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German Pages 446 Year 2000
NIELS GRIEM
Produktions integrierter Umweltschutz
Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Mi c h a e I Klo e p fe r, Berlin
Band 101
Produktionsintegrierter Umweltschutz Förderung eines geringeren Stoff- oder Energieverbrauchs im Produktionsverfahren durch das Recht - dargestellt am Beispiel der immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen
Von Niels Griern
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Griem, Niels: Produktionsintegrierter Umweltschutz: Förderung eines geringeren Stoff- oder Energieverbrauchs im Produktionsverfahren durch das Recht - dargestellt am Beispiel der immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen I von Niels Griem. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 . (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 101) Zug\.: Bremen, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-09937-0
Alle Rechte vorbehalten
© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-09937-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069
Für Yara und Jonah
Vorwort Der produktionsintegrierte Umweltschutz setzt auf die Verringerung des Stoffund Energieverbrauches in der Produktion. Sein Ansatz birgt sowohl ökologische, als auch ökonomische Vorteile gegenüber dem additiven Umweltschutz, bei dem Emissionen erst am Ende des Produktionsprozesses abgefangen werden. Auf einen kurzen und zugegeben pauschalen Nenner gebracht vermeidet der produktionsintegrierte Umweltschutz Umweltbelastungen, während der additive Umweltschutz lediglich repariert, soweit dies im konkreten Fall noch möglich ist. Sollen ökologische und ökonomische Belange in einer modemen Industriegesellschaft wie der unsrigen in stärkeren Einklang gebracht werden, muß der produktionsintegrierte Umweltschutz gefördert werden. Konzepte hierfür sollten in dem interdisziplinären Forschungsschwerpunkt ,,Produktionsintegrierte Umweltschutztechnik" der Universität Bremen entwickelt werden. Dieses Buch ist im wesentlichen während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht der Universität Bremen entstanden. Profitiert habe ich dabei in großem Maße von der interdisziplinären Zusammenarbeit in dem eben genannten Forschungsschwerpunkt. Die Ergebnisse meiner Arbeit haben dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Bremen im September 1998 als Dissertation vorgelegen. Die Arbeit wurde in geringem Umfang überarbeitet. Insbesondere wurden die im zweiten Kapitel der Arbeit vorgenommene Einordnung in die rechtswissenschaftliche Diskussion und die Gesamtzusammenfassung am Ende der Arbeit hinzugefügt. In den Teilen A.II. bis IV. des dritten Kapitels ist dagegen im Unterschied zu der usprünglichen Fassung auf die Darstellung von Besonderheiten der 17. BlmSchV verzichtet worden. Gleiches gilt für das wegen Art. 2 ÄndG VI zum Teil noch geltende "alte" Wasserrecht. Auch auf Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit direkter Verhaltenssteuerung mit Blick auf das Produktionsverfahren ist für die Veröffentlichung verzichtet worden. Literatur und Rechtsprechung konnten für die Drucklegung noch vereinzelt über den Zeitpunkt der Abgabe hinaus berücksichtigt werden. Die Fertigstellung dieses Buches wäre ohne vielfältige Hilfe und Unterstützung nicht möglich gewesen. Herzlich danken möchte ich zunächst einmal Prof. Dr. Gerd Winter, der die Arbeit betreut hat und dem ich viele wertvolle Anregungen verdanke. Er hat mich großzügig von Arbeiten in der Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht freigestellt und mir so die Erstellung meiner Dissertation neben meiner anwaltlichen Arbeit ermöglicht. Auch hierfür bin ich ihm zu großem
Vorwort
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Dank verpflichtet. Prof. Dr. Alfred Rinken danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Michael Kloepfer für die Aufnahme in die "Schriften zum Umweltrecht" und bei meinen Sozien Eckart Abel-Lorenz, Sibylle Barth und Dr. Hubertus Baumeister für ihr Verständnis während der Erstellung meiner Arbeit. Dank gebührt auch Prof. Dr.-Ing. Norbert Räbiger für die Koordination des Forschungsschwerpunkts ,,Produktionsintegrierte Umweltschutztechnik" der Universität Bremen sowie Klaus Feseker, Prof. Dr. Hans-Dietrich Haasis, Prof. Dr. Wilfried Müller und Carola Spiecker für die vielfältigen Anregungen aus der sozial- und der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Dr. Andreas Fisahn und Dr. Wolfram Cremer standen mir als Diskussionspartner zur Verfügung. Auch das hat mir sehr geholfen. Meine Eltern haben mich von Kind auf ermuntert, scheinbar Feststehendes nicht als unverrückbar hinzunehmen. Nicht nur dafür danke ich Ihnen. Meine Frau, Anette, hat Gespräche mit mir über dieses Buch ertragen müssen und mir dabei häufig weitergeholfen. Sie hat mich darüber hinaus immer wieder unterstützt und aufgebaut und mir vieles abgenommen. Ohne diese Haltung hätte ich die Arbeit nicht fertiggestellt. Das Buch ist meinen Kindern gewidmet. Bremen, im Juni 1999
Niets Griem
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel
Produktionsintegrierter Umweltschutz als Maßstab der Untersuchung A. Ausgangspunkt der Überlegungen ..................................................
23
B. Begriffsklärungen .................. . ................................. . .............
25
I. Produkt, Produktarten und Produktionsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
11. Produktionsbereich, Produktionsverfahren, -prozeß und Verfahrensschritt . . . . . . .
27
l. Produktionsbereich ..........................................................
27
2. Produktionsverfahren ........................................................
27
3. Produktionsprozeß ...........................................................
27
4. Verfahrensschritt ............................................................
28
III. Produktionsintegrierter Umweltschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
l. Begriffsverwendung in der Literatur .........................................
28
2. Eigene Auffassung ..........................................................
31
a) Definition ................................................................
31
b) Abgrenzung vom additiven Umweltschutz ................................
33
c) Abgrenzung vom produktintegrierten Umweltschutz. .. . . .. ... . . . . . . .. ... .
36
d) Teilweise Einbeziehung des prozeßintegrierten Umweltschutzes ...... . ...
38
e) Zusammenfassung................................................. .... ...
39
C. Notwendigkeit der Förderung des produktionsintegrierten Umweltschutzes .........
40
I. Ökologische und ökonomische Vorteilhaftigkeit ................................
41
l. Verbesserung der ökologischen Effizienz ....................................
41
a) Bewertungsschwierigkeiten ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
b) Stärken und Schwächen additiver Konzepte...............................
42
c) Stärken und Schwächen produktionsintegrierter Lösungen................
44
d) Ergebnis ....... .. . . .. .. . . . . . . . .. . . . . .. .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . .. . .
45
10
Inhaltsverzeichnis 2. Verbesserung der ökonomischen Effizienz für den Betreiber
45
a) Stärken und Schwächen additiver Konzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
b) Stärken und Schwächen produktionsintegrierter Lösungen ................
46
c) Ergebnis............................................................ . .....
48
H. Ansatz zur Verwirklichung des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung ........ .
49
III. Vollzugspraktische Vorteilhaftigkeit ............................................
51
IV. Bedeutung für den medienübergreifenden Umweltschutz .......................
51
V. Ergebnis .......................................................................
53
D. Hindernisse für die Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
I. Unternehmensinterne Hindernisse..............................................
54
1. Ökonomische Risiken .......................................................
54
2. Technische Probleme ........................................................
55
3. Organisatorische Probleme ..................................................
55
4. Beharrungsvermögen des Betreibers .........................................
57
H. Untemehmensexterne Hindernisse .............................................
57
2. Kapitel
Fragestellung und Gang der Untersuchung A. Fragestellung und Erkenntnisgegenstand ...........................................
59
B. Einordnung in die rechtswissenschaftliche Diskussion ..............................
60
C. Gang der Untersuchung .......................................................... . .
61
3. Kapitel
Förderung von Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes durch direkte Verhaltenssteuerung A. Bedeutung der Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BImSchG für den produktionsintegrierten Umweltschutz .................................................
65
I. Grundpflicht zum produktionsintegrierten Umweltschutz .... . ..... . ............
66
1. Abwehrpflicht, § 5 Abs. I Nr. I BImSchG ................ . ..... . ............
67
a) Tatbestand ............................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
Inhaltsverzeichnis
11
aa) Geschützte Rechtsgüter ..............................................
68
bb) Verlangte Intensität der Beeinträchtigung.............................
69
cc) Arten der Rechtsgutbeeinträchtigung .................................
69
dd) Verantwortlichkeit des Betreibers für den Eintritt schädlicher Umwelteinwirkungen ....................................................
71
ee) Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ............. . ...............
72
b) Verringerung des Verbrauchs von gefährlichen Stoffen....................
73
aa) Regelfall .............................................................
73
bb) Besonders gefährliche Stoffe.........................................
74
c) Verringerung des Stoff- oder Energieverbrauchs ..........................
75
aa) Energieverbrauch ....................................................
75
bb) Stoffverbrauch ......................... . . . ...........................
76
2. Vorsorgepflicht. § 5 Abs. I Nr. 2 BImSchG ..................................
77
a) Tatbestand................................................................
77
b) Berücksichtigung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes bei der Bestimmung des Standes der Technik .........................
80
aa) Zulässigkeit der Einbeziehung ................... . ..... . .............
81
bb) Berücksichtigung im Einzelfall.......................................
82
(1) Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe
82
(2) Maßnahmen zur Verringerung des Stoff- oder Energieverbrauchs
91
(a) Stoffverbrauch ..............................................
91
(b) Energieverbrauch ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
(3) Gebot zur Optimierung der Anlagentechnik ........ . .............
95
3. Abfallbezogene Grundpflichten. § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG ..................
96
a) Relevanz der Pflichten für die Fragestellung ..............................
96
b) Tatbestand...................................................... . ....... . .
97
aa) Anwendungsbereich der Vorschrift ...................................
98
(1) Abfallbegriff .......................................... . . . .......
99
(a) Abfallbegriff des KrW-/ AbfG ...............................
99
(b) Abgrenzung von Produkten.................................. \01 (aa) Kriterien der Allgemeinen Musterverwaltungsvorschrift des Länderausschusses Immissionsschutz . . . . . . . . . . . . . .. 102 (bb) Ergänzende oder entgegengesetzte Auffassungen im Schrifttum ............................................. \05
12
Inhaltsverzeichnis (cc) Stellungnahme ......................................... 107 (aaa) Vereinbarkeit des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 KrW-/ AbfG mit Europarecht .................. 107 (bbb) Abgrenzung nach den Angaben im Genehmigungsantrag ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11 0 (ccc) Abgrenzung nach der wirtschaftlichen Nutzbarkeit der Sache ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11 0 (ddd) Geeignete Abgrenzungskriterien ................. 113 (dd) Ergebnis ............................................... 114 (c) Abgrenzung von Abgasen ........................ . .......... 114 (d) Einbeziehung von Abwasser................................. 115 (2) Abgrenzung zum Anwendungsbereich des § 7a WHG ........... 118 (a) Problemaufriß ............................................... 118 (b) Streitstand ................................................... 121 (aa) Vorrang des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG ............ . .... 121 (bb) Vorrang des § 7a Abs. 1 WHG ..................... . .... 122 (cc) Vermittelnde Auffassung ............................... 123 (c) Stellungnahme .............................................. 124 (aa) Abgrenzung auf Grundlage des § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW- / AbfG ................................................... 124 (bb) Stoffbezogene Abgrenzung............................. 125 (cc) Defizite des Wasserrechts als Abgrenzungskriterien .... 126 (dd) Abgrenzung nach teleologischen Erwägungen.......... 130 (ee) Abgrenzung auf Grundlage von allgemeinen Erwägungen zur Konkurrenz von WHG und BImSchG .......... 131 (ff) Abgrenzung auf Grundlage des § 2 Abs. 2 Satz 2
BImSchG .............................................. 133 (3) Ergebnis....................... . .................. . ... . ..... . .... 138 bb) Gebot zur Abfallverrneidung ......................................... 139 (1) Begriff der Abfallverrneidung .................. . ....... . ... . .... 140 (a) Streitstand .............................. ... . . . ... . . . .. ... . . .. 140 (b) Relevanz für die Untersuchung................... . .......... 141 (2) Technische Möglichkeit der Abfallverrneidung .................. 142 (a) Streitstand .......... ... . . ... . . . . . . . . . ... . . . . . . .. . . . ... . . . . . .. 142 (b) Stellungnahme .............................................. 144 (3) Übereinstimmung mit anderen Rechtsvorschriften ............... 148 (4) Zumutbarkeit der Abfallverrneidung ....................... . . . ... 148
Inhaltsverzeichnis
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(a) Bestimmung der Kriterien für die Beurteilung der Zumutbarkeit .......................................................... 148 (aa) "Wirtschaftliche Zumutbarkeit" nach § 5 Abs. 4 Satz I KrW-/ AbfG ........................................... 148 (bb) Abhängigkeit von anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten .................................................. 149 (cc) Gewichtung der ökologischen und ökonomischen Auswirkungen .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. . 150 (b) Ermittlung der Belastung für den Betreiber.................. 152 (aa) Beschreibung des Ermittlungsvorgangs ........ . ........ 152 (bb) Einzubeziehender Zeitraum ............................ 153 (cc) Bestimmung der Belastungsintensität ................... 153 (c) Ermittlung der erreichbaren Vorteile für die Umwelt ......... 155 (d) Anhaltspunkte für die Abwägung ............................ 156 (5) Gebot zur Abfallvermeidung bei ebenfalls möglicher und zumutbarer Verwertung................................................ 157 (a) Absoluter Vorrang der Vermeidung.... . ..................... 158 (b) Relativer Vorrang der Vermeidung........................... 163 (c) Vergleichende Abwägung zwischen Vermeidung und Verwertung ......................................................... 164 (aa) Streitstand ............................................. 164 (bb) Stellungnahme ................................ .. .... .. . 166 c) Verringerung des Stoff- oder Energieverbrauchs .......................... 168 d) Verringerung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe .......................... 170 e) Ergebnis .................................................................. 171 4. Abwärmenutzungspflicht. § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG i. V. mit § 8 der 17. BImSchV .................................................................... 172 a) Relevanz für die Fragestellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Tatbestand................................................................ 172 aa) Anwendungsbereich ................................................. 172 bb) Anforderungen des § 8 der 17. BImSchV ............................. 174 cc) Gleichrangigkeit von interner und externer Nutzung entstehender Abwärme ............................................................... 175 dd) Gebot zur Vermeidung von Abwärme ................................ 176 ee) Technische Möglichkeit und Zumutbarkeit interner Abwärmenutzung
178
c) Verringerung des Energieverbrauchs ...................................... 179
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Inhaltsverzeichnis 5. Besonderheiten beim Zusammenwirken aller Grundpflichten
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a) Verhältnis der Grundpflichten zueinander................................. 180 b) Gebot zur Optimierung der Anlagentechnik ............................... 181 6. Ergebnis..................................................................... 183 a) Verringerung des Verbrauchs von gefährlichen Stoffen.................... 183 b) Verringerung des Verbrauchs sonstiger Stoffe............................. 186 c) Verringerung des Energieverbrauchs ............................... ... .... 188 d) Optimierung der Anlagentechnik ....... . ..... . ........................... 190 H. Bedeutung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes für den Erlaß konkretisierender Rechtsvorschriften ..................................... 191
1. Errnächtigungsnorrnen .................................. .. . . . . . .. .. . . . .. . .. .. 191 2. Pflicht zur Berücksichtigung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes ................................................................. 194 a) Entgegenstehender Regelungsspielraum der Bundesregierung............. 194 b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Grenze ................................ 195 aa) Konkretisierung des Abwehrgrundsatzes ............................. 196 (l) Geeignetheit und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
(2) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne........................... 198 bb) Konkretisierung des Vorsorgegrundsatzes ............................ 199 3. Inforrnationspflicht der Bundesregierung .............. . ..................... 200 III. Gebot zur Durchführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes nach der TA Luft. ... . . . . . .... . . . . . . . . ..... .... .. . .. . ... . .. .. ... . . . . . .. 201
1. Allgemeines Konzept ......................................... . . . . . .. . . .. . . .. 202 2. Anforderungen an das Produktionsverfahren oder den Stoffeinsatz ........... 204 a) Konkrete Anforderungen ................................................. 204 b) Allgemeine Regeln ....................................................... 205 3. Gebot zur Verringerung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe .................. 207 a) Besonders gefährliche Stoffe ............................................. 207 b) Sonstige gefährliche Stoffe ............................................... 209 4. Gebot zur Verringerung des Verbrauchs sonstiger Stoffe .................. . .. 211 5. Gebot zur Verringerung des Energieverbrauchs .............................. 211 6. Ergebnis..................................................................... 212
Inhaltsverzeichnis
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IV. Durchsetzung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes im Genehmigungsverfahren .......................................................... 213 1. Notwendigkeit eines Variantenvergleichs .................................... 213
2. Überblick über die folgende Darstellung..................................... 215 3. Einschränkungen durch die Vorgaben der TA Luft ........................... 216 a) Grundsatz ................................................................ 216 b) Abschließender Charakter der Emissionskonzentrationswerte ............. 216 aa) Relevanz der Frage für die Untersuchung ............................ 216 (I) Anwendbarkeit der Werte........................................ 216
(2) Auswirkungen produktionsintegrierter Umweltschutz-Maßnahmen auf Emissionskonzentrationen .............................. 217 bb) Streitstand ........................................................... 218 (I) Literatur................................. . ....................... 218 (2) Rechtsprechung ................................................. 220 cc) Stellungnahme....................................................... 222 (I) Vorschriftenimmanente Erwägungen............................. 222 (a) Konzentrationswerte der Nr. 2.3 Abs. 3 TA Luft ............. 222 (b) Konzentrationswerte der Nr. 3 TA Luft ........ . ............. 223 (c) Zwischenergebnis ........................................... 224 (2) Vereinbarkeit mit den Vorgaben der Grundpflichten .............. 225 dd) Ergebnis ..................................................... . ....... 229 4. Auswirkungen des Bestimmtheitsgrundsatzes ................................ 230 5. Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ......................... 233 a) Notwendigkeit einer "kleinen" Verhältnismäßigkeitsprüfung .............. 233 b) Verstoß gegen die Vorsorgepflicht ........................................ 234 aa) Geeignetheit ......................................................... 234 bb) Erforderlichkeit ...................................................... 234 ce) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne................................ 235 c) Verstoß gegen die Abwehrpflicht ......................................... 237 aa) Geeignetheit ......................................................... 237 bb) Erforderlichkeit .............................................. . ....... 238 cc) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.................... . ... . ....... 238
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Inhaltsverzeichnis d) Erforderlichkeit einer behördlichen Einflußnahme auf die Ausgestaltung der Anlage ............................................................... 239 aa) Rechtliche Einordnung verschiedener Einflußnahmemöglichkeiten ... 239 bb) Bedeutung der Dispositionsmaxime .................................. 240 cc) Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Einflußnahme..... 242 6. Beibringungslast für Herstellungsvarianten .................................. 245 a) Bedeutung des Untersuchungsgrundsatzes ................................ 245 b) Mitwirkungspflicht des Betreibers ........................................ 248 aa) Bedeutung ........................................................... 248 bb) Umfang .............................................................. 249 (I) Bedeutung der 9. BImSchV ...................................... 250
(2) Auffassung von Winter ............... . .......................... 251 (3) Andere Auffassungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. 252 (4) Stellungnahme .................................................. 252 7. Ergebnis................ . ................................. . ..... . ............ 255 B. Bedeutung der wasserrechtlichen Anforderungen an das Einleiten von Abwasser für den produktionsintegrierten Umweltschutz ......................................... 258 I. Einführung........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 258
11. Produktionsintegrierter Umweltschutz als Voraussetzung der wasserrechtlichen Direkteinleitererlaubnis ........................................................ 259 I. Anforderungen an die wasserrechtliche Direkteinleitererlaubnis .. . . . . . . . . . . .. 259 2. Verringerung des Energieverbrauchs .................................. . ...... 260 3. Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen .............. . . . .... 261 a) Versagung der Erlaubnis nach § 6 WHG .................................. 261 b) Wasserrechtliches Vorsorgegebot, § 7a Abs. I Satz I WHG ............... 263 aa) Bedeutung der Abwasserverordnung ................................. 263 bb) Konkretisierung des Standes der Technik nach § 7a Abs. 5 WHG ..... 264 (I) Verringerung der Schadstofffracht des Abwassers als Ziel der Regelung ........................................................... 264 (2) Zulässigkeit der Einbeziehung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes ........................................ 264 (3) Berücksichtigung im Einzelfall .................................. 265 (a) Wertigkeit ökologischer und ökonomischer Belange ......... 267 (aa) Auffassungen in der Literatur. .. . . . ... . . . ... . . . . . ... . . .. 267
Inhaltsverzeichnis
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(bb) Stellungnahme ......................................... 268 (aaa) Wortlaut des § 7a Abs. 5 WHG ................... 268 (bbb) Sinnzusammenhang .............................. 269 (a) Bedeutung des Begriffes der "Verfugbarkeit" 270 (aa) Anwendbarkeit der Legaldefinition des Art. 2 Nr. ll der IVU -Richtlinie .. 270
(ßß) Gehalt der Verfügbarkeit nach Art. 2 Nr. 11 der IVU-Richtlinie ............ 271 (ß) Bedeutung der wirtschaftlichen Durchführbarkeit ...................................... 277 (b) Notwendigkeit einer Betriebserprobung ........ . ............. 278 (c) Ergebnis..................................................... 279 cc) Schlußfolgerungen für Anforderungen an die Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen ................................... 279 III. Überschneidungen mit dem Immissionsschutzrecht ............................. 280
c.
Ergebnis ........................... . .......... . ............................ . ....... 280
I. Grundpflicht zum produktionsintegrierten Umweltschutz....................... 281 1. Verringerung des Verbrauchs von gefährlichen Stoffen....................... 281
2. Verringerung des Verbrauchs sonstiger Stoffe ......... . ...................... 283 3. Verringerung des Energieverbrauchs ......................................... 284 4. Optimierung der Anlagentechnik ............................................ 285 H. Durchsetzung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes im Genehmigungsverfahren .......................................................... 286 III. Bedeutung der wasserrechtlichen Anforderungen an das Einleiten von Abwasser für den produktionsintegrierten Umweltschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 288 IV. Zusammenfassende Bewertung ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 290
4. Kapitel
Förderung von Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes durch die IVU-Richtlinie der EG A. Vermeidender Ansatz der Richtlinie
293
B. Anwendungsbereich der Richtlinie
295
2 Griem
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Inhaltsverzeichnis
C. Grundpflicht zum produktionsintegrierten Umweltschutz ........................... 296
I. Gebot zur Verringerung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe ..................... 297
1. Art. 3 Satz I Buchstaben c) und d) der IVU-Richtlinie ....................... 297 2. Art. 3 Satz I Buchstabe b) der IVU-Richtlinie ............................... 298 a) Parallelen zu den §§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG und 6 WHG ................ 298 b) Einbeziehung des Abfallpfades ........................................... 299 c) Ergebnis ...................................................... ,........... 300 3. Art. 3 Satz I Buchstabe a) der IVU-Richtlinie ................................ 300 a) Parallelen zu den §§ 5 Abs. I Nr. 2 BImSchG und 7a Abs. 1 Satz 1 WHG 300 b) Einbeziehung des Abfallpfades ........................................... 302 c) Ergebnis ................... . . . . . . .. . . . .. . . .. . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . .. . .. .. . .. 304 11. Gebot zur Verringerung des Verbrauchs sonstiger Stoffe ........................ 304
1. Art. 3 Satz I Buchstabe c) der IVU-Richtlinie ................................ 305 2. Art. 3 Satz 1 Buchstabe b) der IVU-Richtlinie ............................... 305 3. Art. 3 Satz 1 Buchstabe a) der IVU-Richtlinie .. ... . .. . . . ... . . . ... . . . . . . .. . . .. 306 III. Gebot zur Verringerung des Energieverbrauchs .............. . .................. 307 I. Art. 3 Satz I Buchstabe a) der IVU-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 307 2. Art. 3 Satz I Buchstabe d) der IVU-Richtlinie ............................... 309 IV. Gebot zur Optimierung der Anlagentechnik .................................... 311 I. Rückblick auf das deutsche Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Ansatz der IVU-Richtlinie ................................................... 312 a) Verringerung der direkten oder indirekten Freisetzung von Stoffen in alle Umweltmedien ........................................................... 312 b) Einbeziehung des Energieverbrauchs ....................... .. ............ 313 3. Bedeutung für den produktionsintegrierten Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 313 D. Auswirkungen auf das Genehmigungsverfahren .................................... 314
I. Grundpflichten als Genehmigungsvoraussetzungen .............. . . . ........ . ... 314
11. Bedeutung des Art. 9 Abs. 3 Satz I der IVU-Richtlinie ......................... 317
Inhaltsverzeichnis
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III. Bedeutung des Art. 9 Abs. 4 der IVU-Richtlinie ................................ 318 1. Kein Vorschreiben einer bestimmten Technik oder Technologie nach Art. 9 Abs. 4 Satz 1 I. Halbsatz .................................................... 318 2. Bedeutung des Art. 9 Abs. 4 Satz I 2. Halbsatz .............................. 320 a) Abschwächung der Anforderungen aus den Grundpflichten durch immissionsbezogene Erwägungen ................................................ 320 b) Einzelfallbezogene Festlegung der Anforderungen an die jeweilige Anlage 322 IV. Bedeutung des Art. 9 Abs. 8 der IVU-Richtlinie ................................ 323 E. Ergebnis ........................................................................... 324
F. Normung von Produktionsverfahren auf EG-Ebene ................................. 325 G. Exkurs: Die Vorhabengenehmigung nach §§ 83 ff. UGB-KomE als Umsetzungsvorschlag .............................................................................. 329
I. Grundpflichtenkonzept ......................................................... 329 11. Bedeutung der Integrationsklausel des § 83 Abs. 2 Satz I UGB-KomE ......... 335 III. Anforderungen an die Antragsunterlagen ....................................... 337
5. Kapitel
Förderung von Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes durch ausgewählte Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung A. Umweltabgaben .................................................................... 339 B. Regelungen zur Ausgestaltung der Betriebsorganisation ............................ 340
I. Regelungen über Betriebsbeauftragte ........................................... 341 11. Sonstige Pflichten zur umweltgerechten Ausgestaltung der Betriebsorganisation
344
C. Umwelt-Audit...................................................................... 346
I. Überblick über das System des Umwelt-Audits ................................. 346 11. Anreiz zur Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes ............................................................................. 350 I. Abbau von innerbetrieblichen organisatorischen Hemmnissen. . . . . . . . . . . . . . .. 351 a) Pflicht zur Information über Verfahrensvarianten ......................... 352 b) Pflicht zur Einbeziehung von Umweltaspekten in die relevanten unternehmerischen Prozesse ................................................... 353 2"
20
Inhaltsverzeichnis c) Pflicht zur Einbeziehung von Umweltaspekten in Investitionsentscheidungen ....................................................................... 354 d) Pflicht zur Ermittlung der innerbetrieblichen Stoff- und Energieflüsse . . . .. 354 2. Überlegenheit bei der kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 356 III. Akzeptanz und Umsetzung in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 362
D. Ergebnis ........................................................................... 364
6. Kapitel
Vorschläge zur Weiterentwicklung des Rechts A. Modifikation der Instrumente direkter Steuerung ................................... 366
I. Schwierigkeiten direkter Steuerung des Produktionsverfahrens ................. 366 11. Exkurs: Sinnhaftigkeit des Ansatzes ............................................ 368 I. Kritik in der Literatur ....................................... . . . .............. 368 2. Notwendigkeit entsprechender Möglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 368 a) Grenzen indirekter Steuerung ......... . ..... . ...................... . ...... 369 aa) Instrumente reflexiven Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. 369 bb) Ausbau des Abgabensystems ........... . .. . . . ... . . . . . . ... . . ... . .. . . .. 371 b) Vorteile direkter Steuerung ......... . ..................................... 373 c) Ergebnis.................................................................. 375 III. Lösungsvorschläge ..... . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . ... . . . ... . . . . . . .. . . .. 376 I. Verbesserung der Vollzugssituation .......................................... 376
a) Entlastung durch abstrakt-generelle Regelungen .......................... 376 b) Verbesserung der Verwaltungsorganisation ................................ 379 c) Verringerung von staatlichen Informationsdefiziten ....................... 380 aa) Ausbau von Informationsübermittlungspflichten der Betreiber. . . . . . .. 380 bb) Erarbeitung eigenen Sachverstandes.................................. 381 cc) Verstärkung des inner- und zwischenstaatlichen Informationsaustausches ................................................................. 382 d) Zwischenergebnis ........................................................ 383
Inhaltsverzeichnis
21
2. Erhöhung des Kooperationsinteresses des Betreibers ......... . ............... 384 3. Festlegung von Kooperationspflichten im Verfahren
385
B. Modifikation der Instrumente indirekter Steuerung ......... . ..... . ................. 387 I. Ausbau des Abgabensystems ................................................... 387 11. Ausbau der Pflichten zur umweltschützenden Betriebsorganisation ............. 389 1. Rückblick ................................................................... 389 2. Verbesserung der Rechte des Betriebsbeauftragten ........................... 390 3. Aufspaltung der Überwachungs- und Innovationsfunktion auf verschiedene Betriebsbeauftragte .......................................................... 390 4. Institutionelle Verankerung des Umweltschutzes auf der Ebene der Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 391 5. Ausbau von Informationspflichten der Betreiber............................. 392 a) Pflicht zur Ermittlung innerbetrieblicher Stoff- und Energieflüsse ......... 392 b) Pflicht zur Ermittlung von Verfahrensvarianten ........................... 393 c) Weitergabe der ermittelten Informationen................................. 394 III. Verbesserung des Umwelt-Audit-Systems.. . .. ... . . . . . . ..... . ... . . . . . ... . .. .. .. 395 1. Pflicht zur Teilnahme ........................................................ 395 2. Optimierung der Anforderungen ............................................. 396 3. Verbesserte Kontrolle der Umweltgutachter ........... . ..... . ................ 397 4. Verbesserung der Akzeptanz ................................................. 398 a) Deregulierung für auditierte Standorte
399
aa) Abbau von Informationspflichten
399
bb) Erleichterungen im Genehmigungsverfahren ......................... 402 (1) Rahmengenehmigung ........................................... 402
(2) § 4 Abs. 1 Satz 2 der 9. BImSchV ........ . ..... . ................ 404 cc) Entlastungen bei der Überwachung................................... 405 b) Sonstige Anreize ......................................................... 406 IV. Verbesserung von Beratungsstrukturen ......................................... 408 V. Förderung überbetrieblicher Kommunikationsstrukturen ........................ 409 VI. Steuerliche Begünstigung von produktionsintegrierten Umweltschutzinvestitionen ............................................................................. 410
22
Inhaltsverzeichnis
7. Kapitel
Gesamtzusammenfassung
412
Literaturverzeichnis .................................................................. 421 Sachverzeichnis. . .. . . .. . . . . .. . .. . .. . . . . .. . .. . . . . .. . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . .. . .. .. . . . . . . .. 441
Abkürzungen Für die in der Arbeit verwandten Abkürzungen soll auf Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin 1993, verwiesen werden.
1. Kapitel
Produktionsintegrierter Umweltschutz als Maßstab der Untersuchung A. Ausgangspunkt der Überlegungen Die industrielle Produktion beeinträchtigt die natürliche Umwelt in vielfältiger Weise. Zu nennen sind Belastungen bei der Entnahme bzw. Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen, produktionsbedingte Umweltbelastungen, Auswirkungen des Transportes von benötigten Stoffen und negative Folgen über die erzeugten Produkte, die bei der Distribution, der Nutzung und bei der Entsorgung zu Belastungen der Umweltmedien führen können. Unter die produktionsbedingten Umweltbelastungen fallen die durch die Produktion verursachten unerwünschten Stoffausträge in die Umwelt, aber auch Umweltbelastungen, die allein mit der Existenz von Industrieanlagen verbunden sind. Gemeint sind z. B. der mit der Anlage zusammenhängende Flächenverbrauch, der Umfang von Bodenversiegelungen, das mit der Anlage zusammenhängende Verkehrsaufkommen sowie evt. Beeinträchtigungen der Lebensräume von Tier- und Pflanzenarten und sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft. Die vorliegende Arbeit hat den produktionsintegrierten Umweltschutz zum Thema. Sie will sich nur mit den produktionsbedingten Umweltbelastungen und dort auch lediglich mit einer Option zur Verringerung der unerwünschten Stoffausträge in die Umwelt beschäftigen. Die Verringerung von Emissionen in die Umwelt kann entweder am Ende eines Produktionsprozesses durch zusätzliche Techniken oder bereits vorher im Produktionsprozeß oder beim Design des Produktes betrieben werden. Die erstgenannte Herangehensweise wird in der Literatur unterschiedlich bezeichnet. Gebraucht werden die Begriffe des additiven, des sekundären, des nachsorgenden oder des nachgeschalteten Umweltschutzes. Zum Teil wird die Problemlösestrategie auch als "end of the pipe-Betrachtung" bezeichnet. Typische additive Umweltschutzmaßnahmen sind zum Beispiel die Klärung von Abwässern in Kläranlagen, Rauchgasreinigungsverfahren oder die Rückhaltung von Abluftemissionen durch Filter. Die Entwicklung additiver Umweltschutzmaßnahmen stand in den vergangenenJahrzehnten im Mittelpunkt der Betrachtungen. Die additive Herangehensweise dominiert in der Praxis 1•
24
1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
Der additive Umweltschutz hat insbesondere bei der Luft- aber auch bei der Gewässerreinhaltung beachtliche Erfolge aufzuweisen. Das Konzept sieht sich aber in jüngerer Vergangenheit verstärkten Angriffen ausgesetzt. Kritisiert werden hauptsächlich 2 fehlende technische Perspektiven für Verbesserungen, die ökonomische Irrationalität, eine mangelnde ökologische Effizienz und ein fehlender medienübergreifender Ansatz der Maßnahmen 3 . Bereits Ende der 70er Jahre verband man die Analyse der Schwächen additiver Umweltschutztechniken deshalb mit der Forderung nach Einbeziehung des Produktionsprozesses und der Ausgestaltung des Produktes in die Überlegungen zum Schutze der Umwelt vor negativen produktionsbedingten Einflüssen4 . Die einzelnen Fertigungsprozesse und das Produkt selber sollten im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen verändert und optimiert werden. Die entsprechenden Maßnahmen werden in Abgrenzung zum additiven Umweltschutz in der Regel 5 als integrierter Umweltschutz bezeichnet6 . Die Verwendung des Begriffes in der Literatur ist allerdings äußerst uneinheitlich 7 • Integrierter Umweltschutz kann mit Blick auf ein Produkt, einen einzelnen Produktionsprozeß oder eine Produktionsstätte verfolgt werden. Dementsprechend wird auch zum Teil zwischen produkt-, prozeß- und produktionsintegriertem Umweltschutz unterschieden 8 . 1 Nach Auffassung von Steger, 1992, S. 34 entspricht dies der übereinstimmenden Auffassung in der betriebswirtschaftlichen Literatur. Bestätigend: Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 109; Projektträger Umweltschutztechnik/Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.v. (Hrsg.), 1994, S. 11. Nach Schroeter, UWF 8, Dezember 1994, 28 ff., 28, hat eine Erhebung laufender Umweltinvestitionen in der Industrie gezeigt, daß 80% der Gelder für additive Umweltschutztechniken verwandt werden. Entsprechende Zahlen finden sich auch bei Antes,1996, S. 2. 2 In Projektträger Umweltschutztechnik/Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (Hrsg.), 1994, S. 12 werden darüber hinaus noch die Gefahr der Freisetzung umweltbelastender Stoffe bei Störungen in den nachgeschalteten Reinigungsanlagen und der geringe produktionsorientierte Innovationseffekt kritisiert. 3 Vgl. u. a. Antes, 1996, S. 15 ff., 21 f. und 27; Coenen/Klein-Vielhauer/Meyer, 1996, S. 34 und 45 ff.; Johann, 1989, S. 125 ff. und 131; Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 109 f.; Projektträger Umweltschutztechnik/Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (Hrsg.), 1994, S. 12 und 17 f.; Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992), 889 ff., 892 und Huber, 1995, S. 16 ff., S. 16 f. und 22. 4 Lange, 1978, S. 193 ff., insbesondere S. 190 und 198. Grundlegend für die Betriebswirtschaftslehre auch Kreikebaum, 1992. Vgl. aus der neueren Literatur Antes, 1996; Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996. s Antes, 1996, S. 1 ff. verwendet den Begriff des präventiven Umweltschutzes. 6 Lange, 1978, S. 194 f.; Kreikebaum, 1992, S. 4; Coenenl Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 32 und 34; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1996, Tz. 141; Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 109. Aus der juristischen Literatur auch Feldhaus, UPR 1985, 385 ff., 387. 7 Vgl. den Überblick bei Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992),889 ff., 889 f. 8 Fleischer, 1994, S. 7 ff., 8. Ähnlich Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 109 unter Hinweis auf eine gleichgelagerte Herangehensweise des BDI. Eine solche Unter-
B. Begriffsklärungen
25
Dabei wird das Wort "integriert" verwendet, um deutlich zu machen, daß alle betrieblich-technischen Maßnahmen des Vorhabenträgers mit Blick auf ihre Umweltrelevanz betrachtet und gegebenenfalls verbessert werden müssen. Dies entspricht der gängigen Verwendung des Wortes im Deutschen, das herangezogen wird, um die Bildung eines Ganzen aus verschiedenen Teilen auszudrücken 9 . Als "integrierter Umweltschutz" werden aber auch die Ansätze zur Berücksichtigung von Schadstoffeinträgen aus Industrieanlagen in verschiedene Umweltmedien mit dem Ziel, Problemverlagerungen zu verhindern, bezeichnet 10. Der medienübergreifende Umweltschutz wird mit dem integrierten Umweltschutz gleichgesetzt. Dies ist mit Blick auf die eben erläuterte Wortverwendung im Deutschen möglich. Die Ansatzpunkte des produkt-, produktions- und prozeßintegrierten Umweltschutzes unterscheiden sich aber von denen des medienübergreifenden Umweltschutzes ll . Der medienübergreifende Umweltschutz umfaßt auch additive Problemlösestrategien. Ziel desselben ist allein die Optimierung verschiedener Umweltschutzstrategien einer Produktionsstätte mit Blick auf alle Umweltmedien. Nicht der medienübergreifende, sondern der produktionsintegrierte Umweltschutz stellt den Bezugspunkt dieser Arbeit dar. Sie will sich also mit einem Teilbereich des integrierten (technischen) Umweltschutzes befassen. Eine Analyse des rechtlichen Instrumentariums mit Blick auf die vorhandenen Möglichkeiten zur Förderung des produktionsintegrierten Umweltschutzes fehlt bislang. Diese Lücke soll durch die Untersuchung geschlossen werden.
B. BegrifTsklärungen Im folgenden werden die zentralen Begriffe der Arbeit definiert. Sie sind zum Teil bereits in der ThemensteIlung enthalten. Geklärt werden muß der Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes und sein Verhältnis zum additiven sowie zum produkt- bzw. prozeßintegrierten Umweltschutz (III.). Dies ist nicht möglich, ohne vorher die Bedeutung des Produktbegriffes und des Begriffes der Produktionsstätte (I.) sowie der Bezeichnungen Produktionsbereich, Produktionsverfahren, scheidung ist aber nicht gängige Praxis. Zum Teil wird nur zwischen produkt- und produktionsintegriertem Umweltschutz unterschieden, vgl. u. a. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1996, Tz. 141 und Coenen I Klein-Vielhauer/Meyer, 1996, S. 34. 9 Brockhaus, Band 10, 1997, S. 586, Stichwort "Integration". 10 Vgl. nur Masing, DVBI. 1998, 549 ff., 549; Sellner, 1996, S. 82 f. So versteht auch der UGB-KomE den Begriff des integrativen Umweltschutzes, vgl. Kloepfer/Durner, DVBI. 1997, 1081 ff., 1088 f. Zum Begriff des integrierten Umweltschutzes auch Kreuzburg, KA 1997,1048 ff., 1049. 11 Zur Abgrenzung des produktionsintegrierten Umweltschutzes vom medienübergreifenden Umweltschutz sowie zu seiner Bedeutung für den medien übergreifenden Umweltschutz s.u. Kapitell, Gliederungspunkt C.IV.
26
1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
Produktionsprozeß und Verfahrensschritt (11.) dargestellt zu haben. Die letztgenannten Begriffe sind aber auch darüber hinaus zum weiteren Verständnis der Arbeit zu erläutern.
I. Produkt, Produktarten und Produktionsstätte Nach der Verwendung des Begriffes in der Wirtschaftswissenschaft 12 stellt das Produkt das Ergebnis der Produktion, also eines von Menschen gelenkten Entstehungsprozesses 13 und das Sachziel einer Unternehmung dar. Es kann sich dabei um Sachgüter, Energie oder eine Dienstleistung handeln 14. Die Produkterstellung kann in einer oder mehreren Produktionsstätten stattfinden. Unter dem Begriff der Produktionsstätte versteht man einen abgrenzbaren Ort der betrieblichen Leist~ngserstellungI5. Produkte können in einem oder in mehreren hintereinandergeschalteten technischen Prozessen entstehen 16. In einer Produktionsstätte, ja sogar in einer technischen Anlage innerhalb der Produktionsstätte können neben Produkten, deren Produktion vorrangig bezweckt wird, auch noch sonstige Produkte hergestellt werden. Geschieht dies aus naturgesetzlichen oder technischen Gründen zwangsläufig, spricht man von einer Kuppelproduktion 17 • In diesem Fall wird in der Wirtschaftswissenschaft zwischen dem Haupt- und dem oder den Nebenprodukten unterschieden. Denkbar ist auch die gleichberechtigte Herstellung verschiedener Coprodukte l8 . In einer Produktionsstätte oder einer technischen Anlage können des weiteren auch sogenannte Vor- oder Zwischenprodukte entstehen. Hierbei handelt es sich um Produkte, die auf einer vorgelagerten Produktionsstufe hergestellt und für die Fertigung des Endproduktes verwandt werden sollen 19.
12 Produkte im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne können im Rechtssinne Abfälle sein. Zur Abgenzung von Produkt und Abfall siehe unten, Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)(I)(b). 13 Gabler Wirtschaftslexikon, 4. Band, Stichwort Produktion, S. 1007. 14 Gabler Wirtschaftslexikon, 4. Band, Stichwort Produkt, S. 1006. IS Gabler Wirtschaftslexikon, 4. Band, Stichwort Produktionsstätte, S. 1020. 16 Die Wirtschaftswissenschaft unterscheidet zwischen einstufiger und mehrstufiger Produktion. Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, 4. Band, Stichwort Produktstypen, S. 1024. 17 Gabler-Wirtschafts-Lexikon, 12. Auflage, Wiesbaden 1988,3. Band, S. 3105. 18 Gabler-Wirtschafts-Lexikon, 12. Auflage, Wiesbaden 1988,3. Band, S. 3105. 19 Gabler-Wirtschafts-Lexikon, 12. Auflage, Wiesbaden 1988,6. Band, S. 2552. Der Begriff des Zwischenproduktes findet sich in Gabler-Wirtschafts-Lexikon, 12. Auflage, Wiesbaden 1988,4. Band, S. 1021.
B. Begriffsklärungen
27
11. Produktionsbereich, Produktionsverfahren, -prozeß und Verfahrensschritt 1. Produktionsbereich
Zur Klärung der Begriffe des Produktionsbereichs, des Produktionsverfahrens, des Produktionsprozesses und des Verfahrensschrittes soll ein kurzer Blick auf die Konzeption von produktionstechnischen Systemen erfolgen: Diese sind nach einem hierarchischen Schema aufgebaut. Vereinfachend kann man sagen, daß Produktionsanlagen aus Apparaten bestehen, in denen einzelne chemische, biologische oder physikalische Schritte zur Herstellung eines Produktes auszumachen sind. Die Gesamtheit der Produktionsanlagen bildet wiederum den Produktionsbereich einer Produktionsstätte 2o .
2. Produktionsverfahren Unter dem Produktionsverfahren soll im folgenden die Gesamtheit der vom Vorhabenträger oder Anlagenbetreiber vorgesehenen technischen Einrichtungen und Verfahrensschritte verstanden werden, die zur Produkterstellung innerhalb einer Produktionsstätte gewählt worden sind. Die Beschreibung des Produktionsverfahrens ist somit immer vom angestrebten Produkt abhängig. Wird lediglich ein Produkt in einer Produktions stätte hergestellt, umfaßt das Produktionsverfahren alle dort vorhandenen technischen Einrichtungen und Verfahrensschritte. Bei mehreren Produkten beschreibt der Begriff nur Teilbereiche derselben.
3. Produktionsprozeß Unter einem Produktionsprozeß versteht man den in einer Produktionsanlage oder einem ,,Apparat" innerhalb der Produktionsanlage ablaufenden Vorgang zur Herstellung eines Zwischen- oder eines Endproduktes 21 . Bei mehrstufiger Produktion innerhalb einer Produktionsstätte stellen die Abläufe innerhalb eines Produktionsprozesses also einen der Herstellung des Endproduktes vorgelagerten Schritt dar.
20 Vgl. die ähnliche Darstellung des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 679. 21 Lipphardt, Chem.-Ing.-Tech. 61 (1989), 855 ff., 857; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 734.
1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
28
4. Verfahrensschritt
Unter einem Verfahrensschritt soll ein im einzelnen abgrenzbarer chemischer, physikalischer oder biologischer Vorgang innerhalb eines Produktionsprozesses verstanden werden.
IH. Produktionsintegrierter Umweltschutz 1. BegrifTsverwendung in der Literatur
Die Kategorie des produktionsintegrierten Umweltschutzes ist erst in den späten achtziger Jahren kreiert worden, und zwar im Kontext der an Umweltschutztechnik interessierten Verbände der chemischen Industrie, insbesondere der DECHEMA22 und der GVC 23 . Der Begriff um faßt Maßnahmen zur umweltverträglichen Umgestaltung von betrieblichen Produktionsabläufen und wurde in Abgrenzung zu produktintegrierten Umweltschutzmaßnahmen verstanden. Die chemische Industrie wollte zwar das Konzept des additiven Umweltschutzes erweitern, ohne jedoch die Debatte um die Umweltverträglichkeit ihrer Produkte aufnehmen zu müssen 24 . In der technischen, betriebswirtschaftlichen, rechts- und sozialwissenschaftlichen Literatur dominiert die Behandlung des integrierten Umweltschutzes. Stellungnahmen zum produktionsintegrierten Umweltschutz finden sich im Verhältnis relativ selten. Betrachtet man die einschlägigen Stimmen, fällt auf, daß bereits der Begriff des "produktionsintegrierten Umweltschutzes" äußerst uneinheitlich verwandt wird. Nach der Definition von Lipphardt und Christ bedeutet produktionsintegrierter Umweltschutz das Vermindern, das Vermeiden und das Verwerten von Reststoffen 25 . Dies könne durch Verbesserung der chemischen Prozesse, Verwendung von Katalysatoren mit erhöhter Selektivität, einer anlagen- und regeltechnischen Prozeßoptimierung, der Verwendung von Rohstoffen mit einem höheren Reinheitsgrad und der Substitution bzw. Elimination von umweltbelastenden Hilfsstoffen (z. B. chlorierten Lösemitteln) erreicht werden 26 • Die Reststoffverwertung könne betriebsintern oder betriebsextern erfolgen 27 . Deutsche Gesellschaft für chemisches Apparatewesen. VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen. 24 Aus dieser Motivation heraus wurde von verschiedenen Institutionen ein Grundsatzpapier zum produktionsintegrierten Umweltschutz ausgearbeitet. Vgl. die Zusammenfassung von Lipphardt, Chem.-Ing.-Tech. 61 (1989), 855 ff. 25 Lipphardt, Chem.-Ing.-Tech. 61 (1989), 855 ff., 855 und 857; Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992), 889 ff., 890. So auch Lenz/Molzahn/Schmitt, Chem.-Ing.-Tech. 61 (1989), 860 ff., 860 f. 26 Lipphardt und Christ behandeln den produktionsintegrierten Umweltschutz in der chemischen Industrie. Ihre Beispiele beziehen sich folglich auf diesen Industriezweig. 22 23
B. Begriffsklärungen
29
Eine in Teilen ähnliche, zum Teil aber auch weitergehende Definition vertritt Kwiatkowski. Mit Hilfe des produktionsintegrierten Umweltschutzes solle nachträglicher Reinigungsaufwand verringert werden, indem rückstands arm produziert werde 28 . Als geeignete Maßnahmen kämen die Rohstoffvorbehandlung, die Vermeidung oder Verminderung von Reststoffen im Prozeß, die Prozeßoptimierung und -veränderung, die Verwertung von Reststoffen im Produktionsverbund und die umweltgerechte Entsorgung nicht verwertbarer Stoffe in Betracht29 . Unter dem Begriff des Produktionsverbundes versteht Kwiatkowski sowohl Prozesse innerhalb, als auch außerhalb der "eigenen Firma,,3o. Das Vermindern, Vermeiden und Verwerten von Reststoffen fciIIt also auch nach Kwiatkowski unter den Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes. Anders als bei Christ sind bei Kwiatkowski aber nicht nur die Reststoffe Gegenstand des produktionsintegrierten Umweltschutzes. Auch das Einsparen von Energie und Rohstoffen sei ein Teilzie1 desselben 31 . Unverständlich ist dagegen die Nennung der "umweltgerechten Entsorgung nicht verwertbarer Stoffe". Denn diese stellt eine typische additive Maßnahme dar. Die Arbeitsgruppe 7.3.1, Integrierter Umweltschutz, der Abwassertechnischen Vereinigung (ATV) faßt dagegen vermeidende Maßnahmen nicht unter den Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes. Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes lägen vor, wenn unvermeidbare Reststoffe, wenn möglich in anderen Prozessen, als Ausgangs- oder Hilfsstoffe wieder eingesetzt würden. Gemeint seien z. B. Verfahren zur Rückgewinnung von Lösemitteln und deren Wiederverwertung. Diese Maßnahmen ließen sich sowohl in einem einzelnen Betrieb, als auch im Betriebsverbund realisieren 32 . Die ATV beschränkt den produktionsintegrierten Umweltschutz also allein auf Maßnahmen des primären und des sekundären Recyclings 33 . Eine in Teilen wieder andere Bedeutung messen Faber, löst und Müller-Fürstenberger dem produktionsintegrierten Umweltschutz zu. Nach dieser Auffassung verlange der produktionsintegrierte Umweltschutz, daß Schadstoffe und Abfalle 27 Lipphardt, Chem.-Ing.-Tech. 61 (1989),855 ff., 855 und 858; Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992), 889 ff., 890; Lenz/ Molzahn / Schmitt, Chem.-Ing.-Tech. 61 (1989), 860 ff., 861. 28 Kwiatkowski, 1994, S. 107 ff., 110. 29 Kwiatkowski, 1994, S. 107 ff., 111. 30 Kwiatkowski,1994,S.107ff.,113. 31 Kwiatkowski, 1994, S. 107 ff., 111. 32 Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 110. Ähnlich Kreikebaum, 1992, Schaubild S. 19. 33 Es wird in der Regel zwischen primärem, sekundärem und tertiärem Recycling differenziert. Unter dem Begriff des primären Recyclings versteht man die Verwertung von Abfällen innerhalb, unter dem des sekundären Recyclings die Verwertung außerhalb der Produktionsstätte. Das tertiäre Recycling beschreibt die Verwertung von Abfällen nach ihrem Endverbrauch. Genannt sei z. B. die Verwendung von Altpapier zur Papier- und Pappeherstellung oder die Verwendung von Alu- und Weißblechdosen in der Metallgewinnung. Vgl. hierzu Huber, 1995, S. 16 ff., S. 17. Im Laufe der Arbeit sollen diese Definitionen verwandt werden. Einen anderen Recyclingbegriff verwendet Lange, 1978, S. 190 ff.
30
1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
entweder vermieden oder verwertet werden 34 . Hierfür existierten vier unterschiedliche Ansatzpunkte: die Wahl eines anderen Herstellungsprozesses, die Verwertung der "Nebenprodukte" in anderen Herstellungsprozessen, die betriebsinterne oder -externe Verwertung der unerwünschten Nebenprodukte im gleichen Herstellungsprozess und die technische Optimierung des timweltbelastenden Verfahrens 35 . Dabei ist das Ersetzen des Reststoftbegriffes durch den des Abfalls dem zwischenzeitlichen Inkrafttreten des KrW- / AbfG geschuldet. Anders als die vorangegangenen Stimmen wird aber auch die Vermeidung und Verwertung von Schadstoffen als Maßnahme des produktionsintegrierten Umweltschutzes bezeichnet. Den bislang genannten Definitionen ist gemein, daß sie den Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes vor allem über bestimmte Handlungen festlegen wollen. Hassan und Kostka bestimmen den Begriff dagegen über das Ziel desselben. Der produktionsintegrierte Umweltschutz stehe für die Reduzierung des Umweltverbrauchs bei der Produktion selbst, womit die Vermeidung bzw. Verringerung von Umweltbelastungen durch den regulären Betrieb der Produktionsanlagen, als auch durch Störfälle gemeint sei. Angestrebt werde die optimale Vermeidung von umweltbelastenden Stoffen und die optimale Ausnutzung von Energie und Rohstoffen 36 . Der - soweit ersichtlich - einzige Vertreter der Rechtswissenschaft, der den Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes definiert, ist Feldhaus. Nach seiner Definition werden mit Hilfe des produktionsintegrierten Umweltschutzes "über die Wahl der Einsatzstoffe, über verfahrenstechnische Optimierungen oder Verbundlösungen Produktionsprozesse von vornherein so entwickelt ... , daß sie möglichst emissionsarm ablaufen, möglichst geringe Mengen (schadstoffhaltiger) Abwässer anfallen, Abfälle vermieden oder verwertet werden, dies alles möglichst energiesparend, die Nutzung der Abwärme einschließend,,37. Feldhaus verknüpft handlungs- und zielbezogene Komponenten in seiner Definition, verfolgt aber ein anderes Ziel als Hassan und Kostka, indem er nicht auf den Verbrauch von Stoffen und Energie und auf die Vermeidung von umweltbelastenden Stoffen, sondern - jedenfalls vorrangig - auf die Verringerung von Emissionen abstellt. Die Darstellung der verschiedenen Auffassungen zum Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes hat gezeigt, daß dieser als bislang nicht eindeutig geklärt angesehen werden muß. Hinter den verschiedenen Definitionen scheint bereits ein unterschiedliches Verständnis der Ziele des produktionsintegrierten Umweltschutzes zu stehen. Wenn vorrangig auf Maßnahmen des Vermeidens, Verminderns und Verwertens von Reststoffen, also vom Betreiber nicht erwünschter 34
Faber I löstl Müller-Fürstenberger, ZAU 1995, 168 ff., 170.
35 Faber lJöst I Müller-Fürstenberger, ZAU 1995, 168 ff., 171. 36 Hassan/Kostka, Chem.-Ing.-Tech. 65 (1993) Nr. 4. 391 ff., 391. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Fleischer, 1994, S. 7 ff., 9. 37 Feldhaus, 1998, S. 147.
B. Begriffsklärungen
31
Stoffe sowie auf das Einsparen von Rohstoffen und Energie abgestellt wird 38 , steht der Wunsch des Betreibers nach einer ökonomisch effizienteren Ausgestaltung der Produktion im Vordergrund der Betrachtung. Wenn dagegen "die optimale Vermeidung von umweltbelastenden Stoffen kombiniert mit einer optimalen Ausnutzung von Energie und Rohstoffen" bei der Produktion 39 oder die Minimierung von betrieblichen Umweitbeiastungen40 als produktionsintegrierter Umweltschutz bezeichnet wird, werden ökologische Ziele stärker in den Mittelpunkt gestellt. Festzustellen ist des weiteren, daß auch die örtlichen Grenzen von Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes in der Literatur unterschiedlich gezogen werden. Teilweise wird auf die Grenzen der Produktions stätte abgestellt 41 • Andere fassen auch den Einsatz von Reststoffen in anderen Produktionsstätten und in anderen Unternehmen unter die Kategorie des produktionsintegrierten Umweltschutzes42 •
2. Eigene Auffassung a) Definition
Ziel des produktionsintegrierten Umweltschutzes ist die Verringerung der produktionsbedingten unerwünschten Stoffausträge in die Umweltmedien. Als Belastungspfade seien das Abwasser, die Abluft sowie der Abfall genannt. Diesbezüglich unterscheidet sich der produktionsintegrierte Umweltschutz aber nicht von der additiven Herangehensweise. Denn auch der additive Umweltschutz hat die Verringerung der durch die industrielle Produktion verursachten stofflichen Belastung der Umwelt zum Ziel. Produktionsintegrierter Umweltschutz soll aber weitergehende Perspektiven für den Umweltschutz ermöglichen als die in der Praxis dominierenden additiven Techniken. Insoweit sind sich alle eben genannten Stimmen in der Literatur einig. Der Unterschied zwischen beiden Ansätzen liegt - wenn man wie hier vertreten nicht primär auf die ökonomischen, sondern auf die ökologischen Auswirkungen der Maßnahme abstellt - aber allein im vermeidenden Charakter produktionsintegrierter Maßnahmen. Umweltbelastungen sollen nicht nachträglich behandelt, sondern bereits an der Quelle, d. h. durch eine entsprechende Ausgestaltung des Produktionsbereichs vermieden werden. Produktionsintegrierter Umweltschutz will die Ursache von nega38 Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992), 889 ff., 890. Ähnlich Kwiatkowski, UPR-Special Heft 5, 1994, S. 107 ff., II 0 f. 39 Hassan/Kostka, Chem.-Ing.-Tech. 65 (1993), 391 ff., 391. 40 Fleischer, 1994, S. 7 ff., 9. 41 Fleischer, 1994, S. 7 ff., 9. 42 Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 1l0; Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992),889 ff., 890; FaberlJöstlMüller-Fürstenberger, ZAU 1995, 168 ff., 171; Kwiatkowski, UPR-Special Heft 5,1994, S. 107 ff., 113.
