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German Pages [303] Year 2015
Karl Barth und Wilhelm Niesel Briefwechsel 1924–1968
Herausgegeben von Matthias Freudenberg und Hans-Georg Ulrichs
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 12 Abbildungen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-525-56019-8 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. – Printed in Germany. Druck und Bindung: m Hubert & Co GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen Satz: Jörg Schmidt Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Vorwort Theologische Gedanken und kirchenpolitische Erwägungen manifestieren sich in unterschiedlichen Textgattungen: in größeren Abhandlungen und kleineren Aufsätzen, in Vorträgen und Predigten, in Thesenreihen und Statements, in Notizen und Tagebucheintragungen. Eine nicht zu unterschätzende Ausdrucksform ist der Brief. Sofern es sich um einen Briefwechsel handelt, der sich über einen langen Zeitraum erstreckt, tritt der dialogische Charakter des Gedankenaustausches besonders hervor. Einen solchen Charakter trägt der Briefwechsel zwischen Karl Barth (1886–1968) und Wilhelm Niesel (1903–1988). Beide waren kritische Zeitgenossen einer in hohem Maße theologisch und kirchenpolitisch herausfordernden Epoche im 20. Jahrhundert, beide haben einander an ihren Gedanken teilhaben lassen, den jeweils anderen um Informationen gebeten und einander um Rat gefragt. Das gilt für den regen Austausch über ein angemessenes Verständnis des Reformators Johannes Calvin ebenso wie für die Einschätzungen und Strategien im Kirchenkampf. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren beide im Gespräch über die sich konstituierende Evangelische Kirche in Deutschland und reflektierten die theologischen Debatten über das Abendmahlsverständnis, die existenziale Interpretation der Bibel und den politisch-ethischen Kurs der Kirche in den 50er Jahren. Und schließlich weiteten sie ihren Blick über Deutschland hinaus auf die Welt der Ökumene. In den Zeilen und zwischen den Zeilen schimmern dabei immer wieder auch persönliche Anliegen durch, die dem Briefwechsel seine lebendige Farbe geben. Barth, der Theologe von Weltruf und „Kirchenvater des 20. Jahrhunderts“, und Niesel, der Streiter im Kirchenkampf und Repräsentant der reformierten Kirche innerhalb und außerhalb Deutschlands, verstanden sich als bewusst reformierte Theologen. Mit der Wendung „weil Du überhaupt zu uns gehörst“ (Brief vom 6. November 1952) zählte Niesel seinen Lehrer und späteren Freund Barth zu den Reformierten in Deutschland, obwohl dieser schon seit 1935 wieder in Basel seine Heimat gefunden hatte. Beide waren einander darin einig, dass kirchliche Entscheidungen theologische Denkarbeit voraussetzen. In dieser nicht zuletzt von Calvin gewonnenen Überzeugung gingen sie den Dingen auf den Grund und gaben sich nicht mit vorschnellen Lösungen zufrieden. In der Beurteilung theologischer und kirchlicher Zeitfragen nahmen sie kein Blatt vor den Mund, sondern vertraten die Ansicht, dass es auch bei scheinbar nebensächlichen Themen um entscheidende Fragen kirchlichen Gestaltens geht. So gesehen werden Hintergründe von Debatten des 20. Jahrhunderts durch diesen Briefwechsel erhellt und konkretisiert. Es ist unser Wunsch, dass sich bei der Lektüre der Briefe deren Bedeutung für das Verständnis der Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie der reformierten Kirchen innerhalb und außerhalb Deutschlands erweisen wird. Der besondere Dank der Herausgeber gilt denen, die uns den Briefwechsel zugänglich gemacht und die Genehmigung zur Publikation gegeben haben: Dr.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Hans-Anton Drewes und Dr. Peter Zocher (Karl Barth-Archiv Basel) sowie Dr. J. Marius J. Lange van Ravenswaay (Johannes a Lasco Bibliothek Emden). Für die Texterfassung der maschinenschriftlichen Briefe gebührt Frau Anja Benoit (Universität Bamberg) Dank. Die Herstellung des Drucksatzes hat Jörg Schmidt, ehemaliger Generalsekretär des Reformierten Bundes, besorgt, wofür wir ihm herzlich danken. Die abgedruckten Fotos von Barth und Niesel wurden uns dankenswerter Weise vom Karl Barth-Archiv Basel, der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel und von Pfarrer i.R. Horst-Dieter Beck zur Verfügung gestellt. Ferner danken wir Jörg Persch vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die Aufnahme des Bandes in das Verlagsprogramm und Christoph Spill für die verlegerische Betreuung. Ohne namhafte Druckkostenzuschüsse wäre die Edition der Briefe nicht möglich gewesen. Wir sind dem Förderverein der Kirchlichen Hochschule Wuppertal e.V., der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelisch-reformierten Kirche und dem Reformierten Bund in Deutschland e.V. sehr dankbar, dass sie mit ihrer Unterstützung die Edition auch zu ihrer eigenen Sache gemacht haben. Saarbrücken und Heidelberg, Pfingsten 2015
Matthias Freudenberg Hans-Georg Ulrichs
Inhalt Einführung
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I. Briefwechsel 1924–1932
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II. Briefwechsel 1933–1939
103
III. Briefwechsel 1946–1968
203
Abkürzungen
283
Literatur
285
Register
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Einführung Mit Karl Barth (1886–1968) und Wilhelm Niesel (1903–1988) begegnen zwei Theologen des 20. Jahrhunderts, die in zum Teil unterschiedlichen Funktionen und mit jeweils eigenen Akzentuierungen der evangelischen Theologie und Kirche ihren Stempel aufgedrückt haben. Das gilt insbesondere für die reformierte Theologie und Kirche, die von beiden inspiriert und geprägt wurden.1 Was beide bei aller gegenseitigen Verschiedenheit miteinander verbunden hat, war die Überzeugung, dass die Kirche einen ihr von Jesus Christus zugewiesenen Auftrag hat, den sie immer wieder theologisch prüfen und verantworten muss. Solche Situationen der kritischen Prüfung des kirchlichen Redens und Lebens diagnostizierten beide im Kirchenkampf zu Beginn der 30er Jahre, als sie sich ab Frühsommer 1933 und im Umfeld der Bekenntnisentscheidungen von Barmen in einem engen Dialog befanden. Später begleiteten sie den Weg der sich neu konstituierenden Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aufmerksam und kritisch. Die theologischen Debatten über die reformiert-lutherischen Spannungen im Kirchen- und Abendmahlsverständnis, die Wiederbewaffnung Deutschlands, die Stellung zu Rudolf Bultmanns existenzialer Interpretation des Neuen Testaments, aber auch ökumenische Herausforderungen wie etwa das Verhältnis von Kirche und Staat in den Ländern jenseits des „Eisernen Vorhangs“ fanden in Barth und Niesel aufmerksame Kommentatoren. Eine Reihe dieser Ereignisse spiegeln sich im vorliegenden Briefwechsel, der sich als ein intensiver Meinungsaustausch darstellt.2
1. Erste Begegnungen in Göttingen Zu Anfang des Briefwechsels, der mit einer gemeinsam von Niesel und seinem Studienfreund Wolfgang Trillhaas aus der Lüneburger Heide an Barth nach Göttingen gesandten und mit einem Gedicht versehenen Postkarte 1924 begann, bestand zwischen beiden ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, das sich vor allem während Niesels Dissertation als konstruktiver theologischer Dialog bewährte. Später wandelte sich das Gespräch zu einem Dialog auf Augenhöhe, bis Barth seinem früheren Schüler Ende 1947 nach einigen kirchenpolitisch dramatischen Tagen das „Du“ angetragen hat3 und forthin der Briefwechsel einen geradezu freundschaftlichen Charakter annahm. 1 Zu Barth als reformiertem Theologen vgl. Weinrich, Karl Barth (1886–1968), 23–46; Plasger, Karl Barth und die reformierte Tradition, 393–405; Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 15–86. Und zum reformierten Profil Niesels vgl. Ulrichs, Kirchenkampf als permanente Bewährungsprobe, 35–74; ders., Wilhelm Niesel (1903–1988), 71–100. 2 Eine erste exemplarische Studie zum Briefwechsel liegt vor von Ulrichs, Wilhelm Niesel und Karl Barth, 177–196. 3 Siehe Brief vom 29. Dezember 1947.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Beide begegneten einander zum ersten Mal, nachdem Niesel zum Wintersemester 1923/24 seinen Studienort von Tübingen nach Göttingen wechselte, um u.a. unter Barths Katheder dessen Vorlesungen über reformierte Theologie zu hören – so im besagten Winter die Vorlesung über die Theologie Schleiermachers und in den folgenden Semestern Barths erste Dogmatik-Vorlesung „Unterricht in der christlichen Religion“.4 In diesen Vorlesungen nahm Niesel Barth als einen Theologen wahr, der sich zur Neubegründung einer im Wort Gottes fokussierten Theologie auf die reformierte Tradition besonnen und diese als Impulsgeberin für seine eigene Dogmatik in Anspruch genommen hat. Die Hintergründe für diese Zuwendung zur reformierten Tradition liegen in Barths Herkunft aus einem reformierten Schweizer Elternhaus, in dem für ihn die reformierte Konfessionalität eine Selbstverständlichkeit war. Im Verlauf seiner Biographie kristallisierte sich die primär durch Calvin, Zwingli und die Bekenntnisschriften geformte reformierte Prägung seines Denkens weiter heraus. Am Ende seines Lebens urteilte er gelassen: „Was wir Reformierten haben, das ist eine Gestalt der Kirche, neben der es andere geben kann. Ich denke, im Himmel sind sicher nicht alle reformiert. Darum braucht’s auf Erden nicht unbedingt so zu sein.“5 Zu seiner eigenen Überraschung war Barth 1921 auf eine neu errichtete Honorarprofessur für Reformierte Theologie an die Universität Göttingen berufen worden. Mit dem Lehrauftrag „Einführung in das reformierte Bekenntnis, die reformierte Glaubenslehre und das reformierte Gemeindeleben“ versehen, stand er vor der Herausforderung, an der lutherisch geprägten Fakultät Studenten in die reformierte Theologie einzuführen. Um seinem Lehrauftrag gerecht zu werden, arbeitete Barth sich vertieft in die reformierte Geschichte und Theologie ein. Dabei blieb er nicht bei der Historie stehen: „Die Vergangenheit will wieder einmal leben, reden, wirken, Gegenwart sein“, äußerte er zu Beginn seiner Calvin-Vorlesung 1922.6 In seinen Göttinger Vorlesungen über den Heidelberger Katechismus, Calvin, Zwingli, die reformierten Bekenntnisschriften und Schleiermacher führte er eine lebendige und zum Teil kontroverse Auseinandersetzung mit theologischen Traditionen, um sich Wege zur eigenen dogmatischen Urteilsbildung zu bahnen.7 Seine Kirchliche Dogmatik verdankt sich trotz ihres konfessionsübergreifenden Charakters vielen Impulsen der reformierten Theologie, was u.a. bei den Themen Offenbarung, Gotteserkenntnis, Schriftprinzip, Evangelium und Gebot, Vorsehung, Erwählung, Gottesbund, Versöhnung und Sakramente zu beobachten ist. Mit dem Selbstverständnis eines „Studiosus Theologiae“8 wollte Barth sich von der reformierten Tradition belehren lassen: „Unsere Belehrung durch Calvin muß sich vielmehr in der Weise vollziehen, daß Calvin mit uns ein Gespräch führt, er als der Lehrer, wir als die Schüler, er als der, der das Wort führt, wir 4 Zu Barths Göttinger Professur 1921–1925 vgl. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 15–86. 5 Gespräch in der Basler Titusgemeinde (1968), in: Barth, Gespräche 1964–1968, 465f. 6 Barth, Theologie Calvins, 11. 7 Zur Auseinandersetzung mit Zwingli vgl. Freudenberg, Barths Wahrnehmung der Theologie Huldrych Zwinglis, 314–332. 8 Zit. n. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 2.
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als die, die sich bemühen, möglichst genau hinzuhören, um uns dann […] auf das, was wir hören, unseren eigenen Vers zu machen.“9 Das geschah unter der hermeneutischen Voraussetzung, dass die Theologie auf dem Hintergrund der absoluten Gottesgeschichte die relative Geltung eines kritikbedürftigen menschlichen Zeugnisses hat. Tatsächlich hielt Barth bisweilen Calvin, einzelnen Bekenntnissen und recht häufig Zwingli Schwächen in ihrer Argumentation entgegen. Eine tragfähige Eigenart der reformierten Lehre sah Barth einerseits in der Unterscheidung von Gott und Mensch und andererseits in der von Gott vollzogenen dialektischen Vermittlung der unsichtbaren göttlichen Lebenswahrheit mit der sichtbaren menschlichen Lebensgestaltung. Er sprach vom reformierten Doppelaspekt zweier konzentrischer Kreise: der engere Kreis als Metapher für das lutherische Interesse an der Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben und der weitere Kreis als Metapher für das reformierte Interesse an der Lebenswirklichkeit. Als „Problem der Ethik“ umschrieb Barth den Schritt der Reformierten über das Luthertum hinaus.10 Dabei definierte er die Dogmatik nicht konfessionell, sondern als „wissenschaftliche Besinnung auf das Wort Gottes“.11 Die Aufnahme alter Streitigkeiten und ihre Instrumentalisierung für die konfessionelle Selbstbehauptung erschienen ihm nicht erstrebenswert; vielmehr ließ er theologische Erkenntnisse auch aus anderen Traditionen als sachgemäße Problemanzeigen gelten. Die den Lutheranern und Reformierten gemeinsame reformatorische Tradition sollte am Maßstab der Schrift geprüft und die Wahrheitsmomente aus beiden Traditionen bewahrt werden. Je auf ihre Weise sind diese Traditionen berechtigte Möglichkeiten, sofern sie sich auf Gottes Zuwendung zum Menschen beziehen. Spezifisch von den Reformierten erwartete Barth eine „reformierte Sachlichkeit“ im Sinne der Konzentration auf das offenbarte Gotteswort.12 Seine These von der grundlegenden Einheit der differenzierten Reformation beruhte auf der Einsicht, dass Gottes Wirklichkeit nicht in einem einzigen Wort oder einer einzigen Konfession zur Sprache gebracht werden könne, sondern nur als Synthese darstellbar sei. Es sei gerade das Charakteristikum einer sich ihrer Aufgaben bewussten reformierten Theologie, der Suche nach theologischer Erkenntnis den Vorrang vor konfessionellen Partikularinteressen zu geben. Konkrete Gestalt erhielt dieser Impuls 1934 in der Barmer Theologischen Erklärung, deren Einleitung lautet: „Gemeinsam dürfen und müssen wir als Glieder lutherischer, reformierter und unierter Kirchen heute in der Sache reden. Gerade weil wir unseren verschiedenen Bekenntnissen treu sein und bleiben wollen, dürfen wir nicht schweigen, da wir glauben, daß uns in einer Zeit gemeinsamer Not und Anfechtung ein gemeinsames Wort in den Mund gelegt ist.“13 Barths Wirken in Deutschland traf mit einer Aufbruchsbewegung und konfessionellen Selbstbesinnung unter den Reformierten zusammen, die das refor9 Barth, Theologie Calvins, 5. 10 Barth, Theologie Calvins, 95. 11 Barth, Unterricht I, 3. 12 Karl Barth, Reformierte Lehre, ihr Wesen und ihre Aufgabe (1923), in: ders., Vorträge 1922–1925, 202–247, hier 210. 13 Karl Barth, Texte zur Barmer Theologischen Erklärung, hg. v. M. Rohkrämer, Zürich 2 2004, 2.
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mierte Bekenntnis gegen eine befürchtete „Lutheranisierung“ des Protestantismus verteidigen wollten. Der Reformierte Bund verstand sich als Sprachrohr dieser Identitätssuche, die sich in einer Vielfalt von Bewegungen vollzog. Barth sah sich dazu herausgefordert, den „sehr traditionalistischen deutschen Reformierten […] ihren geliebten Calvin zunächst einmal ein bißchen fremd und erschreckend“ zu machen.14 Einem Festhalten an der Tradition um ihrer selbst willen und einem klerikalen Übermut setzte er die Konzentration auf das Schriftprinzip als Inbegriff der reformierten Konfessionalität entgegen. Gleichwohl suchte er mit der reformierten Tradition, die sich ihrerseits auf Schrift und Geist bezog, nach Wegen in die Zukunft. Als „Stimme eines Predigers in der Wüste“ erschütterte er die Sicherheit, mit der Reformierte ihr konfessionelles Selbstbewusstsein unter Beweis stellten, und plädierte für eine Besinnung auf die Selbstbezeichnung „durch Gottes Wort reformierte Kirche“.15
2. Wilhelm Niesels Lebenslauf im Überblick Auf eine biographische Skizze Barths kann in diesem Zusammenhang verzichtet werden. Bei Niesel liegen die Dinge anders, so dass hier ein bündiger Blick auf seine Biographie geworfen werden soll.16 Niesel wurde am 7. Januar 1903 in Berlin geboren. Im Jahre 1918 wurde er, obwohl katholisch getauft, durch Günther Dehn konfirmiert, der ihn in den jugendbewegten Neuwerk-Kreis einführte und zum Studium der evangelischen Theologie motivierte. Ab 1922 studierte Niesel zunächst zwei Semester in Berlin, u.a. bei Adolf von Harnack, der damals mit Barth öffentlich über die Wissenschaftlichkeit der Theologie stritt, sodann ein Semester in Tübingen und schließlich von Oktober 1923 bis August 1925 in Göttingen bei Barth. Nach dem Ersten Theologischen Examen vor dem Konsistorium der Mark Brandenburg arbeitete Niesel an der Herausgabe der Opera Selecta Calvins.17 Die Evangelisch-theologische Fakultät Münster promovierte Niesel 1930 mit einer von Barth betreuten Arbeit über Calvins Abendmahlslehre und einer Vorlesung über Schleiermachers Verhältnis zur reformierten Tradition.18 Nach einem Jahr im reformierten Predigerseminar in Elberfeld, einem kurzen Vikariat in Wittenberge und dem Zweiten Examen wurde Niesel 1930 als Pastor und Studieninspektor an das Elberfelder Predigerseminar berufen und somit Mitarbeiter von Hermann Albert Hesse. Daneben unterrichtete Niesel gelegentlich an der von Otto Weber geleiteten Theo14 Zit. n. Busch, Barths Lebenslauf, 163. 15 Karl Barth, Brief an Thurneysen vom 25. September 1923, in: ders./Thurneysen, Briefwechsel II, 190. 16 Vgl. Ulrichs, Von Brandes bis Bukowski, 23–70, hier 50–57; ders., Kirchenkampf als permanente Bewährungsprobe, 35–74; ders., Wilhelm Niesel und Karl Barth, 177–196; ders., Wilhelm Niesel (1903–1988), 71–100; Lekebusch, Niesel im Kirchenkampf, 15–34; vgl. auch folgende Lexikoneinträge: Peter Noss, Art. Niesel, Wilhelm, BBKL VI, 1993, 765–774; Hartmut Ruddies, Art. Niesel, Wilhelm, RGG VI, 42003, 309f. 17 Siehe dazu Abschnitt 3 der Einführung. 18 Wilhelm Niesel, Calvins Lehre vom Abendmahl, FGLP III/3, München 1930.21935; ders., Schleiermachers Verhältnis zur reformierten Tradition, ZZ 8, 1930, 511–528.
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logischen Schule Elberfeld. Bereits hier begann Niesel mit Vorlesungen über Calvin, deren Resultat u.a. sein Buch „Die Theologie Calvins“ wurde. 19 Niesel erlebte zwölf Jahre Kirchenkampf, prägte maßgeblich die Positionen der bekenntniskirchlichen Reformierten mit und wurde Funktionär der Bekennenden Kirche (BK) in der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union (ApU).20 Seit 1935 wurde er begleitet von Susanna, geb. Pfannschmidt, einer Mitarbeiterin Martin Niemöllers. Noch vor Kriegsende begann – mit englischer Genehmigung – Niesels Einsatz für den Wiederaufbau legitimer kirchlicher Strukturen, nur kurz in Lippe, sehr bald wieder in der Evangelischen Kirche der ApU, sodann in der EKD, aber schließlich vor allem in reformierten Kontexten. Niesel fungierte während des Kirchenkampfes als BK-Vertrauensmann der Theologiestudenten und war als Dozent für sie verantwortlich. An vorderster Stelle für die Reformierten innerhalb der BK standen Ältere. Während die einen nach der Kapitulation zu jung, die anderen zu alt für neue Führungsaufgaben waren, legte Niesel 1945 seine Rolle als Referent und Mitarbeiter ab und avancierte zum führenden Repräsentanten der deutschen Reformierten. Als reformierter Vertreter wurde er im August 1945 in Treysa in den neu gebildeten Rat der EKD berufen. Im Oktober 1946 wurde er auf der Hauptversammlung zum Moderator des Reformierten Bundes gewählt, im selben Jahr trat er die Pfarrstelle der reformierten Gemeinde in Schöller und die damit verbundene Dozentur für reformierte Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal an – Berufungen auf Professuren in Mainz und Bonn schlug er in den Jahren 1946–1948 mehrfach aus.21 Wenn er auch auf eine Hochschul-Karriere verzichtete, so verabschiedete er sich doch nicht aus der Wissenschaft und der internationalen Calvin-Forschung. Niesels wissenschaftliche Verdienste wären darzustellen an den zahllosen Aufsätzen v.a. zu Calvin22, seiner Symbolik23 u.v.m. – diese Verdienste wurden durch fünf Ehrendoktorate anerkannt: Göttingen (1948), Aberdeen (1954), Genf (1958), Straßburg (1964) und Debrecen (1967). Für reformierte konfessionelle Interessen trat Niesel vehement ein und polemisierte besonders nach 1945 gegen jede von ihm diagnostizierte „Lutheranisierung“ oder gar „Katholisierung“ in Liturgie und Kirchenordnung. Als „reformierte Posaune“ hat Karl Halaski ihn charakterisiert.24 Niesel war in allem gewiss ein verlässlicher und berechenbarer Repräsentant der Reformierten, aber dabei 19 Wilhelm Niesel, Die Theologie Calvins, München 1938.21957.31958 (Übersetzungen ins Japanische, Englische und Ungarische); vgl. Freudenberg, Niesels Calvin-Interpretation, 75–98. 20 Siehe dazu Abschnitt 4 der Einführung. 21 Seit 1951 führte Niesel auf Beschluss der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 20. Juli 1951 den Titel Professor. 22 Einige Aufsätze sind gesammelt in Wilhelm Niesel, Gemeinschaft mit Jesus Christus. Vorträge und Voten zur Theologie, Kirche und ökumenischen Bewegung, München 1964; vgl. die Niesel-Bibliographien: ThLZ 88, 1963, 633f; Karl Halaski/Walter Herrenbrück (Hg.), Kirche, Konfession, Ökumene. Festschrift für Professor D. Dr. Wilhelm Niesel, Moderator des Reformierten Bundes zum 70. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 1973, 157–164; Peter Noss, Art. Niesel, Wilhelm, BBKL VI, 1993, 767–774. 23 Wilhelm Niesel, Das Evangelium und die Kirchen. Ein Lehrbuch der Symbolik, Neukirchen 1953.21960. 24 RKZ 98, 1957, 2f.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
persönlich eher spröde und nicht immer leicht zugänglich. Als Moderator des Reformierten Bundes hat Niesel versucht, das Erbe der BK und den Ertrag des Kirchenkampfes nach 1945 umzusetzen und in kirchenleitender Praxis zu realisieren. Möglicherweise hat die Erfahrung des Kirchenkampfes in einer demokratischen Staatsform weniger innovativ gewirkt und verhindert, dass aufgrund neuer Situationen auch neue theologische Antworten gegeben werden konnten. Theologisch, kirchenpolitisch und politisch orientierte Niesel sich an Calvin, seinem Lehrer Barth und der Barmer Theologischen Erklärung.25 Die genannten Tätigkeitsgebiete überschritt Niesel durch seine Mitarbeit im Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) und im Reformierten Weltbund. Höhepunkt seiner ökumenischen und kirchenpolitischen Karriere waren die Jahre 1964 bis 1970, in denen er als Präsident des Reformierten Weltbundes die Welt bereiste. Diese Jahre waren freilich auch schon der Beginn einer Entfremdung zum zeitgenössischen Reformiertentum: Die Frankfurter Generalversammlung 1964 hatte noch den weltbekannten Calvin-Forscher und tapferen Kirchenkämpfer zum Weltbund-Präsidenten gewählt, und als solcher hat er in diesen Jahren sein Amt ausgefüllt, indem er nicht müde wurde, auf das theologische Erbe der BK und die reformierte Tradition hinzuweisen. Doch in den 60er Jahren wurden die gesellschaftspolitischen und globalen Fragen nach wirtschaftlicher Gerechtigkeit, Frieden und der Überwindung von Rassismus auch im Weltbund immer dringlicher.26 Die für die personelle Zäsur im Reformierten Bund eigens einberufene Hauptversammlung in Siegen 1973 verabschiedete den gerade 70jährigen Moderator Niesel und wählte dessen Wunschkandidaten Hans Helmut Eßer. Niesel hatte die Reformierten in den beiden ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik gewiss selbstbewusst geführt und sich und seiner Konfession Anerkennung verschafft. Barth nannte ihn den „ausgesprochenste[n] Reformierte[n] in Deutschland.“27 Als Niesel Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre seine kirchlichen Ämter niederlegte, gab es viel Lob. Aber die Würdigungen zu seinem 70., 75. und 80. Geburtstag28 lassen doch erkennen, dass Niesels Person, seine Theologie und sein Führungsstil als nicht mehr zeitgemäß empfunden wurden. Er war respektiert, aber nicht beliebt. Einigermaßen unzeitgemäß erscheint dann auch Niesels theologisches Testament, eine Vorlesungsreihe 1978 in Japan unter dem Titel „Lobt Gott, den Herrn der Herrlichkeit. Theologie um Gottes Ehre“.29 In diesem letzten Buch vertrat Niesel politisch und kirchlich zwar durchgängig „progressive“ Po25 Wie bereits die von Niesel herausgegebenen BSKORK (1938) die Düsseldorfer Thesen von 1933 enthalten, so beginnt auch Niesels Symbolik grundlegend mit der Barmer Theologischen Erklärung. Durch diesen Rekurs auf neueste Bekenntnistexte leuchtet ein vom zeitgenössischen Luthertum differierendes Bekenntnisverständnis auf. 26 Siehe dazu Abschnitt 6 der Einführung. 27 Karl Barth, Gespräch mit Tübinger „Stiftlern“ vom 2. März 1964, in: ders., Gespräche 1964–1968, 31–129, hier 114. 28 Hans Helmut Eßer, Wilhelm Niesel 75 Jahre alt, RKZ 119, 1978, 47; Joachim Guhrt, Ehrung für Wilhelm Niesel zum 80. Geburtstag, RKZ 124, 1983, 36–38; Hans-Joachim Kraus, Glückwunschadresse. Wilhelm Niesel zum achtzigsten Geburtstag, RKZ 124, 1983, 39f; ders., Wilhelm Niesel – 85 Jahre, RKZ 129, 1988, 6. 29 Erschienen erst 1983, allerdings rechtzeitig zu Niesels 80. Geburtstag.
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sitionen, aber dem Buch haftet insgesamt doch ein theologisch repristinierender Ton an. Seinen Ruhestand, über viele Jahre lang noch ausgefüllt mit kirchlichen Ehrenämtern, verlebte Niesel mit seiner Frau Susanna in Königsstein/Taunus. Wenige Wochen nach seinem 85. Geburtstag ist Niesel am 13. März 1988 gestorben und auf dem Wuppertal nahen Friedhof von Schöller, wo er 1946–1968 Pfarrer war, beerdigt worden.30
3. Karl Barth, Wilhelm Niesel und die Calvinforschung Einen großen Raum in den ersten Jahren des Briefwechsels nahm das Gespräch beider über Niesels Dissertationsprojekt und dessen Arbeit an den von Barths Bruder Peter herausgegebenen Opera Selecta Calvins ein.31 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam ein ins 19. Jahrhundert zurückreichendes Calvinverständnis an sein Ende, in dem einerseits Calvins Persönlichkeit ins Zentrum gestellt und andererseits sein Wirken weitgehend historisiert worden war. Dem setzte Barth in seiner Göttinger Calvin-Vorlesung die Überzeugung gegenüber, dass das Interesse auf den Theologen Calvin gelenkt werden müsse: „Der historische Calvin ist der lebendige Calvin [...]. Ihm müssen wir unsere erste und sehr ernsthafte Aufmerksamkeit zuwenden, von ihm aus weiterdenken, wenn wir überhaupt im Sinn haben, uns von ihm belehren zu lassen.“32 Geradezu enthusiastisch erklärte Barth gegenüber Thurneysen: „Calvin ist ein Wasserfall, ein Urwald, ein Dämonisches, irgendetwas direkt vom Himalaja herunter, absolut chinesisch, wunderbar, mythologisch [...]. Ich könnte mich gut und gerne hinsetzen und nun mein ganzes ferneres Leben nur mit Calvin zubringen.“33 Barth hat durch seine Calvin-Vorlesung die Überzeugung gewonnen, dass die evangelische Theologie und Kirche seiner Zeit in Calvin ihren kritischen und anregenden Lehrer finden sollte. Diese Sicht auf Calvin machte sich Niesel zu eigen, indem er seit Ende 1925 mit Barth verschiedene Möglichkeiten einer Arbeit über Calvin erwogen hat, die schließlich in der Studie zu Calvins Abendmahlslehre mündeten.34 Darin verstand er das Abendmahl in der Sicht Calvins als Geschehen der „communio cum Christo“, in dem Christi Leib und Blut der Gemeinde so vergegenwärtigt und mitgeteilt werde, dass „Christus mit seinem Tode und seiner Auferstehung“ den Charakter einer elementaren Nahrung gewinne und das äußere Zeichen auf den geistlichen Inhalt des Abendmahls hinweise.35 Ferner sah er die Christusge30 Todesanzeige des Moderamens, RKZ 129, 1988, 100; Karl Halaski, Wilhelm Niesel, RKZ 129, 1988, 101; Jürgen Fangmeiers Rede während der akademischen Gedenkfeier am 26. Januar 1989 an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal: Wilhelm Niesel – Lehrer, Forscher, Gubernator, Pastor, Zeuge, RKZ 130, 1989, 77–80. 31 Vgl. zum Folgenden Barth, Calvinforschung, 161–175.246–267; Neuser, Entstehung der Opera Selecta, 197–222; Freudenberg, Niesels Calvin-Interpretation, 75–98; ders., Calvinrezeption im 20. Jahrhundert, 490–498. 32 Barth, Theologie Calvins, 4–6. 33 Karl Barth, Brief an Thurneysen vom 8. Juni 1922, in: ders./Thurneysen, Briefwechsel II, 80. 34 Siehe Brief vom 26. Dezember 1925. 35 Wilhelm Niesel, Calvins Lehre vom Abendmahl, FGLP III/3, München 1930.21935, 48f.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
meinschaft bei Calvin als Tat und Handlung des Heiligen Geistes. Die Bedeutung von Niesels Arbeit besteht darin, dass er die beiden Aspekte „communio cum Christo“ und „actio spiritus sancti“ als komplementäre Ereignisse bei Calvin diagnostizierte und damit das Abendmahl aus der Engführung eines subjektiven religiösen Erlebnisses zu einer Feier in der Gemeinschaft des dreieinigen Gottes befreite. Niesels Arbeit stand für die Calvinforschung nach 1925 als Beispiel, die theologischen Beobachtungen in die theologie- und geistesgeschichtlichen Bezüge der gesamten calvinischen Reformation einzuordnen. Überhaupt wirkte nicht nur auf Niesel, sondern auf eine Reihe von Schülern Barths und Vertreter der Dialektischen Theologie Barths Calvinrezeption so inspirierend, dass seit 1925 eine intensive neue theologische Beschäftigung mit Calvin eingesetzt hat. Niesel sprach später von der Frucht einer durch Barth eingeleiteten „Selbstbesinnung der Theologie auf ihren Gegenstand“, die „auch in der Calvin-Forschung eine Umwälzung hervorgerufen“ hätte.36 Nach Peter Barths Worten ist Calvin „aus einem Objekt mehr oder weniger aufmerksamer und interessierter wissenschaftlicher Betrachtung zum Lehrer einer neuen Theologengeneration“ geworden.37 Niesel galt über eine große Zeitspanne hinweg als einer der maßgeblichen Experten von Calvins Schriften im deutschsprachigen Raum. Seine Grundauffassung Calvins bestand in der Einsicht in das christologische Profil von dessen Theologie. Niesel zufolge war der gemeinsame formale und inhaltliche Bezugspunkt nahezu aller calvinischen Themen die Offenbarung Gottes in Jesus Christus: „Wir meinen, deutlich genug gezeigt zu haben, daß es Calvin in allen Lehrstücken nur um eines geht: um den im Fleische geoffenbarten Gott.“38 Es würde auf Schritt und Tritt deutlich, „was über dem Leben Calvins und seiner Theologie als Thema geschrieben steht. Es heißt Jesus Christus.“39 Neben die Offenbarung als Leitbegriff von Calvins Theologie trat dessen Kirchenbegriff: Kirche ist die durch Christus versammelte und ihrem Herrn verpflichtete Gemeinschaft der Gläubigen, die als Abendmahlsgemeinde zum gegenseitigen Dienst verbunden ist. Calvins Kirchenverständnis machte sich Niesel im Kirchenkampf zur Beschreibung der durch das Wort Gottes versammelten Gemeinde und später für seine Aufgaben als reformierter Kirchenpolitiker und Ökumeniker nutzbar. Nicht nur bei ihm wurden „Calvin“ und „reformiert“ zu Äquivalenzbegriffen.40 Verdienste um die Calvin-Forschung hat sich Niesel durch seine Mitarbeit an der Edition der Opera Selecta Calvins erworben. Band I mit der Edition der Institutio (1536) und sieben Schriften aus den Jahren 1533–1541 wurde von Peter Barth herausgegeben und erschien 1926. Noch im gleichen Jahr ergoss sich über die Edition eine äußerst kritische Rezension von Hanns Rückert und ein Jahr später eine noch schonungslosere von Heinrich Bornkamm. Sie warfen Peter Barth grobe editorische Fehler, wissenschaftliche Unzulänglichkeit, Dilettantismus und 36 Wilhelm Niesel, Die Theologie Calvins, München 1938, 15; vgl. ders., Die Theologie Calvins, München 21957, 16. 37 Barth, Calvinforschung, 252. 38 Wilhelm Niesel, Die Theologie Calvins, München 21957, 245. 39 Wilhelm Niesel, Die Theologie Calvins, München 21957, 244. 40 Vgl. Ulrichs, Der erste Anbruch, 232.263; Freudenberg, Niesels Calvin-Interpretation, 136.
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im Einzelnen Fehler in der Textdokumentation und -wiedergabe vor.41 Nach diesem Desaster war eine Neustrukturierung der Editionsarbeit unumgänglich, zumal die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft einen weiteren Druckkostenzuschuss an die Hinzuziehung eines qualifizierten Mitherausgebers gebunden hatte. Ein solcher wurde mit Niesel gefunden, der von Dezember 1926 bis Oktober 1928 in Peter Barths Madiswiler Pfarrhaus an der Edition der Bände III–V der Opera Selecta maßgeblich mitgearbeitet hat. Das geschah auf Vermittlung Karl Barths, der im Brief vom 4. Oktober 1926 bei Niesel kurz nach dessen Erstem Examen angefragt hatte, ob er sich unter Berufung auf ihn an seinen Bruder Peter Barth wenden möchte. Postwendend hat Niesel im Brief vom 6. Oktober 1926 seine Mitarbeit zugesagt. Die Rezension zu den von Peter Barth und Niesel gemeinsam herausgegebenen Bänden III und IV (Institutio I–III) – wiederum von Bornkamm verfasst – fiel wesentlich günstiger, ja geradezu euphorisch aus: Es sei den Herausgebern gelungen, die Calvinforschung auf eine neue Grundlage zu stellen, da sowohl die sorgfältige Textbearbeitung als auch der Quellennachweis Anerkennung verdiene.42 Niesel erstellte dabei die aufgrund der gemeinsamen Vergleichsarbeit vorgenommene kritische Textbearbeitung. Außerdem war er für den Apparat einschließlich der technischen Vorarbeiten für den Druck und für den Stellennachweis der reformatorischen Quellen sowie für die Vorrede zu Band III verantwortlich. Später sprach Niesel über die zwei Jahre im Madiswiler Pfarrhaus – von Karl Barth als „Calvinlaboratorium“43 bezeichnet – von so mancher Entdeckerfreude und bewertete sie als einen besonderen Abschnitt seines Lebens.
4. Im Kirchenkampf Eine wichtige Station in Barths und Niesels Biographie war ihre Mitwirkung in der BK und im Kirchenkampf.44 Als Mitarbeiter Hermann Albert Hesses45, der als langjähriger Herausgeber der Reformierten Kirchenzeitung und als profilierter Kirchenpolitiker in den 20er Jahren einflussreich geworden war, nahm Niesel 41 Hanns Rückert, Rez. Joannis Calvini Opera Selecta, Vol. I, Deutsche Literaturzeitung NF 3, 1926, Sp. 1390–1397, und dazu die Antwort von Peter Barth, Zu meiner Calvin-Ausgabe, ZKG 45, 1927, 412–416 sowie die Erwiderung von Hanns Rückert, ZKG 45, 1927, 417f; Heinrich Bornkamm, Rez. Calvin, Joannis, Opera Selecta, Vol. I, ThLZ 52, 1927, Sp. 121–128. 42 Heinrich Bornkamm, Rez. Calvin, Joannis: Opera Selecta, Vol. III u. Vol. IV, ThLZ 57, 1932, Sp. 17–20; vgl. auch die positive Rezension von Hanns Rückert zu Opera Selecta Vol. III, Deutsche Literaturzeitung NF 6, 1929, Sp. 2281–2287. 43 Brief vom 8. Mai 1928. 44 Vgl. Ulrichs, Wilhelm Niesel und Karl Barth, 177–196. Nach der Publikation seiner Kirchenkampf-Erinnerungen übergab Niesel seine umfangreiche Sammlung aus der Zeit 1933–1945 dem Evangelischen Zentralarchiv in Berlin (EZA 619). Für die Kommentierung des Briefwechsels von Barth und Niesel der Jahre 1933–1939 wurde neben Wilhelm Niesel, Kirche unter dem Wort. Der Kampf der Bekennenden Kirche der altpreußischen Union 1933–1945, Göttingen 1978, das Werk von Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich (2 Bde.) sowie der gleichnamige Folgeband von Gerhard Besier über die Jahre 1934–1937 herangezogen; zum reformierten Kirchenkampf vgl. Lekebusch, Die Reformierten. 45 Zu Hermann Albert Hesse vgl. Ulrichs, Von Brandes bis Bukowski, 44–50.
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im Frühjahr 1933 an der Rheydter Versammlung teil, die noch alle reformierten Lager zu verbinden wusste. Er erarbeitete die Düsseldorfer und Elberfelder Thesen mit und war Gründungsmitglied des „Gemeindetages unter dem Wort“ und des Coetus reformierter Prediger Deutschlands. Während Hesses Agieren im Frühjahr und Sommer 1933 nicht immer eindeutig war, stand Niesel von Anfang an ganz auf der Seite der kirchlichen Opposition und war wie Barth in keinem Augenblick versucht, dem Nationalsozialismus zuzubilligen, sich als politisches Experiment erproben zu dürfen. Signifikant war die Änderung seines Verhaltens auch Barth gegenüber: Er war nicht mehr nur ergebener Schüler des theologischen Lehrers, sondern ein durchaus selbstbewusster Kirchenfunktionär, der trotz des erheblichen Altersunterschiedes mit einiger Vehemenz das verantwortliche kirchliche Engagement des Theologieprofessors einforderte. Niesels Aufsatz „Bekenntnis oder Berechnung“ war wegweisend für die Neuausrichtung der Reformierten mit der Freien reformierten Synode und der Hauptversammlung des Reformierten Bundes vom 3.–5. Januar 1934 in Barmen.46 An der Barmer Synode Ende Mai 1934 nahm Niesel als Beobachter teil und gehörte zu dem redaktionellen Ausschuss, der der Barmer Theologischen Erklärung ihre letztgültige Form gab. Niesel konnte Barmen später „eine Sternstunde der Kirche“47 nennen. Seit Mai 1934 war er Mitglied im Bruderrat der altpreußischen BK. Zum Herbst 1934 wechselte er als reformierter Referent zum Präses der BK Karl Koch nach Bad Oeynhausen, wo er neben Hans Asmussen als lutherischem Pendant wirkte, und 1935 als Geschäftsführer des Bruderrates der ApU nach Berlin, wo er maßgeblich an den weiteren Entwicklungen beteiligt war. Bleibenden Einfluss sicherte sich Niesel durch seine Vorarbeiten zur Zweiten freien reformierten Synode im März 1935 in Siegen, auf der der Anstoß zur Gründung Kirchlicher Hochschulen gegeben wurde.48 Seit dem Wintersemester 1935/36 lehrte er Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule in Dahlem, praktisch seit dem ersten Tag im Untergrund. Barth entging anders als etwa Paul Tillich oder Karl Ludwig Schmidt einer Entlassung aus dem Staatsdienst bereits im Jahr 1933. Aber seine Weigerung, einen von Beamten geforderten Treueid auf Hitler uneingeschränkt zu leisten, führte nach einer rechtlichen Auseinandersetzung doch zur Entlassung Barths, der daraufhin im Sommer 1935 einer Berufung nach Basel nachkam. Bis 1938 konnten Barths Schriften noch in Deutschland gedruckt und vertrieben werden, bis 1939 standen Barth und Niesel noch im brieflichen Kontakt, wobei schließlich die Briefe auch durch persönlich bekannte Boten überbracht wurden und man sich einer verklausulierten Sprache bediente, um Personen zu schützen, falls die Briefe vom Geheimdienst abgefangen worden wären. Der Kampf des nationalsozialistischen Gewaltstaates gegen den christlichen Glauben führte zu wachsenden Repressionen: zunächst die offene Propagierung 46 Abgedruckt in RKZ 83, 1933, 398–400. 47 Wilhelm Niesel, Worüber man sich wundern muß, RKZ 110, 1969, 138f, hier 138. 48 Niesels Vortrag „Kirchliche Hochschule für reformatorische Theologie“ ist auch abgedruckt in: ders., Gemeinschaft mit Jesus Christus. Vorträge und Voten zur Theologie, Kirche und ökumenischen Bewegung, München, 171–182. Zur Synode von Siegen vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 222–244.
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des „Neuheidentums“ seit 1935, sodann die Einsetzung der Kirchenausschüsse und Hanns Kerrls als Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten und schließlich die wachsende Verfolgung von Christen durch den totalitären Staat, die als immer bedrängender erlebt wurde. Deshalb wurde das erste Jahr der massiven Repressionen (1937) von Niesel als das schwerste aus der Sicht der BK bezeichnet. Nach einem Ausreiseverbot aus Berlin 1938 und mehreren Prozessen und Haftzeiten wurde Niesel 1941 mit Redeverbot und Ausweisung aus Berlin belegt. Aus dieser Zeit stammt das Wort vom „Eisernen Wilhelm“, der nahezu selbstverständlich ins Gestapo-Gefängnis ging. Von 1941–1943 fand er Zuflucht als Hilfsprediger in Breslau, danach bot die Lippische Landeskirche unter Landessuperintendent Wilhelm Neuser (1888–1959) dem ständig Bedrohten Unterschlupf als Pfarrer der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Reelkirchen. Auch während der Kriegsjahre war Niesel an der Planung und Organisation der BK und ihrer Synoden beteiligt. Barth verfolgte den deutschen Kirchenkampf so lange es möglich war, informierte die Schweizerische Öffentlichkeit und unterhielt zahlreiche Kontakte zu Kirchen und Personen in von der deutschen Wehrmacht besetzten Ländern. Bereits seit Beginn des Jahres 1945 rief er in Vorträgen dazu auf, nach dem Kriegsende den Deutschen dabei zu helfen, eine humane und demokratische Gesellschaft aufzubauen.49
5. Die Zeit nach 1945 Obwohl sich Barth und Niesel im August 1945 im Zusammenhang der Gründung der EKD in Treysa wiedergetroffen haben, begann deren Briefwechsel erst wieder im Sommer 1946, also am Ende des ersten der beiden Semester, die Barth jeweils im Frühjahr 1946 und 1947 in Bonn verbrachte. Beide waren stark gefordert, denkt man an Barths außerordentliche Produktivität – zahlreiche Bände der Kirchlichen Dogmatik erschienen jeweils im Abstand von wenigen Jahren –, während sich Niesel der Kirchenpolitik widmete. Barth beging im Mai 1946 seinen 60. Geburtstag und musste überlegen, ob und wie er sich noch in den kirchlichen Kontexten Deutschland engagieren konnte und versagte sich gelegentlich auch der erbetenen Mitarbeit. In der EKD kam es nach 1945 schon früh zu schmerzlichen Auseinandersetzungen und Trennungen. So nahm Niesel durchaus befremdet den Weg seines Gefährten im Kirchenkampf Asmussen und einiger anderer Lutheraner wahr und trat im Rat der EKD entschieden für Barths Positionen und dessen von ihm angenommenen persönlichen Interessen ein. Strittig waren die Ausrichtung der entstehenden und sich etablierenden EKD, in ihr die Positionierung der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche (VELKD), die weitere Existenz bekenntniskirchlicher Gremien und Organisationen, die politische Analyse der NS-Vergangenheit (Schuldfrage) 49 Vgl. Karl Barth, Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Zollikon-Zürich 1945, darin v.a. folgende Vorträge aus dem Januar bzw. Mai 1945: Die Deutschen und wir (334–370); Die geistigen Voraussetzungen für den Neuaufbau in der Nachkriegszeit (414–432).
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sowie die gesellschaftliche Gegenwart vor und nach der doppelten Staatsgründung. Auch der Fall des hessischen Reformierten Wilhelm Boudriot, der eindeutig bekenntniskirchlich engagiert war, aber nach der Kapitulation politisch konservativ votierte, schlägt sich im Briefwechsel zwischen Barth und Niesel nieder. Exemplarisch werden im Folgenden drei theologische und kirchliche Debatten vorgestellt, über die sich Barth und Niesel im Briefwechsel ausgetauscht haben. 5.1. Abendmahlsgespräche Nach 1945 wurde die Abendmahlsfrage zwischen Reformierten, Unierten und Lutheranern intensiv erörtert.50 Die 1947 wieder neu aufgenommenen und zunächst sehr mühsamen Gespräche waren ein Indikator für das spannungsreiche Mit- bzw. Gegeneinander der evangelischen Konfessionen in der EKD. Barth und Niesel waren schon über ein Jahrzehnt zuvor im Umfeld der Barmer Theologischen Erklärung davon überzeugt, dass eine wahre Gemeinschaft im Bekennen auch eine Gemeinschaft in der Feier des Abendmahls nach sich ziehen müsse.51 In diesem Sinne äußerte sich Niesel über den rheinisch-westfälischen Gemeindetag „Unter dem Wort“ am 18. März 1934, bei dem sich 25.000 Teilnehmer in der Dortmunder Westfalenhalle und in zwei Kirchen versammelten und Lutheraner und Reformierte gemeinsam zum Abendmahl gingen: „In der Reinholdikirche war kämpfende Gemeinde zusammen. Das wurde uns in jener Stunde durch Wort und Sakrament ganz deutlich.“52 Ausgehend vom Impuls der Barmer Theologischen Erklärung, bei allen konfessionellen Unterschieden gemeinsam reden zu können, schien die Aufnahme von Lehrgesprächen als ein konsequenter nächster Schritt. Die Erfahrungen des Kirchenkampfs gegen die nationalsozialistische Ideologie beschleunigten und intensivierten die Bemühungen, die Trennungen zu überwinden. Bei der zweiten Tagung der vierten Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union in Halle/Saale 1937 wurde u.a. eine Erklärung über das Abendmahl verabschiedet und damit die Basis für eine theologisch begründete Abendmahlsgemeinschaft gelegt.53 Der Grund, sich dem Thema Abendmahl zuzuwenden, war ein doppelter: Zum einen war dieses Thema für eine Unionskirche von besonderer Brisanz, da beim Umgang mit dem Abendmahl auch die Tragfähigkeit der Union selbst auf dem Spiel stand; zum anderen lernten die Bekenntnisgemeinden gerade das gemeinsame Abendmahl als Quelle der Vergewisserung und Stärkung neu zu schätzen. In Halle wurde wegweisend formuliert: „Abendmahlstrennung zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten ist nicht durch die Gegensätze des 16. Jahrhunderts gerechtfertigt.“54 Das Fazit der Erklärung lautete: „Darum stehen gemeinsame Abendmahlsfeiern zwischen uns Lutheranern, Reformierten und Unierten nicht im Widerspruch zu der schriftgemäßen Verwaltung des heili50 Vgl. zum Folgenden Friedrich, Von Marburg bis Leuenberg, 207–217; Freudenberg, Abendmahlslehre, 70–103, hier 88–91. 51 Vgl. Freudenberg, Vielfalt und Einheit des Protestantismus, 333–345, hier 342–345. 52 RKZ 84, 1934, 100; vgl. Niesel, Kirche unter dem Wort, 25 sowie der auf dieses Ereignis Bezug nehmende Brief vom 3. April 1934. 53 Vgl. Niemöller, Synode zu Halle. 54 Niemöller, Synode zu Halle, 442.
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gen Abendmahls.“55 Für die konfessionsverschiedenen Gemeinden in der Union war damit eine wichtige Weichenstellung vollzogen: Sie mussten sich innerhalb der Union nicht mehr als quasi gewaltsam zusammengezwängte Gemeinden verstehen, vielmehr bekam ihre Gemeinschaft ein theologisches Fundament mit dem entscheidenden Satz, dass Jesus Christus der Herr des Abendmahls und von ihm her ihre Einheit vorgegeben sei. So war es nur konsequent, dass die Synode auf eine Fortsetzung der Lehrgespräche drängte. Der in Halle gesetzte Impuls wurde 1947 von der EKD in Weiterführung der Konsensbemühungen im Kirchenkampf aufgenommen. Die zweite Kirchenversammlung in Treysa am 5./6. Juni 1947 hatte den Rat der EKD gebeten, sich um ein verbindliches Gespräch über die Abendmahlslehre im Hinblick auf die Kirchengemeinschaft zu bemühen. Der Rat entsprach der Bitte und veranlasste die Einsetzung einer Kommission für das Abendmahlsgespräch in der EKD, um die offene Wunde der noch nicht verwirklichten Abendmahlsgemeinschaft unter den Gliedkirchen der EKD zu schließen. Über den Verlauf dieser Gespräche geben mehrere der Briefe Barths und Niesels Auskunft. Nach zehnjähriger Arbeit lagen die acht Arnoldshainer Abendmahlsthesen vor.56 Am 25. Juli 1958 nahm der Rat der EKD das Arbeitsergebnis entgegen und übergab der kirchlichen Öffentlichkeit die Thesen. Diese riefen eine lebhafte theologische Diskussion und besonders von lutherischer Seite Kritik hervor, die den Rat der EKD 1960 veranlasste, die Kommission mit der Prüfung der dazu eingegangenen Stellungnahmen zu beauftragen. Das Ergebnis dieser Arbeit waren Erläuterungen zu einzelnen Thesen. Den Abschlussbericht sowie die Erläuterungen hat der Rat der EKD am 8./9. Februar 1962 entgegengenommen. Das Echo auf die Arnoldshainer Abendmahlsthesen war auf Seiten der reformierten und unierten Kirchen positiver als auf Seiten der Lutheraner. Da diese vorerst ihre offizielle Zustimmung verweigerten, war das Ziel einer Abendmahlsgemeinschaft zwischen den EKD-Gliedkirchen noch nicht erreicht. Ein Fortschritt wurde schließlich 1970 durch die lutherisch-reformierten „Thesen zur Kirchengemeinschaft“ erzielt.57 Der Weg zur Leuenberger Konkordie (1973) führte indes nicht nur über die Arnoldshainer Abendmahlsthesen, sondern auch über Impulse außerhalb Deutschlands aus dem ÖRK und seiner Kommission für Glaube und Kirchenverfassung. In mehreren Phasen wandten sich Gesprächsrunden seit 1955 unter Mitbeteiligung des Lutherischen und des Reformierten Weltbundes den strittigen Lehrfragen zu. 1971 wurde ein „Entwurf einer Konkordie reformatorischer Kirchen“ vorgelegt, in den beteiligten Kirchen geprüft und darüber diskutiert, bis 1973 mit der „Leuenberger Konkordie“ die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft unter den europäischen evangelischen Signatarkirchen erklärt wurde.58
55 Ebd. 56 Arnoldshainer Abendmahlsthesen (1957); in: Karl Kupisch (Hg.), Quellen zur Geschichte des deutschen Protestantismus von 1945 bis zur Gegenwart, Bd. 1, Hamburg 1971, 83–86. 57 KJ 97, 1970, 47f. 58 Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie), hg. v. M. Bünker/M. Friedrich, Leipzig 2013.
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5.2. Existenziale Interpretation des Neuen Testaments Ein weiteres zwischen Barth und Niesel gelegentlich erörtertes Thema war die Auseinandersetzung um Bultmanns Programm der Entmythologisierung bzw. der existenzialen Interpretation des Neuen Testaments.59 Die in der breiten kirchlichen Öffentlichkeit diskutierte Kontroverse über Bultmann wurde von diesem durch seinen 1941 gehaltenen Vortrag „Neues Testament und Mythologie“ ausgelöst und blieb in unterschiedlichen Phasen mehrere Jahrzehnte virulent.60 Diese Debatte ist auf dem Hintergrund einer stark bibelzentrierten Frömmigkeit, pietistisch-erwecklicher Prägungen und einer konservativen Grundhaltung im deutschen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg zu sehen. Innerhalb dieses Rahmens kam es nicht selten zu einem vereinfachenden Bibelverständnis, dem zu Folge die Bibel als Gottes Wort sich einer historisch-kritischen Reflexion entzieht. Gegen eine solche distanzlose Lesart der Bibel wandte sich Bultmann und hob hervor, dass die biblischen Texte nicht nur zu Menschen einer vergangenen Epoche gesprochen, sondern das in einer Weise und unter Bezug auf ein mythologisches Weltbild gemacht hätten, das für den modernen Menschen obsolet sei. Daraus zog er den Schluss, die mythologischen Texte so zu interpretieren, dass die Anrede Gottes – das Kerygma – in ihnen freigelegt werde, damit es den Menschen in seiner Existenz wirklich betreffe (existenziale Interpretation). Sukzessiv beschäftigten sich nicht nur einzelne Theologen mit den von Bultmann aufgeworfenen Fragen, sondern seit Anfang der 50er Jahre auch die EKD, die Leitungen und Synoden der Landeskirchen und die Gemeinden. Das Echo auf Bultmanns Programm reichte in den meisten offiziellen Stellungnahmen von Skepsis bis vehemente Ablehnung. In die Auseinandersetzung mit Bultmann schaltete sich auch Barth ein, der 1952 eine Reihe grundsätzlicher Fragen an seinen Marburger Kollegen richtete und von diesem Antwort erhielt.61 Während Barth die Geltung des Wortes der Bibel vor dessen Wirkung auf die Glaubenden betonte, ging es Bultmann um die Gegenwart Christi im verkündigten Wort, im Kerygma. In der Folgezeit wurde in der akademischen Szene die Debatte durch Beiträge von Bultmann-Schülern wie Ernst Käsemann und Günther Bornkamm fortgeführt. An den Universitäten waren in den 60er Jahren die neutestamentlichen Lehrstühle zunehmend von Schülern Bultmanns besetzt, die dessen Verständnis einer Hermeneutik des Neuen Testaments auch in die kirchliche Öffentlichkeit hinein weitergaben.62 Dem standen konservative Stimmen wie die von Walter Künneth gegenüber, die auf die Verunsicherung der Gemeinden hinwiesen und gar eine Bedrohung und Zerstörung des Glaubens in Wirkung der wissenschaftlichen Exegese diagnostizierten. Diese Haltung fand in der 1966 gegründeten „Be59 Vgl. Greschat, Protestantismus im Kalten Krieg, 315–338; ders., Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland, 94–102; Bauer, Evangelikale Bewegung. 60 Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung (1941), nach der 1941 erschienenen Fassung hg. v. E. Jüngel, BEvTh 96, München 1985. 61 Karl Barth, Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen, ThSt 34, Zürich 1952; Brief von Bultmann an Barth vom 11.–15. November 1952, in: Barth/Bultmann, Briefwechsel, 167–191. 62 Insofern war die Einschätzung Barths „Die Tage der Bultmann-Schule halte ich für gezählt“ im Brief vom 7. November 1964 etwas voreilig; vgl. KJ 91, 1964, 6–22 zum Thema „Universitätstheologie und Gemeindefrömmigkeit“.
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kenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium’“ ein Sprachrohr, das sich in der Großkundgebung am 6. März 1966 in der Dortmunder Westfalenhalle mit rund 20.000 Teilnehmern Gehör verschaffte, die sog. „moderne Theologie“ als Verfälschung des Christentums rundweg verwarf und einen neuen „Kirchenkampf “ ausrief. In den Landeskirchen entstanden „Sammlungen um Bibel und Bekenntnis“, denen die Kirchenleitungen mehr oder weniger hilflos gegenüberstanden und in wenigen Fällen – wie das Beispiel des westfälischen Präses Ernst Wilm zeigt – sogar der Bekenntnisbewegung ausdrücklich zuneigten.63 Barth und Niesel verfolgten diese Debatten aufmerksam und kritisch; Barth benutzte für den Streit „zwischen den Bultmannianern und mit den Bekennern ‚Kein anderes Evangelium’“ das Wort „Kasperletheater“.64 5.3. Wiederbewaffnung und Militärseelsorgevertrag Schließlich tauschten sich Niesel und Barth seit 1950 über die Diskussionslage in der EKD zu den umstrittenen Fragen der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und des Militärseelsorgevertrages aus.65 Unter der Regierung Adenauer stand die Westintegration Deutschlands oben auf der Tagesordnung, weil man sich insbesondere von der Bindung an die USA den notwendigen Schutz gegenüber dem Osten erhoffte. Auf kirchlicher Seite gab es z.T. davon deutlich abweichende Stellungnahmen, so insbesondere die des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Niemöller. Dieser erklärte 1949 in einem Interview, dass die meisten Deutschen „die Einigung ihres Landes unter dem Kommunismus einer Fortdauer seiner gegenwärtigen Aufspaltung vorziehen“ würden und der abgetrennte westdeutsche Staat zum Scheitern verurteilt sei.66 Umgekehrt argumentierte Adenauer im Horizont des Mitte 1950 ausgebrochenen Korea-Krieges, dass gerade nun eine schriftliche Sicherheitsgarantie der westlichen Alliierten und ihrer Truppen in Westdeutschland notwendig sei; es gelte aufzurüsten und dabei auch deutsche Soldaten im Rahmen der NATO einzusetzen. Schon bald stellte sich heraus, dass Adenauer sein Kabinett über diese den Amerikanern zugeleiteten Überlegungen zunächst im Unklaren gelassen hat, was u.a. der Minister für Gesamtdeutsche Fragen und Inneres Gustav Heinemann – ein Mitglied der BK, dann des Rates der EKD und enger Vertrauter Niesels – mit großer Verärgerung zur Kenntnis nahm. Er erklärte daraufhin seinen Rücktritt als Minister.67 Am 4. Oktober 1950 richtete Niemöller einen Offenen Brief an Adenauer, in dem er dessen Pläne zur Wiederbewaffnung Deutschlands anprangerte, was Adenauer als willkommenen Anlass nahm, den Rücktritt des mit Niemöller in dieser Frage einigen Heinemann anzunehmen und ihn zu entlassen.68 Damit war der Bruch zwischen Adenauer und großen Teilen der CDU/CSU auf der einen und 63 Vgl. Bauer, Evangelikale Bewegung, 466–481; siehe Postkarte Niesels vom Mai 1967, mit Anm. 309. 64 Siehe Postkarte vom 12. April 1967. 65 Vgl. Greschat, Protestantismus im Kalten Krieg, 256–290; ders., Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland, 27–79; Vogel, Kirche und Wiederbewaffnung. 66 Zit. n. KJ 76, 1949, 240. 67 Siehe Brief Niesels vom 20. Oktober 1950; vgl. KJ 77, 1950, 160–227. 68 KJ 77, 1950, 174f.
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den Kreisen um Niemöller und Heinemann auf der anderen Seite vollzogen. Den Letztgenannten lag – bei allen unterschiedlichen Perspektiven im Einzelnen – am Zusammenhalt der beiden Teile Deutschlands, den sie durch Adenauers Bestrebungen der Wiederbewaffnung gefährdet sahen. Ebenfalls am 4. Oktober schrieben die Teilnehmer eines Treffens der Kirchlichen Bruderschaften einen Brief an Adenauer, in dem sie Gottes Willen dafür reklamierten, die Wiederbewaffnung und den Kriegsdienst abzulehnen.69 Während das unabgesprochene Vorgehen Niemöllers in einigen Kirchenleitungen und Synoden auf Kritik stieß, solidarisierte sich Barth in einem Offenen Brief vom 17. Oktober 1950 mit Niemöller und Heinemann, wiederholte deren Argumente gegen die Wiederbewaffnung und hielt deswegen gar einen neuen Kirchenkampf für denkbar.70 Auf polischer Ebene waren die Entscheidungen gefallen: 1955 wurde die Bundeswehr gegründet und im gleichen Jahr Deutschland in die NATO aufgenommen. In der Folge stellte sich zwangsläufig die Frage nach der seelsorglichen Begleitung der Soldaten. Dieses in den 50er Jahren diskutierte Thema war naturgemäß sensibel, da es unter den Evangelischen eine breite kritische Haltung allem Militärischen gegenüber gab. Dennoch wurden im Horizont der Erwartung, dass in Westdeutschland eine Armee gegründet werden würde, Gespräche und Verhandlungen zwischen der EKD und der Regierung über die Durchführung der Militärseelsorge geführt. Nach anfänglicher Ablehnung des Vertragsentwurfes seitens der westdeutschen Landeskirchen, die u.a. die Revitalisierung der einstigen „Militärkirche“ befürchteten, schrieb ein neu gefasster Vertragstext den kirchlichen Auftrag der Militärseelsorger und ihre Unabhängigkeit von militärisch-politischer Einflussnahme fest. Die Unterzeichnung des Militärseelsorgevertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Evangelischen Kirche erfolgte am 22. Februar 1957; die Synode der EKD nahm den Vertrag am 7. März 1957 mit großer Mehrheit an.71
6. Im Horizont der Ökumene Das wachsende Interesse Barths an der Ökumene einerseits und Niesels ökumenische Verpflichtungen andererseits fanden in einer Reihe von Briefen nach 1945 ihren Niederschlag. Neben manchen Einzelfragen kristallisierten sich zwei Schwerpunkte im Briefwechsel heraus: die differenzierte Wahrnehmung der kirchlichen Situation in Ungarn im Umfeld des Volksaufstands von 1956 und Niesels ökumenische Tätigkeiten u.a. im Zentralausschuss des ÖRK und im Reformierten Weltbund. In mehreren Briefen der Jahre 1956–1958 standen die Verhältnisse in Ungarn im Mittelpunkt der Korrespondenz von Barth und Niesel.72 Barths Kontakte nach 69 Siehe Brief Barths vom 12. Oktober 1950; vgl. KJ 77, 1950, 176. 70 Brief Barths an Wolf-Dieter Zimmermann, in: ders., Offene Briefe 1945–1968, 205–214. 71 Siehe Brief Niesels vom 13. März 1957; vgl. KJ 84, 1957, 21–49, hier 40–47. 72 Briefe 166–174; vgl. zur kirchlichen Situation in Ungarn: Sauter (Hg.), Mitarbeiter des Zeitgeistes?, 17–32; ders., Theologische Erwägungen; István Szabó, Einige Informationen zum Verständnis der Lage des ungarischen Protestantismus und seiner Theologie im 20. Jahrhundert, VF 38, 1993, 73–81.
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Ungarn gehen in die 30er Jahre zurück und fanden bei einer Reise im Herbst 1936 nach Ungarn und Siebenbürgen mit Besuchen in Debrecen, Sárospatak, Klausenburg, Budapest und Pápa einen ersten Höhepunkt.73 Zwei Jahre später entstand über Barths Brief an den tschechischen Theologen Josef Hromádka, in dem er zum bewaffneten Widerstand gegen die deutsche Aggression gegenüber der Tschechoslowakei aufrief74, eine Kontroverse mit einigen der deutschen Position zuneigenden ungarischen Theologen. Außerdem erreichte Barth ein Protestbrief von 59 Studenten der reformierten Theologie in Budapest, den Barth mit dem Hinweis auf das ihn beschäftigende Vordringen des Nationalsozialismus in Europa beantwortete.75 Seine zweite Ungarnreise führte Barth auf Einladung von Bischof László Ravasz vom 22. März bis 5. April 1948 nach Miskolc, Debrecen, Budapest, Sárospatak, Pápa und Sopron, wo er u.a. drei Vorträge gehalten hat.76 Bei dieser Reise und in dessen Folge war es unvermeidlich, dass Barth zur Rolle der Kirche im Ost-West-Konflikt Stellung beziehen musste und vor der Aufgabe stand, der Kirche Orientierung für ihren Weg im kommunistischen Staat zu geben. Durch seine Äußerungen zu Ungarn und seinen grundsätzlichen Aufruf an die Kirche, weder für den Osten noch für den West Partei zu ergreifen, sondern einen dritten eigenen Weg zu gehen, entfachte er eine kritische und langwährende Debatte.77 Er sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, nicht mit gleicher Entschiedenheit, mit der er Jahre zuvor die nationalsozialistische Diktatur und die Bewegung der Deutschen Christen abgelehnt hatte, nun die totalitäre Macht der kommunistischen Diktatur anzugreifen. Stattdessen plädierte er für einen Kurs der Kirche „zwischen Opposition und Kollaboration dem neuen Staat gegenüber“78 und beschrieb in seinem Brief „An ungarische reformierte Christen“ vom 23. Mai 1948 den „schmalen Weg“ der ungarischen reformierten Kirche „zwischen Opposition und Anpassung“ als einen „sehr verheißungsvolle[n] Weg“.79 Mehr noch: Den Weg der Kirche stellte er sich als einen mit dem Weg des neuen sozialistischen Staates parallel verlaufenden vor – in der Mitte zwischen staatskirchlichen Machtansprüchen einerseits und einer Gleichschaltung mit der neuen Ideologie andererseits. Indes kritisierte er im gleichen Brief kirchliche Äußerungen, die ihm „in der Richtung einer Verbeugung vor der neuen Ordnung einige Linien zu weit zu gehen schien[en]“.80 In der brisanten Angelegenheit der Bischofswahl 73 Vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 291f und der Brief Barths an Niesel vom 21. August 1936. Über die Reise berichtete Charlotte von Kirschbaum, Brief über unsere Herbstreise in den Osten (Ungarn und Siebenbürgen 1936), eingeleitet u. erläutert v. Á. Ferencz, hg. v. M. Landwehr, Schriftenreihe der Karl Barth-Gesellschaft 5, Bünde 2000. 74 Brief Barths an Hromádka vom 19. September 1938, in: ders., Offene Briefe 1935–1942, 113–115. 75 Barth, Offene Briefe 1935–1942, 147–156. 76 Karl Barth, Die christliche Gemeinde im Wechsel der Staatsordnungen. Dokumente einer Ungarnreise, Zollikon-Zürich 1948; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 367–369; Fazakas, OstWest-Konflikt, 267–286; Brief Barths an Niesel vom 24. Januar 1948. 77 Karl Barth, Die Kirche zwischen Ost und West (1949), in: ders., Der Götze wackelt. Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930 bis 1960, hg. v. K. Kupisch, Zürich 1961 (Nachdr. 1993), 124–143. 78 Briefliche Äußerung, zit. n. Busch, Barths Lebenslauf, 368. 79 Barth, Offene Briefe 1945–1968, 139–147, hier 143. 80 Barth, Offene Briefe 1945–1968, 139–147, hier 145f.
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sprach sich Barth für die Kandidatur und Wahl von Albert Bereczky zum Bischof aus, auch wenn dieser im Ruf einer allzu großen Nähe zum kommunistischen Regime stand. Niesel thematisierte diese Empfehlung im Brief vom 9. Juli 1956 und erhielt darauf am 11. Juli 1956 Barths Antwort. Auch in den Folgejahren nahm Barth die ungarischen kirchlichen Verhältnisse aufmerksam wahr, die von politischem Druck, zum Teil der Regierungsdoktrin zuneigenden kirchenleitenden Persönlichkeiten, einer angepassten Theologie des „schmalen Weges“, des Dienstes und der Diakonie sowie der Unterordnung unter das kommunistische Regime bestimmt waren. Bedeutende Bischöfe wie der Lutheraner Lajos Ordass und der Reformierte Ravasz mussten zurücktreten und wurden durch Personen ersetzt, die der offiziellen Linie des Staates folgten: auf reformierter Seite János Péter (seit 1949 Bischof des Kirchendistrikts Jenseits der Theiß) und Albert Bereczky (seit 1948 Bischof im Donau-Kirchendistrikt), die sich beide in ihrem kirchenpolitischen Kurs auf Barth beriefen. In einem Brief vom 16. September 1951 warf Barth indes Bereczky vor: „Sie sind im Begriffe, aus Ihrer Bejahung des Kommunismus ein Stück christlicher Botschaft, einen Glaubensartikel zu machen […].“81 Auf diesem differenzierten Hintergrund sind die Ereignisse der Jahre 1956–1958 zu sehen. Am 23. Oktober 1956 begann der ungarische Volksaufstand gegen die Diktatur der kommunistischen Partei und die sowjetische Besatzungsmacht mit einer Studentendemonstration in Budapest. Innerhalb weniger Tage wurde eine bürgerlich-demokratische Regierung unter Ministerpräsident Imre Nagy gebildet, deren Ende bereits am 4. November 1956 mit der blutigen Invasion der Sowjetarmee und der Installierung einer pro-sowjetischen Regierung unter János Kádár besiegelt wurde. Am 15. November 1956 kapitulierten die letzten Aufständischen. Nach der Niederschlagung des Freiheitskampfes wurden zahlreiche Aufständische hingerichtet, inhaftiert oder interniert. Hunderttausende Ungarn flohen vor der erneuten Diktatur in den Westen. Bereczky, der wie Péter erwartungsgemäß den Freiheitskampf entschieden ablehnte82, war während des Aufstands erkrankt.83 Ein „Landesausschuß der Reformierten Kirche Ungarns“ unter Ravasz übte für wenige Tage die Kirchenleitung aus. Bald nach der Niederschlagung des Aufstands nahm Bereczky sein Bischofsamt wieder auf; die Leitung der Gesamtkirche lag nach 1958 in den Händen von Tibor Bartha, der die „Theologie der dienenden Kirche“ vertrat und die innerkirchliche Opposition kaltstellte. Ordass, Ravasz, der Theologieprofessor László Pap – eine zentrale Gestalt der kirchlichen Reformbewegung – und eine Reihe von Pfarrern verloren spätestens 1958 ihre Ämter und mussten Repressalien erleiden.84 Die Vorgänge in Ungarn lösten in den Kirchen und in der Ökumene ein kontroverses Urteil aus. Der ÖRK unter seinem Generalsekretär Willem Visser ’t Hooft sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, den Volksaufstand gelenkt zu haben und dabei die konterrevolutionäre Politik des Westens zu betreiben.85 Neben 81 Barth, Offene Briefe 1945–1968, 274–289, hier 279; vgl. Albert Bereczky, Die ungarische Christenheit im neuen ungarischen Staat, Zollikon-Zürich 1948. 82 Vgl. Brief Niesels an Barth vom 25. Februar 1957. 83 Ob er förmlich zurücktrat, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. 84 Vgl. Sauter (Hg.), Mitarbeiter des Zeitgeistes?, 25–32. 85 Vgl. Brief Niesels vom 25. Februar 1957.
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Entsetzen und Protest fand sich in Hromádka auch ein Befürworter der Niederschlagung des Volksaufstands. Er vertrat die Auffassung, dass der Einmarsch der sowjetischen Truppen dem ungarischen Volk die Freiheit gebracht habe.86 Solche Einlassungen veranlassten Barth, darüber mit Hromádka in Basel ein kritisches Gespräch zu führen.87 Indes musste sich Barth selbst 1957 vom amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr fragen lassen, warum er über die ungarischen Vorgänge öffentlich geschwiegen habe.88 In der Tat verzichtete Barth auf eine Stellungnahme zur Niederschlagung des Volksaufstands und begründete sein Schweigen damit, dass eine Einlassung von ihm dazu überflüssig sei, weil sich damit der Kommunismus „selber das Urteil gesprochen“ habe und er sich nicht vor den Karren des Antikommunismus spannen lassen wolle.89 Anders als Barth mahnte der Reformierte Bund unter seinem Moderator Niesel im September 1957 die Wahl einer von den Gemeinden berufenen Kirchenleitung an, die das Vertrauen der Gemeinden besitzt, und forderte dazu auf: „Wie wichtig wäre es aber auch für Ihre Staatsregierung, wenn solche Männer Ihre Kirche leiten würden, die der Regierung nicht ein politisch gefärbtes Bild vom Leben in der Kirche darböten, sondern ihr jeweils ganz sachlich und nüchtern die tatsächlichen Anliegen des christliches Volksteiles vortragen würden! […] Sehen Sie darauf, daß die Kirche wirklich Kirche bleibt! Eine Kirche, die einfach dasselbe sagt und tut, was der Staat sagt und tut, ist nach dem Worte unseres Herrn ein unbrauchbar gewordenes Salz in dieser Welt.“90 Dass sich der ungarische Bischof Bereczky gegen diesen Appell entschieden verwahrt und ihn als Einmischung in die inneren Angelegenheiten seiner Kirche gewertet hat, wirft ein Licht auf die zu jener Zeit angespannte Gesprächslage zwischen den Kirchen.91 Wenden wir uns nun Niesels ökumenischen Aktivitäten zu.92 In einem Brief vom 14. Juni 1948 meldete er an Barth, dass er ohne sein Zutun in die „kirchenregimentlichen Ämter – Rat der EKD, Moderamen, Bruderrat – […] hineingewachsen“ sei und daher für die Übernahme einer Professur in Bonn nicht in Frage komme. Abgesehen von einer Reihe von Gastprofessuren u.a. in Schottland, den USA und Japan gesellten sich zu den kirchenpolitischen Aufgaben in Deutschland bald weitere im ökumenischen Bereich. So nahm der 1946 zum Moderator des Reformierten Bundes gewählte Niesel an der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes 1948 in Genf teil und trug dort über den reformierten Gottesdienst vor. Im gleichen Jahr wurde er Mitglied im Zentralausschuss des ÖRK und nahm diese Aufgabe bis 1968 wahr. Sein bereits in Deutschland etabliertes kirchenpo86 Josef L. Hromádka, Gedanken über die ungarische Krise (1956), in: ders., Der Geschichte ins Gesicht sehen. Evangelische und politische Interpretationen der Wirklichkeit, hg. v. M. Stöhr, München 1977, 239–251. 87 Vgl. die Postkarte Barths vom 4. März 1957. 88 Reinhold Niebuhr, Why Is Karl Barth Silent on Hungary?, in: The Christian Century 74, 1957, 108–110.236.330f.453–455. 89 Brieflich zit. n. Busch, Barths Lebenslauf, 442; vgl. Brief Barths „An einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik“ von Ende August 1958, in: ders., Offene Briefe 1945– 1968, 411–439, hier 411f. 90 An die Pastoren und Ältesten der Reformierten Kirche Ungarns, RKZ 98, 1957, 429. 91 Erwiderung aus Ungarn, RKZ 98, 1957, 522–524. 92 Vgl. Ulrichs, Kirchenkampf als permanente Bewährungsprobe, 35–74, hier 52–54.64–68.
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litisches Engagement weitete der später auch als „Welt-Wilhelm“ Bezeichnete auf den ganzen Globus aus.93 So wurde er bei der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes 1954 in Princeton in dessen Exekutivkomitee gewählt.94 1959 übernahm er bei der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in São Paulo den Vorsitz von dessen theologischer Kommission.95 Bei dieser Gelegenheit lud er auch den Reformierten Weltbund ein, seine Generalversammlung 1964 in Frankfurt a.M. zu veranstalten.96 Diese vom 3.–13. August 1964 tagende Generalversammlung kann zweifellos als Höhepunkt in der Biographie Niesels angesehen werden, nachdem er dort zum Präsidenten des Reformierten Weltbundes gewählt wurde und dieses Amt bis 1970 ausübte.97 In seinem Dankesbrief an die Gratulanten schrieb er im September 1964: „Wie viele von Ihnen wissen, gehöre ich zu den Menschen, die nicht so leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen sind. Das ist auch in den Frankfurter Tagen nicht geschehen. Ich gestehe aber gerne, daß das Vertrauen, das die aus aller Welt dort versammelten Brüder und Schwestern durch die einmütige Wahl mir bezeugten, beglückend für mich war.“ Zwischen 1964 und 1970 reiste Niesel rund um den Erdball, um die Sitzungen des Exekutivkomitees zu leiten und Mitgliedskirchen zu besuchen.98 Während seiner ausdrücklich als theologisch definierten Leitung als Präsident wurden im Reformierten Weltbund und hier insbesondere aus den jungen Kirchen des Südens Stimmen laut, die auf eine stärkere Wahrnehmung der politischen Themen globaler Gerechtigkeit, des Friedens und der Menschenrechte gedrungen haben. Der vom Kirchenkampf geprägte und von dort her auf die Wahrheit des Evangeliums pochende Niesel stand solchen sozialethischen Profilierungen sowohl im Reformierten Weltbund als auch im ÖRK zunächst eher reserviert gegenüber.99 Davon zeugt auch seine Eröffnungsrede bei der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Nairobi am 20. August 1970, in der er betonte: „Vor allem lag mir daran, von den großen Taten unseres Herrn Christus in der Gegenwart zu erzählen [Acta 2,11], damit die Kunde davon an müde gewordene Christen weitergegeben würde. […] Manche halten angesichts des Elends von unzähligen Menschen Mission nur noch in der Form von Entwicklungshilfe für möglich oder in der Änderung ungerechter Strukturen in bessere. […] Die Gemeinschaft mit Christus ist Quell für alles, was heute die Gemüter so stark bewegt und begehren läßt: Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden, Wandlung der Verhältnisse zu einem menschenwürdigen Dasein al93 Vgl. Brief Barths vom 13. April 1961. 94 Vgl. Robert Steiner, Das Zeugnis der Reformierten Kirchen in der Welt von heute. Bericht über die Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Princeton, RKZ 95, 1954, 379–385. 95 Vgl. Focko Lüpsen (Hg.), São Paulo Dokumente. Berichte und Reden auf der 18. Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in São Paulo, Witten 1959. 96 Vgl. RKZ 100, 1959, 471; RKZ 101, 1960, 320f. 97 Vgl. Focko Lüpsen (Hg.), Frankfurter Dokumente. Berichte und Reden auf der 19. Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Frankfurt/Main 1964, Witten 1964. 98 Nach eigener Auskunft besuchte Niesel 50 der seinerzeit 116 Mitgliedskirchen (Ansprache auf der 20. Generalversammlung des Reformierten Weltbundes am 20. August 1970 in Nairobi, RKZ 111, 1970, 191–194, hier 192). 99 Entsprechend äußerte er sich in seiner Ansprache im Exekutivkomitee des Reformierten Weltbundes am 1. August 1969 in Beyrouth, RKZ 110, 1969, 162f.
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ler. […] Eine bloße Veränderung von Strukturen vermag unsere Welt nicht heil zu machen, weil dadurch die Menschen nicht von innen her anders werden.“100 Trotz aller in diesen Worten anklingenden Dissonanzen zählen u.a. Niesels Bemühungen um die Verschmelzung der Presbyterianer und Kongregationalisten zum Reformierten Weltbund 1970 in Nairobi zu seinen anerkannten Verdiensten.
7. Hinweise zur Edition Die Edition des Briefwechsels zwischen Barth und Niesel umfasst insgesamt 196 Schriftstücke, darunter 172 Briefe, 22 Postkarten und 2 Telegramme. Von diesen 196 Schriftstücken wurden 59 von Barth an Niesel und 133 von Niesel an Barth gesandt; hinzu kommen vier Briefe, die Barths Mitarbeiterin Charlotte von Kirschbaum (1899–1975) in dessen Auftrag an Niesel verfasst hat. Ferner finden sich im Anhang zu Brief 32 Barths Rede zur Licentiaten-Promotion von Niesel, im Anhang zu Brief 63 der Text „Was heißt: evangelisch sein?“, im Anhang zu Brief 83 der Text „Wider die Deformation der Kirche“ und der Rundbrief 187 von Niesel. Die Schriftstücke, die Barth an Niesel gesandt hat, befinden sich im Nachlass Niesel im Archiv der Johannes a Lasco Bibliothek Emden (NL WN I,1a); die Schriftstücke, die Niesel an Barth gesandt hat, sind im Karl Barth-Archiv Basel aufbewahrt. Die im Band abgedruckten Abbildungen wurden uns vom Karl Barth-Archiv Basel (Abb. 3, 8, 9), von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/ Bethel (Abb. 10) und von Pfr. i.R. Horst-Dieter Beck (Abb. 1, 2, 4, 5, 6, 7, 11, 12) dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt. In der Frequenz der Briefe gibt es intensivere Zeitabschnitte und Pausen, so insbesondere von Juni 1939 bis April 1946. Diese lange Pause ist den Kriegsereignissen und dem erschwerten bis unmöglichen Briefverkehr geschuldet. Andere Unterbrechungen in der Brieffolge haben auch darin ihren Grund, dass beide vermehrt zum Telefonhörer griffen, um sich auszutauschen, oder dass sie einander besuchten. Zum Formalen dieser Edition ist zu bemerken, dass sprachliche Eigenheiten Barths und Niesels unangetastet blieben, während die Interpunktion, vor allem durch Vermehrung der Kommata, an wenigen Stellen stillschweigend den heutigen Regeln angepasst wurde. Einige behutsame orthographische Vereinheitlichungen in der Groß- und Kleinschreibung wurden vorgenommen. Unvollständige Sätze wurden durch hinzugefügte Worte oder Satzteile in eckigen Klammern ergänzt. Eckige Klammern kennzeichnen auch sonst, etwa bei Bibelstellennachweisen, Zusätze der Herausgeber. Die Unterstreichungen in den Briefen werden im Druck durch Kursivsatz wiedergegeben. Spätere Zusätze am Manuskriptrand sind in den Anmerkungen notiert. Briefformalia wie Anrede und Schlussgrüße wurden hinsichtlich der Zeichensetzung vereinheitlicht.
100 Wilhelm Niesel, Ansprache auf der 20. Generalversammlung des Reformierten Weltbundes am 20. August 1970 in Nairobi, RKZ 111, 1970, 191–194.
I. Briefwechsel 1924–1932
1 Wilhelm Niesel / Wolfgang Trillhaas an Karl Barth Hermannsburg, vor dem Lönsdenkmal, 25. Juni 1924 Der Gotteswissenschaft entronnen1, / Ausruhend in der Heide Sonnen, / Erlauben wir uns mit unsern Händen, / Ergebenst unsern Gruß zu senden. / Doch durch das Bildchen sei betroffen / Der offne Abend2: „allzu offen“. Wilhelm Niesel, stud. theol. Wolfgang Trillhaas, stud. theol.
2 Wilhelm Niesel an Karl Barth Görlitz, 26. Dezember 19253 Sehr verehrter Herr Professor! In diesen Tagen finde ich endlich die Muße, Ihnen gegenüber einige Gedanken zu äußern, die mich schon eine ganze Zeit beschäftigen. Um das Ding gleich beim Namen zu nennen: es sind mir einige Zweifel in bezug auf Ihre Auffassung vom Wesen dogmatischer Arbeit gekommen. Das soll nicht heißen, daß ich mich als „theologisches Kind“ der Reihe Ihrer Kritiker anschließen und einige der üblichen Bedenken äußern möchte. Das kann schon deshalb nicht geschehen, weil ich Ihnen den wesentlichen Teil meiner theologischen Bildung verdanke. Diese Fragen hier im Briefe sollen vielmehr ganz die des Schülers sein, wie sie in Göttingen im mündlichen Gespräch öfter geäußert wurden.4 Mir ist nämlich die Frage gekommen, ob Peterson mit seiner Bestimmung des Wesens der Theologie nicht Recht hat und damit eben in einer protestantischen Kirche Unrecht.5 Es ist doch nun einmal so, daß in der katholischen
Postkarte mit der Abbildung des Hermann-Löns-Denkmals in Hermannsburg auf der Vorderseite. 1 Wilhelm Niesel und der bayerische Lutheraner Wolfgang Trillhaas (1903–1995), die einen Ausflug in die Lüneburger Heide unternahmen, studierten bei Barth in Göttingen; vgl. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 91–98; ders., Karl Barth, 362–375. 2 Neben seinen Lehrveranstaltungen organisierte Barth in Göttingen regelmäßig „Offene Abende“ in seinem Haus, um mit den Studenten über theologische und literarische Texte zu diskutieren; vgl. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 35f. 3 Niesel hielt sich in Görlitz zu Besuch bei seinen Eltern auf. 4 Barth lehrte in Göttingen 1921–1925 und wurde zum Wintersemester 1925/26 nach Münster berufen; vgl. Neuser, Karl Barth, 5–9; Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 84–86. 5 Während seiner Göttinger Professur waren Barth und Erik Peterson (1890–1960) Kollegen. Barth schätzte den Patristiker und Thomasforscher Peterson und verdankte ihm nach eigenem
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Kirche die dogmatische Arbeit wesentlich vom Dogma bestimmt wird. Wenn Sie in Ihrer Entgegnung gegen Peterson auch anführen, daß die katholische Dogmatik ihre Argumentation auf vier Autoritäten gründet, so ist doch die Dignität dieser Autoritäten nicht verschieden.6 Dogma und Lehrentscheidung der Kirche stehen an erster Stelle, Bibel und Väter werden nur zur mehr oder minder passenden Illustration herangezogen (auch ist zu bedenken, daß das Lehramt jederzeit die Bibel autoritativ auslegen kann). Das ist möglich, wenn in dem Dogma die „Fortsetzung der Logos-Offenbarung“ gesehen wird, in dem Sprechen der Kirche also direkt ein Sprechen des Christus. Besteht demgegenüber das Neue im Protestantismus darin, daß er die alleinige Autorität der Hl. Schrift erkannt hat, so ist es mir fast einleuchtend, daß die Theologie unserer ersten Theologen biblische Theologie im Gegensatz zur dogmatischen Theologie gewesen ist. Ich erinnere nur an Melanchthon und Calvin. Was mir nun zur Frage geworden ist, ist das, daß Sie zwischen diesen beiden Möglichkeiten eine dritte gewählt haben. Wie kann aber eine Dogmatik unter Voraussetzung des Schriftprinzips Prinzipien für die Predigt aufstellen wollen? Gibt es im Protestantismus nur ein Prinzip, eine Norm, dann kann es sich für den Prediger nur darum handeln, sich nach dieser Norm zu richten, nicht nur bei der Ausarbeitung seiner Predigt, sondern ebenso nachher, wenn sich bei ihm „dogmatische“ Reflexionen einstellen, kann er allein wieder den Text befragen, ob er seinen Dienst recht getan hat. Er kann und wird vielleicht auch Parallelstellen und -termini heranziehen, und es werden sich bei einer derartigen „dogmatischen“ Überlegung etwa loci in der Art der Melanchthons ergeben.7 Sie haben sich in Ihrer Dogmatik gegen diesen materiellen Biblizismus ausgesprochen; aber ich bin von diesen „Argumentationen“ nicht überzeugt worden, als ich sie jetzt noch einmal nachlas. Daß eine biblische Theologie sehr unbiblisch sein kann, daß sie ebenfalls nur theologia GMVWRQList, ist mir klar; aber sie ist eben Exegese, und als solche scheint sie nur den „origenes“ des Protestantismus zu entsprechen. Diese Erwägungen sind mir nicht nur aus einfachen Reflexionen gekommen, sondern gerade auch aus den „Erfahrungen“ meiner ersten Predigt, die ich vor einiger Zeit gehalten habe. Wenn ich mich damals hin und wieder anschickte, die Bekunden Kenntnisse der Dogmengeschichte und des Katholizismus. Später konvertierte Peterson 1930 zur römisch-katholischen Kirche. In der Schrift „Was ist Theologie?“ (Bonn 1925; = ders., Theologische Traktate, München 1951, 9–43) setzte sich Peterson – er lehrte inzwischen in Bonn – indirekt mit Barths Vortrag „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“ von 1922 (ders., Vorträge 1922–1925, 144–175) auseinander; darin bestritt Peterson, dass man mit dialektischer Redeweise jemals Gott die Ehre geben könne, da diese im Grunde das Sein Gottes verfehle und nur das Reden von Gott zur Sprache bringe; vgl. Nichtweiß, Erik Peterson, 499–511; Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 67–70. 6 Barth reagierte im Oktober 1925 auf Petersons Einwand und seine These, dass Gott undialektisch da und erkennbar sei, mit dem in Göttingen und Elberfeld gehaltenen Vortrag „Kirche und Theologie“, abgedruckt in ZZ 4, 1926, 18–40 (= ders., Vorträge 1922–1925, 644–682). 7 Philipp Melanchthon, Loci communes 1521. Lateinisch-deutsch, übers. v. H.G. Pöhlmann, Gütersloh 21997. 8 Die altprotestantische Theologie hat zwischen einer von Menschen in eine Form gebrachten Theologie (theologia GMVWRQL) einerseits und einer theologia CXTEGVWRQL Gottes selbst unterschieden; vgl. Karl Barth, Kirche und Theologie (1925), in: ders., Vorträge 1922–1925, 654.
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Sätze der Predigt auf ihre Grundsätze hin zu prüfen, nach ihren Prinzipien zu fragen, konnte ich es doch nur mit schlechtem Gewissen tun, und ich fand, daß die einzige Frage, die ich stellen durfte, die war, ob der Text richtig exegesiert wird. Auch daran habe ich wieder gedacht, daß Bultmann in seinem vorjährigen Göttinger Vortrag die These aufgestellt hat, daß alle Theologie eigentlich nur „historische“, d.h. exegetische Theologie sein könnte.9 (Seine Anmerkung, daß daneben eine „systematische“ Theologie auch noch ihre Berechtigung habe, hat er demgegenüber nicht erwahren10 können. Sie war mehr ein Zugeständnis, weil es heute nun einmal das Phänomen „systematische“ Theologie gibt.) Sie selbst haben ja damals Bultmann gerade um dieser These willen gelobt. Mit dem allem will ich nicht sagen, daß theologische Arbeit in protestantischen Kirchen sich nur auf die Exegese und die biblische Theologie, die auf bestimmte loci erhobene Exegese, zu beschränken habe. Die protestantischen Kirchen haben ja, wenn nicht Dogmen, so doch Erkenntnisse, und ich kann mir eine theologische Arbeit, die diesen analog ist, sehr wohl denken. Aber daneben und nicht nur daneben, sondern in unserer irdischen Rangordnung der theologischen Fächer noch etwas oberhalb scheint mir die biblische Theologie zu stehen, etwa an dem Orte, wo in der katholischen Kirche die dogmatische Theologie steht. Nur daß dieser Ort kein fester ist, sondern immer wieder durch die Exegese der Einzelschriften bewegt wird. Und dieser Dienst, eine biblische Theologie zu geben, scheint mir gerade von dem entscheidenden Dienst unserer Kirche, dem der Wortverkündigung, gefordert zu sein. Oder, um mich noch vorsichtiger auszudrücken: Sind wir durch den Angriff Petersons nicht aufgerufen, die Frage der biblischen Theologie, die uns von den ersten Theologen unserer Kirche zweifellos gestellt wird, wiederum ernstlich zu erwägen? Seit fünf Wochen habe ich nun die Themen meiner Examensarbeiten und das erste „Die protestantische und katholische Lehre vom Ebenbilde Gottes im Menschen ist in ihrem Unterschiede darzustellen und nach der Schrift zu beurteilen“ ist ungefähr fertig behandelt. Die Pläne, von denen ich zuletzt zu Ihnen in Göttingen sprach, erhalte ich aufrecht; aber zunächst muß eine Schlacht anderer Art geschlagen werden. Es kann Ende Mai werden, bis ich ins Mündliche komme. Eine eigene Sache ist eine Prüfung vor einem Konsistorium außerdem. Wenn es vorkommt, daß Leute, die bei Holl11 den Liz. in Kirchengeschichte mit „sehr gut“ gemacht haben, vor dem Konsistorium „ungenügend“ erhalten, darf man nicht zu siegesgewiß sein. Im Anschluß an unser letztes Gespräch in Göttingen habe ich mir weitere Gedanken gemacht.12 Es erscheint mir jetzt auch kaum möglich, über altprotestantische Dogmatiker zu arbeiten, wenn z.B. über Calvin noch fast gar keine wis9 Rudolf Bultmann, Das Problem einer theologischen Exegese des Neuen Testaments, ZZ 3, 1925, 334–358 (= Anfänge der dialektischen Theologie II, 47–72). 10 Schweizerischer Ausdruck für: als wahr erweisen. 11 Der Tübinger und Berliner Kirchenhistoriker Karl Holl (1866–1926) gilt als die prägende Gestalt der Lutherrenaissance. 12 Niesel plante, nach seinem Examen eine Licentiaten- bzw. Promotionsarbeit bei Barth zu schreiben, und hat mit ihm verschiedene Möglichkeiten erwogen, die mündlich und in den nachfolgenden Briefen erörtert wurden.
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senschaftliche Untersuchungen vorhanden sind, auf dem die reformierten Dogmatiker zum Teil wenigstens eben doch fußen. Sehr verlockend erschiene es mir jetzt, Calvins Kirchenlehre zu behandeln. Auch die Prädestinationslehre bedürfte der Aufhellung. Calvinische Ethik und dergleichen kann dagegen wohl nur behandelt werden, wenn über jene anderen „wichtigeren“ loci Klarheit geschaffen ist. Calvins Kirchenlehre würde mich auch darum besonders interessieren, weil ich in einer größeren Seminararbeit13 schon einmal nach einer bestimmten Richtung in sie hineingesehen habe und mir dabei einige Probleme aufgegangen sind. So glaube ich z.B., daß Calvin eine andere Kirchenlehre hat als Luther, die Kirche nicht auf dem allgemeinen Priestertum gründen läßt, sondern auf ihrer Einsetzung durch Christus. Aber das will ich jetzt nicht näher ausführen. Mein Brief ist für Ihre kurz bemessene Zeit sowieso schon zu lang geworden. Ich grüße Sie ehrerbietigst! Ihr Wilhelm Niesel Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer Gattin.
3 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin, 20. Mai 1926 Sehr geehrter Herr Professor! Wie Sie wissen, hatte ich die Absicht, um diese Zeit zu Ihnen nach Münster zu kommen, um mein theologisches Studium mit einer größeren Arbeit zunächst zu einem würdigen Abschluß zu bringen. Nachdem ich Mitte Februar dem Konsistorium meine sämtlichen Prüfungsarbeiten eingereicht hatte, sollte ich gleich nach Pfingsten in die mündliche Prüfung kommen. Nun hat man mir heute im Konsistorium eröffnet, daß im letzten Monat unsere Prüfungen ausfallen mußten, weil die Kandidaten im letzten Augenblick zurücktraten, und daß ich selbst nicht mehr damit rechnen dürfte, im Juni ins Examen zu kommen, weil nun jene anderen erst an der Reihe wären. Auf Deutsch heißt das: Meine Prüfung wird erst im September steigen; denn den Juli und August über sind die Herren des Konsistoriums im Urlaub. Nach dieser lieblichen Mitteilung habe ich wirklich nicht nur über mein trauriges Geschick geseufzt, sondern auch über die sichtbare Kirche. Aber es ist vielleicht gut, wenn man sie gleich von dieser Seite her kennen lernt. Die kommenden drei Monate sind jedenfalls für mich völlig verlorene Zeit. Wenn ich augenblick13 Die Seminararbeit zu Calvins Ekklesiologie wurde von Emanuel Hirsch (1888–1972) betreut. Dieser war ein Repräsentant der Lutherrenaissance und lehrte seit 1921 in Göttingen Kirchengeschichte und ab 1936 auch Systematische Theologie.
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lich auch noch nicht von aufgespeichertem Wissen platze, so war ich doch immerhin zum Examen gerüstet, und mir bleibt jetzt nichts anderes übrig, als fortwährend zu repetieren, um dann ein Jahr nach der Meldung ins Examen zu steigen. Nun komme ich nach diesen notwendigen Prolegomena zur eigentlichen Sache, um derentwillen ich Ihnen, Herr Professor, diesen Brief schreibe. Ich habe mir überlegt, ob ich die nächsten drei Monate nicht doch noch irgendwie positiv ausnützen könnte. Selbstverständlich muß ich einen guten Teil meiner Zeit auf das Repetieren des Examensstoffes verwenden; aber es wäre möglich, ein paar Stunden täglich auf Vorarbeiten zu der geplanten wissenschaftlichen Arbeit zu verwenden. Sie legten mir damals in Göttingen nahe, über Calvin zu arbeiten, und ich schrieb Ihnen dann einmal, daß ich große Lust hätte, die Lehre von der Kirche bei Calvin zu behandeln. Als ich bei Hirsch14 eine Arbeit über Calvins Bild von der urchristlichen Gemeindeverfassung anfertigte, habe ich den Eindruck gewonnen, daß unsere Kirchen gerade in bezug auf den locus „De ecclesia“ sehr viel von dem „Kirchenvater“ lernen könnten. Eine solche Arbeit wäre also vielleicht ein bescheidener Dienst an der Kirche selbst. Ich weiß natürlich nicht, ob das Thema bereits so behandelt worden ist, daß sich darüber nicht mehr viel Neues sagen ließe (Es gibt darüber wohl einige schweizerische Liz.-Arbeiten.15 Auch Seeberg hat eine vergleichende Abhandlung über die protestantischen Kirchenbegriffe geschrieben16 usw.), aber vielleicht haben Sie auch andere Bedenken dagegen. Außerdem sagten Sie mir ja, daß Sie sehen wollten, ob sich in Ihrem Seminar über Calvin17 Probleme zeigten, die einer besonderen Behandlung unterzogen werden könnten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir dazu einmal Ihre Meinung sagen und Ihren Rat geben würden. Wenn Sie es wünschen, würde ich auch gerne einmal für einen Tag nach Münster zu mündlicher Besprechung kommen, ehe ich jetzt von Berlin wieder nach Görlitz zu meinen Eltern übersiedle. Wie gesagt könnte ich mich noch nicht mit ganzer Kraft der geplanten Arbeit widmen, aber wenn ich wüßte, wo sie einmal ungefähr enden soll, könnte ich mich in den kommenden Monaten bereits mit dem Stoff etwas befassen, und meine Zeit würde nicht ganz zwecklos dahinstreichen. Ihnen und auch Ihrer Gattin wünsche ich ein gutes Pfingstfest und grüße Sie ehrerbietigst! Ihr Wilhelm Niesel 14 Siehe Anm. 13; vgl. Trillhaas, Emanuel Hirsch, 220–240. 15 In seiner Calvin-Bibliographie verzeichnet Niesel keine schweizerische Licentiatenarbeit aus der Zeit zwischen 1909 und 1927; vgl. Wilhelm Niesel, Calvin-Bibliographie 1909–1959, München 1961. Im benannten Zeitraum sind folgende Titel zum Thema entstanden: Pieter Johannes Kromsigt, Calvins Lehre von der Kirche, Biblische Zeugnisse 22, 1924, 45–76; Jacques Pannier, Calvin et l’épiscopat. L’épiscopat élément organique de l’église dans le Calvinisme intégral, Straßburg 1927; Theodor Werdermann, Calvins Lehre von der Kirche in ihrer geschichtlichen Entwicklung bis zu seiner Vertreibung aus Genf, Halle 1909. 16 Reinhold Seeberg, Der Begriff der christlichen Kirche. Studien zur Geschichte des Begriffes der Kirche mit besonderer Beziehung auf die Lehre von der sichtbaren und unsichtbaren Kirche, Erlangen 1885. 17 Im Wintersemester 1925/26 hielt Barth ein Seminar über Calvins Institutio christianae religionis.
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4 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 11. Juni 1926 Lieber Herr Niesel! Nicht wahr, ich bin Ihnen ein erbärmlich schlechter Korrespondent, da ich Ihren Brief im Winter18 über dogmatisch-biblische Theologie gar nie beantwortete und Sie auch jetzt wieder drei Wochen habe warten lassen. Das Erste geschah wohl darum, weil mich Ihr Einwand irgendwie nicht ansprach, ohne daß ich doch etwas Gescheites darauf zu erwidern wußte. Das Zweite, weil ich inzwischen von einer Hollandreise19 (mit 16 Studenten, würdig der großen Tage von Halberstadt!20) in Anspruch genommen war und seitdem wieder von den Vorlesungen. Beides darum, weil bei mir überhaupt unglaublich viel Unerledigtes herumliegt: z.B. ganze Haufen von geschenkten (oder was noch schlimmer ist: nach Dank schreienden) Büchern, deren Verfasser mein Urteil oder meine Fürsprache bei Verlegern anrufen, und dazwischen dann immer wieder unverdient und schmählich dem Chaos überliefert so viele und ernsthafte persönliche Sachen wie die Ihrige. Verzeihen Sie mir bitte. Daß ich ein geplagter Mann bin mit meinem Tagewerk und mit meiner Berühmtheit („de beroemde theoloog“21 hieß ich in Holland), das wissen Sie ja. Doch zur Sache. Ich bin auch wegen Calvin etwas in Verlegenheit, was ich antworten soll, möchte fast schreiben: Was tun? Die Welt ist weggegeben! Denn hier arbeitet schon Einer über das Gesetz, dort Einer über die Rechtfertigung, hier Einer (Heß!)22 über die Kirche (speziell im Verhältnis zu Augustin), hier Einer über den Hl. Geist und dort Einer über die Vorsehung, und eben war ein Jüngling aus Genf im Zimmer, der die Menschheit Christi zum Gegenstand seiner Forschung erkoren hat. Kommen alle diese Arbeiten zur Reife, so ist die Theologie Calvins bald beieinander. Über die Sakramentslehre, spez. das Abendmahl, hat bekanntlich Beckmann in Göttingen promoviert.23 Und ein Achter, den ich eben vergessen hatte, arbeitet an der Frage nach dem Fundamentalsatz des calvinischen Systems. Nun giebt es zweifellos auch andere Probleme: z.B. der „guten 18 Siehe Brief vom 26. Dezember 1925. 19 Vom 23. Mai bis 3. Juni 1926 unternahm Barth mit seiner Frau und 16 Studenten eine erste Reise in die Niederlande, die ihn nach Groningen und Amsterdam führte; dort lernte er u.a. führende Repräsentanten der niederländischen Reformierten wie Theodorus Lambertus Haitjema und Oepke Noordmans kennen. Den Schlusspunkt der Reise bildete sein Vortrag „Die Kirche und die Kultur“; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 183f. 20 Barth erinnerte an die Tagung des Bundes für Gegenwartschristentum am 17./18. Mai 1925 in Halberstadt, zu der er mit 22 Göttinger Studenten angereist war; dort hielt er den Vortrag „Die dogmatische Prinzipienlehre bei Wilhelm Herrmann“, in: ders., Vorträge 1922–1925, 545–603. 21 = der berühmte Theologe. 22 Hans-Erich Heß (1904–1982) studierte in Göttingen und Münster bei Barth; die geplante Arbeit über die Kirche ist nicht entstanden. 23 Da Barth als Honorarprofessor in Göttingen das Promotionsrecht verwehrt war, promovierte Joachim Beckmann bei Emanuel Hirsch über das Thema: Vom Sakrament bei Calvin. Die Sakramentslehre Calvins in ihren Beziehungen zu Augustin, Tübingen 1926.
