schadensersatzansprüche

im

Klageweg

Die Frage nach der Durchsetzbarkeit im Rahmen eines Sekundärprozesses stellt sich bei prozeßvertraglichen Schadensersatzansprüchen nicht in gleicher Schärfe wie bei Erfüllungsansprüchen, weil ein Eingriff in die Kompetenz des Erstgerichts nicht zu befürchten ist214. Dementsprechend werden beispielsweise auch Schadensersatzklagen wegen ehrverletzender Äußerungen im Rahmen von Prozeßhandlungen nach Abschluß des Primärprozesses ohne weiteres zugelassen215. 211 Dafür: KG, MDR 1976, 847; Hopt, Unberechtigte Verfahrenseinleitung, S. 270 ff.; Rosenberg/Scbwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 65 VIII, S. 366; Stein/Jonas-Leipold, § 138 Rdnr. 19; Zöller-Greger, § 138 Rdnr. 7; ähnlich (mit Ableitung aus Treu und Glauben) Dölle, FS Riese, S. 279, 289 ff. 2 1 2 So Dölle, FS Riese, S. 279, 290. 2 1 3 So auch Baumbach/Lauterbach-//iirfmtio« doch über das Ziel hinaus, weil die erheblichen Gefährdungen dieser Lösung für die Privatautonomie der an der Nichtigkeitsfolge interessierten Partei auf diese Weise verdrängt werden. Bestreitet der Beklagte beispielsweise, den aus Rechtsgeschäft und Gerichtsstandsvereinbarung zusammengesetzten Vertrag jemals abgeschlossen zu haben, so kann dieses Vorbringen nicht mit dem Hinweis darauf erledigt werden, „die Parteien" hätten dem prorogierten Gericht auch die Entscheidung über diesen Einwand übertragen wollen. Gleichwohl hat das KG, unter dem Beifall der Literatur233, eine Partei an der in einem Vertragsentwarf enthaltenen Gerichtsstandsklausel festgehalten, obwohl sie geltend machte, der Vertrag sei niemals zustande gekommen234. Wäre dies richtig, könnte der eine Teil dem anderen ein für letzteren höchst beschwerliches Verfahren aufnötigen, indem er seine Vertragsentwürfe mit Prozeßvereinbarungen spickte, um ohne Rücksicht auf deren Akzeptanz durch die Gegenseite einen Rechtsstreit anzustrengen. Ganz allgemein gilt, daß die Teilnichtigkeit die Prozeßvereinbarung nur gegenüber Mängeln des materiell-rechtlichen Vertrags isoliert, nicht aber die Feststellung entbehrlich macht, daß die Prozeßvereinbarung selbst wirksam zustande gekommen ist235. Fehlt es aber am Abschluß des Gesamtgeschäfts, wird es regelmäßig auch an einer Prozeßvereinbarung fehlen; eine der Teilnichtigkeitslösung entsprechende Vermutung des „Teilabschlusses" der Prozeßvereinbarung unabhängig vom Zustandekommen des Hauptvertrages gibt es nicht. Jede andere Lösung verstößt in eklatanter Weise gegen die Privatautonomie der gegen ihren Willen gebundenen Partei. Die für das internationale Privatrecht in Art. 31 Abs. 2 E G B G B positivierte Wertung, nach dem die Begründung einer vertraglichen Bindung nur mit Hilfe solcher Rechtsnormen erfolgen darf, die der Partei vertraut sind, muß auch im internen Rechtsverkehr beachtet werden236. Schließlich darf die Möglichkeit nicht übersehen werden, daß die Prozeßvereinbarung selbst an einem Fehler leidet237, und daß dieser Fehler durchaus mit demjenigen Defekt identisch sein kann, der auch den materiell-rechtlichen Vertrag zu Fall bringt238. Dementsprechend kann sich eine Partei beispielsweise auf die Anfechtung des Hauptvertrags wegen Täuschung oder rechtsStein/Jonas-5or&, § 38 Rdnr. 57; Zöller-Vollkommer, § 38 Rdnr. 8. KG, B B 1983, 213, 214: Das Resultat ergebe sich daraus, „daß der vereinbarte ausschließliche Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten nicht nur aus dem Vertrag, sondern auch ,in Verbindung' mit diesem Vertrag vereinbart worden ist" (Hervorhebung hinzugefügt) - quod erat demonstrandum. 235 So mit Recht auch Lorenz, AcP 157, 265, 287; Schlosser, Schiedsgerichtsbarkeit, Rdnr. 393. 2 3 6 Vgl. dazu eingehend unten, 5. Kapitel, C II, S. 370 f. 237 Vgl. Stein/Jonas-ßorife, § 38 Rdnrn. 55 ff. 238 Vgl. bereits oben, 2. Kapitel, G III 5, S. 206 f. 233

234

B.

Einzelprobleme

331

widriger Drohung berufen, um damit auch den Wirkungen einer Prozeßvereinbarung zu entgehen 239 . Dieser Einwand muß Erfolg haben, wenn sich das unlautere Verhalten auf das Gesamtgeschäft bezieht und ohne die Täuschung bzw. Drohung auch die Prozeßvereinbarung nicht akzeptiert worden wäre 240 . c) Die Rechtslage beim

Schiedsvertrag

Obwohl die vorstehenden Grundsätze gerade auch anhand des Schiedsrechts entwickelt wurden, weist letzteres doch Besonderheiten auf, die der Erörterung bedürfen. Durch § 1040 Abs. 1 S. 1 ZPO n. F. wird dem Schiedsgericht nämlich ausdrücklich die Kompetenz zugebilligt, „über die eigene Zuständigkeit und im Zusammenhang hiermit über die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung [zu] entscheiden", und in Abs. 1 S. 2 der Bestimmung wird sodann klargestellt, daß „eine Schiedsklausel als eine von den übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln [ist]". Obwohl dieser Wortlaut es nahe legen mag, Schiedsvereinbarungen grundsätzlich gegenüber Mängeln des materiell-rechtlichen Vertrags zu isolieren, würde eine solche Interpretation über das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel hinausschießen. Mit § 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO sollte lediglich klargestellt werden, daß die Unwirksamkeit des Hauptvertrags „nicht ohne weiteres" auch zur Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung führt 241 . Auch unter der Geltung des neuen Schiedsrechts muß der Rekurs auf den Parteiwillen folglich der Ausgangspunkt der Lösung der Teilnichtigkeitsproblematik bleiben. Die Parteien haben es also in der Hand, dem Schiedsgericht auch die Zuständigkeit für die Entscheidung über Einwendungen gegen den Hauptvertrag und dessen Rückabwicklung zu verleihen, was selbstverständlich auch durch Verwendung handelsüblicher, traditionell im Sinne der Teilnichtigkeitslösung ausgelegter Klauseln wie „Hamburger freundschaftliche Arbitrage und Schiedsgericht" geschehen kann 242 . Eine solche Interpretation der Vereinbarung liegt ferner nahe, wenn das Schiedsabkommen von den Parteien im Hinblick auf eine längerfristige Geschäftsbeziehung geschlossen worden ist. Die vermeintliche Unwirksamkeit eines einzelnen materiellrechtlichen Rechtsverhältnisses im Rahmen dieser Beziehung ist nicht geeignet, die Maßgeblichkeit der Schiedsvereinbarung auszuschließen. Handelt es sich dagegen um eine singulare Transaktion, spricht viel dafür, daß die Parteien die Schiedsklausel nur zur Abwicklung ihres Vertragsverhältnisses ver239 BGHR ZPO § 1025 Abs. 1 Wirksamkeit 1; OLG Frankfurt/Main, OLGZ 1967, 435, 437 (beide zur Anfechtung wegen rechtswidriger Drohung beim Vertrag mit Schiedsklausel); OLG Hamburg, MDR 1949, 368 (Gerichtsstandsklausel in Vertrag, der wegen arglistiger Täuschung angefochten wurde). 240 BGHR ZPO § 1025 Abs. 1 Wirksamkeit 1; Schlosser, Schiedsgerichtsbarkeit, Rdnr. 393. 241 Begründung der Bundesregierung zum SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 43. 242 So BGHZ 53, 315, 320 f.; vgl. auch BGH, MDR 1952, 487, 488 (= LM Nr. 6 zu § 139 BGB); RG, WarnR 1934 Nr. 42; RG, WarnR 26 (1934), Nr. 42, S. 92, 93 f.; OLG Hamburg, MDR 1947, 133, 134; OLG Frankfurt/Main, OLGZ 1967, 435, 437 f.

332

4. Kapitel: Die Rechtsgeschäftslehre

der

Prozeßverträge

einbart haben, sich dagegen den Zugang zum staatlichen Gericht nicht verbauen wollten, falls die Rechtsbeziehung bereits im Ansatz scheitert und es zum Streit um die Wirksamkeit des Gesamtvertrags kommt 243 . Der B G H und ein Teil der Literatur sind auf der einmal beschrittenen Linie jedoch noch weiter gegangen, indem Schiedsklauseln, die schon im Sinne der Teilnichtigkeitslösung interpretiert worden waren, darüber hinaus eine zweite Schiedsvereinbarung entnommen wurde, nach der das Schiedsgericht über die Wirksamkeit des gewissermaßen „ersten" Schiedsvertrags abschließend und für das staatliche Gericht bindend entscheiden konnte 244 . die Im Ergebnis sollte durch eine solche Kompetenz-Kompetenz-Klausel Zuständigkeit des Schiedsgerichts für die gesamte Vertragsabschlußproblematik begründet werden, so daß eine Kontrolle durch das staatliche Gericht sowohl im Exequaturverfahren als auch in der Einredesituation entfiel. Letzteres konnte nicht mehr gemäß § 1041 Abs. 1 Nr. 1 ZPO a. F. überprüfen, ob dem Schiedsspruch ein gültiger Schiedsvertrag zugrunde lag, und selbst wenn es zuerst mit der Sache befaßt worden war, konnte es weder über die Wirksamkeit des Hauptvertrages noch über die Wirksamkeit der Schiedsklausel entscheiden, sondern hatte die Klage gemäß § 1027a ZPO a. F. als unzulässig abzuweisen245. Schließlich verschwammen in der Praxis die Grenzen zwischen materiell-rechtlichem Hauptvertrag und Schiedsklausel, wenn die Teilnichtigkeitsproblematik bei vermeintlicher Unwirksamkeit des Hauptvertrags von der Frage der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts nicht mehr unterschieden wurde246. Die Teilnichtigkeitspräsumption verwandelte 243 Ähnlich RGZ 27, 378, 379 f.; 31, 397, 399; Lorenz, AcP 157, 265, 287 f.; kritisch Kisch, Judicium 3, 53, 64 ff. 244 Grundlegend BGH, KTS 1961, 26, 27 f. (= DB 1955, 688), sowie BGHZ 68, 356, 366 ff. (= NJW 1977, 1379 = ZZP 91, 470 m. abl. Anm. Leipold); weiter BGH, NJW-RR 1988, 1526, 1527 (= JZ 1989, 201 m. abl. Anm. W. Bosch); NJW 1991, 2215 (= LM Nr. 45 zu § 1025 ZPO m. zust. Anm. Kronke); O L G Düsseldorf, WM 1990, 842, 844; NJW 1996, 400; NJW-RR 1997, 372, 373 (= WM 1996, 1903, 1905); Habscheid, KTS 1964, 146, 150 ff.; ders., FS Baur, S. 425, 429 ff.; Schlosser, Schiedsgerichtsbarkeit, Rdnrn. 555 f.; ders., in: Stein/Jonas, § 1037 Rdnrn. 3 ff.; Schiitze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, Rdnrn. 118, 131; Zöller-Geimer, § 1025 Rdnr. 57, § 1041 Rdnr. 41. 245 BGH, NJW-RR 1988, 1526, 1527; O L G Düsseldorf, NJW-RR 1997, 372, 373. 246 Offen ambivalent BGH, MDR 1952, 487 f. (= LM Nr. 6 zu § 139 BGB) LS 1: „... so darf das Schiedsgericht auch über die Frage seiner eigenen Zuständigkeit entscheiden. Eine [!] derartige Schiedsabrede hat gegenüber dem Hauptvertrag [!] selbständige Bedeutung § 139 BGB ist nicht anwendbar." Nicht besser BGHZ 68, 356, 365 f.; RG, WarnR 26 (1934), Nr. 42, S. 92 ff.; Habscheid, KTS 1958, 177, der eine Entscheidung des O L G Celle, MDR 1958, 172 f., im Sinne der Lehre von der Kompetenz-Kompetenz interpretiert, weil „das Schiedsgericht verbindlich über seine Zuständigkeit urteilen" könne. Tatsächlich hatte das Gericht lediglich entschieden, „daß im Zweifel dem Schiedsgericht auch die Entscheidung über Einwendungen übertragen werden sollte, die den Bestand des Hauptvertrages betreffen" (a.a.O., S. 173). Wie eng beide Fragen miteinander zusammenhängen, wird im übrigen auch in der Leitentscheidung zur Kompetenz-Kompetenz, BGH, KTS 1961, 26, deutlich. Offenbar ging es in diesem Fall um Einwendungen gegen den Hauptvertrag, denn das Berufungsgericht hatte

B.

Einzelprobleme

333

sich auf diese Weise unter der Hand und ohne sachliche Begründung in eine Vermutung zugunsten der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts. Diese Rechtsprechung stieß auf berechtigte Kritik 247 , weil sie mit der Annahme einer solchen Vertragsgestaltung allzu leicht bei der Hand war und die Privatautonomie der schiedsunwilligen Partei nicht hinreichend ernst nahm. Formularmäßige Schiedsklauseln wurden im Sinne einer Begründung schiedsgerichtlicher Kompetenz-Kompetenz ausgelegt, ohne daß dafür irgendein weiterer Anhaltspunkt ersichtlich oder auch nur versucht worden war, die konkrete Schiedsklausel zu interpretieren 248 . Die Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts avancierte auf diese Weise gleichsam zum Normalinhalt von Schiedsverträgen nach Art einer entsprechenden Regelung dispositiven Rechts 249 . Mit der Neuregelung des Schiedsrechts im SchiedsVfG verfolgte der Gesetzgeber ausdrücklich das Ziel, die eben geschilderte Judikatur zurückzuschneiden 250 . Der neue § 1040 Abs. 1 S. 1 Z P O gewährt dem Schiedsgericht zwar die Befugnis zur Entscheidung über die Wirksamkeit der die eigene Zuständigkeit erst begründenden Schiedsvereinbarung. Rügt der Beklagte jedoch die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts, und will letzteres den Einwand zurückweisen, muß dies regelmäßig in Form eines Zwischenentscheids geschehen, gegen den binnen eines Monats die Entscheidung des staatlichen Gerichts beantragt werden kann, § 1040 Abs. 3 ZPO. Geht das Schiedsgericht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung ausnahmsweise über die Zuständigkeitsrüge hinweg, um sie erst im Schiedsspruch zurückzuweisen, bleibt der unterlegenen Partei immer noch der Aufhebungsantrag zum staatlichen Gericht gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. la ZPO. Schließlich verpflichtet der neue

noch die Teilnichtigkeitslehre angewendet und die Schiedsklausel gegenüber Angriffen auf den Hauptvertrag isoliert. Der B G H ging hingegen nicht auf die Teilnichtigkeitsproblematik ein, sondern sprach dem Schiedsgericht kurzerhand die Befugnis zu, über seine eigene Kompetenz bindend zu entscheiden. Tatsächlich erledigt sich die Teilnichtigkeitsfrage, wenn man dem Schiedsgericht Kompetenz-Kompetenz zubilligt. 247 Baur, FS Fasching, S. 81, 87; W. Bosch, JZ 1989, 201, 203; Heiermann, FS Glossner, S. 129, 132 f.; Leipold, ZZP 91, 479, 482 f.; Lorenz, AcP 157, 265, 275, 287 f. mit Fn. 66; MünchKommZPO-Afaier, § 1041 Rdnr. 9; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 172 VI 3, S. 1082; Schäfer, FS Henckel, S. 723, 724 f., 732 f.; Schwab, KTS 1961, 17, 23 f.; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 6 Rdnr. 9. 248 Vgl. etwa BGHZ 68, 356, 365 f.: „Hamburger freundschaftliche Arbitrage"; BGH, NJW-RR 1988, 1526 (= JZ 1989, 201 m. abl. Anm. W. Bosch); NJW 1991, 2215 (= LM Nr. 45 zu § 1025 ZPO m. zust. Anm. Kronke). In allen diesen Fällen handelte es sich um ordinäre Schiedsklauseln; im Tatbestand des zuletzt genannten Urteils ist lediglich mitgeteilt: „Gleichzeitig schlössen sie [die Parteien] für alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit diesem Vertrag einen Schiedsvertrag". 249 Ähnlich Kronke, Anm. zu BGH, LM Nr. 45 zu § 1025 ZPO (= NJW 1991, 2215), der ebenfalls zur Voraussetzung wirksamer Kompetenz-Kompetenz macht, daß „die Klausel hinreichend deutlich ist (, ... entscheidet auch über die Wirksamkeit dieser Schiedsvereinbarung, und zwar mit bindender Wirkung für staatliche Gerichte')"; a.a.O., unter 2 b. 250 Begründung der Bundesregierung zum SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 44.

334

4. Kapitel: Die Rechtsgeschäftslehre

der

Prozeßverträge

§ 1032 Abs. 1 ZPO das staatliche Gericht im Einredestadium nur dann zur Abweisung der Klage als unzulässig, wenn es den Schiedsvertrag für wirksam hält, nicht aber, wenn „die Schiedsvereinbarung nichtig, unwirksam oder undurchführbar ist" 251 . Insgesamt stellen die §§ 1032 Abs. 1, 1040 Abs. 3, 1059 Abs. 2 Nr. la Abs. 3 ZPO sicher, daß über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung in letzter Instanz immer durch ein staatliches Justizorgan entschieden wird, wenn eine der Parteien dies beantragt. Als Satz des dispositiven Schiedsrechts ist die Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts folglich erledigt. Damit bleibt die Frage, ob die Parteien dem Schiedsgericht im Wege einer expliziten Vereinbarung die Kompetenz verleihen können, auch über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung mit Bindungswirkung gegenüber dem staatlichen Gericht zu entscheiden. Einer solchen Abrede scheint der Umstand entgegenzustehen, daß die §§ 1032, 1040, 1059 ZPO keinerlei Öffnungsklauseln enthalten, die einen vertraglichen Ausschluß der Letztentscheidungskompetenz der staatlichen Gerichte erlaubten252. Nach der am UNCITRAL-Modellgesetz orientierten Regelungstechnik des SchiedsVfG sind abweichende Abreden der Parteien nämlich regelmäßig nur wirksam, wenn sie im Gesetz ausdrücklich zugelassen sind 253. Ein normativ überzeugender Grund, den Parteien die Begründung der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts im Wege einer expliziten Vereinbarung zu verwehren, ist im Hinblick auf die Disponibilität der Wirkungen sowohl der Schiedsvereinbarung254 als auch des Schiedsspruchs255 und die materielle Vergleichsbefugnis der Parteien jedoch kaum zu erkennen. Auch öffentliche Interessen sind gerade nicht tangiert, wenn die Parteien die Entscheidung eines Streits um die Wirksamkeit eines Schiedsvertrags ebenfalls einem Schiedsgericht überantworten256. Gegenüber dem positiven Recht ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber des SchiedsVfG trotz seiner Orientierung am Regelungsstil des Modellgesetzes darauf verzichtet hat, die Disponibilität einer Norm des Schiedsrechts stets ausdrücklich anzuordnen und den Vorrang der teleologischen Auslegung ausdrücklich betont hat257. Wegen der Wertung der §§ 1032, 1040, 1059 ZPO hat sich folglich nur die bisherige Rechtsprechung erledigt, die die Begründung von Kompetenz-Kompetenz quasi als Regelfall 251 Vgl. dazu die Begründung der Bundesregierung zum SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 37 f. 252 So in der Tat Schlosser, RIW 1994, 723, 725: „Da im Gesetz nicht steht „... sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben", wird es keine Kompetenz-Kompetenz im bisher vertrauten Sinne des Begriffs mehr gegen". 253 Begründung der Bundesregierung zum SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 28; Schlosser, RIW 1994, 723. 254 Vgl. dazu oben, 3. Kapitel, B III 2 b, S. 246. 255 Vgl. dazu unten, 10. Kapitel, A I, S. 715 f. 256 Habscheid, KTS 1964, 146, 152 ff.; ders., FS Baur, S. 425, 435; Schlosser, Schiedsgerichtsbarkeit, Rdnr. 556; ders., in: Stein/Jonas, § 1037 Rdnr. 3a. 257 Begründung der Bundesregierung zum SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 28.

B.

Einzelprobleme

335

der Schiedsvereinbarung ausgegeben hat, nicht aber die Befugnis der Parteien, das Schiedsgericht zur bindenden Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung durch eine explizite und unzweideutige Formulierung zu ermächtigen 258 . Die Unbedenklichkeit einer solchen Vorgehensweise wird besonders deutlich, wenn die Parteien bereits um die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung gestritten haben und erst dann übereinkommen, auch die Entscheidung dieses Streits dem Schiedsgericht zu überantworten oder darüber gar einen gesonderten Schiedsspruch einzuholen. Aber auch in der praktisch wichtigeren Situation, in der die Parteien bereits mit Abschluß der primären Schiedsvereinbarung explizit verabreden, auch mögliche Streitigkeiten um die Wirksamkeit dieser Vereinbarung dem Schiedsgericht zur Entscheidung zuzuweisen 259 , besteht kein sachlicher Grund, dieser Abrede die Wirksamkeit zu versagen. Dies schon deshalb nicht, weil sich mir ihrer Hilfe die Kontrolle des staatlichen Gerichts über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung gar nicht aushebeln läßt 260 : Lediglich der Gegenstand seiner Prüfung wird ausgewechselt, weil nun nicht mehr die „erste", dafür aber die „zweite" Schiedsklausel auf ihre Wirksamkeit hin zu kontrollieren ist 261 . Entgegen einem durch Teile der Rechtsprechung geförderten Mißverständnis können ex ante vereinbarte Kompetenz-KompetenzKlauseln die Prüfungskompetenz der staatlichen Gerichte gar nicht einschränken, weil die Kontrolldichte bei der zweiten Schiedsklausel nicht weitmaschiger ausfällt als bei der ersten, sofern beide Schiedsvereinbarungen uno actu abgeschlossen werden. Im Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß die privatautonome Verleihung von Kompetenz-Kompetenz an das Schiedsgericht auch nach neuem Recht zulässig bleibt, allerdings entgegen der bisherigen Rechtsprechung eine explizite und eindeutige Abrede erfordert. Wird letztere bereits im Zusammenhang mit der primären Schiedsvereinbarung getroffen, schließt sie die Kontrolle durch das staatliche Gericht nicht aus, sondern verlagert sie lediglich auf die Prüfung des Zustandekommens und der Wirksamkeit der Kompetenz-Kompetenz-Klausel, für die keine anderen Grundsätze gelten wie für jeden anderen Schiedsvertrag.

258 So auch der U.S.-amerikanische Supreme Court in First Options of Chicago, Inc. v. Kaplan, 514 U.S. 938 (1995) = ZZPInt. 1 (1996), S. 425, 426 ff. mit Anm. Schlosser, a.a.O., S. 449 f.: „clear and unmistakable evidence"; dazu oben, 2. Kapitel, unter G III 5, S. 207. 259 Vgl. etwa den Fall O L G Düsseldorf, NJW-RR 1997, 372 f. (= WM 1996, 1903, 1904), bei dem in § 1 des von den Parteien unterschriebenen Schiedsvertrags ausdrücklich geregelt war: „Schließlich werden auch Streitigkeiten über die Wirksamkeit und Auslegung dieses Schiedsvertrags sowie etwaiger Nachträge durch das Schiedsgericht entschieden". 260 Dies wird wohl eingestanden in BGH, NJW-RR 1988, 1526, 1527; NJW 1991, 2215. 261 OLG Düsseldorf, NJW 1996, 400: Schiedsvertrag mit Kompetenz-Kompetenz-Klausel wegen einseitiger Ausgestaltung des Verfahrens zur Konstituierung des Schiedsgerichts gemäß § 9 AGBG unwirksam; ähnlich Stein/Jonas-ScWosser, § 1037 Rdnr. 3a.

336

4. Kapitel: Die Rechtsgeschäftslehre

VIII. Vertrag oder einseitiges

der

Prozeßverträge

Rechtsgeschäft?

Im Zusammenhang mit der Erörterung des Rechtsmittelverzichts klang bereits ein Problem an 262 , das allgemeine Bedeutung hat: die Frage, ob es sich bei den prozessualen Dispositionen überhaupt um Verträge, also zweiseitige Rechtsgeschäfte handelt oder ob vielmehr eine einseitige Erklärung des Berechtigten ausreicht, um die gewünschte Rechtsfolge herbeizuführen. Die Rechtfertigung der Vertragsform macht insbesondere derjenigen Auffassung Schwierigkeiten, die sich darum bemüht, Prozeßverträge soweit wie möglich als Verfügung, als Verzicht auf prozessuale Rechte, zu qualifizieren. Von diesem Standpunkt aus „verzichtet" der Kläger beim Klagerücknahmeversprechen auf sein Recht zur Fortsetzung des Verfahrens. Warum sollte es hierfür eines Vertrages, anstatt einer einseitigen Verzichtserklärung, bedürfen? Tatsächlich hält die allgemeine Rechtslehre das einseitige Rechtsgeschäft für das adäquate Gestaltungsmittel des Verzichts als einer Verfügung des Rechtsinhabers, mit der das Recht aufgegeben wird 263 . Schiedermair - als Urheber der Verfügungs-/Verzichtstheorie in besonderer Begründungsnot versucht die Vertragsform mit dem Hinweis auf § 397 B G B zu retten 264 . Gerade beim Erlaß wird das Vertragserfordernis jedoch verbreitet für eine legislatorische Fehlleistung gehalten, weil die Aufgabe einer Forderung durch den Gläubiger schützenswerte Interessen des Schuldners oder Dritter nicht berührt 265 . Dementsprechend stellt § 514 Z P O für das Prozeßrecht ausdrücklich klar, daß der nachträgliche Rechtsmittelverzicht keiner Annahme bedarf, sondern durch einseitigen Akt wirksam erklärt werden kann 266 . Die hier vertretene Auffassung hat es mit der Begründung der Vertragsform wesentlich leichter als die Lehre vom Verfügungs- bzw. Verzichtsvertrag. Vereinbarungen im Rahmen des dispositiven Prozeßrechts, mit denen das Verfahrensrecht modifiziert wird, statuieren Abweichungen von den naturalia negotii processualis, die für beide Parteien des Schuldverhältnisses verbindlich sind. Folglich kann kein Zweifel daran bestehen, daß derartige Abreden der Zustimmung beider Seiten in Form eines Vertrages bedürfen. Nichts anderes gilt für Dispositionen über prozessuale Befugnisse, die nach hier vertretener Auffassung als Verpflichtungsverträge aufzufassen sind. Für die Obligation steht das Erfordernis eines zweiseitigen Rechtsgeschäfts aber

262 Vgl. oben, B IV 1, S. 294 ff.; weiter 3. Kapitel, B I 2 b, S. 229 ff.; 7. Kapitel, D I 1, 2, S. 528 ff. 263 v. Tuhr Allgemeiner Teil \V\, § 54 VI, S. 264 f.; Walsmann, Der Verzicht, S. 41 f. 264 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 70; vgl. auch Reichel, JherJb. 59, 409, 454 f. zum Verzicht auf das Klagerecht. 265 Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 41 2, S. 122, § 58 2, S. 173; v. Tuhr, Allgemeiner Teil II/l, § 54 VI, S. 269 ff.; Walsmann, Der Verzicht, S. 179 ff., besonders S. 188 ff. 266 Ausführlich dazu Habscheid, NJW 1965, 2369, 2371.

C. Prozeßverträge

und einverständliches

Parteihandeln

337

schon im Hinblick auf § 305 B G B nicht ernsthaft in Frage 267 . Dementsprechend ist ein außerhalb des Prozesses gegenüber dem Gegner erklärter Rechtsmittelverzicht entgegen der herrschenden Meinung weder als unilaterale Prozeßhandlung noch als einseitiges Rechtsgeschäft möglich 268 .