32
1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
tiven Stoffausträgen in die Umweltmedien bekämpfen. Dies setzt die Verringerung des Stoff- und Energieeinsatzes pro Produkt und die möglichst weitgehende Vermeidung des Einsatzes als gefährlich erkannter Stoffe in der Produktion voraus. Denn eine effizientere Nutzung von Ressourcen führt jedenfalls bei gleichbleibender Menge an hergestellten Produkten zu einer Entlastung der Umweltmedien43 . Dabei muß nicht nur der Verbrauch gefahrlieher Stoffe verringert werden. Denn der Betrieb von Industrieanlagen verursacht Schadwirkungen nicht nur aus der Emission "an sich" gefährlicher Stoffe, sondern auch aus dem Eintrag natürlich vorkommender, "an sich" ungefahrlicher Stoffe, wie etwa Kohlenstoff, Kohlendioxyd oder Stickstoff. Als Beispiel mögen die anthropogen bedingten Klimaschäden oder die Waldschäden ausreichen. Es ist also zwischen Massenstoffen und gefahrlichen Stoffen zu unterscheiden. Die Lösung des Problemes der Massenstoffe erfordert allein eine Frachtbetrachtung, also eine Betrachtung der Quantität. Der Eintrag von gefahrlichen Stoffen in die Umwelt muß dagegen nicht nur in der Quantität, sondern auch in der Qualität verringert werden. Für die vorliegende Untersuchung soll deshalb jede Maßnahme innerhalb einer Produktionsstätte, die bei gleichbleibendem Ausstoß an Produkten entweder zu einer Verringerung des Energieverbrauchs oder zu einer Verringerung des Verbrauchs gefährlicher44 oder nicht-gefährlicher Stoffe bei der Produktion führt, als eine Maßnahme produktionsintegrierten Umweltschutzes bezeichnet werden. Oben ist dargestellt worden, daß die Grenzen der Betrachtung für den produktionsintegrierten Umweltschutz in der Literatur unterschiedlich gezogen werden. Für die vorliegende Arbeit soll die einzelne Produktionsstätte als die entsprechende Grenze betrachtet werden. Nur so kann mit annähernd vertretbarem Aufwand festgestellt werden, ob die jeweils in Rede stehende Maßnahme tatsächlich zu ökologischen Verbesserungen führen würde bzw. geführt hat. Denn dies ist nur möglich, wenn Menge und Gefährlichkeit unerwünschter Stoffausträge in die Umwelt vor und nach der jeweils in Rede stehenden Maßnahme erfaßt werden. Dies setzt einen konkreten Bezugspunkt der Ermittlungen voraus, der bei der jeweiligen Produktionsstätte liegen sollte. Bereits die Erfassung der Stoff- und Materialströme innerhalb einer Produktionsstätte ist aufwendig. Ein entsprechendes Vorgehen bezogen auf ganze Produktionsverbünde erEnquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" (Hrsg.), 1994, S. 44. Gemeint sind gefährliche Stoffe im Rechtssinne. Eine Definition der gefährlichen Stoffe und Zubereitungen enthält § 3a ChemG. Danach sind Stoffe oder Zubereitungen gemeint, die explosionsgefährlich, brandfördernd, entzündlich, giftig, gesundheitsschädlich, ätzend, reizend, sensibilisierend, krebserzeugend, fortpflanzungsgefährdend, erbgutverändernd oder umweltgefährlich sind. Umweltgefährlich sind nach § 3a Abs. 2 ChemG Stoffe oder Zubereitungen, die selbst oder deren Umwandlungsprodukte geeignet sind, die Beschaffenheit des Naturhaushalts, von Wasser, Boden oder Luft, Klima, Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen derart zu verändern, daß dadurch sofort oder später Gefahren für die Umwelt herbeigeführt werden können. 43
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B. Begriffsklärungen
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scheint dagegen praktisch nur schwer realisierbar45 . Die ökologische Rationalität entsprechender Maßnahmen bliebe - auch angesichts der u. a. durch den Transport der Stoffe zu anderen Produktionsstätten verursachten Umweltbelastungen im Dunkeln.
b) Abgrenzung vom additiven Umweltschutz
Im Unterschied zu produktionsintegrierten Maßnahmen sind additive Umweltschutz-Maßnahmen für die eigentliche Produktion nicht notwendig. Sie werden ausschließlich aus Gründen des Umweltschutzes eingesetzt46 . Unter den Begriff des additiven Umweltschutzes faßt man alle Anlagen, Aggregate und Maßnahmen zusammen, die man existierenden Anlagen nachschaltet, um die Abgabe von Produktionsrückständen in die Umwelt zu verhindern oder zu reduzieren bzw. um die Rückstände in eine weniger umweltgefährliche Form zu überführen47 . Typische additive Umweltschutzmaßnahmen sind eingangs genannt worden. Da der produktionsintegrierte Umweltschutz sich nach hier vertretener Auffassung auf Maßnahmen innerhalb einer Produktionsstätte beschränkt, kann die Abfallverwertung außerhalb derselben - anders als zum Teil vertreten - nicht unter den Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes fallen. Das sogenannte sekundäre Recycling muß als additiver Umweltschutz gelten 48 . Gleiches gilt für die sogenannte betriebliche Teilstrombehandlung. Hierunter ist die Extraktion von Schadstoffen aus einzelnen Abgas- oder Abwasserströmen innerhalb der Produktionsstätte zu verstehen. Diese Vorgehensweise wird in der Regel gewählt, um einer Vermischung mit anderen betrieblichen Teilströmen, die zu geringeren Reinigungsleistungen späterer additiver Maßnahmen führen würde, vorzubeugen. Sie setzt an, nachdem die in Rede stehenden Stoffe für die Produktion nicht mehr benötigt werden und ist somit ebenfalls als nachsorgend zu bezeichnen. Die Frage, ob die Verwertung von Abfällen innerhalb der Produktionsstätte - also das primäre Recycling - unter den Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes fällt, ist dagegen nicht einfach zu beantworten. Die oben genannte Literatur bejaht diese Frage, soweit hierzu Stellung genommen wird49 . Zum Teil wird 4S
46 47
Ähnlich auch Fleischer, 1994, S. 7 ff., S. 25. Lange, 1978, S. 180. Coenen/Klein-Vielhauer/Meyer, 1996, S. 33. Ähnlich Kwiatkowski, 1994, S. 107 ff.,
110. Gleiches gilt auch für das tertiäre Recycling. Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992), 889 ff., 890; Kwiatkowski, UPR-Special Heft 5, 1994, S. 107 ff., 111; Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 110; Faber/Jöstl Müller-Fürstenberger, ZAU 1995, 168 ff., 171. 48
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1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
das primäre Recycling dagegen unter den Begriff des additiven Umweltschutzes gefaßtSo. Geht man von der hier vertretenen Definition des produktionsintegrierten Umweltschutzes aus, so ist festzustellen, daß das primäre Recycling den Stoffverbrauch in der Produktions stätte in der Regel verringern wird. Zwar ist zur Durchführung von Recyclingmaßnahmen häufig auch die Zuführung von Stoffen notwendig, diese Stoffmengen werden aber normalerweise durch die erreichten Einsparungen im Stoffverbrauch übertroffen. Allerdings erfordert das primäre Recycling einen zusätzlichen Einsatz von Energie und WasserSI. Zudem muß ein Teil der zum Recycling anstehenden Stoffe häufig wegen andernfalls drohender Qualitätsverschlechterungen durch Anreicherung unerwünschter Nebenbestandteile sowie durch Abnahme der Nutzeigenschaften des recycelten Materials als Abfall ausgeschleust werden52 • Ob die Verwertung von Abfallen innerhalb der Produktionsstätte im Vergleich zum Einsatz nicht-recycelter Stoffe ökologisch vorzugswürdig ist, ist deshalb nur im Einzelfall zu beantworten 53 • Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen hat in seinem Sondergutachten ,.Abfallwirtschaft" von 1990 die Erwägungen, die bei der ökologischen Bewertung von Maßnahmen zur Vermeidung bzw. zur Verwertung von Abfallen anzustellen sind, ausführlich dargestellt. Er führt im Anschluß aus: ,,zusammenfassend kann man davon ausgehen, daß im al\gemeinen die Vermeidung von Rückständen oder Abfäl\en die umweltpolitisch günstigste Option darstel\t. Eine starke Vermutung spricht regelmäßig auch dafür, daß Verwertung umweltpolitisch günstiger ist, als die Beseitigung, doch kann eine Analyse der Lastpakete im Einzelfal\ auch das Gegenteil ergeben ...54
Die Stimmen in der Literatur, die das primäre Recycling als Maßnahme des additiven Umweltschutzes ansehen, berufen sich auf die genannten ökologischen Nachteile des primären Recyclings 55 . Auch sonstige Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes müssen aber nicht zwangsläufig zu ökologischen Ver50 Antes/Clausen/Fichter, DB 1995,685 ff., 689. So wohl auch Antes, 1996, S. 28 und Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 31, die das primäre Recycling jeweils in einern Schaubild nicht der ,Jntegrierten Umwelttechnik" (Coenen et. al.) bzw. den ,Jntegrierten Technologien" (Antes) zuordnen. Gleicher Auffassung Lange, 1978, S. 180 und 190, der seine Aussage al\erdings auf den erneuten Einsatz des Outputs sonstiger additiver Maßnahmen beschränkt. Einen Überblick über den damaligen Streitstand in der wirtschaftswissenschaftIichen Literatur gibt Antes, 1988, S. 67. 51 Rat von Sachverständigen fl.ir Umweltfragen, 1994, Tz. 279. 52 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1994, Tz. 279. 53 Wege zur Beantwortung dieser Frage anhand eines Konzeptes der "Lastpakete" zeigt der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 62 ff. auf. 54 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 683. 55 Antes, 1996, S. 28 und Coenen/Klein-Vielhauer/Meyer, 1996, S. 31.
B. Begriffsklärungen
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besserungen führen. So kann die Wahl eines anderen Produktionsverfahrens zwar den Verbrauch bestimmter Stoffe verringern, den Energieverbrauch aber steigern. Wenn im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen noch wenig erforschte Materialien und Stoffe zum Einsatz kommen, um den Verbrauch gefährlicher Stoffe zu verringern, so können andersartige Entsorgungsprobleme als bislang auftreten 56 . Die Frage der ökologischen Sinnhaftigkeit des produktionsintegrierten Umweltschutzes im Einzelfall s7 ist deshalb unabhängig von der Begriffsfindung zu beurteilen. Für die Einstufung als additive Maßnahme könnte allerdings sprechen, daß beim primären Recycling Stoffe nachträglich behandelt und als Einsatzstoff zurückgewonnen werden. Nachgeschaltete Maßnahmen, die die Abgabe von Produktionsrückständen in die Umwelt reduzieren sollen, faßt man - wie eingangs dieses Gliederungspunktes ausgeführt - unter den Begriff des additiven Umweltschutzes 58 . Die Berechtigung dieses Einwands hängt allerdings von der Grenze der Betrachtung ab. Primäres Recycling ist mit Blick auf den Produktionsbereich nicht nachgeschaltet, sondern zwischengeschaltet. Produktionsrückstände können bei dieser Betrachtungsweise erst entstehen, wenn Maßnahmen des Recyclings nicht mehr möglich erscheinen bzw. nicht ergriffen werden. Das Wiederverwenden von zurückgewonnenen Stoffen während der Produktion vermindert unerwünschte Stoffausträge in die Umwelt. Primäres Recycling kann, wenn der Produktionsbereich die Betrachtungsgrenze darstellt, nicht als additive Maßnahme zu charakterisieren sein. Stellte man dagegen auf das Produktionsverfahren59 , den Produktionsprozeß oder noch enger auf den einzelnen Verfahrensschritt ab, würde primäres Recycling auch nachgeschaltet erscheinen können. Der produktionsintegrierte Umweltschutz bezieht sich aber auf den Produktionsbereich. Das primäre Recycling ist deswegen als Maßnahme des produktionsintegrierten Umweltschutzes und nicht als solche des additiven Umweltschutzes zu bezeichnen. Gleiches gilt für die Nutzung bereits entstandener Abwärme im Produktionsbereich. Gemeint ist die Nutzung der Abwärme als Wärme 60 oder als Einsatzstof~l Coenen I Klein-Viel hauer I Meyer, 1996, S. 56. Dazu siehe unten, Kapitel I, Gliederungspunkt C.!.I. 58 Aus diesem Grund faßt Lange, 1978, S. 180 und 190 den erneuten Einsatz des Outputs sonstiger additiver Maßnahmen unter den Begriff des additiven Umweltschutzes. 59 Bei mehreren Produktionsverfahren in der Produktionsstätte. 60 Dies kann mit oder ohne ZwischenschaItung eines mit Exergiezufuhr verbundenen Verfahrensschrittes geschehen. Beispiele nennt Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5, Rn. 711, Spiegel striche 4 und 5. 61 Als Beispiel nennt Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5, Rn. 711, die Rückführung eines wärmehaItigen Stoffstroms (gegebenenfalls nach Reinigung) in denselben Prozeß oder in einen anderen Prozeß (z. B. Abluft als Verbrennungsluft für eine Feuerung). Genannt sei auch die Wandlung der Abwärme z. B. bei der Kraft-Wanne-Kopplung. 56
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1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
in demselben Prozeß oder in anderen Prozessen. Diese Maßnahmen haben zwar keine Auswirkungen auf die Gesamtanforderungen der in der Produktionsstätte stattfindenden Produktionsverfahren an Energiezuführung. Verringert wird hierdurch aber der Verbrauch an extern erzeugter Primärenergie. Die Abwärmenutzung ist folglich mit dem primären Recycling von Stoffen zu vergleichen. Die Gründe, die für die Einbeziehung des primären Recyclings unter den Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes sprechen, gelten auch für die Nutzung bereits entstandener Abwärme. Es sei in diesem Zusammenhang aber darauf hingewiesen, daß als Maßnahme mit Auswirkungen auf den Energieverbrauch innerhalb der Produktionsstätte auch noch die Verbesserung des energieseitigen Wirkungsgrads des jeweils gewählten Produktionsverfahrens in Betracht kommt. Gemeint sind z. B. Maßnahmen, die bereits die Entstehung von Abwärme verhindern. Als Beispiele zu nennen sind hier die Wahl eines anderen Energieträgers oder einer anderen Prozeßtechnik, die die eingesetzte Energie in höherem Maße ausnutzt. Auch die Wahl eines Produktionsverfahrens mit einem geringeren Energiebedarf darf nicht unerwähnt bleiben. Zu guter letzt ist noch festzustellen, daß auch die Kreislaufführung von Stoffen unter den Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes fällt. Bei dieser werden Stoffe im Produktionsbereich mehrmals eingesetzt, ohne daß dies - wie beim primären Recycling - einer Wiederaufarbeitung mittels physikalischer, chemischer oder biologischer Verfahren oder anders ausgedrückt einer Einflußnahme auf die Substanz oder stoffliche Gestalt der recycelten Stoffe voraussetzt. Wird das primäre Recycling - wie hier vertreten - als Maßnahme des produktionsintegrierten Umweltschutzes angesehen, muß dies erst recht für die Kreislaufführung von Stoffen gelten. Denn hier entfällt mangels Wiederaufarbeitung bereits der Einwand, diese sei typisch für die Kategorie des additiven Umweltschutzes. Wahrend das sekundäre Recycling und die betriebliche Teilstrombehandlung also Maßnahmen des additiven Umweltschutzes darstellen, unterfallen das primäre Recycling, die Nutzung entstandener Abwärme im Produktionsbereich und die Kreislaufführung von Stoffen innerhalb der Produktionsstätte dem produktionsintegrierten Umweltschutz. c) Abgrenzung vom produktintegrierten Umweltschutz
Der produktintegrierte Umweltschutz will die Umweltbelastungen über den gesamten Lebensweg eines Produktes, also "von der Wiege bis zur Bahre", verringern. Die Grenzen der Betrachtung liegen auf der einen Seite bei der Gewinnung der für das Produkt notwendigen Rohstoffe und auf der anderen Seite bei der Eingliederung des Produktes als Abfall in die Umwelt62 . Bei der Konzeption von Pro62
Fleischer, 1994, S. 7 ff., 9.
B. Begriffsklärungen
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dukten durch den Hersteller sollen also nicht nur die Auswirkungen der Fertigung des Produktes, sondern auch die diesem Prozeß vorangehenden Stufen und die mit dem Gebrauch und der Entsorgung des Produktes einhergehenden Umweltbelastungen betrachtet werden 63 . So soll u. a. auf eine höhere Langlebigkeit und eine verbesserte Reparaturfreundlichkeit des Produktes sowie auf einen geringeren Energieverbrauch während der Gebrauchsphase geachtet werden 64 . Auch die Konzeption von Produkten in einer Weise, die nach ihrem Gebrauch eine Verwertbarkeit jedenfalls von Produktteilen zuläßt, wird unter den produktintegrierten Umweltschutz gefaßt65 • Zudem sollen besonders umweltbelastende Produktinhaltsstoffe soweit wie möglich vermieden werden. Die Untersuchung will sich dem produktintegrierten Umweltschutz nicht widmen. Adressat von rechtlichen Regelungen zur Optimierung der Umweltauswirkungen eines Produktes kann letztlich nur der Hersteller desselben sein. Dieser müßte Modifikationen seines Produktes vornehmen und dabei nach den obigen Ausführungen auch Umweltauswirkungen außerhalb seiner Produktionsstätte berücksichtigen. Eine Bilanzierung entsprechender Auswirkungen setzt die Erlangung von Informationen über Geschehnisse außerhalb seiner Sphäre voraus. Dies kann möglich sein, hätte aber erhebliche Anstrengungen auf Betreiberseite zur Folge. Zudem bergen Modifikationen des Produktes aus Sicht des Betreibers die Gefahr einer schlechteren Absetzbarkeit desselben. Dennoch soll die Sinnhaftigkeit entsprechender Überlegungen nicht in Frage gestellt werden. Die Beschränkung der Untersuchung auf den produktionsintegrierten Umweltschutz liegt darin begründet, daß bei diesem ein höheres Eigeninteresse des Verursachers und eine bessere praktische Umsetzbarkeit angenommen und so eine günstigere Umsetzungsprognose gestellt werden kann. Indes ist die Abgrenzung zwischen produkt- und produktionsintegriertem Umweltschutz nicht einfach zu treffen, da umweltgerechtere Produktneuerungen immer auch mit Veränderungen des Herstellungsverfahrens verbunden sind, bzw. diese voraussetzen. Die Art des Produktes und die Produktgestait bestimmen aus diesem Grund maßgeblich die Umweltverträglichkeit der industriellen Produktion. Zum Teil wird deshalb die Substitution eines Produktes durch ein anderes als Mittel des produktionsintegrierten Umweltschutzes angesehen 66 . Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen produkt- und produktionsintegriertem Umweltschutz bestehen mit anderen Worten in besonderem Maße, wenn Veränderungen im Produktionsbereich erfolgen, um ein umweltverträglicheres Produkt herzustellen. Die
63 Projektträger Umweltschutztechnik I Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (Hrsg.), 1994, S. 49. 64 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1994, Tz. 280; Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 34. 6S Projektträger Umweltschutztechnik I Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (Hrsg.), 1994, S. 47. 66 Hassan I Kostka, Chem.-Ing.-Tech. 65 (1993), 391 ff., 396.
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l. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
Herstellung eines Produktes aus recycelten Stoffen oder Materialien an Stelle der Rohmaterialien mag als Beispiel für ein entsprechendes Vorgehen dienen. Alle umweltschützenden Maßnahmen innerhalb der Produktionsstätte, die Auswirkungen auf die Gestalt des herzustellenden Produktes haben, sollen aber aus den bereits eben genannten Gründen außer Betracht bleiben. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der ökologischen Optimierung des Produktionsbereichs. Insbesondere bei einer Umstellung des Stoffeinsatzes erscheint die Unterscheidung zwischen produkt- und produktionsintegriertem Umweltschutz dennoch schwierig. Dabei ist festzuhalten, daß eine Produktveränderung bereits bei einer Modifikation der stofflichen Zusammensetzung desselben vorliegt. Der Einsatz von anderen Stoffen in der Produktion fällt demnach unter den produktintegrierten Umweltschutz, wenn sich diese Maßnahme auf die stoffliche Zusammensetzung des Produktes auswirkt. Die Modifikation des Einsatzes sonstiger Stoffe fällt dagegen unter die Kategorie des produktionsintegrierten Umweltschutzes. Das eben angeführte Recycling von Stoffen, die anstelle von Rohmaterialien zur Produkterstellung eingesetzt werden sollen, ist also, auch wenn es innerhalb der Produktionsstätte erfolgt, keine Maßnahme produktionsintegrierten Umweltschutzes. Etwas anderes gilt, wenn Stoffe recycelt werden, die sich nicht im Produkt wiederfinden. Als Beispiel sei die Wiederverwendung von Lösungsmitteln genannt. d) Teilweise Einbeziehung des prozeßintegrierten Umweltschutzes
Der Begriff des Produktionsprozesses ist oben erläutert worden. Unter einem Produktionsprozeß versteht man danach den in einer Produktionsanlage oder einem "Apparat" innerhalb der Produktionsanlage ablaufenden Vorgang zur Herstellung eines Zwischen- oder eines Endproduktes. Die Grenze der Betrachtung des prozeßintegrierten Umweltschutzes ist folglich eine Anlage oder ein Apparat, dessen Stoff- und Energieströme im Ein- und Ausgang eindeutig bestimm- und meßbar sind67 . Der prozeßintegrierte Umweltschutz strebt die Minimierung der durch einen einzelnen Herstellungsprozeß erzeugten Umweltbelastungen an 68 . Diese sollen einen verringerten Einsatz von Energie und stofflichen Ressourcen benötigen. Als weiteres Ziel ist die Verringerung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe in einem Produktionsprozeß zu nennen. Gemeint ist zum einen ein Übergang zur Produktion in integrierten Kreisläufen. Die in den jeweiligen Prozessen entstehenden Emissionen sollen systematisch in den Prozeß zurückgeführt werden 69 . Als Beispiele mögen das produktionsprozeß67
68 69
Fleischer, 1994, S. 7 ff., 9. Fleischer, 1994, S. 7 ff., 9. Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1994, Tz. 260.
B. Begriffsklärungen
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interne Recycling und die Abwärmenutzung sowie die Kreislaufführung von Stoffen innerhalb eines Produktionsprozesses dienen 70. Zum anderen soll aber auch, dem eben genannten Ansatz vorgelagert, die Entwicklung rückstandsarmer oder -freier Verfahren betrieben werden 7l . Das Ziel der Durchsatzminimierung (Steigerung der Ausbeute) soll so konsequent verfolgt werden, daß eine Stoffrückführung gänzlich überflüssig gemacht wird 72 . Als Maßnahme wird hier u. a. die Verwendung von weniger verunreinigten Rohstoffen und Vorprodukten angegeben 73 . Des weiteren sollen umweltschädliche Hilfsstoffe vermieden bzw. substituiert werden 74 • Der prozeßintegrierte Umweltschutz bezieht Modifikationen des Produktionsprozesses, die Auswirkungen auf das jeweilige Produkt haben, ein, beschränkt sich aber nicht hierauf. Auch Modifikationen, die keine entsprechenden Auswirkungen haben, sind von dem hier in Rede stehenden Begriff umfaßt. Der prozeßintegrierte Umweltschutz ist also sowohl Bestandteil des produkt-, als auch des produktionsintegrierten Umweltschutzes 75. Er ist also teilweise in die Betrachtung einzubeziehen. Eine Bedeutung als Kategorie neben dem prozeßintegrierten Umweltschutz erhält der produktionsintegrierte Umweltschutz dadurch, daß mit seiner Hilfe innerhalb der Produktionsstätte Produktions verfahren für mehrere Produkte optimiert werden können 76 • Genannt sei die prozeßübergreifende Kreislaufführung von Stoffen oder das prozeßübergreifende primäre Recycling.
e) Zusammenfassung Für die vorliegende Untersuchung soll, wie bereits oben ausgeführt, jede Maßnahme innerhalb einer Produktionsstätte, die bei gleichbleibendem Ausstoß an Produkten entweder zu einer Verringerung des Energieverbrauchs oder zu einer 70 Entsprechende Beispiele werden in Projektträger Umweltschutztechnik / Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (Hrsg.), 1994, S. 49 und bei Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 34 genannt. 71 Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 110; FaberIJöst/Müller-Fürstenberger, ZAU 1995, 168 ff., 171 sprechen von "Vermeidung von unerwünschten Nebenprodukten, indem ein anderer Herstellungsprozeß gewählt wird". 72 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1994, Tz. 260. 73 Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992), 889 ff., 890; Hassan I Kostka, Chem.-Ing.-Tech. 65 (1993), 391 ff., 398. 74 Coenen/Klein-Vielhauer/Meyer, 1996, S. 32; Huber, 1995, S. 16 ff., 18; Projektträger Umweltschutztechnik/Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (Hrsg), 1994, S. 49. 7S Fleischer, 1994, S. 7 ff., 9. Ersteres ebenfalls, weil der produktintegrierte Umweltschutz auch den Herstellungsprozeß in die Betrachtung einbezieht. 76 Fleischer, 1994, S. 7 ff., 9.
1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
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Verringerung des Verbrauchs gefährlicher oder nicht-gefährlicher Stoffe bei der Produktion führt, als eine Maßnahme produktionsintegrierten Umweltschutzes bezeichnet werden. Konkret kommen - der Einsatz anderer Stoffe, - die Modifikation von Verfahrensschritten, Produktionsprozessen77 - die Modifikation des Produktionsverfahrens78, - die Kreislaufführung von Einsatzstoffen und Wasser, - die Nutzung entstandener Abwärme im Produktionsbereich und - das primäre Recycling als Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes in Betracht. Voraussetzung ist allerdings, daß die stoffliche Zusammensetzung des Produktes nicht beeinträchtigt wird. Die Bandbreite der in Betracht kommenden Maßnahmen reicht also von der Modifikation des Stoffeinsatzes über die Optimierung einzelner Verfahrensschritte bis zur vollständigen Änderung ganzer Prozesse, eines Produktionsverfahrens oder der Ausgestaltung des gesamten Produktionsbereichs. Die Palette möglicher Maßnahmen ist sehr vielfältig und variiert von Branche zu Branche, so daß hier keine Einzelbeispiele angegeben werden sollen79 .
c. Notwendigkeit der Förderung des produktionsintegrierten Umweltschutzes Nach Auffassung des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen ist auf eine allmähliche Ablösung der zur Zeit noch vorherrschenden additiven Umwelttechnik durch integrierte Umweluechnologien hinzuwirken 8o. Additive Techniken würden dann teilweise entfallen, könnten jedenfalls aber in großem Umfang entlastet werden 8l • Ob dem Rat von Sachverständigen für Umweltfragen zuzustimmen ist, soll im folgenden dargestellt werden.
Mit Blick auf den stoff- bzw. energieseitigen Wirkungsgrad derselben. Mit Blick auf den stoff- bzw. energieseitigen Wirkungsgrad desselben. 79 Vielfältige Anwendungsbeispiele für die chemische Industrie finden sich in DECHEMA/GVC/SATW (Hrsg.), 1990, S. 17 ff. Dort wird allerdings ein von der hier vertretenen Definition abweichendes Begriffsverständnis zugrunde gelegt. 80 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1996, Tz. 143 und 1994, Tz. 259. 81 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1996, Tz. 143 und Rat von Sachverständigen für Umweltfragen ,1994, Tz. 259. 77 78
C. Förderung des produktions integrierten Umweltschutzes
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I. Ökologische und ökonomische Vorteilhaftigkeit Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen begründet seine Aussage insbesondere mit ökologischen und ökonomischen Vorteilen des produktionsintegrierten Umweltschutzes im Vergleich zur additiven Herangehensweise. Im folgenden sollen diese dargestellt werden. Dabei ist vorweg klarzustellen, daß sich produktionsintegrierte und additive Umweltschutzmaßnahmen in der Regel nicht ausschließen. Dies liegt vor allem daran, daß auch eine optimierte Ausgestaltung des Produktionsverfahrens mit Blick auf den produktionsintegrierten Umweltschutz noch Stoffausträge in die Umweltmedien entstehen läßt. Industrielle Tatigkeit ist ohne Umweltwirkung nicht möglich. Soweit die verbleibenden Umweltwirkungen zu hoch erscheinen, bedarf es ergänzend nachgeschalteter Maßnahmen 82 . Zum Beispiel ist eine ökologisch verantwortbare Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen ohne additive Umwelttechnik nicht denkbar83 . Additive Umwelttechniken werden also auch bei erfolgreicher Förderung von produktionsintegrierten Techniken oft ihren Sinn behalten 84 . Produktionsintegrierter und additiver Umweltschutz sind mit anderen Worten im Normalfall je nach Einzelfall und Erfordernis aufeinander abzustimmen, damit sich beide Herangehensweisen sinnvoll ergänzen 85 . Für einige Umweltprobleme existieren allerdings keine oder kaum additive Umwelttechniken 86. Hier kann allein der produktionsintegrierte Umweltschutz zur Problemlösung beitragen. Mit wenigen Ausnahmen wird zur Verringerung von negativen produktionsbedingten Stoffausträgen also zwischen dem Ausbau rein additiver Herangehensweisen und der Einbeziehung produktionsintegrierter Maßnahmen in das Umweltschutzkonzept der Produktionsstätte zu wählen sein. Hiervon soll auch für den folgenden Vergleich der ökologischen und ökonomischen Wirkungen additiver und produktionsintegrierter Maßnahmen ausgegangen werden. 1. Verbesserung der ökologischen EffIZienz Zunächst soll dargestellt werden, ob sich mit Hilfe des produktionsintegrierten Umweltschutzes die Umweltauswirkungen der jeweils in Rede stehenden Produktionsstätte verbessern lassen. Antes, 1996,S.15. So auch Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 34 f. 84 Lipphardt, Chem.-Ing.-Tech. 61 (1989), 855 ff., 859; Projektträger Umweltschutztechnik I Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (Hrsg.), 1994, S. 49. 85 Mertins, KA 1997, 1056 ff., 1057; HassanllKostka, Chem.-Ing.-Tech. 65 (1993), 391 ff., 39l. 86 Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 56 nennen die Emissionen von Treibhausgasen wie C02, Methan oder FCKW. 82 83
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1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
a) Bewertungsschwierigkeiten
Dabei ist vorweg auszuführen, daß sich die Bewertung von ökologischen Auswirkungen verschiedenartiger Ansätze zur Verringerung der durch eine Produktionsstätte verursachten negativen Stoffeinträge in die Umwelt mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert sieht. Die zur Lösung entwickelten Konzepte sind vielfältig87 • Das in der Regel zur naturwissenschaftlichen Bewertung herangezogene Instrument der Ökobilanz88 setzt die Erfassung und Bewertung von Menge und Gefährlichkeit der unerwünschten Stoffausträge in die Umwelt vor und nach der jeweils in Rede stehenden Maßnahme voraus. Die Ökobilanz kann valide Aussagen allerdings nur treffen, wenn eine Herangehensweise im Vergleich zu anderen eine Reduktion von Belastungen aller relevanter Umweltmedien aufweist 89 . Ansonsten müßten z. B. positive Auswirkungen einer Maßnahme auf das Wasser in ein Verhältnis zu negativen Auswirkungen auf die Luft gesetzt werden. Hier werden in der Regel Schwächen bei allen diesbezüglichen Methoden konstatiert 90 . Teilweise wird dieses Problem sogar für naturwissenschaftlich unlösbar gehalten, da die Auswirkungen von Stoffen und Randbedingungen auf die Ökosphäre zu groß seien und zudem in gegenseitiger Wechselwirkung stünden91 • Dennoch werden zur Zeit entsprechende Methoden erarbeitet92 , deren allgemeine Akzeptanz in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung allerdings abgewartet werden muß 93 • Generelle Aussagen über die ökologische Effizienz verschiedenartiger Konzepte zur Verminderung der negativen Umweltauswirkungen industrieller Produktion lassen sich nach allem nur schwer treffen. Die folgenden Ausführungen sind allerdings zwangsläufig genereller Natur und vereinfachen die Betrachtung somit. b) Stärken und Schwächen additiver Konzepte
Der additive Umweltschutz hat insbesondere bei der Luft- aber auch bei der Gewässerreinhaltung beachtliche Erfolge aufzuweisen. Die entsprechenden Techniken sind in der Lage, nicht erwünschte Stoffausträge in die Umwe1tmedien drastisch zu verringern. Sie führen häufig zu einer jedenfalls kurzfristigen Beherrschbarkeit der mit der Produktion verbundenen Risiken. 87 V gl. zu betriebs wirtschaftlich motivierten Modellen Dyckhoff / Rüdiger / Souren, UWF 8, Dezember 1994, 15 ff. 88 Siehe hierzu u. a. Corino, 1995, S. 8 ff. Zur Ökobilanz auch Kwiatkowski, 1994, S. 107 ff., 108 ff. 89 Sage/Schnitzer, MM 3/1994, 5 ff., 7. 90 Kwiatkowski, 1994, S. 107 ff., 110; Haasis, UWF 8, Dezember 1994,21 ff., 24 f. 91 V gl. u. a. Sage / Schnitzer, MM 3/1994, 5 ff., 12. 92 Vgl. zum damaligen Forschungsstand Corino, 1995, S. 70 ff. 93 Zweifel hieran äußern Sage / Schnitzer, MM 3/1994, 5 ff., 12.
C. Förderung des produktionsintegrierten Umweltschutzes
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Diese Herangehensweise hat aber bereits technologische Grenzen. Eine Anlage zur Emissionsminderung kann technologisch gesehen niemals einen Wirkungsgrad von 100% erreichen. Eine Null-Emission und damit zugleich auch ein Null-Risiko für die mögliche Wirkung eines Stoffes ist mit dieser Strategie - auch mit großen Kosten - nicht erzielbar94 . Darüber hinaus kann ein hoher Wirkungsgrad durch hohe Stoffdurchsätze wieder relativiert werden. Es können mit anderen Worten relevante Schadstofffrachten trotz ho her Reinigungsleistung additiver Verfahren freigesetzt werden. Dagegen führt der Ersatz eines bestimmten gefährlichen Stoffes - also eine Maßnahme produktionsintegrierten Umweltschutzes - zu einer Null-Emission desselben. Auch lassen sich die in die Umwelt gelangenden Frachten gefährlicher Stoffe am ehesten mit Maßnahmen zur Verringerung ihres Verbrauchs verringern. Überwiegend herrscht die Auffassung vor, daß das Potential zur Emissionsreduzierung mit Hilfe additiver Techniken weitgehend ausgeschöpft ist. Teilweise werden trotz ständig wachsender technischer und finanzieller Aufwendungen immer geringere Fortschritte bei der Zurückhaltung von Schadstofffrachten prognostiziert95 . Andere sprechen jedenfalls von überproportional ansteigenden Kosten einer weitergehenden Reinigungsleistung für die Anlagen, die bereits im Bereich hoher Reinigungsgrade arbeiten 96 • Entsprechende Fortschritte werden aber notwendig sein, wenn Wachstumsprozesse bei zumindestens gleichbleibender Umweltqualität ermöglicht werden sollen 97 . Darüber hinaus lösen end-of-the-pipe-Techniken die ökologischen Probleme nicht98 . So werden umweltbelastende Stoffe in Kläranlagen zwar mit hohem Wirkungsgrad umgewandelt und aus dem Abwasser ausgeschieden. Da die Stoffe aber nur begrenzt vernichtet werden können, entsteht eine erneute Umweltlast in Form von belastetem Klärschlamm 99 . In vergleichbarer Weise wird auch durch Rauchgasreinigungsanlagen Abluft gereinigt, aber Sonderabfall erzeugt IOO • Die am Ende des Prozesses verbleibenden Stoffe weisen oft eine hohe Schadstoffkonzentration auf IOI und sind damit nur noch schwer und mit wiederum hohem Kostenaufwand ~
Johann, 1989,S. 125. Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 109; Johann, 1989, S. 131; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), 1998, S. 1164. 9t\ Projektträger Umweltschutztechnik/Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (Hrsg.), 1994, S. 12; FaberIJöst/Müller-Fürstenberger, ZAU 1995, 168 ff., 171. Auch Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992),889 ff., 892 spricht davon, daß additive Umweltschutzmaßnahmen bei linearer Emissionsminderung zu steigenden Grenzkosten bzw. zu stark fallenden Grenznutzen führen. 97 Hierauf weist Antes, 1996, S. 21 f. zu Recht hin. 98 Antes, 1996, S. 21 f.; Huber, 1995, S. 16 ff., 16 f. 99 Projektträger Umweltschutztechnik/Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrte.V. (Hrsg.), 1994, S. 17. 100 Huber, 1995, S. 16 ff., 16. 101 Projektträger Umweltschutztechnik I Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e. V. (Hrsg.), 1994, S. 18. 95
1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
44
zu beherrschen. Durch additive Verfahren werden Belastungen durch Schadstoffe also häufig nur teilweise behoben. In der Regel werden die Probleme nur stofflich verschoben und zeitlich unter Akkumulation der Risiken 102 gestreckt. Zudem führt additiver Umweltschutz oft zu einer Belastungsverschiebung in Umweltmedien, die nicht im Vordergrund der jeweiligen nachgeschalteten Reinigungstechniken stehen lO3 • Durch hohe Anforderungen an die Reinhaltung des Wassers und der Luft wird das Abfallaufkommen tendenziell erhöht lO4 . Dies belastet den Boden als drittes Umweltmedium. So müssen Filterstäube oder Schlämme aus der Abwasserbehandlung oft als (Sonder-)Abfall entsorgt werden 105. Des weiteren können bei der Deponierung von Abfällen wiederum Wasser- oder auch Luftbelastungen entstehen. Außerdem erfordern nachgeschaltete Reinigungstechniken einen über den Produktionsprozeß hinausgehenden Einsatz von Energie und weiteren Ressourcen lO6 • Gerade der Energieverbrauch additiver Anlagen ist zum Teil sehr hoch lO7 • Auch hierdurch werden Umweltbelastungen erzeugt.
c) Stärken und Schwächen produktionsintegrierter Lösungen
Der produktionsintegrierte Umweltschutz birgt dagegen den Vorteil, an den Quellen von Belastungen anzusetzen und anders als der additive Umweltschutz bereits zu ihrer Vermeidung beizutragen. Produktionsintegrierte Techniken tragen in der Regel zur Verbesserung der Energie- und Materialeffizienz bei. Sie erfassen durch ihren vermeidungsorientierten Ansatz häufig eine höhere Bandbreite von Stoffen als additive Techniken. Des weiteren führen sie oftmals nicht zu Belastungsverlagerungen in andere Umweltmedien lO8 . Allerdings kann die Emissionsreduktion bei einem einzelnen Schadstoff bei produktionsintegrierter Technik geringer ausfallen als bei einer spezialisierten additiven Technik 109. Auch sind Belastungsverschiebungen in andere Umweltmedien nicht ausgeschlossen. Wenn z. B. im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen noch Huber, 1995, S. 16 ff., 17; Antes, 1996, S. 21 f. Coenen/Klein-Vielhauer/Meyer, 1996, S. 34; Kreikebaum, 1992, S. 6; Projektträger Umweltschutztechnik/Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfcllrt e.v. (Hrsg.), 1994, S. 12. 104 Schroeter, UWF 8, Dezember 1994,28 ff., 29. 105 Kwiatkowski, 1994, S. 107 ff., 110. 106 Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992), 889 ff., 892; Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 33 f. 107 Johann, 1989, S. 127 spricht davon, daß Filteranlagen "riesige Mengen Strom" verschlingen. Zur Abscheidung von einer Tonne Staub sei in der Eisen- und Stahlindustrie ein Stromeinsatz bis zu 11 MWh erforderlich. 108 Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 55 für "integrierte Techniken"; Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 109. 109 Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 55. 102 103
C. Förderung des produktionsintegrierten Umweltschutzes
45
wenig erforschte Materialien und Stoffe zum Einsatz kommen, so können andersartige Entsorgungsprobleme als bislang auftreten 110. Nicht ausgeschlossen erscheint des weiteren, daß produktionsintegrierte Techniken zu einem insgesamt höheren Stromverbrauch bei der Produktion führen und auf diese Weise die Emissionen insbesondere von CO2 und Stickoxiden in die Luft ansteigen. Dies erscheint insbesondere für das Stoffrecycling und die Kreislaufführung von Stoffen möglich 111. Hier ist auch ein erhöhter Wasserverbrauch vorstellbar l12 . Im Rahmen des primären Recyclings kann es auch zur Einbindung von Schadstoffen in die Produkte kommen. Diese müssen nach Ende der Gebrauchsdauer wieder verwertet oder beseitigt werden. In diesen Fällen würden die UmweItauswirkungen der in Rede stehenden Stoffe also wie beim additiven Umweltschutz nur stofflich verschoben und zeitlich - unter Akkumulation der Risiken - gestreckt.
d) Ergebnis
Auch produktionsintegrierte Techniken müssen nicht zwingend in jedem Einzelfall zu tatsächlichen Verbesserungen der Umweltauswirkungen von industrieller Produktion führen 1l3 . Sie sind nicht der Königsweg zur Lösung von Umweltproblemen der industriellen Produktion. Diese Feststellung kann den Ansatz allerdings nicht im Grundsatz diskreditieren. Sie führt allein zu der Notwendigkeit, die ökologische Sinnhaftigkeit einer Maßnahme produktionsintegrierten Umweltschutzes im Einzelfall zu überprüfen. Insbesondere besteht aus ökologischer Sicht trotz der möglichen Schwächen die dringende Notwendigkeit, produktionsintegrierte Lösungen zu fördern. Dies folgt bereits aus den beschriebenen Defiziten der additiven Herangehensweise. Angesichts der dargesteHten ökologischen Stärken des produktionsintegrierten Umweltschutzes kann von einer Einbeziehung entsprechender Maßnahmen eine wesentlich höhere ökologische Effizienz als bei Beibehaltung des status quo erwartet werden 114.
2. Verbesserung der ökonomischen Effizienz für den Betreiber Die Frage ist nun, ob sich eindeutigere Ergebnisse bei der Bewertung von ökonomischen Auswirkungen der Einführung produktionsintegrierter Techniken feststeHen lassen. Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 56. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1994, Tz. 259; Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 32. 112 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1994, Tz. 279. ll3 Gegenbeispiele finden sich u. a. bei Rentz, 1995, S. 64 ff., 67 f. 114 So auch der Rat von Sachverständigen für UmweItfragen, 1996, Tz. 141. 110 111
46
1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
a) Stärken und Schwächen additiver Konzepte
Aus ökonomischer Sicht liegt der Vorteil der additiven Herangehensweise darin, daß die Umweltschutzmaßnahmen das vorgelagerte Produktionsverfahren unberührt und sich damit meist sehr einfach integrieren lassen. Es müssen nicht vollkommen neue Anlagen konzipiert und gebaut werden ll5 . Der Einbau der zusätzlichen Anlagen oder Aggregate hat keine oder nur relativ geringe Produktionseinschränkungen zur Folge 1 16. Außerdem ist die Technik der additiven Maßnahmen zum großen Teil verfügbar und bewährt, oder sie kann in relativ kurzer Zeit entwickelt und umgesetzt werden ll7 . Daraus folgen geringere Umstellungs- und Zugangskosten für additive Technologien als für produktionsintegrierte Umweltschutz-Maßnahmen. Darüber hinaus ist auch die Ausfallwahrscheinlichkeit bei additiven Technologien geringer 11 8 . Additive Umweltschutztechniken benötigen aber zusätzliche Anlagen, führen somit unweigerlich zu zusätzlichen Kosten, ohne daß der Output der Produktionsstätte gesteigert wird und führen deshalb in jedem Fall zu einer Reduzierung der Rentabilität des betroffenen Unternehmens 119.
b) Stärken und Schwächen produktionsintegrierter Lösungen
Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes führen dagegen zwangsläufig zu Veränderungen im Produktionsbereich I2o. Oft ist die Konzeption gänzlich neuer Anlagen erforderlich. In bestehenden Anlagen lassen sich regelmäßig nur Teilschritte realisieren, da sich meistens die Verfahrensbedingungen bei den neuen Herstellungsprozessen gegenüber den alten grundlegend ändern 121. Die anflinglichen Investitionskosten werden damit in der Regel höher als bei additiven Umweltschutzmaßnahmen sein l22 . Auch die Zugangskosten, z. B. in Form von Lizenzgebühren oder Aufwendungen für die eigene Forschung und EntwickKwiatkowski, 1994, S. 107 ff., 110. Lange, 1978, S. 188 f. 117 Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992),889 ff., 892 spricht von einem Zeitraum von zwei bis vier Jahren. 118 Kreikebaum, 1992, S. 11. 119 Kwiatkowski, 1994, S. 107 ff., 111; Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 110; Huber, 1995, S. 16 ff., 22; Lipphardt, Chem.-Ing.-Tech. 61 (1989),855 ff., 858; Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992),889 ff., 892; Antes, 1988, S. 72 und Steger, 1992, S. 34 sprechen von einer Senkung der Kapitalproduktivität. 120 Antes, 1996, S. 19; Projektträger UmweItschutztechnik/Deutsche ForschungsanstaIt für Luft- und Raumfahrt e.Y. (Hrsg.), 1994, S. 3. 121 Lange, 1978, S. 195 f.; im Ergebnis ebenso: Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 110. 122 Coenen/Klein-Vielhauer/Meyer, 1996, S. 47; Spilok/Pohle, 1998, S. 12. 115
116
C. Förderung des produktionsintegrierten Umweltschutzes
47
lung oder für die Infonnationsbeschaffung sind oft höher als bei additiver Umwelttechnik, da es sich bei letzteren vielfach um Verfahren handelt, die als standardisierte Produkte angeboten werden 123. Des weiteren setzt die Einbeziehung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes den Aufbau eines betrieblichen Umweltmanagementwesens voraus l24 . Auch dies verursacht zusätzliche Kosten. Erkenntnisse darüber, ob die Einführung produktionsintegrierter Techniken eine Erhöhung oder Verringerung von Personalkosten zur Folge hat, liegen bislang noch nicht vor. Eine Erhöhung der Personalkosten erscheint aber wegen der zum Teil hohen Komplexität produktionsintegrierter Techniken zumindestens nicht ausgeschlossen. Maßnahmen produktions integrierten Umweltschutzes verringern allerdings kostenträchtige Verbräuche von Einsatzstoffen und / oder von Energie und Wasser 125 . Des weiteren ist die Venninderung von Entsorgungskosten (Abfall- und Abwassergebühren) möglich 126. Ein Potential zur Senkung der Produktionskosten ist also vorhanden 127. Darüber hinaus wird die Abhängigkeit von additiven Umweltschutzmaßnahmen verringert. Dies hat zwar in der Regel nur geringe Verbesserungen bei den Betriebskosten bereits vorhandener additiver Anlagen zur Folge. Denn jedenfalls die dort entstehenden Fixkosten bleiben auch trotz Einführung produktionsintegrierter Maßnahmen zunächst in vollem Umfang bestehen 128. Zudem ist - wie oben gezeigt - ohnehin unwahrscheinlich, daß additive Maßnahmen nach Einführung produktionsintegrierter Maßnahmen gänzlich entfallen können. Langfristig ist aber dennoch wahrscheinlich, daß weitere Einsparungen beim handelnden Unternehmen erreicht werden können. Bei einer Verschärfung von Umweltschutzanforderungen können eventuell Kosten, die bei der Nachrüstung additiver Anlagen anfallen, verringert oder sogar eingespart werden l29 . Zudem ist zu berücksichtigen, daß die für die Verbesserung der Reinigungsleistung additiver Maßnahmen entstehenden Kosten in der Zukunft nach allgemeiner Auffassung überproportional steigen werden 130. Trotz Einbeziehung dieser Erwägungen läßt
123 Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 46 und 108; Haasis, UWF 8, Dezember 1994,21 ff., 23; Antes, 1988, S. 75. Auf die Bedeutung der Forschung für die Einführung integrierter Umweltschutz-Maßnahmen und die daraus resultierenden Kostensteigerungen weist auch schon Lange, 1978, S. 198 ff. hin. 124 Haasis, UWF 8, Dezember 1994,21 ff., 23. 125 Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 110. 126 Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 110. 127 Huber, 1995, S. 16 ff., 23 unter Hinweis auf entsprechende Untersuchungen in den USA; Coenen I Klein-Viel hauer I Meyer, 1996, S. 46; Kwiatkowski, 1994, S. 107 ff., 111; Lipphardt, Chem.-Ing.-Tech. 61 (1989),855 ff., 858. 128 Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 110. Nach dortigen Angaben belaufen sich die Fixkosten auf bis zu 80% der laufenden Kosten. 129 Haasis, UWF 8, Dezember 1994,21 ff., 22 f.
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1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
sich aber feststellen, daß die oben genannten Mehrkosten sich nicht immer durch Einsparungen an anderer Stelle ausgleichen lassen werden 131 . Darüber hinaus ist das wirtschaftliche Risiko bei produktionsintegrierter Umwelttechnik im allgemeinen höher als bei additiven Techniken, da oft keine Betriebserfahrungen vorliegen und die Betriebskosten somit schwer zu prognostizieren sind. Außerdem bergen integrierte Techniken durch ihre Verknüpfung mit dem Produktionsverfahren ein höheres Risiko von Produktionsausfällen 132. Dem kann allerdings positiv entgegengehalten werden, daß produktionsintegrierter Umweltschutz zu produktionsspezifischen Wissensvorsprüngen des handelnden Unternehmens führt, die sich in der Zukunft als Wettbewerbsvorteil erweisen können. Denn die Umstellung der Produktionsverfahren auf einen geringeren Ressourcenverbrauch setzt die Erarbeitung von Daten über betriebliche Stoffströme sowie über deren Zusammensetzung und Eigenschaften voraus. Hierdurch können Kosteneinsparpotentiale identifiziert und verbesserte Produktionsverfahren entwickelt werden 133 •.
c) Ergebnis
Der produktionsintegrierte Umweltschutz hat anders als der additive Umweltschutz das Potential, die Rentabilität des betroffenen Unternehmens zu erhöhen. Ob dies aber der Fall ist, läßt sich nicht generell, sondern nur im Einzelfall feststellen. Entscheidend ist hier zum einen die Höhe der Einsparungen bei den Produktionskosten. Darüber hinaus ist die Wirtschaftlichkeit der Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes insbesondere von dem Umfang, in dem durch diese in den Produktionsbereich eingegriffen wird, vom Zeitpunkt der Umstellungen und von den Innovationszyklen der Unternehmen 134 abhängig. 130 Johann, 1989, s. 126; Antes, 1996, S. 19; Projekuräger Umweltschutztechnik/Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (Hrsg.), 1994, S. 12; FaberlJöstlMüller-Fürstenberger, ZAU 1995, 168 ff., 171. Auch Christ, Chem.-Ing.-Tech. 64 (1992),889 ff., 892 spricht davon, daß additive Umweltschutzmaßnahmen bei linearer Emissionsminderung zu steigenden Grenzkosten bzw. zu stark fallenden Grenznutzen führen. 131 FaberlJöst/Müller-Fürstenberger, ZAU 1995, 168 ff., 177 beschreiben eine Fallstudie, bei der die Einführung produktionsintegrierter Umweltschutzmaßnahmen "nur" in 40% der untersuchten Fälle zu einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Produktionsverfahrens geführt hat. Nach einer bei Sage 1Schnitzer, MM 3/1994, 5 ff., 6 zitierten Untersuchung, die sich allerdings nur auf Maßnahmen zur Abfallvermeidung bezog, amortisierten sich dagegen über 50% der eingeführten Maßnahmen in weniger als zwei Jahren. Antes, 1988, S. 74 gibt eine Studie der OECD wieder, nach der sich 45% der einschlägigen Investitionen nach 3-5 Jahren amortisiert hätten. 132 Coenen 1 Klein-Vielhauer 1Meyer, 1996, S. 48. Ähnlich bereits Antes, 1988, S. 74. 133 Haasis, UWF 8, Dezember 1994,21 ff., 23. Ähnlich bereits Lange, 1978, S. 200. 134 Dabei werden die regelmäßigen Innovationszyklen der Unternehmen allerdings unterschiedlich lang dargestellt. Nach Faber lJöst 1Müller-Fürstenberger, ZAU 1995, 168 ff., 174
C. Förderung des produktionsintegrierten Umweltschutzes
49
Je größer der von möglichen Strukturveränderungen auf Grund von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes erfaßte Bereich ist, desto günstiger werden additive Maßnahmen in einem kurzfristigen Kosten-Nutzen-Vergleich abschneiden 135 . Denn große Strukturveränderungen werden in der Regel auch große Umstellungskosten verursachen. Etwas anderes gilt bei ohnehin geplanten Neuinvestitionen, da die Kosten für die Umstellung des Produktionsverfahrens in diesem Fall nicht mehr, oder nur noch in Teilen, dem Umweltschutz in Rechnung gestellt werden können l36 . Zudem wird bei vorzeitiger Umstellung auf produktionsintegrierte Umwelttechnik das für die bisherige Ausgestaltung des Produktions bereichs aufgewandte Kapital vernichtet l37 . Die Anpassung an die Investitionszyklen der Unternehmen vermeidet diesen Effekt, verringert also die Kosten der Verfahrensumstellung. Bei längeren Innovationszyklen und einer damit verbundenen längeren Nutzung produktionsintegrierter Techniken kommen des weiteren die eben beschriebenen Produktivitätsvorteile produktionsintegrierter Techniken voll zum Tragen 138. Die günstigste Konstellation für produktionsintegrierten Umweltschutz besteht nach allem bei Ersatz- oder Neuinvestitionen, die über längere Zeit genutzt werden sollen. Bei kurzfristigen Eingriffen in das bestehende Produktionsverfahren oder andauerndem Innovationsdruck kommen dessen Vorteile dagegen nicht voll zum Tragen 139.
11. Ansatz zur Verwirklichung des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung Die Förderung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes ist also - ungeachtet abweichender Ergebnisse im Einzelfall - aus ökologischer, zum Teil auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll. Darüber hinaus kann der produktionsintegrierte Umweltschutz mit seinem Ansatz, den Verbrauch von (gefährlichen) Stoffen oder von Energie zu verringern, die muß sich in der chemischen Industrie eine Neuanlage "nach gängiger Praxis" in vier Jahren amortisiert haben. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 710 führt dagegen aus, daß die chemische Industrie ihre Anlagen, "die bei Verfahrensumstellungen Vorlaufzeiten von 15 und mehr Jahren haben, aus diesen Gründen durchschnittlich 15 Jahre, obwohl sie meist bereits nach sieben bis acht Jahren abgeschrieben sind". 135 Antes, 1996, S. 19. 136 Antes, 1996, S. 19. 137 Coenen / Klein-Viel hauer / Meyer, 1996, S. 108. 138 Antes, 1996, S. 19. 139 Antes, 1988, S. 75 f.; Antes/Clausen/Fichter, DB 1995,685 ff., 689. 4 Griem
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1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
Verwirklichung des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung befördern 140. Mit Hilfe dieser Fonnel soll seit der UNCED-Konferenz von Rio de Janeiro im Jahre 1992 der Brückenschlag zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und dem Umweltschutz versucht werden. Von einem entsprechenden Völkergewohnheitsrecht kann man zwar noch nicht sprechen. Dies ist für die Zukunft jedoch nicht ausgeschlossen l41 . Nach dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ist wirtschaftliche Entwicklung auf die Nutzung natürlicher Ressourcen angewiesen. Jedoch soll deren Gebrauch, auch im Interesse zukünftiger Generationen, nachhaltig sein (sustainable use). Die Nutzung, soweit sie hiernach akzeptabel ist, soll zwischen reichen und armen Ländern gerecht aufgeteilt werden (equitable use)142. Zur Garantie des sustainable use sind Grundregeln für den Umgang mit Stoffen aufgestellt worden. Danach soll u. a. die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen deren Regenerationsfähigkeit nicht überschreiten und nicht-erneuerbare Ressourcen sollen nur in dem Umfang genutzt werden, in dem ein physisch und funktionell gleichwertiger Ersatz in Fonn erneuerbarer Ressourcen oder höherer Produktivität geschaffen wird 143. Verlangt ist also ein bewußtes Wirtschaften mit knappen Gütern. Für die Industrieländer ist darüber hinaus auch die Verringerung des Ressourcenverbrauchs vonnöten, da bei grundsätzlich knappen Ressourcen anders annähernde Verteilungsgerechtigkeit (equitable use) nicht erreicht werden kann l44 . Ein entsprechendes Verhalten der Industrieländer würde dagegen die globale Umweltbelastung vennindern und damit den Entwicklungsländern - ohne die Gefahr des Umkippens ökologischer Systeme zu erhöhen - den "Verschmutzungsspielraum" gewähren, den diese brauchen, um das Wirtschaftswachstum realisieren zu können, das sie zur Finanzierung ihrer sozialen Entwicklung benötigen 145. Hinzuweisen ist zwar darauf, daß die mit der Verringerung des Verbrauchs von (gefahrlichen) Stoffen oder von Energie verbundene Verbesserung der Umweltbelastung ebenfalls durch Wachstumsprozesse kompensiert werden kann 146. Eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umwe1tbelastung wird sich auch mit 140 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1994, Tz. 259; Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Schutz des Menschen und der Umwelt" (Hrsg.), 1994, S. 64; Rehbinder, 1994, S. 34. 141 Winter, 1997, S. 23. 142 Winter, 1997, S. 24 m. w. N. Siehe auch die Hinweise bei Köck, ZUR 1997,79 ff., 79 in Fn. 1. 143 Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" (Hrsg.), 1994, S. 32. Dort finden sich auch Aussagen zu weiteren Regeln. 144 Coenen/Klein-Vielhauer/Meyer, 1996, S. 58. 145 Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" (Hrsg.), 1994, S. 41. 146 Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 57 f.; Huber, 1995, S. 16 ff., 19; EnqueteKommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" (Hrsg.), 1994, S. 65.
C. Förderung des produktions integrierten Umweltschutzes
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produktionsintegrierten Umwelttechniken nicht erreichen lassen l47 . An der Notwendigkeit, produktionsintegrierte Lösungen zu fördern, ändert dies allerdings nichts.
III. Vollzugspraktische Vorteilhaftigkeit Oben ist dargestellt worden, daß additive Umweltschutzmaßnahmen zusätzliche Anlagen benötigen und somit unweigerlich zu zusätzlichen Kosten führen. Sie tragen also in jedem Fall zu einer Reduzierung der Rentabilität des betroffenen Unternehmens bei. Nachgeschalteter Umweltschutz ist folglich nicht zuletzt von einem Zielkonflikt zwischen Ökonomie und Ökologie geprägt. In den betroffenen Unternehmen wird die Auffassung gefördert, daß Umweltschutz zwingend zur Senkung der Rentabilität oder sogar der Wettbewerbsfähigkeit führt. Produktionsintegrierte Umweltschutzmaßnahmen senken dagegen nicht in jedem Fall die Rentabilität des betroffenen Unternehmens. Diese kann unter bestimmten Bedingungen sogar verbessert werden. Durch das mit Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes tendenziell verbundene Potential zur Senkung der Produktionskosten kann der Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie also jedenfalls zum Teil entschärft l48 werden. Produktionsintegrierter Umweltschutz kann mit anderen Worten zum Teil im Eigeninteresse des Verursachers liegen. Dies erhöht die Umsetzungsbereitschaft der betroffenenen Unternehmen und erleichtert den Vollzug entsprechender Anforderungen. Zudem führt bereits der grundlegende Ansatz der produktionsintegrierten Herangehensweise, Umweltschutz als ein Qualitätskriterium von Produktionsverfahren zu betrachten, dazu, daß Maßnahmen des Umweltschutzes in die originären unternehmerischen Entscheidungen einbezogen werden. Auch dies kann die Bereitschaft des Betreibers zur Erarbeitung und I oder Umsetzung ökologischer Modernisierungsmaßnahmen erhöhen.
IV. Bedeutung für den medienübergreifenden Umweltschutz Daß additive Maßnahmen häufig zu Belastungsverlagerungen in Umweltmedien führen, die nicht im Vordergrund der jeweiligen Technik stehen, ist oben bereits dargestellt worden. Darüber hinaus wird von Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur wohl mit Recht vermutet, daß die Wechsel wirkungen zwischen den einzelnen Umweltmedien nicht im Fokus der medialen deutschen Umweltgesetze ste-
147 148
4'
Das beschriebene Phänomen wird auch als "Wachstumsfalle" bezeichnet. Abwassertechnische Vereinigung, KA 1995, 109 ff., 110; Huber, 1995, S. 16 ff., 30.
I. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
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hen und folglich auch bei der Festlegung noch zulässiger Emissionskonzentrationen zu wenig beachtet werden l49 . Beiden Problemen soll mit der Förderung einer medienübergreifenden Betrachtung oder, anders ausgedrückt, mit Hilfe des sogenannten medienübergreifenden Umweltschutzes begegnet werden 150. Dieses Ziel verfolgt auch die Mitte 1992 eingesetzte Unabhängige Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 151 insbesondere mit ihrem Konzept der Vorhabengenehmigung nach § 81 Abs. 1 UGB-KomE und dem von ihr als medienübergreifend bezeichneten Grundpflichtenkonzept des § 83 UGB-KomE 152 . Ob dies gelingen kann, wird zum Teil skeptisch beurteilt 153 . Es wird vertreten, daß sich die Komplexität der medienübergreifenden Problemstellung in ihrer Allgemeinheit der gesetzlichen Normierbarkeit entziehe 154. Ein medienübergreifender, auf die Einbeziehung von Wechselwirkungen ausgelegter Prüfansatz sei außerdem in der Praxis nicht zu erfüllen 155. Die im geltenden Umweltrecht zu findende Differenzierung nach den verschiedenen Umweltmedien stehe zunächst einmal für Rationalitätsgewinne. Denn je nach Medium stünden andere Stoffe und andere Wirkungsmechanismen zu Recht im Vordergrund der Betrachtung 156.
In der Tat scheint die Umsetzung des Anspruchs an einen medienübergreifenden Umweltschutz mit großen Problemen verbunden. So müßte bei Belastungsverlagerungen zwischen der Beeinträchtigung verschiedener Umweltmedien gewichtet werden. Die dabei auftretenden Probleme sind noch nicht gelöst l57 . Eine Gewichtung könnte auch nicht naturwissenschaftlich begründet erfolgen, da die Anzahl an Wechsel- und Auswirkungen von Stoffeinträgen auf das System Ökosphäre zu groß ist. Dennoch scheint die Einbeziehung der Auswirkungen von Schadstoffen auf verschiedene Umweltmedien oder anders ausgedrückt auf das Gesamtökosystem unter Beachtung des Zusammenwirkens unterschiedlicher Schadstoffe und A.A. Hansmann, ZAU 1998, 14 ff., 15. Diese Diskussion ist insbesondere durch die Notwendigkeit zur Umsetzung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung, ABI. EG 1985 Nr. L 175, S. 40 ff. angeregt worden. V gl. aus der umfangreichen Literatur Bohne, ZA U 1990, 341 ff.; Gallas, UPR 1991,214 ff.; Schink/Erbguth, DVBI. 1991,413 ff.; neuerdings auch Heitsch, NuR 1996, 453ff. 151 Im folgenden "Sachverständigenkommission". 152 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), 1998, S.614. 153 Pointiert Masing, DVBI. 1998, 549 ff. 154 Breuer, 1992; Dienes, ET 1990, 727, 733. Ähnlich auch Schmidt, DÖV 1994,749, 755: "Die Rhetorik von der Gesamthaftigkeit kennzeichnet das Problem, nicht die Lösung." Vallendar, UPR 93, 417, 419 f. hält das Fachrecht dagegen für tauglich, Wechselwirkungen bewerten zu können. 155 Schwab, 1997 S. 102 ff., 113 ff. 156 Di Fabio, 1998, S. 31. 149 150
157
Vgl. nur Scholten, DÖV 1997,701 ff., 702.
c. Förderung des produktionsintegrierten Umweltschutzes
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der Summation verschiedener Stoffe aus unterschiedlichen Quellen 158 unerläßlich, wenn effektive Vorsorge betrieben werden SOll159. Der medienübergreifende Umweltschutz umfaßt aber auch additive Problemlösestrategien. Ziel desselben ist allein die Optimierung verschiedener Umweltschutzstrategien in einer Produktions stätte mit Blick auf Emissionen in alle Umweltmedien und insbesondere auch mit Blick auf die Wechselwirkungen zwischen den Umweltmedien. Der produktionsintegrierte Umweltschutz verlangt die Verringerung des Stoffoder Energieverbrauchs in einer Produktionsstätte. Dabei wird die Verringerung des Verbrauchs von Stoffen, die sich ansonsten in den Produkten wiedergefunden hätten, ausgespart. In den Blick geraten also Stoffmengen, die ansonsten als Abgas, Abwasser oder Abfall in die Umweltmedien gelangen würden. Oben ist ausgeführt worden, daß produktionsintegrierte Umweltschutztechniken anders als additive Maßnahmen häufig keine Belastungsverlagerungen in andere Umweltmedien zur Folge haben. Dies folgt bereits aus dem vermeidenden Ansatz der Maßnahmen. Restemissionen treten zwar in der Regel auch bei Einsatz produktionsintegrierter Umweltschutz-Maßnahmen auf. Eine medienübergreifende Optimierung derselben wäre auf jeden Fall sinnvoll. Umweltpolitisch ist die Diskussion um den medienübergreifenden Umweltschutz jedenfalls nachrangig im Vergleich zu der um den produktionsintegrierten Umweltschutz. Denn im produktionsintegrierten Umweltschutz liegen die wesentlichen Potentiale zur Verringerung der Schadstoffeinträge in alle Umweltmedien.
v. Ergebnis Nach allem ist den eingangs dieses Abschnittes dargestellten Ausführungen des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen im Grundsatz zuzustimmen. Der produktionsintegrierte Umweltschutz ist - seine ökologische Sinnhaftigkeit und ökonomische Verträglichkeit auch im Einzelfall vorausgesetzt - möglichst weitgehend zu fördern. Produktionsintegrierter Umweltschutz ist häufig ökonomisch und ökologisch sinnvoll, stellt ein Mittel zur Verwirklichung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung dar, liegt häufig im Eigeninteresse der betroffenen Unternehmen und hat entscheidende Bedeutung für die Förderung des medienübergreifenden Umweltschutzes.
158 159
Vgl. zu den Begriffen Peters, NuR 1996,235 ff., 236 f. Vgl. nur Wahl/ Appel, 1995, S. 62 ff., insbesondere S. 62.
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1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
D. Hindernisse für die Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes Trotz der eben beschriebenen Vorteile des produktionsintegrierten Umweltschutzes dominieren additive Herangehensweisen in der Praxis. Im folgenden soll zunächst versucht werden, die Hindernisse für die Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes zu skizzieren. Dies erfolgt, um die rechtswissenschaftliche Fragestellung weiter zu konkretisieren. Denn das Recht müßte geeignet sein, die herausgearbeiteten Hindernisse für die Einführung produktionsintegrierter Techniken zu beseitigen.
I. Unternehmensinterne Hindernisse Versucht man die der Einführung produktionsintegrierter Techniken entgegenstehenden Hindernisse zu systematisieren, kann zunächst zwischen unternehmensinternen und -externen Schwierigkeiten unterschieden werden 160. Als unternehmensinterne Hemmnisse sind ökonomische Risiken der Einführung produktionsintegrierter Techniken (1.), technische und organisatorische Probleme (2./ 3.) und das Beharrungsvermögen des Betreibers (4.) zu nennen.
