Das konsultative Referendum: Eine verfassungstheoretische, -rechtliche und -vergleichende Untersuchung [1 ed.] 9783428463749, 9783428063741


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German Pages 331 Year 1988

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Das konsultative Referendum: Eine verfassungstheoretische, -rechtliche und -vergleichende Untersuchung [1 ed.]
 9783428463749, 9783428063741

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ULRICH ROMMELFANGER

Das konsultative Referendum

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 526

Das konsultative Referendum Eine verfassungstheoretische, -rechtliche und -vergleichende Untersuchung

Von Dr. Ulrich Rommelfanger

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Rommelfanger, Ulrich: Das konsultative Referendum: e. verfassungstheoret., -rechtl. u. -vgl. Unters. / von Ulrich Rommelfanger. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 526) Zugl.: Trier, Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06374-0 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06374-0

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat im Sommersemester 1987 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation vorgelegen. Literatur und verfassungsvergleichende Auswertung befinden sich auf dem Stand von April 1987. Zutiefst verpflichtet bin ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Thomas Würtenberger. Von ihm habe ich während meiner Tätigkeit als Assistent eine großzügige Förderung erfahren; sein Rat und stete Betreuung haben das Werden der von ihm angeregten Untersuchung begleitet. Des weiteren sei Herrn Professor Dr. Peter Krause für wertvolle Hinweise und für die Mühe der Fertigung des Zweitgutachtens bestens gedankt. Besonderer Dank für ihre Hilfe gebührt den verschiedenen ausländischen Regierungen, den Länder- und Kommunalverwaltungen sowie all denjenigen, die mir bei der Auswertung des umfangreichen Materials und der Fertigung des Manuskripts behilflich gewesen sind. Stellvertretend für sie seien Frau Silvana Dreshen, Frau Erna Abarbanell und Herr cand. iur. Bernd Pierrot genannt. Zu danken habe ich schließlich dem Bundesminister des Innern, der das Bestehen eines besonderen Bundesinteresses an der Veröffentlichung feststellte. Seine gewährte Hilfe hat die Drucklegung ermöglicht. Trier, im Juli 1987 Ulrich Rommelfanger

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19 Teil I Das konsultative Referendum im Prozeß politischer Willensbildung

28

1. Kapitel: Begriff \ Ursprung, Funktion und Formen des konsultativen Referendums

....

I. Begriff des konsultativen Referendums

28

1. Terminologische Bestandsaufnahme

28

2. Definition des konsultativen Referendums

29

II. Ursprung des konsultativen Referendums

31

III. Funktionen des konsultativen Referendums

36

1. Meinungserforschungsfunktion

37

2. Partizipationsfunktion

37

3. Oppositionsfunktion

38

4. Konsens- und Legitimationsfunktion

38

IV. Formen des konsultativen Referendums

40

1. Typologie

40

a) Initiant des konsultativen Referendums

41

b) Zeitpunkt des konsultativen Referendums

41

c) Zielrichtung des konsultativen Referendums

42

aa) Akklamatorisch- bzw. cäsaristisches konsultatives Referendum

.

bb) Demoskopisch-konsultatives Referendum

42 42

cc) Agitatorisch- bzw. oppositionelles konsultatives Referendum

. .

42

dd) Konsensual-konsultative Referenden

43

ee) Schein-Konsultativabstimmung

43

d) Bevölkerungsabstimmung 2. Exkurs: Schweizerische Sonderformen der Konsultativabstimmung

43 ....

44

a) Antizipierende Konsultativabstimmung

44

b) Grundsatzabstimmung

45

28

10

nsverzeichnis

2. Kapitel: Das konsultative Referendum im System politischer Willensbildung

47

I. Erscheinungsformen unmittelbarer Volksbeteiligung 1. Herkömmliche Erscheinungsformen unmittelbarer Volksbeteiligung

47 ...

47

a) Perfekte ( = folgenreiche) Formen

47

b) Imperfekte ( = folgenlose) Formen

49

2. Sonderformen unmittelbarer Volksbeteiligung und ihre Abgrenzung zum konsultativen Referendum a) Abrogatives Referendum

50 50

b) Plebiszit

51

aa) Innerstaatliche Plebiszite

52

bb) Territorial-Plebiszite

53

II. Konsultatives Referendum und Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene

.

54

1. Kommunale Entscheidungsfällung

54

2. Kommunale Entscheidungsvorbereitung

55

I I I . Konsultatives Referendum und Demoskopie

57

1. Gemeinsamkeiten

57

2. Unterschiede

58

Teil I I Das konsultative Referendum in der repräsentativen Demokratie 1. Kapitel: Verfassungsrechtliche dums

und verfassungspolitische

62

Aspekte des konsultativen Referen63

I. Besondere Problematik konsultativer Referenden

63

1. Problemstellung

63

2. Die Kontroverse zwischen Esmein / Laferrière und Duguit/Joseph-B arthélemy/Duez

64

3. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Schweizerische Rechtslehre

66

a) Schweizerische Rechtslehre

66

b) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

67

4. Eigene Stellungnahme II. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Besonderheiten konsultativer Referenden

68

69

nsverzeichnis 1. Das konsultative Referendum als Einbruch in die Kompetenzordnung des Grundgesetzes

69

a) Kompetenz und Verantwortung

70

b) Grenzziehung zur plebiszitären konsultativen Abstimmung

71

c) Der Initiant des konsultativen Referendums

73

2. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Einzelfragen

77

a) Die Fragestellung

78

b) Das Abstimmungsergebnis

81

c) Implizite „Abwertung" von Parlament und Stimmbürger durch konsultative Referenden

82

d) Das konsultative Referendum auf kommunaler Ebene

83

2. Kapitel: Vereinbarkeit des konsultativen Referendums mit den Strukturprinzipien sentativen Demokratie

der reprä85

I. Das Verhältnis von repräsentativen und plebiszitären Komponenten im demokratischen Verfassungsstaat

85

1. Das „amtsgebundene" Repräsentationsverständnis

85

2. Antinomie oder Spannung von Repräsentation und Identität

90

3. Die Konzeption einer gemischten repräsentativ-plebiszitären Demokratie

93

II. Von der rezeptiv-repräsentativen zur responsiv-konsensualen Repräsentativdemokratie

96

1. Partizipation und Repräsentation

97

2. Responsive Demokratiekonzeptionen

99

a) Responsives Demokratieverständnis angloamerikanischer Provenienz

99

b) Das Ideal einer „konsensualen Demokratie" in den skandinavischen Ländern 102 c) „Kommunikative Demokratie" 3. Die responsiv-konsensuale Repräsentativdemokratie

103 105

a) Das Verständnis repräsentativer Willensbildung

106

b) Formelles und materielles Repräsentationsverständnis

109

c) Der konsensschaffende Dialog

111

d) Verantwortliche Herrschaftsausübung

113

3. Kapitel: Verfassungsvorbehalt

für konsultative Abstimmungen

117

I. Notwendigkeit der Differenzierung zwischen rechtlicher Unverbindlichkeit und politischer „Fernwirkung" 117

12

nsverzeichnis

II. Verfassungsvorbehalt aus allgemeinen Verfassungsprinzipien

119

1. Exkurs: Der Kampf um den Wehrbeitrag

119

2. Zur Relevanz allgemeiner Verfassungsprinzipien

120

III. Verfassungsvorbehalt aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG i.V.m. dem Demokratieprinzip der Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG 123 1. Stand der Meinungen

123

a) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

123

b) Staatsrechtliche Lehre

123

c) Kritische Würdigung des Meinungsstandes

126

2. Zur Frage eines Verfassungsvorbehalts für konsultative Referenden unter textlicher und historischer Auslegung des Grundgesetzes 131 a) Verfassungsvorbehalt und Grundgesetztext

131

b) Verfassungsvorbehalt und Grundgesetz-Historie

132

3. Verfassungsvorbehalt für Regelungen im Kernbereich der Staatswillensbildung 134 Teil I I I In- und ausländische Praxis des konsultativen Referendums 1. Kapitel: Bestandsaufnahme (gesetzliche Regelungen und durchgeführte

139

Befragungen)

I. Konsultative Abstimmungen in Deutschland

.... 141

1. Konsultative Abstimmungen unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung (WRV) 141 a) Gesetzliche Regelung

141

b) Abstimmungspraxis

142

2. Konsultative Abstimmungen unter nationalsozialistischer Herrschaft

. . . 143

a) Gesetzliche Regelung

143

b) Abstimmungspraxis

144

3. Konsultative Abstimmungen in der Deutschen Demokratischen Republik 146 a) Gesetzliche Regelung

146

b) Abstimmungspraxis

148

4. Konsultative Abstimmungen in der Bundesrepublik Deutschland

149

a) Konsultative Abstimmungen gem. Art. 29 Abs. 4 GG und Art. 118 GG 149 aa) Art. 118 GG bb) Art. 29 Abs. 4 GG b) Konsultative Abstimmungen auf Bundesebene

149 150 152

aa) Volksbefragungsaktion betreffend die Remilitarisierung (1951) . 152

141

nsverzeichnis bb) Volksbefragungsaktion betreffend die Atombewaffnung der Bundeswehr (1958) 154 cc) Volksbefragungsaktion betreffend NATO-Doppelbeschluß (1983) 156 c) Konsultative Abstimmungen auf Landesebene

157

d) Konsultative Abstimmungen auf kommunaler Ebene

159

aa) Gesetzlich geregelte konsultative Abstimmungen

159

bb) Konsultative Abstimmungen ohne kommunalverfassungsrechtliche Grundlage 161 aaa) Im Rahmen des örtlichen Aufgabenkreises (Adelsheim; Heidelberg; Dettingen) 162 bbb) Bei Gebietsänderungen (Gemeinde Beerbach; im Raum Würzburg (Höchberg und Versbach); Mainzer Vororte (AKK)) 165 ccc) In überörtlichen Angelegenheiten (in Breisach; CastropRauxel; München und hessischen Kleingemeinden) 169 II. Konsultative Abstimmungen im Ausland 1. Europa

172 172

Skandinavien a) Schweden aa) Gesetzliche Regelung bb) Abstimmungspraxis: Konsultative Referenden

172 172 175

(1) vom 27. August 1922 (Prohibition)

175

(2) vom 16. Oktober 1955 (Links-, Rechtsverkehr)

176

(3) vom 13. Oktober 1957 (Zusatzpension)

177

(4) vom 23. März 1980 (Kernkraft)

180

b) Finnland

181

aa) Gesetzliche Regelung

181

bb) Abstimmungspraxis: Referenden

184

(1) aus dem Jahre 1919 (kommunale Neugliederung)

184

(2) vom 29./30. Dezember 1931 (Prohibition)

184

c) Norwegen

185

aa) Gesetzliche Regelung

185

bb) Abstimmungspraxis: Konsultative Referenden

186

(1) vom 13. August 1905 (Union mit Schweden); vom 12./13. November 1905 (Staatsform); vom 6. Oktober 1919 bzw. 18. Oktober 1926 (jeweils Prohibition) 186 (2) Abstimmung vom 24./25. September 1972 betreffend EGBeitritt 187 (3) Abstimmungen auf kommunaler Ebene

188

nsverzeichnis d) Dänemark - Referenden vom 14. Dezember 1916 (Jungfern-Inseln); vom 2. Oktober 1972 (EG-Beitritt); vom 27. Februar 1986 (sog. EGReformpaket) 189 Südeuropa e) Griechenland

191

f) Italien

192

g) Spanien

193

aa) Gesetzliche Regelung

193

bb) Konsultatives Referendum vom 12. März 1986 betreffend N A T O Verbleib 195 Westliches

Mitteleuropa

h) Belgien aa) Gesetzliche Regelung

199 199

bb) Konsultatives Referendum vom 12. März 1950 betreffend sog. „question royale" 200 i) Frankreich aa) Gesetzliche Regelung

204 204

bb) Referendum communal' vom 27. November 1977 in Mons-enBaroeul 208 j) Fürstentum Liechtenstein aa) Gesetzliche Regelung

210 210

bb) Konsultatives Referendum vom 4. Juli 1968 betreffend Frauenstimmrecht 211 k) Großbritannien aa) Gesetzliche Regelung bb) Abstimmung vom 5. Juni 1975 betreffend EG-Verbleib cc) (1) ,Border-PolP-Abstimmung vom 9. März 1973 (Nordirland)

213 213 214 . 216

(2) ,Dezentralisierungs'-Referenden vom 1. März 1979 (Wales, Schottland) 218 1) Irland m) Großherzogtum Luxemburg

220 221

aa) Gesetzliche Regelung

221

bb) Abstimmungspraxis:

222

(1) Konsultatives „Doppel"-Referendum vom 28. September 1919 (Staatsform, wirtschaftliche Orientierung) 222 (2) Abstimmung vom 6. Juni 1937 („Maulkorbgesetz") n) Österreich aa) Gesetzliche Regelung

226 227 227

bb) Abstimmungspraxis auf Bundes- und Landesebene („Zwebendorf "-Abstimmung vom 5. November 1978) 229

nsverzeichnis cc) Abstimmungspraxis auf kommunaler Ebene (Wien): „Volksbefragungen" 231 (1) vom 21. - 26. Mai 1973 („Sternwartepark")

232

(2) vom 16. -18. März 1980 („Flötzersteig-Bundesstraße" usw.) . 233 (3) vom 15. -17. November 1981 („Konferenzzentrum")

234

(4) vom 9. -11. Dezember 1981 („Steinhof-Gründe" usw.) . . . .

235

o) Schweiz

237

aa) Exkurs: Reform der Volksrechte in der Schweiz

237

bb) Abstimmungspraxis

239

2. Amerika

241

Nordamerika a) USA

241

aa) Exkurs: Formen unmittelbarer Demokratie in den USA

241

bb) Gesetzliche Regelung und Praxis des „advisory-referendum" . . . 243 cc) US-Rechtsprechung zum „advisory-referendum" b) Kanada

247 249

aa) Gesetzliche Regelung

249

bb) Abstimmungspraxis: Konsultative Referenden

249

(1) vom 29. September 1898 (Prohibition); vom 27. April 1942 (Wehrpflicht) 250 (2) vom 20. Mai 1980 in Quebec Süd-

und

251

Mittelamerika

c) Haiti

252

d) Costa Rica

253

3. Australien

253

a) Konsultative Referenden auf Bundes- und Staatenebene

253

b) Abstimmungspraxis

255

(1) Abstimmung vom 30. Dezember 1932 in West-Australien

256

(2) Abstimmung vom 12. Dezember 1981 in Tasmania

256

2. Kapitel: Rechtsvergleichende Auswertung der Erfahrungen

mit konsultativen Referenden

I. Kriterien für eine rechtsvergleichende Beurteilung II. Auswertung anhand der Kriterien 1. Konsultative Referenden auf nationaler/regionaler Ebene Aufgegliedert nach: a) Initiant des konsultativen Referendums

. 258

258 259 259 259

16

nsverzeichnis b) Funktion des konsultativen Referendums (Meinungserforschungs-, Oppositions-, Partizipations- und Konsensfunktion) 262 c) Bindungswirkung

267

d) Konfliktregelung - Konfliktverschärfung

269

2. Konsultative Referenden auf kommunaler Ebene

272

Aufgegliedert nach: a) Initiant des konsultativen Referendums

272

b) Funktion des konsultativen Referendums (Meinungserforschungs-, Oppositions-, Partizipations- und Konsensfunktion) 273 c) Bindungswirkung

274

d) Konfliktregelung - Konfliktverschärfung

275

Teil I V Das konsultative Referendum als Instrument komplementärer Konsensbildung: Verfassungspolitischer Ausblick 1. Kapitel: Das konsultative Referendum auf Bundesebene

276

277

2. Kapitel: Das konsultative Referendum auf kommunaler Ebene

283

Ergebnis

288

Zusammenfassung

292

Anhang

294

Literaturverzeichnis

296

Quellenverzeichnis

327

Abkürzungsverzeichnis AdG a.F. AGO Ak AöR APSR ARSP bay. BayBgm. bd.-w. BGBl. (I) BGE BGH BT BVerfG BVerfGE DJT DRiZ Drs. (BT-, LT) EuGRZ FAZ FN FR GMB1. J.O. JÖR JZ KJ KritV MDR N.F. NZZ ÖGZ ÖZÖffR POQ PVS R.D.P. RF RGBl. (I) 2 Rommelfanger

= = =

= = = = = = = =

=

= = =

=

= = = = =

= = = = = = =

=

= = = = =

= = = = =

Archiv der Gegenwart Alte Fassung Allgemeine Gemeindeordnung für Kärnten, LGB1.1/1966 Alternativkommentar Archiv des Öffentlichen Rechts The American Political Science Review Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie bayerisch(e) Bayerischer Bürgermeister baden-württembergisch(e) Bundesgesetzblatt (Teil I) Amtliche Entscheidungssammlung des schweizerischen Bundesgerichtes Bundesgerichtshof Bundestag Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Deutscher Juristentag Deutsche Richterzeitung Drucksache (Bundestags-, Landtags-) Europäische Grundrechte Zeitschrift Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Frankfurter Rundschau Gemeinsames Ministerialblatt Journal Officiel Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristenzeitung Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Monatsschrift für Deutsches Recht Neue Folge Neue Züricher Zeitung Österreichische Gemeindezeitung Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht Public Opinion Quarterly Politische Vierteljahresschrift Revue du Droit Public et de la Science Politique Regeringsformen Reichsgesetzblatt (Teil I)

18 RiA RuP SJZ SOU SPS StR VG VGE WDStRL

Abkürzungsverzeichnis = = = = = = = = =

ZaöRV

=

ZB1.