C. Exkurs: Prozeßverträge und einverständliches Parteihandeln Anders als der hier vertretene Ansatz differenziert Schlosser durchgängig zwischen der Bindung der Parteien an verfahrensbezogene Vereinbarungen und der Bindung des Gerichts an aktuell einverständlich vorgenommene Prozeßhandlungen 269 . Die zuletzt genannte Kategorie betrifft prozessuale Gesamtakte, das sind parallele, jedoch jeweils selbständige Prozeßhandlungen der Parteien gegenüber dem Gericht, die auf einen identischen Erfolg gerichtet sind, wie etwa die beiderseitige Erledigungserklärung gemäß § 91a ZPO, der einverständliche Antrag, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen (§ 251 Abs. 1 S. 1 ZPO) oder auch die Zustimmung des Gegners zu Klagerücknahme, Parteivernehmung oder selbständigem Beweisverfahren gemäß den §§ 269 Abs. 1, Abs. 2 S. 1,447,485 Abs. 1 ZPO 2 7 0 . In diesen Fällen gehen die Parteien keine vertragliche Bindung ein, sondern üben die ihnen zustehenden prozessualen Befugnisse lediglich de facto in bestimmter Weise aus. Eine vertragliche Verpflichtung zur Vornahme einverständlicher Prozeßhandlungen, etwa zur Abgabe einer Erledigungserklärung, ist damit selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Es handelt sich dann um einen prozessualen Verpflichtungsvertrag, dem als solchen keine Bedenken entgegen stehen 271 . Demgegenüber liegt dem hier erarbeiteten Konzept die Unterscheidung zwischen der Disposition über die Ausübung prozessualer Befugnisse einerseits und der kontraktlichen Modifikation des Prozeßrechts andererseits zugrunde. Da die Parteien stets an die von ihnen getroffenen Vereinbarungen gebunden sind, stehen diese beiden Kategorien im Gegensatz zum prozessualen Gesamtakt im Sinne einer vermeintlich „bindungslosen", aktuell einverständlichen prozessualen Disposition. Der in der Literatur teilweise unternommene Versuch, bestimmte Anwendungsfälle des Gesamtakts in Prozeßverträge umzudeuten 272 , dürfte im Hinblick auf die gesetzliche Regelung und 267 Vgl. statt aller Soergel-M Wolf, § 305 Rdnrn. 4, 11; Staudinger-Löwisch, 13. Bearb., § 305 Rdnrn. 4, 13. 268 Vgl. 3. Kapitel, B I 2 b, S. 232; 7. Kapitel, D I, S. 529 ff. 269 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 3 ff. 2 7 0 Vgl. dazu statt aller Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 170. 271 Vgl. oben, 2. Kapitel, D, S. 86 ff. 272 So mit Blick auf die beiderseitige Erledigungserklärung gemäß § 91a ZPO Habscheid, FS Lent, S. 153, 157 ff.

338

4. Kapitel:

Die Rechtsgeschäftslehre

der

Prozeßverträge

das etablierte Verständnis hoffnungslos sein und ist im übrigen auch nicht erforderlich, um die Bindung des Gerichts an den Parteiwillen zu begründen273. Umgekehrt wäre es möglich, Prozeß Verträge im Sinne eines prozessualen Gesamtakts zu rekonstruieren, soweit diese Dispositionen innerhalb des Prozesses erfolgen274. Es handelte sich dann um parallele, jedoch einseitige Prozeßhandlungen gegenüber dem Gericht, die in das dogmatische Fahrwasser der allgemeinen Prozeßhandlungslehre gerieten. Letztere hat sich gegenüber der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre weitgehend verselbständigt, so daß die vertragsrechtlichen Sicherungen der Privatautonomie, die die Parteien unter bestimmten Voraussetzungen vor den Folgen vertraglicher Bindungen schützen, auf unilaterale Prozeßhandlungen nach herrschender Ansicht nicht anwendbar sind. Die Anfechtung wegen Willensmängeln ist ausgeschlossen, die Schranken des § 138 BGB sind nicht einschlägig, eine Inhaltskontrolle anhand des AGBG ist von vornherein unmöglich, und der Widerruf ist regelmäßig nur bei Vorliegen eines Restitutionsgrundes zulässig275. Da die §§ 116 ff., 134, 138 BGB, 9-11 AGBG jedoch für bilaterale Prozeß Vereinbarungen gelten276, ist die Bindungswirkung eines prozessualen Gesamtakts für die Parteien entgegen dem ersten Anschein wesentlich schärfer als diejenige eines entsprechenden Prozeßvertrags. Paradoxe Folge einer Weichenstellung zugunsten des Gesamtakts wäre deshalb eine weitgehende Immunisierung dieser Dispositionen sowohl gegenüber Willensmängeln als auch gegenüber Defiziten der Vertragsgerechtigkeit. Da zwingende dogmatische Gründe für einen solchen Schritt nicht ersichtlich sind, ist an der Differenzierung zwischen Prozeß vertrag und Gesamtakt festzuhalten277. Zur Unterscheidung der beiden Institute voneinander ist die an sich naheliegende Orientierung am Vorliegen oder Fehlen eines Rechtsbindungswillens wegen der eben geschilderten Rechtslage allerdings ungeeignet. Herkömmlich werden Vertrag und Gesamtakt dergestalt voneinander abgegrenzt, daß letzterer vorliegen soll, sofern die Parteien bezwecken, die Befugnisse des Gerichts zu erweitern, ein Prozeßvertrag hingegen, wenn sie sich „gegenseitig 273 Darum scheint es Habscheid jedoch im wesentlichen zu gehen, wie sich aus seinen beiden Hauptfolgerungen aus dem kontraktlichen Verständnis der bilateralen Erledigungserklärung ergibt: (1) Geltung der Dispositionsmaxime; (2) Bindung des Gerichts an die Disposition, ohne Rücksicht auf die tatsächliche Erledigung der Hauptsache; vgl. FS Lent, S. 153, 158 f. 274 Genau so verfährt eine zu § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vertretene Ansicht, die das prozessuale Element des Prozeßvergleichs nicht als Vertrag, sondern als Gesamtakt qualifiziert. Vgl. dazu unten, 7. Kapitel, C I, S. 515 f. 275 Vgl., oben, B IV 1, S. 293; weiter BGHZ 12, 284, 285; 80, 389, 391 ff.; BGH, NJW 1985, 2334; NJW-RR 1994, 386, 387; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 30 VII, S. 109 f.; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 79 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 65 V, VI, S. 361 f.; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnrn. 227 ff.; zur a. A. sogleich unten, Fn. 288. 276 Vgl. dazu B IV, S. 293 ff.; sowie oben, 2. Kapitel, F, S. 125 ff. 277 So im Ergebnis auch Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 185 f.; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 27 ff.; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 170.

C. Prozeßverträge und einverständliches

Parteihandeln

339

Rechte gewähren" wollen 278 . Diese Definition kommt schon bei der zweifellos als Vertrag zu qualifizierenden Prorogation eines an sich unzuständigen Gerichts nicht ohne Hilfe mühsamer Konstruktionen aus 279 und erweist sich im übrigen nur bei der Disposition über prozessule Befugnisse als zutreffend - insoweit allerdings auch als banal. So ist etwa das Versprechen der Klagerücknahme von der Ausübung dieser Befugnis, also der Klagerücknahme gemäß § 269 ZPO, zu unterscheiden und weist deshalb keine analytischen Berührungspunkte mit dem von § 269 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO geforderten Gesamtakt auf. Die Abgrenzungsaufgabe stellt sich allein bei einverständlichen Modifikationen des Verfahrensrechts, wobei in diesem Fall das vorgeschlagene Kriterium versagt, weil sich eine inhaltliche Differenz des Gesamtakts gegenüber dem Prozeßvertrag nicht nachweisen läßt 280 . Beispielsweise könnte die in § 447 ZPO geregelte Einigung hinsichtlich der Vernehmung der beweisbelasteten Partei ohne weiteres als vertragliche Modifikation des § 445 ZPO interpretiert werden, obwohl das Gesetz die Konstruktion als Gesamtakt bevorzugt hat. Da der ZPO ein kohärentes Konzept über den Einsatz der beiden Institute nicht zugrunde liegt 281 und in der Sache kein Anlaß besteht, vereinbarte Modifikationen des Verfahrensrechts durch Abdrängen in die allgemeine Prozeßhandlungslehre gegenüber Willensmängeln zu immunisieren und den übrigen Sicherungen des Vertragsrechts zu entziehen, bleibt nur eine positivistische Abgrenzung zwischen Gesamtakt und Prozeßvertrag. Soweit die Verfahrensordnung eine Modifikation des Prozeßrechts von Einverständniserklärungen der Parteien abhängig macht, die im Rahmen des Prozesses dem Gericht gegenüber abzugeben sind, liegt ein Gesamtakt vor. In allen anderen Fällen und stets bei der Disposition über prozessuale Befugnisse, handelt es sich um einen Prozeß vertrag 282 . Schlosser nimmt die Differenzierung zwischen einverständlichem Parteihandeln und Prozeßverträgen ferner zum Anlaß, die gesamte Zulässigkeitsproblematik zu verdoppeln und für aktuell einverständliches Prozeßhandeln und Prozeß Verträge jeweils gesondert zu erörtern 283 . Im ersten Fall stelle sich 278

So aber Baumgärtel,

Prozeßhandlung, S. 186 Fn. 9; Schiedermair,

Vereinbarungen,

S. 28. 2 7 9 Vgl. etwa Schiedermair, Vereinbarungen, S. 28: „Bei der Zuständigkeitsvereinbarung wird dem Kläger gestattet, an dem ohne die Vereinbarung an sich unzuständigen Gericht zu klagen, und dem Beklagten, falls es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt, an allen anderen an sich zuständigen Gerichten sich auf die erfolgte Einigung zu berufen". Damit läßt sich kaum in Einklang bringen, daß Schiedermair Prozeßverträge ausschließlich als Verfügungen rekonstruieren will, und das Gericht unmittelbar an die Gerichtsstandsvereinbarung gebunden ist; vgl. dazu oben, 3. Kapitel, B II 1, S. 233 f. 2 8 0 Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 170. 281 So auch Schiedermair, Vereinbarungen, S. 28 f., der gleichwohl an seinem Abgrenzungskriterium, nach dem ein Gesamtakt vorliegt, wenn die Parteien die Befugnisse des Gerichts erweitern wollen, und ein Prozeßvertrag, wenn es ihnen darum geht, sich gegenseitig Rechte zu gewähren, zumindest im Sinne eines Anhaltspunkts festhält. 282 So wohl auch Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 170. 283 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 12 ff., 62 ff.

340

4. Kapitel: Die Rechtsg eschäftslebre

der

Prozeßverträge

allein die Frage nach dem Umfang der Privatautonomie im Prozeßrecht während im zweiten Fall die Problematik der Bindung der Parteien an eine vertragliche Disposition hinzukomme284. Tatsächlich sind Voraussetzungen und Umfang der Bindung an vertragliche Dispositionen jedoch kein spezifisches Problem verfahrensbezogener Vereinbarungen, sondern das Thema der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Die Erörterungen zur Zulässigkeit von Prozeßverträgen waren zu einem wichtigen Teil dem Nachweis gewidmet, daß die allgemeinen vertragsrechtlichen Sicherungen der Privatautonomie auch für Prozeßverträge gelten und in diesem Bereich ein Schutzniveau verbürgen, das prinzipiell nichts zu wünschen übrig läßt285. Es ist daher verfehlt, die Frage nach der vertraglichen Bindung für jeden Typus von Prozeßvereinbarung erneut zu stellen und zu beantworten. Wirklich ernstgenommen bedeutete dies, das allgemeine Vertragsrecht - also die Regelung der Voraussetzungen und der Grenzen kontraktlicher Selbstbindung - für jeden Vertragstyp gesondert zu entwickeln. Dies wird indessen weder im Privatnoch im Prozeßrecht versucht. Daraus folgt, daß bei der Frage nach der Zulässigkeit eines konkreten Typus prozessualer Disposition die Bindungsproblematik ausgeklammert werden kann. Der Umfang der privaten Dispositionsfreiheit hängt entgegen Schlosser nicht davon ab, ob die Parteien im Wege aktuell einverständlichen Prozeßhandelns oder durch einen Prozeßvertrag disponieren. Wirklich virulent wird die Bindungsproblematik allein in demjenigen Bereich, den Schlosser aus seiner Untersuchung ausgeklammert hat, nämlich beiden einverständlich vorgenommenen unilateralen Prozeßhandlungen oder Gesamtakten, bei denen die Sicherungen des allgemeinen Vertragsrechts weitgehend ausfallen286: Wegen der strikten Bindung der Parteien an unilaterale Prozeßhandlungen müßte die Zulässigkeit von Prozeßverträgen unter dem Aspekt der Privatautonomie allenfalls großzügiger - und jedenfalls nicht restriktiver - ausfallen als diejenige prozessualer Gesamtakte. Gleichwohl wäre es auch insoweit verfehlt, die in bezug auf einzelne Dispositionstypen zu stellende Zulässigkeitsfrage von vornherein mit der allgemeinen Bindungsproblematik aufzuladen. De lege lata ist nicht daran zu rütteln, daß den Parteien im Prozeß umfassende Möglichkeiten zu einseitigen bzw. einverständlichen Dispositionen zustehen, die von der Einleitung des Rechtsstreits durch eine willkürlich zu erhebende Klage (§ 253 ZPO), über die Möglichkeiten der Klagerücknahme (§ 269 ZPO), der einverständlichen Erledigungserklärung (§ 91a ZPO) und des Prozeßvergleichs (§ 794 Nr. 1 ZPO) bis hin zu Verzicht und Anerkenntnis gemäß §§ 306 f. ZPO reichen. Diese Dispositionsmöglichkeiten werden mit Blick auf die tatsächlichen Urteilsgrundlagen

284 285 286

Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 5 f. Vgl. oben, 2. Kapitel, insb. unter F, S. 125 ff. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 6.

C. Prozeßverträge

und einverständliches

Parteihandeln

341

durch die §§ 138 Abs. 3, 288 ff. Z P O ergänzt, nach denen auch die Beibringung des entscheidungserheblichen Tatsachenstoffs der Parteiherrschaft unterliegt. In allen diesen Fällen stellt sich das Problem der Bindung an einmal getroffene verfahrensrechtliche Dispositionen. Wirklich gelöst ist es nur im Fall des Prozeßvergleichs, bei dem auch die herrschende Meinung die Anwendbarkeit des allgemeinen Vertragsrechts sicherstellt, indem sie ihn mit Hilfe der Lehre von der Doppelnatur kurzerhand zu einem prozessual/materiell-rechtlichen Zwitter macht 287 . In allen anderen Fällen wird jedoch an den strikten Grundsätzen der allgemeinen Prozeßhandlungslehre festgehalten und etwa eine Anfechtung von Klagerücknahme, Erledigungserklärung, Anerkenntnis, Verzicht oder gar von einfachem Tatsachenvortrag nicht zugelassen. Vor diesem positiv-rechtlichen Hintergrund kann es wenig überzeugen, die Zulässigkeit einverständlicher verfahrensrechtlicher Dispositionen, deren Rechtsfolgen das Gewicht der Konsequenzen etwa von Anerkenntnis und Verzicht nicht erreichen, sondern unterhalb dieser Schwelle bleiben, mit Rücksicht auf die Unangemessenheit der Bindung zu verneinen. Wenn eine strikte Bindung an innerprozessuale Dispositionsakte wirklich nicht zu rechtfertigen sein sollte, dann muß die allgemeine Prozeßhandlungslehre korrigiert werden, denn nur auf diesem Weg lassen sich auch die Konsequenzen der schwerwiegendsten prozessualen Dispositionen, etwa von Anerkenntnis und Verzicht, sachgerecht moderieren 288 . Die Frage, ob tatsächlich hinreichender Anlaß zu einer derartigen Korrektur der allgemeinen Prozeßhandlungslehre besteht, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung 289 . Immerhin ist darauf hinzuweisen, daß der Ausfall der allgemeinen Sicherungen der Privatautonomie bei einseitigen, dem Gericht gegenüber vorzunehmenden Prozeßhandlungen zum Teil durch spezifisch prozeßrechtliche Sicherungen, wie etwa den Anwaltszwang und die im Rahmen von § 139 Z P O bestehende Aufklärungspflicht des Gerichts, kompensiert wird 290 . Im übrigen begründen einseitige Prozeßhandlungen keine vertragliche Bindung und können folglich widerrufen werden, jedenfalls solange der Gegner keine gesicherte Rechtsstellung erlangt hat und die konkrete Prozeßrechtslage noch nicht überholt ist 291 , und selbst darüber hin-

Vgl. dazu eingehend, oben, 1. Kapitel, D I, S. 39 f.; unten, 7. Kapitel, C I, S. 514 ff. In diese Richtung Arens, Willensmängel, S. 194 ff., 205 ff.; Orfanides, Berücksichtigung von Willensmängeln, S. 63 ff., 97 ff., die die Möglichkeit der Anfechtung konsequenterweise jedenfalls bei prozessualen Dispositionsakten, wie Geständnis, Anerkenntnis und Verzicht, zulassen wollen. 289 Ablehnend etwa Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 79 ff., der insoweit vor allem auf § 139 ZPO und das Wiederaufnahmerecht setzt, vgl. a.a.O., S. 85. 290 Vgl. dazu bereits oben, 2. Kapitel, C II, S. 62. 291 Vgl. statt aller Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 3 0 VII, S. 109; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §65 V, S. 360 f.; Stein/Jonas-Leipold, Vor §128 Rdnrn. 219 ff.; Thomas/Putzo, Einl. III Rdnrn. 21 ff. 287 288

342

4. Kapitel:

Die Rechtsgeschäftslehre

der

Prozeßverträge

aus, wenn ein Restitutionsgrund gemäß § 580 ZPO vorliegt 292 . Schließlich gilt auch im Zivilprozeß das Prinzip von Treu und Glauben, das der Wirksamkeit von Prozeßhandlungen äußerste Grenzen setzt und dadurch einen gewissen Schutz vor Ubervorteilung durch den Gegner verbürgt 293 . Die Ausübung einer prozessualen Befugnis ist deshalb unbeachtlich, wenn sie sich als Rechtsmißbrauch darstellt 294 , wobei "die Arglist im Einzelfall auch darin begründet sein kann, daß eine Partei die andere durch unlautere Mittel, wie etwa Täuschung, Drohung, oder Ausnutzung einer Zwangslage zu prozessualen Dispositionen veranlaßt hat 295 . Ersatzkonstruktionen wie der zuletzt genannte Fall, in dem § 242 BGB mobilisiert wird, um die Wertungen des § 123 BGB auch im Prozeßrecht zur Geltung zu bringen, nähren Zweifel an der Prämisse der herrschenden Meinung, nach der die Ausschaltung der Sicherungen des allgemeinen Vertragsrechts mit Rücksicht auf die spezifischen Bedürfnisse des Prozesses geboten ist 296 . Für das hier verfolgte Erkenntnisinteresse reicht die Feststellung aus, daß sich Einschränkungen der Befugnis zu einverständlichem Prozeßhandeln mit dem Hinweis auf vermeintliche Schutzdefizite des Prozeßrechts nicht begründen lassen.

292 BGHZ 80, 389, 394 ff.; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 30 VII, S. 109; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 65 V, S. 361; Stem/]onas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 226. 293 RGZ 102, 217, 221; 161, 350, 359; BGHZ 20, 198, 206; 31, 77, 83; 69, 37, 43; 99, 391, 398; 107, 296, 309; 112, 345, 349; BGH, NJW 1981, 2644, 2645; NJW-RR 1989, 802; WM 1994, 623, 625; OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 1991, 805; Baumbach/Lauterbach-Hartmann, Einl. Rdnrn. 54 ff.; Baumgärtel, ZZP 69, 89 ff.; ders., ZZP 86, 353 ff.; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 2 IV, S. 12, Soergel-Teichmann, §242 Rdnrn. 84 f.; Stein/Jonas-Schumann, 20. Aufl., Einl. Rdnrn. 242 ff.; Zöller-Vollkommer, Einl. Rdnrn. 56 f. Nur in der Begründung a. A. Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, S. 19 f., der sich zwar gegen die Anwendung des § 242 BGB wendet, dafür aber ein eigenständiges prozeßrechtliches Verbot arglistigen Verhaltens postuliert. 294 Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 3 0 VIII, S. 110; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 6 5 VII, S. 362 f.; Stein/Jonas-Leipold, Vor §128 Rdnr. 231; als praktisches Anschauungsmaterial vgl. etwa BGHZ 20, 198; 205 f.; 30, 140, 144; 40, 197, 203. 295 RGZ 161, 350, 359; BGH, ZZP 66 (1953), 148, 151; NJW 1968, 794, 795; 1984, 805; 1985, 2335 f. (= JR 1985, 423 m. krit Anra. Zeiss)-, NJW-RR 1989, 1344; Stein/JonasLeipold, Vor § 128 Rdnr. 247; Thomas/Putzo, § 269 Rdnr. 2; Zöller-Greger, Vor § 128 Rdnr. 32, § 269 Rdnr. 3. 296 Tatsächlich spricht viel dafür, den Anfechtungsausschluß - in sachgerechtem Umfang - zu lockern, wie dies von Arens, Willensmängel, S. 37 ff., und Orfanides, Berücksichtigung von Willensmängeln, S. 45 ff., vorgeschlagen worden ist. Diese Problematik kann im vorliegenden Zusammenhang nicht vertieft werden. Eine ganz andere Frage ist dagegen die Berechtigung der Arglisteinrede als Gegeneinwand zur Geltendmachung eines prozessualen VerpflichtungsVertrags. Dazu eingehend oben, B IV 1, S. 296.

D.

Zusammenfassung

343

D. Zusammenfassung 1. Das Vertragsrecht des B G B enthält allgemeine Rechtsgrundsätze, die für die Gesamtrechtsordnung Gültigkeit haben und folglich auch auf Prozeßverträge angewendet werden können, ohne daß letztere dafür der Umwidmung in materiell-rechtliche Rechtsgeschäfte bedürfen. Bei inhaltlichen Divergenzen gegenüber den Regeln der Prozeßhandlungslehre oder speziellen Normen der Z P O sind diese durch sachbezogene Argumentation in die eine oder andere Richtung aufzulösen. 2. Die Kompetenznormen der §§ 50 ff. Z P O und diejenigen der §§ 104 ff. B G B gehen zwar von denselben normativen Grundlagen aus, weichen aber in Einzelheiten voneinander ab. Eine Harmonisierung setzte voraus, dem nichtrechtsfähigen Verein auch die aktive Parteifähigkeit zuzubilligen und dem beschränkt Geschäftsfähigen die Prozeßführung mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters zu gestatten. Im übrigen ist den materiell-rechtlichen Kompetenznormen der Vorzug zu geben, um eine einheitliche Beurteilung der Gesamtvereinbarung zu gewährleisten. Postulationsfähigkeit ist für den Abschluß von Prozeßvereinbarungen auch dann nicht erforderlich, wenn der Vertrag im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht geschlossen wird. 3. Prozeßverträge unterliegen grundsätzlich keinen Formerfordernissen, wobei das Gesetz allerdings für die praktisch wichtigen Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen in den §§ 38, 1031 Z P O Ausnahmen statuiert. Ist der materiell-rechtliche Hauptvertrag formbedürftig, erstreckt sich dieser Zwang nicht nur auf die materiell-rechtlichen, sondern entgegen der herrschenden Meinung auch auf dit prozessualen accidentalia negotii. Die §§ 38, 1031 Z P O sind folglich nicht dazu geeignet, weitergehende Formerfordernisse des materiellen Rechts nach Art des § 313 B G B zu überspielen. 4. Die materiell-rechtlichen Regeln über Auslegung und Umdeutung gelten auch für das Prozeßvertragsrecht, und gleiches gilt für die Berücksichtigung von Willensmängeln. Anders als unilaterale Prozeßhandlungen können Prozeßverträge nach Maßgabe der § § 1 1 6 ff. B G B angefochten werden. Unter dieser Prämisse kann auf die von der Rechtsprechung entwickelte „Gegeneinrede der Arglist" verzichtet werden, mit der die Wertung des § 123 B G B in - allerdings völlig undifferenzierter - Weise zur Geltung gebracht wird. Die Anfechtung nützt der einem Willensmangel erlegenen Partei allerdings nichts mehr, wenn bereits eine unverrückbare prozessuale Situation eingetreten ist, was jedoch nicht voreilig bejaht werden darf. Selbst die Versäumung von Notfristen kann nämlich korrigiert werden, soweit die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 234 ff. Z P O erfüllt sind. Im Schiedsrecht stellt § 1040 Abs. 2, 3 Z P O ein besonderes Verfahren zur Verfügung, mit dem die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung geltend gemacht werden kann. Entsprechende Grundsätze wie für

344

4. Kapitel: Die Rechtsgeschäftslehre

der

Prozeßverträge

Willensmängel gelten auch für Bedingungen und Befristungen, wie etwa den in einen Prozeßvergleich aufgenommenen 'Widerrufsvorbehalt. 5. Für die Problematik der Rechtsnachfolge in Prozeßvereinbarungen tragen die §§ 265, 325, 727 ZPO wenig aus, weil sie den praktisch wichtigsten Fall der Sukzession vor Prozeßbeginn gar nicht regeln und insoweit auch keine verallgemeinerungsfähigen Grundsätze enthalten. Maßgeblich ist vielmehr erneut das materielle Recht, das allerdings zunächst der Privatautonomie Raum gibt, so daß die folgenden Grundsätze dispositiven Charakter haben: Die Universalsukzession des § 1922 B G B erfaßt auch Prozeßvereinbarungen, die sich auf zur Erbmasse zählende Rechte beziehen, und zwar unabhängig davon, ob gegenüber dem Erben die formalen Voraussetzungen der §§ 38, 1032 ZPO erfüllt sind. Im Hinblick auf die Funktion der Prozeßverträge als accidentalia negotii des materiellen Rechts gehen sie gemäß §§ 398 S. 2, 401, 404 B G B auch auf den Zessionar über. Entsprechendes gilt für die Fälle der privativen und kumulativen Schuldübernahme, die Vertragsübernahme, die Übernahme von Gesellschaftsanteilen und die Wahrnehmung gesellschaftsrechtlicher Eintrittsrechte. Da Vorschriften zugunsten gutgläubiger Erwerber außerhalb des Wertpapierrechts fehlen, kommt deren Schutz vor ihnen unbekannten Prozeßvereinbarungen nicht in Betracht. Eine Bindung von Bürgen, Hypothekengläubigern und anderen Interzedenten an die vom Hauptschuldner vereinbarten Abreden ist zu verneinen, weil deren prozessuale Stellung auch im übrigen gesondert zu bestimmen ist und sich die durch einen Prozeßvertrag bewirkte Begünstigung des Hauptschuldners unter der Hand in eine Last des Interzedenten verwandeln kann. Bei der Veräußerung von Sachen tritt der Erwerber genauso wenig in die vom Veräußerer abgeschlossenen Prozeßvereinbarungen ein wie er persönliche Nebenrechte und -pflichten materiell-rechtlicher Provenienz übernimmt. 6. Ist die Prozeßvereinbarung Teil eines materiell-rechtlichen Hauptvertrags, um dessen Wirksamkeit die Parteien streiten, stellt sich die Problematik der Teilnichtigkeit, die mit Hilfe des § 139 B G B zu lösen ist. In Ermangelung einer expliziten vertraglichen Regelung muß es darauf ankommen, ob die Parteien den Prozeßvertrag auch geschlossen hätten, wenn sie mit einem Streit um die Wirksamkeit des Hauptvertrags gerechnet hätten. Diese Frage ist in aller Regel zu bejahen, weil der Streit um die Wirksamkeit des Hauptvertrags andernfalls in die Zulässigkeitsprüfung vorverlagert würde. Die Beschränkung der Nichtigkeitsfolge kommt indessen nur in Betracht, wenn das Gesamtgeschäft zunächst wirksam zustande gekommen ist, nicht aber, wenn eine Seite bestreitet, den um die Prozeßvereinbarung angereicherten Hauptvertrag jemals abgeschlossen zu haben. Eine „Vermutung des Teilabschlusses", die der Prozeßvereinbarung isoliert zur Wirksamkeit verhelfen könnte, gibt es nicht. Diese Grundsätze gelten auch für den Schiedsvertrag, ohne durch § 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO nochmals im Sinne der Teilnichtigkeitslösung verstärkt zu werden. Der bisherigen Rechtsprechung zur sog. Kompetenz-Kompetenz ist durch die §§ 1032, 1040 Abs. 3, 1059 Abs. 2

D.

Zusammenfassung

345

Nr. la, Abs. 3 Z P O zwar die Grundlage entzogen; die Befugnis der Parteien, die Zuständigkeit des Schiedsgerichts zur Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung durch eine explizite Abrede privatautonom zu begründen, bleibt davon unberührt. 7. Prozeßvereinbarungen bedürfen stets eines Vertrags und unterscheiden sich insofern von unilateralen Parteiakten, auf die die Regeln der allgemeinen Prozeßhandlungslehre anzuwenden sind. Eine Zwischenform ist der sog. prozessuale Gesamtakt, bei dem der Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge von einseitigen, aber parallelen Erklärungen beider Parteien an das Gericht abhängig gemacht wird. Die Bindungswirkung der Gesamtakte ist wesentlich strikter als diejenige einer vergleichbaren Prozeßvereinbarung, weil die Sicherungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre auf Prozeßverträge, nach herrschender Meinung aber nicht auf einseitige Prozeßhandlungen anzuwenden sind. Deshalb besteht keinerlei Anlaß, den Anwendungsbereich des Gesamtakts auf Kosten des Prozeßvertrags auszuweiten, und es bestätigt sich erneut, daß die Bindungswirkung der Prozeßvereinbarungen keineswegs eine suspekte und besonderer Begründung bedürftige Ausnahme darstellt, sondern daß damit privatautonomen Dispositionen lediglich derjenige Respekt entgegengebracht wird, den sie verdienen.

