Protestantische Kirchenkampfdeutungen: Eine vergleichende Untersuchung zu Karl Barth, Walter Künneth und Emanuel Hirsch [1 ed.] 9783737016230, 9783847116233


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German Pages [365] Year 2023

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Protestantische Kirchenkampfdeutungen: Eine vergleichende Untersuchung zu Karl Barth, Walter Künneth und Emanuel Hirsch [1 ed.]
 9783737016230, 9783847116233

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Kirche – Konfession – Religion

Band 86

Herausgegeben vom Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes unter Mitarbeit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen von Dagmar Heller und Rüdiger Braun in Verbindung mit Andreas Feldtkeller, Miriam Rose und Gury Schneider-Ludorff

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

Torben Burkart

Protestantische Kirchenkampfdeutungen Eine vergleichende Untersuchung zu Karl Barth, Walter Künneth und Emanuel Hirsch

Mit 7 Abbildungen

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Brill | V&R unipress, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: AEKR Best. 017b Kirchenkreis Saarbrücken. Nachtrag Sammlung Wehr Nr. 06-7-2,2 S. 107. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-1507 ISBN 978-3-7370-1623-0

Ich widme diese Arbeit meiner Familie, die ich unsagbar liebe; ich kann gar nicht in Worte fassen, wie dankbar ich euch für Alles bin!

»Philosophie entsteht, wo geistige Not ausbricht; geistige Not beginnt, wenn jemand, der zu denken pflegt, ein ihn Bedrängendes nicht mehr mit den bisherigen Gedanken bewältigen kann und sie nun zu prüfen beginnt. (…) Ein solches Leiden am eigenen Unvermögen zwingt den Denkenden, das Bisherige und Gewohnte aufzugeben und nach Neuem zu suchen. Findet er wichtig erscheinendes, muß er es prüfen und sich dann entscheiden und ihm folgen, sei dies ein denken über Gott, über das Erkennen oder über das Führen des Lebens.« Gregor Maurach, Geschichte der römischen Philosophie, Darmstadt 1989, S. 1, §2.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Problemanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Methodische Vorentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Forschungsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Rezipientenperspektive . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Charakter und Grenzen der Arbeit . . . . . . . . . . . 1.2.3. Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Begründung der Autorenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1. Das Kriterium des Einflusses und der Reichweite . . . 1.3.2. Das Kriterium der Originalität . . . . . . . . . . . . . 1.3.3. Das Kriterium der Diversität und der repräsentativen Breite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1. Karl Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2. Walter Künneth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3. Emanuel Hirsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Aufbau und Ertrag der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Karl Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Theologische Kontinuität und kontextbedingte Veränderung 2.3. Theologische Grundlagen Barths im Kirchenkampf . . . . . . 2.3.1. KD I,1: Exklusivistische Wort-Gottes-Theologie und -Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Das erste Gebot als theologisches Axiom und die Ablehnung der natürlichen Theologie . . . . . . . . .

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Inhalt

2.4. Chronologische Darstellung der Entwicklung der Kirchenkampfdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1. Mai/Juni 1933: Einsetzender »Kirchenstreit« . . . . . . . . 2.4.2. Ende 1933: »Scheidung der Geister« – »Entweder-Oder« . 2.4.3. Vor und während 1933: Barths Verhältnis zum Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4. Januar bis August 1934: »geistliche Konsolidierung« durch echtes Bekenntnis und echtes Bekennen . . . . . . 2.4.5. August 1934: Durch die Forderung des Eides »in den status confessionis versetzt« . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6. Mitte 1935: Zurück in der Schweiz – Ende einer »gewisse(n) Zurückhaltung« . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.7. Der »Kirchenkampf« als »Widerstand Gottes gegen die Hoffart der Menschen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.8. »1934 ist eigentlich der Beginn des ernsthaft so zu nennenden Kirchenkampfes« . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.9. Deutung(en) des Kirchenkampfes . . . . . . . . . . . . . 2.4.9.1. Die »stolze und doch so trügerische Idee des corpus christianum« . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.9.2. Der Nationalsozialismus als »Religion oder Kirche (etwa von der Art des Islam)« . . . . . . . . . . . 2.4.9.3. »Not und Verheißung im deutschen Kirchenkampf« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.9.4. Der »christliche Glaube kennt keine Landesgrenzen und keine Neutralitätserklärungen« . . . . . . . . . . . . . . 1. Exkurs: Autobiographische Retrospektive – »Vertiefung«, »Veränderung«, »Anwendung« . 2. Exkurs: Kirchenkampf in der KD . . . . . . . . 2.5. 1938: Explicationes und applicationes von Barths Deutung des Kirchenkampfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1. »Rechtfertigung und Recht« als grundsätzliche theologische Klärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2. Verteidigung gegen das NS-Regime . . . . . . . . . . . . . 2.5.3. »Die Kirche und die politische Frage von heute« . . . . . 2.5.4. Das »Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus« als Ende aller Konjunktive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.5. Neubestimmung der »Judenfrage« angesichts der Novemberpogrome 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.5.6. Nach 1938: Die »Judenfrage, Kirchenfrage, Kriegsfrage« als »Gottesbeweis« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Kirchenkampf in der Rezipienten- und historiographischen Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Walter Künneth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Zur Forschungslage und Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . 3.3. Theologische Grundlagen Künneths im Kirchenkampf . . . . . . 3.3.1. Theologie der Auferstehung Christi und der Offenbarung Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. »Die kämpfende Kirche« als radikale Infragestellung der Welt und des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Chronologische Darstellung der Entwicklung der Kirchenkampfdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1. Künneths Haltung zu völkischer Religiosität und zum Nationalsozialismus vor 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. Anfang 1933: »Wir stehen im Angang einer neuen Epoche deutscher Geschichte« . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3. Mitte 1933: »Kirche muß Kirche bleiben!« – Reformation statt Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4. Ende 1933: »Kirche muß wieder Kirche werden!« – Erste Deutungen des Kirchenkampfes . . . . . . . . . . . 3.4.5. 1934: »Um die lutherische Reichskirche« . . . . . . . . . . 3.4.6. Ende 1934: »Entscheidungszeit!« . . . . . . . . . . . . . . 3.4.7. »Heidnischer Geist oder Heiliger Geist?« – »Stunde des Glaubenskampfes« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.8. 1935: »Wächteramt« und »Bekenntnisfront« und die Hoffnung auf die »Beendigung des Kirchenkampfes in neuer echter Einheit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.9. Künneths Replik auf Hirschs »Deutsches Volkstum und evangelischer Glaube« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.10. 1935: »Entkonfessionalisierung?« und »Politisierte Kirche« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.11. 1936: »Bekennende Kirche – Was nun?« – Die BK nach Gründung des RKA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.12. Geschichtstheologische Deutung der Lage im Jahre 1936 . 3.4.13. 1937: »Kirche und Generalsynode« und »Kirche und Religionspolitik« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.4.14. 1937: »Not« und »Verheißung« des Kirchenkampfes . . . 3.4.15. Retrospektive: »worum es in dem bitteren Kirchenkampf […] zutiefst ging« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.16. Ende 1937: Ende der kirchenpolitischen Bedeutung Künneths . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Kirchenkampf in der Rezipientenperspektive . . . . . . . . . . . 3.5.1. 1947: »Der große Abfall« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2. 1979: »Lebensführungen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Emanuel Hirsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Einschlägige Einsichten aus der Hirsch-Forschung . . . . . . . . 4.3. Kann man sich mit Teilen von Hirschs Theologie heute unbelastet beschäftigen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Ideologische und politisch-theologische Grundlagen Hirschs im Kirchenkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1. Persönliches Anliegen und Ziel der Theologie: »Umformung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2. Zwei-Reiche-Lehre und Christliche Freiheit . . . . . . . . 4.4.3. Volkskirchenideal, Lutherbild und Luthertum . . . . . . . 4.4.4. Völkisch-politische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.5. »Ethische Geschichtsansicht« . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Chronologische Darstellung der Entwicklung der Kirchenkampfdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1. Vor 1933: Hoffnung auf einen »Freiheitskrieg« und erste Annäherungen an Hitler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2. Der 30. Januar 1933 als geschichtstheologisches Ereignis . 4.5.3. Das Jahr 1933 als »Geschichtswende« – »Wir sagen Ja, wir folgen ihm. Heil Hitler!« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.4. 1933: DC, Volkskirche und kirchliche Führung . . . . . . 4.5.5. Die »Ehre«, »Unehre« und »Verschuldung« des Kirchenkampfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Hirschs Verhältnis zum Summepiskopat . . . . . 4.5.6. Mai 1934: »Mißbrauch des Bekenntnisses und Bekenntnisgottesdienstes zur Agitation« . . . . . . . . . . 4.5.7. Oktober/November 1934: »politischer Theolog« und »politische Theologie« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.8. Weitere Radikalisierung und Politisierung der kirchenpolitischen Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.5.9. Das »nationalsozialistische Regiment ist unser letztes deutsches Schäfchen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6. Rezipientenperspektive: Hirschs Deutung des Kirchenkampfes nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7. Autobiographischer Rückblick: »Über mich selbst« . . . . . . . 4.8. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.1. Tendenz zur Rechtfertigung und Marginalisierung politischer Missetaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.2. Tendenz zur Politisierung und Dämonisierung theologischer Anliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Desiderate und weiterführende Fragestellungen . . . . . . . . . . . .

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7. Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1. Karl Barth-Archiv Basel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA). Archivalien zu Emanuel Hirsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Der Nachlass Emanuel Hirschs . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . 8.1. Schriften von Karl Barth . . . . 8.2. Schriften von Walter Künneth . 8.3. Schriften von Emanuel Hirsch . 8.4. Sonstige Literatur . . . . . . . .

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9. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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10. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Auswertung und Ertrag der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Synopse der Deutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1. Terminologie des ›Kirchenkampfes‹ . . . . . . . . 5.1.2. Grundlagen für die Deutung des ›Kirchenkampfes‹ 5.1.3. Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ . . . . . . . . . . 5.1.4. Ambivalenz des ›Kirchenkampfes‹ . . . . . . . . . 5.1.5. Entwicklung der Deutung des ›Kirchenkampfes‹ . 5.1.6. Synopse der Deutungen (Tabellarische Übersicht) 5.2. Strukturelle Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Historiographischer Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Bei der vorliegenden Studie handelt sich ursprünglich um eine Dissertation zur Erlangung des Grades des Doktors der Philosophie an der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes. Sie wurde von Prof. Dr. Michael Hüttenhoff als Erstgutachter und Pfarrer Prof. Dr. Joachim Conrad als Zweitgutachter betreut. Beide haben mich auf vielfältige Weise und mit großem Engagement unterstützt, wofür ihnen mein ganz besonderer Dank gilt. Die Anfertigung einer Dissertation zum ›Kirchenkampf‹ wurde im Rahmen einer Anstellung als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand von 2017 bis 2020 an der Universität des Saarlandes im Fachbereich Evangelische Theologie möglich. Die durch die DFG geförderte Arbeit an der Edition von Barths Vorträgen und kleineren Arbeiten der Jahre 1937 bis 1939 erlaubte mir die intensive Lektüre und Kommentierung einschlägiger Barth-Texte wie etwa Rechtfertigung und Recht und Die Kirche und die politische Frage von heute. Sie bot mir aber auch die Möglichkeit der Einsichtnahme in bisher unveröffentlichte Texte wie beispielsweise Manu- und Typoskripte, Briefe, Postkarten, Taschenkalender etc. Ein Besuch im KBA im Rahmen einer Dienstreise nach Basel ermöglichte es mir, diese Quellen noch einmal in situ zu sichten. Ebenso hilfreich waren zwei Besuche im DLA in Marbach und ein weiterer in Münster für meine Archiv-Forschung zu Emanuel Hirsch. Es ist mir eine besondere Ehre, dass meine Arbeit einstimmig in die Reihe »Kirche – Konfession – Religion« bei Vandenhoeck & Ruprecht aufgenommen wurde. Ich bedanke mich bei den Herausgeber*innen hiermit ganz herzlich für den damit verbundenen Vertrauensvorschuss und hoffe, den damit verbundenen Erwartungen und Ansprüchen gerecht geworden zu sein. Außerdem danke ich Dr. Julia Schwanke von der Programmleitung von Vandenhoeck & Ruprecht für die stets freundliche und kompetente Beratung im Vorfeld der Veröffentlichung sowie Frau Laura Haase für die professionelle Erstellung des Buchsatzes. Allen Institutionen, die sich durch Druckkostenzuschüsse an der Finanzierung dieses Buches beteiligt haben, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Stellvertretend bedanke ich mich bei Prof. Dr. Georg Plasger, der mir eine großzügige

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Vorwort

Spende der Karl Barth-Gesellschaft übermittelt hat. Außerdem bedanke ich mich bei der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Evangelischen Kirche der Pfalz für ihre tatkräftige finanzielle Unterstützung. Das Gelingen meiner Arbeit wurde aber erst durch die Unterstützung vieler lieber Menschen ermöglicht, denen ich an dieser Stelle ein tief empfundenes »Dankeschön« aussprechen möchte. Zuerst danke ich meiner Ehefrau Silke von Herzen dafür, dass sie mir an den entscheidenden Stellen verständnisvoll den Rücken freigehalten hat, damit ich überhaupt die nötige Zeit und Muße finden konnte, um mich meiner Aufgabe zu widmen. Ich danke unseren drei wunderbaren Kindern, die manchmal viel Geduld mit und Verständnis für ihren Papa aufbringen mussten, wenn dieser wieder einmal am Schreibtisch oder hinter einem Buchrücken oder gar hinter ganzen Bücherstapeln verschwunden war und die mir trotzdem immer wieder Stärke, Liebe, Freude und Zuversicht geschenkt haben und immer wieder schenken. Außerdem danke ich meinen Eltern, Angelika und Patrick Burkart, dafür, dass sie mir Schule und Studium ermöglicht und meine Familie und mich immer wieder unterstützt haben. Bei meiner Ehefrau und meiner Mutter möchte ich mich noch einmal ganz besonders für das häufige Korrekturlesen und die vielen intensiven Besprechungen der einzelnen Kapitel bedanken. Außerdem bedanke ich mich bei meinen Kolleg*innen vom Ökumenischen Forschungskolloquium und vom Mittelbaukolloquium. Hier sind insbesondere PD Dr. Margit Ernst-Habib und Fabian Kracke stellvertretend für weitere Personen zu nennen: Mein eigenes Denken und Arbeiten hat stets von dem inspirierenden und fruchtbaren Gedankenaustausch mit ihnen profitiert.* Im Rahmen des Ökumenischen Forschungskolloquiums und meiner Disputation im Oktober 2022 habe ich außerdem wertvolle Impulse von Prof. Dr. Martin Meiser, Prof. Dr. Karlo Meyer, Prof. Dr. Lucia Scherzberg und PD Dr. August-Hermann Leugers-Scherzberg erhalten, für die ich dankbar bin. Meinen Kolleginnen Julia Bayer und Rebecca Ventulett möchte ich für ihr hilfreiches Feedback zu einem Probevortrag vor meiner Disputation danken. Meiner langjährigen Freundin Nadja Gleser danke ich für den professionellen Satz des Schaubildes zu Walter Künneths Ordnungstheologie und der synoptischen Tabelle der Auswertung meiner Arbeit. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Anne Conrad, die Vorsitzende der Prüfungskommision war, sowie allen weiteren Mitgliedern der Prüfungskommission: PD Dr. Margit Ernst-Habib, Prof. Dr. Joachim Conrad, Prof. Dr. Michael Hüttenhoff und Prof. Dr. Karlo Meyer. Außerdem danke ich Stefan Hammann vom Pro* Von Margit Ernst-Habib habe ich viele Impulse zu Karl Barths Theologie erhalten sowie den Hinweis auf Barths Vorstellung von den herrenlosen Gewalten. (s. u. 2. Exkurs: Kirchenkampf in der KD, Anm. 499) Die Idee für das philologische Argument zur Verwendung des Kirchenkampf-Begriffes am Ende meiner Arbeit verdanke ich im Wesentlichen Fabian Kracke. (s. u. Kap. 5.2. Punkt 3.4. und 4.) Beiden gilt mein herzlichster Dank dafür!

Vorwort

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motionssekretariat der Philosophischen Fakultät für seine kompetente und engagierte Betreuung. Des Weiteren bedanke ich mich bei Dr. Peter Zocher, der mir in seiner Funktion als Archivleiter des KBA und Herausgeber der Karl Barth-Gesamtausgabe viele wertvolle Ratschläge und Gedanken mit auf den Weg gegeben, mir an entscheidender Stelle einige Texte des damals noch nicht erschienenen Bandes V.u.kl.A. 1935–1937 zur Verfügung gestellt und die Zitations- und Abdruckerlaubnis zu den Archivalien des KBA erteilt hat. Ein weiterer Dank gilt Dr. Jochen Meyer, der bis 2006 die Handschriftenabteilung im DLA geleitet hat und mich bei meinen Dienstreisen nach Marbach trotz Ruhestand auf vielfältige Weise beraten und inspiriert hat. Außerdem danke ich Heiderose Buschhaus, Heidrun Fink, Dr. Nikola Herweg, Dörthe Perlenfein und Dr. Ulrich von Bülow vom DLA dafür, dass sie mich von der Erstellung des Benutzungs- und Publikationsantrages bis hin zur Kopie einzelner Briefe und der Klärung entsprechender rechtlicher Fragen und Probleme kompetent und freundlich beraten und begleitet haben. Ich bedanke mich bei Dr. Lilian Hohrmann vom Archiv für Diakonie und Entwicklung, Berlin (ADE) für die Bereitstellung des Porträtfotos von Walter Künneth aus dem Jahre 1927 sowie bei Prof. Dr. Andreas Kubik-Boltres für das Foto von dem Ölgemälde Emanuel Hirschs. Ich danke Prof. Dr. Heinrich Assel, mit dem ich wichtige Erfahrungen und Informationen zum Umgang mit dem Nachlass Emanuel Hirschs klären konnte. Zu danken habe ich auch Prof. Dr. Arnulf von Scheliha, der mir in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vorstandes der »Stiftung Emanuel Hirsch. Werkausgabe – Archiv – Forschungsförderung« Einsicht in einige Schriften aus Hirschs Privatnachlass ermöglicht hat, bevor diese veröffentlicht wurden, und der mir auch die Zitationserlaubnis für Hirschs Briefe im DLA erteilt hat. Außerdem danke ich Prof. Dr. med. Tiemo Grimm dafür, dass er mir in seiner Rolle als Rechtsnachfolger die Erlaubis erteilt hat, aus den Briefen seines Großvaters, Hans Grimm, zu zitieren. Zuletzt bedanke ich mich bei den Kusler Rotariern, die mir hinsichtlich der Gestaltung des Buchcovers einen wichtigen Tipp gegeben haben, der meine Perspektive darauf maßgeblich geändert hat. Ohmbach, den 16. Juni 2023 Torben Richard Michael Burkart

1.

Einleitung

1.1. Problemanzeige Der Begriff ›Kirchenkampf‹1 – besonders als Epochenbezeichnung für den Zeitraum von 1933–1945 – ist im Hinblick auf seine Verwendbarkeit und Angemessenheit stark umstritten. Gegner des Begriffes sprechen etwa vom »ungekämpften Kirchenkampf« und betonen das »politische Versagen der Bekennenden Kirche«.2 In der neueren Forschung vertritt Manfred Gailus die These, »dass kein anderes der großen Sozialmilieus so offen und aufnahmebereit für nationalsozialistische Politik und Weltanschauung war wie gerade das protestantische.«3 Außerdem erscheine mithilfe des Begriffes »›die Kirche‹ als defensive Größe, als Opfer eines großen Bösen.« Der Begriff erwecke nämlich den Eindruck, dass »sie glaubenstreu am alten, ›wahren Glauben‹« festgehalten und auf diese Weise »dem Angriff des Bösen ›Widerstand‹ geleistet«4 habe. Demgegenüber sei allerdings zu betonen, dass die Kirchengeschichte der protestantischen Kirche der Jahre 1933–1945 »eher zu den Tiefpunkten einer bald fünfhundertjährigen deutschen Protestantismusgeschichte«5 gehöre, denn der Protestantismus im Dritten Reich sei »mehrheitlich Tätergeschichte und Anpassungsgeschichte.«6 Gailus deutet beispielsweise die Kirchenwahlen vom Juli 1933 als »protestantische Selbsttrans1 Weil der Begriff ›Kirchenkampf‹ im Verlauf der Arbeit sehr häufig verwendet wird und um Missverständnissen vorzubeugen, setze ich im Folgenden den Ausdruck ›Kirchenkampf‹ in einfache Anführungsstriche, um seine Problematik anzuzeigen, wenn ich ihn als wissenschaftlichen Begriff verwende. Wenn ich mich allerdings auf die Perspektive der Akteure beziehe, lasse ich die Anführungszeichen der besseren Verständlichkeit wegen weg. Handelt es sich um ein Zitat der Akteure, steht der Begriff in normalen Anführungszeichen. 2 Prohlingheuer, Der ungekämpfte Kirchenkampf 1933–1945. Das politische Versagen der Bekennenden Kirche. 3 Gailus, Protestantismus, Nationalsozialismus und Nachkriegsliteratur, 18. 4 Gailus, Protestantismus und Nationalsozialismus, 158. 5 A. a. O., 162. 6 A. a. O., 171.

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formation«, insofern es sich dabei um die »fast kampflose protestantische Selbstpreisgabe«7 an den Nationalsozialismus gehandelt habe. Die Nachkriegsliteratur erwecke jedoch den Eindruck, dass sich »Nationalsozialismus und Christentum als zwei getrennte, eher unvereinbare, mehr oder minder sich ausschließende oder gar feindlich sich gegenüberstehende Größen« begegnet seien. Eine solche »scharfe Trennung beider Glaubenswelten« entspreche zwar dem »weit verbreiteten geistig-moralischen Bedürfnissen nach Gegenwartsbewältigung«, müsse »jedoch als reichlich apologetisches Wunschbild gelten, das den stark in Bewegung begriffenen religiösen Weltbildkonstellationen der 1930er Jahre kaum gerecht«8 werde. Zwar wird eingeräumt, dass der Begriff ›Kirchenkampf‹ als »Schlüsselbegriff« eine »vieldeutige, moralisch-symbolisch hoch aufgeladene Selbstbezeichnung seitens der historischen Akteure« gewesen sei, »die ursprünglich den Auseinandersetzungen der 1930er Jahre entstammte«. Allerdings sei er »nach 1945 rasch zum Epochenbegriff schlechthin für ›Kirche und Nationalismus‹« aufgestiegen und »bald zum kanonisch verfestigten Geschichtsbild«9 geronnen. Folglich spiegele sich in der historiographischen Verwendung des Begriffes eine unzulässige, den Tatsachen nicht entsprechende Selbstdarstellung der Kirche wider: »Kirchenkampfgeschichte war Leidens- und Opfergeschichte.«10 Aus diesen Gründen lehnen Gailus und andere zeitgenössische Kirchenkampfforscher mit Recht diese Art der verklärenden Kirchengeschichtsschreibung als einseitige und unzulässige »Heldenverehrung«11 ab, bei der »Verengungen, Verdrängungen, Ausblendungen«12 eine bedeutende Rolle gespielt haben.

7 Gailus, Von der selbstgewählten hundertjährigen Gefangenschaft der Kirche im Nationalen, 518. 8 Gailus, »Nationalsozialistische Christen« und »christliche Nationalsozialisten«, 223. 9 Gailus, Protestantismus und Nationalsozialismus, 157. 10 A. a. O., 158. 11 Robert P. Ericksen wies überzeugend nach, dass eine solche Heroisierung christlichen Widerstands die Kirchenkampfdarstellung Wilhelm Niemöllers wesentlich bestimmt hat. Die – bewusste oder unbewusste – Verklärung der eigenen Rolle der Nachkriegshistoriographen sowie der Rolle der protestantisch-kirchlichen Akteure im ›Kirchenkampf‹ habe einen bedeutenden Beitrag für die Vergangenheitsbewältigung geleistet, sodass die frühe Kirchenkampfforschung geneigt war, die Bedeutung des kirchlichen Widerstandes in der Darstellung überzubetonen. Vgl. Ericksen, Wilhelm Niemöller and the Historiography of the Kirchenkampf. – Niemöller selbst scheint diese Gefahr allerdings erkannt zu haben. Obgleich er natürlich eine deutliche Nähe zum dahlemitischen Flügel der BK aufwies, warnte auch er in seinen Schriften wiederholt davor, über den ›Kirchenkampf‹ »ein Heldenepos zu dichten.« Niemöller, Evangelischer Widerstand, 251. Ebenso wies er auf die Gefahr hin, dass »der deutsche Kirchenkampf bald hoffähig und seine Geschichte ein Arsenal für ›erhebende Feierstunden‹ und ›begeisternden Religionsunterricht‹« erhoben werde. Ders., Strategie des Kirchenkampfes, 37. 12 Gailus, Protestantismus und Nationalsozialismus, 158.

Problemanzeige

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Trotz und angesichts dieser Einwände halten einige Autoren an der Verwendung des Begriffes als »Epochenbezeichnung« fest, »da er die grundsätzlich christentumsfeindliche Ausrichtung der nationalsozialistischen Herrschaft ernst«13 nehme. Diese Epochenbezeichnung habe »ihr Recht, wenn damit nicht eine durchgängige politische Widerstandshaltung der Kirchen gegen die nationalsozialistische Herrschaft gemeint, sondern der Begriff in seinen Bedeutungswandlungen und Nuancen gesehen«14 werde. In seinem wichtigen TRE-Artikel argumentierte Joachim Mehlhausen, dass der Begriff zwar als Bezeichnung für die »während der Jahre 1933/34 in der evangelischen Kirche sich ereignenden Auseinandersetzungen um die Leitung der Kirche, ihre Ordnung und ihren Bekenntnisstand« angemessen sei. Als »kirchengeschichtliche Epochenbezeichnung für die Gesamtheit aller die Kirchen betreffenden Ereignisse in den Jahren zwischen 1933 und 1945« könne »er hingegen nicht mehr verwendet werden.«15 Diese Differenzierung fußt auf einer zweifachen Begründung: 1.) Der Begriff ›Kirchenkampf‹ enge die »historiographische Perspektive auf die evangelische Kirche ein«. 2.) »Nur kleine bis kleinste Segmente des vielschichtigen Geschehens« könnten »als ›Kampf‹, als ›resistentes Verhalten‹, als ›Opposition‹ oder als ›Widerstand‹ gegen die nationalsozialistische Herrschaft bezeichnet werden.« Weil also »das Wort Kirchenkampf bereits eine wertende Deutung des Geschehens in sich« enthalte, sei »es als zeithistorische Epochenbezeichnung nicht verwendbar.«16 Als Alternative für den Kirchenkampfbegriff vermeide die »Überschrift Nationalsozialismus und Kirchen« eine »vorauslaufende Deutung« und mache den Blick der Forschung frei für a) die »Kirchenpolitik der Nationalsozialisten vor und nach der Übernahme der Regierungsverantwortung am 30. Januar 1933« und b) »die Haltung, die beide großen christlichen Kirchen zum Nationalsozialismus als Ideologie (bzw. als Weltanschauung) und als Herrschaftssystem eingenommen haben«.17 Aus diesen Gründen hat Olaf Blaschke den Ausdruck Die Kirchen und der Nationalsozialismus in die Diskussion eingeführt. Seiner Meinung nach gehört der Begriff ›Kirchenkampf‹ zumindest »in Anführungsstriche«18, denn er suggeriere, 1.) »er könne die Geschichte beider Kirchen während dieser Zeit abdecken«. 2.) Überdies bezeichne er »nicht eindeutig, wer gegen wen kämpfte« und sei deshalb 3.) »zu historisieren.«19

13 14 15 16 17 18 19

Strohm, Die Kirchen im Dritten Reich, 10. Scholder, Kirchenkampf, 132. Mehlhausen, Nationalsozialismus und Kirchen, 43. A. a. O., 43f. A. a. O., 44. Blaschke, Die Kirchen und der Nationalsozialismus, 135. A. a. O., 135f.

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Auch wenn all diesen Vorbehalten uneingeschränkt zugestimmt werden und mit Mehlhausen die Untauglichkeit des Begriffes als ›kirchengeschichtliche Epochenbezeichnung‹ für die Gesamthaltung der Kirchen in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur betont werden muss, so scheinen auch begriffliche Alternativen wie Nationalsozialismus und Kirchen oder Die Kirche und der Nationalsozialismus nicht den Kern dessen zu treffen, was die Akteure selbst »Kirchenkampf« nannten. Zu fragen wäre also zumindest, ob die terminologischen Alternativen für den Begriff ›Kirchenkampf‹ präziser, geeigneter und weniger irreführend sind als dieser selbst. Wir können folglich mindestens drei Möglichkeiten zum Umgang mit diesem Problem unterscheiden: 1.) Der Begriff ›Kirchenkampf‹ wird als differenziert zu betrachtende Epochenbezeichnung beibehalten (Bsp. Strohm und Scholder), 2.) er wird als Epochenbezeichnung zugunsten einer mutmaßlich unproblematischeren Alternative aufgegeben und nur für bestimmte kirchengeschichtliche Ereignisse im Zeitraum von 1933 bis etwa 1934/35 verwendet (Bsp. Mehlhausen) oder 3.) er wird zur Problemanzeige in Anführungszeichen gesetzt (Bsp. Blaschke). Die Ergebnisse dieser Arbeit sprechen für eine Mischung aus der zweiten und dritten Möglichkeit: Der Begriff wird seiner problematischen Entstehungs-, Entwicklungs- und Forschungsgeschichte wegen in Anführungszeichen gesetzt und auf bestimmte Ereignisse begrenzt. Diese Eingrenzung orientiert sich kriteriell an der Verwendung der Akteure, die den Begriff maßgeblich durch ihren Gebrauch präfiguriert und geprägt haben. Ihre ekklesiologische und theologische Deutung des ›Kirchenkampfes‹ wird als Maßstab für die Verwendung des Begriffes exemplarisch untersucht. Dabei lässt sich feststellen, dass es im Wesentlichen dieselben theologischen Topoi sind, die das theologische Fundament ihrer Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ bildeten: ihr Verständnis von Bekenntnisorientierung der Kirche, ihr Offenbarungsverständnis und nicht zuletzt auch ihre theologische Deutung der Lage. Dabei lässt sich allerdings auch feststellen, dass mit den zentralen Begriffen (Bekenntnis, Bekennen, Offenbarung etc.) je nach theologischer Prägung und Position völlig unterschiedliche Vorstellungen verbunden sind. Diese verschiedenen Vorstellungen sollen im Rahmen dieser Arbeit systematisch herausgearbeitet werden, um vor diesem Hintergrund die Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ der einzelnen Akteure einzuordnen. Dabei gilt es theologiegeschichtlich nach dem Zusammenhang von theologischem Ansatz, Ekklesiologie, Christologie und der Deutung (kirchen)historischer Ereignisse zu fragen.

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1.2. Methodische Vorentscheidungen 1.2.1. Forschungsperspektive Unabhängig davon, wie man die Frage nach der Angemessenheit und Verwendbarkeit des Begriffes ›Kirchenkampf‹ beantwortet, lassen sich im Anschluss an Michael Hüttenhoff mindestens drei – wenn nicht sogar vier – Perspektiven auf den ›Kirchenkampf‹ als klar unterscheidbare Forschungsgegenstände methodisch unterscheiden:20 1.) Zunächst gibt es die kirchenhistorische Perspektive21 auf den ›Kirchenkampf‹. Sie untersucht und beschreibt, wie der Begriff ›Kirchenkampf‹ und der Gegenstand, der damit bezeichnet wird, in der Kirchengeschichtsschreibung und in den Geschichtswissenschaften dargestellt und beurteilt wurde und wird. 2.) Davon unterscheidbar betrachtet die Rezipientenperspektive, wie nach 1945 »die Erinnerung an den ›Kirchenkampf‹ der kirchlichen Identitätsvergewisserung und Zukunftsorientierung« diente.22 Auf diese Ebene scheint sich ein großer Teil der Kritik am Kirchenkampf-Begriff eigentlich und aus forschungsgeschichtlichen Gründen auch mit Recht zu beziehen. Exkurs: Rezipientenperspektive Kristine Fischer-Hupe hat einen instruktiven Vergleich des katholischen und evangelischen Kirchenkampfdiskurses nach 1945 vorgelegt. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass es den katholischen Vertretern vor allem darum gegangen ist, zu betonen, dass auf katholischer Seite der geschlossene Widerstand gegen den Nationalsozialismus gegeben war. Um das zu beweisen, habe man im Kirchenkampfdiskurs 1.) die »Frühzeitigkeit des Widerstands«, 2.) die »Kontinuität und 20 Vgl. zum Folgenden: Hüttenhoff, Erneuerung und Schuld der Kirche, besonders 204–205. In Hüttenhoffs Arbeit wird Günter Jacob als Repräsentant der Akteurs- und Rezipientenperspektive untersucht und gewürdigt. Hüttenhoff merkt allerdings an: »Methodisch müssen die Perspektiven genau unterschieden werden, aber realiter verbinden sie sich häufig. Die Akteure wurden zu Rezipienten und manchmal auch zu Kirchenhistorikern.« A. a. O., 204. 21 Zur komplexen und nicht unproblematischen Forschungsgeschichte der Kirchenkampfforschung vgl. etwa Mehlhausen, Nationalsozialismus und Kirchen, 44f; Gailus, Protestantismus und Nationalsozialismus, 157–162; als früher kritischer Beitrag vgl. Conway, Der deutsche Kirchenkampf. Zur Begriffs- und Diskursgeschichte vgl. Fischer-Hupe, Der Kirchenkampfdiskurs nach 1945; Scholder, Kirchenkampf, 131f. 22 A. a. O., 204. Prominente Beispiele von Theologen der BK, die später als Kirchenhistoriker agierten und die Geschichtsschreibung des ›Kirchenkampfes‹ maßgeblich geprägt haben, sind Wilhelm Niemöller, Wilhelm Niesel, Wilhelm Stählin, Ernst Wolf und Joachim Beckmann. Vgl. Hüttenhoff, Erneuerung und Schuld der Kirche, 204, Anm. 9. – Kritische Analysen der frühen Erinnerungsgeneration bieten etwa folgende Beiträge: Krondorfer / von Kellenbach / Reck, Mit Blick auf die Täter; Fischer-Hupe, Der Kirchenkampfdiskurs nach 1945; Christophersen, Kontinuität, Konflikt und Abbruch.

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Intensität des Widerstands«, 3.) die »Art und Vielfalt des Widerstands« sowie 4.) die »Geschlossenheit und das Heldentum der Handelnden« betont.23 Demgegenüber sei der evangelische Kirchenkampfdiskurs nach 1945 wesentlich komplexer, heterogener und auch widersprüchlicher gewesen: FischerHupe unterscheidet zwei Gruppen: a) Insbesondere der landeskirchliche gemäßigte Flügel der BK, dem auch Walter Künneth zuzuordnen sei, habe die »Manifestation des Widerstands« und den Erfolg der Kirche im ›Kirchenkampf‹ betont und sich ähnlicher Argumentationsmuster wie die katholischen Rezipienten bedient.24 b) Besonders die bruderrätliche Gruppe, also der dahlemitische Flügel, dessen wichtigster Vertreter Karl Barth war, habe demgegenüber vor allem die Defizite und Schuld der Kirche sowie der kirchlichen Akteure im ›Kirchenkampf‹ betont.25 Für beide Gruppen gelte aber, dass sie den Wert der im ›Kirchenkampf‹ gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse betont haben.26 Diese Beschreibung mag zwar auf Künneths Deutung des ›Kirchenkampfes‹ nach 1945 zutreffen, muss aber im Falle Barths, den Fischer-Hupe kaum in den Blick nimmt, deutlich differenzierter betrachtet werden: Einige Äußerungen Barths während und nach der Zeit des ›Kirchenkampfes‹ dürften die Heldenverehrung vorbereitet oder zumindest begünstigt haben. Der entscheidende Unterschied gegenüber Künneth besteht vielmehr darin, dass Barth weniger die einzelnen Theologen würdigte, sondern vielmehr die Bewährung des Wortes Gottes im ›Kirchenkampf‹, das ja in seinen Augen das eigentlich handelnde Subjekt darstellte, betonte. Die einzelnen Personen etwa innerhalb der BK reduzierte Barth vielmehr zu einem Gegenstand des Kampfes und auf die Rolle der Zeugen. Künneth und Barth gemeinsam ist allerdings die Tendenz, die Rechtmäßigkeit des Kampfes für die eigene Gruppe innerhalb der BK zu reklamieren und die anderen als fehlgeleitet oder als zaghaft und unentschlossen (so Barth) oder politisiert und nicht-allein-theologisch (so Künneth) zu stigmatisieren. Bleibt Barth seiner Deutung der Fronten im Rahmen des ›Kirchenkampfes‹ treu, lässt sich bei Künneth in der Rezipientenperspektive eine deutliche Verschiebung der Fronten vom Neuheidentum zum NS-Staat als Feind der Kirche darstellen. Hirschs Deutung des ›Kirchenkampfes‹ nach 1945 kann als eindrückliches Beispiel dafür gelten, dass die Deutung der Geschichte im Nachhinein meist von den »Gewinnern« geschrieben wird. Er blieb seinen Auffassungen bezüglich des ›Kirchenkampfes‹ auch nach 1945 treu und erwies sich in dieser Hinsicht als völlig unbelehr- und unbeirrbar. Seine Deutung des ›Kirchenkampfes‹ spielte 23 24 25 26

Vgl. Fischer-Hupe, Der Kirchenkampfdiskurs nach 1945, 467–475. Vgl. a. a. O., 476–480. Vgl. a. a. O., 480–483. Vgl. a. a. O., 483–488.

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aber für den Kirchenkampfdiskurs nach 1945 verständlicherweise keine Rolle mehr. 3.) Von der kirchenhistorischen Perspektive und der Rezipientenperspektive muss die Perspektive der Akteure, die an den ›Kirchenkampf‹ genannten Ereignissen mittel- oder unmittelbar beteiligt waren und die diesen Begriff damals selbst nicht selten programmatisch im Munde führten, unterschieden werden. Diese Perspektive nennen wir im Anschluss an Hüttenhoff Akteursperspektive. Sie nimmt zunächst schlicht den empirischen Sachverhalt ernst, dass der Begriff ›Kirchenkampf‹ (und ähnliche Begriffe) sowohl von regimefreundlichen als auch NS-kritischen und oppositionellen Akteuren häufig in Abgrenzung zu gegnerischen Positionen verwendet wurde. 4.) Eine weitere Perspektive hat sich im Laufe dieser Arbeit als interessant erwiesen: Sie liegt gewissermaßen zeitlich und sachlich zwischen der Akteursund Rezipientenperspektive und kann als eine Spielart der Akteursperspektive betrachtet werden: Wir nennen sie Retrospektive, weil sie dem Umstand Rechnung trägt, dass die Akteure einen großen Teil ihrer Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ zwar nicht während des eigentlichen Geschehens (≠ Akteursperspektive), aber auch nicht erst nach 1945 (≠ Rezipientenperspektive), sondern eben in der retrospektiven Darstellung und Interpretation der Ereignisse entwickelt haben. Um der Authentizität der Akteursperspektive bzw. Retrospektive gerecht zu werden, ist der Hauptteil der Arbeit bewusst sehr nah an den einschlägigen Quellen und dadurch auch dem jeweils spezifischen und idiomatischen Sprachgebrauch der untersuchten Autoren orientiert. Das bedeutet konkret, dass den Darstellungsformen der textnahen Paraphrase sowie dem direkten Zitat hier eine besondere Bedeutung zukommen. Wenn der umstrittene Begriff ›Kirchenkampf‹ im Titel und im Verlauf dieser Arbeit verwendet wird, dann rechtfertigt sich diese grundsätzliche terminologische Entscheidung einzig und allein dadurch, dass der Fokus der Arbeit auf der Akteursperspektive sowie der Retrospektive liegt. Inhaltlich setzt die Arbeit selbst also keine eigene Semantik oder gar Deutung des Begriffes ›Kirchenkampf‹ voraus. Mit einigem Recht weist Hüttenhoff darauf hin, dass die »Sicht der Akteure« auf den ›Kirchenkampf‹ ein »wesentliches Element der Geschichte« darstellt, das »die kirchenhistorische Forschung zu rekonstruieren und zu interpretieren versucht.« Die Akteursperspektive sei »daher auch zu berücksichtigen, wenn über die wissenschaftliche Verwendbarkeit des Ausdrucks ›Kirchenkampf‹ debattiert wird.«27

27 Hüttenhoff, Erneuerung und Schuld der Kirche, 205.

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1.2.2. Charakter und Grenzen der Arbeit Die vorliegende Studie stellt ähnlich wie die instruktive Arbeit von Robert P. Ericksen zu Gerhard Kittel, Paul Althaus und Emanuel Hirsch28 eine »Fallstudie«29 dar. Ericksen untersuchte unter Berücksichtigung von drei repräsentativen Beispielen die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die universitäre Landschaft in Deutschland.30 In der vorliegenden Studie geht es insbesondere um die theologische Deutung des ›Kirchenkampfes‹ und damit verbunden indirekt auch des Nationalsozialismus aus protestantischer Akteursperspektive. Die Chancen und Grenzen einer solchen komparativ angelegten theologiegeschichtlichen Fallstudie können mit Kurt Meier durch den folgenden methodologischen Vorbehalt skizziert werden: Ein Vergleich von Theologen – lebens- und werkgeschichtlich im Blick auf Einstellungsverhalten und Reflexionsgestalt ihrer Gegenwartsorientierung unter dem NSSystem vorgestellt – kann durchaus ertragreich sein, obwohl wirkliche Kongruenz der Fragestellung wegen der differenten jeweiligen Lebenssituationen und der wissenschaftlichen Prägung der einzelnen Exponenten und ihrer verschiedenen Bestätigungsformen [sic] hier nicht voll erreicht werden kann.31

Zum einen besteht die Gefahr der letztlich nicht vollständig vermeidbaren Willkür und scheinbaren Beliebigkeit im Hinblick auf die Autorenwahl.32 Zum anderen besteht eine immanente Gefahr einer solchen Fallstudie einerseits darin, ideen-, zeit-, theologiegeschichtliche sowie systematisch-theologische Gesichtspunkte zu verkürzen und andererseits »alles Persönliche an einem Menschen«33 zu übergehen. So wirft Kurt Nowak der biographiehermeneutischen Studie 28 Ericksen, Theologians under Hitler, dt. Ausgabe Theologen unter Hitler. 29 Schlenke, Der Führer als »Fingerzeig Gottes«. 30 »Kittel, Althaus und Hirsch waren keine isolierten oder exzentrischen Individuen. Sie erhoben ihre Stimmen lauter als viele ihrer Kollegen, und die Kenntnis ihrer Auffassungen hilft bei der Erklärung der politischen Haltung vieler anderer an den Universitäten und innerhalb der Kirche während des Dritten Reiches. Ihre Ansichten, ihre Themen und ihre Schlußfolgerungen repräsentieren eine Position, die viele Professoren, Theologen und Pastoren in Deutschland vertreten haben müssen.« Ericksen, Theologen unter Hitler, 270. 31 Meier, Ericksen, Robert. P.: Theologen unter Hitler, 911. 32 So nannte Schlenke in seiner Rezension zu Ericksen als alternative Theologen für die ausgewählten Autoren »etwa Bultmann, Eiert [gemeint ist wohl Werner Elert], Gogarten« (Schlenke, Der Führer als »Fingerzeig Gottes«) und Kurt Meier monierte in seiner Rezension – obwohl Althaus und Hirsch maßgeblich als systematische Theologen gewirkt hatten – »die fehlende Repräsentanz der Theologen, die exemplarisch für die systematisch-theologische Disziplin stehen« und stellte zudem sicherlich mit Recht fest: »Die drei behandelten Theologen genügen sicherlich nicht, um die gesamte deutsche Universitätstheologie zu verorten«. Meier, Ericksen, Robert. P.: Theologen unter Hitler, 911. Diesem grundsätzlichen Problem begegne ich mit der Begründung der Autorenwahl (s. u. Kap. 1.3.). 33 Nowak, Maaser, Wolfgang: Theologische Ethik und politische Identität, 347.

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Wolfgang Maasers zu Walter Künneth berechtigterweise vor, Künneth, »unter rigider Ausgrenzung seiner Individualität« auf »den Operationstisch zu schnallen,« während dieser »nicht nur ein ›Fall‹ für ein im Individuum präsentes kollektives Ordnungsmuster, nicht nur Mikrorealität, an der eine Makrorealität sichtbar wird,« sei, sondern eben »ein Mensch.« Und für Menschen gelte eben der Grundsatz: »Individuum est ineffabile.«34 Dieser Vorbehalt: individuum est ineffabile (dt. das Individuum ist nicht zu fassen) ist unter methodologischen und erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten ernst zu nehmen. Deshalb kann auch der Anspruch dieser Arbeit nicht darin bestehen, der unverwechselbaren Persönlichkeit des jeweiligen Theologen, ihrer individuellen Erziehung, Sozialisation und Prägung vollständig gerecht zu werden. Vielmehr bildet der Fokus der Betrachtung der Akteure ihre Deutung des ›Kirchenkampfes‹. Um diese Deutung theologisch einordnen zu können, wird jeweils eine Skizze der theoretisch-konzeptionellen Voraussetzungen vorgeschaltet. Diese Skizze zeichnet das theologische Denken der Akteure nur so weit nach, wie es notwendig zu sein scheint, um ihre Kirchenkampfdeutung angemessen zu verstehen. Insofern enthält die vorliegende Arbeit sowohl historischtheologische als auch systematisch-theologische Elemente: Historisch ist die Arbeit, insofern die Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ bei den Autoren anhand der einschlägigen Quellen untersucht werden. Theologiegeschichtlich und systematisch ist die Arbeit, insofern die theologischen und ideologischen Voraussetzungen, die diesen Deutungen zugrunde liegen, systematisch in den Blick genommen werden.

1.2.3. Eingrenzung Sowohl Barth als auch Künneth und Hirsch repräsentieren die Akteurs- und Rezipientenperspektive sowie die Retrospektive gleichermaßen. Die praktische Umsetzbarkeit der Fragestellung erfordert allerdings eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes. Durch die Fokussierung auf die Jahre 1933 bis 1939 liegt der Schwerpunkt der Arbeit dezidiert auf der Akteursperspektive und Retrospektive, wobei ein kurzer Ausblick auf die jeweilige Kirchenkampfdeutung nach 1945 den Blick auf die Rezipientenperspektive weitet. Spätestens mit Anbruch des zweiten Weltkrieges verlagerten sich die Hauptaugenmerke der Akteure deutlich.

34 Ebd.

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1.3. Begründung der Autorenwahl Um dem Vorwurf der Beliebigkeit bei der Autorenwahl entgegenzuwirken, wurden im Vorfeld der Studie Kriterien entwickelt, mithilfe derer die Akteure als Untersuchungsgegenstände methodisch reflektiert, sorgfältig erwogen und letztlich sachlich begründet ausgewählt wurden.

1.3.1. Das Kriterium des Einflusses und der Reichweite Repräsentativ und einflussreich sind die drei ausgewählten Theologen für die Theologie- und Kirchengeschichte der 30er Jahre in mehrfacher und unterschiedlicher Hinsicht: Ihr theologisches Denken und Wirken spiegelt bestimmte Kreise der damaligen Akteure wider und wirkte auf diese maßgeblich ein. Während des ›Kirchenkampfes‹ orientierten sich zahlreiche Menschen – Theologen wie Laien – an den Deutungen der drei Autoren. Bei Karl Barth kann dieses Kriterium fraglos als erfüllt vorausgesetzt werden. Auch Emanuel Hirsch erfüllt dieses Kriterium in seiner Funktion als theologischer Berater von Reichsbischof Ludwig Müller, als denkender Kopf der Reichskirchenleitung und Verfasser zahlreicher maßgeblicher Gutachten für die Theologie der Deutschen Christen (DC). Walter Künneth wiederum war einer der Mitbegründer und Wortführer der Jungreformatorischen Bewegung (JB) und Leiter der Apologetischen Centrale (AC). Er äußerte sich in zahlreichen Denkschriften, Gutachten, Rundschauen und Kommentaren zur aktuellen Lage und war ein prominenter Vertreter des landeskirchlichen Flügels der Bekennenden Kirche (BK), wo er insbesondere als kirchliches Sprachrohr in der Auseinandersetzung mit Alfred Rosenberg an prominenter Stelle wahrgenommen wurde.

1.3.2. Das Kriterium der Originalität Alle drei Autoren können als weitgehend eigenständige Theologen der ersten Reihe angesehen werden. Bei allen drei Denkern fußte ein beträchtlicher Teil ihrer Überlegungen auf großteils originellen theologischen Axiomata, die es klar zu benennen und herauszuarbeiten gilt. So basieren beispielsweise Hirschs völkisch-theologische und -politische Konzeptionen auf bestimmten Axiomata, die selbst nicht bewiesen werden können. Diese entwickelte er zwar durchaus im intellektuellen Austausch mit seiner Umwelt (z. B. mit Hans Grimm und Wilhelm Stapel), sie tragen aber dennoch ganz deutlich seine eigene persönliche Handschrift. Für Künneth wiederum bildete sein schöpfungstheologisches und trinitarisches Welt- und Wirklichkeitsverständnis axiomatisch den Ermöglichungs-

Begründung der Autorenwahl

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grund aller Erkenntnis und Sinndeutung, außerhalb derer es keine wahrheitsfähigen Aussagen und Erkenntnisse über die Welt geben konnte. Barth erklärte das erste Gebot in scharfer Abgrenzung zu anderen Positionen expressis verbis zum theologischen Axiom. Aber auch sein exklusivistisches Offenbarungsverständnis, seine Wort-Gottes-Theologie und -Ekklesiologie sowie seine christologische Konzentration müssen als originelle und genuine axiomatische Voraussetzungen seiner Deutung der Wirklichkeit und damit auch des ›Kirchenkampfes‹ betrachtet werden.

1.3.3. Das Kriterium der Diversität und der repräsentativen Breite35 Mit Manfred Gailus kann man »drei Typen oder ›Wege‹ protestantischer Regionalkulturen unter NS-Bedingungen« unterscheiden: Typ 1: der deutschchristliche Weg, Typ 2: der angepasste Weg und Typ 3: der radikalisierte Weg, der sich wiederum in die beiden einander scharf entgegengesetzten und polarisierten deutschchristlichen (DC) und bruderrätlichen (BK) Wege differenzieren lässt.36 Emanuel Hirsch gilt als der »Nazi-Intellektuelle«37 und kann als einer der führenden Theologen der DC angesehen werden. Als lutherischer, nationalsozialistischer Theologe konnte Hirsch in verschiedenen Positionen starken Einfluss auf die Reichskirche sowie auf die Kirchen- und Hochschulpolitik des nationalsozialistischen Staates ausüben. Deshalb kann er zweifellos als einer der wichtigsten Exponenten von Typ 1 betrachtet werden, der allerdings aufgrund seiner zunehmenden Radikalisierung Elemente der DC-Variante von Typ 3 aufweist. Walter Künneth, der die Linie der sog. intakten lutherischen Landeskirchen einschlug und den Landesbischöfen August Marahrens und Hans Meiser nahestand, darf als exponiertes und bedeutendes Beispiel für Typ 2 gelten, wobei ›Anpassung‹ seinen Weg freilich insbesondere im Hinblick auf seine Auseinandersetzungen mit Rosenberg nicht erschöpfend zu beschreiben vermag. Der zweifelsfrei radikalste und einflussreichste Vertreter des später sog. radikalen Flügels der BK und somit von Typ 3 war Karl Barth. Das Spektrum der Positionen und Deutungsmöglichkeiten wurde also so zusammengestellt und gewählt, dass die Autorenwahl eine möglichst große Bandbreite an Diversität vorweisen kann. Vertreten sind

35 Dem vorläufigen Fazit seiner Untersuchung zu Günter Jacob stellt Hüttenhoff folgende Feststellung voran: »Wenn die historische Interpretation der Kirchengeschichte des ›Dritten Reiches‹ die Deutungen der Akteure berücksichtigen soll, muss das in repräsentativer Breite geschehen.« Hüttenhoff, Erneuerung und Schuld der Kirche, 216. 36 Vgl. Gailus, Protestantismus und Nationalsozialismus, 169–170. 37 So etwa die Überschrift des Kapitels zu Hirsch in: Ericksen, Theologen unter Hitler, 167–267.

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– die beiden großen protestantischen Konfessionen: lutherische und reformierte Theologen (Unionslutheraner und Unierte konnten leider nicht berücksichtigt werden), – verschiedene kirchliche Gruppierungen: die beiden großen Flügel der BK (dahlemitischer Flügel: Karl Barth; landeskirchlicher Flügel: Walter Künneth), die JB (Walter Künneth) und die DC (Emanuel Hirsch), – verschiedene kirchliche und theologische Funktionen und Aufgabenfelder: Es handelt sich um Theologieprofessoren (Karl Barth und Emanuel Hirsch; Walter Künneth erst nach 1945), die vielfältige theologische Beratertätigkeiten ausübten. Künneth war darüber hinaus der Leiter der AC und Barth verfolgte und kommentierte den ›Kirchenkampf‹ nach seiner Ausweisung vom Ausland aus. Zahlreiche alternative Akteure wären natürlich durchaus denkbar gewesen und wurden auch erwogen. Im Hinblick auf die drei Kriterien der Autorenwahl schienen jedoch Barth, Künneth und Hirsch besonders gut geeignet zu sein und an einem bestimmten Punkt musste aus pragmatischen Gründen eine Entscheidung getroffen werden.

1.4. Quellenlage Im Rahmen der Studie wurden primär die zahlreichen einschlägigen und oftmals programmatischen Schriften der Autoren im Zeitraum von 1933 bis 1939 systematisch analysiert. Hinzu kam die Auswertung von zum Teil bisher nicht veröffentlichten Archivalien.

1.4.1. Karl Barth Das schwierige Unterfangen, sich einen Überblick über das immense Werk von Karl Barth zu verschaffen, wird durch die zweibändige umfassende Bibliographie von Hans Markus Wildi enorm erleichtert.38 Zudem sind viele seiner Texte in der seit 1971 im Theologischen Verlag Zürich erscheinenden mittlerweile mehr als 50 Bände umfassenden Karl Barth-Gesamtausgabe erschienen, wo sie textkritisch ediert und allgemeinverständlich kommentiert werden.39 Ein für unsere Belange wichtiger Band – Vorträge und kleinere Arbeiten (V.u.kl.A.) 1937–1939 – wird 38 Wildi, Bibliographie Karl Barth, Bd. 1 und 2. 39 https://www.tvz-verlag.ch/reihe/karl-barth-gesamtausgabe-10/?page_id=1 (zuletzt abgerufen am 10. 6. 2023).

Quellenlage

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außerhalb des Bearbeitungszeitraumes dieser Arbeit erscheinen. Deshalb können diese Texte leider noch nicht nach der maßgeblichen Gesamtausgabe bibliographiert und zitiert werden. Zudem wurden im Karl Barth-Archiv Basel (KBA) zahlreiche Briefe und Dokumente gesichtet und ausgewertet, die zum Teil bisher noch nicht ediert sind.

1.4.2. Walter Künneth In seiner Funktion als Leiter der Apologetischen Centrale (AC) von 1932 bis 1937 und als führender Vertreter der JB verfasste Walter Künneth in den Zeitschriften Wort und Tat (WuT[B]) und Junge Kirche (JK) gut monatlich einen für unsere Belange einschlägigen Beitrag. Da die Dichte dieser Beiträge sehr hoch ist, wurde in seinem Fall aus pragmatischen Gründen auf aufwändige Archivarbeiten verzichtet. Künneths Texte sind bisher leider nicht textkritisch ediert und auch eine vollständige Bibliographie seiner Werke stellt ein Desiderat dar.40

1.4.3. Emanuel Hirsch Hans-Walter Schütte hat eine Bibliographie der Schriften Emanuel Hirschs erstellt,41 die dem Bestreben folgt, »vollständig zu sein«42. Die Werkausgabe Emanuel Hirsch Gesammelte Werke ist auf insgesamt 49 Bände ausgelegt. Da es sich 40 Siehe unten Kapitel 8.2. Anm. 1429f. 41 Schütte hatte nach Hirschs Angaben »aus eigenem Antriebe die Grundlage zu einem vollständigen Verzeichnis aller« seiner »Druckveröffentlichungen« erarbeitet. Hirsch selbst habe ihm, »als er den Grundstock beieinander hatte, geholfen, auch das Entlegene und Zufällige zu finden, und ihn außerdem veranlaßt, die unübersehbar große Zahl der Veröffentlichungen dadurch leichter zugänglich zu machen, daß er sie in sechs sachliche Gruppen zerlegte und allein innerhalb ihrer die zeitliche Folge walten ließ.« So Hirsch in seiner Autobiographie Über mich selbst, 1. Schüttes Bibliographie ist in sechs Rubriken unterteilt: 1.) Selbstständig erschienene theologische und geisteswissenschaftliche Bücher, 2.) Editionen, Übersetzungen, Hilfsbücher und Auswahlbände, 3.) Erzählungen, 4.) Aufsätze – Kritiken – Betrachtungen, 5.) Buchbesprechungen und 6.) Kleine Aufsätze – Verschiedenes. Gliedert man mit Bautz, Hirsch, 893 Hirschs theologische Arbeit in vier Schwerpunkte (i. e. »1. Die Beschäftigung mit der modernen Philosophie, vor allem mit Fichte und Kierkegaard, sowie mit der Theologie Luthers in der Sicht Karl Holls. 2. Biblische Studien vor allem am Neuen Testament. 3. Die politisch-theologische Arbeit an Gegenwartsproblemen der christlichen Lehre. 4. Die Arbeit an Studien- und Glaubenshilfen.«), so liegt der Schwerpunkt der zu untersuchenden Schriften dieser Arbeit erklärtermaßen im dritten Themenfeld, das auch als ein zentrales und existenzielles Anliegen Emanuel Hirschs angesehen werden muss. 42 Schütte, Bibliographie, 7. Die Bibliographie, die die Herausgeber der Gesammelten Werke Hirschs auf der Homepage der Emanuel Hirsch-Stiftung bieten, »folgt weitestgehend« der Bibliographie von Schütte und bietet zusätzlich zu den Primärquellen (http://emanuel-hi

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Einleitung

dabei um Wiederabdrucke seiner Texte und nicht um eine textkritische Edition (wie etwa im Falle der Karl Barth-Gesamtausgabe) handelt, wurde sie in der Regel nicht benutzt, sondern nach den Originalausgaben zitiert. Außerdem sind die für unsere Belange einschlägigen Bände 34–35 (»Geschichtsphilosophie und Kirchenpolitik«) und 45–49 (»Textsammlungen«) bislang noch nicht erschienen.43 Die Geschichte des Nachlasses Emanuel Hirschs ist komplex, verworren und hochinteressant und verdient deshalb eine kurze Betrachtung: Hirschs Privatnachlass war seit seinem Tod verschlossen. Zwei Sammlungen mit Hirsch-Briefen in den Nachlässen Wilhelm Stapels und Hans Grimms, die ins deutsche Literaturarchiv Marbach (DLA) gelangt waren, bildeten bislang die wichtigsten Quellen neben Hirschs Veröffentlichungen.44 Durch die Arbeiten Heinrich Assels – seine Dissertation aus dem Jahre 1993 (erschienen 199445) und einen bemerkenswerten Aufsatz aus dem Jahre 199446 – waren Hirschs Kinder und Rechtsnachfolger auf die Marbacher Nachlässe aufmerksam geworden und baten kurze Zeit später um die Sperrung beider Korrespondenzen.47 Aufgrund dieser Restriktionen war fortan nur noch eine Paraphrase aus den Marbacher Briefen Hirschs möglich.48

43 44

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48

rsch.net/bibliographie/prim%C3%A4rquellen.html) eine umfangreiche Übersicht über die Sekundärquellen der Hirsch-Forschung (https://emanuel-hirsch.net/bibliographie/sekund% 252525C3%252525A4rliteratur.html). Zuletzt abgerufen am 10. 6. 2023. Bd. 34: Geschichtsphilosophie und Kirchenpolitik I. Schriften vor 1933, hrsg. von Christian Nottmeier befand sich zur Zeit der Abfassung dieser Arbeit in Vorbereitung. Vgl. https:// www.emanuel-hirsch.net/aktuelles.html (zuletzt abgerufen am 10. 6. 2023). Heinrich Assel beschreibt diese Sammlungen folgendermaßen: »Die ca. 600 zumeist handschriftlichen Briefe aus der Feder Hirschs setzen im Jahre 1931 ein und reichen bis zu seinem Tod 1954. Häufig schrieb Hirsch mehrere Briefe in der Woche, bisweilen – an Brennpunkten des Geschehens – zwei Briefe am Tag. Diese Briefe ermöglichen es, Hirschs Stellung zum Nationalsozialismus fast tagebuchartig nachzuvollziehen. Daneben findet sich im Marbacher Literaturarchiv auch eine kleinere Zahl von ca. 75 Briefen Hirschs an den deutschnationalen Schriftsteller Hans Grimm in dessen Nachlass. Beide Briefsammlungen bilden die Basis für jeden künftigen Versuch, Hirschs Entwicklung zwischen 1933 und 1945 und darüber hinaus präzise nachzuzeichnen.« Assel, Emanuel Hirsch, 46f. Assel, Der andere Aufbruch. Assel, »Barth ist entlassen…«. Neue Fragen im Fall Barth. Dr. Jochen Meyer, der bis 2006 das DLA Marbach leitete, hat mir freundlicherweise Einsicht in die Akten zu dem sich an dieses Anliegen der Rechtsnachfolger Hirschs anschließenden Rechtsstreit gegeben. Hans Hirsch erteilte lediglich dem Tübinger Theologen Prof. Dr. Hans Martin Müller eine Ausnahmegenehmigung zur freien Benutzung des Nachlasses mitsamt Zitiererlaubnis. Vgl. Assel, Emanuel Hirsch, 46f, Anm. 15. – Auch Martin Meiser, der sich um den Briefwechsel Hirsch-Althaus im Rahmen seiner Dissertation, die ebenfalls im Jahre 1993 erschien, bemühte, berichtet von ähnlich restriktiven Rückmeldungen von Seiten der Rechtsnachfolger Hirschs. So schreibt Meiser im Vorwort: »Für den Briefwechsel zwischen Paul Althaus und Emanuel Hirsch über die Auferstehungsfrage habe ich die Genehmigung, aus Hirschs Originalen zu zitieren, nicht erhalten, da Emanuel Hirsch es seinen Nachkommen verwehrt hat, solche Genehmigungen zu erteilen. Ich bedauere dies, weil ich einige der von mir eingese-

Aufbau und Ertrag der Arbeit

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Nach dem Tod von Ulrike im Jahre 2002 und später von Hans Hirsch im September 2017 gingen die Begutachtungs- und Verwertungsrechte sowohl der Marbacher Briefe als auch des Privatnachlasses Emanuel Hirschs auf die Stiftung Emanuel Hirsch: Werkausgabe – Archiv – Forschungsförderung über.49 In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vorstandes der Stiftung hat Arnulf von Scheliha mir freundlicherweise Einsichtnahme in Hirschs 59seitige Lebensbeschreibung gewährt,50 die sich in Hirschs eigenem Nachlass befindet und in Bd. 44: Autobiographische Materialien der Gesammelten Werke ediert worden ist. Die systematische Aufarbeitung des Privatnachlasses Emanuel Hirschs stellt ein in vielerlei Hinsicht interessantes Forschungsdesiderat dar.

1.5. Aufbau und Ertrag der Arbeit Den Mittelpunkt dieser Arbeit bildet eine theologiegeschichtliche Untersuchung dreier stark unterschiedlicher origineller und repräsentativer protestantischer Theologen unter dem Blickwinkel der Akteursperspektive und Retrospektive. Im Zentrum steht die Frage, wie diese Akteure selbst im Rahmen ihrer Theologie (systematisch-theologische Dimension) den ambivalenten und verworrenen ›Kirchenkampf‹ interpretiert haben (theologiegeschichtliche Dimension). Die Leitfragen, an denen sich diese Studie orientiert, lauten: Wie verwendeten Karl Barth, Walter Künneth und Emanuel Hirsch den Begriff ›Kirchenkampf‹ und damit verwandte Begriffe in verschiedenen Situationen während des Geschehens? Welche Antworten gaben diese Akteure auf die folgenden Fragen: Wer kämpfte im ›Kirchenkampf‹ mit wem, für wen und gegen wen? Wo genau verliefen die Fronten dieses Kampfes? Wer oder was war Gegenstand des Kampfes? Und zu guter Letzt: Wie deuteten Barth, Künneth und Hirsch diesen Kampf ? Welcher Art war er? War der ›Kirchenkampf‹ in ihrer Wahrnehmung eher theologisch, ekklesiologisch, kirchenpolitisch und/oder politisch beschaffen und motiviert?

henen Briefzeugnisse wissenschaftsgeschichtlich für wertvoll halte, und begnüge mich mit Umschreibungen.« Meiser, Paul Althaus, XVII. 49 Vgl. http://emanuel-hirsch.net/nachlass.html (zuletzt abgerufen am 10. 6. 2023). 50 Hirsch, Über mich selbst. Daran schließt sich eine zehnseitige Schrift mit dem Titel Meine Erzählungen an. Darauf folgen seine drei autobiographischen Notizen aus dem Jahre 1951 (Meine theologischen Anfänge; Mein Weg in die Wissenschaft; Meine Wendejahre). Außerdem ist aus dem Jahre 1938 eine 102-seitige Schrift mit dem Titel Meine Eltern erhalten. In einem vorgeschalteten Brief an Hans und Ulrike Hirsch erklärt Hirsch seinen Kindern sein Vorhaben. Im Falle einer anstehenden biographischen Behandlung des Lebens Emanuel Hirschs sind diese Schriften von entscheidender Bedeutung und wären einer kritischen Analyse zu unterziehen.

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Einleitung

Anschließend werden jeweils Ausblicke auf die Rezipientenperspektive geboten. Der Ertrag dieser Arbeit ist nicht mehr und nicht weniger als dies: Sie soll zeigen, wie ausgewählte einschlägige Autoren selbst vom ›Kirchenkampf‹ sprachen und uns vor Augen führen, wie sie ihn deuteten: Im Rahmen welcher Axiomata und welcher Theologumena dachten sie darüber? Im welchem Zusammenhang stehen Ekklesiologie, Theologie, politische Ethik und die Deutung des ›Kirchenkampfes‹ zueinander? (systematisch-theologische Dimension) Außerdem: Entwickelte sich ihre Deutung des ›Kirchenkampfes‹ im Zusammenhang mit den äußeren Entwicklungen, die sie als ›Kirchenkampf‹ bezeichneten weiter? Herrschte bei ihren Deutungen vor allem Kontinuität und Konsistenz vor oder sind Weiterentwicklungen, Anwendungen, Vertiefungen oder gar Brüche zu verzeichnen? (theologiegeschichtliche Dimension) Auf diese Weise sollen die unterschiedlichen Bedeutungspotentiale des Begriffes ›Kirchenkampf‹, der von den Akteuren mit völlig unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen und mit deutlich unterscheidbaren Intentionen und Funktionen oftmals programmatisch für die eigene Sichtweise und die eigenen Interessen in Anspruch genommen wurde, detailliert herausgearbeitet werden. Diese Erträge der Akteursperspektive und der Retrospektive verstehen sich letztlich auch als bescheidene Impulse für die historiographische Perspektive auf den ›Kirchenkampf‹. Deshalb geht diese Studie den Weg von den einzelnen Akteuren zur historiographischen Perspektive ohne selbst ein bestimmtes Verständnis des Begriffes ›Kirchenkampf‹ oder gar eine eigene Deutung des ›Kirchenkampfes‹ auch nur implizit vorauszusetzen. Sie begnügt sich vielmehr damit, die einzelnen komplexen und vielschichtigen Deutungsmöglichkeiten der Akteure vorsichtig und behutsam zu sichten und zu interpretieren, um zu der Beantwortung der Frage nach der historiographischen Bewertung erst in einem weiteren Schritt einen bescheidenen Beitrag zu leisten. Durch den komparativen Charakter, den diese Studie im Anschluss an die Auswertung und Deutung der jeweiligen Einzeluntersuchungen mittels eines systematischen und historischen Vergleiches bekommt, wird exemplarisch das breite Spektrum der verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des ›Kirchenkampfes‹ in der Akteursperspektive und Retrospektive aufgezeigt. Dadurch möchte diese Untersuchung verschiedener Kirchenkampfdeutungen einen kleinen Beitrag zur Diskussion über den Begriff ›Kirchenkampf‹ als wissenschaftlichen, historiographischen Begriff leisten (historiographische Perspektive): Denn die reiche Bedeutungsfülle, die dieser schillernde Begriff im Gebrauch prominenter und wirkmächtiger Akteure erfahren hat, sollte auch im Hinblick auf eine heutige wissenschaftliche Verwendung des Begriffes angemessen gewürdigt und kritisch reflektiert werden.

2.

Karl Barth

Abb. 1: Porträt Karl Barths aus dem Jahre 1937 (KBA 9027.61)

2.1. Einleitung Die Bedeutung Karl Barths (1886–1968) für die protestantische Theologie des 20. Jahrhunderts kann kaum überschätzt werden. Auch seine Rolle im Kirchenkampf war so prominent, dass sich mit seiner Person und Theologie eine Instanz bildete, an der sich die Geister schieden. Von seinen Gegnern und Kritikern wurde er oftmals als polarisierend, politisierend und subversiv, überhaupt als spaltend wahrgenommen. Barth selbst schied jedoch auch innerhalb der BK die Geister, wo er zunehmend als »Störenfried«51 empfunden wurde. Auch die kritische Auseinandersetzung und sogar den Bruch mit engen Weggefährten scheute er keineswegs.52 Ebenso wenig scheute er vor Eingaben an Hitler selbst zurück, dem er am 1. Juli 1933 seine Schrift Theologische Existenz heute! zuschickte.53 Wie kein anderer prägte und beeinflusste er die BK und ihren Weg im 51 Vgl. Weinrich, Karl Barth, 433. 52 Vgl. etwa Tietz, Karl Barth, 242–248. 53 Vgl. a. a. O., 226 und die Einleitung der Herausgeber in: V.u.kl.A. 1930–1933, 277.

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Kirchenkampf nicht zuletzt als federführender Autor der Barmer Theologischen Erklärung.

2.2. Theologische Kontinuität und kontextbedingte Veränderung Einen knappen Forschungsüberblick zu Karl Barth hat der katholische Theologe Benjamin Dahlke vor kurzem vorgelegt. Zwei Beobachtungen Dahlkes sind für unsere Belange von entscheidender Bedeutung: 1.) »Mehrheitsfähig« ist seines Erachtens die These, dass es sich bei der Denkentwicklung Barths »um eine stete Vertiefung ursprünglicher Intentionen handelte«, insofern die Christologie »in steigendem Maß sein Denken«54 bestimmte. 2.) Außerdem seien »Dogmatik und Ethik« bei Barth »eng aufeinander bezogen, ja voneinander untrennbar; Denken und Handeln lassen sich seiner Auffassung nach nicht separieren.« Was also »in der Gottes- und Schöpfungslehre der Kirchlichen Dogmatik entfaltet« werde, lasse »sich als Reflex damaliger Entwicklungen verstehen.« Insofern war Barth entgegen »aller Selbststilisierung« durchaus »ein zeitgebundener Denker«.55 In der Tat kann man Umbrüche und signifikante Entwicklungen in Barths Denken erkennen. Man kann mit Michael Beintker folgende Phasen unterschieden: (1.) Bis 1915: Liberal-theologisch geprägte Phase. […] (2.) 1916 bis 1919: Phase des ersten Römerbriefs. […] (3.) 1920 bis 1923: Phase des zweiten Römerbriefs und damit Höhepunkt der eigentlichen »dialektischen Theologie«. […] (4.) 1924 bis 1939: Erste Phase der dogmatischen Theologie56 […] (5.) 1939 bis 1968: Zweite Phase der dogmatischen Theologie57 […]58

54 Dahlke, Karl Barth, 445. 55 A. a. O., 451. 56 Beintker differenziert die 4. Phase weiter: »1924 bis 1927: Erprobung eines Grundrisses der dogmatischen Theologie (Unterricht I–III) und erste Veröffentlichung eines dogmatischen Werks (Chr.Dogm.); 1928–1931: nochmalige Klärungen nach dem Echo auf den dogmatischen Erstling (Schicksal und Idee in der Theologie […]; Fides quaerens intellectum); 1931 bis 1938: Arbeit an den Prolegomena und am ersten Band der Gotteslehre der Kirchlichen Dogmatik (KD I/1–II/1).« Beintker weist mit Recht darauf hin, dass »die Bewährung der theologischen Erkenntnisse in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus« von nicht zu unterschätzender Bedeutung für diese Periode ist. Beintker, Periodisierung des Barthschen Denkens, 236. 57 Auch die 5. Phase differenziert Beintker weiter: »1939 bis 1942: Durchbruch zur Christonomie bei der Arbeit an der Erwählungslehre (KD II/2); 1943 bis 1951: Schöpfungslehre und Anthropologie im Horizont der Christonomie; 1953 bis 1967: Neukomposition der herkömmlichen Versöhnungslehre im Horizont der Christonomie.« Ebd. 58 Ebd. – Vgl. dazu im Einzelnen die Beiträge im Barth Handbuch, 184–237.

Theologische Kontinuität und kontextbedingte Veränderung

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Unsere Untersuchung betrachtet somit zeitlich gesehen die beiden Phasen der dogmatischen Theologie und zwar im Zeitraum der ersten sechs Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft. Die Vorzeichen der NS-Herrschaft hatten Barths theologisches Denken maßgeblich mitgeprägt.59 In Ihrer Dissertation behandelt Caren Algner Barths Kampf um die Kirche in den Jahren 1930–1935. Sie stützt sich dabei auf Barths und Charlotte von Kirschbaums Korrespondenz mit Eduard Thurneysen, gegenüber dem sich Barth als einem engen Vertrauten ungeschützt geäußert habe. Algner vertritt die These, dass sich Barths »dogmatische Position« im Vorfeld »in ihren wesentlichen Zügen« im Zuge »seiner Arbeit über Anselm von Canterbury und des ersten Teilbandes der Kirchlichen Dogmatik« geklärt habe. Seinen »Kampf um die Kirche im ›Dritten Reich‹« deutet sie als »eine unmittelbare Konsequenz seiner theologischen Entwicklung.«60 Algner suggeriert damit, dass es Kongruenz und Konsistenz zwischen Barths Theologie und seiner Rolle im ›Kirchenkampf‹ gegeben habe. Letztere sei sogar eine logische Konsequenz der Theologie gewesen, »wie er sie in den ersten Bonner Jahren«61 ausgeformt habe. Damit wird auch suggeriert, dass Barth sich – zumindest bis 1935 – in seiner Lehre und seinem Handeln konsistent und seiner Linie von 1932 folgend einheitlich verhalten habe. Für diese These spricht nicht nur die Barth-von Kirschbaum-Thurneysen-Korrespondenz, sondern sie entspricht auch Barths Selbstwahrnehmung und Selbstverständnis in der Retrospektion.62 Obwohl vieles für diese Kontinuitätsthese spricht, muss sie präzisiert werden. Günther van Norden hat Barth als »homo politicus«63 (im weitesten Sinne!) charakterisiert und versucht nachzuweisen, dass Barth »selbstverständlich in seinem Glauben und Denken, Reden und Handeln ebenso geprägt war von dem Text, aus dem er lebte, wie abhängig war von dem Kontext, in dem er lebte.«64 Die Frage, inwiefern Barth auch ein homo politicus gewesen ist, könne man nur dann »annähernd fassen,« wenn man »die historische Kategorie der Zeit« einführe, »mit der sich der Kontext permanent veränderte und immer neue Herausforderungen signalisierte, auf die Antworten aus dem Text erwartet wurden.«65 Van Norden unterscheidet drei Phasen bzw. Aufbrüche, die Barth als Antwort auf bestimmte kontextuelle Gegebenheiten wesentlich geprägt haben sollen: 1.) Bis 59 Vgl. hierzu insbesondere Greschat, In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus; Hüttenhoff, Theologische Existenz heute. 60 Algner, Kirchliche Dogmatik im Vollzug, 105. 61 A. a. O., 3. 62 Vgl. Barth (Dezember 1938), How my mind has changed 1928–1938, 186–190. – S. u. 1. Exkurs: Autobiographische Retrospektive. 63 Vgl. Van Norden, Weltverantwortung der Christen; ders., Karl Barth als »homo politicus«; ders., Karl Barth 1933/34. 64 Van Norden, Karl Barth als »homo politicus«, 98. 65 Ebd.

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Karl Barth

in den Ersten Weltkrieg hinein sei Barth selbstverständlich der homo politicus seiner Gemeinde gewesen.66 2.) Bis etwa 1938 habe der homo politicus Barth reflektiert als Theologe seiner Kirche gewirkt.67 Van Norden beschreibt den homo politicus Barth als einen, der, »um guten Gewissens zu bleiben, kein Messer trug;«68 diese Haltung sei auch der Grund dafür gewesen, dass »er dann 1933/34 zwar vehement gegen die Bindestich-Theologie der Deutschen Christen streiten« konnte, »aber nicht öffentlich gegen den dahinter stehenden Ungeist des Nationalsozialismus«69 vorgegangen sei. Für Barths politisch zurückhaltende Position in den Jahren 1933/34 macht van Norden politisch-taktische, historischanalytische und theologische Gründe verantwortlich:70 Barth habe a) seine Stellung nicht für hoffnungslose Konflikte aufs Spiel setzen wollen, b) das NS-Regime zunächst noch in einer Experimentierphase gesehen und c) das Ganze einer Neufundierung der Theologie als wichtiger als die Klärung von Teilfragen erachtet. Außerdem sei er zunächst noch nicht in Opposition zum Regime gekommen, »weil es ja sein konnte, daß der Staat sich verbessert.« Mit den »Ereignissen um den sogenannten Röhm-Putsch am 30. Juni 1934« habe er allerdings diese »Hoffnung aufgegeben.« Nun war für Barth »die Experimentierphase zu Ende«71, sodass er nach seiner Ausweisung seine politische Analyse dahingehend verschärft habe, dass »er das Dritte Reich nicht mehr nur von Römer 13, sondern auch von Offenbarung 13 her« bewertete, weil es »eine Fiktion« gewesen sei, »diesen Staat noch als Rechtsstaat zu sehen.«72 Nun durfte die Kirche »nicht mehr nur mehr oder weniger abstrakt Theologie treiben«, sondern sie musste »die politische Sache auch politisch konkret beim Namen nennen.«73 Egal wie man sie deutet: es lässt sich eine deutliche Veränderung der Haltung und Rolle Barths im Kirchenkampf im Sommer 1935 feststellen. Mit seiner Rückkehr in die Schweiz änderte sich seine Zurückhaltung gegenüber dem Nationalsozialismus signifikant und seine Äußerungen wurden deutlich kritischer und politischer.74 Nach van Norden hatte der Fehler seiner Konzeption darin 66 Vgl. ebd. – Diese Phase liegt außerhalb unseres Untersuchungszeitraums und wird deshalb aus methodologischen Gründen nicht näher behandelt. 67 Vgl. a. a. O., 99. 68 A. a. O., 97. 69 A. a. O., 106. Vgl. ders., Karl Barth 1933/34. 70 Vgl. a. a. O., 154–163. 71 Ebd. 72 Van Norden, Weltverantwortung der Christen, 57. 73 A. a. O., 58f. – Van Norden wird Barth allerdings nicht gerecht, wenn er urteilt, dass nun der »homo politicus« wieder da sei und »den homo religiosus« zurückstelle, denn auch Barths politische Kritik am Nationalsozialismus war letztlich stets theologisch begründet und motiviert, wie wir sehen werden. 74 Ähnlich urteilt auch Hüttenhoff, Lehrer der christlichen Kirche, 509: »Solange Barth in Deutschland war, beschränkte sich sein Widerstand auf den Protest gegen die durch die Deutschen Christen in die Kirche eingedrungene Häresie und gegen die seiner Ansicht nach

Theologische Kontinuität und kontextbedingte Veränderung

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bestanden, »zu meinen, es reiche aus, die Freiheit des Evangeliums zu verkünden, ohne sie – die Freiheit – explizit politisch zu konkretisieren;« oder anders ausgedrückt: »Der Fehler lag darin, zu meinen, es reiche aus, Theologie zu treiben, ohne ihre politischen Implikationen zu benennen, als ob das Implizite für den Wächterruf ausreiche.«75 Diesen konzeptionellen Fehler habe Barth erst später korrigiert: 3.) In einer dritten Phase sei der Theologe Barth »reflektiert identisch der politische Analytiker Karl Barth« gewesen. In dieser Phase war für Barth das Evangelium »nicht nur per se politisch, sondern es wird politisch formuliert, damit es zum Zuge kommt (etwa ab 1938)«.76 Van Norden datiert diese Veränderung etwa in den Zeitraum der Novemberpogrome.77 Hier nun zeigte Barth »die neuen Perspektiven«78 seines Denkens auf: Die wesentliche theologische Veränderung bestand darin, dass nun »die Rezitation des Bekenntnisses nicht mehr« genügte, sondern dass es jetzt »um den Vollzug des Bekenntnisses im konkreten Bekennen«79 ging. Ähnlich wie van Norden unterscheidet auch Wolf Krötke »zwei Phasen, in denen Barth seinen Widerstand gegen Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus realisiert«80 habe: 1.) Von 1933 bis 1935 habe Barth einen dezidiert »theologisch-kirchlichen Widerstand« verfochten, bei dem es sich bewusst »nicht um einen politischen Widerstand«81 handelte. 2.) Etwa im Jahre 1937 sei Barth in eine zweite Phase des Widerstandes übergegangen, die Krötke als »theologisch begründeter politischer Widerstand«82 charakterisiert. Dabei benennt er zwei Defizite des Kirchenkampfes Barths: erstens die nur theologisch-ekklesiologische »Zuspitzung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus als Widerstand gegen die ›Deutschen Christen‹«83 und zweitens »das fehlende theologische Drängen auf eine eindeutige Stellungnahme der Bekennenden Kirche zur Ju-

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unrechtmäßige Kirchenleitung. Ganz bewusst verzichtete er auf eine direkte politische Kritik der nationalsozialistischen Herrschaft. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz änderte sich das.« Van Norden, Karl Barth 1933/34, 163. Vgl. auch a. a. O., 163–167. Van Norden, Karl Barth als »homo politicus«, 98. »Der Pogrom vom 9./10. November 1938 war für Barth – neben der Erfahrung der Zerstörung der Rechtsordnung und der außenpolitischen Aggressivität des NS-Systems – die Grenze, an der sich alles entschied. Also wieder, auch beim dritten Aufbruch ist es nicht die Theologie, die die Trompete bläst, sondern die Geschichte, die historische Erfahrung der beginnenden Shoa, die die bisher politisch distanzierte Theologie vertieft, aus der heraus dann allerdings die vom Evangelium her notwendige Antwort auf die Herausforderung gegeben wurde.« Van Norden, Weltverantwortung der Christen, 59f. A. a. O., 58. A. a. O., 60. Krötke, Theologie und Widerstand bei Karl Barth, 126. Vgl. a. a. O., 126–131, Zitat 127. Vgl. a. a. O., 131–137. Vgl. a. a. O., 126–129, Zitat 129.

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denverfolgung.«84 Krötke wirft die Frage auf, »ob dem Ausmaß von mörderischer Gewaltentfaltung des NS-Staates auf die Dauer nur auf ›unpolitische‹ Weise Widerstand geleistet werden«85 konnte. Dass Barth selbst diese Defizite und Frage durchaus hellsichtig erkannt und auch benannt hat, weiß auch Krötke. So kam es im Denksystem Barths im Rahmen des Kirchenkampfes zu Vertiefungen, Anwendungen und Veränderungen, die eine genauere Untersuchung durchaus lohnend erscheinen lassen. In dem exemplarisch aufgezeigten Spannungsfeld zwischen theologischer Kontinuität und kontextbedingter Veränderung ist auch diese Untersuchung zu Barths Deutung des Kirchenkampfes zu verorten.

2.3. Theologische Grundlagen Barths im Kirchenkampf 2.3.1. KD I,1: Exklusivistische Wort-Gottes-Theologie und -Ekklesiologie Eine der zentralen theologischen Grundlagen und Maßstäbe für Barths Deutung des Kirchenkampfes dürfte ohne Zweifel seine Wort-Gottes-Theologie und -Ekklesiologie darstellen.86 In seinem im August 1932 erschienen ersten Teilband der Kirchlichen Dogmatik entfaltete Barth das Wort Gottes in dreifacher Gestalt: 1. als das verkündigte Wort Gottes87, 2. als das geschriebene Wort Gottes88 und 3. als das offenbarte Wort Gottes.89 Gemeinsam bildeten diese drei Gestalten des Wortes Gottes in Form vollkommener Komplementarität die Einheit des einen Wortes Gottes.90 Diese absolut komplementäre Verhältnisbestimmung der drei Gestalten des Wortes Gottes bedeutete im Umkehrschluss, dass sich jede kirchliche Verkündigung [1.] allein auf die Heilige Schrift [2.] begründen dürfe, in der allein sich die 84 85 86 87 88 89 90

Vgl. a. a. O., 129–131, Zitat 129. A. a. O., 131. Vgl. zu dieser Einschätzung etwa Hüttenhoff, Theologische Opposition 1933, 428–430. Vgl. KD I/1, 89–101. Vgl. KD I/1, 101–113. Vgl. KD I/1, 114–124. Vgl. KD I/1, 124–128. Zum »Überblick über das Ganze« stellte Barth den folgenden kleinen »Schematismus von gegenseitigen Relationen« auf, der die Exklusivität und Abgeschlossenheit des Wortes Gottes verdeutlicht: »Offenbartes Wort Gottes [3.] kennen wir nur aus der von der Verkündigung der Kirche [1.] aufgenommenen Schrift [2.] oder aus der auf die Schrift [2.] begründeten Verkündigung der Kirche [1.]. Geschriebenes Wort Gottes [2.] kennen wir nur durch die die Verkündigung [1.] erfüllende Offenbarung [3.] oder durch die von der Offenbarung [3.] erfüllte Verkündigung [1.]. Verkündigtes Wort Gottes [1.] kennen wir nur, indem wir die durch die Schrift [2.] bezeugte Offenbarung [3.] oder indem wir die die Offenbarung [3.] bezeugende Schrift [2.] kennen.« KD I/1, 124. (Die Zahlen in Klammern stammen von mir).

Theologische Grundlagen Barths im Kirchenkampf

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Offenbarung Gottes [3.] manifestiere, die sich wiederum ausschließlich in der Verkündigung [1.] aktualisiere. Barth verstand Kirche und Theologie somit als ausschließlich und restlos vom Worte Gottes her begründet.91 Für die Lehre des Wortes Gottes in dreifacher Gestalt gebe es »nur eine Analogie«92, nämlich die »zur Lehre von der Dreieinigkeit Gottes«.93 Jede andere Form der Analogie neben der Trinität lehnte Barth auf das Schärfste ab.94 Gleichzeitig bestritt Barth mit dieser exklusivistischen Interpretation des Wortes Gottes »als Kriterium der Dogmatik«95 gewissermaßen fundamentaltheologisch bereits in seinen »Prolegomena zur Dogmatik«96 kategorisch jede Möglichkeit, dass es für Kirche und Theologie neben dem verkündigten, [1.] neben dem geschriebenen [2.] oder gar neben dem in der Heiligen Schrift offenbarten [3.] Wort Gottes eine andere Autorität, Quelle, Offenbarung oder Instanz geben könne und dürfe.97

2.3.2. Das erste Gebot als theologisches Axiom und die Ablehnung der natürlichen Theologie Analog zur Exklusivität des Wortes Gottes betonte Barth die exklusive Bedeutung des ersten Gebotes als theologisches Axiom. Diesen Gedanken entfaltete er in seinem am 9. März 1933 abgeschlossenen und am 10. März 1933 in Kopenhagen und am 12. März 1933 erneut in Aarhus gehaltenen Vortrag unter dem Titel Das erste Gebot als theologisches Axiom98 systematisch. Diesem Text lässt sich nach 91 Diese Einsicht bringt er in KD I/1 thetisch auf folgende ekklesiologische Formel (Leitsatz § 4): »Die Voraussetzung, die die Verkündigung zur Verkündigung [1.] und damit die Kirche zur Kirche macht, ist das Wort Gottes. Es bezeugt sich in der heiligen Schrift [2.] im Wort der Propheten und Apostel, denen es ursprünglich und ein für allemal durch Gottes Offenbarung [3.] gesagt wurde.« KD I/1, 89. (Die Zahlen in Klammern stammen von mir). 92 KD I/1, 124. 93 KD I/1, 125. Vgl. hierzu KD I/1, zweites Kapitel »Die Offenbarung Gottes«, erster Abschnitt »der dreieinige Gott« (a. a. O., 311–514). 94 Vor diesem Hintergrund sind auch seine polemischen Zuspitzungen im Vorwort von KD I/1 zu verstehen, wo er »die analogia entis« als »die Erfindung des Antichrist« bezeichnet. KD I/1, VIII. Diese scharfe Ablehnung der analogia entis fußte auf Barths Überzeugung, dass sie zur natürlichen Theologie führe. Vgl. Barth (Dezember 1933), Vorwort [zu: die Kirche Jesu Christi], 602f. 95 KD I/1 bietet die »Die Lehre vom Worte Gottes« und das erste Kapitel trägt die Überschrift »Das Wort Gottes als Kriterium der Dogmatik« (a. a. O., 47–310). 96 KD I/1, 23: »Prolegomena zur Dogmatik nennen wir den einleitenden Teil der Dogmatik, in welchem es sich um die Verständigung über ihren besonderen Erkenntnisweg handelt.« (These zu § 2) 97 Vgl. hierzu auch Barth (April 1934), Offenbarung, Kirche, Theologie, vgl. »zur Lage« auch ders. (April 1934), Vorwort [zu: Offenbarung, Kirche, Theologie]. 98 Barth (März 1933), Das erste Gebot als theologisches Axiom.

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Barths eigener Überzeugung entnehmen, »mit welchen Voraussetzungen« er in die »Kampfzeit hineingegangen«99 sei. In diesem Schlüsseltext qualifizierte Barth das erste Gebot (»Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!« – Ex. 20,3; Dtn. 5,7) als theologisches Axiom und somit als alleiniges theologisches Fundament und alleinige Richtschnur der Theologie. Für Barth stand »jeder theologische Satz« unter der Frage, »wie er sich zu dieser Voraussetzung aller theologischen Sätze verhält, das heißt, ob und wie er von ihr aus beweisbar, haltbar und also rechtmäßig ist.«100 Das erste Gebot zeichne sich dadurch aus, dass es 1.) an die Heilige Schrift als das geschriebene Wort Gottes binde101 und 2.) im Modus der Anrede (Ich – Du!) verfasst sei.102 Außerdem sei es 3.) als »Befehl Gottes«103 formuliert und somit Ausdruck »göttlicher Freiheit und eine Sache menschlichen Gehorsams oder Ungehorsams«104 und 4.) in einem christologischen Horizont verankert.105 An diesem theologischen Axiom schieden sich für Barth Gott von Abgott, Gehorsam von Ungehorsam und letztlich all das, was er als echte Theologie und Bindestrich-Theologie106 betrachtete und wenig später als den Gegensatz von »Gottes Wille und unsere Wünsche«107 bezeichnen wird: Egal ob »Vernunft« und »Religion« (Friedrich Schleiermacher), »religiöses Bewusstsein« (Albrecht Ritschl), »Kulturethos« und »Religionsgeschichte« (Ernst Troeltsch), egal ob »Schöpfung« und »Anknüpfungspunkt« (Emil Brunner), »Uroffenbarung« (Carl Stange, Paul Althaus), »menschliche Existenz« (Rudolf Bultmann), egal ob »Volkstum« (Emanuel Hirsch), »Sitte«, »Staat«108 »oder wie die andere Instanz auch heißen mag«109 – jede Instanz jenseits des Bindestriches betrachtete Barth ausnahmslos als Ausdruck einer grundverderblichen natürlichen Theologie. Von hier aus erklären sich auch seine theologischen Frontstellungen: die Philosophie und Theologie von Schleiermacher, Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108

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Barth (April 1934), Geleitwort [zu: Kirken i dag!], 242. Barth (März 1933), Das erste Gebot als theologisches Axiom, 215. Vgl. a. a. O., 218f. Vgl. a. a. O., 219–221. A. a. O., 221. A. a. O., 222. Vgl. a. a. O., 223–226. – Deshalb konnte Barth auch betonen: »Jesus Christus ist der Sinn des Sinaigesetzes, sofern es Gottes Offenbarung ist.« A. a. O., 224. Zu Barths Haltung zum fatalen »Bindestrich« vgl. etwa Barth (Februar 1931), Die Not der evangelischen Kirche, 110f. Vgl. Barth (Januar 1934), Gottes Wille und unsere Wünsche; sowie ders. (Januar 1934), Vorwort [zu: Gottes Wille und unsere Wünsche]. Auch die Größen »Rasse«, »Volk« und »Staat«, die Walter Künneth schöpfungstheologisch als »Erhaltungsordnungen« qualifizierte, waren für Barth lediglich Exponenten natürlicher Theologie. An diesem Punkt liegt der zentrale Unterschied zwischen Barths und Künneths Wort Gottes-Theologie begründet. Barth (März 1933), Das erste Gebot als theologisches Axiom, 236. Vgl. hierzu a. a. O., 230–236,

Theologische Grundlagen Barths im Kirchenkampf

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Hegel, Ritschl, Troeltsch, Karl Holl, Hirsch, Bultmann, Brunner und Friedrich Gogarten betrachtete Barth allesamt lediglich als verschiedene Spielarten einer natürlichen Theologie, die er als solche uneingeschränkt aufgrund des exklusiven Anspruchs des ersten Gebotes ablehnen musste.110 Sein Bedenken bestand darin, dass diese »ganze moderne Theologie des ›und‹«111 allzu schnell ihren Schwerpunkt und den eigentlichen Primat auf die Instanz hinter dem »auf alle Fälle folgenschweren Wörtleins ›und‹«112 legen werde und dass dadurch »die Offenbarung, von der das erste Gebot redet, zu einem Parergon, zu einem bloßen Schatten«113 herabgesetzt wird. Den Begriff »natürliche Theologie«114 verwendete Barth folglich als einen sehr weiten Sammelbegriff für all jene Phänomene, die seines Erachtens entweder die Ausschließlichkeit und Einzigkeit des Wortes Gottes oder die Ausschließlichkeit und Einzigkeit des ersten Gebotes als theologisches Axiom in Frage stellten. Oder anders ausgedrückt: Immer dann, wenn Theologie oder Kirche einen Bindestrich zwischen das Wort Gottes oder das erste Gebot auf der einen Seite und irgendeine andere Instanz auf der anderen Seite setzen, begehen sie Verrat am Wort Gottes und sind deshalb theologisch unverantwortbar und untragbar.115 Nicht zuletzt in Barths Betonung des ersten Gebotes und in seinem Verständnis von Theologie als Bekenntnis und aktuellem Bekennen116 tritt deutlich der reformierte Charakter

110 111 112 113 114

Vgl. a. a. O., 230–239. A. a. O., 232. Ebd. A. a. O., 238. Zu Barths Ablehnung der natürlichen Theologie vgl. u. a. Kock, Natürliche Theologie, 23– 102; Hüttenhoff, Im Kampf gegen die Einheitsfront der natürlichen Theologie. 115 In der sog. Barth-Brunner-Debatte bündelte sich Barths strikte Ablehnung einer jeden Form von natürlicher Theologie in einer besonders zugespitzten und intensiven Weise. Vgl. hierzu insbesondere Barth (Oktober 1934), Nein! Antwort an Emil Brunner. 116 Vgl. hierzu Reichel, Theologie als Bekenntnis. Reichel betrachtet den Kirchenkampf insbesondere unter dem Aspekt des »Bekenntniskampfes«. A. a. O., 93–99. – Im Juni 1925 definierte Barth den Begriff »›reformiertes Glaubensbekenntnis‹« folgendermaßen: »Ein reformiertes Glaubensbekenntnis ist die von einer örtlich umschriebenen christlichen Gemeinschaft spontan und öffentlich formulierte, für ihren Charakter nach außen bis auf weiteres richtunggebende Darstellung der der allgemeinen christlichen Kirche geschenkten Einsicht von der allein in der Heiligen Schrift bezeugten Offenbarung Gottes in Jesus Christus.« Barth (Juni 1925), Wünschbarkeit und Möglichkeit eines allgemeinen reformierten Glaubensbekenntnisses, 610. Barth unterschied folgende Elemente dieser Definition: 1.) Es gehe dem reformierten Bekenntnis immer um »›Gottes Offenbarung in Jesus Christus‹«, 2.) die sich ausschließlich an der Heiligen Schrift orientiere (sola scriptura) 3.) immer ein Geschenk der Gnade sei (sola gratia), 4.) immer »die Stimme der Una Sancta [ecclesia] sein« wolle, 5.) immer dogmatisch sei, aber dennoch 6.) immer nur »›Bis auf weiteres‹« gelte. Vgl. a. a. O., 610–616. Beim reformierten Bekenntnis handele es sich deshalb 7.) immer um eine zunächst verbindliche, aber eben immer auch »menschliche und darum irrtumsfähige Darstellung« der »der Kirche geschenkten Einsicht von der Offenbarung.« A. a. O., 616.

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seiner Theologie zutage, die insbesondere für Lutheraner wie Künneth und Hirsch anstößig und nicht hinnehmbar war. In der chronologischen Darstellung von Barths Deutung des Kirchenkampfes werden wir immer wieder feststellen, dass genau an dieser Stelle für Barth die eindeutige und unaufgebbare Grenze zwischen Glaube und Unglaube, wahrer und falscher Theologie, echter Verkündigung und Irrlehre, Kirche und Häresie verlief. Es ist sicher kein Zufall, dass Barth in der KD auf den Kirchenkampf im Rahmen seiner Behandlung der natürlichen Theologie in KD II/1 zu sprechen kam.117 Entsprechend wird Apg. 5,29b (»Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.«) zu einem wichtigen biblischen Text, dem eine entscheidende kritische Funktion für Barths Deutung des Kirchenkampfes zukommt.

2.4. Chronologische Darstellung der Entwicklung der Kirchenkampfdeutung 2.4.1. Mai/Juni 1933: Einsetzender »Kirchenstreit« Auf vielfache Anfrage richtete Barth am 25. Juni 1933 endlich sein »Wort zur Lage« an die evangelische Pfarrerschaft.118 Der Vorstellung eines »Wortes zur Lage« stand Barth allerdings kritisch gegenüber und bevorzugte es, »zur Sache« zu reden, um den geschichtlichen Ereignissen – in Abgrenzung zu vielen seiner Zeitgenossen wie etwa Walter Künneth und Emanuel Hirsch – keinen maßgeblichen Eigenwert neben dem Wort Gottes beizumessen.119 Vor dem Hintergrund seines theologischen Axioms und der exklusivistischen Zuspitzung der Wort-Gottes-Theologie stand für Barth in seiner ersten öffentlichen »Stellungnahme«120 im Juni 1933 außer Frage: Wer die Einzigkeit, den grenzenlosen Anspruch, die unbedingte Überlegenheit und Exklusivität des

117 S. u. 2. Exkurs: Kirchenkampf in der KD. 118 Zur Vorgeschichte vgl. die Einleitung der Herausgeber zu Th.Ex.h. in V.u.kl.A. 1930–1933, 271–280, besonders 272, Anm. 11 mit zahlreichen Belegen. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf diese Textausgabe. 119 Zu Barths grundsätzlich kritischer Sicht auf Worte zur Lage vgl. KD I/1, X–XI und 131. 120 Im April 1934 erläuterte er den Zusammenhang zwischen beiden Texten so: Seine »Stellungnahme« in Th.Ex.h. »konnte auf Grund jener Voraussetzung [scil. Das erste Gebot als theologisches Axiom] offenbar keine andere sein.« Er sei, »als das Unheil da war, gar nicht gefragt« gewesen, was er »nun zu denken und zu sagen hatte, sondern« er »hatte nur einige Konsequenzen und Anwendungen zu vollziehen.« Barth (April 1934), Geleitwort [zu: Kirken i dag!], 242f.

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Wortes Gottes nicht anerkenne, der stehe außerhalb der Kirche: »Darüber ist man sich in der Kirche einig, oder man ist nicht in der Kirche.« (283f)121 Den ursprünglichen Titel der Schrift »Von der Kirchenpolitik zur Kirche!« ersetzte Barth durch die nicht weniger programmatische Überschrift »Theologische Existenz heute!«122. Mit dem Schlagwort ›Theologische Existenz‹ bezeichnete Barth die »Bindung an das Wort Gottes« und die Geltung der »besonderen Berufung zum Dienst am Wort Gottes«. (285) Diese theologische Existenz gelte es angesichts der kräftigen »in allen möglichen Gestalten« auftretenden »Versuchung dieser Zeit« entschieden zu wahren. Die Versuchung bestehe darin, dass Kirche und Theologie »über der Macht anderer Ansprüche die Intensität und Exklusivität des Anspruchs des göttlichen Wortes als solche nicht mehr und damit dieses Wort sofort überhaupt nicht mehr« (285) verstünden. Dadurch drohe ihnen die Gefahr, dass für sie »das Zweite oder Dritte,« das sie »in dem Ersten wohl aufgehoben wissen müssten, faktisch das Erste wird, mit dem Ersten zusammenfließt und endlich an die Stelle des Ersten tritt.« (286) Angesichts dieser Versuchung, das Wort Gottes zugunsten anderer Instanzen und Autoritäten zu verraten, gelte es heute die theologische Existenz zu wahren und zu verteidigen. Die so verstandene theologische Existenz gelte es besonders in drei konkreten und aktuellen Fragen, die die evangelische Kirche damals beschäftigten, zu bewahren und zu bewähren: hinsichtlich 1.) der Kirchenreform,123 2.) der Bischofsfrage124 und 3.) der kirchenpolitischen Bewegungen der Zeit.125 121 Vgl. auch Barths acht Kontrollfragen in seinem Vortrag auf der Freien Reformierten Synode in Barmen (4. Januar 1934, in Bochum am 5. Januar und in Lübeck am 6. Januar), die für ihn allesamt mit einem eindeutigen »Nein« beantwortet werden mussten. Die Fragen lauteten: »[1.] Ob wir Gottes Offenbarung wirklich auch noch anderswo als in der Heiligen Schrift zu suchen haben? [2.] Ob das Alte Testament wirklich weniger oder vielleicht gar nicht Heilige Schrift ist neben dem Neuen? [3.] Ob Rasse und Volkstum wirklich Faktoren sind, denen die Kirche maßgebenden Einfluss auf ihre Verkündigung und Ordnung zugestehen muss? [4.] Ob ein getaufter Jude wirklich ein ›Christ anderer Art‹ und darum in einer deutschen Kirche nur geduldet und zur Verkündigung des Evangeliums in einer deutschen Kirche ungeeignet ist? [5.] Ob das innere Leben und die äußere Ordnung der Kirche wirklich voneinander zu trennen und also die äußere Ordnung wirklich nach jeweiliger Willkür zu gestalten ist? [6.] Ob es in der Kirche wirklich nicht nur ein Amt des Dienstes, sondern auch ein Amt der Führung geben soll? [7.] Ob der Staat über den ihm nach Röm. 13 zugesprochenen Auftrag hinaus den ganzen Menschen in Anspruch nehmen und mit Beschlag belegen darf ? [8.] Ob wir also wirklich zuerst Deutsche und erst dann und als solche Christen sind?« Barth (Januar 1934), Gottes Wille und unsere Wünsche, 91f. 122 Vgl. die Einleitung der Herausgeber von V.u.kl.A. 1930–1933, 275. 123 Vgl. a. a. O., 289–302. 124 Vgl. a. a. O., 302–320. 125 Zu den DC vgl. a. a. O., 320–340 und zur JB vgl. a. a. O., 340–351.

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Zu 1.) Bezüglich der vieldiskutierten Kirchenreform stand für Barth fest, dass »auch eine zunächst die äußere Gestalt betreffende Kirchenreform« aus der »inneren Notwendigkeit des Lebens der Kirche selbst« hervorgehen musste. Denn wenn sie nicht »aus dem Gehorsam gegen das Wort Gottes« hervorgehe, dann sei sie »keine Kirchenreform.« (290) Zu 2.) Die innerkirchlichen Auseinandersetzungen rund um die Bischofsfrage um Friedrich von Bodelschwingh, den die JB unterstützte, und Ludwig Müller, für den die DC stritten, bezeichnete Barth auch als »Bischofsstreit« (314) und noch häufiger als »Bischofskrieg« (342.346.347.348). Die »Bischofsfrage« (303) wertete er als jene »Frage, die die deutsche Kirchenreform bisher vor anderen charakterisierte und alsbald zum wenig schönen Kirchenstreit werden ließ«. (302f) Dieser Debatte um den Reichsbischof machte Barth den »Vorwurf des Leichtsinns« (306.310) und bezeichnete sie als »unverantwortliches Spiel« und als eine »Blamage der evangelischen Kirche« (315). Theologisch sei nämlich weder die Funktion und Rolle noch die Aufgabe eines evangelischen Bischofes völlig bestimmt und geklärt. Zudem bleibe sie »ohne den Schatten eines theologischen Beweises«, sei ein »beliebiges neues Dogma« (313) und entbehre vollkommen einer grundsätzlichen theologischen Klärung. Deshalb war sie für Barth aus reformierter Sicht bis zum theologischen Gegenbeweis – »theologisch! an Hand von Schrift und Bekenntnis!« (318) – »auf das Bestimmteste« (316) abzulehnen. Bereits in den »Düsseldorfer Thesen« vom 20. Mai 1933, die deutlich Barths Handschrift trugen und die er als theologisches und keineswegs kirchenpolitisches Manifest betrachtete,126 bezog er theologisch Stellung in der Diskussion um die Reichskirche und die Reichsbischofsfrage: »›Geistlicher Führer‹ der Kirche« sei »allein Jesus Christus, ihr himmlischer König.«127 Ein »evangelischer Bischof, der mehr sein« wolle »als ein Titularbischof,« sei »nonsens«.128 Deshalb bekräftigten die ebenfalls von Barth maßgeblich geprägten Forderungen zur Gestalt der Kirche, die eine auf die reformierten Verhältnisse zugeschnittene Deutung der Düsseldorfer Thesen darstellten, die Unmöglichkeit eines übergeordneten, »angeblich mit besonderer geistlicher Vollmacht und Autorität« ausgestatteten Amtes der Kirche.129 126 Vgl. Einleitung zu Barth (Mai 1933), Eine theologische Erklärung zur Gestalt der Kirche, 252– 254. 127 Barth (Mai 1933), Eine theologische Erklärung zur Gestalt der Kirche, 257, 12. These. 128 So Barth in einem Brief an Wilhelm Loew vom 1. 6. 1933 (Abgedruckt in: Br. 1933, 242–244, Zitat 243). 129 Barth und 11 weitere reformierte Theologen (Juni 1933), Forderungen zur Gestalt der Kirche, 268, These 13 und 15: »13. Ein den örtlichen Kirchen (Gemeinden) übergeordnetes, angeblich mit besonderer geistlicher Vollmacht und Autorität ausgestattetes Amt der Kirche, heiße es, wie es wolle, hat weder Auftrag noch Verheißung. […] 15. Der Reichsbischof lutherischen Bekenntnisses hat für die reformierte Kirche nur die Bedeutung eines Repräsentanten und Geschäftsführers der ›Deutschen Evangelischen Kirche‹.«

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Zu 3.) Die DC ordnete Barth in die Kategorie der »Irrlehre« (325) und »Ketzerei« (328) ein. Theologisch sei sie nicht ernst zu nehmen, handle es sich doch bei ihrer Lehre »mit Ausnahme weniger Originalitäten« um eine kleine Sammlung »von Prachtstücken aus dem großen Abfalleimer des jetzt so viel gescholtenen 18. und 19. Jahrhunderts«130 (328). Den DC gegenüber gelte es besonders standfest die theologische Existenz sowie die durch sie angefochtene Substanz der Kirche zu wahren. Differenzierter, wenn auch nicht weniger kritisch, fiel sein Urteil über die JB aus. Obwohl Barth anerkennend würdigte, dass die Jungreformatoren »die Ausschließung der Nicht-Arier aus der Kirche« ablehnten und versuchten, »die Neugestaltung der Kirche aus dem Wesen der Kirche heraus« (343) zu bestimmen, stellten sie in seinen Augen keine theologische und echt kirchliche Alternative zu den DC dar. Ihre Opposition gegen die DC sei bestenfalls eine kirchenpolitische, aber eben keine theologische, da sie mit den DC »doch nur über die formale Selbständigkeit und Unselbständigkeit, aber gerade nicht über das Wesen der Kirche uneinig« seien. (347) Gerade deshalb sei die kirchliche Opposition der JB »nicht ernsthaft genug und in der Kirche sollten jetzt […] nur ganz ernsthafte Gedankengänge maßgebend sein dürfen.« (352). Mit deutlichen Worten prognostizierte Barth: Während uns für den nun vielleicht schon eingetretenen Fall eines Sieges der »Deutschen Christen« eine Art kirchlich-theologischer Schreckenszeit (in der im Gottesdienst getrommelt werden und in der E. Hirsch bestimmen wird, was Theologie ist) bevorzustehen scheint, wäre es bei einem Sieg der Jung-Reformatorischen gewiss nur zu einer neuen dauerhaften Form jener Vermittlung (Schöpfung und Erlösung, Natur und Gnade, Volkstum und Evangelium) gekommen, die dem natürlichen Menschen von jeher als die eigentlich christliche Lösung willkommen war. Ich glaube: mit den offenen wilden Ketzern wird die Kirche in nicht zu später Zeit fertig werden. Wer aber hätte sie bewahrt vor der Liebenswürdigkeit der kirchlich und sogar »biblisch-reformatorisch« Korrekten, die es im Grunde doch nicht anders meinten als jene? (350f)131

Stellten also die DC die Gefahr einer leicht als solche identifizierbaren Irrlehre für die evangelische Kirche dar, verdeckten die theologischen Unklarheiten der JB die eigentlichen Probleme der natürlichen Theologie durch ihr ›Ja‹ zum 30. Ja-

130 Zu Barths Wertung der evangelischen Theologie des 18. und 19. Jahrhunderts vgl. Prot.Theol., ein Buch, das aus einer Vorlesung, die Barth im WS 1932–1933 in Bonn gehalten hatte, entstanden ist. Zahlreiche Belege zu Barths Deutung der Theologie der letzten 200 Jahren bietet eine Anmerkung der Herausgeber in V.u.kl.A. 1930–1933, 32, Anm. 49. 131 Im Mskr. hatte Barth noch resoluter notiert: »Doch es genügt mir die Feststellung: der von den Jung-Reformatorischen geleistete Widerstand gegen die Deutschen Christen ist nicht minder gefährlich als das, wogegen er sich richtet. Weil er kein echter, kein notwendiger, kein qualifizierter Widerstand ist!« (A. a. O., 351, Anm. ms–ms).

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nuar.132 Die wirklich große Gefahr bestehe nämlich in der Verwässerung bzw. – im schlimmsten Falle sogar – im Verlust des Wortes Gottes.133 Deshalb sei »ein ganz anderer Kampf« gefordert als ihn etwa die JB in kirchlicher Opposition zu den DC führte: Es gehe in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen, um einen »Kampf, der mit Wahlen und Kundgebungen und Protesten, mit Bewegungen und Fronten gar nichts zu tun« habe. (354) Dieser Kampf sei »ein Kampf nicht um die Kirche, sondern in der Kirche, nicht zum Schutz, sondern in Betätigung von Verkündigung und Theologie, nicht gegen die ›Deutschen Christen‹, sondern implizit auch und gerade für sie.« Es handele sich also um einen »Kampf«, in dem die Kirche »nicht siegen wollen« könne, »sondern nichts Anderes« erwarten dürfe, »als zu erliegen, aber nun doch wie Jakob zu unterliegen [vgl. Gen. 32,23–33] und gerade so evangelische Kirche zu sein.« (354) Ein solcher »Kampf in der Kirche« bestehe also idealerweise gerade nicht darin, »wieder eine neue Bewegung oder Einheitsfront auf die Beine zu stellen« (355). Ein so verstandener Kampf müsse eben gerade nicht in erster Linie kirchenpolitischer, sondern vielmehr theologisch-geistlicher Natur sein. Was die Kirche nämlich »heute in erster Linie« brauche, sei »ein geistliches Widerstandszentrum, das einem kirchenpolitischen erst Sinn und Substanz geben würde.« Wer das verstehe, der werde »heute nicht irgend einen Kampf, sondern ein sehr schlichtes: Bete und arbeite! auf sein Programm setzen.« (355f)

132 Bereits Ende April 1933 betrachtete Barth jedes theologische Wort, das an seinen Anfang ein Ja zum 30. Januar 1933 setzte, als nutz- und sinnlos und folgerte: »So oder so: indem ihr das zum Felsen macht, auf den ihr nun die Kirche gründen wollt, wird einfach Alles, was ihr nachher der Schrift und dem Bekenntnis gemäß und in wohlgemeinter Polemik gegen die ›deutschen Christen‹ sagt, unglaubwürdig, weil ihr es durch jenes unkirchliche Grundbekenntnis im Voraus in eine Klammer gesetzt habt, außerhalb derer ihr das Glaubensbekenntnis offenbar nicht sprechen könnt oder wollt und innerhalb derer es als Glaubensbekenntnis unwirksam wird.« Brief an Georg Merz vom 29. und 30. 4. 1933 (abgedruckt in: Br. 1933, 173–180, Zitat 175). Diesem Vorspruch hielt Barth emphatisch entgegen: »Nein, sage ich, so nicht, unter diesem Druck und Vorzeichen und mit diesen Vorbildern nicht und wenn es, innerhalb dieser Klammer betrachtet, noch so schön und einleuchtend gemacht werden könnte! Wer jenen Vorspruch nicht unterlassen kann, der meint auch Alles, was er nachher sagt, und wenn es im Unterschied zur Irrlehre der ›deutschen Christen‹ das exakteste theologische Bekenntnis wäre, in einem übertragenen, unkräftigen Sinn.« (a. a. O., 176) Deshalb prognostizierte er weitsichtig: »Die Voraussetzung, als ob man mit den ›deutschen Christen‹ im Vorspruch einig – ängstlich bemüht, sich an Eifer um den Vorspruch von jenen doch ja nicht übertreffen zu lassen –, nachher im Gegensatz zu ihnen eine reine Kirche haben könne, diese Voraussetzung wird sich noch einmal als eine der schlimmsten Illusionen dieser an Illusionen so reichen Zeit herausstellen.« (a. a. O., 176f). 133 »Mit der Drohung der technischen Vergewaltigung der Kirche könnte ihr zugerufen sein, dass Gott frei ist, den Leuchter des Evangeliums, wenn wir es nicht anders haben wollen, wegzunehmen aus der Kirche Deutschlands wie einst aus der Kirche Nordafrikas, die die Kirche Augustins gewesen ist so gut wie die deutsche Kirche die Kirche Luthers ist.« A. a. O., 353.

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Kirchenpolitische Fragestellungen und seine Sicht auf die Lage behandelte Barth in seinen Briefen in den meisten Fällen unter dem wertungsfreien Stichwort »Kirchenfrage«.134 Er folgte damit wohl zeitgenössischem Sprachgebrauch.135 Besondere Bedeutung kam dem durchweg positiv denotierten Begriff »Widerstand«136 im Kontext der Behandlung der innerkirchlichen Auseinandersetzungen zu. Barth ging es allerdings um einen innerkirchlichen Widerstand, der sich »ganz in der Sphäre des Geistlich-Geistigen«137 halten, ein geistliches Widerstands- bzw. Störungszentrum bilden und die »Gleichschaltung« der Kirche verhindern sollte.138 Dieser zu leistende Widerstand sei als »rücksichtslos und fröhlich« zu qualifizieren, denn: »hinter der gefallenen Entscheidung« ziehe man »seine Straße fröhlich [vgl. Act. 8,39], und wenn man Einer gegen Hundert wäre, fröhlich, weil man seinen Gegner nicht zu fürchten hat.«139 In Anlehnung an Barths eigene Wortwahl kann man den in Th.Ex.h. angedeuteten »Kirchenstreit« folgendermaßen charakterisieren: Barth ging es um einen geistlichen Kampf in der Kirche, der darin bestehen sollte, das Wort Gottes zu verkündigen, Theologie zu treiben, Fürbitte zu halten, zu beten und auf diese Weise die Substanz der Kirche zu wahren, um so ein geistliches – kein kirchenpolitisches! – Widerstandszentrum zu bilden. Der so verstandene »Kirchenstreit« sei alles, was nötig, möglich und geboten sei, denn »die Hilfe Gottes« sei »wirklich die einzige, auch die einzige realkirchenpolitische Hilfe«, die die Kirche »im Augenblick suchen« könne »und offenbar jetzt mit ganz neuem Ernst suchen lernen« (356) solle. Das Wort Gottes und dessen Bekenntnis sowie das aktuelle Bekennen betrachtete Barth als die einzigen und eigentlichen Waffen in diesem 134 So etwa in seinen Briefen an Merz vom 29. und 30. 4. 1933 (Br. 1933, 179), an den rheinischen Generalsuperintendenten Stoltenhoff vom 1. 5. 1933 (a. a. O., 185), an Alfred de Quervain vom 13. 5. 1933 (a. a. O., 202), an Peter Barth vom 18. 5. 1933 (a. a. O., 208), an Heinrich Scholz vom 24. 5. 1933 (a. a. O., 214). In einem Brief an Anna Barth setzt Charlotte von Kirschbaum den Begriff »Kirchenfrage« in Anführungszeichen, als sie am 21. 5. 1933 zur Lage berichtet (a. a. O., 210). 135 Barth empfahl am 4. 5. 1933 Dorothee und Karl Stoevesandt ein Abonnement der vom Austauschdienst des Evangelischen Presseverband für Deutschland herausgegebenen Zeitschrift Zur Kirchenfrage. Da bekomme man »alles interessante Material aktenmäßig und übersichtlich« und könne »genau verfolgen, wie der Hase läuft.« (a. a. O., 193). 136 So etwa in seinen Briefen an Anna Barth vom 4. 7. 1933 (a. a. O., 275), an von Kirschbaum vom 4. 7. 1933 (a. a. O., 275), an Wilhelm Niesel vom 5. 7. 1933 (a. a. O., 279), an Emil Brunner vom 17. 7. 1933 (a. a. O., 296), an Anna Barth vom 16. 8. 1933 (a. a. O., 328), an Renatus Hupfeld vom 11. 9. 1933 (a. a. O., 380). – In seinem Reformationsvortrag des Jahres 1933 mit dem Titel Reformation als Entscheidung hatte der Begriff »Widerstand« (a. a. O., 548) ein »ganz ungeheures Echo« (a. a. O., 519) gefunden und Barth heftige Kritik eingehandelt. Besonders Walter Künneth hatte seine Aufforderung zum Widerstand kritisiert (a. a. O., 520, Anm. der Herausgeber 20). 137 So Barth an Walter Herrenbrück vom 30. 8. 1933 (Br. 1933, 357). 138 So Barth an Miles Bouton vom 20. 9. 1933 (a. a. O., 402). 139 Barth (Oktober 1933), Reformation als Entscheidung, 548f.

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Kampf: Denn, wo »das Bekenntnis ist, da ist die eine heilige Kirche im Kampf mit dem Irrtum, in welchem sie nicht unterliegen wird.« (357)140 Diesen Einsichten entsprechend beantwortete Barth die Frage »Was sollen wir tun?« Karl Immer zufolge wenige Tage später mit den folgenden fünf praktischen »Anweisungen«: 1. Beten für das Volk. Priester braucht’s. 2. Heraus aus allen Fronten und Bewegungen, diese Bewegungen hat der Teufel erfunden. Marsch in die Gemeinde, in Unterricht, Predigt, Seelsorge. Da ist die Kirche. Hinein in die theologische Arbeit, von der die Deutschen Christen nichts verstehen. 3. Es wird mit der Zeit zu einer freiwilligen Synode kommen. Die geistlichen Widerstandszentren gegen die herrschende Irrlehre in den einzelnen Gemeinden werden sich finden und einander zu Hilfe kommen. Wenn der Wolf kommt, schrickt die Herde zusammen. 4. Es werden Erlasse und Gebete verordnet werden, die zunächst ziemlich harmlos aussehen. Der Wolf kommt im Schafskleid [vgl. Mt. 7,15]. Da gilt Zivilcourage zeigen, die auch zu den theologischen Begriffen gehört. 5. Es ist gut, sich für das Martyrium bereit zu machen.141

Es lassen sich hier also praktisch folgende Waffen der Kirche im »Kirchenstreit« identifizieren: 1.) Gebet, 2.) ernsthafte theologische Arbeit, 3.) freie Synoden, 4.) Zivilcourage und 5.) als ultima ratio die Bereitschaft zum Martyrium. Dieser Kampf richtete sich im Jahre 1933 jedoch keineswegs in einem politischen Sinne gegen den NS-Staat, obwohl Barth sich bereits zu diesem Zeitpunkt sehr wohl darüber im Klaren war, dass »Theologie und nur Theologie zu treiben« (280) im Dritten Reich »auch eine Stellungnahme« war, »jedenfalls eine kirchenpolitische und indirekt sogar eine politische Stellungnahme!«142 (281) Kir140 »Das Ganze der Kirche ist immer da, wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen [vgl. Mt. 18,20]. Wiederhole und bekräftige man, wo es nötig ist, das heißt wo der Feind konkret in Sicht kommt, durch Wort und Tat das kirchliche Bekenntnis! Wiederhole und bekräftige man es auch in der Gemeinsamkeit der Gemeinden untereinander, wo diese Gemeinsamkeit wirklich die Gemeinsamkeit des Glaubens und nicht die Gemeinsamkeit eines kirchenpolitischen Betriebs ist! Wo das Bekenntnis ist, da ist die eine heilige Kirche im Kampf mit dem Irrtum, in welchem sie nicht unterliegen wird. Wo dagegen ›Bewegungen‹ sind, auch in bester Meinung und Absicht, da ist selber schon Irrtum und Sekte mindestens in größter Nähe. Der heilige Geist braucht keine ›Bewegungen‹. Und die allermeisten ›Bewegungen‹ hat wahrscheinlich der Teufel erfunden.« (357) 141 Zitiert nach V.u.kl.A. 1930–1933, 365. Zum Kontext dieses Zitats vgl. a. a. O., 364f. 142 Barth reflektierte diesen Umstand 1938 so: »Ich hatte doch in jenem ersten Heft ›Theologische Existenz heute‹ im Juni 1933 nichts Neues zu sagen, sondern nur eben das, was zu sagen ich mich immer bemüht hatte: Dass wir neben Gott keine anderen Götter haben können, dass der Heilige Geist der Schrift genügt, um die Kirche in alle Wahrheit zu leiten, dass die Gnade Jesu Christi genügt zur Vergebung unserer Sünden und zur Ordnung unseres Lebens. Nur dass ich eben dies nun auf einmal in einer Situation zu sagen hatte, in der eben dies nicht mehr den Charakter einer akademischen Theorie haben konnte, sondern, ohne dass ich es wollte und dazu machte, den Charakter eines Aufrufs, einer Herausforderung,

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che und Theologie seien schließlich einzig und allein dem Worte Gottes verpflichtet. Das mache sie zur »Grenze des Staates«.143 Auf dieser Linie führte Barth auch den Wahlkampf kurz vor den Kirchenwahlen am 23. Juli 1933. Seine Liste trug den programmatischen Titel »Für die Freiheit des Evangeliums«144. Barth selbst war Spitzenkandidat und theologischer Kopf dieser Liste, die nur in Bonn vertreten war. Es lohnt sich Barths Position im Rahmen des Wahlkampfes kurz zu betrachten, weil er deutlich macht, worum es in diesem »Kampf« für ihn eigentlich ging und um was genau »gekämpft« wurde: Charlotte von Kirschbaum zufolge hatte sich Barth zur Kandidatur »bereit erklärt, weil er die Notwendigkeit einer Entscheidung jenseits der beiden großen Gruppen« gesehen habe »und so wenig mit der Liste der ›Deutschen Chr.‹ wie mit der ›Evang. Kirche‹145 sich begnügen« mochte und konnte, »weil ihm auch im 2. Fall das wirklich kirchliche Anliegen nicht genügend gewahrt scheint und sehr üble Kompromisse dort im Gange«146 seien. In seiner Rede, die Barth am Vorabend der Wahl hielt, verwies er mit Nachdruck auf die mit der Wahl verbundene »Verantwortung für die künftige Gestalt unserer evangelischen Kirche.«147 Er bezeichnete die Kirchenwahl sogar als einen »Akt des Glaubensbekenntnisses«, insofern es sich um das Bekennen des Glaubens »an eine bestimmte Gestalt der Kirche,« die er als »notwendig« erachten müsse, handele. Folglich laute die Leitfrage: »Aus welchem Glauben werden wir morgen wählen? Welches Glaubens Bekenntnis werden wir morgen ablegen?«148 Denn die Freiheit des Evangeliums,

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einer Kampfparole, eines Bekenntnisses bekommen musste.« Barth (Dezember 1938), How my mind has changed 1928–1938, 187. In diesem Sinne fand Barth in Th.Ex.h. am Ende jene berühmten Worte, die später als Politisierung seiner Theologie von verschiedenen Seiten heftig kritisiert worden sind: »Darum kann die Kirche, kann die Theologie auch im totalen Staat keinen Winterschlaf antreten, kein Moratorium und auch keine Gleichschaltung sich gefallen lassen. Sie ist die naturgemäße Grenze jedes, auch des totalen Staates. Denn das Volk lebt auch im totalen Staat vom Worte Gottes, dessen Inhalt ist: ›Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben‹. Diesem Wort haben Kirche und Theologie zu dienen für das Volk. Darum sind sie die Grenze des Staates. Sie sind es zum Heil des Volkes, zu dem Heil, das weder der Staat noch auch die Kirche schaffen können, das zu verkündigen aber die Kirche berufen ist. Sie muss ihrer eigentümlichen Sachlichkeit treu bleiben dürfen und treu bleiben wollen. In der ihm aufgetragenen besonderen Sorge muss der Theologe wach bleiben, ein einsamer Vogel auf dem Dach [vgl. Ps. 102,8], auf der Erde also, aber unter dem offenen, weit und unbedingt offenen Himmel. Wenn doch der deutsche evangelische Theologe wach bleiben oder, wenn er geschlafen haben sollte, heute, heute wieder wach werden wollte!« A. a. O., 362f. Barth (Juli 1933), Freiheit des Evangeliums [Flugblatt]; ders. (Juli 1933), Für die Freiheit des Evangeliums [Rede]. Die Liste »Deutsche Evangelische Kirche« war der JB zugerechnet. Vgl. Die Einleitung der Autoren in V.u.kl.A. 1930–1933, 391f. Brief vom 20. 7. 1933 (KBA 9270.597), zitiert nach V.u.kl.A. 1930–1933, 385, Anm. 8. Barth (Juli 1933), Für die Freiheit des Evangeliums [Rede], 394. A. a. O., 395.

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d. h. die freie, unverfügbare Selbstmitteilung Gottes an den Menschen, betrachtete Barth als konstitutives Kriterium für die Kirche, mehr noch als eine conditio sine qua non.149 Deshalb gebe es hier »kein ›Sowohl-als-auch‹«, sondern hier gelte: »Entweder-Oder.«150 Insofern stelle die Kirchenwahl den evangelischen Christen exemplarisch vor die »Entscheidung: Soll und wird uns die Freiheit des Evangeliums und wird uns damit das Evangelium und wird uns damit die Kirche selbst erhalten bleiben oder soll und wird uns das alles verloren gehen?«151 Das besonders Bittere an dieser Bedrohung sei der Umstand, dass es sich hier nicht um eine Bedrohung von außen, sondern um eine innerkirchliche Bedrohung handele: Diese Bedrohung komme keineswegs »vom heutigen nationalsozialistischen Staate her.«152 Die Freiheit des Evangeliums werde vielmehr »aus der Kirche selbst heraus angegriffen und bedroht«. Hier stehe Glaube »gegen Glauben mitten in der Kirche: der Glaube an das freie Evangelium« gegen einen unchristlichen Glauben, von dem man nicht wisse, wie man »seinen Gegenstand beschreiben soll.«153 Denn obwohl der nationalsozialistische Staat »sich selbst freilich als totalen, d. h. als alle Lebensbereiche umfassenden und beherrschenden Staat« ansehe, habe er »bisher die Kirche jedenfalls theoretisch als Ausnahme von dieser Regel behandelt.« Er habe sie weder »aufgefordert oder genötigt, zur Staatskirche zu werden« noch »zu einer Kirche, die das Evangelium mit einer staatlichen Weltanschauung und Moral verknüpfen oder gar durch diese ersetzen müsste.«154 Dieser Umstand wiederum mache die Verantwortung der Kirche umso größer, denn es stehe für die Kirche die Freiheit des Evangeliums auf dem Spiel. Höre somit »die Kirche auf, Kirche zu sein«, so werde »das nicht die Schuld des nationalsozialistischen Staates, sondern die Schuld der Kirche selber sein.«155 Diese innerkirchliche Bedrohung der Kirche erfolge »durch einen offenen Angriff«156 der DC. Hier werde »faktisch ein zweiter Gott neben Gott gestellt, der auch und zwar selbständig Autorität hat: der deutsche Mensch, wie er sich selbst und seine Anliegen zu verstehen meint.«157 – Aber nicht weniger verheerend werde die kirchliche Substanz »durch einen heimlichen Angriff« der JB bedroht, denn: »Unfrei, und zwar im selben Punkte, kraft desselben fatalen ›und‹, mit dem ein Gott neben den andern gestellt« werde, sei »das Evangelium auch hier.«158

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Vgl. a. a. O., 396–401. A. a. O., 401. A. a. O., 402. A. a. O., 401. A. a. O., 402. A. a. O., 401. Ebd. A. a. O., 403; vgl. a. a. O., 407. A. a. O., 406. A. a. O., 409.

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Letztlich gehe es im Wahlkampf allerdings »gar nicht um den Kampf gegen diese beiden Fronten als solche, sondern um den viel schwereren Kampf gegen den ihnen gemeinsamen alten Schaden, an dem die ganze Kirche« leide und der »in diesem stürmischen Jahr nur offen sichtbar geworden«159 sei: Es gehe in diesem Kampf in der Kirche um die »alte Not«, die darin bestehe, dass die Kirche gar nicht mehr recht wisse, »was das ist: die Freiheit des Evangeliums«, weil sie gar nicht mehr recht wisse, »was das ist: einen Herrn haben.«160 Der eigentliche Feind der Freiheit des Evangeliums und somit des Wortes Gottes selbst war für Barth eine im 18., 19. und 20. Jahrhundert wurzelnde liberalistische natürliche Theologie des Neuprotestantismus, die mit ihrem jeweiligen ›Bindestrich‹ das erste Gebot missachtete und die Exklusivität des Wortes Gottes nicht mehr kannte. Trotz dieser Relativierung betrachtete Barth einen möglichen Sieg der DC als »Katastrophe«161 für die Kirche und ging davon aus, dass Gott »seine Gnade gerade in diesem Gericht« (411f) erweisen werde. Denn für ihn stand außer Frage, dass Gott auch in dieser Katastrophe der souveräne Herr der Kirche ist und bleibt, denn: »auch in der verwüsteten Kirche lebt dann verborgen die Kirche des Herrn unter denen, die ihre Knie nicht beugen dem Baal, da, wo das einfältige und fröhliche Bekenntnis seines Namens ist.«162 Insofern könne auch dieser Angriff innerhalb der Kirche auf die Kirche nur ein äußerer sein, denn die wahre Kirche lebe ja im Bekennen des christlichen Bekenntnisses weiter. Kurze Zeit später fasste Barth diese Einsicht in die Formel: »Kirche ist da[,] wo Schrift redet und Bekenntnis antwortet.«163 Deshalb sei in der Kirche die »Hoffnung« der Kirche »größer als die Sorge«, weil die »Sorge das Menschliche« sei, dem die Hoffnung als »das Göttliche« gegenüberstehe.164 In diesem Sinne konnte Barth den DC gelassen entgegenhalten, dass ihm ihre zahlreichen, oft sehr polemischen »Einwürfe und Proteste keinerlei Eindruck gemacht haben.«165

2.4.2. Ende 1933: »Scheidung der Geister« – »Entweder-Oder« Auch Barths Ton gegenüber dem am 11. September 1933 gegründeten Pfarrernotbund sowie sein Dissens mit Martin Niemöller war scharf.166 Er trat für ein klares »Entweder-Oder« ein und forderte eine »Scheidung der Geister«.167 Au159 160 161 162 163 164 165 166

Ebd. A. a. O., 410. A. a. O., 411. A. a. O., 412. Barth (24. September 1933), Sorge und Hoffnung der Kirche heutzutage, 417. So die Pointe des Vortrags a. a. O., 420. Barth (Oktober 1933), Freiheit des Evangeliums [Vorwort], 490. Vgl. Die Einleitung der Herausgeber in V.u.kl.A. 1930–1933, 582–585.

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ßerdem plädierte er – im Gegensatz zu Martin Niemöller, der auf Verhandlungen mit Ludwig Müller setzte – dafür, direkt an den Staat heranzutreten und eine Revision der Kirchenwahlen zu fordern, um die Freiheit der Kirche wiederherzustellen. Walter Künneth und Siegfried Knak versuchte Barth in einer scharfen Auseinandersetzung aus dem Kreis der kirchlichen Opposition herauszudrängen. In seinen Augen gehörten sie »zu den D.C.«168, weil sie »auf der anderen Seite des Grabens«169 stünden. Barth ging es darum, dass kirchliche Opposition immer nur vom Wort Gottes und vom ersten Gebot her sprechen dürfe, weil nur dann »die Verkündigung wirklich frei«170 sei. Nur in der Freiheit des Evangeliums und somit in der freien Verkündigung des Wortes Gottes könne die Kirche auch zur Lage sprechen.171 Allerspätestens nach dem Sportpalastskandal am 13. November 1933 ließ Barths Haltung bezüglich der kirchlichen Opposition172 keinerlei Zweideutigkeit mehr offen: Er plädierte für einen vollkommenen und kompromisslosen »Protest 167 So formulierte es Barth am Reformationstag 1933 gemäß einem Protokoll von Charlotte von Kirschbaum, in: Busch, Reformationstag 1933, 71f. 168 A. a. O., 79. 169 A. a. O., 71, vgl. auch 81. 170 A. a. O., 106. 171 Nur vor diesem Hintergrund sind Barths vielzitierte Fragen vor dem Pfarrernotbund zu verstehen: »Das Konkrete könnte dann ein sehr gefährlich Konkretes werden. Es wird dann z. B. sehr konkret gefragt werden: Was ist geschehen diesen Sommer in Deutschland? Ist das mit Recht oder mit Unrecht geschehen? Diese Art Machtergreifung? Diese Beseitigung aller anderen Parteien? Diese Beschlagnahme von Vermögen? Was ist geschehen in den Konzentrationslagern? Was ist geschehen an den Juden? Kann Deutschland, kann die deutsche Kirche, diese Fülle von Selbstmorden verantworten? Ist die Kirche nicht mitschuldig, weil sie geschwiegen hat? Ich stelle nur Fragen. Wer das Wort Gottes zu verkündigen hat, der muß zu solchen Vorgängen sagen, was das Wort Gottes sagt. Mir liegt wahrhaftig nicht an einem politischen Widerstand, aber mir liegt an der Freiheit des Evangeliums. Und ich bin der Meinung, wo von Evangelium und Volkstum aus gedacht wird, da wird diese Freiheit bedroht und geschädigt. Es geht um die Bezeugung der Offenbarung dem Menschen gegenüber, der sich nicht über sich selbst Bescheid sagen kann, sondern dem Bescheid gesagt ist. – Ich möchte nur das Eine, daß die Verkündigung wirklich frei ist.« Zitiert nach: A. a. O., 106. Dass diese Überlegungen vor allem selbstkritisch gegen die Kirche gerichtet waren, stand für Barth schon früh fest. So fragte er Georg Merz bereits am 29./30. April 1933 in einem Brief: »Glaubst du, daß es eine der Kirche würdige Situation sei, sich von Herrn Hitler durch den Wehrkreispfarrer Müller zum Gottvertrauen und andern religiösen Tugenden auffordern zu lassen, während sie notorisch zu all den Brutalitäten, Kindereien und Geistlosigkeiten, deren Geschehen wir doch wirklich ohne Unterschied der Parteibrille jeden Tag jetzt konstatieren müssen, kein offenes Wort zu sagen, wagen darf ? Glaubst du, daß es eine gute Sache sei, sich mit dem Verschweigen oder Verleugnen der Problematik der heutigen deutschen Dinge die Freiheit zu erkaufen, saubere theologische Manschetten tragen zu dürfen.« Br. 1933, 173– 180, Zitat 176. Da es sich hierbei ganz offensichtlich um rhetorische Fragen handelte, musste die Antwort selbstverständlich »Nein!« lauten – so durfte die Kirche selbstverständlich nicht handeln! 172 Barth (November 1933), Kirchliche Opposition. Die Zahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf die einzelnen Punkte dieser sechs Thesen.