=

ZföffR ZfP ZParl. ZRP ZSR (I, II)

= = = = =

Recht im Amt Recht und Politik Schweizerische Juristenzeitung Statens offentliga utredningar Scandinavian Political Studies Stadtrecht Verwaltungsgericht Entscheidungen der schweizerischen Verwaltungsgerichte Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Zeitschrift für ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht Schweizerisches Zentralblatt für Staatsund Gemeindeverwaltung Zeitschrift für Öffentliches Recht Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht (I./II. Halbband)

„Es ist unwahr, daß das Volk weiß, was ihm zum Beßten dient, noch dieß will. Was der Mensch wahrhaft will, weiß der Mensch, das Individuum selten, die tiefste Einsicht ist nöthig, um zu wissen, was der Mensch, der vernünftige Wille will, eine Einsicht die nicht im Volk als solchen vorhanden ist, das Volk hat nur ein Gefühl davon und wenn es ihnen gesagt wird, so stimmen alle bei." Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Philosophie des Rechts (nach der Vorlesungsnachschrift K. G. v. Griesheims 1824/ 25). „Jedes Parlament hat das Recht, das Volk zu fragen, was es zu einem bestimmten Vorhaben meint. Die Antwort entbindet Regierung und Parlament nicht von der Verantwortung; aber beide wissen nach der Befragung, in welchem Verhältnis ihr Tun zum Wollen des Volkes steht." Carlo Schmid am 18. 5. 1958 im Deutschen Bundestag

Einleitung Seit M i t t e der sechziger Jahre werden i n der Öffentlichkeit verstärkt Forderungen nach einer wirksamen Beteiligung der Bürger an der politischen W i l lensbildung erhoben 1 . Nährboden solcher Forderungen ist ein wachsendes Unbehagen am parlamentarisch repräsentativen Regierungssystem, dessen Funktionsschwächen v o n maßgeblicher Seite zugestanden werden 2 . Das gesteigerte Bedürfnis nach mehr Bürgernähe u n d plebiszitärer L e g i t i m a t i o n geht einher m i t einer zumindest partiellen A b k e h r v o m bestehenden politischen „System". Indikatoren solcher A b k e h r sind Verdrossenheitssyndrome (Staats-, Parlaments- u n d Parteiverdrossenheit) 3 sowie die m i t dem Phänomen Werte1

Dies u.a. von einer stark zunehmenden Zahl sog. aktiv Orientierter, die postmaterialistischen Werten, wie Kreativität, Mitbestimmung und Selbstverwirklichung, ihre Aufmerksamkeit schenken, vgl. dazu Würtenberger, NJW 1986, 2281 ff. (2283) u. unten Teil I I , 2. Kap., I I vor 1. 2 Vgl. nur H. P. Schneider, in: Gessner / Hassemer, Gegenkultur und Recht, S. 119; Steiger, in: Die Zeit vom 15. 10.1982, meint, das repräsentativ-parlamentarische Regierungssystem laufe Gefahr, „wegen seiner Überspitzung in Mißkredit zu geraten und letzten Endes zu scheitern." Kriesi stellt - mit Blick auf die Schweiz - eine „Verlagerung der Partizipation" fest, die „ein klares Anzeichen für die geringere Integrationskraft der traditionellen repräsentativen Organisationen" sei, in: Kriesi / Levy / Ganguillet / Zwicky, Politische Aktivierung in der Schweiz, S. 618. 3 Vgl. dazu: H. P. Schneider, in: Benda / Maihof er / Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, S. 286; Abromeit, PVS 1982, 178 ff. 2*

20

Einleitung

wandel verbundene Sinnsuche nach alt/neuer Natürlichkeit und der Wendung gegen Prinzipien der Industriegesellschaft. Damit korreliert ein radikaldemokratischer Protest, der das Repräsentationsprinzip verwirft und die Bundesrepublik Deutschland als bloße „Formaldemokratie" betrachtet 4 , in der Regelverletzungen als lediglich unkonventionelle Formen politischer Willensbildung gerechtfertigt seien5. Im Zentrum der Erosion des politisch-rechtlichen Bewußtseins6 steht die Erosion des Mehrheitsprinzips 7 als dem Grundelement politischer Willensbildung 8 . Der „Diktatur der Mehrheit" setzen D I E GRÜN E N die „Utopie eines radikal-demokratischen, sich über Verständigungsprozesse integrierenden Gemeinwesens" entgegen9. Das repräsentative politische System in der Bundesrepublik wird - selbst in der jungen Generation - zwar weitgehend akzeptiert, wie Umfragen zeigen 10 . Andererseits verstummen nicht die Kritiker, die Strukturschwächen, Defizite und Deformationen des repräsentativen Systems beklagen 11 . Geht es um Gegenstände, die die Existenz aller Menschen betreffen, nähern wir uns - wie Kurt H. Biedenkopf unlängst feststellte - „den Grenzen dessen, was der Gesamtheit durch Entscheidung repräsentativer Mehrheiten noch zugemutet werden kann" 1 2 . Die Forderung nach einer Integration plebiszitärer Elemente in die repräsentative Demokratie liegt letztlich in dem allgemein angestiegenen Legitimationsbedarf staatlicher Entscheidungen begründet 13 . Regierung und Parlament stoßen auf wachsende Schwierigkeiten, in bestimmten Fragen den Bürgern die von ihnen verfolgte Politik als zumindest anerkennungswürdig zu ver4 Dazu Mandt, ZfP 1985, 115 ff. 5 Guggenberger / Offe , A n den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, S. 13 f.; namentlich zum Problembereich des sog. zivilen Ungehorsams, Frankenberg, JZ 1984, 266. 6 Wassermann, RuP 1985, 132. 7 Neben Guggenberger / Offe (FN 5) S. 13 f.; ausführlich zur Diskussion des Mehrheitsprinzips vgl. die Beiträge in: Oberreuter (Hrsg.), Wahrheit statt Mehrheit? (1986). 8 Würtenberger, NJW 1986, 2283. 9 So D I E G R Ü N E N in ihren rechtspolitischen Vorstellungen für die 11. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, D R i Z 1986, 474. 10 Nickolmann, in: Demokratie als Teilhabe (Hrsg.: Landeszentrale f. pol. Bildung Nordrhein-Westfalen), S. 93. Ein Bericht der Landesregierung von Rheinland-Pfalz über die politische Jugendbildung vom 9. 9. 1986 kommt zu dem Ergebnis, die junge Generation frage nach „neuen Formen der politischen Einflußnahme, die nicht anstelle, sondern neben den traditionellen Partizipationsformen" Bedeutung gewännen. Gleichwohl akzeptierten „nicht nur die überwiegende Mehrheit derjenigen Jugendlichen, die die traditionellen demokratischen Parteien wählen, sondern auch die Anhänger der Alternativbewegung mit Mehrheit die Partizipationsmuster der repräsentativen Demokratie", LT-Drs. 10/2661, S. 4. 11 Das Mißtrauen geht soweit, daß einige bereits von einer „Krise der Repräsentation" sprechen, vgl. Benda, in: Basse (Hrsg.), Abkehr vom Staat, S. 13; Rottmann, in: FS E. Stein, S. 306; Huber, ZRP 1984, 246. 12 Biedenkopf, in: Würzbach (Hrsg.), Die Atomschwelle heben, S. 62. 13 H. P. Schneider (FN 2), S. 129. Allgemein zur Legitimationsbedürftigkeit der Rechtsordnung, Würtenberger, in: Jurist und Staatsbewußtsein, S. 79ff.

Einleitung

mittein 14 . Die Komplexität und zunehmende Reichweite politischer Entscheidungen hat zu einem Machtzuwachs der Exekutive mit ihren bürokratischen Expertenstäben geführt. In dem Maße, in dem hier faktisch Entscheidungsfunktionen übergehen und die Repräsentanten „durch den Apparat okkupiert" 1 5 werden 16 , wird der auf den Abgeordneten konzentrierte Einfluß des Bürgers belanglos. Der Trend von Interessengruppierungen, am Abgeordneten und dem Parlament vorbei im direkten Zugriff auf die Exekutive den politischen Entscheidungsprozeß zu beeinflussen 17, verstärkt sich. Noch gravierender ist eine andere Entwicklung. Der Bürger, der seine Interessen durch Mandatsträger, Parteien oder Verbände nicht ausreichend wahrgenommen fühlt, wendet sich - und dies vor allem im kommunalen Bereich - vermehrt Formen „alternativer Artikulation" 1 8 , wie beispielsweise Bürgerinitiativen, zu. Zusammen mit neuen Formen des zivilen Ungehorsams und der Infragestellung des Mehrheitsprinzps künden sie von Schwankungen im politisch-rechtlichen Bewußtsein oder auch einer schwindenden Akzeptanz der tragenden Prinzipien der repräsentativen Demokratie 19 . Repräsentationstheoretisch geht es bei der Legitimationsproblematik vorrangig um das „ewige Problem" (H. Hofmann) 20 der Rückbindung des Repräsentanten an das Volk. Gefragt ist nach Möglichkeiten, den dem Repräsentativsystem immanenten „inneren Trend" aufzuhalten, „im Laufe der Zeit immer repräsentativer zu werden und unmittelbare, plebiszitäre Bürgerbeteiligung eher zunehmend aufzusaugen als freizusetzen" 21. Diese Frage bedarf deshalb der Erörterung, weil sich angesichts der einerseits erhöhten Komplexität der Entscheidungsbedinungen und -folgen und des andererseits gestiegenen Risikos der anstehenden Entscheidungen „in weiten Kreisen der Bevölkerung" ein „gewisses" Unbehagen über die beschränkten Möglichkeiten unmittelbarer Mitwirkung an politischen Entscheidungsvorgängen bemerkbar macht 22 . Vielfach wird dabei von einem „neuen Typus" von zu treffenden Entscheidungen gesprochen, der angeblich - wie einige fälschlich behaupten 23 - das Repräsentativsystem überfordere 24 . 14 Zur Anerkennungswürdigkeit als Ziel repräsentativer Demokratie, s. unten Teil 11,2. Kap., I I 2 c. 15 Ellwein, Regieren und Verwalten, S. 71. 16 Hierzu zählt auch die Fraktionsspitze. Während der Mandatsträger zum Spezialisten in einem Ausschuß „degradiert" wird, trifft die Fraktionsspitze die „großen Entscheidungen", Schiaich, Evangelische Kommentare 1983, 482. 17 Vgl. Thorn, Referat vor dem Bergedorfer Gesprächskreis, Protokoll Nr. 51 (1975), S. 10, zitiert nach Zilleßen, in: Guggenberger / Kempf (Hrsg.), Bürgerinitiativen und repräsentatives System, S. 131 FN 27. « Stählberg, Finsk Tidskrift 1983, 225. 19 Umfassend dazu: Würtenberger, in: Jurist und Staatsbewußtsein, S. 85 ff.; ders., NJW 1986, 2281 ff.; „Ist der Rechtsstaat noch zu retten?" fragt bereits Wassermann in seiner gleichnamigen Schrift. 20 Politik und Kultur 1985, 50. 2 * Schiaich (FN 16), S. 482. 22 Kopp, in: Reformen des Rechts (FS Juristische Fakultät Graz), S. 598.

22

Einleitung

Eine Erörterung dieser Problematik muß zweierlei beachten: Gefragt, ob die Entscheidungsstrukturen des repräsentativ-parlamentarischen Regierungssystems zur Bewältigung der zukünftig zu treffenden Entscheidungen ausreichen bzw. wie ggf. das Verfahren der Entscheidungsfindung verbessert werden k a n n 2 5 , w i r d die Beantwortung mehr denn j e davon abhängen, ob es der politischen M e h r h e i t gelingt, bei politisch weitreichenden Entscheidungen, M i n derheitspositionen gebührend i n ihre Politikformulierung m i t einzubeziehen 2 6 . Z u m anderen ist darauf hinzuweisen, daß das repräsentativ-parlamentarische Prinzip nicht zur Disposition stehen kann. Trotz gewisser Strukturmängel der gegenwärtigen Verfassungswirklichkeit der repräsentativen D e m o k r a t i e 2 7 ist es ohne A l t e r n a t i v e 2 8 . B e i aller U n v o l l k o m m e n h e i t stellt die repräsentativparlamentarische D e m o k r a t i e noch „ d i e relativ beste v o n a l l e n " 2 9 u n d effizienteste Staatsform zur V e r w i r k l i c h u n g des Volkswillens d a r 3 0 . Ernsthaft

in

Erwägung gezogen werden k a n n lediglich, ob einzelne Maßnahmen als K o r rektiv i m repräsentativen System zur Legitimationserhöhung der Endentscheidungen beizutragen v e r m ö g e n 3 1 . V o r diesem H i n t e r g r u n d w e r d e n sowohl dezisive 3 2 wie auch konsultative 3 3 plebiszitäre Partizipationsformen diskutiert. 23

Greven, in: Vorgänge 1984 (Heft 5), 14 ff.; Narr, in: Vorgänge 1984 (Heft 5),

95 ff. 24

Zu den Entscheidungen „neuen Typs", siehe Seifert und Klages, in: Bekenntnis und Politik (Loccumer Protokolle 20/1983), S. 7 ff., 16 ff. 25 Diese Fragestellung ist gegenüber der nach der Qualifizierung einer Entscheidung als solche eines „neuen" oder lediglich „anderen" Typs vorrangig, Heun, in: Bekenntnis und Politik (Loccumer Protokolle 20/1983), S. 83. 26 Würtenberger, in: Jurist und Staatsbewußtsein, S. 90. 27 Vgl. nur Breuer, Die Verwaltung 1977, 9. 28 Z u Recht stellte der Vizepräsident des Deutschen Bundestages Westphal fest, daß der Blick von der Mehrheitsdemokratie weg zur ,Minderheits-' oder ,Einstimmigkeitsdemokratie' „nichts Erfreuliches" zeige. Auch bei Zukunftsfragen gebe es zum Prinzip der Mehrheitsentscheidungen „keine demokratische Alternative", in: Oberreuter (Hrsg.), Wahrheit statt Mehrheit?, S. 21. 29 Zweigert, in: Festgabe E. Selbach, S. 367. 30 Unzutreffend sei es insbesondere - so Jesse, in: Materialien zur Politischen Bildung 4/1984, S. 33 - von der Entmündigung des Wählers in der repräsentativen Demokratie zu sprechen. Sie lasse vielmehr „Raum für Führung, verbürgt Minderheitenschutz und sichert ein Höchstmaß an Liberalität". 31 Dag Anckar, in: Lausunnot kansanääestyskomitean mietinnösta, S. 68, spricht anschaulich vom Korrektiv, das dem Zweck des „sharpening the functionality of representative democracy" verfolge. 32 U m das „demokratische Gebot" einer direkten Beteiligung des Volkes an der Politik zu verwirklichen, beabsichtigt die Fraktion D I E GRÜNEN, in der 11. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ein sog. Bundesabstimmungsgesetz einzubringen. Der Gesetzentwurf werde vorsehen, daß über eine „wesentliche Frage" ein Volksentscheid stattfindet, wenn sich mindestens eine Million Bürger in einem vorhergehenden Volksbegehren dafür ausgesprochen haben; so Lukas Beckmann, Sprecher des Bundesvorstandes D I E GRÜNEN, am 5. 1. 1987 in Trier. Evers, KJ 1986, 432 ff. schlägt die Institutionalisierung des Volksentscheids als „bloßen Vetorechts" vor. Auf diese Weise könnten „konkrete politische Maßnahmen der Regierung untersagt, Gesetzesvorhaben des Bundestages blockiert und neuerlassene Gesetze innerhalb einer gewissen Frist

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Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die Beantwortung der Frage, ob es ratsam ist, im Verfahren der Entscheidungsfindung das Institut des sog. konsultativen Referendums zu praktizieren. In der Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland hat die Frage der Zulässigkeit von konsultativen Abstimmungen, d. h. also der rechtlich unverbindlichen Befragung der Stimmbürger über Entscheidungen von politischer Tragweite, bereits mehrfach eine Rolle gespielt. Im Zuge der politischen Auseinandersetzungen um die Atombewaffnung der Bundeswehr brachte die SPD-Bundestagsfraktion im Jahre 1958 einen Gesetzentwurf ein, der eine Volksbefragung zur Frage der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr vorsah, im Bundestag aber mehrheitlich abgelehnt wurde 34 . In den SPD-regierten Bundesländern Hamburg und Bremen wurden daraufhin Landesgesetze betreffend eine Volksbefragung über die Frage der Atombewaffnung der Bundeswehr erlassen 35. Bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser beiden Gesetze und der entsprechenden Beschlüsse hessischer Gemeinden über die Durchführung amtlicher Befragungen zu dieser Thematik 36 hatte das BVerfG Gelegenheit, zur Zulässigkeit konsultativer Abstimmungen unter dem Grundgesetz Stellung zu nehmen. Das „Volksbefragungsurteil" des BVerfG stützte sich darauf, daß die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern verletzt sei 37 . Die Frage, ob Volksbefragungen im Fall der Kompetenzbeachtung im Einzelfall de constitutione lata zulässig sind, ist in den Verfahren vor dem BVerfG offengeblieben. Die politischen Auseinandersetzungen um den sog. NATO-Doppelbeschluß haben im Jahre 1983 die Fraktion D I E G R Ü N E N bewogen, im Bundestag einen Gesetzentwurf zur Durchführung einer konsultativen Volksbefragung einzubringen 38 . Zuvor hatte sich bereits das „Kommitee für Grundrechte und Demo(etwa ein Jahr) aufgehoben" werden. Heun, in: Loccumer Protokolle 20/1983, S. 96, empfiehlt die Einführung einer Gesetzgebungsinitiative, über die nicht durch Volksentscheid, sondern durch parlamentarischen Mehrheitsbeschluß zu entscheiden wäre. 33 Vornehmlich H. P. Schneider, Grundgesetz und technologischer Wandel, S. 120 ff.; Simon, in: Bekenntnis und Politik (Loccumer Protokolle 20/1983), S. 73 ff. und jüngst Wassermann, Entfremdete Demokratie, S. 3, befürworten die Durchführung sog. konsultativer Referenden. 34 s. unten Teü I I I , 1. Kap., 14 b bb. 35 Vgl. Hamb. Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 9. 5. 1958 (GVB1. I , S. 141) und Brem. Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 20. 5. 1958 (GVB1., S. 49). 3 * Vgl. dazu BVerfGE 8, 122, 125. BVerfGE 8, 104, 121. 38 „Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung einer konsultativen Volksbefragung zur Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen (Pershing I I , Cruise Missile) in der Bundesrepublik Deutschland" vom 24. 10. 1983 (BT-Drs. 10/519). Der Gesetzentwurf wurde am 11. 11. 1983 an den Innenausschuß überwiesen. Z u einer abschließenden Beratung im Ausschuß, die nach der Sommerpause 1986 erfolgen sollte (Mitteilung des Vorsitzenden des Innenausschusses an den Verfasser vom 21. 7. 1986), ist es im 10. Deutschen Bundestag indes nicht mehr gekommen.

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kratie e.V." am 10. Juli 1983 mit einer Petition 39 an die Abgeordneten des Bundestages gewandt, „ein Gesetz zu einer konsultativen Volksbefragung in Sachen Stationierung neuer US-amerikanischer atomarer Mittelstreckenraketen zu befördern" 40 . Nochmals auf die politische Agenda trat das Thema im Sommer 1986, als D I E G R Ü N E N nach der Tschernobyl-Reaktorkatastrophe in Nordrhein-Westfalen ein Volksbegehren über die Kernenergie einzuleiten versuchten 41. In der deutschen Staatrechtslehre sind Zweckmäßigkeit und Zulässigkeit konsultativer Referenden umstritten. Kam noch die Enquête-Kommission Verfassungsreform in ihren Empfehlungen zur Überzeugung, daß generell plebiszitäre Elemente keine geeigneten Instrumente seien, um die Legitimation und Handlungsfähigkeit der repräsentativ-parlamentarischen Demokratie zu verstärken 42 , ist diese Position von der Enquête-Kommission Jugendprotest im demokratischen Staat' bereits abgeschwächt worden 43 . Ihre Vorsitzenden sehen mehr denn je die Notwendigkeit, „Politik als Prozeß" zu begreifen, in dem „Betroffene möglichst frühzeitig und umfassend an der Diskussion und der Umsetzung politischer Entscheidungen zu beteiligen" sind 44 . „Durchaus angemessen" sei es, wenn - so die Enquête-Kommission - „über den Ausbau von Elementen unmittelbarer Demokratie ernsthafter nachgedacht" würde 45 . Konsultationen im Vorfeld der Entscheidung unterfielen der geforderten „Bereitschaft zum Zuhören" 4 6 . Namentlich die Problematik des konsultativen Referendums ist jüngst in der Abschlußveranstaltung des 55. Deutschen Juristentages aufgegriffen und erörtert worden 47 . Die Diskussionsbeiträge spie39 Zum Phänomen der Massenpetitionen, die Gruppenanliegen zum Ausdruck bringend vielfach auf politische Richtungskontrolle zielen, vgl. namentlich Würtenberger, ZParl 1987, 383ff. 40 Abgedruckt in BT-Drs. 10/519, S. 6 ff. 41 Zweck des mit dem Zulassungsantrag nach Art. 68 LVerf NW vorgelegten Gesetzentwurfs war es, „dem Land den notwendigen Handlungsspielraum für eine sofortige Einstellung der Atomenergienutzung zu eröffnen . . ." (§ 1). Nach § 2 Abs. 1 sollten „nach Maßgabe des Art. 15 G G " in das Eigentum des Landes übergehen: das Kernkraftwerk Würgassen, das Kernkraftwerk Hamm-Uentrop und die Urananreicherungsanlage Gronau. § 2 Abs. 2 enthielt eine Entschädigungsregelung, die sich nach den „mit 6 % zu diskontierenden Nettoerlösen, wie sie bei einer zu erwartenden Restnutzungsdauer und unter Berücksichtigung des wahrscheinlichen Ausnutzungsgrades der jeweiligen Anlage anfallen würden", bemessen sollte. Wegen der u.a. das Budgetrecht des Landtages berührenden Folgewirkungen hat die Landesregierung in einer Kabinettsentscheidung am 30. 9. 1986 den Antrag aus rechtlichen Gründen abgelehnt, F A Z vom 1. 10. 1986, S. 4. 42 Schlußbericht der Enquête-Kommission Verfassungsreform, in: Zur Sache 3/76, S. 55. 43 Vgl. Schlußbericht, in: BT-Drs. 9/2390. 44 Wissmann / Hauch, Jugendprotest im demokratischen Staat, S. 103. 45 Schlußbericht (FN 43), S. 21. * Wissmann / Hauck (FN 44), S. 104. 47 Besonders aufschlußreich sind die Ausführungen der beiden Kontrahenten Benda und Maihof er, Verhandlungen des 55. DJT 1984 (Sitzungsberichte), Bd. I I , Ρ 1 ff.