1. Ökonomische Risiken
Die ökonomischen Risiken der Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes sind oben bereits dargestellt worden. Wirtschaftlich nachteilig sind insbesondere im Vergleich zu additiven Maßnahmen höhere anfängliche Investitionskosten. Auch die Zugangskosten, z. B. in Form von Lizenzgebühren oder Aufwendungen für die eigene Forschung und Entwicklung oder für die Informationsbeschaffung sind oft höher als bei additiver Umwelttechnik. Des weiteren setzt die Einbeziehung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes den Aufbau eines betrieblichen Umweltmanagementwesens voraus. Auch dies verursacht zusätzliche Kosten. Darüber hinaus ist das wirtschaftliche Risiko bei produktionsintegrierter Umwelttechnik im allgemeinen höher als bei additiven Techniken, da oft keine Betriebserfahrungen vorliegen und die Betriebskosten somit schwer zu prognostizieren sind. Außerdem bergen integrierte Techniken durch ihre Verknüpfung mit dem Produktionsverfahren ein höheres Risiko von Produktionsausrallen.
160 Eine entsprechende Unterscheidung findet sich auch bei Coenen/Klein-Vielhauerl Meyer, 1996, S. 108.
D. Hindernisse für Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes
55
2. Technische Probleme
Darüber hinaus tragen produktionsintegrierte Ansätze zur Komplexitätssteigerung der bestehenden Verfahren und Produktionsprozesse bei 161. Produktionsintegrierte Maßnahmen sind des weiteren stark fallabhängig und wenig übertragbar im Gegensatz zu vielen Maßnahmen additiven Umweltschutzes l62 . Beides erschwert die Umsetzung. Als Umsetzungshindernisse können sich auch die für Verfahrensentwicklung und -umstellung benötigten Zeiträume erweisen. Als generelle Tendenz läßt sich nämlich festhalten, daß die Umsetzungszeiträume für produktionsintegrierte Techniken in der Regel größer als bei additiven Techniken sind l63 . Dieses Problem verschärft sich, wenn die Umstellungszeiträume länger als die Innovationszyklen des jeweiligen Unternehmens sind. In diesen Fällen werden produktionsintegrierte Techniken immer zu spät für die jeweilige Investitionsentscheidung kommen. Schließlich ist noch zu erwähnen, daß eine betriebsinterne Verwertung von Abfällen in kleinen oder mittleren Betrieben oft daran scheitert, daß der erforderliche Mindestanfall an Abfällen aufgrund der Betriebsgröße nicht erreichbar ist l64 . Entsprechendes dürfte jedenfalls zum Teil auch für die Kreislaufführung von Stoffen oder für die Nutzung von Abwärme gelten. In diesen Fällen scheitert diese Form des produktionsintegrierten Umweltschutzes an technischen Schwierigkeiten. Es kommt allenfalls eine Nutzung der in Rede stehenden Stoffe außerhalb der Produktionsstätte in Betracht. 3. Organisatorische Probleme
Produktionsintegrierter Umweltschutz erfordert bei der Einführung neuer Techniken die Einbeziehung von Umweltaspekten in die vorzunehmende Bewertung von Verfahrensvarianten. Dies setzt die Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten bei den unternehmerischen Entscheidungsprozessen der Planung, Forschung, Entwicklung, Projektierung und beim Betrieb voraus 165. Aus dieser TatVgl. nur Mertins, KA 1997, 1056 ff., 1058. Rentz, 1995, S. 67. 163 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 711 zitiert eine im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie durchgeführte Forschungsarbeit, nach der nachgeschaltete Maßnahmen von den Betrieben meist in zwei bis vier Jahren entwickelt und umgesetzt werden konnten, während die Einführung integrierter Techniken sechs bis zehn Jahre erforderte. 164 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 713. 165 Antes, 1996, Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S .. 4; Hassan I Kostka, Chem.Ing.-Tech. 65 (1993), 391 ff., 399; Mertins, KA 1997, 1056 ff., 1058; Freimann/Schwaderlapp, ZA U 1995, 485 ff., 494 unter Hinweis auf Ergebnisse von Studien zur Wirksamkeit der Tätigkeit von Umweltbeauftragten. 161
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1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
56
sache und der in der Regel höheren technischen Komplexität produktionsintegrierter Maßnahmen resultieren gesteigerte Anforderungen an das Planungs- und Koordinationsvermögen des Managements bzw. zwischen verschiedenen Abteilungen des Betriebes. An einer Verankerung von Umweltschutzzielen auf den verschiedenen Handlungsebenen von Unternehmen scheint es aber zur Zeit noch zu fehlen l66 . Aber auch zwischen dem Management des umsetzenden Betriebes und verschiedenen externen Institutionen und Organisationen sowie zwischen diesen Organisationen und Institutionen selber steigt der Bedarf an Abstimmung und Koordination l67 . Nach neueren sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen sind häufig Zulieferer, Technikanbieter, Kunden und die Banken von erheblicher Bedeutung für die Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes l68 • Die Planung und Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes ist also nicht nur ein technisches oder ein ökonomisches Problem, sondern auch eines der Schaffung angemessener Qualifikationen, Motivationen, Organisationsformen und Handlungsbeziehungen zwischen den hieran beteiligten Akteuren 169. Eine systematische und damit rationale Umsetzung des produktions integrierten Umweltschutzes ist darüber hinaus nur möglich, wenn die Stoff- und Energieflüsse innerhalb einer Produktionsstätte so genau wie möglich ermittelt werden 170. Anders sind schon die Potentiale zur Vermeidung und Verminderung von Ressourcenverbräuchen nicht zu identifizieren. Auch die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen und Prioritäten ist ohne eine entsprechende Vorgehensweise nicht möglich. Schließlich setzt auch die Überprüfung des tatsächlichen Nutzens von Verfahrensvarianten die Ermittlung der Stoff- und Energieflüsse vor und nach der in Rede stehenden Maßnahme voraus 171. Diese Analyse ist äußerst aufwendig, birgt aber auch hohe Rationalisierungschancen für den auf diese Art und Weise handelnden Betrieb 172. Oft stellen auch Informationsdefizite bei den Unternehmen über Verfahrensvarianten ein Hemmnis für die Einbeziehung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes dar 173 • Als Beispiel führen Coenen, Klein- Vielhauer und MeyCoenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 108. Kreikebaum, 1992, S. 13; Spilok/Pohle, 1998, S. 12 und 14. 168 Birke I Schwarz, 1994, S. 148; Müller I Feseker, 1997, S. 480 ff., insbesondere 491 ff. 169 Birke I Schwarz, 1994, S. 143 ff., insbes. S. 170. 170 Kreikebaum, 1992, S. 13; Haasis, UWF 8, Dezember 1994, 21 ff., 25; Fleischer, 1994, S. 7 ff., S. 9 und 24 ff.; Freimann I Schwaderlapp, ZAU 1995, 485 ff., 490. Zur Methode der Input-Output-Analyse Fleischer, 1994, S. 7 ff., S. 26. 171 Fleischer, 1994, S. 7 ff., S. 24. 172 Haasis, UWF 8, Dezember 1994,21 ff., 23; Fleischer. 1994, S. 7 ff., S. 24. 173 Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 108; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 714; Spilok/Pohle, 1998, S. 12. 166 167
D. Hindernisse für Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes
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er Fallstudien an, die gezeigt hätten, daß erhebliche Energieeinsparpotentiale mangels bei den Unternehmen vorhandenen Informationen nicht genutzt würden l74 •
Darüber hinaus erfordert produktionsintegrierte Umwelttechnik gut ausgebildetes Personal l75 . Dies ist aber insbesondere in kleinen oder mittleren Betrieben oft nicht vorhanden l76 . Ohnehin kann ausgeführt werden, daß die genannten organisatorischen Defizite verstärkt in kleinen oder mittleren Betrieben zu erwarten sind l77 .
4. Beharrungsvermögen des Betreibers Als letztes unternehmensinternes Hemmnis für die Einführung von Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes ist das Beharrungsvermögen des Betreibers zu nennen. Dieses kann durch ökonomische Risiken sowie durch technische oder organisatorische Probleme motiviert sein. In diesem Fall würde sich die Erwähnung des Beharrungsvermögens als zusätzliches Hemmnis erübrigen. Das Wissen von Unternehmen über weniger umweltbelastende und ökonomisch sinnvolle Produktionsverfahren muß aber nicht zwingend zu einer Umstellung der Produktion führen. Häufig wird das Risiko technischer Umstellungen - jedenfalls bei profitablen Verfahren - dennoch nicht eingegangen werden. Die ,,Macht der Gewohnheit" und "eingespielte Denk-, Handlungs- und Entscheidungsmuster" stellen nach häufig vertretener Ansicht ebenfalls ein entscheidendes Hemmnis für die Einführung produktionsintegrierter Techniken dar l78 . Industrielle Innovation scheint sich häufig auf Teile und Komponenten bereits bestehender Produktionsverfahren zu beschränken. Entscheidungen, die das Produktionsverfahren technologisch auf eine völlig neue Grundlage stellen, werden in der Regel nicht getroffen 179 . Dieses Verhalten stützt die Anwendung additiver Maßnahmen.
11. Unternehmensexterne Hindernisse Coenen, Klein- Vielhauer und Meyer meinen folgende Punkte als unternehmensexterne Hindernisse für den Einsatz (produktions-)integrierter Umwelttechnik identifiziert zu haben l8o : Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 61. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 713 für den Bereich des primären Recyclings. 176 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 713. m Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 713; Mertins, KA 1997, 1056 ff., 1058; Strebe\, 1992, S. 12. Vieregge, 1992, S. 95 f. folgert dies aus einer Untersuchung von 660 kleinen und mittleren Betrieben der Industrie und des Handwerks. 178 Spilok I Pohle, 1998, S. 12. V gl. auch für den Bereich der Abfallvermeidung und des primären Recyclings Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 699 m. w. N. 179 Mertins, KA 1997, 1056 ff., 1058. 174
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1. Kapitel: Maßstab der Untersuchung
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3. Dominanz des wenig flexiblen, stoff- und medienbezogenen Ordnungsrechts, das die additive Technik begünstigt und den Unternehmen wenig Flexibilität bei der Anpassung an umweltpolitische Auflagen läßt l81 . 4. Fehlende ökonomische Anreize, anspruchsvollere umwelttechnische Lösungen zu realisieren.,,182 Das geltende Recht wird also als wenig geeignet zur Überwindung der unternehmensinternen Hemmnisse angesehen. Hinzu kämen Defizite in der Berechenbarkeit der Umweltpolitik l83 , die aber nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind. Der produktionsintegrierte Umweltschutz ist im Verhältnis zu additiven Techniken der modernere Ansatz. Der Schwerpunkt der Entwicklung von Umwelttechnik lag in der Vergangenheit auf additiven Lösungen. Auch diese Tatsache stellt sich als Hindernis für die Einführung produktionsintegrierter Techniken dar. Ihr soll aber nicht weiter nachgegangen werden, da eine konsequentere Förderung produktionsintegrierter Techniken durch das Recht eine Verlagerung des Schwerpunkts der Forschungsaktivitäten erwarten läßt.
180 Ausdrücklich gegenteiliger Ansicht Spilokl Pohle, 1998, S. 12, die im Gegenteil einen zu geringen Umstellungsdruck von außen als Umsetzungshemmnis ausgemacht haben. 181 So auch BurscheI, 1996, S. 169 f. 182 Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 108. Ähnlich auch Mertins, KA 1997, 1056 ff., 1058. 183 Coenen I Klein-Vielhauer I Meyer, 1996, S. 108 nennen eine nur in geringem Maße vermittelte Planungssicherheit als Hemmnis. Ähnlich Spilok/Pohle, 1998, S. 12. BurscheI, 1996, S. 169 f. spricht von einer "geringen Halbwertszeit" der Umweltgesetzgebung. Zur Notwendigkeit der Planungssicherheit, um die ökonomische Sinnhaftigkeit der Einführung produktionsintegrierter Maßnahmen zu befördern, s.o. Kapitell, Gliederungspunkt C.1.2.
2. Kapitel
Fragestellung und Gang der Untersuchung A. Fragestellung und Erkenntnisgegenstand Bislang ist dargestellt worden, daß Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes zu fördern sind, um die industriellen Schadstoffausträge in die Umweltmedien zu verringern. Des weiteren sind die Hemmnisse für die Einführung entsprechender Maßnahmen herausgearbeitet worden. Die vorliegende Arbeit will sich mit der Frage beschäftigen, ob das geltende Umweltrecht die Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes in ausreichendem Maße forciert. Es soll mit anderen Worten untersucht werden, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen der Einführung von Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes förderlich sind, bzw. in welche Richtung sie verbessert werden müßten. Gegenstand der Betrachtung sind allein die Normen, die für den Normalbetrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen im Sinne des Immissionsschutzrechts einschlägig sind. Die Betrachtung soll dabei auf Anlagen, die der industriellen Produktion von Gütern dienen, beschränkt werden 1• Die Auswahl der genehmigungsbedürftigen Anlagen erfolgt, weil von diesen erheblich größere UmweItgefahren, als von den nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen ausgehen. Mit Hilfe des für immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen geltenden Rechts müßten sich also die eben beschriebenen Hindernisse beseitigen lassen. Das Recht müßte die ökonomischen Risiken, die einer Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes entgegenstehen, in ausreichendem Maße verringern. Es müßte des weiteren den Aufbau eines betrieblichen Umweltmanagementwesens fördern und zur Ermittlung der in der Produktionsstätte relevanten Stoff- und Energieflüsse sowie zu einer systematischen Verbesserung der Umweltauswirkungen der Produktionsstätte anhalten. Es müßte Anreize zum Abbau von Informationsdefiziten über Verfahrensvarianten bei den Unternehmen setzen. Und es müßte tauglich erscheinen, das nicht durch ökonomische Risiken oder technische oder organisatorische Probleme motivierte Beharrungsvermögen der Betreiber zu überwinden. I Genehmigungsbedürftige Anlagen, die einer Planfeststellung bedürfen, Abfallentsorgungsanlagen, Anlagen des Bergwesens, Energieanlagen i.S. des Energiewirtschaftsgesetzes, Großfeuerungsanlagen LS. des § I der 13. BImSchV und gentechnische Vorhaben in genehmigungsbedürftigen Anlagen sollen deshalb von der Betrachtung ausgenommen werden.
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2. Kapitel: Fragestellung und Gang der Untersuchung
Schließlich müßte das Recht, insbesondere zur Verbesserung des produktionsintegrierten Umweltschutzes in kleinen und mittleren Betrieben, auch überbetriebliche Kommunikations- und Beratungsstrukturen fördern. Würde das geltende Recht die eben dargestellten Anforderungen erfüllen, stellte es kein "unternehmensexternes Hindernis" für die Einführung von produktionsintegrierten Umweltschutz-Maßnahmen dar. Die Untersuchung der bislang dargestellten Fragen dient also auch der Klärung der Frage, ob das geltende Umweltrecht ein entsprechendes Handeln der Unternehmen behindert, ob es also als "unternehmensexternes Hindernis" im Sinne der oben dargestellten Ausführungen zu betrachten ist.
B. Einordnung in die rechtswissenschaftliche Diskussion Auch in der Rechtswissenschaft ist erkannt worden, daß den Umweltbelastungen industrieller Produktion mit Hilfe additiver Techniken allein nicht beizukommen ist2 . Der Blickpunkt der augenblicklichen rechtswissenschaftlichen Diskussion liegt dabei auf zwei Aspekten: Auf der einen Seite wird darüber nachgedacht, ob und wie das lange vorherrschende Konzept ordnungsrechtlicher Kontrolle durch Konzepte ersetzt oder ergänzt werden kann, die das Eigeninteresse der Verursacher am Umweltschutz anreizen 3 . Teilweise gehen die Überlegungen zum Ausbau der indirekten Steuerung mit Forderungen zur Deregulierung des Ordnungsrechts einher4 . Auf der anderen Seite wird auch nach Möglichkeiten gesucht, das Ordnungsrecht zu verbessern. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht die Ausrichtung des Rechts auf den sogenannten medienübergreifenden Umweltschutz 5 . Die Bemühungen der Sachverständigenkommission zur Erarbeitung eines Umweltgesetzbuches, nach deren Vorstellungen eine sogenannte Vorhabengenehmigung nur unter der Voraussetzung erteilt werden soll, daß von der Kommission als integriert, d. h. medienübergreifend, bezeichnete Grundpflichten eingehalten werden, mögen hier als Beleg dienen. Der medienübergreifende Umweltschutz umfaßt auch additive Problemlösestrategien. Ziel desselben ist allein die Optimierung verschiedener Umweltschutzstrategien in einer Produktions stätte mit Blick auf die Emissionen in alle Umweltme2 V gl. bereits den frühen Hinweis bei Feldhaus, UPR 1985, 385 ff., 387 sowie neuerdings Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), 1998, S. 1164. 3 Zum Stand der Diskussion siehe Köck, DVBI. 1994, 27 ff. 4 In neuester Zeit wird dies insbesondere für Unternehmen diskutiert, die am Öko-AuditSystem teilnehmen. Kritisch hierzu Lübbe-Wolff, ZUR 1996, 173 ff. 5 S.o. Kapitell, Gliederungspunkt C.lY.
C. Gang der Untersuchung
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dien und insbesondere auch mit Blick auf die Wechsel wirkungen zwischen den Umweltmedien. Der produktionsintegrierte Umweltschutz verlangt dagegen die Verringerung des Stoff- oder Energieverbrauchs in einer Produktionsstätte. Dabei wird die Verringerung des Verbrauchs von Stoffen, die sich ansonsten in den Produkten wiedergefunden hätten, ausgespart. In den Blick geraten also Stoffmengen, die ansonsten als Abgas, Abwasser oder Abfall in die Umweltmedien gelangen würden. Restemissionen treten zwar in der Regel auch bei Einsatz produktionsintegrierter Umweltschutz-Maßnahmen auf. Eine medienübergreifende Optimierung derselben wäre auf jeden Fall sinnvoll. Hier setzt bei genauerer Betrachtung die rechtswissenschaftliche Diskussion um den medienübergreifenden Umweltschutz an. Der produktionsintegrierte Umweltschutz ist dieser Betrachtung aber vorgelagert. In den Blickpunkt geraten technische Ansätze zur Minimierung des Stoffoder Energieeinsatzes pro Produkt und der Ersatz gefährlicher Stoffe durch (noch) nicht als gefährlich eingestufte Stoffe im Produktionsbereich. Es stellt sich mit anderen Worten die Frage nach dem Einfluß des Rechts auf die Wahl der Produktionstechnik. Trotz der erheblichen Bedeutung des produktionsintegrierten Umweltschutzes für den betrieblichen Umweltschutz fehlt bislang eine Analyse des vorhandenen rechtlichen Instrumentariums mit Blick auf Möglichkeiten zur Förderung desselben. Diese Lücke soll durch die Untersuchung geschlossen werden. Hierfür müssen die technikbezogenen Anforderungen des Umweltrechts zugespitzt auf das Problem der Förderung produktionsintegrierten Umweltschutzes dargestellt werden.
C. Gang der Untersuchung Das Recht kann die Förderung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes durch das Setzen von Anreizen oder durch unmittelbaren Zwang erreichen. Möglich erscheint mit anderen Worten eine indirekte oder eine direkte staatliche Einflußnahme. Auch für die Untersuchung soll deshalb zwischen Rechtsvorschriften der direkten und der indirekten Steuerung unterschieden werden. Schon jetzt kann ausgeführt werden, daß sich im geltenden Recht Ansätze zur Überwindung der eben beschriebenen Schwierigkeiten am ehesten im Ordnungsrecht finden lassen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt deswegen auf der Untersuchung der Frage, ob und gegebenenfalls in weIchem Maße die im geltenden Recht vorhandenen Ansätze der direkten Verhaltenssteuerung Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes verlangen. Dies soll im dritten Kapitel der Untersuchung geschehen.
62
2. Kapitel: Fragestellung und Gang der Untersuchung
Bei der Behandlung des Ordnungsrechts geht es letztlich um Möglichkeiten der Behörden, bestimmte Technikvarianten auch gegen den Willen des Betreibers durchzusetzen. Hierfür soll zunächst betrachtet werden, ob die einschlägigen Rechtsnormen den Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen im Einzelfall dazu verpflichten, Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen oder von Energie zu ergreifen. Ein Gebot zur Verringerung des Stoffverbrauches müßte unabhängig davon gelten, welches Umweltmedium ansonsten belastet würde. Besonders wirksam mit Blick auf den produktionsintegrierten Umweltschutz wäre mit anderen Worten eine Pflicht zur Optimierung der Anlagentechnik mit Blick auf diesen Ansatz. Dabei stehen die immissionssschutzrechtlichen Grundpflichten zunächst im Vordergrund der Betrachtung. Als erstes soll eine Analyse des materiellen Regelungsgehalts der Grundpflichten mit Blick auf den produktionsintegrierten Umweltschutz erfolgen. Es soll mit anderen Worten untersucht werden, ob die Grundpflichten ein Gebot zur Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen oder von Energie aufstellen 6 • Die immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten werden durch verschiedene von der Bundesregierung zu erlassende Rechtsvorschriften konkretisiert. Die Frage, ob und in welchem Umfang Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes bei Erlaß der konkretisierenden Rechtsvorschriften zu beachten sind, soll deshalb danach beantwortet werden 7 • Eine Analyse der TA Luft schließt sich an. Es wird untersucht werden, ob diese in dem von den immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten vorgegebenen Maße Gebote zur Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen oder von Energie aufstellt 8 . Im Anschluß soll untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen dem produktionsintegrierten Umweltschutz im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren zur Durchsetzung verholfen werden kann 9 . Die Frage, ob Entsprechendes auch mit Hilfe von nachträglichen Anordnungen nach § 17 BImSchG erreicht werden kann, soll dagegen nicht behandelt werden. Dies erfordert zum einen die Handhabbarkeit der Untersuchung. Die vorgenommene Beschränkung ist aber auch aus inhaltlichen Gründen erfolgt. Oben ist bereits dargestellt worden, daß sich nennenswerte Verbesserungen des Produktionsverfahrens aus technischen Gründen häufig nur im Rahmen von Ersatz- bzw. Neuinvestitionen erreichen lassen werden. In bestehenden Anlagen lassen sich regelmäßig nur Teilschritte realisieren, da sich meistens die Verfahrensbedingungen bei den neuen Herstellungsprozessen gegenüber den alten grundlegend ändern. 6
7 8
9
S.u. S.u. S.u. S.u.
Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel
3, Gliederungspunkt A.I. 3, Gliederungspunkt A.II. 3, Gliederungspunkt A.III. 3, Gliederungspunkt A.IV.
c. Gang der Untersuchung
63
Auch aus ökonomischer Sicht besteht bei Ersatz- bzw. Neuinvestitionen die günstigste Konstellation für die Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes. Nachträgliche Anordnungen können sogar kontraproduktiv wirken, wenn der Betreiber denselben - wie häufig zu erwarten - mit additiven Maßnahmen begegnet, um bestehende Produktionsanlagen nicht aufgeben zu müssen. Darüber hinaus können bzw. sollen nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG u. a. der Erfüllung der Anforderungen der immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten dienen. Mit der Analyse der Frage, in weIchem Umfang aus diesen ein Gebot zur Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen oder von Energie folgen kann, sind die Voraussetzungen, unter denen produktionsintegrierte Umweltschutz-Maßnahmen mit Hilfe nachträglicher Anordnungen durchgesetzt werden können bereits zum Teil skizziert. Bei der Darstellung der Voraussetzungen, unter denen dem produktionsintegrierten Umweltschutz im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren zur Durchsetzung verholfen werden kann, wird dazu Stellung genommen werden müssen, in weIchem Umfang die zuständigen staatlichen Instanzen befugt sind, auf das Produktionsverfahren Einfluß zu nehmen. Im Verhältnis dazu haben bei nachträglichen Anordnungen allein Erwägungen der Verhältnismäßigkeit größeres Gewicht. Die daraus resultierenden Auswirkungen bergen keine entscheidenden Erkenntnisse für die hier in Rede stehende Frage, ob das geltende Recht Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes in ausreichendem Maße zur Durchsetzung verhilft. Nach Darstellung der Bedeutung der Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG für den produktionsintcgrierten Umweltschutz sollen deshalb die Voraussetzungen, unter denen Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes im Verfahren zur Erteilung der wasserrechtlichen Direkteinleitererlaubnis zur Durchsetzung verholfen werden kann, behandelt werden lO• Eine zusammenfassende Bewertung der gefundenen Ergebnisse beendet das dritte Kapitelli. Im vierten Kapitel der Arbeit soll dann erörtert werden, ob Schwächen des nationalen Rechts bei der Förderung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes im Rahmen der Umsetzung der IVU-Richtlinie der EG in nationales Recht behoben werden müssen. Nach den Vorstellungen der Sachverständigenkommission soll für die Zulassung umweltbedeutsamer Vorhaben eine integrierte, d. h. medienübergreifende, Vorhabengenehmigung eingeführt werden. Einer gebundenen Vorhabengenehmigung sollen u. a. die Errichtung und der Betrieb von Industrieanlagen nach § 421 UGB-KomE und die Benutzung eines Gewässers nach § 361 Abs. 4 UGB-KomE bedürfen 12 . Der Anwendungsbereich der
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S.u. Kapitel 3, Gliederungspunkt B. S.u. Kapitel 3, Gliederungspunkt C. Vgl. § 81 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) und Nr. 3 UGB-KomE.
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2. Kapitel: Fragestellung und Oang der Untersuchung
hierfür aufgestellten Anforderungen ist äußerst weit. Er ist zum Teil noch von der Konkretisierung in Rechtsverordnungen abhängig 13 , soll aber jedenfalls die vom Anwendungsbereich der IVU-Richtlinie umfaßten Tätigkeiten umfassen und die Vorgaben der IVU-Richtlinie umsetzen l4 . Die Anforderungen, die der UGB-KomE an die gebundene Vorhabengenehmigung stellt, sind also von Bedeutung für die hiesige Thematik. Aus diesem Grund soll ein kurzer Exkurs auf die vorgeschlagenen Regelungen erfolgen 15. Im fünften Kapitel stehen sodann ausgewählte Ansätze der indirekten Verhaltenssteuerung im Mittelpunkt. Es soll geprüft werden, ob diese einen ausreichenden Anreiz zur Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes setzen. Ausgewählt worden sind das Abgabenrecht, die Regelungen zur Ausgestaltung der Betriebsorganisation und das Umwelt-Audit. Mit Hilfe der genannten Ansätze können unter Umständen ökonomische Risiken und organisatorischen Hemmnisse, die der Einführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes im Wege stehen verringert werden. Auf Grundlage der in den vorangegangenen Kapiteln gefundenen Ergebnisse sollen dann im sechsten Kapitel der Untersuchung - auch unter Berücksichtigung der eben skizzierten betriebswirtschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse - Vorschläge zur Verbesserung des Rechtssystems folgen, soweit diese notwendig erscheinen. Eine Gesamtzusammenfassung rundet die Arbeit ab l6 .
Vgl. § 421 Abs. 2 Satz I UOB-KornE. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), 1998, S.621. 15 S.u. Kapitel 4, Oliederungspunkt O. 16 S.u. Kapitel 7. 13
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3. Kapitel
Förderung von Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes durch direkte Verhaltenssteuerung Im dritten Kapitel soll dargestellt werden, in welchem Umfang das Recht Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes durch direkte Verhaltenssteuerung zu fördern versucht. Dies soll am Beispiel der rechtlichen Anforderungen an den Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen geschehen.
A. Bedeutung der Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG für den produktionsintegrierten Umweltschutz Der produktionsintegrierte Umweltschutz bezieht sich nach der hier vertretenen Definition auf die Produktionsstätte und nicht auf eine Anlage im Sinne des Immissionsschutzrechts. Letztere muß nach der Definition in § I der 4. BImSchV nicht mit der Gesamtheit der technischen Einrichtungen am Standort, die der Produktion dienen, übereinstimmen. Denkbar sind auch mehrere (genehmigungsbedürftige ) Anlagen innerhalb einer Produktionsstätte. Für diese Fälle enthält das deutsche Recht keine Anforderungen an die durch alle technischen Einrichtungen am Standort gemeinsam verursachten Stoff- bzw. Energieverbräuche. Es bleibt bei Anforderungen an die einzelnen Anlagen. Daraus folgt aber nicht, daß das Recht die Verringerung des Verbrauchs von (gefahrlichen) Stoffen und von Energie in der Produktionsstätte nicht in den Blick nimmt. Der Bezugspunkt ist allerdings die Anlage, nicht die Produktionsstätte. Dies ist als erstes Zwischenergebnis festzuhalten. Es soll im folgenden untersucht werden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die zuständigen staatlichen Instanzen durch das geltende Recht in die Lage versetzt werden, von den Betreibern immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen die Verringerung des Verbrauchs von (gefahrlichen) Stoffen oder von Energie zu verlangen. Dabei stehen die Vorgaben des § 5 Abs. I BImSchG zunächst im Vordergrund der Betrachtung. Dieser stellt an die Errichtung und den Betrieb immissionsschutz5 Griem
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
rechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen bestimmte Anforderungen 1. Nach der Norm sind "genehmigungsbedürftige Anlagen ... so zu errichten und zu betreiben, daß 1. schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können," (Abwehrpflicht2 ) 2. "Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung," (Vorsorgepflicht) 3. "Abfälle vermieden werden, es sei denn, sie werden ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder, soweit Vermeidung und Verwertung nicht möglich oder unzumutbar sind, ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt," (Abfallbezogene Grundpflichten) "und 4. entstehende Wärme für Anlagen des Betreibers genutzt oder an Dritte, die sich zur Abnahme bereit erklärt haben, abgegeben wird, soweit dies nach Art und Standort der Anlagen technisch möglich und zumutbar sowie mit den Pflichten nach den Nummern 1 bis 3 vereinbar ist." (Abwärmenutzungspflicht) Die in § 5 Abs. 1 BImSchG genannten Anforderungen werden in der Regel als immi ssionsschutzrechtIiche Grundpflichten bezeichnet 3 .
I. Grundpflicht zum produktionsintegrierten Umweltschutz Als erstes soll eine Analyse des materiellen Regelungsgehalts der Grundpflichten mit Blick auf den produktionsintegrierten Umweltschutz erfolgen. Es soll mit anderen Worten untersucht werden, ob die Grundpflichten ein Gebot zur Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen oder von Energie aufstellen. Auf den ersten Blick scheint diese Frage bereits mit dem Gesetzeswortlaut abschlägig beantwortet werden zu können. Ein möglichst geringer Stoff- oder Energieverbrauch steht nach der Formulierung des § 5 Abs. 1 BImSchG nicht im Fokus der Anforderungen an den Anlagenbetreiber. Die Grundpflichten beschäftigen sich 1 Die immissionsschutzrechtlichen Nachsorgepflichten nach § 5 Abs. 3 BImSchG können wegen der Beschränkung der Untersuchung auf den Normalbetrieb unberücksichtigt bleiben. 2 Um die Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit von der aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG folgenden Grundpflicht des Betreibers immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen auch terminologisch zu unterscheiden, wird als Kurzbezeichnung für die Pflicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG nicht die oft zu findende Bezeichnung Schutzpflicht, sondern die Bezeichnung Abwehrpflicht gewählt. In diesem Sinne auch Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 3. 3 Der Begriff der Grundpflicht entstammt der Begründung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, vgl. BT-Drs. 7/1513, S. 4.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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statt dessen mit den Stoffausträgen in die Umweltmedien. Sie nehmen dabei die Produkte aus. Im Mittelpunkt stehen die negativen Stoffausträge. Den hierdurch verursachten negativen Umwelteinwirkungen soll mit Hilfe der Grundpflichten entgegengewirkt werden. Damit ist aber noch nicht viel gesagt. Denn Stoffe, die in den Produktionsbereich hineingelangen und diesen nicht in Form eines Produktes verlassen, werden - gegebenenfalls in umgewandelter Form - in die Umweltmedien freigesetzt. Ein verminderter Verbrauch von Stoffen und Energie in der Anlage kann also zu geringeren negativen Stoffausträgen führen. Pflichten, die an den negativen Stoffausträgen ansetzen, können also auch indirekte Auswirkungen auf den Stoff- oder Energieverbrauch in der Anlage haben4 . Die eingangs gestellte Frage bedarf also einer genaueren Untersuchung. Dabei sollen zunächst die einzelnen Grundpflichten unabhängig voneinander betrachtet werden (1.-4.). Hierbei darf die Untersuchung jedoch nicht stehenbleiben. Zu prüfen ist im Anschluß, ob die Grundpflichten in ihrem Zusammenspiel weitergehende Anforderungen, insbesondere ein Gebot zur Optimierung des Stoffverbrauchs unabhängig davon, in weIches Umweltmedium die Stoffe ansonsten freigesetzt würden, aufstellen (5.). Eine Zusammenfassung der Ergebnisse soll diesen GJiederungspunkt abschließen (6.).
1. Abwehrpflicht, § 5 Abs.l Nr. 1 BImSchG
Die Bedeutung der immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten ist eine der zentralen Fragestellungen in der umweltrechtlichen Diskussion. Denn aus ihnen bestimmt sich einerseits die Rechtsstellung des Betreibers bzw. potentiellen Betreibers genehmigungsbedürftiger Anlagen. Andererseits werden aber auch die Rechte der Nachbarn und der Allgemeinheit festgelegt. Bei der Erörterung der eingangs gestellten Frage sollen die Anforderungen, die die immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten an Errichtung und Betrieb einer genehmigungsbedürftigen Anlage stellen nur ergebnisbezogen und in dem Maße dargestellt werden, in dem sie zum Verständnis der Grundpflichten notwendig sind, soweit sie nicht unmittelbar die Fragestellung dieses Unterabschnittes betreffen. Dies gilt insbesondere für die Ausführungen zu den Voraussetzungen, unter denen diese einschlägig sein können.
4 So auch Fluck, DVBI. 1997, 463 ff., 463 für die Auswirkungen der Abwehrpflicht auf Produktionsabläufe. Reblin, 1995, S. 77 ist dagegen der Auffassung, daß das BlmSchG "im wesentlichen den Schutz vor von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen und ähnlichen UmweIteinwirkungen" bezwecke und der Ressourcenschutz deshalb nicht im Vordergrund stehe. Sie scheint dabei den im Text genannten Gesichtspunkt zu übersehen.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
a) Tatbestand
Im folgenden soll deshalb nur ein summarischer Überblick über die Tatbestandsvoraussetzungen der Abwehrpflicht nach § 5 Abs. I Nr. 1 BImSchG gegeben werden. Bei dieser handelt es sich um eine spezialgesetzliche Ausformung der klassischen polizeilichen Gefahrenabwehr5 . Dabei weicht der immissionsschutzrechtliche Gefahrenbegriff allerdings von dem des allgemeinen Polizeirechts ab 6 . Es sollen nicht nur Gefahren für Individual- oder Kollektivrechtsgüter, sondern auch erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen vermieden werden. Dennoch soll sich der folgende Überblick über die Tatbestandsvoraussetzungen der Abwehrpflicht an denen der polizeirechtlichen Generalklausel orientieren. Zu fragen ist nach den von der Norm geschützten Rechtsgütern (aa), der verlangten Beeinträchtigungsintensität (bb), den Arten der Rechtsgutbeeinträchtigung (cc), den Anforderungen an die Verantwortlichkeit des Betreibers für den Eintritt schädlicher Umwelteinwirkungen (dd) und den Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (ee).
aa) Geschützte Rechtsgüter Welche Rechtsgüter von § 5 Abs. I Nr. I BImSchG geschützt werden, folgt insbesondere aus § 1 BImSchG sowie den Begriffen der schädlichen Umwelteinwirkungen und der Immissionen. § 1 BImSchG nennt ,,Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter" als vom BImSchG geschützte Rechtsgüter. Auch die Legaldefinition der "schädlichen Umwelteinwirkungen" in § 3 Abs. 2 BImSchG nennt die in § 1 aufgezählten Rechtsgüter als Einwirkungsobjekt derselben. Geschützt wird also nicht nur der Mensch 7 • Darüber hinaus sollen u. a. auch die Umweltmedien und die einheimische Tier- und Pflanzenwelt in den Schutzbereich der Norm einbezogen werdens. Da es insoweit um Güter der Allgemeinheit geht 9 , benennt § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG nicht nur die Nachbarschaft, sondern auch die Allgemeinheit als Schutzobjekt.
5 Diese Feststellung entspricht der der überwiegenden Auffassung im Schrifttum und Rechtsprechung. Vgl. OVG Lüneburg. Beschluß vom 28. Dezember 1976. DVBI. 1977. 347 ff .. 351; Rehbinder. BB 1976. I ff .• 2; Roßnagel. in: GK-BlmSchG. § 5 Rn. 153 m. w. N. A.A. Murswiek. 1985. S. 335 ff. 6 Führ. 1989. S. 170. 7 Dies entspricht auch dem in § I BlmSchG aufgeführten Zweck des Gesetzes. 8 Jarass. BlmSchG. § 3 Rn. 9 und Rn. 19. 9 Jarass. BlmSchG. § 3 Rn. 19.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BlmSchG
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bb) Verlangte Intensität der Beeinträchtigung Als Gefahr im Sinne des Immissionsschutzrechts gilt das Risiko des Eintritts von erheblichen Schäden für Personen und die anderen in § I BImSchG genannten Schutzobjekte 10. Eine Belästigung ist die Störung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens unterhalb der Grenze eines Gesundheitsschadens 11. Nachteile sind alle sonstigen negativen Auswirkungen. Hierzu gehören insbesondere Vermögensschäden oder Einschränkungen des persönlichen Lebensraums l2 . Durch die Einbeziehung von Nachteilen und Belästigungen werden also die Anforderungen an die Intensität der Beeinträchtigung des bedrohten Schutzguts gegenüber dem polizeirechtlichen Gefahrenbegriff gesenkt. Allerdings müssen erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft drohen. Als erheblich werden nach überwiegender Auffassung Beeinträchtigungen angesehen, die den Betroffenen, einschließlich der Allgemeinheit, nicht zumutbar sind 13 . Welche Gesichtspunkte für die Beurteilung der Erheblichkeit bzw. Zumutbarkeit bedeutsam sind, ist umstritten 14. Da hier nur ein summarischer Überblick über die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. I Nr. I BImSchG gegeben werden soll, kann eine Stellungnahme zu dieser Frage aber unterbleiben.
cc) Arten der Rechtsgutbeeinträchtigung Die Abwehrpflicht des § 5 Abs. I Nr. I BImSchG unterscheidet zwei Möglichkeiten der Rechtsgutbeeinträchtigung. Nach der ersten Alternative dürfen durch Errichtung und Betrieb der Anlage "schädliche Umwelteinwirkungen ... nicht hervorgerufen werden können". Hier wird auf Schäden abgestellt, die auf dem Luftwege verursacht werden. Dies folgt aus den Definitionen der schädlichen Umwelteinwirkungen und der Immissionen. Nach § 3 Abs. I BlmSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen "Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen". Eine schädliche Umwelteinwirkung setzt also zunächst Immissionen voraus. Eine Definition dieses Begriffes enthält § 3 Abs. 2 BImSchG. Nach dieser Norm sollen die Einwirkungen auf die geschützten Rechtsgüter durch "Luftverun-
Roß nagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 145. Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 14. 12 Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 15. 13 BVerwG Urteil vom 12. Dezember 1975, E 50, 49 ff., 55; Urteil vom 17. Februar 1984, E 69,37 ff., 43; Urteil vom 25. Februar 1992, E 90, 53 ff .. 56. A.A. Murswiek. 1985, S. 301 ff. 14 V gl. hierzu Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 34 ff. 10
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
reinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen", also auf dem Luftweg erfolgen. Nach der zweiten Alternative soll die Anlage so errichtet und betrieben werden, daß "sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können". § 5 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. erfaßt somit Schäden, die nicht über den Belastungspfad Luft, sondern auf anderem Wege herbeigeführt werden 15. Erfaßt werden sollen alle schadensverursachenden Ereignisse, die von einer Anlage ausgehen können. Die Gesetzesbegründung nennt als Beispiele die "Explosions- und Brandgefahr" 16. Gemeint sind also jedenfalls Schäden, die durch Betriebsstörungen der Anlage entstehen. Die zweite Alternative des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ist aber nicht auf Störflille beschränkt. Darüber hinaus sollen auch sonstige Gefahren, Nachteile und Belästigungen aus dem Normalbetrieb erfaßt werden 17 . Die Norm ist also auch darauf ausgerichtet, Verunreinigungen der Medien Wasser und Boden abzuwehren, die auf andere Art und Weise als durch Immissionen verursacht werden 18.
Anforderungen an die Benutzung von Gewässern regelt das WHG. Dies betrifft u. a. das Einbringen und Einleiten von Stoffen in Gewässer l9 . Die entsprechenden Bestimmungen gehen als besondere Ausformungen des Schutzgrundsatzes dem § 5 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. BImSchG vo?o. Mit Beeinträchtigungen des Bodens über die Abfälle der Anlage befaßt sich die speziellere Vorschrift des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG. Insoweit kann nach unten verwiesen werden 21 . Als für diese Untersuchung relevanter Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. BImSchG verbleiben allein die durch den Betrieb der Anlage verursachten Verunreinigungen des Bodens. Hierfür enthalten die Regelungen des Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) keine spezielleren Anforderungen. Im Gegenteil sind die immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten im Verhältnis zu § 4 Abs. 1 und 2 sowie des § 7 BBodSchG spezieller, soweit sie auf den Boden bezogene Regelungen enthalten 22 • Dies regelt § 3 Abs. 1 Nr. 11 BBodSchG. Soweit die Vorschrift der Abwehr von Bodenkontaminationen durch Störfälle23 dient, kann eine Darstellung hier unterbleiben. Denn wie oben ausgeführt, bezieht IS Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 29; Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 144; Koch, 1997, S. 40; Steinberg I Koepfer, DVBI. 1997, 973 ff., 975. 16 BT-Drs. 7/1508, S. 31. 17 Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 35;Koch, 1997, S. 41; KochlJankowski, ZUR 1998, 57ff., 60. 18 Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 35; Steinbergl Koepfer, DVBI. 1997,973 ff., 975. 19 Vgl. § 3 Abs. I Nm. 4 bis 5 WHG. 20 Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 30. 21 S. u. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3. 22 Radtke in: Holzwarth/Radtke/Hilger, BBodSchG, § 3 Rn. 3. 23 Eine Legaldefinition des Störfalles enthält § 2 Abs. I der zwölften Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung) - 12. BlmSch V
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BlmSchG
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sich die Untersuchung allein auf die Verringerung von Umweltbelastungen durch den Normalbetrieb immissionsschutzrechtlicher Anlagen. Die Begrenzung anderer Möglichkeiten für Bodenverunreinigungen, wie kleine Undichtigkeiten oder einen unvorsichtigen Umgang mit Flüssigkeiten, kann aber nicht durch eine Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen erfolgen. Deshalb kann die folgende Darstellung also allein auf die Behandlung der Auswirkungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG auf die hier relevante Fragestellung beschränkt werden. Hier ist festzuhalten, daß diese Alternative des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG nicht nur vor Rechtsgutbeeinträchtigungen schützen soll, die durch gefährliche Stoffe im Rechtssinne hervorgerufen werden können. Denn Schadwirkungen können -wie bereits oben zum Ausdruck gebracht - nicht nur aus Immissionen "an sich" gefährlicher Stoffe, sondern auch aus dem Eintrag natürlich vorkommender "an sich" ungefährlicher Stoffe entstehen. Aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG kann folglich auch eine Pflicht zur Verringerung von Immissionen von sonstigen Stoffen folgen.
dd) Verantwortlichkeit des Betreibers für den Eintritt schädlicher Umwelteinwirkungen
§ 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG verpflichtet die Betreiber immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen, schädliche Umwelteinwirkungen nicht "hervorzurufen". Eine entsprechende Verpflichtung des Betreibers besteht also nur für Schäden, für die er ursächlich ist. Analog der allgemeinen Regeln über die Voraussetzungen der Gefahrenabwehr muß die Kausalität zwischen dem Handeln des Einzelnen und dem Schaden mit einer gewissen Sicherheit nachgewiesen sein 24 . Fernwirkungen von Emissionen werden deshalb von der Abwehrpflicht nicht erfaßt 25 . Kleine Immissionsbeiträge sind aber nach der für die Bestimmung der Kausalität heranzuziehenden Äquivalenztheorie nur dann unbeachtlieh, wenn sie so gering sind, daß sie nicht individuell zugerechnet werden können 26 .
in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. September 1991. BGB!. I S. 1891, zuletzt geändert durch Art. I der Zweiten Verordnung zur Änderung der Zwölften und der Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 20. April 1998, BGB!. I S. 723. 24 Wahl/Appel, 1995,S. 116f. 25 Jarass. BlmSchG, § 5 Rn. 12. 26 Dies ist umstritten. Wie hier Roßnagel. in: GK-BlmSchG. § 5 Rn. 276 ff.. 308 mit eingehender Auseinandersetzung mit den Gegenauffassungen. Ähnlich auch Jarass, BlmSchG, §5Rn.12.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
ee) Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts Nach allgemeinem Polizeirecht liegt eine Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut vor, wenn nach verständiger, auf allgemeiner Lebenserfahrung beruhender Beurteilung, bei ungehindertem Geschehensablauf in absehbarer Zeit der Eintritt eines Schadens erwartet werden kann 27 . Der Schaden muß also nicht sicher eintreten. Es genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Entsprechendes gilt für die Beurteilung der Frage, ob durch den Betrieb einer genehmigungsbedürftigen Anlage "schädliche Umwelteinwirkungen" hervorgerufen werden können 28 . Dabei sind bei genauerer Betrachtung zwei Prognoseentscheidungen zu treffen. Zum einen ist zu klären, welche Immissionen mögliche Folge der Anlage sind, und zum anderen müssen Aussagen darüber getroffen werden, weIche Schäden mögliche Folgen der Immissionen sind 29 . Die erstgenannte Prognose ist unstreitig erst dann positiv, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß bestimmte Immissionen durch die Anlage verursacht werden können 30. Bei der Prognose, ob wegen der in Rede stehenden Immissionen Schäden an den von § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG geschützten Rechtsgütern hinreichend wahrscheinlich sind, sind wegen der Bedeutung der möglicherweise betroffenen Rechtsgüter auch wissenschaftliche Erfahrungssätze heranzuziehen 3 ). Wenn Schadensart und Schadensfolgen schwerwiegend sind, gelten darüber hinaus geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts 32 . Wenn besonders große Schäden möglich scheinen, ist auch die entfernte Möglichkeit eines Schadens ausreichend, um eine Gefahr annehmen zu können 33 . Analog der bisherigen Orientierung an der polizeirechtlichen Gefahrenabwehr ist des weiteren festzustellen, daß die Abwehrpflicht nicht nur die Abwehr von gegenwärtigen Gefahren verlangt. Geboten ist vielmehr auch eine vorbeugende Abwehr von künftigen Gefahren 34 . Dies ist insbesondere relevant für schädliche Umwelteinwirkungen, die durch langfristige Akkumulation bewirkt werden 35 . Auch der Fall der Anscheinsgefahr 36 ist von der Abwehrpflicht umfaße 7 . Knemeyer, 1998, Rn. 61. BVerwG Urteil vom 17. Februarl978, E 55, 250 ff., 254. 29 Vgl. Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 222 f. 30 Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 11 i.V.m. § 3 Rn. 26; Führ, 1989, S. 174; Roßnagel, in: GKBlmSchG, § 5 Rn. 203. 31 Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 28; Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 168 m. w. N. 32 Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 15 i.Y.m. § 3 Rn. 30. 33 Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 15 i.Y.m. § 3 Rn. 31. 34 Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 155 f. 35 Vgl. hierzu auch Roß nagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 174 ff. und Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 27. 36 Gemeint ist eine Situation, in der bei einer ex-ante-Betrachtung objektiv der Schein einer Schadenseignung des Anlagenbetriebes besteht, eine Schadenseignung aber ex-post verneint werden muß. 27
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A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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Ob selbiges auch für den Fall des Gefahrenverdachts 38 gilt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten 39 . Eine Stellungnahme soll gegebenenfalls bei der Erörterung der sich anschließenden Fragen erfolgen, wenn die jeweiligen Standpunkte Auswirkungen auf die hier relevante Untersuchungsfrage haben können.
b) Verringerung des Verbrauchs von gefährlichen Stoffen
Im folgenden soll untersucht werden, ob die Abwehrpflicht den Betreiber dazu anhält, den Verbrauch von gefährlichen Stoffen (b.) bzw. von sonstigen Stoffen oder von Energie (c.) zu verringern. Geprüft werden soll also, ob eine ganz bestimmte Reaktionsweise des Betreibers aus der Abwehrpflicht folgen kann.
aa) Regelfall In Fällen, in denen die Abwehrpflicht wegen der von der Anlage verursachten Immissionen gefährlicher Stoffe ein Handeln gebietet, verlangt § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG, daß der Betreiber sicherstellt, daß schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden können. Geboten sind in der Regel Maßnahmen, die die in Rede stehenden Immissionen bis zu einer biologisch-medizinisch bestimmten Wirkungsschwelle absinken lassen. Mit der Verringerung des Verbrauchs oder der Substitution gefährlicher Stoffe im Produktionsverfahren kann dieses Ziel erreicht werden. Da der Weg zur Zielerreichung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG aber ohne Belang ist, kann ein aus der Abwehrpflicht folgendes Gebot zur Verringerung des Verbrauchs oder gar zur Substitution gefährlicher Stoffe im Produktions verfahren nur in Fällen bestehen, in denen der Pflicht auf andere Art und Weise nicht genüge getan werden kann. Denn dem Betreiber obliegt nach dem Sinn und Zweck der Abwehrpflicht die Auswahl zwischen verschiedenen in Betracht kommenden Lösungsansätzen. Welche Mittel der Betreiber wählt, bleibt grundsätzlich ihm überRoßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 157. Ein Gefahrenverdacht liegt vor, wenn der Behörde anders als bei der Anscheinsgefahr bestimmte Unsicherheiten bei der Diagnose des Sachverhalts oder bei der Prognose des Kausalverlaufs bewußt sind und sich die Situation ex-ante deshalb entweder als gefährlich oder als ungefährlich darstellt. 39 Bejahend: Roßnagel, in GK-BImSchG, § 5 Rn. 158 f.; Führ, 1989, S. 174; Murswiek, 1985, S. 390 ff.; Feldhaus, DVBI. 1980, 133 ff., 134 und insbesondere 136; verneinend u. a. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1984, E 69,37 ff., 42 ff. insbesondere 43; BVerwG, Beschluß vom 10. Januar 1995, NVwZ 1995, 994 ff., 995; Kloepfer I Kröger, NuR 1990, 8 ff., 12; Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 26 m. w. N. und wohl auch BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1985, E 72, 300, 315 das die Fälle des Gefahrenverdachts der Vorsorge zurechnet. 37 38
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
lassen 4o. Allein entscheidend für die Erfüllung dieser Grundpflicht ist, daß keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch die Anlage hervorgerufen werden. Als Lösungsvarianten zu den in Rede stehenden Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes kommen zeitliche Betriebseinschränkungen, eine günstigere Verteilung der Emissionen, Kompensationsmaßnahmen und insbesondere additive Umweltschutztechniken in Betracht. Wenn der Betreiber die Erfüllung der Abwehrpflicht mit Hilfe dieser Ansätze verfolgen möchte, kann ein Gebot zur Verringerung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe demzufolge aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG nur folgen, wenn additive Techniken zur Verhinderung der in Rede stehenden schädlichen UmweIteinwirkungen nicht auf dem Markt verfügbar sind und auch sonstige Lösungsmöglichkeiten nicht zum Ziel führen. Dies wird nur in seltenen Fällen zu konstatieren sein. Im Regelfall enhält § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG also kein Gebot zur Minimierung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe.
bb) Besonders gefährliche Stoffe Die bislang getroffenen Aussagen beruhen darauf, daß für die in Rede stehenden Stoffe eine biologisch-medizinisch begründete Wirkungsschwelle angegeben werden kann, unterhalb derer eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Verursachung schädlicher Umwelteinwirkungen nicht mehr besteht. Hier verlangt der Abwehrgrundsatz allein ein Absinken der Immissionen unter diesen Wert. Die Wege zur Zielerreichung sind nicht vorgegeben. Bei bestimmten Gefahrstoffen läßt sich eine solche Wirkungsschwelle jedoch nicht angeben 41 • Wenn dies nicht möglich ist, muß die Emission solcher Stoffe nach dem Sinn und Zweck des Abwehrgrundsatzes eigentlich gänzlich unterbleiben, da nur auf diese Art und Weise sichergestellt werden kann, daß "schädliche Umwelteinwirkungen ... nicht hervorgerufen werden können". Allerdings bedeutet die absolute Formulierung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 I. Alt. BImSchG nicht, daß jedes nur denkbare Risiko der Herbeiführung von schädlichen Umwelteinwirkungen ausgeschlossen sein muß. Risiken, die als solche erkannt sind, müssen lediglich mit hinreichender, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein42 . Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann also die ausnahmsweise Zulässigkeit der Emission der in Rede stehenden besonders gefährlichen Stoffe fOlgen 43 .
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Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 323. Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 363. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1978, E 55, 250 ff., 254. Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 377.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BlmSchG
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Da diese Emissionen aber ein hohes Lebens- und Gesundheitsrisiko bergen, sind auch außerordentlich hohe Anstrengungen, die zu einer nennenswerten Reduzierung des Schadstoffausstosses führen, verhältnismäßig44 . Aus der immissionsschutzrechtlichen Abwehrpflicht kann also ein Gebot zur Minimierung der Emissionen besonders giftiger Schadstoffe abgeleitet werden. Für diese Fälle kommt es nicht mehr auf ein Absinken der Immissionen bis zu einer bestimmten Wirkungsschwelle an. Es müssen stattdessen alle Maßnahmen ergriffen werden, die zu einer Minimierung der fraglichen Emissionen führen. Dies gilt nicht nur für die Emissionskonzentrationen, sondern insbesondere für die Emissionsfrachten 45 . Demzufolge wären die hier einschlägigen Modifikationen des Stoffverbrauchs neben additiven Maßnahmen zu ergreifen, wenn diese zu einer stärkeren Emissionsminderung führen, als allein verstärkte Maßnahmen des additiven Umweltschutzes. Allerdings müssen die jeweils in Betracht kommenden Maßnahmen mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Übereinkunft stehen. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, ist insbesondere für die Anforderungen an die immissionsschutzrechtliche Genehmigung von Belang und soll deshalb später behandelt werden46 .
c) Verringerung des Stoff- oder Energieverbrauchs
Nunmehr soll es um die Auswirkungen der Abwehrpflicht auf den Verbrauch von sonstigen Stoffen und von Energie gehen. Es ist zu untersuchen, ob aus dieser Grundpflicht ein Gebot zur Verringerung des Stoff- und Energieverbrauches bei gleichbleibender Produktionsleistung folgen kann.
aa) Energieverbrauch Auswirkungen der Abwehrpflicht auf die Effektivierung des Energieverbrauchs der jeweiligen Anlage erscheinen nur äußerst selten möglich. Voraussetzung hierfür wäre zum einen, daß Energie in der jeweiligen Anlage erzeugt wird, da die Verringerung des Energieverbrauchs nur so zu geringeren durch die Anlage verursachten Immissionen führen kann. Im Regelfall wird die von den im Rahmen dieser Arbeit in Rede stehenden Anlagen verbrauchte Energie aber nicht in der betreffenden Anlage, sondern an anderer Stelle erzeugt. Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 378. "Fracht" ist die Summe aller oder bestimmter Schadstoffe, die bezogen auf eine bestimmte Zeiteinheit dem in Rede stehenden Umweltmedium oder den in Rede stehenden Umweltmedien zugeführt werden. 46 S. u. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.lY.5. 44
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Wenn die Energie in der betreffenden Anlage erzeugt wird, kann § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG zum anderen allenfalls einen effizienten Einsatz von Brennstoffen in der Anlage und die weitgehende Nutzung der dabei gewonnenen Energie erfordern, wenn die von der Anlage verursachten Immissionen ansonsten über eine Schädlichkeitsgrenze steigen würden. Dies wird selten der Fall sein. Darüber hinaus ist also in der Regel bereits keine Abwehrsituation gegeben. Selbst wenn auch diese Voraussetzung im Einzelfall erfüllt sein sollte, obläge dem Betreiber - wie eben bereits festgestellt - die Auswahl aus verschiedenen in Betracht kommenden Lösungsansätzen. Ein Gebot zur Effektivierung des Energieverbrauchs kann aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG selbst in den genannten Ausnahmefällen also nur folgen, wenn alternative Lösungsmöglichkeiten, wie zeitliche Betriebseinschränkungen, eine günstigere Verteilung der Emissionen, Kompensationsmaßnahmen und additive Umweltschutztechniken nicht in Betracht kommen. bb) Stoffverbrauch Eine weitgehende Ausnutzung von Einsatzstoffen in der Anlage kann dagegen zu einer Verringerung von Immissionen nicht-gefährlicher Stoffe führen. Oben ist dargestellt worden, daß die Abwehrpflicht ein Handeln in Fällen vorschreibt, in denen von einer Anlage verursachte Immissionen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit schädliche Umwelteinwirkungen verursachen 47 . Auch Immissionen "an sich" ungefährlicher Stoffe können durch Summierungen in diesem Sinne tauglich erscheinen, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen. Da des weiteren nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG auch eine vorbeugende Abwehr von künftigen Gefahren geboten ist48 , zwingt die Norm den Betreiber auch zur Abwehr von schädlichen Umwelteinwirkungen, die durch langfristige Akkumulation bewirkt werden 49 . Die Abwehrpflicht kann unter diesen Voraussetzungen auch die Verringerung von Immissionen sonstiger Stoffe gebieten. Oben ist aber bereits ausgeführt worden, daß dem Betreiber nach dem Sinn und Zweck der Abwehrpflicht die Auswahl zwischen verschiedenen in Betracht kommenden Lösungsansätzen zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen obliegt. WeIche Mittel der Betreiber wählt. bleibt grundsätzlich ihm überlassen 5o . Allein entscheidend für die Erfüllung dieser Grundpflicht ist, daß keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch die Anlage hervorgerufen werden. Ein Gebot zur Verringerung des Stoffverbrauchs kann die Abwehrpflicht demzufolge nur enthalten, wenn schädliche Umwelteinwirkungen mittels anderer LöS. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.l.a)ee). Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 155 f. 49 V gl. hierzu auch Roßnagel, in: GK-BlmSchG. § 5 Rn. 174 ff. und Jarass. BlmSchG. § 3 Rn. 27. 50 RoßnageJ, in: GK-BlmSchG. § 5 Rn. 323. 47
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A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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sungsmöglichkeiten insbesondere mit Hilfe additiver Maßnahmen nicht vermieden werden können. Gerade im Bereich der nicht-gefährlichen Stoffe existieren zum Teil keine additiven Umwelttechniken 51 . Hier können also unter Umständen allein Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes zur Problemlösung beitragen. Dies gilt jedenfalls, wenn Kompensationsmaßnahmen oder zeitliche Betriebseinschränkungen nicht als Lösungsweg verfolgt werden sollen. Aus der Abwehrpflicht wird aber dennoch nach allem nicht häufig ein Gebot zur Effektivierung des Verbrauchs nicht gefahrlicher Stoffe folgen. Da aus der Abwehrpflicht in der Regel nur ein Gebot zur Verringerung des Verbrauchs von gefahrlichen Stoffen, für die sich keine biologisch-medizinische Wirkungsschwelle angeben läßt, folgen kann, soll auf eine Stellungnahme zu der Frage, ob ein Gefahrenverdacht ausreicht, um den Tatbestand der Abwehrpflicht zu erfüllen 52 , verzichtet werden. Wenn sich keine biologisch-medizinische Wirkungsschwelle angeben läßt, liegen nämlich immer objektive Anhaltspunkte für eine Schadenseignung und damit zumindestens eine Anscheinsgefahr vor. .