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gegen die Irrlehre der Deutschen Christen« (3.), »gegen die kirchliche Usurpation der Deutschen Christen« (4.), der »bei jeder einzelnen Aktion das Wesen und das Ganze der Krankheit der Kirche im Auge haben« müsse (5.). Wer »anderer Ansicht« sei, gehöre »selber zu den Deutschen Christen und sollte eine ernsthafte kirchliche Opposition nicht länger stören dürfen.« (6.) Gegen den nationalsozialistischen Staat selbst opponierte Barth allerdings auch im Dezember 1933 nach dem Sportpalastskandal noch immer nicht. Zwar ließ er keinen Zweifel daran, dass er selbst »nicht Nationalsozialist« sei, aber damit habe der »Streit«, den er führe, »nichts zu tun.«173 Schließlich betrachte er nach wie vor die Freiheit des Evangeliums und die kirchliche Substanz als nicht durch den Staat gefährdet, weshalb er auch »einer heute beim Nationalsozialismus ihre Zuflucht suchenden Theologie« widerstehe und »nicht der nationalsozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung«174 selbst. Deshalb dürfe die kirchliche Opposition auch nicht als politische Opposition gegen den Nationalsozialismus missverstanden, sondern müsse als theologisch motivierte innerkirchliche Opposition gegen die Reichskirche aufgefasst werden. In diesem Sinne betonte er auch gegenüber dem evangelischen Ausland mit Nachdruck, »dass man sich das Verständnis für die kirchliche Opposition in Deutschland sofort verbaue, wenn man sie als Symptom eines vorhandenen Widerstandes gegen die gegenwärtige Staatsregierung«175 deute. Deshalb machte Barth in Richtung Ausland seine eigene Linie der kirchlichen Opposition klar: In den »Sorgen und Kämpfen« der deutschen evangelischen Kirche gehe es »nicht um einen zufälligen Irrtum in der deutschen Kirche, sondern um eine gemeinsame Not der ganzen christlichen Kirche«, die schließlich »früher oder später in jeder modernen Kirche ausgefochten werden«176 müsse. Schließlich war Barth der Auffassung, »dass die Kirche gegenüber Staat und Gesellschaft der übergeordnete, der überlegene Bereich« sei, dass also »die eigentlichen Entscheidungen über Staat und Gesellschaft nicht in Staat und Gesellschaft, sondern in der Kirche fallen.«177 Insofern betrachtete er die »Verkündigung der Kirche« als »per se politisch, sofern sie die in der Unordnung befindliche heidnische Polis zur Verwirklichung von Recht aufzurufen«178 habe.

173 174 175 176 177 178

Barth (Dezember 1933), Vorwort [zu: Kirche Jesu Christi], 614. A. a. O., 615. A. a. O., 613. A. a. O., 618. Ebd. Barth (Juni 1932), An Michael M. Hoffmann, in: O.Br. 1909–1935, (229) 231–234, Zitat 233. Dieser These ließ Barth das Kriterium folgen: »Gut ist sie dann, wenn es das konkrete Gebot Gottes, ungut ist sie dann, wenn es die abstrakte Wahrheit einer politischen Ideologie ist, was sie vertritt.« So beantwortete Barth 1932 die Frage, ob die Kirche Politik treiben dürfe und in welcher Form. A. a. O., 231.

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2.4.3. Vor und während 1933: Barths Verhältnis zum Nationalsozialismus Bereits in seinem Ende 1931 entstandenen Aufsatz Fragen an das »Christentum« bezeichnete Barth den »Faschismus«, »Amerikanismus« und »Bolschewismus« als »Fremdreligionen« und machte klar, dass er mit ihnen einen »Kampf bis aufs Messer«179 erwarte. Man könne »nur aus Vergesslichkeit, aus einem kleinen Mißverständnis der einen oder der anderen Seite Kommunist und Christ, Faschist und Christ, ›Amerikaner‹ (europäischer Amerikaner!) und Christ sein.«180 Das wüssten die anderen »Fremdreligionen« auch und deshalb müsse auch das Christentum wissen, »dass es in den es umgebenden Fremdreligionen, im Geist, im Prinzip, im Willen, im Dämon dieser Religionen schlechterdings Feinde vor sich« habe, »von denen es keine Toleranz zu erwarten« habe, »weil es ihnen auch keine gewähren«181 könne. Sehr instruktiv für Barths kritische Haltung zum jungen NS-Staat im Jahre 1933 sind seine privaten Briefe. So etwa sein Antwortbrief an die nationalsozialistisch gesinnte Studentin Mechthild Dallmann,182 die ihn brieflich am 26. August um Auskunft zu der Frage nach der offensichtlichen Spannung zwischen dem Nationalsozialismus und Barths Theologie gebeten hatte.183 Gleich zu Beginn seines vierseitigen Briefes macht Barth deutlich, dass der angesprochene »Konflikt« schon ganz allgemein betrachtet »einen doppelten Anlaß« habe (359): Einmal von Menschen her, der immer »in Versuchung« stehe, »ein Übertreter des ersten Gebotes zu sein.« Aber auch »vom Evangelium selbst her«, das »auf dem autarken Gebiet der menschlichen Tätigkeit« ein »großes Störungszentrum« (359f) darstelle. Der Mensch stehe zwar einerseits in der geschichtlichen Wirklichkeit, aber in dieser geschichtlich-irdischen Wirklichkeit sei die Wirklichkeit des Reiches Gottes durch sein Wort bereits wirksam. Insofern stehe jede ge-

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Barth (Dezember 1931), Fragen an das »Christentum«, 149. A. a. O., 150. Ebd. Mechthild Dallmann hatte im SS 1933 an Barths systematischem Seminar teilgenommen. In einem Brief vom 27. 12. 1933 an Erica Küppers bezeichnete Charlotte von Kirschbaum Dallmann als »unsere wilde ›Nazi‹«. Br. 1933, 593. 183 Der vierseitige Brief Mechthild Dallmanns an Barth vom 26. 8. 1933, auf den Barth am 1. 9. 1933 reagierte, befindet sich im KBA (KBA 9333.629). Barths Brief an Mechthild Dallmann vom 1. 9. 1933 (KBA 9233.220) ist abgedruckt in: Br. 1933, 359–365. Die Seitenabgaben der Zitate im Folgenden beziehen sich auf diesen Brief. – Am 8. 9. 1934 schrieb Dallmann einen weiteren vierseitigen Brief an Barth (KBA 9334.887), in dem sie u. a. beklagte, dass man Jesus Christus in »eiserne Klammern gelegt« habe und dass dieser »Pseudo-Christus« »unendlich viel Leid über germanisches Land gebracht« habe. Diesen Brief schloss sie mit den Worten: »Ich aber folge Jesus Christus, der mich an meinen Führer + mein Volk kettet. Heil Hitler!« Eine Antwort Barths auf diesen Brief ist im KBA nicht erhalten.

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schichtliche Wirklichkeit de facto immer unter dem Axiom des ersten Gebotes.184 Durch diese Infragestellung der geschichtlichen Wirklichkeit durch das Gebot Gottes würden alle »andern Götter«, denen der Mensch in seinen »selbstherrlichen Überlegungen« meinte, dienen zu müssen, in Frage gestellt, sodass »diese Götter wackeln« auf »ihren Thronen« (361f), weil sie nicht mehr als selbständige Instanzen ernstgenommen werden könnten. Dieser Sachverhalt gelte für jede geschichtliche Wirklichkeit des Menschen ausnahmslos. Bezogen auf die Fragestellung der Studentin habe er »allgemein und theoretisch immer vertreten, daß man als ›Christ‹ sehr wohl Nationalsozialist sein könne.« (362) Diese theoretische Vereinbarkeit betrachte er selbst allerdings praktisch als zumindest schwierig, da der Nationalsozialismus offenbar »mehr als andere von den früheren Parteien mit einer bestimmten Weltanschauung, ja Religion belastet« sei (362). Deshalb stelle sich die Frage, ob man überhaupt noch Nationalsozialist sei, »wenn man sich diese Religion nicht zu eigen gemacht« habe. Barth betrachtete nämlich Religiosität als ein wesentliches Merkmal des Nationalsozialismus, weshalb man sich fragen müsse, ob man dem Nationalsozialismus nicht »schlechterdings Alles« nehme, »wenn man diese Religion davon in Abzug bringen zu können« (362) meine. »Der wirkliche Konflikt« zwischen der Religiosität des Nationalsozialismus auf der einen Seite und dem Evangelium auf der anderen sei »dort eingetreten, wo man meint:« (363) 1. Gott und seine Schöpfung und sich selbst – als ob es keinen »Sündenfall« gebe – so gut zu kennen, daß man glaubt, in der menschlichen Wirklichkeit, wie man sie eigenmächtig erkennen kann, als in einer zweiten Quelle wahrer Gotteserkenntnis sog. »Schöpfungsordnungen«185 feststellen zu können. 2. Innerhalb dieser Wirklichkeit eine Hierarchie der »Werte« aufrichten zu sollen, in der nun ausgerechnet gerade der Komplex »Rasse-Volk-Nation«186 die Spitze und den Kanon aller übrigen bilden soll. 3. Diesen »Wert« so betonen und unterstreichen zu sollen, daß seine Erhaltung und Entfaltung schließlich mit dem Willen und Gesetz Gottes identisch, der Gehorsam gegen das Evangelium dagegen zu einer gestaltlosen »Gesinnung«187 (andere »Ebene«!) wird.

184 »Wenn ich nun politisch (oder sonstwie) tätig bin, so habe ich, sofern ich den Bereich Glaube, Kirche, Theologie … kenne, mit jenem Störungscentrum jedenfalls zu rechnen. Ich weiß dann, daß ich für mein Tun auf keinen Fall Autarkie in Anspruch nehmen können, sondern daß ich mich von Fall zu Fall, und was auch dabei herauskomme, vor dem ersten Gebot (überhaupt vor dem Gebot Gottes) zu verantworten haben werde.« (360f) 185 Dieser Kritikpunkt dürfte sich auch auf Künneths ordnungstheologische Überlegungen beziehen lassen. – S. u. Kap. 3.3.1. 186 Bei diesem Kritikpunkt dürfte auch an Hirschs völkisch-politische Theologie zu denken sein. – S. u. Kap. 4.4.4. 187 Vgl. hierzu Hirschs Gewissensbegriff. – S. u. Kap. 4.4.1.

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4. Die konkrete Erinnerung an das wirkliche Gebot Gottes […] unter Verdikt und Verbot stellen zu sollen, weil sie gefährlich ist, weil »heldische Frömmigkeit« dieser Erinnerung allerdings so wenig gewachsen ist, wie alle auf derartige Konstruktionen sich stützenden […] »Frömmigkeiten«. (364)

Der Konflikt zwischen Nationalsozialismus und Kirche bestehe also, insofern diese »Meinung« »(mit oder ohne altgermanischen Hintergrund188) die unvermeidliche und unveräußerliche Theologie des Nationalsozialismus zu bilden« scheine. (364) Folgende Eigenschaften schrieb Barth nämlich dem quasi-religiösen, in jedem Fall jedoch ideologisch stark belasteten Nationalsozialismus zu: 1.) Er sei »totaler Anspruch an den ganzen Menschen«, 2.) »mit einem eigenen ersten Gebot«, 3.) »mit einer echt und recht religiösen Selbstgewißheit (Autopistie: ›man muß es eben erlebt haben!‹) und Unduldsamkeit, die sich vielleicht nichts weniger gefallen lassen« könne »als eben das – ›christliche‹ Störungscentrum, das Wort vom Reich angesichts dessen die Götter, auch der Gott ›Volkstum‹, leise zu wackeln beginnen.« (364) Auf dem Boden dieser Eigenschaften des Nationalsozialismus liegt die Vermutung in der Luft, dass das exklusivistische Gebot Gottes, das keine Bindestriche duldet, und der ebenfalls exklusivistische Nationalsozialismus, der einen totalen Anspruch auf den ganzen Menschen erhebt, in einem diametralen Widerspruch zueinander stehen. Diese zu erwartende logische Konsequenz – die Feststellung der Unvereinbarkeit zwischen dem Gebot Gottes und dem totalen Anspruch des Nationalsozialismus – zog Barth zu diesem Zeitpunkt allerdings ausdrücklich noch nicht, machte aber deutlich, dass er nicht wisse, wie man »gleichzeitig die nationalsozialistische Ideologie ehrlich und gründlich ernst nehmen« und sich »dann vor dem ersten Gebot verantworten sollte.« (362) Vielmehr betrachtete er seine eigene Theologie (365) und das angebrochene Reich Gottes selbst (360.364) als »Störungscentrum«189, das den Menschen ständig an die Wirklichkeit Gottes und an seine Gebote erinnern sollte und jede eigenmächtig gesetzte Macht in jene irdischen Schranken weise, die Gottes Gebot ihnen setze. »Nur in diesem Zusammenhang« bezog Barth zur »Judenfrage« (364) Stellung gegen die Linie des Nationalsozialismus: Die »Judenfrage« sei »sicher theologisch betrachtet der Exponent des ganzen Geschehens unserer Zeit.« Gerade »in der Judenfrage« könne er aber »mit gutem Gewissen nicht den kleinsten Schritt mittun mit dem Nationalsozialismus.« An dieser Stelle müsse man »das Halt! hören und die Grenzen sehen, über die hinaus man eigentlich nur unter ›Verrat‹ 188 Vgl. etwa Rosenberg, Mythus des 20. Jahrhunderts. 189 Auch Charlotte von Kirschbaum sprach in diesem Zusammenhang in einem Brief an Anna Barth vom 15. 6. 1933 in einer durchaus subversiven Weise gegen die DC gerichtet von »Störungszentrum«, wobei sie diesen Begriff in Anführungszeichen setzte. Br. 1933, 258.

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am Evangelium« oder eben »in seiner Unkenntnis weitergehen kann.« (365) Was der Nationalsozialismus zur »Judenfrage« zu sagen habe, schmecke »alles so nach Mythus – nach vermutlich notwendigem und folgerichtigem Religionsmythus –, aber so ganz und gar nicht nach nüchterner Erfassung realer politischer Zusammenhänge.« (364) Folglich trat für Barth insbesondere in Bezug auf die ›Judenfrage‹ der Kern der Ideologie des Nationalsozialismus als gottesfeindlicher Götze gegenüber dem Gebot Gottes deutlich zutage, woraus eigentlich die prinzipielle Unvereinbarkeit beider gefolgert werden müsste. Allerdings betrachtete Barth die »Judenfrage« nicht als eine eigene theologische Fragestellung, sondern räumte ihr lediglich im Rahmen der übergeordneten grundsätzlichen theologischen Klärung Raum ein. Vielleicht kann man Barth vorwerfen, die Kirchenfeindlichkeit Hitlers unterschätzt zu haben, wenn er ihm seine Schrift Th.Ex.h. zuschickte und einen Brief hinzufügte, in dem es hieß: »Evangelische Theologie muss auch im neuen Deutschland unerbittlich und unbekümmert ihren eigenen Weg gehen. Ich bitte Sie um Verständnis für diese Notwendigkeit.«190 In seinem privaten Handeln kannte Barth aber durchaus »Möglichkeiten«, mit seinem eigenen »Bekenntnis« dem »deutschen Schicksal eine Grenze« zu setzen:191 So verweigerte er beispielsweise die Beflaggung seines Hauses am 1. Mai, verweigerte außerdem den am 22. Juli 1933 angeordneten Hitlergruß zu Beginn seiner Vorlesungen192 und zog bereits früh in Erwägung, dass es als ultima ratio für ihn und seine Familie immer »eine Schweiz giebt«193. Er sah sich überdies »in der glücklichen Lage, allen politischen Fragestellungen ja immer wieder auf

190 Abgedruckt in: Br. 1933, 267f. Am selben Tag schickte Barth seine Schrift Th.Ex.h. mitsamt einem jeweils individuellen Begleitschreiben auch an den preußischen Minister für Wissenschaft und Volksbildung, Bernhard Rust, sowie an den Landesleiter der DC im Rheinland, Gottfried Adolf Krummacher. (a. a. O., 268–270). In seinem Schreiben an Rust wies Barth mit bemerkenswerter Klarheit und Deutlichkeit darauf hin, dass sich die Staatsregierung die Theologie der Deutschen Christen »zu eigen gemacht« habe und dass deshalb, »von jetzt ab der Widerspruch gegen die ›Deutschen Christen‹ in Gefahr« sei, »als Widerspruch gegen die Staatsregierung verstanden zu werden.« Er gehe aber nach wie vor von der Haltung der Staatsregierung aus, dass es »keine von der Staatsregierung bevorzugte und gewünschte theologische Richtung gebe.« (a. a. O., 269.) – Im Hintergrund dieser Aussage stand eine Korrespondenz aus dem April 1933: Barth hatte Rust am 4. 4. 1933 die politische Neutralität seiner theologischen Lehrtätigkeit versichert und am 24. 4. 1933 die Versicherung von Seiten des Ministeriums erhalten, dass der Minister nicht beabsichtige, »in die Auseinandersetzung des Protestantismus in der Weise einzugreifen, dass er die Vertreter der einen oder der andern Richtung in ihrer Lehrtätigkeit in irgend einer Weise« beschränke. Vgl. a. a. O., 112–114. 191 Vgl. hierzu und im Folgenden seinen Brief an Georg Merz vom 29. und 30. 4. 1933 (a. a. O., 177). 192 Vgl. Tietz, Karl Barth, 241–242; Prolingheuer, Der Fall Karl Barth 1933–1945, 10–12. 193 Brief an Georg Merz vom 29. und 30. 4. 1933 (Br. 1933, 178).

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Grund der ihn letztlich allein bewegenden theologischen Fragestellung enthoben zu sein.«194 Die politische Wirklichkeit im nationalsozialistischen Deutschland beobachtete und beschrieb Barth allerdings sehr aufmerksam und genau. In seinen privaten Briefen wird jedoch deutlich, dass »die Rücksicht auf eine mögliche Briefzensur« ihn hinderte »eine farbigere Darstellung« seiner »sämtlichen Eindrücke und Gedanken« zu bestimmten kirchenpolitischen Umständen zu geben.195 Aus kirchlicher Verantwortung könne und müsse »aber schon heute« das ein oder andere kritische Wort »gesagt werden – wenigstens von Ohr zu Ohr, da es ja öffentlich nicht gesagt werden«196 dürfe. In seinem nur wenige Tage nach Th.Ex.h. verfassten, von ihm aber niemals veröffentlichten und nur fragmentarisch erhaltenen zweiten Wort zur Lage,197 ließ er keinen Zweifel daran bestehen, dass er »das große Gleichschaltungsprogramm«, das nun auch an die evangelische Kirche herangetreten war, als den »nächste[n] Sinn der letzten Ereignisse« betrachtete.198 (371) Diese Entwicklungen deutete er jedoch als lediglich äußerliche (kirchen-)politische Ereignisse, durch die weder die Substanz der Kirche noch die »theologische(n) Existenz des Predigers und Lehrers der deutschen evangelischen Kirche« (373) ernsthaft bedroht worden seien. Selbst durch »die eingetretene Politisierung der Konsistorien« dürfe man sich nicht »in den status confessionis versetzt sehen«, seien diese »nun einmal im Unterschied zu den Ämtern der Gemeinde zwar nützliche und wichtige, aber keine de fide notwendigen Figuren«. (374) Auf der anderen Seite kritisierte Barth massiv die staatliche Agitation für die DC, denn dieser »Modus der staatlichen Aktion gegen die Kirche« mache die Glaubensbewegung der DC erst »zu dem, was sie an sich nicht sein müsste: zu einer äußeren Bedrohung unserer theologischen Existenz.« (377) Völlig außer Frage stand ja für Barth, dass der »Glaube dieser Glaubensbewegung« nicht »der durch die heilige Schrift nach dem Verständnis der lutherischen und reformierten Bekenntnisse bestimmte, sondern ein anderer, ein neuer und fremder Glaube« (377) sei.199 Barth ging sogar so weit zu sagen, dass man »doch von einer 194 195 196 197

So von Kirschbaum an Anna Barth am 21. 5. 1933 (Br. 1933, 212). So am Ende seines Briefes an Merz vom 29. und 30. 4. 1933 (a. a. O., 180). A. a. O., 176. Barth (Juni/Juli 1933), Theologische Existenz heute! II (Entwurf). Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden auf diesen Text. 198 Barth hatte vermutlich die Ernennung des Juristen August Jäger (1887–1949) zum Staatskommissar der Preußischen Landeskirchen vom 4. Juni bis 14. Juli 1933 vor Augen, die er als folgerichtige Konsequenz der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik deutete. Vgl. a. a. O., 371–373. 199 Barth fuhr fort: »Wenn er in der Kirche die Herrschaft bekommen sollte, so würde sie aufhören, eine evangelische, eine christliche Kirche zu sein. Wenn wir uns durch die Herrschaft dieses Glaubens in der Kirche bestimmen lassen würden, zu diesem Glauben

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sehr ernsthaften Gefahr eines Angriffes auf die Substanz der Kirche reden« müsse, bedenke man »die längst unter Beweis gestellte politische und kirchenpolitische Tüchtigkeit der deutsch christlichen Führer« (380) und deren Unterstützung durch den NS-Staat. Es bestehe »schlicht die Gefahr«, dass die DC »ihre schon gewonnenen und noch zu gewinnenden Machtpositionen dazu benützen« könnten, »sich und ihrer Lehre das Monopolrecht in der Kirche zu verschaffen: einmal indem sie allen Anderen die Mitbenutzung der jetzt in Beschlag genommenen Einfluss- und Sprechmittel versagen, sodann indem sie den Anderen nach und nach auch das nehmen, was sie in dieser Hinsicht noch haben.« (380) Sollten diese »entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden,« dann werde »die Substanz der Kirche angegriffen und vielleicht sehr bald tödlich angegriffen sein.« (381) Durch seine Unterstützung der DC stellte der nationalsozialistische Staat für Barth also durchaus mittelbar eine Gefahr für die Substanz der Kirche dar. Nur im Hinblick auf seine Unterstützung der DC und der damit entstehenden Bedrohung der Substanz der Kirche war also auch der NS-Staat zumindest mittelbar in den Kirchenstreit verwickelt. Lediglich als Mithelfer der Feinde des Wortes Gottes wurde folglich auch er eine Größe innerhalb des Kirchenstreites. Ansonsten betrachtete Barth den Kirchenstreit als rein innerkirchliche Auseinandersetzung. Seine persönliche Abneigung sowie seine starken theologischen Vorbehalte gegenüber dem NS-Staat als einer exklusivistischen Fremdreligion und seine theologische Tätigkeit trennte Barth 1933 noch strikt, obgleich ihm eigentlich die theologischen Argumente für seine später (ab 1938) erst vollzogene theologisch qualifizierte Ablehnung des Nationalsozialismus bereits im Wesentlichen vorlagen.

2.4.4. Januar bis August 1934: »geistliche Konsolidierung« durch echtes Bekenntnis und echtes Bekennen Die durch die DC – als Symptom des kirchlichen Zerfalls der letzten zwei Jahrhunderten – an die evangelische Kirche gerichtete Frage nach der Wahrheit in der Kirche deutete Barth als »ein der deutschen evangelischen Kirche gemachtes Angebot von unerhörter Tragweite.«200 Er erblickte darin nämlich den Ruf zur überzutreten, oder unseren Glauben diesem Glauben anzupassen, so hätten wir damit unsere theologische Existenz, unsere Existenz als Prediger und Lehrer des evangelischen Glaubens verwirkt.« (A. a. O., 377) 200 Barth (19. November 1933), Vorwort [zu: Lutherfeier 1933], 597: »Sie [die evangelische Kirche] könnte angesichts der Deutschen Christen endgültig erschrecken über das, was aus ihr geworden ist, und sie könnte sich angesichts der Gestalt Luthers aufgerufen wissen zu

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»Umkehr«, die darin bestand, dass das »gemachte Angebot angenommen«201 werden musste. Barths Linie war eindeutig: Gegenüber der Sache der DC gab es »nur ein Entweder-Oder«. Das »eigentliche Problem« lag für Barth allerdings im »protestantischen Modernismus, der in den Deutschen Christen zum Ausbruch gekommen« sei. Angesichts dieser Gefahr bedurfte es der »geistlichen Konsolidierung« sowie »des Widerstandes gegen die chronische, schleichende, latente Überfremdung«202. Als Schlüsselbegriffe seiner Deutung des ›Kirchenstreites‹ traten kollokativ neben die Forderungen eines geistlichen Widerstandes, im Sinne eines geistlichen Widerstandzentrums und einer geistlichen Konsolidierung vermehrt die Begriffe »Bekenntnis« und »Bekennen«.203 Den Begriff »Bekenntnis« fasste Barth konkret als »eine von der Kirche mit der Gewißheit und Notwendigkeit des Glaubens heute auszusprechende Antwort auf die ihr heute gestellten Fragen«204 auf. Bekenntnis sei zwar »ein gewiss freudiger Akt der Kirche,« aber »andererseits ein Akt des Kampfes wider den Irrtum.« Dieses Bekenntnis galt es im reformierten Sinne aktuell aus dem Glauben heraus zu bekennen.205 Jeder ›Kampf wider den Irrtum‹ müsse jedoch den Wunsch der eigenen Erneuerung in sich schließen und sei als ein »Akt der Buße«206, als Umkehr also, aufzufassen. Durch die beiden freien Kirchensynoden von Barmen im Jahre 1934 war für Barth erstmalig die nötige theologische Grundlage für einen wahren kirchlichen Widerstand geschaffen:207 Auf der freien reformierten Synode am 4. Januar hielt

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dem, was sie dennoch zu sein nicht aufgehört hat. Sie könnte aufstehen und in ihrem geistlichen Zentrum umkehren von den Ideologien zu der einfachen, harten, frohen Wahrheit, aus der sie geboren ist. Sie könnte zum Heil des deutschen Volkes – und vielleicht als Trägerin des Lichtes auch für andere Völker – wieder heilige Kirche werden.« Ebd. Barth (Januar 1934), Vorwort [zu: Gottes Wille und unsere Wünsche], 129: »Es wird der Umkehr, es wird der geistlichen Konsolidierung, es wird des Widerstandes gegen die chronische, schleichende, latente Überfremdung bedürfen, wenn wir nicht alsbald von neuen, schwersten Gefahren bedroht sein sollen.« Vgl. etwa a. a. O., 126–130. Barth (Sommer 1935), Bekennende Kirche im nationalsozialistischen Deutschland, 799. Vgl. hierzu Barth (September 1935), Das Bekenntnis der Reformation und unser Bekennen; vgl. auch Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses, 190–192; Reichel, Theologie als Bekenntnis, 93–117. – Zum Hintergrund der im Folgenden dargestellten Entwicklung vgl. Reese, Bekenntnis und Bekennen, 239–291. 355–367. Barth (Januar 1934) Bekenntnis der freien Kirchensynode, 12: »Bekenntnis muss sein auch ein Akt der Buße, der umfassenden Einsicht: Wir haben allen Anlass, Gott, den Herrn der Kirche, ganz neu zu erkennen, zu ihm zu schreien: Mach du mit uns einen neuen Anfang! Wir erkennen und bekennen vor dir, dass wir gefehlt haben – wir, die Kirche, nicht nur die Anderen in der Kirche.« Vgl. hierzu Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses, 165–170. Vgl. zu Barths Ablehnung eines Bekenntnisses im Oktober 1933: a. a. O., 150–154. Reichel präzisiert allerdings Plasgers These, dass Barth sich 1933 noch durchgehend gegen die Aufstellung eines neuen Bekenntnisses gewehrt habe, mit einem Hinweis auf Barths Versuch, kirchenpolitisch auf

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Barth einen Vortrag,208 der als Nachschrift unter dem Titel Bekenntnis der freien Kirchensynode209 veröffentlicht wurde. Es war das erste Mal seit Beginn der innerkirchlichen Auseinandersetzungen, dass eine Freie Synode zusammenkam und ein Bekenntnis formulierte. Dieser Text kann als Vorläufer der Barmer Theologischen Erklärung vom Mai 1934 betrachtet werden.210 Bereits die erste These (»I. Die Kirche in der Gegenwart«) bietet Barths Theologie in nuce und eine entschiedene Ablehnung der natürlichen Theologie: 1. Angesichts der kirchlichen Ereignisse des Jahres 1933 gebietet uns das Wort Gottes, Buße zu tun und umzukehren. Denn in diesen Ereignissen ist ein die evangelische Kirche seit Jahrhunderten verwüstender Irrtum reif und sichtbar geworden. Er besteht in der Meinung, dass neben Gottes Offenbarung, Gottes Gnade und Gottes Ehre auch eine berechtigte Eigenmächtigkeit des Menschen über die Botschaft und die Gestalt der Kirche, d. h. über den zeitlichen Weg zum ewigen Heil, zu bestimmen habe.211

Dieses Bekenntnis war »zunächst eine Erklärung deutscher Gemeinden reformierten Bekenntnisses.« Barth betonte jedoch, dass es ihm ein »Anliegen« gewesen sei, »gleich in der Überschrift von der ›Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart‹ zu reden«212, um jedem Missverständnis einer konfessionalistischen Verengung vorzubeugen. Er nehme zwar die konfessionellen Differenzen zwischen Reformierten und Lutheranern durchaus ernst, aber es gelte heute »im Einverständnis des Glaubens« gemeinsam zu bekennen. Im »Streit in der Kirche« sei »in Sachen des ersten Gebots« zu bekennen, und zwar als eine Notwendigkeit »angesichts des gemeinsamen Feindes«.213 Dieser »Not und Aufgabe gegenüber« müsse »die der Väter zurücktreten«, sodass diese »zu einem – immer noch ernsten, aber nicht mehr scheidenden, nicht mehr kirchenspaltenden Gegensatz der theologischen Schule«214 würden. Folglich seien unkirchliche, vermeintlich lutherische Theologoumena wie die »Identität des Gesetzes Gottes mit den sogenannten Schöpfungsordnungen215 oder das Theologoumenon vom autoritären Bischof«216 als unwahr fallen zu lassen. Die DC stellten die Kirche nämlich vor

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das Dreimännerkollegium im Mai 1933 mit einem »Bekenntnisentwurf« Einfluss zu nehmen. Vgl. hierzu Reichel, Theologie als Bekenntnis, 100–102, besonders Anm 32. Barth (Januar 1934), Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse. Barth (Januar 1934), Bekenntnis der freien Kirchensynode. So auch die Herausgeber in der Einleitung zur Erklärung: V.u.kl.A. 1934–1935, 65. Barth (Januar 1934), Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse, 71. Barth (Januar 1934), Vorwort [zu: Gottes Wille und unsere Wünsche], 131. A. a. O., 133. Ebd. Auch von diesem Kritikpunkt ist Künneths Ordnungstheologie direkt betroffen. – S. o. Anm. 185. A. a. O., 134f.

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eine unausweichliche, grundsätzliche und verheißungsvolle »Entscheidungsfrage« und diese Entscheidung sei deshalb unausweichlich, weil es darin um nicht weniger als die »Wahrheitsfrage« gehe: »die Frage ›Schrift oder 1933?‹«217 Hierin erblickte Barth die »Verheißung«, vor die sich die Kirche durch die DC gestellt sah: Sie bestand in der Möglichkeit und Notwendigkeit der geistlichen Konsolidierung und Erneuerung der Kirche angesichts der alten Not, die über die Kirche im Jahre 1933 in neuer Dringlichkeit hereingebrochen war.218 Im Mai 1934 entstand die Barmer Theologische Erklärung219 als konstitutives Bekenntnis der BK. Durch dieses Ereignis war für Barth die lange erhoffte grundsätzliche theologische Klärung geschaffen, um das eigentliche Problem, den protestantischen Modernismus, der ja in den DC lediglich symptomatisch zum Ausbruch gekommen war, zu bekämpfen. Wie sich zeigen wird, kann die Bedeutung der Barmer Theologischen Erklärung für Barths Deutung des Kirchenkampfes in den Folgejahren kaum überschätzt werden!

2.4.5. August 1934: Durch die Forderung des Eides »in den status confessionis versetzt« Kurze Zeit nach der Barmer Bekenntnissynode überschlugen sich die politischen Ereignisse: Mit dem sog. Röhm-Putsch am 30. Juni 1934 und seinen mehr als 200 politischen Morden hatte Hitler seine Machtergreifung vollendet. Nach dem Tod 217 Barth (April 1934), Vorwort [zu: Offenbarung, Kirche, Theologie], 238: »Wenn die Verheißung, unter der wir alle die kirchliche Opposition heute zu sehen meinen, sich erwahren soll, müssen wir dann nicht zugeben, dass die Liebe zu Gott und zum Nächsten, die wir in der heutigen deutschen evangelischen Kirche zu betätigen haben, darin besteht, dass wir uns die theologische Frage, die Wahrheitsfrage, die Frage ›Schrift oder 1933?‹ unerbittlich gestellt sein und dass wir ohne Vorbehalt von ihr her über uns entscheiden lassen?« (ähnlich auch a. a. O., 236). 218 Vgl. Barth (Mai 1934), Der gute Hirte [Vorwort], 247f: »Wo stünden wir, was für ein fades Gebilde wäre aus der evangelischen Kirche in dieser Zeit geworden, wenn sie in ungestörter Kontinuität aus dem zweiten in das dritte Reich hätte hinüberschlummern dürfen, wenn uns nicht diese Deutschen Christen und dieses Regime Müller mit allen seinen Irrtümern, Gewalttaten und beschämenden Lächerlichkeiten verordnet – richtig wie eine Giftpille verordnet worden wären? Damit endlich wieder einmal gefragt werde nach Schrift, Bekenntnis, Gemeinde, Amt, Predigt, Theologie, damit es endlich zu Erinnerungen, Prüfungen und Wiedergutmachungen alter Verfehlungen und Unterlassungen komme, damit die Kirche sich wieder als Kirche verstehen lerne im deutschen Protestantismus – dazu hat es vielleicht zu dem, was gekommen ist, kommen müssen.« 219 Barth (31. Mai 1934), Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche. Vgl. dazu auch ders. (Juni 1934), Kurze Erläuterung der Barmer Theologischen Erklärung; ders. (Juni 1934), Die theologische Erklärung der Barmer Bekenntnissynode. Für weitere Texte zur Barmer Theologischen Erklärung vgl. Rohkrämer, Texte zur Barmer Theologischen Erklärung.

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Hindenburgs am 2. August 1934 ließ der Reichswehrminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Werner von Blomberg, die gesamte Wehrmacht am 20. August auf Hitler vereidigen.220 Gleichzeitig erließ Bernhard Rust ein Gesetz über die Vereidigung der Beamten auf Hitler.221 Bereits am 9. August hatte die Nationalsynode der DEK, beraten durch Emanuel Hirsch,222 ein Diensteidgesetz für Geistliche und Kirchenbeamte erlassen.223 Im Zusammenhang mit der Eidfrage und unter dem Eindruck der politischen Ereignisse kam es bei Barth nun zum ersten Mal zu einer theologisch begründeten politischen Verurteilung224 des nationalsozialistischen Führerstaates.225 Die Frage 220 Der Soldateneid lautete: »Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.« Reichsgesetz über die Vereidigung der Beamten und Soldaten der Wehrmacht, 785 (§ 2). 221 Der Beamtenleid lautete: »Ich schwöre: ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.« Ebd. (§ 1). 222 Vgl. Assel, »Barth ist entlassen…«, 81f. 223 »§ 1. Die Geistlichen haben folgenden Diensteid zu leisten: Ich, NN, schwöre einen Eid zu Gott dem Allwissenden und Heiligen, daß ich als berufener Diener im Amt der Verkündigung sowohl in meinem gegenwärtigen wie in jedem anderen geistlichen Amte, so wie es einem Diener des Evangeliums in der Deutschen Evangelischen Kirche geziemt, dem Führer des deutschen Volkes und Staates Adolf Hitler treu und gehorsam sein und für das deutsche Volk mit jedem Opfer und jedem Dienst, der einem deutschen evangelischen Manne gebührt, mich einsetzen werde; weiter, daß ich die mir anvertrauten Pflichten des geistlichen Amtes gemäß den Ordnungen der Deutschen Evangelischen Kirche und in diesen Ordnungen an mich ergehenden Weisungen gewissenhaft wahrnehmen werde; endlich, daß ich als rechter Verkündiger und Seelsorger allezeit der Gemeinde, in die ich gestellt werde, mit allen meinen Kräften in Treue und Liebe dienen werde. So wahr mir Gott helfe! § 2. Die Beamten der Deutschen Evangelischen Kirche und der Landeskirchen leisten folgenden Diensteid: Ich, NN, schwöre einen Eid zu Gott dem Allwissenden und Heiligen, daß ich als Beamter der Deutschen Evangelischen Kirche in meinem gegenwärtigen und in jedem künftigen kirchlichen Amte, so wie es einem Beamten der Deutschen Evangelischen Kirche geziemt, dem Führer des deutschen Volkes und Staates Adolf Hitler treu und gehorsam sein und für das deutsche Volk mit jedem Opfer und jedem Dienste, der einem deutschen evangelischen Manne gebührt, mich einsetzen werde; weiter, daß ich die mir anvertrauten kirchlichen Amtspflichten gemäß den Ordnungen der Deutschen Evangelischen Kirche und den in diesen Ordnungen an mich ergehenden Weisungen treu und gewissenhaft wahrnehmen werde. So wahr mir Gott helfe!« zitiert nach Schmidt, Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1934, 128. 224 »Wie lange wird es noch gehen, so wird das deutsche Volk, durch immer deutlicher sprechende Tatsachen belehrt, einsehen müssen, daß es in seiner unglaublichen Gutmütigkeit und politischen Naivität im Frühjahr 1933 einem Bluff zum Opfer gefallen ist, der mit Verbrechen und Wahnsinn gleich viel Ähnlichkeit hat, aber jedenfalls nur mit einer Katastrophe endigen kann. Soll sich die Kirche gerade im jetzigen Moment, wo die Gerichtsreife dieser Sache schon zum Himmel stinkt, noch und noch einmal an diese Sache binden?« Brief Barths an Niesel vom 7. 9. 1934 (Br.Niesel. 163f. Zitat 164). Assel, »Barth ist entlassen…«, 81f, Anm. 15 geht fälschlicherweise davon aus, dass dieser Brief an W. Niemöller gerichtet war.

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des Eides wurde für viele Theologen – darunter auch Barth und Hirsch – zu einem theologischen Bekenntnisfall mit enormer theologischer und politischer Bedeutung.226 Barth war der Meinung, dass »hier wieder einmal das Ganze auf dem Spiel«227 stand. Deshalb erklärte er am 3. November dem zuständigen Universitätsrektor, Hans Naumann, dass er diesen Eid nur mit folgendem Zusatz schwören werde: »[…] soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann […]«228. Barths vielzitierter Antwortbrief vom 5. Dezember 1934229 an seinen Marburger Kollegen, Hans von Soden, der ihn am 2. Dezember aus theologischen, politischen und kollegialen Gründen für die Forderung seines Zusatzes kritisiert hatte,230 wirft Licht auf Barths Deutung des Eides: Barth sah sich angesichts »des besonderen Inhalts dieses Eides« so »konkret und aktuell wie nur möglich in den status confessionis versetzt«.231 Er folge bei seiner Entscheidung der »hermeneutischen Grundregel«, den Eid »im Sinne eines hundertprozentigen Nationalsozialismus« zu interpretieren. Deshalb müsse er ernstnehmen, dass der »Sinn und Wille des Nationalsozialismus« zweifellos darin bestehe, dass man es »in Adolf Hitler mit einem Zaren und Papst in einer Person, theologisch genau genommen würde man zweifellos sagen müssen: mit einem inkarnierten Gott«232 zu tun habe. Diese Deutung des Eides habe zur Folge, dass ein Eid »auf Hitler nach nationalsozialistischer und also maßgeblicher Interpretation« bedeute, dass »sich der Schwörende mit Haut und Haar, mit Leib und Seele diesem einen Manne verschreibt, über dem es keine Verfassung, kein Recht und Gesetz giebt, dem ich zum vornherein und unbedingt zutraue, daß er ganz Deutschlands und so auch mein Bestes unter allen Umständen weiß, will und vollbringt, von dem auch nur anzunehmen, daß er mich in einen Konflikt führen könnte, in dem er 225 Scholder II, 292 vermutet, dass Barths politisches Umdenken eine Folge des Röhm-Putsches war. 226 Vgl. hierzu Assel, »Barth ist entlassen…«, 79–83. 227 Brief an Niesel vom 7. 9. 1934 (Br.Niesel, 164). 228 Auf einem Extrablatt des Briefes an Bultmann vom 27. 11. 1934 (Br.Bultmann, 155). 229 Brief Barths an von Soden vom 5. 12. 1934 (Br.Bultmann, 273–279). 230 Brief von Sodens an Barth vom 2. 12. 1934 (A. a. O., 269–273). 231 Brief an von Soden vom 5. 12. 1934 (Br.Bultmann, 273f): »Mir war allerdings vom ersten Augenblick an, da ich in der Schweiz von der Forderung dieses Eides erfuhr, ganz deutlich, daß ich sowie mich diese Forderung erreichen werde, so konkret und aktuell wie nur möglich in den status confessionis versetzt sein werde. Angesichts des besonderen Inhalts dieses Eides konnte ich mich durchaus nicht dabei beruhigen: es sei dem evangelischen Christen selbstverständlich, daß er auch nachdem er diesen Eid geschworen, im Konfliktfall Gott mehr gehorchen werde [vgl. Apg. 5,29, TB] als den Menschen. Mir schien und scheint nämlich der besondere Inhalt dieses Eides (›dem Führer des deutschen Reiches Adolf Hitler treu und gehorsam sein‹) im Unterschied zu dem Eid, den wir auf die Verfassung geschworen und den ich N.B. auch auf den Kaiser ohne Widerrede geschworen haben würde, diese ›Selbstverständlichkeit‹ gerade auszuschließen.« 232 A. a. O., 274.

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Unrecht und ich Recht hätte, schon Verrat wäre, dem ich also, wenn ich ihm Treue und Gehorsam schwöre, entweder den Einsatz meiner ganzen Person bis auf meine verborgensten Nachtgedanken oder eben gar nichts schwöre.«233 Diesem Eid sei »wesentlich«, dass er den Schwörenden »auf eine schlechthin unendliche, schlechthin unübersichtliche Weise verpflichten«234 wolle. Theologisch gesprochen stellte für Barth der Eid auf Hitler also ein unzumutbarer Verstoß gegen das erste Gebot dar. Deshalb war für ihn durch den quasi-religiösen Totalitätsanspruch, der mit dem Namen Hitler verbunden war, nicht mehr gewährleistet, dass man nach Leistung des Eides Gott noch mehr gehorchen dürfe und könne als diesem Menschen (vgl. Apg. 5,29). Vor dem Hintergrund seiner Deutung des Eides sah Barth nur zwei theologisch vertretbare Verhaltensalternativen: 1.) entweder man verweigere den Eid absolut oder 2.) man leiste den Eid mit einem entsprechenden Zusatz.235 Durch seine Antwort auf diese Entscheidung müsse der NS-Staat dann seinerseits sein wahres Gesicht unverhüllt zeigen. Denn eine Entscheidung im Falle der zweiten Option könne zwei Konsequenzen nach sich ziehen: I.) Gesetzt den Fall, Barth werde nicht abgesetzt, dann dokumentiere der NS-Staat damit, »daß das mit dem totalen Staat so schlimm nicht gemeint sei. Er würde sich dann selbst auf den status einer ›Obrigkeit‹ im Sinn von Röm. 13 etc zurückversetzen.«236 II.) Aber gesetzt den Fall, Barth werde abgesetzt, dann dokumentiere der NS-Staat damit eindeutig, »daß er eben doch antichristlich verstanden sein will«. Antichristlich werde der Staat dann deswegen, weil er gegenüber einem christlichen Zusatz, seinen eigenen »Absolutheitsanspruch d. h. die religiöse Bedeutung des Namens Hitler behaupten würde«.237 In diesem Falle hätte er aufgehört ein wirklicher Staat im Sinne von Röm. 13 zu sein und sei überdies zu einem offenen Feind des Wortes Gottes geworden. Deshalb sah sich Barth durch die persönliche Forderung des Führereides auf Hitler auf entschlossene Weise in den status confessionis versetzt. Weil Barth vergeblich auf eine grundsätzliche theologische Klärung von Seiten der BK zunächst noch wartete238 und einen Entwurf der VKL239 für ungeeignet 233 A. a. O., 274f. 234 A. a. O., 275. Diese Argumentation wiederholt Barth in seiner Erklärung zu seiner Suspendierung: Barth (November 1934), Erklärung [zur Suspendierung], 558. 235 In seinem Brief an Niesel vom 7. 9. 1934 nannte Barth eine weitere Verhaltensalternative: Der Eid werde, »wenn er nicht eine absolute Bindung an diese menschliche Person bedeuten« solle, »nur mit einer [1.] reservatio mentalis geleistet werden können oder aber [2.] indem man stillschweigend die Möglichkeit in Rechnung zieht, ihn später gegebenenfalls doch nicht zu halten.« Er fügte aber gleich hinzu: »Sowohl jene absolute Bindung als diese beiden Umgehungsmöglichkeiten dürften christlich unmöglich sein.« Br.Niesel, 163f. 236 Brief an von Soden vom 5. 12. 1934 (Br.Bultmann, 275f). 237 A. a. O., 276. 238 A. a. O., 278: »Das eigentlich Abnormale der ganzen Situation scheint mir darin zu liegen, daß die evangelische Kirche es bis jetzt […] unterlassen hat, eine öffentliche Erklärung des

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hielt, sah er sich gezwungen, diese selbst durch seinen Zusatz herbeizuführen.240 Er trete damit nicht »gegen« den Staat, sondern »für ihn in die Schranken«241 und weise ihn somit auf seine irdischen Grenzen hin. Mit dieser grundsätzlichen Klärung und Begrenzung des Staates stand für Barth nichts Geringeres auf dem Spiel als die Frage, ob der NS-Staat ein totaler und religiöser Staat und ob er somit nicht der eigentliche Feind der Kirche sei. Deshalb verurteilte Barth die Eidesleistung der Pfarrerschaft scharf und wies sie als einen »Restbestand von der doch sonst allmählich liquidierten Kirchenpolitik des ›freudigen Ja‹ von 1933«242 entschieden zurück. Am 6. Dezember erließ die VKL zögerlich »eine vorläufige« und »für die Öffentlichkeit nicht bestimmte«243 Stellungnahme,244 mit der Barth zwar nicht restlos zufrieden war, die es ihm aber erlaubte, den Eid ohne Vorbehalt und in der vorgeschriebenen Form zu leisten.245 Allerdings ahnte Barth bereits, dass er damit seine Amtsenthebung wohl nicht mehr würde abwenden können.246

2.4.6. Mitte 1935: Zurück in der Schweiz – Ende einer »gewisse(n) Zurückhaltung« Auch Ende 1934 überschlugen sich für Barth die Ereignisse:247 Obwohl auf der zweiten Bekenntnissynode von Berlin-Dahlem (19.–20. Oktober 1934)248 vor dem Hintergrund des dort beschlossenen »kirchlichen Notrechts«249 die für Barth

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Inhalts abzugeben, daß wie kein Eid so auch nicht der des dritten Reiches den Menschen zu einem Gegensatz zu Gottes Gebot verpflichten könne. Wenn eine derartige Bestreitung des totalen Staates gerade hinsichtlich des Eides seitens der Kirche bei uns vorläge ohne daß der Staat dagegen protestiert hätte, dann wäre die Situation auch für mich klar. Der selbstverständliche Vorbehalt wäre dann gültig auch ohne daß ich ihn persönlich aussprechen müßte. Da die ev. Kirche bis jetzt geschwiegen und damit den totalen Staat vielleicht doch anerkannt hat, muß ich persönlich gefragt auch persönlich antworten d. h. das, was normalerweise die Kirche für mich tun müßte, meinerseits für die Kirche tun.« Vgl. hierzu V.u.kl.A. 1934–1935, 616. Vgl. Barth (2. Dezember), Zur Frage des Hitlereides. Brief an von Soden vom 5. 12. 1934 (Br.Bultmann, 276). Brief an Niesel vom 7. 9. 1934 (Br.Niesel, 163). Dieser Zusatz wird zitiert nach Prolingheuer, Der Fall Karl Barth 1933–1945, 74. Stellungnahme der Vorläufigen Kirchenleitung (6. Dezember 1934), in: V.u.kl.A. 1934–1935, 618. Vgl. Barth (18. 12. 1934), An den Rektor der Universität. Prof. Dr. Hans Naumann, Bonn, in: O.Br. 1909–1935, (325) 330–332. Vgl. Einleitung der Herausgeber in V.u.kl.A. 1934–1935, 614f mit brieflichen Belegen. Vgl zu diesen Ereignissen Tietz, Karl Barth, 259–271; Busch, Lebenslauf, 268–275. Prolingheuer, Der Fall Karl Barth 1933–1945; – Die zentrale Rolle von Emanuel Hirsch im Fall-Barth hat Assel, »Barth ist entlassen…« herausgearbeitet. Vgl. V.u.kl.A. 1934–1935, 529–549.

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einzige legitime Deutsche evangelische Kirche zu Tage getreten war, stimmte am 20. November 1934 der Reichsbruderrat nach einer kontroversen Beratung der Bildung eines dem Geistlichen Ministerium der Deutschen Evangelischen Kirche nachgebildeten Leitungsgremium unter Leitung von August Marahrens zu. Am 22. November 1934 vereinbarten der Reichsbruderrat und die Landesbischöfe von Hannover, Württemberg und Bayern die Bildung einer vorläufigen Kirchenleitung (VKL I) der Deutschen Evangelischen Kirche mit Marahrens an der Spitze. Bei den Bischöfen und dann auch bei der Mehrheit der Mitglieder des Bruderrats hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, der Staat sei bereit, Marahrens als Kirchenführer anzuerkennen. Am selben Tag noch traten Barth, Hermann Albert Hesse, Karl Immer und Martin Niemöller aus dem Reichsbruderrat aus, nachdem sich die drei evangelisch-lutherischen Landesbischöfe, Theophil Wurm (Württemberg), Hans Meiser (Bayern) und August Marahrens (Hannover) von dem in Dahlem gewählten Notregiment und vor allem von Barth selbst distanziert hatten und weil der Reichsbruderrat der Bildung der VKL zugestimmt hatte.250 Nachdem Barth auch zu dem zweiten Vereidigungstermin am 7. November nicht erschienen war, wurde er am 26. November 1934 seines Dienstes enthoben und es wurde ein Dienststrafverfahren gegen ihn eingeleitet. Einen Tag später wurde er bereits zum ersten Mal beim Bonner Landgericht vernommen. Zwar legte er gegen das Urteil Revision ein, hatte jedoch von (bekenntnis)kirchlicher Seite nicht den erwünschten Rückhalt erhalten. Am 21. Juni 1935 wurde Barth durch den preußischen Kultusminister Bernhard Rust in den Ruhestand versetzt. Vier Tage später beschloss der Basler Regierungsrat, ihn auf eine Professur für Systematische Theologie und Homiletik zu berufen. Barth nahm den Ruf an und kehrte Anfang Juli 1935 nach Basel zurück.251 In einem offenen Brief an Pastor Hermann Albert Hesse vom 30. Juni 1935 legte Barth Rechenschaft darüber ab, warum seine Entscheidung für Basel für ihn alternativlos gewesen sei.252 Im Zusammenhang mit den Beschlüssen der dritten Bekenntnissynode in Augsburg, die vom 4. bis 6. Juni 1935 getagt hatte, erklärte er sich als uneinig »mit der deutschen Bekenntniskirche hinsichtlich ihres allgemeinen Weges«253 und äußerte offen Kritik am NS-Staat: 249 Vgl. (20. Oktober 1934), Botschaft der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche, in: V.u.kl.A. 1934–1935, (528) 543–549, Zitat 546. 250 Zu diesen Vorgängen vgl. Barth (Dezember 1934), Gedanken über die Lage und die Einleitung der Herausgeber: V.u.kl.A. 1934–1935, 579–584; Meyer I, 512–523; Besier, Die Kirchen und das Dritte Reich, 38–40. Prolingheuer, Der Fall Karl Barth 1933–1945, 29–46. 251 Vgl hierzu Tietz, Karl Barth, 273–276; Busch, Lebenslauf, 276–289. 252 Vgl. Barth (30. Juni 1935), An Pastor D. Hermann Albert Hesse, (Wuppertal-)Elberfeld, in: O.Br. 1909–1935, (333) 336–353. 253 A. a. O., 344, Punkt 2.

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Meine Gedanken über das gegenwärtige Regierungssystem in Deutschland, die von Anfang an ablehnend waren, in denen ich mir aber anfangs, wie meine Veröffentlichungen zeigen, immerhin eine gewisse Zurückhaltung auferlegen konnte, haben sich mit der Zeit und mit dem Lauf der Ereignisse so zugespitzt, daß meine weitere Existenz in Deutschland, da die Bekenntniskirche mich bei diesen Gedanken im Ganzen nicht tragen kann, sozusagen physisch unmöglich geworden ist. Ich zweifle nicht, daß Unzählige unter ihren Gliedern im stillen genau so denken wie ich. Und ich bin überzeugt, daß auch die Bekenntniskirche als solche über kurz oder lang vor der Frage stehen wird, ob sie nicht vom Bekenntnis her genau so denken – und dann auch entsprechend reden und handeln müsse. Im gegenwärtigen Augenblick aber steht die Bekenntniskirche als solche, wie gerade Augsburg gezeigt hat, nicht dort.254

Dass Barth von der BK enttäuscht war, bedeutete aber keineswegs, dass er sich mit ihr entsolidarisierte. Allerdings hielt er nun »die Proteste gegen das Neuheidentum, gegen die Übergriffe der Staatsgewalt, gegen die Gefangenschaft von Pfarrern usw. für längst überholt« und plädierte dafür, »statt der ewigen Wiederholung von Röm. 13 endlich auch die Apokalypse und die Propheten aufzuschlagen«.255 Der wahre Gegner der BK war also endlich unverhohlen und offen zu Tage getreten: es war der totale NS-Staat selbst »als ein Allesbezwinger von bisher unerhörten Ausmaßen.«256 Barth machte von nun an der BK gegenüber unzweideutig klar, dass er »bei der Illusion, als ob der eigentliche Gegner der bekennenden Kirche nicht der nationalsozialistische Staat als solcher sei, nicht länger mittun«257 könne. Er machte ihr außerdem den Vorwurf, »dass sie den Feind von ferne nicht in seiner eigentlichen Gefährlichkeit erkannt und ihm das die menschliche Lüge und Ungerechtigkeit richtende Wort Gottes von ferne nicht in der Unzweideutigkeit und Kraft entgegengehalten habe, wie es ihr als der Kirche Jesu Christi zukam.«258 Zwar habe sie »einigermaßen ernst um die Freiheit und Reinheit ihrer Verkündigung gekämpft«, aber – und das betrachtete Barth nun als durchaus problematisch – sie habe »z. B. zu dem Vorgehen gegen die Juden, zu der erstaunlichen Behandlung der politischen Gegner, zu der Unterdrückung der Wahrheit in der Presse des neuen Deutschland und zu so viel anderem, zu dem die alttestamentlichen Propheten sicher geredet hätten, geschwiegen.«259 Deshalb könne und müsse man »ihr ›Bekenntnis‹ ein sehr ungenügendes nennen.«260 Darüber hinaus warf Barth der BK vor, dass sie »noch gar 254 A. a. O., 348, Punkt 4. 255 Barth (2. Juli 1935), An Pastor Gotthilf Weber, Bad Oeynhausen, in: O.Br. 1909–1935, (354) 357–360, Zitat 358, Punkt 4. 256 Barth (Sommer 1935), Die Bekennende Kirche im nationalsozialistischen Deutschland, 793. 257 Barth (2. Juli 1935), An Pastor Gotthilf Weber, Bad Oeynhausen, in: O.Br. 1909–1935, (354) 357–360, 358, Punkt 4. 258 Barth (Sommer 1935), Die Bekennende Kirche im nationalsozialistischen Deutschland, 803. 259 Ebd. 260 A. a. O., 804.

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nicht daran« denke, dass sie »ein ›Wort an die Obrigkeit‹261 richtend, auch noch etwas anderes auszusprechen haben könnte als die mit der Beteuerung ihrer politischen Zuverlässigkeit begründete ›inständige‹ Bitte um die Erhaltung ihres durch die Reichsregierung garantierten Bestandes«.262 Er forderte nun, »daß ihr Gebet für die von Gott gesetzte Obrigkeit seine Echtheit darin erweisen müßte, daß es, wo sie Lüge und das Unrecht zum Prinzip erhoben sieht, eines Tages auch zu dem in den Psalmen vorgesehenen Gebet um Befreiung von einer fluchwürdig gewordenen Tyrannei werden könnte.«263 Er kritisierte die BK dafür, »für Millionen von Unrecht Leidenden noch kein Herz« zu haben. Außerdem habe sie »zu den einfachsten Fragen der öffentlichen Redlichkeit noch kein Wort gefunden.« Sie rede »noch immer nur in ihrer eigenen Sache.«264 Es sei »ihre Schranke und ihre Schwäche« gewesen, dass sich sie BK »mit dem Kampf um ihre eigene Reinheit und Freiheit begnügt«265 habe. Und dies alles sei nur deshalb möglich gewesen, weil sie »noch immer die Fiktion aufrecht« erhalte, »als ob sie es im heutigen Staat mit einem Rechtsstaat im Sinn von Röm. 13 zu tun habe.«266 In diesem Zusammenhang räumte Barth selbstkritisch ein, dass es für ihn selbst »eine peinliche Erinnerung an die letzten zwei Jahre sein und bleiben« werde, dass er »selber nicht kräftiger in der hier gebotenen Richtung vorgestoßen« sei. Jetzt jedenfalls könne er »nicht mehr länger dabei mittun, zu schweigen, wo geredet werden sollte. Zu reden, wo Schweigen die allein würdige Rede wäre.«267 261 Ein erstes und allerdings auch letztes offenes Wort an den Staat richtete die zweite VKL, die auf der Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen (18.–22. Februar 1936) gegründet worden war, am 28. 5. 1936 an die Reichskanzlei mit ihrer Denkschrift der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche an den Führer und Reichskanzler, abgedruckt z. B. in: Dokumente des Kirchenkampfes II, 695–719; Greschat, Zwischen Widerspruch und Widerstand, 104–143. Vgl. auch Besier, Die Kirchen und das Dritte Reich, 482–510. – In seiner Rezension von Rudolf Grobs Darstellung des Kirchenkampfes würdigte er diese Denkschrift als »einen Einschnitt erster Ordnung in die Geschichte der Bekenntniskirche«. Barth (September 1937), Rudolf Grob. 262 Barth (30. Juni 1935), An Pastor D. Hermann Albert Hesse, (Wuppertal-)Elberfeld, in: O.Br. 1909–1935, (333) 336–353, Zitat 348, Punkt 4. 263 A. a. O., 348f, Punkt 4. 264 A. a. O., 349, Punkt 4. 265 Barth (März 1936), Der deutsche Kirchenstreit als Frage an den schweizerischen Protestantismus, 395f: »Die Bekennende Kirche ist bis jetzt noch nicht dazu übergegangen, den nationalsozialistischen Staat auf den andern Feldern seiner Betätigung: etwa hinsichtlich der Judenverfolgung oder des 30. Juni 1934 [Röhm-Putsch, Ergänzung durch den Autor] oder der Konzentrationslager, etwa hinsichtlich der systematischen Lüge, mit der seine Presse das ganze Leben vergiftet, vor ihren Widerspruch zu stellen und zur Rechenschaft zu ziehen. Die Bekennende Kirche hat sich bis jetzt im Ganzen in der Tat mit dem Kampf um ihre eigene Reinheit und Freiheit begnügt. Das ist ihre Schranke und ihre Schwäche.« 266 Barth (30. Juni 1935), An Pastor D. Hermann Albert Hesse, (Wuppertal-)Elberfeld, in: O.Br. 1909–1935, (333) 336–353, Zitat 349, Punkt 4. 267 A. a. O., 349f.

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2.4.7. Der »Kirchenkampf« als »Widerstand Gottes gegen die Hoffart der Menschen« Der Begriff ›Kirchenkampf‹ nahm von Ende 1934 an eine zentrale Stellung in Barths Deutung der Lage ein. Zwar sprach Barth vereinzelt noch im Mai/Juni 1935 und auch später noch vom »Kirchenstreit«268, er setzte diesen Begriff jedoch nun meist in Anführungszeichen.269 Zum ersten Mal, wenn auch in einer unspezifischen Weise, gebrauchte Barth den Kirchenkampf-Begriff offenbar in seinem Kommentar zum Beschluss der Mitgliederversammlung des Reformierten Bundes in Detmold Ende November 1934.270 In einer »Bibelstunde« in Bad Godesberg am 10. Februar 1935 sprach Barth gleich dreimal vom »Kirchenkampf«.271 Barth deutete hier den »Kirchenkampf« im Rahmen einer »Anwendung« (Applicatio) seiner Explicatio der Bibelworte Ps. 119,67 und Jak. 4,6 theologisch als »Widerstand Gottes gegen die Hoffart der Menschen«272: Im »Kirchenkampf« drücke sich der »Zorn Gottes«273 und »Gottes Gericht«274 aus, in dem er dem hoffärtigen Menschen begegne. Beides sei allerdings Ausdruck der Gnade Gottes, denn »wenn es des Herrn Hand« sei, dann sei »es ja auch zugleich seine Gnade, die sich herabgelassen«275 habe. Ausgefochten werde dieser Kampf also eigentlich von Gott selbst durch sein Wort, das es aufmerksam zu hören gelte. Was »jetzt in Deutschland not« tue, das sei »nicht 268 In seinem Brief an Karl Huber vom 15. Mai 1935 (KBA 9235.124) spricht Barth einmal vom »deutschen Kirchenstreit« (a. a. O., 1) und einmal vom »Kirchenstreit« (a. a. O., 2). Auch in einem Brief an Arthur Cochrane vom 6. Juni 1937 spricht Barth mehrfach vom »deutschen Kirchenstreit« (KBA 9237.92). – Barth (März 1936), Der deutsche Kirchenstreit als Frage an den schweizerischen Protestantismus zeigt deutlich, dass er die Begriffe »der deutsche Kirchenstreit« (a. a. O., 388.397.398) und »der kirchliche Kampf« (a. a. O., 389) synonym und austauschbar nebeneinander verwendete. 269 Vgl. etwa Barth (Juni 1935), Das Evangelium in der Gegenwart, 813. Mit »der ganze deutsche ›Kirchenstreit‹« bezeichnet Barth jedoch bereits hier die sich anbahnenden Konflikte der Kirche mit der politischen Bewegung des Nationalsozialismus. – Allerdings setzte Barth auch gelegentlich und ohne erkennbares Muster den Begriff ›Kirchenkampf‹ in Anführungszeichen. So etwa in Barth (September 1938), »So wahr mir Gott helfe!«, 6, obwohl der Begriff »Kirchenkampf« in diesem Text noch an vier weiteren Stellen ohne Anführungszeichen auftaucht: a. a. O., 23 (zweimal), 24 (einmal) und 30 (einmal in Noch ein Nachwort [Zweitfassung]) oder in Barth (Mai 1939), Die Bekennende Kirche in Deutschland im Jahre 1938/39, wo er einmal in Anführungszeichen (a. a. O., 59) steht und einmal ohne (a. a. O., 60). 270 Barth et al. (29./30. 11. 1934), Beschluss der Mitgliederversammlung des Reformierten Bundes in Detmold, 576: »Unsere Verbundenheit mit Lutheranern und Unierten im Kirchenkampf soll uns nicht hindern, unsere reformierte Sache weiter zu verfechten.« In der Mitschrift von Hesse ist der Begriff allerdings nicht belegt (a. a. O., Anm. af–af). 271 Barth (10. Februar 1935), Psalm 119,67 / Jakobus 4,6, 424 (zweimal), 425 (einmal). 272 A. a. O., 424. 273 A. a. O., 425. 274 A. a. O., 427. 275 Ebd.

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Agitation und Prophetie«, sondern »das schlichte Sichhalten an sein Wort.«276 Barth ging davon aus, dass »eine Hauptgefahrenquelle in der gegenwärtigen kirchlichen Situation« darin bestehe, dass weithin die Einsicht mangele, »daß das Wort allein, das ganze Wort – aber das Wort, mit dem wir umgehen und leben, es tun muß.«277 Das Wort Gottes war für Barth also die einzig nötige und mögliche Waffe im Kirchenkampf. Gott selbst war das eigentliche Subjekt des Kirchenkampfes, während die Hoffart des Menschen das Objekt des Kirchenkampfes darstellte. In einem beinahe historiographischen Sinne gebrauchte Barth den Kirchenkampf-Begriff einen Tag später in einem Vortrag in der Kirchengemeinde Mönchengladbach. Hier sprach er vom »Kirchenkampf 1933«278 sowie vom »Kirchenkampf unserer Tage«, in den man »vor zwei Jahren«279 hineingegangen sei. Im Jahre 1933 war für Barth nämlich »eine neue Situation eingetreten«, in der grundlegende Fragen »neu gestellt« waren und »in der auch eine neue Antwort zu geben« war. Es war nämlich »etwas ganz Unerwartetes und Unvorhergesehenes, was sich 1933 ereignete.«280 Die Theologie des 19. Jahrhunderts habe »eine Zerstörung des Bekenntnisses, des lutherischen und des reformierten«281 gebracht und »im Ganzen auf eine Auflösung des Bekenntnisses hingewirkt«.282 In dieser Lage habe die »Irrlehre der Deutschen Christen«, die »einen radikalen Angriff auf das Erste Gebot«283 bedeutet habe, Reformierte und Lutheraner »zum Widerstand, d. h. aber – zum Bekenntnis«284 aufgerufen. Mit der Barmer Theologischen Erklärung war nun erstmalig die »Möglichkeit einer echten und rechten Bekenntnis-Union« gegeben.285 In diesem Sinne sei »die Union der Schauplatz des erwachenden Widerstandes«286 gewesen, insofern »eine Not« und »eine Anfechtung über die Kirche« gekommen war, die als »gemeinsame Not und Anfechtung« empfunden wurde, »der gegenüber man gemeinsam«287 bekannte. Die Barmer Theologische Erklärung als gemeinsame Erklärung von Lutheranern und Reformierten würdigte Barth als »etwas Großes«, das »seit der Reformation vielleicht nie vorgekommen«288 war. Insofern konnte er die beiden Bekenntnis276 277 278 279 280 281 282 283 284 285 286 287 288

A. a. O., 425. Ebd. Barth (11. Februar 1935), Die Möglichkeit einer Bekenntnis-Union, 724. A. a. O., 726. Vgl. Stichwortmanuskript, 740: »Indifferenz + Ausschließlichkeit. Dies ist die Not, in der wir in den Kirchenkampf hineingingen.« A. a. O., 727. A. a. O., 717. A. a. O., 723. A. a. O., 727. A. a. O., 730. A. a. O., 733. Deshalb sprach Barth auch von der »Barmer ›Union‹« Ebd. A. a. O., 729. A. a. O., 731. Barth (26. Januar 1935), Der Weg der Bekenntniskirche, 686f.

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synoden von Barmen und Dahlem auch als »Reformation«289 bezeichnen. Deshalb interpretierte Barth die Auseinandersetzungen, die zu der Barmer Theologischen Erklärung geführt hatten, sowie jene, die von ihr ausgegangen waren, auch als »Bekenntniskampf«290: »Lutheraner, Reformierte, Unierte« seien »alle in Barmen zusammengekommen aus dem Kampf um das Bekenntnis: dass die Kirche sich nicht willkürlich selbst regieren darf, sondern, dass sie einen Herrn hat und dass dieser Herr einer, ein einziger ist, Christus.« Was die verschiedenen Konfessionen auch trennen mochte, »dieses Bekenntnis zum Herrn der Kirche«291 habe sie geeint. Zwar ließ Barth die Frage offen, ob und inwiefern es sich bei dem, was man damals »in Deutschland Bekenntniskirche, Bekenntnisfront, Bekenntnisgemeinschaft« nannte, »um echtes Bekenntnis«292 handelte. Denn als echtes Bekenntnis betrachtete er nur »die vom Evangelium selbst mitten in der historischen Entwicklung des Christentums herbeigeführte und erzwungene öffentliche und verantwortliche Bejahung des Evangeliums.«293 Dennoch würdigte er das gemeinsame Bekenntnis von Barmen als »Zeichen der Mächtigkeit des Evangeliums«. Solche »Zeichen« bekundeten sich in geschichtsmächtigen »Ereignissen, die dann als solche auch historisch feststellbar und darstellbar« seien und »die sehr wohl die Kraft« hätten, »historische Entwicklungen aufzuhalten, zu beschleunigen, zu durchkreuzen« oder »neue historische Entwicklungen zu begründen.«294

2.4.8. »1934 ist eigentlich der Beginn des ernsthaft so zu nennenden Kirchenkampfes« Wie wir gesehen haben, richtete sich der kirchliche Widerstand Barths zunächst ausdrücklich gegen die Irrlehre der Deutschen Christen und nicht gegen den NSStaat selbst. Barth bezog jedoch in der Retrospektive die Fronten anders: Nun ging er davon aus, dass der »Kirchenkampf« mit »einer schweren Niederlage der Kirche« begonnen hatte und zwar »damit, dass die Kirche vom Nationalsozialismus überrannt wurde.«295 Die Kirche habe es nämlich »1933 mit einem Wi289 Barth (Dezember 1934), Gedanken über die Lage, 597. 290 Barth (Juni 1935), Das Evangelium in der Gegenwart, 824. Barth sprach noch einmal in einem Brief vom 13. Juli 1936 an Karl Buxtorf vom »deutschen Bekenntniskampf« (KBA 9236.179). – Noch am 1. Juli 1968 konnte Barth in einem Gespräch um die Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« von der »Zeit des Bekenntniskampfes während des Dritten Reiches« sprechen. Barth, Gespräch mit Wuppertaler Theologiestudenten, 503. 291 (Juni 1934), Die theologische Erklärung der Barmer Bekenntnissynode, 355. 292 Barth (Juni 1935), Das Evangelium in der Gegenwart, 821. 293 A. a. O., 818. 294 Ebd. 295 Barth (April 1936), Der deutsche Kirchenkampf, 728.

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derpart von bisher ungewohntem Format« zu tun bekommen und zwar »mit dem totalen Staat des Nationalsozialismus«.296 Zunächst wurde sie wie alle anderen Bereiche im nationalsozialistischen Reich erfolgreich gleichgeschaltet, d. h. »zu einem Instrument verwandelt, das gefügig unter der Herrschaft der Nationalsozialisten funktionierte.«297 Angesichts dieses »so massiven Widerparts von 1933« sei es allerdings zu einem »Erwachen«298 der Kirche gekommen. Dieses Erwachen der Kirche bestand zunächst im Willen, »christliche Kirche nicht nur zu bleiben, sondern (im Protest gegen die ganze vorangegangene Entwicklung vor 1933) nun erst recht und ganz aufs neue zu werden – die Bereitschaft und der Wille zur Reformation und damit die Bereitschaft und der Wille zum Widerstand gegen die nationalsozialistische Versuchung.«299 Im »Herbst 1933«300 fand der »deutsche Kirchenkampf« nach einem »ersten Sieg des Nationalsozialismus eine erstaunliche Fortsetzung.« Es zeigte sich: »der Rausch ist zu Ende, es kommt jetzt das Erwachen und die Ernüchterung, es gibt jetzt Widerstand.«301 Und so »entstand die Bekenntniskirche durch ein Erwachen [an der] Wende 1933/34.«302 Folglich verortete Barth im Jahre »1934« den eigentlichen »Beginn des ernsthaft so zu nennenden Kirchenkampfes.«303 Er hatte zwar die Entstehung der BK zur Voraussetzung, um ernsthaft ›Kirchenkampf‹ genannt werden zu können, ging aber zunächst vom Staat aus: Nun begann der Kampf, der Kirchenkampf, der vom Staat aus geführt wurde in einer ganzen Reihe von Versuchen, bald groben und bald freundlichen Versuchen304, die Kirche nun doch in seine Gewalt zu bekommen.305

296 Barth (März 1936), Der deutsche Kirchenstreit als Frage an den schweizerischen Protestantismus, 390. 297 Barth (April 1936), Der deutsche Kirchenkampf, 728. 298 Barth (März 1936), Der deutsche Kirchenstreit als Frage an den schweizerischen Protestantismus, 392. In diesem Zusammenhang sprach Barth auch von »erwachende« Kirche (a. a. O., 399). 299 A. a. O., 392. 300 Barth dachte hier vermutlich an den sog. »Sportpalastskandal« vom 13. 11. 1933. 301 Barth (April 1936), Der deutsche Kirchenkampf, 731. 302 Barth (26. Januar 1935), Der Weg der Bekenntniskirche, 685. – Barth verwendet hier noch den Begriff »Kirchenstreit« ohne Anführungszeichen: a. a. O., 689. 303 Barth (März 1936), Die bekennende Kirche im heutigen Deutschland, 352. 304 Einige Zeit später unterschied er mindestens drei »Versuche«, denen die Kirche bisher »widerstanden« habe: 1. »Reichsbischof [Müller], der zum obersten Kirchenfürsten eingesetzt werden sollte«, 2. »jenem gewaltsamen Angriff in Gestalt des ›Rechtswalters‹ Jäger«, 3. »den dritten und bisher gefährlichsten Versuch mit Einsetzung der sogenannten Kirchenausschüsse«. Barth prognostizierte: »Ich bin gewiss, es werden ein vierter und ein fünfter Versuch nicht ausbleiben, um das Ziel: die deutsche ›Nationalkirche‹ zu erzwingen.« Barth (Oktober 1936), Die allgemeine Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes, 621 – Eine andere »Reihe von Versuchen« zählte er an anderer Stelle auf: 1. Jäger, 2. Müller, 3. »die neue Religion des deutschen Mythus«, 4. die Reichskirchenausschüsse, 5. die im Februar 1937 von

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Der Kirchenkampf sei zunächst »gekennzeichnet durch drei Ereignisse:«306 1.) Die Freie Synode in Barmen und die Reichssynode von Barmen lieferten »bestimmte bekenntnismäßige Erklärungen zur Situation der Kirche und ihren Aufgaben im 3. Reich«307 und die Reichssynode von Dahlem lieferte die praktische Umsetzung dieser grundsätzlichen theologischen Klärungen. 2.) Das Scheitern der Kirchenpolitik Müllers wertete Barth als »völlige[n] Zusammenbruch der Reichsregierung Müller und zugleich der Partei der D.C.«308 3.) Die Einsetzung der VKL I am 22. November 1934 betrachtete Barth als »dies ater der Bekenntnisbewegung«309, weil damit in seinen Augen »innerhalb der BK eine Kompromissrichtung den Sieg«310 errungen hatte. Schließlich habe »das Erbübel der ganzen Bekenntniskirche von Anfang an« darin bestanden, dass es stets »ihr stärkstes Anliegen war […], beim Staat in Gnaden zu bleiben oder wieder in Gnade zu kommen, nur ja nicht ›diffamiert‹ zu werden als vielleicht nicht ganz lammfromme Nationalsozialisten.«311 So wird der Kompromissbereitschaftsund Opportunismusvorwurf für Barth mit dem Namen »Marahrens« fortan eng verknüpft sein.312 Barth warf der VKL I und vor allem Marahrens schon früh zu starke Kompromissbereitschaft mit dem Staat, Zaghaftigkeit und Opportunismus vor. Deshalb kam er zu dem Urteil, dass Marahrens »kein Grabenkämpfer«313 sei, obwohl Grabenkampf geboten sei, denn die Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem hatten »Reformation verkündigt, Reformation heute eine Frage an uns. Marahrens und seine Leute aber« wollten »Restauration.«314

305 306 307 308 309

310 311 312 313 314

Hitler angekündigten Kirchenwahlen. Barth (April 1936), Der deutsche Kirchenkampf, 734– 736. Barth (April 1936), Der deutsche Kirchenkampf, 734. Barth (März 1936), Die bekennende Kirche im heutigen Deutschland, 352. Vgl. zum Folgenden a. a. O., 352–366. A. a. O., 352. A. a. O., 356. Brief an Karl Huber vom 15. Mai 1935 (KBA 9235.124), 2. In Barth (26. Januar 1935), Der Weg der Bekenntniskirche, 691 spricht er von »dunkler Tag«; in Barth (September 1937), Rudolf Grob, 285 nennt er dieses Ereignis eine »Katastrophe«, durch »die die Arbeit der Bekenntniskirche für den Lauf eines ganzen Jahres sozusagen lahmgelegt wurde.« Barth (März 1936), Die bekennende Kirche im heutigen Deutschland, 359. Brief an Karl Huber vom 15. Mai 1935 (KBA 9235.124), 2. Vgl. etwa Barth (Dezember 1937), Introduction, 19. Barth (Dezember 1935), Gedanken über die Lage, 603. A. a. O., 597.

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2.4.9. Deutung(en) des Kirchenkampfes Nach seiner Rückkehr in die Schweiz übte Barth jedoch nicht nur erstmalig offen Kritik am NS-Regime. Er gab nun zahlreiche öffentliche Kommentare zum deutschen Kirchenkampf ab, griff in die Diskussion um seine Deutung aktiv ein,315 informierte in einer Vielzahl einschlägiger Vorträge und kleinerer Arbeiten über die Ereignisse im Kirchenkampf und deutete ihn für Schweizerische und ausländische Christen.316 Unter dem programmatischen Titel Die allgemeine Bedeutung des Kirchenkampfes hielt Barth zwischen dem 9. Oktober 1936 in Budapest und dem 17. Januar 1937 in Köniz bei Bern insgesamt sechs ähnliche Vorträge.317 Diesen für unsere Belange besonders interessanten Vortrag eröffnete er gleich mit einer Art Definition des Kirchenkampfes: Die Auseinandersetzung der Kirche mit diesen Gesprächspartnern und Gegnern in den letzten vier Jahren: das ist der deutsche Kirchenkampf.318

Wer kämpfte gegen wen? Die evangelische Kirche in Deutschland befinde »sich seit dem Jahre 1933 in schweren inneren und äußeren Auseinandersetzungen« an drei Fronten: 1.) »mit dem Irrtum und mit der Unordnung, wie sie in ihrer eigenen Mitte aufgestanden sind« (hiermit dürften insbesondere die DC, aber auch die JB gemeint sein), 2.) »mit einem neu auf den Plan getretenen Heidentum, das wunderlich zusammengesetzt ist aus allerhand Resten des aufklärerischen Widerstandes gegen das Evangelium« und »allerhand Motiven aus uralten 315 So bemühte er sich etwa im August 1937 mit einer Rezension zu Rudolf Grobs Kirchenkampfdarstellung (Grob, Der Kirchenkampf in Deutschland) darum, dessen Berichterstattung in der Schweiz richtigzustellen. Barth (September 1937), Rudolf Grob. Auf Grobs Entgegnung (Zum Kirchenkampf in Deutschland) reagierte Barth wenige Tage später mit seiner Erwiderung. Während er unter anderem seine Freunde in Deutschland vor Grobs Darstellung warnte, empfahl er das etwa um dieselbe Zeit erschienene Buch von Arthur Frey (Der Kampf der evangelischen Kirche in Deutschland und seine allgemeine Bedeutung), der Barth nahestand, wärmstens zur Lektüre (vgl. etwa sein Brief an Hermann Albert Hesse vom 26. 7. 1937 [KBA 9237.116], 4.) und versah es persönlich mit einem deutschen (Juli 1937, Zum Geleit.) und englischen Geleitwort (Dezember 1937, Introduction). – Alle genannten Texte werden in V.u.kl.A. 1937–1939 erscheinen. 316 An das englische Publikum richtete sich etwa das Vorwort zu Not und Verheißung, das den Titel Vorwort zu einem in England gehaltenen Vortrag über den Kirchenkampf trug. – Im Zwingli-Kalender informierte Barth jedes Jahr seit Frühjahr 1935 über die Ereignisse im Kirchenkampf: Barth (Mai/Juni 1935), Die Bekennende Kirche im nationalsozialistischen Deutschland; ders. (Mai/Juni 1936), Die deutsche Bekenntniskirche 1935/36; ders. (Mai/Juni 1937) Die deutsche Bekenntniskirche 1936/37; ders. (Mai 1938), Die deutsche Bekenntniskirche 1937/1938; ders. (Mai 1939), Die Bekennende Kirche in Deutschland im Jahre 1938/ 1939. 317 Vgl. die Einleitung der Herausgeber von V.u.kl.A. 1935–1937, 600–603. 318 Barth (Oktober 1936), Die allgemeine Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes, 608.

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heidnischen Religionen germanischer Vorzeit« (hierbei dürfte an das Neuheidentum, insbesondere vertreten durch Rosenbergs Mythus,319 zu denken sein) und nicht zuletzt 3.) »mit dem neuen nationalsozialistischen Staat, sofern dieser Staat auftrat und sich geltend machte als Monopolträger auch für die Fragen der Kirche, der Weltanschauung, der Sittlichkeit und des Rechtes, sofern dieser Staat auftrat mit dem offenen Anspruch: ›Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir!‹«320 Der Kirchenkampf war also klar definiert als innere und äußere Auseinandersetzung der evangelischen Kirche in Deutschland an drei Fronten: 1.) an einer innerkirchlichen Front, 2.) an einer weltanschaulichen, neuheidnischen, christentumsfeindlichen Front und 3.) an der Front gegen den totalen nationalsozialistischen Staat. Den inneren Streit bezeichnete Barth in einem bisher nicht veröffentlichten Vortrag programmatisch als »Kampf der Kirche und in der Kirche«321, bzw. als »Kampf für die Kirche in der Kirche, für die rechte gegen die falsche offizielle Kirche unter Berufung auf deren anerkannte Grundlage: Schrift und Bekenntnis«322, der mit der Etablierung der DC entstanden sei. Der eigentliche Konflikt bestehe allerdings zwischen dem NS-Staat als »totaler Staat«323 auf der einen Seite und »der Macht des Wortes Gottes«324 auf der anderen Seite. Dieser Konflikt sei »unvermeidlich und nicht beizulegen.« Denn die »Kirche könnte nur aufhören Kirche zu sein oder sie muss in ihrer Existenz einen Widerspruch zu diesem Staat bilden.«325 Worum ging es im ›Kirchenkampf‹? Es geht in diesem Kampf um die notwendige Verteidigung des christlichen Bekenntnisses in Lehre und Ordnung und Haltung, um die Verteidigung des Bekenntnisses, bei welcher nicht mehr und nicht weniger als die Existenz der evangelischen, der christlichen Kirche als solcher auf dem Spiele steht. Es geht aber nicht nur um eine Verteidigung der christlichen Kirche, sondern es hat sich gezeigt, dass diese Verteidigung nicht möglich war, ohne die durchgreifende Erneuerung der Kirche, d. h. ohne dass die Kirche sich willig und bereit fand zu neuer Erkenntnis und zu neuem Bekenntnis ihres 319 In der zweiten Fassung des Stichwortmanuskripts von Barth (Oktober 1936), Die allgemeine Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes, 626 (KBA 11115) fügte er zur Erläuterung die Begriffe »Säkularismus + Mythus« hinter »Heidentum« hinzu. 320 Barth (Oktober 1936), Die allgemeine Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes, 607f. – Barth unterschied diese drei Ebenen in seinen Privatbriefen spätestens seit Mitte Mai 1935, wenn er konstatierte, es gehe um wirkliches »›Bekennen‹ gegenüber den D.C., dem Neuheidentum« und »der nationalsozialistischen Weltanschauung als solcher« Vgl. Barths Brief an Karl Huber vom 15. Mai 1935 (KBA 9235.124), 2. 321 Barth (November 1937), Vortrag in Luzern und Olten, November 1937, 1. Der Vortrag liegt in Form eines fünfseitigen nicht ausformulierten Typoskripts vor (KBA 11124), auf das sich die Seitenzahlen im Folgenden beziehen. 322 A. a. O., 1f. 323 A. a. O., 3. 324 A. a. O., 4. 325 Ebd.

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Glaubens, zur Erkenntnis und zum Bekenntnis der Freiheit des Wortes Gottes gegenüber allen, wirklich allen menschlichen Deutungen, zur Erkenntnis und zum Bekenntnis der Freiheit des christlichen Glaubens gegenüber allen Bindungen, die die Menschen ihm auferlegen möchten.326

Mit den Schlagworten ›Verteidigung der christlichen Kirche‹, ›durchgreifende Erneuerung‹ und ›Bekenntnis der Freiheit des christlichen Glaubens gegenüber allen Bindungen‹ dürfte Barth insbesondere die Entstehung der BK und ihren Schlüsseltext, die Barmer Theologische Erklärung, vor Augen gehabt haben. Hier schlug das Herz des Kirchenkampfes theologisch. Hier ging es um die Wahrung der Substanz der Kirche, um die Verteidigung der Freiheit des Wortes Gottes durch die Erneuerung des christlichen Bekenntnisses. Mit zunehmender Dauer der Auseinandersetzungen deutete Barth den Kirchenkampf als einen verdeckten, wenn auch offensichtlichen Kampf des NSStaates gegen die evangelische Kirche in Deutschland. In diesem Sinne konnte er auch die Begriffe »Kirchenkampf« und »Kampf gegen die Kirche« synonym verwenden.327 Gleichzeitig sprach Barth aber auch noch vom »Kirchenstreit« und bezeichnete diesen Zeitraum als »Entscheidungs- und Kampfperiode«328. In diesem Entscheidungskampf gelte es, die »in jenen Lern- und Lehrjahren hinsichtlich der ›Theologischen Existenz‹«329 gewonnenen theologischen Einsichten zu bewähren. Die Wahrung der theologischen Existenz betrachtete er nach wie vor als »Quintessenz der Theologie (nicht unserer Theologie, sondern der Theologie!)«.330 Der NS-Staat führe einen subtilen geistigen Kampf gegen die Kirche ebenso wie einen mehr oder weniger offenen Kampf, in dem es jeweils um das »Kaputtmachen«331 der Kirche gehe.332 Insofern handele es sich beim »Kirchen326 Barth (Oktober 1936), Die allgemeine Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes, 608. 327 In Barth (Februar 1937), Der Kampf gegen die evangelische Kirche in Deutschland fällt der Begriff ›deutscher Kirchenkampf‹ zwar nur einmal (a. a. O., 670), aber aus dem Zusammenhang ergibt sich eindeutig, dass Barth die Begriffe »Kirchenkampf« und »Kampf gegen die Kirche« (a. a. O., 656) synonym verwendete. 328 Barth (Mai 1937), An ehemalige Schüler in der Bekennenden Kirche in Deutschland, in: O.Br. 1935–1942, 40–46, Zitat 41. 329 A. a. O., 41. 330 Folglich lautete seine Paränese an seine deutschen Schüler der BK in seinem offenen Brief vom 10. Mai 1937: »Laßt uns […] im Gedanken an diese Quintessenz der Theologie (nicht unserer Theologie, sondern der Theologie!) und also im Beten, Arbeiten und Glauben beieinanderstehen. Dann war das, was vor Jahren gemeinsam getan wurde, bestimmt durch Gottes Gnade wohlgetan.« Barth (Mai 1937), An ehemalige Schüler in der Bekennenden Kirche in Deutschland, in: O.Br. 1935–1942, 40–46, Zitat 43. 331 Barth (Februar 1937), Der Kampf gegen die evangelische Kirche in Deutschland, 665. 332 Barth beschrieb die »nationalsozialistische Methode« (a. a. O., 656) folgendermaßen (vgl. a. a. O., 656–672): »1. Man (gemeint ist das völlig unentwirrbare Ineinander von Staat, Partei und Geheimpolizei, das in Deutschland im Besitz der öffentlichen Gewalt ist) wahrt den Schein einer Haltung der offiziellen Duldung, ja Anerkennung, ja Fürsorge gegenüber dem

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kampf« um einen »kaum noch verhüllten, planmäßig angesetzten und durchgeführten Vernichtungskrieg gegen den inneren und äußeren Bestand der christlichen Kirche« von »Seiten des nationalsozialistischen Staates«.333 Das Wort Gottes und seine Verkündigung seien nicht mehr frei, sondern durch innere und äußere Angriffe auf die Substanz der Kirche durch den Staat selbst gefährdet.334 Deshalb handle es sich auch »bei dem von seiten der Kirche geleisteten Widerstand weder um einen »müßigen Theologenstreit noch um eine in ihrer Widerstandskraft gering zu schätzende Reaktion«.335 Denn es sei »heute nicht zu verkennen, dass man sie nur noch kaputt machen« wolle »zugunsten einer je nach Bedürfnis mehr oder weniger sentimental angehauchten Selbstgesinnung, zugunsten der Moral des ›politischen Soldaten‹, in der der deutsche Mensch seine letzte Bestimmung erkennen« solle, »die mit Kirche überhaupt nichts mehr zu tun haben« werde und »zu deren Aufrichtung wahrscheinlich die ›Deutschen Christen‹ milderer, mittlerer und strenger Observanz, die ›Deutsche Glaubensbewegung‹ samt allen Rosenbergiaden und samt den Unternehmungen des wilden Ehepaares Ludendorff 336 nur zu präludieren bestimmt«337 seien.

333

334 335 336

kirchlichen Apparat als solchem.« A. a. O., 656. »2. Man enthält sich auch im Einzelnen tunlichst aller schreienden Gewalttaten. Niemand wird erschossen. Verhältnismäßig wenige werden ausgewiesen oder gar eingesperrt.« A. a. O., 658. »3. Äußerlich unabhängig von diesem ›geistigen‹ Kampf ist auf dem Gebiet der Kultur- und Schulpolitik ein ganzes System von direkten und indirekten Maßnahmen in Bewegung, die Zug um Zug – man glaubt sich in die Zeiten des Kulturkampfes zurückversetzt, nur daß das Verfahren viel durchgreifender geworden ist – das schlichte Ziel verfolgen, die Kirche so zu isolieren, so überflüssig zu machen, daß über kurz oder lang nach dem Rechtstitel für ihre formelle Beseitigung nicht mehr gefragt zu werden braucht.« A. a. O., 663. Barth (Dezember 1937), Memorandum, 57f: »Man kann auf Grund von Tatsachen, die sich aus allen Gegenden Deutschlands belegen lassen, nicht länger bezweifeln, daß es sich bei den unter dem Namen des deutschen Kirchenkampfes bekannten, seit 1933 im Gang befindlichen Auseindersetzungen keineswegs um zufällige und vorübergehende gegenseitige Mißverständnisse, sondern – zunächst von seiten des nationalsozialistischen Staates – um einen kaum noch verhüllten, planmäßig angesetzten und durchgeführten Vernichtungskrieg gegen den inneren und äußeren Bestand der christlichen Kirche handelt. An die Stelle des Glaubens an Jesus Christus soll die Selbstanbetung des deutschen Menschen, die Verherrlichung des deutschen Volkstums und die religiöse Ergebenheit gegenüber dem deutschen Führer treten, und an die Stelle der Kirche gedenkt die nationalsozialistische Partei sehr einfach sich selbst zu setzen. Diesem Ziel dient – nachdem eine Reihe von außerkirchlichen und innerkirchlichen Bewegungen den gewünschten Erfolg in dieser Richtung nicht hatten – ein heute immer deutlicher hervortretendes System von verwaltungsmäßigen und polizeilichen Maßnahmen, durch das die Kirche vorläufig in eine Art von Belagerungszustand, in den Stand einer eben noch geduldeten, aber höchst verdächtigen Sekte versetzt worden ist, dem nach allen Anzeichen eines Tages die offene Verfolgung und Unterdrückung folgen wird.« Vgl. a. a. O., 58. A. a. O., 59. Erich Ludendorff (1865–1937) und Mathilde Ludendorff (1877–1966) engagierten sich auch nach dem Bruch mit Hitler im völkisch-nationalistischen Bereich. Über verschiedene Ver-

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Diese Situation betrachtete Barth als so zugespitzt, dass er sich vom Bekenntnis her zu einer Ablehnung des NS-Regimes veranlasst sah. Wer der eigentliche Gegner der Kirche im Kirchenkampf war, benannte Barth offen: es war der totalitäre NS-Staat selbst. Denn es könne »heute keinem Einsichtigen mehr verborgen bleiben, daß der Träger des Widerspruchs gegen das Evangelium nicht nur der sündige Mensch im allgemeinen und nicht nur diese und jene widerchristliche Strömung, sondern in concreto der gegenwärtige deutsche Weltanschauungsstaat als solcher« sei, »der sich je länger desto mehr entschlossen« zeige, »seine ihm von Gott gegebene obrigkeitliche Macht dazu zu gebrauchen, sich selbst göttliche Macht zuzuschreiben und zu sichern.«338 Diese Erkenntnis habe unmittelbar theologische, darüber abgeleitet aber auch politische Bedeutung, denn je deutlicher das werde, »um so undeutlicher, um so illusionärer« werde »die Möglichkeit einer christlichen Entscheidung, die nicht eine politische Entscheidung (gegen den Mißbrauch der obrigkeitlichen Gewalt!) in sich schlösse.«339 Obwohl zwar der NS-Staat die ›christliche Entscheidung‹ notwendig machte und diese offenbar auch eine ›politische Entscheidung‹ in sich schließen musste, beharrte Barth jedoch auf seiner früheren Überzeugung, dass »die Kirche […] nach wie vor keine Politik treiben«340 dürfe. Denn die »politische Entscheidung als solche und für sich genommen« sei »nicht die christliche.«341 Deshalb gelte es die »beiden jetzt drohenden Klippen« – »Furcht« und »Übermut« – gleichermaßen zu umschiffen.342 Dennoch habe der »deutsche Kirchenkampf« auch politische Bedeutung, weil er »faktisch ein politisches Ereignis« darstelle, insofern »das Geschehen in der deutschen Kirche das einzige ernsthafte Ereignis« sei, »in welchem ein offener Widerspruch und Widerstand gegen die sonst allmächtige Staatsgewalt zu Tage trat. Hier und nur hier« sei nämlich »der nationalsozialistische Staat auf seine Grenze gestoßen, hier« sei »er immer wieder genötigt worden, seine Haltung zu korrigieren und zurückzunehmen.«343 Der »deutsche Kirchenkampf« habe somit auch eine kulturelle Bedeutung, weil »eine Freiheit des Gewissens, eine Freiheit des Denkens und eine Freiheit der

337 338 339 340 341 342 343

einigungen versuchten sie in den 1930er Jahren, ihre Ideen eines völkischen Heidentums der Deutschen zu verbreiten, das von den Einflüssen der jüdischen Volksreligion befreit werden müsse. Vgl. Amm, Die Ludendorff-Bewegung im Nationalsozialismus. Barth (Februar 1937), Der Kampf gegen die evangelische Kirche in Deutschland, 663–665. Barth (Mai 1937), An ehemalige Schüler in der Bekennenden Kirche in Deutschland, in: O.Br. 1935–1942, 43. A. a. O., 43f. A. a. O., 44. Ebd. Ebd. Barth (Oktober 1936), Die allgemeine Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes, 609f.

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Rede heute in Deutschland nur noch in der evangelischen Kirche zu finden«344 sei. Sowohl die politische als auch die kulturelle Bedeutung seien allerdings »nur beiläufig«345 zu erwähnen, denn Barth ging es selbstverständlich in erster Linie darum, die kirchliche Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes aufzuzeigen und diese für die Kirche weltweit fruchtbar zu machen. Überhaupt ließen sich sowohl die politische als auch die kulturelle Bedeutung des Kirchenkampfes in Barths Augen erst vor dem Hintergrund seiner kirchlichen Bedeutung wirklich verstehen.346 Barth meinte die »allgemeine Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes« in »vier Punkten«347 darlegen zu können: Es gehe um die Erkenntnis, 1.) »dass der deutsche Kirchenkampf« klar mache, »dass die Existenz, das Dasein der christlichen, der evangelischen Kirche heute akut in Gefahr«348 sei. 2.) »dass die Kirche in einer solchen akuten Gefährdung, in einer solchen Not widerstehen« und sich »ganz neu bilden und konsolidieren, kräftigen und gestalten«349 könne. 3.) dass die Kirche »von der heiligen Schrift leben« d. h. »von der heiligen Schrift leben« dürfe und zwar nur von der heiligen Schrift als dem einen Worte Gottes, weil sie aller Bindestriche neben der heiligen Schrift beraubt worden sei.350 4.) dass die Kirche trotz aller Not »geborgen« sei »in der freien, allmächtigen und gütigen Hand Gottes.«351 Barth prägte in seinen zahlreichen Beiträgen zu jeder dieser Einsichten häufig wiederkehrende und einschlägige Formeln: Zu 1.) Barth sprach in geschichtstheologischen Tönen von einer »Wende der Zeit«.352 Zu 2.) Das NS-Regime deutete er »als eine neue Religion, ein neuer Glaube, eine neue Kirche, in der Kraft jenes Islam mit seinem Glauben an Allah, der groß ist und Mohammed ist sein Prophet!!«353

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A. a. O., 610. Ebd. Vgl. a. a. O., 609–611. A. a. O., 611. Vgl. a. a. O., 611–615, Zitat 611. Vgl. a. a. O., 615–618, Zitat 615. Vgl. a. a. O., 618–622, Zitat 618. Vgl. a. a. O., 622–625, Zitat 622. A. a. O., 612. A. a. O., 614f.

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Zu 3.) Der Ausdruck »Die Not lehrte beten«354 kehrt ebenfalls ständig in Barths Deutung des Kirchenkampfes wieder. Zu 4.) Die Begriffe »Not« der Kirche und »Verheißung Gottes«355 verschmelzen zunehmend zu einer zentralen und programmatischen Formel für Barths Deutung des Kirchenkampfes. Mit dem Ausdruck »Hominum confusione et Dei Providentia«356 verlieh Barth der Souveränität und Vorsehung (Providentia) Gottes wiederholt Ausdruck. In den folgenden Abschnitten sollen diese zentralen Linien der Deutung des Kirchenkampfes, die Barth nun entwickelte, systematisch angeordnet chronologisch nachgezeichnet werden. 2.4.9.1. Die »stolze und doch so trügerische Idee des corpus christianum« An dem §17 des 1938 erschienenen zweiten Teilbandes der KD arbeitete Barth im Winter 1934.357 Im Rahmen von § 17 behandelte Barth »Gottes Offenbarung als Aufhebung der Religion«358. In diesem Zusammenhang ging es ihm unter anderem um jenen »Bereich der Versuche des Menschen, sich vor einem eigensinnig und eigenmächtig entworfenen Bilde Gottes selber zu rechtfertigen und zu heiligen.«359 Im Rahmen eines Exkurses unterteilte Barth »die Not, die das Christentum sich in seiner Auseinandersetzung mit den anderen Religionen durch die Vernachlässigung« der Absolutheit des Wortes und der Gnade Gottes selbst bereitet habe, »in drei geschichtliche(n) Stufen«360: 1.) Vor Konstantin hatte das Christentum »den hohen Vorzug, als religio illicita, als ecclesia pressa sozus. mechanisch in die Nähe der apostolischen Situation, d. h. der apostolischen Schwachheit gedrängt zu sein.«361 Schon in dieser 354 A. a. O., 617. – Vgl. etwa Barth (Dezember 1937), Memorandum, 60: »Wo Pfarrer und Gemeinden sich nicht einschüchtern und trotz aller Gefahr nicht hindern ließen, da weiß man heute besser, was man am Evangelium von Jesus Christus hat, da wird heute inhaltsvoller gepredigt, da ist auch die Teilnahme am Gottesdienst und am Gemeindeleben lebendiger geworden, als es in den vorangegangenen Friedenszeiten je der Fall war. Die Bibel wird heute in Deutschland, je verachteter sie ist, um so fleißiger gelesen. Die gemeinsame Anfechtung hat die Angefochtenen weithin zu einer ganzen neuen Brüderlichkeit erzogen. Die Not hat sie beten gelehrt.« 355 Barth (Oktober 1936), Die allgemeine Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes, 611. 356 Vgl. Th.Ex.h., 301, Anm. 81 mit weiteren Belegen oder die Anspielung in Barth (Juni 1935), Das Evangelium in der Gegenwart, 833, Anm. 48 oder seinen Brief an Karl Stoevesandt vom 10. 9. 1936, in: Als Laien die Führung der Bekenntnisgemeinde übernehmen, 85–88, Zitat 87. Vgl. auch a. a. O., 74, Anm. 219. 357 Zur Datierung vgl. Bw.TH. III, 752, Anm. 5. 358 Vgl. KD I/2, 304–397. 359 KD I/2, 304. 2. Teil der These von § 17. 360 Vgl. KD I/2, 365–369. 361 Vgl. KD I/2, 365f, Zitat 365.

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Phase unterlag das Christentum zum Teil bereits der gefährlichen und bedrohlichen Versuchung, sich der Welt anzugleichen. 2.) Seit Konstantin und »der ganzen Idee des corpus christianum« kam der »äußere Druck, unter dem die Kirche ursprünglich stand, und damit auch die äußere Ähnlichkeit mit der apostolischen Ausgangssituation, der gewisse Zwang, sich dauernd auf das Letzte und Eigentliche zu besinnen und zurückzuziehen […] auch noch in Wegfall.«362 Diese »Idee der Einheit von Kirche und Reich« müsse man »als ein höchst verheißungsvolles Angebot« und eine große Versuchung für das Christentum verstehen: Die Kirche war nun versucht »als anerkannte Reichskirche, im offenen Bündnis mit den höheren und niederen politischen Faktoren, ihre Größe auch noch darin« zu »suchen, aus der zweiten sogar die erste und eigentliche Weltmacht zu werden.« Sie lief also Gefahr, die Offenbarung und Gnade Gottes »gegen die stolze und doch so trügerische Idee des corpus christianum«363 austauschen. 3.) Heute sei das corpus christianum überwunden und die »sog. Neuzeit« sei »hinsichtlich des Christentums dadurch charakterisiert, daß jene Einheit von Reich und Kirche jetzt wieder«364 auseinandergefallen sei. Kirche und Christentum haben nun ihre Vormachtstellung in der Welt wieder eingebüßt. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen verlieh Barth im Sommer 1935 noch nicht in »Form einer These«, sondern in Form »einer ernsten Frage« einer geistes- und theologiegeschichtlichen Überlegung Ausdruck, die sein Verständnis dessen, was im Jahre 1933 begonnen hatte, maßgeblich prägen wird: Er ging von der Beobachtung aus, »dass die angeblich und vermeintlich christliche Gesellschaft heute im Begriff zu stehen« scheine, »ihr Verhältnis zum Christentum einer Revision zu unterziehen, auf Grund deren es offenbar zuerst zu einem entbehrlichen Nebenwert gemacht, dann ausdrücklich und nachdrücklich seiner Selbständigkeit beraubt, dann offen verneint und schließlich sogar verfolgt und unterdrückt werden«365 müsse. Ausgehend von dieser Beobachtung formulierte Barth die Vermutung, dass sich die Kirche »vor einer ungewollt großen Veränderung der Zeiten und darum auch vor der Notwendigkeit ungewohnt großer innerer Umstellungen« befinde. Deshalb sah er sich veranlasst, seine Gegenwart einerseits als »die letzten Tage eines alten, ja uralten Bundes zwischen dem Bekenntnis und der Erkenntnis des Evangeliums und den natürlichen Kräften und Mächten der menschlichen Geschichte« zu verstehen und andererseits als »den Anbruch von Tagen, in denen sich die Kirche, ganz auf ihre eigenen Füße gestellt, ohne den Rahmen und Schutz dieses Bundes jenen natürlichen Kräften 362 363 364 365

Vgl. KD I/2, 366f, Zitat 366. KD I/2, 366. Vgl. KD I/2, 367–369, Zitat 367. Barth (Juni 1935), Das Evangelium in der Gegenwart, 826.

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und Mächten der menschlichen Geschichte gegenüber verantworten«366 werden müsse. Barth stellte somit die Frage nach dem »heute vielleicht zu Ende gehenden Bund«367 zwischen Kirche und Welt zur Diskussion. Diese zeitgeschichtliche Beobachtung könne man auf zweierlei Weise deuten: 1.) Man könne »sagen und klagen«, dass sich die Christenheit »schon nach den ersten Jahrhunderten ihres Bestandes einer großen Fiktion und Illusion, zu Deutsch: einer großen Lüge in die Arme geworfen« habe und dass sie es schon früh nicht ertragen habe, »die törichte, immer verschwindende Minderheit zu sein.«368 Laut dieser pessimistischen Deutung habe das Christentum im Zuge der Konstantinischen Wende einen »teuren Preis« bezahlt, da durch die Anpassung an die Welt sein »Bekenntnis […] matt und seine Erkenntnis leer in diesem Bunde«369 mit der Welt geworden sei. Dieser Deutung zufolge sei das, was dem Christentum nun widerfahre, »die Quittung für die große Lüge, deren es sich, deutlich seit dem verhängnisvollen Zeitalter Konstantins, auf der ganzen Linie schuldig gemacht«370 habe. Neben diese pessimistische Deutung der Diastase von Welt und Kirche stellte Barth eine etwas optimistischere zweite Deutungsmöglichkeit: 2.) Man könne »nämlich diesen merkwürdigen, vor Jahrtausenden geschlossenen und heute so problematischen Bund zwischen dem Evangelium und den Weltmächten auch als ein Ereignis verstehen, das als ein Erweis der Geduld Gottes und unter der Leitung seiner Weisheit auf bestimmte Zeit und in bestimmten Grenzen sein Recht und seine Notwendigkeit hatte.«371 Diese Deutung interpretiere dann die Zeit nach der Konstantinischen Wende als ein »vorübergehendes Zeichen, ein vergängliches Gleichnis […] ewiger Dinge, eine freundliche Veranstaltung der Vorsehung zur Überwinterung des Evangeliums.«372 Folglich sei die gegenwärtige »Verselbständigung eines Reiches der Profanität, der großen Ausschaltung und Säkularisierung und Negation des Christentums« lediglich »das letzte, nicht zu bejammernde, sondern nüchtern zu anerkennende natürliche Ende dieser Zeit, die nicht umsonst gewesen« sei und »die ihre Größe und Würde« gehabt hatte und behalte, »wenn sie auch so nicht andauern konnte und so nicht wiederkommen«373 könne. Barth ließ zwar die Entscheidung für eine dieser beiden Deutungen des Bruches des Bundes zwischen Kirche und Welt bewusst offen, da er sie für »nicht nötig« und »nicht ratsam« hielt. Die dahinterstehende Diagnose 366 367 368 369 370 371 372 373

Ebd. Ebd. – Zu dieser Vorstellung vgl. Hüttenhoff, »Das konstantinische Zeitalter«. Vgl. zu dieser Deutung: A. a. O., 827–829, Zitat 827. A. a. O., 828. A. a. O., 829. Vgl zu dieser Deutung: A. a. O., 830–832, Zitat 830. A. a. O., 832. Ebd.

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zur Gegenwart hielt er allerdings für »sicher«, dass nämlich »die Zeit, das christlich-bürgerliche oder bürgerlich-christliche Zeitalter« abgelaufen und dass »der Bund, d. h. aber das Christentum in seiner uns bisher bekannten Gestalt« zu Ende sei: »Der Bogen, der das Evangelium und die Welt auf eine Weile überspannte«, sei ganz gleich, ob man ihn »als menschliche Fiktion oder als göttliches Segenszeichen« verstehe, »erloschen«.374 Ganz gleich wie man diese Beobachtung deute, sie habe in jedem Falle immense Auswirkungen auf Kirche, Theologie und Christentum: Die Welt nehme nun »die Maske ab und ihre Freiheit zurück«. Dadurch sei auch die Anpassung des Evangeliums an die Welt obsolet geworden, wodurch wiederum »dem Evangelium seine Freiheit« der Welt »gegenüber zurückgegeben« sei. Deshalb seien »heute die Christenheit« und »die Kirche zu einer ganz neuen Freiheit ihres Bekenntnisses und ihrer Erkenntnis aufgerufen.«375 Diese Freiheit von Christentum und Kirche sei gleichermaßen eine Freiheit, »in der Welt und für die Welt ihrer eigenen Sendung, ihrer eigenen Verantwortlichkeit, ihrem eigenen Dienst zu leben und nachzugehen.«376 Deshalb sei mit dem Ende des Konstantinischen Bundes zwischen Kirche und Welt eine durchaus verheißungsvolle »neue Zeit der Kirche angebrochen«.377 Diese zeit- und kirchengeschichtliche Diagnose zählte Barth später ausdrücklich zu den »Voraussetzungen des deutschen Kirchenkampfes«378: Er charakterisierte »die moderne Welt« als eine Welt, »in welcher der Mensch sein eigener Herr«379 sei. Diese selbstherrliche moderne Welt habe »zwei hauptsächliche Erscheinungsformen«: »die liberale« und »die autoritäre«380 Welt. Die liberale Welt habe der autoritären den Weg bereitet und die autoritäre Welt sei offen zum Feind des Christentums geworden. Auf der anderen Seite stehe eine Kirche, die »seit zweihundert Jahren« die Bibel »ganz besonders schlecht verstanden und ausgelegt« habe: Diese Kirche habe die Bibel »nämlich so verstanden, als ob das, was in der Bibel zu lesen steht, kein Gegensatz« zu der »Welt des modernen Menschen«381 bedeute. Demgegenüber sei daran zu erinnern, dass die Bibel fest davon ausgehe, »dass der Mensch zweifellos nicht sein eigener Herr« sei. Deshalb sei vor dem Hintergrund der Geschöpflich- und Sündhaftigkeit des 374 375 376 377 378 379

A. a. O., 833. Ebd. A. a. O., 834. Vgl. hierzu insgesamt: A. a. O., 826–837, Zitat 836. Vgl. Barth (April 1936), Der deutsche Kirchenkampf, 721–727, Zitat 721. Barth (April 1936), Der deutsche Kirchenkampf, 721f. – Vgl. hierzu auch Barths Beschreibung des Menschen des 18. Jahrhunderts, der »mit größter Selbstverständlichkeit das anthropozentrische Weltbild« aufgestellt habe. (Prot.Theol., 20f.) Entsprechend bezeichnete er das Christentum der Moderne als »säkular-anthropologisch« (KD I/2, 368). 380 A. a. O., 723. 381 A. a. O., 727.

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Menschen »von der Bibel aus jene ganze Welt des modernen Menschen unmöglich, sowohl in ihrer liberalen wie auch in ihrer autoritären Form.«382 Aus dieser Wesensbestimmung der Kirche, die nur einem Herren dienen könne, auf der einen Seite und dem totalitären autoritären NS-Staat auf der anderen Seite sowie aus der Begegnung dieser beiden Größen ergebe sich »die Erklärung des ganzen deutschen Kirchenkampfes«383: Die »eigentliche Entdeckung« des Jahres 1933 bestehe im Erkennen der »Notwendigkeit«, dass »der moderne Staat sich nicht damit begnügen« konnte, »sich von der Kirche innerlich und wohl auch äußerlich zu trennen, dass er vielmehr selbst Kirche, die politische Gegenkirche, der Träger einer eigenen metaphysischen Heilsbotschaft und Lebensordnung werden« musste. Diese Entdeckung sei »das Werk des Bolschewismus, des Faschismus und nun eben vor allem: des deutschen Nationalsozialismus unserer Tage«384 gewesen. Diese Erkenntnis machte Barth nun für seine Deutung des »Kirchenkampfes« fruchtbar: Was sich heute in Deutschland unter dem Namen des »Kirchenkampfes« abspielt, ist nicht einer von den Konflikten irgend einer Staatsgewalt mit irgend einer Kirche, wie sie schließlich in allen Jahrhunderten überall gelegentlich vorgekommen sind. Die Partner, die sich in diesem Kampf gegenüberstehen, sind: Auf der einen Seite ein Staat, dessen Wesen in einem religiösen Mysterium besteht, der von seinen Angehörigen verlangt, dass sie ihm nicht nur Gehorsam, sondern Glauben schenken, der sich aber auch nicht wie einst das kaiserliche Rom durch die Geste eines geopferten Weihrauchkorns befriedigen lässt, sondern der mit dem Leibe allen Ernstes auch die Seelen, auch das Denken, auch das Gewissen der Menschen haben, und zwar bedingungslos haben will. Auf der anderen Seite eine Kirche, die ihrerseits wieder zu verstehen begonnen hat, dass ihre Sache das ewige Evangelium ist, das Wort dessen, der Himmel und Erde geschaffen hat und der auf alle Fälle will, dass wir ihm mehr gehorchen als den Menschen.385

Der »deutsche Kirchenkampf«386 ergab sich für Barth also notwendig aus dem »innersten Wesen« der beiden Konfliktpartner und konnte deshalb »nur dadurch beigelegt werden, dass der eine oder andere der beiden Partner aufhören würde zu sein, was er ist. Der Nationalsozialismus müsste sich selbst in seinem innersten Wesen verleugnen, es müsste aber auch die durch das Wort Gottes erneuerte, die bekennende Kirche sich selbst in ihrem innersten Wesen verleugnen, wenn es zwischen diesen beiden Partnern eine Verständigung geben 382 383 384 385

A. a. O., 726. A. a. O., 718f. Barth (September 1937), Four Hundreth Anniversary, 117. A. a. O., 119. Auch hier pointiert Barth die theologische Schlüsselerkenntnis mit einer Anspielung auf Apg. 5,29. 386 Der Begriff »deutscher Kirchenkampf« ist fünfmal belegt in dieser Rede belegt: A. a. O., 115 (einmal), 119 (dreimal), 120 (einmal); einmal setzt Barth den Begriff ohne Attribut in Anführungszeichen (a. a. O., 119).

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sollte.«387 Barth war davon überzeugt, dass dieser Konflikt absolut notwendig und vollkommen unversöhnbar sei, weil die Konfliktpartner in einem geradezu diametralen Verhältnis zueinander stünden, sodass »hier auch der kleinste Kompromiss auf der einen Seite automatisch den vollen Sieg der anderen bedeuten«388 würde. Deshalb kenne er in der gesamten Gegenwart »keine Stelle, wo die zwei Welten, die Welt der souveränen Menschen und die Welt Jesu Christi sich so konkret, so folgerichtig, so unerbittlich Entscheidung fordernd gegenüberstünden« wie im »deutschen Kirchenkampf«389. Das »Ergebnis dieser Gegenüberstellung« betrachtete Barth als »ein Zeichen«, dessen »Bedeutung weit über Deutschland und weit über diese unsere gegenwärtige Zeit hinausgehen«390 werde. 2.4.9.2. Der Nationalsozialismus als »Religion oder Kirche (etwa von der Art des Islam)«391 Bereits Ende 1931 hatte Barth den Faschismus, Amerikanismus und Kommunismus als »Religionen« bezeichnet. Den Kommunismus nannte er »eine Religion wie sie vielleicht seit den Tagen des alten Islam dem Christentum gegenüber nicht wieder auf dem Plan gewesen ist.«392 Der »internationale Faschismus« wiederum sei, was er sei »genau in dem, was ihn von einer Weltanschauung« unterscheide und »als »Religion« charakterisiere: »in seinem dogmatisch fixierten Wissen um diese eine, die nationale Wirklichkeit, in seinem Appell an Gründe, die gar keine Gründe sind, in seinem Auftreten als unqualifizierte Macht« und in seiner »Unfreiheit und Ungeistigkeit.«393 Schon damals warnte Barth eindringlich vor dem Faschismus: Wer nicht sehe, »dass hier eine neue oder uralte Naturreligion am Werke ist«, der werde »mit seinem Zorn oder Gelächter über Gestalten wie Mussolini oder Hitler nur danebengreifen können.«394 Im März 1936 griff Barth auf seine frühere Wesensbestimmung des Faschismus zurück, indem er den totalen NS-Staat als »eine ›Weltanschauung‹, und zwar 387 A. a. O., 119. Zitiert wird hier nach dem fünfseitigen Typoskript zum Vortrag (KBA 10111, 4). Nicht die gesamte Passage ist in der Veröffentlichung enthalten. 388 Ebd. – Barth zieht hier also jene Konsequenz, die er 1933 bewusst gemieden hatte. S. o. Kap. 2.4.3. 389 A. a. O., 120. 390 Ebd. 391 Vgl. hierzu Chestnutt (2012), Karl Barth and Islam, besonders 280–285. 392 Barth (Dezember 1931), Fragen an das »Christentum«, 146. Noch zwei weitere Male kommt Barth hier auf den Islam zu sprechen, wobei er einmal offenbar die eigentliche Religion der Muslime meinte (a. a. O., 147) und ihn einmal in die Reihe der Religionen Bolschewismus – Faschismus – Amerikanismus – Islam stellte (a. a. O., 149). 393 A. a. O., 146. 394 Ebd.

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eine dem Christentum in jeder sinnvollen Bedeutung des Begriffs radikal entgegengesetzte ›Weltanschauung‹«395 charakterisierte. Der totale NS-Staat Deutschlands unterscheide »sich von dem konservativen und liberalen Staat dadurch, daß er unverkennbar selber die Merkmale einer Religion oder Kirche (etwa von der Art des Islam)«396 trage und seine eigene Einzigkeit verabsolutiere.397 Durch diese Verabsolutierung der Einzigkeit sei der NS-Staat im Kirchenkampf als eine Gegenkirche, als eine (quasi)religiöse Alternative neben die Kirche getreten und somit zu einer Bedrohung ihrer Substanz geworden.398 Angesicht der »längst angebahnte[n] Auflösung des Protestantismus« frage sich nun, »ob die Kirche dem über sie gekommenen neuen Islam nicht innerlich und äußerlich einfach erliegen und damit aufhören« werde, »protestantische und christliche Kirche zu sein.«399 Dies war wiederum in Barths Augen »die einzige ernsthafte Gefahr, von der die deutsche Bekenntniskirche wirklich bedroht«400 war.

395 Barth (März 1936), Der deutsche Kirchenstreit als Frage an den schweizerischen Protestantismus, 390. 396 Ebd. 397 Zu dieser aus heutiger Sicht problematischen Kritik Barths am Islam vgl. KD II/1, 504f.: »Was es mit der Verabsolutierung der Einzigkeit auf sich hat, zeigt in exemplarischer Weise das fanatische Geschrei des Islam von dem einen Gott, neben dem dann humorvollerweise ausgerechnet nur die barocke Gestalt seines Propheten auch noch einen Ehrenplatz einnehmen soll. […] Der Kunstgriff des Islam besteht doch nur darin, daß er, gewissermaßen in Potenzierung alles sonstigen Heidentums, dessen esoterisches Wesen, d. h. aber eben den sogen. Monotheismus als solchen ans Licht und in den Mittelpunkt gerückt hat. […] Man sollte aber nicht übersehen, daß seine Gefahr, sein versucherischer Tiefsinn doch nur in der (verglichen mit den andern Heidentümern) noch größeren Primitivität besteht, in der er statt Gott als den Einzigen, das Einzige als Gott verkündigt.« 398 »Jetzt erst kam es zu einer Bedrohung der Kirche, und zwar zu einer Bedrohung ihrer Substanz, jetzt unter dem Angriff gegen die Kirche durch eine andere ›Kirche‹. Jetzt erst ist sie vor die Entscheidungs-, vor die Existenzfrage gestellt, jetzt erst ist der Widerspruch gegen die Kirche reif und gewaltig geworden, jetzt erst, wo er auftritt als eine neue Religion, ein neuer Glaube, eine neue Kirche, in der Kraft jenes Islam mit seinem Glauben an Allah, der groß ist und Mohammed ist sein Prophet!!« Barth (Oktober 1936), Die allgemeine Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes, 614f. 399 Barth (März 1936), Der deutsche Kirchenstreit als Frage an den schweizerischen Protestantismus, 392. 400 »Es würde für die Kirche der ganzen Welt auf lange hinaus eine tiefe Beschämung, Entmutigung und Versuchung bedeuten, wenn es dem Nationalsozialismus gelingen sollte, die deutsche evangelische Kirche zu einem Kompromiss zu treiben und damit die Freiheit des Evangeliums im Ursprungsland der Reformation in Gefangenschaft zu verwandeln. Dass es dazu kommen könnte, das ist die einzige – ich sage mit Nachdruck: die einzige ernsthafte Gefahr, von der die deutsche Bekenntniskirche wirklich bedroht ist. Alles Andere dürfte zu tragen und zu überwinden sein, wenn sie nur dabei bleibt, wie sie bis jetzt dabei geblieben ist, sich ihre geistliche Freiheit weder durch Gewalt nehmen noch durch List abkaufen zu lassen. Bleibt sie in der Freiheit des ihr neu geschenkten Wortes Gottes, dann wird das wiederum für die Kirchen der ganzen Welt ein Zeichen des Trostes, der Wegweisung und der Ermunterung sein.« Barth (September 1937), Four Hundreth Anniversary, 120.

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Die eigentliche Gefahr und Not des Kirchenkampfes bestand für Barth nämlich einzig und allein im Verlust der Freiheit des Evangeliums angesichts der Anfechtungen und Versuchungen durch diese Gegenkirche. Man kann Barths Deutung des Kirchenkampfes also auf mindestens drei Ebenen betrachten: Vordergründig handelte es sich zunächst um den Gegensatz zwischen Kirche und Irrlehre, später um jenen zwischen Kirche und Mythus und zwischen Kirche und Staat als (Gegen-)Religion. Diese Gegensätze betrachtete Barth allerdings nur als Symptome des wahren Problems, denn hintergründig handelte es sich um den unversöhnlichen und unvermeidlichen Gegensatz zwischen dem einen Herrn der Kirche, Jesus Christus, und der Welt des modernen Menschen. Insofern war der Kirchenkampf ein geradezu fundamentaler theologischer Kampf der Kirche gegen die Selbstherrlichkeit des (modernen) Menschen und damit auch und besonders gegen sich selbst. In diesem Sinne spitzte Barth den Kirchenkampf auf das Bibelwort Apg. 5,29 zu als »das Wort und die Ordnung«401, unter der ein Christ stehe. Im Kirchenkampf war dieses Wort »das Einzige, was dieser ganzen Gewalt entgegenzuhalten war. Es wurde ihr entgegengehalten und das hat genügt.«402 2.4.9.3. »Not und Verheißung im deutschen Kirchenkampf« Barth dachte bereits lange vor 1933 in den dialektischen Bahnen von Not und Verheißung.403 Er unterschied dabei eine allgemeine wesensmäßige Not der evangelischen Kirche von der »Not ihrer heutigen Existenz«.404 Als Kirche des Kreuzes Christi wohne in der allgemeinen Not »die Verheißung, der Segen, die Herrlichkeit der evangelischen Kirche.«405 Wird diese allgemeine Not »verleugnet, vermieden oder beseitigt«406, befinde sich die Kirche in einer verderblichen Not, in Gefahr für ihre Verheißung: Wo sie nicht Kirche unter dem Kreuz ist, da ist sie nicht evangelische Kirche. Wo sie das nur teilweise sein will und daneben doch auch noch etwas anderes, da ist sie nicht evangelische Kirche. Sie ist, was sie ist, entweder ganz oder gar nicht. Ihre Existenz ist entweder Bekenntnis oder Verleugnung dieses ihres Wesens. Tertium non datur.407

401 402 403 404 405 406 407

Barth (April 1936), Der deutsche Kirchenkampf, 736. Ebd. Vgl. etwa Barth (Juli 1922), Not und Verheißung der christlichen Verkündigung. Barth (Februar 1931), Die Not der evangelischen Kirche, 74. A. a. O., 73f. A. a. O., 75. A. a. O., 76.

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Abb. 2: Vierseitiges Stichworttyposkript aus dem Januar 1938 (KBA 10119)

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In Anbetracht dieser Gefahr lehnte Barth bereits vor 1933 den »Bindestrich zwischen Christentum und Volkstum, evangelisch und deutsch«408 entschieden ab. Die Begriffe »Not« und »Verheißung« rückten in Barths Denken spätestens Ende 1937 wieder in unmittelbare Nähe zueinander und gerannen zu der programmatischen Formel »Not und Verheißung im deutschen Kirchenkampf«409. Mehrere ähnliche Begrifflichkeiten und Begriffspaare, die zunehmend großen Raum in Barths Sprachgebrauch einnahmen, verdeutlichen den engen inhaltlichen Zusammenhang dieser beiden Aspekte des Kirchenkampfes: So sprach Barth wiederholt von »Not«, »Anfechtung« und »Versuchung«410, »Prüfung«411, »Sichtung«412, »Sichtungszeit«413, »Rest«414 – kurzum: Barth ging von der geschichtstheologischen Vorsehung Gottes im Kirchenkampf aus: »Dominus providebit.«415 Mit anderen Worten: In der Versuchung, d. h. in der Not und Anfechtung des Kirchenkampfes ereilte die Kirche eine verheißungsvolle Anfrage geradezu epochalen Ausmaßes: Angesichts der Fremdheit des Evangeliums in der modernen Welt seien die Christen »wieder Mann für Mann gefragt, ob sie sich des Evangeliums schämen [vgl. Röm. 1,16] oder ob sie Gott mehr gehorchen wollen als den Menschen [vgl. Apg. 5,29b]«416. Auch die Kirche sei »ganz neu gefragt, ob sie Kirche sein und bleiben und ob sie sich zu dem ihr aufgetragenen Worte Gottes öffentlich bekennen«417 wolle oder nicht. Diese Fragen machte zwar der deutsche Kirchenkampf sichtbar, sie wiesen allerdings über die deutsche Kirche hinaus und beanspruchten Geltung für die gesamte Kirche. Verheißungsvoll sei menschlich gesprochen der Umstand, »daß im heutigen Deutschland eine zahlenmäßig schwer abzuschätzende, aber entschlossene Schar von Christen aller früheren ›Richtungen‹ klar erkannt« habe, »daß es zwischen 408 A. a. O., 110. 409 Vgl. Barth (Januar 1938), Not und Verheißung im deutschen Kirchenkampf. 410 Barth (Dezember 1937), Memorandum, 60. – Auch das Begriffspaar »Versuchung und Anfechtung« lässt sich in diesem Zeitraum belegen: Barth (November 1937), Vortrag in Luzern und Olten, November 1937, 3. 411 Barth (Dezember 1937), Memorandum, 61. 412 Barth (Mai/Juni 1937), Die deutsche Bekenntniskirche 1935/36, 491. 413 Barth (Mai 1939), Die Bekennende Kirche in Deutschland im Jahre 1938/39, 60. – Bereits Anfang Dezember 1934 sprach Barth im Hinblick auf die Gründung der VKL vorsichtig von »Sichtungszeit« und verwendete entsprechende Bilder: »Die Reihen werden sich lichten. Korn wird gesondert werden müssen. Es gilt jetzt, in einer ganz neuen Weise ernst zu machen mit den Voraussetzungen, mit denen wir in den Kampf gezogen sind.« Barth (Dezember 1934), Gedanken über die Lage, 589f. 606. (A. a. O., Mskr. 609) 414 Barth (Mai 1939), Die Bekennende Kirche in Deutschland im Jahre 1938/39, 60; ders. (Oktober 1939), Erklärung von Markus 13, 142.152 ( jeweils in Anführungszeichen). 415 Barth (Mai/Juni 1937), Die deutsche Bekenntniskirche 1935/36, 492. 416 Barth (Dezember 1937), Memorandum, 61. 417 A. a. O., 61f.

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ihnen und dem nationalsozialistischen Staat nicht um irgendwelche, vielleicht behebbaren, Meinungsverschiedenheiten, sondern schlicht um den notwendigen Gegensatz zwischen dem Glauben auf der einen und dem Unglauben, dem Irrglauben und dem Aberglauben auf der anderen Seite«418 gehe. Den Umstand, dass es Christen gab, die im Raum der Kirche trotz der großen Not, Versuchung und Anfechtung dennoch geglaubt und ihren Glauben auch bekannt hatten, betrachtete Barth als »einen kleinen Beweis für die Wirklichkeit des christlichen Glaubens«.419 Insofern war die bereits früher geforderte grundsätzliche theologische Klärung schon bei einigen Theologen ansatzweise vollzogen und die Bereitschaft zum Martyrium vorhanden. Man könne zwar leicht von außen der »Kirche in Deutschland zum Vorwurf machen, dass sie nicht einen größeren Beweis für die Wirklichkeit des christlichen Glaubens geführt hat«420; man müsse aber bei aller berechtigter Kritik die tiefe Not der Kirche vor, während und nach 1933 sowie den erbrachten kleinen Beweis ernst nehmen. 2.4.9.4. Der »christliche Glaube kennt keine Landesgrenzen und keine Neutralitätserklärungen« Barth forderte während des Kirchenkampfes und danach immer wieder das gemeinsame Bekenntnis der auswärtigen Kirchen mit der evangelischen Kirche in Deutschland.421 418 A. a. O., 59f. 419 Vgl. Barth (Januar 1938), Not und Verheißung im deutschen Kirchenkampf, 19–22, Zitat 20. »Die Kirche in Deutschland hat trotz jener großen Not einen Beweis führen dürfen, einen kleinen Beweis, aber einen Beweis dafür, dass der Glaube eine konkrete Wirklichkeit ist. […] Sie hat bewiesen und beweist, dass der christliche Glaube nicht, wie man wohl manchmal hört, eine bloße Sache des Herkommens und der Gewohnheit, eine Stimmung und ein bisschen Moral ist, eine Einbildung wohl gar, die man selbstverständlich, wenn der Wind von der anderen Seite weht, auch preisgeben kann. Es ist in diesen Jahren in Deutschland in aller Bescheidenheit und Schwachheit, in viel Torheit und Unsicherheit, bewiesen worden: der christliche Glaube ist eine Tatsache, die nicht zu beseitigen ist, in der Verborgenheit der Seele nicht, aber auch nicht in der Sichtbarkeit des menschlichen Lebens hier auf Erden. Er wird heute in Deutschland von bekannten und unbekannten Menschen öffentlich bekannt, für die es sehr viel bequemer wäre, ihn nicht zu bekennen. Von Menschen, die damit ihre Lebensstellung, ihr Einkommen, unter Umständen ihre Freiheit und sogar ihr Leben aufs Spiel setzen. Er wird heute bekannt von Menschen, denen es lieber wäre, ihn nicht bekennen zu müssen« A. a. O., 25. Vgl. auch das vierseitige Stichworttyposkript zu Not und Verheißung, 3f (KBA 10119). 420 A. a. O., 20. »Warum, so hört man fragen, haben die Christen in Deutschland die Greuel des Nationalsozialismus, die Konzentrationslager, die Judenverfolgungen nicht verhindern können? Ja, und noch mehr: Wo waren die Christen in Deutschland, als dieser Nationalsozialismus überhaupt emporkam? Warum sind sie zum großen Teil sogar begeistert mitgegangen? Man sollte solche allzu naheliegenden Fragen sehr vorsichtig äußern.« 421 Besonders eindrücklich richtete Barth dieses Anliegen beispielsweise an das Arlesheimer Publikum am 29. 11. 1938 in einem Vortrag mit dem Titel Was hat der deutsche Kirchen-

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Im März 1937 wurde an Barth in London und Aberdeen die Frage herangetragen, was die »schottischen, die englischen und die anderen Kirchen tun« könnten, »um der deutschen evangelischen Kirche in ihrer gegenwärtigen Situation zu helfen?«422. Barths Antwort, die am 22. April 1937 in The British Weekly veröffentlicht wurde, umfasste drei Aspekte: 1.) »Die wichtigste Antwort« auf diese Frage sei, »daß in ihren Kirchen für Deutschland und seine evangelische Kirche gebetet werde.« Das sei »in der Tat der Anfang, die Mitte und das Ende von dem, was heute in dieser Sache getan werden«423 könne und müsse. Die auswärtigen Kirchen müssten zunächst einmal wissen, »daß die deutsche evangelische Kirche sich in einer Not« befinde, »in der Gott alleine helfen« könne, »der der Herr der einen Kirche und so der Herr aller Kirchen ist.« Sie müssten überdies »in der Sache dieser Kirche ihre eigene Sache sehen und sie als solche vor Gott bringen.«424 2.) Damit das Gebet und die Fürbitte für die deutsche evangelische Kirche aber wirklich den Kern der Sache treffen könne, müssten die Kirchen des Auslandes »darüber belehrt und unterrichtet« sein, »um was es sich denn in jenem Kampf« handele, »welches seine Geschichte und seine Formen« seien, »welche Versuchungen und Nöte ihm zugrunde liegen.« Deshalb sei dies das Nächste, was geschehen müsse: »Man informiere sich über die Tatsachen.«425 3.) Barth warnte allerdings eindringlich vor direkter politischer Einmischung in deutsche Angelegenheiten aus dem Ausland: »vor weiteren Sympathiebekundungen und Protestkundgebungen«426 warnte er genauso wie davor, »Druck auf die deutsche Regierung auszuüben.«427 Diese Warnung hatte auch den pragmatischen Sinn, die BK in Deutschland nicht zu kompromittieren und in äußere Gefahr zu bringen. Außerdem verkenne man das eigentlich geistliche Wesen des Kirchenkampfes, wenn man in ihm auf irdische Machtausübung setze: Der »Deutsche Kirchenkampf« sei eben »ein geistlicher und nicht ein weltlicher Kampf« und deshalb könnten »auch die Mittel, mit denen sich die auswärtigen Kirchen daran beteiligen, wenn diese Beteiligung wirkungsvoll sein soll, nur geistliche Mittel sein.«428 Eben weil es sich beim Kirchenkampf um einen geistlichen Kampf handele, gelte es, die geistliche »Erkenntnis«, den »Nerv des Widerstandes, den die deutsche evangelische Kirche dem nationalsozialistischen

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kampf uns zu sagen? (KBA 11139). Das Wort »uns« ist in der Überschrift als einziges Wort des gesamten Typoskripts in roter Farbe geschrieben. Barth (April 1937), Eine Frage und eine Antwort, 695. Ebd. A. a. O., 696. Ebd. A. a. O., 697. A. a. O., 696. A. a. O., 697.

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Staat heute entgegensetzen«429 müsse, in den Kirchen im Ausland zu teilen und mitzutragen: Das Bekenntnis von Barmen! Deshalb forderte Barth die auswärtigen Christen eindringlich auf, öffentlich zu bekennen, dass sie mit der BK »in der theologischen Voraussetzung ihres Kampfes, in der Sache, im Glauben, im Bekenntnis (in dem besonderen Bekenntnis, um das es in diesem Kampf geht!) einig seien.«430 Dieses dreifache Anliegen – 1.) Gebet und Fürbitte für die BK, 2.) Information über den Kirchenkampf, 3.) gemeinsames Bekenntnis aller Christen und Kirchen – richtete Barth an mehrere Kirchen des Auslandes direkt oder indirekt. An Weihnachten 1937 richtete Barth einen besonders dringlichen Aufruf in Form eines Memorandums an die Schweizerischen Kirchen, der im Wesentlichen aus seiner Feder stammte:431 der christliche Glaube kennt keine Landesgrenzen und keine Neutralitätserklärungen. Die Not und die Verheißung einer christlichen Kirche geht uns unter allen Umständen etwas an.432

Deshalb könne und dürfe man im Ausland nicht einfach den »eigenen Sorgen und Aufgaben nachgehen, als wäre nichts geschehen, als ob unseres Nachbars Haus nicht in Flammen stünde«.433 Vielmehr müsse die Kirche auf der ganzen Welt für die bedrängte BK beten und Fürbitte halten, weil es um »ihre eigene Sache«, »ihren eigenen Kampf«, »ihre eigene Versuchung« und »ihr eigenes Leiden« gehe.434 Darum müsse die »einzige ›praktische‹ Frage« lauten: »Sind wir uns klar darüber, daß wir für die Kirche in Deutschland beten können und daß das kein Kleines, sondern nach allem, was wir aus der Heiligen Schrift über das Gebet wissen können, das Größte ist, was wir tun können? Tun wir es? Oder warum tun wir es nicht?«435 In diesem Sinne bat Barth in einem auf den 7. Februar 1938 datierten und hauptsächlich von ihm verfassten Begleitschreiben zum Memorandum konkret darum, »dass die öffentliche Fürbitte für die deutsche evangelische Kirche zu einem festen Bestandteil« der »schweizerischen reformierten Gottesdienste gemacht werden möchte.«436 Außerdem äußerte er noch

429 A. a. O., 698. 430 A. a. O., 701. 431 Dass Barth der Verfasser des Memorandums ist, wurde erst 1996 bekannt. Vgl. O.Br. 1935– 1942, 57, Anm. 25 mit Verweis auf Kocher, Rationierte Menschlichkeit, 252. 432 Barth (Dezember 1937), Memorandum, 61. 433 A. a. O., 62. – Rusterholz (2015), »… als ob unseres Nachbars Haus nicht in Flammen stünde« nimmt diese Formulierung Barths in seiner Arbeit zum Schweizerischen Hilfswerks auf. 434 Barth (September 1937), Four Hundreth Anniversary, 120f. 435 Barth (Dezember 1937), Memorandum, 62f. 436 Barth (Februar 1938), An die kantonalen Kirchenräte und die Kirchenpflegen und Kirchengemeinden der reformierten Kirchen in der Schweiz, in: O. Br. 1935–1942, (65) 67–71, Zitat 70.