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geln den Meinungsstand in der deutschen Staatsrechtslehre wider. Die wohl noch überwiegende Meinung hält unverbindliche, aber offizielle Volksbefragungen für unvereinbar mit dem demokratischen Prinzip des Grundgesetzes 48. Da diese Art der Befragung in einer Demokratie schwer vereinbare Bindungswirkungen entfalte, bedeute sie eine der Verfassung widersprechende Einschränkung der freien Entscheidungsbefugnis des Parlaments 49. Von einer starken Mindermeinung wird dies jedoch bestritten 50 . Im Ausland spielt das konsultative Referendum seit jeher in einer Reihe von Staaten eine gewichtige Rolle. Eine ausdrückliche Stellungnahme zum Institut des konsultativen Referendums enthält seit 1960 das Programm der Sozialdemokratischen Partei Schwedens51. In Schweden wurde bereits viermal konsultativ abgestimmt 52 . Kürzlich fand eine konsultative Abstimmung in Spanien statt 53 . In Finnland und Luxemburg befinden sich Regierungsentwürfe zur Aufnahme des konsultativen Referendums in die Verfassung (Finnland 54 ) bzw. in die Gemeindeordnung (Luxemburg 55 ) im Verfassungs- bzw. Gesetzgebungs verfahren. Ist insgesamt der verfassungsrechtliche Aspekt konsultativer Abstimmungen als noch ungeklärt anzusehen56, besteht hinsichtlich der verfassungspolitischen Zweckmäßigkeit konsultativer Abstimmungen ein noch erheblicheres Forschungsdefizit 57. Ob die Durchführung konsultativer Abstimmungen eine Grundgesetzänderung erfordert oder nicht, betrifft letztlich „nur" eine Frage der juristischen Erkenntnis, was der Inhalt des Grundgesetzes ist 58 . Wichtiger 48

s. die Nachweise unten Teil I I , 3. Kap., I I I 1 b (1). Vgl. nur Scheuner y in: Rausch (Hrsg.), Repräsentation (Theorie und Geschichte), S. 404. 50 s. die Nachweise unten Teil I I , 3. Kap., I I 1 b (2). 51 „Die repräsentative Demokratie muß die natürliche Arbeitsform in der modernen Gesellschaft sein. Unter solchen Umständen kann es Volksabstimmungen nur im Ausnahmefall geben, und dann müssen sie konsultativen Charakters sein.", zitiert nach Troitzsch, Volksbegehren und Volksentscheid, S. 161. 52 s. unten Teil I I I , 1. Kap., I I l a . 53 s. unten Teil I I I , 1. Kap., I I 1 g. 54 In Finnland soll das konsultative Referendum sowohl im nationalen als auch kommunalen Bereich de constitutione ferenda eingeführt werden. Die Aufnahme eines Verfassungsartikels für nationale Konsultativabstimmungen in die finnische Verfassung („Regierungsform") wird endgültig vermutlich erst Ende 1987/Anfang 1988 erfolgen, Schreiben des finnischen Justizministeriums vom 29. 11. 1985 an den Verfasser. 55 In Luxemburg ist ein Gesetzesvorhaben zur Änderung des Gemeindegesetzes von 1843, das ausdrücklich die Aufnahme des konsultativen Referendums für den kommunalen Sektor vorsieht, „auf dem Instanzenweg", Schreiben des luxemburgischen Innenministeriums vom 29. 1. 1986 an den Verfasser. 56 So Ebsen, A Ö R 1985, 3. 57 Auch für den Bereich der Mitwirkung der Bürger an den Entscheidungen der Verwaltung verweist Steinberg auf die primäre Relevanz der Betrachtung der verwaltungspolitischen Zweckmäßigkeit, Steinberg, Die Verwaltung 1983, 478. 58 Auch Pestalozza hält die Frage, ob eine bundesweite direkte Demokratie nur mit 49

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erscheint hingegen die verfassungspolitische Fragestellung nach der Zweckmäßigkeit dieser Art der Bürgerbeteiligung im Repräsentativsystem. Insoweit wird vor allem auf die faktischen Bindungswirkungen von Konsultativabstimmungen für die Repräsentationsorgane 59 und die mögliche Erschütterung der „Legitimität des Repräsentativsystems" 60 bei Außerachtlassung des Ergebnisses der Volksbefragung hingewiesen. Inwieweit jene bloß vermuteten Folgewirkungen tatsächlich drohen, ob sie angesichts einer Legitimitätserhöhung der Endentscheidung auf Grund des Verfahrens der Konsultativabstimmung mehr als ausgeglichen würden, das konsultative Referendum also eine Befriedungsfunktion übernehmen könnte 61 , dies bedarf noch einer eingehenden verfassungspolitischen Diskussion 62 . Hierzu ist die Verwertung ausländischer Erfahrungen nicht nur ratsam, sondern angesichts der zunehmenden internationalen Beliebtheit dieses Instituts auch unumgänglich. Rechtsvergleichende Hinweise finden sich allenthalben nur ganz vereinzelt und beschränken sich - bis auf eine kürzlich erschienene deutsche Monographie 63 - meist auf das Aufzeigen der Rechtsgrundlage, bestenfalls einer flüchtigen Kommentierung 64 . Anliegen der Untersuchung ist es, erstmals eine umfassende Erörterung des Rechtsinstituts des konsultativen Referendums zu leisten, die eine abschließende Stellungnahme hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit und der verfassungspolitischen Zweckmäßigkeit des konsultativen Referendums für die deutsche Verfassungspraxis ermöglicht. Diesem Ziel dient nicht nur eine verfassungstheoretische Erörterung der Problematik, sondern zusätzlich die empirische Auswertung von in demokratischen Verfassungsstaaten westlicher Prägung durchgeführten konsultativen Referenden. Die Arbeit ist in vier Teile gegliedert: Ausgehend von einer begrifflichen Umschreibung und der Erörterung von Funktion und Formen des konsultatiHilfe einer Verfassungsänderung oder durch einfaches Gesetz eingeführt werden könne, für eine zweitrangige Frage, Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 15. 59 Vgl. nur Scheuner (FN 49), S. 404. 60 Vgl. nur Kriele, W D S t R L 29, 61. 61 So Maihof er } in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, S. 1412. 62 Würtenberger, in: Jurist und Staatsbewußtsein, S. 85, FN 20. 63 Obst, Chancen direkter Demokratie (1986), untersucht, inwieweit das Grundgesetz Formen direkter Demokratie „gestattet oder gar vorschreibt". Es ist das Verdienst der vereinzelt leider etwas polemischen Untersuchung, den ehrgeizigen Versuch unternommen zu haben, im Rahmen einer verfassungspolitischen Prognose umfassend auch die internationalen Erfahrungen mit Volksabstimmungen mitzuberücksichtigen. Der Autor differenziert allerdings nicht zwischen dezisiven und konsultativen Referenden. Bereits dieser Umstand, aber auch die teilweise nur umrißhaften rechtsvergleichenden Erörterungen verleiten den Autor zu - bezogen auf das konsultative Referendum mehr als zweifelhaften Schlußfolgerungen. 64 So bei Pestalozza, Der Popularvorbehalt (1981). Bewußt keine rechtsvergleichenden Erörterungen enthält die Arbeit von Sträuli, Konsultative Volksabstimmung (1982).

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ven Referendums schließt der erste Teil mit der Darstellung des konsultativen Referendums im System plebiszitärer Erscheinungsformen. Daran anschließend ist im zweiten Teil die spezifische Sonderheit des Rechtsinstituts unter verfassungstheoretischen, verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Aspekten zu entwickeln. Ist damit die Problematik des Instituts theoretisch aufbereitet, ist der folgende dritte Teil der rechtstatsächlichen Bestandsaufnahme der Verfassungspraxis des konsultativen Referendums unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Praxis gewidmet. Die rechtsvergleichende Auswertung der Erfahrungen anhand von eigens erarbeiteten Kriterien und differenziert nach der nationalen und kommunalen Ebene in den einzelnen Ländern leitet über zum abschließenden Votum über die verfassungspolitische Zweckmäßigkeit einer Verfassungsänderung zur Aufnahme des Instituts in das Grundgesetz.

TEIL I

Das konsultative Referendum im Prozeß politischer Willensbildung 1. Kapitel Begriff, Ursprung, Funktion und Formen des konsultativen Referendums I. Begriff des konsultativen Referendums Jede systematische Bearbeitung der Problemzusammenhänge eines Rechtsinstituts bedarf zuvor der terminologischen Klärung der verwendeten Begriffe. Dies gilt vorliegend um so mehr, als die Thematik des konsultativen Referendums unter rechtsvergleichenden Gesichtspunkten bearbeitet werden soll. Die - wie sich zeigen wird - Begriffsvielfalt in den einzelnen Rechtsordnungen weist das konsultative Referendum als facettenreiche Erscheinung in zahlreichen Varianten aus, die eine begriffliche Festlegung des zu untersuchenden Phänomens erschwert. 1. Terminologische Bestandsaufnahme

Bereits ein flüchtiger Blick durch die Verfassungspraxis und die verschiedenen Rechtsordnungen läßt erkennen, daß das gleiche Phänomen durch unterschiedliche Termini umrissen wird. Eine Gliederung nach Begriffspaaren zeigt, daß überwiegend die Modalität der „Konsultation" als adjektivische Bestimmung dem Begriff „Referendum" voran- bzw. nachgestellt wird. Spricht man vereinzelt im deutschen Sprachraum vom „konsultativen Referendum" 1 , wird in den südeuropäischen Ländern (Spanien, Italien) ausnahmslos der Begriff „referendum consultivo" 2 gebraucht 3. In Frankreich und Belgien ist die Bezeichnung „referendum de consultation", „referendum à titre consultatif" (Frankreich) 4 bzw. „consultation populaire" (Belgien) 5 gebräuch1

Insbesondere Pestalozza, NJW 1981, 733; ders., Popularvorbehalt (1981), S. 26. Ein Unterschied besteht lediglich in der Schreibweise. Der spanische Begriff des Referendums trägt einen graphischen Akzent („referèndum consultivo"). 3 Vgl. nur Art. 92 Abs. 1 span. Verfassung vom 29. 12. 1978; Art. 45 Regionalstatut Molise (Italien). Im einzelnen dazu unten Teil I I I , 1. Kap., I I 1 f/g. 2

1. Kap.: Begriff, Ursprung, Funktion, Formen

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lieh. Auch in England fließt die „Konsultation" in den Terminus „consultative referendum" 6 ein. Demgegenüber wird das Spezifikum der rechtlichen Unverbindlichkeit vielfach durch die Begriffe „non-binding-referendum" 7 bzw. „straw-vote" (Probeabstimmung) 8 in Australien und den USA verdeutlicht 9 . Auf den „beratenden/ratgebenden" Umstand des Referendums deutet der nur in den USA anzutreffende Terminus „advisory referendum" 10 oder entsprechende Umschreibungen in den nordischen Ländern („rädgivande folkomröstning", „menigsytring veiledning", „neuvoa antava kansanäänestys") hin 1 1 . In der deutschen Begrifflichkeit kommt der Abstimmungs- oder Befragungscharakter des Instituts zum Tragen. Die Terminologie reicht von „Konsultativabstimmung" 12 bis hin zu vielfältigen Umschreibungen der Befragung als „Volksbefragung zur Meinungserforschung" 13 , „bloßer" bzw. „informatorischer Volksbefragung" 14 oder „konsultativer Volksbefragung" 15 . Bisher noch vereinzelt geblieben ist der von H. P. Schneider gebrauchte Begriff „Volksenquête" 1 6 . 2. Definition des konsultativen Referendums

Nach Auswertung der im In- und Ausland durchgeführten Referenden konsultativer Natur läßt sich der Begriff konsultatives Referendum durch vier Kriterien definieren: 4 Vgl. Joseph-Barthélémy / Duez, Droit Constitutionnel (1933), S. 135; Laferrière, Droit Constitutionnel (1947), S. 432 spricht vom „referendum antérieur ou de consultation". 5 Vgl. nur Delpérée, Droit Constitutionnel I (1980), S. 166. 6 Vgl. unten Johnson, in: Ranney (Hrsg.), Referendum Device, S. 9. 7 Teilweise wird statt „non-binding-referendum" in Australien auch der Terminus „extraconstitutional referendum" verwandt, um herauszustellen, daß die konsultative Abstimmung einer verfassungsrechtlichen Grundlage entbehrt; s. dazu unten Teil I I I , 1. Kap., I I 3. s Crouch , APSR 1943, 492. 9 In der Mehrzahl der Fälle wird allerdings in den USA von „advisory referendum" gesprochen; s. unten Teil I I I , 1. Kap. I I 2 a. Vollständigkeitshalber bleibt noch zu erwähnen, daß in den USA zuweilen auch die Charakteristika der „ratgebenden Konsultation" und der „Unverbindlichkeit" zum Begriff des „non-binding advisory referendum" gekoppelt werden. 10 Vgl. nur Goldmann, POQ 1950/51, 303. Zu den entsprechenden Normierungen in drei US-Staaten, s. unten Teil I I I , 1. Kap., I I 2 a. 11 Vgl. dazu unten Teil I I I , 1. Kap. I I 1 a - d. 12 Ein meist in der Schweiz gebräuchlicher Ausdruck. Aus der Rechtsprechung vgl. nur BGE 104 Ia, 226 ff. („Wädenswil") und aus der Literatur Leuenberger, Abstimmungsmodalitäten, S. 123. 13 Hamann, Grundgesetz (1956), Art. 20 Anm. 6 (S. 180 f.). 14 Giacometti, SJZ 1956, 309; BVerfGE 5, 34 ff. (48). 15 Derendinger, Festgabe Jeger, S. 391; Huber, ZRP 1984, 248. 16 H. P. Schneider, Grundgesetz und technologischer Wandel, S. 120.

: Konsultative Referenden im

e polit. Willensbildung

- rechtlich unverbindliche Meinungsäußerung, - durch die Wahlberechtigten, - in amtlicher Form entsprechend den Wahlrechtsgrundsätzen organisiert und - gegenständlich beschränkt auf Fragen grundlegender politischer Bedeutung im Kompetenzbereich des Bundes, der Länder oder Kommunen. Aus der Betrachtung auszuscheiden haben demnach rein demoskopische Untersuchungen und behördliche Umfragen mittels Fragebogen. Keine Berücksichtigung können ebenfalls Abstimmungen nach Bürgerversammlungen finden, bei denen die gesamte Bevölkerung einer Gemeinde teilnahmeberechtigt ist 17 . Gleiches muß grundsätzlich gelten für konsultative Abstimmungen unter Einschluß von Nichtwahlberechtigten, die - wie beispielsweise in der Schweiz - der Erkundung des Wunsches nach Ausdehnung des Wahlrechts (Frauenwahlrecht) dienten 18 . Als Gegenstand eines konsultativen Referendums bietet sich eine der Gesetzgebung unterliegende Materie an. Denkbar wäre, eine konsultative Befragung zu einer beabsichtigten gesetzlichen Regelung oder einem bereits eingebrachten Gesetzentwurf durchzuführen 19 . Namentlich eignet sich ein konsultatives Referendum indes, punktuell problembezogen wirksam zu werden. Regelmäßig wird es sich deshalb weniger auf einen fertig ausgearbeiteten Gesetzentwurf als vielmehr auf eine Frage von prinzipieller politischer Bedeutung beziehen 20 . Die bisherigen Anläufe zur Abhaltung eines konsultativen Referendums auf Bundesebene betrafen denn auch ausnahmslos eine grundlegende politische Frage 21 (Atombewaffnung der Bundeswehr; Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen) 22 . Wegen ihres dezisiven (entscheidenden) Charakters ebenfalls nicht hierher gehören neuere Überlegungen über die Zweckmäßigkeit der Ausdehnung von Volksentscheiden auf Verwaltungsentscheidungen ( Verwaltungs-( Akt)Referendum) 23 . 17

Vgl. Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 47. Es sind dies Referenden, die vor allem in schweizerischen Kantonen anläßlich der Frage nach der Einführung des Frauen Wahlrechts durchgeführt wurden. Darunter fiele an sich auch die konsultative Abstimmung von 1968 über das Frauenwahlrecht im Fürstentum Liechtenstein. Die Eigenart dieser konsultativen Abstimmung in Liechtenstein und die Tatsache, daß es sich um eines der wenigen konsultativen Referenden mit nur informatorischer Funktion handelte, rechtfertigt die Erörterung der Abstimmung im dritten Teil der Arbeit. 19 Schlenker, Volksgesetzgebung, S. 9. 20 Brusewitz, Konsultativa Referendum, S. 5. 21 Insoweit als „exekutive" und „legislative" Befugnisse im Kommunalverfassungsrecht nicht institutionell getrennt sind, die kommunale Volksvertretung vielmehr Rechtsetzungs- und Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, können grundlegende politische Fragen auf kommunaler Ebene alle die Fragen sein, für die ausschließlich die Gemeindevertretung zuständig ist. 22 Vgl. den Gesetzentwurf der SPD von 1958 (BT-Drs. 3/303) und den der Fraktion D I E G R Ü N E N (BT-Drs. 10/519). 18

1. Kap.: Begriff, Ursprung, Funktion, Formen

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I I . Ursprung des konsultativen Referendums Es ist müßig, darüber zu streiten, ob die Ursprünge des konsultativen Referendums im schweizerischen oder amerikanischen Rechtskreis zu suchen sind 24 . Dem konsultativen Referendum im dargelegten Sinne entsprechen jedenfalls die bis heute unter dem Terminus „advisory-referendum" 25 in einigen US-Staaten abgehaltenen Volksbefragungen 26. Die Entwicklung des „advisory-referendum" in den USA verlief in drei Phasen, deren erste nach Erklärung der Unabhängigkeit in den Neu-England-Staaten begann 27 . Auf 23 Neben Pestalozzi NJW 1982, 1571 ff., vgl. vor allem Roßnagel, KritV 1986, 343 ff. Roßnagel sieht im Verwaltungsreferendum das „geeignete Instrument einer politischen Verwaltungskontrolle", ebd., S. 357. Zu empfehlen sei, ein Verwaltungsreferendum gesetzlich so auszugestalten, „daß es innerhalb einer gewissen Frist von einem festzulegenden Quorum der Bürger beantragt werden kann, nachdem die Behörde wie bisher die gesetzlichen Voraussetzungen und die technischen Details durchgeprüft und über den Antrag entschieden" habe, ebd., S. 365. Zum Verwaltungsreferendum in der Schweiz, Kölz, Reform der Volksrechte im Kanton Solothurn, S. 36 ff. Zur Nutzung direkt-demokratischer Elemente wie einer Volksbefragung bei der Standortplanung (Standortplanungsreferendum), s. Steinberg, ZRP 1982, 113 ff. (117 ff.). 24 Der Ursprung der Volksrechte in der Schweiz ist im Spätmittelalter festzumachen. Während man in den Bergtälern der heutigen Schweiz Willenserklärungen des Volkes durch direkte Befragung in einer Volksversammlung einholte, wurden in den großflächigen Kantonen Beratungen der „Volksvertreter" der verschiedenen Amtsbezirke abgehalten. Diese handelten indes lediglich „im Namen und Auftrage" der heimischen Obrigkeit. Über Angelegenheiten außerhalb ihre Auftrages wurde nur unverbindlich verhandelt, die Sache selbst aber „,ad referendum genommen', d. h. der Berichterstattung an die einzelnen Obrigkeiten vorbehalten", Hilty, A Ö R 1887, 168.