2. Vorsorgepflicht, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG a) Tatbestand
Die Auslegung der Vorsorgepflicht ist schwierig und umstritten. Bereits ihr Zweck wird nicht einheitlich angenommen 53 . Ursache der unterschiedlichen Auffassungen ist insbesondere, daß die Norm die Bedingungen, unter denen Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen sind, nicht beschreibt. Im folgenden soll ein kursorischer Überblick über den Aussagegehalt des Vorsorgegrundsatzes gegeben werden. Unterschiedliche Interpretationen der Norm werden hierbei nur wiedergegeben und bewertet, wenn sie Relevanz für die hier einschlägige Frage nach der Bedeutung des Grundsatzes für die Einführung von Maßnahmen produktions integrierten Umweltschutzes haben können. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG soll Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen werden. Wegen der Bezugnahme auf "schädliche Umwelteinwirkungen" ergeben sich hinsichtlich der von der Norm geschützten Rechtsgüter keine Unterschiede zur Abwehrpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BImSchG. Die Vorsorgepflicht ist wie die Abwehrpflicht output-bezogen. Verlangt sind ,,Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung". Der Rechtsbegriff der Emission ist in § 3 51 Coenen / Klein-Vielhauer / Meyer, 1996, S. 56 nennen die Emissionen von Treibhausgasen wie CO 2 , Methan oder FCKW. 52 Diese Frage ist oben offengelassen worden. S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.I.a)ee). 53 Eine Zusammenfassung der verschiedenen Ansichten findet sich bei Roßnagel, in: GKBlmSchG. § 5 Rn. 425 ff.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Abs. 3 BImSchG legaldefiniert. Relevanz für den Verbrauch (gefährlicher) Stoffe und von Energie in einer Anlage kann die Pflicht folglich nur haben, wenn ein verminderter Verbrauch von Stoffen und Energie Auswirkungen auf die durch die Anlage verursachten Luftverunreinigungen oder die Emissionen von Wänne hat 54 . Dies wird häufig, muß aber nicht immer der Fall sein. So können in der Anlage verwandte Stoffe diese auch allein über den Abwasser- oder Abfallpfad verlassen. Verfahren, die allein zu einer Verringerung des Verbrauchs solcher Stoffe führen, werden nicht in die nach § 5 Abs. I Nr. 2 BImSchG erforderliche Betrachtung einbezogen. Der wichtigste Unterschied zwischen der Abwehrpflicht und der Vorsorgepflicht liegt in den unterschiedlichen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Hierbei besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß Vorsorgemaßnahmen auch bereits geboten sein können, wenn keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für durch die Anlage verursachte schädliche Umwelteinwirkungen besteht. Der Vorsorgegrundsatz verlangt die Vorsorge vor Risiken, deren Abwehr nicht bereits nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG geboten ist55 . Er soll deshalb gerade auch außerhalb konkreter Gefährdungslagen zu vorsorgendem Handeln verpflichten 56 . Das Minimum der gebotenen Vorsorge liegt damit exakt an der Grenze zur nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG notwendigen Abwehr von schädlichen Umwelteinwirkungen. Damit ist inzident bereits zum Ausdruck gebracht, daß eine Vorsorgesituation nicht nur mit Blick auf die Emissionen von gefährlichen Stoffen im Rechtssinne bestehen kann. Daß auch Imissionen sonstiger Stoffe tauglich erscheinen können, schädliche Umwelteinwirkungen zu verursachen, ist eben dargestellt worden 57 . Wenn sich aber bereits der Abwehrgrundsatz auf die Minderung von Imissionen sonstiger Stoffe erstreckt, muß dies erst Recht für den Vorsorge grundsatz gelten. Ob darüber hinausgehende Anforderungen an das Bestehen einer "Vorsorgesituation" gestellt werden müssen, ist umstritten. Einige wollen die Anwendbarkeit des Vorsorgegrundsatzes weiter einschränken. Eine Vorsorgesituation könne nicht bestehen, wenn "nach dem Urteil eines sachkundigen und erfahrenen Betrachters zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine über das übliche, den menschlichen Erkenntnismöglichkeiten eigene Maß hinausgehende Prognoseunsicherheit" über mögliche schädliche Umwelteinwirkungen vOrliege 58 • Einschränkend wird also eine "Prognoseunsicherheit" für das Eintreten eines Schadens verlangt. Unsicherheit kann nur vorliegen, wenn Anhaltspunkte für Bestehen, wie für Nichtbestehen von gegenwärtigen oder zukünftigen schädlichen Umwelteinwirkungen vorliegen. Diese
54 Die sonstigen in § 3 Abs. 3 BImSchG genannten Erscheinungen sind für die vorliegende Arbeit nicht von Relevanz. 55 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 420. 56 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 423. 57 S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.LI.a). 58 Kloepfer/Kröger, NuR 1990,8 ff., 12.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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Auffassung will das Vorsorgegebot nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG demnach auf Fälle des Gefahrenverdachts beschränken. Teilweise wird dagegen vertreten, daß Vorsorgemaßnahmen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG bereits geboten sein können, wenn die Immissionen nicht oder noch nicht den Grad schädlicher Umwelteinwirkungen erreichen, sich wegen der prinzipiellen GeHihrlichkeit der Emissionen schädliche Effekte aber nicht ausschließen lassen 59. Auch das Bundesverwaltungsgericht vertritt mittlerweile die Auffassung, daß sich die Reichweite des Vorsorgegebotes nicht in den Fällen des Gefahrenverdachts erschöpfe 60 . Die Auffassungen unterscheiden sich damit hinsichtlich ihrer Anforderungen an die Kausalität zwischen den durch die Anlage verursachten Immissionen und daraus folgenden schädlichen Umwelteinwirkungen. Während nach der erstgenannten Auffassung für das Bestehen einer Vorsorgesituation ein Gefahrenverdacht vorliegen muß, will die letztgenannte Auffassung das Vorsorgegebot auch in Fällen anwenden, in denen Anhaltspunkte für das Bestehen einer Gefahr zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorliegen. Die erstgenannte Auffassung wird in Fällen, in denen "allein" eine Verminderung von Emissionen nicht-gefährlicher Stoffe in Rede steht, seltener zur Annahme einer Vorsorgesituation kommen. Sie ist aber jedenfalls seit Aufnahme des Staatsziels Umweltschutz in das Grundgesetz nicht mehr als überzeugend zu bezeichnen. Denn Art. 20a GG, der bei der verfassungskonformen Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe wie dem der "Vorsorge" in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zu beachten ist61 , fordert nämlich den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen "auch in Verantwortung für die künftigen Generationen". Mangels ausreichender Kenntnisse über die Auswirkungen von Stoffeinträgen in die Umwelt bliebe ein solcher Schutz defizitär, wenn er nicht auch außerhalb aktueller Risikolagen ansetzte. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG muß folglich so ausgelegt werden, daß auch Emissionen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt als unschädlich erscheinen, nach dem Stand der Technik so gering wie möglich gehalten werden müssen62 . Gegen gänzlich unbekannte Risiken muß allerdings nicht Vorsorge geleistet werden 63 . Zumindestens müssen also tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß möglicherweise ein Risiko besteht. Rein spekulative Risiken können staatliche Eingriffe nicht rechtfertigen 64 . Ausreichen muß aber, daß Anhaltspunkte dafür be59 Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 41 und 46; Benderl Sparwasser/Engel, 1995, S. 351 f.; Rehbinder, 1991, S. 279 f. Kritisch Wahll Appel, 1995, S. 122 f., nach deren Auffassung die Frage unbeantwortet bleibt, welche Kriterien die Annahme einer potentiellen Schadenseignung rechtfertigen. 60 BVerwG, Beschluß vom 10. Januar 1995, NVwZ, 1995,994 ff., 995. 61 Murswiek, NVwZ 1996,222 ff., 229; Waechter, NuR 1996,321 ff., 323. 62 So Murswiek, NVwZ 1996,222 ff., 229. 63 Vgl. nur Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 449 f. m. w. N. 64 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1994, Tz. 76.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
stehen, daß die Regenerationsfähigkeit der natürlichen Ressourcen oder die Aufnahmefähigkeit von Umweltmedien im allgemeinen bedroht ist 65 . Darüber hinaus müssen Parallelen zu früheren Entwicklungen angestellt und das Ausmaß eventueller Schäden abgeschätzt werden 66 .
b) Berücksichtigung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes bei der Bestimmung des Standes der Technik
Im folgenden soll untersucht werden, ob die Vorsorgepflicht den Betreiber dazu anhält, den Verbrauch von gefährlichen Stoffen bzw. von sonstigen Stoffen oder von Energie pro hergestelltem Produkt zu verringern. Geprüft werden soll also, ob eine ganz bestimmte Reaktionsweise des Betreibers aus der Vorsorgepflicht folgen kann. Dabei ist vorab festzustellen, daß die Vorsorgepflicht anders als die Abwehrpflicht Vorgaben an die Art und Weise ihrer Erfüllung aufstellt. Als Mittel der Vorsorge werden in § 5 Abs. I Nr. 2 BImSchG "insbesondere ... dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung" genannt. Zu untersuchen ist also, ob bzw. unter welchen Umständen die hier in Rede stehenden Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes als dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung zu betrachten sind. Daß die Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen oder von Energie in der Anlage Auswirkungen auf die durch die Anlage verursachten Emissionen i.S. des § 3 Abs. 3 BImSchG haben muß, ist schon dargestellt worden. Des weiteren müßten nicht nur additive Maßnahmen, sondern auch solche des produktionsintegrierten Umweltschutzes bei der Bestimmung des Standes der Technik zur Emissionsbegrenzung herangezogen werden können (aa). Darüber hinaus kann ein Gebot zur Wahl der in Rede stehenden Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes nur bestehen, wenn solche Maßnahmen bei der Bestimmung des Standes der Technik entweder generell oder im Einzelfall alternativen Möglichkeiten der Vorsorge vorzuziehen wären (bb). Diese Frage soll getrennt für Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe (I) und Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs von Energie und sonstigen Stoffen (2) behandelt werden. Im Anschluß soll betrachtet werden, ob aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ein Gebot zur Optimierung der Anlagentechnik folgt (3).
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Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1994, Tz. 76. Wahl/ AppeI. 1995, S. 124, Fn. 354.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BImSchG
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aa) Zulässigkeit der Einbeziehung Der Vorsorgegrundsatz stellt das herzustellende Produkt nicht in Frage67 . Damit sind nur solche Möglichkeiten der Emissionsminderung in die Betrachtung einzubeziehen, die geeignet sind, das gesetzte Produktionsziel zu erreichen 68 . Soweit also der Einsatz von (gefährlichen) Stoffen oder Energie mangels Herstellungsvarianten zwingend notwendig ist, um das Produktionsziel zu erreichen, verlangt der Vorsorgegrundsatz keine Verminderung ihres Verbrauchs. Abgesehen von dieser Grenze darf die unterschiedliche Ausgestaltung des Produktionsverfahrens bei der Bestimmung des Standes der Technik jedoch nicht ausgeblendet werden 69 . Dies folgt in Ansätzen bereits aus dem Ziel des Vorsorgegrundsatzes. Denn Vorsorge vor schädlichen Umwelteinwirkungen erfordert nicht nur die Verringerungen der Massenkonzentration im Abgas. Geringe Massenkonzentrationen können sich nämlich bei entsprechend hohen Abgasmengen auf Seiten der Immissionen in einem Maße summieren, das selbst die Gefahrenschwelle überschreitet. Genauso wichtig ist demzufolge die Verminderung der Massenströme, also der Masse der emittierten Stoffe bezogen auf eine Zeiteinheit. Darüber hinaus verlangt der Vorsorgegrundsatz auch die Optimierung des Verhältnisses der Masse der emittierten Stoffe zu der Masse der erzeugten oder verarbeiteten Produkte (Massenverhältnis)7o. Andernfalls fehlte der Bezugspunkt für die Ermittlung von Reduktionspotentialen. Im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ausreichende Vorsorge könnte sinnwidrig allein durch eine Verringerung der Produktionsmenge erreicht werden. Verminderungen des Massenstroms und insbesondere des Massenverhältnisses sind indes am ehesten zu erreichen, wenn der Einsatz der in Rede stehenden Stoffe minimiert bzw. dieselben sogar substituiert werden. Daß die Emissionsbegrenzung nach dem Stand der Technik sich nicht allein auf die Möglichkeiten nachgeschalteter Reinigungsmaßnahmen bezieht, folgt des weiteren auch aus der Definition des Standes der Technik in § 3 Abs. 6 Satz 1 BImSchG71 . Der Stand der Technik ist dort als "der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen läßt", defi-
Winter, 1997, S. 81. Winter, 1997, S. 81. 69 So auch Feldhaus, 1998, S. 147, Fn. 26. 70 Jarass, BImSehG, § 5 Rn. 45. Die Begriffe ,,Massenströme" und "Massenverhältnisse" werden in Nr. 2.1.3 TA Luft definiert. Die Angabe des Massenstroms bezieht sich auf die ungünstigsten Bedingungen bei V0111ast. 71 Rebentisch, NVwZ 1995,949 ff., 951. 67
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
niert. Das Spektrum der in Betracht kommenden Möglichkeiten zur Emissionsbegrenzung ist damit äußerst weit 72 . Hier einschlägig ist die Nennung der "Verfahren" in der Gesetzesdefinition. Unter "Verfahren" ist nämlich die Gestaltung und Steuerung des Produktionsverfahrens zu verstehen 73 • Unter Umständen kann der Einsatz umweltfreundlicherer Arbeits- oder Betriebsstoffe geboten sein74 . Hierunter fällt auch die Verringerung des Einsatzes gefährlicher Stoffe in der Produktion75. Die Ausgestaltung des Produktionsverfahrens im hier relevanten Sinne ist also bei der Bestimmung des Standes der Technik von Belang76 •
bb) Berücksichtigung im Einzelfall (1) Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe
Im folgenden soll untersucht werden, ob die Vorsorgepflicht den Betreiber dazu anhält, Maßnahmen zu ergreifen, die bei gleicher Produktions leistung zu einem geringeren Verbrauch von geflihrlichen Stoffen führen. Dies könnte nur festgestellt werden, wenn solche Maßnahmen bei der Bestimmung des Standes der Technik entweder generell oder im Einzelfall alternativen Möglichkeiten der Vorsorge vorzuziehen wären. Die Definition des Standes der Technik in § 3 Abs. 6 Satz 1 BImSchG stand bereits eben im Mittelpunkt des Interesses. Der Stand der Technik ist dort als "der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen läßt", definiert. Neben den hier in Rede stehenden "Verfahren" sind also auch ,,Einrichtungen oder Betriebsweisen" bei der Bestimmung des Standes der Technik heranzuziehen. Zu den "Einrichtungen" gehören alle besonderen Anlagenteile, die speziell zur Emissionsreduktion installiert werden. Gemeint sind insbesondere additive Umweltschutztechniken 77. Der Begriff der ,,Betriebsweisen" umfaßt u. a. die Gestaltung von An- und Abfahrvorgängen, die zeitliche Inanspruchnahme der Anlage 78 72 Rebentisch NVwZ 1995, 949 ff., 951 spricht von einer "instrumentellen Offenheit" des Standes der Technik. 73 Koch, in: GK-BImSchG § 3 Rn. 366; Petersen, 1993, S. 308. 74 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 77; Rebentisch, NVwZ 1995, 949 ff., 951; Petersen, 1993, S. 308; Feldhaus, DVBI. 1981, 165 ff., 169. 75 Rebentisch, 1991, S. 46; Koch, in: GK-BImSchG § 3 Rn. 366; Führ, 1989, S. 205. 76 So auch Feldhaus, DVBI. 1981, 165 ff., 169. 77 Koch, in: GK-BlmSchG § 3 Rn. 366. Koch nennt darüber hinaus noch Meß- und Regelanlagen, die der Emissionsüberwachung dienen. 78 Koch, in: GK-BlmSchG § 3 Rn. 366.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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und darüber hinaus auch betriebsorganisatorische Maßnahmen, die zur Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten getroffen werden müssen 79. Aus der Verwendung des Wortes "oder" in § 3 Abs. 6 Satz 1 BImSchG geht hervor, daß das Gesetz davon ausgeht, daß "Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen" nicht alternativ sondern kumulativ heranzuziehen sind. Der Rechtsbegriff des Standes der Technik fordert im Grundsatz Kombinationen additiver, integrierter und organisatorischer Herangehensweisen zur Begrenzung von Emissionen. Gefordert sind also gesamthafte Strategien zur Minderung der Umweltbelastungen industrieller Güterfertigung. Dies ist auch sachgerecht. So werden auf der einen Seite z. B. Klär- und Abgasreinigungsanlagen auch nach Einführung produktionsintegrierter Techniken in der Regel weiter betrieben werden müssen 80 . Auf der anderen Seite können die negativen Stoffausträge auch durch die Verringerung des Verbrauchs von Stoffen verkleinert werden. Der Stand der Technik meint nur "fortschrittliche" Verfahren usw. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß die Zeitspanne zwischen technischer Entwicklung und praktischer Durchsetzung von Strategien zur Minderung der Umweltbelastungen industrieller Güterfertigung kurz gehalten werden soll. In Betracht kommen allerdings nur Varianten, deren praktische Eignung zur Emissionsbegrenzung gesichert ist. Es muß gesichert erscheinen, daß die Maßnahme tatsächlich einen bestimmten Grad der Emissionsreduzierung erreicht und sich gleichzeitig nicht negativ auf die Leistung der Anlage auswirkt81 . Eine erfolgreiche Erprobung der Maßnahme in einem Betrieb ist hierfür nicht notwendig, obwohl diese in § 3 Abs. 6 Satz 2 BImSchG für "insbesondere" maßgeblich bezeichnet wird. Auch Maßnahmen, die noch in keinem Betrieb erprobt wurden, aber entwickelt, also über die rein wissenschaftliche Erforschung von Lösungen hinausgekommen sind, können dem Stand der Technik entsprechen, wenn die praktische Eignung auf Grund anderer Umstände gesichert erscheint82 . Dies kann z. B. bei erfolgreichen Versuchen außerhalb der in Betracht kommenden Betriebe der Fall sein83 . Feldhaus, 1994, S. 29 f.; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 77. S. o. Kapitell, Gliederungspunkt C.U. 81 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 78. 82 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 81; Petersen, 1993, S. 299. So auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 7/1513, S. 2 und 4. Danach sollte die Aufnahme des Wortes "insbesondere" in die Legaldefinition des Standes der Technik ,,in begründeten Fällen (dazu dienen) auch noch nicht betriebserprobte Verfahren als dem Stand der Technik entsprechend" anzusehen. Damit sollten die vorher in der TA Lärm und der TA Luft enthaltenen Definitionen des Standes der Technik in diesem Punkt verschärft werden. A.A. Fischer, 1989, S. 28 f. und VGH Mannheim, Urteil vom 17. Juni 1997, ZUR 1998, 86 ff., 88, das sogar von der Notwendigkeit einer "großtechnischen Erprobung" ausgeht und deshalb das sogenannte Thermoselect-Verfahren noch nicht für den Stand der Technik erachtet. 83 Kutscheidt, in: LandmannlRohmer, BImSchG, § 3 BImSchG Rn. 29; Petersen, 1993, S.299. 79
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3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs von gefährlichen Stoffen können nach der in § 3 Abs. 6 Satz 1 BImSchG enthaltenen Definition außerdem nur den Stand der Technik darstellen, wenn sie im Verhältnis zu anderen Möglichkeiten besonders geeignet zur Begrenzung von Emissionen erscheinen. Bereits eben ist ausgeführt worden, daß additive Einrichtungen in der Regel auch nach Einführung produktionsintegrierter Maßnahmen bestehen bleiben müssen. Von Interesse ist hier deshalb insbesondere ein Vergleich von rein additiven Lösungsansätzen mit Herangehensweisen, bei denen diesen produktionsintegrierte Maßnahmen vorgeschaltet sind. Ein solcher Vergleich ist schon oben erfolgt84 . Fraglich ist hier allerdings zunächst, nach welchen Maßstäben diese Eignung zu beurteilen ist. Der Stand der Technik bestimmt sich anders als der der allgemein anerkannten Technik nicht nach der Mehrheitsauffassung unter den technischen Praktikem 85 . Das Bundesveifassungsgericht hat in der Kalkar-Entscheidung stattdessen folgende Beschreibung des Standes der Technik aufgestellt: ,,Der rechtliche Maßstab für das Erlaubte oder Gebotene wird hierdurch an die Front der technischen Entwicklung verlagert, da die allgemeine Anerkennung und die praktische Bewährung allein für den Stand der Technik nicht ausschlaggebend sind. Bei der Formel vom Stand der Technik gestaltet sich die Feststellung und Beurteilung der maßgeblichen Tatsachen für die Behörden und Gerichte allerdings schwieriger. Sie müssen in die Meinungsstreitigkeiten der Techniker eintreten, um zu ermitteln, was technisch notwendig, geeignet, angemessen und vermeidbar ist.,,86 Dabei sind auch vereinzelte Mindermeinungen zu berücksichtigen 87 . Weil die praktische Erprobung technischer Neuentwicklungen nicht die Grenze des Standes der Technik beschreibt, ist diese Beschreibung nachvollziehbar. Für die hierfür anzustrengenden Überlegungen hat Feldhaus einen - nicht abschließenden - komplexen Kriterienkatalog entwickelt. Danach sind • die Lebensdauer der Anlage • die Verfügbarkeit der Anlage 88 • die Betriebssicherheit • der Wartungsaufwand • die Wirksamkeit der Emissionsminderung • eventuelle medienübergreifende Emissionsverlagerungen S. o. Kapitel I, Gliederungspunkt C.!.I. Koch, in: GK-BlmSchG. § 3 Rn. 382. 86 BVerfG. Beschluß vom 8. August 1978. E 49. 89 ff., 135 f. (Kalkar). 87 A.A. Rittstieg. 1982, S. 31 unter Hinweis darauf, daß das Wort "Stand" auf das Erfordernis bereits hinreichend abgesicherter Erkenntnisse hinweise. 88 "Verfügbar" sind Anlagen, die auf dem Markt tatsächlich angeboten werden, vg1.Czychowski, 1998, § 7a Rn. 46. Da sich der Stand der Techniken auf Verfahren und Einrichtungen bezieht, soUte genauer von "Verfügbarkeit des Verfahrens oder der Einrichtung" die Rede sein. 84 85
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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• die Verursachung anderer Emissionen und • der Energieaufwand zu berücksichtigen 89 . Die Investitions- und Betriebskosten seien ebenfalls zu beachten. Dies aber nur soweit, als sie nicht so hoch sein dürften, daß man nicht mehr von einer vernünftigen technischen Lösung sprechen könne. Darüber hinaus seien auch die An- und Abfahrvorgänge von Relevanz für die Bestimmung des Standes der Technik90• Danach ist der Umfang der durch die Maßnahme erreichbaren Reduzierung von Emissionen nicht das alleinige Kriterium für die Bestimmung des Standes der Technik 91 . Es sind stattdessen sowohl ökologische, als auch technische und ökonomische Kriterien zur Bestimmung des Standes der Technik heranzuziehen. Demzufolge hängt die Beantwortung der eingangs gestellten Frage von einer ökologischen, ökonomischen und technischen Bewertung produktionsintegrierter im Vergleich zu rein additiven Maßnahmen ab. Die verschiedenen Kriterien werden häufig unterschiedliche Tendenzen aufweisen, die durch einen Kompromiß ausgeglichen werden müssen. Der Stand der Technik spiegelt folglich nicht das wirksamste Verfahren zur Emissionsbegrenzung wieder, sondern, so eine gängige Formulierung, das diesem angenäherte "optimale, technisch vernünftige Verfahren,,92. Die Feststellung des Standes der Technik ist somit auch nicht nur ein Akt der Tatsachenfeststellung, sondern darüber"hinaus ein Bewertungs- und Abwägungsvorgang 93 • Daraus folgt, daß jedem, der den Stand der Technik zu konkretisieren hat, ein Bewertungsspielraum eröffnet sein muß. Dabei muß sich die Bewertung der ökologischen Leistungsfähigkeit auf das Verhältnis der Emissionen im Verhältnis zur Menge der hergestellten Produkte beziehen. Denn der Stand der Technik verlangt Emissionsbegrenzungen bei gleicher Leistung der Anlage 94 • Besonders geeignet zur Begrenzung von Emissionen wäre die Modifikation des Einsatzes gefährlicher Stoffe also, wenn sie sich rein additiven Lösungen unter Heranziehung der eben genannten technischen, ökonomischen und ökologischen Kriterien als überlegen erwiese. Unterschiede im Hinblick auf Lebensdauer, Wartungsaufwand und Betriebssicherheit lassen sich dabei abstrakt nicht feststellen. Etwas anderes kann für die Betrachtung der ökologischen und der ökonomischen Auswirkungen entsprechender Maßnahmen gelten. Dies soll im folgenden geprüft werden. Dabei sind die folgenden Ausführungen zwangsläufig genereller Natur und vereinfachen die Betrachtung somit. Feldhaus, OVBI. 1981, 165 ff., 169. Inwiefern diese Vorgänge von Relevanz sein sollen, wird bei Feldhaus nicht ausgeführt. Gemeint sind wahrscheinlich Unterschiede im Wirkungsgrad bei An- und Abfahrvorgängen. 91 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 76. 92 Vgl. nur Feldhaus, OVBI. 1981, 165 ff., 170. 93 Lübbe-Wolff, ZG 1991,219 ff., 236. 94 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 77; Koch, in GK-BImSchG, § 3 Rn. 367. 89
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3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
Auszugehen ist immer vom durch die jeweiligen Konzepte erreichten Grad der Emissionsminderung. Dabei sind - wie eben ausgeführt - nicht nur die Konzentrationswerte, sondern insbesondere auch der Massenstrom und das Massenverhältnis zu beachten. Zu unterscheiden ist zwischen Fällen, in denen die Emissionsreduktion in die Luft bei einem einzelnen Schadstoff bei Berücksichtigung produktionsintegrierter Techniken geringer ausfällt und Fällen, in denen gleich hohe oder höhere Schadstoffrückhaltungen zu verzeichnen sind. Zunächst soll der Fall behandelt werden, in dem die Modifikation des Einsatzes gefährlicher Stoffe zu einer verbesserten oder gleich guten Begrenzung von Emissionen in die Luft führt. Hierfür ist zunächst festzuhalten, daß zur Bestimmung des Standes der Technik nicht nur die Auswirkungen der verschiedenen Varianten auf den Umfang von Emissionen in die Luft beachtet werden müssen. Der Stand der Technik verlangt wie bereits in dem von Feldhaus entwickelten Kriterienkatalog angedeutet - auch die Einbeziehung von Auswirkungen auf den Abfall- bzw. Abwasseranfall und auf deren Gefährlichkeit95 . Maßnahmen zur Begrenzung der Luftverunreinigungen dürfen nicht zu einer für die Umwelt insgesamt unvernünftigen Verlagerung der Schadstofffracht in Abwässer oder Abfall führen. Als Stand der Technik kann folglich nur diejenige technische Lösung gelten, die nicht zu entsprechenden Belastungsverschiebungen in andere Umweltmedien führt 96 . Nur derartige Verfahren und Einrichtungen sind im Sinne des § 3 Abs. 6 BImSchG zur Emissionsbegrenzung "praktisch geeignet,,97. Die Verringerung bzw. Vermeidung des Einsatzes gefährlicher Stoffe wirkt sich nicht nur auf die Emissionen entsprechender Stoffe in die Luft aus. Die genannten Maßnahmen begrenzen oft auch den Schadstoffgehalt des anfallenden Abfalls bzw. Abwassers 98 . Durch additive Verfahren werden Belastungen durch Schadstoffe dagegen oft nur teilweise behoben. In der Regel werden die Probleme nur stofflich verschoben und zeitlich unter Akkumulation der Risiken gestreckt. Zudem führt additiver Umweltschutz oft zu einer Belastungsverschiebung in Umweltmedien, die nicht im Vordergrund der jeweiligen nachgeschalteten Reinigungstechniken stehen99 . Der produktionsintegrierte Umweltschutz birgt mit anderen Worten den Vorteil an den Quellen von Belastungen anzusetzen und anders als der additive Umwelt-
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Rebentisch, NVwZ 1995,949 ff., 951 f. Ähnlich Lübbe-Wolff, 1996, S. 90. 'TI Rebentisch, RdE 1994,92 ff., 96. 98 Ein entsprechender Effekt läßt sich nur nicht feststellen, wenn die eingesparten gefährlichen Stoffe vorher Bestandteil des Produktes wurden. 99 Eine Darstellung der ökologischen Vorteile und Nachteile von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes findet sich bereits oben in Kapitel I unter Gliederungspunkt C.Ll. Auf die dort zu findenden Ausführungen sei zur Ergänzung verwiesen. 96
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BImSchG
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schutz bereits zu ihrer Venneidung beizutragen. Insbesondere die Substitution eines Stoffes ist selbstverständlich die wirksamste Art und Weise, das mit seiner Emission verbundene Problem zu lösen. Integrierte Techniken erfassen durch ihren venneidungsorientierten Ansatz häufig auch eine höhere Bandbreite von Stoffen, als additive Techniken. Aus ökologischer Sicht werden sich Maßnahmen, die zu einer Verringerung des Verbrauchs oder gar zu einer Substitution gefahrlicher Stoffe im Produktionsverfahren führen, also oft rein additiven Umweltschutzmaßnahmen als überlegen erweisen. Als zusätzliches Argument mag noch die Betrachtung eines Störfalles dienen. Denn die geflihrlichen Stoffe werden beim Ausfall additiver Maßnahmen in vollem Umfang unbehandelt emittiert, während produktionsintegrierte Maßnahmen wegen ihres auf Venneidung setzenden Ansatzes bereits das Potential von Emissionen dieser Stoffe verringern. Daß nachgeschaltete Reinigungstechniken einen über den Produktionsprozeß hinausgehenden Einsatz von Energie und weiteren Ressourcen erfordern und auch hierdurch Umweltbelastungen an anderer Stelle erzeugt werden, kann dagegen in der Regel nicht als Argument für eine höhere ökologische Leistungsfahigkeit der in Rede stehenden produktionsintegrierten Techniken angeführt werden. Denn sogar in Fällen, in denen ein gefahrlicher Stoff substituiert wird, werden additive Maßnahmen nur äußerst selten ganz ausbleiben können. Etwas anderes kann nur in Fällen gelten, in denen produktionsintegrierte Maßnahmen bestimmte additive Maßnahmen, die allein mit Blick auf den substituierten Stoff vorgenommen werden, entbehrlich machen. Dies wird in der Praxis wahrscheinlich sehr selten festzustellen sein. Allerdings sind Belastungsverschiebungen in andere Umweltmedien auch bei produktionsintegrierten Techniken nicht ausgeschlossen. Wenn z. B. im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen noch wenig erforschte Materialien und Stoffe anstelle bereits als gefahrlich erkannter Stoffe zum Einsatz kommen, können andersartige Entsorgungsprobleme als bislang auftreten. Nicht unmöglich erscheint des weiteren, daß integrierte Techniken zu einem insgesamt höheren Stromverbrauch bei der Produktion führen und auf diese Weise Emissionen insbesondere von CO2 und Stickoxiden in die Luft ansteigen. Dies ist insbesondere für die Kreislaufführung von Stoffen im Prozeß oder in der Anlage nicht ausgeschlossen. Hier kann es auch zu einem erhöhten Wasserverbrauch kommen Joo . In diesen Fällen hat eine wertende Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen rein additiver und produktionsintegrierter Maßnahmen zu erfolgen. Dabei müssen ganz verschiedene Umweltbelastungen wie der Verbrauch von Ressourcen, die Luft- oder Wasserverschmutzung miteinander verglichen werden. Da es sich hierbei logisch um nicht vergleichbare Größen handelt, ist dies nur in einer gewichtenden Präferenzentscheidung möglich: Energieverbrauch, Abfallanfall sowie Luft100
Vgl. zum Ganzen o. Kapitell, Gliederungspunkt C.I.l.
3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
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und Wasserverschmutzung haben keinen gemeinsamen Nenner und lassen sich demzufolge nicht eindeutig gegeneinander verrechnen 101. Die bislang beschriebenen Überlegungen sind deshalb - wie bereits angedeutet - im Rahmen einer zwangsläufig nicht wissenschaftlich begründbaren umweltpolitischen Abwägungsentscheidung anzustellen 102 . Wenn nicht ganz unbedeutende Frachten gefährlicher Stoffe durch die Maßnahmen produktions integrierten Umweltschutzes vennieden werden können, wird sich auch hier in der Regel ein Übergewicht der eben beschriebenen ökologischen Vorteile produktionsintegrierter Maßnahmen feststellen lassen. Kann ein solches Ergebnis bei wertender Betrachtung dagegen nicht angenommen werden, sind die in Rede stehenden Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes bei der Bestimmung des Standes der Technik nicht zu berücksichtigen. Ein solches Ergebnis ist außerdem möglich, wenn die produktionsintegrierte Herangehensweise zu nicht lösbaren Problemen bei weiterhin notwendigen additiven Verfahren führt und die deshalb entstehenden negativen Umweltauswirkungen die Vorteile der produktionsintegrierten Herangehensweise überwiegen. Wenn die Modifikation des Verbrauchs gefährlicher Stoffe zumindestens zu einer gleich guten Begrenzung von Emissionen in die Luft führt, werden entsprechende Maßnahmen nach allem aus ökologischer Sicht häufig einer rein additiven Herangehensweise vorzuziehen sein. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind wie ausgeführt auch ökonomische Kriterien heranzuziehen. Produktionsintegrierte Umweltschutztechniken führen zwangsläufig zu Veränderungen eines Produktionsprozesses oder sogar komplexer innerbetrieblicher Abläufe. Insbesondere der prozeßintegrierte Umweltschutz setzt aus diesem Grund oft die Konzeption gänzlich neuer technischer Anlagen voraus. Die Investitionskosten sind damit in der Regel höher als bei additiven Umweltschutzmaßnahmen. Dies kann insbesondere für Unternehmen mit einem geringen Kapitalstock ein Problem darstellen. Auch die Zugangskosten, z. B. in Fonn von Lizenzgebühren oder Aufwendungen für die eigene Forschung und Entwicklung oder für die Infonnationsbeschaffung sind oft höher als bei additiver Umwelttechnik, da es sich bei der letzteren vielfach um Verfahren handelt, die als standardisierte Produkte angeboten werden. Zudem können bei der Einführung von integrierten Techniken höhere Umstellungskosten als bei additiven Techniken entstehen, wenn das Produktionsverfahren stark verändert wird lO3 • Dennoch hat integrierte Umwelttechnik oft auch das Potential zur Senkung der Produktionskosten beizutragen. Dies kann auch in Fällen gelten, in denen das ProMasing, DVBI. 1998, 549 ff., 551. Lübbe-Wolff, ZG 1991,219 ff., 236. 103 Eine Darstellung der ökonomischen Vorteile und Nachteile von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes findet sich bereits oben in Kapitel 1 unter Gliederungspunkt C.I.2. Auf die dort zu findenden Ausführungen sei zur Ergänzung verwiesen. 101
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duktionsverfahren erheblich verändert werden muß. So können unter Umständen kostenträchtige Verbräuche von Roh- und Hilfsstoffmengen verringert werden. Des weiteren ist die Verminderung von Entsorgungskosten möglich. Daß konkurrierende additive Umweltschutztechniken zusätzliche Anlagen benötigen und somit unweigerlich zusätzliche Kosten verursachen, kann dagegen nicht allgemein als Kriterium für eine höhere ökonomische Leistungsfähigkeit der in Rede stehenden produktionsintegrierten Techniken angeführt werden. Denn wie eben bereits ausgeführt werden additive Maßnahmen sogar in Fällen, in denen ein gefährlicher Stoff substituiert wird, nur äußerst selten ganz ausbleiben können. Die Kosten, die durch Modifikationen des Einsatzes gefährlicher Stoffe bei nachgeschalteten Reinigungsanlagen eingespart werden können, müssen allerdings bei der Beurteilung der ökonomischen Auswirkungen einbezogen werden. Wirtschaftliche Überlegungen können nach allem im Einzelfall sowohl für, als auch gegen die Einführung der in Rede stehenden produktionsintegrierten Maßnahmen sprechen 104 . Wenn durch die Einführung ökologisch sinnvoller produktions integrierter Techniken in den betroffenen Unternehmen sogar eine Senkung der Produktionskosten erreicht werden kann, können ökonomische Erwägungen nicht gegen die Berücksichtigung produktionsintegrierter Techniken bei der Bestimmung des Standes der Technik sprechen. Umgekehrten Indizcharakter entfaltet darüber hinaus die Einführung einer entsprechenden Maßnahme produktionsintegrierten Umweltschutzes in einem vergleichbaren Betrieb. Verfahren, die betriebserprobt sind, können nicht über die Anforderungen des Standes der Technik hinausgehen 105. Denn in diesem Fall ist regelmäßig davon auszugehen, daß der Anwender der Technik die notwendige Bewertung und Abwägung selbst vorgenommen und ein grobes Mißverhältnis zwischen finanziellem Aufwand und erreichbarem ökologischem Gewinn folglich nicht vorliegt. Die Frage ist aber, welches Gewicht die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen zur Emissionsminderung bei der Festlegung des Standes der Technik hat, wenn die Einführung produktionintegrierter Techniken für die betroffenen Betriebe auch langfristig Kostensteigerungen verursacht. Oben ist bereits dargestellt worden, daß das Bundesverfassungsgericht der Auffassung ist, daß zur Bestimmung des Standes der Technik "in die Meinungsstreitigkeiten der Techniker" eingetreten werden muß, "um zu ermitteln, was technisch notwendig, geeignet, angemessen und vermeidbar ist." Trotz der darin anklingenden Bezüge zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muß bei der Bestimmung des Standes der Technik aber nicht geprüft werden, ob die mit den Maßnahmen der Emissionsminderung für den Betreiber verbundenen Kosten in einem angemesse104
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Vgl. zum Ganzen o. Kapitell, Gliederungspunkt C.I.2. Feldhaus, DVBl. 1981, 165 ff., 170.
3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
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nen Verhältnis zu den positiven Auswirkungen für die Umwelt stehen 106 . Zudem muß die in Rede stehende Maßnahme nicht für die konkrete Anlage oder Branche wirtschaftlich vertretbar sein 107. Bei der Bestimmung des Standes der Technik soll die optimale technische Maßnahme herausgearbeitet werden. Allein ein grobes Mißverhältnis zwischen finanziellem Aufwand bei den Investitions- und Betriebskosten und den erreichbaren ökologischen Verbesserungen soll nach nahezu einhelliger Auffassung die Einordnung einer Maßnahme unter den Begriff des Standes der Technik verhindern können lO8 • Der verhältnismäßige Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechtsausübungen kommt erst bei der Beantwortung der Frage zur Anwendung, ob eine dem Stand der Technik entsprechende Maßnahme als gesetzlich gebotene Vorsorge im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG angeordnet werden kann. Hier, und nicht bei der Bestimmung des Standes der Technik, kommt es auf die Besorgnisproportionalität zwischen der Gefahrlichkeit des zu reduzierenden Emissionsbeitrages der Anlage und dem Aufwand für eine Reduktionsmaßnahme an 109 • Dabei sind die Voraussetzungen, unter denen ein grobes Mißverhältnis angenommen werden kann, u. a. vom Gefährdungspotential der fraglichen Emissionen abhängig 110. Für gefährliche Stoffe können ökonomische Gesichtspunkte also nur unter erschwerten Bedingungen gegen die Einordnung emissionsmindernder Maßnahmen unter den Stand der Technik sprechen. Genannt sei etwa der Fall, in dem nur geringste ökologische Verbesserungen hohen zusätzlichen Kosten für den Betreiber gegenüberstehen. Führt die Modifikation des Verbrauchs gefährlicher Stoffe also zu einer verbesserten oder gleich guten Begrenzung von Emissionen in die Luft, sind die hierfür notwendigen Verfahren in der Regel vorrangig bei der Bestimmung des Standes der Technik zu berücksichtigen. Die Frage ist nunmehr, ob sich eine ähnliche Aussage auch für Fälle treffen läßt, in denen die in Rede stehenden produktionsintegrierten Maßnahmen zu höheren Emissionen der Anlage in die Luft führen. Dabei ist vorweg zu schicken, daß diese Frage sich in der Praxis nicht oft stellen wird, da in der Regel additive Maßnah-
Koch, in: GK-BlmSchG, § 3 Rn. 385. Vgl. nur Koch, in: GK-BlmSchG, § 3 Rn. 384 m. w. N.; Kutscheidt, in: Landmann/ Rohmer, BImSchG, § 3 BImSchG Rn. 32; von Lersner, 1984, S. 260; Winter, 1997, S. 83. 108 Vgl. nur Feldhaus, BlmSchR, § 3 Rn. 19; Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 384 m. w. N. A.A. wohl Kutscheidt, in: Landmann/Rohmer, BlmSchG, § 3 BlmSchG Rn. 32 und Petersen, 1993, S. 303 ff. 109 Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 385; Schlicht, 1997, § 5 Rn. 24. So anscheinend auch Feldhaus, DVBI. 1981, 165 ff., 171. Siehe zu den dortigen Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unten, Kapitel 3, Gliederungspunkt A.lV.5. 110 Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 79. 106
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A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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men, die dies verhindern, integrierten nachgeschaltet werden können. In diesem Fall bliebe es bei den eben getroffenen Aussagen. Oben ist bereits zum Ausdruck gebracht worden, daß bei der Bestimmung des Standes der Technik nicht nur der Grad der Emissionsminderung zu berücksichtigen ist. Daneben sind bei der Beurteilung verschiedener technischer Lösungen u. a. auch medienübergreifende Belastungsverlagerungen einzubeziehen. Auch in Fällen, in denen durch Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes höhere Emissionen in die Luft zu verzeichnen sind, werden im Vergleich zu additiven Maßnahmen Belastungsverlagerungen in andere Umweltmedien vermieden. Zudem bleibt es auch in diesen Fällen bei der Feststellung, daß additive Techniken die Probleme in der Regel nur stofflich verschieben und zeitlich unter Akkumulation der Risiken strecken, während integrierte Techniken zur Problemlösung beitragen. Eine rein additive Herangehensweise mit geringeren Emissionen in die Luft wird folglich häufig zu einer unvernünftigen Verlagerung der Schadstofffracht in Abwässer oder Abfall führen. Dies gilt jedenfalls, wenn entsprechende Mengen an gefährlichen Stoffen eingespart werden. Produktionsintegrierte Techniken können sich also auch in diesen Fällen gegenüber rein additiven Einrichtungen als vorzugswürdig erweisen. Da auch Wirtschaftlichkeitsüberlegungen nur entgegenstehen können, wenn ein grobes Mißverhältnis zwischen ökologischem Ertrag und finanziellen Aufwendungen für den Betreiber festgestellt werden kann, werden produktionsintegrierte Maßnahmen also oft auch in diesen Fällen den Stand der Technik vorgeben. Vorgeschaltete Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe in der Produktion sind nach allem sehr häufig vorrangig zur Bestimmung des Standes der Technik heranzuziehen.
(2) Maßnahmen zur Verringerung des Stoff- oder Energieverbrauchs
Eben ist dargestellt worden, unter welchen Voraussetzungen aus der Vorsorgepflicht ein Gebot zur Verringerung des Verbrauchs oder zur Substitution gefährlicher Stoffe folgen kann. Nunmehr soll es um die Auswirkungen dieser Grundpflicht auf den Verbrauch von sonstigen Stoffen und von Energie gehen. Es ist zu untersuchen, ob aus der Vorsorgepflicht ein Gebot zur Verringerung des Stoff- oder Energieverbrauches bei gleichbleibender Produktionsleistung folgen kann. (a) Stoffverbrauch Eben ist festgestellt worden, daß produktionsintegrierte Techniken, die den Verbrauch gefährlicher Stoffe verringern, bei der Bestimmung des Standes der Technik sehr häufig vorrangig vor rein additiven Lösungsansätzen zu berücksichtigen sind. Fraglich ist, ob sich die gleiche Aussage für Maßnahmen treffen läßt, die allein den Verbrauch sonstiger Stoffe verringern.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Es ist bereits ausgeführt worden, daß zur Bestimmung des Standes der Technik sowohl ökologische, als auch technische und ökonomische Kriterien heranzuziehen sind. Deutlich geworden ist des weiteren, daß bei der dabei notwendigen Abwägung eine Betrachtung der jeweiligen Herangehensweise im Einzelfall zu erfolgen hat. Hinsichtlich der ökonomischen und der technischen Leistungsfähigkeit von Maßnahmen zur Verringerung des Stoffverbrauchs kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Unterschiede im Hinblick auf Lebensdauer, Wartungsaufwand und Betriebssicherheit lassen sich auch hier abstrakt nicht feststellen. Wirtschaftliche Überlegungen können im Einzelfall sowohl für, als auch gegen die Einführung der in Rede stehenden produktionsintegrierten Maßnahmen sprechen. Bei der Beurteilung der ökologischen Leistungsfähigkeit können sich dagegen Unterschiede zu der oben behandelten Fallgruppe ergeben. Zwar werden sich die oben beschriebenen Vorteile von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes oft auch bei der Vermeidung nicht gefahrlicher Stoffe feststellen lassen. So werden auch Maßnahmen zur Verringerung des Stoffverbrauchs oftmals Belastungsverlagerungen in andere Umweltmedien verringern. In Fällen, in denen durch produktionsintegrierte Techniken allein der Verbrauch sonstiger Stoffe verringert wird, entfällt aber der Gefahrstoffaspekt als qualitatives Kriterium. Vorteile produktionsintegrierter Maßnahmen können hier deshalb eher durch eventuell höhere Energie- und Wasserverbräuche aufgezehrt werden. Unvernünftige Belastungsverlagerungen werden sich aus diesem Grund also weniger häufig feststellen lassen. Durch den Wegfall des Gefahrstoffaspekts und dem damit verbundenen tendentiell geringeren ökologischen Gewinn der hier in Rede stehenden Maßnahmen wird darüber hinaus auch häufiger ein grobes Mißverhältnis zwischen finanziellem Aufwand für den Betreiber und der erreichbaren Steigerung der ökologischen Effektivität bestehen. Maßnahmen, die allein den Verbrauch sonstiger Stoffe verringern, werden nach allem ebenfalls bei der Bestimmung des Standes der Technik herangezogen werden müssen. Dies wird allerdings weniger häufig erfolgen müssen, als bei Maßnahmen, die Auswirkungen auf den Verbrauch gefährlicher Stoffe haben. (b) Energieverbrauch Oben ist bereits dargestellt worden, daß bei der Beantwortung der Frage, ob bestimmte Lösungskonzepte den Stand der Technik vorgeben, grundsätzlich der jeweilige Energieverbrauch zu berücksichtigen ist 111. Dies gilt auch, wenn die Energie in anderen Anlagen des gleichen Betreibers oder in Kraftwerken erzeugt wor111 Vgl. die Wiedergabe des von Feldhaus aufgestellten Kriterienkataloges oben unter Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.2.b)bb)(I).
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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den ist. Der Energieverbrauch ist dort allerdings nur ein Aspekt unter mehreren, die zur Beurteilung der ökologischen Auswirkungen des jeweiligen Konzeptes heranzuziehen sind. Er steht - anders als die Emissionsbegrenzung - nicht im Vordergrund der Betrachtung. Wenn ein unvernünftig hoher Energieeinsatz für eine im Verhältnis dazu nicht allzu umfangreiche Verringerung von Emissionen erforderlich ist, kann diese Variante zwar nicht den Stand der Technik darstellen. Dabei ist die Toleranzschwelle für den Energieverbrauch nicht nur von der Menge, sondern auch von der Gefährlichkeit des ansonsten emittierten Stoffes abhängig. Bei gefährlichen Stoffe ist mit anderen Worten ein höherer Energieverbrauch möglich, als bei nicht-gefährlichen Stoffen. Ein Gebot zur Verringerung des Energieverbrauchs folgt hieraus aber nicht. Ein solches Gebot kann dem Vorsorgegebot aber aus anderen Gründen entnommen werden. Dies gilt zunächst einmal für die Fälle, in denen Energie in der Anlage erzeugt wird. Der Vorgang der Energieerzeugung in der Anlage muß mit möglichst geringen Emissionen verbunden sein. Wenn bei der Energieerzeugung Luftverunreinigungen entstehen, die Gewinnung von Energie also durch Verbrennung fossiler Energieträger erfolgt, ist der Stand der Technik zur Emissionsbegrenzung einzuhalten. Insbesondere sind Brennstoffe effizient einzusetzen 112. Entsprechende Maßnahmen verringern den Brennstoffbedarf der in Rede stehenden Anlage. Der Stand der Technik gilt allein für Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung. Ein Gebot zur Effektivierung des Energieverbrauchs der betroffenen Anlage kann § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG also nur enthalten, wenn dies Auswirkungen auf deren Emissionen hat lJ3 . Anders als zum Teil vertreten, bedeutet dies aber nicht, daß Auswirkungen von § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG auf die Effektivierung des Energieverbrauchs nur möglich erscheinen, wenn Energie in der jeweiligen Anlage erzeugt wird 1l4 . Nicht nur in diesen Fällen entstehen nämlich durch den Verbrauch von Energie Emissionen im Sinne des § 3 Abs. 3 BImSchG. In vielen Prozessen und Verfahrensschritten, die Wänne benötigen, entsteht Abwärme. Die in der Anlage erzeugte Abwärme ist eine Emission im Sinne des § 3 Abs. 3 BImSehG. Die Emission von Abwärme muß also nach § 5 Abs. I Nr. 2 BImSchG unter Beachtung des Standes der Technik begrenzt werden. Folglich könnten Maßnahmen, die der Rückgewinnung und Nutzung bereits entstandener Wärme dienen ll5 , nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG geboten sein 1l6 . AIDürkopl Kracht I Wasielewski, UPR 1995,425 ff., 431 f. Rebentisch, NVwZ 1995, 949 ff., 951; Dürkop/Kracht/Wasielewski, UPR 1995, 425 ff., 431 f.; Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 544 und 707 m. w. N. 114 So aber Rebentisch, NVwZ 1995, 949 ff., 951; Dürkop/Kracht/Wasielewski, UPR 1995, 425 ff., 431 f. 115 Z. B. die Warmerückgewinnung mit oder ohne Exergiezufuhr oder die Wandlung der Abwärme z. B. bei der Kraft-Wärme-Kopplung. Weitere Beispiele nennt Roßnagel, in: GKBImSchG, § 5 Rn. 711. 112 113
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
lerdings ist zu beachten, daß auch § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG nach allgemeiner Auffassung die Nutzung bereits entstandener Wärme u. a. "für Anlagen des Betreibers" verlangt. Die dort verwandte Formulierung "entstehende Wänne" steht diesem Befund nicht entgegen 117. Die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG ist nach § 5 Abs. 2 BImSchG aber von einer insoweit konstitutiven Rechtsverordnung abhängig. Würde sich § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG neben der Abwännevermeidung auch auf Maßnahmen der Rückgewinnung und Nutzung bereits entstandener Wärme beziehen, wäre § 5 Abs. 1 Nr.4 und insbesondere auch § 5 Abs. 2 BImSchG gegenstandslos. Die entsprechenden Pflichten würden sich schon aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ergeben. Aus systematischen Gründen kann das Vorsorgegebot also nicht zur Rückgewinnung und Nutzung bereits entstandener Wärme verpflichten. Das gegenteilige Ergebnis kann auch nicht der im Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG zum Ausdruck kommenden Nachrangigkeit der Abwännenutzungspflicht zum Vorsorgegebot entnommen werden. Denn die vier Grundpflichten sind trotz der Nachrangigkeit des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG so zu interpretieren, daß jedenfalls ein theoretischer Anwendungsbereich auch für die nachrangige Norm verbleibt. Dieser muß für § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG im Bereich der Rückgewinnung bzw. Verwendung bereits entstandener Abwänne liegen 118 • Eventuell in Betracht kommen hier aber z. B. Maßnahmen, die bereits die Entstehung von Abwärme verhindern 119 • Als Beispiele zu nennen sind die Wahl eines anderen Energieträgers oder einer anderen Prozeßtechnik, die die eingesetzte Energie in höherem Maße ausnutzt 120. Solche Maßnahmen würden den energieseitigen Wirkungsgrad des jeweils gewählten Produktionsverfahrens bzw. -prozesses verbessern. Würde § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG also im Einzelfall eine entsprechende Vorgehensweise verlangen, hätte die Norm Auswirkungen auf den Energieverbrauch der jeweiligen Anlage. Die Frage ist also, wann Maßnahmen, die bereits die Entstehung von Abwänne verhindern, den Stand der Technik zur Emissionsbegrenzung darstellen können. So wohl Koch/Behrend, 1997, S. 181. Allgemeine Auffassung, vgl. nur Roßnagel, in: GK-BImSchG § 5 Rn. 710; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 83. Problematisiert wird nur, ob § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG zusätzlich auch Maßnahmen fordert, die bereits die Entstehung von Abwärme verhindern. Dazu siehe unten Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.4.b)dd). 118 So wohl auch § 3 des Referentenentwurfs einer Wärrnenutzungsverordnung von 1991. Vgl. die Hinweise bei Koch/Behrend, 1997, S. 175. 119 Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 83. Sp.; Reblin, 1995, S. 76. So auch Roßnagel, in: GKBlmSchG, § 5 Rn. 544 und 707 m. w. N. 120 Vgl. Koch/Behrend, 1997, S. 173. Weitere Beispiele nennt Roßnagel, in: GKBlmSchG, § 5 Rn. 711 unter den Spiegelstrichen 1 bis 3. Roßnagel sieht die Maßnahmen nach hiesiger Auffassung zu Unrecht - als geeignet zur Erfüllung der Abwärmenutzungspflicht an. 116 117
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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Hier sind im wesentlichen die eben erfolgten Ausführungen für Maßnahmen, die allein den Verbrauch sonstiger Stoffe verringern, aufzugreifen. Auch hier entfällt der Gefahrstoffaspekt als qualitatives Kriterium. Vorteile produktionsintegrierter Maßnahmen können hier deshalb eher durch eventuell mit ihnen verbundene negative Auswirkungen auf Umweltmedien aufgezehrt werden. Durch den Wegfall des Gefahrstoffaspekts und dem damit verbundenen tendentiell geringeren ökologischen Gewinn der hier in Rede stehenden Maßnahmen wird darüber hinaus auch häufiger ein grobes Mißverhältnis zwischen finanziellem Aufwand für den Betreiber und der erreichbaren Steigerung der ökologischen Effektivität bestehen.
(3) Gebot zur Optimierung der Anlagentechnik
Die Feststellung, welche Ausgestaltung des Herstellungsverfahrens dem Stand der Technik zur Emissionsbegrenzung entspricht, setzt die Ermittlung und Bewertung verschiedener Herstellungsvarianten voraus. Es ist u. a. ein wertender Vergleich der ökologischen Auswirkungen der Varianten erforderlich. Dabei ist die Verringerung der Luftverunreinigungen nicht das einzige Kriterium. Auch die Auswirkungen der Varianten auf den Abfall- und den Abwasseranfall sind in die Betrachtung einzubeziehen. Läßt sich bei einer Variante bei gleicher Emissionsbegrenzung gleichzeitig eine Verringerung des Abfall- oder Abwasseraufkommens oder der Gefährlichkeit derselben feststellen, ist diese aus Sicht des § 3 Abs. 6 BlmSchG vorzugswürdig. Sogar höhere Emissionen in die Luft sind tolerabel, wenn hierdurch "unvernünftige Belastungsverschiebungen" in andere Umweltmedien vermieden werden. In diesem Umfang verlangt eine fortschrittliche Emissionsbegrenzung also die Einbeziehung von Emissionsverlagerungen und die Verursachung anderer Emissionen durch die betreffende Maßnahme in die Betrachtung l21 • Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes entsprechen aus diesen Gründen häufig dem Stand der Technik. Dennoch kann nicht die Rede davon sein, daß das Vorsorgegebot zur Verringerung des Stoffverbrauchs unabhängig davon, welches Umweltmedium ansonsten belastet würde, verpflichtet. Eine medienübergreifende Optimierung der Anlagentechnik muß nicht vorgenommen werden l22 . Der Fokus der immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflicht liegt auf der Emissionsbegrenzung. Daraus folgt bereits, daß nur Verfahrensvarianten in die Betrachtung einbezogen werden müssen, die Auswirkungen auf die Emissionen der Anlage in die Luft haben. Zudem sind Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 76. So aber Hansmann, ZAU 1998, 14 ff., 15. Wie hier Kock/Jankowski, ZUR 1998, 57 ff., 60 und 63. So wohl auch Masing, DVBI. 1998, 549 ff., 556 und Groth I KnappmannKom, 1993, S. 17. 121
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3. Kapitel: Direkte VerhaItenssteuerung
die verschiedenen ökologischen Belange trotz der Einbeziehung der Auswirkungen auf den Abfall- und den Abwasseranfall bei der Bestimmung des Standes der Technik nicht gleichwertig zu berücksichtigen. Dies folgt auch aus den eben getroffenen Aussagen. Höhere Emissionen in die Luft sind (nur) tolerabel, wenn "unvernünftige" Belastungsverschiebungen in andere Umweltmedien vermieden werden.
3. Abfallbezogene Grundpflichten, § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG Im folgenden soll untersucht werden, ob die abfallbezogenen Grundpflichten den Betreiber dazu anhalten, den Verbrauch gefährlicher Stoffe zu minimieren oder diese zu substituieren bzw. den Stoff- oder Energieverbrauch zu verringern.
a) Relevanz der Pflichten für die Fragestellung § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG sieht drei Möglichkeiten vor, mit denen ihren Anforderungen nachgekommen werden kann. Dabei ist die Pflicht zu einer dem Wohl der Allgemeinheit entsprechenden Beseitigung von Abfällen gegenüber der Vermeidung oder der Verwertung derselben nachrangig.
Nach allgemeiner Auffassung ist sowohl die energetische als auch die stoffliche Verwertung tauglich, ein eventuell bestehendes Verwertungsgebot zu erfüllen. Bei der energetischen Verwertung werden die Abfälle zur Gewinnung von Energie genutzt, während die stoffliche Verwertung die Gewinnung von Einsatz- oder Hilfsstoffen aus Abfällen zum Ziel hat 123. Zudem kann die Verwertung von Abfällen auch außerhalb der Betriebsgrenzen erfolgen 124 • Bei Zulässigkeit der Verwertung obliegt allein dem Anlagenbetreiber die Entscheidung über den Ort, an dem diese vorgenommen werden soll. Da Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes sich auf die Produktionsstätte beziehen, die Abfallverwertung also keine Maßnahme produktionsintegrierten Umweltschutzes darstellen muß, beschränkt dies die Möglichkeiten, in denen aus den abfallbezogenen Grundpflichten ein Gebot zur Einführung entsprechender Maßnahmen folgen kann. Dies ist nur in Fällen denkbar, in denen § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG den Betreiber zur Vermeidung von Abfällen verpflichtet. Die abfallbezogenen Grundpflichten beschäftigen sich wie die Abwehr- und die Vorsorgepflicht mit unerwünschten Austrägen aus einer genehmigungsbedürftigen Anlage. Sie sind ebenfalls "Output-bezogen". Dennoch kann die Vermeidung von
123 Definitionen der stofflichen und der energetischen Verwertung finden sich - allerdings unter Zugrundelegung der alten Rechtslage - bei Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 676. 124 Allgemeine Auffassung. Vgl. nur Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 69 m. w. N. Zur alten Rechtslage: Feldhaus, BlmSchR, § 5 Rn. 9; Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 680.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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Abfällen Auswirkungen auf den Verbrauch von (gefahrlichen) Stoffen in der Anlage haben. Zur Begründung ist ein Blick auf die Ursachen fUr die Entstehung von industriellen Abfällen vonnöten. Diese entstehen durch die unvollständige Verarbeitung von Stoffen in Verfahrensschritten. Ursachen sind die unvollkommene Umsetzung der eingesetzten Rohstoffe, der Einsatz von Hilfsstoffen, die während des Verfahrensschritts selbst umgewandelt oder verändert und im Anschluß nicht mehr benötigt werden oder nicht mehr verwendbar sind oder unerwünschte Reaktionsprodukte. Die Erfüllung eines Gebotes zur Abfallvermeidung in der industriellen Produktion würde also zu einer effizienteren Verarbeitung von Stoffen fUhren. Hierdurch kann der Stoffverbrauch des Betriebes verringert werden. Dies muß zwar nicht der Fall sein, denn die effizientere Verarbeitung der eingesetzten Stoffe kann auch zu einer Erhöhung der Produktmenge fUhren und so ohne Auswirkungen auf den Stoffverbrauch bleiben. Abgesehen von diesem Fall haben Maßnahmen, die zu einer Verringerung des Abfallanfalls fUhren aber auch einen verminderten Verbrauch von (gefahrlichen) Stoffen zur Folge. Als Maßnahmen der Abfallvermeidung kommen letztlich nahezu alle der oben beschriebenen Ansatzpunkte des produktionsintegrierten Umweltschutzes in Betracht: Der Einsatz anderer, respektive mit geringerem Abfallanfall verarbeitbarer Stoffe, die Modifikation von Verfahrensschritten, Produktionsprozessen oder sogar des Produktionsverfahrens mit dem Ziel, den Abfallanfall zu verringern, die Kreislaufführung von Einsatzstoffen und das primäre Recycling I25 . Auswirkungen auf den Energieverbrauch in der Anlage kann die Norm haben, wenn die Gewinnung von Energie aus Abfällen innerhalb einer Anlage unter den Begriff der Abfallvermeidung fiele. In diesem Fall würde die Gewinnung von Energie aus Abfällen den Verbrauch von extern erzeugter Primärenergie verringern. Die abfall bezogenen Grundpflichten können nach allem Steuerungswirkung mit Blick auf den produktionsintegrierten Umweltschutz entfalten, soweit sie zur Abfall vermeidung verpflichten. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, soll deshalb im folgenden dargestellt werden.
b) Tatbestand
Bei den abfallbezogenen Grundpflichten wird anders als bei der Behandlung des Abwehr- und des Vorsorgegrundsatzes der Tatbestand stärker beleuchtet. Denn die abfallbezogenen Grundpflichten befassen sich anders als die bislang geprüften Vorschriften unmittelbar mit bestimmten Handlungen (Vermeidung und Verwertung 125 Beispiele finden sich u. a. in Länderausschuß für Immissionsschutz, NVwZ 1989, 130 ff., 1.4.1. 1 Griom
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
von Abfallen) und setzen hierfür nicht eine bestimmte außerhalb der Anlage bestehende Umweltsituation oder sonstige äußeren Umstände voraus. Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG entfaltet somit unmittelbare Relevanz für die Frage, ob die Norm den Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen zur Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen oder von Energie verpflichtet.
aa) Anwendungsbereich der Vorschrift Vormals bezogen sich die in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG enthaJtenen Vermeidungs- und Verwertungspflichten auf Reststojfe. Wenn Vermeidung oder Verwertung technisch nicht möglich oder unzumutbar waren, mußten Reststoffe als Abfälle beseitigt werden. Durch Art. 2 des AbfVVBG 126 ist der Reststoffbegriff in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG durch den des Abfalls ersetzt worden. Der dem § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG n.P. zugrundeliegende Abfallbegriff umfaßt nach alter Diktion sowohl Reststoffe, als auch Abfälle. Eine Abgrenzung zwischen Reststoffen und Abfällen muß insofern nach der neuen Rechtslage nicht mehr erfolgen 127 • Die früher notwendige Abgrenzung zwischen Abfall und Reststoff findet allerdings nach der neuen Rechtslage ihre Entsprechung. Unterschieden werden muß nämlich zwischen Abfällen, die vermieden oder verwertet werden können und solchen, die ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden müssen. Die Beurteilung dieser Frage erfolgt allein durch die Immissionsschutzbehörde und nach den Kriterien des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG, wie die Rechtsgrundverweisung 128 des § 9 Satz 1 KrW-/ AbfG mit noch größerer Deutlichkeit als vormals § la Abs. 1 Satz 2 AbfG feststellt. Will man feststellen, ob bzw. in welchem Umfang aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG ein Gebot zur Verringerung des durch die Anlage verursachten Stoffverbrauchs folgt, ist folglich zunächst zu klären, was die Norm unter "Abfällen" versteht (1). Dafür soll zunächst der Abfallbegriff des KrW- / AbfG kurz dargestellt werden (a). Im Anschluß soll dann der Begriff des Abfalls über eine Abgrenzung zu sonstigen, in einer Industrieanlage entstehenden Stoffen näher bestimmt werden. Gemeint sind Produkte (b), Abgase (c) und Abwasser (d). Zur weiteren Konkretisierung des Anwendungsbereichs des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG soll dann dieser von dem des § 7a Abs. 1 WHG abgegrenzt werden (2).
126 Gesetz zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfallen vom 27. September 1994, BGB\. I S. 2705. 127 Vg\. zu den hierbei auftretenden Abgrenzungsschwierigkeiten Jörgensen, 1994, S. 21 ff. 128 Den zutreffenden Begriff der Rechtsgrundverweisung verwendet Rebentisch, 1997,
S.80.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG (J)
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Ab/allbegriff
Im Immissionsschutzrecht findet sich weder eine Definition des Abfalls, noch eine des Produktes. Zur Beantwortung der Frage, was unter "Abfall" im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG zu verstehen ist, ist deshalb auf die Definition des Abfalls in § 3 Abs. 1 Satz 1 KrW-/ AbfG zurückzugreifen 129. Unter dem Gesichtspunkt legislatorischer Kohärenz ist nämlich davon auszugehen, daß der Gesetzgeber des AbfVVBG den Abfallbegriff in allen Regelungsteilen mit übereinstimmendem Bedeutungsgehalt verwendet hat, also in Art. I, der das KrW-/ AbfG enthielt, nicht anders, als in Art. 2, durch den der Begriffsaustausch in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG erfolgte.