5. Kapitel

Prozeßverträge im internationalen Zivilprozeßrecht

Prozeßverträge sind nicht nur für den internen Rechtsverkehr, sondern auch für internationale Rechtsbeziehungen von erheblicher praktischer Bedeutung. Wegen der besonderen Interessenlage beim grenzüberschreitenden Verkehr gilt dies vor allem für Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen. Dispositionen über die internationale Zuständigkeit dienen nämlich nicht nur der Verschiebung der mit der Prozeßführung an einem fremden Ort verbundenen Lasten, sondern sind darüber hinaus und vor allem ein probates Mittel zur Herstellung von Rechtssicherheit1. Wegen der Großzügigkeit des internationalen Zuständigkeitsrechts ist von Gesetzes wegen in aller Regel die Zuständigkeit der Gerichte mehrerer Staaten eröffnet, die zwar nicht notwendig das jeweils eigene Sachrecht anwenden, immerhin aber das nationale Kollisionsrecht zugrunde legen und sich auch bei der oft entscheidenden Qualifikation von Rechtsfragen an der Dogmatik der heimischen Rechtsordnung orientieren2. Deshalb ist keineswegs gewährleistet, daß die nach den nationalen Prozeßordnungen zuständigen Gerichte verschiedener Staaten auf ein und denselben Sachverhalt dieselben materiell-rechtlichen Normen anwenden, was das forum Shopping für den Kläger besonders attraktiv macht. Die daraus resultierenden Unsicherheiten hinsichtlich der konkreten Durchsetzungschancen eines Anspruchs lassen sich durch Prorogation auf die Gerichtsbarkeit eines einzigen Staates auf das auch bei internen Streitigkeiten unvermeidliche Maß reduzieren. Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit haben indessen zur Voraussetzung, daß den Parteien die Einigung auf einen bestimmten Forumstaat gelingt, wobei als Kandidaten vor allem diejenigen Jurisdiktionen in Betracht kommen werden, in denen die beteiligten Parteien ihren Sitz haben 3 . Die Gerichtsstandsvereinbarung führt dann jedoch notwendig zur Diskrimi-

1 Gottwald, FS Firsching, S. 89, 109; Jakobs, Vorprozessuale Vereinbarungen, S. 2 ff.; Kropholler, in: Hdb. IZVR I, Rdnr. 470; Staehelin, Gerichtsstandsvereinbarungen, S. 4 ff. Vgl. dazu statt aller Kegel, Internationales Privatrecht, § 7 III, S. 246 ff. m. w. Nachw. zu den verschiedenen Lösungsvorschlägen. 3 Ähnlich auch die Kriterien für die Bestimmung des Schuldstatuts in Ermangelung einer Rechtswahl der Parteien gemäß Art. 28 Abs. 2 EGBGB.

y Kapitel: Prozeßverträge

im internationalen

Zivilprozeßrecht

347

nierung einer Seite, die gezwungen wird, an einem für sie fremden Ort, vor ihr fremden Gerichten ihr Recht zu suchen, während der Gegner einen „Heimvorteil" für sich verbuchen kann. Die Wahl der Gerichte eines „neutralen" Staates kommt als Ausweg nur dann in Betracht, wenn diese dazu bereit sind, einen reinen Auslandsfall, der mit ihrer Rechtsordnung keinerlei Verbindungen aufweist, zur Entscheidung anzunehmen, was angesichts des damit verbundenen Aufwands an knappen Justizressourcen keineswegs selbstverständlich ist 4 . Die der Gerichtsstandsvereinbarung in aller Regel inhärente Bevorzugung der einen gegenüber der anderen Partei wiegt besonders schwer, wenn sich die Rechtskulturen, denen die Vertragspartner verhaftet sind, stark unterscheiden. Der Schiedsvertrag verspricht eine Lösung der beschriebenen Kalamitäten, weil er den Streit an ein neutrales, von den beteiligten Nationalstaaten unabhängiges Forum verweist, vor dem sich keine Partei fremd fühlen muß. Im internationalen Rechtsverkehr und hier besonders im Handel der westlichen Industrienationen mit den Staaten des islamischen Kulturkreises sowie früher mit den sozialistischen Ländern Osteuropas hat die Schiedsvereinbarung deshalb überragende praktische Bedeutung erlangt. Heute sollen bereits 80-90% der Verträge im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr eine Schiedsklausel enthalten5. Vor diesem praktischen Hintergrund kann es nicht verwundern, wenn an Rechtsprechung und Literatur zur Problematik der kollisionsrechtlichen Anknüpfung von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen kein Mangel herrscht. Mitbedingt durch die Karriere dieser Rechtsinstitute haben sich spezielle Kollisionsregeln für den Schiedsvertrag und die Gerichtsstandsvereinbarung herausgebildet, während die übrigen Prozeßvertragstypen im internationalen Recht allenfalls ein Schattendasein fristen, wenn sie von der Literatur überhaupt wahrgenommen werden. Auch die folgende Untersuchung orientiert sich an diesen beiden praktisch wichtigsten Vertragstypen, bleibt aber gleichwohl dem Bemühen verpflichtet, allgemeine kollisionsrechtliche Prinzipien zu erarbeiten, die für sämtliche Prozeßvereinbarungen Geltung beanspruchen können. Um dieses Zieles willen wird auf die Behandlung aller Einzelfragen des internationalen Schieds- und Prorogationsrechts verzichtet und darüber hinaus die Untersuchung zunächst auf das autonome deutsche Recht konzentriert. Die in internationalen Abkommen enthaltenen Sonderregeln sind zwar für die Praxis von großer Bedeutung, eignen sich jedoch weniger gut zur Erarbeitung allgemeiner kollisionsrechtlicher Grundsätze 4 Zu diesem Problem bei der Prorogation auf deutsche Gerichte vgl. unten, C I 2, S. 358 ff. 5 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 41 Rdnr. 1 m. w. Nachw. Diese Zahlen beruhen allerdings auf privaten Schätzungen und damit auf anekdotischer, nicht statistischer, Grundlage. Vgl. auch Böckstiegel, DRiZ 1996, 267, 270 (Zuständigkeit der staatlichen Gerichte in der Praxis nur noch bei Verträgen über geringwertige Gegenstände zu finden); Raeschke-Kessler, FS Nirk, S. 915, 916 f.; Scbütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens; Rdnrn. 1 ff.; Zöller-Geimer, § 1025 Rdnr. 2.

5. Kapitel: Prozeßverträge

348

im internationalen

Zivilprozeßrecht

des internationalen Prozeßvertragsrechts. Dieses Vorgehen ist auch deshalb vertretbar, weil die Sachnormen der zwischenstaatlichen Verträge weithin mit den Prinzipien des deutschen Kollisionsrechts übereinstimmen 6 .

A. Der Stand der Dogmatik Für das Kollisionsrecht ist die Differenzierung zwischen Prozeßrecht und materiellem Recht und die damit verbundene Qualifikationsaufgabe fundamental. Fragen des materiellen Rechts werden durch das internationale Privatrecht, das ein relativ hoch differenziertes System von Kollisionsnormen zur Verfügung stellt, den Sachnormen der eigenen oder dem Kollisions- und ggfs. auch dem Sachrecht einer fremden Rechtsordnung zugewiesen. Dabei ist es eine Selbstverständlichkeit, daß die Gerichte eines Staates unter Umständen ausländisches materielles Recht anzuwenden haben, soweit das eigene Kollisionsrecht dies anordnet. Ganz anders im Bereich des Prozeßrechts; das internationale Zivilverfahrensrecht „versteht sich [...] dem Grundsatz nach nicht als System von prozessualen Kollisionsnormen" 7 , sondern arbeitet mit einer einzigen Verweisung auf die lex fori: „Der Grundsatz, daß das anzuwendende Verfahrensrecht stets dasjenige des mit der Sache befaßten Gerichts sein soll, ist so alt wie das internationale Privatrecht selbst" 8 und bis heute sowohl in Deutschland 9 wie auch weltweit 10 anerkannt. Selbst die gerade in jüngerer Zeit lauter wertende Kritik 11 sowie die allgemein akzeptierte Möglichkeit von Ausnahmen zur lex fori und deren Moderation durch „materiellrechtsfreundliche" Qualifikation von Rechtsfragen hat an

Vgl. dazu unten, unter D, S. 376 ff. H. Roth, FS Stree und Wessels, S. 1045, 1046. 8 Heldrich, Internationale Zuständigkeit, S. 14 ff. m. w. Nachw.; genauso Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, Rdnr. 102. 9 BGHZ 59, 23, 26; 125, 196, 199; BGH, MDR 1985, 215; FamRZ 1994, 300, 301; Baumbach/Lauterbach-//«mann, § 253 Rdnr. 214; für Musterprozeßvereinbarungen Kempf, ZZP 73, 342, 385; Siebert, Musterprozeß, S. 128. Im Ergebnis übereinstimmend Baur, FS Giger, S. 15, 21, der allerdings bei Musterprozeßvereinbarungen mit einer analogen Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO operieren will. Dieser Vorschlag dürfte die Grenzen der Analogie jedoch hinter sich lassen. 186 RGZ 123, 348, 349 f.; BGHZ 60, 85, 87 ff.; BGH, NJW 1979, 2477, 2478; NJW 1981, 2644, 2645; Schwab/Walter., Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 3 Rdnr. 13; Stein/Jonas-Leipold, § 145 Rdnr. 41. 187 BGH, NJW 1979, 2477, 2478. 184

185

C. Abgrenzung und praktische

Bedeutung

427

rung gestritten wird 188 . Es ist schwer zu sehen, wie auf dieser Grundlage die keineswegs seltene Konstellation bewältigt werden soll, in der die Aufrechnung einer der Kompetenzabrede unterfallenden Gegenforderung vor der Anstrengung eines Prozesses oder gar dem Entstehen eines Streits um die Hauptforderung erklärt wird. Mit der herrschenden Meinung ist das Aufrechnungsverbot deshalb als Prozeßvertrag zu rekonstruieren, mit dem sich die Parteien verpflichten, die kompetenzvertragsgebundene Forderung nicht vor einem gewillkürt unzuständigen Forum geltend zu machen 189 . Die Gefahr, daß der Beklagte wegen des lediglich prozessual wirkenden Kompensationshindernisses beides verliert - nämlich den Prozeß und die Gegenforderung - läßt sich mit der herkömmlichen Lehre von der Prozeßaufrechnung, nach der die Unzulässigkeit der Prozeßhandlung auch das materielle Rechtsgeschäft vernichtet 190 , zuverlässig bannen 191 . Schlichtungs- und Musterprozeßklauseln enthalten demnach zwei prozessuale Verpflichtungen, nämlich einmal dazu, vor Abschluß des Vorverfahrens bzw. Musterprozesses nicht vor das staatliche Gericht zu ziehen, und zum zweiten, sich im Rahmen eines Rechtsstreits nicht auf die Aufrechnung mit der dem Schlichtungsverfahren bzw. der Musterprozeßvereinbaurng unterstellten Forderung zu berufen. Ein prozessuales Verständnis von Schlichtungs- und Musterprozeßvereinbarungen steht allerdings vor ernsten verjährungsrechtlichen Schwierigkeiten, weil gemäß § 209 Abs. 1 B G B grundsätzlich nur eine vor dem staatlichen Gericht erhobene Klage den Lauf der Verjährungsfrist unterbricht. Dem stellen §§ 209 Abs. 2 Nr. la, 220 B G B zwar die Anbringung des Anspruchs bei einer durch das Landesrecht anerkannten Gütestelle im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 Z P O oder bei einem Schiedsgericht gemäß §§ 1025 ff. Z P O gleich, für private Schlichtungsstellen und Musterprozeßvereinbarungen fehlt es jedoch an einer gesetzlichen Regelung. Es besteht deshalb die Gefahr, daß So Gernhuber, Erfüllung, § 12 III 12, S. 246; Häsemeyer, ZZP 85, 207, 221. Besonders deutlich BGH, AWD 1973, 167 (= NJW 1973, 422 [LS]); sowie BGHZ 38, 254, 258; 60, 85, 89; genauso O L G Düsseldorf, NJW 1983, 2149, 2150; RGZ 123, 348, 349 f.; Baumbach/LauterbacWlÄers, § 1025 Rdnr. 17; MünchKommZPO-Peters, §145 Rdnr. 354; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 105 III 1 f, S. 596, § 172 VI 1, S. 1081; Schreiber, ZZP 90, 395, 411; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 3 Rdnr. 13; Staudinger-Gursky, 13. Bearb., Vor § 387 Rdnr. 46, §390 Rdnr. 16; Stein/JonasSchlosser, § 1025 Rdnr. 37; Zöller-Gelmer, § 1025 Rdnr. 54. 190 So im Ergebnis übereinstimmend - jedoch mit tiefgreifenden Unterschieden der Begründung im einzelnen — Gernhuber, Erfüllung, § 12 III 12, S. 245 f.; Habscheid, ZZP 76, 371, 373 ff.; Häsemeyer, ZZP 85, 207, 221; Henckel, ZZP 74, 165, 184 ff. mit Fn. 63; ders., JZ 1963, 682 f.; Staudinger-Gars^, 13. Bearb., Vor § 387 Rdnrn. 30 ff.; Stein/Jonas-Leipold, § 145 Rdnrn. 39, 56 ff. 191 Der BGH will eben dieses Resultat jedoch hinnehmen und hält die Aufrechnung materiell-rechtlich für wirksam, obwohl er ihr die prozessuale Zulässigkeit abspricht, so BGHZ 38, 254, 258; ausdrücklich auch BGHZ 60, 85, 87: „Trotz materiell-rechtlicher Wirksamkeit der Aufrechnung." Für eine „Bestrafung" der Beklagten, durch Verurteilung im Prozeß um die Hauptforderung und Untergang der Gegenforderung (§ 389 BGB), besteht jedoch keinerlei Anlaß, so zutreffend Habscheid, ZZP 76, 371, 373; Henckel, ZZP 74, 165, 184 ff. mit Fn. 63; ders., JZ 1963, 682 f. 188

189

428

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

die vor die Schlichtungsstelle gebrachten Ansprüche bzw. die Parallelsachen nach Abschluß des Schlichtungsverfahrens bzw. Musterprozesses verjährt sind. Auch eine vorsorgliche Klageerhebung zum Zweck der Verjährungsunterbrechung scheint nicht zu helfen, weil gemäß § 211 Abs. 2 S. 1 B G B die Verjährung erneut zu laufen beginnt, wenn „der Prozeß infolge einer Vereinbarung oder dadurch, daß er nicht betrieben wird, in Stillstand [gerät]". Ein verfahrensrechtlicher Mechanismus zur Unterbrechung der Verjährung existiert also offenbar nicht, und schließlich nimmt § 225 S. 1 B G B den Parteien auch noch das Recht, die Verjährung eines Anspruchs durch Rechtsgeschäft hinauszuschieben. Da die Vorschrift sämtlichen verjährungserschwerenden Abreden, einschließlich der privatautonomen Vereinbarung von Hemmungsgründen entgegensteht 192 , versprechen auch kautelarjuristische Maßnahmen wie die bloße Stipulation, alle noch nicht verjährten Ansprüche sollten gemäß § 205 B G B „für die Dauer des Schlichtungsverfahrens als gehemmt" gelten I93 , keinen Erfolg. Um diesen Schwierigkeiten zu entgehen, empfiehlt G. Walter den Parteien eine Klageerhebung zur Fristwahrung mit anschließender Vereinbarung des Ruhens des Verfahrens gemäß § 251 ZPO. Da diese Vorschrift indessen einen entsprechenden Antrag beider Parteien voraussetzt, müßte der Schlichtungsoder Musterprozeßvereinbarung eine prozeßvertragliche Verpflichtung zur Anbringung dieses Antrags implantiert werden, auf deren Grundlage ggfs. der fehlende Antrag der widerstrebenden Partei durch das Gericht surrogiert werden müßte 194 . Hier zeigt sich erneut die Schwierigkeit, eine vertragliche Verpflichtung zu einem prozessualen Tun innerhalb des anhängigen Primärprozesses zu berücksichtigen 195 . Unabhängig davon verursacht der Weg über die vorsorgliche Klageerhebung unnötige Kosten in denjenigen Fällen, in denen die Parteien den Ausgang der Schlichtung oder des Musterprozesses akzeptieren, das Gericht also nicht mehr über den anhängig gemachten Anspruch entscheiden muß. Vor allem aber unterbricht die Klageerhebung zwar gemäß § 209 Abs. 1 Z P O die Verjährung des der Schlichtungs- bzw. Musterprozeßvereinbarung unterworfenen Anspruchs, mit dem Nichtbetreiben des Prozesses wird die Verjährungsfrist gemäß § 211 Abs. 2 S. 1 B G B jedoch sofort wieder in Gang gesetzt. In derartigen Konstellationen ist sogar unter den verschiedenen Senaten des B G H umstritten, ob § 211 Abs. 2 S. 1 B G B auf solche Fälle zu beschränken ist, in denen der Prozeß ohne „triftigen Grund" nicht

192 MünchKommBGB-v. Feldmann, § 225 Rdnr. 2; Staudinger-Peters, 13. Bearb., § 225 Rdnr. 6; übersehen von Mentis, Schranken prozessualer Klauseln, S. 171; Sternke, Prozessuale Klauseln in AGB, S. 306, die für die Angemessenheit einer Schlichtungsklausel fordert, daß die Parteien eine Verjährungshemmung vereinbart haben. 193 So Nr. 5 Abs. 1 der „Verfahrensordnung für die Schlichtung von Kundenbeschwerden im deutschen Bankgewerbe", besprochen von Hoeren, NJW 1992, 2727, 2731. 194 So in der Tat Walter, ZZP 103, 141, 162 ff.; dem folgend Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 171 II, S. 1070. 195 Dazu ausführlich oben, 3. Kapitel, B I 2 b, S. 228 ff., B II 2 c bb, S. 237 f.

C. Abgrenzung und praktische

Bedeutung

429

betrieben wird 196 , oder ob die Vorschrift strikt gilt, so daß die Verjährungsfrist selbst dann wieder anläuft, wenn die Parteien das Verfahren ruhen lassen, um den Ausgang eines Musterprozesses bzw. eines Schlichtungsverfahrens abzuwarten 197 . Selbst unter den Anhängern einer teleologischen Reduktion von § 211 Abs. 2 S. 1 B G B ist zudem umstritten, ob das Abwarten des Ausgangs eines Musterprozesses einen „triftigen Grund" für das Nichtbetreiben der Parallelsachen konstituiert oder nicht 198 . Diese Bedenken lassen sich auch durch den im übrigen zutreffenden Hinweis 199 , manche Schlichtungsordnungen erlaubten ausdrücklich eine vorsorgliche Klageerhebung 20°, nicht ausräumen, weil eine entsprechende Klausel angesichts der unklaren Rechtsprechung und der unsicheren Rechtslage zwar nur zu verständlich ist, über das Verbot des § 225 S. 1 B G B jedoch ebenfalls nicht hinwegkommt. Angesichts dieser Ausgangslage nur zu verständlich, führt der in Rechtsprechung und Literatur bevorzugte Weg, die Verjährung des Anspruchs während der Dauer von Schlichtungsverfahren oder Musterprozessen zu verhindern, über § 242 B G B . Die Vereinbarung wird zunächst im Sinne eines Verzichts des vermeintlichen Schuldners auf die Verjährungseinrede ausgelegt, der zwar an § 225 S. 1 B G B scheitert 201 , gleichwohl aber die Berufung auf den Ablauf der Verjährung rechtsmißbräuchlich macht, wenn der Gläubiger im Vertrauen auf diesen Verzicht von rechtzeitiger Klageerhebung abgesehen hat 202 . Zum Beispiel hatten die Parteien in einem vom R G ent196 So der VII. Zivilsenat des BGH, NJW 1979, 810, 811; der VI. Zivilsenat, NJW 1987, 371, 372; NJW-RR 1988, 279; und der XI. Zivilsenat, BGHZ 106, 295, 299 (= NJW 1989, 1729, 1730); zustimmend Brommann, AnwBl. 1985, 5, 9 f.; Erman-W. Hefermehl, §211 Rdnr. 3; Kraft/Raab, Anmerkung zu BAG, EzA Nr. 1 zu §211 BGB; Palandt-Heinrichs, § 211 Rdnr. 3; Soergel-Walter, § 211 Rdnr. 3; Walter, ZZP 103, 141, 166 Fn. 91. 197 So der VIII. Zivilsenat des BGH, NJW 1983, 2496, 2497; genauso RGZ 73, 394, 395; 145, 239, 243; RG, JW 1916, 1188; BAG, NJW 1990, 2578, 2579 (= NZA 1991, 230, 231 = EzA Nr. 1 zu §211 BGB mit abl. Anm. Kraft/Raab)-, MünchKommBGB-D. Feldmann, §211 Rdnr. 6. 198 Verneinend Staudinger-Peters, 13. Bearb., § 211 Rdnr. 17; anders mit eingehender Begründung Brommann, AnwBl. 1985, 5, 9ff. 199 Walter, ZZP 103, 141, 164 f. 200 Vgl. etwa Art. 16 der UNCITRAL Conciliation Rules: „The parties undertake not to initiate, during the conciliation proceedings, any arbitral oder judicial proceedings in respect of a dispute that is the subject of the conciliation proceedings, except that a party may initiate arbitral or judicial proceedings where, in his opinion, such proceedings are necessary for preserving his rights", abgedruckt in: Yearbook Commercial Arbitration VI (1981), S. 165, 168, sowie Herrmann, ebenda, S. 170, 186. 201 BGH, VersR 1960, 515, 517; WM 1970, 548, 549; NJW 1979, 866, 867; NJW 1991, 974, 975; BAG, DB 1964, 1416; Erman-W. Hefermehl, §225 Rdnr. 1; MünchKommBGBv. Feldmann, §222 Rdnr. 4, §225 Rdnr. 3; Palandt-Heinrichs, §225 Rdnr. 2; SoergelWalter, § 225 Rdnr. 3; Staudinger-Peters, 13. Bearb., § 222 Rdnr. 20, § 225 Rdnr. 6. 202 RGZ 145, 230, 244 f.; BGH, VersR 1960, 515, 517; WM 1970, 548, 549; NJW 1974, 1285 f.; VersR 1978, 533 f.; NJW 1979, 866, 867; BAG, DB 1964, 1416; Erman-W. Hefermehl, §222 Rdnr. 11; MünchKommBGB-z;. Feldmann, §222 Rdnr. 4, §225 Rdnr. 3; Palandt-Heinrichs, §225 Rdnr. 2; Soergel-Walter, §225 Rdnr. 3; Staudinger-Peters, 13. Bearb., § 222 Rdnr. 20.

430

6. Kapitel: Disposition

über die

Klagebefugnis

schiedenen Fall eine Musterprozeßvereinbarung geschlossen und das Ruhen ihres Prozesses gemäß § 251 ZPO beantragt. Nachdem der Musterprozeß zu einem für den Kläger günstigen Urteil geführt hatte, machte der Beklagte in dem wieder aufgenommenen Parallelverfahren die Verjährungseinrede geltend, die ihm durch das RG mit Hilfe von § 242 BGB aus der Hand geschlagen wurde 203 . Diese Konstruktion ist in Wahrheit eine in korrigierender Absicht vorgenommene Umgehung des § 225 S. 1 BGB, dessen striktes Verbot verjährungserschwerender Vereinbarungen den praktischen Bedürfnissen nicht gerecht wird. Das schlechte Gewissen ist allenthalben spürbar 204 und schlägt in Teilen der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch, wenn dem Beklagten die Berufung auf die Verjährungseinrede gestattet wird, obwohl er für die Dauer eines Musterprozesses 205 auf sie verzichtet oder sich auf ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren 206 eingelassen hatte. Der Versuch einer Umgehung des § 225 S. 1 BGB mit Hilfe des Gebots von Treu und Glauben erweist sich auch deshalb als überaus unsicher, weil sich der Zeitpunkt nicht bestimmen läßt, in dem der Einwand aus § 242 BGB seinerseits wieder in Wegfall kommt. Versäumt es der Anspruchsteller nämlich, unmittelbar nach Abschluß des Musterprozesses oder Schlichtungsverfahrens Klage zu erheben, soll der Erhebung der Verjährungseinrede nicht mehr das Gebot von Treu und Glauben entgegenstehen 207 , wobei sich die Dauer dieser Frist weder aus dem Gesetz noch aus den bisher veröffentlichten Entscheidungen des BGH zuverlässig entnehmen läßt 208 . Schließlich zeigt sich die Ungeeignetheit des § 242 BGB zur Lösung der durch Musterprozeß- und Schlichtungsklauseln aufgeworfenen Verjährungsproblematik daran, daß der antizipierte „Verzicht" auf die Verjährungseinrede jederzeit „widerrufen" werden kann, wodurch ebenfalls die Obliegenheit zur (vorsorglichen) Klageerhebung binnen „angemessener" Überlegungsfrist ausgelöst wird 209 . Auf RGZ 145, 239, 244 f. Vgl. etwa Staudinger-Peim, 13. Bearb., §222 Rdnr. 20: „dogmatisch fragwürdig", jedoch „praktisch geboten". 205 Vgl. RGZ 73, 394, 395; RG, JW 1916, 1188; BGH, NJW 1983, 2496, 2497. 206 BGH, NJW-RR 1993, 1059, 1061. 207 BGH, VersR 1960, 515, 517 f.; WM 1970, 548, 549; OLG Frankfurt/Main, VersR 1972, 471, 472; Erman-W. Hefermehl, §222 Rdnr. 27; MünchKommBGB-u. Feldmann, §225 Rdnr. 3; Palandt-Heinrichs, Vor § 194 Rdnr. 15, §225 Rdnr. 2; Staudinger-Peim, 13. Bearb., § 222 Rdnrn. 23 f.; für den Fall von Verhandlungen über den Anspruch genauso BGHZ 93, 64, 66. 208 Vgl. etwa BGH, VersR 1960, 515, 518: innerhalb einer „nach Treu und Glauben zu bestimmenden Frist, die in der Regel (!) nur kurz bemessen werden kann", und zwar „nur wenige [!] Wochen". BGHZ 9, 1, 6: nach dem Wegfall der die Arglisteinrede begründenden Umstände bestimmt sich „die Frist für die Geltendmachung des Anspruchs nach den Anforderungen des redlichen Geschäftsverkehrs und den Umständen des Falles"; genauso BGH, NJW 1991, 974, 975. 209 BGH, NJW 1979, 866, 867; NJW 1991, 974, 975; MünchKommBGB-f. Feldmann, § 225 Rdnr. 3; Palandt-Hez'rcn'cfo, § 225 Rdnr. 2; Soergel-Walter, § 225 Rdnr. 3; StaudingerPeters, 13. Bearb., § 222 Rdnr. 20. 203

204

C. Abgrenzung

und praktische

Bedeutung

431

diese Weise wird die Durchführung von Musterprozeß- und Schlichtungsverfahren endgültig zum Vabanquespiel, dessen Ausgang sich für die Parteien kaum vorhersehen läßt. Tatsächlich ist der Weg über § 242 BGB - wie so oft - nicht nötig, um Ergebnisse zu erzielen, die der Interessenlage gerecht werden. Eine Rückbesinnung auf die Prinzipien des Verjährungsrechts legt vielmehr eine andere Lösung nahe. Die Verfasser des BGB faßten das Klagerecht materiell-rechtlich auf 210 , was eine Differenzierung zwischen materiell-rechtlichen und prozessualen Durchsetzungsbefugnissen im Rahmen der §§ 194 ff. BGB erübrigte. Diesen dogmatischen Ausgangspunkt hat die heutige Rechtsprechung und Literatur aus dem Blick verloren, wenn sie die gemäß § 198 S. 1 BGB für den Anlauf der Verjährungsfrist maßgebliche Anspruchsentstehung auf denjenigen Zeitpunkt festlegt, „an welchem der Anspruch erstmalig geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann"21 Trotz des Gebrauchs prozessualer Terminologie, kann damit jedenfalls nicht die prozessuale Klagebefugnis gemeint sein 212 , denn wäre dies richtig, würde die einem peremptorischen Klageverzicht unterliegende Forderung niemals verjähren, könnte aber weiterhin und ad infinitum im Wege der Aufrechnung exekutiert werden. Der Anlauf der Verjährungsfrist ist gemäß § 198 S. 1 BGB nicht davon abhängig, daß der Gläubiger die Möglichkeit hat, die Verjährung durch Klageerhebung zu unterbrechen 213 , sondern erfolgt richtigerweise bereits dann, wenn er vom Schuldner die Leistung im Sinne des § 194 BGB „verlangen", den Anspruch also einfordern und im Wege der Aufrechnung durchsetzen kann 214 . Die im Rahmen dieser Vorschrift von der herrschenden Meinung geforderte „Klagemöglichkeit" ist nach allem materiell-rechtlich zu verstehen: Es handelt sich in Wahrheit um die Einforderungsbefugnis, die auch in anderen Zusammenhängen diejenige Systemstelle einnimmt, die in einer actionenrechtlichen Dogmatik vom Klagerecht beansprucht wird. Motive I, S. 357; ausführlich dazu oben, unter B II, S. 401 f. BGHZ 55, 340, 341 (Hervorhebung hinzugefügt); genauso BGHZ 79, 176, 177 f.; Erman-W. Hefermehl, § 198 Rdnr. 1; Larenz, Allgemeiner Teil, 7. Aufl., § 14 III, S. 255 f. (wohl anders jetzt Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 17 Rdnr. 19); MünchKommBGBv. Feldmann, § 198 Rdnr. 1; YAxnAt-Heinrichs, § 198 Rdnr. 1; Staudinger-Pefers, 13. Bearb., §198 Rdnr. 2. Die Aussage in den Motiven, der Anspruch und nicht das Klagerecht unterliege der Verjährung (Motive I, S. 307; vgl. auch § 194 Abs. 1 BGB) widerspricht dem nicht, sondern ist allein auf die „Rechtsverletzungstheorie" v. Savignys gemünzt: Der Beginn der Verjährung sollte entgegen v. Savigny und mit Windscheid nicht von einer Rechts Verletzung abhängig gemacht werden; vgl. a.a.O., S. 307. 212 So Staudinger-Pefers, 13. Bearb., § 198 Rdnr. 2: „Maßgeblich ist damit die Möglichkeit der Klageerhebung [...]. Die hier angesprochene Klage ist die Leistungsklage". (Hervorhebungen im Original). 213 So aber Staudinger-Peters, 13. Bearb., § 198 Rdnr. 1: „Die Verjährung kann gegen den Gläubiger frühestens zu laufen beginnen, wenn er die Möglichkeit der Unterbrechung erhält". (Hervorhebung im Original). 214 So auch v. Tuhr, Allgemeiner Teil II/2, § 91 IV, S. 510 f.; ähnlich Planck-Knoke, §198 Anm. le und passim. 210 211