Sog. Volksanfragen finden sich erstmals in den Stadtkantonen Bern und Zürich (vgl. dazu Wittlin, Volksbefragungen, S. 15 ff.). Zu Fragen außenpolitischer Natur (so in Zürich), aber auch zu internen Kantonsangelegenheiten (in Bern) lag es im Ermessen der Stadtregierung, das Volk zu befragen. Diese Befragungen bezogen sich meist auf die gesamte Gemeindebevölkerung ab 14 Jahren („Alles von vierzehn Jahren uf"). Die Abstimmung selbst war nicht geheim, sondern erfolgte durch „Hand-aufheben" oder durch eine Art „Hammelsprung" (Der Ratsbote forderte dazu die Versammelten mit den Worten auf: „Wer unsern Herrn und Obern in oberlüterter Gestalt gehorsam sein will, der stände still, wer aber das nyt will, der stände an einen Ort", v. Stürler, Volksanfragen im alten Bern (1869), S. 17, zitiert nach Wittlin, ebd., S. 18.) In Zürich wurden neben Volksanfragen auch die sog. „Furträge" an das Volk gerichtet. Boten der Stadtregierung zogen aus, um die Bevölkerung in einer bestimmten Angelegenheit zu orientieren. Bezweckt war, „die Landbevölkerung williger (zu) machen" (damit also „die iren dester williger wärint", vgl. Wittlin, ebd., S. 19, der „Die Huplische Chronik" der „Chronik der Stadt Zürich, mit Fortsetzungen", zitiert). 25 Ausführlich dazu unten Teil I I I , 1. Kap., I I 2 a. 26 Auch Derendinger, in: Festgabe Jeger, S. 394, der den Ursprung des konsultativen Referendums wohl in der Schweiz verortet wissen will, erkennt an, daß im Hinblick auf die Formen der Durchführung wesentliche Unterschiede zu den seit Mitte des 15. Jahrhunderts in Bern abgehaltenen „Volksanfragen" bestehen. Bezeichnend ist, daß selbst Wittlin die konsultativen Referenden im definierten Sinne nur mit dem „advisory referendum" in den USA in Verbindung bringt. Lediglich „diese Art von Volksrechten" entspreche „ungefähr den in der heutigen Bundesrepublik Deutschland bekannten informatorischen Volksbefragungen", Wittlin (FN 24), S. 37.

: Konsultative Referenden im

e polit. Willensbildung

einen „mittleren" Zeitabschnitt im 19. Jahrhundert folgte eingangs dieses Jahrhunderts eine „moderne" (R. M. Goldmann) Periode, in der das „advisory referendum" - insbesondere in Illinois - auf lokaler Ebene als sog. „Winnetka-System" heimisch wurde 28 . Die ersten „Ratschläge" (advices) an den Gesetzgeber sind in den USA in den kolonialen Neu-England-Staaten nachgewiesen29. Da die Wählerschaft zahlenmäßig klein war, konnte sie direkt um ihre Meinung befragt werden. Die durch die sog. „town-meetings" gewählten Repräsentanten sahen sich zunehmend als Delegierte, die den empirischen Volkswillen durch Konsultation zu erkunden suchten 30 . Im Jahre 1779 führte die Repräsentativkörperschaft von Massachusetts ein Verfahren ein, das der heutigen Konzeption des konsultativen Referendums bereits „sehr nahe kommt" 3 1 . Der Repräsentativkörperschaft stand es danach frei, die Wählerschaft konsultativ über den Wunsch der Einberufung sog. „constitutional conventions" zu befragen. Normiert wurde ein „von der Intention her" konsultatives Referendum jedoch erstmals in der Verfassung des Staates Alabama von 181932. Als Teil des Verfahrens einer Verfassungsänderung mußten Änderungsnovellen dem Volk bei der nächsten allgemeinen Wahl zur Abstimmung vorgelegt werden. Definitiv über die Verfassungsänderung entschied allerdings nur die neugewählte Volksvertretung 33 . Nach dem Vorbild der Verfassung von Alabama wurde das gleiche Verfahren in Süd-Carolina übernommen und in der Verfassung von 1895 (Art. X V I Sect. 1) beibehalten 34 . Die darauf folgende Phase ist gekennzeichnet durch in verschiedenen US-Bundesstaaten durchgeführte „advisory"Referenden in Einzelfällen, ohne daß sich allerdings eine ständige Praxis herausgebildet hätte 35 . Erst in der dritten Phase entwickelte sich auf lokaler Ebene ein spezifisches konsultatives Bürgerbeteiligungsverfahren. Das nach seinem Ursprungsort in Illinois benannte sog. „Winnetka-System" 36 verpflich27 Zur Entstehung des „advisory-referendum" in den USA, vgl. Oberholtzer, The Referendum in America (1912), Lobingier, The People's Law (1909), Goldmann, POQ 1950/51, 303 ff. 28 Z u den einzelnen Perioden, vgl. insbesondere Goldmann (FN 27), S. 305 ff. 29 Lobingier (FN 27), S. 100 ff. 30 Die Repräsentanten gingen zu den „town-mettings", „to ,take the sense' of the people", Lobingier (FN 27), S. 102. 31 Goldmann (FN 27), S. 306, „. . . a procedure and a precedent that came fairly close to present conceptions of an advisory referendum." 32 Goldmann (FN 27), S. 306, spricht vom „first American referendum that was intentionally ,advisory'". 33 Das Volk wurde in den Worten von Oberholtzer (FN 27), S. 150 beteiligt „not as the last ratifier, but as mere adviser . . . " 34 Oberholtzer (FN 27), S. 151, FN 17. 35 „Advisory-"Referenden wurden abgehalten in: Wisconsin (1847), Nevada (1879), New York (1883), Kalifornien (1891) und in Massachusetts (1895), vgl. Goldmann (FN 27), S. 307. 36 Ausführlich Monroe / Wilson , City Manager Government in Winnetka, Chikago 1940.

1. Kap.: Begriff, Ursprung, Funktion, Formen

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tete die kommunalen Repräsentanten, „konform" (in harmony) mit den Ergebnissen von behördlich organisierten Bürgerbefragungen abzustimmen37. Das „Winnetka-System" wurde in der Folgezeit von einer Vielzahl von Gemeinde- und Stadtstatuten inkorporiert 38 . Demgegenüber vergleichsweise spät und „eher zufällig" 39 fand das Institut des konsultativen Referendums in einigen schweizerischen Kantonsverfassungen Aufnahme. Im Zusammenhang mit einer Verfassungsrevision wurde im Jahre 1890 in St. Gallen (Art. 48) und im Jahre 1895 in Schaffhausen (Art. 42) 40 in einander ähnlichen Bestimmungen das Recht des „Großen Rates" normiert, eine Volksbefragung durchzuführen 41. In Skandinavien war das Institut der Volksabstimmung seit Ausgang des 19. Jahrhunderts in der Diskussion 42 . In Norwegen hatte 1890 der Staatsrechtler T. H. Aschehoug vorgeschlagen, dem König das Recht einzuräumen, ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz einer Volksabstimmung zu unterziehen 43 . Einen Antrag zur Durchführung einer konsultativen Abstimmung wurde hingegen erstmals im Jahre 1897 von dem liberalen Abgeordneten David Bergström im schwedischen44 Reichstag eingebracht 45. Bergström schlug vor, die Meinung der männlichen volljährigen Bevölkerung hinsichtlich der Einräumung eines allgemeinen Wahlrechts zur zweiten (Parlaments-)Kammer in Erfahrung zu bringen 46 . Die Befürworter des konsultativen Referendums argumentierten, diese Abstimmungsform unterscheide sich nicht von einer „einfachen behördlichen Meinungsbefragung" 47. Der Antrag Bergströms wurde in beiden (Parlaments-)Kammern abgelehnt 48 . 37

Goldmann (FN 27), S. 308. Beispielhaft seien genannt: Detroit (1902); Buffalo (1904) und Grand Rapids (1905); vgl. Goldmann (FN 27), S. 308. 39 Brusewitz (FN 20), S. 8. 40 Brusewitz (FN 20), S. 8. 41 „Der große Rat ist befugt, über Aufnahme einzelner Grundsätze in ein zu erlassendes Gesetz eine Volksabstimmung ergehen zu lassen." (Art. 48, St. Gallen vom 16. 11. 1890). „Überdies ist der Große Rat befugt, über Aufnahme einzelner Grundsätze in einen auszuarbeitenden Erlaß eine Volksabstimmung ergehen zu lassen (Volksbefragung)", (Art. 42, Verfassung Schaffhausen vom 24. 3. 1876); zitiert nach: Sammlung der Bundes- und Kantonsverfassungen (Hrsg. Bundeskanzlei). 42 Brusewitz (FN 20), S. 43. 43 Brusewitz (FN 20), S. 43. 44 In Norwegen kam es erst nach 1905 zu Vorschlägen, konsultative Abstimmungen abzuhalten. Bereits damals führten ihre Gegener an, die Stellung des Parlaments und der Parlamentsmitglieder werde durch solche Abstimmungsformen geschwächt. Die Abstimmung sei in jedem Fall faktisch verbindlich, vgl. Brusewitz (FN 20), S. 51. 4 5 Wallin, in: Samhälle och riksdag (1966/11), S. 267. 46 Ryden, Folkomröstning, S. 16. 47 Wallin (FN 45), S. 267. 48 Wallin (FN 45), S. 268. Zur weiteren Entwicklung namentlich in Norwegen und Schweden, s. unten Teil I I I , 1. Kap., I I 1 a/c. 38

3 Rommelfanger

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N u r kurze Z e i t flammte i n Frankreich die Diskussion u m das „référendum de consultation" am A n f a n g dieses Jahrhunderts auf. D i e Tatsache, daß sich bis auf die Verfassung v o n 1793 4 9 alle nachfolgenden französischen Verfassungen einem strengen Repräsentativsystem verschrieben h a t t e n 5 0 , insbesondere aber die negativen Erfahrungen m i t den plebiszitären A b s t i m m u n g e n unter Napoleon I I I 5 1 boten für die Idee des konsultativen Referendums k e i n günstiges K l i m a . Erstmals vorgeschlagen wurde die A b h a l t u n g eines solchen Referendums v o m Abgeordneten der Nationalversammlung Raiberti am 3. Juli 1905 zur Frage einer Trennung v o n Staat u n d K i r c h e 5 2 . I m Jahre 1911 brachte der Abgeordnete Pugliési-Conti einen Gesetzentwurf i n der Nationalversammlung ein, der die allgemeine Einführung dieses Instituts vorsah 5 3 . D e n Vorstößen war - wie auch zwei weiteren Versuchen i n den Jahren 1913/14 54 indes k e i n Erfolg beschieden. Erst unter der Verfassung der V . R e p u b l i k werden nunmehr unter dem Topos „référendum c o m m u n a l " auf der k o m m u n a l e n Ebene vereinzelt konsultative Referenden 5 5 durchgeführt 5 6 . I n Deutschland reichen die Anfänge einer Umfrageforschung bis ins Jahr 1660 z u r ü c k 5 7 . D e r „ E n t w u r f eines A l l g e m e i n e n Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten" wurde der Öffentlichkeit i m Jahre 1787 zugänglich gemacht. D a m i t erfolgte ein Jahrhundert später erstmals die Beteiligung der Bevölke49

Eine Art abrogativen Referendums („vèto populaire") sah Art. 59 der Verfassung vom 24. Juni 1793 vor. Danach trat ein Gesetzentwurf in Kraft, wenn nicht innerhalb von 40 Tagen von der Mehrheit der Legislativkörperschaften in den Departements Einwände gegen den Entwurf erhoben wurden. Die Verfassung vom 24. Juni 1793 ist abgedruckt bei Kaiser, Französische Verfassungsgeschichte (1852), im Anhang ( X X ff.). 50 Sah noch die Verfassung von 1875 (III. Republik) keine Referendumsmöglichkeit vor, änderte sich dies in den Verfassungstexten der I V . (1946) und V. Republik (1958). Das Referendum hat „une acclimatation progressive" erlebt, Sur, R.D.P. 1985, 598. 51 Sein „Lieblingsmittel" (Kunz, Artikel ,Plebsiszit' in: Strupp / Schlochauer, Wörtertmch des Völkerrechts) setzte Napoleon I I I . insgesamt dreimal (1851, 1852 und 1870) ein, Duval / Mindu / Leblanc-Dechoisay, Referendum et Plébiscite, S. 16. 52 Raiberti sagte im Parlament: „Mais il y a un autre mode de consultation contre lequel ni la lettre ni l'esprit de la Constitution ne peuvent élever d'objecton. C'est celle qui aurait lieu avant qu'une loi soit sortie de nos mains et qui prendrait place en quelque sorte dans les travaux préparatoires de la loi. (. . .) Une pareille consultation ne serait pas un moyen de ratification, mais une mesure d'instruction. Elle n'aurait que la valeur d'une enquête dont nous serious toujours maîtres d'apprécier les résultats et de suivre ou de ne pas suivre, sous notre responsabilité, les indications. ( . . . ) Elle n'aurait pas pour but de limiter notre souveraineté, mais de la promouvoir. Elle n'aurait pas pour but de nous entourer de toutes les garanties nécessaires pour les exercer", Discours à la Chambre, J.O. (3. 7. 1905), S. 1680 f. 53 Joseph-Barthélemy / Duez, Droit Constitutionnel (1933), S. 135; Laferrière, Droit Constitutionnel, S. 452. 54 Laferrière (FN 53), S. 452. 55 „ I I ne s'agit que de référendums consultatifs sur des thèmes particuliers . . . .", Coudevylle, Revue administratif 1978, 500. 56 Ausführlich zum „référendum communal", unten Teil I I I , 1. Kap., U l i . 57 Im Jahre 1660 begann Hermann Conring an der Universität in Helmstedt mit „statistischen" Vorlesungen, Noelle, Umfragen in der Massengesellschaft, S. 314.

1. Kap.: Begriff, Ursprung, Funktion, Formen

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rung an einem Gesetzgebungswerk 58 im Wege eines „offenen Verfahrens" (Krause) 59 . Formen behördlicher Umfragen („Enquêtes") wurden - zunächst in Preußen und Sachsen - seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland durchgeführt 60 . Was aber Volksbefragungen im oben definierten Sinne betrifft: Die Nützlichkeit von Volksrechten, vor allem um die Volksüberzeugung „annähernd wahrheitsgetreu zum Ausdruck zu bringen" (Stier- Somio), wurde noch im ausgehenden 19. Jahrhundert generell verneint 61 . Äußerungen namentlich zum konsultativen Referendum, finden sich in der deutschen Rechtsliteratur erst in der Zeit der Weimarer Republik 62 . Innerhalb der deutschen konstitutionellen Theorie hatten zuvor allerdings bereits ansatzweise R. v. Mohl und der preußische Staatsrat Immanuel Hoffmann diesem Problem ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Hoffmann meinte, daß dort „die Wähler selbst direkt um ihre Meinung zu befragen" seien, „wo die Übereinstimmung zwischen dem Willen der Gewählten und dem Willen der Wähler bezüglich einer Einzelfrage zweifelhaft erscheint". 63 Für R. v. Mohl schließlich war in einem repräsentativen Staat eine allgemeine Abstimmung zwar rechtlich zulässig, wohl aber praktisch unzweckmäßig64. Eingehender mit der Problematik setzte sich Curtius im Zusammenhang mit dem Regierungsentwurf zur badischen Verfassung auseinander 65. Nach § 22 des Regierungsentwurfs sollten „alle Gegenstände der Beschlußfassung des Landtages" dem 58 Die Veröffentlichung des Entwurfs war mit der Aufforderung an „,philosophische Juristen', Regierungen und Stände aller (preußischen) Provinzen" (Wieacker) verbunden, sich dazu kritisch zu äußern. Die Anregungen wurden von Svarez in den Jahren 1787 - 1790 für die Umarbeitung des letzten Entwurfs verwandt; dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (1967), S. 330 f.; Krause, Die Verwaltung 1986, 299 ff. 59 Über die eingegangenen monita, deren beste mit einem Preis ausgezeichnet wurden, urteilte Svarez wie folgt: „Fast durchweg atmen sie den Geist der wahren Aufklärung und einer sanften milden Philosophie des Lebens; Ehrfurcht und Achtung für die Rechte der Menschheit; Haß gegen Willkür, sorgsames Bestreben, die bürgerliche Freiheit mit dem Gehorsam gegen den Staat in Harmonie zu bringen, und das Streben, Vorurteile und Einseitigkeiten zu entfernen", zitiert nach Krause (FN 58), S. 300. 60 Die erste ,Enquête' über die Lage der Landarbeiter wurde vom Agrarschriftsteller Alexander von Lengerke im Jahre 1848 in Preußen durchgeführt. Lengerke verwendete hierzu einem vom „Landes-Oeconomie-Collegium" ausgearbeiteten Fragebogen. Im Jahre 1872 führte der Agrarpolitiker Theodor von Goltz eine ,Enquête' durch, die der Frage gewidmet war: „Wie ist den arbeitenden Klassen ein, mit dem steigenden Nationalreichtum mitsteigender Lohn zu sichern?", vgl. zum Ganzen die Biographien von v. Lengerke und Goltz, in: Neue deutsche Biographie (Bd. 14/Bd. 6), S. 206 f/S. 635 f. Beiden Umfragen folgte 1875 eine im Auftrag des Reichstages durchgeführte Erhebung bei Fabrikbesitzern über die Situation der Lehrlinge, Gesellen und Fabrikarbeiter, s. Noelle (FN 57), S. 315. 61 Stier-Somlo kommt anläßlich eines Vortrages im Jahre 1899 zu dem Schluß, daß es überhaupt keine Möglichkeit gebe, die Volksüberzeugung zu erkennen oder sie „in rechtlicher Form festzuhalten", Volksüberzeugung als Rechtsquelle (1900), S. 35. 62 Vor allem bei Curtius , Volksinitiative und Volksreferendum (1919). 63 Hoffmann, Plebiscit als Correctiv der Wahlen, S. 8. 64 R. v. Mohl, Staatsrecht (Völkerrecht und Politik), I I , S. 305 ff. 65 Der Regierungsentwurf ist auszugsweise abgedruckt bei Curtius (FN 62), S. 8 ff.

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Referendum unterliegen, sofern der Landtag bzw. das Staatsministerium dies beschlossen oder 50.000 stimmberechtigte Staatsbürger es forderten. Curtius zufolge begegnet dieser Entwurf erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Landtag könne sich dergestalt nämlich einerseits seiner Verantwortung für gesetzgeberische Maßnahmen entziehen und andererseits das Volk über die genau umgrenzten Fälle hinaus „hinzuziehen" 66 . Aus den „gleichen Gründen" sei - so Curtius - deshalb auch eine konsultative Volksabstimmung verfassungswidrig 67. I I I . Funktionen des konsultativen Referendums Im konsultativen Referendum erblickt man vielfach ein geeignetes Instrument demokratischer Partizipation zur Erhöhung der Akzeptanz von Entscheidungen im politischen System67. Die praktischen Anlässe der Initiierung oder Durchführung konsultativer Referenden sind indes „profaner". Wie noch zu zeigen sein wird, werden konsultative Referenden oftmals weniger zu rein konsultativen, d. h. informatorischen, als vielmehr anderen Zwecken, meist Zwcken politischer Taktik, durchgeführt. Die wahren politischen Absichten, die der Initiant verfolgt, bleiben dann vielfach hinter der jeweils vorgeschobenen „Alibi-Funktion" verborgen. Ebenso wie die Volksrechte in der Schweiz häufig erfolgreich als Instrumente im politischen Tageskampf Anwendung finden 68 , kann das konsultative Referendum im staatsrechtlich bedeutsamen Vorfeld politischer Entscheidung verschiedene Funktionen bekleiden. Generell können Referenden drei Funktionen erfüllen: die Bestätigungsfunktion im Sinne der ratifikatorischen Sanktion von Gesetzesbeschlüssen 69 ; die Kontrollfunktion, die Abweichungen des Willens der Volksvertretung vom „wahren" Willen des Volkes korrigieren soll 70 und schließlich die Entscheidungsfunktion zur Lösung von Meinungsverschiedenheiten und Konflikten zwischen den obersten Verfassungsorganen 71.