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Werke“, „Vernunft und Offenbarung“ (im Seminar von Annelise Burmann24 sehr lehrreich behandelt), der Stellung des Prädestinationsgedankens im Ganzen des Systems, die Bedeutung der vita christiana (ebenfalls für das Ganze!). Ich frage mich aber, ob ich Ihre Aufmerksamkeit nicht in ganz andere Richtung lenken soll, nämlich auf das Buch von Schneckenburger „Vergleichende Darstellung ...“25, das mir, seit ich es kenne, als ein Stein im Magen liegt, weil in ihm versteckt geschickt die Linie von der reformierten Theologie zu ... Schleiermacher gezogen wird. Es muß eine Aufdeckung des Trugschlusses geben, aber ich sehe sie nicht. Es müßte der ganze Schneckenburger einmal mit Calvin verglichen werden, um zu zeigen, inwiefern er (verführt durch die spätere Entwicklung der ref. Theologie seit 1600) unrecht und wahrscheinlich doch auch in einem Körnlein oder Korn recht hat. Wollen Sie sich wohl dieses Buch einmal ansehen und sich die Frage überlegen? Vielleicht werden Sie dann auf Al. Schweizer26 geführt, der sich ebenfalls als Schleiermacherianer auf die reformierte Reformation berufen hat, und Sie werden landen bei einem Thema wie „Schleiermacher als reformierter Theologe“27, eine Sache, die m.W. noch nie im Zusammenhang untersucht worden ist, obwohl schon Schleiermacher selbst ausdrücklich Anlaß dazu gegeben hat, danach zu fragen. Soviel für heute. Wenn Sie Schneckenburger eingesehen haben und wissen, was ich meine, schreiben Sie mir vielleicht Ihre vorläufige Ansicht. Mit freundlichem Gruß und besten Wünschen! Ihr Karl Barth Wir sind hier mit ganz anderen Dingen beschäftigt: Wegscheider, De Wette, Marheineke, Tholuck und ähnliche alte Herren werden liebevoll in Augenschein genommen28 und im Seminar die Zwiesprache von Anselm und Boso über Cur Deus homo! Im Winter geht die Dogmatik ein zweites Mal in Szene, vermutlich auch in erneuertem Gewand.29 24 Annelise Burmann (1903–1988) studierte bei Barth in Göttingen und Münster. Seit 1931 war sie mit Hermann Diem (1900–1975) verheiratet; vgl. Hilde Bitz, Art. Annelise Diem, geb. Burmann, in: Lexikon früher evangelischer Theologinnen. Biographische Skizzen, hg. v. H. Erhard, Neukirchen-Vluyn 2005, 84. 25 Matthias Schneckenburger, Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformirten Lehrbegriffs, Theil 1–2, Stuttgart 1855. 26 Alexander Schweizer, Die protestantischen Zentraldogmen in ihrer Entwicklung innerhalb der reformirten Kirche, Bd. I–II, Zürich 1854/1856. 27 Niesel folgte der Anregung Barths, über Schleiermacher als reformierten Theologen seine Licentiaten-Promotion zu schreiben, am Ende nicht, hielt aber am 22. Februar 1930 seinen Promotionsvortrag über das Thema: Schleiermachers Verhältnis zur reformierten Tradition, ZZ 8, 1930, 511–525. 28 Barths Vorlesung über die Geschichte der protestantischen Theologie der Neuzeit fand später Eingang in das Werk: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zollikon-Zürich 1947. 29 Auf die „Göttinger“ Dogmatik, die Barth unter dem Titel „Unterricht in der christlichen Religion“ 1924–1926 in Göttingen und Münster vortrug, folgte die „Christliche Dogmatik“, die Barth vom Wintersemester 1926/27 bis zum Wintersemester 1927/28 hielt.
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5 Wilhelm Niesel an Karl Barth Görlitz, 28. Juni 1926 Sehr verehrter Herr Professor! Für Ihren ausführlichen Brief danke ich Ihnen sehr. Wir müssen ja herrlichen Zeiten in der Theologie entgegengehen, wenn wir vor einer solchen Calvin-Renaissance stehen, von der Sie melden! Aber ich will lieber nicht kritisieren, denn ich würde am Ende damit nur mich selbst treffen. Ich habe früher selbst erwogen, ob es für die Calvin-Forschung nicht notwendig wäre, vor allem einmal die Prädestinationslehre zu untersuchen (obwohl sie nach Holl-Hirsch ja nicht den Mittelpunkt des Systems bilden soll)30; aber ich sehe jetzt nicht die besondere Dringlichkeit dieser Frage für unsere augenblickliche Lage. In einer Behandlung der Ethik Calvins ließe sich gewiß sehr viel sagen, was unseren ethisierenden Theologen höchst unangenehm sein könnte. Doch ich muß gestehen, daß ich nun eigentlich von dem neuen Problem, das Sie mir stellen, gefesselt bin, zumal ich schon seinerzeit in Göttingen, als Sie uns in das Schleiermacher-Studium einführten31, eine nähere Beschäftigung mit ihm erwogen habe. Daß solche theologische Abbruch-Arbeit – denn dazu würde die Sache wohl im Wesentlichen werden – immer noch notwendig ist, zeigt mir, was ich eben über Stählin/Münster32 erfahre. Inzwischen habe ich Schneckenburger33 eingesehen und bin erstaunt über die Dinge, die da zu lesen stehen und auf den ersten Blick auch überzeugend wirken. Es muß an seinen Behauptungen auch etwas Richtiges sein, und ich bin auf das Ergebnis einer eingehenden Untersuchung gespannt. Möglicherweise wird sich zeigen, daß Schleiermacher eine Art von Gegenstück zur altreformierten Lehre geschaffen hat, indem er sie ins Naturhafte umsetzte. Aber es werden wohl auch direkte Fäden von der späteren reformierten Theologie zu Schleiermacher laufen. Zunächst will ich also auf Ihren Rat Schneckenburger mit Calvin vergleichen (den er ja nicht oft anführt). Dann müßten aber auch die anderen Theologen herangezogen werden, um eine vielleicht zu Schleiermacher laufende Linie aufzuweisen. (Vielleicht ist das neue Buch von O. Ritschl „Die reformierte Theologie des 16. und 17. Jahrhunderts“ zu gebrauchen?)34 Ich muß bloß zuse30 Karl Holl, Johannes Calvin. Rede zur Feier der 400. Wiederkehr des Geburtstages Calvins (1909), in: ders., Ges. Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. III: Der Westen, Tübingen 1928, 254– 284, hier 263–266 (Erstveröffentlichung: Johannes Calvin. Rede bei der Calvinfeier der Universität Berlin am 10.7.1909, Tübingen 1909). In den Publikationen von Hirsch ist diese Auffassung nicht nachweisbar; möglicherweise finden sich entsprechende Äußerungen in seinen CalvinVorlesungen, die er im Sommersemester 1923 und im Wintersemester 1926/27 in Göttingen hielt. 31 Im Wintersemester 1923/24 hielt Barth in Göttingen die Vorlesung „Die Theologie Schleiermachers“. 32 Der 1926 auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie berufene Nürnberger Pfarrer Wilhelm Stählin gründete die Gesellschaft für Religionspsychologie und war am Entstehen der liturgischen Bewegung des Berneuchener Kreises und der evangelischen Michaelsbruderschaft beteiligt. 33 Siehe Anm. 25. 34 Otto Ritschl, Die reformierte Theologie des 16. und 17. Jahrhunderts in ihrer Entstehung und Entwicklung, Leipzig 1926.
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hen, daß ich rechte Beschränkung finde, damit aus der Arbeit keine „Dogmengeschichte“ wird. Vor allem sind schließlich die Bekenntnisse heranzuziehen; denn ich höre mir schon Peterson35 ins Ohr raunen: Was Calvin gesagt hat, ist nicht an sich reformierte Lehre (obwohl im Protestantismus immer die Möglichkeit offen bleibt, daß der einzelne gegenüber der sichtbaren Kirche im Recht ist). Vielleicht ist es praktisch, in der Arbeit von Schneckenburger auszugehen. Möglicherweise gibt es aber noch Vergleichspunkte, die er nicht berührt. Darüber wird sich erst etwas sagen lassen, wenn ich einen größeren Überblick über die Sache bekommen habe. Zunächst will ich mir jetzt noch Schweizer36 ansehen. Auf meinen Brief, den ich Ihnen im Winter sandte, habe ich keine direkte Antwort erwartet, sondern nur gehofft und möchte es noch jetzt hoffen, daß Sie sich bei der nächsten Dogmatikvorlesung eingehender mit der Anlage und Absicht der 1. Ausgabe von Melanchthons Loci37 auseinandersetzen, zumal Sie sonst ja solchen Auseinandersetzungen mit der lutherischen Theologie nicht abgeneigt sind. Ich war auch im Winter in Ihrem dogmatischen Kolleg38 Ihr unsichtbarer Zuhörer, indem ich eine gute Nachschrift las, und meine Frage ist da gerade wieder besonders wach geworden.39 Ich lese das gleich am Anfang von § 36, wo Sie gegen die „schwache Leistung der Alten“ polemisieren, daß wir hier „über die Schulen hinweg“ „auf die Bibel“ „zurückgreifen“ müßten.40 Sollte an dieser Stelle nicht materieller Biblizismus gemeint sein, sondern sollte es sich nur um die Gewinnung der dogmatischen Denkform handeln, dann geht doch offenbar dieser Sprung von der Schule zur Bibel nicht an? Über diese Probleme habe ich längere Zeit mit meinem Freund Wolfgang Trillhaas41 verhandelt. Er will mir meine Gedankengänge auch nicht abnehmen, obwohl er ihnen Folgerichtigkeit zugesteht, und ich selbst habe mich auch noch nicht zum materiellen Biblizismus bekehrt. Aber ich meine da noch ungelöste Fragen zu sehen. Anselm habe ich einmal im Göttinger Stift42 gelesen; aber ich bin an seinem geradlinigen Denken nicht recht froh geworden. Ich grüße Sie ehrerbietigst! Ihr Wilhelm Niesel Empfehlen Sie mich, bitte, auch Ihrer Gattin. 35 Siehe Anm. 5. 36 Siehe Anm. 26. 37 Siehe Anm. 7. 38 Im Wintersemester 1925/26 schloss Barth seinen „Unterricht in der christlichen Religion“ mit der Lehre von der Versöhnung und der Lehre von der Erlösung ab. 39 Handschriftliche Ergänzung am Seitenrand: Auch an Ziegners neustem Aufsatz in ZZ („verbum abbreviatum forma est symboli“!). – Gemeint ist das Glaubensbekenntnis; vgl. Oskar Ziegner, Wort Gottes und Bekenntnis, ZZ 4, 1926, 235–250. 40 Innerhalb der Lehre von der Erlösung wandte sich Barth in § 36 der „Gegenwart Jesu Christi“ zu; ders., Unterricht III, 431–464, hier 432. 41 Siehe Anm. 1. 42 Niesel meint vermutlich das Göttinger Reformierte Studienhaus.
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6 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin, 27. September 1926 Sehr verehrter Herr Professor! Nachdem nun bald ein Jahr seit meiner Meldung zum Examen verflossen ist, habe ich am letzten Dienstag nach dreitägiger Schlacht das examen pro licentia concionandi43 mit „gut“ bestanden. Meine Katechese habe ich in der letzten Woche in der Dreifaltigkeitskirche (!) gehalten und gestern in unserer Gemeinde die Predigt – beinahe wäre ich auch auf die Kanzel Schleiermachers gekommen –, und nun bin ich wieder mindestens auf 1½, längstens auf vier Jahre entlassen. Nur muß ich mich bis dahin ein Jahr praktisch betätigen. Ein Lehrvikariat kommt kaum in Frage, da man nie weiß, zu wem und zu welcher Arbeit man da geschickt wird. Die Predigerseminare sind für Oktober schon alle besetzt. Ich könnte also erst am 1. April einziehen. Mir stehen ja die Pforten des Domstifts offen, dessen Ephorus der große Conrad44 ist. Allenfalls käme auch Wittenberg in Frage.45 Ich überlege aber, ob ich erst die Schleiermacher-Arbeit46 ganz fertig machen soll (die übrigens über die ersten Anfänge nicht hinausgekommen ist). Ein Jahr wird die Sache wohl dauern, und ich könnte dann Oktober 192747 ins Domstift einziehen, mich dort fürs Mündliche vorbereiten und im Anschluß an die Liz.-Prüfung gleich das 2. theologische Examen machen. Würde ich schon zu Ostern ins Stift gehen, dann käme die Arbeit doch etwas ins Stocken, zumal Conrad im Gegensatz zu Dryander48 solche Nebenbeschäftigung nicht gerne sehen soll, obwohl Zeit genug dafür bleibt. Sollten Sie mir in diesen praktischen Dingen einen guten Rat erteilen können, so wäre ich Ihnen sehr dankbar. Es war mir für meine Arbeit sehr wertvoll, im Sommer in München durch Merz den allgemeinen, einleitenden Teil Ihrer theologiegeschichtlichen Vorlesung kennen zu lernen.49 Mir fiel besonders auf, daß Sie eine ganz andere Behandlung jener Theologen anzukündigen schienen, als wie Sie etwa Schleiermacher im WS 1923/24 behandelt haben. Es sah so aus, als lenkten Sie von jener 43 Eine in der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union übliche Bezeichnung für das Erste Theologische Examen. 44 Paul Conrad (1865–1927) war Ephorus am Königlichen Domkandidatenstift, dem unter König Friedrich Wilhelm IV. 1854 eröffneten Predigerseminar in der Oranienburger Straße. 45 Zum 1817 eröffneten Predigerseminar Wittenberg vgl. Otto Dibelius, Das Königliche Predigerseminar zu Wittenberg. 1817–1917, Berlin 1917; Birgit Weyel, Praktische Bildung zum Pfarrberuf. Das Predigerseminar Wittenberg und die Entstehung einer zweiten Ausbildungsphase evangelischer Pfarrer in Preußen, Tübingen 2006. 46 Gemeint ist das in den Briefen zuvor in Aussicht genommene Promotionsprojekt. 47 Handschriftliche Ergänzung am Seitenrand: auf 1 Jahr. 48 Ernst Hermann v. Dryander (1843–1922) war geistlicher Vizepräsident des Evangelischen Oberkirchenrats in Berlin und der Vorgänger von Paul Conrad im Ephorusamt am Königlichen Domkandidatenstift. 49 Im Sommersemester 1926 hielt Barth die Vorlesung „Geschichte der protestantischen Theologie seit Schleiermacher“. Der lutherische Theologe Georg Merz (1892–1959) war zu jener Zeit Lektor beim Christian-Kaiser-Verlag in München, wo er die Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ (ZZ) 1922–1933 herausgab.
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existentiellen Beschäftigung mit Schleiermacher zu einer mehr phänomenologischen Behandlungsweise.50 Ich habe ja nun keineswegs die Absicht, Schleiermacher in meiner Arbeit als Ketzer zu brandmarken. Aber sie soll doch dem dienen, daß wir – um mit Ihnen zu sprechen – zu einer normativen Kirchenlehre gelangen.51 Diese kann in einer protestantischen Kirche nicht so festgelegt werden, daß einfach gewisse Theologen auf den Index gesetzt werden. Sie müßte sich aber durch eine Geschichtsbehandlung erstreben lassen, wie sie z.B. damals in Göttingen auch Günther Dehn52 (von Stoecker bis Kutter) versucht hat. Das Ergebnis solcher Bemühungen müßte dann etwa sein, daß man – bis zur besseren Belehrung – in der Theologie zum Studium nicht Marcion, sondern Irenäus, nicht Zwingli, sondern Calvin empfiehlt, obwohl an diesem Ergebnis nicht viel liegt, sondern die Hauptsache in dieser Geschichtsbehandlung überhaupt liegt. Es war mir eine große Freude, hier zu erfahren, daß Dehn D. von Münster geworden ist.53 Mag Dehn auch kein ausgesprochener Wissenschaftler sein, so hat damit doch einmal seine Arbeit eine schöne Anerkennung gefunden, die sicher schon andere „Früchte“ hätte zeitigen können, wenn er nicht immer wieder ohne Rücksicht auf äußere Erfolge der Forderung gefolgt wäre, die sich ihm neu stellte. In 14 Tagen steigt Landau-Remy54 ins Examen. Hoffentlich bewahrt er die nötige Ruhe. Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer Gattin. Ich grüße Sie ergebenst! Ihr Wilhelm Niesel In diesen Tagen siedele ich wieder nach Görlitz über zu meinen Eltern.
50 Im Hintergrund dieser Notiz könnte die Debatte über die Phänomenologie stehen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem von Edmund Husserl (1859–1938) geprägt wurde. Er sah den Ursprung des Erkenntnisgewinns in den unmittelbar gegebenen Erscheinungen – den Phänomenen – und ging davon aus, dass man von den Phänomenen auf das Wesen schließen kann. 51 Möglicherweise denkt Niesel an den Vortrag: Karl Barth, Kirche und Theologie (1925), in: ders., Vorträge 1922–1925, 644–682, in dem Barth von einer der Kirche verliehenen mittelbaren Autorität spricht. 52 Günther Dehn, Die religiöse Gedankenwelt der Proletarierjugend in Selbstzeugnissen dargestellt, Berlin 1923. Dehn (1882–1970) war 1911–1931 Pfarrer an der Reformationskirche in Berlin-Moabit und dort der Konfirmator Niesels; vgl. Günther Dehn, Die alte Zeit, die vorigen Jahre. Lebenserinnerungen, München 1962, 311. 53 Die Universität Münster verlieh Dehn 1926 die Ehrendoktorwürde. 54 Helmut Landau-Remy studierte bei Barth in Göttingen und starb bereits 1927; vgl. Niesels Widmung in seiner ersten Monographie: „Dem Andenken meines Freundes Vikar Helmut Landau-Remy † im Januar 1927, kurz nach dem ersten theologischen Examen“ (Calvins Lehre vom Abendmahl, München 1930.21935, V).
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7 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 4. Oktober 1926 Lieber Herr Niesel! Empfangen Sie vor Allem meinen herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Examen – daß es „gut“ sein werde, habe ich von Ihnen nicht anders erwartet und würde auch über ein „sehr gut“ nicht gestaunt haben. Ich selbst erreichte in meinem 1. Examen eben noch mit dem letzten Punkt die Note I. Sie wußten aber schon mehr als ich damals – und in Anbetracht meines siebartigen Gedächtnisses wohl auch heute noch. Auf Ihre Frage: Was nun? möchte ich Ihnen anheimstellen, ob Sie sich nicht sofort unter Berufung auf mich (und Vorlage Ihres Luther-Specimens aus der NKZ!)55 an meinen Bruder Pfr. Peter Barth, Madiswil, Kt. Bern, Schweiz wenden wollen. Er sucht eben jetzt einen kundigen Mitarbeiter zur Herausgabe der Institutio 1559.56 Sie müßten dazu wohl für mindestens ½ Jahr dort Wohnung nehmen. Warum nicht? Die Sache hängt noch an der Bewilligung der nötigen Gelder durch den Verleger.57 Aber ich habe ihn soeben auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht und glaube nicht, daß es daran scheitern könnte. Sobald Sie es wünschen, werde ich meinem Bruder bestätigen, daß Sie durchaus der rechte Mann für diese Sache sind. „Phänomenologisch“ war meine letzte Vorlesung wohl nicht geworden. Aber den Styl und die Haltung des Preußischen Ketzergerichtes suchte ich allerdings streng zu vermeiden, indem ich die alten Herren (natürlich wissend, was ich von diesen meine) möglichst frei für und gegen sich selber reden ließ. „Existentiell“ würde ich gerade dieses Vorgehen nennen, wenn anders es wichtig ist, daß man als Theologe vor Allem wissen muß, wie sehr man gerade mit seiner Theologie göttlichermenschlicher Barmherzigkeit bedürftig ist. Ist es wahr, daß wir Bettler sind58, dann muß das ewige Blutig-Rasieren bei aller sachlichen Bestimmtheit einmal aufhören. Seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem Karl Barth 55 Wilhelm Niesel, Literarkritischer Vergleich von Luthers „Sermon von dem neuen Testament“ mit dem über die Messe handelnden Abschnitt aus „De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium“, NKZ 35, 1924, 478–481. 56 Es handelt sich um die Edition der „Joannis Calvini Opera Selecta“, deren ersten Band Peter Barth (1888–1940) 1926 im Münchner Christian-Kaiser-Verlag herausbrachte; die Edition der Institutio von 1559 erfolgte in den Bänden III–V. Noch im gleichen Jahr ergossen sich über diesen Band kritische Rezensionen. Sie warfen Peter Barth grobe editorische Fehler, wissenschaftliche Unzulänglichkeit, Dilettantismus und im Einzelnen Fehler in der Textdokumentation und Textwiedergabe vor. Eine Neustrukturierung der Editionsarbeit war unumgänglich, zumal die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft einen weiteren Druckkostenzuschuss an die Hinzuziehung eines qualifizierten Mitherausgebers gebunden hatte; vgl. Neuser, Entstehung der Opera Selecta, 197–222; Freudenberg, Niesels Calvin-Interpretation, 117f. 57 Albert Lempp (1884–1943) war der Inhaber des Münchner Christian-Kaiser-Verlags. 58 Anspielung auf Martin Luthers letzte Aufzeichnung „Wir sein pettler. Hoc est verum“, WA.TR 5,318.
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8 Wilhelm Niesel an Karl Barth Görlitz, 6. Oktober 1926 Sehr verehrter Herr Professor! Für Ihr freundliches Anerbieten danke ich Ihnen recht sehr. Ich habe heute deswegen an Ihren Herrn Bruder geschrieben und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich ihm empfehlen würden. Mir war sofort klar, daß ich diese sich mir bietende Gelegenheit ergreifen müßte. Denn ich selbst büße bei dem Unternehmen ja nur Zeit ein, und die kann ich in meiner jetzigen Lage schon hergeben. Außerdem kommt die Sache meinen wissenschaftlichen Neigungen sehr entgegen und ist anziehend und lehrreich, was man von der ähnlichen Arbeit, die mir Hirsch seinerzeit zugedacht hatte (Lutherausgaben-Synopse), kaum sagen konnte. Freilich gerät mein guter Schleiermacher etwas ins Hintertreffen; aber alles Gute ist nie beisammen, nur ganz werde ich ihn wohl nicht aus dem Auge verlieren. Nachher geht es dann umso frischer ans eigene Werk. Über die äußeren Bedingungen der Arbeit wird mir Ihr Herr Bruder wohl schreiben, wenn er mich gebrauchen kann. Ich kann es gerade noch verantworten, wenn ich meinem Vater die Zeit über, die ich für die Liz.-Arbeit brauche, auf der Geldtasche liege – er unterhält mit seinem reichlich 300 M Gehalt mich und meinen Bruder, einen stud. math.; die Zeit über aber, die ich für die Mitarbeit an dem Calvin-Werk brauche, müßte ich auf eigenen Füßen dastehen können. Hoffen wir also auf den Herrn Verleger! Ich danke Ihnen für Ihre Wünsche zu meinem bestandenen Examen. Nach dem Siegespreis, den Sie einst erstritten haben, habe ich gar nicht gewagt, die Hand auszustrecken; denn dazu gehört in preußischen Landen – soviel ich weiß –, daß man in jedem Fach und in jeder Arbeit eine I bringen muß. Vielleicht wär’s mit etwas mehr Schneid doch möglich gewesen; denn es wurde leicht und kindlich geprüft. Aber gerade das Kindlich-Einfache ist manchmal das Schwierige – besonders in einem Konsistorium. Ich grüße Sie herzlich! Ihr ergebener Wilhelm Niesel
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9 Wilhelm Niesel an Karl Barth Görlitz, 27. November 1926 Sehr verehrter Herr Professor! Ehe ich dem Rufe Ihres Herrn Bruders Folge leiste, mich jetzt aufzumachen aus meinem Vaterlande und aus meiner Freundschaft und aus meines Vaters Hause [vgl. Gen 12,1], will ich Ihnen kurz einiges über meine Schleiermacher-Arbeit berichten. Um das Haus nicht auf den Sand zu bauen [vgl. Mt 7,24–27], habe ich mich zunächst mit rein historischen Fragen beschäftigt und in Schleiermachers Werken und Briefen festzustellen gesucht, was er tatsächlich von der vor ihm liegenden dogmatischen Tradition kennt. Gelegentlich will ich noch einige Fäden verfolgen, in der Hauptsache wird sich aber folgendes Bild nicht ändern: In der Brüdergemeinde [sic!] hat er durch die Vorlesungen im Gottesdienst wohl Spangenbergs „Idea fratrum“59 kennen gelernt. In Barby60 hat er wahrscheinlich nicht Dogmatik gehört, und in Halle hat er das Kolleg geschwänzt. Natürlich wird er dann für sein Examen irgendein Kompendium oder dergleichen durchgearbeitet haben. Jedenfalls hat er kein besonderes Interesse für dogmatische Probleme gehabt. Mit seinen Kameraden las er den „Werther“ und Sachen über Kant und dergleichen, aber nicht Calvin. Es ist auch nicht anzunehmen, daß er durch seinen englischen Freund Okely61 mit dem Gedankenkreise eines Priestley62 in nähere Berührung gekommen ist. Ob die englische Theologie durch Blair63 und Fawcett64 auf ihn sonderlich gewirkt hat, deren Predigten er übersetzte, müßte untersucht werden, ist aber zu bezweifeln. Als er seine Dogmatik zum ersten Mal gründlich las, verglich er Quenstedt und dann Gerhard (!!).65 Von älteren Lutheranern kennt er nur noch Melanchthon. (Seine Luther-Kenntnis scheint nicht groß zu sein.) Was die Reformierten anlangt, die uns interessieren, so ist er in Calvin gut zu Hause. In der Glaubens59 August Gottlieb Spangenberg (1704–1792) war Mitarbeiter Nikolaus von Zinzendorfs und für die Herrnhuter Brüdergemeine in vielen Ländern bis hin nach Amerika unterwegs, wo er in Pennsylvania den amerikanischen Zweig der Brüder-Unität begründete. Mit seiner „Idea fidei fratrum oder kurzer Begriff der christlichen Lehre in den evangelischen Brüdergemeinen“ von 1779 prägte er die Theologie der Brüdergemeine. 60 Im Barbyer Schloss war 1749–1809 der Sitz der Kirchenleitung der Herrnhuter Brüdergemeine, das Theologische Seminar und das Pädagogium. Schleiermacher besuchte das Seminar 1785–1787. 61 Samuel Okely (1766–1787), aus England stammender Seminarist in Barby, war dort Schleiermacher begegnet. 62 Joseph Priestley (1733–1804), calvinistischer englischer Theologe und Naturwissenschaftler, wandte sich später dem Unitarismus zu. 63 Hugh Blair (1718–1800) war presbyterianischer englischer Prediger und Rhetorikprofessor; seine Predigten übersetzte Schleiermacher. 64 Joseph Fawcett (1740–1817) war Prediger in London und religiöser Schriftsteller; seine Predigten übersetzte Schleiermacher. 65 Johann Andreas Quenstedt, Theologia didactico-polemica sive systema theologicum in duas sectiones didacticam et polemicam divisum, Wittenberg 1685; Johann Gerhard, Loci theologici, Jena 1610–1622.
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lehre66 zitiert er sonst nur noch gelegentlich Zwingli und einmal die jüngeren Endemann67 und Daub68. Das ist bis auf die häufig angeführten Bekenntnisschriften alles. Daß er diesen vor den Dogmatikern den Vorzug gibt, ist nach seiner Begründung verständlich. Blickt man auf diese nackten Tatsachen, so erscheint es ebenso berechtigt wie naheliegend, Schleiermachers Verhältnis zur lutherischen Tradition zu untersuchen wie zur reformierten oder gar sein Verhältnis zu den Herrnhutern. Bedenkt man weiter, daß die Theologie der Glaubenslehre in gewisser Weise schon in den „Reden“69 vorhanden ist, auf die die theologische Tradition sicherlich nicht sonderlich gewirkt hat, und sieht man z.B. mit Dilthey70, daß Schleiermachers Determinismus sich bereits in ganz frühen Traktaten findet, auf die weder Spinoza71 noch Calvin Einfluß hatten, so möchte man fragen, ob es nicht überhaupt müßig ist, Schleiermachers Verhältnis zur Tradition zu prüfen. Gewiß mag es für einen Biographen viel fruchtbarer sein zu fragen, wie Spinoza, Kant, Fichte, Schelling, Schlegel72 usw. auf Schleiermacher gewirkt haben. Es gibt da ja ein wahres Labyrinth von Fäden, die sich hinüberziehen und in denen sich schließlich wohl auch ein Dilthey nicht mehr zurechtfand und den 2. Band ungeschrieben ließ. Müßig ist trotz allem der Blick auf die theologische Tradition nicht, für die Theologie ist er vielleicht das einzig interessante. Mag das System Schleiermachers so oder so entstanden sein, er selbst hat zum Kopfschütteln der Leute, die in ihm – mit Recht! – den Unionsdogmatiker sehen, des Öfteren beteuert, nicht nur, daß er von der reformierten Schule herkomme, sondern auch, daß er sich immer zu ihr halten werde. Seine Glaubenslehre will er „in der strengsten Schulgerechtigkeit“ auftreten lassen. Das soll keine Knechtschaft unter den Buchstaben der Tradition bedeuten. Er verwahrt sich aber entschieden dagegen, daß durch diese Freiheit seine Sätze einen anderen Sinn als die entsprechenden der Väter bekommen hätten. Wenn Schleiermacher seinem Freunde Brinckmann73 nach Erscheinen der Glaubenslehre schreibt, er solle nun das alte, theologische Studium hervorkra-
66 Friedrich D.E. Schleiermacher, Der christliche Glaube. Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Bd. 1–2, aufgrund der 2. Aufl. neu hg. v. M. Redeker, Berlin 71960. 67 Samuel Endemann, Institutiones theologiae dogmaticae, Hannover 1777/78. 68 Carl Daub, Theologumena sive doctrinae de religione christiana ex natura dei perspecta repetendae capita potiora, Heidelberg 1806. 69 Friedrich D.E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), mit einem Nachwort v. C.H. Ratschow, Stuttgart 1985. 70 Wilhelm Dilthey, Leben Schleiermachers (1870), in: Gesammelte Schriften, Bd. 14/2, hg. v. M. Redeker, Göttingen 1966, 585–587 unter Bezug auf Schleiermachers Gedanken des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls. 71 Baruch de Spinoza (1632–1677). 72 Immanuel Kant (1724–1804); Johann Gottlieb Fichte (1762–1814); Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854); Friedrich Schlegel (1772–1829). 73 Brief an Carl Gustav von Brinckmann vom 19. Februar 1822, in: Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, Bd. 4, hg. v. W. Dilthey, Berlin 1863, 288. Der schwedische Adlige von Brinckmann (1764–1847) war Schriftsteller und Diplomat und mit Schleiermacher seit ihrer gemeinsamen Hallenser Studienzeit befreundet.
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men und zusehen, wie er mit Geist und Buchstaben umgegangen sei74, so legt er damit der Theologie die Frage in den Mund, die sie an ihn zu stellen hat, und zwar mit besonderem Recht in bezug auf die reformierte Tradition. Man darf hinter Schleiermachers Betonung seines Reformiertentums natürlich nicht zu viel suchen. Ich will mich hier über seine Wertung der konfessionellen Schulen nicht äußern; denn die Frage, die die Theologie an ihn zu richten hat, bleibt auf jeden Fall. Ich bin nun dabei, Schleiermacher an Hand von Schneckenburger und Schweizer mit Calvin zu vergleichen, wie Sie mir schon anrieten.75 Das ist nicht nur sachlich, sondern auch historisch das Naheliegendste. Sodann müssen Zwingli und vor allem die Bekenntnisse herangezogen werden. Schließlich müßte man sich bei den anderen reformierten Dogmatikern umsehen, ob sie Schleiermacher irgendwie vorgearbeitet haben. Daß er davon gewußt haben könnte, halte ich bis jetzt für nahezu ausgeschlossen. Nun werde ich also meinen Arbeitsplatz in Ihr Schweizerland verlegen. Dienstag Mittag fahre ich hier ab und bin Mittwoch früh in Madiswil. Sie können sich denken, wie gerne ich mich auf diesen Weg mache. Freilich bin ich mir auch der großen Verantwortung bewußt, die ich mit der Arbeit übernehme, die meiner wartet. Mein Bestes will ich ja dazu beitragen, daß zum Schluß nicht wieder ein Herr Rückert sein Geschrei anstimmen kann.76 Schön ist für mich, daß ich, wie mir Ihr Herr Bruder schrieb, nebenbei auch meine Schleiermacher-Arbeit vorwärtsbringen kann. Mehr läßt sich doch nicht wünschen! Hoffentlich wird Ihre Dogmatik bald erscheinen.77 Ich habe so das Gefühl, daß bald wieder einmal etwas in der Theologie „passieren“ muß, wenn nicht alles wieder ruhig werden soll, nachdem die eschatologische Spannung nicht mehr durch solche geschichtlichen Zeichen deutlich gemacht wird, wie wir sie in den vergangenen Jahren erlebten.78 Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer Gattin! Mit frohem Gruße! Ihr ergebener Wilhelm Niesel
74 Eintrag am Seitenende: Ein F.Chr. Baur hat Schleiermacher ja mit dürren Worten Betrug vorgeworfen. – Vgl. Ferdinand Christian Baur, Geschichte der christlichen Kirche, Bd. 5: Kirchengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, hg. v. E. Zeller, Tübingen 1862, 205, wo Baur den Vorwurf äußert, dass Schleiermacher bei der Fortführung der reformierten Tradition „absichtliche Täuschung“ begangen habe. 75 Siehe Brief vom 11. Juni 1926 mit Anm. 25f. 76 Hinweis auf die Kritik von Hanns Rückert an Band I der OS: Rez. Joannis Calvini Opera Selecta, Vol. I, Deutsche Literaturzeitung NF 3, 1926, 1390–1397; vgl. die Antwort von Peter Barth, Zu meiner Calvin-Ausgabe, ZKG 45, 1927, 412–416 sowie die Erwiderung von Hanns Rückert, ZKG 45, 1927, 417f. 77 Karl Barth, Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik, München 1927 (= ders., Die christliche Dogmatik). 78 Anspielung auf das in der Dialektischen Theologie und ihrem Publikationsorgan ZZ zum Ausdruck gebrachte theologische Krisenbewusstsein.
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10 Wilhelm Niesel an Karl Barth Madiswil, 3. Januar 1927 Sehr verehrter Herr Professor! Recht schönen Dank für Ihre Karte.79 Ich denke ganz ernstlich daran, mit dem Schleiermacher-Thema bei Ihnen zu promovieren. Ihre Formulierung des Themas: „Schleiermacher als reformierter Theologe“ fand ich recht gut, soweit damit eben „Schleiermachers Verhältnis zur reformierten Tradition“ gemeint ist und nicht seine praktische Tätigkeit.80 Vor allem ist auch gut, daß in dieser Fassung der Sache jeder Hinweis auf tendenziöse Behandlung fehlt; denn es soll ja ganz sachlich geprüft werden, ob das System Schleiermachers wirklich reformiertes Wesen zeigt und ob im gegebenen Falle geschichtliche Verbindungslinien vorhanden sind. Leider hat sich meine Arbeitsenergie im letzten Monat fast gar nicht auf Schleiermacher erstreckt. Die Probleme der Calvin-Edition haben mich zu sehr beschäftigt, zumal es mir bald gelang, einige Entdeckungen zu machen, denen nun nachgegangen werden mußte. Es ist so gelungen, weite polemische Abschnitte der Institutio zu erhellen. Diese Ketzerbeschwörung, wie wir es nennen, ist nun einigermaßen beendet; aber Ihr Bruder ist bald wieder für die Calvin-Arbeit frei, und wir werden nächstens an die langwierige Vergleichung der 9 Auflagen der Institutio gehen, die zur Zeit Calvins erschienen sind.81 Trotzdem will ich jetzt mehr als bisher an Schleiermacher denken. Wann ich jedoch zu einem Abschluß der Schleiermacher-Arbeit kommen werde, ist jetzt kaum zu sagen. Es wird auch davon abhängen, wie lange die Edition der Institutio uns beschäftigen wird. Früher dachte ich bis Oktober 1927 mit der Liz.-Arbeit fertig zu werden; aber ich zweifle nun stark daran. Schön wäre es, wenn ich die Arbeit so einreichen könnte, daß ich zu Semesterschluß im Februar 1928 promovieren könnte. Auch habe ich schon die Möglichkeit erwogen, nach Abgabe der Arbeit erst das vorgeschriebene praktische Jahr im Domstift zu absolvieren, um mich dort fürs Mündliche vorzubereiten und dann die Liz.-Prüfung und sofort darauf das examen pro ministerio82 zu machen. Das würde bedeuten, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Wenn ich weiter in der Schleiermacher-Arbeit bin, könnte ich darüber erst Genaueres sagen. Auch würde ich Sie gerne um Ihren Rat bitten. In Ihrem Heimatlande war ich sogleich heimisch und erst recht im Madiswiler Pfarrhause. Von einer „betrübten“ Weihnachtsfeier konnte also gar keine Rede sein, abgesehen davon, daß beim männlichen Geschlecht, besonders in meinem Alter, solche Stimmungsmomente keine große Rolle spielen. Wir hatten zum Fest im Hause ein richtiges Kinderspital; aber durch einige „Transporte“ ließ sich doch 79 Diese Karte an Niesel ist im Nachlass nicht vorhanden. 80 Siehe Brief vom 11. Juni 1926 mit Anm. 27. 81 Vgl. Neuser, Entstehung der Opera Selecta, 197–222. 82 Eine in der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union übliche Bezeichnung für das Zweite Theologische Examen.
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noch recht fröhlich gemeinsam der Weihnachtsabend verbringen. Am 26. hielt ich dann hier meine erste Weihnachtspredigt. Bald nach meiner Ankunft war ich mit Ihrem Bruder im Schädelin-Kreis83 in Bern und war über die Güte des Referates und der Aussprache recht erstaunt. Von solchen Dingen ahnt man in Deutschland nichts, und wo wäre dort auch dergleichen, etwa in Berlin, möglich? Auch ein Vortrag des altkatholischen Prof. Gaugler84 in einer größeren Versammlung über das Wesen und die Bestimmung der Kirche war (stark von Kierkegaard beeinflußt) ausgezeichnet. Natürlich hat es Ihr Bruder nicht unterlassen, neben allem Sehenswerten in Bern mir auch die historischen Stätten Ihrer Jugend zu zeigen.85 Die Alpen habe ich erst von der Hohen Wacht gesehen. Eine Wanderung auf den Napf ist aber schon lange geplant.86 Mit den besten Grüßen, auch an Ihre Gattin! Ihr ergebener Wilhelm Niesel
11 Wilhelm Niesel an Karl Barth Madiswil, 5. Oktober 1927 Sehr verehrter Herr Professor! Für Ihre freundlichen Grüße und die heute erhaltene Kostprobe Ihrer Dogmatik87 meinen herzlichen Dank! Ich hätte Ihnen schon längst einmal schreiben müssen, und ich habe in den letzten Wochen nur darum gezögert, weil ich nicht in die Gefahr kommen wollte, in die Tagesfragen Berner Hochschulpolitik hineinzureden.88 Da sich die Sache nun länger hinzieht, will ich doch zur Feder greifen. Schreiben muß ich Ihnen aus folgendem Grunde vor allem: Als ich einmal etwa im Mai nüchtern überlegte, welche Arbeitszeit wir wohl zur Herausgabe der Institutio noch brauchen würden, ergab sich ein düsteres Bild. Ich stand vor der 83 Barths Freund und Berner Münsterpfarrer Albert Schädelin (1879–1961) zählte zur Bewegung der Dialektischen Theologie und veranstaltete theologische Gesprächsrunden. 84 Ernst Gaugler (1891–1963) war 1924–1960 Professor für Neues Testament, Katechetik und Homiletik an der christkatholisch-theologischen Fakultät der Universität Bern. 85 Nach der Berufung von Fritz Barth nach Bern 1889 auf einen Lehrstuhl für Neues Testament verbrachte Karl Barth seine Kindheit und Jugend sowie die ersten Studiensemester in Bern. 86 Der Napf (1.408 m ü.M.) liegt an der Grenze der Kantone Bern und Luzern. 87 Siehe Anm. 77. 88 Barth erhielt 1927 einen Ruf nach Bern, der sich indes dadurch zerschlug, dass Berner Zeitungen gegen ihn, seinen angeblichen Pazifismus und seine mangelnde Staatstreue polemisierten; außerdem wollte die Berner Regierung mit der Berufung Barths das Recht verknüpfen, die nächsten frei werdenden Lehrstühle mit Liberalen zu besetzen, was Barth für unannehmbar hielt; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 188f.
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Abb. 1: Wilhelm Niesel vor dem Pfarrhaus von Peter Barth in Madiswil/CH 1927
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Wahl, entweder die Arbeit an der Institutio ganz mit zu Ende zu führen, dann aber meinen hiesigen Aufenthalt bis Anfang September 1928 (!) auszudehnen und meine ganze Arbeitszeit in den Dienst der Sache zu stellen, oder Ihren Bruder mitten in der Arbeit allein sitzen zu lassen. Ich habe mich zu dem ersteren entschlossen. Für die Arbeit selbst ist es wohl das Beste, da ich nun einmal eingearbeitet bin, und auch für mich selber, da ich so die ganzen Probleme der Institutio kennen lerne. Aber dieser Entschluß bedeutete eben Verzicht auf die zwei Tage der Woche, die mir bis dahin (wenigstens theoretisch) zu meiner Schleiermacher-Arbeit zur Verfügung standen. Das bedeutet nicht Verzicht auf diese Arbeit, aber Aufschub auf unsichere Zeit. Beim Stande unserer Arbeit ließ sich das wirklich nicht anders machen. Zudem tröste ich mich damit, daß eine gute Ausgabe der Institutio sicher ein Dienst für Theologie und Kirche ist, während einem das in bezug auf eine Liz.-Arbeit nicht so fest steht, und ich hoffe, daß Sie diese Ansicht teilen. Dem Dringlicheren gebührte der Vorzug. Unsere Arbeit geht gut und sicher vorwärts. Mir steht zwar noch die Knechtsarbeit bevor, daß ich noch weitere vier Monate etwa allein mit der Herstellung des literarkritischen Kellers zu tun haben werde. Aber das muß mit getragen werden. Dafür sind die theologiegeschichtlichen Untersuchungen, die für die Nachweisungen nötig sind, höchst interessant. Ich bearbeite speziell Calvins Auseinandersetzung mit genannten und ungenannten Zeitgenossen und beschwöre die Geister von Servet, Gentilis, Blandrata, Sozzini, Menno, Osiander usw.89 Dabei bieten sich auch immer wieder Gelegenheiten zu Spezialabhandlungen. Sie werden davon noch hören.90 Heute habe ich gerade eine solche, zwar etwas andersartige, mit der Bitte um Abdruck abgesandt. Es ist mir gelungen, durch Textuntersuchungen sicher festzustellen, daß es von der 1. Institutio von 1536 bereits eine französische Übersetzung gegeben hat.91 Wie haben da die Franzosen alle möglichen Erwägungen angestellt, und nur die Texte selber haben sie sich nicht angesehen! Ihr Bruder hofft übrigens, diese Tatsache auch durch äußere Zeugnisse beweisen zu können. So sind wir, wie Sie sehen, in voller Arbeit. Und doch möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß unser Schiff, auf dem wir fahren, in der größten Gefahr des Unterganges ist. Wie Sie wissen, kann der Verlag die wissenschaftliche Mehrarbeit, die die Ausgabe jetzt erfordert, also meine Mitarbeit auf so lange Zeit, nicht finanziell tragen. Mein Aufenthalt wird durch private Spenden, zu denen der Verlag auch eine gegeben hat (sie reichte 4 ½ Monate), ermöglicht. Unsere Gelder reichten bis Ende August, und jetzt sind wir völlig auf dem Trockenen. Natürlich hat Ihr Bruder alle Hebel in Bewegung gesetzt, um neue Mittel zu bekommen. Es besteht auch etwas Hoffnung, daß welche kommen werden; aber es sieht noch höchst gefährlich aus. (Nb.: Mein Vermögen besteht augenblicklich aus 40 Rappen!) Ich schreibe Ihnen das nur, weil ich die Frage erwäge: Sollte es nicht irgendwo reiche Calvinisten 89 Michael Servet (1511–1553); Valentino Gentilis (um 1520–1566); Georg Blandrata/Biandrata (1515–1588); Fausto Sozzini (1539–1604); Menno Simons (1496–1561); Andreas Osiander (1498–1552). 90 Aus dieser Beschäftigung gingen mehrere Publikationen Niesels hervor, so u.a.: Calvin wider Osianders Rechtfertigungslehre, ZKG 46, 1927, 410–430; Calvin und die Libertiner, ZKG 48, 1929, 58–74. 91 Wilhelm Niesel, Eine französische Ausgabe der ersten Institutio Calvins, ThBl 7, 1928, 1–6.
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geben, die für die Sicherstellung des Erscheinens einer Institutio noch Geld übrig hätten? Und kennen Sie nicht solche Leute? Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, dann ein Wort für unsere Sache einzulegen, so sollte man meinen, es müßte sich etwas „loseisen“ lassen. Wenn Sie dergleichen tun könnten, wären wir Ihnen sehr dankbar; denn wie gesagt: Die ganze Weiterarbeit und damit das Erscheinen des 3. und 4. Bandes der Institutio steht auf dem Spiel. Das 1. und 2. Buch warten auf den Druck, der um Ihrer Dogmatik willen einige Wochen zurückgestellt worden ist. Es ist ja auch wichtiger, daß diese zuerst erscheint; denn Calvins Werk stellt ja nur das Wort eines Kirchenvaters an die heutige Zeit dar und steht somit im Range hinter dem kairosgefüllten Wort eines jetzigen Kirchenlehrers. Ich bin auf Ihre Dogmatik sehr gespannt, besonders im Hinblick auf ihr Verhältnis zu den Göttinger Vorlesungen. Ihre Probe konnte ich noch nicht ansehen; aber Sonntag werde ich Zeit finden. Zur Aufmunterung unserer theologischen Situation und zur Klärung wird Ihr Werk sicher sehr wirksam werden. Es ist sicher die beste Antwort auf die Äußerungen der vielen Leute, die zu Ihrer Theologie Stellung genommen haben. Und Sie selbst werden das Kampffeld in Deutschland nun wahrscheinlich verlassen?92 Ich erliege am Schlusse des Briefes also doch der Gefahr, diese aktuelle Frage zu berühren. Daß ich Ihr Fortgehen sehr bedauern würde und daß – abgesehen von anderen – der ganze Kreis von Göttinger Studenten, der einst bei Ihnen zum ersten Mal die Dogmatik gehört hat, dieses höchste Bedauern teilen würde, brauche ich Ihnen eigentlich nicht zu sagen, wie begreiflich es auch sein mag, wenn Sie dem Rufe der Heimat folgen würden. Aber vielleicht darf ich Ihnen noch kurz sagen, daß es sich da bei mir nicht nur um allgemeine Gefühle handelt. Wenn Sie aus Deutschland fortgehen, so wird Folgendes Tatsache: 1. Schon rein geographisch betrachtet befinden Sie sich in Bern an der Grenze des Protestantismus, während Sie jetzt leichte Verbindungsmöglichkeiten auch mit Holland und den nordischen Staaten haben. 2. Das bedeutet ferner, daß Sie in Bern nur Schweizer Studenten haben werden. Deutsche und Franzosen können schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht kommen. 3. Aber von diesen nicht so wichtigen Dingen abgesehen, ich fürchte, wenn Sie in Bern sind, wird man noch lauter als bisher die Parole ausgeben, daß das Anliegen Ihrer Theologie eben das reformierte sei und wird sich mit gutem Gewissen als „Lutheraner“ wieder ruhig von dem Schreck, den man einige Zeit besessen hatte, erholen können. Diese Überlegungen machen keinerlei Anspruch; aber ich wollte sie doch nicht verschweigen, wenn ich nun einmal an Sie schreibe. Und daß dies geschah, war höchste Zeit. Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer Gattin. Mit herzlichem Gruße! Ihr ergebener Wilhelm Niesel Von Ihrem Bruder soll ich einen Gruß bestellen. 92 Siehe Anm. 88.
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12 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 8. Dezember 1927 Lieber Herr Niesel! Es ist höchste Zeit, daß ich Ihnen auf Ihren letzten Brief antworte, umsomehr als Sie mir so freundlich Ihre Arbeit über Osiander zugeschickt haben.93 Unglücklicher, warum haben Sie mir diese Arbeit nicht – Schleiermacher auf sich beruhen lassend – als Licentiatenarbeit eingereicht, um dann flugs und auf Grund dieser wohlausgewachsenen Frucht Ihrer Calvinarbeit durchaus verdient zu promovieren? Wußten Sie nicht, daß oft genug Dissertationen von nicht größerem äußerem Kaliber eingereicht und angenommen werden? Wenn Sie etwa noch mehr solcher in Madiswil gespitzter Pfeile im Köcher haben, so machen Sie doch keine Umstände und schießen Sie los. Prof. Schmitz94, den Sie scheints auch kennen, hat noch jüngst gefragt, wo Sie eigentlich blieben. Ich habe Ihre Arbeit mit Genuß gelesen, natürlich ohne in die Geheimnisse des ersten Teils weiter einzudringen. Das Osianderkapitel in der Institutio95 war auch bei mir vor o weh schon bald 20 Jahren etwas vom Ersten, was mich bei Calvin interessierte, eben wegen der Ähnlichkeit des Anliegens. Ich bin unbescheiden genug, zu vermuten, das Verhältnis von Osiander und Calvin möchte ungefähr dem von Hirsch und mir entsprechen und bedauere eigentlich, daß Sie nicht auch im zweiten Teil einen kleinen Gruß nach Göttingen angebracht haben, wo es noch viel nötiger gewesen wäre. Leider, leider sind die Schritte, die ich in Holland getan habe, um Ihnen Geld zu verschaffen, erfolglos geblieben, und ebenso wurde mir auch, als ich mich einem reichen Elberfelder in dieser Sache zu nähern gedachte, abgewinkt. Wie weit sind Sie unterdessen selber in dieser Finanzierungsfrage gekommen? Hat der Reformierte Bund etwas getan? Mit Betrübnis höre ich, daß zwischen Madiswil und München wieder einmal scharf geschossen worden sein soll.96 Ich weiß allerdings nichts Näheres darüber, als daß Merz im Auftrag von Lempp den Vorschlag gemacht haben soll, den Querulanten Rückert in Sachen des zweiten Bandes zu begrüßen.97 Wie froh bin ich nun, Ihnen nicht eher geschrieben zu haben, denn denken Sie, ich hatte ganz arglos die Absicht gehabt, Ihnen eben diesen Vorschlag meinerseits zu machen, und dann würde Ihr wie es scheint gewaltig ausholender Streich ja mich getroffen haben. Ich würde es für unverfänglich gehalten haben, dem Herrn zu schreiben: „Hochgelehrter Mann, da du dich für den ersten Band so eingehend interessiert hast, bitten wir dich, uns zu sagen, ob du zu der Art, wie wir nun den zweiten machen, auch etwas zu bemerken haben wirst. Sage uns das doch rechtzeitig, damit du nicht nachher wieder in lautes Weinen auszubrechen brauchst – Vale, vale! 93 Wilhelm Niesel, Calvin wider Osianders Rechtfertigungslehre, ZKG 46, 1927, 410–430. 94 Otto Schmitz (1883–1957) war Barths Kollege in Münster und lehrte Neues Testament. 95 Inst. III,11 „Von der Rechtfertigung durch den Glauben“ (OS IV,1f). 96 München war der Ort des Christian-Kaiser-Verlages, in dem die OS erschienen. 97 Siehe Anm. 76.
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Semper tui.98“ Warum ging oder geht das nicht? Aber nun erschlagen Sie mich nicht, wie sie jenen Ägypter erschlagen haben [vgl. Ex 2,12]. Noch habe ich Sie zu bitten, meinem Bruder Folgendes mitzuteilen: Mir ist zu Ohren gekommen, daß mein Patensohn Martin Ulrich das heiße Begehren hat, zu Weihnacht ein Paar Skis zu bekommen. Sagen Sie meinem Bruder, er möchte doch der Einfachheit halber selber die nötigen Schritte tun, den Einkauf solcher Hölzer im dortigen Lande in die Wege zu leiten, damit sie am Weihnachtsabend zur Stelle sind, um mir nachher mitzuteilen, wie hoch sich der zu begleichende Schaden beläuft, welchen zu decken ich als der gute Onkel hiermit auf mich nehme. Grüßen Sie das ganze Haus. Ich lebe wohl daran, so weit weg zu sein und nicht Alles hören zu müssen, was nun erst recht über mich geschimpft wird in der Schweiz.99 Ich bekam dieser Tage ein richtiges Käsblättlein aus dem Appenzell, das sich höchst ausführlich mit mir befaßte.100 So scheint es ja weit und breit zugegangen zu sein, und ich bin schon herzlich froh, mein Leben an einem Ort weiterfristen zu können, wo einem nicht sowieso jedermann auf den Schuhen herumzustehen sich erlaubt. Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth
13 Wilhelm Niesel an Karl Barth Lauban in Schlesien, 30. Dezember 1927101 Lieber Herr Professor! Für Ihren letzten Brief, der so Wichtiges für mich enthält, danke ich Ihnen recht sehr. Ehe ich mich dazu äußere, will ich kurz auf Ihre anderen Anfragen antworten. Über unsere finanzielle Lage hat Ihnen schon Ihr Bruder berichtet. Hoffentlich können wir weiterhin das Schiff über Wasser halten, solange es notwendig ist. Meine alten, guten Beziehungen zu Georg Merz sind zu meiner Freude wiederhergestellt, und ich brauche darum nur anzumerken, daß der Vorschlag, den Sie uns in dieser Richtung unterbreiten wollten, insofern von ganz anderer Art war, als er humorvoll die „unmögliche Möglichkeit“102 voraussetzte, daß man Herrn Rückert103 mit „Du“ anreden könnte. Übrigens habe ich soeben mit Prof. Bor98 Grußformel am Briefschluss: Lebe wohl, lebe wohl, [ich werde] immer an dich [denken]. 99 Siehe Anm. 88. 100 Ein solcher Artikel aus dem Jahr 1927 konnte nicht ermittelt werden. 101 Niesel hielt sich in Lauban zu Besuch bei seinen Eltern auf. 102 Anspielung auf Barths Auffassung von der unmöglichen und allein in der Selbstoffenbarung Gottes gründenden Möglichkeit, von Gott zu sprechen und an ihn zu glauben; vgl. Barth, Römerbrief (Zweite Fassung 1922), passim. 103 Siehe Anm. 76.
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kamm104, dem Sohne unseres früheren Pfarrers, der zu meinen Altersgenossen gehört, in Görlitz bei Kaffee und Kuchen die Kritiken des 1. Bandes, die von ihm und Rückert geschrieben worden sind, und die kommende Neuausgabe der Institutio besprochen, und es ist sicher, daß wir von ihm keine übelwollende Kritik erhalten werden, sondern im Gegenteil eine wohlwollende. Eine fachliche Kritik brauchen wir bei unserer jetzigen Arbeitsweise auch nicht zu fürchten. Nun zu der Hauptsache! Daß man mit Arbeiten kleineren Umfangs promovieren kann, war mir bekannt; aber ich hatte dagegen bisher Bedenken der Minderwertigkeit. Ihr Vorschlag hat mich die Sache neu überlegen lassen. Wollte ich mit der geplanten großen Arbeit promovieren, so bedeutete das bei meiner augenblicklichen Beschäftigung und der sich dann anschließenden praktischen Inanspruchnahme, die ganze Geschichte ad calendas Graecas105 aufzuschieben. Nun ist mir an dem akademischen Titel aber doch gelegen; denn ich möchte mir den Weg zur Universität wenigstens nicht verbauen. So halte ich es jetzt für das Sicherste und Richtigste, auf Ihren Vorschlag einzugehen und die genannten Bedenken zurückzustellen. Ich habe ja bei einer Arbeit kleineren Umfangs meine jetzigen wissenschaftlichen Leistungen als moralische Sicherung hinter mir. Zu solchen kleineren Arbeiten bieten sich uns öfter Gelegenheiten. Material dazu senken wir fortwährend in unseren Anmerkungsapparat. Nächstens wird von mir eine textkritische Abhandlung in den Theologischen Blättern erscheinen, in der die Existenz einer Übersetzung der Institutio von 1536 nachgewiesen wird.106 Ein kleines historisches Ergebnis, das ich nicht untergehen lassen wollte, wird im Archiv für Reformationsgeschichte gedruckt werden.107 Nun habe ich seit einiger Zeit eine Sache nebenbei in Arbeit, mit der ich vielleicht promovieren könnte. Karl Müller (Erlangen) hat in der ZKG eine lange Abhandlung über die Libertiner geschrieben und behauptet, Calvin habe diese Leute total mißverstanden, es seien gar keine Pantheisten und sittliche Libertiner gewesen, sondern quietistische Mystiker nach Art der „deutschen Theologie“.108 Er mußte nun auch zu erklären versuchen, wie Calvin zu diesem falschen Bilde von der Sekte, das ihr wahres Wesen bis auf den heutigen Tag verdeckt habe, gekommen sei. Die Hypothese, die er dazu beibringt, ist aber, wie ich auf Grund von Material in der Institutio, das er nicht gekannt hat, nachweisen kann, völlig falsch. Damit ist nun in mir die sokratische Frage gegen sein eigentliches wissenschaftliches „Ergebnis“ wach geworden, und ich meine, daß es ebenfalls nicht zutrifft und daß Calvin durchaus eine richtige Ansicht vom Wesen dieser Leute gehabt hat, wenn sie auch in die Sphäre der Mystik gehören. Meine Kritik an Müller wollte ich in der ZKG veröffentlichen.109 Wenn Sie meinen, daß ich mit der Sache promovieren könnte, so müßte die Arbeit natürlich etwas ausgebaut werden. Die Lehre 104 Heinrich Bornkamm (1901–1977) war seit 1927 Professor für Kirchengeschichte in Gießen; seine Rezension zu Band I der OS fiel kritisch aus (ThLZ 52, 1927, 121–128). 105 Umschreibung für einen nie eintretenden Zeitpunkt bzw. den Sankt-Nimmerleins-Tag. 106 Wilhelm Niesel, Eine französische Ausgabe der ersten Institutio Calvins, ThBl 7, 1928, 1–6. 107 Wilhelm Niesel, Zum Genfer Prozeß gegen Valentin Gentilis, ARG 26, 1929, 270–273. 108 E.F. Karl Müller, Calvin und die Libertiner, ZKG 40, 1922, 83–129; im Hintergrund steht Calvins Schrift: Wider die Sekte der Libertiner (1545), CStA 4,235–355. 109 Wilhelm Niesel, Calvin und die Libertiner, ZKG 48, 1929, 58–74.
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der Libertiner müßte auf Grund der vorhandenen Quellen nach Ablehnung der Hypothese Müllers und in weiterer Auseinandersetzung mit ihr neu dargestellt werden und Calvins reformatorische Kritik stets auf sie bezogen und ihr Recht erörtert werden. Es handelt sich vor allem um die These: Geist wider Schrift, und um die Providenzlehre, die von den Libertinern mit den Kategorien der Prädestinationslehre behandelt wird, und um die sich daraus ergebenden ethischen Konsequenzen. Zum Teil sind die Fragen gar nicht so unaktuell. Das Thema müßte so gefaßt werden, daß es nicht in das Gebiet der Kirchengeschichte fiele. Es geht ja tatsächlich um Fragen der Lehre. Also: „Calvin und die Lehre der Libertiner“, „Calvin und der Spiritualismus“, „Calvin und die Mystik“ oder ähnlich. Für die mündliche Prüfung müßte ich natürlich etwas Zeit zur Vorbereitung haben. Solange ich in Madiswil bin, würde ich damit nicht fertig werden, da ich zunächst ja noch an der schriftlichen Arbeit sein müßte. Also käme die Zeit nach dem 1. Oktober, an dem ich ins Domkandidatenstift110 einzutreten hoffe, in Frage, so daß ich frühestens kurz vor Weihnachten oder etwas später die mündliche Prüfung ablegen könnte. Die paar Tage Urlaub hoffe ich dann von meiner Kirchenbehörde zu erhalten. Ich möchte Sie nun fragen: Wann müßte ich so spätestens die schriftliche Arbeit einreichen? Ferner, was hätte ich sonst noch zu unternehmen? Wird die Arbeit auf ganze Folioseiten geschrieben oder auf Spalten? Von den Professoren habe ich Schmitz111 bei Dehn kennengelernt. Stählin112 ist mir als Mann der Jugendbewegung113 aus seinen Schriften bekannt. Wohin gehören aber Grützmacher und Herrmann?114 Und wo liegen ihre Arbeitsgebiete? Wenn Sie mir auch darüber etwas schreiben könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ende nächster Woche bin ich wieder in Madiswil. Mit allen Kräften muß es jetzt an unsere Editionsarbeit gehen, damit wir die Sache bis Herbst wirklich unter Dach bringen; denn länger kann ich nicht in Madiswil bleiben, wenn es mir dort auch sehr gut gefällt. Ich muß eben an reale Grundlagen für meine Zukunft allmählich auch denken. Wenn Sie sich bald zu meinen Anfragen äußern würden, wäre ich Ihnen recht dankbar; dann soll’s mit festem Fuße auch auf dieses Ziel zugehen. Die wenigen Tage, die ich bei meinen Eltern zubringen kann, sind leider bald zu Ende. Für kurze Zeit fahre ich in meine alte Heimat Berlin, ehe ich mich wieder in die dörfliche Stille zurückziehe. Herzliche Grüße zum kommenden Jahr, auch an Ihre Gattin! Ihr ergebener Wilhelm Niesel 110 Siehe Brief vom 27. September 1926 mit Anm. 44. 111 Siehe Anm. 94. 112 Siehe Anm. 32. 113 Eine um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstandene kulturkritische Bewegung, in der sich Teile der bürgerlichen Jugend dem Naturerleben und neuen Formen von Geselligkeit zugewandt haben; Niesel selbst war unter dem Einfluss seines Berliner Konfirmators Günther Dehn zeitweise Mitglied der evangelischen Neuwerk-Bewegung (= Schlüchterner Jugend). 114 Georg Grützmacher (1866–1939) lehrte Kirchengeschichte und Johannes Herrmann (1880–1960) lehrte Altes Testament in Münster.
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14 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 3. Januar 1928 Lieber Herr Niesel! Ich würde dann die Formulierung „Calvin und die Mystik“ empfehlen, da sich dabei die Sache wohl am Besten auch prinzipiell aufziehen läßt. Die Abhandlung von Müller115 kenne ich. Ich stand ihr seinerzeit etwas wehrlos gegenüber und es scheint mir, daß Sie sich da Verdienste erwerben können. Aber wie es um die Mystik bei Calvin überhaupt steht (ich denke an den Anfang des 3. Buches und was damit zusammenhängt, an die Deutung des Sabbatgebotes, an gewisse Stellen in den Prädestinations-Kapiteln)116, das wäre bei dem Anlaß an den Tag zu bringen. Ich riet s.Z. auf Bernhard von Clairvaux, aber mein Bruder hat mir dann das ausgeredet. Von der Arbeit abgesehen haben Sie vorläufig nichts zu unternehmen, als sich mit dem Hebräischen, das unser Herrmann sehr liebt, und mit den Details der Kirchengeschichte, bes. der mittelalterlichen, aufs Laufende zu setzen, nach denen Grützmacher zuweilen nicht ohne Kniffligkeiten fragt. Im Übrigen werden Sie hier von allen Prüfenden vorher nach Ihren „Spezialthemata“ gefragt und in der Hauptsache darin geprüft werden, wie es denn überhaupt bei uns sehr human zugeht, zu human nach meinem Empfinden. Mich müssen Sie hauptsächlich mit formidabler Kenntnis der Orthodoxie Schleiermachers und des 19. Jahrhunderts erfreuen. Doch darüber können wir später noch verhandeln. Folioseiten mit breitem Rand für unsere Ausrufungszeichen und dergleichen! Mit herzlichen Grüßen und Wünschen für den Fortgang des großen Werkes! Ihr Karl Barth
15 Wilhelm Niesel an Karl Barth Madiswil, 24. März 1928 Lieber Herr Professor! Ihre Karte117 mit der interessanten Mitteilung über Calvins Auffassung des Sabbatgebotes traf bei uns zu passender Zeit ein. Gerade am Abend zuvor hatte ich nämlich gefunden, daß Butzer in seinem Evangelienkommentar schon die drei115 Siehe Anm. 108. 116 Inst. III,1–3 (Mystik, OS IV,1–84), II,8,28–34 (Sabbatgebot, OS III,370–376); III,21–24 (Prädestination, OS IV,368–432). 117 Diese Karte ist im Niesel-Nachlass nicht vorhanden.
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fache Bedeutung der Gebote vertritt, die sich dann bei Calvin findet.118 Er dürfte die Quelle für Calvin gewesen sein; aber Ihre Beobachtung zeigt, daß er diese Ansicht auch nur übernommen hat. Von Ihrem Bruder erfahre ich, daß Sie Spezialist für die Lehre vom Descensus Christi ad inferos119 sind. Die Aufhellung einiger polemischer Stellen dieses Lehrstückes in der Institutio macht mir einige Sorge. Ich habe schon viel alte und neue Literatur durchgelesen, weiß aber immer noch nicht, wer jene morosi120 in Inst. II,16,8 sind, die diese Stelle aus dem Symbol streichen wollten. Irgendwo las ich ohne nähere Angabe, daß damals solche Stimmen in England laut wurden. Ferner, was sind die Leute, deren Einwände gegen seine Lehre Calvin in Inst. II,16,12 zurückweist? Ich vermute Castellio121; aber er hat doch, als er Genf verließ, Calvins Ansicht für eine „pia doctrina“ gehalten, wenn er sie auch ablehnte! Lutheraner von der Art eines Westphal122 könnten wohl auch in Frage kommen; aber wer? Können Sie mir aus diesen Nöten der Ratlosigkeit helfen? Ich wäre Ihnen sehr dankbar. Ihre Ansicht, daß die Ethik so eine Art Palästinakunde zur Dogmatik sein könnte, vermag ich mir nicht zu eigen zu machen.123 Gerade in der reformierten Theologie, so meine ich, ist ihr ein eigener, der Dogmatik zugeordneter Platz gesichert. Das scheint mir damit gegeben zu sein, daß hier die Lehre von der Heiligung in betonter Weise ihre Fortsetzung in der Lehre von der Kirchenzucht findet. Wird die Kirche am Wort und Sakrament einerseits und an einem christlichen Leben ihrer Glieder ander[er]seits erkannt und ist beides, reine Lehre (und rechte Sakramentsverwaltung) und eine disciplina ihrer Glieder, die Aufgabe der Kirche, so gibt es Dogmatik und Ethik. Aber d.h. für die Universität praktisch: die Studenten müssen im Hinblick auf die doppelte Aufgabe, die sie später als Pfarrer zu erfüllen haben (Lehre und Kirchenzucht [heute: Seelsorge]), unterrichtet werden. Somit ist mir die Frage einer christlichen Ethik gar nicht sehr problematisch, die eigentlichen Probleme scheinen mir erst bei der Frage ihrer Durchführung zu entstehen; aber sie müssen gelöst werden, wenn uns das immer vor Augen steht, wie wichtig es ist, daß die Kirche heute eine ecclesia militans wird, d.h. aber eine Kirche, die das Wort, das sie verkündet, auch tut. Ließen sich in dieser Richtung in einer Vorlesung über „Ethik“ nicht sehr wichtige, sehr konkrete und 118 Martin Bucer, In sacra quattuor Evangelia enarrationes perpetuae, Basel 1536; vgl. August Lang, Der Evangelienkommentar Martin Butzers und die Grundzüge seiner Theologie, Leipzig 1900 (Nachdruck Aalen 1972); Inst. II,7 (OS III,326–343). 119 = Höllenfahrt Jesu Christi. Barth hatte während seines Tübinger Wintersemesters 1907/08 eine Zulassungsarbeit zum Examen über „Die Vorstellung vom Descensus Christi ad inferos in der kirchlichen Literatur bis Origenes“ angefertigt (ders., Vorträge 1905–1909, 244–312); vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 54. 120 = eigensinnige, pedantische Leute. 121 Der humanistische Gelehrte Sebastian Castellio (1515–1563) geriet mit Calvin wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Höllenfahrt Jesu Christi in Konflikt und verließ 1545 Genf. 122 Der lutherische Theologe Joachim Westphal (1510–1574) insistierte in Streitschriften auf der Realpräsenz Jesu Christi im Abendmahl, woran sich der Zweite Abendmahlsstreit mit Calvin entzündete. 123 Bezug auf Barth, Ethik I, 28, wo er die Ethik als Hilfswissenschaft der Dogmatik bezeichnet und mit der Funktion der Palästinakunde für das Alte Testament vergleicht.
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aktuelle Dinge sagen? Gerade da Sie ihre Dogmatik ganz auf das praktische Amt beziehen, ist es notwendig, daß Sie Ihre Hörer auch über den Teil des praktischen Amtes belehren, der sich auf die vita christiana bezieht. In den nächsten Tagen werde ich mein Gesuch um Aufnahme in das Domkandidatenstift124 zum 1. Oktober einreichen; der erste Schritt hinein in eine neue „Seinsweise“. Aber bis dahin, bis zum Herbst, gibt es vorerst noch viel, viel zu tun. Für die Ostertage hat mich Ihre Frau Mutter nach Basel eingeladen.125 Ich freue mich sehr darauf. Mit herzlichen Grüßen und der Bitte, mich Ihrer Gattin bestens zu empfehlen! Ihr ergebener Wilhelm Niesel
16 Wilhelm Niesel an Karl Barth Madiswil, 26. April 1928 Lieber Herr Professor! Jetzt habe ich Ihrem Bruder aus Ihrer Dogmatik § 32 (Heiligung) II, Absatz 5 (Nachschrift von Mettler, S. 231f)126 über „die Stufen“ der Heiligung zu lesen gegeben, und er erklärte sofort, daß dort sein Anliegen vertreten sei. Es ist schade, daß diese Klärung der Kontroverse nicht in Basel geschehen ist.127 Um 12 Uhr nachts schienen wir ja nicht mehr weit davon entfernt zu sein. Gewiß, Ihr Bruder hat höchst ungesicherte Sprüche getan, die sehr böse ausgelegt werden konnten. Ich denke besonders an die Behauptung, daß das Christliche auch „in Erscheinung treten“ müsse. Aber es kommt eben darauf an, wie das zu verstehen ist. Zu Phil 2,15 sagen Sie ebenfalls etwas Ähnliches und zu Matth 5,16 geschah in der Göttinger Vorlesung über die Bergpredigt das Gleiche. Wenn nun in der Rechtfertigungslehre eine sichere Einheit zwischen Ihnen und Ihrem Bruder besteht – jedenfalls habe ich noch nie in einer Predigt Ihren Bruder gegen diese Lehre verstoßen hören –, dann kann die Einheit in den anderen Fragen nicht so unmöglich sein, wie es in Basel schien. Ob dann das „in Erscheinung tretende“ Christliche negativ beschrieben wird, wie es Thurneysen 124 Siehe Briefe vom 27. September 1926 mit Anm. 44 und vom 30. Dezember 1927. 125 Im Brief vom 12. September 1938 kondoliert Niesel Barth zum Tod von dessen Mutter und bringt darin seine Hochschätzung ihr gegenüber zum Ausdruck. 126 Barth, Unterricht III, 304–331, hier 317–319. Der Schweizer Artur Mettler (1901–1990) studierte bei Barth in Göttingen und Münster. 127 Am 8. April 1928 kam es in Basel über den Stellenwert der Ethik und der Heiligung zu einem Streitgespräch zwischen Niesel, Peter Barth und Heinrich Barth (1890–1965) auf der einen Seite und Eduard Thurneysen (1888–1974) auf der anderen Seite. Dabei ging es um die von Thurneysen geteilte Sorge Karl Barths, dass die Dogmatik in die Ethik hinein aufgelöst und ein zu starkes Gewicht auf das menschliche Handeln gelegt wird; siehe Brief von Thurneysen an Barth vom 9. April 1928, in: Barth/Thurneysen, Briefwechsel II, 571f; Busch, Barths Lebenslauf, 195f.
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tat, oder ob es auch irgendwie „positiv“ möglich ist, scheint mir letztlich nicht so wichtig zu sein. Es kann doch auch einen ganz gehörigen „negativen“ Pharisäismus geben, den Pharisäismus des Menschen, der sich auf die mortificatio carnis128 etwas einbildet. Nun meine ich aber, daß ich Ihnen vor allem eine Aufklärung über meine Stellung zu den verhandelten Fragen schuldig bin. Als ich am Ostersonntag mit Thurneysen zusammen war, erzählte er von den Angriffen der Pietisten auf Hartenstein.129 Da mich nun Ihr Bruder über die Stellung, die die Heiligung in Ihrer Dogmatik hat, öfters interpelliert hatte und ich mir auch auf Grund der Calvin-Lektüre einige Gedanken über diesen Gegenstand gemacht hatte, fragte ich Thurneysen, ob die Polemik jener Pietisten nicht auch in überspitzten Formulierungen ihren Grund haben könnte, die sich vielleicht hier und dort in Ihren Schriften finden. Zur Verdeutlichung wies ich auf Ihren Ausdruck „Räubermoral“ im Aarauer Vortrag (ZdZ, 5. Jahrgang, S. 226, Z. 1).130 Man muß sicherlich von unserer Räubergesinnung und Räubertaten reden; aber, wie mir scheint, geht die Bezeichnung Räubermoral nicht an, da es sich nicht um eine Moral handelt, die durch immanente, von den Räubern gegebene Gesetze bestimmt wird, sondern um eine solche, die durch die Gebote Gottes geregelt wird. Zweitens führte ich zur Verdeutlichung die „Palästinakunde“ an. Darüber habe ich Ihnen schon geschrieben.131 Ich gebe offen zu, daß ich aus irgendeiner Freude am Systematisieren in jenem Briefe formal falsch die Ethik neben die Dogmatik gestellt habe. Sachlich habe ich aber nichts anderes gemeint, als daß die „Ethik“ eine weitere Ausführung der Lehre von der Heiligung sein müßte im Hinblick auf die kirchliche Disziplin, wobei ich nicht an Calvins Bußinstitut132 dachte, sondern an Ihre Ausführungen in der Göttinger Dogmatik-Vorlesung.133 Aber wenn die „Ethik“ weiter nichts ist als eine weitere Ausarbeitung des locus de sanctificatione134, so verdient sie, wie ich meine, den Beinamen nicht, den Sie ihr beigelegt haben. Sie haben selbst die loci der Dogmatik mit den Sektoren eines Kreises verglichen, die alle auf einen Mittelpunkt weisen. Dann ist die weiter ausgeführte Lehre von der Heiligung aber keine nebensächliche Hilfswissenschaft. Das erste Hauptstück ist in Luthers Kleinem Katechismus ein Kernstück wie alle anderen. Ihre „Ethik“ wird das sicher auch werden. Ich habe in Göttingen einmal jemandem, der Hirsch’s Spruch reproduzierte, daß Sie keine Ethik hätten, geantwortet, daß Sie vielleicht noch eine „Ethik“ schreiben würden, daß Hirsch und Genossen Hören und Sehen vergehen würden.135 128 = Abtötung des Fleisches. 129 Karl Hartenstein (1894–1952) war seit 1926 Direktor der Basler Mission. 130 Karl Barth, Das Halten der Gebote, ZZ 5, 1927, 208–227, hier 226 (= ders., Vorträge 1925–1930, 99–139, hier 136). 131 Siehe Brief vom 24. März 1928 mit Anm. 123. 132 Inst. III,3 (OS IV,55–84). 133 Siehe Anm. 126. 134 = Heiligung. 135 Im Sommersemester 1928 und im Wintersemester 1928/29 (wiederholt in Bonn im Sommersemester 1930 und im Wintersemester 1930/31) las Barth über Ethik (Barth, Ethik I und II).
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Das schreibe ich Ihnen alles nicht, um Sie mit irgendwelchen meiner Gedanken zu langweilen, sondern weil mir daran liegt zu zeigen, daß in Madiswil der Pelagianismus136 keine Stätte hat. Nichts wäre mir entsetzlicher als dies. So grüße ich Sie herzlich! Ihr ergebener Wilhelm Niesel Bestellen Sie, bitte, Ihrer Gattin ebenfalls ganz ergebene Grüße.
17 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 8. Mai 1928 Lieber Herr Niesel! Haben Sie besten Dank für Ihren Brief vom 26. [April] mit seiner gewiß verdienstvollen Bemühung, zu dem in Basel entstandenen Bruderstreit ein sichtendes und schlichtendes Wort zu sagen. Aber ich muß Ihnen gestehen, daß ich noch nicht recht beruhigt bin. Daß ich selbst schon allerlei gesagt habe, was mindestens in der Richtung des Anliegens meines Bruders läuft, dessen bin ich mir ja wohl bewußt – und das ist ja gerade einer der Gründe der Beunruhigung, mit der ich immer noch an jenen Abend zurückdenke, daß er sich damit (es steht ja wirklich nicht nur in jenem Kollegheft) so gar nicht auseinandergesetzt hat, daß er meinte, mich anpredigen zu müssen, als ob ich von „Heiligung“ überhaupt noch nichts gehört hätte. Wiederum glaube ich gerne, daß er die Rechtfertigung, wenn eben davon die Rede ist, in unanfechtbarer Weise vorträgt. Sie haben aber die für mich fatalste Stelle des Gesprächs nicht berührt (die ich eigentlich allein gemeint hatte, als ich in dem Nachgespräch jenen Seufzer ausstieß), wo mit größtem Pathos meine Negation des Fortschritts (nicht der Heiligung!, aber des geheiligten Menschen als solchen bzw. deren „Wichtigkeit“) als unreformatorisch und unbiblisch verurteilt wurde. Nur ja kein „Anortgehen“137 des Menschen, sonst könnten wir „zusammenpacken“. Und dann unzweideutige Kriterien dieses Fortschritts im Geheiligtsein! Hätte mein Bruder nicht so gelärmt bei diesen Behauptungen und hätte er nicht so ausdrücklich meine Ansicht abgelehnt, so wäre ich kaum stutzig geworden, sondern hätte mich dabei beruhigt, daß wir bei etwas anderer Nuancierung dasselbe meinten. Aber wenn ihm das fürchterlich ist zu denken, daß der Mensch wirklich bis an sein Ende „an Ort geht“ und alles Weitergehen pur und exklusiv das Weitergehen Gottes und nicht das unsrige ist, ja was hilft mir dann 136 Auf den Theologen Pelagius (um 350–420) zurückgehende Lehre, nach welcher der Mensch aufgrund seines freien Willens und seiner natürlichen Kräfte zu einem sündenfreien Handeln in der Lage ist. 137 = auf der Stelle treten.
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die korrekteste Rechtfertigungslehre? Und wie sollte ich ihm dann auch mit dem stärksten, was ich in der Richtung seines Anliegens sagen kann, genug tun? Er „meint“ dann eben doch wohl etwas Anderes, was ja noch nicht geradezu Pelagianismus zu sein braucht, aber vielleicht etwas in der Art von jener milden Werkgerechtigkeit, wie sie etwa von den Coccejanern138 (bei großem Lobpreis Calvins und bei ganz korrekter Rechtfertigungslehre!) vorgetragen worden ist. Wissen Sie, ich möchte gewiß nicht pedantisch z.B. auf der strengen Entgegenstellung von Gottes Tat der Heiligung und dem menschlichen Geheiligtsein, wie ich sie eben angedeutet, bestehen. Ich weiß, daß man es dialektisch immer auch noch anders sagen kann. Aber der Lärm, der Lärm, der damals erhoben worden ist, als stünden die heiligsten Güter in Gefahr, das ists, was ich nicht verstehe und nicht als Zeichen von Einverständnis deuten kann. Was sollte ich für ein Interesse daran haben, dieses Einverständnis abzustreiten? Aber was soll ich andrerseits sagen, wenn es mir, wie damals geschehen, in so ausdrücklichen Worten gekündigt wird? Es ist etwas Merkwürdiges um theologische Streitigkeiten und um diese im ganz Besonderen. Es wird Ihnen ja nicht ganz entgehen, daß dabei auch psychologische und familiengeschichtliche Momente eine gewisse motivierende Bedeutung haben, worauf ich, wie es sich geziemt, nicht weiter eingehen will. Luther und Zwingli haben ja auch nicht nur aus Eifer um die Wahrheit Racha139 zueinander gesagt. Zur Räubermoral140 kann ich wirklich nichts sagen, als daß das Wort wie jede Gleichnisrede nur in seinem ganz speziellen, ja speziellsten Zusammenhang (ich rede doch dort von der iustitia civilis!) verstanden werden kann, wie ich es eben gemeint habe, in allen weiteren Anwendungen und Ausdeutungen aber selbstverständlich leicht ad absurdum zu führen ist. Palästinakunde141 ist, auf einer Postkarte absichtlich provozierend gebraucht, Bezeichnung eben für „Hilfswissenschaft“. Ich wollte damals zuerst sogar Orgelkunde schreiben!! Daß sie nicht „nebensächlich“ ist, weiß ich auch seit einiger Zeit. Warum liest man dergleichen so mißtrauisch im Calvinlaboratorium142?? Und wie sollte ich dann nicht auch mißtrauisch werden? Soviel für diesmal. Die Palä--, die Ethik wird vor ca. 120 Hörern gelesen, und daneben habe ich ein Monstre-Seminar143 von 57 Mitgliedern über Ritschl144, wo allerhand Erstaunliches an den Tag kommt. Grüßen Sie meinen Bruder und sein ganzes Haus. Der Ludus Latinus145 soll inzwischen dort eingetroffen sein, und 138 Anhänger der Bundestheologie von Johannes Coccejus (1603–1669), der in seinem heilsgeschichtlichen Konzept für eine breit ausgeführte Ethik bzw. Lehre von der Heiligung eintrat. 139 = Hohlkopf bzw. Nichtsnutz; vgl. Mt 5,22: „Wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig“. 140 Siehe Brief von 26. April 1928 mit Anm. 130. 141 Siehe Briefe vom 24. März 1928 mit Anm. 123 und vom 26. April 1928. Eine Postkarte, in der Barth den Begriff „Räubermoral“ gebraucht, ist im Niesel-Nachlass nicht zu finden. 142 Gemeint ist das Madiswiler Pfarrhaus von Peter Barth, in dem er zusammen mit Niesel die Edition der OS vorbereitet hat. 143 Frz. für Monster-Seminar. 144 Im Sommersemester 1928 hielt Barth ein Seminar über den evangelischen Theologen Albrecht Ritschl (1822–1889); vgl. Barth, Die protestantische Theologie, 598–605. 145 Lateinisches Lese- und Übungsbuch.
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Ueli146 macht hoffentlich bald schöne Fortschritte. In dieser Hinsicht gehts ja mit dem Fortschreiten. Herzlichst! Ihr Karl Barth
18 Wilhelm Niesel an Karl Barth Safenwil, 5. September 1928 Lieber Herr Professor! Von geheiligter Stätte Ihnen einen sehr schönen Gruß! Der Safenwiler Pilger.147 Ihr Wilhelm Niesel Auch viele Grüße von Markus und Ulrich.148
19 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 8. November 1928 Sehr verehrter Herr Professor! Es sind nun bald schon zwei Monate seit dem Augenblick verflossen, wo auch meine Calvin-Arbeit in Madiswil einmal ihr Ende fand. Als ich am eidgenössischen Bettage dort nachmittags abreiste, war ich gerade 21½ Monate in dem Hause Ihres Bruders gewesen. Das erste Ergebnis unseres gemeinsamen Schaffens werden Sie von Ihrem Bruder empfangen haben.149 Meinen Arbeitsanteil an den beiden nächsten Bänden habe ich, wie ich es mir vorgenommen hatte, fast ganz in Madiswil bewältigen können.150 Im Rest war mir hauptsächlich die lange 146 Karl Barths Neffe Ulrich Barth, der Sohn seines Bruders Peter. Bildpostkarte mit Ortsansichten von Safenwil, Barths früherer Gemeinde. 147 Barth war 1911–1921 Gemeindepfarrer in Safenwil; dort entstand u.a. die erste und zweite Auflage seiner Auslegung des Römerbriefs. 148 Barths Sohn Markus (1915–1994) und sein Neffe Ulrich. 149 OS III: Institutionis Christianae religionis 1559 libros I et II continens, ed. P. Barth/W. Niesel, München 1928.21957. 150 OS IV: Institutionis Christianae religionis 1559 librum III continens, ed. P. Barth/W. Niesel, München 1931.21959; OS V: Institutionis Christianae religionis 1559 librum IV continens, ed. P. Barth/W. Niesel, München 1936.21962.
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Auseinandersetzung Calvins mit Westphal geblieben, und die habe ich nun im vorigen Monat in Berlin mit den reichen Mitteln der Staatsbibliothek erhellt. So habe ich jetzt nur noch wenige Zitate zu belegen, und meine Herausgebertätigkeit ist abgesehen von der Korrektur beendet. Wenn ich mir heute den ersten Band der Institutio in seiner neuen Aufmachung ansehe, so muß ich gestehen, daß ich ein ganz leises Lächeln nicht unterdrücken kann. Denkt man an den Text selbst und an das, was er uns heute zu sagen hat, ebenso, wie damals den Leuten, die mit ihm im Rucksack ihr Vaterland verließen, dann gerät unser Ertrag monatelanger Arbeit zu der Leistung Calvins doch in ein Verhältnis, das des Humors nicht entbehrt. Trotzdem bin ich der festen Ansicht, daß der Text nur so herausgegeben werden durfte, wie wir es versucht haben; aber es dürfte doch gut sein, wenn man allen Hollianern151 zum Trotz jene humorvolle Seite der Sache nicht übersieht. Ich habe die Arbeit sehr gern getan, wenn es auch mitunter an kräftigen Stoßseufzern nicht gefehlt hat. Besonders bei den theologischen Nachweisungen habe ich sehr viel gelernt und manche schöne Entdeckerfreude gehabt. So möchte ich Ihnen jetzt noch einmal herzlich dafür danken, daß Sie mich damals auf dieses Arbeitsgebiet gerufen haben. Daß es auch sonst für mich recht viel bedeutet hat, zwei Jahre in Ihrer Heimat leben zu können, das wissen Sie. Diese Zeit war wirklich eine Epoche meines Lebens und zwar eine gute. In Deutschland ist nicht alles nach meinem Wunsche gegangen. Mein schon im Juni schriftlich genehmigtes Gesuch um Aufnahme ins Domstift ist in Berlin später unbeachtet in der Schublade liegen geblieben, und erst mein Anruf bei höchster kirchlicher Stelle hat dem Konsistorium in Erinnerung gebracht, was es mir versprochen hatte. Nach langem Hin und Her stellte sich heraus, daß es unmöglich sei, mich noch nachträglich ins Domstift zu entsenden. Ich war wieder einmal ein Opfer des Bummelns des hohen Konsistoriums geworden und wurde plötzlich auf persönliche Verfügung Burgharts152 nach Elberfeld ins neue reformierte Predigerseminar geschickt! Hier in Elberfeld bestand bisher nur ein von der Gemeinde gegründetes Kandidatenstift, dessen Glieder als Lehrvikare galten. Mit diesem Semester ist das Stift in ein vollgültiges, von der Kirche anerkanntes Predigerseminar umgewandelt worden. Die nun ausgebauten Räume sind erst zu Beginn des nächsten Jahres beziehbar. Vorläufig wohnen wir noch zerstreut in der Stadt. Wir sind neun Seminaristen. Einige haben bei Ihnen in Münster studiert. Ich bin also nicht der einzige „Barthianer“. Übrigens – das ist hier das erste Erfreuliche, was ich fand – ist man in Elberfeld für Ihre Theologie doch recht offen. Mit unserem Direktor D. Hesse153 behandeln wir in den dogmatischen Übungen Ihre Prolegomena. Zum 151 Anhänger des Kirchenhistorikers Karl Holl (1866–1926), der mit seinen reformationsgeschichtlichen Arbeiten eine „Luther-Renaissance“ initiierte und die lutherische Rechtfertigungslehre in den Mittelpunkt stellte. 152 Georg Burghart (1865–1954) war Berliner Generalsuperintendent, Mitglied der Kirchenleitung der altpreußischen Landeskirche und seit 1927 Ephorus des Domkandidatenstifts Berlin. 153 Hermann Albert Hesse (1877–1957) war seit 1916 Pfarrer in Elberfeld und übernahm nebenamtlich die Leitung des reformierten Predigerseminars in Elberfeld; später war er 1934– 1946 Moderator des Reformierten Bundes und übte leitende Funktionen in der Bekennenden Kirche aus.
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anderen ist es schön, daß unser Direktor gegen private, wissenschaftliche Arbeit nichts einzuwenden hat und es so aussieht, als würde einem dazu auch einige Zeit verbleiben. Ferner hat man hier eine theologische Bibliothek von 18.000 Bänden zur Verfügung. Und schließlich haben wir für die Seminararbeit selbst auch Dozenten, von denen man sicher einiges lernen kann. Gerade unser Direktor D. Hesse scheint doch ein recht feiner Mann zu sein. Wenn ich bedenke, daß ich das alles, wie ich von Kundigen erfahren habe, im Domstift nicht hätte erwarten dürfen, dann bin ich recht froh, daß ich nicht unter die Obhut der Hofprediger gekommen bin, sondern auf diese Weise bestimmt wurde, weiterhin als unierter Lutheraner auf reformierten Bahnen zu wandeln. Wie ich schon sagte, scheint es, als würde mir hier im Seminar einige Zeit für meine wissenschaftliche Arbeit bleiben. Sollte sich diese Meinung bewahrheiten, dann würde ich versuchen, eine Lizentiaten-Arbeit nebenbei mit unter Dach zu bringen. In der Schweiz erzählte ich Ihnen von meinen Untersuchungen über die Libertiner, von denen ein Teil schon zu Papier gebracht ist.154 In den letzten Wochen mußte ich, wie ich erwähnte, dem Gegner nachspüren, den Calvin in längeren Abschnitten des Kapitels über das Abendmahl155 bekämpft. Es ist Westphal. Darüberhinaus ist es mir gelungen, einige neue Ergebnisse über die Beziehungen, in denen die Schriften beider Gegner zueinander stehen, zu gewinnen. Es wäre nun sehr reizvoll, auf diesen Abendmahlsstreit selbst einzugehen und ihn theologisch zu untersuchen. Das würde mich bedeutend mehr interessieren als die Frage der Libertiner. Ihnen würde doch wohl ein Thema, das sich auf die Auseinandersetzung zwischen Calvin und Westphal beziehen würde, auch genehm sein? Im kommenden Jahr der Erinnerung an das Marburger Gespräch156 wäre es doch nicht nur sachlich, sondern auch im Augenblick aktuell. Der erste, literarkritische Teil der Arbeit wäre schnell niedergeschrieben, da ich dieses Gebiet für unsere Ausgabe der Institutio soeben untersucht habe. Der wichtige, theologische Teil wäre vorläufig nur ungefähr in den Grundgedanken da. Ob ich ihn ausführen könnte, hängt ganz von der Seminarbeschäftigung ab. Aber ich möchte Ihnen von dieser Möglichkeit einer Lizentiaten-Arbeit doch wenigstens Mitteilung gemacht haben. Beinahe hätte ich vergessen zu erwähnen, daß an unseren dogmatischen Übungen über Ihre Dogmatik auch Fräulein von Harlessem157 teilnimmt, die ich hier in Amt und Würden einer Berufsschullehrerin antraf!! Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer Gattin aufs Beste. Mit herzlichem Gruße! Ihr ganz ergebener Wilhelm Niesel 154 Siehe Brief vom 30. Dezember 1927. 155 Inst. IV,17,16–32 (OS V,362–391). 156 Beim Marburger Religionsgespräch vom 1.–4. Oktober 1529 u.a. zwischen Luther und Zwingli konnte keine Einigung in der umstrittenen Frage des Abendmahlsverständnisses erzielt werden. 157 Marianne Schleypen, geb. von Harlessem (1897–1980) studierte bei Barth in Göttingen; vgl. Elisabeth Siltz, Art. Marianne Schleypen, geb. von Harlessem, in: Lexikon früher evangelischer Theologinnen. Biographische Skizzen, hg. v. H. Erhard, Neukirchen-Vluyn 2005, 338.
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Abb. 2: Wilhelm Niesel in den 20er Jahren
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20 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 10. November 1928 Lieber Herr Niesel! Das ist ja eine Bombennachricht, daß Sie nun auf einmal in Elberfeld stecken, in so erreichbarer Nähe und mitten in dieser – ich weiß nicht, soll ich sagen: reformierten oder pietistischen – Hochburg und nun auch noch im unmittelbaren Bereich der Reformierten Kirchenzeitung. Ich glaube auch, daß Sie mehr davon haben werden, als wenn Sie planmäßig nach Berlin gekommen wären. Aber ich bin auch nicht wenig neugierig, wie Sie sich auf die Dauer nun dort zurechtfinden werden, weil doch auch schon recht kräftige Stoßseufzer von dort zu mir gedrungen sind. D. Hesse ist ja nach seinen mir bekannten letzten Äußerungen zur Sache lebhaft dabei, mich mit Schlatter158 zu kombinieren, und das muß schon manchmal etwas schwierig sein. Um den Gewinn, den Sie bei Ihrer jahrelangen intensiven Beschäftigung mit der Institutio gehabt haben, könnte ich Sie wirklich beneiden. Das war eine unvergleichliche Gelegenheit, den Mann aus der Nähe kennen zu lernen, und ich werde mich, was Calvin belangt, in Zukunft nur noch lauschend zu Ihren Füßen setzen. Über Ihre Absicht, statt über die Libertiner über den Westphalstreit zu schreiben, bin ich sehr glücklich, da mich diese Sache tatsächlich auch mehr interessiert als jene. Melden Sie doch einfach diese Ihre Absicht bei D. Hesse ganz offiziell an, und dann wird es doch selbstverständlich sein, daß er Ihnen die nötige Zeit läßt. Er wird dies, so wie ich ihn kenne, nur schon darum tun, weil es sich um Calvin handelt. Könnten Sie sich nicht vornehmen, die Sache so zu fördern, daß Sie etwa jetzt in einem Jahr oder spätestens anfangs 1930 ins Examen steigen könnten? Etwa um dieselbe Zeit soll hier ein Herr Göhler159, den Sie nicht mehr gekannt haben, mit einer Arbeit über die Lehre von der Heiligung bei Calvin fertig werden. Fräulein Burmann160, deren Sie sich vielleicht noch von Göttingen her erinnern, behandelt dasselbe Thema bei Kohlbrügge, und Herr Heß161 hat Calvins Lehre von der Kirche verheißen; ich weiß aber noch nicht, ob er es schaffen wird. So könnte das Jubiläumsjahr des Marburgerstreites in der Tat reformiert sehr fruchtbar werden. Daß Adam nun sogar die Eva von jenem wehmutsvollen letzten offenen Abend in Göttingen wiedergetroffen hat, ist ja auch eine schöne Sache.162 Lassen Sie sich von ihr einmal erzählen, was für eine Rede sie den Mädchen zu halten pflegt, die sich nicht zu ihren Unterweisungen einzufinden willig sind. 158 Adolf Schlatter (1852–1938) war Professor für Neues Testament und Dogmatik in Tübingen, wo Barth ihm als theologischem Lehrer im Wintersemester 1907/08 begegnete, aber dessen „positive Theologie“ kritisch betrachtete. 159 Alfred Göhler (1907–1985) studierte bei Barth in Münster und schrieb die Arbeit: Calvins Lehre von der Heiligung. Dargestellt auf Grund der Institutio, exegetischer und homiletischer Schriften, München 1934. 160 Siehe Anm. 24. 161 Siehe Anm. 22. 162 Anspielung auf die im Brief vom 8. November 1928 erwähnte Begegnung Niesels mit Marianne von Harlessem; siehe Anm. 157.
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Ich bekam dieser Tage von meinem Bruder das Bild der Calvinausgabe!! Gestern Abend hörte ich hier Albert Schweitzer reden.163 Das ist noch eine saftige Werkgerechtigkeit, mit einer solchen Assurance und mit einer so glaubwürdigen und selbstverständlichen Sentimentalität vorgetragen, daß ich mich nicht wundere, daß der moderne Protestantismus weit und breit zusammenknickt und der Weisheit letzten Schluß als gezogen erkennt. Grüßen Sie D. Hesse und suchen Sie die Bekanntschaft auch des rüstigen Klugkist Hesse.164 Herzlichst und mit den besten Wünschen! Ihr Karl Barth
21 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 24. November 1928 Sehr verehrter Herr Professor! Für Ihren Brief danke ich Ihnen herzlich. Ich habe inzwischen mit D. Hesse über die Liz.-Arbeit gesprochen. Seine anfänglichen Bedenken wurden zerstreut, als er vernahm, daß es sich um eine Weiterführung meiner bisherigen Beschäftigung mit Calvin handele. Eine Befreiung von irgendwelchen Seminarpflichten kommt deswegen zwar nicht in Frage; aber ich hoffe schon die notwendige Zeit zu finden, wenn wir erst einmal in den neuen Seminarräumen wohnen werden. Augenblicklich verlaufen wir uns viel Zeit in der Stadt. Von dem hiesigen Pietismus habe ich bisher kaum etwas gemerkt. Dazu kommen wir mit der Gemeinde zu wenig in Berührung. Lic. Klugkist Hesse leitet unsere kirchengeschichtlichen Übungen. Ich hörte ihn auch einmal predigen – inhaltlich sehr gut, aber in der Form des Vortrages etwas gefährlich schauspielerisch. Im Seminar sind noch zwei weitere Schüler von Ihnen, ein gewisser Züchner165 und ein gewisser Bach166. 163 Zwischen seinem zweiten und dritten Wirken in Lambarene/Gabun unternahm Albert Schweitzer (1875–1965) Konzert- und Vortragsreisen in Deutschland und anderen Ländern Europas. In Münster hielt er einen Vortrag über seine Arbeit in Lambarene und machte bei Barth einen Besuch; siehe Brief von Barth an Thurneysen vom 15. November 1928, in: Barth/ Thurneysen, Briefwechsel II, 628. 164 Hermann Klugkist Hesse (1884–1949) war seit 1920 Pfarrer in Elberfeld und Dozent an der theologischen Schule und am reformierten Predigerseminar Elberfeld. 165 Hermann Züchner (1904–1991) studierte bei Barth in Göttingen und in Münster, kam 1928 ins Predigerseminar Elberfeld, wurde als Hilfsprediger Synodalvikar im 6. Bezirk in Nordhorn und 1930 Pfarrer in Simonswolde (Ostfriesland). 166 Walter Adolf Bach (1904–1982) studierte bei Barth in Münster und kam 1928 ins Predigerseminar Elberfeld; anschließend Pfarrer in Wermelskirchen-Dhünn.
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Bisher bin ich von der Seminararbeit ganz befriedigt. Gewiß, es gibt Übungen, von denen ich weiter nichts habe; aber das wäre anderswo ebenso. Auf jeden Fall bin ich hier, was die Theologie anbelangt, besser aufgehoben als in Berlin. Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer Gattin aufs Beste! Mit herzlichem Gruße! Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel
22 Wilhelm Niesel an Karl Barth Lauban in Schlesien, 28. Dezember 1928 Sehr verehrter Herr Professor! Augenblicklich bin ich hier bei meinen Eltern in den Weihnachtsferien. Nun möchte ich Sie fragen, ob es Ihnen angenehm wäre, wenn ich Sie auf meiner Rückreise nach Elberfeld für einige Stunden besuchen würde. Ich könnte etwa Montag, den 7. Januar, 15.22 [Uhr] in Münster sein und müßte um 18.30 [Uhr] wieder weiterreisen. Doch sollten Sie zu dieser Zeit, in der ja wohl die Vorlesungen wieder beginnen, stark besetzt sein, so möchte ich Sie wirklich nicht stören. Für mich wäre die Gelegenheit nur gerade günstig, weil sonst im Seminar schwer Urlaub zu erhalten ist. Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer Gattin aufs Beste! Mit herzlichen Grüßen! Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel
23 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 28. Dezember 1928 Lieber Herr Niesel! Ich habe gerade dieser Tage an Sie gedacht und daß wir uns doch einmal gründlicher sehen und sprechen sollten, als dies neulich in Barmen möglich gewesen ist.167 Aber gerade am 7. Januar paßt es mir nun gar nicht, sondern Sie müssen schon die Möglichkeit ins Auge fassen, einmal von Elberfeld aus hierher zu kom
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Postkarte. Bei welcher Gelegenheit diese Begegnung stattfand, ließ sich nicht ermitteln.
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men. Es kommt mir vor, daß es nicht unmöglich sein müßte, von Herrn D. Hesse zu diesem Zweck einmal Urlaub zu bekommen. Bitten Sie ihn doch in meinem Namen darum, und wenn er gar nicht will, dann werde ich mit einem direkten Handschreiben an ihn eingreifen. Meine Zeit wird zwar in den nächsten Monaten immer sehr knapp sein und wir werden dann sehr gedrängte Aussprache halten müssen. Seien Sie zum Neujahr und sonst herzlich gegrüßt von Ihrem Karl Barth
24 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 24. Februar 1929 Lieber Herr Niesel! Ich bin, wie Sie aus der Beilage168 sehn, in der eigentümlichen Lage, für Veldhausen in der Grafschaft Bentheim einen Pfarrer suchen zu müssen. Sie stammen ja aus ganz andern deutschen Gefilden. Dennoch möchte ich Ihnen wenigstens Gelegenheit geben, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob Sie sich nicht, statt in den Osten zurückzukehren, endgiltig hier im Westen niederlassen wollen. Die entschiedene Reformiertheit der Bentheimer würde mich, wenn ich heute Kandidat wäre, mindestens locken. Aber man kann da freilich auch andere Gesichtspunkte haben. Bitte geben Sie dem Pfarrer selber Antwort, wenn die Sache für Sie in Betracht kommen sollte. Andernfalls schicken Sie mir bitte den Brief wieder zurück, damit ich weiter Umschau halten kann. Oder halt: der Ostfriese, der schon mit Ihnen in Göttingen war – sein Name entgeht mir im Augenblick törichterweise – und der nun mit Ihnen im Seminar ist, käme als echt-russischer Mann vielleicht auch noch in Betracht. Die Anfrage sei also zugleich an ihn gerichtet: Sie wissen schon, wen ich meine.169 An uns sind, seit Sie hier waren, Tillich, Przywara und Kutter vorbeigezogen: der Humanist, der Papist und der Schwärmer, wie nachher im offenen Abend scharfsinnig festgestellt wurde.170 Und nun läuft das Semester seinem Ende ent168 Im Archiv nicht vorhanden. 169 Es handelt sich um den in den Briefen vom 24. November 1928 und vom 27. Februar 1929 erwähnten Hermann Züchner. 170 Anfang Februar 1929 hielt der evangelische Theologe und Religionsphilosoph Paul Tillich (1886–1965) einen Vortrag über „Protestantische Gestaltung“. Der Religionsphilosoph und Jesuit Erich Przywara (1889–1972) trug am 5. Februar 1929 über „Das katholische Kirchenprinzip“ (ZZ 7, 1929, 277–302) vor und nahm am 6. Februar 1929 an einer Sitzung von Barths Seminar über Thomas von Aquin teil. Am 15. Februar 1929 hielt der Begründer des Schweizer religiösen Sozialismus Hermann Kutter (1863–1931) einen Vortrag über „Jesus Christus und wir“ (ZZ 7, 1929, 397–426); vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 196f.