432

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

Obwohl es demnach nicht möglich ist, den Ausschluß des prozessualen Klagerechts bereits im Rahmen des § 198 S. 1 B G B zu berücksichtigen, darf die moderne Differenzierung zwischen materiell-rechtlichem Einforderungsrecht und prozessualer Klagebefugnis doch nicht dazu führen, daß eine solche Abrede durch das Netz der verjährungsrechtlichen Vorschriften gleichsam hindurchfällt. Dieser Gefahr läßt sich entgehen, weil § 202 Abs. 1 B G B eine systemkonforme Grundlage zur Einpassung des den Gesetzesverfassern unbekannten prozessualen Klageverzichts in das normative Konzept der §§ 194 ff. B G B bietet: Die Vorschrift beruht auf der Wertung, daß die Verjährung des Anspruchs nicht in Betracht kommt, solange der Berechtigte sein Recht nicht durchsetzen kann: Agere non valenti non currit praescriptio 215 . Dem Gläubiger soll es erspart bleiben, allein zum Zwecke der Unterbrechung der Verjährung eine kostspielige Klage zu erheben, die wegen eines dem Schuldner zustehenden dilatorischen Leistungsverweigerungsrechts ohnehin keine Aussicht auf Erfolg hat 216 . Damit erweist sich die oben bereits abgelehnte Lösung der Verjährungsproblematik über eine Kombination von vorsorglicher Klageerhebung, vertraglicher Ruhensvereinbarung gemäß § 251 Z P O sowie teleologischer Reduktion des § 2 1 1 Abs. 2 S. 1 B G B auch aus historisch-teleologischer Sicht als verfehlt. Der Gesetzgeber glaubte, mit § 202 Abs. 1 B G B „alle Fälle zu decken, in welchen die Hemmung der Verjährung ihren Grund in einem der Geltendmachung des Anspruchs entgegenstehenden rechtlichen Hindernisse habe" 217 . Wegen des von den Verfassern des B G B zugrunde gelegten materiell-rechtlichen Verständnisses des Klagerechts war die Beschränkung der Vorschrift auf materiell-rechtliche Einreden konsequent 218 , aber auch folgenlos und daher unproblematisch, weil auf dieser dogmatischen Grundlage der dilatorische Klageverzicht ohne weiteres die Hemmung der Verjährung bewirken konnte. Mit dessen Verschiebung aus dem Privat- in das Prozeßrecht darf die in § 202 Abs. 1 B G B angeordnete Rechtsfolge indessen nicht abgestreift werden. Der auf materiellrechtliche Einreden zugeschnittene § 202 Abs. 1 B G B ist vielmehr auf dilatorische Dispositionen über die prozessuale Klagebefugnis, insbesondere im Rahmen von Schlichtungs- und Musterprozeßvereinbarungen, analog anzuwenden 219 . Gegen eine solche Analogie ließe sich einwenden, der Rechtsverkehr sei auf die Klarheit und Eindeutigkeit des Verjährungsrechts angewiesen, so daß nur eine strikte Auslegung der §§ 194 ff. B G B in Betracht kommen könne 220 . 215 Motive I, S. 312; RGRK-Johannsen, §202 Rdnr. 2; Staudinger-Peiers, 13. Bearb., §202 Rdnr. 1. 216 RGZ 80, 212, 216 f.; Staudinger-Peierj, 13. Bearb., § 202 Rdnr. 3. 217 Protokolle I, S. 217; RGZ 80, 212, 216 f.; RGRK-Johannsen, § 202 Rdnr. 2. 218 So ausdrücklich Motive I, S. 313. 219 Ähnlich für die Wirkung einer Musterprozeßvereinbarung im Rahmen tariflicher Ausschlußfristen BAG, DB 1992, 2249, 2250. 220 Dafür BGHZ 53, 43, 47; BGH, NJW-RR 1993, 1059, 1060.

C. Abgrenzung

und praktische

Bedeutung

433

Gleichwohl ist es anerkannt, daß die entsprechende Anwendung einzelner Vorschriften des Verjährungsrechts auf wertungsmäßig gleich liegende Fälle nicht schlechthin ausgeschlossen ist 221 . Der BGH hat sogar die Verjährung eines Amtshaftungsanspruchs aus § 839 BGB, Art. 34 GG mit Hilfe einer Analogie zu § 209 Abs. 1 BGB unterbrochen, nachdem der Kläger eine verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage gegen den potentiell rechtswidrigen Verwaltungsakt erhoben hatte und dies damit begründet, daß „das Betreiben zweier Parallelprozesse unter dem Gesichtspunkt der Prozeßwirtschaftlichkeit für die Parteien und das Gericht unerwünscht [ist]" 222. Derartige Erwägungen der Prozeßökonomie lassen sich jedoch auch für das Bemühen ins Feld führen, Musterprozeß- und Schlichtungsvereinbarungen mit ihnen angemessenen Rechtsfolgen auszustatten. Für eine analoge Anwendung des § 202 Abs. 1 BGB auf den dilatorischen Klageverzicht fällt im vorliegenden Fall zusätzlich ins Gewicht, daß ein solches Vorgehen die Erwartungen des Rechtsverkehrs nicht nur nicht beeinträchtigen, sondern angesichts der eben geschilderten Zerfaserung selbst der höchstrichterlichen Rechtsprechung Rechtssicherheit zu allererst herstellen würde. Dem opportunistischen Verhalten von Parteien, die sich zunächst auf Musterprozesse und Schlichtungsverfahren einlassen, um später die Verjährungseinrede geltend zu machen, würde ein zuverlässiger Riegel vorgeschoben. Wie häufig die Gerichte bisher mit derartigen Taktiken beschäftigt wurden, zeigt die relativ große Zahl einschlägiger - und untereinander widersprüchlicher - Urteile 223 .

3. Der Ausschluß des

Rechtswegs

Der Einordnung bedarf schließlich noch der sog. „Ausschluß des Rechtswegs", einer Klausel, die seit jeher weit verbreitet ist und sich insbesondere bei Preisausschreiben, Lotterien und Gratisverlosungen großer Beliebtheit erfreut 224 . Ihrer praktischen Bedeutung korrespondiert leider kein entsprechendes Niveau juristischer Durcharbeitung. Vielmehr bleibt in vielen Fällen gänzlich unklar, was mit dem „Ausschluß des Rechtswegs" gemeint ist. Die damit gestellte analytische Aufgabe ließ sich früher relativ leicht lösen: Solange es nur einen einzigen Rechtsweg gab, der diesen Namen wirklich verdiente - nämlich den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten - konnte dessen vertraglicher „Ausschluß" ohne weiteres mit der Disposition über die

BGHZ 93, 278, 280; 95, 238, 242 f.; 98, 59, 63 f. BGHZ 95, 238, 243. 223 Vgl. oben, Fn. 196 f. 224 OLG Stuttgart, BB 1950, 547; VGH Mannheim, DRZ 1950, 260 f.; Gebhardt, MDR 1955, 151 f.; Medicus, Schuldrecht II, § 109 II 2, Rdnr. 469 a. E.; MünchKommBGB-Sezfer, §657 Rdnr. 21; R G R K - S Ä r t , § 763 Rdnr. 13; Staudinger-Brandl, 11. Aufl., Vor §762 Rdnr. 9. 221

222

434

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

Klagebefugnis identifiziert werden 225 . Heute bestehen neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit ein besonderer Rechtsweg für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten, nämlich die Arbeitsgerichtsbarkeit, zwei Sonder-Verwaltungsgerichtsbarkeiten, nämlich die Sozial- und die Finanzgerichtsbarkeit, und schließlich die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit. Deren Zuständigkeit wird in § 40 Abs. 1 S. 1 V w G O ebenfalls durch eine Generalklausel definiert und auf „alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art" erstreckt. Vor diesem gerichtsverfassungsrechtlichen Hintergrund, der § 1 3 G V G de facto auf eine qualifizierte Zuständigkeitsnorm reduziert 226 , stellt sich die durchaus aktuelle Frage, ob die Parteien wirksam über die Abgrenzung der Rechtswege untereinander disponieren können, also etwa durch Vereinbarung eine sozial- oder finanzrechtliche Streitigkeit der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit oder eine arbeitsrechtliche Streitigkeit den ordentlichen Gerichten zuweisen können. Auf die Problematik derartiger Dispositionen „über den Rechtsweg", die die Zuständigkeitsaufteilung zwischen den verschiedenen Gerichtsbarkeiten betreffen, wird im Zusammenhang mit den Kompetenzverträgen zurückzukommen sein 227 . Mit dem vertraglichen Ausschluß der Klagebefugnis als des Rechts zur Anrufung staatlicher Gerichte haben sie nichts zu tun 2 2 8 . Die Bedeutung eines vertraglichen Rechtswegausschlusses erweist sich unter den heutigen Rahmenbedingungen damit als eine Frage der Auslegung. Als Ergebnis der Interpretation kommt sowohl die Disposition über die Zuständigkeitsverteilung zwischen zwei Gerichtsbarkeiten 229 als auch eine Vereinbarung über die Klagebefugnis in Betracht 2 3 0 , wobei letztere wiederum 2 2 5 RGZ 37, 427, 428 f.; 111, 276, 279; RG, JW 1930, 1062; BGHZ 9, 138, 143 f. (= NJW 1953, 825 f.); BayObLGZ 1952, 357, 359 f.; O L G Frankfurt/Main, NJW 1949, 510, 511 (ähnlicher, aber nicht identischer Fall wie BGHZ 9, 138); Kisch, ZZP 51, 321, 329; Lent, NJW 1949, 510, 511; genauso noch Kissel, GVG, § 13 Rdnr. 212. 2 2 6 Zum grundlegenden Wandel der Funktion des § 13 GVG von einer sachlich beschränkten Rechtsschutzgarantie nach Art des späteren Art. 19 Abs. 4 GG bis zu einer bloßen Regelung qualifizierter sachlicher Zuständigkeit Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 3 II, S. 7 ff.; Rimmelspacher, Prüfung von Amts wegen, S. 54 ff.; oben, 3. Kapitel, C III, S. 274 f.; unten, 8. Kapitel, D, S. 573 f. 2 2 7 Vgl. dazu unten, 8. Kapitel, D, S. 573 ff. 228 Dütz, Gerichtsschutz, S. 156; Neukirchner, Ausschluß der Klagbarkeit, S. 37; Stein/ Jonas-Schumann, 20. Aufl., Einl. Rdnr. 407; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 65 f., der jedoch auch die vertragliche Begründung der Kompetenz einer Verwaltungsbehörde zur Entscheidung einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit als ein Problem „der behördlichen Organisation staatlicher Rechtspflegetätigkeit" rekonstruiert und damit den fundamentalen Unterschied zwischen Rechtspflege durch unabhängige Gerichte (§13 GVG) und der Streitentscheidung durch weisungsgebundene Verwaltungsbehörden einebnet. Ohne klare Unterscheidung zwischen dem Ausschluß des Rechtswegs als Klageverzicht oder Kompetenzvertrag hingegen RGZ 111, 276, 279; Baumbach/Lauterbach-Albers, § 13 GVG Rdnrn. 1 f.; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 188 mit Fn. 28; Kissel, GVG, §17 Rdnr. 4; ZöllerGummer, § 13 GVG Rdnr. 5. 2 2 9 So VGH Mannheim, DRZ 1950, 260 f. 2 3 0 So RGZ 111, 276, 279; O L G Stuttgart, BB 1950, 547; Kissel, GVG, § 13 Rdnr. 212;

C. Abgrenzung und praktische

Bedeutung

435

der Abgrenzung zu einverständlichen Verkürzungen materiell-rechtlicher Anspruchsbefugnisse nach Art der Stundung bedarf 231 . Die damit aufgeworfenen Schwierigkeiten lassen sich anhand der - allerdings nur sehr sporadisch geführten - Diskussion um die Bedeutung von Rechtswegausschlußklauseln in Preisausschreiben, Gratisverlosungen und Lotterien illustrieren 232 . Preisausschreiben sind nach § 661 B G B eine besondere Art der Auslobung, die gemäß § 657 B G B eine Verpflichtung des Auslobenden zur Erfüllung seines Belohnungsversprechens gegenüber dem Sieger begründet. Diese Grundsätze gelten indessen nur für „echte" Preisausschreiben, die die Praxis vor allem in der Form von Architektenwettbewerben beschäftigen. Ist die Handlung bzw. der Erfolg, auf dessen Herbeiführung ein Preis ausgesetzt ist, von jedermann mit Leichtigkeit zu erbringen, wie dies insbesondere bei vielen WerbePreisrätseln der Fall ist, kann von einer Auslobung im Sinne der §§ 657 ff. B G B keine Rede sein; es handelt sich vielmehr um eine sog. Gratisverlosung. Sedes materiae sind damit die Vorschriften der §§ 762 f. B G B über Spiel, Lotterie und Ausspielung 233 . Lotterie- und Ausspielverträge begründen indessen gemäß § 763 Abs. 1 S. 1 B G B nur dann rechtlich durchsetzbare Verbindlichkeiten, wenn die Lotterie bzw. Ausspielung staatlich genehmigt wurde. Fehlt es daran, sind Spielschulden wegen §§ 763 Abs. 1 S. 2, 762 Abs. 1 S. 1 B G B bloße Naturalobligationen und darüber hinaus gemäß § 134 B G B wegen Verstoßes gegen § 2 8 6 StGB nichtig 234 . Lotterie und Ausspielung im Sinne der §§ 763 B G B , 286 StGB sind jedoch wiederum als gegenseitige Verträge (emptio spei) definiert, setzen also einen über die bloße Spieltätigkeit hinausgehenden Einsatz auf Seiten des Spielers voraus 235 . Da es an diesem Erfordernis bei den meisten Werbe-Preisrätseln fehlt, bleibt es insoweit bei § 762 B G B ; der Auskehrungsanspruch des Teilnehmers einer solchen Gratisverlosung scheitert also nicht schon an §§ 134 B G B , 286 StGB, ist gemäß § 762 Abs. 1 S. 1 B G B jedoch materiell-rechtlich unvollkommen, nämlich undurchsetzbar 236 . Die juristische Einordnung der Preisausschreiben, Lotterien und Gratisverlosungen ergibt also ein differenziertes Bild: Während das echte PreisSchlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 65; Stein/Jonas-Schumann, 20. Aufl., Einl. Rdnr. 407; implizit auch BGHZ 106, 307, 317 ff. (= NJW 1987, 2818, 2820). 231 So Stech, Klagbarkeit und Unklagbarkeit, S. 182 f. 232 Soweit ersichtlich findet sich die einzige aktuelle Problemerörterung bei MünchKommBGB-S«7er, § 657 Rdnr. 21. 233 O L G Stuttgart, MDR 1986, 756 f.; LG Münster, MDR 1988, 53 f.; Erman-Ehmann, §661 Rdnr. 1 a. E.; Medicus, Schuldrecht II, § 109 II 2, Rdnr. 470, § 112 II 1, Rdnr. 508; MünchKommBGB-Sej'/er, § 661 Rdnr. 5; Palandt-Thomas, § 661 Rdnr. 1 a. E. 234 So jedenfalls die h. M., vgl. RGZ 115, 325; zweifelnd RGRK-Sez^ert, § 763 Rdnr. 18; Staudinger-£nge/, 13. Bearb., § 763 Rdnr. 17. 235 So zu §763 BGB Erman-Sez7er, §763 Rdnr. 2; R G R K - ^ e r i , §763 Rdnrn. 3, 13; Staudinger-Engel, 13. Bearb., §763 Rdnrn. 7, 10 f.; zu §286 StGB vgl. statt aller Tröndle, § 286 Rdnrn. 5, 10. 236 O L G Stuttgart, MDR 1986, 756 f.; LG Münster, MDR 1988, 53 f.; Erman-Ehmann, § 661 Rdnr. 1 a. E.; Medicus, Schuldrecht II, § 109 II 2, Rdnr. 470, § 112 II 1, Rdnr. 508.

436

6. Kapitel: Disposition

über die

Klagebefugnis

ausschreiben sowie die staatlich genehmigte Lotterie jedenfalls für die jeweiligen Gewinner vollkommene Ansprüche hervorbringen, begründen die Gratisverlosungen lediglich Naturalobligationen. Da Klagen von Teilnehmern eines Werbe-Preisrätsels demnach ohnehin unbegründet sind 237 , besteht keinerlei Anlaß dazu, etwaigen Rechtsschutzbegehren auch noch die Zulässigkeit zu nehmen, indem der Rechtsweg ausgeschlossen und diese Klausel im Sinn einer Disposition über die Klagebefugnis interpretiert würde. Bei Gratisverlosungen kann ein solcher Vorbehalt lediglich salvatorisch gemeint sein; er ist eine überflüssige Deklaration dessen, was kraft § 762 Abs. 1 S. 1 B G B von Gesetzes wegen gilt. Bei staatlich genehmigten Lotterien könnte dem Ausschluß des Rechtswegs allerdings konstitutive Wirkung im Sinne einer Disposition über die Klagebefugnis zukommen, weil Ansprüche auf Auskehrung des Lotteriegewinns materiell-rechtlich durchsetzbar sind. Vor diesem Hintergrund erscheint es als verfehlt, wenn die in den früheren „Amtlichen Wettbestimmungen" der Staatlichen Sporttoto GmbH enthaltene Klausel, nach der eine Verwaltungsbehörde über Ansprüche „unter Ausschluß des Rechtswegs" befinden sollte, im Sinne einer Wahl zwischen Zivil- und Verwaltungsrechtsweg ausgelegt und eine verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage gegen die Behördenentscheidung zugelassen wurde 238 . Der Klauselverwender hatte keinerlei Interesse daran, die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für etwaige Auskehrungsklagen zu begründen, sondern wollte Klagen vor staatlichen Gerichten gleich welcher Gerichtsbarkeit gänzlich ausschließen 239. Als problematisch erweist sich nicht die Auslegung, sondern die Zulässigkeit einer solchen Disposition, die im Hinblick auf den Austauschcharakter des Lotterievertrags zu verneinen ist 240 . Diese Grundsätze gelten auch für das nach den §§ 657, 661 B G B zu beurteilende echte Preisausschreiben, soweit es um den Anspruch des Gewinners auf Auskehrung des Preises geht. Ein „Ausschluß des Rechtswegs" durch die Ausschreibungsbedingungen läßt wiederum nur eine Interpretation im Sinne einer Disposition über die Klagebefugnis zu, die als solche jedoch erneut nicht akzeptiert werden kann 241 . Darüber hinaus stehen Klagen von Verlierern zur Debatte, die sich gegen die Entscheidung der Preisrichter wenden, in der Sache aber kaum Aussicht auf Erfolg haben, weil die Entscheidung der Preisrichter bzw. des Auslobenden gemäß § 661 Abs. 2 S. 2 B G B „für die Beteiligten verbindlich" ist. Die Rechtsprechung hat sich damit jedoch nicht abgefunden und auf das Schiedsrecht zurückgegriffen, um mit Hilfe der Vorbehalte des § 1059 Z P O (= § 1041 Z P O a. F.) Mindestanforderungen an Vgl. die Nachweise in der vorherigen Anmerkung. So V G H Mannheim, D R Z 1950, 260 f. 2 3 9 So auch O L G Stuttgart, BB 1950, 547; im Ergebnis auch BVerwGE 2, 273, 275 (= J Z 1956, 341 m. abl. Anm. Bachof). 2 4 0 Dazu sogleich, E III 2, S. 452 f. 241 Vgl. dazu unten, E III 2, S. 453 f. 237

238

D. Rechtsnatur des

Klagbarkeitsausschlusses

437

das Auswahlverfahren (§ 1059 Abs. 2 Nr. ld Z P O = § 1041 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 Z P O a. F.) zu formulieren 242 . Ein Ausschluß des Klagerechts könnte allenfalls darauf zielen, diese über das Preisrichter-Privileg des § 661 Abs. 2 S. 2 B G B hinausgehenden Anforderungen wieder abzuschütteln, was jedoch zumindest im Wege formularmäßiger Ausschreibungsbedingungen nicht zulässig sein kann. Nach allem erweist es sich als unmöglich, dem „Ausschluß des Rechtswegs" einen einheitlichen Regelungsgehalt zuzuweisen. Immerhin wird eine Auslegung als Kompetenzvertrag im Sinne einer Wahl zwischen zwei verschiedenen Gerichtsbarkeiten in den meisten Fällen sicher auszuschließen sein. Und auch als materiell-rechtliche Anspruchsverkürzung macht die Klausel zumindest in denjenigen Verwendungszusammenhängen, in denen sie in der Praxis vorkommt, keinen Sinn. Soweit ihr überhaupt ein selbständiger Gehalt vindiziert werden kann, wird sie als Disposition über die Klagebefugnis auszulegen sein und ist als solche in der Regel unzulässig.

D. Rechtsnatur des Klagbarkeitsausschlusses Nach den vorstehenden Überlegungen kann die Einordnung des Klagbarkeitsausschlusses in eine der beiden Teilrechtsordnungen nicht mehr zweifelhaft sein: Da die Klagebefugnis keine Eigenschaft des materiellen subjektiven Rechts, sondern eine verfahrensrechtliche Rechtsposition ist, gehört die vertragliche Disposition über diesen Gegenstand nicht dem materiellen Recht an, sondern ist prozessual zu qualifizieren. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob es sich um eine Verfügung oder um ein Verpflichtungsgeschäft handelt, wie bereits die disparate Terminologie anzeigt, die in Rechtsprechung und Literatur üblich ist. Während die Rede vom „Ausschluß der Klagbarkeit" oder „Klageverzicht" die Qualifikation als Verfügung nahelegt243, spricht die Bezeichnung als pactum de non petendo für die Rekonstruktion als Verpflichtungsgeschäft 244 . Die Rechtsprechung operiert mit der ihr auch sonst geläufigen Formel, nach der es „den Prozeßparteien nicht verwehrt [ist], sich vertraglich zu einem bestimmten prozessualen Verhalten zu verpflichten" 245, sieht dementsprechend in der patentrechtlichen 242 BGHZ 17, 366, 374 f.; BGH, NJW 1983, 442; NJW 1984, 1118; zustimmend ErmanEhmann, § 661 Rdnr. 3; MünchKommBGB-Se¿/er, § 661 Rdnr. 12; Palandt-Thomas, § 661 Rdnr. 3; R G R K - S t e f f e n , § 661 Rdnr. 8. 243 Vgl. etwa BGH, NJW 1984, 669, 670 (= ZZP 99, 90 mit krit. Anm. Prutting). 244 Vgl. etwa BGH, NJW-RR 1989, 1048, 1049 (zum pactum de non petendo). 245 BGH, NJW 1982, 2072, 2073 (= FamRZ 1982, 782); genauso BGHZ 10, 22, 29; BGH, NJW-RR 1989, 1048, 1049; WM 1973, 144 (= DB 1973, 1451); Neukirchner, Ausschluß der Klagbarkeit, S. 32 f.; Stech, Klagbarkeit und Unklagbarkeit, S. 180 f.; Stein/JonasLeipold, Vor § 128 Rdnr. 247; Stein/Jonas-5ci«ma«n, Vor 253 Rdnr. 90.

438

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

Nichtangriffsabrede eine Verpflichtung, das Patent nicht mit der Nichtigkeitsklage anzugreifen246, und qualifiziert auch den vertraglichen „Ausschluß" der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) 247 oder des Urkundenprozesses (§ 592 ZPO) 248 als Verpflichtungsgeschäft. Eine explizite Auseinandersetzung mit der Problematik findet in aller Regel jedoch nicht statt, und vereinzelt werden sogar beide Konstruktionen miteinander vermengt249. Schließlich findet sich der Vorschlag, zwischen einem verfügenden Klageverzicht und einem bloß obligatorisch wirkenden pactum de non petendo zu unterscheiden und das Folgeproblem der Abgrenzung zwischen diesen beiden Geschäftstypen dann mit einer Vermutung zugunsten der Verfügung zu lösen250. Gleichwohl sollen dann aber sowohl der verfügende Klageverzicht als auch das zum Teil sogar materiell-rechtlich qualifizierte251 pactum de non petendo der Klage die Zulässigkeit nehmen und ein Prozeßurteil rechtfertigen252. Der hier erarbeiteten Konzeption des Prozeßvertragsrechts entspricht es, den „Klageverzicht" als prozessualen Verpflichtungsvertrag zu qualifizieren, mit dem sich die Partei dazu verpflichtet, eine ihr zustehende prozessuale Befugnis - nämlich die Klagebefugnis - nicht auszuüben253. Für die prozessuale Qualifikation der Disposition über die Klagebefugnis ist deren Charakterisierung als Verpflichtung oder Verfügung gleichgültig, weil die Kategorie des Verpflichtungsgeschäfts nicht nur der Privatrechtsordnung, sondern auch dem öffentlichen Recht allgemein und insbesondere dem

246 BGHZ 10, 22, 29; BGH, G R U R 1965, 135, 137; Benkard-Ullmann, PatentG, § 15 Rdnrn. 83, 161; Benkard-Äogge, PatentG, § 22 Rdnr. 25a; v. Maitzahn, FS v. Gamm, S. 597, 599. 247 Ausdrücklich im Sinne eines Verpflichtungsgeschäfts BGH, NJW 1970, 2072, 2073. 248 Ausdrücklich für Verpflichtungsgeschäft RGZ 160, 241, 242; BGHZ 38, 254, 258; 109, 19, 29; BGH, WM 1973, 144 (= DB 1973, 1451); Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 271; MünchKornrnZPO-ßra»«, § 592 Rdnr. 8; Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 72 f.; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 237; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 721; ZöllerSchneider, Vor § 592 Rdnr. 4. 249 So LAG Berlin ZIP 1982, 1352, 1353; Stein/Jonas-ScW,?««, 20. Aufl., Einl. Rdnr. 90, wo der als Verfügung verstandene Ausschluß der Klagbarkeit mit der Erwägung gerechtfertigt wird, den Parteien stehe es frei, sich vertraglich zu einem bestimmten prozessualen Verhalten zu verpflichten. 250 Neumann, Vertraglicher Ausschluß der Klagbarkeit, S. 20, 45, 48 f.; Siebert, Musterprozeß, S. 127 f.; ähnlich auch Stech, Klagbarkeit und Unklagbarkeit, S. 180 ff. 251 So Siebert, Musterprozeß, S. 128; a. A. Neumann, Vertraglicher Ausschluß der Klagbarkeit, S. 49. 252 Neukirchner, Ausschluß der Klagbarkeit, S. 32 f.; 57; Neumann, Vertraglicher Ausschluß der Klagbarkeit, S. 49; Siebert, Musterprozeß, S. 128; Stech, Klagbarkeit und Unklagbarkeit, S. 181. 253 Die Bezeichnung als „Klageverzicht" trifft somit nicht den obligatorischen Rechtscharakter der Disposition über die Klagebefugnis. In Ermangelung eines passenden Ausdrucks für die „Verpflichtung, eine Klage nicht zu erheben" - am ehesten paßte noch der Ausdruck „Klageunterlassungsversprechen" - mag aber weiterhin von Klageverzicht - oder Disposition über die Klagebefugnis - die Rede sein.

E. Zulässigkeit der Disposition über die Klagebefugnis

439

Prozeßrecht offen steht254. Deshalb besteht kein Anlaß dazu, den Klageverzicht nur deshalb als Verfügung zu konstruieren, um ihn für das Prozeßrecht vindizieren zu können 255. Die Annahme einer „bloßen" Verpflichtungswirkung steht der Berücksichtigung der Disposition im anhängigen Verfahren nicht entgegen256. Die vertragliche Verpflichtung, eine Klage nicht zu erheben, ist von dem Gericht im Primärprozeß ipso iure zu beachten, weil der Verstoß gegen die vertragliche Verpflichtung dem Kläger die Befugnis zur Klage nimmt. Einer Einrede des Beklagten, etwa im Sinne der insbesondere für die patentrechtliche Nichtangriffsabrede etablierten exceptio pacti, bedarf es dafür nicht257.