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zwei weitere praktische Bitten: Er bat auch um ausführliche Berichterstattung und Kenntnisnahme zum »deutschen Kirchenkampf«437 in den schweizerischen Gemeinden und ersuchte um tatkräftige Unterstützung für die Arbeit des Schweizerischen Hilfswerks.438 Barth betonte »drei konkrete ›Neuerungen‹«439, die sich auf Seiten der BK als selbstverständlich notwendige Voraussetzungen ihrer Existenz und ihres Kampfes sofort und immer deutlicher herausgestellt hätten. In ihnen meinte er »die konkrete Bedeutung des deutschen Kirchenstreites als Frage an den schweizerischen Protestantismus«440 ausmachen zu können: Es musste erstens eine Theologie auf den Plan treten, die entschlossen war, im Rückgang auf die Bibel nach dem Vorbild der Reformation des 16. Jahrhunderts und im Anschluss an sie wieder bestimmte, mit Ja und Nein rücksichtlos deutliche Antworten gebende, auch die Gefahr einer »lieblosen« Klarheit nicht scheuende kirchliche Lehre, Predigt und Unterweisung zu sein. Es musste zweitens eine Kirchenleitung gelernt und geübt werden, die es verstand, die Theologie ernster zu nehmen als die sämtlichen Rücksichten, die Kirchenleitungen in der Regel zuerst und vor allem zu nehmen pflegen, und also in kleinen wie großen, in äußeren wie inneren Fragen vor Augen zu haben: dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen. [vgl. Apg. 5,29] Und es mussten drittens Gemeinden, örtliche Vereinigungen von Christen beiderlei Geschlechts und aller Altersstufen und Stände da sein, die ihrerseits gerade nach einer solchen Theologie und Kirchenleitung fragten und suchten, die miteinander in diesem neuen strengeren Sinn Kirche sein wollten und zu der entsprechenden Betätigung bereit waren.441

Es waren also insbesondere die Einsichten der freien Synoden von Barmen (1. Punkt) und Dahlem (2. und 3. Punkt), von denen die auswärtigen Kirchen ihre Lehre aus dem deutschen Kirchenkampf ziehen sollten. Barth betrachtete die kirchlichen Vorgänge in Deutschland also deshalb als von allerhöchster Wichtigkeit für die gesamte Kirche, weil die deutsche evangelische Kirche »Zeugnis«442 (Martyrium) abgelegt hatte, das die gesamte Kirche hören musste. Dieses 437 A. a. O., 71: »Es könnte und müßte einmal viel mehr als bisher dafür getan werden, daß die Tatsachen und Probleme des deutschen Kirchenkampfes […] den schweizerischen Gemeinden in sachgemäßer Weise bekannt gemacht werden.« 438 »Es könnte den Unterzeichneten in ihren Bemühungen, bedrängten deutschen Glaubensgenossen zu einer gewissen leiblichen und geistigen Erholung in der Schweiz zu verhelfen, weiterhin und durch Unterstützung der kirchlichen Behörden mit noch größerem Nachdruck Beistand geleistet werden.« Ebd. 439 Vgl. Barth (März 1936), Der deutsche Kirchenstreit als Frage an den schweizerischen Protestantismus, 397f, Zitat 397. 440 A. a. O., 398. 441 A. a. O., 397f. Die Absätze habe ich der besseren Übersicht wegen gesetzt. 442 Barth (September 1936), Was haben uns die kirchlichen Vorgänge in Deutschland zu sagen?, 518.

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Zeugnis der Kirche fasste Barth in einem Vortrag mit dem Titel Was haben uns die kirchlichen Vorgänge in Deutschland zu sagen?, den er an drei Schweizer Orten von September bis November 1936 vorgetragen hat,443 in »6 Worte(n) Jesu, in denen Wahrheit bezeugt«444 werde, zusammen: 1. »Wachet, denn ihr wisset nicht, welche Stunde euer Herr kommen wird!« (Matth. 24,42). Angewendet: Die Kirche kann nicht immer Ruhe haben, nicht störend und nicht gestört, unangefochten und anerkannt, unbewegt von Fragen, die zur Entscheidung drängen, gleichgültig für ihre Umgebung. […]445 2. »Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe« (Matth. 10,16). Angewendet: Die Welt, in der die Kirche lebt, ist ihr gefährlich. […]446 3. »Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man es salzen?« (Matth. 5,13). Angewendet: Noch gefährlicher sind der Kirche ihre eigenen Irrtümer. […]447 4. »Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht und was ihr höret ins Ohr, das predigt von den Dächern.« (Matth. 10,27). Angewendet: die Kirche muss es in der Not neu lernen, Gottes Wort zu hören und zu bekennen. […]448 5. »Es werden nicht Alle, die zu mir sagen Herr Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel!« (Matth. 7,21) Angewendet: Die Kirche muss in der Not treuen Gehorsam lernen. […]449 6. »Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater« (Matth. 10,32). Angewendet: In der Not beweist Gott der Kirche seine Barmherzigkeit.450

Das Zeugnis des Kirchenkampfes bestand also kurz gesagt: 1. in der Wachsamkeit und 3. in der ständigen Bußfertigkeit der Kirche, 2. im kirchlichen Zeugnis von der Not der Welt, 4. im Hören und Bekennen des Wortes Gottes, 5. im Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes und nicht zuletzt 6. im Vertrauen auf Gottes Verheißung. Die kritische Anfrage, ob es denn »auch eine durch die deutschen Vorgänge eigentümlich beleuchtete schweizerische Kirchenfrage« gebe, bejahte Barth.451 Allerdings habe es »keinen Sinn«, einen »schweizerischen Kirchenkampf in die 443 Vgl. die Einleitung der Herausgeber a. a. O., 511–513. 444 So formuliert es Barth im Stichworttyposkript a. a. O., 527 und etwas vorsichtiger auch im Typoskript: »6 Worte Jesu, in denen ich dieses Zeugnis zu hören meine.« Ebd. Anm. l–l. 445 A. a. O., 527f. Zitiert wird hier und im Folgenden nach dem Stichworttyposkript, weil Barth hier besonders pointiert formuliert. Auf die eckigen Klammern bei K[irche] oder bei Artikeln habe ich der besseren Lesbarkeit wegen verzichtet. 446 A. a. O., 528. 447 A. a. O., 529. 448 Ebd. 449 A. a. O., 530. 450 A. a. O., 531. 451 Barth (Februar 1938), An die kantonalen Kirchenräte und die Kirchenpflegen und Kirchengemeinden der reformierten Kirchen in der Schweiz, in: O. Br. 1935–1942, 69.

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Wege leiten« zu wollen.452 Die auswärtigen Kirchen sollten sich »durch die Vorgänge in Deutschland zu jenen neuen Erkenntnissen aufrufen lassen« und sich »die Lehren des deutschen Kirchenkampfes in aller Ruhe und Offenheit« als auch an sie »erteilte Lehren zu Herzen« nehmen.453 Der schweizerische religiöse Sozialist Leonhard Ragaz hatte »Solidaritätserklärungen für in Deutschland verfolgte Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Pazifisten, KZ-Insassen und für Opfer der Kriege Mussolinis in Abessinien und Francos in Spanien sowie der Japaner in China«454 im Memorandum vermisst. Diesem Anliegen konnte Barth zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht Folge leisten. Er betrachtete es zwar einerseits als selbstverständlich, dass man »auch diese Dinge«, so gut es möglich sei, »auf dem Herzen tragen« müsse. Es handele sich aber andererseits im Falle der BK im Speziellen »um eine in ihrem Glauben, der auch der unsrige ist, in Versuchung gebrachte und angegriffene, um eine um das christliche Bekenntnis kämpfende evangelische Kirche.«455 Außerdem hielt es Barth »nicht für die Aufgabe der Kirche, Waffen in diesen allgemeinen Streit zwischen Faschismus und Marxismus oder zwischen Faschismus und Demokratie zu tragen, so gewiß dieser Kampf« auch gerade für Christen »wichtig genug«456 sei. Die Kirche habe vielmehr »eine Botschaft an die Welt, die an keines von diesen Systemen gebunden« sei »und die sich auch nicht zum Instrument zur Bekämpfung eines dieser Systeme machen« lasse und um »die Freiheit dieser Botschaft« gehe es »im deutschen Kirchenkampf.«457 Die Kirche habe »in Deutschland darum zu leiden und zu kämpfen, weil sie das Evangelium nicht zu einem Instrument für Hitler machen lassen« wolle. Man habe »diesen Kampf schlecht verstanden«, wenn man »statt für die Kirche, d. h. für die Freiheit des Evangeliums, gegen Hitler reden«458 würde. 1. Exkurs: Autobiographische Retrospektive – »Vertiefung«, »Veränderung«, »Anwendung« In Barths autobiographischen Ausführungen vom Dezember 1938 verschmelzen gewissermaßen Akteursperspektive und Retrospektive auf interessante Weise: Als nach wie vor stark involvierter Akteur reflektierte Barth in dieser Schrift nach eigenen Angaben »möglichst persönlich und ›autobiographisch‹«459 seine theo452 453 454 455 456 457 458 459

A. a. O., 70. Ebd. So die Einleitung der Herausgeber von O.Br. 1935–1942, 56, Anm. 18. Barth (Februar 1938), An die kantonalen Kirchenräte und die Kirchenpflegen und Kirchengemeinden der reformierten Kirchen in der Schweiz, in: O. Br. 1935–1942, 68. A. a. O., 69. Ebd. Ebd. Barth (Dezember 1938), How my mind has changed 1928–1938, 181. – Barth verfasste drei autobiographische Beiträge jeweils im Abstand von 10 Jahren: Barth (Dezember 1938), How

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logischen und persönlichen Veränderungen von 1928 bis 1938 aus der Retrospektion, aber eben immer noch innerhalb der Kampfzeit. Trotz zeitlicher und inhaltlicher Überlappungen mit Vorhergesagtem wird diese Perspektive als eine sui generis betrachtet und deshalb gesondert behandelt. Barth betonte in seinem autobiographischen Rückblick die sachliche Kontinuität in seinem eigenen Denken und Wollen. Nicht er habe sich im Zeitraum von 1928 bis 1938 verändert: Es habe sich aber »gewaltig der Raum und die Resonanz des Raumes«, in dem er »zu reden hatte«, verändert. Die »konsequente Wiederholung« seiner »Lehre wurde gerade in ihrer gleichzeitig vollzogenen Vertiefung in diesem neuen Raum von selbst zur Praxis, zur Entscheidung, zur Handlung.«460 So habe es sich bei all seinen vermeintlichen »Veränderungen« um nichts anderes als »Anwendungen« und »Vertiefungen«461 seiner theologischen Einsichten gehandelt.462 Seine »Vertiefung« habe darin bestanden, dass er sich »in diesen Jahren von den letzten Resten einer philosophischen bzw. anthropologischen […] Begründung und Erklärung der christlichen Lehre zu lösen«463 hatte. Das »positive Neue« bestand darin, »in diesen Jahren zu lernen, daß die christliche Lehre ausschließlich und folgerichtig und in allen ihren Aussagen direkt oder indirekt Lehre von Jesus Christus als von dem uns gesagten lebendigen Wort Gottes sein« müsse, »um ihren Namen zu verdienen und um die christliche Kirche in der Welt zu erbauen, wie sie als christliche Kirche erbaut sein«464 wolle. Die einzige »Veränderung« seines Denkens bezeichnete Barth folglich programmatisch als »christologische Konzentration«465. Im Zuge dieser christologischen Konzentration sei er »zu einer in erhöhtem Sinne kritischen Auseinandersetzung mit der kirchlichen Tradition, auch mit den Reformatoren, auch mit Calvin466 geführt worden« und habe die Erfahrung gemacht, dass er »in dieser

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my mind has changed 1928–1938; ders. (Dezember 1948), How my mind has changed 1938– 1948; ders. (Dezember 1958), How my mind has changed 1948–1958. Barth (Dezember 1938), How my mind has changed 1928–1938, 188. Barth brachte dies auf die »Formel«: »ich war etwa zu gleichen Teilen – in Wirklichkeit natürlich gleichzeitig – mit der Vertiefung und mit der Anwendung der zuvor in den Hauptzügen gewonnenen Erkenntnis beschäftigt.« A. a. O., 185. Vgl. a. a. O., 185–190. A. a. O., 185. – Als das »eigentliche Dokument dieses Abschieds« betrachtete er: Barth (1931), Fides quaerens intellectum. Ebd. Ebd. A. a. O., 186. Eine grundsätzliche theologische Klärung seien die Reformatoren sowohl in Bezug auf die Frage der natürlichen Theologie als auch auf die Frage nach einer christologisch fundierten Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat (s. u. Kap. 2.5.1.) schuldig geblieben. In diesen beiden für unsere Belange zentralen theologischen Fragestellungen meinte Barth ausdrücklich über die theologischen Einsichten der Reformatoren hinaus weiterdenken zu müssen.

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Konzentration alles viel klarer, unzweideutiger, einfacher und bekenntnismäßiger und zugleich doch auch viel freier, aufgeschlossener und umfassender sagen konnte als vorher«, wo er »– weniger durch die kirchliche Tradition als durch die Eierschalen einer philosophischen Systematik – mindestens teilweise gehemmt«467 gewesen sei. Seine »Anwendung« sei durch den Umstand provoziert worden, dass die deutsche Kirche »im Sommer des Jahres 1933 angesichts des Erfolgs des Nationalsozialismus und unter der suggestiven Macht seiner Ideen hinsichtlich ihrer Lehre und Ordnung in die größte Gefahr geriet, einer aus Christentum und Deutschtum wunderlich gemischten neuen Häresie, der Herrschaft der sogen[annten] ›Deutschen Christen‹, zu verfallen.«468 Er selbst habe hierzu »nicht gut schweigen« können, sondern sich veranlasst gesehen, »der gefährdeten Kirche das Nötige zuzurufen.« Dieses Nötige sei »nichts Neues« gewesen, sondern lediglich eine Anwendung der in der christologischen Konzentration pointierten Exklusivität des Wortes Gottes und des ersten Gebotes.469 Mit anderen Worten: Die Anwendung bestand in der Einsicht, dass Kirche und Theologie »neben Gott keine anderen Götter haben können, daß der Heilige Geist der Schrift« genüge, »um die Kirche in alle Wahrheit zu leiten« und »daß die Gnade Jesu Christi« genüge »zur Vergebung unserer Sünden und zur Ordnung unseres Lebens.«470 Die Veränderung bestand also darin, dass er diese Erkenntnisse »nun auf einmal in einer Situation zu sagen hatte, in der eben dies nicht mehr den Charakter einer akademischen Theorie haben konnte, sondern, ohne dass« er »es wollte und dazu machte, den Charakter eines Aufrufs, einer Herausforderung, einer Kampfparole, eines Bekenntnisses bekommen musste.«471 Insofern hänge Barths Anwendung bezüglich des Kirchenkampfes,472 die er aufgrund äußerer Gegebenheiten vorzunehmen sich gezwungen sah, »mit dem Namen Hitler aufs engste zusammen.«473 Hitler und der nationalsozialistische Staat als totalitäre Instanzen hatten die die Totalität des Evangeliums wahrende und verkündende Kirche zu einem klaren Wort und zu einer klaren Haltung genötigt.

467 Ebd. – Barth grenzt sich hier offenbar bewusst von der Dialektischen Theologie ab. Vgl. Vorwort KD I/1, X. 468 A. a. O., 187. 469 S. o. Kap. 2.3. 470 A. a. O., 187. 471 Ebd. 472 Der Begriff taucht zwar in diesem Text nicht auf, aber es geht eben um jene inner- und außerkirchlichen Auseinandersetzungen gegen die DC und den totalen NS-Staat, die Barth zu dieser Zeit als ›Kirchenkampf‹ bezeichnete. Interessanterweise fehlt hier die dritte Front des Neuheidentums. 473 A. a. O., 186.

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Von hier aus ergibt sich eine klare Antwort auf die in der Einleitung aufgeworfenen Leitfragen: Um was ging es im Kirchenkampf ?474 Es ging um die Bewährung und Verteidigung der Exklusivität des Wortes Gottes, des ersten Gebotes, sowie um die Freiheit des Evangeliums in der Kirche. Wer kämpfte mit wem bzw. für oder gegen wen? Vordergründig kämpfte die BK, hintergründig aber das Wort Gottes selbst zunächst gegen die ›Häresie‹ der DC, in Wirklichkeit aber gegen den NS-Staat, die beide selbst aber lediglich ein Symptom des selbstherrlichen Menschen der modernen Welt darstellten. Welcher Art war dieser Kampf ? Es ging Barth, nach eigener Einschätzung, um eine christologisch konzentrierte Vertiefung seiner Theologie, die praktische Anwendung angesichts der durch den NSStaat entstandenen veränderten Realität erfuhr. Eigentlich war dieser Kampf kirchlich-theologischer Art. Er hatte jedoch (kirchen)politische Implikationen und bedeutete ›im Raume des Nationalsozialismus‹ nicht nur eine ›kirchenpolitische‹, sondern auch eine ›politische Entscheidung‹. Deshalb wurde er ›mehr und mehr als politischer Konflikt offenbar‹. 2. Exkurs: Kirchenkampf in der KD Um »den Sinn und die Tragweite« der mit der christologische Konzentration »eingetretenen Veränderung zu sehen und zu verstehen«, musste man Barths eigener Aussage nach »die beiden 1932 und 1938 erschienenen ersten Bände« der KD »einigermaßen studieren«.475 Denn seine »neue Aufgabe« habe darin bestanden, »alles vorher Gesagte noch einmal ganz anders, nämlich jetzt als eine Theologie der Gnade Gottes in Jesus Christus durchzudenken und auszusprechen.«476

474 »Um was ging und geht es? Sehr einfach darum, daran festzuhalten und das ganz neu zu verstehen und zu praktizieren: daß Gott über allen Göttern ist und daß die Kirche in Volk und Gesellschaft und gegenüber dem Staat auf alle Fälle ihre eigene, durch die heilige Schrift bestimmte Aufgabe, Verkündigung und Ordnung hat. Aber es konnte nicht anders sein – obwohl viele in der Bekennenden Kirche dies bis heute nicht einsehen und wahrhaben wollen –, als daß eben dies im Raume des Nationalsozialismus nicht nur eine ›religiöse‹, nicht nur eine kirchenpolitische, sondern ipso facto auch eine politische Entscheidung bedeutet: die Entscheidung gegen einen Staat, der als totalitärer Staat eine andere Aufgabe, Verkündigung und Ordnung als seine eigene, einen anderen Gott als sich selbst nicht anerkennen kann und der darum, je mehr er sich entfaltete, um so mehr auch zur Unterdrückung der Kirche als solcher, um so mehr auch zur Beseitigung alles menschlichen Rechtes und aller menschlichen Freiheit auf allen Gebieten übergehen mußte. Hinter der in die Kirche eingedrungenen Häresie stand von Anfang an und trat dann bald heraus als der viel gefährlichere Gegner: der anfangs auch von so vielen Christen als Befreier und Erretter begrüßte Hitler, der Nationalsozialismus selbst und als solcher. Es trug der theologischkirchliche Konflikt den politischen in sich, und es mußte so kommen, daß er tatsächlich mehr und mehr als politischer Konflikt offenbar wurde.« A. a. O., 188. 475 A. a. O., 185. 476 A. a. O., 186.

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In seinem im August 1932 abgeschlossenen Vorwort von KD I/1 beklagte Barth »die immer noch zunehmende Verwilderung, Langweiligkeit und Bedeutungslosigkeit des modernen Protestantismus«, dem »eine ganze dritte Dimension (sagen wir einmal: die Dimension des – mit religiös-sittlichem ›Ernst‹ nicht zu verwechselnden – Geheimnisses477) abhanden gekommen« sei, damit er mit allem möglichen nichtsnutzigen Ersatz gestraft werden«, damit »so oder so mancher seiner Prediger und Gläubigen schließlich im Rauschen seines nordischen Blutes und beim politischen ›Führer‹ religiösen Tiefsinn entdecken lernen möchte.«478 Vor dem Hintergrund dieser und ähnlicher pessimistischer Beobachtungen zur zeitgenössischen Theologie sah sich Barth veranlasst, die KD für »die Gemeinschaft der Kirche« zu schreiben. Barth hielt diese grundlegende theologische Besinnung für notwendig, denn er war davon überzeugt, dass es »innerhalb der Kirche« eine »evangelische Theologie, die zu bejahen und eine häretische Untheologie, die resolut zu verneinen«479 sei, gebe. Deshalb rang er in seiner KD um grundlegende Klärungen in der Theologie, weil er »fest überzeugt« war, »daß es zu den Klärungen besonders auf dem weiten Feld der Politik, die heute nötig sind und zu denen die Theologie heute ein Wort sagen möchte (wie sie denn auch in der Tat ein Wort dazu zu sagen haben sollte!) nicht kommen« konnte, »ohne daß es zuvor zu denjenigen umfassenden Klärungen in der Theologie und über die Theologie selbst gekommen« sei, »um die es hier gehen soll.«480 Aufgrund dieses Selbstverständnisses und weil die KD ein systematisch-theologisches Gesamtwerk sui generis darstellt, lohnt es sich, Barths grundlegenden theologischen Klärungen zum Kirchenkampf im Rahmen der KD en bloc zu analysieren: Der Begriff »Kirchenkampf« selbst taucht in der gesamten KD insgesamt nur dreimal auf: In seinem auf Pfingsten 1942 datierten Vorwort von KD II/2 begründet Barth das späte Erscheinen des vierten Halbbandes damit, dass man sich ab 1933 »mitten im Dritten Reich und im Deutschen Kirchenkampf« befunden habe. Diese Geschehnisse fasst er nur knapp zusammen: »von da ab liefen die europäischen und schließlich die irdischen Dinge insgemein in immer stürmerischerem Tempo der Krisis entgegen«,481 in deren Mitte man heute stehe. Der 1940 erschienene dritte Halbband KD II/1 wirft Licht auf diese beredte Randbemerkung aus dem Jahre 1942: Barths Exkurs zum Kirchenkampf (194– 200), den er in seiner Vorlesung im Wintersemester 1937/38 gehalten hatte, steht im Rahmen seiner Behandlung der natürlichen Theologie und kann nur in die-

477 Vgl. hierzu etwa Barth (November 1939), Das christliche Geheimnis und das menschliche Leben. 478 Vorwort KD I/1, IXf. 479 A. a. O., X. 480 A. a. O., XI. 481 Vorwort KD II/2, VI.

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sem Kontext verstanden werden.482 Bevor wir also Barths eigentliche Darstellung des Kirchenkampfes betrachten, müssen wir einen kurzen Blick auf den Kontext des Exkurses werfen: Barth schloss damit §26 »Die Erkennbarkeit Gottes«483 ab. Nachdem er in Abs. 1 »die Erkennbarkeit Gottes« unter der Voraussetzung interpretiert hatte, dass sie »nicht nur zuerst und entscheidend, sondern einzig und allein in der Bereitschaft Gottes, d. h. in der in der Gnade und Barmherzigkeit seiner Offenbarung uns geschenkten Erkennbarkeit«484 (142) bestehe, behandelte er in Abs. 2485 »die Bereitschaft des Menschen«.486 In diesem Zusammenhang nimmt das Problem der natürlichen Theologie breiten Raum ein. Für Barth kreiste alle(!) »natürliche Theologie« in ihrer jeweils eigenen Weise um »das Problem der Bereitschaft des Menschen zur Erkenntnis Gottes«. (142) Dabei teile jede Spielart der natürlichen Theologie die Eigenschaft, »daß sie die Bereitschaft des Menschen zu einem selbständigen Faktor« erhebe, »daß sie also die Bereitschaft Gottes nicht als die einzig und allein in Betracht kommende« verstehe und »die Bereitschaft des Menschen nicht als eingeschlossen in jene, nicht als schlechthin abhängig von ihr!« (142) begreife. Die natürliche Theologie behandele vielmehr das Problem der Bereitschaft des Menschen zur Erkenntnis Gottes »in der Weise, daß sie neben der Erkennbarkeit Gottes in seiner Offenbarung eine zweite, anderweitig begründete« (142) behaupte. Auf diese Weise werde sie zum Traum des selbstbewussten, selbstgerechten und gefühlt selbstständigen Mannes, der in seiner Selbstherrlichkeit nicht mehr der Gnade Gottes bedürfe, der die irdische Wirklichkeit seiner Existenz »viel lieber und viel leichter als die Gnade Gottes« ertrage, »durch die ihm zugemutet wäre, sich endlich tragen zu lassen, statt sein Leben tragen zu wollen.« (148) So führe die menschliche Selbstherrlichkeit letztlich dazu, dass der Mensch unter gar keinen Umständen von Gottes Gnade getragen werden wolle und dass er deshalb »zuletzt und zutiefst immer ein Feind der Gnade und ein Hasser und Verleugner seiner wirklichen Bedürftigkeit sein« (151) werde. Da die natürliche Theologie geradezu eine »Monopolstellung«487 gegenüber der Gnade Gottes 482 Vgl. dazu Barths methodologische Bemerkung zu den »Exkursen« im Vorwort von KD I/1, VII: »Man kann (…) den Text zur Not (eigentlich doch auch nur zur Not) auch ohne die Exkurse, man kann aber die Exkurse sicher nicht ohne den Text verstehen.« 483 KD II/1, 67–200. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf KD II/1. 484 Folglich lautet der erste Satz des Leitsatzes von § 26: »Die Möglichkeit der Erkenntnis Gottes besteht von Gott her darin, daß er selber die Wahrheit ist und daß er sich dem Menschen in seinem Wort durch den Heiligen Geist als die Wahrheit zu erkennen gibt.« (67) 485 A. a. O., 141–200. 486 Der zweite Satz des Leitsatzes von § 26 lautet: »Sie [die Erkennbarkeit Gottes] besteht vom Menschen her darin, daß er im Sohne Gottes durch den Heiligen Geist ein Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens und so der Wahrheit Gottes teilhaftig wird.« (67) 487 Diese Vorstellung zieht sich durch den gesamten Abschnitt: a. a. O., 151. 153–157. 160. 182.

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einnehmen müsse, sei auch eine vermeintliche Bei- oder Unterordnung der Offenbarung Gottes neben ihr oder unter sie vom Ausschließlichkeitsanspruch des Wortes Gottes her strikt ausgeschlossen und abzulehnen: Damit nämlich würde Gott selbst, seine Gnade und alles, was dazugehört, zu einer »Möglichkeit, die der Mensch auch wählen« (154) könne. Deshalb sei »Gnade neben der Natur« offenbar »nicht mehr Gottes, sondern die dem Menschen durch sich selbst zugesprochene Gnade« (154) und »Gottes Offenbarung neben einer dem Menschen als solchem eigenen Gotteserkenntnis« offenbar »nicht mehr Gottes Offenbarung, sondern ein neuer, geliehener oder auch räuberisch angeeigneter Ausdruck für die Offenbarung, die dem Menschen in seinem eigenen Spiegelbild« (154f) begegne. In ihrer Monopolstellung sei die natürliche Theologie gerade da »stümperhaft und dann auch erfolglos«, wo sie »die Offenbarung leugnen, mit Offenbarung gar nichts zu tun haben, die Erkennbarkeit Gottes ganz und gar nur aus dem dem Menschen im Kosmos eigenen Vermögen herleiten will«. In diesem Fall könne »der Mensch ja noch immer überraschend von der wirklichen, der nicht absorbierten, nicht domestizierten Offenbarung488 Gottes überfallen werden«. (156) Eine Antwort auf die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes durch den Menschen lasse sich allerdings weder in der Anthropologie noch in der Ekklesiologie489 finden, sondern einzig und allein in der Christologie. Denn Barths Ansicht nach war »die in der Bereitschaft Gottes eingeschlossene Bereitschaft des Menschen«, in der »Gottes wirkliche Erkennbarkeit wirklich sichtbar« werde, »der christologische Aspekt ganz allein.« (166) Folglich gelte für die Erkennbarkeit Gottes unter den Vorzeichen der christologischen Konzentration folgende »Grundregel aller gesunden Lehre« (181): Es gibt anthropologische und ekklesiologische Sätze nur in Form von Lehnsätzen aus der Christologie. Will sagen: kein anthropologischer oder ekklesiologischer Satz ist in sich und als solcher wahr, sondern seine Wahrheit subsistiert in den Sätzen der Christologie, nein, in der Wirklichkeit Jesu Christi ganz allein. (166)

Positiv und schlicht ausgedrückt bezeichnet Barths Grundregel die Maxime, »daß das Evangelium als Regel nun auch des christlichen Denkens und Redens wirklich respektiert werde. Damit es mit den falschen, mit den halben, mit den unzuverlässigen Gewißheiten ein Ende nehme!« (182) Auf dem Boden der christologischen Grundregel konnte Barth »die natürliche Theologie nur noch verstehen als den Versuch, dem Menschen als solchem«, der christologischen Grundregel zuwider, »im Bereich des Glaubens und der Kirche doch wieder ein selbständiges Wort und also ein selbständiges Recht zu verleihen und also die 488 Barth interpretierte den »Triumph der natürlichen Theologie im Raum der Kirche« deshalb als »Absorbierung und Domestizierung der Offenbarung« und beschrieb dieses Phänomen als »Verbürgerlichung des Evangeliums«. (157) 489 Vgl. a. a. O., 160f.

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Alleinherrschaft Jesu Christi in diesem Bereich nicht nur nicht gelten zu lassen, sondern zu bestreiten.« (183) Es gebe »hier kein Drittes, keine Neutralität zwischen der Anerkennung und der Nichtanerkennung jener Regel.« (183) Eben weil die natürliche Theologie naturgemäß die christologische Grundregel verkennen, brechen und missachten müsse, habe sie »keinen realen und als real zu berücksichtigenden Widerspruch mehr anzumelden«. (185) Und eben weil die natürliche Theologie »in sich schon negiert« (185) sei, habe man es bei ihr nicht »mit einem eigentlich und letztlich ernst zu nehmenden Gesprächspartner« (185) zu tun. Durch die christologische Grundregel seien »der Verkündigung des Glaubens und der Kirche und mit ihr einer sich selbst recht verstehenden Theologie des Wortes Gottes die sämtlichen Wege der natürlichen Theologie automatisch und radikal abgeschnitten.« (188) Anders ausgedrückt: Die natürliche Theologie stehe »einer sich selbst recht verstehenden Theologie des Wortes Gottes in keinem Sinn als Partner gegenüber«, sondern sie komme, »von dieser her gesehen, als überflüssig sang- und klanglos in Wegfall.« Das sei »der Sinn«, und darin bestehe »die eigentümliche Radikalität der ihr widerfahrenden Ablehnung.« (188) In den Prolegomena von KD I/1, §2 hatte Barth bereits deutlich gemacht, dass jeder »Konflikt«, in dem sich der Glaube befindet, »um ernsthaft zu sein, ein Konflikt des Glaubens mit sich selber sein«490 müsse. Dies gelte auch für den »Konflikt des Glaubens mit dem Unglauben«, der »nur in dem Fall und in der Form belangvoll sein« könne, »daß er ein Konflikt des Glaubens mit sich selber« sei: »weil im Glauben selber der Unglaube sich irgendwie zu Worte gemeldet hat und Gehör beansprucht.« (30) Hieraus ergibt sich ein für unsere Belange interessantes Problem, das Barth als »das paradoxe Faktum der Häresie« (31) bezeichnet und folgendermaßen definiert: Wir verstehen unter Häresie eine solche Gestalt des christlichen Glaubens, der wir zwar formell (weil auch sie sich auf Jesus Christus, auf seine Kirche, auf die Taufe, auf die Heilige Schrift, auf gemeinsame christliche Bekenntnisformeln usw. bezieht) ihre Eigenschaft als Gestalt des christlichen Glaubens nicht abstreiten können, ohne doch in der Lage zu sein, zu verstehen, was wir damit tun, wenn wir sie als solche anerkennen, weil wir ihren Inhalt (die in ihr stattfindende Interpretation dieser gemeinsamen Voraussetzungen) nur als Widerspruch gegen den Glauben verstehen können. (31)

Aufgrund dieser Paradoxie der Häresie, d. h. weil der Unglaube »in der Häresie zugleich als eine Gestalt des Glaubens auftritt, darum wird er hier ernsthaft, darum kann und darum muß es zwischen dem Glauben und der Häresie Streit und zwar ernsten Streit geben.« (31) Der Streit zwischen Kirche und Häresie sei eben deswegen ein ernster Streit, weil es hier um dieselbe Sache gehe und sich

490 KD I/1, 30. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf KD I/1.

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bloß die Interpretationen derselben Sache jeweils unterschieden.491 Barth markierte jedoch auch eine deutliche Grenze dieses ernsten Streites: »Erst wenn Kirche und Häresie sich gar nicht mehr begegnen, sich gar nichts mehr zu sagen haben sollten, wäre dieser fern aber sicher über beiden sich spannende Bogen des Friedens zerbrochen oder doch bedeutungslos geworden.« (32) Zwei konkrete Formen der Häresie benannte Barth explizit: 1.) den »römischen Katholizismus in der Gestalt, die er sich im 16. Jahrhundert im Kampf gegen die Reformation gegeben« habe und 2.) den »in der mittelalterlichen Mystik und in der humanistischen Renaissance wurzelnden pietistisch-rationalistischen Modernismus.«492 (33) Im Gegensatz zu diesen beiden Häresien, die beide »nicht irgendwelche irrelevante Heidentümer« seien und als echte »Möglichkeiten des Glaubens« dem Glauben der Kirche gegenüberstünden, betrachtete Barth das »Faktum der modernen ›Offenbarungsleugnung‹ usw.« als »völlig uninteressant«. (33) Als eine solche ›völlig uninteressante‹ Art des Unglaubens interpretierte Barth dann offensichtlich auch in KD II/1 die natürliche Theologie. Der ernste Streit müsse nämlich »eine Bereinigung hinsichtlich des zu betretenden Erkenntnisweges« (34) sein. Und dass dieser ernste Streit ein absolut grundsätzlicher Streit sei, zeige sich darin, dass »vom Erkenntnisgrund ab«, d. h. vom Wesen der Kirche sich »die Wege« trennten. (34) Ein ernster Streit war also dann nicht mehr gegeben, wenn sich bei den Streitenden die theologischen Axiomata – d. h. für Barth die Exklusivität des Wortes Gottes und des ersten Gebotes – diametral unterschieden. Offensichtlich befand sich für Barth die Kirche in ihrem Verhältnis zur Häresie der DC in dieser Situation.493 Bei seinen Auseinandersetzungen mit der JB und dem Pfarrernotbund dürfte es sich für Barth noch um einen ernsten Streit gehandelt haben, weil hier trotz aller Differenzen der Glaube mit dem Unglauben stritt und die gemeinsame Grundlage scheinbar dieselbe war: Jesus Christus, seine Kirche, die Heilige Schrift usw.494 Eben diese Grundlage stellten diese Gruppierungen – im Gegensatz zu den DC – nicht in Frage. Nur in diesen Zusammenhängen dürften Barths Aussagen zum Kirchenkampf in KD II/1 zu verstehen sein. Er behandelte den Kirchenkampf in einem Exkurs im Rahmen »einer kurzen geschichtlichen Kommentierung des ersten Satzes der

491 Vgl. a. a. O., 30–33. 492 Zur Abgrenzung: »Der Glaube, der im Kampf mit dem Zweifel an der Wahrheit liegt, im Kampf mit der Frage: Gibt es einen Gott? ist ein anderer als der Glaube, in welchem der Mensch danach fragt, ob der Gott, dessen Existenz kein Problem ist, ihm gnädig sei oder ob der Mensch an sich selbst verzweifeln müsse? Der erste ist der modernistische, der zweite ist der evangelische Glaube«. (35) 493 So auch Hüttenhoff, Theologische Opposition 1933, 443. 494 Vgl. a. a. O. passim.

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Theologischen Erklärung der Barmer Synode vom 31. Mai 1934«.495 Den ersten Satz der Barmer Theologischen Erklärung wertete Barth als »das erste Dokument einer bekenntnismäßigen Auseinandersetzung der evangelischen Kirche mit dem Problem der natürlichen Theologie«. (194) Er sei deswegen notwendig geworden, weil die »Theologie und auch die Bekenntnisschriften der Reformationszeit« diese »Frage offen gelassen« hätten, sie aber »in den letzten Jahrhunderten dadurch akut geworden« sei, weil »die natürliche Theologie aus einem latenten immer mehr zum manifesten Maßstab und Inhalt der kirchlichen Verkündigung und Theologie zu werden drohte.« (194) Das Problem der natürlichen Theologie wurde »brennend in dem Augenblick, als die evangelische Kirche in Deutschland unzweideutig und auf der ganzen Linie vor eine bestimmte, neue Gestalt natürlicher Theologie, nämlich die Zumutung gestellt wurde, in den politischen Ereignissen des Jahres 1933 und insbesondere in der Gestalt des Gottesgesandten Adolf Hitler eine Quelle besonderer, neuer Offenbarung Gottes zu erkennen, die Gehorsam und Vertrauen heischend, neben die in der heiligen Schrift bezeugte Offenbarung getreten sei und die von der christlichen Verkündigung und Theologie neben jener als bindend und verpflichtend anerkannt werden müsse. Mit dieser Zumutung und damit, daß man ihr weithin Gehör schenkte«, habe bekanntlich »der sog. deutsche Kirchenkampf« begonnen. Es habe »sich seither gezeigt, daß hinter dieser ersten Zumutung noch eine ganz andere stand. Gemeint war schon 1933, obwohl sich das damals erst undeutlich abzeichnete, entsprechend der Dynamik der politischen Bewegung, die Proklamierung jener neuen Offenbarung als der einzigen und also die Verwandlung der evangelischen Kirche in den Tempel des deutschen Naturund Geschichtsmythus.« (194) Diese Darstellung macht deutlich, wie für Barth die drei Fronten des Kirchenkampfes – 1.) die innerkirchliche Häresie der DC, 2.) das Neuheidentum, 3.) der NS-Staat – zusammenhingen: Es ging im Kirchenkampf immer um das Problem der natürlichen Theologie, die sich zunächst als innerkirchliche Häresie, dann aber als eine politische Bewegung mit einem dazugehörigen Mythus zu erkennen gab. Wie für die natürliche Theologie üblich, wurde im ›sog. deutschen Kirchenkampf‹ aus einem anfänglich angeblichen »›auch‹« zwischen der Offenbarung des Wortes Gottes und der neuen Offenbarung (hier: Hitler als ›Gottgesandter‹ und als ›Quelle besonderer, neuer Offenbarung Gottes‹) später ein »›allein‹« (194) der neuen Offenbarung, die neben das Wort Gottes getreten war; oder anders ausgedrückt: Im Kirchenkampf wurde die Kirche ›»mit dem 495 KD II/1, 194. Dieser Exkurs umfasst die Seiten 194–200 von KD II/1. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diese einschlägige Passage. – Martin Rohkrämer hat die dem Exkurs zugrundeliegende Vorlesung aus dem Wintersemester 1937/ 1938 in dem Band Texte zur Barmer Theologischen Erklärung, 67–87 ediert und die darüber hinausgehenden KD-Formulierungen in den Anmerkungen notiert.

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zuerst leicht maskierten, dann bald genug unmaskierten Mythus des neuen totalitären Staates von 1933 konfrontiert« (195). Der Kampf der deutschen Bekenntniskirche war in Barths Augen jedoch nur dann ein »wirklicher, ernstlicher Kampf«, sofern es »in ihm ums Ganze« (197) ging. Deshalb konnte der Kirchenkampf für Barth auch erst in dem Augenblick zu einem ›wirklichen, ernstlichen Kampf‹ werden, als die Barmer Theologischen Erklärung im Mai 1934 »als ›die unumgängliche theologische Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche‹496 erklärt wurde«. (197) Somit kam in Barths Wahrnehmung der Barmer Theologischen Erklärung im deutschen Kirchenkampf eine in jeder Hinsicht paradigmatische und entscheidende Bedeutung zu: Der Protest der Barmer Erklärung gegen jedes »›und‹« sowie gegen alle »Bindestrichlein« (196) der natürlichen Theologie sollte für den gesamten Kirchenkampf zum entscheidenden Maßstab werden. Die Frage, ob ein ernster Streit der Kirche gegen die Häresie vorlag, oder ob die Kirche »in Wirklichkeit gar nicht« (197) kämpfte, hing nach Barmen von der Bewährung des Bekenntnisses der Barmer Theologischen Erklärung ab.497 Das eigentliche Subjekt dieses Kampfes war nun keineswegs die Kirche und es waren auch keineswegs die Anhänger der BK selbst. Die eigentlichen Gegner im Kampf waren keineswegs die »armen ›Deutschen Christen‹« (197), die doch nichts weiter als eine Spielart der natürlichen Theologie waren, die es bereits 496 Im Schlusssatz der Barmer Theologischen Erklärung heißt es: »Die Bekenntnis-Synode der Deutschen Evangelischen Kirche erklärt, dass sie in der Anerkennung dieser Wahrheiten und in der Verwerfung dieser Irrtümer die unumgängliche theologische Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche als eines Bundes der Bekenntniskirchen sieht. Sie fordert alle, die sich ihrer Erklärung anschließen können, auf, bei ihren kirchenpolitischen Entscheidungen dieser theologischen Erkenntnisse eingedenk zu sein.« Barth et al. (Mai 1934), Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche, 300. 497 »Eben im Zeichen dieses Protestes verlief von da ab der deutsche Kirchenkampf. Alle seine einzelnen und praktischen Probleme hingen und hängen direkt oder indirekt mit jenem ersten Satz von Barmen zusammen. Die Kirche wurde genau in dem Maß ›bekennende‹ Kirche, als sie jene Entscheidung nach allen Seiten ernst nahm. Die Beschlüsse der Synode von Dahlem vom November 1934 haben ihre Stellung nach der kirchenrechtlichen Seite geklärt. Aber diese Klärung war abhängig von der dogmatischen Klärung von Barmen und konnte sich nur zugleich mit dieser oder gar nicht durchsetzen. Es hängen die sämtlichen Irrungen und Schwankungen in der Bekenntniskirche damit zusammen, daß die in Barmen ausgesprochene Einsicht: Jesus Christus ist das eine Wort Gottes, dem wir zu vertrauen und zu gehorchen haben, dem Fleisch und Blut in der Kirche zunächst nicht entsprach, sondern widersprach, in mühsamem Kampf erst wiederholt, erworben und praktisch durchgesetzt werden mußte. Wo das nicht geschah, da konnte es praktisch zu einer anderen Haltung als der von dauernden Teilrückzügen und Kompromissen nicht kommen. Wo es geschah, da war automatisch auch der Wille und die Kraft zum Widerstand. Die deutsche Bekenntniskirche hat entweder die Kraft der ökumenischen Gabe und Aufgabe, die sie in Barmen empfangen und in die Hand genommen hat, oder sie hat keine Kraft. Sie kämpft entweder für die Reinigung, die der evangelischen Kirche längst not tat und überall not tut, oder sie kämpft in Wirklichkeit gar nicht.« (197)

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vorher außerhalb, aber eben auch innerhalb der Kirche gegeben hatte.498 Im Kirchenkampf rangen vielmehr auf der einen Seite die »Versuchung« (198) der natürlichen Theologie und auf der anderen Seite das Wort Gottes, das seine eigene Wahrheit bezeugte, miteinander.499 Von diesem Kampf legte die BK Zeugnis ab. Sie »war sozusagen nur Zeuge einer Situation, in der es gleichzeitig zu einer merkwürdigen, so schon lange nicht mehr dagewesenen Offenbarung des Tieres aus dem Abgrund und zu einer neuen Bewährung der einen alten Offenbarung Gottes in Jesus Christus kam. Sie war nur Zeuge dieses Geschehens.« (198f) Barmen war gewissermaßen Schauplatz des Zeugnisses dieses Kampfes, in dem »der Satz von der alleinigen Geltung Jesu Christi als des uns für Leben und Sterben gesagten Wortes Gottes« bezeugt wurde. Dieses Sich-selbst-Bezeugen des Wortes Gottes bezeichnete Barth als »wunderbar« (194) und nannte es wiederholt ein »Wunder« (198f).500

498 Vgl. a. a. O., 196f. 499 Diese Einsicht dürfte Barths spätere Ausformung der Gestalten der »herrenlosen Gewalten« in KD IV,4 §78, Abs. 2 beeinflusst haben. Vgl. hierzu Ernst-Habib, Herrenlos! Karl Barth und die »Mächte und Gewalten« im Raum des Politischen. – Allgemeine Regeln für den »Streit in der Kirche« formulierte Barth in einer Auslegung von Apg. 15,1–35 im Juli 1937 (Barth [Juli 1937], Streit in der Kirche, 411–414): Auch hier betonte Barth, dass Gott bzw. sein Wort das eigentliche Subjekt des Streits in der Kirche sei. 500 »Es war nicht der neue politische Totalitarismus und es waren nicht die Methoden des Belagerungszustandes, die dieses Ereignis herbeigeführt haben. Und es wäre geradezu primitiv, wenn man den ›Calvinismus‹ oder gar die Tätigkeit dieses oder jenes Theologieprofessors als die in dieser Sache wirksame Macht der Errettung (bezw. der Verführung!) namhaft machen wollte. Daß der Kirche, als ihr nichts Anderes übrig blieb, das eine Wort Gottes, das Jesus Christus heißt, übrig blieb, daß sie sich nicht fallen lassen konnte ins Bodenlose, wie es ihr zugemutet war, sondern daß sie neuen Stand fassen konnte und mußte, daß jene auf der anderen Seite diesmal unaufhaltsame Logik der Sache in der Kirche gerade diesmal grundsätzlich zum Stehen kam, das will geistlich gewürdigt sein, oder es kann gar nicht gewürdigt werden. Was zu erwarten war, war dies, daß die Kirche, nachdem sie der Versuchung in ihren früheren, feineren Formen so oft erlegen war, ermüdet, farbenblind geworden und innerlich ausgehöhlt, dem Ansturm der groben Versuchung erst recht und nun endgültig erliegen werde. Daß das nicht geschah, daß das Wort Gottes nun dennoch auf dem Plane war, in derselben Kirche, in der es so oft verleugnet und verraten worden war, daß die Menschen vor dem Spuk der Schreckgestalt des neuen Gottes und seines Messias immerhin noch so erschrecken konnten, um ihr nicht zu verfallen, daß sie überhaupt in die Lage kamen, zu erkennen, daß es eine andere Möglichkeit als die des Sturzes ins Bodenlose gebe, daß man in aller Schwachheit nach dieser anderen Möglichkeit greifen, die Bibel wieder lesen, zu ihren klaren Aussagen sich aufs neue bekennen und also den Not- und Freudenschrei von Barmen ausstoßen, und daß man dann auf diesem Boden, nachdem aller andere Boden unter den Füßen gewichen war, sofort stehen und sich halten konnte – das Alles hatte gewiß auch seine geistesgeschichtlichen, theologischen und politischen Voraussetzungen und Bedingtheiten, das Alles war aber doch unmöglich und schließlich ein Wunder vor den Augen derer, die es aus der Nähe gesehen haben.« (198)

1938: Explicationes und applicationes von Barths Deutung des Kirchenkampfes

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2.5. 1938: Explicationes und applicationes von Barths Deutung des Kirchenkampfes Das Jahr 1938 brachte einige signifikante Veränderungen in Barths Deutung des Kirchenkampfes und daran angrenzender Fragestellungen mit sich. Die turbulenten und besorgniserregenden außenpolitischen Ereignisse, die im Münchner Abkommen vom 29./30. September 1938501 gipfelten und die kirchenpolitischen Entwicklungen, die in der Leistung des Treueides zahlreicher Geistlicher mündeten, hatten starke Konsequenzen auf Barths Deutung des Kirchenkampfes, die im Folgenden systematisch angeordnet in chronologischer Reihenfolge skizziert werden.

2.5.1. »Rechtfertigung und Recht« als grundsätzliche theologische Klärung Aus brieflichen Äußerungen Barths im April–Juni 1938 geht zweierlei hervor: 1.) Barth beabsichtigte das »Problem einer christlichen Lehre« und »einer bekenntnismässigen Entscheidung hinsichtlich des Staates«502 grundsätzlich theologisch zu klären. 2.) Der ausschlaggebende Grund für diese Entscheidung war die Überzeugung, »dass das ganze Staatsproblem – und dann auch das Kriegsproblem« ganz anders gestellt war, seit man »es mit dem Geltungs- und Machtanspruch des Fascismus zu tun« hatte. Deshalb erhebe sich die Frage, ob man weiterhin so tun dürfe, als ob sich vom Glauben an die Rechtfertigung aus nicht auch eine ganz bestimmte Stellung zum Recht ergebe.«503 Mit anderen Worten: Es ging Barth um eine theologisch – und das bedeutete für ihn letztlich christologisch – fundierte Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Staat (und umgekehrt).504 Die Frage, die Barth programmatisch im Juni 1938 unter dem Titel Rechtfertigung und Recht verhandelte, lautete folglich: »Gibt es eine 501 Andreas Pangritz vertritt die These, »daß Barth 1938 eine Wendung von der kirchlichtheologischen Opposition mit allenfalls unausgesprochenen politischen Implikationen zu expliziter, direkt politischer Einmischung vollzogen hat.« Nach Pangritz war das Münchner Abkommen das »Schlüsseldatum« für Barth. (Pangritz, Politischer Gottesdienst, 14.) Für diese Einschätzung spricht nicht zuletzt Barths eigene Bewertung des Tages des Münchner Abkommens als »der schlimmste Tag in den zurückliegenden Jahren«, weil sich an ihm »die für den Frieden von Versailles verantwortlichen Staaten mit ihrem Verrat an der Tcheschoslowakei zu ihrer Unfähigkeit, die 1919 begründete Ordnung aufrecht zu erhalten, bekennen mußten« und »auch die christlichen Kirchen in ganz Europa ihre Glocken läuten ließen und Gott danken zu sollen glaubten für die durch schändlichen Friedensschluß zustande gekommene Vermeidung des Krieges.« Barth (Oktober 1942), Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, 273. 502 Brief Barths an Wilhelm G. Meyer vom 13. 4. 1938 (KBA 9238.49). 503 Brief Barths an Eduard Thurneysen vom 12. 4. 1938 (KBA 9238.46). 504 Vgl. ebd.

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Beziehung zwischen der Wirklichkeit der von Gott in Jesus Christus ein für allemal vollzogenen Rechtfertigung des Sünders allein durch den Glauben und dem Problem des menschlichen Rechtes« und zwar: »eine innere, eine notwendige, eine solche Beziehung, durch die mit der göttlichen Rechtfertigung auch das menschliche Recht in irgend einem Sinn zum Gegenstand des christlichen Glaubens und der christlichen Verantwortung und damit auch des christlichen Bekenntnisses wird?«505 Barth ging es sowohl um die grundsätzliche theologische Klärung dieser Frage als auch darum, »Konsequenzen für die Gegenwart« aus diesen Überlegungen zu ziehen, weil diese Frage etwa angesichts der Annexion Österreichs im März 1938 an Deutschland »heute ein ganz neues Gesicht bekommen« habe.506 Außerdem diagnostizierte er an dieser Stelle »eine Lücke in der Unterweisung« (16) durch die Reformatoren.507 Deshalb bemühte er sich in Rechtfertigung und Recht darum, »auf exegetischem Weg zu einer besseren Sicht des Problems ›Kirche und Staat‹ vorzustoßen«508, weswegen er diese Arbeit konsequenterweise als »eine biblische, genauer neutestamentliche Studie zur Beantwortung dieser Frage« (17) charakterisierte. Inhaltlich bestimmte Barth in Rechtfertigung und Recht die ἐξουσίαι in Röm. 13,1–3 als »geschöpfliche, aber unsichtbar-geistig-himmliche Mächte, die in und über der sonstigen Schöpfung eine gewisse Selbständigkeit und in dieser Selbständigkeit auch eine gewisse überlegene Würde, Aufgabe und Funktion haben, einen gewissen realen Einfluss ausüben.« (25) Als eine solche »Engelmacht« könnten die ἐξουσίαι aber eben auch »verwildern, entarten, sich verkehren und so zur Dämonenmacht werden.« (26) Somit könne der Staat entgegen seines grundsätzlich gottgewollten und von Gott gesetzten Wesens »aus dem durch Gottes Willen und Anordnung eingesetzten Schützer des Rechtes von Röm. 13 zu dem vom Drachen ermächtigten, den Cäsarenkult fordernden, die Heiligen bekriegenden, Gott lästernden, die ganze Welt erobernden Tier aus dem Abgrund von Apc. 13« (25f) werden. Das allerdings grundsätzlich durchaus positive Verhältnis zwischen Kirche und Staat fasste Barth folgendermaßen zusammen: Der Staat muss der Kirche die »Freiheit ihrer Botschaft« ermöglichen, denn diese muss »die Freiheit haben, die göttliche Rechtfertigung zu verkündigen.« Anders ausgedrückt: Der Staat verwirkliche »in dem Maß seine eigene Möglichkeit« ein »Rechtsstaat« (56) zu sein, »als er der Kirche diese Freiheit nicht nur positiv läßt, sondern aktiv gibt, d. h. in dem Maß, als er ehrlich und folge505 Barth (Juni 1938), Rechtfertigung und Recht, 13. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Schlüsseltext. 506 Brief Barths an Wilhelm G. Meyer vom 13. 4. 1938 (KBA 9238.49). 507 Vgl. Barth (Juni 1938), Rechtfertigung und Recht, 14–17: »Man bemerke: das Interesse dieser Frage fängt dort an, wo das Interesse der reformatorischen Bekenntnisschriften und der reformatorischen Theologie aufhörte oder doch erlahmte.« A. a. O., 14. 508 A. a. O., 17, Anm. *6a.

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richtig Staat sein will«, in dessen Raum »die Kirche existiert, die diese Freiheit von rechtswegen hat.«509 (56) In dem Moment aber, in dem der Staat der Kirche die Freiheit der Verkündigung nehmen oder sich selbst an die Stelle des Evangeliums setzen möchte, werde er zum Tier aus dem Abgrund und erweise sich als dämonisierte Macht. In diesem Falle müsse die Kirche »den Staat gegen den Staat« (49) verteidigen. Sie repräsentiere dann, »indem sie Gott gibt, was Gottes ist [vgl. Mt. 22,21], indem sie Gott mehr gehorcht als den Menschen [vgl. Apg. 5,29], mit ihrer Fürbitte die einzige Möglichkeit, den Staat wieder herzustellen und vor dem Untergang zu retten.« (49) Dieses Gebet für den rechten Staat sei »grundsätzlich und umfassend gesagt, die Leistung der Kirche für den Staat«, denn damit erinnere sie ihn »an seine Schranken« und »sich selber an ihre Freiheit ihm gegenüber« (45). Obwohl Barth in Rechtfertigung und Recht als einem theologischen Grundlagentext bewusst auf direkte Verweise auf den Kirchenkampf oder den NS-Staat verzichtete, darf dieser Schlüsseltext zweifelsohne als Barths Grundlegung einer theologischen Lehre gelten, die es ihm erlaubte, den NS-Staat als dämonisierten Staat im Sinne von Offb. 13 (d. h. als ›Tier aus dem Abgrund‹) und nicht mehr im Sinne von Röm. 13 (d. h. als ›Rechtsstaat‹) aus theologischen Gründen rundweg und entschieden abzulehnen. Mit anderen Worten: Mit Rechtfertigung und Recht war für Barth die grundsätzliche theologische Klärung für einen wirklich theologischen – und eben nicht doch (kirchen)politischen – Widerstand gegen den Hitler-Staat möglich. Sowohl seine Äußerungen in seinem heftig umstrittenen Hromádka-Brief 510 als auch in Die Kirche und die politische Frage von heute interpretierte Barth

509 »Man lasse es darauf ankommen, ob es mehr braucht als dies! Wo dieses Freiheitsrecht anerkannt ist und wo von der rechten Kirche der rechte Gebrauch davon gemacht wird, da gibt es – die freie Predigt von der Rechtfertigung wird dafür sorgen, dass die Dinge an ihren Ort zu stehen kommen – in gegenseitiger Bestimmung und Begrenzung legitime menschliche Autorität und ebenso legitime menschliche Selbstbestimmung, da fällt zu Boden die Tyrannei hier und die Anarchie dort, der Faszismus ebenso wie der Bolschewismus, da steigt auf die Ordnung der menschlichen Dinge, die Gerechtigkeit, die Weisheit und der Friede, die Billigkeit und die Fürsorge, die zu dieser Ordnung vonnöten sind.« A. a. O., 56. 510 Dieser Brief habe ihm »Anlaß« gegeben, »dasselbe«, was er »ja kurz vorher in der Schrift ›Rechtfertigung und Recht‹ in Form von Exegesen grundsätzlich gesagt hatte, nun an einem sehr extremen Beispiel zu wiederholen und zu erläutern.« Brief Barths an Hromádka vom 1. 3. 1939, in: Rohkrämer, Freundschaft im Widerspruch, 65. Aus demselben Grund ließ er im Nachdruck des Briefes in Schw.St. den Hromádka-Brief »an zweiter Stelle« abdrucken, weil »der berüchtigte Brief nach Prag, mit dem das Buch sonst hätte beginnen müssen, einen allzu abrupten Anfang gebildet hätte«. »Die Abhandlung, ›Rechtfertigung und Recht‹ durfte nicht fehlen, weil sie besonders den theologischen Lesern die theologischen Voraussetzungen des Ganzen übersichtlich machen kann«. Barth (Juni 1945), Vorwort, in: Schw.St., 11.

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selbst als Anwendungen (applicationes) seiner theologischen Grundlagenschrift Rechtfertigung und Recht (explicatio).511

2.5.2. Verteidigung gegen das NS-Regime Durch die Einverleibung Österreichs ins nationalsozialistische Deutschland am 12. März 1938 und die Vereidigung der dortigen evangelischen Pfarrer auf Hitler kamen in Deutschland erneut Forderungen nach einem Treueid der Geistlichen auf. Für die Altpreußische Union gab der Präsident des Evangelischen Oberkirchenrats, Friedrich Werner, zu Hitlers Geburtstag am 20. April 1938 eine Verordnung betr. den Treueid der Geistlichen und der Kirchenbeamten der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union512 heraus, die den kirchlichen Beamten den Eid auf Hitler verordnete.513 Dieser Verordnung folgte die Anordnung zur Ableistung des Treueides vom 12. Mai 1938514 sowie eine Ansprache des Evangelischen Oberkirchenrats zum Treueid.515 In seinem Consilium vom 18. Mai 1938 forderte Barth die Mitglieder der BK auf, den Eid zu verweigern: Der Eid solle »nicht geleistet werden, weder mit noch ohne Zusatz (›Vorbehalt‹), weder vor einer legitim noch vor einer illegitim kirchlichen, noch vor einer staatlichen Behörde, weder zusammen mit den D.C. noch ohne sie.«516 Zahlreiche Pfarrer leisteten jedoch bereits am ersten Vereidigungstermin, dem 31. Mai 1938, den Eid.517 511 Barth selbst erläuterte den Zusammenhang zwischen Rechtfertigung und Recht, der Aufregung über den Hromádka-Brief und dem geplanten Vortrag von Die Kirche und die politische Frage von heute seinem Sohn Markus am 23. November 1938 gegenüber folgendermaßen: »Aber die Zumutung war diesmal offenbar besonders groß. Und so muß ich nun am 5. Dezember in Zürich vor der Generalversammlung des Schweizerischen Hilfswerks für die BK einen großen Vortrag halten: ›Die Kirche und die politische Frage der Gegenwart‹, in dem die explicatio von ›Rechtfertigung und Recht‹ zu wiederholen und die dort schon gegebene applicatio unter besonderer Berücksichtigung des Friedens von München zu unterstreichen sein wird.« Brief vom 23. 11. 1938 (KBA 9238.190), zitiert nach O.Br. 1935– 1942, 128–130, Zitat 129. 512 Verordnung betr. den Treueid der Geistlichen und der Kirchenbeamten der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union (20. 4. 1938), in: GDEK.B vom 23. 4. 1938, 41; KJ 1933–1944, 232f. 513 Zu diesen Vorgängen vgl. Gerlach-Praetorius, Die Kirche vor der Eidesfrage und die Einleitungstexte in O.Br. 1935–1942, 84–86. 93–96. 514 Anordnung zur Ableistung des Treueides durch die Geistlichen der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union (12. 5. 1938), in: GDEK.B vom 14. 5. 1938, 47f. 515 Ansprache des Evangelischen Oberkirchenrats zum Treueid, in: GDEK.B vom 14. 5. 1938, 49; KJ 1933–1944, 233f. 516 Barth (Mai 1938), Consilium zur Frage des »Treueides« der »Geistlichen«, 87. 517 Gerlach-Praetorius, Die Kirche vor der Eidesfrage, 125 bietet eine Übersicht der geladenen Geistlichen sowie derer, die den Eid am 31. 5. 1938 geleistet bzw. nicht geleistet haben,

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Auf die Verunsicherung der Pfarrer reagierte die 6. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union bei ihrer Tagung vom 11. bis 13. Juni mit einem Beschluss zur Eidesfrage, in dem sie vier Bedingungen für die Anerkennung der Eidesforderung formulierte.518 Auf ihrer zweiten Tagung am 31. Juli 1938 stellte die Synode fest, dass die Forderungen nunmehr erfüllt seien.519 Auf diesen Beschluss reagierte Barth am 6. August 1938 mit seinem offenen Brief An die 6. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union520. Darin erinnerte er an sein Consilium, kritisierte die Bekenntnissynode scharf, weil sie »sich dessen Thesen nicht zu eigen«521 gemacht hatte, und hielt paränetisch daran fest, dass die »Sache des Bekenntnisses«, zu dem man sich »1934 gemeinsam berufen« wusste, »jetzt von denen vertreten« werde, die sich der Anweisung, den Eid zu leisten, »nicht fügen werden«, weil sie der Meinung seien, »daß dieser Eid aller Dinge nicht geschworen werden dürfte, weil er unter allen Umständen gegen das erste Gebot«522 verstoße. Am 8. August 1938 wurde in den Führerblättern der Gauleitung Sachsens523 ein Rundschreiben Martin Bormanns »An alle Gauleiter!«524 vom 13. Juli abgedruckt, aus dem ersichtlich wurde, dass der NS-Staat die Leistung des Treueides von den Geistlichen überhaupt nicht gefordert hatte und ihn die Pfarrer also in vorauseilendem Gehorsam abgelegt hatten. Den 31. Juli 1938 wertete Barth als einen »der schwärzesten, vielleicht der schwärzeste Tag in der Geschichte der Bekennenden Kirche in Deutschland, der Tag einer schweren und gründlichen Niederlage gewesen«525 sei. Mit dieser »Niederlage« sei aber »der Kirchenkampf nicht

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geordnet nach Provinzen und stützt sich dabei auf die Berichte der Konsistorialpräsidenten an Werner (vgl. a. a. O., 124). 6. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, Tagung vom 11.– 13. 6. 1938, Beschluss: Zur Eidesfrage, in: Niesel, Um Verkündigung und Ordnung, 62–64, hier 63. Beschluss der zweiten Tagung der 6. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der ap.U. zur Ableistung des Treueides durch die Pfarrer, in: Schweizerischer evangelischer Pressedienst, Nr. 22, 17. 8. 1938 (KBA 17702), Bl. 2f.; auch in: Niesel, Um Verkündigung und Ordnung, 67f. Barth (August 1938), An die 6. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, in: O.Br. 1935–1942, (93) 96–103. A. a. O., 97. A. a. O., 100. Rundschreiben Nr. 87/38, Führerblätter der Gauleitung Sachsens der NSDAP, Folge 8 vom 8. 8. 1938. KJ 1933–1944, 255f; Dokumente IV, 201f; Gerlach-Praetorius, Die Kirche vor der Eidesfrage, 141f. Zu den Vorgängen: a. a. O., 141–143. Barth (September 1938), »So wahr mir Gott helfe!«, 13. – Als Barth seinen Vortrag »So wahr mir Gott helfe!« am 5. September hielt, war ihm das Rundschreiben Bormanns offensichtlich noch nicht bekannt. Vermutlich erfuhr er erst durch einen Brief Wilhelm Vischers, dem eine Abschrift des Rundschreibens beilag, vom 10. September 1938 von dem Schreiben. Brief Vischers an Barth vom 10. 9. 1938 (KBA 9338.696). Vischers Abschrift ist im KBA vorhanden (KBA 17707). Somit interpretierte Barth bereits auch ohne Kenntnis des Bormann-Schreibens des 31. 7. 1938 als Niederlage.

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zu Ende«526, solange es noch immer Theologen gebe, die den Eid nicht ablegten und entschieden weiterkämpften. Aber nicht nur die Eidesfrage, sondern auch die Zuspitzung der nationalsozialistischen Außenpolitik bereiteten Barth 1938 zunehmend große Sorgen:527 Die Beobachtung, dass sich am 21. September die Sudetenkrise so zuspitzte, dass die Prager Regierung unter Druck den britisch-französischen Plan billigte, nachdem Gebiete der Tschechoslowakei mit über 50 Prozent deutscher Bevölkerung an Deutschland zu übergeben waren, war für Barth ein einschneidendes Ereignis. Diese beiden einschneidenden kirchenpolitischen und weltgeschichtlichen Ereignisse konnte Barth sogar parallelisieren: Was sich diesen Sommer in der verhältnismäßigen Verborgenheit der deutschen Kirchengeschichte abgespielt hat, das hat diesen Herbst in der grellen Öffentlichkeit der europäischen Vorgänge eine ganz erstaunliche Parallele und Beleuchtung gefunden. Man setze statt »Eidesfrage«: »Tschechoslowakische Frage«, statt »Bekennende Kirche«: »England und Frankreich«, statt 31. Juli: 21. September, so sieht man, was ich meine. So geht es in Kirche und Staat denen, die bei besten Einsichten und Absichten immer nur lavieren, aber nie grundsätzlich prüfen und entscheiden und beides dann auch verantworten wollen. So muss man dann weichen. So unpraktisch ist es, allzu praktisch sein zu wollen. So kräftig, so schmählich und schmerzlich bekommt man dann seine Torheiten heimbezahlt.528

Was in der Eidesfrage für die BK galt, das galt für Barth ebenso für die europäische Außenpolitik gegenüber dem Nationalsozialismus: Beide durften auf keinen Fall dem Druck der NS-Politik erliegen und nachgeben. Deshalb sah sich Barth in seinem umstrittenen Brief an Josef L. Hromádka vom 19. September 1938529 bezüglich der Sudetenkrise veranlasst, seinem Kollegen Hromádka stellvertretend für die tschechische Bevölkerung ein glühendes Wort der Solidarität zuzurufen, das in dem sprichwörtlich gewordenen Zitat vom »tschechischen Soldaten«530 gipfelte: Jeder tschechische Soldat, der dann streitet und leidet, wird es auch für uns – und, ich sage es heute ohne Vorbehalt: er wird es auch für die Kirche Jesu Christi tun, die in dem Dunstkreis der Hitler und Mussolini nur entweder der Lächerlichkeit oder der Ausrottung verfallen kann.531

526 Stichwortmanuskript zu Barth (September 1938), »So wahr mir Gott helfe!«, 3 (KBA 10122). 527 Vgl. hierzu etwa Tietz, Karl Barth, 285–290. 528 Barth (September 1938), »So wahr mir Gott helfe!«, Noch ein Nachwort [Erstfassung], in: Tskr. II: KBA 10123, 11. 529 Vgl. Barth (19. September 1938), An Prof. Dr. Josef L. Hromádka, Prag, in: O.Br. 1935–1942, (107) 113–115. 530 Barth an M. Barth, 23. 11. 1938 (KBA 9238.190), zitiert nach O.Br. 1935–1942, 129. 531 Barth (19. September 1938), An Prof. Dr. Josef L. Hromádka, Prag, in: O.Br. 1935–1942, 114.

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So wurde der ›tschechische Soldat‹ gewissermaßen zu einem ›Kirchenkämpfer‹, weil er in und mit seinem Kampf, ›auch für die Kirche Jesu Christi‹ und ihre Freiheit streiten werde. Nachdem allerdings sein Hromádka-Brief bekannt geworden war,532 wurden auch Barths theologische Äußerungen in Rechtfertigung und Recht vor allem politisch verstanden und stießen in Deutschland sowie im Ausland auf breite Ablehnung. Auch die BK, die sich schon früh von Barth distanziert und ihn von der Augsburger Bekenntnissynode ausgeladen hatte,533 hatte ihn nun »faktisch aus der Bekennenden Kirche exkommuniziert«534.

2.5.3. »Die Kirche und die politische Frage von heute« In seinem berühmten Wipkinger Vortrag Die Kirche und die politische Frage von heute deutete Barth den nationalsozialistischen Staat als die konkrete »politische Frage von heute« an die Kirche.535 Diese Frage sei für die Kirche nunmehr aufgrund des Doppelcharakters des Nationalsozialismus »als politisches Experiment und als religiöse Heilsanstalt« nicht weniger als eine »Glaubensfrage«536. Als Glaubensfrage fordere sie den »Vollzug des Bekenntnisses«, d. h. die »konkrete Gestalt als Bekennen« des Bekenntnisses »als bestimmtes, heute, jetzt und hier abgelegtes Bekenntnis.«537 In seinem Vollzug greife das Bekenntnis »um der notwendigen Bezeugung Jesu Christi in der Gegenwart« willen »notwendig hinein in die die Kirche und Welt bewegenden Fragen der jeweiligen Gegenwart.«538 532 Die heftigen Reaktionen in Deutschland auf Barths offenen Brief setzten nach der Veröffentlichung einer gekürzten Fassung des Briefes am 7. 10. 1938 in Holland ein. Vgl. O.Br. 1935–1942, 118–133. 533 Barth war bereits im Mai/Juni 1935 aufgrund seiner bekanntgewordenen Äußerung zur Notwendigkeit der Verteidigung der Schweizer Nordgrenze in die Kritik geraten. Vgl. die Einleitung der Herausgeber in V.u.kl.A. 1934–1935, 805. Auf der dritten Reichssynode am 4. bis 6. August in Augsburg war er deshalb nicht erwünscht gewesen. Vgl. Prolingheuer, Der Fall Karl Barth 1933–1945, 172–187. 534 So Pangritz, Politischer Gottesdienst, 5. 535 These 3 lautet: »›Die politische Frage von heute‹ ist die wie an die ganze heutige Welt so auch an die heutige Kirche gerichtete Frage des deutschen Nationalsozialismus.« Barth (Dezember 1938), Die Kirche und die politische Frage von heute, 77. 536 These 4 lautet: »Der Doppelcharakter des Nationalsozialismus als politisches Experiment und als religiöse Heilsanstalt schließt es aus, die durch ihn gestellte Frage ›nur‹ als politische und nicht mittelbar und unmittelbar zugleich als Glaubensfrage zu behandeln. Die Kirche kann also der politischen Frage von heute auf keinen Fall neutral gegenüberstehen.« A. a. O., 80. 537 A. a. O., 73. 538 Ebd. Insofern kam der ›Vollzug des Bekenntnisses‹ dem politischen Gottesdienst gleich. Barth überschrieb die 19. Vorlesung seiner Gifford-Lectures, die Art. 24 des Schottischen Bekenntnisses von 1560 auslegte, mit »Der politische Gottesdienst«. Vgl. Barth (1938), Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 203–216. Er unterschied dort drei Formen des Gottes-

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Dieser »Eingriff in die Fragen der jeweiligen Gegenwart« bestehe wiederum »im Vollzug bestimmter Entscheidungen, von bestimmten Bejahungen und Verneinungen also.«539 Der Vollzug des Bekenntnisses erschöpfe sich folglich also keineswegs in der »Rezitation des biblischen und des früheren kirchlichen Bekenntnisses«540 und auch nicht (mehr) im »Gebet der Kirche als solchem«541 selbst, sondern umfasse auch die praktische Umsetzung dessen, wofür und worum gebetet werde.542 Wenn also die Kirche »ernstlich um die Dämpfung und Beseitigung des Nationalsozialismus und also um die Wiederherstellung von Kirche und Staat«543 bete, dann sei sie »eo ipso aufgerufen, das Menschenmögliche für das«, um was sie bete, »selber zu tun.« Es wäre sonst »ein faules unnützes Gebet«, wenn man sich »diesem Aufruf entziehen könnte oder wohl gar wollte.« Deshalb müsse sich eine »ernstlich betende Kirche« darüber im Klaren sein, »dass es Zeit ist, zu ihrer eigenen Wiederherstellung und Erhaltung die Hand ans Werk zu legen.«544 Vor dem Hintergrund seiner Deutung des Wesens des NS-Staates als politisches Experiment und als religiöse Heilsanstalt erklärt sich auch die signifikante Verschiebung der Fronten, die Barth im Rahmen seiner Deutung des Kirchenkampfes zwischen 1933 und 1938 vollzogen hatte: Barth selbst reflektierte diese Veränderung dahingehend, »daß der Nationalsozialismus in der ersten Zeit seiner Macht in der Tat den Charakter eines politischen Experimentes wie andere hatte und daß die Kirche in Deutschland damals«545 – das sei noch heute seine Überzeugung – »das Recht und die Pflicht hatte, sich daran zu halten, ihm als

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dienstes: 1.) einen »Gottesdienst des christlichen Lebens«, 2.) einen »kirchlichen Gottesdienst in dem engeren Sinn des Begriffs« und 3.) den »politischen Gottesdienst«. A. a. O., 204. – In Rechtfertigung und Recht führte er diese Differenzierung folgendermaßen aus: »Gibt es bei aller Verschiedenheit in irgend einer inneren und notwendigen Zugehörigkeit neben dem etwa Jak. 1, 27 bezeichneten Gottesdienst der christlichen Existenz und außer und neben dem, was wir als den ›Gottesdienst‹ der Gemeinde als solchen zu bezeichnen pflegen, auch so etwas wie einen politischen Gottesdienst, d. h. nun eben einen Dienst Gottes, der, allgemein gesagt, in der Auseinandersetzung mit allen jenen Problemen oder, in Wiederaufnahme unseres Stichwortes gesagt, in irgend einer Anerkennung, Förderung, Verteidigung, Verbreitung menschlichen Rechtes nicht trotz, sondern gerade wegen der göttlichen Rechtfertigung bestehen würde?« Barth (Juni 1938), Rechtfertigung und Recht, 13. Vgl. hierzu Pangritz, Politischer Gottesdienst, 8–11. Barth (Dezember 1938), Die Kirche und die politische Frage von heute, 74. A. a. O., 73. A. a. O., 100. An dieser Stelle geht Barth deutlich über das in Rechtfertigung und Recht geforderte Gebet für den rechten Staat hinaus, wo er die Fürbitte als einzige und eigentliche »Leistung der Kirche für den Staat« bezeichnet hatte. Vgl. Barth (Juni 1938), Rechtfertigung und Recht, 44– 57 (Kap. 4). Barth (Dezember 1938), Die Kirche und die politische Frage von heute, 100. A. a. O., 101. – Hierbei dürfte Barth an den erwähnten politischen Gottesdienst gedacht haben. A. a. O., 80f.

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einem politischen Experiment zunächst Zeit und Chance zu geben und also sich selbst zunächst wirklich neutral zu verhalten. Neutralität in dieser Hinsicht« sei »geradezu die damals gebotene Form kirchlicher Entscheidung« gewesen. »Denn die der Kirche damals gestellte Frage war nicht das politische Experiment als solches, sondern das damals übermächtig sich durchsetzende Unternehmen der sogenannten Deutschen Christen, dieses Experiment als eine neue göttliche Offenbarung auszugeben und geltend zu machen und als solche der Kirche aufzudrängen.«546 1933 sei es also um die Wahrung der kirchlichen »Substanz« und somit der »›theologischen Existenz heute‹«547 gegangen, die von den DC bedroht worden sei. Deshalb habe er damals notwendigerweise Front gegen die DC bezogen und nicht gegen den NS-Staat. Nun aber laute seine »These«, dass es »dem Nationalsozialismus gegenüber eine kirchliche Neutralität, ein Abwarten mit dem Ja oder Nein, heute nicht mehr«548 gebe. Der Nationalsozialismus sei vielmehr »zu einer gerade an die Kirche gerichteten Entscheidungsfrage geworden: zu einer Frage, auf die sie mit Ja oder Nein antworten«549 müsse. Der NSStaat erlaube aufgrund seiner politischen und vor allem aufgrund seiner weltanschaulich-religiösen Totalität nur »zwei Fragen«, auf die von Seiten der Kirche eine Antwort unausweichlich gegeben werden müsse: [1.] Ist hier etwa das vollkommene Gottesreich unter der Herrschaft des Messias selber bereits angebrochen? [2.] Oder haben wir es hier mit dessen dämonischem Gegenbild, mit dem Reich eines falschen, eines Mensch-Gottes unter der Herrschaft eines falschen Messias zu tun?550

Von einem Staat im Sinne von Röm. 13 konnte im Falle des Nationalsozialismus keine Rede mehr sein, weil er sich ja anschickte, selbst eine religiöse Heilsanstalt zu sein, weil er ja selbst eine Religion war. Die Frage lautete also, ob die religiösen Absolutheitsansprüche des NS-Staates sachgemäß und wahr und deshalb auch zu teilen seien oder ob hier ein dämonisierter Staat nach Apk. 13 vorliege, der gegen das erste Gebot und den exklusiven Anspruch des Wortes Gottes verstößt? Nach Barth musste die Kirche selbstverständlich die erste Frage entschieden negieren und deshalb die zweite Frage ebenso entschlossen bejahen. Eines stehe allerdings fest: »Eine von diesen beiden Möglichkeiten wird die Kirche wählen müssen.«551 Der Begriff »Kirchenkampf« taucht in Die Kirche und die politische Frage von heute zweimal als Genetivattribut wenig signifikant auf.552 In seiner gekürzten 546 547 548 549 550 551

A. a. O., 81. Ebd. – s. o. Kap. 2.4.1. A. a. O., 83. A. a. O., 84. A. a. O., 85. Die Ordinalia in Klammern stammen von mir. Ebd. – In dieser Entschiedenheit weist Barths politische Ethik deutliche dezisionistische Züge auf. 552 A. a. O., 89.

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und überarbeiteten Variante des Vortrags, die er am 15. Januar 1939 in Oltingen gehalten hatte, beschrieb Barth allerdings den »Kirchenkampf« und seine Entstehung als zwar verborgenen, aber erbarmungslosen Kampf des NS-Staates gegen die Botschaft und Verkündigung der Kirche: Dadurch sei es »zu dem sogen. Kirchenkampf, d. h. zu dem Zusammenstoss zwischen dem nationalsozialistischen Staat und der evangelischen und katholischen Kirche« gekommen.553 Als »Kirchenkampf« bezeichnete Barth hier folglich den Kampf des totalitären nationalsozialistischen Staates gegen die (nota bene evangelische und katholische!) Kirche Christi. In diesem Kampf musste die Kirche im Vollzug ihres Bekenntnisses eine klare und eindeutige Entscheidung gegen den NS-Staat treffen. Aufgrund des Doppelcharakters des Nationalsozialismus als politisches Experiment und als religiöse Heilsanstalt führte sie sowohl einen geistlichen als auch einen politischen Kampf. Dieser doppelte »Kampf« sei für die Kirche unumgänglich, da »der Nationalsozialismus als religiöse Heilsanstalt alle Merkmale einer grundsätzlich antichristlichen Gegenkirche und als politisches Experiment alle Merkmale einer grundsätzlichen Auflösung des rechten Staates«554 aufweise. In seiner Beschreibung der Religiosität des Nationalsozialismus griff Barth auf ein uns bekanntes Interpretament zurück, indem er ihn als ›neuen Islam‹ bezeichnete: Man kann den Nationalsozialismus nicht verstehen, wenn man ihn nicht in der Tat als einen neuen Islam, seinen Mythus als einen neuen Allah und Hitler als dessen Propheten versteht. Der Nationalsozialismus ist eine regelrechte, sehr säkulare, aber in ihrem ganzen Inventar deutlich als solche zu erkennende Kirche, deren eigentliche, ernstliche Bejahung (mit oder ohne die Rosenbergsche Doktrin) nur in Form des Glaubens, der Mystik, des Fanatismus möglich ist.555

553 Barth (Januar 1939), Die Kirche und die politische Frage von heute (KBA 11140 / KBA 354 / W408), 5. Barth fährt fort: »Je länger je weniger lässt es sich verheimlichen, dass der Staat die Kirche zum Schweigen bringen möchte. Offiziell will er sie nicht verfolgen – tatsächlich verfolgt er sie doch und tatsächlich sind im Laufe der Jahre viele Pfarrer ins Gefängnis, ins Konzentrationslager und in die Verbannung gewandert – er will die Kirche in den Winkel drängen, er will sie sang- und klanglos sterben lassen.« 554 These 5 lautet: »Wenn es wahr ist, daß der Nationalsozialismus als religiöse Heilsanstalt alle Merkmale einer grundsätzlich antichristlichen Gegenkirche und als politisches Experiment alle Merkmale einer grundsätzlichen Auflösung des rechten Staates zeigt, dann muß es im konkreten Vollzug der der Kirche aufgetragenen Bezeugung Jesu Christi sichtbar werden, daß der Glaube an sie und die Bejahung der inneren und äußeren Herrschaft des Nationalsozialismus sich gegenseitig ausschließen.« Barth (Dezember 1938), Die Kirche und die politische Frage von heute, 87f. 555 A. a. O., 86f. – S. o. Kap. 2.4.9.2.

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2.5.4. Das »Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus« als Ende aller Konjunktive Im Mai 1939 hielt Barth der Zürcher Theologischen Arbeitsgemeinschaft, die sich mit Die Kirche und die politische Frage von heute kritisch auseinandergesetzt hatte, seine Erläuterungen zum Wipkinger Vortrag556 entgegen. Er bezog sich dabei auf das Votum eines Mitglieds der Arbeitsgemeinschaft, das dieses unter dem Titel Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus557 im Kirchenblatt für die Reformierte Schweiz veröffentlicht hatte: Pfarrer Hermann Kübler stimmte Barth inhaltlich weitgehend zu, äußerte allerdings die »eigentlich dringliche Frage«, wie nun »das rechte Bekennen Jesu Christi gegenüber den Mächten des Antichrist in der Gegenwart« auszusehen habe.558 Kübler trug seine Bedenken auffallend vorsichtig vor, dass es sich nämlich bei dem von Barth geforderten Bekennen gegen den Nationalsozialismus eigentlich um rein menschliches Bekennen handeln könnte.559 Barth beantwortete »in fünf Punkten« die Frage, was mit dem »in Wipkingen geforderten ›Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus?‹«560 gemeint sein könne: 1.) Es handle sich dabei um ein kirchliches und deshalb verbindliches Bekenntnis, dem sich der einzelne Christ nicht entziehen könne. Denn es handle sich beim Nationalsozialismus um eine Angelegenheit, »durch die die Christen als Christen in ihrer Einheit als Kirche angeredet« seien und »in der sie auch in dieser Einheit als Kirche Antwort geben, d. h. mit einem bestimmten Nein Antwort geben« könnten. Deshalb habe niemand in der Kirche das Recht, »Ja zu antworten oder auch gar nicht zu antworten!«561 2.) Diesem Bekenntnis könne man sich mit keiner christlichen Begründung und durch keinen Konjunktiv entziehen.562 3.) Was Barth »als Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus von der Kirche« forderte, sei nämlich »schlicht ein solches allgemeines und besonderes Sichverhalten, in welchem das hier nötige Nein als solches so oder so

556 Barth (Mai 1939), Erläuterungen zum Wipkinger Vortrag. 557 Kübler, Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus? – In Barths Exemplar des Artikels befinden sich zahlreiche handschriftliche Unterstreichungen, die auf eine intensive Auseinandersetzung mit dem Text schließen lassen (KBA 4026). 558 Kübler, Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus?, 118. 559 Vgl. a. a. O., 118–120. – Barth warf Küblers Artikel vor, »auffallend viele Konjunktive« zu enthalten. Barth (Mai 1939), Erläuterungen zum Wipkinger Vortrag, 162f. Tatsächlich fällt auf, dass sich in Küblers Text zahlreiche vorsichtige Formulierungen wie »Es könnte sein« häufen, die in Barths Privatexemplar ausnahmslos handschriftlich unterstrichen sind, weil er sie vermutlich als besonders anstößig erachtete. Deshalb überschrieb Barth den ersten Entwurf seiner Antwort mit dem Titel »Es könnte sein«? (KBA 10575). 560 Barth (Mai 1939), Erläuterungen zum Wipkinger Vortrag, 162. 561 Ebd. 562 Vgl. a. a. O., 162f.

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unzweideutig sichtbar«563 werde. 4.) Das ›Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus‹ müsse selbstverständlich »zuerst und zuletzt« ein »Bekenntnis zu Jesus Christus sein.«564 5.) Außerdem müsse das ›Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus‹ verbindlich und kompromisslos sein.565 Das bedeutete, dass sich die so gegen den Nationalsozialismus bekennende Kirche »in der Weise sichtbar mache, dass sie sich selbst damit festlegt, bindet, verpflichtet, dass sie sich für alle Zukunft kompromittiert und einen möglichen Rückzug abschneidet, dass sie auf jedes – auch auf jedes fromme! – künftig vorzuweisende Alibi verzichtet, dass sie später auf keinen Fall sich darauf berufen kann, heute geschwiegen zu haben und ›einfältig‹ gewesen zu sein.«566 Dieses aufgrund des Wesens des Nationalsozialismus entschiedene, notwendige, unausweichliche und unerschütterliche Bekenntnis der Kirche gegen den Nationalsozialismus sowie der Vollzug dieses Bekenntnisses bedeuteten für Barth nicht weniger als das Ende aller Konjunktive, aller faulen Kompromisse, eines jeden Opportunismus und einer jeden »Kirchenpolitik einer Kirche, die gerade nicht leiden und aus diesem Grunde nicht bekennen«567 wollte. Es lassen sind zusammenfassend mindestens folglich vier signifikante Verschärfungen bzw. Akzentverschiebungen in Barths Deutung des Kirchenkampfes in Die Kirche und die politische Frage von heute feststellen, die untrennbar miteinander verbunden sind: 1.) Den Kirchenkampf deutete Barth nun vor allem als einen doppelten – sowohl einen geistlichen als auch ein politischen – Kampf des totalen NS-Staates gegen die christliche Kirche. 2.) Aufgrund des Doppelcharakters des Nationalsozialismus als politisches Experiment und als religiöse Heilsanstalt musste die Kirche den Kirchenkampf auf doppelte Weise führen: Der Kirchenkampf war sowohl ein geistlicher (gegen die religiöse Heilsanstalt als grundsätzlich antichristliche Gegenkirche) als auch als ein politischer Kampf (gegen das politische Experiment als einer grundsätzlichen Auflösung des rechten Staates), den die Kirche führen musste. 3.) Der Vollzug des Bekenntnisses forderte von der Kirche beide Seiten des Kampfes: sowohl eine geistliche Seite (Gebet, Fürbitte etc.) als auch eine praktische, politische Seite (die Hand ans Werk zu legen).

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A. a. O., 163. Ebd. Ebd. Ebd. – Deshalb forderte Barth: »Was wir brauchen, ist eine dem Nationalsozialismus gegenüber restlos und rettungslos kompromittierte Kirche. Nur eine solche kann heute auch außerhalb Deutschlands Kirche Jesu Christi sein. Nur eine solche hat dem Schweizervolk heute das Wort Gottes zu sagen.« Ebd. 567 A. a. O., 164.

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4.) Weil der NS-Staat als die politische Frage von heute zu betrachten sei, war eine Entscheidung für oder gegen ihn für die gesamte Kirche wie auch für jeden einzelnen Christen unausweichlich und von der Sache her unbedingt notwendig. Es gab dieser Frage gegenüber nur noch ein vollständiges und vorbehaltloses Entweder-Oder und kein Sowohl-als-Auch mehr und schon gar keine Möglichkeit der Enthaltung.568 Der Kirchenkampf forderte von nun an eine dem Nationalsozialismus gegenüber restlos und rettungslos kompromittierte Kirche und ließ keinerlei Kompromisse und Konjunktive (mehr) zu.

2.5.5. Neubestimmung der »Judenfrage« angesichts der Novemberpogrome 1938569 In dem Problem der Judenfrage fand Barth das fortan wichtigste theologische Argument für die Antichristlichkeit des Hitler-Staates. Wir hatten gesehen, dass Barth bereits im September des Jahres 1933 »die Judenfrage« unter theologischen Gesichtspunkten als »Exponent des ganzen Geschehens unserer Zeit« bezeichnet hatte. Bereits damals hatte er auch klargestellt, dass er »gerade in der Judenfrage« mit »gutem Gewissen nicht den kleinsten Schritt mittun« könne »mit dem Nationalsozialismus.«570 Allerdings kennzeichnete Barth damals das Problem »der natürlichen Theologie« als das »Hauptproblem in der gegenwärtigen Krise«, dem gegenüber die Judenfrage nur die untergeordnete und davon abgeleitete Frage sein könne.571

568 In diesem Sinne taucht insgesamt fünfzehnmal die Wendung »Ja oder Nein« auf. Vgl. Barth (Dezember 1938), Die Kirche und die politische Frage von heute, 75 (sechsmal). 76 (zweimal). 80 (zweimal). 82 (zweimal). 83 (einmal). 84 (einmal) 87 (einmal). – Das kompromisslerische Pendant, das Barth ablehnte, lautete »Ja und Nein«. Vgl. a. a. O., 75. 93 ( jeweils einmal). Vgl. Barth (Januar 1939), Die Kirche und die politische Frage von heute (KBA 11140 / KBA 354 / W408), 4: »Weil es hier um eine neue Religion, um eine neue Kirche geht, darum kann hier die christliche Kirche nicht gleichgültig zusehen, darum geht sie das an! Entweder in diesem Staat ist das Reich Gottes angebrochen, dann haben wir allen Anlass uns sofort zu ihm zu bekehren. Oder aber dies ist nicht der Fall, dann erhebt es seinen Anspruch zu Unrecht, dann geht es um das andere Reich und um den anderen Herrscher[,] der ihn [sic] aufrichtet: den Teufel. Entweder geht es hier um die wahre Kirche[,] oder aber es geht um die Kirche des Antichrist, dann kann es sich nur um radikale Abwendung handeln. Wir können hier nicht Ja und Nein, Nein und Ja sagen. Dazu ist uns die Frage zu ernsthaft gestellt. Wir sind aufgerufen, uns zu entscheiden.« 569 Vgl. hierzu ausführlich Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 313–336. – Von vielen verschiedenen Perspektiven wird das Thema Holocaust und Protestanten in folgendem Sammelband behandelt: Kaiser / Greschat, Der Holocaust und die Protestanten. 570 S. o. Kap. 2.4.3. 571 Brief an Hans Ehrenberg vom 13. 11. 1933, abgedruckt in: Br. 1933, (501) 502f, Zitat: »Meine vollständige diskussionslose Ablehnung des Arierparagraphen in jeder, auch der gemil-

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Vermutlich nicht zuletzt unter dem lebhaften Eindruck der Novemberpogrome kam es bei Barth allerdings spätestens Ende 1938 zu einer signifikanten Umwertung bezüglich der Judenfrage, die auch für seine Deutung des Kirchenkampfes von maßgeblicher Bedeutung ist: Es stellte sich für Barth nämlich nun die Frage, ob »die im November losbrechende Juden- (und Judenchristen-) Verfolgung von der Bekennenden Kirche als das Zeichen verstanden worden« war, »was sie doch offenbar gewesen«572 sei. Denn der »eigentlich durchschlagende, biblisch-theologische Grund«, warum man den Nationalsozialismus theologisch als »grundsätzlich antichristliche Gegenkirche« qualifizieren müsse, liege »in seinem prinzipiellen Antisemitismus«573. ›Antisemitismus‹ wiederum qualifizierte Barth theologisch als Feindschaft gegenüber Jesus Christus, als Sünde gegen den Heiligen Geist und somit hamartiologisch als »Ursünde«574: Was wären, was sind wir denn ohne Israel? Wer den Juden verwirft und verfolgt, der verwirft und verfolgt doch den, der für die Sünden der Juden und dann und damit erst auch für unsere Sünden gestorben ist. Wer ein prinzipieller Judenfeind ist, der gibt sich als solcher, und wenn er im übrigen ein Engel des Lichtes wäre, als prinzipieller Feind Jesu Christi zu erkennen. Antisemitismus ist Sünde gegen den Heiligen Geist. Denn Antisemitismus heißt Verwerfung der Gnade Gottes. Der Nationalsozialismus aber lebt und webt eben im Antisemitismus. Wo ist Jesus Christus selber in der Anfechtung, wenn er es hier nicht ist? Was für Zeichen müssen eigentlich noch geschehen, wenn gerade dieses Zeichen der Kirche nicht sagt, dass sie mit dem Nationalsozialismus positiv nichts, gar nichts zu tun haben, dass sie erwachen und ihm auf der ganzen Linie ein entschlossenes Nein entgegenzustellen hat?575

Theologisch gesprochen offenbare sich also die gesamte Antichristlichkeit des Nationalsozialismus in seinem prinzipiellen Antisemitismus, d. h. in seiner ›Verwerfung der Gnade Gottes‹. Deshalb betrachtete Barth nicht zuletzt »die Judenfrage und darüber hinaus die politische Frage als solche und im ganzen heute« als »eine Glaubensfrage«, an der sich die Geister in der Kirche notwendigerweise scheiden müssten.576 Entsprechend unterzog Barth auch seine Verhältnisbestimmung von Judentum und Kirche einer grundlegenden Revision: Zwar ist sein einschlägiger Vortrag Erklärung von Markus 13, den Barth kurze Zeit nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs auf einer Pfarrertagung auf der Schauenburg am 4. Oktober

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dertsten Form, ist dir bekannt. Aber mein Hauptproblem in der gegenwärtigen Krise ist das der natürlichen Theologie und nicht, oder eben nur in diesem Rahmen, die Judenfrage.« Barth (Mai 1939), Die Bekennende Kirche in Deutschland im Jahre 1938/39, 59. Vgl. Barth (Dezember 1938), Die Kirche und die politische Frage von heute, 88–90, Zitate 88f. Barth (23. Juli 1944), Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde, 321. Barth (Dezember 1938), Die Kirche und die politische Frage von heute, 90. Barth (Mai 1939), Die Bekennende Kirche in Deutschland im Jahre 1938/39, 59.

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1939 hielt, von substitutionstheologischen Aussagen577 durchzogen, aber immerhin wertete er die Bedeutung der »Judenfrage« theologisch darin auf: »Judenfrage, Kirchenfrage, Kriegsfrage«578 bestimmte er als »die legitime Reihenfolge.«579 Die Kirchen- und Kriegsfrage erhielten doch erst durch die Judenfrage ihre theologische Bedeutung. Andererseits seien »Welt-, Kirchen- und Israelsgeschichte« von »ihrem Anfang und von ihrem Ende her umschlossen und gehalten von Jesus Christus«.580 So erhielt auch die Leidensgeschichte Israels durch die Spiegelung des Todes Christi im Gericht über Israel ihr christologisches und eschatologisches Ziel: die »Herrschaft Christi«. »Dieses Gericht« sei »nicht Vergangenheit«, sondern es ereigne »sich noch heute«, denn was man »in der Gegenwart an Judenverfolgung« erlebe, das gehöre »als späte Auswirkung mit zu diesem Ereignis: zu der im Jahr 70 geschehenen Zerstörung Jerusalems«581. Vor dem Hintergrund seiner christologischen Konzentration war es Barth allerdings nicht möglich, die Judenfrage, die Kriegsfrage oder den Kirchenkampf anders als theologisch (genau genommen: christologisch) – etwa menschlich, juristisch oder ethisch – zu be- und verurteilen. Alle diese Fragen waren in seinen Augen schlicht keine eigenen Fragen für sich, sondern sie bekamen einzig von der Christologie her ihr Gewicht und ihre Bedeutung. Folglich spiegele sich der »Tod Christi« auch »in aller Verfolgung, Anfechtung und Bewahrung der Gemeinde.« Deshalb gebe es auch »keine selbständige Würde und Bedeutung und Kraft des Martyriums, des ›Kirchenkampfes‹.« Denn wenn »die Kirche in Kampf 577 Barth (Oktober 1939), Erklärung von Markus 13, passim. Vgl. etwa a. a. O., 142: »Israels Ende [ist] in seiner geschichtlichen Gestalt […] zugleich Anfang und Vollendung der Kirche.« A. a. O., 146: »Jetzt ist die Stunde da, wo das Israel nach dem Fleische untergeht, wo also um der Sache Gottes willen Israel nach dem Geist sich von diesem scheiden muss. Das eine muss vergehen, das andere darf und soll leben. Die Erwählung und ihre Verheißung besteht weiter und mit ihr das Israel Gottes.« A. a. O., 147: »Mit dieser Flucht konstituiert sich die Kirche Jesu Christi, in diesem Entsetzen der Errettung vor Tod und Untergang wird das wahre Israel geboren.« A. a. O., 151: »Die Kirche muss dem Glanz, sie darf aber auch dem Untergang Israels entfliehen. Sie hat damit nichts zu tun. Die Kirche entsteht in dieser Ablösung vom Tempel.« 578 Im Stichwortmanuskript zu Barth (Oktober 1939), Erklärung von Markus 13 (KBA 10135), 4 lautet die Ordnung entsprechend: »Israel > Kirche > Welt«. 579 Barth (Oktober 1939), Erklärung von Markus 13, 153. 580 Vgl. etwa a. a. O., 151: »Von Tod und Auferstehung Christi her empfangen Welt, Kirche und Israel Schatten und Licht, bekommt das menschlich-geschöpfliche Leben, das als solches die Mitte des Kosmos bildet, seinen Sinn. Diesem Schatten und Licht kann sich nichts und niemand entziehen: alles Geschehen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist eine Verkündigung des Todes Christi. Dieses Sterben muss sich ereignen. Aber es wird nicht das Ende sein. Sondern dieses ganze Geschehen eilt der Herrschaft Jesu Christi entgegen in seiner Macht und Herrlichkeit; es ist bestimmt von diesem Ziel. Welt-, Kirchen- und Israelsgeschichte sind von ihrem Anfang und von ihrem Ende her umschlossen und gehalten von Jesus Christus. Eschatologie ist grundsätzlich […] (wie übrigens letztlich alle Lehrstücke!) Christologie.« 581 A. a. O., 151.

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und Leiden« stehe, so sei »das die Entsprechung des Leidens und Sterbens Christi.«582 Man könne »nicht über den ›Krieg‹ predigen!« Genauso wenig könne man »über den ›Kirchenkampf‹ predigen und auch nicht über die Judenverfolgung.« Denn: »Jede Predigt, die die Kalamitäten der Welt-, Kirchen- oder Israelsgeschichte als solche in den Mittelpunkt rücken wollte, wäre eine verfehlte Predigt, die notwendig in den Bereich der falschen Messiasse rücken müsste.«583 Vor dem Hintergrund seiner christologisch konzentrierten exklusivistischen Wort-Gottes-Theologie konnte die letzte Frage und Antwort584 niemals eine weltliche oder politische Frage an sich darstellen, denn hinter »den wahrhaftig ernsten, wichtigen, brennenden politischen Fragen« stehe immer »eine letzte, eigentliche, entscheidende Frage, die selber keine politische Frage mehr« sei. Diese letzte Frage gebe jenen vorletzten Fragen erst ihr »eigentümliches Gewicht«. Ebenso müsse auch hinter »den sicher ebenso ernst gemeinten und ernst zu nehmenden politischen Antworten« stets »eine letzte, eigentliche, entscheidende Antwort stehen, die selber keine politische Antwort mehr sein« könne »und ohne die doch auch die politischen Antworten ihren eigentlichen Sinn und die ihnen nötige Durchschlagekraft nicht haben«585 könnten. Deshalb hänge »alles daran, daß wir in den vorletzten, den politischen Fragen und Antworten als solchen nicht etwa stecken bleiben«, sondern dass »wir sie ehrlich bewegen, und zugleich die letzte Antwort geben und dann auch die letzte Frage uns stellen lassen.«586 So war die Judenfrage für Barth vermutlich zwar durchaus eine brennende vorletzte Frage, wenn es etwa um die Beantwortung der Kriegsfrage ging. Eine letzte Frage war sie deshalb allerdings noch lange nicht. Barth schien seine Haltung der frühen 1930er Jahre später allerdings bereut zu haben, nachdem er erfahren hatte, »daß Bonhoeffer 1933ff. als Erster, ja fast Einziger die Judenfrage so zentral und energisch ins Auge gefaßt und in Angriff genommen«587 hatte. In einem Brief an Eberhard Bethge räumte er 1967 selbstkritisch eklatante Defizite in seiner Haltung zur »Judenfrage« im Kirchenkampf ein: Ich empfinde es längst als eine Schuld meinerseits, daß ich die »Judenfrage« im Kirchenkampf jedenfalls öffentlich (z. B. in den beiden von mir verfassten Barmer Erklärungen von 1934) nicht ebenfalls als entscheidend geltend gemacht habe. Ein Text, in dem ich das getan hätte, wäre freilich 1934 bei der damaligen Geistesverfassung auch der ›Bekenner‹ weder in der reformierten noch in der allgemeinen Synode akzeptabel ge582 583 584 585 586 587

Ebd. Barth (Oktober 1939), Erklärung von Markus 13, 153. Vgl. hierzu Barth (Weihnachten 1938), Die letzte Frage und Antwort. A. a. O., 416f. A. a. O., 417. Barth (22. 5. 1967), An Rektor D. Eberhard Bethge, Rengsdorf bei Neuwied, in: Briefe 1961– 1968, 403–406, Zitat 403.

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wesen. Aber das entschuldigt nicht, daß ich damals – weil anders interessiert – in dieser Sache nicht wenigstens in aller Form gekämpft habe.588

Im Rückblick gestand sich Barth außerdem ein, nie ein »›Philosemit‹« gewesen zu sein, insofern er »in der persönlichen Begegnung mit dem lebendigen Juden (auch Judenchristen!)«, solange er denken könne, »immer so etwas wie eine völlig irrationale Aversion herunterzuschlucken hatte.«589 Von dieser persönlichen Aversion schien sich Barth im hohen Alter schamvoll distanzieren zu wollen.590 Selbstkritisch räumte er die Möglichkeit ein, dass sich seine persönliche Aversion in seiner »Israellehre retardierend ausgewirkt«591 haben könnte. Ob Barth auch seine nicht unproblematische Israeltheologie der Jahre 1938ff und seine darin enthaltene Islampolemik im Rückblick bereut hat, lässt sich schwer sagen, darf aber nach bisherigem Kenntnisstand zumindest bezweifelt werden, weil er sich meines Wissens niemals davon distanziert hat.

2.5.6. Nach 1938: Die »Judenfrage, Kirchenfrage, Kriegsfrage« als »Gottesbeweis« Nicht nur die Judenfrage, sondern auch die Kriegsfrage thematisierte Barth nach 1938 durch und durch theologisch bzw. christologisch integrativ: Im künftigen geistigen »Endkampf« oder »Messiaskrieg« müsse der Christenstand mit der vollständigen und lückenlosen Waffenrüstung Gottes ausgestattet sein.592 Dabei handle es sich um die »Gotteswaffen der Wahrheit, der Gerechtigkeit, des Glaubens, des Wortes und des Geistes, die im Messiaskrieg des jüngsten Tages« des Christen »Schutz und Trutz sein werden.«593 Den Krieg in Europa594 betrachtete Barth lediglich als einen irdischen Vorläufer und somit ein vorläufiges Abbild jenes Endkampfes.595 Aus dieser Wesens- und Verhältnisbestimmung zog Barth drei Konsequenzen für die christliche Bewertung des zweiten Weltkrieges: 1.) Der Messiaskrieg werde im europäischen Krieg lediglich angekündigt, vollziehe sich aber nicht selbst und sei folglich nicht mit dem Krieg in Europa zu 588 Ebd. 589 Barth (5. 9. 1967), An Dr. Friedrich-Wilhelm Marquardt, 420f. 590 »Pfui! kann ich zu diesem meinem gewissermaßen allergischen Reagieren nur sagen.« A. a. O., 421. 591 Ebd. 592 Vgl. Barth (1940), Des Christen Wehr und Waffen, 123–132. Von »Endkampf« spricht Barth sechzehnmal, von »Messiaskrieg« dreimal in diesem Text. Kampfesterminologie durchzieht den gesamten Vortrag. 593 A. a. O., 143f. 594 Vgl. a. a. O., 132–138. 595 Vgl. a. a. O., 138–146.

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verwechseln. Weil der europäische Krieg aber ein Vorläufer jenes Endkampfes sei, müsse der Christenstand ihn ernst nehmen und die Waffenrüstung anlegen.596 Allerdings betrachtete er die ›Herrschaft des Ungeistes‹ des Nationalsozialismus als noch schlimmer als den Krieg selbst. »Und weil nur der Friede zur Wahl« gestanden habe, »der die Anerkennung der sich ausbreitenden Herrschaft dieses Ungeistes bedeutet hätte«, darum musste als das kleinere Übel von beidem »der Krieg gewählt werden.«597 Insofern betrachtete er den Krieg gegen Deutschland als »Abwehrkrieg«598 und sprach wiederholt vom notwendig gewordenen »Widerstand«.599 2.) Weil es sich bei dem Krieg in Europa um einen menschlichen Kampf handle, müsse auch der Christenstand mit menschlichen Waffen kämpfen. Das bedeutete für Barth »zu beten und zu arbeiten«, was wiederum »in diesem Fall leider heißen« müsse: »zu schießen«600. Wenn nämlich das geschehen werde, »was Offenb[arung] 20 beschrieben ist, wenn dereinst der Satan, das Tier aus dem Abgrund und der falsche Prophet noch einmal ›für eine kleine Zeit‹ los sein werden«, dann werde es »für alles Arbeiten und Schießen«, dann werde es »sogar zum Beten zu spät sein.«601 Mithilfe dieser Argumentation legitimierte Barth die Verteidigung gegen das NS-Reich mit Waffengewalt. 3.) Trotz der aktuellen Gefahr sei der menschliche Krieg in Europa angesichts des künftigen Endkampfes lediglich als dessen Vorläufer zu verstehen und somit eben ernst zu nehmen, aber keineswegs theologisch zu verklären.602 Für Barth kam den protestantischen Kirchen Europas im Verlauf der ›Weltkrisis‹ eine entscheidende Bedeutung zu: »Der Ausbruch der heutigen Weltkrisis« sei »mit der Erhebung und Machtergreifung der deutschen Nationalsozialisten im Jahre 1933«603 entstanden. Aller kirchliche »Widerspruch und Widerstand gegen das dynamische Gebilde des antisemitischen, nach allen Seiten

596 Vgl. a. a. O., 138–140. 597 A. a. O., 133. – Barth bezeichnet den Nationalsozialismus in diesem Vortrag zwölfmal als »Ungeist«. 598 A. a. O., 136. 599 A. a. O., 126. 129 ( jeweils einmal bezogen auf den Endkampf) 135 (dreimal) 143 (zweimal jeweils bezogen auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus). – In einem geistlichen Sinne forderte Barth die französischen Brüder und Schwestern auch auf, »das notwendige Werk des Widerstandes gegen den Hitlerschen Nationalsozialismus freudig und zuversichtlich« zu leisten. Barth (1940), Eine Frage und eine Bitte, 149 im Rückgriff auf Barth (Dezember 1939), Ein Brief nach Frankreich. In der Kirche von Frankreich müsse »der Krieg geistlich weitergehen.« Sie könne »mit Hitler unter keinem Titel Frieden oder auch nur Waffenstillstand schließen.« A. a. O., 155. 600 Vgl. Barth (1940), Des Christen Wehr und Waffen, 140–143, Zitat 141. 601 Ebd. 602 Vgl. a. a. O., 143–146. 603 Barth (September 1942), Die protestantischen Kirchen Europas, 252.

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aggressiven nationalen Totalstaates«604 sei nur aufgrund einer ansatzweisen theologischen Erneuerung – die »sogenannte ›Dialektische Theologie‹« sei »in diesem Zusammenhang nur eine Erscheinung unter anderen«605 gewesen – und Wiederentdeckung der biblischen Botschaft möglich gewesen.606 Dabei kam »dem Kampf der Bekennenden Kirche in Deutschland«607 – mit anderen Worten: dem ›deutschen Kirchenkampf‹608 – eine besondere Schlüsselbedeutung zu:609 Die Kirche habe »der Welt in der heutigen Krisis augenblicklich zu sagen«, dass »es einen unabhängig von Erfolg und Mißerfolg, Vorteil und Nachteil absolut notwendigen Gegensatz gegen den Nationalsozialismus«610 gebe. Der Kirchenkampf habe nämlich drei Erkenntnisse zu Tage befördert, die allein die Kirche sehen und der Welt mitteilen könne (hier wird wieder die Ordnung ›Judenfrage, Kirchenfrage, Kriegsfrage‹ deutlich sichtbar): 1.) »Die Judenfrage ist die Christusfrage.« Die Kirche »müßte ja blind sein, wenn sie übersehen könnte, wie der deutsche Nationalsozialismus von Anfang an und, je mehr er sich seinem Ende« näherte »um so heftiger, gerade die Judenfrage in den Mittelpunkt seiner merkwürdigen Bemühungen gestellt« hatte.611 2.) Wer allerdings die Juden bekämpfe, kämpfe gegen das Volk Gottes, gegen den Sohn Gottes und somit eigentlich gegen den, der ihn gesandt hat. Deshalb habe sich »das deutsche Unternehmen vor allem auch gegen die christliche Kirche« notwendiger- und keineswegs zufälliger- oder irrtümlicherweise richten und »schon in den ersten Jahren seines Bestehens gerade die Gestalt eines Kirchenkampfes annehmen« müssen.612 3.) Deshalb sei es auch kein Zufall, dass »jenes ganze deutsche Unternehmen« aufgrund seiner Juden- und Christus- und Kirchenfeindlichkeit sich »als eine so auffallend freche Offenbarung menschlicher Ungerechtigkeit« dargestellt habe und letztlich »offenbar nicht gelingen« konnte.613

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A. a. O., 255. A. a. O., 253. Vgl. a. a. O., 252–257. A. a. O., 262. Barth ging davon aus, dass die »Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes« auch »in den übrigen protestantischen Kirchen Europas sehr wohl verstanden« worden war. A. a. O., 261. – Zur gleichen Zeit sprach Barth auch vom »Kirchenkampf in Holland und Norwegen« oder im Plural von der »Bedeutung der holländischen und norwegischen Kirchenkämpfe« und bezeichnete damit einen Kampf dieser Kirchen gegen außerkirchliche und unchristliche Überfremdung. Vgl. A. a. O., 262–264, Zitate 263. Vgl. a. a. O., 257–261. A. a. O., 266f. Vgl. Barth (23. Juli 1944), Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde, 317– 319, Zitate 317f. Vgl. a. a. O., 319f, Zitate 319. Vgl. a. a. O., 320–323, Zitate 320. 321.

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1933 sei es nämlich zur Gründung eines »Kriegerstaates«614 gekommen, der an die Stelle Gottes treten und Gott deshalb selbst bekämpfen wollte. Sein unerbitterter Streit 1.) gegen die Juden, 2.) gegen die christliche Kirche und letztlich auch 3.) sein Scheitern an seinem widergöttlichen und unmenschlichen Kampf gegen seine Gegner im Inneren wie im Äußeren bezeichnete Barth wiederholt als einen mächtigen »Gottesbeweis«615 sondergleichen sowie als »Offenbarungszeichen«616 Gottes. Dieser Gottesbeweis bestand für Barth also darin, dass »der deutsche Nationalsozialismus mit seinem [1.] Judenkampf und [2.] Kirchenkampf, mit seiner [3.] ganzen Übermenschlichkeit und Unmenschlichkeit«617 notwendigerweise scheitern musste. Nur die Kirche konnte diese Zeichen wirklich sehen und in ihrer theologischen Bedeutung ansatzweise verstehen und der Welt bezeugen. Deshalb bestand ihre besondere Verheißung und Verantwortung darin, Zeugnis von dieser theologischen Erkenntnis zu geben618 und einer »dreifachen Versuchung« zu widerstehen: »der Versuchung der Gleichgültigkeit, der Versuchung der Gottesleugnung, der Versuchung, falsche Götter anzubeten«.619

2.6. Kirchenkampf in der Rezipienten- und historiographischen Perspektive Zum Abschluss werfen wir noch einen Blick auf Barths Deutung des Kirchenkampfes nach 1945, wo die Rezipienten- und historiographische Perspektive praktisch zusammenfallen: Sein auf den Juni 1945 datiertes Vorwort zu Eine Schweizer Stimme 1938– 1945620 eröffnete Barth mit einer detaillierten, ambivalenten, differenzierten, selbstbewussten, aber auch selbstkritischen Deutung des Kirchenkampfes:

614 Den NS-Staat bezeichnete Barth in diesem Text neunmal als »Kriegerstaat«. A. a. O., 313 (einmal) 314 (zweimal). 315. 320. 321. 327. 328. 331 ( jeweils einmal) und einmal als »reinen Gewaltstaat«. A. a. O., 327. Er fasste ihn als einen Staat auf, »der sich die Ausübung der Gewalt um der Gewalt willen und also unter Hintanstellung jedes Rechtes als eben dessen der Gewalt zum Sinn und Ziel gesetzt hatte. Ein großes, hochbegabtes, tüchtiges und in seiner Weise auch frommes Volk ließ sich davon überzeugen und zum Teil sogar dafür begeistern, daß die Bildung eines solchen Staates seine Bestimmung, seine Rettung, seine Ehre sei. Gottähnlich sollte er sein, und mit gottähnlichen Ansprüchen und Verheißungen ist er von Anfang an an die Menschen herangetreten.« A. a. O., 313. 615 A. a. O., 319. 321. 323 (zweimal). 324. 616 A. a. O., 319. 617 A. a. O., 322. Die systematisierenden Ordinalia in Klammern stammen von mir. 618 Vgl. a. a. O., 323f. 619 A. a. O., 317. Vgl. auch a. a. O., 311–313. 620 Barth (1945), Vorwort, in: Schw.St., 5–12.

Kirchenkampf in der Rezipienten- und historiographischen Perspektive

131

Es gab 1933 und in den darauf folgenden Jahren – in der Zeit der nationalsozialistischen »Machtergreifung« also – keinen Kampf der deutschen Universitäten und Schulen, der deutschen Rechtsprechung, der deutschen Wirtschaft, des deutschen Theaters und der deutschen Kunst im allgemeinen, der deutschen Armee, der deutschen Gewerkschaften. Es gab viel ehrenvollen Untergang im Einzelnen. Jene großen Kreise und Institutionen aber wurden damals im Nu erobert und gleichgeschaltet. Es gab dagegen in jener Zeit schon von den ersten Monaten an einen deutschen Kirchenkampf. Auch er war kein totaler Widerstand gegen den totalen Nationalsozialismus. Er beschränkte sich auf die Zurückweisung des nationalsozialistischen Übergriffs, auf das Bekenntnis, den Gottesdienst, die Ordnung der Kirche als solcher. Er war nur ein partieller Widerstand. Das ist ihm seither mit Recht und mit Unrecht vorgeworfen worden. Mit Recht insofern, als eine starke, d. h. eine ihrer eigenen Sache sichere christliche Kirche dem Nationalsozialismus gegenüber nicht in der Defensive hätte bleiben, nicht allein in ihrem eigenen schmalen Sektor hätte kämpfen dürfen. Mit Unrecht insofern, als in diesem zugegeben allzu schmalen Sektor wenigstens teilweise ernstlich und auch nicht ohne Erfolg gekämpft und die Substanz der Kirche jedenfalls – und das in einem besseren Verständnis als zuvor – gerettet wurde: Wäre überall wenigstens soviel geschehen, als damals in der Kirche geschehen ist, so hätte der Nationalsozialismus in Deutschland schon von Anfang an weniger gute Tage gehabt. Hat die Kirche im Verhältnis zu ihrer Aufgabe Anlaß genug, sich zu schämen, daß sie damals nicht mehr getan hat, so hat sie im Verhältnis zu jenen anderen Kreisen und Institutionen keinen Anlaß, sich zu schämen, sie hat vielmehr mehr gearbeitet als sie alle.621

Den Gedanken des ersten und letzten Abschnittes – die BK habe den NS-Staat stärker bekämpft als alle anderen Institutionen, Gruppierungen etc. – äußerte Barth bereits sehr früh im Kirchenkampf und er zieht sich wie ein roter Faden durch seine Darstellungen zur Zeit des Kirchenkampfes.622 Aussagen wie diese 621 A. a. O., 5. Die Einteilung in Sinnabschnitte stammt von mir. 622 Bereits am 4. 7. 1933 hatte Barth einen Brief an seine Mutter Anna Barth mit einer ähnlich positiven Einschätzung der Rolle der evangelischen Kirche im Kirchenkampf beschlossen: »Die arme [?] evangelische Kirche war und ist nun doch die einzige Stelle in Deutschland, wo es einen ernsthaften Widerstand gab und auch noch giebt. Aus den Zeitungen sieht man das kaum, aber es ist doch so und darüber kann man sich trotz Allem freuen.« Br. 1933, 274f. Im Sommer 1935 bezeichnete Barth den Nationalsozialismus als einen »Allesbezwinger von bisher unerhörten Ausmaßen« und schilderte das besondere Verdienst der evangelischen Kirche im Kirchenkampf ähnlich: »Die politischen Parteien, das Wirtschaftsleben, die Rechtsprechung, die Kunst, die Universitäten, die Schule und Jugenderziehung im weitesten Umfang, die Presse, die öffentliche und private Fürsorge – und unzählige Menschen, die man vorher für ›Charaktere‹ gehalten hatte, haben sich seinen Forderungen gefügt, fügen müssen und fügen können. Die ganze stolze Erbschaft des 18. und 19. Jahrhunderts erwies sich als nicht widerstandsfähig, offenbar darum nicht, weil sie nichts enthielt, was hier widerstehen musste und also nicht weichen konnte. Wer hätte erwartet, dass ausgerechnet von der in der Neuzeit innerlich so schwach und äußerlich so bedeutungslos gewordenen evangelischen Kirche etwas anderes zu sagen sein werde? Eben dies ist geschehen, spärlich, mühsam, unsicher, aber unleugbar: es kam gerade in der evangelischen Kirche zur Wie-

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Karl Barth

dürften die Heldenverehrung der BK und ihrer Akteure nach 1945 zumindest begünstigt, wenn nicht sogar mit vorbereitet haben.623 Sie dürften nicht zuletzt vor dem Hintergrund der immensen theologischen Bedeutung, die Barth dem Kirchenkampf einräumte (›Gottesbeweis‹ und ›Offenbarungszeichen‹624), zu erklären sein. Andererseits übte Barth bereits als Akteur immer wieder scharf Kritik an der BK und benannte deutlich und schonungslos ihre Schranken und Schwächen: Sie hatte sich ›mit dem Kampf um ihre eigene Reinheit und Freiheit begnügt‹, ›nur in ihrer eigenen Sache‹ geredet, ›für Millionen von Unrecht Leidenden noch kein Herz‹ gehabt und ›zu den einfachsten Fragen der öffentlichen Redlichkeit noch kein Wort gefunden.‹625 Es ging ihr eben nur um ihre eigenen Angelegenheiten (Bekenntnis, Gottesdienst, Ordnung der Kirche etc.) und deshalb sei ihr Kampf auch ›nur ein partieller Widerstand‹ gewesen. Der Ambivalenz dieser Deutung folgend unterschied Barth »die Ehre und die Schande des deutschen Kirchenkampfes«626. Im Hinblick auf die heftige Kritik, die Barth während des Kirchenkampfes entgegengebracht wurde, betonte er nach 1945 die Kontinuität seiner eigenen Haltung im Kirchenkampf und beteuerte »das gute Gewissen, nur auf eben der Linie weitergegangen zu sein«, die man »1933 gemeinsam angetreten«627 hatte. Terminologisch ist festzuhalten, dass Barth, wenn er die Ereignisse von 1933ff in den 60er Jahren mit einem Begriff belegte, durchweg den Begriff »Kirchenkampf« verwendete.628 Ob Barth hier lediglich zeitgenössischem Sprachgebrauch

623 624 625 626 627 628

derentdeckung und zum offenen Bekenntnis einer christlichen Substanz, die sich, wie sie keiner weltlichen Macht unterworfen ist, so auch nicht nationalsozialistisch ›gleichschalten‹ ließ, um deretwillen die Leute also wohl oder übel gegen den Strom schwimmen mussten.« Barth (Sommer 1935), Die Bekennende Kirche im nationalsozialistischen Deutschland, 793f. Dass Barth sich dieser Problematik selbst zutiefst bewusst war, belegen insbesondere sein Vortrag vom Januar und Februar 1945 Die Deutschen und wir und die Zwei Briefwechsel vom April 1945 am Ende von: Schw.St., 382–432. S. o. Kap. 2.4.9.3. und Kap. 2.5.6. S. o. Kap. 2.4.6. Barth (1945), Vorwort, in: Schw.St., 7. A. a. O., 6. Vgl. Barth (1960) Interview von Vernon Spronxton 1960, 160: »deutscher Kirchenkampf«; Barth (1964), Gespräch mit Tübinger »Stiftlern«, 116: »Kirchenkampf« und »Kirchenkampfsache«, a. a. O., 121: zweimal »Kirchenkampf«; Barth (1966), Gespräch mit einer »Barth-Arbeitsgemeinschaft«, 292: »Kirchenkampf«. – In seinem autobiographischen Aufsatz des Jahres 1958 schreibt Barth ironisch im Anschluss an die Schilderung der massiven Kritik, mit der er sich konfrontiert sah, weil er den Kommunismus nicht in gleicher Weise wie den Nationalsozialismus abgelehnt hatte: »Oh, ich meine, die Nekrologe bereits zu lesen, in denen man dereinst zusammenfassend von mir sagen wird, daß ich mir zwar in der Erneuerung der Theologie und allenfalls im deutschen Kirchenkampf gewisse Verdienste erworben habe, in politischer Hinsicht aber ein bedenkliches Irrlicht gewesen sei!« Barth (Dezember 1958), How my mind has changed 1948–1958, 204.

Kirchenkampf in der Rezipienten- und historiographischen Perspektive

133

folgte, wenn man für ähnliche Begriffe wie »Kirchenstreit«, die er vorher offenbar synonym verwenden konnte, keine Belege mehr findet,629 lässt sich schwer sagen. Man wird aber vor dem Hintergrund dieser Untersuchung zumindest sagen können, dass sich Barths Präferenz für den Kirchenkampf-Begriff im Laufe des Kirchenkampfes selbst angebahnt hat. Aufschlussreich äußerte sich Barth in einem Interview am 2. 5. 1966, das an seinem 80. Geburtstag erstmalig und an seinem Todestag, am 10. 12. 1968, erneut vom WDR ausgestrahlt wurde. Gefragt wurde Barth zum »Kirchenkampf in Deutschland«, konkret: »Welches waren eigentlich die Maßstäbe?« und »wie kam es seinerzeit zur Gründung« der »Bekennenden Kirche?«630 Barths Antwort: Ich würde sagen, die Antwort liegt schlicht in der Nennung eines Namens: Adolf Hitler. Dieser Mann, […], der hat es verstanden, das deutsche Volk und mit ihm auch die deutsche Kirche in einen Traumzustand zu versetzen. Und in diesem Traum träumte das deutsche Volk und träumten die deutschen Christen der evangelischen und der katholischen Kirche, es habe so etwas wie eine Offenbarung Gottes stattgefunden in dem, was dieser Mann dachte, sprach, wollte und tat. Und im Grunde ging es der sogenannten Bekennenden Kirche um ein entschlossenes »Nein« zu diesem Traum, ging es um einen Aufruf »Deutschland, erwache« – ja, aus diesem Traum. Und der Exponent – leider fast der einzige Exponent dieses Erwachens – war die sogenannte Bekennende Kirche. Sie war es damals.631

Auch in diesem Interview ordnete Barth den Kirchenkampf in einen größeren theologie- und geistesgeschichtlichen Zusammenhang ein: Und nun habe ich am Anfang des Kirchenkampfes immer versucht, meinen Freunden zu sagen: Wenn wir jetzt aufstehen und uns wehren gegen diese sogenannte Geschichtsoffenbarung in Adolf Hitler, dann stehen wir auf gegen eine jahrhundertealte Entwicklung des Denkens im protestantischen, zum Teil übrigens auch im katholischen Denken; ihr müßt euch bewußt sein, es geht jetzt nicht nur um die Abwehr der sogenannten »[Deutschen] Christen«, sondern es geht darum, in der Theologie einen neuen Menschen heranzuziehen und zu begreifen, daß das Thema der Theologie nicht abstrakt der Mensch selbst ist, auch nicht der Mensch in seinen höchsten Möglichkeiten, sondern der Dialog zwischen Gott und dem Menschen.632

Auch auf die »Folgen« des »Kirchenkampfes« ging Barth in diesem Zusammenhang in einer Weise ein, die mit seinen Aussagen während des Kirchenkampfes konsistent sind: 629 Diesen Negativbefund ergaben Recherchen im KBA und Stichwortsuchen im The Digital Karl Barth Library: https://search.alexanderstreet.com/search?searchstring=kirchenstreit &sort_by=search_api_relevance&sort_order=DESC&page=1 (zuletzt abgerufen am 10. 6. 2023). 630 »Frage« in: Barth (Mai 1966), Interview von Heinz Knorr und Rudolf Rohlinger, 248. 631 A. a. O., 248f. 632 A. a. O., 252.

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Karl Barth

Es ist ja dann die Folge des Kirchenkampfes gewesen, daß man – also, ich sage das mit Vorbehalt – daß man sich auf der ganzen Linie ein bißchen mehr zu besinnen begann: Was ist eigentlich der Auftrag der Kirche? Was ist die Sache, was ist die Offenbarung, für die die Kirche einzutreten hat? – und auch sich darüber zu besinnen, wie und inwiefern die Kirche oder die Menschen in der Kirche das nun zu tun haben in Form von bestimmten Verantwortungen und Entscheidungen auch in der Politik.633

Wann genau für Barth der Kirchenkampf endete, lässt sich nicht genau sagen. Vermutlich war der Kirchenkampf für ihn spätestens mit Kriegsbeginn im September 1939 nur noch für die retrospektive (theologische) Deutung des Geschehens interessant. Bereits in seinem offenen Brief mit dem Titel Eine Frage und eine Bitte an die Protestanten von Frankreich, der auf Oktober 1940 datiert ist, verwendete Barth im Zusammenhang mit seiner Bitte, Frankreich möge vor dem NS-Staat gegenüber nicht zurückweichen, die Formulierung »Reminiszenz aus dem deutschen Kirchenkampf«634 in einer Weise, die nahe legen könnte, dass er den ›deutschen Kirchenkampf‹ als eine bereits vergangene Begebenheit betrachtete. Die genaue zeitliche Eingrenzung des Kirchenkampfes muss deshalb als offene Frage markiert werden. Dass der deutsche Kirchenkampf in Barths Augen für die gesamte Kirche überzeitlich gültige theologische Erkenntnisse zu Tage befördert hatte, kann allerdings nicht bestritten werden.

2.7. Fazit Karl Barths Deutung des Kirchenkampfes ist sehr komplex und spannungsvoll und war einer starken Entwicklung unterworfen. Sie wirft zahlreiche spannende Fragen auf und bewegt sich in ambivalenten Bahnen: A) Einerseits weist Barths theologisches Denken und Wollen große Kontinuität und Konsistenz auf:635 1.) Barths Deutung des Kirchenkampfes war stets in seine exklusivistische Wort-Gottes-Theologie und -Ekklesiologie eingebunden, deren Kehrseite die Ablehnung aller natürlichen Theologie war.636 2.) Barths Kampf im Rahmen des Kirchenkampfes war stets ein Kampf um die Freiheit des Evangeliums und die Wahrung und Bewährung der theologischen Existenz.637 3.) Barth betrachtete diesen Kampf durchweg nicht als politischen, sondern als geistlichen Kampf, dessen Ziel im echten Bekennen des christlichen Glaubens 633 634 635 636 637

A. a. O., 255. Barth (Barth 1940), Eine Frage und eine Bitte, 153. S. o. Kap. 2.2. S. o. Kap. 2.3. S. o. Kap. 2.4.1.

Fazit

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bestand und der insofern ein Bekenntniskampf war.638 Weil Barth den Kirchenkampf als einen geistlichen Kampf interpretierte, war er erst dann ernst zu nehmen, nachdem die grundsätzlichen theologischen Klärungen geschaffen waren.639 Barth wich von dieser Linie auch dann nicht ab, als seine Haltung im Kirchenkampf »politischer« wurde und zur Ablehnung des Nationalsozialismus selbst führte.640 Auch hier fußte der Kirchenkampf auf theologischen Einsichten, die er maßgeblich in seiner Schrift »Rechtfertigung und Recht« entwickelte.641 4.) Kontinuität besteht auch in der Frage, wer das Subjekt des Kirchenkampfes war: Es war nämlich das Wort Gottes selbst, das für die Kirche kämpfte und keineswegs die menschlichen Akteure.642 Obgleich sich also der wahre Gegner für Barth im Laufe des Kirchenkampfes geändert hatte (zunächst war es die kirchliche Häresie, die vor allem durch die DC, aber eben – und zwar nicht ungefährlicher – auch durch die JB in die Kirche eingedrungen war, später war es der NS-Staat selbst), das Subjekt und die damit verbundene Not und Verheißung643 blieben gleich: Es ging um nicht mehr und nicht weniger als das Wort Gottes selbst, das gegen den Hochmut des selbstherrlichen Menschen kämpfte.644 5.) Jeder selbstherrliche Kampf, jeder Kampf um eine andere Sache als um das Wort Gottes und die Freiheit des Evangeliums und des Bekenntnisses betrachtete Barth als Ausdruck natürlicher Theologie, als »Themapredigt«645 ohne Inhalt, als faules Bekenntnis, dessen Wirkung durch Bindestriche und Konjunktive von vornherein zum Scheitern verurteilt war.646 Andererseits war – mit Van Norden gesprochen – der ›Text‹ abhängig von dem ›Kontext‹647, in dem Barth lebte und es lassen sich in der relativ kurzen Zeitspanne von 6–7 Jahren deutliche Weiterentwicklungen (Rechtfertigung und Recht648) Vertiefungen (christologische Konzentration649), Veränderungen (Die 638 639 640 641 642 643 644 645

646 647 648 649

S. o. Kap. 2.4.4. S. o. Kap. 2.4.8. S. o. Kap. 2.5. S. o. Kap. 2.5.1. S. o. 2. Exkurs: Kirchenkampf in der KD. S. o. Kap. 2.4.9.3. S. o. Kap. 2.4.7. Vgl. etwa Barth (Dezember 1933), Vorwort [zu: die Kirche Jesu Christi], 602. »Als Thema würde weder die Judenfrage noch eine andere der uns heute bewegenden Fragen auf die Kanzel gehören.« A. a. O., 601. Themapredigten lehnte Barth per se strikt ab, weil sie seiner Meinung nach letztlich immer in natürlicher Theologie gipfelten: »Das ganze Elend des modernen Protestantismus, das wir heute durchzukosten haben, lässt sich auch dahin zusammenfassen: seine Verkündigung ist Themapredigt geworden.« A. a. O., 602. – Den Vorwurf theologisch gehaltloser Themapredigt machte Barth nicht zuletzt Emanuel Hirsch. Vgl. Barth (April 1934), Vorwort [zu: Offenbarung, Kirche, Theologie], 227–230, besonders 227. S. o. Kap. 2.5.4. und 2.5.5. S. o. Kap. 2.2. S. o. Kap. 2.5.1. S. o. 1. und 2. Exkurs.

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Karl Barth

Kirche und die politische Frage von heute650) und Neubewertungen (Das Scheitern des Nationalsozialismus in der Judenfrage, Kirchenfrage und Kriegsfrage als Gottesbeweise651) nachweisen. Besonders hervorzuheben ist die paradigmatische Frontverschiebung, die Barth im Rahmen des Kirchenkampfes vollzogen hat: Nicht die DC, sondern der NS-Staat war mit zunehmender Dauer des Kirchenkampfes der eigentliche Gegner der Kirche.652 B) Einerseits übte Barth stets scharfe Kritik an der Kirche – vor allem an die Adresse der DC und der JB, aber auch an die BK gerichtet – und Selbstkritik und zeigte im Nachhinein sogar persönliche Reue.653 Andererseits dürften einige seiner Lobesworte auf die Opferbereitschaft vieler Christinnen und Christen bereits während, aber auch nach dem Kirchenkampf die Heldenverehrung der Akteure der BK selbst vorbereitet haben.654 C) Einerseits übte Barth bereits sehr früh grundsätzliche Kritik an den DC, der JB und später auch am Nationalsozialismus als politischer Religion. Andererseits verhinderte seine Forderung nach grundsätzlicher theologischer Klärung ein früheres auch politisches Wort an den Staat. Hier stellt sich die Frage, ob Barths Theologie seiner besseren Einsicht, seinem gesunden Menschenverstand und seinen eigenen politischen Überzeugungen in mancher Hinsicht sogar im Wege stand? Und es lässt sich außerdem fragen: Brauchte es Barths Theologie für einen kirchlichen Widerstand im Kirchenkampf überhaupt oder hemmte sie ihn vielmehr? Zugespitzt: Lässt es sich beispielsweise rechtfertigen, der Judenfrage und dem ganzen menschlichen Elend, das damit zusammenhing, nicht anders als theologisch bzw. christologisch begegnen zu wollen? Mit anderen Worten: Konnte Barth ernsten tragischen und zutiefst menschlich-existenziellen Fragen und Nöten mithilfe seines Christo- und Ekklesiozentrismus überhaupt gerecht werden? Man kann sich im Hinblick auf Barths Deutung des Kirchenkampfes wohl mit einigem Recht fragen: Hat Karl Barth den Kirchenkampf als Kampf der natürlichen und der Offenbarungstheologie richtig thematisiert? Ist dies wirklich angesichts des Nationalsozialismus der entscheidende Punkt gewesen? Ging es damals und kann es heute wirklich nur um Kirche und Bekenntnis gehen? Wäre dies nicht und war dies damals nicht eine vielleicht geschichtlich verständliche, aber sachlich um so introvertiertere Introversion der Kirche auf sich, d. h. auf die Expektoration ihres pneumatischen Präsenzerlebens, ihres Kerygma- und Bekenntnisglaubens?655

650 651 652 653 654 655

S. o. Kap. 2.5.3. und 2.5.4. S. o. Kap. 2.5.5. und 2.5.6. S. o. Kap. 2.4.1. bis 2.4.6. Zur BK s. o. Kap. 2.4.6. am Ende; zur »Judenfrage« s. o. Kap. 2.5.5. am Ende. S. o. Kap. 2.6. M. Jacobs, Konsequenzen aus dem Kirchenkampf, 564.