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gegen und es ist gut so. Ich habe aber im Hochschulinstitut in Dortmund noch einige Breitseiten abzugeben171, bevor ich mich endgiltig nur noch über die Dogmatik beugen darf. Zu meinen Füßen spielt Fränzeli172 eine von jenen Mozartsonaten, bei denen man sich fast nicht zu fassen weiß vor all dem, was sie in einem aufrühren, und Pred 7,24 drängt sich auf.173 Kennen Sie das auch? Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth
25 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 27. Februar 1929 Sehr verehrter Herr Professor! Ich danke Ihnen recht sehr, daß Sie meiner in dieser Weise gedacht haben. Leider bin ich noch nicht so weit, daß ich zu einer solchen Frage Stellung nehmen könnte. Erstens bin ich bis in den Oktober an das Seminar fest gebunden und zweitens muß ich dann noch das Examen pro ministerio174 machen. Ähnlich steht es mit Herrn Züchner.175 Er macht zwar Ostern das 2. Examen, muß dann aber seiner Kirche noch ein Jahr als Hilfsprediger zur Verfügung stehen. Wir haben also beide zu dem Amte, das Sie uns zugedacht haben176, noch nicht die notwendigen Qualitäten. Ihre Auseinandersetzung mit dem „Papisten“177 hätte ich sehr gerne miterlebt. Ich habe in jenen Tagen des öfteren meine Gedanken nach Münster schweifen lassen. Schlimm ist’s nur, daß wir Protestanten die papistische Seuche so stark im eigenen Hause haben. Wir haben hier im Seminar einen steten Kampf gegen den Synergismus zu kämpfen. Bedenklich ist, daß gerade die Jüngsten unter uns dieser Irrlehre zuneigen. Die jetzt heraufkommende junge Generation steht dem Leben und seinen Fragen in einer völlig anderen Haltung gegenüber als die Jugend vor einigen Jahren, die aus der Jugendbewegung kam. Man ist heute geradezu naiv und problemlos. Und wenn man als solcher Mensch Theologe wird, kann’s schlimm werden. 171 Am 21. und 28. Februar und am 4. und 7. März 1929 trug Barth unter dem Titel „Schicksal und Idee in der Theologie“ eine Reihe von Gastvorträgen im Hochschulinstitut Dortmund vor (ders., Vorträge 1925–1930, 344–392). 172 Barths Tocher Franziska (1914–1994). 173 Pred 7,24: „Alles, was das ist, das ist fern und ist sehr tief; wer will’s finden?“ 174 Zweites Theologisches Examen; siehe Anm. 82. 175 Siehe Anm. 165. 176 Siehe Brief vom 24. Februar 1929. 177 Erich Przywara, siehe Brief vom 24. Februar 1929.
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In den dogmatischen Übungen kann ich jetzt mehr und mehr in den Hintergrund treten. Bei Angriffen hat in der letzten Zeit D. Hesse selbst Sie in energischer Weise verteidigt. Empfehlen Sie mich, bitte, aufs Beste Ihrer Gattin und seien Sie selbst herzlich gegrüßt von Ihrem sehr ergebenen Wilhelm Niesel
26 Wilhelm Niesel an Karl Barth Lauban in Schlesien, 22. November 1929 Sehr verehrter Herr Professor! Es tut mir sehr leid, daß ich Ihnen erst jetzt meine Arbeit178 zusenden kann; aber es ging leider nicht eher. Ich hoffe aber, daß trotzdem noch genügend Zeit zum Kursieren der Arbeit sein wird. Da ich die Abhandlung nicht mehr in Elberfeld zu Ende abschreiben lassen konnte, so kommt es, daß der 2. Teil mit einer anderen Maschine geschrieben ist. Hoffentlich stört das nicht. Beim Durchlesen der Arbeit fiel mir auf, daß ich auf S. 31f, wo ich Calvins Verhältnis zur Scholastik berühre, vielleicht ausdrücklich auf das hätte verweisen sollen, was ich darüber in Calvini Op. Selecta Bd. III, S. LVII,42–LVIII,4 gesagt habe.179 Natürlich war es auch jetzt mir nicht möglich, die – ich glaube 650 – französischen Kommentatoren des Lombarden durchzustöbern, soweit sie erhalten sind. Das können nur Franzosen an Ort und Stelle tun. Vielleicht darf ich auch noch erwähnen, daß ich den allgemeinen Sakramentsbegriff Calvins mit Absicht nicht besonders behandelt habe. Es ergab sich von meinem Thema aus, daß ich sofort auf das Konkretum kam, und ich hoffe, daß dies der Sache nicht geschadet hat. Darf ich wohl bitten, daß Sie, wenn möglich, die Prüfung entweder Ende der letzten Januar- oder Anfang der ersten Februarwoche festsetzen?
178 Niesels Dissertation: Calvins Lehre vom Abendmahl (München 1930.21935); vgl. Klappert, Abendmahl, 111–152; Freudenberg, Niesels Calvin-Interpretation, 115–136, hier 118f. 179 „Quamquam non absonum a vero videtur ei aliquem explanatorem Petri Lombardi in manibus fuisse et eum in Institutione hic illic ad eum alludere. Sed in maximo numero horum explanatorum facere non potuimus, ut, quis ei quoque loco obversatus esset, exploraremus.“ (Zwar erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass er irgendeinen Kommentator von Petrus Lombardus in den Händen gehalten hat und hier und da auf diesen anspielt; aber bei der großen Anzahl der Kommentatoren waren wir nicht imstande darzulegen, wer ihm an der jeweiligen Stelle vor Augen gestanden hat.)
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Nun heißt’s, sich für’s Mündliche vorzubereiten. Eine angenehme Arbeitsunterbrechung ist Wolfgang Trillhaas’ Hochzeit Ende nächster Woche, zu der ich trotz des drohenden Rigorosum fahren werde.180 Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer Gattin aufs Beste! Mit herzlichen Grüßen! Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel
27 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 9. Dezember 1929 Lieber Herr Niesel! Ich habe Sie staunend bewundert, daß Sie es fertig brachten, die Arbeit in so kurzer Zeit zu erstellen, habe auch bereits hineingesehen und freue mich, sobald ich aus dem Sturm und Drang des Augenblicks (Hegel!)181 etwas heraus bin, ganz gründlich hineinzusehen. Für heute wollte ich Ihnen nur mitteilen, daß ich Sie der Fakultät angemeldet habe und daß Ihr Examen auf Samstag, den 1. Februar angesetzt worden ist. Besinnen Sie sich schon jetzt auf drei Themata, die Sie nach bestandenem Examen der Fakultät zur Wahl für die öffentliche Licentiatenvorlesung vorlegen können. Ich nehme ja an, daß Sie die Absicht haben, die ganze Sache incl. Promotion womöglich in diesem Semester zu erledigen. Wir freuten uns neulich, Ihren Freund Trillhaas und seine Frau hier zu haben. Es ist ja bei Ihnen kaum nötig, Ihnen zuzurufen, daß Sie sich für das Rigorosum in allen Teilen so gut wie nur möglich panzern sollen! Daß Sie sich mit mir eine ganze Stunde lang, mit den andern Herren je eine halbe Stunde lang über Alles von der Zeder des Libanon [vgl. 1. Kön 5,13] bis zum Ysop, der an der Wand wächst [vgl. Ps 92,12; 104,16], unterhalten müssen, wird Ihnen klar sein. Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth
180 Vgl. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 288f. Trillhaas’ erste Frau Liselotte starb schon früh 1937. 181 Barth las im Wintersemester 1929/30 über „Die Geschichte der protestantischen Theologie seit Schleiermacher“; zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) vgl. Barth, Die protestantische Theologie, 343–378.
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28 Wilhelm Niesel an Karl Barth Lauban in Schlesien, 22. Dezember 1929 Sehr verehrter Herr Professor! Für die Festsetzung der mündlichen Prüfung auf den 1. Februar danke ich Ihnen recht sehr. Dürfte ich Sie jetzt wohl noch bitten, mir eine amtliche Bescheinigung darüber zu schicken, daß meine Arbeit von der Fakultät angenommen worden ist? Ich will mich im Januar zur 2. theologischen Prüfung melden und hätte dazu diese Bescheinigung nötig, damit mir vom Konsistorium die wissenschaftliche Prüfungsarbeit erlassen wird. Es wünscht Ihnen und Ihrer Gattin ein frohes Fest mit herzlichen Grüßen Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel Beinahe hätte ich noch eine Frage vergessen: Ist es notwendig, daß ich mich bei den Professoren, die ich ein oder zwei Tage vor der Prüfung besuchen will, vorher schriftlich anmelde? Ferner: Der Besuch ist doch wohl nur bei den ordentlichen Professoren (einschließlich Fr.-W. Schmidt?)182 erforderlich?
29 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 30. Dezember 1929 Lieber Herr Niesel! Da die Arbeit von der Fakultät noch nicht offiziell angenommen ist, kann ich Ihnen die Bescheinigung nur in verklausulierter Form geben, ich möchte aber annehmen, daß sie auch so für den vorgesehenen Zweck genügen wird. Unterdessen habe ich Ihre Arbeit gelesen und darf Ihnen zur Ermunterung zu allen weiteren Taten gewiß im Vertrauen sagen, daß ich Note I beantragen werde. Hoffentlich bringt das Votum der anderen Herren keine Enttäuschung. Mit freundlichen Grüßen zum neuen Jahr! Ihr Karl Barth
182 Friedrich-Wilhelm Schmidt (1893–1945) war zu diesem Zeitpunkt noch ao. Professor für Systematische Theologie in Münster.
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30 Wilhelm Niesel an Karl Barth Lauban in Schlesien, 24. Januar 1930 Sehr verehrter Herr Professor! Da ich annehme, daß das Rigorosum, wie Sie mir seinerzeit schrieben, am Samstag, den 1. Februar, stattfinden soll, werde ich Donnerstag früh in Münster eintreffen. Es wäre mir sehr lieb, wenn ich Sie irgendwann im Laufe des Donnerstag sprechen könnte. Vielleicht sind Sie so freundlich, mir darüber noch Nachricht zu geben. Mit herzlichen Grüßen! Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel
31 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 15. Februar 1930 Sehr verehrter Herr Professor! Darf ich Sie wohl bitten, mir zu schreiben, wo ich mich am Samstag zum feierlichen Einzuge in die Aula einzufinden habe?183 Der Akt beginnt doch wohl 12 h c.t.? Lempp hat mir ein äußerst günstiges Angebot für den Druck meiner Arbeit gemacht.184 Bei einer Abnahme von 300 Stück zum Preise von je 1 M will er die Sache ohne weiteres drucken. Nur kann die Arbeit des Absatzes wegen – es sind noch zwei andere Arbeiten im Druck – erst im Herbst erscheinen. Ihnen vor allem möchte ich dafür recht sehr danken, daß Sie mir diese günstige Druckmöglichkeit verschafft haben. Mit den besten Empfehlungen an Ihre verehrte Gattin grüßt Sie selbst ebenso Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel
183 Die Licentiaten-Promotion mit dem Vortrag Niesels fand am 22. Februar 1930 statt. 184 Siehe Anm. 57; Wilhelm Niesel, Calvins Lehre vom Abendmahl, München 1930.21935.
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32 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 17. Februar 1930 Lieber Herr Niesel! Die Versammlung zum feierlichen Einzuge findet im Sitzungssaal des Senats (nach Eintritt durch das Hauptportal linker Hand) statt. Sie können aber, wenn Sie rechtzeitig in Münster eintreffen, Ihre Schritte ebensowohl zunächst nach der Himmelreichallee lenken, wo wir Sie ohnehin nach der Feier zum Mittagessen erwarten.185 Ich möchte es Ihnen auch anheim stellen, erst am Sonntag oder Montag wieder nach Elberfeld zurückzukehren, da wir sowohl am Samstag wie am Sonntag Abend Gäste erwarten, denen Sie sich würdig und sicher auch mit einiger Lust Ihrerseits anschließen könnten.186 Leider ist unser Haus zu klein, als daß wir Ihnen Obdach anbieten könnten. Bewahren Sie sich jedenfalls die Freiheit, nicht sofort wieder zurückzukehren! Sind Sie sich im Klaren darüber, 1. daß Sie Ihre Rede vom Manuskript ablesen können, 2. daß Sie die Länge von 40–45 Minuten nicht überschreiten sollten, 3. daß sie sehr gut werden muß, schon weil wahrscheinlich mein Freund Herr Prof. Scholz187, ein genauer Kenner Schleiermachers und allerstrengster Logiker, zugegen sein wird, ganz abgesehen von den katholischen Theologen, die da manchmal auch dabei sind, und von allerlei sonstigem Volk, dem Sie unter allen Umständen ebenso gehaltvolle wie würzige Speise bieten müssen? In der freudigen Hoffnung, daß dies Alles Ereignis werden möchte, grüßt Sie freundlichst Ihr Karl Barth
Rede zur Licentiaten-Promotion von Wilhelm Niesel am 22. Februar 1930188 Sehr geehrter Herr Kandidat! Nachdem Sie mit der eben gehaltenen Rede189 den vorgeschriebenen Beweis Ihres wissenschaftlichen Wollens und Könnens abgeschlossen haben, darf ich Ihnen 185 Barth wohnte in der Himmelreichallee 43. 186 Zu den Gästen zählte auch Peter Barth, der zur Überraschung Niesels nach Münster reiste; vgl. Barth, Vorträge 1925–1930, 569. 187 Heinrich Scholz (1884–1956) war 1928 als Professor für Philosophie nach Münster berufen worden; zum freundschaftlichen Verhältnis beider vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 210f.218–220. 188 Abdruck in: Barth, Vorträge 1925–1930, 569–571. 189 Wilhelm Niesel, Schleiermachers Verhältnis zur reformierten Tradition, ZZ 8, 1930, 511–525.
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im Namen unserer Fakultät mitteilen, daß sie beschlossen hat, Ihnen den Grad eines Licentiaten der Theologie, um den Sie sich beworben haben, zuzusprechen. Ich weiß, daß ich mit Ihnen einig gehe, wenn ich sage, daß die Erteilung und Erwerbung einer solchen Würde gerade auf dem Felde der Theologie das Werk einer unangemessenen menschlichen Eitelkeit wäre, wenn sie etwas Anderes bedeutete als die Übertragung und Übernahme eines besonderen Dienstes und einer besonderen Verantwortlichkeit. Wenn dies von jedem von der Universität zu verleihenden Grade gilt, so gilt es doch in der Theologie mit einer Prägnanz, die jede andere Auffassung unmöglich macht. Die licentia, die wir Ihnen erteilen, ist eine Ehre für Sie, aber wie sollte sie, wo es um die „cognitio Dei et nostri“190 geht, eine andere sein als schlechterdings die Ehre eines Auftrags, eines Auftrags, der noch ganz anders verlangt, daß Sie ihm Ehre machen. Der Auftrag lautet aber: Mitarbeit an der wissenschaftlichen, d.h. grundsätzlichen und nur durch die Sache gebundenen Selbstbesinnung unserer Kirche. Diese Arbeit kann als akademische Forschung und Lehre, sie kann und muß aber auch im engeren und eigentlichen Raum der Kirche getrieben werden. Und wir freuen uns ganz besonders darüber, daß Ihre Absicht in dieser letzten Richtung geht. Die Kirche und die theologische Wissenschaft bedürfen in gleicher Weise wissenschaftlich arbeitender Pfarrer: die Kirche, damit sie ihre Gründung in der Wahrheit nie vergesse, die theologische Wissenschaft, damit sie die Beziehung zur Wirklichkeit nicht verliere. Beides ist zum Unheil der Kirche und der Theologie allzu oft geschehen. Ein rechtschaffener Licentiat der Theologie wird, ohne sich darum mit Schleiermacher als „Kirchenfürst“191 zu fühlen, den Dienst tapfer übernehmen, diesem Unheil zu steuern, die Wahrheit in der Kirche und die Wirklichkeit in der Theologie [geltend zu machen] und in beiden Gott die Ehre zu geben. Sie werden sich nicht vorstellen, als ob dieser Auftrag etwa leicht sei. Er ist in unseren Tagen in besonderer Weise nicht leicht. Wir sind, wenn nicht Alles täuscht, auf dem Felde der Kirche im Begriff, in ein Zeitalter der großen Worte und eines beruhigten Aktivismus hineinzusteuern, das sich der durch die Theologie geforderten Selbstbesinnung wieder einmal entziehen möchte.192 Es wird sich nicht von selbst verstehen, daß einer in diesem Zeitalter im besten Sinn wissenschaftlich orientiert seinen Weg in Treue geht. Und wir stehen in der Theologie selbst vor der großen Not, daß uns die Grundlagen, auf denen zwei Jahrhunderte vor uns Theologie getrieben haben, ins Wanken gekommen sind, ohne daß wir sagen könnten, daß uns die neuen oder alten Grundlagen, deren wir bedürfen, schon einigermaßen sicher geworden wären. Es ist vorläufig so, daß ein jeder auf seinen Weg sieht [vgl. Jes 53,6] und eines Hand 190 Inst. I,1,1 (OS III,31f): „Tota fere sapientiae nostrae summa, quae vera demum ac solida sapientia censeri debeat, duabus partibus constat, Dei cognitione et nostri.“ (All unsere Weisheit, sofern sie wirklich den Namen Weisheit verdient und wahr und zuverlässig ist, umfasst im Grunde eigentlich zweierlei: die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis.) 191 Friedrich D.E. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811.21830), hg. v. H. Scholz, Leipzig 1910 (Nachdruck Darmstadt 1968), 3f (§ 9). 192 Vgl. Karl Barth, Quousque tandem …?, in: ders., Vorträge 1925–1930, 521–535, hier 528–535.
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wider des andern ist [vgl. Gen 16,12]. Es wird sich nicht von selbst verstehen, daß ein Jüngling in dieser Situation seinen Weg unsträflich geht [vgl. Ps 119,9]. Ich spreche das alles aus, um Ihnen, Herr Kandidat, den Auftrag, der mit Ihrem künftigen Grad eins ist, die Ehre, die er Ihnen bringt, und die Ehre, die Sie ihm zu machen haben, noch einmal als eine große Sache vor Augen zu stellen. Wir freuen uns, ich freue mich persönlich ganz besonders, daß Sie in dem Mann, dessen Werk Ihre wissenschaftliche Arbeit bis jetzt in besonderer Weise gegolten hat, in dem großen, strengen Calvin, einen menschlichen Lehrmeister haben, der seinesgleichen sucht. Was Sie sich selbst nicht nehmen können und was auch Calvin Ihnen nicht geben kann, steht in Gottes Hand, dessen Wort und Geist wir Sie anbefehlen. Und nun lassen Sie mich den feierlichen Akt der Promotion vollziehen, indem ich Ihnen den Beschluß unserer Fakultät, wie er in Ihrem Licentiaten-Diplom niedergelegt ist, zur Kenntnis bringe. 22. Februar 1930, Münster i.W.
33 Wilhelm Niesel an Karl Barth Lauban in Schlesien, 28. Februar 1930 Sehr verehrter Herr Professor! Nun sitze ich wieder hier, der akademischen Sphäre ganz entrückt, an meinem Schreibtisch und bemühe mich um Luthers 4. Hauptstück von der Taufe.193 Ich weiß noch nicht, wie’s enden wird. An die Tage in Münster denke ich gerne zurück. Wenn man gute theologische Gespräche lange entbehrt hat, weiß man sie umso eher zu schätzen. Aus der Unterredung mit den Katholiken ist mir recht deutlich geworden, wie tief unser vulgärer Semipelagianismus unter dem steht, was manche Papisten vertreten. Und die Vitalität, mit der ihn ein Muckermann194 wenigstens in imposanter Weise vorträgt, geht ihm auch ab. Wenn man daran denkt, daß jetzt ein Geschlecht heraufkommt, das belehrt sein will, das die „Wahrheit“ einfach gesagt haben will, kann man nur mit Besorgnis an die Möglichkeiten denken, welche der Katholizismus für solche Leute bereit hat. Wie leicht kann ein Muckermann seine Predigt vom Menschen der des Bolschewismus assimilieren!195 Und wie sollte auf die feineren 193 Martin Luther, Kleiner Katechismus (1529), BSLK 515–517. Es handelt sich dabei vermutlich um eine Arbeit, die Niesel im Vorfeld seines Zweiten Theologischen Examens angefertigt hat. 194 Der Jesuit Friedrich Muckermann (1883–1946) lebte 1923–1934 in Münster und wirkte von dort aus als Journalist, Redner sowie als Rundfunkprediger. Aufgrund seiner Erfahrungen bei der Inhaftierung nach Ende des Ersten Weltkriegs kritisierte er den Bolschewismus wegen seiner totalitären und antichristlichen Weltanschauung. Später stellte er sich auch gegen den Nationalsozialismus und floh 1934 aus Deutschland. 195 Offenbar sah Niesel Analogien zwischen dem optimistischen Menschenbild in Mucker-
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Gemüter das nicht Eindruck machen, was ihnen der rechte Flügel des Katholizismus klar und deutlich sagen kann? Freilich ist mir zugleich auch klar geworden, daß dieser rechte Flügel auf derselben Basis steht wie Muckermann. Die Betonung der Gnade war ja erstaunlich; aber es konnte ja damit nur die gratia infusa196 gemeint sein. Ferner ist nach der Entwicklung der Kirchenlehre sicher, daß nicht Muckermann, sondern eher die anderen mit einem Bein außerhalb der Kirche stehen. Das alles freilich hebt die Gefahr, welche von dorther droht, nicht auf. Nun darf ich Sie wohl bitten, Ihrer verehrten Gattin nochmals meinen herzlichen Dank dafür zu übermitteln, daß ich die ganze Zeit über in Ihrem Hause als Gast weilen durfte. Nehmen Sie selbst auch noch einmal den herzlichsten Dank für alles von Ihrem sehr ergebenen Wilhelm Niesel Wenn möglich, suchen Sie doch wohl meinen Calvin-Band, der sich noch bei einem der Professoren befinden soll, ausfindig zu machen?
34 Wilhelm Niesel an Karl Barth Lauban in Schlesien, 3. März 1930 Sehr verehrter Herr Professor! Da ich vermute, daß Sie mir in einiger Zeit Ihre „Konfirmationsrede“197 schicken werden, möchte ich Sie jetzt sogleich noch um etwas fragen, um Sie zu bitten, mir bei der Gelegenheit Antwort zu geben. Gerade schreibt mir nämlich Georg Merz und erbittet meine Schleiermacher-Vorlesung für ZdZ.198 Was sagen Sie dazu? Ich bekam zunächst einen kleinen Schreck (im Gedenken an Scholz etc.), überlege mir aber jetzt, ob sich die Sache nach einiger Überarbeitung nicht doch druckreif machen ließe. Völlig anders gestalten möchte ich die Arbeit freilich nicht, auch nicht in ihrem 2. Teile. Vor allem möchte ich aber Ihren Rat hören. Ich bin nicht traurig, wenn ich die Sache nicht aus der Versenkung herausholen muß, in der sie schon verschwunden ist. Es grüßt Sie aufs Beste Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel manns Predigten und der Propagierung des neuen Menschen in der bolschewistischen Weltanschauung, die indes von Muckermann radikal abgelehnt wurde. 196 Römische Lehre von der in den Menschen eingegossenen Gnade. 197 Barths oben abgedruckte Rede zur Licentiaten-Promotion von Niesel. 198 Wilhelm Niesel, Schleiermachers Verhältnis zur reformierten Tradition, ZZ 8, 1930, 511–525.
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35 Karl Barth an Wilhelm Niesel Münster, 10. März 1930 Lieber Herr Niesel! Ich meine, daß Sie es sich durchaus nicht grämen lassen sollen, der Anfrage von Merz Folge zu leisten und trotz des Gedankens an Scholz Ihren Spruch drucken zu lassen.199 Ich erwäge eben den Gedanken, ob wir im Anschluß an Ihre Arbeit dann auch – vielleicht in Kleindruck – meine Konfirmationsrede200, die Sie hier erhalten, mit abdrucken lassen, um so die Leser von ZZ gleich ganz ins Bild zu setzen.201 Alle guten Wünsche für Ihr Examen! Meine Adresse lautet vom 18. März ab: Bonn, Siebengebirgstraße 18.202 Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth
36 Wilhelm Niesel an Karl Barth Lauban in Schlesien, 22. März 1930 Sehr verehrter Herr Professor! Für die Zusendung Ihrer Rede203 und des Bandes204 danke ich Ihnen recht sehr. Meine Vorlesung will ich nun also an Merz senden, wenn ich sie nochmal durchgelesen habe. Dazu komme ich im Augenblick des Examens wegen nicht. (Es werden ganz merkwürdige Fächer geprüft, z.B. Religiöse Volkskunde. Was mag das sein?) Es wäre ja sehr schön, wenn Sie Ihre Rede mitabdrucken lassen würden. Dann möchte ich eigentlich auch die Anrede über der Vorlesung stehen lassen – Spektabilität! etc. Das wäre doch schön! Nun darf ich Sie wohl noch einmal der Calvin-Ausgabe wegen um Gehör bitten. Lempp205 will Bd. I mit in die Rechnung nehmen, aber nur 1.500 Exemplare, nicht 2.000, da die anderen Bände jetzt nur eine Auflage von 1.500 Stück haben. 199 Siehe Anm. 198. 200 Barths oben abgedruckte Rede zur Licentiaten-Promotion von Niesel. 201 Ein Abdruck von Barths Rede zusammen mit Niesels Vortrag erfolgte nicht. 202 Nach seiner Professur in Münster 1925–1930 wurde Barth zum Sommersemester 1930 nach Bonn berufen; vgl. Goeters, Barth in Bonn, 137–150. 203 Barths oben abgedruckte Rede zur Licentiaten-Promotion von Niesel. 204 Es handelt sich um den im Brief vom 28. Februar 1930 erwähnten Band III der OS, den Niesel ediert hat. 205 Siehe Anm. 57.
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Ich lege den Brief des Verlages bei und auch meine Antwort206 und möchte Sie fragen, ob ich den Brief so (also auch mit Berufung auf Sie) abschicken darf. Darf man das alles Lempp sagen? Er wird mich ja schon für einen halben Juden halten (zur Synagoge habe ich aber keine Beziehungen!)207; denn er sprach ursprünglich von einem Defizit von 12.000 M. Das sank auf Grund einer Rechnungsaufstellung von mir mit einem Schlage auf 4.800 M. Und nun soll auch das noch restlos verschwinden! Aber sammeln kann man bei dieser Auflage für den Verlag mit gutem Gewissen meiner Meinung nach wirklich nicht. Darf ich Sie bitten, mir deswegen in nicht zu ferner Zeit zu antworten und die beiden Briefe mit zurückzusenden? Nun ist also Piper208 ernannt! Offenbar der Kandidat keiner Partei und ein Werk des sozialistischen Ministers.209 Wie wird sich Emanuel210 ärgern, besonders auch über den Pariser Doktorhut, der ausgerechnet in Göttingen landen mußte!211 Hoffentlich ist Ihr Umzug inzwischen gut geglückt. Besonders die Verfrachtung der Bibliothek muß doch eine verheerende Sache sein. Ich denke schon mit Grauen an die Versendung meiner paar Bücher. Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer verehrten Gattin aufs Beste und seien Sie selbst herzlich gegrüßt von Ihrem sehr ergebenen Wilhelm Niesel
37 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 25. März 1930 Lieber Herr Niesel! Ich bin hinsichtlich Ihres Briefes an Lempp in nicht ganz leichter Lage. Ihre Aufrechnung liest sich sehr überzeugend, aber ich bin eben ganz und gar nicht im Bilde, habe mich nie aus der Nähe mit diesem ganzen Zahlensystem beschäftigt und kann darum unmöglich jetzt plötzlich als verantwortlicher und sachkundiger 206 Diese Texte liegen nicht vor. 207 Anspielung auf den in der antijüdischen Polemik geläufigen Vorwurf, dass die Juden nach Geldgewinn und Vermehrung ihres Vermögens trachten. 208 Otto Alfred Piper (1891–1982) wurde 1930 zum Professor für Systematische Theologie nach Münster als Nachfolger von Barth berufen. 209 Der religiöse Sozialist Adolf Grimme (1889–1963) war 1930–1932 preußischer Kultusminister. 210 Zu Emanuel Hirsch siehe Anm. 13. 211 Aufgrund seiner engen Kontakte nach Frankreich und diverser Studien über den französischen Protestantismus verlieh die Pariser Faculté libre Otto Alfred Piper, der 1929/30 in Göttingen als ao. Professor für Systematische Theologie lehrte, 1930 die theologische Ehrendoktorwürde.
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Ratgeber Lempp gegenüber auftreten. Warum sollen Sie nicht das Gewicht Ihrer Gründe für sich selber sprechen lassen? Wenn Ihre Rechnung stimmt, was ich gerne glauben will – aber nach meiner geringen Kenntnis der Dinge unmöglich wissen kann –, warum soll sie dann Lempp nicht Eindruck machen, auch ohne daß ich geradezu als Gewährsmann angerufen werde? Wenn es irgendeiner „autoritativen“ Verstärkung Ihrer Argumentation bedarf, so sollte es eigentlich genügen, wenn Sie Lempp schreiben, daß Ihr Brief an ihn mir vorgelegt worden sei. In Sachen Ihrer Promotionsrede möchte ich Ihnen noch den Wunsch aussprechen, Sie möchten doch auf alle Fälle, sei es im Text oder in einer ausführlichen Anmerkung, auch zu Schleiermachers Abhandlung über die Erwählung ausdrücklich Stellung nehmen, um den sehr naheliegenden Einwand angesichts dieser Lücke abzuwehren.212 Seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem Karl Barth
38 Wilhelm Niesel an Karl Barth Lauban in Schlesien, 27. März 1930 Sehr verehrter Herr Professor! Mit dem Briefe an Lempp werde ich es so halten, wie Sie mir schreiben. Es ist mir schon sehr lieb, daß der Inhalt des Briefes, ehe er nach München geht, Ihnen bekannt geworden ist, da man ja nicht weiß, wie er dort aufgenommen wird. Ich danke Ihnen also sehr, daß Sie sich mit den unerquicklichen Dingen noch einmal beschäftigt haben. Hinsichtlich meiner Liz.-Vorlesung hatte ich mir selbst schon vorgenommen, auf die Abhandlung „Über die Erwählung“ näher einzugehen.213 Nun möchte ich Ihnen gleich noch mitteilen, daß ich im Mai voraussichtlich nicht im Rheinlande auftauchen werde. Der jetzige Inspektor214 hat sich entschlossen, nicht nach Stuttgart zu gehen, weil er die dortige Stelle für einen verlorenen Posten ansieht. Die 180–200 Glieder der reformierten Gemeinde erhalten keinerlei Zuwachs. Sie haben unter den Reformierten Stuttgarts nie geworben 212 Wilhelm Niesel, Schleiermachers Verhältnis zur reformierten Tradition, ZZ 8, 1930, 511–525, hier 518–520 unter Bezug auf Friedrich D.E. Schleiermacher, Über die Lehre von der Erwählung, besonders in Beziehung auf Dr. Bretschneiders Aphorismen, Berlin 1836. 213 Siehe Anm. 212. 214 Theodor Müller-Krüger (1902–1980) war 1928–1930 Inspektor des reformierten Predigerseminars Elberfeld und wirkte anschließend als Missionar auf Sumatra und 1934–1940 als Dozent an der Missionsschule Batavia (heute: Jakarta/Indonesien) sowie 1949–1961 an der dortigen Theologischen Hochschule; vgl. dessen Artikel: 25 Jahre Kandidatenstift in Elberfeld, RKZ 80, 1930, 19–22.
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und neuerdings dürfen sie es nicht, weil die lutherische Landeskirche die Hälfte des Pfarrergehaltes bezahlt. So wird die Inspektorenstelle in Elberfeld also erst zum 1. November frei. Vermutlich werde ich nach dem Examen nun irgendwo in der Mark Brandenburg oder Berlin Hilfsprediger werden. Davor hatte ich bisher deswegen einen kleinen Horror, weil ich von dem Konsistorium mit größter Wahrscheinlichkeit in eine lutherische Gemeinde gesteckt werde. Der Personalreferent ist zwar selbst französisch-reformiert, hat aber für das Konfessionelle kaum ein Sensorium, und im übrigen Konsistorium hat man das noch weniger.215 Das ist jetzt das Unerfreulichste an den Aussichten für meine nächste Zukunft. Es bestände ja auch die Möglichkeit, daß nun ich nach Stuttgart ginge, vorausgesetzt, daß ich Urlaub bekäme. Aber nach den Mitteilungen über die dortigen Verhältnisse ist es mir doch auch sehr fraglich, ob man eine solche Arbeit aufnehmen darf. Mich hätte die Stelle deshalb angezogen, weil dort einige Aussicht auf wissenschaftliche Weiterarbeit ist; aber nur deswegen darf man sich ja um keine Pfarrstelle bewerben. Vermutlich werde ich also nach einem wenig erfreulichen Interim im November in Elberfeld landen, wenn sich vorher nicht andere Möglichkeiten auftun. Es grüßt Sie herzlich Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel Ich darf Sie wohl noch bitten, die Elberfelder Angelegenheit, da es sich dabei bisher um private Besprechungen zwischen dem Direktor usw. und mir handelte, ebenso zu behandeln.
39 Wilhelm Niesel an Karl Barth Wittenberge, 9. Juli 1930 Sehr verehrter Herr Professor! Nun möchte ich Ihnen doch auch einmal schreiben, was inzwischen aus mir geworden ist. Ende April habe ich das letzte Examen glücklich bestanden. Bischof Dibelius fragte mich in Dogmatik nach „Quousque tandem“!216 Er war aber sehr anständig und hat mich wegen meiner theologischen Herkunft nicht schlecht behandelt. Am 4. Mai bin ich in St. Nikolai zu Berlin von Generalsuperintendent Probst Haendler217 ordiniert worden. Mein calvinisches Gemüt mußte dabei 215 Der Personalreferent ließ sich nicht ermitteln. 216 Karl Barth, Quousque tandem …?, in: ders., Vorträge 1925–1930, 521–535. In dieser Schrift wendet sich Barth gegen das Buch „Das Jahrhundert der Kirche“ (Berlin 1926) von Otto Dibelius und das damit verbundene kirchliche Selbstbewusstsein. 217 Wilhelm Haendler (1863–1938) war 1911–1933 Generalsuperintendent von Berlin-Land.
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manches erdulden. Die Pfarrer von St. Nikolai tragen als Überwurf z.B. noch die Alba! Im Ordinationsbuch, in das wir uns eingetragen hatten, steht u.a. der Name Paul Gerhardts! Er mußte sich damals als berufener „praepositus ecclesiae Mittenwaldensis“218 auf die Augustana verpflichten; wir brauchten stattdessen in das Buch nur unseren Lebenslauf eintragen! O quae mutatio rerum!219 Ich wurde sogleich vom Konsistorium als Hilfsprediger nach Wittenberge verschickt, einer Stadt, deren einzige Berühmtheit darin besteht, daß hier die bekannten Singer-Nähmaschinen hergestellt werden. Wittenberge hat sich aus einem Ackerbürgerstädtchen schnell zu einer Industriestadt entwickelt und Leute aus allen Gegenden Deutschlands angezogen. In diesem traditionslosen Milieu sitze ich nun und habe einen Pfarrbezirk von 6.500 Seelen, meist Proletariern, zu versehen. Wenn man „existentiell“ in der Praxis steht, dann sieht sie doch etwas anders aus, als wenn man nur über sie spricht. Fast jeden Sonntag predigen müssen und dann noch all die Reden bei Amtshandlungen halten, ist wirklich keine leichte Sache. Man steht dann so sehr in der Gefahr, fromme Worte zu machen und darin sogar Routine zu gewinnen, daß man manchmal alles andere lieber sein möchte als Theologe. Am 1. November werde ich als Inspektor ans Elberfelder Seminar gehen. Der bisherige Inspektor hat eine leitende Missionsstellung angenommen.220 Herr Lempp hat meinen letzten Brief nicht mehr beantwortet. Offenbar hat er auch eingesehen, daß er wegen 3.000 M keinen Bettelfeldzug antreten kann. Wenn uns diese finanzielle Seite der Calvin-Ausgabe eigentlich auch nichts angeht, so ist durch den Briefwechsel doch erreicht worden, daß nun nicht mehr von einem Defizit von mehreren tausend Mark gesprochen werden kann. Ihr Bruder schrieb mir, daß zum 1. August die Manuskripte endlich druckfertig sein werden. Sehr erfreulich! Wenn Lempp keine Schwierigkeiten macht, kann Buch 3 der Institutio dann bald erscheinen.221 Meine Liz.-Vorlesung habe ich Merz gesandt und ihn gebeten, daß er s[eines] Z[eichens] Ihnen einen Korrekturabzug zuschickt. Vielleicht sagen Sie dann, ob Ihnen die Abänderungen genügen. Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer verehrten Gattin aufs Beste. Ihnen selbst möchte ich vor allem mit den besten Grüßen zum neuen Doktorhut222 gratulieren. Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel
218 Paul Gerhardt (1607–1676) war 1651–1657 Pfarrer und Propst in Mittenwalde (Brandenburg). 219 = O welch Wandel der Dinge! Es handelt sich um die letzte Zeile aus dem Studentenlied „O alte Burschenherrlichkeit“ aus dem 19. Jahrhundert. 220 Siehe Anm. 214. 221 OS IV: Institutionis Christianae religionis 1559 librum III continens, ed. P. Barth/W. Niesel, München 1931.21959. 222 In Glasgow wurde Barth am 18. Juni 1930 sein zweiter theologischer Ehrendoktor verliehen; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 217.
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40 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 15. Dezember 1930 Sehr verehrter Herr Professor! Darf ich Sie in den Weihnachtsferien wohl irgendwann einmal besuchen? D.h. wir beginnen unsere Arbeit hier schon wieder am 5. Januar, weil wir an der lutherischen Theologischen Woche teilnehmen. Ich sollte mit Ihnen auch über die reformierte Theologische Woche223 des nächsten Jahres und Ähnliches sprechen. Von Hirsch bekam ich neulich wider Erwarten einen sehr freundlichen Brief über meine Dissertation; aber davon dann evtl. mündlich. Für Günther Dehn wird nun Ps 112,8b224 aktuell! Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer sehr verehrten Gattin aufs Beste und seien Sie ebenso gegrüßt von Ihrem sehr ergebenen Wilhelm Niesel
41 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 16. Dezember 1930 Lieber Herr Niesel! Sie können in den Weihnachtsferien sehr wohl zu mir kommen. Ich würde dazu Sonntag, den 28. Dezember, vorschlagen. Treffen Sie sobald Sie können hier ein und bleiben Sie zum Mittagessen, dann wird für Alles Raum sein. Ich werde sehr gerne hören, wie Sie sich als Inspektor in Elberfeld zurechtfinden. Seien Sie freundlichst gegrüßt von Ihrem Karl Barth 223 Die vom Reformierten Bund veranstaltete Theologische Woche fand vom 13.–15. Oktober 1931 in Elberfeld statt und stand unter dem Motto „Die Frage nach dem Alten Testament“. 224 Ps 112,8b „bis er auf seine Feinde herabsieht“ in Anspielung auf den sog. „Fall Dehn“. Der Berliner Pfarrer Günther Dehn hatte 1928 in einem Vortrag „Kirche und Völkerversöhnung“ die Praxis kritisch in Frage gestellt, dass Kirchen den im Krieg Gefallenen Denkmäler errichten (Kirche und Völkerversöhnung. Dokumente zum Halleschen Universitätskonflikt, Berlin 1931, 6–23). Dieser Vortrag wurde von politisch und kirchlich rechtsstehenden Kreisen mit Empörung aufgenommen. Nachdem Dehn auf einen Lehrstuhl für Praktische Theologie in Halle berufen wurde, versuchten nationalistische und nationalsozialistische Gruppen durch Interventionen, ihn an einer Lehrtätigkeit zu hindern. In einem Brief vom 18. Oktober 1931 erklärten sich Barth und Karl Ludwig Schmidt mit Dehn solidarisch (Barth, Offene Briefe 1909–1935, 161); vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 231.
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42 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 14. Januar 1931 Sehr verehrter Herr Professor! Es ist notwendig, daß ich noch einmal auf unser Gespräch von neulich zurückkomme.225 Für uns wäre es gut, wenn wir möglichst bald über unsere Theologische Woche Klarheit hätten. Würden Sie wohl so freundlich sein, sich endgültig dazu zu äußern, ob Sie uns etwas über das Geschichtsproblem im Hinblick auf Urstand und Eschatologie sagen wollen? Von Hesse hörte ich, daß Sie ihm eigentlich versprochen hätten, diesmal zu kommen, als er Sie für die Weltbundtagung im vorigen Jahr gewinnen wollte.226 Tatsächlich wäre es auch nicht recht denkbar, wie wir unser Thema einigermaßen bewältigen könnten, wenn Sie absagen würden. Ihr geäußertes Bedenken ließe sich dadurch beseitigen, daß man die systematischen Vorlesungen auseinander, also an Anfang und Ende der Tagung legen würde. Wenn Sie auch dann noch Bedenken hätten, würden wir eher auf Brunner227 verzichten, weil wir doch meinen – bitte, fassen Sie das nicht als falsches Kompliment auf –, daß Sie mehr zu sagen haben als er. Die Theologische Woche der Lutheraner war s[einer].Z[eit]. in übelster Weise als Demonstration gegenüber den Reformierten aufgezogen.228 Es steckte kein Ernst dahinter, sondern die Professoren wurden zu einer Art von theologischem Kino mißbraucht. Was sie selbst in diesem Rahmen boten, war auch nicht hervorragend. Weber – eine Art von theologischem Vernebelungsversuch229 (man kann verstehen, daß Peterson in seiner Höhe den endgültigen Schritt zum Katholizismus getan hat)230; Gogarten – höchst bedenklich231; Althaus – als Referat zweifellos die beste Leistung, aber das Ergebnis ebenfalls unannehmbar.232 Nächstens wird ja meine Auseinandersetzung mit ihm in ZdZ erscheinen.233 225 Besuch von Niesel bei Barth in Bonn am 28. Dezember 1930. 226 In Wuppertal hielt der Reformierte Weltbund im September 1930 seine Tagung für den europäischen Kontinent ab. 227 Emil Brunner (1889–1966) war seit 1924 Professor für Systematische und Praktische Theologie in Zürich und gehörte zu den Mitbegründern der Dialektischen Theologie. Ende der 20er Jahre und vollends 1934 kam es über die von Brunner behauptete natürliche Offenbarung und göttlichen Schöpfungs- und Erhaltungsordnungen zum Bruch zwischen Barth und Brunner. 228 Die von der Lutherischen Vereinigung des Rheinlandes veranstaltete theologische Woche fand vom 4.–9. Januar 1931 in Elberfeld zum Thema „Das Wort“ statt; vgl. AELKZ 64, 1931, 109–112. 229 Hans Emil Weber (1882–1950), Professor für Systematische Theologie in Bonn und dort Barths Fakultätskollege, trug zum Thema „Wort und Glaube“ vor. 230 Barths Göttinger Kollege Erik Peterson trat 1930 zum Katholizismus über. 231 Friedrich Gogarten (1887–1967), Professor für Systematische Theologie in Jena, trug zum Thema „Die gegenwärtige Aufgabe der Kirche“ vor. 232 Paul Althaus (1888–1966), Professor für Systematische und Neutestamentliche Theologie in Erlangen, trug zum Thema „Wort und Sakrament“ vor; vgl. ders., Luthers Abendmahlslehre, LuJ 11, 1929, 2–42. 233 Wilhelm Niesel, Zum gegenwärtigen Gespräch über das Abendmahl, ZZ 9, 1931, 155– 163; auf Niesels Aufsatz antwortete Althaus in einer zweiten Auflage seines Aufsatzes: Die lutherische Abendmahlslehre in der Gegenwart, München 1931.
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Ihre freundliche Antwort darf ich wohl – hoffentlich im zusagenden Sinne – bald erwarten. Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer sehr verehrten Gattin aufs Beste und seien Sie selbst freundlichst gegrüßt von Ihrem sehr ergebenen Wilhelm Niesel
43 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 15. Januar 1931 Lieber Herr Niesel! Mit einem ganz tiefen Seufzer äußere ich mich endgiltig dahin, daß ich den mir aufgetragenen Vortrag übernehmen will. Ich seufze sowohl angesichts der allgemeinen Bedrängnis, von der ich meine Herbstferien im Blick auf diese wie auf andere Sachen im Geiste jetzt schon erfüllt sehe. Ich seufze auch im Blick auf die ganz besondere Schwierigkeit gerade dieser mir zufallenden Aufgabe: im Blick auf die Frage, was zu diesem Thema a) überhaupt, b) erbaulich und c) einigermaßen klar und deutlich gesagt werden kann. Ich seufze, nehme aber dennoch an, schließlich nur aus der Erwägung, daß ich den deutschen Reformierten nun einmal schicksalsmäßig zugeordnet und zur Teilnahme an ihren Unternehmungen irgendwie verbunden bin. Vielleicht kann ich mir dann 1933 einmal ein Moratorium meiner Existenz als Stammgast dieser theologischen Wochen erbitten, vielleicht auch nicht, aber diesmal will ich es also nicht in Anspruch nehmen. Ich möchte das Thema gerne so formuliert haben: „Das Geschichtsproblem im Hinblick auf den Anfang und das Ende der Wege Gottes.“ Irgendwelche weiteren Bedingungen und Vorbehalte z.B. in Bezug auf die Koexistenz mit Brunner234 habe ich nicht geltend zu machen. Ich wäre Ihnen wohl dankbar, wenn Sie mir in ein paar Strichen andeuten könnten, was Gogarten in Barmen vorgetragen hat. Wir stoßen hier im Zusammenhang der Diskussionen des offenen Abends immer wieder auf sein Spezialproblem, das er ja wohl auch bei diesem Anlaß zur Sprache gebracht haben wird. Und ich wüßte gerne, welches der augenblickliche Stand der Dinge bei ihm ist.235 Bitte grüßen Sie Pastor D. Hesse und empfangen Sie selbst die herzlichsten Grüße Ihres Karl Barth 234 Siehe Anm. 227. 235 Siehe Brief vom 14. Januar 1931 mit Anm. 231. Die Theologische Woche fand nicht in Barmen, sondern im großen Saal der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Elberfeld statt. In seinem Vortrag „Die gegenwärtige Aufgabe der Kirche“ legte Gogarten dar, dass die Kirche sich nicht der sozialen Tätigkeit, sondern der Verkündigung des Wortes Gottes zu widmen und die innere Erneuerung des Menschen zu fördern habe.
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44 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 19. Januar 1931 Sehr verehrter Herr Professor! Herzlichen Dank für Ihre Zusage! Nun wäre das wichtigste Thema ja in guten Händen. Auch Hesse läßt danken und grüßen. Er will Ihnen noch selbst schreiben. Gogarten entwickelte in seinem hiesigen Vortrage seine Gedanken in Antithese gegen die soziale Arbeit der Kirche.236 Das Grundübel unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage sei das, daß der Mensch nicht mehr als \Y^QP RQNKVKMQPangesehen werde, sondern als einer, der frei, auf sich selbst gestellt ist. Im Anschluß an Dilthey und Graf v. Wartenburg238 zeigte er, wie schon im römischen Recht das Verhältnis der Menschen zueinander nicht nach dem natürlichen UWPFGUOQL239 geregelt werde, sondern durch die „Synthese“, und wie die Konsequenzen dieses „unpolitischen“ Denkens sich allmählich zu den Ausmaßen gesteigert haben, die wir heute als Kapitalismus und Sozialismus erleben. Die soziale Arbeit der Kirche fördere nur diese katastrophale Entwicklung, weil da der Grundschaden nicht gesehen und beseitigt werde. Das habe heute die Kirche zu tun, indem sie die Menschen wieder in die Hörigkeit gegen ihre Nächsten hineinweise, denen sie nach der Schöpfungsordnung zugeordnet sind. Die Kirche habe gegenwärtig diese „politische“ Aufgabe. Sie werde gelöst durch die Verkündigung des Evangeliums, das die Menschen eben in die Schöpfungsordnung hineinweist. Solche Predigt gibt es nur in dem dazu verordneten Amt. Nur eingefügt in „Ordnung“ ist Verkündigung Gottes Verkündigung. Im Wesentlichen also bekannte Gedanken, mir diesmal aber besonders bedenklich, weil da die Aufgabe der Kirche doch als sehr verkürzt erscheint. Ganz abgesehen von allem anderen. Freilich scheint Gogarten sich über alles noch nicht ganz klar zu sein. Das zeigte die Aussprache (an der wir uns aber nicht beteiligt haben). Da gab er zu, daß die Kirche auch die Rechtfertigung und Eschatologie usw. zu predigen habe, und sagte von seinen Forderungen im Vortrage, daß diese die gegenwärtige Aufgabe der Theologie seien. Dann sähe die Sache ja schon etwas anders aus, wenn er nur sagen wollte, die Theologie habe heute eine gefährliche Ketzerei zu bekämpfen. Was sodann die Schöpfungsordnungen betrifft, so gab er zu, daß die historische Form sich ändern könne (Polygamie der Erzväter usw.). Es käme schließlich nur darauf an, daß überhaupt Staat da sei. Warum aber dann das Pathos für das gut bürgerliche Familienleben und patriarchalische Wirtschaftsverhältnisse? Unklar war weiter der Begriff des „Amtes“. Ist es auch in die Schöpfungsordnung als Stand eingebettet, oder gehört es einer anderen Ordnung an? Ich vermute 236 Siehe Anm. 235; vgl. auch Friedrich Gogarten, Politische Ethik, Jena 1932, 135–147. 237 = Mensch als soziales, politisches Wesen. 238 Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul York von Wartenburg 1877–1897, Halle 1923 (Nachdruck Hildesheim 1995). 239 = Verbundenheit; Zusammenhalt.
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allerdings das erstere; denn Gogarten schien überhaupt nur eine RQNKVGKCzu kennen und keine GXMMNJUKC Hier schien mir einer der unklarsten und wundesten Punkte bei ihm zu sein. Im Seminar242 hier muß ich immer wieder die böse Erfahrung machen, daß die Leute heute z.T. überhaupt nicht mehr wissenschaftlich arbeiten können. Jeder Ansatz zum Selbstdenken fehlt oft. Man bekommt Referate, die einfach nur aus Exzerpten bestehen (Calvin sagt, Meyer sagt, Weiß sagt, usw. ... folglich: ...), so daß man sich fragt, was hat für diese Leute überhaupt das Studium bedeutet. Bei den Juristen und Medizinern ist diese Art ja schon längst eingerissen, daß man nicht mehr studiert, sondern nur Stoff einpaukt. Das scheint jetzt auch bei uns so zu werden. Da ist es besonders verheerend, nicht nur wegen des Prinzipiellen, daß bei uns doch wirkliche Aneignung nötig ist, sondern weil wir ja keine feste Lehre haben, die einfach eingepaukt werden könnte. Bei den vielen Stimmen, die auf sie einstürmen (etwa bei der Exegese), wissen die Leute sich dann überhaupt nicht zu helfen. So geht das Studium an vielen heute fast nutzlos vorüber. Das ist jetzt beinahe meine feste Überzeugung. Das Gymnasium, auf dem man noch denken lernte, verschwindet immer mehr, und auf der Universität lernen viele auch nicht mehr denken (in die Seminare kommen doch eben nicht alle). Haben Sie sich über dieses akademische Proletariat schon einmal Gedanken gemacht, das Sie in Ihrem Seminar nicht erreichen? Auf dem Predigerseminar bekommt man die Leute dann gleichsam unter die Lupe, und das Bild, das man sieht, ist oft geradezu katastrophal. Man fragt sich, wie solche Leute ein Examen machen konnten. Offenbar nur bei großer Milde und bei der Gewohnheit, daß bei den Examina nach wirklichem Denken wenig geforscht wird. Sie haben neulich über die geringen Sprachkenntnisse geseufzt. Hier kann man darüber seufzen, wie spurlos die Universität an vielen vorübergeht. Und über das Endprodukt kann dann die Kirche seufzen. Ich schreibe Ihnen das nur, weil Sie vielleicht diesen Schaden doch einmal bedenken können, auch mit Ihren Kollegen. In Berlin ist man stolz darauf, daß nach dem neuen Gesetz eine Ausbildung der Pfarrer gewährleistet ist, die früher nur ein Idealbild war. Nur was wird erreicht bei der heutigen Einstellung der Studenten und bei dem Massenbetrieb?! Herzliche Grüße! Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel Im „Vorwärts“ vom 18.1. steht ein Artikel über „Faschisierung der Theologie. Eine Auseinandersetzung mit Fr. Gogarten“!243 240 = Staatsordnung. 241 = Kirche. 242 Reformiertes Predigerseminar Elberfeld. 243 Jacob Peter Mayer, Faschisierung der Theologie? Eine Auseinandersetzung mit Gogarten, in: Blick in die Bücherwelt. Beilage des Vorwärts, Nr. 1, 18. Januar 1931. Es handelt sich um eine Rezension zu Friedrich Gogarten, Wider die Ächtung der Autorität, Jena 1930. Darin plädidert Gogarten gegen den Despotismus der Eigengesetzlichkeit der politischen Verhältnisse für eine „wahre, d.h. autoritätsgebundene menschliche Herrschaft“ (39).
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45 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 22. März 1931 Lieber Herr Niesel! Ich komme mit böser Nachricht zu Ihnen: Es ist nämlich so, daß ich Sie und Herrn D. Hesse bitten muß, mich von dem für die Theologische Woche im kommenden Herbst übernommenen Vortrag wieder freizusprechen. Vielleicht ist auch Ihnen zu Ohren gekommen, daß ich vor fünf Wochen schwer ins Bett gekommen bin und die Mittelohrentzündung mit Diphterie, die mich da erfaßt hat, noch jetzt nicht restlos überwunden habe. Ich muß morgen ganz gegen Programm zur Erholung in die Schweiz fahren.244 Diese Sache hat mir nun einen bösen Strich durch meinen ganzen Arbeitsplan für dieses Jahr gemacht. Ich stehe zunächst vor der Neuerstellung der Vorlesung über Prolegomena und theologische Enzyklopädie. Dazu muß in diesem Jahr sowohl die umgearbeitete zweite Auflage der Prolegomena245 (ich beginne eben damit und es scheint auch hier kein Stein auf dem andern bleiben zu wollen) und das Anselm-Buch246 fertig werden. Und nun habe ich so viel Zeit verloren, daß ich schlechterdings genötigt bin, irgendwo abzubauen. Das ist nirgends anders möglich als bei den Vorträgen, die ich für Sommer und Herbst übernommen habe: einer beim Schweizerischen Pfarrverein und der andere nun eben bei Ihnen in Elberfeld. Ich kann es mir nämlich an den Fingern abzählen, daß ich die Herbstferien abgesehen von der immerhin auch notwendigen Erholung für jene unaufschiebbare literarische Arbeit werde brauchen müssen. Sie wissen und werden es auch Herrn D. Hesse erklären können, daß meine Vorträge leider in keiner Weise im Handumdrehen entstehen, sondern Wochen erfordern. Solche Wochen werde ich aber dies Jahr nicht mehr zu vergeben haben. Ganz abgesehen davon, daß das Thema, das Sie mir aufgesalzen haben, von solcher Art ist, daß ich damit rechnete, mehrere Wochen damit zuzubringen! So muß ich hiermit also auch Elberfeld bitten, mir meine Zusage zurückzugeben und somit dem Stammgast der Theologischen Woche für diesmal also doch ein Halljahr247 zu gewähren! Es wird ja gewiß nicht leicht sein, gerade für dieses verzwickt gestellte Thema einen passenden anderen Referenten zu finden, aber ich tröste mich mit Ihrer anerkannten Tüchtigkeit, wenn ich hoffe, daß Ihnen dies dennoch gelingen werde. Grüßen Sie Herrn D. Hesse und seien Sie selber bestens gegrüßt von Ihrem Karl Barth 244 Vgl. Rundbrief vom 22. Februar 1931, in dem Barth detailliert über seine Erkrankung berichtet: Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 90–101, hier 100f. Nach seiner Genesung hielt er sich bei seiner Mutter in Bern auf; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 221f. 245 Karl Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. I/1, Zollikon-Zürich 1932. 246 Karl Barth, Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms (1931), hg. v. E. Jüngel/I.U. Dalferth, Karl BarthGesamtausgabe, Abt. II, Zürich 21986. 247 = Jubel- bzw. Erlassjahr gemäß Lev 25.
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46 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 29. März 1931 Sehr verehrter Herr Professor! Von Ihrer schlimmen Erkrankung war die Kunde tatsächlich auch nach Elberfeld gelangt, und mir kam schon einmal der Gedanke, daß das auch für unsere Theologische Woche Konsequenzen haben könnte. Nun freue ich mich sehr, daß Sie diese gefährlichen Krankheiten einigermaßen überwunden haben, und wünsche Ihnen, daß Sie sich in der Schweizer Luft recht bald völlig erholen. Daß Sie Ihren Vortrag nun absagen müssen, ist sehr begreiflich, für uns aber ein sehr dicker Strich durch unsere Rechnung. Da vordem schon Brunner absagen mußte, weil er im Herbst nach Schweden reist, so scheint es uns nun ziemlich zwecklos zu sein, im Herbst eine Theologische Woche über das Geschichtsproblem abzuhalten. Wir haben uns schon lange den Kopf zerbrochen, wen wir als Ersatzmann für Brunner bitten könnten. Für Sie nun Ersatz zu suchen ist noch viel schwieriger, ja eigentlich aussichtslos. Es kommt uns ja nicht darauf an, daß über das Thema irgendetwas gesagt wird, sondern wir wollen die Fragen soweit zu klären suchen, wie sie sich heute überhaupt klären lassen. Und da gibt es für Ihr Thema keinen anderen Referenten als Sie eben selbst. Da Sie im Herbst nicht kommen können, steht für uns die ganze Theologische Woche in Frage. Aber sie muß ja schließlich nicht in diesem Jahre stattfinden. Es kommt uns ja nicht darauf an, daß eine solche Woche abgehalten wird, sondern darauf, daß gearbeitet wird. So möchten wir uns denn erlauben – nehmen Sie uns diese Hartnäckigkeit, bitte, nicht übel –, Sie zu fragen, ob Sie uns wohl im nächsten Frühjahr vor Beginn des Sommersemesters 1932 den Vortrag halten könnten? Sie hätten dann jetzt das notwendige „Halljahr“, und auch uns wäre geholfen. Wir würden sofort die Theologische Woche abblasen; denn wir sind gerade auf dem Sprunge, uns durch monatliche Treffen mit der Materie der Referate vertraut zu machen. Wir wären Ihnen für eine zusagende Antwort sehr dankbar. Sonst wüßten wir nicht, wie wir aus dem Dilemma herauskommen sollten. Ich habe mich gefreut zu hören, daß Sie inzwischen sehr eindrücklich in meiner Heimatstadt gewirkt haben.248 Zwei „Amtsbrüder“, die hinter einem Freunde von mir auf der Galerie standen, sagten nach Ihrem Vortrage: „Der Mann scheint uns gefährlich zu sein.“ Das mag ja wohl stimmen. Ein gutes Osterfest! Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel249 248 Am 31. Januar 1931 hielt Barth in der Aula der Universität Berlin den Vortrag „Die Not der evangelischen Kirche“ (ders., Vorträge 1930–1933, 64–122). 249 Handschriftliche Ergänzung am Seitenende von Charlotte von Kirschbaum, mit welcher der Brief an Barth weitergeleitet wurde: Ich würde mich auf keinen Fall binden, denn du bist im nächsten Frühjahr nicht anders dran.
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47 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bern, 5. April 1931 Lieber Herr Niesel! Dank für Ihren Brief vom 29. März! Aber – nein, ich will jetzt nicht schon wieder anfangen mit Schuldenmachen für das nächste Jahr. Ich sehe schon jetzt kommen, daß ich dann nicht viel besser dran wäre als jetzt und daß dieser Vortrag nun schon wegen der Unförmlichkeit seines Themas mich in ein Gewühl stürzen würde, das mir allen Lebensmut nimmt. Ich bin dabei, die Prolegomena250 in eine D.b.v.251 viel bessere Form zu gießen, und nachher soll es ja dann mit der übrigen Dogmatik endlich vorwärts gehen. Unterdessen muß mich Menschheit und Kirche ein bißchen entschuldigen. Von Herzen! Ihr Karl Barth
48 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 1. Juli 1931 Sehr verehrter Herr Professor! Erlauben Sie, bitte, daß ich heute mit einer Bitte zu Ihnen komme. Haben Sie wohl einmal für Pastor Weber (Elberfeld)252 und meine Wenigkeit etwa zwei Stunden Zeit? Wir würden gerne eine nicht unwichtige Angelegenheit mit Ihnen besprechen.253 Bis zum kommenden Mittwoch freilich ist Weber verreist. Aber wenn Sie uns in den Tagen darauf einmal anhören wollten, wären wir Ihnen sehr dankbar. Sie sind wohl so freundlich, mir darüber Nachricht zu geben? Mit herzlichem Gruße und der Bitte, mich Ihrer sehr verehrten Gattin bestens zu empfehlen! Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel
Postkarte 250 Siehe Anm. 245. 251 = Deus bene vertat (Gott möge es zum Guten wenden). 252 Otto Weber (1902–1966) war seit 1928 Dozent und 1930–1933 Direktor der Theologischen Schule in Elberfeld; vgl. von Bülow, Otto Weber, 52ff. 253 Es handelt sich um das im folgenden Brief vom 29. September 1931 angesprochene Thema Gottesdienst und hier vermutlich um die Diskussion über den Entwurf einer neuen Agende für die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union; vgl. die kritische Beurteilung von Wilhelm Boudriot, Grundsätzliches zur preußischen Agendenreform, RKZ 82, 1932, 73–75.81–83.
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49 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 29. September 1931 Sehr verehrter Herr Professor! Gerade bin ich von einer Studienreise des Predigerseminars in die Gebiete der hannoverschen reformierten Kirche zurückgekehrt, und nun soll hier wieder alles in Gang kommen. Gestern traf ich Pastor Weber, und wir fragten uns, wie wir jetzt unsere Arbeit über das Problem des Gottesdienstes wieder aufnehmen könnten. Da hatten Sie uns ja zunächst eine Besprechung über unsere Thesen in Aussicht gestellt, die am Ende des Semesters nicht mehr stattfinden konnte.254 Nun möchten wir uns die Frage erlauben, ob Sie uns jetzt wohl bald einmal zu einer solchen Besprechung empfangen könnten? Mit den besten Grüßen und der Bitte, mich auch Ihrer sehr verehrten Gattin aufs Beste zu empfehlen! Ihr sehr ergebener Wilhelm Niesel
50 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 12. Oktober 1931 Lieber Herr Niesel! Sie haben ganz recht, daß Sie reklamieren. Ich habe Ihr Manuskript255 in Bern genau durchgesehen und mit allerlei Randglossen versehen. Bis Ende dieses Monats verfüge ich so ziemlich über meine Zeit und möchte es Ihnen und Pastor Weber überlassen, mir einen Vorschlag für einen Termin zur weiteren Beratung zu machen. Mit freundlichem Gruß! Ihr Karl Barth
254 Siehe Anm. 253; entsprechende Thesen zum Gottesdienst ließen sich nicht auffinden. Postkarte. 255 Siehe Anm. 254.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
51 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 1. November 1931 Sehr verehrter Herr Professor! Gestern habe ich an Karl Ludwig Schmidt einen Aufsatz gesandt über Zwinglis „spätere“ Sakramentsauffassung.256 Da ich einmal beim „Abschlachten“ war, habe ich es nicht mit Blanke bewenden lassen, sondern gleich noch Walther Köhler (Zwingli und Luther I) hinzugetan.257 Auch Ihren Bruder habe ich mit einer Anmerkung bedacht.258 Nur hat er im Unterschied zu den beiden anderen Zwingli durchaus richtig gesehen. Ich habe ihn seinerzeit für diese Aufsätze auch in Vorschlag gebracht, weil ich wußte, daß er eine stille Liebe für Zwingli hat. Ich hoffe, daß Schmidt die Sache nimmt, weil in den Theologischen Blättern doch ein größerer Leserkreis erreicht wird als in unserer RKZ. Nun noch etwas anderes, das neulich Kolfhaus259 Weber und mir auf die Seele gebunden hatte und das wir dann doch vergaßen. Etwa im Februar wird voraussichtlich Dr. Vollenhoven260, Prof. der Philosophie an der Freien Universität in Amsterdam, hier einen Vortrag halten. Könnten Sie ihn bei der Gelegenheit einmal in Ihrer Sozietät gebrauchen? Er soll ein tüchtiger Mann sein, wenn auch Ihrer Theologie gegenüber ablehnend sich verhaltend. Würden Sie wohl die Freundlichkeit haben, mir kurz darüber zu schreiben, damit ich Kolfhaus Nachricht geben kann, der mich jetzt schon deswegen anfragt? Gestern hat hier im reformierten Tempel Wolf261 vor dichtgedrängter Zuhörerschaft ein ganz ordentliches Kolleg gehalten über „Luther und das Persönlichkeitsideal“; aber es ging leider weit über die Köpfe der Leute hinweg, und die Urteile, die man beim Herausgehen hörte, waren nicht gerade zart. Theologie und Kirchenvolk! Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer sehr verehrten Gattin aufs Beste und seien Sie selbst ebenso gegrüßt von Ihrem sehr ergebenen Wilhelm Niesel 256 Wilhelm Niesel, Zwinglis „spätere“ Sakramentsauffassung, ThBl 11, 1932, 12–17; Karl Ludwig Schmidt war Herausgeber der Theologischen Blätter. 257 Fritz Blanke, Zum Verständnis der Abendmahlslehre Zwinglis, PTh 27, 1931, 314–320; ders., Zwinglis Sakramentsanschauung, ThBl 10, 1931, 283–290; Walther Köhler, Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen, Bd. I, Leipzig 1924 (Nachdruck New York/London 1971). 258 S. 17, Anm. 8 weist Niesel auf Peter Barth, Zwinglis Beitrag zum Verständnis der biblischen Botschaft, RKZ 81, 1931, 220.260f.267f.298–300, hin. 259 Wilhelm Kolfhaus (1870–1954) war 1920–1940 Pfarrer in Vlotho, Assessor im Moderamen des Reformierten Bundes und 1930–1936 Schriftleiter der RKZ. 260 Dirk Hendrik Theodoor Vollenhoven (1892–1978) lehrte seit 1926 an der Freien Universität Amsterdam Philosophie. 261 Ernst Wolf (1902–1971) war 1931–1935 Professor für Kirchengeschichte in Bonn. Er hielt das Kolleg in der Alten reformierten Kirche Elberfeld.
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52 Charlotte von Kirschbaum an Wilhelm Niesel Bonn, 7. November 1931 Sehr geehrter Herr Niesel! Prof. Barth läßt Ihnen für Ihren Brief danken und Ihnen sagen, daß er gerne bereit ist, Dr. Vollenhoven in sein Seminar einzuladen, da ein Vortrag mit vermutlich Kuyperianischen Hintergründen sich dem Thema dieses Semesters ganz gut einfügen würde. Seien Sie bitte so freundlich, uns die Amsterdamer Adresse von Dr. Vollenhoven mitzuteilen, damit wir uns direkt mit ihm in Verbindung setzen können. Mit freundlichem Gruß! Charlotte von Kirschbaum
53 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 28. Juli 1932 Sehr verehrter Herr Professor! Soeben erhalte ich die Juli-Nr. der Theologischen Blätter. Vielleicht darf ich Ihnen einmal, ohne mißverstanden zu werden, sagen, wie ich mich freue, daß Sie Wobbermin so kräftig heimleuchten.262 Wie „geschlagen unsere Armee“263 ist, das liest man wirklich daraus, daß man ausgerechnet Ihnen den Vorwurf macht, Ihr Weg führe nach Rom!264 Wo ist in der „evangelisch“-theologischen Literatur heute noch ein so starkes antidotum265 gegen Rom zu finden, wie Ihr Elberfelder Vortrag über die Geistfrage es darstellt?266 Aber dafür geht offenbar Wobbermin und der hinter ihm stehenden breiten Front „evangelischer“ Theologen der sensus ab. Zu dieser Front gehört letztlich auch Kolfhaus. Ihr Briefwechsel in den Im Auftrag von Barth verfasstes Antwortschreiben von Barths Mitarbeiterin Charlotte von Kirschbaum (1899–1975). 262 Karl Barth, Offener Brief an Wobberhin vom 18. Juni 1932, ThBl 11, 1932, 219f.221f (= ders., Offene Briefe 1909–1935, 225–228). 263 Ebd., 228. 264 Georg Wobbermin, Offener Brief an Barth vom 15. Juni 1932, in: Barth, Offene Briefe 1909–1935, 223–225. 265 = Gegengift. Im Hintergrund steht die Erinnerung an Calvins Streitschriften gegen die Artikel der Sorbonne von 1544 (CStA 3,1–105) und gegen die Akten des Trienter Konzils von 1547 (CStA 3,107–207), wo zu jedem Artikel in einem „antidotum“ die reformatorische Lehre entfaltet wird. 266 Karl Barth, Der Heilige Geist und das christliche Leben, in: ders., Vorträge 1925–1930, 458–520.
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Theologischen Blättern und in der Reformierten Kirchenzeitung dreht sich letztlich um dieselbe Sache.267 Und es ist mir keine Frage, daß das Recht der Berufung auf Calvin auf Ihrer Seite liegt und nicht auf der von Kolfhaus. Wie „ungesetzlich“ Calvin lehrt, d.h. wie er das Gesetz nie vom Gesetzgeber loslöst und so „vergötzt“, das ist mir erst wieder in diesem Sommer ganz deutlich geworden bei [der] Behandlung dieser Fragen im Seminar und der Theologischen Schule. Calvins Ethik sieht wirklich anders aus als die von Kolfhaus, aber auch anders als die von Gogarten268. Und vermutlich wäre Brunner269 hier anzureihen. Im Winter-Semester will ich hier Calvins Kirchenlehre behandeln mit dem Hintergedanken, die Sache nachher vielleicht zu veröffentlichen.270 Meine Liebe für dieses Problem ist ja alt. Ich schlug es Ihnen in Göttingen schon als Dissertationsthema vor; aber da war mir der unglückliche Heß zuvorgekommen.271 Brütet jetzt etwa in Bonn ein Nachfolger von Heß über diesem Ei? So wie ich die Sache jetzt kenne, sehe ich allerdings voraus, daß Wobbermin eine sachgemäße Behandlung des Themas als römisch brandmarken wird. Man könnte darüber lachen, wenn Wobbermin nicht Symbol wäre! Sie sind jetzt wohl auf dem Sprunge, um für einige Wochen in die in anderer Hinsicht wenigstens glücklichere Schweiz zu fahren? Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer sehr verehrten Gattin aufs Beste und seien Sie selbst ebenso gegrüßt von Ihrem Wilhelm Niesel
54 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 19. September 1932 Sehr verehrter Herr Professor! Entschuldigen Sie, bitte, wenn ich Sie mit einer Frage belästige. Wie in jedem Sommer-Semester haben wir jetzt auch wieder hier in unserem Seminar einen Schotten.272 Er möchte gerne noch das Winter-Semester über in Deutschland bleiben, um Ihre Theologie näher kennen zu lernen, und zu diesem Zwecke möglichst bei Ihnen in Bonn studieren. Er hat nun aber gehört, daß Sie die Absicht 267 Abdruck der beiden Briefe Barths an Wilhelm Kolfhaus vom 10. Juli 1932 und vom 24. Juli 1932 in RKZ 82, 1932, 220f.236f (= Barth, Offene Briefe 1909–1935, 235–253). 268 Friedrich Gogarten, Politische Ethik, Jena 1932. 269 Emil Brunner, Das Gebot und die Ordnungen. Entwurf einer protestantisch-theologischen Ethik, Tübingen 1932. Zürich 41978. 270 Wilhelm Niesel, Wesen und Gestalt der Kirche nach Calvin, EvTh 3, 1936, 308–330. 271 Siehe Briefe vom 26. Dezember 1925 und vom 11. Juni 1926 mit Anm. 22. 272 Um wen es sich handelt, konnte nicht ermittelt werden.
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haben, im Winter Dogmengeschichte273 zu lesen, und er fragte mich, ob er wohl auch in einer solchen Vorlesung Ihre Theologie kennen lernen könnte. Was soll man ihm da antworten? Bestände unter Umständen die Möglichkeit, daß er neben der Vorlesung eines Ihrer Seminare besucht? Es wäre kein Schade, wenn er etwas von der neuen Theologie nach Schottland mitnähme. Zu Brunner274 möchte man ihn nicht gerne schicken; denn man weiß nicht recht, ob dort noch etwas zu holen ist. Ich wäre Ihnen für eine Auskunft und für Rat recht dankbar. Mit den besten Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel
55 Karl Barth an Wilhelm Niesel Wabern, 24. September 1932 Lieber Herr Niesel! Ich glaube, Sie können dem Schotten ruhig raten, diesen Winter nach Bonn zu kommen. Es wird ihm ja nur gut tun, bei diesem Anlaß Einiges über Goethe etc. zu hören.275 Und außerdem kann er bei dem Seminar über Institutio III jedenfalls als Hörer doch gewiß Einiges lernen und ebenso in den Übungen zur Predigtvorbereitung276 und im offenen Abend, wo Brunners Ethik277 an die Reihe kommen soll. Mit freundlichem Gruß! Ihr Karl Barth Haben Sie wohl Hirschs Märchenbuch278 schon gesehen? Ich überlege mir ernstlich, ob ich, um die Konkurrenz auszuhalten, nicht ein tüchtiges Film-Buch auf Kiel legen sollte! Vom Mittwoch ab bin ich wieder in Bonn. 273 Im Wintersemester 1932/33 las Barth über die „Vorgeschichte der neueren protestantischen Theologie“. Diese Vorlesung fand später Eingang in das Werk: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zollikon-Zürich 1947, 16–378. 274 Zu Emil Brunner siehe Anm. 227. Postkarte. 275 Siehe Anm. 273. 276 Aus den im Wintersemester 1932/33 und im Sommersemester 1933 gehaltenen „Übungen in der Predigtvorbereitung“ ging auf Grundlage einer Nachschrift das Buch hervor: Karl Barth, Homiletik. Wesen und Vorbereitung der Predigt, Bereinigung und Bereitstellung zum Druck von G. Seyfferth, Zürich 1966.31986. 277 Siehe Anm. 269. 278 Emanuel Hirsch, Herzgespinste. Deutsche Märchen, Gütersloh 1932.
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56 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 9. Oktober 1932 Lieber Herr Niesel! Ihre Absicht, wegen der nächsten Theologischen Woche279 mit mir zu reden, macht mich im Voraus ängstlich. Aber zu einer Aussprache darüber bin ich bereit. Wollen Sie am Freitag Nachmittag zu mir kommen? Bei dem Anlaß möchte ich Sie um eine Auskunft bitten. „Das Wort Gottes und die Theologie“ wird ins Französische übersetzt. Der Übersetzer fragt mich, woher die S. 208 unten zitierte Calvin-Stelle stamme.280 Und wahrhaftig, ich, der ich damals noch sehr viel unwissenschaftlicher war als heute, habe mir die Stelle nicht notiert und kann mich ihrer schlechterdings nicht mehr erinnern. Haben Sie eine Ahnung, wo das stehen könnte? Nach meiner dunklen Erinnerung müßte es in einem lateinischen Kommentar zu finden sein. Aber ich kann mich auch täuschen. Jedenfalls wäre ich überaus froh, wenn mir Ihre Sachkunde die Beschämung ersparen würde, dem Mann schreiben zu müssen, daß ich nicht wisse, wonach er frage. Mit freundlichem Gruß! Ihr Karl Barth
57 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 8. Dezember 1932 Sehr verehrter Herr Professor! Gestern haben wir hier endlich im kleineren Kreise einmal über die Theologische Woche gesprochen. Ihr Vorschlag, einen neutestamentlichen Text zu exegesieren, ist sehr begrüßt worden. Allerdings fehlte auch nicht eine Stimme, die auf die Schwierigkeit einer Aussprache nach solchen Referaten hinwies. Wir möchten nun vorschlagen, 2. Kor 3–5 zu nehmen. Die Evangelien hielten wir für im Augenblick noch zu schwierig. Paulus-Texte aus Röm oder 1. Kor
Postkarte. 279 Ein Brief dazu liegt nicht vor. Tatsächlich fand 1933 keine Theologische Woche des Reformierten Bundes statt. 280 Karl Barth, Das Wort Gottes und die Theologie. Ges. Vorträge, München 1929; frz. Übers.: Karl Barth, Parole de Dieu et parole humain, trad. par P. Maury/A. Lavanchy, Paris 1933. Auf S. 208 zitiert Barth im Vortrag „Reformierte Lehre, ihr Wesen und ihre Aufgabe“ (1922) Inst. (1536) II,4, OS I,87; vgl. ders., Vorträge 1922–1925, 242.
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wollten wir nicht nehmen, weil da Kommentare von Ihnen vorliegen281 und die Gefahr bestünde, daß die Vorbereitung mancher Gäste dann nur darin liegen würde, „anstößige Stellen“ herauszusuchen und auf der Tagung dagegen Sturm zu laufen. Es würde sich jetzt darum handeln, falls Sie mit dem Vorschlage einverstanden sind, die Kapitel möglichst sachgemäß in Abschnitte zu zerlegen und für diese Abschnitte dann Referenten zu suchen. Wir wollen uns in den nächsten Wochen privatim einmal genauer mit diesen Kapiteln befassen und dann Vorschläge für die Texteinteilung machen. Vielleicht sind Sie so freundlich, auch einmal daran zu denken. Wäre es dann nicht praktisch, wenn ich am Anfang des nächsten Jahres einmal zu Ihnen käme, um Ihnen unsere Meinung über die Texteinteilung vorzutragen? Ich bin augenblicklich mit dem Problem der Theologie Calvins beschäftigt.282 Was Sie mir neulich sagten, habe ich mir durch den Kopf gehen lassen, nur es schien mir dann doch richtig, den Stier gleich bei den Hörnern zu packen, so wie Sie es meinten. Die Sache ist sehr interessant. Vielleicht kann ich Ihnen später dann auch einmal davon berichten. Als ich mich neulich von Ihnen verabschiedete und Sie mich unten an der Tür mit Ihrem Votum in Sachen Göttingen überraschten, war ich tatsächlich ein wenig sprachlos.283 Ich hatte wohl manches munkeln hören, aber daß Sie mich genannt hatten, wußte ich nicht. Vielleicht darf ich Ihnen jetzt dafür herzlich danken. Freilich, wenn ich an die Aufgabe selbst denke, die einem dann gestellt wäre – Ihr neuer Dogmatik-Band284 führt sie einem plastisch vor Augen –, dann möchte man lieber gleich abwinken. Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer sehr verehrten Frau Gemahlin aufs Beste. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
281 Karl Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung 1922), hg. v. C. van der Kooi/K. Tolstaja, Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. II, Zürich 2010; ders., Die Auferstehung der Toten. Eine akademische Vorlesung über 1. Kor. 15, München 1924. 282 Damit deutet Niesel erste Überlegungen zu einer Gesamtdarstellung an, die er 1938 vorlegte: Die Theologie Calvins, München 1938. 283 Es ging in dem Gespräch um die Wiederbesetzung der Professur für Reformierte Theologie in Göttingen, die faktisch seit Barths Wechsel nach Münster 1925 vakant war. Barth schlug Anfang 1932 Karl Bauer (1874–1939), Wilhelm Niesel und Peter Barth als Kandidaten vor. Schließlich wurde 1934 Otto Weber auf den inzwischen als Ordinariat ausgewiesenen Lehrstuhl berufen; vgl. Goeters, Reformierter Lehrstuhl, 268–278, hier 277f; von Bülow, Otto Weber, 144–151. 284 Karl Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. I/1, Zollikon-Zürich 1932.
II. Briefwechsel 1933–1939
58 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 19. Januar 1933 Lieber Herr Niesel! Können Sie am Freitag Nachmittag zu mir kommen? Ich möchte dann gerne auch Näheres über das von Ihnen in der Reformierten Kirchenzeitung so aufregend beschriebene Gogartentreffen hören.1 Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth
59 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 14. April 19332 Sehr verehrter Herr Professor! Vielleicht bringt diese Zeit unsere Kirche doch noch zu guter Besinnung. Zoellner hat eben einen sehr beachtlichen Aufruf erlassen, in dem er Konfessionskirchen fordert.3 Heute Nachmittag waren Goeters4 und ich 2 Stunden bei ihm.5 Wir waren uns mit ihm ganz einig darin, daß eine Zwangs-Staatskirche oder eine von einer kirchlichen Opposition mit Machtmitteln geschaffene Kirche des Mythos6 verhindert werden müsse. Er meinte, wir müßten die Stunde nur nutzen und zunächst in Altpreußen eine lutherische und eine reformierte Kirche schaffen, die
Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 38; mit einer detaillierten Zeittafel für das Jahr 1933 (608– 616). 1 In RKZ 83, 1933, 23 berichtete Niesel negativ über Friedrich Gogartens Vortrag „Die bürgerliche Lebensanschauung und der christliche Glaube“, den dieser im Rahmen einer Tagung der Lutherischen Vereinigung der Rheinlande am 5. Januar 1933 in Barmen gehalten hatte. 2 Kurz zuvor, am 11. April 1933, hatte Niesel Barth auf dem Bergli besucht; vgl. Niesel, Kirche unter dem Wort, 73 mit Anm. 45. Mehr als 20 Jahre später erinnert sich Barth an dieses für ihn wichtige Treffen; vgl. Barths Brief an Niesel vom 31. Dezember 1954. Der 14. April 1933 war Karfreitag. Zu der sich verändernden Bedeutung Niesels für Barth vgl. Ulrichs, Wilhelm Niesel und Karl Barth. 3 Der westfälische Generalsuperintendent Wilhelm Zoellner (1860–1937) hatte in dem „Aufruf an alle Lutheraner“ vom 13. April 1933 die Bildung einer reichsweiten Kirche auf der Grundlage der beiden reformatorischen Bekenntnisse gefordert; vgl. Philipps, Wilhelm Zoellner, 115–126; Scholder, Die Kirchen 1, 371–374. 4 Wilhelm Goeters (1878–1953) war damals reformierter Professor für Kirchengeschichte in Bonn. 5 Vgl. Niesel, Kirche unter dem Wort, 8 mit Anm. 18. 6 Anspielung auf Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1930.
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nur verwaltungsmäßig zusammengefaßt sein dürften. Die Verfassung sei in jeder Kirche von ihrem Bekenntnis her zu gestalten. Desgleichen müßten wir unsere konfessionellen Universitäten erhalten (Goeters möchte für uns Bonn, Marburg und Heidelberg beschlagnahmen!). So werden die Kirchen durch rechte Lehre dann hoffentlich auch wieder innerlich Bekenntniskirchen werden. Ich muß sagen, daß Zoellner mir doch großen Eindruck gemacht hat. Er gibt sicherlich nicht viele Generalsuperintendenten, die so orientiert sind wie er. Er bat uns sehr, daß wir keine rechtliche Verfassungskirche propagieren müßten mit Essen als Mittelpunkt und Seiler als Präses.7 Sondern wir möchten doch auch an eine wirkliche Kirche denken und zwar an eine reformierte Bekenntniskirche. Zoellner würde es sehr bedauern, wenn Schmidt8 gehen müßte, und noch mehr, wenn Sie uns genommen würden. Von Ihrem Briefe wußte er schon.9 Wir setzen heute Th.10 nach Berlin in Bewegung und hoffen sehr, daß Sie bei uns bleiben können. Nach den neuesten Nachrichten erscheint es nicht als ausgeschlossen. Hier jagt eine Sitzung die andere. Schade, daß Sie nicht hier sind und uns mit Rat zur Seite stehen können. Mit den besten Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel Herzlichen Dank für die beiden Abschriften!11
7 Ludwig Seiler (1888–1977) war von 1922–1945 Direktor des „Preßverbandes für das Rheinland“ mit Sitz in Essen, von 1935–1952 Schriftleiter des Deutschen Pfarrerblattes. Möglicherweise war Seiler im Frühjahr 1933 etwas zu selbstbewusst aufgetreten. 8 Karl Ludwig Schmidt (1891–1956) musste als Sozialdemokrat offenkundig von Beginn des „Dritten Reiches“ an um seinen Lehrstuhl fürchten; vgl. Mühling, Karl Ludwig Schmidt. 9 Vermutlich ist hier der Brief an den Minister gemeint; siehe Anm. 11. 10 Wahrscheinlich als Th. zu lesen. Gemeint könnte Reinhold Thyssen (1911–1944) sein, Student bei Barth, Führer des NS-Studentenbundes in Bonn, ab Oktober 1933 Mitarbeiter von Otto Weber im Geistlichen Ministerium, löste sich im Dezember 1933 von den DC. Vgl. Charlotte von Kirschbaums Brief an Hellmut Traub vom 11. April 1933, in: Barth, Briefe 1933, 133f; weitere Briefe s.v. Thyssen, Reinhold Paul Johannes, besonders Barths Brief vom 2. November 1933 an Thyssen, der ihn vor die Wahl stellte, DC oder Barth-Schüler zu sein: „Sie müssen wählen!“ (483f). 11 Gemeint sind die Briefe Barths an Paul Tillich (2. April 1933) und an den kommissarischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Bernhard Rust (4. April 1933), abgedruckt in: Barth, Briefe 1933, 107 bzw. 112–114. Nachdem mehrere sozialdemokratische Hochschullehrer entlassen, manche auch verhaftet worden waren, dachte man in der SPD daran, die Mitgliedschaft verbeamteter Mitglieder aufzuheben, um deren Beamtenstatus nicht zu gefährden. Auch Tillich erwog den Parteiaustritt und wandte sich in einem Brief vom 29. März 1933 an Barth, der einen solchen Schritt für sich ablehnte. Den Wissenschaftsminister fragte Barth, ob staatlicherseits die Absicht bestünde, auch seine Lehrtätigkeit zu beenden. Das Ministerium teilte am 24. April 1933 mit, Barths Tätigkeit nicht beschränken zu wollen.
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60 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 9. Mai 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Sie werden gehört haben, daß von unserer Seite inzwischen allerlei Kirchenpolitisches passiert ist. Wir würden Sie sehr gerne bald einmal über die kirchliche Lage informieren und über das, was von den Reformierten bisher geschehen ist.12 Wenn es Ihnen angenehm ist, würde ich zu dem Zwecke zu Ihnen kommen und Ihnen berichten. Würden Sie mir dann wohl angeben, welcher Zeitpunkt Ihnen recht wäre? Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer sehr verehrten Gattin aufs Beste und seien Sie selbst ebenso gegrüßt von Ihrem Wilhelm Niesel
61 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 11. Mai 1933 Lieber Herr Niesel! Ich bin sehr bereit und begierig, mich über allerlei mir wahrscheinlich Unbekanntes informieren und vor Allem auch, mir zu allerlei mir nur zu Bekanntem einen Kommentar geben zu lassen. Nach meiner bisherigen Sicht der Dinge steht Alles sehr schlimm. Können und wollen Sie nächsten Mittwoch Nachmittag13 zu mir kommen? Allenfalls würde auch Donnerstag gehen. Ich habe jetzt wegen der „Beurlaubung“ von Karl Ludwig Schmidt 14 Wochenstunden. Wenn die Kunde auch nach Elberfeld dringen sollte, daß ich neulich einem Häuptling der Deutschen Christen vor vielen Zeugen gesagt habe, seine Sache sei eine perversa haeresia, mit der zu diskutieren ich ablehne, so können Sie diesen Tatbestand bestätigen. Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth 12 Am Ostermontag, 17. April 1933, hatte es in Rheydt eine große Kundgebung der Reformierten gegeben mit einem Vortrag von Otto Weber und der Annahme einer Rheydter Erklärung; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 27–31. Am 23. April 1933 hatte sich D. Hermann Albert Hesse (1877–1957) in das so genannte Dreimännerkollegium berufen lassen, wozu der Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses, Hermann Kapler, und der lutherische Bischof August Marahrens (Hannover) gehörten. Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 200f. 13 Das wäre der 17. Mai 1933 gewesen. Man traf sich jedoch schon am Samstag, 13. Mai 1933.
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62 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 12. Mai 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Mit vielen anderen sehe ich die Lage jetzt ähnlich an wie Sie; aber gerade darum möchten wir Sie einmal hören. Im übrigen möchte ich Ihnen schon jetzt mitteilen, daß ich inzwischen weder Jungreformierter noch irgendetwas anderes geworden bin. Ich sage das im Hinblick auf die deutlichen jungreform[atorischen]14 Töne, die Sie aus der Reformierten Kirchenzeitung – aber sonderbarer Weise nicht von Kolfhaus15! – vernommen haben werden. Wenn es Ihnen recht ist, bin ich dann Mittwoch Nachmittag etwa um 3 Uhr bei Ihnen. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
63 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 15. Mai 1933 Lieber Herr Niesel! Wie Sie aus der Beilage ersehen, habe ich noch weiter über den am Samstag16 von uns bearbeiteten Bekenntnisentwurf17 nachgedacht. Ich denke, daß es jedenfalls Ihnen gegenüber nicht nötig ist, einen Kommentar zu den von mir hier vorgeschlagenen weiteren Abänderungen zu geben. Wollen Sie die Freundlichkeit haben, das Blatt auf dem schnellsten Wege an die mir unbekannte Adresse von Herrn Pastor D. Hesse18 gelangen zu lassen. Ich darf Sie bitten, ihm auch meine freundlichsten Grüße zu bestellen. Herzlichst! Ihr Karl Barth 14 Da die Jungreformatorische Bewegung am 9. Mai 1933 mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit trat, die Barth alsbald scharf kritisierte (vgl. Hüttenhoff, Theologische Opposition), ist hier die Ergänzung zu „jungreformatorisch“ statt zu „jungreformiert“ wahrscheinlich. Die „Jungreformierten“ unterstützten gleichwohl im Frühjahr 1933 die „Jungreformatorische Bewegung“. 15 Wilhelm Kolfhaus (1870–1954) war Pfarrer in Vlotho (1920–1940) und Schriftleiter der RKZ (1930–1936). Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 204f. Die Anlage „Was ist evangelisch?“ mit historischer Einleitung in ders., Vorträge 1930–1933, 242–248. 16 Am Samstag, 13. Mai 1933, war ein Treffen in Elberfeld zu Stande gekommen. 17 Barth, Hesse und Niesel hatten am 13. Mai 1933 in Elberfeld ein Papier entworfen, das für Hesses Verhandlungen im Dreimännerkollegium bestimmt war. 18 Hermann Albert Hesse (1877–1957), seit 1916 Pfarrer in Elberfeld, war ab Frühjahr 1933 Sprecher der Reformierten und seit Anfang 1934 Moderator des Reformierten Bundes.
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[Anlage] Was heißt: evangelisch sein?19 Die Antwort auf diese Frage gibt uns das uns allein in der heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes gesagte Wort Gottes. Evangelisch sein heißt: auf das Gebot unseres Schöpfers hören; – es heißt: dem Allmächtigen danken, der einem Jeden von uns das Leben in Familie, Volk und Menschheit gibt; – es heißt: sich vor dem heiligen Gott als Sünder beugen; – es heißt: auf den Vater im Himmel sein ganzes Vertrauen setzen. Evangelisch sein heißt: auf den Ruf des Herrn Jesus hören; – es heißt: ihn erkennen als den Sohn Gottes, der für uns Mensch wurde; – es heißt: ihn gelten lassen als den Heiland, der für uns Sünder gestorben und auferstanden ist; – es heißt: ihn erwarten als den kommenden Richter aller Menschen. Evangelisch sein heißt: auf das Trösten und Mahnen des heiligen Geistes hören und also im Glauben unserer Rettung durch Jesus Christus gewiss sein und seiner Führung im Gehorsam folgen; – es heißt: ein lebendiges Glied der Kirche Jesu Christi sein; – es heißt: in den Sorgen und Verantwortungen dieses Lebens das uns heilsame Kreuz erkennen und auf uns nehmen; – es heißt: wachen und beten und hoffen auf die Verheißung: Siehe ich mache Alles neu! [Apk 21,5]
64 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 1. Juni 1933 Lieber Herr Niesel! Ich verfolge die kirchlichen Vorgänge mit wachsender Sorge. Als erste Frucht und Probe dessen, was wir nun nach erfolgtem Sturz des demokratischen Systems an Kabinettspolitik in Zukunft auch auf dem kirchlichen Felde zu erwarten haben, finde ich diese Vorgänge, welches auch ihr schließlich sich herausstellender Sinn und Ertrag sein mag, wenig überzeugend und verheißungsvoll. Könnten Sie mich nicht wieder einmal von Angesicht zu Angesicht, wenn das sein kann, aus dem 19 Erstabdruck: Hermann Albert Hesse, Vom Werden der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche, RKZ 83, 1933, 253–258, hier 254; Wiederabdruck in: Barth, Briefe 1933, 597; ders., Vorträge 1930–1933, 247f (Textabdruck in drei Versionen; mit historischer Einleitung, 242–246). Auf Anregung Ludwig Müllers (1883–1945), Hitlers Vertrauensmann für die evangelische Kirche, wurde in einer Verlautbarung des Dreimännerkollegiums als Aufgabe beschrieben, „dem Geschlecht unserer Tage deutlich zu machen, was es heißt, evangelisch zu sein“ (243); vgl. auch Scholder, Die Kirchen 1, 395f. Da sich das Dreimännerkollegium, Müller und weitere Berater ab dem 16. Mai 1933 in Loccum treffen sollten, benötigte Hesse diesen Textentwurf. Die Frage „Was heißt evangelische Kirche“ ist dann auch die Ausgangsfrage für die so genannte „Düsseldorfer Erklärung“ vom 20. Mai 1933; vgl. Beintker, Theologische Existenz, 185f; Peter Zocher, „Was heißt: evangelisch sein?“. Karl Barths Theologie im Zeichen der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, ThZ 69, 2013, 53–69. Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 240–242.
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Schatz Ihrer sicher größeren Kenntnisse etwas informieren? Ich bin hier ganz auf Goeters angewiesen und der findet nun gerade ein solches Behagen daran, auch die wichtigsten Dinge, die man doch wissen sollte, auch mir gegenüber so eigentümlich zu vernebeln, daß ich unmöglich dazu komme, mir ein Urteil zu bilden und einigermaßen verständig Stellung zu nehmen. Ich möchte augenblicklich besonders dies erfahren: Welches waren die Gründe, die D. Hesse zu seiner gewiß wohlüberlegten, aber von weitem einfach nicht verständlichen Stellungnahme zu der Wahl von Bodelschwingh veranlaßt haben?20 Macht diese Stellungnahme den Anspruch darauf, die Stellungnahme der Reformierten zu sein oder welcher Zusammenhang besteht zwischen ihr und D. Hesses Eigenschaft als Vertreter der Reformierten? Welcher oberirdische oder unterirdische Zusammenhang besteht zwischen der Stellungnahme von D. Hesse und der Opposition der Deutschen Christen bzw. der Kandidatur Müller? Nach diesen Dingen bin ich hier beständig gefragt, möchte selbstverständlich für D. Hesse einstehen, kann es aber unmöglich tun, da ich selber vor Rätseln stehe, auf die mir Goeters nie sauber und ehrlich Antwort geben wird. Sie sollten mir dann auch einmal deutlich und endgiltig sagen, wer von unserm bekannten reformierten Personal nun eigentlich selbst zu den Deutschen Christen gehört oder nicht? Weber? Langenohl? Goeters selbst?21 Ich habe es von allen drei sehr bestimmt versichern hören. Weber hat mir letzten Sonntag in Elberfeld22 auf meinen energischen Einspruch positiv erklärt, er werde seinen damals wie es scheint vollzogenen Eintritt wieder rückgängig machen. Ist dies geschehen oder nicht?23 Ich möchte gerade in dieser Sache einmal klar sehen. Das Nachspiel zu der Düsseldorfer Erklärung war nicht erbaulich.24 20 Hesse war bei der Designierung Friedrich von Bodelschwinghs (1877–1946) zum „Reichsbischof “ am 27. Mai 1933 in Berlin nicht anwesend; er distanzierte sich dann bald von von Bodelschwingh und hegte zunächst Sympathien für Ludwig Müller; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 41–49 („Fall Hesse“). 21 Otto Weber (1902–1966) war seit Ende Mai 1933 Mitglied der Deutschen Christen; vgl. von Bülow, Otto Weber, 96. Wilhelm August Langenohl (1895–1969), Mitglied im Moderamen des Reformierten Bundes und seit 1932 Pfarrer in Rheydt, war nicht Mitglied der DC. Das Gleiche gilt wohl für Wilhelm Goeters, der sich als langjähriges Mitglied der DNVP im Frühjahr 1933 allerdings positiv über „den neuen Staatswillen“ äußern konnte und deshalb von Barth „als entschlossener Faschist“ bezeichnet wurde; vgl. Brief Barths an Goeters vom 27. Mai 1933, in: Barth, Briefe 1933, 220–226, hier 222. Gleichwohl wurden sowohl Langenohl als auch Goeters, der kurzzeitig zu den Beratern Müllers gehörte, als „DC-Sympathisanten“ angesehen; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 41. 22 Handschriftliche Marginalie: d. 21.5. 23 Weber trat nach dem „Sportpalastskandal“ am 13. November 1933 zunächst mündlich (15. November), dann auch schriftlich (26. November) aus den DC aus; vgl. von Bülow, Otto Weber, 133.135; vgl. auch Webers Erklärung an die „Brüder“ vom 19. Dezember 1933, in: Lekebusch, Die Reformierten, 353f. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, bis 1945 von den Nationalsozialisten anerkannten kirchenleitenden Gremien anzugehören. 24 Die Düsseldorfer Thesen entstanden am 20. Mai 1933 bei einem Treffen von Theologen und Laien, um Hesse für die Verhandlungen über die kommende Gestalt der Kirche eine Argumentationshilfe mit zu geben. Diese Erklärung ist abgedruckt in: Barth, Vorträge 1930–1933, 249–259; Niesel, BSKORK, 325–327; Vorländer, Elberfeld, 37; vgl. von Bülow, Otto Weber, 101–104. Aus Barths Sicht „nicht erbaulich“ wird gewesen sein, dass Hesse mit den Düsseldorfer Thesen im Gepäck dennoch den Schwenk zu Müllers Kandidatur vollzog, zumal Goeters und Weber in diesen Wochen Müller berieten. Noch Ende April hatten die beiden größten
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Also könnten Sie wieder einmal herüberkommen? In der Pfingstwoche wird mir wohl jeder Tag recht sein. Ich könnte Ihnen aber, wenn Sie keine oder wenig Zeit haben, auch nach Köln entgegenfahren. So oder so: Lassen Sie bald wieder von sich hören. Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth
65 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 2. Juni 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Die Zusammenkunft findet Sonntag Abend 6 ¼ Uhr in meiner Wohnung statt.25 Tagesordnung: 1. Kurzer Bericht von D. Hesse über die letzte Woche. 2. Wie muß die Westkirche26 von den Düsseldorfer Thesen her gestaltet werden? Eingeladen werden: D. Hesse, Prof. Goeters, P. Weber, Dr. Graffmann27, Lic. Kl. Hesse28, Lic. de Quervain29, Lic. Sinning30, P. Langenohl. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie schon einige Zeit vor Beginn bei mir sein könnten. Mit herzlichen Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel
reformierten Gemeinden Deutschlands, Elberfeld und Barmen, dringend um eine Berücksichtigung der DC und Müllers bei den kirchlichen Neuordnungsplänen gebeten; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 398. 25 Hier wurden dann von dem Kreis, der auch die Düsseldorfer Thesen vom 20. Mai 1933 verantwortet hatte, die Elberfelder „Forderungen zur Gestalt der Kirche“ besprochen und beschlossen; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 41; Niesel, Kirche unter dem Wort, 10; Vorländer, Elberfeld, 38f. Der 4. Juni 1933 war Pfingsten. 26 Gemeint sind wohl die beiden westlichen Provinzen der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union Rheinland und Westfalen, die vom presbyterial-synodalen System geprägt waren (Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung 1835). 27 Heinrich Graffmann (1901–1975) war Dozent an der Theologischen Schule Elberfeld. 28 Hermann Klugkist Hesse (1884–1949) war Pfarrer in Elberfeld und als Kirchenhistoriker tätig. 29 Alfred de Quervain (1896–1968) war Pfarrer der niederländisch-reformierten Gemeinde Elberfeld. 30 Waldemar Sinning (1896–1964) war Pfarrer in Elberfeld.
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66 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 7. Juni 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Soeben erfahre ich, daß der Plan, die Bonner Fakultät umzugruppieren, auf eine Versammlung der Deutschen Christen zurückgeht, die Montag vor 14 Tagen hier in Elberfeld stattgefunden hat.31 In der Nachversammlung, in der darüber beschlossen wurde, hat auch O. Weber teilgenommen. Er könnte also wohl nähere Auskunft geben. Was wird Goeters dazu sagen? Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
67 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 21. Juni 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Hesse war hier auf der Durchreise, so konnte ich gestern von ihm einiges erfahren. Bis Ende voriger Woche wäre eine Verständigung der Kirche mit dem Reich möglich gewesen. Frick hatte verlangt, Bodelschwingh solle erklären, daß die letzte Entscheidung über die Personenfrage erst die Nationalsynode fällen werde. Dann wäre der Staat zufrieden gewesen. Bodelschwingh hat diese Erklärung nicht abgegeben.32 Das hat die Lage verschärft. Am 15. hat darum Müller seinen bekannten Brief an die Bevollmächtigten gerichtet.33 Am Freitag, dem 16., hat man mit Müller 3 ½ Stunden verhandelt in der Richtung: nicht die Macht, sondern die Wahrheit soll entscheiden. Es erging dann eine neue Einladung Fricks an Marahrens. Am Samstag haben die Bevollmächtigten darüber verhandelt, was man Frick erklären wolle. Abends ruft Admiral Meusel34 an und teilt mit, es sei alles zu spät; um 10 werde Müller den Brief, den er am 15. geschrieben hatte, veröffentlichen. (Grund: er wollte ihn in der Volksversammlung dieses Abends verlesen.)35
31 Am 20. Mai 1933; vgl. von Bülow, Otto Weber, 95–97; Vorländer, Elberfeld, 32–34. 32 Scholder, Die Kirchen 1, 438f. 33 Ebd.; vgl. Schneider, Reichsbischof Müller, 133f. 34 Ernst Meusel (1881–1933), Konteradmiral, war enger Mitarbeiter Ludwig Müllers bis zu seinem Tod Mitte November 1933. 35 Schneider, Reichsbischof Müller, 135.