E. Zulässigkeit der Disposition über die Klagebefugnis I. Zulässigkeit

prozessualer

Verpflichtungsverträge

Obwohl die vertragliche Disposition über die Klagebefugnis in der Praxis nicht selten vorkommt, wird ihr die Zulässigkeit verbreitet abgesprochen, und zwar entweder nur im Hinblick auf den peremptorischen Klageverzicht258 oder darüber hinaus auch für den befristeten Ausschluß der Klagebefugnis259. Auf der soeben erarbeiteten dogmatischen Grundlage ist es allerdings möglich, einige Einwände gegen die Zulässigkeit dieses Vertragstyps ohne weiteres zurückzuweisen. So erledigt sich der Versuch Schiedermairs, aus der Existenz eines gegen den Staat gerichteten Rechtsschutzanspruchs unvermittelt auf die Unzulässigkeit entsprechender vertraglicher Dispositionen zu schließen260, mit der Ablehnung eines staatsrechtlichen Anspruchs auf günstiges Urteil 261 . Genauso wenig überzeugt es, wenn kur-

254 255

Lehre.

Vgl. oben, 1. Kapitel, C, S. 35 ff. So aber insbesondere die von Schiedermair,

Vereinbarungen, S. 94, 96, begründete

Vgl. ausführlich oben, 3. Kapitel, B II 2, S. 233 ff. Vgl. oben, 3. Kapitel, B III 2, S. 242 ff. 258 Kempf, ZZP 73, 342, 375 ff., 383 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §92 III, S. 515. 2 5 9 So BGHZ 106, 336, 338 f. (= JZ 1989, 588 m. Anm. Walter); O L G Celle, O L G Z 1969, 1, 2; LG Bonn, NJW 1965, 2201, 2202 mit zust. Anm. Roquette (und materiell-rechtlicher Umdeutung des Klageverzichts in einen Verzicht auf Mängelrüge); Ballon, Zulässigkeit des Rechtswegs, S. 120; Gebhardt, MDR 1955, 151 f.; Lent, NJW 1949, 510, 511 ff.; MünchKommBGB-A/ijyer-A/tfiy, § 138 Rdnr; 38; MünchKommBGB-Seifer, § 657 Rdnr. 21; Prutting, ZZP 99, 93, 96 ff.; Schwab, KTS 1961, 17, 25; Staudinger-Brandl, 11. Aufl., Vor § 762 Rdnr. 9; Staudinger-Dilcher, 12. Aufl., § 138 Rdnr. 131. 260 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 92, 93: „Eingriff in die Justizhoheit des Staates". 2 6 1 Vgl. oben, B IV, S. 404 ff. 256

257

440

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

zerhand behauptet wird, Gegenstand des Klageverzichts sei der öffentlichrechtliche, gegen den Staat gerichtete Justizgewährungsanspruch, um daraus zunächst die Unzulässigkeit des Klageverzichts zu deduzieren, dilatorische Dispositionen von diesem Verdikt dann aber wieder auszunehmen262. Schließlich wurde bereits der Einwand zurückgewiesen263, bei prozessualen Handlungsbefugnissen wie dem Recht zur Erhebung einer Klage handele es sich um allgemeine Handlungskompetenzen nach Art der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, über die vertraglich nicht disponiert werden könne 264 . Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei der Disposition über das Klagerecht um die Verpflichtung, von einer prozessualen Befugnis keinen Gebrauch zu machen. Ihre Zulässigkeit ergibt sich aus dem Umstand, daß die ZPO die Klageerhebung freistellt und damit dem Wertungszusammenhang zwischen dem der Privatautonomie verpflichteten Privatrecht und dem zugehörigen Zivilverfahrensrecht Rechnung trägt265. Diese Begründung klingt in Rechtsprechung und Literatur an, wenn die Zulässigkeit der Disposition über die Klagebefugnis damit gerechtfertigt wird, es sei „den Prozeßparteien nicht verwehrt, sich vertraglich zu einem bestimmten prozessualen Verhalten zu verpflichten, sofern dieses Verhalten möglich ist und weder gegen ein gesetzliches Verbot noch gegen die guten Sitten verstößt" 266. Um nicht bei der bloßen Deduktion aus zuvor erarbeiteten allgemeinen Grundsätzen stehen zu bleiben und um deren Tragfähigkeit im Einzelfall zu überprüfen, soll auf eine Auseinandersetzung mit Sachargumenten, die zur Begründung der Unzulässigkeit des Klageverzichts vorgebracht werden, indessen nicht verzichtet werden. Diese lassen sich in zwei Gruppen einteilen, je nachdem, ob sie ein öffentliches Interesse an der gerichtlichen Durchsetzung privater Rechte behaupten, oder ob sie um den Schutz der verzichtenden Partei vor Übervorteilung durch die andere besorgt sind267.

So Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 92 III 2, S. 515. Vgl. oben, B V, S. 412 f. 264 So aber Bülow, Geständnisrecht, S. 37 ff.; Baumgärtel, ZZP 75, 385, 393 f.; G. Luke, ZZP 76, 1, 19 f.; Stech, Klagbarkeit und Unklagbarkeit, S. 159. 265 Vgl. oben, 2. Kapitel, D, S. 86 ff. 266 BGH, NJW 1982, 2072, 2073 (= FamRZ 1982, 782); genauso BGHZ 10, 22, 29; 38, 254, 258; 109, 19, 28 f.; BGH, NJW-RR 1989, 1048, 1049; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 247; Stem/Joms-Schumann, Vor 253 Rdnr. 90. Die Formel vom Verstoß gegen ,Gesetz oder gute Sitten' sollte jedoch besser durch den Verweis auf das AGBG und die §§ 138, 242 BGB ersetzt werden; dazu sogleich im Text. 267 Vgl. oben, 2. Kapitel, D III, S. 90 ff. 262

263

E. Xulässigkeit der Disposition über die Klagebefugnis

II. Öffentliche

441

Interessen

Die Unzulässigkeit des Klageverzichts wird verbreitet mit dem Argument gerechtfertigt, es sei „das Interesse und die Pflicht des Staates, dem Rechte praktische Geltung zu verschaffen" 268. Dieser Einwand beruht auf einer Prämisse, die von Dütz herausgearbeitet worden ist und besagt, daß der zivilprozessuale Rechtsschutz „weniger im Interesse des einzelnen Rechtsschutzsuchenden" besteht, sondern primär „wichtigen Belangen und Rücksichten der staatlichen Gemeinschaft" dient 269 . Nach der hier vertretenen Auffassung dient die Klagemöglichkeit in erster Linie dazu, dem subjektiven Privatrecht unter den Bedingungen des staatlichen Gewaltmonopols und des weitgehenden Verbots der Selbsthilfe die Möglichkeit zwangsweiser Durchsetzung zu garantieren. Soweit dies geschieht, bewährt sich die objektive Rechtsordnung, und es wird Rechtsfrieden hergestellt. Die zuletzt genannten, objektiven Ziele des staatlichen Rechtsschutzsystems hängen in ihrer Verwirklichung jedoch davon ab, daß ein Privatrechtssubjekt eine Klage erhebt, den Prozeß bis zum rechtskräftigen Endurteil betreibt, die entscheidungsrelevanten Tatsachen vorträgt und diëse schließlich auch zur Überzeugung des Gerichts nachweist. Niemand ist dazu verpflichtet, ein ihm zustehendes subjektives Recht auch tatsächlich gerichtlich durchzusetzen und derjenige, der sich dazu entschließt, führt den Prozeß in eigener Verantwortung. Die Verfahrensordnung schreibt dabei lediglich das materiell-rechtliche Prinzip der Privatautonomie in den Prozeß hinein fort. Die Anstrengung dieses durch die Zwangsgewalt des Staates gedeckten Verfahrens der Rechtsausübung nimmt den Parteien nicht die Herrschaft über das streitbefangene Recht, die u. a. in der Möglichkeit des Verzichts gemäß § 306 Z P O und des (Prozeß-) Vergleichs gemäß §§ 779 B G B , 794 Abs. 1 Nr. 1 Z P O zum Ausdruck kommt. Selbst dann, wenn die Herrschaft der Parteien über den Prozeßstoff eingeschränkt ist, wie etwa im patentrechtlichen Nichtigkeitsverfahren, bleiben sie doch dazu befugt, über ihnen verbliebene Befugnisse, wie etwa das Klagerecht, vertraglich zu disponieren 270 . Wird der Zivilprozeß in dieser Weise als ein der Parteiherrschaft unterliegendes Verfahren zur Ausübung grundsätzlich disponibler Privatrechte rekonstruiert, läßt sich ein fundamentaler normativer Unterschied zwischen der zweifellos zulässigen Aufgabe materiell-rechtlicher Einzelbefugnisse, etwa dem Ausschluß von Einforderungs- und Aufrechnungsrechten, und dem Ausschluß prozessualer Durchsetzungsbefugnisse, wie zum Beispiel der

268 Scbiedermair, Vereinbarungen, S. 92; Kempf, ZZP 73, 342, 376; wortreicher, aber in der Sache genauso Dütz, Gerichtsschutz, S. 158 f. 269 Dütz, Gerichtsschutz, S. 158 (Hervorhebung hinzugefügt). Grundsätzlich dazu bereits oben, 2. Kapitel, C II, S. 59 ff., 63 f. 270 Vgl. die Nachweise oben, A, S. 395 mit Fn. 26; sowie die ausführliche Erörterung oben, 2. Kapitel, E I 2, S. 102 ff.

442

6. Kapitel: Disposition

über die

Klagebefugnis

Disposition über das Klagerecht, nicht begründen 271 . Wird dieser Zusammenhang geleugnet, ist nicht nur dem Klageverzicht, sondern genauso dem Rechtsmittelverzicht des § 514 ZPO die Zulässigkeit abzusprechen, weil letzterer „das Interesse und die Pflicht des Staates, dem Rechte praktisch Geltung zu verschaffen" ebenfalls beeinträchtigen kann. Dementsprechend muß Schiedermair am Ende seiner nicht ohne Pathos vorgetragenen Ablehnung des Verzichts auf den Rechtsschutzanspruch kleinlaut einräumen, daß Dispositionen über „konkrete prozessuale Rechte", wie zum Beispiel Klagerücknahmeversprechen und Rechtsmittelverzicht, zulässig sind 272 . Mit diesem Eingeständnis ist der Argumentation aus dem öffentlichen Interesse der Boden entzogen und der oben herausgearbeitete Grundsatz, nach dem die von der ZPO zur Ausübung freigestellten prozessualen Befugnisse grundsätzlich disponibel sind, erneut bestätigt. Die Zulässigkeit speziell des vertraglichen Ausschlusses des Urkundenprozesses ist indessen von Kohler verneint worden, „weil er eine sachgemäße, auch im Interesse des Gerichts liegende Erledigung der Sache verhindern würde" 273. Dieses Argument bezieht sich nicht auf ein angebliches öffentliches Interesse an der unbedingten Durchsetzung materieller Privatrechte, sondern auf den Gesichtspunkt der Prozeßwirtschaftlichkeit und damit auf die oben herausgearbeitete Schranke der Zulässigkeit von Prozeßverträgen, nach der die Parteien nicht mehr Justizressourcen für sich beanspruchen dürfen, als ihnen nach der ZPO zustehen 274 . Da der Urkundenprozeß den Streit schnell und sachgerecht erledigt, scheint dessen einverständlicher Ausschluß die Arbeitslast des Gerichts zu vermehren275. Mit diesen Überlegungen steht in Einklang, daß Kohler gegen den vertraglichen Ausschluß des Arrestverfahrens wenig einzuwenden hatte, weil letzteres „lediglich im Interesse der Partei" eröffnet sei und „die Interessen der Justizorganisation in keiner Weise" berühre 276 . Tatsächlich ist sein Schluß auf die Unzulässigkeit des

271 So auch die Rechtsprechung; vgl. oben, Fn. 181, sowie für die Literatur Gernhuber, Schuldverhältnis, § 4 III 3, S. 79; Grunsky, Grundlagen, § 16 III 1, S. 158; Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, S. 263 f.; Neukirchner, Ausschluß der Klagbarkeit, S. 29 f., 52 f.; Neumann, Vertraglicher Ausschluß der Klagbarkeit, S. 29 f.; Pohle, FS Lent, S. 195, 214; Reichel, JW 1930, 2212; ders., JherJb. 59, 409, 446 ff.; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 66; Schweitzer, JW 1932, 2053 f.; Siebert, Musterprozeß, S. 127; Stech, Klagbarkeit und Unklagbarkeit, S. 181 f.; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 721 f.; Walchshöfer, FS Schwab, S. 521, 524. Zur patentrechtlichen Nichtigkeitsklage BGHZ 10, 22, 27 f.; Bernhard-.Rogge, PatentG, §81 Rdnr. 33; zur arbeitsrechtlichen Ausgleichsquittung Käppier, Anm. zu BAG, EzA Nr. 12 zu § 4 KSchG, S. 72, 74. 2 2 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 93. 273 J. Kohler, Gruch. Beitr. 31, 276, 310. 274 Vgl. oben, 2. Kapitel, C V 2 b, S. 82 ff. 275 Deutlich ]. Kohler, Gruch. Beitr. 31, 276, 310: „Wohin käme man, wenn alle Wechselsachen im gewöhnlichen Prozesse instruirt würden?" 276 J. Kohler, Gruch. Beitr. 31, 276, 310.

E. Zulässigkeit der Disposition über die Klagebefugnis

443

vertraglichen Ausschlusses des Urkundenprozesses gültig; fraglich sind allein die Prämissen. Der Urkundenprozeß wird in den §§ 592 ff. Z P O nämlich keineswegs obligatorisch angeordnet, sondern in das Belieben des Klägers gestellt 277 . Der Grund dafür liegt darin, daß Einwendungen, die nicht mit den Beweismitteln des § 595 Abs. 2 Z P O nachgewiesen werden können, gerade nicht endgültig abgeschnitten, sondern durch §§ 599 f. Z P O lediglich in das Nachverfahren verwiesen werden. Eine Klage im Urkundenprozeß ist deshalb wenig sinnvoll, wenn der Beklagte nicht-urkundliche Einwendungen erhebt, ein Nachverfahren deshalb unvermeidlich scheint und der Gläubiger kein Interesse an einer schnellen Befriedigung bzw. Sicherung hat, etwa weil das Insolvenzrisiko gering ist. Vom Standpunkt der Prozeßökonomie aus wäre es in diesen Fällen sogar günstiger, von einem Urkundenprozeß abzusehen und die Sache von vornherein im Normalverfahren zu erledigen. Jedenfalls aber erweist sich die Prämisse, der Urkundenprozeß diene der Arbeitsentlastung der Gerichte als verfehlt. Damit zeigt sich ein weiteres Mal die Tragfähigkeit einer normativen Begründung prozessualer Dispositionsfreiheit: Weil der Urkundenprozeß nicht im öffentlichen Interesse eingerichtet ist, sondern allein dem Interesse des Gläubigers an einer möglichst schnellen Durchsetzung seiner Ansprüche dient, konnte dem Kläger seine Anstrengung freigestellt werden und bestehen keine Bedenken dagegen, wenn er über die Befugnis dazu vertraglich disponiert.

III. Gewährleistung

von

Vertragsgerechtigkeit

Nicht nur öffentliche Interessen sind dazu geeignet, die prozessuale Dispositionsfreiheit einzuschränken, sondern auch das Bemühen um Schutz einer Partei vor Übervorteilung durch die andere 278. Dieses Prinzip der Vertragsgerechtigkeit wird zur Begründung der Unzulässigkeit von Dispositionen über die Klagebefugnis fruchtbar gemacht, wenn auf die schiedsrechtlichen Schutzvorschriften der §§ 1029 Abs. 1, 1030, 1031, 1034 Abs. 2 Z P O (vgl. §§ 1025 Abs. 2, 1025a, 1026, 1027 Z P O a. F.) hingewiesen wird. Da Schutzkautelen dieser Art für Dispositionen über die Klagebefugnis fehlen und das Schiedsverfahren immerhin noch mehr Rechtsschutz verbürgt als der ersatzlose Ausschluß des Klagerechts, scheint der Schluß auf dessen Unzulässigkeit unausweichlich zu sein 279 . Auch unabhängig vom Schiedsrecht ist die Ablehnung des Klageverzichts häufig durch die Sorge motiviert, der über-

277 Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 93; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 72. 278 Vgl. oben, 2. Kapitel, C IV, S. 81 ff. 279 So Dütz, Gerichtsschutz, S. 157; Lent, NJW 1949, 510, 511; Schwab, KTS 1961, 17, 25.

444

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

legenen Partei sonst ein bequemes Mittel zur Übervorteilung des Gegners an die Hand zu geben 2S0 . Diese Einschätzung läßt sich heute nicht mehr aufrecht erhalten, weil der einzelne nicht nur durch die Regeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, sondern vor allem durch die weitreichende Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formularverträgen nach dem A G B G vor der unbemerkten oder aufoktroyierten Preisgabe vorteilhafter Rechtspositionen geschützt ist 281 . Letztere wird ergänzt durch die verbraucherschutzrechtliche Inhaltskontrolle von Drittbedingungen und Individualverträgen gemäß § 24a A G B G sowie die arbeits- und gesellschaftsrechtliche Inhaltskontrolle aufgrund von § 242 B G B 282 . Ohne Übertreibung läßt sich sagen, daß das allgemeine Vertragsrecht damit ein hohes Niveau an Vertragsgerechtigkeit verbürgt, vor dem die Schutzkautelen der §§ 1034 ff., 1042 ff. Z P O verblassen. Die Sorge, ein „Verzicht auf die Gerichtsschutzgarantie" könne „richterlich nicht mehr überprüft werden" und die an ihn zu stellenden Wirksamkeitsanforderungen könnten hinter denjenigen des allgemeinen Vertragsrechts zurückbleiben 283 , erweist sich damit in beiden Hinsichten als unbegründet. Im übrigen ist das Gericht nicht der Aufgabe enthoben oder ist es ihm gar verwehrt, die vertragliche Verpflichtung, von dem Klagerecht keinen Gebrauch zu machen, auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Erweist sich die vertragliche Disposition als unwirksam - etwa weil sie den Kläger unter Verstoß gegen § 9 A B G B unangemessen benachteiligt - ist die Klage nicht als unzulässig abzuweisen, sondern ihr Fortgang zu geben.

280 Comte, JW 1930, 2053; Kempf, ZZP 73, 342, 382 f.; Mendelssohn Bartholdy, J W 1930, 2052 f.; ähnlich Dütz, Gerichtsschutz, S. 163; Prutting, ZZP 99, 93, 97. • 2 8 1 Vgl. oben, 2. Kapitel, F II, S. 125 ff. Speziell mit Blick auf Dispositionen über das Klagerecht genauso O L G Oldenburg, VersR 1981, 369 f.; Gernhuber, Schuldverhältnis, § 4 III 3, S. 80; Kissel, GVG, §13 Rdnr. 212; Stein/Jonas-Schumann, Vor § 253 Rdnr. 91; Walchshöfer, FS Schwab, S. 521, 524 f.; Zöller-Greger, Vor § 253 Rdnr. 19. Zur Inhaltskontrolle der arbeitsrechtlichen Ausgleichsquittung vgl. Apel, Ausgleichsquittung S. 83 f.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 236 f.; KR-M. Wolf, KSchG, 3. Aufl., Grunds. Rdnr. 580; U. Preis, Vertragsgestaltung, S. 497 f. 2 8 2 Vgl. dazu - aus der Zeit vor Inkrafttreten des AGBG - BGHZ 10, 22, 27; O L G Celle, O L G Z 1969, 1, 2 f.; Neukirchner, Ausschluß der Klagbarkeit, S. 43 ff.; Neumann, Vertraglicher Ausschluß der Klagbarkeit, S. 36 f.; Stech, Klagbarkeit und Unklagbarkeit, S. 182. 283 Dütz, Gerichtsschutz, S. 163.

E. Zulässigkeit der Disposition über die Klagebefugnis

1. Dilatorischer a) Private

445

Klageverzicht

Schlichtungsverfahren

Soweit ein befristeter Ausschluß der Klagebefugnis der Durchführung außergerichtlicher Schlichtungsverfahren dient, wird er von der Rechtsprechung mit der Begründung akzeptiert, die Parteien könnten den Anspruch im Rahmen ihrer Privatautonomie sogar ganz aufheben, also müsse es auch möglich sein „das Mindere, nämlich den Ausschluß oder die Beschränkung der Klagbarkeit zu vereinbaren" 284. Demgegenüber hat Prutting zu recht auf die Gefahren parteiischer Auswahl des Schlichters und mangelhafter Gestaltung des Verfahrens hingewiesen285. Letztere sind nicht allein deshalb von der Hand zu weisen, weil Schlichtungsverfahren nicht auf eine Streitentscheidung, sondern auf eine gütliche, vergleichsweise Einigung der Parteien zielen286. Der in Schlichtungsklauseln enthaltene dilatorische Klageverzicht verzögert den Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte und stellt jedenfalls dann einen ernst zu nehmenden Nachteil dar, wenn die Partei zur Partizipation an einer Schlichtungsprozedur gezwungen wird, die grundlegenden Anforderungen der Verfahrensgerechtigkeit nicht genügt. Gleichwohl besteht kein Anlaß dazu, den in Schlichtungsklauseln enthaltenen Klageverzicht a limine zu diskriminieren. Das Risiko einer unangemessenen Ausgestaltung des Schlichtungsverfahrens droht vor allem bei der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und vorformulierten Verbraucherverträgen, läßt sich aber gerade in diesen Fällen mit Hilfe des A G B G ohne weiteres in Schach halten. Die insoweit maßgeblichen Grundsätze sind für Surrogatverfahren allgemein bereits herausgearbeitet287 und durch die Judikatur insbesondere anhand von Schiedsgutachtenklauseln und Satzungsbestimmungen über vereinsinterne Vorverfahren konkretisiert worden, auf die noch eigens zurückzukommen sein wird 288 . Für Schlichtungsverfahren läßt sich zunächst festhalten, daß als Schlichter nur solche Personen in Betracht kommen, von denen eine unparteiische Entscheidung erwartet werden kann. Andernfalls würde die durch das AGBG geschützte Partei zur Durchführung eines Vorverfahrens genötigt, dessen Ausgang schon feststeht, weil die Entscheidungsinstanz vom Verwender persönlich oder wirtschaftlich abhängig ist oder sonst unter dessen

2 8 4 BGH, NJW 1984, 669 f. (= ZZP 99, 90 mit krit. Anm. Prutting)-, weitere Nachw. oben, Fn. 181. 285 Prutting, JZ 1985, 261, 270; ders., ZZP 99, 93, 96 f. 2 8 6 So aber Walter, ZZP 103, 141, 161. 2 8 7 Vgl. oben, 2. Kapitel, F II 4 b bbb, S. 154 ff. 2 8 8 Zu vereinsinternen Vorverfahren vgl. sogleich unter F IV 4, S. 479 ff.; zu Schiedsgutachtenklauseln unten, 9. Kapitel, B II 2 b, S. 671 ff.

446

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

Einfluß steht 289 . Der B G H hat dies für den Fall eines gesellschaftsinternen Vorverfahrens treffend so ausgedrückt, die Klausel dürfe nicht dazu führen, daß der Beklagten lediglich „eine Karenzfrist gegenüber der Klage des Gesellschafters eingeräumt wird" 29°. Darüber hinaus muß auch die Ausgestaltung des Verfahrens im einzelnen das Recht auf Gehör verwirklichen und dem Gebot prozessualer Waffengleichheit genügen. In formaler Hinsicht darf die Klausel nicht den Eindruck erwecken, als entscheide die Schlichtungsstelle endgültig und sei der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten auch nach Erlaß eines Schlichtungsvorschlags verschlossen 291 . Sind diese Anforderungen erfüllt, hält eine Schlichtungsklausel auch im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher den Anforderungen der §§ 24a, 9 A G B G stand, obwohl Nr. 1 lit. q) des Anhangs zur einschlägigen EG-Richtlinie solche Vertragsbedingungen für suspekt erklärt, durch die „dem Verbraucher die Möglichkeit, Rechtsbehelfe bei Gericht einzulegen oder sonstige Beschwerdemittel zu ergreifen, genommen oder erschwert wird , . . " 292. Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie enthält der Anhang nämlich lediglich eine „als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für mißbräuchlich erklärt werden können"291. Soweit das Schlichtungsverfahren aber fair ausgestaltet ist, folglich eine echte Chance für eine gütliche Beilegung des Streits bietet und dem Verbraucher auch nicht suggeriert wird, der Rechtsweg sei gänzlich verschlossen, liegt in der bloßen Verzögerung der Rechtsschutzgewährung durch staatliche Gerichte keine unangemessene Benachteiligung 294 . Außerhalb des Anwendungsbereichs des A G B G , der sich wegen § 24a A G B G im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher auch auf vorformulierte Individualverträge erstreckt, ist indessen kein Grund dafür ersichtlich, die Freiheit der Parteien zur Ausgestaltung des Schlichtungsverfahrens über die durch § 138 Abs. 1 B G B markierte Grenze hinaus einzuschränken. Insbe289 BGH, NJW 1977, 2263 f.; zum Schiedsgutachtenvertrag genauso BGHZ 81, 229, 236 (= NJW 1981, 2351); BGH, NJW 1983, 1854, 1855; O L G Köln, NJW 1986, 2579, 2580; LG Frankfurt/Main, ZIP 1988, 1260, 1261 f. (= NJW-RR 1988, 1132); Brandner, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, AGBG, Anh. §§9-11 Rdnr. 620; Erman-H. Hefermehl, § 9 Rdnr. 305; Palandt-Heinrichs, § 9 Rdnr. 127; MünchKommBG&-Gottwald, § 317 Rdnr. 19; StaudingerScblosser, 12. Aufl., § 9 AGBG Rdnr. 153; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. S 19. 290 BGH, NJW 1977, 2263, 2264. 291 So für den Fall einer Schiedsgutachtenvereinbarung BGHZ 101, 307, 320 (= JZ 1987, 1124 m. zust. Anm. M. Wolf, a.a.O., S. 1130). 292 Richtlinie 93/13/EWG über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4.1993, AB1.EG Nr. L 95 vom 21.4.1993, S. 29; abgedruckt auch in EuZW 1993, 352; NJW 1993, 1838. 293 Vgl. ebenda (Hervorhebungen hinzugefügt). 294 Die Problematik wird übersehen bei Palandt-Heinrichs, § 24a AGBG Rdnr. 42, nach dem Klauseln, die das Recht des Verbrauchers zur Inanspruchnahme gerichtlichen Schutzes einschränken, „in der deutschen AGB-Praxis nicht vorfkommen]"; genauso Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24a Rdnr. 55 a. E. („kein Problem im deutschen Recht").

E. Zulässigkeit der Disposition über die Klagebefugnis

447

sondere ist den Beteiligten das Recht zuzugestehen, durch Individualvereinbarung eine Person zum Schlichter zu bestellen, die den strengen rechtsstaatlichen Anforderungen an die Unabhängigkeit des Richters nicht genügt. Sofern sich beide Parteien darauf bewußt einlassen, etwa weil sie dem Schlichter besondere Sachkunde zuschreiben oder ihm besonderes Vertrauen entgegenbringen, ist ihrem Willen auch dann Rechnung zu tragen, wenn er im Lager einer Streitpartei steht. Insoweit schlägt der oben zitierte Hinweis des B G H auf die materiell-rechtliche Privatautonomie durch: Genauso wie der Gläubiger durch Individualvereinbarung die Schuld erlassen kann, kann er auch der Wahl eines Schlichters zustimmen, der von dem Schuldner wirtschaftlich oder persönlich abhängig ist. Aber genauso wenig, wie ein in Allgemeine Geschäftsbedingungen aufgenommener antizipierter Verzicht des Kunden auf ihm zustehende Ansprüche wirksam wäre, kann eine Schlichtungsklausel, die ein rechtsstaatlichen Anforderungen nicht gerecht werdendes Verfahren inauguriert, der Inhaltskontrolle am Maßstab des § 9 A G B G standhalten. Uber die soeben erörterten, verfahrensrechtlich motivierten Bedenken hinaus wird gegen die Zulässigkeit von Schlichtungsvereinbarungen allgemein geltend gemacht, sie benachteiligten potentielle Anspruchsteller, weil die Verjährung durch die Einleitung des Verfahrens weder gehemmt noch unterbrochen werde 295 . Dieser Einwand hat sich mit der hier vertretenen analogen Anwendung des § 202 Abs. 1 B G B auf den dilatorischen Klageverzicht erledigt296. Dem Umstand, daß die Schlichtungsvereinbarung dem potentiellen Gläubiger das Insolvenzrisiko in bezug auf seinen vermeintlichen Schuldner auch für die Dauer des Güteverfahrens zuschiebt 297 , ist schließlich mit Hilfe des Rechtsinstituts der außerordentlichen Kündigung zu begegnen, das bei allen dauerhaften Rechtsbeziehungen Anwendung findet. Entsprechend der Wertung des § 321 B G B und der Rechtslage im Schiedsrecht kann die Schlichtungsvereinbarung also aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn der Gegner in Vermögensverfall gerät298. Der schleunigen Inanspruchnahme des staatlichen Rechtsschutzapparts stehen dann keinerlei Hindernisse entgegen.