Ca) Abfallbegriff des KrW- / AbfG § 3 Abs. 1 Satz 1 KrW- / AbfG bezeichnet in annähernder Übereinstimmung mit Art. 1 Buchstabe a) der Abfallrahmenrichtlinie der EG'30 alle in Anhang I zum KrW- / AbfG aufgeführten "beweglichen Sachen,"3', derer "sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muß", als Abfalle. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 KrW- / AbfG sind Abfälle zur Beseitigung und Abfalle zur Verwertung vorstellbar. Da nach Abfallgruppe Q 16 des Anhangs I "Stoffe oder Produkte aller Art, die nicht einer der oben erwähnten Gruppen angehören", als Abfall zu bezeichnen sind, ist die in § 3 Abs. 1 Satz 1 KrW- / AbfG erfolgte Bezugnahme auf Anhang I zum KrW- / AbfG nahezu bedeutungslos 132. Bei der Prüfung des Abfallbegriffs kommt es vor allem darauf an, daß ein Entledigungstatbestand vorliegt. Die Entledigungstatbestände werden in den Absätzen 2 bis 4 des § 3 KrW- / AbfG definiert. Die Entledigung durch den Besitzer wird nach § 3 Abs. 2 KrW- / AbfG angenommen, "wenn der Besitzer bewegliche Sachen einer Verwertung im Sinne des Anhangs 11 B oder einer Beseitigung im Sinne des Anhangs 11 A zum KrW-/ AbfG zuführt oder die tatsächliche Sachherrschaft über sie unter Wegfall jeder weiteren Zweckbestimmung aufgibt." . Der Wille zur Entledigung wird nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KrW- / AbfG bei beweglichen Sachen fingiert, die "bei der Energieumwandlung, Herstellung, Be129 Paetow in: Kunig/Paetow /Versteyl, KrW-/ AbfG, § 9 Rn. 2; Schlicht, 1997, § 5 Rn. 9; Rebentisch, NVwZ 1995,639 ff., 640; Seibert, UPR 1994,415 ff., 420; Kunig, 1997, S. 31 f.; Schimanek, 1997, S. 46. So auch LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 2.1. 130 Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle, ABI. EG Nr. L 194, S. 47, zuletzt geändert durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABI. EG Nr. L 135/32 (96/350/EG). 131 Art. 1 Buchstabe a) der Abfallrahmenrichtlinie spricht von "Stoffen oder Gegenständen". J32 Anhang I kann allenfalls Einfluß auf die Auslegung der Entledigungstatbestände haben, vgl. LAGA vom 17./18. März 1997, Ziffer 2.3.1. Dazu siehe sogleich.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
handlung oder Nutzung von Stoffen oder Erzeugnissen ... anfallen, ohne daß der Zweck der jeweiligen Handlung hierauf gerichtet ist". Die zusätzlich genannten Dienstleistungen sind für den vorliegenden Zusammenhang nicht relevant. Für die Beurteilung der Zweckbestimmung ist nach § 3 Abs. 3 Satz 2 KrW- / AbfG "die Auffassung des Erzeugers oder Besitzers unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zugrunde zu legen." Die Legaldefinition des Abfallbegriffes in § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.v. mit Satz 2 KrW- / AbfG entspricht somit der des Reststoffes nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur 133 . Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KrW- / AbfG ist ein Entledigungswille des weiteren hinsichtlich solcher beweglicher Sachen anzunehmen, "deren ursprüngliche Zweckbestimmung entfallt oder aufgegeben wird, ohne daß ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle tritt." Ein Zwang zur Entledigung besteht nach § 3 Abs. 4 KrW-/ AbfG, "wenn diese entsprechend ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung nicht mehr verwendet werden, aufgrund ihres konkreten Zustandes geeignet sind, gegenwärtig oder künftig das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die Umwelt zu gefahrden und deren Gefahrdungspotential nur durch eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung oder gemeinwohlverträgliche Beseitigung ... ausgeschlossen werden kann." Die im Rahmen dieser Untersuchung entscheidende Frage, unter welchen Voraussetzungen bewegliche Sachen, die Ergebnis einer Produktionsmaßnahme sind, Abfall sein können, ist speziell und abschließend in § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KrW-/ AbfG geregelt l34 . Die anderen Entledigungstatbestände setzen später an und sind damit nachrangig I35.
133 Bei der früher vorzunehmenden Abgrenzung zwischen Reststoffen und Produkten wurde in der Regel auf die in § 2 Nr. 4 der Siebzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfalle und ähnlich brennbare Stoffe - 17. BlmSchV - vom 23. November 1990, BGBI. I S. 2545, ber. S. 2832, enthaltene und vom Länderausschuß für Immissionsschutz, NVwZ 1989, 130 ff., 1.2.1. aufgegriffene Definition des Reststoffbegriffes abgestellt. Nach den genannten Vorschriften waren Reststoffe ..alle Stoffe, die bei der Energieumwandlung oder bei der Herstellung, Bearbeitung oder Verarbeitung von Stoffen anfallen, ohne daß der Zweck des Anlagenbetriebes hierauf gerichtet ist." Für die Bestimmung des Zweckes sollte es primär auf die Angaben des Betreibers ankommen. In Zweifelsfällen sollte die unter Fachleuten bestehende Verkehrsauffassung ergänzend herangezogen werden. Einen objektiven Reststoffbegriff vertrat dagegen Führ, 1989, S. 189 f. In Fällen, in denen die Vermarktung eines Stoffes durch produktbezogene Vorschriften nicht ausdrücklich zugelassen sei, solle es möglich sein, gefahrliehe Stoffe als Reststoffe einzuordnen und den Pflichten nach § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG zu unterstellen. Voraussetzung sei analog der Definition des objektiven Abfallbegriffes, daß ihre geordnete Entsorgung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere des Schutzes der Umwelt, geboten ist. Zur Auseinandersetzung vgl. Rehbinder, DVBI. 1989, 496 ff., 497 f. und Jörgensen, 1994, S. 20 f. m. w. N. 134 Weidemann, 1998, S. 15 f.; LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Nr. 2.1. l3S Damit soll nicht bestritten werden, daß in einer genehmigungsbedürftigen Anlage auch Abfalle nach den anderen Tatbeständen entstehen können. Dazu Fluck, DVBI. 1997,463 ff.,
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BlmSchG
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(b) Abgrenzung von Produkten Im folgenden soll die Beantwortung der Frage im Mittelpunkt stehen, wie Abfälle nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG vorn Produkt abgegrenzt werden können. Diese Frage ist zum einen für die Anforderungen an die Verwertung oder Beseitigung der beim Anlagenbetrieb bereits angefallenen Stoffe oder Gegenstände von Relevanz. Wenn diese als Abfälle zu qualifizieren sind, sind sie in erster Linie ordnungsgemäß und schadlos zu verwerten oder - wenn dies technisch nicht möglich oder unzumutbar ist - ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu beseitigen. Diese Anforderungen gelten für Produkte selbstverständlich nicht. Wenn ein Stoff als Produkt an Dritte übergeben wird, sind stattdessen produktbezogene Vorschriften einzuhalten. Mit der Angabe, ein bestimmter Stoff sei als Produkt und nicht als Abfall zu bezeichnen, kann der Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage also die diesbezüglichen Pflichten des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG umgehen. Die Anforderungen, die § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG an die Verwertung oder die Beseitigung von Abfällen aufstellt, interessieren im hier vorliegenden Zusammenhang jedoch nur mittelbar. Denn die hier in Rede stehende Abfallvermeidung setzt naturgemäß vor Entstehung der jeweiligen Stoffe und Gegenstände an. Dargestellt werden soll gerade, ob bzw. unter welchen Umständen aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG ein Gebot zur abfallvermeidenden Ausgestaltung des Produktionsverfahrens folgen kann. Auch hierfür ist aber die Abgrenzung von Abfällen und Produkten notwendig. Denn § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG kann nur insoweit Anforderungen an die produktionstechnische Ausgestaltung der Anlage beinhalten, als ,,Abfälle" vermieden werden sollen. Produkte müssen selbstverständlich nicht vermieden werden. Für die demzufolge auch im Rahmen dieser Untersuchung notwendige Abgrenzung zwischen Abfall und Produkt besteht Einigkeit darüber, daß Stoffe oder Gegenstände, die dem in einern Genehmigungsbescheid i. V. mit dem Anhang zur 4. BlmSchV beschriebenen sogenannten Hauptzweck der Anlage entsprechen, als Produkte dieser Anlage und nicht als Abfälle zu qualifizieren sind l36 • Dies gilt auch für die Gewinnung von Stoffen aus Abfällen 137 • Bei einer Anlage zur Gewinnung von Roheisen aus Sekundärrohstoffen nach Ziffer 3.2 des Anhangs zur 4. BlmSchV ist das Roheisen dementsprechend als Produkt zu qualifizieren. Neben Produkten, deren Produktion dem Hauptzweck der Anlage entspricht, können aber auch noch sonstige Produkte in der Anlage hergestellt werden 138. Ge464. Die Spezialität des § 3 Abs. 3 Satz I Nr. I KrW-1 AbfG betrifft allein die Abfalleigenschaft in dem Zeitpunkt, in dem die Sache als Ergebnis einer Produktionsmaßnahme anfällt. 136 Allg. Auffassung. Vgl. Wolfers, NVwZ 1998,225 ff., 227. 137 Wolfers, NVwZ 1998, 225 ff., 228. 138 Die wirtschaftswissenschaftliche Definition des Produktes wird oben unter Kapitel I, Gliederungspunkt B.I. erläutert.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
schieht dies aus naturgesetzlichen oder technischen Gründen zwangsläufig, spricht man von einer Kuppelproduktion l39 • In diesem Fall wird in der Wirtschaftswissenschaft zwischen dem Haupt- und dem oder den Nebenprodukten unterschieden. Denkbar ist auch die gleichberechtigte Herstellung verschiedener Coprodukte l4o . In einer genehmigungsbedürftigen Anlage können des weiteren auch sogenannte Vor- oder Zwischenprodukte entstehen. Hierbei handelt es sich um Produkte, die auf einer vorgelagerten Produktionsstufe hergestellt und für die Fertigung des Endproduktes verwandt werden sollen l41 . Unstreitig ist, daß nicht nur das Hauptprodukt, sondern auch sogenannte bezweckte "Vor-, Neben- Co-, Kuppel- oder Zwischenprodukte" nicht dem Abfallbegriff unterfallen 142. Unter welchen Umständen sonstige in der Anlage entstehende Stoffe oder Gegenstände aber als vom Anlagenbetreiber bezweckte "Vor-, NebenCo-, Kuppel- oder Zwischenprodukte" und nicht als Abfälle betrachtet werden können, wird unterschiedlich beurteilt. (aa) Kriterien der Allgemeinen Musterverwaltungsvorschrift des Länderausschusses Immissionsschutz Die Abgrenzung zwischen Abfällen und Produkt muß am Abfallbegriff des § 3 KrW-/ AbfG ansetzen. So verfährt auch der Länderausschuß Immissionsschutz in seiner Allgemeinen Musterverwaltungsvorschrift zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG I43 . Alle in § 3 Abs. 2 bis 4 KrW- / AbfG genannten Varianten des Abfallbegriffes stellen u. a. auf den vom Abfallbesitzer mit der Sache verfolgten Zweck ab. Dies gilt auch für die hier relevante Bestimmung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KrW- / AbfG. Der Entledigungswille wird bei Stoffen oder Erzeugnissen fingiert, die angefallen sind, ohne daß "der Zweck der jeweiligen Handlung hierauf gerichtet ist". Abfälle sind demzufolge Stoffe und Gegenstände, deren Erzeugung vom Anlagenbetreiber nicht bezweckt wird l44 . Der ,,zweck des Anlagenbetriebes" ist indes häufig nicht ohne weiteres festzustellen. Anhaltspunkte hierfür enthält § 3 Abs. 3 Satz 2 KrW-/ AbfG. Die Norm stellt für die Beurteilung der Zweckbestimmung primär auf die Auffassung des BetreiGabler-Wirtschafts-Lexikon, 12. Auflage, Wiesbaden 1988,3. Band, S. 3105. Gabler-Wirtschafts-Lexikon, 12. Auflage, Wiesbaden 1988,3. Band, S. 3105. 141 Gabler-Wirtschafts-Lexikon, 12. Auflage, Wiesbaden 1988,6. Band, S. 2552. Der Begriff des Zwischenproduktes findet sich in Gabler-Wirtschafts-Lexikon, 12. Auflage, Wiesbaden 1988,4. Band, S. 1021. 142 V gl. nur für die im Abfallrecht vorzunehmende Abgrenzung zwischen Abfall und Produkt: F1uck, DVBI. 1995,537 ff., 541; Fouquet, ZUR 1996, 186 ff., 187 f.; Kunig, 1997, S. 25 f. Wohl auch Versteyl/Wendenburg, NVwZ 1994,833 ff., 836. 143 LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 2.1. 144 Wolfers, NVwZ 1998, 225 ff., 226. 139
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bers ab. Maßgebend kommt es also darauf an, ob seine Handlung den Anfall einer beweglichen Sache als Produkt bezweckt 145. Das ist dann der Fall, wenn der Anfall und die weitere Nutzung der Sache vor der Handlung geplant oder eingeplant und dies der (mit-)bestimmende Anlaß für die Handlung war 146 . Die Auffassung des Betreibers wird allerdings durch die Verkehrsanschauung korrigiert, um die mißbräuchliche Berufung auf subjektive Zwecksetzungen zu begrenzen l47 . Für die hierfür notwendige Wertung im Einzelfall will der Länderausschuß Immissionsschutz z.T. unter Berufung auf eine frühere Ausarbeitung der Länderarbeitsgemeinschajt Abjall 148 bestimmte objektive Anhaltspunkte heranziehen. Diese Anhaltspunkte hätten nach Auffassung des Ausschusses die Funktion von Indizien zur Bestimmung der Verkehrsanschauung. Sie begründeten eine widerlegliche Vermutung dafür, daß eine Sache als Abfall oder Produkt einzustufen sei 149. Widerlegt werden kann diese Vermutung insbesondere dadurch, daß andere Kriterien die gegenteilige Vermutung begründen. Die genannten Kriterien lassen sich danach unterscheiden, ob sie sich auf die Entstehung der Sache (siehe den folgenden 1. Abschnitt) oder auf deren weitere Verwendung (siehe den folgenden 2. Abschnitt) beziehen 150. • Die Aufnahme einer Sache in Anhang I zum KIW-/ AbfG könne je nach Konkretheit ihrer Beschreibung eine stärker oder schwächer wirkende Indizwirkung für ihre Abfalleigenschaft aufweisen. Dies gelte nicht, wenn der Erzeuger eine im Einzelfall bestehende Zweckgerichtetheit der Herstellung nachvollziehbar darlege 151 . • Stoffe, die in Anlagenteilen oder Nebeneinrichtungen entstünden oder anfielen, die aufgrund oder zur Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen errrichtet seien, z. B. Abgas- oder Abwasserreinigungseinrichtungen, würden nicht vom Zweck der Anlage erfaßt und seien schon deshalb keine Produkte 152 . • Voraussetzung für die Produkteigenschaft einer Sache sei des weiteren in der Regel, daß der Erzeuger die Sache bei einer hypothetischen Betrachtungsweise Wolfers, NVwZ 1998, 225 ff., 226. Schink, VerwArch. 1997,230 ff., 242 f. 147 LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 2.2. 148 LAGA vom 17./ 18. März 1997. 149 LAGA vom 17./ 18. März 1997, Ziffer 2.3.1. Vgl. den Verweis in Ziffer 2.2 der LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97. 150 Diese Unterscheidung ist von Wolfers, NVwZ 1998, 225 ff., 227 herausgearbeitet worden. 151 LAGA vom 17./18. März 1997, Ziffer 2.3.1. Vgl. den Verweis in Ziffer 2.2 der LAI Musterverwaltungsvorschrift 5 /97. 152 LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 2.2 unter Hinweis darauf, daß ein Kraftwerk nach der Verkehrsanschauung nicht betrieben werde, um ein gipshaltiges ,,Abgasreinigungsprodukt" zu erzeugen und ein Stahlwerk nicht betrieben werde, um Schlacke für den Straßenbau zu gewinnen. 145
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auch dann noch entstehen lassen würde, wenn er das Hauptprodukt der Anlage ohne den Anfall dieser Sache mit gleichen oder geringeren Kosten herstellen könnte 153. • Habe eine Sache einen negativen Marktwert, so könne bei gewerblichen Produktionsprozessen im Regelfall davon ausgegangen werden, daß sie nicht von der Zweckbestimmung des Produktionsprozesses umfaßt sei l54 • • Auf der anderen Seite schließe das Vorliegen eines positiven Marktwertes die Abfalleigenschaft nicht aus, da auch Abfälle zur Verwertung einen positiven Marktwert aufweisen könnten i55 . • Für die Produkteigenschaft spreche aber, wenn eine Sache im Hinblick auf Handelsverträge produziert werde, aus denen hervorgehe, daß sie dem Erzeuger regelmäßig und gegen Zahlung eines Kaufpreises abgenommen werden i56 . • Für die Einstufung als Produkt spreche, daß eine anfallende Sache allgemeine Produktnormen, d. h. solche Produktnormen erfülle, die sich nicht auf aus Abfällen hergestellte Produkte beziehen 157. • Unterwerfe der Erzeuger anfallende Sachen keiner spezifischen Qualitätskontrolle, sei zu vermuten, daß diese nicht gezielt als Produkt hergestellt würden 158. • Sei nicht nachvollziehbar, daß der Erzeuger tatsächlich in der Lage sei, die in Rede stehenden Sachen in einem absehbaren Zeitraum ihrem angegebenen bestimmungsgemäßen Gebrauch zuzuführen, könne eine mangelnde Produktionsabsicht vermutet werden i59 . • Solle eine Sache vor ihrer weiteren wirtschaftlichen Verwendung zur Entfernung von Verunreinigungen bzw. zum Zwecke der Rückgewinnung von Stoffen einem Behandlungsverfahren im Sinne des Anhangs 11 B zum KrW- / AbfG zugeführt werden, so handele es sich in der Regel um Abfälle l60 •
LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 2.2. LAGA vorn 17./18. März 1997, Ziffer 2.3.1. Vgl. Musterverwaltungsvorschrift 5/97. ISS LAGA vorn 17./18. März 1997, Ziffer 2.3.1. Vgl. Musterverwaltungsvorschrift 5/97. 156 LAGA vorn 17./18. März 1997, Ziffer 2.3.1. Vgl. Musterverwaltungsvorschrift 5/97. 157 LAGA vorn 17./18. März 1997, Ziffer 2.3.1. Vgl. Musterverwaltungsvorschrift 5/97. 158 LAGA vorn 17./18. März 1997, Ziffer 2.3.1. Vgl. Musterverwaltungsvorschrift 5/97. 159 LAGA vorn 17./18. März 1997, Ziffer 2.3.1. Vgl. Musterverwaltungsvorschrift 5/97. 160 LAGA vorn 17./18. März 1997, Ziffer 2.3.1. Vgl. Musterverwaltungsvorschrift 5/97. 153
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den Verweis in Ziffer 2.2 der LAI den Verweis in Ziffer 2.2 der LAI den Verweis in Ziffer 2.2 der LAI den Verweis in Ziffer 2.2 der LAI den Verweis in Ziffer 2.2 der LAI den Verweis in Ziffer 2.2 der LAI den Verweis in Ziffer 2.2 der LAI
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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(bb) Ergänzende oder entgegengesetzte Auffassungen im Schrifttum Das Schrifttum verwendet zu einem großen Teil ebenfalls die vom liinderausschuß Immissionsschutz zugrunde gelegten Abgrenzungskriterien. Zum Teil werden aber auch ergänzende Kriterien entwickelt. Auch läßt sich Kritik an einzelnen Ansätzen zur Abgrenzung von Abfallen und "Vor-, Neben- Co-, Kuppel- oder Zwischenprodukten" finden. Zum Teil wird vertreten, daß darauf abzustellen sei, ob die fragliche Sache im Genehmigungsantrag als Haupt- oder Nebenzweck der Produktion angegeben worden ist l61 . Kritisiert werden darüber hinaus die Kriterien, die sich auf die Entstehung der Sache beziehen. Dies betrifft zunächst das Abstellen auf die Frage, ob der Betreiber die Sache bei einer hypothetischen Betrachtungsweise auch dann noch entstehen lassen würde, wenn er das Hauptprodukt der Anlage ohne deren Anfall mit gleichen oder geringeren Kosten herstellen könnte. Dabei würden die "natürlichen Gegebenheiten und Reaktionsprozesse", die jeder Anlagenbetreiber hinnehmen müsse und nicht einfach hinwegwünschen könne, mißachtet l62 . So würde z. B. ein Sägewerksbesitzer das Holz lieber ohne den Anfall von Spänen zuschneiden. Da dies aber ausgeschlossen sei, müsse ihm die Möglichkeit offenstehen, durch gezielte Steuerung der Produktionsvorgänge unbelastete Späne entstehen zu lassen, die er der Zellstoffindustrie als Ausgangsstoff liefern könne, um seine Produktpalette um ein Nebenprodukt zu erweitern 163. Außerdem bestünde die Gefahr, daß nach der in Rede stehenden Betrachtungsweise nur das Produkt mit der höchsten Wertschöpfung zweifelsohne kein Abfall sei 164. Ob die jeweiligen Stoffe oder Gegenstände in der Hauptanlage oder z. B. in Nebeneinrichtungen hergestellt würden, sei ebenfalls nicht entscheidend 165. So könnten auch Stoffe, die als Ergebnis additiver Umweltschutzmaßnahmen anfallen, Produkte und somit keine Abfalle im Sinne des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG sein l66 . Anhand der Verkehrsanschauung werde überprüft, ob die Angaben des Erzeugers vernünftigen Erwägungen entsprächen. Lege also z. B. ein Kraftwerksbetreiber dar, daß er den in einer Aufbereitungsanlage aus Rauchgasreinigungsrückständen gewonnenen 98%-igen Schwefel bestimmten Abnehmern in einer bestimmten Wolfers, NVwZ 1998, 225 ff., 227. Wolfers, NVwZ 1998, 225 ff., 228; Weidemann, 1998, S. 45. 163 Wolfers, NVwZ 1998,225 ff., 228. 164 Weidemann, 1998, S. 45. 165 Fluck, DVBI. 1997,463 ff., 466. 166 Versteyl/Wendenburg, NVwZ 1994, 833 ff., 836 nennen die Entstehung von 98%igem Schwefel aus Rauchgasreinigungsanlagen als Beispiel. Nach Auffassung von Fluck, DVBI. 1995,537 ff., 541 und Schink, VerwArch. 1997, 230 ff., 245 kann auch ein bei der Abgasentschwefelung entstehender Gips Nebenprodukt sein, wenn er die Spezifikation der Bauindustrie einhielte und beim Bau oder zur Herstellung von Bauprodukten unmittelbar verwendet werde. 161
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Qualität liefere und damit unterhalb der Kosten bleibe, die ihm ohne diese spezielle Aufbereitung entstünden, so sei diese Produktion wirtschaftlich vernünftig. Verfehlt sei es hingegen, danach zu fragen, ob ein Kraftwerk generell zu dem Zweck betrieben werde, 98%-igen Schwefel herzustellen. Denn durch eine solche Fragestellung werde das Pferd von hinten aufgezäumt. Es stünde bereits fest, daß nur Strom erzeugt werden solle und sonst nichts. Es solle aber gerade erst geprüft werden, welche Dinge produziert würden und welche Dinge als Abfall zu betrachten seien l67 • Auch die Kriterien, die sich mit der weiteren Verwendung der Sache beschäftigen, werden nicht kritiklos hingenommen. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Produktes seien auch vorhanden, wenn die produzierten Stoffe oder Gegenstände nicht allgemeine, sondern lediglich gewerbliche Produktnormen oder Spezifikationen erfüllten 168. Der positive Marktwert eines Stoffes oder Gegenstandes sei ebenfalls ein entsprechender Anhaltspunkt l69 . Dies soll nach von einigen vertretener Ansicht sogar gelten, wenn sich der positive Marktwert erst nach entsprechender Behandlung ergebe l7o . Zum Teil wird der Begriff des Marktwertes auch für nicht klar genug gehalten. Statt dessen solle darauf abgestellt werden, ob ein Erlös für die Sache erzielt werden könne 171 . Zudem wird in Fällen, in denen eine Sache im Hinblick auf Handelsverträge produziert wird, für die Einstufung als Produkt von manchen nicht verlangt, daß die Sachen regelmäßig und gegen Zahlung eines Kaufpreises abgenommen werden 172. Denn die Vereinbarung zeige, daß der Erzeuger die Entstehung der Sache entsprechend den Anforderungen des Abnehmers steuere 173 . Nach Fluck ist bei Vorliegen eines Handelsvertrages allerdings noch Voraussetzung für das Vorliegen eines Produktes, daß der Produzent zumindestens keine Aufzahlung für die Abnahme leiste 174. Geringere Anforderungen stellt Fouquet, der auf das Interesse des Abnehmers an dem der Sache innewohnenden Wert respektive an ihren stofflichen Eigenschaften abstellen will. Ein Indiz für ein solches Interesse läge vor, wenn die Verwendung der Sache dem Abnehmer einen wirtschaftlichen Vorteil bringe 175. Wolfers, NVwZ 1998, 225 ff., 227. Schink, VerwArch. 1997,230 ff., 244; Fluck, DVBI. 1995,537 ff., 541 und Fouquet, ZUR 1996, 186 ff., 187. 169 Schink, VerwArch. 1997,230 ff., 244. 170 Fluck, DVBI. 1995,537 ff., 541 und Fouquet, ZUR 1996, 186 ff., 187. 171 Weidemann, 1998, S. 45. 172 Wolfers, NVwZ 1998,225 ff., 229; Fluck, DVBI. 1995,537 ff., 541 und Fouquet, ZUR 1996, 186 ff., 187. 173 Wolfers, NVwZ 1998, 225 ff., 229. 174 Fluck, DVBI. 1995,537 ff., 541. m Fouquet, ZUR 1996, 186 ff., 187f. 167 168
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BlmSchG
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Wolfers ist darüber hinaus der Auffassung, daß allein die Nachfrage am Markt für die Sache die gezielte Herstellung und damit die Produkteigenschaft indiziere. Denn es spreche eine Vermutung dafür, daß der Erzeuger eine Sache, die andere haben wollten, auch gezielt herstelle. Einen gänzlich anderen Ansatz vertritt Dieckmann, der zunächst herausarbeitet, daß sich die eigentlichen Abgrenzungsfragen im Verhältnis zwischen Abfällen zur Verwertung und Produkten stellen 176. Nach seiner Auffassung ist die Verobjektivierung des Entledigungsbegriffes in § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 KrW- / AbfG nicht mit dem EG-Abfallrecht zu vereinbaren 177 . Nach dem EG-Abfallrecht sei für die Abgrenzung zwischen Abfällen zur Verwertung und Produkten stattdessen allein darauf abzustellen, ob es als Voraussetzung für die weitere Nutzung des jeweiligen Stoffes oder Gegenstandes eines wesentlichen Substanzeingriffes bedürfe 178 . Stoffe oder Gegenstände könnten nur als Produkte und nicht als Abfälle betrachtet werden, wenn ihre weitere Nutzung in einer bestimmten Art und Weise vom Anlagenbetreiber von vorneherein bezweckt worden ist und diese keinen wesentlichen Eingriff in die Substanz der Sache voraussetze. Dies gilt nach der Auffassung von Dieckmann jedenfalls für die Abgrenzung von Produkten zu Abfällen zur stofflichen Verwertung. Sollen die in Rede stehenden Stoffe oder Gegenstände energetisch genutzt werden, sei dagegen darauf abzustellen, ob diese gezielt zum Zwecke der Energieerzeugung produziert worden sind. Nur in diesen Fällen könne es sich um Produkte und nicht um Abfälle zur energetischen Verwertung handeln l79 • (cc) Stellungnahme (aaa) Vereinbarkeit des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 KrW- / AbfG mit Europarecht Sowohl der liinderausschuß Immissionsschutz in seiner Allgemeinen Musterverwaltungsvorschrift zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG, als auch große Teile des eben dargestellten Schrifttums nehmen zur Abgrenzung zwischen Produkten und Abfall auf § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 KrW-/ AbfG Bezug. Allein Dieckmann hält dies aus europarechtlichen Gründen nicht für zulässig. Diesem insoweit fundamtentalen Einwand soll im folgenden zunächst nachgegangen werden.
Dieckmann, ZUR 1995, 169 ff., 173. Dieckmann, ZUR 1995, 169 ff., 175 unter Verweis auf 174. 178 Dieckmann, 1994, S. 153 ff., ders. ZUR 1995, 169 ff., 173 und 175. So wohl auch Zakker, 1997, S. 142 ff. zum europäischen Abfallbegriff und Versteyl/Wendenburg, NVwZ 1994, 833 ff., 836 für den Abfallbegriff des KrW-1 AbfG. 179 Dieckmann, ZUR 1995, 169 ff., 173. Vgl. auch schon Dieckmann, 1994, S. 159 f. 176 177
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Der in Art. 1 Buchstabe a) der Abfallrahmenrichtlinie der EG definierte Abfallbegriff des Europarechts stimmt im wesentlichen mit § 3 Abs. 1 Satz 1 KrW- / AbfG überein. Danach hängt der Anwendungsbereich des Begriffes "Abfall" von der Bedeutung des Ausdrucks "sich entledigen" ab 180 . Außerdem ergibt sich aus der Abfallrahmenrichtlinie der EG, insbesondere aus den Art. 4 und 8 bis 12, daß dieser Ausdruck sowohl die Beseitigung, als auch die Verwertung eines Stoffes oder Gegenstandes umfaßt 181 . Auch hier ergeben sich keine Unterschiede zum deutschen Recht, wie ein Blick auf § 3 Abs. 1 Satz 2 KrW- / AbfG zeigt. Im deutschen, wie im europäischen Abfallrecht ist zudem nicht nur die tatsächliche Entledigung, sondern bereits der Entledigungswille für die Begründung der Abfalleigenschaft ausreichend. Im deutschen Recht befindet sich des weiteren mit § 3 Abs. 3 Satz 1 KrW- / AbfG eine Regelung, die den Entledigungswillen des Erzeugers fingiert, wenn der Erzeuger den Anfall des Stoffes nicht bezweckt hat. Nach § 3 Abs. 3 Satz 2 KrW-/ AbfG soll für die Beurteilung der Zweckbestimmung auf "die Auffassung des Erzeugers oder Besitzers unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung" abgestellt werden. Mit der Bezugnahme auf die Verkehrsanschauung wird auf ein objektives Element abgestellt. Diese Regelung findet in der Abfallrahmenrichtlinie der EG keine Entsprechung. Allerdings scheint auch nach dieser zur Abgrenzung zwischen Produkten und Abfällen zur Verwertung nicht allein auf subjektive Kriterien abgestellt werden zu können. Denn auch Dieckmann stellt zur Abgrenzung zwischen Produkt und Abfall zur Verwertung darauf ab, ob es als Voraussetzung für die weitere Nutzung des Stoffes oder Gegenstandes eines wesentlichen Substanzeingriffes bedarf und verwendet damit ebenfalls ein objektives Abgrenzungskriterium. Das ist auch folgerichtig, da andernfalls zwischen der "Entledigung" von Abfallen im Wege der Verwertung und der Verwendung von Produkten nur unter Zugrundelegung der Angaben des Betreibers unterschieden werden könnte. Dieser könnte insbesondere nach Belieben über die Anwendbarkeit des Art. 4 der Abfallrahmenrichtlinie, die Anforderungen an die Abfallverwertung aufstellt, entscheiden. Eine Folge, die dem Ziel der Richtlinie, die u. a. dem Schutz der menschlichen Gesundheit sowie der Umwelt gegen nachteilige Auswirkungen der ... Behandlung von Abfallen dienen sollte, nicht entsprechen könnte. Indes kann das von Dieckmann gefundene Abgrenzungskriterium nicht für alle in der Abfallrahmenrichtlinie angelegten Abgrenzungsfälle zwischen Produkten und Abfällen zur Verwertung zu einem tauglichen Ergebnis führen. Zur Begründung soll zunächst die Auffassung von Dieckmann näher beleuchtet werden. EuGH, Urteil vom 18. Dezember 1997, ZUR 1998,26 ff., 27. Ständige Rechtsprechung des EuGH. Vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 18. Dezember 1997, ZUR 1998,26 ff., 27. 180 181
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Als Argument für die von ihm vertretene Ansicht dient Dieckmann die Definition der "Verwertung" in Anhang II B zum KrW-/ AbfG. Die dort genannten Verwertungshandlungen der "Rückgewinnung", ,,Regenerierung", "Wiedergewinnung" oder "Raffination" setzten nämlich sprachlich jeweils einen Eingriff in die Substanz der jeweils verwendeten Sache voraus 182 . Substanzeingriffe können jedoch auch erforderlich sein, wenn Gegenstände, die nach allgemeiner Auffassung nicht als Abfall zu qualifizieren sind, in anderen Produktionen verwandt werden. Wenn z. B. aus Roheisen Stahl erzeugt werden soll, setzt dies einen erheblichen Eingriff in die Substanz des Roheisens voraus. Der Substanzeingriff als solcher ist als Abgrenzungskriterium zwischen Abfallen zur Verwertung und Produkten folglich nicht tauglich. Nun stellt Dieckmann allerdings nicht auf den Substanzeingriff im allgemeinen ab. Er will vielmehr nur solche Stoffe oder Gegenstände dem Abfallbegriff unterstellen, deren weitere Nutzung einen solchen Eingriff voraussetzt. Um bei dem ,gewählten Beispiel zu bleiben, würde Dieckmann Roheisen sicher nicht als Abfall bezeichnen, da es nicht nur zur Stahlerzeugung dienen, sondern auch unbehandelt verarbeitet werden kann. Dieckmann muß nach allem so verstanden werden, daß ein Stoff oder Gegenstand nach seiner Auffassung als Abfall und nicht als Produkt einzuordnen ist, wenn dieser ohne einen vorherigen Substanzeingriff überhaupt nicht sinnvoll genutzt werden kann. Indes können noch in anderen Fällen Abfalle zur Verwertung und keine Produkte vorliegen. Dies macht auch Anhang II B der Abfallrahmenrichtlinie deutlich, der zum Teil neben, zum Teil sogar alternativ zu den von Dieckmann genannten Verfahren noch andere Möglichkeiten der Abfallverwertung zuläßt 183 • Zudem sind die in Anhang 11 B genannten Verwertungsverfahren nicht als abschließend anzusehen 184. So führt Anhang II B nach seinem Wortlaut lediglich Verwertungsverfahren auf, "die in der Praxis angewandt werden". Des weiteren können auch Stoffe oder Gegenstände, bei denen die Nutzung ihrer stofflichen Eigenschaften mit dem Substanzeingriff einhergeht, Abfälle zur Verwertung sein, wie Art. 3 Abs. I Buchstabe b) der Abfallrahmenrichtlinie und deutlicher § 4 Abs. 3 Satz I KrW- / AbfG zu entnehmen ist. Schließlich ist auch fraglich, ob die nach Art. 3 Abs. I Buchstabe b) der Abfallrahmenrichtlinie als Abfallverwertung bezeichnete "Rückführung, ... Wiederverwendung" und der (der Verf.) "Wiedereinsatz ... " Maßnahmen sind, die von ihrem Wortlaut einen vorherigen Substanzeingriff voraussetzen. Oben ist festgehalten worden, daß zwischen Produkten und Abfallen zur Verwertung auch nach der Abfallrahmenrichtlinie nach einem objektiven Kriterium zu un-
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Dieckmann, ZUR 1995, 169 ff., 173. Vgl. Buchstaben R 1, R 9, RIO, R 11 des Anhangs II B. So auch Dieckmann, ZUR 1995,169 ff., 173 und 175.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
terscheiden ist. Wenn die Notwendigkeit eines vorherigen Substanzeingriffes nicht für alle in der Abfallrahmenrichtlinie angelegten Abgrenzungsfalle zu einem tauglichen Ergebnis führen kann, ist demzufolge nach anderen objektiven Abgrenzungskriterien zu fragen. Hier liegt die Heranziehung der Verkehrsanschauung nahe. Ob § 3 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 1 und Satz 2 KrW-/ AbfG also tatsächlich Art. 1 Buchstabe a) der Abfallrahmenrichtlinie widerspricht, erscheint äußerst fraglich. Zudem könnte der nationale Gesetzgeber im Rahmen einer verstärkten Schutzmaßnahme nach Art. 130t EGV auch den nationalen Abfallbegriff und damit den Anwendungsbereich des nationalen Abfallrechts durch die Erfassung weiterer Stoffe ausdehnen l85 . Die Abgrenzung zwischen Abfällen und Produkten nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 1 und Satz 2 KrW-/ AbfG ist also mit europarechtlichen Vorgaben zu vereinbaren. Nach welchen Kriterien dies zu erfolgen hat, soll deshalb im folgenden dargestellt werden. (bbb) Abgrenzung nach den Angaben im Genehmigungsantrag Auf die Angaben im Genehmigungsantrag kann es bei der Abgrenzung zwischen Abfall und Produkten nicht ankommen. Die Angaben im Genehmigungsantrag bringen nur die subjektive Zwecksetzung durch den Betreiber zu Papier. Zwischen dieser und der objektiven Verkehrsanschauung ist zu unterscheiden. Die Angabe im Genehmigungsantrag kann schon deshalb kein Kriterium für die Bestimmung des Handlungszwecks nach der Verkehrsanschauung sein. Darüber hinaus obläge es andernfalls dem Betreiber, durch subjektive Angaben im Genehmigungsantrag die Verkehrsanschauung zu bestimmen l86 . Die Korrektivfunktion der Verkehrsanschauung wäre bei geschicktem Vorgehen des Betreibers gegenstandslos geworden. (ccc) Abgrenzung nach der wirtschaftlichen Nutzbarkeit der Sache Sowohl nach der Allgemeinen Musterverwaltungsvorschrift des Länderausschusses Immissionsschutz, als auch nach häufig vertretener Auffassung in der Literatur ist zwischen Abfallen und Produkten nach der wirtschaftlichen Nutzbarkeit der jeweiligen Sache abzugrenzen. Entsprechend wird verfahren, wenn für die Unterscheidung auf das Vorliegen eines Handelsvertrages, eines positiven Marktwertes, auf die Erzielung eines Erlöses oder sogar auf die Nachfrage am Markt abgestellt wird. Ob diese Vorgehensweise zulässig ist, ist indes insbesondere mit Blick auf den Bedeutungszusammenhang des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KrW-/ AbfG fraglich. Hier 18S
Epiney, 1997, S . 274.
Aus rechtsanwaltlicher Sicht folgerichtig empfiehlt Wolfers dem Betreiber ein entsprechendes Vorgehen. Vgl. Wolfers, NVwZ 1998, 225 ff., 228, Fn. 29. 186
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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soll insbesondere untersucht werden, ob eine Auslegung des § 3 Abs. 3 Satz I Nr. I KrW-1 AbfG mit Hilfe der oben genannten Kriterien mit dem Abfallbegriff des § 3 Abs. I KrW-1 AbfG vereinbar wäre 187 . Nach Satz 2 der Norm sind Abfalle zur Beseitigung und Abfälle zur Verwertung vorstellbar. Produkte müssen folglich auf der einen Seite von "Abfällen zur Beseitigung" und auf der anderen Seite von "Abfällen zur Verwertung" abgegrenzt werden. Hierfür soll zunächst ein kurzer Blick auf die Voraussetzungen erfolgen, unter denen Stoffe oder Gegenstände nach dem KrW-1 AbfG als "Abfälle zur Verwertung" bezeichnet werden können. Die Verwertung setzt entweder die Nützlichkeit der Verwertungshandlung für den Verwertenden oder die Nützlichkeit bzw. Marktgängigkeit des Verwertungsproduktes voraus 188 . Dies folgt für die stoffliche Verwertung zum einen aus § 4 Abs. 3 KrW-1 AbfG, nach dem diese als die "Substitution von Rohstoffen durch das Gewinnen von Stoffen aus Abfallen" oder als die ,,Nutzung der stofflichen Eigenschaften der Abfälle" definiert ist und nach dem es für die Beurteilung der Frage, ob die Verwertung der Abfälle oder die Beseitigung des Schadstoffpotentials im Vordergrund der Maßnahme steht, auf eine "wirtschaftliche Betrachtungsweise" ankommen SOll189. Daß die Marktgängigkeit eventuell hergestellter Verwertungsprodukte Voraussetzung für das Vorliegen einer Verwertungshandlung ist, kann § 5 Abs. 4 Satz I KrW-1 AbfG entnommen werden l90 . Für die energetische Verwertung gilt entsprechendes, da diese nach § 4 Abs. 4 KrW-1 AbfG den "Einsatz von Abfällen als Ersatzbrennstoff' voraussetzt und sich § 5 Abs. 4 Satz I KrW-1 AbfG auch auf die energetische Verwertung bezieht. Ein Stoff oder ein Gegenstand, aus dem ein Nutzen gezogen werden kann, kann also Produkt oder ,,Abfall zur Verwertung" im Sinne des § 3 Abs. I Satz 2 KrW-1 AbfG sein 191 . Im Umkehrschluß hieraus kann der Nutzen einer Sache für den Verwertenden kein Kriterium für die Abgrenzung zwischen Produkt und Abfall sein 192 . Gleiches muß letztlich auch für den wirtschaftlichen Nutzen für den Produzenten des Stoffes oder Gegenstandes gelten. Denn auch Abfälle zur Verwertung können einen positiven Marktwert haben, aufgrund dessen der Verwertende oft bereit sein wird, dem Erzeuger des Abfalls ein Entgelt für die Überlassung zu zahlen 193 . Das gegenteilige Ergebnis kann auch nicht mit der Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 3 KrW-1 AbfG begründet werden. Die hier abgelehnte Auffassung kann 187 Weitere Erwägungen zur systematischen Auslegung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KrW-1 AbfG finden sich bei Weidemann, 1998, S. 35 ff., z.T. allerdings mit schwer nachvollziehbaren Ergebnissen. 188 Lange, NVwZ 1996, 729 ff., 731 ff. 189 Lange, NVwZ 1996, 729 ff., 731 f. 190 Lange, NVwZ 1996, 729 ff., 732. 191 Auf diesen Umstand weist auch Weidemann, 1998, S. 25 f. hin. 192 Ähnlich auch Rebentisch, 1997, S. 82. Wohl auch Weidemann, 1998, S. 26. 193 Ebenso von Köller, 1997, S. 63.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
sich zwar auf die Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KrW- / AbfG stützen. Denn der Ausschuß für Umwelt-, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages hat in seiner Begründung zu § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KrW-/ AbfG ausgeführt, daß: "Anhaltspunkte für die Verfolgung untergeordneter Produktionszwecke '" bei der Produktion von Stoffen und Gegenständen vorliegen" können, die • "im Regelfalle - gegebenenfalls nach Behandlung - einen positiven Marktwert haben oder • von einem Handelsvertrag erfaßt werden, mit welchem der Empfänger sie vom Hersteller oder Besitzer erwirbt oder zur Umarbeitung übernimmt,,194. Bei Betrachtung des Bedeutungszusammenhanges der in Rede stehenden Vorschrift gelangt man dagegen zu einem anderen Ergebnis. Die Frage ist also, welchem der beiden Auslegungskriterien der Vorzug zu geben ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt: Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie 'er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung 195 . Ziel der Auslegung ist nicht die Ennittiung des subjektiven, sondern die des "objektivierten Willen" des Gesetzgebers. Es kommt nicht darauf an, wie der Gesetzgeber die Nonn verstanden, sondern wie der Rechtsanwender sie zu begreifen hat. Angesichts der systematischen Erwägungen kann die Auffassung des Ausschusses für Umwelt-, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages folglich nichts am gefundenen Ergebnis ändern. Dieses entspricht auch den Vorgaben des Europarechts. Denn der in Art. 1 Buchstabe a) der Abfallrahmenrichtlinie der EG definierte Abfallbegriff, auf den sonstige Vorschriften des europäischen Abfallrechts verweisen, ist nicht so zu verstehen, daß er Stoffe oder Gegenstände, die zur wirtschaftlichen Wiederverwendung geeignet sind, nicht erfaßt. Dies hat mittlerweile auch der EuCH klargestellt. Abfälle im Sinne der in Rede stehenden Bestimmung könnten auch Stoffe oder Gegenstände sein, die "Gegenstand eines Rechtsgeschäftes oder einer Notierung in amtlichen oder privaten Kurszetteln sein können.,,196 Das Bestehen eines Handelsvertrages zur Nutzung von Sachen, deren positiver Marktwert, die Möglichkeit zur Erzielung eines Erlöses aus der Veräußerung derBT-Drs. 12/7284, S. 12. BVerfG, Beschluß vom 15. Dezember 1959, E 10,234 ff., 244; Beschluß vom 17. Mai 1960, E 11, 126 ff., 130 f. Vgl. auch Larenz, 1983, S. 203 ff., insbesondere S. 203. Der von Larenz, 1983, S. 188 ff. entwickelten Methodik der Auslegung von Gesetzen wird im Fortlauf dieser Arbeit gefolgt. 196 EuGH, Urteil vom 25. Juni 1997, ZUR 1997,267 f., 268. 194
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A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BImSchG
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selben oder die Nachfrage am Markt sind folglich allenfalls Indizien dafür, daß es sich bei den in Rede stehenden Sachen nicht um Abfalle zur Beseitigung handelt 197 • Die Abgrenzung zwischen Produkt und Abfallen zur Verwertung kann nach diesen Kriterien nicht erfolgen. (ddd) Geeignete Abgrenzungskriterien Die weiteren vom Länderausschuß für Immissionsschutz verwandten Abgrenzungskriterien, die sich auf die Verwendung der Sache beziehen, sind nach hier vertretener Ansicht nicht zu kritisieren. Dies gilt entgegen der oben aufgeführten Ansicht in der Literatur auch für die beschränkte Heranziehung von Produktnormen zur Abgrenzung zwischen Produkt und Abfall. Ließe man auch nicht allgemein anerkannte, sondern gewerbliche Produktnormen oder Spezifikationen als Indiz für die Produkteigenschaft zu, könnte eine individuelle, zwischen den Beteiligten vereinbarte ,,Produktnorm" Stoffe oder Gegenstände aus dem Anwendungsbereich des KrW- / AbfG und somit auch des § 5 Abs. I Nr. 3 BlmSchG ausschließen. Eine Folge, die mit dem Sinn der Erweiterung des Abfallbegriffes durch § 3 KrW-/ AbfG nicht zu vereinbaren wäre. Denn mit dem Erlaß des KrW-/ AbfG war beabsichtigt, die Kontrollmöglichkeiten der Behörden durch Einbeziehung auch der bisherigen Wertstoffe als Abfalle zur Verwertung in den Anwendungsbereich des Gesetzes zu erleichtern und zu erweitern 198. Auch sind Stoffe, die als Ergebnis additiver Umweltschutzmaßnahmen anfallen, Abfalle im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz I Nr. 1 KrW-/ AbfG. Ob die Behauptung, daß die Herstellung der entsprechenden Stoffe nach der Verkehrsauffassung nicht vom Zweck der Anlage erfaßt ist, allein eine ausreichende Begründung hierfür darstellt, ist allerdings fraglich 199. Hier erscheinen die oben angeführten Gegenargumente der Literatur nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Indes ist zusätzlich anzuführen, daß es sich bei den in Rede stehenden Stoffen nach Anhang I Q9 zum KrW-/ AbfG um Abfalle und nicht um Produkte handelt. Schließlich ist noch festzuhalten, daß auch die hypothetische Überlegung, ob der Erzeuger die Sache auch dann noch entstehen lassen würde, wenn er das Hauptprodukt der Anlage ohne den Anfall dieser Sache mit gleichen oder geringeren Kosten herstellen könnte, ein taugliches Abgrenzungskriterium darstellt. Dies gilt aber nur für Fälle, in denen eine tatsächliche Einflußnahmemöglichkeit des Betreibers auf die Entstehung der Sache festgestellt werden kann. Wenn man das Ab197 Kritisch mit Blick auf die Geeignetheit des positiven oder negativen Marktwertes einer Sache auch Wolfers, NVwZ 1998,225 ff., 228. 198 Schink, ZAU 1997,488 ff., 501. 199 So aber LAI Musterverwaltungsvorschrift 5197, Ziffer 2.2; Schlicht, 1997, § 5 Rn. 10. Für die frühere Rechtslage BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1994, DVBl. 1994, 1013 f., 1013 für die bei der Rauchgasreinigung anfallenden Gipse und Aschen. A. A. Versteyll Wendenburg, NVwZ 1994, 833 ff., 836; Fluck, DVBl. 1995,537 ff., 541.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
grenzungskriterium auf diese Art und Weise konkretisiert, kann auch nicht mehr entgegnet werden, die "natürlichen Gegebenheiten und Reaktionsprozesse", die jeder Anlagenbetreiber hinnehmen müsse und nicht einfach hinwegwünschen könne, würden hierbei mißachtet. (dd) Ergebnis Stoffe oder Gegenstände, die dem im Anhang zur 4. BImSchV genannten Hauptzweck entsprechen, sind nach allem als Produkte dieser Anlage und nicht als Abfälle zu qualifizieren. Sonstige in der Anlage entstehende Stoffe oder Gegenstände können als Produkte qualifiziert werden, wenn ihr Anfall geplant oder eingeplant und zumindestens der mitbestimmende Anlaß für die Produktionshandlung war. Darüber hinaus dürfen die Sachen nach der Verkehrsanschauung nicht als Abfälle anzusehen sein. Die Abgrenzung zwischen Abfällen und Produkten muß somit im Einzelfall unter Zuhilfenahme bestimmter Kriterien erfolgen. Diese sind oben eingehend dargestellt und erläutert worden. Festzuhalten ist hier lediglich noch einmal, daß § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG Abfälle zur Verwertung in seinen Abfallbegriff mit einbezieht. Hierdurch eröffnet sich ein im Verhältnis zu § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG a.F. größerer Anwendungsbereich der Vorschrift und damit ein großes Potential zur Senkung des Stoff- und eventuell auch des Energieverbrauchs in der industriellen Produktion. So wird geschätzt, daß sich die Menge der unter das Gesetz fallenden Stoffe durch die Ausweitung des Abfallbegriffs auf Abfälle, die verwertet werden, um etwa zwei Drittel erhöht hat 2OO • Oben ist ausgeführt worden, daß in einer Anlage zur Gewinnung von Roheisen aus Sekundärrohstoffen nach Ziffer 3.2 des Anhangs zur 4. BImSchV das Roheisen als Produkt zu qualifizieren ist. Die in die Anlage eingespeisten Sekundärrohstoffe sind nach den getroffenen Ausführungen dagegen als Abfälle zu qualifizieren. Denn Anhang 11 B zum KrW- / AbfG nennt als Verwertungsverfahren in Gruppe R 3 die "Verwertung / Rückgewinnung von Metallen und Metallverbindungen" . Ihr Anfall an anderer Stelle muß demzufolge nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG unter Umständen vermieden werden. (c) Abgrenzung von Abgasen Nach ganz überwiegender Auffassung war das beim Betrieb der Anlage entstehende Abgas nicht als Reststoff i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG einzuordnen 2ol . Schink, ZAU 1997,488 ff., SOl. Vgl. nur Fluck in: derselbe, KrW-1 AbfG, § 9 Rn. 82; Jörgensen, 1994, S. 43; Länderausschuß für Immissionsschutz, NVwZ 1989, 130 ff., 1.2.1. A.A. Meidrodt, 1993, S. 26, die aber davon ausging, daß Abgase spezialgesetzlich dem § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG unterliegen. 200 201
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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Dies ließ sich aus dem systematischen Zusammenhang zu den Nm. 1 und 2 des § 5 Abs. 1 BImSchG ableiten. Luftverunreinigungen sollten allein von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 erfaßt werden 202 . An dieser Feststellung hat sich auch durch Inkrafttreten des KrW- / AbfG und die Änderung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nichts geändert. Im Gegenteil bringt § 2 Abs. 2 Nr. 5 KrW-/ AbfG zum Ausdruck, daß nur "in Behälter ge faßte gasförmige Stoffe" als Abfälle betrachtet werden können, wenn sie die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 KrW-/ AbfG erfüllen. Hiermit sollte klargestellt werden, daß "etwa lediglich in Rohrleitungen" gefaßtes Abgas nicht unter den Abfallbegriff fällt 203 . Abgase und die darin enthaltenen festen Partikel können also keine Abfälle i.S. des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG sein. Erst Stoffe, die im Rahmen der Emissionsbegrenzung zurückgehalten werden, unterliegen dem Abfallbegriff des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG. (d) Einbeziehung von Abwasser Für die alte Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG war umstritten, ob Abwasser unter den dortigen Reststoftbegriff flillt 204 . Dieser Streit ist mit Inkrafttreten des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG n.F. gegenstandslos geworden. Soweit ersichtlich wird nicht vertreten, daß der in der Norm mittlerweile allein verwandte Abfallbegriff Abwasser nicht umfaßt. Eine solche Ansicht würde sich auch in Widerspruch zum von § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG n.F. zugrunde gelegten Abfallbegriff des § 3 Abs. 1 Satz 1 KrW-/ AbfG setzen. Zur Begründung soll zunächst ein kurzer Exkurs zum Begriff des Abwassers erfolgen: Das WHG enthält sich auch nach der 6. Novelle einer Legaldefinition des Abwasserbegriffes. Stattdessen finden sich Legaldefinitionen einerseits in § 2 Abs. I Satz 1 AbwAG und andererseits in den Landeswassergesetzen 205 . Auch die DIN 4045 206 enthält eine Bestimmung des Abwasserbegriffes. Sie kann aber nicht zur Definition des Abwasserbegriffes im WHG herangezogen werden, da sie als privatverbandliche Regelung nicht den Charakter einer für das Bundesrecht verbindlichen Rechtsnorm hat207 • So für die frühere Rechtslage auch Jörgensen, 1994, S. 43. Vgl. die Ausschußbegründung, BT-Drs. 1217284, S. 11. 204 Ablehnend Bicke!, DÖV 1981,448 ff., 452; Hense1er, 1983, S. 71; Sellner, 1991 S. 68, Rn. 64 a.E. Bejahend dagegen Länderausschuß für Immissionsschutz, NVwZ 1989, 130 ff., 1.2.1; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 646; Meidrodt, 1993, S. 26; Kaster, 1996, S. 292 und 45; Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., 497; Viertel, 1995, S. 113; Jörgensen, 1994, S. 42 m.w.N. 205 § 45a Abs. 3 WG BaWü; Art. 41a Abs. 1 BayWG; § 29 BWG i.V.m. § 4 RhO; § 64 Abs. 1 BbgWG; § 132 Abs. 3 BrWG; § 51 Abs 1 HWG; § 39 Abs. 1 LWaG M-V; § 51 Abs. 1 LWG NW; § 51 Abs. 1 LWG RhPf; § 49 Abs. 1 SWG; § 62 Abs. 1 SächsWG; § 150 Abs. 1 WG LSA; § 30 Abs. 1 LWG SH; § 57 Abs. 1 ThürWG. 206 Technische Regel des Deutschen Fachnormenausschusses Wasserwesen, DIN 4045: Abwasserwesen, Fachausdrücke und Begriffserklärungen, Normblatt-Ausgabe 12.64 Nr. 1.1 vom 30. April 1964. 202 203
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Gleiches gilt auch für die Definitionen im AbwAG und in den Landeswassergesetzen. Die landesrechtlichen Definitionen können den Abwasserbegriff des WHG nicht erweitern oder einschränken, da dieser keine durch Landesrecht auszufüllende Rahmenbestimmung ist208 • Der Abwasserbegriff des § 2 Abs. 1 Satz 1 AbwAG ist ausdrücklich auf den Geltungsbereich des AbwAG beschränkt. Er ist zudem auf die Bedürfnisse der Abgabenerhebung und auf die abgabenrechtliche Systematik zugeschnitten und kann den Abwasserbegriff des WHG folglich ebenfalls nicht prägen 209 . Stattdessen gilt für das WHG der vom Reichsgericht 210 entwickelte historische Abwasserbegriff, den der Bundesgesetzgeber dem WHG zugrundegelegt hat2l1 . Abwasser ist danach sämtliches verunreinigtes oder sonst in seinen Eigenschaften verändertes Wasser sowie sämtliche damit abgehendeWassergemische ohne Rücksicht auf die Entstehung, das Ausmaß oder die Schädlichkeit der Veränderungen oder Beimischungen 212 • Unter Eigenschaften ist die chemische, biologische und physikalische Beschaffenheit des Wassers zu verstehen. Die chemischen Eigenschaften werden z. B. durch Zuführung von (Schad-)Stoffen, die physikalischen Eigenschaften beispielsweise durch Erwärmung oder Abkühlung verändert. Als Mindestvoraussetzung des Abwasserbegriffs muß es sich um einen wasserhaitigen flüssigen Stoff oder Stoffgemisch handeln. Der Wasseranteil des flüssigen Stoffes darf nicht ganz unerheblich sein 213 . Außerdem ist ein Entledigungswille des Erzeugers des Abwassers oder ein objektiv bestehendes Bedürfnis nach geordneter Entsorgung des Stoffes auf dem Abwasserpfad erforderlich 214 . In dem Moment, in dem die Merkmale des Abwasserbegriffes in der Anlage verwirklicht werden, liegt also Abwasser vor. Zusammenfassend kann man also sagen, daß verunreinigte oder veränderte flüssige wasserhaltige Stoffe, derer sich der Erzeuger auf dem Abwasserpfad entledigen will oder muß, Abwasser im Rechtssinne darstellen. Solche Stoffe fallen aber, wie im folgenden zu zeigen ist, auch unter den Abfallbegriff des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSehG, für dessen Bestimmung auf § 3 Abs. 1 Satz 1 KrW-1 AbfG Bezug zu nehmen ist. Voraussetzung für eine Einordnung von Abwasser als Abfall ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KrW-1 AbfG, daß das Abwasser eine bewegliche Sache darstellt. Vgl. Breuer, 1997, Rn. 290 m. w. N. VG Karlsruhe, Beschluß vom 16. Mai 1989, ZfW 1990, 423 ff., 424; Czychowski, 1998, § 7a Rn. 4; Nisipeanu, 1991, S. 144 m. w. N. 209 Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1765; Czychowski, 1998, § 7a Rn. 4. 210 Vgl. RGZ, Urteil vom 2. Juni 1879, E 16, 178 ff., 180. 2Il Vgl. VG Karlsruhe, Beschluß vom 16. Mai 1989, ZfW 1990,423 ff., 423. 212 Nisipeanu, 1991, S. 142. Ähnlich Czychowski, 1998, § 7a Rn. 4; Sieder/Zeitlerl Dahme, WHG, § 7a Rn. 6; Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1765. 213 Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1765. 214 Nisipeanu, 1991, S. 144; Breuer, 1985, S. 83; Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1765. 207 208
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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Sachen sind nach der auch auf das öffentliche Recht anwendbaren Legaldefinition des § 90 BGB körperliche Gegenstände. Körperliche Gegenstände können auch flüssig sein. Voraussetzung hierfür ist aber die Abgrenzung der Sache "im Raum" u. a. durch Fassung in einem Behältnis215 . In Leitungen gefaßtes Abwasser ist also eine Sache. Allerdings können die Leitungen, die das angefallene Abwasser im Gebäude und auf dem Grundstück fortleiten, wesentliche Bestandteile des Anlagengrundstücks oder des Anlagengebäudes nach § 94 Abs. I bzw. Abs. 2 BGB sein 216 . Dies ändert jedoch nichts an der Beweglichkeit des in den Leitungen befindlichen Abwassers, da dieses nicht fest mit dem Grundstück bzw. dem Gebäude verbunden ist. Abwasser stellt also, soweit es sich in einem Behältnis oder einem Rohr etc. befindet, eine bewegliche Sache dar. Abwässer, die bei der Energieumwandlung, Herstellung, Behandlung oder Nutzung von Stoffen und Erzeugnissen anfallen, ohne daß der Zweck der jeweiligen Handlung darauf gerichtet ist, sind somit Abfall im Sinne des KrW-/ AbfG 217 . Ein Stoff kann damit zugleich Abfall im Sinne des § 5 Abs. I Nr. 3 BlmSchG und Abwasser sein 218 . Dem gefundenen Ergebnis läßt sich auch nicht entgegenhalten, daß Abfall und Abwasser nach allgemeinem Sprachverständnis unterschieden werden, eine Zuordnung von Sachen sowohl zum Abfall-, als auch zum Abwasserbegriff sich also mit dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht vereinbaren läßt. Denn die Gesetzessprache muß nicht immer mit dem allgemeinen Sprachverständnis einhergehen. Läßt sich ein besonderer Sprachgebrauch des betreffenden Gesetzes feststellen, beschreibt dieser die Bedeutung des in Rede stehenden Ausdrucks 219 . Daß dies für den Begriff des Abfalls gilt, ist eben dargestellt worden. 215 Heinrichs in: Palandt, BGB, 58. Auflage, § 90 Anm. 1; Schink, VerwArch. 1997, 230 ff., 235. 216 Vgl. Heinrichs in: Palandt, BGB, 58. Auflage, § 93 Anm. 5a und 6b unter Hinweis insbesondere auf BGH, Urteil vom 20. September 1968, NJW 1968,2331 f., 2331, wonach Abwasserleitungen über fremde Grundstücke als wesentliche Bestandteile dieser Grundstücke zu betrachten sind. Weiterhin wird auf die Entscheidungen BGH, Urteil vom 22. September 1983, DB 1984, 113 f., 114; RG, Urteil vom 2. Februar 1942, E 168,288 ff., 290 und RG, Urteil vom 10. Dezember 1932, JW 32, 1197 ff., 1199 verwiesen. Nach der erstgenannten Entscheidung ist eine Drainageanlage als wesentlicher Bestandteil des Grundstückes, auf dem sie verlegt worden ist, zu bezeichnen. Die bei den Entscheidungen des Reichsgerichts ordneten das Wasserleitungsrohrnetz in städtischen Straßen und Grundstücken bzw. elektrische Leitungen einer fabrikeigenen Kraftanlage als wesentliche Bestandteile der in Rede stehenden Grundstücke ein. Die im Anlagengebäude befindlichen Maschinen sind dagegen in der Regel nicht als wesentliche Bestandteile des Gebäudes zu betrachten, vgl. Heinrichs in: Palandt, BGB, 58. Auflage, § 93 Anm. 7c. 217 LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 2.1. 218 Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1760 und 1762; Fluck, in: derselbe, KrW-/ AbfG § 2 Rn. 161; Schlicht, 1997, § 5 Rn. 10; Seibert, UPR 1994,415 ff., 420. 219 Larenz, 1983, S. 195 f. Beispiele hierfür finden sich auf S. 197.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
(2) Abgrenzung zum Anwendungsbereich des § 7a WHG (a) Problemaufriß Eben ist festgestellt worden, daß sich § 5 Abs. I Nr. 3 BlmSchG auch auf Abwasser bezieht. Nach der Nonn scheint Abwasser mit anderen Worten unter Umständen im Produktionsverfahren vennieden werden zu müssen. Nach § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG könnten also z. B. eine Mehrfachnutzung oder die Kreislaufführung von Wasser und demzufolge Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes erforderlich sein. Verträte man, daß § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nicht nur die Menge an Abflillen, sondern auch deren Schädlichkeit venneiden helfen so1l220, wären auch Einsatzverbote für bestimmte, ansonsten auf dem Abwasserpfad zu entsorgende Stoffe und damit weitere Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes auf Grundlage des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG denkbar. Indes wird in der wasserrechtlichen Literatur überwiegend vertreten, daß auch das Wasserrecht es ennögliche, Anforderungen an das Produktions verfahren zu stellen 221 . Möglich sei u. a. das Vorschreiben bestimmter Rohstoffe und Produktionsverfahren 222 . Auch die Mehrfachnutzung oder Kreislaufführung von Wasser sowie Einsatzverbote für bestimmte Stoffe seien nach dem Wasserrecht zulässig 223 . Allerdings wird angefügt, daß die Anforderungen Auswirkungen auf die Schadstofffracht des Abwassers haben müßten 224 . Zum Teil wird dies mit § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG begründet 225 . Danach können Anforderungen an die Abwasserbehandlung nicht erst an der Einleitungsstelle, sondern auch für den "Ort des Anfalls des Abwassers oder vor seiner Vennischung" gestellt werden. Bereits der Wortlaut der Vorschrift legt jedoch nicht nahe, aus ihr Anforderungen an das Produktions verfahren herzuleiten. Schließlich ist der früheste Zeitpunkt für Anforderungen an die Abwasserbehandlung nach § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG der "Anfall des Abwassers". Solange sich Wasser noch im Produktionsverfahren befindet, verwirklicht es aber nach allgemeiner Auffassung nicht den Begriff des Abwassers 226 . Abwasser fällt erst nach Abschluß von Produktionsvorgängen an. Folglich kann § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG n.F. auch keine Anforderungen an das Produktionsverfahren legitimieren 227 . Dazu siehe unten, Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)aa)(2)(c)(ff). Vgl. nur Breuer, 1985, S. 91; Czychowski, 1998, § 7a Rn. 13, 14, 19 a.E., 21, jeweils m.w.N. 222 Breuer, 1985, S. 91; Czychowski, 1998, § 7a Rn. 13. 223 Czychowski, 1998, § 7a Rn. 13 und 21. 224 Czychowski, 1998, § 7a Rn. 13 f. m Czychowski, 1998, § 7a Rn. 19. 226 Vgl. nur Nisipeanu, 1991, S. 145; Meidrodt, 1993, S. 48; Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1765; Poncelet, 1995, S. 62 f.; Sieder I Zeitler I Dahme, WHG, § 7a Rn. 5a und Viertel, 1995, S. 104 m. w. N. So auch Czychowski, 1998, § 7a Rn. 3 ff., insbesondere Rn. 5 der sich damit allerdings im Widerspruch zu seinen eben referierten Aussagen unter § 7a Rn. 19 befindet. 220 221
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Für ein entsprechendes Ergebnis spricht auch die Gesetzesbegründung. Die Vorschrift soll danach verhindern, daß gefährliche Abwasserinhaltsstoffe sich in unerwünschter Weise vennischen und verdünnen. Erreicht werden soll insbesondere die Vorbehandlung von Abwasserteilströmen 228 . Auch in der Gesetzesbegründung wird der Vorschrift also lediglich Steuerungswirkung hinsichtlich der nachträglichen Behandlung bereits entstandenen Abwassers zugebilligt. Die oben genannte Auffassung kann sich aber darauf stützen, daß nach § 7a Abs. 1 Satz 1 WHG Direkteinleitungen bzw. nach § 7a Abs. 4 i.Y.m. § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG Indirekteinleitungen in Gewässer nur erfolgen dürfen, wenn "die Schadstofffracht des Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren nach dem Stand der Technik möglich ist,,229. Nach der nunmehr230 von § 3 Abs. 6 BImSchG abweichenden Legaldefinition des § 7a Abs. 5 WHG ist der Stand der Technik "der Entwicklungsstand technisch und wirtschaftlich durchführbarer fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, die als beste verfügbare Techniken zur Begrenzung von Emissionen praktisch geeignet sind." Die Definition lehnt sich stark an die des § 3 Abs. 6 BImSchG an, indem sie auf den Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen und auf die praktische Eignung zur Begrenzung von Emissionen abstellt 231 . Hier von Interesse ist insbesondere, daß § 7a Abs. 5 WHG ebenso wie § 3 Abs. 6 BImSchG "Verfahren" in die Definition des Standes der Technik einbezieht. Unter "Verfahren" im Sinne des § 3 Abs. 6 BImSchG ist - wie bereits oben ausgeführt die Gestaltung und Steuerung des Produktionsverfahrens zu verstehen. Anhaltspunkte für ein anderes Verständnis dieses Begriffes im Wasserrecht lassen sich nicht finden. Insbesondere enthalten die Gesetzesmaterialien zur 6. WHG-Novelle keine diesbezüglichen Anhaltspunkte. Die Einführung der Legaldefinition des Standes der Technik in § 7a Abs. 5 WHG ging auf eine Initiative der Bundesregierung zurück232 . Die jetzige Fassung entspricht dem diesbezüglichen Vorschlag des Vennittlungsausschusses 233 . Die Definition war im Gesetzgebungsprozess äußerst umstritten. Sie wurde von den Fraktionen der SPD und Die Grünen sowie vom Bundesrat abgelehnt 234 . Begründet wurde dies insbesondere mit der Abweichung So im Ergebnis auch Meidrodt, 1993, S. 48. BT-Drs. 10 /3973, S. 11; BR-Drs. 187/85, S. 10 f. Hierdurch sollen insbesondere Synergismen zwischen verschiedenen Abwasserinhaltsstoffen verhindert werden. 229 So im Ergebnis Meidrodt, 1993, S. 48 f. m. w. N. 230 Seit Inkrafttreten der 6. WHG-Novelle am 19. November 1996. 23\ Sander, KA 1997,712 ff., 714; Breuer, DVBI. 1997, 1211 ff., 1215; Czychowski, 1998, § 7a Rn. 43. 232 BTDrs. 13/1207, S. 10 f. 233 BTDrs. 13/5641, S. 2. 234 BTDrs. 13/4788, S. 24, 26, 28 und BR-Drs. 430/96 (Beschluß), S. 2. 227 228
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der Definition von der des § 3 Abs. 6 BImSchG. Diese wurde der Diskussion zugrundegelegt. Die Deutung von Begriffen, die sich auch in § 3 Abs. 6 BImSchG wiederfinden, wurde dabei nicht in Frage gestellt. Eben ist allerdings ausgeftihrt worden, daß Wasser, solange es sich noch im Produktionsverfahren befindet, nach allgemeiner Auffassung nicht den Begriff des Abwassers verwirklicht. Diese Tatsache spricht aber nicht gegen die Anwendbarkeit des § 7a Abs. 1 WHG auf das Produktionsverfahren. Denn aus der Einbeziehung von "Verfahren" in die wasserrechtliche Definition des Standes der Technik läßt sich schließen, daß das Wasserrecht nicht lediglich die nachträgliche Behandlung von bereits entstandenem Abwasser reglementieren will. Es will vielmehr auch die Entstehung von Abwasser jedenfalls in einer bestimmten Zusammensetzung oder mit Blick auf bestimmte Schadstofffrachten verhindern, wenn sich auf diese Art und Weise eine fortschrittlichere Emissionsbegrenzung erreichen läßt. § 7a Abs. 1 WHG trifft also auch Regelungen ftir noch nicht angefallenes Abwasser. Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß Anforderungen an das Produktionsverfahren mit Blick auf Stoffe, die ansonsten über den Abwasserpfad entsorgt werden würden, scheinbar sowohl nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG, als auch nach § 7a Abs. 1 WHG gestellt werden können. Solche Überschneidungen sind aber nicht zulässig. Ließe man dies zu, wären sowohl die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörden, als auch die Wasserbehörden zur Regelung derselben Frage nebeneinander zuständig. Der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz, der sich auch auf die gesetzliche Zuständigkeitsordnung bezieht, schließt es aber aus, daß verschiedene Behörden zur verbindlichen Regelung einer Frage nebeneinander zuständig sind 235 . Zudem müssen die Grenzen zwischen wasserrechtlichem und immissionsschutzrechtlichem Regime auch aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz eindeutig gezogen werden. Denn der Wasserhaushalt unterliegt nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG lediglich der Rahmengesetzgebungskompetenz, während das BImSchG auf Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes erlassen wird 236 . Würde nicht eindeutig zwischen den beiden Regelungsbereichen abgegrenzt, wäre nicht deutlich, ob bzw. unter weIchen Umständen die Länder Regelungen mit Auswirkungen auf das Produktionsverfahren erlassen dürften. Eine "Doppelzuständigkeit" für eine Materie ist auch aus diesen Gründen abzulehnen 237 . Bei der Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG muß mit Blick auf § 7a Abs. 1 WHG eine klare Abgrenzung von wasserrechtlichen und immissionsschutzrechtlichen Anforderungen an das Produktionsverfahren gefunden werden. 23S BVerwG, Urteil vom 4. Juli 1986, E 74,315 ff., 325 f.; Gaentzsch, NJW 1986,2787 ff., 2787 und 2792 f. 236 Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das BlmSchG vgl. Jarass, BImSehG, Ein!. Rn. 28. m Maunz, in Maunz I Dürig, GG, Art. 75 Rn. 5 unter Verweis auf Art. 74 Rn. 9.