II. Briefwechsel 1933–1939
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Dienstag sendet man Müller einen Brief, es sei eine innere Unmöglichkeit, daß er zugleich Bevollmächtigter des Staates und Bischofsanwärter sei. Freitag und Samstag tagen in Eisenach Kirchenausschuß und Kirchenbundesrat36, einberufen auf Verlangen von 6 lutherischen Kirchen, welche die Nachprüfung der Vorgänge in der Himmelfahrtswoche fordern. Hesse ist ziemlich pessimistisch. Heckel-Bonn37 hat sich von der Mitarbeit zurückgezogen, da er fürchtet, es werde in Eisenach Krach geben. Weber hat es inzwischen zum Führer der deutsch-christlichen Pfarrer und Theologen des Rheinlandes und zum theologischen Fachberater des Gaues Düsseldorf der N.S.D.A.P. gebracht. Als solcher soll er einen Brief an die Berliner Leitung der Deutschen Christen gesandt haben mit der Forderung, daß die alten Richtlinien38 außer Kraft gesetzt werden. Gestern Abend hat Mensing als Vorsitzender des Kuratoriums der Theologischen Schule seinetwegen mit Hesse gesprochen.39 Vermutlich wird man wieder einmal Weber ins Gewissen reden.40 – Sie wollten wissen, wo er theologisch herkommt. Er ist Schüler seines Bonner Namensvetters.41 Was wir heute erleben, ist die Katastrophe einer kirchengeschichtlichen Epoche, in der man in der Kirche die Wahrheitsfrage nicht ernst genommen hat. Der Ruf, die Kirche vom Bekenntnis her, vom verantwortungsvollen Verständnis des Wortes her zu gestalten42, ist wirkungslos verhallt, nachdem es anfangs schien, als wollte man auf ihn hören. Man hat in Berlin im Lärm und in Loccum in der Stille auf alles Mögliche gehört, auf die Stimme seiner eigenen Überzeugung und auf die Forderung von allen möglichen Gruppen43; aber man hat nicht auf den Herrn der Kirche gehört, auch Hesse nicht. Leider muß man das sagen. Man hat die Kirche nicht „grundlegend neu“ gestaltet,
36 Das waren der 23. und der 24. Juni 1933; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 443. 37 Johannes Heckel (1889–1963), seit 1928 Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht in Bonn, war juristischer Berater des Kirchenbundes und unterstützte so Hermann Kapler. 38 Gemeint sind die radikalen DC-Richtlinien vom 5. Mai 1933; siehe Anm. 51. 39 Rechtsanwalt Karl Mensing (1876–1953) war 1928–1935 Mitglied der Leitung der Theologischen Schule Elberfeld; neben Gesprächen über Webers Rolle gab es auch Korrespondenzen, etwa Mensing an Hesse vom 20. Juni 1933; vgl. von Bülow, Otto Weber, 105f mit Anm. 50. 40 In mehreren Gesprächen Ende Juni/Anfang Juli 1933 besprachen sich Reformierte mit Otto Weber und brachen daraufhin mit den DC; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 46f.51; van Norden, Kirchenkampf im Rheinland, 22f. 41 Otto Weber zählte Hans Emil Weber (1882–1950) zu den Lehrern, von denen „die stärksten Einflüsse auf meine theologische Entwicklung ausgegangen [sind].“ (von Bülow, Otto Weber, 36 mit Anm. 48). 42 Damit ist der o.g. Zoellnersche Aufruf gemeint; siehe Anm. 3. 43 In Berlin fanden Anfang Mai Gespräche zwischen dem Dreimännerkollegium und dem Ende April von Hitler bevollmächtigten Müller statt. Später wurde in Berlin Müller für das noch zu schaffende Amt des Reichsbischofs durch die DC nominiert (23. Mai 1933), unmittelbar danach Friedrich von Bodelschwingh durch den Kapler-Ausschuss und die Landeskirchen. Das Dreimännerkollegium – mitsamt dem nicht eingeladenen Ludwig Müller – hatte am 20. Mai 1933 das „Loccumer Manifest“ verabschiedet, das einen lutherischen Reichsbischof und ihm zugeordnet ein „geistliches Ministerium“ an der Spitze der neu zu schaffenden Deutschen Evangelischen Kirche vorsah.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
wie man es zunächst in alle Welt posaunte44, sondern man hat Kirchenpolitik getrieben genauso wie die Deutschen Christen.45 Wie orientierungslos man dachte, dafür war ja ein deutliches Zeichen, daß man in der Kirche Christi aus eigener Machtvollkommenheit ein neues Amt schaffen wollte, nur um Müller irgendwie zu befriedigen. So mußte man in die Sackgasse kommen, in der man jetzt ist. Ergebnis der 10 Wochen Arbeit und Aufregung: Eine „Deutsche ev. Kirche“, deren Name schon eine Unwahrhaftigkeit in sich trägt; denn sie ist keine Kirche, weil die Lutheraner den Reformierten keine Abendmahlsgemeinschaft gewähren wie bisher. Im übrigen: statt des Präsidenten des Kirchenbundes ein Bischof mit einem „Ministerium“ und statt des Kirchenbundestages eine kleinere Nationalsynode. Die Landeskirchen bleiben im wesentlichen bestehen. Mit diesem dürftigen Ergebnis hat man jetzt zugleich den Krach in der Kirche und den Krach mit dem Staat. So mußte es kommen in einer Kirche, in der man die Lehre nicht ernst nimmt. Jetzt wird der Bankrott der „Union“ sichtbar. Ihr „Quousque tandem“ ist aktueller denn je.46 Aber von den Lehrern der Kirche wollte man in Berlin und Loccum nichts wissen. Wie habe ich Hesse da immer wieder ins Gewissen geredet. Der einzige Erfolg war, daß er Sie hier und da privatim befragte. – Nur wenn wir vom Bekenntnis sprachen und damit auf die Wahrheitsfrage47 hinwiesen, wurden wir als Störenfriede angesehn, und naive Leute meinten, wir wollten unsere konfessionelle Extrawurst braten. Es ist himmeltraurig! Was soll nun aus der Kirche unter dem Ansturm der Deutschen Christen werden? Sie handeln ja noch weniger orientiert als die „Bevollmächtigten“! Wie sollen in dem Unionsbrei der sogen[annten] Deutschen Evangelischen Kirche Häretiker in Zucht genommen werden? Ja, kann man sich über die Blasphemien eines Schirmacher über die Dreieinigkeit heute aufregen, wenn derselbe Mann 1920 in Berlin ungehindert verkündigen durfte, daß der Heilige Geist sich in der Jugendbewegung offenbart?48 Hoffentlich hat der Schuß seine Wirkung, den Sie abfeuern wollen.49 Machen 44 Anfang Mai hatte es Gespräche zwischen dem Dreimännerkollegium und Müller gegeben, in deren Kommuniques mehrfach von „Übereinstimmung“ die Rede war bei der Frage, die evangelische Kirche grundlegend neu zu gestalten. 45 Pfarrer Joachim Hossenfelder (1899–1976), erster Reichsleiter der Glaubensbewegung der Deutschen Christen, sah sich im Mai durch das Dreimännerkollegium und Müller ins Abseits gestellt und intensivierte daraufhin sein kirchenpolitisches Agieren. 46 Karl Barth, Quousque tandem …?, ZZ 8, 1930, 1–6 (= ders., Vorträge 1925–1930, 526–535 [historische Einleitung, 521–526]). 47 Wenige Tage später wird Barth in der „Theologischen Existenz heute!“ schreiben: „Wo war die schlichte, aber entscheidende Frage nach der christlichen Wahrheit […]? Oder darf diese Frage etwa gar nicht mehr gestellt werden in der heutigen evangelischen Kirche? Ist sie etwa völlig untergegangen in einem einzigen Jubel oder Stöhnen von Aufbruch, Wirklichkeit, Leben, Geschichtsmächtigkeit […]?“ (Vorträge 1930–1933, 334f). 48 Horst Schirmacher (1892–1956), 1932 Mitbegründer der DC in Ostpreußen, war im Frühjahr/Sommer 1933 kurzzeitig Müllers „Adjutant“. Möglicherweise war Niesel ihm 1920 persönlich begegnet, gehörte er doch als Konfirmand Günther Dehns zum jugendbewegten Milieu in Berlin. 49 Karl Barth, Theologische Existenz heute! (Beiheft 2 von „Zwischen den Zeiten“), München 1933 (= ders., Vorträge 1930–1933, 271–363); vgl. Stoevesandt, „Von der Kirchenpolitik zur Kirche!“; Scholder, Die Kirchen 1, 552–556.
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Sie Lempp nur Dampf, daß er bald herauskommt. Nächste Woche muß die Broschüre im Buchhandel sein! 50 Herzliche Grüße! Ihr Wilhelm Niesel
68 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 28. Juni 1933 Lieber Herr Niesel! Die „Grundsätze“ vom 5. Mai sind von Hossenfelder Kapler zu Handen des Dreimännerkollegiums solenn „überreicht“ worden.51 Wie sollten sie da nicht offizielle Geltung gehabt haben? Sie werden in der Diskussion sowohl von Andern (zuletzt z.B. in der Denkschrift der Jungreformatoren von Künneth52) „die ersten Richtlinien“ genannt, als auch von den Deutschen Christen selbst (z.B. auf der Rückseite der Einladung zu der Dortmunder Tagung vom 24. Juni: „Zehn Richtlinien“) – die neuen „Richtlinien“ heißen dort: „Ergänzung zu den 10 Richtlinien ...“53 War die Unterscheidung von „ersten“ und „zweiten“ Richtlinien nicht ziemlich allgemein üblich? Wann und wo wurde dabei auf Thesen vom letzten Herbst angespielt?54 Ich höre davon tatsächlich zum ersten Mal! Mit herzlichem Gruß und Dank! Ihr Karl Barth 50 Albert Lempp (1884–1943) leitete den Münchner Christian-Kaiser-Verlag, in dem zahlreiche Schriften Barths erschienen, so auch die „Theologische Existenz heute!“. Die Schrift war ab dem 1. Juli 1933 im Buchhandel. 51 Joachim Hossenfelder und die DC versuchten mit einem am 4. Mai 1933 erstellten radikalen Reichskirchenprogramm „Die Evangelische Reichskirche nach den Grundsätzen der ‚Deutschen Christen‘“ kirchenpolitisches Terrain und Deutehoheit zurückzuerobern; u.a. wurde gefordert, dass nur „Christen arischer Rasse“ Mitglied der Kirche sein dürften und dass durch „Urwahl“ über Reichskirche und Reichsbischof entschieden werden sollte. Dieser Text wurde dem Dreimännerkollegium bei einem Treffen mit Vertretern der DC am 5. Mai 1933 in Berlin überreicht; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 400f. 52 Walter Künneth (1901–1997), Leiter der Apologetischen Centrale in Berlin, war beim Gespräch am 5. Mai 1933 anwesend und zählte zu den Mitbegründern der Jungreformatorischen Bewegung. Die Jungreformatoren lehnten sowohl Urwahl als auch den Ausschluss von „NichtAriern“ und damit Hossenfelders Richtlinien ab; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 406–409. 53 Ludwig Müller war über das Voranpreschen Hossenfelders erbost, sammelte einen Arbeitskreis angesehener Universitätstheologen um sich und veröffentlichte am 16. Mai 1933 „Die neuen Richtlinien der DC“; vgl. Chronik der Kirchenwirren 1, 79; Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 94–96 (Nr. 27). 54 Möglicherweise sind damit die Richtlinien der Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ vom 26. Mai 1932 gemeint; vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 47f (Nr. 11).
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69 Karl Barth an Wilhelm Niesel Unterwegs zwischen Berlin und Hannover, 5. Juli 1933 Lieber Herr Niesel! Ich bin auf der Rückreise; denn meine Anwesenheit in Berlin55 hat vorläufig und wahrscheinlich endgiltig keinen Wert mehr. Ich sehe die Situation folgendermaßen: 1. Der Widerstand ist im Osten offenbar energischer als im Westen.56 Es wird später darüber nachzudenken sein, wie es kam, daß das Luthertum sich wahrscheinlich im Ganzen besser geschlagen hat als die Reformierten.57 Freilich ist viel (jungreformatorische) Kirchenpolitik und Bischofsideologie („Heil Bodelschwingh!“) dabei und, wenn erst die Übergriffe des Staates aufgehört haben58, werden die Leute wahrscheinlich mit den Deutschen Christen doch irgend einen Kuhhandel abschließen. Immerhin: es ist auch kirchliche Substanz in diesem Widerstand. Nur daß es eben an geistlicher Klarheit und Entschiedenheit fehlt. 2. Hindenburg und sein Brief haben mehr konkrete Bedeutung, als es letzte Woche aussah. Er bekommt unzählige Telegramme von allen Seiten, liest sie alle persönlich und hat am Sonntag Nachmittag in der Sache eines verhafteten Berliner Pfarrers sofort und mit Erfolg eingegriffen. Gemeinden, die wegen der Kommissarfrage in Verlegenheit sind, sollen sich sofort ausführlich telegraphierend an den „alten Herrn“ wenden. Er scheint tatsächlich ein wichtiger Posten in der Rechnung.59 3. Im Gegensatz zur vorigen Woche ist die Gleichung Staat = Kirche = Deutsche Christen60 jetzt formal wieder aufgelöst. Dreimännerkollegium und Rotte Korah [Num 16]61 haben vor dem Reichsinnen-Minister Frick wieder als 2 Parteien verhandelt, und formal wird nun auf dieser Basis über die Verfassung weiter verhandelt, und zwar so, daß das Loccumer Werk die Voraussetzung bildete.
Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 279–281. 55 Barth war von Hesse zu Verhandlungen über die neue Kirchenverfassung nach Berlin gerufen worden. 56 Gemeint sind die östlichen Provinzialkirchen der ApU. 57 In Barth, Briefe 1933, 279 mit Anm. 2 wird kommentiert, dass hiermit „besonders die reformierte Kirche der Kirchenprovinz Hannover“ gemeint sei. Das ist eher unwahrscheinlich. Reformierte, zumal im Rheinland, stritten Ende Juni/Anfang Juli 1933 über Hesses kirchenpolitisches Agieren; ihn, aber auch Wilhelm Goeters, Wilhelm Langenohl und Otto Weber wird Barth hier kritisch gemeint haben. 58 Nach dem Rücktrittsgesuch Hermann Kaplers und einer kommissarischen Benennung des rheinischen Generalsuperintendenten Ernst Stoltenhoff (1879–1953) in dieses Amt wurde der deutschchristliche August Jäger (1887–1949 [hingerichtet]) als Staatskommissar für die ApU eingesetzt. 59 Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847–1934) sah sich wegen zahlreicher Eingaben an ihn nach Einsetzung Jägers veranlasst, am 30. Juni 1933 dem Reichskanzler gegenüber seine Sorge über den „Kirchenstreit“ auszusprechen; vgl. Chronik der Kirchenwirren 1, 88; Hermle/ Thierfelder, Herausgefordert, 103 (Nr. 37). 60 So hatten Barth und viele andere den Staatseingriff mit August Jäger gedeutet. 61 Damit bezeichnete Barth hier die DC.
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4. Aber – es droht, daß diese weitere Verhandlung nun doch mehr oder weniger von den Deutschen Christen beherrscht wird. Hesse hat sich gestern Abend schauderhaft übers Ohr hauen lassen durch eine Abmachung, durch die er zunächst faktisch ausgeschaltet ist. Man hat einen „Ausschuß“62 gebildet: Jäger, Heckel-Bonn, Müller, Meiser und – als „Verbindungsmann“ zum Dreimännerkollegium – Marahrens, der die Verfassung bereinigen und am Mittwoch nächster Woche endgiltig Frick vorlegen soll. Erst bei diesem Anlaß soll dann Hesse auch wieder auf den Plan treten!! – Und daß er betrogen und erledigt war, das merkte der gute Mann erst, als ich es ihm nach seinem Bericht im Hotel sagte!!! Er kam dann in schreckliche Aufregung, redete viel vom „Vater der Lüge“ [vgl. Joh 8,44] etc. (allerdings hat der da neuerdings seine Hand im Spiele gehabt!) und will nun Himmel und Hölle [vgl. Hag 2,6] und Aurich63 in Bewegung setzen, um sich wieder einzuschalten. Ob es möglich sein wird? Ich ging heute früh zu Heckel, bekam aber nur ganz unverbindliche Zusagen, während Hesse selbst, wie es scheint, ganz ergebnislos mit Marahrens verhandelte. Ich fürchte, er hat den rechten Augenblick, wo er hätte protestieren müssen, rettungslos verpaßt, und die Kirche wird es zu tragen haben. Ich hätte heulen können gestern Nacht! Aber was half und hilft das! Meine machtlose Stellung hinter den Kulissen (oder vielmehr hinter diesem lieben, aber kraftlosen Onkel64) ließ mich erst zu Wort kommen, als es zu spät war. Ich habe Hesse am ersten Abend Mut und einige Stichwörter eingeflößt zu einem kleinen Bekenntnis, das er dann (hoffentlich nicht zu unbegabt!) gegen die Deutschen Christen abgelegt hat. Im Übrigen kann ich an meine Mission nur mit schwerstem Kopfschütteln zurückdenken und bin entschlossen, einen solchen Auftrag so bald nicht wieder anzunehmen. Es war mir wichtig und interessant, einmal in dieses ganze verstopfte Klosett hineinzusehen, aber da man mir die Instrumente ja doch nicht in die Hand giebt, um Ordnung zu schaffen, kann ich mich von dieser Stätte des Grauens nur mit verhülltem Haupt abwenden. Es hätte wirklich keinen Sinn, länger dabei zu stehen. Lieber Herr Niesel, gehen Sie mit diesem Brief in Elberfeld sorgfältig um. Ich möchte dem guten Hesse nicht weh tun, habe mein Bestes getan, ihn in der vorgesehenen Weise zu stützen. Aber was giebt es da zu stützen? Männer, die nachts mit einer weißen Zipfelmütze zu Bett gehen65, sollten eben in solchen Zeiten nicht „Bevollmächtigte“ sein. Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth Von Stoltenhoff hörte ich in Berlin nur Betrübliches! 62 Gemeint ist der Verfassungsausschuss, in dem durch staatlichen Druck und Einflussnahme Wilhelm Fricks Ludwig Müller mit den „Bevollmächtigten“ zu kooperieren hatte. Erst ab dem 7. Juli 1933 gehörte Hesse dazu; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 472f. 63 Aurich war der Sitz der Evangelisch-reformierten Landeskirche der Provinz Hannover, deren Jurist Otto Koopmann (1878–1951) im Kirchenbundesrat an den Diskussionen um die neue Verfassung beteiligt war. 64 Mit „Onkel“ (oder auch „Papa Lang“) wurde unter jüngeren Reformierten der altgediente Moderator des Reformierten Bundes, August Lang (1867–1945), bezeichnet. 65 Handschriftliche Notiz am Seitenrand: Wir hatten in Berlin Contubernium. – Das Contubernium war in der antiken römischen Armee die Zeltgemeinschaft der Soldaten. Wahrscheinlich teilten sich Hesse und Barth in Berlin ein Doppelzimmer.
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70 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 6. Juli 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Herzlichen Dank für Ihren Bericht. Ich stimme Ihren Ausführungen ganz zu, auch was Hesse betrifft. Es ist traurig, daß diese kirchlichen „Führer“, die tatsächlich keine sind, die ganzen Wochen hindurch an wichtigster Stelle gewirkt haben und noch wirken. Aber was sollen wir Reformierten, die offiziell von Hesse dort vertreten wurden, angesichts dieser Lage tun? Austauschen wird man Hesse jetzt kaum können. Darauf wollen Langenohl und Goeters hinaus, die gestern hier Hollweg und Kolfhaus zu einem gemeinsamen Schritte bei Hesse bewogen haben. Er solle abtreten und seine Stelle Hollweg freimachen.66 Sicherlich möchten die beiden zuerst genannten Herren am liebsten Weber; aber das werden ihnen die beiden anderen ausgeredet haben. Kolfhaus jedenfalls hat innerlich mit Weber gebrochen (nur möchte er es scheint’s äußerlich nicht mit ihm verderben). Ich glaube, daß auch Hollweg zuverlässig ist. Aber ein solches Wechseln der Rollen wird jetzt ja gar nicht mehr möglich sein. Also müssen wir uns wohl „freuen“, daß wir jetzt noch Hesse in Berlin haben, trotz allerschwerster Bedenken; denn wer hält denn sonst in dem Verfassungsausschuß die kirchliche Linie? Oder wäre es schließlich besser, die Berliner Stellung würde von uns überhaupt geräumt? Wir könnten hier am Ort Hesse dringend gebrauchen. Es ist schlimm, wie hier in Elberfeld alles zu wackeln anfängt. Wie ich höre, ist sogar Mensing in bezug auf die Deutschen Christen nicht mehr ganz zuverlässig!67 Langenohl, der sich selbst überlegt, ob er Deutscher Christ werden soll, hat gestern eine Stunde mit ihm verhandelt. Hesse hat es nun fertig gebracht, daß er wieder in den Ausschuß gekommen ist. So hat Ihre Reise wenigstens einen kleinen Erfolg gehabt. Aber was wird er in dem Ausschuß nun beginnen? Wir haben heute ein Telegramm an ihn gesandt und gegen die deutsch-christliche Gleichschaltung der Presbyterien und die „Gleichschaltung“ der kirchlichen Lehre mit der deutsch-christlichen Irrlehre protestiert. Wir haben uns überlegt, ob das eine kirchenpolitische Aktion sei, wie Sie sie gerade ablehnen. Aber wir waren uns einig, daß es sich um einen Aufschrei einer vergewaltigten Gemeinde handelt. Leider konnte das Telegramm nur von einzelnen Predigern (Kl[ugkist] Hesse, Sinning, Bonn, Bergfried68, Graffmann und mir) und Ältesten ausgehen. In Barmen kann noch das ganze Presbyterium geschlossen handeln! Wer hätte früher daran gedacht, daß wir einmal mit Hum66 Walter Hollweg (1883–1974) war Landessuperintendent der Evangelisch-reformierten Kirche der Provinz Hannover, der auch in diesen Wochen des Sommers 1933 den Einfluss des Juristen Koopmann zu relativieren versuchte; Koopmann präferierte einen staatsnahen kirchenpolitischen Kurs. 67 Bei Lekebusch, Die Reformierten, 51f, wird Mensing allerdings als eindeutiger DC-Widerpart in Elberfelder Kontexten aufgeführt; vgl. auch Mönkemeier, Der unentbehrliche Anwalt. 68 Alfred Bonn (1887–1944) und August Theodor Bergfried (1877–1948) waren reformierte Pfarrer in Elberfeld.
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burg und Lauffs69 zusammen gegen Weber stehen würden! Der Trennungsstrich geht jetzt durch alle Gruppen quer hindurch. Hoffentlich waren Sie nicht zu ärgerlich, daß wir Sie zu der Berliner Reise bewogen haben. Sie haben nun wenigstens einmal in dieses Chaos hineingesehen, das wir fortwährend schon beobachten. Es wird einem ja dann erst ganz klar, warum alles nicht besser kommen konnte. Wir wollen nun hoffen, daß dieses Gericht unsere Kirche nicht vernichtet, sondern läutert. Es stehen schon hie und da Leute als milites Christi auf ihrem Posten. Mancher Ruf von früheren Kandidaten70 gelangt in diesen Tagen nach Elberfeld, und so kommt es ganz von selbst, daß man sich, wie Sie es erhofft haben, gegenseitig die Hand reicht. Mit herzlichen Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel Wollen Sie nicht Hesse noch einen kräftigen, aufmunternden Brief schicken?
71 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 8. Juli 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Ich wollte Ihnen nur schnell mitteilen, daß die Nachricht, die Hesse uns neulich gab, daß er doch noch in den Ausschuß kommen werde, sich nicht erfüllt hat.71 Eben bekomme ich von ihm andere Nachricht: Der Ausschuß, der jetzt berät, soll nur ein „Müller“-Ausschuß sein, dem Marahrens als Verbindungsmann angehört.72 Am Montag tagt das Dreimännerkollegium, um zu dem Ergebnis der Beratungen des anderen Ausschusses Stellung zu nehmen. Aber es scheint mir ja auch, als wäre das praktisch eine Ausschaltung des Dreimännerkollegiums. Im Augenblick steht eine andere Sache im Vordergrund. Wie Sie gelesen haben, hat Westfalen durch Berufung auf die Schmalkaldischen Artikel die Auf69 Paul Humburg (1878–1945) und Wilhelm Adolf Lauffs (1873–1951) waren reformierte Pfarrer in Barmen-Gemarke und gehörten eher zum erwecklichen Flügel. 70 Gemeint sind frühere candd. theol. des reformierten Predigerseminars Elberfeld. 71 Von Niesel durchgestrichener Text: Nach einer Mitteilung von heute morgen soll die Verfassung schon am Montag Frick vorgelegt werden. Hesse fühlt sich ganz „wohl“. Er könne so „sehr gut mitarbeiten“ (!), da man ihn fortwährend befrage. Und im Übrigen könne Weber jetzt ja sehen, was er erreichen könne. – Vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 472f.823 mit Anm. 66: Otto Weber arbeitete in diesem Ausschuss mit, während Hesse nur an der Schlusssitzung teilnahm. 72 Am 7. Juli 1933 hatten sich Jäger, Müller, Meiser und Marahrens im Reichsinnenministerium getroffen. Danach tagte der Verfassungsausschuss und schloss am Abend des 10. Juli 1933 unter Vorsitz des Reichsinnenministers Frick die Verhandlungen ab; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 474f. Die bevollmächtigten Vertreter der Landeskirchen nahmen diese Verfassung am 11. Juli 1933 einmütig an (478f). Text in: Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 103–107 (Nr. 38).
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fassung dargelegt, daß Presbyterien überhaupt nicht abgesetzt werden dürfen.73 Alles bleibt daraufhin dort im Amt! Das hat die Herren im Rheinland nun auch in Bewegung gebracht. Hesse will einen Schritt heute in Berlin unternehmen, und eine Abordnung will nach Berlin reisen. Uns ist jetzt plötzlich etwas klar geworden. Es sind nirgends die kommissarischen Dreimänner„presbyterien“ eingesetzt worden als im Rheinland.74 Da fiel uns ein, daß der hiesige Synodal-Kommissar uns neulich mitgeteilt hat, daß dies auf Vorschläge von Weber zurückginge! Als wir dann im Reformierten Kirchenblatt mitteilen wollten, daß Krummacher75 den reformierten Presbyterien eine Weiterexistenz zugesichert habe76, riet derselbe Weber davon ab; denn es sehe so aus, als habe sich Krummacher damit zuweit vorgewagt. Das sind die Herren, die sich bei den Deutschen Christen einschalten, um dort angeblich das Bekenntnis durchzusetzen!! Mit herzlichen Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel
72 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 3. August 193377 Sehr verehrter Herr Professor! Hesse ist mit unserem Vorschlag restlos einverstanden.78 Er meint auch, daß wir die Sache einfach machen, ohne weiter zu fragen. 73 Jäger hatte am Tag seiner Ernennung zum Staatskommissar am 24. Juni 1933 eine Verfügung erlassen, mit der er die sofortige Auflösung aller gewählten Kirchenvertretungen anordnete; Chronik der Kirchenwirren 1, 85; die westfälische Reaktion: 89. 74 So nach einer Anordnung des Bevollmächtigten der Rheinprovinz Gottfried Adolf Krummacher (1882–1954), nämlich bestehend aus dem Pfarrer und zwei Gemeindegliedern; vgl. Chronik der Kirchenwirren 1, 89. 75 Siehe Anm. 74. 76 In einem Schreiben Krummachers an Mensing vom 29. Juni 1933 heißt es, dass die „Frage des vorläufigen Weiterbestehens der bisherigen Presbyterien in den reformierten Gemeinden […] bereits in Ihrem [sc. Mensings] Sinn geregelt“ sei; Vorländer, Elberfeld, 45. 77 Seit dem letzten Brief vier Wochen zuvor war viel geschehen, u.a. die „Kirchenwahlen“ am 23. Juli 1933, mit dem die deutsch-christliche Herrschaft in der Kirche legitimiert werden sollte – Barth war auf einer oppositionellen Liste ins Bonner Presbyterium gewählt worden; HinzWessels, Die Evangelische Kirchengemeinde Bonn, 134–154. Wahrscheinlich haben sich Barth und Niesel in diesen vier Wochen einige Male getroffen und miteinander telefoniert. 78 Der Reformierte Bund plante wie in den 20er Jahren eine Theologische Woche (10.–12. Oktober 1933), wo auch ein Bekenntnis verabschiedet werden sollte. Moderator Lang sagte diese Tagung nicht ab (anders Lekebusch, Die Reformierten, 80), sondern sie fand statt; vgl. Steiner, Gemarke, 330. Am 13. Oktober 1933 wurde der Coetus reformierter Prediger gegründet, an dessen Gründungsversammlung auch Barth teilnahm; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 58–64.
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Sie sind wohl so gut, die Thesen auszuarbeiten, daß wir sie im September veröffentlichen können. Die Formulierung: „Evangelisches Bekenntnis ...“ paßt mir noch nicht recht. Dieses Adjektiv hat auch seine Belastung. Ob man nicht besser sagen würde: Kirchliches Bekenntnis? Wegen eines exegetischen Referates haben wir mit Lic. Sinning verhandelt. Er hält hier im Seminar eine Übung über 2. Kor 3–5. Er ist bereit, das 3. Kapitel zu übernehmen. Ich will mich wegen des 5. Kapitels an Horn79 wenden. Dann hätten wir neben 2 „neutralen Ausländern“ 2 Reichsdeutsche. Ich habe noch zwei Bitten an Sie: 1) Treten Sie doch, bitte, persönlich dem Reformierten Bunde bei, damit wir Sie bei den kommenden Auseinandersetzungen als Kampfgenossen neben uns im Bunde haben. – Jahresmindestbeitrag 3 RM, zu zahlen an Remko Walther Siebel, Freudenberg (Kr. Siegen); Postfach Dortmund 15924.80 2) Wenn Sie aus dem Kreise Ihrer Schüler Kandidaten aus der Kirche der altpreußischen Union wissen, die nach Absolvierung des Lehrvikariats zum Herbst in ein Predigerseminar müssen, dann machen Sie diese Leute, wenn möglich, bitte, auf Elberfeld aufmerksam. Falls sie aus einer Gemeinde mit dem Heidelberger [Katechismus] oder aus einer ursprünglich reformierten Gemeinde kommen, haben sie das Recht, sich nach Elberfeld zu melden. Das Gesuch geht am besten an den Direktor D. Hesse. Ich wollte Sie schon immer darum bitten. Heute ist eine solche Zusammenarbeit zum „Schnitzen der Pfeile“ notwendiger denn je. Ihr Mandat auf der Provinzialsynode81 werden Sie sich doch nicht entgehen lassen? Es wäre gut, wenn dort etwas dazwischengeschossen würde. Mit den besten Grüßen, auch an die Ihrigen! Ihr Wilhelm Niesel
73 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bergli, Oberrieden, 10. August 1933 Lieber Herr Niesel! Wenn ich die erhebliche Produktionsunlust, an der ich eben leide, erst ein wenig überwunden habe, will ich mich gerne an die Thesen machen. Versäumen Sie nur ja nicht, mich über die Entwicklung der Verhältnisse in den Gemeinden, über
79 Fritz Horn (1875–1957) wirkte als bekannter Kohlbrüggianer, veröffentlichte exegetische Studien und war Pfarrer und Superintendent in Duisburg-Laar. 80 Handschriftliche Notiz von Barth: erledigt. 81 Vgl. den folgenden Brief Barths vom 10. August 1933. Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 315–317.
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die naturgemäß kaum etwas in die hiesigen Zeitungen gelangt, gelegentlich zu unterrichten, damit ich den Zusammenhang nicht verliere.82 „Kirchliches“ Bekenntnis ist in der Tat besser. Ich schlage vor mit dem Zusatz: „... zur heutigen (oder: zur neuen) Lage“. Oder: „... zu der neuen Entwicklung in der deutschen evangelischen Kirche“. Mit der Reihe Sinning – H. Barth83 – Horn bin ich auch einverstanden. Und meine Anmeldung zum Reformierten Bunde soll abgehen. Aber wer weiß, wie Alles noch kommt, bis die Ausführung unserer Pläne fällig wird. Wie es scheint, macht man sich eben an eine neue Sichtung der Universitäten. Das neue Reskript betr. die Zugehörigkeit von Beamten zur S.P.D. werden Sie in der Zeitung gelesen haben.84 Goeters als Stellvertreter des Dekans hielt es für richtig, auch mir die Pistole auf die Brust zu setzen. Ich habe ihm geantwortet, daß ich das ganze Problem als durch meine Korrespondenz mit dem Minister für erledigt halte.85 Wenn Goeters sich damit nicht zufrieden giebt, wird wohl der Minister gefragt sein, ob er seinen damaligen Entscheid bestätigen will oder nicht. 86 Ich höre andererseits, daß der bekannte Dr. Krummacher es für eines seiner Haupt- und Hochziele halte, mich wegzubringen. Mein „Mandat zur Provinzialsynode“ ist eine sehr wacklige Sache. Wolf schrieb mir, daß Pfennigsdorf87 und Genossen damit umgingen, in Anbetracht dessen, daß ja jetzt eine neue Provinzialsynode vorhanden sei oder sein werde, auch eine Neu-Wahl des zu delegierenden Fakultätsmitgliedes zu beantragen, bei der sie dann natürlich versuchen werden, K.L. Schmidt bzw. mich als dessen Stellvertreter wieder hinauszubringen, was in Anbetracht der ewig zweideutigen Haltung der Nichtordinarienvertreter Schmidt-Japing und Horst88 technisch sehr wohl möglich ist. Aber selbst wenn ich wieder gewählt würde und anstelle von K.L. Schmidt hinzugehen hätte89, könnte ich in Form des üblichen Begrüßungswortes des Fakultätsvertreters nur einen sehr gedämpften Schuß tun und ich glaube nicht, daß ich zu diesem Zweck vorzeitig 500 km weit reisen werde. Die Deutschen Christen im Rheinland scheinen nach dem, was Wolf mir schrieb90, 82 Barth verbrachte seine Sommerferien in der Regel auf dem „Bergli“ in der Schweiz. 83 Dieser Name tauchte im vorangegangenen Brief Niesels nicht auf, wird also möglicherweise telefonisch hinzugefügt worden sein. Zu Heinrich Barth vgl. Brief Niesels an Barth vom 7. Oktober 1933. 84 Ernst Wolf (1902–1971), Professor für Kirchengeschichte in Bonn, hatte Barth am 2. August 1933 einen entsprechenden Zeitungsausschnitt zugeschickt; vgl. Barth, Briefe 1933, 307– 309. 85 Brief Barths an Goeters vom 9. August 1933, in: Barth, Briefe 1933, 313. 86 Siehe Anm. 11. Barth hatte bereits Anfang April Reichsminister Bernhard Rust eine entsprechende Anfrage geschickt; vgl. Barth, Briefe 1933, 112–114. Das Ministerium hatte am 24. April mitgeteilt, Barths Tätigkeit nicht beschränken zu wollen. 87 Emil Pfennigsdorf (1868–1952), Mitglied der DC, war seit April 1933 „Fakultätsführer“ der Theologischen Fakultät in Bonn. 88 Johann-Wilhelm Schmidt-Japing (1886–1960) war Privatdozent für Systematische Theologie und überzeugter Nationalsozialist; der Alttestamentler Friedrich Horst (1896–1962) wurde dagegen 1936 entlassen. 89 Vgl. Wolfs Brief vom 12. August 1933 über die Fakultätssitzung am 11. August 1933, referiert in: Barth, Briefe 1933, 326: Die Delegation Schmidt/Barth wurde nicht bestätigt, nach mehreren Wahlversuchen einigte man sich auf Hans Emil Weber und den ersten Stellvertreter Barth. 90 Siehe Anm. 89.
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II. Briefwechsel 1933–1939
sehr entschlossen, über allen Widerspruch hinweggehend, ihr Bestes zu tun. Vielleicht giebt es jetzt auf weite Strecken nicht Anderes als das, was Jes 26 am Ende zu lesen steht.91 Lieber Herr Niesel, ich wollte Ihnen bei diesem Anlaß gerne einmal ausdrücklich gesagt haben, wie sehr ich mich Ihres Daseins und Soseins in diesem Sommer gefreut habe. Er hat einem so viele schmerzliche Enttäuschungen gerade in persönlicher Hinsicht gebracht. Es ist nicht an der Zeit, sich Komplimente zu machen, aber Sie dürfen wohl hören, daß mir Ihr festes Herz und Ihr harter Kopf in dieser Gegenwart eine Freude und ein Trost ist. Sagen Sie Herrn Pastor Hesse einen freundlichen Gruß! Von Herzen Ihr Karl Barth
74 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 13. August 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich will das kirchliche Schlachtfeld nun auch für 4 Wochen verlassen und werde Ihnen darum nicht viel berichten können. Das scheint mir auch sicher, der Kampf geht jetzt erst an. Man konnte in diesen Tagen in den Zeitungen die freundliche Aufforderung des Reichspropagandaleiters der Deutschen Christen92 lesen, in dem er alle Gegner auffordert, freiwillig sich zurückzuziehen, damit man nicht gesetzliche Maßnahmen in die Wege leiten müsse. Von unserer Kreissynode ist außer dem Superintendenten93 als einziger NichtDeutscher Christ Dr. Mensing in die Provinzial-Synode gewählt worden. Er hat wenigstens neuerdings zusammen mit de Weerth94 versprochen, nicht übertreten zu wollen. – Auf einer Synode des Bergischen Landes hat man dank der Tatkraft P. Bachs (Sie kennen ihn wohl von Münster)95 und weniger Freunde zur Provinzial-Synode regelrecht gewählt mit dem Erfolg, daß dieses kleine Häuflein wider Erwarten 42 % der Stimmen erhielt. Wenn wir nur alle immer wieder an 1. Kor 15,58 denken wollten!96 91 Jes 26,20: „Geh hin, mein Volk, in deine Kammer, und schließ die Tür hinter dir zu! Verbirg dich einen kleinen Augenblick, bis der Zorn vorübergehe“. 92 Fritz (Friedrich) Kessel (geb. 1887, gest. unbekannt in Brasilien) war 1933 Reichspropagandaleiter der DC und 1933–1936 Bischof von Ostpreußen mit Sitz in Königsberg. 93 Heinrich Jung (1871–1950) war seit 1926 Superintendent in Elberfeld. 94 Wilhelm de Weerth (1865–1943) war Kirchmeister in Elberfeld. 95 Walter Adolf Bach (1904–1982) legte beide Examina (1928 und 1930) in Münster ab und war seit 1930 Pfarrer in Wermelskirchen-Dhünn. Er gehörte zur BK. 96 1. Kor 15,58: „Darum, meine lieben Brüder, seid fest, unerschüttlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn“.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Was Ihre Stellung betrifft, so sagte mir Graffmann dieser Tage, Weber habe berichtet, im Ministerium dächte niemand daran, Sie abzusetzen. Die einzige treibende Kraft gegen Sie sei Forsthoff! Der steckt natürlich hinter Krummacher. Kolfhaus fragte neulich bei mir an, ob Sie wohl Forsthoff nicht genügend „geehrt“ hätten!! Die Sachlage ist seit Ostern eben jetzt insofern anders, als inzwischen der Regierungserlaß über die Zugehörigkeit zur S.P.D. herausgekommen ist.97 Daher wird der Brief des Ministers an Sie überholt sein. Ich möchte es fast noch einmal wagen, gerade im Hinblick auf den Schluß Ihrer eigenen Schrift, Sie zu fragen, ob diese Sache nicht auch zum Fleisch gehört, das man um des Herrn der Kirche willen drangeben muß. Es wäre schlimm, wenn Sie uns deswegen genommen würden. Denken Sie an die vielen einsamen tapferen Leute im Lande hie und her, die auf Ihre Schrift98 gehört haben und die weitere Weisung erwarten. Wollen Sie uns in dem Kampfe wirklich allein lassen? Der Kampf wird ja nur durch Predigt und Lehre geführt werden können; aber das sind die entscheidenden Waffen. Und gerade in dieser Waffengemeinschaft können wir Sie nicht entbehren. Wir werden jetzt nicht nur Jes 26[,20] Schluß99 zu bedenken haben, sondern auch Phil 3,8!100 Also denken Sie, bitte, bei Ihren Entscheidungen an die Kirche Christi in unseren Landen, an das Häuflein, das seine Knie vor Baal nicht beugt!101 Denn dieses Häuflein hat seine Festigkeit nicht in sich, sondern aus Gottes Hand. Darum brauchen wir Sie als Lehrer dieses Wortes. Gerade in diesen Tagen bekam ich von Heß102 aus Nassau Nachricht. Auch da steht’s schlimm; aber es sind auch treue Leute auf dem Plan. Auf meiner Urlaubsreise will ich mal sehen, wie es in Bayern steht. Mit der gleichen Post schreibe ich auch an Kolfhaus, daß er die RKZ weiterhin auf der klaren Linie hält. Nun seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem Wilhelm Niesel Anschrift: 24.–27. August: Erlangen, Schellingstr. 69 bei Trillhaas.103 Ab 28.8.–9.9.: Tiefhartmannsdorf über Schönau (Katzbach), Schlesien. 97 Vgl. Brief Barths an K.L. Schmidt, in: Barth, Briefe 1933, 324f: Die „Mitteilung aus dem Preußischen Besoldungsblatt 1933 Nr. 27“ enthielt entsprechende Informationen. K.L. Schmidt bat Barth dringend, ebenfalls seine „Beziehungen“ zur SPD zu lösen, da die frühere „milde Haltung“ des Ministeriums nicht mehr gültig sei. 98 Gemeint ist die „Theologische Existenz heute!“, die am 1. Juli 1933 erschien. 99 Siehe Anm. 91. 100 Phil 3,8: „Ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwenglichen Erkenntnis Jesu Christi, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne“. 101 Vgl. Röm 11,4 mit Zitat aus 1. Kön 19,18. 102 Hans Erich Heß (1904–1982) studierte in Göttingen und Münster bei Barth, war Pfarrer in Sinn (Dillkreis) und gehörte im Oktober zu den Gründungsmitgliedern des Coetus reformierter Prediger. 103 Wilhelm Niesel und Wolfgang Trillhaas waren seit den gemeinsamen Studientagen in Göttingen miteinander befreundet.
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II. Briefwechsel 1933–1939
75 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bergli, Oberrieden, 24. August 1933 Lieber Herr Niesel! Die Eindrücke von der kirchlich-theologischen Lage in Deutschland, die sich bei mir in den letzten Wochen angesammelt haben, nötigen mich, von unserm am Ende des Semesters gefaßten Plan in Bezug auf die Elberfelder Woche zurückzutreten.104 Wir müssen wahrscheinlich noch sehr viel tiefer hinunter, bevor so etwas wie das, was wir wollten, zu realisieren ist. Ich sehe, soweit das Auge reicht, den Moorgrund105 einer Gesinnung, die noch gar nicht begriffen zu haben scheint, was uns passiert ist und was uns nun bedroht und der man es darum nicht einmal als Charakterlosigkeit anrechnen kann, wenn sie nun dazu übergeht, zu kompromisseln, was das Zeug hält. Ich irre mich wohl kaum, wenn ich annehme, daß Sie diese Art in diesen Tagen gerade in Erlangen auch erleben werden.106 Sie ist mir in der letzten Nummer von ZdZ und überhaupt in Georg Merz in einer Gestalt entgegengetreten, die für mich nach dieser Seite das Ende bedeutet.107 Und gestern war ich in Basel und erlebte dasselbe an dem doch gewiß wackern Missionsdirektor Hartenstein.108 Und wiederum höre ich keinen andern Ton auch aus den mich erreichenden Pressestimmen. Man will sich von der Theorie und Praxis der Deutschen Christen nicht so distanzieren, wie wir es mit unserer Konferenz beabsichtigten, weil man einfach nicht sieht, daß es nötig ist. In diesen menschlich und religiös gewiß sehr sympathischen Schlamm hinein ein Kampfbekenntnis stellen, wie wir es wollten, hieße die Perlen vor die Säue werfen [Mt 7,6]. Der Unfug der Deutschen Christen wird ja über kurz oder lang manifest werden in einer Weise, daß auch die blöden109 Augen derer, die es jetzt einfach mit dem Weiterwursteln halten, aufgehen werden. Oder die große Enttäuschung wird einsetzen über die völlige Leere, die hinter dem jetzigen vermeintlichen christlichen Aufschwung steht. Lassen Sie uns unser Pulver trocken halten für den Fall, daß wir uns dann konkret zur Hilfeleistung aufgerufen sehen sollten. Im Augenblick kann man uns nicht hören, sondern wird unsern Ruf als ein Phänomen unter an
Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 343–347. 104 Siehe Anm. 78. 105 = feuchter Torfboden. 106 Vgl. dagegen Niesels folgender Antwortbrief vom 31. August 1933, in dem er anderes aus Erlangen berichtet. 107 Das Heft 4 des Jahrgangs 1933 von „Zwischen den Zeiten“ enthielt einige Artikel, die auch Barth kritisierten sowie einige Beiträge, die sich nicht eindeutig von den DC absetzten. Schriftleiter Georg Merz (1892–1959) votierte darin nochmals für den Aufruf Wilhelm Zoellners (siehe Anm. 3); vgl. Barths Brief an Thurneysen vom 25. August 1933, in: Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 482–485 mit Anm. 7. 108 Karl Hartenstein (1894–1952) war Direktor der Basler Mission. Zum Besuch von Barth und Charlotte von Kirschbaum bei Hartenstein am 23. August 1933 vgl. Barths Brief an Thurneysen, in: Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 349–351. 109 Im Sinne von: schwach.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
dern registrieren, ohne sich auch nur im Geringsten an der allgemeinen Narrheit irre machen zu lassen. Dazu kommt ein von mir persönlich zu erhebendes Bedenken. Für mich ist die Unerbittlichkeit meines Widerspruchs gegen die Deutschen Christen nur eine selbstverständliche praktische Konsequenz meiner mit den Jahren immer schärfer gewordenen Ablehnung aller und jeder natürlichen Theologie. Ich sehe nicht ein, wie man mit den Deutschen Christen (z.B. mit der Theologie, wie sie jetzt eben wieder Hirsch in seiner Broschüre gegen mich vorgetragen hat110) so fertig sein soll, wie ich es zum vornherein war, wenn man mir in jener Ablehnung nicht bis ins Letzte zu folgen in der Lage ist. Eben mit dieser Ablehnung befinde ich mich aber inmitten der heutigen deutschen Theologie fast völlig einsam. Auch die Leute, an die wir uns in Elberfeld wenden wollten, sind doch in keiner Weise darauf vorbereitet, von den Deutschen Christen in dem Sinn Distanz zu nehmen, wie ich es allerdings verlangen müßte, um die Verantwortung für einen solchen Akt zu übernehmen. Wird nicht die Luft ganz selbstverständlich dick sein von allen möglichen „Dankbarkeiten“ gegen Schlatter, gegen Kuyper, gegen Brunner, gegen Gogarten, gegen Bultmann?111 Wird man dieser oder irgend einer Versammlung deutscher Theologen klar machen können, daß wir, wie es meine Meinung (aber eben meine sehr isolierte Meinung) ist, in Sachen der natürlichen Theologie heute schärfere Saiten aufziehen müssen, als auch Luther und Calvin dies getan haben? Wobei dann zweifellos mein eigener Bruder der erste sein wird, der mit einem ganz krummen Gesicht dabei sitzen wird?112 Kann dabei etwas Anderes heraus kommen als entweder: daß ich Wasser in den Wein schütte und irgend eine Einigungsbasis vorschlage, von der ich im vornherein überzeugt bin, daß sie nicht tragen und also den Zweck des Bekenntnisses illusorisch machen wird, oder: daß ich die Leute sozusagen überrumple mit Formulierungen, die für mich eine Radikalität besitzen, die sie im Augenblick nicht übersehen, auf die sie sich dann aber auch nicht festlegen lassen werden? Ich bin meiner Sache für meine Person ganz sicher: wenn wir mit der zweibeinigen Theologie113 nicht ganz aufräumen, wird es in absehbarer Zeit überhaupt keine evangelische Theologie mehr geben. Ich meine, daß man heute, nach den Erfahrungen der vergangenen vier Jahrhunderte hinsichtlich der Annahme einer Vor- oder Nebenoffenbarung abseits von Wort und Geist, auch Luther und Calvin nicht mehr folgen darf. Und ich meine, daß die gegenwärtige kirchlich-theologische Katastrophe darin ihren Grund hat, daß das auf allen Seiten nicht verstanden ist. Aber, du liebe Zeit, ein so schwerwiegender Satz, den fast jedermann nur für eine persönliche Schrulle von mir hält, läßt sich nicht auf einer Konferenz als Bekenntnissatz ausrufen, so gern 110 Emanuel Hirsch, Das kirchliche Wollen der Deutschen Christen. Zur Beurteilung des Angriffs von Karl Barth, Berlin 1933. 111 Die aufgeführten Theologen fielen gemeinsam unter Barths Verdikt einer „natürlichen Theologie“. Barth hatte die Theologie von Abraham Kuyper (1837–1920), Gründungsfigur des niederländischen Neocalvinismus, in einem Brief an dessen deutschen Biographen Wilhelm Kolfhaus vom 12. Juli 1932 abgelehnt; vgl. Barth, Offene Briefe 1909–1935, 248–251. 112 Im Sommer 1933 gab es vor allem zwischen Thurneysen und Heinrich Barth eine Auseinandersetzung um das Verständnis von Offenbarung. Karl Barth stimmte Thurneysens Kritik zu. 113 Thurneysen warf Heinrich Barth vor, die Philosophie als „zweites Bein der Theologie“ zu verstehen; vgl. Barth, Briefe 1933, 345, Anm. 8.
II. Briefwechsel 1933–1939
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man sich vielleicht wieder einmal durch den Vortrag einer immerhin so interessanten Sondermeinung ein bißchen kitzeln lassen würde, um sich dann nachher umso tröstlicher von allen möglichen Seiten sagen zu lassen, daß es doch besser und „von Luther her“ auch sehr wohl zu verantworten sei, in der alten bekannten Kutsche weiterzufahren. Ich hoffe, so Gott will, solange ich lebe, noch Einiges zur Begründung dieser meiner „Meinung“ tun zu dürfen. Aber als Waffe im gegenwärtigen Kampf ist sie offenbar noch nicht brauchbar. Sondern dieser Kampf hat sich bisher so abgespielt und wird sich auch zunächst weiter so abspielen, als ob in dieser Hinsicht nichts gesagt sei. Für diesmal ist es zu spät, den Leuten das aufzudrängen, was ich ihnen allerdings aufdrängen möchte, wenn ich zur gegenwärtigen Lage das Wort ergreife. Zunächst kann ich nur konstatieren, daß ich viele Jahre umsonst gearbeitet habe, jedenfalls aber nicht dran denken kann, in Elberfeld oder anderswo Ernte in die Scheuer zu führen. Als Führer einer Schar, die mir nun so lange und so hartnäckig gerade in dem Punkt, auf den mir Alles ankam, mit ihrem an Luther oder an Schlatter oder was weiß ich an wem orientierten „Ja – aber!“ geantwortet hat, kann ich jedenfalls nicht in Betracht kommen. Ich könnte ja doch nur wiederholen, was ich immer gesagt habe und dann gewiß auf dasselbe „Ja – aber!“ stoßen, mit dem man mir immer geantwortet hat und auf Grund dessen man ja jetzt meint, fröhlich mit den Deutschen Christen wursteln zu können. Summa: ich möchte zu der ordentlichen Arbeit zurückkehren, zu der ich im Augenblick konkret aufgerufen bin, wie ich es ja auch in meiner Broschüre als das eine Notwendige hingestellt habe. Wenn ich in Bonn Dogmatik vortrage und überhaupt gegenüber den Studenten, an die ich nun einmal gewiesen bin, brauche ich die beiden Fragen dieses Briefes nicht zu stellen. Wohl aber gegenüber der einer solchen extra ordinem bejahten Möglichkeit einer Konferenz. Ihre Bejahung leuchtet mir unter dem Druck dieser Fragen nicht mehr ein. Besteht – aber darüber habe ich nicht zu entscheiden – heute auch nur zu der ursprünglich beabsichtigten exegetischen Konferenz eine zwingende Notwendigkeit? Dürfte man es den Leuten nicht einmal ad oculos demonstrieren, daß das Wort Gottes nun eben wirklich teuer geworden ist im Lande? Aber wie dem auch sei, ich möchte mich des Zusammenlaufens rebus sic stantibus für eine gute Weile enthalten dürfen. Bitte grüßen Sie Herrn Trillhaas und sagen Sie ihm, daß er nicht traurig sein solle, weil ich ihm immer noch nicht zu seinem letzten Buch114 geschrieben habe. Ich habe es zum größeren Teil gelesen und zwar gern gelesen und die Stunde wird sicher kommen, wo ich ihn auch direkt grüßen werde. Bayern mit seinem Meiser ist nach den Nachrichten, die ich habe, eine der unergründlichsten Stellen des großen Sumpfes, der nun unser vorläufiges Schicksal geworden ist.115 Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth 114 Wolfgang Trillhaas, Schleiermachers Predigt und das homiletische Problem, Leipzig 1933 (enthält im zweiten Teil Trillhaas‘ Habilitationsschrift von 1932). 115 Vgl. aber den folgenden Brief Niesels vom 31. August 1933.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
76 Wilhelm Niesel an Karl Barth Tiefhartmannsdorf über Schönau (Katzbach), 31. August 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich hatte mir, offen gestanden, gelegentlich auch schon Gedanken gemacht, ob wir wirklich imstande seien, den geplanten Bau auszuführen. Hesse, dem ich Mitteilung gemacht habe, findet es jammerschade, daß Sie das Wort zur Lage nicht sagen wollen; aber er kann Ihr Bedenken nur zu gut verstehen. Daß wir aber die ganze Theologische Woche uns durch die Zeitverhältnisse über den Haufen werfen lassen, das halte ich nicht für richtig. Hesse ist derselben Meinung. Die Theologische Woche hat ihren bestimmten Platz im Arbeitsprogramm des Predigerseminars, und sie hat darüber hinaus im Laufe der Jahre für die Pastoren des Niederrheins und des Bergischen Landes ihre Wichtigkeit bekommen, daß es schon eine Demonstration wäre, wenn wir sie ausfallen ließen. Und ich meine, wir sollten lieber nicht demonstrieren, sondern unsere gewohnte Arbeit tun. Dazu gehört es aber auch, daß Sie uns auf dieser Woche bei der exegetischen Arbeit, wie ursprünglich verabredet, helfen. Wir möchten Sie herzlich bitten, doch ja die erste und eigentliche Zusage nicht zurückzuziehen. Nun hat inzwischen leider Horn die Auslegung des 5. Kapitels übernommen116, und man wird ihn jetzt nicht mehr bitten können, davon zurückzutreten. Darum möchte ich vorschlagen, daß wir die Reihe um ein Referat erweitern und Sie 2. Kor 6 exegesieren. Es wäre ja auch denkbar, daß Sie sich mit Horn in Verbindung setzen und sich mit ihm das 5. Kapitel teilen; aber notwendig ist das nicht. Notwendig ist nur, daß Sie die Freundlichkeit haben, auf meinen Vorschlag einzugehen. Hesse läßt Sie auch dringend darum bitten. Es ist ja wirklich keine außerordentliche Veranstaltung, zu der wir Sie gebeten haben. Sie hat bei uns ihren Ort. Und daß Sie uns wieder einmal helfen, ist auch ganz in der Ordnung, nachdem Sie schon das letzte Mal nicht da waren, obwohl Sie nach Ihrem eigenen Anspruche dort Stammgast sind. Sehr gefreut haben mich Ihre Äußerungen über die natürliche Theologie. Ich bin immer gegen diese Lehre mißtrauisch gewesen, und ich muß gestehen, daß ich vor einigen Jahren sogar Sie einmal im Verdacht gehabt habe, als ließen Sie sich mit Ihrem Bruder Heinrich117 (obwohl mir seine Arbeit sehr imponiert) zu sehr ein. Es ist ein Thema, das ich in Göttingen lang und breit mit meinem Freunde Landau-Remy118 verhandelt habe, oft gegen unseren gemeinsamen, philosophisch interessierten Freund Trillhaas. Man stand dabei immer im Verdacht, etwas banausisch zu sein, aber das muß man als Theologe eben auf sich nehmen.
116 Siehe Anm. 79. 117 Heinrich Barth (1890–1965) war Professor für Philosophie in Basel. 118 Siehe Teil I, Anm. 54.
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Inzwischen habe ich aber in Erlangen wieder festgestellt, daß Trillhaas von dieser Neigung offenbar endgültig kuriert ist. Ich habe in Erlangen doch nicht so trübe Erfahrungen gesammelt, wie Sie vermuteten. Trillhaas ist in jeder Hinsicht absolut zuverlässig. Auch die anderen sind Gegner der Deutschen Christen. Ich konnte freilich nur Grether und Loewenich kurz sprechen, und ich weiß darum natürlich auch bei ihnen nicht, wie begründet die Gegenposition letztlich ist. Loewenich hat jedenfalls bezüglich seiner Habilitationsthesen gründlich Buße getan.119 Die Fakultät hält sich allerdings sehr zurück. Der einzige, der etwas tut, ist der unglückliche Ulmer.120 Aber schließlich besser etwas tun, als gar nichts. Althaus121 hat wenigstens verhindert, daß Hirsch122 zu einem Vortrage nach Erlangen gekommen ist, und ist von der Schriftleitung der mit Hirsch zusammen herausgegebenen Zeitschrift zurückgetreten. Eine gute Figur in Erlangen ist zweifellos Sasse.123 Trillhaas fürchtet nur, daß er sich zu sehr an die anderen anlehnt. Über Meiser hörte ich von einem seiner jüngeren Mitarbeiter124, daß er entschlossen wäre, mit dem Bekenntnis zu stehen und zu fallen (aber was heißt das?). Doch wäre er nicht der Mann, der einmal mit der Faust auf den Tisch schlüge, sondern ein Mann der Verhandlungen. Mit Müller125 wäre er keineswegs befreundet, wie es immer hieße; im Gegenteil sähe er die Lage sehr ernst an. Man hat in Bayern offenbar allenthalben zu lange gemeint, man könnte ungestört sein Sonderdasein führen, und hat darum auch nicht das Gewicht einer geschlossenen, von Deutschen Christen freien Landeskirche in die Berliner Verhandlungen geworfen. Und jetzt merkt man, daß man sich dem großen Strudel nicht entziehen kann. Es gibt sogar schon einige deutsch-christliche Pfarrer. Der einzige, der es gewagt hat, gegen diese etwas zu sagen, ist der Nürnberger Seminardirektor Schieder.126 Wie mir Hesse schreibt, ist heute erweiterte Moderamenssitzung des Reformierten Bundes in Herford127, und am Montag will er nach Berlin zur Generalsynode fahren.128 Ich hätte nicht gedacht, daß er wieder gewählt worden wäre. 119 Oskar Grether (1902–1949) war ab 1933 Dozent für Altes Testament in Erlangen, Walther von Loewenich (1903–1992) war Repetent für Neues Testament dort; beide hatten bei Barth in Göttingen studiert. Von Loewenich hatte sich 1931 mit der Arbeit „Das Johannesverständnis im zweiten Jahrhundert“ habilitiert (Gießen 1932). 120 Friedrich Ulmer (1877–1946) war seit 1924 Professor für Praktische Theologie in Erlangen und wurde 1937 zwangsweise in den Ruhestand versetzt. 121 Paul Althaus (1888–1966) war seit 1925 Professor für Systematische Theologie in Erlangen. 122 Emanuel Hirsch (1888–1972) war Barths Göttinger Antipode und ein früher DC. Er gab von 1934 bis 1943 die Zeitschrift „Deutsche Theologie“ heraus. 123 Hermann Sasse (1895–1976) lehrte seit 1933 Kirchengeschichte und Konfessionskunde in Erlangen. 124 Möglicherweise ist Karl Gerhard Steck (1908–1983) gemeint, Student bei Barth in Bonn, als Vikar seit 1932 Referent beim bayrischen Landesbischof. 125 Gemeint ist Ludwig Müller, der dann im September zum Reichsbischof gewählt wurde. 126 Julius Schieder (1888–1964) war seit 1928 Direktor des Predigerseminars in Nürnberg. 127 Vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 79f; von Bülow, Otto Weber, 116. 128 Am 5. September 1933 trat die neu „gewählte“ Generalsynode der ApU zusammen, die als „braune Synode“ in die Geschichte einging. Sie beschloss die Einführung des so genannten „Arierparagraphen“, was zur Gründung des Pfarrernotbundes führte.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Ich sitze jetzt hier noch einige Tage in Schlesiens Bergen. Es grüßt zwar nicht „der Firn der Berge“129 in mein Fenster, aber doch wenigstens die Tannen eines siebenhunderter „Hügels“. Mit herzlichen Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel
77 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bergli, Oberrieden, 6. September 1933 Lieber Herr Niesel! Ihre Antwort auf meinen letzten Brief hat mir genau das gebracht, was ich fürchtete: ein dringliches Zureden hinsichtlich meiner Teilnahme an der dem ursprünglichen Plan entsprechend auf die Exegese konzentrierten Konferenz. Es leuchtet mir wohl ein, daß es geboten und sinnvoll sein kann, die Theologische Woche unter diesem Zeichen nun dennoch abzuhalten. Aber gerade dann ist meine Gegenwart und Mitwirkung keine zwingende Notwendigkeit. Und ich habe Gründe, Sie zu bitten, mich in dieser Hinsicht zu entlasten. Gerade weil jetzt jedermann mit erhöhter Wachsamkeit und Sammlung auf seinem besondern Posten stehen muß. Ich werde aber im Oktober, wenn ich erst wieder an meinem Schreibtisch und unter meinen Büchern bin, einen sehr energischen Anlauf nehmen müssen, um aufs Neue in die Dogmatik hineinzukommen. Und es könnte jedenfalls sein, daß ich darüber hinaus Raum brauche, um nochmals eine Anrede in Form einer Broschüre niederzuschreiben. Nach beiden Seiten möchte ich mir jetzt durch eine Zeit und Kraft so erheblich in Anspruch nehmende Angelegenheit wie die Elberfelder Tagung keine Bindung auferlegen. Sehn Sie – ich habe in der letzten Woche eine ganze kleine Sündflut von deutsch-christlicher Literatur über mich ergehen lassen –, ich werde den Eindruck nicht los, als könnte meine ganze Tätigkeit im reichsdeutschen Raum unter dem Druck der gegenwärtigen Entwicklungen einem automatisch eintretenden Ende entgegensteuern. Und da drängt es mich, solange es noch Tag ist [Joh 9,4], möglichst spitz auf das zu halten, was wirklich von mir verlangt ist. Dazu können aber Vorträge auf alle Fälle erst in weiterem Umkreis des in Betracht Kommenden gehören. Lassen Sie mich also diesmal im Frieden ziehen [vgl. Ri 18,6]. Das Programm der Tagung wird ganz abgesehen von der Persönlichkeit der Vortragenden von selbst dafür sorgen, daß etwas Ordentliches geschieht. Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth 129 Zitat aus dem Lied „Der Älpler“, das Niesel möglicherweise im Umfeld der Familie Barth kennen gelernt hatte. Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 370f.
II. Briefwechsel 1933–1939
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Ich darf nicht vergessen, Ihnen zu danken für Ihre Mitteilungen, unter denen mir besonders die aus Erlangen erfreulich und tröstlich waren. Mit ZdZ wird es nun, jedenfalls für mich, zu Ende sein. Ich werde mir für gelegentliche Veröffentlichungen eine andere Unterkunft, evtl. eine neue bescheidene eigene Hütte suchen müssen.130
78 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 16. September 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Daß Ihre Antwort so lauten würde, habe ich vorausgesehen, und ich kann Ihre Stellungnahme wohl begreifen. Werden Sie wohl wenigstens als Gast einmal zu uns herüberkommen? Im übrigen ist Ihr Pessimismus nur zu berechtigt. Inzwischen hat sich ja in Berlin die Katastrophe ereignet.131 Leider hat sich Hesse dabei nicht gerade gut benommen.132 Er ist in den letzten Wochen überhaupt wieder einmal auf das kirchenpolitische Glatteis gekommen und hat sich deswegen hier von unseren Freunden sehr grob die Wahrheit sagen lassen müssen. Als ich diese Woche aus meinem Urlaub zurückkehrte, fand ich diese Lage vor und hörte zudem, Hesse habe sich mit Weber verständigt!! Ich habe mit meiner Meinung natürlich nicht hinter dem Berge gehalten und will sehen, ob er sich wieder aufbügeln läßt. (Er hofft offenbar immer noch, den Posten an oberster Stelle zu erhalten.133) Es ist allerdings erschütternd zu sehen, wie unzuverlässig die Leute sind. Aber Sie können versichert sein, daß es auch eine Schar gibt, die ihre Knie nicht vor Baal beugen wird.134 Das konnte ich zu meiner Überraschung und Freude feststellen, als ich hierher zurückkehrte. Und es sieht so aus, als wäre die Schar gar nicht so klein. Das wird sich in den nächsten Wochen zeigen; denn wir vermuten, daß wir bald vor die Entscheidung gestellt sein werden. Wir sind dabei, unter dieser Schar einen Kerntrupp zu bilden, der ganz einig ist in der Substanz, aber auch ganz einig in der Negation – ein Munkeln gegenüber der Häresie wird nicht geduldet – und der bereit ist, alle Folgen auf sich zu nehmen. 130 Ab Oktober 1933 erschien im Münchner Christian-Kaiser-Verlag die Reihe „Theologische Existenz heute“. 131 Gemeint ist die „braune Synode“; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 598–601. 132 Faktisch hatte sich Hesse von der sich bildenden kirchlichen Opposition distanziert und den Protest der Gruppe „Evangelium und Kirche“ nicht mitgemacht; er nahm auch nach dem Auszug der Gruppe unter Leitung von Präses Karl Koch (1876–1951) an weiteren Abstimmungen teil und stimmte nicht gegen das Bischofsgesetz; vgl. van Norden, Kirchenkampf im Rheinland, 64–66. 133 Obwohl Hesse seit Monaten als Sprecher der Reformierten fungierte, wurde nicht er, sondern der junge Otto Weber nach der „Nationalsynode“ vom 27. September 1933 vom Reichsbischof in das Geistliche Ministerium berufen; vgl. von Bülow, Otto Weber, 116–119. 134 Siehe Anm. 101.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Hoffentlich kommen Sie bald zurück. Wir brauchen Ihren Rat. Schreiben Sie uns doch, bitte, wann Sie wieder zu Hause sind. Ich würde Sie dann gerne bald einmal besuchen. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
79 Karl Barth an Wilhelm Niesel Wabern bei Bern, 21. September 1933 Lieber Herr Niesel! Haben Sie Dank für Ihren Brief mit seinen guten und weniger guten Nachrichten. Ich hatte dieser Tage eine Korrespondenz mit Hesse, bei der ich Eindrücke empfing, die durch das, was Sie schreiben, schmerzlich bestätigt wurden. Am Sonntag habe ich einen Vortrag am kirchlichen Bezirksfest (Sie werden ja noch wissen, was das im Kanton Bern ist) in Meiringen zu halten.135 Nächste Woche fahre ich nach München, wo es in voraussichtlich ziemlich dicker Luft zum Begräbnis von ZdZ, jedenfalls was meinen Anteil betrifft, kommen wird. Lempp136 ist willig, mir sofort ein neues Organ (das dann eine unentwegte Kampfzeitschrift sein könnte) zur Verfügung zu stellen.137 Aber ich werde nicht mit allzu großer Eile auf diesen Plan eingehen. Etwa am 5. Oktober werde ich sicher wieder in Bonn sein. Grüßen Sie indessen die bewußte „Schar“ und seien Sie vor Allem selber herzlich gegrüßt von Ihrem Karl Barth
Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 404f. 135 In Meiringen hatte Barth 1907 ein kurzes Vikariat abgeleistet. Deshalb kam von dort die Anfrage, ob Barth bei der Einweihung der renovierten Friedhofskapelle in Verbindung mit dem kirchlichen Bezirksfest die Predigt halten könne; vgl. Barths Brief an Wilhelm Ellenberger vom 19. Juli 1933, in: Barth, Briefe 1933, 300. Barth hielt dann einen Vortrag „Sorge und Hoffnung der Kirche heutzutage“; vgl. Barths Brief an Ellenberger (332). 136 Siehe Anm. 50. 137 Siehe Anm. 130.
II. Briefwechsel 1933–1939
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80 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 7. Oktober 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Hesse bittet mich gerade, Ihnen eine Nachricht zu übermitteln, und ich will es sogleich tun, damit Sie morgen umso ruhiger in Ihrer Familie Ihren „Amtsantritt“138 und den Geburtstag Ihres Sohnes139 feiern können. Von Weber hat er gehört, daß Rust bei der Frage der Ausbildung der Fakultäten als conditio sine qua non die Bedingung gestellt hat, daß Sie bleiben. Freuen Sie sich also auch ein wenig über Ihre Obrigkeit! Freilich kommt als betrübliche Kunde hinzu, daß Hölscher abberufen werden soll.140 Man hat offenbar vor, mit den „liberalen“ Theologen aufzuräumen. Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer sehr verehrten Familie. Besonders Ihrer sehr verehrten Gattin lasse ich weiterhin gute Besserung wünschen. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel Am Freitag Vormittag soll der Coetus der reformierten Prediger erstmalig hier zusammen treten.141 Es wäre sehr schön, wenn Sie dabei sein könnten. Könnten Sie den Vortrag Ihres Bruders142 nicht „schweigend“ mitanhören?
81 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 12. Oktober 1933 Lieber Herr Niesel! Ich komme morgen früh 9 Uhr dort an. Vielleicht wäre es doch gut, wenn Sie mich abholten, um mich noch rasch ins Bild zu setzen. Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth 138 Gemeint ist die Rückkehr ins Bonner Haus und damit als Familienvater. 139 Markus Barth wurde am 6. Oktober 1915 geboren. 140 Gustav Hölscher (1877–1955), Mitglied der SPD, war seit 1928 Professor für Altes Testament in Bonn; er wurde bei der „Auflösung“ der Fakultät 1935 nach Heidelberg versetzt. 141 Zur Gründung des Coetus reformierter Prediger am 13. Oktober 1933, an der auch Barth teilnahm, vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 58–64; Abrath, 13. Oktober 1933. 142 Heinrich Barth; vgl. Brief Barths vom 10. August 1933. Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 446f.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
82 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 14. Oktober 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Gerade als Sie gestern abgefahren waren, rief Hesse an, daß das Moderamen bereit wäre, uns beide um ½ 9 Uhr zu hören – nach der Sitzung des Ausschusses für die Theologische Schule. Ein unglaubliches Verhalten!143 Wir wollten nun eigentlich überhaupt nicht hingehen. Schließlich hat aber Immer144 doch zugesagt, daß Humburg, Obendiek145, Kl[ugkist] Hesse, er selbst und ich kommen würden, weil er merkte, wie Hesse sich dafür eingesetzt hatte, und da wir weiter hörten, daß Lang schon mittags seine Bereitwilligkeit erklärte habe, Sie sogleich zu hören. Die Sache ist also offenbar von Langenohl und Anhang hintertrieben worden, und meine Befürchtung ist nur, daß auch Kolfhaus zu diesem Anhang gehört hat. An der erweiterten Moderamenssitzung nahmen außer uns noch Weber, Goeters und Mensing teil. Es gab ein großes Wäschewaschen bezüglich Langenohl und Weber; aber genützt hat es natürlich nicht viel. Obwohl manche von den Barmern146 meinten, die Luft sei wenigstens, was das Persönliche betrifft, etwas entgiftet worden, so ist schließlich doch zu sagen, daß man sich eigentlich gar nicht gegenseitig verstanden hat. Das wurde daran deutlich, daß Goeters sagte, man könne zum Schutz des reformierten Bekenntnisses jetzt Hilfe annehmen, auch die der Deutschen Christen, und ein Mann wie Kolfhaus ihm da zustimmte. Ferner daran, daß Weber den Unterschied zwischen ihm und uns als „theologischen“ charakterisierte. (Denn es handelt sich da um mehr als um einen Lehrunterschied innerhalb des reformierten Bekenntnisses.) Ich habe die Sache so formuliert: Ihr habt einen anderen Begriff vom Bekenntnis als wir, und ihr handelt fortwährend nach Berechnung und nicht im Gehorsam.147 Grundsätzlich sehr deutlich hat vor allem auch Obendiek gesprochen. Unter den Moderamensmitgliedern hatte ich vor allem an Laufs 143 Das Moderamen hatte Barth mehrere Stunden warten lassen, was Hesse als besonders peinlich empfunden haben muss; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 80f, hier 81 mit Anm. 16. Zur Klärung der Situation sollte eine Sitzung des Moderamens stattfinden, dann auch in erweiterter Form. Über die Hinzuzuladenden gab es Streit: So wollte Lang auf jeden Fall auch Otto Weber hinzubitten, während Hesse damit drohte, dann weitere Oppositionelle kommen zu lassen. Am selben Tag fand die Gründung des Coetus reformierter Prediger statt, mit dem vor allem Karl Immer große Teile der Reformierten in die Bekennende Kirche führte; vgl. Abrath, 13. Oktober 1933. 144 Karl Immer (1888–1944) war seit 1927 Pfarrer in Barmen-Gemarke. 145 Harmannus Obendiek (1894–1954) war seit 1931 Pfarrer in Barmen-Gemarke. 146 Gegen die DC eingestellt waren die Barmer Pfarrer Lauffs, Immer, Humburg und Obendiek. 147 Am Jahresende 1933 wurde der Aufsatz „Bekenntnis oder Berechnung“ von Wilhelm Niesel (RKZ 83, 1933, 398–400) zu einem Fanal für die Reformierten, sich grundsätzlich bei der kirchlichen Opposition zu positionieren, was dann im Januar 1934 auch vollzogen wurde. „Weg der Berechnung“ war eine von Immer häufig verwendete Formulierung; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 81 mit Anm. 19.
II. Briefwechsel 1933–1939
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meine Freude; dagegen enttäuschte uns Kolfhaus stark. Er verlangte, daß wir Weber unser Vertrauen aussprächen. Das wurde natürlich von allen abgelehnt. Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß Weber den Boden der Schrift verlassen habe, und das sei das Entscheidende. Alles in allem ein betrüblicher Abend – bis ½ 1 dauerte die Geschichte. Wir148 werden dem Moderamen jetzt schriftlich zum Ausdruck bringen, wie unsere Stellung zu ihm ist. Vielleicht schicken wir Ihnen diese Stellungnahme zu, und Sie sind so freundlich, sie zu begutachten, ehe wir sie den Moderamensmitgliedern mitteilen. Gerade höre ich noch, daß Hesse vom Moderamen beauftragt werden sollte, an Stelle von Lang vorläufig die Geschäfte zu führen. Das wurde aber abgelehnt, weil Hesse für die D.C. ein „rotes Tuch“ sei. Sie werden den gestrigen Tag hoffentlich nicht für verlorene Zeit halten; denn der Vormittag war doch einfach gut, und für die Versammlung des Vormittags hatten wir Sie ja gebeten. Wir sind Ihnen herzlich dankbar, daß Sie uns so trefflich geholfen haben. Mit ebensolchen Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel Betrüblich war, daß Weber Ihre Schrift und Ihre Bonner Gemeindewahlaktion149 als „marxistische Kirchenpolitik“ bezeichnete – unter Zustimmung von Goeters. Begründung: Hölscher!150 Es genüge nicht, daß er Ihre Sätze unterschrieben habe. Auch Hossenfelder habe ehrlich das Bekenntnis unterschrieben.
83 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 26. Oktober 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Beiliegend übersende ich Ihnen 10 Thesen, die ich heute Morgen mit Hesse im Auftrage des Wuppertaler Zweiges der reformierten Pfarrbruderschaft (nicht zu 148 Während die Reformierten bis zur ApU-Synode und der „Nationalsynode“ im September 1933 innerhalb der Umstrukturierungen der Kirche versuchten, ein vermeintlich gemeinsames reformiertes Anliegen durchzusetzen und darüber stritten, welche Person hierbei als Sprachrohr fungieren solle (Lang, Hesse, Hollweg, Weber), war spätestens seit der Coetusgründung eindeutig, dass nunmehr klar benennbare Gruppen („wir“, „uns“) innerhalb der Reformierten existierten; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 80. 149 Barth hatte am Vorabend der „Kirchenwahlen“ vom 23. Juli 1933 einen öffentlichen Vortrag gehalten, der im Oktober gedruckt vorlag: Karl Barth, Für die Freiheit des Evangeliums, TEH 2, München 1933. Barth wurde für die gleichnamige Liste als Presbyter gewählt. 150 Hölscher war Mitglied der SPD gewesen. Der Vorwurf „marxistisch“ konnte im Oktober 1933 im nationalsozialistischen Deutschland eine Bedrohung an Leib und Leben bedeuten.
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verwechseln mit dem reformierten Coetus) ausgearbeitet habe.151 Wir wollen am Montag im ganzen Kreise darüber sprechen und dann veranlassen, daß die ganze rheinische und westfälische Pfarrbruderschaft sich diese Thesen zueigenmacht und sie der Deutschen Evangelischen Kirche und dem Konsistorium überreicht. Hätten Sie etwas zu diesen Thesen zu bemerken? Dann wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir bis Montag Nachricht geben würden. Gleichzeitig versucht Barmen-Gemarke noch einmal die Presbyterien mobil zu machen, wie wir es schon vom Coetus aus durch die 1. Handreichung versucht haben.152 Neulich habe ich mir mit de Quervain überlegt, ob es nicht notwendig wäre, daß Sie ein ähnliches Bekenntnisbuch schrieben wie das Betheler153, nur eben besser. Das ist heute vielleicht wichtiger als die Arbeit am 2. Band der Dogmatik. Ein positives Gegenstück zur „Theologischen Existenz“. Das wäre ein großer Dienst an der Kirche. Morgen kommt in unserem Presbyterium ein Mißtrauensvotum gegen Kl. Hesse als Schriftleiter des Wochenblattes zur Abstimmung. Wenn es angenommen wird, bringen wir sofort ein eigenes unabhängiges Blatt heraus.154 Vielleicht interessiert es Sie, wie es auf einer Pfarrkonferenz in Düsseldorf zugegangen ist, auf der Oberheid erschien. Ich lege Ihnen die Dokumente bei mit der Bitte um gelegentliche Rücksendung. Oberheid hat sich alles ruhig angehört und sich sehr entgegenkommend benommen, aber damit nur auf harmlose Gemüter Eindruck gemacht.155 Einer unserer Kandidaten, den Sie kennen, Herr Winterberg156, kommt jetzt nach Bonn als Hilfsprediger. Er hat hier gut gepredigt, gehört aber leider zu den „D.C.“.
151 Dabei handelt es sich um die Erklärung „Wider die Deformation der Kirche“ (Barth, Briefe 1933, 479f.607 [dort wohl versehentlich nur drei der zehn Thesen wiedergegeben]); vgl. Niesels Briefe vom 31. Oktober und 4. November 1933; Niesel, Kirche unter dem Wort, 17 mit Anm. 59. 152 Immer, Die Briefe des Coetus, 5–9 (28. September 1933). 153 Gemeint ist das im August 1933 entstandene „Betheler Bekenntnis“, für das Barth am 12. September 1933 von Friedrich von Bodelschwingh einen Entwurf erhalten hatte; vgl. Barth, Briefe 1933, 384.446.600–606. 154 Vorländer, Elberfeld, 80–86. Klugkist Hesse wurde am 27. Oktober 1933 vom Presbyterium die Schriftleitung entzogen, woraufhin am 5. November 1933 die bekenntniskirchliche Zeitschrift „Unter dem Wort“ zu erscheinen begann; vgl. Niesel, Kirche unter dem Wort, 19 mit Anm. 68. 155 Heinrich Josef Oberheid (1895–1977) trat am 7. Oktober 1933 das Amt des Bischofs von Köln-Aachen an. Die o.g. Konferenz in Düsseldorf fand am 16. Oktober 1933 statt; vgl. van Norden, Kirchenkampf im Rheinland, 74f; Faulenbach, Ein Weg durch die Kirche, 87–89 gibt Oberheids Redemanuskript für eine Reihe von Pfarrkonferenzen in diesen Tagen wieder. „Daß sich die kirchliche Opposition gerade im Rheinland konzentrierte, war kein Zufall“, urteilte Scholder (Die Kirchen 1, 678) im Hinblick auf Oberheid, die „Rengsdorfer Thesen“ und die starken reformierten Gemeinden des Rheinlands (678–682). 156 Wilhelm Winterberg (1907–1991) wurde durch die Heirat mit Martha Weber Schwager von Otto Weber. Er muss die DC bereits in Bonn wieder verlassen haben, um als Koblenzer Pfarrer ein entschiedener BK-Vertreter zu werden.
II. Briefwechsel 1933–1939
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Mit den besten Empfehlungen an Ihre sehr verehrte Familie und herzlichen Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel Humburg bemerkt gerade zu Punkt 8, wir sollten eine Neuwahl nur für Rheinland und Westfalen fordern. Wenn man zuviel fordere, erreiche man nichts. Was meinen Sie? Ich lege Ihnen auch noch die 7 Rengsdorfer Thesen157 bei für den Fall, daß Sie diese noch nicht haben. Sie sind von Forsthoff und anderen ausgearbeitet und sollen jetzt im Auftrage des „Bischofs“ auf der Pfarrkonferenz besprochen werden. Wir werden das wahrscheinlich ablehnen. Bitte aber um baldige Rückgabe.
[Anlage]158 Wider die Deformation der Kirche159 1.) Eine Reformation oder Erneuerung wird der Kirche Jesu Christi von Gott geschenkt durch sein Wort und durch seinen heiligen Geist, wann und wie er es will. 2.) Eine Deformation oder Verkehrung der Kirche tritt ein, wenn Menschengeist sie nach seinem Plan und Willen vergewaltigt. 3.) Eine solche Deformation der Kirche haben wir heute vor uns. Die hinter uns liegenden Kirchenwahlen160 standen unter politischem Druck und Zwang. So wurde ihnen ihr kirchlicher Charakter genommen. Nicht nur das Recht der Kirche, sondern sie selbst ist dabei in ihrem innersten Wesen aufs tiefste verletzt worden. Ein fremder Geist hat sich ihrer bemächtigt. 4.) Insbesondere sind in der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union alle Kirchenvertretungen in Gemeinden, Kirchenkreisen, Kirchenprovinzen und Gesamtkirche derart zustande gekommen, daß sie als kirchliche Körperschaften im Sinne der Verfassungsurkunde bezw. der Kirchenordnung für Rheinland und Westfalen nicht anerkannt werden dürfen. (Maßgebend Art. 14–19 V.U. §§ 10.11.14.19 K.O.) 5.) Daher entbehren die beiden von der letzten altpreußischen Generalsynode beschlossenen Gesetze über die Errichtung des Landesbischofsamtes und von Bistümern sowie betreffend die Rechtsverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten des kirchlichen Charakters und der für Kirchengesetze notwendigen Rechtsgrundlage. 157 Diese Thesen entstanden Anfang Oktober durch eine Gruppe rheinischer DC; vgl. van Norden, Kirchenkampf im Rheinland, 77f; Faulenbach, Ein Weg durch die Kirche, 92f; Text in: Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 168f (Nr. 77). 158 Der Text wird hier wiedergegeben, wie er als Anlage zu Niesels Brief vom 31. Oktober 1933 erhalten ist. In der Textfassung zum obigen Brief vom 26. Oktober 1933 fehlen in Punkt 8 die Worte: in Rheinland und Westfalen. 159 Handschriftliche Notiz Niesels oben auf dem Blatt: Endgültige Fassung. 160 Handschriftliche Hinzufügung: die durch die widerrechtliche Auflösung der bestehenden kirchlichen Körperschaften nötig wurden.
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6.) Das Zustandekommen beider Gesetze bedingt auch den widerkirchlichen Charakter ihres Inhalts. Der weltliche Führergedanke und der weltliche Eignungsgrundsatz unserer Tage, die beide im Raume der Kirche dem Worte Gottes widersprechen, werden in den Gesetzen zur geltenden Norm erhoben. Damit hat die Generalsynode den in der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche (Art. 1 und 4, Abs. 1) feierlich garantierten Bekenntnisstand verletzt. 7.) Hätten die beiden genannten Gesetze die nötige Rechtsgrundlage, so müßten161 nach Art. 161, Abs. 2 V.U. rechtmäßig gewählte Provinzialsynoden der beiden westlichen Kirchenprovinzen gehört werden, da durch diese Gesetze die Kirchenordnung nicht nur geändert, sondern geradezu aufgehoben würde. Bei einer Entscheidung über diese oder eine ähnliche, das geistliche Leben der Kirche berührenden Frage könnte die Provinzialsynode als Presbyterium der Provinzialgemeinde ihre Vollmacht und Verantwortung, über das Leben der Provinzialgemeinde zu wachen, nicht einfach dem Provinzialkirchenrat übertragen. Auch wäre zu beachten, daß die presbyterial-synodale Verfassung unserer Kirchenordnung, insofern sie nach Form und Inhalt für viele Gemeinden ein Teil des Bekenntnisses selbst ist, überhaupt nicht abgeschafft werden darf. 8.) Gebunden allein an Gottes Wort und die reformatorischen Bekenntnisse, fordern wir Zurückziehung der in der altpreußischen Generalsynode beschlossenen beiden widerkirchlichen Gesetze und eine von jedem fremden Druck und Zwang freie Neuwahl sämtlicher kirchlichen Körperschaften in Rheinland und Westfalen. 9.) Für die beiden Westprovinzen fordern wir bei der kirchlichen Neuordnung einen von allen kirchenfremden Elementen befreiten presbyterial-synodalen Aufbau der Kirche, wie er zur Ausrichtung ihres Dienstes nach Gottes Wort notwendig ist. 10.) Im einzelnen heißt das, daß auf allen Stufen der kirchlichen Vertretung das162 Wahlrecht163 gewährleistet wird, in den Gemeinden für Presbyterium, Pfarrer und Kreissynodalvertreter, in den Kreissynoden, den Provinzialsynoden und der Generalsynode für die Vorstände und leitenden Männer, und daß diesen Körperschaften nach wie vor die Leitung und Pflege des kirchlichen Lebens verantwortlich übertragen bleibt.
161 Handschriftliche Hinzufügung: außerdem. 162 Handschriftlich gestrichen: freie. 163 Handschriftliche Hinzufügung: nach der V.U. und K.O.
II. Briefwechsel 1933–1939
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84 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 27. Oktober 1933 Lieber Herr Niesel! Ich habe am Montag in Berlin einen Vortrag zu halten164 und kann Ihnen darum nicht ausführlich schreiben. An der allgemeinen Fassung von Punkt 8 Ihrer Thesen sollte festgehalten werden. Mit allem anderen bin ich einverstanden. Hier die Rengsdorfer Thesen zurück. Für sie sind, außer Forsthoff und Oberheid, Van der Heyd165, Schäfer166, Schmidt-Japing und Ruttenbeck167 verantwortlich. Ich habe am 6. November in der Bonner Pfarrerkonferenz darüber zu sprechen.168 Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth Die anderen Beilagen Ihres Briefes behalte ich gerne noch als Material für den 6. November.
85 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 31. Oktober 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Haben Sie herzlichen Dank für die schnelle Antwort, vor allem aber für das Bild und das Münchener Protokoll!169 (Ich schicke es bald zurück; ich habe mir erlaubt, es schnell einmal de Quervain zu geben.) Heute schreibe ich Ihnen besonders aus folgendem Grunde: Die Wuppertaler Pfarrbruderschaft wird sich voraussichtlich auf eine Besprechung der Rengsdor
Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 479f. 164 Vgl. Barths Brief vom 8. November 1933. 165 Es muss richtig heißen: von der Heydt. Fritz von der Heydt (1884–1946) war Pfarrer in Koblenz und wurde 1933 Direktor des Evangelischen Bundes in Berlin. 166 Friedrich Schäfer (1871–1953) war Präses der rheinischen Provinzialsynode. 167 Walter Ruttenbeck (1890–1964) war seit 1930 ao. Professor für Theologiegeschichte in Bonn. 168 Vgl. Barths Brief vom 8. Oktober 1933. 169 Während eines Aufenthalts in München vom 30. September–4. Oktober 1933 erklärte Barth seinen Rücktritt aus der Herausgeberschaft von „Zwischen den Zeiten“; vgl. Barth, Briefe 1933, 424f. Thurneysen hatte von dieser Sitzung ein Protokoll angefertigt und es an die beteiligten Personen gesandt (484). Barth versandte auf Anfrage von Freunden und Schülern – und manchmal auch ohne Anfrage – Porträtfotos von sich; vgl. Barth, Briefe 1933, 509.
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fer Thesen nicht einlassen, da sie uns im Auftrage des Bischofs vorgelegt worden sind, den wir in unseren 10 Thesen Wider die Deformation mit Haut und Haaren ablehnen. Wahrscheinlich werden wir auf der anberaumten Pflichtkonferenz vor Beginn der Tagesordnung eine Erklärung abgeben und dann das Lokal verlassen. Einen Beschluß haben wir darüber allerdings noch nicht gefaßt, weil uns zunächst eine dringlichere Angelegenheit beschäftigt. Am Freitag Nachmittag wird Herr Dr. Oberheid hier erscheinen, um vor den Pfarrern mehrerer Synoden zu sprechen.170 Wir haben es gestern erreicht, daß zunächst die „Pfarrbruderschaft“ von 4 Synoden beschlossen hat, diese Konferenz nicht zu besuchen. Wir werden den Superintendenten eine begründete Entschuldigung zusenden. Es war erstaunlich, wie die Bedenklichen allmählich ihre Bedenken zurückstellten, und man von der Rederei und dem Anmelden von Protesten endlich einmal zur Tat überging. Noch zu einer zweiten Tat ist es gekommen. Nachdem am Freitag unser Presbyterium Kl. Hesse die Schriftleitung des Reformierten Wochenblattes entzogen und sie in die Hände von zwei Schulmeistern, die zur D.C. gehören, gelegt hat171, haben wir ein altes Blatt, das früher Jahrzehnte hindurch in unseren Gemeinden gelesen wurde, wiedererstehen lassen: den „Pilger“.172 Er beginnt seinen Weg bereits in dieser Woche. Der stützende Personenkreis reicht von Printz173 bis Humburg. Auch ein Zeichen der Zeit. Beiliegend noch einiges Material, das Sie behalten können. In den Thesen Wider die Deformation hat Nr. 8 nun allerdings doch die Form erhalten, von der Sie abrieten.174 Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
86 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 4. November 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Gestern war Dr. Oberheid hier. Er hat in seiner Rede erwähnt, er bedauere, daß wir nicht zu der Konferenz erschienen seien175, aber er könne uns verstehen! 170 Vgl. Niesels Brief vom 4. November 1933. 171 Siehe Anm. 154. 172 Die Zeitschrift erschien dann aber als „Unter dem Wort“. 173 Maximilian Printz (1863–1952) war 1916–April 1933 Pfarrer in Cronenberg und Mitherausgeber der „Biblischen Zeugnisse“. Er gehörte zu den Kohlbrüggianern. 174 Der endgültige Text „Wider die Deformation der Kirche“ ist bereits als Anlage zu Niesels Brief vom 26. Oktober 1933 wiedergegeben. Mehrere Textbausteine dieser Erklärung finden sich auch in einem Schreiben einer Pastorenversammlung der Synode Barmen vom 30. Oktober 1933; vgl. Steiner, Gemarke, 323f. 175 Die oppositionellen Pfarrer hatten sich bereits im Vorfeld schriftlich „entschuldigt“; vgl. van Norden, Kirchenkampf im Rheinland, 75f mit Anm. 51.
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Am Donnerstag war er in Essen, wo man ihm offenbar deutlich Bescheid gesagt hat.176 Er hat daraufhin die Essener aufgefordert, 6 Pastoren und Älteste für einen Ausschuß zur Beratung der Verfassung zu benennen. Nun ruft eben Humburg bei mir an, es solle auch ein Wuppertaler unter diesen sechs sein und er habe mich vorgeschlagen; ich möchte nicht ablehnen. Ich habe sofort mein Bedenken geäußert und mir die Entscheidung vorbehalten, bis ich Näheres über diesen Verfassungsausschuß wisse. Am Mittwoch wollen wir Wuppertaler zusammenkommen und darüber sprechen. Was sagen Sie dazu? Das eine ist mir klar: eine Verhandlung, die auf einen Kompromiß hinzielt, kommt nicht in Frage. Ich könnte mir nur denken, daß man Forderungen stellt, wie wir es in den 10 Thesen „Wider die Deformation der Kirche“ getan haben. Und zwar mit der Forderung, wie sie Graeber177 schon erhoben hat: „Erst Kasse, Herr Dr.!“, ehe man zu positiven Vorschlägen übergeht. Diese liegen ja etwa in unseren Düsseldorfer und Elberfelder Sätzen vor. Aber wäre ein solches Unternehmen nicht schon von vornherein verkehrt? Doch wenn es verkehrt ist, was sollen dann unsere Gemeinden tun, wenn die neue Verfassung ihnen von oben her dekretiert würde? Darf man die Dinge bis dahin einfach schliddern lassen, wenn Oberheid als Präsident des Konsistoriums (er würde es in dieser Eigenschaft tun) sich bereit erklärt, unsere Forderungen entgegenzunehmen? Ich wäre Ihnen für einen guten Rat wirklich dankbar. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel Unser Fernbleiben von der gestrigen Konferenz mit Oberheid haben wir ganz kurz mit denselben Gründen motiviert, die wir in den 10 Thesen angegeben haben.
87 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 8. November 1933 Lieber Herr Niesel! Entschuldigen Sie, daß ich Sie so lange – vielleicht nun schon zu lange – auf Antwort warten ließ. Aber hier hat nun neben der dauernden Beanspruchung durch die kirchlichen Dinge auch das Semester wieder angefangen. Ich bin grundsätzlich der Ansicht (und werde das demnächst auch so drucken lassen), daß man 176 Van Norden, Kirchenkampf im Rheinland, 76. 177 Wahrscheinlich ist Martin Graeber (1884–1959) gemeint, der 1929–1954 Pfarrer der Freien evangelischen Presbyterianer war. Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 490–493.
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sich an dem gegenwärtigen Kirchenregiment (im engern Sinn des Begriffs) nicht beteiligen darf, weil man damit sowohl seine (in den Beschlüssen der Generalsynode manifeste) Häresie als auch die Usurpation, durch die es in den Besitz der Macht gekommen ist, anerkennt.178 Ich habe darum nicht nur einen mir von Weber angebotenen Sitz in der neu zu errichtenden theologischen Kammer in Berlin abgelehnt, sondern auch auf meinen bisherigen Sitz in der Koblenzer Prüfungskommission verzichtet.179 Man erklärt damit, daß man das synodale Element der kirchlichen Ordnung für zur Zeit suspendiert oder besser gesagt: für in die freien Zusammenkünfte der nichtgleichgeschalteten Prediger verlegt ansieht. Ich würde also in der Frage Ihres Verfassungsausschusses meine Stellungnahme davon abhängig machen, ob diese Sache als ein Organ der Oberheid’schen Kirchenregierung aufgezogen ist oder ob er als ein Organ der protestierenden Pfarrschaft angesehen werden kann. Im ersten Fall würde ich nicht mittun, im zweiten mittun. Anfangs letzter Woche war ich in Berlin, hielt einen Vortrag in der Singakademie und habe dann einen ganzen Tag lang mit den Pfarrern um Jacobi exerziert.180 Günther Dehn181 hat dabei in ganz ausgezeichneter Weise mitgewirkt. Ich konnte aber auch sonst im Ganzen mit sehr ermutigenden Eindrücken von jenem Kampfplatz zurückkehren. Die Scheidung innerhalb der Jungreformatorischen, auf die ja dort, wenn die Truppe sich gut schlagen soll, Alles ankommt, ist jedenfalls kräftig angebahnt und wenn es auch immer noch die erstaunlichsten Schwachheiten und Inkonsequenzen giebt, so ist es doch unverkennbar, daß eine große Schar guter Leute in einer Weise in Fahrt sind, auf die man Hoffnungen setzen kann. Vorgestern [6. November] habe ich dann hier vor den Pfarrern der Synoden Köln und Bonn einen Vortrag über die Rengsdorfer Thesen gehalten182 und habe auch hier bei der Aussprache den Eindruck gehabt, daß der Höhepunkt – wenigstens der innere Höhepunkt der Sündflut – vielleicht schon hinter uns liegt. Den D.C. scheint es Land auf Land ab gar nicht wohl zu sein in ihrer Haut, seit jener Parteigenosse Heß die Gewissensfreiheit proklamiert hat183 und seit über178 Vorwort (2. November 1933), in: Karl Barth, Reformation als Entscheidung, TEH 3, 1933, 3f (= ders., Vorträge 1930–1933, 516–532). 179 Otto Weber hatte Barth am 29. Oktober 1933 aufgefordert, einen Platz in der neu errichteten theologischen Kammer der DEK einzunehmen; Barth wies dies noch am selben Tag zurück; Barth, Briefe 1933, 482. Barth hatte am 2. November 1933 gegenüber Ernst Stoltenhoff seinen Verzicht auf den Sitz im rheinischen Prüfungsamt erklärt (484). 180 Am 30. Oktober 1933 diskutierte Barth auf einem Treffen des Pfarrernotbundes in Berlin und hielt in der Singakademie den Vortrag „Reformation als Entscheidung“, erschienen als TEH 3 (= ders., Vorträge 1930–1933, 516–552); vgl. Busch, Reformationstag 1933, mit Abdruck des Vortrags, 35–56. 181 Günther Dehn (1882–1970) war 1933 suspendierter Professor für Praktische Theologie in Halle. 182 Abgedruckt sind die Rengsdorfer Thesen und Barths Gegenthesen, die er in Bonn vortrug, in: Karl Barth, Lutherfeier 1933, TEH 4, München 1933, 17–20 (= ders., Vorträge 1930– 1933, 558–566); auch in: Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 168–171 (Nr. 77f). 183 Rudolf Heß hatte am 17. Oktober 1933 erklärt: „Kein Nationalsozialist darf irgendwo benachteiligt werden, weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu überhaupt keiner Konfession bekennt. Der Glaube ist eines jeden eigenste Angelegenheit, die er nur vor seinem Gewissen zu verantworten hat. Gewissenszwang darf nicht ausgeübt werden.“ (Scholder, Die Kirchen 1, 669–671, hier 669); vgl. auch Kretschmar/ Nicolaisen, Dokumente I, 145; Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 134 (Nr. 56).
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dies die Hauerleute184 sich immer mehr bemerkbar machen. Es ist ja schon wahrscheinlich, daß sie uns, nun einmal an der Macht befindlich, noch viel zu schaffen machen werden. Aber auch das Andere ist nicht unmöglich, daß dieser ganze Zauber ebenso plötzlich wieder verschwindet, wie er gekommen ist. Man sollte sich jedenfalls in allen Zusammenkünften der Renitenten ja nicht nur mit der im Augenblick notwendigen Defensive, sondern mindestens implizit auch schon mit der Zurüstung auf den Tag beschäftigen, wo „uns“ die Führung in der Kirche vielleicht ganz plötzlich zufallen könnte. „Ich weiß hellseherisch“ – um mit Goering zu reden185 –, daß die viel schwereren positiven Aufgaben erst vor uns stehen. Eben komme ich aus einer Sitzung eines Ausschusses des Presbyteriums zur Beratung über die von Barmen-Gemarke vorgeschlagene Entschließung.186 Wenn Alles klappt, d.h. vor Allem: wenn die traurige Fraktion „Evangelium und Kirche“ nicht im letzten Augenblick versagt, wird diese Entschließung am nächsten Montag mit einer Stimme Mehrheit (die in mir verkörperte Opposition!187) in folgender Fassung gutgeheißen: „Das Presbyterium der evangelischen Gemeinde Bonn fordert, an Schrift und Bekenntnis gebunden, daß bei der Neugestaltung der rheinischen Kirchenverfassung in dankbarem Festhalten an rheinischer Überlieferung und in Verfolg der früheren Beschlüsse der maßgebenden rheinischen kirchlichen Körperschaften die presbyterial-synodale Ordnung des Gemeindelebens und der Kirche so gewahrt bleibt, daß die Gemeinde unter allen Umständen die Verantwortung für die Gestaltung des kirchlichen Lebens behält. Das muß in der Aufrechterhaltung des freien Wahl- und Beschlußrechtes der Gemeinden, der Presbyterien und der Synoden und in der Stärkung der Autorität der kirchlichen Körperschaften zum Ausdruck kommen. Wir sind der Überzeugung, daß gerade diese kirchlichen Formen der Verwirklichung echter kirchlicher Leitung dienlich sind.“188 Ich habe bei dem Anlaß gesehen, daß es doch ganz nützlich ist, daß ich in dieser Kiste mit drinsitze. Denn wirklich: ohne meine milde Assistenz hätten die guten Leute das Führerprinzip ganz fröhlich irgendwo in ihre „rheinische“ Herrlichkeit „eingebaut“ und über ihre „Bindung an Schrift und Bekenntnis“ waren sie, als sie einmal auf dem Papier war, als über eine in Bonn seit Menschengedenken unerhörte Sache auch baß erstaunt, aber siehe da, so lautet es nun!
184 Der Tübinger Religionswissenschaftler Jakob Wilhelm Hauer (1881–1962) war die Führungsgestalt der Deutschen Glaubensbewegung; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 573–575. 185 Vor dem Urteil im Reichstagsbrand-Prozess gegen Marinus van der Lubbe, das am 23. Dezember 1933 fiel, hatte Hermann Göring am 4. November 1933 erklärt: „Ich weiß geradezu hellseherisch, daß die Kommunisten den Brand entzündet haben“. 186 Barth, Briefe 1933, 492 mit Anm. 5. 187 Hinz-Wessels, Die Evangelische Kirchengemeinde Bonn, 201: „Barth war im Presbyterium offensichtlich isoliert“. 188 Wenig wahrscheinlich ist die Angabe in Barth, Briefe 1933, 492 mit Anm. 5, dass Barth hier am 8. November 1933 eine erst am 20. November 1933 in Barmen unterzeichnete Entschließung meint. Wahrscheinlicher ist der Bezug auf eine „Erklärung, die das Presbyterium [Gemarke] bald nach dem 6. September beschlossen hatte“; vgl. Steiner, Gemarke, 335. Anlass dieser Verfassungsdiskussion war der Versuch der Reichskirchenregierung, die Verfassungen der Landeskirchen durch Richtlinien zu vereinheitlichen; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 691–693.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Das Heft 2 unsrer neuen Schriftenreihe wird Sie wohl heute auch erreicht haben.189 Heft 3 mit meinem Berliner Vortrag190 ist eben im Druck und folgt hoffentlich bald nach. Ich wollte so gerne, daß das Salvenfeuer aus allen Geschützen, das ich jetzt abgebe, kein leeres Geschrei sei! Aber darüber hat niemand Macht. In den Vorlesungen sollte ich jetzt, wenn ich der Obrigkeit gehorsam sein wollte, 1. mit dem Hitlergruß anfangen und schließen191, 2. je eine kleine Rede über die Bedeutung des 12. November halten192, 3. die Studenten zum Eintritt in die S.A. auffordern (Letzteres Spezialanordnung Ludwigs des Kindes!193). Ich habe mich in diesem Konflikt zwischen Röm 13 auf der einen, Act 5,29 (nebst Wilhelm Tell vor dem Gesslerhut194) auf der andern Seite für die zweite Möglichkeit entscheiden müssen. Humburg hat mich für den 4. Januar zu einem Vortrag in Gemarke eingeladen.195 Ich denke, es wird jetzt wohl richtig sein, anzunehmen, aber ich will noch darüber schlafen. Man könnte sich ja auch fragen, ob es nötig sei, Eulen nach Athen zu tragen. Ich lege Ihnen hier einen Durchschlag der Gegenthesen vor, die ich am Montag mit den hiesigen Pfarrern durchgesprochen habe.196 Mit herzlichem Gruß an Sie und de Quervain! Ihr Karl Barth Bitte melden Sie mich als Abonnent auf „Unter dem Wort“! Gruß auch an Klugkist Hesse und alle Unentwegten!
189 Karl Barth, Für die Freiheit des Evangeliums, TEH 2, München 1933 (= ders., Vorträge 1930–1933, 390–412). 190 Karl Barth, Reformation als Entscheidung, TEH 3, München 1933 (= ders., Vorträge 1930–1933, 516–557). 191 Eine entsprechende Verfügung war bereits am Ende des Sommersemesters erlassen worden (22. Juli 1933). Am 13. November 1933 gab es einen ersten Zwischenfall; vgl. Barth, Briefe 1933, 509.512. Am 6. Dezember 1933 erklärte Barth sich den Studierenden gegenüber, lehnte den „Hitlergruß“ im Rahmen einer theologischen Vorlesung ab und legte am 14. Dezember 1933 Protest beim Rektor der Universität ein (570). 192 Tag der „Reichstagswahl“ und Abstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund. 193 Spottname für Ludwig Müller, möglicherweise eine Anspielung auf den letzten Karolinger-König Ludwig III., der als Kind unter Vormundschaft stand und de facto völlig abhängig war. 194 In Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ versagt der Protagonist den geforderten Gruß vor dem auf einer Stange erhöhten Hut des Landvogts Gessler. 195 Vgl. Barths Brief an Humburg vom 10. November 1933, in: Barth, Briefe 1933, 495. Dies war wohl ursprünglich eine Coetus-Versammlung, da der Beschluss zur Freien reformierten Synode am 3./4. Januar 1934 erst am 22. Dezember 1933 gefasst wurde; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 82f; Immer, Die Briefe des Coetus, 20f. 196 Abgedruckt in: Karl Barth, Lutherfeier 1933, TEH 4, München 1933, 17–20 (= ders., Vorträge 1930–1933, 558–566), siehe Anm. 182.