Fazit

137

Wie man diese berechtigten Fragen auch beantworten mag – ich persönlich neige eher zu einem vorsichtigen ›Nein‹ als zu einem ›Ja‹, bin mir aber dessen wohl bewusst, dass Barth selbst die aufgeführten Alternativen als falsche Alternativen betrachtet und als solche ablehnt hätte –, man wird jedenfalls nicht übersehen können, dass Barths Drängen auf eine rein theologische bzw. christologische Perspektive auf das Geschehen nicht zuletzt in der Judenfrage in eine Aporie geführt hat.656 Zugespitzt könnte man vielleicht sagen, dass sie eine ethische und humane Perspektive auf die Juden geradezu unterdrückt hat, indem sie die Juden im Rahmen einer christologisch fundierten Substitutionstheologie christologisiert und dabei gleichzeitig enthumanisiert hat. Anders ausgedrückt: Dadurch, dass Barth eine rein theologische Betrachtung und Beantwortung der Judenfrage praktiziert und gefordert hat, kam den jüdischen Menschen selbst keine eigene, sondern nur eine von Christus her abgeleitete Würde und Bedeutung zu. Barths Deutung der Judenverfolgung als theologischer Beweis der Antichristlichkeit des Nationalsozialismus657 und seine theologische Würdigung des Scheiterns des NSStaates im Rahmen des Juden- und Kirchenkampfes als Gottesbeweis658 führen diese Problematik auf die Spitze. Zwar ist mit Eberhard Busch darauf hinzuweisen, dass Barth sich wie kaum ein anderer Theologe seiner Zeit im Rahmen seiner Theologie um eine positive Würdigung der Juden bemühte659 und zu dieser Zeit seine Lehre von der bleibenden Erwählung Israels entfaltete.660 Aber auch diese theologischen Deutungsversuche Israels und der Juden zeigen, dass es Barth keineswegs um eine ethische oder gar humane Betrachtung und Würdigung der Juden ging, sondern dass er sie immer nur im Rahmen seiner Theologie behandelt wissen wollte. Ähnliches lässt sich für seine Deutung der Standhaftigkeit einzelner Christen im Kirchenkampf als kleiner Beweis von der Realität des Glaubens661 sagen: Auch hier ging es Barth keineswegs um das einzelne leidende Individuum, sondern nur um eine diesem vor- bzw. übergeordnete Sache: Es ging ihm um die Bewährung des Wortes Gottes und um die Wahrung der Freiheit des Evangeliums angesichts heftiger äußerer und innerer Anfechtung. Deshalb dienten das Scheitern des Nationalsozialismus im Judenkampf und im Kirchenkampf und der nationalsozialistische Kampf gegen die Menschlichkeit Barth lediglich als Gottesbeweis und waren nur als Vorläufer und somit nur 656 657 658 659

So auch Wolf Krötke s. o. Kap. 2.2. (am Ende). S. o. Kap. 2.5.5. S. o. Kap. 2.5.6. Vgl. etwa Aussagen wie: »Die christliche Gemeinde […] hat einen ersteren Grund« für die Juden einzutreten »als die allgemeine Menschenliebe, die wir auch dem Juden schuldig sind«. Barth (Juli 1944), Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde, 319. 660 Vgl. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 283–311. 661 S. o. Kap. 2.4.9.3. – Kritisch zu Fragen wäre außerdem, ob Barth mit diesen geschichtstheologischen Deutungen nicht selbst eine Art von natürlicher Theologie betrieb.

138

Karl Barth

mittelbar von Interesse. War und ist diese theonome bzw. christonome Unterordnung des Humanen unter das Göttliche gerechtfertigt? Barth selbst hätte diese Frage schon als einen bedauerlichen Ausdruck natürlicher Theologie abgelehnt. D) Zuletzt sollte man nicht vergessen, dass Barths Streben nach grundsätzlicher theologischer Klärung ihn auch lange Zeit von einer direkten Kritik am NSRegime abgehalten hat. Und auch noch nach seiner grundsätzlichen theologischen Klärung durch Rechtfertigung und Recht bezog sich seine Kritik keineswegs unmittelbar auf die menschenverachtenden Praktiken des NS-Staates, sondern vielmehr auf dessen Verwirklichung der liberalen Ideen der vergangenen Jahrhunderte662 und seine Kirchen- und Christentumsfeindlichkeit als Ersatz- bzw. Gegenreligion.663 Außerdem wollte Barths Kritik am Nationalsozialismus keineswegs politische oder ethische Kritik sein. Die eigentliche Not der Kirche bezog sich für Barth nämlich keineswegs auf konkrete Enteignungen, Verfolgungen, Hinrichtungen etc., sondern einzig auf die Gefahr des Verlustes des Wortes Gottes. Folgerichtig lag die eigentliche Verheißung des Kirchenkampfes auf dessen Bewährung durch entschlossenes Bekennen.664 Somit bezogen sich der gesamte Ertrag des Kirchenkampfes und alle theologischen Einsichten, die die Kirche (weltweit) daraus zu ziehen hatte,665 auf die Reformation der Kirche, auf die Wahrung ihrer Substanz und die Verteidigung ihrer Botschaft. Christliches Bekennen und kirchliche Verkündigung, die die Judenfrage, die Kriegsfrage, den Kirchenkampf oder andere brennende Fragen der Zeit zu einem eigenen Thema erheben wollten, waren für Barth nichts anderes als selbstherrliche Themapredigt und standen somit in der Gefahr, zu natürlicher Theologie zu degenerieren.

662 663 664 665

S. o. Kap. 2.4.9.1. S. o. Kap. 2.4.9.2. S. o. Kap. 2.4.9.3. S. o. Kap. 2.4.9.4.

3.

Walter Künneth

Abb. 3: Porträt Walter Künneths aus dem Jahre 1927 (ADE, BA/CA-P 51)

3.1. Einleitung Walter Künneth (1901–1997)666 hat im Kirchenkampf in mehrerlei Hinsicht eine bedeutende Rolle gespielt: Größerer Einfluss kam ihm mit seiner Arbeit in der AC im Evangelischen Johannesstift Berlin-Spandau zu.667 Künneth war dort seit 1926 als Dozent und seit 1932 als Leiter tätig668 und kann insbesondere »während der Zeit des Nationalsozialismus als Meinungsführer der A[pologetischen] C[entrale]«669 betrachtet werden. Aus dieser Arbeit gingen zahlreiche größere 666 Vgl. Eber, Künneth, Walter. 667 Zur Arbeit der AC vgl. Pöhlmann, Kampf der Geister, 17–21.193–209; ders., »Illegale Fortbildungsstätte!«. 668 Vgl. hierzu seine autobiographischen Ausführungen, in: Künneth (1979), Lebensführungen, 76–86. 669 Pöhlmann, Die völkisch-religiösen Strömungen aus Sicht der Apologetischen Centrale, 293. Pöhlmann unterscheidet zwei Phasen der AC, »die durch die Zeitumstände und […] durch die Amtszeit ihrer jeweiligen Direktoren »Carl Gunther Schweitzer (1922–1932) und Walter Künneth (1932–1937), geprägt waren.« (a. a. O., 286) Das Jahr 1933 bedeutete eine »ent-

140

Walter Künneth

und kleinere Arbeiten hervor, von denen sich viele mit Fragen des Kirchenkampfes beschäftigten. So behandelte beispielsweise sein im Rahmen der AC mit Helmuth Schreiner zusammen herausgegebener umstrittener Sammelband Die Nation vor Gott und die Zeitschrift Wort und Tat (WuT[B])670 eingehend die theologischen und kirchenpolitischen Fragen seiner Zeit. Auch im Rahmen der JB, deren Mitbegründer Künneth im Mai 1933 war, äußerte er sich in mehreren Schriften unterschiedlichsten Charakters (Denkschriften, Aufsätzen, Besprechungen etc.) insbesondere in der Zeitschrift Junge Kirche (JK), die im Juni 1933 in Berlin als Mitteilungsblatt der JB gegründet worden war,671 zu Fragen rund um den Kirchenkampf. Besondere kirchenpolitische Bedeutung kam Künneth durch seine Auseinandersetzung mit Alfred Rosenbergs Werk Der Mythus des 20. Jahrhunderts672 zu. In seinem Geleitwort zu Künneths Antwort auf den Mythus (1935) wies August Marahrens in seiner Rolle als lutherischer Landesbischof von Hannover und Abt zu Loccum explizit darauf hin, dass »es sich bei den vorliegenden Äußerungen nicht um die Privatmeinung eines einzelnen«673 handele, sondern dass Künneth vielmehr stellvertretend die evangelisch-kirchliche Haltung in seiner Replik auf Rosenberg wiedergebe. Dieser Aussage kommt nicht zuletzt deswegen besondere Bedeutung zu, da Marahrens seit dem 22. November 1934 den Vorsitz der VKL innehatte.674 Am 31. Dezember 1937 erhielt Künneth Schreib- und Redeverbot für das gesamte Reichsgebiet, die Arbeit an der AC wurde verboten und Künneth wurde die venia legendi entzogen.675 Diese Verbote interpretierte Künneth selbst im Rückblick als »nichts Geringeres als die Vernichtung« seiner »Existenz« und das

670 671

672 673 674 675

scheidende Zäsur der Arbeit« der AC: »Nach anfänglichen Versuchen Künneths, die Apologetische Centrale zur Reichszentrale auszubauen und sich mit den nationalsozialistischen Machthabern zu arrangieren, wurde die Arbeit durch den ›totalen Weltanschauungsstaat‹ zunehmend eingeschränkt und durch das Verbot 1937 vollständig zum Erliegen gebracht.« (a. a. O., 288). Zur Geschichte von WuT(B) vgl. Pöhlmann, Kampf der Geister, 229–233. Die Zeitschrift JK erschien von der ersten Nummer vom 19. 6. 1933 bis zur vierzehnten Nummer im September 1933 unter dem Namen Junge Kirche. Mitteilungsblätter der Jungreformatorischen Bewegung und trug ab der 15. Nummer unter der Herausgeberschaft Hanns Liljes und der Schriftleitung Fritz Söhlmanns den Titel Junge Kirche. Halbmonatsschrift für reformatorisches Christentum. Sie blieb trotz wiederholter Repressalien ein wichtiges, informatives Publikationsorgan der BK. Vgl. Driever, Junge Kirche. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Vgl. hierzu Piper, Alfred Rosenberg, 179–231. Marahrens, Geleitwort, in: Künneth (März 1935), Antwort auf den Mythus, VIIf. – S. u. Kap. 3.4.7. August Marahrens (1875–1950) war seit 1925 Landesbischof von Hannover und seit 1928 auch Abt zu Loccum. Er wurde am 22. 11. 1934 zum Vorsitzenden der VKL bestellt. Vgl. V.u.kl.A. 1934–1935, 611, Anm. 8. Vgl. zu diesen Vorgängen Künneth (1979), Lebensführungen, 143–160, besonders 157. Vgl. auch Pöhlmann, Kampf der Geister, 209–213.

Zur Forschungslage und Aufgabenstellung

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»Ende« seiner »akademischen Laufbahn«.676 Mit seiner Amtseinführung in der neugotischen Diasporagemeinde in Starnberg am See hatte er »die Zone der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit aus den Augen verloren«, weil er »keine Lust hatte, ohne Veröffentlichungsmöglichkeit allein für den Schreibtisch zu arbeiten« und weil er »angesichts der Fülle neuer Verpflichtungen die Zeit dafür nicht aufbringen konnte.«677 Fortan beschränkte er seine Tätigkeit auf die eines Gemeindepfarrers und spielte im Kirchenkampf keine nennenswerte Rolle mehr.678

3.2. Zur Forschungslage und Aufgabenstellung Maßgeblicher Quellenwert für Künneths Deutung des ›Kirchenkampfes‹ nach 1945 (Rezipientenperspektive) kommen seiner Autobiographie aus dem Jahre 1979679 und seinen beiden großen geschichtstheologischen Werken – Der große Abfall (1947)680 und Politik zwischen Dämon und Gott (1954)681 – zu. Der Quellenwert dieser Schriften ist allerdings kritisch zu betrachten. So ist es vermutlich kein Zufall, dass Künneth in dem Abschnitt seiner Autobiographie, in dem er auf Karl Barth zu sprechen kommt, nicht weniger als fünfmal auf die Barth-kritische Kirchenkampfdarstellung von Rudolf Grob, den er vermutlich nur versehentlich »Rudolf Grab« nannte, und der mit dem landesbischöflichen Flügel der BK sympathisierte, in seinen Fußnoten verwies.682 Insgesamt scheint die Untersuchung der Rezipientenperspektive Künneths bisher die Forschungen zu seiner Deutung der Zeit des Nationalsozialismus dominiert zu haben: Monographisch hat sich Wolfgang Maaser in seiner Dissertation zu Künneth unter dem Titel Außertheologische Einflußfaktoren theologischer Ethik – Studien über den Zusammenhang von politischer Identität, Autobiographie und theolo676 Künneth (1979), Lebensführungen, 157. 677 A. a. O., 161. 678 Dies Spiegelt auch Künneths von H. G. Pöhlmann und W. Kopfermann erstellte Bibliographie am Ende seiner Autobiographie wider: Hier findet sich zwischen den Jahren 1937 und 1946/47 lediglich ein Titel (a. a. O., 278): Künneth (1939), Die Freiheit eines Christenmenschen. Darüber hinaus lässt sich noch eine Replik auf Hermann Sauers Buch Abendländische Entscheidung nachweisen, auf die wir noch kurz eingehen werden. S. u. Kap. 3.4.16. 679 Besonders a. a. O., 71–177. 680 Vgl. Künneth (1947), Der große Abfall, besonders 166–245. 681 Vgl. Künneth (1954), Politik zwischen Dämon und Gott, passim. 682 In seiner Autobiographie belegt Künneth seine Ausführungen zur kirchenpolitischen Rolle Karl Barths auf Seite 128 dreimal und auf den Seiten 129 und 131 jeweils einmal mit Grobs Buch (Grob, Der Kirchenkampf in Deutschland.). Auch in Der große Abfall verweist Künneth nicht weniger als sechsmal auf Grobs tendenziöse Darstellung des Kirchenkampfes: A. a. O., 171, Anm. 207; 187, Anm. 231; 209, Anm. 251; 211, Anm. 252; 220, Anm. 264; 242, Anm. 284.

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Walter Künneth

gischer Ethik des Politischen, dargestellt am Beispiel Walter Künneths683 auseinandergesetzt. Sie wurde im Wintersemester 1989/90 eingereicht und 1990 unter dem Titel Theologische Ethik und politische Identität. Das Beispiel des Theologen Walter Künneth veröffentlicht. Der ursprüngliche Titel wird erwähnt, da er dem Anliegen und dem Ertrag der Arbeit angemessener zu sein scheint als der endgültige: Durch die von außertheologischen Einflussfaktoren vorgegebene Hermeneutik (insbesondere »Biographiehermeneutische Voraussetzungen«684) wird die Interpretation des theologischen Schaffens Künneths von außen festgelegt. Nicht um Künneths eigenes Selbstverständnis geht es Maaser, sondern um sein psychologisiertes Wollen, das überwiegend (auto)biographisch, psychologisch und soziologisch ermittelt wird. Joachim Kummer kritisiert mit Recht an diesem Ansatz, dass durch die »Annahme wechselseitigen Einwirkens der Einstellungen von Individuum und Gesellschaft« in der Vehemenz, wie sie Maaser vertrete, »geistliche Neuschöpfung nicht in den Blick« komme.685 Die Theologie Künneths, gar als mehr oder weniger originelles kreatives und denkerisches Werk aufgefasst, nimmt Maaser überhaupt nicht in den Blick.686 An der Stelle, an der Künneths Darstellung der Auseinandersetzungen zur Zeit des Nationalsozialismus tatsächlich analysiert wird,687 taucht in der Kapitelüberschrift gleich an erster Stelle die Bezeichnung »Verzerrte Retrospektive« (d. h. Rezipientenperspektive) sowie ein entsprechender Hinweis in der einleitenden Anmerkung auf: »Das vorliegende Kapitel will keine zeitgeschichtliche Untersuchung sein; viel683 Maaser, Theologische Ethik und politische Identität, 9 (Vorwort). 684 Vgl. A. a. O., 87–92. – In diesem Zusammenhang kommt Maaser auch kurz auf Emanuel Hirsch zu sprechen. Maaser kommt zu dem Urteil, dass »seine Theologie auf Kosten seiner Person« von hirschnahen Forschern rehabilitiert werde, indem man Hirschs Person und Werk voneinander trenne und indirekt damit sage: »Hirschs Theologie führt nicht notwendig zu der Form der sozialen Vergewisserung, die Hirschs Biographie repräsentiert.« Grundsätzlich sei dies zwar eine »richtige Einschätzung«, man marginalisiere »jedoch, daß man mit Hirschs Theologie auch zu Hirschs eigenem In-Beziehung-Setzen zur sozialen Wirklichkeit kommen« könne (a. a. O., 90). Maaser geht es demgegenüber um eine kontrollierte »Verhältnisbestimmung von Leben und Werk« (a. a. O., 89) und das bedeute: Es geht ihm »um die Bewertung von Handlungsentwürfen, von sozialer Identität und Formen der sozialen Vergewisserung, d. h. Formen des sich In-Beziehung-Setzens zur sozialen Wirklichkeit.« (a. a. O., 90). 685 Kummer, Politische Ethik im 20. Jahrhundert, 276. – In der Sache ähnlich, im Urteil jedoch deutlich schärfer beurteilt auch Kurt Nowak Maasers Studie in seiner Rezension dazu. Vgl. Nowak, Maaser, Wolfgang, 346ff. 686 Zu dieser Einschätzung kommt auch Kummer. Vgl. Kummer, Politische Ethik im 20. Jahrhundert, 238–241. 687 Vgl. Maaser, Theologische Ethik und politische Identität, 140–201. Hier geht es um Künneths »Autobiographische Wahrnehmung von (Kirchen-) Politik im Vergleich mit Künneths Position in den Jahren 1931–1937«, wobei es Maaser vor allem daran gelegen zu sein scheint, auf Diskrepanzen und (bewusste oder unbewusste?) retrospektive Verzerrungen innerhalb Künneths autobiographischer Ausführungen, die es ganz offensichtlich gegeben hat, meist energisch und undifferenziert moralisierend hinzuweisen. – S. u. Kap. 3.5.

Zur Forschungslage und Aufgabenstellung

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mehr versucht es, den Zusammenhang zwischen einem Persönlichkeitstypus, dessen autobiographischer Wahrnehmung und den verwendeten theologischen Denkfiguren anschaulich zu machen.«688 Ein unmittelbares und unvoreingenommenes Sich-Einlassen auf die Rezipienten- geschweige denn auf die Akteursperspektive Künneths wird hierdurch nicht nur prinzipiell unmöglich gemacht, sondern ist aus methodologischen Gründen überhaupt nicht erwünscht. Die für unsere Belange einschlägige und instruktive Dissertation von Joachim Kummer beschränkt sich quellenmäßig, wenn es um das Thema ›Kirche und Nationalsozialismus‹689 oder an den ›Kirchenkampf‹ angrenzende Fragestellungen (Volk, Rasse, Staat, Krieg, Arierparagraph oder Judenfrage)690 geht, im Wesentlichen auf die Betrachtung der beiden genannten geschichtstheologischen Werke Künneths nach 1945, einige weitere spätere Werke und vereinzelt auf seine Antwort auf den Mythus. Dieser Umstand hängt nicht zuletzt mit einer methodischen Vorentscheidung der Studie zusammen: Sie möchte zeigen, »dass die grundlegenden Entscheidungen und Themen seiner politischen Ethik ›Politik zwischen Dämon und Gott‹ bereits« in seiner Antwort auf den Mythus »angelegt sind.«691 Gegen diese Kontinuitätsthese ist an sich nichts einzuwenden, aber die nachfolgende »Beweisführung« Kummers beschränkt sich darauf, auf der einen Seite die Antwort auf den Mythus in groben Zügen historisch und genetisch zu kontextualisieren sowie inhaltlich zu skizzieren,692 um danach Künneths Politik zwischen Dämon und Gott im wahrsten Sinne des Wortes nachzuerzählen,693 ohne jedoch die beiden Werke systematisch in ihrer sachlich-inhaltlichen und vor allem genetischen Beziehung zueinander zu thematisieren. Sachliche Kontinuität zwischen Künneths Aussagen der 30er Jahre und denen nach 1945 wird somit postuliert, keineswegs jedoch nachgewiesen. Trotz dieser methodischen Defizite gelingt es Kummer allerdings, Künneths ethische Konzeption zu systematisieren sowie Entwicklungen und Inkonsistenzen derselben überzeugend aufzuzeigen.694 Im Hinblick auf die Fragestellung meiner Arbeit muss festgestellt werden, dass Kummer die Kirchenkampfdeutung Künneths lediglich als geschichtstheologisches Fallbeispiel der Anwendung seiner politischen Ethik in den Blick nimmt und dass sich diese Betrachtung im Wesentlichen auf die Untersuchung der

688 689 690 691 692 693 694

A. a. O., 140, Anm. 1. Vgl. Kummer, Politische Ethik im 20. Jahrhundert, 136–148. Vgl. a. a. O., 167–177. A. a. O., 18. Vgl. a. a. O., 17–23. 178–188. Vgl. a. a. O., 23–80. Vgl. hierzu insbesondere die in »thetischer Form« dargelegten »Ergebnisse der Beschäftigung mit der politischen Ethik Künneths« (a. a. O., 264) am Ende der Arbeit: a. a. O., 264–278.

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Walter Künneth

Rezipientenperspektive695 beschränkt. Einen kritischen Vergleich zwischen Rezipienten- und Akteursperspektive unterlässt Kummer genauso wie überhaupt eine systematische Untersuchung der Akteursperspektive Künneths im Hinblick auf den Kirchenkampf. Hier lässt sich also ein deutliches Forschungsdesiderat konstatieren.

3.3. Theologische Grundlagen Künneths im Kirchenkampf 3.3.1. Theologie der Auferstehung Christi und der Offenbarung Gottes Die Mitte der Theologie Künneths lässt sich als Theologie der Auferstehung696 charakterisieren. Die Auferstehung Jesu Christi hatte für sein Denken zunehmend »axiomatischen Charakter«.697 Sie besitze »die Bedeutung eines Schlüsselpunktes für die Sinndeutung des ganzen Neuen Testamentes.«698 Eine Leugnung, Umdeutung oder Infragestellung der Auferstehung Christi kam somit für Künneth einem Angriff auf das Herz der Theologie gleich. Kummer hat überzeugend aufgezeigt, dass Künneths »Hermeneutik der Auferstehung« letztlich »pars pro toto für eine ›Hermeneutik der Offenbarungswirklichkeit‹« verstanden werden kann.699 Gottes Offenbarung beschränkte Künneth nämlich keineswegs auf die Auferstehung Christi. Es ist auffällig und für Künneth typisch, dass sein Welt- und Wirklichkeitsverständnis stark hamartiologisch, offenbarungs-, trinitäts- und ordnungstheologisch geprägt war: Künneth konzipierte die biblische Offenbarung trinitarisch und konstruierte analog dazu eine Art trinitarische Weltdeutung:700 Der »dreifachen Gestalt des Evangeliums« – Gott als 1.) Schöpfer, als 2.) Versöhner und als 3.) heiliger Geist – entspreche »die Dreifaltigkeit der Weltdeutung des Evangeliums« (25). Außerdem spiegele sich der »Erhaltungswille Gottes« (30) in den sog.

695 Die Ausnahme hiervon bildet ein Abschnitt mit der Überschrift »Rassenfrage in der Auseinandersetzung mit Rosenberg (1935)« (a. a. O., 178–188), in der sich Kummer erneut auf die Künneths Antwort auf den Mythus bezieht. 696 Vgl. Künneth (1933), Theologie der Auferstehung. 697 So Künneths zweite These in: Fuchs / Künneth (1973), Die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, 23. Künneth bestimmte hier ein Axiom als »eine Wirklichkeit, eine Voraussetzung, eine Gegebenheit, über die man nicht mehr diskutieren kann, die einfach da ist, für die ich mich entscheiden muß, die ich auch nicht beweisen kann.« Als ein Axiom in diesem Sinne – d. h. als nicht beweis- und diskutierbare Voraussetzung – fasste er die Auferstehung Christi auf. 698 Ebd. 699 Vgl. Kummer, Politische Ethik im 20. Jahrhundert, 82–89, Zitat 85. 700 Vgl. Künneth (1934), Die biblische Offenbarung und die Ordnungen Gottes. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Text.

Theologische Grundlagen Künneths im Kirchenkampf

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»Erhaltungsordnungen«701 wider. Auch die Erhaltungsordnungen Gottes konstruierte Künneth trinitätstheologisch: 1.) Es handele sich dabei ursprünglich um »Schöpfungsordnungen« Gottes, 2.) die post lapsum unter den Vorzeichen der Sünde aber »ebenso als Zornes- und Sündenordnungen«702 (32) zu verstehen seien, sich jedoch letztlich 3.) in ihrem Wesen als »Hinweis auf Gottes Liebe und Gnade« und somit als »Erbarmungs- und Gnadenordnungen« (32) in der Wirklichkeit manifestierten (s. u. Abb. 4).703 Dieses christlich-trinitarisch konstruierte »biblische Weltverständnis« (24) bildete für Künneth gleichermaßen den »Standort« sowie die »Grundlage« und den »Ansatzpunkt« allen irdisch-geschichtlichen Erkennens und Denkens. Sowohl die biblische Offenbarung als auch das biblische Weltverständnis charakterisierte Künneth als axiomatisch, weil sie »keine Gegebenheit dieser Welt« sei, »über die der Mensch von sich aus verfügen« könne. Schließlich sei sie »kein Produkt der Erfahrung, der Ratio oder menschlicher Phantasie«, weil sie »jenseits der Dimension menschlicher Möglichkeiten« liege. (21) Die biblische Offenbarung sei »nicht zu verwechseln mit Weltanschauung und Religiosität« (21), sondern vielmehr »die ganz andere, für den natürlichen Standpunkt des Menschen paradoxe Wirklichkeit, die in der Heimlichkeit und Verborgenheit irdischer Ereignisse und menschlicher Worte in diese Welt hereingebrochen« (21f) sei. Gleichzeitig stelle die biblische Offenbarung aber »als Tat und Wort Gottes 701 Künneth zog den Begriff »Erhaltungsordnungen« dem damals üblicheren Begriff der »Schöpfungsordnungen« vor, weil dieser fälschlicherweise suggeriere, man könne »die Schöpfung Gottes, abgesehen von Christus und dem Wort vom Heiligen Geist, besitzen und verstehen« und weil der Begriff dadurch den Eindruck erwecke, man könne der »Schöpfung Gottes in ihrer ursprünglichen Reinheit und Anlage begegnen« und sich »damit gleichsam den Zustand der Schöpfung ›vor‹ dem Fall« zugänglich machen. Künneth betonte dagegen, dass post lapsum »jeder unmittelbare Zugriff zur sündlosen Schöpfung verwehrt« sei. (30) Das eigentliche ordnungstheologische Anliegen des Begriffes »Schöpfungsordnungen« bejahte er jedoch ausdrücklich (vgl. 30f). 702 Insofern bedeuteten Gottes Ordnungen »Härte und Zwang, Gesetz und Gericht.« Denn der »Vollzug der Gesetzmäßigkeiten dieser Ordnungen« dokumentiere »mit unerbittlicher Notwendigkeit das Verstricktsein der Welt in Schuld und Sünde.« Deswegen gebe es im »Rahmen dieser Weltordnungen […] keine Macht ohne Gewaltübung, kein Handeln in unbedingter Sachlichkeit, keinen Kampf ohne ›Bestialität‹, kein Leben ohne Tod.« (32) 703 Die Übersicht macht deutlich, dass Künneth ungewöhnlicherweise den Sündenfall dem zweiten Artikel (Sohn) zuordnet. Im zweiten Artikel spricht er dann zwar von »Gott als Versöhner«, aber die Versöhnung wird erst im dritten Artikel (»Gott als Geist«) thematisiert. Diese Besonderheit dürfte sich nicht zuletzt durch Künneths trinitarisches Korsett erklären, in dessen Rahmen er sich bemüht, Segen (Abgrenzung von einer »optimistisch-idealistischen Weltauffassung«, vgl. a. a. O., 22f), Fluch (Abgrenzung von einer »pessimistisch-tragischen Weltauffassung«, vgl. a. a. O., 23) und Hoffnung (Abgrenzung von einer dualistischen Weltanschauung, vgl. a. a. O. 23f) – mit anderen Worten: Schöpfung, Sündenfall und Erlösung – den drei trinitarischen Artikeln zuzuordnen und gleichzeitig den ersten Artikel gegenüber dem zweiten zu stärken, um seine Ordnungstheologie schöpfungstheologisch zu fundieren (Vgl. a. a. O., 29).

als Versöhner 2. Gott als Versöhner

und 3. Gott als Geist

als heiligen Geist.« (24)

Differenzierung: 1.) Gottes Erhaltungswille trifft 2.) geschichtlich-menschliche Gestaltung (vgl. 32–36) Positive Konsequenz: Auch »Rasse, Volk, Staat« sind »als Erhaltungsordnungen Gottes zu begreifen« (40) und deshalb als »Gaben Gottes zur Erhaltung der Welt« (41) zu bejahen. Negative Konsequenz: Als vorläufige Erhaltungsordnungen dürfen sie weder verherrlicht noch vergötzt werden: »Jede derartige Verabsolutierung wird zu einem selbstherrlichen Mißbrauch der Gabe Gottes.« (43)

Parusie/Weltende

Erhaltungsordnungen als »Erbarmens- und Gnadenordnungen« (32)

Christozentristisches, eschatologisches Weltbild Teleologisch ausgerichtete und unvollendete Schöpfung Nur »vorletzte Wirklichkeit« und nur »vorläufige Werte« Vollendende Offenbarung Gottes, d.h.Weltganzes als Hoffnung

Neuschöpfung als Versöhnung und Erlösung (27f)

(inklusive: Sünde, Satan und Dämonen = Anfechtung und Gefährdung)

Interimszustand (Erhaltungsordnungen)

Nur getrübte Erkenntnis der Schöpfungsordnungen Gottes als »Zornes- und Sündenordnungen« (32)

Ursprüngliche »Schöpfungsordnungen« Gottes Kritik am Begriff! Vorschlag: »Erhaltungsordnungen« (30f)

Schöpfung/Sündenfall

Von Dämonen und vom Antichrist durchsetztes Weltbild Sündhaftigkeit allen geschichtlichen Daseins und Handelns Nur gebrochene Wahrnehmung der Ordnungen Gottes Unreine, von Sünde getrübte Offenbarung, d.h. Weltganzes als Fluch

Theozentrisches Weltbild Geschichtstheologie als Offenbarungs(ant)wort Gottes Geschichtsereignisse als Ruf Gottes zu seinen Ordnungen Reine Offenbarung des souveränen Schöpfers, d.h. Weltganzes als Segen

Gefallene Schöpfung im Schatten des Sündenfalls (26f)

»Dieser dreifachen Gestalt des Evangeliums entspricht die Dreifaltigkeit der Weltdeutung des Evangeliums« (25)

Schöpfung als creatio ex nihilo und creatio continua (25f)

1. Gott als Schöpfer

Schöpfer,

»Das Wort Gottes stellt nicht bloß den einzelnen Menschen oder die Menschheit, sondern das Weltganze unter seinen unbedingten Anspruch.« (22) »In einzigartiger Weise ist die biblische Weltdeutung durch den dreifachen Gehalt der Offenbarung Gottes gekennzeichnet. Das biblische Zeugnis redet in einem von der Offenbarung Gottes als

Zusammenfassung von: Künneth (1934), Die biblische Offenbarung und die Ordnungen Gottes, 21–43.

Christlich-trinitarisches Weltverständnis und Erhaltungsordnungen ab 1933

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Abb. 4: Christlich-trinitarisches Weltverständnis und Erhaltungsordnungen ab 1933

Theologische Grundlagen Künneths im Kirchenkampf

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den entscheidenden Schlüssel« zur »sachgemäßen Erkenntnis des Weltganzen« (22) dar. Die Paradoxie der Offenbarung Gottes bestand somit einerseits in ihrer ›Heimlichkeit und Verborgenheit‹ (Transzendenz) und andererseits darin, dass nur sie allein den ›entscheidenden Schlüssel zur sachgemäßen Erkenntnis der Wirklichkeit‹ (Immanenz) darzustellen vermochte. Deshalb beantworte die »Geschichtstheologie« als »Offenbarungsantwort der Bibel« die Fragen der Wirklichkeit, denn im »geschichtlichen Werden und Kämpfen« vollziehe sich »Gottes Wille.« (26) Zwar betonte Künneth, dass das »geschichtliche Leben als solches« nicht »das Göttliche« sei, aber die Geschichte sei immerhin der Ort, »wo sich Gott« offenbare, wo »Gott auch jetzt noch« handele »als der souveräne Schöpfer.« (26) Insofern seien »Geschichtsereignisse« immer »zugleich ein Ruf Gottes« sowie »eine Ausprägung der geschichtsmächtigen Lebendigkeit Gottes.« (26) Deshalb bestand Künneths Anliegen darin, »von der Wirklichkeit biblischer Offenbarung aus die Antwort« auf bestimmte »Gegenwartsprobleme zu versuchen.« (21) Denn ohne die »Gotteswirklichkeit der Offenbarung die Welt verstehen wollen«, heiße, »von dem Ermöglichungsgrund der Erkenntnis und Sinndeutung« zu abstrahieren und bedeute »auf das tiefste Verstehen von Volk, Rasse, Staat und der sich daraus ergebenden politischen Konsequenzen« (22) zu verzichten. Denn auch »die Wirklichkeiten von Rasse, Volk, Staat« waren für Künneth »in der Sicht biblischer Offenbarung als Erhaltungsordnungen Gottes zu begreifen« (40) und deshalb als »Gaben Gottes zur Erhaltung der Welt« (41) zu bejahen.704 Eben weil sie Erhaltungsordnungen Gottes darstellten, war gegenüber Volk, Rasse und Staat somit »Gehorsam« gefordert, weil in ihnen »der Wille Gottes, als des Schöpfers, des heiligen Herrn und des Erlösers den Menschen« (43) begegne. Die Grenze ihrer Bejahung begründete Künneth in ihrer Vorläufigkeit als Erhaltungsordnungen, weshalb sich jede »Verherrlichung und Vergötzung«

704 Diese Überzeugung gipfelte in folgendem Spitzensatz: »Der Glaube an Gott, den Schöpfer, schließt die Bejahung von Rasse, Volk, Staat als Gottes Gaben zur Erhaltung der Welt ein. So ist auch die Differenzierung der Völker und Rassen nicht als ein Abbiegen von der gottgewollten Schöpfungslinie zu beurteilen, sondern auch als ein Ausdruck des Schöpferreichtums Gottes zu werten. Es liegt kein Grund vor, das Schöpfungsprinzip, daß Gott ›ein jegliches nach seiner Art‹ geschaffen hat (1. Mose 1,11) auf die rassischen und volkhaften Verschiedenheiten anzuwenden.« Bereits im Juni 1932 bestimmte Künneth die beiden Größen »Volkstum und Rasse« als »Erhaltungsordnungen Gottes inmitten der gefallenen Schöpfung«. Deshalb stünden sie »zugleich unter dem dreifachen Urteil des Evangeliums«: sie seien »ausgerichtet auf Schöpfung, Sünde und Erlösung.« Diese Aussagen stehen im Kontext von Künneths Kritik an der kirchlichen »Indifferenz in Volkstumsfragen«. Künneth (Juni 1932), Kirche und national-völkische Bewegung, 62. – In der Sekundärliteratur ist diese frühe Qualifizierung bisher nicht herausgearbeitet worden. Zur Sache vgl. Kummer, Politische Ethik im 20. Jahrhundert, 162–168, besonders 167f.

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verbiete, weil jede »derartige Verabsolutierung« zu einem »selbstherrlichen Mißbrauch der Gabe Gottes« (43) werde.

3.3.2. »Die kämpfende Kirche« als radikale Infragestellung der Welt und des Menschen Kampfesmetaphorik lässt sich bereits vor 1933 als fester Bestandteil in Künneths theologischem und ekklesiologischem Sprachgebrauch allenthalben nachweisen. So sprach er in einem Aufsatz vom Oktober 1932 programmatisch von »kämpfende Kirche705«.706 ›Kämpfend‹ sei die Kirche in ihrem innersten Wesen, insofern in der »Erschütterung durch die Dimension Gottes durch die ›vertikale der Ewigkeit‹« (1015) die »Sendung (missio) der Kirche an die Welt« (1034) ergehe. Hierdurch werde der »Angriff des Evangeliums« zu einem »Angriff der missionarischen Kirche auf die Welt« (1034). Die eigentlichen Angreifer auf die Welt seien nicht die Menschen, »denn die Kirche als irdische von Menschen getragene Ordnung« sei ja »selbst ein Stück Welt.« Vielmehr betrachtete Künneth »Gottes Wort, Gottes Anrede« (1034) selbst als Subjekt der Sendung und somit des Angriffes. Insofern sei Kirche lediglich Objekt der Sendung als »Gesandter, Beauftragter Gottes«. Künneth betrachtete die Kirche als den »Ort, wo Gottes Ruf der Welt begegnet.« (1034) Diesen eigentümlichen Wesenszug von Kirche fasste er folgendermaßen zusammen: Die Kirche wird zu einem Zeichen der Offenbarung Gottes in der Welt, zu einem Erinnerungszeichen an Gottes Angriff und Gottes Anspruch. Die Welt stößt auf das Faktum Kirche. Sie soll aufschauen, aufhorchen. Es ergeht das Wort Gottes an sie, das sie fragt. Aber dieses Wort des Evangeliums stellt sie in Frage, d. h. es verkündigt der Welt, daß sie eine vom Tode bedrohte Existenz ist, ein »Dasein zum Tode« führt. Es rührt an die Fundamente alles Daseins und erschüttert sie stärker als ein Erdbeben. (1034)

Dieser unbedingte Ruf und Angriff Gottes, der als kritische Anfrage der Kirche an die Welt ergehe, erinnere die Welt an ihre Geschöpf- und Vergänglichkeit, verorte alles Weltliche bedingungslos im Interimszustand – d. h. in die Zeit nach dem Sündenfall und vor dem Weltende – und rufe zur eindeutigen Entscheidung

705 Der ekklesiologische Topos der ecclesia militans scheint in den 30er Jahren im Luthertum eine gewisse Rolle gespielt zu haben; vgl. etwa Elert, Ecclesia militans. 706 Künneth (21. Oktober 1932), kämpfende Kirche (I); ders. (28. Oktober 1932), kämpfende Kirche (II). Dieser Aufsatz geht auf einen Vortrag zurück, den Künneth an Pfingsten 1932 gehalten hatte. Künneth betont: »Kämpfende Kirche« sei »nicht ein Beiwort, kein Prädikat, auf das die Kirche verzichten« könne, sondern es umschließe »ihre Existenz, ihre Lebenswirklichkeit, ihre Dynamik.« A. a. O., 1015. Die Spaltenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt, sofern nicht anders vermerkt, auf diesen Beitrag.

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auf:707 »Die Antwort bleibt der Welt nicht erspart. Entweder Ja oder Nein. Kämpfende Kirche. Das ist die Frage an uns.« (1035) Christliche Verkündigung betrachtete Künneth folglich als ultimative Infragestellung der Welt durch die Kirche, durch die »alle Versuche, Wege, Hilfsmittel, Rettungsaktionen, Sanierungsprojekte, welche die Welt sich ausdenkt, in Frage« gestellt und vor dem biblischen Weltverständnis »als Scheinlösungen, als Illusionen« (1034) entlarvt würden. Auf diese Weise werde »die Verkündigung der Kirche zu einer großen Desillusionierung der Wirklichkeit.« (1034) Die »radikale Antwort« laute: »Gott rettet die Welt und diese Rettung ist das Werk Gottes extra hominem in deo, ›außerhalb des Menschen in Gott‹.« (1034) Dieser genuine Wesenszug der – in diesem Sinne kämpfenden – Kirche wird gleichermaßen zu ihrem unverlierbaren708 Auftrag. Die innerweltliche Stellung und Haltung der Kirche beschrieb Künneth aufgrund ihrer Vermittlungsfunktion, die sie gegenüber dem Ruf Gottes und der Welt einnehme, keineswegs als »Neutralität der Kirche«, sondern vielmehr als »Universalität in den Fragen des öffentlichen Lebens.« (1036) Die kämpfende Kirche stelle ihre »kritische Frage an alle innerweltlichen Größen, an Weltanschauungen, Staat, Volk, Rasse nach ihrer letzten Begründung.« Es komme alles darauf an, »ob eine Größe in Gott« wurzele »oder außer seiner Wirklichkeit Existenz« (1036) behaupte. Die Kirche werde so zum »Gewissen der Welt«: Sie werde »den Menschen erinnern an die Gesetzmäßigkeit und die Ordnungen Gottes in der Welt aufdecken.« Insofern obliege »der Kirche die Deutung der ganzen Existenzwirklichkeit.« (1036) Für Künneth ergab sich aus dieser Wesensbestimmung von Kirche und ihrer Vermittlungsfunktion zwischen dem Ruf Gottes auf der einen Seite und der Welt auf der anderen bereits eine bestimmte »Frontrichtung des Kampfes der Kirche« (1035), die sich für den Kirchenkampf später als geradezu präfigurativ erweisen wird: 1.) Der Kampf der Kirche wende sich »zunächst gegen jede anthropozentrische Illusion.« (1035) Dieser Kampf sei unter folgenden Umständen gefordert: Wenn der Mensch »die Situation der Abhängigkeit« leugne und damit den Herrenanspruch des Schöpfers« (1035) bestreite. Der Kampf der Kirche gelte dann also der »Hybris eines Titanismus«, die aus der »Leugnung des Geschöpfseins« und damit verbunden der »Leugnung des Gefordertseins von Gott« resultiere. Dieser Kampf

707 Vgl. pointierte Aussagen wie: »Es gibt keine Neutralität gegenüber dem Evangelium und darum auch nicht gegenüber der Kirche.« (1035) Vor diesem Hintergrund ist auch Künneths ekklesiologischer Exklusivitätsanspruch zu verstehen: »extra ecclesiam nulla salus, ›außerhalb der Kirche kein Heil‹« (1036). 708 Vgl. Aussagen wie: »Verliert die Kirche den Ärgernis-Charakter, dann verliert sie ihre Bahn, dann ist sie auch nicht mehr Herrenkirche und die Dynamik und eschatologische Erwartung ist ihr fremd.« (1035)

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werde überall ausgefochten, »wo Menschen sind, also auch innerhalb der Gemeinde.« (1035) 2.) Darüber hinaus sei »die Auseinandersetzung gegen jede besondere Realisierung des Antikirchentums in geistigen Weltanschauungsbewegungen und Gruppen gefordert«, weil es »keine Neutralität gegenüber dem Evangelium und gegenüber der Kirche« gebe. »Jede Stellungnahme außerhalb der Kirche« trage »irgendwie religiöses Gepräge«, normiere »sich an einem anderen Zentrum« und werde »deshalb notwendig zu einer Anti-Kirche. Anti-Kirche besagt ein falsches angemaßtes Herrentum, letztlich sogar dämonische Herrschaft.« (1035) Die kämpfende Kirche wird so verstanden also zu einer doppelten kritischen Anfrage an die Welt und an den Menschen: Sie stellt vom Ausschließlichkeitsanspruch des Evangeliums her sowohl 1.) alle Selbstherrlichkeit als auch 2.) alle Un- und Anti-Kirchlichkeit radikal infrage. Diese radikale Infragestellung von Welt und Mensch durch die Kirche sowie ihr ständiger Ruf zu den Ordnungen Gottes tragen bereits eine erhebliche kritische Sprengkraft in sich. Denn bei alledem stand geschichtstheologisch für Künneth fest, dass die Kirche »in eine Zeitspanne hineingestellt« war, »die durch tiefgreifende Entscheidungen gekennzeichnet« sei. Die »Signatur« des »geistigen Lebens« zeichne sich aus durch ein eindeutiges »Entweder – oder, nicht mehr ein Sowohl als auch: Mensch oder Gott, Weltanschauung oder Evangelium, Welt oder Kirche.« (1010)

3.4. Chronologische Darstellung der Entwicklung der Kirchenkampfdeutung 3.4.1. Künneths Haltung zu völkischer Religiosität und zum Nationalsozialismus vor 1933 Künneth, der im Rahmen einer Neugestaltung der Verhältnisse im CentralAusschuß sowie einer Neuordnung seiner volksmissionarischen Arbeit seit etwa Juli 1932 die Leitung der einheitlichen volksmissionarischen Abteilung übernommen hatte, die sowohl die evangelische als auch die AC umspannte,709 hatte sich bereits vor 1933 mehrfach eingehend mit konkurrierenden religiösen Angeboten und Weltanschauungen beschäftigt.710 Deshalb hatte er bei dem Schlag709 Vgl. Künneth (Juni 1932), Rundschau, 69; ders., (Juli 1932), Rundschau, 95f. Noch das erste Heft des Jahres 1932 trug den Untertitel: »Hefte der Apologetischen Centrale«. Seit dem zweiten Heft 1932 lautete der Untertitel: »Zeitschrift für volksmissionarische Arbeit herausgegeben vom Central-Ausschuß für Innere Mission«. S. u. Kap. 8.2., Anm. 1430. 710 Vgl. etwa Künneth (1932), Die völkische Religiosität der Gegenwart; ders. / Schweitzer (1932), Freidenkertum und Kirche. Letzteres eröffnete Oberkonsistorialrat Gustav Scholz in einem Geleitwort, das auch Künneths Anliegen auf den Punkt brachte: »Dem Angriff des Evan-

Chronologische Darstellung der Entwicklung der Kirchenkampfdeutung

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wort ›Anti-Kirchentum‹ auch ganz konkrete Gruppierungen und Personen vor Augen: Namentlich ging es ihm neben anderen Gruppierungen und Strömungen711 vor allem um den »Tannenbergbund« und »Alfred Rosenberg«, die sich durch die »Verabsolutierung des Rassenwertes und in der Statuierung des Blutwertes zum Weltanschauungsprinzip«712 auszeichneten. Künneth benannte klar die Versuchungen und »Forderungen der Zeit«, die von »nationaler völkischer Seite« ausgingen und denen viele seiner Zeitgenossen unkritisch erlagen.713 Seiner apologetischen Methodologie714 entsprechend formulierte er für die kirchliche Praxis Leitsätze für die Auseinandersetzung mit der national-völkischen Bewegung:715

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geliums auf die Welt ist der Angriff der Welt auf das Evangelium gefolgt. Das Freidenkertum der Gegenwart hat den Kampf gegen die Kirche des Evangeliums eröffnet und führt ihn mit gesammelter Kraft. Der Ausgang des Kampfes hängt davon ab, ob die evangelische Christenheit in ihm den Aufruf Gottes vernimmt und in seinem Namen und Auftrag in den Kampf tritt. […] Der Kampf der Christen geschieht im Auftrage Gottes und ist darum Sendung. Apologetik aus dem Glauben mit dem Rüstzeug des Wissens ist immer Volksmission.« A. a. O., Vf. In WuT(B) finden sich mehrere Betrachtungen insbesondere zur völkischen Bewegung. Vgl. etwa Künneth (August 1931), Aus der völkischen Bewegung; ders. (Juni 1932), Kirche und national-völkische Bewegung. Künneth polemisierte etwa auch gegen die »Negation der Kirche im Freidenkertum der Sozialisten und im Gottlosentum der Kommunisten.« Künneth (21. Oktober 1932), kämpfende Kirche (I), 1011. Künneth (28. Oktober 1932), kämpfende Kirche (II), 1035. Künneth warnte vor verschiedenen Versuchungen der Zeit: »Wir hören die Forderungen der Zeit: Wir brauchen heute keine kapitalistisch-bürgerliche Kirche, sondern vielmehr eine proletarisch-sozialistische. Das ist die Verführung, die durch den religiösen Sozialismus erfolgt, die Verführung hin auf den Weg der Säkularisierung der Kirche. Auf der anderen Seite wird von nationaler völkischer Seite aus das Verlangen an die Kirche gerichtet: Wir brauchen den kirchlichen Segen für die nationale Bewegung. Die Kirche darf nicht die gegenwärtige günstige Konjunktur versäumen, jetzt wirklich Volkskirche zu werden. Seid dankbar dafür, daß etwa der Nationalsozialismus die Kirche gebrauchen will. Werdet eine nationale Kirche, dann habt ihr wieder volle Gotteshäuser. Es sind verlockende Töne, die als kirchliches Ziel die Popularität vor Augen stellen.« (1011) Methodologisch formulierte Künneth drei prinzipielle Gesichtspunkte »für die apologetische Methode«: 1.) Die »Wahrung des Glaubensinteresses im Sinne der neutestamentlichen Offenbarungserkenntnis.« Dies sei »die gleichsam vorher gegebene konstante Größe für jede methodische Bemühung.« 2.) Die »Anerkennung der wissenschaftlichen Wahrheit«, die zwar »als eine durchaus veränderliche Größe im Blick auf den Fortschritt der Erkenntnisse und die Irrtumsmöglichkeit« erscheine, aber dennoch »stets für eine bestimmte Zeit bindend« sei. 3.) Die »Aufgabe kritischer Ueberlegung gegenüber den widersprechenden philosophischen, weltanschaulichen oder naturwissenschaftlichen Behauptungen.« Das Gesamtanliegen der Apologetik beschrieb Künneth entsprechend folgendermaßen: »Es gilt, die Wahrheitsfrage zu stellen bzw. den Einsatzpunkt des Irrtums zu erkennen, sowie eine kritische Unterscheidung des Wesentlichen und Peripheren vorzunehmen.« Künneth (1930), Zur Methodenfrage der Apologetik, 12. Künneths Vorschläge zu den »Praktischen[n] Möglichkeiten« zum Umgang mit der national-völkischen Bewegung sahen folgende Schritte vor: »1. Stärkere Beeinflussung der völkischen Kreise auf literarischem Wege. […]

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1.) »Die Auseinandersetzung« habe »auf der Grundlage der unverkürzten evangelischen Botschaft zu erfolgen«. Die »Strenge und Unbedingtheit ihres Anspruches« sei »zu betonen.« Damit seien »alle Kompromißversuche« verworfen. »Eine Akkomodation der Kirche an die völkische Fragestellung« betrachtete Künneth als »unvollziehbar.« (61) 2.) »Ein wirkliches Gespräch« werde allerdings »nur ermöglicht durch ein Ernstnehmen des Anliegens der völkischen Kreise, das einerseits in dem Willen zur Nation, andererseits in dem Willen zu ethisch-religiöser Erneuerung zum Ausdruck« (61) komme. Dieses Ernstnehmen der Anliegen der national-völkischen Bewegung dürfte sowohl aus apologetisch-methodologischen Erwägungen716 als auch aus Künneths eigenen politischen Tendenzen heraus begriffen werden. Künneth differenzierte unter methodologischen Gesichtspunkten zwischen der »Auseinandersetzung mit kirchenfeindlichen Kreisen«, wobei er insbesondere an den Tannenbergbund dachte, und der »Auseinandersetzung mit kirchenfreundlichen völkischen Kreisen«, wozu er etwa den Nationalsozialismus zählte.717 Letzteren sei ihre Offenheit »anzuerkennen und als Vertrauensbasis zu werten.« (62) Hier gelte es Kontakt aufzunehmen und Polemik zu vermeiden. Künneth ging wie viele seiner Zeitgenossen davon aus, dass der Artikel 24 des NSParteiprogramms718 »für die Kirche die Möglichkeit« eröffne, »einen Anspruch 2. Aufklärung kirchlicher Führer auf Lehrgängen und Freizeiten über die grundsätzlichen und praktischen Fragen. Schulung der Pastoren, Jugendführer, Diakone, Vereinsleiter, Mitglieder der kirchlichen Körperschaften usw. 3. Berücksichtigung des völkischen Fragenkreises in der gesamten Gemeindearbeit. […] 4. Direkte Fühlungnahme mit völkischen Kreisen. a) Führerbesprechungen. Ziel ist nicht in erster Linie die Gewinnung der Masse, sondern die Beeinflussung der Führer. b) Schulungswochen. c) Teilnahme der Kirche an völkischen Feiern und Veranstaltungen. […] d) Beteiligung an Diskussionen.« (63) »Entscheidendes Ziel« der kirchlichen Auseinandersetzung mit der national-völkischen Bewegung sei es folglich, »die Verantwortlichkeit der an Christus gebundenen Gewissen gerade inmitten der völkischen Organisationen, Bünde und Parteien zu stärken.« (63) Künneth ging es letztlich also um eine Missionierung der völkischen Kreise, um sie für den christlichen Glauben (zurück) zu gewinnen. Künneth (1932), Kirche und national-völkische Bewegung, 63. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt, sofern nicht anders vermerkt, auf diesen Beitrag. 716 Auch dieser Gesichtspunkt entstammt Einsichten der Methodologie seiner Apologetik: »Um die entscheidende Auseinandersetzung an der richtigen Stelle zu vollziehen, wird es erste methodische Aufgabe immer sein, den Kernpunkt einer Erscheinung klar zu erfassen.« Künneth (1930), Methodenfrage der Apologetik, 12. 717 Vgl. 62f. 718 Der vielzitierte Artikel 24 des Parteiprogramms der NSDAP vom 24. Februar 1920 lautet: »Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse

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auf Verkündigung in der NSDAP. zu erheben.« (62) Außerdem gestand er ein, dass die »völkischen kritischen Einwände gegenüber Versäumnissen kirchlicher Verkündigung« als »relativ berechtigt« anzuerkennen seien: so z. B. »die zu weichliche Jesusverkündigung, die kirchliche Indifferenz in Volkstumsfragen, die vielfach unzulänglichen Missionsmethoden einer früheren Periode.«719 (62) Vor diesem Hintergrund verstand er das Phänomen des Erstarkens völkischer Religiosität als »Schuld der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts«720. Deshalb betrachtete er als »die eigentlich spezifisch-theologische Aufgabe«, das »tiefste Wort von Volkstum und Rasse« in dem »biblischen Schöpfungsglauben neu zu begründen«, wobei diese Bestimmung sich zwischen den beiden Irrtümern »Mißbrauch von Volk und Rasse« und »Unverständnis dieser Größen« (62) vollziehen müsse. Deshalb sei »die Herausbildung einer völkischen ›Weltanschauung‹, die durch den Einbruch evangeliumsfremder Elemente und Normen zu entstehen« drohe, »in vollem Umfange zu bekämpfen.«721 (62). Grundsätzlich gelte, dass der »Angriff des Evangeliums« sich »gegen jede Verabsolutierung von Volk und Rasse« (62) richte. Künneths politische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und seine Erwartungen an ihn als politischer Bewegung unterschieden ihn kaum von den DC.722 Interessanterweise kehrte er dem Nationalsozialismus gegenüber die

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verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden.« Zitiert nach Hofer, Der Nationalsozialismus. 28–31, Zitat 30. Künneth (1932), Die völkische Religiosität der Gegenwart, 16f. wirft Licht auf die angedeuteten Kritikpunkte. Als »Unheilssaat« und »vergangene Fehler« bezeichnete Künneth hier: 1.) die »Verengung der christlichen Botschaft« auf den zweiten Artikel. Dabei habe man die Bedeutung des ersten und dritten Artikels »in ihrer unzertrennbaren Verbindung mit dem zweiten« unterschätzt, was eine »Verarmung in den christologischen Aussagen zur Folge gehabt« habe. 2.) Das »feminine Jesusbild« habe den »kraftvolle[n] Charakter Jesu in den Hintergrund« gedrängt. 3.) Zudem müsse »die Verkennung des Wertes des germanischen Volksgutes und der nordischen Sagenwelt als ein Ausdruck der revelatio generalis« bis zu einem »gewissen Grade zugestanden werden;« als »Anknüpfung an das Denken und Empfinden der Volksseele« sollte es »die Beachtung der Kirche erfordern.« – Insbesondere in den letzten beiden Punkten wird deutlich, wie anfällig Künneths Denken für die Ideologie des Nationalsozialismus war und wie nahe er doch den ideologischen Grundsätzen der DC in Bezug auf völkisch-nationales Denken stand. A.a.O, 16. Vgl. Pöhlmann, Die völkisch-religiösen Strömungen aus Sicht der Apologetischen Centrale, 294. Diese »Fremdelemente« seien »klar zu erkennen: Das Rasseprinzip mit der daraus resultierenden Rasseethik und Rassereligion.« Ebd. Vgl. etwa pathetische Aussagen wie die folgenden, die auch von Emanuel Hirsch stammen könnten: »Der Nationalsozialismus ist die aus deutscher Not geborene Bewegung der Nation, in der sich am elementarsten der Wille des Volkes zur Freiheit und Neugestaltung heraussetzt. Das Ringen um ein anderes – drittes Reich – lebt aus der tiefsten Sinndeutung der deutschen Sendung in der Geschichte, die geschichtstheologisches Denken nicht ohne Fügung Gottes zu beurteilen vermag. Was im Nationalsozialismus an neuer volkhafter

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methodologischen Schritte der kirchlichen Auseinandersetzung genau um, obgleich sie sachlich identisch blieben: Einerseits: Wir müssen dem NS gerecht werden, wir müssen ihn hören. 2. Wir dürfen aber das Evangelium in seiner Strenge nicht verkürzen. So sehen wir, die Antwort, die wir zu geben versuchen, steht jenseits von der Verwerfung und jenseits von der Verklärung des NS.723

Durch diese Umstellung – zuerst das Anhören des Nationalsozialismus, dann des Evangeliums – ergibt sich eine subtile Veränderung der Priorität der methodologischen Schritte zugunsten eines Sich-Einlassens auf den Nationalsozialismus. Insgesamt muss festgestellt werden, dass Künneths Äußerungen zum Nationalsozialismus bereits vor 1933 auffällig ausgewogen und diplomatisch ausfielen: In seinem Aufsatz Die Kirche und das dritte Reich724 kennzeichnete er die »Stellungnahme« des Nationalsozialismus zur evangelischen Kirche als »im allgemeinen zweifellos durchaus wohlwollend, ja entgegenkommend.« (66) Zwar sei das Wesen der evangelischen Kirche für den Nationalsozialismus noch nicht geklärt, dies sei jedoch auf Versäumnisse der Kirche selbst zurückzuführen und nicht dem Nationalsozialismus anzulasten.725 In den Augen des Nationalsozialismus erscheine der Protestantismus »als eine grundsätzliche nationale Antithese gegen undeutsche Überfremdung«. Seine »protestantischen Kulturwerte« seien »für den Aufbau des Dritten Reiches von unverlierbarer Wichtigkeit«, verkörpere sich doch in Martin Luther »der Freiheitswille des deutschen Menschen«. (66) Vor dem Hintergrund seiner Ekklesiologie benannte Künneth ganz im Sinne der Zwei-Reiche-Lehre als »einzige und entscheidende Aufgabe« der Kirche die Berufung »zur Verkündigung der Heilsbotschaft von dem gekreuzigten und auferstandenen Christus mitten in der gefallenen Welt« (67). Als »ecclesia crucis« strebe sie wesentlich nach »pura doctrina (reine Lehre)«. Als solche verwehre sie sich »gegen jede Verwechslung mit einer Kirche der Macht« und behaupte »den Verzicht auf Herrschaft.« (67) Diese Wesensbestimmung von Kirche hatte für Künneths kirchliche Haltung der Politik gegenüber zwei Konsequenzen:

Lebendigkeit, an Verständnis für rassische Bedingtheiten, an ernsthafter Bemühung um politische Formgebung aufbricht und was als Führertum und Gefolgschaft, als Ja zur Autorität und Gehorsam in arteigener Gemeinschaftsbildung sich durchsetzt, sind für die Evangeliumsverkündigung nicht gleichgültige Erscheinungen.« Künneth (1932), Die Kirche und das Dritte Reich, 68f. 723 Künneth (1931), Was haben wir als evangelische Christen zum Rufe des Nationalsozialismus zu sagen?, 9. 724 Vgl. Künneth (1932), Die Kirche und das Dritte Reich. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt, sofern nicht anders vermerkt, auf diesen Beitrag. 725 Vgl. a. a. O., 65. 71.

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1.) Für Künneth lag es »jenseits des spezifischen Anliegens der Kirche« nach »den Vorteilen oder Nachteilen der politischen Konjunktur in Bezug auf die evangelische Kirche zu fragen«. (67) 2.) Außerdem stelle die Kirche »alle innerweltlichen Größen in Frage« und somit »auch den Nationalsozialismus.« (67) Im Interimszustand habe die Kirche nämlich auf ausnahmslos jede Erhaltungsordnung einen kritischen Blick einzunehmen. Als kämpfende Kirche dürfe sie also nicht ihren spezifischen Auftrag aus den Augen verlieren, schon gar nicht aus politischem Opportunismus. Außerdem sei die »Autorität«, der »der Nationalsozialismus in der evangelischen Verkündigung« begegne, »nimmermehr menschlicher Machtanspruch, sondern das fordernde und begnadende Wort des Evangeliums« (72). Allerdings ging Künneth davon aus, dass der Nationalsozialismus die Kirche vor »die Frage nach Gottes Ordnungen, Gottes Gesetzen in dem Geschichtsleben der gefallenen Schöpfung« stelle. Dadurch biete er »dem an die Welt ergehenden Wort Gottes die Möglichkeit der Anknüpfung«. (69) Die entscheidende kritische Frage, vor die die Kirche durch den Nationalsozialismus gestellt sei, laute: Sind Volkstum, Rasse, Staat und Drittes Reich eigengesetzliche Wirklichkeiten, autonome Lebenszentren, oder sind sie Kreatur in Abhängigkeit von dem Schöpfer? Woher nehmen Autorität und Führertum ihren Anspruch und ihre Würde, aus der Eigenmächtigkeit menschlicher Verfügung, oder sind sie von »Gottes Gnaden«? […] Was heißt nationalsozialistische »Weltanschauung«? Ist Weltanschauung hier nur ein volltönendes Wort zur Kennzeichnung dafür, daß der Nationalsozialismus nicht eine parteipolitische Angelegenheit sein will, sondern das Ganze des Volkslebens umgreift, oder aber ist es der Versuch einer Deutung von Welt, Geschichte, Weltgeschehen von dem Prinzip des Blutwertes oder von der Idee der Nation aus, als einer verabsolutierten Größe? (69)

In dem Moment, in dem der Nationalsozialismus ›Eigenmächtigkeit‹ oder aber das Recht auf ›Weltanschauung‹ beanspruchen sollte, musste er »zu einem Widerspruch gegen die evangelische Kirche« (70) werden. In diesem Falle müsse die kämpfende Kirche auf den Plan treten und ihn an seine durch die Geschöpflichkeit gegebenen Grenzen durch den Hinweis auf Gottes Ordnungen erinnern. Vor dem theologischen Hintergrund seines biblischen Weltverständnisses konnte Künneth sogar eingestehen, »daß die Kirche eine eminent politische Aufgabe« und ein »›politisches Amt‹ im tiefsten Sinne zu erfüllen«726 habe: Dieses politische

726 Künneth (Oktober 1932), kämpfende Kirche (II), 1036. – Was für die Kirche als Ganzes galt, galt auch für den einzelnen Christen: »Christen sollen und dürfen sich nicht aus der konkreten politischen Sphäre herauslösen. In der gefallenen Welt gibt es keinen abgesteckten sakralen Bezirk der Sündlosigkeit.« Künneth (Juni 1932), Kirche und national-völkische Bewegung, 63.

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Amt der Kirche bestehe darin, dass sie »auf das Recht wie auf die Grenzhaftigkeit alles geschichtlichen Handelns«727 hinweise. Künneth differenzierte allerdings früh zwischen der Politik und der Weltanschauung des Nationalsozialismus. Deshalb betonte er auch wiederholt, dass seine apologetische Auseinandersetzung mit Rosenberg dezidiert nicht politisch, sondern kirchlich motiviert sei und deshalb keineswegs mit Kritik am Nationalsozialismus verwechselt werden dürfe.728 Dennoch richtete er trotz seines »Ja« zum Nationalsozialismus als politischer Bewegung, das er ausdrücklich zum nationalsozialistischen »Dienst am Volke«, seinem »Willen zur sozialen Neugestaltung« und dem »Willen zum Christentum« aussprach,729 bereits im April 1931 drei kritische Bedenken an den Nationalsozialismus als Weltanschauung: 1.) Angesichts der »weltanschaulichen Ideologie und Mythologie des NS«, liege die »Gefahr der Übersteigerung des Rassenprinzips«730 zweifellos vor. 2.) Zudem meldete Künneth angesichts »der Errichtung einer nationalen Kirche ernsthafte Bedenken« an. Dadurch drohe nämlich die Politisierung der Kirche.731 3.) Überdies kritisierte er einige »der praktischen Lebensäußerungen der Bewegung«: So seien etwa »die Art des Kampfes«, »die Propaganda« und die Pressearbeit »wenig erfreulich«.732 Insgesamt sei die »Gefahr der Dämonisierung einer solchen gewaltigen Bewegung« besonders groß.733

727 Künneth (Oktober 1932), kämpfende Kirche (II), 1036. 728 So etwa Künneth (1932), Die Kirche und das Dritte Reich, 68f: »Die so geforderte Auseinandersetzung zwischen evangelischer Kirche und Nationalsozialismus darf sich nicht in den vielfach üblichen Bahnen ›kirchlicher‹ Polemik bewegen. Jeder Anschein, als ob die nationalsozialistische Bewegung durch christlich-kirchliche Argumente gehemmt werden sollte, muß nicht nur die nationalsozialistischen Kreise selbstverständlicherweise erbittern, sondern ist auch der kirchlichen Grundhaltung unwürdig. Es geht auch nicht an, durch eine Zitatensammlung aus der mannigfaltigen und sehr unterschiedlichen nationalsozialistischen Literatur den billigen Nachweis der ›Unchristlichkeit‹ des Nationalsozialismus erbringen zu wollen. Diese Methode ist unsachlich und erfaßt nicht die wesenhafte Struktur der Bewegung. Ebensowenig darf bei aller notwendigen Schärfe der Kritik an Rosenbergs ›Mythus des 20. Jahrhunderts‹ die Rosenbergsche Anschauung mit der Weltanschauung des Nationalsozialismus ohne weiteres identifiziert werden.« 729 Künneth (1931), Was haben wir als evangelische Christen zum Rufe des Nationalsozialismus zu sagen?, 7. 730 A. a. O., 8. 731 Ebd. 732 Ebd. 733 A. a. O. 9: »Dämonisierung heißt nicht mehr Herr seiner Entschlüsse, auch nicht mehr Herr einer Bewegung sein, sondern sie wird beherrscht von einer geistigen Macht, die ja nur zu oft und leicht antichristliche Züge tragen kann.«

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3.4.2. Anfang 1933: »Wir stehen im Angang einer neuen Epoche deutscher Geschichte« Im Februar 1933 diagnostizierte Künneth den »Einbruch evangeliumsfremder Geistigkeit«734 in den Raum der Kirche. Deshalb sah er sich zu einer Reflexion der Frage »Was lehrt die Kirche?« veranlasst, die »ein Zeichen einer tiefgehenden Erschütterung« für ihn darstellte.735 In diesem Zusammenhang deutete er das Altonaer Bekenntnis vom 11. Januar 1933736 als eines der »verheißungsvollen Zeichen(s) reformatorischer Erneuerung der Kirche«, da er dieses Bekenntniswort nicht als »die Privatmeinung weniger, sondern das objektive Wort kirchlicher Lehre in der konkreten Lage der Gegenwart«737 betrachtete. Im April 1933 rückte Künneth die Behandlung der beiden Größen nationale Revolution und Kirche738 in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Frage »Was zeigt die Stunde unseres Volkes?«739 (108). In diesem Zusammenhang begrüßte er – wie viele Zeitgenossen auch – das »Ereignis des 30. Januar« als »Aufbruch einer mächtigen nationalen Welle«, die sich »seit den Märzwahlen zu einer nationalen Revolution ausgeweitet« habe und zum verheißungsvollen Anfang »einer neuen Epoche deutscher Geschichte«740 (108) geworden sei. Voller Pathos sprach Künneth davon, dass die »›nationale Erhebung‹« auf »die geschichtliche Sendung« und »auf den Geschichtsauftrag« des deutschen Volkes hinweise und es »inmitten der Völkerwelt auf einen bestimmten Platz« stelle, woran man erkenne, dass Gott das deutsche Volk »noch einmal einbauen will in seine Pläne.« (110) Zu dieser Entwicklung dürfe die Kirche nicht schweigen, sonst käme das dem Übersehen ihrer »volkskirchlichen oder volksmissionarischen Aufgabe oder aber Feigheit« (108) gleich. Trotz seiner Euphorie betonte Künneth allerdings, dass das »Wort der Kirche zu dieser neuen Lage des Volkes« ausschließlich »in christlicher Erkenntnis 734 Künneth (Februar 1933), Was lehrt die Kirche?, 44. 735 A. a. O., 43. 736 Das Wort und Bekenntnis Altonaer Pastoren in der Not und Verwirrung des öffentlichen Lebens. Vom 11. Januar 1933 ist abgedruckt in: KJ 1933–19442, 17–22; Schmidt, Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933, 19–25. 737 Künneth (Februar 1933), Was lehrt die Kirche?, 44. 738 Künneth (April 1933), Die nationale Revolution und die Kirche. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt, sofern nicht anders vermerkt, auf diesen Beitrag. 739 Vgl. hierzu auch seine Ausführungen in Künneth (1934), Neue Kirche, 235: »Die nationale Revolution hat auch die evangelische Kirche vor einen neuen Abschnitt ihrer Geschichte gestellt. Die entscheidende Frage ist die, in welcher Weise sie sich durch dieses umwälzende Geschehen angerufen fühlt und woher sie die Kräfte bezieht, die ihre eigene Neuformung schaffen.« 740 »Der ›Volksentscheid‹ des 5. März hat eine fundamentale Umwälzung des deutschen staatlichen Lebens angebahnt, deren politisches und kulturell-geistiges Ausmaß heute zwar noch nicht übersehen werden kann, das aber epochales Gepräge trägt.« Ebd.

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verwurzelt« sein könne und »kein parteipolitisches« (108) sein dürfe. Da sich das Wort der Kirche aber »in den Formen der konkreten Beziehung zu den aktuellen Ereignissen« realisiere, müsse es selbstverständlich Stellung zu den »brennenden Fragen der Zeit« (108) beziehen. Auf diese Weise stelle die Kirche »die Nation in ihrer ganzen Existenz und ihrer Zukunft vor Gott« und mache somit durch ihre Verkündigung die »Gottbezogenheit« (108) von Nation und Volk deutlich. Diese kirchliche Aufgabe bezeichnete Künneth auch als »›politisches Amt‹« (108). Das so verstandene politische Amt der Kirche begründete er durch den Hinweis auf die »doppelte Bindung« des Christen: 1.) Als Christ sei man zwar »an den Christus« (111), »im Gehorsam gegen Gottes Offenbarung« (108) gebunden, aber auch 2.) »an die deutsche Heimat« (111) »in der Liebe zur deutschen Nation« (108). Aufgrund dieser doppelten Bindung gelte es als einzelner Christ und als Kirche »in den Tagen der nationalen Revolution« einen »Gratweg« (109) zu beschreiten und zwei naheliegende Fehler zu vermeiden: Der eine Fehler bestehe in der »Gleichgültigkeit dem nationalen Geschehen gegenüber« (108): Als deutscher Mensch müsse sich auch der Christ notwendigerweise »politisch« entscheiden, denn ein »inneres Unbeteiligtsein wäre Verrat an der volkhaften Gliedschaft.«741 (109) Allerdings sei das andere Extrem nicht weniger verhängnisvoll: Es bestehe darin, »in Ausnutzung der anscheinend kirchenfreundlichen Konjunktur« und im »Ueberwältigtsein von dem Schwung nationaler Leidenschaft den evangelischen Standort preiszugeben und unkritisch in den Strom der neuen Volksbewegung unterzutauchen.« (109) Vielmehr gelte es im Interimszustand jeder Versuchung zu widerstehen, »Volk und Staat letztlich religiös zu verbrämen und kirchlich zu verklären«, um dadurch dem »Mißbrauch der Kirche zur Erhöhung der politischen Macht« (109) entschieden entgegenzutreten. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieses Problembewusstseins sprach Künneth im Rekurs auf Röm. 13,1–7 und mit dem Verweis auf den reformatorischen Topos der christlichen Freiheit entschieden davon, dass »heute Christen mit heißem Herzen in der nationalen Front stehen, begeistert mitmarschieren in 741 Diesen Gedanken begründete Künneth zweifach theologisch: a) Schöpfungstheologisch: im »deutschen Schicksal« sei »Gottes Schöpferwille« wirksam, denn »Gottes Schöpferruf« begegne »in der jeweiligen Situation«. b) Praktisch-theologisch: »missionarisch wirksame Verkündigung« sei »immer gegenwartsnah, immer auf die konkrete Lage des seiner Zeit verhafteten und an ihre Aufgabe gebundenen Menschen bezogen.« (109). Letztlich fundierte Künneth auch diesen zweiten Gedanken ordnungstheologisch: Weil er davon ausing, »daß man auf seiten der nationalen Regierung wie bei der Volksbewegung auf eine grundsätzliche Offenheit für das Wort der Kirche« (110) treffe, konnte er sogar wie Emanuel Hirsch den Nomos-Begriff positiv in sein Denken aufnehmen und feststellen: »Solche Anknüpfung an die gesunden Volkskräfte, an den heraustretenden deutschen ›Nomos‹«, führe »nicht zu einer Abbiegung der christlichen Wahrheit, sondern zur Ermöglichung, in der neuen nationalen Lage unverkürzt das Wort der Kirche zu sagen.« (110) Zu diesem Gedanken sowie zu Künneths ambivalenter Rezeption des Nomos-Begriffes vgl. ders. (Januar 1934), Die Frage nach dem deutschen Menschen als apologetisch-theologisches Problem, 269. 273f.

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den S.A. und Stahlhelmformationen und doch zugleich im innersten frei und einzig gebunden« an »die Autorität Gottes« (109) sein könnten. Künneth teilte also vor und nach 1933 die Begeisterung vieler Zeitgenossen hinsichtlich der nationalen Revolution der NS-Bewegung. Sein emphatisches Ja! sprach er ihr als politischer Bewegung aus. Ein Nein! und die theologische Infragestellung aller innerweltlichen Größen waren der kämpfenden Kirche aufgrund ihrer doppelten Bindung – an Christus und an die deutsche Heimat – praktisch untersagt. Der Widerspruch des Evangeliums gegen den NS-Staat wäre nur dann für Künneth notwendig geworden, wenn dieser sich seiner Eigenmächtigkeit hätte rühmen oder wenn er in Fragen der Weltanschauung in den Raum der Kirche hätte eingreifen wollen. Für keine dieser beiden Befürchtungen sah Künneth akuten Anlass. Vielmehr darf er als glühender und entschiedener politischer Befürworter des Nationalsozialismus bezeichnet werden, der – wie ähnlich wie Emanuel Hirsch – zentrale Elemente des nationalsozialistischen und völkisch-religiösen Gedankengutes in sein eigenes theologisches Denken konstruktiv übernahm: etwa den Nomos-Begriff sowie den Sendungsgedanken des deutschen Volkes.

3.4.3. Mitte 1933: »Kirche muß Kirche bleiben!« – Reformation statt Revolution Künneth trat 1933 insbesondere als Mitbegründer742 und einer der Hauptagitatoren743 der JB kirchenpolitisch in Erscheinung.744 Da Künneth ihre Position stark geprägt haben dürfte, betrachten wir im Folgenden, welche Deutung des Kirchenkampfes die JB vorgenommen hat und wie sich diese zu Künneths Deutung als Einzelperson verhält. In ihrem Aufruf 745 vom 9. Mai grenzte sich die JB – trotz einiger Gemeinsamkeiten746 – deutlich von den DC ab:747 In These 7 wird in Abgrenzung zu den 742 Gründungsmitglieder der JB waren Walter Künneth, Theodor Heckel und Hanns Lilje und kurze Zeit später Martin Niemöller. Vgl. hierzu: Neumann, Die Jungreformatorische Bewegung, 40, Anm. 1. Zur Entstehung der JB und zu den Personen und Gruppen hinter der JB vgl. a. a. O., 11–21. 21–37. 743 »Die Führung der Bewegung hatten von Anfang an Künneth und Lilje und – nach seinem Beitritt Mitte Mai – Martin Niemöller inne.« A. a. O., 22. Die wichtigsten Texte der JB erschienen mitunter im Namen der JB unter Künneths Namen (so etwa die Denkschrift der Jungreformatorischen Bewegung über ihre Stellung zur Reichsbischofsfrage) oder unter Künneths, Niemöllers und Liljes Namen (so etwa die Kundgebung der jungreformatorischen Bewegung vom 14. Juli 1933). 744 Vgl. Neumann, Die Jungreformatorische Bewegung, 21–26. 77–79. 745 JB (Mai 1933), Der Aufruf der Jungreformatorischen Bewegung. Vgl. hierzu Neumann, Die Jungreformatorische Bewegung, 40–43. 746 Gemeinsam war der JB und den DC die Forderung nach Kirchenreformen, nach der Einsetzung eines Reichsbischofs und nach einem neuen Bekennen des christlichen Glaubens,

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DC »grundsätzlich die Ausschließung von Nichtarien aus der Kirche« unter Rekurs auf den »Glauben an den Heiligen Geist« abgelehnt.748 Auch die 9. These – »Wir bekämpfen die Versuche einer erstorbenen liberalistischen Theologie, sich von neuem in die Kirche einzudrängen«749 – dürfte sich primär gegen die DC richten.750 Wird in der 8. These noch gefordert, dass auf »Grund der bestehenden Einzelbekenntnisse« die »Kirche den Menschen von heute die Antwort des Evangeliums auf die Frage nach Rasse, Volk und Staat zu geben«751 habe; so wird diese Forderung in den 16 Thesen der Jungreformatorischen Bewegung vom 19. Mai bereits »etwas abgeschwächt«, vermutlich um »einer Veränderung der Bekenntnisse in Richtung auf eine ›deutsch-christliche Theologie‹ weniger Vorschub«752 zu leisten.753 Dieses ›neue Bekennen‹ betrachtete man in »Übereinstimmung mit den neuen Thesen754 der ›Deutschen Christen‹« als »Absage an alle modernen Irrlehren755«, man vermisse jedoch darin »die entschlossene Ab-

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wobei über Inhalt der Reformen und des Bekenntnisses sowie die Person des Reichsbischofs freilich gestritten wurde. Vgl. a. a. O., 42. 108–118. Vgl. hierzu Künneths retrospekive Darstellung in: AC (1937), Der Weg der Kirche von 1932 bis 1937, 3–10. JB (Mai 1933), Der Aufruf der Jungreformatorischen Bewegung, 146. Ebd. Dass für Künneth die DC zumindest als eine Ausformung »liberalistischer Theologie« zu gelten hatten, wird in seinem kurze Zeit später erschienen Aufsatz vom Juni 1933 deutlich. Künneth (Juni 1933), Revolution in der Kirche?, 2. JB (Mai 1933), Der Aufruf der Jungreformatorischen Bewegung, 146. So Neumann, Die Jungreformatorische Bewegung, 43–45, Zitat 44. Die ersten beiden Sätze von Abschnitt III (»Die Bekenntnisfrage«) der 16 Thesen lauten: »1. Wir sind mit allen anderen kirchlichen Bewegungen in dem Willen einig, die Bekenntnisgrundlage der Kirche zu wahren. 2. Wir folgern daraus, daß das geforderte neue Bekennen der kommenden Kirche eine gegenwartsnahe Entfaltung der reformatorischen Bekenntnisse für die aktuellen Fragen der Ehe, des Volkes, der Rasse und des Staates sein muß.« JB (Mai 1933), Die 16 Thesen der Jungreformatorischen Bewegung, 147. Als die »alten Richtlinien« wurden die im Wesentlichen von Joachim Hossenfelder ausgearbeiteten Richtlinien der Glaubensbewegung »Deutsche Christen« vom 26. 5. 1932 bezeichnet. (Vgl. hierzu Scholder I, 262–264) Als die ›neuen Richtlinien‹ bezeichnete man die vor allem von Karl Fezer verfassten sog. Fezerschen oder Müllerschen Richtlinien, die nach ihrer Unterzeichnung am 16. 5. 1933 als Sonderdruck erschienen unter dem Titel Der neue Kurs der Glaubensbewegung »Deutsche Christen«, bestätigt vom Reichtskanzler Adolf Hitler. (abgedruckt als: Ziel der Glaubensbewegung »Deutsche Christen«, in: Schmidt, Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933, 143f.) Welche der beiden Richtlinien Geltung beanspruchen durfte, blieb zunächst unklar. Vgl. V.u.kl.A. 1930–1933, 321f., Anm. 115 mit Belegen. Das erste Ziel der ›neuen Richtlinien‹ lautete: »Wir treten ein 1. für die völlige Wahrung des Bekenntnisstandes der Reformation, verlangen aber von diesem Grunde aus ein bekenntnismäßiges Wort der Kirche zu den brennenden Fragen der Gegenwart im Sinne scharfer Abwehr aller modernen Irrlehren, des Mammonismus, Bolschewismus und des christlichen Pazifismus. Die Kirche soll in ihrer Sendung als deutsche reformatorische Kirche uns die rechten Waffen für den Kampf gegen alles unchristliche und volksverderbende Wesen lie-

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wehr der völkischen Irrlehren des Tannenberg-Bundes, Hermann Wirths, Bergmanns und Anderer, welche den Glauben zu zersetzen drohen.« (3. These zur Bekenntnisfrage) Den Kampf gegen diese Feindbilder hatte Künneth – wie wir gesehen haben – im Rahmen seiner Tätigkeit in der AC bereits vorher geführt. Immerhin wusste sich die JB mit den DC in dem Anliegen eines neuen Bekennens verbunden und wollte damit die Antwort des Evangeliums auf die Frage des Evangeliums nach Rasse, Volk und Staat geben. Der Vorschlag Friedrich von Bodelschwinghs als Reichsbischof 756 muss als Reaktion auf die inoffizielle Festlegung Ludwig Müllers zum Reichsbischof durch die DC verstanden werden.757 In der Denkschrift betonte man jedoch, dass »der Einsatz der J.B. für Bodelschwingh nicht eine Kampfansage gegen Müller« (6) darstelle, sondern dass der »Beginn des Kirchenkonfliktes« sowie »die Ursache des Kirchenkonfliktes« vielmehr »in dem radikalen Angriff der Glaubensbewegung der ›Deutschen Christen‹« (1) zu sehen sei. In der Denkschrift werden Drei Angriffe der DC auf die Kirche besonders hervorgehoben: 1.) Der erste Angriff sei durch die Reichstagung der DC am 3. April758 erfolgt und habe die grundlegende Frage aufgeworfen, »ob die Erneuerung der Kirche eigenständig durch ihre verantwortlichen Instanzen und aus ihrem innersten Wesen heraus vollzogen werden soll, oder ob sie im Zuge der allgemeinen politischen Gleichschaltung unter dem Druck politischer Machtfaktoren, als deren Exponenten die Deutschen Christen erschienen, durchgeführt werden sollte.« (1) 2.) Eine »erneute Zuspitzung der kirchenpolitischen Lage« sei »am 5. Mai durch die Veröffentlichung der ersten Richtlinien der Deutschen Christen«759 erfolgt, da diese »eindeutig erkennen ließen, daß die Deutschen Christen die Führung der

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fern;« Ziel der Glaubensbewegung »Deutsche Christen«, in: Schmidt, Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933, 143f. JB (Mai 1933), Die 16 Thesen der Jungreformatorischen Bewegung, 47, Abschnitt II, These 5: »Wir wiederholen mit Entschiedenheit unsere Forderung nach sofortiger Ernennung des Reichsbischofs. Für die Jungreformatorische Bewegung kommt als Reichsbischof nur ein Geistlicher in Frage, der das Vertrauen der betenden und arbeitenden Gemeinden besitzt. Wir denken an einen Mann wie Friedrich von Bodelschwingh.« Vgl. Künneth (1933), Denkschrift der Jungreformatorischen Bewegung über ihre Stellung zur Reichsbischofsfrage, 2–4. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diese Denkschrift. Die erste Reichstagung der DC wurde am 3. bis zum 5. 4. 1933 in Berlin abgehalten. Vgl. dazu (1933) Volk und Kirche; Scholder I, 361–369. Künneth spielt hier darauf an, dass die DC am 5. 5. 1933 dem Drei-Männer-Kollegium in einer Sitzung, in der auch er selbst zugegen war, ihre »Kernthesen« (offensichtlich handelte es sich hierbei um die »alten Richtlinien«) vorgetragen hatten, ohne dass der Kapler-Ausschuss sich widersetzt hatte. Als Reaktion auf diese Aktion waren Otto Riethmüller, Hanns Lilje und Künneth damit beschäftigt einen Kreis zu gründen, der Kapler unterstützen und den DC die Stirn bieten sollte, woraus am 9. Mai der Aufruf der Jungreformatorischen Bewegung zum Neubau der Kirche resultierte. So die Darstellung der Ereignisse bei Scholder I, 406f.

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neuen Reichskirche zu übernehmen wünschten.« (2) In dieser frühen Phase beschrieb Künneth die »Stellung der J.B. zu den Deutschen Christen« als ambivalent: »Die J.B. wußte sich mit den Deutschen Christen eins in dem radikalen Reformwillen; sie unterschied sich von ihnen durch die Ablehnung aller politischen Gesichtspunkte.« (2) Die JB unterschied offenbar bis zum 23. Mai 1933 genaustens zwischen der »radikalen Richtung« (5) des Hossenfelder-Flügels der DC, dem die JB ablehnend gegenüberstand, und der »gemäßigten Richtung« (5) des Müller-Flügels, mit dessen Leitsätzen sie sich »weitgehend identifizieren konnte.«760 (2) Künneth und die JB schienen sogar von der Möglichkeit einer gemeinsamen Frontstellung der JB mit Müller und seinem DC-Flügel in Abgrenzung gegen den Hossenfelder-Flügel ausgegangen zu sein.761 3.) Einen dritten Angriff identifizierte Künneth mit der außerordentlichen Führertagung der DC am 23. Mai, auf der Müller einstimmig als Bischofskandidat gewählt wurde.762 Außerdem wies ein Rundschreiben Hossenfelders763 »darauf hin, daß die alten (ersten) Richtlinien nach wie vor in Kraft« seien, wodurch offenbar wurde, dass die neuen Richtlinien der DC »eine verhängnisvolle theologische Tarnung« darstellten. (5) Die JB habe sich durch diesen Angriff erneut »mit unerhörter Dringlichkeit« vor die für sie entscheidende Frage gestellt gesehen: »Freie Entscheidung der verantwortlichen Kirchenführung nach rein kirchlichen Grundsätzen oder Kapitulation vor dem Ansturm des politisierten radikalen Flügels der Deutschen Christen und damit Preisgabe an kirchenfremde Faktoren.« (5) Wie stark diese öffentlichen Verlautbarungen der JB die Handschrift Künneths trugen, zeigt sich recht deutlich, wenn man zum Vergleich Künneths eigene Stellungnahme vom 21. Juni764 betrachtet: Künneth betonte zwar auf der einen Seite die Gemeinsamkeiten der JB mit den DC (radikaler Reformwille, Widerstand gegen Reaktionismus etc.), wies jedoch auf die entscheidenden Unterschiede hin: Sie bestünden in der Antwort auf die Frage, wie die Neuordnung der Kirche vonstattengehen sollte. Indem die DC die »Macht in der Kirche« bejahe und diese »nach politischen Methoden und unter Einsatz politischer Machtmittel« vollziehe, orientiere sie sich an »den Gesetzmäßigkeiten des neuen Staates«. (2) Hieraus erwachse der Versuch, die Kirche mit nicht-kirchlichen (weil 760 Vgl. hierzu auch Künneth (1934), Neue Kirche, 237f. 761 Vgl. a. a. O., 3–4. 762 Schon am Abend des 24. 5. 1933 gaben die Bevollmächtigten des Kirchenbundes bekannt, Bodelschwingh vorschlagen zu wollen. Am 26.5. fand die Vorabstimmung und am 27. Mai die Wahl Bodelschwinghs zum Reichsbischof statt, gegen die Müller noch am selben Abend in einer Rundfunkrede Einspruch erhob. Zu diesen Vorgängen vgl. Scholder I, 414–417. 763 Rundschreiben Nr. 4 der Deutschen Christen, zitiert nach Zeitungsspiegel, Nr. 62, 17. 6. 1933, 5. 764 Künneth (Juni 1933), Revolution in der Kirche?. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag.

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eben politischen Mitteln) zu revolutionieren. Gegen diese in Künneths Augen unkirchliche Revolution stellte er die Forderung, dass es um eine Reformation der Kirche gehen müsse, die »aus ihrem eigensten Wesen heraus« und somit »unbeeinflusst von politischen Faktoren« (2) durchzuführen sei.765 Diese Reformation der JB stünde aufgrund ihres theologischen Wollens in einem scharfen Gegensatz zur Revolution der DC: Reformation heißt Wiederentdeckung der unverkürzten biblischen Wahrheit des A.T. und N.T. als lebendige Gegenwartsmacht. Darum geht es uns um reine Lehre, saubere Theologie, Kampf gegen Irrlehren, wo sie sich auch finden bis hin zu den liberalistischen Irrtümern, die in den Reihen der Deutschen Christen wieder lebendig zu werden scheinen. (2)

Sofern es um Reformation in diesem Sinne gehe, sei »ein Dreifaches zu berücksichtigen«: 1.) Die Kirche dürfe »auch in ihrer sichtbaren Erscheinungsform, in ihrer äußeren Ordnung nicht mit dem Staate verwechselt werden.« Das bedeutete, dass »auch der Neubau der Kirche nicht nach Richtlinien und Methoden, die aus einer anderen Sphäre stammen, unternommen werden« (2) könne. 2.) Die Kirche müsse freie Kirche bleiben. Das bedeutete zunächst, dass sie »allein an dem Evangelium orientiert« sein dürfe, aber das bedeutete auch, dass sie »Freiheit der Verkündigung« (2) genießen müsse. Nur so könne sie »das Gewissen des Staates« werden und dem Volk durch die Verkündigung des Wortes Gottes dienen (3). Auch hier zeigen sich signifikante Gemeinsamkeiten mit dem Jungreformatorischen Sprachgebrauch: Die Formel »Kirche muß Kirche bleiben!« erschien erstmals am 17. Juli 1933766 in einem Aufruf zur Wahl der Jungreformatorischen Liste »Evangelische Kirche«767 im Rahmen der Kirchenwahl vom 23. Juli und wurde am 20. Juli768 geradezu zum programmatischen Slogan im kirchlichen Wahlkampf sowie in dem damit verbundenen Streit um die Besetzung des Amtes des Reichsbischofs zur Kampfparole gegen die DC. 3.) Außerdem dürfe die Kirche durch »praktisches Versagen nicht unglaubwürdig werden«. Auch diese Forderung muss als Kampfansage an die DC aufgefasst werden: »Eine Kirche, die heute vor dem politischen Druck der Deutschen Christen kapitulieren würde, könnte zwar eine reiche und einflußstarke Kirche werden, aber ihre Botschaft hätte die Ernsthaftigkeit verloren und käme in Gefahr, damit den unbedingten Anspruch des Evangeliums preiszugeben.« (3) 765 Dieser entscheidende Gegensatz zwischen der JB und den DC tritt gleich in der ersten These des Aufrufs zutage: »1. Wir fordern, daß bei den kommenden Entscheidungen einzig und allein aus dem Wesen der Kirche heraus gehandelt wird.« JB (Mai 1933), Der Aufruf der Jungreformatorischen Bewegung, 145. 766 JB (17. Juli 1933), Zur Kirchenwahl, 43. 767 Vgl. Neumann, Die Jungreformatorische Bewegung, 118–132. 768 JB (20. Juli 1933), Kirche muß Kirche bleiben!, 59.

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Kurze Zeit nach den verlorenen Kirchenwahlen betonte Künneth zwar, dass er begrüße, dass die nationale Revolution in Gottesdiensten auf den Kanzeln und in den Gemeinden ein echtes Ringen um die Schlüsselerkenntnis »Es geht um die Kirche!«769 (228), erzeugt habe. Im selben Atemzug sprach er allerdings desillusioniert von »tiefgreifenden kirchenpolitischen Kämpfen« und den »schwere(n) Schatten« (228), die diese geworfen hätten. Es sei eine »besondere Not«, dass »die ursprünglich sachlich-kirchliche Frage sich immer mehr zu einer kirchenpolitischen ausweitete und diese sich schließlich zu einer politischen umbildete.« (228) Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung warnte er vor drei problematischen Haltungen, die die Kirche gegenüber der nationalen Revolution einnehmen könne: 1.) Die Fortsetzung des kirchenpolitischen Widerstandes und 2.) die bedenkenlose oder gar opportunistische Einreihung »in die große Front der ›Deutschen Christen‹« seien ebenso abzulehnen wie 3.) ein verbittertes Zurückziehen und Verharren »in geheimer Renitenz«. (229) Vielmehr müsse es »um die innere Erneuerung der Kirche« gehen, für die er drei »Zielpunkte« formulierte: a) Es gehe um die innere »Erneuerung des christlichen Laienstandes«, d. h. um kirchlich-theologisch verantwortete Volksmission. b) Nicht weniger wichtig sei die »Heranbildung eines Pfarrerstandes, der in höherem Maße als bisher zur geistlichen Führung der Gemeinde imstande« sei. (229) Diese Forderung beinhaltete »in erster Linie die Entpolitisierung des Pfarrers, um ihn unbelastet von irgendwelchen politischen Gesichtspunkten ganz für den Dienst seines Amtes freizumachen.« (230) c) Außerdem gehe es um die Stärkung einer theologischen Arbeit, die sich um »eine saubere Klärung aller Glaubensfragen« bemühe und »die deutliche Erkenntnis alter und moderner Irrlehren« besitze, um »die sachliche Auseinandersetzung mit evangeliumsfremden Weltanschauungen im Sinne der neuen Apologetik« (230) auf dem Fundament des christlichen Weltverständnisses adäquat führen zu können. Wiederholt betonte Künneth, dass alle innerkirchlichen Auseinandersetzungen unter Wahrung echter Fronten770 zu führen seien. Die faktisch vorfindlichen Fronten machte Künneth zwischen dem Jungreformatorischen Lager auf der einen Seite und der Glaubensbewegung der DC auf der anderen Seite aus. Während im ersten Lager die Gefahr bestehe, »daß unter der Maske von ›Evangelium‹, ›Kirche‹, ›Bekenntnis‹ sich die politisch Mißvergnügten und Verstimmten verstecken«, drohe auf Seiten der DC »kirchlicher Säkularismus« und »theologische Oberflächlichkeit das Feld zu beherrschen«. (240) Die echte Front 769 Künneth (August 1933), Um die Kirche! Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. 770 Künneth (1933), Echte Fronten. Kampfesmetaphorik durchzieht auch hier Künneths Darstellung. Wenn er von »Kirchenstreit«, von »Kirchenkonflikte[n]« (241) und vom »Schatten der kirchenpolitischen Kämpfe« (239) spricht. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag.

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vollzog sich für Künneth allerdings keineswegs eindeutig zwischen der JB und den DC, in deren Reihen sich »trotz allen Fragwürdigkeiten Persönlichkeiten« befänden, »die ebenso ernsthaft gründliche Theologie« bejahten und die »ebenso um die Durchsetzung des echten Evangeliums« (240) kämpften wie die JB. Eine unechte Front bilde vielmehr eine »in der neuen Kirche abseitsstehende Opposition, die eine vorwiegend negative Haltung zu den mit dem Dasein der neuen Einheitskirche gegebenen Zielen« einnehme und »die an Kleinlichkeiten des kirchlichen Lebens hängen« bleibe. Auf diese Weise vollziehe sich »nur eine Versteinerung der alten unzulänglichen und unechten Frontbildung, zugleich eine Hemmung der echten Frontwerdung«. So entstehe »letztlich eine pharisäische Isolierung und die sektenhafte Idee der Gemeinde der wahrhaft Heiligen, die mit dem reformatorischen Kirchenverständnis nichts mehr zu tun« habe. (241) Hierbei dürfte Künneth nicht zuletzt an Barth gedacht haben. Für Künneth hatte nämlich mit der Konstituierung der Nationalsynode der DC am 27. September, in deren Rahmen Ludwig Müller zum Reichsbischof gewählt wurde, ein »neuer Abschnitt der deutsch-evangelischen Existenz begonnen«771 (240). Nun bestand für ihn »das Gebot der Stunde« in der »Bereitschaft zur legalen Mitarbeit gerade in dieser Reichskirche, gerade in diesem national erwachten Volk, gerade in dem Staat Hitlers.« (241) Deshalb wertete er als die echte Front »die Front der sachlich-theologischen kirchlichen Arbeit, der es um nichts anderes in der Kirche« gehe »als um eine reine biblische Lehre, gegenwärtig gültiges Bekennen, um Gestaltung wirklichen Gemeindelebens im nationalsozialistischen Deutschland.« (240) Insofern betrachtete Künneth den »Kirchenstreit« als eine »kirchengeschichtliche Notwendigkeit« (241), denn in ihm sei die entscheidende Erkenntnis zu Tage getreten, dass diese »neue echte Front […] heute schon im Werden« sei und dass sie durch »das Erwachen der völkisch-germanischen Religiosität« in einem »wünschenswerten Klärungsprozess« (242) beschleunigt werde. Die beiden Größen deutsches Schicksal und der Auftrag der Kirche772 setzte Künneth positiv in Beziehung zueinander. Zwar betonte er weiterhin, dass der Auftrag der Kirche und das deutsche Schicksal »nicht nebeneinander als zwei gleichwertige Größen auf derselben Ebene« stünden. Ähnlich wie Barth deutete nämlich auch Künneth den Auftrag der Kirche als Absage an »jedes ›BindestrichChristentum‹«, das »als Verfälschung des Evangeliums bekämpft« (350) werden müsse. Vielmehr komme das Wort der Kirche »gleichsam aus einer anderen Richtung auf das deutsche Leben zu« und stehe »über dem deutschen Volk als 771 Am 27. 9. 1933 wurde Ludwig Müller in Wittenberg durch die Deutsche Evangelische Nationalsynode der DC einstimmig in das neu geschaffene Reichsbischofsamt gewählt. 772 Künneth (Dezember 1933), Deutsches Schicksal und der Auftrag der Kirche. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag.

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Frage und Antwort Gottes zugleich«. Dennoch stünden das Wort der Kirche und das deutsche Leben »in dem Verhältnis der existentiellen Begegnung, die das deutsche Schicksal ganz ernst und ganz in Anspruch« (348) nehme. Interessanterweise stellte Künneth als genuine Aufgabe der Kirche weniger die schöpfungstheologische Infragestellung des Staates als vielmehr die sachgemäße Deutung desselben aus dem christlichen »Wirklichkeitsverständnis«773 heraus. Die »entscheidende Frage«, die sich aus der »neuen Epoche deutschen Schicksals« ergab, bestand darin, »ob diesmal der wahrhaft kirchliche Auftrag in Begegnung mit dem neu zum Volke erwachten nationalen Deutschland erfüllt« (350f) werde. Mit anderen Worten: Entscheidend war für Künneth, dass sich die Kirche vor der nationalsozialistischen Bewegung nicht verschließen durfte, sondern dass sie vielmehr ihren besonderen Dienst an Volk und Bewegung erkennen und ernst-, bzw. wahrnehmen musste. Es lassen sich mindestens vier signifikante Tendenzen von Künneths Deutung des Kirchenstreites im Laufe des Jahres 1933 unterscheiden: 1.) Es ging Künneth um den Schutz des christlichen Bekenntnisses gegen nicht-christliche innerkirchliche (DC) und weltanschauliche außerkirchliche (Neuheidentum) Überfremdung und Politisierung. Dieses Anliegen verfestigte sich in der JB und bei Künneth ekklesiologisch formelhaft in der Parole Kirche muß Kirche bleiben! 2.) Künneth ging von einer doppelten Bindung des einzelnen Christen wie auch der gesamten Kirche aus: Deutschlands Schicksal und der Auftrag der Kirche standen für ihn in einem existenziell verwobenen Verhältnis zueinander. Deshalb durfte sich die Kirche der nationalen Revolution gegenüber nicht verschließen, diese aber auch nicht theologisch verklären. Die Neuwerdung der Kirche konnte und durfte nur aus ihrem eigensten Wesen heraus entstehen und musste insofern Reformation und nicht Revolution sein. 3.) Die echten Fronten verliefen für Künneth im Kirchenstreit keineswegs zwischen den DC und der JB. Überhaupt nahm Künneth eine sehr differenzierte Haltung zu den DC ein: Er unterschied nicht nur genaustens zwischen dem Müller- und Hossenfelder-Flügel; er räumte außerdem ein, dass es auf beiden Seiten liberalistische Irrtümer (z. B. Arierparagraph, Politisierung und somit Verweltlichung der Kirche) gab, die zu bekämpfen waren. In beiden Lagern gab es aber auch ernsthafte Kämpfer, die für ein gemeinsames Anliegen kämpften: für ein Neuwerden der Kirche durch eine Kirchenreform und neues Bekennen. Die echte Front der Kirche richtete sich gegen die Überfremdung der Kirche durch Teile der DC und das Neuheidentum. 773 Dieses »Wirklichkeitsvertändnis« wird als »für den Christen allein mögliche ›Christonomie‹« im Gegensatz zu einem »naturhaft aus dem Volksnomos« (351) abgeleiteten Wirklichkeitsverständnis beschrieben.

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4.) Ihren Dienst am Volk und an der nationalen Revolution erfüllte die Kirche in Künneths Augen durch eine aktive Mitarbeit in der Reichskirche, weshalb es galt, spaltende Kirchenkonflikte zu vermeiden.

3.4.4. Ende 1933: »Kirche muß wieder Kirche werden!« – Erste Deutungen des Kirchenkampfes In einem am 17. Dezember 1933 abgeschlossenen Aufsatz, der am 6. Januar in der Zeitschrift Junge Kirche veröffentlicht wurde, sprach Künneth erstmalig vom »kirchlichen Kampfe« und vom »Kirchenkampf«774 zur Bezeichnung der innerkirchlichen Auseinandersetzungen des Jahres 1933. In diesen Auseinandersetzungen sei »die prinzipielle Fehlentwicklung des deutschen Protestantismus […] offenkundig geworden.« Denn an »der gegenwärtigen kirchlichen Erschütterung« trügen »ja nicht nur die kirchenfremden Tendenzen und Methoden der Deutschen Christen schuld«, vielmehr handele es sich hierbei »um den Ausbruch der schon längst im 19. Jahrhundert anhebenden latenten Kirchenkrisis.« (4) Schuld an diesen Auseinandersetzungen sei »der erneute Einbruch der liberalen Theologie« und »der kulturprotestantischen Ideen«. (4) Auch an dieser Stelle interpretierte Künneth ähnlich wie Barth den Bindestrich der liberalen Theologie als das eigentliche Problem.775 Künneth würdigte zwar manche »positiven Ansätze«776 dieser Konflikte, mahnte jedoch, dass die Kirche nicht »in Vorläufigkeiten und Teilzielen stecken bleiben« (2) dürfe, sondern »den Willen zum fundamentalen Neubau der Kirche« (2) aufbringen müsse, weil es »heute um totale Lösungen« gehe. In diesem Zusammenhang spitzte er die Forderung der JB 774 Künneth (1933/34), Worum es geht., 1. 3. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. 775 Künneth kritisierte konkret »die Gleichsetzung von Volk und Kirche, von Volksstimme und Gottesstimme«, die »völkische(n) Verzeichnung des Luther-Bildes, die Verwechselung von politischer Führung und geistlicher Leitung,« den »Verzicht auf theologische Klarheit und Lehramt« und »die Angleichung der Gemeindegestaltung an die Formenwelt der nationalen Verbände.« A. a. O., 4. 776 Namentlich würdigte er: »die durch die neue Reichskirchenverfassung gewonnene kirchliche Einheit, der zu beachtende Versuch der obersten Kirchenleitung, sich von der kirchenpolitischen Gruppierung, insbesondere von der Nebenregierung der Deutschen Christen zu lösen, die Aufhebung des heiß umstrittenen Arier-Paragraphen in der kirchlichen Gesetzgebung«, den »Bekenntniswille und die Bekenntnistat vieler Pfarrer, das tief gehende Erwachen der Gemeinden und ihre Aufgeschlossenheit für echte Verkündigung, die anhebende Klärung der Geister vor allem unter dem Druck der nordischen Religiosität.« (2) – Der am 16. 11. 1933 außer Kraft gesetzte Arierparagraph, wurde am 4. 1. 1934 erneut durch die Verordnung betreffend die Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche (in GesBl. DEK 1934, Nr. 1 v. 8. 1. 1934) in Kraft gesetzt. Vgl. hierzu Scholder II, 34f; Meier I, 155.

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»Kirche muß Kirche bleiben« (5), weiter zu: »Kirche muß wieder Kirche werden!« (5) In der Rubrik Rundschau777 der Januarnummer von WuT(B) sprach Künneth von »drei Tatsachen, welche die gegenwärtigen kirchlichen Verhältnisse prägen«: 1.) Der »Sportpalastskandal« vom 13. November778 kam für ihn einer »anscheinend unheilbaren Krisis der derzeitigen Kirchenleitung« gleich. Das »ungeheuerliche Geschehen im Berliner Sportpalast« und seine Folgen wertete er als eine »Krise der Reichskirchenregierung« und »Reichsbischofkrisis«779, da das wohlbegründete Misstrauen des Kirchenvolkes beiden gegenüber gewachsen sei. 2.) Diese »Niederlage der ›Glaubensbewegung Deutsche Christen‹« führte Künneth auf den Gebrauch »kirchenfremde(r) Methoden« im Raum der Kirche, d. h. auf den Einsatz »äußerer Machtmittel« zurück sowie darauf, dass das Anliegen der DC »offenkundig kein evangelisch-kirchliches, sondern ein politischreligiöses«780 gewesen sei. 3.) Die »Verheißung« bzw. der »Segen« dieser Entwicklungen bestehe allerdings a) in der »Aufgeschlossenheit der Gemeinden für die reine Wahrheit des Evangeliums«, d. h. in neuen Möglichkeiten der inneren Mission und b) in der »wohltuenden Scheidung der Geister«781, zu der es durch die Konflikte gekommen sei. Beide Aspekte dürfte Künneth im anthropologisch-apologetischen Bereich verortet haben. Denn menschliche Existenz zeichnete sich für ihn durch eine »dreifache Gebundenheit«782 aus: 1.) Naturhaft sei der Mensch durch »die Mächtigkeit des Blutes«, d. h. durch seine »biologisch-rassischen Hintergründe und Bezogenheiten des Daseins« bestimmt. 2.) Seelisch sei er an das »Seelentum des Volkes« (269) gebunden. 3.) Religiös wurzelten diese beiden Prägungen jedoch ausnahmslos im trinitarischen Gott, da »Gott allein das ansprechende Subjekt der Offenbarung« sei und es »nur im Lichte dieser Offenbarung ein wirkliches Wissen um den Menschen geben« könne.783 Da zwischen dem »blutmäßigen Bestimmtsein der konkreten Seelenart« und »der Verkündigung des Evangeliums« eine »Fremdart« bestehe (269), sei die Frage nach der »Ansprechbarkeit des völkischen Menschen durch das Evangelium« (270) und somit die theologische Frage der Anknüpfung zu stellen.

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Künneth (Januar 1934), Rundschau. Zur kirchlichen Lage. Vgl. dazu die Einleitung der Herausgeber in V.u.kl.A. 1930–1933, 581, Anm. 1 mit Belegen. Künneth (Januar 1934), Rundschau. Zur kirchlichen Lage. Ebd. A. a. O., 30. Künenth (Januar 1934), Die Frage nach dem deutschen Menschen als apologetisch-theologisches Problem, 268. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag aus dem Frühjahr 1934. 783 Vgl. a. a. O., 276f.

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Künneth beschrieb zwei »Fehllösungen« (270) bezüglich der Frage der Anknüpfung: Die erste Fehllösung bestehe »in der prinzipiellen Verwerfung jeder Vermittlung«, denn sie übersehe sowohl »die restlose, der Inkarnation des Logos entsprechende Geschichtsgebundenheit der biblischen Offenbarung und des Zeugnisses von ihr« als auch »die konkrete weltanschauliche Erfülltheit des Anzuredenden.« (270) Dieser Weg, für den er Karl Barth784 prototypisch anführte, widerspreche der biblischen Weltsicht und nehme die naturhaften und seelischen Prägungen des Menschen nicht ernst. 2.) Die zweite Fehllösung der Angleichung sei jedoch nicht weniger problematisch, da sie auf je unterschiedliche Weise angesichts des Universalitäts- und Ausschließlichkeitsanspruches des Wortes Gottes nicht angemessen sei.785 In diesem Zusammenhang unterschied Künneth vier »Wege der Anpassung« (271), die er allesamt entschieden ablehnte, da sie dem absoluten Anspruch, dem Ärgernischarakter und/oder der Fremdheit des Evangeliums nicht gerecht würden: a) die Möglichkeit des »Synkretismus, d. h. der zusammenfassenden Gleichordnung und Vermischung verschiedener allgemein religiöser, völkischer Ideen mit christlichen Erkenntnissen.« (271), b) der Eklektizismus786, c) die »Transformierung des Wortes Gottes in die Sphäre der natürlichen Religiosität« (272) und d) die Unterscheidung »zwischen einem vorbereitenden Dienst der Kirche und der eigentlichen Evangeliumsverkündigung« (272), für die Emanuel Hirsch prototypisch angeführt wird.787

784 Künneth äußerte sich zwar mehrmals negativ zu Barth, rezipierte aber die einschlägige Barth-Brunner-Debatte selbst nicht ausführlicher (Ausnahme bildet a. a. O., 270f). – Renate Ludwig, die Referentin im Central-Ausschuss für Innere Mission und Redakteurin von WuT(B), schrieb allerdings eine Reihe kritischer und bisweilen polemischer Beiträge zu Barth in WuT(B): Vgl. etwa Ludwig (Juni 1934), Barth contra Hirsch; dies. (Juli 1934), Brunner, Barth und die natürliche Theologie; dies. (August 1934), Von Barth zu Stapel; dies. (November 1934), Zwischen den Zeilen. [sic!] 785 Vgl. a. a. O., 278. 786 Vgl. a. a. O., 271f.: »Der andere Weg versucht als das bekannte und beliebte Auswahlverfahren nur diejenigen Bestandteile der christlichen Botschaft als für die gegenwärtige Lage gültig und brauchbar anzuerkennen, in denen die Artgemäßheit mit der natürlichen Volksreligion augenscheinlich wird. Die Folge davon ist die Eliminierung einer Reihe von christlichen Erkenntnissen und Aussagen, die als artfremd in dem Bereich der völkischen Ideenwelt keinen Raum zu haben vermögen.« (a. a. O., 271). 787 Die Hirsch-Zitate, die Künneth als Beleg seiner These, dass Hirsch die dringendste Gegenwartsaufgabe der Kirche in einem »vorbereitenden Dienst« erblickt habe, anführt, sind allerdings willkürlich zusammengestellt und werden nicht wörtlich zitiert. Tatsächlich ging Hirschs Anliegen deutlich über einen »vorbereitenden Dienst« hinaus und lässt sich besser als »historischer (oder besser: historisierender) Weg der Akkomodation« des Glaubens des deutschen Volkstums mit dem evangelischen Glauben beschreiben. S. u. Kap. 3.4.9.

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3.4.5. 1934: »Um die lutherische Reichskirche« Bestimmte Künneth bislang die unverkürzte evangelische Wahrheit als Heilige Schrift und als reformatorisches Bekenntnis, gelangte das spezifisch Lutherische zunehmend in das Zentrum seiner ekklesiologischen und kirchenpolitischen Überlegungen. Er ging – ähnlich wie die DC – »von einer engen und positiven Verbindung von Luthertum und Deutschtum«788 aus. Luther habe nämlich die »Erkenntnis« gebracht, dass »das Evangelium, obwohl überweltlicher Herkunft, doch nicht im luftleeren Raum« (118) schwebe. Deshalb sei nach lutherischer Auffassung »die Volksverbundenheit des Menschen keine neutrale Angelegenheit, sondern eine ethisch unbedingt gültige Forderung, weil es sich dabei um Anerkennung und Realisierung der Schöpfungsordnungen Gottes« (z. B. Volk, Rasse, Staat) handele (118). Aus diesen Gründen sei das »Luthertum für das Deutschtum ein Führer zur entscheidenden Wahrheitsfrage« (119). Vor dem Hintergrund dieser Luther-Deutung ist auch Künneths ab Juni 1934 wiederholt geäußerte Forderung zu verstehen, dass die kommende Kirche789 als die »neue deutsche Kirche […] wesentlich zu einer lutherischen Bekenntniskirche deutscher Nation werden und das lutherische Bekenntnis zu ihrem Herzstück machen« müsse, solle »die Reichskirche nicht nur eine Organisation, sondern Kirche werden.« So stand für Künneth spätestens ab Oktober 1934 fest, dass es bei der Reichskirchenfrage um eine lutherische Reichskirche790 gehen müsse. Als »protestantische Gegenwartsaufgabe« sei zwar das »›Daß‹ der Einheit« von »politischen Faktoren mitbestimmt«, das »›Wie‹« der Gestaltung könne jedoch »allein von innerkirchlich-theologischen Gesichtspunkten beantwortet werden.« (315) Künneth formulierte zwei Grundsätze, denen das Wie der Gestaltung zu folgen hatte: 1.) »das lutherische Bekenntnisprinzip«791, d. h. »das einheitliche Bekenntnis« (315) und 2.) das »lutherische[s] Gemeindeprinzip« (316). Deshalb konnte Künneth selbstverständlich vom Luthertum als der für die Reichskirche »normgebenden Konfession« (315) sprechen: Die deutsche Reichskirche aber wird nur dann wirklich Kirche sein, wenn sie lutherische Bekenntnis-Kirche ist. An dieser, bisher viel zu wenig in den Mittelpunkt gestellten Frage muß die Entscheidung fallen. (315)

788 Künneth (1934), Luthertum und Deutschtum, 118. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag aus dem Frühjahr 1934. 789 Künneth (Juni 1934), Die kommende Kirche. Zitat im Folgenden: 182f. 790 Künneth (Oktober 1934), Um die lutherische Reichskirche!. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. 791 Zum Hintergrund der dargestellten Entwicklung vgl. Reese, Bekenntnis und Bekennen, 333– 355.

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Vor dem Hintergrund des lutherischen Bekenntnisprinzips bezeichnete Künneth das »Vorhandensein der Union« als »besondere Belastung des Weges zu einer bekenntnismäßig gebundenen Reichskirche« (315) und stellte fest, dass die »bedeutsame Rolle«, die »das Reformiertentum in der Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse« der Jahre 1933/34 gespielt hatte, »in dem umgekehrten Verhältnis zu der zahlenmäßigen Bedeutung der reformierten Gemeinden in Deutschland«792 (315) gestanden habe. Doch nicht nur die quantitative Überzahl der Lutheraner und das besondere Deutschtum Luthers793 erhoben in Künneths Augen die lutherische Reichskirche zu einer Notwendigkeit für die evangelischen Kirche. Das lutherische Bekenntnisprinzip und die lutherische Reichskirche sollten vielmehr als »Bollwerk gegen den sich erhebenden heidnischen Geist« dienen, »der in vielfacher Gestalt, sei es als Irrlehre innerhalb, sei es als völkische Gläubigkeit außerhalb der Kirchenmauern, gegen die christliche Verkündigung« (316) andringe. Im Jahre 1934 lassen sich mindestens zwei Ebenen des Kirchenkampfes in Künneths Deutung unterscheiden794: 1.) Innerkirchlich ging es Künneth ihm um die Schaffung einer lutherischen Reichskirche mit lutherischem Bekenntnisprinzip. Dieser Kampf richtete sich also 792 An anderer Stelle wird deutlich, dass Künneth mit diesem übermächtigen Reformiertentum das Bekenntnislager um Karl Barth im Auge hatte: »Daß weithin die theologische Führung an das Reformiertentum Karl Barths übergegangen zu sein scheint, ist fraglos nicht normal und ein ständiger Aufruf an die Theologie des Luthertums. Gerade die lutherischen Einsichten werden Wesentliches zu der Frage Kirche und Staat, Kirche und Volkstum zu sagen haben und zum Teil auch anderes, als es Karl Barth bisher formulierte.« Künneth (Juni 1934), Die kommende Kirche, 183. 793 Vgl. hierzu insbesondere den bereits erwähnten Aufsatz: Künneth (1934), Luthertum und Deutschtum. – Für Künneths Luther-Bild scheint allerdings theologisch auch sein PaulusBild eine nicht unerhebliche Bedeutung gespielt zu haben, wenn er betont: »Unzertrennbar mit Luthers Reformation aber ist die Wiederentdeckung des Paulus durch Luther. Ohne Paulus ist Luther nicht denkbar.« Künneth (1934/35), Paulus, ein Apostel für unsere Zeit, 261. Diese Aussage steht im Zusammenhang mit Künneths Verteidigung des Apostels Paulus insbesondere gegen die Angriffe Rosenbergs. Das Paulus-Bild Künneths zeichnet sich durch drei Qualitäten aus, die er dem Apostel vehement zuschreibt und die folglich auch in seinem Luther-Bild mitzuhören sein dürften: 1.) Paulus sei mächtig, stark und anstößig (vgl. a. a. O., 260f.), 2.) ein kosmischer Weltdeuter von Schöpfung, Sünde und Gottes Erhaltungsordnungen (vgl. a. a. O., 265f.) und 3.) ein heroischer Kämpfer mit heroischer Gesinnung (vgl. a. a. O., 267–269). 794 Auch die Unterscheidung eines »Zweifrontenkrieges«, in dessen Mitte sich Paulus befinde, dürfte diese doppelte Frontstellung subtil widerspiegeln: »Auf der einen Seite streitet er wider alle menschlichen Bemühungen, durch besondere Leistungen bei Gott Verdienst, Gerechtigkeit, Lohn zu erwerben. Es ist der Weg des frommen Judentums, der pharisäischen Werkheiligkeit, der minutiösen Gesetzeserfüllung, den er bekämpft; aber auch der uralte, schließlich in vermessenem Titanismus nach den Sternen greifende Versuch jedes Moralismus und Idealismus, kraft der eigenen autonomen Fähigkeiten der Seele und des Willens sich zu Gott emporzuarbeiten.« A. a. O., 267.

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direkt gegen die DC, indirekt aber auch gegen den Unionismus sowie gegen das reformierte Bekenntnislager um Karl Barth. Eine lutherische »Bekenntnisfront« sollte, »den Ausbau einer lutherischen Bekenntnisgemeinschaft innerhalb der Bekenntnisfront, aber unabhängig zum Bruderrat, in die Wege leiten.«795 Diese lutherische Bekenntnisfront sollte zwar einerseits die Unabhängigkeit des Luthertums vom Bruderrat gewährleisten, andererseits aber »in Kampfgemeinschaft mit dem Bruderrat gegen die Herrschaft der Deutschen Christen und der Reichskirchenregierung«796 stehen, weil die »Entstehung einer neuen ›Dritten Front‹«797 unbedingt verhindert werden müsse. 2.) Außerkirchlich ging es Künneth ebenfalls um eine ›Frontverbreiterung‹798 der Bekenntniskräfte im Rahmen der lutherischen Reichskirche gegen Bekenntnis-, kirchen- und christentumsfeindliche Bewegungen wie etwa die Agitationen, die von Alfred Rosenberg ausgingen. Vermutlich ist der Umstand, dass es im Frühjahr 1934 mehrere Vereinigungen von Zeitschriften mit WuT(B) gab, ebenfalls im Kontext des Versuches der Bündelung der Kräfte und einer Verbreiterung der Front der Bekenntnisbewegung zu sehen: Im Januar 1934 ging die Zeitschrift Der Geisteskampf der Gegenwart unter Künneths Leitung in WuT(B) über, was zu dem neuen, programmatischen Untertitel »Zeitschrift für Weltanschauung und Geisteskampf« führte.799 Bereits im April 1934 folgte die Vereinigung der Kirchlich-Sozialen Blätter mit WuT(B). Die Begründung, die dieser Vereinigung vorausgeschickt wurde, lässt die Motive Künneths erahnen: »Die Zusammenfassung aller Kräfte liegt in dem neuen Zuge der Zeit.«800

795 Künneth (November 1934), Memorandum zur kirchlichen Lage und kirchlichen Aufgabe, zitiert nach Niemöller, Von der Dahlemer Synode bis zur Gründung der ersten Vorläufigen Kirchenleitung, 133, 2. Satz. 796 Ebd., 7. Satz. 797 Ebd., 1. Satz. 798 Der Begriff der »Frontverbreiterung« lässt sich bei zwar Künneth nicht belegen. Den Gedanken verbindet Künneth jedoch selbst im Januar 1935 mit der Gründung der VKL I: »Sodann ist für das Neuwerden der Kirche die Zusammenfassung der verschiedensten lebendigen und aktiven Kreise, Kräfte, Landeskirchen und Bekenntnissynoden in der Bekenntnisgemeinschaft der DEK von höchster Wichtigkeit. Sind auch Richtungsunterschiede nicht zu leugnen, so ist doch ausschlaggebend, daß in der vorläufigen Kirchenleitung Marahrens ein Konzentrationspunkt geschaffen wurde, in dem alle, die von biblischen [sic] und bekenntnismäßigem Fundament aus Kirche bauen wollen, sich zusammenfinden können. Die entscheidende Voraussetzung für den kirchlichen Neubau ist damit fraglos gegeben.« Künneth (Januar 1935), Gedanken zum Neuwerden der Kirche, 14. 799 Künneth (Januar 1934), Unser Ziel. 800 Künneth (April 1934), An unsere Leser, 97. Diese Zusammenführung bewirkte eine weitere Änderung des Untertitels von WuT(B) von Zeitschrift für Weltanschauung und Geisteskampf zu Zeitschrift für evangelische Wahrheit und kirchliche Verantwortung. Fortan gaben der Herausgeber der »Kirchlich-sozialen Blätter«, Heinz-Dieter Wendland, und Künneth gemeinsam WuT(B) heraus. – S. u. Kap. 8.2, Anm. 1429f.

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Den für unsere Belange einschlägigen Begriffen des »kirchenpolitischen Kampfes«801 und des »Kirchenkampfes« wohnt eine deutlich positive Konnotation inne, indem sie zum Ausdruck bringen, dass »ein neues Blatt deutscher Kirchengeschichte während des Kirchenkampfes aufgeschlagen wurde.«802 Die »kirchengeschichtliche Stunde der Gegenwart« deutete Künneth als »nichts Geringeres, als eine Wiederaufnahme der auf dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 verschütteten Möglichkeiten, zu der Errichtung einer lutherischen Kirche deutscher Nation, wie sie den ursprünglichen Ideen Luthers keineswegs fremd war und eine heute von Gott geschenkte Frage an den deutschen Protestantismus«803 darstelle.

3.4.6. Ende 1934: »Entscheidungszeit!« Mit den kirchenpolitischen Ereignissen im Oktober und November 1934 hatte für Künneth »der Kampf um die Kirche einen gewissen Höhepunkt erreicht«804, da sich das Luthertum nun direkt in einem nicht-gewollten Kampf befinde: Der Angriff der Reichskirchenregierung auf die lutherischen Landeskirchen Württembergs und Bayerns805 hat die Krisis der Kirche in ein entscheidendes Stadium treten lassen, hat erneut zu einer kirchlichen Erschütterung geführt, die unüberhörbar die Frage nach dem Sein und Sinn der Deutschen evangelischen Kirche stellt. (332)

Drei Konsequenzen dieser Entwicklungen hob Künneth besonders hervor: 1.) »Der Kampf in den süddeutschen Kirchen« (332) habe selbst die NS-treuen Lutheraner in Aufruhr versetzt. 2.) Es handele sich dabei nämlich um »die rücksichtslose Anwendung einer skrupellosen Gewaltpolitik, die plötzlich jedem, der sehen will, die Augen dafür öffnet, daß auf diesen Wegen niemals Kirche gebaut, sondern das kirchliche Leben niedergetreten wird.« (333) 3.) Überdies treffe dieser »Stoß auf ein in sich geschlossenes, in langer Tradition bewährtes lutherisches Kirchentum, ein Ereignis, das in diesem Ausmaß in dem bisherigen Kirchenkampf ein neues Moment« (333) darstelle. Diese neue Episode des Kir801 802 803 804

Künneth (Oktober 1934), Um die lutherische Reichskirche, 315. A. a. O., 315. A. a. O., 314f. Künneth (November 1934), Luthertum im Kampf, 332. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag, dessen Fertigstellung Künneth auf den 25. 10. 1934 datiert hat. 805 Am 6. Oktober 1934 wurde der Württembergische Landesbischof, Theophil Wurm, und am 11. Oktober 1934 der Bayerische, Hans Meiser, unter Hausarrest gestellt. Am 30. Oktober 1934 erfolgte ihre Rehabilitierung von oberster Stelle im Zuge eines Gesprächs mit Hitler. Vgl. zu den Vorgängen im Einzelnen: Die Herausgeber von V.u.kl.A. 1934–1935, 529; Helmreich, The Arrest an Freeing of the Protestant Bishops of Württemberg and Bavaria und Scholder II, 329–335. 354f.

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chenkampfes weise drei Symptome einer »›artfremden‹ Kirchenbildung« auf: a) die »›Gleichschaltung der Kirche‹«806 (334), b) der »Einsatz der politischen Macht, der polizeilichen Gewalt im Raum der Kirche« (335), c) »die bekenntnislose Vereinerleiung des deutschen Kirchenwesens« durch »reichskirchliche Unionisierung« (335). Unter diesen Voraussetzungen befürchtete Künneth die Niederlage der bekenntnistreuen Theologen und des Luthertums gegen den Säkularismus der Reichskirchenregierung807 und sprach von »den Kirchenkämpfen unserer Tage«, in denen die »bisher latente Krise des Luthertums« zur »akuten Lebensgefahr« (334) herangewachsen sei. Dennoch wagte Künneth optimistische Prognosen zum Verlauf der weiteren Auseinandersetzungen, dass nämlich »die Pseudo-Kirche der Gewalt, der Bekenntnislosigkeit und des Unrechtes nur eine kleine Episode und nicht das Ende der deutschen Reformation« (336) darstellen werde. Nach wie vor sprach er in geschichtstheologischen Tönen davon, dass »die Not des Kirchenkampfes in sich eine Verheißung« trage sowie davon, dass sich »trotz aller Vergewaltigung und trotz allem schmerzlichen in dem Kampf ein Segen« offenbare, den »der Gottessturm dieses Gerichtes über die Kirche« (335) gebracht habe. »Verheißungsvoll« sei die Tatsache, dass »die einmal aufgebrochene Wahrheitsfrage« als »Kampf um die ganze Wahrheit des Evangeliums« aufgebrochen sei, von dem »die kirchlichen Kämpfe ihren Sinn und ihren Adel« (336) erfuhren. Die evangelische Kirche stehe nämlich in einer Entscheidungszeit.808 Künneth charakterisierte mit »vier Leitgedanken« das »Ziel des kirchlichen Kampfes« (372): 1.) Die »Neugestaltung des gesamten kirchlichen Daseins« habe »von dem einen gesetzten Mittelpunkt« auszugehen. Das bedeutet: »Lehre und Leben, Leitung und äußere Ordnungen erfahren allein vom Evangelium her Sinn und Ausrichtung.« (372) 2.) Man brauche lebendige Gemeinden und das bedeute auch mehr »Laienverantwortung für die Gestaltung der Kirche«. (372) 3.) Man brauche außerdem »eine geistliche, bischöfliche, seelsorgerliche Leitung der Kirche, so wie sie im Neuen Testament uns vor Augen gestellt«809 (373) werde. 4.) Das volksmissionarische Ringen gehe um nichts weniger als »um die Seele« des deutschen

806 Künneth ging allerdings fest davon aus, dass die Gleichschaltung der Kirche weder von der nationalsozialistischen Staatsführung noch direkt von Hitler gewünscht war. (vgl. a. a. O., 334) 807 »Das ist das kirchliche Verhängnis der Jahre 1933/34, daß die große Stunde einer wirklich kirchlichen, aus dem Bekenntnis geborenen Neugestaltung verdorben wurde und der Geist des Säkularismus (Verweltlichung) und nicht des Luthertums zum Siege kam.« (334) 808 Künneth (Dezember 1934), Entscheidungszeit! Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. 809 Mit dem »inneren Neuwerden der Gemeinde« verband sich für Künneth »eine Bestätigung und Neubegründung des Bischofsamtes, wie es nur in einer Zeit der Verfolgung geschenkt« werde. Künneth (November 1934), Luthertum im Kampf, 335.

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Volkes in einem »großen Kampf gegen das Heidentum, das im Blut den neuen Götzen« verehre. (373) Künneth interpretierte die Zeit des Kirchenkampfes also als eine Entscheidungszeit, in der es um eine grundsätzliche Scheidung der Geister im Raum der Kirche ging. Deshalb schwebte der Kirchenkampf in der Ambivalenz von Segen und Verheißung für die Kirche, weil er die Wahrheitsfrage in den Mittelpunkt gerückt hatte, und Not, weil er missbraucht (z. B. politisiert) und missverstanden werden konnte. Allerdings kritisierte Künneth weder den NS-Staat noch Hitler an irgendeiner Stelle für ihre Kirchenpolitik, weil er davon ausging, dass sie prinzipiell kirchenfreundlich seien und außerdem in einer gemeinsamen Front mit der Kirche gegen das Neuheidentum und den Bolschewismus stünden.

3.4.7. »Heidnischer Geist oder Heiliger Geist?« – »Stunde des Glaubenskampfes« Auch im weiteren Verlauf des Kirchenkampfes lassen sich bei Künneth die beiden Ebenen des Kirchenkampfes – eine inner- und außerkirchliche Ebene – deutlich unterscheiden, wobei es scheint, dass fortan Künneths Hauptaugenmerk auf den außerkirchlichen Auseinandersetzungen – insbesondere dem Streit mit Alfred Rosenberg – lag. In seinem Büchlein Heidnischer Geist oder heiliger Geist?810 bezeichnete er die programmatische Frage des Titels als die »Schicksalsfrage für Kirche und Nation«: (59) Die Stunde der Gegenwart, die kirchengeschichtliche Stunde wie die deutsche Stunde, die uns in unserer Lebensganzheit fordern, verlangen Klarheit, eindeutige Erkenntnis der geistigen Situation, das heißt das Wissen, daß es in den entscheidenden Tiefen, der oberflächenhaften Schau des Alltags freilich verborgen, um diesen Kampf der Geister geht. (59)

In diesem Kampf der Geister bestehe auf der einen Seite die Gefahr der Eigenmächtigkeit der Kirche und auf der anderen Seite die Gefahr der Verkennung ihrer pneumatischen Verheißung. Zwischen diesen beiden Polen sei »das Schicksal von Kirche und Nation eingespannt zwischen die Mächte der Wahrheit oder der Lüge, der Agape oder nur des Eros, des Gehorsams oder des Titanis-

810 Die Broschüre Künneth (1934), Heidnischer Geist oder Heiliger Geist? erschien vermutlich im November 1934, wie die Ankündigung im Novemberheft von WuT(B), 351 nahelegt. Eine Vorankündigung gab es – anders als in anderen Fällen – nicht. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag.

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mus,811 des heiligen Geistes oder des heidnischen Geistes.« (60) Entsprechend ging es Künneth im Weltanschauungskampf, den er im Rahmen seiner Arbeit in der AC aufmerksam verfolgte und kommentierte und im Geisteskampf bzw. Kampf der Geister812, den er vor allem mit Rosenberg ausgefochten hat, um die eigentliche Wurzel des Kirchenkampfes: »Die Front des heidnischen Geistes« verlaufe nämlich »quer durch unser eigenes Leben, mitten durch unser Herz« (59) hindurch und mache folglich auch nicht vor den Türen und Toren der Kirche halt. Deswegen konnte er die Häresie in der Kirche813, wie sie »in der liberalen Zersetzung von Theologie und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert« (33) vorbereitet und in den Irrlehren der DC lediglich deutlich und mächtig zu Tage getreten war,814 auch im Rahmen der allgemeineren und umfassenderen Frontstellung Heidnischer Geist oder Heiliger Geist behandeln. Gerade in der »Verfälschung des Protestantismus« äußere sich »die antichristliche Versuchung der Gegenwart.«815 So sei in Rosenbergs Verfälschung und Verdrehung des reformatorischen Anliegen Luthers »der große Abfall zu suchen«.816 Im Jahre 1933 war endgültig »die Zeit der heidnischen Tarnung abgeschlossen«, man stand »am Ende des latenten heidnischen Zustandes. Die Maske fällt.«817 In ihrem Kampf mit Rosenberg stand die Kirche für Künneth vor nicht mehr und nicht weniger als »vor dem letzten Entweder–Oder«, hier gebe es »kein Ausweichen mehr«, hier sei jeder Kompromiss »ausgeschlossen«, hier falle die paradigmatische »Entscheidung«: »Entweder der Mythusglaube oder Jesus Christus, der Herr!«818 Weil es sich hier um eine religiöse Entscheidung handelte, sprach Künneth von der »Stunde des Glaubenskampfes« und »der Glaubensentscheidung.«819 In diesem Geisteskampf gehe es »um letzte Entscheidung«: 811 Theologisch-anthropologisch ging es Künneth um die Alternativen: heroischer Mensch oder gerechtfertigter Sünder. Vgl. insbesondere Künneth (1935), Der heroische Mensch und die Botschaft von der Gnade Gottes. 812 Beide Begriffe verwendete Künneth synonym, wie seine Ausführungen in Künneth (1934), Heidnischer Geist oder heiliger Geist?, 59 eindeutig belegen. 813 Vgl. a. a. O., 32–37. 814 Vgl. a. a. O., 10–12. 815 Künneth (Oktober 1937), Evangelische Wahrheit!, 28. 816 A. a. O., 22. 817 Künneth (1934), Heidnischer Geist oder Heiliger Geist?, 14. 818 Künneth (Oktober 1937), Evangelische Wahrheit!, 25. »Die Mythusgläubigkeit und ihre neuen Dogmen (denn auch sie hat ihre Dogmen), stehen im Kampf mit der Christusgläubigkeit und der biblischen Verkündigung. Das ist der letzte Gegensatz, der uns heute in die Schranken fordert.« Auch hier wird Künneth nicht müde zu betonen: »Nicht handelt es sich – wir müssen das festhalten –, um einen politischen Gegensatz, wie die Gegner der evangelischen Kirche es gerne drehen möchten, sondern um einen letzten religiösen Widerstreit.« Ebd. 819 A. a. O., 27.

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Hier Pseudokirche, dort wahre Kirche, hier die Religion des Blutes, dort die Botschaft von Gottes Offenbarung, hier der nordische Mythus, dort der lebendige Christus. Er ist der lebendige Herr, der seine Hand auch nach dem deutschen Menschen ausstreckt. Sein Angriff ist letztlich nicht Vernichtung, sondern Rettung. Zerstört wird freilich der Mythus als Götze. In solchen »Baalsdienst« nordischer Religiosität fährt Gottes Wort wie ein zweischneidiges Schwert. Sein Entscheidungsruf an das deutsche Volk lautet: »Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten?« Nordischer Mythus oder biblischer Christus?820

Dieser Kampf sei der evangelischen Kirche zwar aufgezwungen, sie denke aber auch »nicht daran, den ihr aufgezwungenen Geisteskampf aufzugeben.«821 Künneth benannte »drei Wurzeln dieses Phänomens«, die für das Erstarken des Heidnischen Geistes verantwortlich seien: 1.) das »Erwachen einer politischen Konfessionalität« (9), d. h. letztlich eine Politisierung genuin christlich-religiöser Kategorien, 2.) säkularistisch-atheistische Tendenzen, die insbesondere »durch den Bolschewismus und das Freidenkertum« (10) geistig vorbereitet worden seien, und 3.) die »Krisis der Kirche, die durch den Nivellierungsprozeß und Mangel an Eigenständigkeit als eine normgebende Größe im Volke entmächtigt« (10) worden sei.822

3.4.8. 1935: »Wächteramt« und »Bekenntnisfront« und die Hoffnung auf die »Beendigung des Kirchenkampfes in neuer echter Einheit« Im Januar 1935 hatte Künneth die Hoffnung, dass es mit der Schaffung einer breiten Bekenntnisfront durch die VKL I »zu einer Beendigung des Kirchenkampfes in neuer echter Einheit« kommen werde, da »der Herrschaftsanspruch der ›DC‹-Bewegung in der Kirche, die noch Mitte Oktober des vergangenen Jahres unmittelbar vor dem Siege zu stehen schien, nunmehr wohl endgültig zum Scheitern gebracht«823 worden sei. In dieser Hinsicht habe die »Kampfzeit« den evangelischen Christen in Deutschland »eine segensreiche Klärung« und das »wohltuende klare Entweder-Oder« geschenkt. Diesen Umstand bezeichnete Künneth als »Segen der Stunde« und als »Verheißung«.824 820 Künneth (1935), Antwort auf den Mythus, 210. 821 Künneth (Oktober 1937), Evangelische Wahrheit!, 6. Deshalb fuhr Künneth fort: »Und jeder einzelne, der es noch verdient, ein evangelischer Christ genannt zu werden, ist jetzt gefordert; er muß Zeugnis geben, er muß bekennen, oder er wird durch sein feiges Schweigen zu einem Verräter an der evangelischen Wahrheit.« Ebd. 822 Die Krisis der Kirche sei durch zwei Momente bedingt: die vor allem von der theologischen Fachwissenschaft bedingte »Bekenntniskrisis und meist als Folge davon die Krisis der Gemeinde.« Hierdurch sei die evangelische Kirche »substanzlos geworden.« Künneth (1934), Heidnischer Geist oder Heiliger Geist?, 10. 823 Künneth (Januar 1935), Gedanken zum Neuwerden der Kirche, 14. 824 Ebd.