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(b) Streitstand Mit welchem Ergebnis diese Abgrenzung vorzunehmen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Die Stellungnahmen beziehen sich dabei zwar zum Teil auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des AbfVVBG. Auch nach der alten Rechtslage mußte aber zwischen den Anwendungsbereichen des § 5 Abs. 1 Nr. 3 a.F. und § 7a Abs. 1 WHG a.F. abgegrenzt werden, wenn man wie die hier allein herangezogenen Literaturstimmen vertrat, daß der Reststoffbegriff in § 5 Abs. 1 Nr. 3 a.F. BlmSchG Abwasser einbezog. Die für die alte Rechtslage gefundenen Argumente können also auch noch heute Geltung beanspruchen. Zur KlarsteIlung ist vorweg noch einmal zu betonen, daß nahezu einheitlich ausgeführt wird, daß ab dem Zeitpunkt der Einleitung in eine Abwasseranlage allein wasserrechtliche Anforderungen gelten sollen 238 . Da auch Sammelleitungen innerhalb einer Produktionsanlage, die flüssige, wasserhaltige Stoffe in Richtung einer Abwasserbehandlungsanlage ableiten, als Abwasseranlagen zu qualifizieren sind 239 , können wasserrechtliche Anforderungen also nach fast unbestrittener Auffassung den betriebsintemen Bereich einer nach § 4 Abs. 1 BlmSchG genehmigungsbedürftigen Anlage betreffen. Hier liegt der Anwendungsbereich für Anforderungen an eine Teilstrombehandlung nach § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG 240.
(aa) Vorrang des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG Überwiegend wird in der Rechtswissenschaft die Auffassung vertreten, daß für nach § 4 Abs. 1 BlmSchG genehmigungsbedürftige Anlagen allein § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG und nicht § 7a Abs. 1 WHG Anforderungen an die Vermeidung und Verwertung von Stoffen, die über den Abwasserpfad entsorgt werden sollen, aufstelle 241 .
238 Vgl. nur LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 2.1. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird ein anderes Ergebnis soweit ersichtlich nur von F1uck, in: derselbe, KrW-/ AbfG, § 2 Rn. 185 vertreten. Immissionsschutzrechtliche Vermeidungs- und Verwertungsanforderungen seien auch nach Einleitung in eine Abwasseranlage möglich, da sie Rechtspflichten begründeten, zu deren Erfüllung die unmittelbare Einleitung unterbrochen werden müsse. F1uck setzt sich damit aber in einen klaren Widerspruch zu seiner unten dargestellten Abgrenzung der Anwendungsbereiche der in Rede stehenden Vorschriften. Eine Auseinandersetzung mit dieser Auffassung soll folglich nicht erfolgen. 239 Allgemeine Auffassung. Vgl. nur F1uck, in: derselbe, KrW-/ AbfG, § 2 Rn. 146. 240 Czychowski, 1998, § 7a Rn. 19. 241 F1uck, in: derselbe, KrW-/ AbfG, § 2 Rn. 158 ff., insbesondere Rn. 184 ff.; Führ in: GK-BImSchG, § 2 Rn. 43 ff.; Roßnagel in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 825; Jörgensen, 1994, S. 67 ff.; LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 2.1. Im Ergebnis ebenso Schulte, KA 1996, 1760 ff.
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Klarstellend wird zum Teil ausgeführt, daß die Anforderungen des § 7a Abs. I WHG bzw. der auf Grundlage der Norm erlassenen Rechtsverordnung sowie der für einen Übergangszeitraum gültigen Verwaltungsvorschriften hier mittelbar über die Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG Geltung erlangten. So seien Abwasservermeidungsmaßnahmen jedenfalls technisch möglich und zumutbar, wenn diese durch wasserrechtliche Anforderungen verlangt würden242 . Auch umschließe der in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG verwandte Rechtsbegriff des Wohls der Allgemeinheit die einschlägigen wasserrechtlichen Regelungen. Soweit die Beseitigung nicht vermiedener oder verwerteter Stoffe über den Abwasserpfad anstünde, habe die Ableitung folglich nach den einschlägigen wasserrechtlichen Regelungen zu erfolgen 243 . Folgte man dieser Auffassung, würde bei immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen lediglich die Beurteilung der nachträglichen Abwasserbehandlung dem Zuständigkeitsbereich der Wasserbehörden unterfallen. Diese könnten allein "end-of-the-pipe-Technologien" verlangen, während produktionsintegrierte Maßnahmen sich auch mit Blick auf Stoffe, die nach dem Anlagenkonzept einer Beseitigung über den Abwasserpfad zugeführt werden sollen, nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG richteten. (bb) Vorrang des § 7a Abs. 1 WHG Eine dezidiert andere Auffassung vertritt insbesondere Kaster. Die Statuierung von Vermeidungs- und -verwertungspflichten für den Betrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG habe hinsichtlich des Anfallens von Abwasser aufgrund der spezialgesetzlichen Regelung in § 7a Abs. 1 WHG nur deklaratorischen Charakter244 . Nur anhand der wasserrechtlichen Bestimmungen könne beurteilt werden, wie weit das Anfallen von Abwasser rechtlich zugelassen werden könne und welche Inhaltsstoffe in welcher Konzentration angefallenes Abwasser haben dürfe bzw. wo hier Vermeidung und Verwertung beim Betrieb genehmigungspflichtiger Anlagen ansetzen müßten 245 . Das praktische Problem der Koordination zweier Gestattungsverfahren mit Auswirkungen auf das Produktionsverfahren will Kaster über die Einbeziehung wasserrechtlicher Anforderungen in das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren nach Gesichtspunkten der "Evidenz" lösen 246 . Erginge die immissions242 Roßnagel in: GK-BlmSchG, § 5 Rnrn. 668 und 674. So auch Jörgensen, 1994, S. 67 f. für die technische Möglichkeit. 243 Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 825. 244 Kaster, 1996, S. 300. 24S Kaster, 1996, S. 299. 246 Kaster, 1996, S. 304 ff. Ähnlich Salzwedel, 1982,33 ff., 63, der ausführt, daß "im immissionsschutzrechtlichen Bescheid ... bestimmte verfahrenstechnische Lösungen oder Maßnahmen, z. B. mit Blick auf den Einsatz von Rohstoffen oder den Ablauf des Produktionsver-
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schutzrechtliche Genehmigung zeitlich vor der wasserrechtlichen Erlaubnis, müßten alle wesentlichen und konzeptionellen Vorgaben für das Produktionsverfahren, die sich aus abwasserrechtlichen Anforderungen herleiten ließen, bereits im Anlagengenehmigungsverfahren Berücksichtigung finden 247 . Auch Kaster hält es demnach für zulässig, daß die Immissionsschutzbehörden Anforderungen an das Produktionsverfahren mit Blick auf Stoffe aufstellen, die nach dem Anlagenkonzept einer Beseitigung über den Abwasserpfad zugeführt werden. Kaster will darüber hinaus auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG für Abwasser mit dem Inhalt der spezifisch wasserrechtlichen Anforderungen ausfüllen. Vermeidung und Verwertung setzten die durch das Wasserrecht gelieferten Kriterien voraus. Deshalb seien auch die Rechtsbegriffe der "technischen Möglichkeit" und der ,,Zumutbarkeit" hinsichtlich des Anfallens von Abwasser so zu interpretieren, daß Vermeidung und Verwertung dann technisch möglich und zumutbar seien, wenn dies über § 7a Abs. 1 WHG und dabei insbesondere über die hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften vorgegeben werde 248 .
Entsprechend geht auch die eingangs referierte Auffassung vor. Kaster unterscheidet sich dennoch von dieser. Denn die oben erstgenannte Auffassung sieht das materielle Anforderungsprofil an die Abwasservermeidung durch § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG vorgezeichnet. Dies führt u. a. dazu, daß produktionsintegrierte Maßnahmen mit Blick auf Stoffe, die nach dem Anlagenkonzept einer Beseitigung über den Abwasserpfad zugeführt werden sollen, über die Vorgaben des § 7a Abs. 1 WHG hinausgehen können 249 . Folgte man der Auffassung von Kaster, wäre dies nicht zulässig25o • (cc) Vermittelnde Auffassung Eine vermittelnde Auffassung vertritt Viertel. Er unterscheidet zwischen Anforderungen an die Schädlichkeit oder die Schadstofffracht des Abwassers und mengenbezogenen Anforderungen. Alle wasserwirtschaftlich, also von der potentiellen Einleitung her begründeten Anforderungen an den Abwasseranfall, insbesondere Anforderungen an die Schädlichkeit des Abwassers und an die Schadstofffrachten, gehörten in den Kembereich der Zuständigkeiten der Wasserbehörden251 • fahrens getroffen werden" (könnten), "weil der geschlossene technische Zusammenhang auch eine Bündelung aller darauf bezogener Forderungen" rechtfertige. Dies könne allerdings nur erfolgen, "wenn sonst dessen Aussagen dürch den späteren wasserrechtlichen Bescheid konterkariert würden". 247 Kaster, 1996, S. 311. 248 Kaster, 1996, S. 299 f. 249 Vgl. Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 668. 250 Kaster, 1996, S. 299. 251 Viertel, 1995, S. 115 f.
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Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde könne deshalb Vermeidungsanforderungen im Hinblick auf die Schädlichkeit oder die Schadstofffracht des Abwassers nicht festlegen 252 . Möglich sei der Immissionsschutzbehörde aber, "Anforderungen" festzulegen, die der "unspezifischen Vermeidung oder Verringerung des Anfalls flüssiger, wasserhaltiger Reststoffe" dienten, wie etwa "die Kreislaufführung oder Mehrfachnutzung eingesetzter wasserhaitiger Stoffe oder die reststoffbezogene Optimierung von Produktionsprozessen,,253. (c) Stellungnahme (aa) Abgrenzung auf Grundlage des § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW- / AbfG Zur Begründung der eben erstgenannten Auffassung wird zum Teil auf § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/ AbfG zurückgegriffen 254 . Ein Stoff könne zwar sowohl unter den Abwasser-, als auch unter den Abfallbegriff fallen 255 . Mit Einleitung in eine Abwasseranlage oder ein Gewässer unterfalle der Stoff aber allein dem Abwasserrecht als der spezielleren Materie 256 . Die Vermeidbarkeit und Verwertbarkeit des flüssigen wasserhaltigen Abfalles sei im Umkehrschluß immissionsschutzrechtlich zu prüfen, ehe er als Abwasser dem Rechtsregime des Wasserrechts überlassen werden dürfe 257 . Nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW- / AbfG gilt das KrW- / AbfG nicht für "Stoffe, sobald diese in Gewässer oder Abwasseranlagen eingeleitet oder eingebracht werden." Im Entstehungsprozeß der Norm ist von der Bundesregierung vertreten worden, daß die Einschränkung des Geltungsbereichs nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/ AbfG nicht für das BImSchG gelte 258 . Selbst wenn man aber stattdessen davon ausgeht, daß die Norm nicht nur den Anwendungsbereich des Abfallrechts, sondern auch den der materiell abfallrechtlichen Norm des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG259 verengt 260, birgt § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW- / AbfG keine Relevanz für die hier zu entscheidende Frage. Denn die Vorschrift bringt allein zum Ausdruck, daß Viertel, 1995, S. 115 f. Viertel, 1995, S. 116. 254 Fluck, in: derselbe, KrW-1 AbfG, § 2 Rn. 184 ff. m Fluck, in: derselbe, KrW-1 AbfG, § 2 Rn. 189. 256 Fluck, in: derselbe, KrW-1 AbfG, § 2 Rn. 189. 257 LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 2.1.; Fluck, in: derselbe, KrW-1 AbfG, § 2 Rn. 160 f. 258 BT-Drs. 12/5672, S. 127. 259 § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG wird in der Regel als materiell abfallrechtliche Regelung bezeichnet. Vgl. Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1762; Fluck in: derselbe, KrW-IAbfG, § 9 Rn. 79. 260 So auch Meidrodt, 1993, S. 22 für § lAbs. 3 Nr. 5 AbfG. 252 253
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abfallrechtliche Regelungen ab dem Zeitpunkt der Einleitung nicht mehr gelten sollen. Die Vorschriften des KrW- / AbfG sollen nicht ex post, also wenn Stoffe in ein Gewässer oder eine Abwasseranlage eingeleitet oder eingebracht worden sind, eingreifen 261 • Dies wird durch die Verwendung des Wortes "sobald" deutlich. Die Vorgängernorm, § 1 Abs. 3 Nr. 5 AbfG formulierte noch: "Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten nicht für ... Stoffe, die in Gewässer oder Abwasseranlagen eingeleitet oder eingebracht werden". Durch die Konjunktion "sobald" ist die zeitliche Komponente der Ausnahmebestimmung zum Geltungsbereich des KrW- / AbfG stärker betont worden 262 • Ab dem Zeitpunkt, in dem die Benutzung eines Gewässers oder einer Abwasseranlage in Rede steht, soll Wasserrecht und nicht Abfallrecht gelten. Hieraus läßt sich aber nicht ableiten, welche Rechtsvorschriften auf den vorgelagerten Entstehungsvorgang von Abwasser und insbesondere auf dessen Vermeidung Anwendung finden sollen 263 • Ein Urnkehrschluß in der Gestalt, daß die Vorschriften des KrW- / AbfG und auch die materiell abfallrechtliche Regelung des .§ 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG gelten sollen, bevor Stoffe in Gewässer oder Abwasseranlagen eingeleitet oder eingebracht werden, kann aus 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/ AbfG nicht gezogen werden.
(bb) Stoftbezogene Abgrenzung Von Schulte wird vertreten, eine Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG und § 7a WHG ließe sich über eine stoffbezogene Abgrenzung zwischen Abwasser und Abfall erreichen 264 • Ein Stoff könne zwar sowohl Abwasser, als auch Abfall sein 265 . Könne ein in einer nach § 4 Abs. 1 BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlage entstehender Stoff aber unter den Begriff des Abwassers gefaßt werden, sei Abwasserrecht und nicht Immissionsschutzrecht einschlägig. Für Anforderungen an die Vermeidung von Abwasser gälten allein die Regelungen des Abwasserrechts. Dabei müsse die rechtliche Zuordnung eines Stoffes als Abwasser oder als Abfall vor dem Zuführen des Stoffes in ein Gewässer oder eine Abwasseranlage vorgenommen werden. Zudem sei zu berücksichtigen, daß das Wasserrecht möglichst früh auf die Menge und die stoffliche Zusammensetzung des Abwassers Einfluß nehmen wolle 266 •
261 262 263
264
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So Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1762. Schulte, KA 1996, 1760ff., 1761. Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1762 m. w. N. Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1762. Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1762. Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1762.
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Dennoch stellt Schulte für die Abgrenzung zwischen Abwasser und Abfall auf den "Zeitpunkt des AbwasseranfaUs" ab. Ab diesem Zeitpunkt müsse das wasserrechtliche Regime gelten 267 • Vorher gälten die abfallrechtlichen Regelungen, zu denen Schulte auch § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG zählt268 . Abwasser falle an, wenn durch menschlichen Gebrauch verändertes Wasser mit dem Ziel der direkten oder indirekten Einleitung in ein Gewässer gesammelt und fortgeleitet werde269 . Da ein wasserhaltiges flüssiges Gemisch, das sich noch im Kreislauf einer Produktionsanlage befinde, mangels Entledigung noch kein Abwasser sei, könne Abwasserrecht noch keine Anwendung finden 27o . Aus der Tatsache, daß Abwasser erst mit Einleitung in eine Abwasseranlage oder ein Gewässer anfaUt, läßt sich aber nicht auf die hier zu entscheidende Frage rückschließen. Bereits oben ist festgestellt worden, daß § 7a Abs. I WHG auch Regelungen für noch nicht angefallenes Abwasser trifft. Letztlich will das Abwasserrecht die gesamte Entstehung und Entwicklung, die der Abwasserstrom innerhalb einer Produktionsanlage durchmacht, dem wasserwirtschaftsrechtlichen Beseitigungsregime, insbesondere dem § 7a WHG unterstellen 271 • Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG und § 7a Abs. 1 WHG kann nach allem weder mit Hilfe des § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW- / AbfG, noch unter Heranziehung der Definition des Abwassers vorgenommen werden. (cc) Defizite des Wasserrechts als Abgrenzungskriterien Ein Vorrang des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG wurde vor Inkrafttreten der 6. WHG-Novelle zum Teil mit angeblichen Defiziten des Wasserrechts begründet. Das Wasserrecht verwirkliche den quellenbezogenen Umweltschutz nur lückenhaft272 . Eine Abwasservenneidung direkt an der Quelle der Abwasserentstehung sei zwar grundsätzlich auch auf der Grundlage des § 7a WHG und der allgemeinen PflichtensteIlung nach § la Abs. 2 WHG möglich; direkte Zugriffsmöglichkeiten auf die dem BImSchG unterliegenden Abwasserquellen hätten die Wasserbehörden allerdings kaum 273 • So würden die verschärften Anforderungen des § 7a Abs. 1 Satz 1 LV. mit Satz 3 WHG (Einhaltung des Standes der Technik) erst dann wirksam, wenn die entsprechenden Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen seien 274 • Nach dem Wasserrecht könne eine Abwasservenneidung an der 267 268 269
270 271 272 273
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Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1765. Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1762. Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1766. Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1765. Breuer, 1985, S. 90 und 116 f. Führ, in: GK-BImSchG, § 2 Rn. 47. Führ, in: GK-BImSchG, § 2 Rn. 43. Führ, in: GK-BImSchG, § 2 Rn. 44.
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Quelle also in den meisten Fällen nicht vorgeschrieben werden. Es entstünde eine Lücke zwischen Anlagenrecht und Wasserrecht275 . Diese Lücke könne durch die Einbeziehung von Abwasserfragen in den Geltungsbereich von § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG geschlossen werden 276 . Dieser Auffassung kann bereits entgegengehalten werden, daß die eben beschriebene ,,Lückenhaftigkeit" des Wasserrechts vom Gesetzgeber bezweckt war. Dieser wollte Anforderungen an Abwassereinleitungen nach dem Stand der Technik nur unter bestimmten Voraussetzungen stellen. Eine planwidrige Lücke im Gesetz ließ sich folglich nicht feststellen. Dies wäre jedoch eine Voraussetzung für eine Lückenschließung mit Hilfe einer Analogie. Darüber hinaus erscheint es mehr als zweifelhaft, ob eine Lückenschließung mit Hilfe von Regelungen eines gänzlich anderen Gesetzeswerks mit den anerkannten Regeln der Gesetzesinterpretation in Einklang stehen kann. Selbst wenn man unterstellt, daß diese Argumente tauglich waren, einen Vorrang des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG vor § 7a Abs. 1 WHG a.F. zu begründen, sind sie jedenfalls für Direkteinleitungen mit Inkrafttreten der 6. WHG-Novelle gegenstandslos geworden. Denn seitdem besteht die Pflicht zur Einhaltung des Standes der Technik nach § 7a Abs. 1 WHG unabhängig von entsprechenden Festlegungen in einer Rechtsverordnung der Bundesregierung277 . Ausnahmen bestehen nur noch im Bereich der nach Art. 2 des Änderungsgesetzes und § 7 der Abwasserverordnung (AbwV)278 fortgeltenden Rechtsvorschriften. Dies folgt aus der Verallgemeinerung des Anforderungsniveaus an Abwassereinleitungen auf den Stand der Technik 279. Durch die Aufgabe des gesetzlichen Mindeststandards der allgemein anerkannten Regeln der Technik fehlt nämlich nunmehr der Auffangtatbestand für emissionsbezogene Anforderungen an Abwassereinleitungen, für die sich keine Anforderungen an den Stand der Technik in der nach § 7a Abs. 1 Satz 3 WHG zu erlassenden Rechtsverordnung finden. Fraglich ist, ob entsprechendes auch für Indirekteinleitungen festgestellt werden kann. Lübbe-Wolf! ist der Auffassung, daß der Regelungsauftrag an die Länder in § 7a Abs. 4 WHG so verstanden werden müsse, daß der Gesetzgeber sich einer expliziten Bestimmung der an Indirekteinleiter zu stellenden Anforderungen enthalten habe. Er habe statt dessen die Aufgabe einschlägiger Festlegungen unmittelFühr, in: GK-BImSchG, § 2 Rn. 45. Führ, in: GK-BImSchG, § 2 Rn. 47. 277 Sander, KA 1997, 712 ff., 716 f.; Lübbe-Wolff, ZUR 1997, 61 ff., 62; Czychowski, 1998, § 7a Rn. 18b. 278 Verordnung über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer und zur Anpassung der Anlage des Abwasserabgabengesetzes vorn 21. März 1997, BGBl. I S. 566 ff., zuletzt geändert durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Abwasserverordnung vorn 22. Dezember 1998, BGBl. I S. 3919. 279 Die vormals zumindestens geforderte Einhaltung der a\lgemein anerkannten Regeln der Technik ist mit Inkrafttreten der 6. WHG-Novelle entfa\len. 275
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bar der nach § 7a Abs. 1 Satz 3 WHG zu erlassenen Rechtsverordnung und den darin nach § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG möglichen Vorgaben "für den Ort des Anfalls des Abwassers oder vor seiner Vennischung" zugewiesen. Für den Bereich der Indirekteinleitungen seien die Festlegungen des Standes der Technik folglich anders als bei Direkteinleitungen konstitutiv 28o . In § 7a Abs. 4 WHG wird den Ländern auferlegt sicherzustellen, daß bei der Indirekteinleitung "die nach Absatz 1 Satz 4 maßgebenden Anforderungen eingehalten werden." Diese Regelung wird teilweise für "verblüffend" gehalten 281 . Dem ist zuzustimmen. § 7a Abs. 1 Satz 4 ist identisch mit § 7a Abs. 1 Satz 5 WHG a.F., ohne daß bis zum Inkrafttreten der 6. WHG-Novelle jemand auf die Idee gekommen wäre, diese Nonn als Anknüpfungspunkt für die Indirekteinleiterregelung im bisherigen Absatz 3 heranzuziehen. So ist Lübbe-Wolf! auch zuzugeben, daß der Verweis in § 7a Abs. 4 WHG allein auf § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG mißverständlich ist. Zwar bezieht sich § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG wiederum auf Satz 3 der Vorschrift282 • § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG kann aber tatsächlich so verstanden werden, als sollte allein auf die in der AbwV festgelegten Anforderungen an den Stand der Technik Bezug genommen werden. Bereits der Wortlaut des § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG läßt aber nicht allein die von Lübbe-Wolf! gefundene Deutung zu. Der mit den Worten "Diese Anforderungen" in Satz 4 getroffene Verweis auf den vorangegangenen Satz muß nicht unbedingt als Verweis auf in der Rechtsverordnung nach Satz 3 festgelegte Anforderungen verstanden werden. Dies setzte nämlich voraus, daß § 7a Abs. 1 Satz 4 WHG in einer Langfassung folgendennaßen lautete: "In einer Rechtsverordnung ... festgelegte Anforderungen, die dem Stand der Technik entsprechen, können auch für den Ort des Anfalls des Abwassers oder vor seiner Vennischung festgelegt werden." Das Verb "festlegen" würde folglich zweimal herangezogen. Sprachlich sogar sinnvoller erscheint die Annahme, daß allein auf die in Satz 3 enthaltene Fonnulierung "Anforderungen . .. , die dem Stand der Technik entsprechen ... " verwiesen werden sollte. § 7a Abs. 4 WHG würde dann die Länder verpflichten, sicherzustellen, daß bei dem Einleiten von Abwasser in eine öffentliche Abwasseranlage die Anforderungen, die dem Stand der Technik entsprechen und auch für den Ort des Anfalls des Abwassers oder vor seiner Vennischung festgelegt werden können, eingehalten werden 283 • Zudem bleibt es auch im Bereich der Indirekteinleitungen bei der Feststellung, daß das Auffangniveau der allgemein anerkannten Regeln der Technik nunmehr Lübbe-Wolff, ZUR 1997,61 ff., 66. So auch Brüning, ZfW 1998,341 ff., 342 f. Sander, ZfW 1996,510 ff., 512. 282 Dies übersieht Sander, ZfW 1996,510 ff., 513, der vertritt, daß § 7a Abs. 4 WHG die Länder nur dazu verpflichte, die Einhaltung von Anforderungen, die in der künftigen Abwasserverordnung für Teilströme festgelegt sind, sicherzustellen. 283 So wohl auch Czychowski, 1998, § 7a Rn. 30 und 33 am Ende. 280 281
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nicht mehr zur Bestimmung der Anforderungen an den Einleitungsvorgang herangezogen werden kann. Folgte man der Auffassung von Lübbe-Wolf!, stünde nicht fest, welche Anforderungen für Indirekteinleitungen gelten sollen, für die weder die AbwV, noch die nach Art. 2 des Änderungsgesetzes und § 7 der AbwV fortgeltenden Rechtsvorschriften Anforderungen nach dem Stand der Technik enthalten. Weiterhin müßte man, wenn man die Auffassung von Lübbe-Wolf!verträte, § 7a Abs. 4 i.V.m. § 7a Abs. 1 Sätze 3 und 4 WHG wohl für eine Vollregelung halten. Es bestünde wegen der dann insoweit abschließenden bundesrechtlichen Regelung des § 7a Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Sätze 4 und 3 WHG keine Kompetenz der Länder zur Konkretisierung der Anforderungen für Indirekteinleitungen. Ein Ergebnis, das eine wirksame Lösung der mit Indirekteinleitungen verbundenen Problematik zumindestens für eine Übergangsfrist erschweren würde und folglich kaum vom Gesetzgeber gewollt gewesen sein kann 284 . Zudem sprechen die Gesetzesmaterialien gegen das von Lübbe-Wolf! gefundene Ergebnis. Die jetzige Formulierung des § 7a Abs. 1 Sätze 3 und 4 sowie des § 7a Abs. 4 entspricht dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 10. März 1995 285 . Sie geht auf die Empfehlungen des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Finanzausschusses des Bundesrates zurück286 und war im weiteren Gesetzgebungsverfahren unumstritten. Durch § 7a Abs. 4 WHG sollte laut der Gesetzesbegründung "entsprechend dem bisherigen § 7a Abs. 3" WHG den Ländern aufgegeben werden, Regelungen auch für Indirekteinleiter zu treffen 287 . Eine Veränderung des vorher geltenden Rechts war also nicht beabsichtigt. Nach altem Recht oblag es aber den Ländern zu prüfen, welche Maßnahmen sie für Indirekteinleitungen für erforderlich hielten, um eine dem für Direkteinleitungen geltenden § 7a Abs. 1 WHG entsprechende günstige Wirkung für die Gewässer zu erreichen 288 • Nach § 7a Abs. 3 WHG a.F. war zwar nicht ausgeschlossen, daß der Bund in die allgemeinen Verwaltungsvorschriften des § 7a Abs. 1 Satz 3 WHG a.F. auch besondere Regelungen für Indirekteinleitungen aufnahm 289 , im Grundsatz blieb es aber bei einer Aufgabenzuweisung an die Länder. Diese waren nicht verpflichtet, die Regelungen über Direkteinleitungen für Indirekteinleitungen zu übernehmen 290 .
284 Kritisch zur Vereinbarkeit entsprechender Vollregelungen mit Art. 75 Abs. 2 GG Reichert, NVwZ 1998, 17 ff., 19. 285 BR-Drs. 1088/94 (Beschluß), S. 2 f. 286 BR-Drs. 1088/1/94, S. 5 f. 287 BR-Drs. 1088/1/94, S. 13. 288 Gieseke/Wiedernann/Czychowski, 1992, § 7a Rn. 33. Vgl. auch die Gesetzesbegründung. BR-Drs. 187/85, S. 12. 289 Gieseke/Wiedernann/Czychowski, 1992, § 7a Rn. 30. 290 Gieseke 1Wiedernann 1Czychowski, 1992, § 7 a Rn. 33.
9 Griom
130
3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
Nach allem kann jedenfalls seit Inkrafttreten der 6. WHG-Novelle ein Vorrang des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG vor dem § 7a Abs. 1 WHG nicht mehr mit angeblichen Defiziten des Wasserrechts begründet werden. Denn seitdem besteht sowohl für Direkt-, als auch für Indirekteinleitungen die Pflicht zur Einhaltung des Standes der Technik nach § 7a Abs. 1 WHG unabhängig von entsprechenden Festlegungen in einer Rechtsverordnung der Bundesregierung. (dd) Abgrenzung nach teleologischen Erwägungen Vielfach wird des weiteren vertreten, daß die Behandlung aller Umweltauswirkungen einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage effizienter erfolgen könne, wenn der Abwasserpfad in die nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG vorzunehmende Betrachtung einbezogen würde. Der "geschlossene technische Zusammenhang" des Produktionsbereichs rechtfertige eine "Bündelung aller darauf bezogenen Forderungen" im immissionsschutzrechtlichen Bescheid 291 • Die vertretene Regelung der Zuständigkeiten sei auch von der Sache her sinnvoll, da davon ausgegangen werden könne, daß die Immissionsschutzbehörden, was integrierte Anlagentechnik anginge, mindestens ebenso fachkompetent seien wie die Wasserbehörden 292 . Diese Ausführungen sind nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Eine gebündelte Kompetenz einer Behörde für auf den Produktionsbereich bezogene Maßnahmen könnte zu sachgerechteren Anforderungen führen. Auch könnten ansonsten eventuell auftretende Reibungsverluste zwischen der Wasser- und der Immissionsschutzbehörde vermieden werden. Dennoch ist zweifelhaft, ob aus den genannten Erwägungen ein Vorrang des Immissionsschutzrechts gefolgert werden kann. So ist bereits fraglich, ob allein aus dem technischen Zusammenhang des Produktionsbereiches eine größere Sachkompetenz der Immissionsschutzbehörden für anlageninterne abwasserwirtschaftliche Fragen folgt. Einiges spricht auch für das gegenteilige Ergebnis. Denn es ist zweifelhaft, ob sich anlageninterne Anforderungen, die mit Blick auf den Abwasseranfall getroffen werden, sinnvoll von Anforderungen an die direkte oder indirekte Einleitung von Abwasser, die unstreitig von den Wasserbehörden festzulegen sind, trennen lassen. Denn beide sind voneinander abhängig. Anlageninterne Anforderungen erfüllen letztlich allein den Zweck, die direkt oder indirekt in ein Gewässer eingeleitete Schadstofffracht nach dem Stand der Technik zu verringern. Zudem haben die Wasserbehörden auch die Belastungssituation des jeweils von der Abwasserbeseitigung betroffenen Gewässers bei ihren Entscheidungen Salzwedel, 1982, S. 63. Meidrodt, 1993, S. 51. Jörgensen, 1994, S. 69 f. geht sogar von einer "größeren Sachentscheidungskompetenz" der Immissionsschutzbehörden "für die Beurteilung der gesamten Anlage" aus. 291
292
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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zu beachten. Die Wasserbehörden haben also nicht nur die jeweilige Einzelbenutzung, sondern die gesamten Umstände der komplexen Gewässersituation unter Mengen und Güteaspekten in ihre Entscheidung einzubeziehen. Dabei können nach § 6 WHG auch über § 7a WHG hinausgehende Maßnahmen zur Verringerung der Schadstofffracht von Abwässern erforderlich sein. Zudem setzt das Vorgehen nach § 6 WHG wasserbehördliche Bewirtschaftungsentscheidungen voraus, zu denen die Anlagengenehmigungsbehörde nicht befugt ist 293 • Auch ist insbesondere im Indirekteinleiterbereich die Beurteilung der in Betracht kommenden Maßnahmen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Zentrale Kläranlage vonnöten. Nicht jede anlageninterne Maßnahme muß aus wasserwirtschaftlicher Sicht sinnvoll sein. Die Behandlung aller Umweltauswirkungen einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage muß zudem nicht unbedingt ineffektiv erfolgen, wenn Immissionsschutz- und Wasserbehörde ihren wechselseitig vorhandenen Sachverstand bündeln und bei der Festlegung von Anforderungen an das Produktionsverfahren gemeinsam vorgehen. Zuzugeben ist allerdings, daß dies eine koordinierte Vorgehensweise der bei den beteiligten Behörden voraussetzt, die aber nach § 10 Abs. 5 BlmSchG ohnedies geboten ist. Wenn eine solche Abstimmung in der Praxis zum Teil nicht erfolgt, können hieraus keine Rückschlüsse auf den Telos des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG gezogen werden. Auch das gegenteilige Ergebnis eines Vorranges der wasserrechtlichen Anforderungen an das Produktionsverfahren läßt sich allerdings nicht mit Hilfe teleologischer Erwägungen begründen. Diesem Ergebnis ließen sich die eingangs dieses Gliederungspunktes angeführten Erwägungen entgegenhalten. Aus einer teleologischen Betrachtung kann also keine der vertretenen Auffassungen entscheidende Vorteile gewinnen. (ee) Abgrenzung auf Grundlage von allgemeinen Erwägungen zur Konkurrenz von WHG und BlmSchG Sowohl die überwiegende Auffassung in der Literatur, als auch Kaster und Viertel begründen ihr Ergebnis u. a. mit allgemeinen Erwägungen zum Verhältnis des BlmSchG zum WHG im Bereich des Rechts der genehmigungsbedürftigen Anlagen. Dabei wird zum Teil davon ausgegangen, daß § 5 Abs. I Nr. 3 BlmSchG im Verhältnis zu § 7a WHG die speziellere Norm sei 294 . Es wird angeführt, daß bei wasserseitigen Auswirkungen einer Anlage jenseits von Einleiteerlaubnis und Bewirtschaftungsermessen der Anlagenbezug des BlmSchG in den Vordergrund trete. Viertel, 1995, S. 116 f. So ausdrücklich Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 825 und Führ, in: GK-BlmSchG, §2Rn.47. 293
294
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Da die Auswirkungen direkt von der genehmigungs bedürftigen Anlage ausgingen, sei das BImSchG hier das speziellere Gesetz295 . Dies erscheint schon mit Blick auf die begrenzte Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG fraglich. Soll in einer genehmigungsbedürftigen Anlage entstehendes Abwasser in ein Gewässer eingeleitet werden, ist neben der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung noch eine wasserrechtliche Erlaubnis erforderlich. Bei angestrebter Einleitung des Abwassers in öffentliche Abwasseranlagen bedarf es unter Umständen einer Indirekteinleitergenehmigung. Denn die Konzentrationswirkung des § 13 Satz 1 BImSchG umfaßt diese behördlichen Gestattungen nicht. Dem gefundenen Ergebnis wird entgegengehalten, daß § 13 BImSchG nur zum Ausdruck bringe, daß die Immissionsschutzbehörden keine wasserrechtlichen Erlaubnisse oder Bewilligungen erteilen könnten, aber nichts darüber aussage, welchen Regelungsbereich diese umfaßten 296 . Einem Vorrang des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG könne auch nicht mit dem Argument widersprochen werden, daß alle gewässerbezogenen Anforderungen zum Kernbereich des Wasserrechts gehörten. Dies spreche nur vordergründig gegen das vertretene Ergebnis. Kernbereich des Immissionsschutzrechts seien nämlich nicht nur Luftreinhaltemaßnahmen, da das BImSchG nicht auf das Medium Luft beschränkt sei, sondern einen medienübergreifenden Ansatz verfolge, wie aus der Erweiterung des § 1 BImSchG im Zuge der 3. Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz hervorgehe297 . Die Unterscheidung Kernbereich - Randbereich helfe folglich bei der notwendigen Abgrenzung nicht weite~98. Die Wasserbehörden entschieden dagegen nur über gewässerschutzbezogene Fragen. Die Auswirkungen ihrer Festlegungen auf andere Umweltmedien seien ausgeblendet. Überließe man die Entscheidung über Abwasservermeidungs- bzw. verwertungsanforderungen im Produktions bereich den Wasserbehörden, würde dies dem umfassenden und multimedialen Ansatz des BImSchG widersprechen 299 . Folglich sei von der Zuständigkeit der Immissionsschutzbehörden auch für produktionsbezogene Anforderungen an die Abwasservermeidung auszugehen 3OO • Dem wird entgegengehalten, daß von einer umfassenden anlagenbezogenen Zuständigkeit der Immissionsschutzbehörden nicht ausgegangen werden könne. Der Gesetzgeber habe im Gegenteil spezialgesetzlich die Zulässigkeit von Abwasser295 Führ, in: GK-BImSchG, § 2 Rn. 47. Ähnlich Jörgensen, 1994, S. 69 f., die die Auffassung vertritt, daß der Immissionsschutzbehörde in umfassender Weise anlagenbezogene Fragen zugewiesen seien. Die Immissionsschutzbehörden müßten nicht nur über Luftreinhaltemaßnahmen, sondern über die umweltverträgliche Auslegung der gesamten Anlage unter Einbeziehung des Abwasserpfades entscheiden. 296 Führ, in: GK-BImSchG, § 2 Rn. 46. 297 Jörgensen, 1994, S. 69 f.; Meidrodt, 1993, S. 49. 298 Meidrodt, 1993, S. 49. 299 Jörgensen, 1994, S. 69 und 71. 300 Jörgensen, 1994, S. 69.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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einleitungen geregeleo l . Das Wasserrecht wolle möglichst früh auf die Menge und stoffliche Zusammensetzung des Abwassers Einfluß nehmen 302 . Der Kembereich wasserbehördlicher Kompetenzen reiche auf Grundlage einer "umfassenden abwasserwirtschaftlichen Betrachtungsweise" in die Festlegung von Anlagenbetrieb und Produktionsverfahren hinein, was zu einer Einschränkung der Prüfungs- und Entscheidungskompetenzen der Immissionsschutzbehörde führen müsse 303 . Richtig ist, daß das BImSchG nach § 2 Abs. I Nr. 1 BImSchG für die Errichtung und den Betrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen gilt. Dabei wird nach § 1 BImSchG auch der Schutz des Wassers vom Gesetz bezweckt. Auch die Wasserbehörden haben aber bei ihren Entscheidungen nicht nur gewässerschutzbezogene Fragen zu beachten. So müssen bei der Festlegung des wasserrechtlichen Standes der Technik nach § 7a Abs. 1 Satz 1 i.V. mit Abs. 5 WHG nicht nur der Umfang der Verminderung von Stofffrachten im Abwasser, sondern auch die Auswirkungen der in Rede stehenden Maßnahmen auf die übrigen Umweltmedien sowie der Abfallanfall beachtet werden. Insbesondere müssen "unvernünftige Belastungsverlagerungen" in andere Umweltmedien vermieden werden 304 • Insoweit unterscheiden sich die Anforderungen des § 7a Abs. 1 WHG und des § 5 Abs. I BImSchG nicht. Aus einer angeblich fehlenden medienübergreifenden Ausrichtung des Wasserrechts können folglich keine Schlußfolgerungen für einen Vorrang des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG vor § 7a Abs. 1 WHG gezogen werden. Die gegenläufigen Ausführungen zur Spezialität des Wasser- oder des Immissionsschutzrechts stellen sich somit als bloße Behauptungen dar. Für eine Spezialität des BImSchG kann der Anlagenbezug sprechen. Für eine Spezialität des Wasserrechts können dagegen wasserwirtschaftliche Erwägungen angeführt werden. Welcher der bei den Auffassungen gefolgt werden muß läßt sich mit allgemeinen Erwägungen zur Konkurrenz von BImSchG und WHG nicht beantworten. Entscheidend für die hier relevante Frage ist stattdessen die Kollisionsregel des § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG30s • (ff) Abgrenzung auf Grundlage des § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG
Anders als das Wasserrecht enthält das Immissionsschutzrecht eine Norm zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche der jeweiligen Vorschriften. § 2 Abs. 2 Satz 2 BlmSchG ist als Ausnahme von der oben erwähnten umfassenden Geltung des BImSchG für genehmigungsbedürftige Anlagen formuliert. Danach soll das
Kaster, 1996, S. 298 f. Schulte, KA 1996, 1760 ff., 1762. 303 Viertel, 1995, S. 115 f.; Kaster, 1996, S. 301 f., der zur Begründung allerdings fälschlicherweise auf § 7a Abs. 1 Satz 5 WHG a.F. zurückgreift. 304 Czychowski, 1998, § 7a Rn. 14 m. w. N. 305 Meidrodt, 1993, S. 49; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 825. 301
302
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
BImSchG nicht gelten, "soweit sich aus wasserrechtlichen Vorschriften etwas anderes ergibt". Die Vorschrift ist im Rahmen des 3. Gesetzes zur Änderung des BImSchG 306 als Folge der Aufnahme des Wassers in die Schutzgüter des BImSchG neu eingefügt worden. Sie ging auf einen Vorschlag des Umweltausschusses des Bundestages zurück. Mit ihr sollte nach der Begründung klargestellt werden, daß die "Aufnahme des Wassers in den Kreis der Schutzgüter" des BImSchG "den Gewässerschutz nach wasserrechtlichen Vorschriften des Bundesund der Länder unberührt lassen sollte. Anforderungen an den Gewässerschutz auf Grund solcher Vorschriften und Anforderungen nach immissionsschutzrechtlichen Vorschriften" seien "nach den Grundsätzen der Spezialität zu beurteilen,,307. Das BImSchG trifft insoweit eine ausdrückliche Anordnung von partieller Spezialität des Wasserrechts 308 . In den in § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG genannten Fällen soll das WHG das im Umkehrschluß ansonsten vorrangige Immissionsschutzrecht verdrängen. Daraus folgt aber noch nicht, daß Anforderungen an die Vermeidung von Abwasser in einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage allein aus dem Abwasserrecht abgeleitet werden können. § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG ordnet den Vorrang des Wasserrechts nur an, wenn dieses gegenüber dem Immissionsschutzrecht speziellere Regelungen enthält. Es muß sich aus wasserrechtlichen Vorschriften "etwas anderes" ergeben. Soweit Wasser- und Immissionsschutzrecht also die gleichen Rechtsfolgen bestimmen, hat das Wasserrecht keinen Vorrang 309 . Nur soweit sich aus den wasserrechtlichen Vorschriften des Bundes und der Länder andere produktionsbezogene Anforderungen an die Vermeidung von Abwasser ergeben, gehen diese den Anforderungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG vor. Die Beantwortung der eingangs genannten Frage nach dem Verhältnis zwischen § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG und § 7a Abs. 1 WHG erfordert also eine Beschäftigung
damit, ob sich aus dem Wasserrecht andere produktionsbezogene Anforderungen an die Vermeidung von Abwasser ergeben können, als nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG. Dafür ist der Regelungsgehalt beider Vorschriften zu betrachten. Hier ist zum einen festzuhalten, daß es nach § 7a Abs. 1 WHG entscheidend darauf ankommt, die Schadstofjfracht gering zu halten. Wie bereits oben ausgeführt ist die Vermeidung von Abwasser im Produktionsverfahren nach § 7a Abs. 1 WHG geboten, wenn dies dem Stand der Technik zur Verringerung der Schadstofffracht des Abwassers entspricht. § 7a Abs. 1 WHG will primär auf die stoffliche Zusammensetzung des Abwassers Einfluß nehmen. Die Menge des Abwassers erlangt bei der Norm lediglich mit Blick auf die transportierten Schadstofffrachten Relevanz. Soweit also Anforderungen an die Verringerung von Abwassermengen, 306 307 308
309
3. Gesetz zur Änderung des BlrnSchG vorn 11. Mai 1990, BGB\. I S. 870. BT-Drs. 11/6633, S. 43. So auch Führ, in: GK-BlrnSchG, § 2 Rn. 41. Roßnagel, in: GK-BlrnSchG, § 5 Rn. 825.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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wie etwa die Kreislaufführung oder Mehrfachnutzung eingesetzter wasserhaitiger Stoffe oder eine sonstige Optimierung von Produktionsverfahren mit Blick auf den Wasserverbrauch keine Auswirkungen auf die Schadstofffrachten entfalten, können sie nicht auf Grundlage von § 7a Abs. 1 WHG gefordert werden. § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG stellt dagegen nicht auf die mit dem Abfall (Abwasser) ausgetragenen Schadstofffrachten ab 31O • Bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG spricht dafür, daß mit der Nonn lediglich die Verringerung von Abfallmengen bezweckt wird. Schließlich sollen ,,Abfälle vennieden ... " und nicht die auf dem Abfallpfad austretende Schadstofffracht verringert werden.
Auch aus der Entstehungsgeschichte des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG geht nur hervor, daß mit Hilfe der Nonn die Menge des in genehmigungsbedürftigen Anlagen entstehenden Abfalls verringert werden soll. Besonders deutlich wird dies bei Lektüre der Begründung des mit dem 2. Gesetz zur Änderung des BImSchG eingeführten Reststoffvenneidungsgebotes. In der Begründung des Bundesrates wurde ausgeführt, daß die Reststoffvenneidungspflicht "bedeutende Einsparpotentiale an Rohstoffverbrauch", die ohne entsprechende Maßnahmen verlorengehen könnten, erschließen oder dem ansonsten zu befürchtenden Entstehen "erheblicher Abfallmengen" vorbeugen solle 311 • Auch die Bundesregierung führte in ihrer Gegenäußerung aus, daß es "Ziel der Abfallwirtschaftspolitik der Bundesregierung" sei, "das Abfallaufkommen soweit wie möglich zu senken" und daß dieses Ziel mit der Reststoffvenneidungspflicht verfolgt werden solle312 . Fraglich ist, ob dem gefundenen Ergebnis § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW-/ AbfG entgegensteht. Die Nonn verpflichtet dazu, Abfälle "in erster Linie zu venneiden, insbesondere durch die Venninderung ihrer Menge und Schädlichkeit". Auf den ersten Blick scheinen also Maßnahmen zur Venninderung der "Schädlichkeit" von Abfällen nach dem Willen des Gesetzgebers des AbfVVBG unter den Begriff der Abfallvenneidung zu fallen. Ließe die Vorschrift entsprechende Rückschlüsse auf den § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG zugrunde zulegenden Begriff der Abfallvenneidung zu, würde die Regelung mittlerweile auch auf dem Abfallpfad ausgetragene Schadstofffrachten regulieren wollen. Bislang ist zur Interpretation der Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG häufig auf Vorschriften des KrW-/ AbfG zurückgegriffen worden. Aus der Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW- / AbfG folgt aber, daß nicht beabsichtigt war, Maßnahmen zur Venninderung der "Schädlichkeit" von Abfällen generell unter den Begriff der Abfallvenneidung zu fassen. Dies folgt insbesondere aus der Gegenäußerung der Bundesregierung313 , nachdem der Bundesrat in seiner 310 Jörgensen, 1994, S. 44, vertritt dagegen, daß der Venneidungsbegriff des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG a.F. nicht nur die "Verringerung der Reststoffmenge, sondern auch die qualitative Veränderung ihrer Zusammensetzung durch geringere Schadstofffrachten" umfasse, begründet ihre Auffassung allerdings nicht. 311 BT-Drs. 10/1862 (neu) S. 7. 312 BT-Drs. 10/1862 (neu) Anlage 2, S. 9.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Stellungnahme zu § 4 Abs. 1 KrW- / AbfG ausgeführt hatte, daß "die Verminderung der Schädlichkeit von Abfällen ... kein Unterfall der abfallarmen Kreislaufwirtschaft" sei 314 . Die Vorschrift solle - so die Bundesregierung -lediglich klarstellen, daß als Maßnahme der Vermeidung anzusehen sei, wenn "durch eine Reduktion von Schadstoffen die Notwendigkeit einer Beseitigung als Abfall" entfällt,,315. Zudem handelt es sich bei § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW-/ AbfG, anders als bei den bislang zur Bestimmung von Tatbestandsmerkmalen des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG herangezogenen Vorschriften, nicht um eine Legaldefinition, sondern um eine Regelung, die die Pflichten des Betreibers konkretisieren soll. Die Vorschrift ist dabei in Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 KrW-/ AbfG zu lesen, nach dem sich die Pflichten zur Abfallvermeidung allein nach § 9 KrW-/ AbfG sowie den auf Grund der §§ 23 und 24 KrW-/ AbfG erlassenen Rechtsverordnungen richten. Da es sich bei § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW- / AbfG nicht um eine Norm handelt, die stoftbezogene Anforderungen an die Art und Weise der Verwertung oder der Beseitigung im Sinne des § 9 Satz 2 KrW- / AbfG aufstellt und Verordnungen nach den §§ 23 und 24 KrW-/ AbfG noch nicht ergangen sind, bleibt es bei der Grundregel des § 9 Satz 1 KrW- / AbfG. Folglich sollen sich die Pflichten des Anlagenbetreibers zur Abfallvermeidung allein nach den Vorschriften des BImSchG richten 316 . § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW- / AbfG kommt keine Relevanz für die hier zu entscheidende Frage zu. Anforderungen an die Schädlichkeit oder die Schadstofffracht des Abwassers scheinen also nur nach § 7a Abs. 1 WHG, nicht aber nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG festgelegt werden zu können. Das Abwasserrecht scheint hier eine speziellere Regelung bereitzuhalten. Von der Auffassung, die einen grundsätzlichen Vorrang des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG vor dem § 7a Abs. 1 WHG vertritt, wird dagegen angeführt, daß solche Fälle nach der inneren Systematik des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nicht vorstellbar seien. Denn die in Rede stehenden Vorschriften des Wasserrechts müßten nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG zwingend berücksichtigt werden 317 • Insbesondere habe sich die Immissionsschutzbehörde bei der Prüfung der technischen Möglichkeit und der Zumutbarkeit der Vermeidung von Abwasser an die Vorgaben des § 7a WHG und der Abwasserverwaltungsvorschriften zu halten 318 . Unterschiede zwischen WasBT-Drs. 12/5672 S. 125. BT-Drs. 12/5672 S. 65. 315 BT-Drs. 1215672 S. 125. 316 Klöck, ZUR 1997, HHf., 117. 317 Meidrodt, 1993, S. 50; Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 825.; Jörgensen, 1994, S. 67 f. m. w. N. Begründet wird dies in der Regel mit § 6 BlmSchG, vgl. Fluck in: derselbe, KrW-/ AbfG, § 9 Rn. 78; Jörgensen, 1994, S. 47 f. 318 Meidrodt, 1993, S. 50; Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 668, 674 und 825.; Jörgensen, 1994, S. 67 f. So auch Kaster, 1996, S. 299 f. 313
314
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ser- und Immissionsschutzrecht in den Anforderungen an das Produktionsverfahren könnten folglich nicht bestehen. Aus § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG ergebe sich folglich kein Vorrang des § 7a Abs. 1 WHG vor § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG319 . Die genannten Argumente vermögen das von der in Rede stehenden Auffassung vertretene Ergebnis jedoch nicht zu tragen. Zuzugeben ist allerdings, daß auch Vermeidungsmaßnahmen in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung stehen und damit "ordnungsgemäß" sein müssen 320 . Voraussetzung für ein Gebot zur Abfallvermeidung ist auch ohne ausdrücklichen Hinweis in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSehG, daß hierbei nicht gegen sonstiges öffentliches Recht, also auch nicht gegen wasserrechtliehe Vorschriften, verstoßen wird. Dies folgt aus § 6 BImSchG 321 • Die Anlagengenehmigung darf gemäß § 6 BImSchG nur erteilt werden, wenn sichergestellt ist, daß die immissionsschutzrechtlichen Pflichten erfüllt werden und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Die Anlagengenehmigungsbehörde hat also bei Erteilung der Genehmigung wasserrechtliche Anforderungen "im Blick" zu haben. Hiervon zu unterscheiden ist aber die Frage, welche Vorschrift zur Bestimmung der Anforderungen an das Produktionsverfahren herangezogen werden muß. Die unstreitig notwendige Einbeziehung der wasserrechtlichen Anforderungen in die immissionsschutzrechtliche Genehmigung sagt mit anderen Worten nichts darüber aus, welche Behörde zur Bestimmung der entsprechenden Anforderungen befugt ist. Die unmittelbare Berücksichtigung von wasserrechtlichen Regelungen, die auf die Verminderung von Schadstofffrachten abzielen, für die Bestimmung der Anforderungen des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG wäre zudem mit dem Regelungsgehalt dieser Vorschrift nur schwer zu vereinbaren, da § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG allein auf die Verminderung von Abfallmengen abzielt. Des weiteren führt die· Argumentation der Gegenauffassung letztlich zu einer Umgehung des insoweit klaren § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSehG. Denn die Norm ist auch für genehmigungsbedürftige Anlagen als Ausnahme vom umfassenden Geltungsanspruch des Immissionsschutzrechts formuliert und führt zu einem Vorrang des Wasserrechts, wenn dieses speziellere Regelungen enthält. Über die Einbeziehung der Anforderungen der spezielleren Norm in den Tatbestand des nachrangigen § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG läßt sich diese Rechtsfolge nicht vermeiden. Zudem ist fraglich, wie die Einbeziehung dieser Anforderungen vonstatten gehen sollte, kann nach Inkrafttreten der 6. WHG-Novelle doch nicht mehr auf den Regelungsgehalt der vormals die Anforderungen nach dem Stand der (Abwasser)Technik abschließend bestimmenden Verwaltungsvorschriften zurückgegriffen werden.