66 Curtius (FN 62), S. 18. 67 Müller / Saladin sprechen von der Konsultativabstimmung als „Instrument der differenzierten Partizipation des Bürgers an politischen Entscheidungsprozessen", Berner Festgabe, S. 443; Pestalozza sieht im konsultativen Referendum das „demokratische Minimum", aus dem ersichtlich werde, „daß Ernst mit der Demokratie gemacht wird", NJW 1981, 734. 68 Gasser, Volksrechte, S. 148 f. 69 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 729 f., Hilty, A Ö R 1887, 167; C. Schmitt, Volksentscheid, S. 8. 70 Duverger, Droit Constitutionnel (1956), S. 226; Abgeordneter Keil, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Ani. zu den Stenograph. Berichten, Band 336, Aktenstück Nr. 391, S. 294 f. 71 Bryce, Moderne Demokratien (III), S. 92. Für Hugo Preuß lag darin der „eigentliche Sinn" des Referendums, zitiert nach C. Schmitt, Volksentscheid, S. 8.

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Diese Funktionstypologie ist in erster Linie auf die dezisiven Referenden zugeschnitten. Konsultative Referenden können in einem demokratischen politischen System folgende vier Funktionen übernehmen:

1. Meinungserforschungsfunktion

Vom konsultativen Referendum erwartet man die Erforschung der wahren Volksmeinung in bezug auf eine politische Grundsatzfrage. Diese Meinungserforschungsfunktion dient der Verbesserung der demokratischen Bilanz der Repräsentativdemokratie 72. Bezweckt doch Informationsbeschaffung nicht die „Untergrabung der repräsentativen Demokratie" 73 , sondern deren Stabilisierung. Ob die Meinungserforschungsfunktion in Anbetracht der Fragealternative „Ja/Nein" in der Praxis allerdings zum Tragen kommen kann 74 oder vielmehr nur besagte „Alibi-Funktion" besitzt, sei an dieser Stelle noch offengelassen. 2. Partizipationsfunktion

Über konsultative Referenden kann das Volk an der politischen Willensbildung teilhaben. Diese Funktion einer komplementären Willensbildung durch Partizipation wird von einigen Autoren in den Vordergrund der Diskussion gestellt 75 . In Fragen von außergewöhnlicher Tragweite 76 müsse das Volk sehr viel stärker als bisher unterhalb der Schwelle von plebiszitären Entscheidungsformen in die EntscheidungsVorbereitung einbezogen werden. Simon und H. P. Schneider plädieren für ein Minderheitsrecht von Mitgliedern des Bundestags, das diesen die Möglichkeit gibt, politisch brisante Fragen im Wege einer

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So bereits Joseph-Barthélémy / Duez, Droit Constitutionnel, S. 1356, wenn sie schreiben: „Mais, quant à nous, nous avons reconnu que le génie du gouvernement représentatif suppose la conformité de la volonté parlementaire et de la volonté nationale. Tous les procédés qui peuvent contribuer à assurer cette conformité doivent donc être considérés comme licites, (. . .). Nous sommes ainsi portés à considérer comme constitutionnel le referendum de consultation". Auch der Gesetzentwurf der Fraktion D I E G R Ü N E N sieht in der Volksbefragung „keine Schwächung, sondern eine Stärkung der repräsentativen Demokratie", BT-Drs. 10/519, S. 3. 73 Hennis y Meinungsforschung und repräsentative Demokratie, S. 40. 74 Jedenfalls für die Schweiz konstatiert Sträuli, Konsultative Volksabstimmung, S. 64, die Bedeutung der Konsultativabstimmung als Informationsinstrument als „verschwindend klein". 75 Vgl. insbesondere Simon, in: Bekenntnis und Politik (Loccumer Protokolle 20/ 1983), S. 78 f. und H. P. Schneider, Grundgesetz und technologischer Wandel, S. 113 ff. (120 ff.). 76 „Entscheidungen, die Langzeitrisiken enthalten, bei denen die Risiken vielleicht sogar noch nicht einmal bekannt oder abschätzbar sind, Entscheidungen von irreversibler Tragweite, . . . die Überlebensfragen betreffen". H. P. Schneider (FN. 75), S. 119 f.

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„Volksenquête" „durch das Volk beantworten zu lassen". 77 Gemäß dem fehlenden Entscheid-Charakter hätte das konsultative Referendum neben der erwähnten Informations- also auch eine Artikulationsfunktion und eine „gewisse Beratungsfunktion" zu erfüllen 78 . 3. Oppositionsfunktion

Die Opposition wird, kann sie ein konsultatives Referendum initiieren, nicht nur in die Lage versetzt, „Öffentlichkeit zu erzeugen" bzw. „Transparenz zu schaffen" (H. P. Schneider). Es wird bei ihr auch der Anreiz geweckt, politischen Druck auf die zuständigen Staatsorgane auszuüben. In dieser Möglichkeit des konsultativen Referendums, „Druck" zu erzeugen, offenbart sich seine - im einzelnen später zu behandelnde - spezifische Ambiguität. Die Partizipationsfunktion kann also in eine Oppositions- oder gar Agitationsfunktion umschlagen. Unter Rekurs auf die Begrifflichkeit von H. P. Schneider, ließe sich wie folgt differenzieren. Die Trennungslinie zwischen einer die Oppositionsrechte stärkenden „oppositionellen Partizipation" und einer obstruktiven oppositionellen Agitation 7 9 beruht in der unterschiedlichen Zielsetzung des initiierten Referendums. Im letzteren Fall ist das Motiv der Initiierung darin zu suchen, bevorstehende Entscheidungen um jeden Preis zu verhindern. Selbst Rechtsverletzungen werden von obstruktiven Minderheiten nicht ausgeschlossen80. In der ersten Variante dagegen wird das konsultative Referendum im „Vorfeld der staatsleitenden Entscheidungsfindung" 81 praktiziert. Bezweckt ist die Gewährung einer Mitsprache bzw. die Einholung eines Meinungsbildes bei zentralen politischen Entscheidungen zur „umgestaltende(n) Einflußnahme auf den politischen Entscheidungsprozeß" 80. 4. Konsens- und Legitimationsfunktion

Nicht nur einer (parlamentarischen) Minderheit, auch der parlamentarischen Mehrheit (oder der Regierung) kann es opportun erscheinen, ein konsultatives Referendum zu initiieren. Insbesondere wenn die zuständigen Staatsorgane in einer in der Gesellschaft umstrittenen Frage ihre Entscheidung mit einer erhöhten Legitimität „auszustatten" gedenken, bietet sich ein konsultatives Referendum an. Da sich die zuständigen Staatsorgane der 77 H. P. Schneider (FN 75), S. 121. Zur Einführung in das Grundgesetz schlägt H. P. Schneider folgenden Artikel vor: „Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Drittels seiner Mitglieder die Pflicht, vor der Entscheidung über einen bestimmten Gegenstand der politischen Willensbildung, das Volk zu befragen". 78 H. P. Schneider (FN 75), S. 121. 79 Dazu Teichmann, Obstruktion parlamentarischer Minderheiten, S. 134 ff. 80 H. P. Schneider, Parlamentarische Opposition, S. 85. 81 H. P. Schneider (FN 80), S. 394.

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Unmöglichkeit der rechtlichen Überwälzung von Verantwortung bewußt sind, dient das konsultative Referendum hauptsächlich der Verständigung, als konsenserzeugendes Verfahren 82 , oder - wie Pestalozza es ausdrückt - der „politischen Schlichtung auf Zeit" 8 3 . Staatsrechtlich bedenklich wird ein solches Vorgehen indes, wenn der Entscheidungsträger damit faktisch Verantwortung abzuwälzen sucht 84 . In seiner konsensualen Funktion kann das konsultative Referendum andere Zwecke mitverfolgen, die neben die konsensuale Komponente treten und sie teilweise sogar in den Hintergrund treten lassen. Als solche Nebenfunktionen seien - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - die edukatorische, die arbitratorische und die spannungsmildernde Funktion genannt 85 . Insbesondere die Abgrenzung jener letztgenannten (Neben-)Funktion zur konsensualen Hauptfunktion kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Die ausführliche Information und öffentliche Problemdiskussion im Vorfeld des konsultativen Referendums muß sich zwangsläufig staatsbürgerlich erzieherisch auswirken 86 . Während die edukatorische Funktion jedoch allenfalls ansatzweise zum Tragen kommen wird, darf die schiedsrichterliche Funktion konsultativer Referenden nicht unterschätzt werden 87 . Insbesondere bei Zerwürfnissen innerhalb von Parteien oder Regierungskoalitionen kann das Ergebnis eines konsultativen Referendums streitschlichtend wirken 88 . Innerhalb der deutschen 82 Zur Akzeptanz auf Grund konsenserzeugender Verfahren, vgl. Würtenberger, in: Jurist und Staatsbewußtsein, S. 92 ff. 83 Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 27. 84 Ausführlich dazu unten Teil I I , 1. Kap., I I 1 b. 85 Zur arbitratorischen Funktion eines Referendums, Cruz Villaion, Revista de Estudios Politicos 1980, 148; Laferrière, Droit Constitutionnel (1947), S. 449: „Le referendum, moyen de faire arbitrer par le peuple les conflicts entre les pouvoirs publics." Zur spannungsmildernden Funktion, Maihof er, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, S. 1412; auch Huber, Gesetzesreferendum, S. 21 anerkennt die Fähigkeit des Referendums, integrierend wirken zu können. Zur edukatorischen Funktion, Streinz, Die Verwaltung 1983, 311; Simmel, Verhandlungen des Bay. Landtags, 2. Wahlperiode, Stenograph. Berichte, Bd. I I , S. 1065 f. und vor allem: Lobingier, Political Science Quarterly, 1908, 586, der von „educational influence" spricht. 86 Die Frage, ob ein Referendum ein geeignetes Mittel politischer Erziehung darstelle, wurde in den Verfassungsberatungen der Jahre 1918/19 von Liberalen wie Max Weber, Robert Piloty und Hugo Preuß diskutiert und „unter ganz bestimmten Bedingungen" bejaht, Schiffers, Elemente direkter Demokratie, S. 276. 87 Stählberg assoziiert mit dieser Funktion den „Idealfall" einer konsultativen Volksbefragung, in: Finsk Tidskrift 1983, S. 227. 88 s. namentlich die Beispiele aus Großbritannien, unten Teil I I I , 1. Kap., U l k . Die Hoffnung, daß eine Streitschlichtung qua Volksabstimmung bewirkt werden könne, kommt auch in einer Veröffentlichung der Regierung von Puerto Rico anläßlich eines am 23. Juli 1967 durchgeführten Referendums zum Ausdruck. Dort heißt es: „The plebiscite will settle, through direct popular expression, in a democratic and free manner the debate of the political status", TTie Plebiscite on the Political Status of Puerto Rico (Hrsg.: Department of State of Puerto Rico), S. 23.

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Staatsrechtslehre wird - soweit sie sich überhaupt eingehender mit dem konsultativen Referendum beschäftigt - vor allem auf die spannungsmildernde Funktion von plebiszitären Elementen hingewiesen89. In Fragen, die das „ganze Volk zutiefst bewegen", könnten - so Maihofer - Abstimmungen eine Art Befriedungsfunktion übernehmen, „Schluß mit manchen Diskussionen" machen, die ansonsten fortdauerten 90 . In diesen Ausführungen drängt sich das von Huber für das Referendum gebrauchte Bild eines „Ventils" auf. Die „Wohltat" des Referendums soll letztendlich die einer psychologischen „Entladung" als auch - wenn auch weniger - die einer Versöhnung sein 91 . Inwieweit das konsultative Referendum die vermutete oder behauptete Akzeptanzerhöhung politischer Entscheidungen tatsächlich zu liefern vermag, inwieweit die von schweizerischen Sozialwissenschaftlern für Referendum und Initiative insoweit getroffene Diagnose einer Festigung der Legitimations- und Integrationsstruktur 92 auch für das konsultative Referendum zutrifft, kann abschließend erst nach der verfassungstheoretischen und verfassungstatsächlichen Erörterung der praktischen Erfahrungen mit konsultativen Referenden beantwortet werden. I V . Formen des konsultativen Referendums 1. Typologie

Die Be- und Umschreibung eines Rechtsinstituts wäre ohne den Versuch einer typologischen Systematisierung unvollständig. Die ansonsten hinsichtlich Referenden übliche Einteilung nach formellen 93 bzw. materiellen Gesichtspunkten 94 kann bei konsultativen Referenden schwerlich nutzbar gemacht 89 Maihofer (FN 85), S. 1412. 90 Maihofer, Verhandlungen 55. Deutscher Juristentag, P. 12; a.A. von Krockow, ebd., Ρ 14: „. . . aber werden diejenigen, die gegen angeblich ,bloß formale' Mehrheiten des Parlaments ihre Betroffenheit' ins Feld führen, sich nun beugen, wenn sie im Plebiszit unterliegen? Ich habe Zweifel". 91 Huber, Gesetzesreferendum, S. 21. 92 „ A u f der anderen Seite führten Referendum und Initiative zu einer wirksamen Ausgestaltung der Legitimations- und Integrationsstruktur. Krisenhafte Mißstimmungen größerer Bevölkerungsschichten konnten sich in isolierten Sachfragen entladen. Oppositionelle Gruppen, die die Tendenz zeigten, das politische System grundsätzlich zu bestreiten, wurden mit dem Verweis auf die sog. Volksrechte diszipliniert", Jost, Schweizerisches Jahrbuch für pol. Wissenschaften 1976, S. 214. Kritisch demgegenüber Oberreuther, Plebiszitäre Öffnung, S. 6. Ein „Plebiszit" gewinne dem politischen System nicht mehr Legitimität ab, „wenn es, wie zu erwarten, immer nur Minderheiten sind, welche die Prämie direkter Demokratie genießen." 93 Unterscheidung danach, ob der Bürger fakultativ oder obligatorisch zum Gesetzesbeschluß Stellung nehmen kann/muß. 94 Differenzierung des Referendums in Gesetzes- oder Verfassungsreferenden auf Grund von materiellen Unterscheidungsmerkmalen.

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werden 95 . Es bietet sich eine Differenzierung anderer Art an, die den Urheber des Referendums mit in die Betrachtung einbezieht 96 . Danach lassen sich konsultative Referenden unterscheiden nach dem Initiant des Referendums (a), dem Zeitpunkt der Durchführung (b) und nach der Zielrichtung des Referendums (c). Eine Sonderform konsultativer Abstimmungen ist die sog. „Bevölkerungsabstimmung" (d) 9 7 . a) Initiant des konsultativen Referendums In der Regel ist - wie die praktischen Beispiele konsultativer Referenden zeigen - das Parlament, die Regierung bzw. das Parlament zusammen mit dem Staatsoberhaupt 98 der Initiant der Abstimmung. In Abweichung von diesen „originären" konsultativen Referenden wurden oder werden auch konsultative Referenden praktiziert, bei denen die Initiative von einem Teil der Bevölkerung ausgeht („konsultative Volksinitiative") 99 bzw. einzig vom Staatsoberhaupt 100. b) Zeitpunkt des konsultativen Referendums In Verbindung mit der Funktion, die das Referendum einnehmen soll, ergibt sich die Einteilung in echte bzw. unechte konsultative Abstimmungen 101 . Echte konsultative Abstimmungen betreffen Referenden, die zeitlich vor der Entscheidfassung veranstaltet werden. Da ein konsultatives Refe95

Zum ganzen Buchelt, Begriff des Referendums, S. 43 ff. Ausgehend einerseits von der Rolle des Volkes als aktiver oder passiver Part einer Initiative und der gesetzlichen Regelung/Nichtregelung von konsultativen oder dezisiven Abstimmungen andererseits, analysiert Suksi deren Realisierungschancen, Suksi, Referendumsinstitutet, S. 52 ff. Die Funktion des konsultativen Referendums, d. h. welche einzelnen politischen Zielsetzungen mit konsultativen Referenden erstrebt werden können, wird aus der Suksi'schen Typologie indes noch nicht klar ersichtlich. 97 Weitere Möglichkeiten der Klassifikation bei Bibes / Toinet, Les référendums, S. 3 ff.; Smith, Government and Opposition, 1975, 294 ff. 98 Beispiel für das erforderliche Zusammenwirken von Parlament, Ministerpräsident und Staatsoberhaupt in der Einberufung eines konsultativen Referendums, ist die Regelung des Art. 92 Abs. 2 Spanische Verfassung, s. dazu unten Teil I I I , 1. Kap., I I 1 g. 99 Beispiel hierfür ist der US-Staat Illinois, s. dazu unten Teil I I I , 1. Kap., I I 2 a bb. 100 Beispiele sind das plebiszitäre Appellrecht Napoleons I I I . , das „königliche Referendum", das 1892 in Belgien vorgeschlagen wurde (vgl. zu letzterem unten Teil I I , 1. Kap., 12 u. Teil I I I , 1. Kap., I I 1 h), und - als eine A r t „administratives" konsultatives Referendum (der Ausdruck stammt von Brusewitz, Konsultativa Referendum, S. 83) - Befragungen in den australischen Bundesstaaten Victoria und Südaustralien, s. dazu unten Teil I I I , 1. Kap., I I 3. Auch die griechische Verfassung sieht nunmehr die Möglichkeit der Durchführung einer in das Initiierungsermessen des Präsidenten gestellten Volksabstimmung vor, s. unten Teil I I I , 1. Kap., I I 1 e. 101 Die folgende Typologie lehnt sich an die Einteilung der plebiszitären Abstimmungen bei Hernekamp, Direkte Demokratie, S. 36, an. 96

: Konsultative Referenden im

e polit. Willensbildung

rendum wesensmäßig beratender Natur sein soll, entspricht seine Durchführung im Vorfeld der eigentlichen Entscheidung dem Regelfall. Gleichwohl kommen auch Abstimmungen mit rechtlich unverbindlichem Charakter vor, die erst nach der eigentlichen Beschlußfassung stattfinden. Wegen der fehlenden Beratungsfunktion sollen sie als unechte konsultative Abstimmungen bezeichnet werden. Von ihrer Zielrichtung her, dienen diese Referenden vielfach der Erhöhung der Legitimation einer Person oder eines politischen Systems. c) Zielrichtung des konsultativen Referendums Die zeitliche Kategorisierung offenbarte bereits die verschiedenen Zielrichtungen, die konsultative Referenden entsprechend ihren oben aufgezeigten Funktionen einnehmen können. Bei unechten konsultativen Abstimmungen kristallisieren sich begrifflich eine (aa) und bei echten konsultativen Abstimmungen vier (bb - ee) Zielrichtungen heraus. aa) Soll die Volksbefragung lediglich formal einer in Wirklichkeit längst gefallenen oder sogar bereits vollzogenen Entscheidung nachträglich eine gesteigerte Legitimation qua Plebiszit verschaffen, liegt ein akklamatorisches bzw. cäsaristisches konsultatives Referendum vor. Während beim cäsaristischkonsultativen Referendum die Legitimationsbeschaffung für den autoritären Herrscher im Vordergrund steht 102 , tendiert das akklamatorisch-konsultative Referendum mehr auf die Legitimierung eines politischen Systems oder eines Wandels des politischen Systems103. bb) Ist die Abstimmung konzipiert rein zur Erforschung der Volksmeinung, kann man von einem demoskopisch-konsultativen Referendum sprechen. Das demoskopisch konsultative Referendum ist in seiner Meinungserforschungsfunktion der Idealfall einer konsultativen Abstimmung, wenn auch in der Praxis kaum anzutreffen 104 . cc) Soll die Volksbefragung vorwiegend propagandistischen Zwecken dienen, liegt ein agitatorisch-konsultatives Referendum vor 1 0 5 . Bezweckt der Initiant, durch die Abstimmung und ein Ergebnis in seinem Sinne „Druck" auf 102 Beispiel sind die nationalsozialistischen (dazu unten Teil I I I , 1. Kap., I 2) bzw. napoleonischen Plebiszite. 103 Hierzu zählt ein Teil der Plebiszite in der sog. „Dritten Welt", dazu unten 2. Kap., 12. 104 Beispiel ist die Abstimmung im „Südwestraum" (vgl. unten Teil I I I , 1. Kap., I 4 c) bzw. in Liechtenstein im Jahre 1968 (vgl. unten Teil I I I , 1. Kap., I I 1 j). 105 Zum Beispiel die Abstimmung in der D D R aus den Jahren 1951 und 1954, s. dazu unten Teil I I I , 1. Kap. I 3. Der Meinungsbeeinflussung diente auch die am 17. 6. 1984 parallel zur Europawahl durchgeführte „Volksbefragung" der Friedensbewegung zur „NATO-Nachrüstung", vgl. Interview mit Jo Leinen, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 1. 7. 1984, S. 8.