Prutting, JZ 1985, 261, 269; ders., ZZP 99, 93, 97. Vgl. oben, unter C II 2, S. 431 ff. 297 Prutting, ZZP 99, 93, 97. 2 9 8 Nach allgemeiner Meinung kann ein Schiedsvertrag bei Vermögensverfall aus wichtigem Grund gekündigt werden; dieses Recht steht allerdings gerade der verarmten Partei und nicht ihrem Gegner - zu; vgl. statt aller BGHZ 41, 104, 108 ff.; 51, 79, 82 f.; 55, 344, 350; Stein/Jonas-Schlosser, § 1025 Rdnr. 43. Der Grund dafür liegt darin, daß die arme Partei jedenfalls einen Teil der Kosten des Schiedsverfahrens vorschießen muß und insoweit Prozeßkostenhilfe nicht beantragen kann. Schlichtungsvereinbarungen benachteiligen jedoch nicht die verarmte Partei, sondern ihren Gegner, weil die Durchführung des Schlichtungsverfahrens das Erlangen eines Vollstreckungstitels hinauszögert und auf diese Weise die Rechtsdurchsetzung vereiteln kann. Deshalb kommt in diesem Fall nur ein Kündigungsrecht des Gegners in Betracht. 295

296

448

b)

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

Musterprozeßvereinbarungen

Die Frage nach der Wirksamkeit von Musterprozeßklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits beschäftigt und ist vom B G H abschlägig beantwortet worden 299 . Soweit das Gericht den Verstoß gegen § 9 A G B G in diesem Fall mit dem Umstand begründet hat 300 , daß der Verwender nach der Klausel das Recht haben sollte, diejenige Partei, gegen die der Kunde den Musterprozeß zu führen hatte, aus einer Vielzahl potentieller Schuldner frei auszuwählen, handelte es sich um eine idiosynkratische Ausgestaltung dieser konkreten Musterprozeßvereinbarung, die nicht gegen die grundsätzliche Zulässigkeit derartiger Abreden spricht 301 . Wie auch sonst bei gewillkürten Vor- bzw. Surrogatverfahren ist vielmehr zwischen den Anforderungen an eine angemessene Ausgestaltung des Surrogatverfahrens und der Zulässigkeit einer Klausel, die ein fair ausgestaltetes Verfahren inauguriert, zu differenzieren 302 . Der vom B G H entschiedene Fall ist ein gutes Beispiel für eine unfair ausgestaltete Musterprozeßvereinbarung, die schon deshalb nicht die Prüfung am Maßstab des § 9 A G B G überstehen kann. Auch im übrigen ist der Grundsatz zu beachten, daß Prozeßvereinbarungen die verfahrensrechtlichen Positionen der Parteien in symmetrischer Weise modifizieren müssen, um die erste Stufe der Inhaltskontrolle gemäß § 9 A G B G passieren zu können 303 . Dementsprechend ist es nicht akzeptabel, wenn der Verwender es sich vorbehält, seine eigenen Rechte unbeschadet der Vereinbarung durchzusetzen, dem Kunden aber zugemutet wird, die ihm zustehenden Ansprüche zunächst nur teilweise einzuklagen, um ein Musterurteil zu erstreiten. Bedeutung für die zuletzt genannte, zweite Stufe der Inhaltskontrolle hat allerdings das weitere Argument des B G H , durch Musterprozeßvereinbarungen werde die Rechtsverfolgung deswegen unangemessen erschwert, weil der Anspruchsteller das Insolvenzrisiko in bezug auf seine übrigen Schuldner tragen müsse, ohne mit Abschluß des Musterprozesses einen Titel gegen diese zu erlangen, und überdies deren Einwänden ausgesetzt bleibe, soweit sie im Musterverfahren nicht erledigt worden seien 304 . Das Insolvenzrisiko läßt sich indessen bei Musterprozeßvereinbarungen genauso in Schach halten wie beim dilatorischen Klageverzicht im Rahmen von Schlichtungsklauseln, indem dem Kunden entsprechend dem Rechtsgedanken des § 321 B G B das

299 BGHZ 92, 13, 15 ff. (= NJW 1984, 2408 = J R 1985, 150 mit krit. Anm. Lindacher); BGH, NJW 1988, 197, 198; zustimmend Hensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, Anh. §§ 9-11 Rdnr. 192; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. P 33. 300 BGHZ 92, 13, 16; genauso auch der Fall BGH, NJW 1988 , 197, 198; insoweit übereinstimmend wohl auch Lindacher, J R 1985, 151, 152. 301 Mentis, Schranken prozessualer Klauseln, S. 303 f. 302 Vgl. oben, 2. Kapitel, F II 4 b dd bbb, S. 154 ff. 303 Vgl. oben, 2. Kapitel, F II 4 b dd bbb, S. 154 ff. 304 BGHZ 92, 13, 17.

E. Zulässigkeit der Disposition über die Klagebefugnis

449

Recht zur außerordentlichen Kündigung der Vereinbarung bei Vermögensverfall des Verwenders eingeräumt wird 305. Darüber hinaus berücksichtigt der B G H zu wenig die kostenmäßigen Vorteile, die Musterprozeßvereinbarungen beiden Parteien bringen und die durch die Verzögerung des Rechtsschutzes eintretenden Nachteile kompensieren können 306 . Musterprozeß Vereinbarungen sind ein bewährtes Instrument, eine Vielzahl gleich gelagerter Verfahren in effizienter Weise zu erledigen 307 und deshalb vom Gesetzgeber mittlerweile in § 93a VwGO ausdrücklich anerkannt worden. Vor allem im Arbeits- und Wirtschaftsrecht sind Musterprozesse an der Tagesordnung, die von den Parteien in freier Ubereinstimmung als solche geführt werden 308. Der in der Praxis zu beobachtende Umfang freiwilliger Befolgung von Musterprozeßvereinbarungen ist ein sicheres Indiz dafür, daß sie bei angemessener Ausgestaltung keine schwerwiegenden Gerechtigkeitsprobleme aufwerfen. Jedenfalls einzelvertraglich abgeschlossenen Musterprozeßabreden stehen somit keine rechtlichen Bedenken entgegen. Gleichwohl bleibt problematisch, ob eine formularmäßige Vereinbarung die Kautelen des AGBG passieren kann, wobei die Grenzen wegen der Vielgestaltigkeit des Rechtsverkehrs und dem durch die hohe Rate freiwilliger Durchführung der Vereinbarung bedingten Mangel kasuistischen Anschauungsmaterials schwer zu bestimmen sind309. Immerhin läßt sich zwischen zwei Arten von Musterprozeßvereinbarungen differenzieren 31°: Im Hinblick auf die Vertragsgerechtigkeit sind solche Abreden relativ unproblematisch, bei denen die Vor- und Nachteile auf die Vertragsparteien selbst konzentriert sind. Dies ist vor allem bei den sog. Teilklagevereinbarungen der Fall, bei denen die Parteien übereinkommen, aus Kostengründen zunächst nur einen Teil des Anspruchs einzuklagen311, gilt aber auch dann, wenn zwischen denselben Parteien eine Vielzahl gleichartiger Ansprüche streitig ist und zur Klärung der Rechtslage nur ein Prozeß durchgefochten werden soll. Derartige Abreden sind selbst in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unbedenklich. Ähnlich Lindacher, J R 1985, 151, 152. Vgl. Lindacher, J R 1985, 151 f. 3 0 7 BAG, DB 1987, 1438, 1439; AP Nr. 11 zu §242 Unzulässige RechtsausübungVerwirkung; Baur, FS Giger, S. 15, 18, 24; Brommann, AnwBl. 1985, 5, 10; Siebert, Musterprozeß, S. 95, 111. 3 0 8 Vgl. die empirischen Untersuchungen bei Haug, Musterprozeß, S. 40 ff.; zusammenfassend Arens, JbRSozRth 4, S. 344, 347 ff. 3 0 9 Im Hinblick auf Nr. 1 lit. q) des Anhangs der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen gelten die Überlegungen zu den Schlichtungsverfahren entsprechend; vgl. oben, E III 1 a, S.,???. 3 0 Vgl. auch die Differenzierungen bei Kempf, ZZP 73, 342; sowie Arens, JbRSozRth 4, S. 344; Lindacher, JA 1984, 404; Vollkommer, Anmerkung zu BAG, AP Nr. 13 zu § 315 BGB. 3 1 1 Vgl. BGH, NJW 1958, 1727; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 237; Teubner/ Künzel, MDR 1988, 720, 721. 305 306

450

6. Kapitel: Disposition

über die

Klagebefugnis

Wesentlich anders stellt sich die Interessenlage dar, wenn die Vereinbarung dazu dient, Rechtsklarheit zwischen einer Vertragspartei und einer Vielzahl potentieller Gegenparteien zu schaffen oder wenn auf beiden Seiten mehrere Personen beteiligt sind. Außerhalb der etablierten Domänen des Musterprozesses im Arbeits- und Wirtschaftsrecht dürften auf derartige Situationen bezogene „Modellprozeßabreden" bereits an dem Verbot überraschender Klauseln gemäß § 3 A G B G scheitern. Abgesehen davon ist im Rahmen der Inhaltskontrolle zu bedenken, daß die Vereinbarung dem einzelnen Anspruchsteller keinen nennenswerten Vorteil bringt, sondern lediglich die Gruppe der potentiellen Kläger und Beklagten profitierte, wenn die Auseinandersetzung auf einen einzigen Modellprozeß konzentriert würde. Zudem müssen diejenigen potentiellen Kläger, deren Ansprüche aufgrund des dilatorischen Klageverzichts zurückgestellt werden, darauf vertrauen, daß ihr an dem Musterprozeß beteiligter „Repräsentant" das Verfahren sorgfältig führt und bei der Entscheidung über den von ihm zu treibenden verfahrensmäßigen Aufwand in Rechnung stellt, daß die Gerichtsentscheidung de facto Bindungswirkung für eine Vielzahl anderer Ansprüche hat 312 . Tatsächlich ist jedoch nicht zu sehen, auf welche Weise sichergestellt werden könnte, daß die an dem Modellprozeß beteiligte Partei nicht nur ihr partikulares Eigeninteresse verfolgt, sondern darüber hinaus das Gruppeninteresse wahrnimmt. Der Wert dieses Gruppeninteresses wird denjenigen des einzelnen streitbefangenen Anspruchs weit übersteigen, der „Modellkläger" jedoch keinerlei Anreiz haben, den für den Musterprozeß getriebenen Aufwand an dem wertmäßig höheren „Gesamtstreitwert" zu orientieren. Es ist deshalb als unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 9 A G B G anzusehen, wenn ein Kunde durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen seines Vertragspartners dazu gezwungen wird, einen wesentlichen Teil der Sorge um die Durchsetzung seiner Rechte einem Dritten anzuvertrauen, auf dessen Prozeßführung er keinen Einfluß nehmen kann. Musterprozeßabreden, die dazu dienen, eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen durch einen einzigen Modellprozeß klären zu lassen, bedürfen also der Zustimmung sämtlicher Beteiligter im Wege einer Individualvereinbarung. 2. Peremptorischer

Klageverzicht

Der dauernde Ausschluß des Rechts zur Anrufung der staatlichen Gerichte ohne gleichzeitige Vereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit kommt in der Praxis nur selten vor und wird aus Sorge um die Vertragsgerechtigkeit teilweise pauschal als unzulässig bezeichnet 313 . Dabei wird übersehen, daß der Vgl. zur Frage der Bindungswirkung unten, 10. Kapitel, A II, S. 727 ff. B G H Z 106, 336, 339 (= J Z 1989, 588 m. Anm. Walter): „Wegen seiner für den Bestand der Rechtsordnung [?] wesentlichen Bedeutung kann der Rechtsschutz auch durch Parteivereinbarung allenfalls in einzelnen konkreten Ausgestaltungen, nicht aber in seiner 312

313

E. Zulässigkeit

der Disposition

über die Klagebefugnis

451

Klageverzicht im Rahmen der arbeitsrechtlichen Ausgleichsquittung ebenso anerkannt ist wie die Nichtangriffsabrede des Patentrechts und gegen beide Institute keine durchgreifenden Bedenken bestehen 314 . Darüber hinaus ist jedenfalls der Ausschluß konkreter Klagebefugnisse, wie etwa des Rechts auf Anstrengung eines Urkundenprozesses oder einer Vollstreckungsgegenklage nach nahezu einhelliger Auffassung zuzulassen 315 , und gleiches gilt für die Verpflichtung, zwischen den Parteien streitige Ansprüche nicht selbständig einzuklagen, um eine umfassende Streitbereinigung im Rahmen eines bereits anhängigen Rechtsstreits zu ermöglichen, in den sie im Wege des Prozeßvergleichs oder durch Aufrechnung einbezogen werden 316 . Der keineswegs in allen Fällen interessengemäße Grundsatz, daß die Prozeßaufrechnung nicht die Rechtshängigkeit der Gegenforderung bewirkt und folglich deren selbständige gerichtliche Geltendmachung nicht hindert 317 , wird mit einer solchen Abrede den individuellen Bedürfnissen angepaßt. Schließlich begegnet der dauernde Ausschluß des Klagerechts auch dann keinen vertragsrechtlich motivierten Bedenken, wenn er in bezug auf einseitige und unentgeltliche Verpflichtungen, etwa im Zusammenhang mit einem Schenkungsversprechen (§ 518 BGB) oder einem Vermächtnis (§§ 2147 ff. BGB) vereinbart bzw. verfügt wird. In diesen Fällen hat sich der Bedachte die ihm gebührende Leistung nicht durch eine Gegenleistung erkauft, so daß der Ausschluß des

Substanz im voraus abbedungen werden"; übereinstimmend BayObLGZ 1952, 357, 359 f.; OLG Celle, OLGZ 1969, 1, 2; LG Bonn, NJW 1965, 2201, 2202 f. m. zust. Anm. Roquette (wo der Klageverzicht allerdings in eine materiell-rechtliche Vereinbarung umgedeutet wird); Ballon, Zulässigkeit des Rechtswegs, S. 120; Dütz, Gerichtsschutz, S. 155 ff.; Kempj, ZZP 73, 342, 375 ff., 383 ff.; Lent, NJW 1949, 510, 511 ff.; MünchKommBGB-Af^er-Afdfy, §138 Rdnr. 38; MünchKommBGB-S«7er, §657 Rdnr. 21; Prutting, ZZP 99, 93, 96 ff.; RGRK-Sezfert, § 763 Rdnr. 13; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 92 III, S. 515; Schwab, KTS 1961, 17, 25; Staudinger-Brandl, 11. Aufl., Vor §762 Rdnr. 9; Staudinger-Dilcher, 12. Aufl., § 138 Rdnr. 131. In den genannten Stellungnahmen wird pauschal formuliert, ein Klageverzicht sei wegen Verstoßes gegen zwingendes Prozeßrecht oder § 138 BGB unzulässig; in der Sache beziehen sie sich jedoch in der Regel nur auf die unilaterale Disposition über das Klagerecht. 14 Vgl. zur patentrechtlichen Nichtangriffsabrede bereits oben, 2. Kapitel, E 1 2 , S. 104 ff.; zur Ausgleichsquittung 2. Kapitel, F III 4, S. 169 ff. 315 So in bezug auf den Ausschluß des Urkundenprozesses RGZ 160, 241, 242 ff.; BGHZ 38, 254, 258; 109, 19, 29; BGH, WM 1973, 144 (= DB 1973, 1451); Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 271; MünchKommZPO-G. Luke, Einl. Rdnr. 285; MünchKommZPOBraun, § 592 Rdnr. 8; Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 72 f., 93; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 72 f.; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 237; Stein/JonasScblosser, § 592 Rdnr. 19; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 721; Z ö l l e r - G r e g e r , Vor § 592 Rdnr. 4. In bezug auf die Verpflichtung, eine Vollstreckungsgegenklage nicht zu erheben BGH, NJW 1982, 2072, 2073; MünchKommZPO-G. Luke, Einl. Rdnr. 285. 316 BGH, WM 1973, 144 (= DB 1973, 1451). 317 Vgl. RGZ 27, 296, 299; BGHZ 57, 242, 243 f.; BGH, NJW-RR 1989, 173, 174; 1994, 379, 380; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 4 5 III, S. 167; Stein/Jonas-Lez^oM, § 145 Rdnr. 43; Thomas/Putzo, § 145 Rdnr. 20; a. A. Bettermann, ZZP 85, 486 ff.; E. Schmidt, ZZP 87, 29, 36 ff., 39.

452

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

Klagerechts ihm nichts nimmt, was er fordern könnte; er erhält lediglich weniger, als er sich u. U. erhofft hatte, nämlich einen gerichtlich nicht durchsetzbaren Anspruch. Die Befugnis des Schenkers bzw. Erblassers zu entsprechenden Dispositionen ergibt sich aus seiner Privatautonomie, also seiner Freiheit, die unentgeltliche Zuwendung gänzlich zu unterlassen. Mit diesen Wertungen steht es in Einklang, daß § 1066 Z P O (= § 1048 Z P O a. F.) im Falle des Vermächtnisses auch die einseitige Anordnung der Schiedsgerichtsbarkeit zuläßt und insoweit nicht nur vom Vertragserfordernis des § 1029 Z P O , sondern auch von den Schutzvorschriften des § 1031 Z P O (vgl. § 1027 Z P O a. F.) dispensiert 318 . Die Parteien eines Austauschvertrags werden sich kaum einmal auf den ersatzlosen Ausschluß jedweden Rechtsschutzes für die beiderseitigen Ansprüche verständigen können, weil damit die wechselseitig eingegangenen Verpflichtungen entwertet und der Vertragszweck selbst in Frage gestellt würde. Eben diejenigen Gründe, die die Parteien dazu bewegt haben, eine rechtlich bindende Verpflichtung zu übernehmen, sprechen dagegen, die Durchsetzbarkeit dieser Verpflichtung im Konfliktsfall durch den Ausschluß der Befugnis zur Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe zu erschweren, bzw. soweit eine Selbstexekution durch Aufrechnung nicht möglich ist - gänzlich zu vereiteln. Sollte dies ihrem Willen tatsächlich entsprechen, bestehen jedoch keine Bedenken gegen einen in dieser Weise „kastrierten" Vertrag. Zulässigkeitsprobleme stellen sich weniger für den bilateralen Ausschluß der Klagemöglichkeit, als vielmehr dann, wenn nur einer Partei eines Austauschvertrages der Verzicht auf den staatlichen Rechtsschutz zugemutet wird 319 . Selbst wenn es Konstellationen gäbe, in denen ein solches Arrangement dem rationalen Eigeninteresse des Disponenten entspricht, etwa weil die Asymmetrie durch anderweitige Leistungen kompensiert wird, drängt sich doch der Verdacht der Übervorteilung auf und muß jedenfalls durchschlagen, wenn es an einem Individualvertrag im anspruchsvollen Sinn des § 1 Abs. 2 A G B G fehlt. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen läßt sich ein einseitiger peremptorischer Klageverzicht nicht wirksam unterbringen, so daß entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht 3 2 0 der im Sinne einer Disposition über die Klagebefugnis interpretierte „Ausschluß des Rechtswegs" in den früheren „Amtlichen Wettbestimmungen" des Sport-

3 1 8 Diese Rechtsfolgen des § 1066 ZPO sind unstreitig, vgl. statt aller Stein/Jonas-ScWosser, § 1048 Rdnr. 4. Zum Streit um die Anwendung des § 1066 ZPO auf die VerbandsSchiedsgerichtsbarkeit vgl. unten, F V 2, S. 489 ff. 3 1 9 Zu diesem Differenzierungskriterium vgl. bereits oben, 2. Kapitel, F II 4 b dd bbb, S. 154. 3 2 0 O L G Stuttgart, BB 1950, 547.

E. Zulässigkeit

der Disposition

über die Klagebefugnis

453

toto 321 nichtig war 322 : Die durch ein Entgelt erkaufte Gewinnchance des Spielers darf nicht durch einen Ausschluß des Klagerechts entwertet werden 323 . Gleiches gilt gemäß § 24a Nr. 2 A G B G für vorformulierte Individualvereinbarungen im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher, für die Nr. 1 lit. q) des Anhangs zur EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ausdrücklich klarstellt, daß der Zugang zu Gericht nicht verschlossen werden darf 324 . Soweit die Voraussetzungen des § 24a Nr. 2 A G B G nicht vorliegen, ist im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB bzw. der Haftung aus culpa in contrahendo die Frage zu stellen, ob die eine Seite ihre Überlegenheit ausgenutzt hat, um dem Gegner einen für ihn nachteiligen Vertrag aufzuzwingen. Dies wird in aller Regel zu bejahen sein 325. Problematisch bleibt der Fall des Preisausschreibens, das zwar kein Austauschvertrag ist, sich aber auch nicht mit unentgeltlichen Leistungen wie etwa der Schenkung vergleichen läßt. Auf der einen Seite kann der Interessent ohne weiteres davon absehen, an einem Preisausschreiben teilzunehmen, bei dem der Rechtsweg ausgeschlossen ist, ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch des Gewinners also nicht bestehen soll 326 . Auf der anderen Seite steht außer Zweifel, daß der Auslobende einen Anreiz zur Erbringung der Leistung setzen will, den der Ausschluß des Klagerechts wieder zunichte machte, wenn letzterer von potentiellen Teilnehmern erkannt würde 327 . Da

321 Vgl. dazu BGHZ 5, 111, 115; BVerwGE 2, 273, 275 (= NJW 1956, 235, 236 = JZ 1956, 341 m. Anm. Bachof); Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 23 Rdnr. 223; Münc\\Y,omm&G&-Habersack, §763 Rdnr. 17; RGRK-Sei'£i>rf, § 763 Rdnr. 12; Schlund, Zahlenlotto, S. 63 f.; Staudinger-£nge/, 13. Bearb., § 763 Rdnr. 26. 322 So - wenn auch mit zu weitgehenden Formulierungen, die die Disposition über das Klagerecht insgesamt diskreditieren - Gebhardt, MDR 1955, 151, 152 f.; MünchKommBGB-Seiler, §657 Rdnr. 21; RGRK-Sei£ert, §763 Rdnr. 13; Staudinger-ßraW/, 11. Aufl., Vor § 762 Rdnr. 9. 32 Des Schutzes durch die gerichtliche Inhaltskontrolle der Wettbedingungen bedarf der Spieler im übrigen nicht nur hinsichtlich von Dispositionen über das Klagerecht, sondern auch in bezug auf Gerichtsstandsklauseln und die teilweise überaus kurz bemessenen Ausschlußfristen; vgl. dazu Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 23 Rdnr. 230; Schlund, Zahlenlotto, S. 126 ff.; Staudinger-frcge/, 13. Bearb., § 763 Rdnr. 32. 324 Richtlinie 93/13/EWG vom 5.4.1993, AB1.EG Nr. L 95 vom 21.4.1993, S. 29; abgedruckt auch in EuZW 1993, 352; NJW 1993, 1838; vgl. bereits oben, unter E III 1 a, S. 446. 325 Im Ergebnis übereinstimmend, in der Formulierung jedoch zu weit, nämlich auch den bilateralen Klageverzicht einschließend, die Nachweise in Fn. 322. In dem Fall BGHZ 106, 336 (= JZ 1989, 588 m. Anm. Walter) ging es um eine einseitig zugunsten einer Partei ausgestaltete Schiedsklausel. Eines Rückgriffs auf § 138 BGB bedurfte es angesichts der Verfahrensgarantien der §§ 1042 ff. ZPO (vgl. §§ 1028 ff. ZPO a. F.) und der Konkretisierung des § 138 BGB durch § 1034 Abs. 2 ZPO (vgl. § 1025 Abs. 2 ZPO a. F.) entgegen der Ansicht des BGH nicht; so auch W[ünc\iis.omm&G¥>-Mayer-Maly, § 138 Rdnr. 38; Walter, JZ 1989, 590, 591 f. 326 Zu dieser Interpretation der Klausel oben, C II 3, S. 436 f. 327 Vgl. BGHZ 88, 373, 384 f. (in der Entscheidung ging es allerdings nicht um den Preis selbst, sondern um die - darüber hinausgehende - Erteilung des Zuschlags für die Ausführung des Bauvorhabens).

454

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

die ratio des AGBG somit zutrifft und einer analogen Anwendung seiner Bestimmungen auf einseitige Rechtsgeschäfte nichts im Wege steht 328 , ist eine Rechtswegausschlußklausel in allgemeinen Wettbewerbsbedingungen 329 wegen Verstoßes gegen § 9 A G B G unwirksam 330 . Im Ergebnis erweist sich die Disposition über die Klagebefugnis also keineswegs generell als suspekt. Der unilaterale Klageverzicht wird im Rahmen von Austauschverträgen allerdings kaum zu rechtfertigen sein - und allein auf diese Konstellation beziehen sich sämtliche Gerichtsentscheidungen, die die Disposition über das Klagerecht schlechthin für unzulässig erklären 331 . Zu einer allgemeinen Diskriminierung dieses Vertragstyps besteht jedoch kein Anlaß, weil in Gestalt der §§ 9 AGBG, 138 BGB wirksame Kontrollinstrumente zur Verfügung stehen, die eine Übervorteilung der disponierenden Partei zuverlässig ausschließen.

IV. Einschränkungen der Privatautonomie Dem engen Zusammenhang zwischen materiell-rechtlicher Privatautonomie und prozessualer Dispositionsfreiheit muß auch dann Rechnung getragen werden, wenn erstere Einschränkungen unterliegt. Dementsprechend verlangt die herrschende Meinung für Dispositionen über das Klagerecht, daß die Parteien über den betroffenen Anspruch verfügen können 332 . Tatsächlich kommt es nicht auf die Verfügungsbefugnis, sondern auf die oben erarbeitete Differenzierung zwischen zwingendem Recht und unverzichtba-

328 Vgl. statt aller Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 1 Rdnr. 16; M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 1 Rdnr. 10. 329 Vgl. etwa die „Grundsätze und Richtlinien für Wettbewerbe auf den Gebieten der Raumplanung, des Städtebaus und des Bauwesens" sowie dazu B G H Z 88, 373, 375 ff. 330 So — wenn auch mit zu weitreichender Formulierung - MünchKommBGB-Se;7er, § 657 Rdnr. 21. Gleiches gilt im übrigen, falls sich der Auslobende auf diese Weise gegenüber unterlegenen Teilnehmern von den entsprechend § 1059 Abs. 2 Nr. 1 Z P O verbindlichen Mindestbedingungen für ein faires Verfahren freizeichnen wollte; vgl. dazu bereits oben, C II 3, S. 436 f. 331 B G H Z 106, 336, 338 f. (= N J W 1989, 1477 = JZ 1989, 588 m. Anm. Walter)-, BayO b L G Z 1952, 357, 359 f.; O L G Celle, O L G Z 1969, 1, 2; LG Bonn, N J W 1965, 2201, 2202 f. mit zust. Anm. Roquette (und mit Umdeutung des Klageverzichts in einen materiellrechtlichen Verzicht auf Mängelrüge). 332 O L G Celle, N J W 1971, 288, 289; O L G Oldenburg, VersR 1981, 369; Baumbach/ Lauterbach-/i. Renthe gen. Fink, §91 Rdnr. 4; Kühn, BB 1987, 621, 625 ff.; K Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 91 Rdnr. 2; ders., FS Pfeiffer, S. 765 ff.; Zimmer, Schiedsrichterliche Entscheidung von Kartellrechtsstreitigkeiten, S. 144 ff. 551 GK-GWB-i). Renthe gen. Fink, % 91 Rdnr. 1. 552 So aber Kühn, BB 1987, 621, 624 f.; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 91 Rdnr. 2; ders., FS Pfeiffer, S. 765, 770 ff. Vgl. auch BGHZ 88, 314, 319: Die zwingenden Normen des Kartellrechts gehören zum ordre public des § 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO; weitere Nachweise dazu bei Stein/Jonas-ScWosse?-, § 1042 Rdnr. 27. 553 Übereinstimmend Zimmer, Schiedsrichterliche Entscheidung von Kartellrechtsstreitigkeiten, S. 121 ff., 133: „Die Parteien sind auch unabhängig vom Bestand der Regelungen des § 91 GWB weitestgehend vor solchen Gefahren geschützt, die aus einer schiedsrichterlichen Streitentscheidung resultieren können". Zu den Wandlungen des U.S.-amerikanischen Rechts vgl. oben, 2. Kapitel, G III 3, S. 196 ff. 554 Vollmer, Satzungsmäßige Schiedsklauseln, S. 116 ff., der sein Fazit, die Schiedsgerichtsbarkeit könne „eine wirksame Kontrolle der Verbandsmacht" nicht gewährleisten, gerade auf die Befugnis zu Billigkeitsentscheidungen und die mangelnde Unabhängigkeit der Schiedsrichter gegenüber dem Verband stützt. 555 Kühn, BB 1987, 621, 624; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 91 Rdnr. 42; auf der Grundlage einer wesentlich rigoroseren Konzeption auch Altenmüller, Schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 184 ff. Die Freistellung des Schiedsgerichts von der Bindung an das materielle Recht ist grundsätzlich möglich, vgl. statt aller Stein/Jonas-Sc/;losser, § 1034 Rdnrn. 1 f. 549

550

F. Die

Verbandsgerichtsbarkeit

499

Statuierung von Verfahrensregeln, die nicht an den Geboten des rechtlichen Gehörs und der prozessualen Waffengleichheit ausgerichtet sind 556 . Hauptanliegen der Inhaltskontrolle satzungsmäßiger Schiedsklauseln ist jedoch nicht das Verbot von Billigkeitsentscheidungen und die faire Ausgestaltung des Schiedsverfahrens, sondern zu allererst die Gewährleistung einer unparteiischen Zusammensetzung des Schiedsgerichts 557. Dessen Neutralität ist nicht erst in Gefahr, wenn ein Organ des Vereins als solches mit der Entscheidung betraut wird - was die Annahme von Schiedsgerichtsbarkeit von vornherein ausschließt 558 - , sondern bereits dann, wenn die Satzung Mitglieder von Vereinsorganen als Schiedsrichter bestellt. Die Literatur ist sich deshalb darüber einig, daß Angehörige der vertretungsberechtigten Leitungsorgane, vor allem Vorstandsmitglieder, nicht Schiedsrichter sein können 559 . Problematisch ist hingegen die Schiedsrichterfähigkeit einfacher Vereinsmitglieder, die lediglich dem Vereinsorgan Mitgliederversammlung angehören, sonst aber weder Leitungs- noch Vertretungsbefugnisse innehaben. Während eine Meinung insoweit ganz auf das Ablehnungsverfahren der §§ 1036 f. ZPO vertrauen und damit auf den Einzelfall abstellen will 560 , ist nach verbreiteter und richtiger Auffassung zwischen Großverbänden und Vereinen mit überschaubarer Mitgliederzahl zu differenzieren 561: Bei Großverbänden wird qualifizierter Sachverstand außerhalb der eigenen Mitgliedschaft in der Regel kaum verfügbar sein und das einzelne Mitglied sich nicht notwendig mit den Interessen des das Vereinsstrafverfahren betreibenden Leitungsorgans identifizieren. Eine Satzungsbestimmung, die Vereinsmitglieder zu Schiedsrichtern bestellt, scheitert deshalb nicht eo ipso an § 242 B G B . Vielmehr reicht es zum Schutz der gegen den Verein streitenden Partei aus, daß die zum Schiedsrichter bestellten Vereinsmitglieder gemäß §§ 1036 f. Z P O wegen Befangenheit abgelehnt werden können. Bei Kleinvereinen ist die Gefahr einer Interessenverflechtung zwischen Vorstand und einzelnen Mitgliedern hingegen deutlich größer, so daß die Rekrutierung der Schiedsrichter aus dem Kreis der Vereinsangehörigen hier von vornherein ausscheidet, eine entsprechende Satzungsbestimmung also bereits die Inhaltskontrolle nicht passieren kann. 556 K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 91 Rdnr. 41; noch wesentlich weitergehend Altenmüller, Schiedsrichterliche Entscheidung kartellrechtlicher Streitigkeiten, S. 172 ff. 557 So auch, allerdings mit Bezug auf die Inhaltskontrolle eines Austauschvertrags gemäß § 9 AGBG, O L G Düsseldorf, NJW 1996, 400 f. 558 Vgl. soeben, F V I , S. 487 f. 559 RGZ 93, 288 f.; RG, JW 1936, 858; Kornblum, Schiedsrichterliche Unabhängigkeit, S. 149; Reichert, in: Reichert/van Look, Vereinsrecht, Rdnr. 2555; R G R K - S t e f f e n , § 25 Rdnr. 20; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 9 Rdnrn. 6 f.; Stein/Jonas-ScWosser, § 1032 Rdnr. 8. 560 Henke, DVBl 1967, 942, 943; Kornblum, Schiedsrichterliche Unabhängigkeit, S. 152 ff.; Stein/Jonas-ScWosser, § 1032 Rdnr. 9; wohl auch RGZ 113, 321, 322. 561 So auch RGZ 51, 392, 394; RG, J W 1936, 858; Reichert, in: Reichert/van Look, Vereinsrecht, Rdnr. 2555; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 9 Rdnrn. 7 f.