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Meidrodt, 1993, S. 49 f.; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 825. Allg. Auffassung, vgl. nur Jarass, BImSehG, § 5 Rn. 68 m. w. N. Roßnagel, in GK-BImSchG, § 5 Rn. 655.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
Anforderungen an die Schädlichkeit oder die Schadstofffracht des Abwassers können also nur nach § 7a Abs. 1 WHG, nicht aber nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG festgelegt werden. Das Abwasserrecht hält hier eine speziellere Regelung bereit 322 • Aus § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG folgt ein entsprechender Vorrang des § 7a Abs. 1 WHG. Fraglich ist, ob dies auch für unspezijische Anforderungen an die Verringerung von Abwassermengen323 gelten kann. Soweit solche Maßnahmen keine Auswirkungen auf die Schadstofffrachten entfalten, können sie nach den obigen Ausführungen nicht auf Grundlage von § 7a Abs. 1 WHG gefordert werden. Auf den Wasserverbrauch nimmt das Wasserrecht aber über die allgemeine PflichtensteIlung des § la Abs. 2 WHG Einfluß. Nach der Norm ist jedermann "verpflichtet, bei Maßnahmen, mit denen Einwirkungen auf ein Gewässer verbunden sein können, die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt anzuwenden, ... um eine mit Rücksicht auf den Wasserhaushalt gebotene sparsame Verwendung des Wassers zu erzielen ... ". Mit Wasser ist in Gewerbe und Industrie also rationell umzugehen. Es sind insbesondere wassersparende oder sogar wasserlose Verfahren einzusetzen 324 • Dabei wird über den Maßstab der "nach den Umständen erforderlichen Sorgfalt" eine Einbeziehung von Zumutbarkeitserwägungen im Einzelfall erreicht 325 • Ein geringerer Verbrauch von Wasser im Produktionsverfahren führt in der Regel auch zu kleineren Abwassermengen. Die Verringerung des Abwasseranfalls kann aber auch auf andere Art und Weise erreicht werden 326 • Maßnahmen zur Umsetzung der §§ la Abs. 2 WHG bzw. 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG können sich also zwar überschneiden. Dennoch bleibt festzuhalten, daß sich die immissionsschutzrechtliche Norm auf die Abwassermengen bezieht, während die wasserrechtliche Norm den Wasserverbrauch regeln möchte. Hier enthält also die immissionsschutzrechtliche Norm speziellere Regelungen und geht folglich wasserrechtlichen Anforderungen vor.
(3) Ergebnis § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG stellt nach allem keine Anforderungen an die Vermeidung von beim Betrieb der Anlage entstehenden Abgasen auf. Hier gelten allein die Anforderungen des § 5 Abs. I Nm. 1 und 2 BImSchG. Auch Produkte fallen nicht unter den Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG. Das Gegenteil 322 Kaster, 1996, S. 298 f., der zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche des § 7a Abs. I WHG und des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG aber nicht auf § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG abstellt. 323 Beispiele für solche Maßnahmen sind eben genannt worden. 324 Czychowski, 1998, § la Rn. 14. 325 Czychowski, 1998, § la Rn. 17. 326 Als Beispiel sei nur die Verdampfung des im Produktionsprozeß eingesetzten Wassers genannt.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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gilt jedoch für Abfälle zur Verwertung. Die Kriterien, nach denen die Abgrenzung zwischen Abfällen, insbesondere Abfällen zur Verwertung und Produkten zu erfolgen hat, sind oben dargestellt worden 327 • Auf diese Ausführungen soll hier verwiesen werden. Abwasser wird dagegen vom Abfallbegriff des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG umfaßt 328 . Nach hier vertretener Auffassung können auf § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG allerdings nur Anforderungen an die Verringerung von Abwassermengen gestützt werden, die keine Auswirkungen auf die mit dem Abwasser ausgetragenen Schadstofffrachten entfalten. Hierdurch stellt die Norm in einer Vielzahl von Fällen keine Anforderungen an die Senkung des Verbrauchs von Stoffen auf, die die Anlage über den Abwasserpfad verlassen. Dennoch eröffnet sich ein umfangreicher Anwendungsbereich der Norm und damit zunächst ein großes Potential zur Senkung des Stoff- eventuell auch Energieverbrauchs in der industriellen Produktion. Durch die Einbeziehung des Abwasssers könnten sowohl bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, als auch bei den wasserrechtlichen Gestattungen für die direkte oder indirekte Einleitung von Abwasser Anforderungen an das Produktionsverfahren gestellt werden. Dies würde die Gefahr von Überschneidungen und Divergenzen bergen. Sollte sich diese Annahme im weiteren Verlauf der Untersuchung bestätigen, müßten Vorschläge zur Lösung dieser Problematik erfolgen 329 .
bb) Gebot zur Abfallvermeidung Oben ist bereits ausgeführt worden, daß § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG ein Gebot zur Verringerung des Stoffverbrauches in der Produktionsstätte nur in Fällen enthalten kann, in denen die Norm den Betreiber zur Abfallvermeidung verpflichtet. Nach Klärung des Anwendungsbereichs der Norm ist deshalb darzustellen, unter welchen Umständen dies der Fall sein kann. Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG setzt dies voraus, daß die Vermeidung von Abfällen technisch möglich und zumutbar ist. Des weiteren müssen Abfälle nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG "vermieden werden, es sei denn sie werden ordnungsgemäß und schadlos verwertet". Bei der Beantwortung der Frage, unter welchen Umständen aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG ein Gebot zur Abfallvermeidung folgen kann, muß demzufolge auch der Fall behandelt werden, in dem neben der Abfallvermeidung auch die Verwertung dieser Abfälle technisch möglich und zumutbar ist. Die Frage ist, welches Rangverhältnis zwischen diesen Möglichkeiten die Norm vorgibt.
327
328 329
S. o. Kapitel 3, GIiederungspunkt A.I.3.b)aa)(I)(b). S. o. Kapitel 3, GIiederungspunkt A.I.3.b)aa)(I)(d). S.u. Kapitel 3, Gliederungspunkt B.III.
140
3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
( 1) Begriff der Ab/allvermeidung
Nach der Sachlogik wäre aber zunächst der Begriff der Abfallvenneidung zu klären. Dieser war nach der alten und ist auch noch nach der neuen Rechtslage umstritten. (a) Streitstand Teilweise wurde vertreten, daß jede Verwendung von Abfällen in der Anlage als Abfallvenneidung anzusehen ist33o. Dabei wurde nicht ausdrücklich klargestellt, ob die genehmigte Anlage oder die einzelne Anlage Bezugspunkt ist, wenn die Behörde für an sich verschiedene genehmigungsbedürftige Anlagen nur ein Genehmigungsverfahren durchführt 33 !. Nach dem Sinnzusammenhang der Aussagen war aber wohl die einzelne Anlage gemeint, da teilweise spezifizierend eine Verwendung für den "Betriebszweck" der Anlage verlangt wurde 332 , verschiedene Anlagen in der Regel aber auch verschiedene Betriebszwecke haben. Diese Auffassung wird auch noch unter der veränderten Rechtslage vertreten 333 . Einige stellten dagegen auf den "Produktionsprozeß" ab. Allein die Verwendung von Stoffen "in dem Produktionsprozeß, in dem sie entstanden sind", stelle eine Maßnahme der Abfallvenneidung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG dar334 • Die Rückgewinnung von Stoffen, um sie in anderen Prozessen einzusetzen oder in Erzeugnisse einzubinden, sei dagegen als Maßnahme der Abfallverwertung anzusehen. Die prozeßorientierte Abgrenzung von Venneidung und Verwertung erfolgte in der Regel mit Blick auf anlageninterne Vorgänge m . Folglich muß der für die Abgrenzung maßgebliche Begriff des Produktionsprozesses in dem Sinne verstanden werden, der auch im Rahmen dieser Arbeit verwandt wird 336 . Auch Prozesse zur 330 Rebentisch, 1991, S. 48; Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., 499; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 213; Hansmann, NVwZ 1990,409 ff., 411, der interessanterweise die durch § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG angestrebte Förderung des produktionsintegrierten Umweltschutzes als Argument für die von ihm vertretene Auffassung anführt. Von einer solchen Interpretation des Vemeidungsbegriffes ging auch der Länderausschuß für Immissionsschutz, NVwZ 1989,130 ff. aus. Vgl. den in Nr. 3.1. definierten Verwertungsbegriff. 331 Für Jörgensen, 1994, S. 45 blieb dies deshalb unklar. 332 Vgl. Rebentisch, 1991, S. 48 m. w. N. 333 Rebentisch, NVwZ 1995, 639 ff., 643 f.; Rebentisch, 1997, S. 94 f.; Mondre, 1998, S. 169 ff.; Schimanek, 1997, S. 72. 334 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 657 ff., 662; Jörgensen, 1994, S. 44 ff., 53 f.; Führ, 1989, S. 191 f. 335 So ausdrücklich Jörgensen, 1994, S. 44 f. In diese Richtung weist auch, daß im Rahmen der Abgrenzung zur anlagen bezogenen Sichtweise von den Vertretern der in Rede stehenden Auffassung oft darauf verwiesen wird, daß es innerhalb der gleichen Anlage mehrere Produktionsstränge bzw. mehrere Herstellungsprozesse geben könne. Vgl. Jörgensen, 1994, S. 52; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 662.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlrnSchG
141
Herstellung von Vor- oder Zwischenprodukten innerhalb einer Anlage werden nach der in Rede stehenden Auffassung unter den Begriff des Produktionsprozesses zu fassen sein. Auch die prozeßorientierte Sichtweise wird nach Inkrafttreten der Neufassung des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG weiterhin vertreten 337 . Zwischen diesen bei den Auffassungen stehen die von Jarass und Fluck verfolgten Ansätze. Jarass will für den Vermeidungs begriff ausreichen lassen, daß Abfälle zumindestens in die Hauptanlage wieder eingespeist werden 338 . Wenn Abfälle dagegen in eine Nebenanlage eingespeist würden, die der Reststoffverwertung diene, sei dies als Abfallverwertung zu bezeichnen.
Unter Aufgabe der von ihm früher vertretenen Auffassung 339 will Fluck auf den Zeitpunkt, in dem die in Rede stehende bewegliche Sache "das geschlossene System des Verfahrensprozesses oder -kreislaufes, die technische Umschließung, z. B. Rohre" verlassen habe, abstellen 340 • Alle Maßnahmen, die vorher stattfänden, seien als Abfallvermeidung zu bezeichnen. Fluck begründet diese Unterscheidung damit, daß erst ab diesem Zeitpunkt Abfall im Sinne des § 3 Abs. I KrW- / AbfG anfallen könne. Denn eine "tatsächliche wie rechtliche Erfassung der Stoffe" sei vorher nicht möglich 341 . Werde die "so separierte Sache z. B. manuell oder mittels beweglicher Transportmittel in den Verfahrensprozeß zurückgeführt", stelle dies eine anlageninterne Verwertung dar 342 . Bei automatischer Rückführung von Stoffen "z. B. über Förderbänder" sei dagegen ein Verlassen des geschlossenen Systems nicht anzunehmen. Eine solche Maßnahme ist nach Fluck als Maßnahme der Abfallvermeidung anzusehen 343 . (b) Relevanz für die Untersuchung Der Begriff der Abfallvermeidung umfaßt nach allen eben dargestellten Ansichten Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes. Im Unterschied zur erstgenannten Auffassung wollen die drei zuletzt genannten Auffassungen aber nicht S. o. Kapitel I, Gliederungspunkt B.II.3. Schulte, UPR 19%,436 f., 436; Paetow in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-1 AbfG, § 9 Rn. 15 und 19 und wohl auch Petersen/Rid, NJW 1995,7 ff., 12, die allerdings allein die anlagenbezogene Betrachtungsweise unter Hinweis auf die neue Rechtslage kritisieren, ohne Aussagen über alternative Abgrenzungskriterien zu treffen. 338 Jarass, BlrnSchG, § 5 Rn. 67. 339 Vor Inkrafttreten des AbfVVBG vertrat Auck, NuR 1989,409 ff., 409 die Auffassung, daß jede Verwendung von Reststoffen in der Anlage unter den Begriff der Vermeidung fiele. 340 Auck, DVBI. 1997,463 ff., 465. 341 Auck, DVBI. 1997,463 ff., 465 H. Sp. 342 Auck, DVBI. 1997,463 ff., 465. 343 Auck, DVBI. 1997, 463 ff., 465 re. Sp. 336 337
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3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
jede Verwendung von Abfällen in der Anlage als Maßnahme der Abfallvermeidung bezeichnen. Der hier vertretene Begriff des produktionsintegrierten Umweltschutzes umfaßt dagegen jede Verwendung von Abfällen in der Anlage, wenn dies Verringerungen des Stoff- oder Energieverbrauches zur Folge hat. Folgte man den drei zuletzt genannten Auffassungen, würde § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG auch in Fällen, in denen sich aus der Norm ein Gebot zur Abfallvermeidung ergäbe, nicht zum produktionsintegrierten Umweltschutz, sondern zur Wahl bestimmter Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes verpflichten. Die Klärung des Begriffes der Abfallvermeidung wäre also vonnöten, um den Umfang eines eventuell aus der Norm folgenden Gebotes zur Verringerung des Stoffoder Energieverbrauchs in der Anlage zu konkretisieren. Ob ein solches Gebot aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG folgen kann, ist aber noch nicht geklärt. Dies ist jedoch vorrangig und soll deshalb zunächst geschehen.
(2) Technische Möglichkeit der Ab/allvermeidung
Ein Gebot zur Vermeidung von Abfällen kann nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nur bestehen, wenn diese technisch möglich ist. (a) Streitstand Wann eine Maßnahme technisch möglich im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG a.F. war, wurde in der Rechtswissenschaft unterschiedlich beurteilt 344 . Anhaltspunkte für eine Modifikation des Tatbestandsmerkmals durch das AbfVVBG sind nicht ersichtlich, so daß es zulässig erscheint anzunehmen, daß die Standpunkte auch mit Blick auf § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG n.F. Gültigkeit behalten. Nach einer Auffassung ist der Begriff des "technisch möglichen" weitergehend als der des Standes der Technik345 . Insbesondere sei eine technische Erprobung der Verfahren nicht notwendig 346 . Es wird statt dessen für ausreichend gehalten, daß "irgend ein geeignetes Verfahren" ohne längere Entwicklungsphase zur Ver344 Eine ausführliche Darstellung des Streitstandes in der Literatur findet sich bei Jörgensen, 1994, S. 62 ff. 345 Schlicht, 1997, § 5 Rn. 17; Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 666; Hansmann, NVwZ 1990, 409 ff. 412; Rehbinder, DVBI. 1989, 496 ff., 501. Wohl auch Feldhaus, BlmSchR, § 5 Rn. 9. Unklar aber wahrscheinlich dieser Auffassung zuzurechnen: Fluck, DVBI. 1997,463 ff., 467. Fluck bezieht den Begriff des technisch Möglichen zwar auf der einen Seite auf den Einzelfall "nämlich die Bedingungen der konkreten Anlage und die Abfallart" und kommt damit der im folgenden erörterten Auffassung nahe. Auf der anderen Seite sind nach Auffassung von Fluck "Fragen der praktischen Eignung ... im Rahmen der Zumutbarkeit zu prüfen und Verfahren, die dem Stand der Technik entsprechen seien stets technisch möglich. 346 Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 666; Fluck, DVBI. 1997,463 ff., 467.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
143
fügung stehe, daß zu einem geringeren Reststoffanfall führe 347 . Das Verfahren muß nach dieser Auffassung also zwar tatsächlich entwickelt, nicht aber bereits erprobt sein. Eine andere Gruppe will den Rechtsbegriff "technisch möglich" mit dem in § 3 Abs. 6 BImSchG definierten Stand der Technik gleichsetzen 348 . Wenn noch nicht damit gerechnet werden könne, daß ein Verfahren in der Praxis erfolgreich angewandt werden könne, liege technische Unmöglichkeit im Sinne des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG vor. Es verletze den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den Anlagenbetreiber zu verpflichten, Maßnahmen zur Abfallvermeidung umzusetzen, wenn deren technische Realisierbarkeit noch nicht als gesichert erscheine 349 . Mann betrachtet den Stand der Technik als Obergrenze der möglichen Verfahren und verlangt darüber hinaus, daß die Vermeidungsmaßnahme für den Betreiber im Einzelfall technisch durchführbar ise so . Die technische Durchführbarkeit einer Maßnahme im Einzelfall ist aber eine Voraussetzung dafür, daß die in Rede stehende technische Lösung unter den Rechtsbegriff des Standes der Technik fallen kann 35I . Die Auffassung von Mann unterscheidet sich folglich nicht von der eben dargestellten Ansicht.
Der Länderausschuß Immissionsschutz hält eine Vermeidungsmaßnahme für "technisch möglich ... , wenn zur Erreichung des Betriebszwecks ein praktisch geeignetes Verfahren ... zur Verfügung steht. Praktisch geeignet ist das technische Verfahren dann, wenn es ohne längere Erprobungsphase verwirklicht werden kann,,3s2. Anders als die oben zuerst genannte Auffassung geht der Länderausschuß Immissionsschutz also davon aus, daß die Erprobung des Verfahrens nicht dem Betreiber aufgebürdet werden kann. Ob der Rechtsbegriff des "technisch Möglichen" aber mit dem des Standes der Technik gleichgesetzt wird oder ob die Anforderungen nach Auffassung des Länderausschusses Immissionsschutz noch darunter liegen, ist fraglich. Für die Gleichsetzung spricht die Verwendung des Begriffes "praktisch geeignet", der auch in § 3 Abs. 6 BImSchG verwandt wird. Gegen die Gleichsetzung spricht, daß das Verfahren nach Auffassung des Länderausschusses Immissionsschutz nicht "fortschrittlich" sein muß. Nach der von diesem vertretenen Definition könnte auch ein veraltetes Verfahren unter den Rechtsbegriff des "technisch Möglichen" gefaßt werden. 347 Feldhaus, BImSchR, § 5 Rn. 9; Hansmann, NVwZ 1990, 409 ff., 412; Rebentisch, 1991, S. 48; Meidrodt, 1993, S. 79; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 666 m. w. N.; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 219. 348 VG Schleswig, Beschluß vom 23. April 1982, NuR 1983, 36 f., 36; Stich/Porger, BImSchG, § 5 Rn. 22; Ule/Laubinger, 1997, § 5 Rn. 5. 349 Stich/Porger, BImSchG, § 5 Rn. 22. So auch Jörgensen, 1994, S. 64. 350 Mann, UPR 1995, 180 ff., 183 f. 351 Vgl. zum Rechtsbegriff des Standes der Technik die oben in Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.2.b) getroffenen Aussagen. 352 LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Nr. 3.2.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Jörgensen nimmt wie Mann an, daß der Stand der Technik die Obergrenze der möglichen Verfahren darstelle 353 . Darüber hinaus seien Abweichungen z. B. möglich, wenn mit der Umsetzung in der Planung befindlicher Vermeidungstechnologien in absehbarer Zeit gerechnet werden könne und sich ein Abwarten deshalb lohne, weil der Anlagenbetreiber für diesen Zeitpunkt ohnedies prozeßtechnische Neuerungen plane. Andererseits könne die spezifische Betriebssituation eine technische Lösung erfordern, die nicht die fortschrittlichste sei. Dies sei insbesondere zu erwägen, wenn der Anlagenbetreiber dadurch ersparte Investitionen für die Entwicklung und Erprobung fortschrittlicher integrativer Technologien aufwende 354 • Eine solche Herangehensweise ist dem Rechtsbegriff des Standes der Technik fremd. Jörgensen stuft die Anforderungen des technisch Möglichen folglich unter denen des Standes der Technik ein.
(b) Stellungnahme Die Auffassung, die die Begriffe "technisch möglich" und "Stand der Technik" gleichsetzt, ist nicht als überzeugend zu bezeichnen. Dem steht insbesondere der unterschiedliche Wortlaut der beiden Anforderungsprofile entgegen. § 5 Abs. 1 BImSchG unterscheidet zwischen dem "Stand der Technik" (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) und dem "technisch Möglichen" (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG). Setzt man die Begriffe dennoch gleich, muß man dem Gesetzgeber damit eine unbewußte sprachliche Ungenauigkeit unterstellen. Dies ist angesichts der Stringenz des übrigen Gesetzestextes nicht anzunehmen 355 . Auch das von der in Rede stehenden Auffassung angeführte Argument, daß es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletze, den Anlagenbetreiber zu verpflichten, Maßnahmen zur Abfallvermeidung umzusetzen, wenn deren technische Realisierbarkeit noch nicht als gesichert erscheine, kann nicht durchschlagen. Denn § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG enthält mit dem Merkmal der Zumutbarkeit ein zusätzliches Kriterium, das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verhindert, daß alles technisch Machbare auch tatsächlich durchgeführt werden muß 356 . Ebenfalls nicht gefolgt werden kann der Auffassung von JÖrgensen. Jörgensen will auch nicht-technische Erwägungen zur Bestimmung des "technisch Möglichen" heranziehen. Dies scheint mit dem Wortsinn des "technisch Möglichen" nicht vereinbar. Die von Jörgensen bevorzugte Herangehensweise mag im Rahmen der Ermessensausübung bei nachträglichen Anordnungen nach § 17 Abs. 1 Satz I Jörgensen, 1994, S. 64. Jörgensen, 1994, S. 66 f. 355 Roßnagel,in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 666; Mann, UPR 1995, 180 ff., 183. 356 Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., 501; Meidrodt, 1993, S. 78 f.; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 219. Zur Berücksichtigung des Risikos von Produktionsausfällen durch den Einsatz neuer, noch nicht ausreichend erprobter Techniken im Rahmen der Zumutbarkeit siehe auch unten, Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)bb)(4). 353
354
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BImSchG
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BImSchG eine Rolle spielen, kann aber bei der Bestimmung des Tatbestands der abfallbezogenen Grundptlichten nicht relevant sein. Allein vertretbar erscheint folglich die Auffassung, die das Tatbestandsmerkmal "technisch möglich" oberhalb des Standes der Technik ansiedeln möchte. Gegen diese Auffassung werden vielfaltige Argumente angeführt, die aber sämtlich nicht durchschlagen können. Besonders schwerwiegend erscheint das Argument, daß der Gesetzgeber nicht auf den höchsten Maßstab des Standes von Wissenschaft und Technik verwiesen hat. Der Stand der Technik müsse also die Obergrenze der in Rede stehenden Anforderungen darstellen 357. Richtig daran ist, daß der Rechtsbegriff des "technisch Möglichen" noch theoretischen Raum für weitergehende Anforderungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik lassen muß. Zur Verdeutlichung und Konkretisierung der hier vertretenen Auffassung soll folglich ein kurzer Exkurs auf die Rechtsbegriffe des Standes der Technik und des Standes von Wissenschaft und Technik erfolgen. Für die Bestimmung des "Standes der Technik" kommen nur Varianten in Betracht, deren praktische Eignung gesichert ist. Es muß gesichert erscheinen, daß die Maßnahme tatsächlich einen geringeren Abfallanfall zur Folge hat und sich gleichzeitig nicht negativ auf die Leistung der Anlage auswirkt. Eine erfolgreiche Erprobung der Maßnahme in einem Betrieb ist hierfür nicht notwendig, obwohl diese in § 3 Abs. 6 Satz 2 BImSchG für "insbesondere" maßgeblich bezeichnet wird. Auch Maßnahmen, die noch in keinem Betrieb erprobt wurden, aber entwikkelt, also über die rein wissenschaftliche Erforschung von Lösungen hinausgekommen sind, können dem Stand der Technik entsprechen, wenn die praktische Eignung auf Grund anderer Umstände gesichert erscheine58 . Entscheidend für die hier in Rede stehende Frage ist, daß der Stand der Technik eine sichere praktische Eignung der jeweiligen Maßnahme erfordert. In Abgrenzung hierzu setzt der Begriff des "technisch Möglichen" nach hier vertretener Auffassung eben diese Sicherheit nicht voraus. Entscheidend ist allerdings, daß das in Rede stehende Verfahren entwickelt ist, also den jeweiligen Betreibem zur Verfügung steht. Hierin liegt wiederum der entscheidende Unterschied zum Stand von Wissenschaft und Technik. Nach dem Stand von Wissenschaft und Technik wäre entscheidend, welche Maßnahme nach den neuesten naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen Jörgensen, 1994, S. 64. Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 81; Rittstieg, 1982, S. 25. So auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 7/1513, S. 2 und 4. Danach sollte die Aufnahme des Wortes ,,insbesondere" in die Legaldefinition des Standes der Technik ,,in begründeten Fällen (dazu dienen) auch noch nicht betriebserprobte Verfahren als dem Stand der Technik entsprechend" anzusehen. Damit sollten die vorher in der TA Lärm und der TA Luft enthaltenen Definitionen des Standes der Technik in diesem Punkt verschärft werden. 357 358
10 Griem
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
im Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung als geeignet angesehen wird. Läßt sich die Maßnahme technisch noch nicht verwirklichen, darf die Genehmigung nicht erteilt werden, die erforderlichen Maßnahmen werden mithin nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt359 . Der Stand von Wissenschaft und Technik geht also über die Einbeziehung lediglich wissenschaftlich entwickelter Verfahren hinaus 360 . Nach der hier vertretenen Interpretation verbleibt also noch Raum für weitergehende Anforderungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik. Des weiteren wird gegen die hier vertretene Auffassung angeführt, daß durch die Formulierung "technisch möglich" bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Ausgrenzung von lediglich wissenschaftlich entwickelten Verfahren erfolgt sei. Unter Zugrundelegung eines objektiven Technikbegriffes erfasse "technisch möglich" die zum jeweiligen Zeitpunkt verfahrenstechnisch realisierten Methoden. Hierunter fielen die "lediglich wissenschaftlich entwickelten, aber technisch noch nicht umgesetzten Lösungen nicht,,361. Indes ist bei näherer Betrachtung nicht ersichtlich, warum wissenschaftlich entwickelte Verfahren als technisch unmöglich zu bezeichnen sein sollten. Im Gegenteil macht der Wortlaut des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG im Verhältnis zu Nr. 2 deutlich, daß die erfolgreiche Erprobung nicht Voraussetzung des "technisch Möglichen" sein muß 362 . Etwas anderes könnte nur gelten, wenn im Gesetz statt der gewählten Formulierung, z. B. analog der Definition des Standes der Technik in § 3 Abs. 6 BImSchG, die erfolgreiche Erprobung im Betrieb gefordert wäre. Darüber hinaus wird angeführt, daß die Systematik des § 5 Abs. 1 BImSchG eine auf den Einzelfall abstellende Betrachtungsweise bei § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG stütze. Nach der Struktur der Norm hätten die Nm. 1 und 2 eine auf das Wohl der Allgemeinheit ausgerichtete Zielrichtung, bei der Gefahrenabwehr und Vorsorge im Mittelpunkt stünden. Die Nm. 3 und auch 4, in der ebenfalls der Begriff "technisch möglich" enthalten sei, behandelten dagegen vorrangig die individuell vorherrschende Betriebssituation in der Anlage 363 . Denn die Möglichkeiten der Abfallvermeidung seien von der Art des Produktionsverfahrens abhängig und somit eng an die individuelle technische Produktionsstruktur gekoppele 64 •
359 Breuer, in: Kimminich I von Lersner I Storm, HdUR, Band 2, S. 387; Roßnagel, in: GKBlmSchG, § 5 Rn. 372. 360 Dies übersieht Jörgensen, 1994, S. 64, wenn sie mit dem Verweis darauf, daß der Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG nicht auf den Stand von Wissenschaft und Technik verwiesen habe, begründen möchte, daß der Stand der Technik die Obergrenze der in Rede stehenden Anforderungen darstellen müsse. 361 Mann, UPR 1995, 180 ff., 180. 362 Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., 501. 363 Mann, UPR 1995, 180 ff., 183. 364 Mann, UPR 1995, 180 ff., 183.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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Zum anderen spreche das in § 5 Abs. 1 Nm. 3 und 4 BImSchG enthaltene Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit, das ebenfalls eine individualisierende Betrachtungsweise erfordere, für das gefundene Ergebnis 365 . Auch diese Argumente können indes nicht als durchschlagend bezeichnet werden. Ziel des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG ist es zum einen, das Entstehen von Industrie- und Gewerbeabfallen, die sonst unter Inanspruchnahme knappen Deponieraums zu beseitigen wären, zu begrenzen366 • Daneben soll aber ebenfalls Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen betrieben werden 367 . Im Blickpunkt der Norm stehen die bei der Gewinnung, dem Transport und der Verarbeitung von Ressourcen, die ohne Maßnahmen der Vermeidung oder Verwertung von Abfallen zusätzlich benötigt würden, verursachten schädlichen Umwelteinwirkungen und die Folgen der Abfallbeseitigung 368 • Gemeint sind also nicht die von der konkreten Anlage verursachten "schädlichen Umwelteinwirkungen" im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG. Dies kann aber nichts daran ändern, daß § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG ebenfalls eine auf das Wohl der Allgemeinheit ausgerichtete Zielrichtung zuzuschreiben ist. Des weiteren sind auch die Nm. 1 und 2 auf die "Betriebssituation in der Anlage" ausgerichtet, da diese bei Verstößen gegen die Gebote anzupassen ist. Auch der Verweis auf das Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit spricht nicht für eine einzelfallbezogene Interpretation des Tatbestandsmerkmals "technisch möglich". Im Gegenteil führte die in Rede stehende Auffassung dazu, daß das Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit seinen eigenständigen Sinn verlöre. Der Rechtsbegriff des technisch Möglichen ist nach allem weitergehender als der des Standes der Technik. Alle in Betracht kommenden tatsächlich entwickelten Vermeidungstechniken sind zur Bestimmung der Anforderungen im Einzelfall heranzuziehen. Eine sichere praktische Eignung der jeweiligen Maßnahme, analog der Anforderungen an den Stand der Technik, ist dagegen nicht vorausgesetzt. Allerdings wird der in der Anlage verfolgte Betriebszweck der Betrachtung zugrunde gelegt. Vermeidungsmaßnahmen sind also technisch möglich, wenn ein zur Erreichung des Betriebszwecks geeignetes Verfahren, das zu einem geringeren Abfallanfall führt, zur Verfügung steht.
Mann, UPR 1995,180 ff., 183 f. Sechster Immissionsschutzbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 13/4825 S. 18; Feldhaus, NVwZ 1995,963 ff., 971; BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1994, NVwZ 1994, 897 f., 897. 367 Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 637; Feldhaus, BImSchR, § 5 Rn. 9. Entsprechendes folgt auch aus der Gesetzesbegrundung, vgl. BT-Drs. 7/179 S. 52 und BT-Drs. 10/1862 (neu), S. 7 und 9. Roßnagel spricht aus diesem Grund von den abfallbezogenen Grundpflichten als "Konkretisierungen der Vorsorgepflicht" . 368 Vgl. Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 637. 365
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
(3) Übereinstimmung mit anderen Rechtsvorschriften
Der Betreiber genehmigungs bedürftiger Anlagen muß nicht jede technisch mögliche Maßnahme der Abfallvermeidung durchführen. Auch Vermeidungsmaßnahmen müssen "ordnungsgemäß" durchgeführt werden, d. h. ihre Einführung darf nicht zu einem Verstoß gegen andere öffentlich-rechtliche Vorschriften führen. Zu beachten ist insbesondere, daß die Umgestaltung der Produktion nicht zu einem Verstoß gegen das Vorsorgegebot nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG oder den Abwehrgrundsatz nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG führt 369 .
(4) Zumutbarkeit der Abfallvermeidung
Wann eine Maßnahme zumutbar im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG a.F. war, wurde in der Rechtswissenschaft unterschiedlich beurteilt. Dabei wurden bereits die Kriterien, nach denen die Zumutbarkeit einer Maßnahme angenommen werden kann, in der Literatur unterschiedlich skizziert. Das Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit ist unverändert in der neuen Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG enthalten. (a) Bestimmung der Kriterien für die Beurteilung der Zumutbarkeit Dennoch kann fraglich sein, ob die vor Inkrafttreten des AbfVVBG vertretenen Auffassungen heute noch herangezogen werden können. (aa) "Wirtschaftliche Zumutbarkeit" nach § 5 Abs. 4 Satz 1 KrW-/ AbfG Denn die Kriterien für die Beurteilung der Zumutbarkeit müssen sich am Zweck des Tatbestandsmerkmals festmachen lassen. Vor Inkrafttreten des AbfVVBG war einhellige Auffassung, daß das Erfordernis der Zumutbarkeit beschreibt, in welchem Umfang eine Belastung des Betreibers noch zulässig ist. Kollisionen zwischen den mit § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG bezweckten Umweltentlastungen und den wirtschaftlichen Interessen des Anlagenbetreibers sollten zu einem Ausgleich gebracht werden. In § 5 Abs. 4 Satz 1 KrW- / AbfG ist dagegen von wirtschaftlicher Zumutbarkeit die Rede. Insbesondere sei von einer Zumutbarkeit auszugehen, wenn "für einen gewonnenen Stoff oder gewonnene Energie ein Markt vorhanden ist oder geschaffen werden kann." Hiermit scheint eine stärkere Betonung der wirtschaftlichen Interessen des Betreibers verbunden zu sein.
369 LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 3.2. Zu Folgen, die sich aus dem Zusammenwirken der vier in § 5 Abs. I BImSchG statuierten Grundpflichten ergeben s.u. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.5.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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Teilweise wird nicht ausgeschlossen, daß die Definition des § 5 Abs. 4 Satz 1 KrW- / AbfG auch im Immissionsschutzrecht Anwendung findee 7o . Die in der Norm enthaltene Begriffsbestimmung bezieht sich aber nur auf die Abfallverwertung, während der Begriff der Zumutbarkeit in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG gleichermaßen für die Verwertung wie für die Vermeidung gilt 371 • Zudem wurde mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des BImSchG der Begriff der Zumutbarkeit anstelle des Begriffs der wirtschaftlichen Vertretbarkeit eingeführt, um den Maßstab der gebotenen Anstrengungen nicht allein nach wirtschaftlichen Kriterien festzulegen 372 • Eine Rückführung des einschränkenden Tatbestandsmerkmals auf die vormals vorliegende Situation hätte einer deutlicheren Entscheidung des Gesetzgebers bedurft. Im Rahmen der Veränderung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG durch Art. 2 AbfVVBG hätte dies ohne weiteres durch die Einfügung des Wortes "wirtschaftlich" vor "zumutbar" erfolgen können. Anders als viele Definitionen des KrW- / AbfG ist § 5 Abs. 4 Satz 1 KrW-/ AbfG folglich nicht zur Bestimmung des Tatbestandes des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG heranzuziehen 373 . Es bleibt also dabei, daß mit dem Kriterium der Zumutbarkeit Kollisionen zwischen den mit § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG bezweckten Umweltentlastungen und den wirtschaftlichen Interessen des Anlagenbetreibers zu einem Ausgleich gebracht werden sollen. Auch können die vor Inkrafttreten des AbfVVBG vertretenen Auffassungen heute noch herangezogen werden, da sich durch die Novellierung der Norm keine Veränderungen mit Blick auf dieses Tatbestandsmerkmal ergeben haben.
(bb) Abhängigkeit von anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten Teilweise wird die Zumutbarkeit der Vermeidung in Abhängigkeit davon beurteilt, ob nur eine Verwertung der Abfälle nicht in Betracht kommt oder ob auch die Abfallbeseitigung ausscheidet. Wenn die Verwertung der Abfälle nicht in Betracht komme, sei die Vermeidung der Abfälle unzumutbar, wenn es erforderlich wäre, das vorgesehene Produktionsverfahren erheblich zu verändern. Der Einbau zusätzlicher Verfahrensstufen, die eine Stoffrückführung in den Produktionsprozeß ermöglichten oder der Einsatz von anderen Roh- oder Hilfsstoffen sei aber zumutbar 374 . Wenn auch die Beseitigung nicht in Betracht komme, sei dagegen auch der Einsatz anderer Prozeßtechniken zumutbar375 • 370 Fluck, DVBl. 1997,463 ff., 467 f. hält es lediglich für ,,zweifelhaft", ob man die Definition des KrW-1 AbfG auf das BlmSchG übertragen könne. 371 So auch Rebentisch, 1997, S. 92. 372 Roßnagel, in: GK-BlmSchG. § 5 Rn. 673. 373 Rebentisch. 1997, S. 92. 374 Rebentisch. 1991. S. 48. 375 Rebentisch. 1991. S. 48.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Die Unzumutbarkeit einer Maßnahme soll also eher gegeben sein, wenn lediglich die Verwertung und nicht die Beseitigung ausscheidee 76 • Diese Herangehensweise ist fragwürdig. Sie hängt damit zusammen, daß die in Rede stehende Auffassung dem Rechtsbegriff des Wohls der Allgemeinheit in § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG eine eigenständige Bedeutung im Rahmen der Zumutbarkeit einräumen will. Dies erscheint nur schwer nachvollziehbar. Die Frage, ob die Vermeidung oder Verwertung von Abfällen geboten ist, ist nach der Systematik des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG vor der Frage zu prüfen, ob die Beseitigung von Abfällen, deren Vermeidung oder Verwertung nicht geboten ist, mit dem Wohl der Allgemeinheit zu vereinbaren ist. Die erstgenannte Betrachtung umfaßt die Feststellung, welche Vermeidungsmaßnahmen dem Anlagenbetreiber zuzumuten sind. Nach der Systematik des Gesetzes ist der unbestimmte Rechtsbegriff des Wohls der Allgemeinheit dagegen nicht Maßstab für die Vermeidung 377 • Die Frage, wann eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit festzustellen ist, beeinflußt folglich nicht die Zumutbarkeit der Abfallvermeidung. Ein Verstoß gegen das Wohl der Allgemeinheit kann nach § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG nur mit der Beseitigung von Abfällen verbunden sein, deren Vermeidung nicht zumutbar war. In diesen Fällen ist die Anlage nicht genehmigungsfähig. Dem Betreiber bleibt die Wahl, ob er auf die Errichtung der Anlage verzichten oder eine (eigentlich nicht zumutbare) Vermeidungsmaßnahme einführen wi1l 378 . Der in Rede stehenden Auffassung ist also diesbezüglich nicht zuzustimmen. Die darüber hinausgehenden Ausführungen zur Unzumutbarkeit von Modifikationen des Produktionsverfahrens werden nicht begründet. Die Tragfähigkeit dieser Aussagen soll behandelt werden, nachdem die Kriterien für die Beurteilung der Zumutbarkeit festgestellt worden sind. (cc) Gewichtung der ökologischen und ökonomischen Auswirkungen Die Zumutbarkeit einer Maßnahme der Abfallvermeidung wird oft angenommen, wenn der hiermit verbundene finanzielle Aufwand für den Betreiber im Einzelfall in einem sinnvollen Verhältnis zu den erreichbaren positiven Auswirkungen für die Umwelt stehr379 • Jarass spricht dagegen nicht vom finanziellen Aufwand für den Anlagenbetreiber, sondern allgemeiner von den ,.Belastungen" desselben. Diese Belastungen dürften nicht unangemessen im Verhältnis zu dem Nutzen sein, der aus der Vermeidung folge 38o• So wohl auch Führ, 1989, S. 195. Fluck, NuR 1989,409 ff., 413; Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., 502; Jörgensen, 1994, S. 73 f. 378 Rehbinder, DVBI. 1989, 496 ff., 502; Jörgensen, 1994, S. 74. 379 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 669. Ähnlich Jörgensen, 1994, S. 73; Rehbinder, DVBI. 1989, 496 ff., 501. Ähnlich auch LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 3.2. 380 Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 75. 376 377
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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Führ will dagegen in erster Linie einen Vergleich der Umweltnachteile, die eine Beseitigung der in Rede stehenden Abfälle im Vergleich zu deren Vermeidung mit sich bringt, anstellen. Erst in zweiter Linie solle es dann auf einen Kostenvergleich zwischen Vermeidung und Beseitigung ankommen 381 • Mit einer solchen Vorgehensweise seien die Auswirkungen der verschiedenen in Rede stehenden Maßnahmen auf die Umwelt tendentiell höher gewichtet, als die finanziellen Folgen für den Betreiber382 • Dies entspräche auch dem Aufbau der immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten, bei deren Bestimmung wirtschaftliche Gesichtspunkte nicht ausschlaggebend seien383.
Eine solche Vorgehensweise widerspricht aber dem Zweck des Tatbestandsmerkmals der Zumutbarkeit, die o.g. gegenläufigen Interessen zu einem Ausgleich zu bringen. Zudem ist die Auffassung von Führ nur schwer mit dem Wortsinn und nicht mit der Entstehungsgeschichte der Norm zu vereinbaren. Betrachtet man die Art und Weise und den Kontext, in dem der Begriff der Zumutbarkeit in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG verwandt wird ("soweit Vermeidung ... unzumutbar" ... ), liegt sogar die Annahme nahe, daß dieser im Gegenteil in erster Linie auf die Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen zielt. Mit der Einführung des Begriffs der Zumutbarkeit anstelle des Begriffs der wirtschaftlichen Vertretbarkeit im Zweiten Gesetz zur Änderung des BImSchG sollte zwar erreicht werden, daß der Maßstab der gebotenen Anstrengungen nicht allein nach wirtschaftlichen Kriterien festzulegen ist384 . Eine höhere Gewichtung der Auswirkungen der verschiedenen in Rede stehenden Maßnahmen auf die Umwelt im Verhältnis zu wirtschaftlichen Gesichtspunkten war mit der Gesetzesänderung aber nicht bezweckt. Auch ist zwar richtig, daß wirtschaftliche Gesichtspunkte bei der Bestimmung des Inhalts der immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten nicht den Ausschlag geben, hiermit ist aber noch nicht gesagt, daß diese im Rahmen der Zumutbarkeit nachrangig zu behandeln sind. Nach allem ist zur Bestimmung der Zumutbarkeit einer Maßnahme der Abfallvermeidung im Einzelfall zwischen den hiermit verbundenen wirtschaftlichen Nachteilen rur den Betreiber und den Vorteilen für die Umwelt abzuwägen. Dabei ist in einem ersten Schritt die Schwere der Belastung für den Betreiber zu bestimmen. Im zweiten Schritt muß die erreichbare Entlastung für die Umwelt quantifiziert werden. Schließlich ist zu prüfen, ob die festgestellte Belastung für den Betreiber mit den erreichbaren Auswirkungen der Maßnahme für die Umwelt gerechtfertigt werden kann. 381 Führ, 1989, S. 194. Führ beruft sich dabei fälschlicherweise auf Kutscheidt, NVwZ 1986,622 ff., 623, der bei der Prüfung der Umweltnachteile aber nur festgestellt sehen will, "ob die Beseitigung der Abfälle ohne schwerwiegende Nachteile für die Allgemeinheit möglich ist", hierunter lediglich die Prüfung der Frage, ob die Beseitigung gegen geltendes Abfallrecht verstößt versteht und ansonsten auf einen Kostenvergleich abstellt. 382 Führ, 1989, S. 195. 383 Führ, 1989, S. 194. 384 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 673.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
(b) Ermittlung der Belastung für den Betreiber (aa) Beschreibung des Ermittlungsvorgangs Zur Beurteilung der Zumutbarkeit ist also u. a. der finanzielle Aufwand der Vermeidungsmaßnahme zu bestimmen. Hierfür sind zum einen die erforderlichen zusätzlichen Aufwendungen für den Anlagenbetreiber festzustellen. Dies geschieht bei alternativen Produktionsverfahren zunächst durch einen Vergleich der Anschaffungskosten einschließlich der Zugangskosten 385. Auch eventuell zu erwartende höhere Personal- und Betriebskosten 386 sind in die Betrachtung aufzunehmen. Da bei produktionsintegrierter Umwelttechnik oft keine Betriebserfahrungen vorliegen und die Betriebskosten somit schwer zu prognostizieren sind, sind maßvolle Sicherheitsaufschläge zulässig. Neben den finanziellen Auswirkungen müssen auch sonstige Nachteile der Vermeidungsmaßnahme für den Betreiber in die Betrachtung eingestellt werden 387 . Ein Beispiel wäre das Risiko von Produktionsausrallen durch den Einsatz neuer, noch nicht ausreichend erprobter Techniken 388 • Dieses sollte ebenfalls mit Hilfe von Sicherheitsaufschlägen monetarisiert werden. Diese Aufwendungen müssen in einem zweiten Schritt den durch die Vermeidungsmaßnahme eingesparten Kosten gegenübergestellt werden. Gemeint sind zum einen die Kosten der ansonsten notwendigen Abfallbeseitigung 389 . Sind Steigerungen von Entsorgungskosten während der Nutzungszeit der Anlage zu erwarten, müssen diese berücksichtigt werden. Dabei ist insbesondere die zu erwartende Verknappung der Deponiekapazitäten zu beachten. Darüber hinaus sind Einsparungen von Kosten für Roh- und Hilfsstoffe bzw. für sonstige zugelieferte Materialien zu berücksichtigen, wenn diese in geringerem Maße als bislang verbraucht werden. Auch mögliche staatliche Zuschüsse sind in Abzug zu bringen. Der Betreiber kann dem nicht durch Ablehnung entgehen 390 .
385 Unter den Begriff der Zugangskosten werden z. B. Lizenzgebühren oder Aufwendungen für die Informationsbeschaffung gefaßt. 386 Sollen z. B. Stoffe anlagenintern im Kreislauf geführt werden, sind auch evt. entstehende zusätzliche Kosten für die hierfür aufgewendete Energie zu berücksichtigen. Steht ein modifizierter Stoffeinsatz zur Diskussion, müssen die unterschiedlichen Anschaffungskosten für die fraglichen Stoffe berücksichtigt werden. 387 Folglich ist die von Jarass gewählte Definition der Zumutbarkeit eher zutreffend, als die in der Regel anzutreffende Beschreibung dieses Tatbestandsmerkmals. Es sollte folglich nicht vom finanziellen Aufwand für den Anlagenbetreiber, sondern allgemeiner von den "Belastungen" desselben die Rede sein. 388 Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 75 i.Y.m. § 17 Rn. 27. Daß diese "technisch möglich" im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG sind, ist oben unter Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)bb)(2) festgestellt worden. 389 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 669 und 671. 390 Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 75 i.Y.m. § 17 Rn. 27.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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(bb) Einzubeziehender Zeitraum Fraglich ist noch, über welchen Zeitraum entsprechende Berechnungen angestellt werden müssen. In Betracht kommen die jeweils konkret zu prognostizierende Nutzungsdauer der Anlage bzw. bei Ersatzinvestitionen eventuell auch der in Rede stehenden Anlagenteile 391 oder der Zeitraum, in dem die Anlage steuerlich abgeschrieben werden soll. Nach Art. 14 Abs. 1 GG ist die Sachgesamtheit eines Unternehmens im Grundsatz so lange geschützt, wie sie genutzt werden soll. Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Vermeidungsmaßnahme müssen also auf den Zeitraum, in dem die Anlage wirtschaftlich genutzt werden soll, bezogen werden. Die Belastungsintensität des Betreibers bestimmt sich im Grundsatz nach dem Verhältnis von Belastungen und eingesparten Kosten während der Nutzungszeit der Anlage. Etwas anderes gilt lediglich, wenn die getroffene Maßnahme auch hiernach - etwa im Rahmen der Nachfolgeproduktion - noch Früchte tragen kann. Entscheidend ist also die konkret zu prognostizierende Nutzungsdauer der Anlage 392 und nicht der Zeitraum, in dem die Anlage steuerlich abgeschrieben werden soll. Denn die tatsächliche Nutzungszeit einer Anlage und die Abschreibungsfristen fallen oft auseinander. Dies nicht nur in Fällen, in denen es dem Betreiber subventionsbedingt eröffnet wird, kurze Abschreibungszeiträume zu wählen. Hier sollen dieser Zeitraum und die tatsächliche Nutzung gerade auseinanderfallen, um den angestrebten Subventionszweck zu erreichen. Anhand dieses Beispiels wird aber deutlich, daß auf die Abschreibungszeiträume nicht in jedem Fall abgestellt werden kann. Indes sind Abschreibungszeiträume überprütbar. Die zuständigen Behörden sind folglich nicht auf willkürliche Angaben des Betreibers angewiesen. Nach hier vertretener Auffassung kommt dem vom Betreiber gewählten Abschreibungszeitraum deshalb zwar Indizcharakter für die beabsichtigte Nutzungsdauer zu. Bezugszeitraum für die Berechnung der finanziellen Aufwendungen, die mit einer Vermeidungsmaßnahme verbunden sind, ist nach allem aber die zu prognostizierende Nutzungszeit der Anlage 393 und nicht die Zeit, in der die Anlage steuerlich abgeschrieben werden soll. (cc) Bestimmung der Belastungsintensität Verbleiben über die Nutzungszeit der Anlage betrachtet keine durch die Vermeidungsmaßnahme verursachten Mehrkosten, ist die Maßnahme zumutbar. Nach 391 Im folgenden soll aus Grunden der Lesbarkeit nur von der Anlage, nicht von Anlagenteilen die Rede sein. 392 So auch LAI MustervelWaltungsvorschrift 5197, Ziffer 3.2, allerdings ohne Auseinandersetzung mit der Relevanz von Abschreibungszeiträumen. 393 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 671.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
dem oben Gesagten werden Vermeidungsmaßnahmen teilweise mit keinem finanziellen Mehraufwand verbunden sein 394 • Verbleiben Mehrkosten des Betreibers, ist deren Verhältnis zu den ressourcensparenden und umweltschonenden Auswirkungen der Vermeidungsmaßnahme zu bestimmen. Hierfür ist zunächst die Relevanz der Kostensteigerungen festzustellen. Dabei ist die individuelle wirtschaftliche Situation des Betreibers für die Feststellung der Relevanz von Kostensteigerungen nicht ausschlaggebend. Die Abfallvermeidung ist bereits zumutbar, wenn sie anderen vergleichbaren Betreibern oder anders ausgedrückt, dem gesunden vergleichbaren Durchschnittsbetrieb wirtschaftlich möglich ise 95 . Abzustellen ist dabei auf die gesamte Wirtschaftskraft der Anlage und nicht auf die einzelne in Rede stehende Maßnahme 396 . Das bedeutet, daß die Schwere der Belastung für den in Rede stehenden Betreiber zum einen vom Verhältnis der Mehrkosten zu den gesamten Produktionskosten abhängt 397 . Ist der prozentuale Anteil der Mehrkosten an den Produktionskosten gering, wird in der Regel auch von einer geringen Belastung des Betreibers auszugehen sein. Im umgekehrten Fall muß dagegen grundsätzlich eine hohe Beanspruchung angenommen werden. Zum anderen muß U.U. innerhalb einer Branche eine Differenzierung nach der Betriebsgröße erfolgen. Wenn für kleinere Unternehmen eine deutliche Kostenprogression eintritt, ist für diese eine höhere Belastung anzunehmen als für große Unternehmen, die entsprechende Belastungen eher auffangen können 398 • Die Tatsache, daß die aus dem Betrieb der Anlage gewonnenen Erzeugnisse wegen Vermeidungsmaßnahmen nicht zu marktfähigen Preisen abgesetzt werden können, kann nicht allein zur Unzumutbarkeit führen 399 . Geboten ist auch in diesen Fällen eine Abwägung mit den durch die Vermeidungsmaßnahme erreichbaren Auswirkungen für die Umwelt. Denn wie oben bereits ausgeführt wurde mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des BImSchG der Begriff der Zumutbarkeit anstelle des Begriffs der wirtschaftlichen Vertretbarkeit eingeführt, um den Maßstab der gebotenen Anstrengungen nicht allein nach wirtschaftlichen Kriterien festzulegen 4OO • Zudem ist bei gleichmäßiger Umsetzung der in Rede stehenden Maßnahme eventuell eine Modifikation des Marktgefüges zu erreichen. Wären alle KonkurrenS. o. Kapitel I, Gliederungspunkt C.I.2. Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 670; F1uck, DVBI. 1997,463 ff., 467, Feldhaus, BImSchR, § 5 Anm. 9 i.V.m. § 17 Anm. 13. So auch bereits VG Schleswig, NuR 1983,36 f., 37 zum damals geltenden Kriterium der wirtschaftlichen Vertretbarkeit. 396 Jörgensen, 1994, S. 73; Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., SOL 397 F1uck, DVBI. 1997,463 ff., 467. 398 Feldhaus, BImSchR, § 5 Anm. 9 i.Y.m. § 17 Anm. 14. 399 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 672 f.; Jörgensen, 1994, S. 74. Wohl auch LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 3.2. A.A. Schlicht, 1997, § 5 Rn. 15; Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 75; Hansmann, NVwZ 1990,409 ff., 413. 400 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 673. 394
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A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BImSchG
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ten zur Umsetzung verpflichtet, wäre das verteuerte Produkt eventuell wieder absetzbar. Folgte man der gegenteiligen Auffassung, wäre eine Verteuerung von Produkten, die umweltfreundlicher hergestellt werden könnten, nicht möglich. Die Intention der Betreiberpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG, für eine umweltschonende und ressourcensparende Produktionsweise vorzusorgen, wäre konterkariert401 . Allerdings ist die fehlende Absetzbarkeit der in der Anlage hergestellten Produkte als Indiz für die Unzumutbarkeit der Venneidungsmaßnahme zu werten402 . Die Abwägung wird nur bei besonders positiven Auswirkungen der Venneidungsmaßnahme auf die Umwelt zur Zumutbarkeit entsprechender Verfahrensgestaltungen kommen. (c) Ennittlung der erreichbaren Vorteile für die Umwelt Nach Feststellung der Belastungsintensität für die in Rede stehende Anlage sind auf der anderen Seite auch die positiven Auswirkungen der Venneidungsmaßnahme auf die Umwelt zu quantifizieren. Dabei sind zunächst die Risiken einer ansonsten notwendigen ordnungsgemäßen Abfallbeseitigung zu beurteilen 403 • Diese hängen zum einen davon ab, welche Abfallmengen vennieden werden können. Zum anderen ist aber auch relevant, ob die fraglichen Abfälle gefährliche Stoffe enthalten, in welchem Umfang eine Belastung der Abfalle mit diesen Stoffen festzustellen ist und wie langlebig und flüchtig diese Stoffe sind404 . Sind die Abfälle nicht mit gefährlichen Stoffen belastet und stehen keine großen Mengen in Rede, sind die erreichbaren Vorteile für die Umwelt eher gering einzustufen. Im umgekehrten Fall sind dagegen große positive Auswirkungen auf die Umwelt feststellbar. Können größere Mengen gering schadstoffhaltiger Abfälle oder kleine Mengen von mit gefährlichen Stoffen belasteten Abfällen vennieden werden, sind die erreichbaren Vorteile für die Umwelt zwischen diesen beiden Extremen anzusiedeln. Oben ist ausgeführt worden, daß § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG lediglich die Verringerung von Abfallmengen und nicht die Verringerung der auf dem Abfallpfad austretenden Schadstofffracht bezweckt405 . Der Schadstoffgehalt soll nach hier vertretener Auffassung aber bei der Zumutbarkeit berücksichtigt werden. Hierin liegt Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 673. Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 673. Wohl auch LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 3.2. 403 Kutscheidt, NVwZ 1986, 622 ff., 623 spricht von der "Schwere der Umweltnachteile", die mit der ordnungsgemäßen Abfallbeseitigung verbunden sind. 404 Auch die LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 3.2 führt aus, daß bei der Bestimmung der Zumutbarkeit u. a. Art, Menge und Gefährlichkeit der Abfälle zu berücksichtigen sind. 4O~ S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.1.3.b)aa)(2)(c)(ff). 401
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kein Widerspruch zu den oben getroffenen Aussagen. Ziel des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG bleibt die Verringerung der Abfallmenge und nicht die Extrahierung des in den Abfallmengen vorhandenen Schadstoffgehalts. Die Gefährlichkeit der in Rede stehenden Abfälle wird letztlich nur zur Bestimmung der ökologischen Wertigkeit ihrer Vermeidung herangezogen. Die positiven Auswirkungen der Vermeidungsmaßnahmen auf die Umwelt sind des weiteren nicht allein von den Risiken einer ansonsten notwendigen ordnungsgemäßen Abfallbeseitigung abhängig. Insbesondere kann nicht die Rede davon sein, daß die Abfallvermeidung immer unzumutbar sei, wenn die Beseitigung ,,keine größeren Umweltnachteile verursacht,,406. In die Betrachtung einzustellen sind vielmehr auch die an anderer Stelle auftretenden umweltschonenden Auswirkungen der Abfallvermeidung. Gemeint sind die Umwelteinwirkungen, die bei der Gewinnung, dem Transport und der Verarbeitung von Ressourcen entstehen können, die ohne Maßnahmen der Vermeidung zusätzlich benötigt würden. Allein durch die Berücksichtigung auch dieser Aspekte kann dem oben beschriebenen Zweck des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nachgekommen werden. Wenn also hohe Umweltbelastungen bei der Gewinnung, dem Transport und der Verarbeitung von eventuell einzusparenden Ressourcen entstünden, ist dies ein weiterer Grund für die Annahme einer hohen ökologischen Wertigkeit der Vermeidungsmaßnahme. Da es kaum Vermeidungsverfahren geben wird, die nicht auch unerwünschte Begleiterscheinungen mit sich bringen, müssen schließlich auch die Umweltnachteile, die durch die Vermeidungsmaßnahme entstehen, den eben beschriebenen Vorteilen für die Umwelt gegenübergestellt werden407 . (d) Anhaltspunkte für die Abwägung Sind die erreichbaren Vorteile für die Umwelt eher als niedrig einzustufen, werden allenfalls geringe Belastungen für den Betreiber zumutbar sein. Hinzuweisen ist aber noch einmal darauf, daß sich solche Belastungen bei Vermeidungsmaßnahmen oft nicht feststellen lassen, wenn man die O.g. Kriterien zur Hilfe nimmt. Dies kann auch in Fällen gelten, in denen das Produktionsverfahren erheblich verändert werden muß, um Abfälle zu vermeiden. Denn die hiermit verbundenen Aufwendungen können oft durch Einsparungen an anderer Stelle wieder ausgeglichen werden408 . Anders als oft vertreten, kann also auch eine erhebliche Veränderung des vorgesehenen Produktionsverfahrens zumutbar sein409 . Entsprechendes gilt für weSo aber Jörgensen, 1994, S. 73. Kutscheidt, NVwZ 1986, 622 ff., 623. 408 S. o. Kapitel I, Gliederungspunkt C.I.2. 409 Auch nach der LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 3.2 ist eine erforderliche grundlegende Veränderung des vorgesehenen Produktionsverfahrens nicht immer unzumutbar. Dies "kann" lediglich der Fall sein. 406 407
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BImSchG
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niger einschneidende Veränderungen oder den Einsatz anderer Stoffe in der Produktion. Sind Belastungen feststellbar, hängt die Relevanz derselben für den Anlagenbetreiber von verschiedensten Kriterien ab, die oben ausgeführt worden sind. Auch in diesen Fällen kann also sogar die Umstellung des Produktionsverfahrens zumutbar erscheinen, wenn dies keine Auswirkungen auf die Absetzbarkeit der in der Anlage gewonnenen Produkte hat. Möglich erscheint dies, wenn im Verhältnis zu den gesamten Produktionskosten nur geringe Mehrkosten anfallen. Ist die Belastung des Anlagenbetreibers dagegen als hoch, die erreichbaren Vorteile für die Umwelt dagegen eher als niedrig einzustufen, ist auch der Einbau zusätzlicher Verfahrensstufen, die eine Stoffriickführung in den Produktionsprozeß ermöglichen oder der Einsatz von anderen Stoffen, nicht zumutbar. Die oben wiedergegebene Auffassung, nach der dies immer der Fall ist, erscheint verkürzt41O. Im umgekehrten Fall, in dem die in Rede stehenden Abfälle entweder als besonders gefährlich einzustufen sind oder besonders große Abfallmengen vermieden werden können, sind auch große Belastungen für den Betreiber zumutbar. Oben ist bereits ausgeführt worden, daß in diesem Fall auch die Tatsache, daß die aus dem Betrieb der Anlage gewonnenen Erzeugnisse nicht mehr zu marktfähigen Preisen abgesetzt werden können, nicht zur Unzumutbarkeit der Vermeidungsmaßnahme führt. Bislang sind Fälle behandelt worden, in denen die festgestellten Umweltentlastungen - bildlich gesprochen - entweder am unteren oder am oberen Ende einer Werte skala angesiedelt werden müßten. Liegen die Auswirkungen für den Betreiber und für die Umwelt zwischen diesen Polen, müssen diese in ein Verhältnis zueinander gebracht werden. Je geringer die erreichbaren Entlastungseffekte für die Umwelt einzustufen sind, desto geringer dürfen die zumutbaren Belastungen für den Betreiber sein. Ist die Entlastung für die Umwelt dagegen eher hoch anzusiedeln, können auch höhere Belastungen für den Betreiber zumutbar sein411 •
(5) Gebot zur Abfallvermeidung bei ebenfalls möglicher und zumutbarer Verwertung
Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG müssen Abfälle "vermieden werden, es sei denn sie werden ordnungsgemäß und schadlos verwertet". Bei der Beantwortung der Frage, unter welchen Umständen aus § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG 410 Auch nach der LAI Musterverwaltungsvorschrift 5197, Ziffer 3.2 "kann" es lediglich ,,zumutbar sein, zu verlangen, daß Roh- oder Hilfsstoffe eingesetzt werden, die nicht zu bestimmten Abfällen führen, oder daß zusätzliche Verfahrensschritte vorgesehen und zusätzliche Anlagenteile eingebaut werden, die eine Stoffrückführung in den Produktionsprozeß ermöglichen ... ". 411 So ist wohl auch die LAI Musterverwaltungsvorschrift 5197, Ziffer 3.2 zu verstehen.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
ein Gebot zur Abfallvenneidung folgen kann, muß demzufolge der Fall behandelt werden, in dem neben der Abfallvenneidung auch die Verwertung dieser Abfälle technisch möglich und zumutbar ist412 • In diesen Fällen könnte ein Gebot zur Abfallvenneidung nur bestehen, wenn § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG den Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen vorrangig hierzu verpflichtete. Ob dies der Fall ist, wurde in der Rechtswissenschaft bereits für die alte Fassung der abfallbezogenen Grundpflichten unterschiedlich beurteilt. Anhaltspunkte für eine Modifikation des Tatbestandsmerkmals durch das AbfVVBG sind nicht ersichtlich, so daß es zulässig erscheint anzunehmen, daß die Standpunkte auch mit Blick auf § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG n.F. Gültigkeit behalten. Nach überwiegender Auffassung besteht in den genannten Fällen eine Wahlmöglichkeit des Betreibers zwischen Maßnahmen der Venneidung und der Verwertung. Oft wird zwar von einem relativen Vorrang der Venneidung vor der Verwertung gesprochen. Grundsätzlich sei der Anlagenbetreiber zur Venneidung von Abfemen verpflichtet. Diese Pflicht entfalle allerdings, wenn die Verwertung ordnungsgemäß und schadlos möglich sei 413 . Zum Teil werden Abfallvenneidung und -verwertung sogar für prinzipiell gleichrangig gehalten414 . (a) Absoluter Vorrang der Venneidung Einige sind dagegen der Auffassung, daß der Abfallvenneidung ein genereller Vorrang vor der Verwertung einzuräumen ist415 . Dagegen spricht bereits der Wortsinn der Vorschrift. Nach der Nonn sind Abfeme zu venneiden, "es sei denn, sie werden ordnungsgemäß und schadlos verwertet ... ". Aufgrund der sprachlichen und systematischen Stufung ist zwar eine Priorität der Venneidung erkennbar. Als Betreiberpflicht ist nämlich nur die Pflicht zur Venneidung von Abfällen fonnuliert 416 , die durch bestimmte Fonnen der Verwer412 Dabei ist die Frage nach der Zumutbarkeit der Abfallverwertung im Grundsatz entsprechend der oben gemachten Ausführungen zu beantworten. Bei der Ermittlung der zusätzlichen Aufwendungen für den Betreiber sind darüber hinaus Einnahmen des Betreibers aus einem evt. Verkauf von Sekundärrohstoffen an einen externen Verwerter zu berücksichtigen. 413 Bartlsperger, VerwArch 1995, 32 ff., 37; Schimanek, 1997, S. 63 sowie für die alte Rechtslage Jörgensen, 1994, S. 59 ff., 61; LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97, Ziffer 2; Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., 498; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 681. Ebenso Führ, 1989, S. 193; Rebentisch, UPR 1989,209 ff., 212, die häufig fälschlicherweise als Vertreter eines generellen Vorrangs der Abfallvermeidung bezeichnet werden. 414 Vgl. F1uck, DVBI. 1997,463 ff., 469; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 76 f. m. w. N. und für die alte Rechtslage Feldhaus, UPR 1985,385 ff., 387. 415 V. Köller, Leitfaden Abfallrecht, 1997, S. 96; Kloepfer, 1998, S. 954, Rn. 74. 416 Hansmann, NVwZ 1990,409 ff., 410. A.A. F1uck, DVBI. 1997,463 ff., Fn. 45. Aus der Formulierung "es sei denn" ließe sich kein prinzipielles RangverhäItnis ableiten, weil der Gesetzgeber diese Formulierung nur aus stilistischen Gründen gewählt habe, aber "oder" gemeint gewesen sei.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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tung oder Beseitigung entfallen kann. Die Priorität der Vermeidung soll aber nicht immer gelten. Sie wird vielmehr in Fällen eingeschränkt, in denen Abfälle ordnungsgemäß und schadlos verwertet werden können. Auch die Entstehungsgeschichte spricht gegen einen generellen Vorrang der Vermeidung. Während der Bundesrat in seinem Gesetzesvorschlag der Vermeidung einen eindeutigen Vorrang vor der Verwertung einräumen wollte417 , sprach sich die Bundesregierung für eine Gleichrangigkeit beider Pflichten aus418 • Ziel der Abfallwirtschaftspolitik der Bundesregierung sei es, daß Abfallaufkommen soweit wie möglich zu senken. Im industriellen Bereich geschehe dies sow;:>hl dadurch, daß Produktions verfahren eingesetzt würden, bei denen Reststoffe in möglichst geringem Umfang entstünden, als auch dadurch, daß Reststoffe ordnungsgemäß und schadlos verwertet würden. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Fassung, die es dem Betreiber zur Pflicht mache, das Entstehen von Reststoffen selbst dann zu vermeiden, wenn er diese im eigenen Betrieb oder anderweitig verwerten könnte, gehe zu weit. Ausreichend zur Senkung des AbfaIlaufkommens sei es, wenn der Betreiber entweder die Entstehung von Reststoffen vermeide oder sie ordnungsgemäß und schadlos verwerte419 • Zwischen beiden Fassungen suchte der Innenausschuß des Deutschen Bundestages einen Komprorniß durch die Formulierung "es sei denn" zu finden. Dadurch sollte die Vermeidungspflicht "eine weniger eindeutige Priorität eingeräumt" bekommen, wobei zur Begründung auf die Darlegungen der Bundesregierung zum Vorschlag des Bundesrates verwiesen wurde42o • Die Alternativen der Vermeidung und der Verwertung sollten folglich zwar nicht gleichgestellt sein. Indes sollte dem Betreiber die Wahl zwischen Vermeidung und ordnungsgemäßer und schadloser Verwertung überlassen werden421 • An diesem Willen hat der Gesetzgeber auch im Rahmen der Verabschiedung des AbfVVBG festgehaIten. Auch hier vertrat der Bundesrat die Auffassung, der ,,Rückstandsvermeidung" müsse im Immissionsschutzrecht ein Vorrang vor der Verwertung zukommen. Hierfür sei die Schnittstelle des AbfaIlrechts zu § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG in Abweichung vom Entwurf der Bundesregierung neu zu definieren422 • § 4 Abs. 1 des Entwurfs der Bundesregierung sollte folglich dahingehend modifiziert werden423 • Die Bundesregierung widersprach diesem Ansinnen. Einen
BT-Drs. 10/1862 (neu), S. 4 und 7. BT-Drs. 10/1862 (neu), S. 9. 419 BT-Drs. 10/1862 (neu), S. 9. 420 BT-Drs. 10/3556 S. 13 f. 421 Kutscheidt, NVwZ 1986,622 ff., 622. A.A. wohl Rebentisch, UPR 1987,401 ff., 403, ohne jedoch anzugeben, in welchem Verhältnis Vermeidung und ordnungsgemäß und schadlos mögliche Verwertung zueinander stehen sollen. 422 BT-Drs. 12/5672 S. 59 f., insbesondere S. 60. 423 BT-Drs. 12/5672 S. 65 und die Begründung hierzu auf S. 66. 417
418
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
absoluten Vorrang der Vermeidung von Rückständen könne es nicht geben 424 . Auch dieses neuerliche Bestreben des Bundesrates hat sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen können, wie aus § 9 Satz 1 KrW- / AbfG und aus Art. 2 AbfVVBG deutlich wird. Auch aus einer Betrachtung des Bedeutungszusammenhangs des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG kann nichts Gegenteiliges folgen 425 • Zwar bestimmt § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW-/ AbfG, daß Abfälle "in erster Linie zu vermeiden (sind), insbesondere durch die Verminderung ihrer Menge und Schädlichkeit." Die Vorschrift könnte über das Kriterium der Ordnungsmäßigkeit in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG eine entsprechende generelle Rangfolge der abfallbezogenen Grundpflichten des Anlagenbetreibers hergestellt haben. Bereits oben ist aber festgestellt worden, daß es sich bei § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW-/ AbfG um eine Regelung handelt, die Pflichten von Abfallerzeugern regelt. Die Vorschrift ist dabei in Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 KrW- / AbfG zu lesen, nach dem sich die Pflichten zur Abfallvermeidung allein nach § 9 KrW-/ AbfG sowie den auf Grund der §§ 23 und 24 KrW-/ AbfG erlassenen Rechtsverordnungen richten. Da es sich bei § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW- / AbfG nicht um eine Norm handelt, die stoffbezogene Anforderungen an die Art und Weise der Verwertung oder der Beseitigung im Sinne des § 9 Satz 2 KrW- / AbfG aufstellt und Verordnungen nach den §§ 23 und 24 KrW-/ AbfG noch nicht ergangen sind, bleibt es bei der Grundregel des § 9 Satz 1 KrW-/ AbfG. Folglich sollen sich die Pflichten des Anlagenbetreibers zur Abfallvermeidung allein nach den Vorschriften des BImSchG und nicht nach dem KrW-/ AbfG richten 426 . § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW-/ AbfG kommt keine Relevanz für die hier zu entscheidende Frage ZU427 • Fraglich ist, ob teleologische Erwägungen die Annahme, § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG beinhalte einen absoluten Vorrang der Abfallvermeidung, tragen können. Wie oben ausgeführt, ist Ziel des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG zum einen, das Entstehen von Industrie- und Gewerbeabfällen, die sonst unter Inanspruchnahme knappen Deponieraums zu beseitigen wären, zu begrenzen. Daneben soll aber BT-Drs. 1215672, S. 122. So aber Kloepfer, 1998, S. 954, Rn. 74. Eine ähnliche Frage stellt auch Petersen, 1995, S. 66 f., Fn. 64. Nach seiner Auffassung spricht einiges dafür, "daß der Vermeidungs vorrang des Kreislaufwirtschaftsgesetzes nunmehr auch die Vermeidungspflicht des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG normativ verstärkt". Petersen will dies unter Umständen bei Zumutbarkeitserwägungen berücksichtigen. Die Zumutbarkeit von Vermeidung und Verwertung ist aber unabhängig voneinander zu bewerten. Die abfallrechtliche Hierarchienorm des § 4 Abs. I Nr. I KrW-1 AbfG kann nur an hiesiger Stelle eine Rolle spielen. 426 S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.1.3.b)aa)(2)(c)(ff). 427 F1uck in: derselbe, KrW-1 AbfG, § 5 Rn. 71. So auch Weidemann, in: Brandt I Ruchay IWeidemann, KrW-1 AbfG, § 4 Rn. 56: "die bloße Zielhierarchie zugunsten der Abfallvermeidung (begründet) keine konkreten, vollziehbaren Rechtspflichten der Abfallerzeuger". 424
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A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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ebenfalls Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen betrieben werden. Gemeint sind zwar nicht von der Anlage verursachte "schädliche Umwelteinwirkungen" im Sinne des § 3 Abs. I BImSehG, sondern zum einen Folgen der Abfallbeseitigung und zum anderen an anderer Stelle bei der Gewinnung, dem Transport und der Verarbeitung von nicht eingesparten Ressourcen verursachte schädliche Umwelteinwirkungen. Ob Maßnahmen der Abfallvermeidung in höherem Maße zur Erreichung dieser Ziele führen, als solche der Abfallverwertung, hängt in konkreto vom Verständnis der Abfallvermeidung im Rechtssinne ab. Dieses ist oben offengelassen worden. Allerdings ist deutlich geworden, daß die Vermeidung von Abfällen im Sinne des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG jedenfalls innerhalb der Anlage vonstatten gehen muß. Die Verwendung von Abfällen außerhalb der Anlage unterfällt dem Begriff der Abfallverwertung428 . Verallgemeinernd kann deshalb auf die eingangs dieser Untersuchung wiedergegebene Ansicht des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen Bezug genommen werden. Danach kann man davon ausgehen, daß im allgemeinen die Vermeidung von Abfällen die umweltpolitisch günstigste Option darstellt. Eine Analyse der Lastpakete kann im Einzelfall aber auch das Gegenteil ergeben.,,429 Der Telos des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG spricht also nicht für einen generellen Vorrang der Abfallvermeidung. Ein absoluter Vorrang der Vermeidung vor der Verwertung scheint nach den bisherigen Ausführungen nicht zu bestehen. Würde dieses Ergebnis europäischem Recht widersprechen, könnte ein absoluter Vorrang der Vermeidung vor der Verwertung eventuell aus europarechtskonformer Auslegung des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG folgen. Anlaß zu entsprechenden Überlegungen gibt Art. 3 Abs. I der Abfallrahmenrichtlinie. Nach der Norm treffen die Mitgliedstaaten ,,Maßnahmen, um folgendes zu Jördem: a) in erster Linie die Verhütung oder Verringerung der Erzeugung von Abfällen und ihrer Gefährlichkeit, insbesondere durch ... - die Entwicklung sauberer Technologien, die eine sparsame Nutzung der natürlichen Ressourcen ermöglichen; ... - die Entwicklung geeigneter Techniken zur Beseitigung gefährlicher Stoffe in Abfällen, die für die Verwertung bestimmt sind; b) in zweiter Linie
i) die Verwertung der Abfälle im Wege der Rückführung, der Wiederverwendung, des Wiedereinsatzes oder anderer Verwertungsvorgänge im Hinblick auf die Gewinnung von sekundären Rohstoffen oder 428 429
S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)bb)(1). Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 683.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
ii) die Nutzung von Abfällen zur Gewinnung von Energie."