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Allerdings ging Künneth zugleich davon aus, »daß der eigentliche Kampf der Kirche« noch bevorstehe und dass in diesem Kampf die »Fronten […] eindeutig« seien: In ihm stünden sich »die christliche Kirche und das völkische Heidentum«825 gegenüber. In diesem Kampf sei die »kirchliche Linie« klar: »der notwendige Ausscheidungsprozeß der liberalen und säkularen Gifte im Raum der Kirche« nehme »seinen Fortgang«, während »die biblische, bekenntnismäßige Grundlage der Kirche als einzig bestimmende Norm« wieder »zu vollem Bewußtsein«826 komme. Auf diese Weise trete als »das wichtigste Ereignis« die »entschlossene Aufnahme des Kampfes gegen das Neuheidentum durch die Bekennende Kirche hervor.« Hierdurch übernehme die VKL das »Wächteramt«, das die AC »schon seit Jahren«827 ausgeübt hatte. Von allen völkischen Bewegungen betrachtete Künneth den Mythus des 20. Jahrhunderts Alfred Rosenbergs als die gefährlichste Bedrohung der evangelischen Kirche und des Christentums, mit der er sich am ausführlichsten auseinandersetzte. Rosenbergs Mythus sei ›doppelt gefährlich‹: 1.) »Diese Geistigkeit« sei »um so gefährlicher, als sie christlich zu sein« behaupte, sich bei genauerer Betrachtung jedoch »als eine neue Spielart des durch den Rassenidealismus überdeckten Atheismus«828 entpuppe. 2.) »Doppelt gefährlich aber deshalb, weil die politische Autorität des Reichsschulungsleiters829 dem verhängnisvollen Mißverständnis immer neuen Vorschub zu leisten« drohe, »als sei dieser ›Mythus‹ identisch mit der Weltanschauung des Nationalsozialismus.«830 Zur Widerlegung dieser Annahme verwies Künneth stets auf Aussagen Rosenbergs, der seine Werke wiederholt als die Arbeit einer »Einzelpersönlichkeit«831 bezeichnete.832 Hieraus folgerte er, dass es »außer Zweifel« stehe, »daß der ›Mythus‹ Privatcharakter« trage »und der nationalsozialistische Staat nicht ge825 826 827 828 829

A. a. O., 15. Künneth (April 1935), Kirchenprobleme, 111. Ebd. Künneth (Januar 1935), Gedanken zum Neuwerden der Kirche, 15. Mit seiner programmatischen Rede »Kampf um die Weltanschauung« vom 22. Februar 1934 inaugurierte Rosenberg seine Tätigkeit als »Der Beauftragte des Führers für Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP«. Hitlers zugrunde liegender Antrag stammte vom 24. Januar 1934. Vgl. Piper, Alfred Rosenberg, 323–369, besonders 323. Zu Rosenbergs Rolle im ›Kirchenkampf‹ vgl. a. a. O., 399– 423. 830 Künneth (Januar 1935), Gedanken zum Neuwerden der Kirche, 15. 831 Rosenberg (März 1935), An die Dunkelmänner unserer Zeit, 3f.: »Ich möchte auch hier bemerken, daß diese leider notwendig gewordene Entgegnung nicht abgefaßt worden ist in meiner parteiamtlichen Eigenschaft, sondern in meiner Eigenschaft als Verfasser des umstrittenen Werkes, also als Einzelpersönlichkeit, die aber allerdings verpflichtet ist, ihr Werk zu verteidigen, das heute, in einer Auflage von fast 300 000 Exemplaren verbreitet, schon geistiges Gut für viele Millionen geworden ist.« 832 Vgl. etwa Künneth (Mai 1935), Antwort auf den Mythus, XIIIf.; ders. (Juni 1935), Rosenberg, »Die Dunkelmänner« und die evangelische Antwort, 157.

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willt« sei, »seine Weltanschauung mit der des Rosenbergschen Mythus zu identifizieren.«833 Seine Ende März 1935834 erstmalig erschienene Antwort auf den Mythus verfasste Künneth bekanntermaßen ausdrücklich »in dem Bewußstsein, nicht eine theologische Privatmeinung zum Ausdruck zu bringen«. Vielmehr ging es ihm darum, in seiner Funktion als Leiter der AC und als verantwortungsbewusster evangelisch-lutherischer Theologe »eine kirchliche Antwort zu geben.«835 Die theologisch-ekklesiologisch und apologetisch fundierten Topoi »christliche Verantwortung«, »evangelische Pflicht« und »Bereitschaft zur Antwort« spielten für Künneths Autorisierung seiner Entgegnungen auf Rosenbergs Arbeiten dabei eine wesentliche Rolle.836 Es gelte »von der übersubjektiven Grundlage der biblischen Offenbarung und von dem Standort der Bekenntnisse der Reformation, insbesondere des Luthertums, aus in sachlicher Auseinandersetzung mit der Grundanschauung des Mythus und seinen Angriffen gegen die Wahrheit des christlichen Glaubens eine evangelische Antwort zu geben.«837 Daher komme »alles auf die klare Herausarbeitung der beiden Fronten, der rassisch-religiösmythischen und der evangelisch-christlichen, an.«838 Diesen Anspruch bestätigte auch Marahrens in seiner Funktion als Landesbischof, der gleichzeitig den Vorsitz der VKL innehatte, in seinem Geleitwort: Künneths Antwort entspreche »im Entscheidenden völlig dem, was die Kirche der Reformation als Ganze angesichts der durch Rosenbergs Angriff auf den christlichen Glauben geschaffenen 833 A. a. O., 158. 834 Diese Datierung erlauben eine Ankündigung und Werbung der Antwort auf den Mythus im Februar- und Märzheft von WuT(B), in denen das Buch mit großem Nachdruck als für »den evangelischen Christen […] schlechthin unentbehrlich« empfohlen wird. Das Vorwort zur ersten Auflage ist auf März 1935 datiert. Künneth (Mai 1935), Antwort auf den Mythus, IX. 835 A. a. O., XIV. – Künneth beschreibt die Entstehung seiner Antwort später folgendermaßen: Es seien bei ihm als Leiter der AC zahlreiche »Notrufe« eingegangen, in denen man ihn »aus allen Landesteilen und aus allen Bevölkerungsschichten« um »Hilfe und Unterstützung für ihre regionale und lokale Begegnung mit den Auswirkungen der Parteiideologie Rosenbergs« gebeten hätte. So seine Darstellung in: Lebensführungen (1979), 135. Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei dem Mythus, »ja um ein umfassendes Werk, das eine Fülle von Teilproblemen: allgemein historische, reformationsgeschichtliche, rassenbiologische, alttestamentliche und neutestamentliche Spezialfragen zum Inhalt hatte«, handele, habe ihm »zunächst ein Sammelwerk« vorgeschwebt, »in dem Fachgelehrte aller Prägungen zu den Thesen des ›Mythus‹ Stellung nehmen sollten.« Sämtliche Universitätsprofessoren, Dozenten und Sachverständige, die er um ihre Mitarbeit an diesem Sammelband gebeten habe, hätten abgesagt, weshalb er Helmuth Schreiners Aufforderung folgend selbst zur Feder gegriffen habe. Vgl. a. a. O., 138f. 135–142. 836 Vgl. exemplarisch Künneth (Mai 1935), Antwort auf den Mythus, XIIIf, Zitat XIII: »Es ist darum gar nicht mehr in ihr [scil. die Kirche] Belieben gestellt, ob sie antworten will oder nicht, sondern die Antwort auf den Mythus ist evangelische Pflicht. Sendung und Auftrag der Kirche rufen zu der Verantwortung, der Frage des Mythus Rede und Antwort zu stehen.« 837 A. a. O., XIV. 838 Ebd.

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Lage zu bekennen« habe. Künneth vertrete »das Anliegen der Kirche in einer Form, von der Gespräch und Kampf unserer Tage nur lernen können.«839 Auch in seiner Antwort betonte Künneth, dass es sich bei seiner Entgegnung »in keiner Weise um eine Beurteilung der politischen oder parteipolitischen Stellung Alfred Rosenbergs oder der nationalsozialistischen Weltanschauung« handeln könne. Es handele sich vielmehr »um ein sachlich-theologisch-kirchliches Anliegen, nicht um eine persönliche Entgegnung.«840 Der »Mythus« sagt entschlossen und rücksichtslos sein Wort. Die biblische Botschaft soll die Antwort darauf geben. Diese Antwort bekämpft nie den Menschen, sondern trifft stets nur die »Sache«, die der christlichen Wahrheit zuwider ist. Um den Menschen wirbt die evangelische Antwort, in der Sache aber ist sie unerbittlich. Der »Mythus« lebt aus tiefer religiöser Überzeugung, die »Antwort« aber trägt den Zeugnischarakter evangelischer Wahrheit.841

In dieser programmatischen Formulierung spiegelt sich der Inhalt, die apologetische Methodologie der Darstellung und somit auch der Aufbau der Antwort wider: Sachlich ging es Künneth um eine Antwort auf die Wahrheitsfrage, die der Mythus aufgeworfen hatte. Diese Antwort gibt Künneth methodologisch reflektiert842 folgendermaßen: Erster Teil: »Die Grundideen Rosenbergs in evangelischer Sicht«843 Zweiter Teil: »Der Angriff Rosenbergs auf die evangelische Wahrheit«844 Dritter Teil: »Der Angriff der Christusbotschaft«845

839 Marahrens (1935), Geleitwort, in: a. a. O., VIII. 840 A. a. O., XIV. – Bekanntlich wurde Künneths Schrift politisch gedeutet und zog starke politisch-rechtliche Folgen nach sich. Vgl. hierzu seine eigene Darstellung in: Künneth (1979), Lebensführungen, 143–160. 841 Künneth (Mai 1935), Antwort auf den Mythus, XIV. 842 Zu Künneths apologetischer Methodologie s. o. Kap. 3.4.1., Anm. 714f; zur Umkehrung der Schritte s. o. das Zitat von Anm. 723. 843 Vgl. die Überschrift des ersten Teiles. A. a. O., 1–61. 844 Vgl. die Überschrift des zweiten Teiles. A. a. O., 62–175. 845 Vgl. die Überschrift des dritten Teiles. A. a. O., 176–210. – Methodologisch analog baute Künneth etwa auch im Dezember 1936 seine Entgegnung Völkische Metaphysik – unchristlich? auf die nationalsozialistische Philosophie Hans Heyses und Ernst Kriecks auf: Zunächst stellte er das »Wirklichkeitsverständnis« der beiden Denker dar (vgl. a. a. O., 354– 358). Danach folgt eine Darstellung der »Wirklichkeit im Urteil der Bibel« (vgl. a. a. O., 358– 361). Zum Abschluss wird das Wirklichkeitsverständnis Heyses und Kriecks in seiner »Stellung zum Christentum« (vgl. a. a. O., 361–368) bewertet. Der »Geisteskampf zwischen völkischer Metaphysik und christlicher Verkündigung« stand für Künneth »jenseits der Ebene von Glauben und Wissen« und trug in seinen Augen »darum den Charakter eines echten geistigen Ringens«: »Völkische Gläubigkeit, religiöse Entscheidung und christliche Glaubensentscheidung stehen einander gegenüber.« Im »Licht des biblischen Urteils« sei »dieser Kampf freilich nichts anderes als eine neue Phase in dem weltgeschichtlichen Ringen zwischen Glauben und Unglauben, zwischen Christus und Antichrist.« A. a. O., 368.

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Für Künneth gab es schon alleine wegen Rosenbergs Selbstverständnis keine Alternativen dafür, die Wahrheitsfrage ins Zentrum der Auseinandersetzung zu stellen, denn Rosenberg sei »weder ein Wissenschaftler noch ein Philosoph, sondern der Künder einer neuen rassischen Revolution, der Entdecker eines neuen Prinzips, der Prophet der Religion der nordischen Rasse.« Wer diesen Tatbestand übersehe, werde »mit den Mitteln der Fachwissenschaft, die zweifellos sicher viel und sehr Wichtiges zu Rosenbergs Buch zu sagen hat, die eigentliche ›Sache‹, auf die es Rosenberg« ankomme, »überhaupt nicht treffen, ja überhaupt nicht ernsthaft verstehen.«846 Harmonisierungsversuche zwischen dem christlichen Glaube und völkischer Religiosität, bzw. zwischen Mythus und Evangelium, wie sie etwa Wilhelm Stapel vorlegte, wies Künneth scharf zurück. Wenn Stapel etwa nachzuweisen versuche, dass der Mythus »keineswegs so schlimm und verderblich, wie man in christlichen Kreisen anzunehmen«847 pflege, sei und dass der Mythus zusammen mit der evangelischen Kirche in einer Front gegen Rom848 und den Bolschewismus849 stehe, so sei diese »Beweisführung […] ebenso originell wie unrichtig, da sie durch die Angriffe des ›Mythus‹ selbst ad absurdum geführt«850 werde.

3.4.9. Künneths Replik auf Hirschs »Deutsches Volkstum und evangelischer Glaube«851 Der Weg, den Emanuel Hirsch in seiner Verhältnisbestimmung der beiden Größen deutsches Volkstum und evangelischer Glaube einschlug, kann als historischer (oder besser: historisierender) Weg der Akkomodation bezeichnet werden. Er qualifizierte dieses Verhältnis als eine »Schicksalsfrage«, die im Kern folgendermaßen lautete: Können der Glaube, der diese Bewegung [des deutschen Volkstums] trägt, und der evangelische Glaube sich innerlich verschmelzen? Noch schärfer: ist der Gott, dessen Gewalt und Herrlichkeit uns greifen will, wenn wir uns der Bewegung öffnen, einer und der Gleiche mit dem Gott, den das Evangelium von Jesus Christus, dem Gekreuzigten und lebendig gemachten Herrn, verkündigt? (6)

846 Künneth (Mai 1935), Antwort auf den Mythus, 27. Vgl. ders. (Juni 1935), Rosenberg, »Die Dunkelmänner« und die evangelische Antwort, 158f. 847 A. a. O., 161. 848 Vgl. ebd. 849 Vgl. a. a. O., 162. 850 A. a. O., 162. – Zu Künneths Argumentation gegen Stapel im Einzelnen vgl. a. a. O., 161–163. 851 Die Seitenzahlen in Klammern in diesem Kapitel beziehen sich, sofern nicht anders vermerkt, auf folgende Schrift: Hirsch (1934), Deutsches Volkstum und evangelischer Glaube.

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Hirsch bejahte diese Fragen nicht nur entschieden und leidenschaftlich, sondern er bemühte sich um eine theologisch-sachliche Erklärung und argumentative Begründung seiner Entscheidung: Die Wirklichkeit Gottes sei in beiden Gottesbegegnungen dieselbe Wirklichkeit ein und desselben Gottes,852 der »als der majestätische Herr und Walter der Geschichte« (12) in seinem Wesen gleichermaßen ein Gott der Ehre853, aber eben auch ein Gott des Leidens und der Liebe854 sei. Eine Trennung dieser beiden Wirklichkeiten Gottes war für Hirsch also schon aus theologischen Gründen nicht hinnehmbar, denn: Es ist Ein Gott, der hier zu uns spricht und dort. Es ist Eine Verantwortung, Ein Dienst, Eine Gefolgschaft, in der die stehen, welche Gottes Stimme, des wirklichen Gottes Stimme, mit beidem erreicht. (40)

Diese Erkenntnis betrachtete Hirsch als das eigentliche Ziel des Neuwerdens des deutschen Volkes und der deutschen evangelischen Kirche. Diese untrennbare Zusammengehörigkeit des Gottes der Ehre und des Gottes der Liebe und damit auch von deutschem Volkstum und evangelischem Glauben versuchte Hirsch historisch zu begründen. Seine historisierende Begründung, die ein merkwürdiges Konglomerat aus stilisierender Geschichtsverklärung und rassenideologischer Präsumptionen bildete, trug Hirsch mit großem Pathos und völkisch-nationalem Stolz vor: Es ist nicht möglich, deutsches Volkstum und evangelischen Glauben einander entgegenzustellen. Die eigentümliche Gestalt, die das Christentum in seiner evangelischen Ausprägung genommen hat, beruht auf einer Begegnung deutscher Menschlichkeit mit dem Evangelium. Die Reformation ist auch der Durchbruch der abendländischen Völkerwelt zu einem eignen, selbständigen Sehen und Erfassen der christlichen Botschaft. […] Dieser Durchbruch aber ist geschehen in einem Deutschen sächsischen Bluts und getragen von der ganzen Lebendigkeit der germanischen Volkstümer. Es ist also im evangelischen Christentum deutsche Art als ein Mitbedingendes wirksam. Umgekehrt hat dann auch das evangelische Christentum deutsche Art entscheidend geformt und gebildet. Ein Volkstum bildet und gestaltet sich fort durch die großen Persönlichkeiten, die aus ihm erstehen. Fast alle großen deutschen Menschen von der Reformation bis zum Weltkriege kommen aber aus dem evangelischen Christentum her. (5)

Künneth sah sich gezwungen, Hirschs »historischen Weg«855 der Verhältnisbestimmung von deutschen Volkstum und evangelischer Glaube entschieden abzulehnen. Dies umso mehr als Hirschs Kritik ausschließlich den katholischen

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Vgl. a. a. O., 10–17. Vgl. a. a. O., 17–29. Vgl. a. a. O., 29–39. Künneth, (Juni 1935), Rosenberg, »Die Dunkelmänner« und die evangelische Antwort, 159.

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Studien zum Mythus856 galt, die er polemisch kritisierte und weniger dem Mythus Rosenbergs selbst, zu dem er nur nebenbei anmerkte: »Kein Historiker wird leugnen, daß nicht wenige Aussagen Rosenbergs ernsten geschichtlichen Einwänden unterliegen, und kein gläubiger lutherischer Christ wird sich mit seiner Gesamtbeurteilung des Christentums einverstanden erklären.«857 Vielmehr betonte Hirsch, dass die Frage, die Rosenbergs Mythus aufwerfe, »nicht in der Welt des zufällig Faktischen«858 liege, sondern sich vielmehr aus einem positiven lebendigen Denken ergebe, während die Studien zum Mythus »ein Dokument nicht des Wahrheitswillens, sondern eines parteiischen Willens«859 darstellten. Die Studien lehnte er als, »parteiische Tendenzhistorie«, die »als objektive Geschichtswissenschaft getarnt« sei, ab, versuchte sie wissenschaftlich-historisch zu demontieren und erhob gegen sie den »Vorwurf innerer Unredlichkeit«860. Künneth warf Hirsch vor, mit zweierlei Maß zu messen und »den Ort des geringsten Widerstandes« gewählt zu haben. Rosenberg sei »verständlicherweise sehr beglückt, in seinem Kampf gegen die ›Dunkelmänner‹ einen protestantischen Kirchenhistoriker als hervorragenden Kronzeugen zitieren zu können«861. Gerade weil Künneth eine durchaus differenzierte apologetische Haltung gegenüber der völkischen Religiosität des Mythus einnahm, die »von Entstellung und Haß« frei zu sein vorgab, bemühte er sich um eine »echte Polemik«, die »die Gemeinsamkeit deutscher Blutseinheit, deutschen Schicksals, deutschen Kampfes gegen eine große deutschfeindliche Welt keineswegs« sprenge, »sondern freudig« bejahe.862 Dennoch stand für ihn unmissverständlich und unerbittlich fest, dass es um der Wahrheit willen um »das harte Entweder-Oder« gehe und dass Kirche und Christentum nicht der Versuchung erliegen dürften, »falsche Brücken zu schlagen.« Deshalb betonte Künneth, dass die Kirche nicht »an dem echten Kampf«

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Amtsblatt des Bischöflichen Ordinariats Berlin, Studien zum Mythus des XX. Hirsch (1935), Wissenschaftliche Tarnung, 295. A. a. O., 301. A. a. O., 300. A. a. O., 295. Künneth, (Juni 1935), Rosenberg, »Die Dunkelmänner« und die evangelische Antwort, 159. – Über dieses Lob Rosenbergs zeigte Hirsch sich in seinen Briefen an Stapel unbeeindruckt, obwohl ihn seine Studenten »als Verräter des Christentums an Rosenberg empfinden und sogar benennen.« Allerdings zeigte er sich darüber verwundert, dass er selbst als »Verräter des Christentums« und Stapel als »Feind Rosenbergs« verstanden würden, obwohl sie sich »doch völlig einig« seien. Stapel sei »für das centrale ›Anliegen‹ Rosenbergs eingetreten« und auch Hirsch teile diese Meinung. Rosenbergs Dunkelmänner würdigte Hirsch als »notabene schriftstellerisch eine Glanzleistung«, denn er stelle »die Frage dahin, wo er absolut siegreich sein« müsse und »absolut Recht« habe. So Hirsch auf Seite 2 seines doppelseitigen Briefes an Stapel vom 5. 5. 1935. 862 Künneth, (Juni 1935), Rosenberg, »Die Dunkelmänner« und die evangelische Antwort, 164.

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gegen den Mythus, sondern an einem faulen »Kompromiß« mit ihm »zugrunde gehen« musste.863 In diesem Zusammenhang dürfte eine offenbarungstheologische Akzentverschiebung, die Künneth im Laufe seiner Auseinandersetzung mit Rosenberg vorgenommen zu haben scheint, vermutlich als eine Lehre aus dieser Debatte zu verstehen sein: Vor 1933 hatte Künneth als einen der entscheidenden »Fehler und Versäumnisse der Kirche«, die das Entstehen der völkischen Religiosität begünstigt hatten, »die Schuld der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts«864 betrachtet, die nicht zuletzt in der »Verkennung des Wertes des germanischen Volksgutes und der nordischen Sagenwelt als ein Ausdruck der revelatio generalis«865 bestanden habe. Die Notwendigkeit der Anerkennung der völkischen revelatio generalis hatte er volksmissionarisch begründet, »als Anknüpfung an das Denken und Empfinden der Volksseele«, jedoch offenbarungstheologisch begrenzt: »nicht als ob dieses Zurückgreifen auf volkhafte Werte jemals einen Ersatz für das Alte Testament als Niederschlag der Geschichtsoffenbarung Gottes sein könnte«.866 In dieser Hinsicht scheint Künneth durch die Auseinandersetzung mit Rosenberg und im Rekurs auf Friedrich Brunstäd867 ein wenig vorsichtiger geworden zu sein: Er vertrat nun die Auffassung, dass jeder Schöpfungsoffenbarung lediglich durch ihre Begründung in der Christusoffenbarung und niemals getrennt oder abgelöst von ihr Bedeutung zukomme.868 Deshalb betonte er offenbarungstheologisch, »daß es sich niemals um eine zweite Offenbarungsnorm und Offenbarungsquelle neben dem biblischen Zeugnis« handeln, sondern dass nur von der Christusoffenbarung aus »die Wirklichkeit ›Allgemeine Offenbarung‹ bezeugt werden«869 könne und müsse. Er nahm also zwar nicht den Bindestrich zwischen biblischer Offenbarung und Schöpfungsoffenbarung zurück, aber bei seiner Antwort auf die Frage der Anknüpfung vollzog er eine signifikante Akzentverschiebung in Richtung einer christologischen Fundierung der allgemeinen Offenbarung: die völkische revelatio generalis konnte nicht mehr als Anknüpfungspunkt für die volksmissionarische Ansprechbarkeit des deutschen Volkes an das Wort Gottes dienen. Vielmehr war in der Geschöpflichkeit des Menschen die allgemeine Offenbarung erst im christlichen Glauben und im Lichte der Christusoffenbarung zu erkennen.870

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Ebd. Künneth (1932), Die völkische Religiosität der Gegenwart, 16. A. a. O., 17. Ebd. Vgl. Brunstäd, Allgemeine Offenbarung. Vgl. Künneth (Juni 1935), Allgemeine Offenbarung. A. a. O., 232. Vgl. a. a. O., 233. Im Rückgriff auf: Brunstäd, Allgemeine Offenbarung.

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Bis kurze Zeit vor seinem Schreib- und Redeverbot am 31. Dezember 1937871 setzte sich Künneth mit Rosenbergs Ideologie in mehreren Schriften eingehend auseinander.872

3.4.10. 1935: »Entkonfessionalisierung?« und »Politisierte Kirche« Das Problem der Entkonfessionalisierung873 behandelte Künneth im Oktober 1935 in einem kleinen Aufsatz wie viele lutherisch-theologische Zeitgenossen unter Rückgriff auf die Zwei-Reiche-Lehre.874 Seine Überlegungen gipfelten in folgender Formel: Die »Entkonfessionalisierung« muß zur wirklichen Konfession der Kirche führen und damit die zum Selbstbewußtsein erwachte, bekennende Gemeinde zur inneren Segensund Kraftquelle des Volkes werden trotz scheinbarer äußerer Isolierung.« (306)

Somit barg das Phänomen der Entkonfessionalisierung, verstanden als »zurück in den Raum der Kirche«, in Künneths Augen »die Möglichkeit einer Wirkung in der Tiefe.« (305) Ihre Verheißung bestand in der Rückbesinnung auf das Wesen der Kirche und bot zugleich die Chance der Profilierung der evangelischen Kirche. Zu beobachten sei nämlich »schon jetzt eine Neuschätzung der Gottes871 Das Vorwort zu Künneth (Oktober 1937), Evangelische Wahrheit! – eine Schrift, die sich mit Rosenberg, Protestantische Rompilger auseinandersetzte, – ist auf das Reformationsfest 1937 datiert. Sie geht auf einen Vortrag zurück, den Künneth am 21. Oktober 1937 zum Reformationsgedächtnis in der Lorenzkirche in Nürnberg gehalten hatte. Zu diesem Vorgängen vgl. Künneth (1979), Lebensführungen, 149–151. 872 Vgl. die zahlreichen Schriften, die Künneth in diese Richtung verfasst hat: insbesondere Künneth (1934), Heidnischer Geist oder Heiliger Geist; ders. (Mai 1935), Antwort auf den Mythus; ders. (Juni 1935), Rosenberg, »Die Dunkelmänner« und die evangelische Antwort; ders. (September 1935), Der heroische Mensch und die Botschaft von der Gnade Gottes; ders. (Oktober 1937), Evangelische Wahrheit!; ders. (November 1937), Sterbender Protestantismus? In zahlreichen weiteren Beiträgen kam Künneth wiederholt auf Rosenberg zu sprechen. Die Künneth-Rosenberg-Debatte im Einzelnen zu besprechen, ist hier nicht der Ort. Wenn Künneth im Zusammenhang mit dem Kirchenkampf thematisiert wird, geht es jedoch meist um diese Auseinandersetzung, die ab März 1935 eine große Rolle spielte, alleine betrachtet jedoch nur einen Teil des Wirkens Künneths widerspiegelt. Vgl. etwa Kummer, Politische Ethik im 20. Jahrhundert, 17–23. 178–188 mit Hinweisen auf Studien zur zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Rosenberg: A. a. O., 17f, Anm. 8. 873 Vgl. Künneth (Oktober 1935), Entkonfessionalisierung?. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. 874 »Wir erinnern uns an das Jesuswort: ›Gebet dem Kaiser. Was des Kaisers ist…‹ und an die lutherische Lehre von den beiden Aemtern, dem Amt des Wortes und dem Amt des Schwertes. […] Auch heute kann es die Kirche nur begrüßen, wenn in sauberer Trennung der beiden Wirklichkeiten des Staates und der Kirche jede Grenzüberschreitung, sei es von dieser oder jener Seite ausgeschaltet wird. Eine ›Entkonfessionalisierung‹ in diesem Sinne ist ein notwendiger und heilsamer Schritt, um ein sachgemäßes Verhältnis zwischen Kirche und Staat zu erzielen.« (304)

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dienste« in den evangelischen Kirchen. Deshalb betrachtete Künneth aus volksmissionarischer Perspektive das Phänomen der Entkonfessionalisierung als »segensreich«, weil »auf diesem Wege eine neue Erziehung hin zur Kirche« erfolge, sodass »viele, die bisher fernstanden, wieder in der Kirche heimisch werden.« (305) Aus geschichtstheologischer Perspektive deutete Künneth Entkonfessionalisierung als »Fügung Gottes in seinem Geschichtshandeln mit Welt und Kirche«. Deshalb sei es auch »eine Frage des Glaubens«, der göttlichen »Führung zu vertrauen« und »die Stunde zu nützen zur Intensivierung der kirchlichen Arbeit«, d. h. »die Notwendigkeiten innerer Erneuerung und inneren Ausbaues anzugreifen.« (305) »Richtig« sei nämlich »beides«, dass »in dem Werden der Geschichte unentrinnbares Schicksal« walte »und doch zugleich Wille und Tat die Zügel halten.«875 Im Kirchenkampf begegneten sich also der göttliche Wille und die menschliche Tatkraft. Es gehe »zutiefst allein um die Frage, die einst im Frühjahr 1933 die ersten Ansätze der Bekennenden Kirche in der JB entstehen ließ und die dann immer eindrucksvoller und mächtiger sich in den Kirchenkämpfen und Bekenntnissynoden herausstellte, um die Grundfrage, wie Kirche Jesu Christi werde in deutschen Landen.«876 Es ging Künneth folglich positiv ausgedrückt um die altbekannte Forderung: »Kirche muss Kirche bleiben!« bzw. »Kirche muss wieder Kirche werden!« (im Kontext von Luthertum und Deutschtum). Negativ ausgedrückt ging es ihm um die Bekämpfung »einer schon seit Generationen um sich greifenden, latenten, im Kirchenkampf aufgebrochenen Not, die sich in der Politisierung der Kirche auswirkte.« (365f) Das eigentliche Problem bestand für Künneth deshalb keineswegs in der Entkonfessionalisierung, sondern vielmehr in der Politisierung der Kirche, denn »›politisierte Kirche‹« heiße »zerstörte Kirche unter fälschlichem Festhalten an dem Namen, unter der irreführenden Maske kirchlicher Begriffe, Formen und Traditionen.« (366) Diese große Not des Kirchenkampfes, die politisierte, d. h. für Künneth zerstörte Kirche, trete in Form verschiedener »Akkomodationsversuche« (366) zu Tage: 1.) »in der sichtbaren Abhängigkeit der Kirche von außerkirchlichen Mächten und Kräften« (als Beispiel nennt Künneth die »Staatskirche«), 2.) »wenn außerchristliche Ideen und Werte in den Raum der Kirche bestimmenden Einfluß nehmen« (hier dürfte Künneth etwa an Emanuel Hirsch und Wilhelm Stapel gedacht haben),

875 Künneth (Februar 1935), Rundschau. Spengler – Anti-Spengler – oder?, 56. 876 Vgl hierzu Künneth (Dezember 1935), Politisierte Kirche, 365. (abgeschlossen am 21. 11. 1935) Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag.

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3.) durch die »äußerliche geistlose Imitation politischer Ordnungen und volkhafter Notwendigkeiten« und in Form »parteipolitischer Willensbildung«, die dem Wesen der Kirche fremd sind (als Beispiel nennt Künneth die DC); 4.) die »schlimmste und verhängnisvollste Ausprägung einer ›politisierten Kirche‹« sei »aber dann gegeben, wenn eine Anpassung der Verkündigung selbst, eine Akkomodation der kirchlichen Substanz an eine kirchenfremde Geistigkeit geübt« werde, denn in diesem Falle werde »nicht mehr nach der Wahrheit des Evangeliums, sondern nach den Bedürfnissen der Menschen, des Volkes, des Staates gefragt.« In diesem Falle werde nicht »das überzeitliche Wort Gottes […] ernstgenommen«, sondern lediglich die »Zeitgemäßheit, die Artgemäßheit, das Gebot der Stunde.« (367) Theologisch gesprochen widersprach Künneth allen diesen verschiedenen Spielarten von Akkomodationsversuchen der Kirche an die Welt ähnlich wie Karl Barth durch Verweis auf einen strikten Wort-Gottes-Exklusivismus:877 Es gibt nur eine kirchliche Legitimität, das ist ihr Bestimmtsein durch das Wort Gottes. Darum kann es nur eine legitime Ordnung der kirchlichen Verhältnisse geben[,] nämlich die, deren Ausgangspunkt, deren Orientierungspunkt und deren Zielpunkt das Wort Gottes und seine Verkündigung ist. Von hier aus wird deutlich, daß die Zeiten, in denen ein kirchlicher Synkretismus denkbar war, endgültig vorüber sind. (369)

3.4.11. 1936: »Bekennende Kirche – Was nun?« – Die BK nach Gründung des RKA Im Januar 1936 formulierte Künneth als »Ziel« der Kirche »die lebendige bekennende Kirche deutscher Nation«878. »Zwei Gefahren« stünden diesem Ziel im Wege: 1.) »das Steckenbleiben in einem theologischen Doktrinarismus, die Erstarrung in der Sphäre der reinen Prinzipien« und 2.) »das Abgleiten in einen grundsatzlosen, nur nach Zweckmäßigkeit oder Konjunktur orientierten Säkularismus.« (17) Während Künneth bei der ersten Gefahr an den Dahlemitischen Flügel der BK gedacht haben wird, dürfte bei der zweiten an die DC zu denken sein. Charakteristisch für die »fast dreijährige Kampfzeit der Kirche« (18), seien nämlich »zwei Formen einer Verdunklung der christlichen Wahrheit« (18) gewesen: a) »die offenkundige Irrlehre, die nach menschlicher Weisheit und Rücksichtsnahme anstelle des Offenbarungswortes irdische Erkenntnisse und Meinungen« setze und deshalb »unschwer zu entlarven« sei. Hier dürfte Künneth an Rosenbergs Mythus gedacht haben. b) »die Trübung und Lähmung der bi877 S. o. Kap. 2.3. 878 Künneth (Januar 1936), Um den Weg der Kirche, 17. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag.

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blischen Verkündigung […] in der Form einer Akkomodationstheologie« (18), deren besondere Gefahr in »einer Verneblung der Fronten« (19) liege, wobei Künneth an die DC dachte. Künneth forderte gegenüber beiden Tendenzen klare Fronten. Wer Angst »vor dem damnamus (wir verwerfen)« habe, »dessen confitemur (wir bekennen)« werde in der gegenwärtigen Stunde unglaubwürdg, unecht und kirchlich wertlos.« (19) Auf diese Weise komme »es zu einer ungewollten Bundesgenossenschaft mit denen, welchen das Kreuz ein Aergernis ist und die den Sturz der Kirche wünschen.« Aber der »Aufbau der Kirche« werde »nur dort echt, wo die Grundfrage biblischer und bekenntnistreuer Verkündigung bejaht« werde und »wo restlose Klarheit über die Kampfaufgabe der Kirche eine kirchliche Selbstverständlichkeit« (19) sei. Als eine der großen »verhängnisvollen Fiktionen« betrachtete Künneth die »vor allem im Luthertum« zu findende »staatskirchliche Haltung«, die einer »unkritische(n) Staatsgläubigkeit erwuchs, welche jede eigenständige kirchliche Initiative lähmte« (17) und die jene lutherische Trennung von kirchlicher und staatlicher Sphäre (Zwei-Reiche-Lehre) verkenne oder verleugne. Diese Haltung gelte es als nicht-christliche und unlutherische Fiktion zu durchschauen.879 Anstelle dieser in mancherlei Hinsicht problematischen Haltung sei eine dezidiert kirchliche Haltung880 gefordert. Wahrhaft kirchliche Haltung fuße auf drei fundamentalen Einsichten: 1.) Sie müsse »auf dem übersubjektiven Fundament der Heiligen Schrift« stehen und diese als »ihre Lebensgrundlage, Kraftquelle und ständiger Orientierungs- und Normpunkt« betrachten, 2.) sie müsse darin bestehen, dass die Christen »Boten und Künder der Christusherrschaft in alle Welt werden« und 3.) sie müsse überdies »in der Wachsamkeit gegen alle Fremdelemente« bestehen, die innerhalb und außerhalb der Kirche »die Ernsthaftigkeit des Christseins bedrohen.« Als vorbildhaftes Beispiel wahrhaftiger kirchlicher Haltung betrachtete Künneth den bayrischen Landesbischof, Hans Meiser. Überhaupt lässt Künneth eine deutliche kirchenpolitische Sympathie gegenüber den Bischöfen der drei intakten Landeskirchen erkennen.881 Nach Einsetzung der Reichskirchenausschüsse (RKA) im Oktober 1935882 durch Reichskirchenminister Hanns Kerrl stellte sich für Künneth die Frage nach der »Gültigkeit« der Bekenntnissynoden von Barmen, Dahlem und Augsburg 879 880 881 882

Vgl. a. a. O., 18. Künneth (April 1936), Kirchliche Haltung! Im Folgenden a. a. O., 76. Vgl. a. a. O., 76–78. Mit der ersten Durchführungsverordnung zum Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 3. 10. 1935 verfügte der Reichskirchenminister Hanns Kerrl die Bildung eines Reichskirchenausschusses, eines Landeskirchenausschusses der altpreußischen Landeskirche und von Provinzialkirchenausschüssen. Der Minister wollte mit Hilfe der Kirchenausschüsse, die alle wichtigen Kräfte in der evangelischen Kirche vereinigen sollten, die Streitigkeiten in der evangelischen Kirche beilegen. Vgl. Besier, Die Kirchen und das Dritte Reich, 337–359; Meier II, 78–101.

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und damit nach dem »Existenzrecht«, dem Wesen und dem weiteren Weg der Bekennenden Kirche selbst.883 Vor dem Hintergrund seines Verständnisses von »Synode« musste Künneth zwei »gegenwärtig umlaufende Meinungen« als »irrig« bezeichnen: 1.) Die Überzeugung, dass »die beiden Synoden [scil. Barmen und Dahlem] gleichsam kanonische, kirchenbildende Wichtigkeit hätten, derart, daß sie die authentische Auslegung von Bibel und Reformatorischem Bekenntnis« darstellten. In »diesem Fall würden die Beschlüsse dieser Synoden« nämlich »neben die Erkenntnisse der reformatorischen Bekenntnisschriften treten und diese praktisch übertreffen.« 2.) »Nicht weniger verhängnisvoll« sei »der Auslegungsversuch, als käme den genannten Synoden lediglich der Charakter einer kirchengeschichtlichen Episode zu.« Beiden Irrwegen gegenüber gelte es den wahren »Sinn der Bekenntniskirche und ihrer großen Synoden zu verstehen« und dies bedeute, zu erkennen, dass »in der Zeit tiefer kirchlicher Erschütterung eine Entdeckung gemacht wurde, die von unverlierbarer Bedeutung« (50) sei: Es ist die Entdeckung der Kirche als einer einzigartigen Lebenswirklichkeit. […] Positiv bedeutet es das Aufbrechen eines unerhörten kirchlichen Reformwillens, die Ueberwindung einer konservativen kirchlichen Selbstgenügsamkeit und Sattheit, das Ringen um eine neue, eine »junge« Kirche, den kompromißlosen Einsatz für eine Kirche, die wirklich diesen Namen verdient und in der das Bekenntnis nicht eine harmlose Formalität, sondern eine verpflichtende Autorität darstellt. Diese Kirchenreform als das große Thema herausgestellt und diesen Weg gewiesen zu haben, ist das bleibende Verdienst der Bekenntnissynoden von Barmen, Dahlem und Augsburg. Diese eindeutige Ausrichtung auf die kommende lebendige Kirche ist das entscheidende Anliegen der Kirche, die sich »Bekennende« nennt. (50f.)

Dieses Selbstverständnis der BK bewirke eine »dreifache Folgerung«, die Künneths innerkirchlichen Frontstellungen innerhalb des Kirchenkampfes deutlich zeigen: 1.) »Das bewußte Bemühen um eine Reform der Kirche aus Schrift und Bekenntnis«. Dieses Anliegen verbinde ihn mit der »›radikalen Richtung‹ der Bekenntniskirche«, d. h. mit dem Dahlemitischen Flügel und somit wohl auch mit Karl Barth, dem Künneth sonst eher kritisch gegenüberstand. 2.) Als Konsequenz der Frage, »worum es im Kirchenkampf« gehe, müsse »das ›Nein‹ zu den DC uneingeschränkt wiederholt« werden. Dieses ›Nein‹ gelte sowohl dem Thüringer als auch dem Müllerschen Flügel der DC und verbinde die VKL ebenfalls mit dem Dahlemitischen Flügel der BK. 3.) Es bedürfe »in dieser Stunde eines führenden kirchlichen Wortes, das die Zielrichtung der Bekennenden Kirche allen Verwirrungen und Verdächtigungen zum Trotz« herausstelle und das »die auch jetzt noch gültigen Grundsätze und Forderungen der Bekenntniskirche gerade angesichts der praktischen und 883 Künneth (Februar 1936), Bekennende Kirche – was nun? Zitate 50. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag.

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konkreten kirchlichen Entscheidungen der Gegenwart wegweisend hervortreten« (51) lasse. Als »weiteres Ziel« stehe »die Einberufung einer neuen Bekenntnissynode im Blickpunkt.« Diese neue, repräsentativ-autoritative Bekenntnissynode sei allerdings nicht um jeden Preis zu wünschen: Denn so »wünschenswert und notwendig solche Repräsentation des bekenntnismäßigen Wollens« auch sei, so sei »der Sinn einer solchen Synode allerdings nur dann gewährleistet, wenn ihre innere Einheit größer, stärker und tragender ist, als alle Unterschiede und Differenzen im Einzelnen.« (51) Die vierte und letzte Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen884 erfüllte in Künneths Augen diese Kriterien nicht und konnte »die große Linie der früheren Bekenntnissynoden seit Barmen«885 nicht fortführen. Vielmehr war für ihn der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat)886 fortan der offizielle »Repräsentant der lutherischen Kirche«, der dazu befähigt sei, »im Namen und in der Autorität des gesamten deutschen Luthertums zu reden und zu handeln.« (117) Die durch den Lutherrat eingeleitete lutherische Neubesinnung sei »zutiefst als eine Besinnung der Bekennenden Kirche selbst zu verstehen«, denn der »lutherische Zusammenschluß« mache »das eigentliche Anliegen der Bekennenden Kirche zu seinem eigenen« und wisse »sich in innerer Kontinuität zu den Synoden von Barmen, Dahlem und Augsburg.« (117) Im Gegensatz zur VKL sei im Lutherrat »die einheitliche Verpflichtung auf das lutherische Bekenntnis« realisiert und somit »zum ersten Mal eine über das gesamtdeutsche lutherische Reichsgebiet greifende kirchliche Führung gesetzt, die eindeutig bekenntnisgebunden« (117) sei. Damit sei eine kirchlich-autorisierte Instanz geschaffen, die »als freier Partner die notwendigen Verhandlungen mit dem 884 Auf der vierten Reichsbekenntnissynode in Bad Oeynhausen (17.–22. 2. 1936) trat die VKL I zurück. Am 12. 3. 1936 setzte der Reichsbruderrat eine neue VKL unter Leitung von Friedrich Müller ein, der keine Vertreter der intakten Landeskirchen mehr angehörten (vgl. die Erklärung des Reichsbruderrats vom 13. 3. 1936, in: Niemöller, Die vierte Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche zu Bad Oeynhausen, 53f.) Zum Ganzen vgl. Besier, Die Kirchen und das Dritte Reich, 423–429; Meier II, 101–108. 885 Künneth (27. März 1936), Lutherische Neubesinnung!, 117. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. – Vgl. hierzu den kritischen Beitrag: Obendiek (April 1936), Zur lutherischen Aktion sowie Künneths unmittelbare Entgegnung darauf: Künneth (April 1936), Nicht lutherische Aktion, sondern lutherische Kirche. Diese Debatte wird hier nur erwähnt und nicht näher erläutert, weil sie inhaltlich zur Fragestellung keine neuen Erkenntnisse ermöglicht. 886 Die Gründung des Lutherrates wurde am 11. 3. 1936 durch Vertreter der Landeskirchen von Bayern, Württemberg und Hannover sowie die Landesbruderräte der lutherischen Landeskirchen von Sachsen, Mecklenburg und Thüringen beschlossen. Am 18. 3. 1936 wurde er gegründet. Zu den Hintergründen vgl. Nicolaisen, Verantwortung für die Kirche, Band 2, 195–204. Künneth betrachtete in seinem Votum vom 11. März 1936 diesen lutherischen Zusammenschluss als »Pflicht«, die dem Luthertum aufgetragen sei, solange er »das lutherische Bekenntnis ernst« nehme. Vgl. a. a. O., 199f, Zitat 200. – Vgl. zu diesen Vorgängen Schneider, Gegen den Zeitgeist, 129–138.

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Reichskirchenausschuß« führen und »das unerläßliche Gespräch mit dem Staat über die Kirchenfrage« aufnehmen könne. (117) Zur Bezeichnung der kirchenpolitischen Ereignisse seit 1933 verwendete Künneth in diesem Zusammenhang die Begriffe »Kirchenkrisis« (115), »Kirchenstreit« (115), »das Erlebnis des kirchlichen Kampfes« (118), »Kirchenfrage« (116, 117) und »Kirchenkampf« (114, 115, 118) ohne erkennbare Bedeutungsunterschiede nebeneinander. In diesen Auseinandersetzungen habe das Luthertum bedauerlicherweise stark an Einfluss verloren. Die inflationäre Rede von »Bekenntnis« habe zu einer »unheilvollen religiösen und theologischen Sprachverwirrung« (114) geführt und manch unlutherische Erscheinung, manches »Pseudoluthertum« (115) habe sich hinter »der Maske des Luthertums versteckt« und somit »die Wirkungskraft des lutherischen Gedankens« (114) behindert. Auch der »Blick auf den fortschreitenden Einfluß des Reformiertentums« müsse beschämen, »da im Gegensatz zum Luthertum jene Bedeutung im umgekehrten Verhältnis zur Zahl der Reformierten« (115) stehe.887 Lutherische Neubesinnung bedeute deshalb Wiedererstarken und Profilierung des Luthertums, »die Inangriffnahme des Unionsproblems« (116) und dadurch »einen wichtigen Beitrag zur Lösung der deutschen evangelischen Kirchenfrage« zu leisten. Auf diese Weise bewältige die BK »eine beachtliche Etappe für die Gestaltung der DEK« (116). Im Kirchenkampf stand deshalb nicht weniger als das Wesen der Kirche auf dem Spiel, denn ein lutherischer Konfessionalismus verliere zunehmend an unhinterfragbarer Plausibilität. Eine »beliebte Argumentation« gegen »das Recht der lutherischen confessio«, d. h. die »Wiederbelebung des alten lutherischen Konfessionsstandpunktes« lässt Künneth allerdings nicht gelten: »Der Kirchenkampf habe gezeigt, daß die lutherischen Kirchen und reformierten Kirchengebiete getreulich sich für ihr Bekenntnis eingesetzt hätten, ebenso wie auch gerade unierte Gemeinden bekennende Gemeinden geworden seien. Umgekehrt haben ganze lutherische und reformierte Kirchengebiete trotz ihres Bekenntnisstandes dem Einbruch der Irrlehre und Entartung nicht wehren können.«888 Gegen diese »notwendig(e) und lehrreich(e)« Beobachtung setzte Künneth jedoch die »Grundthese«: Die Kirche steht auf dem Fundament des Bekenntnisses, indem sie seine Bewährung erneut in lebendigem Bekennen ihres Glaubens vollzieht. Der Bekenntnisstand als geformte und verbindliche Antwort der Gemeinde auf die von der Heiligen Schrift gestellten Lebensfragen des christlichen Glaubens in einer bestimmten geschichtlichen Situation und das aktuelle gegenwärtige Bekennen in einer neuen geschichtlichen Stunde schließen sich nicht aus[,] sondern bedingen sich gegenseitig. Eine Konser-

887 S. o. Kap. 3.4.5. 888 Künneth (Juli 1936), Zur Problematik der kirchlichen Lage, Zitat 206. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag.

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vierung des Bekenntnisstandes unter Verzicht auf neues Bekennen in der Gegenwart verrät das Fundament der Kirche und läßt die Kirche in hoffnungslose Erstarrung versinken. Die Wahrung des Bekenntnisstandes allein, das wäre ein unfruchtbarer Konfessionalismus, rettet nicht. Die Echtheit des Bekenntnisstandes muß sich neu heraussetzen in dem »heute und jetzt« geforderten Bekennen. (206)

Kirchlich verantwortliches Handeln spiele sich in diesem scheinbar spannungsvollen, in Wirklichkeit jedoch komplementären Gefüge zwischen aktuellem Bekennen und lutherischem Bekenntnisstand ab und lebe von »bewußter geistlicher stellvertretender Führung in dem geistigen Ringen unserer Zeit.« (208) Den Umstand, dass ein solches »klares kirchliches Handeln« des Lutherrates, »das stellvertretend das ganze Schicksal der Kirche umgreift und somit wesenhaft den kirchlichen Führungsanspruch legitimiert«, ausgeblieben war, dass eine »Profilierung nicht erfolgte« (208), bedauerte Künneth im Juli 1936 sehr. Dass diese Profilierung des Luthertums durch den Lutherrat ausgeblieben war, bedauerte Künneth umso mehr, als er kirchlichen Radikalismus889 zwar forderte, jedoch den »echten christlichen Radikalismus« von »dem falschen Radikalismus jedes Schwärmertums« (278) abgrenzte. Mit dem Begriff »Radikalismus« bezeichnete er »jene seelische Haltung, jenen entschlossenen Willen, der kompromißlos sich für eine Idee, eine Wahrheit, ein Ziel« einsetze, »der sich nicht mit Halbheiten« begnüge, »sondern auf das Ganze gehe«, indem er »seine Umwelt vor ein eindeutiges Entweder-Oder« fordere (274). Der so verstandene Radikalismus bedeute »Scheidung der Geister« und »Zwang zu letzter Stellungnahme.« (274) In diesem Sinne gebe es auch einen legitimen und sachgemäßen christlichen bzw. einen »echten« kirchlichen Radikalismus »des unverfälschten Wortes Gottes« (278): Gewiß, die Botschaft der Bibel ist eine unerhört radikale, das Wort Gottes wie »ein Hammer, der Felsen zerschmeißt«. [Jer. 23,29] Jeder, der sich mit der Bibel beschäftigt, stößt auf diesen Tatbestand. Die Zeiten in Theologie und Kirche sind wohl grundsätzlich vorüber, wo rationale, liberale, psychologische, historische Gesichtspunkte das »verzehrende Feuer« des Wortes Gottes zu mindern oder zu löschen versuchen. Heute weiß die Kirche, daß das, worum es in der Bibel geht, radikaler Angriff Gottes auf die Welt, auf jeden Menschen ist, daß dort eine Anrede an uns ergeht, die mit der Wucht der Ewigkeit vor das radikale Entweder-Oder stellt. (274)

Echter christlicher Radikalismus mache also damit ernst, was Künneth 1932 kämpfende Kirche genannt hatte.890 Formen eines »falschen«, eines »unechten« Radikalismus »des Pharisäismus und des enthusiastischen Schwärmertums«, die 889 Künneth (September 1936), Kirchlicher Radikalismus? Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. 890 S. o. Kap. 3.3.2.

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Künneth u. a. in »dem Fanatismus eines krampfhaften Bekennertums« (275) auszumachen meinte, lehnte er allerdings entschieden ab. So kritisierte er den Dahlemitischen Flügel der BK, indem er stellvertretend Dietrich Bonhoeffer eine Überbewertung der Bedeutung der Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem vorwarf.891 Gegen exklusivistische ekklesiologische Ansprüche seitens der BK argumentierte Künneth ähnlich wie Emanuel Hirsch: »Die Gleichsetzung der organisierten Bekennenden Kirche mit der wahren Kirche« stehe »im Widerspruch zum Neuen Testament und zum lutherischen Bekenntnis«. (276)

3.4.12. Geschichtstheologische Deutung der Lage im Jahre 1936 Um Künneths Deutung des Kirchenkampfes angemessen verstehen und würdigen zu können, ist es wichtig zu verstehen, dass er selbst sie vor dem Hintergrund seines christlichen Weltverständnisses892 in einem bestimmten geschichtstheologischen Rahmen verortete: Künneth deutete »die großen Zeichen der Zeit« und die Situation der Kirche als »Situation des Kampfes«893, in dem es um »den letzten Gegensatz« zwischen »dem Geist und dem Willen der Welt und dem Geist und dem Willen Gottes« (164) gehe. Der Kampf des christlichen Glaubens und somit der Kampf der Kirche stehe unter dem Motiv, das fremdartige biblische Zeugnis in die Welt zu tragen, das »in diese Welt ein Moment der Unruhe« und des Ärgernisses bringe, indem es die Welt und alles Weltliche infrage stelle: die »Christusverkündigung« bedeute »für die Welt das Ende aller ihrer Illusionen« und erschüttere jedes weltliche Bemühen um »harmonische Daseinsentfaltung«, jede »Fortschrittsgläubigkeit«, jeden »Wille zur Macht«. (162) »Der Geist der Welt« reagiere auf diesen Angriff des christlichen Glaubens mit drei Abwehrmechanismen: 1.) Die »primitivste Reaktion« sei »die des offenen Kampfes, der brutalen Unterdrückung durch äußere Gewalt« und »die unzweideutige Unterwerfung des christlichen Inhalts als artfremd.« (162) 2.) Eine zweite Reaktion bestehe in dem Versuch »des Totschweigens, der betonten Gleichgültigkeit gegenüber dem ge891 Künneth bezog sich auf den im Juni 1936 umstrittenen Aufsatz Bonhoeffer, Zur Frage der Kirchengemeinschaft, in dem Bonhoeffer u. a. folgende These vertrat: »Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil. Das ist die Erkenntnis, die sich der wahren Kirche von jeher aufgezwungen hat. Das ist ihr demütiges Bekenntnis. Wer die Frage nach der Bekenntniskirche von der Frage nach seinem Seelenheil trennt, begreift nicht, daß der Kampf der Bekennenden Kirche der Kampf um sein Seelenheil ist.« A. a. O., 676f. Mit Auslassung zitiert in: Künneth (September 1936), Kirchlicher Radikalismus?, 276. 892 S. o. Kap. 3.3.1. 893 Künneth (Juni 1936), Polemik und Glaubenskampf. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag.

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samten christlichen Fragekreis« und »der Ausschaltung jedes christlichen Einflusses aus der Oeffentlichkeit.« 3.) Die letzte Form des Angriffes sei »um so gefährlicher« als sie das Christliche politisiere und die »Propagierung einer heidnischen Gläubigkeit unter dem Deckmantel des Politisch-Weltanschaulichen« vorantreibe, wodurch die wahre »Kampffront unheilvoll vernebelt« werde: Dieser Angriff äußere sich als »indirekte Bekämpfung«, als politisch getarnter Angriff. (163) Diese verschiedenen Angriffe auf das Christentum durch die Welt bewirkten die Existenz dreier unterscheidbarer »Frontabschnitte«: 1.) Der erste Abwehrmechanismus entspreche der »Front des Heidentums«. Hierbei handele es sich um diejenigen, die das Evangelium noch nicht vernommen haben und sich »noch in der Periode der ›Unwissenheit‹ befinden, unter der Gewalt der dunklen Mächte«. 2.) Der zweite Abwehrmechanismus entspreche der »Front eines Neuheidentums« d. h. »eines Pseudoheidentums jener Menschen, die trotz der Schicksalswende seit Christus wieder in einen vor- und außerchristlichen Zustand zurückfallen«. 3.) Der »Glaubenskampf« dürfe aber auch »eine dritte Front nicht übersehen: nämlich »die Möglichkeit des Antichristentums in den eigenen Reihen der Gemeinde.« Der christliche Glaube werde nämlich »stets zugleich von Versuchung zum Abfall, von Unglauben, von Verfälschung durch Irrlehre, durch Lieblosigkeit und Zerstörung der Bruderschaft bedroht.« (165) Vor allem im Hinblick auf die letzte Gruppe sei jeder Versuch der Anpassung, jede Akkomodationstheologie, aber auch jede Nivellierung von Gegensätzen nicht nur irreführend, sondern auch vor dem Hintergrund des Auftrags der Verkündigung der Kirche theologisch höchst problematisch.894 Die geschichtstheologische Begründung dieser Problematik wurzelte in Künneths dualistischem Denken: Gegen diesen gottabgekehrten Zustand der Welt setzt die christliche Botschaft zum radikalen, an die tiefsten Wurzeln fassenden Angriff an. Ihr Kampf richtet sich demgemäß gegen den Unglauben insgesamt, ja noch viel mehr gegen die widergöttliche Macht, die ihre Herrschaft über alles irdische Dasein auszuüben bestrebt ist, gegen die »Elemente dieses Kosmos«, die Mächtigkeit der Dämonen, die hinter und in den Erscheinungen wirken und die Menschen knechten, wider die Herrschaft des »letzten Feindes, den Tod«, wider die Gewalt des Satans. (164)

Dieser »Kampf des Glaubens« oder auch »Glaubenskampf« sei ein durch und durch geistlicher Kampf, »ein Kampf aus Liebe« (165). Insofern werde im Glaubenskampf der »Gott sich widersetzende Geist« bekämpft und nicht »der einzelne Mensch.« (164) Die »eigentlichen Triebkräfte dieses Kampfes« seien folglich niemals »persönliche Feindschaft, unsachliches Machtstreben, Vernichtungswille und Haßgefühle, sondern umgekehrt jene pneumatische Liebe

894 Vgl. a. a. O., 165–167.

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aus Gottes Wort, welche die im Unglauben, durch Dämonie und Tod gebundenen Menschen retten möchte« und »die den vor Gott fliehenden und sich in ein Empörertum wider Gott verkrampfenden Menschen die ›frohe Botschaft‹« (165) schenke. Im Glaubenskampf gehe es deshalb niemals um »die Machtfrage«, sondern stets um »die Wahrheitsfrage«. (165) Vor diesem Hintergrund deutete Künneth die Gefahren und Pflichten der kirchlichen Stunde895 mit geschichtstheologischem Pathos. Laut seiner Diagnose trug »die liberale Aera die schwersten Gefahren für die Kirche in sich«: Sie habe nämlich »mit innerer Notwendigkeit zu einer Grenzverwischung zwischen Kirche und öffentlichem Leben« und »zum Einbruch der Verweltlichung in den Raum der Kirche« (336) geführt. Die liberale Zeit habe »eine gefährliche Versuchung und innere Bedrohung der Kirche« dargestellt, »die um so größer war, da diese Not nicht einmal erkannt wurde«. (336) Die »liberale Periode« sei nun »versunken«. Nach der »Geschichtsepoche« des »Liberalismus« sei durch den nationalsozialistischen Staat allerdings eine »neue geschichtliche Lage« und »eine durchaus echte politische Situation« entstanden, in der »alle Phrasen und Illusionen des Liberalismus« (336) zerstört seien. Künneth war fest davon überzeugt, dass der nationalsozialistische Staat ein »wirklicher Staat« sei, »der nach den arteigenen Gesetzen deutschen Volkstums unerbittlich und ohne Rücksicht auf andere Instanzen seinen Weg« (336) gehe. Er sei »konzentrierter Führer- und Volkswille zugleich auf rassischer Grundlage mit der Aufgabe, inmitten einer feindlichen Umwelt ein starkes Drittes Reich zu gestalten.« (336f) In ihm sei »echte Politik, echter Volksnomos, echte geschichtsmächtige Kraft.« Dieser »Volksstaat« könne »wesensmäßig nicht christlich sein, gleichviel welche Stellung er sonst den christlichen Konfessionen gegenüber einnehmen« (337) mochte. Weil der nationalsozialistische Staat nicht christlich sein wolle und um die »völlige Andersartigkeit von staatlicher und kirchlicher Sphäre« wisse und weil »der Nomos des Volkes und Staates in aller seiner Herrlichkeit, aber auch in seiner Härte niemals Religionsersatz sein« könne, bedeute »die neue Situation die Möglichkeit einer echten Begegnung zwischen Kirche und Staat.« (337) Diese echte Begegnung zwischen Kirche und Staat habe religionspolitische Implikationen, sei von existenzieller Bedeutsamkeit für das deutsche Volk896 und habe überdies eine entscheidende weltanschauliche Dimension, insofern sich Kirche und Staat in einer gemeinsamen Front gegen einen gemeinsamen Gegner befänden: den Bolschewismus als einer »vergiftende[n] Weltanschauung«. (337) Zwar sei die durch den Bolschewismus aufgeworfene »politische und allgemein 895 Künneth (November 1936), Gefahren und Pflichten der kirchlichen Stunde. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. 896 »Die gegenwärtige und kommende innere Geschichte unseres Volkes wird davon bestimmt sein, wie sich solche Begegnung vollzieht, positiv oder negativ.« (337)

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weltanschauliche Frage« von dem »Deutschland Adolf Hilters gelöst« worden und es gelte »die welthistorische Wichtigkeit dieser Lösung zu erkennen.« (337f) Dennoch bestehe für die Kirche »die außerordentliche Verpflichtung, die ihr von keiner weltlichen Macht abgenommen werden« könne, darin, »in echtem innersten Geisteskampf den Dämonien alles Antichristentums« (339) entschlossen zu begegnen. Die Geistigkeit des Bolschewismus lasse sich durch drei Merkmale charakterisieren: 1.) Der »entschlossene kompromißlose Diesseitsfanatismus« des Bolschewismus dränge zu einem christentumsfeindlichen Säkularismus. 2.) Deshalb lasse »der fanatische Kampf« gegen die Christusbotschaft »nur ein Entweder-Oder« zwischen Christus auf der einen Seite und der »Selbstherrlichkeit der Welt« und der »Eigengerechtigkeit des Menschen gegen Gott« auf der anderen Seite zu. 3.) So ergebe sich »in Konsequenz solcher antichristlichen Gesinnung« die »antigeschichtliche Tendenz der bolschewistischen Geistigkeit«, die jede christliche Prägung des Volkes leugne, verspotte, diffamiere und bekämpfe und sich zu einem »Geist der Pietätlosigkeit« und »der Ehrfurchtlosigkeit« auswachse. (338) In dieses antibolschewistische Gedankengut schlich sich bei Künneth ein plumper – vermutlich eine Radikalisierung seines zunächst theologisch motivierten Antijudaismus897 – Antisemitismus ein, wenn er etwa vom »jüdisch-bolschewistischen Geist der Zersetzung«898 (338f) sprach. Künneths geschichtstheologischen Überlegungen hatten wiederum signifikante Auswirkungen auf seine Interpretation der kirchlichen Lage: Die kirchliche Entwicklung sei in »Stagnation« begriffen, der RKA wirke wie gelähmt und die BK lasse »schmerzlicher denn je die Geschlossenheit und Zielstrebigkeit vermissen.« (339) Auch Künneths großem Hoffnungsträger, dem Lutherrat, war es nicht gelungen, »die eindeutige führende Stellung zu gewinnen und seinen Willen in großem Format zum Ausdruck zu bringen.« Vier »Halbheiten und Ungeklärtheiten« (339) hemmten laut Künneth die Arbeit des Lutherrates: 1.) schlechter Informationsfluss, 2.) mangelnder Aufbau einer Vertrauensbasis in der BK, 3.) Distanz der jungen Pfarrerschaft zum Lutherrat, 4.) keine Lösung des Unionsproblems.899 Deshalb stehe die BK in ihrer Neuwerdung vor »drei großen Gefahren«: 1.) Die Gefahr der politisierten Nationalkirche der DC, die ohne Zweifel »keine Kirche mehr« sei, »sondern die große Einbruchsstelle der antichristlichen Versuchung der Zeit.« (341) 2.) Die Gefahr »einer kompromißbe897 Vgl. etwa Künneth (1934), Das Judenproblem und die Kirche, besonders 121–130. 898 »Die Juden konnten einst dieses Wort [Gottes] nicht hören, und darum schlugen sie Jesus ans Kreuz, darum bekämpften sie leidenschaftlich die Kreuzpredigt und brachten über die Apostel und die christliche Gemeinde Verfolgung, Leiden, Tod. Die enge Verflochtenheit von Judentum und Bolschewismus ist nachgewiesen, nicht minder offenbar ist der gleiche Christushaß, der heute immer wieder sich in furchtbaren Erscheinungen entläd.« (338) 899 Vgl. a. a. O., 340.

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reiten saturierten Restaurationskirche, in der Aufrichtung eines Kirchengebildes der ›Mitte‹, wo alle jene das Wort führen, die vom Schicksal des Kirchenkampfes unberührt geblieben« seien und »die letztlich überhaupt nie die neue Weichenstellung der Bekennenden Kirche verstanden« (341f) hätten. 3.) Die dritte »Gefahr eines Umsichgreifens unnüchterner schwärmerischer Gesinnung und Haltung in der Kirche«, die »Tendenz zu schwärmerischer Sektenkirche« (342) nimmt offensichtlich erneut die Dahlemiten in den Blick, um sich von ihnen zu distanzieren.

3.4.13. 1937: »Kirche und Generalsynode« und »Kirche und Religionspolitik« In der Februarausgabe von WuT(B) beklagte Künneth sich noch darüber, dass die evangelische Kirche aufgrund ihrer im Liberalismus eingeschlichenen Profillosigkeit eine mißverstandene Kirche900 sei: Die Grenzen zwischen wahrem christlichem Glauben und »dem allgemeinen Begriff ›Gottgläubigkeit‹901«(49) würden von zwei Seiten infrage gestellt, weswegen die Kirche an »zwei Fronten zu kämpfen« habe: 1.) Sie kämpfe gegen »eine äußere Front, sei es heidnische Philosophie oder Weltanschauung oder Bedrückung durch geschichtliche Situationen«, aber auch 2.) gegen »eine Front nach innen, die sich immer in neuen Variationen als christlich getarntes Schwärmertum« auspräge. (50) Am 15. 2. 1937 erschien ein Erlass, in dem Hitler überraschend freie Kirchenwahlen für eine Generalsynode anordnete.902 Diesem Erlass schenkte auch Künneth große Aufmerksamkeit: Zehn Tage nach Veröffentlichung des WahlErlasses Hitlers widmete Künneth den angekündigten Wahlen und der Generalsynode einen eigenen Beitrag.903 Hierin äußerte er die Überzeugung, dass durch diesen Erlass »auf jeden Fall ein neuer Abschnitt in den kirchlichen Auseinandersetzungen begonnen« habe. (76) Der Lutherrat und die VKL seien stellvertretend für die BK »in eine außerordentliche Verantwortung gestellt«. (77) Die Besonderheit der »neuen Schicksalsstunde der Kirche« (78) bestehe darin, dass »der Staat die äußere, rechtliche Anerkennung, gleichsam den staatsrechtlichen Rahmen geben« wolle, die Ausgestaltung der kirchlichen Ordnung und 900 Künneth (Februar 1937), »Mißverstandene« Kirche. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. 901 Vgl. das Lemma »gottgläubig« in Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus, 281– 283: Der Begriff »gottgläubig« wurde »durch Erlaß des Reichsministers des Innern vom 26. November 1936 anstelle der Ausdrücke Dissident oder konfessionslos offiziell […] zur Angabe der Religionszugehörigkeit vorgeschrieben.« A. a. O., 281f. Der Erlass ist abgedruckt in: Zur weltanschaulichen Lage, in: NS-Monatshefte 8/1937, 61f. 902 Abgedruckt in: Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches, Bd. 4,1; vgl. Meier II, 148. 903 Künneth (1937), Kirche und Generalsynode. Der Abschluss dieses Beitrages wird auf den 25. 2. 1937 datiert. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag.

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damit auch die Gestaltung des kirchlichen Lebens im Dritten Reich jedoch »in voller Freiheit nach eigener Bestimmung des Kirchenvolkes«904 der Kirche selbst überlasse. (77) Der nationalsozialistische Staat erweise sich somit als echter Staat im lutherischen Sinne (Zwei-Reiche-Lehre). Die kirchliche Ordnungsfrage sei bisher durch »zwei wesentliche Irrtümer« verdunkelt worden, die es als zwei extreme Fehlermöglichkeiten im Rahmen der Generalsynode tunlichst zu vermeiden gelte: 1.) Die »katholische These, die in der reformierten Kirche eine gewisse Umbildung erfahren« habe, »daß die Kirchenordnung als solche zum Wesen der Kirche gehöre, also konstitutive Bedeutung habe«, führe zu einer theologischen Überbewertung der kirchlichen Ordnung. Hier dürfte Künneth u. a. auch an Barth gedacht haben, der für ihn als Feindbild das Reformiertentum pars pro toto vertrat. 2.) Da das Luthertum »keine eigentliche Lehre von der Verfassung der Kirche« entwickelt habe, glaube man »eine grundsätzliche Indifferenz gegenüber dem Gestaltproblem der Kirche« (79) ableiten zu können. Zu diesem Irrtum zählte Künneth auch die Annahme, dass der Staat das ius circa sacra einnehmen könne905 sowie die »Rede von der ›unsichtbaren‹ Kirche, von dem Reich Gottes, das nicht von dieser Welt sei und darum reine Innerlichkeit bedeute« (79) wie sie etwa ein wesentliches Theologumenon der Ekklesiologie Emanuel Hirschs darstellte.906 Beide Irrwege seien »Ausprägungen der Verweltlichung der Kirche«, wobei der erste in die Aporie »einer eigenen ›Staatlichkeit‹ der Kirche im Staate« und der zweite zu einem »Staatskirchentum« (79) führe. Gegen beide Irrwege gelte es zu bekennen, dass die Kirche als unsichtbare Kirche »eine auf Grund der Offenbarungswirklichkeit Gottes in Christus gegebene Setzung sei, eine Wirklichkeit des Glaubens und Bekennens, die nicht durch Menschen entstanden« sei, »sondern auf dem Befehl und der Verheißung des lebendigen Christus (mandatum Christi)« beruhe. Als sichtbare Kirche sei ihr aber durch ihre Geschichtlichkeit »die Notwendigkeit gesetzt, ihre mit anderen soziologischen Gebilden nicht vergleichbare Gemeinschaft so zu gestalten, wie es eben diesem Glauben und diesem Bekennen« (80) entspreche. Somit stehe »bei der bevorstehenden Generalsynode nichts Geringeres auf dem Spiel« als das Entweder-Oder: »Evangeliumsgemäßheit oder Evangeliumsfremdheit der Neugestaltung?« (81) Konkret ergaben sich für Künneth hieraus drei Kriterien für wahre kirchliche Ordnung: Sie musste a) »in Abhängigkeit« von dem »ministerium verbi (Amt der Verkündigung)« stehen, b) »organisch aus dem Innersten der Kirche, aus dem Bekenntnis heraus« erwachsen und c) »ein äußeres irdisches Zeichen« für »den ewigen Lebensgrund der Kirche« (81) sein. 904 Zitat aus Hitler-Erlass (s. o. Anm. 902). 905 S. u. Exkurs: Hirschs Verhältnis zum Summepiskopat. 906 S. u. Kap. 4.4.2. und 4.5.7.

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Aus dieser Wesensbestimmung der kirchlichen Ordnung und der theologischen Aufgabe der Generalsynode, die daraus resultierte, ergaben sich für Künneth »drei Fragen«, die »bis jetzt noch keine offizielle Beantwortung erfahren« hätten, »darum aber umso dringender der Theologie und Kirchenleitung zur innerkirchlichen Erörterung vorgelegt« seien: 1.) »Wer gehört eigentlich zur DEK?« (81) Ein rein formales Kriterium wie Kirchenmitgliedschaft ließ Künneth aus theologischen Gründen nicht gelten, denn er forderte »ein rein kirchliches Verständnis des Begriffes ›Kirchenvolk‹.« (82) 2.) »Was heißt »Wahl« im kirchlichen Sinne?« (82) Kirchliche Wahl dürfe weder demokratisch oder parlamentarisch noch selbstmächtig und in Widerspruch zu Schrift und Bekenntnis stattfinden, sondern erfolge immer in einem »Sichunterstellen unter den durch Schrift und Bekenntnis normierten Willen der übergeordneten Gesamtgemeinde« und im »Bestreben, die damit gesetzte kirchliche Aufgabe zu vollziehen.« (83) 3.) »Wer ist gemäß dieses Begriffes einer kirchlichen Wahl wählbar?« (84) Hierzu zählten für Künneth drei »klare Richtlinien«: Wer ein Ältestenamt in der Kirche bekleiden soll, muß am gottesdienstlichen Leben treu und fleißig teilgenommen haben; er muß in der Gemeinde praktisch mitgearbeitet haben; er muß endlich innerlich vom Geist seiner Kirche erfüllt sein. (84)

Mit dem Zusammenschluss der VKL und dem Lutherrat sowie mit der Generalsynode verband Künneth überdies die Hoffnung auf eine breite Einheitsfront der Kirche.907 Mit der Befürwortung der »Entstehung einer umfassenden kirchlichen Einheitsfront« (104) schien Künneth latent gegenüber seiner bisherigen autoritativen und lutherisch-konfessionellen Haltung kleinere Konzessionen908 in Kauf zu nehmen: 1.) Hatte Künneth seit spätestens Ende 1934 die kirchliche Leitung in den Händen von »bischöflich[n] Gestalten, auch wenn sie nicht diesen Titel tragen« (105) gesehen,909 so sei nun »ernsthaft zu fragen, ob in einer Zeit, in der die ganze Existenz der Kirche auf dem Spiel« stehe, »ein einzelner Mensch die sachlich notwendig verbindende und tragende Kraft in sich zu vereinigen vermag.« (105), 2.) Künneths konfessionalistische Verengung auf das Luthertum, die 907 Künneth (April 1937), Die Einheitsfront der Kirche! Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. Vgl. hierzu auch den Ausblick, den Künneth in: AC (1937), Weg der Kirche von 1932 bis 1937, 28 gibt: »1. Die Bekennende Kirche muß sich in ihren Reihen zu einer unzerstörbaren Einheit zusammenfinden. Der Ansatz dazu ist gegeben in dem neuen Zusammenschluss zwischen der VKL und dem Lutherischen Rat. […] 2. Die Kirchengeschichte der letzten vier Jahre zeigt, daß die Bewegung der DC sich kirchenzerstörend ausgewirkt hat und jedes Paktieren mit den DC zum Unheil für die Kirche führt.« 908 Künneth selbst betonte jedoch explizit, dass die Einigung zwischen VKL und Lutherrat »nicht auf dem Wege des Kompromisses oder der Preisgabe spezieller kirchlicher Aufgaben erzielt« (104) worden war. 909 Vgl. etwa Künneth (November 1934), Luthertum im Kampf, 335f; ders. (Dezember 1934), Entscheidungszeit!.

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seine Haltung im Kirchenkampf spätestens seit Ende 1934 geprägt hatte,910 erfuhr ebenfalls eine gewisse Abschwächung, denn »der jetzige Ruf zur Sammlung« gelte jedem, »der diese Kirche Jesu Christi« wolle und »der guten Willens« sei, »dieser neuen Einheitsfront sich anzuschließen«, denn es handele »sich hier nicht um die Front einer bestimmten kirchlichen Gruppe, sondern um den Kristallisationspunkt für alle, die der christlichen Botschaft gehorsam sein« wollten. (106) Die »Basis der Front der Kirche« sei »breit genug, um jedem Christen eine echte kirchliche Entscheidung zu ermöglichen« und diese Entscheidung könne keinem erspart werden. Dennoch war für Künneth eine Sammlung der Indifferenten, der kirchlich Neutralen, der Mitte trotz aller Konzessionen ausgeschlossen, denn jeder »Ruf zur Sammlung« sei nur dann »wahrhaftig, wenn er zugleich ein ›Nein‹ in sich« (106) enthalte. Vielmehr diente die kirchliche Einheitsfront der Scheidung der Geister und somit einem der wichtigsten kirchlichen Ziele des Kirchenkampfes selbst: Es ist ein Zeichen christlicher Reife, daß die jetzt geforderte Sammlung ohne klare Scheidung nicht denkbar ist. Der mit Beginn des Kirchenkampfes anhebende innere Erneuerungsprozeß der Kirche darf gerade jetzt nicht durch neue Verschwommenheit gestört und gefährdet werden. Das entschlossene »Nein« der Kirche ist nicht persönlicher, sondern streng sachlicher Art. Es ist zugleich um des Volkes willen geboten. Die Verkündigung der Kirche würde unglaubwürdig und der Charakter der Kirche heillos verdunkelt, würde heute auf die Entscheidungsfrage verzichtet: Kirche des biblischen Zeugnisses gemäß dem Bekenntnis der Väter der Reformation oder die in tausend religiösen Farben schillernde »Nationalkirche«? Diese Entscheidungsfrage vermag auch der Obrigkeit deutlich zu machen, wie die Fronten laufen und was der tiefste Sinn des so mißverstandenen Kirchenkampfes eigentlich ist. (107)

Künneth bezeichnete »die Kampf- und Schicksalsgemeinschaft der Bekennenden Kirche« als »Kern der Einheitsfront der Kirche.« (107) Ein wesentliches Merkmal der Ekklesiologie und Theologie Künneths bestand allerdings darin, dass sie betont unpolitisch war. So lautete der »Kernpunkt« (124) seines im Mai erschienenen Aufsatzes »Kirche und Religionspolitik«911: Die Kirche der christlichen Botschaft ist vielmehr wesensmäßig unpolitisch. […] Christus, die Botschaft von der Gottesoffenbarung steht im Mittelpunkt. Diese Botschaft besitzt eine erobernde Mächtigkeit, aber diese ist nicht zu vergleichen mit irgendeiner politischen Macht. (125f)

910 S. o. Kap. 3.4.5. und 3.4.6. 911 Künneth (Mai 1937), Kirche und Religionspolitik. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. – Auf diesen Beitrag griff Künneth in seiner Autobiographie zurück, um nachzuweisen, dass sein Verständnis des Kirchenkampfes auch 1937 noch weder politisch noch gar religionspolitisch motiviert war. Künneth (1979), Lebensführungen, 133f.

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Wie viele zeitgenössische Lutheraner betonte auch Künneth zwei Momente dieser Kernthese: 1.) Durch diese These werde die »Freiheit des Glaubens«912, die christliche Freiheit ausgesprochen. 2.) Allerdings werde dadurch »niemals die politische Gehorsamspflicht und Ehrerbietung vor dem Amt des Staates aufgehoben, sondern vielmehr eingeschärft.« (126) Denn als sichtbare Kirche sei sie »in der Diesseitigkeit mit irdischen Mitteln […] unentrinnbar auf die Begegnung mit der politischen Welt geworfen«, weshalb auch die »Menschen, die Verhältnisse, die Ordnungen, die Anschauungen, inmitten derer die Kirche« erwache, »irgendwie politisch bestimmt« seien, »so daß eine Berührung mit den Fragen der Religionspolitik unvermeidbar« sei. (126) Die Begegnung von Kirche und Politik sei jedoch eine Gratwanderung zwischen den beiden Extremen eines Zuwenig an Politik und eines Zuviel und somit der »Gefahr einer Politisierung der Kirche« (127), wie es im Falle der DC nur zu oft geschehen sei. Für staatliche Religionspolitik meinte Künneth geschichtlich »vier große Lösungsversuche« (131) unterscheiden zu können: 1.) Bei der ersten Lösung stünden »Kirche und Staat in einem »Feindverhältnis«. Die Kirche sei hier ein »Fremdkörper« oder »Hort eines politischen Widerstandes«, der staatlicherseits zu beseitigen sei. (131f) 2.) Eine zweite Möglichkeit bestehe darin, dass der Staat versuche, »die Andersartigkeit der Kirche dadurch zu überwinden«, dass »ihre politische Angleichung, ihre weltanschauliche Gleichschaltung vollzogen« (132f) werde. 3.) »Eine dritte Lösung« bestehe »gleichsam als ultima ratio in einer radikalen Trennung von Kirche und Staat« (133). 4.) Der vierte und vom Wesen der Kirche und des Staates einzig gangbare Weg bestehe darin, »zu einem sachlichen Freundverhältnis zu kommen«. (133) Diese Aufgabe betreffe »das deutsche Schicksal im Tiefsten und Letzten«, da »die Verantwortung der Stunde« darin bestehe, »daß nicht das dem deutschen Volke geschenkte Erbe der Reformation von unverständigen Händen vertan« (133) werde.913 912 Vgl. hierzu Künneth (1939), Die Freiheit eines Christenmenschen. In dieser Bibelarbeit zum Galater-Brief von 1939 fehlt allerdings der zweite Gedanke bezeichnenderweise. Vermutlich darf dieses Fehlen der Betonung der politischen Gehorsamspflicht als Veränderung in Künneths Denken angesichts seiner persönlichen Erfahrungen von Ende 1937 (s. u. Kap. 3.4.16. und 3.5.) gedeutet werden. 913 Noch schärfer formulierte Künneth diesen Gedanken im April 1937: »Die Stunde der christlichen Botschaft ist immer da, wo ihr Wort ergeht. Noch steht das biblische Zeugnis über dem deutschen Volk. Ob unser Volk diese Stunde erkennt oder versäumt, das ist unser aller Schicksalsfrage. Die Stunde Gottes kann auch einmal vorübergehen. Das Evangelium kann einem Volke genommen werden. Dann aber ist nicht das Ende des christlichen Bekenntnisses gekommen, aber das innere zerstörende Gericht überschattet dann die Seele des Volkes. Die ›Stunde des Christentums‹ kann einmal zur letzten Stunde werden. Darum wissen, heißt den unheimlichen Ernst unserer Zeitenwende durchschauen.« Künneth (April

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Von dieser goßen Verantwortung der Stunde und der einzig angemessenen Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat ausgehend benannte Künneth »Grenzen einer staatlichen Religionspolitik« (129): Der »selbstverständliche Grundsatz jeder gesunden Religionspolitik« bestehe darin, »in dem Gewissen eine notwendige unüberschreitbare Grenze freiwillig« anzuerkennen. Anders ausgedrückt: »Die religiöse Innerlichkeit des Einzelnen« dürfe »durch die Religionspolitik nicht angetastet werden, die politische und weltanschauliche Totalität« finde »hier ihre Grenze.« (130) Zu diesem Prinzip der Gewissensfreiheit habe sich das Dritte Reiche »wiederholt und in feierlicher Weise« bekannt. (130) Deshalb müsse der Staat auch gewährleisten, dass sich die Kirche ihre Ordnung nach genuin kirchlichen Gesichtspunkten und in Freiheit selbst geben könne.914 Diese Forderung galt für Künneth auch konkret im Hinblick auf die Generalsynode: Würde die in Aussicht genommene Generalsynode durch rein politische Gesichtspunkte und kirchenfremde Wahlmethoden zustande kommen, so wäre dieses Geschehen kein kirchliches, sondern ein politisches Ereignis und die so entstandene Versammlung gewiß keine kirchliche Synode. (131)

Im Falle einer solchen »Pseudo-Synode« könne die Kirche aufgrund »der Verpflichtung des Gewissens gegenüber dem Bekenntnis« dann nicht anders, »als einer solchen unkirchlichen Ordnung der Verhältnisse ein eindeutiges ›Nein‹ entgegenzusetzen«. Dieses ›Nein‹ könnte dann wohl politisch verstanden werden, doch für Künneth stand fest, dass nicht »verwerfliche politische Ressentiments der Kirche, sondern die politische Illusion über die Grenze der Religionspolitik und über die konkrete Wirklichkeit der Kirche« in diesem Falle »die Schuld an dem unabsehbaren Unheil, das dann über die Kirche, aber auch über Volk und Staat kommen müßte« (131) tragen würden. Die Kirchenwahlen und die damit verbundene Generalsynode fanden allerdings niemals statt.915

1937), Die Stunde des Christentums, 111. – Ähnliche Befürchtungen äußerte auch Karl Barth (s. o. Kap. 2.4.1. und 2.4.9.3.). 914 Vgl. a. a. O., 130f. 915 Zu diesen Vorgängen vgl. Besier, Die Kirchen und das Dritte Reich, 640–655; Meier II, 148– 154.

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3.4.14. 1937: »Not« und »Verheißung« des Kirchenkampfes Künneth stand im Spektrum der BK auch Ende 1937 noch deutlich im landesbischöflichen Flügel.916 Die »antikirchliche Bewegung«917 trennte Künneth nach wie vor strikt von der Kirchenpolitik des NS-Staates und bewertete sie als »nichts Geringeres als einen Generalangriff gegen die christlichen Fundamente überhaupt.« (280) Mit diesem Angriff sei »heute die Existenzfrage der Kirche gestellt«: Die »Stunde der Not« mache »das Bekenntnis der Kirche für den Einzelnen zu einer existenziellen Größe.« (282) Die »Anfechtung« der Kirche führe zur notwendigen »Entscheidung«, zur Scheidung der Geister und somit zum »Segen« (282) des Kirchenkampfes. Denn die »Verheißung Jesu« rufe »in eine unbedingte Verantwortung« (277). Es lässt sich beobachten, dass die Begriffe »Not« und »Verheißung« bei Künneth sachlich in eine ähnliche Richtung wie bei Karl Barth kurze Zeit später rückten.918 Für Künneth wie für Barth spielten – trotz ihrer gravierenden positionellen Differenzen – die Topoi »Anfechtung« (282), »Versuchung« (277) und »Not« (282) auf der einen Seite und »Entscheidung« (282), »Segen« (282) und »Verheißung« (277) »Wunder Gottes« (275) auf der anderen Seite im Rahmen ihrer theologischen Deutung der innerkirchlichen Auseinandersetzungen, in die die BK verwickelt war, zunehmend eine Schlüsselrolle: Was in aller Verborgenheit vor der Welt mit echtem Christusglauben durchkämpft und durchlebt wird, das trägt in sich einen geheimen Segen für die Kirche, das zeugt von ihrer unzerstörbaren Realität und das ist die wesentliche Antwort auf alle Kampfansage der Zeit. (282)

Vor dem Hintergrund dieser Gedanken vollzog Künneth in einer Replik919 auf Rosenbergs Schrift Protestantische Rompilger920 eine subtile Umwertung der These Rosenbergs, dass der »gläubige und bekennende Protestantismus« ein »›sterbender Protestantismus‹« sei, weil er »›Verrat an Luther‹« begangen habe. 916 Vgl. hierzu etwa Künneth (September 1937), Kirchliche Fragen und Nöte. Der Begriff »Kirchenkampf« ist auf Seite 278 wenig signifikant belegt. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. 917 Hierbei dachte Künneth an die völkisch-religiöse Presse, aber auch »an bemerkenswerte Stimmen, die immer da und dort an Stellen auftauchen, wo man sie eigentlich nicht erwarten sollte.« So in den Zeitschriften »Der Arbeitsmann«, »Der SA-Mann«, »Bewegung« etc., die er aber alle vom Willen der NS-Regierung trennte. Vgl. a. a. O., 279–282. 918 S. o. Kap. 2.4.9.3. 919 Als bekannteste und wichtigste Replik Künneths auf der Rosenbergs Rompilger dürfte seine Schrift Evangelische Wahrheit! Vom Oktober 1937 zu gelten haben. – Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt jedoch auf folgenden Text: Künneth (November 1937), Sterbender Protestantismus?. 920 Rosenberg, Protestantische Rompilger.

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(341) Basierend auf der These: »Wo Gottes Wort ist, da ist Leben, da ist Auferstehung« prägte Künneth demgegenüber programmatisch die Formel »auferstehender Protestantismus!« (346): Das Erwachen der evangelischen Kirche zu einer bekennenden Kirche ist darum nicht das Zeichen eines sterbenden[,] sondern eines auferstehenden Protestantismus, der wieder zu den gleichen tragenden Grundlagen der Reformation zurückgefunden hat. (345)

Folglich sei die »eigentliche und tiefste Not der Kirche« dort, wo »Mangel an wahrem christlichem Glauben« und die »Verwerfung des Wortes Gottes« vorherrschten (345). In diesem Sinne gebe es tatsächlich »einen sterbenden ›Protestantismus‹«, der aber »in der Kraft Gottes bestehend, ewiges Leben in sich« trage. Bei dem in diesem Sinne sterbenden Protestantismus handele es sich um »einen gerade in Not und Kampf sich bewährenden christlichen Glauben, der nicht zugrunde« gehe, »sondern die Verheißung des Lebens und des Sieges« in sich trage. (345) Der Segen liege in der Bewährung der BK in der Anfechtung sowie in ihrer bewussten Entscheidung für den wahren christlichen Glauben und für das Wort Gottes, »wenn alles, was die Wirksamkeit und Gültigkeit dieses Wortes beeinträchtigt, überwunden und alles Unwesenhafte, nur Äußerliche und Unechte abfällt.« (345) Man darf wohl zugespitzt mit Künneth pointieren: In diesem Sinne war im Raum der BK im Kirchenkampf nicht ein »sterbender, sondern auferstehender Protestantismus« (346) zu Tage getreten. In diesem Sinne fand hier im Wahrsten Sinne des Wortes Reformation im Sinne von einer Auferstehung der protestantischen Kirche statt.

3.4.15. Retrospektive: »worum es in dem bitteren Kirchenkampf […] zutiefst ging« Ende Februar 1937 erinnerte Künneth im Hinblick auf die angekündigte Generalsynode daran, »worum es in dem bitteren Kirchenkampf der letzten Jahre zutiefst ging«:921 Es wäre ein nicht wieder gut zu machendes Unglück, wenn heute der epochale kirchengeschichtliche Sinn des ernsten kirchlichen Ringens um eine lebendige bekennende Kirche vergessen und die sich daraus ergebenden notwendigen Folgerungen für die Ordnung der Kirche verleugnet würden. [1.] Der Weg, der von dem gewaltsamen Einbruch kirchenfremder Größen und Irrlehren in die Kirche, [2.] über die Katastrophe der Kirchenwahlen des Sommers 1933, über die sogenannte »Nationalsynode« zu Wittenberg, [3.] die berüchtigte Sportpalastversammlung der DC in Berlin bis [4.] nach Barmen, zu dem kirchlichen Notrecht und Bekenntnissynoden und endlich [5.] bis zur 921 Künneth (März 1937), Kirche und Generalsynode, 78.

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Neubesinnung auf eine lutherische Kirche Deutschlands führte, dieser Weg, hundertfach verflochten mit Not und Bedrängnis, aber auch bezeichnet durch neues existenzielles Erfahren der biblischen Zeugniskraft, durch treues Bekennen und Verkündigen, durch heilsame und rettende Führungen Gottes, war wahrlich nicht bestimmt durch Kleinlichkeiten starrköpfiger Rechthaberei, durch Theologengezänk, durch Personalschwierigkeiten und nebensächliche Formfragen, sondern durch die entscheidende neu geschenkte Grunderkenntnis, daß die Wahrheit des Evangeliums nicht verkehrt werden darf, daß die Kirche nur leben kann aus dem ewigen Wort Gottes, daß sie gegründet ist auf dem Bekenntnis der Reformation und sich stets neu zu bemühen hat in dem aktuellen Bekennen »heute« und »jetzt«. Das ist das unverlierbare Anliegen der ganzen Bekennenden Kirche, daß auch die neue DEK eine Kirche des Bekenntnisses und des biblischen Christusglaubens werden muß und überhaupt sonst keine kirchlich legitime Existenz haben kann.922

Diesen Weg der Kirche zeichnete Künneth im Rückblick in seiner 1937 als verantwortlicher Schriftleiter der von der AC herausgegebenen Stoffsammlung für Schulungsarbeit923 nach: [1.] Zur »Vorgeschichte« des Kirchenkampfes zählte er die Entstehung der Glaubensbewegung Deutsche Christen im Rahmen der Kirchenwahlen im November des Jahres 1932.924 [2.] Zur »Entstehung der Fronten«925 im »Kirchenkampf«926 sei es durch die innerkirchliche Infragestellung der Lehre und Ordnung der Kirche durch die DC gekommen: Die JB sei im Mai 1933 als kirchliche »Erneuerungsbewegung« in einer »doppelten Frontrichtung« entstanden: »einerseits durch den radikalen Einbruch der Deutschen Christen«, durch den »eine totale Politisierung und Säkularisierung der Kirche drohte« und andererseits angesichts der »Unfähigkeit der alten kirchlichen Gruppen und der kirchlichen Bürokratie«. (8) Angesichts der Kirchenwahlen vom 23. Juli, die die DC mit einer Zweidrittelmehrheit für sich entscheiden konnten, und der Preußischen Generalsynode vom 5. September, in der die kirchliche Einführung des Arierparagraphen und des Bischofsgesetzes der DC beschlossen wurde, war es am 11. September zur Gründung des Pfarrernotbundes gekommen.927 Der Pfarrernotbund sei zu einem »geistigen Sammelpunkt der durch den Kirchenkampf bewegten« Theologen geworden, wäh922 Ebd. Die Ordinalia in Klammern stammen von mir. Die Nummerierung entspricht der des folgenden Abschnitts. 923 AC (1937), Der Weg der Kirche. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diese Schrift. 924 Vgl. a. a. O., 3f. – Zur Vorgeschichte der Glaubensbewegung Deutsche Christen seit 1931 sowie zu den Kirchenwahlen von 1932 vgl. Scholder I, 239–274. 925 Der zweite Abschnitt der Stoffsammlung trägt die Überschrift »Die Entstehung der Fronten«. Vgl. a. a. O., 5–10. 926 Der Begriff »Kirchenkampf« selbst taucht expressis verbis fünfmal in der Stoffsammlung auf. (a. a. O., 8. 12. 13. 23. 24) Kampfesmetaphorik durchzieht jedoch die gesamte Schrift. 927 Vgl. a. a. O., 10–12.

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rend sich die Zeitschrift Junge Kirche der JB der »nicht zu den Deutschen Christen gehörenden Laienwelt« (12) gewidmet habe. Angesichts der Wittenberger Nationalsynode vom 27. September seien die »Wächter des Bekenntnisses« dann »auf den Plan getreten im Kampf gegen die Herrschaft der Deutschen Christen, wenn auch unverstanden von vielen der vom Kirchenkampf noch unberührten Landeskirchen und Gemeinden.« (13) [3.] Als Folge der Sportpalastkundgebung der DC am 13. November war es zur Spaltung der DC gekommen. Somit hatte der Kirchenkampf nun »drei neue Fronten« (14) erhalten: 1.) Den Pfarrernotbund, 2.) die DC Müllers und 3.) die Thüringer DC. [4.] und [5.] Den Weg von den Bekenntnissynoden des Jahres 1934 bis zur Gründung der VKL beschrieb Künneth aus der Perspektive des gemäßigten landesbischöflichen Flügels ohne den dahlemitischen Flügel der BK auch nur mit einem Wort zu erwähnen.928 Dieser Kampf kulminierte in Künneths Augen folgerichtig im »Zusammenschluß der lutherischen Kirchen«, der seinen vorläufigen Höhepunkt am 25. August 1934 in der Gründung des Lutherischen Rates hatte, in dem sich »die Lutheraner aus den bekennenden Kirchen ganz Deutschlands zu gemeinsamen Beratungen über den Einsatz des lutherischen Bekenntnisses im Kirchenkampf« (23) getroffen hatten. Seine Nachfolgeorganisation war der am 11. März 1936 gegründete Lutherrat, in den Künneth fortan seine Hoffnungen setzte. Die vierte Bekenntnissynode, die vom 17. bis 22 Februar 1936 in Bad Oeynhausen stattfand, hatte in Künneths Augen »in den theologischen Fragen nicht die gleiche Einheitlichkeit und Durchschlagekraft gehabt wie z. B. Barmen.« (26) Auch die dort gewählte zweite VKL spielte für Künneth keine große Rolle mehr im Kirchenkampf und war nur noch im Hinblick auf ihre Denkschrift erwähnenswert und in Verbindung mit dem Lutherrat für den weiteren Weg der BK interessant.929 Jedes weitere »Paktieren mit den DC« führte »zum Unheil für die Kirche« (28) und war für Künneth kategorisch ausgeschlossen. Der Weg der BK hatte sie im Kirchenkampf also in Abgrenzung von den Irrlehren der DC über die Barmer, Dahlemer und Augsburger930 Bekenntnissynode zur lutherischen Neubesinnung und somit zu einer Bekräftigung des lutherischen Bekenntnisstandes und zum aktualisierten Bekennen des Wortes Gottes und des reformatorischen Bekenntnisses geführt. Zu Fragen des »Weltanschauungskampfes«931, die seine schriftstellerische Arbeit in der AC in den

928 929 930 931

Vgl. a. a. O., 16–22. Vgl. a. a. O., 27. – Zur Denkschrift der zweiten VKL s. o. Kap. 2.4.6. Anm. 261. Vgl. a. a. O., 23. Auf der Rückseite der Stoffsammlung stand unter der Überschrift »Was ist die Apologetische Centrale?« folgende Beschreibung:

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30er Jahren maßgeblich bestimmt hatte, äußerte sich Künneth in der Stoffsammlung interessanterweise mit keinem Wort.

3.4.16. Ende 1937: Ende der kirchenpolitischen Bedeutung Künneths Am 31. Dezember 1937 wurde Künneth die venia legendi entzogen und er erhielt Schreib- und Redeverbot für das ganze Reichsgebiet932. Künneths publizistische Arbeit in seinen beiden hauptsächlichen Publikationsorganen kam damit zum Erliegen: Die Dezembernummer von WuT(B) konnte nach Schließung der AC nicht mehr publiziert werden933 und in JK erschien nur noch ein einziger Artikel Künneths im August 1938, der mit dem Thema Theologie der Geschichte oder Geschichtsspekulation ein paar kritische Fragen zu H. Sauers »Abendländische Entscheidung«934 enthielt.935 Künneth blieb seiner Linie in diesem Beitrag treu: Er bezeichnete Sauers Studie – trotz einiger Verdienste, die er durchaus positiv würdigte – als »Geschichtsspekulation«, die einen »christlichen Geschichtsmythus« erfinde. Theologisch fragwürdige Akkomodationen und unchristliche Anküpfungspunkte trügen die Merkmale der »alten Apologetik«, welche Gefahr laufe, die christliche Botschaft und Lehre durch Anpassung und Verkürzung zu entstellen. (625) Jede Akkomodation der christlichen Botschaft an nicht-christliche Inhalte lehnte Künneth nach wie vor entschieden ab, denn wirkliche »Entscheidungsmöglichkeit« gebe »es nur dort, wo man klare Unterscheidungen« wage, »saubere Linien« ziehe und »das Entweder-Oder der Christus-Begegnung ohne jede Verharmlosung und Verdunkelung« bezeuge. (626)

932 933 934 935

»Sie ist eine zentrale Stelle, die in Auseinandersetzung mit den evangeliumsfremden und kirchenfeindlichen Strömungen der Zeit ihre Arbeit zum Aufbau der lebendigen Gemeinde einsetzt. Ihr Dienst geschieht auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der reformatorischen Bekenntnisse der Deutschen Evangelischen Kirche. Sie ist eine wissenschaftliche Beobachtungswarte[,] Materialsammelstelle und Auskunftszentrale für alle Erscheinungen des Weltanschauungskampfes. Ihr Archiv sammelt und bearbeitet die Veröffentlichungen aller kirchlichen Gruppen sowie der Sekten, insbesondere der völkisch-heidnischen Bewegung. Eine Handbibliothek bietet das theologische Rüstzeug.« S. o. Kap. 3.1. Vgl. Pöhlmann, Kampf der Geister, 233. Sauer, Abendländische Entscheidung. Künneth (August 1938), Theologie der Geschichte oder Geschichtsspekulation. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Beitrag. Die Frage, wieso dieser Beitrag trotz Künneths Schreibverbot veröffentlicht werden konnte, konnte leider nicht geklärt werden.

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Neben dieser Schrift ist zwischen 1937 und 1946 konnte trotz Künneths Schreibverbot noch eine weitere kleinere Arbeit Künneths veröffentlicht werden: Es handelt sich um eine Bibelarbeit zum Galater-Brief, die offensichtlich für die Gemeindearbeit vorgesehen war.936 Auch in diesem Text äußerte sich Künneth weder theologisch noch kirchenpolitisch zum Kirchenkampf. Die einzigen Aussagen, die sich bestenfalls als indirekter theologischer Kommentar zum Kirchenkampf deuten lassen, formuliert er exegetisch sehr nahe am Galaterbrief und ohne jede zeitgeschichtliche Anspielung: »Das Evangelium als die Botschaft von der Menschheitsbefreiung stellt den Menschen vor ein ›entweder – oder‹. Entweder mit Christus und dann Freiheit, oder ohne Christus und dann Knechtschaft. […] Das Wort von Christus duldet keinen Kompromiß, keine Ergänzung, Zusatz oder Abstrich. Alles steht auf dem Spiel.«937 An anderer Stelle schreibt er: »Der Geist der Freiheit steht im Kampf mit dem Geist der Welt […]. Die Heilsgeschichte der Gottesoffenbarung beweist diese Feindschaft zwischen dem Gottesgeist und dem Geist der Welt. Der Geist der Freiheit ist in dieser Welt der Knechtschaft nie unangefochten und darum immer zum Kampfe aufgerufen.«938 Aussagen wie diese, die Künneth noch vor und während 1933 als theologische Begründung eines politischen Amtes und einer eminent politischen Aufgabe der kämpfenden Kirche gegenüber der Welt und somit auch dem Staat herangezogen hatte,939 hatten nun jede politische Konnotation verloren. Die Frage, ob sich Künneth auf lokaler Ebene, mündlich oder schriftlich (etwa in Predigten oder Gemeindebriefen) in Starnberg, weiterhin zum Kirchenkampf geäußert hat, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht überprüft werden. Allerdings wurden seine Predigten vermutlich überwacht und es ist davon auszugehen, dass Künneth solche Äußerungen in seiner Autobiographie erwähnt hätte, weshalb anzunehmen ist, dass er sich in Starnberg nicht mehr offen dazu geäußert haben wird. Hier ist aber ein Desiderat anzumelden, das nur durch eine sorgfältige Analyse von Künneths Nachlass behoben werden kann.

936 937 938 939

Künneth (1939), Die Freiheit eines Christenmenschen. A. a. O., 98. A. a. O., 101. S. o. Kap. 3.3.2. und 3.4.1. und 3.4.2.

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3.5. Kirchenkampf in der Rezipientenperspektive 3.5.1. 1947: »Der große Abfall« Künneth versuchte den Kirchenkampf nach 1945 zunächst geschichtstheologisch940 als paradigmatisches Ereignis zu deuten: Es handelte sich dabei um den großen Abfall der Welt von Gott im Rahmen der »beispielhafte[n] Begegnung zweier geistiger Welten, der antichristlichen mit der christlichen«941. In theologischer Hinsicht ging es also um den Geisteskampf zwischen dem Heidnischen Geist der Welt und dem Heiligen Geist des Evangeliums, der »den Charakter eines geistigen Entscheidungskampfes«942 hatte. Als Resultat des »religiösen Abfalls« sei die »Weltanschauung des Nationalsozialismus emporgestiegen als Zusammenballung und Vollendung der geistigen Abfallsbewegung [sic] des modernen Menschen.«943 »Nationalsozialistische Weltanschauung und christlicher Glaube« stünden »zueinander in ausschließender Dissonanz, in dem Verhältnis von Feuer und Wasser, denn Lehre, Leben und Zielsetzung der antichristlichen Macht« seien »eine Herausforderung der Kirche, die Jesu Namen trägt.«944 In den notwendigen Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Nationalsozialismus übernahmen die Kirchen die Rolle der Widerstandszentren gegen letzteren.945 Dieses »Widerstandszentrum der Christenheit mitten im totalen Staat Hitlers« betrachtete Künneth als »ein zu letzter Besinnung rufendes Mahnzeichen an die Völker der Welt.«946 Die aktuelle Bedeutung des Kirchenkampfes konnte in seinen Augen kaum überschätzt werden, denn sie hatte als ›Weltkatastrophe‹ geradezu apokalyptische Ausmaße: 940 So heißt es im Geleitwort zu (1947), Der große Abfall, 7: »Nur in der Erkenntnis, die uns eine christliche geschichtstheologische Schau vermittelt, ist es möglich, gleichsam den Schutt wegzuräumen und mit einem neuen Ansatz unseres deutschen Lebens zu beginnen. […] Diese Überlegung ist umso mehr geboten, da wir mit Besorgnis erkennen, daß dieselbe Geistigkeit des Nationalsozialismus unter einem anderen Namen auch heute noch weithin die Seele der Menschen knechtet.« – Vgl. hierzu Töllner, Der große Abfall (1947), besonders 188–196. 941 A. a. O., 8. 942 A. a. O., 166. Vgl. hierzu a. a. O., 166–245. 943 A. a. O., 166. 944 Ebd. 945 Vgl. a. a. O., 218–245. – Hierzu stellte Künneth beredt fest: »Man hat in der Gegenwart wiederholt die Frage aufgeworfen und im Ausland eifrig diskutiert, ob es in Deutschland überhaupt eine Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus gegeben hat. Es ist hier nicht der Ort, darüber einen politischen Nachweis zu führen, aber die Tatsache ist unbestreitbar, und es darf heute und in Zukunft nicht übersehen werden, daß die christlichen Kirchen ein unüberwindbares Zentrum des geistigen Widerstandes bildeten und die einzige Größe darstellten, die vom Nationalsozialismus weder gleichgeschaltet noch beseitigt werden konnte.« A. a. O., 218. 946 A. a. O., 219.

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Wir stehen vor einem letzten Angebot Gottes, und es wäre an der Zeit, uns die Binde von den Augen nehmen zu lassen. […] Heute ist die Welt und sind wir alle gefragt, ob wir den »großen Abfall« der Menschheit von Gott als die Quelle der anhebenden Weltkatastrophe erkennen und allein in dem Ernstnehmen der Christuswirklichkeit die heilende und rettende Verheißung erblicken.947

3.5.2. 1979: »Lebensführungen« Seine eigenen Aktivitäten im Kirchenkampf betrachtete Künneth auch in seiner Autobiographie im Jahre 1979 als durch und durch kirchlich und theologisch. Er bestritt noch im Rückblick jede politische Motivation: So habe er, als er am 10. Dezember 1937 von einem Gestapo-Mann mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, dass er mit seiner Antwortschrift auf Rosenberg948 »den nationalsozialistischen Staat angegriffen hätte«, entschieden widersprochen, da es sich in seinem »Fall überhaupt nicht um politische Fragen handelte.« Er habe es deshalb in diesem Augenblick »als beruhigend« empfunden, »ein politisch ›gutes Gewissen‹ zu haben,« da er ja »von Anbeginn des Kirchenkampfes an scharf zwischen politischem und kirchlich-geistlichem Handeln unterschieden hatte.«949 Auch in der Rezipientenperspektive vertrat Künneth zwar die Ansicht, dass »äußerlich gesehen, kein direkter Zusammenhang zwischen dem Kampf der Bekennenden Kirche mit dem nationalsozialistischen Standardwerk der Rassenideologie A. Rosenbergs«950 bestanden hatte. Im Nachhinein sah er jedoch ein, dass in Rosenbergs Ideologie »die antichristliche Substanz der ›Weltanschauung‹ des Nationalsozialismus gleichsam konzentriert in Erscheinung« getreten war, weshalb »diese beiden Fronten des Kampfes untrennbar« zusammengehörten, »auch wenn sie auf verschiedenen Ebenen lagen.«951 Für Künneth war Rosenberg im Rückblick »der unbestrittene Chefideologe der Partei«, weil der Mythus »immer mehr geistiges Gut und wesentlicher Bestandteil der offiziell anerkannten Ideologie des Nationalsozialismus für viele Millionen« geworden war.952 Künneth beschrieb diese politisch gewollte und geförderte Gefahr, die von Rosenbergs Mythus auf Kirche und Christentum ausging, in seiner Autobiographie folgendermaßen:

947 Ebd. 948 Künneths Ausführungen zu ihrer Entstehung und kontroversen Diskussion legen nahe, dass es sich um die im Oktober 1937 erschienene Schrift Evangelische Wahrheit! handelte. Vgl. Künneth (1979), Lebensführungen, 150–154. 949 A. a. O., 154. 950 A. a. O., 135. 951 Ebd. 952 A. a. O., 136.

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Rosenberg hat hier die Grundideen einer neuen rassischen Weltanschauung produziert, die unmißverständlich antikirchlich und antichristlich geprägt war. Kraft seiner überragenden, vom Führer garantierten Stellung war er in der Lage, diese Gedanken durch tausend Kanäle in die Partei und zugleich in das Volk hineinzupumpen. Alle Organisationen der Partei, angefangen von SA und SS, Arbeitsdienst, Frauenschaft bis hin zur »Hitlerjugend« (HJ), zum »Bund deutscher Mädel« (BdM) und auch die Lehrerschaft, wurden mit dieser Geistigkeit vertraut gemacht und sollten kraft dieses »nordischen Mythus« zu einer Bewusstseinsänderung umgeschult werden. Dazu traten als Massenmedien die völkische Presse und die nationalsozialistische Literatur, die sich gerne dieses Buches annahmen und gleichsam in Kurzform das Gedankengut Rosenbergs ihrem Leserkreis zugänglich machten. Welches heute unvorstellbare Gewicht damals die Presseurteile des »Völkischen Beobachter«, des »Schwarzen Korps« (SS) oder der »Nationalsozialistischen Monatshefte«, »der zentralen politischen und kulturellen Zeitschrift der NSDAP«, die sich mit Rosenbergs Ideologie identifizierten, besaßen, kann nur derjenige ermessen, der unter dem geistigen Terror des Dritten Reiches gelebt hat.953

Diesen untrennbaren Zusammenhang zwischen Rosenbergs Mythus und der Ideologie des Nationalsozialismus hatte Künneth jedoch erst im Rückblick erkannt. Entsprechend stilisierte er den NS-Staat erst nach 1945 als Gegner der (Bekennenden) Kirche. Außerdem deutete Künneth in seiner Autobiographie den »Kirchenkampf« als einen »Bekenntniskampf«, insofern zwar »der Stellenwert von ›Schrift und Bekenntnis‹ wohl überall unbestritten war«, sich »jedoch bei der Frage ihrer Verbindlichkeit und Deutung ganz erhebliche Gräben«954 auftaten. Nicht nur den DC machte er den Vorwurf der Politisierung von Schrift und Bekenntnis. Man dürfe vielmehr »nicht übersehen, daß sich in den so mannigfach geprägten Kreisen der Bekennenden Kirche viele sammelten, die nicht um die Bedrohung ihres christlichen Glaubens bangten«, sondern die »ihre politische Überzeugung dem Totalitätsanspruch des Staates auf dem Boden der Bekennenden Kirche entgegensetzen«955 wollten. Zu dieser Gruppe zählte Künneth etwa Hans von Soden, Rudolf Bultmann, Ernst Käsemann,956 Martin Niemöller957 und vor allem Karl Barth.958 In dieser Hinsicht grenzte sich Künneth auch im Nachhinein scharf von Barth ab. Sein Vorwurf lautete: Karl Barth dachte typisch und korrekt im Sinne des Denkansatzes reformierter politischer Ethik. Er nahm die Ideen Zwinglis und Calvins auf, die ja nicht nur Theologen, 953 954 955 956 957 958

Ebd. A. a. O., 131. Vgl. hierzu a. a. O., 131–134. A. a. O., 131f. Vgl. a. a. O., 132. Vgl. a. a. O., 132f Zu dem Vorwurf der Politisierung des Kirchenkampfes vor allem durch Karl Barth vgl. a. a. O., 126–131. Vgl. auch Künneth (1947), Der große Abfall, 187–189.

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sondern auch Politiker waren, führte sie weiter und praktizierte so seinen entscheidenden Grundsatz, daß der Kirchenkampf zugleich ein politischer Kampf sein müsse und daß die Berufung auf das Bekenntnis zugleich ein Mittel zur geistigen Bekämpfung des Nationalsozialismus darstelle. Dabei übersah er aber, daß damit das Bekenntnis der Kirche selbst zu einer Ideologie degradiert wurde.959

Künneths Kritik an Barth, dieser habe den Kirchenkampf politisiert, gipfelte in dem Vorwurf, dass Barth »in Konsequenz seiner kirchenpolitischen Rolle im Bekenntniskampf der Deutschen Kirche – gewiß ohne daß er es wollte und die Auswirkungen ahnte – zum geistig-theologischen Vater einer ›Theologie der Revolution‹« geworden sei.960 »Die eigentlich verborgene Not« bestand in Künneths Augen »in einer Trübung des Selbstverständnisses dieses Kirchenkampfes als Kampf im Namen des Bekenntnisses« und diese Not »konzentrierte sich in einer sich im Laufe der Jahre steigernden Politisierung.«961 Als »zweiten ›Bekenntniskampf‹«962 bezeichnete Künneth die Auseinandersetzungen der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« mit Rudolf Bultmann um die Entmythologisierung des Neuen Testaments.963 Künneth wählte diesen Begriff in bewusster Anspielung auf den ersten Bekenntniskampf (=Kirchenkampf), weil er auf Grund seiner »persönlichen Erfahrungen im Kirchenkampf der dreißiger Jahre in der Lage« sei, »Vergleiche zu den Vorgängen in Theologie und Kirche« zu ziehen und, weil es ihm »berechtigt, ja notwendig« erscheine, »das Faktum eines neuen, zweiten Kampfes um die christliche Wahrheit nicht zu vertuschen, sondern beim Namen zu nennen.«964 Zwar räumte Künneth ein, dass der zweite Bekenntniskampf »freilich andere Züge« als der erste Bekenntniskampf trage. Andererseits sei »der innere Zusammenhang mit dem Kampf der früheren Bekennenden Kirche nicht zu übersehen«.965 Deshalb betrachtete er einen Vergleich der beiden Bekenntniskämpfe als angemessen: Wir haben es heute nicht mit einer politischen Front, nicht mit einer physisch-psychischen Bedrohung durch brutale Machthaber zu tun; aber im Innersten geht es um die gleiche Frage: ob die inhaltlichen Aussagen des Glaubensbekenntnisses der Kirche unbedingte Gültigkeit besitzen, oder ob es gestattet ist, Abstriche zu machen, damals in Anpassung an die nationalsozialistische Ideologie, heute in Unterwerfung unter die Thesen einer dem modernistischen Zeitgeist verfallenen Theologie. Wer den ersten Bekenntniskampf heute lediglich als eine Widerstandsaktion gegen den Hitlerstaat deutet, der kann auch kein Verständnis für den heutigen Bekenntniskampf aufbringen, 959 960 961 962

Künneth (1979), Lebensführungen, 126f. A. a. O., 131. A. a. O., 132. A. a. O., 223. Das letzte Kapitel der Lebensführungen trägt die Überschrift »Der zweite Bekenntniskampf«. Vgl. a. a. O., 223–269. 963 Vgl. hierzu etwa folgende Dissertation: Jung, Die deutsche evangelikale Bewegung. 964 A. a. O., 223. 965 Ebd.

Fazit

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bei dem ja das politische Gegenüber fehlt. Wem es aber klargeworden ist, daß die Kirche ohne den Wahrheitsanspruch ihres Bekenntnisses überhaupt nicht existieren kann, der wird sich gegenüber der neuen Kampfsituation nicht verschließen.966

Bultmanns Existenzialtheologie, die dem einen wahren Evangelium ein »›anderes Evangelium‹« gegenüberstelle und insofern theologischen »Etikettenschwindel« und »Falschmünzerei« betreibe, stand in Künneths Augen »in einer bestürzenden, einer fatalen Nähe zu Rosenbergs Behauptungen«, insofern es »der Sache nach, im Effekt« doch »um dieselbe Bestreitung der christlichen Heilsfakten« gehe.967 Da aber schon die »Irrlehre Rosenbergs im früheren Kirchenkampf auf den Widerstand der Bekennenden Kirche« gestoßen sei, musste auch gegen »die massiven Häresien der modernistischen Theologen« (wie Bultmann) »um die Verteidigung der Bekenntniswahrheit«968 gekämpft werden. Deshalb war durch diesen Angriff Bultmanns die »Stunde« wieder »gekommen, in der das Wächteramt der Kirche von allen denen, die sich theologisch und als Diener der Kirche für die Reinerhaltung der biblischen Botschaft verantwortlich wußten, ausgeübt werden mußte.«969 In Ausübung des Wächteramtes der Kirche ging es Künneth also in beiden Bekenntniskämpfen um nicht mehr und nicht weniger als darum, für die Wahrheitsfrage970 an vorderster Front zu kämpfen.

3.6. Fazit Abschließend werden die wichtigsten Beobachtungen zu Künneths Deutung des Kirchenkampfes in der Akteursperspektive, in der Retrospektive und abschließend auch in der Rezipientenperspektive zusammengefasst: 1.) Der Kirchenkampf war für Künneth niemals (weder vor 1945 noch danach!) ein politischer Kampf gegen den Nationalsozialismus als politisches System oder gegen die Vorstellung vom Dritten Reich. Vielmehr wurde Künneth nicht müde, 966 967 968 969

Ebd. A. a. O., 235f. A. a. O., 236. A. a. O., 237. Vgl. hierzu insgesamt Abschnitt 3, der die Überschrift »Das Wächteramt« trägt: a. a. O., 234–241. 970 Vgl. a. a. O., 258–269. Künneth begründet dieses entscheidende Moment des Bekenntniskampfes zum Abschluss seiner Ausführungen zum zweiten Bekenntniskampf folgendermaßen: »Die Kirche des Evangeliums darf nun einmal nicht zum Tummelplatz für alle möglichen theologischen Hypothesen und Irrlehren, nicht zu einem religiösen Diskussionsklub und unverbindlichen Sprechsaal und nicht, wie man einmal formulierte, zu einer Art Weltausstellung in Glaubenssachen werden, sondern soll dem apostolischen Auftrag entsprechend ›Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit‹ sein (1. Tim. 3, 15). Darum ist der Bekenntniskampf Dienst an der Wahrheit und damit zugleich ein Zeichen verantwortlicher Liebe. Man sollte nicht vergessen, daß ein Verschweigen der Wahrheit nicht Toleranz, sondern Lieblosigkeit bedeutet.« A. a. O., 269.

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seine politische Zuverlässigkeit gegenüber dem NS-Staat immer und immer wieder zu betonen und unter Beweis zu stellen. Ein sehr eindrucksvolles Beispiel hierfür bildet das zwölfseitige Schreiben Künneths an den Stellvertreter des Führers betr. Politische Zuverlässigkeit vom 19. 10. 1936,971 in dem er den Vorwurf der politischen Unzuverlässigkeit mit großer Emphase zurückwies und seinen entschiedenen Willen, »am Aufbau des Dritten Reiches mitzuarbeiten«972, betonte. 2.) Diese Haltung hatte für Künneth sicherlich nicht zuletzt theologische Gründe und hing mit seiner lutherischen Deutung von Röm. 13973 zusammen: Künneth betrachtete den NS-Staat nämlich als echten Staat im lutherischen Sinne und seine Religionspolitik als einzig angemessen.974 Deshalb betonte er auch wiederholt in seiner Auseinandersetzung mit Rosenbergs Mythus, dass dieser seine eigene Privatmeinung, keinesfalls jedoch die offizielle Position des Nationalsozialismus vertrete.975 Und deshalb konnte Künneth auch die eindeutig kirchenfeindliche Politik der Entkonfessionalisierung als eine Chance für kirchliche Erneuerung und geistliche Rückbesinnung auf das Wesen der Kirche begreifen und freudig bejahen.976 3.) Überdies machte Künneths ordnungstheologische Deutung von Rasse, Volk und Staat als Erhaltungsordnungen Gottes977 seine Schöpfungs- und Ordnungstheologie auch theologisch äußert anschlussfähig für rassisch-ideologische Elemente des nationalsozialistischen Gedankengutes. 4.) Man wird außerdem nicht übersehen dürfen, dass Künneth politisch gesehen überzeugter Nationalist war, der die nationale Revolution selbst politisch stark befürwortete.978 5.) Vor diesem Hintergrund nimmt es auch nicht Wunder, dass Künneth das ideologie- und politikkritische Potential seiner Vorstellung von der kämpfenden Kirche979 im Rahmen des Kirchenkampfes niemals für Kritik am Nationalsozialismus fruchtbar gemacht hat. 6.) Der Begriff ›Kirchenkampf‹ bezeichnete in Künneths Sprachgebrauch in der Akteursperspektive und in der Retrospektive die kirchlichen Auseinandersetzungen der Jahre 1933ff.980 Im Kirchenkampf ging es um die theologische 971 Im Archiv des Diakonischen Werkes, Central-Ausschuß für Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche/AC 70. In Auszügen zitiert in: Pöhlmann, Kampf der Geister, 231f. 972 Zitiert nach a. a. O., 232. 973 Vgl. a. a. O., 231. 974 S. o. Kap. 3.4.13. 975 S. o. Kap. 3.4.8. 976 S. o. Kap. 3.4.10. 977 S. o. Kap. 3.3.1. 978 S. o. Kap. 3.4.2. 979 S. o. Kap. 3.3.2. 980 S. o. Kap. 3.4.11. und 3.4.15.

Fazit

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Verteidigung der protestantischen Theologie gegen inner- und außerkirchliche Überfremdung, die insbesondere von der liberalistischen Theologie der DC981 und von Rosenbergs Mythus982 ausging. Künneth kämpfte für eine starke und geeinte lutherische Reichskirche,983 die sowohl das Wächteramt gegenüber der völkisch-nationalen Front übernehmen als auch Trägerin der kirchlichen Erneuerung werden sollte.984 Künneth interpretierte die Zeit des Kirchenkampfes nämlich als eine Entscheidungszeit,985 in der das Ende des Säkularismus der Weimarer Republik und der liberalen Theologie im Raum der evangelischen Kirche begonnen habe und zu einem endgültigen Ende gebracht werden musste. 7.) Der Kirchenkampf wurzelte für Künneth letztlich in einem grundsätzlichen Geisteskampf zwischen dem Heiligen Geist Gottes und dem Heidnischen (antichristlichen) Geist des modernen Menschen.986 In diesem Geisteskampf bildete die Kirche mit dem NS-Staat eine gemeinsame Front gegen den Bolschewismus und andere kirchenfeindliche Strömungen.987 8.) Ähnlich wie Karl Barth deutete Walter Künneth den Kirchenkampf in dem ambivalenten Spannungsfeld von Not und Verheißung. Während die Not der Kirche durch die inner- und außerkirchliche Anfechtung und Bedrohung nur allzu offensichtlich war, bestand die Verheißung und der Segen des Kirchenkampfes in einem geistlich erneuerten und konsolidierten und in diesem Sinne auferstehenden Protestantismus, der wieder nach der geistigen Zersetzung der liberalen Theologie zu reformatorischer Größe kommen konnte.988 9.) Während Künneths Deutungen des Kirchenkampfes vor 1945 noch abgesehen von kleinen Akzentverschiebungen relativ konsistent waren, lassen sich nach 1945 (d. h. in der Rezipientenperspektive) paradigmatische Veränderungen beobachten: Der größte Unterschied besteht sicherlich darin, dass er nach 1945 den Nationalsozialismus als eigentlichen Gegner der Kirche betrachtete, was dieser vor 1945 für Künneth niemals war und als echter Staat auch niemals sein konnte. Erst nach 1945 übernahm für Künneth deshalb der Nationalsozialismus die Rolle des geistigen Antagonisten gegen die Kirche(n) im Kirchenkampf. Von nun an betonte Künneth die vorher heftig bestrittene untrennbare Beziehung zwischen Rosenbergs Mythus und der Weltanschauung des Nationalsozialis981 S. o. Kap. 3.4.3. und 3.4.4 – Wir haben allerdings gesehen, dass Künneth den DC – anders als Karl Barth – durchaus differenziert und nicht per se ablehnend gegenüberstand. 982 S. o. Kap. 3.4.8. und 3.4.9. 983 S. o. Kap. 3.4.5. 984 S. o. Kap. 3.4.8. 985 S. o. Kap. 3.4.6. 986 S. o. Kap. 3.4.7. 987 S. o. Kap. 3.4.6. am Ende und 3.4.12. – Mit dem Begriff »Geisteskampf der Kirche« konnte Künneth nach 1945 allerdings auch seine Auseinandersetzungen mit Rosenberg bezeichnen. Vgl. Künneth (1979), Lebensführungen, 149. 988 S. o. Kap. 3.4.14.

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mus.989 Allerdings war er weiterhin davon überzeugt, dass es sich beim Kirchenkampf recht verstanden um einen geistlichen und keineswegs um einen politischen Kampf gehandelt habe, weshalb die größte Not des Kirchenkampfes in der Politisierung eigentlich theologisch-kirchlicher Fragestellungen bestanden habe.990 10.) Künneths Darstellung des Kirchenkampfes nach 1945 war zwar von der Betonung des Widerstandes der Kirche991 maßgeblich geprägt, wobei er wiederholt betonte, dass es sich im Kirchenkampf im Idealfall um einen geistlichen (z. B. in seinem Fall) und nur im problematischen Einzelfall (z. B. bei Karl Barth) um einen politischen Widerstand gehandelt habe. 11.) Außerdem wird deutlich, dass Künneth als Rezipient des Kirchenkampfes mindestens ein dreifaches Interesse hinsichtlich der Deutung des Kirchenkampfes hatte: Es ging ihm um a) die Rechtfertigung seines eigenen Handelns zur Zeit der NS-Herrschaft als Bewahrer und Verteidiger des christlichen Glaubens und Bekenntnisses gegen die Ideologie des Nationalsozialismus (erster Bekenntniskampf), b) die Rechtfertigung der evangelischen Kirche nach dem Krieg als Widerstandszentrum im Geisteskampf mit der Weltanschauung des Nationalsozialismus (erster Bekenntniskampf), c) die Legitimierung des zweiten Bekenntniskampfes durch die Ausübung des Wächteramtes der Kirche gegen die Häresien modernistischer Theologien wie der Rudolf Bultmanns.

989 S. o. Kap. 3.5.1. und 3.5.2. 990 S. o. Kap. 3.5.2. 991 S. o. Exkurs: Rezipientenperspektive. – Wohl nicht zufällig behandelte er den Kirchenkampf in seiner Autobiographie unter der Überschrift »Der Widerstand der Kirche«. Vgl. Künneth (1979), Lebensführungen, 103–134. – In seiner Antrittsvorlesung für die Übernahme des Lehrstuhles für Systematische Theologie in Erlangen räumte Künneth der Kirche ein stark restringiertes »potentielles Widerstandsrecht« ein, das sich aber nicht verallgemeinern und nur unter ganz bestimmten Bedingungen eine Möglichkeit darstelle, weshalb fraglich sei, ob überhaupt von einem »Recht« auf Widerstand gesprochen werden dürfe. Vgl. Künneth (1954), Das Widerstandsrecht als theologisch-ethisches Problem, 13–18.

4.

Emanuel Hirsch

Abb. 5: Ölgemälde von Emanuel Hirsch, vermutlich 30er Jahre, o. J. (Privatnachlass Hirschs)

4.1. Einleitung Emanuel Hirsch ist am 14. 6. 1888 in dem brandenburgischen Dorf Bentwisch (damals Kreis Westprignitz, heute Kreis Perleberg) geboren und in Berlin aufgewachsen. 1906–1910 studierte er evangelische Theologie in Berlin, wo er 1911 examiniert und 1914 promoviert wurde. 1915 erwarb er die venia legendi für Kirchengeschichte in Bonn und wurde dort Privatdozent und Stiftsinspektor. 1921 wurde er auf den Lehrstuhl für Kirchengeschichte nach Göttingen berufen, 1936 wechselte er auf den Lehrstuhl für Systematische Theologie und Geschichte der Theologie. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ er sich krankheitsbedingt in den Ruhestand versetzen, vermutlich um dem Entnazifizierungsverfahren zu entgehen. Er hatte bereits 1918 ein Auge verloren und erblindete 1946 vollständig. Am 17. Juli 1972 verstarb Emanuel Hirsch in Göttingen und wurde auf dem Friedhof in Gelliehausen beigesetzt.992 992 Eine umfassende Biographie Hirschs gibt es bislang noch nicht. Hier verbirgt sich ein deutliches Desiderat! Die kürzlich erschienene Edition der Gesammelten Werke (Bd. 44: Autobiographische Texte) wird hierbei von besonderem Quellenwert sein. Allerdings wird

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Emanuel Hirsch

Hirsch kann wohl ohne Übertreibung als einer der gelehrtesten und zugleich aufgrund seines ideologischen und politischen Wollens und Wirkens problematischsten Theologen des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden, nicht zuletzt weil er einer der wichtigsten Theoretiker der Nationalsozialisten war.993 Sein literarisches Werk umfasst zahlreiche historische, philosophische, exegetische, theologische und – besonders in seiner späteren Schaffenszeit – belletristische Arbeiten und darf zweifellos als »Dokument rastlosen Fleißes und universaler Gelehrsamkeit«994 gelten.995 Hirsch »wurde nach 1929 zum intellektuell brillantesten Vordenker einer genuin völkischen und politischen Theologie für bestimmte Milieus innerhalb der akademischen Luther-Renaissance und des norddeutschen bürgerlichen Nationalprotestantismus.«996 Seit dem 1. 11. 1933 war er förderndes Mitglied der SS,997 engagierte sich im Rahmen des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) und Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes (NSDoB) und war seit 1937 Parteimitglied der NSDAP. Große kirchenpolitische Bedeutung hatte Hirsch als Mitglied der Reichskirchenleitung, für die er mehrere Gutachten und Denkschriften998 verfasste, als Berater von

993 994 995 996 997 998

hierbei auch eine eingängige Studie des Marbacher Nachlasses sowie von Hirschs Privatnachlass unumgänglich sein. – Bisherige Studien zu Hirsch schöpfen bei der Skizze seiner Biographie meist aus Hirschs Selbstdarstellung, insbesondere: 1.) Hirsch (1. 10. 1951), Meine theologischen Anfänge, 2.) Hirsch (1. 11. 1951), Mein Weg in die Wissenschaft (1911–1916) und 3.) Hirsch (1. 12. 1951), Meine Wendejahre (1916–1921). So etwa Birkner, Emanuel Hirsch, 390f. 393; Herms, Emanuel Hirsch – zu Unrecht vergessen?, 111–113 im Rückgriff auf Birkner; Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich, 6–15; Hirsch selbst beschreibt diese drei autobiographischen Skizzen in Briefen an Grimm, dem er sie jeweils zeitnah zuschickte, folgendermaßen: zu 1.) (Brief vom 28. 9. 1951): »Die Wege eines jungen Theologen werden Ihnen sonderbar erscheinen. Politisch steht nichts von mir drin. Die Zeit bis 1911 war ich noch ein ganz unpolitischer Mensch, und das Blatt hat auch im Politischen einen Horizont, der nicht der meine und nicht der Ihre ist.«, zu 2.) (Brief vom 3. 11. 1951 ohne genauere Erläuterung), zu 3.) (Brief vom 6. 12. 1951): »In der Anlage finden Sie den dritten und letzten Abschnitt meiner autobiographischen Skizze. Er wird sie stofflich […] am meisten interessieren. Er enthält wohl das eigentliche Geheimnis meines Werdens soweit das mittelbar ist. Auch über das Werden oder Reifen meiner politischen Gesinnung steht einiges darin.« Vgl. Grau, Ein protestantischer Theoretiker der Moderne im Rückgriff auf Ericksen, Theologen unter Hitler. – Für kritische Anmerkungen hierzu vgl. Kap. 4.3. Birkner, Emanuel Hirsch, 391. S. o. Kap. 1.4.3. So die differenzierte Einschätzung in Assel, Emanuel Hirsch, 43. Zu den folgenden Angaben vgl. Assel, Der andere Aufbruch, 262, Anm. 106; ders., Emanuel Hirsch, 44f. 55 mit zahlreichen einschlägigen Belegen und Details. Hirsch (Oktober 1933), Theologisches Gutachten in der Nichtarierfrage; ders. (Juli 1934), Über Kirche und Bekenntnis. Denkschrift; ders. (Juli 1934), Über das grundsätzliche Verhältnis von evangelischem Christentum und politischer Bewegung. Denkschrift. In einem Brief an Stapel vom 9. 8. 1934 schrieb Hirsch, er sei in den letzten 8 Tagen in Berlin gewesen und habe am laufenden Band theologische Gutachten produziert. – Ders. (November 1934), Gottes Offenbarung in Gesetz und Evangelium; ders. (November 1934), Bekenntnis und Bekenntnisse; ders. (November 1934), Kirche und Staat.

Einschlägige Einsichten aus der Hirsch-Forschung

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Reichsbischof Ludwig Müller zwischen Mai 1933 und Dezember 1934 und noch einmal im Juni 1937 als Berater von Reichskirchenminister Hans Kerrl.999

4.2. Einschlägige Einsichten aus der Hirsch-Forschung Die einschlägige Forschungsliteratur zu Hirschs Rolle im ›Kirchenkampf‹ ist zwar umfangreich, aber noch überschaubar: Das Verdienst der Dissertation Friedrich Böbels1000 besteht in dem überzeugenden Hinweis, dass Hirsch bestrebt war, »Theologie als kritische Wissenschaft zu treiben, die vorbehaltlos und unbestechlich auf die Suche nach der Wahrheit«1001 ging. In Hirsch glühe »das Pathos der Wahrhaftigkeit, das mutig jedes, auch das negativste Ergebnis wissenschaftlicher Reflexion« hinnehme und das sich allein »dem aufgedeckten Sachverhalt und dem eigenen Gewissen«1002 verpflichtet wusste. Gunda Schneider-Flume1003 bemängelte in ihrer Dissertation jedoch mit Recht, dass Böbel »die enge Verknüpfung politisch-geschichtlichen Erlebens mit der Theologie bei Hirsch nicht berücksichtigt«1004 hat. Im Zentrum ihrer Studie steht der Nachweis, dass Theologie nach Hirschs eigener Einschätzung »recht verstanden politische Theologie« sei, »insofern es in ihr um die politisch-soziale Wirklichkeit des Menschen und um die Erfahrung Gottes in dieser politischsozialen Wirklichkeit«1005 gehe. Zudem arbeitet Schneider-Flume überzeugend – jedoch auf dürftiger Quellenbasis – heraus, dass das Wirklichkeits- und Wahrheitsverständnis »sowie die Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von christlicher und menschlicher Wahrheit« bei Hirsch »eng verbunden mit seinem Erleben und Verstehen deutscher politischer Geschichte zwischen 1918 und 1933«1006 war. Außerdem stehe seine Ethik seit spätestens 1918 unter der 999 Vgl. hierzu Assel, Emanuel Hirsch, 55. In diesem Zusammenhang dürfte auch sein theologisches Gutachten vom 29. Mai 1938 Gesetz und Evangelium entstanden sein. 1000 Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, 1. 1001 Ebd. 1002 Ebd. 1003 Schneider-Flume, Die politische Theologie Emanuel Hirschs 1918–1933. 1004 A. a. O., 12, Anm. 1. 1005 A. a. O., I. – Diese Beschreibung muss mit Assel, Emanuel Hirsch, 60f insofern differenziert werden, als Hirsch erstmalig in einem Brief an Stapel vom 12. 11. 1934 die Fremdbezeichnung »politischer Theologe« für sich selbst gelten ließ und sich zum ersten Mal in (November 1934), Christliche Freiheit und politische Bindung, 6 (dieser öffentliche Brief an Stapel ist auf den 21. 11. 1934 datiert) selbst öffentlich »politischer Theologe« genannt hat. Doch ist Schneider-Flume insofern zuzustimmen, dass das, was sie als »politische Theologie« bezeichnet, bereits vorher und vor allem später große Teile seines theologischen Schaffens und Wollens wesentlich bestimmt hat. 1006 Schneider-Flume, Die politische Theologie Emanuel Hirschs 1918–1933, 10.