500

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

Die vorstehend erarbeiteten Anforderungen an die Zusammensetzung des Schiedsgerichts, an das von diesem zu beobachtende Verfahren sowie den von ihm anzuwendenden Entscheidungsmaßstab gelten in dieser strikten Form nur in bezug auf satzungsmäßige Schiedsklauseln, nicht aber für echte Individualvereinbarungen und vor allem auch nicht für die individuelle Vereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit nach Entstehen der beizulegenden Streitigkeit. Der B G H hat sich deshalb mit Recht zu einer Stufung der an die schiedsrichterliche Unabhängigkeit zu stellenden Mindestanforderungen bekannt und ausgeführt, es kämen ganz unterschiedliche Umstände in Betracht, „unter denen im Einzelfall das Schiedsgericht eingesetzt und der oder die Schiedsrichter bestellt werden. [...] Je nach dem Inhalt der in Frage stehenden Schiedsklausel und den konkreten Umständen, die für die Einsetzung des Schiedsgerichts und die Ernennung der Schiedsrichter bestimmend waren, wird eine großzügigere Handhabung des Grundsatzes der Überparteilichkeit des Schiedsrichters gerechtfertigt sein" 562 . Die danach gebotene Differenzierung der an den Inhalt des Schiedsvertrags zu stellenden Anforderungen je nach der „Güte" des zugrunde liegenden privatautonomen Legitimationsakts folgt nicht nur aus der Unterscheidung zwischen ausgehandelten Individualvereinbarungen und einseitig gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vereinssatzungen, sondern wird auch durch das Prozeßrecht bestätigt: Die Z P O knüpft strenge Schutzvorschriften an vertragliche Dispositionen, durch die eine Partei ex ante in eine für sie potentiell nachteilige Situation gebracht wird, ist gegenüber einem nachträglichen Verzicht auf die so geschützten Rechtspositionen aber großzügig 563 . An die Auswahl von Schiedsrichtern durch Allgemeine Geschäftsbedingungen und Vereinssatzungen sind deshalb strengere Anforderungen zu knüpfen als an die Schiedsrichterwahl ex post, nach Entstehen der Streitigkeit. Im zuletzt genannten Fall bestehen keine Bedenken, wenn sich die Parteien wirksam d. h. ohne Verletzung der allgemeinen Sicherungen der Privatautonomie nach Art der §§ 123,138 B G B - auf einen prima facie „parteiischen" Schiedsrichter 5 6 2 BGHZ 65, 59, 64, 65. Deutlich anders akzentuiert hingegen BGHZ 98, 70, 72, wo der III. Zivilsenat die Unparteilichkeit der Schiedsrichter „zu den elementaren Grundsätzen rechtsprechender Gewalt" zählt, deren Beachtung „stets auch im öffentlichen Interesse" liege. Diese Publifizierung des Neutralitätsgebots paßt nur sehr schlecht zu einer der Privatautonomie verpflichteten Zivilrechtsordnung, die den Parteien die willkürliche Disposition über ihre subjektiven Privatrechte erlaubt. Deshalb ist an BGHZ 65, 59, 64, festzuhalten; das Unabhängigkeitsprinzip des Schiedsverfahrensrechts „dient nur dem Schutz der Parteien, nicht auch - wie in der staatlichen Gerichtsbarkeit - dem öffentlichen Interesse" (Hervorhebung hinzugefügt). Allenfalls könnte man daran zweifeln, ob im Fall der staatlichen Gerichtsbarkeit wirklich etwas anderes gilt. Im Ergebnis richtig, in den Formulierungen allerdings ebenfalls zu breit BGHZ 106, 336, 338 ff. (= JZ 1989, 588 mit zust. Anm. Walter). 563 Vgl. etwa §§ 38 Abs. 3, 39, 1031 Abs. 6 ZPO; genauso auch der durch das SchiedsVfG aufgehobene § 91 Abs. 1 GWB, der nur für antizipierte Schiedsklauseln galt, der Kompetenzbegründung des Schiedsgerichts durch rügelose Einlassung hingegen nicht entgegenstand, vgl. BGHZ 88, 314, 319.

G.

Zusammenfassung

501

einigen, dessen Wahl einer Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 9 A G B G , 242 B G B niemals standgehalten hätte 564 .

G. Zusammenfassung 1. Gegenstand der Disposition über das Klagerecht ist weder ein materiellrechtliches Klagerecht noch ein gegen den Staat gerichteter Rechtsschutzanspruch. Nach der von Windscheid eingeleiteten Trennung von Anspruch und Klagerecht ist letzteres dem Prozeßrecht zuzuordnen. Materiell-rechtlich verstanden, würde es lediglich die Einforderungsbefugnis verdoppeln und damit redundant sein. Anspruch und Klagerecht lassen sich auch mit Hilfe der Lehre vom Rechtsschutzanspruch nicht wieder zusammenfügen. Der Kläger hat kein Recht auf richtiges Urteil, sondern lediglich einen Anspruch auf Justizgewährung nach Maßgabe des Prozeßrechts. Als Gegenstand des Klageverzichts bleibt somit nur die Klagebefugnis übrig, die mit der Innehabung des materiell-rechtlichen Anspruchs für dessen Inhaber zwar stets gegeben ist, durch Vereinbarung jedoch ausgeschlossen werden kann. Eine vertragliche Disposition über die Klagebefugnis generiert keine materiellrechtlichen Rechtsfolgen, schließt insbesondere die Aufrechnungsbefugnis nicht aus, sondern konzentriert sich auf die prozessuale Sphäre: Die entgegen der Vereinbarung erhobene Klage ist als unzulässig abzuweisen. 2. Naturalobligationen sind entgegen einer verbreiteten Meinung keine klaglosen Verbindlichkeiten; ihnen fehlt nicht das prozessuale Klagerecht, sondern die materiell-rechtliche Einforderungsbefugnis, so daß sie beispielsweise auch nicht im Wege der Aufrechnung durchgesetzt werden können. Auch das pactum de non petendo hat mit der Disposition über das Klagerecht nichts zu tun, sondern ist - seinen römisch-rechtlichen Wurzeln entsprechend - dem materiellen Recht zuzuordnen. Als befristetes pactum ist es mit der Stundungseinrede des § 202 Abs. 1 B G B identisch, das peremptorische pactum ist ein obligatorisch wirkender Erlaßvertrag, für den wegen der Unzulässigkeit von Verfügungen zugunsten Dritter auch heute noch ein praktisches Bedürfnis besteht. Wird eine unvollkommene Verbindlichkeit gerichtlich geltend gemacht oder entgegen einem pactum de non petendo Klage erhoben, ist das Rechtsschutzbegehren nicht unzulässig, sondern im Wege des Sachurteils als unbegründet abzuweisen. 3. Für die Praxis kommt ein dauernder Klageverzicht in Betracht, wenn die Parteien bestimmte Rechtsschutzformen, wie etwa Urkundenprozeß, einstweiligen Rechtsschutz oder Vollstreckungsabwehrklage, ausschließen wollen oder wenn eine Einschränkung des materiell-rechtlichen Anspruchs nicht möglich ist bzw. der Interessenlage nicht entspricht, wie in den Fällen 564

So auch B G H Z 65, 59, 67; Stein/Jonas-ScWosser, § 1032 Rdnr. 30.

502

6. Kapitel: Disposition über die

Klagebefugnis

der patentrechthchen Nichtigkeitsklage und der arbeitsrechtlichen Ausgleichsquittung. Wesentlich größere Bedeutung kommt jedoch dem befristeten Klageverzicht zu, weil er ein notwendiges Ingredienz sowohl der Vereinbarung von Schlichtungs- und Güteverfahren als auch von Musterprozeßvereinbarungen ist. In allen diesen Fällen bedarf der dilatorische Ausschluß der Klagebefugnis indessen der Ergänzung durch ein ebenfalls prozessual wirkendes Aufrechnungsverbot, nach dem die Forderung auch nicht im Wege der Kompensation zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden darf. Die verjährungsrechtlichen Probleme des dilatorischen Klageverzichts sind nur durch eine Rückbesinnung auf ratio und Entstehungsgeschichte der §§ 198 ff. B G B in den Griff zu bekommen: Da der Gesetzgeber mit Hilfe von § 202 Abs. 1 B G B sämtliche Fälle erfassen wollte, in denen der Gläubiger seinen Anspruch nicht mit Aussicht auf Erfolg gerichtlich geltend machen kann, ist die Vorschrift auf den befristeten Ausschluß der Klagebefugnis analog anzuwenden: Agere non valenti non currit praescriptio. Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verbreitete Klausel vom „Ausschluß des Rechtswegs" kann im Einzelfall zwar auch als Vereinbarung über die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen zwei Gerichtsbarkeiten auszulegen sein, ist aber in aller Regel als Ausschluß der Klagebefugnis zu interpretieren. Als solcher ist sie allerdings unzulässig, soweit der jeweilige Anspruch durch eine Gegenleistung erkauft worden ist, wie dies bei staatlich genehmigten Lotterien und den echten Preisausschreiben der Fall ist. 4. Die Disposition über die Klagebefugnis ist ein prozessualer Verpflichtungsvertrag, der vom Gericht des Primärprozesses wegen seiner ipso-iureWirkung zu berücksichtigen ist, ohne daß es dafür einer Einrede des Beklagten bedürfte. Im Hinblick auf seine Zulässigkeit ist zwischen dem befristeten und dem dauernden Ausschluß des Klagerechts zu differenzieren. Die erste Variante betrifft vor allem Schlichtungs- und Musterprozeßvereinbarungen, die in angemessener Weise ausgestaltet sein müssen, um die Inhaltskontrolle am Maßstab des § 9 A G B G passieren zu können. Ist dies gewährleistet, bestehen keine Bedenken gegen Abreden, die dem Rechtsstreit vor dem staatlichen Gericht eine Schlichtungsverhandlung vor einer privaten Instanz vorschalten. Gleiches gilt für Musterprozeßvereinbarungen, soweit ihre Vorteile und Lasten stets dieselben Parteien betreffen, wie dies insbesondere bei Teilklageabreden - typischerweise aber nicht bei Modellprozeßklauseln - der Fall ist. Auch der peremptorische Klageverzicht ist nicht von vornherein suspekt, sondern nur dann unzulässig, wenn lediglich einer Seite eines Austauschvertrags der Verzicht auf die Klagebefugnis zugemutet wird. Zwingende Schutzvorschriften des materiellen Rechts schließen zwar den dauernden Klageverzicht ex ante, nicht aber entsprechende Dispositionen ex post, also nach Entstehung des Anspruchs, aus. Befristete Vereinbarungen zur Ermöglichung privater Schlichtungsverfahren bleiben stets zulässig. 5. Die Verbandsgerichtsbarkeit wirft besondere Probleme auf, deren Lösung jedoch entgegen der herkömmlichen Dogmatik nur durch eine

G.

Zusammenfassung

503

konsequente Rückführung satzungsmäßiger Rechtsschutzverkürzungen auf die Privatautonomie, also den Zustimmungs- bzw. Beitrittsakt des Mitglieds, gelingen kann. Gleichwohl ist die Vereinsstrafe nicht als Vertragsstrafe zu qualifizieren, weil ihr die Schadensersatzfunktion abgeht, während den §§ 339 ff. B G B das pönale Element der Vereinsstrafe fremd ist. Die Straf- und Verfahrensbestimmungen der Vereinssatzung sind statt dessen als Einräumung von Beurteilungs- und Ermessenspielräumen zu interpretieren, so daß eine gerichtliche Nachprüfung zwar nicht ausgeschlossen, in ihrer Kontrolldichte jedoch beschränkt ist. Gegen die Zulässigkeit solcher Entscheidungsprärogativen bestehen keine Bedenken, wenn die Straftatbestände in der Satzung selbst enthalten sind und der angedrohte Strafrahmen nicht unverhältnismäßig ist, was durch Inhaltskontrolle der Satzung am Maßstab des § 242 B G B sicherzustellen ist. Monopolverbände unterliegen darüber hinaus auch einer strikten Einzelaktkontrolle, weil sich die disziplinierende Wirkung der latenten Austrittsdrohung in diesem Bereich nicht entfalten kann. Schaltet die Satzung der Anrufung der staatlichen Gerichte ein vereinsinternes Kontrollverfahren vor, gelten die allgemein für den dilatorischen Klageverzicht im Rahmen von Schlichtungsklauseln aufgestellten Anforderungen an eine neutrale Zusammensetzung des Kontrollorgans und die faire Ausgestaltung des Verfahrens. Satzungsmäßige Klagefristen sind als materiell-rechtliche Ausschlußfristen zu interpretieren und als solche nur akzeptabel, wenn in der Satzung explizit auf den möglichen Verlust des materiellen Rechts hingewiesen wird. 6. Gegenüber staatlicher Kontrolle freier als die ordinären Vereinsgerichte stehen solche Entscheidungsstellen, die als Schiedsgericht im Sinne der §§ 1029, 1066 Z P O zu qualifizieren sind, was voraussetzt, daß sie die essentialia negotii der Schiedsvereinbarung erfüllen: Die Entscheidung eines Rechtsstreits durch eine von den Parteien unabhängige Instanz. An dem zuletzt genannten Erfordernis fehlt es, wenn ein Vereinsorgan - etwa der Vorstand - zur Entscheidung berufen ist, während es dem schiedsgerichtlichen Charakter des Spruchkörpers nicht abträglich ist, wenn er zur erstmaligen Verhängung von Vereinsstrafen berufen ist. Als Grundlage schiedsrichterlicher Spruchtätigkeit reicht eine satzungsmäßige Schiedsklausel gemäß § 1066 Z P O aus, die die Formerfordernisse des § 1031 Z P O nicht erfüllen muß. Die unparteiische Zusammensetzung des Schiedsgerichts, die faire Ausgestaltung des Verfahrens sowie die Bindung der Schiedsrichter an das objektive Recht sind durch Inhaltskontrolle der satzungsmäßigen Schiedsklausel auf der Grundlage von § 242 B G B sicherzustellen.

7. Kapitel

Einverständliche Verfahrensbeendigung

Wollen die Parteien den Rechtsstreit unter Vermeidung eines streitigen Urteils beenden, stehen ihnen verschiedene Wege zu diesem Ziel offen. Ausdrücklich gesetzlich geregelt sind der Prozeßvergleich des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die übereinstimmende Erledigungserklärung gemäß §91a ZPO sowie die Klagerücknahme nach § 269 ZPO. Unter diesen drei Dispositionstypen ist der Prozeßvergleich als Prozeßvertrag bzw. als ein aus materiellrechtlichen und prozessualen Elementen zusammengesetzter Vertrag zu qualifizieren und für das hier verfolgte Erkenntnisinteresse daher von besonderer Bedeutung. Neben dem Prozeßvergleich erkennen Judikatur und Literatur eine Reihe weiterer, auch praktisch bedeutsamer Vertragstypen an, mit denen die Beendigung eines anhängigen Rechtsstreits erreicht werden kann. Insoweit sind insbesondere Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen sowie der antizipierte Rechtsmittelverzicht zu nennen. Zweifelhaft und umstritten ist hingegen, ob und ggfs. auf welche Weise auch ein außergerichtlicher Vergleich dazu in der Lage ist, einen anhängigen Rechtsstreit zu erledigen. Im folgenden wird versucht, ein Konzept für sämtliche der eben genannten Vertragstypen zu entwickeln, das sich innerhalb eines einheitlichen analytischen Rahmens bewegt und auf konsistenten Wertungen aufbaut. Als Ausgangspunkt für dieses Unterfangen bieten sich die selbständigen Rücknahmeverträge an.

A. Selbständige Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen sind in der Praxis populär und von der Judikatur seit jeher anerkannt worden; der Großteil der Literatur ist dem gefolgt. Geleugnet wurde ihre Zulässigkeit allein von den Klassikern der Prozeßrechtswissenschaft, die gesetzlich nicht geregelten Prozeßverträgen die Zulässigkeit generell absprachen und sich damit ausdrücklich

A. Selbständige Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen

505

auch gegen Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen wandten1. Heute findet sich diese Ansicht nur noch ganz vereinzelt2. Den Angriffen der Kritiker konnte die herrschende Meinung elegant aus dem Weg gehen, indem sie sich des bereits mehrfach angesprochenen „Tricks" der Umdefinition des Prozeßvertrags in ein materiell-rechtliches Rechtsgeschäft bediente3. Nach der bis heute verbindlichen Formel ist „die Klagezurücknahme ein Akt, den die Prozeßordnung dem Kläger freistellt, und zu dem er sich deshalb unbedenklich schuldrechtlich verpflichten kann" 4 . Der Verpflichtungsvertrag wird damit gleichsam automatisch und notwendig dem materiellen Privatrecht zugeordnet. Diesen dogmatischen Ausgangspunkt teilte auch Schiedermair, der sich dadurch in seinem Bemühen behindert sah, dem Prozeßrecht möglichst viele Vertragstypen zu vindizieren. Sein Ausweg bestand darin, das Klagerücknahmeversprechen in einen Verfügungsvertrag umzudeuten: Es handele sich in Wahrheit um einen Verzicht auf die Befugnis, „den Prozeß oder das Rechtsmittelverfahren fortzusetzen" 5 , also um einen - nunmehr prozessual zu qualifizierenden Verfügungsvertrag''. Diesem Verzicht komme jedoch nicht die Wirkung der Klagerücknahme selbst zu, etwa indem die Rechtshängigkeit der Klage ohne weiteres entfiele, sondern er führe „unmittelbar zum Ausschluß der Fortsetzung des Prozesses, zur Unzulässigkeit und Abweisung der Klage" 7 . Wirklich ernst kann die „Unmittelbarkeit" dieser Wirkung allerdings nicht genommen werden, denn die Unzulässigkeit der abredewidrig fortgesetzten Klage soll nach Schiedermair vom Gericht nur dann zu berücksichtigen sein, wenn sich der Beklagte auf eine entsprechende prozessuale Einrede beruft 8 . 1 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 311 f., 458; K. Hellwig, System I, §151 I, S. 450; ders., FS Gierke II, S. 41, 89 f.; allgemein für Verpflichtungsverträge auch Bülow, AcP 64, 1, 62 ff.; ähnlich Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 82 ff., 87, 89; ders., Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 150 f., der das Klagerücknahmeversprechen als materiell-rechtlichen Vertrag zwar anerkennt, seine Durchsetzung im anhängigen Rechtsstreit oder in einem Sekundärprozeß jedoch ablehnt und bei abredewidrigem Verhalten lediglich Schadensersatzansprüche zulassen will (anders dann aber Niese, in: Schönke/Schröder, Zivilprozeßrecht, § 69 II 2, S. 316). 2 Nämlich bei Wieczorek, 2. Aufl., § 128 Anm. C III c, § 269 Anm. B V. 3 Ständige Rechtsprechung seit RGZ 102, 217, 221; vgl. weiter RGZ 159, 186, 189 f.; RG, Warn 1916, Nr. 26, S. 32; LeipZ 1923, Sp. 457; BGH, NJW 1964, 549, 550; 1984, 805; 1985, 189 (= FamRZ 1985, 48); BGH, NJW-RR 1989, 802 (= WM 1989, 868); O L G Frankfurt/Main, OLGRspr. 1 (1900), 423; Barz, Klagerücknahmeversprechen, S. 3 ff.; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 264 f.; ders., ZZP 87, 121, 134; Baumbach/LauterbachHartmann, Grundz. § 128 Rdnrn. 48 f., § 269 Rdnr. 10; Piehler, GS Arens, S. 323, 329 f.; Rothe, JW 1934, 657, 658; Teuhner/Künzel, MDR 1988, 720, 723; Zöller-Greger, Vor § 128 Rdnr. 26; § 269 Rdnr. 3. 4 RGZ 102, 217, 221. 5 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 69. 6 Genauso A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, §30 VIII, S. 176 f.; MünchKommZPOG. Lüke, Einl. Rdnr. 289; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 66 II 2, S. 368; Sachse, ZZP 54, 409, 418; ähnlich Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 71 f. 7 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 118. 8 Schiedermair, Vereinbarungen, S. 125 ff.

506

7. Kapitel: Einverständliche

Verfahrensbeendigung

Neben diesem prozessualen Verfügungsvertrag erkannte er schließlich auch den materiell-rechtlichen Verpflichtungsvertrag im Sinne der Rechtsprechung an und löste die aus dieser Typenproliferation resultierenden Schwierigkeiten mit Hilfe einer Vermutung zugunsten der stärkeren - nämlich prozessualverfügenden - Vertragswirkungen9. Tatsächlich ist der Verpflichtungsvertrag keineswegs notwendig mit dem materiellen Privatrecht verknüpft, sondern steht als Handlungsinstrument grundsätzlich jeder Teilrechtsordnung zur Verfügung10. Unter dieser Prämisse besteht kein Anlaß, Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen in Verfügungen über eine eigens zu diesem Zweck hypostasierte „Befugnis zur Fortsetzung des Prozesses" umzudeuten. Sie können vielmehr zwanglos als prozessuale Verpflichtungsgeschäfte aufgefaßt werden 11 . An ihrer Zulässigkeit ist nicht zu zweifeln, weil die Parteien grundsätzlich dazu befugt sind, über ihnen zustehende prozessuale Befugnisse vertraglich zu disponieren12. Wie die Rechtsprechung bereits mehrfach festgestellt hat, entfällt die Kompetenz zum Abschluß von Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen auch dann nicht, wenn die materiell-rechtliche Verfügungsbefugnis der Parteien durch zwingendes Privatrecht eingeschränkt ist13. Nach den oben erarbeiteten Grundsätzen stehen zwingende Privatrechtsnormen dem nachträglichen Verzicht auf das geschützte subjektive Recht regelmäßig nicht Schiedermair, Vereinbarungen, S. 116, 177; genauso H.-J. Hellwig, Systematik, S. 59, 60. Vgl. oben, 1. Kapitel, C, S. 35 ff. 11 So auch Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 5 5 III, S. 220, § 6 9 III, S.271; Schwab, FS Baumgärtel, S. 503, 510; wohl auch H.-J. Hellwig, Systematik, S. 77 ff.; Stein/Jonas-Leipold, Vor § 128 Rdnrn. 162, 237. 12 Vgl. oben, 2. Kapitel, D, S. 86 ff. Speziell für das Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen RGZ 102, 217, 221; 123, 84, 85 f.; 159, 186, 189 f.; RG, Warn 1928, Nr. 18, S. 33 f.; SeuffA 83 (1929), Nr. 183, S. 222; BGHZ 109, 19, 28 f.; 20, 198, 205; 38, 254, 258; BGH, NJW 1961, 460; 1964, 549, 550; 1984, 805; 1985, 189; NJW-RR 1987, 307; NJW-RR 1989, 802; VersR 1993, 714; WM 1973, 144 (= DB 1973, 1451); FamRZ 1976, 266, 268; FamRZ 1979, 793, 794; BAG, AP Nr. 5 zu § 4 KSchG (= DB 1978, 1842 = EzA Nr. 13 zu § 4 KSchG m. zust. Anm. Käppier)-, BAG, AP Nr. 6 zu § 4 KSchG (= NJW 1979, 2267 = EzA Nr. 15 zu § 4 KSchG); BAG, DB 1985, 1485, 1486; OLG Stuttgart, ZZP 76 (1963), 318 f.; OVG Hamburg, NJW 1989, 604 f.; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 260 f.; Baumbach/Lauterbach-//tfrtmarcn, Grundz. § 128 Rdnr. 49, § 269 Rdnr. 10; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 3 0 VIII, S. 176 f.; Grunsky, Grundlagen, § 8 V, S. 78; H.-J. Hellwig, Systematik, S. 89 f.; MünchKommZPO-G. Luke, Einl. Rdnr. 285, § 269 Rdnr. 12; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 6 9 III, S.271; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 130 I 2, S. 756; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 69 ff.; Ste\n/]onas-Leipold, Vor § 128 Rdnr. 237; Stein/Jonas-Schumann, § 269 Rdnr. 5; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 721; Thomas/Putzo, § 269 Rdnr. 2. 13 Vgl. zum Beispiel RGZ 159, 186, 189 f. (Scheidungsprozeß); BGH, FamRZ 1976, 266, 268 (Vaterschaftsprozeß); FamRZ 1979, 793, 794 (Vaterschaftsprozeß); OVG Hamburg, NJW 1989, 604, 605 (öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch); zum Kündigungsschutzprozeß BAG, AP Nr. 5 zu § 4 KSchG (= DB 1978, 1842 = EzA Nr. 13 zu § 4 KSchG m. zust. Anm. Käppier)-, BAG, AP Nr. 6 zu § 4 KSchG (= NJW 1979, 2267 = EzA Nr. 15 zu § 4 KSchG); BAG, DB 1985, 1485, 1486; allgemein zum Verwaltungsprozeß Kopp/Schenke, VwGO, § 92 Rdnr. 5 f., § 106 Rdnr. 21. 9