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88 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 9. November 1933 Sehr verehrter Herr Professor! In meinem letzten Briefe habe ich Sie eigentlich mit einer ziemlich überflüssigen Frage belästigt. Mir war von vornherein klar, wie ich Ihnen auch schrieb, daß es zwischen der jetzigen Kirchenregierung und uns keinen Kompromiß geben darf. Dann kann man sich aber auch die Reise zu einer Konferenz sparen, auf der man doch nur ein Bekenntnis gegen die Einladenden ablegen könnte. Am Montag Nachmittag ist eine Vertrauensmännersitzung der Rheinischen Pfarrbruderschaft in Düsseldorf. Ich werde dort mit einigen anderen für klaren Kurs eintreten.197 Schade, daß die Stellungnahme immer wieder durch Kompromißler erschwert wird. Hesse war in Berlin bei Weber198 und hat sich durch ihn wieder in mancherlei Hinsicht beeinflussen lassen. Ich habe ihm unverblümt meine Meinung gesagt, und wir sind darauf bedacht, daß er nicht mehr führend hervortritt. – Weber macht gerade wieder eine gefährliche Rederundreise durch die Lande.199 In unserer Gemeinde ist alle Verkleisterung nun glücklich durch den Wochenblatt-Streit zunichte gemacht. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel Eben höre ich, daß Bodelschwingh an Müller geschrieben hat, er werde jetzt den Kampf gegen ihn aufnehmen.200
197 Die Rheinische Pfarrerbruderschaft war in diesen Tagen damit beschäftigt, Gegenthesen zu den Rengsdorfer Thesen zu entwickeln; vgl. van Norden, Kirchenkampf im Rheinland, 78–80. 198 Von Bülow, Otto Weber, 130 mit Anm. 207. 199 Unter anderem besuchte Otto Weber den ostfriesischen Coetus in Emden. Eine diesem Besuch folgende Stellungnahme des ostfriesischen Coetus ist abgedruckt in RKZ 83, 1933, 365f. 200 Möglicherweise handelt es sich hierbei lediglich um ein Gerücht. Müller hatte sich Ende Oktober 1933 für die Durchführung des „Arierprinzips“ in der Kirche ausgesprochen, woraufhin die kirchliche Opposition heftig reagierte und enger zusammenrückte; vgl. Schneider, Reichsbischof, 161f.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
89 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 9. November 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Gerade habe ich die Karte an Sie abgeschickt, da kommt der Brief. Herzlichen Dank! Ihre Broschüre habe ich auch gerade zugesandt bekommen und mit Freuden gelesen.201 Dürfen wir Ihre Gegenthesen zu den Rengsdorfer wohl in der Reformierten Kirchenzeitung abdrucken?202 Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel Die große Gemeinde Unterbarmen hat auch einen guten Beschluß gegen die Gesetze der Generalsynode gefaßt. Leider hat er an einer Stelle einen Schönheitsfehler.203 Würden Sie vielleicht auch Ihre Anathemata wider die D.C.-Lehre für eine „Handreichung“ des Coetus reformierter Prediger zur Verfügung stellen?204
201 Siehe Anm. 196. 202 Das geschah dann: RKZ 83, 1933, Nr. 47 vom 19. November 1933, 353f. 203 RKZ 83, 1933, 357f (auch in: Steiner, Der Weg der reformierten Kirchen, 235f), wohl unter Federführung von Georg Schulz-Sydow entstanden, der 1930–1936 Pfarrer in Unterbarmen war. Der von Niesel identifizierte „Schönheitsfehler“ ist möglicherweise der, dass die Erklärung es bei aller Ablehnung für möglich hält, die „auf Grund des weltlichen Führerprinzips an die Spitze der Kirche gestellte[n] Männer […] als Vertreter der Kirche nach außen und als Leiter ihrer Geschäfte“ anzusehen (357). 204 Ein Abdruck in den Coetusbriefen kam nicht mehr zu Stande, schoben sich doch der bald folgende Sportpalastskandal und die Vorbereitungen der Freien reformierten Synode Anfang Januar 1934 davor.
II. Briefwechsel 1933–1939
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90 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 10. November 1933 Lieber Herr Niesel! Drucken Sie die Gegenthesen ab, wo Sie immer wollen. Wo es sich auch um nichtrheinische Leser handelt, wird es wohl eindrucksvoll sein, wenn man die törichten Rengsdorfer Thesen (vielleicht nicht ohne Andeutung, aus welcher Kirche sie stammten!) mitabdruckt, eventuell das Ganze in Form einer kleinen Synopse.205 Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth (Kennen Sie das neue Dogma von der Realrotation Luthers in seinem Grabe anläßlich der Wittenberger Nationalsynode?)206
91 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 24. November 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Wir haben nun zweimal mit den Westfalen verhandelt, vorigen Samstag in Dortmund und Dienstag in kleinerem Kreise in Hamm. Präses Koch207 hatte in seinem Verfassungsentwurf208 noch einen von der Provinzialsynode zu wählenden Bischof und außerdem einen Präses der Synode vorgeschlagen. Das erfreuliche Ergebnis der Verhandlungen war, daß auch die strengen Lutheraner um des Evangeliums willen auf den Bischofstitel verzichteten und auch lieber den Titel Präses anstatt Landespfarrer209 wollten. Man war sich ganz klar darüber, daß dieser presbyterial
Erstabdruck: Barth, Briefe 1933, 494f. 205 Der Abdruck in TEH 4 brachte These und Gegenthese jeweils untereinander, siehe Anm. 182. 206 Gerhard Jacobi (1891–1971) hatte Barth am 21. Oktober 1933 geschrieben, dass man in der kirchlichen Opposition angesichts der deutsch-christlichen Lutherfeiern („Luther würde sich im Grabe herumdrehen!“) während der „Nationalsynode“ in Wittenberg „das neue Dogma von der realen Rotation Luthers im Grabe aufgestellt“ habe; Barth, Briefe 1933, 494. 207 Karl Koch (1876–1951), Pfarrer in Bad Oeynhausen und Superintendent in Vlotho, war Präses der westfälischen Provinzialsynode. 208 Es ging um die Anfang November begonnene Diskussion über die Vereinheitlichung der landeskirchlichen Verfassungen. In Westfalen war – analog zum Rheinland mit Oberheid – mit Bruno Adler (1896–1954) ein DC-Bischof für das Bistum Münster benannt worden, ermöglicht durch den Beschluss der altpreußischen Synode vom 5. September 1933; vgl. Hey, Die Kirchenprovinz Westfalen, 50–54. 209 Oberheid hatte am 12. Oktober 1933 beim Reichsbischof den Antrag gestellt, mit Rücksicht auf die reformierte Tradition des Rheinlandes statt „Bischof “ den Titel „Landespfarrer“ zu tragen; vgl. Faulenbach, Ein Weg durch die Kirche, 91f.
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synodale Verfassungsentwurf ein Bekenntnis darstelle gegenüber dem im Auftrage der Reichskirche von Heckel ausgearbeiteten papistischen Entwurf.210 Oberheid hatte P. Held211 zugegeben, daß die neue Verfassung so hierarchisch sein solle, um später die römische Kirche leicht eingliedern zu können! Man war sich auch darüber klar, daß der neue Entwurf wahrscheinlich die Loslösung der Westkirche vom Osten bedeute; aber man meinte gerade so auch den östlichen Provinzen am ehesten helfen zu können, wenn man hier kompromißlos die Kirche bekenne. Die Lutheraner Westfalens waren zu allen Konsequenzen bereit. Wenn uns das Geld gesperrt werden sollte, dann – meinten sie – wollten wir lieber eine Proletarisierung des Pfarrerstandes auf uns nehmen als der Häresie nachgeben. Dieser Gegenentwurf ist rein presbyterial-synodal. Das Konsistorium wird Büro des Präses, der auf 8 Jahre gewählt wird und zusammen mit 2 anderen Theologen die Kirchenleitung innehat. Dieses Moderamen wird dadurch stark von Arbeit entlastet, daß die Kreissynoden wieder wirkliche Aufgaben, auch kirchenregimentliche, bekommen. Wichtig ist noch besonders, daß nicht alle Gemeindeglieder das Wahlrecht haben, sondern nur die, welche sich fleißig am Gemeindeleben beteiligen, und dann das Presbyterium das Wahlrecht auf Antrag aus seiner Mitte oder auf Antrag des betreffenden Gemeindegliedes zugesprochen hat. Am Samstag war nachmittags eine Versammlung von etwa 1000 Pastoren und Presbytern aus ganz Westfalen in Dortmund, veranstaltet von „Evangelium und Kirche“.212 Aber ich hatte einen sehr guten Eindruck. Es ging wirklich um Evangelium und Kirche. Lücking213 und Bodelschwingh redeten recht gut. Es wurde die Einberufung der Provinzialsynode gefordert. Sie wird nun auch bald zusammentreten und zu den D.C. (grundsätzlich, auch gegen Wienekes Buch214) und zu der Verfassung Stellung nehmen. In dieser glücklichen Lage sind wir hier im Rheinland ja nicht. Die Westfalen müssen uns in etwa mitheraushauen. D.h. wir sind auch nicht untätig, sondern beginnen überall unsere Männer zu sammeln. Wir hoffen bald zu einer illegitimen215 Provinzialsynode zu kommen. Leider kommt bei dem Führer der rheinischen Pfarrbruderschaft P. Held immer wieder die Kirchenpolitik im üblen Sinne zum Vorschein.216 Humburg wird jetzt deswegen bei ihm vorstellig und wir hoffen, daß er seinen Posten an Beckmann217 abtritt. 210 Vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 692. 211 Heinrich Held (1897–1957) war Pfarrer in Essen. 212 Die Liste „Evangelium und Kirche“ war mit 80 Synodalen die Mehrheitsfraktion in der westfälischen Provinzialsynode gegenüber 60 DC-Synodalen; vgl. Hey, Die Kirchenprovinz Westfalen, 44. 213 Karl Lücking (1893–1976), Pfarrer in Dortmund, war Sprecher von „Evangelium und Kirche“ in der westfälischen Provinzialsynode. 214 Friedrich Wieneke (1892–1957), Reichsreferent der DC für Theologie und Hochschule, veröffentlichte eine „Deutsche Theologie im Umriß“ (Soldin 1933). 215 Gemeint ist eine bekenntniskirchliche Privinzialsynode außerhalb der staatlich anerkannten Gesetzgebung. 216 Barth hatte im Vorwort seiner Schrift „Lutherfeier 1933“, TEH 4, München 1933, gerade auch die kirchliche Opposition davor gewarnt, wie die DC oder andere Gruppen nur „kirchenpolitisch“ zu agieren, statt „grundsätzlich“ zu kämpfen, v.a. gegen die von Barth diagnostizierten neuprotestantischen Irrtümer. 217 Joachim Beckmann (1901–1987) war 1933–1948 Pfarrer in Düsseldorf.
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Was die gesamte Pfarrbruderschaft anlangt, so ist die Führung ja jetzt den Berliner Taktikern genommen und in die Hände von Bodelschwingh und Schulz218 gelegt worden. Ich hörte entschuldigend sagen, diese beiden wären mit Ihnen ganz einig; sie wären nur in Sachen der Audienz gegen Sie gewesen.219 Das betrüblichste Kapitel stellt leider immer noch Weber dar. Die Unterredung mit Ihnen scheint keinen nachhaltigen Eindruck auf ihn gemacht zu haben.220 Er will jetzt eine „dritte Front“ aus dem rechten Flügel der D.C. und einem Teil ihrer Gegner zustandebringen! In dem Sinne hat er bereits am Montag in Siegen auf einer Konferenz der Pastoren, die nicht zu den D.C. gehören, verheerend gewirkt. P. Immer hatte vormittags versucht, die Leute auf die Beine zu bringen, und nachmittags hat Weber sie wieder eingewickelt. In 14 Tagen will er noch mal dort reden.221 – Hesse gegenüber hat er am Telephon auf die Erklärung des Reibi222 hingewiesen; aber Hesse hat sich diesmal nicht beeindrucken lassen. Die Sportpalastversammlung wirkt bei ihm wieder für 6 Wochen. Inzwischen hat Weber auch an Kirchmeister Frowein wegen der Entschließung der Barmer (RKZ, 366223) geschrieben und unsere Mitteilungen über die geplante Verfassung als Märchen bezeichnet. Für die reformierten Gemeinden werde er schon sorgen. Aber dieses Schlafgebräu werden die Gemarker nicht entgegennehmen. Es geht heute ja nicht um sogen[annte] reformierte „Belange“, sondern um die Kirche. Weber sieht offenbar schon lange ein, daß er einen falschen Weg gegangen ist; aber anstatt das offen zu erklären, sucht er sich theologisch zu rechtfertigen und sich unter den Pastoren und Gemeinden eine Basis zu schaffen. Einer, der ihn sehr gut kennt, sagte uns neulich: Wenn man das bei Gesprächen mit Weber nicht beachte, rede man an ihm vorbei. Sehr tapfer hat sich wieder einmal der BK unter Udo Smidt geschlagen.224 Montag um ½ 10 wollte der Reibi den Vertrag unterzeichnen, der die Eingliederung des Ev. Jugendwerkes in die H.J. festlegen sollte.225 Kurz vorher hat Smidt 218 Georg Schulz (genannt: Schulz-Sydow, 1889–1954) war 1930–1936 Pfarrer in Unterbarmen und Gründer der Sydower Bruderschaft 1922. Er war bei den Anfängen der Jungreformatorischen Bewegung beteiligt. 219 Nach dem Sportpalastskandal wurden Barth und von Bodelschwingh bereits am 14. November 1933 zum Pfarrernotbund nach Berlin gerufen, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Niemöller votierte energisch dagegen, dass Barth irgendeiner Delegation, sei es zum Reichsbischof Müller, sei es zum Reichskanzler oder Reichspräsidenten, angehören sollte; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 705–708. Ein Bericht von Charlotte von Kirschbaum über diese BerlinReise vom 14.–16. November in: Barth, Briefe 1933, 524–529.544–548; Busch, Reformationstag 1933, 121–131. 220 Barth und Weber waren am Abend des 15. November 1933 zusammengekommen; von Bülow, Otto Weber, 133 mit Anm. 233. 221 Von Bülow, Otto Weber, 134. 222 Gängige Abkürzung für: Reichsbischof. 223 RKZ 83, 1933, 366 (Nr. 48 vom 26. November 1933); leichte Textabweichungen in Steiner, Gemarke, 339f. Fabrikant Carl Frowein (1878–1954) war Kirchmeister der Gemarker Gemeinde und gehörte zur Leitung der Theologischen Schule Elberfeld; vgl. Steiner, Gemarke, 26–28. 224 Der BK ist der Schülerbibelkreis. Udo Smidt (1900–1978) war 1930–1934 Reichswart der Schülerbibelkreise und Pfarrer in Barmen. 225 Vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 731–734.
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dem Reibi und Stange226 erklärt, daß dann der BK aus dem Jugendwerk austreten werde auf die Gefahr hin, verboten zu werden. Das hat die Leute doch so nachdenklich gestimmt, daß die Unterzeichnung unterblieb und die ganze Aktion nun nicht zustandekommen wird.227 Wissen Sie, daß Müller sich die apostolische Sukzession verschaffen wollte, aber alle außerdeutschen Bischöfe ihre Teilnahme an dem Thronbesteigungsfest verweigert haben?228 Der arme Mann! Neulich wollte er als Landesbischof von Preußen an einer Sitzung des E.O.K. teilnehmen, da teilte ihm der Portier mit, er dürfe ihn nicht zulassen! Solche Autorität genießt er dort! Ein solches Theater kann ja nicht lange dauern. Wenn nur nicht irgendwelche Kompromißler alles verderben. Herzliche Grüße, auch Ihrer sehr verehrten Familie! Ihr Wilhelm Niesel Wir229 hatten am Montag Pfarrkonferenz über die Rengsdorfer Thesen und haben die D.C. mächtig zusammengestaucht.
92 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 28. November 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Sie wissen ja wohl schon, daß eine neue ernste Stunde in der kirchlichen Entwicklung begonnen hat. Wir haben mit einem Staatseingriff zu rechnen – er sollte heute Mittag geschehen –, durch den die Einführung Müllers am kommenden Sonntag230 gesichert werden soll. Ziel: Verbot der D.C. und des Notbundes.231 Aber dieser Eingriff als solcher ist nicht das Gefährliche, sondern vielmehr die Tatsache, daß Veränderungen im Geistlichen Ministerium vorgenommen werden sollen, die die Lage völlig vertuschen.232 Gerade höre ich, daß Weber am Samstag sein Amt zur Verfügung stellen wollte. Da hat Hollweg, der mit Langenohl (!) in Berlin ist, ihm gesagt: Er sei von 226 Erich Stange (1888–1972) war Reichswart des Evangelischen Jungmännerwerks und Leiter des Evangelischen Jugendwerks. 227 Dennoch übertrug man Ludwig Müller die „Befehlsgewalt“ über die evangelische Jugend. Im Dezember 1933 wurde die Eingliederung in die HJ besiegelt; vgl. Scholder, Die Kirchen 1, 734–738; Schneider, Reichsbischof, 170–179. 228 Der für den 3. Dezember 1933 geplante Festgottesdienst zur Einführung des Reichsbischofs wurde verschoben; vgl. Schneider, Reichsbischof, 182. 229 Vermutlich: in Elberfeld. 230 Siehe Anm. 228. 231 Scholder, Die Kirchen 1, 721. 232 Am 29. November 1933 treten die drei Mitglieder des Geistlichen Ministeriums zurück; eine zweite Kirchenregierung sollte dann nicht mehr wirklich zu Stande kommen.
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den Gemeinden in sein Amt berufen und dürfe auch nur mit ihrer Einwilligung seinen Platz verlassen. Er bäte ihn dringend zu bleiben!! Daß das noch geschehen mußte! Daß ein Mann wie Hollweg die Scheidung, die sich jetzt mächtig anbahnte, so aufhalten konnte!233 Es wird jetzt tatsächlich so kommen: Es gibt nicht die erhoffte Scheidung der Geister vom Worte her, sondern das, was auseinanderbrechen will, wird durch unheilvolle Machinationen234 zusammengekleistert. Und dazu bieten Männer, die zu uns gehören, ihre Hand. Es ist himmeltraurig! Klar in dieser Hinsicht scheinen ja Bodelschwingh und Schulz-Barmen235 zu stehen. Sollten Sie trotz allem Geschehenen nicht mit Bodelschwingh in Fühlung treten? Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
93 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 8. Dezember 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Gestern Abend war ich nach der Versammlung236 noch mit Udo Smidt zusammen. Er berichtete von Jacobi leider nichts Günstiges. Er treibe „Stresemannpolitik“ in der Kirche. Er sei der Meinung, man müsse jetzt versuchen, mit soviel Leuten als möglich in die Kirchenleitung hereinzukommen, weil es später nicht mehr gelingen würde. Dazu paßt das, was ich von anderer Seite über Jacobi gehört habe, und die Tatsache, daß er als Mitglied der neuen Erfindung von Weber, des Schlichtungsausschusses237, genannt wird. Ich schreibe Ihnen das nur, weil es vielleicht gut wäre, wenn Sie ihn auf Grund der Nachricht, daß er in diesen kümmerlichen Ausschuß gegangen ist, ein wenig zur Ordnung rufen würden. Die anderen stehen jetzt wenigstens fest zusammen. P. Obendiek war jetzt 1 ½ Tage mit Hollweg zusammen und berichtete leider wenig Erfreuliches. Hollweg verläßt sich darauf, daß er noch einen relativ intakten Kirchenkörper hat.238 Er ist über die Lage kaum im Bilde, verurteilt alle Akti233 Hollweg hat in diesen Tagen immer wieder dem Kirchenminister Weber den Rücken gestärkt; vgl. von Bülow, Otto Weber, 130.136.138. 234 = Ränke, Machenschaften, Winkelzüge. 235 Gemeint ist der Unterbarmer Pfarrer Georg Schulz-Sydow, der sich seit dem Reformationstag 1933 in Berlin Barths Kurs annäherte. 236 Am 7. Dezember 1933 versammelten sich 1.200 Männer aus den evangelischen Gemeinden Barmens zu einer Großkundgebung gegen die DC; vgl. RKZ 83, 1933, 393f. 237 Nicht ermittelt. 238 Zum Kirchenkampf in der Evangelisch-reformierten Landeskirche der Provinz Hannover vgl. Wever, „Wir wären ja sonst stumme Hunde gewesen …“.
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vität von Schumacherscher Theologie239 aus, die offenbar nichts von Glaubensgehorsam weiß, und sieht die Lage nicht so ernst an wie wir, d.h. er betrachtet die D.C. noch als unsere „Brüder“. Die Bischöfe sind jetzt soweit, daß sie Müller nur als vorübergehende Figur betrachten. Auch wenn er ihren Personalvorschlag angenommen hätte240, würden sie nicht an einer „Salbung“ Müllers teilgenommen haben. Wir hatten gestern in Barmen eine gute Versammlung, wenn auch nicht soviele gekommen waren, wie erwartet, da es sich herumgesprochen hatte, die Sache würde verboten werden. Die Entschließungen lege ich Ihnen bei.241 Heute Abend muß ich meine Redeplatte noch einmal ablaufen lassen. Wenn die Leute nur begreifen, worum es geht. Mit herzlichem Gruße und der Bitte um die besten Empfehlungen an Ihre sehr verehrte Familie! Ihr Wilhelm Niesel
94 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 9. Dezember 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Meinem Briefe sende ich gleich diese Zeilen nach, weil ich eben von Hesse höre, daß Jacobi für den Posten des Vizepräsidenten im EOK genannt wird und er offenbar daran denkt anzunehmen. Er überlegt sich schon ein Regierungsprogramm!242 Es ist doch ein Skandal. Jetzt stehen alle Bischöfe und der Notbund zusammen, und dieser Mann tanzt außer der Reihe. Hesse sagt, Weber habe ihn ganz in seinen Händen. Können Sie Jacobi nicht „konfirmieren“? Hesse berichtet weiter, daß Koopmann jetzt wieder sehr für Weber eingenommen sei.243 Das ist offenbar das Werk Langenohls, der mit Hollweg in Berlin war. Diese kurzsichtigen Leute.
239 Peter Schumacher (1878–1950), Pfarrer in Uelsen, hatte als führender Vertreter der Kohlbrüggianer erheblichen Einfluss auf den Landessuperintendenten Walter Hollweg. 240 Scholder, Die Kirchen 1, 724f. 241 Siehe Anm. 236. 242 Handschriftliche Ergänzung am Seitenrand: Z.B. überlegt er, wie der kirchliche vom staatlichen Führergedanken abzugrenzen wäre! – Müller hatte Jacobi auch für die Neubesetzung des Geistlichen Ministeriums genannt; vgl. Schneider, Reichsbischof, 167. 243 Otto Koopmann (siehe Anm. 63.66) hatte noch kurz zuvor gegen die erneute Berufung Webers in das neu zu besetzende Geistliche Ministerium Rechtswahrung eingelegt; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 57.
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Heckel, der Referent für Hochschulfragen bei der Deutschen Evangelischen Kirche, wußte nichts davon, daß Ihre Stellung gefährdet sei. Offenbar sind das also Gedanken, die bei Weber und seinen Freunden herumspuken. Mit herzlichen Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel
95 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 29. Dezember 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Wenn Sie uns keinen anderen Bescheid geben, werden also de Quervain, Obendiek und ich, wie verabredet, am 2.1. vormittags kurz nach 10 h bei Ihnen sein. Der Vormittag ist geeigneter, weil sich die Vervielfältigung dann leichter bewerkstelligen läßt. Sollte Ihnen der Nachmittag lieber sein, dann müßte es sich natürlich auch einrichten lassen. Ich bin am 1.1. abends 22 h wieder in Elberfeld. Neulich habe ich vergessen, Ihnen zu bestellen, daß de Quervains Ihre Frau Gemahlin, falls sie mit Ihnen nach Barmen kommen will, und Sie selbst für die betreffenden Tage bei sich zu Gaste erwarten.244 Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
244 Gemeint sind die Tage der Freien reformierten Synode und der Hauptversammlung des Reformierten Bundes vom 3.–5. Januar 1934 in Barmen. Barth referierte dort über „Gottes Wille und unsere Wünsche“. Die Synode nahm die von Barth formulierte „Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart“ an (abgedruckt in: Karl Barth, Gottes Wille und unsere Wünsche, TEH 7, München 1934, 9–14; Plasger/Freudenberg [Hg.], Reformierte Bekenntnisschriften, 230–238). Hesse gestand seine kirchenpolitischen Fehler im Jahr 1933 ein und wurde zum Moderator des Reformierten Bundes gewählt; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 79–94; Niesel, Kirche unter dem Wort, 20–22. Richtungweisend für den Kurswechsel der Reformierten war Niesels Aufsatz „Bekenntnis oder Berechnung“ (RKZ 83, 1933, 398–400). Niesel gehörte auch dem Vorbereitungsausschuss der freien Synode an.
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96 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 3. April 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Gestern habe ich am Ende einer Siebengebirgswanderung abends schnell einen Besuch in Ihrem Hause gemacht245 und war im Anschluß daran auch noch bei Wolf. Wie ich hörte, wird recht bald Heft 8 der Th. Ex. erscheinen, und Sie werden ihm wieder ein Vorwort vorausschicken.246 Deswegen möchte ich Ihnen diese Zeilen schreiben. Es ist sehr schade, daß Sie über die letzten kirchlichen Ereignisse nur durch die Mitteilungen der Blätter usw. unterrichtet sind. Ich habe Ihnen den Bericht über die Gemeindeversammlung in der Westfalenhalle247, der eben erschienen ist, zugeschickt.248 Vielleicht kann er Ihnen noch dienlich sein. Ich weiß nicht, wie sich Ihnen die Dinge aus der Ferne darstellen. Nur eines möchte ich Ihnen sagen: Was jetzt in unseren westlichen Gemeinden wird, sieht doch sehr hoffnungsvoll aus. Wir geben uns hier keinen Illusionen hin. Es steht uns zweifellos noch ein sehr schwerer Weg bevor. Wir wissen vor allem um die Gefahren, die in unserem eigenen Lager uns immer wieder entstehen. Aber es sieht doch so aus, als träte das jetzt ein, was wir Jahre hindurch erhofft haben, daß nämlich die Erneuerung nicht auf die Theologie beschränkt bleiben, sondern auch die Gemeinden ergreifen möchte. Es ist ein Fragen nach Gottes Wort und der Gemeinde da, wie wir es bisher nicht kannten. Wir legen gewiß auf Zahlen und Massen keinen Wert. Daß aber diese Massen plötzlich nach Dortmund strömten, ohne daß sie zusammengetrommelt waren und daß es sich herausstellte, da ist nicht Masse beieinander, sondern Gemeinde, das hat uns doch froh gemacht. Ich schreibe Ihnen das, weil ich von jemand hörte, Sie hätten die Befürchtung, es könnte jetzt eine „Bodelschwingh-Kirche“ entstehen. Darum geht’s nicht. Bodelschwingh tut wohl mit und kann wohl auch manchen Dienst leisten – seine Abendmahlsrede in der Reinoldikirche war sehr gut249 –, aber er ist nicht führend beteiligt. Überhaupt liegt die ganze Führung der Westfalen nicht in Bethel. Dort 245 Barth hielt sich während der Semesterferien in der Schweiz auf. 246 Das hier gemeinte Heft mit drei von Barth in Paris gehaltenen Vorträgen „Offenbarung, Kirche, Theologie“ erschien als TEH 9. Das Vorwort datiert vom Ostersonntag, 1. April 1934, und stellt den kirchenpolitisch Agierenden die Wahrheitsfrage „Schrift oder 1933“ (13). 247 Ein rheinisch-westfälischer Gemeindetag „Unter dem Wort“ am 18. März 1934 versammelte 25.000 Teilnehmer in der Dortmunder Westfalenhalle und in zwei Kirchen; vgl. Chronik der Kirchenwirren 1, 161; Niesel, Kirche unter dem Wort, 25. 248 In RKZ 84, 1934, waren abgedruckt die Eröffnungsrede von Präses Koch auf der Westfälischen Provinzialsynode vom 16. März 1934 (95–98), Niesels Bericht über diese Provinzialsynode und der sich direkt anschließenden westfälischen Bekenntnissynode (98f) und ein Bericht über den o.g. Gemeindetag am 18. März 1934 (100). 249 Lutheraner und Reformierte gingen gemeinsam zum Abendmahl. „In der Reinholdikirche war kämpfende Gemeinde zusammen. Das wurde uns in jener Stunde durch Wort und Sakrament ganz deutlich“ (100).
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war sie schon in den ganzen letzten Monaten nicht. Der Bruderrat der Westfälischen Bekenntnissynode ist sehr gut zusammengesetzt. Aber über Einzelnes kann ich Ihnen nicht mehr schreiben. Etwas Sorge haben wir wegen des reformierten Konvents.250 Es besteht die Gefahr, daß da das Bekenntnis irgendwie preisgegeben wird. Um die Teilnehmer vor den Ernst der Entscheidung zu stellen, hat unser Coetus vorher eine Rüstzeit angesetzt (vom 16. abends – 18. mittags251). Der Konvent beginnt am 18. abends in Osnabrück. Sie müssen unbedingt dabeisein252, damit wir uns nicht gegen die kämpfenden Gemeinden abkapseln und mit unseren Gegnern unseren faulen Frieden schließen. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel Bitte sorgen Sie doch dafür, daß in Heft 8 ein Hinweis auf den Bericht der Freien reformierten Synode erscheint. Wenn angezeigt wird, daß darin die Erläuterung zu Ihrer Erklärung enthalten ist, könnten sich doch noch Interessenten finden. („Freie reformierte Synode 1934“; zu beziehen von Montanus und Ehrenstein, Wuppertal-Wichlinghausen, Postfach Köln 2518. Einzeln postfrei 0,50 RM.)253
97 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 8. Juni 1934 Lieber Herr Niesel! Schönsten Dank für die Blätter!254 – Aber wie ungeschickt, daß bei These 5 diese Entstellung des ursprünglichen Textes in den Druck hineingekommen ist!
250 Nach der bekenntniskirchlichen Ausrichtung des Coetus reformierter Prediger und des Reformierten Bundes wähnten sich die an den „reformierten Belangen“ interessierten Gruppen nicht mehr repräsentiert. Um die unterdes uneinigen Reformierten wieder zu sammeln, luden der Reformierte Bund und die Evangelisch-reformierte Landeskirche der Provinz Hannover zu einem Konvent nach Osnabrück ein, der am 18./19. April 1934 stattfand; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 124–143; Wever, „Wir wären ja sonst stumme Hunde gewesen …“, 76–83. 251 Zu dieser Coetus-Rüstzeit für Prediger und Älteste in Bad Salzuflen vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 134f. 252 Barth war anwesend und hielt eine Andacht über Joh 10,14–16, veröffentlicht in ders., Der gute Hirte, TEH 10, München 1934, 14–23. RKZ 84, 1934, 139f berichtete über den Konvent; Johann Viktor Bredts Vortrag „Zum Aufbau einer reformierten Kirchenverfassung“ ist 137–139.145–147 abgedruckt. 253 Der Hinweis erschien dann in TEH 9, München 1934, 4. 254 Gemeint ist ein Druck des Textes der Barmer Theologischen Erklärung.
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Es muß heißen: Die Kirche anerkennt ... dieser seiner Anordnung.255 Ob Sie wohl bei der Stelle, die die Verbreitung besorgt, bewirken könnten, daß wenigstens in Zukunft (jener blöde Text steht nun leider auch schon in den Basler Nachrichten!!256) das Richtige gedruckt wird? Mit freundlichem Gruß! Ihr Karl Barth
98 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 9. Juni 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Wie mir Immer – der jetzt leider im Urlaub ist – sagte, ist das „anerkennt“ auseinandergezogen worden257, weil das folgende „Sie“ sich sonst auf „Anordnung“ und nicht auf „Kirche“ bezogen hätte. Dadurch ist dann der Druckfehler „Anordnungen“ entstanden, der aber im 2. Teil der Auflage schon ausgemerzt ist. Ich selbst habe von dem Verb „anerkennen“ nur gelernt, daß es beim Konjugieren auseinandergezogen wird. Offenbar geht das auch anderen hier so. Wir sprachen neulich einmal über diese mundartlichen Verschiedenheiten. Wenn Sie meinen, daß durch die Trennung des Verbs eine Sinnabänderung entstanden ist, dann wäre es am besten, wenn Sie sofort an Präses Koch schrieben, weil die Vorträge und Entschließungen in diesen Tagen gedruckt erscheinen.258 Koch ist letztlich der Verantwortliche. Dann müßte aber wohl das „Sie“ des folgenden Satzes in „die Kirche“ umgeändert werden. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
255 Der Text wurde sofort nach der Synode in Sonderdrucken und Zeitschriften weitergegeben. Dabei gab es fehlerhafte Textabweichungen. In These 5 steht in den aktuellen Ausgaben „Die Kirche erkennt […] an“ (statt wie von Barth gefordert: „anerkennt“). Den Plural „Anordnungen“ (statt richtig: Singular) bot zeitgenössisch Chronik der Kirchenwirren 1, 200. 256 Der Bericht der Basler Nachrichten vom 8. Juni 1934 ist abgedruckt in Gerhard Niemöller (Hg.), Die erste Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche zu Barmen. Texte, Dokumente, Berichte, AGK 6, Göttingen 1959, 31–34. Hier wird der Plural „Anordnungen“, die die Kirche mit Dank anerkennt, sogar auf den Staat bezogen (32). 257 Ergänzung am Seitenende: von wem, weiß ich nicht. 258 Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche Barmen 1934. Vorträge und Entschließungen, hg. v. K. Immer, Wuppertal 1934.
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Eben erhalte ich einen Brief vom „Bischof von Berlin“ Eckert259, in dem der Herr mir „mit Wirkung vom 1. Juni ab bis auf Weiteres die Geschäfte eines Hilfspredigers in der Kirchengemeinde Berlin-Hohenschönhausen“ überträgt! Na, der Herr kann ja auf mich eine Weile warten!
99 Wilhelm Niesel an Karl Barth Elberfeld, 12. August 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Soeben fragt D. MacLean260 bei Kolfhaus an, ob er Sie wohl bitten dürfte, für das „Evangelical Quarterly“ einen kurzen deutschen Aufsatz zur Verfügung zu stellen. Ein solcher Artikel von Ihnen würde ihm angesichts der modernistischen Verderbung der schottischen Theologie sehr wichtig sein. Ich gebe also diese Bitte an Sie weiter, da Kolfhaus mich darum gebeten hat. V[ischer] hat nun leider endgültig abgelehnt hierherzukommen.261 Reformiert Hannover hat einen Sonderfrieden mit Berlin geschlossen.262 In Vorverhandlungen ist Langenohl, Weber und Co. zugesichert worden, daß anderen reformierten Gemeinden der Anschluß an Hannover gestattet werden soll!263 Es wird also künftig als Glied einer Papstkirche eine kleine, durch „Kammern
259 Otto Eckert (1891–1940) wurde mit der Gleichschaltung der Landeskirchen Propst der Neumark und der Niederlausitz sowie Mitglied im Konsistorium. 260 Donald MacLean (1869–1943) war einer der Herausgeber dieser seit 1929 in London erscheinenden Zeitschrift. 261 Wilhelm Vischer (1895–1988) war seit 1928 Dozent für Altes Testament an der Theologischen Schule in Bethel, verlor bereits im Mai 1933 sein Predigt- und Lehramt und wurde später mit einem reichsweiten Redeverbot belegt. Er wirkte ab Herbst 1934 in seiner Schweizer Heimat. Wahrscheinlich hatten die Elberfelder versucht, ihn für die Theologische Schule zu gewinnen. 262 Seit April 1934 betrieb der „Rechtswalter“ August Jäger die Eingliederung der Landeskirchen in die DEK. Die Kirchenleitung der Evangelisch-reformierten Landeskirche der Provinz Hannover versuchte, auf Grund des Bekenntnisses für sich Sonderkonditionen auszuhandeln. Der „Erfolg“ war das „reformierte Sondergesetz“, das die Spaltung der deutschen Reformierten manifestierte; durch das Scheitern des Jägerschen „Eingliederungspolitik“ blieb die Selbstständigkeit der reformierten Landeskirche erhalten; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 190–214. 263 Neben Hollweg und Koopmann war Langenohl ein weiterer reformierter Vertreter auf dieser zweiten „Nationalsynode“; alle drei stimmten gegen mehrere Gesetzesvorlagen. Am Abend vor der Abstimmung über das „reformierte Sondergesetz“ traf sich Jäger mit Weber. Von einem möglichen Anschluss anderer Gemeinden an die Evangelisch-reformierte Landeskirche der Provinz Hannover und damit an diese konfessionelle Schutzklausel findet sich nichts im Gesetz, wurde aber sofort beim Abdruck des Gesetzes in der RKZ durch Kolfhaus erwogen; vgl. RKZ 84, 1934, 271f, hier 272. Vgl. auch die kolportierten mündlichen Interpretationen des Gesetzes durch Jäger in Wilhelm Kolfhaus, Zum Gesetz betr. Rechtssicherung des reformierten Bekenntnisses, RKZ 84, 1934, 281. Zum Widerspruch, den Kolfhaus auf Grund dieser Veröffentlichungen fand, vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 201–203.
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und Unzucht“264 geschützte reformierte Kirche geben! Wer da von uns nicht mitmacht, verrät das reformierte Bekenntnis. Heute wurde von vielen Kanzeln verlesen: „Gehorsam gegen dies Kirchenregiment ist Ungehorsam gegen Gott!“265 Mit herzlichem Gruße, auch den Ihrigen! Ihr Wilhelm Niesel
100 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bergli, Oberrieden, 15. August 1934 Lieber Herr Niesel! Solche Artikel aufs Geratewohl zu schreiben liegt mir nicht; ich will aber sehen, ob sich eine längst fällige Antwort an Mackintosh in Edinburgh zur dortigen Bekenntnisfrage so gestalten läßt, daß sie sich zugleich zu jenem Zwecke eignet.266 Ihre Nachricht über das Neueste von Aurich traf mich gerade im Augenblick, da ich einen freundlichen Brief an Koopmann abschloß, in dem ich ihm das erbetene theologische Gutachten zur Frage der „Eingliederung“ mitgeteilt hatte.267 Vertrauen und Hoffnung zu der neuerdings dort eingeschlagenen Richtung etc.!!268 Und nun dies! Ich habe dann den Brief, so wie er war, dennoch abgehen lassen.269 Können Sie mir nicht Näheres melden? Ich werde nächste Woche Hesse sehen, der in Heiden270 sitzt und, wie er mir heute telephonisch mitteilte, mit dem Ge264 Der Reformierte Kirchenausschuss (Osnabrücker Konvent, siehe Anm. 250) sollte nach der vollzogenen Eingliederung eine Kammer der DEK bilden. 265 So in der Kanzelabkündigung des Bruderrates der Bekenntnissynode der DEK vom 12. August 1934 gegen die „Nationalsynode“, die am 9. August 1934 zum zweiten Mal in Wittenberg zusammengekommen war; vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 218f (Nr. 108); vgl. Scholder, Die Kirchen 2, 290. 266 Hugh Ross Mackintosh (1870–1936) war seit 1904 Professor am New College in Edinburgh und fungierte 1932 als Moderator der Generalsynode der Kirche von Schottland. Ein solcher Artikel Barths ist nicht erschienen. 267 Obwohl die Auricher Kirchenleitung meinte, auf gutachterliche Hilfe verzichten zu können, bat der Jurist Otto Koopmann am 3. August 1934 Barth, Johann Viktor Bredt, Leopold Cordier (1887–1939) und Wilhelm Goeters um Gutachten über die rechtlichen und theologischen Fragen der Eingliederung; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 193 mit Anm. 739. 268 Koopmann war im Sommer 1934 energisch gegen Jäger und das Berliner Kirchenregiment aufgetreten. 269 Zum Brief Barths an Koopmann vom 13. August 1934 vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 194f. 270 Offenbar hat Hesse in Heiden (Appenzell) Urlaub gemacht. In RKZ 84, 1934, 266.372 wird ein Aufruf der Theologischen Arbeitsgemeinschaft des Kantons Bern (gez. Peter Barth, Dora Scheuner u.a.) wiedergegeben, in dem gebeten wird, „unsere kämpfenden deutschen Kollegen“ und deren Frauen in den Ferien aufzunehmen; vgl. Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 694 mit Anm. 12.
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danken an ein Manifest des Reformierten Bundes schwanger geht. Warum konnte man im Falle Vischer nicht etwas mehr Courage an den Tag legen? Er hat mir die Korrespondenz vorgelegt und ich mußte ihm recht geben: Auf den Boden einer so unsichern Solidarität würde ich auch kein Zelt, geschweige denn ein ganzes Haus gebaut haben. Wann wird der deutsche Calvinismus etwas calvinischer werden? Daß die süddeutschen Bischöfe nun immerhin vorläufig besser funktioniert haben als Aurich, ist nun auch eine beschämende kirchengeschichtliche Tatsache.271 Herzlicher Gruß! Ihr Karl Barth
101 Wilhelm Niesel an Karl Barth Bad Oeynhausen, 18. August 1934272 Sehr verehrter Herr Professor! Auf Ihre Anfrage möchte ich ihnen mitteilen, daß die reformierten Abgeordneten am Abend vor der „Synode“ Verhandlungen mit Jäger gehabt haben.273 Er soll ihnen eine rheinisch-westfälische Kirchenordnung mit freier Presbyter- und Pfarrwahl zugesagt haben. Nach einer Mitteilung Langenohls, von der mir Kolfhaus berichtete, hat er sogar versprochen, daß in den Ausführungsbestimmungen zu dem reformierten Sondergesetz den reformierten Gemeinden in der Union der Anschluß an Aurich freigestellt wird. Die Gesetze werden Sie inzwischen in der Reformierten Kirchenzeitung gelesen haben (dabei leider auch die unmögliche Äußerung Kolfhaus’ über den Eid).274 Heute sende ich Ihnen nach einem vorliegenden Stenogramm das, was unsere „reformierten Brüder“ in der Aussprache produziert haben.275 Wenn man 271 Die lutherischen Landesbischöfe Hans Meiser (München) und Theophil Wurm (Stuttgart) hatten gegen die Beschlüsse der Nationalsynode protestiert und deren Rechtmäßigkeit bestritten. Barths Position war unterdes prekär: Im Münchner Christian-Kaiser-Verlag waren die Bestände der Reihe „Theologische Existenz heute“ konfisziert worden; Barths Sohn Christoph hatte vorsichtshalber Deutschland verlassen; vgl. Scholder, Die Kirchen 2, 280. 272 Niesel benutzt den gedruckten Briefkopf: Der Präses der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche – Theologische Abteilung –, Bad Oeynhausen. Niesel und Hans Asmussen fungierten ab Juli 1934 als theologische Referenten und Mitglieder des Bruderrates der altpreußischen BK bei Präses Koch. 273 Landessuperintendent Walter Hollweg (Aurich), Kirchenjurist Otto Koopmann (Aurich), Pastor August Langenohl (für die rheinische Provinzialkirche) und wohl auch der reformierte „Kirchenminister“ Otto Weber; vgl. von Bülow, Otto Weber, 161. 274 RKZ 84, 1934, 271f. Kolfhaus fand den Diensteid auf Hitler offenbar nicht problematisch, da darin „die Vorschriften über das Ordinationsgelübde nicht berührt werden und […] er keine Verpflichtung gegen den Bischof enthält“ (272). 275 Durch zahlreiche Briefe innerhalb der Reformierten, auch zwischen den verschiedenen Gruppen, war das Verhalten der Reformierten auf und neben der „Nationalsynode“ bekannt; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, passim.
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dergleichen allmählich nicht schon gewöhnt wäre, so könnte man die Wände hochklettern! Sie werden Anlaß genug haben, um Ihrem freundlichen Brief an Koopmann noch einen weiteren folgen zu lassen. Den Briefwechsel in Sachen Vischer kenne ich leider nicht. Ich bedauere die Entwicklung nur darum so sehr, weil wir uns zuerst ganz einig waren und dann offenbar der entsetzliche, ängstliche Mensing (von Weber bearbeitet) die ganze wichtige Sache verbuttert hat. Natürlich tragen auch Hesse und Graffmann einen Teil der Schuld, weil sie die Briefe in dieser Form unvorsichtigerweise gebilligt haben. Reden Sie doch, bitte, einmal mit Hesse über diesen traurigen Fall. Am Montag Nachmittag tagte in Barmen die Freie Evangelische Synode.276 Sie wählte Humburg zum Präses und übertrug dem bisherigen Bruderrat das Notkirchenregiment. Am Samstag vorher waren Humburg und von Oettingen277 bei Forsthoff, um mit ihm im Sinne von Matth 18 [,15–17] zu sprechen. Am Montag wurde es der „Gemeinde“, der in der Synode versammelten rheinischen Kirche, gesagt. Sie sandte eine letzte Warnung an Forsthoff. Es gab dabei eine sehr ernste Aussprache. Der letzte Schritt wird wohl bald folgen. Die Sache muß aber bis dahin noch geheim bleiben. Wo stehen wir doch jetzt! Früher hat man viel darüber debattiert, heute ist es einem beinahe eine Selbstverständlichkeit! Aus Berichten geht hervor, daß auch im Osten in der Stille z.T. sehr treu gearbeitet wird. Die Kirche lebt auch dort noch. Ende des Monats werde auch ich wohl für einige Tage in der Schweiz auftauchen, um etwas auszuspannen. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
276 In Barmen war im Laufe des Frühjahrs die Situation eskaliert: Zunächst war Immer durch den Reichsbischof am 15. März 1934 in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden; dann wurde das dagegen protestierende Presbyterium am 31. März 1934 aufgelöst. Der Kreiskirchenvorstand Barmen lehnte es ab, anstelle des für abgesetzt erklärten Presbyteriums Bevollmächtigte zu ernennen, sondern forderte das alte Presbyterium auf, die Gemeinde weiterhin zu leiten. Andere ernannte Bevollmächtigte übernahmen ihr Amt nicht oder fanden kein Gehör in der Gemeinde. Am 4. August 1934 wurde schließlich das Gemeindeamt für aufgelöst erklärt; vgl. Helmich, Die Gemeinden Barmens im Kirchenkampf, 271f. 277 Herbert von Oettingen (1878–1946), Pfarrer und Superintendent in Gummersbach, war Mitglied im Bruderrat der rheinischen BK.
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102 Wilhelm Niesel an Karl Barth Bad Oeynhausen, 19. August 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Wenn ich Ihnen heute schon wieder schreibe, so geschieht das auf einen Brief von D. Hesse hin, den ich heute Morgen erhielt und der die Kunde brachte, daß Aurich uns ab 1. September – also mitten im Semester – die Kandidaten aus dem Seminar nehmen will.278 Ich schreibe nun heute für den Fall, daß der Brief Sie noch zu der Besprechung erreicht, die Sie mit D. Hesse verabredet haben. Sagen Sie doch bitte D. Hesse, daß ich heute Nachmittag sofort bei Kolfhaus war. Er reist noch heute Abend nach Aurich, um die Leute dort zu bewegen, ihren Entschluß rückgängig zu machen. Viel Hoffnung habe ich nicht. Wenn man erst einmal, um sein eigenes Leben zu erhalten, mit den Feinden Christi verhandelt hat, kann man eben nicht mehr aus der Schlinge heraus. Ich meine, es müßten zum 1. Oktober genügend rheinische Kandidaten zur Verfügung stehen, daß man das Seminar bei größter Sparsamkeit auch ohne Aurich durchhalten könnte. Ich will mich morgen deswegen mit dem Leiter des rheinischen Kandidatenamtes P. Schlingensiepen279 in Verbindung setzen. Die Lage der Reformierten, nach der D. Hesse fragt, ist so, daß die einen mit dem Gegner einen Sonderfrieden abschließen und daß auf der anderen Seite D. Humburg zum rheinischen Präses gewählt worden ist. Das sagt genug. Reformierter Bund und Konvent280 in der gegenwärtigen Gestalt sind innerlich zerbrochen und werden sich so kaum halten lassen. Es muß eben alles durch die Krisis hindurch.281 Und das ist das Gute in der heutigen kirchlichen Situation. (Vielleicht ließe sich ja aber das Eigentum des Bundes „retten“, indem man eine neue Hauptversammlung beruft.) D. Hesse fragt mich282, ob ich zu der Besprechung nicht herunterkommen könnte. Ich würde es gerne tun, kann aber in den nächsten Tagen nicht fort, da die anderen Präsidialmitglieder auf Reisen sind. Wenn Sie beide zusammen sind, genügt es ja. Daß der reformierte Stall jetzt einmal endgültig gesäubert werden muß, ist wohl klar. Mit herzlichem Gruße, auch an Herrn D. Hesse! Ihr Wilhelm Niesel
278 Lekebusch, Die Reformierten, 207, sieht hier lediglich eine zeitliche Koinzidenz, nicht jedoch einen inhaltlichen Zusammenhang mit der „Nationalsynode“. 279 Johannes Schlingensiepen (1898–1980), Pfarrer in Unterbarmen, war Leiter des theologischen Ausbildungsamtes der rheinischen BK. 280 Gemeint ist der Reformierte oder Osnabrücker Konvent (siehe Anm. 250). 281 Handschriftliche Hinzufügung am Seitenrand: Das meine ich auch im Hinblick auf die Theologische Schule unter Mensings Leitung! 282 Wohl brieflich.
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103 Wilhelm Niesel an Karl Barth Pontresina, 6. September 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Auf meinen Besuch, den ich Ihnen auf meiner Rückreise machen wollte, will ich nun lieber verzichten, nachdem ich vernommen habe, daß das Bergli in diesem Sommer zum Wallfahrtsorte geworden ist. Gerne hätte ich mit Ihnen einmal über die Eidesfrage gesprochen. Die von der „Nationalsynode“ beschlossene Eidesformel ist ja ziemlich einmütig abgelehnt worden, obwohl es einige Lutheraner gab, die sich ihr gegenüber mit Hilfe einer reservatio mentalis decken wollten (Kreis um Zoellner283). Drohend im Hintergrund steht aber immer noch ein staatlicher Eid284, den die Obrigkeit von uns als Beamten einer Körperschaft öffentlichen Rechtes vielleicht fordern wird. Es gibt sehr kritische Leute, die meinen, man könnte in der Kirche einen solchen Eid schwören, wie er jetzt den Staatsbeamten abgenommen werden soll. Dieser Eid sei ganz harmlos. Mir scheint das nun ganz und gar nicht der Fall zu sein. Aber ich wäre froh, wenn wir im Theologischen Ausschuß der Synode uns einmal gründlich darüber unterhalten könnten, ehe die Frage akut wird. Es ist ja möglich, daß der Staat von sich aus von den Pfarrern keinen Eid fordern wird. Wenn es aber geschieht, dann müßte eine eventuelle Ablehnung sehr klar begründet werden. Man muß hier mehr denn je auf der Hut sein, nicht etwa von politischer Resignation aus zu urteilen. Ein Wort an den Staat, das vielleicht schon lange fällig wäre, muß streng von der Schrift her gesagt werden. Hoffentlich verlieren Sie nun durch eine eventuelle Vereidigung aller Beamten nicht Ihren so wichtigen Posten. Auf keinen Fall packen Sie, bitte, gleich die Koffer, wenn dergleichen geschehen sollte! Es ist sehr verständlich, daß die Schweiz darauf wartet, Sie für eine Professur zu bekommen. Aber im Kriege muß eben, wie Sie vor reichlich einem Jahr in der Elberfelder Pastorensitzung ausführten, aus allen Maschinengewehrnestern bis zum Letzten geschossen werden. Seit der Emeritierung von Sodens285 wird ernsthaft überlegt, ob man jetzt nicht eine freie Fakultät schaffen müsse, wenn man der Kirche die Lehrer nimmt, die zu ihr stehen. Dann muß eben eine solche Fakultät ins Leben gerufen werden. Vielleicht ließe sich auch die Theologische Schule in Elberfeld nach Säuberung des Verwaltungsrates dazu ausbauen. Das könnte noch eine gute Sache werden! 283 Siehe Anm. 3. 284 Nach dem Tod von Reichspräsident Paul von Hindenburg am 4. August 1934 und der „Übernahme“ dieses Amtes durch Hitler war die Frage nach einem Eid im staatlichen Bereich aktuell. 285 Hans von Soden (1881–1945), Professor für Kirchengeschichte in Marburg, war federführend beim Gutachten der Theologischen Fakultät zum so genannten „Arierparagraphen“ in den evangelischen Landeskirchen und bei der Erklärung „Neues Testament und Rassenfrage“. Von Soden war Mitglied im Pfarrernotbund und führender Kopf der BK in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, als deren Synodaler er 1934 an der Barmer Synode im Mai teilnahm. Am 4. August 1934 wurde er zeitweilig in den Ruhestand versetzt.
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Dieser Brief ist für mich ein kurzes kirchlich-theologisches Intermezzo während einer Zeit von 14 Tagen, in denen ich mich gegen all das völlig abgekapselt habe. Sogar in Oeynhausen weiß man meine Anschrift nicht. Anfang nächster Woche muß ich freilich wieder dort sein. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
104 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bergli, Oberrieden, 7. September 1934 Lieber Herr Niesel! Was ich Ihnen vor Ihrer Rückreise nach Deutschland noch schreiben möchte, sollen Sie nur im Kopf nach dorthin mitnehmen, dieses Papier aber noch rechtzeitig in einem schweizerischen Papierkorb verschwinden lassen. Es handelt sich um die Eidfrage, von der ich durch meine Tochter286 gehört habe, daß sie auch Sie beschäftige. Ich habe mit einiger Beunruhigung festgestellt, daß sowohl Meiser wie Präses Koch mit der Ablehnung des von der „Nationalsynode“ beschlossenen Diensteides das Angebot eines selbstverständlich von jedem deutschen Pfarrer gerne zu leistenden „Huldigungseides“ in Analogie zu dem, der von der Reichswehr und von den Staatsbeamten verlangt wird, verbunden haben.287 Wer und was hat Meiser und Koch zu diesem Angebot 1. genötigt, 2. ermächtigt? Liegt hier nicht ein Restbestand von der doch sonst allmählich liquidierten Kirchenpolitik des „freudigen Ja“ von 1933 vor?288 Der in Frage stehende Eid ist eine Verpflichtung zu „Treue und Gehorsam“ gegen die Person des Führers. Er ist mit dem vor 1918 üblichen Treueeid auf den Kaiser insofern nicht zu vergleichen, als man damals, weil es eine Verfassung und Gesetze gab, den Umfang der einzugehenden Verpflichtung überblicken konnte, weil die einzugehende Bindung eine außerhalb des Gutdünkens des Kaisers liegende Grenze hatte. Das ist bei dem heute von der Reichswehr und von den Staatsbeamten verlangten Eid nicht der Fall. Er wird, wenn er nicht eine absolute Bindung an diese menschliche Person bedeuten soll, nur mit einer reservatio mentalis geleistet werden können oder aber indem man stillschweigend die Dieser Brief wird umfangreich zitiert in Scholder, Die Kirchen 2, 291f. 286 Franziska Barth (1914–1994) lebte im Haus der Familie Barth an der Siebengebirgsstraße in Bonn und hatte Kontakt zu den anderen Mitbewohnern, den Weggefährten und zu den Schülern und Schülerinnen des Vaters. 287 Scholder, Die Kirchen 2, 291. 288 So im Gründungsaufruf der Jungreformatorischen Bewegung vom 12. Mai 1933; vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 110f, hier 111 (Nr. 41, Punkt 11).
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Möglichkeit in Rechnung zieht, ihn später gegebenenfalls doch nicht zu halten. Sowohl jene absolute Bindung als diese beiden Umgehungsmöglichkeiten dürften christlich unmöglich sein. Wie mögen nur Meiser und Koch dazu gekommen sein, diesen Eid – und noch dazu im voraus im Namen aller deutschen Pfarrer – anzubieten, als ob da gar keine Schwierigkeit bestünde? Ich finde sie für mich selbst so groß, daß ich keinen andern Ausweg weiß, als im Oktober nach Berlin zu fahren und Rust womöglich persönlich zu sagen, daß ich den Eid unmöglich leisten könne. Ich denke schon daran, was das u.U. bedeuten kann, aber es scheint mir, daß hier wieder einmal das Ganze auf dem Spiel steht und ich würde mich doch wundern, wenn nicht auch eine Anzahl Pfarrer dieser Meinung sein sollten. Die Empfindung für die Heiligkeit des Eides müßte sonst auch später unter den Pfarrern merkwürdig geschwunden sein. Ich will auf diesem – nochmals: nicht mit über die Grenze zu nehmenden Papier – auch dies nicht verhehlen, daß man m.E. auch stärkste materiale Bedenken haben sollte, die Pfarrer so solenn und unwiderruflich auf Treue und Gehorsam gerade gegenüber diesem Führer zu verpflichten. Wie lange wird es noch gehen, so wird das deutsche Volk, durch immer deutlicher sprechende Tatsachen belehrt, einsehen müssen, daß es in seiner unglaublichen Gutmütigkeit und politischen Naivität im Frühjahr 1933 einem Bluff zum Opfer gefallen ist, der mit Verbrechen und Wahnsinn gleich viel Ähnlichkeit hat, aber jedenfalls nur mit einer Katastrophe endigen kann.289 Soll sich die Kirche gerade im jetzigen Moment, wo die Gerichtsreife dieser Sache schon zum Himmel stinkt, noch und noch einmal an diese Sache binden? Und noch dazu ohne daß sie dazu aufgefordert ist, in Form einer mutwilligen Offerte? Aus welcher innern Notwendigkeit und mit welcher äußern Verantwortung? Bitte reden Sie doch mit Asmussen290 über die Sache, wenn Sie zurückkommen, in dem Sinn, daß diese unselige Offerte doch ja nicht wiederholt wird. Grüßen Sie Thurneysen und haben Sie eine gute Heimreise.291 Irgendwo „bei Philippi“ sehen wir uns wieder!292 Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth
289 Dies ist wahrscheinlich ein Reflex auf den durch die Röhm-Morde Ende Juni/Anfang Juli 1934 manifest gewordenen terroristischen Charakter des NS-Staates. 290 Hans Asmussen war Niesels unmittelbarer Kollege und sein lutherisches Pendant in der Geschäftsstelle der altpreußischen BK in Bad Oeynhausen, dem Wohnort von Präses Karl Koch. 291 Eduard Thurneysen wirkte seit 1927 als Pfarrer der Basler Münstergemeinde; wahrscheinlich plante Niesel auf der Heimreise einen Besuch in Basel. 292 Anspielung auf William Shakespeare, Julius Caesar (IV,3), wo ein Caesar rächender Geist dem Brutus sagt: „Du wirst mich in Philippi sehen“. Dort starb Brutus in der Schlacht. Der Sinn der Redewendung ist: Ich werde mich bei nächster Gelegenheit rächen.
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105 Wilhelm Niesel an Karl Barth Bad Oeynhausen, 4. Oktober 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Kennen Sie schon beiliegenden Brief Hollwegs und Horns an ihre Pastoren?293 Auf alle Fälle möchte ich Ihnen dieses Dokument kirchlicher und theologischer Harmlosigkeit zusenden. Es ist geradezu erschütternd in seiner Urteilslosigkeit. Aber da kommt eben auch ein Schaden in der Theologie zum Vorschein, die sich auf Kohlbrügge beruft, aber in Wirklichkeit nichts mit ihm zu tun hat. Mit herzlichem Gruß! Ihr Wilhelm Niesel Die besten Empfehlungen an Ihre sehr verehrte Frau Mutter!294
106 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin, 10. Oktober 1934295 Sehr verehrter Herr Professor! Könnten Sie wohl am Montag, d. 15., in Göttingen an einer Sitzung eines theologischen Ausschusses der Bekenntnis-Synode, der etwas sehr Wichtiges vorbereiten soll, teilnehmen?296 Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie es ermöglichen könnten. Geben Sie mir doch, bitte, nach Bad Oeynhausen, Hindenburgstr. 9, Nachricht. Sie bekommen über den Zeitpunkt dann noch genauere Angaben. Schreiben Sie aber auch, wo Sie zu erreichen sind. Ich hoffe, daß dieser Brief Sie rechtzeitig erreicht. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel 293 Johannes Theodor Horn (1882–1967) war Kirchenpräsident (Vorsitzender der Synode) der Evangelisch-reformierten Landeskirche der Provinz Hannover. Das genannte Schreiben hat durch verschiedene Abschriften eine große Verbreitung gefunden; vgl. Lekebusch, Die Reformierten, 205 mit Anm. 833; Wever, „Wir wären ja sonst stumme Hunde gewesen …“, 106f. 294 Anna Barth (1863–1938) wohnte als Witwe in Wabern (Bern). 295 An diesem Tag tagte der Reichsbruderrat in Berlin. Die Situation war durch die Absetzung des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm eskaliert. Niesel verwandte Briefpapier des Christlichen Hospizes St. Michael, das nach einer Aussage von Müller-Dahlem in diesen Wochen einer hektischen „Kirchenbörse“ glich; vgl. Besier, Die Kirchen, 31. 296 Der theologische Ausschuss hatte die Aufgabe, die „Botschaft der Bekenntnissynode“ von Dahlem vorzubereiten; vgl. Scholder, Die Kirchen 2, 336–338.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
107 Wilhelm Niesel an Karl Barth Bad Oeynhausen, 12. Oktober 1934 Sitzung Montag Vormittag 10 [Uhr] Oeynhausen Viktoriahotel.297 [Wilhelm] Niesel
108 Wilhelm Niesel an Karl Barth Bad Oeynhausen, 21. November 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Damit Sie gleich Bescheid wissen, will ich Ihnen mitteilen, daß ich heute Morgen doch aus Berlin abgereist bin.298 In der gestrigen Sitzung bot ich mich als Vertreter Hesses an, weil ich annahm, daß heute die anderen Reformierten noch zugegen sein würden, um noch einmal dasselbe zu sagen wie gestern. Dann haben Sie aber Ihr Amt im Bruderrat niedergelegt299, und auch bei Immer stellte es sich heraus, daß er heute im Rheinland sein mußte. Was sollte ich da allein im Bruderrat als Stellvertreter, wo doch Wesentliches von unserer Stellungnahme abhing? Es kam vor allem hinzu, daß ich meine Bedenken gegen ein Kabinett Breit300 nicht aufgegeben habe. Im Gegenteil. Heute Nachmittag wird aber im
Telegramm. 297 Am Sonntag, 14. Oktober 1934, nahm Barth am Gemeindetag „Unter dem Wort“ in Düsseldorf teil, um noch nachts nach Bad Oeynhausen zu reisen, wo er am Montag, 15. Oktober 1934, die Vorarbeiten mit dem theologischen Ausschuss erbrachte und am Dienstag, 16. Oktober 1934, mit dem Reichsbruderrat die Dahlemer Synode vorbereitete; vgl. dazu Barths Bericht im Brief an Thurneysen vom 22. Oktober 1934, in: Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 713–721. 298 Die Ereignisse hatten sich seit der Dahlemer Bekenntnissynode überschlagen. Durch einen Empfang bei Hitler am 30. Oktober 1934 waren die abgesetzten Landesbischöfe Meiser und Wurm quasi rehabilitiert worden. Die dadurch sich wieder als „intakt“ verstehenden Landeskirchen rückten dann de facto von den Beschlüssen in Dahlem und dem dort gebildeteten Reichsbruderrat ab. Barth schilderte seine Sicht in einem Brief vom 23. November 1934, in: Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 756–763. Was „in jenen fatalen Novemberwochen 1934 – ohne weitere Synode, sondern in jenen nächtlichen Tumulten im St. Michaelshospiz Berlin – entschieden wurde, war dies, daß Dahlem invalidiert wurde, Barmen aber zu den ‚intakten‘, ‚unantastbaren‘ Papieren rutschte.“ Brief Barths an Niemöller vom 29. Juni 1946, zit. n. Besier, Die Kirchen, 911 mit Anm. 151. 299 Auf der Sitzung des Reichsbruderrates am 20. November 1934 hatten Asmussen, Barth, Hesse, Immer und Niemöller ihren Austritt erklärt, um gegen den staatsnahen Marahrens als kommenden führenden Mann eines neuen kirchenleitenden Gremiums zu protestieren; vgl. Besier, Die Kirchen, 38. 300 Thomas Breit (1880–1966), OKR in München, vertrat energisch die Position der „Intakten“ innerhalb der BK. Er gehörte der am 22. November 1934 bestellten VKL I 1934–1936 an.
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besten Falle von den Süddeutschen301 dieses Kabinett zugestanden werden. Da Niemöller gestern aber erklärte, daß er dieses Kabinett auch ablehne und nicht zu kommen gedächte, wäre ich der einzige Störenfried gewesen und hätte mich dabei nach der Äußerung Hesses noch in einer höchst ungemütlichen Situation befunden. Dann ist es schon besser, die anderen merken an unserem Fernbleiben, wie ernst die Lage ist. Ob sich freilich alle Sorgen darüber machen, bezweifle ich. Als vor 14 Tagen der Aufruf herauskommen sollte302, erklärte Wurm, die Unterschrift eines Reformierten sei bei ihrer zahlenmäßigen Bedeutungslosigkeit nicht notwendig. Ich habe das Hesse gar nicht erzählt, um kein Mißtrauen in ihm zu wecken. Vielleicht könnte Kolfhaus doch rechtbehalten mit der Ansicht, die Lutheraner würden nicht mehr nach uns fragen, wenn wir sie erst einmal aus den Schwierigkeiten herausgehauen hätten. Allerdings haben wir im Reformierten Bunde den anderen das vorexerziert, was sie jetzt ausführen wollen. Was uns in diesen Stunden in Berlin geschehen wird, ist dasselbe, was auf der Hauptversammlung des Bundes im Januar vor sich ging. Marahrens sagt ebenso zu den Barmer Thesen ja, wie einst Langenohl und Genossen zur ersten Barmer Erklärung.303 Und die daraus sich ergebende Entwicklung wird in beiden Fällen die gleiche sein. Offenbar müssen wir durch dieses dunkle Tal aber erst noch hindurch, um wirklich Kirche zu werden. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
109 Wilhelm Niesel an Karl Barth Bad Oeynhausen, 7. Dezember 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Der preußische Bruderrat hat seine Zustimmung dazu gegeben, daß Anfang Januar ein Kreis von Theologen aus unserem Kirchengebiete zusammenkommt, um einige Fragen, die zwischen den Konfessionen strittig sind, zu besprechen. Ehe ich die Einladungen herausgehen lasse, möchte ich mich an Sie wenden, weil ich es als Voraussetzung für ein solches Gespräch betrachte, daß Sie sich aktiv daran beteiligen. Auch sonst möchte ich gern Ihren Rat hören. 301 Gemeint sind die Landeskirchen Bayerns und Württembergs. 302 Gemeint ist der Aufruf an die Gemeinden der DEK, unterzeichnet vom Präses der BKSynode Koch sowie von Breit und Niesel; vgl. Chronik der Kirchenwirren 2, 389.391; Besier, Die Kirchen, 34. 303 Gemeint ist die „Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart“ vom Januar 1934; siehe Anm. 244.
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Ich dachte, daß etwa 20 Professoren und Pfarrer sich in Berlin-Dahlem am 2., 3. und 4. Januar nächsten Jahres zusammenfinden könnten, um an diesen Tagen folgende drei Themen zu besprechen: Amt und Gemeinde, Amt und Kirche, das Abendmahl. An jedem Tage würden über eines dieser Themen drei einstündige Vorträge gehalten werden, ein neutestamentlicher, einer vom lutherischen und einer vom reformierten Bekenntnis her. An jedes Referat würde sich eine Aussprache knüpfen. Am Nachmittage wäre dann noch Zeit, um das Ergebnis, die Übereinstimmung und die Unterschiede gemeinsam zu erarbeiten. Als Teilnehmer hatte ich mir etwa folgende Theologen gedacht: Barth, Wolf, Obendiek, Beckmann, Georg Schulz, Merz, Steil, Trillhaas, Schlier, Stämmler, Dehn, Vogel, Bunzel, Gloege, Baumann, Schauer, Iwand und Schniewind.304 Wie denken Sie über die Themen und über die Teilnehmer? Die Aufteilung der beiden ersten Themen halte ich deshalb für notwendig, damit einerseits die Stellung der Einzelgemeinde und die des Amtes zu ihr innerhalb des Gesamtaufbaus der Kirche klar herausgearbeitet wird und andererseits die Probleme Synode, Präses, Bischof geklärt werden. Die beiden ersten Themen würden Fragen der Ordnung der Kirche behandeln und das dritte eine Zentralfrage der kirchlichen Versammlung. Sie müßten unbedingt über eines der Themen vom reformierten Bekenntnis her sprechen. Ich dachte entweder über das zweite oder dritte Thema. Bitte, wählen Sie schnell und geben Sie mir möglichst postwendend nach Berlin-Dahlem, Friedbergstraße 27305, Nachricht, damit ich sogleich die Einladungen herausgehen lassen und die anderen Referenten auffordern kann. Eine Absage wird nicht akzeptiert. Ich kann Ihnen auch mitteilen, daß der preußische Bruderrat zur Eidesfrage Stellung genommen und erklärt hat, daß es sich dabei um ein allgemein kirchliches Interesse handele. Er hat das Vorläufige Kirchenregiment306 aufgefordert, unverzüglich mit dem Staate in eine Verhandlung darüber einzutreten mit dem Ziele, eine Vereinbarung zu erreichen in dem Sinne, daß in dieser Sache wohl die Souveränität des Staates anerkannt werde, aber ebenso zum Ausdruck gebracht werde, daß das Wort Gottes jede eidliche Verpflichtung inhaltlich bestimmt und begrenzt.307
304 Neben den bereits Genannten sind gemeint der Stettiner Konsistorialrat Eberhard Baumann (1871–1956) sowie Pfarrer Ulrich Bunzel (1890–1972), Predigerseminarsdirektor Gerhard Gloege (1901–1970), Hans Joachim Iwand (1899–1960), Friedrich Schauer (1891–1958), Heinrich Schlier (1900–1978), Julius Schniewind (1883–1948), Wolfgang Stämmler (1889– 1970) und der spätere Märtyrer Ludwig Steil (1900–1945). 305 Niesel war im November 1934 von Bad Oeynhausen nach Berlin umgezogen, um dort ab 1935 als „Geschäftsführer“ des Bruderrates der ApU zu wirken. 306 Gemeint ist die VKL I. 307 Eine Erklärung des altpreußischen Bruderrates vom 4. Dezember 1934 nennt Niesel, Kirche unter dem Wort, 71 mit Anm. 34. Am 26. November 1934 war ein Dienststrafverfahren gegen Barth eingeleitet worden, weil er den Diensteid auf Hitler nur mit dem Zusatz „soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann“ leisten wollte; in den darauffolgenden Tagen wurden er zu Verhören einbestellt.
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Als Kuriosum wird es Sie vielleicht auch interessieren, daß bei dem Vorläufigen Kirchenregiment Bischof Meiser ein warmes Wort für Sie eingelegt hat. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
110 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 13. Dezember 1934 Lieber Herr Niesel! Sie haben postwendende Antwort von mir verlangt und nun habe ich Sie bald eine Woche warten lassen. Aber Sie können sich ja vorstellen, wie jetzt hier eins das andere drängt und wie unsicher ich mich insbesondere allen solchen Anfragen gegenüber dran fühle, bei denen ich nicht weiß, wo und was ich im gegebenen Augenblick überhaupt noch sein werde. Also: ich bin bereit, bei dem bewußten Anlaß das reformierte Referat – ich denke in besonderem Anschluß an die Bekenntnisschriften – zu übernehmen, über das Abendmahl, wenn es Ihnen so recht ist. Zur Teilnehmerliste habe ich nur zu bemerken, daß ich mir eine ersprießliche Verhandlung gut auch ohne Mitwirkung des mir etwas problematischen Georg Schulz vorstellen könnte. Die Teilnahme von Asmussen ist wohl als selbstverständlich vorausgesetzt. Gestern Abend erhielt ich von Humburg308 telephonisch die Nachricht, daß das Marahrensregiment sich nun doch zu einer öffentlichen Erklärung in der Eidessache aufschwingen will, nachdem sie „ganze Packen“ von Eingaben dazu erhalten hätten. „Führung“ wird man dies wohl nicht gerade nennen können. Es wird nun abzuwarten sein, in welcher Gestalt und bes. auch in welchem Maß von Publizität das Ding herauskommt.309 Meine Hauptverhandlung ist auf den 20. nach Köln angesetzt. Ob ich bis dahin meine Sonderstellung unter Berufung darauf, daß nun die Kirche für alle ihre Glieder und also auch für mich das Nötige gesagt habe, werde aufgeben, d.h. meine Bereitschaft für den unveränderten Eid werde aussprechen können? Aber selbst dann würden meine Aussichten keine guten sein, weil aus der mir zugegangenen Anklage-Schrift deutlich hervorgeht, daß man mich weghaben möchte und diese Sache nur zum Anlaß dazu genommen hat. Es riecht entschieden nach Absetzung. Und, lieber Herr Niesel – ich 308 Paul Humburg hatte sich von Marahrens in die VKL I berufen lassen. 309 Kundgebung der Vorläufigen Kirchenleitung der DEK zur Frage des staatlichen Eides vom 6. Dezember 1934, in: Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 236f (Nr. 123). Vgl. Barths Brief vom 24. [–26.] Dezember 1934, in: Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 792–813, hier 796f mit Anm. 9.
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schreibe Ihnen das, weil Sie mich ein paar mal darauf angesprochen haben –, in diesem Fall werden Sie nicht allzu stürmisch von mir verlangen dürfen, daß ich durchaus in Deutschland bleiben müsse. Ich habe mich in den letzten Wochen öfters gefragt, ob310 das, was ich nun eben in Deutschland tun konnte, vorläufig getan sei und durch meine weitere Mitwirkung nicht mehr wesentlich gefördert werden könne. Ist es nicht auch und gerade in den Kreisen der Bekenntniskirche so, daß man die Sache nun lieber (und vielleicht in der Tat besser!) ohne den Mann mit der „Fahrkarte zweiter (!) Klasse nach Basel“, wie gestern Beckmann sich liebenswürdig ausdrückte, machen würde. Was über viele, viele persönliche und sachliche Freunde, die anderer Ansicht sind, zu sagen ist, weiß ich wohl. Aber es müßte schon ein starker Aufruf zu einer deutlich von der Kirche gewollten und getragenen und auch sinnvollen neuen Tätigkeit in Deutschland sein, wenn ich es verantworten können sollte, den Gedanken abzuweisen, daß es Kirche schließlich auch noch anderswo giebt, wo ich mich nützlich machen und zwar in der Linie meiner bisherigen Arbeit (zu der doch vor Allem auch die Fortsetzung der Dogmatik gehört) nützlich machen könnte. Ich sage Ihnen dies ins Ohr, d.h. nicht in der Meinung, daß Sie hingehen und irgendwas veranstalten sollen. Denn eben dies würde mir diesmal nichts helfen, wenn meine besondern Freunde irgend etwas für mich durchsetzen, während weite Kreise auch der Bekenntniskirche im Stillen der Überzeugung sind, daß es gar nicht ohne wäre, mich bei diesem Anlaß los zu werden. Erklärt mir der deutsche Staat, daß ich des Vertrauens …311 unwürdig sei, wie es in der Anklageschrift so schön heißt312, und hat sich gleichzeitig die Bekenntniskirche für Marahrens erklärt, ohne daß auch ein Asmussen313 ganz unzweideutig von diesem Schritt abgerückt wäre, ist dann nicht vielleicht doch der Fall von Matth 10,13f314 gegeben? Nun, vorläufig bin ich ja noch nicht abgesetzt und soll also auch das Gesagte nur dazu dienen, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß dann – wenn es dahin kommt, wohin allerdings mehr Prozente Wahrscheinlichkeit zu weisen scheinen –, weniger eine Farelsche Beschwörung wie die von 1536 als vielmehr eine Reminszenz an 1538 das Gegebene sein dürfte. Wobei ja dann auch der Ausblick auf ein 1542 nicht ausgeschlossen zu sein brauchte!315 Seien Sie indessen herzlich gegrüßt von Ihrem Karl Barth 310 Handschriftliche Hinzufügung von Barth: nicht. 311 Auslassung im Original. 312 So auch zitiert im Urteil der Kölner Dienststrafkammer vom 20. Dezember 1934: „… wird dem Angeschuldigten von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt (Anschuldigungsschrift vom 7.12.1934): Die Pflichten verletzt zu haben, die ihm sein Amt auferlegt, und durch sein Verhalten im Amte sich der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig gezeigt zu haben“ (Prolingheuer, Der Fall Karl Barth, 286–296, hier 287). 313 Handschriftliche Hinzufügung von Barth: (auch nach außen!). 314 Mt 10,14: „Wenn euch jemand nicht aufnehmen und eure Rede nicht hören wird, so geht heraus aus diesem Hause oder dieser Stadt …“. 315 Wilhelm Farel beschwor 1536 den auf der Durchreise in Genf Station machenden Johannes Calvin zu bleiben, um die Reformation in Genf sichern zu helfen; 1538 wurden Calvin u.a. der Stadt verwiesen, allerdings 1541 vom Genfer Stadtrat zurückgerufen.
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Ich erhielt gestern von Hesse und Immer die Nachricht, daß man sehr intensive Bemühungen macht, diese beiden wieder in den Bruderrat zurückzuholen. Nachdem ich am Nachmittag Zurückhaltung empfohlen hatte, habe ich am Abend von der sofortigen Absendung eines ziemlich scharfen Schreibens abraten zu sollen geglaubt im Blick darauf, daß sich ja nun das Kabinett Marahrens in der Eidesfrage schließlich doch nicht ganz schlecht geschlagen zu haben scheint. Aber ob darum der Moment in den Bruderrat zurückzukehren schon gekommen ist? Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir ein paar Worte darüber schreiben könnten, ob man in diesem letzten Beschluß wirklich ein hoffnungsvolles Zeichen sehen darf – ein Bericht über gewisse Vorträge, die Marahrens in Berlin gehalten zu haben scheint316, macht mich doch aufs Neue sehr bedenklich gegen ihn – oder ob es bei dem sehr pessimistischen Bild, das mir Asmussen neulich entworfen hat, sein Bewenden haben wird, sodaß wir einfach auf den Augenblick zu warten hätten, wo der Bruderrat sich ermannt und an Marahrens vorbei im Namen der Synode aufs Neue zu handeln sich entschließt?
111 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Dahlem, 14. Dezember 1934 Als ich vor einigen Tagen meinen dringlichen Brief schrieb, habe ich vielleicht zu wenig daran gedacht, wie sehr Sie jetzt mit anderen Dingen zu tun haben. Ich fragte mich schon bei der Absendung, ob zu der Vorbereitung der Arbeitsgemeinschaft genügend Zeit sein werde. Die Vorträge müssen ja schließlich ordentlich ausgearbeitet werden. Inzwischen habe ich noch erfahren, daß Iwand in Riga sein soll und also so schnell kaum zu gewinnen sein wird. Ich danke Ihnen recht sehr, daß Sie trotz allem zugesagt haben, möchte nun aber fast meinen, daß wir doch besser tun, die Sache auf das Ende des Semesters zu verschieben. Es überstürzt sich dann nicht alles so sehr, wie es jetzt geschehen würde. In die kirchliche Gesamtlage habe ich jetzt nicht mehr einen solchen Einblick wie früher, weil die Beziehungen zwischen dem Johannistisch und der Friedbergstraße nicht allzu rege sind.317 Wir machen hier unsere preußische Sache und haben genug damit zu tun, auf unserem Gebiete klaren Kurs zu halten. Es gibt auch hier fortwährend Querschläger, zuletzt vom Rheinland her, wo Held und Beckmann nach Humburgs Fortgang der Taktik huldigen, und neuerdings von Schlesien her. Was die vorläufige Kirchenregierung betrifft, so berichtet Humburg immer wieder von den Auseinandersetzungen, die es dort gibt. Aber er sagt ebenso, daß Marahrens auf alles höre und bisher auch immer nachgegeben habe. Humburg 316 Vermutlich während der Sitzungen der VKL I und Äußerungen Marahrens‘ gegenüber dem mit ihm befreundeten Reichsinnenminister Wilhelm Frick. Dieser Brief trägt keine Anrede. 317 Am Johannistisch 5 in Kreuzberg befand sich im Haus der Berliner Stadtmission der Sitz der VKL I, an der Friedbergstraße 27 im Burckhardthaus in Dahlem der des Bruderrates der ApU.
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leidet sehr darunter, daß diese Unklarheit im eignen Kreise da ist und diese Auseinandersetzungen notwendig macht. Aber er hätte grade darum diejenigen, die aus dem Bruderrat ausgetreten sind, gerne wieder318 dabei. Koch selbst ist der Meinung, daß er den Bruderrat nicht gut zusammenrufen kann, weil vier Mitglieder, auf die er großen Wert legt, ausgetreten sind. Sollte eine Einberufung des Bruderrates dennoch notwendig werden, so will er die vier Plätze auf alle Fälle frei lassen, weil er noch immer die Hoffnung hat, daß die Betreffenden wieder in den Bruderrat zurückkehren möchten. Es sind allerlei Anstrengungen gemacht worden, um das zu bewirken. Humburg hat viel auf Niemöller eingeredet und auch Koch hat ihn neuerdings gebeten. Aber Niemöller hat sich bisher nicht entschließen können, obwohl ihn die Sache sehr beschäftigt hat. Als er neulich in München war, hat Meiser ihn dringend gebeten, in den Bruderrat zurückzukehren, da er offenbar gemerkt hat, wie das Ausscheiden von den vier Mitgliedern aus dem Bruderrat auf die jüngere Theologenschaft in Bayern gewirkt hat. Es ist ja auch schwer, in dieser Frage eine ganz sichere Antwort zu geben. Aber ich halte die ganze Frage im Augenblick noch nicht für aktuell. Die vorläufige Kirchenregierung muß erst einmal unter Beweis stellen, daß sie wirklich in kirchlicher Weise ihr Amt ausübt. Die letzten Taten sind ja ganz ordentlich. Der letzte Brief, der an Frick wegen seiner Rede gegangen ist, soll sich sehen lassen können319, desgleichen ein kurzes Schreiben an Goebbels und nun auch noch das offene Wort an unsere Gemeinden320, zu dessen Weitergabe wir uns in Preußen doch mit gutem Gewissen entschlossen haben, nachdem wir zunächst daran gedacht hatten, etwas eigenes herauszubringen. Ich denke ja, daß wir in den nächsten Wochen soweit sein werden, hinsichtlich der vorläufigen Kirchenleitung klarer zu sehen. Ich hörte grade, daß starke Versuche gemacht werden „die beiden Gruppen in der Kirche“ zusammenzubringen. Kinder321 war gestern bei Breit und Marahrens. Was dabei herausgekommen ist, weiß ich nicht. Hier wird die Kirchenleitung Gelegenheit haben zu zeigen, daß sie wirklich Kirchenleitung ist. Die Reden von Goebbels322 und Frick und der Erlaß von Göring an die Polizei, betreffs Verbot aller Versammlungen in nicht kirchlichen Räumen323, haben einen Mann wie Marahrens vielleicht ein wenig zum Nachdenken gebracht, und ich fürchte, er wird in der nahen Zukunft dazu noch öfter und dringender Gelegenheit haben. Wir stehen doch in apokalyptischen Zeiten. Wenn man auf die kämpfende Kolon318 Handschriftliche Korrektur: statt „gerne wieder“ stand ursprünglich „lieber“. 319 Frick hatte am 7. Dezember 1934 in Wiesbaden erklärt, „daß sich unter dem Deckmantel christlicher Belange hier [sc. in der kirchlichen Opposition] alle möglichen staatsfeindlichen und landesverräterischen Elemente sammeln, um […] auf diesem Wege dem dritten Reich Schwierigkeiten zu bereiten.“ (Chronik der Kirchenwirren 3, 430); am 8. Dezember 1934 verwahrt sich die VKL I dagegen (435). 320 Kanzelabkündigung für den 16. Dezember 1934, in: Chronik der Kirchenwirren 3, 435.437. 321 Christian Kinder (1897–1972), juristischer Vizepräsident im Kieler Landeskirchenamt, war von September 1933 bis Juni 1935 Reichsleiter der DC. 322 Goebbels hatte am 30. November 1934 erklärt, dass der Staat sich aus dem „Kirchenstreit“ heraushalten werde, aber nicht zulasse, dass dieser in den politischen Raum hineingetragen werde; Chronik der Kirchenwirren 3, 416. 323 Verbot vom 7. Dezember 1934; vgl. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 237 (Nr. 124); Chronik der Kirchenwirren 3, 432.
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ne in der Kirche als solche sieht, kann einem jetzt manchmal, mehr denn je, angst und bange werden; aber darauf darf man eben nicht sehen. Sie sollten in Ihrer Lage bedenken, daß Sie im Hinblick auf all diese Dinge auch künftighin gefordert sind. Ich habe weder jetzt noch für künftig eine Farelsche Beschwörung im Sinn, aber Sie sollten ja doch bedenken, daß der Kampf der Kirche es mit sich gebracht hat, daß auch Sie von Ihrer „eigentlichen“ Arbeit immer mehr zu einer anderen fortgezogen worden sind. Sie dürfen bei Ihren Entscheidungen nicht vergessen, daß Sie seit 1933 nicht mehr nur der Lehrer der Studenten, sondern vor allem der Lehrer der Kirche in einem viel weiteren Sinn sind. Wenn Ihnen die erste Arbeit von einer nicht kirchlichen Instanz genommen werden sollte, dann bleibt trotzdem der Auftrag, den Sie als Doktor in der Kirche, in der Sie jetzt zu stehen haben, bestehen. Ich hoffe, daß die Kirche sich dessen dann bewußt sein wird, ohne das etwas „veranstaltet“ wird. Aber bitte denken Sie dann nicht nur an Ihre Dogmatik, Sie werden bei mir nicht vermuten, daß ich diese Arbeit unterschätze, aber es gibt in den Zeiten, in denen die Kirche um ihre Existenz kämpft, schließlich noch einiges andere zu tun, so sehr die Parallele mit Calvin einleuchten mag – er setzte damals, als er nach Straßburg ging, ja auch einfach die Vorbereitung der 2. Auflage der Institutio fort –, so ist daran zu erinnern, daß er nur gegangen ist, weil er ausgewiesen wurde! Die Restauration mag jetzt in der Kirche mächtig ihr Haupt erheben, aber das eine ist sicher: Es gibt weiteste Kreise, die sie auf keinen Fall mitmachen werden. Wir werden auch sofort gegen Marahrens kämpfen, wenn von ihm in dieser Richtung ein entscheidender Schritt getan werden sollte. Jedoch warten wir nicht resigniert auf irgend einen solchen Augenblick, sondern versuchen den klaren Kurs weiter wie bisher zu steuern. Zu dieser sehr nüchternen Aufgabe, zu deren Übernahme es keinerlei „Beschwörungen“ bedarf – denn sie ist uns allen einfach gestellt –, braucht die Kirche auch Sie. Wenn der 20. Dezember vorüber ist, lassen Sie bitte auch mich gleich etwas hören! Mit herzlichen Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel
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112 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Dahlem, 22. Dezember 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Im Auftrage des Bruderrates der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union bitte ich Sie dringend, am Donnerstag, den 27. Dezember dieses Jahres, morgens 9½ Uhr im Burckhardthaus, Berlin-Dahlem, Friedbergstraße 27, an der Sitzung eines theologischen Ausschusses zur Vorbereitung einer Synode teilzunehmen. In der Hoffnung, daß Sie uns trotz des ungünstigen Tages diesen wichtigen Dienst leisten werden, grüßt bestens Ihr Wilhelm Niesel Diesem Briefe an die Ausschußmitglieder möchte ich noch hinzufügen, daß Ihre Mitarbeit unbedingt notwendig ist. Also lassen Sie uns nicht im Stich! Trotz allem ein frohes Fest!324
113 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Dahlem, 24. Dezember 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Soeben erfahre ich, daß die wegen der bevorstehenden Feiertage für den Eventualfall vorher vorsorglich geschriebenen Einladungen zur Sitzung des theologischen Ausschusses aus Versehen vorzeitig abgegangen sind. Ich muß Ihnen nun mitteilen, daß die Sitzung des Ausschusses am Donnerstag, dem 27. Dezember, noch nicht stattfinden kann. Für den Fall, daß die Sitzung notwendig wird, bekommen Sie rechtzeitig Nachricht. Mit der Bitte um Entschuldigung und besten Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel
324 Das Postskriptum ist handschriftlich von Niesel hinzugefügt worden, der Brieftext ist vervielfältigt.
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II. Briefwechsel 1933–1939
114 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Dahlem, 28. Dezember 1934 Sehr verehrter Herr Professor! Die Ihnen schon angekündigte Sitzung des theologischen Ausschusses soll nun am Mittwoch, den 2. Januar 1935, morgens 9 Uhr in Bad Oeynhausen stattfinden, und Sie werden hiermit freundlichst gebeten, uns durch Ihre Mitarbeit in diesem Ausschuß zu helfen.325 Treffpunkt: Büro des Präsidiums, Hindenburgstraße 9. Mit den besten Wünschen zum Neuen Jahr! Ihr Wilhelm Niesel
115 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Dahlem, 21. Januar 1935 Sehr verehrter Herr Professor! Der altpreußische Bruderrat hat in einer seiner letzten Sitzungen darüber gesprochen, daß es wünschenswert sei, das in den vergangenen Jahren in besonderer Weise zwischen den Konfessionen begonnene Gespräch fortzuführen, und seine Zustimmung dazu gegeben, daß in absehbarer Zeit ein Kreis von Professoren und Pastoren aus dem Gebiete unserer Landeskirche in Berlin-Dahlem zusammenkommt, um gemeinsam an einigen Problemen zu arbeiten, die zwischen den beiden Konfessionen strittig sind. Diese Arbeitstagung von etwa 20 Theologen soll zu Beginn der Semesterferien vom 18.–20. Februar stattfinden. Während der drei Tage sollen zwei Themata besprochen werden: Amt und Kirche; das Abendmahl. Jedes Thema soll von einem lutherischen und von einem reformierten Theologen behandelt werden. Nach den beiden Referaten über ein Thema findet jeweils eine Aussprache statt, auf die sich sämtliche Teilnehmer vorbereiten. Die Aussprache dient dazu, Übereinstimmung und Unterschiede in der Auffassung zu erarbeiten. Sie waren so freundlich, uns einen Vortrag über das Abendmahl zuzusagen. Wir rechnen unbedingt mit Ihrer Beteiligung und hoffen, daß der nun in Aussicht genommene Zeitpunkt Ihnen angenehm ist.326 Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel 325 Zu dieser Sitzung vgl. Niesel, Kirche unter dem Wort, 54; Barth/von Kirschbaum, Briefwechsel, 409f. 326 Bis auf die Anrede und den letzten Absatz handelt es sich um einen vervielfältigten Brief, der wortgleich auch an die anderen Einzuladenden gegangen ist. Barth sagte seine Teilnahme ab; vgl. Barth/von Kirschbaum, Briefwechsel, 462.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
116 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Dahlem, 25. Januar 1935 Betrifft: Arbeitstagung Sehr verehrter Herr Professor! Leider mußte außer Ihnen auch der lutherische Referent, der über das Abendmahl sprechen sollte, absagen. Dadurch wird die für den Schluß des Semesters in Aussicht genommene Arbeitsgemeinschaft leider wieder unmöglich; denn wenn die Sache Bedeutung gewinnen soll, kann grade dieses Thema nicht von irgendwelchem Referenten behandelt werden. Ich möchte Sie nun fragen, ob es Ihnen möglich wäre an der Arbeitsgemeinschaft teilzunehmen, wenn sie vor Beginn des neuen Semesters, also diesmal Ende März, zusammentreten würde. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
117 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 2. April 1935 Lieber Herr Pastor! So hat, laut Ihrer Anzeige, der Kirchenstreit jedenfalls ein ganz sicheres und positives Ergebnis gezeigt, nämlich Ihre Verlobung, zu der ich Ihnen und Ihrer Braut, die mir ja auch keine Unbekannte ist327, hiermit meinen feierlichen Glückwunsch ausspreche. Wenn es zu allen Zeiten mindestens ebenso „bedenklich“ ist, den Ehestand wie ein Bischofsamt zu begehren328, so gilt das in unsern Tagen, wo auch die „Flucht“ wieder ernstlich eine Sache geworden ist, mit der Christen rechnen müssen, noch ganz besonders. Aber Sie haben sich in diesen Jahren als widerstandsfähig genug erwiesen, um nun auch die doppelte Verantwortlichkeit
Postkarte. 327 Susanna Pfannschmidt (1895–1989) war Mitarbeiterin von Martin Niemöller in BerlinDahlem und hatte als Gast an der Barmer Synode im Mai 1934 teilgenommen. 328 Wohl eine Anspielung auf Augustins Sermo 340A über 1. Tim 3,1–7. Darin wird ausgeführt, dass das Bischofsamt nicht wegen des Titels begehrt werde solle, sondern um der guten Taten willen, die in dieser Funktion möglich seien; der Bischof könne zwar auch verheiratet sein und leibliche Kinder haben, aber die Ehe nicht zu begehren und statt leiblicher Kinder die Gläubigen als geistliche Kinder zu haben, sei besser (Hinweis von Anna-Maria Semper, Heidelberg).
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zu übernehmen, und ich wünsche Ihnen von Herzen, daß sich Alles nach außen wie nach innen so gestalten möge, daß es tragbar ist. Ihr Vortrag in Siegen war eine vorzügliche Leistung.329 Ich habe nach meinem notgedrungenen eiligen Abgang330 von jener Sitzung gar nichts mehr gehört von dort und bin nun sehr gespannt auf die gefaßten Beschlüsse. Haben Sie Sasses neustes Werk in der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung gelesen?331 Es ist dessen, was der „Alte von der Weser“332 an jenem Nachmittag produzierte, durchaus würdig. Heute hat nun Gogarten trotz Ihres Protestes in aller Form meinen Lehrstuhl bestiegen, wahrscheinlich nicht vor allzu vielen Lehrlingen. Mit herzlichem Gruß! Ihr Karl Barth
118 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Dahlem, 11. Mai 1935 Sehr verehrter Herr Professor! Diesen Brief wollte ich eigentlich in unserem Büro mit Schreibmaschine schreiben, aber es war nicht möglich, da ich mich plötzlich „verdrücken“ mußte. Die Möglichkeit, die Sie auf Ihrer Karte erwähnten, ist jetzt überall Realität. Endlich möchte ich Ihnen herzlich für Ihre Wünsche zu unserer Verlobung danken. Am Dienstag soll die Trauung sein, falls ich nicht noch im letzten Augenblick „beschlagnahmt“ werde. Niemöller, der Ritter ohne Furcht und Tadel, wird uns trauen, und zwar vor dem „Hochaltar“ der Dahlemer Dorfkirche. Sie sehen, es bahnt sich eine gefährliche Union an333, angesichts der man auf dem Posten sein muß. Ich gedenke den Ausgleich zunächst durch einen längeren Aufenthalt in dem reformierten Schweizer Gebiet zu schaffen. 329 Vgl. Zweite freie reformierte Synode vom 26.–28. März 1935, im Auftrage des Synodalvorstandes hg. v. K. Immer, Wuppertal 1935; Lekebusch, Die Reformierten, 222–233. Niesel hatte den Vortrag „Kirchliche Hochschule für reformatorische Theologie“ gehalten (43–52) (= ders., Gemeinschaft mit Jesus Christus, 171–182); vgl. Lekebusch, Niesel im Kirchenkampf, 29. 330 Barth hatte seit dem 1. März 1935 Reichsredeverbot. Barth ließ seine Predigt über das biblische Bilderverbot 2. Mose 20,4–6 zur Eröffnung der Synode dennoch drucken: Karl Barth, Vier Predigten, TEH 22, München 1935, 36–45 (= ders., Predigten 1921–1935, 428–440). 331 Hermann Sasse, Konfessionelle Unbußfertigkeit? Ein Wort zum Verständnis des lutherischen Konfessionalismus, AELKZ 68, 1935, 245–249.266–274; kurz danach votierte Sasse auch gegen Niesels Siegener Vortrag und gegen eine konfessionsverbindende bekenntniskirchliche Hochschule; ders., Eine Hochschule für reformatorische Theologie? Eine Anfrage an die reformierten Theologen Deutschlands, AELKZ 68, 1935, 417–421. 332 Hiermit könnte der 1860 in Minden geborene Wilhelm Zoellner gemeint sein; siehe Anm. 3. 333 Im Frühjahr 1935 diagnostizierten vor allem lutherische Kirchenführer und Theologen wie Hermann Sasse das Ende der Union und strebten als Lösung des Kirchenstreites eine lutherische Reichskirche an.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
In den letzten Wochen hätte ich Sie gerne manchmal gesprochen. Leider war es mir neulich auch nicht möglich, zur rheinischen Synode zu kommen.334 Mitte April schien es mir auf einer Informationstagung der VKL in Leipzig, als hätten der Abt und seine beiden Freunde aus dem Süden einiges gelernt335; aber die letzten Wochen haben uns wieder schwer enttäuscht. Es ist uns unbegreiflich, wie man angesichts der Tatsachen in Sachsen, Hessen und Altpreußen Besprechungen führen kann.336 Wir haben von Preußen her versucht einen Riegel vorzuschieben. Noch Anfang der Woche war der altpreußische Bruderrat zusammen und hat eine entsprechende deutliche Entschließung gefaßt; aber man wußte ja von vornherein, daß es nichts nützen würde. Und das, was man von den letzten Tagen hört, bestätigt diese Befürchtung. Einige von uns hatten schon die Absicht, abzutreten; aber das darf man doch eigentlich nicht. Wahrscheinlich wäre es auch an dem verhängnisvollen 20. November besser gewesen, Widerstand bis zum letzten zu leisten. Wir müssen versuchen, uns durchzusetzen und die anderen zwingen, eventuell den Platz zu räumen.337 Ob die geplante Synode das Gewicht der lutherischen Kirche wieder verstärken wird, erscheint mir fraglich.338 Eher wird es die Haltung unseres Gegenüber tun. Nach zuverlässigen Nachrichten wird der Erhabene339 auch diesmal eine schwere Enttäuschung erleben, weil die entscheidende Instanz auf der anderen Seite einfach nicht will. So wird der Kirche immer wieder geholfen, wenn sie auf dem besten Wege ist, alles zu verderben. Das sind nicht gerade gute Auspizien, unter denen unsere geplante Hochzeitsreise steht, und es gehört beinahe ein gewisser Leichtsinn dazu, gerade jetzt das Schlachtfeld zu verlassen. Niemöller hält zwar weiterhin hier die Wache; aber er ist häufig zu impulsiv. Sie werden im Rheinland sicherlich unseren Freunden Joachim [Beckmann] und Genossen tüchtig auf die Finger sehen. 334 Nach einem von 25.000 Personen besuchten „Rheinisch-Westfälischen Gemeindetag unter dem Wort“ am 28. April 1935 in Wuppertal traf sich die Evangelische Bekenntnissynode im Rheinland zu ihrer vierten Tagung vom 28.– 30. April 1935 in Barmen-Gemarke; vgl. Beckmann, Rheinische Bekenntnissynoden, 151–214. 335 Landesbischof August Marahrens amtierte auch als „Abt von Loccum“; die beiden „Freunde aus dem Süden“ sind die Landesbischöfe Hans Meiser (Bayern) und Theophil Wurm (Württemberg). Am 10. April 1935 trafen sich die VKL I und der Reichsbruderrat in Leipzig; vgl. Besier, Die Kirchen, 71–73; Chronik der Kirchenwirren 3, 505; Brief Barths an Thurneysen vom 27. April 1935, in: Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 873–878, hier 874–876. 336 Nach der altpreußischen Bekenntnissynode in Berlin-Dahlem vom 4./5. März 1935 und deren Kanzelabkündigung gegen das „Neuheidentum“ (Chronik der Kirchenwirren 3, 479.481) „endete die trügerische Ruhe zwischen Staat und evangelischer Kirche“; Besier, Die Kirchen, 61. In mehreren Landeskirchen kam es zu erheblichen Verfolgungen von Pfarrern. Dennoch setzte Marahrens immer wieder auf Gespräche mit staatlichen Stellen, nicht zuletzt mit den Reichsministern Frick und Rust. Am 6. Mai 1935 kam ein solches Gespräch zustande (76f). 337 Die im November 1934 aus dem Reichsbruderrat ausgetretenen Mitglieder Hesse, Immer und Niemöller (siehe Anm. 299) traten nach einigen Bemühungen im April dann am 30. April 1935 wieder ein, so dass man geschlossener die kommende Reichsbekenntnissynode planen konnte. 338 Die seit einiger Zeit geplante dritte Bekenntnissynode der DEK war nach Interventionen von Hans Meiser mehrfach verschoben worden und fand dann vom 4.–6. Juni 1935 in Augsburg statt. 339 Möglicherweise eine ironische Titulierung von Landesbischof Marahrens.
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Man gewinnt immer wieder den Eindruck, daß die rheinische Kirche besser ist als ihre Leitung. Noch eines zur Erheiterung. Als wir am Dienstag vom preußischen Bruderrat an langer Tafel in einem Restaurant am Zoo saßen, kam plötzlich Horn herein, gefolgt von Oberheid! Unsere Blicke trafen sich einen Augenblick, dann steuerte er schnell an uns vorbei. Nicht lange danach erschien Heckel im Lutherrock auf der Bildfläche und suchte die beiden rheinischen „Brüder“. Mir war vor allem interessant, einmal das Verbrechergesicht von Oberheid kennen zu lernen. Aber wo ist Horn nur hingeraten!340 Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel Beiliegend sende ich Ihnen die 2. Auflage meiner Abendmahlsschrift341; doch ein Zeichen, daß in dieser Sache die „reine Lehre“ sich durchsetzt.
119 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bonn, 15. Mai 1935 Lieber Herr Pastor! Eben sehe ich mit Bestürzung, daß Sie gestern Hochzeit feierten und daß ich es versäumt habe, Sie zu dieser immerhin gewichtigen Sache geziemend, wie ich es geplant hatte, anzutelegraphieren. Ich gehe nun wohl nicht irre, wenn ich annehme, daß Ihre Hochzeitsreise Sie auch in das an Denkmälern Ihrer Vergangenheit so reiche Haus meines Bruders342 führen wird und daß ich Ihnen darum dorthin meinen ganzen Beifall zu dem vollzogenen Ereignis bezeugen darf. In der Kirchenfrage herrscht ja augenblicklich solches Stockdunkel, daß man die Hand vor dem Auge nicht sieht. Man riecht nur, daß jetzt um den „Erhabenen“ herum jeden Augenblick die riesigsten Dummheiten Tatsache werden könnten. Von der rheinischen Synode mußte man auch sehr gemischte Eindrücke mit nach Hause 340 Der reformierte Superintendent von Duisburg, Fritz Horn, hatte eine legalistische kirchenpolitische Gruppe um sich geschart („Ordnungsblock“) und sich dazu bereit erklärt, die deutschchristlich dominierte rheinische Provinzialsynode auf den 3. Mai 1935 nach Köln einzuberufen. Damit standen Oberheid und Horn zusammen. Oberheid war zwar nach einem „Urlaub“ formal Anfang 1935 ins Bischofsamt zurückgekehrt, hatte aber um seine Suspendierung nachgesucht: „Tatsächlich hat Oberheid im Rheinland keine unmittelbar kirchenregimentliche Funktion mehr ausgeübt“; Faulenbach, Ein Weg durch die Kirche, 130. Zum „Ordnungsblock“ vgl. van Norden, Politischer Kirchenkampf, 42–49, zur Provinzialsynode im Mai 1935 69–83. 341 Die 1930 erschienene Schrift erlebte 1935 eine zweite Auflage. 342 Niesel lebte 1926–1928 in Madiswil bei Peter Barth (1888–1940), um die Herausgabe der OS Calvins zu betreuen.
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nehmen.343 Und auch hier in meiner nächsten kirchlichen Umgebung geht es sozusagen von einem Verdruß in den andern. Wir werden uns wohl in Augsburg wieder sehen, im theologischen Ausschuß zunächst. Weiß wohl jemand ganz bestimmt, wozu diese Synode notwendig und nützlich sein soll oder verläßt sich einer auf den andern? Nun, reisen Sie vorderhand glücklich und ohne sich über alle diese Dinge allzu schwere Gedanken zu machen. Sie haben es verdient, einmal ausschnaufen zu dürfen. Mit herzlichem Gruß an Sie und Ihre Frau! Ihr Karl Barth
120 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Dahlem, 13. Juni 1935 Sehr verehrter Herr Professor! Weil alle möglichen Leute verreist sind, ist es leider nicht möglich, vor Samstag irgendeine Sitzung zu haben. Am Samstag werden der Rheinische und der Westfälische Bruderrat zusammentreten, und wir hoffen, daß wir dann vom Rate aus den Beschluß sogleich wenigstens telegraphisch bestätigen können. Vor allen Dingen aber hoffen wir, daß es Ihnen möglich sein wird, Ihre Entscheidung erst zu treffen, wenn der Beschluß des Rheinischen und des Westfälischen Bruderrats und unsere Stellungnahme dazu in Ihrer Hand sind. Denn wenn die andere Berufung auch sofort an Sie ergehen sollte, so wird man Ihnen für Ihre Entscheidung doch einigen Spielraum lassen.344 Mit herzlichem Gruße! Ihr [Wilhelm Niesel]
343 Barth hatte an der rheinischen Bekenntnissynode teilgenommen und war dort zu einem der Delegierten für die altpreußische und für die Bekenntnissynode der DEK gewählt worden; vgl. Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 874 mit Anm. 2. 344 Die Berufungsverhandlung in Sachen der Dienstentlassung Barths vom 20. Dezember 1934 vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin war auf den 14. Juni 1935 terminiert worden. Barth hatte gegenüber der rheinischen und westfälischen BK angedeutet, in Deutschland zu bleiben, wenn man ihm bis zum 14. Juni 1935 eine angemessene Stellung zusichern könne; vgl. Niesel, Kirche unter dem Wort, 72. Eine sofortige Berufung nach Basel, die bereits am 7. März 1935 vereinbart worden war, stand im Raum; vgl. Prolingheuer, Der Fall Karl Barth, 176.