1. Kap.: Begriff, Ursprung, Funktion, Formen

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die Entscheidungsträger auszuüben, hat das konsultative Referendum eine oppositionelle Zielrichtung 106 . dd) Innerhalb der dritten Gruppierung lassen sich streng genommen zwei Arten konsultativer Referenden unterscheiden, wobei die Übergänge auch hier fließend sind. Gemeinsam ist beiden Referendumsarten der Versuch des Initianten, durch die Abhaltung der Volksbefragung einen Konsens in einer Streitfrage zu erzeugen. Meist hat sich die Erörterung einer grundsätzlichen politischen Frage so polarisiert, daß ein Referendum den einzigen Ausweg aus einer „Zwangslage" 107 anzubieten scheint 108 . Das konsultative Referendum hat also konsensualen Charakter 109 . Je nachdem, ob die Meinungsäußerung des Volkes eine Art „schiedsrichterliche" Funktion besitzt 110 oder die Befragung sich spannungsmildernd, integrierend auswirkt 111 , kann von einer arbitratorisch-konsensualen bzw. integrativ-konsensualen Konsultativabstimmung gesprochen werden. ee) Eine lediglich scheinbar konsultativ-beratende Zielrichtung kommt den Referenden zu, deren Ergebnis der Entscheidungsträger trotz ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit für sich als verbindlich ansieht 112 (Schein-Konsultativabstimmung). d) Bevölkerungsabstimmung Ein konsultatives Referendum besonderer Art ist die sog. „Bevölkerungsabstimmung" 113 . Dabei handelt es sich um ein Referendum, das eine Gebiets106 Die Erschwerung der Verwirklichung einer in sich schlüssigen und langfristig orientierten Politik ist deshalb auch einer der Haupteinwände gegen konsultative Referenden überhaupt, vgl. zu diesem Aspekt Würtenberger, in: Jurist und Staatsbewußtsein, S. 85 FN 20. 107 Vgl. zu diesem Kriterium das schweizerische Bundesgericht, BGE 104, I a, S. 235. 108 Beispiel ist das „politische" Referendum in Luxemburg. Das Referendum betreffend die belgische Königsfrage kann allenfalls mit großen Vorbehalten hier angeführt werden. Zu diesen beiden Referenden, s. u. Teil I I I , 1. Kap., I I 1 h/m. 109 Allerdings ist das Referendum in namentlich seiner konsensualen Funktionskomponente dazu geeignet, plebiszitär umzuschlagen. Wird primär bezweckt, unabhängig von einer „Zwangslage" politische Verantwortung abzuwälzen, verliert das konsultative Referendum seinen konsensualen Charakter, vgl. dazu unten Teil I I , 1. Kap., I I lb. 110 Beispiel ist ein Parteienstreit innerhalb einer Regierungskoalition, wie er sich in England anläßlich der EG-Beitrittsfrage abspielte. 111 So im Fall des „politischen" Referendums in Luxemburg aus dem Jahre 1919. 112 Teilweise gibt der Entscheidungsträger bereits im Vorfeld der Abstimmung zu erkennen, daß er das konsultative Referendum als im Ergebnis dezisiv behandeln wird. Beispiele sind das Kernkraft-Referendum im Schweden (1980) und - aus jüngster Vergangenheit - das „NATO-Referendum" in Spanien (1986). 113 Dieser Ausdruck wird von Menger, A Ö R 1951/52, 150 FN 5 verwandt. Der Terminus ist der Bezeichnung „Bevölkerungsbefragung" bei Krüger / Neumayer / Schnei-

: Konsultative Referenden im

e polit. Willensbildung

Veränderung oder Neugliederung b e t r i f f t 1 1 4 . Subjekt der Befragung kann ein bestimmter Bevölkerungsteil s e i n 1 1 5 . I m Gegensatz zu konsultativen A b s t i m mungen, die eine Beteiligung an der Staatswillensbildung i n Sachfragen betreffen und damit eine Erscheinungsform des plebiszitär-demokratischen Prinzips sind, ist die Bevölkerungsabstimmung Ausfluß des territorialen Selbstbestimmungsrechts 1 1 6 . T r o t z des speziellen Anwendungsbereichs jener A r t eines konsultativen Referendums, k a n n auf seine Darstellung nicht verzichtet werden. Diese Sonderform hat insbesondere i n Deutschland eine rege Anwendungspraxis erfahren. 2. Exkurs: Schweizerische Sonderformen der Konsultativabstimmung a) Antizipierende

Konsultativabstimmung

Speziell für die Schweiz differenzieren M ü l l e r / Saladin zwischen konsultativen A b s t i m m u n g e n i m engeren u n d i m weiteren S i n n e 1 1 7 . D i e konsultativen Referenden i m engeren Sinne sollen - bezogen auf die Abstimmungsmaterie -

weiter i n sog. antizipierende bzw. prinzipale

Konsultativabstimmungen

unterscheidbar s e i n 1 1 8 . Namentlich die sog. antizipierende Konsultativabstimmung w i r d i n einer Reihe von schweizerischen G e m e i n d e o r d n u n g e n 1 1 9 vorgesehen 1 2 0 u n d wurde bereits mehrfach durchgeführt 1 2 1 . I h r Charakteristikum ist der, Rechtsgutachten, S. 28, vorzuziehen. Dem Selbstverständnis dieser Referenden entspricht eher ein Abstimmungs- denn Befragungscharakter. 114 Im Gegensatz zu den „eigentlichen Plezisziten" kennzeichnet sie W. Weber als „Bevölkerungsentscheid", W. Weber, Weimarer Verfassung und Bonner Grundgesetz, S. 16 FN 10. 115 Wird nur in einer Gemeinde über kommunale Neugliederungsmaßnahmen abgestimmt, wäre zweckmäßigerweise von einer „Bürgerabstimmung" zu sprechen. Ausführlich zu dem vereinzelt in der Literatur gebrauchten Begriff der (konsultativen) „Bürgerbefragung" (beispielsweise bei Ebsen, DVB1. 1984, 1109) und dem Terminus (konsultative) „Bürgerabstimmung", unten 2. Kap., I I 2. 116 Vgl. dazu Krüger / Neumayer / Schneider (FN 113), S. 9 ff. Zum Selbstbestimmungsrecht als Recht der Bevölkerung zur freien Annahme von Gebietsveränderungen, s. Giacometti, in: Festgabe E. Ruck, S. 53. 117 Müller / Saladin, Berner Festgabe, S. 418 ff. 118 Während sich die antizipierende Konsultativabstimmung auf eine Materie bezieht, in der die Befragten in einem späteren Zeitpunkt noch den endgültigen Entscheid zu fällen haben, betrifft die prinzipale Konsultativabstimmung einen Gegenstand, über den definitiv zu entscheiden einem anderen Staatsorgan obliegt. 119 Vgl. dazu die Aufstellung bei Sträuli, Konsultative Volksabstimmung, S. 8 ff. Exemplarisch sei lediglich Art. 70 der Gemeindeordnung der Stadt Thun (Kanton Bern) vom 27. 9. 1981 zitiert: „Für die Vorbereitung wichtiger Geschäfte, insbesondere von Gemeindereglementen und Planungsfragen, kann der Gemeinderat von Fall zu Fall zur besseren Information konsultative Befragungen durchführen, wobei er den Kreis der zu Befragenden und das Verfahren festlegt. Solche Befragungen sind nicht verbindlich." 120 Auf kantonaler Ebene fand im Jahre 1966 im Kanton Obwalden eine Konsultativabstimmung über die Abschaffung der Landgemeinde statt, vgl. Derendinger, in: Fest-

1. Kap.: Begriff, Ursprung, Funktion, Formen

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die Tatsache, daß die A b s t i m m u n g sich auf eine Materie bezieht, i n der die befragte Stimmbürgerschaft jetzt konsultativ, i n einem späteren Z e i t p u n k t jedoch dezisiv über ein Gesetz oder eine Kreditvorlage zu entscheiden h a t . 1 2 2 Es w i r d m i t anderen W o r t e n eine gestufte Staatswillensbildung dergestalt eröffnet, daß zeitlich nach einer konsultativen A b s t i m m u n g über eine Einzelfrage die Stimmbürgerschaft später i m „Schlußentscheid" das V o r h a b e n defin i t i v gutheißt oder verwirft. Gegenstand dieser A b s t i m m u n g s a r t

können

sowohl E l e m e n t e einer noch auszuarbeitenden Gesetzesvorlage als auch Fragestellungen sein, die insbesondere innerhalb v o n Planungsvorgängen alternative Grundsatzäußerungen e r m ö g l i c h e n 1 2 3 . D i e antizipierende Konsultativabstimmung erwächst aus dem Wunsch der Behörden, schon frühzeitig die favorisierte O p t i o n der Bevölkerung für eine Planungsalternative zu erkennen, u m die endgültige Vorlage, über die definitiv abgestimmt w i r d , gemäß dem „ V o r e n t s c h e i d " zu projektieren. D a m i t steigen die Chancen, daß die endgültige Vorlage i n der Schlußabstimmung genehmigt w i r d .

b)

Grundsatzabstimmung

Ist die antizipierende Konsultativabstimmung rechtlich unverbindlich, führt hingegen die i n einer frühen Phase des Entscheidungsablaufs abgehaltene sog. Grundsatzabstimmung insoweit zu einer Rechtsverbindlichkeit, als ihr Ergebgabe J. Jeger, S. 396. Auf Bundesebene wurde die Motion Breitenmoser vom 8. Juni 1970, die eine informatorische Volksbefragung über die verschiedenen Möglichkeiten eines Beitritts der Schweiz zur E G und eines UNO-Beitritts anregte, vom Nationalrat abgelehnt. Der Nationalrat erklärte, daß „das Volk in unserem Staatsrecht nicht zu unverbindlichen Meinungsäußerungen aufgerufen sei. Bundesrat und Bundesversammlung könnten ihre Verantwortung zur Gestaltung der Politik und zur Leitung der Staatsgeschäfte nicht in dieser Weise auf das Volk abwälzen"; Botschaft des Bundesrates, in: Bundesblatt der schweizerischen Eidgenossenschaft, 1974, (II), 1144. 121 Lediglich beispielhaft sollen zwei in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung behandelte Konsultativabstimmungen erwähnt werden: Im Fall der Schulgemeinde Bassersdorf (Kanton Zürich) wurde in einer Gemeindeversammlung hinsichtlich einer schulischen Frage eine Konsultativabstimmung durchgeführt, die später in einer definitiven „Urnenabstimmung" zu entscheiden war, vgl. BGE vom 16. 11. 1977, 103 I a, 487 ff. Im Fall der Gemeinde Wädenswil (Kanton Zürich) veranstaltete die Gemeinde am 13. März 1977 eine Konsultativabstimmung mit der Frage, welchen von drei möglichen Standorten für einen Schießplatz die Stimmbürger bevorzugten. Obgleich in der Abstimmungsweisung der rein informatorische Charakter der Abstimmung klar herausgestellt worden war, erklärte der Stadtrat in der Weisung, „er werde eine Schießanlage für denjenigen Standort projektieren lassen, der am meisten Befürworter finde". Des weiteren werde anschließend dem Gemeinderat und den Stimmbürgern im ordentlichen Verfahren ein „entsprechendes Kreditbegehren für die Erstellung der Anlage unterbreitet" (zitiert nach BGE 104, I a, 227). Für den in der Konsultativabstimmung vom 13. 3. 1977 mehrheitlich befürworteten Standort X wurde daraufhin von der Stimmbürgerschaft in der nachfolgenden „ordentlichen" Abstimmung vom 26. 2. 1978 der Kredit genehmigt. 122 Müller / Saladin, Berner Festgabe, S. 418. 123 Müller / Saladin (FN 122), S. 418.

: Konsultative Referenden im

e polit. Willensbildung

nis im Rahmen des Entscheidungsprozesses Berücksichtigung finden muß. 1 2 4 Die Grundsatzabstimmung erfreut sich zunehmender Beliebtheit in der Schweiz 125 , bietet sie doch in einem frühen Zeitpunkt die Möglichkeit, die für den späteren Verlauf der Planung richtungsweisenden Grundsätze festzulegen. Dementsprechend sehen, wenngleich auch in der Terminologie teilweise uneinheitlich 126 , verschiedene kantonale Verfassungen 127 und Gemeindegesetze 128 die Möglichkeit vor, über gesetzlich umschriebene Gegenstände Grundsatzabstimmungen durchzuführen. Das entstehende zweistufige Beschlußverfahren erscheint bestens geeignet, den Bürger frühzeitig in den Entscheidungsprozeß einzubinden. Zwei grundsätzliche Bedenken gegenüber der Praxis von Grundsatzabstimmungen sind jedoch ernst zu nehmen. Zum einen fragt es sich, ob eine Vorfrage bereits dann sinnvoll zur Abstimmung gebracht werden kann, wenn die Planungsvorlage - wie es häufig der Fall sein wird - in ihren Zusammenhängen noch nicht voll überblickbar ist. Insbesondere können im Planungsverlauf neue Tatsachen und Gesichtspunkte sichtbar werden, die anfangs keine Rolle spielten, nunmehr aber eine Planänderung verlangen 129 . Zum anderen, und damit zusammenhängend, ist fraglich, ob ein Vorhaben nicht schon unnötigerweise präjudiziert 130 bzw. die Entscheidungsfreiheit beim Schlußentscheid bereits durch Sachzwänge und dem Eigengewicht der Planungsvorarbeiten faktisch zunichte gemacht wird 1 3 1 . 124

Vgl. BGE 104, I a, S. 231; Müller / Saladin, Berner Festgabe, S. 419; Art. 32 I GO der Stadt Thun spricht deshalb auch vom „verbindlichen Vorentscheid". 1:5 Sträuli, Konsultative Volksabstimmung, S. 16. 126 Im St. Galischen Gesetz über Referendum und Initiative vom 27. 11. 1967 wird unter dem Titel „Konsultative Volksabstimmung" in Art. 30 die Befugnis des „Großen Rats" normiert, „über die Aufnahme einzelner Grundsätze in ein Gesetz eine Volksabstimmung durchführen zu lassen". In Art. 31 heißt es jedoch: „Das Ergebnis der Volksabstimmung bindet den Großen Rat bei der Ausarbeitung des in Aussicht genommenen Gesetzes". Nach B G E 104, I a, S. 231 ist es deshalb „zutreffender", eine derartige Abstimmung als Grundsatzabstimmung zu bezeichnen. 127 Art. 12 lit. b des Graubündischen Gesetzes über die Ausübung der politischen Rechte; Art. 48 f Organisationsgesetz Niedwaiden; Art. 27 K V Basel-Landschaft; Art. 48 K V St. Gallen; Art. 30, 31 des St. Gallschen Gesetzes über Referendum und Initiative von 27. 11. 1967; Art. 42 Abs. 2 K V Schaffhausen (str., offen gelassen von BGE 104,1 a, S. 231). 128 Vgl. Art. 32 GO der Stadt Thun; Art. 9 bis 11 GO von Olken (Kanton Solothurn). 129 Darauf weisen Müller / Saladin, Berner Festgabe, S. 419 hin. 130 „Oft kann der Bürger nicht mehr mit „nein" stimmen, weil eine nachträgliche Umstellung mit den vorhandenen Kräften innert vernünftiger Frist nicht mehr zu bewältigen ist. . . . Der Zwang der Verhältnisse wird zum Zwang gegen die Freiheit der politischen Entscheidung", Imboden, Helvetisches Malaise, S. 285. 131 Briner, Grundsatzentscheide, S. 172 ff. sieht einen Grund für die wachsende Präjudizierung zu fassender Beschlüsse darin, daß das zweistufige Beschlußverfahren zu einem wesentlichen Teil ins Ermessen der Behörden gestellt sei. Er schlägt vor, die Voraussetzungen, unter welchem ein Grundsatzentscheid zu ergehen habe, präziser zu umschreiben. Ferner müßten Planungsaufträge an Dritte der obligatorischen Gemeindeabstimmung unterstellt werden.

2. Kapitel Das konsultative Referendum im System politischer Willensbildung I . Erscheinungsformen unmittelbarer Volksbeteiligung 1. Herkömmliche Erscheinungsformen unmittelbarer Volksbeteiligung

a) Perfekte

(= folgenreiche)

Formen

Eine Kategorisierung der Formen unmittelbarer Volksbeteiligung kann sich an einer Vielzahl von Kriterien ausrichten 132 . Der Anschaulichkeit förderlich ist eine „erste" Differenzierung zum einen nach der Natur, d. h. den rechtlichen Folgen einer Abstimmung 133 und zum anderen, ob die Kompetenz des Volkes eine Personal- oder Sachkompetenz ist 1 3 4 . Unter Außerachtlassung der mehr oder weniger unbedeutenden Personalkompetenzen 135 können innerhalb der Sachkompetenz eine Verfassungs- und eine Gesetzgebungskompetenz unterschieden werden 136 . Liegt „ein Antrag aus dem Volk an das V o l k " 1 3 7 vor und entscheidet dieses (Volk) als Herr des Gesetzgebungsverfahrens u . U . später auch über den eingereichten Gesetzentwurf, spricht man von einem Volksbegehren (Volksinitiative) 138 . Wenn auch nur über eine Vorfrage, nämlich das Begehren und nicht schon über die Sache selbst abgestimmt wird, so 132 Aubert nennt als Kriterien für die Einteilung von Volksrechten: Die Natur der Abstimmung (ob konsultativ oder dezisiv), die Abstimmungsverpflichtung (ob fakultativ oder obligatorisch), den Initiativberechtigten (Parlament, Staatspräsident oder Volk), den Abstimmungszeitpunkt usw., ZSR 1972, 482 ff. Eine ähnliche Einteilung auch bei Biscaretti di Ruffia, Diritto Costituzionale, S. 413 f. 133 Zeitigt der Volksspruch Bindungswirkungen oder ist er lediglich konsultativer Natur? 134 Vgl. Pestalozzi Popularvorbehalt, S. 17 ff. 135 Eine plebiszitäre Parlamentsauflösung im Wege eines „Abwählens" des Parlaments durch das Volk haben Baden-Württemberg (Art. 43), Bayern (Art. 18 Abs. 3), Berlin (Art. 39 Abs. 1) und Rheinland-Pfalz (Art. 109 Abs. 1 lit. b) in ihren Verfassungen vorgesehen. Einen darüber hinausgehenden „recall" einzelner Mandatsträger enthalten die Landesverfassungen nicht. 136 Vgl. zu dieser Einteilung: Weber, D Ö V 1985, 178 ff.; Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 17 ff. 137 Fleiner, Schweizerisches Bundesstaatsrecht (1923), S. 398. 138 Stern, StaatsR I I , § 25 I I 1 (S. 13 f.); Kühne, in: Kühne / Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 18.