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Grundvoraussetzung, dass »das freie, durch keine Normen gebundene, allein auf das Ewige bezogene Gewissen die für die politische Wirklichkeit richtige und notwendige Entscheidung treffen könne«, weshalb seine Ethik »in einer gewissen Nähe zum Dezisionismus«1007 zu verorten sei. Als »entscheidenden Einbruch« seiner dezisionistischen Gewissensethik und politischen Theologie wertet sie die Erlebnisse von 1918 und 1933. Robert P. Ericksen1008 liefert zwar einen wesentlichen Beitrag zur biographischen und ideologischen Erhellung der Person Hirschs sowie zu seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus, jedoch weist Assel mit Recht auf eine nicht unerhebliche methodologische Schwäche seiner Arbeit hin: »der Rückgriff auf Methoden der oral history« trage »zur Kolportage problematischer Gerüchte bei« wie etwa »zu Hirschs jüdischer Abstammung«.1009 Jens Holger Schjørring1010 hat den lebendigen Zusammenhang von Hirschs theologischer Gewissensethik im Austausch mit der politischen Wirklichkeit herausgearbeitet. In diesem Kontext stellt Schjørring unter Heranziehung des Briefswechsels zwischen Eduard Geismar und Emanuel Hirsch1011 differenzierter als Böbel, Schneider-Flume und Ericksen es aufgrund ihrer Quellenkenntnis konnten die Stationen und Motive von Hirschs Übergang zum Nationalsozialismus heraus:1012 Zwar bezeichnet Schjørring ebenso wie Schneider-Flume »das Jahr 1933« als »Wende«1013, doch arbeitet er außerdem überzeugend heraus, dass Hirsch bereits im März/April 1932 – im Zusammenhang mit dem »Fall Dehn«1014 – die entscheidende Hinwendung zur NS-Bewegung vollzogen hatte,1015 worin er eine entscheidende »Präfiguration des Kirchenkampfes«1016 ausmacht: In den Auseinandersetzungen um Günther Dehn hatten Hirsch und Barth in dem Gegenüber jeweils ein dauerhaftes Feindbild ausgemacht. Deshalb sei es »für das Verständnis des Kirchenkampfes wichtig, daß diese beiden Personen die Ereignisse vom Mai–Juni 1933 nicht als etwas völlig Neues empfanden, sondern vielmehr den Gegner gleichsam bereits als Antipoden fixiert« hatten.1017 »Die 1007 Ebd. 1008 Ericksen, Theologen unter Hitler. S. u. Kap. 4.1.3. 1009 Assel, Der andere Aufbruch, 171, Anm. 30. Vgl. dazu Assel, »Barth ist entlassen…«, 88f, Anm. 45. Mit Verweis auf Ericksen, Theologen unter Hitler, 255f. 1010 Schjørring, Theologische Gewissensethik und politische Wirklichkeit. 1011 Der Briefwechsel zwischen Hirsch und Geismar, den Schjørring auswertet, bricht allerdings Anfang 1935 ab bzw. enthält sich von da an jeder (kirchen)politischen Diskussion. Vgl. a. a. O., 263–265. 1012 Vgl. a. a. O., 150–185. 1013 Vgl. a. a. O., 158. 177. 1014 Zum »Fall Dehn« vgl. Scholder I, 216–224. 1015 Vgl. Schjørring, Theologische Gewissensethik und politische Wirklichkeit, 150–177. 1016 A. a. O., 169–177. 1017 Barth bezeichnete Hirschs Buch Die gegenwärtige geistige Lage im Spiegel philosophischer und theologischer Besinnung als »ein nach allen Seiten wohlüberlegtes Buch«, in dem

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aktuellen Auseinandersetzungen« seien »nur ›Probe aufs Exempel‹« gewesen, »ein wirklicher Meinungsausstausch fand nicht mehr statt.«1018 Das Feindbild, das Karl Barth für Emanuel Hirsch darstellte, haben Heinrich Assels Studien als Todfeindschaft1019 entlarvt. Diese Aversion prägte Hirschs Deutung des Kirchenkampfes nicht nur als Akteur, sondern auch noch nach 1945 maßgeblich.1020 Eilert Herms hat in einer Reihe von Aufsätzen nach dem Zentrum der Theologie Emanuel Hirschs gefragt. Als integralen Bestandteil des Denkens Hirschs bezeichnet er das Anliegen der »Umformung.«1021 Das zentrale Element der Kontinuität des Denkens Hirschs, das gleichsam methodologische Richtlinie sowie ideologische Grundlage und somit Ziel und Zweck seines gesamten Denkens darstellte, nennt Herms »prinzipieller Historismus«1022 oder »Historismus aus Prinzip«1023.1024 Den Begriff des Historismus möchte ich allerdings vermeiden, da Hirsch selbst die »Sphynx des Historismus« entschieden abgelehnt hat.1025 So verwende ich anstelle der Begriffsbildung von Herms Hirschs eigene Begrifflichkeit für diesen zentralen Wesenszug seines Denkens und spreche von ethische Geschichtsansicht1026 oder Deutung der gegenwärtigen geistigen Lage.1027 Aller-

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»sicher bis auf weiteres das Beste am besten gesagt« sei, »was sich für die Sache der D.C. allenfalls sagen« lasse. Barth, Vorwort [Offenbarung, Kirche, Theologie], 224. Barth kam auf Hirsch häufig zu sprechen, wenn es um die Gefahr der Theologie der DC ging. Vgl. etwa a. a. O., 224–230. 236. Zu Hirschs Verhältnis zu Barth und der BK vgl. Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich, 106–116. Schjørring, Theologische Gewissensethik und politische Wirklichkeit, 176. Assel, »Barth ist entlassen…«, 86 spricht von »erbitterte persönliche Aversion«, was angesichts der Quellenlage, die Assel rezipiert, beinahe als untertrieben bezeichnet werden kann. Vgl. a. a. O., 85–88. S. u. Kap. 4.7. Vgl. Herms, Die Umformungskrise der Neuzeit in der Sicht Emanuel Hirschs. Herms, Zu Unrecht vergessen?, 113f. Vgl. zur Sache a. a. O., 115–121. Herms, Emanuel Hirsch, 303f. Herms identifizierte die methodische Einheit bei Hirsch in einem religiös-ethischen intersubjektivitätstheoretisch (Gewissenstheorie) fundierten prinzipiellen Historismus. Vgl. Herms, Zu Unrecht vergessen?, 113f. Aus dieser methodischen Einheit des Lebenswerks Hirschs ergebe sich auch »seine thematische Einheit: Hirschs Lebensthema« sei »die jeweils gegenwärtige soziale (intersubjektive) ›Lage‹ des Einzelnen vor Gott als ›Stunde‹ der ethischen Entscheidung.« (A. a. O., 120). Somit ergebe sich als »eigentliche Absicht« und als »Zweck« des Schaffens Hirschs das Bemühen, »sich und seinen Lesern ›Rechenschaft‹« über die Lage zu geben, um »eine Orientierung« für die »anstehenden Entscheidungen zu gewinnen.« Ebd. Laut Hirsch verliere im Historismus »die Wissenschaft […] jede weisende Kraft«, was in einen (wohl sittlichen) Relativismus führe, in dem »die Wahrheit Parteisache sei.« Hirsch, Die gegenwärtige geistige Lage, 15. In diesem Sinne konnte Hirsch auch von der »Krise des Historismus« sprechen. A. a. O., 16. Vgl. dazu auch Hirschs doppelseitiger Brief an Stapel vom 12. 11. 1934. Vgl. den Untertitel von Hirsch (1925), Deutschlands Schicksal. Staat Volk und Menschheit im Lichte einer ethischen Geschichtsansicht. Vgl. Hirsch, Die gegenwärtige geistige Lage, passim.

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dings teile ich das sachliche Postulat von Herms, dass darin die methodische, sachliche und ideologische Mitte der Werkes Hirschs liegt. Markus Hentschel wies in seiner Untersuchung zur Christlichen Rechenschaft1028 auf ein damit zusammenhängendes Herzstück des Denkens Hirschs hin: Hirsch entfalte »seine Subjektivitäts- oder Gewissenstheorie als Ethik und Dogmatik«, was zur Folge habe, dass er nicht »eine für sich bestehende Ethik und eine für sich bestehende Dogmatik« aufnehme oder lediglich neu ordne, sondern dass für ihn »die Ethik und Dogmatik als Momente einer Theorie des im Glauben vollendeten Gewissen entspringen.«1029 Michael Hüttenhoff hat in seinen Aufsätzen zu Emanuel Hirsch eine Besonderheit der Theologie Hirschs herausgearbeitet, die auch für unsere Arbeit maßgebliche Bedeutung hat: So kritisch sich Hirsch gegenüber der institutionalisierten Kirche und der theologischen Tradition gab: seine Fähigkeit zur Kritik fiel gegenüber dem nationalsozialistischen Staat und der nationalsozialistischen Weltanschauung, sofern diese nicht zu offener Christentumskritik übergingen, vollkommen aus. Unter der Voraussetzung einer strikten Unterscheidung zwischen der unsichtbaren Gemeinschaft der Glaubenden und der sichtbaren Kirche entwickelte Hirsch eine kontextuelle Ekklesiologie, welche die Kirche der Fremdbestimmung durch den Nationalsozialismus auslieferte. Der Verzicht auf eine Orientierung an spezifisch theologischen Gesichtspunkten erzeugte ein Vakuum, das durch eine Anpassung an die nationalsozialistische Weltanschauung gefüllt wurde.1030

Betrachtet man Hirschs Reflexionen zur gegenwärtigen Lage und seine Radikalisierung hinsichtlich der Ideologie des Nationalsozialismus, so stellt sich tatsächlich die Frage, wieso er trotz seiner harten Kritik an institutionalisierter Kirche, Bekenntnistreue, dogmatischer Gebundenheit – überhaupt an theologisch begründeter Autorität – eine ebenso harte Kritikfähigkeit gegenüber dem Nationalsozialismus vermissen ließ und somit letztlich die Kirche in absolute Heteronomie auslieferte. Einen ersten Hinweis zur Beantwortung dieser Frage gibt Andreas Kubik in seiner Antwort auf die Frage: »Wie ist die Parteinahme Hirschs für den Nationalsozialismus erklären?«

1028 Hirsch (1978), Christliche Rechenschaft, 1 und 2. 1029 Hentschel, Gewissenstheorie als Ethik und Dogmatik, 3. 1030 Hüttenhoff, Volksverbundene Kirche. Die kontextuelle Ekklesiologie Emanuel Hirschs, 202. Diese Beobachtung fußt auf der zentralen Bedeutung von Hirschs theologischer Deutung der Zwei-Reiche-Lehre, die für seine Deutung des Kirchenkampfes eine entscheidende Rolle spielen wird. (s. u. Kap. 4.4.2. und 4.5.7.) – Bereits Nicolaisen, »Anwendung« der Zweireichelehre im Kirchenkampf, 18–21 und Huber, »Eigengesetzlichkeit« und »Lehre von den zwei Reichen«, 41–48 weisen auf die maßgebliche Bedeutung der Zwei-Reiche-Lehre für Hirschs politisch-theologisches Denken hin.

Einschlägige Einsichten aus der Hirsch-Forschung

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Zunehmend radikalisierte sich während des ›Dritten Reiches‹ die Auffassung Hirschs, dass das Überleben des ›deutschen Volks‹ in einer Eigenart mit dem Erfolg des NaziRegimes stand und fiel. Daraus zog er den Schluss, dass jede noch so verbrecherische Maßnahme um des Gesamtzieles willen zu »tragen« sei. Zusammen mit seiner immer größeren Öffnung für ein Denken in Rassekategorien bezog sich jener Blanko-Scheck, welchen Hirsch der nationalsozialistischen Führung ausstellte, dann schließlich auch auf die durch Rassismus und Krieg hervorgerufenen Massenverbrechen.1031

Andreas Holzbauer interpretiert in seiner Dissertation1032 zentrale theologischpolitische Größen Hirschs wie »Volk« und »Nation« im Rahmen postmoderner Theoriebildung als »Imaginationen« bzw. »imaginäre«1033 Inhalte, mit denen Hirsch, »um einen postmodernen Ausdruck zu gebrauchen, wesentlich identity policy«1034 betreibe. Allen James Reimer1035 und Alf Christophersen1036 leisten einen entscheidenden Beitrag darin, Hirschs Herzensanliegen, die Deutung der gegenwärtigen Lage, in der Auseinandersetzung mit Paul Tillich zu beleuchten. Entscheidende Vorarbeiten für die vorliegende Untersuchung hat Heinrich Assel vorgelegt: Mithilfe der Auswertung der umfangreichen Briefkorrespondenzen Hirschs mit Wilhelm Stapel und mit Hans Grimm1037 hat Assel die Schlüsselrolle Hirschs im Fall-Barth herausgearbeitet1038 sowie die entscheidenden Phasen der Entwicklung des völkisch-politischen Denkens Hirschs identifiziert und die damit verbundenen Wendepunkte skizziert,1039 die es erlauben, Hirschs Radikalisierung als völkisch-politischer Theologe genau zu datieren und im Hinblick auf die Entwicklung seiner Deutung des Kirchenkampfes zu untersuchen. Beispielsweise stellte Assel fest, dass Hirschs Lehre vom verborgenen Suverän1040 eine »echte Zäsur« in seinem politisch-theologischen Denken dar1031 Kubik, Emanuel Hirsch und der Nationalsozialismus, 2. – In der Tat wird auf verschiedene Immunisierungsstrategien, die Hirsch in der Abwehr von Kritik gegen das NS-Regime entwickelte, einzugehen sein (s. u. Kap. 4.5.9.). 1032 Holzbauer, Nation und Identität. 1033 Holzbauer definiert diese beiden zentralen Begrifflichkeiten seiner Untersuchung folgendermaßen: »Als das Imaginäre verstehe ich Inhalte, die nicht rational deduzierbar sind und den Anspruch erheben, Wirklichkeit zu schaffen. Das Imaginäre zeichnet sich durch eine grundsätzliche Irrationalität aus. Dennoch ist es keine rein irrationale Größe, sondern es entwickelt aus ihrem Anspruch heraus eine eigene Rationalität. Imagination hingegen begreife ich als Vorgang des Individuums, Wirklichkeit, d. h. das Imaginäre zu schaffen. Die Imagination, als fundamentale Eigenschaft des Individuums, verweist darauf, dass das Imaginäre Identität im ausgeprägtesten Sinn des Worts abbildet.« A. a. O., 1. 1034 A. a. O., 170. 1035 Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich. 1036 Christophersen, Kairos. 1037 S. o. Kap. 1.4.3. 1038 Vgl. Assel, »Barth ist entlassen…«. 1039 Assel, Der andere Aufbruch, 164–174; ders., Emanuel Hirsch, 48–57. 1040 Vgl. Assel, Grundlose Souveränität und göttliche Freiheit, 206–210. – S. u. Kap. 4.4.4.

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stellte.1041 Diese Beobachtung wirft eine für das Verständnis von Hirschs Deutung des Kirchenkampfes spannende und entscheidende Frage auf: Die (zumal in den Dokumenten nach 1935) vorbehaltlose Identifikation zwischen »Volkheit« und Nationalsozialismus bei Hirsch wirft eine prinzipielle Frage auf […]: Wie ist in der komplexen und an sich kritischen Dialektik von göttlichem Horos und völkischem Nomos, von Gott als schöpferischem Grund und eschatologischer Grenze der Volkheit schließlich doch die affirmative Identifikation zwischen Ruf Gottes und völkischer Sendung, zwischen Volksnomos und faktischem Nationalsozialismus möglich?1042

Außerdem hat Assel mit Recht bestimmte »formative Elemente« der politischen Theologie Hirschs herausgearbeitet, »die ihn zum Vordenker völkischer Theologie als Spielart politischer Theologie«1043 machten: 1.) Der »Mythus der Gefallenen«, 2.) »Konflikt, Krieg, Feindschaft«, 3.) »Souveränitätstheorie«, 4.) »Gewissensopfer«, 5.) »Volkheit und charismatisches Führertum« und 6.) »Absolute Souveränität«.1044 Dass diese Elemente eine tragende Rolle für Hirschs politische Theologie gespielt haben, kann kaum bestritten werden. Es kommen jedoch einige weitere schlechterdings essentielle Theologumena und Theoreme hinzu, ohne deren Betrachtung Hirschs Deutung des Kirchenkampfes unverständlich bleiben muss. Wir fassen die für unsere Studie wichtigsten Einsichten aus der einschlägigen Hirsch-Forschung kurz zusammen: Hirschs Deutung des Kirchenkampfes ist Ausdruck einer kritischen Theologie (Böbel), die spätestens seit 1934 eine politische Theologie (Schneider-Flume) sein wollte und von der nationalen Liebe für das deutsche Volk durchdrungen (Ericksen) war. Dabei waren völkisch-nationale Kategorien wie Volk und Nation

1041 Diese Zäsur markiert Assel stärker und eindeutiger als etwa Schjørring, Theologische Gewissensethik und politische Wirklichkeit, 155 Anm. 7 in: Assel, Der andere Aufbruch, 256f, Anm. 86. 1042 Diese Frage blieb bereits in Assel, Der andere Aufbruch, 262f offen. Vgl. auch Assel, Emanuel Hirsch, 53f. Assel deutet den Weg einer Antwort auf diese Frage u. a. an, indem er die Identifizierung seines »stellvertretenden öffentlichen Souverän[es] als politischer Wille« in ihrer genetischen Entwicklung aufzeigte: a. a. O., 53, Anm. 38; a. a. O., 261f, Anm. 105: 1) Winter 1932/33: Souverän »als Erneuerung des ›alten deutschen Volkskönigtums […]‹«, 2) 3. 12. 1935 (Hirsch an Stapel): Souverän »als deutsches Führungsprinzip«, 3) 23. 2. 1936 (Hirsch an Grimm): »ausdrückliche Verteidigung aller nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen von 1933 bis 1936«, 4) 14. 9. 1944 und 25. 8. 1944 (Hirsch an Stapel): »Identifikation von verborgnem Souverän und faktischem Nationalsozialismus«. Die Daten der Briefe bieten in diesem Fall jeweils den terminus a quo. Auch im Rahmen dieser Arbeit kann diese Frage nicht vollständig beantwortet werden. Allerdings sollen ein paar Impulse zur Beantwortung beigesteuert werden. 1043 Assel, Emanuel Hirsch, 45. 1044 Vgl. a. a. O., 63–67.

Kann man sich mit Teilen von Hirschs Theologie heute unbelastet beschäftigen?

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für Hirsch existenziell bedeutsame Größen seines Denkens (Holzbauer und Assel). Formal betrieb Hirsch eine subjektivitätstheoretische theologische Gewissensethik (Schjørring und Hentschel), deren zentrales Anliegen darin bestand, die geschichtliche Lage angemessen zu deuten (Herms, Reimer und Christophersen), um zu versuchen, im Rahmen einer Art kontextueller Ekklesiologie (Hüttenhoff) die der Stunde angemessenen ethischen, kirchenpolitischen und auch politischen Entscheidungen zu treffen. Die evidente Radikalisierung seiner völkisch-politischen Theologie in den 30er Jahren vollzog sich wechselwirkend auf diesen verschiedenen Ebenen, die komplementär aufeinander zu beziehen sind.

4.3. Kann man sich mit Teilen von Hirschs Theologie heute unbelastet beschäftigen? Robert P. Ericksen vertritt die streitbare These, dass Hirsch »eine konsequente, intellektuell vertretbare politische Ethik und historisch-theologische Philosophie entwickelte, die das nationalsozialistische Regime für Deutschland begrüßte und unterstützte.«1045 Diese These wirft die Frage auf, ob man »Hirschs politische Haltung aus rein intellektuellen Gründen ablehnen« kann. Ericksen beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein, wobei er einräumt: »Im historischen Rückblick« sei »es freilich leicht, sie zu verwerfen, seitdem wir das Dritte Reich in der deutschen Geschichte zu beklagen haben.«1046 Außerdem könne »man seine Auffassungen auch auf der Basis einer bestimmten Haltung zur Demokratie, den Menschenrechten usw. ablehnen.«1047 Für Ericksen bleibt aber die spannende Frage offen, ob »diese Ablehnung und die auf ihr beruhenden Wertvorstellungen intellektuell stabiler begründet als die von Hirsch«1048 sind. Man kann mit Ericksen in Bezug auf Theologen und andere intellektuelle Anhänger des Dritten Reiches überhaupt kritisch fragen, »ob ihr intellektuelles und geistiges Erbe ihre politischen Entscheidungen begünstigt hat oder nicht.«1049 Tatsächlich geht diese Frage allerdings noch weiter: »Kann man angesichts der Krise der Vernunft in diesem Jahrhundert vom abendländischen, christlichen Erbe erwarten, daß es einen intelligenten Menschen zu einer akzeptablen politischen Haltung führt?«1050 Bei Paul Althaus, Gerhard Kittel und Emanuel Hirsch »war das 1045 1046 1047 1048 1049 1050

Ericksen, Theologen unter Hitler, 170. Ebd. Ebd. A. a. O., 171. A. a. O., 168. Ebd.

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nicht der Fall.« Alle drei waren »intelligent und angesehen«, aber sie »vertraten einen politischen Standpunkt, der historisch nicht respektiert wird.«1051 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zieht Ericksen den Schluss, dass diese Theologen uns heute zur mahnenden Warnung werden können und sollten: Werden wir es vermeiden können, der Kittel, Althaus oder Hirsch jener Zeit zu sein? Werden wir es vermeiden, unsere Vernunft dazu zu benutzen, eine Position rational zu rechtfertigen, die unsere Interessen und Bedürfnisse schützt, und unsere Augen gegen das schließen, was den Minderheiten und weniger Bevorzugten unter uns Leiden bringt? Bis wir über diese Fragen nicht wirklich nachgedacht haben, steht es uns nicht gut an, Kittel, Althaus und Hirsch laut zu verdammen.1052

Ericksens Überlegungen sind – so spannend sie auch sind – spekulativ und hypothetisch. Sie lassen sich nicht befriedigend wissenschaftlich verifizieren oder falsifizieren. Das Attribut »intellektuell« sollte in Bezug auf Hirsch allerdings etwas vorsichtiger verwendet werden, als Ericksen es tut. In eklektischem Rückgriff auf Ericksens Überlegungen hat Alexander Grau in einem in mehrfacher Hinsicht problematischen Beitrag anlässlich des 125. Geburtsjahres Emanuel Hirschs am 26. 6. 2013 im Deutschlandfunk Hirsch zwar kritisch als »der nationalsozialistische Starintellektuelle« bezeichnet, ihn aber im gleichen Atemzug als einen brillianten, manchmal sogar herausragenden Theologen stilisiert, der als ein »protestantischer Theoretiker der Moderne«1053 gelten könne. Grau muss in mindestens drei zentralen Punkten seiner Darstellung in aller Deutlichkeit widersprochen werden: 1.) Zunächst in seiner KernThese: »Die Tragik des Intellektuellen Hirsch liegt darin, dass er die wesentlichen Elemente der modernen Kultur klar und präzise benannt hat, jedoch im Nationalsozialismus einen Verbündeten im Kampf für einen moderaten Modernismus sah.« Diese These hat zwar einen wahren Kern, ist allerdings stark vereinfacht und klammert aus, dass Hirsch die Ideologie des Nationalsozialismus bewusst, offen und emphatisch unterstützt und in großem Maße in sein eigenes Denken übernommen hat. Mit Graus eigenen Worten: »Hirsch ist kein Mitläufer oder Opportunist, er ist überzeugter Nationalsozialist.«1054 2.) Überhaupt muss das stilisierende Bild des großen protestantischen Theoretikers der Moderne kritisch hinterfragt werden. Übernimmt man dieses positive Hirsch-Bild unkritisch, führt das leicht zu hochproblematischen Vereinfachungen.1055 Außerdem gelangt man 1051 1052 1053 1054 1055

Ebd. A. a. O., 272. Grau, protestantischer Theoretiker der Moderne. Ebd. Vgl. beispielsweise folgende knappe und missverständliche Darstellung, die im Internet bei einer unbedarften Recherche zum Schlagwort »Emanuel Hirsch« schnell zu finden ist: https://theoblog.de/emanuel-hirsch-theoretiker-der-moderne/20811/ (zuletzt abgerufen am 10. 6. 2023).

Kann man sich mit Teilen von Hirschs Theologie heute unbelastet beschäftigen?

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in Widerspruch zu Hirschs Denken und Wollen, wenn man die zentralen Elemente seines völkisch-theologischen Denkens nicht ernst nimmt, weil gerade sie für Hirsch die großen Errungenschaften der Moderne bildeten. 3.) Das per se kultur-, wissenschafts- und geschichtsfeindliche Barth-Bild, das Grau zeichnet, wird Barths Theologie nicht ansatzweise gerecht. Es erschöpft sich in einer oberflächlichen Darstellung von Barths früher dialektischen Theologie und verzerrt diese zum Negativbeispiel, neben die Hirschs vernunftbasierte Theorie der Moderne gestellt wird, um deren Vorzüge zu betonen. Theologiegeschichtlich ist eine derartige Dar- und Gegenüberstellung mehr als problematisch und sie sollte das breite öffentliche Bild Hirschs und Barths nicht unwidersprochen prägen! Angesichts der breit angelegten Forschungstätigkeit Hirschs stellt sich allerdings die Frage, ob man sein Werk – oder zumindest Teile davon – unbelastet von seiner problematischen politischen Position heute noch lesen und theologisch fruchtbar machen kann.1056 Zu dieser Frage muss man zunächst mit Andreas Kubik feststellen: Eine Trennung zwischen dem vermeintlich ›unbelasteten‹ theologischen Werk im engeren Sinne und der persönlichen Option für den Nationalsozialismus ist nirgends möglich. Sie würde außerdem dem Selbstverständnis Hirschs geradezu widersprechen.1057

Wobei man – wiederum mit Kubik – differenzierend hinzufügen sollte, dass »neben einer kritischen Auseinandersetzung auch eine Beschäftigung mit dem Werk Hirschs in konstruktiver Absicht möglich« sein dürfte, da »Hirschs Leistungen in der Erforschung etwa der Reformation, des Deutschen Idealismus, des Werks von Sören Kierkegaard und ganz allgemein der neueren Theologie- und Philosophiegeschichte« so bedeutend sind, »dass sie von der heutigen Forschung nur zu ihrem eigenen Schaden übersehen werden könnten.«1058 Allerdings ist mit Assel vor einem allzu großen Optimismus bezüglich der unbefangenen Beschäftigung mit Hirschs Arbeiten zu warnen, denn es ist offenkundig, dass Hirschs Werke »einer hidden agenda folgen, die in den zugänglichen nichtpublizierten Briefquellen unverhohlener zutage tritt als im tendenziösen Charakter« seiner »wissenschaftlichen Werke«1059. Denn die eigentliche Intention der Werke Hirschs bestand eigentlich – dies gilt m. E. zumindest für seine Arbeiten

1056 Auf zwei bedeutende jüngere Studien, die Hirsch als systematischen Theologen würdigen – von Scheliha, Emanuel Hirsch als Dogmatiker; und Barth, Die Christologie Emanuel Hirschs; –, kann an dieser Stelle lediglich hingewiesen werden, da sie die vorgegebene Fragestellung lediglich peripher berühren. 1057 Vgl. Kubik, Emanuel Hirsch und der Nationalsozialismus, 3. 1058 Ebd. 1059 Assel, Emanuel Hirsch, 56

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der 30er Jahre – darin, »die nationalsozialistische Gleichschaltung der evangelisch-theologischen Fakultäten nach dem ›Endsieg‹ Deutschlands und des Nationalsozialismus«1060 vorzubereiten. Aus diesen Gründen steht Assel dem Hirsch-Bild des »stupenden Gelehrten«1061 kritisch gegenüber und bewertet er Hirschs Weg der Lutherrenaissance in der Tradition Karl Holls im Gegensatz zu dem eingeschlagenen Weg Rudolf Hermanns insgesamt als Aporie.1062

4.4. Ideologische und politisch-theologische Grundlagen Hirschs im Kirchenkampf Im Folgenden wird der Versuch unternommen, Hirschs Gedankengebäude insofern zu rekonstruieren, als es für ein Verständnis seiner Deutung des Kirchenkampfes von Bedeutung ist. Liest man nämlich seine zahlreichen Schriften aus der Perspektive des persönlich stark involvierten Akteurs, so stellt man fest, dass es ganz bestimmte Überzeugungen sind, auf die Hirsch immer wieder zurückgreift, die wiederum auf bestimmten Theologumena und Theoremen basieren, die sich mit entsprechenden Varianten und Weiterbildungen in seinen einschlägigen Beiträgen ständig wiederholen. Um den Anmerkungsapparat nicht übermäßig aufzublähen und zur besseren Lesbarkeit und schnelleren Orientierung, biete ich für die zentralen Begriffe und Gedanken jeweils möglichst frühe Belege aus Hirschs Werken (vor 1933) sowie einen mutmaßlichen locus classicus. Diese Punkte werden zunächst systematisch in diesem Kapitel entfaltet, um dann den Hintergrund für eine chronologische Analyse der Entwicklung der Kirchenkampfdeutung Hirschs zu bilden (s. u. Kap. 4.5.).

4.4.1. Persönliches Anliegen und Ziel der Theologie: »Umformung« Hirschs zentrales theologisches Anliegen bestand in der Umformung bzw. der Erneuerung des christlichen Glaubens.1063 Die Dringlichkeit der Umformung und Erneuerung der Theologie ergab sich für Hirsch aus der besonderen historischen und geistesgeschichtlichen Lage, in der sich Theologie und Kirche befänden: 1060 Ebd. 1061 A. a. O., 46; vgl. auch a. a. O., 56. 1062 Vgl. seine Darstellung in Assel, Der andere Aufbruch, 164–304. 476–482, in der Assel programmatisch mit der Überschrift »Aporien« Hirschs Weg vom »gangbaren Weg« Rudolf Hermanns (vgl. a. a. O., 305–468. 482–489) abgrenzt. 1063 Viele Anliegen der Umformung hatte Hirsch bereits in Deutschlands Schicksal vorbereitet und in Die gegenwärtige geistige Lage im Spiegel philosophischer und theologischer Besinnung vor dem Hintergrund des Jahres 1933 systematisch entfaltet. In seiner Schrift von

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Das Schicksal, das Theologie und Kirche aus der abendländischen Umformung von Weltbild und Wirklichkeitsempfinden erwächst, ist von ungeheurer Schwere. Wir hängen schon seit langem gleichsam nackt und bloß zwischen der Gestalt des christlichen Glaubens, die für uns vergangen ist, und der neuen, die noch nicht da ist.1064

Umformung und Erneuerung des christlichen Glaubens bedeutete für Hirsch zunächst: Anpassung der christlichen Wahrheit an »heutiges Wahrheitsbewusstsein«.1065 Sich selbst betrachtete er als kritischen Theologen, der die Errungenschaften der deutschen Geistesgeschichte – Reformation, Aufklärung, Søren Kierkegaard, Idealismus1066 – für unhintergehbar betrachtete, und der sein gesamtes Denken und Theologisieren am heutigen Wahrheitsbewusstsein auszurichten trachtete. Sein Denken sollte sich ausnahmslos am zeit- und wahrheitsgemäßen Denken der Moderne orientieren, das wiederum gekennzeichnet war von wissenschaftlicher Redlichkeit und denkerischer Aufrichtigkeit, wobei der »mühselige Weg vom Kinderglauben zum Glauben in mannhafter Ehrlichkeit«1067 führe.1068 Insofern ist die Triebfeder des Schaffens Hirschs nach seiner

1064 1065

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1936 mit dem Titel Die Lage der Theologie thematisiert er diese Fragestellung an prominenter Stelle vor dem Hintergrund des »Notzustandes«, in dem jene theologischen Spannungen, die er in Die gegenwärtige geistige Lage geschildert und vermeiden wollte »mit furchtbarer kirchenzerstörender Gewalt hervorgebrochen« (a. a. O., 21) waren. Das Lesebuch Hirsch (1938), Die Umformung des christlichen Denkens in der Neuzeit beschränkte »sich auf den Zweck, das Schicksal des christlichen Denkens in der Neuzeit an für uns in Deutschland wichtigen Geschehnissen und Taten aus dem Reiche des Gedankens zu veranschaulichen. […] Nur so kann ihnen [scil. Jungen Theologen, denen die Arbeit mit dem Lesebuch wärmstens empfohlen wird] das Schicksal deutlich werden, das an der theologischen und der christlichen Reflexion von uns allen mächtig ist: daß wir entweder eine von Grund auf neue Gestalt christlichen Glaubens finden müssen, oder aber ein in Wahrhaftigkeit gegründetes Verhältnis zum Christlichen für alle geistig Lebendigen in unserm Volke – und nicht nur in unserm Volk, sondern im ganzen Bereiche der weißen Menschheit – unmöglich wird.« A. a. O., V; zur Sache vgl. Herms, Die Umformungskrise der Neuzeit in der Sicht Emanuel Hirschs. – Ausdruck dieses Willens war auch ein 1932 geplantes gemeinsames Werk, das den Arbeitstitel »Potsdamer Buch« trug und unter Hirschs Federführung entstehen und in der Hanseatischen Verlagsanstalt bei Stapel erscheinen sollte. Ziel war ein gemeinsames lutherisches Bekenntnis angesichts der erhofften Neuwerdung der evangelischen Kirche. Einem Rundschreiben Hirschs an die »Mitarbeiter und Freunde« vom 1. 10. 1932 war bereits der Plan für das Buch mitsamt Autorenverteilung beigefügt. Angesichts »der unüberwindlichen Bedenken einzelner« sah sich Hirsch allerdings veranlasst, »den Plan des Potsdamer Buchs auf unbestimmte Zeit« zu vertagen. So Hirsch in einem Brief an Stapel vom 29. 10. 1932. Zu diesem Vorhaben vgl. auch Hirschs Brief an Stapel vom 15. 10. 1932. Hirsch (1936), Die Lage der Theologie, 28. Vgl. etwa Hirsch (1940), Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube, IV. – Rudolf Bultmann warf Hirsch an dieser Stelle vor, »daß es hier statt des relativistischen ›heutigen Wahrheitbewußtsein‹ einfach ›Wahrhaftigkeit‹ heißen sollte.« Bultmann, Hirsch, Prof. D. Emanuel: Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube, 242. S. u. Kap. 4.7. Hirsch (1940), Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube, V.

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eigenen Darstellung geradezu aufklärerischer und lebenspraktischer Art. Deshalb habe seine theologische Lehre stets »zwei Gesichter:« Sie sei »rücksichtslos hart« und wolle »doch helfen«. Man wisse »also auch vorher, daß man andern Menschen wehe« tue. »Das Wehetun« könne »aber für den Theologen ebenso strenge dienstliche Notwendigkeit werden wie für den Arzt.«1069 Hirsch arbeitete nach eigenem Selbstverständnis als ein Theologe, dem die Selbstverständlichkeit unbefangenen theologischen Arbeitens in den Traditionen der Kirchen- und Theologiegeschichte verloren gegangen war. Die Umformung umfasste das gesamte Spektrum theologischer Reflexion und setzte bereits bei fundamentaltheologischen Voraussetzungen wie etwa den erkenntnistheoretischen Möglichkeiten des Menschen an. Gotteserkenntnis etwa geschehe »nicht unmittelbar, sondern so, daß wir im Erkennen der Gewissenswahrheit, Sinnwahrheit und Sachwahrheit, und zwar je nach der Art des betreffenden Wahrheitsbewusstseins in verschiedner Weise des Erschlossenseins und Verschlossenseins, auf ihn als die Wahrheit bezogen sind.«1070 Christliches Wahrheitsbewusstsein wird also in mindestens dreifacher Hinsicht relativiert: 1.) epistemologisch und 2.) historisch1071 durch den Kontext, der das Individuum darin auszeichne, etwas zu erkennen, das für Menschen außerhalb dieses Kontextes nicht oder nicht in gleicher Weise zugänglich sei, und 3.) subjektivistisch dadurch, dass Hirsch dem christlichen Glauben jede Objektivität vehement absprach, jeden objektiven Wahrheitsanspruch der Theologen bestritt und dagegen programmatisch von »Glauben in wehrloser Subjektivität«1072 sprach. Diese Art theologisch zu denken reklamierte Hirsch wiederholt als »formelle Eigenheit« seines »theologischen Denkens und Sprechens in ihrem Unterschiede von der Art der allermeisten gegenwärtigen Theologen«1073 für sich. Deshalb waren zentrale 1068 Vgl. hierzu die von Joachim Ringleben herausgegebenen Aufsätze in: Christentumsgeschichte und Wahrheitsbewußtsein. Studien zur Theologie Emanuel Hirschs. Allerdings lässt insbesondere der Beitrag von Schütte, Christliche Rechenschaft und Gegenwartsdeutung die nötige sachliche Distanz zu Hirsch vermissen. Gerade im Falle Hirschs ist kritisch zu fragen, ob es nicht geradezu geboten ist, Hirschs Theologie »wegen seines anstößigen politischen Engagements in den 30er Jahren« (Vorwort: a. a. O., V.) kritisch zu begegnen und ob nicht bereits die Bezeichnung ›anstößiges politisches Engagement‹ für Hirschs Denken und Handeln allzu milde ausfällt. 1069 Hirsch (1940), Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube, V. 1070 Hirsch (1938), Leitfaden zur christlichen Lehre, 80. 1071 Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich, 8 bezeichnet 1.) »das epistemologische Problem« und 2.) »die historische Frage« als die »beiden grundlegenden Themen, die Hirsch von Anfang an beschäftigten«. 1072 So etwa in Hirsch (1940), Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube, 65–69, zur Sache vgl. auch: Hirsch (Abfassung wahrscheinlich Ende 1959), Verkündigung und Zwiesprache, 247–254. 1073 A. a. O., 247. Aus diesem Grund lehnte er das »Kerygma« aufgrund seines Unterwerfungsanspruches und den »strengen Lehrvortrag mit wissenschaftlichen Ansprüchen«, der durch eine »autoritative Offenbarung dem christlichen Lehrvortrag einen objektiven

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und geradezu programmatische Vokabeln des Denkens Hirschs bezeichnenderweise überwiegend reflexive, subjektivistische und existenzielle anthropologische Begriffe wie Wahrheitsbewusstsein,1074 Autonomie,1075 Selbsterkenntnis,1076 Gewissen,1077 Selbstbestimmung,1078 Zweifel1079 und christliche Freiheit.1080 So war Hirsch gerade in den frühen 30er und 40er Jahren bedingungslos hart gegenüber der tradierten theologischen und kirchlichen Tradition und ein erklärter Feind »wirklichkeitsfremder Geistlichkeit«1081 sowie eines jeden Dogmatismus, der sich gegenüber der Stunde und dem Prozeß permanenter Umformung verschließe. Diese Haltung war eine Folge von Hirschs ganz und gar liberalem1082 und antiautoritärem Schrift-1083 und Dogmenverständnis1084 und

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Grund verleihe« wegen seines unangemessenen Wahrheitsanspruches als Formen der christlichen Rede von Gott entschieden ab. A. a. O., 247f. In seiner Schrift Hirsch (Juli 1931), Der römische Katholizismus und das Christentum pointierte er diesen Gedanken aufgrund der Unabgeschlossenheit theologischen Denkens, die er zu seinen »theologischen Grundeinsichten« zählte, folgendermaßen: »Ich erhebe keinen andern Anspruch als den, zu sagen: ›So ist es mir geworden zu erkennen, nun lernt daraus, was ihr meint lernen zu können.‹« A. a. O., 2. Er betonte in diesem Zusammenhang: »Wir sind alle im Werden auf eine neue Gestalt evangelischer Theologie zu begriffen, und unser keiner hat’s schon, wir können alle nur in diesem Werden helfen. Wer fertig ist, ist nicht mehr Mitarbeiter an dieser Aufgabe, ist tot. Nichts ist mir innerlich fremder als das Entsetzen mancher älterer Theologen, wenn die Jugend auf neue Gedanken kommt.« Ebd. Vgl. etwa Hirsch (1938), Leitfaden zur christlichen Lehre, 78–83 und passim. Vgl. etwa a. a. O., 63–65 und passim. Vgl. etwa a. a. O., 70–78 und passim. Vgl. etwa a. a. O., 207–215 und passim. Vgl. etwa a. a. O., 215–221 und passim. Locus classicus: Hirsch (1937), Zweifel und Glaube. S. u. Kap. 4.4.2. und 4.5.7. Hirsch (Mai 1933), Volk, Staat, Kirche, 26. Martin Meiser ist entschieden zuzustimmen, wenn er in einer Anmerkung bemerkt, dass Hirsch Auffassungen zur Auferstehung Christi »ein Gegenbeispiel gegen die These« darstellen, »daß politischer Konservatismus notwendig theologischen Konservatismus nach sich zieht.« Meiser, Paul Althaus, 339, Anm. 1. Hirschs Theologie kann vielmehr insbesondere in biblisch-theologischer Hinsicht als äußerst liberal bezeichnet werden. Zur »Bibelfrage« äußerte sich Hirsch einschlägig etwa in Hirsch (1936), Die Lage der Theologie, 30–40. – Vgl. zu Hirschs Schriftverständnis exemplarisch die Hirsch-AlthausDebatte zur Frage nach Kreuz und Auferstehung: Die öffentliche Debatte nahm ihren Ausgangspunkt mit Hirschs Buch (1940), Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube, worauf Paul Althaus mit seiner Schrift Die Wahrheit des kirchlichen Osterglaubens noch im selben Jahr antwortete. Hirsch entgegnete hierauf mit seiner Rezension (1940) Zum Problem des Osterglaubens, worauf Althaus mit der 2. Auflage von Die Wahrheit des kirchlichen Osterglaubens 1941 reagierte. Hierauf ließ Hirsch kurz darauf eine knappe Rezension folgen: (1941) Althaus, Paul: Die Wahrheit des kirchlichen Osterglaubens. In seiner Schrift (1960) Zwiesprache auf dem Weg zu Gott wiederholte Hirsch seine Position erneut. Althaus referierte in seinem Beitrag Christologisches zu Hirschs Festschrift noch einmal kursorisch die Debatte. Folgender Vorwurf Hirschs stand bezeichnenderweise im Zentrum der Debatte: »Das Motiv von Althaus ist kirchlich, nicht wissenschaftlich.« Hirsch

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führte zu einer radikalen Infragestellung und Ablehnung institutionalisierter religiöser, theologischer und kirchlicher Autorität. Der Prozess der permanenten Umformung dagegen bewahre das christliche Wahrheitsbewußtsein und das christliche Ethos vor dem religionsgeschichtlichen Tode der religiösen Erstarrung.1085

4.4.2. Zwei-Reiche-Lehre und Christliche Freiheit Hirschs kritische Haltung kirchlicher, theologischer und religiöser Autorität gegenüber fußte theologisch im Wesentlichen auf seiner eigenwilligen Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre1086 sowie seinem Verständnis von christlicher Freiheit. (1940), Zum Problem des Osterglaubens, 295. Martin Meiser hat in seiner Dissertation die Hirsch-Althaus-Debatte aufgearbeitet. Vgl. Meiser, Paul Althaus, 339–374. 1084 Hirschs hermeneutische Vorgehensweise, die nach eigener Angabe maßgeblich für seine Lektüre der Schrift gewesen sei, beschrieb er folgendermaßen: 1.) man müsse sich »die persönliche und geschichtliche Bedingtheit ihrer Aussagen […] klar machen.« Das bedeute: »wir machen uns auch an der Bibel die Fremdartigkeit der Weltanschauung ihrer Urheber und die Besonderheit ihrer sittlichen und religiösen Art und Lage klar, setzen uns dann ruhig gegen diese Dinge ab und suchen sie geschichtlich zu verstehn.« 2.) »Wenn wir aus ihr empfangen, dann so, daß wir es in unsre andern (2.1.) weltanschaulichen Voraussetzungen und (2.2.) in die Besonderheit unsrer durch das uns umfangende große Leben bedingten sittlichen Existenz übersetzen.« Hirsch (1936), Die Lage der Theologie, 33. (Die Ordinalia stammen von mir.) Denn für Hirsch lagen alle »inhaltlichen Voraussetzungen« zum Verständnis der Schrift »mit allem an ihnen Greifbaren im Element vernünftiger Selbsttätigkeit oder selbsttätiger Vernünftigkeit.« (a. a. O., 35) Darüber hinaus bestehe die reformatorische Erkenntnis Luthers darin, dass »Luther in Worms nicht Gottes Wort, sondern sein in Gottes Wort gefangenes Gewissen als die Instanz angegeben« habe, »die ihm den Widerruf unmöglich machte«. (a. a. O., 36.) Die Instanzen, die laut Hirsch das (subjektive!) Schriftverständnis determinieren, sind somit Vernunft und Gewissen. 1085 Für Hirsch stand fest: »Soweit Theologie und Kirche aus solcher Wirrnis heraus sich wider die radikale Wahrhaftigkeit im Preisgeben alter liebgewordener Vorstellungen und Lehren verstocken, müssen sie unweigerlich dem lebendigen Gewissen eine tote und erstorbene Sache werden. Sie könnten darum als Lehre und Apparat einer Riten vollführenden Priesterschaft noch jahrhundertelang fortdauern: da hats keine Gefahr. Dem Glauben an Jesus aber, der Anbetung Gottes mit reinem Gewissen, in Geist und Wahrheit, würden sie nicht mehr dienen. Der würde sich dann jenseits ihrer einen neuen Geschichtsleib bilden.« Hirsch (1940), Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube, V. 1086 Es war Karl Barth, der erstmalig in Auseinandersetzung mit Paul Althaus die Formel »Lehre von den zwei Reichen« verwendet und einer grundlegenden Kritik unterzogen hat. Barth lehnte die in seinen Augen »paradoxe Lehre von den zwei Reichen« ab, denn er war der Auffassung, hinter »der Lutherischen Lehre von den zwei Reichen« stehe »doch beherrschend die Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben.« Sie eigne »sich zu allerletzt zur Aufrichtung einer neuen ›christlichen‹ Rechthaberei konservativer Prägung.« Barth (1922), Grundfragen der christlichen Sozialethik, 46f. Vgl. hierzu Nicolaisen, »Anwendung« der Zweireichelehre im Kirchenkampf, 15 und Huber, »Eigengesetzlichkeit« und

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Hirschs Interpretation der »Lehre von den zwei Reichen«1087 zeichnet sich dadurch aus, dass Hirsch strengstens zwischen einer inneren, d. h. der unsichtbaren, transzendenten, göttlichen Ordnung und einer äußeren, d. h. sichtbaren, immanenten, menschengemachten Ordnung der Kirche unterschied.1088 Seine gesamte Ekklesiologie lebte von der Überzeugung, »daß die eine Kirche Christi, von der das Neue Testament und das alte Glaubensbekenntnis« redeten, »niemals als Korporation irgendwelcher Art hier auf Erden erscheinen«1089 werde. Wie die Kirchen »auch verfaßt sein mögen, kurial, konziliar, bischöflich, presbyterialsynodal oder konsistorial, und wie auch ihre Gottesdienste und ihre andre Arbeit sein mögen, so und so« seien sie »Menschenwerk.« Man könne »an sie nicht glauben.«1090 Somit heiße jede institutionelle Kirche »nur in uneigentlichem Sinne« »Kirche«, weil man glaube, dass »unter ihrem Tun und Treiben versteckt auch Gottes Wirken an den lebendigen Herzen geschehe, daß unter der äußeren Gemeinschaft, die sie pflegen, verborgen auch wahre Gemeinschaft wachse und lebe.«1091 Ein Wesensmerkmal der sichtbaren, irdischen Kirche bestand für Hirsch darin, dass sie – weil eben irdischen und somit geschichtlichen Ursprungs und Wesens – nicht nach theologischen, sondern nach irdischen und somit letztlich auch politischen Gesichtspunkten aufgebaut werden müsse. Wenn aber klar sei, »daß Kirche nicht durch Offenbarung gesetzt, sondern als geschichtlich notwendiges Menschenwerk gebaut« werde, dann sei »auch klar, daß Vernunft und Gewissen frei sind, Kirche zu bauen gemäß eingesehener sachlicher Notwendigkeit und nach der Regel der Liebe.«1092 Weil also die äußere Ordnung der

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»Lehre von den zwei Reichen, 36f. – Als das übelste »aller Theologumene« betrachtete Barth die von vielen Lutheranern – etwa Paul Althaus, Emanuel Hirsch und Walter Künneth – vertretene »Lehre von den Schöpfungsordnungen«. A. a. O., 44. Hirsch (Januar 1936), Weltanschauung, Glaube und Heimat, 58.62. Die Zwei-Reiche-Lehre durchzieht und fundiert latent sämtliche Arbeiten Hirschs, die die Topoi ›Theologie‹ und ›Kirche‹ zum Thema haben. Sie spielt in dem Aufsatz Hirsch (1925), Die Einheit der Kirche eine tragende Rolle, taucht jedoch programmatisch ständig in verschiedenen Zusammenhängen auf: z. B. in Hirsch (Juli 1933) Freiheit der Kirche, Reinheit des Evangeliums; ders. (Juni 1934), Von christlicher Freiheit; ders., Christliche Freiheit und politische Bindung; ders. (1936), Weltanschauung, Glaube und Heimat, 55–64. Hirsch (1925), Die Einheit der Kirche, 381f. A. a. O., 382. – Um sicherzustellen, dass nicht das »Wort Gottes in Menschenlehre« untergehe, betonte Hirsch die conditio sine qua non des rechten Verständnisses des Wortes Gottes pneumatologisch als sola gratia: Es sei »die Eigentümlichkeit des Wortes Gottes, daß wir es nur vom heiligen Geist gelehrt verstehen. Nur in Erfahrung der Rechtfertigung, nur so, daß wir gläubig und durch den Glauben gehorsam werden, ergreifen wir die in ihm gewährte Erkenntnis Gottes.« A. a. O., 395. A. a. O., 382. Hirsch (1978), Christliche Rechenschaft 2, 130. Diese Erkenntnis hatte mindestens zwei Konsequenzen: »a) den Satz Luthers, daß die Kirchenordnung des NT uns nicht bindet; b) den Satz, daß die Gestalt der Kirche in verschiedener Lage verschieden sein kann. Vernunft

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Kirche nichts als ›geschichtlich notwendiges Menschenwerk‹ sei, gelte für sie, was für jede andere menschliche Ordnung auch gelte: »Alles Recht ist von Menschen gemacht; heiliges Recht ist innerhalb eines reinen Christentums ein Widerspruch in sich selber.«1093 Die äußere Ordnung der Kirche war für Hirsch rein durch irdisch-geschichtliche Gesichtspunkte der Pragmatik, d. h. nach den Regeln der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit bestimmt, sodass »die bestimmte Lage und die bestimmte Aufgabe ein Zusammenarbeiten«1094 fordere. Für Hirsch konnte »kirchliche Ordnung und Gestalt niemals ein geschichtsloser Niederschlag reiner Lehre« sein. Vielmehr war sie »immer geschichtliches Werk von Menschen, welche in Gehorsam unter dem einen Evangelium es wagen, Gottes Willen in der geschichtlichen Wirklichkeit zu greifen, die immer auf dem Wege in ein unenthülltes Kommendes hinein« den geschichtsmächtigen Christen »zu dem Wagnis der Entscheidung«1095 rufe. »Dies Wagnis« werde »keiner von uns los.«1096 Hirschs Charakterisierung der irdischen Kirche als ›Menschenwerk‹ hatte weitreichende Konsequenzen, stellt man sein Verständnis von Sünde in Rechnung, die er im Rahmen seiner Schöpfungstheologie etwa folgendermaßen auffasste: Trotz oder vielleicht gerade aufgrund seiner christlichen Freiheit steht der Mensch als Geschöpf Gottes mit seinem gesamten Tun unter der Sünde und ist der göttlichen Gnade des Schöpfers bedürftig. Entscheidend für Hirschs ekklesiologisches und kirchenpolitisches Denken war die Überzeugung, dass alles irdisch-geschichtliche Menschliche ausnahmslos und notwendigerweise fehlerbehaftet und sündhaft sei.1097

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und Gewissen handeln stets in Situation.« Ebd. – Das Verhältnis von »Liebe und Kirchenordnung« reflektierte er unter anderem in Hirsch (Oktober 1933), Theologisches Gutachten in der Nichtarierfrage, 196–198. Hier heißt es etwa: »Die Liebe« zwinge den Christen, sich in seiner Freiheit »binden zu lassen, und kirchliche Ordnung trotz ihrer Fehlhaftigkeit zu tragen«, wenn er »nur in ihr das Evangelium verkündigen« könne. Außerdem verlange die Liebe »Verzicht auf Opposition«, sondern fordere vielmehr »Gehorsam«. Wer diesen Gehorsam verweigere, mache sich schuldig. A. a. O., 197. Der Begriff der »Liebe« enthielt also für Hirsch zwei Dimensionen: christliche Freiheit und politische Bindung. Nicht zuletzt in Bezug auf die Arierfrage hatte Hirsch damit ein Todschlagargument gegen jegliche theologisch-kirchliche Opposition in der Hand, das er immer wieder vorbrachte. – Dieser Gedanke deutet sich bereits in Hirsch (1924), Liebe zum Vaterlande an. A. a. O., 383. Hirsch (1925), Die Einheit der Kirche, 383. Hirsch (Juni 1934), Evangelische Kirchenordnung, 50. Ebd. Locus classicus: Hirsch (1931), Schöpfung und Sünde in der natürlich-geschichtlichen Wirklichkeit des einzelnen Menschen. – Walter Künneth schrieb 1934 eine im Grunde zustimmende Rezension zu Hirschs Buch. Bedenken äußerte er lediglich gegenüber Hirschs gekünstelter Begriffsbildung, gegenüber der »Theologia naturalis von Hirsch«, die »zu sehr das Feld« behaupte, sowie gegenüber der »Rede von der ›allgemeinen Gnade‹«, die »auf jeden Fall« gegen »Missverständnisse zu wenig gesichert« sei. Künneth (1934), Schöpfung und Sünde in der natürlich-geschichtlichen Wirklichkeit des einzelnen Menschen, Sp. 253.

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Auf der übergeschichtlich-göttlichen Seite stehe die äußere Ordnung der Kirche jedoch unter dem Evangelium und der damit geschenkten christlichen Freiheit. Die christliche Freiheit entbinde von religiöser Autorität, bestimme das Gewissen als Ort der Rechtfertigung und schaffe somit Raum für die Bindung an die irdisch-geschichtliche Lage, in der Gottes Ruf vernommen werde. Die »Antinomie des Christseins im evangelischen Sinne«1098, d. h. die Antinomie zwischen theologischer Entbindung und irdischer Bindung, wird der entscheidende Anknüpfungspunkt für Hirschs theologische Rechtfertigung des Nationalsozialismus darstellen. Hirschs Verständnis von christlicher Freiheit und somit seine Interpretation der Rechtfertigungslehre spielen für seine Ekklesiologie und seine Beantwortung der Frage nach der der jeweiligen geschichtlichen und politischen Lage angemessenen kirchlichen Ordnung eine ganz entscheidende Rolle.1099

4.4.3. Volkskirchenideal, Lutherbild und Luthertum Hirschs Idealform der irdisch-geschichtlichen Kirche lässt sich im Grunde mit dem Schlagwort Volkskirchenideal zusammenfassen und auf folgende Formel bringen: »Die Volkskirche ist das kirchliche Ideal aller Reformatoren.«1100

1098 Hirsch (Juni 1934), Von christlicher Freiheit, 30f. Die »Antinomie des Christseins im evangelischen Sinne« bestimmte Hirsch folgendermaßen: »im Dienst der Pflicht das Leben zu leben, obwohl das Leben Freiheit und nicht Dienstbarkeit ist.« – Analog sprach Hirsch in einer Predigt Anfang März 1934 von einer von allen Bindungen innerlich freimachenden und verborgenen Ehre bei Gott, die er »Christenehre« nannte und die er von der an das Volk bindenden »deutschen Ehre« scharf abgrenzte. Hirsch (März 1934), Christenehre, 314–316. – Auf Ebene der Offenbarung entsprach dieser Antinomie »der Widerstreit zwischen Evangeliumsoffenbarung und Gesetzesoffenbarung« als Spiegelung vom menschlichen »Widerstreit zwischen Glaube und Vernunft«. Vgl. Hirsch (Juni 1934), Die Offenbarung und das menschlich-geschichtliche Leben, 41–45, Zitate 41. Das dialektische Verhältnis dieser Antinomie fasste Hirsch folgendermaßen zusammen: »Der Widerstreit der Evangeliumsoffenbarung mit der Gesetzesoffenbarung ist also mit der anfechtend-entbindenden Befreiung und Erfüllung unsers geschichtlichen Menschseins zur Gotteskindschaft zugleich der Hereinbruch der Ewigkeit über die Zeitlichkeit, ein Anfang des ewigen Lebens, der uns hinüberreißt über die Grenzen des irdisch-geschichtlichen Lebens. Dadurch empfängt die göttliche Offenbarung das Gepräge des Kommenden im Gegenwärtigen.« A. a. O., 44. 1099 Die Aporie, in die Hirschs Interpretation der Rechtfertigungslehre und Zwei-Reiche-Lehre und somit seine Bestimmung des Verhältnisses von »Gesetz und Evangelium als Existentialdialektik der ›Rede Gottes im Herzen‹« führen, hat Heinrich Assel überzeugend und auf einer breiten Quellenbasis herausgearbeitet. Vgl. Assel, Der andere Aufbruch, 265–304. 1100 Hirsch (1978), Christliche Rechenschaft 2, 165. Vgl. auch Hirsch (1933), Theologisches Gutachten in der Nichtarierfrage, 184: »Das reformatorische Christentum hat sich für das Volkskirchentum als die ihm gemäße Gestalt kirchlicher Arbeit entschieden.«

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Wie auch für Walter Künneth1101 gehörten für Emanuel Hirsch Deutschtum und Luthertum aus kirchengeschichtlichen und geschichtstheologischen Gründen untrennbar zusammen: 1.) zunächst war es ein besonderes Anliegen Hirschs auf die enge geschichtliche Bindung von Deutschtum und Luthertum hinzuweisen, weshalb »das Luthertum als Träger des reformatorischen Christentums in Deutschland zu gelten« habe und »in seiner konkreten geschichtlichen Art viel stärker und ausschließlicher von Deutschen geformt worden« sei »als das Reformiertentum.«1102 Deshalb stand für Hirsch fest, dass »die Deutsche Evangelische Kirche nur eine Kirche von lutherischer Gesamthaltung und Gesamtprägung sein«1103 könne und wolle. 2.) Wesentlich interessanter sind jedoch Hirschs geschichtstheologische Konstruktionen, die er im Rahmen seiner an Karl Holl anknüpfenden Lutherdeutung1104 entwarf, denn sie erlauben tiefe Einblicke in sein tatsächliches ekklesiologisches und kirchenpolitisches Wollen und verdeutlichen, wie Hirsch quasi-historisch, eigentlich jedoch geschichtstheologisch Wirklichkeit und Wahrheit konstruierte: Hirsch differenzierte in seinem Aufsatz zu Luthers Berufung1105 zwischen dem großen deutschen Reformator und dem jüdisch geprägten vorreformatorischen »typus paulinus«. Er verglich Paulus und Luther im Hinblick auf ihre Berufungserfahrungen sowie im Hinblick auf ihre Volkszugehörigkeit: Während Hirsch den Apostel im »Alttestamentlich-Jüdische[n]« (102f) verwurzelte und seine Berufung als mystisch und »seltsamer Gesichte voll« (94) beschrieb, Paulus selbst als lebensfeindlich1106 und wirklichkeitsfremd1107 charakterisierte, verwurzelte er den Deutschen Luther im »Christlich-Germanischen«1108. Luther war für Hirsch der große deutsche Reformator, »der seinem eignen Volke Gottes ewiges Evangelium hat dolmetschen dürfen und ihm die Kirche hat bauen dürfen.« (94) Diesem Lutherbild lag eine paradigmatische theologische Qualität inne, die sowohl Hirschs Verständnis der geschichtstheologischen Bedeutung des deutschen Volkes als auch seine gesamte Ekklesiologie maßgeblich prägte: Refor1101 1102 1103 1104

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S. o. Kap. 3.4.5. und 3.4.6. und 3.4.9. und 3.4.11. Hirsch (Juli 1934), Über Kirche und Bekenntnis. Denkschrift, 113. Ebd. Auf den Umstand, dass Hirschs Lutherbild deutlich von der Lutherdeutung seines Lehrers Karl Holl geprägt ist, ist in der Forschung mehrfach mit Recht hingewiesen worden. Vgl. Hakamies, »Eigengesetzlichkeit« der natürlichen Ordnungen als Grundproblem der neueren Lutherdeutung, 47–63; Hirsch reflektierte diesen Umstand in seinen autobiographischen Ausführungen selbst, vgl. Hirsch, Über mich selbst, 16–19. Hirsch (Oktober 1933), Luthers Berufung. Die Seitenzahlen in Klammern im Text beziehen sich im Folgenden – sofern nicht anders vermerkt – auf diesen Aufsatz. Als »der Ehelose, der ein inneres Verhältnis zum irdischen Leben und Beruf nicht hat;« a. a. O., 94. Als »der heimatlose Apostel, dem durch den Christusglauben das Verhältnis zum eigenen Volke und seinem Nomos zerbrochen ist;« Ebd. Vgl. a. a. O., 102–106.

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mation war für ihn auf der geschichtlichen Seite zwar »erneuerter Paulinismus«, aber »auch eine neue geschichtliche Gestalt der Bestimmung des menschlichen Lebens durch das Evangelium, der Durchbruch des Evangeliums zu Wirklichkeit und Form unter neuen geschichtlichen Verhältnissen in einem neuen Völkerkreise. Daß diese Gestaltwerdung, dieser Durchbruch […] an einem Deutschen geschehen« sei, das habe »die übervolkische Bedeutung und Sendung des Deutschtums in der abendländischen Geschichte neu begründet und gesichert.« (94f.)1109 Mit anderen Worten: Luther hatte die göttliche Sendung des deutschen Volkes also mit seiner eigenen Berufung ins deutsche Volk getragen. Luther verkörperte darüber hinaus Hirschs christlich-ethisches Ideal aufgrund seiner Berufung durch »drei Gottesbegegnungen«: 1.) als Mönch in Todesangst, 2.) als Entdecker des »Evangeliums in Röm. 1, 17« und 3.) als Gerufener »von Gott zum Kampfe wider das Christen- und Kirchentum«1110: Luthers Glaube bekenne sich deswegen »in der wagenden Tat wider den Irrglauben, aber nicht aus eignem Entschluß heraus, sondern so, daß er Schritt für Schritt zur eignen Überraschung in die Lage hereingerissen« werde, »in der es Verleugnung wäre, nicht alle Folgen bis ins Letzte zu ziehen und zu ihnen zu stehen vor aller Welt.« (97) Hirschs Konzept von »Wagnis«, als tätige menschliche Antwort auf Gottes Ruf, der in der irdisch-geschichtlichen Lage ergehe und den Gerufenen mit der Pflicht konfrontiere, sich zu entscheiden und entsprechend zu handeln,1111 war ebenfalls in der Autorität Luthers verbürgt. Auch für Hirschs Gewissenstheorie sowie sein eigentümliches Verständnis von christlicher Freiheit stand Luther Modell, denn Luther rede »die empfangne Wahrheit Gottes hin« und lege »es den andern aufs Gewissen, was nun im Bestimmten und Einzelnen der Gehorsam des Glaubens für sie bedeutet.« (100) Das Bild des im Reichstag zu Worms nicht widerrufenden Luthers stand sinnbildlich für die Haltung des allein seinem eigenen Gewissen

1109 Auch wenn es um Umformung und um das Ablegen von überkommenen kirchlichen Traditionen ging, kann man mit Herms zweifellos feststellen: »Hirschs Musterbeispiel ist Luther.« Herms, Zu Unrecht vergessen?, 38, Anm. 57. 1110 Vgl. a. a. O., 95–97. 1111 Hirsch formulierte sein Verständnis von »Wagnis« folgendermaßen: »1) Jedes Handeln mit dem Ziel, vollmächtig am gemeinsamen Leben zu gestalten, ist ein Wagnis: Ein Wagnis darauf, daß man die aus der Lage erwachsenden Möglichkeiten recht verstanden, den Ruf darinnen recht vernommen habe. […] 3) Dies Wagnis zu übernehmen, dazu gehört das Bewußtsein der Berufung, der Sendung. 4) Es gibt Fälle, wo sich das Wagnis so abspielt, daß ein ganzer Gemeinschaftskreis, ein ganzes Volk als mitwagend in das Wagnis hineingerissen wird. Das sind die eigentlich großen Momente der Geschichte. Wo ein Volk so durch seinen Erwecker zum Wagnis gerufen wird, da ist es das schwerste Verfehlen, wenn es nicht wagt. Man nennt es, die Stunde versäumen. 5) […] die geheimnisvolle Gottheit, die in der Geschichte waltet, weckt manchen zum Wagen auf, um den heroischen Willen bis in den Untergang hinein zu erproben.« Hirsch (1978), Christliche Rechenschaft 2, 335–337, Zitate 336f.

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und seiner Vernunft verpflichteten Christen.1112 Doch auch für Hirschs Wirklichkeitsverständnis stand der Reformator nicht nur durch seine theoretische Unterscheidung der beiden Reiche Pate, sondern mit seinem gesamten Wesen: Der Apostel Paulus sei »Bürger des kommenden Reiches und Fremdling in dieser Welt«; Luther dagegen sei »Bürger zweier Reiche, des irdischen und des kommenden.« (100) Hirschs Volkskirchenideal der 30er Jahre weist mindestens drei Motive auf, die sich zwar systematisch trennen lassen, die aber stets aufeinander bezogen und miteinander verwoben sind: 1.) Ein theologisch-volksmissionarisches Motiv: Es ging ihm immer darum, dass die Kirche das Volk mit dem Evangelium in Berührung bringt. Die Kirche komme dieser Aufgabe dadurch nach, dass sie sich »als eine möglichst alle umspannende Volksordnung […] gestaltet und so das ganze Leben und Weben in Volk und Staat mitbestimmt.«1113 Sie stehe also immer in einer doppelten Verpflichtung: Gott und dem Volk gegenüber.1114 Um dem Volk gerecht zu werden, dürfe die Kirche »den Menschen, unter denen sie steht, nicht als etwas Fremdes ganz andres gegenüberstehen«, sondern müsse »mit ihnen in den gleichen Grund des natürlichen Lebens und des Schicksals sich hineingetaucht wissen.«1115 Sie müsse »die eigene Kirche des Volks sein, an dem sie Gott und dem Evangelium dient«, denn nur »wenn die gleichen Ströme geschichtlichen Lebens in der Kirche und im Volke rauschen und brausen«, sei »die Lage gegeben, in der das Wort des Evangeliums von der Kirche recht gesagt und vom Volke recht gehört werden«1116 könne. Hierin lag 2.) ein theologisch-ethisches und pädagogisches Motiv: Hirsch sprach in diesem Zusammenhang etwa vom »Weg der Volksumbildung und Menschenumbildung« und meinte damit den Weg »zu einer zugleich deutschen und christlichen Volksordnung«.1117 Auf diesem Weg schaffe die Kirche Gemeinschaft, Ordnung, Zucht und Sittlichkeit.1118 Hierin lag 3.) ein patriotisch-politisches Motiv: Indem die Kirche an der ›Volksumbildung‹ selbst als Volksordnung teilnehme, verhelfe sie dem deutschen Volk zu Sittlichkeit, Stolz und Ehrgefühl und letztlich zu einem neuen nationalen Selbstbewusstsein.

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Vgl. etwa Hirsch (1936), Die Lage der Theologie, 36–40. Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der deutschen Christen, 6. Vgl. hierzu etwa Hirsch (Juli 1933), Freiheit der Kirche, Reinheit des Evangeliums, 27. Ebd. A. a. O., 27f. Hirsch (Juni 1934), Evangelische Kirchenordnung, 51. Vgl. hierzu etwa Hirsch (1925), Die Einheit der Kirche, 381–390.

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4.4.4. Völkisch-politische Theologie Von zentraler Bedeutung für Hirschs völkisch-theologisches und -politisches Denken war das Theologoumenon vom Volksnomos.1119 Hirsch übernahm den Nomos-Begriff von dem völkischen Publizisten Wilhelm Stapel,1120 der von 1919 bis Ende 1938 Herausgeber der Monatsschrift Deutsches Volkstum war und zwischen 1926 und 1938 die Hanseatische Verlagsanstalt maßgeblich bestimmte,1121 und rezipierte ihn vor allem im Rahmen seiner eigenen Souveränitätstheorie.1122 Die briefliche Korrespondenz zwischen Hirsch und Stapel erstreckte sich von 1923 bis 1958 und ist aus mehreren Gründen für unsere Belange von größter Wichtigkeit: Hirsch betrachtete Stapel als seinen engsten Vertrauten und Freund neben seiner Ehefrau. Er reflektierte seinen eigenen Standpunkt ständig

1119 Die Entwicklung völkisch-politischen Theologie Hirschs lässt sich recht präzise chronologisch nachvollziehen, weil sich diese Vorgänge mithilfe der brieflichen Korrespondenzen zwischen Hirsch und Stapel und Hirsch und Grimm rekonstruieren lassen. Einige wertvolle Hinweise auf einschlägige Briefe verdanke ich folgendem Aufsatz: Assel, Emanuel Hirsch, 48–57. 1120 Zu Stapel vgl. Maass, Starker Staat und Imperium Teutonicum. 1121 Vgl. hierzu die beiden neueren Beiträge: Vollnhals, Theologie des Nationalsozialismus; Christophersen, Wilhelm Stapel und das »Deutsche Volkstum«. Letzterer greift an einzelnen Stellen auf Stapels umfangreichen Nachlass in Marbach zurück. – Hirschs vielschichtige Verbindungen zum Deutschen Volkstum, in dem er selbst zahlreiche Artikel veröffentlichte, für das er beständig z. T. auch politisch motivierte Aphorismen und Gedichte schrieb, Autoren Vorschlug (z. B. in seinem Brief an Stapel vom 10. 6. 1934) und seine Sache unterstützende Artikel anregte, deren Wortlaut er z. T. wortwörtlich vorgab, wären eine eigene Untersuchung wert. 1122 Seine Souveränitätstheorie formulierte Hirsch erstmalig in: Hirsch (1933), Vom verborgenen Suverän. [sic!] Vermutlich handelt es sich um den Versuch der Eindeutschung. So auch Assel, Emanuel Hirsch, 50, Anm. 28. Vgl. zu diesem bedeutenden Aufsatz Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich, 72–75. Die Entstehung dieser Lehre hing genetisch stark mit Hirschs Auseinandersetzung mit Stapels Nomos-Begriff zusammen wie die Hirsch-StapelKorrespondenz zeigt: In seinem Brief vom 4. 2. 1933 an Stapel fügte Hirsch seinen Aufsatz als Anlage bei, bat um aufmerksame Lektüre desselben und fügte erläuternd hinzu: »Es geht mir da um einen sehr ernsthaften Kampf, in dem ich heut ziemlich einsam stehe. Alle Theologen u[nd] Pastoren, die sich vernehmen lassen, sind reaktionär obrigkeitsgläubig, und verstehen mich nicht. Althaus, der […] meinen Kampf in all den Jahren teilte als guter Kamerad, ist innerlich schwankend geworden.« Im November 1934 bedankte sich Hirsch in Christliche Freiheit und politische Bindung öffentlich bei Stapel für dessen Nomoslehre, die er übernommen und weitergebildet habe. Im Dezember-Heft des Deutschen Volkstums des Jahres 1938 stellte Hirsch Stapels Buch Der christliche Staatsmann und seine eigene Schrift Deutschlands Schicksal nebeneinander, betonte die gemeinsame Aufgabenstellung und stellte klar, dass er von Stapel eine entscheidende »geistige Hilfe« im Christlichen Staatsmann erhalten habe, nämlich die Lehre vom »Volksnomos«. Hirsch (Dezember 1938), Die Bergpredigt, 826.

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in Auseinandersetzung mit jenem Stapels und bat ihn gelegentlich um Rat.1123 Stapel war für Hirsch »eine Art Instanz«, vor der er »bestehen« wollte1124 und zugleich ein wichtiger intellektueller und politischer Ansprechpartner und Konspirateur.1125 Das Anliegen von Stapels Theologie des Nationalsozialismus1126 kann als »›Kampf gegen Versailles‹ – und damit gegen Demokratie, Pazifismus und Völkerbund und im weiteren Sinne gegen die Ideen der Französischen Revolution von 1789«1127 verstanden werden. Zentrale Kategorien seines Denkens waren »Volkstum« und »Volksnomos«.1128 Den Nomos, der das Volkstum begründe, charakterisierte Stapel als ein »Gesetz des Lebens«, das sich von Volk zu Volk unterscheide.1129 Stapels Vision vom Imperium Teutonicum1130 war »eine uralte 1123 So schilderte Hirsch in seinem dreiseitigen Brief an Stapel vom 13. 12. 1936 seinen Wunsch aus der DC-Bewegung auszutreten. In dieser Angelegenheit bat er Stapel dringlich um einen »Freundesrat« (a. a. O., 1) bzw. ein »Freundeswort« (a. a. O., 3). 1124 So Hirsch in seinem Brief an Stapel vom 31. 12. 1937. 1125 Beide schickten sich gegenseitig ihre neuesten Veröffentlichungen, Gedichte, Aphorismen, die Hirsch im Deutschen Volkstum kontinuierlich veröffentlichte, sowie Schilderungen der politischen Lage zu. Hirsch diente Stapel mehrfach als Spitzel, wie u. a. Assel, »Barth ist entlassen…« exemplarisch im »Fall-Barth« nachgewiesen hat. Gemeinsam platzierten Stapel und Hirsch insbesondere im Deutschen Volkstum und in der Hanseatischen Verlagsanstalt kirchenpolitische Beiträge, die genaustens geplant und von Hirsch z. T. im Wortlaut diktiert und vorbereitet wurden. Vgl. etwa Hirsch an Stapel vom 31. 5. 1934. In einem Brief an Stapel vom 15. 2. 1937 befasste sich Hirsch ausgiebig und offenbar auf Anfrage von Stapel mit der Frage, ob die berühmte Psychoanalytikerin und Schriftstellerin, Lou Andreas-Salomé, die seit 1903 in Göttingen lebte, Jüdin sei. Seine weitschweifigen rassenideologischen Ausführungen schloss er mit einem vagen Urteil: »Möglich ist es, daß sie auch jüdisches Blut hat. Aber bewiesen ist es bisher nicht.« Auch in diesem Brief an Stapel wird deutlich, wie stark Hirsch um Stapels Wohlwollen bemüht war, wenn er sich als »Extrem-Nationaler« stilisierte, »der mit keinem der Göttinger Juden von 1921 an verkehrte und der zugleich Christ in bewußtem Sinne war« und deshalb »ganz außerhalb der eigentlichen Göttinger Gesellschaft gelebt« habe. Dagegen war Lou Andreas-Salomé »Créme« und »wählte sich aus den intellektuellen Schichten die allerfeinsten aus.« 1126 So der Untertitel von Stapels Schlüsseltext Der christliche Staatsmann. Stapel selbst bezeichnete sein Buch im Vorwort als »metapolitisch«. A. a. O., 5. Es habe aber eine »praktisch-politische Absicht: die christliche, konservative, imperiale, volkstreue Front, die zum Kampf antritt. Oder, mit einem Wort, das die geschichtliche Stunde bezeichnet: die antisäkulare Front.« A. a. O., 6. 1127 So mit Vollnhals, Theologie des Nationalismus, 100. Vollnhals geht sogar davon aus, dass »alle christlich-theologischen Argumentationsstränge« Stapels dieser »politischen Zielsetzung nachgeordnet« waren und »ihr lediglich eine höhere Legitimation verleihen« sollten. Ebd. Diese Vermutung lässt sich natürlich schwer beweisen, aber diesen Eindruck erwecken Stapels Schriften tatsächlich. 1128 Vgl. hierzu insbesondere Stapel, Der christliche Staatsmann, 174–185 und Maass, Starker Staat und Imperium Teutonicum, 70–81. – Vollnhals fasst die Nomos-Lehre systematisch in Bezug auf die Größen »Volkstum« und »Imperium Teutonicum« zusammen. Vollnhals, Theologie des Nationalismus, 101–104. 1129 Stapel, Der christliche Staatsmann, 174: »Jedes Volk wird zusammengehalten durch ein Gesetz des Lebens, das, entsprechend seiner Natur, seine innere und äußere Form, seinen

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politische Realität metaphysischer Art«, der man »untreu geworden«1131 sei, indem man den Nomos verraten habe. Stapel erhob den Anspruch, eine »Parallelisierung« der »biologischen Tatbestände und der christlichen Offenbarung« vornehmen zu können, die auf der Annahme fußte, dass »eine Entsprechung zwischen irdischem Leben und himmlichem Leben«1132 bestehe.1133 Die »Entsprechung zwischen Gottesreich und irdischem Staat« weise folgende Merkmale auf: Was macht nun das Reich Gottes zu einem »Reich«? Soll das Gottesreich nicht nur als ein mystischer Punkt oder als eine ungesonderte Einerleiheit gedacht werden, so muß man es als eine gegliederte Über- und Unterordnung, also als [1.] eine Herrschaft denken. Soll es nicht nur eine pantheistische, alles umfassende, vage Allheit sein, so muß es [2.] »Grenzen« haben, es muß sich also unterscheiden von einem andern Reiche. Wenn es seine verschiedenen Glieder in sich zusammenhalten soll, so muß es [3.] ein verbindendes und verbindliches Gesetz haben. [1.] Herrschaft, [2.] Abgrenzung und [3.] Gesetz sind notwendig, wenn das Reich Gottes soll als Reich gedacht werden können. Dem entsprechend muß jeder irdische Staat drei Dinge aufweisen: Erstens die Herrschaft (Dominatio), zweitens die Unterscheidung von Freund und Feind (Discretio), drittens das geheiligte, unantastbare Gesetz, dessen Antastung Abfall wäre (Nomos).1134

Diese metaphysische Dimensionen des Nomos-Begriffes gilt es mitzuhören, wenn Hirsch ihn in seinem weiteren Denken als konstitutives Moment verwendet. Am 12. 5. 1932 bedankte sich Hirsch für Stapels Zusendung des Christlichen Staatsmannes und äußerte sich bewundernd zu der Lehre vom »Nomos« und dem »Imperium Teutonicum« und »die darauf aufgebaute Bestimmung der Sittlich-

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Kult, seinen Ethos, seine Verfassung und sein Recht bestimmt: durch den Nomos. Der Nomos macht das Volk, das ursprünglich Kultgemeinde ist, zum Volke; im Nomos wächst und blüht und fruchtet es. Jedes Volk hat seinen besonderen Nomos.« – Stapel weist a. a. O. darauf hin, dass er den Nomos-Begriff von Hans Bogner (1895–1948, Klassischer Philologe in Hamburg) übernommen habe: Vgl. Bogner, Die verwirklichte Demokratie. Zu Bogner und seinem Nomos-Begriff vgl. Maass, Starker Staat und Imperium Teutonicum, 44–46. Vgl. hierzu insbesondere Stapel, Der christliche Staatsmann, 246–273 und Maass, Starker Staat und Imperium Teutonicum, 81–85. – Auch wenn Hirsch den Begriff »Imperium Teutonicum« anders als den Nomos-Begriff nicht von Stapel übernommen hat, lässt sich an einzelnen Stellen nachweisen, dass auch dieser Gedanke Auswirkungen auf Hirschs Denken verzeichnen konnte. Vgl. etwa Hirsch, Gottes Offenbarung in Gesetz und Evangelium, 38, wo von der »lex in lege Teutonica«, die Rede ist, die durch die »lex in lege Mosaica« mittelbar enthüllt werde. Das deutsche (teutonische) Gesetz im Gesetz Gottes betrachtete Hirsch also als ein verhüllter Bestandteil des mosaischen Gesetzes im Gesetz Gottes. Stapel, Der christliche Staatsmann, 7. A. a. O., 8. Die theologische Entsprechung zu dieser Vorstellung bildete Hirschs Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche. S. o. Kap. 4.4.2. Stapel, Der christliche Staatsmann, 166. Die Ordinalia in Klammern stammen von mir.

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keit.«1135 In demselben Brief äußerte er jedoch auch gewisse Vorbehalte in Bezug auf die »neutestamentlichen Dinge« sowie auf Stapels »verengten Begriff der Sittlichkeit«, da es »neben der naturwüchsigen Volksethik und der dekadenten Moral« auch »eine Ethik des Glaubens«1136 gebe. Obwohl Hirsch die Notwendigkeit betonte, »nicht bloß von der Existenznot aus die deutsche Frage zu betrachten«, sondern vielmehr geneigt war, deutsche »Existenz« wie Stapel durch »eine Sendung« zu rechtfertigen, war er unschlüssig, ob er diese »Sendung als Imperium teutonicum bestimmen« würde.1137 Vier Tage später schienen sich Hirschs anfängliche Bedenken jedoch in Luft aufgelöst zu haben. Er nahm den »Einfall« zurück, der ihm bei Stapels »Buche gekommen« war und fügte lobend hinzu: »In einer deutschen Kirche kann ich mich nicht erinnern, dergleichen gesehen zu haben.«1138 Etwa zur gleichen Zeit entwickelte Hirsch seine fortan prägende Souveränitätstheorie. Sie nahm die Impulse völkischen Denkens, die im Nomos-Begriff terminologisch und konzeptionell Gestalt angenommen hatten, auf und deutete sich bereits im April 1932 an. Am 1. 4. 1932 wies Hirsch in der Beilage seines Briefes an Hans Grimm im Zusammenhang der Thematisierung der Wahl Hitlers darauf hin, dass er der Meinung sei, dass die eigentlichen, »wahren, den neuen deutschen Staat aufbauenden Kräfte« beim Volk lägen.1139 Im Rahmen der Souveränitätstheorie wird »das Volk« als »der verborgene Suverän« aufgefasst, was zur Folge hat, dass Staat, Kirche und jeder einzelne Bürger dem verborgnen Souverän untergeordnet werden. Hirschs einziges Kriterium für jegliches politisches Denken und Handeln1140 stellte nun die Volksgemeinschaft dar: Für diese Auffassung des Verhältnisses von Volk und Staat, die uns für die Durchdringung der politischen Entscheidungen des evangelischen Christen mit Hingabe an beide in eigner Verantwortung die Voraussetzung zu sein schien, präge ich nun die Formel: das Volk […] ist der verborgene Suverän, und damit der wahre Suverän. Jedes Glied des Volks ist durch sein bestimmtes Sicheingliedern in das Volk gerufen an seiner Stelle und mit der ihm gegebnen Vollmacht, Deuter und Vollstrecker des Willens dieses verborgnen Suveräns zu sein und damit rechte Staatlichkeit mit zu erfüllen und zu gestalten. Jede wirkliche oder beanspruchte Gewalt im Staate muß nach dem Maßstabe

1135 Zweiseitiger Brief Hirschs an Stapel vom 12. 5. 1932, 1. 1136 »Ich fühle mich immer von der Bergpredigt persönlich getroffen, obwohl ich ein Heidenkind und Theologieprofessor und sicherlich kein Jünger in dem Sinne, in dem Sie das Wort meinen, bin. Daß mich das nicht hindert, eine starke Bejahung des nationalen Nomos zu finden, das wissen Sie.« A. a. O., 2. Hirsch spielt hier darauf an, dass Stapel in Der christliche Staatsmann, 39 die Bergpredigt nicht als »eine Ermahnung an das christliche Volk, sondern eine Jüngerlehre« auffasste. Vgl. auch a. a. O., 121. 1137 A. a. O., 2. 1138 Brief Hirschs an Stapel vom 16. 5. 1932. 1139 Beilage des Briefes Hirschs an Grimm vom 1. 4. 1932. 1140 So mit Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich, 73.

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des, das nach dem Willen des verborgnen Suveräns recht ist, geprüft und geurteilt werden in eignem Gewissensentscheid, der sich selbst nach dem Maße seiner Vollmacht durch Gott begrenzen läßt, und danach muß dann im Ja des Vertrauens oder Nein der Abwehr gehandelt werden.1141

Das im letzten Satz des Zitates anklingende ›Nein der Abwehr‹ und damit ein »im äußersten Falle« geltendes »Notrecht«, eine »gegebene Staatsform zu zerbrechen, wenn es einen andern Weg, dem Volke zur Erfüllung seines Lebens und seiner Sendung zu helfen nicht gibt«1142, spielte im Falle des nationalsozialistischen Staates für Hirsch in der Folgezeit keine Rolle mehr, weil dieser Staat ja in seinen Augen eine echte – vielleicht gar die letzte und einzige – Lebensmöglichkeit für das deutsche Volk darstellte. Hirschs Volksbegriff umfasste mindestens zwei Dimension:1143 1.) Vordergründig betonte er, dass dem Volk allein verbindlicher Gehorsam geschuldet wird. Insofern stand das Volk über dem einzelnen Bürger und auch über der Obrigkeit. 2.) Dahinter stand allerdings die Vorstellung, dass sich die Volkheit als verborgener Souverän in einem stellvertretenden öffentlichen Souverän manifestiere, der »als verfaßter politischer Wille beim Staate, und allein beim Staate« liege. Dieser zweite Gedanke nahm schon kurze Zeit später konkretere Züge an, als Hirsch das Verhältnis von Volk und Staat reflektierte. Terminologisch schlägt sich diese zweite Dimension von Volk in Hirschs Begriff des »offenbaren Suveräns«1144 nieder, der eine deutliche Tendenz aufweist: »Dieser öffentliche Sou1141 Hirsch (1933), Vom verborgenen Suverän, 7. 1142 Ebd. – Das individuelle Gewissen stellte für Hirsch die Grenze des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit dar: »Die reformatorische Lehre von der Obrigkeit schließt in sich die Forderung des Gehorsams auch unter die schlechte tyrannische Obrigkeit, die Volk und Land verdirbt: man muß sie leiden, wenn Gott uns durch sie plagen will. Widerstand, gar Aufruhr, ist immer Sünde. Nur wenn die Obrigkeit ins Gewissen greift, d. h. wider klares Gebot Gottes etwas befiehlt, darf man nicht gehorchen; aber unterwerfen soll man sich der Obrigkeit auch dann, indem man die von ihr verhängten Strafen – sie seien so tyrannisch und ungerecht wie sie wollen – auf sich nimmt. Nur die Flucht in ein ander Land, unter andrer Obrigkeit Schutz, ist gestattet.« A. a. O., 10. 1143 Zu dieser Unterscheidung vgl. Assel, Emanuel Hirsch, 51–53; ders., Der andere Aufbruch, 259–262. 1144 Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 61: »Ich weiß für das so sich ergebende Verhältnis von Volk und Staat keine andre Formel als die: gewiß ist Suveränität als verfaßter politischer Wille beim Staate, und allein beim Staate. Aber höher als dieser offenbare Suverän ist der verborgne Suverän, dem Alle im Staate, Führende und Geführte, in ihrem Tun und Zielen verantwortlich bleiben, und dieser verborgne Suverän ist das – der Erfüllung und Bewahrung begehrende – natürlich-geschichtliche Volkstum mit seiner Art, seiner Ehre und seiner Sendung. Aus dieser Bindung an den verborgnen Suverän hat die nationalsozialistische Bewegung das Recht und die Pflicht zu Kampf und Revolution genommen, als der offenbare Suverän noch wider sie stand. Dieser verborgne Suverän hat keine Gewalt als die, mit der er Wille und Gewissen der zum Volkstum Gehörenden, der Führenden und der Geführten innerlich ergreift und entzündet.«

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verän, der dann im Namen des Volkes die prinzipielle Legitimität zum Bruch rechtstaatlicher Legalität hat, wird je länger desto vorbehaltloser mit der Person des ›Führers‹ Adolf Hitler (und seiner Vertreter in den jeweils untergeordneten Führungskreisen) identifiziert.«1145 Allerspätestens in seinem Buch Die gegenwärtige geistige Lage avancierte der Nomos-Begriff – bestimmt als »Ordnung, Lebens- und Denkverfaßtheit«1146, zu einem entscheidenden Baustein in Hirschs Denken.1147 Der Volksbegriffs erwies sich als anschlussfähig für die nationalsozialistische Blut- und Boden-Ideologie. Obwohl Hirsch eine biologistische Reduktion des Volksgedankens vermied, begrüßte er die nationalsozialistische Wahrung des Blutbundes1148 und deutete den Nationalsozialismus selbst als »Erneuerung und Wendung des ganzen volkischpolitischen Daseins von innen her« und als »Ausrichtung der zu begründenden neuen rassischen Volksordnung von der Verantwortung vor dem Schöpfer aus«1149. Auch mit dem völkischen Autoren Hans Grimm führte Hirsch eine aufschlussreiche briefliche Korrespondenz.1150 Dass Hirsch auch von Grimm entscheidende Impulse in seine völkisch-politische Theologie übernommen hat,1151 1145 So mit Assel, Emanuel Hirsch, 53 mit zahlreichen einschlägigen Belegen in Anm. 37 und 38. Vorläufer des offenbaren Souveräns könnte Hirschs frühe Rede vom »verborgenen Hüter der Ordnung«, d. h. »dem Staat und seinem Recht« gewesen sein. Hirsch (1918), Der Pazifismus, 8. 1146 Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 5. 1147 In einem Brief an Stapel vom 10. 6. 1934 beschreibt Hirsch seinen Weg, den von den Theologen außer ihm nur Gogarten gehe, als »Weg der Nomoslehre und der Rechtfertigungsparadoxie.« 1148 Vgl. Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 62f. – Hirschs Rezeption der Rasse- und Blut-ideologie schlägt sich in Form von kirchenkritischen Implikationen in Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der Deutschen Christen, 11 eindrucksvoll nieder, wenn er etwa ausführt: »Alles menschliche Schaffen und Gestalten ist gegrenzt und gebunden in der natürlichen Art, die wir mitbringen ins Leben. Verdirbt das Blut, so geht auch der Geist zugrunde; denn der Geist der Völker und Menschen steigt aus dem Blute empor. Nur der Hochmut eines intellektualistischen Geschlechts, das keine Grenzung menschlichen Könnens im Geheimnis empfangener Kreatürlichkeit mehr kannte, hat das vergessen können. Und hat mit seinem Vergessen unendlichen Schaden angerichtet. Der Blutbund unsres Volks war am Verderben. Wäre die Entwicklung noch fünfzig Jahre so weiter gegangen, so wären in den führenden Schichten unsres Volks die Träger guten alten und rein deutschen Bluts in die Minderheit geraten. Die Kirche hatte nun in ihrem Schöpfungsglauben die Möglichkeit, das Geheimnis der mit dem Blute empfangenen Kraft und Art heilig zu halten. Sie hat es nicht getan.« – Zu Hirschs Auffassungen zur Rassenlehre vgl. auch seine Ausführungen in Auseinandersetzung mit Arvid Runestam in: Hirsch (Juli 1936), Ein schwedischer Lutheraner über Rassenlehre und Bevölkerungspolitik. 1149 Hirsch (Juni 1934), Evangelische Kirchenordnung, 50. 1150 S. o. Kap. 1.4.3. 1151 Vgl. etwa Hirsch (Oktober 1935), Hans Grimms amerikanische Rede, 126: »Ich habe aus Hans Grimms Büchern seit langen Jahren mehr für meine theologischen Dinge gelernt als von den Schriften der meisten Fachgenossen.« Ähnlich Hirsch (1971), Hans Grimms hin-

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legen einige Aussagen in seinen Briefen nahe: In einem Brief vom 22. 12. 1927 bedankte sich Hirsch »für all das«, was Grimm in ihm und seiner Frau an »Schmerz und an Freude gewirkt« habe durch sein Buch »Volk ohne Raum.«1152 Hirsch selbst verteidigte bereits 1918 das »gute Recht des Krieges«1153 im Rahmen seiner Kriegs- und Opfertheologie,1154 doch der 1926 erstmals erschienene Roman Grimms scheint enormen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. In einem weiteren Brief an Grimm vom 7. 5. 1933 kam Hirsch auf seine Erkenntnisse, die der 30. Januar 1933 wohl dem ersten Eindruck der Erstlektüre von Volk ohne Raum1155 hinzugefügt hatte, eindrucksvoll zu sprechen, und verband auf bemerkenswerte Weise die Gedanken von »Volk« und »Raum« miteinander: Es ist ja die Verantwortung, die auf uns allen liegt, daß wir den rechten Weg auf dem neuen Boden finden helfen, und das in der rechten Weise, sehr groß. Das Entscheidende scheint mir zu sein, daß uns der Volksgedanke mit seiner seelenhaften und wahrhaft verinnerlichenden Tiefe über den vielen Aufgabe[n] staatlichen Neubaus nicht verloren geht. Das muß die Eigenheit der deutschen Bewegung gegenüber der italienischen werden. Wenn uns das gelingt, dann kann die deutsche Geschichte einen großen Aufschwung an Führungsmacht über die deutschen Grenzen hinaus nehmen. Das Zweite ist, daß irgendwann, wenn der grundlegende innere Einsatz zum Neubau gefunden ist, die Frage des Raumes brennend werden wird, und das heißt, die Frage des Widerstands nach außen. Ich glaube nach meiner Einsicht in die Logik der Geschichte nicht, daß eine durch außenpolitisches Versagen eingeleitete Epoche der Krise anders als durch außenpolitisches Handeln überwunden werden kann. Aber, das ist natürlich noch im Verborgnen liegend.1156

In einer kurzen Replik mit dem Titel Hans Grimms amerikanische Rede wird ansatzweise deutlich, wie stark Grimms Vorstellung vom großen Kampf »des

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terlassenes deutsches Epos. – Die immense Bedeutung, die Hans Grimm für Hirschs Denken hatte, zeigt sich an seiner Stilisierung Grimms als Idealfall des Wagenden in Hirsch (1978), Christliche Rechenschaft 2, 336f. Zu Grimms Bedeutung für Hirsch vgl. auch seine Bemerkungen a. a. O., 302. 305. – Zum Verhältnis zwischen Hirsch und Grimm vgl. Holzbauer, Nation und Identiät, 102–105. Brief Hirschs an Grimm vom 22. 12. 1927. Vgl. Hirsch (1918), Der Pazifismus, 11–16. Loci classici: Hirsch (1918), Der Pazifismus; Hirsch, Deutschlands Schicksal, 93–109. Hier geht es Hirsch jedoch dezidiert um geschichtliche »Vorsehung« (Pazifismus, 11), d. h. letztlich um die »heiß und leidenschaftlich um das nationale Dasein ringende Frage an Gott.« (Schicksal, 108). Grimm, Volk ohne Raum. Der Titel dieses 1926 erstmalig erschienen Romans gerann in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus zum politisch-ideologischen Schlagwort für den »Kampf ums Dasein« des deutschen Volkes, einem Überlebenskampf um neuen Lebensraum (vor allem im Osten) und somit um neue Lebensmöglichkeiten für das deutsche Volk. – Zu Volk ohne Raum vgl. Vordermayer, Bildungsbürgertum und völkische Ideologie, 60–68; Gümbel, »Volk ohne Raum«. Seite 1 des zweiseitigen Briefes Hirschs an Grimm vom 7. 5. 1933.

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weißen Herrenmenschen«1157 im Allgemeinen und vom »Kampf des Nationalsozialismus gegen die bolschewistische Bedrohung« als »Dienst an der Menschheit«1158 im Besonderen Hirsch offenbar geprägt hat. Dieses völkischrassistische Weltbild fügte sich in Verbindung mit Hirschs Vorstellung von christlicher Freiheit zu einem natürlichen Ganzen zusammen, von wo aus Hirsch seinen »Grundeinsatz alles theologischen Mühens«1159 nahm.

4.4.5. »Ethische Geschichtsansicht« Neben seiner lutherischen Ekklesiologie, die von seiner eigenwilligen Deutung der Zwei-Reiche-Lehre und dem Volkskirchenideal geprägt war, und seiner völkisch-politischen Theologie, die zunehmend den eigentlichen Souverän mit der politischen Bewegung des Nationalsozialismus identifizierte, bildete Hirschs ethische Geschichtsansicht1160 die methodische und thematische Mitte seiner Deutung des Kirchenkampfes. Fragt man nach der eigentlichen Absicht Hirschs, nach dem Ziel seiner Umformung, so stößt man immer wieder darauf, dass es ihm stets um ein »Lauschen in das menschlich-geschichtliche Leben und seine Bindungen« und um das »Wagnis des den Spuren des Herrn der Geschichte nachblickenden Glaubens«1161 ging. Die axiomatischen erkenntnistheoretischen und fundamentaltheologischen Voraussetzungen der ethischen Geschichtsansicht Hirschs bestanden darin,1162 1.) dass die geschichtlich gebotene Lage, das Gebot der Stunde also, dem Menschen in den geschichtlichen Ereignissen prinzipiell erkennbar sei, 2.) dass sich darin der Wille Gottes mit gleicher Verbindlichkeit und Autorität wie in der Heiligen Schrift widerspiegele und 3.) dass der natürliche Mensch und der Staat, vor allem aber der evangelische Christ und die Kirche diesem göttlichen Willen zu entsprechen habe, um dadurch Diener und Mitarbeiter Gottes sowie des verborgenen Suveräns zu werden. 1157 1158 1159 1160

Hirsch (Oktober 1935), Hans Grimms amerikanische Rede, 125. A. a. O., 126. A. a. O., 128. Hüttenhoff weist unter Verweis auf Arbeiten von Paul Tillich und Karl Jaspers darauf hin, dass »Lage-Deutungen […] ein literarisches Genus« darstellten, »dem sich in den 1920er und beginnenden 30er Jahren auch andere Autoren widmeten.« Hüttenhoff, Die gegenwärtige geistige Lage, 147, Anm. 35. 1161 Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 116. 1162 Die in diesem und im folgenden Abschnitt kursiv gesetzten Begriffe sind allesamt termini technici und tauchen in Hirschs geschichtsphilosophischen und kirchenpolitischen Arbeiten ständig auf, weshalb davon abgesehen wird, zahlreiche Belege dafür zu benennen. Sie sind alle zwar an sich erklärungsbedürftig, werden im Folgenden jedoch in ihrem sachlichen Zusammenhang zueinander thematisiert.

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Vor dem Hintergrund dieser Voraussetzungen lässt sich Hirschs Programm der ethischen Geschichtsansicht folgendermaßen charakterisieren: In einer bestimmten irdisch-geschichtlichen Lage ergeht auf eine bestimmte irdisch-geschichtliche Weise der Ruf Gottes, der den Gerufenen in die Pflicht nimmt, den Willen Gottes, der ihm im irdisch-geschichtlichen Ruf ergangen ist, zu vernehmen und zu deuten. Auch in der Wahrnehmung und Deutung der Lage selbst bestehe nämlich die Pflicht, sich nicht dem Willen Gottes gegenüber zu verstocken. So konnte Hirsch sogar betonen, dass es größere Sünde wäre, nicht als falsch zu handeln. Eben darin bestand das Wagnis: dem Willen Gottes im Gehorsam Folge zu leisten, auch wenn man Gefahr laufe, diesen misszuverstehen und fehlzudeuten.1163 Der Ruf Gottes zwinge zur Entscheidung. Das dezisionistische Moment der Ethik Hirschs, das Schneider-Flume in ihrer Arbeit mit Recht betont hat, besteht darin, dass ja eine Nicht-Entscheidung selbst eine Entscheidung darstelle – und zwar eine Entscheidung gegen den Willen Gottes zu handeln, indem man das Wagnis nicht im Gehorsam auf sich nimmt. Das fatalistische Moment der ethischen Geschichtsbetrachtung Hirschs bestand in der unbedingten Forderung, alle Konsequenzen, die aus dem Handeln gemäß der Stunde erwachsen, in Würde und als gehorsamer Diener am göttlichen Willen zu tragen, um damit Gott letztlich die Ehre zu geben. Auf diesen Gedanke und die Konsequenzen, die Hirsch daraus zog, werden wir im folgenden Kapitel, im Zusammenhang mit der Frage nach Hirschs Deutung des Kirchenkampfes, ständig stoßen.

4.5. Chronologische Darstellung der Entwicklung der Kirchenkampfdeutung Sämtliche Äußerungen Hirschs, die den Kirchenkampf sowie seine Deutung desselben betreffen, basieren sachlich, d. h. ideologisch, (kirchen)politisch und systematisch-theologisch auf dem im vorigen Abschnitt entfalteten geistigen Hintergrund, den Hirsch jeweils in reflektierter Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen geistigen und (kirchen)politischen Lage entfaltete. Während jene 1163 Für eine missglückte Deutung der Lage schien Hirsch drei Ursachen in Betracht zu ziehen: 1.) eschatologischer Vorbehalt, 2.) menschliche Fehlbarkeit, 3.) Unabgeschlossenheit geschichtlichen Handelns; Vgl. etwa Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 61: »Der letzte Spruch, ob ein Staat, ein Staatsmann, eine Generation dem verborgnen Suverän recht gedient haben, wird von der Geschichte gefällt, die die Völker leben und sterben läßt, und wenn dieser Spruch ergeht, ist es für die Umkehr in der Regel zu spät. Es soll die Aufgabe unsrer jetzigen Volkswerdung sein, alles Denken und Handeln bis ins Kleinste von der letzten Verantwortung unter dem verborgnen Suverän her zu gestalten, alle Einzelnen in ihren Entscheidungen durch die Freiwilligkeit dieser Verantwortung auszurichten.«

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Darstellung einem systematischen Gliederungsprinzip gefolgt ist, ist dieser Abschnitt chronologisch aufgebaut, damit die Entwicklung (d. h. vor allem Radikalisierung) des Denkens Hirschs im Hinblick auf seine Deutung des Kirchenkampfes sowie die Haltung, die er darin einnahm, deutlich wird. Die entscheidenden Stationen der zunehmenden Radikalisierung der politischen Theologie Hirschs hat Heinrich Assel bereits aufgezeigt und skizziert.1164 Da sich die Lage im Laufe der Jahre 1933ff drastisch veränderte, entwickelte sich auch Hirschs Deutung des Kirchenkampfes. Assel betont mit Recht, dass »jeweils die biographischen, zeithistorischen und theologischen Situationen aufzusuchen« sind, »in denen sich Hirschs Idiosynkrasien zum Extremeren hin verzweigen.«1165 Diese Wendepunkte lassen sich insbesondere unter Zuhilfenahme der brieflichen Korrespondenzen mit Stapel und Grimm ziemlich präzise datieren und beschreiben. Es sind die folgenden Zeiträume, in denen Hirsch signifikante Modifikationen und Weiterbildungen in seinem ansonsten relativ konstanten Denkgebäude vornahm bzw. von der gegenwärtigen Lage vorzunehmen sich gezwungen sah: 1.) Hirschs »Übergang zu Adolf Hitler und zur nationalsozialistischen Bewegung« fand etwa im März/April 1932 statt. Allerdings näherte sich Hirsch bereits 1929 dem Nationalsozialismus an.1166 2.) Der 30. Januar 1933 muss als das geschichtstheologische Ereignis betrachtet werden, auf das Hirsch seit den 20er Jahren gehofft und politisch, literarisch wie theologisch hingearbeitet hatte. Hirsch baute seine Hoffnungen auf die Umformung der Kirche, des Staates und des Volkes fortan ganz auf die nationalsozialistische Bewegung und unterstützte diese mit allen seinen Möglichkeiten. 3.) Im Mai/Juni 1934 lässt sich ein erster kirchenpolitisch, theologisch und ekklesiologisch bedeutsamer Wendepunkt im Zusammenhang mit der 1. Bekenntnissynode in Barmen-Wuppertal (29.–31. 5. 1934) identifizieren. Seine Hoffnungen auf ein ›Einheitsbekenntnis‹ waren durch die Entstehung der Barmer Erklärung zerschmettert worden. Hirsch befürwortete nun zunehmend die staatliche Gleichschaltung der Kirche sowie die Rückkehr zum Landesherrlichen Kirchenregiment (Summepiskopat). 4.) Im Oktober/November 1934 liegt ein weiterer kirchenpolitisch, theologisch und ekklesiologisch bedeutsamer Wendepunkt: Die 2. Bekenntnissynode in Berlin-Dahlem (19.–20. 10. 1934), das Dahlemer Notrecht, die Gründung der VKL I (22. 11. 1934) und ein offener Brief seines ehemaligen Weggefährten,

1164 S. o. Kap. 4.2. am Ende. 1165 Assel, Emanuel Hirsch, 59. 1166 So mit Assel, Der andere Aufbruch, 255f unter Heranführung überzeugender Belege.

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Paul Tillich, führten zu zunehmender Kirchenfeindlichkeit und Theologenverdrossenheit Hirschs und zur Politisierung der eigenen Position. 5.) Im Februar–April 1936 begann Hirsch zunehmend in Auseinandersetzung mit Grimm und Stapel das nationalsozialistische Regime gegen jede nur denkbare Kritik zu immunisieren und sämtliche nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen zu verteidigen und zu rechtfertigen. Hirsch geriet zunehmend in Isolation und setzte seine einzigen Hoffnungen auf die Macht des politischen Willens.

4.5.1. Vor 1933: Hoffnung auf einen »Freiheitskrieg« und erste Annäherungen an Hitler Hirsch erlebte die Novemberrevolution von 1918/19, den Versailler Vertrag und die sich daran anschließende Weimarer Republik als tiefe Krise Deutschlands und somit auch des deutschen Volks- und des Christentums.1167 Sein Erleben dieser Zeit beschrieb er in drastischen Vokabeln und Bildern als »Chaos«, »Auflösung«, »lange Not und Nacht«, »Wogen einer allgemeinen Verwirrung«, »Macht der Unwahrheit«, »Heiligsprechung der gemeinen Lüge und des gemeinen Betrugs«, »Atheismus«, »sittliche Zersetzung«, »Schändung großer sittlicher Ideen« und als einen »Versuch, Völkergemeinschaft auf Unwahrheit und Lüge aufzubauen«, denn das »Volk« und der »Staat lagen in erbarmungslosen Ketten, und die unter uns herrschende Generation half, die Ketten nur fester zu ziehen.«1168 Seine erklärte Feindschaft galt namentlich dem Marxismus1169 und dem Parlamentarismus der Weimarer Republik,1170 die er für »die Haltlosigkeit und Charakterlosigkeit des allgemeinen Lebens, die Privatisierung und Neutralisierung alles Ethischen und alles Religiösen«1171 verantwortlich machte. Diese Deutung der Ereignisse von 1918–1933 teilte Hirsch mit vielen konservativen Zeitgenossen.1172 1167 Assel markiert – im Rückgriff auf Ericksen, Theologen unter Hitler, 171 – bereits im Jahr 1918 »einen Bruch« in Hirschs Denken. Vgl. a. a. O., 255–257. 1168 Hirsch (November 1933), Rede auf der Kundgebung deutscher Wissenschaft, 56. 1169 Vgl. a. a. O., 57. 1170 Vgl. Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der Deutschen Christen, 14. 1171 Hirsch (November 1933), Rede auf der Kundgebung deutscher Wissenschaft, 57. 1172 Matthias Lobe weist unter Anführung zahlreicher Belege im Rückgriff auf Klaus Tanner darauf hin, dass »die kritische Stellung zur gegenwärtigen modernen Lebenswelt […] ein zentrales, schulübergreifendes Leitmotiv theologischer Kulturanalysen des frühen 20. Jahrhunderts insgesamt« darstellte. Lobe, Die Prinzipien der Ethik Emanuel Hirschs, 223f. Vgl. hierzu Tanner, Die fromme Verstaatlichung des Gewissens, 62: »Beide theologischen Gegenwartsdiagnosen zeigen an, daß das Thema einer Krise der modernen Kultur und die damit verbundene These, es bedürfe einer prinzipiellen Neuorientierung in der Theologie, Ausdruck eines Konsenses waren, der weit über die Grenzen der sog. ›dialek-

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Hirschs Denken war deshalb stark von Freund-Feind-Schemata und einer entschiedenen Bekämpfung der Siegermächte geprägt. In seiner Schrift Evangelische Kirche und Völkerverständigung1173 bekämpfte er mit großer Entschiedenheit und Vehemenz »die gegen Deutschland Mordpolitik treibenden Völker und Menschen« (710), die »Zermürbung des deutschen Widerstandwillens« (712), die Schmach und Lüge der »Alleinschuld am Kriege«1174, die »Fesseln von Versailles« als »Notlage« (712) Deutschlands um eines faulen Weltfriedens willen. Deshalb kam er zu dem Schluss, dass »Deutschlands Feinde aus dem Weltkriege« unter »dem Deckmantel des Friedens den Krieg wider das deutsche Volk« weiterführten und »durch die hierin liegende Unwahrheit die politische Weltlage« so vergifteten, dass »Aufrichtigkeit und Vertrauen unmöglich« würden. »Das Ende dieses nun schon zwölf Jahre währenden neuen furchtbaren Krieges mitten im Frieden« könne, »wenn er auch nur kurze Zeit fortgesetzt« werde, »allein der Untergang« des deutschen Volkes bedeuten.1175 Althaus und ihm ging es um die Verteidigung des deutschen Volkes gegen die Siegermächte, denn das deutsche Volk sei »in einem von ihm nicht gewollten, ihm aufgezwungenen Kriege niedergerungen und durch Friedensdiktat des Anteils an der Verwaltung des Raums und der Güter der Erde beraubt worden«, den es brauche, »um auch nur atmen und leben zu können.«1176 Die deutschen evangelischen Christen stünden vor einer »Gewissensfrage« von »zunächst grundsätzlicher Natur«: »Ist es Christenpflicht sich auf diesen Boden [des Versailler Vertrags] zu stellen?« (713) Diese Frage beantwortete Hirsch »mit einem scharfen und klaren Nein.« Vielmehr sei es »sogar Christenpflicht für einen Deutschen in der gegenwärtigen Lage, diese Auffassung der Verständigung und der Weltfriedensbereitschaft gründlich zu bekämpfen.« (713)

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tischen Theologie‹ hinausging.« Hirschs Kritik entsprach dem Zeitgeist, den viele Intellektuelle seiner Zeit teilten. Man kann aber wohl mit Lobe feststellen: »Die Radikalität der Kritik muß wohl als psychischer Reflex auf die Wirklichkeit verstanden werden und nicht so sehr als ein um Objektivität bemühter Kommentar. Emanuel Hirschs Kulturkritik ordnet sich dieser allgemeinen Zeitströmung bruchlos ein.« A. a. O., 224. – Eine Darstellung von Hirschs ideologischer, politischer und theologischer Haltung vor 1933 bietet: Ericksen, Theologen unter Hitler, 172–205; eine Analyse der geistigen Krise der 20er und frühen 30er Jahre bietet Ericksen a. a. O., 13–44. Hirsch (1931), Evangelische Kirche und Völkerverständigung. Die Spaltenzahlen im folgenden Abschnitt beziehen sich auf diese Erklärung. Hirsch verteidigte hier eine Erklärung mit dem Titel Kirche und Völkerverständigung, die er und Paul Althaus am 2. 6. 1931 abgegeben hatten. Diese Erklärung hatte Hirsch einem Brief an Grimm vom 1. 6. 1931 beigefügt. Dort trägt sie den Titel: Evangelische Kirche und Völkerverständigung. Eine Erklärung. Vgl. a. a. O., 711–714. Ebd. Hirsch / Althaus (Juni 1931), Kirche und Völkerverständigung. – In dieser Hinsicht waren Hirschs Weltbild und seine Deutung der Lage besonders empfänglich für die oben beschriebenen völkisch-ideologischen Impulse von Wilhelm Stapel und Hans Grimm.

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Auf dieser Grundlage forderte Hirsch von jedem an echtem Frieden und wahrhaftiger Gerechtigkeit interessierten Christen, sich »zu dem unveräußerlichen Willen des deutschen Volkes« zu bekennen, um »dem Vertrage von Versailles und der durch ihn gesetzten Lage auf jedem Wege Widerstand zu leisten« (715). Vor diesem Hintergrund prägte Hirsch die »Formel vom tatsächlich noch immer fortgesetzten Kriege gegen Deutschland« (715) und sprach sich bei Stapel dafür aus, »die deutsche Frage durch einen Freiheitskrieg zu lösen.«1177 Favorisierte Hirsch am 14. 3. 19321178 noch den Prinzen August Wilhelm von Preußen im zweiten Wahlgang und bedauerte er zu diesem Zeitpunkt noch, dass Hitler sich zur Wahl des Reichspräsidenten1179 hatte aufstellen lassen, bat er zugleich Hans Grimm, eine Aufforderung, Hitler zu wählen, in die Wege zu leiten, die er gerne unterzeichnen wolle. Da Hitler nun einmal aufgestellt sei, wolle er sich für seine Wahl mit allen Kräften einsetzen.1180 Das Ende der zweiten Fassung 1177 Zweiseitiger Brief Hirschs an Stapel vom 14. 12. 1931, 1. Allerdings räumt Hirsch direkt ein, dass der Freiheitskrieg »gegenwärtig ein Verbrechen wäre«, das wisse er auch. »Aber, die Geschichte ist plötzlich und wunderbar. Wer weiß, wann die große Verwicklung kommt, die uns die verantwortliche Möglichkeit gibt. Wahrscheinlich haben wir noch zehn bis zwölf Jahre harter Knechtschaft zu tragen, und müssen unsern Willen spannen, daß er da nicht zerbricht. Aber, um so mehr muß man dem verräterischen Treiben der pazifistischen Theologen auf die Finger klopfen, daß nicht die Kirche in einen falschen Geist hineingerät und der deutsche Staat nachher, wenn die Stunde da ist, so und so viel zur Kriegsdienstverweigerung aufrufende Pfarrer gefangen setzen muß.« Äußerungen wie diese erklären die Radikalität, mit der Hirsch seinen »Freiheitskrieg« im Rahmen des Kirchenkampfes führte, als am 30. 1. 1933 die ›verantwortliche Möglichkeit‹ in seinen Augen eingetreten war. 1178 Assel, Der andere Aufbruch, 255 betont vor dem Hintergrund der Hirsch-Grimm und Hirsch-Stapel Korrespondenzen mit Recht, dass nicht erst die Machtübernahme der Nationalsozialisten, sondern das Jahr 1932 für »die Hinwendung Emanuel Hirschs zum Nationalsozialismus entscheidend« gewesen sei. Genauer: »zwischen dem ersten Wahlgang (am 13. März 1932) und dem zweiten Wahlgang (am 10. April 1932)« der Reichspräsidentenwahl wandte sich Hirsch »Schritt für Schritt Hitler« zu. Zu den Belegen, die Assel anführt (a. a. O., Anm. 80: »An Stapel: 1. 3. 1932; an Grimm: 14. 3. 1932; 6. 4. 1932; Grimm an Hirsch 18. 3. 1932. – Vgl. auch Trillhaas, 229f.«) ist noch auf den interessanten Brief Grimms an Hirsch vom 15. 3. 1932 hinzuweisen, in dem Grimm ihm mitteilt, er habe »in Berlin sehr angestrebt, die Kandidatur eines Hohenzollernprinzen zu erreichen« und im ersten Wahlgang »Duesterberg gewählt«, er sei aber entschlossen gewesen, »wenn die HitlerKandidatur nicht zurückgezogen werde, für ihn einzutreten.« Da Hirsch zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Wahl wankte, aber großen Wert auf Grimms Einschätzung legte, dürften solche Überlegungen Grimms nicht ohne Auswirkungen auf Hirschs eigene Wahl geblieben sein. 1179 Zu den Vorgängen vgl. etwa Bullock, Hitler, 168–218. 1180 Vgl Hirschs Brief an Grimm vom 14. 3. 1932. Anhand der Beilage zu seinem Brief an Grimm vom 1. 4. 1932 wird deutlich, dass Hirsch mit sehr viel Fingerspitzengefühl einzelne Formulierungen Grimms kommentierte, um durch dessen Wort »eine Million Stimmen für Hitler« zu erwirken: So regte er etwa an, die Formulierung »nationaler Glaube« in den unverfänglicheren »nationalen Zielwillen« zu emendieren, um nicht die Furcht vor einer »Ersatzreligion« zu erwecken, und schlug vor, nicht vom »dritten Reich« zu sprechen, sondern »von dem neuen werdenden Deutschland«, denn es gelte »Nichthitlerdeutsche zu

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einer offenbar unveröffentlicht gebliebenen Aufforderung der 7 Professoren der Göttinger Universität Hitler zu wählen, die auf den 3. 4. 1932 datiert ist, endet mit Worten, die in jeder Silbe deutlich Hirschs Handschrift tragen: »Der Entschluß und das Opfer, die in unsrer Entscheidung liegen, fallen uns nicht leicht. Aber die Stunde ruft gebieterisch zum Wagen auf.«1181 Die gegenwärtige Lage erfordere, »alle Bedenken und Wünsche aufzuopfern und, um Deutschlands Schicksal willen, um unsrer Kinder willen, den Mann zu wählen, der uns am 10. April als alleiniger Repräsentant deutschen Willens zum Widerstande sich anbietet.«1182 Einzelnen Äußerungen in seinen Briefen kann man jedoch entnehmen, dass Hirsch zu diesem Zeitpunkt davon ausging, dass die Souveränität der nationalsozialistischen Bewegung allein beim deutschen Volk liege. Hitler dagegen wertete er lediglich als ein geeignetes Mittel »für die notwendige Aufbauarbeit«. Deshalb bezeichnete er Hitler zwar als »den genialen Beweger«, betrachtete ihn jedoch nicht als »die eigentlich tragende deutsche Kraft.«1183 Sich selbst sah Hirsch zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Nationalsozialist oder Anhänger Hitlers, allerdings verkörperte Hitler fortan für ihn »die Stärke des deutschen Widerstandswillen gegen die Knechtschaft von Versailles« und war damit der Garant »der deutschen Freiheitsbewegung«.1184

4.5.2. Der 30. Januar 1933 als geschichtstheologisches Ereignis Den 30. Januar 1933 interpretierte Hirsch als Geschichtsoffenbarung. Sein Hauptwerk hierzu, Die gegenwärtige geistige Lage, das Hirsch als »Deutsches Notbuch« bereits 1931 angekündigt hatte, um den in Deutschlands Schicksal

1181

1182 1183

1184

holen und zu rufen.« An dieser Stelle tritt Hirschs taktisch kluges politisches Gespür deutlich hervor. Diese Aufforderung ist Hirschs Brief an Grimm vom 3. 4. 1932 beigefügt. In seinem Brief teilte er Grimm allerdings mit, dass nur der Germanist Edward Schröder dabei sei und die »sechs noch diskutabeln« nicht ihren Namen mit einer »garantiert erfolglosen Sache« belasten wollten. Aufforderung der 7 Professoren der Göttinger Universität Hitler zu wählen vom 3. 4. 1932. Brief Hirschs an Grimm vom 1. 4. 1932. In der Beilage schrieb Hirsch: »Ich leugne, daß Hitler der Ursprung ist. Er ist nach meinem Gefühl der Eimer, nicht der Brunnen. Es gibt bei uns in Norddeutschland viele Kreise, die von 1918 an immer gewartet haben und immer ihre Kinder und Menschen erzogen haben zu Deutschland hin. Wir fühlen uns auch jetzt noch als ein innerlich eigenes, und meinen, die wahren, den neuen deutschen Staat aufbauenden Kräfte seien bei uns. Auf uns kommt es nun aber jetzt bei der Hitlerwahl an. […] Das alte Preußen lebt und glüht noch, und es träumt davon, daß aus ihm die besten Kräfte kommen werden für die notwendige Aufbauarbeit, es sieht in Hitler wohl den genialen Beweger, der das kann, was es nicht konnte, aber nicht die eigentlich tragende deutsche Kraft.« Aufforderung der 7 Professoren der Göttinger Universität Hitler zu wählen vom 3. 4. 1932.

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»schon einmal geführten weltanschaulichen und religiösen Kampf noch einmal der gegenwärtigen Lage gemäß«1185 zu führen, versah er nicht zufällig am 30. Januar 1934 mit einem Vorwort.1186 Denn das Jahr 1933 stand für Hirschs weiteres politisches und theologisches Denken für eine »Wende«1187 und »ein deutsches Erwachen«, von dem er in den 1920er Jahren (Deutschlands Schicksal) nicht »zu träumen gewagt« hatte.1188 Deshalb sprach Hirsch in geschichtstheologischen Tönen von dem »Geschehen von 1933 als einer großen gottgeschenkten Möglichkeit«1189, vom »Ruf des Geschehens 1933« oder vom »deutschen Geschichtsumbruch von 1933«1190. Das Jahr 1933 markierte für Hirsch fortan »die entscheidende Geschichtswende, die dem Zeitalter der selbstmächtigen Vernunft und selbstmächtigen Freiheit ein Ende« mache »im Wissen um die heilige Grenze gegen den Schöpfer und Herrn, wie sie in der Verpflichtung des Bluts und dem Ruf der Schicksalsgemeinschaft kundgeworden«1191 sei.

4.5.3. Das Jahr 1933 als »Geschichtswende« – »Wir sagen Ja, wir folgen ihm. Heil Hitler!« Vor dem Hintergrund dieser Deutung des Jahres 1933 und voller Euphorie und Aufbruchstimmung schloss Hirsch seine Rede auf der Kundgebung deutscher Wissenschaft in Leipzig am 11. November 1933 mit einem feierlichen Bekenntnis zu Hitler und zum Nationalsozialismus: Das »Ja« zu dieser Stunde ist in mir lebendig, ist von Herzens Grunde in mir lebendig als ein Dank gegen den Gott, der nach langer Schande und Nacht uns allen in Flammen 1185 1186 1187 1188 1189

Brief Hirschs an Grimm am 11. 6. 1931. Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 5. A. a. O., 3. A. a. O., 4. Hirsch (Juni 1934), Evangelische Kirchenordnung, 52. – In einer Andacht vom 31. 12. 1933 betonte Hirsch, dass man wisse, dass »die Erhebung von 1933 die letzte« dem deutschen Volk »von Gott gegebene Möglichkeit« sei. Versäume oder verderbe man sie, so sei man »verworfen«. Deshalb stehe vor den evangelischen Christen »groß und bedrohlich die Frage: wie haben wir im vergangenen Jahre dem deutschen Aufbruch gedient? wie werden wir ihm im neuen Jahre dienen?« Dies sei »keine Frage, die irgendein Mensch« stelle, sondern Gott selbst stelle sie und werde einst, weil man »ihn und seinen Willen« kenne »zwiefach Rechenschaft fordern«: als Christen und als Deutsche. Hirsch (31. 12. 1933), Der Weg unserer Kirche in unserem Volk, 310f. Deshalb deutete Hirsch »die kirchlichen Kämpfe des vergangenen Jahres« als »Gewissenskampf«, von denen noch so mancher »durchgefochten werden« müsse. An diesem Kampf entscheide »sich das Verhältnis von Volk und Kirche für lange.« A. a. O., 311. 1190 Hirsch (Juni 1934), Evangelische Kirchenordnung, 51. 1191 Ebd.

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aufgegangen ist. Wenn auf morgen der Führer uns ruft, uns zu dem neuen nationalsozialistischen Deutschland zu bekennen, Mann für Mann, Frau um Frau, so antwortet es aus mir: Ja. Ich sage es als deutscher Mann, als evangelischer Christ und Theologe, als Lehrer der Universität. Ich sage es als eine kleine Stimme in dem großen Chor, der auf den Ruf des Führers antwortet: Wir sagen Ja, wir folgen ihm. Heil Hitler!1192

Hirsch interpretierte Adolf Hitler als »Werkzeug des Schöpfers aller Dinge«, das sich diesem verpflichtet und untergeordnet wisse, da Hitler selbst seinen »Dienst« als »Vorsehung«1193 deute. Einzelne Aussagen Hitlers betrachtete er wie viele andere protestantische Theologen als ernsthaften Ausdruck tiefster Frömmigkeit1194 und somit verheißungsvolle Zeichen für ein Erstarken des Protestantismus: Hitler habe dem deutschen Volk »ein Zeichen gegeben«, das »alle verstanden haben«. »In dem großen Aufbruch« des deutschen Volkes stelle sich »die Frage nach Gott«, die »Antwort« begehre. Die Deutschen seien »auf dem Wege fort aus dem Lande des Unglaubens zurück zu dem Heiligen«, das man zu vergessen in Gefahr gewesen sei, und ohne das man nicht leben könne »als einzelner und als Volk.«1195 Es ging Hirsch erklärtermaßen darum, seine eigene »Haltung vor Gott« zu rechtfertigen und damit sein »›Ja‹ zu dem deutschen Jahre 1933«1196 zu begründen. Um seine euphorische Zustimmung zum Nationalsozialismus zu verstehen, müsse man jedoch wissen, wie er »als ethischer und religiöser Erzieher vom Evangelium her die letzten 14 Jahre erlebt« hatte und wie er »jetzt dieses Jahr mit allem, was es gebracht hat, innerlich erfahre.«1197 Hirsch betrachtete nämlich den Nationalsozialismus als eine Bewegung, die wisse, »daß aller Neubau eine innere Verwandlung des deutschen Menschen«1198 voraussetze. Insofern der Nationalsozialismus an diesem ›Neubau‹, an dieser Umformung des Volkes »mit der Kirche, die an den Herzen und Gewissen der Menschen« arbeite, ein gemeinsames Ziel verfolge, hätten Kirche und Staat »ein gemeinsames Arbeitsfeld.« Auf diesem gemeinsamen Arbeitsfeld habe der Staat »der Kirche etwas zu bieten.«1199 Hirsch betrachtete den Nationalsozialismus außerdem als eine »Bewegung, 1192 Hirsch (11. November 1933), Rede auf der Kundgebung deutscher Wissenschaft, 58. 1193 »wir haben einen Führer, der immer und allezeit dies bekannt hat, daß er als nichts denn ein Werkzeug des Schöpfers aller Dinge sich weiß. Er weiß, die Vorsehung läßt ihn den Dienst tun, sie steht über ihm und lenkt ihn.« Ebd. 1194 Ebd. – vgl. auch Hirsch (Mai 1933), Nationalsozialismus und Kirche, 24: »Kein einziges Volk der Welt hat so wie das unsere einen führenden Staatsmann, dem es so ernst um das Christliche ist; als Adolf Hitler am 1. Mai seine große Rede mit einem Gebet schloß, hat die ganze Welt die wunderbare Aufrichtigkeit darin gespürt.« 1195 Hirsch (11. November 1933), Rede auf der Kundgebung deutscher Wissenschaft, 58. 1196 A. a. O., 55. 1197 Ebd. – Vgl. hierzu Kap. 4.5.1. 1198 Hirsch (Mai 1933), Nationalsozialismus und Kirche, 23. 1199 Ebd.

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welche Kameradschaft, Opferbereitschaft und Brüderlichkeit allen Volksgenossen anerziehen«1200 wolle und die wisse, dass »nur aus der Verantwortung eines letzten Glaubens recht gehandelt werden« kann. Deshalb habe der Nationalsozialismus »ein inneres positives Verhältnis zu den ethischen und religiösen Grundvoraussetzungen des christlichen Glaubens«1201. Für all dies habe die Kirche dem Nationalsozialismus »viel zu danken« und dürfe »um Gottes Willen nicht Politik treiben«, sondern müsse vielmehr sie »die Arbeitsgemeinschaft« mit ihm »freudig bejahen«.1202 Für Hirsch stand fest, dass »der Nationalsozialismus aus dem Recht der Geschichtswende heraus die für alle Deutschen selbstverständliche und verbindliche Lebensform« werde.1203 Diese Geschichtswende habe dem deutschen Volk eine neue Offenheit für Religiosität bereitet und »ein neues fragendes Sichöffnen für die Botschaft des Christentums gebracht.«1204

4.5.4. 1933: DC, Volkskirche und kirchliche Führung Vor dem Hintergrund dieser Interpretation der NS-Bewegung deutet sich bereits Hirschs Verständnis des Kirchenkampfes im Jahre 1933 an: Aus seiner Deutung der Lage ergab sich sowohl für den einzelnen Christen als auch die Kirche die Pflicht, sich der politischen Bewegung und der mit ihr begonnenen Geschichtswende des Volkes gegenüber nicht zu verschließen, sondern sich ihr voll und ganz hinzugeben. Kirche und Theologie hatten »um des Evangeliums willen keine Vollmacht, die Neuwerdung« des deutschen »Staates aus den Tiefen des Volkstums heraus durch eine Widerspannung gegen die« über sie »kommende kirchliche Lage zu stören.« Vielmehr mussten sie sich der Neuwerdung mit allen ihnen zur Verfügung stehenden »Kräften von Herzen« dienstbar machen um des deutschen »Volks und um des Evangeliums willen.«1205 Dieser Dienst der Kirche am und für das deutsche Volk verwirkliche sich lediglich in der Volkskirche. Deshalb habe die Kirche »keinerlei inneres Recht« sich »dagegen zu wehren, daß die evangelische Kirche ›Kirche im nationalsozialistischen Staate‹, Reichskirche werde.«1206 Die Aufgabe, das Ziel, das Gebot Gottes und die daraus erwachsende Pflicht bestand nämlich nach Hirschs Da-

1200 1201 1202 1203 1204 1205 1206

Ebd. A. a. O., 24. Ebd. Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 151. A. a. O., 69. Hirsch (Mai/Juni 1933), Die wirkliche Lage unserer Kirche, 22. A. a. O., 21.

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fürhalten in der gegenwärtigen Lage in der Bildung einer deutschen Volkskirche.1207 Drei Wesenszüge der Volkskirche bestimmten Hirschs Ekklesiologie bereits seit den 20er Jahren und waren maßgeblich dafür, dass Hirsch als führender Denker der DC die Türen und Tore der Kirche weit für Akkomodationen an den Nationalsozialismus öffnete:1208 1.) Die Volkskirche war absolut anpassungsfähig an die geschichtliche und politische Lage. 2.) Sie diente der Unterstützung des Staates in seiner Aufgabe der Antreibung des Prozesses der Volkswerdung und 3.) sie war sich der Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche bewusst und wusste folglich auch, dass alle äußere Ordnung der sichtbaren Kirche menschengemacht und damit zeitgebunden sei. Mit anderen Worten: Die Volkskirche, die Hirsch vorschwebte, bestritt per se nicht die staatliche Autorität des NS-Staates aufgrund kirchlicher und theologischer Einwände und Ansprüche. Die Verwirklichung einer deutschen Volkskirche, die »in innerer Gleichartigkeit zum nationalsozialistischen Staate, also vor allem dem Führungsgedanken« aufgebaut werde, betrachtete Hirsch als »das eigentliche Anliegen der Deutschen Christen«1209. Diese Volkskirche sei eine Kirche, in der »wirklich die Kirche ein Volk und das Volk eine Kirche« habe, »d. h. eine Kirche, die vom Volk geliebt wird als seine eigene Kirche und die ihrerseits das Volk mit ihrem Worte zu bewegen vermag.«1210 In diesem Zusammenhang gebrauchte er die Begriffe »Reichskirche«, »volksverbundene Kirche« und »deutsche Volkskirche« austauschbar nebeneinander. Als Kirche im nationalsozialistischen Staate sei sie Reichskirche und als volksverbundene Kirche – d. h. Kirche, die ein Volk und Volk, das eine Kirche hat – sei sie deutsche Volkskirche.1211 Seine Forderung nach autoritärer kirchlicher Führung begründete Hirsch mit dem kirchengeschichtlichen Hinweis, dass die evangelischen Kirchen Deutschlands »in ihrer Verfassung stets eine Gleichartigkeit zu den politischen Verfassungsnormen gewahrt« hätten.1212 Die christliche Freiheit, »die Ordnung der

1207 Vgl. a. a. O., 22f. – Vgl. hierzu Kap. 4.4.3. 1208 »Dem Volkskirchentum ist wesentlich, [1.] daß es um der Aufgabe der christlichen Verkündigung und christlichen Erziehung willen seine Ordnungen der gegebnen geschichtlichen Art einpaßt, [2.] daß es das ganze Leben des Volks vom Christentum her mit zu formen und zu gestalten versucht. [3.] Es gehört zu der Tiefe reformatorischer Selbstbesinnung, daß wir dies Volkskirchentum, diese kirchliche Volksordnung mit der Gemeinde Jesu Christi nicht einfach gleichzusetzen vermögen.« Hirsch (Oktober 1933), Theologisches Gutachten in der Nichtarierfrage, 184. – Die Ordinalia im Zitat stammen von mir. 1209 Hirsch (Mai/Juni 1933), Die wirkliche Lage unserer Kirche, 22. 1210 Ebd. 1211 Vgl. a. a. O., 21f. 1212 Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der deutschen Christen, 14.

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Kirche gemäß dem Gebot der Stunde zu gestalten«1213, verstand er als lutherische Selbstverständlichkeit, die die Kirche sowohl Gott als auch dem Volk schulde. Das Motiv dieser Anpassung der Kirche bestehe in der vollkommenen »Hingabe an das Leben in Volk und Staat, um es innerlich ganz zu durchleiden und eben dadurch auch heimlich zu durchglühen.«1214 Aus diesem Grund sei es »nur natürlich«, dass die Kirche »jetzt«, wo sie »in eine von oben bis unten auf den Führungsgedanken gebaute Volklichkeit und Staatlichkeit« trete, entsprechend analog dazu auch eine hierarchische »kirchliche Führung« verwirkliche und gestalte.1215 Außerdem könne »nur echte wagende Führung«, die auch durchgreife, dem deutschen Volk »die gründliche Neugestaltung« des »Kirchenwesens von oben bis unten bringen«.1216 Am Beispiel von Hirschs Forderung nach kirchlicher Führung1217 und seiner Haltung zur Arierfrage1218 wird deutlich, dass seine Rezeption der Nomos-Lehre und seine Deutung der Zwei-Reiche-Lehre bewirkten, dass die Kirche vom Staat als dem offenbaren Souverän, der das Volk, also den verborgenen Souverän repräsentiere, lernen und sich an der Bewegung zu orientieren hatte und nicht umgekehrt. Hierbei dürften aber auch pragmatische Gesichtspunkte ins Gewicht gefallen sein. So erwartete Hirsch etwa »von einer so sich durchgestaltenden Kirche« mit klarer Hierarchie und eindeutigen Befugnissen, vor allem Handlungsfähig- und Beweglichkeit, sodass »sie bei ihren Aufgaben und Zielsetzun-

1213 Ebd. – Hirsch formulierte diesen Gedanken an anderer Stelle so: »Unser Dienst am Evangelium verbindet uns, aus der Gemeinschaft im Glauben heraus leibhafte kirchliche Ordnung unter uns aufzurichten. Für diese geordnete Kirche mit ihren Satzungen, ihren Einrichtungen und ihrer Einheit hat Gott seinen Christen die Freiheit gegeben, die rechte Gestalt gemäß der Besonderheit ihrer geschichtlichen Lage und des sie umgebenden volkischen und geistigen Lebens aus eignem wagenden Gehorsam des Glaubens und der Liebe heraus zu finden.« Hirsch (Juli 1933), Kurzer Unterricht in der christlichen Religion, 19, Punkt 10. 1214 Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der deutschen Christen, 14. 1215 A. a. O., 15. 1216 Ebd.: »Der entscheidende Grund, warum wir jetzt nach ernsthafter Verwirklichung von Führung in der Kirche verlangen, ist der, daß nur echte wagende Führung, die auch durchgreift, uns die gründliche Neugestaltung unsers Kirchenwesens von oben bis unten bringen kann, deren wir bedürfen, wenn die Kirche den aus der neuen deutschen Wirklichkeit rufenden Aufgaben gerecht werden soll.« 1217 Hirsch setzte sich am 28./29. 5. 1933 in seinem Text Nationalsozialismus und Kirche öffentlich und energisch für die Wahl Ludwig Müllers zum Reichsbischof ein. Am 7. 6. 1933 folgte eine Stellungnahme mit seiner Darstellung des »modus procedendi« unter dem Titel Zur Geschichte des Streits um den Reichsbischof, die er in einem Nachwort am 15. 7. 1933 noch einmal verteidigte. Hirsch fungierte zwischen Mai 1933 und Sommer 1934 als Berater Müllers. Vgl. Assel, Emanuel Hirsch, 54. Zu seinem Verhältnis zu Müller vgl. Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich, 95–106. 1218 Vgl. hierzu Hirsch (September 1933), Arier und Nichtarier in der deutschen evangelischen Kirche; ders., (Oktober 1933), Theologisches Gutachten in der Nichtarierfrage.

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gen« herauskomme »aus dem Stadium der Erwägungen und Beratungen.«1219 Hirsch war davon überzeugt, dass mit Ludwig Müller als Reichsbischof 1220 ein »neuer, frischer Geist der Opferbereitschaft und des Wagnisses«1221 die Kirche und den nationalsozialistischen Staat durchziehen werde. Er persönlich bürge dafür, dass »die Hoheit des Evangeliums und der Ernst des kirchlichen Bekenntnisses bei ihm gewahrt« sei.1222 Obwohl Hirsch betonte, dass Müller »der Kirche nicht aufgedrängt werden«, sondern die Kirche sich »in eigener Freiheit des Handelns« über »ihre künftige Lage im deutschen Volk«1223 entscheiden solle, rief er im nächsten Atemzug »das Kirchenvolk« emphatisch dazu auf, »sich in den ihm eigentümlichen, kirchlichen Bünden, Vereinen und Körperschaften zu Wehrkreispfarrer Müller als kommenden evangelischen Reichsbischof zu bekennen.« Es werde »aufgerufen um des Volks, um der Kirche, um des Evangeliums, um Gottes Willen.«1224 In Hirschs Briefen wird deutlich, dass er bereits Mitte Juni 1933 den »Kampf« für Müller als »so sehr von Gott geboten« hielt, dass er bereit war, »jede Schande zu tragen, die um deswillen« über ihn komme, denn seine »Stellung« sei »entschieden«. Außerdem betonte er, dass er »auf dem Wege«, den er gehen müsse, »bis zum Letzten, bis zum Siege oder zur Niederlage gehen« werde. Es gebe »nur ein Entweder – Oder.« Denn in der Person Müllers meinte er »das Zeichen für das Sichfinden von Nationalsozialismus und evangelischer Kirche« zu erblicken.1225 Im Zusammenhang mit dem Streit um die Person des Reichsbischofs sprach Hirsch vom »gegenwärtigen Kirchenstreit«1226 und vom »Kirchenstreit«1227.

1219 Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der deutschen Christen, 16. 1220 Am 25. 4. 1933 ernannte Hitler Ludwig Müller zu seinem Vertrauensmann für Kirchenfragen. Vgl. Schneider, Reichsbischof Ludwig Müller, 103–110. Am 4. 8. 1933 avancierte Müller zum Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrates sowie zum Landesbischof der Kirche der altpreußischen Union und am 27. 9. 1933 zum Reichsbischof. A. a. O., 147–152. 1221 Hirsch (Mai 1933), Nationalsozialismus und Kirche, 24. 1222 Ebd. 1223 Ebd. 1224 A. a. O., 25. 1225 Die Zitate entstammen den Seiten 6 und 7 eines siebenseitigen Briefes Hirschs an Freunde vom 16. 6. 1933, den er u. a. an Wilhelm Stapel verschickt hat. 1226 A. a. O., 1. 1227 A. a. O., 5.