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121 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bergli, Oberrieden, 15. Juni 1935 Lieber Herr Pastor! Nach dem, was ich gestern telephonisch durch Rechtsanwalt Bleibtreu345, durch Pastor Immer und durch Sie selbst erfahren habe, ist mein Bild von dem vorläufig abgeschlossenen Vorgang dieses: Ich hatte bei einer Tagung des „erweiterten“ Moderamens in Elberfeld am 19. Februar in aller Form erklärt, daß die Möglichkeit einer Fortsetzung meiner Lehrtätigkeit im Rahmen der dortigen Theologischen Schule für mich nicht in Betracht komme. Dem entsprechend habe ich am 7. März in Basel die Erklärung abgegeben, daß ich für den Fall meiner definitiven Absetzung in Bonn zur Annahme eines Rufes dorthin bereit sei. Es kam dann am 27. März die Verhandlung in Siegen über die Hochschule für reformatorische Theologie, bei welcher es aber nicht um meine Person ging. Eine neue Situation entstand für mich erst an der rheinischen Synode in Barmen 28.–30. April, bei welcher Graeber mit seinem Plan einer von der rheinischen und westfälischen Bekenntniskirche zu veranstaltenden Fortsetzung meiner Vorlesungen in Bonn hervortrat. Am 2. Mai war Graeber lange bei mir, um sich über die von mir aus zu stellenden Bedingungen zu vergewissern. Ich habe ihm als entscheidende Bedingung immer dies genannt, daß ich einen unzweideutigen Ruf seitens der Bekenntniskirche bzw. der beiden beteiligten Bruderräte bekommen müsse und das vor dem 14. Juni, weil an diesem Tag, wenn er meine Absetzung bringe, automatisch meine Berufung nach Basel erfolgen werde, die ich, wenn einmal erfolgt, unter keinen Umständen ablehnen werde. Was in Frage komme, könne nur ein Versuch sein, diese Berufung noch rechtzeitig, d.h. vor dem 14. Juni zu verhindern. Im gleichen Sinn habe ich mich dann immer wieder und so zuletzt noch gegenüber Hesse und Immer in Friedrichshafen ausgesprochen.346 An der Unzweideutigkeit eines vor dem 14. Juni erfolgenden Rufes der Bekenntniskirche lag mir, wie ich es in Friedrichshafen ebenfalls ausdrücklich ausgesprochen habe – wie man es sich aber schließlich an den Fingern ablesen konnte! –, noch mehr seit den Vorgängen wegen der „Nordgrenze“347 und insbes. seit Humburg es mit einer Begründung, die ich nicht
Erstabdruck in Prolingheuer, Der Fall Karl Barth, 333f; zitiert auch bei Niesel, Kirche unter dem Wort, 72. Zum „Abschied von Barth“ vgl. Aschermann/Schneider, Studium, 59–63. 345 Otto Bleibtreu (1904–1959) war Barths Rechtsanwalt. 346 Hesse und Immer hatten Barth im unmittelbaren Anschluss an die Bekenntnissynode von Augsburg um dieses Gespräch an der deutsch-schweizerischen Grenze am 6. Juni 1935 gebeten. Barth hielt sich seinerzeit in der Schweiz auf. 347 Barth hatte sich in der Schweiz für eine verstärkte Landesverteidigung ausgesprochen und dabei auch die „Nordgrenze“ genannt. Reichsbischof Müller veröffentlichte dies am 10. Mai 1935, woraufhin nicht wenige BK-Vertreter sich von Barth distanzieren zu müssen meinten und Barths Teilnahme an der bevorstehenden Reichsbekenntnissynode ablehnten; vgl. Prolingheuer, Der Fall Karl Barth, 178–182; Besier, Die Kirchen, 83.
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annehmen kann, unterlassen hatte, mich zu der Augsburger Synode einzuladen.348 Alle Beteiligten – und nach Ihrem telephonischen Anruf aus Madiswil auch Sie – konnten wissen, daß ich auf ein Wort von draußen des Inhalts, daß man mich auch und gerade als persona ingrata in politicis349 zu haben und zu halten wünsche, wartete. Ich habe in der Tat diese ganzen Wochen und Tage, zuletzt von einer Post zur andern darauf gewartet. Es ist nicht gekommen. Es ist nicht einmal irgend eine Nachricht gekommen, warum es nicht komme. Statt dessen ereignete sich gestern das kleine Wunder im Oberverwaltungsgericht, auf Grund dessen ich bis auf Weiteres wieder Mitglied der Fakultät Bonn bin und also die ganze Entscheidung zunächst hinfällig wird.350 Und nun erfahre ich also nachträglich, daß man in Berlin diese Woche beschlußunfähig war, daß Humburg der Ansicht war, der Beschluß der rheinischen Synode hätte mir völlig genügen können, daß der rheinische und der westfälische Bruderrat heute den 15. Juni (!) in dieser Sache zu beraten gedächten, daß man ja auch noch nicht gewußt habe, ob nicht doch wieder der oder ein Elberfelder Plan351 (von dem mir gegenüber seit Monaten kein Mensch mehr gesprochen!) aktuell werden solle – und was noch Alles. Lieber Herr Pastor, dieses Ganze mißfällt mir durchaus. Und ich muß Ihnen nun auch offen sagen, was für Folgerungen ich daraus ziehe. Der naheliegendste Eindruck ist natürlich der, daß hier wieder einmal irgendwelche im Blick auf den Caesar schlau sein d.h. klüglich abwarten wollten, was denn nun etwa am 14. Juni das Gericht über mich zu sagen habe. Ich weiß, daß das bestritten wird. Aber Sie werden mir zugeben müssen, daß es mir nicht leicht fallen kann, angesichts der Erfahrungen, die ich in der Eidessache mit der Bekenntniskirche gemacht habe und angesichts der Art, wie man um Augsburg herum mit mir umgesprungen ist, diesen Gedanken wirklich zu unterdrücken. Stelle ich ihn zurück, so bleibt – und das dann unbestreitbar – dies übrig, daß offenbar nicht eben Viele und diese nicht eben hitzig sich der ganzen Sache angenommen haben können, wenn sie nach reichlich sechs Wochen bis gestern nicht entscheidungsreif werden konnte. Sie deuteten mir gestern am Telephon an, daß die Sache eines „Einzelnen“ gegenüber den großen Interessen der Gesamtheit, über die man in Berlin und Essen352 zu wachen und zu walten habe, so wichtig nicht sein könne. Ich meine dem gegenüber, daß man auch die Sache des bescheidensten Küsters der Bekenntniskirche mit dieser Bummelei nicht hätte behandeln dürfen, auf die die Behandlung meines Falles laut der angegebenen „Gründe“ hinausläuft, wenn – ja wenn hier nicht wieder einmal jene Kirchendiplomatie im Spiel gewesen ist, deren Anwendung, wie mir scheint, in der Bekenntniskirche 348 Paul Humburg war Präses der rheinischen Bekenntnissynode, die Barth als Delegierten gewählt hatte. 349 Barth verlangt hier von der BK, ihn gerade auch dann loyal mitzutragen, wenn er aus politischen Gründen vom Staat entlassen werden sollte. 350 Das Gericht hob das Urteil der Dienststrafkammer Köln vom 20. Dezember 1934 auf; Abdruck des Urteils in Prolingheuer, Der Fall Karl Barth, 362–368. 351 Gemeint ist eine Berufung Barths an die Theologische Schule Elberfeld, die dieser bereits abgelehnt hatte. 352 Sitz der rheinischen bzw. der altpreußischen und der reichsweiten BK.
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schon so zur Gewohnheit geworden ist, daß man es in guten Treuen gar nicht mehr merkt, wenn man krumme Wege geht. Sicher ist nun jedenfalls dies, daß ich gestern oder heute, wenn das Gericht meine Absetzung bestätigt hätte, den Ruf nach Basel ohne Zaudern angenommen hätte. Und ich hätte dann der Zeugen genug dafür gehabt, daß die Leitung der Bekenntniskirche es – aus welchen Gründen immer – versäumt hatte, für einen andern Ausgang das Nötige und in aller Form Verabredete zu tun. Und sicher ist zweitens dies, daß ich das Vertrauen zu der Leitung der Bekenntniskirche für die Zukunft endgiltig verloren habe. Ich werde nun den Minister direkt vor die Frage stellen, ob er mich, so wie ich bin, fernerhin haben wolle oder nicht.353 Ich werde bei negativem Ergebnis nach Basel gehen, bei positivem Ergebnis unter Verzicht auf nunmehr alle Bekenntniskirchenpolitik in Bonn meiner Dogmatik leben. Ich werde aber mit einer Bekenntniskirche, die mir nun wiederholt dieses Gesicht gezeigt hat, über Lehraufträge irgendwelcher Art keine Verhandlungen mehr pflegen, weil ich nun weiß, daß dieser Boden so oder so Moorboden ist. Alles hat seine Grenzen, auch die Möglichkeit, sich in Menschenhände zu geben, deren Unzuverlässigkeit man wieder und wieder erfahren mußte. Ich habe sie hier nicht mehr. Mit freundlichem aber ingrimmigem, ingrimmigem aber freundlichem Gruß! Ihr Karl Barth
122 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Dahlem, 18. Juni 1935 Sehr verehrter Herr Professor! Der gestrige Tag hatte es besonders in sich; zunächst ein wutschnaubender Brief von Karl Ludwig Schmidt an Wolf wegen meiner Bemerkung über ihn auf Seite 107 der „Evangelischen Theologie“354 und nun noch Ihr grimmiges Schreiben, das offenbar eine Antwort auch auf meinen Brief vom 13. Juni dieses Jahres dar353 Rust hatte Barth mit Schreiben vom 21. Juni 1935 auf der Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums § 6 in den Ruhestand versetzt; einen Tag später erhielt Barth noch ein Telegramm des Ministers, in dem die „erbetene Unterredung“ wegen der unterdes mitgeteilten Entscheidung als „gegenstandslos“ bezeichnet wurde; vgl. Prolingheuer, Der Fall Karl Barth, 197–199. Ausführlich wiedergegeben in Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 910f, Anm. 5. Barth schrieb Thurneysen am 20. Juni 1935, dieser Brief von Niesel sei „eine zünftige Schulmeisterei, die mich als solche ärgert“. Ähnlich auch in Barths Brief an von Kirschbaum am 21. Juni 1935, in: dies., Briefwechsel, 476–478, hier 476. 354 Wilhelm Niesel, Kirche und Sakrament, EvTh 2, 1935, 95–114. Niesel bemerkte zu Karl Ludwig Schmidt, Art. Abendmahl, RGG I, 21927, 6–16: „Mit solchen Textoperationen kann man wirklich alles beweisen, was man beweisen will“ (107).
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stellt. Ich würde den Lotzenzorn355, der aus Ihrem Brief offenbar wird, lieber erst verrauchen lassen, aber da mir ein Dissensus zwischen Ihnen und uns in jeder Hinsicht höchst unerwünscht ist, will ich Ihnen doch sofort antworten. Es kommt hinzu, daß ich diesen Inhalt Ihres Briefes nach unseren beiden letzten Telephongesprächen nicht erwartet hätte. Sie entwerfen ein Bild von einem vorläufig abgeschlossenen Vorgang; wir wollen hoffen, daß er nur vorläufig abgeschlossen ist, und daß Sie einer etwas anderen Auffassung von der Sache nicht ganz unzugänglich sind. Der Grimm darf ja wohl nicht dazu führen, daß man ungerecht wird. Als ich wieder nach Berlin kam, hatte ich auch die Befürchtung, daß man wegen der bekannten Äußerung, die Sie getan haben, nun wieder voller Bedenklichkeiten sein würde. Auch mir war klar, daß eine solche Befürchtung nach den Erlebnissen der letzten Bruderratssitzungen, an denen Sie teilgenommen haben, nicht ganz unbegründet sei. Zu meiner großen Freude verhielt es sich aber ganz anders. Es ist geradezu der Sinn des Besuches von Hesse und Immer gewesen, Ihnen deutlich zu sagen, daß wir Sie in jedem Falle, also gerade auch als persona ingrata, weiterhin an unserer Seite haben wollen. Ich habe noch kein klares Bild davon, warum Sie nicht nach Augsburg berufen worden sind. Auf alle Fälle liegt aber der Besuch von Hesse und Immer bei Ihnen nach den Tagen von Augsburg. Was konnte in dieser Sache eigentlich mehr geschehen, als daß zwei Mitglieder der Synode mit einem bestimmten Auftrage persönlich zu Ihnen reisen, um Ihnen zu eröffnen: Sie sind und bleiben in jedem Falle unser Mann? Als ich am Freitag mit Ihnen telephonierte, schien es mir noch, als habe man vonseiten der Bekenntniskirche in Ihrer Angelegenheit zum mindesten ein wenig gebummelt. Ich mußte kurz darauf erfahren, daß sich dieses Urteil so nicht aufrechterhalten läßt. Nach der Rheinischen Synode hat Graeber im Auftrage des Rheinischen Bruderrates sich sehr eifrig und persönlich aufopfernd darum bemüht, daß Ihre Berufung in jeder Weise gesichert werde. Ob er dazu kurz oder lange Zeit brauchte, das muß man schließlich seinem Urteil überlassen. Mir ist Graeber jedenfalls nicht als ein Mann bekannt, der eine Sache langsam betreibt. Er ist schließlich zu Humburg gekommen und hat ihm zu seiner Freude mitgeteilt, daß Ihre Berufung gesichert sei. Dann kam die Augsburger Synode und die Reise von Hesse und Immer zu Ihnen. Es ist sicherlich begreiflich, daß Sie etwas Schriftliches von uns in Händen haben wollten; aber da das, was ich Ihnen soeben kurz schilderte, bis kurz vor Pfingsten dauerte, konnte es dann doch für Sie nicht von allzu erheblicher Bedeutung sein, ob Ihre schriftliche Berufung an diesem oder jenem Tage in der Woche nach Pfingsten erfolgte. Ich hätte Ihnen schon einen Tag früher, als es geschehen ist, schreiben können, daß eine Sitzung vor Samstag leider nicht zu ermöglichen sei; aber diese Verzögerung habe ich nicht für so erheblich gehalten. Wir haben gestern zum ersten Mal seit fünf Wochen wieder Preußische Ratssitzung gehabt, weil sie sich wegen der Vorbereitungen zur Augsburger Synode und wegen dieser Synode selbst nicht vorher ermöglichen ließ. Der Präses z.B.356, um 355 Bei Barth und seinen engen Korrespondenzpartnern benutzter Ausdruck für einen gewalttätigen Zornesausbruch, zurückgehend auf einen Vorfahr Barths mit Namen Lotz; vgl. Barth/Thurneysen, Briefwechsel III, 146 mit Anm. 20. 356 Der Präses der altpreußischen Bekenntnissynode war Karl Koch.
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nur einen zu nennen, war in der Woche nach Pfingsten und auch in diesen Tagen noch Tag und Nacht unterwegs, von einer Sitzung und von einer Verabredung zur andern. Wie lange das die einzelnen Leute auf die Dauer aushalten werden, wissen wir selber nicht; aber wir haben zum mindesten im Hinblick auf das Maß unserer Arbeit ein gutes Gewissen. Sodann liegt es mir heute daran, Ihnen ganz besonders eines zu sagen: Sie sprachen am Telephon davon, daß Sie sich seit dem November vorigen Jahres ganz besonders vereinsamt gefühlt hätten. Sehr verehrter Herr Professor, Sie können gewiß sein, daß das auch im Hinblick auf einige andere Leute zutrifft. Ich brauche ja nur einen zu nennen: unseren Freund Niemöller. Ich muß aber ebenso feststellen, daß wir „Vereinsamte“ die ganzen Monate hindurch bis jetzt sehr gute Kameradschaft gehalten haben. Daß wir Sie immer dabei haben wollten, ist Ihnen oft genug bezeugt worden. Wie dringend haben wir Sie z.B. gebeten, an den Vorbereitungen zur Altpreußischen Synode357 und an dieser selbst, auf der Sie sich sicherlich nicht vereinsamt gefühlt hätten, teilzunehmen! Aber Sie haben es mehrmals abgelehnt. Was hätte werden sollen, wenn wir das alle getan und nur über unsere Vereinsamung geklagt hätten! Aber das ist sicherlich keine rechte Frage. Wir haben kein Recht, darnach zu fragen, was aus einer Sache wird, sondern nur nach unserem Auftrag. Wenn es ganz trostlos aussieht, pflegt Niemöller immer „in die Reichswehr einzutreten“, und Sie ziehen sich nach Basel oder auf das Gebiet Ihrer Dogmatik zurück. Das sind alles sehr gute und sehr wichtige Möglichkeiten, es fragt sich nur, ob wir es tun dürfen und die Kirche inzwischen Kirche sein lassen können. Ein augenblicklicher Grimm gibt uns dazu jedenfalls kein Recht und auch nicht eine Resignation, wie sie bei einem Manne wie Asmussen zuweilen aufzutreten pflegt. Es grüßt Sie in aller Verbundenheit mit Jona 4[,11], in der Hoffnung, daß Sie die vielen „tausend Menschen, die nicht wissen Unterschied, was rechts oder links ist“, „dazu die vielen Tiere“ nicht ganz verwerfen werden. Ihr Wilhelm Niesel Wenn Sie nach Berlin kommen sollten, so rufen Sie mich, bitte, an. Ich bin zu erreichen unter 96 3914 oder 96 2327.
357 Die zweite Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union fand am 4./5. März 1935 in Berlin-Dahlem statt.
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123 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Dahlem, 11. September 1935 Sehr verehrter Herr Professor! Pfarrer Immer hat uns zu unserer großen Freude berichtet, daß ein Ergebnis seines Besuches bei Ihnen358 dies gewesen sei, daß Sie in Aussicht gestellt hätten, am Ende des Semesters eine Reihe von Vorlesungen und Übungen an unserer kirchlichen Hochschule zu übernehmen.359 Wir waren gestern im Kreise derer zusammen, welche an dieser Anstalt gemeinsam arbeiten werden, und wir haben uns über den Plan dessen, was zu leisten ist, verständigt. In 14 Tagen müssen wir spätestens ein Vorlesungsverzeichnis herausbringen, und wir wären Ihnen zu großem Dank verpflichtet, wenn Sie nicht nur Ihre Zusage aufrechterhalten würden – womit wir fest rechnen –, sondern uns jetzt auch schon sagen könnten, worüber Sie etwa lesen würden.360 Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
124 Wilhelm Niesel an Karl Barth361 Berlin-Dahlem, 10. Januar 1936 Sehr verehrter Herr Professor! Haben Sie herzlichen Dank für die Grüße, die Sie mir bestellen ließen. Ich hätte schon längst einmal geschrieben; aber man kann in einem Briefe doch nichts Wesentliches sagen. Und am wichtigsten ist ja – das behauptete Mirbt jedenfalls immer362 – Quellenmaterial.
358 Offenbar war Karl Immer kurz zuvor bei Barth gewesen. 359 Niesel wirkte ab 1935 als Dozent an der Kirchlichen Hochschule der BK in Berlin. 360 Barth war am 7. Oktober 1935 in Barmen, um auf der Theologischen Woche des Reformierten Bundes den Vortrag „Evangelium und Gesetz“ (abgedruckt als TEH 32, München 1935) zu halten; wegen des Reichsredeverbotes verlas Immer den Vortrag. Barth wurde kurzzeitig verhaftet und dann in die Schweiz abgeschoben – erst im Sommer 1945 konnte er wieder nach Deutschland reisen. 361 Dieser Brief erreichte Barth nicht postalisch, sondern durch den Botendienst von Kurt Gerstein (1905–1945). 362 Carl Mirbt (1860–1929) war von 1911 bis zur Emeritierung 1928 Professor für Kirchengeschichte in Göttingen, wo Niesel ihn gehört haben wird.
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Wie Sie aus beiliegendem Beschluß sehen, hält sich das altpreußische Häuflein immer noch ganz wacker.363 Der Präses364 war am Sonntag – unter Assistenz von Beckmann – in einem Gespräch mit Zoellner365 in Bethel (unter den segnenden Armen Bodelschwinghs!366) zu einem Verhandlungsergebnis gelangt, das den Selbstmord der B.K. bedeutet hätte.367 Wir meinen, daß die andere Seite nicht große Lust haben wird, nach der jetzt erfolgten Stellungnahme des altpreußischen Bruderrates weiterzuverhandeln. Der Präses wäre gestern beinahe zurückgetreten; aber da seine Trennung von uns nicht an einem sachlichen Punkte erfolgt wäre – er hatte Loyalitätsbedenken in Sachen einer Kanzelerklärung, die Sonntag in unserer Landeskirche gegen die Ausschüsse verlesen wird368 –, sind wir ganz froh, daß sie nicht erfolgt ist. Vielleicht findet er sich wieder zurecht, wenn er nun aus der VKL herauskommt. Im Notfall muß es auch ohne ihn gehen. Es sind sehr kritische Zeiten; aber das kleine Häuflein wird schon erhalten. Mit herzlichen Grüßen, auch an Ihre Frau Gemahlin! Ihr Wilhelm Niesel
363 Die von staatlicher Seite durch den Reichskirchenminister Hanns Kerrl (1887–1941) betriebene Errichtung des Reichskirchenausschusses, von Landeskirchenausschüssen und Provinzialkirchenausschüssen sollte unter dem Vorwand einer erneuerten kirchlichen Leitung auch zu einer faktischen Delegitimierung der bekenntniskirchlichen Leitungsorgane (Synoden, Bruderräte, VKL) führen und zeitigte letztlich die Spaltung der BK. Abwehrende bekenntniskirchliche Stellungnahmen charakterisierten die Ausschüsse als Eingriff des Staates in kirchliche Belange. Niesel legte die jüngste Stellungnahme des altpreußischen Bruderrates vom 9. Januar 1936 bei, in der trotz Wirkens dieser Ausschüsse „Raum für ihr [sc. der BK] Leben und Wirken“ gefordert wird; Niesel, Kirche unter dem Wort, 95; Besier, Die Kirchen, 404. 364 Zu den Gesprächen von Präses Koch in Bethel vgl. Briefe zur Lage, Nr. 49 vom 2. März 1936, 532–539. 365 Wilhelm Zoellner hatte sich als Vorsitzender des Reichskirchenausschusses vom NS-Staat gewinnen lassen; vgl. Philipps, Wilhelm Zoellner, 131–137. Zoellner und von Bodelschwingh legten am 5. Januar 1936 die sogenannten „Betheler Sätze“ vor, die das kirchenregimentliche Handeln der altpreußischen Provinzialkirchenausschüsse umschrieben; Besier, Die Kirchen, 403f; van Norden, Politischer Kirchenkampf, 104–106. 366 Besier, Die Kirchen, 403: „Ende 1935 hatten auf Anregung Bodelschwinghs die sog. ‚Betheler Verhandlungen‘ begonnen, deren Ziel es war, zwischen der BK der ApU und den staatlichen Kirchenausschüssen ein Arrangement zu treffen“. 367 Einen solchen „Selbstmord der BK“ betrieb vor allem der Vorsitzende der VKL I August Marahrens, der durchaus bereit war, die Ausschüsse anzuerkennen und Kompetenzen an diese abzugeben. 368 Ein Wort an die Gemeinden vom 19. Dezember 1935 war vom altpreußischen Bruderrat unter Hinzuziehung der bekenntniskirchlichen Räte der Kirchenprovinzen am 30. Dezember 1935 zu einer Kanzelabkündigung für den 12. Januar 1936 modifiziert worden, in dem die Einsetzung der Ausschüsse als „verhängnisvoller Weg“ bezeichnet wurde; Niesel, Kirche unter dem Wort, 94.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
125 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 19. Januar 1936 Lieber Herr Pastor Niesel! Gerne benütze ich die Gelegenheit eines an Sie abgehenden Briefes von Eduard Hesse369, um Sie auch rasch zu grüßen. Ich hatte vorgestern und gestern den Besuch unsres Freundes Semper idem aus B.370, und gleichzeitig traf dann auch Bergassessor G.371 hier ein und brachte mir Ihr Brieflein samt Beilage – deren Inhalt mir Semper gerade eine Viertelstunde zuvor vorgetragen hatte zusammen mit dem, was als Simultaneum372 bei den Altären zu Bethel ausgeheckt worden und mit zwei Gutachten von H. Vater und Harmannus373, die Ihnen wohl auch bekannt sind. Die Klimax: Bethel, Dahlem, Elberfeld, Barmen374 war mir überaus eindrucksvoll und ich würde schon sagen, daß Barmen in diesem Fall den Vogel abgeschossen hat. Ich verstehe sehr gut, wie schwer es sein mag, bei dem dauernden Szenenwechsel immer gleich prima vista das Rechte zu treffen – und würde mir wahrlich auch nicht anmaßen, zu behaupten, daß ich dazu immer in der Lage wäre –, wenn nur in dem ganzen Chor immer wieder welche sind, welche im entscheidenden Augenblick den etwas schwierig zu erwischenden Ton doch herausbringen und wenn dann die übrigen nur musikalisch genug sind, ihn als den reinen Ton zu erkennen und sich darauf umzustellen. Aus der Ferne sieht man ja noch viel besser als aus der Nähe, wie bedrohlich die BK im Sturm hin und her schwankt. Aber das kann dem seetüchtigsten Schiff widerfahren. Und darum sage ich hier allen, die mich fragen: sie sollten nur ruhig sein und Geduld haben; die Sache würde endlich und zuletzt schon recht heraus kommen. Ich vergleiche dann die BK auch wohl mit einem Güterzug von 56 Wagen, bei dem es vorkommen kann, daß die letzten Wagen in einen Tunnel einfahren, den die Lokomotive eben verlassen hat oder daß bei scharfen Kurven die Lokomotive nach Süden, die mittleren Wagen nach Osten, die letzten aber nach Norden fahren, was doch Alles, vorausgesetzt, daß der Zug immer weiterfährt und beieinander bleibt, weiter nicht so schlimm ist, sondern sich schon geben wird. Semper hat mir eine sehr eindrucksvolle Schilderung jener Dezember
Abgedruckt in Barth, Offene Briefe 1935–1942, 13–17; auszugsweise abgedruckt in Karl Immers Coetus-Brief vom 7. Februar 1936, in: ders., Die Briefe des Coetus, 111f. 369 Eduard Hesse (1912–2011), Sohn Hermann Albert Hesses, studierte 1935/1936 in Basel und übernahm häufiger Kurierdienste zwischen Basel und dem badischen Lörrach. Hesse wurde 1936 BK-Vikar in der reformierten Gemeinde Breslau und geriet dort wegen einer als politisch zu verstehenden Predigtreihe über den Propheten Elia in die Fänge der Gestapo. 370 Karl Immer aus Barmen besuchte am 17./18. Januar 1936 Barth. 371 Kurt Gerstein arbeitete als Bergassessor in Saarbrücken. 372 Hier ist das Zusammenwirken der bekenntniskirchlichen Gremien und der Ausschüsse in einem Kirchengebiet gemeint, wie es die „Betheler Sätze“ beschreiben; vgl. Immers CoetusBrief vom Januar 1936, in: ders., Die Briefe des Coetus, 98–105. 373 Eduards Vater Hermann Albert Hesse war Moderator des Reformierten Bundes; Harmannus Obendiek war Dozent für Praktische Theologie an der BK-Hochschule Elberfeld. 374 Hier sind die „Betheler Sätze“ gemeint, die jüngste Stellungnahme des altpreußischen Bruderrates (Dahlem) sowie die nicht überlieferten Gutachten von Hesse (Elberfeld) und Obendiek (Barmen).
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Begebenheit im Palaste des Herodes gegeben.375 Meine Fern-Hypothese hatte dahin gelautet, daß der Mann vermutlich unter Alkohol stand, als er jene Rede hielt. Semper meinte, daß das Tolle einfach das Normale gewesen sei. Man lernt doch nie aus! Ihre und Ihrer Freunde Nerven mögen bei dem Allem nachgerade auch immer besser werden müssen, wenn Alles gut weiter gehen soll. Ich wollte wohl, ich könnte wieder einmal persönlich hereinschauen und an Allem teilnehmen. Rückblickend reut es mich ja nur um jeden Augenblick, in dem ich noch schärfer und unnachgiebiger und aggressiver hätte sein können, als ich es gewesen bin. Wird es doch jetzt immer deutlicher, daß jedes, aber auch jedes Zögern oder gar Nachgeben in seinen Auswirkungen nur Zeit- und Kraftverlust bedeutet hat, daß auch praktisch immer nur die radikalste Stellungnahme sinnvoll war und eine Zukunft hatte. Hoffentlich gehört diese Einsicht für die Fortsetzung des Feldzuges zum eisernen Bestand des Exercierreglementes der BK. Eduard Hesse will mit dem Brief weg. Bitte grüßen Sie den Kapitän376: Ich dächte sehr oft an den armsdicken Wasserstrahl, der in sein Boot kam und angesichts dessen er doch nicht die Fassung verlor. Ja, grüßen Sie alle guten Menschen, denen ein Gruß von mir Freude machen kann! Von Herzen! Ihr Karl Barth
126 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Lichterfelde, 8. Mai 1936 Sehr verehrter Herr Professor! Gerade als ich mich anschickte, Ihnen nun auch noch diesen persönlichen Brief zu Ihrem 50. Geburtstage zu schreiben377, kam mir der 10. Mai 1925 in den Sinn. Da zogen Sie mit uns Studenten und Ihren Söhnen am Nachmittag des Sonntags nach Nikolausberg378, nachdem wir Sie morgens in aller Frühe bei wichtigen Geschäften gestört hatten, und sprachen scherzend davon, daß Sie nun bald ins Schwabenalter kämen. Wir waren es von Ihnen gewohnt, daß Sie eine gute Klinge führten, und wurden darum durch Ihre Prognose nicht beunruhigt. Aber wer hätte gedacht, daß Sie in den kommenden zehn Jahren eines Tages den Feind so auf das Haupt schla375 Es scheint ein Versehen vorzuliegen und muss heißen: November-Begebenheit. Gemeint ist der Empfang des altpreußischen Bruderrates durch Reichskirchenminister Hanns Kerrl am 27. November 1935. 376 Martin Niemöller war im Ersten Weltkrieg U-Boot-Kapitän. Dessen populäres Buch „Vom U-Boot zur Kanzel“ (Berlin 1934), in dem er seine Kriegserfahrungen schilderte, hatte 1935 eine Auflage von 60.000 Exemplaren erreicht. Niemöller berichtete von einem entsprechenden Vorfall aus dem Sommer 1918 (109ff). 377 Niesel hatte ebenfalls die Gratulation unterschrieben, die der altpreußische Bruderrat unter dem 7. Mai 1936 an Barth geschickt hatte; vgl. Barth, Offene Briefe 1935–1942, 34f. 378 Nikolausberg ist ein hochgelegener nordöstlicher Stadtteil von Göttingen.
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gen würden wie jener wackere Ritter im Liede!379 Wir sahen Sie damals in einem Kampfe nach allen Seiten begriffen, und heute ist klar am Tage, wie die von Ihnen angegriffenen Theologen, die in den zwanziger Jahren noch in einem heftigen Streite miteinander lagen, in einer Front von Erich Seeberg380 und Emanuel Hirsch bis hin zu Mulert381 und Paul Tillich gegen die Theologie der Offenbarung stehen. Sie haben uns schon in Göttingen die Einheit dieser Front erkennen gelehrt und uns die eine Waffe gezeigt, die der Kirche gegeben ist. Das danken wir jungen Theologen Ihnen alle. Ich weiß nicht, was aus mir im Jahre 1933 geworden wäre, wenn ich nicht in jenen schönen und trotz aller Auseinandersetzungen doch friedlichen Göttinger Jahren durch Ihre Schule gegangen wäre. Ich habe in den letzten Jahren manchmal an die Zeit zurückgedacht, wo ich schnell von Elberfeld aus zu Ihnen kommen konnte, um Pläne zu beraten und Schlachten vorzubereiten. Manches Wort, das gesagt werden mußte, wäre sicher schärfer und klarer geworden, wenn wir Ihren Rat und Ihre Hilfe gehabt hätten. Aber in der Theologie gibt es ja glücklicherweise Ferngeschütze. Und vielleicht braucht die Bekennende Kirche die Dogmatik, an der Sie arbeiten, zu der so dringend erforderlichen theologischen Klärung in ihren eigenen Reihen nötiger als manchen anderen Dienst, den Sie ihr leisten könnten.
Abb. 4: Karl Immer, Martin Albertz, Karl Barth, Hans Asmussen, Harmannus Obendiek, Wilhelm Niesel in Driebergen/NL 1936 379 Anspielung auf Ludwig Uhland, Die schwäbische Kunde (später auch als: Der wackere Schwabe) (1814). 380 Erich Seeberg (1888–1945), Sohn Reinhold Seebergs, war seit 1927 Nachfolger von Karl Holl in Berlin und sowohl NSDAP- als auch DC-Mitglied. 381 Hermann Mulert (1879–1950) war führender liberaler Theologe aus dem Umfeld der „Christlichen Welt“ und Gegner des Nationalsozialismus.
II. Briefwechsel 1933–1939
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Für die kommenden Jahre der Arbeit im Dienste der Kirche Jesu Christi wünsche ich Ihnen den Segen unseres Herrn. Mit herzlichen Grüßen, auch den besten Empfehlungen von meiner Frau, in dankbarer Verbundenheit! Ihr Wilhelm Niesel
127 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin, 4. Juni 1936 Sehr verehrter Herr Professor! Haben Sie wohl meinen Artikel in der Reformierten Kirchenzeitung gegen Wurm gelesen?382 Das erste Votum, das ich daraufhin erhielt, war ein freudig zustimmendes Schreiben von Diem.383 Das zweite war ein drei Seiten langer Brief von Wurm, der damit beginnt, daß er feststellt, ich verstehe zu schimpfen wie Rehm.384 Die Entgegnung enthält sonst keinerlei Substanz. Wohl aber beruft sich Wurm auf eine Äußerung von Ihrer Seite, in der Sie zum Ausdruck gebracht haben müssen, daß Oeynhausen einen Sieg der Reformierten über die Episkopalen darstelle.385 Ich wollte Ihnen das nur mitteilen, weil uns diese Äußerung auch sonst schon von der Gegenseite entgegengehalten worden ist. Man muß sehr vorsichtig in diesen Dingen sein, um unseren Freunden Meiser und Gen[ossen] nicht unnötig eine kleine Stütze für ihre unhaltbare Position darzureichen. Wir sind sonst guter Dinge, stecken augenblicklich nur sehr in der Arbeit wegen einer Visitation, die in diesen Tagen in allen Provinzen unserer Landeskirche stattfindet und sehr zur Klärung beiträgt. Mit herzlichen Grüßen an Ihr ganzes Haus! Ihr Wilhelm Niesel
382 Wilhelm Niesel, Wider die konfessionelle Tarnung, RKZ 86, 1936, 169–171. Wurm hatte im Heft 10 der Jungen Kirche 1936 die Bedenken der württembergischen Kirchlich-theologischen Sozietät (RKZ 86, 1936, 150f) gegen den Aufbau einer konfessionell lutherischen Organisation neben der VKL I zurückgewiesen. 383 Hermann Diem (1900–1975) war führendes Mitglied der Kirchlich-theologischen Sozietät. 384 Wurm zieht hier einen bösen Vergleich: Pfarrer Wilhelm Rehm (1900–1948) war NSDAPGaukirchenfachberater in Württemberg und 1935 DC-Reichsleiter. 385 Die Vierte Bekenntnissynode der DEK fand vom 18.–22. Februar 1936 in Bad Oeynhausen statt und brachte die Spaltung der Bekennenden Kirche; die im Anschluss gebildete VKL II war dahlemitisch orientiert. Barth hatte Anfang März 1936 in einem Brief an Hesse „die deutliche Zurückdrängung der Episkopalen und des integral-lutherischen Elementes“ begrüßt; vgl. Besier, Die Kirchen, 426f und den folgenden Brief.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
128 Charlotte von Kirschbaum an Wilhelm Niesel Basel, 6. Juni 1936 Lieber Herr Pfarrer! Hier schreibe ich Ihnen den Wortlaut der in Frage stehenden Sätze aus dem erwähnten Brief: „... Es sind aber doch auch die eigentlichen Synodalergebnisse relativ so rund und deutlich (Beseitigung der bisherigen VKL, ausdrückliche Bestätigung von Barmen, theologisch saubere Behandlung der Ausschußfrage, die Schulerklärung, die deutliche Zurückdrängung des episkopalen und des integral-lutherischen Elementes), daß man, ohne faul und genießerisch zu werden, wohl auch anerkennen darf, daß Einiges erreicht ist, was wir uns wahrlich noch vor einem Jahr so nicht hätten träumen lassen. Es müßte den Pessimisten (ach ja, Optimisten wollen wir wirklich auch nicht sein!) doch zu denken geben, daß der Ferneindruck der Synode auf das Ausland bzw. auf die arglosen Korrespondenten so eindeutig der eines ‚Sieges der radikalen Richtung‘ gewesen ist. Mag dazu aus der Nähe besehen Manches zu bemerken sein ...“ Mit herzlichen Grüßen, besonders vom Hausherrn, der Ihnen danken läßt für Ihren Brief! Ihre Charlotte von Kirschbaum
129 Wilhelm Niesel an Karl Barth Colfosco-Ladinia, 13. August 1936 Sehr verehrter Herr Professor! Die Muße des Urlaubs, den wir diesmal in Südtirol verbringen, will ich benutzen, um Ihnen einmal einen Brief zu schreiben. Ich bin froh, jetzt einige Wochen ausspannen zu können; denn die letzte Zeit war trotz Olympia386 etwas unruhig. Wir stehen allgemein unter dem Eindruck, daß es in Bälde noch „besser“ kommen wird. Noch nie haben wir soviel Besuche gehabt wie in den vergangenen acht Wochen. In manchen Büros war die G.St.P. [sc. Gestapo] täglich. Man hatte offenbar Angst, die olympische Ruhe könnte von uns aus gestört werden. Jede, auch die harmloseste Drucksache, wurde beschlagnahmt, zuletzt sogar der Zettel mit
386 Die Olympischen Spiele fanden vom 1.–16. August 1936 in Berlin statt. Zu den kirchlichen Reaktionen vgl. Besier, Die Kirchen, 543–551.
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der Übersicht unserer Vortragsreise während der Olympischen Spiele.387 Trotzdem haben wir noch allerlei herausbringen können, bis den Druckereien verboten wurde, für uns zu arbeiten. Das scheint daraufhinzudeuten, daß doch etwas mehr als eine augenblickliche Nervosität bei den anderen regsam ist. Offenbar beabsichtigt man die völlige Mundtotmachung der B.K. Hinzu kommt das Vorgehen des Kirchen-Ministeriums gegen die VKL und die Bruderräte. Zwar hat die G.St.P. es bisher abgelehnt, dem Kirchen-Ministerium hierbei behilflich zu sein; aber wer weiß, wie lange. Als ich abfuhr, hörte ich gerade davon, daß die Post veranlaßt worden sei, keine Briefe mehr an offizielle Stellen der B.K. auszuliefern. Erfreulich ist, daß sich demgegenüber nun doch wieder eine größere Geschlossenheit der B.K. auch außerhalb Preußens zeigt. Zwei Tagungen des Reichsbruderrates388, die kürzlich stattfanden, waren recht ordentlich. Allerdings hatte der Lutherische Rat den Gliedern, die zu ihm gehören, geraten, die Sitzungen nicht zu besuchen! Sachsen und Württemberg waren aber dennoch vertreten. In Württemberg hatte die Sache Humburg offenbar dazu verholfen.389 Schließlich, wenn’s ernst wird, werden sich ja wohl alle wieder einfinden. Mir kamen vor einigen Tagen hintenherum die Protokolle der Sitzungen des Lutherischen Rates in die Hände. Ich sage Ihnen, da konnte man kirchliche Kümmerlichkeit, verborgen hinter Breit’scher Schläue, kennenlernen! Es wäre uns vieles erspart geblieben, wenn diese Leute nicht da wären. Die B.K. wird trotz dieser Leute nun in Bälde wieder die Offensive – wenn man so reden darf – beginnen. Sie werden wohl eher davon hören als ich hier in den Dolomiten fern von allen Zeitungen. Nachdem die eine Sache, wie wir wissen, durch einen DC-Pfarrer in die Weltpresse gelangt ist, muß dazu ja gestanden werden.390 Bei aller Gewißheit des Auftrages kann man den kommenden Wochen dennoch nicht ohne Sorge entgegensehen. Gerade als wir abfuhren, wurden Pecina und Brandenburg von Frankfurt fortgeschafft. Wohin? Eine neue schwere Prüfung für die beiden nach nun schon 12 Wochen.391 387 Vgl. Faltblatt Bekennende Kirche in Berlin, Vortragsreihe anläßlich der Olympischen Spiele Berlin 1936. Vortragsreihe in der Apostel Paulus-Kirche, Schöneberg; Generalthema: Der Weg der deutschen evangelischen Kirche in der Gegenwart (EZA Berlin 2004/0174). 388 Sie fanden am 29. Juli und 3. August 1936 statt. Es wurde nicht zuletzt die im Juli von ausländischen Zeitungen publizierte Denkschrift der VKL II an Hitler debattiert; vgl. Besier, Die Kirchen, 482–491. 389 Paul Humburg war als Leiter und Referent der Deutschen Evangelischen Woche in Stuttgart (24.–29. Juli 1936) vorgesehen, konnte aber wegen Redeverbots nicht sprechen und wurde nach Baden abgeschoben. Hierauf intervenierten Wurm und die anderen Referenten bei der VKL II und dem Lutherrat; vgl. Besier, Die Kirchen, 535; Steiner, Gemarke, 209–211. 390 Niesel bezog sich auf die Veröffentlichung der Denkschrift der VKL II an Hitler. Es herrschten offenbar bis in die innersten Kreise der BK Unklarheiten und Mutmaßungen. Die Denkschrift wurde nicht von einem DC-Pfarrer, sondern vor allem von Ernst Tillich (1910– 1985) an ausländische Presseorgane weitergegeben; vgl. Besier, Die Kirchen, 488–499. 391 Johannes Pecina (1901–1989), Hilfsprediger in Seelow, und sein Vertreter Prädikant Willi Brandenburg (1909–1942) waren reichsweit bekannte Fälle von staatlicher Verfolgung, über die die bekenntniskirchlichen Medien ausführlich und fortlaufend berichteten; im August 1936 kamen beide nach öffentlichen Protesten frei; vgl. Niesel, Kirche unter dem Wort, 45.107; ausführlich: Johannes Pecina, Seelow, in: Harder/Niemöller, Die Stunde der Versuchung, 145–157; Fürbitte, 18.137.
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Ihnen muß ich doch auch sagen, daß vor wenigen Wochen ein Briefwechsel zwischen Trillhaas und mir hin- und hergegangen ist392, der offenbar machte, daß er nicht mehr auf unserer Seite steht. Ich ahnte dergl. schon länger. Da tauchte er eines Tages als Redner bei den Wittenberger Kursen Egers auf393, während er sich uns versagt hatte. Gründe hat er mir für seine Haltung nicht angegeben. Was deutlich wurde, war nur eigene Ratlosigkeit und Ironie in Bezug auf unseren Kampf. Sehr schade. Am Tage unserer Abreise erhielt ich den Sonderdruck aus der Festgabe.394 Hoffentlich erhalten wir sie bald ganz. Ich war die letzte Zeit stark mit der Korrektur des IV. Buches der Institutio beschäftigt. Ende September wird der Band nun wohl endlich herauskommen.395 Wie die Arbeit im Wintersemester weitergehen wird, steht dahin. Neulich langte irgendein Brief an von der Berliner Studentenschaft, adressiert: An die Kirchliche Hochschule! Inhalt, man bäte um Zusendung des Vorlesungsverzeichnisses für das Wintersemester! Nun seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem Wilhelm Niesel
130 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bergli, Oberrieden, 21. August 1936 Lieber Herr Pastor! Haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief mit allen seinen mir sehr wertvollen Nachrichten. Ich bin vor Allem froh, daß gerade Sie als ein ja ziemlich an den Quellen sitzender Mann mir meine seit letztem Herbst dauernd vertretene Ansicht bestätigen können, daß die Sache der BK im Grunde (worunter natürlich nur der spirituelle Grund verstanden sein kann) gut steht. Es ist in diesem Jahr irgend etwas klar und fest geworden, was vorher dauernd wackelte und dem gegenüber haben ja alle äußern Einschränkungen und auch Bedrohungen, so ernst sie sein und soviel Sorge sie wach rufen mögen, wenig zu sagen. Auch die wachsende Tätigkeit auf der andern Seite ist ja schließlich nur ein Zeichen dafür, daß man sich real gestört sieht. Wenn ich nur bei dem Allem nicht so sehr abseits 392 Vgl. den Nachlass Niesel, JaLB Emden, sowie den Nachlass Trillhaas, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. 393 Johannes Eger (1873–1954) war 1929–1933 Generalsuperintendent der Kirchenprovinz Sachsen und wirkte 1935–1937 als Vorsitzender des altpreußischen Landeskirchenausschusses. 394 Theologische Aufsätze. Karl Barth zum 50. Geburtstag, München 1936; darin: Wilhelm Niesel, Das Abendmahl und die Opfer des alten Bundes (178–190). 395 OS V mit dem vierten Buch der Institutio erschien 1936 im Christian-Kaiser-Verlag in München.
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stehen müßte, wie es mir nun beschieden ist! Und ich kann ja nicht einmal sagen, daß ich unter dessen hier besonders tiefe Wurzeln getrieben hätte. Die kirchliche Schweiz ist nach wie vor jedenfalls in der Sichtbarkeit ein merkwürdig sorgloses und bedürfnisloses Revier, in welchem ich, als ein zwar bestaunter, aber mehr gefürchteter als beliebter Fremdling vorläufig keine bemerkbare Aufgabe habe, schon weil ein wenig Alle, von den Reformern über die Oxforder und ReligiösSozialen zu unsern braven „Positiven“ (die gar nicht wissen, wie liberal sie sind) mir gegenüber vorläufig das einzige Interesse zu haben scheinen: sich von mir ja nicht imponieren, oder sachlich: den deutschen Kirchenstreit doch nur ja nicht auf unsere gottlob so friedlichen Landeskirchen übergreifen zu lassen. Ja, da ist es dann oft, kurz gesagt: etwas langweilig. Und leider gilt das ein gutes Stück weit auch für meine vokationsmäßige Sphäre: die Studenten in Basel. Es ist da zwar im Sommersemester ein bißchen besser geworden. Aber von dem Schwung, den die Sache in Göttingen, Münster und Bonn hatte, ist doch noch von ferne keine Rede. Und dabei von Norden die Kanonen donnern zu hören und nicht dabei sein zu können. Nein, die Freude, keine braunen Uniformen sehen und keine Gestapo fürchten zu müssen, ist schon auch teuer erkauft. Aber das will nun getragen sein und Deo bene volente wird dabei auf Ende des Winters wenigstens der 2. Band der Dogmatik herauskommen, wenn ich nicht etwa unter ein Publikationsverbot komme, wie man mir jetzt schon seit Neujahr die Zuführung der Honorare verweigert hat.396 Ja, lieber Herr Niesel, es ist für uns Alle schon gut, auf Gott zu vertrauen und uns dessen zu trösten, daß es mit der Ausführung seines Willens auf keinen Fall schief geht; denn im Übrigen sieht es in der Welt eigentlich recht toll aus oder vielmehr in merklichem crescendo: immer töller, und es wäre vielleicht wohl am Platz, wieder einmal zu überlegen, ob der liebe jüngste Tag nun nicht doch in größere Nähe gerückt sein möchte. Nun, Sie tun jedenfalls auch und gerade im Blick auf diese Möglichkeit gut, so rüstig und ordentlich Theologie zu treiben, wie Sie es eben in dem Kirchenaufsatz in der Evangelischen Theologie, den ich sehr gerne zur Kenntnis genommen habe, wieder taten.397 Ob sich wohl Peter398 die kleine Anzupfung, die Sie ihm zu Teil werden ließen, gefallen lassen wird? Er liebt dergleichen nicht sehr und ich fürchte überdies, daß Sie ihn dabei gerade bei seiner theologisch schwächsten Stelle erwischt haben. Was mich betrifft, so fahre ich in der zweiten Hälfte September nach Ungarn, um an allen dortigen theologischen Bildungsstätten Vorträge über die Prädestination zu halten.399 Dazu habe ich nun eben in diesen Wochen das ganze, bes. auch das calvinische, Material aufs Neue durchgesehen und überdacht – auch die 396 Karl Barth, KD I/2, lag dann erst Anfang 1938 vor und erschien beim Verlag der Evangelischen Buchhandlung Zollikon, da Barths Zusamenarbeit mit dem Münchner Christian-KaiserVerlag, der den ersten Band der KD 1932 herausgebracht hatte, verboten worden war. 397 Wilhelm Niesel, Wesen und Gestalt der Kirche nach Calvin, EvTh 3, 1936, 308–330. 398 Peter Barth, Mitherausgeber der OS. 399 Karl Barth, Gottes Gnadenwahl, TEH 47, München 1936; vgl. Charlotte von Kirschbaum, Brief über unsere Herbstreise in den Osten (Ungarn und Siebenbürgen 1936), eingeleitet u. erläutert v. Á. Ferencz, hg. v. M. Landwehr, Schriftenreihe der Karl Barth-Gesellschaft 5, Bünde 2000.
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ganzen Bolsec-Akten – mit neuem Kummer über die Tatsache, daß der Meister, statt solchen armen Hühnern nachzujagen, nicht lieber hinsichtlich des unseligen aliis-aliis Remedur geschaffen und hinsichtlich Christi als des speculum electionis deutlichere Erkenntnisse ans Licht gebracht hat. Und was war doch dieser Schleiermacher für ein Spitzbube, jenem Alles, aber auch Alles durch dick und dünn nachzusagen und dann einfach und ganz behaglich die Apokatastasis als letzten Wagen an den Zug zu hängen! Sehr, sehr gut ist, was Pierre Maury jetzt eben in Foi et Vie (April-Mai-Nr., aber eben erst erschienen) unter dem Gesichtspunkt Election et foi zur Sache geschrieben hat.400 Emil Brunner hat nach zuverlässigen Nachrichten in einer „Stillen Zeit“ (Meditation) die Eingebung zu einer „theologischen Begründung der Oxfordbewegung“ empfangen, die in Form einer Broschüre: „Die Kirchen, die Gruppe und die christliche Kirche“ (Nachtigall, ich hör dein Schlagen!) das Licht der Öffentlichkeit erblicken wird.401 Ach, es giebt doch so viele ausgesprochen mühsame Zeitgenossen, finden Sie nicht auch? Die „Freiheit der Gebundenen“ ist nun also unter Abzug des Beitrags von Asmussen und unter Beseitigung jenes verdächtigen Titels wirklich erschienen402 und ich bin bedächtig dabei, eins ums andere von diesen Werken zu lesen. Die Leute vom 3. Reich ahnen wohl gar nicht, wie dumm sie das nun wieder gemacht haben. Aber sie haben den Zug der Zeit so stark für sich, daß sie sich wohl noch eine ganze Reihe von solchen und ähnlichen Dummheiten werden leisten können, bis der Teufel sie holt, was ja endlich und zuletzt gewißlich nicht ausbleiben kann noch wird. Ich wünsche Ihnen gute Ferien, bitte Sie, mir auch in Zukunft auf direktem oder indirektem Weg gelegentlich zu sagen, wie die Dinge aus der Nähe aussehen und sende Ihnen und Ihrer Gattin meine herzlichsten Grüße! Ihr Karl Barth
400 Dieser Vortrag war zuerst auf dem Calvin-Kongress 1936 gehalten worden und erschien in Foi et Vie 37, 1936, 203–223; auf deutsch u.d.T. „Erwählung und Glaube“ (ThSt 8, Zürich 1940). Barth hat auch später bei diesem Lehrstück häufiger auf Maury rekurriert. 401 Emil Brunner, Die Kirchen, die Gruppenbewegung und die Kirche Jesu Christi, Berlin 1936. 402 „Freiheit der Gebundenen“ nimmt Jes 61,1 auf und war ursprünglich als Titel der Festschrift für Barth zum 50. Geburtstag vorgesehen. Die Seiten 529–558 mussten entfallen, wie auf Seite III vermerkt wird.
II. Briefwechsel 1933–1939
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131 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin, 30. Mai 1937 Lieber Herr Professor! Da ich Ihnen gerade auf sicherem Wege einen Brief zuleiten kann, will ich Ihnen schnell ein paar Zeilen schreiben und Ihnen zunächst herzlich für die mancherlei Grüße danken, die Sie mir haben zukommen lassen, besonders durch Ihren Sohn, der jetzt tüchtig bei uns mitarbeitet403 und kürzlich bei mir ein ordentliches Referat über Calvins Schrift gegen das Tridentinum gehalten hat. Er gab mir letzthin auch Ihren Brief an Ihre Schüler in unseren Landen, über den ich mich sehr gefreut habe.404 Sie wissen, daß wir einer neuen Verfolgungswelle ausgesetzt sind.405 Unseren Mitgliedern der Oxforder Delegation sind die Pässe entzogen worden.406 Die Ausweisungen nehmen zu und die Verhaftungen setzen wieder ein. Gegen Niemöller lag ein Haftbefehl vor. Keiner der „evangelischen“ Minister hat es riskiert, dagegen Bedenken anzumelden. Schließlich ist Gürtner407 in seiner Verzweiflung (für deren Zustandekommen wesentlich seine tapfere Frau sorgte408) zu Hitler gelaufen, und der hat sich damit einverstanden erklärt, daß der Haftbefehl nicht ausgeführt worden [ist]. Niemöller ist aber Donnerstag 5 und Freitag 7 Stunden von der Staatsanwaltschaft des Sondergerichtes vernommen worden. Die Sache scheint also doch zu laufen.409 So weit als möglich will man uns scheinbar „legal“ durch Prozesse erledigen. Gegen Niemöller sollen allein 40 Sachen vorliegen. Jannasch410 ist wegen Weitergabe der beiliegenden Rede von Dr. Groß411 vor Pfingsten in Schutzhaft genommen worden und befindet sich jetzt im Zellengefängnis 403 Markus Barth (1915–1994) studierte auch an der BK-Hochschule in Berlin; vgl. Niesel, Kirche unter dem Wort, 138 mit Anm. 4. 404 Barth beantwortete Glückwünsche zu seinem 51. Geburtstag noch am selben Tag (10. Mai 1937) mit einem Brief „An meine ehemaligen Schüler in der Bekennenden Deutschen Evangelischen Kirche“, der vervielfältigt verbreitet und erst 1956 gedruckt wurde; vgl. Barth, Offene Briefe 1935–1942, 40–46. 405 „Das Jahr 1937 sollte das schwerste Jahr des Kirchenkampfes werden“; Niesel, Kirche unter dem Wort, 137. 406 Die 13. Durchführungsverordnung Hanns Kerrls hatte im März 1937 festgelegt, dass das Kirchliche Außenamt der DEK für ökumenische Kontakte zuständig blieb. Nach langen Auseinandersetzungen über die deutsche Delegation für die Weltkirchenkonferenz in Oxford (12.–26. Juli 1937) kam es doch noch zu einer Verständigung und der Benennung von Delegierten durch die VKL II. Deren Pässe wurden dann jedoch bis Mitte Mai eingezogen; vgl. Boyens, Kirchenkampf und Ökumene 1933–1939, 149–151. 407 Franz Gürtner (1881–1941) war seit 1932 Reichsjustizminister. 408 Luise Gürtner sei „gut evangelisch“ gewesen; Besier, Die Kirchen, 903, Anm. 15. 409 Martin Niemöller wurde dann am 1. Juli 1937 inhaftiert, wogegen der altpreußische Bruderrat am 2. Juli 1937 eine Kanzelabkündigung herausgab; Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 396 (Nr. 192). 410 Wilhelm Jannasch (1888–1966), Pfarrer, Mitarbeiter der VKL II, war seit 1937 Geschäftsführer des Pfarrernotbundes und damit ein enger Mitarbeiter Niemöllers. 411 Walter Groß (1904–1945), Arzt, war Leiter des Rassenpolitischen Amtes. Die genannte Rede liegt dem Brief im KBA nicht bei.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Plötzensee in Untersuchungshaft (Verstoß gegen das Heimtückegesetz412). Da die Sache von Busch über Held an uns und von uns an die VKL geleitet worden war, wurden am vorigen Sonntag Abend auch Dr. jur. Schmidt413 von der VLK und ich in Schutzhaft genommen. Busch-Essen wurde ebenfalls verhaftet, und seit Freitag sitzt auch Held.414 Direktor Günther415 wurde vorigen Sonntag wieder freigelassen. Er hat als ehemaliger höherer Justizbeamter sehr unter der Haft gelitten, während ich erfahren habe, daß Berliner Wurstigkeit auch eine natürliche Gabe Gottes ist. Ich wurde am Montag früh von dem Leiter der Kirchenabteilung der Bln-Stapo416, Assessor Chantré417 (Vater hessischer Pfarrer, thüringer DC!), vernommen und habe diesmal ausnahmsweise auch Aussagen gemacht, weil sie schon alles genau wußten. Dann habe ich bis gestern Mittag in der Einzelzelle gesessen und die Situation der gefangenen Christen studiert. Was aus mir werden sollte, bekam ich nicht zu hören. Meiner Frau hat der Knabe vorgelogen, ich käme spätestens Mittwoch vor den Richter. Tatsächlich hat er mich aber einfach eine Woche sitzen lassen, weil ich die „Ermittlungen absichtlich erschwert“ habe (so Schutzhaftbefehl). Bis auf die Wanzen war der Aufenthalt im Polizeigefängnis auf dem Alex durchaus angenehm. Ich habe in diesen Tagen besonderes Verständnis dafür bekommen, warum Calvin so auf das gepredigte Wort Gewicht gelegt hat im Gegensatz zum bloßen Bibellesen.418 Man kommt in solchen Situationen mit der Bibel allein in der Hand doch in die Versuchung, sich zu fragen: Sagst du dir das eigentlich nicht alles selber, was da steht, und wo ist der Gott, der Wunder tut (ich las gerade die Acta!)? – Nun bin ich froh, daß ich wieder an die Arbeit kann. Mit mir wurde auch Pastor Pinn419 von der VKL entlassen, der ebenfalls in dieser Angelegenheit saß, dagegen leider noch nicht Dr. Schmidt, der in Zusammenhang mit der Weißler-Angelegenheit bereits einmal 2 Monate auf dem Alex war. (In Sachen Weißler hat die Staatsanwaltschaft jetzt gegen Unbekannt ein Verfah412 Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934 (kurz: Heimtückegesetz). 413 Martin Schmidt war Jurist und arbeitete für die VKL II; Immer berichtete von den o.g. Verhaftungen, die er alle in Verbindung mit der Verbreitung der Rede von Groß (gehalten vor bayrischen Amtsärzten im Januar 1936) sah, im Coetus-Brief vom 10. Juni 1937; vgl. Immer, Die Briefe des Coetus, 281–283, hier 281. 414 Wilhelm Busch (1897–1966), Pfarrer in Essen, gehörte zur BK und wirkte als Jugendpfarrer 1931–1962; Heinrich Held (1897–1957), Pfarrer in Essen-Rüttenscheid 1930–1949, war seit 1934 Mitglied des altpreußischen Bruderrates. Beide waren im Frühjahr 1937 zeitweise inhaftiert. 415 Fritz Günther (1871–1956), Landesgerichtsdirektor a.D. der 36. Zivilkammer des Landgerichts Berlin, hatte in einem Verfahren 1934 Niemöller Recht gegeben; die Kammer galt als staatsunabhängig. Günther wurde vom Reichsbruderrat in die VKL II (1936–1939) hinzugewählt. 416 Berliner Staatspolizei. 417 Ludwig Chantré (geb. 1907, gest. unbekannt in Dänemark) leitete seit Mai 1936 das SDDezernat „Weltanschauliche Bewegungen und Kirchen“ und führte auch die Vernehmungen von Friedrich Weißler, Ernst Tillich und Werner Koch (1910–1994). Niesel schilderte Chantré in: Kirche unter dem Wort, 142 mit Anm. 22 sowie 146 mit Anm. 26 und 213. 418 Vgl. Inst. IV,1,5 (OS V,8f). 419 Theodor Friedrich Nicolai Pinn (1898–1989), Pfarrer, wurde nach Verfolgungen im Frühjahr 1937 aus Schleswig-Holstein ausgewiesen und arbeitete 1937 kurzfristig für die VKL II in Berlin.
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II. Briefwechsel 1933–1939
ren wegen Mord eingeleitet! Erstaunlich diese letzten Ordnungsreste, nicht wahr? Aber dies bitte streng vertraulich.) In bezug auf die Groß-Rede wissen wir jetzt wenigstens ganz sicher, daß der Bericht wörtlich zutrifft. Immer will diese Woche zu Lempp fahren, um mit ihm zu besprechen, wie man Ihre Dogmatik bei uns unter der Hand drucken und verbreiten kann. Das wäre eine Sache! Und von Ihrer Seite ein großer Dienst. Der Brief muß fort! Jetzt muß ich vorsichtig sein, wenn ich Ihnen Drucksachen mit Kinderschrift zusende; denn ich stehe jetzt auf dem Alex im Verbrecheralbum (Fingerabdrücke usw. Nur mit einem Hut konnten sie mich nicht knipsen, da mir keiner paßte! Große und harte Schädel haben also doch noch einigen Sinn). Nun seien Sie herzlich gegrüßt und grüßen Sie bitte auch Ihre liebe Frau Gemahlin und Frl. von Kirschbaum! Ihr Wilhelm Niesel Noch eins: Nächsten Sonntag gibt es eine Kanzelabkündigung.420 Außerdem soll versucht werden, den Reichsbruderrat wieder zu aktivieren (eventuell Körperschaftwahl in den Gemeinden durch die B.K.).421
132 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Lichterfelde, 16. Oktober 1937 Sehr verehrter Herr Professor! Für unsere Ausgabe der Bekenntnisschriften hätte ich Sie gerne gefragt, ob Sie Literatur über die Skotica wissen, die man empfehlend angeben könnte. 422 Ich wäre Ihnen für baldige Nachricht sehr dankbar. Schreiben Sie wohl Lempp gelegentlich wegen des Heidelberger?423
420 Niesel, Kirche unter dem Wort, 138. 421 Nachtrag auf der ersten Seite mit Bleistift: Eben bekomme ich aus einer Gemeinde im Norden (!) Berlins einen Blumenstrauß. 422 Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche, hg. v. W. Niesel, München 1938. Das Schottische Bekenntnis wurde bearbeitet von Theodor Hesse (1909–1942), Sohn von Hermann Albert Hesse. Die Anfrage an Barth lag nahe, da er im Frühjahr 1937 und 1938 die Gifford-Lectures in Aberdeen über dieses Bekenntnis von 1560 hielt, erschienen u.d.T. Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, Zollikon 1938. 423 Im Umfeld des Reformierten Bundes, vor allem in der Lippischen Landeskirche, wurde für 1938 eine Neuausgabe des Heidelberger Katechismus geplant. Sie erschien dann Essen 1938.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Die Anschrift von Dr. Müller ist: Batavia (Java), Mampangweg 77, Niederländisch-Indien.424 Mit bestem Dank für Ihren Gruß und herzlichen Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel
133 Wilhelm Niesel an Karl Barth Berlin-Lichterfelde, 12. September 1938 Sehr verehrter, lieber Herr Professor! Von Freunden hatte ich schon von dem Unglücksfall gehört, der Ihrer lieben Mutter zugestoßen war, und nun darf man wohl nur dankbar sein, daß sie von Ihrem schweren Leiden erlöst worden ist.425 Ich empfinde mit Ihnen den schweren Verlust, den Sie erlitten haben; denn ich habe von Ihrer lieben Mutter während meines Schweizer Aufenthaltes ja nicht nur manche Freundlichkeit erfahren, sondern ich habe sie in ihrer feinen Art aufrichtig verehrt. Die Zeit ist jetzt ja überhaupt danach angetan, daß man mehr denn je an das kommende Reich unseres Herrn Jesu Christi denken muß. Was werden uns die CIIGNQKnoch alles bescheren? In der Sache, die uns in den vergangenen Monaten viel Sorge gemacht hat, scheinen wir nun völlig betrogen zu sein. Wie werden wir da herauskommen?427 Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer lieben Gemahlin, und seien Sie selbst herzlich gegrüßt von Ihrem Wilhelm Niesel 424 Zu Theodor Müller-Krüger (1902–1980) siehe Teil I, Anm. 214. Noch Jahrzehnte später grüßte er Barth zum 80. Geburtstag: „Den verehrten Lehrer gruessen zum 80. Geburtstag in Dankbarkeit – Katharina und Theodor Mueller-Krueger“ (KBA 9366.743). Katharina Krüger (1900–1994) hatte bis 1925 in Marburg Theologie studiert. Niesel und Barth hatten wohl über Müller gesprochen, als Niesel und seine Frau vom 1.–6. Oktober 1937 Barth auf dem Bergli besuchten; vgl. Barth, Offene Briefe 1935–1942, 48. 425 Am 5. September 1938 war die 1863 geborene Anna Barth, geb. Sartorius, in Bern gestorben. 426 = Engel (Plural). 427 Anlässlich des 20. April 1938 hatte der staatlicherseits eingesetzte Präsident des altpreußischen EOK alle Pfarrer aufgefordert, einen Treueid auf Hitler abzulegen. In der altpreußischen BK wurde darüber gestritten, ob dies ein legitimer Eid, der vom Staat gefordert wäre, sei, oder ein illegitimer seitens einer illegitimen Kirchenbehörde. Nach verschieden lautenden Beschlüssen leistete die große Mehrheit der Pfarrer einen entsprechenden Eid. Anfang September wurde klar, dass der NS-Staat keinen Wert auf eine solche Eidesleistung legte. Die Autorität der altpreußischen BK war dadurch nachhaltig unterminiert; vgl. Niesel, Kirche unter dem Wort, 174–180; van Norden, Politischer Kirchenkampf, 171–198; vgl. auch Barths Stellungnahmen: Consilium zur Frage des „Treueides“ der „Geistlichen“ sowie Brief an die 6. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, in: ders., Offene Briefe 1935–1942, 84–92.93–103.
II. Briefwechsel 1933–1939
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134 Wilhelm Niesel an Karl Barth Herzegnovi, 7. Mai 1939 Sehr verehrter Herr Professor! Ihr Freund Nil428 sagte mir einmal: Wo die Deutschen hinkämen, dort schrieben sie Ansichtskarten. Wenn ich Ihnen heute auf solche Weise einen herzlichen Gruß sende, so hoffe ich, daß Sie dieser Form der Korrespondenz durchaus Verständnis entgegenbringen. Wir verbringen unseren diesjährigen Urlaub an der dalmatinischen Küste und sind jetzt noch 2 Wochen hier in der Bucht von Cattaro; befinden uns also auf Pfaden unseres Freundes Martin.429 Wir sind froh, daß wir uns trotz allem hier so frei bewegen und erholen können. In der letzten Zeit ging es uns überhaupt dank der Torheit der Gegner ganz gut.430 Wenn unsere Leute merken (!), daß es ums Ganze geht, ist doch viel Einsatzbereitschaft da. Herzliche Grüße, auch von meiner Frau! Ihr Wilhelm Niesel
Postkarte. 428 Martin Nil (1887–1949), ein Schulfreund Barths, war Pfarrer in Grindelwald 1912–1949. 429 Martin Niemöller befuhr ab April 1916 das Mittelmeer mit dem U-Boot. 430 Der „Kirchenkampf “ stagnierte ab 1938/1939; staatliche Stellen hielten sich zurück, um die „Kirchenfrage“ nach einem siegreichen Krieg zu „lösen“.
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Abb. 5: Wilhelm Niesel um 1944
Karl Barth und Wilhelm Niesel
III. Briefwechsel 1946–1968
135 Wilhelm Niesel an Karl Barth Treysa, 6. Mai 1946 Sehr verehrter, lieber Herr Professor! Zum Tage Ihres 60. Geburtstages, den Sie zu unser aller Freude wieder auf deutschem Boden verleben1, gedenken wir Ihrer in Dankbarkeit für die theologische Erneuerung, die unlösbar mit Ihrer Lebensarbeit als Professor der Theologie auf den Lehrstühlen von Göttingen, Münster und Bonn verbunden ist. Der Weg, der von dem ersten Aufhorchen der theologischen Generation von 1919 auf den „Römerbrief “ bis zu dem Hören und Bezeugen des Evangeliums in der theologischen Erklärung von Barmen führte, hat Entscheidungen gezeitigt, hinter die wir nicht mehr zurückgehen können. Auch in der Zeit, in der wir Sie nicht mehr unter uns haben konnten, waren wir dessen gewiß, daß keine äußere Macht diese einmal geschaffene Gemeinschaft des Glaubens und Bekennens aufheben konnte, und warteten auf den Tag, da die Schranken fallen würden, die uns trennten. Daran konnten auch die in dieser Zeit gegen uns gerichteten Worte nichts ändern; denn wir wußten im Tiefsten, daß sie für uns gesprochen waren, für das wahre, vom Evangelium her geschaute Deutschland wider die Verklammerung und Verkehrung seines Wesens mit einem Geist, der uns von Christus und damit von uns selbst entfremdete.2 Sie haben als erster uns vom Ausland her die Hand gereicht und Worte des Trostes und der Zuversicht an uns und unser Volk gerichtet, durch die Sie uns mit Ihnen zu neuer Hoffnung und tätigem Aufbau verbunden haben.3 Im Hinblick auf dieses Zeichen brüderlicher Nähe bitten wir Gott, er möge Ihre Arbeit für Theologie und Kirche kräftig und mächtig werden lassen, damit von hier der wahrhaft neue Ansatz für den Aufbau in Volk und Gesellschaft gewonnen werden kann, den wir brauchen. So grüßen wir Sie an diesem Tage, in aller Not und Dunkelheit, die über Deutschland liegen, mit den Worten: GXRXGXNRKFKRCTXGXNRKFC (Röm IV,18).4
Schreiben des Bruderrates der EKD, wie sich der Reichsbruderrat der 4. Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen 1936 im Jahr 1945 wieder konstituiert hat, hier mit einigen Gästen. Die Sitzung fand am 5./6. Mai 1946 in Treysa statt; vgl. Buchstädt, Kirche für die Welt, 98. Das Schreiben wird von Barth abschnittsweise zitiert in einem Schreiben an Arthur Frey vom 24. Mai 1946, in: ders., Offene Briefe 1945–1968, 65–76, hier 73. 1 Im Sommersemester 1946 lehrte Karl Barth in Bonn und las „Dogmatik im Grundriß“. 2 In den Jahren des Zweiten Weltkrieges wandte sich Barth in offenen Briefen an die Christen und Kirchen verschiedener europäischer Länder, in denen er die aus seiner Sicht fundamentalen Irrtümer des deutschen – v.a. lutherischen – Protestantismus und die politischen Irrtümer der Deutschen benannte; vgl. Barth, Schweizer Stimme. Besondere Beachtung fand Barths Vortrag „Ein Wort an die Deutschen“ (Stuttgart 1945), den er am 2. November 1945 in Stuttgart und am 3. November 1945 in Tübingen gehalten hat. 3 Bereits in dem im Januar und Februar 1945 gehaltenen Vortrag „Die Deutschen und wir“ forderte Barth seine Landsleute auf, den Deutschen freundschaftlich die Hand zu reichen; vgl. ders., Schweizer Stimme, 334–370, hier 353.355. 4 Wörtlich: Auf Hoffnung gegen Hoffnung („Er [sc. Abraham] hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war“).
206 Wilhelm Niesel H. Wilhelmi Eberhard Vierling Schmidt Middendorff Niemöller5
Karl Barth und Wilhelm Niesel
Hans Iwand Johannes Busch Lücking Dipper Heinz Kloppenburg
Asmussen Held Gehlhoff Hilmes Hesse
Beckmann Lüders Dürr Fahrenheim Mochalski
136 Charlotte von Kirschbaum an Wilhelm Niesel Bonn, 12. Juni 1946 Lieber Herr Niesel! Nun ist leider der erste Gruß, den Sie von uns aus Bonn bekommen, nicht gerade ein erfreulicher. Karl Barth möchte gerne, daß Sie Kenntnis bekommen von seinem Schreiben an Martin Niemöller und auch noch gerade von dem Brief an Hans Asmussen. Beides liegt in Anlage bei.6 Es geht uns gut in Bonn und wir haben uns erstaunlich rasch eingelebt. Zu den Studenten war der Zugang offener, als wir zu hoffen wagten. In Eile mit herzlichen Grüßen! Ihre Charlotte von Kirschbaum Ihre zweite Tasse wartet hier oder ich schicke sie Ihnen einmal zu!!7
5 Die Namen der oben aufgeführten Unterschriften in alphabetischer Reihenfolge: Hans Asmussen, Joachim Beckmann, Johannes Busch, Theodor Dipper, Karl Dürr, Henning Fahrenheim, Gerhard Gehlhoff, Heinrich Held, Hermann Albert Hesse, Karl Hilmes, Hans Joachim Iwand, Heinz Kloppenburg, Karl Lücking, Hans Lüders, Friedrich Middendorff, Herbert Mochalski, Martin Niemöller, Wilhelm Niesel, Hans Schmidt, Eberhard Vierling, Hans Wilhelmi. 6 Im Juni 1946 spitzten sich die Auseinandersetzungen zwischen Niemöller und Barth auf der einen und Asmussen auf der anderen Seite zu; vgl. Greschat, Die evangelische Christenheit, 158f. Asmussen, seit 1946 Präsident der Kirchenkanzlei der EK(i)D, griff Barth wegen seiner Beurteilung der kirchlichen und politischen Situation in Deutschland an. Barth und Niemöller sahen ein Preisgeben nicht nur von Dahlem, sondern letztlich auch von Barmen und damit ein Herausdrängen der BK aus den neu geschaffenen und neu zu schaffenden kirchlichen Institutionen. Nach einem Besuch Asmussens bei Barth gab es einen Briefwechsel: Brief Asmussens vom 29. Mai 1946, Brief Barths vom 8. Juni 1946; vgl. Barth, Offene Briefe 1945–1968, 77 mit Anm. 12. Dieser Dissens eskalierte durch einen Brief Niemöllers an Asmussen vom 22. Juni 1946 und einen Brief Barths an Asmussen vom 29. Juni 1946. Beide Schreiben wurden von beiden Seiten absichtsvoll breit gestreut; Barth, Offene Briefe 1945–1968, 79–83.83–94. 7 Nicht ermittelt.
III. Briefwechsel 1946–1968
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137 Wilhelm Niesel an Karl Barth Reelkirchen8, 14. Juni 1946 Lieber Herr Professor! Gerade war mir wieder einmal der Gedanke gekommen, wie schade es doch sei, daß man in unserem trotz seiner Verkleinerung9 immer noch großen Lande nichts von einander hört und sieht, obwohl Sie nun schon so lange wieder in Bonn sind, da treffen die Abschriften Ihrer Briefe an Niemöller und Asmussen bei mir ein. Ich hätte gewünscht, daß Sie zum Empfange in unseren Landen etwas Schöneres zu Gesichte bekommen hätten als gerade die Erklärung vom 2. Mai.10 Schon seit zwei Ratssitzungen bemühe ich mich um ein deutliches Wort zur Schuldfrage11 an unsere Gemeinden; aber da Hans Asmussen den Entwurf nicht selber gemacht hatte, sondern ich, fand die Sache bei ihm kein Interesse. Jetzt ist er damit beauftragt und Niemöller hat sich der Sache angenommen, so daß zu hoffen ist, daß wir bald zum Ziele kommen.12 Das hindert nicht, daß wir alle die Erklärung vom 2. Mai gutgeheißen haben. Auch Martin Niemöller hat daran mitgearbeitet. Ich muß auch gestehen, daß ich mich durch Ihren Protest nicht sehr getroffen fühle.13 Zählen Sie mich darum, bitte, nicht gleich auch zu den nunmehr Abgesackten! Unangenehm war mir der Ton einzelner Debatteredner in der Kirchenführerversammlung.14 Die Sache selbst, die wir beschlossen haben, halte ich nach wie vor für richtig. Es ist mir auch bei der Besprechung nicht der leiseste Zweifel gekommen, daß dies nicht gesagt werden müßte. Ein Einwand von Ihnen ist richtig: Die Frage der Ausschaltung bestimmter Leute aus dem öffentlichen Leben ist nicht behandelt worden. Ein Fehler, der aber nicht nur auf unser Konto geht, sondern in dem für die amerikanische Zone 8 In Reelkirchen hatte Niesel nach zahlreichen Repressionen und Reichsredeverbot während der NS-Diktatur seit 1943 als Pfarrer in der Lippischen Landeskirche Unterschlupf gefunden. 9 Gemeint sind die Gebietsverluste im Osten. 10 Entschließung des Rates der EK(i)D zur Durchführung der Entnazifizierung im deutschen Volk, Treysa, 2. Mai 1946, in: Protokolle 1945/46, 502–504. Niemöller und Niesel hatten ein deutliches Wort zur Schuld für die Ratssitzung Anfang Mai vorgelegt (492.540–543), um das der Rat zwei Monate zuvor gebeten hatte (393f). Der Rat wollte diesem Text nicht zustimmen. Deshalb kam es während der Ratssitzung zur Ausarbeitung der Erklärung vom 2. Mai 1946. 11 Niesels Vorschläge sind aufgezählt in Protokolle 1945/46, 394, Anm. 41; ein erster Entwurf vom Februar 1946, 440–442; sein mit Niemöller abgestimmter Entwurf vom März 1946, 540–543. Vgl. zu den Reaktionen auf die Stuttgarter Schulderklärung und zu den folgenden Debatten 1945–1947 Greschat, Die evangelische Christenheit, 150–164. 12 Eine weitere Vorlage hat es im Rat der EKD nicht mehr gegeben; vgl. Protokolle 1945/46, 492 mit Anm. 128. 13 Barth hatte am 7. Juni 1946 einen Brief an Niemöller geschickt, in dem er die Erklärung vom 2. Mai 1946 kritisierte; vgl. ders., Offene Briefe 1945–1968, 77 mit Anm. 7; Greschat, Die evangelische Christenheit, 181. 14 Während des ersten Sitzungsteils am 1. Mai 1946 tagte der Rat der EKD gemeinsam mit den Vertretern der Landeskirchen; vgl. Protokolle 1945/46, 460.470–487.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
verkündigten Gesetz15 selber seine Quelle hat. Dieses redet nämlich nur von Sühnemaßnahmen, also von Strafen! Zum Verständnis unseres Schrittes muß man dieses Gesetz kennen. Sie wittern hinter unseren Worten einen alten verdächtigen Geist. Wir haben die sehr große Sorge, daß dieser Geist durch die Anwendung dieses Gesetzes wieder groß gezüchtet wird.16 Das ist das Motiv unseres Handelns. Und das müssen Sie uns schon glauben. Nur als Beleg für den guten Grund solcher Sorge lege ich Ihnen den angefügten Bericht bei.17 Zum einzelnen wäre noch manches zu sagen. Auch die Fragebogen muß man kennen, zu denen wir uns ein Wort zu sagen erlaubt haben.18 Wir geben gerade kein Erfahrungsurteil ab. Ich muß schon sagen, daß ich nur mit Knurren die Fragen beantwortet habe: Welche Partei haben Sie bei den Herbstwahlen 1932 gewählt? Welche bei den Märzwahlen 1933? Diese Fragen sind unmoralisch. Die Gestapo, die in dieser Hinsicht ja keine Hemmungen kannte, hat mich danach nie gefragt. Noch eins: Wie es um die Bußfertigkeit unseres Volkes steht, weiß ich nur zu gut. Immerhin sind es nicht ganz wenige, die sich um eine echte Umkehr unseres Volkes bemühen, und nicht bloß die paar Männer der Sozietät.19 Vielleicht kann Günther Dehn20 Ihnen von den Voten der brandenburgischen Bekenntnissynode berichten21, um nur einen sehr beachtlichen Kreis zu nennen. Thielickes Rede22 ist in meinen Freundeskreisen erst durch die Nr. des schweizerischen ev. Pressedienstes23 bekannt geworden, die ich aus der Schweiz mitbrachte! Er ist in der BK auf sehr starke Ablehnung gestoßen. Lassen Sie mich zum Abschluß – wenigstens vorläufigen – dieses Kapitels noch Folgendes sagen. Da Sie den Brief an Asmussen mit einer Analyse Ihrer Persönlichkeit beginnen, möchte ich fragen, ob der scharfe Spürsinn, mit dem 15 Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 (kurz: „Befreiungsgesetz“); vgl. Greschat, Die evangelische Christenheit, 177–184. 16 Maschinenschriftliche Ergänzung am Seitenende: Wenn man eine bestimmte bürgerliche Schicht ausschalten will, setzt man nicht viele Millionen in einen Anklagezustand, dessen Erhellung eine Arbeit von vielen Jahren zur Folge hat. 17 Anhang nicht in den Archiven. 18 Fragebogen zur Entnazifizierung. Ein von Niesel ausgefüllter Fragebogen des Military Government of Germany ist im Nachlass vorhanden (JaLB, NL WN I, 1a). Weitere Fragebögen hatte er im Juni und Dezember 1945 in Detmold und im Frühjahr 1946 in Düsseldorf ausgefüllt. Der Kreissonderhilfsausschuss der Kreisverwaltung Düsseldorf-Mettmann, Amt für Wiedergutmachung, erkannte Niesel am 8. November 1949 als „religiös Verfolgten“ an. 19 Zur Erklärung der württembergischen Kirchlich-theologischen Sozietät vom 9. April 1946 vgl. Buchstädt, Kirche für die Welt, 99–103; bekannte Vertreter der Sozietät wie Paul Schempp und Hermann Diem waren bereits 1945 mit entschiedenen Voten an die Öffentlichkeit getreten. 20 Günther Dehn hatte noch 1945 einen Ruf als Praktischer Theologe nach Bonn erhalten und lehrte dort ab dem Sommersemester 1946. 21 Die Bekenntnissynode der Mark Brandenburg, die – nur wenige Tage nach der Stuttgarter Schulderklärung – vom 22.–24. Oktober 1945 getagt hatte, verabschiedete eine deutliche Erklärung zur Schuldfrage. 22 Helmut Thielicke, zum Wintersemester 1945/46 berufener Professor für Dogmatik in Tübingen, wandte sich in seiner Vorlesung am 8. November 1945 gegen Barths Ausführungen von Anfang November (siehe Anm. 2), abgedruckt in: Greschat, Schuld der Kirche, 163–172; vgl. ders., Die evangelische Christenheit, 154f. 23 Der Schweizerische Evangelische Pressedienst wurde von Arthur Frey (1897–1955) herausgegeben, der mit Barth befreundet war.
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Sie unsere Äußerungen verfolgen, nicht mit Ihrer Verwurzelung in unserem problematischen Volkstum zusammenhängen könnte. Ein führender Engländer, der unsere Verhandlungen miterlebt hat24, hat keinerlei Einwendungen gegen die Erklärung erhoben. Im Gegenteil, sie schien ihm noch nicht scharf genug zu sein! Nun noch ein Wort zu Hans Asmussen! Da möchte ich Ihnen ausdrücklich bestätigen, daß Hans Asmussen Monologe führt, wenn er vom Priestertum redet, vom Opfer und neuerdings auch von der Selbstkasteiung. Leider sagt und druckt er dann immer: „Wir!“ Kein Mensch redet sonst davon! Da er jetzt sogar hat drucken lassen, daß das ernste, entscheidende Dinge seien, um die das Interesse der BK kreise25, werde ich ihn beim nächsten Zusammentreffen stellen und ihm sagen, daß er sich einer gründlichen Täuschung hingebe. Aber er ist ja so eigenwillig, daß er seine augenblicklichen Theologumena – in einem Jahre können es schon wieder andere sein – sogar in dem Siegel des Rates verewigt hat, ohne einen von uns zu befragen. Sie sehen dort den heiligen Michael, wie er den Drachen überwindet! Mit all diesem Zauber hat die liturgische Bemühung gewisser Lutheraner nichts zu tun, wenn man auch über ihre Ergebnisse nicht gerade erfreut sein kann. Morgen fahre ich nach Schöller. Das ist die kleine reformierte Gemeinde bei Elberfeld, die ich neben einer Tätigkeit an der Theologischen Schule übernehmen will. Ich soll dort einmal predigen, nachdem ich in der Vorwahl schon gewählt bin. Wir hoffen, daß wir im Herbst dorthin übersiedeln können. Eigentlich sollte ich jetzt schon an der Schule sein. Aber es waren nur eine Handvoll mittlere Semester da, die alle Dogmatik I noch nicht gehört hatten und insofern für das Kolleg Brunners26 in Frage kamen, aber nicht für mein angezeigtes über Dogmatik II. Es freut mich sehr, daß meine Prognose über die Aufnahmewilligkeit der Studenten gegenüber Ihrer pessimistischeren Ansicht Recht behalten hat. Sagen Sie, bitte, Fräulein von Kirschbaum, daß ich nicht versäumen werde, die Kärtchen von Herrn Putsch27, die immer noch bei mir liegen, mit ins Rheinland zu bringen.28 Sollten wir zu der Ratssitzung, zu der ich anschließend nach Speyer muß29, mit dem Auto fahren, so reiche ich sie vielleicht persönlich bei Ihnen in Bonn herein. Seien Sie mit Fräulein von Kirschbaum herzlich gegrüßt von Ihrem diesmal nicht belehrten Wilhelm Niesel 24 Stewart Herman (1909–2006) nahm zeitweise an der Ratssitzung vom 1./2. Mai 1946 in Treysa teil; vgl. Protokolle 1945/46, 469. 25 Vgl. die Positionen Hans Asmussens in seinen Schriften: ders., Das Priestertum aller Gläubigen, Stuttgart 1946; ders., Ein Wort zur Lage der Kirche, Stuttgart 1946; ders., Zur inneren Lage der evangelischen Kirche in Deutschland, Zürich 1946. 26 Peter Brunner (1900–1981) lehrte 1945–1947 lutherische Dogmatik an der Theologischen Schule Elberfeld, bevor er 1947 nach Heidelberg berufen wurde. 27 Hugo Putsch, Prokurist einer Solinger Papierfabrik, stand seit 1924 in brieflichem Kontakt zu Barth. Seine Frau Maria war mit Nelly Barth befreundet. 28 Handschriftliche Ergänzung: Gerade auch als Dank für die Tasse!! 29 Die nächste Ratssitzung fand am 21./22. Juni 1946 in Speyer statt; vgl. Protokolle 1945/46, 575–635.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
138 Wilhelm Niesel an Karl Barth Laufen30, 26. September 1946 Lieber Herr Professor! Nun habe ich gestern bei Ihnen eine Hauptsache vergessen! Ich bin nämlich von unseren Freunden beauftragt, dem Schw. Hilfswerk für die B.K. einige Bitten vorzutragen. Wir wissen wohl, daß das alles durch das Büro von Herrn Gerstenmaier31 laufen muß und dort über die Verteilung der Dinge entschieden wird. Aber ich erinnere mich daran, daß Pfarrer Vogt32 mir im Januar sagte, daß das Hilfswerk für die B.K. ein Interesse daran habe, gerade die B.K. zu unterstützen, und ich meinen muß, daß dieser Wille des Spenders in manchen Fällen berücksichtigt werden müßte. Es handelt sich um Folgendes: Wir kommen in Sachen der Wiedereröffnung unseres Predigerseminars nicht voran. Hesse33 bemüht sich jetzt ungefähr ¾ Jahre darum, ein Haus für das Seminar zu bekommen. Es waren auch manche da. Schließlich wurden sie aber alle nicht von der Militärregierung oder von den deutschen Behörden für diesen Zweck freigegeben. Inzwischen ist bei uns alles von Flüchtlingen besetzt. Die einzige Möglichkeit, die es jetzt noch gäbe, um ein Seminar in Gang zu bringen, wäre die, daß uns von unseren Schweizer Freunden einige Baracken zur Verfügung gestellt würden, eine mit den Wohnräumen für die Kandidaten, eine für die Familie des Direktors, die Hausdame und sonstige und eine für die Wirtschafts- und sonstigen Gemeinschaftsräume. Wir wissen, daß das eine erhebliche Bitte ist, die wir Ihnen vortragen. Hesse dachte sogar noch an eine weitere Baracke für die Bibliothek. Aber wir sind sonst mit unserer Weisheit zu Ende und wissen nicht, wie es in absehbarer Zeit zu einem Seminar kommen sollte. Wir brauchen es dringend, da wir für die reformierten Gemeinden des Rheinlandes nicht genügend Theologen haben, die im Heidelberger usw. unterrichtet sind. Wenn die lutherische Welle nicht also auch über diese rheinischen Gemeinden hinweggehen soll, müssen wir in der Ausbildung der Kandidaten das Unsere tun, brauchen dazu aber dringend die Hilfe unserer Schweizer Freunde. Aber werden Sie ein solches Projekt Herrn Gerstenmaier gegenüber durchsetzen können? Um das für eine solche Sache notwendige Votum des Stifters der Zentrale des Hilfswerkes möchte ich die Freunde des Hilfswerkes
30 Wahrscheinlich machte Niesel in Laufen (Kt. Basel-Land) Urlaub und besuchte auch Barth in Basel. 31 Eugen Gerstenmaier (1906–1986), Gründer und Leiter des Hilfswerks der EKD 1945– 1951, hatte an der Sitzung des Rates der EKD und der Landeskirchenvertreter am 1. Mai 1946 teilgenommen und ausführlich über das Hilfswerk berichtet; vgl. Protokolle 1945/46, 482– 485.550–561. 32 Paul Vogt (1900–1984) arbeitete 1943–1947 als Schweizer „Flüchtlingspfarrer“. Niesel hatte im Januar 1946 während einer Komitee-Sitzung über „Probleme des kirchlichen Wiederaufbaus in Deutschland“ vorgetragen und dort Vogt getroffen; vgl. Rusterholz, Barth, 209f. 33 Gemeint ist Hermann Klugkist Hesse, der bis zu seinem Tod 1949 Pfarrer in Elberfeld war.
III. Briefwechsel 1946–1968
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für die B.K. aufrecht herzlich bitten.34 Was das Ergebnis von Treysa35 betrifft, so meine ich, daß das Zurückblicken uns jetzt nicht mehr hilft. Wir müssen im Rat jetzt eben aktiver werden, vor allem auch unser Freund Martin.36 Es ist noch fast alles offen vor uns. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
Abb. 6: Martin Niemöller, Wilhelm Niesel, Theophil Wurm, Hans Meiser, Heinrich Held, Hanns Lilje, Otto Dibelius in Treysa 1945 34 Das Hilfswerk stiftete dem Predigerseminar eine Baracke als Wohnheim für Studierende; vgl. Aschermann/Schneider, Studium, 268. 35 Es handelt sich um die bereits genannte Sitzung des Rates der EKD, teils zusammen mit den landeskirchlichen Repräsentanten, am 1./2. Mai 1946. 36 Martin Niemöller.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
139 Wilhelm Niesel an Karl Barth Treysa, 21. Januar 1947 Lieber Herr Professor! Wir sind wieder einmal in Treysa auf einer Versammlung der Kirchenführer mit dem Rat37 und besprechen die Frage der rechten Verkündigung heute. Allein dieses Thema mag Ihnen kundtun, daß bei uns noch einiges passiert. Günther Dehn hat ein gutes Referat über die Sache gehalten. Wir haben Sie sehr dabei vermißt; aber wir können uns wenigstens schon darüber freuen, daß wir Sie bald wieder unter uns haben werden, diesmal hoffentlich nicht nur in Bonn38, sondern gelegentlich auch bei uns im Bruderrat! Eine gute Fahrt den Rhein herab auf ein recht gutes Wiedersehen! Mit herzlichen Grüßen in alter dankbarer Verbundenheit! Ihr Wilhelm Niesel Held D. Heinemann D. Stempel Brandes
Müller-Magdeburg K. Scharf Ernst Hornig, Breslau R. Smend
Otto Fricke G. Dehn
Beckmann Goeters Hollweg-Aurich Lücking Neuser-Detmold39
Höre soeben mit Freuden, daß Sie uns helfen werden in Bonn.40
37 Der Rat der EKD tagte am 24./25. Januar 1947, aber bereits am 21. Januar 1947 begann die Besprechung des Rates mit den leitenden Geistlichen der Landeskirchen; vgl. Protokolle 1947/48, 1. 38 Barth lehrte wie ein Jahr zuvor im Sommersemester 1947 in Bonn und las über den Heidelberger Katechismus. 39 Die Namen der oben aufgeführten Unterschriften in alphabetischer Reihenfolge: Joachim Beckmann, Wilhelm Brandes, Günther Dehn, Otto Fricke, Wilhelm Goeters, Gustav Heinemann, Heinrich Held, Walter Hollweg, Ernst Hornig, Karl Lücking, Ludolf Müller, Wilhelm Neuser, Wilhelm Niesel, Kurt Scharf, Rudolf Smend, Hans Stempel. 40 Dieser Satz steht unter Helds Unterschrift und stammt auch auf Grund des Schriftbildes von ihm.
III. Briefwechsel 1946–1968
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140 Wilhelm Niesel an Karl Barth [Treysa, 21. Januar 1947] Lieber Herr Professor! In der Ratssitzung werde ich mich gegen Asmussens üble Broschüre wenden, in der er Sie im Präsidial-Stil abkanzelt.41 Er mißbraucht fortwährend sein Amt und dessen Hilfsmittel (in diesem Fall die betr. Schriftenreihe)42 für seine Extratouren, und wir werden damit belastet. Freilich wohl ein unheilbarer Fall. Solange er in dieser Stellung bleibt, werden wir dergleichen immer wieder erleben. Die lutherischen Kirchen wollen ihre Kirchbaupläne43 nun also doch durchsetzen (ohne Oldenburg und Württemberg, das eine sehr gute Haltung in dieser Frage einnimmt. Schon darum sollte Frey es nicht fortwährend verdammen!44). Bei den anderen ist der Gedanke aufgetaucht, ob es nicht anginge, sich mit den strengen Lutheranern zu einer Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses zusammenzutun, da in allen Gebieten doch meist die Augustana gälte! Asmussen scheint diesen Gedanken zuzuneigen. Dann kämen unsere45 Gemeinden in Hessen, Baden usw. völlig unter den Schlitten. Sie sehen, was wir alles für Kummer haben! Gut, daß Sie bald kommen und wieder kräftig mitreden können! Ihr Wilhelm Niesel Bitte, beachten Sie meine neue Anschrift.46
Dieser Brief ist auf der Rückseite des vorangehenden Briefes geschrieben. 41 Hans Asmussen, Antwort an Karl Barth, Schriftendienst der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland 7, Schwäbisch Gmünd 1946. 42 Der Rat der EKD beschloss am 25. Januar 1947: „Es soll auch in geeigneter Weise bekannt gegeben werden, daß die Schrift von Präsident Asmussen ‚Antwort an Karl Barth‘ keine amtliche Äußerung ist.“ (Protokolle 1947/48, 9). 43 Der Lutherrat hatte im September 1946 einen Entwurf für eine Verfassung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) vorgelegt und dadurch den Rat der EKD in die Defensive gedrängt; ab Januar 1947 versuchte der Rat trotz der konfessionellen Auseinandersetzungen, die Einheit des deutschen Protestantismus zu wahren und arbeitete verstärkt an einer Ordnung für die EKD; vgl. Greschat, Die evangelische Christenheit, 164–169. 44 Niesel meint hier wahrscheinlich die Berichterstattung des Schweizerischen Evangelischen Pressedienstes, der von Arthur Frey geleitet wurde. Theophil Wurm, Ratsvorsitzender der EKD, protestierte am 4. Dezember 1946 beim Präsidenten des Schweizerischen Kirchenbundes gegen die Berichterstattung; vgl. Protokolle 1947/48, 10 mit Anm. 38–49; eine Richtigstellung Niesels, Anm. 52. 45 Gemeint sind die reformierten Gemeinden. 46 Damalige Schreibweise: Wilhelm Niesel, 22a Schöller b. Dornap, Bez. Düsseldorf.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
141 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 1. April 1947 Lieber Herr Pfarrer! Bevor ich dort wieder in Person auftauche, sollen Sie doch auch noch einen schriftlichen Dank von mir haben für den Gruß, den Sie mir im Januar aus Treysa zukommen ließen. Es hat mich natürlich gefreut, daß alle die damals Mitunterschreibenden mir offenbar zurufen wollten, daß sie mit Asmussen nicht einverstanden seien und daß ich mich nicht etwa abschrecken lassen solle, mein Stühlchen in Bonn auch in diesem Sommer wieder einzunehmen. Mir das widerfahren zu lassen, konnte mir denn auch nicht in den Sinn kommen, schon darum weil mir gegenüber theologischer Polemik aller Art im Lauf meines nun schon so langen Lebens ein sehr dickes Fell gewachsen ist, mit Hilfe dessen ich ziemlich viel ertragen kann, ohne ins Schleudern zu geraten und sodann weil ich mich den wechselnden Situationen speziell in Deutschland gegenüber längst darauf eingerichtet habe, daß mir von dorther dauernd so ziemlich Alles zustoßen kann: von manchen fast zu dicken Lobsprüchen über einen Ozean von unverbindlichem Ja-Aber! bis hin zu so konfusem Zorngeschrei, wie Asmussen es nun von sich gegeben hat. Etwas Anderes ist es natürlich, ob es – ganz abgesehen von mir – klug und weise ist, sich einem solchen Übergriff der in SchwäbischGmünd47 begründeten Hausmacht gegenüber – mir kommt es vor, daß schon ihr Entstehen nach Treysa 1945 einen Übergriff bedeutete – mit bloßen Erklärungen mir gegenüber (eine solche ist mir auch von Beckmann zugegangen) und im Übrigen mit einer „Protokollnotiz“ zu begnügen. Aber das hängt nun offenbar tief mit der Problematik Ihres „Rates“ als solchen zusammen und darüber hinaus wohl mit der der EKiD überhaupt. Sie werden es nicht anders von mir erwarten, als daß ich die Dinge mit ziemlicher Unruhe verfolge. Ich weiß jetzt, warum ich mich bei den Verhandlungen (hinter und auf der Szene) in Frankfurt und Treysa 194548 im Grunde so befremdet fühlte wie nur je 10 Jahre früher und warum ich mir immer wieder einen Ruck geben mußte, um die Hypothese festzuhalten, daß ich wohl zu lange nicht dabei gewesen sei, um Alles würdigen zu können und nun eben trotzdem das Beste zu denken mir Mühe geben müsse. Was in jener Woche49 geboren wurde, war keine gesunde, vielleicht keine lebensfähige Geburt. Ich möchte nicht so weit gehen wie mein guter Freund Arthur Frey und alles Heil nur von der württembergischen Sozietät erwarten, deren Mängel mir deutlich vor Augen stehen. Aber wie die Dinge weiter und gut kommen sollen, wenn die verflossene BK sich nicht auf einer innern, engeren und klareren Linie (eine Handvoll Leute nur in jeder Landeskirche, aber die dann eine brauchbare Mannschaft) rekonsolidiert und theologisch und kirchenpolitisch reaktiviert, ist 47 Sitz der EKD-Kirchenkanzlei von September 1945–1949 (Umzug nach Hannover). 48 In Frankfurt a.M. tagte vom 21.–24. August 1945 die Bekennende Kirche (vgl. Besier u.a., Kompromiß, 9–20.83–178) und in Treysa vom (27.) 28.–30. August 1945 die Kirchenkonferenz von Treysa, wo es zur Gründung der EK(i)D kam (vgl. Besier u.a., Kompromiß, 32–44.212–328). 49 In Frankfurt a.M. und Treysa.
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mir dunkel und wie es dabei ohne einen tüchtigen Schuß von der gänzlichen Respektlosigkeit württembergischer Marke (neben andern dort weniger mächtigen guten Eigenschaften) abgehen soll, das kann ich mir auch nicht vorstellen. Ist das wahr, was ich gestern in der holländischen kirchlichen Pressekorrespondenz las, daß sich der „Rat“ nun auch für den unseligen Boudriot eingesetzt habe?50 Sieht dort niemand, was für Konturen sich da auch für die wohlwollende Umwelt abzeichnen müssen: erst die von mir noch immer beklagte Sache mit der Denazifikation vom letzten Sommer51, dann die bedenkliche Weihnachtsdemonstration52, nun Boudriot. Und was Asmussen in der Richtung „Absolution“ an der letzten Treysa-Konferenz wollte53, ist natürlich auch durchgesickert, wenn auch nicht in die Presse. Die Holländer ziehen denn auch schon die Konsequenz: De Raad ... heeft in de laatste tijd onder leiding von Pastor Hans Asmussen … een nationalistische koers ingeslagen. Aber was mich ja noch mehr bedrängt ist die Tatsache, daß das Wort „Gemeinde“ in all dem, was aus Deutschland zu uns herüberdringt, noch immer fast gar nicht hörbar ist. Daß die Gemeinde in der Verfassung der VELKD54 überhaupt nicht vorkommt, gehört zu dieser bösen Sache. Gleichzeitig wundere ich mich, wie es kommt, daß gerade das der sonst nicht üblen Kritik dieser VELKD etwa durch den württembergischen Bruderrat entgangen zu sein scheint.55 Wenn es z.Z. keine Gemeinden geben sollte, warum sind dann die „zuständigen Organe“, deren es so viele giebt, nicht vordring50 Wilhelm Boudriot (1892–1948) war ein konfessioneller Reformierter im Kirchenkampf, der in der Tradition von Barmen und Dahlem stand. Nachdem er nach Ende der NS-Diktatur eine Professur in Mainz antreten konnte, wurde er im Dezember 1946 als „deutschnational“ diffamiert; Boudriot hatte u.a. die auch von Barth behauptete Traditionslinie Friedrich d. Gr.– Bismarck–Wilhelm II.–Hitler kritisiert. Es kam im Folgenden zur Suspendierung Boudriots, zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und Barth und zu weiteren Verwerfungen. Boudriot starb überraschend im Sommer 1948; vgl. Dienst, Der „andere“ Kirchenkampf, 145–264, zur Unterstützung Boudriots durch die Kirchenkanzlei, 193–210; vgl. den „Fall Boudriot“ im Rat der EKD: Protokolle 1947/48, 4f mit Anm. 15, 183–185 mit Anm. 38, 205–207.219 mit Anm. 9, und 455 mit Anm. 49. 51 Im Zusammenhang mit dem „Befreiungsgesetz“ vom 5. März 1946, den Fragebögen zur Entnazifizierung und der Einrichtung von Spruchkammern und deren Praxis kam es zu unterschiedlichen Einschätzungen: Während viele Kirchenvertreter hier eine Generalanklage des ganzen Volkes wähnten und zunehmend auch von der Schuld „der anderen“ sprachen, forderte Barth deutliche Sanktionen gegen die Täter und hatte wenig Nachsicht mit den „Mitläufern“. 52 Auf der Sitzung am 10./11. Oktober 1946 hatte der Rat der EKD eine „Weihnachtsbitte der Christen in Deutschland an die Völker der Welt“ beschlossen, mit der „die Christen in aller Welt“ unter Inanspruchnahme von „Liebe Gottes“ und „Vergebung“ gebeten wurden, sich für die Freilassung deutscher Kriegsgefangener – unter ihnen befanden sich natürlich auch Kriegsverbrecher – zu engagieren. Am 1. Advent sollten möglichst viele konfirmierte Gemeindeglieder diesem Text durch Unterschrift zustimmen; Protokolle 1945/46, 662f.731f. In einigen Territorien wurde diese Aktion von den Besatzungsbehörden verboten; vgl. Greschat, Die evangelische Christenheit, 185. 53 Damit ist die zurückliegende Ratssitzung der EKD in Treysa gemeint, die am 24./25. Januar 1946 stattfand. Asmussen hatte sich durch seine Hinweise auf eine umfassende Vergebung durch Jesu Christi Sühnetod den Vorwurf zugezogen, er fordere eine Absolution oder eine Generalamnestie für das deutsche Volk. 54 Siehe Anm. 43. 55 Der Text dieser Kritik konnte nicht ermittelt werden. Die württembergische Kirchlichtheologische Sozietät und der Landesbruderrat waren sich in ihrer gemeinsamen Kritik an den entstehenden Ordnungen von VELKD und EKD einig; vgl. Buchstädt, Kirche für die Welt, 116.