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e polit. Willensbildung

ändert dies nichts daran, daß auch dem Volksbegehren insoweit Entscheidungscharakter z u k o m m t 1 3 9 . Demgegenüber ist unter dem Volksentscheid die A b s t i m m u n g des Volkes über einen Gesetzentwurf oder eine Sachfrage zu verstehen 1 4 0 . W e r d e n Volksentscheid u n d Referendum auch vielfach synonym gebraucht 1 4 1 , bezeichnet Referendum streng genommen nur eine F o r m des Volksentscheids 1 4 2 . D u r c h das Referendum, das obligatorischer oder fakultativer N a t u r sein kann, w i r d dem V o l k ein fremder E n t w u r f zur Entscheidung überwiesen 1 4 3 . B e i m Referendum ist demnach eine parlamentarische Er- und Durcharbeitung des/der zur A b s t i m m u n g gestellten Gesetzesvorhabens/Verfassungsänderung vorausgegangen. 1 4 4 A l l e B u n d e s l ä n d e r 1 4 5 , bis auf die norddeutschen Länder H a m b u r g , Schleswig-Holstein u n d Niedersachsen 1 4 6 , haben i n ihren Verfassungen Verfahren direkter D e m o k r a t i e aufgenommen 1 4 7 . A l l e n Verfahren, ob sie die Verfas139 So auch Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 148; mißverständlich Schambeck, Volksbegehren, S. 30, der vom „konsultativen Charakter" des Volksbegehrens spricht. 140 Stern, StaatsR I I , § 25 I I 1 (S. 15). 141 Ausführlich zur Terminologie der Begriffe in Deutschland und der Schweiz, Hernekamp, Direkte Demokratie, S. 12. 142 Der Volksentscheid ist neben dem Referendum denkbar zum einen nach einem erfolgreichen und zulässigen Volksbegehren und zum anderen auf Grund des Verlangens eines Staatsorgans (so noch nach der Weimarer Reichsverfassung durch den Reichspräsidenten oder den Reichsrat, Art. 73 Abs. 1, Art. 74 Abs. 3 S. 2, Art. 76 Abs. 2 WRV). 143 Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 19. 144 Vgl. Kühne (FN 138), S. 19. 145 Ausführlich zur plebiszitären Verfassungslage in den Ländern, Krause, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, I I B. 146 Die Verfassungen dieser drei Bundesländer sind sämtlich nach Verkündung des Grundgesetzes in Kraft getreten. Abelein, ZParl. 1971,187. Diese Länder sind hinsichtlich ihrer Zurückhaltung bei der Aufnahme plebiszitärer Element in ihren Verfassungen dem Beispiel des Grundgesetzes gefolgt. Da sie nach Verabschiedung des Grundgesetzes in Kraft getreten sind, muß geschlossen werden, daß sie die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG im Sinne einer strikt repräsentativen Demokratie ausgelegt haben, Weber, D Ö V 1985, 179. 147 Allerdings ist - sieht man von Abstimmungen über die einzelnen Verfassungen in den ersten Nachkriegs jähren und solchen nach Art. 29 GG ab - die Möglichkeit zur Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden bisher nur in Bayern, Nordrhein-Westfalen und in Hessen genutzt worden. In Bayern wurden gem. Art. 74 Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. 12. 1946 (GVB1., S. 333) seit 1945 sieben Volksbegehren (Christliche Gemeinschaftsschule (F.D.P.), 1967; Christliche Gemeinschaftsschule (SPD/F.D.P.), 1968; Christliche Volksschule (CSU), 1968; Demokratische Gebietsreform, 1971; Rundfunkfreiheit, 1972; Lernmittelfreiheit, 1977; Bayerischer Senat, 1977) eingereicht. Nur drei dieser Volksbegehren (Christliche Gemeinschaftsschule, 1968; Christliche Volksschule, 1968 und Rundfunkfreiheit, 1972) erreichten indes das Quorum von 10 % der stimmberechtigten Staatsbürger (Art. 74 Abs. 1); davon wurde das Begehren ,Rundfunkfreiheit' wegen behaupteter formaler Mängel nicht weiterverfolgt. Die Abstimmung über die beiden restlichen Begehren erbrachte nicht die erforderliche Mehrheit. Die Initianten dieser Volksbegehren hatten im Landtag nachträglich einen Gegenentwurf erarbeitet, der am 7. 7. 1968 mit zur Abstimmung

2. Kap.: Konsultative Referenden im System polit. Willensbildung

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sungsgebung148 oder die Gesetzgebung149 betreffen, ist gemeinsam, daß ihre Folgen rechtlich verbindlich sind (sog. perfekte Volksrechte) 150 . b) Imperfekte

( = folgenlose) Formen

Während Volksentscheid und Volksbegehren Entscheidungscharakter besitzen, gilt dies nicht für die Volksbefragung. Das Ergebnis der Volksbefragung soll lediglich die Grundlage einer noch zu treffenden Entscheidung anstand; zum Ganzen Troitzsch, Volksbegehren und Volksentscheid, S. 84 ff. In Hessen wurde bisher zweimal der Weg der Volksgesetzgebung beschritten. Das von der C D U getragene erste Volksbegehren aus dem Jahre 1966 (Einführung der Briefwahl für die Wahl zum Landtag) scheiterte am Quorum von einem Fünftel (Art. 124 Verfassung des Landes Hessen vom 1. 12. 1946, GVB1., S. 229). Die Zulassung zum Volksbegehren „Keine Startbahn West" lehnte die Landesregierung namentlich wegen Eingriffs des Gesetzesentwurfs in Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen des Bundes ab, vgl. LT-Stenograph. Berichte 9/3915 ff.; zur Praxis der Volksgesetzgebung in Hessen, Schonebohm, in: FS E. Stein, S. 317 ff. In Nordrhein-Westfalen fanden bislang zwei Volksbegehren statt. Das Volksbegehren gegen die Gebietsreform aus dem Jahre 1974 scheiterte bereits am Quorum von einem Fünftel der Stimmberechtigten (Art. 68 Abs. 1 S. 7 Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. 6. 1950, GV NW., S. 127). Das Volksbegehren gegen die sog. kooperative Schule (einer Vorstufe der integrierten Gesamtschule) aus dem Jahre 1978, war dagegen mit 3637207 Unterschriften erfolgreich. Die Landesregierung leitete dem Landtag das Volksbegehren zu und empfahl, dem Volksbegehren zu entsprechen, vgl. LT-Drs. 8/3150, Anlage 2. Eine sog. Bürgeraktion Schule sammelte Anfang 1987 wieder mehr als eine Million Unterschriften gegen die integrierte Gesamtschule. Die Aktion soll ein „späteres, jedoch noch nicht beschlossenes Volksbegehren mit dem gleichen Ziel" vorbereiten, F A Z vom 9.1.1987. 148 Für Verfassungsänderungen fordern ein obligatorisches Verfassungsreferendum Bayern (Art. 75 Abs. 2 Bayr. Verfassung) und Hessen (Art. 123 Abs. 2 Hess. Verfassung). In Bremen (Art. 70 Abs. 1 a Brem. Verfassung) und Rheinland-Pfalz (Art. 129 Abs. 1 RhPf. Verfassung) ist ein Verfassungsreferendum durchzuführen, wenn die parlamentarische Zustimmung nicht bestimmte Voraussetzungen erfüllt (Einstimmigkeit; fehlende Zweidrittel-Mehrheit). Ein fakultatives Verfassungsreferendum kommt in Baden-Württemberg (Art. 64 Abs. 3 BW Verfassung) vor. Schließlich enthalten alle Landesverfassungen die Volksinitiative auf Verfassungsänderung. Zum Ganzen: Pestalozzi Popularvorbehalt, S. 21 ff.; Weber, D Ö V 1985, 179 ff.; Abelein, ZParl. 1971, 189 ff. 149 Bei der Beteiligung des Volkes am Gesetzgebungsverfahren sind in den Bundesländern die Gesetzesinitiative und das Gesetzesreferendum zu unterscheiden. Das Volk kann in Baden-Württemberg (Art. 59 ff.), Bayern (Art. 71 ff.), Bremen (Art. 70 Abs. 1 lit. c, 71 ff.), Hessen (Art. 116 Abs. 1 lit. a, 117,124), Nordrhein-Westfalen (Art. 68), Saarland (Art. 99, 100) und in Rheinland-Pfalz (Art. 109) eine Volksinitiative über das Parlament zum Volksentscheid führen. Eine Initiative, bei der sich die Initianten unmittelbar - wie zum Teil in den US-Staaten möglich - an das Volk wenden können, kennt das geltende Landesverfassungsrecht nicht. Das Gesetzesreferendum ist dagegen lediglich fakultativer Natur. Es kann grundsätzlich nicht vom Volk eingeleitet werden, sondern nur auf Veranlassung der Staatsorgane. Teilweise existiert ein regierung-, teilweise ein parlamentsveranlaßtes Gesetzesreferendum (vgl. Art. 68 Abs. 3 NW Verf.; Art. 115 RhPf. Verf. ; Art. 60 Abs. 3 BW Verf. ; Art. 70 Abs. 1 lit. b Brem. Verf.). Zum Ganzen: Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 23 ff.; Weber, D Ö V 1985, 181 ff.; Abelein, ZParl. 1971, 193 ff. 150 Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 25. 4 Rommelfanger

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s e i n 1 5 1 , d. h. sie hat nicht notwendigerweise eine staatsrechtliche Folgewirk u n g 1 5 2 . Folgenlose, i n ihren W i r k u n g e n unverbindliche Volkskompetenzen, sei es als (imperfekte) Volksinitiativen oder (imperfekte) Referenden, kennen die Bundesländer n i c h t 1 5 3 . Imperfekte, d. h. nicht notwendig folgenreiche Volksrechte, finden sich hingegen i n einigen ausländischen Verfassungsordnungen normiert (Spanien, Schweden u s w . ) 1 5 4 .

2. Sonderformen unmittelbarer Volksbeteiligung und ihre Abgrenzung zum konsultativen Referendum I m Zusammenhang m i t dem konsultativen Referendum werden i n der ausländischen Rechtsliteratur weitere Referendumsarten erörtert, die es i m folgenden v o m konsultativen Referendum abzugrenzen gilt. a) Abrogatives

Referendum

Das abrogative 1 5 5 Referendum ist ein vor a l l e m 1 5 6 i m italienischen Recht praktizierte Referendumseigenart 1 5 7 . Gemäß A r t . 75 A b s . 1 der italienischen 151 Nach Kühne (FN 138), S. 23 soll eine Volksbefragung auch verbindliche Wirkung haben können. Kühne nennt als Beispiel für verbindliche Volksbefragungen Art. 11 der Französischen Verfassung. Dies ist sehr zweifelhaft, denn wesentlich für eine Volksbefragung ist im Hinblick auf ihren lediglich „befragenden" Charakter, daß die Entscheidung vorbehalten bleiben muß. Sie ist auch begriffsnotwendig konsultativer Natur, so auch Fell (FN 139), S. 9. 152 Stern, StaatsR I I , § 25 I I 1 (S. 16). 153 Pestalozza (FN 150), S. 25; Krause (FN 145), I I Β , der a.a.O. überdies völlig zu Recht hervorhebt, daß namentlich auch Art. 70 Abs. 1 lit. b Brem. Verf. keine andere Beurteilung zuläßt. 154 Vgl. dazu unten Teil I I I , 1. Kap., I I 1 a (Schweden) und Teil I I I , 1. Kap., I I 1 g (Spanien). 155 Unter einem approbativen Referendum soll demgegenüber hier nur die Abstimmung verstanden werden, in der nach Erlaß eines Gesetzes die Abstimmungsberechtigten diesem ihre Billigung erteilen. Abrogatives und approbatives Referendum sind demzufolge wohl Unterfälle der in der französischen Staatslehre gemeinhin als „référendum postérieur ou de ratification" bezeichneten Abstimmung, dazu Laferrière, Droit Constitutionnel, 432 ff. 156 Eine ähnliche Regelung enthält Art. 89 Abs. 2 der schweizerischen Bundesverfassung, wonach die Bundesgesetze der Zustimmung des Volkes bedürfen, wenn mindestens 50000 Stimmberechtigte oder 8 Kantone die Volksabstimmung verlangen. Abrogativer Natur ist auch die Regelung des Art. 79 der Verfassung von Uruguay vom 15. 2. 1967, Lions, Boletin Mexicano de Derecho Comparado 1972, 469. 157 Ausführlich zum abrogativen Referendum („referendum abrogativo"), vgl. eine Studie der italienischen Abgeordnetenkammer, die eine Zusammenfassung der wichtigsten Problembereiche des abrogativen Referendums enthält und die Diskussionsgrundlage für die beabsichtigte Änderung des Ausführungsgesetzes Nr. 352 vom 25. Mai 1970 („Norme sui referendum previsti dalla Costituzione e sull'iniziativa legislativa del popolo") ist, Camera dei Deputati, I l referendum abrogativo in Italia (1981).

2. Kap.: Konsultative Referenden im System polit. Willensbildung

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Verfassung 1 5 8 muß auf die Initiative von 500000 Wahlberechtigten oder 5 Regionalräten, die auf eine A u f h e b u n g eines schon i n K r a f t befindlichen Gesetzes oder Gesetzesteils hinzielt, ein Referendum veranstaltet w e r d e n 1 5 9 . K o m m t keine derartige Initiative zustande, w i r d das Gesetz „unanfechtb a r " 1 6 0 . Das abrogative Referendum kann sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene stattfinden 1 6 1 . Ist der Volksentscheid erfolgreich, ist das entsprechende Gesetz aufzuheben. D i e A u f h e b u n g erfolgt m i t „ex-nunc" W i r k u n g 1 6 2 . Das abrogative Referendum unterscheidet sich damit v o m konsultativen Referendum durch seine dezisive N a t u r hinsichtlich der Rechtsfolgen des Ergebnisses. b)

Plebiszit

A u c h das Plebiszit w i r d i m gewöhnlichen Sprachgebrauch für eine Vielzahl von A k t e n der Beteiligung des Volkes am Prozeß politischer Willensbildung v e r w a n d t 1 6 3 . W ä h r e n d i n Deutschland „Plebiszit" als Begriff mehr oder weniger wertneutral ist u n d m i t Bezeichnungen wie „ V o l k s a b s t i m m u n g "

und

„ R e f e r e n d u m " vielfach synonym gebraucht w i r d , löst der Terminus i n der Schweiz 1 6 4 u n d i n F r a n k r e i c h 1 6 5 negative Assoziationen a u s 1 6 6 . D o r t w i r d Plebiszit als politisches Schlagwort eingesetzt u n d bedeutet eine entartete F o r m 158

Vom 22. 12. 1947, in Kraft getreten am 1. 1. 1948. Z u einem Begehren mit anschließendem Entscheid auf Aufhebung eines Gesetzes gem. Art. 75 Abs. 1 ital. Verfassung kam es am 12./13. Mai 1974 (betreffend die Ehescheidungsgesetze). Ein bereits auf den 13. Juni 1976 festgesetztes abrogatives Referendum betreffend die Aufhebung der Strafbarkeitsbestimmungen für den Schwangerschaftsabbruch fand dagegen nicht statt, vgl. Berger, Unmittelbare Teilnahme, S. 48 ff. 160 Jeanneau, Droit Constitutionnel, S. 42 f. 161 Zum abrogativen Referendum auf nationaler Ebene, vgl. Scudiero, I l referendum nell'ordinamento regionale (1971), S. 61 ff.; Giaccardi, I l Foro amministrativo (III), 1971, 791 ff. 162 Biscaretti di Ruffia, Diritto Costituzionale, S. 418. 163 Einen guten Überblick über die „Plebiszit"-Terminologie gibt Hernekamp, Direkte Demokratie, S. 12 ff.; aufschlußreich zum Wandel des Begriffs und Sprachgebrauchs insbesondere in Frankreich: Huber, Gesetzesreferendum, S. 11 ff. 164 Huber (FN 163), S. 13. 165 In Frankreich assoziiert man gemeinhin mit „plébiscite" die demokratisch anrüchigen Plebiszite Napoleons I I I . oder auch Referenden von de Gaulle in der V. Republik. Wertvolle statistische Angaben zu den Referenden in der V. Republik enthalten insbesondere, Duval / Mindu / Leblanc-Dechoisay, Referendum et Plebiscite, S. 45 ff. Das Plebiszit wird verstanden als „une consultation qui porte plus sur Taction d'un homme que sur l'approbation d'un texte", Jeanneau, Droit Constitutionnel (1981), S. 44 bzw. als Appell ans Volk „à voter à propos, non d'une institution, mais d'un homme", Burdeau, Droit Constitutionnel et Institutions Politiques, S. 310. 166 Die plebiszitäre Regierungsform entwickelte sich aus Art. 5 der (französischen) X I I . Verfassung vom 20./21. Dezember 1851. Dort heißt es: „Le Président de la République est responsable devant le peuple français, auquel il a toujours le droit de faire appel", zitiert nach Simon Kaiser, Französische Verfassungsgeschichte (1852), X C I X ff. des Anhanges. 159

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der Volksabstimmung 167 bzw. den „Niedergang in normlose und willkürliche Volksbefragungen" 168 . Einer pragmatischen Einteiling entsprechend sollen im folgenden zwei Plebiszitformen unterschieden werden 169 . aa) Innerstaatliche Plebiszite sind meist in Staaten ohne strenge Formen parlamentarischer Demokratie anzutreffen. Das Plebiszit dient in der Regel der Legitimationsbeschaffung des Regimes. Solche Plebiszite werden derzeit 1 7 0 vor allem in Staaten der sog. Dritten Welt angewandt 171 . Sie sind für die sie veranstaltende und kontrollierende Regierung nicht bindend und damit konsultativer Natur 1 7 2 . Dennoch versucht die Staatsführung, bei einer hohen Wahlbeteiligung, die vielfach erzwungen ist oder im Ausnahmezustand erfolgt, ein günstiges Abstimmungsergebnis zu erzielen 173 . Jene Abstimmungen lassen im großen und ganzen die „genuin" konsultative Natur entsprechender konsultativer Abstimmungen in demokratisch regierten Staaten vermissen 174 . Funktion des Plebiszits ist eher, ein vermeintliches Vertrauensverhältnis der jeweiligen Führung zum Volke nach außen sichtbar zu machen, d. h., anstelle einer Konsultation steht die (plebiszitäre) „Bestätigung" 175 . Innerstaatliche Referenden im beschriebenen Sinne sind demnach weitgehend der Rubrik des akklamatorisch bzw. cäsaristisch konsultativen Referendums unterzuordnen 176 . 167 Gasser, Volksrechte, S. 136 f.; Denquin, Referendum et Plebiscite, S. 237, kommt in seiner theoretischen Untersuchung des Begriffspaares Referendum und Plebiszit4 zum Ergebnis, daß auch heute noch „le mot plebiscite est un vocable polémique et non un concept susceptible d'un emploi objectif, sinon scientifique". 168 Huber (FN 163), S. 13. 169 Kühne (FN 138), S. 23. 170 Anrüchige Beispiele aus der Vergangenheit sind die Plebiszite Napoleons I I I . (vgl. dazu Friedrich, Verfassungsstaat der Neuzeit, S. 639 ff.) und von Hitler (vgl. dazu H. Schneider, in: Gedächtnisschrift W. Jellinek, S. 160 ff.). 171 In diese Richtung weisen das Referendum von General Ziaur Rahman in Bangladesch vom 30. Mai 1977 (Billigung von Ziaur Rahman als Präsident als auch eines Neunzehnpunkte-Programms) vgl. Rashiduzzaman, Asian Survey 1978,126; das Referendum von Marcos auf den Philippinen vom 17./19. Dezember 1977 (Billigung der Weiterregierung von Marcos als Präsident und Premierminister) vgl. Machado, Asian Survey 1978, 202 ff. (204); wohl auch die Referenden von Anwar Sadat in Ägypten (bis 1984 gab es in Ägypten 13 Referenden, wovon Sadat allein 9 abhielt. In diesen Referenden suchte Sadat eine Bestätigung für seine Person und Regierungspolitik zu erhalten), vgl. zu den Einzelheiten Rubinstein, Current History 1977, 19 ff.; Marques ! Smith, Electoral Studies 1984, 85 ff. (95 ff.). 172