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4.5.5. Die »Ehre«, »Unehre« und »Verschuldung« des Kirchenkampfes Hirschs Deutung Hitlers und des Nationalsozialismus, sein Volkskirchenideal und seine Interpretation des Jahres 1933 liegen seiner Deutung des Kirchenkampfes zu Grunde. Der Begriff »Kirchenkampf« ist bei Hirsch erstmalig im Juli 1933 belegt: In den vierzehn Jahren des staatlichen Parlamentarismus mit getarntem bürokratischen [sic] Hintergrund blühte der Kirchenparlamentarismus mit der getarnten Kirchenbürokratie, deren Todeszuckungen wir eben im Kirchenkampfe erleben. Hinter dieser scheinbaren Unmächtigkeit des evangelischen Christentums, hinter seiner scheinbaren Abhängigkeit von den politischen Bewegungen hat aber etwas sehr Tiefes und Ernstes sich verborgen: die Hingabe an das Leben in Volk und Staat, um es innerlich ganz zu durchleiden und eben dadurch auch heimlich zu durchglühen.1228

Hirschs Verwendung des Kirchenkampf-Begriffes umfasste schon im Sommer 1933 mehrere Facetten: 1.) Mit »Kirchenkampf« bezeichnete Hirsch die Abkehr vom ›Kirchenparlamentarismus‹ und von Bürokratie, womit sämtliche kirchlichen Strukturen abgelehnt werden, die in Hirschs Augen selbstherrlich und eigenmächtig agiert und sich vom Volk, vom verborgnen Souverän entfernt hatten. Im Hintergrund dieser Kritik steht einmal, dass sich Hirsch von Seiten der Kirche eine klarere, entschieden ablehnende Haltung gegenüber dem Feindbild der »Siegermächte« erhofft hatte, aber auch die Hoffnung auf ein Erstarken der Bedeutung der evangelischen Kirche für das deutsche Volk. Dem Begriff »Kirchenkampf« wohnte also bereits hier in Hirschs Sprachgebrauch eine durchaus positive und verheißungsvolle Konnotation inne, da der Kirchenkampf Hirschs Hoffnung auf die ersehnte Umformung und Neubildung von Kirche, Staat und Volk aufblitzen ließ.1229 2.) Eine weitere Dimension des Kirchenkampfes wird von Hirsch 1933 noch nicht mit dem Begriff selbst verknüpft, erschließt sich jedoch deutlich, wenn man Hirschs primäres Feindbild in diesen Tagen betrachtet: Seine Feinde waren alle Theologen und Kirchenmänner, die der Umformung und Neubildung von Kirche und Staat im Wege standen oder sie behinderten. Der Prototyp eines solchen 1228 Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der deutschen Christen, 14. 1229 Dieses verheißungsvolle Moment des Kirchenkampfes formulierte Hirsch in seinem Geleitwort von Der Offenbarungsglaube, 7 im Juli 1934 eindrücklich so: »Es ist das Gute an aller Mühsal des Kirchenkampfs, daß er unsre Theologie vor eine ganz neue Lage gestellt hat. Daß sie jetzt einen Umbruch erfährt, und daß im Zusammenhang damit auch unsre Verkündigung neu wird, das ist unwiderruflich geworden. Das unter uns Geschehene hat jene Entscheidung über das Jungwerden unsrer Theologie und Kirche gebracht, die wir in den Jahren des Zwischenreichs mit aller Leidenschaft und Anspannung nicht haben erzwingen können.«

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theologischen Querulanten und Widersachers war für ihn Karl Barth. Dieser hatte die DC öffentlich als die »offenen wilden Ketzer(n)«1230 bezeichnet und eindringlich vor ihnen gewarnt. Hirsch machte Barth gleich mehrere Vorwürfe: Barth polemisiere gegen die Forderung der DC, »den Ruf Gottes in der nationalsozialistischen Revolution, den Auftrag unsers Herrn an seine Kirche in dem großen Geschehen unserer Tage zu hören.« Gerade diese Forderung gelte »ihm ja als Ketzerei, als Abfall der Kirche von dem alleinigen Gehorsam unter das Wort Gottes.«1231 Diesen Vorwurf könne Barth jedoch nur aus drei Gründen erheben: a) Man müsse »wohl annehmen, daß die alleinige Bestimmtheit der Kirche durch das Wort Gottes für ihn die Geschichtslosigkeit aller kirchlicher Ordnung« bedeute, dass also »kirchliche Ordnung für ihn ein aus dem Strome der Zeiten herausgeretteter heiliger ordo«1232 sei. Diese Fehleinschätzung komme jedoch einem fundamentalen ekklesiologischen Missverständnis hinsichtlich der sichtbaren Kirche gleich und verkenne gleichzeitig die theologische Aufgabe der Deutung der geschichtlichen Lage. Deshalb sei diese Haltung »die Leben zerstörende Geschichtslosigkeit aller Gesetzesreligion und ebenso auch alles Christentums, das aus dem Evangelium ein neues Gesetz«1233 mache. b) Barths Wort-Gottes-Theologie1234 begegnete Hirsch durch eine grundlegende hermeneutische und theologische Kritik an Barths Wort-Gottes-Begriff: Die »rechte uns Leben und Seligkeit bringende Erkenntnis Gottes als unsers Vaters in Christus Jesus« sei eben »nicht das erste und nicht das einzige Zeugnis Gottes an uns.« Gott bezeuge sich vielmehr »täglich in der Wirklichkeit unsers Lebens«1235, deshalb müsse der Christusglauben »konkret werden als gläubiges Hinnehmen und Gestalten der bestimmten geschichtlichen Lage«.1236 Hirsch wies folglich Barths kategorische Ablehnung der natürlichen Theologie1237 ebenso 1230 S. o. Zitat in Kap. 2.4.1. Anm. 131. – Deswegen eröffnete Hirsch seinen Aufsatz, der auf Barths Schrift Theologische Existenz heute! reagierte, mit den Worten: »Mit Karl Barth ist für uns Deutsche Christen kein reden. […] Mit Karl Barth ist kein Reden für uns. Er hat sein Ohr, seiner kirchlichen Verantwortung bewußt, verschlossen.« Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der deutschen Christen, 5. 1231 A. a. O., 7. 1232 Ebd. 1233 Ebd. 1234 S. o. Kap. 2.3. 1235 A. a. O., 9. 1236 A. a. O., 9f. 1237 Allerdings konzedierte Hirsch in derselben Schrift, dass er selbst im »Begriff des Natürlichen« noch »ungelöste Fragmale« sehe. In diesem Zusammenhang deutete er jedoch bereits an, in Stapels Begriff des »nationalen Nomos« ein entscheidendes Interpretament dafür gefunden zu haben: »Stapel hat dafür den Begriff geprägt, daß jedes Volk seinen eigenen nationalen Nomos habe. Natürlicher Mensch, natürliches Gesetz, natürliche Gotteserkenntnis, das heißt konkret etwas andres unter Deutschen und unter Indern.« A. a. O., 12. Der Umstand, dass solche Fragen noch offen waren, war für Hirsch allerdings kein Problem. Die »erste Aufgabe« bestand für ihn vielmehr darin, »zur richtigen Frage-

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scharf zurück wie jener diese selbst. Hierin meinte er einen Nachweis zu sehen, dass sich Barth »über die reformatorische – wenigstens die lutherische – Bestimmung des Verhältnisses von Christus, lebendigem Wort Gottes und Bibelbuch nicht klar geworden«1238 sei. c) Hirsch deutete einen weiteren Aspekt an, der Barths Verkennung der Lage und somit der Stunde für das deutsche Volk und die deutsche evangelische Kirche gleichsam bedingen musste: Barths Äußerungen zeigten seiner Meinung nach, dass er »auf politisch-völkischem Boden noch nicht der Führungswirklichkeit erschlossen« sei, und dass »es da einfach an einem Stücke Geschichtsmächtigkeit bei ihm noch«1239 mangele. Dieser Umstand hing für ihn nicht zuletzt mit Barths schweizerischer Herkunft zusammen, weswegen ihm die »epistemologische Auszeichnung«1240 eines Deutschen in Hirschs Augen als natürlicher Voraussetzung1241 des rechten Erkennens der deutschen Stunde fehlen musste.

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stellung allererst hinzuleiten.« Man dürfe sich nämlich »darüber nicht täuschen, daß es nicht an der Zeit« sei, »endgiltige Lösungen mit runden Formeln zu entwickeln«, sondern man müsse »die Unruhe und den Umtrieb eignen lebendigen Denkens« als Notwendigkeit rechtschaffener Theologie betrachten. Hirsch (1934), Geleitwort Offenbarungsglaube, 7. Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der deutschen Christen, 10. A. a. O., 16. Symptomatisch für Barths fehlende Geschichtsmächtigkeit war für Hirsch seine Forderung Theologie zu treiben, »als ob nichts geschehen wäre«, die Hirsch als »Wunschbild« bezeichnete. Hirsch spielte auf Barths berühmt gewordene Parole zu Beginn seiner Schrift (Juni 1933), Theologische Existenz heute, 280 an: es gelte, »als wäre nichts geschehen – vielleicht in leise erhöhtem Ton, aber ohne direkte Bezugnahmen – Theologie und nur Theologie zu treiben.« Für Hirsch war diese Forderung höchst gefährlich, denn »an der Unmöglichkeit dieser Vorstellung« könne man sehen, »daß dies Wunschbild auf Abschaltung der deutschen Theologie vom deutschen Nomos und Logos, auf eine Isolierung der Theologie gegen die lebendige Geschichte« hinauslaufe. Deshalb hielt Hirsch dagegen: »Damit stünde der Theolog noch erhabner über dem Geschehen an zeitgebundner kämpfender und werdender Existenz sogar als Gott. Gott spricht zu meinem Herzen heut nicht, als ob nichts geschehen wäre. Er spricht zu mir nämlich durch das, was geschehen ist: es ist eine mir von ihm geschenkte Wirklichkeit, die mich in die Frage vor ihn stellt, weil sie Verantwortung begründet«. Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 139. Diesen Begriff entnehme ich Hüttenhoff, Volksverbundene Kirche, 192. Zur Sache vgl. a. a. O., 191–194; ders., Die gegenwärtige geistige Lage, 147f. Hirsch ging davon aus, dass die Verkündigung des Evangeliums »nur erfüllt werden« könne, wenn menschliche Verbundenheit und menschliches Verstehen als natürlicher Boden des Gesprächs gegeben« seien. Man müsse »in das Auge des andern sehen«, man müsse »die Stimme des andern hören« und »einander als Brüder erkennen, die von dem Herrn der Natur und Geschichte zur menschlichen Gemeinschaft miteinander bestimmt worden sind. Diese andre, natürliche Seite« sei »immer durch bestimmte zeitliche und geschichtliche Bedingungen begrenzt. […] Am leichtesten« bilde »sich die natürliche Voraussetzung der Verkündigung da, wo zwei Menschen durch Blut und Schicksal in einem gemeinsamen irdischen Ring zusammengeschlossen sind.« Hirsch (Juli 1933), Freiheit der Kirche, Reinheit des Evangeliums, 27.

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Hirsch wies auf diesen Umstand schon 1932 hin und war durch dieses Argument »von vornherein gegen die theologische Kritik Barths immun.«1242 3.) So kam Hirsch zu dem Schluss, dass zahlreiche Theologen – wie etwa Karl Barth – das der Stunde angemessene Verhältnis von »Deutschtum und Christentum«1243, von »Nationalsozialismus und Kirche«1244 sowie von »Volk, Staat, Kirche«1245 falsch bestimmten, da sie aus der Bibel, dem Bekenntnis und dem »Katechismus«1246 abzuleiten trachteten, was die Kirche, die »immer auch echt menschliche Kirche sein« und somit »immer auch die Schranken und Fehler des Volks und des Zeitalters in sich tragen«1247 werde, nicht losgelöst von der Lage bestimmen konnte. Ein wesentliches theologisches Problem des Kirchenkampfes bestand also in einer Missachtung oder zumindest der Fehlinterpretation der christlichen Freiheit: Die Freiheit der Kirche, die sich nicht nach der Schrift, dem Dogma, der Tradition oder dem Katechismus zu richten habe, bestand für Hirsch ja gerade darin, dass sie sich »in wirklicher innerer Verbundenheit mit dem deutschen Volke, wie es jetzt wird«, und somit »in den Schicksalsring der nationalsozialistischen Bewegung als ihren natürlichen Boden hineinzustellen« habe. (28) Da die »nationalsozialistische Revolution mehr als eine Neugestaltung bloß von Staat und Wirtschaft« sei, weil sie »den Menschen von innen her« angreife, bestehe »der Sinn und das Ziel des gegenwärtigen Kampfs« darin, dass »die evangelische Kirche ihr Schicksal erkenne« und »daß sie die in diesem Schicksal liegenden Gefahren und Nöte tapfer und freudig auf sich nehme«, d. h. dass sie zum Wohle der Bewegung und des verborgenen Souveräns opferbereit sei. Die Freiheit der Kirche bestand also eben nicht »in dem falschen Sinne, daß die Kirche frei würde von dem Ja zur gegenwärtigen Stunde,« sondern allein darin, »daß die Kirche frei sein« werde dazu, »ohne staatlichen Befehl und staatlichen Eingriff Gott und dem Evangelium am deutschen Volke zu dienen.« (28) Man wird sagen dürfen, dass in Hirschs Augen die Kirche freiwillig und in vorauslaufendem Gehorsam dem deutschen Volk als verborgenem Souverän und deshalb auch dem NS-Staat als offenbarem Souverän dienen musste. Da sich die 1242 So Assel, »Barth ist entlassen…«, 86. – Zu Barths und Hirschs früher Gegnerschaft, die bis ins Frühjahr 1932 zurückreicht, und in der eine von Hirsch missverstandene Aussage Barths im Deutschen Volkstum dazu geführt hatte, dass Stapel Hirsch darauf hinwies, dass Barth ihn jüdischer Herkunft bezichtigt habe. Vgl. a. a. O., 85–88. In der Folge dieses Streites spielte Hirschs eigene Herkunft sowie die schweizerische Herkunft Barths eine maßgebliche Rolle für Hirsch und er sah Barth als seinen persönlichen Erzfeind an. 1243 So lautet die Überschrift vom dritten Abschnitt von Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der deutschen Christen, 11–14. 1244 Vgl. etwa Hirsch (Mai 1933), Nationalsozialismus und Kirche. 1245 Vgl. etwa Hirsch (Mai), Volk, Staat, Kirche. 1246 Hirsch (Juli 1933), Das kirchliche Wollen der deutschen Christen, 11. 1247 Hirsch (Juli 1933), Freiheit der Kirche, Reinheit des Evangeliums, 28. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt auf diesen Aufsatz.

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Kirche dieser »Freiheit« sicher sein könne, weil staatlicherseits für diese Freiheit »gerade der natürliche Boden der Lebensverbundenheit von Kirche und Volk bereitet« werde, sei die kirchliche Freiheit »nicht vom nationalsozialistischen Staat in Gefahr gebracht worden, sondern von denen, die die gegenwärtige Stunde nicht erkannt hatten und den Staat zur Notwehr gegen drohende Zerspaltung der Bewegung gezwungen haben.« (28) Die eigentliche Gefahr der christlichen Freiheit und der Verkündigung des Wortes Gottes in Deutschland ging also für Hirsch prinzipiell von jeder NS-kritischen kirchlichen Opposition aus. Als Schlüsselbegriff gebrauchte Hirsch den Begriff »Kirchenkampf« erstmalig gegen Ende seiner Schrift Die gegenwärtige geistige Lage, als er auf die »gegenwärtige Stunde der Theologie«1248 zu sprechen kam. Es ging ihm auch hier um die große Verheißung von 1933, d. h. »die Erneuerung« des deutschen »evangelischen Kirchentums zu einer lebendig im deutschen Volke stehenden Trägerin des göttlichen Worts, des lebendigen Christus.« (132) In diesem Zusammenhang äußerte er die Hoffnung, »daß die deutsche evangelische Kirche vom Volke geliebt und erkannt« werde »als Hort und Hüterin einer sich vor dem Gott des Evangeliums verantwortlich wissenden Geistigkeit«, als die Stelle, an der »deutscher Nomos und deutscher Logos in der Berührung mit dem Evangelium die Grenze, die fruchtbare, segnende Grenze [Horos], gegen ihren Schöpfer und Herrn« erfahren und »so Ausrichtung und Vertiefung und springlebendige Jugend aufs Neue« (132) empfangen werden. Da für Hirsch diese große Möglichkeit im Jahre 1933 angebrochen war, gab es für ihn »keinen Mittelweg«, sondern »nur das Entweder/ Oder«1249 (133), denn für ihn stand außer Frage: »Deutsche evangelische Theo-

1248 Vgl. Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 132–153. Hirsch greift den Begriff »Kirchenkampf« dreimal in dieser Schrift auf: zweimal auf Seite 136 (einmal davon hervorgehoben im Sperrsatz!) und einmal auf Seite 145. Ähnliche Begriffe, wie »Kirchensturm« (a. a. O., 142), verwendete er in vollkommen synonymer Weise. Sämtliche Seitenzahlen in Klammern im folgenden Abschnitt beziehen sich auf dieses Buch. 1249 Barth kam auf diesen Gedanken Hirschs zu sprechen und urteilte vernichtend darüber: »In der Tat: Bei Hirsch fehlt alle und jede ›Sicherung und Bürgschaft‹ etwa durch biblische Exegese, etwa durch Anknüpfung an die kirchliche Tradition. In der Tat: Da ist nicht nur im Grunde, sondern offenkundig Alles, Alles ›Wagnis‹, das heißt freie Spekulation oder Grübelei, eine Spekulation, in die ›das Evangelium‹, in die Luther an bestimmter Stelle einbezogen werden, in der sie ihren durchaus wichtigen und würdigen Ort haben, aber Spekulation, willkürliche Erfindung, Themapredigt ohne Text (es wäre denn, dass man jene von Hirsch erlebte ›Stunde‹ als ihren Text verstehen wollte), theologisch gehaltlose und alle theologischen Elemente entleerende Kairosphilosophie«. Barth (April 1934), Vorwort [Offenbarung, Kirche, Theologie], 227. In einer Hinsicht waren sich Barth und Hirsch jedoch zweifelsfrei einig: »›Es gibt nur das Entweder–Oder‹.« A. a. O., 230.

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logie und die gegenwärtige Stunde in Volk und Staat, sie gehören zusammen.«1250 (133) Sollten allerdings »Theologie und Kirche zu klein für diese Stunde« sein, sollten sie sich »nicht unter Preisgabe alles aus der Vergangenheit stammenden Vorurteils und alles Bedürfnisses nach Sicherung und Bürgschaft an das brausende Neue« und an ihr »eigenes Volk in seiner lebendigen Bewegung, wagen«, dann seien sie »verworfen«. (132f) Die Frage sei »allein, ob die nationalsozialistische Bewegung und Weltanschauung der tragende natürlich-geschichtliche Lebensgrund und Schaffensraum« für »deutsche Menschen evangelischen Glaubens und evangelischen Geistes« (133) darstelle. Diese Frage sei zu bejahen und dies anzuerkennen das Einzige, was die Stunde von Kirche und Theologie fordere. Wenn man dies eingestehe, dann sei »die Todeskrise« des »Volks und Geschichtsalters auch Todeskrise für das evangelische Christentum gewesen.«1251 Dann sei aber nun »die Befreiung« des deutschen Volks und »der Aufbruch des neuen Geschichtsalters, auch Befreiung und Aufbruch des evangelischen Christentums.« (134) Vor dem Hintergrund dieser in seinen Augen notwendigen Deutung der im Jahre 1933 entstandenen Lage sprach Hirsch von der »Ehre« und der »Unehre« des »Kirchenkampfes«: Die Ehre des »Kirchenkampfes« bestand für ihn darin, dass der Kirchenkampf »die tiefe Ehrlichkeit« des deutschen evangelischen Christentums gezeigt habe: »es konnte und wollte sich nicht oberflächlich mit einer Tatsache abfinden, es mußte Bruch und Umbruch in der Geschichte« seines »Volks von grund auf durchleben mit der Frage nach dem Sinn und nach dem von Gott gebotnen Wege.« (136)1252 Die verheißungsvolle Seite des Kirchen1250 Diesen zentralen Gedanken wiederholte Hirsch formelhaft als Kernsatz sechsmal: a. a. O., 132–135. 142. – In einem Brief an Stapel pointierte Hirsch diesen Gedanken folgendermaßen: »Es kommt nicht darauf an, daß das Vertrauen zum Nationalsozialismus ein Wagnis ist. Es kommt darauf an, daß dies Wagnis einfach Pflicht ist für jeden, der sein Volk und seine Kirche liebhat.« Hirsch an Stapel vom 16. 6. 1933, 5. 1251 Zu Hirschs Deutung der Weimarer Republik und dem Kampf der Siegermächte gegen das deutsche Volk vgl. Kap. 4.5.1. Ginge die große Stunde Deutschlands ungenutzt »verloren«, so bestünde die Gefahr, dass das deutsche Volk »in das Geschichtsalter der Krise zurück« falle. Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 135. 1252 Diesen Gedanken wiederholte Hirsch bis in den einzelnen Wortlaut in seiner Denkschrift der Reichskirchenregierung im Juli 1934 Über das grundsätzliche Verhältnis von evangelischem Christentum und politischer Bewegung, 117. In diesem Zusammenhang sprach er jedoch nicht von der »Ehre« des Kirchenkampfes, sondern vom »Segen« und verwendete die Begriffe »Kirchenkrise«, »kirchlicher Kampf«, »große Krise innerhalb der evangelischen Kirche, »theologischer und kirchlicher Kampf« synonym zum Begriff »Kirchenkampf«. Der Terminus »Kirchenkampf« taucht in dieser Denkschrift nur einmal auf (a. a. O., 127): »Der Kirchenkampf, der um die rechte Haltung und Ordnung der deutschen evangelischen Kirche in der Stunde des politischen Umbruchs unseres Volkes ausgebrochen ist, kann zu einem guten Ende nur dann geführt werden, wenn die deutschen evangelischen Christen mit dem Mut und der Tapferkeit des Glaubens den Weg in die neue Zukunft hinein wagen.

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kampfes bestand für Hirsch also darin, dass sich die evangelische Kirche der Wahrheitsfrage, der Stunde und dem Wagnis der Entscheidung gestellt habe. Sie habe also vor dem Hintergrund der fundamental neuen Lage die Frage nach der rechten kirchlichen Haltung und Ordnung gestellt und ein neues Bekenntnis und Bekennen angestrebt. Die Unehre des »Kirchenkampfes« wiege jedoch ungleich schwer, denn »um wieviel Kleines und Nebensächliches« sei gestritten worden, »als ob dies das Entscheidende wäre, und wieviel Ängstlichkeit und Mißtrauen und wieviel Kleben am Vorurteil« sei »ans Licht getreten.« (136) Überdies habe der Kirchenkampf auch eine tiefe »Verschuldung« des evangelischen Kirchentums mit sich gebracht: Die evangelischen Christen hätten »angefangen, denen, die auf Gott und sein Wort warten, Ärgernis zu geben, und nur weil ein mächtiger Springquell aus letzter Tiefe sich nicht so leicht zudecken« lasse, sei »noch die Segensmöglichkeit« und »die Stunde da«, in der Kirche und Theologie und Volk zusammengehörten. Es liege nämlich »nicht am evangelischen Christentum, wenn der letzte große Sinn der geschichtlichen Stunde sich nicht weiter verschlossen« habe und »die letzte große Möglichkeit der geschichtlichen Stunde noch nicht wieder zugeschüttet« sei. (136) Deswegen bestand das Problem des Kirchenkampfes für Hirsch dieser Tage darin, dass sich für viele Theologen »der Glaubensgehorsam unter die göttliche Wahrheit als Treue gegen das Bekenntnis der Kirche« ausdrücke. So sei nämlich »in dem Augenblick, als die umpflügende Gewalt der Geschichtsstunde« in das evangelische Kirchentum »einbrach, notwendig die Bekenntnisfrage in die Mitte des Streits gerückt.« (144) Obwohl Hirsch den Begriff nicht verwandte, kann man insofern den Kirchenkampf auch als Bekenntniskampf bezeichnen. Das Problem bestand nämlich in einer die Lage verkennenden Bekenntnistreue verstockter Theologen. Dieses Problem ist in der Bedeutung für Hirsch keineswegs zu unterschätzen, weil seines Erachtens dadurch sowohl der Bestand und das Ansehen der evangelischen Kirche im Volk beschädigt als auch die Bewegung, d. h. die große Möglichkeit selbst, gefährdet wurde.1253 Gott der Herr wird das Evangelium und die Kirche, die ihm dient, bewahren trotz aller Fehlgriffe und Versündigungen der Menschen, die ihm und dem Evangelium dienen wollen.« In der bloß wenige Tage zuvor für die Reichskirchenregierung verfassten Denkschrift Über Kirche und Bekenntnis, 109 sprach Hirsch vom »Kirchenkampf(es) 1933« und verwies darauf, dass es allen kirchlichen Gruppen im Kirchenkampf darum gehe, »zu einem neuen Bekenntnis zu kommen« (a. a. O., 110), denn alle hätten sie das »Bewußtsein um Recht und Pflicht zu neuem Bekennen«. A. a. O., 109. 1253 »Es steht dem Willen zu sich verjüngendem theologischen Lehren innerhalb unsers evangelischen Christentums freilich auch dann, wenn alle Verhemmungen und Vorurteile sonst zerbrochen sind, Eines entgegen. Durch die Geschichte unsrer Kirche geht der Zug, daß sich der Glaubensgehorsam unter die göttliche Wahrheit als Treue gegen das Bekenntnis der Kirche ausdrückt. So ist denn in dem Augenblick, als die umpflügende Gewalt der Geschichtsstunde in unser evangelisches Kirchentum einbrach, notwendig die Be-

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Auch für Hirsch spielten die beiden theologischen Topoi Bekenntnis und Bekennen theologisch eine entscheidende Rolle, jedoch niemals in einem dogmatischen oder kirchlich autoritativen Sinne, sondern lediglich als »gemeinsame, auf gegenwärtig entscheidendes Fragen sich sammelnde Rechenschaft von Lehrern, die für die Kirche zu sprechen gerufen sind« (145). Hirsch definierte »Bekennen« als »ein stets neu und jung sich vollziehender Akt«. Deshalb seien sowohl das traditionelle kirchliche Bekenntnis (Bekenntnisstand) als auch das aktuelle Bekennen (Bekenntnisakt) zeitgebunden und der gegenwärtigen Lage und dem Volkswillen ständig anzupassen. Nur »tote Kirchen« betrachteten den Bekenntnisakt »lediglich als einen durch Gegenzeichnung abermals zu bestätigenden Akt der Vergangenheit.« (145) Auch Hirsch bemühte sich um eine »Theologie, die bei allem Reichtum einen Grund einmütiger Haltung und einmütiger Lehre« in sich trage. Allerdings verband er damit die Hoffnung auf die Schaffung eines Einheitsbekenntnisses,1254 worunter er »ein gemeinsames Denken und damit ein gemeinsames Wollen und Dienen« (137) an der Neuwerdung des deutschen Volkes und der deutschen evangelischen Kirche verstand. Aber auch als Bekenntniskampf hatte der Kirchenkampf-Begriff bei Hirsch eine durchaus positive Konnotation: Obgleich alles »Bekennen, das bisher im Kirchenkampf hervorgetreten« war, lediglich orientierende und vorläufige Funktion haben konnte, wies doch der Kampf um das rechte Bekenntnis darauf hin, dass »ein lebendiges Fragen und Antworten« begonnen habe, »das einmal in einem neuen Bekennen sich vollenden« (145) werde. Da auch Hirsch an einem neuen Bekennen gelegen war, konnte er dafür sogar die Bezeichnung »bekennende Kirche« (145) in Anspruch nehmen.

kenntnisfrage in die Mitte des Streits gerückt. Die Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts aber sind nicht pur und lauter Evangelium, sondern theologisches Lehren vom Evangelium her in der damaligen Geschichtsstunde, mit allen Ausdrucksmitteln der damaligen metaphysischen und psychologischen Begrifflichkeit und innerhalb der Lebensordnungen des damaligen Deutschlands. Wird Treue gegen das Bekenntnis als Verpflichtung verstanden, in der Begrifflichkeit und Lebensverfaßtheit der theologischen Lehrer von damals theologisch zu lehren und christlich zu verkündigen, als Verpflichtung, Fragen und Antworten der Theologie lediglich innerhalb des Fragens und Antwortens der damaligen Lehrer zu gestalten und fortzubilden, dann ist aller guter Wille im evangelischen Christentum umsonst. Dann wird es unmöglich, die evangelische Theologie und die gegenwärtige Geschichtsstunde in Volk und Staat zu fruchtbarer Erneuerung und Vertiefung unsers Volkstums und unsrer Kirche sich berühren zu lassen. Dann wird evangelisches Christentum notwendig eine versteinerte Ablagerung vergangnen deutschen geschichtlichen Lebens, die an solchen Stellen, wo sie für neue deutsche Ordnung und neue deutsche Geistigkeit ungefährlich ist, geduldet werden darf. Unser Volk aber muß dann, verlassen von denen, die ihm das Evangelium verkündigen sollen, den Weg ins Heidentum antreten – und daran sterben.« (144) – Vgl. hierzu Hirsch (1934), Bekenntnis und Bekenntnisse. 1254 Das verdeutlicht sein Brief an Stapel vom 31. 5. 1934.

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Abb. 6: Brief vom 31. Mai 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach

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Exkurs: Hirschs Verhältnis zum Summepiskopat Die These Heinrich Assels, dass Hirsch, »der in den 1920er- und frühen 1930erJahren noch ganz auf der Linie seines Lehrers Karl Holls für die rechtliche Eigenständigkeit der Kirche focht,« spätestens am 31. Mai 1934 »seine Rückkehr zum alten Summepiskopatsgedanken«1255 vollzogen habe, muss meines Erachtens geringfügig präzisiert werden: 1.) Bereits in seinem Brief an Wilhelm Stapel vom 16. Juni 19331256 sprach Hirsch im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Ernennung zum Reichsbischof im Juni 1933 davon, dass sich Kirche und Staat nicht als etwas Fremdes gegenüberstehen dürften, sondern »daß der neue Staat auch ein neues Verhältnis zur Kirche finden« (7) müsse. Da aber die »evangelischen Kirchenregierungen« mit dem eigenmächtigen Vorschlag Bodelschwinghs als Reichsbischof die Staatsregierung »beleidigt und jegliche Zusammenarbeit der evangelischen Kirche mit staatlichen Instanzen unmöglich gemacht« (4) hätten, müsse der Staat eine seiner »elementaren Voraussetzungen« dem »ius circa sacra«1257 (5) gerecht werden und entsprechend reagieren. Der »Kirchenstreit« (5) bestand in Hirschs Augen nämlich darin, dass die Kirche in Überschreitung ihrer Kompetenzen den Staat verärgert und dadurch eine kirchliche Zusammenarbeit mit dem Staat erschwert habe. Bereits Mitte Juni 1933 scheint Hirsch also die Voraussetzung für einen eingeschränkten Summepiskopat als erfüllt betrachtet zu haben, gemäß dem sich der Staat als eine Art der Notwehr bei Gefährdung der Einheit der Kirche und im Falle von kirchlicher Staatsfeindlichkeit des ius circa sacra bedienen durfte. 2.) In seinem Brief an Stapel vom 31. Mai 1934, auf den sich Assel bezieht,1258 sprach Hirsch in der Tat davon, dass »der tiefe Sinn der Kirchengeschichte von 1918–34« folgender sei: »die deutsche evangelische Kirche hat den experimen1255 Assel, Emanuel Hirsch, 61, Anm. 65. 1256 Brief Hirschs an Stapel vom 16. 6. 1933, 5. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden auf diesen Brief. 1257 »Im 17. und 18. Jh. wurde in den protestantischen Staaten, jedenfalls in der Theorie, die Unterscheidung zwischen der dem geistlichen Stand vorbehaltenen inneren geistlichen Leitung der Kirche in Sachen des Glaubens und des Kultus, dem ius in sacra, und der dem Fürsten zustehenden Sorge für die äußere kirchliche Ordnung, dem ius circa sacra, entwickelt. Zum ius circa sacra zählten u. a. das Ius reformandi, Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, Errichtung und Besetzung kirchlicher Ämter, Berufung von Synoden und die kirchliche Vermögensverwaltung.« Listl, Ius circa sacra – ius in sacra, 697. Die Abkürzungen im Text wurden im Zitat der besseren Lesbarbeit stillschweigend aufgelöst. – Einen enzyklopädischen Überblick zum Summepiskopat bietet: Bahlke, Landesherrschaft, Territorien und Staat in der frühen Neuzeit. 1258 Hirsch spricht in diesem bemerkenswerten Brief im Zusammenhang mit Querelen um das Amt des Reichsbischofs in einem sehr persönlichen Ton von einer »ungeheuren menschlichen Desillusionierung des Kirchenkampfes« (1). Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden auf diesen Brief.

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tellen Nachweis erbracht, daß sie unfähig ist, das ius in sacra des landesherrlichen Kirchenregiments selber wahrzunehmen, 18–32 den indirekten und 33/34 den direkten, den selbst die Stallmagd kapieren und ihrer Kirche erklären kann.« (2) Im Hintergrund dieser Aussage stand eine tief enttäuschte Hoffnung, die Hirsch in die erste Bekenntnissynode in Barmen-Wuppertal (29.5.–31. 5. 1934) gerichtet hatte: Mit der Arbeit an dem »geplante(n) Einheitsbekenntnis«, intrigierte Hirsch, »besorgen Meiser und Barth« wahrhaft »die Geschäfte der Deutschen Christen.« (1) Denn es sei ihr »Traum April/Mai 33 gewesen, das gemeinsame evangelische Bekenntnis zu schaffen, welches die lutherischen und reformierten Sonderbekenntnisse nicht aufhebt, sondern übergreift.« (1f) Hirsch hatte darauf gehofft, mit der »Waffe« (2) des Einheitsbekenntnisses die staatliche Gleichschaltung der evangelischen Kirche vorantreiben zu können. Sein Plan, in dem Gogarten und Stapel »um den gleichen Zeitpunkt eine gleichartige Bombe an andrer Stelle« werfen sollten, sah folgendermaßen aus: nach der Synode von Barmen werde »Mitte Juli die Kirche sturmreif sein.« Dann werde »jeder anständige evangelische Christ aufatmen, wenn der Staat, um die Kirche zu retten, das landesherrliche Kirchenregiment wieder aufnimmt.« Stapel und Gogarten gab er bereits die zentralen Formulierungen vor: »Spitze Formel: Das deutsche evangelische Christentum hat die Wahl zwischen landesherrlichem Kirchenregiment und geistlicher Kirchenpolitik. Das landesherrliche Kirchenregiment ist sauber, die Kirchenpolitik ist schmutzig. Die Wahl zwischen Sauberkeit und Schmutz dürfte nicht schwer sein.« (2f) Handschriftlich fügte er hinzu: »Oder besser: sie geschieht nach dem jeweils vorhandenen Instinkt.« (3) 3.) Auf reichskirchlicher Ebene vertrat Hirsch zur selben Zeit die gemäßigtere und differenziertere Auffassung, dass die Tatsache, dass die Volkskirche auf staatliche Zuwendungen (z. B. Staatszuschüsse, Freiraum für Beteiligung der Kirche an Erziehung und Bildung) angewiesen sei, u. a. zur Folge habe, dass die »verfaßte und geordnete Kirche« mit dem »Staat nicht verkehren« könne »wie ein Souverän mit dem anderen verkehrt.«1259 Soweit die Kirche eine »Volksordnung« sei und »in ihrer Stellung als Volksordnung vom Staate selber Hilfe und Schutz« empfange, soweit müsse sie »es sich gefallen lassen, daß der souveräne politische Wille auch über sie und ihre Gestalt« (124) sich erstrecke. Vor diesem Hintergrund schien Hirsch dem Staat das ius circa sacra in bestimmten Fällen prinzipiell zuzugestehen: Wenn »die Kirche es nicht vermag, sich eine rechte Ordnung zu geben oder zu bewahren«, könne der Staatsmann »der Kirche mit seiner Amtsgewalt helfend beispringen und für öffentliche kirchliche Ordnung in seinem Lande oder Reiche somit Sorge tragen.« (120) Vom ius circa sacra Gebrauch 1259 Hirsch (Juli 1934), Über das grundsätzliche Verhältnis von evangelischem Christentum und politischer Bewegung, 124. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden auf diese Denkschrift.

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zu machen, »sei allerdings ein über das Regiment hinausgreifender freiwilliger Dienst.« (120) Dieses prinzipielle Recht des Staates vom ius circa sacra Gebrauch zu machen, fasste Hirsch in bestimmten Fällen allerdings als staatliche Pflicht auf: Das »Gewähren von Eigenständigkeit des kirchlichen Lebens« könne und dürfe »nicht etwa bedeuten, daß der Staat nicht über die rechte Eingliederung des Ganzen der Kirche in das volkisch-politische Leben« wache. Der Staat habe nämlich »nicht nur das Recht«, sondern auch »die Pflicht, für die äußere Gestaltung der kirchlichen Volksordnung allgemeine leitende Gesichtspunkte auszusprechen und darauf zu halten, daß nur Männer, denen er bedingungslos und bis in das Letzte vertrauen kann, kirchlich führende Ämter bekleiden.« Er habe »nicht nur das Recht«, sondern auch »die Pflicht, darauf zu halten, daß die kommenden Diener der Kirche in der richtigen volklichen und politischen Haltung erzogen werden und treu und hingegeben bis ins Letzte dem neuen Gesetz und neuen Schicksal des deutschen Volkes erschlossen sind.« (126). Insofern schrieb Hirsch also die Gewährleistung der kirchlichen Ordnung dem Regiment des Staates zu. Auf der offiziellen Ebene der Reichskirchenleitung zumindest zog Hirsch jedoch, was die Befugnisse des Staates gegenüber kirchlichen Angelegenheiten anging, mit der Beschränkung auf das ius circa sacra gegenüber dem ius in sacra eine deutliche Grenze: Das ius in sacra könne der Staatsmann nicht übernehmen wollen, da er »trotz der religiösen Bedeutung seines Amtes nicht über die Wahrheit Gottes und den Glauben an Gott verfügen« (120) könne. In seinem theologischen Notbuch ging Hirsch sogar noch einen Schritt weiter: Unter erneutem Rekurs auf die christliche Freiheit verwies er darauf, dass das Neuwerden der Kirche freiwillig vonstattengehen müsse, denn müsse »erst ein Zwingherr kommen und theologische Lehre gebietend« aufzwingen, so zerbräche »das Reformatorische, die Ursprünglichkeit des Denkens aus dem gehorsamen Glauben an das Evangelium.«1260 4.) Hirsch war außerdem fest davon überzeugt, dass »das Verhältnis des Nationalsozialismus zu Christentum und Kirche von falscher Gleichgültigkeit und falschem Eingreifen gleichermaßen entfernt« (116) sei. Aufgrund der großen »Macht der Glaubensüberzeugungen über den Menschen« (114) beschrieb er zwei große Fehler, die ein politisches Regiment bezüglich seines Verhältnisses gegenüber der (christlichen) Religion machen könne: 1.) »Der erste Fehler wäre es, wenn der Politiker durch seinen Willen die für Volk und Staat geltenden Glaubensüberzeugungen zu bestimmen sucht.« (114). 2.) »Der andere Fehler entsteht, wenn der Politiker die ihm unverfügbare Macht des Religiösen in ihrer unheimlichen Gewalt erkennt und sich mit ihr durch eine reinliche Trennung der Gebiete abzufinden sucht.« (115) Sowohl die staatliche Glaubenskontrolle, d. h. das Ius in sacra (1.), als auch die staatliche Trennung von Religion und Politik, 1260 Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 137.

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d. h. eine Art Laizität (2.), seien verderblich für Staat und Christentum, weshalb der Nationalsozialismus beide Fehler bewusst vermeide. Stattdessen wolle er »eine allverpflichtende Sitte begründen«, um »mit dieser Sitte den Menschen« zu formen. Insofern ziele der Nationalsozialismus »auf eine neue politisch verfaßte Art deutschen Menschseins hin«, indem er »von innen her durch Weltanschauung und Erziehung das deutsche Leben« (115) ergreife und bestimme. Weil der Nationalsozialismus sich nicht »auf ein weltanschaulich gesinnungsloses Regiment zurückziehen« (115) könne, sei das Verhältnis von Kirche und Staat für das evangelische Christentum durch den Nationalsozialismus in »eine neue Epoche getreten« (116): Die neue Haltung des Nationalsozialismus verspricht uns zum ersten Male in unserer Geschichte eine gesunde und richtige Bestimmung des Verhältnisses von Staat und evangelischer Kirche. Die evangelische Kirche darf als öffentliche Volksordnung und Erziehungsmacht im deutschen Volke stehen, die mit Volk, Bewegung und Staat verbunden, ihren Dienst am Volk tun kann, und sie bleibt doch dabei in der Eigenständigkeit und Freiheit anerkannt, die ihr innerhalb der Eingliederung in das volkisch politische Leben gebührt. Staat und Kirche gehören zusammen, weil beide den einen Leib des nationalsozialistischen Volkes umfassen. In dieser Zusammengehörigkeit kann es der Logik der Sache nach weder einen Streit von evangelischem Christentum und evangelischer Kirche gegen den Staat noch eine Verfügung des Staates über das Heilige, dem die Kirche dient, geben. (116)

Diese Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat war von vollkommener Komplementarität und Eintracht im Dienst am Volksnomos geprägt und hatte für Hirschs Deutung des Kirchenkampfes zwei wichtige Folgen: 1.) Hirsch marginalisierte oppositionelle kirchliche Bestrebungen im Kirchenkampf pauschal als »Unverstehen weiter kirchlicher Kreise für die Forderung, die von der nationalsozialistischen Revolution her in der Neugestaltung des Volkes und damit der kirchlichen Volksordnung sich« (117) erhebe. 2.) Außerdem konzedierte er zwar die theoretische »Fähigkeit und Bereitschaft« des evangelischen Christentums, »die Trennung von Kirche und Staat auf sich zu nehmen und als Aussonderungskirche für sich zu leben.« (124) Allerdings blieb diese Möglichkeit unter den gegebenen Umständen bloß eine theoretische, a) weil der Weg des reformatorischen Christentums eben nicht der Weg der Aussonderungs-, sondern der Volkskirche sei, b) weil selbst in der »Zersetzungszeit« (124), d. h. »von 1918 bis 1932« (119) die Kirche nicht davon ablassen durfte, »an der politischen Verantwortung für das menschlich-geschichtliche Leben mittelbar teilzunehmen durch die Menschen«, die sie bildete und erzog (124), und weil c) eine Trennung der Kirche vom nationalsozialistischen Staat unter den gegebenen Umständen einem Kampf gegen den Volksnomos und somit einer Selbstzerstörung gleichgekommen wäre.

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5.) Ekklesiologisch war Hirsch der Auffassung, dass eine große Bandbreite möglicher »Spielarten kirchlicher Ordnung« im reformatorischen Kirchentum denkbar seien, wobei manche »bald etwas größere, bald erheblich geringere Eigenständigkeit der staatlichen Ordnung gegenüber«1261 aufwiesen. Entscheidend war für Hirsch bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat allein, dass die Kirche »als mit der politischen Gewalt eng verknüpfte eigenständige Ordnung im Ganzen des volkisch-politischen Lebens begründet« werde sowie, dass diese Ordnung der Lage und Stunde des Volkes angepasst werden müsse.1262 Zum landesherrlichen Kirchenregiment nehme das Luthertum geschichtlich eine positive Haltung ein. Das Landesherrliche Kirchenregiment müsse »als eine Möglichkeit evangelischer Kirchenordnung gelten, die vom reformatorischen Wege der Errichtung kirchlicher Ordnung mitumfaßt und damit in bestimmten Lagen und Stunden, sogar mit seiner Verkürzung der kirchlichen Eigenständigkeit, gerechtfertigt«1263 sei. Angesichts der gegenwärtigen Lage stelle sich die Frage, »ob das deutsche evangelische Kirchentum ohne die im landesherrlichen Kirchenregiment gewährte Stützung und Zusammenschließung durch die öffentliche politische Gewalt überhaupt wird bestehen können«.1264 Diese entscheidende Frage sei »angesichts der offenbar gewordenen Bereitschaft der Pfarrer zur Rebellion gegen eine ihnen nicht genehme bloß kirchliche Leitung leider noch offen.«1265 6.) Hirsch geriet im September 1934 immer weiter in politische und theologische Isolation1266 und auch Ludwig Müller distanzierte sich zunehmend von ihm.1267 Im Frühjahr 1935 bekräftigte Hirsch noch einmal seine kirchenpolitische Haltung, dass er sich »auf Seiten der Anhänger einer einheitlichen Reichskirche« befinde und »gegen eine gesetzliche Verengung« der »evangelischen Kirche zur Bekenntnisstarre stehe«.1268 Er gestand jedoch Hans Grimm gegenüber auch ein, »daß auf beiden Seiten die führenden Persönlichkeiten in ihrer menschlichen Sauberkeit an den Dämonien des Kampfes kaputt gegangen« seien, weshalb er der Meinung sei, was »die Kirche im Augenblick nötig« habe, sei »ein staatlicher 1261 1262 1263 1264 1265 1266

Hirsch (Juni 1934), Evangelische Kirchenordnung, 44. Vgl. a. a. O., 38–45, Zitat 44. Ebd. A. a. O., 44f. A. a. O., 45. Vgl. dazu den zweiseitigen Brief Hirschs an Stapel vom 27. 9. 1934. Vgl. auch Assel, Emanuel Hirsch, 59f. 1267 Vgl. hierzu etwa den zweiseitigen Brief Hirschs an Stapel vom 2. 11. 1934. Hirsch betonte allerdings auch in dieser Lage, in der »sachlichen Haltung« auf »jeden Fall ganz der Alte« zu bleiben: Er werde »unter schwierigerer Lage und in der dann gebotnen Form weiter für ein auf dem Boden des Nationalsozialismus stehendes evangelisches Christentum kämpfen.« Sollten die DC erhalten bleiben, dann bleibe er »auch bei ihnen.« A. a. O., 2. 1268 Hirschs Brief an Grimm vom 23. 2. 1935, in dem Hirsch erwähnt, dass Müller ihn »im Winter 1933/34 abgehängt« habe.

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Sequester«, der verhindere, »daß die Kirchenpolitiker die Kirche ganz kaputt machen.« Allerdings wandte er sich in einem Brief an Wilhelm Stapel vom 14. 4. 1935 gegen »die neuste Hetze der Basler und der Bekenntnisfront«, die behaupteten, »daß Hitler den Summepiskopat in Anspruch nehme« und betonte, dass es nur darum gehe, dass der Staat das »ius circa sacra bei einer Gefährdung der Ordnung und des Lebens« ergreife, um »die äußern Angelegenheiten der Kirche« zu regeln.1269 7.) Mit Einsetzung des Reichskirchenausschüsse (RKA) im Oktober 19351270 schien sich für Hirsch die Lage wesentlich geändert zu haben.1271 Die Grundlage seiner Argumentation bilden zwei grundlegende Überzeugungen: a) »Nach evangelisch-lutherischer Anschauung« gebe »es nur eine rechtstragende öffentliche Gewalt« und zwar »die der weltlichen Obrigkeit oder (wie wir heute sagen) des Staats.« (385) b) Deswegen sei auch »alles Recht auf Erden, auch das Recht der Kirche«, die ja »verfaßte Körperschaft öffentlichen Rechts«, sei »von der Souveränität des Staats getragen.« (385) Auf der Grundlage dieser Verhältnisbestimmung von Staat (Souverän) und Kirche (öffentliche Körperschaft innerhalb des Souveräns neben anderen) argumentierte Hirsch folgendermaßen: 1.) Der »Staat als einziger Träger der gesamten Rechtsordnung im Volksbereich« solle »die Kirchenhoheit (das ius circa sacra)« (385) inne haben und habe es durch die Existenz des RKA auch faktisch inne. 2.) Prinzipiell verzichte er da1269 Im März 1935 hatte Ludwig Müller sich über den zu erwartenden »Summepiskopat des Führers« geäußert. Vgl. Schneider, Reichsbischof Ludwig Müller, 218; Meier II, 38–40. Die VKL hatte daraufhin in Leipzig eine Erklärung über »Kirche, Recht und Staat« herausgegeben, in der sie die Idee des Summepiskopats als nicht schrift- und bekenntnisgemäß und deshalb theologisch untragbar abgelehnt hatte (Die Erklärung, deren Entwurf von Hans Lilje stammte, ist abgedruckt in Schmidt, Dokumente des Kirchenkampfes II, 91–93). – Barth, auf den Hirsch hier anspielen dürfte, äußerte sich Eduard Thurneysen gegenüber erleichtert. Er habe sich durch die Erklärung der VKL sogar veranlasst gesehen, Niemöller, Hesse und Immer seine Zustimmung zu geben, wieder in den Reichsbruderrat einzutreten. Brief Barths an Thurneysen vom 27. 4. 1935, in: Bw.Th. III, 873–879, besonders 874–876. 1270 Im Frühsommer 1935 unternahm der nationalsozialistische Staat den Versuch, den zerstrittenen Protestantismus in Deutschland unter seine Kontrolle zu bekommen, indem mit Hanns Kerrl einer der wenigen Evangelischen im direkten Umfeld von Hitler zum Reichminister für die kirchlichen Angelegenheiten ernannt wurde. (Vgl. Erlass über die Zusammenfassung der Zuständigkeiten des Reichs und Preußens in Kirchenangelegenheiten, vom 16. Juli 1935, in: RGBl. 1935, Teil I, 1029) Kerrls Kompetenzen wurden näher bestimmt im Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche, vom 24. September 1935, in: RGBl. 1935, Teil I, 1178. Auf Grundlage dieses Gesetzes erließ Kerrl am 3. Oktober 1935 eine erste Verordnung, mit der er einen RKA zur Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche und einen Landeskirchenausschuss (LKA) für die Leitung der Kirche der altpreußischen Union einrichtete. Vgl. Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche, vom 3. Oktober 1935, in: RGBl. 1935, Teil I, 1221. 1271 Vgl. hierzu Hirsch (11. Juli 1936), Die Vollmacht des Reichskirchenausschusses und der evangelisch-lutherische Christ. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden auf diesen Aufsatz Hirschs.

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gegen auf »das Kirchenregiment (das ius in sacra)« und überlasse »es der Kirche, sich selbst zu verwalten.« (385) Vor dem Hintergrund dieser Differenzierung zwischen Kirchenregiment (ius in sacra) und Kirchenhoheit (ius circa sacra) bewertete Hirsch die kirchliche Lage Ende 1934 als Notstand, in dem sich der Staat als einziger irdischer Souverän legitimerweise des »Notrechts« bediente, weil er sich »zwiefach zu helfendem Eingriff veranlaßt« (386) sehen musste: Er kam damit seiner Aufgabe »als Hüter aller Rechtsordnung im Volke« und »als Treuhänder aller großen öffentlichen Güter des deutschen Volkes« (386) nach. Er übte also treuhänderisch die Kirchenhoheit aus und griff in das Kirchenregiment nur zögerlich und helfend ein, um mithilfe des RKA als einem »Notkirchenregiment«1272 (387) einen »Übergang« zu schaffen »zu einer kirchlichen Neuordnung, die die Kirche wieder als öffentliche Korporation« konstituieren sollte, die ihr eigenes »Hausregiment ohne staatliche Beihilfe üben kann.« (387) Deshalb sei jeder »Widerstand gegen die Ausschüsse« als »Aufruhr« zu betrachten und »damit ein Verstoß gegen das, was die Liebe zu tun schuldig« sei. (387) Um »kirchliches Handeln durch bekenntnismäßige Verengung des Begriffs der reinen Lehre« (384) zu vermeiden und um den »um das Bekenntnis Eifernden« (385) entgegenzuwirken, begrenzte Hirsch das kirchliche Notrecht: Ob die Voraussetzungen für Notrecht vorlägen oder nicht, könne nicht allgemein gesagt werden, denn sei es eine Gewissensfrage, die nicht »selbstherrlich« (386) missbraucht werden dürfe.1273 Wo nämlich »Notrecht in Anspruch genommen« werde, ohne dass die dafür Voraussetzungen erfüllt seien, da werde »der Mensch an der göttlichen Wahrheit selber schuldig«. (388)1274 Deswegen sei es »ein böses Ding, Notrecht des Gewissens ohne wirkliche unausweichliche Not des Gewissens zu üben.« (388) Zusammenfassend lassen sich Hirschs Überlegungen zum Summepiskopat die folgenden Tendenzen entnehmen: 1.) Hirsch war in seinen Überlegungen zum Summepiskopat keineswegs eindeutig und geradlinig. a) Er betonte auf offizieller Ebene (Reichskirchenleitung) zwar, dass die kirchliche Eigenständig1272 Hirsch sprach meist von »Notregiment« (vgl. a. a. O., 387–389) und einmal auch von »Notkirchenregierung« (a. a. O., 389). Die Begriffe verwendete er austauschbar und ohne erkennbaren Bedeutungsunterschied. 1273 Vgl. a. a. O., 387–389. 1274 In einer kurzen Thesenreihe mit 6 Thesen argumentierte Hirsch kurze Zeit später dafür, dass der »alte Kalvinismus«, wie ihn Calvin selbst vertreten habe, »über Staat und Kirche grundsätzlich ebenso« denke »wie Luther« und versuchte geschichtlich nachzuweisen, dass es geschichtliche Entartungen waren, die den Neukalvinismus hervorgebracht hätten. Auch hier diente Barth als Feindbild, wenn Hirsch schließt: »nach dem langsamen Unterminierungsprozeß des neunzehnten Jahrhunderts hat dann Karl Barth das ganze deutsche Luthertum in den neukalvinistischen Wahn hineingerissen, es gebe göttlich gebotne Formen kirchlicher Verfassung, und die Kirche sei gegen den Staat eignes Subjekt des Rechtes.« Hirsch (November 1936), Staat und Kirche im Kalvinismus, 865.867.

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keit staatlicherseits gewahrt werden solle und wies Vorwürfe, dass Hitler das ius in sacra übernehmen wolle, mit dem Hinweis zurück, dass sich der Staat auf die Ausübung des ius circa sacra (in Notfällen!) beschränken werde. b) Einzelne Aussagen Hirschs – insbesondere in seinen Briefen – lassen jedoch durchblicken, dass er, wenn die Situation und das Verhalten der Kirchenleute und Theologen es erforderten, auch stärkere Eingriffe des Staates in kirchliche Angelegenheiten (ius in sacra) befürworten werde. 2.) Hirschs Haltung gegenüber dem Summepiskopat hing also stark vom Verhalten seiner Gegner und von der gegenwärtigen Lage ab. Ob Notrecht und somit die gewissensbindende Voraussetzung für ein staatliches Notkirchenregiment vorlag, betrachtete er als eine individuelle Entscheidung des Gewissens. 3.) In der neuen Epoche des gesunden Verhältnisses des Nationalsozialismus zur Kirche deutete Hirsch per se jeden Widerstand gegen den Staat als einzig legitimem Träger irdischer Gewalt als politischen und kirchlichen Selbstmord der Kritiker.

4.5.6. Mai 1934: »Mißbrauch des Bekenntnisses und Bekenntnisgottesdienstes zur Agitation« Wie in den Ausführungen zum Summepiskopat angedeutet, hatte Hirsch große Erwartungen bezüglich der Schaffung eines Einheitsbekenntnisses mit der Barmer Bekenntnissynode verbunden. Natürlich sah er – vor allem verkörpert durch Karl Barth – die Gefahr, dass Bekenntnisfragen ins Zentrum der Debatten gestellt würden und dass es somit zu weiteren theologischen Streitigkeiten kommen könnte. Dass die erste freie Bekenntnissynode ein Resultat wie die Barmer Theologische Erklärung hervorbringen würde, hatte Hirsch jedoch offenbar nicht erwartet. Er kam in seinen Schriften im Juni 1934 mehrfach expressis verbis auf den »Kirchenkampf«1275 zu sprechen. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass er davon überzeugt war, »daß die Organisation des Pfarrernotbundes sich zu einem Teile als Gegenkirche in der Kirche ausbaute« und dadurch, »jeglichen Versuch eines Friedens zerstörte und kirchliches Regiment und kirchliche Ordnung in 1275 In Hirschs Schrift vom 1. 6. 1934 Von christlicher Freiheit tritt der Begriff »Kirchenkampf« dreimal auf: 22. 23 (»Kirchenkampf 1933/34«). 31 und kurz darauf in der Schrift vom 4. 6. 1934 Evangelische Kirchenordnung viermal: 38. 47. 53 (zweimal). Gegen Karl Barth wird auch in dieser Schrift immer wieder heftig polemisiert, er gilt als »Kirchenkämpfer Karl Barth« (a. a. O., 39). Hirsch dürfte ihn als Hauptexponent derer betrachtet haben, die er »alles Blendwerks«, dessen sich die kleinen »Bekenntnispäpste« bedienten, »zu entkleiden« (a. a. O., 38) trachtete. Barth war für ihn der Inbegriff des politischen Querulanten und bot Projektionsfläche für sein Feindbild des Zwietracht und Spaltung in den Raum der Kirche bringenden und die Bewegung, den Staat und seine Kirchenpolitik bekämpfenden Theologen.

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den 1933 entstandenen rechtlichen Verhältnissen unmöglich machte.«1276 Durch diese Umstände sei »die Reichskirchenleitung ihrerseits gezwungen worden, die 1933 stecken gebliebne kirchliche Revolution weiter voranzutreiben und die Voraussetzungen für eine Neuordnung der evangelischen Kirchen von Grund auf zu schaffen.«1277 Im Zentrum des Kirchenkampfes stand neben der Bekenntnisfrage der »Streit um die rechte kirchliche Ordnung«. Auf Seiten »des teilweise zur Gegenkirche werdenden Widerstands« verkenne man die »Dialektik der reformatorischen Anschauung«, die sich grundsätzlich auf die Frage beziehe, »auf welchem Wege das Amt der Verkündigung und die christliche Versammlung heute im deutschen Volk mit seiner neuen politischen Verfaßtheit errichtet und bewahrt werden sollen.«1278 Zusätzlich zu dieser Verkennung des reformatorischen Weges, kirchliche Ordnung gemäß dem Gebot der Stunde und in Eintracht mit dem verborgenen und offenbaren Souverän zu bilden, komme es im Kirchenkampf auf Seiten des kirchlichen Widerstandes zum »Mißbrauch des Bekenntnisses und Bekenntnisgottesdienstes zur Agitation«1279. Die Bewegung der DC könne für sich in Anspruch nehmen, den Weg des reformatorischen Kirchentums zu bestreiten, denn »nur unter ihm« sei »die Kirchenordnung unter den Grundsatz gestellt, der allein ein gutes Gewissen zu einer kirchlichen Revolution hergeben kann: den der christlichen Freiheit, die nach Einblick in die Lage und in die Stunde, unabhängig von der Gewohnheit, ungekränkt von einem heiligen Recht des Bestehenden, die Kirchenordnung unbefangen als ein menschliches Werk zu sehen und zu vollbringen wagt und nur eine Verantwortung darinnen kennt, die Verantwortung, der Verkündigung des Evangeliums auf die jetzt hier mögliche beste Weise den tragenden äußeren Halt zu gewähren.«1280 Bei dem kirchlichen Weg der BK handle es sich dagegen »um eine Kirche, die sich im Gegensatz zum reformatorischen Kirchentum nicht mehr als vom Ganzen des Volks getragne Ordnung« empfinde, sondern »als ein Gebilde ganz eignen Rechtes und ganz eigner Art dem Volke und seinen Ordnungen gegenübertritt.«1281 Unter der Voraussetzung, dass die Kirche 1.) den reformatorischen Weg des Kirchentums zu gehen und sich somit 2.) nicht von seinem Volke entfremden dürfe, laute die Frage »an der sich Recht und Unrecht im Streite« entscheide, die Streitfrage, um die im Kirchenkampf also eigentlich gestritten werde:

1276 1277 1278 1279 1280 1281

Hirsch (Juni 1934), Evangelische Kirchenordnung, 35. Ebd. A. a. O., 45. Ebd. A. a. O., 37. A. a. O., 47.

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wie sind Stunde und Lage in unserm Volk heute? Allein Stunde und Lage können entscheiden, ob reformatorisches Volkskirchentum oder von Not wegen neureformiertes Aussonderungskirchentum heut der von Gott gebotne Weg unsrer Kirche ist. Der Gegensatz in der Frage der Kirchenordnung führt sich tatsächlich auf einen Gegensatz in dem Verhältnis zu dem politisch-geschichtlichen Geschehen im deutschen Volke 1933/ 34 zurück.1282

Auf der Grundlage seiner eigenen Deutung des Jahres 1933 sei man zum Wagnis der Entscheidung gerufen. Dieses Wagnis setze immer voraus, dass »Stunde und Lage« richtig und angemessen »erlebt und gedeutet sein« wollen »und das Risiko, fehlzugreifen, ist sehr, sehr groß«.1283 Dieses Wagnis sei aber nur dann »echt«, wenn es nicht »durch ein unwahres talmudisches Gerede von der Geschichtsgelöstheit der Kirche verhüllt«1284 werde. Die potentielle Irrtumsmöglichkeit dessen, der die Geschichte deute und nach dem mutmaßlichen Willen Gottes gehorsam handele, könne vor dem Hintergrund des Wesens der Geschichte niemals ausgeschlossen werden. Geschichte werde nämlich »immer auf das erst Werdende, noch Ungegebene zu verstanden und entschieden, und wie wir sie verstehen und unsern Weg bestimmen, ist selber mit der Weg und die Entscheidung, in der Geschichte sich vollbringt.«1285 Deshalb könne niemand »einem andern beweisen, daß das volkisch-politische Geschehen von 1933 tatsächlich ein solcher Geschichtsumbruch«1286 war. Aber noch im Juni 1934 hatte der Kirchenkampf-Begriff trotz aller Problematik für Hirsch eine eindeutig positive Konnotation und trug verheißungsvolle Elemente in sich: Zwar konzedierte er, dass der kirchliche »Weg zurück zu einer deutschen und christlichen Volksordnung aus einer Zeit der Zersetzung und Entchristlichung« heraus »mühselig und gefahrvoll« sei, doch dies sei noch lange kein Grund für Einwände »wider das Ja zu dem Geschehen von 1933 als einer großen gottgeschenkten Möglichkeit«.1287 Er war nämlich davon überzeugt, »daß 1282 A. a. O., 48. 1283 Ebd. 1284 A. a. O., 51. – Das antijüdische und negativ gebrauchte Substantiv »Talmud« sowie das dazugehörige Attribut »talmudisch« tritt auch an anderer Stelle polemisch in dem Begriff »talmudische Judenchristlichkeit« auf. A. a. O., 49. 1285 Ebd. 1286 Ebd. 1287 A. a. O., 52. Für Hirsch kam alles darauf an, dass man »das deutsche Geschehen von 1933 als eine Gottesstunde« zu verstehen hatte, die das deutsche »Volk neu in die Frage nach Gott, neu auf den Weg zu einer deutschen und christlichen Volksordnung« gestellt habe. A. a. O., 49f. Barth dagegen behaupte in seiner Geschichtslosigkeit, »das deutsche Geschehen von 1933 sei nichts als die Fortsetzung des Zeitalters des Säkularismus und der Nivellierung und der Entchristlichung unter andrer gefährlicherer Gestalt, und aus der Tatsache, daß es so sei, ergebe sich die Notwendigkeit einer Bekennerkirche, die Volk und Staat als einem Felde dämonischer weltanschaulicher Mächte mit sich aussondernder Selbständigkeit gegenübertrete.« A. a. O., 50.

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Gott im Leben des Volks und im Leben des Einzelnen die großen Möglichkeiten nie anders schenkt als durch Gefahr und durch Not hindurch.«1288 (52) In diesem Sinne sprach er die Hoffnung auf eine »verborgene Ehre« des »Kirchenkampfes« (53) aus. Aus dem geschilderten Ringen um Bekenntnis und Kirchenordnung gehe diese verborgene Ehre des Kirchenkampfes hervor: Das evangelische Christentum kann seiner Art nach nicht mechanisch gleichgeschaltet werden mit einem politischen Geschehen. Es kann seiner Art nach in einer neuen Stunde von Volk und Staat nur auf Grund einer Bewegung von innen heraus selber neu werden zu neuer Gestalt. Das ist im Gange.1289

Das theologische Ringen um das rechte Bekenntnis und Bekennen – und somit das Kernanliegen der BK – widersprach Hirschs Wirklichkeits- und Bekenntnisverständnis zutiefst. In dem Moment nämlich, in dem die Bekenntnis- und die Kirchenordnungsfrage ins Zentrum der Auseinandersetzungen rückten, bereitete der Kirchenkampf den Streitenden Unehre und war für die Neuwerdung von Kirche und Staat geradezu verderblich. Alles kam deshalb letztlich darauf an, wie das Jahr 1933 gedeutet wurde: Entweder man deute es als die große Stunde für Kirche und Staat und als das Ende des zersetzenden Säkularismus der Weimarer Republik (Deutung der DC) oder man verkenne die gottgegebene Möglichkeit, indem man die Kirche aus dem Fluss der Geschichte herausreise und Fragen der äußeren Ordnung, Angelegenheiten der sichtbaren Kirche theologisch verbräme (Weg der BK). Trotz seiner Hoffnung auf die Schaffung eines Einheitsbekenntnisses durch die kirchliche Opposition erwartete Hirsch von dieser Seite nicht viel. In dem bereits zitierten Brief an Wilhelm Stapel vom 31. Mai 1934 äußerte er die Meinung, dass es nun am besten wäre, »wenn Krach und Gift und Galle in der evangelischen Kirche sechs Wochen lang immer noch größer werden, daß jeder denkt, nun ist es wirklich aus, und stärker können sich die evangelischen Christen nicht bescheißen.«1290 An diesem Punkt war die evangelische Kirche durch Barmen und die Entstehung der BK angekommen, nur dass sich das erhoffte Einheitsbekenntnis als wesentlich problematischer erwiesen hatte, als erhofft.

1288 A. a. O., 52. 1289 A. a. O., 53. 1290 So Hirsch in seinem Brief an Stapel vom 31. 5. 1934, 2.

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4.5.7. Oktober/November 1934: »politischer Theolog« und »politische Theologie« Das Jahr 1934 sollte jedoch für Hirsch noch weitere böse Überraschungen bereithalten als die Entstehung der BK und der Barmer Theologischen Erklärung. Von Oktober bis November 1934 folgte in einem kurzen Zeitraum eine Hiobsbotschaft, die Hirschs kirchlich-theologische aber auch völkisch-politische Haltung maßgeblich prägen sollte, der nächsten: 1.) Am 1. Oktober 1934 veröffentlichte sein früherer Weggefährte und Freund Paul Tillich1291 einen kritischen offenen Brief an Hirsch unter dem Titel Die Theologie des Kairos und die gegenwärtige geistige Lage.1292 in der Novemberausgabe der Theologischen Blätter. Nicht zuletzt als Reaktion darauf nahm Hirsch Tillichs Vorwurf, »politischer Theolog« zu sein, in sein Selbstverständnis auf und bezeichnete seine eigene Theologie fortan als »politische Theologie«1293: Er betrachte ja wirklich, »wenn es aufs Biegen oder Brechen« komme, »die verfaßte und geordnete Kirche« – d. h. die sichtbare im Gegensatz zur unsichtbaren Kirche – »als ein politisches Gebilde«, und wolle dieses »so gestaltet sehen«, wie »es für die Heiligung und Bewahrung des politisch geformten volkhaften Nomos am besten« sei. Dabei sei ihm »als Christen klar«, dass »im zum Christentum als Volk übergegangnen deutschen Volke nur der Gott des Evangeliums 1291 Zur engen freundschaftlichen Beziehung zwischen Tillich und Hirsch bis 1914 vgl. Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich, 3–26 und zu ersten Spannungen aufgrund konfligierender politischer Haltungen (Hirsch: Nationalist / Tillich: Sozialist) sowie widerstreitender Deutungen des ersten Weltkrieges, die schließlich zur Trennung der Weggefährtschaft der beiden Theologen führten vgl. a. a. O., 27–64. 164–264. – Einschlägig ist hierfür der von Hans-Walter Schütte edierte Briefwechsel 1917–1918. Subjektivität und System. 1292 Zur Hirsch-Tillich-Debatte, in deren Zentrum der Kairos-Begriff und ein damit verbundener Plagiatsvorwurf Tillichs stand, und die somit die rechte Deutung der Lage zum Gegenstand hatte vgl. die ausführlichen Darstellungen in Christophersen, Kairos, 157–215; Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich, 337–423; Reimer bietet auf VIII, Anm. 1 eine ausführliche Bibliographie zur Hirsch-Tillich-Debatte. – Die drei zentralen Texte, in denen sich diese hochinteressante Debatte abspielte, sind: 1.) Tillich (November 1934), Die Theologie des Kairos, 2.) Hirsch (November 1934), Christliche Freiheit und politische Bindung. Im Anschluss an den Brief an Stapel und einen Brief an Eduard Geismar mit dem Titel Kreuzesglaube und politische Bindung (a. a. O., 48–75) bietet Hirsch eine Thesenreihe, die seine grundsätzlichen theologischen und politischen Unterschiede zu Tillich und Geismar thematisiert unter der Überschrift Drei Thesenreihen (a. a. O., 76–96). 3.) Tillich (Mai 1935), Um was es geht. 1293 Dreiseitiger Brief Hirschs an Stapel vom 12. 11. 1934. Auf diesen für Hirschs Selbstverständnis und Politisierung bedeutsamen Brief weist auch Assel, Emanuel Hirsch, 60f hin. Vgl. hierzu auch Hirschs 2. Brief vom 19. 11. 1934 (dreiseitig), in dem Hirsch sein »Geheimnis« (a. a. O., 2) über Barth verrät (vgl. dazu Assel, »Barth ist entlassen…«, 83–85.) und sich in Aussagen versteigt wie: »Ich finde, solche Kerle wie v. Soden gehören ins Konzentrationslager!« und über sich selbst aussagt: »Ich werde innerlich ein immer radikalerer Nationalsozialist, und die letzten Reste von Bürgerlichkeit sind ausgetilgt.« A. a. O., 2.

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diese Heiligung und Bewahrung irdischen Lebens tragen« könne, und diese Überzeugung werde »ja nun wohl eine politische Theologie sein.«1294 Nicht nur die Selbstbezeichnung als politischer Theologe und die Bestimmung seiner eigenen Theologie als politische Theologie gingen in Hirschs Denken über, sondern auch ein signifikanter Umbruch bzw. Perspektivwechsel im Kern seiner Theologie, der sich in der programmatischen Formel christliche Freiheit und politische Bindung1295 niederschlug: Obwohl (oder vielleicht gerade weil) Hirsch – in Kontinuität zu seinem Werk Die gegenwärtige geistige Lage – die Dialektik des Horos (der Grenze) in seiner Geschichtlich- und Göttlichkeit betonte,1296 geschah für ihn genau an diesem Ort »die für den deutschen Aufbruch charakteristische Verknüpfung von neu lebendig werdender verantwortungsgeladener religiöser Erschlossenheit und harter Bindung an den irdischen volkhaft-staatlichen Nomos mit seinen erdenschweren biologischen Voraussetzungen« als »eine echte innerliche Einheit voller Tiefe und Paradoxie.«1297 Mit dem Begriff der 1294 Hirsch an Stapel vom 12. 11. 1934, 1. 1295 Hirsch (November 1934), Christliche Freiheit und politische Bindung erschien am Bußtag, 16. 11. 1934. Hirsch bezeichnete sich hier erstmalig öffentlich als »politischen Theologen«, betonte jedoch, dass es sich zwar um »ein Buch in Kampfeslage« handle, dass es aber nicht den »Kirchenstreit behandle«. (a. a. O., 6) Der Inhalt des Briefes wurde im Kontext der Hirsch-Tillich-Debatte bereits eingehend diskutiert. Wir begnügen uns mit der Darstellung eines bisher wenig beachteten Aspektes daraus, der eine Entwicklung von Hirschs kirchenpolitischem Denken und in seiner Deutung des Kirchenkampfes nahezulegen scheint. 1296 Vgl. a. a. O., 17–19. Das Wort »Grenze« sei ihm »zum entscheidenden Zeichen der unergründlichen dialektischen Doppelbeziehung des Zeitlichen und des Ewigen und damit des Geheimnisses in der notvollen Tiefe geschichtlicher Existenz« geworden. A. a. O., 18. Der Begriff der Grenze schwebe also »in dem ineinander geketteten Doppelsinn von einerseits der geschichtlichen Wirklichkeit, die nach ihrer schlechthin gegebnen Besonderheit und ihrer zu Dienst rufenden Macht die Vernunft und Freiheit« grenze und binde, »und anderseits der unendlichen göttlichen Hoheit und Gewalt, die als das verborgne Geheimnis jenseits des geschichtlichen Lebens das vergängliche geschichtliche Leben« erschüttere und verzehre »mit der Macht des Ewigen, indem sie es grenzend« bewahre. A. a. O., 17f. – Vgl. hierzu Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 41–44. Bereits hier betonte Hirsch die »Mehrdeutigkeit« des Horos: 1.) »Einmal den Horos der geschichtlichen Wirklichkeit in ihrer volkhaften Besonderheit und ihrer uns Möglichkeit und Dienst und Richtung gewährenden waltenden Macht, die sie vor und über und in unserm Denken und Handeln ist und die mit ursprünglicher Hoheit jetzt in uns aufgebrochen ist, um durch uns an uns Nomos zu werden.« Diese geschichtsimmanente Dimension des Horos habe sich also dem deutschen Volke als Nomos bereits im Januar 1933 erschlossen. 2.) »Zweitens aber, in und mit dem allen hat uns die Grenze auch bedeutet den Willen und die Gewalt des Herrn der Geschichte, der uns wohl in der geschichtlichen Wirklichkeit greift und ruft, eben damit aber auch Horos wider unser wie alles menschlich-geschichtliches Lebens ist in einer unbegreiflichen Majestät.« A. a. O., 42. Der 2.) »heilige Horos« von Seiten der Transzendenz und der 1.) »geschichtliche Horos« von Seiten der Immanenz standen für Hirsch in einem dialektischen und komplementären Verhältnis, d. h. sie bestanden immer in- und getrennt voneinander, aber weder nebeneinaner noch abgeschieden voneinander. An dieser Grenze traf die christliche Freiheit auf die Pflicht der politischen Bindung des Christen. 1297 Hirsch (November 1934), Christliche Freiheit und politische Bindung, 17.

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Grenze bezeichnete Hirsch also letztlich die existenzielle Begegnung zwischen dem Gott als dem »Herrn der Geschichte«1298 und dem Nomos des deutschen Volkes. In dieser Begegnung werde der Nomos vom geschichtlichen Horos durchdrungen und dadurch an den göttlichen Horos gebunden. Deshalb gehörten fortan die »Begriffe ›Stunde‹, ›Augenblick‹, ›Geschichtswende‹, ›Entscheidung‹, ›Tat‹, ›gegenwärtige geschichtliche Forderung‹ (auch Pflicht, Aufgabe, Ruf usw.)«1299, für Hirsch nicht nur »zu den Selbstaussagen des deutschen Geschehens von 1933«1300, sondern selbstverständlich auch »zu dem eisernen Bestand« seines eigenen »Geschichtsdenkens«1301. Es dürfte also das Selbstverständnis der politischen Bewegung des Nationalsozialismus als Nomos des deutschen Volkes selbst gewesen sein, das die unbedingte – von Seiten des heiligen Horos geheiligte – Bindung und somit den absoluten Gehorsam fordern konnte und musste. Diese subtile Weiterentwicklung des Gedankens der politischen Bindung in Hirschs Lehre scheint mir folgendermaßen präziser greifbar zu werden: Noch im Juli 1934 räumte Hirsch in Bezug auf die Deutung der Lage zumindest eine potentielle Irrtumsmöglichkeit ein, wobei trotzdem das Wagnis der Geschichtsdeutung als Pflicht einzugehen sei.1302 Auch gestand er im Juli 1934 noch die potentielle Möglichkeit ein, dass die Lage auch anders gedeutet werden könne, als er es getan habe, und dass jemand, der dies tue, »im Streite um die Ordnung der Kirche dennoch« sein »Bruder«1303 sei. Im November 1934 ging Hirsch jedoch einen entscheidenden Schritt weiter, indem er die politische Bindung an die NS-Bewegung, die den deutschen Nomos als dessen offenbarer Souverän vertrete, als verbindliche göttliche Pflicht (v)erklärte. Zwar vermied er es, die politische Bewegung selbst zu vergöttlichen, doch die politische Bindung an sie bekam eine religiöse Weihe,1304 die in starkem Kontrast zu der im Rahmen seiner Ekklesiologie entgöttlichten, d. h. auch entbindenden christlichen Freiheit stand. Dieses Vakuum bildete den ideologischen Nährboden für die theologisch begründete Heteronomie der Kirche in ihrer Beziehung zum NS-Staat.

1298 Ebd. – Der Versuch, die Einheit des Gottes der Ehre mit dem Gott der Liebe und des Leidens (s. o. Kap. 3.4.9.) zu erweisen, schlägt sich nicht zuletzt in der Doppelprädikation Gottes als »Herr des Evangeliums und der Geschichte« nieder. Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 147. Dieses Moment muss als zentrales und genuines theologisches Spezifikum Hirschs betrachtet werden. 1299 Hirsch (November 1934), Christliche Freiheit und politische Bindung, 23. 1300 A. a. O., 22. 1301 A. a. O., 23. 1302 S. o. Kap. 4.5.6. 1303 Hirsch (Juni 1934), Evangelische Kirchenordnung, 52. 1304 In diesem Sinne hatte auch Tillich erklärt, er könne seine Kritik an Hirsch »in den Satz zusammenfassen: Du verkehrst die prophetisch-eschatologisch gedachte Kairos-Lehre in priesterlich-sakramentale Weihe eines gegenwärtigen Geschehens.« Tillich (November 1934), Die Theologie des Kairos, 152.

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2.) Am 19. bis 20. Oktober 1934 tagte die 2. Bekenntnissynode in BerlinDahlem und brachte das Dahlemer Notrecht der Kirche hervor. Assel weist mit Recht darauf hin, dass damit Hirsch im November 1934 »den schlimmstmöglichen Fall gekommen« sah: »Eine evangelische Kirche, die sich aufgrund eigenen Notrechts endgültig unabhängig vom nationalsozialistischen Staat konstituierte«, vergebe gerade dadurch »die einmalige historische Gelegenheit, den Nationalsozialismus als eine für das Christentum geöffnete moderne, das heißt völkisch-rassische Weltanschauung mitzugestalten. Sie selbst trage – selffulfilling prophecy – die Schuld an seiner möglichen antichristlichen Wendung.«1305 Hirsch war durch direkte Gespräche mit Christian Kinder und Ludwig Müller Ende Oktober/Anfang November bestens über die Ereignisse informiert und bemühte sich trotz zunehmender Isolation auf die Ereignisse einzuwirken.1306 3.) Am 22. 11. 1934 erfolgte die Gründung der VKL I. Hirsch äußerte sich in einem Brief an Stapel kurze Zeit später sehr detailliert dazu:1307 Die Aufrufe an alle evangelischen deutschen Christen, »das vorläufige Kirchenregiment anzuerkennen und die Beziehungen zu ihm aufzunehmen«1308, interpretierte er als »so etwas wie Nötigung« (1) und Marahrens’ Handeln als »völlige Notrechtusurpation«, die »rechtlich bisher das Tollste« sei, »was in der Kirchenpolitik vorge1305 Assel, Emanuel Hirsch, 60. Zu der im folgenden vorgelegten Deutung vgl. a. a. O., 60–63 und die zahlreichen Briefe an Stapel in diesem Zeitraum, die sich fast ausschließlich mit der Deutung der Lage und den Konsequenzen, die daraus zu ziehen seien, beschäftigten: Hirsch an Stapel vom 2.11., 5.11., 9.11., 12.11. (2 Briefe), 19.11. (2 Briefe), 25.11., 27.11., 30.11. (8 Seiten, beigefügt: Erklärung der VKL vom 23. 11. 1934), 1.12., 3.12. (mit Anhang: »Disziplinarverfahren gegen Karl Barth.« In: Deutsches Volkstum, 2/12), 7.12., 9.12., 13.12., o.D. Zusendung »Karl Barth über die Lage«, 14.12. (2 Briefe), 19.12. (2 Briefe), 20.12. (beigefügt: Abschrift »Barth an Naumann«), 22. 12. 1934; – Hirsch hatte sich in diesem Zeitraum auch stark auf den »Fall-Barth« konzentriert. Vgl. hierzu den Aufsatz Assel, »Barth ist entlassen…«, der vor allem mithilfe der zahlreichen Briefe aus dem Nachlass Stapels im DLA wertvolle Ergänzungen – insbesondere zu Datierungsfragen – zu der sonst sehr brauchbaren und umfassenden Studie Prolingheuer, Der Fall Karl Barth bietet. 1306 Vgl. etwa Hirschs Brief an Stapel vom 2. 11. 1934. 1307 Hirsch an Stapel vom 30. 11. 1934. Der Begriff »Kirchenkampf« taucht in diesem Brief nur einmal auf Seite 6 in einer wenig spezifischen Form auf. Dieser Beleg macht aber deutlich, dass Hirsch die geschilderten Auseinandersetzungen als eine weitere Zuspitzung des Kirchenkampfes betrachtete. Sämtliche Seitenzahlen in Klammern im Text beziehen sich auf diesen Brief. 1308 Erklärung der VKL, 1, hervorgehoben durch Fettdruck und Einzug. Hirsch hatte folgende Passage doppelt am Rand markiert und für Stapel mit der Notiz »NB, Hirsch« versehen: »Es gilt zu handeln, um Kirche und Volk vor schwerster Erschütterung zu bewahren. Unsere Tätigkeit und unser Verhältnis zu den Kirchenleitungen der in ihrem Bekenntnisstand und ihrer Verfassung unberührten Kirchen regelt sich nach der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933. In den Kirchen, in denen ein bekenntnis- und verfassungswidriges Kirchenregiment besteht, wird das vorläufige Kirchenregiment der Deutschen Evangelischen Kirche die von der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche bestellten oder anerkannten Organe der Leitung bestätigen.«

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kommen ist« (3). Das ganze Unternehmen zeige »eine gute und wohlüberlegte Kampfeslinie.« (2) Hirsch witterte die Strategie einer Frontverbreiterung:1309 Man wolle »den Staat in die Zwangslage bringen, einfach um den Folgen willen sich zu beugen und diese Kirchenfahnenkirche1310 anzuerkennen.« Daher habe man »auf jeden Schein des formellen Rechts verzichtet« und »aus Notrecht« gehandelt. (2) Hirsch selbst wolle warten, bis man wisse, »was der Führer endgiltig tue in der Lage«1311. (6) Er selbst werde aber »auf keinen Fall […] etwas mit der Bekenntniskirche zu tun haben bei einem Kirchenbruch.« (6) Die Frage, ob es eine andre Kirche gäbe, bei der er »noch arbeiten und dienen könnte«, müsse er im Falle des Kirchenbruchs erst sehen. Sicher sei nur, dass er »nach wie vor die Kirchenregierung Müller als die allein« für sich selbst »in Betracht kommende Vertretung der evangelischen Kirche ansehe« und dass er sich »von allen Separatisten und allen Streitern gegen diese trennen würde.« (6) In diesem Sinne fasste er seine Deutung der Lage folgendermaßen zusammen: 1309 Den Begriff verwendet Hirsch zwar nicht, aber der Sache nach beschreibt er ein solches Verfahren a. a. O., 2.4. Tatsächlich verhandelte der Reichsbruderrat im November 1934 das Problem der »Frontverbreiterung«, ohne dass dabei ein Ergebnis erzielt oder ein Beschluss gefasst worden wäre. Zu den Vorgängen vgl. Meier I, 514f. – Barth hatte den Eindruck, es gehe bei dem Versuch, »die ›Front zu verbreitern‹« vor allem darum, »die Bekenntniskirche auch denjenigen annehmbar zu machen die […] vom Rei[chs]bi[schof] genug haben, die Barmer Erklärung aber gerade in den entscheidenden Sätzen nicht mitmachen können, d. h. grundsätzlich mit den D.C. nach wie vor ein Herz und eine Seele« seien. Außerdem gehe es »um die Verbreiterung zur Erreichung des […] erstrebten ›Hoch-‹ oder ›Fernziels‹: eine lutherische Reichskirche mit bischöflicher Spitze, in der Unierte und Reformierte gerade noch so etwas wie geduldete Nebenkapellen sein dürften.« So Barth in einem Brief an Thurneysen vom 23. 11. 1934, in Bw.Th. III, 756–763, Zitat 757f. Bei seiner Kritik dürfte Barth auch Künneth gedacht haben. Zu Künneths Haltung zur »Frontverbreiterung« s. o. Kap. 3.4.5, Anm. 798. Vgl. hierzu Meier I, 515–517. 1310 Mit dem Begriff »Kirchenfahnenkirche« spielt Hirsch vermutlich auf den Streit um die Kirchenfahne an, der nach der Novemberrevolution und dem Ende des Landesherrlichen Kirchenregiments entbrannt war. Für einige Theologen wie etwa Otto Dibelius war das violette Fahnenkreuz zum Symbol für die Selbständigwerdung der Kirche geworden. Dibelius begrüßte sie als ein sichtbares Zeichen für »Das Jahrhundert der Kirche«. Vgl. Fritz, Otto Dibelius, 474, Anm. 474; Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche. 1311 Bereits in seinem 1. Brief an Stapel vom 19. 11. 1934 hatte Hirsch seine Hoffnung auf einen klärenden staatlichen Eingriff in die kirchlichen Angelegenheiten bekundet und sein Bedauern darüber ausgesprochen, »daß man gar nichts« tue »und die Kirche sich selber auffressen« lasse. In diesem Brief deutete er die staatliche Passivität geschichtstheologisch: »Aber, vielleicht ist das die Erfahrung, die die Kirche nötig hat, um zu entdecken, wozu sie den Staat braucht. Das deutsche evangelische Christentum ist seit langem in dem Zustand, daß es splittern muß, wenn nicht von der öffentlichen Ordnung die Einigung erzwungen wird. Im Zwischenreich geschah dies durch Druck und Not. Und jetzt geschieht es gar nicht. Es ist wohl von Gott eine große Erziehung, die wir erfahren. Aber der Staat wird auch erzogen. Denn es ist die große Läuterungskrise für die Bewegung. Wenn sie ihren Sinn nicht versteht, dann…« Mit dieser Aposiopese, die vielleicht eher eine Praeteritio darstellt, deutete Hirsch wohl sein komplementäres Staat-Kirchen-Ideal an: Beide waren nach wie vor und trotz allem eben noch immer aufeinander angewiesen und ohne einander verloren.

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Summa summarum, alles was ich durch einen anderthalbjährigen Kampf habe vermeiden wollen, ist auf dem Marsche. Ich habe einmal vor einem Jahre gesagt: die Schwäche meines Verständnisses der nationalsozialistischen Möglichkeit ist, daß die Frommen es durch die Tat ruinieren können und ihr Angst- und Schreckverständnis durch Undankbarkeit und Mangel an Erschlossenheit herbeizwingen können. Das ist nun der Moment, in dem wir stehen. (6)

Weil die Theologen und Kirchenmänner die Urheber der Probleme und dadurch das Problem selbst darstellten, setzte Hirsch fortan alle seine Hoffnungen auf ein Ende des Kirchenkampfes in den Staat. Er hoffte kirchlicherseits darauf, »daß Marahrens scheitern« werde »an seiner unmöglichen Lage« und staatlicherseits darauf, dass »der Staat in den rein äußeren Ordnungsfragen irgendwie ein Ende machen«1312 werde. 4.) Von Seiten Barths drohe überdies aufgrund seiner Erklärung über den Diensteid mit Vorbehalt »eine theologische Debatte über den Sinn des Eides« auszubrechen, was die Gefahr berge, dass durch »das so entstehende neue Wirrnis Karl Barth gerettet und die Kirche noch mehr beschissen« (7)1313 werde.1314 Hirsch betrachtete die Volkskirche und die theologischen Fakultäten als äußerst gefährdet, war jedoch ungebrochen entschlossen, auf dieser Linie für ein »auf dem Boden des Nationalsozialismus stehendes evangelisches Christentum« weiterzukämpfen.1315 Er habe in der gegenwärtigen Lage »eigentlich nur ein Interesse: wie man die Abschaltung der evangelischen Kirche, d. h. wie man das Kirchenghetto vermeiden«1316 könne. Das Feindbild dieser Tage waren nach wie vor die »Bekenntnisfanatiker«, gegen die Hirsch mit seiner nun »ganz politisch (nicht kirchenpolitisch) bedingten Einstellung«, die »die Fragen der verfaßten

1312 Brief Hirschs an Stapel vom 3. 12. 1934. Allerdings erwog Hirsch in demselben Brief auch die Möglichkeit, dass Marahrens »den Staat in die Zwangslage bringen« werde, indem er »drei Fünftel des evangelischen Theologentums nebst Anhang unter sich« vereine, »und zwar unwiderruflich, ehe der Staat sich entschließt.« In diesem Falle könne »es staatlich leichter sein, vor Marahrens zu kapitulieren, als einen Riesenkampf zu inszenieren.« Diese Möglichkeit betrachtete Hirsch sogar kurze Zeit als »die Hauptchance«. – Auch diese für Hirsch äußerst ungewöhnliche Deutung der kirchlichen Lage zugunsten eines bekenntniskirchlichen Flügels zeigt deutlich, dass in Hirschs Augen der Kirchenkampf keineswegs theologisch, sondern nur (kirchen)politisch zu lösen war. 1313 Vgl. hierzu Assel, »Barth ist entlassen…«, 89–92; Gerlach-Praetorius, Die Kirche vor der Eidesfrage, 78f. 1314 S. o. Kap. 2.4.5. und 2.4.6. 1315 So in seinem Brief an Stapel vom 2. 11. 1934, 2; vgl. auch Brief an Stapel vom 5. 11. 1934, 2. 1316 So Hirsch an Stapel vom 5. 11. 1934, 2. Diese Sorge äußerte er in mehreren Briefen an Stapel in diesem Zeitraum. – Der Begriff »Kirchenghetto« taucht jedoch bereits in einem Brief an Stapel vom 2. 12. 1933 auf, in dem Hirsch die Befürchtung im Rahmen einer Erörterung zur Arierfrage äußerte, dass der Versuch, »die Judenchristen vor dem Ghetto zu bewahren« die evangelische Kirche »ins Kirchenghetto bringen« werde. A. a. O., 3.

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und geordneten Kirche immer nur im Zusammenhang mit dem Volksschicksal sehen« könne, als Feinde der Bewegung heftig polemisierte.1317

4.5.8. Weitere Radikalisierung und Politisierung der kirchenpolitischen Haltung Fortan vertieften sich Hirschs Ressentiments gegenüber Kirche und Theologie immer weiter.1318 Er hasste die BK, distanzierte sich aber auch zunehmend von den DC.1319 Seinen Kampf für die nationalsozialistische Sache führte Hirsch, der 1933– 1938 als Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen amtierte,1320 nun hauptsächlich im universitären Rahmen1321 sowie im Nationalsozialistischer Lehrerbund (NSLB)1322 und im Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund1323 fort.1324 1317 Hirsch an Stapel vom 9. 11. 1934. 1318 Stapel gegenüber entledigte Hirsch sich seines Verdrusses über Marahrens mit der Bemerkung, er sei »die Kirche leid« und »verstehe zum ersten Male« in seinem Leben »die ausgesprochne höhnische Kirchenfeindschaft.« Brief Hirschs an Stapel vom 15. 1. 1935. 1319 So betonte er etwa in seinem 2. Brief vom 13. 12. 1936 an Stapel, dass er »die Bekenner hasse«. Er betrachte die BK »als Verderber der Kirche an, wie die Juden als Verderber d[es] deutsch[en] Volkstums angesehen werden müßten.« Die DC »verachte« er aber auch: Sie seien ihm »in ihrer Heerheit [sic] widerlich, und manches an ihnen« sei »einfach Kampf mit dem Heiligen.« Sein »Verhältnis zu den D.C.s« habe »1933 auf der Hoff[nun]g beruht, es möchte gelingen, dem violettgescheckten Kirchenwirrwarr ein Ende zu machen u[nd] die Kirche ins Volksgeschehen hineinzureißen.« Seit Herbst 1933 sei er nur Mitglied der DC geblieben, »um nicht ins Bekenntnisjudenlager zu geraten.« (A. a. O., 1) – Mit dem Attribut ›violettgescheckt‹ spielt Hirsch entweder auf das sog. violette Buch (Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche.) an, das für viele Diskussionen nach dem Zusammenbruch des landesherrlichen Kirchenregiments gesorgt hatte, oder er übt – ähnlich wie Dibelius – Kritik an einem episkopalen Hochkirchentum. 1320 Zu Hirschs Wirken als Dekan in Göttingen vgl. Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich, 126–131. 1321 Vgl. hierzu zahlreiche Briefe an Stapel, die einen Einblick in Hirschs hochschulpolitische Agitationen vermitteln: etwa vom 10. 6. 1934, 19. 3. 1935, 3. 4. 1935, 5. 5. 1935, 2. 11. 1935, 23. 2. 1936, 5. 4. 1936, 23. 4. 1936, 6. 6. 1936, 9. 8. 1936, 2. 9. 1936, 13. 12. 1936, 9. 3. 1939 und Hirsch an Grimm vom 23. 2. 1935, 23. 2. 1936 (Hirsch votiert a. a. O., 3 für das »Führungsprinzip« an den Universitäten). Vgl. auch den interessanten Brief an Grimm vom 7. 5. 1933, in dem Hirsch die Formel: »Wiedergeburt der Universität aus dem Geiste der SA« als glücklichere Variante der »Formel der politischen Universität« vorschlug. A. a. O., 2. 1322 Vgl. hierzu etwa Hirschs Briefe an Stapel vom 3. 4. 1935, 22. 5. 1936. – Seit 1. 11. 1933 war Hirsch förderndes Mitglied der SS und seit 1. 7. 1934 auch Mitglied des NSLB. Vgl. Assel, Emanuel Hirsch, 44f, Anm. 4. 1323 Kurze Zeit vor dem 23. 2. 1936 wurde Hirsch »als Nichtpg. in die Gefolgschaft des NSDoc. Bundes aufgenommen«. Vgl. Brief an Grimm vom 23. 2. 1936; zu Hirschs Arbeit im Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund vgl. Hirsch seine Briefe an Stapel vom 3. 12. 1937, 18. 12. 1937 und vom 31. 12. 1937. 1324 Zu dieser Einschätzung kommt auch Assel, Emanuel Hirsch, 55f.

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In Hirschs Schriften lässt sich die deutliche Tendenz, den Begriff »Kirchenkampf« zu meiden, feststellen. In späteren Privatbriefen und Veröffentlichungen taucht der Begriff selbst überhaupt nicht mehr auf. In seinem einschlägigen Aufsatz aus dem Frühjahr 1936, Die Lage der Theologie, tritt offenbar der Ausdruck »Weltanschauungskampf«1325 als Schlüsselbegriff an seine Stelle. Das ist wohl das Erste, das unsre Lage in der Theologie kennzeichnet: Alle Theologen sprechen vom »Weltanschauungskampf«. Sofern es dabei bloß um die Abwehr der deutschen Glaubensbewegung1326 ginge, dürfte man getrost darüber lächeln. Diese Tagessache wird bald aufgehört haben, ein Schreck für kleine und große Christenkinder zu sein. […] Soweit ich sehe, ist der eigentliche Zutreiber der deutschen Glaubensbewegung niemand anders als der evangelische Kirchenmann, der das Evangelium mit dogmatischen und weltanschaulichen Voraussetzungen belastet, wider die sich alle menschliche Wahrhaftigkeit (meine eigne auch) mit Recht empört. Der »Weltanschauungskampf«, mit dem hier allein etwas auszurichten ist, wäre also entscheidend in unsern eignen Reihen zu führen. (22f)

Seine Ausführungen zum Weltanschauungskampf beginnt Hirsch mit folgender Bemerkung: Die Spannungen innerhalb der evangelischen Theologie, die er in seinem Buche über die gegenwärtige geistige Lage, geschildert habe, »noch mit der Hoffnung«, man könne »sie aus der Gewalt des neuen Anfangs zu einem gemeinsamen Wollen bändigen«, seien »inzwischen mit furchtbarer kirchenzerstörender Gewalt hervorgebrochen.« Der »alte Erfahrungssatz, daß die Theologie, wenn sie herrisch die Kirche zu bestimmen und zu gestalten unternimmt, die Kirche zerreißt«, sei »um einen neuen Beleg bereichert worden.« (21) Solle es gut gehen, so müsse »über die Kirche wieder die Zeit kommen, da das Kirchenregiment ängstlich vermeiden« werde, »sich auf theologische Fragen einzulassen, einfach weil es seinen Dienst, der Kirche das Dasein und die Ordnung zu erhalten, sonst nicht erfüllen« (21) könne.

1325 Der Begriff »Weltanschauungskampf« ist zwar nur dreimal ausdrücklich belegt, doch die damit angedeutete Fragestellung durchzieht die gesamte Darstellung. Hirsch (1936), Die Lage der Theologie, 22f. 47. Der Begriff steht konsequent immer in Anführungszeichen, um anzuzeigen, dass es sich um zeitgenössischen Sprachgebrauch der Theologen handle und um Hirschs Position von diesem Sprachgebrauch inhaltlich zu distanzieren. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich – sofern nicht anders vermerkt – im folgenden Abschnitt auf diesen Schlüsseltext. 1326 »Die an Pfingsten 1934 ins Leben gerufene Deutsche Glaubensbewegung war die bedeutendste Religionsgründung des ›Dritten Reiches‹. Ihre Führer sahen in ihr die Speerspitze eines neuen paganen Glaubens, von dem sie sich erhofften, dass er in nicht allzu ferner Zukunft das Christentum ablösen und an seiner Stelle zur weltanschaulichen Grundlage des nationalsozialistischen Staates werden würde.« Mit dieser treffenden Charakterisierung beginnt Horst Junginger seinen instruktiven Aufsatz zur Deutschen Glaubensbewegung: Junginger, Die deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum der völkischreligiösen Bewegung, 65.

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Allerspätestens ab diesem Zeitpunkt hatte Hirsch also der Theologie und der Kirchenleitung jede theologische Gestaltungsmöglichkeit an der sichtbaren, äußeren Kirche entzogen. Da er Bekenntnisfragen konsequent als Elemente der äußeren Ordnung und somit als Menschenwerk interpretierte, konnte ihnen im Lichte des heutigen Wahrheitsverständnisses nicht wirklich trennende Wirkung zukommen, wie das noch im »Zeitalter des Konfessionalismus«1327 möglich und tatsächlich aufgrund des damaligen Wahrheits- und Wirklichkeitsverständnisses der Fall gewesen sei. Die »neue deutsche Art und Einheit« empfinde außerdem »die geretteten konfessionellen Sonderprägungen nicht mehr als etwas, das als Scheidung zwischen Deutschen und Deutschen ein das Leben bestimmendes Gewicht haben«1328 könne und dürfe. Zum einen bringe nämlich das veränderte Wahrheitsverständnis ein ausgeprägtes Bewusstsein darüber mit sich, »daß das menschliche Leben, Denken und Reden biologisch und historisch bedingt« sei. Dies bringe veränderte erkenntnistheoretische Voraussetzungen mit sich, weil Gott »dieser biologisch und historisch bedingten menschlichen Vernunft schlechthin inkommensurabel« sei.1329 Zum anderen gehöre der Zweifel als konstitutiver Bestandteil zum christlichen Glaube dazu und sei unhintergehbar.1330 Unter diesen Voraussetzungen konnte Hirsch in Bezug auf die Bekenntnisfrage im Protestantismus nivellierend davon sprechen, dass »das eigne Sonderbekenntnis keine christlich verbindliche Ausprägung der Wahrheit des Evangeliums« sei, dass »die früheren Verdammungsurteile einer evangelischen Gruppe gegen die andre unrichtig« seien und dass »also kein zur Scheidung der Kirchen nötigender Streit über die Wahrheit des Evangeliums zwischen den verschiedenen evangelischen Gruppen«1331 bestehe. Hirsch marginalisierte die 1327 Hirsch (Januar 1937), Der überkonfessionelle Charakter der systematischen Theologie, 70. Was hier über das Bekenntnis gesagt wird, gilt natürlich auch für die theologischen Größen Schrift, Dogma und Tradition: Sämtliche autoritativen Quellen des Christentums stünden der radikalen Umformung gegenüber. Sie alle unterlagen dem Primat des Gewissens und hatten somit einen absoluten Wahrheits- und Autoritätsanspruch in jeder denkbaren objektiven Weise für Hirsch verloren. S. o. Kap. 4.4.1. 1328 A. a. O., 63. 1329 A. a. O., 65. 1330 Vgl. a. a. O., 66f. Vgl. hierzu Hirsch (1937), Zweifel und Glaube, besonders: Der Christ und die Geschichtsmacht des Zweifels. – Herms analysiert systematisch und aufschlussreich Hirschs Betrachtung des Christentums »im Kontext der Geistesmächte der Neuzeit«, in welchem dem Zweifel eine zentrale Funktion zukomme. Vgl. Herms, Emanuel Hirsch – Zu Unrecht vergessen?, 31–34. 1331 Hirsch (Januar 1937), Der überkonfessionelle Charakter der systematischen Theologie, 68. In diesem Zusammenhang sprach Hirsch auch Unterschiede marginalisierend von »individuellen Spielarten« (Ebd.) unter der Voraussetzung, »daß alle evangelischen Sonderbekenntnisse nichts als gleichgeordnete Ansätze zur Lösung der Aufgabe christlicher Lehre« seien. (a. a. O., 71) Vgl. auch folgende Bemerkung Hirschs: »Die Unterscheidung von lutherisch und reformiert grenzt sich dabei für Deutschland endgültig ein auf die individuelle Verschiedenheit zweier geschichtlicher Spielarten des gleichen evangelischen Christen-

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Bedeutung von Bekenntnisunterschieden jedoch nicht nur, sondern er fasste sie als vom Volke trennendes und innerkirchlich spaltendes Problem auf. Denn »eine steif auf Lehre und Bekenntnis sich gründende Kirche vermöchte heute, sie sei so geschickt wie sie nur kann, nichts zu sein als eine Weltanschauungspartei, die gegen andre Weltanschauungen Front« mache, und »würde daher einen Riß durch die Gemeinschaft derer bleiben, die zusammen glauben und anbeten sollten.« (55) Für den Fall, dass es nicht gelingen sollte, die deutsche Seele und das Evangelium zusammenzubringen, sei es klar, dass »die Schuld an einem solchen Ausgang des ›Weltanschauungskampfes‹ wesentlich die Theologie und Kirche trügen, die sich dem durch die Wahrhaftigkeit Gebotenen nicht rechtzeitig erschlossen hätten.« (47) Die Dialektik des Horos (geschichtlicher und göttlicher Horos) spielte Hirsch anhand der Begriffe »Weltanschauung und Evangelium« durch.1332 Das Verhältnis von Evangelium und Weltanschauung bestimmte er dialektisch-reziprok.1333 Der Instanz Weltanschauung kam selbstverständlich für Hirsch der Primat in praktischen kirchlichen Fragen zu, denn »die Weltanschauung, in die hinein der politische Wille« erziehe, trage »die ganze Umwälzung des Weltbildes und die ganze Umkehrung des Wirklichkeitsempfindens, die in den letzten zweieinhalb bis drei Jahrhunderten geschehen sind, mit Selbstverständlichkeit in sich.« (27) Zu diesem veränderten Wirklichkeitsempfinden und zum modernen Weltbild passe »die überlieferte Gestalt christlichen Denkens und kirchlichen Lebens, auch die des reformatorischen Christentums, nicht mehr.« Diese komme nämlich »ganz aus dem alten Weltbilde und dem alten Wirklichkeitsempfinden her.« (27) Folglich könne die Aufgabe der Theologie keineswegs darin bestehen, »gegen die hier wachsende Wirklichkeit zu kämpfen, sondern als christlich Glaubende in ihr zu dienen und zu helfen.« (25) Deshalb sprach Hirsch auch von der »Notwendigkeit des Verzichts auf theologische Kirchengestaltung«. (22) Man kann diesen Gedanken auch anders ausdrücken: Der NS-Staat hatte bereits die von Hirsch gewünschte Umformung zum gegenwärtigen Wirklichkeitsempfinden vollzogen. Dieser Umformung mussten sich Theologie und Kirche lediglich tums, die eine Einigung in einer deutschen evangelischen Kirche nicht unmöglich macht, und ist so herausgenommen aus dem angesichts aller theologischen Wandlungen für uns sinnlosen und unwahrhaftigen Lehrstreit zwischen weiland lutherischer und weiland reformierter Schultheologie.« Hirsch (1936), Die Lage der Theologie, 46. Vgl. auch Hirsch (November 1934), Kirche und Bekenntnis, 111–114. 1332 Vgl. a. a. O., 22–30. 1333 »Nie werden wir Weltanschauung und Evangelium richtig voneinander abzugrenzen lernen, wenn wir uns nicht getrauen, der ganzen volkhaften und menschlichen Sphäre unsers natürlich-geschichtlichen Daseins ethisch-religiös so die Ehre zu geben, daß wir sie als die Stätte, an der Gott Menschen ruft und findet, und an der auch das Christentum lebendig empfangen werden will, kennen und daraus die Folgerungen ziehen für unser theologisches Denken und unsre kirchliche Arbeit.« (26f)

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anpassen, wenn sie Teil der Bewegung bleiben wollten. Hinzu kam ein weiterer Gedanke, dessen Bedeutung als geradezu identitätsstiftend für Hirsch nicht unterschätzt werden sollte.1334 Der geschichtstheologische Aufriss des einschlägigen Aufsatzes1335 zu diesem Gedanken muss hier kurz skizziert werden, damit Hirschs Argumentation verständlich wird: Ein erster geschichtstheologischer Strang geht zeitlich von folgenden drei »Epochen« aus: 1.) nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges war das Wahrheits- und Wirklichkeitsverständnis der Deutschen an der Bibel orientiert, d. h. die geistige Heimat der Deutschen war die biblische. 2.) Diese biblische Heimat wurde auf zwei Weisen vernichtet: a) »als Zerstörung des gesamten sozialen Gefüges« des deutschen »Volkes durch Technik und Wirtschaft« (53) und b) »als Auflösung der bibelbestimmten deutschen bürgerlichen und bäuerlichen Weltanschauung durch das moderne geistige Leben« (53). In dieser Zeit war »das deutsche Volk als ganzes äußerlich und innerlich der Heimatlosigkeit ohne Gnade zu verfallen bestimmt« (53f). 3.) »Der Nationalsozialistische Umbruch« habe die Deutschen »in die Erkenntnis der Lage und der aus ihr erwachsenden Aufgabe hineingezwungen. Eine neue deutsche Heimat soll erstehen.« (54) Ein zweiter geschichtstheologischer Strang, der sich ebenfalls einen religionsgeschichtlichen Anschein gibt, ist noch grobschlächtiger und erfolgt wiederum in einem Dreischritt: 1.) In vorchristlicher Zeit gab es zwei Formen der Religiosität: a) die jüdische Gesetzesreligion und das »jüdische Himmelsgesetz« (56) auf der seinen Seite und b) die heidnischen Volksreligionen und das »heidnische heilige Volksgesetz« (56) auf der anderen Seite. 2.) Der christliche Glaube habe von diesen beiden auf unterschiedliche Weise gesetzestreuen Formen der Religiosität, die ein abgeschlossenes Weltbild vermittelten, das deutsche Volk befreit, dadurch von jedem Gesetzes- und Volkszwang frei gemacht und somit das Geschenk der christlichen Freiheit gebracht, die in der Lehre von den zwei Reichen verbürgt sei.1336 3.) Deshalb sei der christliche Glaube »mit den von heidnischem Gotteszwang gereinigten biblisch umgeformten und unter der christlichen Heiligung weiter sich entwickelnden Ordnungen und Anschauungen der frühen christlichen Volkstümer durch Jahrhunderte europäischer Geschichte eng zusammengewachsen.« (58f) Er habe sich folglich daran »gewöhnt, sie als ein 1334 Diesen Aspekt der »identity policy« der Theologie Hirschs hat Holzbauer als charakteristische Dimension seines Denkens herausgearbeitet. Vgl. Holzbauer, Nation und Identität, 69–171, Zitat 170. Sehr instruktiv für die im folgenden dargestellten Gedanken sind Hirschs Ausführungen in (1938) Christliche Rechenschaft 2, 306–310. 1335 Vgl. hierzu Hirschs bisher wenig beachteter Aufsatz (Januar 1936) Weltanschauung, Glaube und Heimat. Hier, wie in vielen Arbeiten Hirschs, verschwimmen die Grenzen zwischen wissenschaftlicher geistes- bzw. ideengeschichtlicher Darstellung und deren tendenziöser geschichtstheologischer Deutung. Sämtliche Seitenzahlen in Klammern im folgenden Abschnitt beziehen sich auf diese Arbeit. 1336 Vgl. a. a. O., 56f.

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Stück von sich selber anzusehn.« (59) Aus religions- und christentumsgeschichtlichen Gründen enthalte der christliche Glaube also selbstverständlich Elemente heidnischer Religiosität, doch seien diese durch die christliche Freiheit von jeder autoritären Gesetzlichkeit bereinigt. Deshalb setze sich das moderne deutsche Wirklichkeitsverständnis, das Hirsch selbstverständlich teile, aus heidnischen und aus christlichen Elementen zusammen, wobei Hirsch keinen Zweifel mehr darüber aufkommen ließ, wem in praktischen Fragen der Primat zukomme: Wir leben in einer entgötterten Welt. Gott ist uns im Verhältnis zur allgemeinen Lebensordnung und Weltanschauung nur noch der verborgne Grund. Wir bauen unsre Lebensordnung und Weltanschauung uns auf aus eigener vernünftiger Besinnung auf das unsrer Art Entsprechende, auf das Natürliche und Volk und Rasse Erhaltende, auf das unter den modernen Lebensbedingungen Praktische und darum Gebotene. Der feste Wille und der Opfermut und die Begeisterung, deren wir dabei bedürfen, sie sind gewiß aus dem verborgenen Göttlichen empfangen: wie könnten wir das Werk wagen, wenn wir nicht glaubten, Gott habe uns dazu gerufen und habe uns die Möglichkeit und die Männer, die sie verwirklichen, geschenkt. Aber für die einzelnen Entscheidungen beruft sich keiner in Deutschland auf eine Offenbarung, sondern auf die die Bewegung tragende Idee, auf die sachliche Notwendigkeit, ja sogar auf die Wissenschaft, vor allem die biologischen Einsichten der neueren Rassenlehre. Das ist alles echt menschlich und echt irdisch empfunden.1337

Beide geschichtstheologischen Linien kamen zu demselben Ergebnis: Der Nationalsozialismus, der dem Nomos die Lebensmöglichkeit bereitet und diesen zunehmend durch sein Regiment verkörpert hatte, bildete die »neue geistige Heimat«1338 der Deutschen. Der christliche Glaube, die Theologie und die Kirche genossen in dieser Heimat – um im Bilde zu bleiben – lediglich Gastrecht, das sie zur Mitarbeit an der neuen Heimat verpflichtete. Welche Rolle kam dem Christentum in dieser neuen Heimat noch zu? Hirsch selbst stellte diese Frage1339 und gab eine vorläufige Antwort: Bei der Beantwortung dieser Frage gehe es darum, »ob der christliche Glaube überhaupt noch sinnvoll« über dem deutschen Volk stehen und ehrlich in seinen Gliedern »lebendig sein« könne, wenn die Heimat, die man sich baue, »nicht mehr diskus1337 A. a. O., 57f. In diesem Zitat ist im Grunde das gesamte politisch-theologische Anliegen und Programm Hirschs in nuce enthalten. 1338 Hirsch (1936), Die Lage der Theologie, 24f, Zitat 24. Zu dieser Aufgabe der Weltanschauung vgl. etwa Hirsch (1938), Leitfaden zur christlichen Lehre, 255f. Die »Frage Weltanschauung und Glaube« betrachtete Hirsch als »die Schlüsselfrage zur gesamten gegenwärtigen geistigen Lage.« 1339 »Wir können die neue deutsche Heimat in Lebensordnung und Weltanschauung nicht aufbauen, ohne daß wir eine klare Antwort geben auf die Frage: Was wird mit dem christlichen Glauben, der unserm Volke in den vergangenen Jahrhunderten mit die Heimat hat bauen helfen?« (55)

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sionslos in dem biblischen und konfessionellen Bilde des menschlichen Daseins und der menschlichen Geschichte gegründet sein« könne. (55) Mit anderen Worten: Ist das Christentum bereit, seinen Anspruch auf weltanschauliche Gültigkeit aufzugeben? Theologisch gesprochen: Ist das Christentum bereit, die Lehre von den zwei Reichen (neu) zu lernen und zu beherzigen? Für Hirsch stand nämlich eine Sache »mit Klarheit« fest, dass nicht nur um des christlichen Glaubens willen die »letzte Stunde« geschlagen habe, dass »Theologie und Kirche sich besinnen lernen auf die Unterscheidung von Glaube hier, Lebensordnung und Weltanschauung dort.« (62) Nur durch Aufgabe aller weltanschaulicher Ansprüche könne nämlich die Kirche dem Evangelium und der politischen Bewegung dienen. Diese Voraussetzung stelle die Bedingung zur Gewährung des Gastrechts für den christlichen Glauben in der neuen Heimat des deutschen Volkes dar, in der das deutsche Volk vertreten durch die politische Bewegung der Gastgeber war und somit die Regeln bestimmte. Hirsch selbst beabsichtigte, von »der Seite des echt politischen Kämpfers für neue deutsche Lebensordnung und Weltanschauung« (60) entschieden daran mitzuwirken, diese Erkenntnis zu verbreiten. Vor diesem Hintergrund sprach Hirsch sein vernichtendes Urteil über jede kirchliche Opposition in »die gegenwärtige Krise« (58) des Kirchenkampfes1340 hinein: So hat sich die gegenwärtige schief zugespitzte Situation gebildet, in der von sogenannten Glaubensstreitern hüben und drüben christliche Lebensordnung und Weltanschauung einerseits, neue deutsche Lebensordnung und Weltanschauung andrerseits gegeneinander ins Feld geführt werden. Wer wahrhaft weiß, was christlicher Glaube ist, sieht, daß diese Frontbildung durch und durch unwahr ist. Wer da meint, innerhalb ihrer für die Christlichkeit unsers Volkes kämpfen zu können, reißt, soviel an ihm ist, sowohl den christlichen Glauben wie das deutsche Volk hinein in das Verderben. (59)

Sowohl »befremdende Glaubensstreiterei« als auch die Schaffung einer christlichen »Ersatzheimat« (59) in eine nicht mehr ernst zu nehmende »biblische Sittenlehre« oder »biblische Weltanschauung« (60f), die das Volk befremde und dem heutigen Wirklichkeitsverständnis widerstrebe, seien unter allen Umständen zu vermeiden. Deshalb machte es sich Hirsch zur Aufgabe, die neue geistige Heimat nicht zuletzt gegen kirchlich-theologische Kritik zu verteidigen. Dem Begriff Weltanschauungskampf fehlte das positive, verheißungsvolle Moment, das Hirsch im Begriff Kirchenkampf noch hoffend beschworen hatte. Die einzige wirkliche Hoffnung im Weltanschauungskampf lag einzig und allein in der politischen Bewegung und der neuen Heimat begründet, die sie dem deutschen Volk und somit auch der evangelischen Kirche in Deutschland bereitet

1340 Zur Sache vgl. a. a. O., 58–62.

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hatte. Mit diesem Tenor beschloss Hirsch seinen Aufsatz dann auch bezeichnenderweise: Der nationalsozialistische Umbruch hat durch die Leidenschaft, mit der er an den Neubau der deutschen Heimat gegangen ist, dem christlichen Glauben wahrhaftig noch einen tieferen Dienst getan als den, daß er die alten Kirchentümer vor dem uns bedrohenden Bolschewismus gerettet hat. Er hat nach einer Fügung, die Gottes und nicht sein ist, uns in die Besinnung darüber hineingezwungen, was wahrhaft Glaube an das Evangelium ist. Denn er hat uns in die Lage gebracht, in der wir verloren sind, wenn wir die lutherische Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium und zwischen irdischem und ewigem Reich nicht von Grund auf neu lernen. Darum ist die gegenwärtige kritische kirchliche Lage nichts andres als die furchtbare Wehe, in der neue Gestalt christlichen Denkens und christlicher Theologie geboren werden wird. (64)

Alles Verheißungsvolle der Krise ging also von der Arbeit des Staates an der neuen Heimat aus, in deren Mitarbeit die Kirche passiv von der NS-Bewegung hineingezwungen worden war und der gegenüber sie sich auch nicht wieder aus Undankbarkeit oder Verstockung verschließen durfte. Von Seiten der Theologie und Kirche erwartete Hirsch nun offenbar nichts Verheißungsvolles mehr.

4.5.9. Das »nationalsozialistische Regiment ist unser letztes deutsches Schäfchen« Die dargestellten Überzeugungen prägten Hirschs Haltung im Kirchenkampf fortan ebenso wie seine Deutung des Kirchenkampfes. Im Rahmen dieses Radikalisierungsprozesses fällt auf, dass Hirsch – insbesondere in seinen Privatbriefen – das nationalsozialistische Regime zunehmend gegen Kritik immunisierte und im Rahmen seiner Theologie für geradezu sakrosankt erklärte.1341 1341 Besonders instruktiv hierfür ist der Briefwechsel mit Hans Grimm in der ersten Jahreshälfte des Jahres 1936: Vgl. Grimm an Hirsch vom 18. 2. 1936 und 21. 4. 1936 ( jeweils doppelseitig) sowie Hirschs Antwortbriefe an Grimm vom 23. 2. 1936 (5 Seiten) und 23. 4. 1936 (doppelseitig). Grimm hatte Hirsch gegenüber deutlich gemacht, dass er zwar »kein Gegner des Nationalsozialismus« sei, wohl aber Kritik an »jener Art Parteimethodik« üben müsse, »die den Nationalsozialismus samt dem deutschen Gewissen« zerstöre. (Brief vom 21. 4. 1936; ähnlich äußerte sich Grimm bereits am 18. 2. 1936 und am 12. 4. 1936). Aufgrund dieser Bedenken Grimms legte Hirsch am 23. 2. 1936 in einem ausführlichen Brief Grimm gegenüber Rechenschaft über seine uneingeschränkt positive Haltung zum Nationalsozialismus ab. Die völlig unterschiedliche Bewertung der Reichstagswahl am 29. 3. 1936 und des faktischen Regimes führten zu einem Bruch zwischen Hirsch und Grimm, die sich erst im August 1946 wieder Briefe schrieben (vgl. Grimm an Hirsch vom 15. 8. 1946 und 21. 8. 1946). Erst in einem Brief Hirschs an Grimm vom 13. 5. 1947 tauschten sie sich über ihre Auseinandersetzungen im Jahre 1936 aus (vgl. hierzu die Briefe Hirschs an Grimm vom 22. 5. 1947 und vom 24. 9. 1947 und Grimms an Hirsch vom 19. 4. 1947). Zu diesem interessanten Vorgang vgl. Assel, Emanuel Hirsch, 51f, Anm. 32.

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Zusätzlich zur Erklärung der politischen Bewegung als Schaffer und Garant der neuen geistigen Heimat der Deutschen lassen sich verschiedene aufeinander bezogene Immunisierungsstrategien unterscheiden: 1.) Zu einem theologischen Totschlagargument, das den nationalsozialistischen Staat als gottgewollte politische Institution sakralisierte, entwickelte sich Hirschs Souveränitätslehre: Spätestens in seinem Brief an Stapel vom 3. 12. 1935 konstatierte Hirsch: »wir dienen alle dem verborgnen Suverän, dem lebendigen deutschen Volke selbst. Der offenbare Suverän, der Wille von Staat und Bewegung, hat unsre Hingabe um des verborgnen Suveräns willen.« Spätestens mit dieser Gleichsetzung des Staates mit dem »offenbaren Souverän« avancierte der nationalsozialistische Staat in Hirschs Souveränitätstheorie zum eigentlichen und wahren Souverän. Ihm als Stifter von Heimat und Lebensmöglichkeit für den Nomos gebührte allein die uneingeschränkte politische Bindung als Pflicht gegenüber dem sich darin widerspiegelnden göttlichen Willen. Jede kirchliche und politische Opposition musste folglich als Entartung und Kampf gegen den Volksund Gotteswillen selbst betrachtet werden.1342 2.) Vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen verborgenem und offenbarem Souverän konnte Hirsch letztlich auch den verborgenen Souverän, das deutsche Volk selbst, zugunsten des offenbaren Souveräns, dem faktischen NS-Staat, kritisieren: So schrieb er in seinem Brief an Stapel vom 21. 4. 1936, es sei »eine merkwürdige Ökonomie der göttlichen Weltregierung«, dass sie hart und unerbittlich überall da probe, »wo ein großer Wille« wage und wo es die Frage sei, »ob er seines Wagens würdig ist.« Er selbst »zweifle an der Fähigkeit des deutschen Volks, den Umbruch tief zu nehmen, wenn es nicht noch sehr scharf hergenommen« werde. Eine handschriftliche Ergänzung Hirschs verdeutlicht vollends, wen er an die Stelle des großen Willens setzte: »Ich zweifle also, daß das deutsche Volk dieser großartigen Politik Hitlers würdig ist, wenn es derlei nicht noch viel auszuhalten bekommt.«1343 Hirsch arbeitete hier nicht nur mit einer 1342 Vgl. hierzu Grimms Kritik in seinem Brief vom 18. 2. 1936: »Ich habe jedenfalls zu keiner Zeit unter der Selbstentfremdung unseres Volkes häufiger Recht zu Unrecht und häufiger Staat zu Unstaat werden sehen als in dieser unserer gegenwärtigen Zeit einer neuen Selbstentfremdung. Ich habe zu keiner Zeit die Volksgemeinschaft tiefer zerstört gesehen. Ich meine, Stammlers Warnung sei wie niemals am Platze, wenn sie davor warnt, mit einem mystischen, mit einem zurechtgemachten, mit einem gefälschten Volksbegriff die exakte rechtliche Besinnung und Erkenntnis zu ersparen.« Grimm hatte seinen Brief anlässlich der Übersendung von Hirsch (1935), Recht und Religion verfasst, in dem sich Hirsch mit Rudolf Stammlers Lehrbuch der Rechtsphilosophie auseinandergesetzt hatte. Grimm spielt auf Hirschs Aufsatz im Zitat an: »Wer von uns unter der Selbstentfremdung unsres Volks Recht zu Unrecht und Staat zu Unstaat werden sah, der empfing bei Stammler wohl scharfgeschliffene Begriffe zur kritischen Reinigung des sich verwirklichenden Undenkens durch die Idee des Rechts.« A. a. O., 228. Grimm warf Hirsch genau das vor, was dieser bei Stammler vermisste: eine völkisch-theologische Fundierung seines Rechtsdenkens. 1343 Brief Hirschs an Stapel vom 21. 4. 1936.

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pervertierten Pädagogisierung der Heilsökonomie, sondern ordnete den verborgenen Souverän der Gewalt des offenbaren Souveräns, den er nun entschieden und unverhohlen mit Hitler identifizierte, eindeutig unter. 3.) Deshalb konnte Hirsch auch herausstellen, dass Gottes großer Wille für das deutsche Volk und die gute Sache von schlechten Vertretern nicht beschmutzt werden könne: So schrieb er in einem Brief an Stapel vom 6. 12. 1935: »Daß unser Volk u[nd] sein Aufbruch in einer innern Gefahr stehn, daß die Dämonen auch bei uns aus der Erde fahrn, über die die heiße Pflugschar Gottes geht, das weiß ich. Und hab das auch 1933 gewußt. Ich bin nur immer wieder erstaunt gewesen, wie doch der Wagen vorangeht aus der Luft seines Motors, trotz allem. Eine gute Sache stirbt nicht an Fehlern und an falschen Vertretern. Und daß ich an Gottes gnädigen Willen für mein Volk glaube, das gibt mir das unangefochten gute Gewissen in Diensttum u[nd] Kampfestum.«1344 Weil Hirsch also Gottes Willen in der nationalsozialistischen Bewegung zweifelsfrei wahrzunehmen glaubte, mussten auch alle Fehler, Sünden und falschen Vertreter, die ihr – wie jeder anderen menschlichen Gemeinschaft – selbstverständlich angehörten, gehorsam hingenommen werden. Diesen entscheidenden Gedanken fundierte Hirsch in seinem Brief vom 23. 4. 1936 an Grimm, in dem er sich seinem Briefpartner verständlich zu machen versuchte, dreifach theologisch:1345 3.1.) Hamartiologisch: Für Hirsch war »jedes menschliche Regiment und jedes menschliche Gestalten der Gemeinschaft mit Sünde und Unrecht behaftet.« Wenn er »Sünde und Unrecht zum Anlaß nehmen wollte, ein Regiment, eine Gestaltung der Gemeinschaft nicht zu bejahen,« könne er überhaupt nicht seinem »Volke und Staate gehören«. 3.2.) Rechtfertigungtheologisch: Er kenne »als Christ eine göttliche Gnade, die vergebend und heiligend das Leben« trage. Diese göttliche Gnade sei seine »Freiheit und Ehre«, die ihn »und jeden, der will, im irdischen Dienst und Opfer« bewahre. Wenn er also das Wagnis auf sich nehme, sein Tun und Denken dem Gebot der Stunde anzupassen und dabei möglicherweise fehlzugreifen und Sünde zu begehen, gebe er damit lediglich seiner christlichen Freiheit und dem göttlichen Willen die Ehre und wähne sich der göttlichen Gnade gewiss. 3.3.) Opfertheologisch und im Rahmen seiner Volksnomos-Lehre argumentierte Hirsch, dass das Wohl der Gemeinschaft über dem Wohle des Einzelnen stehe. Für ihn sei »kein Bestand eines Volkes und Staates denkbar, wenn nicht das Recht des Einzelnen dem des Ganzen geopfert« werde, »sobald es um Leben und Gesundheit des Ganzen« gehe. Zu dieser Auffassung zähle er auch »das, daß kein Einzelner das Recht« habe, »ihn treffendes Unrecht zu sühnen, wenn es ohne eine 1344 Brief Hirschs an Stapel vom 6. 12. 1935. 1345 Die folgenden Gedanken und Zitate sind Hirschs Brief an Grimm vom 23. 4. 1936 entnommen.

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Krise für das Ganze nicht zu sühnen« gehe. Handschriftlich ergänzte er diesen Gedanken mit der Notiz: »(Michael Kohlhaas ist für mich negative menschliche Möglichkeit.)« 4.) Vor diesem theologisch-ideologischen Hintergrund hing somit letztlich für Hirsch alles ultimativ von der rechten Deutung der Lage und der damit verbundenen Frage ab, was die Stunde fordere. Da die rechte Deutung der Lage für ihn eindeutig war und der NS-Staat als göttliche Fügung für das deutsche Volk außer Frage stand, lief alles auf ein großes Entweder-Oder hinaus: entweder nationalsozialistischer Staat oder Volkstod. Entsprechend formulierte er in seinem Brief an Grimm vom 23. 2. 1936 die beiden einzigen Alternativen, die er sehe: Entweder, man glaubt, daß sich die Nöte und Unzulänglichkeiten des Neuen überwinden lassen, und daß jede Aufopferung in es hinein lohnt. Das ist mein Weg. […] Ich hab wahrhaftig einen verborgnen Suverän, dem ich diene, und der mit etwas Zeitlichem nichts zu tun hat. Aber, ich diene ihm so, daß ich dem Leben diene, in das er mich gestellt hat. Ich bin bereit, in der Haltung, die ich habe, umzukommen […]. Oder, man glaubt, daß alles Humbug ist, weil man den Mißbrauch sieht, und weil man sieht, daß es ohne die Faust, die den Widerstand niederhält, bei dem Ganzen nicht geht. Dann würde ich einem, der in dieser Angst stände, sagen: das nationalsozialistische Regiment ist unser letztes deutsches Schäfchen. Wenn wir es aus Idealismus für ein ganz ideales deutsches Wesen schlachten, dann sind wir als Volk verloren. Also, wer in solcher Angst stände, dürfte auch nichts andres tun als ich, er müßte es nur statt in Hoffnung in Verzweiflung tun.1346

Deshalb war für Hirsch die »Grundfrage« allein die, »a) ob es irgend eine andre Möglichkeit« für das deutsche Volk und seinen Staat zu bestehen gebe, »als das gegenwärtige Regiment und eine von ihm bestimmte Gestaltung von Volk und Staat, und b) ob in dem gegenwärtig Geschehenden, auf die ganze Weltlage und auf das Jahrhundert gesehen, das Lebendige und das Zukunftsträchtige mächtiger« sei »als die Sünde und das Unrecht.«1347 Die erste Frage verneinte Hirsch und die zweite bejahte er, denn für ihn stand unumstößlich fest: a) Deutschlands Schicksal steht und fällt mit dem gegenwärtigen Regiment und der von ihm bestimmten Gestaltung des gemeinsamen Lebens, und b) die politische Leistung und die tragende Idee sind mächtiger als die Sünde und das Unrecht, die dabei sind.1348

Diese Haltung hatte zwei für unsere Belange entscheidende Konsequenzen: 1.) Sie erlaubten es Hirsch, prinzipiell jede denkbare Gräueltat der Nazis im Rahmen seiner Theologie zu rechtfertigen und 2.) jede Opposition und jeden Widerstand inner- wie außerhalb der Kirche zu politisieren und aufs Schärfste zu verurteilen. 1346 Hirsch an Grimm vom 23. 2. 1936, 4f. 1347 Hirsch an Grimm vom 23. 4. 1936, 1. 1348 Ebd.

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4.6. Rezipientenperspektive: Hirschs Deutung des Kirchenkampfes nach 1945 Da davon auszugehen ist, dass die künftige Arbeit mit Hirschs persönlichem Nachlass genauere Einsichten hinsichtlich seiner Deutung des Kirchenkampfes nach 1945 ermöglichen werden, als es momentan möglich ist,1349 begnügt sich dieser kurze Ausblick damit, ein paar Schlaglichter aufzuzeigen, die eine vorläufige Einschätzung erlauben. Dabei ist die 1947 wieder aufgenommene Korrespondenz zwischen Emanuel Hirsch und Hans Grimm von besonderem Quellenwert, da die beiden darin ihre Differenzen des Jahres 1936 erneut aufgriffen und Hirsch die Niederlage Deutschlands reflektiert. Die Tatsache, dass Hirsch »seine Meinungen zum ›Dritten Reich‹ und seiner eigenen Rolle darin im Wesentlichen niemals revidiert«1350 hat, ist in der neueren Forschung unumstritten. Sie kann allerdings um die folgenden vier Aspekte erweitert werden: 1.) Hirsch blieb auch nach 1945 unbeirrt, was seine Haltung im Kirchenkampf anging. In einem einschlägigen Aufsatz mit dem Titel Nationalsozialismus und Religion, den er Hans Grimm zuschickte und der offenbar niemals veröffentlicht wurde, legte er seine Deutung des Verhältnisses zwischen dem Nationalsozialismus und den christlichen Kirchen in Deutschland von 1933–1945 dar.1351 Er warnte Grimm eindringlich davor, den Nationalsozialismus »als religiöse Erscheinung zu begreifen«.1352 Vor dem Hintergrund seiner Unterscheidung zwischen rein innerlicher persönlicher Religion und äußerer allgemeiner Religion bezeichnete er als »Krise« von Christentum und Kirche den Umstand, »dass ihre 1349 Diese Einschätzung teilt auch Andreas Kubik, der mit der Erfassung und Katalogisierung des Nachlasses maßgeblich betraut war, in seinem Eintrag Emanuel Hirsch und der Nationalsozialismus auf: https://emanuel-hirsch.net/nationalsozialismus.html (zuletzt abgerufen am 10. 6. 2023). 1350 So fasst Andreas Kubik a. a. O. den aktuellen Forschungsstand zusammen. Diese Einschätzung teilt auch Assel, Emanuel Hirsch, 56f. Vgl. auch die Einleitung des Bandherausgebers in: Autobiographische Texte, XV–XXIX. 1351 Diesen dreiseitigen Aufsatz mit dem Titel Nationalsozialismus und Religion hatte Hirsch einem doppelseitigen handschriftlichen Brief an Grimm beigefügt, der vermutlich versehentlich auf den 11. 9. 1943 datiert ist, jedoch frühestens im Oktober 1947 verschickt worden sein kann, da Hirsch in einem zwölfseitigen Anhang mit verschiedenen Aufsätzen u. a. Ereignisse nach September 1947 thematisiert und Grimm sich in einem Brief an Hirsch vom 4. 10. 1947 für den Aufsatz »zur ›Kirchenfrage‹ und wiederum die Darstellung ›Nationalsozialismus und Christentum‹« bedankte. Die Titel der beigefügten Aufsätze, die Hirsch an Grimm geschickt hat, sind folgende: Zur Kirchenfrage (doppelseitig, handschriftlich), Nationalsozialismus und Religion (dreiseitig, abgetippt mit handschriftlichen Ergänzungen und Korrekturen), Der Vergeltungsgedanke (doppelseitig, abgetippt mit handschriftlichen Ergänzungen und Korrekturen), Zur Frage des polnischen Krieges 1939 (doppelseitig, handschriftlich). 1352 Brief an Grimm vom 11. 9. 1943 (s. o. Anm. 1351), 1.

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Lehren und Gottesdienste mit dem allgemeinen Bewußtsein der sich fortentwickelnden weißen Menschheit mehr und mehr in Widerspruch geraten« seien. Sie seien nur noch »Denkmäler eines untergegangenen Weltbildes«, die als solche »keine starke Vollmacht mehr« hätten, »die allgemeine Religion zu tragen.«1353 Sein »persönlicher Standpunkt in diesen Dingen« sei »stets auf eine Reform der Lehre und des Kultus gegangen mit dem Ziel, das Überholte zu beseitigen und die verlorene Macht der christlichen Religion im allgemeinen Leben wiederherzustellen.« (2) Vor diesem Hintergrund schlug Hirsch aus der Retrospektive folgende Interpretation des Nationalsozialismus vor: Der Nationalsozialismus war ein Versuch, Volksleben und Volksdenken politisch, ethisch und sozial zu erneuern von einem allgemein religiösen Grunde her. Da nun dieser allgemein-religiöse Grund dem Christentum wahlverwandt war, sollte der Versuch nach der ursprünglichen Absicht, ehe die Entartung und Krise eintrat, dazu dienen, den christlichen Kirchen ihre Vollmacht der Lebensheiligung und Lebenserneuerung zurückzugeben. Der Nationalsozialismus war also dem Christentum freundlich und hätte beim Gelingen den Kirchen genützt. In die Fragen der persönlichen Religion griff der Nationalsozialismus ebenso wenig ein wie in den Kultus. Er war wie es einer politischen Bewegung ziemt, an der persönlichen Religion nicht interessiert, weder positiv noch negativ. Alles, was in den späteren Jahren anders aussah, war Entartung. Der Kirchenkampf in Deutschland beruht in seinem Ursprung auf beiderseitigen Mißverständnissen und persönlichen Unzulänglichkeiten. (2f)

Den Nationalsozialismus betrachtete Hirsch also noch nach 1945 als die große Möglichkeit, das Christentum und das deutsche Volk, die allgemeine und die persönliche Religion, Frömmigkeit und modernes Wirklichkeitsverständnis (= Weltanschauung) zusammenzuführen. Gerade weil der Nationalsozialismus a) an sich keine religiöse Erscheinung sein und b) nicht in die persönliche Religion eingreifen wollte und c) dem Christentum gegenüber freundlich gesinnt war, hätte er ›beim Gelingen den Kirchen genützt‹. Mit seinem Ende hatten die Kirchen deshalb »eine große Chance, zu ihrer das irdische Leben gestaltenden Vollmacht zurückzukommen, versäumt«. Nun seien sie zwar »offiziell gestützte und gehätschelte Einrichtungen, aber irgend eine Gewissensmacht im allgemeinen Leben« seien »sie weniger als je.« (3) Immerhin konzedierte Hirsch nun auf beiden Seiten persönliche Missverständnisse und Unzulänglichkeiten im ›Kirchenkampf‹: Als eine »allgemein religiöse Grundlage mit dem Drang, die menschlichen Dinge zu erneuern von dem in ihm Lebendigen her« wurde der Nationalsozialismus für die »Amtsträger der Kirche und die kirchlich Frommen« zu einem natürlichen Feind, weshalb man

1353 Hirsch (vermutlich 1947), Nationalsozialismus und Religion, 1. – Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich – sofern nicht anders vermerkt – im folgenden Abschnitt auf diesen einschlägigen Aufsatz.