10

A. Selbständige Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen

507

entgegen14. Die Zulässigkeit von Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen ist nur dann zu verneinen, wenn es sich um einen unverzichtbaren Anspruch handelt, über den auch ex post, also nach seiner Entstehung, rechtsgeschäftlich nicht disponiert werden kann I5 . Bei der Frage nach dem Wirkungsmodus des Rücknahmeversprechens wiederholt sich der oben für Prozeß vertrage allgemein erörterte Streit16. Auf der Skala der denkbaren Wirkungen geht Schlosser am weitesten, indem er ihm die Wirkung des § 269 ZPO selbst zukommen lassen will: „Mit Bekanntwerden des Klagerücknahmeversprechens gilt die Klage [...] als zurückgenommen mit der Folge, daß die Rechtshängigkeit des Anspruchs beendet ist; dann aber ist auch für eine klagabweisende Entscheidung wegen der durch das Klagerücknahmeversprechen mitgewollten Unklagbarkeit des Anspruchs kein Raum mehr" 17. Demgegenüber ist bereits begründet worden, daß die für die Klagerücknahme in § 269 Abs. 2. S. 1 ZPO geregelte Voraussetzung einer an das Gericht adressierten Erklärung des Klägers nicht überspielt werden darf18. Darüber hinaus muß auch dem Versuch Schlossers widersprochen werden, das Klagerücknahmeversprechen um eine Vereinbarung materiell-rechtlicher Unklagbarkeit des Anspruchs anzureichern19. Wer - wie Schlosser - die gewillkürte Unklagbarkeit materiell-rechtlich, im Sinne einer Umwandlung des Anspruchs in eine Naturalobligation versteht20, muß die Klagerücknahme und das darauf gerichtete Versprechen scharf von Vereinbarungen über die Klagbarkeit abgrenzen21, weil die Klagerücknahme des § 269 ZPO den materiell-rechtlichen Anspruch ebenso unberührt läßt wie die Befugnis seines Inhabers, ihn erneut anhängig zu machen22. Die Parallelisierung von Klagerücknahmeversprechen und Klageverzicht ist nur dann möglich, wenn man letzteren mit der hier vertretenen Auffassung als Disposition über das prozessuale Klagerecht versteht, die das materielle Recht nicht tangiert23. In das gegenteilige Extrem verfallen diejenigen Autoren, die die Berücksichtigung des Klage- oder Rechtsmittelrücknahmeversprechens im bereits

Vgl. dazu eingehend, oben 2. Kapitel, E II, S. 106 ff. Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, E II 2 b, S. 117 f. 16 Vgl. oben, 3. Kapitel, A, S. 213 ff. 17 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 72 (Hervorhebungen hinzugefügt). 18 Vgl. oben, 3. Kapitel, B I 2 b, S. 225 ff., 232; speziell mit Blick auf das Klagerücknahmeversprechen auch RGZ 159, 186, 190; BGH, NJW 1961, 460; NJW 1964, 549, 550; Rothe, JW 1934, 657, 658; Schiedermair, S. 75 f., 117 f. 19 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 72; genauso bereits Rothe, JW 1934, 657, 658; ähnlich auch BAG, MDR 1982, 258, 259: Vergleich vor Klageerhebung als Ausschluß der Klagbarkeit. 20 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 67, ähnlich ders., Vereinsgerichtsbarkeit, S. 122; vgl. bereits oben, 6. Kapitel, A, S. 393 f. mit Fn. 16 f. 21 So im Ergebnis, allerdings mit abweichender Begründung, auch Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 264 in Fn. 489 a. E. 22 Vgl. statt aller Thomas/Putzo, § 269 Rdnr. 22; Zöller -Greger, § 269 Rdnr. 21. 23 Vgl. oben, 6. Kapitel, B V, S. 408 ff., C I, S. 413 ff. 14

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7. Kapitel: Einverständliche

Verfahrensbeendigung

anhängigen Primärprozeß nicht zulassen wollen 24 oder insoweit eine Widerklage des Berechtigten für nötig halten 25 . Da bereits ein Gericht aktuell mit dem Streit befaßt ist, besteht kein Grund, die Parteien wegen des Rücknahmeversprechens auf einen Sekundärprozeß zu verweisen 26 . Die herrschende Meinung läßt dementsprechend seine Berücksichtigung im anhängigen Primärprozeß zu, verlangt insoweit aber eine Einrede des Versprechensgläubigers27, die von der ständigen Rechtsprechung als materiell-rechtliche (!) oder prozessuale Arglisteinrede 28 , von Teilen der Literatur hingegen als Prozeßeinrede 29 oder auch als materiell-rechtliche Abwehreinrede mit prozessualen Rechtsfolgen 30 gedeutet wird. Abgesehen davon, daß die exceptio doli herkömmlich gerade nicht als Einrede, sondern als Einwendung aufgefaßt wird, und daß es inkonsistent ist, die Klage nach Erhebung einer materiellrechtlichen (Arglist-) Einrede als unzulässig abzuweisen 31 , bestehen gegen die Einredelösung durchgreifende Bedenken, weil sie einen Gegensatz von Prüfung von Amts wegen einerseits, Wirkung ope exceptionis andererseits suggeriert, der so nicht besteht 32 . Verstößt eine Partei gegen eine von ihr übernommene prozessuale Verpflichtung, so ist diese Vertragsverletzung vom Gericht vielmehr genauso zu berücksichtigen wie eine materiell-rechtliche Pflichtverletzung, die ebenfalls ipso iure und nicht erst aufgrund einer 24 Niese, Verträge über Prozeßhandlungen, S. 82 ff., 87, 89; ders., Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 150 f. 25 So Mendelssohn Bartholdy, JW 1921, 1244, 1245 (Anmerkung zu RGZ 102, 217), vgl. auch den von Deubner, JuS 1989, 750, geschilderten Fall „aus der Praxis", in dem die Klägerin im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs die Verpflichtung zur Klagerücknahme übernommen hatte, dieser nicht nachkam und die Beklagte daraufhin Widerklage erhob mit dem Antrag, „die Klägerin zur Abgabe der Klagerücknahmeerklärung zu verpflichten" (a.a.O., S. 751). 26 Vgl. allgemein oben, 3. Kapitel, B II 2, S. 233 ff.; speziell für den Fall des Klagerücknahmeversprechens Deubner, JuS 1989, 750, 751. 27 Vgl. außer den Nachweisen in den beiden nächsten Anmerkungen und ohne nähere Qualifizierung der Einrede BGHZ 20, 198, 205; BGH, NJW 1984, 805; NJW-RR 1989, 802; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 263; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 3 0 VIII, S. 177, §63 IV, S. 332. 28 RGZ 102, 217, 222: „dem materiellen Vertragsrecht entspringende Einrede [der Arglist]"; genauso RGZ 159, 186, 190; RG, SeuffA 83 (1929), Nr. 183, S. 222; OVG Hamburg, NJW 1989, 604 f.; ohne materiell-rechtliche oder prozessuale Einordnung der Arglisteinrede BGH, NJW 1985, 189; VersR 1993, 714; im Sinne einer Einrede prozessualer Arglist OLG Düsseldorf, DR 1940, 113, 114; Baumbach/Lauterbach-Harimann, §269 Rdnr. 10; Stein/ J o n a s - L e i p o l d , Vor § 128 Rdnr. 247; Stem/Jonas-Scbumann, § 269 Rdnr. 5. 29 Scbiedermair, Vereinbarungen, S. 125 ff.; dem folgend Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 130 I 2, S. 756; Thomas/Putzo, § 269 Rdnr. 2; Zöller-Greger, Vor § 128 Rdnr. 32, § 269 Rdnr. 3. 30 Barz, Klagerücknahmeversprechen, S. 59 ff., 61: „Als Ergebnis ist somit festzustellen, daß das Klagerücknahmeversprechen dem Beklagten eine materiell-rechtliche Einrede gegen die Fortsetzung des Prozesses gewährt und daß auf Grund der Geltendmachung der Einrede die Klage als unzulässig abzuweisen ist". (Hervorhebungen hinzugefügt). 31 Vgl. zu diesen beiden Punkten bereits oben, 3. Kapitel, B III 1 b, S. 239 ff. 32 Vgl. dazu ausführlich oben, 3. Kapitel, B III 2 c, S. 247 ff.

A. Selbständige

Klage-

und Rechtsmittelrücknahmeversprechen

509

Einrede des Berechtigten wirkt. Der Richter hat also nicht - wie bei der Prüfung von Amts wegen - von sich aus Zweifeln nachzugehen, muß das Klagerücknahmeversprechen jedoch zur Kenntnis nehmen, wenn es ihm vorgetragen wird. Entgegen der herrschenden Meinung reicht der Vortrag durch eine der beiden Parteien aus; es ist nicht erforderlich, daß der Gläubiger des Rücknahmeversprechens dieses im Wege einer Einrede geltend macht33. Zweifelhaft ist schließlich der Inhalt der gerichtlichen Entscheidung, mit der dem Verstoß des Klägers gegen die von ihm übernommenen prozeßvertraglichen Pflichten Rechnung zu tragen ist. Die ständige Rechtsprechung weist die entgegen einem Rücknahmeversprechen weiterbetriebene Klage bzw. das aufrechterhaltene Rechtsmittel durch Prozeßurteil ab 34 , während nach der Gegenansicht Klage oder Rechtsmittel im Anschluß an die § § 1 1 3 S. 2, 632 Abs. 4 ZPO (= § 635 ZPO a. ¥.)i5 für zurückgenommen zu erklären sind36. Abgesehen von der Tenorierungsfrage sind die sachlichen Unterschiede zwischen beiden Auffassungen gering, weil in den Fällen der § § 1 1 3 S. 2, 632 Abs. 4 ZPO die Deklaration der Klagerücknahme in der Form des § 330 ZPO - also durch Endurteil - zu erfolgen hat, die Anwendbarkeit des § 269 Abs. 3 ZPO folglich zu verneinen ist37. Immerhin läßt sich der Rückgriff auf die §§ 113 S. 2, 632 Abs. 4 ZPO nicht mit dem Hinweis ablehnen, die genannten Vorschriften sanktionierten einen Verstoß gegen prozessuale Lasten während es hier um die Verletzung einer prozeßvertraglichen Pflicht gehe38. § 632

33 So wohl auch MünchKommZPO-G. Lüke, §269 Rdnr. 12; vielleicht auch BGH, FamRZ 1979, 793, 794, wo von einer „Einwendung" aus dem Rücknahmeversprechen die Rede ist. 34 RGZ 102, 217, 223; 159, 186, 190; RG, SeuffA 83 (1929), Nr. 183, S. 222; BGH, NJW 1961, 460; 1964, 549, 550; 1984, 805; 1985, 189; NJW-RR 1987, 307; NJW-RR 1989, 802; VersR 1993, 714; OLG Düsseldorf, DR 1940, 113, 114; OVG Hamburg, NJW 1989, 604, 605; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 263 f.; Baumbach/Lauterbach-/i«c&er, § 519b Rdnr. 4; deutlicher Stein/Jonas-Grunsky, § 519b Rdnr. 1. 262 In diesem Sinne aber ausdrücklich, wenn auch beiläufig, BGHZ 2, 112, 117: „Der [antizipierte] Verzicht begründet eine prozeßrechtliche Einwendung gegen die Zulässigkeit der Berufung" (sie!).

552

7. Kapitel: Einverständliche

Verfahrensbeendigung

Damit stellt sich schließlich die Frage, ob das Gericht die Berufung bzw. die Revision gemäß §§ 519b, 554a ZPO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß als unzulässig verwerfen kann, wenn es von einem außergerichtlichen Rechtsmittelverzicht Kenntnis erlangt, obwohl diese Vorschriften eben das anordnen, was soeben abgelehnt wurde: die Prüfung von Amts wegen. Nicht befriedigen kann insoweit die Lösung des B G H , der das Problem einfach ignoriert, obwohl der Regelungsinhalt der §§ 519b, 554a Z P O mit der von der Judikatur favorisierten Einredetheorie noch schärfer konfligiert als mit der hier vertretenen ipso-iure-Wirkung. Um diese Friktionen zu verdecken, bedient sich der B G H des sprachlichen Tricks, die Amtspflichten des Gerichts nicht gemäß dem Wortlaut der Vorschriften auf die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsmittels, sondern auf die Verwerfung des Rechtsmittels nach Erhebung der Einrede zu beziehen 263 . Das R G hatte aus denselben Prämissen dagegen konsequent gefolgert, der Rechtsmittelverzicht sei „im Beschluß- und Beschwerdeverfahren gemäß §§ 519b Abs. 2, 567 [577] Z P O nicht zu erörtern" 264. Demnach wäre also gemäß §§ 520 Abs. 1, 523, 128 Z P O nach obligatorischer mündlicher Verhandlung durch (End-) Urteil über das potentiell verzichtswidrige Rechtsmittel zu entscheiden, um es ggfs. als unzulässig zurückzuweisen 265 . Indessen zählen die §§ 519b, 554 a Z P O nicht sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen von Berufung und Revision auf, sondern nennen lediglich Form, Frist und Statthaftigkeit. Es ist eine allgemein, und nicht nur für den Rechtsmittelverzicht, zu klärende Frage, ob diese Vorschriften im Wege der Analogie auch auf die dort nicht genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen erstreckt werden können. In der Literatur wird dies verbreitet bejaht, ohne daß die Notwendigkeit eines Analogieschlusses gesehen oder zwischen den verschiedenen in §§ 519b, 554 a Z P O nicht genannten Zulässigkeitserfordernissen differenziert wird 266 . Tatsächlich ist es im Interesse der Prozeßökonomie geboten, über die Zulässigkeit der Berufung oder der Revision insgesamt nach Maßgabe der §§ 519b, 554a Z P O zu entscheiden und das Rechtsmittel gemäß des Abs. 2 dieser Vorschriften auch dann ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß zu verwerfen, wenn es an einer Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt, die in §§ 519b Abs. 1, 554a Abs. 1 nicht genannt ist. Da eine Verpflichtung zu einem derart abgekürzten Verfahren nicht besteht, das Gericht bei Streit um die Vgl. das Zitat oben, S. 548 f. mit Fn. 244. RG, J W 1931, 1083, 1084 m. Anm. Pagenstecher. 265 So die wohl zutreffende Interpretation Pagenstechers zur soeben zitierten Entscheidung des RG, JW 1931, 1083 f. MünchKommZPO-Rimmelspacher, § 519b Rdnrn. 3, 9; Stein/Jonas-Grans^y, § 519b Rdnr. 4; im Ergebnis genauso, allerdings ohne Problembewußtsein Baumbach/LauterbachAlbers, § 519b Rdnr. 1; Thomas/Putzo-Ä^oM, § 519b Rdnr. 1, Vor § 511 Rdnrn. 13-37; einschränkend aber Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 139 I, S. 836, nach denen jedenfalls der dem Gericht erklärte Rechtsmittelverzicht im Beschlußverfahren zu berücksichtigen ist. 263

264

D. Der

Rechtsmittelverzicht

553

Zulässigkeit des Rechtsmittels also auch eine mündliche Verhandlung durchführen und sodann durch Urteil entscheiden kann bzw. bei entsprechender Sachlage muß 267, stehen schutzwürdige Interessen der Parteien nicht entgegen. Aus dieser Entscheidung zugunsten einer Analogie folgt aber keineswegs, daß die auf Form, Frist und Statthaftigkeit zugeschnittene gesetzliche Anordnung der Amtsprüfung ebenso pauschal und unter Verzicht auf jedwede Begründung auf die in §§ 519b, 554a ZPO nicht genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen übertragen werden müßte. Im Gegenteil, die §§ 519b, 554a Z P O enthalten keinerlei normative Gesichtspunkte, die es rechtfertigen könnten, den mit der anderen Partei abgeschlossenen Rechtsmittelverzichtsvertrag nun doch und entgegen den soeben vorgetragenen Argumenten von Amts wegen zu beachten. Nach allem dürfen die genannten Vorschriften also nur partiell auf den außergerichtlichen Rechtsmittelverzichtsvertrag analog angewendet werden, nämlich soweit sie das Gericht dazu ermächtigen, das Rechtsmittel durch Beschluß und ohne mündliche Verhandlung zu verwerfen 268 .

IV. Zusammenfassung

der

Ergebnisse

Der nicht abreißen wollende Strom obergerichtlicher Entscheidungen zum Rechtsmittelverzicht zeigt die erhebliche Verunsicherung der Praxis und ist zudem ein deutlicher Hinweis auf den geringen Grad intuitiver Plausibilität, die die von der herrschenden Meinung postulierten Grundsätze für sich in Anspruch nehmen können. Um diesem Zustand abzuhelfen, sind die möglichen Verzichtsformen auf zwei Grundtypen zu reduzieren. Der an das Gericht adressierte Rechtsmittelverzicht gemäß §§ 514, 566, 346 ZPO unterliegt den für einseitige Prozeßhandlungen geltenden Grundsätzen, ist vom Gericht von Amts wegen zu beachten und führt ohne weiteres die Urteilsrechtskraft herbei, wenn der Gegner ebenfalls verzichtet oder für ihn die Rechtsmittelfrist abgelaufen ist. Bei dem außergerichtlichen, dem Gegner gegenüber erklärten Rechtsmittelverzicht handelt es sich um einen obligatorischen Prozeßvertrag, mit dem sich der Disponent dazu verpflichtet, das Urteil nicht mit Rechtsmitteln anzugreifen. Diese Konstruktion gilt gleichermaßen für den antizipierten 267 Vgl. statt aller MünchKommZPO-Rimmelspacher, § 5 1 4 Rdnr. 11; Stein/JonasGrunsky, § 519b Rdnr. 17. 2 6 8 Vgl. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 139 I, S. 836, wo man aus der Nichterwähnung des dem Gegner erklärten Rechtsmittelverzichts bei § 519b ZPO u. U. schließen könnte, daß insoweit eine Prüfung von Amts wegen nicht in Betracht kommt. Auch Rosenberg/Schwab/Gottwald erklären jedoch nicht, auf welchem methodischen Wege die §§ 519b, 554a ZPO Geltung für die dort nicht genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen erlangen sollen und versäumen es deshalb, bei der analogen Anwendung der Vorschriften je nach ihren einzelnen Regelungsgehaken (Beschlußverfahren einerseits, Amtsprüfung andererseits) zu differenzieren.

554

7. Kapitel: Einverständliche

Verfahrensbeendigung

Verzicht wie für denjenigen nach Urteilserlaß. Nach Einlegung des Rechtsmittels ist ein Verzicht indessen nicht mehr möglich; entsprechende Parteivereinbarungen sind im Sinne eines Rechtsmittelrücknahmeversprechens auszulegen. Obwohl der außergerichtliche Rechtsmittelverzicht die prozessuale Befugnis zur Anfechtung des Urteils nicht nach Art einer Verfügung vernichtet, ist ein Verstoß gegen die prozeßvertragliche Verpflichtung als Einwendung gegen das Rechtsmittel vom Gericht zu berücksichtigen, wenn ihm der Rechtsmittelverzicht vorgetragen wird. Weder bedarf es dafür einer Einrede der begünstigten Partei noch unterliegt der außergerichtliche Rechtsmittelverzicht der Prüfung von Amts wegen. Die Parteien bleiben zur Verfügung über den Verzicht befugt; sie können ihn einverständlich aufheben oder seine Wirkung vereiteln, indem sie entsprechenden Vortrag im Prozeß unterlassen. Auf die Urteilsrechtskraft ist der außergerichtliche Rechtsmittelverzicht ohne Einfluß. Willensmängel können beim außergerichtlichen Rechtsmittelverzicht nach Maßgabe der § § 1 1 9 ff. B G B geltend gemacht werden; durch eine erfolgreiche Anfechtung wird der Verzicht gemäß § 142 Abs. 1 B G B vernichtet, so daß die Einlegung des Rechtsmittels wieder möglich wird. Dessen Zulässigkeit hängt dann davon ab, daß entweder die Rechtsmittelfrist noch nicht abgelaufen ist oder die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 233 ff. Z P O erfüllt sind. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Rechtsmittelverzicht vom Gegner mit Hilfe unlauterer Mittel erschlichen worden ist: Der Disponent ist nicht auf eine „Gegeneinrede der Arglist" angewiesen, sondern kann seine Erklärung gemäß § 123 B G B anfechten.

E. Zusammenfassung 1. Das Klagerücknahmeversprechen ist der paradigmatische Fall des prozessualen Verpflichtungsvertrags, der die gemäß § 269 Abs. 2 S. 1 Z P O für die Klagerücknahme erforderliche einseitige Prozeßhandlung zwar nicht zu ersetzen vermag, vom Gericht aber zu beachten ist, ohne es daß dafür der Erhebung einer Einrede bedürfte. Wird das Klagerücknahmeversprechen von einer Partei vorgetragen, ist die vertragswidrig weiterbetriebene Klage als unzulässig abzuweisen. 2. Der außergerichtliche Vergleich ist ein materiell-rechtliches Rechtsgeschäft, das mit einem Klagerücknahmeversprechen verbunden werden kann. Soweit dies nicht geschieht, nimmt er dem Rechtsschutzbegehren nicht die Zulässigkeit, sondern bewirkt lediglich die Unbegründetheit eines über die Vergleichssumme hinausgehenden Antrags. 3. Der Prozeßvergleich ist kein Zwitter, sondern aus einem materiellrechtlichen Vergleich und einem verfahrensrechtlichen Prozeßbeendigungsvertrag zusammengesetzt. Für die Rechtsfolgen der Nichtigkeit eines Teils ist

E.

Zusammenfassung

555

gemäß § 139 B G B der (hypothetische) Parteiwille maßgeblich. Letzterem wird es in aller Regel entsprechen, mit der Unwirksamkeit des Vergleichs auch die Prozeßbeendigungswirkung entfallen zu lassen, so daß bei materiellrechtlichen Mängeln der alte Rechtsstreit fortzusetzen ist. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist analog anzuwenden sowohl auf Prozeßbeendigungsverträge, die mit anderen Feststellungsgeschäften als dem Vergleich - etwa mit Schuldanerkenntnis oder Erlaß - kombiniert sind, als auch auf den sog. „abstrakten", oder besser: isolierten, Prozeßbeendigungsvertrag. Genauso4' wie außerhalb eines Rechtsstreits (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) sollte es den Parteien auch innerprozessual nicht verwehrt sein, einen Vollstreckungstitel zu kreieren, ohne gleichzeitig über ihre materiellen Rechte zu disponieren. 4. Der herkömmlich akzeptierte Formenwildwuchs im Bereich des Rechtsmittelverzichts ist auf zwei Grundkonzepte zurückzuschneiden: Wird der Verzicht dem Gericht gegenüber erklärt, was sowohl vor als auch nach Urteilserlaß möglich ist, handelt es sich um eine unilaterale Bewirkungshandlung, die den Regeln der allgemeinen Prozeßhandlungslehre unterliegt, von Amts wegen zu beachten ist und ggfs. sofort zur Rechtskraft des Urteils führt. Der außergerichtliche Rechtsmittelverzicht ist hingegen nur in Form des Verpflichtungsvertrags denkbar, unterliegt als solcher nicht der Amtsprüfung und ist nicht dazu geeignet, die Rechtskraft des Urteils herbeizuführen. Ein Verzicht nach Rechtsmitteleinlegung ist nicht möglich; eine entsprechende Vereinbarung ist als Rechtsmittelrücknahmeversprechen auszulegen. Disponibel ist nicht nur das Recht auf Berufung, sondern gleiches gilt für die Befugnisse zur Anstrengung von Revisions-, Beschwerde- und Wiederaufnahmeverfahren sowie das Recht auf Einspruch gegen ein Versäumnisurteil. Willensmängel können beim außergerichtlichen Rechtsmittelverzichtsvertrag nach Maßgabe der §§119 ff. B G B , anstatt mit Hilfe einer „Gegeneinrede der Arglist", geltend gemacht werden. Nur wenn die Rechtsmittelfrist im Zeitpunkt der Anfechtung bereits abgelaufen ist, bedarf es für die Zulässigkeit des Rechtsmittels kumulativ der Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

8. Kapitel

Kompetenzverträge

Unter dem Titel Kompetenzverträge werden im folgenden verschiedene Typen verfahrensbezogener Vereinbarungen behandelt, deren Gegenstand die Modifikation der gesetzlich vorgezeichneten Zuständigkeitsordnung ist. Der Begriff der Zuständigkeit wird dabei nicht im engeren Sinn der §§ 1 ff. ZPO verstanden, sondern betrifft die Kompetenz eines Spruchkörpers im weitesten Sinn. Als mögliche Gegenstände vertraglicher Regelungen kommen deshalb nicht nur die sachliche und die örtliche Zuständigkeit, sondern auch internationale und funktionelle Zuständigkeit, Geschäftsverteilung, Rechtswegeröffnung sowie die Abgrenzung zwischen staatlicher Gerichtsbarkeit und privatem Schiedsgerichtswesen in Betracht. In diesem Bereich fristen einige Vertragstypen ein Schattendasein während andere, insbesondere die Gerichtsstandsvereinbarung der §§ 38 ff. ZPO und die Schiedsvereinbarung gemäß §§ 1025 ff. ZPO, in der Praxis eine große Rolle spielen und einen breiten Strom an Rechtsprechung und Literatur ausgelöst haben. Die folgende Darstellung setzt demgegenüber andere Schwerpunkte. Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen sind immer wieder als Beispiele für die Erarbeitung allgemeiner Grundsätze des Prozeßvertragsrechts genutzt worden 1 , so daß es im folgenden vor allem darum gehen muß, die bereits erarbeiteten Grundsätze zusammenzufassen und mit der zu den §§38 ff., 1025 ff. ZPO entwickelten Dogmatik in Beziehung zu setzen. Bei den übrigen Vertragstypen, also bei den Dispositionen über die funktionelle Zuständigkeit, die Geschäftsverteilung und den Rechtsweg, steht demgegenüber die Zulässigkeitsproblematik im Zentrum des Interesses. Abschließend soll die Frage erörtert werden, ob die Parteien dazu befugt sind, die Kompetenzen der Gerichte durch Parteivereinbarung zu erweitern.

A. Gerichtsstandsvereinbarungen Gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 ZPO „wird ein an sich unzuständiges Gericht des ersten Rechtszuges durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung 1

Vgl. die Nachweise in den Fn. 2, 107.

A.

Gerichtsstandsvereinbarungen

557

der Parteien zuständig"2. Die Gerichtsstandsvereinbarung ist also kein obligatorischer Vertrag, mit dem sich die Parteien gegenseitig die Pflicht auferlegten, nicht vor dem derogierten oder nur vor dem prorogierten Gericht zu klagen bzw. im Fall der Klage vor einem nach der Legalordnung unzuständigen Gericht die Rüge der Unzuständigkeit gemäß § 39 Z P O zu unterlassen 3 , die wegen der Rechtsfolge des § 38 Abs. 1 S. 1 Z P O ohnehin ins Leere ginge. Die Gerichtsstandsvereinbarung ist vielmehr der paradigmatische Fall eines Vertrags im Rahmen dispositiven Prozeßrechts, mit dem die Parteien das für ihren Rechtsstreit geltende Verfahrensrecht modifizieren, indem sie die Zuständigkeit des prorogierten Gerichts abweichend von der Legalordnung begründen 4 . Entsprechendes gilt für die Derogation, mit der die Kompetenz eines gemäß §§12 ff. Z P O zuständigen Gerichts ohne weiteres ausgeschlossen wird. Da Gegenstand der Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeitsordnung ist, handelt es sich um einen Prozeßvertrag5 und nicht um einen materiell-rechtlichen Vertrag über prozessuale Beziehungen 6 . Wie für Prozeß Verträge allgemein, gilt indessen auch für Dispositionen über die gerichtliche Zuständigkeit das allgemeine, im BGB geregelte Vertragsrecht7. Gerichtsstandsvereinbarungen können deshalb von beschränkt Geschäftsfähigen 2 Zur Gerichtsstandsvereinbarung vgl. oben, 1. Kapitel, B III 1, S. 30 f.; 2. Kapitel, E l l b, S. 101 f., F II 3 a, S. 134 ff., G II, S. 177 ff., 3. Kapitel, B I 2 a, S. 224, B II 1, S. 233, B III 3, S. 252 f.; 4. Kapitel, B II, S. 287 ff., B VI, S. 305, 310 f., 320 f., B VII, S. 326 f., 328 f.; 5. Kapitel, C, S. 357 ff., D I, S. 377 ff. 3 So aber Lorenz, AcP 157, 265, 280 f.; dagegen Gottwald, FS Henckel, S. 295, 307; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 100; Stein/Jonas-ßor^, § 38 Rdnr. 44. 4 Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 221 f.; Kornblum, FamRZ 1973, 416, 422; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 100 f.; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 90 f.; vgl. bereits oben, 3. Kapitel, B II 1, S. 233. 5 Übereinstimmend R G Z 159, 254, 255 f.; RG, JW 1936, 3185; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 229 f., 281 ff.; Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 457 f.; Gottwald, FS Henckel, S. 295, 299 f.; Habscheid, FS Schima, S. 175, 178; Hausmann, FS Lorenz, S. 359, 361; K. Hellwig, FS Gierke, II, S. 41, 79; ders., System I, § 151 I 1, S. 449; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 34 f.; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 1 1 IV, S. 37; Nagel/ Gottwald, Internationales Zivilprozeßrecht, Rdnr. 69; J. Kohler, Gruch. Beitr. 31, 276, 278 ff.; Kornblum, FamRZ 1973, 416, 421 f.; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 25 II 1, S. 102; Sachse, ZZP 54, 409, 416 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 37 I 1, S. 182; Schiedermair, Vereinbarungen, S. 100 f.; Schwab, FS Baumgärtel, S. 503, 509; Stein/JonasBork, § 3 8 Rdnr. 44; Thomas/Putzo, Vor § 3 8 Rdnr. 2.; Walsmann, AcP 102, 1, 206 f.; Zöller-Vollkommer, § 38 Rdnr. 4; vgl. bereits oben, 1. Kapitel, B III 1, S. 30 f. 6 So aber B G H Z 49, 384, 386; 57, 72, 75; 59, 23, 26 f.; B G H , N J W 1971, 323, 324 (mit krit. Anm. Geimer); N J W 1986, 1438, 1439 (mit krit. Anm. Geimer)-, N J W 1989, 1431, 1432; A K - Z P O - R ö h l , § 38 Rdnr. 7; v. Bar, Internationales Privatrecht II, Rdnr. 554; Baumbach/Lauterbach-/f^rim