Marques / Smith (FN 171), S. 86. Ein Beispiel ist Uruguay, wo bei einem Referendum im November 1980 die Personalausweise der Wähler abgestempelt wurden, um NichtWählern später „Pensionsansprüche, Arbeit, Führerscheine und Reisepässe vorenthalten zu können", New York Times vom 1. 12. 1980, S. A 3. 1 74 Marques i Smith (FN 171), S. 103. 175 „The process is one of confirmation not consultation", Marques / Smith (FN 171), S. 103. ™ Vgl. dazu oben 1. Kap., I V 1 c. 173

2. Kap.: Konsultative Referenden im System polit. Willensbildung

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bb) Eine „Blütezeit" (Kunz) erlangte das (Territorial-)Plebiszit zwischen 1848 und 1868 im zweiten französischen Kaiserreich und im italienischen Risorgimento 177 . Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts kam es kaum noch zur praktischen Anwendung. Erst die von Woodrow Wilson verteidigte Idee des Selbstbestimmungsrechts der Völker 1 7 8 führte am Ende des Ersten Weltkriegs wieder vermehrt zu Plebisziten, bei denen die stimmberechtigten Einwohner eines Gebietes darüber abstimmten, ob das betreffende Gebiet bei dem alten Staat verbleiben oder einem neuen einverleibt werden sollte 179 . Nach dem zweiten Weltkrieg ging seine Bedeutung wieder zurück; bis auf wenige Ausnahmen 180 wurde es nicht mehr praktiziert. Von ihrer Anlage her waren die Abstimmungen dezisiver Natur, sollten doch die Einwohner des fraglichen Gebietes über einen Souveränitätswechsel „entscheiden" 181 . Wenn auch die praktischen Erfahrungen hinsichtlich seiner technischen Durchführung zum Teil durchaus positiv waren 182 , wird das Plebiszit inhaltlich entwertet zum einen durch die übersteigerte Emotionalisierung der betroffenen Bevölkerung und andererseits durch die Tatsache, daß gerade autoritäre Regime eine besondere „Vorliebe" (Loewenstein) zu seiner Abhaltung zeigten 183 . Abgesehen von wenigen Plebisziten (Ausnahmen sind namentlich die aufgrund der Friedensverträge von Versailles und Saint-Germain durchgeführten Plebiszite 184 ) waren sie vielfach nichts als die „ratifica177 Z u den praktischen Anwendungsfällen, s. Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 770. 178 Wilson entwickelte diesen Grundsatz erstmals in einer Rede am 27. 5. 1916 vor der „League to Enforce Peace", Schieder, Handbuch Europäische Geschichte (Bd. 6), S. I I I f. In einer späteren Ansprache an den Senat vom 22. 1. 1917 sagte er: „No peace can last, or ought to last, which does not recognize and accept the principle that governments derive all their just powers from the consent of the governed, . . .", zitiert aus: v. Blitterdorf, Internationales Plebiszit, S. 2. 179 Aus der Fülle jener Abstimmungen seien beispielhaft genannt: Die Abstimmung in Schleswig gem. Art. 109 - 111 des Versailler Friedens vom 10. 2. 1920 (nördliche Zone) bzw. vom 14. 3. 1920 (südliche Zone); in Ostpreußen am 11. 7. 1920; in Oberschlesien am 20. 3. 1921; im Saargebiet am 13. 2. 1935. Eine umfassende Darstellung der Theorie und Praxis der Territorialplebiszite einschließlich einer Sammlung von offiziellen Dokumenten findet sich bei S. Wambaugh, A Monograph on Plebiscites (1920) und zu den Abstimmungen nach dem Ersten Weltkrieg, dies., La Pratique des Plebiscites Internationaux, in Recueil des Cours 1927, 153 ff. Zu den unter Aufsicht der Vereinten Nationen stattgefundenen Plebisziten, vgl. Papisca, L'Intervento delle Nationi Unite nelle Consultazioni Popolari (1969). 180 Beispiele sind die Abstimmungen im Saarland vom 23. 10. 1955 und - zumindest dem Grunde nach - auch die im Februar 1958 veranstaltete Volksabstimmung in Ägypten und Syrien über die Vereinigung der beiden Länder zu einem Bundesstaat, vgl. Loewenstein, Verfassungslehre (1975), S. 272. 181 Kunz, in: Strupp-Schlochauer (FN 177), S. 770. 182 So das Plebiszit für das Klagenfurter Becken und das Saar-Plebiszit vom 13. 2. 1935. 183 Loewenstein (FN 180), S. 273. 184 Vgl. dazu Strupp-Schlochauer (FN 177), S. 516 ff. (Friedensvertrag von Versailles); S. 151 ff. (Friedensvertrag von Saint-Germain).

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tion superflue d'un fait accompli" 185 . Auch in ihren neuzeitlichen Versuchen, gewaltsame Gebietseingliederungen „mit der Fiktion einer demokratischen Prozedur zu verkleiden" (Löwenstein) 186 bzw. „Staatsfusionen" durch einstimmige Voten vorzubereiten 187 , können die Ergebnisse des Plebiszits schwerlich als ernstzunehmend und demokratisch legitimierend akzeptiert werden. Mehrheitlich hatten diese Plebiszite also lediglich akklamatorischen Charakter. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird das Plebiszit deshalb - ausgenommen seine deutschen Anwendungsfälle - unberücksichtigt bleiben. I I . Konsultatives Referendum und Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene Seit Mitte der sechziger Jahre wird eine Partizipation des Bürgers an Verwaltungsentscheiden diskutiert 188 . Im Mittelpunkt solcher Überlegungen steht die Forderung nach Verstärkung des Elements der unmittelbaren Demokratie auf kommunaler Ebene. Denn die Selbstverwaltungskörperschaften bieten als kleinere, überschaubare Gemeinschaften die „natürliche" Möglichkeit, dem Bedürfnis nach vermehrter Bürgerbeteiligung durch Einführung neuer Partizipationsformen nachzukommen. Im folgenden soll das konsultative Referendum im System der kommunalen Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsfällung dargestellt werden 189 . 1. Kommunale Entscheidungsfällung

Entscheidungen auf kommunaler Ebene werden von den jeweiligen Kommunal Verfassungsorganen getroffen. Über das Handeln der Aktivbürgerschaft 185 Padeletti, Revue de Droit International et de Legislation Comparée, (III) 1871, 487; übereinstimmend Kunz, in: Strupp-Schlochauer (FN 177), S. 772. Besonders deutlich wird die Bestätigung eines „fait accompli" bei der Abstimmung in Eupen-Malmedy am 24. 7. 1920 nach Art. 34 des Versailler Frieden, denn die Zession an Belgien war bedingungslos, vgl. Kunz, ebd.; s. auch die Zusammenstellung „zeitgenössischer" Berichte und Urkunden zu dieser Abstimmung in: Urkunden über die Volksbefragung in den Kreisen Eupen und Malmedy (1920). 186 Das Territorialplebiszit als Tarnung für die Annektion der baltischen Staaten vom Juni 1940, vgl. Loewenstein (FN 180), S. 273. 187 Vgl. die erwähnte Abstimmung über den Zusammenschluß von Ägypten und Syrien vom 21. 2. 1958 (oben FN 180), wo sich jeweils 99,99 % der Abstimmungsberechtigten für die Vereinigung aussprachen, AdG 1958, 6909 f. 188 Vgl. dazu Rehn, in: Festgabe v. Unruh, S. 305 f. und die Berichte der Staatsrechtslehrertagung 1972 von Walter und Schmitt Glaeser, V V D S t R L 31, 147 ff. (Walter) und 179 ff. (Schmitt Glaeser). Zu gegenwärtigen Vorschlägen und Empfehlungen betreffend Repräsentation und Partizipation an der kommunalen Willensbildung, Thaysen, in: Oberreuter (Hrsg.), Wahrheit statt Mehrheit?, S. 147 ff. 189 Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit dieser Form der Bürgerbeteiligung wird im systematischen Kontext abschließend unten im 4. Teil der Arbeit erörtert.

2. Kap.: Konsultative Referenden im System polit. Willensbildung

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i n W a h l e n hinaus, kennt gegenwärtig einzig das L a n d Baden-Württemberg i m Institut des Bürgerbegehrens u n d Bürgerentscheids eine weitergehende definitive Entscheidungsform 1 9 0 . I m Gegensatz z u m Volksentscheid auf Landesebene kann das Ergebnis des (kommunalen) Bürgerentscheids nur durch ein erneutes H a n d e l n der Aktivbürgerschaft qua Bürgerentscheid abgeändert w e r d e n 1 9 1 . V o n diesem H a n d e l n der Aktivbürgerschaft läßt sich das konsultative Referendum durch das M e r k m a l der

„Entscheidungsvorbereitung"

abgrenzen. D i e konsultative Befragung ist lediglich Entscheidungshilfe für den Gemeinderat. D i e angeführte „ W i r k u n g s a m b i g u i t ä t " des konsultativen Referendums 1 9 2 kann - insbesondere nach hinreichend klarem Abstimmungsausgang - allerdings die Grenzziehung zum Bürgerentscheid sehr erschweren193. 2. Kommunale Entscheidungsvorbereitung Bürgerbeteiligung als „ d i r e k t e , öffentliche,

entscheidungsvorbereitende

K o m m u n i k a t i o n " der G e m e i n d e m i t ihren B ü r g e r n 1 9 4 , umfaßt eine V i e l z a h l von Möglichkeiten der B ü r g e r m i t w i r k u n g 1 9 5 . Z u nennen sind hauptsächlich 1 9 6 : die Bürgerversammlung 1 9 7 , der Bürgerantrag 1 9 8 , die A n h ö r u n g 1 9 9 , die Petition 2 0 0 , die Bürgerfragestunde 2 0 1 u n d die sog. konsultative Bürgerbefragung 2 0 2 . 190 § 21 GO BW lautet: „Der Gemeinderat kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen aller Mitglieder beschließen, daß eine wichtige Gemeindeangelegenheit der Entscheidung der Bürger unterstellt wird (Bürgerentscheid)", § 21 Abs. 2 S. 2. „Über eine wichtige Gemeindeangelegenheit kann die Bürgerschaft einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren)", § 21 Abs. 3 S. 1 GO. Zu den Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren auf Grund von § 21 GO BW, vgl. Ardelt, Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 119 ff. Eine Auflistung aller bis 1980 in Baden-Württemberg durchgeführten Bürgerbegehren enthält: Beilharz, Politische Partizipation im Rahmen des § 21 GO BW, S. 180 ff. Ausführlich zur rechtlichen und rechtspolitischen Problematik von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, vgl. Streinz, Die Verwaltung 1983, 293 ff. 191 „Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines endgültigen Beschlusses des Gemeinderats. Er kann innerhalb von drei Jahren nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden", § 21 Abs. 7 GO BW. 192 Dazu oben 1. Kap., I I I 3. 193 Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 191, spricht deshalb auch von der „dem Bürgerentscheid verwandte(n) Form bürgerschaftlicher Mitwirkung in der Gemeinde". 194 Ebsen,. DVB1. 1984, 1108, der darauf hinweist, daß dieser Beteiligungsbegriff auch dem § 2 a BBauG zugrunde liegt. 195 Krause (FN 145), I I c. 196 Ebsen (FN 194), S. 1109, nennt außer der „konsultativen Bürgerbefragung" vier Haupttypen: Bürgerantrag, Anhörung, Fragestunde, Petition. Die „Bürgerversammlung" führt er nicht an. Z u Recht bezeichnet sie Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 47, „als eine Art ,Herzstück'" für ein fruchtbares Wechselgespräch zwischen der Bürgerschaft und den Gemeindeorganen. 197 Alle Flächenstaaten (Ausnahme Schleswig-Holstein) sehen die Bürgerversammlung in der jeweiligen Gemeindeordnung vor. Sie ist eine „amtliche" Veranstaltung der Gemeinde. Vom Bürgermeister/Stadtdirektor einberufen dient sie der Information und

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I m Rahmen dieser A r b e i t interessiert nur die sog. konsultative Bürgerbefragung. D e r Begriff der „Bürgerbefragung" bedarf seinerseits einer terminologischen Bestimmung. Z u unscharf ist die D e f i n i t i o n , die i n der Bürgerbefragung eine von den amtlichen Gemeindeorganen durchgeführte Befragung oder A n h ö r u n g der stimmberechtigten Bürger s i e h t 2 0 3 . Expressis verbis werden von dieser Begriffsbestimmung nämlich auch „ A n h ö r u n g e n " umfaßt, die zum einen einen eigenen H a u p t t y p bilden u n d zum anderen die „ F ö r m l i c h k e i t " offizieller Abstimmungen vermissen lassen. Konsultative Befragungen werden lediglich i n den Gemeindeordnungen von Bayern u n d Baden-Württemberg vorgesehen. Sie betreffen Gebietsänderungen 2 0 4 . I m H i n b l i c k auf die gesetzErörterung gemeindlicher Angelegenheiten mit anschließender freier Aussprache, ausführlich dazu Püttner / Jakoby, in: Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft, Bd. 2 (1982), S. 28. 198 Im Wege des Bürgerantrags (vgl. § 20 b GO BW), der auch Bürgerbegehren (§ 8 b Hess. GO), Empfehlung der Bürgerversammlung (Art. 18 Abs. 4 GO Bay.) oder Bürgerinitiative (§ 17 GO RhPf.) genannt wird, kann der Gemeinderat verpflichtet werden, eine bestimmte Angelegenheit zu erörtern und zu entscheiden, Püttner / Jakoby (FN 197), S. 30. Die Bürger können ihre Meinung auch in einer Abstimmung darlegen, deren Ergebnis für die Gemeindevertretung nicht bindend ist, vgl. Gramke (FN 196), S. 37. 199 Die in einer Reihe von Gemeindeordnungen vorgesehene Anhörung (vgl. § 33 Abs. 4 GO BW; § 35 Abs. 2 GO RhPf.) dient der Gemeindevertretung dazu, in wichtigen Angelegenheiten Entscheidungsalternativen aufgezeigt und erläutert zu erhalten. Nach § 35 Abs. 2 S. 2 GO RhPf. hat eine Anhörung zu erfolgen, wenn ein Viertel der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Gemeinderats dies beantragt, zum ganzen Gramke (FN 196), S. 88. 200 Ein Petitionsrecht, nämlich die Befugnis, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftliche Anregungen und Beschwerden vorzubringen, regelt einzig die Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen in § 6 c. Die Bezeichnung „Bürgerantrag" ist irreführend, Ebsen (FN 194), S. 1110. 201 Unter einer Bürgerfragestunde ist die Einrichtung zu verstehen, bei der an einer Ratssitzung anwesende Bürger am Beginn oder am Ende der Sitzung Gelegenheit erhalten, der Gemeindevertretung Fragen zu stellen, vgl. Gramke (FN 196), S. 86. Die Zweckmäßigkeit der Bürgerfragestunde ist umstritten. Das V G Schleswig-Holstein hat eine Regelung in der Geschäftsordnung einer Gemeindevertretung, welche Bürgern innerhalb der Beratung ein Fragerecht einräumte, als rechtswidrig bezeichnet. Es sei allerdings zulässig, vor der Sitzung der Gemeindevertretung eine Bürgerfragestunde vorzusehen, Urt. v. 15. 3. 1979 (Az. 6 A 165/77) in: Die Gemeinde, 1979 (6), S. 186 ff. In der Antwort auf eine „Kleine Anfrage" hat die Landesregierung von RheinlandPfalz festgestellt, daß die Durchführung von „Fragestunden" während einer Sitzung des Gemeinderats mit den Grundsätzen der repräsentativen Demokratie nicht vereinbar sei. Sie könne jedoch „im Anschluß an eine Ratssitzung im Sitzungsraum durchgeführt werden", LT-Drs. 9/989 vom 27. 10. 1980. 202

Die daneben in den einzelnen Gemeindeordnungen vorgesehenen Mitwirkungsmöglichkeiten stellen hierzu Ergänzungen oder mehr oder weniger geringe Abwandlungen dar. Beispielhaft seien nur die Mitwirkung ehrenamtlicher sachkundiger Bürger in Ausschüssen genannt (§§ 40, 41 GO BW; 51 Abs. 7 Ns GO; § 43 Abs. 3 N W GO; § 46 Abs. 2 SH GO). Zur Vielfalt der Möglichkeiten vgl. insbesondere Gramke (FN 196), S. 42 ff. 203 Püttner / Jakoby (FN 197), S. 32 f. 204 § 8 Abs. 3 S. 3 GO BW; Art. 11 Abs. 1 und Abs. 4 GO Bay.; zu diesen Regelungen, unten Teil I I I , 1. Kap. I 4 d aa.

2. Kap.: Konsultative Referenden im System polit. Willensbildung

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liehe Regelung in der bd.-w. und bay. Gemeindeordnung ist unter konsultativer Bürgerbefragung eine rechtlich unverbindliche, vom Gemeinderat veranlaßte Willensäußerung der Gemeindebürger zu einer bestimmten Sachfrage in einem förmlichen Verfahren zu verstehen 205 . Einzig diese Definition entspricht auch den eingangs erläuterten Wesensmerkmalen einer Konsultativabstimmung im engeren Sinne. Die Tatsache, daß die „Befragung" im Wege einer Abstimmung erfolgt und sich im Regelfall auf eine Gebietsänderung bezieht, läßt die Parallelen zur konsultativen „Bevölkerungsabstimmung" 206 offenbar werden. Bezogen auf die kommunale Beschränkung der Abstimmungsberechtigung drängt sich für diese Eigenart einer konsultativen Befragung deshalb der Begriff der „konsultativen Bürgerabstimmung" auf. Von den oben genannten anderen Beteiligungsformen 207 unterscheidet sich die konsultative Bürgerabstimmung durch die Intensität der Einwirkung des Abstimmungsergebnisses auf den kommunalen Entscheidungsträger. Die aus ihrer Eigenschaft als amtliche Befragung der Gemeindebürger erwachsende spezifische Legitimation vermag mehr „Druck" auf die Gemeindevertretung auszuüben als dies einer Anhörung oder einer sonstigen Beteiligungsform möglich wäre 208 . I I I . Konsultatives Referendum und Demoskopie 1. Gemeinsamkeiten

Zwischen demoskopischen Umfragen und Volksbefragungen gibt es Parallelen und Überschneidungen. Ob „Meinungsforschung durch Volksbefragungen" 2 0 9 oder „Volksbefragungen in Form von Repräsentativumfragen" erfolgen, beides erscheint rechtspolitisch denkbar 210 . Eine Gemeinsamkeit beider Institute besteht darin, daß die Ergebnisse einer konsultativen Volksbefragung und einer Repräsentativumfrage keine rechtlich bindenden Willensentscheidungen der Befragten darstellen und ohne rechtliche Folgen sind 211 . Unter staatsrechtlich-funktionalem Aspekt dienen konsultative Referenden und Meinungsforschung als gleichermaßen gute oder schlechte Informations205

So auch Gramke (FN 196), S. 34; ähnlich Ebsen (FN 194), S. 1109.