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lich eben damit beschäftigt, diesen Mangel zu beheben, d.h. die Kirche dort zu bauen, wo sie doch – unter aufrichtigen Brüdern gesagt – allein wirklich (wenn überhaupt wirklich!) sein kann? Wie arm und klein die Kirche im heutigen Europa ist, das würde wohl erst dann sichtbar, aber nicht wahr: man hätte es dann doch wenigstens mit dem so viel beredeten Lebewesen selbst und nicht mit den in all den Gremien verkörperten oder eben nicht einmal verkörperten Hadesschatten und Gespenstern zu tun … Aber: Ich werde von Bonn aus diesen Sommer so wenig etwas zu starten suchen als letztes Jahr, sondern will dankbar sein, wenn ich dort aus einem Saal voll Studenten wenigstens Einigen mit dem Heidelberger Katechismus56 eine kleine Dosis Unruhe nach einem totaliter aliter injicieren kann, aus der dann vielleicht in irgend einem späteren Stadium etwas werden kann. Ob ich im Bruderrat je in die Erscheinung treten soll? Die Sache lockt mich nicht sehr. Die zur sauersüßen Regierungs- bzw. Koalitionspartei gewordene BK ist nicht mehr mein Fall. Ich habe im vergangenen Winter die Anthropologie weitergetrieben, leider noch nicht zu Ende gebracht.57 Die Bemühung der letzten Woche galt einem großen „paper“ für das Amsterdamer Weltkonzil von 1948 über „Die Kirche“.58 Ich werde das wohl auch zu Vorträgen in Deutschland verwenden59 und was ich in meinem schwarzen Herzen über „Die Kirche“ eigentlich für Gedanken habe, das mag dann da und dort offenbar werden. Der Vortrag von Leuba, den Sie damals hier in Basel mit angehört haben60, war für mich doch eine kräftige Anregung, die Sache in der von ihm beanstandeten Richtung gerade noch ein wenig weiter zu führen. Alles weitere dann einmal mündlich. Ich breche hier etwa am 27. auf, wiederum im Rheinschlepper; noch bin ich in Bonn leider ohne Wohnung. Es ist mir klar, daß diesmal Alles (auch innerlich) viel schwerer sein wird. Mit herzlichem Gruß zum Ostertag (vielleicht erreicht Sie dies noch; es geht oft überraschend schnell)! Ihr Karl Barth
56 Karl Barth, Die christliche Lehre nach dem Heidelberger Katechismus. Vorlesung gehalten an der Universität Bonn im Sommersemester 1947, Zollikon-Zürich 1948. 57 KD III/2, Zehntes Kapitel, §§ 43–47: Das Geschöpf. 58 Karl Barth, Die Kirche – die lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn Jesus Christus, in: Die Kirche in Gottes Heilsplan. Ökumenische Studien, durchgeführt unter den Auspizien des Ökumenischen Rates der Kirchen und hg. v. der Studienkommission des Ökumenischen Rates in Genf, Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan 1, Tübingen 1948, 71–79 (erweitert in: ders., Die lebendige Gemeinde und die freie Gnade, TEH.NF 9, München 1947, 3–23). 59 Busch, Barths Lebenslauf, 359. 60 Wahrscheinlich während des Urlaubs im September 1946. Jean-Louis Leuba (1912–2005), französischsprachiger Pfarrer in Basel, war Schüler und Übersetzer Barths. Spätestens im Zusammenhang mit seiner Dissertation zur Ekklesiologie 1950 überwarf sich Leuba allerdings mit Barth.
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142 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 29. April 1947 Lieber Herr Professor! Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Zeilen vom 1. April mit der guten Ankündigung, daß Sie wieder den Rhein herunter zu uns fahren wollen. Sie kommen tatsächlich in eine kirchliche Atmosphäre hinein, die bedeutend schlechter ist als die, die Sie im vergangenen Jahre bei uns antrafen. Ich halte zwar nach wie vor das Treysaer Abkommen61 als solches für nicht verfehlt, aber ich muß Ihnen insofern rechtgeben, als wir damals die Auseinandersetzung mit dem konfessionalistischen Flügel des Luthertums hätten auf jeden Fall zu einem klaren Ziele führen müssen. Inzwischen hat Meiser und seine Freunde uns hingehalten62, in etwa auch hintergangen und stellt uns nun vor vollendete Tatsachen. Die Auseinandersetzung muß jetzt unter bedeutend schwierigeren Umständen durchgeführt werden als vor zwei Jahren. Die Bekenntnismathematik, mit der wir es hier zu tun haben, und in der auch ein Mann wie Peter Brunner63 ganz groß ist, hat eine starke Ähnlichkeit mit den Thesen von Leuba.64 Insofern wird es für uns einen großen Dienst bedeuten, wenn Sie hier bei uns Gedanken vortragen, die an jenen Nachmittag in Basel anknüpfen. Der andere Fragenkomplex, der uns fortwährend Schwierigkeiten macht, bewegt sich um den Namen Hans Asmussen. Er versucht, die ganze Kirche zu regieren, und da wir bei den heutigen Verkehrsverhältnissen praktisch voneinander getrennt sind, kann man kaum etwas dagegen unternehmen. Es müßte hier eine Radikallösung gefunden werden. Ich habe Niemöller ja schon in Treysa gesagt, daß Asmussen für dieses Amt völlig untauglich sei. Jetzt erleben wir den ganzen Kummer. Zu meiner Freude höre ich heute, daß, während Sie den Rhein heruntergleiten, Martin Niemöller in den Wolken über Ihnen schwebt, dem gleichen Ziele zu.65 Es ist gut, daß auch er wieder da ist. Wir müssen mit ihm zusammen überlegen, wie Asmussen an die Kette zu legen oder zu ersetzen ist. In dieser Woche beginnt auch das Semester an der Theologischen Schule. Ich will dreistündig Ethik lesen, weil ich meine, daß die Studenten es dringend nötig 61 Die Gründung der EKD im August 1945. 62 So stimmte Hans Meiser im Rat der EKD im Januar 1947 für die Einberufung einer Kirchenversammlung der EKD, aber das Protokoll fährt fort: „Landesbischof Meiser betont, daß die Kirchenversammlung keine Synode darstellt.“ (Protokolle 1947/48, 11) In der März-Sitzung sollten „das konfessionelle Gespräch“ und die VELKD ausführliche Verhandlungsgegenstände des Rates werden. Diese entfielen aber wegen einer Erkrankung Meisers; vgl. Protokolle 1947/48, 54.56. Am 26./27. März 1947 beschloss der BK-Bruderrat einen Entwurf einer EKDOrdnung, nachdem Meisers Kirchenpolitik für einige Aufregung gesorgt hatte. Asmussen berichtete an Meiser: „Vor allen Dingen Iwand, der augenblicklich das Feld beherrscht, und die Reformierten waren sehr böse und zum Teil auch sehr ungezogen“; Protokolle 1947/48, 122. 63 Siehe Anm. 26. Brunner war ein entschiedener Vertreter der BK gewesen und vertrat nach 1945 konfessionell lutherische Positionen. 64 Siehe Anm. 60. 65 Niemöller war seit August 1945 Präsident des Kirchlichen Außenamtes und deshalb oft auf Auslandsreisen. Er kam hier von einer halbjährigen Vortragsreise aus den USA zurück.
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haben, sich mit dieser Sache zu befassen. Damit Sie sehen, daß die Theologischen Schulen im heutigen Deutschland noch nicht überflüssig sind, lege ich Ihnen eine Karte bei mit der Ankündigung des neuesten theologischen Buches. Es stammt von dem Systematiker in Münster.66 Dafür ist Papier in Deutschland vorhanden. Meines Wissens ist ein anderes theologisches Buch bei uns noch nicht erschienen! Leider beginnt für mich das Semester erst in 14 Tagen. In der nächsten und übernächsten Woche muß ich zu drei wichtigen Sitzungen in Berlin sein: Altpreußische Kirchenleitung, Reichsbruderrat und Rat.67 Hoffentlich gibt es auf diesen Besprechungen einige Klärung. Übrigens noch die Mitteilung, daß es nicht zutrifft, daß der Rat sich für Boudriot eingesetzt hat. Im Gegenteil, er hat das abgelehnt; wohl aber war Asmussen schon vorher von sich aus in dieser Angelegenheit vorstellig geworden!68 In der Hoffnung, daß wir uns recht bald einmal sehen und sprechen können, grüßt Sie herzlich Ihr Wilhelm Niesel
143 Wilhelm Niesel an Karl Barth Clarens69, 27. August 1947 Lieber Herr Professor! Am Montag komme ich auf der Durchreise von Clarens nach Laufen abends 19.16 [Uhr] in Basel an. Ob Sie dann wohl zu sprechen wären? Ich könnte bei Thurneysens nächtigen, die mich dazu eingeladen haben und die ich dann am Dienstag sehen könnte. Notfalls könnte ich auch noch am selben Abend nach Laufen fahren. Dort will ich noch bis zum Sonntag, den 6. September, bleiben und an ihm dann spät abends wieder hinausfahren. Natürlich könnte ich auch im Laufe der Woche einmal nach Basel kommen; aber das ist eine „Finanzfrage“. 66 Joachim Konrad, Schicksal und Gott. Untersuchungen zur Philosophie und Theologie der Schicksalserfahrung, Gütersloh 1947. Niesel sah diesen Titel wohl kritisch. Der Verfasser Joachim Konrad (1903–1979) war allerdings ein NS-Verfolgter, amtierte in den letzten Kriegswochen als Stadtdekan von Breslau und nahm nach seiner Vertreibung seine von den Nationalsozialisten zerstörte akademische Laufbahn wieder auf; ab 1954 war er Professor für Praktische Theologie in Bonn. 67 Am 12./13. Mai 1947 tagte der Rat der EKD in Berlin, vorher tagten die anderen genannten Gremien. 68 Siehe Anm. 50. Niesel versuchte auch im Rat der EKD im „Fall Boudriot“ zu beschwichtigen und hat ihn dann für den Reformierten Bund reklamiert; Protokolle 1947/48, 219 mit Anm. 9. Eine reformierte Pfarrstelle mit der Möglichkeit zur wissenschaftlichen Weiterarbeit war anvisiert. Allerdings hat der Reformierte Bund unter Niesel eine „Lösung“ nicht mit Nachdruck betrieben. Vgl. Ulrichs, Kirchenkampf als permanente Bewährungsprobe, 48–50. 69 Clarens (heute Teil von Montreux) liegt am Ostufer des Genfer Sees.
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Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir auf einer Postkarte Nachricht zukommen ließen. Bis Montagmittag bin ich in Clarens, St. Georgen-Schule. Mit herzlichem Gruße! Ihr Wilhelm Niesel
144 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 21. Dezember 1947 Lieber Herr Pastor! Nun muß ich Sie mit einer sehr unweihnachtlichen Sache beschweren. Aber sie hat sich in mir angesammelt und es ist nun so weit, daß ich mich darüber einem kompetenten und verantwortlichen deutschen Menschen, Kirchenmann und Theologen gegenüber aussprechen muß. Erinnern Sie sich von Madiswil her der Redensart unserer Berner Bauern: „Jetzt ist aber genug Heu herunter“? Dies ist mein Fall: genug Heu nämlich von dem Heustock meiner Geduld in Sachen Hans Asmussen.70 Vor mir liegt sein neuestes Skriptum vom 1. Dezember 1947, eine Antwort auf einen ohne mein Zutun entstandenen Brief von Hermann Diem71, in welchem aber auf keine von Diems Vorhaltungen geantwortet, vielmehr wieder und wieder Streit gegen mich geführt wird. Ich weiß nicht, der wievielte derartige Anlauf das nun schon ist. Ihrer sind nun jedenfalls schon eine ganze Reihe. Bis zu diesem Tag habe ich mich diesem ganzen Vorgang gegenüber nicht gerührt. Sie sind der Erste, den ich nun auch nur privatim auf diese Sache anrede. Und ich möchte Ihnen zuerst sagen, warum ich das bisher so gehalten habe. Einmal allgemein darum, weil mir nichts peinlicher ist als orationes pro domo zu halten und infolgedessen auch nichts schwerer mir aus der Feder fließt. Im besonderen aber darum, weil ich die Polemik, gegen die ich mich da zur Wehr setzen müßte, sachlich und formal für unannehmbar halte. Das einzige greifbare Objekt, das in ihr bis hin zu diesem letzten Stück zu erkennen ist, sind immer wieder einige, immer wieder die gleichen Fragmente aus meinem Wipkinger 70 Vgl. Besier, Auseinandersetzung; Ulrichs, Wilhelm Niesel und Karl Barth, 189–195. 71 Im Herbst 1947 gab es Auseinandersetzungen wegen des Darmstädter Wortes des Reichsbruderrates zum politischen Weg unseres Volkes vom 8. August 1947 und den folgenden Interpretationen. Vor allem Diem und Asmussen griffen sich gegenseitig an. Gegen Asmussens Flensburger Vortrag „Gehört Luther vor das Nürnberger Gericht?“ (AELKZ 1, 1947, 9–11) hatte Diem am 18. November 1947 einen ausführlichen Brief verfasst, in dem er dem Präsidenten der Kirchenkanzlei vorwirft, Barth weder theologisch noch politisch zu verstehen; vgl. Buchstädt, Kirche für die Welt, 125 mit Anm. 277; Lehmann, Hans Asmussen, 214; Diem, Ja oder Nein, 202. Asmussen versandte diesen Brief an die Ratsmitglieder, aber auch an bekenntniskirchliche Gremien und fügte ein „Rundschreiben“ vom 1. Dezember 1947 hinzu.
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Vortrag vom Herbst 1945.72 Die „Schweizer Stimme“73, die ich Asmussen seinerzeit dediziert habe, scheint er nicht gelesen zu haben, ebenso wenig auch nur einen meiner 1946 und 1947 in Deutschland gehaltenen Vorträge74, ebenso wenig die Bonner „Dogmatik im Grundriß“75, um von den ihm doch gewiß nicht unerreichbaren Bänden der Kirchlichen Dogmatik gar nicht zu reden. Er verrät jedenfalls keine Spur von Kenntnis aller dieser meiner Äußerungen. Dafür erweitert er jene schmale Basis seines Wissens um mich durch allerlei aufgefangenes Gerede über mich. Neuestes Beispiel: der Unsinn über „Diastase“ und „Synthese“, den ich nach ihm in Hamburg (wo ich einen Vergleich mit der „Systole“ und „Diastole“ des menschlichen Herzens gebraucht hatte!) geredet haben soll. Zur Verteidigung des ganzen von Asmussen zurecht gemachten und mit meinem Namen etikettierten Türkenkopfs76 mich aufzumachen, halte ich für unter meiner bescheidenen Würde. Es kommt dazu, daß er sich in der Art seines Raisonnierens und Argumentierens nach meinem Geschmack und Urteil von Anfang an jenseits der Möglichkeiten eines unter ernsten Männern zu führenden Gesprächs bewegt hat. Ich kann nicht finden, daß ein Antagonist einer seriösen Erwiderung gewärtig sein kann, von dem ich meinerseits erwarten muß, daß er mir jedes weitere Wort ebenso im Munde verdrehen wird wie die, auf die er sich bisher in so kümmerlicher Auswahl und so willkürlich bezogen hat. Mein besonderster Grund ist der, daß ich in Hans Asmussen – ich weiß, was ich sage – einen psychisch sehr bedrohten Mann sehe, der sich selbst und seinen gegen mich geführten Kampf für das Zentrum des heutigen kirchlichen Geschehens hält: eine Phantasie, die ich, wenn ich mich ihm entgegenstellte, nur noch unterstützen würde. Ich möchte mich Ihnen gegenüber mit keinem Wort auf die in Asmussens Polemik angerührten Materien einlassen, schon weil ich voraussetzen darf, daß wir darüber einer Meinung sind. Ich habe tatsächlich nichts dazu zu sagen. Es ist da nach meiner Einsicht kein Punkt, der auf Grund der von Asmussen vorgelegten Thesen und Antithesen sinnvoll besprochen werden könnte. Die Diskussion könnte nur auf einer ganz anderen Ebene und sie könnte weder direkt noch indirekt mit dem heutigen Hans Asmussen geführt werden. Meine Anfrage an Sie bezieht sich allein auf die Tatsache, daß Asmussen Präsident der Kanzlei der EKiD ist und daß er in seinem neuesten Sendschreiben mehrfach erklärt, mir gegenüber in dieser seiner Eigenschaft (als „hoher Kirchenbeamter“) wirksam zu sein. Seine persönliche Rede- und Schreibfreiheit steht also so wenig in Frage wie meine Freiheit, zu dem Gebrauch, den er davon macht, nun eben zu schweigen. Er erklärt aber in aller Form: „Ich mache den
72 Karl Barth, Die evangelische Kirche nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, Zollikon-Zürich 1945. 73 Karl Barth, Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Zollikon-Zürich 1945. 74 Während seiner Bonner Gastsemester 1946 und 1947 unternahm Barth mehrere Vortragsreisen; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 352–354.358–360. 75 Karl Barth, Dogmatik im Grundriß, Zollikon-Zürich 1947. 76 Ein „tête de turc“ (Türkenkopf) war im England des 16. Jahrhunderts ein Kopf aus Pappe, auf den bei Schießübungen gezielt wurde; ein heutiges Synonym wäre „Pappkamerad“.
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Anspruch, das getan zu haben, was meines Amtes als Geschäftsführer des Rates war und ist“ (S. 5). Und eben dazu möchte ich vier Fragen stellen: 1) Hat Asmussen in der Führung dieses „Geschäftes“ tatsächlich einen Auftrag und hat er dabei die nachträgliche Billigung des Rates? (Wenn das zutrifft, so erübrigt sich natürlich auch für mich alles Weitere. Ich nehme dann zur Kenntnis, daß der Rat der EKiD so über mich geredet haben wollte, wie Asmussen es bisher getan hat, und werde auch allem noch Kommenden als den Kundgebungen dieses Rates entgegen sehen.) 2) Hat der Rat – angenommen, Asmussen habe dieses „Geschäft“ ohne seinen Auftrag und ohne seine Billigung geführt – die Absicht, seine eigene Stellungnahme mindestens in derselben Halböffentlichkeit sichtbar zu machen, in der Asmussen nun seit bald zwei Jahren angeblich in seinem Namen gegen mich vorgegangen ist? 3) Ist der Rat dessen gewahr, daß es am Ende des neuesten Sendschreibens von Asmussen heißt: „Es handelt sich gerade um die ersten Anfänge … Möge es mir vergönnt sein, zu dieser Sache nicht mehr zu sagen“? Kann der Rat das anders als dahin verstehen, daß es Asmussen tatsächlich sicher „vergönnt“ sein wird, zu dieser Sache noch viel mehr zu sagen, seinen Angriff gegen mich – ich weiß nicht, bis zu welchem Endziel – (und nach höchster Wahrscheinlichkeit zunächst auch auf seiner Vortragsreise durch Amerika77) fortzusetzen? 4) Hat der Rat (unter der Voraussetzung, daß Asmussen dabei ohne seinen Auftrag und ohne seine Billigung handeln würde) die Absicht, dieser Fortsetzung ihren Lauf zu lassen, oder hat er die Absicht, in irgend einer rasch wirksamen Weise dafür zu sorgen, daß die Unternehmung vom 11. Dezember 194778 die letzte dieser Art gewesen ist? Lieber Herr Pastor, Sie könnten mich natürlich fragen, warum ich mich mit einer so formellen Anfrage nicht an Landesbischof Dr. Wurm oder gleich an die sämtlichen Mitglieder des Rates wende? Nun, ich habe mich nur um der Deutlichkeit willen so formell ausgedrückt. An den Rat als solchen möchte ich mich darum nicht wenden, weil meine juristische Legitimation dazu wahrscheinlich zweifelhaft ist – weil es mir widerstrebt, als eine Art Gegenkläger offiziell in die Schranken zu treten – und schließlich, weil ich der Meinung bin, daß die Initiative zu der in dieser Sache nötig gewordenen Bereinigung nicht meine Sache sein kann, sondern innerhalb der EKiD selbst ergriffen werden müßte. Der Sinn meines Schreibens an Sie ist also der, daß ich Ihnen diese Anfrage „zu treuen Händen“ und zu der Ihnen gut scheinenden Verwendung mitteile. Sie jedenfalls sollen es wissen, wie sehr mich die entstandene Situation wundert. Wenn ich auf meine mit Deutschland und der evangelischen Kirche in Deutschland zusammenhängenden Aktionen in den Jahren seit 194479 (um nur diese letzte 77 Auf Einladung des National Lutheran Council of America reiste Asmussen Dezember 1947/Januar 1948 für sieben Wochen in die USA. 78 Es muss korrekt wie oben heißen: 1. Dezember. 79 Im Juli 1944 hielt Barth den Vortrag „Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde im heutigen Zeitgeschehen“, in dem er Deutschlands kommende Kapitulation und die deutsche Schuld am Holocaust benannte, dann aber mahnte, auf diese nach der Niederlage schuldigen und armen Deutschen zuzugehen, denn auch ihnen gelte der Trost und die Vergebung; in: ders., Schweizer Stimme, 307–333, hier 331–333.
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Wegstrecke zu nennen) zurück blicke, so mag ich mir wohl viel Ohnmacht und Mangel an Einblick und wohl auch manchen Mißgriff vorzuhalten haben. Ich kann aber nicht einsehen, daß ich es gerade in dieser Zeit verdient habe, von der höchsten Stelle der EKiD her so behandelt zu werden, wie mir dies nun von Hans Asmussen – der angeblich im Namen dieser höchsten Stelle handelt – seit Jahr und Tag widerfahren ist. Sondern ich meine ein gewisses Recht darauf zu haben, daß dort – und das nach so langem Gewährenlassen bald, wirksam und sichtbar – Klarheit darüber geschaffen wird, daß dies per nefas80 geschehen ist und darum nicht weiterhin geschehen wird. Ich darf hinzufügen: ein so ausweichender Beschluß, wie der, den der Bruderrat der BK in Detmold in dieser Sache gefaßt hat81, würde natürlich eine Antwort auf die hiermit gestellte Vertrauensfrage nicht sein können. Ich schicke einen Durchschlag dieses Briefes an Herrn Justizminister Dr. Heinemann82 in Essen. Nun lassen Sie mich Ihnen aber über und trotz dem allem von Herzen gesegnete Festtage und einen guten Übergang in ein hoffentlich etwas besseres Jahr wünschen. Mit freundlichem Gruß! Ihr Karl Barth
145 Wilhelm Niesel an Karl Barth Genf, 29. Dezember 1947 Lieber Karl Barth! Beinahe hätte ich geschrieben: Lieber Herr Professor! Ich muß mich an diese mutatio rerum83 erst noch gewöhnen.84 Soeben sprach ich mit Wilson.85 Er sagt mir: 80 = durch Unrecht, also auf unerlaubte Weise und widerrechtlich. 81 Der Bruderrat der EKD hatte sich am 15./16. Oktober 1947 getroffen; auch innerhalb dieser Gruppe, vor allem zwischen Ost und West, gab es gravierende Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Darmstädter Wortes. Der „ausweichende Beschluß“ war, dass Joachim Beckmann, Hermann Diem, Martin Niemöller und Ernst Wolf beauftragt wurden, eine Kommentierung des Darmstädter Wortes vorzulegen; vgl. Herbert, Kirche, 101f; Buchstädt, Kirche für die Welt, 124. Dieser Kommentar erschien dann im Februar 1948. 82 Gustav Heinemann (1899–1976), engagiertes Mitglied der BK und 1945–1967 Mitglied des Rates der EKD, amtierte 1947–1950 als Justizminister von Nordrhein-Westfalen. 83 Siehe Teil I, Anm. 219. 84 Offenbar kam es auf Grund des dramatischen Briefes Barths vom 21. Dezember 1947 entweder zu einem Telefonat oder zu einer persönlichen Begegnung der beiden, während der Barth seinem früheren Schüler das „Du“ angetragen haben muss. 85 William Iain Girwood Wilson (1912–1995), britischer Militärpfarrer, hatte als Mitarbeiter der Besatzungsbehörden 1945/46 Kontakte auch zu bekenntniskirchlichen Kreisen und arbeitete seit 1947 als Deutschland-Referent in der Wiederaufbau-Abteilung des ÖRK. Später übersetzte er große Teile der KD.
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Wenn Du in Bern sogleich einen Antrag auf Ausreisegenehmigung nach Detmold für Anfang März stellst, würdest Du sie frühzeitig erhalten. Ich möchte Dich nun herzlich darum bitten. Beginn der Sitzung des Theologischen Ausschusses über das Abendmahl: Montag, den 1. März, abends; Ende: Mittwoch Abend.86 Du würdest am Sonntag Mittag in Basel abreisen und bis Frankfurt fahren können. Dort übernachten. Montag früh 7 Uhr ab Frankfurt mit Triebwagen direkt nach Detmold. Ich lasse Dir die Genehmigung dafür durch Otto Fricke87 besorgen. Wahrscheinlich könntest Du Donnerstag früh, jedenfalls abends wieder in Basel sein. Bitte, leihe uns in dieser wichtigen Sache Deine Hilfe. Wir brauchen sie. Der Samstag war von A bis Z ein schöner Tag.88 Am Dienstag89 muß ich 13.30 [Uhr] vom Badischen Bahnhof90 abfahren. Es ist daher nicht sicher, ob ich noch einmal bei Dir hereinsehen kann. Angesichts der Anreisezeit von Zollikofen91 wird die Zeit dafür vermutlich zu kurz sein. In Zürich konnte ich außer Frey noch Hellstern92 sprechen. Es war sehr nett. Herzliche Grüße, auch Deinem ganzen Hause! Dein Wilhelm Niesel Herzliche Grüße an Sie alle! Ihr Heinz Kloppenburg93
86 Vom 1.–3. März 1948 traf sich ein Theologischer Beirat des Reformierten Bundes, um für die sich unmittelbar anschließende Moderamenssitzung eine Stellungnahme vorzubereiten. Mit dem Einverständnis des Rates der EKD vom 26./27. November 1946, dass Asmussen und Niesel „einen freien Arbeitskreis von Theologen zu einem Gespräch über die Abendmahlsfrage zusammenrufen“ (Protokolle 1945/46, 727f mit Anm. 26), begann ein Prozess, der bis zu den Arnoldshainer Abendmahlsthesen von 1957 führte. Die Kirchenversammlung von Treysa am 6. Juni 1947 bat den Rat der EKD sich zu bemühen, „daß ein verbindliches theologisches Gespräch über die Lehre vom Heiligen Abendmahl im Hinblick auf die kirchliche Gemeinschaft zustande kommt“. Ende März 1948 gab es auch ein Gespräch der lutherischen Kirchen des „Detmolder Kreises“, das Wurm einberufen hatte; vgl. Protokolle 1947/48, 196. 87 Otto Fricke (1902–1955), führender Vertreter der hessischen BK, war 1947–1950 als Oberkirchenrat Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. 88 27. Dezember 1947. Eventuell besuchte Niesel an diesem Tag entweder Barth in Basel oder aber in Zürich. 89 30. Dezember 1947. 90 Basel. 91 Zollikofen liegt in unmittelbarer Nähe nördlich von Bern und war wohl ein Urlaubsort Niesels. 92 Zu Arthur Frey siehe Anm. 23. Heinrich Hellstern (1902–1984), reformierter Pfarrer, organisierte 1944–1946 Hilfsaktionen für den Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund und wurde später Direktor des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS). 93 Offenbar trafen Niesel und Kloppenburg in Genf zusammen. Kloppenburg (1903–1986), Mitglied der BK und 1945–1953 Oberkirchenrat in Oldenburg, war 1947–1950 als Sekretär zur ÖRK-Flüchtlingsabteilung delegiert.
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146 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 16. Januar 1948 Lieber Karl Barth! Beiliegend sende ich Dir versprochenermaßen den Durchschlag Deines Briefes94 an mich zurück. Inzwischen waren wir in dieser Woche zu einer außerordentlichen Ratssitzung zusammen. Anlaß war eine Bitte von Dibelius, nach dem Scheitern der Londoner Konferenz etwas zu der hoffnungslosen Lage unseres Volkes zu sagen.95 Darüber soll noch gearbeitet und in einer Sitzung Anfang März Beschluß gefaßt werden.96 Ich habe auf der Sitzung den Fall Asmussen zur Sprache gebracht, und es bestand erstaunlicherweise darüber völlige Einmütigkeit. Ein Mitglied sagte mir nach Schluß der Sitzung: „Ich danke Ihnen, daß Sie diese Eiterbeule aufgestochen haben.“ Der Rat hat beschlußmäßig festgestellt, daß der Flensburger Vortrag von Asmussen: „Gehört Luther vor das Nürnberger Gericht?“ nur dessen persönliche Auffassung wiedergibt.97 Außerdem sage ich Dir noch Folgendes ins Ohr: Man konnte sich im Augenblick nicht entschließen, meinem weitergehenden Antrage, Asmussen seines Amtes zu entheben98, zu entsprechen, 1) weil er selber nicht zugegen war, 2) weil man ihm den Übergang in ein anderes Amt nicht verunmöglichen wollte (Meiser sagte: „Er wird sich mit einer bescheideneren Stellung begnügen müssen“) und 3) weil die verfassunggebende Kirchenversammlung Ende April stattfinden soll, auf der automatisch durch die neuen Bestimmungen der Grundordnung der EKiD eine Änderung in der Leitung der Kanzlei herbeigeführt werden wird. Wurm als der Vorsitzende des Rates wurde aber ausdrücklich beauftragt, Asmussen zu eröffnen, daß er sich bis dahin nicht mehr in Reden und Kundgebungen exponieren dürfe und auch alle kirchenpolitischen Initiativen zu unterlassen
94 Vermutlich ist Barths Brief vom 21. Dezember 1947 gemeint. 95 Während der Londoner Konferenz der Außenminister der Siegermächte ab dem 25. November 1947 wurde nochmals die „deutsche Frage“ traktiert, also auch die Frage nach der staatlichen Einheit und Souveränität Deutschlands. Die Konferenz wurde am 15. Dezember 1947 ergebnislos vorzeitig beendet und galt als gescheitert. Am 1. Januar 1948 wurden die amerikanische und die britische Besatzungszone vereinigt, am 1. August 1948 kam die französische dazu. Das entsprechende Telegramm von Dibelius wurde im Einladungsschreiben der Kirchenkanzlei vom 23. Dezember 1947 zitiert; vgl. Protokolle 1947/48, 350f. Die Sitzung fand am 14. Januar 1948 in Frankfurt a.M. statt. 96 Nach Besprechung am 14. Januar 1948 wurde der Text von Dibelius und Lilje überarbeitet und in der Märzsitzung gemeinsam mit Vertretern von Freikirchen als „Wort christlicher Kirchen in Deutschland für einen rechten Frieden und gegen die Zerreißung des deutschen Volkes“ verabschiedet; Protokolle 1947/48, 356f.400.414–416. 97 TOP 9: „Der Rat erklärt, daß der Flensburger Vortrag von Präsident Asmussen nur dessen persönliche Auffassung wiedergibt“; Protokolle 1947/48, 361. 98 Niesels Antrag wird dokumentiert in Protokolle 1947/48, 361f mit Anm. 33. Niesels hatte schon am 29. April 1947 geschrieben, man müsse zusammen mit Niemöller überlegen, „wie Asmussen an die Kette zu legen oder zu ersetzen ist“.
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Abb. 7: Wilhelm Niesel, Hans Asmussen um 1960
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hat.99 Letzteres fruchtet natürlich gar nichts, aber es bedeutet doch einen erheblichen Schlag für ihn, wenn er das nach seiner Rückkehr aus Amerika hört, wo er ebenfalls verheerend wirken soll. Mehr ließ sich im Augenblick nicht erreichen, aber ich finde, es ist genug, da sich alle Mitglieder des Rates darüber einig waren, daß Asmussen nicht mehr länger Präsident der Kanzlei sein dürfe. Soeben erhalte ich von Ernst Wolf Dein schönes Buch über die „Protestantische Theologie“.100 Ich freue mich schon sehr darauf, es studieren zu können. In diesen Wochen wird es freilich nicht werden. Mit herzlichem Gruß! Dein Wilhelm Niesel Du solltest dafür sorgen, daß Deine Dogmatik bald ins Englische übersetzt wird. Wie notwendig das wäre, merkte ich neulich auf der Konferenz in Bossey.101
147 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 24. Januar 1948 Lieber Wilhelm Niesel! Ich danke Dir für Deinen Bericht über die Behandlung der Frage Asmussen im Rat der EKiD. Vor zwei Tagen war Held102 bei mir und hat mir materiell dasselbe erzählt, nur daß der Umriß nicht so scharf wurde wie in Deiner Darstellung. Ein Brief von Heinemann an mich soll noch unterwegs sein.103 Die beschlußmäßige Feststellung des Rates lautet also dahin, daß Asmussens Flensburger Vortrag nur seine persönliche Auffassung wiedergiebt. Ich nehme das zur Kenntnis. Gegen Asmussens Flensburger Vortrag ist natürlich unter vielen Gesichtspunkten Vieles einzuwenden und es ist verständlich, daß der Rat davon abrücken wollte. Aber das, was ich erwartet hatte, ist mit diesem Beschluß in keiner Weise geschehen. Ich hatte nicht nach Asmussens Skalp verlangt, ich hatte aber die Vertrauensfrage gestellt: ob der ganze nicht nur in jenem Flensburger Vortrag, sondern nun seit Jahr und Tag in einer ganzen Reihe von öffentlichen Äußerungen in der peinlichsten Weise gegen mich vorgetragene Angriff im Einverständnis, im Auftrag oder doch mit der Billigung des Rates 99 Protokolle 1947/48, 361, TOP 10. Danach kam es zu einem ausführlichen Schriftwechsel (381–390). 100 Karl Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zollikon-Zürich 1947. 101 Der ÖRK gründete 1946 das Ökumenische Institut Bossey. 1947 fanden dort zahlreiche Kongresse statt; welchen Niesel hier meinte, ist unklar. 102 Heinrich Held war Ratsmitglied und am 14. Januar 1948 in Frankfurt a.M. anwesend. 103 Siehe Anm. 82.
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erfolgt sei und weiter zu erfolgen drohe oder ob das nicht der Fall sei? Mit einer Antwort auf diese Frage hat der Beschluß des Rates nichts zu tun. Es bleibt nach wie vor offen, ob ich in den Augen des Rates der EKiD der Mann bin oder nicht bin, als den mich Asmussen unter Inanspruchnahme der Autorität des Rates nun in so mannigfaltiger Weise hingestellt hat. Im Bruderrat ist ungefähr gleichzeitig über dieselbe Sache verhandelt worden. Es ist derselbe Bruderrat, der mich im vergangenen Sommer so freundlich und eigentlich feierlich aufgefordert hat, nicht nur vorübergehend, sondern gänzlich wieder nach Deutschland zurückzukehren.104 Es kam auch dort zu keinem Beschluß, in dem ich so etwas wie einen mir gewährten Schutz erblicken könnte. Es war offenbar schon viel, daß wenigstens ein Antrag von Schlink, der auf einen „Fall“ – Diem! hinausgelaufen wäre, nicht angenommen wurde.105 Ich weiß, lieber Wilhelm Niesel, daß Du persönlich die damit geschaffene Lage bedauerst, und ich weiß, daß Viele, Viele ein wenig überall in Deutschland sich ganz anders stellen, als es nun diese beiden verantwortlichen Gremien – in einem Zeitpunkt, wo irgend eine klares Wort in dieser Sache nun wirklich fällig gewesen wäre – getan haben. Du mußt mir aber erlauben, daß ich wie in meinem Brief vom 21. Dezember 1947 meine förmliche Anfrage, so nun auch meinen förmlichen Protest jedenfalls bei Dir niederlege. Man rechnet offenbar – und das mit Recht – in diesen verantwortlichen Gremien damit, daß ich eine dicke Haut und einen breiten Rücken habe und also allerhand ertragen könne und daß ich überdies an den Sachen mehr interessiert sei als an meiner persönlichen Rolle dabei. Ich bin natürlich auch nicht so naiv, nicht zu bedenken, daß in diesen Gremien selbst allerhand Unter- und Gegenströmungen wirksam sind, deren Vertretern eine gewisse limitierte Sympathie mit Asmussens Vorgehen gegen mich nicht ganz fremd sein mag. Das Ergebnis, an das ich mich nun wohl halten muß, ist aber dies, daß diese Gremien es offenbar nicht für eine Sache ihrer eigenen Ehre halten, zum Schutz meiner in der deutschen Öffentlichkeit nun immerhin sehr massiv angegriffenen theologischen und kirchlichen Ehre irgend etwas Verbindliches und Kräftiges zu tun, sondern sich damit begnügen, über die – nachdem man selber keinen Finger gerührt – von Diem seinerseits etwas massiv, aber immerhin sachlich ordentlich unternommene Verteidigung106 fromme Seufzer auszustoßen und im Übrigen in Aussicht zu nehmen, daß der ganze Asmussen über kurz oder lang in einer Versenkung zu verschwinden hat. Daß das nun Alles ist, dagegen lehne ich mich auf, weil ich das nicht für eine ordentliche Erledigung der Frage halte, die ich gestellt habe, die aber der Rat wie der Bruderrat sich längst selber hätten stellen können und sollen. Was ich auch in meinem ganzen Leben und so auch in meinem Verhältnis zu Deutschland und zur deutschen Kirche versiebt haben mag: daß ich nun von einem höchsten Offiziellen der EKiD und der BK so angepöbelt werden durfte, ohne daß dazu ebenso offiziell etwas Gegenteiliges gesagt worden ist, das – ja das muß und will ich nun 104 Solche Bemühungen gab es von der Universität Bonn, der Evangelischen Kirche im Rheinland, den Reformierten u.a. 105 Der Bruderrat tagte am 7./8. Januar 1948 in Darmstadt. 106 Gemeint ist Diems Brief an Asmussen vom 18. November 1947; siehe Anm. 71.
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eben hinnehmen, aber nicht ohne die ausdrückliche Erklärung, daß ich das für einen Flecken in der Landschaft107 halte und daß sich die vergrabene, aber immerhin noch vorhandene Erinnerung daran, wie ich 1935, als ich meinem Prozeß entgegenging und die damalige VKL und den damaligen Bruderrat, die mich zu diesem Prozeß veranlaßt hatten, um ihren formalen Beistand anging, von diesen beiden Gremien im Stich gelassen wurde und Alles persönlich ausfechten mußte, wieder gemeldet hat. Wie das ist mit dem Rohrstab Ägypten, der dem, der sich darauf stützen will, durch die Hand geht [vgl. 2. Kön 18,21; Ez 29,6b–7], das weiß ich nun und werde es doch auch dann noch wissen, wenn der besondere Fall Asmussen aus allerhand andern Gründen nun wirklich seiner Liquidation entgegengehen sollte. Dir persönlich danke ich für Alles, was Du in dem von mir erwünschten, aber offenbar nicht durchzusetzenden Sinn unternommen, gesagt und getan hast. Mit unsrer persönlichen Freundschaft soll also alles hier Gesagte nichts zu tun haben als dies, daß ich das Alles gerade Dir nun eben so offen gesagt habe, wie man es nur einem Freunde sagt. In den Frühjahrsferien habe ich eine schwierige und verantwortungsvolle Reise nach Ungarn vor mir108, zu deren Gunsten ich eine bereits angenommene Einladung nach Paris und Toulouse wieder absagen mußte. Dazu ist KD III/2 der Vollendung und dem Druck entgegenzuführen und für das Sommersemester (Lehre von Gottes Vorsehung!) ein ganz neuer Anlauf zu nehmen.109 So fehlt es auch hier nicht an Sorge und Arbeit. Sieh zu, daß Du bald wieder einmal hierher kommst und ich sehe Dein Gesicht und höre Deine Worte immer gerne. Mit herzlichem Gruß! Dein Karl Barth
148 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 6. Februar 1948 Lieber Karl Barth! Auf Deinen Brief vom 24. Januar will ich gleich antworten, da der Tatbestand ein anderer ist, als Du es vermutest. Ich selber bin daran schuld, daß die Sache so gelaufen ist. Der ganze Fall Asmussens wurde abends vor Schluß unserer Sitzung, 107 = ein wahrnehmbarer und bleibender Ort der Erinnerung. 108 Barth bereiste vom 22. März–5. April 1948 Ungarn; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 367– 369; Karl Barth, An meine Freunde in der Reformierten Kirche von Ungarn (23. Mai 1948), in: ders., Offene Briefe 1945–1968, 139–147. Barth trug an fünf Orten über „Die wirkliche Kirche“ vor (EvTh 8, 1948, 129–141). 109 Karl Barth, KD III/3, Zollikon-Zürich 1950, 1–66 (§ 48: Die Lehre von der Vorsehung, ihr Grund und ihre Gestalt).
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kurz vor 11 Uhr, in wenigen 20 Minuten verhandelt! Ich sagte Dir schon in Basel, daß wir uns hier klar geworden seien, daß nur eine radikale Wandlung helfen könne und sie um der Kirche willen absolut notwendig sei. Ich stellte darum den Antrag auf sofortige Abberufung von Asmussen und begründete das natürlich nicht nur mit seinem Verleumdungsfeldzug gegen Dich. Aber dieser Punkt stand in meiner Begründung im Vordergrund. Aus den Gründen, die ich Dir schon schrieb, hielt man es nicht für geraten, einen so weitgehenden Antrag anzunehmen. Daraufhin verlangte ich, daß wenigstens der Beschluß gefaßt würde, wie er dann ohne weiteres einstimmig zustandegekommen ist. Ich hatte bei meinem Vorstoß ganz und gar Asmussen im Auge und meinte, daß sein Wollen im Flensburger Vortrag in prägnanter Form zum Ausdruck käme. Ich meine allerdings, daß es um der Kirche willen darauf ankam, uns von Asmussen zu lösen, und daß es nicht genügt hätte, ihm bloß eine Rüge wegen seines unerhörten Verhaltens Dir gegenüber zu erteilen. Freilich war mir dann schon sehr bald hinterher klar, daß damit nicht alles getan sei, und ich empfinde auch, daß die EKD Dir persönlich nach dem allen ein Wort schuldig ist. Im Rat würde der ängstliche Meiser natürlich nur für ein Votum zu gewinnen sein, das erkennen ließe, daß er durch eine solche Erklärung nicht etwa auch Deine Tauflehre billigte.110 Damit muß man rechnen. Aber das hat ja mit Asmussens Verleumdungsfeldzug gegen Dich überhaupt nichts zu tun. Ich werde mit einigen Freunden darüber sprechen, und Du wirst dann weiter von uns hören. Es ist schade, daß Du nach Ungarn fährst.111 Im April will sich nämlich der Bruderrat mit der Tauffrage befassen, und wir hätten Dich sehr gern dabei gehabt. Ich komme soeben von einer sehr guten Altpreußischen Bruderratssitzung aus Berlin. Die Berliner BK hat vor kurzem einen Kirchentag gehalten und sich dabei ausführlich mit dem Bischofsamt beschäftigt. Eine Delegation hat dann eine sehr ernste, aber leider bisher ergebnislose Aussprache mit Dibelius gehabt, der sich bisher nicht bewegen ließ, sein Verständnis dieses Amtes aufzugeben. Im Sommersemester will ich über das Dogma der römischen Kirche lesen.112 Es verlautet nämlich, daß wieder einige Studenten unserer Schule konvertieren wollen. So gibt es auch hier immer wieder Kummer, und es ist dafür gesorgt, daß wir in keine falsche Sicherheit geraten. Mit herzlichem Gruß! Dein Wilhelm Niesel
110 Karl Barth, Die kirchliche Lehre von der Taufe, TEH.NF 4, München 1947. Zu der mit dieser Schrift angestoßenen Debatte vgl. Herbert, Kirche, 226–230. 111 Siehe Anm. 108. 112 Auch aus diesen Vorlesungen entstand Wilhelm Niesel, Das Evangelium und die Kirchen. Ein Lehrbuch der Symbolik, Neukirchen 1953.21960.
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149 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 11. Mai 1948 Lieber Karl Barth! Beiliegend übersende ich Dir mein neuestes opusculum, das bei den strengen Lutheranern schon unliebsames Aufsehen erregt hat.113 Es hat sich nun herausgestellt, daß wir mit Meiser und Genossen in Sachen der Abendmahlsgemeinschaft zu keiner Verständigung im Hinblick auf die geplante Grundordnung der EKD kommen.114 Der Lutherrat115 ist unter dem Einfluß von Meiser und Sommerlath116 nicht geneigt, die bereits sehr schwache Treysaer Formulierung in die Grundordnung aufzunehmen.117 Es blieb daher nichts anderes übrig, für die nun endgültig für Ende Juni in Eisenach festgesetzte Kirchenversammlung einen Passus zu formulieren, in dem weiter nichts enthalten ist, als daß der augenblickliche Stand in Sachen der Abendmahlsgemeinschaft in den verschiedenen Kirchen beschrieben wird. Auch die Barmer Theologische Erklärung war von denselben Herren schließlich ganz herausmanövriert worden.118 Ich habe nachdrücklich dagegen Einspruch erhoben und ihnen gesagt, daß sie dann eben die Bekennende Kirche auf der Kirchenversammlung majorisieren müßten. (Das ist nämlich umgekehrt die ständige Klage von Meiser uns gegenüber.) Auf Antrag von Dibelius wurde dann die ursprüngliche Fassung wiederhergestellt. Aber auch darüber wird es also in Eisenach eine Debatte geben, die aber vermutlich eher zu einem guten Ziele kommen wird als das Bemühen, in Sachen der Abendmahlsgemeinschaft doch noch etwas Brauchbares zu sagen. Im Zusammenhang mit unserer letzten Ratssitzung119 ist es nun dahin gekommen, daß Asmussen uns schriftlich mitgeteilt hat, er würde vom 1. Juni an in den Urlaub gehen. Wurm hatte ihm auf unsere Bitte hin eröffnet, daß dieses notwendig sei bis zu dem Zeitpunkt, wo auf Grund der neuen Verfassung die Stelle des Leiters der Kanzlei neu besetzt werden kann.120 Er ist natürlich schwer 113 Wilhelm Niesel, Kirchliche Einheit und konfessionelle Bestimmtheit in der Evangelischen Kirche in Deutschland, Schriftenreihe der Bekennenden Kirche 1, Stuttgart 1948. 114 Protokolle 1947/48, 448–452. 115 Der Lutherrat tagte am 11./12. März 1948 in Darmstadt und verhandelte v.a. über den das Abendmahl betreffenden Artikel 4 des Entwurfes zu einer EKD-Grundordnung; vgl. Protokolle 1947/48, 450 mit Anm. 30. 116 Ernst Sommerlath (1889–1983) war 1926–1959 Professor für Systematische Theologie in Leipzig. 117 Damit meinte Niesel wohl den Entwurf des Verfassungsausschusses vom 29. August 1947, der dann am 21. September 1947 überarbeitet und auf der Sitzung des Rates der EKD am 18. November 1947 vorgelegt wurde; vgl. Protokolle 1947/48, 279f.296–306, hier 298: Art. 5, Abs. 4. 118 Im genannten Entwurf wurde in Art. 1, Absatz 4 die Barmer Theologische Erklärung „bejaht“. Dieser Passus fehlte dann im Entwurf II, der bei der Ratssitzung am 9. März 1948 diskutiert und am 27./28. April 1948 beschlossen wurde. In der am 13. Juli 1948 in Eisenach beschlossenen Fassung gab es deshalb keine Aussage über Barmen. 119 Der Rat tagte am 27./28. April 1948 in Frankfurt a.M. 120 Nach einer Aussprache Wurms mit Niesel und weiteren Ratsmitgliedern im Anschluss an die Ratssitzung schrieb Wurm am 3. Mai 1948 Asmussen einen Brief mit der Bitte, sich beurlau-
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gekränkt und fühlt sich aufs höchste ungerecht behandelt. Seine neuste Schrift, die alles bisher Dagewesene übersteigt – ich erwähnte sie Dir gegenüber schon bei meinem Besuch –, wird Dir vermutlich gar nicht mehr zu Gesicht gekommen sein, da sie, wie ich höre, verboten sein soll.121 Ich fürchte ja, daß er weiterhin in der EKD Unruhe stiften wird. Es heißt, daß er in seiner Heimatkirche ein Amt erhalten soll.122 Ich bin hier an der Schule123 dabei, den Studenten etwas über das römische Dogma zu sagen, und war wiederum auf tiefste beeindruckt von den tiefgründigen Ausführungen, die Du in Deiner Dogmatik über den römischen Traditionsbegriff machst.124 Ich hoffe sehr, daß wir uns spätestens in Amsterdam wiedersehen werden.125 Zuvor komme ich noch in die Schweiz zum Reformierten Weltbund, um dort mein Sprüchlein über die reformierte Liturgie zu sagen.126 Mit herzlichem Gruß, auch an Dein ganzes Haus! Dein Wilhelm Niesel
150 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 14. Juni 1948 Lieber Karl Barth! Gerade seufzte ich gestern über die Vielgeschäftigkeit meiner jetzigen Existenz – in der letzten Woche war ich vier Tage auf einer diesmal sehr beschwerlichen Berliner Reise und hatte dann am Samstag zwei Stunden über die römische Rechtfertigungslehre zu lesen! –, da kam heute Morgen eine Anfrage von H.E. Weber127, ob ich wohl geneigt wäre, u.U. einen Ruf auf Deinen ehemaligen Lehrstuhl anzunehmen. „Bei Ihnen liegt die Frage nahe – sie ist dann auch geäußert –, ob Sie ben zu lassen. In seiner Antwort, die Asmussen dann an alle Ratsmitglieder sandte, kündigte er an, zum 1. Juni 1948 einen Urlaub anzutreten; vgl. Smith-von Osten, Treysa, 352 mit Anm. 41. 121 Im Zusammenhang mit seinen Kontakten zum „Detmolder Kreis“ erarbeitete Asmussen ein „Memorandum an den Rat der EKD über die Detmolder Arbeit und die vierte Konfession“, auf Grund dessen Niemöller ihm die Freundschaft entzog; vgl. Smith-von Osten, Treysa, 348–352. 122 Asmussen amtierte 1949–1955 als Propst in Kiel. 123 Theologische Schule Elberfeld. 124 Karl Barth, KD I/2, Zollikon-Zürich 1938, 598–740 mit Exkurs, 606–637 (§ 20: Die Autorität in der Kirche). 125 Die Weltkirchenkonferenz tagte vom 22. August–4. September 1948 in Amsterdam. 126 Wilhelm Niesel, Die Form des öffentlichen Gottesdienstes in den reformierten Kirchen, EvTh 8, 1948, 204–211; es handelt sich um ein Kurzreferat auf der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes am 14. August 1948 in Genf. 127 Hans Emil Weber war Barths Fakultätskollege in Bonn; siehe Teil I, Anm. 229. 1935 wurde er strafversetzt und lehrte bis 1937 Neues Testament in Münster; von 1946–1950 war er Professor für Neues Testament und Systematische Theologie in Bonn.
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nach all Ihrer Verflechtung in kirchenregimentliche Aufgaben noch den Weg in die Schlichtheit und Stille und Konzentriertheit professoraler Arbeit als ernstliche Möglichkeit erwägen können.“ Er fragt dann noch, ob wir andere Vorschläge machen könnten und sagt, daß für ihn und andere der Name Kreck128 einen guten Klang hätte. Es ist immer eine mißliche Sache um solche unverbindlichen Anfragen. Aber irgendwie muß ich nun ja antworten. Gut, daß wir übermorgen im Moderamen zusammenkommen. Ich hätte dort zu berichten gehabt, daß Albertz plötzlich seine Professur niedergelegt hat, um Superintendentur und Pfarramt behalten zu können.129 Nun kann ich die Freunde gleich auch in meiner Sache um Rat fragen. Aber vorher noch sollst Du der erste sein, den ich mit der Bitte angehe, mir zu raten. Die Übernahme der Bonner Professur würde bedeuten, daß ich die kirchenregimentlichen Ämter – Rat der EKD, Moderamen, Bruderrat – niederlegen müßte. Soll ich das tun, obwohl ich ohne mein Zutun in sie hineingewachsen bin, und nun den Schreibtisch und das Katheder wählen? Einen Abbau meiner Ämter müßte ich auch hier in Schöller allmählich vornehmen. Aber er würde dann eher so erfolgen, daß ich an der Schule nur noch nebenbei mitwirken würde, da sie doch fast nur Anfangssemester umfaßt und ich mich auf Gemeinde und vor allem Kirchenleitung konzentrieren würde. Mir schiene das auch das Gewiesene zu sein. Aber ich will nicht selber entscheiden, sondern meine Freunde sollen mir sagen, wo ich hingehöre. Vor allem erbitte ich das von meinem Lehrer. Wäre es nicht richtig, Kreck ginge nach Bonn und ich kümmerte mich weiter um die Fahrt des ganzen Schiffes? Mit Sorge denken wir an Eisenach.130 Es ist so weit, daß Württemberg vorher mit dem Reichsbruderrat Fühlung nehmen will. Asmussen läuft weiter Amok. Mit recht herzlichem Gruße! Dein Wilhelm Niesel
128 Walter Kreck (1908–2002) leitete ab 1948 das Predigerseminar Herborn und wurde 1952 nach Bonn berufen. 129 Martin Albertz (1883–1956), seit 1931 Pfarrer und Superintendent in Spandau, übernahm 1946 eine Professur für Neues Testament an der BK-Hochschule Berlin und für reformierte Theologie an der Humboldt-Universität. 130 In Eisenach tagte vom 9.–13. Juli 1948 die Kirchenversammlung der EKD, wo die Grundordnung angenommen und somit die Gründungsphase der EKD abgeschlossen wurde.
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151 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 18. Juni 1948 Lieber Wilhelm Niesel! Mein Rat geht eindeutig dahin, daß Du Rat, Bruderrat und Moderamen (dem letzteren könnte vielleicht, wenn es nicht zuviel Zeit in Anspruch nimmt, Schonung widerfahren) an den Nagel hängen und Professor in Bonn werden sollst.131 Begründung: Nach allen meinen Nachrichten und Eindrücken ist es so, daß die ganze Lage im „kirchenregimentlichen“ Bereich (was man so nennt, ich meine in dem ganzen Raum, wo nun seit drei Jahren fern von den Gemeinden, fern von der Theologie, fern vom Leben des gemeinen Mannes über die Kirche im Allgemeinen „Rat“ gepflogen wird) so verfahren ist, daß zum Tun nützlicher Arbeit daselbst für absehbare Zeit keine Aussicht besteht. Daß aus Eisenach (man hörte hier, die Russen ließen es gar nicht zustande kommen, stimmt das?) auch im besten Fall nichts Erfreuliches werden wird, kann man sich an den Fingern abzählen und ebenso, daß wenn Wurm einmal ausscheidet, der fromme Diplomat Lilje sein Nachfolger werden wird.132 Es hat sich aber auch der Bruderrat in der Auseinandersetzung über das Wort zur politischen Lage als ein Haus erwiesen, das mit sich selbst uneinig ist und jedenfalls keine Autorität hat. Ich sehe nicht ein, daß es sich lohnt, Deine Kräfte fernerhin auf diesem ganzen Feld zu verzehren. Zu wirklichen Entscheidungen wird es dort – ich glaube, ich könnte das mit dem englischen Schwur, im gegenteiligen Fall „meinen Hut essen“ zu wollen, beschwören – nicht kommen, und wenn der Kirche in Deutschland noch eine Erneuerung zu Teil wird, dann sicher nicht auf dem Weg über diese persönlich und sachlich überalterten Gremien. Also: „Wilhelm, hebe Dich zu Deinen Hütten!“ [vgl. 1. Kön 12,16] Wer jetzt in Deutschland gute Arbeit tut, der tut es anspruchslos in lokal und materiell beschränkten Kreisen. Wenn ich nicht wüßte, daß in Deutschland da und dort in aller Stille durch Predigt und Unterricht Gemeinde gebaut und daß jedenfalls auf einer Anzahl von deutschen Lehrstühlen ordentliche Theologie getrieben wird, so würde ich an Allem verzweifeln, denn alles Andere scheint mir immer mehr auf endlose „Gespräche“, auf feierliche Illusionen und auf ins Leere geredete vermeintliche „Worte“ hinauszulaufen. Für Dich jetzt also ganz schlicht die Theologie, wo es darum geht, in Forschung und Unterricht zunächst unter Wasser, aber als gediegene Voraussetzung für künftiges Bauen die Grundlagen zu legen. Bonn und auf „meinem“ einstigen Lehrstuhl: gut! Du wirst da in dem Dir nun vertraut gebliebenen Raum bleiben, eben daselbst aber den Spaten viel tiefer ansetzen können, als indem Du im Jammer des deutschen Eisenbahnwesens von Sitzung zu Sitzung fährst. Dein Ort der Schreibtisch, das Katheder und der Semi131 Barth wollte Niesel schon lange als seinen Nachfolger in Bonn sehen. Bereits in einem Brief an Arthur Frey vom 24. Mai 1946, in dem er ausführlich von seinem Semester berichtete, schilderte er auch die Situation der einzelnen Lehrstühle und schrieb im Zusammenhang mit seinem wieder zu besetzenden Lehrstuhl: „Ich trete für Niesel ein“; Barth, Offene Briefe 1945–1968, 64–76, hier 71. 132 Tatsächlich folgte 1949 als Ratsvorsitzender Dibelius auf Wurm.
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narraum! Deine im Schlaf Dir erscheinenden Gefährten statt Meiser und doch auch statt Niemöller: Augustin, Calvin und Schleiermacher! Deine Sorgen: endlich einmal ganz unaktuelle, dafür aber der Mühe werte, in die auf Schritt und Tritt die Ewigkeit hereinschaut. Die deutschen Studenten werden jetzt nach meinen hiesigen Beobachtungen an einer Reihe von allerdings ausgewählten Exemplaren langsam aber sicher wieder besser, gebildeter, forschungslustiger. Du wirst sicher auch in Bonn auf solche stoßen, mit denen zu arbeiten, die zu fördern eine Verheißung bedeuten wird. Und wenn Du dann noch das eine oder andere gute Buch schreiben wirst, so wirst Du für die Kirche mit Deinem strengen soliden, vielleicht etwas trockenen, aber jedenfalls nüchternen Kopf genau das tun, was man rebus sic stantibus133 im großen Kirchenstil heute doch nicht für sie tun kann. Macte virtute!134 Mit herzlichem Gruß! Dein Karl Barth
152 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 25. Juli 1950 Lieber Karl Barth! Der Rat der EKD hat mich beauftragt, dafür zu sorgen, daß das im Jahre 1947 nicht ungut begonnene Gespräch über das Abendmahl135 fortgesetzt wird, das damals versandete, weil Schniewind so plötzlich starb.136 Es war der Wunsch aller Beteiligten, daß zur nächsten Sitzung die Mitglieder des damaligen theologischen Ausschusses des Reichsbruderrates eingeladen werden möchten. So schreibe ich nun heute an die damaligen Teilnehmer: G. Bornkamm, Delekat, Käsemann, Schlink, Sommerlath, Vogel, Otto Weber und an die Beiratsmitglieder des Bruderrates: Diem, Dietzfelbinger, Iwand, Wolf und Dich.137 Ich habe Schlink ge133 = So wie die Dinge nun einmal stehen. 134 = Heil Deiner Tapferkeit! 135 Die zweite Kirchenversammlung in Treysa vom 5./6. Juni 1947 hatte den Rat der EKD gebeten, sich um ein verbindliches Gespräch über die Abendmahlslehre im Hinblick auf die Kirchengemeinschaft zu bemühen. Der Rat entsprach der Bitte und veranlasste die Einsetzung einer Kommission für das Abendmahlsgespräch in der EKD, um die noch nicht verwirklichte Abendmahlsgemeinschaft unter den Gliedkirchen der EKD zu überwinden. Eine erste Sitzung fand 1947 in Frankfurt a.M. statt; vgl. Friedrich, Von Marburg bis Leuenberg, 207–217; Freudenberg, Abendmahlslehre, 70–103, hier 88–91. 136 Julius Daniel Schniewind (1883–1948) war Professor für Neues Testament u.a. in Königsberg und Halle/S. und Mitglied der Bekennenden Kirche und des Pfarrernotbundes; zuletzt wirkte er als Propst des Sprengels Halle-Merseburg. 137 Günther Bornkamm (1905–1990), Friedrich Delekat (1892–1970), Ernst Käsemann (1906–1998), Edmund Schlink (1903–1984), Ernst Sommerlath (1889–1983), Heinrich Vogel
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beten, zunächst das Protokoll der ersten Sitzung zu verlesen, und Otto Weber, anschließend die Erwägungen zur Lehre vom Heiligen Abendmahl vorzutragen, die der theologische Beirat des Reformierten Bundes 1948 erarbeitet hat. Die Sitzung soll von Montag, den 16. Oktober abends bis Mittwoch, den 18. Oktober im Diakonissenhaus Elisabethenstift in Darmstadt, Erbacherstraße 25, stattfinden. Der Ort ist auch für Dich jetzt mit dem Schnelltriebwagen von Basel aus leicht zu erreichen, und so bitte ich Dich herzlich, von Deinem Grundsatz, Dich nur noch der Dogmatik zu widmen, um dieser wichtigen Sache willen einmal abzuweichen und zu dieser Besprechung zu uns zu kommen. Das ist schon aus dem Grunde notwendig, weil Du sonst in Gefahr gerätst, Deine Arbeitsvorsätze zu verabsolutieren und also mitten in der dogmatischen Beschäftigung Götzendienst zu treiben. Aber eine solche heilsame Unterbrechung wäre eben auch für die Förderung unseres Gespräches äußerst nützlich. Ich meine nicht, daß irgendein Stellvertreter uns den Dienst tun könnte, den wir da von Dir erwarten. Ich wäre Dir recht dankbar, wenn Du mir bis zum Ende des Monats August mitteilen würdest, ob Du zu dieser Sitzung kommen kannst. Ich hoffe sehr, daß dann bei Euch noch nicht das Semester begonnen hat. Sollte es gerade anfangen, so lassen sich die Vorlesungen vielleicht um diese wenigen Tage hinausschieben. Mit herzlichem Gruß! Dein Wilhelm Niesel
153 Karl Barth an Wilhelm Niesel Bergli, Oberrieden, 8. August 1950 Lieber Wilhelm Niesel! Laß Dir kurz – wärest Du hier oder ich dort, so würden wir wohl einen halben oder ganzen Tag über Alles reden können und müssen – sagen, warum ich der Einladung, die Du im Namen des Rates der EKD so freundlich und dringlich mir ausgerichtet hast, nun doch lieber nicht Folge leiste. Es scheint nun also so weit zu sein, daß ich dort im Verdacht stehe, mit meinen Arbeitsvorsätzen Götzendienst zu treiben. Ja, wer steht nicht in solcher Gefahr und warum sollte das nicht meine besondere Gefahr sein? Aber nun sehe ich so Viele, die speziell von dieser Seite her jedenfalls keiner sehr starken Versuchung ausgesetzt zu sein scheinen, daß ich wohl zurückfragen möchte: ob es Euch nicht auch ein erbauliches Schauspiel sein könnte, mich nun eben von dieser Gefahr umwittert zu sehen – irgendwo im Bereich der deutschsprechenden Theologie einen Ort, wo nun eben nur gekarrt und geschaufelt wird? (1902–1989), Otto Weber (1902–1966), Hermann Diem (1900–1975), Hermann Dietzfelbinger (1908–1984), Hans Joachim Iwand (1899–1960), Ernst Wolf (1902–1971).
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1933–35, „als der Griechen Schiffe brannten“138, habe ich mich aus allen Arbeitsvorsätzen heraus zur Abfassung von allerlei aktuellen Schriftwerken und auf die Achse zu allerhand Konspirationen und Gesprächen landauf landab rufen lassen. In der auf der Traktandenliste der heutigen EKD, ihres Rates und ihrer sonstigen Gremien stehenden Abendmahlsfrage kann ich kein brennendes Schiff erblicken. So wie ich die Situation sehe, ist die Meinung, daß eine Bereinigung dieser Frage heute das Gebot der Stunde oder des Heiligen Geistes sei, entweder die Sache einer historisierend-weltfremden Naivität oder das Manöver von Leuten, deren Separatismus ganz andere Quellen hat als ihre besondere Abendmahlslehre, die denn auch jede Bereinigung tatsächlich sabotieren werden, um dann, wenn die Sackgasse wieder einmal als solche sichtbar ist, Krokodilstränen vergießen und hier umso triumphierender auf ihre eigentlichen Absichten zurückkommen zu können. Das VELKD-Luthertum will nun einmal keine EKD.139 Und daran würde sich nichts ändern, auch wenn man mit seinen theologischen Vertretern zu irgendeinem Ergebnis oder zu etwas Ergebnisähnlichem hinsichtlich des Abendmahls kommen würde. Am Tag darauf würde es irgendeinen andern Vorwand ins Feld führen. Eine so verdorbene Situation (in der eine ehrlich empfundene Not gar nicht vorliegt und die Fassung von vorwärts führenden Entscheidungen gar nicht vorgesehen, sondern im Grunde ausgeschlossen ist) kann ich weder geistlich noch theologisch für interessant halten. Auch 1945–47 habe ich mich schließlich mehrfach und gründlich aus meinen Arbeitsvorsätzen herausrufen lassen. Was ist dabei herausgekommen? Im Einzelnen viel Schönes und in einer mir verborgenen Weise vielleicht da und dort auch etwas Fruchtbares. Im Ganzen habe ich jene Jahre als einen Mißerfolg in Erinnerung. Ich habe meine Sache wohl nicht gut gemacht, das rechte Wort nicht gefunden. Deutlich mußte mir sein, daß man mir nur mit einem seltsamen Gemisch von Vertrauen und Reserve begegnen konnte, für das ich mich gerne bei der eigenen Nase nehmen will, das mich aber jedenfalls nicht mit dem Eindruck zu meinen Laren140 zurückkehren ließ, es sei Gottes Wille, daß ich mich auf jenem Feld fernerhin direkt zu betätigen habe. Mein Eindruck war und ist vielmehr, ich wirke dort nur teils belastend, teils unnütz aufregend, ihr müßtet die Dinge nun praktisch unter Euch ausmachen, während ich mich hier mit den mir noch geschenkten Kräften dem Sägen meiner Baumstämme hinzugeben habe, bei dem ja immerhin für solche, die davon Kenntnis nehmen mögen, auch etwas in deutscher Sprache Lesbares herauskommt. 138 Friedrich Schiller, Das Siegesfest: „Ewig werde dein gedacht, / Bruder, bei der Griechen Festen, / Der ein Turm war in der Schlacht. / Da der Griechen Schiffe brannten, / War in deinem Arm das Heil“ (Sämtliche Werke in fünf Bänden, hg. v. P.A. Alt, Bd. 1, München 32011, 426). 139 Der Buchstabe K in EKD ist von Barth zur Hervorhebung unterstrichen. Im Hintergrund stehen konfessionelle Auseinandersetzungen in der EKD über den Charakter der EKD als Kirche. Während der sog. Lutherrat 1945 eine Lutherische Kirche Deutschlands gründen wollte, kam es tatsächlich zur Gründung der EKD. Um den Lutheranern entgegenzukommen, etablierte die EKD-Kirchenversammlung in Treysa 1947 das Nebeneinander von EKD als Bund bekenntnisverschiedener Kirchen und VELKD als Kirche mit einheitlicher Bekenntnisgrundlage. 140 Die Laren (lares familiares) sind in der römischen Religion die Schutzgeister bestimmter Orte und Familien.
III. Briefwechsel 1946–1968
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Otto Weber, der mich vor einigen Wochen in Basel besucht hat, hat mich in dem Allem sehr wohl verstanden. Auch er wollte mich ursprünglich an irgendeine Konferenz locken, konnte sich dann aber gut mit mir vereinigen darüber, daß ein akutes Bedürfnis nach meinem Mitreden draußen zur Zeit nicht vorliege, daß ein solches aber eintreten könnte und dann auch ernst zu nehmen wäre, wenn ich es mit einem seriösen kritischen Eintreten auf meine Dogmatik zu tun bekommen sollte. Und wenn irgend so etwas wie der Vorwurf, daß ich mich den deutschen Angelegenheiten allgemein und grundsätzlich entziehe, in der Luft liegen sollte – ich habe dergleichen schon läuten hören –, so vergeßt auch das nicht, daß ich durch die rund 50 deutschen Studenten, die wir jedes Semester in Basel haben und die in meinen Seminaren und Übungen wahrhaftig nicht zu kurz kommen, in der Lage bin, automatisch wenigstens auf einem kleinen Sektor wenigstens indirekt, aber doch Auge in Auge – sagen wir: zur kommenden deutschen Kirche zu reden, was dann vielleicht doch sogar fruchtbarer sein könnte, als mich mit Herrn Sommerlath141 und Gen[ossen] einige Tage lang im Rahmen von obsoleten Fragestellungen über das „Sakrament des Altars“ herumzuärgern. Erwäge dies alles mit Wohlwollen, grüße alle guten Freunde (im Rat der EKD werde ich wohl außer Dir und Niemöller keinen haben) und sei selbst herzlich gegrüßt von Deinem Karl Barth
154 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 12. Oktober 1950 Lieber Freund! Ich möchte die schöne Sammeladresse, die ihr von Schüttdorf aus an mich gerichtet habt, doch nicht in Schweigen untergehen lassen, sondern Dir als dem Hauptunterschreiber hiermit herzlichst verdankt haben.142 Unterdessen habe ich zum ersten Mal seit 3 Jahren wieder einen kleinen Sprung über die Grenze gewagt, und zwar zu den Badischen Theologiestudenten, mit denen ich (in störender Anwesenheit von etlichen Bonzen) ausgerechnet über das „Bekenntnis“ zu reden hatte. Die Studenten gefielen mir gut, aber was da in Baden von den Lutheranern (neuerdings unter Ausbreitung eines offiziellen Unionsdampfes) gespielt 141 Ernst Sommerlath (1889–1983) lehnte als konfessionell konservativer lutherischer Theologe die Arnoldshainer Abendmahlsthesen (1957) ebenso ab wie später die Leuenberger Konkordie (1973). Postkarte. 142 Die Hauptversammlung des Reformierten Bundes tagte vom 25.–27. September 1950 in Schüttorf, wo ein Kartengruß an Barth geschrieben wurde.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
wird, umso weniger.143 Umgekehrt war ich richtig erbaut von der Erklärung, die nach dem heutigen SEPD144 „die Bruderschaften der bekennenden Kirche“ (was ist das für ein Gremium?) an Adenauer gerichtet haben.145 Eben auf solche (auch sprachliche) Sachlichkeit habe ich schon lange gewartet. Aber nun muß ich meine Augen wieder stracks nach Jerusalem richten146 oder wenigstens auf den Band III/4, der diesen Winter fertig werden soll.147 Mit den besten Wünschen für Dein Wirken in allen Deinen Ämtern bzw. Diensten! Immer Dein Karl Barth
155 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 20. Oktober 1950 Lieber Karl Barth! Schon längst hätte ich auf Deinen lieben Brief vom August antworten sollen, in dem Du mir eine Absage hinsichtlich des Abendmahlsgespräches erteiltest. Inzwischen traf nun Deine liebe Karte mit dem Dank für unseren Gruß aus Schüttorf ein. Wir hatten dort in der Tat ein recht ordentliches Beisammensein. Du 143 Am 6. Oktober 1950 traf Barth mit der Fachschaft Badischer Theologiestudenten im Evangelischen Jugendheim Geroldseck in Lahr/Schwarzwald zusammen. In der Evangelischen Kirche in Baden gab es Auseinandersetzungen um den Bekenntnisstand, in dessen Zuge eine Reihe von reformierten Gemeinden durch Kirchenleitungen und Pfarrer sowie die Heidelberger Fakultät entgegen der eigenen Tradition „lutheranisiert“ wurden. Diese Entwicklungen standen im Zentrum des durch den in Basel bei Barth studierenden Gerhardt Langguth vermittelten Gesprächs; vgl. Hayo Büsing, Der Streit um die Präambel in der Grundordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden. Die Auseinandersetzung über den Bekenntnisstand nach dem Zweiten Weltkrieg, in: H. Erbacher (Hg.), Beiträge zur kirchlichen Zeitgeschichte der Evangelischen Landeskirche in Baden. Preisarbeiten anläßlich des Barmenjubiläums 1984, VVKGB 39, Karlsruhe 1989, 227–273. Auszüge des Gutachtens der Theologischen Fakultät Heidelberg vom Juni 1953 zum Bekenntnisstand der Evangelischen Kirche in Baden bringt Gerhard Schwinge, Geschichte der Badischen Evangelischen Kirche seit der Union 1821 in Quellen, Karlsruhe 1996, 460–465. 144 Schweizerischer Evangelischer Pressedienst. 145 Es handelt sich um einen offenen Brief der kirchlichen Bruderschaften der Bekennenden Kirche vom 4. Oktober 1950 an Bundeskanzler Konrad Adenauer. Dieser Brief bezog Stellung gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und kritisierte, dass entsprechende Zusagen an die westlichen Alliierten hinter dem Rücken des deutschen Volkes erfolgt sind; vgl. Hoeth, Wiederbewaffnung, 149f; Vogel, Kirche und Wiederbewaffnung, 130–141. Zu den Bruderschaften der Bekennenden Kirche vgl. Buchstädt, Kirche für die Welt. 146 Anspielung auf den zweiten Teil der 2. Strophe von Gerhard Tersteegens Lied „Kommt, Kinder, lasst uns gehen“ (1738): „Kommt, folgt und trauet dem; / ein jeder sein Gesichte / mit ganzer Wendung richte / fest nach Jerusalem, / fest nach Jerusalem“ (EG 393,2). 147 Karl Barth, KD III/4, Zollikon-Zürich 1951.
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magst einiges darüber aus der Ref. Kirchenzeitung ersehen, die ich Dir gleichzeitig zusende.148 Das Abendmahlsgespräch ist zunächst wegen zu geringer Beteiligung ins Wasser gefallen. Es ist ja nicht leicht, 10 Professoren für einen Tag zu gewinnen, an dem sie alle frei sind. Der bisherige Teilnehmerkreis war auch sehr zufällig zusammengesetzt. So hat der Rat auf meinen Antrag beschlossen, für das Frühjahr eine neue Sitzung in Aussicht zu nehmen, zu der ein neu zu berufender Kreis von Theologen geladen werden soll. Ich meine nämlich, daß wir die vor drei Jahren gut begonnene Sache nicht einschlafen lassen sollen. Uns geht es ja anders als Dir. Wir müssen mit diesen schlimmen Lutheranern zusammenleben, und von dieser Sorte gibt es auch nur einige. Auch manche von der VELKD sind ganz ordentliche Theologen, so z.B. der Direktor des Nürnberger Predigerseminars Dietzfelbinger.149 Aber wir werden Dich gegebenenfalls erst in einem Endstadium nochmals bitten, uns bei dieser Sache zu helfen. Der Meinung, daß Du überhaupt nicht mehr nach Deutschland kommen wolltest, bin ich noch nicht begegnet, und Deine letzte Mitteilung besagt ja, daß Du wenigstens einige Kilometer schon wieder einmal über die Grenze vorgestoßen bist. Die Badische Landeskirche hat solche Hilfe auch dringend nötig. Wir machen uns schwere Sorgen um die dortige Entwicklung.150 Im Augenblick beschäftigt allerdings die Remilitarisierungsfrage die Gemüter. Die „Bruderschaften“, die dazu Stellung genommen haben, stellen einen Kreis von Vertretern der in den einzelnen Landeskirchen bestehenden Bruderschaften dar.151 Niemöller hat diesen Kreis bisher zwei Mal einberufen. Warum eigentlich neben dem Reichsbruderrat, weiß ich nicht. Ich habe mit ihm noch nicht darüber gesprochen. Das Wort dieses Vertreterkreises und Niemöllers eigener Brief an Adenauer152 sind freilich auch in der BK nicht unumstritten.153 Gerade gestern sagte mir noch ein wackerer Ältester, die Russen verständen nur eine Sprache, und das sei die der Macht. Die Lage, in die wir geraten sind, ist geradezu grotesk! Noch bis vor wenigen Monaten hatten kaum die Förster die notwendigen Waffen, und jetzt soll unseren Jungen die Knarre wieder in die Hand gedrückt werden! Auch wenn der General, dessen Brief Niemöller veröffentlicht hatte, jetzt in der Zeitung einen Zurückzieher gemacht hat, so bedeutet das ja nicht viel, denn unter
148 Siehe Anm. 142; der Bericht findet sich in RKZ 91, 1950, 353–374. 149 Hermann Dietzfelbinger (1908–1984) war seit 1945 Direktor des Predigerseminars in Erlangen bzw. Nürnberg, danach Vorsteher des Diakonissenmutterhauses in Neuendettelsau und 1955–1975 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. 150 Siehe Anm. 143. Im Bericht des Moderators auf der Hauptversammlung des Reformierten Bundes vom 25.–27. September 1950 in Schüttorf äußerte Niesel: „Wir betrachten […] die fortschreitende Lutheranisierung der badischen Landeskirche, die an der dortigen Theologischen Fakultät in Heidelberg bereits ihren Abschluß gefunden hat, mit großer Sorge.“ (RKZ 91, 1950, 357–370, hier 365). Im Hintergrund stand die Berufung von Wilhelm Hahn auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie, nachdem bereits die Lutheraner Peter Brunner und Edmund Schlink dorthin berufen worden waren. 151 Siehe Anm. 145. 152 KJ 77, 1950, 174f; vgl. Vogel, Kirche und Wiederbewaffnung, 130–141. 153 Im Brief irrtümlich: umstritten.
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der Firma „Wachkompanie“ bilden die Amerikaner Deutsche militärisch aus.154 Und neben ihrem eigenwilligen Vorgehen dann das autoritäre Regime Adenauers! Gut, daß Heinemann die Konsequenzen gezogen hat.155 Bei dem allen kann man nur hoffen, daß Dei providentia156 uns der Frieden erhalten wird. Ich bin jetzt dabei, mich für das kommende Semester auf die Symbolik zu rüsten.157 Mit herzlichem Gruß! Dein Wilhelm Niesel
156 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 5. Mai 1951 Lieber Karl Barth! Heute begann ich hier Symbolik (lutherische und reformierte Lehre) zu lesen und kam in der Einleitung auf Schneckenburger und Schleiermacher zu sprechen.158 Wie hätten da meine Gedanken nicht zu Dir und meiner Lizentiatenvorlesung in Münster schweifen sollen, da Du in feierlicher Robe mit schönen Worten mich dann meinen eigenen Weg ziehen ließest?159 Und heute Nachmittag hatte ich über 1. Kor 15,1–11 nachzudenken, da ich morgen früh darüber zu predigen habe. Und wieder war ich bei Dir und Deinem schönen Buche über dieses Kapitel.160 So wandern die Gedanken immer wieder dankbar nach Basel. Und da 154 Es handelt sich um einen Niemöller zugespielten Brief vom 27. September 1950 von Generalleutnant Paul Mahlmann (1892–1963) an Niemöllers Bevollmächtigten, General Franz Beyer (1892–1968). In diesem Brief ist die Rede von Vorkehrungen zur Remilitarisierung. 155 Gustav Heinemann (1899–1976) war Mitglied der Bekennenden Kirche, gehörte seit 1945 dem Rat der EKD an und wurde 1949 Bundesinnenminister. Von diesem Amt trat er am 3. September 1950 aus Protest gegen die Remilitarisierungspläne von Bundeskanzler Konrad Adenauer zurück. 156 = Durch Gottes Vorsehung. 157 Diese Vorlesung erschien später als Buch: Wilhelm Niesel, Das Evangelium und die Kirchen. Ein Lehrbuch der Symbolik, Neukirchen 1953.21960. 158 Siehe Anm. 157; hier 144f zu Matthias Schneckenburger, Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformirten Lehrbegriffs, Theil 1–2, Stuttgart 1855. Schneckenburger seinerseits bezieht sich auf Friedrich D.E. Schleiermacher, Weihnachtsfeier (1806), in: ders., Kritische Gesamtausgabe, Abt. I/5: Schriften aus der Hallenser Zeit 1804–1807, hg. v. H. Patsch, Berlin/ New York 1995, 39–98. Vgl. auch Barths Empfehlung an Niesel im Brief vom 11. Juni 1926, die Darstellung von Schneckenburger zu lesen. 159 Die Licentiaten-Promotion mit dem Vortrag Niesels über Schleiermachers Verhältnis zur reformierten Tradition fand am 22. Februar 1930 in Münster statt; vgl. Barths Rede in diesem Band unter Nr. 32. 160 Karl Barth, Die Auferstehung der Toten. Eine akademische Vorlesung über 1. Kor. 15, München 1924.
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Du am Donnerstag Deinen 65. Geburtstag begehen wirst, wollte ich Dir das doch einmal gesagt haben. Ich hoffe, daß ich Dir in einiger Zeit auch wieder in einem theologischen Opus bezeugen kann, was ich bei Dir gelernt habe.161 Da ich ein Mann knapper Rede bin und Du zu Deinem Festtage sicherlich nur allzu viel zu lesen bekommst, möchte ich nur noch hinzufügen, daß selbstverständlich auch alle Freunde des Moderamens Dich herzlich grüßen lassen. Was wären wir für ein Verein ohne Deinen theologischen Tabak! Nun wünsche ich Dir vor allem Kraft und Frische, daß Du Dein großes Werk für Theologie und Kirche vollenden kannst! Quod Deus bene vertat!162 In alter Treue und dankbarer Verbundenheit! Dein Wilhelm Niesel
Abb. 8: (stehend) Wilhelm Niesel, Walter Kreck, Helmut Gollwitzer, Ernst Wolf, Otto Weber, Hans-Erich Heß; (sitzend) Gustav Heinemann, Karl Barth in Herborn 1951 161 Siehe Anm. 157. 162 = Gott möge es zum Guten wenden.
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157 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 5. Oktober 1951 Lieber Karl Barth! Am 18. April kommenden Jahres wird Günther Dehn 70 Jahre. Ich meine, daß es unsere Pflicht ist wie kaum bei einem anderen nach allem, was er hinter sich hat, seiner zu diesem Tage zu gedenken.163 Ernst Wolf will ein Doppelheft der „Evangelischen Theologie“ als Festgabe für diesen Zweck zur Verfügung stellen.164 Unter den Mitarbeitern darfst Du dann natürlich nicht fehlen. Ich möchte Dich also herzlich bitten, aus Deinem Schreibtisch eine von den vielen Sachen, die dort sicher liegen, hervorzunehmen und druckfertig zu machen, denn um einen neuen Aufsatz darf man Dich bei Deiner großen Inanspruchnahme durch die Dogmatik ja kaum bemühen. Könntest Du nicht das zur Verfügung stellen, was Du vor einiger Zeit einmal in Zürich über Bultmann vorgetragen hast?165 Ich nehme an, daß die Manuskripte bis Anfang des Jahres vorliegen müssen und wäre Dir recht dankbar, wenn ich Deinen Beitrag bis dahin haben könnte. Anfang September bin ich auf der Rückreise von meinem Urlaub, den ich im Anschluß an die Tagung in Rolle im Oberwallis verbrachte, mit dem Wagen über den Zürichsee gefahren.166 Ich hätte Dich gern auf dem Bergli besucht, aber wollte Dich, da sicher viele Besucher zu Dir strömen, nicht unnötig stören, zumal wir uns ja vor nicht allzu langer Zeit in Herborn gesehen hatten.167 Mit herzlichem Gruß! Dein Wilhelm Niesel
163 Günther Dehn (1882–1970) war Mitglied der Bekennenden Kirche und zuletzt 1946– 1954 Professor für Praktische Theologie in Bonn; zum „Fall Dehn“ vgl. Brief Niesels vom 15. Dezember 1930 mit Anm. 224. Dehn wurde 1933 von den Nationalsozialisten aus seiner Professur für Praktische Theologie in Halle entfernt. 164 EvTh 11, 1951/52, 437–580. 165 Barths Auseinandersetzung mit Bultmann erschien später als Einzelpublikation: Karl Barth, Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen, ThSt 34, Zürich 1952. 166 Vom 4.–11. August 1951 tagte in Rolle am Genfer See der Zentralausschuss des ÖRK, dem Niesel angehörte. 167 Bei der Theologischen Tagung im Predigerseminar Herborn im März 1951 hatte Barth nicht als Referent, sondern als Gesprächsteilnehmer mitgewirkt.
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III. Briefwechsel 1946–1968
158 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 20. November 1951 Lieber Karl Barth! Vor längerer Zeit hatte ich Dich um einen Beitrag für eine Festgabe zum 70. Geburtstag von Günther Dehn gebeten. Darf ich Dein Schweigen als Zustimmung buchen? Ich hoffe es. Zu Beginn des kommenden Jahres müssen die einzelnen Beiträge nämlich vorliegen. Leider scheint es so, daß die Berufung von Kreck nach Bonn sich doch noch zerschlägt.168 Nachdem ihm schon alle Zusagen gemacht worden waren, hat ihm die Fakultät wider alle Besprechungen jetzt bestimmte Auflagen hinsichtlich der Wahrnehmung der Praktischen Theologie gemacht, auf die er nicht eingehen kann. Man muß schon sagen, daß diese Bonner Angelegenheit zu einem Theater ausartet. Mit herzlichem Gruß! Dein Wilhelm Niesel
159 Charlotte von Kirschbaum an Wilhelm Niesel Basel, 26. November 1951 Lieber Herr Pastor Niesel! Daß Sie so lange auf Antwort warten mußten wegen des Festbeitrages für Günther Dehn169, das hängt damit zusammen, daß geradezu drei solche Beiträge zusammenfallen und Karl Barth nicht mehr recht sah, wie er das leisten sollte. Nun möchte er aber einem so langjährigen Freunde wiederum diesen Dienst nicht versagen. So hat er die Absicht gefaßt, eine alte unveröffentlichte Arbeit von ihm aus der gemeinsamen religiös-sozialen Zeit unter dem merkwürdigen Titel „Religion und Leben“ mit einem erklärenden Vorwort zu liefern.170 Damit würden Sie doch wohl auch einverstanden sein? 168 Tatsächlich wurde Walter Kreck (1908–2002) dann doch 1952 als Professor für Systematische und Praktische Theologie nach Bonn berufen, wo er bis 1973 lehrte. 169 Brief vom 5. Oktober 1951. 170 Karl Barth, Religion und Leben, EvTh 11, 1951/52, 437–451. Es handelt sich um einen Vortrag, den Barth am 9. Oktober 1917 in Safenwil in einer Konferenz junger Lehrerinnen gehalten hatte. Mit ihm wollte Barth Dehn eine „freundliche Erinnerung an die Zeit unseres ziemlich dynamischen Aufbruchs zu noch größeren Tagen“ zukommen lassen (438). Im gleichen Doppelheft: Wilhelm Niesel, Mündige Gemeinde, EvTh 11, 1951/52, 478–483. In einem kurzen Schreiben an die „Herren Mitarbeiter an der Festnummer der Ev. Theologie für Günther Dehn“ vom 21. Februar 1952 notiert Niesel: „Herr Prof. Ernst Wolf teilt mir mit, daß es möglich sein würde, 100 Freiexemplare an die Ostzone abzugeben, wenn wir auf unser Honorar verzichten würden. Teilen Sie mir doch bitte auf einer Postkarte mit, ob Sie damit einverstanden sind“.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Wir sind nämlich hier ein wenig pausenlos an der Arbeit. Das Seminar über Bultmann (Kerygma und Mythos)171 ist überfüllt und steht in einem ganz seltsamen Spannungsverhältnis zur Vorlesung, fast ein „Anschauungsunterricht“ der sachlichen Übereinstimmung und Unterschiedenheit von Barth und Bultmann. Daneben kommen und gehen deutsche Gäste, die zu ökumenischen Konferenzen eilen! Aber die Hauptsache: irgendwie sind die Kräfte wieder gewachsen für dies Alles und ist Karl Barth in diesem Semester frischer am Werk als die letzten Jahre. Mit den besten Grüßen von ihm und uns allen! Ihre Charlotte von Kirschbaum
160 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 21. Februar 1952 Lieber Karl Barth! Auch Dir sende ich beiliegende Einladung. Die Freunde im Moderamen meinten, daß gerade Du als überzeugter Kongregationalist dabei nicht fehlen dürftest und daß Du als solcher vielleicht doch trotz großer Zeitbedrängnis die Möglichkeit finden würdest, für diesen einen Tag zu uns zu kommen.172 Von mir ist jetzt eine Symbolik in den Druck gegangen, die von Barmen her geschrieben ist!173 Mit herzlichen Grüßen! Dein Wilhelm Niesel An die Herren Mitglieder des Theologischen Beirates des Reformierten Bundes, die Herren Prof. Barth, Goeters, Jacobs, Kreck und D. Kolfhaus Sehr geehrte, liebe Herren und Brüder! Namens des Moderamens lade ich Sie hiermit herzlich und dringlich zu einer Sitzung des Moderamens am 31. März in Barmen ein, auf der wir uns einen ganzen Tag mit dem Vorschlag zur Neuordnung des Pfarrstellenbesetzungsrechtes im Rheinland befassen wollen, der von dem Kirchenordnungsausschuß der Synode vorgelegt worden ist. Wie Sie wohl gehört haben, wird vorgeschlagen, das Pfarr171 Aus der Arbeit im Seminar ging die Schrift hervor: Karl Barth, Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen, ThSt 34, Zürich 1952. 172 Barth nahm an der Sitzung vermutlich nicht teil. 173 Siehe Anm. 157.
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wahlrecht der Gemeinden am Niederrhein in erheblicher Weise zu beschneiden, um dafür Raum zu schaffen, daß die Kirchenleitung die Möglichkeit erhält, durch Besetzung Pfarrer unterzubringen. Wir halten dafür, daß damit ein solch erheblicher Gestaltwandel unserer Kirche hier vollzogen würde, daß wir uns für verpflichtet halten, vor dem Zusammentritt der Synode im Frühjahr dazu Stellung zu nehmen. Von Ihnen erbitten wir dabei theologische Beratung. Daß wir Sie nach sehr langer Zeit erst zu diesem Problem wieder zusammenbitten, mag Ihnen ein Zeichen dafür sein, wie ernst wir die Sache angehen. Wenn Sie den Entwurf zuvor haben möchten, lassen Sie es mich bitte wissen. Die Sitzung soll beginnen am 31. März, morgens 10 Uhr, in der Kirchlichen Hochschule, Barmen, Missionsstraße 9 (auf der Hardt), und abends schließen. Sollten Sie Wünsche für Übernachtung haben, so lassen Sie das, bitte, vorher Frau von Friesen dort wissen. Die Fahrtkosten werden Ihnen natürlich ersetzt. Mit den besten Grüßen! Ihr Wilhelm Niesel
Abb. 9: Wilhelm Niesel, Joachim Beckmann, Karl Barth in Bielefeld 1953
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
161 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 6. November 1952 Lieber Karl Barth! Heute schreibe ich Dir im Auftrage des Moderamens unseres Reformierten Bundes. Es geht darum, daß wir bei einem Wechsel im Schatzmeisteramt (Dr. Mensing hat einen schweren Schlaganfall erlitten)174 feststellten, daß Dein Name in der Liste unseres Freundeskreises gestrichen ist. Vielleicht beruht das nur auf einem Irrtum. Jedenfalls wünschten die Freunde im Moderamen, Dich ausdrücklich wissen zu lassen, daß wir sehr dankbar wären, wenn wir auch im Rahmen unseres Freundeskreises mit Dir verbunden wären, nicht nur, weil Du einmal Mitglied unseres Moderamens warst175, sondern weil Du überhaupt zu uns gehörst. So bitte ich Dich herzlich um die Erlaubnis, daß wir Dich weiter in unserer Liste führen dürfen, und ich hoffe, daß Du dagegen keinen Einspruch erhebst. In den nächsten Wochen erscheint von mir eine Symbolik, kein großes Werk, sondern ein Lehrbuch für unsere Studenten und Kandidaten.176 Den Ausgangspunkt für die Betrachtung habe ich dabei von der Barmer Theologischen Erklärung genommen. Während dieses Semesters lese ich Ethik II (Kirche und Gesellschaft). Da werde ich zu den Fragen, die uns heute beschäftigen, allerlei sagen können. Mit herzlichem Gruß! Dein Wilhelm Niesel
162 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 16. Dezember 1952 Lieber Karl Barth! Am 3. Feiertag komme ich auf einer Reise nach Genf durch Basel und könnte dort 19.25 Uhr eintreffen, also Samstag, den 27. Dezember, um mit Dir einen Abend zu verbringen, falls Du daheim bist. Ich wäre Dir dankbar, wenn Du mich recht bald wissen ließest, ob es Dir paßt. Mit herzlichem Gruß! Dein Wilhelm Niesel 174 Karl Mensing (1876–1953) war Jurist, 1948–1953 Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche im Rheinland und seit 1946 Schatzmeister des Reformierten Bundes. 175 Barth war 1934–1936 Mitglied des Moderamens des Reformierten Bundes. 176 Siehe Anm. 157.
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163 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 22. Dezember 1954 Lieber Karl Barth! Nun muß ich Deine Aufmerksamkeit auch einmal für einen Augenblick in Anspruch nehmen. Denken tue ich in diesen Wochen fast täglich an Dich, da ich in diesem Semester Dogmatik lese und daher von den Bänden Deines Werkes ständig der eine oder der andere aufgeschlagen auf meinem Schreibtisch liegt; aber nicht deswegen schreibe ich. Es handelt sich vielmehr um den Coetus. Unser Freund Harmannus Obendiek ist, wie Du weißt, in USA tödlich verunglückt, und er war der Vorsitzende des Coetus.177 Nun ist es an einigen seiner Freunde zu überlegen, was aus dieser einstigen Kampftruppe der Bekennenden Kirche werden soll. Wir waren kürzlich in einem kleinen Kreise Wuppertaler Brüder zusammen, um das miteinander zu überlegen, dabei fiel auch unvermeidlich Dein Name, denn Du gehörst zweifellos zu den Paten des Kindes, das jetzt verwaist ist. In meinem Notizkalender aus dem Jahre 1933 steht unter dem 13. Oktober im Anschluß an die vorangehende Theologische Woche in Elberfeld verzeichnet: „9 Uhr, Coetus reformierter Prediger (K. Barth)“. Wir waren jetzt in dem genannten kleinen Wuppertaler Kreise der Meinung, daß auf alle Fälle der Dienst der Theologischen Wochen weiter geschehen müßte. Sie wurden ursprünglich von unserem Reformierten Bund veranstaltet und dann vom Coetus übernommen. Ihre Stimme darf nicht verstummen. Wir sind daher übereingekommen, den Coetus für den nächsten Herbst zu einer Theologischen Woche einzuberufen und dann diese Versammlung selber darüber entscheiden zu lassen, ob der Coetus als Träger der Theologischen Wochen erhalten werden soll oder ob man die Veranstaltung dieser Wochen wieder in die Hände des Reformierten Bundes zurückgeben will. Obendiek hatte auf unserer Reise nach Amerika bereits Pläne für diese Theologische Woche entwickelt. Ich schreibe Dir nun heute im Auftrage der Brüder, um Dich herzlichst zu bitten, Du möchtest Dich für diese besonders wichtige Theologische Woche noch einmal mit einem Vortrage zur Verfügung stellen. Wir haben daran gedacht, die Predigt zum Hauptthema dieser Woche zu machen. In vielen Kreisen der von der liturgischen Bewegung infizierten Prediger ist heute die Bedeutung der Predigt
177 Harmannus Obendiek (1894–1954) war 1931–1951 Pfarrer in Barmen-Gemarke, lehrte an der Theologischen Schule Elberfeld und seit 1945 an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, war Mitglied der Bekennenden Kirche und als Nachfolger von Karl Immer seit 1944 Leiter des Coetus reformierter Prediger. Im Anschluss an die Teilnahme an der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Princeton und der Weltkirchenkonferenz in Evanston verunglückte er während einer Predigt- und Vortragsreise am 14. September 1954 bei Rapid City (South Dakota) tödlich; vgl. Robert Steiner, Harmannus Obendiek, Zeugen und Zeugnisse 2, Neukirchen 1955.
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wieder in Vergessenheit geraten.178 Was man in dieser Hinsicht vor zwei Jahren in Lund auf der Tagung von Faith and Order hören konnte, will ich gar nicht erwähnen.179 Die Predigt wird als ein Element des Gottesdienstes unter anderen angesehen. Hinzu kommt die Problematisierung der Predigt durch die Fanatiker der Entmythologisierung. Diese reden zwar viel von der Verkündigung, berauben sie aber ihres Gehaltes. Wir möchten Dich also herzlich bitten, uns das Hauptreferat über „Die Predigt heute!“ zu halten. Vermutlich bist Du geneigt zu sagen, dazu seid ihr selber Manns genug, um einen solchen Vortrag zu halten; das will ich gar nicht bestreiten, kann aber auch nicht verschweigen, daß es sicherlich keiner von uns gerade so sagen könnte wie Du. Außerdem kommt, wie schon erwähnt, hinzu, daß Du der Pate des Coetus bist und wir Dich auf dieser für die Zukunft des Coetus entscheidenden Tagung nicht missen können. So hoffe ich auf eine gute Antwort von Dir. Wir werden am 17. Januar wieder zusammenkommen und ich wäre Dir recht dankbar, wenn ich bis dahin eine Nachricht haben könnte. Jetzt vor dem Fest denke ich, da ich diesen Brief schreibe, wieder an die schönen Nachweihnachtstage, die ich 1945 in Deinem Hause verleben durfte. Wohin sind wir seit jenen Jahren schon wieder gekommen? Deine Wiesbadener Rede habe ich mit voller Zustimmung gelesen.180 Und nun wünsche ich Dir einige ruhige Tage zum Fest und ein gesegnetes Neues Jahr! In alter Verbundenheit! Dein Wilhelm Niesel
178 Die jüngere Liturgische Bewegung differenzierte sich nach 1918 in die hochkirchliche Bewegung, in den Berneuchener Kreis einschließlich der 1931 aus ihr hervorgegangenen Michaelsbruderschaft und in den Alpirsbacher Kreis sowie in die Singbewegung. Die von Christhard Mahrenholz (1900–1980) 1941 gegründete Lutherische Liturgische Konferenz nahm Anregungen dieser Bewegungen auf und ließ sie in die vierbändige Agende der VELKD (1951– 1962) einfließen. 179 Die 3. Weltkonferenz der Kommission des ÖRK für Glauben und Kirchenverfassung, an der Niesel teilgenommen hat, tagte in Lund vom 15.–28. August 1954. Die Konferenz war von der Kontroverse bestimmt, ob die Einheit im Glauben bestimmte Formen der Lehre, der Sakramente und des Amtes voraussetzt; vgl. Lund. Dritte Weltkonferenz der Kirchen für Glauben und Kirchenverfassung. Der Konferenzbericht mit den wichtigsten Reden und Dokumenten samt einer Einführung von Bischof i.R. D. Dr. Wilhelm Stählin, Witten 1954. 180 Auf Einladung der hessischen Landesregierung hielt Barth am 14. November 1954 in Wiesbaden eine Gedenkrede aus Anlass des Volkstrauertages, in der er sich zum deutschen Neuaufbau in den Nachkriegsjahren äußerte und die Neutralisierung und Entmilitarisierung Deutschlands anmahnte; ders., Volkstrauertag (1954), in: ders., Der Götze wackelt, 165–176; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 419f.
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164 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 31. Dezember 1954 Lieber Wilhelm Niesel! Es wird nicht gehen. Die Reihe „Theologische Existenz heute“ – „Gedenken heute“ – „Predigt heute“ wäre zwar wundervoll gewesen und das Heute! kann man ja nach dem Wort des Engels zu den Hirten [Lk 2,11] wie nach dem Hebräerbrief [Hebr 3,13] gar nicht oft und laut genug in die Welt rufen. Es giebt aber auch einen „Karl Barth heute“, der ein nun schon bald 69jähriger alter Herr ist, der noch ganze Berge Dogmatik vor sich sieht und dem solche Zwischenaufträge noch viel mehr Mühsal bedeuten als von jeher, der sich also nur noch bei den außerordentlichsten, nicht nur brennenden, sondern geradezu lodernden Anlässen aus seiner Klause locken läßt. Es kommt dazu, daß mich das Thema nicht recht ruft, weil ich das Grundsätzliche dazu längst gesagt zu haben meine, gerade was das Heute! aber angeht viel zu wenig, eigentlich keine Anschauung davon habe, wie heute, speziell auch auf reformierten Kanzeln, bei Euch gepredigt wird, welches die Verwüstungen sind, die dort durch Liturgismus und Existentialismus (par nobile fratrum!)181 angerichtet wurden. Um darüber ins Bild zu kommen, müßte ich mich ausgebreiteten Lektüren hingeben, zu denen ich einfach keine Zeit habe. Wiederum predige ich selbst nur noch so selten, daß ich einfach die Stirne nicht hätte, vor Euch, die jahraus jahrein Sonntag für Sonntag Predigenden, hinzutreten, um Euch zu sagen, daß ihr und wie ihr das tun sollt. Nein, da muß nun wirklich einer der Eurigen in Euer Aller Namen und zu Euch Allen reden. Der Tod von Obendiek ist auch mir sehr nahe gegangen.182 Ich freute mich jedesmal, wenn er zu mir kam oder ich sonst Berührung mit ihm hatte. Er hat für mich „Wuppertal“ in dessen mir einleuchtendster Gestalt vertreten. Die Lücke, die er für Euch im Rheinland und im größeren, deutschen Umkreis hinterläßt, wird sich schmerzlich bemerkbar machen. Daß ich jetzt nicht mehr in Deutschland existiere, darüber könnt ihr wahrscheinlich nur froh sein. Die Politik Eurer Mächtigen und ihrer geistlichen Seitenmänner (etwa Dibeliussens183 und Liljes184) geht mir mindestens so sehr auf die Nerven wie s.Z. die des Adolf185 und der DC, und es bestünde dringende Gefahr (Wiesbaden hat es ja en miniature offenbar gemacht)186, daß ich dort lauter „lodernde“ Anlässe sähe, die Grenze der beiden Reiche alle Augenblicke zu überschreiten. Du müßtest Dich dann vielleicht wieder wie einst 1933 aufs Bergli zu
181 = ein edles Brüderpaar; ironische Wendung aus Horaz, Sat. II,3,243. 182 Siehe Anm. 177. 183 Otto Dibelius (1880–1967) war 1945–1966 Bischof der Evangelischen Kirche in BerlinBrandenburg und 1949–1961 Ratsvorsitzender der EKD. 184 Johannes (Hanns) Lilje (1899–1977) war 1947–1971 Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover und 1949–1967 stellv. Ratsvorsitzender der EKD. 185 Adolf Hitler. 186 Siehe Anm. 180.
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mir delegieren lassen187, um mir klar zu machen, daß christliche Verantwortlichkeit und Civilcourage zweierlei seien. Und der KD würde Solches auch nicht zu Gute kommen. Ein Exemplar der am Weihnachtstag von mir gehaltenen Predigt ist nun doch an Dich abgegangen.188 Schon damit Du siehst, wohin ich geraten bin. Ernst Wolf hat es auf die klare Formel gebracht: „Karl Barth endigt im Zuchthaus“. Vor Weihnacht ist der Paragraph über die Heiligung zu Ende gekommen – nicht ohne allerhand positive und andere Beziehung zu Calvin.189 Daneben celebrieren wir ein Seminar über „Luther und die Schwärmer“, für die anwesende deutsche Jugend darum aufregend, weil es ihr ganz neu zu sein scheint, daß man dem Mann – statt sich ihn nach dem eigenen Bilde zurecht zu machen und dann zu kanonisieren – auch einfach gewisse gemessene Fragen stellen kann. Die Fahnen und Bogen von IV/2 rauschen unentwegt hinter mir her. Genug für heute! Zürne mir nicht wegen der Absage! Sei und bleibe der „Eiserne Wilhelm“, als der Du groß und unentbehrlich bist: so im neuen wie im alten Jahr! Ave Moderator! So getreulich der Deine Karl Barth
165 Wilhelm Niesel an Karl Barth Auf dem Fluge von USA nach Berlin, 6. Mai 1956 Lieber Karl Barth! Was kann ich Dir zu diesem 10. Mai anderes sagen, als was schon Herrenbrück190 in der RKZ zum Ausdruck gebracht hat: daß wir Dich lieben und verehren und unserem Gott dankbar sind, daß wir Dich haben! Aber dieser 70. Geburtstag ist ein guter Anlaß, daß ich Dir auch mal sage, wie dankbar ich Dir bin für das, was ich persönlich von Dir gelernt habe; nicht erst unter Deinem Katheder in Göttingen während des ersten „Unterrichts in der christlichen Religion“191. Wenn ich zu187 Niesel besuchte Barth am 11. April 1933 auf dem Bergli; vgl. Niesel, Kirche unter dem Wort, 73, Anm. 45; Ulrichs, Wilhelm Niesel und Karl Barth, 186. 188 Karl Barth, Euch ist heute der Heiland geboren. Predigt über Lk 2,10f, in: ders., Predigten 1954–1967, 9–17, gehalten in der Strafanstalt Basel. 189 Karl Barth, KD IV/2, Zollikon-Zürich 1955, 565–694 (§ 66: Des Menschen Heiligung). 190 Walter Herrenbrück (1910–1978) war 1951–1963 Landessuperintendent der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland; ders., Karl Barth zum 10. Mai 1956, RKZ 97, 1956, 209f. 191 Karl Barth, Unterricht in der christlichen Religion, Bd. 1: Prolegomena (1924), hg. v. H. Reiffen, Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. II, Zürich 1985; ders., Unterricht in der christlichen Religion, Bd. 2: Die Lehre von Gott/Die Lehre vom Menschen (1924/1925), hg. v. H. Stoevesandt, Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. II, Zürich 1990.