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»ihn von Seiten der Kirchen abgelehnt« (2) habe. Allerdings wurde diese »Ablehnung« der Kirchen insofern »leicht gemacht« als »sehr viele Wirrköpfe und Maulhelden dies allgemein Religiöse zu deuten, auszusprechen und gegenchristlich zu bestimmen suchten.« (2) Überdies seien »auch auf dem religiösen Gebiet von Anfang an […] von Anhängern der Bewegung1354 soviel Geschmacklosigkeiten und Torheiten produziert worden, daß es einem zuviel werden konnte, wenn man etwas von der Religion und ihren Bedingungen verstand.« (3) 2.) Im Austausch mit Grimm erwog Hirsch den geschichtstheologischen Gedanken, die große Möglichkeit des deutschen Volkes von 1933 sei nun im angelsächsischen Raum zu finden: Das ist das Entscheidende, was ich im Zusammenbruch 1945 gelernt habe. Das deutsche Reich und Volk verfiel dem Tode, weil es politisch und wirtschaftlich eine selbstmächtige Nation in dem Augenblick werden wollte, wo die grosse Geschichte über die Nationalstaaten und -wirtschaften zum angelsächsischen Weltimperium weiterging.1355 Mit der Entstehung des Bismarckreiches und seiner Wirtschaft war der schwere und mühselige Schicksalsweg angetreten, den wir jetzt sich dem Ende zukehren sehn. Die innre Notwendigkeit und das innre Recht unsers Versuches, ein selbständiges Volk und Reich mit freiem Lebensraum zu sein, liegt darin, dass eine andre Möglichkeit ausser der nationalstaatlichen keinen Augenblick für uns vorhanden war, dass also der Verzicht auf das nationale Wollen ungefähr einer Kapitulation vor dem Tode gleichkam. Es gibt eben Völker, denen es nicht vergönnt ist, ihr Dasein zu entfalten. Ich habe öfter versucht, mir vorzustellen, wie die deutsche Geschichte gelaufen wäre, wenn an irgendeinem Punkte der letzten hundert Jahre, wo eine Entscheidung für das 1354 Ursprünglich hatte Hirsch »von Nationalsozialisten« geschrieben. Diese beiden Wörter hatte er jedoch handschriftlich durchgestrichen und durch die Formulierung »von Anhängern der Bewegung« ersetzt, vermutlich weil er nicht dem Vorwurf Vorschub leisten wollte, der Nationalsozialismus sei »Religion gewesen«, weil man dann missverstehen werde, »er sei eine gegenchristliche Bewegung, die auf einen neuen Kultus ziele, gewesen.« Hirsch (vermutlich 1947), Zur Kirchenfrage, 2. – Hirsch gestand in demselben Aufsatz ein, dass die Vorwürfe a) der Nationalsozialismus sei eine gegenchristliche Religion zur Abschaffung des Christentums gewesen und b) als totaler Staat habe der NS-Staat mit dem Christentum in einem Konflikt gestanden; zuerst von Karl Barth erhoben worden seien. A. a. O., 2. In Europa habe man diese Bedenken zunächst unter vorgehaltener Hand geäußert und in England ab 1939 offen ausgesprochen, aber zuerst gesagt »haben es die deutschen kirchlichen Gegner Hitlers.« – Man kann Hirsch an dieser Stelle schon kurze Zeit nach 1945 geschichtsrevisionistische Tendenzen unterstellen, wenn er diese Kritikpunkte ablehnt und Hans Grimm für das NS-Bild in England eine ganz andere Lesart der Ereignisse nahelegt. 1355 In einem Brief an Grimm vom 19. 4. 1947 äußerte Hirsch sogar die Vermutung, dass England schon von 1919 bis 1939 »alle Möglichkeit gehabt hätte, Paneuropa herzustellen«. Er räumte aber ein, dass »bis in diesen Krieg hinein und bis zur Atombombe« wohl »noch alle staatsnationalsozialistisch« dachten und »keine andere echte Möglichkeit« sahen. Man habe aber »aus Not« umdenken müssen und auch England werde »aus Not […] umdenken müssen.«

Rezipientenperspektive: Hirschs Deutung des Kirchenkampfes nach 1945

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nationale Wagnis geschah, stattdessen eine für die nationale Kapitulation geschehen wäre. An welcher Stelle ich es auch versucht habe: das Ergebnis war immer das dreifache: Verlust des deutschen Ostens und des deutschen industriellen Aufbaus, Kampf des Deutschen mit dem Deutschen um den letzten noch nicht benagten Knochen, Verkümmern des Volkganzen durch Not, Enge und internationale Ausbeutung.1356

Hirsch betrachtete folglich noch nach 1945 die entschlossene Mitarbeit innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung als praktisch alternativlos. Er habe nämlich »immer geglaubt, man sollte auf grund eingesehener Daseinsbedingungen dem Schicksal eine Lebensmöglichkeit ablauschen.«1357 Außerdem habe er immer »geglaubt, dass dem wagenden Mute das unmöglich Scheinende« gelinge. »Jetzt« aber sehe er »ins Dunkle.«1358 Grimms Vermutung, dass »die einzige Hoffnung« für das deutsche Volk und für Europa »in der Führung Englands in einer übernationalstaatlichen europäischen Einheit« liege, hielt Hirsch zwar »für unwidersprechlich«. Ihn bedrücke jedoch »an dieser Einsicht, daß sie nur eine der Niederlage angepaßte Spielart der seit mindestens vierzig Jahren getriebnen politischen Arbeit der besten Deutschen« sei und »daß die Aussichten bei der Preisgabe der nationalstaatlichen Daseinsform nicht größer geworden« sei.1359 3.) Nach 1945 äußerte Hirsch wiederholt das Gefühl mit seiner »Lebensarbeit doppelt zerbrochen« und gescheitert1360 zu sein: »als Deutscher und als theologischer Schriftsteller.«1361 Seine »Sorge« bestand darin, »es möchte mit dem Christentum in der Welt zu Ende gehen, wenn die einzige Macht, die eine Umformung des christlichen Denkens hätte zu Wege bringen können, das deutsche evangelische Christentum, nun der Wahrheitsfrage« absterbe.1362 Er hatte nämlich geglaubt, »im deutschen evangelischen Christentum den Boden für die notwendige Umformung des christlichen Denkens finden zu können.«1363 4.) Nach seiner Unterordnung des verborgenen Souverän unter den offenbaren Souverän und der Identifikation Hitlers mit Letzerem betrachtete Hirsch Adolf

1356 1357 1358 1359 1360

Vierseitiger Brief Hirschs an Grimm vom 24. 9. 1947, 2f. A. a. O., 4. Ebd. Zweiseitiger Brief an Grimm vom 22. 5. 1947, 1. Vgl. zu diesem Gedanken auch Hirschs Brief an Grimm vom 24. 9. 1947, 4: »Vielleicht fühle ich dies Zerscheitern doppelt stark, weil ich es mit meinem besondern Beruf auch noch auf dem geistig-religiösen Gebiete erfahren habe. Ich wollte dem modernen sich des Mythos entledigenden Geistesleben eine Möglichkeit für ein Christentum abringen, das mit aller modernen Nüchternheit und Wahrhaftigkeit des Denkens und der modernen in sich verschwiegenen ehrfürchtigen Mannhaftigkeit und Schicksalsbereitschaft der Seele im innern Einklange stand.« 1361 Brief an Grimm vom 22. 5. 1947, 2. 1362 Ebd. 1363 Hirsch an Grimm vom 24. 9. 1947, 4.

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Hitler auch noch nach 1945 als politischen Genius des deutschen Volkes.1364 Der »tiefe Widerspruch in Hitler« sei der gewesen, dass »er mit seiner Weitgesichtigkeit (sic!) das Furchtbare, Zerstörerische« der logischen »Notwendigkeit der Inhumanität durchschaute, verabscheute und dennoch die geschichtlichen Aufgaben, die er sah, nur durchführen zu können meinte, wenn er in Übereinstimmung mit der zerstörerischen Einsicht auf keine dem technischen Verstand zugängliche Möglichkeit des Handelns verzichtete in seinem Kampfe wider die tödliche Bedrohung des deutschen Lebens.«1365 Diese Überzeugung hatte mindestens zwei weitreichende Konsequenzen, die Hitler auch nach 1945 gegen jede Kritik immunisierten: 1.) Als »der genial Weitgesichtige«, der Hitler in Hirschs Augen war, musste er notwendigerweise »zu den kurzblickenden engen Menschen um ihn herum« ein »Mißverhältnis« haben.1366 Er musste sich aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit und mangelnden Geschichtsmächtigkeit »fast ständig an ihnen ärgern und sie verachten.«1367 2.) Die Kurzsichtigen wiederum (nota bene: ehemals der verborgene Souverän!) konnten und durften aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit den Weitsichtigen (Hitler) und eigentlichen offenbaren Souverän nicht für seine Taten haftbar machen, weil er diese eben aufgrund seiner Weitsichtigkeit mit allen ihren Konsequenzen auf sich nehmen musste. Da sich für Hirsch – wie wir gesehen haben – alles an der Interpretation des Jahres 1933 und an der Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus entschied, dürfte sich seine Deutung des Kirchenkampfes nach 1945 nicht wesentlich geändert haben.

4.7. Autobiographischer Rückblick: »Über mich selbst«1368 In seiner bisher autobiographischen Schrift, die er 1958 verfasst und 1962 durchgesehen hatte, ging es Hirsch erklärtermaßen darum, »die persönlichen Voraussetzungen, Bedingungen und Ziele« seines »Denkens und Arbeitens so weit zu erhellen«, dass der für ihn »bestehende innere Zusammenhang des 1364 1365 1366 1367 1368

Vgl. hierzu Assel, Der andere Aufbruch, 257, Anm. 88 mit zahlreichen Briefbelegen. Hirsch an Grimm vom 16. 6. 1953, 2. A. a. O., 1f. A. a. O., 2. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich in den folgenden Ausführungen – sofern nicht anders vermerkt – auf die autobiographische Notiz: Hirsch, Über mich selbst. – Sie wird nach dem Original zitiert und nicht nach dem Wiederabdruck der Gesammelten Werke, weil dieser sowohl in editorischer Hinsicht als auch in Sachen Kommentierung wissenschaftlichen Standards nicht genügt. Außerdem wurden die Manuskripte, die der Textsammlung zugrunde liegen »als Depositum dem Landeskirchlichen Archiv Hannover übergeben und können dort eingesehen werden.« Einleitung des Bandherausgebers in: Autobiographische Texte, VII.

Autobiographischer Rückblick: »Über mich selbst«

303

Ganzen einigermaßen sichtbar«1369 werde. Dieser Text soll abschließend im Hinblick auf Hirschs Verständnis des Kirchenkampfes betrachtet werden. Hirsch ordnete sein Denken und Wollen im hohen Alter zwei »schicksalhaften Praedeterminanten« (9) zu, die seinem Weg ohne seinen Willen »eine bestimmte Richtung aufgeprägt« (9f) hatten:1370 Auf der einen Seite das kritische christliche Denken seines Elternhauses, was er wiederholt als »Herzensglaube« bezeichnete (10f). Auf der anderen Seite das Humane, das ihn durch die deutsche Universität und Geistesgeschichte tief geprägt habe.1371 Außerdem differenzierte er drei ihn »regierende Geister« (14f.30.45) als intellektuelle Determinanten seines Denkens:1372 Marin Luther, den er in Abhängigkeit der Deutung Karl Holls interpretierte,1373 Johann Gottlieb Fichte als wichtigster Exponent des kritischen ethischen Idealismus1374 und Søren Kierkegaard.1375 Maßgeblich für Hirschs Denken sei die unumstößliche Überzeugung gewesen, in einer »Epoche« zu leben, »in welcher die Krise des Verhältnisses« des Christlichen und des Humanen »bis zur Hoffnungslosigkeit sich offenbart« (9) hatte.1376 Deshalb betrachtete er sich selbst als dazu verpflichtet, »auch als Denker seinen Mann zu stehen und neue Grundlegung zu suchen.« (9) Die Ereignisse, die Hirsch in den Jahren 1933ff als »Kirchenkampf« bezeichnet hatte, ordnete er neben anderen krisenhaften geschichtlichen Ereignissen in das übergeordnete »Ziel« seiner »ganzen wissenschaftlichen Lebensarbeit« (14) ein: Sein persönliches Lebensziel habe darin bestanden, »ein ganzer Mensch zu sein und zu werden«, d. h. einerseits ein ernster frommer Christ und andererseits ein Mitschaffer und -gestalter des deutschen Volkes zu sein und zu werden (13). Entsprechend benannte Hirsch zwei »Zielsteine« (50) seiner gesamten Existenz: 1.) die Einheit von Christlichem und Menschlichem und 2.) den Dienst am Geist und an der Seele des deutschen Volks in seiner Not. Vor diesem Hintergrund formulierte er als »Aufgabe der Theologie, aus ihrem reineren, freieren, tieferen Verständnis des Christlichen heraus das Christliche und das Menschliche wieder zusammenzuführen« als »der tiefsten, der dringendsten, der schwersten, der krisenreichsten Aufgabe, an deren Lösung das Schicksal sowohl des Men-

1369 1370 1371 1372 1373 1374

Geleitwort von Hirsch, Über mich selbst, 1. Vgl. hierzu a. a. O., 4–14. Vgl. a. a. O., 11–14. Vgl. a. a. O., 14–36. Vgl. a. a. O., 16–19. Vgl. a. a. O., 19–24; vgl. hierzu Barth, Reformatorische Theologie und transzendentaler Idealismus. 1375 Vgl. a. a. O., 24–30; vgl. hierzu die Dissertation Wilke, Die Kierkegaard-Rezeption Emanuel Hirschs. 1376 Vgl. a. a. O., 37–50.

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Emanuel Hirsch

schengeistes wie des eigenen Volkes sich innerlich entscheiden« (14) musste.1377 Somit bestand für Hirsch seine eigene Lebensaufgabe als evangelischer Theologe und kritischer deutscher Denker darin, die »menschliche und christliche Wahrhaftigkeit zu einigen zum Ganzen einer den Überlieferungen deutschen Geistes und lutherischen Glaubens gemäßen weiten und freien christlichen Humanität.« (6) Die Analyse seiner Autobiographie ist für Hirschs Deutung des Kirchenkampfes nach 1945 in mehrfacher Hinsicht interessant – vor allem als Negativbefund: 1.) Hirsch kam an keiner Stelle expressis verbis auf den Kirchenkampf zu sprechen und 2.) er nahm nichts von dem, was er 1933ff gesagt oder getan hatte, zurück, sondern 3.) betonte vielmehr immer wieder sein gutes Gewissen.1378 4.) Die Tatsache, dass er selbst DCler und überzeugter Nazi war, erwähnte Hirsch mit keinem Wort. 5.) Insgesamt verstand er sich mit seinem Wollen und Handeln als »Gescheiterter« (51), der aber stets das Richtige wollte.1379 Apologetisch stellte er fest, »daß der Maßstab des Erfolges in geistigen und seelischen Dingen unecht und falsch« sei. (51)1380 6.) Besonders auffällig ist, dass Hirsch geradezu fanatisch 1377 In diesem Zusammenhang verwendete Hirsch durchaus Kampfesterminologie: »Dies war die Lage, in der ich mich vorfand, als in mir langsam und mühsam die Einsicht regte, ich würde es in Gottes Namen, trotz allem Mißtrauen gegen die eigene Kraft, wagen müssen, selber als Kämpfer in die Arena zu treten.« Ebd. 1378 Vgl. a. a. O., 42–44.50. Im Rückblick auf sein Buch Deutschlands Schicksal schreibt Hirsch etwa: »Für mich aber ist es bei der Rückschau auf meine Lebensarbeit, je mehr es mit Deutschlands Unglück voranging, um so mehr ein Trost gewesen, daß ich diese Schrift in ungesicherter Lage, gegen die Zeitströmung gestellt habe. Sie gibt meinem Gewissen noch heut das Zeugnis, daß ich das in meiner Kraft und Möglichkeit Liegende getan habe im Kampf um die Seele meines Volks. Wer meiner Lebensarbeit je gedenken sollte, ohne dieser Schrift zu gedenken, verfälscht mein Bild. Daß meine Geschichtsansicht später im Einzelnen reifer und tiefer geworden ist als in dieser systematischen Anfangsarbeit, mag er dagegen gerne hervorheben.« Vgl. auch seinen nachträglich als Exkurs zu Über mich selbst verfassten Text Meine Stellung zum Nationalsozialismus, 81: »Was mir angesichts des unglückseligen jetzigen zerrissenen Daseins der deutschen Nation das gute Gewissen gibt, ist allein der Umstand, daß ich gegen dies drohende Schicksal mit aller Geistes- und Herzenskraft auf die mir als Schriftsteller, akademischer Lehrer und Lehrer der Kirche gebotnen Weise mich gestemmt habe.« 1379 Außerdem betonte Hirsch im Rückblick autobiographisch den Mut, den er bewiesen habe: »Man sprich viel von dem Mangel an Mut, den viele Vertreter der geistigen und christlichen Schichten in den Jahren seit 1933 gezeigt haben sollen. Ich möchte bezeugen – so wie die Stimmung an meiner Universität und in meiner Kirche war, hat mehr Mut dazu gehört, um des Vaterlandes willen die helfende zu gewähren als dazu, sich ins Abseits zu stellen. Der größte Mut ist immer der, sich gegen die Grundhaltung seiner eigenen Schicht zu stellen und einsam zu werden unter den Menschen, mit denen man in Beruf und Lebensaufgabe täglich zu tun hat.« Ebd. 1380 Im Rückblick stilisierte sich Hirsch selbst gerne als kritischer, aber frommer Theologe und deutscher Denker, der in seiner denkerischen Eigenheit seinen Weg alleine gehen musste. Vgl. etwa Hirsch (1951), Meine theologischen Anfänge. Vgl. hierzu Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich, 7.

Fazit

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besessen von dem Feindbild Karl Barth war: Er erwähnte Barth selbst viermal namentlich1381, kritisierte immer wieder die Dialektische Theologie1382 und setzte diese mit den »Barthianern« (44) gleich. Er erhob gegen Barth und die Dialektische Theologie die unterschiedlichsten Vorwürfe: So etwa theologischer Fanatismus und philosophische Unbildung,1383 »furchtbare Mißhandlung und Verdrehung« der Kierkegaard-Forschung (26), nihilistische »Deutungen des menschlichen Lebens und der menschlichen Kultur«, die »ethisch-religiöse Zersetzung« und »Verwechslung von Skepsis und Gericht, von ethisch-religiösem Ernst des Humanen und Selbstgerechtigkeit« (41). Barth und die dialektische Theologie standen für ihn exemplarisch »für eine die Wahrheitsfrage ausschaltende orthodoxistische Repristination« (41) und überhaupt eine »gedankenlose Repristination« der gesamten Theologie (44). Außerdem waren sie für Hirsch der Inbegriff für den Versuch einer »ethisch nihilistischen Rechtfertigungstheologie« (47) und vertraten eine historisch und religionsgeschichtlich untragbare Anschauung vom AT.1384

4.8. Fazit 4.8.1. Tendenz zur Rechtfertigung und Marginalisierung politischer Missetaten Hirsch war von den DC zunehmend desillusioniert, gegen die BK hegte er von Anfang an bloß puren Hass. Er betrachtete sich nicht nur als politischen Theologen, sondern nannte sich selbst »radikaler Nazi«1385. Bereits früh marginalisierte er politische Grausamkeiten. Diese Marginalisierungen trugen nicht selten zynische Züge: So riet Hirsch bezüglich der Arierfrage den Christen, »daß den zahlreichen einzelnen Menschen, welche jetzt zwischen beiden Völkern«, d. h. zwischen Juden- und Deutschtum stünden, »ihr hartes Schicksal menschlich gemacht werde«. Wenn einmal »die neue Ordnung sich in 30 Jahren eingelebt« habe und »die in die unglückselige Lage geratene Übergangsgeneration der Halbblütigen dahingestorben sein« werde, würden »die Verhältnisse viel einfacher sein und alle solchen persönlichen Schwierigkeiten verschwunden sein.«1386 Überhaupt kann seine Rede von der »Über1381 A. a. O., 26.35.41 (zweimal). – Vgl. auch Hirsch (1940), Karl Barth. Das Ende einer theologischen Existenz. 1382 A. a. O., 23.26.31 (dreimal), 42.43 (zweimal) 47.48. 1383 Vgl. a. a. O., 23f. 1384 Vgl. a. a. O., 48f. 1385 Brief Hirschs an einen gewissen Herrn Boermann vom 4. 4. 1937, der als Durchschlag an Wilhelm Stapel erhalten ist. 1386 Hirsch (Oktober 1933), Theologisches Gutachten in der Nichtarierfrage, 184.

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Emanuel Hirsch

gangsgeneration«1387 als euphemistisch angesehen werden: Symptomatisch hierfür ist die Redewendung »Nubiculum est, transibit«1388, die wiederholt in seinen Briefen auftaucht. Die vorübergehenden Wölkchen müssten als Kollateralschäden eben mannhaft der guten Sache wegen getragen werden. Hirsch baute seine »ganze Haltung allein auf die innere Logik des 1933 Geschehenen.« Diese innere Logik bestehe darin, »daß der Nat[ional]soz[ialism]us gar nicht antichristlich werden kann. Es wäre Selbstmord. Was irgendwelche Leute« dagegen wollten, sei gleich. »Das lebendige Leben« vergewaltige »mit seiner inneren Logik unrettbar die privaten verkehrten Wollungen seiner Instrumente.« Deshalb könne er »prinzipiell jede Krise aushalten: nubiculum est transibit. Das transire einer Geschichtswolke« könne allerdings »zehn Jahre dauern«, dessen sei er sich bewusst.1389 Hirschs zunehmende Radikalisierung lässt sich exemplarisch in seiner Deutung der Judenfrage verdeutlichen: Vor 1933 dachte Hirsch »eher in religiösantijudaistischen Bahnen, gepaart mit einer gesellschaftlich-kulturellen Judenfeindschaft.« Im Laufe der Zeit entwickelte er »jedoch einen offen rassistischen Antisemitismus.«1390 Insbesondere in seinen brieflichen Äußerungen kurz nach den Novemberprogromen des Jahres 1938 befürwortete er wissentlich, uneingeschränkt und offen die gewaltvolle Vernichtung der Juden und verteidigte diese auf entschiedene und zynische Weise gegen Kritik: Nun ernst: Ich bin leidenschaftlich dafür, die Juden durch jede im Staate erforderliche Brutalität zur Auswanderung zu zwingen. Wenns noch nicht genug ist, muß noch mehr kommen. Denn – ich habe mich von 1933–1938 davon überzeugt, daß der Deutsche sentimental ist. Wenn wir sie nicht loswerden, so spielt uns 50 Jahre oder 70 Jahre später einmal diese Sentimentalität den Streich, die ganze Judenzersetzung wieder langsam abzubaun! Es steht alles auf dem harten Willen des Führers und seiner Mitarbeiter und

1387 Hirsch (November 1934), Christliche Freiheit und politische Bindung, 29. Hirsch sprach auch davon, dass er Teil einer »Generation des Übergangs, des Werdens und Wachsens in ein von uns nicht mehr Erschautes hinein« sei. Hirsch (Januar 1934), Die gegenwärtige geistige Lage, 137. – Für die jungen Theologen forderte er »Notlöser und Notlösungen« als vorübergehende Verständnishilfen im Rahmen der Neuwerdung der Theologie. Vgl. Hirsch (1936), Die Lage der Theologie, 55–58. 1388 Zitat aus Brief Hirschs an Stapel vom 27. 7. 1937. Zur Erläuterung dieser Aussage fuhr er fort: »Es ist meine Gewißheit, daß der Träger alles Geschehens heut der vitale Wille unsers Volks zu sich selber ist, und daß die vitale Notwendigkeit des Antibolschewismus und Antijudaismus stärker ist als alle Fehlgriffe der Diener und Leiter dieses Willens. Seitdem ich 1933 erlebt habe, daß der vitale Wille eines Volkes fähig ist, sich einer leidenschaftl[ichen] u[nd] strengen Beweg[un]g zu übergeben, die versprochen hatte, dadurch zu retten, daß sie allen auf die Hühneraugen treten werde, seitdem glaube ich wieder an die Zukunft unsers Volks. Und die Stunde, wo man nicht mehr klagend(?) lebt, wird schon errungen werden vom Regiment.« 1389 Brief Hirschs an Stapel gegenüber vom 27. 12. 1936, insbesondere auf Bogen 3, Seite 1f. 1390 So mit Assel, Emanuel Hirsch, 56.

Fazit

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-Kämpfer. Das Volk ist sentimental-antisemitisch. Ich glaube also nicht, daß die Vorgänge jetzt eine Torheit waren. Sie sind klarer und zielbewusster und zweckdienlicher politischer Wille. Natürlich habe auch ich ebenso wie Sie 1x davon geträumt, den Antisemitismus human zu gestalten. Aber: humane Methoden gehn nur bei innerlich brutalern Völkern wie den Angelsachsen.1391

4.8.2. Tendenz zur Politisierung und Dämonisierung theologischer Anliegen Im Grunde kann die gesamte Entwicklung von Hirsch Deutung des Kirchenkampfes als eindrückliches Beispiel für die Marginalisierung und Politisierung ernster theologischer Anliegen der kirchlichen Opposition gelesen werden: Seine Forderung der Umformung und Neuwerdung der deutschen evangelischen Kirche und des deutschen Volkes war Ausdruck des Wunsches, Theologie und Kirche dem heutigen Wirklichkeitsverständis anzupassen1392 und die Jahre der Zersetzung (Weimar) durch einen Freiheitskrieg gegen die Siegermächte zu überwinden.1393 Hirschs erklärtes Ziel bestand darin, das deutsche Volk und die deutsche evangelische (lutherische!) Kirche zusammenführen.1394 Hierbei spielten völkisch-politische Theologoumena in seinem theologisch-philosophischen Denken eine maßgebliche Rolle: Theologisch fundiert wurde dieser Wunsch Hirschs nämlich von der Überzeugung, dass der Herr der Geschichte und der Gott des Evangeliums ein und derselbe seien.1395 Außerdem nährten seine Bestimmung des deutschen Volkes als verborgenem Souverän und des NS-Staates als offenbarem Souverän1396 zusammen mit seiner im Rahmen einer ethischen Geschichtsansicht1397 entwickelten Deutung des Jahres 1933 als gottgeschenkter Möglichkeit für das deutsche Volk und die deutsche evangelische Kirche1398 sowie seine Würdigung Hitlers als Instrument göttlicher Vorsehung1399 seine Hoffnungen auf autoritäre Führung im Rahmen einer volkskirchlichen Reichskirche.1400

1391 Brief Hirschs an Stapel am 26. 11. 1938, Seite 2f. – Zu Hirschs Antisemitismus vgl. auch die jeweils sechsseitigen Briefe an Stapel vom 19./21. 2. 1943 und vom 14. 3. 1943. – Den Hinweis auf diese Briefe verdanke ich Assel, Emanuel Hirsch, 56, Anm. 47. 1392 S. o. Kap. 4.4.1. 1393 S. o. Kap. 4.5.1. 1394 S. o. Kap. 4.4.3. 1395 S. o. Kap. 3.4.9. 1396 S. o. Kap. 4.4.4. 1397 S. o. Kap. 4.4.5. 1398 S. o. Kap. 4.5.2. 1399 S. o. Kap. 4.5.3. 1400 S. o. Kap. 4.5.4.

308

Emanuel Hirsch

Dabei war es schon früh eine Eigenart Hirschs, die sichtbare Kirche zu depotenzieren und die unsichtbare Kirche zu transzendieren bzw. innerhalb des individuellen Gewissens zu verinnerlichen.1401 Auf die Spitze getrieben wurde dieser Wesenszug durch die antinomistische Gegenüberstellung von christlicher Freiheit und politischer Bindung: Durch seine starke Betonung der christlichen Freiheit wurde die Kirche in die absolute Heteronomie der Verpflichtung zur politischen Bindung an den Nationalsozialismus ausgeliefert.1402 Die Ehre, die Unehre und Verschuldung des Kirchenkampfes ließen sich für Hirsch schon 1933 an diesem Wirklichkeits- und Kirchenverständnis und an dieser Deutung der geschichtlichen Lage bemessen.1403 Hirschs Hoffnung bestand darin, dass sich die Kirche ohne äußeren Druck oder Zwang – d. h. in christlicher Freiheit – gehorsam dem Gebot der Stunde fügen werde. Für den Fall, dass dies nicht geschähe, erwog er bereits früh – ab Juni 1933 – die Möglichkeit des (eingeschränkten) Summepiskopats.1404 Seine im Mai 1934 in Barmen zerstörte Hoffnung auf ein für die Reichskirche taugliches Einheitsbekenntnis, die Entstehung der BK,1405 das im Oktober 1934 in Dahlem ausgerufene Notrecht, seine zunehmende theologische Isolation und die Gründung der VKL I im November 1934, die mit der Reichskirchenleitung in direkte Konkurrenz trat, führten zu einer reflektierten Politisierung und Radikalisierung seiner theologischen und kirchenpolitischen Haltung und vergrößerten seine persönlichen Ressentiments gegenüber der sichtbaren Kirche und der Theologie. Diese drohten nämlich alles, worauf er gehofft und hingearbeitet hatte, durch theologische Querelen zu zerstören.1406 Weil Hirsch die neue geistige Heimat des in der Zersetzungszeit heimatlos gewordenen deutschen Volkes im nationalsozialistischen Deutschland gefunden hatte und weil er strikt zwischen Glaube und Weltanschauung unterschied – wobei er den Glauben wiederum verinnerlichte und der Weltanschauung des Nationalsozialismus unterordnete –, wertete er ab 1936 jede theologische Kritik am NS-Staat als verderblichen Weltanschauungskampf, den er im Gegensatz zum Kirchenkampf nicht mehr positiv interpretieren konnte.1407 Mit zunehmender Theologen- und Kirchenverdrossenheit und auch in Verteidigung gegenüber Kritik seiner völkisch-nationalen Freunde begann Hirsch den faktischen NS-Staat gegen jede Kritik theologisch zu immunisieren. Im Rahmen von komplexen Immunisierungsstrategien war es ihm möglich, jede nur 1401 1402 1403 1404 1405 1406 1407

S. o. Kap. 4.4.2. S. o. Kap. 4.5.7. S. o. Kap. 4.5.5. S. o. Exkurs: Hirschs Verhältnis zum Summepiskopat. S. o. Kap. 4.5.6. S. o. Kap. 4.5.7. S. o. Kap. 4.5.8.

Fazit

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denkbare Gräueltat des Nationalsozialismus zu rechtfertigen und diesen theologisch und ethisch geradezu für sakrosankt zu erklären.1408 Zwei Tendenzen lassen sich hierbei unterscheiden, wobei sie sachlich selbstverständlich aufeinander bezogen werden müssen: Auf der einen Seite wies Hirsch die Tendenz zur Rechtfertigung und Marginalisierung politischer Missetaten auf. Auf der anderen Seite zeigte er die Tendenz, eigentlich theologische Anliegen zu politisieren und damit auch zu dämonisieren. Seiner Deutung des Kirchenkampfes sowie seiner Haltung gegenüber Hitler und dem NS-Regime blieb Hirsch auch nach 1945 treu1409 und betrachtete sie aus autobiographischer Perspektive als geradezu alternativlos und folgerichtig. Das Scheitern dieser großen Ideen und damit auch seines Lebenswerks war für Hirsch auch im hohen Alter noch tragisch und von der Sache her nicht gerechtfertigt.1410

1408 S. o. Kap. 4.5.9. 1409 S. o. Kap. 4.6. 1410 S. o. Kap. 4.7.

5.

Auswertung und Ertrag der Arbeit

5.1. Synopse der Deutungen Im Hauptteil der Arbeit habe ich folgende Theologen im Hinblick auf ihre Deutung des ›Kirchenkampfes‹ ausführlich untersucht 1.) Karl Barth als reformierten Theologen und einflussreichen Vertreter des später häufig sogenannten radikalen Flügels der BK, 2.) Walter Künneth als lutherischen Vertreter der JB des Landesbischöflichen Flügels der BK und 3.) Emanuel Hirsch als lutherischen, nationalsozialistischen Theologen aus dem Lager der DC. Hier habe ich zwei Aspekte aus der Akteursperspektive auf den Kirchenkampf besonders fokussiert: Zunächst ging es mir 1.) darum, die systematisch-theologischen und weltanschaulichen Grundlagen der Kirchenkampfdeutungen herauszuarbeiten, um dann in einem weiteren Schritt 2.) zu fragen, wie die Akteure den ›Kirchenkampf‹ vor dem Hintergrund dieser Grundlagen zu verschiedenen Zeitpunkten jeweils gedeutet haben. Die abschließende synoptische Auswertung dieser Untersuchungen orientiert sich an den folgenden Leitfragen, die aus der Akteursperspektive heraus betrachtet wurden: 1.) Welche Terminologie wird bei dieser Deutung des ›Kirchenkampfes‹ verwendet? 2.) Was sind die Grundlagen für die Deutung des ›Kirchenkampfes‹? 3.) Wie wird vor dem Hintergrund dieser Grundlagen der ›Kirchenkampf‹ gedeutet? 4.) Gibt es eine Ambivalenz des ›Kirchenkampfes‹? 5.) Lässt sich eine Entwicklung der Deutung des ›Kirchenkampfes‹ feststellen?

312

Auswertung und Ertrag der Arbeit

5.1.1. Terminologie des ›Kirchenkampfes‹ Keiner der Theologen gebrauchte durchgängig den Begriff ›Kirchenkampf‹. Reflektierte terminologische Differenzierungen bedeutungsähnlicher und -gleicher Termini finden sich, wenn überhaupt, nur ansatzweise. Obwohl alle drei Akteure spätestens seit Ende 1934 (Hirsch bereits im Juli 1933 und Künneth ab Dezember 1933) vom ›Kirchenkampf‹ sprachen, verstand jeder von ihnen etwas vollkommen anderes darunter: 5.1.1.1. Karl Barth sprach in den Jahren 1933/34 zunächst überwiegend vom »Kirchenstreit« und zwar in einem Atemzug mit damit zusammenhängenden, spezifischeren Begriffen wie »Bischofsstreit«, »Bischofskrieg« und »Widerstand«. Den Begriff ›Kirchenkampf‹ verwendete er erstmalig im November 1934, ab dann aber fast ausschließlich. Meist sprach er fortan vom deutschen Kirchenkampf (vereinzelt auch noch vom deutschen Kirchenstreit). Mit bedeutungsähnlichen Begriffen differenzierte Barth bestimmte Aspekte des ›Kirchenkampfes‹, wie z. B. den Bekenntniskampf, den vom NS-Staat systematisch geführten Kampf gegen die evangelische Kirche in Deutschland oder den rein innerkirchlichen Kampf der Kirche und in der Kirche verstanden als Kampf für die Kirche in der Kirche, für die rechte gegen die falsche offizielle Kirche. 5.1.1.2. Walter Künneth sprach bereits im Dezember 1933 vom Kirchenkampf. Ähnliche Begriffe wie Kampf um die Kirche, kirchlicher Kampf, Kirchenstreit, Kirchenkonflikt(e), kirchenpolitische Kämpfe, Kirchenkrisis verwendete er synonym. Alle diese Begriffe bezogen sich auf die im Jahre 1933 angebrochenen innerkirchlichen Auseinandersetzungen, die in dem viel tiefer greifenden eigentlichen Geisteskampf, ihre eigentliche und tiefere Bedeutung hatten. Es ging in jeweils um die Scheidung der Geister, d. h. um die Entscheidung zwischen dem Heidnischen Geist des selbstgerechten und eigenmächtigen Menschen und dem Heiligen Geist des Evangeliums Jesu Christi. 5.1.1.3. Emanuel Hirsch führte noch früher als Künneth, bereits Ende Juli 1933, die Begriffe Kirchenkampf, gegenwärtiger Kampf, Kirchensturm und Kirchenstreit im Munde.1411 Im Juli 1934 kamen etwas differenziertere Begriffe wie Kirchenkrise, theologischer und kirchlicher Kampf, große Krise innerhalb der evangelischen Kirche hinzu und es lässt sich eine zunehmende Politisierung des Begriffes ›Kirchenkampf‹ feststellen: a) einmal als letztlich politisch motivierte innerkirchliche 1411 Dieser Umstand ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass der Begriff ›Kirchenkampf‹ erstmalig in einem Telegramm vom 31. 5. 1933 mit dem Titel gegen die Entfesselung eines Kirchenkampfes um die Person des Reichsbischofs von sieben Oldenburger Pfarrern der DC an die DC-Reichsleitung auftauchte. Vgl. Glenthøj, Kirchenkampf, 1126.

Synopse der Deutungen

313

Opposition gegen die Reichskirchenleitung, aber b) auch als staatspolitische Opposition der Theologen gegen den NS-Staat selbst. Ab 1936 sprach Hirsch meist vom Weltanschauungskampf, womit er gegen den Kampf reaktionärer und dogmatischer Theologen gegen die neue Weltanschauung polemisierte. Diesen Kampf betrachtete er im Gegensatz zum Kirchenkampf nicht mehr als verheißungsvoll, sondern nur noch als verderblich. Noch nach 1945 sprach Hirsch vereinzelt in Briefen vom »Kirchenkampf in Deutschland« und deutete ihn in Kontinuität zu seiner Linie von 1934.

5.1.2. Grundlagen für die Deutung des ›Kirchenkampfes‹ Die drei untersuchten Theologen könnten im Hinblick auf die Grundlagen ihrer Deutung des ›Kirchenkampfes‹ kaum unterschiedlicher sein. 5.1.2.1. Karl Barth wurde nicht müde zu betonen, dass auch seine Ekklesiologie restlos theologisch – d. h. für ihn christologisch – bestimmt war: Seine exklusivistische Offenbarungstheologie, d. h. sein exklusives Verständnis von Wort Gottes, die sich in seiner christologischen Konzentration zusammen mit seiner Auffassung des ersten Gebotes als zentralem theologischem Axiom zu einer strikten Grenze der Theologie bündelte und formierte, hatte im wahrsten Sinne des Wortes kritischen Charakter. Dasselbe gilt für Barths Wort-Gottes-Ekklesiologie und sein Verständnis von Bekenntnis: Jeden Bindestrich, jedes noch so kleine und bescheiden daherkommende ›und‹ neben dem Wort Gottes, neben Theologie, Bekenntnis oder Kirche, jede Aufwertung oder Betonung des Natürlichen im Vergleich zur Faktizität der Offenbarung des biblischen Gottes betrachtete er als natürliche Theologie, die er kategorisch ablehnte und entschieden bekämpfte. Es könne und dürfe nämlich keine Größe und keine Instanz neben Theologie, Kirche und Bekenntnis geben. Deswegen waren für Barth Anthropologie, Volk, Rasse, Staat, Natur, Politik, Vernunft, gegenwärtige Lage, Stunde usw. – egal wie die Instanz neben dem Bindestrich auch heißen mochte – als eigene Größe verstanden ein Feind der Offenbarung Gottes. Die Theologie der DC und der JB und die Weltanschauung des Nationalsozialismus selbst betrachtete Barth lediglich als verschiedene Spielarten und zugespitzte Exponenten einer so verstandenen natürlichen Theologie, die er als solche ablehnen musste. 5.1.2.2. Walter Künneth wiederum deutete dagegen alles Irdische im Rahmen seiner trinitarisch angelegten und schöpfungstheologisch fundierten biblischen Weltdeutung. In diesem Zusammenhang spielte die in den 30er Jahren populär gewordene Theologie der Schöpfungs- bzw. Erhaltungsordnungen eine wesentliche Rolle. Künneth dachte diese auf eigentümliche Weise trinitarisch: 1.) Die ursprünglichen Schöpfungsordnungen seien gut und eine Gabe bzw. ein Segen

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Auswertung und Ertrag der Arbeit

Gottes. 2.) Da die Schöpfung Gottes aber im Schatten des Sündenfalles eine getrübte, verfluchte, unreine und geradezu dämonische sei, müsse man post lapsum auch von sog. Zornes- und Sündenordnungen ausgehen. 3.) Im Lichte der angebrochenen und sich noch vollendenden Versöhnung habe Gott jedoch für Erbarmens- und Gnadenordnungen, sog. Erhaltungsordnungen gesorgt, die den Schöpferwille zumindest noch erahnen lassen. Auch die Wirklichkeiten von Rasse, Volk, Staat betrachtete Künneth prinzipiell als solche gottgewollten und gottgegebenen Erhaltungsordnungen. Obwohl er von der kämpfenden Kirche sprach und diese als radikale Infragestellung der Welt und des Menschen vom Evangelium und Gottes Ordnungen her verstand, ging Künneth von einer doppelten Bindung der Kirche sowie des einzelnen Christen aus. Hier tritt der Bindestrich deutlich zu Tage, den sich Barth abzulehnen gezwungen sah: a) Selbstverständlich waren sowohl der einzelne Christ als auch die Kirche an Jesus Christus und das Wort Gottes gebunden, aber b) sie waren auch an die deutsche Heimat und (hier spielt die lutherische ZweiReiche-Lehre eine gewisse Rolle) an den Staat als politische Obrigkeit gebunden, weil es sich hierbei ja um Erhaltungsordnungen handelte. Diese zweite Bindung an die politische Welt bezeichnete Künneth auch als »politisches Amt«, obwohl die Kirche selbst freilich nicht politisch, sondern rein theologisch begründet und geordnet sei. Auch Künneths Bekenntnisbegriff wies eine doppelte Bindung auf: Zum einen lässt sich bei Künneth eine konfessionalistische Verengung auf den lutherischen Bekenntnisstand beobachten und zum anderen war Künneth vor dem Hintergrund seiner apologetischen und missionarischen Anliegen stets stark um Volksmission bemüht. 5.1.2.3. Emanuel Hirsch unterschied im Rahmen seiner Ekklesiologie scharf zwischen sichtbarer (d. h. menschengemachter und deshalb prinzipiell sündhafter) und unsichtbarer (d. h. transzendenter und göttlicher) Kirche, wobei sein Begriff von unsichtbarer Kirche merkwürdig vage und individualistisch blieb. Alle Fragen nach der Ordnung der sichtbaren Kirche mussten sich nach den Gesichtspunkten der sachlichen Notwendig- und Zweckmäßigkeit richten. Hirsch vertrat außerdem das Volkskirchenideal als das kirchliche Ideal aller Reformatoren und arbeitete deshalb stark auf die Reichskirche hin. Ein zentraler Teil seiner Weltanschauung war das Theologoumenon der ethischen Geschichtsansicht. Dieses fußte auf der fundamentaltheologischen Überzeugung, dass der Gott des Evangeliums und der Gott der Geschichte ein und derselbe seien. Deshalb war es ihm ein Anliegen, in der Deutung der Lage und der wagenden Interpretation der Stunde den Ruf Gottes wahrzunehmen. Die mit dem Jahr 1933 eingetretene geschichtliche Lage bot für ihn die gottgeschenkte Möglichkeit der Einung von Deutsch- und Christentum.

Synopse der Deutungen

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Ab November 1934 sprach Hirsch programmatisch von der Dialektik der christlichen Freiheit und politischer Bindung und betrachtete sich selbst und seine Theologie als letztlich im Wesentlichen politisch bestimmt. Im Rahmen seiner Souveränitätstheorie unterschied Hirsch zwischen dem verborgenen Souverän, den er mit dem deutschen Volk (Nomos) identifizierte und dem offenbaren Souverän, in dem sich der politische Wille des verborgenen Souveräns manifestiere und Gestalt gewinne. Diesen offenbaren Souverän identifizierte Hirsch schon früh mit der NS-Bewegung und im Laufe der Zeit immer stärker mit Adolf Hitler selbst als dem genialen Beweger und als einem Geschenk Gottes an das deutsche Volk sowie als ein Werkzeug des Schöpfers aller Dinge.

5.1.3. Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ So unterschiedlich wie die theologischen Grundlagen der drei untersuchten Theologen fielen auch ihre Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ aus: 5.1.3.1. In Karl Barths Wahrnehmung war unter dem nationalsozialistischen Regime das Jahrhunderte lang gültige Bündnis zwischen Kirche und Staat, das seit Konstantin gegolten hatte, endgültig zerbrochen. Die Welt hatte endlich der Kirche ihr wahres evangeliumsfeindliches und selbstherrliches Gesicht gezeigt. Sie erkannte die Grenze, die ihr das Evangelium als einziger Offenbarungsinstanz gesetzt hatte, nicht mehr länger an. Schon vor 1933 betrachtete Barth den Faschismus in diesem Kontext als eine Fremdreligion. Mit zunehmender Dauer der Auseinandersetzungen deutete er den Nationalsozialismus als eine (Gegen)Kirche mit eigener antichristlicher Weltanschauung. NS-Staat und DC wertete er als besonders zugespitzte und gefährliche Spielarten der natürlichen Theologie. Durch ihre Radikalität und Totalität sei die Kirche vor eine fundamentale Entscheidungs- und Glaubensfrage gestellt: Wem gehorcht sie mehr: Gott oder dem Menschen (Apg. 5,29)? Diese Frage wurde für Barth zur entscheidenden Frage des gesamten ›Kirchenkampfes‹. Barth betrachtete sie als eine fundamentale Frage, die die gesamte Kirche auf der ganzen Welt angehe. Im Kirchenkampf werde schließlich eine alte Not der Kirche, aber auch eine große Verheißung sichtbar: Die Kirche müsse sich im Kirchenkampf geistlich konsolidieren und ein geistliches Widerstandszentrum gegen die evangeliumsfeindliche und selbstherrliche moderne Welt bilden. Da es sich beim ›Kirchenkampf‹ schließlich in seinem tiefsten Grund und jenseits aller Symptome im Tagesgeschehen um einen geistlichen Kampf handle, ging es für Barth in ihm um nicht mehr und nicht weniger als um das notwendige und entschiedene Bekenntnis zu Jesus Christus und insofern um einen Bekenntniskampf.

316

Auswertung und Ertrag der Arbeit

5.1.3.2. Für Walter Künneth war das Ereignis des 30. Januar 1933 der Beginn einer nationalen Revolution, womit eine neue Epoche deutscher Geschichte angebrochen war. Das Jahr 1933 deutete er als Neubeginn der Frage nach Gottes Ordnungen und als Zeichen der deutschen Sendung in der Geschichte. Beide Phänomene seien nur als Fügung Gottes verstehbar. Hier habe sich die Möglichkeit der Reformation, d. h. der Neuwerdung der deutschen evangelischen Kirche aus dem Wesen der Kirche heraus ergeben. Deshalb stelle sich die Grundfrage, wie Kirche Jesu Christi werde in deutschen Landen. Die lebendige bekennende Kirche deutscher Nation betrachtete Künneth als das Ziel der Kirche im ›Kirchenkampf‹. Im NS-Staat sah Künneth einen echten Staat im lutherischen Sinne (ZweiReiche-Lehre) als echtes Gegenüber für die Kirche, denn im NS-Staat meinte er, echte Politik, echter Volksnomos, echte geschichtsmächtige Kraft erkennen zu können. Künneth war nämlich fest davon überzeugt, dass der NS-Staat a) kein Religionsersatz sein, sondern vielmehr b) die christliche Freiheit ermöglichen wolle. Die wahre Kirche und der echte Staat hatten in Künneths Augen einen gemeinsamen Gegner: den Liberalismus und Bolschewismus. Die wahre Alternative lautete darum Heidnischer Geist oder Heiliger Geist?, denn im Kampf des Evangeliums gegen die Mächtigkeit der Dämonen und die Gewalt des Satans gebe es nur ein entschiedenes Entweder-Oder und kein Sowohl-als-auch. Als wichtigsten und gefährlichsten Exponenten dieses Heidnischen Geistes betrachtete Künneth den Mythos von Alfred Rosenberg, den er entschieden bekämpfte, aber stets deutlich von der Ideologie und Weltanschauung des NS-Staates unterschied. Während Künneth den ›Kirchenkampf‹ eher als Kampf innerhalb der Kirche gegen die Irrlehre der DC interpretierte, stellte sich dieser Geisteskampf vor allem als Kampf gegen die Kirche dar, aber auch als Kampf der Kirche gegen die Welt (ecclesia militans). 5.1.3.3. Auch für Emanuel Hirsch war der 30. Januar 1933 ein geschichtstheologisches Ereignis erster Güte. In dieses Ereignis setzte er seine gesamten Hoffnungen für die Umformung der Kirche, des Staates und des Volkes. Den ›Kirchenkampf‹ betrachtete er zunächst als einen verheißungsvollen Kampf um ein neues Bekenntnis und Bekennen der Kirche angesichts des neuen Wirklichkeitsverständnisses. Deshalb witterte er im ›Kirchenkampf‹ die Möglichkeit der Schaffung eines Einheitsbekenntnisses für Kirche und Volk. Geschichtstheologische Deutungen bezüglich NS-Staat, Luthertum und völkisch-theologische Theologumena bestimmten seine Deutung des ›Kirchenkampfes‹ massiv: Im NS-Staat habe die Kirche und das deutsche Volk eine neue geistige Heimat gefunden; das Christentum selbst enthalte historisch bedingt sowohl Elemente der jüdischen Gesetzesreligion als auch der germanisch heid-

Synopse der Deutungen

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nischen Volksreligion; in der Reformation Luthers sei die Sendung Gottes in besonderer Weise auf das Deutsch- und das Luthertum übergegangen usw. Weil Hirsch den NS-Staat zunehmend mit dem offenbaren Souverän identifizierte und diesem den verborgenen Souverän untergeordnete, wertete er jede Feindschaft gegen den NS-Staat sogleich als eine Feindschaft gegen den deutschen Volksnomos und den in der Stunde geoffenbarten Willen Gottes. Vor diesem Hintergrund betrachtete er jede Kritik am NS-Staat und an der Neuwerdung der Kirche als politisch motiviert, was zu einer Politisierung des ›Kirchenkampfes‹ führte.

5.1.4. Ambivalenz des ›Kirchenkampfes‹ Interessanterweise schwebt der Begriff ›Kirchenkampf‹ bei allen drei Theologen in der Ambivalenz zwischen Not und Segen, wobei freilich mit ›Not‹ und ›Segen‹ jeweils etwas ganz anderes gemeint war: 5.1.4.1. Karl Barth dachte bereits in den frühen 20er Jahren im Rahmen der Dialektik von Not und Verheißung. Spätestens ab Ende 1937 wandte er dieses Interpretament auf seine Deutung des ›Kirchenkampfes‹ an und sprach programmatisch von Not und Verheißung im deutschen Kirchenkampf. Als Not des ›Kirchenkampfes‹ bezeichnete er die in den Auseinandersetzungen sich abzeichnende Anfechtung, Versuchung, Sichtung und Prüfung der Kirche sowie der einzelnen Christen. Die Verheißung des ›Kirchenkampfes‹ allerdings sei ungleich größer als seine Not. Sie bestehe in grundsätzlichen theologischen Klärungen, der geistlichen Konsolidierung der Kirche und nicht zuletzt in ihrer Bewährung des Bekenntnisses zum ersten Gebot und zur Offenbarung Gottes angesichts großer Anfechtung, Versuchung, Sichtung und Prüfung. Letztlich gebe der ›Kirchenkampf‹, in dem das Wort Gottes, keinesfalls aber der Mensch selbst das handelnde Subjekt darstelle, beredtes Zeugnis vom Sieg des Wortes Gottes über die Welt. Die Standhaftigkeit (eines kleinen Teiles) der Kirche, die Zeugnis von diesem Ereignis geben müsse, liefere immerhin einen kleinen Beweis von der Realität des Glaubens. 5.1.4.2. Walter Künneth sprach bereits Anfang 1934 davon, dass die Not des Kirchenkampfes eine Verheißung und einen Segen in sich trage. Die Not bestand für ihn in der Politisierung der Kirche, d. h. in all ihren erfolgreichen und nicht-erfolgreichen Anpassungsversuchen an die Welt. Die Verheißung bzw. der Segen des ›Kirchenkampfes‹ bestand demgegenüber in der großen volksmissionarischen Chance im Ringen um die Seele des deutschen Volkes und äußere sich in der Aufgeschlossenheit der Gemeinden für die

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Auswertung und Ertrag der Arbeit

reine Wahrheit des Evangeliums. In der Kirche wachse die Erkenntnis, dass sie ihre Ausrichtung allein vom Evangelium her erfahren dürfe und könne. Außerdem betrachtete Künneth die Zeit des ›Kirchenkampfes‹ als eine Entscheidungszeit und eine Zeit der segensreichen Klärungen, weil er im wahrsten Sinne des Wortes eine Scheidung der Geister bewirkt habe: Jetzt endlich sei die wahre Alternative – Heidnischer Geist oder Heiliger Geist – deutlich zu Tage getreten und endlich habe sich gezeigt, dass die Kirche zwischen einer der beiden Alternativen notwendigerweise wählen oder das Evangelium verlieren müsse. 5.1.4.3. Emanuel Hirsch sprach zwar ebenfalls wiederholt von Not und betrachtete das Jahr 1933 als Verheißung und Chance für die evangelische Kirche. Die Ambivalenz des ›Kirchenkampfes‹ tritt bei ihm jedoch in einem anderen Begriffspaar zutage. Er stellte die Ehre und Unehre bzw. Verschuldung des ›Kirchenkampfes‹ einander gegenüber: Die Ehre des ›Kirchenkampfes‹ bestand darin, dass er die tiefe Ehrlichkeit des evangelischen Christentums gezeigt habe, das sich nicht mechanisch gleichschalten, sondern die Wahrheitsfrage aufflammen ließ. Die Unehre bzw. Verschuldung des Kirchenkampfes wiege jedoch schwer: Sie bestand für Hirsch in der Ängstlichkeit, im Misstrauen, in der Zaghaftigkeit, in der (kirchlichen und politischen) Opposition, im Kleben am Vorurteil und im verstaubten Dogmatismus und Biblizismus reaktionärer Theologen (wie z. B. Karl Barth), die entweder das Gebot der Stunde aufgrund mangelnder Geschichtsmächtigkeit verkannten oder nicht im Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes die darin erkannte Pflicht bedingungslos auf sich nahmen.

5.1.5. Entwicklung der Deutung des ›Kirchenkampfes‹ Bei allen drei Theologen lassen sich signifikante Entwicklungen im Rahmen ihrer Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ nachweisen: 5.1.5.1. Karl Barth sprach zunächst vom »Kirchenstreit«, in dem es um die innerkirchliche Abwehr häretischer Lehren im Raume der Kirche gehe. Im Blick waren dabei vor allem die DC, aber etwa auch die JB, weil durch sie natürliche Theologie in den Raum der Kirche zu dringen drohte. Ende Mai 1934 war für Barth mit der Barmer Theologischen Erklärung die grundsätzliche theologische Klärung bezüglich der Bekenntnisfrage geschaffen und damit begann der ernsthaft so zu nennende Kirchenkampf. An der Bewährung dieses gemeinsamen Bekenntnisses von Reformierten und Lutheranern entschied sich für Barth nun das gesamte weitere Geschick der Kirche im ›Kirchenkampf‹. Nach seiner auf die Amtsenthebung reagierenden Rückkehr in die Schweiz im Sommer 1935 äußerte Barth sich sehr offen kritisch gegenüber dem NS-Staat. Er

Synopse der Deutungen

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nahm nun ausführliche Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ vor und berichtete ständig im Ausland über ihn. Allerdings rang Barth sich erst im Sommer 1938 zu einem klaren theologisch begründeten(!) politischen »Nein!« zum Unrechtsstaat als Tier aus dem Abgrund von Apk. 13 durch und forderte ein dieser Ablehnung entsprechendes Handeln der Kirche als Vollzug des Bekenntnisses. Der ›Kirchenkampf‹ war nun zu einem Kampf gegen die evangelische Kirche in Deutschland geworden, in dem sich der totalitäre NS-Staat als der wahre und eigentliche Gegner der Kirche, als politische Gegenkirche offenbart hatte, dem die Kirche unmissverständlich und entschlossen das Wort Gottes und das Bekenntnis zu Christus entgegenhalten musste. 5.1.5.2. Für Künneth ging es 1933 angesichts der angebrochenen nationalen Revolution vor allem um eine differenzierte Verhältnisbestimmung zu den DC im Hinblick auf ihr (kirchen)politisches Handeln in innerkirchlichen Angelegenheiten. Zwar lobte er das neue Bekennen der DC, allerdings vermisste er eine entschlossene Ablehnung von modernen Irrlehren und von völkisch-heidnischem Gedankengut. Ähnlich wie die DC kämpften auch Künneth und die JB um eine Neuordnung der Kirche. Diese Neuordnung musste allerdings – im Gegensatz zu den DC – aus dem Wesen der Kirche heraus erfolgen. Ende 1934 begann für Künneth der eigentliche Kampf der Kirche, in dem sich als eigentlicher Gegner der christlichen Kirche das völkische Heidentum herausstellte. Künneths Hauptgegner im ›Kirchenkampf‹ war fortan der Mythus des 20. Jahrhunderts Alfred Rosenbergs, den er in mehreren Schriften zu bekämpfen und mithilfe der Wahrheit des Evangeliums zu entkräften versuchte. Mit Rosenbergs Mythus führte Künneth einen Glaubenskampf, der zu einer eindeutigen Glaubensentscheidung führen sollte. Die im November 1934 gegründete VKL und später der Lutherrat übten in seinen Augen das Wächteramt der Kirche aus und boten eine breitere kirchliche Front als Bollwerk gegen den sich erhebenden heidnischen Geist. Zudem setzte sich Künneth, der die Person Luther und das Luthertum geschichtstheologisch ähnlich glorifizierte wie Emanuel Hirsch, im Kampf für die lutherische Reichskirche, d. h. eine lutherische Bekenntniskirche ein. Nach 1945 interpretierte Künneth den ›Kirchenkampf‹ primär als Geisteskampf der Kirche gegen den totalen NS-Staat und seine Weltanschauung (Der große Abfall) sowie als Bekenntniskampf der Kirche gegen außerkirchliche Überfremdung (Lebensführungen). 5.1.5.3. Hirschs Entwicklung der Deutung des ›Kirchenkampfes‹ kann man fast erschöpfend als Radikalisierung bezeichnen: Bereits vor 1933 hoffte Hirsch vergeblich auf ein Ende der Zersetzungszeit (Weimar) und plädierte für einen Freiheitskrieg gegen die Siegermächte des Weltkrieges, an dem sich auch die Kirche beteiligen müsse.

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Auswertung und Ertrag der Arbeit

1933 setzte er all seine Hoffnungen auf eine Umformung der Kirche, des Staates und des Volkes auf die nationalsozialistische Bewegung. Die Reichskirche bot für ihn die Möglichkeit, dass sich die Kirche und das Volk als der verborgene Souverän zu einer deutschen Volkskirche verbinden. Als Reaktion auf die Barmer Theologische Erklärung befürwortete Hirsch ab Juni 1934 zunehmend die staatliche Gleichschaltung der Kirche und die Rückkehr zum Summepiskopat. Seine Reaktion auf das Notrecht in Dahlem im Oktober und die Gründung der VKL im November 1934 bestanden vor allem in zunehmender Kirchenfeindlichkeit, Theologenverdrossenheit und der Politisierung seiner eigenen Position sowie einer politischen Deutung der kirchlichen Opposition. Spätestens ab Februar–April 1936 immunisierte und verteidigte er das nationalsozialistische Regime gegen jede nur denkbare Kritik und rechtfertigte sämtliche nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen. Allerspätestens jetzt war jeder Feind der NS-Bewegung und Adolf Hitlers ein erklärter Feind Emanuel Hirschs.

2.) Was sind die Grundlagen der Deutung des ›Kirchenkampfes‹?

1.) Welche Terminologie wird im Zusammenhang mit dieser Deutung des ›Kirchenkampfes‹ verwendet?

– Kategorische Ablehnung aller natürlichen Theologie (d.h. aller Bindestriche)

Christen: 1.) an Jesus Christus und Gottes Offenbarung und 2.) an die »Liebe zur deutschen Nation« und »an die deutsche Heimat« (≙ »politisches Amt«)

Aber: doppelte Bindung der Kirche und der

• Ekklesiologie der »kämpfenden Kirche« als radikale Infragestellung der Welt und des Menschen durch die Kirche und somit letztlich durch das Evangelium und Gottes Ordnungen

• Trinitarische Weltdeutung des Evangeliums: 1.) Schöpfungs-, 2.) Sünden- & 3.) Erhaltungsordnungen

• Exklusivistische Wort-Gottes-Theologie & -Ekklesiologie

• Das erste Gebot als theologisches Axiom

Überwiegend theologische Grundlagen:

Ausschließlich theologische Grundlagen:

• Nach 1945 auch: »Bekenntniskampf«

– Eigentlicher übergeordneter Kampf ist der Geisteskampf gegen das Neuheidentum.

• Später austauschbar: »Kirchenkrisis« ≙ »Kirchenstreit« ≙ »Kirchenkampf«

• Seit Dezember 1933: »kirchlicher Kampf«, »Kirchenkampf« und »Kampf um die Kirche«

• November 1934 erstmalig und dann fast ausschließlich: »Kirchenkampf« (vereinzelt auch »deutscher Kirchenstreit«)

– Mit bedeutungsähnlichen Begriffen bezeichnet Barth bestimmte Aspekte des »Kirchenkampfes«: z.B. z.B. »Bischofsstreit«, »Bischofskrieg«, »Widerstand«, »Bekenntniskampf«, »Kampf gegen die evangelische Kirche in Deutschland«, »Kampf der Kirche und in der Kirche«, »Kampf für die Kirche in der Kirche, für die rechte gegen die falsche offizielle Kirche«

• 1933: »Kirchenstreit«, »Kirchenkonflikt(e)«, »kirchenpolitische Kämpfe«

Walter Künneth

• 1933/34 zunächst überwiegend: »Kirchenstreit« und ähnliche Begriffe

Karl Barth

– Unterscheidung zwischen »verborgner Souverän« (≙ Volk) und »offenbarer Souverän« (politischer Wille ≙ Staat ≙ Hitler)

• Völkisch-politische Theologie: Souveränitätstheorie

– Ende 1934: Selbstbezeichnung als »politischer Theolog«, der »politische Theologie« betreibt

– Ende 1934: Christliche Freiheit und politische Bindung

Daher: doppelte Verpflichtung gegenüber Gott und Volk:

– »Stunde« (»Ruf Gottes«) fordert »Wagnis« & »Gehorsam«

• Ethische Geschichtsbetrachtung, d.h. Deutung der Lage

• Volkskirchenideal: Ein Volk, eine Kirche!

• Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche und starke Betonung der christlichen Freiheit

Theologische und politisch-ideologische Grundlagen:

• Nach 1945: »Der Kirchenkampf in Deutschland«

– Nicht verheißungsvoll, sondern nur verderblich

• Ab 1936 meist: »Weltanschauungskampf«: d.h. Kampf reaktionärer Theologen gegen die nationalsozialistische Weltanschauung

– als staatspolitische Opposition der Theologen

– als letztlich politisch motivierte innerkirchliche und

• Zunehmende Politisierung des Begriffes »Kirchenkampf«

• Juli 1934: »Kirchenkrise«, »theologischer und kirchlicher Kampf«, »große Krise innerhalb der evangelischen Kirche«

• Bereits im Juli 1933: »Kirchenkampf«, »gegenwärtiger Kampf«, »Kirchensturm«, »Kirchenstreit«

Emanuel Hirsch

Synopse der Deutungen

321

5.1.6. Synopse der Deutungen (Tabellarische Übersicht)

3.) Wie wird vor dem Hintergrund dieser Grundlagen der ›Kirchenkampf‹ gedeutet?

5.) Die Kirche muss sich im ›Kirchenkampf‹ geistlich konsolidieren, weil es ein geistlicher Kampf ist, bei dem es um das notwendige Bekenntnis zu Jesus Christus geht (≙ Bekenntniskampf).

– Im ›Kirchenkampf‹ wird eine alte Not und eine große Verheißung sichtbar

4.) Dies ist eine Frage, die die gesamte Kirche auf der ganzen Welt angeht.

3.) Die Kirche ist vor eine fundamentale Entscheidungs- und Glaubensfrage gestellt: Wem gehorcht sie mehr: Gott oder dem Menschen (Apg 5,29)?

– NS-Staat und DC sind Spielarten der natürlichen Theologie.

2.) Der NS ist eine Religion bzw. Kirche mit eigener antichristlicher Weltanschauung.

– Die Welt zeigt der Kirche ihr wahres evangeliumsfeindliches und selbstherrliches Gesicht

1.) ›Kirchenkampf‹ markiert das Ende des Zeitalters Konstantins, d.h. des Bündnisses zwischen Kirche und Staat (Welt)

Karl Barth

– Kampf des Evangeliums gegen die Mächtigkeit der Dämonen und die Gewalt des Satans

– Wahre Alternative: Heidnischer Geist oder Heiliger Geist?

– Gemeinsamer Gegner von Kirche und Staat: Liberalismus und Bolschewismus

– NS-Staat = echter Staat im lutherischen Sinne (Zwei-Reiche-Lehre), d.h. echte Politik, echter Volksnomos, echte geschichtsmächtige Kraft; d.h. der Staat will a) kein Religionsersatz sein und b) die christliche Freiheit ermöglichen

Ziel der Kirche: die lebendige bekennende Kirche deutscher Nation

Grundfrage: »wie Kirche Jesu Christi werde in deutschen Landen.«

2.) Reformation der Kirche: Wille zum fundamentalen Neubau der Kirche (aber im Gegensatz zu den DC) aus dem Wesen der Kirche heraus!

– Beides nur als Fügung Gottes verstehbar!

1.) 1933 als Frage nach Gottes Ordnungen und als Zeichen der deutschen Sendung in der Geschichte

Walter Künneth

– ›Kirchenkampf‹ als Ringen um die aufbrechende Wahrheitsfrage und ein neues Wirklichkeitsverständnis, aber auch als reaktionärer Kampf dagegen

– Ja zu 1933 als einer großen gottgeschenkten Möglichkeit

– Hoffnung auf Umformung der Kirche, des Staates und des Volkes 2.) 1933 als große Stunde: »Deutsche evangelische Theologie und die gegenwärtige Stunde in Volk und Staat, sie gehören zusammen«

1.) ›Kirchenkampf‹ als Kampf um neues Bekenntnis und Bekennen der Kirche (Schaffung eines Einheitsbekenntnisses)

Emanuel Hirsch

322 Auswertung und Ertrag der Arbeit

5.) Lässt sich eine Entwicklung der Deutung des ›Kirchenkampfes‹ feststellen?

4.) Gibt es eine Ambivalenz des ›Kirchenkampfes‹?

Abb. 7: Synopse der Deutungen (Tabellarische Übersicht)

– ›Kirchenkampf‹ als Kampf gegen die evangelische Kirche in Deutschland, in dem der totalitäre NS-Staat als politische Gegenkirche der wahre und eigentliche Gegner der Kirche war

• Sommer 1938: klares (theologisch begründetes) politisches »Nein!« zum Unrechtsstaat (Tier aus dem Abgrund) und entsprechendes Handeln der Kirche als Vollzug des Bekenntnisses

– Ausführliche Deutung des ›Kirchenkampfes‹ und Berichterstattung im Ausland

• Mai/Juni 1935: Ende einer gewissen Zurückhaltung, d.h. offene Kritik am NS-Staat nach Barths Rückkehr in die Schweiz

• Mai 1934: Mit dem Barmer Bekenntnis war die grundsätzliche theologische Klärung geschaffen und damit begann der ernsthaft so zu nennende Kirchenkampf

• 1933–Mai 1934: Abwehr der Häresie der DC im Raum der Kirche (≙ »Kirchenstreit«)

– Standhaftigkeit einzelner Christen als kleiner Beweis der Realität des Glaubens

– Sieg des Wortes Gottes über die Welt

– Verheißung = grundsätzliche theologische Klärung, geistliche Konsolidierung, Bewährung des Bekenntnisses zum ersten Gebot

– Not = Anfechtung, Versuchung, Prüfung, Sichtung

1.) Bereits 1922: Not und Verheißung 2.) Spätestens ab Ende 1937/Anfang 1938: »Not und Verheißung im deutschen Kirchenkampf«:

Karl Barth

• Nach 1945: ›Kirchenkampf‹ als kirchlicher Widerstand gegen den totalen NS-Staat und seine Weltanschauung (Geisteskampf und Bekenntniskampf)

– Kampf für die lutherische Reichskirche (d.h. lutherische Bekenntniskirche), weil es ein untrennbares Verhältnis zwischen Luthertum und Deutschtum gibt

– VKL übt Wächteramt der Kirche aus und bildet eine breitere kirchliche Front als Bollwerk gegen den sich erhebenden heidnischen Geist

• Ende 1934 beginnt der eigentliche Kampf der Kirche: Die christliche Kirche vs. das völkische Heidentum (Hauptgegner: Alfred Rosenberg)

• 1933: Neuordnung der Kirche aus dem Wesen der Kirche heraus (Kirche muss Kirche bleiben! bzw. Kirche muss wieder Kirche werden!)

– Scheidung der Geister: Heidnischer Geist oder Heiliger Geist?

– Entscheidungszeit und segensreiche Klärungen

– Wachsende Erkenntnis: Die Kirche erfährt ihre Ausrichtung allein vom Evangelium her

– Verheißung durch volksmissionarische Chance im Ringen um die Seele des deutschen Volkes

– Not der Kirche durch Politisierung der Kirche, d.h. Akkomodationsversuche der Kirche an die Welt

Anfang 1934: die Not des ›Kirchenkampfes‹ trägt eine Verheißung und einen Segen in sich:

Walter Künneth

– Jeder Feind der NS-Bewegung ist ein Feind Hirschs

• Seit Februar-April 1936: Immunisierung des nationalsozialistischen Regimes gegen jede nur denkbare Kritik und Verteidigung sämtlicher nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen.

• November 1934 (Reaktion auf Dahlem & 1. VKL): zunehmende Kirchenfeindlichkeit, Theologenverdrossenheit und Politisierung der eigenen Position.

• Juni 1934 (Reaktion auf Barmen): Zunehmende Befürwortung der staatlichen Gleichschaltung der Kirche und Rückkehr zum Landesherrlichen Kirchenregiment (Summepiskopat)

– Hoffnung auf Umformung der Kirche, des Staates und des Volkes durch die nationalsozialistische Bewegung

• 30. Januar 1933: geschichtstheologisches Ereignis (Stunde, große Möglichkeit)

– Unehre bzw. Verschuldung des Kirchenkampfes: Ängstlichkeit, Misstrauen, Zaghaftigkeit, (kirchliche und politische) Opposition und Dogmatismus der Theologen und mangelnde Geschichtsmächtigkeit

– Ehre des Kirchenkampfes: Die Kirche stellt sich der Wahrheitsfrage und nach dem von Gott gebotenen Weg

Verheißung von 1933: Die Erneuerung des evangelischen Kirchentums zu einer lebendig im deutschen Volke stehenden Trägerin des göttlichen Worts, des lebendigen Christus

Emanuel Hirsch

Synopse der Deutungen

323

324

Auswertung und Ertrag der Arbeit

5.2. Strukturelle Gemeinsamkeiten Trotz aller gravierenden theologischen und positionellen Differenzen haben die Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ aller drei Akteure vier interessante Aspekte gemeinsam: 1.) Alle drei interpretierten den ›Kirchenkampf‹ als einen Kampf gegen einen als negativ bewerteten und verderblichen Liberalismus. Dabei wurde allerdings unter »liberal« Verschiedenes verstanden: Für Barth bildeten die moderne Welt und die selbstherrliche Liberale Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts die Grundvoraussetzungen dafür, dass das autoritäre und vor allem totalitäre NS-Regime sowie häretische Gruppen wie die DC überhaupt entstehen konnten. Künneth betrachtete die Liberale Theologie und den Kulturprotestantismus als die geistigen Voraussetzungen für die Entstehung des heidnischen Geistes alles Neuheidentums. Für Hirsch trugen der Liberalismus, Demokratismus, Pazifismus und Parlamentarismus der Weimarer Republik einen großen Teil der Schuld am Elend des deutschen Volkes vor 1933. Deswegen bekämpfte er sie vehement. Sein Verhältnis zur liberalen Theologie1412 betrachtete er allerdings in der Retrospektive als durchaus differenziert: zwar habe ihn die historische und dogmatische Kritik der liberalen Theologie überzeugt. Davon seien allerdings sein »Verhältnis zu Jesus« und seine »Passion, zu Gebet und Gehorsam nicht im mindesten« angetastet worden.1413 Zugespitzt könnte man sagen, dass Hirsch in theologischer Hinsicht liberal war, in politischer Hinsicht aber konservativ. 2.) Allen drei Deutungen zufolge rief der ›Kirchenkampf‹ die Kirche sowie den einzelnen Christen zu einer eindeutigen und entschlossenen Entscheidung auf. Symptomatisch hierfür sind allenthalben auftretende Argumentationsfiguren wie der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, der sich wiederholt in dem programmatischen Entweder-oder (in Abgrenzung zu einem pluralistischen Sowohlals-auch) ausdrückt sowie in Begrifflichkeiten, die die Notwendigkeit der Entscheidung, Wahl und Scheidung der Geister widerspiegelt. Obgleich die Wahlmöglichkeiten und Optionen sich deutlich unterschieden, waren sich alle drei darüber einig, dass eine Entscheidung notwendigerweise getroffen werden musste.1414

1412 Hirsch dürfte hier vor allem an Adolf von Harnack gedacht haben. Vgl. Hirsch, Über mich selbst, 10. 1413 A. a. O., 12. 1414 Manfred Jacobs hat dieses Phänomen »dezisionistische Verengung« genannt und wirkungsgeschichtlich als »Erbe des Kirchenkampfes« charakterisiert. Vgl. Jacobs, Konsequenzen aus dem Kirchenkampf, 565–567, Zitate 565.

Strukturelle Gemeinsamkeiten

325

3.) Ein wesentlicher Grund für dieses Phänomen war die exklusivistische Interpretation der eigenen theologischen Axiomata: Barth betrachtete vor dem Hintergrund seiner exklusivistischen Wort-GottesTheologie und -Ekklesiologie und dem theologischen Axiom vom ersten Gebot ausnahmslos jeden Bindestrich neben der Offenbarung, dem Gebot Gottes oder dem Bekenntnis als Ausdruck einer verderblichen und abzulehnenden natürlichen Theologie. Theologische Weiterbildungen wie etwa die christologische Interpretation der ἐξουσίαι von Röm. 13 als Engelsmächte in Rechtfertigung und Recht oder die etwa zeitgleich auftauchende Rede vom politischen Gottesdienst ergaben sich keinesfalls logisch notwendig aus diesem Axiom, sondern können als Versuch gewertet werden, seine Exklusivität auch angesichts stark veränderter Kontexte aufrechtzuhalten. Künneth wiederum interpretierte seine Theologie der Auferstehung und Ordnungstheologie axiomatisch. Er ging offenbarungstheologisch von einer doppelten Bindung des Christen an Christus und an die Erhaltungsordnungen aus, zu denen er auch die Instanzen Volk, Rasse und Staat zählte. Obwohl sein ekklesiologisches Ideal der kämpfenden Kirche jede geschichtliche Wirklichkeit vom Schöpfungswillen Gottes her radikal infrage stellen sollte, führte seine lutherisch gefärbte Interpretation des NS-Staates als echter Obrigkeit im Sinne von Röm. 13 (Zwei-Reiche-Lehre) zusammen mit seiner schöpfungstheologischen Würdigung als Erhaltungsordnung Gottes dazu, dass er vor 1945 den NS-Staat keineswegs als Gegner der Kirche im ›Kirchenkampf‹ betrachtete. Dieser Umstand kann sowohl als Konsequenz seiner theologischen Axiomata als auch als eine Folge seiner Deutung der geschichtlichen Lage und seiner konfessionalistischen Verengung auf das Luthertum, das für ihn in einer gewissermaßen metaphysischen Beziehung zum deutschen Volkstum stand, aufgefasst werden. Hirschs ethische Geschichtsansicht und seine Deutung der Zwei-Reiche-Lehre konnten wiederum aus philosophischen und fundamentaltheologischen Gründen nicht ihren Ausgang im Bereich des Theologischen nehmen, sondern betrachteten das Gebot der Stunde axiomatisch als Ausgangspunkt seiner Deutung des ›Kirchenkampfes‹. Dies hatte zur Folge, dass in dem Moment, in dem Hirsch den Ruf Gottes in der nationalsozialistischen Bewegung vernommen hatte, alles mit der Haltung dem NS-Staat gegenüber stand und fiel. Auf diese Weise übergab er die Kirche in die absolute Heteronomie. 4.) Ein Viertes haben aber alle drei Theologen gemeinsam: Sie ordneten das Humanum des einzelnen Individuums ihren axiomatischen Überzeugungen unter. Manfred Jacobs, stellt diesen Gedanken stark zugespitzt folgendermaßen dar: Besteht nicht zwischen dem völkischen Einheitsgedanken des Nationalsozialismus, der für Minderheiten und rassische Individualitäten keinen Raum mehr lassen konnte, und

326

Auswertung und Ertrag der Arbeit

der kirchlichen Bekenntnisbestimmtheit, die sich gegen die Pluralisierung der theologischen Meinungen und Richtungen wehrt und zum Exodus bzw. zur Exkommunikation drängt, eine innere Verbindung? Die Verbindung nämlich eines diktatorischen Totalitarismus, der aus der Geistunmittelbarkeit des existenziellen Dezisionismus heraus zur Freund-Feind-Haltung führt und für einen geordneten Antagonismus keinen Raum läßt.1415

Angesichts der diametralen Unterschiede zwischen dem nationalsozialistischen Einheitsgedanken und der kirchlichen Bekenntnisbestimmtheit kann eine solche ›innere Verbindung‹ nicht inhaltlicher, sondern muss vielmehr formaler Natur sein. Formal scheint die Analogie allerdings tatsächlich frappierend: Die EntIndividualisierung und Überordnung einer allein als angemessen betrachteten Sache über das einzelne Individuum und die exklusivistische Interpretation dieser Sache führten doch immer zu dem gleichen Ziel: Zum Verlust oder zumindest zur Unterordnung des Humanums unter die übergeordnete Sache. Dieses Phänomen lässt sich wiederum anhand der Behandlung der »Judenfrage« besonders eindrücklich verdeutlichen: Nie ging es den Akteuren dabei um den einzelnen Juden oder die einzelne Jüdin als unverlierbares Individuum mit eigener Würde als Mensch. Vielmehr wurden »die Juden« theologisch bzw. christologisch und/oder biologistisch bzw. rassenideologisch gedeutet, aber eben nicht menschlich oder ethisch. So bewertete Walter Künneth das »Judenproblem« und die »Judenfrage« in seinem einschlägigen Aufsatz Nation vor Gott zwar etwas weniger antisemitisch wie Emanuel Hirsch, aber dennoch äußerst antijüdisch auf der Linie Hitlers und des Parteiprogramms der NSDAP, obwohl er betonte, dass die Judenfrage »nicht nur eine staatspolitische Frage« sei, sondern auch eine (ordnungs)theologische, »die der Antwort der Kirche bedarf.«1416 Aber auch Barth musste im Rückblick erkennen, dass er kein Philosemit gewesen ist. Seine Aufwertung der Juden im Rahmen des ›Kirchenkampfes‹ nahm den Umweg über die Christologie und erfolgte keineswegs direkt und unmittelbar. In ihrer Exklusivität waren deshalb alle drei Theologen blind für das, was aus heutiger Sicht die eigentliche Katastrophe der NS-Zeit war: eine humane Katastrophe, die uns heute immer wieder sprach- und fassungslos zu machen vermag. An dieser Stelle dürfen wir uns mit Ericksen mutatis mutandis auch zu Barth, Künneth und Hirsch die entscheidende Frage stellen: Werden wir es vermeiden können, der Kittel, Althaus oder Hirsch jener Zeit zu sein? Werden wir es vermeiden, unsere Vernunft dazu zu benutzen, eine Position rational zu rechtfertigen, die unsere Interessen und Bedürfnisse schützt, und unsere Augen gegen das schließen, was den Minderheiten und weniger Bevorzugten unter uns Leiden bringt? 1415 Jacobs, Konsequenzen aus dem Kirchenkampf, 565. Diesen Zusammenhang führt Jacobs allerdings stark verkürzt auf die Organismustheorie des 19. Jahrhunderts zurück. Vgl. ebd. 1416 Künneth (1934), Das Judenproblem und die Kirche, 137.

Historiographischer Ertrag

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Bis wir über diese Fragen nicht wirklich nachgedacht haben, steht es uns nicht gut an, Kittel, Althaus und Hirsch laut zu verdammen.1417

5.3. Historiographischer Ertrag Zum Abschluss möchte ich ein vorsichtiges vorläufiges Fazit zur Verwendbarkeit des Begriffes ›Kirchenkampf‹ als historiographischen Begriff ziehen. Zunächst ein paar einschlägige Beobachtungen aus der Akteursperspektive, Retrospektive und Rezipientenperspektive: I.) Barth, Künneth und Hirsch verwendeten in der Akteurs-, und Rezipientenperspektive und in der Retrospektion meist den Begriff ›Kirchenkampf‹ als Bezeichnung für einen Ereigniszusammenhang, der in ihren Augen epochale Bedeutung1418 hatte. Aber jeder der drei Theologen kannte mehrere Alternativen für ihn (z. B. »Kirchenstreit«, »Kirchenkrise«, »geistlicher Widerstand«, »Bekenntniskampf« usw.), die z. T. austauschbar und manchmal sogar synonym verwendet werden konnten. II.) Für Barth war der ›Kirchenkampf‹ zunächst ausdrücklich kein politischer Kampf der Kirche gegen den NS-Staat, sondern ausschließlich innerkirchliche Opposition. Erst Mitte 1935 galt der totale NS-Staat (als Gegenkirche) als wahrer Gegner der Kirche. Erst Mitte 1938 führte der ›Kirchenkampf‹ zu Barths theologisch begründeter politischer Ablehnung des NS-Staates. Künneth bestritt sogar lange nach 1945, dass der ›Kirchenkampf‹ ein politischer Kampf gewesen sei. Es habe sich vielmehr um einen rein geistlichen Kampf gehandelt, der gerade in seiner Entartung politische Züge aufgewiesen habe. Er sprach zudem von doppelter Bindung, d. h. der Bindung von Kirche an Evangelium und an Volk und Staat. Zum außerkirchlichen Gegner wurde der NS-Staat für Künneth erst in der Rezipientenperspektive. Als Akteur ging er stets davon aus, dass es sich um den geistigen Kampf gegen das Neuheidentum gehandelt habe. Nur für Hirsch war der ›Kirchenkampf‹ spätestens ab November 1934 in erster Linie ein politischer Kampf gegen NS-kritische Theologen, weil er sich selbst als (völkisch-)politischen Theologen verstand und weil er jede kirchliche Opposition, auch wenn sie theologisch gemeint und motiviert war, politisch interpretierte. Er verteidigte die Sache des NS-Staats noch nach 1945.

1417 Diese wichtigen Fragen wurden bereits in Kapitel 4.3. in einem anderen Zusammenhang zitiert. 1418 Vgl. hierzu zu Barth: Kap. 2.4.9.1 bis 2.4.9.3 und zu Künneth: Kap. 3.4.2f und 3.4.12 und 3.4.15 und zu Hirsch: 4.5.2f, Exkurs: Hirschs Verhältnis zum Summepiskopat und Kap. 4.5.8.

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Auswertung und Ertrag der Arbeit

Nur einer der drei Theologen verwendete den Begriff ›Kirchenkampf‹ also so, wie man es vielleicht vermuten könnte: als Bezeichnung eines politischen Widerstands der Kirche gegen den Nationalsozialismus. Für alle drei Denker war aber gerade dieser politische Widerstand das verderbliche Moment des ›Kirchenkampfes‹ und somit nicht der Idealfall, sondern Entartung. Man kann also Theologen wie Künneth und Barth den Vorwurf machen, den NS-Staat nicht politisch bekämpft zu haben, muss dann aber immer in Rechnung stellen, dass eben dies erklärtermaßen nicht ihr Anliegen und Ziel gewesen ist. Vor dem Hintergrund meiner Arbeit legen sich folgende Differenzierungen bezüglich des Begriffes ›Kirchenkampf‹ nahe: 1.) Alle drei Akteure bezeichneten mit diesem Begriff dasselbe Geschehen und dieselben Ereigniszusammenhänge und zwar – im weitesten Sinne – zunächst a) Auseinandersetzungen um kirchliche Angelegenheiten (Reichsbischofsfrage, Arierparagraph, das Wesen und die Lehre der Kirche etc.), die b) mit dem Jahre 1933 ihren Anfang genommen hatten und bei denen es sich tatsächlich um c) einen existenziell bedeutsamen Kampf gehandelt hat. Diese drei Faktoren dürfen als kleinster gemeinsamer Nenner und somit als Mindestkonsens aller drei Autoren betrachtet werden, weshalb sie uns als Minimaldefinition des ›Kirchenkampfes‹ dienen. 1.1.) Zwar gab es aufgrund der komplett unterschiedlichen Positionen der drei Akteure keine Einigkeit darüber, wer eigentlich gegen wen im ›Kirchenkampf‹ kämpfte, wer also Subjekt und wer Objekt des Kampfes war. Dass sich der Kampf aber zunächst auf die innerkirchlichen Grenzen beschränkte und nicht etwa den aktiven Widerstand gegen den NS-Staat zum Ziel hatte, hätte wohl keiner der Akteure mit Ausnahme von Emanuel Hirsch bestritten. In den Jahren 1933/1934 standen Auseinandersetzungen um die kirchliche Lehre, die Kirchenordnung, die Gestaltung der Kirchenleitung und den Umgang mit Judenchristen und die damit zusammenhängende Diskussion um den Arierparagraphen im Vordergrund. Erst ab 1935 finden sich insbesondere bei Barth und Künneth Tendenzen den ›Kirchenkampf‹ auch auf außerkirchliche Gegner auszuweiten. Für Barth war als wahrer Gegner der Kirche der NS-Staat zu Tage getreten. Künneth dagegen bezog im Geisteskampf Front gegen das Neuheidentum. 1.2.) Auch bezüglich der zeitlichen Eingrenzung dieses ›Kirchenkampfes‹ gibt es bei den Akteuren unterschiedliche Auffassungen und auch innerhalb ihrer eigenen Perspektive keine Eindeutigkeit: Begann der Kampf bereits 1933 oder eigentlich erst im Jahre 1934 mit der Entstehung der Barmer Theologischen Erklärung? Wie lange dauerte er bzw. wann genau endete er? Die Tatsache, dass es allerdings einen ›Kirchenkampf‹ im Zeitraum zwischen 1933/1934 bis x gab und dass ihm epochale Bedeutung zukam, davon gingen alle drei Theologen fraglos aus.

Historiographischer Ertrag

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2.) Obwohl Einigkeit darüber bestand, dass es einen so skizzierten ›Kirchenkampf‹ gab, gingen bei allen Akteuren die Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ weit auseinander. Sie ergaben sich nicht zuletzt aus den unterschiedlichen und komplexen Positionen der Akteure. 2.1.) Diese unterschiedlichen Positionen waren von vielfältigen Faktoren geprägt (politische Motivation, persönliche Befindlichkeiten, weltanschauliche und theologische Prägung, Erziehung, Sozialisation uvm.). Einer dieser vielen Faktoren, der die Position der Akteure freilich nicht alleine zu erklären vermag, aber dennoch maßgeblich (mit)geprägt hat, ist ihre theologische Ausrichtung. Alle drei gingen nämlich – wie oben dargestellt – mit ganz unterschiedlichen theologischen Prägungen und Vorstellungen in den ›Kirchenkampf‹ hinein und werteten diese Grundlagen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auch noch unterschiedlich stark. 2.2.) Es ist vor dem Hintergrund dieser Studie davon auszugehen, dass ihre theologischen Positionen – allgemeiner gesprochen, dass bestimmte Theologumena – bestimmte Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ begünstigt, wenn nicht sogar maßgeblich geprägt haben. 3.) Im Hinblick auf die Frage nach der Verwendbarkeit des Begriffes ›Kirchenkampf‹ scheint mir aus dem Vorhergesagten eine Überlegung nahezuliegen: Begriffspaare wie Kirche und Nationalsozialismus (Mehlhausen et al.) oder Die Kirchen und der Nationalsozialismus (Blaschke) scheinen keinen geeigneten Ersatz für das darzustellen, was die einschlägigen Akteure ›Kirchenkampf‹ genannt haben. Zur Begründung: 3.1.) Es wäre geradezu anachronistisch ein bestimmtes Verständnis von ›Kirchenkampf‹ (z. B. den Kampf der Kirche[n] gegen den Nationalsozialismus) der historiographischen Deutung normativ zugrunde zu legen, um dann festzustellen, dass der ›Kirchenkampf‹ so nicht – oder doch nur sehr vereinzelt – stattgefunden hat, weil die Kirche(n) gerade so nicht gegen den NS-Staat und seine Gräueltaten gekämpft hatten. 3.2.) Zudem bringen die Alternativen die als existenziell bedeutsam empfundene subjektive Wahrnehmung und Deutung des ›Kirchenkampfes‹ der einschlägigen Akteure nicht angemessen zum Ausdruck. Den Geschehnissen, die die Akteure als ›Kirchenkampf‹ bezeichneten, kam jedoch in jeder noch so unterschiedlichen Deutung existenzielle Bedeutung zu. In ihnen ging es für die Akteure um Leib und Leben, um das Wohl ihrer Familien, um ihre beruflichen, privaten und gesellschaftlichen Möglichkeiten und nicht zuletzt um ihre tiefsten und heiligsten religiösen (und weltanschaulichen) Überzeugungen. Kurzum: Diese Auseinandersetzungen waren in der Wahrnehmung der Akteure eben ein wirklicher und existenziell bedeutsamer – d. h. verheißungsvoller, aber auch (lebens)bedrohlicher – Kampf. Dieser Deutung der Akteure trägt der Begriff

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Auswertung und Ertrag der Arbeit

›Kirchenkampf‹ Rechnung: In der subjektiven Wahrnehmung der Akteure kam ihm sogar epochale Bedeutung zu. 3.3.) Gerade weil die Auseinandersetzungen, die die Akteure als ›Kirchenkampf‹ bezeichneten, eben zum allergrößten Teil nicht auf einen Kampf der Kirche mit oder gegen den NS-Staat abzielten, sind Alternativen wie Kirche und Nationalsozialismus oder Die Kirchen und der Nationalsozialismus nicht weniger irreführend als der Begriff ›Kirchenkampf‹ selbst. Sie sind nämlich missverständlich, weil sie diese historiographisch fragwürdige Frontstellung zumindest prima facie nahezulegen scheinen. 3.4.) Außerdem sind alternative Begriffspaare wie Kirche und Nationalsozialismus oder Die Kirchen und der Nationalsozialismus zwar als Epochenbezeichnung für den kirchengeschichtlichen Abschnitt der Jahre 1933 bis 1945 durchaus geeignet, insofern sie rein empirisch und deskriptiv zum Ausdruck bringen, dass es im Zeitraum 1933 bis 1945 Kirche(n) gab, die unter den Vorzeichen des Nationalsozialismus existierten.1419 Über die Verhältnisbestimmung der beiden Größen (Kirche und Nationalsozialismus) wird dadurch freilich noch nichts ausgesagt. Und auch die Tatsache, dass es für die Akteure ab 1933 einen ›Kirchenkampf‹ gab und welche Bedeutung er für sie hatte, kommt durch diese Begrifflichkeiten nicht zur Sprache. In dieser Hinsicht können die Alternativen den Begriff ›Kirchenkampf‹ sachlich nicht ersetzen, sondern nur als eine Art epochaler Überbegriff ergänzen. 4.) Das Kompositum ›Kirchen-Kampf‹ kann aus sprachwissenschaftlicher Perspektive sowohl als hinreichend offen (für die verschiedenen Deutungen der Akteure) als auch als hinreichend präzise (für das allen Verwendungen des Begriffes Gemeinsame: s. o. Minimaldefinition) betrachtet werden. Es zeichnet sich überdies durch Kürze und Prägnanz aus und bringt das Selbstverständnis der Akteure auf eine historisch fundierte Formel: Im »Kirchenkampf« hat/haben Kirche(n) einerseits gekämpft und wurde(n) andererseits bekämpft. Dabei kann das Substantiv »Kirche« sowohl Subjekt als auch Objekt des Kampfes sein und das Simplex »Kampf« alle drei Diathesen zum Ausdruck bringen: Es kann aktivische (»Die Kirche kämpft gegen x«), passivische (»Die Kirche wird bekämpft von x«) und/oder mediale Bedeutung (»Die Kirche bekämpft sich selbst, d. h. verschiedene kirchliche Gruppierungen [z. B. DC, JB und BK] bekämpfen sich gegenseitig.«) haben. Diese komplexe Deutungsoffenheit des Begriffes ›Kirchenkampf‹ kann freilich erweitert werden; etwa durch Präpositionalobjekte wie »für«, »gegen«, »um«1420 etc. 1419 Wenn allerdings dieses historiographische Kriterium verabsolutiert werden sollte, müsste man die »Kirche im Nationalsozialismus« analog von der »Kirche in der Weimarer Republik« und der »Kirche in der jungen Bundesrepublik« etc. abgrenzen. 1420 Dieser Gedanke ist inspiriert von Fischer-Hupe, Der Kirchenkampfdiskurs nach 1945, 464– 467.

Historiographischer Ertrag

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5.) Deshalb dürfte dem Begriff ›Kirchenkampf‹ für die Frage nach der historiographischen Verwendbarkeit selbst eine in hermeneutischer Hinsicht doppelte kritische Funktion zukommen: 5.1.) Der Begriff ›Kirchenkampf‹ wird zunächst von allem Ballast, der sich durch seine problematische Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesammelt hat (Heldenverehrung, Geschichtsverklärung etc.), befreit und auf den allen bisher betrachteten Verwendungsweisen gemeinsamen Inhalt reduziert (s. o. Mindestdefinition). Hierdurch gewinnt der Begriff an Präzision und an kritischem Potential gegenüber jeder historiographischen Vereinseitigung und Verengung des damit bezeichneten Gegenstandes. 5.2.) Durch diese Einengung des Begriffes auf die vorgeschlagene (vorläufige1421) Mindestdefinition gewinnt der Begriff die nötige Deutungsoffenheit, um all die verschiedenen Deutungen des ›Kirchenkampfes‹ der einschlägigen Akteure zum Ausdruck bringen zu können. Der Begriff ›Kirchenkampf‹ ist im besten Sinne des Wortes präzise (5.1.) und prägnant (4.)! Diese Überlegungen werfen die streitbare Frage auf, was eigentlich dagegenspricht, den Kampf um die innerkirchlichen Angelegenheiten in den Jahren 1933ff vor dem Hintergrund dieses vielschichtigen Problembewusstseins als ›Kirchenkampf‹ zu bezeichnen? Ist der Begriff nicht doch zu gebrauchen, wenn man deutlich macht, um was es den Akteuren dabei wirklich (nicht) ging? In jedem Fall sollte der Begriff aber in Anführungszeichen gesetzt werden1422, weil er sowohl von den Akteuren als auch von den Rezipienten und auch manchem Historiographen in einer aus heutiger Sicht problematischen, tendenziösen und verzerrten Weise gebraucht worden ist. Eine unkritische und unreflektierte Übernahme des Sprachgebrauchs der Akteure und der damit verbundenen Gedankenwelt der Akteure wäre selbstverständlich nicht wesentlich weniger problematisch wie eine unkritische und unreflektierte Übernahme der Deutungen der Rezipienten.

1421 Es kann sich in späteren Untersuchungen womöglich noch herausstellen, dass es deutsche protestantische Theologen gegeben hat, die den ›Kirchenkampf‹ schon als Akteure als aktiven Widerstand der Kirche(n) gegen den Nationalsozialismus aufgefasst und beschrieben haben. Hiervon ist aufgrund bisheriger Arbeiten allerdings m. E. nicht auszugehen und solche Theologen dürften auch die absolute Minderheit und sicherlich nicht die Regel dargestellt haben. Auch bei Barth hat sich ja gezeigt, dass er sich zum »Nein!« gegen den NS-Staat erst spät hat durchringen können und es ist sicherlich kein Zufall, dass er gerade für diese als rein politisch (miss)verstandene Haltung besonders in Deutschland heftige Kritik und Ablehnung auch von Seiten der BK hat in Kauf nehmen müssen. S. o. Kap. 2.4.6, Kap. 2.5.3, Anm. 532f. und Kap. 3.5.2. 1422 S. o. Kap. 1.1. (Blascke).

6.

Desiderate und weiterführende Fragestellungen

Auf dem Gebiet der Aufarbeitung der historiographischen Perspektive auf den ›Kirchenkampf‹ ist bereits sehr viel Arbeit geleistet worden. Auch auf dem Gebiet der Aufarbeitung der Rezipientenperspektive gibt es bereits interessante Einsichten. Um zu verstehen, wie die Akteure den Begriff verwendet und die damit bezeichneten Ereignisse gedeutet haben, ist allerdings noch einige Arbeit zur Akteursperspektive von Nöten. Dabei wären die Perspektiven weiterer kirchlicher Gruppierungen, Strömungen und Milieus zur Zeit des Nationalsozialismus in den Blick zu nehmen. Mit den drei behandelten Akteuren sollten drei kleine Steinchen in einem komplexen Mosaik gelegt werden. Weitere Perspektiven von Akteuren wären hilfreich, um die Ausschnitthaftigkeit des Bildes zu ergänzen. Damit hängt ein weiteres Desiderat der neuen Protestantismusgeschichte zusammen: »Weiterhin bleiben Biographien über prägende Führungspersönlichkeiten ein dringendes Desiderat sowohl von deutschchristlichen Kirchenführern, Bischöfen und Theologen (…) wie auch von Bischöfen der angepassten lutherischen Kirche, allen voran August Marahrens, Hans Meiser1423 und Theophil Wurm.«1424 Solche wissenschaftlichen Biographien wären überdies etwa bei Walter Künneth und Emanuel Hirsch ein wertvolles Korrektiv zur autobiographischen Selbstdarstellung der Akteure1425, die für die historiographische Aufarbeitung dieser Persönlichkeiten auch in der neueren Forschung nicht selten allzu unkritisch rezipiert wurde. Bei Hirsch rückt diese Aufgabe durch die Freigabe des Göttinger Privatnachlasses als Ergänzung des Marbacher Nachlasses Wilhelm Stapels und Hans Grimms seit kurzem erstmals in den Bereich des Möglichen.1426 Bei 1423 Eine solche wissenschaftliche Biographie hat Nora Andrea Schulze während der Entstehung dieser Arbeit zu Hans Meiser vorgelegt. Vgl. Schulze, Hans Meiser, Lutheraner – Untertan – Opponent. 1424 Gailus, Protestantismus und Nationalsozialismus, 170f. 1425 S. o. Kap. 3.5.2. zu Walter Künneth und Kap. 4.7. zu Emanuel Hirsch. 1426 S. o. Kap. 1.4.3.

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Desiderate und weiterführende Fragestellungen

Künneth wäre hierfür sein Nachlass heranzuziehen, der sich im Landeskirchlichen Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (LAELKB)1427 befindet.

1427 https://www.archiv-elkb.de/system/files/dateien/nachlaesse-netzseiteabc2021.pdf Seite 4 (zuletzt abgerufen am 10. 6. 2023).

7.

Archive

Archivalien, die im Rahmen der Arbeit benutzt wurden, werden bei Barth geordnet nach der KBA-Nummer aufgeführt. Archivalien zu Hirsch werden in chronologischer Reihenfolge aufgelistet, weil sie keine eigene Archivnummer besitzen, sondern im DLA Marbach als chronologisch gruppierte Konvolute zusammengefasst sind: So erstreckt sich beispielsweise die Archivmappe »A:Grimm, Hans. HS001247405« über die Jahre 1927–1959 und umfasst 113 Briefe Emanuel Hirschs an Hans Grimm, während die Mappe »A:Grimm, Hans. HS001191284« die Jahre 1931–1959 umfasst und 76 Briefe Hans Grimms an Emanuel Hirsch beinhaltet.1428

7.1. Karl Barth-Archiv Basel Privatexemplar Karl Barths von H. Kübler, Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus? KBA 4026 Brief von Karl Barth an Karl Huber vom 15. Mai 1935. KBA 9235.124 Brief von Karl Barth an Karl Buxtorf vom 13. Juli 1936. KBA 9236.179 Brief von Karl Barth an Hermann A. Hesse vom 26. Juli 1937. KBA 9237.116 Brief von Karl Barth an Arthur Cochrane vom 6. Juni 1937. KBA 9237.92 Brief von Karl Barth an Eduard Thurneysen vom 12. April 1938. KBA 9238.46 Brief von Karl Barth an Wilhelm G. Meyer vom 13. April 1938. KBA 9238.49 Brief von Mechthild Dallmann an Karl Barth vom 26. August 1933. KBA 9333.629 Brief von Karl Barth an Mechthild Dallmann vom 1. September 1933. KBA 9233.220 Brief von Mechthild Dallmann an Karl Barth vom 8. September 1934. KBA 9334.887 Brief von Wilhelm Vischer an Karl Barth vom 10. September 1938. KBA 9338.696 Fünfseitiges Typoskript zu: K. Barth (September 1937), Four Hundredth Anniversary of the Foundation of St. Mary’s College St. Andrews, 28. September 1937 mit der handschriftlichen Überschrift: 400 jähr. Jubiläum des St. Mary’s College in St. Andrews. KBA 10111 1428 Vgl. https://www.dla-marbach.de/kallias/aDISWeb/hs/opacindex.html (zuletzt abgerufen am 10. 6. 2023).

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Archive

Vierseitiges Stichworttyposkript zu: K. Barth (Januar 1938), Not und Verheißung im deutschen Kirchenkampf, Bern 1938 mit der Überschrift: Vortrag in Basel u. Bern, Jan.1938. KBA 10119 Vierseitiges Stichwortmanuskript zu: K. Barth (September 1938), »So wahr mir Gott helfe!«, ohne Überschrift. KBA 10122 Elfseitiges Typoskript zu: K. Barth (September 1938), »So wahr mir Gott helfe!«. Seite 11: Noch ein Nachwort. KBA 10123 Vierseitiges Manuskript mit dem Titel: »Mk 13«. KBA 10135 Eineinhalbseitiges Manuskript mit dem Titel: »Es könnte sein?«. KBA 10575 Fünfseitiges nicht ausformuliertes Typoskript mit der Überschrift: Vortrag in Luzern und Olten, November 1937. KBA 11124 Wort der Bekenntnissynode der Evg. Kirche der altpreussischen Union (vom 31. Juli 1938) zum Treueid der Pfarrer. / Beschluss der zweiten Tagung der 6. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der ap.U. zur Ableistung des Treueides durch die Pfarrer, in: Schweizerischer evangelischer Pressedienst, Nr. 22, 17. 8. 1938. KBA 17702 Abschrift von Abschrift. Abschrift aus den Führerblättern der Gauleitung Sachsen der NSDAP! Folge 8. 8. August 1938, Rundschreiben Nr. 87/38. KBA 17707 Fünfeinhalbseitiges Stichworttyposkript mit der Überschrift: Was hat der deutsche Kirchenkampf uns zu sagen? Handschriftliche Ergänzung: »29. Nov. 1938 Arlesheim«. KBA 11139 Die Kirche und die politische Frage von heute, Vortrag gehalten in der Kirche zu Oltingen und in der Kirche zu Gelterkirchen am 15. Januar 1939 von Karl Barth. KBA 11140 / KBA 354 / W408

7.2. Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA). Archivalien zu Emanuel Hirsch Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 22. Dezember 1927, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 1. Juni 1931, beigefügt: Evangelische Kirche und Völkerverständigung. Eine Erklärung, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 11. Juni 1931, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 14. Dezember 1931, A:Stapel, Wilhelm. HS004836972, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 1. März 1932, A:Stapel, Wilhelm. HS004836972, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 14. März 1932, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 15. März 1932, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Hans Grimm an Emanuel Hirsch, Brief vom 18. März 1932, A:Grimm, Hans. HS001191284, DLA Marbach

Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA). Archivalien zu Emanuel Hirsch

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Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 1. April 1932 mit Beilage, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 3. April 1932, beigefügt: Aufforderung der 7 Professoren der Göttinger Universität Hitler zu wählen, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 6. April 1932, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 12. Mai 1932, A:Stapel, Wilhelm. HS004836972, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 16. Mai 1932, A:Stapel, Wilhelm. HS004836972, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel und Freunde, Brief vom 1. Oktober 1932, A:Stapel, Wilhelm. HS004836972, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 15. Oktober 1932, A:Stapel, Wilhelm. HS004836972, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 29. Oktober 1932, A:Stapel, Wilhelm. HS004836972, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 4. Februar 1933, A:Stapel, Wilhelm. HS004836972, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 7. Mai 1933, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel u. a., Brief vom 16. Juni 1933, A:Stapel, Wilhelm. HS004836972, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 2. Dezember 1933, A:Stapel, Wilhelm. HS004836972, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 31. Mai 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 10. Juni 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 27. September 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 2. November 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 5. November 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 9. November 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, zwei Briefe vom 12. November 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, zwei Briefe vom 19. November 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 25. November 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 27. November 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach

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Archive

Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 30. November 1934, beigefügt: Erklärung der VKL vom 23. 11. 1934 mit handschriftlichen Markierungen Hirschs, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 1. Dezember 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 3. Dezember 1934, beigefügt: Disziplinarverfahren gegen Karl Barth, in: Deutsches Volkstum 2/12, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 7. Dezember 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 9. Dezember 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 13. Dezember 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, o.D.: Karl Barth über die Lage, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, zwei Briefe vom 14. Dezember 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, zwei Briefe vom 19. Dezember 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 20. Dezember 1934, beigefügt: Abschrift Barth an Naumann, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 22. Dezember 1934, A:Stapel, Wilhelm. HS004836981, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 15. Januar 1935, A:Stapel, Wilhelm. HS004837192, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 23. Februar 1935, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 19. März 1935, A:Stapel, Wilhelm. HS004837192, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 3. April 1935, A:Stapel, Wilhelm. HS004837192, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 5. Mai 1935, A:Stapel, Wilhelm. HS004837192, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 2. November 1935, A:Stapel, Wilhelm. HS004837192, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 3. Dezember 1935, A:Stapel, Wilhelm. HS004837192, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 6. Dezember 1935, A:Stapel, Wilhelm. HS004837192, DLA Marbach Hans Grimm an Emanuel Hirsch, Brief vom 18. Februar 1936, A:Grimm, Hans. HS001191284, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 23. Februar 1936, A:Stapel, Wilhelm. HS004837218, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 23. Februar 1936, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach

Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA). Archivalien zu Emanuel Hirsch

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Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 5. April 1936, A:Stapel, Wilhelm. HS004837218, DLA Marbach Hans Grimm an Emanuel Hirsch, Brief vom 12. April 1936, A:Grimm, Hans. HS001191284, DLA Marbach Hans Grimm an Emanuel Hirsch, Brief vom 21. April 1936, A:Grimm, Hans. HS001191284, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 21. April 1936, A:Stapel, Wilhelm. HS004837218, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 23. April 1936, A:Stapel, Wilhelm. HS004837218, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 23. April 1936, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 22. Mai 1936, A:Stapel, Wilhelm. HS004837218, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 6. Juni 1936, A:Stapel, Wilhelm. HS004837218, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 9. August 1936, A:Stapel, Wilhelm. HS004837218, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 2. September 1936, A:Stapel, Wilhelm. HS004837218, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, zwei Briefe vom 13. Dezember 1936, A:Stapel, Wilhelm. HS004837218, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 15. Februar 1937, A:Stapel, Wilhelm. HS004837316, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 27. Juli 1937, A:Stapel, Wilhelm. HS004837316, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 3. Dezember 1937, A:Stapel, Wilhelm. HS004837316, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 18. Dezember 1937, A:Stapel, Wilhelm. HS004837316, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 31. Dezember 1937, A:Stapel, Wilhelm. HS004837316, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 26. November 1938, A:Stapel, Wilhelm. HS004837414, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 9. März 1939, A:Stapel, Wilhelm. HS004837512, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 19./21. Februar 1943, A:Stapel, Wilhelm. HS004838888, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 14. März 1943, A:Stapel, Wilhelm. HS004838888, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 11. September 1943(?) mit einem zwölfseitigen Anhang von vier Aufsätzen Hirschs (Zur Kirchenfrage, Nationalsozialismus und Religion, Der Vergeltungsgedanke, Zur Frage des polnischen Krieges 1939) A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 25. August 1944, A:Stapel, Wilhelm. HS004838897, DLA Marbach

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Archive

Emanuel Hirsch an Wilhelm Stapel, Brief vom 14. September 1944, A:Stapel, Wilhelm. HS004838897, DLA Marbach Hans Grimm an Emanuel Hirsch, Brief vom 15. August 1946, A:Grimm, Hans. HS001191284, DLA Marbach Hans Grimm an Emanuel Hirsch, Brief vom 21. August 1946, A:Grimm, Hans. HS001191284, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 19. April 1947, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 13. Mai 1947, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 22. Mai 1947, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 24. September 1947, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Hans Grimm an Emanuel Hirsch, Brief vom 4. Oktober 1947, A:Grimm, Hans. HS001191284, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 28. September 1951, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 3. November 1951, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 6. Dezember 1951, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach Emanuel Hirsch an Hans Grimm, Brief vom 16. Juni 1953, A:Grimm, Hans. HS001247405, DLA Marbach

7.3. Der Nachlass Emanuel Hirschs Hirsch (geschrieben 1958, durchgesehen 1962), Über mich selbst, 59 Seiten Hirsch (1958), Meine Erzählungen, 10 Seiten Drei autobiographischen Notizen aus dem Jahre 1951: Meine theologischen Anfänge; Mein Weg in die Wissenschaft; Meine Wendejahre Hirsch (November 1968), Brief an Hans und Ulrike Hirsch, 4 Seiten Hirsch (o.D.), Meine Eltern, 102 Seiten

8.

Literaturverzeichnis

In den Anmerkungen wird mit dem Kurztitel zitiert; dieser ist im Literaturverzeichnis durch Kursivschrift kenntlich gemacht. Geht bei Barth-Texten eine Einleitung der Herausgeber der Gesamtausgabe dem Beitrag voraus, so ist die erste Seitenzahl der Einleitung in einer runden Klammer den Seitenzahlen des Beitrags vorangestellt. Publizierte Briefe, Rundschreiben und Denkschriften Barths werden in den Anmerkungen nach dem jeweiligen Band der Gesamtausgabe ausgewiesen und im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt. Zu Barth-, Künneth- und Hirsch-Texten wird zusätzlich der Monat des Erscheinens angegeben, sofern dieser bekannt ist. Die Abkürzungen folgen dem Internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG3) von Siegfried M. Schwertner (3. Auflage, 2014).

8.1. Schriften von Karl Barth (Juli 1922), Not und Verheißung der christlichen Verkündigung, in: V.u.kl.A. 1922–1925, S. (65) 66–97. (1922), Grundfragen der christlichen Sozialethik. Auseinandersetzung mit Paul Althaus, in: V.u.kl.A. 1922–1925, S. (39) 41–57. (1925), Wünschbarkeit und Möglichkeit eines allgemeinen reformierten Glaubensbekenntnisses, in: V.u.kl.A. 1922–1925, S. (604) 610–643. (1931), Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, hrsg. von E. Jüngel / I. U. Dalferth (Gesamtausgabe, Abt. II), Zürich 32002. (Februar 1931), Die Not der evangelischen Kirche, in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (64) 73–122. (Dezember 1931), Fragen an das Christentum, in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (141) 145–155. (März 1933), Das erste Gebot als theologisches Axiom, in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (209) 214– 241. Et al. (Mai 1933), Eine theologische Erklärung zur Gestalt der Kirche, in: V.u.kl.A. 1930– 1933, S. (249) 255–259.

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Literaturverzeichnis

(Juni 1933), Forderungen zur Gestalt der Kirche, in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (265) 267–270. (Juni/Juli 1933), Theologische Existenz heute! II (Entwurf), in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (364) 368–382. (Juli 1933), Für die Freiheit des Evangeliums [Rede], in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (390) 394– 412. (Juli 1933), Für die Freiheit des Evangeliums [Flugblatt], in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (383) 388–389. (September 1933), Sorge und Hoffnung der Kirche heutzutage, in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (413) 415–421. (Oktober 1933), Vorwort [Zu: Für die Freiheit des Evangeliums], in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (488) 489–491. (Oktober 1933), Reformation als Entscheidung, in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (516) 524–550. (November 1933), Vorwort [zu: Lutherfeier 1933], in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (590) 591–599 (November 1933), Kirchliche Opposition 1933. Grundsätzliches, in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (581) 587–589. (Dezember 1933), Vorwort [zu: die Kirche Jesu Christi], in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (600) 601–618. (Januar 1934), Gottes Wille und unsere Wünsche, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (84) 90–110. (Januar 1934), Vorwort [zu: Gottes Wille und unsere Wünsche], in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (124) 125–137. (Januar 1934), Bekenntnis der freien Kirchensynode, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (3) 8–64. (Januar 1934), Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (65) 71– 83. (April 1934), Offenbarung, Kirche, Theologie, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (169) 175–217. (April 1934), Vorwort [zu: Offenbarung, Kirche, Theologie], in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (218) 221–239. (April 1934), Geleitwort [zu: Kirken i dag!], in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (240) 241–243. (Mai 1934), Vorwort [zu: Der gute Hirte], in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (244) 245–251. (Mai 1934), Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (264) 293–301. (Juni 1934), Kurze Erläuterung der Barmer Theologischen Erklärung, in: V.u.kl.A. 1934– 1935, S. (302) 304–326. (Juni 1934), Die theologische Erklärung der Barmer Bekenntnissynode, in: V.u.kl.A. 1934– 1935, S. (327) 332–366. (Oktober 1934), Nein! Antwort an Emil Brunner, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (429) 437–527. (November 1934), Erklärung [zur Suspendierung], in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (550) 556– 559. Et al. (November 1934), Beschluss der Mitgliederversammlung des Reformierten Bundes in Detmold, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (560) 571–578. (Dezember 1934), Barths Gedanken über die Lage in einer Bekenntnisversammlung am 1. Dezember 1934 (Abschrift einer Mitschrift unbekannter Herkunft), in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (579) 589–609. (Dezember 1934), Zur Frage des Hitlereides, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (610) 616–617. (Januar 1935), Der Weg der Bekenntniskirche, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (680) 682–696. (Februar 1935), Psalm 119,67 / Jakobus 4,6, in: Predigten 1921–1935, S. 417–428.

Schriften von Karl Barth

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(Februar 1935), Die Möglichkeit einer Bekenntnis-Union, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (697) 704–742. (Mai/Juni 1935), Die Bekennende Kirche im nationalsozialistischen Deutschland, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (790) 793–804. (Juni 1935), Das Evangelium in der Gegenwart, in: V.u.kl.A. 1934–1935, S. (805) 809–838. (September 1935), Das Bekenntnis der Reformation und unser Bekennen, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (109) 117–169. (Dezember 1935), Kerrl und die Bekenntniskirche, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (221) 226–235. (März 1936), Der deutsche Kirchenstreit als Frage an den schweizerischen Protestantismus, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (386) 388–399. (März 1936), Die bekennende Kirche im heutigen Deutschland, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (326) 334–376. (Mai/Juni 1936), Die deutsche Bekenntniskirche 1935/36, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (479) 481–492. (September 1936), Was haben uns die kirchlichen Vorgänge in Deutschland zu sagen?, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (511) 516–532. (Oktober 1936), Die allgemeine Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (600) 607–633. (Februar 1937), Der Kampf gegen die evangelische Kirche in Deutschland, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (651) 654–672. (April 1937), Eine Frage und eine Antwort, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (690) 694–702. (April 1937), Der deutsche Kirchenkampf, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (714) 718–742. (Mai/Juni 1937), Die deutsche Bekenntniskirche 1936/37, in: V.u.kl.A. 1935–1937, S. (743) 744–756. (Juli 1937), Zum Geleit, in: A. Frey, Der Kampf der evangelischen Kirche in Deutschland und seine allgemeine Bedeutung, Zollikon 1937, S. 7–10. (Juli 1937), Streit in der Kirche. [Betrachtung über] Apg 15,1–35, in: Predigten 1935–1952, S. 411–414. (September 1937), Rudolf Grob: Der Kirchenkampf in Deutschland. Kurze Geschichte der kirchlichen Wirren in Deutschland von 1933 bis Sommer 1937, in: KBRS 93 (1937), Nr. 18, S. 284–285. (September 1937), Four Hundredth Anniversary of the Foundation of St. Mary’s College St. Andrews, 28. September 1937. Vortrag von Prof. Dr. Karl Barth in Basel, in: Mitteilungen aus der Neuen Mädchenschule, Bern, 76 (1937), Nr. 4/5, S. 115–121. (November 1937), Erwiderung, in: KBRS 93 (1937), Nr. 25, S. 391–392. (1938), Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre. 20 Vorlesungen (Gifford Lectures) über das Schottische Bekenntnis von 1560, geh. an d. Univ. Aberdeen im Frühjahr 1937 u. 1938 von Karl Barth, Zollikon 1938. (Dezember 1937), Memorandum an die Pfarrer der reformierten Kirchen der Schweiz, in: O.Br. 1935–1942, S. (52) 57–64. (Dezember 1937), Introduction to the English Edition, in: A. Frey, Cross and Swastika. The Ordeal of the German Church, London 1938 (21939), S. 9–26. (Januar 1938), Not und Verheißung im deutschen Kirchenkampf, Bern 1938. (Mai 1938), Die deutsche Bekenntniskirche 1937/38, in: Karl Barth zum Kirchenkampf, Beteiligung – Mahnung – Zuspruch (Theologische Existenz heute. NF 49), München 1956, S. 51–55.

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Literaturverzeichnis

(Mai 1938), Consilium zu Frage des »Treueides« der »Geistlichen«, in: O.Br. 1935–1942, S. (84) 86–92. (Juni 1938), Rechtfertigung und Recht, in: Schw.St., S. 13–57. (September–November 1938), Vorwort zu einem in England gehaltenen Vortrag über den deutschen Kirchenkampf, in: Schw.St., S. 60–62. (September 1938), »So wahr mir Gott helfe!« Die Frage des Führereides und ihre Behandlung in der Bekennenden Kirche in Deutschland im Sommer 1938. Vortrag, gehalten in der Sitzung des Ausschusses des Schweiz. Ev. Hilfswerks für die Bekennende Kirche in Deutschland im Glockenhof in Zürich, am 5. September 1938, Zollikon 1938, S. 5–26. [+ Nachwort, a. a. O., 27–29; Noch ein Nachwort, a. a. O., S. 30–33.] (Dezember 1938), Die Kirche und die politische Frage von heute, in: Schw.St., S. 69–107. (Dezember 1938), How my mind has changed 1928–1938, in: ders., »Der Götze wackelt«. Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930 bis 1960, hrsg. von K. Kupisch, Berlin 1961, S. 181–190. (Dezember 1938), Die letzte Frage und Antwort, in: Predigten 1935–1952, S. 414–421. (Mai 1939), Die Bekennende Kirche in Deutschland im Jahre 1938/39, in: ders., Karl Barth zum Kirchenkampf. Beteiligung – Mahnung – Zuspruch (Theologische Existenz heute. NF 49), München 1956, S. 55–60. (Mai 1939), Erläuterungen zum Wipkinger Vortrag, in: KBRS 95 (1939), Nr. 11, 25. 5. 1939, S. 161–164. (Oktober 1939), Erklärung von Markus 13, in: In extremis: Cahiers périodiques 6–8 (1939), S. 138–154. (November 1939), Das christliche Geheimnis und das menschliche Leben, in: JK 17 (1956), S. 204–211. (Dezember 1939), Ein Brief nach Frankreich, in: Schw.St., S. 108–117. (1940), Des Christen Wehr und Waffen, in: Schw.St., S. 123–146. (September 1942), Die protestantischen Kirchen Europas – ihre Gegenwart und ihre Zukunft, in: Schw.St., S. 251–271. (Oktober 1942), Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, in: Schw.St., S. 272–302. (Juli 1944), Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde im heutigen Zeitgeschehen, in: Schw.St., S. 307–333. (Januar und Februar 1945), Die Deutschen und wir, in: Schw.St., S. 334–370. (Dezember 1948), How my mind has changed 1938–1948, in: ders., »Der Götze wackelt«. Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930 bis 1960, hrsg. von K. Kupisch, Berlin 1961, S. 190–199. (Dezember 1958), How my mind has changed 1948–1958, in: ders., »Der Götze wackelt«. Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930 bis 1960, hrsg. von K. Kupisch, Berlin 1961, S. 200–209. (Oktober 1960), Interview von Vernon Sproxton 1960, in: Gespräche 1959–1962, S. (158) 159–163. (1961), »Der Götze wackelt«. Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930 bis 1960, hrsg. von K. Kupisch, Berlin 1961. (März 1964), Gespräch mit Tübinger »Stiftlern« 1964, in: Gespräche 1964–1968, S. 31–129. (Mai 1966), Interview von Heinz Knorr und Rudolf Rohlinger 1966, in: Gespräche 1964– 1968, S. 248–259.

Schriften von Walter Künneth

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(Juni 1966), Gespräch mit einer »Barth-Arbeitsgemeinschaft« 1966, in: Gespräche 1964– 1968, S. (264) 265–294. (Juli 1968), Gespräch mit Wuppertaler Theologiestudenten, in: Gespräche 1964–1968, S. 472–521.

8.2. Schriften von Walter Künneth1429 (1930), Zur Methodenfrage der Apologetik, in: WuT(B). Hefte der Apologetischen Centrale1430 4 (1930), S. 12–15. (April 1931*), Was haben wir als evangelische Christen zum Rufe des Nationalsozialismus zu sagen? Drei Vorträge auf den Vereinstagen für Innere Mission in Dresden am 21. April gehalten von Lic. Dr. Künneth, Spandau, Pfarrer Wilm, Potsdam und Lehrer Schemm, M.d.R., Bayreuth, Dresden 1931, S. 5–9. (August 1931**), Aus der völkischen Bewegung. Völkische Religionen, in: WuT(B) 5 (1931), S. 15–19. Mit Schweitzer, Carl (1932), Freidenkertum und Kirche. Ein Handbuch, Berlin 1932. (Juni 1932**), Rundschau, in: WuT(B) 4 (1932), S. 68f. (Juni 1932**), Kirche und national-völkische Bewegung. Leitsätze für die Auseinandersetzung von Lic. Dr. Walter Künneth, in: WuT(B) 4 (1932), S. 61–63. (Juli 1932**), Rundschau, in: WuT(B) 5 (1932), S. 95–97. (1932*), Die Kirche und das Dritte Reich. Fragen und Forderungen deutscher Theologen, Bd. 1, hrsg. von L. Klotz, Gotha 1932, S. 65–72. (Oktober 1932), Die Kämpfende Kirche (I), in: AELKZ 43 (1932), Sp. 1010–1015. (Oktober 1932), Die Kämpfende Kirche (II), in: AELKZ 44 (1932), Sp. 1034–1039. 1429 H. G. Pöhlmann und W. Kopfermann haben die Jahre 1923–1965, E. Brendel die Jahre ab 1966 der Bibliographie Künneths zusammengestellt. Diese Bibliographie findet sich abgedruckt in Künneth (1979), Lebensführungen, 275–292 und wird von Maaser, Theologische Ethik und politische Identität, 368–370 um 12 Titel aus dem Zeitraum von 1931 bis 1947, die für unsere Belange von großem Interesse sind, ergänzt. Diese Ergänzungen Maasers sind mit einem Stern (*) gekennzeichnet. Beide Bibliographien sind jedoch nicht annähernd vollständig, auch wenn man es bei Kopfermann/Brendel vermuten könnte und zusammen mit Maasers Erweiterungen erwarten dürfte. Für die vorliegende Studie wurden sämtliche inhaltlich relevanten und einschlägigen Beiträge Künneths aus dem untersuchten Zeitraum ausgewertet, wobei sich einige davon in keiner der angegebenen Bibliographien befinden. Titel, die weder in der Bibliographie der Autobiographie Künneths noch bei Maaser aufgeführt werden, sind mit zwei Sternen (**) kenntlich gemacht. 1430 Durch verschiedene Zusammenschlüsse änderte die Zeitschrift Wort und Tat (WuT[B]) zwischen 1932 und 1934 mehrmals ihren Untertitel und damit auch ihre inhaltliche Ausrichtung: Noch das erste Heft des Jahres 1932 trug den Untertitel »Hefte der Apologetischen Centrale«. Seit dem zweiten Heft von 1932 lautete der Untertitel »Zeitschrift für volksmissionarische Arbeit herausgegeben vom Central-Ausschuß für Innere Mission«. Nachdem die Zeitschrift Der Geisteskampf der Gegenwart unter Künneths Leitung im Januar 1934 in WuT(B) übergegangen war, hatte WuT(B) für kurze Zeit den Untertitel »Zeitschrift für Weltansschauung und Geisteskampf«. Schon im April folgte die Vereinigung der Kirchlich-Sozialen Blätter mit WuT(B), was den Untertitel »Zeitschrift für evangelische Wahrheit und kirchliche Verantwortung« zur Folge hatte.

346

Literaturverzeichnis

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Schriften von Walter Künneth

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1431 Von Pöhlmann und Kopfermann fälschlicherweise auf 1937 (WuT[B] 13) datiert. Überhaupt enthält diese Bibliographie zahlreiche Datierungsfehler, weil sie nicht die einzelnen Nummern der verschiedenen Jahrgänge von WuT(B) berücksichtigt (z. B.: WuT[B] 11, 1935, WuT[B] 12, 1936; WuT[B] 13, 1937).

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Schriften von Emanuel Hirsch

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8.4. Sonstige Literatur Algner, Caren, Kirchliche Dogmatik im Vollzug. Karl Barths Kampf um die Kirche im Spiegel von seiner und von Charlotte von Kirschbaums Korrespondenz mit Eduard Thurneysen 1930–1935, Neukirchen-Vluyn 2004. Althaus, Paul, Die Wahrheit des kirchlichen Osterglaubens. Einspruch gegen Emanuel Hirsch, Gütersloh 1940 (2. Aufl. 1941). Ders., Christologisches. Fragen an Emanuel Hirsch, hrsg. von H. Gerdes, Wahrheit und Glaube. Festschrift für Emanuel Hirsch zu seinem 75. Geburtstag, Itzehoe 1963, S. 22–30. Amm, Bettina: Die Ludendorff-Bewegung im Nationalsozialismus – Annäherung und Abgrenzungsversuche. In: Puschner, Uwe und Clemens Vollnhals (Hrsg.), Die völkischreligiöse Bewegung im Nationalsozialismus, Göttingen 2012, S. 127–141. Amtsblatt des Bischöflichen Ordinariats Berlin. Amtliche Beilage: Studien zum Mythus des XX. Jahrhunderts, Berlin 1934. Apologetische Centrale (Hrsg.), Der Weg der Kirche von 1932 bis 1937, in: Stoffsammlung für Schulungsarbeit 58/59 (1937), 4. Reihe Nr. 3/4, S. 1–27. Assel, Heinrich, Der andere Aufbruch. Die Lutherrenaissance – Ursprünge, Aporien und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudolf Hermann (1910–1935) (FSÖTh 72), Göttingen 1994. Ders., »Barth ist entlassen…«. Neue Fragen im Fall Barth, in: Zeitworte. Der Auftrag der Kirche im Gespräch mit der Schrift. Friedrich Mildenberger zum 65. Geburtstag, hrsg. von ders. / K. Eberlein / F. Heckmann / H. Hövelmann, Nürnberg 1994, S. 77–99. Ders., Grundlose Souveränität und göttliche Freiheit. Karl Barths Rechtsethik im Konflikt mit Emanuel Hirschs Souveränitätslehre, in: Karl Barth in Deutschland (1921–1935). Aufbruch – Klärung – Widerstand. Beiträge zum Internationalen Symposion vom 1. bis 4. Mai 2003 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden, hrsg. von M. Beintker / Chr. Link / M. Trowitzsch, Zürich 2005, S. 205–222. Ders., Emanuel Hirsch. Völkisch-politischer Theologe der Lutherrenaissance, in: Für ein artgemäßes Christentum der Tat. Völkische Theologen im »Dritten Reich«, hrsg. von M. Gailus / C. Vollnhals, Göttingen 2016, S. 43–67. Bahlke, Joachim, Landesherrschaft, Territorien und Staat in der frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 91), München 2012.

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Scholder II

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V.u.kl.A. 1934–1935

V.u.kl.A. 1935–1937

W

Abkürzungsverzeichnis

Barth, Karl, Offene Briefe 1935–1942, hrsg. von Koch, Diether (Gesamtausgabe, Abt. V), Zürich 2001. Barth, Karl, Predigten 1921–1935, hrsg. von Finze, Holger-Michaelsen (Gesamtausgabe, Abt. I), Zürich 1998. Barth, Karl, Predigten 1935–1952, hrsg. von Spieker, Hartmut / Stoevesandt, Hinrich (Gesamtausgabe, Abt. I), Zürich 1996. Barth, Karl (1960), Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, Zürich 31960. Reichskirchenausschuss Scholder, Klaus, Die Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918– 1934 (Die Kirchen und das Dritte Reich 1), Frankfurt am Main / Berlin 1986. Scholder, Klaus, Das Jahr der Ernüchterung 1934. Barmen und Rom (Die Kirchen und das Dritte Reich 2), Frankfurt am Main / Berlin 1988. Barth, Karl (1945), Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Zürich 1945. Barth, Karl (Juni 1933), Theologische Existenz heute!, in: V.u.kl.A. 1930–1933, S. (271) 280–364. Vorläufige Kirchenleitung Barth, Karl, Vorträge und kleinere Arbeiten 1922–1925, hrsg. von Finze, Holger-Michaelsen (Gesamtausgabe, Abt. III), Zürich 1990. Barth, Karl, Vorträge und kleinere Arbeiten 1930–1933, hrsg. von Beintker, Michael / Hüttenhoff, Michael / Zocher, Peter (Gesamtausgabe, Abt. III), Zürich 2013. Barth, Karl, Vorträge und kleinere Arbeiten 1934–1935, hrsg. von Beintker, Michael / Hüttenhoff, Michael / Zocher, Peter (Gesamtausgabe, Abt. III), Zürich 2017. Barth, Karl, Vorträge und kleinere Arbeiten 1935–1937, hrsg. von Kratzert, Lucius / Zocher, Peter (Gesamtausgabe, Abt. III), Zürich 2021. Wildi, Hans Markus, Bibliographie Karl Barth, Bd. 1: Veröffentlichungen von Karl Barth, Zürich 1984.

10. Personenregister Im Personenregister werden nur Personen aufgenommen, die im Rahmen der Arbeit eine inhaltliche Rolle spielen. Personen, die »nur« Verfasser oder Adressat eines Textes sind, werden nicht aufgeführt. Bei Personen, die nicht namentlich oder nur in den Anmerkungen genannt werden, ist die Seitenzahl kursiv gedruckt.

Althaus, Paul 26, 32, 42, 225f, 231–233, 239, 250, 326f Andreas-Salomé, Lou 240 Barth, Karl 16, 24, 27–33, 35–138, 141, 165, 167, 169, 171, 172, 187, 189, 198, 202, 203, 211f, 215f, 220f, 223, 227, 232f, 240, 260– 262, 263, 271, 275f, 277, 281, 284f, 286, 300, 305, 311–315, 317–319, 321–328, 331 Beckmann, Joachim 23 Bethge, Eberhard 126 Blomberg, Werner Eduard Fritz von 65 Bodelschwingh, Friedrich von 46, 161, 162, 270 Bogner, Hans 241 Bonhoeffer, Dietrich 126, 193 Bormann, Martin 115 Brunner, Emil 42f, 169 Brunstäd, Friedrich 184 Bultmann, Rudolf 42f, 211–213, 216, 229 Calvin, Johannes

100, 110, 211, 276

Dallmann, Mechthild 56 Dehn, Günther 220 Dibelius, Friedrich Karl Otto Duesterberg, Theodor 251 Fezer, Karl 160 Fichte, Johann Gottlieb Franco, Francisco 99 Frey, Arthur 77

285, 287

Geismar, Eduard 220 Gogarten, Friedrich 43, 244, 271 Grimm, Hans 28, 32, 223, 239, 244, 246, 248f, 250, 251, 274, 294f, 298, 300f, 333 Grob, Rudolf 71, 77, 141 Heckel, Theodor 159 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 42f Hermann, Rudolf 228 Hesse, Hermann Albert 69, 275 Heyse, Hans 180 Hindenburg, Paul Ludwig Hans Anton von 65 Hirsch, Emanuel 15, 17, 24, 26–33, 42–44, 47, 57, 65f, 68, 135, 142, 158, 159, 169, 181–183, 186, 193, 198, 217–309, 311– 328, 333 Hirsch, Hans 32, 33 Hirsch, Rose 239, 245 Hirsch, Ulrike 33 Hitler, Adolf 35, 54, 56, 59, 64–67, 89, 120, 123, 128, 133, 165, 173f, 175, 178, 196f, 209, 211f, 242, 244, 248f, 251–254, 258, 259, 275, 277, 295f, 300, 301f, 307, 309, 315, 320f, 326 Holl, Karl 43, 228, 236, 270, 303 Hossenfelder, Joachim 160, 162, 166 Hromádka, Josef Lukl 113, 114, 116f Immer, Karl Eduard

31, 303

50, 69, 275

Jacob, Günter 23, 29 Jäger, August Friedrich Christian Jaspers, Karl Theodor 246

60, 75

364 Jesus von Nazaret 42f, 46, 56, 80, 83, 90, 100, 102, 106f, 109, 110, 112, 122, 124f, 153, 176, 181, 185, 196, 232, 260, 312, 314f, 321f, 324 Kant, Immanuel 42 Kapler, Hermann Paul 161 Käsemann, Ernst 211 Kerrl, Hanns 188, 219, 275 Kierkegaard, Søren Aabye 31, 227, 229, 303, 305 Kinder, Christian 284 Kirschbaum, Charlotte von 51, 56, 58 Kittel, Gerhard 26, 225f, 326f Knak, Siegfried 54 Konstantin der Große 83–85, 86, 315, 322 Krieck, Ernst 180 Krummacher, Gottfried Adolf Günther 59 Kübler, Hermann 121 Künneth, Walter 16f, 24, 27–31, 33, 42, 44, 49, 54, 57, 63, 139–216, 233f, 236, 285, 311–314, 316–319, 321–328, 333f Lilje, Johannes »Hanns« Ernst Richard 140, 159, 161, 275 Ludendorff, Erich Friedrich Wilhelm 80, 81 Ludendorff, Mathilde Friederike Karoline 80, 81 Ludwig, Renate 169 Luther, Martin 31, 48, 61, 154, 167, 170– 173, 176, 203, 218, 232f, 236–238, 263, 276, 317, 319, 303 Marahrens, August Friedrich Karl 29, 69, 76, 140, 172, 179, 284, 286, 287, 333 Meiser, Hans 29, 69, 173, 188, 271, 333 Müller, Friedrich 190 Müller, Ludwig 28, 46, 54, 64, 75, 76, 160, 161f, 165f, 189, 206, 219, 257, 258, 274, 275, 284f Mussolini, Benito Amilcare Andrea 88, 99, 116

Personenregister

Niemöller, Martin 53f, 69, 159, 211, 275 Niemöller, Wilhelm 20, 23 Niesel, Wilhelm 23 Paulus von Tarsus 171, 236, 238 Preußen, August Wilhelm Heinrich Günther Viktor von 251 Ragaz, Leonhard 99 Riethmüller, Otto Heinrich 161 Ritschl, Albrecht 42f Röhm, Ernst Julius Günther 38, 64, 66, 71 Rosenberg, Alfred 28f, 78, 80, 120, 140, 151, 156, 171, 172, 175f, 178–181, 183– 185, 187, 203, 210f, 213–215, 316, 319, 323 Rust, Bernhard 59, 65, 69 Sauer, Hermann 141, 207 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 42 Schreiner, Helmuth 140, 179 Schröder, Edward 252 Schweitzer, Carl Gunther 139 Soden, Hans Otto Arthur Maria Roderich Ulrich Freiherr von 66, 211, 281 Stange, Carl 42 Stapel, Wilhelm 28, 32, 181, 183, 186, 223, 229, 239–242, 248f, 250, 251, 260, 262, 271, 275, 284, 333 Tillich, Paul 223, 246, 249, 281, 282, 283 Troeltsch, Ernst 42f Wendland, Heinz-Dieter 172 Werner, Friedrich 114, 115 Wirth, Hermann 161 Wolf, Ernst 23 Wurm, Theophil 69, 173, 333 Zwingli, Huldrych

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