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sammen mit Günther Dehn nicht schon von Dir gehört und den „Römerbrief “192 gelesen hätte, wäre ich wohl nicht Theologe geworden. Ich sollte Dir die herzlichsten Segenswünsche unseres Moderamens überbringen. Weil sich aber herausstellte, daß Otto Weber zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz weilt, wurde er damit beauftragt. Zu einer ausgiebigen Begegnung kann es an diesem Tage ja nicht kommen. Es war mir eine Freude, einen Tag über in Chicago mit Markus193 zusammensein zu können und nicht nur gute theologische Gespräche mit ihm zu haben, sondern ihn auch im Kreise der munteren Seinen zu erleben. Ich muß annehmen, daß Du an einem der nächsten Abende Schlucken bekommen hast; da habe ich nämlich zusammen mit Cochrane’s194 in Dubuque bei einer Flasche Rüdesheimer Mozart gehört, und wir haben Deiner in Dankbarkeit gedacht. Soll ich noch erwähnen, daß ich in den Staaten an 9 verschiedenen Hochschulen kräftig christozentrische Theologie während zweier Monate dargeboten und die natürliche Emil Brunners abgetragen habe? 195 In herzlicher Verbundenheit! Dein Wilhelm Niesel
166 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 9. Juli 1956 Lieber Karl Barth! Verzeihe, wenn ich Dich im Gedränge des zu Ende gehenden Semesters mit einer Frage bedränge. Der mir immer schon verdächtige Konvent der zerstreuten evangelischen Ostkirchen196 hat den deutschen Teilnehmern an der Tagung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates in Budapest eine vertrauliche In192 Karl Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung 1919), hg. v. H. Schmidt, Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. II, Zürich 1985; ders., Der Römerbrief (Zweite Fassung 1922), hg. v. C. van der Kooi/K. Tolstaja, Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. II, Zürich 2010. 193 Barths Sohn Markus (1915–1994) war 1953–1972 Professor für Neues Testament in Dubuque, Chicago, Pittsburgh und seit 1973 in Basel. 194 Der kanadische Theologe Arthur C. Cochrane (1909–2002) war mit Barth seit 1936 in Kontakt, als er seine Dissertation zu „The Relation of Karl Barth to the Confessions and Catechisms of the Reformed Churches“ (erschienen unter dem Titel: The Relation of Karl Barth to the Historic Creeds and Standards of the Church, Edinburgh 1937) verfasste. 195 Niesel berichtete von seiner Reise in die USA in einem „Brief aus Amerika“ (RKZ 97, 1956, 162–165.186–189). 196 1951 gegründeter konservativer Zusammenschluss von Hilfskomitees, die sich für die Interessen der evangelischen Kirchen einsetzte, die sich in den ehemaligen deutschen Ostgebieten befanden.
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formation über die kirchlichen Verhältnisse in Ungarn zugehen lassen.197 Darin heißt es, daß Bischof Bereczky198 nach einem heftigen Wahlkampf mit 340 von 640 Stimmen gewählt worden sei, und dann liest man folgenden Satz: „Bischof Péter199 stand ihm damals bei, indem er zu Karl Barth fuhr und dessen Befürwortung erwirkte.“ Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir kurz mitteilen würdest, wie es sich mit dieser „Befürwortung“ verhalten hat, damit ich dem Ostausschuß eine entsprechende Antwort erteilen kann. Sicherlich ist die Dogmatik ein gutes Stück weitergewachsen! Ich will im Wintersemester Theologie Calvins lesen und im neuen Jahre mein Buch in überarbeiteter Auflage herausbringen.200 Eine gute Erholung in hoffentlich recht langen Ferien wünscht Dir mit herzlichen Grüßen Dein Wilhelm Niesel
167 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 11. Juli 1956 Lieber Freund! Es stimmt, daß Bischof Péter im Mai 1948 bei mir in Basel war (nachdem ich März/April jenes Jahres Ungarn besucht hatte). Unser Gespräch lief über die Punkte: 1. das bevorstehende Konkordat, 2. ein politisch-kirchenpolitisches Programm des reformierten Synodalrats, 3. die Bischofswahl für Budapest. Zu Punkt 3: Ich hatte in Budapest Übereinstimmung darüber festgestellt, daß Bereczky der kirchlich und theologisch am Besten geeignete Mann sein dürfte. Gegen ihn sprach die Tatsache seiner gewissen Nähe zu dem neuen Regime: er war kurze Zeit sogar Staatssekretär in der damals noch nicht einparteilichen neuen Regierung gewesen. Bereczky selbst zögerte aus diesem Grund, die Kandidatur anzunehmen. Meine Ratschlag lautete: u[nter] a[llen] U[mständen] (und nun eben auch unter diesen) kirchlich-theologisch und also nicht po197 Siehe zu den kirchlichen und politischen Verhältnisse in Ungarn 1956/57 die Einleitung, Abschnitt 6. 198 Albert Bereczky (1893–1966) war 1945/46 Staatssekretär im ungarischen Kultusministerium, wurde 1948 Bischof des Kirchendistrikts an der Donau, wirkte ab 1949 als Präsident des Generalkonvents und der Generalsynode der Reformierten Kirche in Ungarn und war ab 1948 Mitglied im Zentralausschuss des ÖRK. 1958 trat er vom Bischofsamt zurück. 199 János Péter (1910–1999) war 1946–1948 Sekretär beim ungarischen Staatspräsidenten Zoltán Tildy, 1949–1957 Bischof des Kirchendistrikts Jenseits der Theiß und wurde 1956 von Ministerpräsident János Kádár, der an der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes beteiligt war, zum Vorsitzenden des Instituts für Kulturbeziehungen ernannt; 1958 wurde er Mitglied des Präsidialrates, 1961–1973 war er Außenminister. 200 Wilhelm Niesel, Die Theologie Calvins, München 21957.
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litisch urteilen und entscheiden! Péter forderte mich auf, meine ganze Stellungsnahme schriftlich niederzulegen. Dieses tat ich, wobei aber Punkt 3 die geringste Rolle spielte. Du findest den Text meines Schreibens in der 1948 in Zollikon erschienen Broschüre „Christliche Gemeinde im Wechsel der Staatsordnungen“, S. 71ff.201 Einer gewissen Mitverantwortung für Bereczkys Bischofsamt kann ich mich also nicht entschlagen. Ich halte ihn – auch nachdem ich ihn vor ca. 6 Wochen wieder einmal persönlich ausführlich sprechen konnte – für einen recht stehenden Mann, nur eben nicht für einen starken Mann! Er ist wohl in all den Jahren sowohl von den Staatsbehörden wie von den Leuten, die man ihm in die Kirchenleitung hineingepflanzt hat, häufig und vielfach überspielt worden. Der weitere Verlauf der ungarischen Dinge war mindestens bedenkenerregend. Eben weil ich an meine Teilnahme an den Vorgängen von 1948 dachte202, habe ich Bereczky mehrfach Briefe geschrieben, in denen ich die „andere“ Seite zur Sprache brachte. Einer davon ist durch Vertrauensbruch via Genf an die Öffentlichkeit gekommen, Dir wohl auch bekannt.203 Der letzte, ein paar Tage vor Bereczkys unterwartetem neuesten Besuch bei mir nach Budapest abgegangen, war dann Thema unsrer Unterhaltung. Zahlreiche Briefe aus der ungarischen Emigration sind auch bei mir eingegangen, auch solche aus Ungarn direkt übrigens. Und der Alles blau in blau malende ungarisch-kirchliche Pressedienst ist ja schon an sich ein Indiz, daß dort Verschiedenes nicht in Ordnung geht. An der Integrität des Charakters und der Absichten von Bereczky kann ich keinen Augenblick zweifeln. Zuverlässig sind auch Pap204 und B. Nagy205. Kádár?!206 Péter?! Ich beneide Euch nicht um die Aufgabe, die Potemkin’schen von den wirklichen Dörfern, die es in Ungarn sicher immer noch giebt, zu unterscheiden. Ist Dir übrigens die von
201 Karl Barth, An meine Freunde in der Reformierten Kirche von Ungarn, in: ders., Christliche Gemeinde im Wechsel der Staatsordnungen. Dokumente einer Ungarnreise, ZollikonZürich 1948, 71–76 (= ders., Offene Briefe 1945–1968, 139–147). 202 Gemeint ist das oben dargestellte Eintreten Barths für Bereczky als Bischof. 203 Der zentrale Mittelteil von Barths Brief an Bereczky vom 16. September 1951 wurde der Öffentlichkeit durch den Abdruck im Informationsblatt für die Gemeinden in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen unter der Überschrift „Kommunismus und christliche Botschaft“ bekannt (Jg. 1, Nr. 3 vom 2. Februar 1952, 37f); weitere Abdrucke u.a. in JK 13, 1952, 141–144 und in KBRS 108, 1952, 123f. Barth entschuldigte sich bei Bereczky für diese ärgerliche Indiskretion, deren Hintergründe sich nicht aufklären ließen. Abdruck des Briefes in Barth, Offene Briefe 1945–1968, 274–289. 204 László Pap (1908–1983) war 1938–1958 Professor für Altes Testament an der Reformierten Akademie in Budapest und Barth seit 1929 bekannt sowie in Bonn dessen Schüler; nach 1948 war er Bischofsstellvertreter und hielt zwischen 1948 und 1956 eine kritische Distanz zur Kirchenpolitik der Bischöfe Bereczky und Péter. 1958 verlor er seine Professur, seine kirchlichen Ämter in Ungarn und in der Ökumene und wurde Hilfsprediger in Murga; vgl. Barth/ Visser ’t Hooft, Briefwechsel, 292, Anm. 6 sowie Willem A. Visser ’t Hooft, Die Welt war meine Gemeinde. Autobiographie, München 1972, 357–367. 205 Barnabas Nagy (1909–1969) war seit 1937 Professor für Systematische Theologie in Sárospatak und Budapest und seit 1958 wiss. Mitarbeiter am Generalkonvent der Reformierten Kirche in Ungarn. 206 János Kádár (1912–1989) war 1956–1958 und 1961–1965 ungarischer Ministerpräsident und maßgeblich an der Niederschlagung des Volksaufstands von 1956 beteiligt.
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Kanada aus versendete neue Confessio Hungarica (höchst oppositionell und Zug für Zug der Barmer Erklärung angeglichen!) auch vor Augen gekommen?207 Markus ist hier und erzählt viel von dem Dir ja nun auch nicht mehr unvertrauten Land im Westen.208 Nein, die Dogmatik hat in diesem Sommer keine Fortschritte gemacht. Es brach zu viel über mich Geschriebenes über mich herein. Letzte Woche war ich mit Markus in England und Schottland, empfing aus den Händen von His Grace, dem Erzbischof von Canterbury, eine weitere Festschrift209 und in Edinburgh durch His Royal Highness, den Prinz-Consort persönlich210, einen weiteren LL.D.211, muntere, aber nicht gerade typisch urchristliche Vorgänge. Es wird nach dem Passieren dieses Capua212 gut sein, im Wintersemester den Feldzug wieder aufzunehmen. Mit herzlichem Gruß und allen guten Wünschen! Dein Karl Barth
168 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 4. Januar 1957 Lieber Karl Barth! Im Auftrage des Moderamens übersende ich Dir beiliegend einen Text des Heidelberger Katechismus, den ein vom Moderamen berufener Ausschuß erarbeitet hat. Es sollte dabei nur um die Herstellung eines verständlichen Textes für den Unterricht gehen.213 Der theologische Gehalt sollte unverändert bleiben. Wir möchten Dich aber freundlichst bitten, sich darüber zu äußern, ob Letzteres auch geschehen ist. Wir richten diese Frage an alle Mitglieder unseres Theologischen Beirates und wären dankbar, wenn wir die Antwort bis Ende Januar erhalten könnten. Dann soll ein Probedruck hergestellt und allen Gemeinden zur Prüfung übersandt werden. 207 Es handelt sich vermutlich um das „Bekenntnis glaubenstreuer Christen der evangelischreformierten Kirche in Ungarn“ vom Winter 1955/56, Glaube in der 2. Welt 14, 1986, Nr. 6, 17–19. 208 Siehe Anm. 193. 209 Der anglikanische Bischof George Bell (1883–1958) überreichte Barth die Festschrift: Essays in Christology for Karl Barth, hg. v. T.H.L. Parker/T.F. Torrance/J. Marsh, London 1956. 210 Prinz Philip, Herzog von Edinburgh (geb. 1921) und Prinzgemahl der britischen Königin Elisabeth II. 211 Die Universität Edinburgh verlieh Barth am 6. Juli 1956 einen juristischen Dr. h.c. 212 In Anlehnung an das Leben in der Stadt Capua sprichwörtliche Bezeichnung für eine luxuriöse Lebensweise. 213 Der Heidelberger Katechismus. Für den Jugendunterricht in evangelischen Gemeinden vereinfachte Ausgabe, hg. v. Moderamen des Reformierten Bundes in Deutschland, Neukirchen 1961.31963; vgl. Ulrichs, Bekenntnistreue, 185–211, hier 189–193.
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Schon jetzt sage ich Dir für Deine Mühewaltung herzlichen Dank! Dein Wilhelm Niesel P.S. Der Text des Heidelberger Katechismus geht als „Drucksache“ mit gleicher Post ab.
169 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 25. Februar 1957 Lieber Karl Barth! Aus Ungarn habe ich sehr schlechte Nachrichten aus erster Hand erhalten. Vor der Tagung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates im letzten Sommer fragte ich bei Dir an über die Rolle, die Du bei den Bischofswahlen dort einst gespielt hattest. Deine Antwort war mir sehr wichtig. Ich hatte drüben Gelegenheit, mich ganz gründlich zu informieren. Man war betrübt, daß Du Bereczky auf Grund einer einseitigen Unterrichtung zur Wahl als Bischof verholfen hattest. Immerhin richtete sich die eigentliche Kritik nicht gegen diesen Bischof, sondern gegen Péter, der völlig abgelehnt wurde. Im Gegensatz zur Leitung der Kirche war in Ungarn die Fakultät in Budapest in Ordnung. Ihr Dekan war der Vertrauensmann der ganzen Kirche.214 Im Augenblick hat die kleine Lutherische Kirche das Rennen gemacht, weil die Umbesetzung des wichtigsten Bischofspostens schon vor der Revolution mit dem Staate vereinbart worden war. Ordass215 hat dann auch nach der Niederschlagung der Revolution den leitenden Herrn des Staatskirchenamtes sofort anerkannt. Die große Reformierte Kirche ist dagegen in einer äußerst schwierigen Lage. In den Tagen der Revolution ist der von unerwünschten Elementen gereinigte Synodalvorstand unter dem Vorsitz von Pap zusammengetreten und hat die Bischöfe Bereczky und Péter gedrängt, ihre Ämter niederzulegen, und auch später hat Pap seinen Widerstand nicht aufgegeben.216 Eine törichte Äußerung von Visser ’t Hooft, durch den Ökumenischen Pressedienst in den Tagen des Aufstandes veröffentlicht, hat verheerend gewirkt und wird so aufgefaßt, als habe der Ökumenische Rat zusammen mit Pap die Revolution in Ungarn gefördert.217 214 László Pap war 1948–1957 Direktor der Reformierten Akademie in Budapest; siehe Anm. 204. 215 Lajos Ordass (1901–1978) war 1945 bis zu seiner Verhaftung 1948 sowie 1956–1958 lutherischer Bischof des Bergdistrikts und seit 1947 Vizepräsident des Lutherischen Weltbundes. 216 Siehe Anm. 204. 217 Willem Adolf Visser ’t Hooft (1900–1985), 1948–1966 der erste Generalsekretär des ÖRK, wird in ÖPD 23, 1956, Nr. 40 vom 2. November 1956 mit diesen Worten zitiert: „Die ungarischen Kirchen stehen vor einer neuen Epoche ihres kirchlichen Lebens“.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Jetzt hat Pap auf alle seine Ämter verzichtet und sich bereit erklärt, auch während der nächsten sechs Monate sein Amt als Professor nicht auszuüben. Der Druck muß für ihn zu stark geworden sein und er ist offenbar zusammengeklappt. In einigen Wochen soll die Synode zusammentreten und die leitenden Männer der Kirche wählen. Für Budapest steht offenbar die Wiederwahl von Bereczky bevor. Hromádka218 hat sich angeboten, in diesem Konflikt zu vermitteln und nach Budapest zu reisen. Er wird aber vor der Neuwahl der Kirchenleitung kein Visum erhalten, und das ist gut so. Denn er genießt schon in seiner eigenen Kirche kein Vertrauen mehr und wird von den Ungarn erst recht mit allem Mißtrauen betrachtet werden.219 Aber Du weißt darüber vielleicht genau so gut Bescheid wie ich. Trotzdem wollte ich Dir auf alle Fälle dieses mitgeteilt haben. Genaueres mag ich der Post nicht anzuvertrauen. Es könnte ja sein, daß Du von Ungarn aus wieder irgendwie befragt wirst. Vielleicht siehst Du aber auch sonst eine Möglichkeit, wiederum einzugreifen und diesmal auf eine andere Weise. Ich weiß nur nicht recht, an welche Adresse Du Dich wenden könntest. Aber in solchen Situationen bist Du ja vertraut und wirst schon den rechten Weg finden. Nach meiner Information an Ort und Stelle wäre es also eine ganz kümmerliche Notlösung, wenn Bereczky wieder gewählt würde. Wirkliches Vertrauen in der Richtung, daß er für eine echte Ausrichtung des kirchlichen Dienstes sorgen werde, besitzt er nicht. Den Vertrauensmann der Gemeinden, Prof. Pap, zu wählen, wird der Staat nicht erlauben. Da ist guter Rat teuer! Sicherlich gibt es aber noch andere Männer, die das Vertrauen der Kirche genießen. Wenn man dazu verhelfen könnte, daß es zu echten Wahlen käme! Die Genfer Herren, die erst sehr geschrien haben, sind jetzt offenbar am Lavieren.220 Könntest Du nicht einen ermutigenden Brief an unsere Freunde nach Ungarn senden? Gleich nach Rückkehr von den Ökumenischen Tagungen des vorigen Sommers wollte ich Dir wegen unseres gemeinsamen Freundes Hromádka schreiben. Ich habe in Prag eine ganz ernste Aussprache mit ihm über eine kürzlich erschienene Broschüre „Kirche und Theologie im Umbruch der Zeit“221 gehabt, und er hat sich das, was ich ihm sagte, auch angehört. Ich habe den Eindruck, daß er immer mehr in einen östlichen Enthusiasmus hineingerät. Christus als der Heiland und Herr aller Menschen gerät immer mehr in den Hintergrund, wenn unser Freund redet, und all das andere drängt sich ganz und gar nach vorn. Leider ist 218 Josef L. Hromádka (1889–1969) war 1920–1939 und 1947–1969 Professor für Systematische Theologie in Prag und 1939–1947 Professor in Princeton. Seit 1947 war er Mitglied des Zentralausschusses und seit 1954 auch des Exekutivausschusses des ÖRK sowie 1958 erster Präsident der Christlichen Friedenskonferenz in Prag. 219 Hromádka hatte sich zustimmend zur Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn durch die Militärintervention der UdSSR im November 1956 geäußert; vgl. ders., Gedanken über die ungarische Krise (1956), in: ders., Der Geschichte ins Gesicht sehen. Evangelische und politische Interpretationen der Wirklichkeit, hg. v. M. Stöhr, München 1977, 239–251. Seine Einlassungen stießen weithin auf Unverständnis und Widerspruch. 220 Gemeint ist u.a. Willem Adolf Visser ’t Hooft. 221 Josef Hromádka, The Church and Theology in Today’s Troubled Times, Prag 1956 (dt.: Kirche und Theologie im Umbruch der Gegenwart, Hamburg 1961). In diesem Heft entfaltete er seine umstrittenen Gedanken zur Existenz der Kirche in einem sozialistischen Land.
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er auch isoliert, weil niemand aus Furcht, es könnte herauskommen, ihm etwas zu sagen wagt. So steigert er sich in das Bewußtsein hinein, daß die Kirche sich immer mehr in seiner Richtung bewege. Ich habe ihm das auch gesagt, und er war darüber sehr überrascht. Vor kurzem haben ihn die Studenten in Bonn hier vorgehabt und ihm sehr energisch zugesetzt. Ein gelegentlicher energischer Ruf zur Sache von Dir aus wäre ihm sicher sehr dienlich. Es wäre ein Jammer, wenn er immer mehr versacken würde! Hoffentlich geht es Dir recht gut und hoffentlich schreitet die Arbeit an der Dogmatik kräftig voran!222 Mit herzlichen Grüßen! Dein Wilhelm Niesel
170 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 4. März 1957 Lieber Wilhelm Niesel! Laß Dir nur in Eile mit bestem Dank für Deinen Brief sagen, daß ich über die Vorgänge in der ungarischen Kirche unterrichtet bin, auch mit Hromádka ein langes Gespräch hatte223, zu dem ich mich wahrscheinlich noch schriftlich äußern werde, wenn, ja wenn die Ferien gekommen sind.224 Augenblicklich stecke ich zutiefst in meiner Semesterarbeit. Aus den mancherlei Quellen, die bei mir zusammenströmen, ersehe ich, wie kompliziert die Situation in Ungarn in jeder Hinsicht ist und wie wohlüberlegt eine Mitsprache sein muß. Darum muß ich Euch mit einem Wort zur Lage noch ein wenig vertrösten. Herzlich! Dein Karl Barth Hast Du meine Anmerkungen zu der Umschrift des Heidelberger Katechismus erhalten? (sie gingen Anfang Januar hier ab; ich frage um der Sicherheit halber)225 222
Zu dieser Zeit arbeitete Barth an KD IV/3, die 1959 in zwei Teilbänden erschien. Postkarte. 223 Dieses Gespräch, in dem über Hromádkas Stellungnahme zum ungarischen Aufstand gesprochen wurde, fand in Basel am 2. Februar 1957 statt. 224 Dazu ist es nicht gekommen; vgl. allenfalls Karl Barth, Nachwort, in: J. Hromádka, Evangelium für Atheisten, Berlin 1958, 78–83 (= Freundschaft im Widerspruch. Der Briefwechsel zwischen Karl Barth, Josef L. Hromádka und Josef B. Souček 1935–1968, hg. v. M. Rohkrämer, Zürich 1995, 188–193) mit sieben Thesen zur Stellung der Kirche zwischen Ost und West. 225 Siehe Anm. 213.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
171 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 13. März 1957 Lieber Karl Barth! Entschuldige, bitte, recht sehr, daß ich über meinen Gedanken, die sich mit Ungarn beschäftigten, ganz und gar vergessen habe, in meinem Briefe Dir recht herzlich für Deine sorgfältigen Bemerkungen zur Überarbeitung des Heidelberger Katechismus zu danken! Unsere Freunde, die der Revisionskommission angehören, waren gerade über Deine Mitarbeit ganz glücklich. Der Text ist nun hergestellt und wird in den Druck gegeben, damit er zunächst einmal von den Amtsbrüdern erprobt werden kann. Sehr froh bin ich, daß Du eine längere Aussprache mit unserem Freunde Hromádka gehabt hast. Er hat das sehr nötig. In Ungarn sind die Dinge inzwischen weitergelaufen, und Bereczky ist auf Veranlassung des Staates wieder in sein Amt eingesetzt worden. Wie soll man sich ihm jetzt gegenüber verhalten, nachdem die Gemeinden doch offenbar bekundet haben, daß sie ihn nicht für den rechten Mann halten? Bedauerlich ist, daß in den Revolutionstagen einige erhebliche Pannen vorgekommen sind. Gerade auch die Pressur, die man Bereczky gegenüber ausgeübt hat, war ja nicht schön. Heute höre ich von der Verhaftung von Nagy!226 Inzwischen waren wir in Berlin auf der Synode der EKD. Das Hauptthema über die Diakonie in einer veränderten Welt trat ganz hinter der Frage der Militärseelsorge zurück.227 Bei der Erörterung des Staatsvertrages landeten wir schließlich bei der Frage, ob christliche Verkündigung in einer Armee, die mit atomaren Waffen ausgerüstet ist, überhaupt möglich ist. Nur die Erlanger Theologie228 hatte in dieser 226 Barth intervenierte gegen die Verhaftung von Barnabas Nagy per Telegramm beim Präsidenten des ungarischen Staatsamtes für kirchliche Angelegenheiten, János Horváth, und erhielt am 16. März 1957 von diesem die Mitteilung, dass Nagy und der mit ihm inhaftierte Pfarrer Sándor Jóo in Kürze freigelassen würden; vgl. Barth, Gespräche 1959–1962, 285, Anm. 9. 227 Die Synode der EKD tagte vom 3.–8. März 1957 in Berlin-Spandau und stimmte dem Militärseelsorgevertrag zu, dem gemäß Militärseelsorge im Auftrag und unter Aufsicht der Kirchen ausgeübt wird; vgl. Greschat, Protestantismus im Kalten Krieg, 266. 228 Anspielung auf die in der Erweckungsbewegung und Erfahrungstheologie gründende Form lutherischer Theologie, welche die Erlanger Fakultät seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts geprägt hat. Konkret denkt Niesel an den lutherischen konservativen Erlanger Professor für Systematische Theologie Walter Künneth (1901–1997) und dessen Disput mit Helmut Gollwitzer. Ausgehend von der Überzeugung, dass die lutherischen Bekenntnisschriften die Einheit und Summe der biblischen Wahrheitserkenntnis umfassen, müsse nach Künneth das Leben der Christen den von Gott geschaffenen Erhaltungsordnungen dienen und können schließlich auch Atomwaffen Teil der militärischen Rüstung sein: „Es ist also umgekehrt christliche Pflicht, im Gehorsam gegen Gottes Ordnungswillen jeden Beitrag zu leisten, um die Friedenserhaltung zu ermöglichen und nicht durch eine pseudochristliche Distanzierung die politisch-militärische Abwehrkraft des Westens geistig-ethisch und praktisch zu unterminieren. […] Das eigentliche Anliegen von Aug. 16 [sc. CA 16], die Ordnungsmächte zu erhalten, kommt gerade in dieser Besinnung zu seinem Recht (iure bellare!) und erfährt auch im Atomzeitalter eine gewichtige Bestätigung.“ (Walter Künneth, Rechtfertigung im Atomzeitalter. Kritische Anfragen an Helmut Gollwitzer, München 1958, 15); vgl. Greschat, Protestantismus im Kalten Krieg, 268–290, hier 275f.
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Hinsicht keinerlei Probleme; für sie ist alles durch die lutherischen Bekenntnisse geregelt. Ich hoffe, daß Du die Semesterarbeit nun hinter Dir hast! Wie lange arbeitet Ihr eigentlich? Wir machen nach guter alter Sitte Ende Februar Schluß! Mit herzlichem Gruße und nochmals allerbestem Dank! Dein Wilhelm Niesel
172 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 4. Januar 1958 Lieber Karl Barth! Es tat mir sehr leid, daß ich Dich am Ende unseres Urlaubes in der Schweiz nicht in Basel antraf. Du kamst erst am darauf folgenden Tage nach Hause. Inzwischen wollte ich schon einmal an Dich geschrieben haben, weil ich in Sorge war, Du könntest meinen, wir seien inzwischen auch in die antikommunistische Front eingeschwenkt. Pradervand teilte mir nämlich mit, daß er Dir das Votum unseres Moderamens an die Ungarische Reformierte Kirche vorgelesen habe und Du der Meinung gewesen seist, es sei besser, es in dem Blatte des Reformierten Weltbundes nicht zu veröffentlichen.229 Ich hatte Dir damals nur mitteilen wollen – natürlich vertraulich –, daß wir dieses Votum auf eine Bitte aus Ungarn hin abgegeben haben. Und zwar gehört der Mann, der uns dazu aufgefordert hat, nicht zu unseren engeren Freunden, die in den Tagen der Revolution versucht haben, eine Bekennende Kirche zu formieren. Aber zu diesem Kapitel wäre viel zu sagen. Damit will ich Dich jetzt nicht aufhalten. Daß ich heute schreibe, hat einen ganz anderen Grund: Wir suchen für unsere Kirchliche Hochschule230 immer noch einen Praktischen Theologen. Da es gemäß den Absichten bei der Gründung der Kirchlichen Hochschulen zu deren Wesen gehört, daß an ihnen Dozenten beider evangelischen Konfessionen lehren, damit so ein ständiger Austausch herüber und hinüber stattfinden kann, brauchen wir im vorliegenden Falle einen reformierten Theologen. Nachdem Herrenbrück abgesagt hat und Locher231 sich begreiflicher Weise für Bern entschieden hat, sind 229 Marcel Pradervand (1905–1983) war 1949–1970 Generalsekretär des Reformierten Weltbundes. Unter dem Titel „An die Pastoren und Ältesten der Reformierten Kirche Ungarns“ erschien der Brief des Moderamens in RKZ 98, 1957, 429. Darin appellierte das Moderamen an die Berufung einer Kirchenleitung, die das Vertrauen der Gemeinden besitzt und nicht von staatlichen Interessen geleitet ist. Widerspruch erhielt der Brief durch Bischof Bereczky, abgedruckt in RKZ 98, 1957, 522–525. 230 Gemeint ist die Kirchliche Hochschule Wuppertal, an der Niesel Reformierte Theologie lehrte. 231 Gottfried W. Locher (1911–1996) lehrte 1958–1977 als Professor für Systematische Theologie und Dogmengeschichte in Bern.
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wir ziemlich ratlos. Wir hatten gestern eine Dozentensitzung, und ich bin gebeten worden, bei Dir anzufragen, ob Du meinst, daß Buess232 einen Lehrstuhl für Praktische Theologie übernehmen könnte. Sein Hauptinteresse gilt wohl der Dogmatik und der Philosophie; aber da alle schweizerischen Privatdozenten Pfarrer sind, wird er auch praktische Erfahrung haben; und es könnte für die Versehung des Faches der Praktischen Theologie ja kein Schade sein, wenn der Betreffende sich in sonderlicher Weise mit den Grundsatzfragen der Theologie beschäftigt hat. Wir wären Dir also recht dankbar, wenn Du uns ein kurzes Votum zu der Frage der Eignung von Buess sagen könntest. Oder weißt Du bei Euch einen anderen, der in Frage käme? Hab’ für diesen Dienst der Beratung mitten in einem sicherlich anstrengenden Semester schon jetzt herzlichen Dank! Ich werde den März und April über noch einmal in USA wirken. Ich soll im Austin-Seminary in Texas für Dean McCord233 die mittlere und die oberste Klasse in Dogmatik unterrichten. Hoffentlich geht dieses Experiment gut aus! Mit herzlichen Grüßen in alter Verbundenheit! Dein Wilhelm Niesel
173 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 7. Januar 1958 Lieber Freund! An Erfahrung in der kirchlichen Praxis und an gründlichem Interesse an ihren Problemen fehlt es Eduard Buess sicher nicht. Er ist freilich ein ausgesprochener – bemerkenswert originell (auch eigenwillig) strukturierter – Denker, für den es einen gewissen Sprung bedeuten würde, sich auf den Unterricht in der spezifisch Praktischen Theologie umzustellen, sich dabei auch in die eigenartigen geistigen und sonstigen Verhältnisse des Rheinlands und des Wuppertals im besonderen einzugliedern. Ich halte aber dafür, daß er zu diesem doppelten Sprung, wenn er ihm in einer ihn geistlich ansprechenden Berufung zugemutet würde, fähig wäre, daß ihm diese große Veränderung gut tun, ihn auch erfreuen könnte und daß seine Mitwirkung für Eure Hochschule einen gediegenen und interessanten Zuwachs bedeuten würde.234 Schade, daß wir uns über Ungarn nicht Auge in Auge austauschen konnten. Das Problem war und ist für mich die Gleichzeitigkeit und Verhängtheit235 des 232 Eduard Buess (1913–2003) lehrte seit 1958 Praktische Theologie in Basel. 233 James Iley McCord (1919–1990) lehrte am Austin Presbyterian Theological Seminary Theologie und war seit 1959 Präsident des Princeton Theological Seminary. 234 Tatsächlich wurde Rudolf Bohren (1920–2010) auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal berufen. 235 Schweizerischer Ausdruck für: Unmöglichkeit.
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Abb. 10: Wilhelm Niesel in Wuppertal um 1960
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Versuchs einer bekennenden Kirche mit der politischen Revolution. Hätte das „Bekennen“ nicht entweder vor dieser und also unabhängig von ihr oder dann (wieder unabhängig von ihrem Verlauf!) nachher geschehen müssen? Krankte die „Erneuerungsbewegung“ nicht mutatis mutandis236 an demselben Punkt wie das kirchliche Regime, gegen das sie sich richtete? In Eile, aber mit herzlichem Gruß und mit allen guten Wünschen! Dein Karl Barth
174 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 21. Februar 1958 Lieber Karl Barth! Vor wenigen Tagen erhielt ich das Nachrichtenblatt der ungarischen Kirchen und las darin die schlimme Rede von Péter. Sie ist ja durch zwei Merkmale gekennzeichnet: durch eine stinkende Selbstgerechtigkeit und maßlose Angriffe gegen andere. Bedauerlich ist auf ’s Höchste, daß er es dabei wagt, Deinen Namen für seine Zwecke zu mißbrauchen.237 Wäre es nicht richtig, daß Du gegen diesen Mißbrauch etwas sagen würdest? Er muß ja notwendiger Weise dazu dienen, unsere Freunde drüben umso sicherer an’s Messer zu liefern. Auch die Rede, die Bereczky nach Empfang des Ordens gehalten hat, ist ja mehr als kümmerlich, aber doch nicht gemein wie die Auslassungen Péters. Man kann diese Kirche nur der besonderen Fürsorge Gottes anbefehlen. Ich bin unmittelbar vor dem Sprunge über den großen Teich, um in Texas zwei Klassen zwei Monate hindurch in Dogmatik zu unterweisen. Hoffentlich gerät dieses Experiment! Ich sehe ihm mit einiger Sorge entgegen. Mit herzlichen Grüßen! Dein Wilhelm Niesel
236 = mit den nötigen Abänderungen. 237 Ungarischer Kirchlicher Nachrichtendienst, Jg. 10, Nr. 1f vom 15. Januar–1. Februar 1958, 11–26. In der Rede von Péter zur Beantwortung des Wiederberufungsbeschlusses des reformierten Kirchendistrikts Jenseits der Theiß heißt es: „An diesem Tag […] denke ich mit besonders herzlicher Liebe an vier Männer. […] Ich denke an Bischof Ting, an den Metropoliten Nikolai, an Hromádka und an Karl Barth. An letzteren deshalb, weil er in der aus diesem Gesichtspunkt nicht gerade günstigen Atmosphäre der schweizerischen Verhältnisse, auch inmitten vieler Missverständnisse, treu an unserer Seite stand und für uns gekämpft hat.“ Abdruck: Brief von Barth an Visser ’t Hooft vom 18. Februar 1958, in: ders./Visser ’t Hooft, Briefwechsel, 299–301, hier 300, Anm. 3.
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175 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 23. März 1959 Lieber Karl Barth! Soeben hat der Verlag den neusten Band Deiner Dogmatik ausgeliefert.238 Welche Freude! Besonders gefreut habe ich mich darüber, daß die Parole von Blumhardt darin zum Zuge kommt.239 Ich mußte dabei an einen Deiner ganz treuen Schüler aus Göttingen denken, Landau-Remy, der dann schon als Vikar gestorben ist.240 Er sagte immer, daß in unserer Kirche manches anders aussehen würde, wenn sie ein wenig von der Art Blumhardts annehmen würde. Heute schreibe ich Dir vor allem aus folgendem Grunde: Anfang Juni muß ich zu den Jubiläumsfeierlichkeiten nach Genf, nachdem ich mich im vorigen Jahre, als ich dort doktoriert wurde, um eine solche Reise gedrückt habe.241 Wie mir gesagt wurde, wirst Du im Sommersemester nicht lesen. Wirst Du trotzdem in Basel anzutreffen sein oder Dich irgendwohin in die Stille zurückziehen? Solltest Du in Basel bleiben, so möchte ich es doch, wenn irgend möglich, einrichten, Dich nach so vielen Jahren für einen Augenblick wieder zu sehen und zu sprechen. Voraussichtlich käme dafür der Abend des 4. Juni in Frage. Ich wäre Dir recht dankbar, wenn Du mich kurz auf einer Postkarte informieren würdest. Ich habe augenblicklich Dogmatik zu lesen und bin dabei, diese ganz umzuarbeiten und mit der üblichen Anordnung der Lehrstücke zu brechen, um deutlicher den christologischen Ansatz, wie Du ihn Berkouwer gegenüber erläuterst242, sichtbar zu machen. In alter, dankbarer Verbundenheit mit herzlichen Grüßen! Dein Wilhelm Niesel
238 Karl Barth, KD IV/3, Teilband 1, Zollikon-Zürich 1959; im Juli 1959 erschien Teilband 2. 239 Die Formulierung „Jesus ist Sieger!“, die Barth als Überschrift über § 69,3 (188–317) wählt, geht auf Johann Christoph Blumhardt d.Ä. (1805–1880) zurück; vgl. Barths Exkurs, 192–196. 240 Helmut Landau-Remy studierte bei Barth in Göttingen und starb bereits 1927. 241 1959 war das Jubiläum des 450. Geburtstags von Johannes Calvin. Bereits 1958 erhielt Niesel die Ehrendoktorwürde der Universität Genf. 242 Barth setzt sich in KD IV/3, 198–206, kritisch mit Gerrit C. Berkouwer, Der Triumph der Gnade in der Theologie Karl Barths, Neukirchen 1957, auseinander.
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176 Wilhelm Niesel an die Mitglieder des Reformierten Bundes Schöller, im Juni 1959 Sehr geehrte, liebe Herren und Brüder! Auf unserer Hauptversammlung in Bremerhaven fragten einige jüngere Freunde nach der Bedeutung des reformierten Bekenntnisses.243 Da darf ich Ihnen heute einen Aufsatz zusenden, den ich auf Anfordern der Pariser Theologischen Fakultät über dieses Thema geschrieben habe.244 Ich denke, daß daraus deutlich wird, warum wir nach Gottes Wort reformiert bleiben wollen und jedenfalls nicht lutherisch werden. Außerdem lege ich Ihnen zwei Kurzvorträge bei, die ich über die Calvin-Literatur der letzten drei Jahrzehnte während der Festtage in Genf zu halten hatte.245 Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie schön es war, mit all’ den Brüdern in Paris und Genf, die z.T. von weit her gekommen waren, gemeinsam in Dankbarkeit der Väter zu gedenken und sich das reiche Erbe mit seiner großen Verpflichtung, das sie uns hinterlassen haben, zu vergegenwärtigen. Am letzten Tage erhielt unser verehrter Lehrer und Freund, Prof. Karl Barth, in einem akademischen Festakt, an dem die Rektoren fast aller Universitäten der Welt teilnahmen, seinen achten Doktor-Hut.246 Wenn er mir auch sagte, daß wir diese Hüte alle einst an der Türe zum Himmel ablegen müßten, so war der starke Beifall, den der große Dogmatiker von der Festversammlung erhielt, doch ein geziemendes Zeichen echter Dankbarkeit für seinen Dienst in Lehre und praktischem Einsatz. Augenblicklich ist er dabei darüber nachzudenken, was der Schlußband der „Lehre von der Versöhnung“ (IV/4) enthalten soll. Dieser Band wird der Ethik gewidmet sein und in ihrem Rahmen von der Taufe und dem Heiligen Abendmahl handeln!247 Mit dem Ergebnis des Abendmahlsgespräches der EKD248 sei er, so sagte er mir auf Befragen, einverstanden – wenn die gemeinsame Voraussetzung der reformatorischen Abendmahlslehren richtig sei! Da können wir alle gespannt sein, was wir in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit aus Basel hören werden. 243 Die Hauptversammlung des Reformierten Bundes tagte vom 29. September–1. Oktober 1958 in Bremerhaven. 244 Wilhelm Niesel, Die Bedeutung und die Rolle der Glaubensbekenntnisse in den reformierten Kirchen, EvTh 19, 1959, 195–203 (in franz. Übers. in: Église et Théologie 22, No 63, Paris 1959, 22–32). 245 Wilhelm Niesel, Welche Werke Calvins wurden in den letzten 30 Jahren herausgegeben?, RKZ 100, 1959, 269–271; ders., Die wichtigste Calvin-Literatur der letzten 50 Jahre, RKZ 100, 1959, 293–298. 246 Anlässlich des Calvinjubiläums verlieh die Universität Genf Barth am 6. Juni 1959 die theologische Ehrendoktorwürde. 247 Karl Barth, KD IV/4: Das christliche Leben (Fragment). Die Taufe als Begründung des christlichen Lebens, Zürich 1967. 248 Nach zehnjähriger Beratungsarbeit lagen 1957 die acht Arnoldshainer Abendmahlsthesen vor, an die später die Leuenberger Konkordie (1973) anknüpfen konnte.
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Wollen Sie, bitte, noch zur Kenntnis nehmen, daß ich vom 6. Juli bis 12. August nicht zu erreichen bin, da ich in dieser Zeit Gemeinden in Südamerika zu besuchen und anschließend im Auftrage des Rates der EKD an der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in São Paulo teilzunehmen habe.249 Bis zum 20. Juli wolle man sich in allen Angelegenheiten des Bundes an den stellvertretenden Moderator, Herrn Landessuperintendent D. Herrenbrück in (23) Leer/ Ostfriesland, Saarstr. 6, wenden und vom 21. Juli ab an Herrn Direktor Pastor Jochums250 in (22a) Wuppertal-Küllenhahn, Zur Kaisereiche 2. So Gott will, treffe ich hoffentlich viele von Ihnen auf der Calvin-Feier vom 19.–21. September in Frankfurt a.M.!251 In brüderlicher Verbundenheit! Ihr Niesel
177 Wilhelm Niesel an Karl Barth Rhodos, 23. August 1959 Vom Zentralkomitee252 auf dieser schönen Insel grüßen Dich in herzlicher Verbundenheit zwei alte Kumpane. Dein Wilhelm Niesel Martin Niemöller J.L. Hromádka H. Berkhof W.A. Visser ‘t Hooft
249 Die 18. Generalversammlung des Reformierten Weltbundes tagte vom 27. Juli–6. August 1959 in São Paulo/Brasilien; vgl. São Paulo Dokumente. Berichte und Reden auf dem reformierten Weltkongreß in São Paulo, hg. v. F. Lüpsen, Witten 1959. 250 Heinrich Jochums (1904–1986) war Direktor der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland und Mitglied des Moderamens des Reformierten Bundes. 251 Vom 18.–22. September 1959 veranstalteten der Reformierte Bund und die Evangelischreformierte Stadtsynode Frankfurt a.M. einen Dankgottesdienst und mehrere Vortragsveranstaltungen aus Anlass des 450. Geburtstags von Johannes Calvin. Die Vorträge wurden von Walter Kreck, Otto Weber und Gottfried W. Locher gehalten. Postkarte. 252 12. Versammlung des Zentralkomitees des ÖRK auf Rhodos vom 19.–27. August 1959.
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178 Wilhelm Niesel an Karl Barth Frankfurt/M., 22. September 1959 Calvingedenken Frankfurt253 Gemeinden Presbyter Moderamen übermitteln dankbare Grüße. Niesel Herrenbrück Ring254
179 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, den 12. April 1961 Lieber Karl Barth! Kannst Du jetzt schon übersehen, ob Du am Vormittag des 2. Mai (Dienstag) daheim bist? Dann würde ich gerne meine Rückreise aus Frankreich in Basel für ein Stündlein bei Dir unterbrechen. Für baldige Antwort wäre ich Dir sehr dankbar. Herzlichen Gruß! Dein Wilhelm Niesel
180 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 13. April 1961 Lieber Wilhelm Niesel! Ich bin nicht mehr an diesem schönen Ort.255 Diese Treppe brauchst Du also nicht zu ersteigen, wenn Du Deine gute Absicht, mich am 2. Mai zu besuchen, realisieren willst. Ich habe zwar am Nachmittag dieses Tages eine Vorlesung zu ab
Telegramm. 253 Siehe Anm. 251. 254 Reinhard Ring (1912–1973) war 1937–1972 Pfarrer der Evangelisch-reformierten Gemeinde Frankfurt a.M. Postkarte. Postkarte. 255 Auf der Postkarte ist das Kurhotel in Brione-Locarno mit einer Treppe abgebildet.
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solvieren, will aber zusehen, daß sie am Vormittag auf dem Papier ist und werde Dich dann gerne empfangen. Tramnummer 15 oder 16, Haltestelle Lerchenstraße. Gute Aussicht, Dich, den nun längst zum Welt-Wilhelm256 Emporgestiegenen, wieder einmal zu sehen und zu hören. Bis dahin mit herzlichem Gruß! Dein Karl Barth
181 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 8. Mai 1961 Lieber Karl Barth! Ganz möchten wir am Mittwoch bei Dir auch nicht fehlen und Dir versichern, daß Du bei uns einen festen Platz in unserem Kopf, aber auch in unserem Herz hast.257 Persönlich habe ich als eine kleine Gabe für Dich aus Berlin die „Lanze“ beordert, die ich dort auf der Synode für Dich gebrochen habe.258 Hoffentlich hat die Kanzlei so schnell gespurt, daß sie Dir dies kleine Diskussionsvotum rechtzeitig zugesandt hat. In treuem Gedenken mit allen guten Wünschen für Dich und den Abschluß Deines Werkes namens des Moderamens und aller Deiner Freunde in unserem Kreise! Dein Wilhelm Niesel
256 Ironische Anspielung auf das weltkirchliche Engagement Niesels. 257 Barth feierte am 10. Mai 1961 seinen 75. Geburtstag. 258 Auf der gesamtdeutschen Synode der EKD vom 12.–17. Februar 1961 in Berlin. In seiner Wortmeldung griff Niesel den Bericht des scheidenden Ratsvorsitzenden der EKD Otto Dibelius scharf an. Er stellte dem pompösen Kirchenverständnis von Dibelius („violette Kirche“ unter Bezug auf dessen in violettes Leinen eingebundenes Buch: Das Jahrhundert der Kirche. Geschichte, Betrachtung, Umschau und Ziele, Berlin 1926) den von Barth initiierten „Durchbruch des Wortes“ entgegen. Im Unterschied zu Dibelius verdanke die Kirche Barth ihre eigentliche evangelische Grundorientierung (Berlin 1961. Bericht über die erste Tagung der dritten Synode der EKD vom 12. bis 17. Februar, hg. v. der Kirchenkanzlei der EKD, Hannover 1961, 130f).
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182 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 2. März 1962 Lieber Karl Barth! Sehr erstaunt war ich, irgendwo zu lesen, daß Du nun doch die Absicht aufgegeben hast, bloß einst vom Himmel herab Dir die Verhältnisse in USA anzusehen. Diese Sinnesänderung hat offenbar Dein Sohn Markus herbeigeführt.259 An derselben Stelle habe ich vor sechs Jahren eine Vorlesungsstunde über die Barmer Theologische Erklärung gehalten! Zur Verwunderung Deines Sohnes machte ich damals in der dortigen sehr liberalen und säkularen Atmosphäre sofort einen theologischen Kopfsprung! Wie wirst Du wohl dieses einzigartige Unternehmen im amerikanischen Protestantismus und noch dazu in der Universität Chicago starten und durchführen? Der Grund, weswegen ich Dir heute schreibe, ist folgender. Ich meine, Du solltest auf jeden Fall wissen, daß es von größerem Belang ist, wenn im Herausgeberkreis der neu aufgemachten Evangelischen Theologie mein Name nicht mehr erscheint. Leider haben die friedlicheren Freunde Kreck und Otto Weber nicht dieselbe Entscheidung getroffen wie ich. Ernst Wolf hat es für gut befunden, den Herausgeberkreis um den problematischen Neutestamentler Conzelmann zu erweitern.260 Die Lage auf dem Gebiete der Neutestamentlichen Exegese ist so verheerend, daß eine Zeitschrift wie die Evangelische Theologie nach meiner Überzeugung hier eine klare Position beziehen muß. Sie ist ja einmal als theologisches Kampfblatt gegründet worden und hat ihren Sinn verloren, wenn sie nicht mehr unmißverständlich für eine Theologie der Offenbarung eintritt. Freilich hat sie schon seit längerem alle Konturen vermissen lassen, da es Wolfs Bemühen gewesen ist, zwischen Dir und Bultmann zu vermitteln. Jetzt sollte aber ein neuer Start erfolgen, und dabei mußte man nach meiner Überzeugung wissen, was man will. Dieses ist bei Conzelmann aber durchaus unklar. Ich jedenfalls mag zusammen mit gewissen Neutestamentlern nicht als Herausgeber einer theologischen Zeitschrift aufkreuzen. Die Verwirrung der Geister ist groß genug, und der Trost, den manche der Herausgeber der Evangelischen Theologie haben, aus Conzelmann könne noch etwas werden, ist für die gestellte Aufgabe abwegig. Wann werden die paar guten Neutestamentler, die wir noch haben, anfangen scharf zu schießen? Was für blöde Einfältigkeiten bekommt man ständig als tiefste wissenschaftliche Einsichten vorgesetzt! Und wie modernistisch und der Welt des Neuen Testamentes weit entrückt ist in der Regel das, was exegetisches Ergebnis sein soll! Mit herzlichen Grüßen! Dein Wilhelm Niesel 259 Barth reiste im Frühjahr 1962 für sieben Wochen zu Vorträgen und Podiumsdiskussionen in die USA, wo er sich zunächst für drei Wochen bei seinem Sohn Markus in Chicago aufhielt. Von dort aus unternahm er Reisen nach Dubuque, Princeton, Richmond, San Francisco und New York; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 473–477. 260 Hans Conzelmann (1915–1989) war 1960–1978 Professor für Neues Testament in Göttingen.
III. Briefwechsel 1946–1968
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183 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 28. Januar 1964 Lieber Karl Barth! Es hat mich sehr erfreut, daß Du mir Deine Weihnachtspredigt gedruckt zugesandt hast.261 Ich möchte Dir für dieses Gedenken recht sehr danken! Wir hatten diese Predigt schon im Radio gehört. Wie schön, daß man auf diese Weise wieder einmal Deine Stimme hören, aber vor allem die Botschaft vernehmen konnte, die Du den Gefangenen zu sagen hattest. Ich fühle mich mit diesen Menschen ja immer noch in besonderer Weise solidarisch. In den hinter uns liegenden bösen Zeiten gehörten sie zu einem, und wir gehörten zu ihnen. Vermutlich werde ich in Bälde einige Zellen des Wuppertaler Gefängnisses aufzusuchen haben, in denen Nazi-Verbrecher liegen, die davon vernommen haben, daß ich als einer, der das Wort des Rates der EKD zu diesen Verbrechen mitverantwortet, ganz in ihrer Nähe wohnt.262 In diesem Gefängnis sollen es Männer sein, die ihre Schuld einsehen, aber nicht begreifen, daß sie nach so langer Zeit noch vom Staat zur Verantwortung gezogen werden. Also kein leichtes Gespräch, das da auf mich wartet. In diesem Jahr muß ich mich seit langem wieder einmal mit Calvin beschäftigen, weil die Straßburger Fakultät mich zu einem Vortrag anläßlich der Gedenkfeiern, die dort im Mai gehalten werden sollen, eingeladen hat.263 Ich will mich mit den jetzt erstmalig veröffentlichten Calvin-Predigten befassen.264 Sie sind theologisch merkwürdig unergiebig! Bei der Beschäftigung mit dem Römerbrief – ich lege ihn sonntags fortlaufend vor der Gemeinde aus – greife ich gar nicht nach Calvin, sondern nach dem Kommentar von Gaugler265 und nach Deiner Auslegung vor der Volkshochschule in Basel.266 Heute habe ich mich dazu entschlossen, dabei Kapitel 7 fast ganz zu überspringen. Was würde wohl Kohlbrügge dazu sagen?267 261 Karl Barth, Aber seid getrost! Predigt über Johannes 16,33 (ders., Predigten 1954–1967, 242–251 sowie 296–305 [im gesprochenen Wortlaut]), gehalten in der Strafanstalt Basel und von verschiedenen Radiosendern übertragen. 262 Im Vorfeld des 1. Frankfurter Auschwitzprozesses 1963–1965 gegen Mitglieder der Lagermannschaft des Vernichtungslagers Auschwitz veröffentlichte der Rat der EKD am 13. März 1963 ein kritisches „Wort zu den NS-Verbrecherprozessen“, das eine konsequente Strafverfolgung zur Wiederherstellung des Rechts forderte und für die Aufhebung der Verjährungsfrist bei NS-Verbrechen eintrat; vgl. Reinhard Henkys, Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Geschichte und Gericht, Stuttgart 1964, 339–342. 263 1964 war das 400. Todesjahr Calvins. 264 Wilhelm Niesel, Der theologische Gehalt der jüngst veröffentlichten Predigten Calvins, in: Regards contemporains sur Jean Calvin. Actes du colloque Calvin, Strasbourg 1964, 8–16, unter Bezug auf Johannes Calvin, Predigten über das 2. Buch Samuelis, hg. v. H. Rückert, Supplementa Calviniana, Bd. 1, Neukirchen 1961. 265 Ernst Gaugler, Der Römerbrief, Teil 1–2, Zürich 1952/1958. 266 Karl Barth, Kurze Erklärung des Römerbriefes, München 1956. Diese Auslegung trug Barth bereits im Winter 1940/41 an einer Basler Volkshochschule vor; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 322. 267 Hermann Friedrich Kohlbrügge (1803–1875) machte Röm 7,14 zum Ausgangspunkt seiner Rechtfertigungs- und Gnadenlehre, in: ders., Das siebente Kapitel des Briefes Pauli an die Römer, Elberfeld 1855.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Ob Du wohl im August nach Frankfurt kommen wirst, wenigstens als Schlachtenbummler mit gelegentlichen Zwischenrufen?268 Für uns alle wäre das eine ganz große Freude! In alter dankbarer Verbundenheit mit herzlichen Grüßen! Dein Wilhelm Niesel
184 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 22. Juni 1964 Lieber Freund! Hat wohl der Reformierte Bund einen Einfluß auf die Besetzung der reformierten Professur in Erlangen?269 Und sollte diese noch nicht vollzogen sein? Wenn beides zutrifft, möchte ich wohl (ich tue Solches sonst nicht) auf Pfarrer Hellmut Traub in Stuttgart angelegentlich hingewiesen haben.270 Er ist nun seit Jahr und Tag in das reformierte Wesen hineingewachsen, hat sich aber ungeachtet seiner höchst gewissenhaften Betreuung seiner Gemeinde kontinuierlich auch mit der neutestamentlichen und systematischen Theologie unserer Tage genau und kritisch beschäftigt und ist in meinem Gesichtskreis einer der klügsten und sogleich entschiedensten Köpfe, der eigentlich längst auf ein Katheder gehörte. Hast Du den Band von Storch über meine KD gesehen?271 Endlich ein klarer Lichtstrahl in der im Übrigen wenig erfreulichen sonstigen Landschaft – in gewisser Hinsicht noch interessanter als das Buch von Gollwitzer.272 Mit herzlichem Gruß! Dein Karl Barth
268 Die Generalversammlung des Reformierten Weltbundes fand vom 3.–13. August 1964 in Frankfurt a.M. statt. Postkarte. 269 Nachdem der Erlanger Professor für Reformierte Theologie Jan Remmers Weerda (1906– 1963) am 19. Juli 1963 starb, war der Lehrstuhl vakant und wurde zum Sommersemester 1965 mit Joachim Staedtke (1926–1979) wieder besetzt. 270 Hellmut Traub (1904–1994) war 1950–1969 Pfarrer der Evangelisch-reformierten Gemeinde Stuttgart. Er wohnte 1931–1934 im selben Haus wie Barth in Bonn und blieb ihm lebenslang freundschaftlich verbunden; vgl. Ulrichs, Hellmut Traub, 14–19. 271 Martin Storch, Exegesen und Meditationen zu Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, BEvTh 36, München 1964. 272 Helmut Gollwitzer, Die Existenz Gottes im Bekenntnis des Glaubens, München 1963 (= Helmut Gollwitzer, Ausgewählte Werke, Bd. 2, hg. v. P. Winzeler, München 1988).
III. Briefwechsel 1946–1968
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185 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 26. Juni 1964 Lieber Karl Barth! Mit Erlangen steht es so: Kirchenpräsident Stempel273 von der Pfalz hat sich der Sache sehr angenommen, weil die Professur einst wegen der Pfälzer Studenten eingerichtet worden ist274 und deshalb die pfälzische Landeskirche ein gewisses Mitspracherecht hatte. Er hat enge Tuchfühlung mit mir gehalten. Die Lösung ist aber äußerst schwierig. Der Kultusminister ist durchaus geneigt, die Stelle wieder zu besetzen, obwohl jetzt angesichts des Zustandes der Fakultät kaum Pfälzer Studenten dort studieren. Aber er möchte einen attraktiven Mann haben, was man wegen des eben erwähnten Umstandes willen gut verstehen kann, und dieser muß habilitiert sein! Um das erste Erfordernis zu erfüllen, hatte sich Stempel an Max Geiger275 und Dietrich Ritschl276 gewandt, die beide aber keine Neigung verspüren ließen. Das Letzte, von dem ich gehört habe, war, daß eine Besprechung zwischen Stempel und der lutherischen Fakultät stattfinden sollte, die natürlich auch ein Wörtlein mitreden will. Jedenfalls ersiehst Du daraus, daß Traub wie auch andere nicht in Frage kommen. Es ist jammerschade; denn ein tüchtiger Mann hätte dort allerhand Möglichkeiten. Ich danke Dir für Deinen Hinweis auf das Buch von Storch, das ich mir sogleich bestellt habe. Man sehnt sich danach, etwas Wegweisendes zu lesen. Daß nach den beiden Blumhardt, Hermann Kutter und vor allem nach Deiner Arbeit diese Misere auf dem Gefilde der Theologie eintreten mußte, ist schier unbegreiflich.277 Wir haben die ganze Kumpanei von Käsemann bis Braun auf Ende Oktober zu uns in den Rat der EKD eingeladen, um sie dort einmal zusammen zu stellen.278 Ich bin auf das Ergebnis gespannt. Es gibt ja eine ganze Reihe tüchtiger 273 Hans Stempel (1894–1970) war 1946–1965 Kirchenpräsident der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz (seit 1978: Evangelische Kirche der Pfalz [Protestantische Landeskirche]). 274 Der 1847 auf Erlass von König Ludwig I. von Bayern errichtete Lehrstuhl für Reformierte Theologie an der Universität Erlangen diente zunächst der Ausbildung der Pfälzer Studenten, nachdem die Pfalz nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft 1816 an Bayern gekommen war; vgl. Haas, Reformierte Theologie, 7–33. 275 Max Geiger (1922–1978) war Professor für Kirchengeschichte in Basel. 276 Dietrich Ritschl (geb. 1929) wurde nach Tätigkeiten als Pfarrer in Schottland und als Professor für Systematische Theologie in Pittsburgh, New York und Mainz 1983 auf eine Professur für Systematische Theologie in Heidelberg berufen. 277 Johann Christoph Blumhardt d.Ä. (1805–1880) war württembergischer Pfarrer und eine zentrale Gestalt der Erweckungsbewegung; vgl. Brief vom 23. März 1959 mit Anm. 239. Sein Sohn Christoph Friedrich Blumhardt d.J. (1842–1919) wandte sich als Theologe der sozialen Frage zu und wurde zum Vorläufer des Religiösen Sozialismus in der Schweiz sowie der Dialektischen Theologie; Hermann Kutter (1863–1931) wurde, angeregt durch Christoph Friedrich Blumhardt, zum Wortführer der Religiösen Sozialisten. In KD IV/3, 192–196 hat Barth Johann Christoph Blumhardt und in KD IV/3, 30 Christoph Friedrich Blumhardt d.J. und Hermann Kutter gewürdigt. 278 Neutestamentler der Bultmann-Schule wie Ernst Käsemann (1906–1998) und Herbert Braun (1903–1991) wurden auf den 29. Oktober 1964 in die Sitzung des Rates der EKD eingeladen; vgl. Brief Niesels vom 1. November 1964.
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Leute; aber zum Teil nehmen sie eine unklare vermittelnde Stellung ein wie Ernst Wolf oder sie lassen nichts von sich verlauten wie Georg Eichholz und der andere treffliche Neutestamentler Lang in Tübingen und andere.279 Während der CalvinVorträge in Straßburg hatte ich mehrmals ein langes Gespräch mit Otto Weber und habe ihn gewonnen, sich dafür zur Verfügung zu stellen, daß er zusammen mit unseren Freunden im Reformierten Bund, wenn wir all die Versammlungen des Sommers und Herbstes hinter uns haben, sich mit darum bemühen will, eine gründliche, längere Stellungnahme zur Schriftauslegung und Predigt zu erarbeiten. Ich bin mit Walter Herrenbrück und anderen der Überzeugung, daß endlich einmal etwas auf breiterer Ebene, aber wohl begründet und überlegt, geschehen muß. Schade, daß wir nicht damit rechnen können, daß Du dabei sein kannst. Aber vielleicht können wir Dir das Exposé, wenn es uns gelingen sollte, vor der Veröffentlichung einmal zuschicken. Mit herzlichen Grüßen! Dein Wilhelm Niesel
186 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 14. August 1964 Lieber Freund! Eben erfuhr ich aus dem Morgenblatt, wie hoch ich in Zukunft an Dir empor zu sehen haben werde, und möchte Dir schleunigst meine Bewunderung und meine guten Wünsche angesichts dieser Wahl zum Ausdruck bringen, durch die Du nun mit Paul VI. und Athenagoras (um von Hanns Lilje nicht zu reden) in eine Linie gerückt bist.280 Quod felix, faustum fortunatumque sit!281 Etwas beunruhigend finde ich freilich den Vorbehalt, der bei dem Beschluß zur Rassenfrage ange-
279 Ernst Wolf (1902–1971) war 1945–1970 Professor für Dogmengeschichte und seit 1957 für Systematische Theologie in Göttingen; Georg Eichholz (1909–1973) war 1945–1971 Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal; Friedrich Lang (1913– 2004) war 1962–1979 Professor für Neues Testament in Tübingen. Postkarte. 280 Paul VI. (1897–1978) war 1963–1978 Papst der römisch-katholischen Kirche; Athenagoras (1886–1972) war 1948–1972 Patriarch von Konstantinopel der griechisch-orthodoxen Kirche; Hanns Lilje (1899–1977) war 1952–1957 Präsident des Lutherischen Weltbundes. Auf der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes vom 3.–13. August 1964 in Frankfurt a.M. wurde Niesel zu dessen Präsidenten gewählt; vgl. Ulrichs, Kirchenkampf als permanente Bewährungsprobe, 64–66. 281 = Was gut, günstig, glücklich und gesegnet sei!; alte römische und auf Cicero, De divinatione I,102 zurückgehende Segensformel, deren erstes Adjektiv „bonum“ Barth ausgelassen und deren Adjektive „felix“ und „faustum“ er umgedreht hat.
III. Briefwechsel 1946–1968
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bracht worden ist.282 Wie kann die Kirche dogmatisch eindeutig werden, wenn sie es ethisch-politisch nicht tun will? Fragst Du Dich übrigens nicht auch, ob die Ära solcher (großer und kleinerer) ökumenischer Massenzusammenläufe (ohne Notwendigkeit sehr konkreter Entscheidungen) sich nicht ihrem Ende nähern könnte? Ich wäre wohl in Frankfurt (wo ich 1934 die Barmer Thesen redigierte, während die beiden Lutheraner der Mittagsruhe fröhnten!)283 nun etwas unglücklich dabei gewesen, ganz abgesehen davon, daß es z.Z. mit meiner Gesundheit zwar nicht schlecht, aber etwas problematisch bestellt ist. Ich las in diesen Tagen viel in Deinen gesammelten Vorträgen284 und empfand Dein zweites Werk als Höhepunkt sui (tui!) generis285, während ich auf den auch mir einst so vertrauten Geleisen der reformierten „Sakraments“(!)-Theologie nicht mehr so gern mitfahre. Gerne las ich auch die Bücher von Storch und von Friedrich Schmid, die darauf hinweisen, daß die Bäume meiner heutigen Gartenzwerg-Theologie gewiß nicht in den Himmel wachsen werden.286 Mit herzlichem Gruß! Dein Karl Barth
187 Rundbrief Wilhelm Niesel Schöller, im September 1964 Sehr geehrte Gratulanten! Liebe Freunde und Verwandte! Wie viele von Ihnen wissen, gehöre ich zu den Menschen, die nicht so leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen sind. Das ist auch in den Frankfurter Tagen nicht 282 Einleitend wird zu Abschnitt II. Rassenprobleme formuliert: „In diesem Zusammenhang ist der Ausdruck ‚Rasse’ in seinem volkstümlichen Sinne gebraucht, ohne zu beabsichtigen, über seinen wissenschaftlichen oder moralischen Wert ein Urteil abzugeben.“ Vgl. Frankfurter Dokumente. Berichte und Reden auf dem Reformierten Weltkongreß in Frankfurt a.M. 1964, hg. v. F. Lüpsen, Witten 1964, 42–45, hier 42. 283 Bei der Vorbereitungssitzung zur Barmer Bekenntnissynode am 16. Mai 1934 mit den Lutheranern Thomas Breit und Hans Asmussen in Frankfurt a.M. hat Barth nach eigenen Angaben in der Mittagszeit den Text der sechs Thesen redigiert und brachte das auf die Formel: „Die lutherische Kirche hat geschlafen und die reformierte Kirche hat gewacht“; vgl. Barth, Gespräche 1964–1968, 113. 284 Wilhelm Niesel, Gemeinschaft mit Jesus Christus. Vorträge und Voten zur Theologie, Kirche und ökumenischen Bewegung, München 1964. 285 Wilhelm Niesel, Unsere Gemeinschaft mit Jesus Christus nach dem Zeugnis des Heidelberger Katechismus (13–22). 286 Martin Storch, Exegesen und Meditationen zu Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, BEvTh 36, München 1964; Friedrich Schmid, Verkündigung und Dogmatik in der Theologie Karl Barths. Hermeneutik und Ontologie in einer Theologie des Wortes Gottes, FGLP 10,29, München 1964. Vgl. zur ironischen Kennzeichnung seiner Theologie den Brief an Richard Karwehl vom 1. September 1964, in: ders., Briefe 1961–1968, 269.
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geschehen. Ich gestehe aber gerne, daß das Vertrauen, das die aus aller Welt dort versammelten Brüder und Schwestern durch die einmütige Wahl mir bezeugten, beglückend für mich war. Warum sollte man sich in dieser zerrissenen Welt – die Zeitungen wußten in jenen Tagen übergenug davon zu berichten287 – nicht über ein Zeichen brüderlicher Zuneigung über alle Unterschiede hinweg herzlich freuen? Ich habe es nie mit jenen gehalten, die grämlich überall nur Probleme sehen und Gefahren wittern und es nicht fertig bringen, unmittelbar dankbar zu sein für das, was uns in diesem armen Leben geschenkt wird. Dieser herzliche Dank gilt auch Ihnen, die Sie sich über meine Wahl zum Präsidenten des Reformierten Weltbundes gefreut und mir dies in lieben Worten bekundet haben. Neue Verbindungen sind dadurch zwischen uns geknüpft und alte gekräftigt worden. So schön es ist, wenn man im Alter eine neue, weitreichende Aufgabe erhält, so bin ich mir völlig bewußt, daß dieser Anstoß allein nicht genügt, um sie zu bewältigen. Wie ich durch die schweren Jahre des Kirchenkampfes nur hindurchgekommen bin, weil ich wie all die anderen vom Gebet der Brüder getragen wurde, so habe ich für das, was jetzt vor mir liegt, helfendes Gedenken dringend nötig. Solch Amt kann nur in wirklicher Bruderschaft recht ausgerichtet werden! Allen, die mir ihre Mitfreude kundgetan und mich ihres Gedenkens auch für die Zukunft versichert haben, danke ich aufrichtig! Wilhelm Niesel
188 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 1. November 1964 Lieber Karl Barth! Vor einigen Tagen rief ich Günther Dehn an, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Da erfuhr ich, daß Du seit dem 20. August im Spital seiest.288 Hoffentlich bist Du inzwischen gebessert daheim! Dehn, der doch ein kluger Mann ist, sagte mir auf meine Frage: „Ich bin ganz gesund; aber es funktioniert alles noch nicht richtig.“ (!) Am Donnerstag hatten wir vom Rat der EKD ein lange geplantes Gespräch mit der Bultmann-Schule! Käsemann, Bornkamm, Braun waren da und zu unserer Unterstützung Kreck und Goppelt. Conzelmann kniff (käme doch nichts dabei 287 Anfang August 1964 sollen nordvietnamesische Schnellboote zwei Kriegsschiffe der USMarine beschossen haben, woraufhin die US-Regierung mit der Tonkin-Resolution das direkte Eingreifen der USA in den seit 1956 laufenden Vietnamkrieg veranlasste. 288 Barth begab sich im August 1964 in das Basler Bethesda-Spital, um sich einer ProstataOperation zu unterziehen; nach einem leichten Schlaganfall musste er im Dezember 1964 erneut das Spital aufsuchen; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 488.
III. Briefwechsel 1946–1968
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heraus). Fuchs war als Zungenredner nicht geladen. Trotz einer sehr schwachen Einleitung von Joachim Beckmann war die Aussprache nützlich.289 Interessant, daß Käsemann erzählte, der Ursprung von Bultmanns existentialer Interpretation läge bei Luther! Er habe das einst in Bultmanns Seminar miterlebt anhand einer Auslegung Luthers von Röm 3. Erst darauf habe Bultmann Heidegger herangezogen. Du hast also einen richtigen Riecher gehabt. Bornkamm bestätigte das und fügte hinzu, daß Heidegger selber in Freiburg auf Luther und Schlatter verwiesen habe! Sie gaben mir zu, daß die existentiale Interpretation zur Erfassung des Neuen Testaments nicht ausreiche. Das war vielleicht das Wichtigste: Man konnte sehen, wie die Diadochen einander bekriegen. Kreck sagte mir auf der Heimfahrt, daß eine ganze Reihe sehr tüchtiger junger Leute sichtbar werde. Er selber erwägt, einen knappen Grundriß der Dogmatik herauszugeben.290 Vorher hatten wir Hauptversammlung des Reformierten Bundes in Göttingen!291 Zum ersten Mal seit 1925 war ich wieder im Auditoriengebäude, und ich beschwor die Geister derer, die mir damals begegnet sind, bis hin zu Superintendent Mirow.292 Den Hauptvortrag hielt Manfred Hausmann im Anschluß
Abb. 11: Wilhelm Niesel, Willem Visser ’t Hooft, Martin Niemöller in Frankfurt a.M. 1964 289 Joachim Beckmann (1901–1987) war 1958–1971 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. 290 Walter Kreck, Grundfragen der Dogmatik, München 1970.21977. 291 Vom 19.–21. Oktober 1964 tagte die Hauptversammlung des Reformierten Bundes in Göttingen. 292 Der Göttinger Superintendent Carl Mirow (1862–1952) war Pate von Barths 1925 in Göttingen geborenem Sohn Hans Jakob.
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an das Thema von Frankfurt.293 Eine ganz exzellente Sache! Das Studienhaus – einst unter Joachims294 Zepter – erwartet seinen Abbruch. Ein neues, hinter der Reformierten Kirche am Wall gelegenes ist im Entstehen.295 Vater Kamlah296 dankt endgültig ab. Er gab seinen Freunden ein feierliches Abschiedsmahl. Das läßt man sich gern gefallen. Dies alles nur zum Zeichen, daß ich Deiner gedenke. Alle guten Wünsche und herzliche Grüße! Dein Wilhelm Niesel
189 Karl Barth an Wilhelm Niesel Krankenhaus Bethesda, Basel, 7. November 1964 Lieber Freund! Die Formel von G. Dehn trifft „in etwa“ auch auf meinen Zustand zu.297 Man wird eben nicht ohne Folgen so alt wie er und (in einigem Abstand) doch auch ich. Doch bin ich in guter Behandlung – Pflege ist in der Hauptsache im Aufstieg begriffen. Was sagst Du zu Moltmanns „Theologie der Hoffnung“?298 Ein offenbar tüchtiger junger Mann hat da ein jedenfalls höchst positiv anregendes Buch geschrieben. Ich muß es mir, nachdem ich es eben zu Ende gelesen habe, erst assimilieren, zweifle immerhin, ob ich ihm auf die so energisch eröffnete Einbahnstraße folgen werde. Die Tage der Bultmann-Schule halte ich für gezählt. Mit herzlichem Gruß! Dein Karl Barth 293 Manfred Hausmann (1898–1986) war Schriftsteller, Journalist und Ältestenprediger. Er hielt den Vortrag: Erneuerung der Gemeinde durch den Heiligen Geist (publiziert unter dem Titel: Brüderliche Welt. Erneuerung der Gemeinde durch den Heiligen Geist, NeukirchenVluyn 1965). 294 Joachim Beckmann war 1924/25 Inspektor des Reformierten Studienhauses in Göttingen am Waageplatz 3. 295 Das neue Reformierte Studienhaus in der Oberen Karspüle 30 wurde 1966 fertiggestellt; vgl. Goeters, Reformierter Lehrstuhl, 268–278, hier 278. 296 Theodor Kamlah (1887–1968) war seit 1920 Pfarrer der Evangelisch-reformierten Gemeinde Göttingen und leitete 1929–1964 den Bund Evangelisch-reformierter Kirchen Deutschlands – wegen der langen Amtszeit Kamlahs auch „Kamlah-Bund“ genannt. Postkarte. 297 Siehe Brief Niesels vom 1. November 1964. 298 Jürgen Moltmann, Theologie der Hoffnung. Untersuchung zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie, BEvTh 38, München 1964/Gütersloh 131997.
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III. Briefwechsel 1946–1968
190 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 27. März 1965 Lieber Karl Barth! Immer wieder habe ich mich einmal nach Deinem Ergehen bei Freunden erkundigt, die davon etwas wissen konnten. Wie ich zuletzt hörte, geht es Dir leidlich. Mitte April muß ich nach Genf fahren und hätte dadurch die Gelegenheit, bei Dir hereinzusehen. Das könnte am Mittwoch, dem 14. April, vormittags geschehen. Ob das von Dir aus gesehen wohl möglich wäre? Für mich wäre es eine große Freude. Für eine kurze baldige Nachricht wäre ich Dir sehr dankbar. Mit herzlichem Gruße! Dein Wilhelm Niesel
Abb. 12: Wilhelm Niesel unterwegs als Präsident des Reformierten Weltbundes
Postkarte.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
191 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 29. März 1965 Lieber Freund! Es geht mir, wenn auch noch nicht völlig gut, so doch merklich besser.299 Und Du sollst und wirst mir Mittwoch, 14. April, vormittags willkommen sein. Hohe und höchste Besuche, wie der Deinige, sind mir sehr erfreulich. Mit herzlichem Gruß! Dein Karl Barth300
192 Wilhelm Niesel an Karl Barth Schöller, 11. April 1967 Lieber Karl Barth! Am Samstag, dem 29. April, bin ich vormittags auf der Durchreise durch Basel. Ob ich Dich dann wohl besuchen darf? Es wäre mir eine große Freude! Ich sehe gerade, daß Du schriftstellerisch wieder aktiv geworden bist.301 Eine freudige Überraschung! Mit herzlichem Gruß! Dein Wilhelm Niesel
Postkarte. 299 Barth hatte Ende 1964 einen leichten Schlaganfall erlitten und verbrachte längere Zeit im Spital. 300 Unterhalb der Postkarte findet sich folgende Notiz von Niesel: Sagte mir beim Besuch über Moltmanns „Theologie der Hoffnung“: „Ein getaufter Bloch“ und: „Er arbeitet mit einem Prinzip“. Über Wilhelm Vischer: „Ein genialer Faulpelz“ (weil er sein „Christuszeugnis“ nicht sorgfältig durchgearbeitet und vollendet habe); vgl. Wilhelm Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments, München 1934.71946. Postkarte. 301 Karl Barth, KD IV/4: Das christliche Leben (Fragment). Die Taufe als Begründung des christlichen Lebens, Zürich 1967. Es kann auch gemeint sein: Karl Barth, Ad Limina Apostolorum, Zürich 1967.
III. Briefwechsel 1946–1968
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193 Karl Barth an Wilhelm Niesel Basel, 12. April 1967 Lieber Wilhelm Niesel! Es hätte mich richtig gefreut, Dich wieder einmal zu sehen und zu hören. Aber der Vormittag des 29. April ist die für mich denkbar unmöglichste Gelegenheit, weil ich da ausgerechnet um 10 Uhr mein Kollegium zu eröffnen habe.302 Mußt Du am Nachmittag denn schon weiter fahren? Ja, ich bin literarisch wieder ein bißchen aktiv geworden: z.B. in einem Osterartikel für die NZZ303 (!) und gerade eben in einem Büchlein über allerhand Römisch-Katholisches.304 Und Weiteres ist im Tun. Wie gern hätte ich Deine Ansichten gehört: über den Stand der Dinge in der EKD, über das Kasperletheater zwischen den Bultmannianern und mit den Bekennern „Kein anderes Evangelium“305 etc. Aber es soll diesmal offenbar nicht sein. Mit herzlichem Gruß! Dein Karl Barth Kennst Du: Alexandre Ganoczy, Le jeune Calvin (Wiesbaden 1966)?306 Ich bin eben dabei. Es handelt sich wohl um das Werk eines sehr begabten und sauber arbeitenden katholischen (!) Calvinologen aus der Schule von Joseph Lortz.307
Postkarte. 302 Barth hielt im Sommersemester ein Seminar zu Johannes Calvins Institutio. 303 Karl Barth, Das Geheimnis des Ostertages, NZZ, Jg. 188, 26. März 1967, 1f (= ders., Predigten 1954–1967, 276–280). 304 Karl Barth, Ad Limina Apostolorum, Zürich 1967. 305 Die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ war eine konservative Sammlungsbewegung in den evangelischen Landeskirchen, die sich nach ihrer Gründung 1966 vor allem gegen das Entmythologisierungsprogramm Rudolf Bultmanns wandte und eine existenziale Interpretation der Bibel ablehnte. 306 Alexandre Ganoczy, Le jeune Calvin. Genèse et évolution de sa vocation réformatrice, VIEG 40, Wiesbaden 1966. Barth las dieses Buch in Vorbereitung auf sein Seminar über Johannes Calvins Institutio; vgl. Busch, Meine Zeit, 269. 307 Joseph Lortz (1887–1975), römisch-katholischer Kirchenhistoriker und Reformationsforscher, lehrte in der Nachkriegszeit 1950–1975 in Mainz und war dort auch Direktor der Abteilung Religionsgeschichte am Institut für Europäische Geschichte. Mit seinen Arbeiten zur Reformation hat er den katholischen Ökumenismus entscheidend gefördert.
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194 Wilhelm Niesel an Karl Barth [Schöller, im Mai 1967] Lieber Karl Barth! Zum 81. die herzlichsten Wünsche! Es war sehr schön, daß ich Dich neulich sprechen konnte!308 Den Briefwechsel Wilm/Schreiber, den ich Dir zu geben vergaß, wirst Du durch die Post erhalten haben.309 Da wirst Du verstehen, daß unsere Ältesten auftrumphen. Demnächst werden wir uns vom Reformierten Bunde aus äußern. Viele Grüße auch an Deine verehrte Gattin! Dein Wilhelm Niesel
195 Wilhelm Niesel an Karl Barth Oberstdorf, 27. Dezember 1967 Lieber Karl Barth! Was ist Dir und Deiner lieben Frau nun auferlegt worden!310 Herrenbrück sagte es mir. Kohlbrügge hat doch recht: „Es muß viel Leid gelitten sein und muß viel Streit gestritten sein, wenn soll das Ende selig sein.“311 Von Deinem Taufbande habe ich erst knapp 100 Seiten geschafft.312 Ich schreibe Dir später darüber, wenn ich das Buch ganz gelesen habe. Heute nur den herz
Postkarte. 308 Offenbar hat Niesel Barth am 29. April 1967 in Basel doch besucht. 309 Es handelt sich um einen Briefwechsel zwischen Ernst Wilm (1901–1989), Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen 1949–1969, und Johannes Schreiber (geb. 1927), 1966– 1994 Professor für Praktische Theologie in Bochum. Während Wilm sich von der sog. „modernen Theologie“ distanzierte und aus persönlicher Überzeugung an der Großveranstaltung der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ am 6. März 1966 in Dortmund teilnahm, wandte sich Schreiber als Verfechter der historisch-kritischen Forschung gegen diese Bewegung. In einer ZDF-Fernsehdiskussion setzte er sich am 27. März 1967 mit Walter Künneth über die Auferstehung Jesu auseinander; vgl. Bauer, Evangelikale Bewegung, 437–442. Postkarte. 310 Am 15. Dezember 1967 musste Nelly Barth für zwei Monate ins Spital. Bald darauf wurde Barth am 5. Februar 1968 ebenfalls ins Spital eingeliefert; vgl. Busch, Barths Lebenslauf, 510f. 311 Von Hermann Friedrich Kohlbrügge in einer Predigt zitierte Verse des niederländischen religiösen Dichters Dirk Rafaelszoon Camphuysen (1586–1627), die in der Sammlung „Stichtelijke Rijmen“ abgedruckt sind: „Es muß viel Streit gestritten sein / Es muß viel Leid gelitten sein / Es müssen heilige Sitten sein / Und viel Gebet gebetet sein / Soll einst das Ende Frieden sein.“ Vgl. Hermann Klugkist Hesse, Hermann Friedrich Kohlbrügge, Wuppertal-Barmen 1935, 42. 312 Siehe Anm. 301.
III. Briefwechsel 1946–1968
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lichsten Dank dafür. Du hast mir mit dem Geschenk des Bandes eine ganz große Freude gemacht. Bis Anfang des Jahres sind wir hier in den Bergen. Im Urlaub pflege ich nichts Theologisches zu lesen, sondern nur Romane. Im Frühjahr wollen wir unsere Hütte in Schöller abbrechen und uns in südlicheren Gefilden niederlassen.313 Fürs neue Jahr wünsche ich Euch beiden viel Hilfe und Kraft und Getrostheit. In alter dankbarer Verbundenheit! Dein Wilhelm Niesel
196 Wilhelm Niesel an Karl Barth Königstein, 6. Mai 1968 Lieber Karl Barth! Nun wirst Du am Donnerstag schon 82 Jahre!314 Ich schreibe Dir, damit Du weißt, daß ich oft an Dich denke. Wie mag es Dir und Deiner lieben Frau gehen?315 Ob Ihr wieder in Eurer Wohnung sein könnt? Ich möchte es herzlich wünschen. Wir kosten augenblicklich ein wenig ein Nomadendasein aus, weil wir unsere neue Wohnung hier im Erdgeschoß noch nicht beziehen konnten. Sie muß noch ausgebaut werden. So wohnen wir bei einer Freundin, der Witwe von Dr. Robert Berger/Breslau316 (er war ein großer Verehrer von Dir) im oberen Geschoß. Ich bin also aus dem Dienst in Gemeinde und Hochschule ausgeschieden. Sehr dankbar bin ich, daß ich in Dr. Fangmeier317 einen so trefflichen Nachfolger für beide Arbeitszweige gefunden habe. Ich selber habe noch genug zu tun im Weltbund, Reformierten Bund und Rat der EKD nebst Ökumene. Leider kann ich Dir nach dem Umzugstrubel und in diesen Verhältnissen hier – meine sämtlichen Bücher sind noch in Schöller – nichts zu Deinem Buch über die Taufe schreiben.318 Nur andeuten möchte ich, daß es mir nicht um die Beibehaltung der Kindertaufe geht. Für mich ist das Wesen der Taufe das Problem, das mich angesichts Deines Buches beschäftigt. 313 Tatsächlich zog Niesel nach seiner Pensionierung 1968 mit seiner Frau nach Königstein/ Taunus. 314 Barth feierte am 10. Mai 1968 seinen 82. Geburtstag. 315 Mitte Februar wurde Nelly und Ende Februar wurde Karl Barth aus dem Spital entlassen; siehe Anm. 310. 316 Robert Berger (1898–1961) war Mitglied der Bekennenden Kirche, später Oberkirchenrat in der Schlesischen Kirche und Pfarrer in Frankfurt a.M. 317 Jürgen Fangmeier (1931–2013) war als Niesels Nachfolger 1968–1994 Pfarrer der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Schöller und Professor für Reformierte Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. 318 Siehe Anm. 301.
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Karl Barth und Wilhelm Niesel
Nun laß es Dir den Umständen nach im kommenden Lebensjahr erträglich gehen. Das wünsche ich Dir von Herzen, auch Deiner lieben Frau. Vivit!319 In alter, dankbarer Verbundenheit! Dein Wilhelm Niesel
319 = Er [sc. Jesus] lebt!, die Auferstehungsbotschaft der Evangelien.
Abkürzungen ApU BK BSKORK DC EKD/EKiD EOK GStP HJ Inst.
JK KBRS KD NKZ NSDAP NZZ ÖRK OS RKZ SEPD SPD ThEx/TEH ThSt VELKD VKL ZKG ZZ/ZdZ
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Register Die Namen von Karl Barth und Wilhelm Niesel sowie biblische Namen sind nicht aufgenommen. Autorennamen sind dann verzeichnet, wenn sie in einem Zusammenhang auch handelnde Personen sind. Berger, Robert 281 Berger, Witwe von Berger, Robert 281 Bergfried, August Theodor 118 Berkhof, Hendrikus 265 Berkouwer, Gerrit C. 263 Bernhard von Clairvaux 58 Besier, Gerhard 17 Beyer, Franz 240 Biandrata siehe Blandrata Blair, Hugh 46 Blandrata, Georg 52 Blanke, Fritz 96 Bach, Walter Adolf 69, 123 Bleibtreu, Otto 181 Barth, Anna 60, 92, 165, 200 Bloch, Ernst 278 Barth, Christoph 159 Blumhardt, Christoph Friedrich 271 Barth, Franziska (Fränzeli) 72, 163 Blumhardt, Johann Christoph 263, 271 Barth, Fritz 50 Barth, Heinrich 60, 122, 126, 128, Bodelschwingh, Friedrich von 110, 112f, 116, 136, 145, 148f, 151, 154, 133 187 Barth, Markus 64, 133, 197, 251, Bohren, Rudolf 260 254, 267 Bolsec, Hieronymus 196 Barth, Nelly 38, 209, 280f Bonn, Alfred 118 Barth, Peter 15–17, 44–46, 48–50–53, 55, 58–64, 69, 77, 86, 96, Bornkamm, Günther 22, 234, 274f Bornkamm, Heinrich 16f, 55f 101, 126, 133, 158, 179, 195 Boso 39 Barth, Ulrich Martin (Ueli) 55, 64 Boudriot, Wilhelm 20, 94, 215, 218 Bartha, Tibor 26 Brandenburg, Willi 193 Bauer, Karl 101 Brandes, Wilhelm 212 Baumann, Eberhard 168 Braun, Herbert 271, 274 Baur, Ferdinand Christian 48 Bredt, Johann Viktor 155, 158 Beck, Horst-Dieter 6, 29 Breit, Thomas 166f, 172, 193, Beckmann, Joachim 38, 148, 168, 273 170f, 178, 187, 206, 212, 214, 222, Brinckmann, Carl Gustav von 47 245, 275f Brunner, Emil 88f, 93, 98f, 126, Bell, George 254 196, 251 Benoit, Anja 6 Brunner, Peter 209, 217, 239 Bereczky, Albert 26f, 252f, 255f, Bucer, Martin siehe Butzer, Martin 258f, 262 Adenauer, Konrad 23f, 238–240 Adler, Bruno 147 Albertz, Martin 232 Althaus, Paul 88, 129 Anselm von Canterbury 39, 41, 92 Asmussen, Hans 18f, 159, 164, 166, 169–171, 185, 196, 206–209, 213–215, 217, 219–232, 273 Athenagoras, Patriarch von Konstantinopel 272 Augustin, Aurelius 38, 176, 234
298 Buess, Eduard 260 Bultmann, Rudolf 9, 22, 35, 126, 242, 244, 268, 274–276, 279 Bunzel, Ulrich 168 Burghard, Georg 65 Busch, Johannes 206 Busch, Wilhelm 198 Butzer, Martin 58f Burmann, Annelise 39, 68 Calvin, Johannes 5, 10–16, 34–41, 43, 45f, 48f, 52–54, 56–59, 61, 64–66, 68f, 73, 80, 82, 91, 98, 100f, 126, 170, 173, 196, 198, 234, 250, 252, 263–266, 269, 272 Camphuysen, Dirk Rafaelszoon 280 Castellio, Sebastian 59 Chantré, Ludwig 198 Cochrane, Arthur C. 251 Conrad, Paul 42 Conzelmann, Hans 268, 274 Cordier, Leopold 158 Daub, Carl 47 Dehn, Günther 12, 43, 57, 87, 114, 142, 168, 208, 212, 242f, 251, 274, 276 Delekat, Friedrich 234 Dibelius, Otto 85, 211, 224, 229f, 233, 249, 267 Diem, Annelise siehe Burmann, Annelise Diem, Hermann 191, 208, 219, 222, 227, 234f Dietzfelbinger, Hermann 234f, 239 Dilthey, Wilhelm 47, 90 Dipper, Theodor 206 Drewes, Hans-Anton 6 Dryander, Ernst Hermann von 42 Dürr, Karl 206
Karl Barth und Wilhelm Niesel
Ellenberger, Wilhelm132 Endemann, Samuel 47 Eßer, Hans Helmut 14 Fahrenheim, Henning 206 Fangmeier, Jürgen 15, 281 Farel, Wilhelm 170, 173 Fawcett, Joseph 46 Fichte, Johann Gottlieb 47 Forsthoff, Heinrich 124, 137, 139, 160 Frey, Arthur 205, 208, 213f, 223, 233 Frick, Wilhelm 112, 116f, 119, 171f, 178 Fricke, Otto 212, 223 Friedrich d. Große, König von Preußen 215 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 42 Friesen, Frau von 245 Frowein, Carl 149 Fuchs, Ernst 275
Ganoczy, Alexandre 279 Gaugler, Ernst 50, 269 Gehlhoff, Gerhard 206 Geiger, Max 271 Gentilis, Valentino 52 Gerhard, Johann 46 Gerhardt, Paul 86 Gerstein, Kurt 186, 188 Gerstenmaier, Eugen 210 Goebbels, Josef 172 Gloege, Gerhard 168 Göhler, Alfred 68 Göring, Hermann 143, 172 Goeters, Wilhelm 105f, 110–112, 116, 118, 122, 134f, 158, 212, 244 Goethe, Johann Wolfgang von 99 Gogarten, Friedrich 88–91, 98, 105, Eckert, Otto 157 126, 177 Eger, Johannes 194 Gollwitzer, Helmut 241, 258, 270 Eichholz, Georg 272 Goppelt, Leonhard 274 Elisabeth II., Königin von England 254 Graeber, Martin 141, 181, 184
Register
Graffmann, Heinrich 111, 118, 124, 160 Grether, Oskar 129 Grimme, Adolf 83 Groß, Walter 197, 199 Grützmacher, Georg 57f Günther, Fritz 198 Gürtner, Franz 197 Gürtner, Luise 197
299
Hindenburg, Paul von 116, 162 Hirsch, Emanuel 36–38, 40, 45, 54, 61, 83, 87, 99, 126, 129, 190 Hitler, Adolf 116, 162–164, 166, 193, 197, 200, 249 Hölscher, Gustav 133, 135 Holl, Karl 35, 40, 65, 190 Hollweg, Walter 118, 135, 150–152, 157, 159, 165, 212 Haendler, Wilhelm 85 Horn, Fritz 121f, 128, 179 Hahn, Wilhelm 239 Horn, Johannes Theodor 165 Haitjema, Theodorus Lambertus 38 Hornig, Ernst 212 Halaski, Karl 13 Horst, Friedrich 122 Harlessem, Marianne von 66, 68 Horváth, János 258 Harnack, Adolf von 12 Hossenfelder, Joachim 114f, 135 Hartenstein, Karl 61, 125 Hromádka, Josef 25, 27, 256–258, Hauer, Jakob Wilhelm 143 262, 265 Hausmann, Manfred 275f Humburg, Paul 118f, 134, 137, Heckel, Johannes 113, 117, 153, 179 140f, 144, 148, 160f, 169, 171f, Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 74 181f, 184, 193 Heidegger, Martin 275 Husserl, Edmund 43 Heinemann, Gustav 23f, 212, 222, 226, 240f Immer, Karl 134, 149, 160, Held, Heinrich 148, 171, 198, 166, 171, 178, 181, 184, 186, 188f, 206, 211f, 226 199, 247 Hellstern, Heinrich 223 Irenäus 43 Herman, Stewart 209 Iwand, Hans Joachim 168, 171, 206, Herrenbrück, Walter 250, 259, 265f, 234f 272, 280 Herrmann, Johannes 57f Jacobi, Gerhard 142, 147, 151f Herrmann, Wilhelm 38 Jacobs, Paul 244 Heß, Hans-Erich 38, 68, 98, 124, Jäger, August 116f, 119f, 241 157–159 Hess, Rudolf 142 Jannasch, Wilhelm 197 Hesse, Eduard 188f Jochums, Heinrich 265 Hesse, Hermann Albert 12, 17f, 65f, Jóo, Sándor 258 68f, 71, 73, 85, 88–90, 92, 107–114, Jung, Heinrich 123 116–121, 123, 128f, 131–135, 145, 149, 152f, 158, 160f, 166f, 171, 178, Kádár, János 26, 252f 181, 184, 188, 191, 199, 206 Käsemann, Ernst 22, 234, 271, 274f Hesse, Hermann Klugkist 69, 111, Kamlah, Theodor 276 118, 134, 136, 140, 144, 210 Kant, Immanuel 46f Hesse, Theodor 199 Kappler, Hermann 107, 113, 115f Heydt, Fritz von der 139 Karwehl, Richard 273 Hilmes, Karl 206 Kerrl, Hanns 19, 187, 189, 197
300 Kessel, Fritz (Friedrich) 123 Kierkegaard, Søren 50 Kinder, Christian 172 Kirschbaum, Charlotte von 25, 29, 93, 97, 125, 149, 183, 192, 195, 199, 206, 209, 243f Kloppenburg, Heinz 206, 223 Koch, Karl 18, 131, 147, 154, 156, 163f, 167, 172, 184, 187 Koch, Werner 198 Köhler, Walther 96 Kohlbrügge, Hermann Friedrich 68, 165, 269, 280 Kolfhaus, Wilhelm 96–98, 108, 118, 124, 126, 134f, 157, 159, 161, 167, 244 Konrad, Joachim 218 Koopmann, Otto 117, 152, 157–160 Kreck, Walter 232, 241, 243f, 265, 268, 274f Krummacher, Gottfried Adolf 120, 122, 124 Künneth, Walter 22, 115, 258, 280 Kutter, Hermann 43, 71, 271 Kuyper, Abraham 126
Karl Barth und Wilhelm Niesel
Lubbe, Marinus van der 143 Ludwig I., König von Bayern 271 Ludwig III., karolingischer König 144 Lücking, Karl 148, 206, 212 Lüders, Hans 206 Luther, Martin 36, 44, 61, 63, 66, 80, 96, 126f, 147, 224, 250, 275
MacIntosh, Hugh Ross 158 MacLean, Donald 157 Mahlmann, Paul 240 Mahrenholz, Christhard 48 Marahrens, August 107, 112, 117, 119, 166f, 169f, 172f, 178, 187 Marcion 43 Marheinecke, Philipp Konrad 39 Maury, Pierre 100, 196 Mayer, Jacob Peter 91 McCord, James Iley 260 Meiser, Hans 117, 119, 127, 129, 159, 163f, 166, 169, 172, 178, 191, 211, 217, 224, 229f, 234 Melanchthon, Philipp 34, 41, 46 Mensing, Karl 113, 118, 120, 123, 134, 160f, 246 Merz, Georg 42, 54f, 81f, 86, 125, 168 Landau-Remy, Helmut 43, 128, 263 Mettler, Artur 60 Lang, August 59, 117, 120, 134f Meusel, Ernst 112 Lang, Friedrich 272 Middendorff, Friedrich 206 Lange van Ravenswaay, J. Marius J. 6 Mirbt, Carl 186 Langenohl, Wilhelm August 110f, 116, Mirow, Carl 275 118, 134, 150, 152, 157, 159, 167 Mochalski, Herbert 206 Langguth, Gerhardt 238 Moltmann, Jürgen 276, 278 Lauffs, Wilhelm Adolf 119, 134 Mozart, Wolfgang Amadeus 251 Lavanchy, Auguste 100 Muckermann, Friedrich 80f Lekebusch, Sigrid 17 Müller, Ernst Friedrich Karl 56–58 Lempp, Albert 44f, 54, 76, Müller, Ludolf 212 82–84, 86, 115, 132, 199 Müller, Ludwig 109f, 112–115, Leuba, Jean-Louis 216f 117, 119, 129, 144f, 149f, 152, 160, Lilje, Hanns (Johannes) 211, 224, 233, 181 249, 272 Müller-Krüger, Katharina 200 Locher, Gottfried W. 259, 265 Müller-Krüger, Theodor 84, 86, 200 Loewenich, Walther von 129 Mulert, Hermann 190 Lortz, Joseph 279
301
Register
Nagy, Barnabas 253, 258 Nagy, Imre 26 Neuser, Wilhelm 19, 212 Niebuhr, Reinhold 27 Niemöller, Martin 13, 23f, 149, 166f, 172, 176–178, 185, 189, 197, 201, 206f, 211, 217, 222, 231, 234, 237, 239f, 265 Niesel (Eltern) 37, 43, 70 Niesel (Vater) 45 Niesel (Bruder) 45 Niesel, Susanna 15, 180, 191, 196, 198, 281 Nikolai, Metropolit 262 Nil, Martin 201 Noordmans, Oepke 38 Obendiek, Harmannus 134, 151, 153, 168, 188, 247, 249 Oberheid, Heinrich Josef 136, 139–142, 147f, 179 Oettingen, Herbert von 160 Okely, Samuel 46 Ordass, Lajos 26, 255 Osiander, Andreas 52, 54 Pap, László 26, 253, 255f Paul VI., Papst 272 Pecina, Johannes 193 Pelagius 62 Persch, Jörg 6 Péter, János 26, 252f, 255, 262 Peterson, Erik 33–35, 41, 88 Petrus Lombardus 73 Pfannschmidt, Susanna siehe auch Niesel, Susanna 13, 176 Pfennigsdorf, Emil 122 Philip, Prinz, Herzog von Edinburgh 254 Pinn, Theodor Friedrich Nicolai 198 Piper, Otto Alfred 83 Pradervand, Marcel 259 Priestley, Joseph 46 Printz, Maximilian 140 Przywara, Erich 71f
Putsch, Hugo Putsch, Maria
209 209
Quenstedt, Johann Andreas 46 Quervain, Alfred de 111, 136, 139, 144, 153 Ravasz, László 25f Rehm, Wilhelm 191 Ring, Reinhard 266 Ritschl, Albrecht 63 Ritschl, Dietrich 271 Ritschl, Otto 40 Rosenberg, Alfred 105 Rückert, Hanns 16f, 48, 54, 56 Rust, Bernhard 106, 122, 124, 133, 164, 178, 183 Ruttenbeck, Walter 139 Sasse, Hermann 129, 177 Schädelin, Albert 50 Schäfer, Friedrich 139 Scharf, Kurt 212 Schauer, Friedrich 168 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 47 Schempp, Paul 208 Scheuner, Dora 158 Schieder, Julius 129 Schiller, Friedrich 144, 236 Schirmacher, Horst 114 Schlatter, Adolf 68, 126f, 275 Schlegel, Friedrich 47 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 10, 12, 39f, 42f, 45–49, 52, 54, 58, 77f, 81, 84, 196, 234, 240 Schleypen, Marianne siehe Harlessem, Marianne von Schlier, Heinrich 168 Schlingensiepen, Johannes 161 Schlink, Edmund 227, 234, 239 Schmid, Friedrich 273 Schmidt, Friedrich-Wilhelm 75 Schmidt, Hans 206 Schmidt, Jörg 6
302 Schmidt, Karl Ludwig 18, 87, 96, 106f, 122, 183 Schmidt, Martin 198 Schmidt-Japing, Johann-Wilhelm 122, 139 Schmitz, Otto 54, 57 Schneckenburger, Matthias 39f, 48, 240 Schniewind, Julius Daniel 168, 234 Scholder, Klaus 17 Scholz, Heinrich 77, 81f Schreiber, Johannes 280 Schulz-Sydow, Georg 146, 149, 151, 168f Schumacher, Peter 152 Schweitzer, Albert 69 Schweizer, Alexander 39, 41, 48 Seeberg, Erich 190 Seeberg, Reinhold 37 Seiler, Ludwig 106 Semper, Anna-Maria 176 Servet, Michael 52 Siebel, Remko Walther 121 Simons, Menno 52 Sinning, Waldemar 111, 118, 121f Smend, Rudolf 212 Smidt, Udo 149, 151 Soden, Hans von 162 Sommerlath, Ernst 230, 234, 237 Sozzini, Fausto 52 Spangenberg, August Gottlieb 46 Spill, Christoph 6 Spinoza, Baruch de 47 Staedtke, Joachim 270 Stählin, Wilhelm 40, 57, 248 Stämmler, Wolfgang 168 Stange, Erich 150 Steil, Ludwig 168 Stempel, Hans 212, 271 Stoecker, Adolf 43 Stoltenhoff, Ernst 116f, 142 Storch, Martin 270f, 273 Tersteegen, Gerhard 238 Thielicke, Helmut 208 Tholuck, Friedrich August Gottreu 39
Karl Barth und Wilhelm Niesel
Thomas von Aquin 71 Thurneysen, Eduard 15, 60f, 125f, 139, 164, 183, 218 Thyssen, Reinhold Paul Johannes 106 Tildy, Zoltán 252 Tillich, Ernst 193, 198 Tillich, Paul 18, 71, 106, 190 Ting, Kuang Hsun, Bischof von Nanjing 262 Traub, Hellmut 106, 270f Trillhaas, Liselotte 74 Trillhaas, Wolfgang 9, 33, 41, 74, 124, 127–129, 168, 194 Uhland, Ludwig Ulmer, Friedrich
190 129
Vierling, Eberhard 206 Vischer, Wilhelm 157, 159f, 278 Visser ´t Hooft, Willem Adolf 26, 255f, 265 Vogel, Heinrich 168, 234 Vogt, Paul 210 Vollenhoven, Dirk Hendrik Theodoor 96f Wartenburg, Paul York von 90 Weber, Hans Emil 88, 113, 122, 231 Weber, Martha 136 Weber, Otto 12, 94–96, 101, 106f, 110–113, 116, 118–120, 124, 131, 133–136, 142, 145, 149–153, 157, 159f, 234f, 237, 241, 251, 265, 268, 272 Weerda, Jan Remmers 270 Weerth, Wilhelm de 123 Wegscheider, Julius August Ludwig 39 Weißler, Friedrich 198 Westphal, Joachim 59, 65f, 68 Wette, Wilhelm Martin Leberecht de 39 Wieneke, Friedrich 148 Wilhelmi, Hans 206 Wilm, Ernst 23, 280 Wilson, William Iain Girwood 222
Register
Winterberg, Martha siehe Weber, Martha Winterberg, Wilhelm 136 Wobbermin, Georg 97f Wolf, Ernst 96, 122, 154, 168, 183, 222, 226, 234f, 241–243, 250, 268, 272 Wurm, Theophil 159, 165–167, 178, 191, 193, 211, 221, 223f, 230, 233
303 Ziegner, Oskar 41 Zimmermann, Wolf-Dieter 24 Zinzendorf, Nikolaus von 46 Zocher, Peter 6 Zoellner, Wilhelm 105f, 113, 125, 162, 187 Züchner, Hermann 69, 71f Zwingli, Ulrich 10f, 43, 47f, 63, 66, 96