Art. 3 Abs. 1 der Abfallrahmenrichtlinie räumt nach ihrem insoweit klaren Wortlaut der Abfallvermeidung Vorrang vor der Abfallverwertung ein43o . Die Norm richtet sich an die Mitgliedstaaten und verpflichtet diese, auch hinsichtlich der Abfallerzeugung in immissionsschutzrechtlich genehmigungs bedürftigen Anlagen entsprechend tätig zu werden. Dies folgt aus der umfassenden Definition des Abfallerzeugers in Art. 1 Buchstabe b) der Abfallrahmenrichtlinie. Aus der Norm könnte deshalb gefolgert werden, daß allein ein Vermeidungsvorrang in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG EG-rechtlichen Vorgaben entspräche 431 . Voraussetzung dafür wäre allerdings, daß Art. 3 Abs. 1 der Abfallrahmenrichtlinie die Mitgliedstaaten rechtlich verpflichtete, eine vorrangige Vermeidungspflicht der potentiellen Abfallerzeuger einzuführen. Dies wird in der Literatur zum Teil angenommen432 . Überwiegend wird der Bestimmung ein solcher Charakter jedoch nicht zugebilligt433 . Letzterer Auffassung ist zu folgen. Art. 3 Abs. I der Abfallrahmenrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Verwirklichung der genannten Zielvorgaben zu "fördem,,434. Die Norm ermöglicht damit zwar die rechtsverbindliche Festschreibung des Vorrangs der Abfallvermeidung435 , verpflichtet die Mitgliedstaaten aber nicht entsprechend zu handeln. Maßnahmen zur Förderung der Abfallvermeidung müssen allerdings in erster Linie ergriffen werden. Diese müssen indes nicht ordnungsrechtlicher Natur sein. Auch die indirekte Einflußnahme auf die Menge des anfallenden Abfalls z. B. über Abgaben wäre ausreichend, um die Vorgaben der europarechtlichen Norm zu erfüllen. Ob allein bloße Appelle ausreichen würden436 , ist dagegen zweifelhaft. Für das gefundene Ergebnis spricht auch ein Blick auf Art. 4 der Abfallrahmenrichtlinie. Nach der Norm treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um "sicherzustellen", daß die Abfälle "verwertet oder beseitigt" werden, ohne daß die menschliche Gesundheit gefährdet wird und ohne daß Verfahren oder Methoden verwendet werden, welche die Umwelt schädigen können. Auch in dieser Vorschrift ist lediglich von "erforderlichen Maßnahmen" die Rede. Den Mitgliedstaaten wird folglich ein großer Spielraum zur Umsetzung auch dieser Norm So auch Schimanek, 1997, S. 33. Jörgensen, 1994, S. 198, ist der Auffassung, daß es angesichts der Gleichrangigkeit von Vermeidung und Verwertung "zweifelhaft" erscheine, "ob § 5 Abs. I Nr. 3 BlmSchG diese Forderung bereits umsetzt". 432 Zacker, 1997, S. 58 und dort auch Fn. 37. Jörgensen, 1994, S. 198 hält es für "zweifelhaft, daß Art. 3 Abs. I der Abfallrahmenrichtlinie weder verlange, noch zulasse, daß die Mitgliedstaaten eine vorrangige Vermeidungspflicht der potentiellen Abfallerzeuger" einführten. 433 Epiney, 1997, S. 275; Frenz, 1997, S. 95, Rn. 273; Schimanek, 1997, S. 31 und 34. 434 Epiney, 1997, S. 275. 435 Schimanek, 1997, S. 32 ff. A.A. Fluck, DVBI. 1993,590 ff., 594. 436 So aber Frenz, 1997, S. 95. 430
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A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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gelassen. So verwundert es nicht, daß Art. 4 der Abfallrahmenrichtlinie auch nach Auffassung des EuGH nur programmatischen Charakter hat. Sie schreibe für sich allein nicht den Erlaß konkreter Maßnahmen oder diese oder jene Methode der Abfallbeseitigung vor437 . Die Vorschrift verlangt, daß die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, "um sicherzustellen", während Art. 3 Abs. 1 der AbfaIlrahmenrichtlinie lediglich eine Förderung verlangt. Art. 4 der AbfaIlrahmenrichtIinie hat folglich eine größere Verbindlichkeit als Art. 3. Wenn aber bereits Art. 4 der Abfallrahmenrichtlinie lediglich programmatischer Charakter zukommt, muß dies erst recht für Art. 3 gelten 438 . Europäisches Richtlinienrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten nach allem nicht, einen absoluten Vorrang der Abfallvermeidung rechtsverbindlich festzuschreiben. Die Verneinung eines solchen Vorrangs bei der Interpretation des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG widerspricht nicht dem Europarecht. Eine europarechtskonforme Interpretation der genannten Norm ist nicht notwendig.
(b) Relativer Vorrang der Vermeidung Der AbfaIlvermeidung ist kein genereller Vorrang vor der Verwertung einzuräumen. Fraglich bleibt, ob im Anwendungsbereich des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG von einem relativen Vorrang der Vermeidung vor der Verwertung gesprochen werden kann oder ob Abfallvermeidung und -verwertung für prinzipiell gleichrangig gehalten werden müssen. Letzteres ist indes nicht mit dem Wortsinn des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG zu vereinbaren. Oben ist schon ausgeführt worden, daß aus der systematischen Stufung des Wortlauts des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG eine Priorität der Vermeidung abzuleiten ist, die allerdings relativiert wird. Auch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht, wie oben bereits ausgeführt, gegen eine Gleichrangigkeit von Vermeidung und Verwertung. Wenn man die prinzipielle G1eichrangigkeit von Vermeidung und Verwertung annähme, würde dem Gesetzgeber weiterhin unterstellt werden, daß er eine bloße Leerformel produziert hat439 • Denn dem Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen stand auch vor Einführung der Vermeidungspflicht die Möglichkeit der AbfaIIvermeidung offen. Dann hätte die Gesetzesänderung nicht zu einer sachlichen Veränderung geführt, sondern die bereits bestehende Möglichkeit lediglich gesetzlich fixiert 44o • Ein solches Ansinnen des Gesetzgebers ist aber angesichts der umfang437 EuGH, Urteil vorn 23. Februar 1994, Sig. 1994 I, S. 483 ff., 484 (2. Leitsatz) und S.502. 438 Schimanek, 1997, S. 31. 439 Darauf weist Rebentisch, UPR 1987, 401 ff., 403 zu Recht hin. 440 Aus seiner Sicht folgerichtig ist Jarass, NVwZ 1986, 607 ff., 608 deshalb auch dieser Ansicht.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
reichen Auseinandersetzung im Gesetzgebungsverfahren über das Verhältnis von Vermeidung und Verwertung nicht anzunehmen. Vermeidungs- und Verwertungsgebot stehen folglich nicht gleichwertig nebeneinander. Die Auffassung, die dies annimmt, ist abzulehnen. Nach allem besteht also ein relativer Vorrang der Vermeidung vor der Verwertung. Im Grundsatz ist der Anfall von Abfällen in immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen zu vermeiden. Dieses Gebot besteht allein dann nicht, wenn die Verwertung der in Rede stehenden Abfälle ordnungsgemäß und schadlos möglich ist. (c) Vergleichende Abwägung zwischen Vermeidung und Verwertung Über das Merkmal der "Ordnungsgemäßheit" soll sichergestellt werden, daß die Abfallverwertung im Einklang mit anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolgt441 . Wann die Abfallverwertung als "schadlos" zu bezeichnen war, war unter der vormaligen Rechtslage umstritten 442 . (aa) Streitstand Nach überwiegender Auffassung sollte aber mit dem Kriterium der Schadlosigkeit eine Kontrolle von Verwertungsart und Verwertungsprodukt ermöglicht werden. Zum Teil wurde vertreten, daß mit der Schadlosigkeit eine Verwertung gefordert sei, die im Hinblick auf das Gemeinwohl unbedenklich ist443 . Andere waren der Auffassung, Schadlosigkeit läge vor, wenn die Verwertungsart und das Verwertungsprodukt als umweltverträglich bezeichnet werden können444 • Diese Auffassung wird auch nach Inkrafttreten des AbfVVBG vertreten445 . Die "Umweltverträglichkeit" eines Verwertungsverfahrens im reinsten Sinne wird sich indes in der Regel nicht feststellen lassen. Denn jedes einschlägige Verfahren bringt aus Umweltsicht auch unerwünschte Begleitumstände mit sich446 . Aus diesem Grund muß die hier in Rede stehende Auffassung bei der Behandlung
Fluck,DVBI. 1997,463 ff., 467; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 70. Eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Streitstand nach der alten Rechtslage findet sich bei Jörgensen, 1994, S. 48 ff. m. w. N. 443 Hansmann, NVwZ 1990,409 ff., 412; Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., 500. 0444 Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 71; Schlicht, 1997, § 5 Rn. 13; Führ, 1989, S. 193; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 687; Rebentisch, UPR 1989,209 ff., 212. 44' LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97 Ziffer 4.3; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 71. 446 Führ, 1989, S. 193; Jörgensen, 1994, S. 51. 441
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A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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der Frage, ob die Verwertung "schadlos" möglich ist, immer eine vergleichende Abwägung zwischen in Frage kommenden Verwertungs- und Vermeidungs maßnahmen anstellen 447 . So führt der Länderausschuß für Immissionsschutz auch aus, daß "die Verwertung ... auch dann als schadlos anzusehen (ist, der Verf.), wenn sie im Verhältnis zu einer technisch möglichen Vermeidung der Abfälle geringere Nachteile für die Umwelt aufweist (relative Schadlosigkeit). So ist z. B. die Verwertung vorzuziehen, wenn die Vermeidung wegen der Schadstoffanreicherungen infolge von Stoffkreisläufen größere Nachteile für die Umwelt hervorrufen würde,,448. Weitergehend entnimmt Roßnagel § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG, daß für die dem Betreiber obliegende Auswahl zwischen Maßnahmen der Vermeidung und der Verwertung entscheidend sei, daß die getroffene Maßnahme das Abfallaufkommen soweit wie möglich senke. Die Senkung des Abfallaufkommens könne im Einzelfall besser durch Verwertung als durch Vermeidung erreicht werden, in der Regel sei aber die Vermeidung vorrangig449 . Schadlos sei eine Verwertung nämlich nicht nur, wenn sie mit keinen Umweltbelastungen verbunden sei, sondern auch, wenn sie geringere Umweltbelastungen verursache als eine technisch mögliche, zumutbare und rechtlich zulässige Vermeidungsmaßnahme 45o. (Allein) in diesem Fall habe der Betreiber die Wahl zwischen den zulässigen Vermeidungs- und Verwertungsmaßnahmen 451 • Roßnagel will also einen Vorrang der Vermeidung annehmen, wenn hierdurch das Abfallaufkommen in höherem Umfang als durch Maßnahmen der Verwertung gesenkt wird. Noch weiter geht Führ, der aus dem Tatbestandsmerkmal der Schadlosigkeit ein Gebot zur Einführung von Produktionsverfahren ableitet, bei denen schon von der Anlagenauslegung her möglichst geringe Mengen bzw. möglichst wenig problematische Reststoffe anfallen452 . Die Auffassung ist weitergehender, weil sie Verwertungsmaßnahmen außerhalb der Anlage, die zu einer stärkeren Senkung des Abfallaufkommens führen würden, außer Betracht läßt. Dies ist mit der gesetzlichen Wertung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG, der die externe neben der internen Verwertung zuläßt, nicht zu vereinbaren. Wie eingangs dieses Gliederungspunktes angedeutet, ist die eben dargestellte Auffassung nicht unwidersprochen geblieben. So wird angenommen, daß die So ausdrücklich Führ, 1989, S. 193; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 639 und 687. LAI Musterverwaltungsvorschrift 5/97 Ziffer 4.4. 449 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 639. 450 So auch Rebentisch, 1997, S. 91. 451 Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 687. Widersprüchlich dann aber Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 688: Zur Beurteilung der Schadlosigkeit sei jeweils zu prüfen, ob die durch die Verwertung verursachten Immissionen unterhalb der Grenze der Schädlichkeit blieben. Könne der Betreiber dies nachweisen, schaffe er sich die Möglichkeit, zwischen Vermeidungs- und Verwertungsmaßnahmen zu wählen. 452 Führ, 1989, S. 193. 447
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Schadlosigkeit einer Verwertungs maßnahme im Einzelfall und nicht im Vergleich zur Vermeidung zu überprüfen sei 453 . Hierfür wäre zwar auch eine Risikoabschätzung erforderlich 454 . Diese könnte sich dann aber auf die Prüfung der "Schadlosigkeit" der gewählten Verwertungsart und des in Rede stehenden Verwertungsproduktes beschränken. Geprüft werden müßte, ob es zu einer Schadstoffanreicherung im Wertstoffkreislauf kommt oder ob die Art und Weise der Verwertung zu Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit führt. Ein Gebot zur Vermeidung von Abfällen bestünde nur, wenn die Verwertung im Hinblick auf die mit ihr verbundenen Umweltbelastungen nicht hinzunehmen sei 455 . Folgt man insbesondere der Auffassung von Roßnagel, wird aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG weitaus häufiger ein Gebot zur Abfallvermeidung folgern lassen, als nach der eben zuletzt genannten Auffassung. Die unterschiedlichen Auffassungen sind deshalb im folgenden näher zu beleuchten.
(bb) Stellungnahme Die Auffassung von Roßnagel ist mit dem Wortsinn des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nur schwer zu vereinbaren. Schließlich bezieht sich das Tatbestandsmerkmal der "Schadlosigkeit" allein auf die Verwertung und nicht auf die Vermeidung. Allerdings ist Roßnagel zuzugeben, daß sich die Schadlosigkeit einer Verwertungs maßnahme im reinsten Sinne in der Regel nicht feststellen lassen wird. Der Wortlaut der Vorschrift spricht deshalb zwar eher dafür, die Schadlosigkeit einer Verwertungsmaßnahme im Einzelfall und nicht im Vergleich zur Vermeidung zu überprüfen, schließt die Interpretation von Roßnagel aber nicht aus. Fraglich ist folglich, ob sich aus dem Bedeutungszusammenhang des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG Anhaltspunkte zur Entscheidung der hier in Rede stehenden Frage ergeben können. Nach der nunmehr existenten abfallrechtlichen Definition der Schadlosigkeit in § 5 Abs. 3 Satz 3 KrW-1 AbfG erfolgt die Verwertung "schadlos, wenn nach der Beschaffenheit der Abfälle, dem Ausmaß der Verunreinigungen und der Art der Verwertung Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit nicht zu erwarten sind, insbesondere keine Schadstoffanreicherung im Wertstoffkreislauf erfolgt." Anhaltspunkte für eine vergleichende Risikoabschätzung zwischen Vermeidung und Verwertung mit Blick auf das Abfallaufkommen lassen sich der Vorschrift nicht entnehmen. Im Gegenteil soll allein die in Rede stehende Maßnahme der Verwertung auf ihre Schadlosigkeit betrachtet werden 456 . Dies soll anhand des für die 453 Hansmann, NVwZ 1990,409 ff., 412; Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., 500. Nach Jörgensen, 1994, S. 60 und 118 f. ist zweifelhaft, ob die Norm eine vergleichende Risikobetrachtung fordert. 454 Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., 498. 455 Rehbinder, DVBI. 1989,496 ff., 500.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BlmSchG
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Abfallbeseitigung in § 10 Abs. 4 KrW-1 AbfG definierten Maßstabs der Gemeinwohlverträglichkeit festgestellt werden457 . Wenn sich aus der Legaldefinition des § 5 Abs. 3 Satz 3 KrW-1 AbfG Rückschlüsse auf den Schadlosigkeitsbegriff des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG ziehen ließen, wäre die Auffassung von Roßnagel mit einer Betrachtung der Gesetzessystematik nicht zu vereinbaren. Hiergegen könnte allerdings § 9 Satz 1 KrW-1 AbfG sprechen. Denn nach der Norm richten sich die Pflichten der Betreiber von genehmigungsbedürftigen Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, diese so zu errichten und zu betreiben, daß Abfalle vermieden, verwertet oder beseitigt werden, nach den Vorschriften des BImSchG. Man könnte hieraus eventuell ableiten, daß allein immissionsschutzrechtliche und nicht abfallrechtliche Vorschriften zur systematischen Interpretation der Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG herangezogen werden dürfen 458 . § 9 Satz 1 KrW-1 AbfG regelt aber allein, daß die Pflichten des Betreibers sich allein nach dem BImSchG richten. Eine Berücksichtigung abfallrechtlicher Definitionen zur Bestimmung des Anwendungsbereichs der materiell abfallrechtlichen Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG verhindert die Vorschrift nicht. Zudem ist Satz 2 der Vorschrift zu beachten. Dort heißt es, daß "stoffbezogene Anforderungen an die Art und Weise der Verwertung ... nach diesem Gesetz ..." unberührt bleiben. Die stoffbezogenen Anforderungen des KrW-1 AbfG an die Verwertung von Abfallen, zu denen auch § 5 Abs. 3 Satz 3 KrW-1 AbfG gehört, beanspruchen für die in immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen anfallenden Abfalle also Geltung. Auch für § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG kann also auf die Definition der Schadlosigkeit in der genannten abfallrechtlichen Norm zurückgegriffen werden459 .
Die Betrachtung des Bedeutungszusammenhangs des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG führt also zu der Annahme, daß die Schadlosigkeit einer Verwertungsmaßnahme im Einzelfall mit Blick auf die Gemeinwohlverträglichkeit von Verwertungs art und Verwertungsprodukt und nicht im Vergleich zur Vermeidung zu überprüfen ist. Eben ist allerdings ausgeführt worden, daß § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nach seiner Entstehungsgeschichte bezweckt, das Entstehen von Industrie- und Gewerbeabfällen soweit wie möglich zu begrenzen und schädliche Umwelteinwirkungen zu verringern, die bei der Gewinnung, dem Transport und der Verarbeitung von Res456 So auch Rebentisch, 1997, S. 91 f., der daraus allerdings ableiten will, daß die Vorschrift "nur eine partielle Interpretationshilfe bei der Anwendung des § 5 Abs. I Nr. 3 BlmSchG zu leisten" vermag. 457 Petersen I Rid, NJW 1995,7 ff., 11. 458 Eine entsprechende Frage stellt Kunig, 1997, S. 32 f. ohne diese im Anschluß zu beantworten. 459 Paetow in: Kunig I Paetow IVersteyl, KrW-1 AbfG, § 9 Rn. 3,9 und 13.
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
sourcen entstehen können, die ohne Maßnahmen der Vermeidung oder Verwertung von Abfällen zusätzlich benötigt würden. Dies könnte am ehesten mit Hilfe einer vergleichenden Risikoabschätzung zwischen den konkret in Betracht kommenden Vermeidungs- oder Verwertungsmöglichkeiten geschehen. Dennoch spricht der Telos des § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG nicht für eine vergleichende Risikoabschätzung. Denn dieser liegt nicht auf der Hand sondern muß aus der Genese der Vorschrift abgeleitet werden. Nach der Entstehungsgeschichte sollte ein solcher Vergleich aber gerade nicht stattfinden. Die Bundesregierung ging nämlich davon aus, daß die Senkung des Abfallaufkommens im industriellen und gewerblichen Bereich "sowohl dadurch" geschehe, "daß Produktionsverfahren eingesetzt werden, bei denen Reststoffe in möglichst geringem Umfang entstehen, als auch dadurch, daß Reststoffe ordnungsgemäß und schadlos verwertet werden, sei es im eigenen Betrieb, sei es durch andere.,,460 Im weiteren Gesetzgebungsverfahren hat sich die Auffassung der Bundesregierung, wie oben bereits dargestellt, im wesentlichen durchgesetzt. Die Entstehungsgeschichte des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG spricht also für die Auffassung, die aus dem Tatbestandsmerkmal der "Schadlosigkeit" nicht ablesen möchte, daß eine vergleichende Risikobetrachtung mit Blick auf das Abfallaufkommen zwischen in Betracht kommenden Vermeidungs- und Verwertungsverfahren notwendig ist. Nach allem ist die Auffassung von Roßnagel abzulehnen. Ein Gebot zur Vermeidung von Abfällen besteht folglich nur, wenn eine ebenfalls in Betracht kommende Verwertung innerhalb oder außerhalb der Anlage im Hinblick auf die mit ihr verbundenen Umweltbelastungen nicht hinzunehmen ist.
c) Verringerung des Stoff- oder Energieverbrauchs
Zum Teil wird ausgeführt, die abfallbezogenen Grundpflichten dienten der Förderung des sparsamen Umgangs mit Rohstoffen und Energie in den betreffenden Anlagen461 . Sie werden demzufolge auch als besonders tauglich zur Förderung von Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes angesehen462 . Dies wird bei Betrachtung des Anwendungsbereichs der Vorschrift zunächst bestätigt. Durch die Einbeziehung von Abwasser und Abfällen zur Verwertung in den für § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG geltenden Abfallbegriff eröffnet sich ein äußerst umfangreicher Anwendungsbereich eines nach der Norm im Einzelfall bestehenden Abfallvermeidungs- oder -verwertungsgebots und damit zunächst ein großes BT-Drs. 10/1862 (neu), S. 9. Roßnagel, in: GK-BlrnSchG, § 5 Rn. 637. 462 Feldhaus, UPR 1985, 385 ff., 387; Rebentisch, UPR 1989, 209 ff., 210 und NVwZ 1995, 639 ff., 640. 460 461
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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Potential zur Senkung des Stoff- eventuell auch des Energieverbrauchs in der industriellen Produktion 463. Der gewonnene Eindruck relativiert sich allerdings bereits dadurch, daß nach hier vertretener Auffassung auf § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nur Anforderungen an die Verringerung von Abwassermengen gestützt werden können, die keine Auswirkungen auf die mit dem Abwasser ausgetragenen Schadstofffrachten entfalten 464 . Hierdurch stellt die Norm in einer Vielzahl von Fällen keine Anforderungen an die Senkung des Verbrauchs von Stoffen, die die Anlage über den Abwasserpfad verlassen. Da eine Verwertung von Abfallen auch außerhalb der Betriebsgrenzen erfolgen kann 465 , können des weiteren aus einem eventuellem Verwertungsgebot keine Anforderungen an die Verringerung des Stoff- oder Energieverbrauchs in der Produktion folgen. Die abfallbezogenen Grundpflichten können also Steuerungswirkung mit Blick auf den produktionsintegrierten Umweltschutz nur entfalten, soweit sie zur Vermeidung von Abfallen verpflichten466 • Die Antwort auf die Frage, unter welchen Umständen § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG ein Gebot zur Abfallvermeidung enthält, fallt aber enttäuschend aus. Dies gilt nicht für den Gehalt der unmittelbar den Anwendungsbereich des Vermeidungsgebots beschreibenden Tatbestandsmerkmale der technischen Möglichkeit und der Zumutbarkeit. Relativiert wird das dort gefundene Ergebnis aber durch das Verhältnis der Abfallvermeidung zur ebenfalls technisch möglichen und zumutbaren Verwertung. Im Sinne eines weitreichenden Gebots zur Abfallvermeidung erscheint zunächst positiv, daß die Norm den Betreiber über den Begriff des technisch Möglichen zu verpflichten scheint, alle in Betracht kommenden tatsächlich entwickelten Vermeidungstechniken zur Bestimmung der Anforderungen im Einzelfall heranzuziehen. Vermeidungsmaßnahmen sind, wie oben ausgeführt, technisch möglich, wenn ein zur Erreichung des Betriebszwecks geeignetes Verfahren zur Verfügung steht, das zu einem geringeren Abfallanfall führt467 . Notwendige Korrekturen an dieser sehr weitgehenden Verpflichtung ermöglicht das Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit. Zur Bestimmung der Zumutbarkeit einer Maßnahme der Abfallvermeidung ist im Einzelfall zwischen den hiermit verbundenen wirtschaftlichen Nachteilen für den Betreiber und den Vorteilen für die Umwelt abzuwägen. Dabei ist in einem ersten Schritt die Schwere der Belastung für den Betreiber zu bestimmen. Im zweiten Schritt muß die erreichbare Entlastung S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b )aa)(l). S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)aa)(2). 465 Allgemeine Auffassung. Vgl. nur Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 69. Zur alten Rechtslage: Feldhaus, BlmSchR, § 5 Rn. 9; Roßnagel in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 680. 466 S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.a). 467 S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)bb)(2). 463
464
170
3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
für die Umwelt quantifiziert werden. Schließlich ist festzustellen, ob eine eventuell festgestellte Belastung für den Betreiber mit den erreichbaren Auswirkungen der Maßnahme für die Umwelt gerechtfertigt werden kann468 . Betrachtet man allein die Tatbestandsmerkmale der technischen Möglichkeit und der Zumutbarkeit, scheint aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nach allem häufig ein Gebot zur Abfallvermeidung zu folgen. Relativiert wird dieses Ergebnis aber durch das Verhältnis der Abfallvermeidung zur ebenfalls technisch möglichen und zumutbaren Verwertung. Denn ein Gebot zur Abfallvermeidung besteht nicht, wenn die Verwertung der in Rede stehenden Abfälle ordnungsgemäß und schadlos möglich ist. Ein Gebot zur Vermeidung von Abfällen besteht nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG folglich nur, wenn eine ebenfalls in Betracht kommende Verwertung innerhalb oder außerhalb der Anlage im Hinblick auf die mit ihr verbundenen Umweltbelastungen nicht hinzunehmen ist469 . Dies wird angesichts der mittlerweile bestehenden Verwertungsmöglichkeiten und angesichts der Tatsache, daß der Verwertungsbegriff nicht nur die stoffliche, sondern auch die energetische Verwertung umfaßt, nur selten der Fall sein 47o • Ein Gebot zur Verringerung des Energieverbrauchs könnten die abfallbezogenen Grundpflichten darüber hinaus allenfalls enthalten, wenn sich die Vermeidung von Abfällen auf den Energieverbrauch der betreffenden Anlage auswirken könnte. Dies hängt davon ab, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Gewinnung von Energie aus Abfällen innerhalb einer Anlage dem Begriff der Abfallvermeidung zugeordnet werden kann. Oben ist der Begriff der Abfallvermeidung offengelassen worden. Eine Stellungnahme zu den skizzierten unterschiedlichen Auffassungen kann im Rahmen dieser Untersuchung - angesichts des ohnehin sehr beschränkten Gebotes zur Abfallvermeidung - letztlich unterbleiben.
d) Verringerung des Verbrauchs gefährlicher Stoffe
Oben ist bereits dargestellt worden, daß § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nicht auf die mit dem Abfall ausgetragenen Schadstofffrachten abstellt471 • Bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG spricht dafür, daß mit der Norm lediglich die Verringerung von Abfallmengen bezweckt wird. Schließlich sollen "Abfälle vermieden ..." und nicht die auf dem Abfallpfad austretende Schadstofffracht verringert werden.
s. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)bb)(4). S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)bb)(5). 470 Kritisch zur Förderung des integrierten Umweltschutzes durch § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG aus diesem Grund auch Kreikebaum, 1992, S. 8. 471 S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)aa)(2)(c)(ff). 468 469
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
171
Auch aus der Entstehungsgeschichte des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG geht nur hervor, daß mit Hilfe der Norm die Menge des in genehmigungsbedürftigen Anlagen entstehenden Abfalls verringert werden soll. Besonders deutlich wird dies bei Lektüre der Begründung des mit dem 2. Gesetz zur Änderung des BImSchG eingeführten Reststoffvermeidungsgebotes. In der Begründung des Bundesrates wurde ausgeführt, daß die Reststoffvermeidungspflicht "bedeutende Einsparpotentiale an Rohstoffverbrauch", die ohne entsprechende Maßnahmen verlorengehen könnten, erschließen oder dem ansonsten zu befürchtenden Entstehen "erheblicher Abfallmengen" vorbeugen solle472 . Auch die Bundesregierung führte in ihrer Gegenäußerung aus, daß es "Ziel der Abfallwirtschaftspolitik der Bundesregierung" sei, "das Abfallaufkommen soweit wie möglich zu senken" und daß dieses Ziel mit der Reststoffvermeidungspflicht verfolgt werden solle473 . Auch § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW- / AbfG steht dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Aus der Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW- / AbfG folgt, daß nicht beabsichtigt war, Maßnahmen zur Verminderung der "Schädlichkeit" von Abfällen generell unter den Begriff der Abfallvermeidung zu fassen. Dies stellte die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung klar474 , nachdem der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu § 4 Abs. 1 KrW- / AbfG ausgeführt hatte, daß "die Verminderung der Schädlichkeit von Abfällen ... kein Unterfall der abfallarmen Kreislaufwirtschaft" sei 475 . Die Vorschrift solle lediglich klarstellen, daß als Maßnahme der Vermeidung anzusehen sei, wenn "durch eine Reduktion von Schadstoffen die Notwendigkeit einer Beseitigung als Abfall entfällt,,476. Zudem handelt es sich bei § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW- / AbfG um eine Regelung, die Pflichten von Abfallerzeugern regelt. Die Pflichten zur Abfallvermeidung sollen sich nach §§ 5 Abs. 1, 9 Satz 1 KrW-/ AbfG aber nach dem BImSchG und nicht nach dem KrW-/ AbfG richten. Aus den abfallbezogenen Grundpflichten kann folglich kein Gebot zur Verringerung des Einsatzes oder zur Substitution gefährlicher Stoffe bei gleichbleibender Produktionsleistung folgen.
e) Ergebnis
Nach allem läßt sich eine "besondere Tauglichkeit" der abfallbezogenen Grundpflichten zur Förderung von Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes nicht feststellen. Die Norm enthält kein Gebot für die Verringerung des Einsatzes oder die Substitution gefährlicher Stoffe in der jeweils betroffenen Anla472 473 474 475 476
BT-Drs. BT-Drs. BT-Drs. BT-Drs. BT-Drs.
10/1862 (neu) S. 7. 10/1862 (neu) Anlage 2, S. 9. 12/5672 S. 125. 12/5672 S. 65. 12/5672 S. 125.
172
3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
ge. Auch das Potential der Vorschrift, zur Verringerung des Stoffverbrauchs oder zur Effektivierung des Energieverbrauchs in der jeweiligen Anlage zu motivieren, ist als gering einzuschätzen.
4. Abwärmenutzungspflicht, § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG i.V. mit § 8 der 17. BImSchV Die Abwärmenutzungspflicht gebietet, genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß "entstehende Wärme für Anlagen des Betreibers genutzt oder an Dritte, die sich zur Abnahme bereit erklärt haben, abgegeben wird, soweit dies nach Art und Standort der Anlagen technisch möglich und zumutbar sowie mit den Pflichten nach den Nummern 1 bis 3 vereinbar ist." Beim Anlagenbetrieb entstehende Wärme soll also unter bestimmten Umständen genutzt werden. a) Relevanzjür die Fragestellung
Die Abwärmenutzungspflicht soll der Einsparung von Primärenergie dienen477 . Bezweckt wird hiermit neben der Ressourcenschonung auch die Verringerung der Schadstoftbelastung der Luft, denn insbesondere die Verbrennung fossiler Energieträger zur Energiegewinnung verursacht solche Belastungen in erheblichen Größenordnungen478 • § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG beschränkt sich auf die Betrachtung des Energieaspektes. Auf die Verminderung des Verbrauchs (gefährlicher) Stoffe zielt die Norm nicht ab. Geprüft wird folglich allein, ob die Vorschrift ein Gebot zur Verringerung des Energieverbrauchs in der Anlage enthält.
b) Tatbestand
Hierfür soll zunächst der Tatbestand des Gebotes erläutert werden. aa) Anwendungsbereich Die Pflicht zur Nutzung von Abwärme besteht nach § 5 Abs. 2 BlmSchG nur für Anlagen, die in einer insoweit konstitutiven Rechtsverordnung aufgeführt sind479 . Ein Entwurf für eine solche Verordnung wurde zurückgestellt, weil die Bender/Sparwasser/Engel, 1995, S. 355. Vgl. Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 705. 479 So die allgemeine Auffassung. Vgl. nur Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 1. Zweifelnd soweit ersichtlich allein Feldhaus, NVwZ 1995,963 ff., 971, der eine unmittelbare Anwendbarkeit 477 478
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BlmSchG
173
Bundesregierung auf die Erfüllung einer freiwilligen Selbstverpflichtung der deutschen Industrie zur Klimavorsorge vertraut480 . Allein für nach § 4 BImSchG LV. mit der 4. BImSchV genehmigungsbedürftige Anlagen, in denen Abfalle oder "ähnliche feste oder flüssige brennbare Stoffe ... verbrannt werden", ist die Abwärmenutzungspflicht nach § 8 Satz 1 i.v.m. § 1 Abs. 1 der 17. BImSch V anwendbar. Dies gilt nach § 17 der 17. BImSchV mittlerweile auch für Anlagen, die vor dem 1. Dezember 1990, also vor Inkrafttreten der 17. BImSchV481 genehmigt worden sind. Bei den abfall ähnlichen festen oder flüssigen brennbaren Stoffen im Sinne des § 1 Abs. 1 der 17. BImSchV handelt es sich nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 der 17. BImSchV um alle brennbaren Stoffe, die nicht als "konventionelle" Brennstoffe in Feuerungsanlagen nach Nr. 1.2. des Anhangs zur 4. BImSchVeingesetzt werden. Allgemein werden diese Stoffe als ,,Brennstoffe im nicht handelsüblichen Sinne" bezeichnet482 . Aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind "Verbrennungseinheiten", die ausschließlich für die Verbrennung bestimmter, in § 1 Abs. 3 der 17. BImSch V abschließend aufgezählten Stoffe bestimmt sind. Anlagen, deren alleiniger Zweck in der Verbrennung von Abfallen oder abfallähnlichen Stoffen besteht, sollen nach den eingangs der Untersuchung erfolgten Ausftihrungen nicht Gegenstand der Betrachtung sein483 . Die Regelungen der 17. BImSchV sind nach § 1 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung aber auch anwendbar, "wenn die Anlage überwiegend einem anderen Zweck als der Verbrennung dieser Stoffe dient484 oder wenn die Anlage lediglich als Teil oder Nebeneinrichtung einer anderen Anlage betrieben wird.,,485 Auf den im Rahmen dieser Untersuchung ausgewählten Kreis von immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen ist die 17. BImSchV also nur unter diesen Voraussetzungen anwendbar. des § 5 Abs. I Nr. 4 BlmSchG wegen der Untätigkeit des Gesetzgebers diskutiert. Feldhaus verweist dabei auf eine Entscheidung des BVerfG, Beschluß vom 30. November 1988, UPR 1989, 143 ff., zum Verkehrslärmschutz, die ..gewisse Parallelen zur Abstinenz bei § 5 Abs. I Nr. 4 BlmSchG" aufweise. Feldhaus weist allerdings selbst darauf hin, daß in § 41 BlmSchG der Normadressat bereits bestimmt ist, während dies nach § 5 Abs. 2 BlmSchG noch zu erfolgen hat. Eine unmittelbare Geltung des § 5 Abs. I Nr. 4 BlmSchG ist aus diesem Grund abzulehnen. 480 Siehe den 6. Immissionsschutzbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 13/4825 S. 20. 481 Vgl. § 22 der 17. BlmSchV. 482 Jörgensen, 1994, S. 82. 483 S. o. Kapitel 2, Gliederungspunkt A. 484 Gemeint sind Fälle, in denen die Verbrennung der Energieumwandlung oder einem anderen über die Verbrennung hinausgehenden Zweck dient, vgl. Hansmann, in: Landmann 1 Rohmer, BlmSchG, § I der 17. BlmSchV, Rn. 6. 48~ Zu sonstigen den Anwendungsbereich der 17. BlmSchV betreffenden Fragen, vgl. Hansmann, in: Landmann 1Rohmer, BlmSchG, § I der 17. BlmSchV, Rnm. 5-10.
174
3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Darüber hinaus darf es sich nicht um eine sogenannte Mitverbrennungsanlage nach § 1 Abs. 2 der 17. BImSchV handeln. Von einer Mitverbrennungsanlage spricht man, wenn konventionelle Brennstoffe neben Abfallen oder abfallähnlichen Stoffen in der Anlage verbrannt werden und "der zulässige Anteil der Abfälle oder der anderen brennbaren Stoffe an der jeweils gefahrenen Feuerungswärmeleistung einer Verbrennungseinheit einschließlich des für die Verbrennung benötigten zusätzlichen Brennstoffs 25 vom Hundert nicht übersteigt". Für Mitverbrennungsanlagen gelten nur die Grenzwerte des § 5 der 17. BImSchV und die dazugehörigen Meß- und Überwachungsvorschriften, nicht aber § 8 der 17. BImSchV. Die Abwärmenutzungspflicht ist nach allem nur für einen kleinen Teil der genehmigungspflichtigen Industrieanlagen, die hier Gegenstand der Betrachtung sind, anwendbar486 .
bb) Anforderungen des § 8 der 17. BImSchV Für diese Anlagen konkretisiert § 8 der 17. BImSchV die Anforderungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG487 . § 8 Satz 1 der 17. BImSchV nimmt allerdings trotz leichter aber inhaltlich nicht relevanter488 Modifikationen lediglich die bereits in § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG enthaltenen Anforderungen auf. Nach der Vorschrift ist "entstehende Wärme, die nicht an Dritte abgegeben wird, in Anlagen des Betreibers zu nutzen, soweit dies nach Art und Standort der Anlage technisch möglich und zumutbar sowie mit den Pflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vereinbar ist." Von diesen Vorschriften gefordert ist - vorbehaltlich der tatbestandsimmanenten Einschränkungen - also eine Nutzung der Abwärme als Wärme489 oder als Einsatzstofr90 in demselben Prozeß oder in anderen Prozessen. Über § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG hinausgehende Bedeutung hat allerdings § 8 Satz 2 der 17. BImSchV. Nach der Norm ist elektrische Energie zu erzeugen, "soweit aus der bei der Verbrennung entstehenden Wärme, die nicht an Dritte abgegeben wird oder die nicht in Anlagen des Betreibers genutzt wird, eine elektrische Klemmleistung von mehr als 0,5 Megawatt erzeugbar ist." Gemeint sind "Abfallverbrennungsanlagen" nach § lAbs. 1 Satz 2 der 17. BlmSch V. BR-Drs. 303/90, S. 51; Roßnagel, in: GK-BlmSchG § 7 Rn. 283. 488 Vgl. die Ausführungen zu § 8 der 17. BlmSchV bei Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 7 Rn. 283. 489 Dies kann mit oder ohne Zwischenschaltung eines mit Exergiezufuhr verbundenen Verfahrensschrittes geschehen. Beispiele nennt Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 711, Spiegel striche 4 und 5. 490 Als Beispiel nennt Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 711 die Rückführung eines wärmehaItigen Stoffstroms (gegebenenfalls nach Reinigung) in denselben Prozeß oder in einen anderen Prozeß (z. B. Abluft als Verbrennungsluft für eine Feuerung). 486 487
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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cc) Gleichrangigkeit von interner und externer Nutzung entstehender Abwärme Der Betreiber kann nach § 8 der 17. BIrnSch V also unter Umständen eine Pflicht zur Nutzung von entstehender Abwärme in der Produktions stätte oder zur Erzeugung von elektrischer Energie treffen. Beide Gebote stehen unter dem Vorbehalt, daß der Anlagenbetreiber sich nicht dazu entscheidet, die Abwärme an Dritte abzugeben. Interne und externe Nutzung der Abwärme stehen gleichberechtigt nebeneinander491 . Dies ist allerdings nicht unumstritten. Die entgegengesetzte Auffassung geht davon aus, daß die Abwärme vorrangig in den Anlagen des Betreibers genutzt werden soll. Dies folge aus der Entstehungsgeschichte der Norm492 . Tatsächlich hat der Bundestagsausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, auf dessen Vorschlag die Gesetz gewordene Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG beruht, ausgeführt, daß die Warme "im Hinblick auf den im Regelfall größeren Ausnutzungsgrad der Abwärme bei Nutzung durch den Betreiber selbst ... vorrangig ... für Anlagen des Betreibers genutzt werden (soll, der Verf.); dieser Vorrang sollte auch in der Satzstellung zum Ausdruck kommen.,,493 Für das hier vertretene Ergebnis spricht aber der eindeutige Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG, an dem sich auch der historische Gesetzgeber festhalten lassen muß494 . Die Konjunktion "oder" wird generell verwendet, um die Gleichberechtigung der beiden hierdurch verknüpften Alternativen deutlich zu machen. Die Reihenfolge der verbundenen Aussagen kann entgegen der Auffassung des Bundestagsausschusses nur eine Wertigkeit zum Ausdruck bringen, wenn dies durch ergänzende Formulierungen klargestellt wird. Für die Richtigkeit der gefundenen Auslegung spricht auch ein Seitenblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG. Dort hat der Gesetzgeber einen Vorrang der Vermeidung und Verwertung auf der einen, zur Beseitigung von Abfällen auf der anderen Seite festgelegt. Hätte der Gesetzgeber einen Vorrang der internen Nutzung von Abwärme statuieren wollen, hätte er, in Anlehnung an § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG, formulieren müssen: "entstehende Warme für Anlagen des Betreibers genutzt oder, soweit dies technisch nicht möglich oder unzumutbar ist, an Dritte ... abgegeben ... " wird. Ein Gebot zur internen Nutzung der Abwärme besteht folglich nur, wenn die Abgabe an Dritte nicht möglich oder unzumutbar ist. Diese Ergebnis ist angesichts der im Grundsatz bestehenden Vorzugs würdigkeit der internen Nutzung, auf die der Bundestagsausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu Recht 491 492 493 494
Jarass, BImSehG, § 5 Rn. 85. Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 716; Klockow, ET 1991,678 ff., 679. BT-Drs. 11/6633, S. 43. Vgl. Larenz, S. 203.
176
3. Kapitel: Direkte Verhaltens steuerung
hinweist, unbefriedigend. Das gegenteilige Ergebnis wäre mit dem Gesetzeszweck besser zu vereinbaren. Wortsinn und Gesetzessystematik sprechen aber eindeutig für die hier gefundene Deutungsmöglichkeit. Teleologische Erwägungen, die nur heranzuziehen sind, wenn sonstige Auslegungskriterien noch keine zweifellose Antwort gegeben haben495 , können das Ergebnis deshalb nicht mehr beeinflussen. dd) Gebot zur Vermeidung von Abwärme Zum Teil wird vertreten, daß nach § 5 Abs. I Nr. 4 BlmSchG Maßnahmen zur Vermeidung unnötigen Energieverbrauchs sowie zur Verbesserung der Nutzungsgrade bei der Energieumwandlung der Forderung nach Nutzung der Abwärme vorgeschaltet seien496 . Denn das in § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG normierte Gebot erfasse nicht nur die Nutzung von Abwärme, sondern darüber hinaus auch die Optimierung des feuerungstechnischen Wirkungsgrads der Anlage. Als Argument wird der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG angeführt. Die dort zu findende Formulierung "entstehende Wärme" umfasse mehr als Abwärme. Abwärme sei nämlich bereits "entstandene Wärme". § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG wolle folglich auch auf den Entstehungsprozeß von Wärme Einfluß nehmen. Von der Abwärmenutzungspflicht nicht betroffen sei zwar die Wahl des Betreibers für einen bestimmten Energieträger und eine bestimmte Energieumwandlungsart497 . Wohl aber könne vom Betreiber gefordert werden, für einen gewählten Energieträger und eine bestimmte Nutzungsform einen bestimmten Wirkungsgrad einzuhalten 498 • Folgte man dieser Auffassung, würden aus den in Rede stehenden Vorschriften einige Anforderungen an die energieseitige Optimierung des Produktionsverfahrens folgen. Als Beispiele werden die "Optimierung des feuerungstechnischen Wirkungsgrades, das Vermindern des Nutzenergiebedarfs bei gleicher Energiedienstleistung und das Verbessern der Nutzungsgrade bei der Umwandlung der Energieträger in die gewünschte Nutzenergie" genannt499 • Die bislang referierte Auffassung ist aber nicht unwidersprochen geblieben. Mit dem in § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG verwendeten Begriff der entstehenden Wärme sei die beim bestimmungsgemäßen Betrieb einer Anlage anfallende Wärme gemeint, die nicht für den Anlagenbetrieb oder zur Erfüllung der sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BlmSchG ergebenden Pflichten genutzt werde. Dies sei das, was mit Blick auf § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG als Rest- oder Abwärme gekennzeichnet werde. Soweit diese Abwärme nicht anderweitig genutzt werde, könnte unter be495 496 497 498 499
Larenz, S. Roßnagel, Roßnagel, Roßnagel, Roßnagel,
209. in: GK-BlmSchG, in: GK-BlmSchG, in: GK-BlmSchG, in: GK-BlmSchG,
§ 5 Rn. § 5 Rn. § 5 Rn. § 5 Rn.
712. 707, konkretisierend Rn. 712. 712. 711.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. I BlmSchG
177
stimmten Voraussetzungen eine anlageninteme Nutzung verlangt werden. Dagegen kämen Maßnahmen, die auf eine Erhöhung des Wirkungsgrades abzielten, nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG nicht in Betracht5OO • Betrachtet man den Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG scheint auf den ersten Blick einiges zu Gunsten der erstgenannten Auffassung zu sprechen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Norm von entstehender Warme und nicht von entstandener Wärme spricht. Allerdings soll "entstehende Warme für Anlagen des Betreibers genutzt oder an Dritte ... abgegeben" werden. Der Wortsinn der Vorschrift läßt damit nicht nur die von der erstgenannten Auffassung gefundene Deutung zu. Im Gegenteil spricht mehr dafür, daß "entstandene Warme" gemeint war, da nur diese "genutzt oder an Dritte ... abgegeben" werden kann. Eindeutig in die Richtung der erstgenannten Auffassung hätte allein die Gesetzesformulierung "entstehende Warme vermieden wird oder (wenn dies technisch nicht möglich ist) in Anlagen des Betreibers genutzt oder an Dritte ... abgegeben wird" ... gewiesen. Betrachtet man den Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSehG, so erscheint es sogar naheliegend, daß der Gesetzgeber entsprechend vorgegangen wäre, hätte er im Sinn gehabt, auf den Entstehungsprozeß von Warme Einfluß zu nehmen. Denn in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG ist im Unterschied zur Nr. 4 des § 5 Abs. 1 BImSchG zwischen Vermeidung und Verwertung eindeutig unterschieden worden. Zudem sprechen systematische Erwägungen gegen die erstgenannte Auffassung. Denn die Vermeidung der Entstehung von Abwärme wird bereits von § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG verlangt, da Abwärme eine Emission ist 50I . Eine Überschneidung des Anwendungsbereichs beider Grundpflichten erscheint aber ausgeschlossen, da die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG nach § 5 Abs. 2 BImSchG von einer insoweit konstitutiven Rechtsverordnung abhängig ist, während dies für § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG nicht gilt. Da sich aber beide Grundpflichten auf Abwärme beziehen, sind sie in einer Art zu interpretieren, die einen diesbezüglichen Anwendungsbereich für beide Normen eröffnet. Für den Vorsorgegrundsatz muß dieser im Bereich der Vermeidung von Abwärme liegen, während sich § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG auf die Nutzung dennoch entstandener Abwärme bezieht. Auch die Entstehungsgeschichte des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG weist in diese Richtung. Die in Rede stehende Grundpflicht wurde durch Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des BImSchG eingeführt. Sie geht auf einen Vorschlag des Bundesrates zurück. Der entsprechende Gesetzentwurf trug die Kurzbezeichnung ,,Abwärmeverwertung". Auch in der Gesetzesbegründung war durchgängig nur von "Abwärme" die Rede 502 , obwohl der vorgeschlagene Gesetzestext die Formulierung "entstehende Warme" bereits enthielt503 . In der Stellungnahme der Bundessoo Rebentisch, 1991, S. 49 f. So auch Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 83; SelIner, NVwZ 1991, 305 ff., 307; Koch 1Verheyen, NuR 1999, I ff., 8 und Reblin, 1995, S. 76. 501 S. o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.2.b)bb)(2)(b). 502 BT-Drs. 10/1861 S. I f. und 5. 503 BT-Drs. 10/1861 S. 4. 12 Gnem
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
regierung ist zwar von "Wärmenutzung" die Rede. Mit dieser Formulierung wollte sich die Bundesregierung aber nur von der externen "Abwärmenutzung" abgrenzen, da sie eine solche Pflicht nicht für sinnvoll hielt. Auch die Bundesregierung wollte mit der neuen Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG nur die betriebsinterne ,,Nutzung von Wärme fördern, die beim Betrieb insbesondere von Industrieanlagen anfallt."s04 Die Förderung von vorgeschalteten Maßnahmen zur Vermeidung von Abwärme war mit der Regelung nicht bezweckt. Nach allem ist der letztgenannten Auffassung zu folgen. § 8 Satz 1 der 17. BImSchV i.v. mit § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG enthalten kein Gebot zur Vermeidung von Abwärme.
ee) Technische Möglichkeit und Zumutbarkeit interner Abwärmenutzung Ein Gebot zur Nutzung der Abwärme innerhalb der Anlage kann darüber hinaus nur bestehen, wenn die Nutzung der Abwärme als Wärmesos oder als EinsatzstoffS06 in demselben Prozeß oder in anderen Prozessen technisch möglich und zumutbar ist. Technisch möglich ist die Abwärmenutzung, wenn ein entsprechendes technisches Verfahren entwickelt worden istS07 . Zumutbar ist die Nutzung der Abwärme, wenn der Aufwand in einem sinnvollen Verhältnis zu seinen ressourcensparenden und umweltschonenden Auswirkungen steht und den konkreten Betreiber nicht über Gebühr belastetSo8 . Dabei ist der Begriff der Zumutbarkeit nicht mit der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für den Anlagenbetreiber gleichzusetzen s09 . Dieser ist statt dessen im Einklang mit der für § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG gefundenen Interpretation auszulegenSlO .
S04
BT-Drs. 10/1861 S. 6.
sos Dies kann mit oder ohne Zwischenschaltung eines mit Exergiezufuhr verbundenen Verfahrensschrittes geschehen. Beispiele nennt Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 711, Spiegel striche 4 und 5. S06 Als Beispiel nennt Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 711 die Rückführung eines wärmehaItigen Stoffstroms (gegebenenfalls nach Reinigung) in denselben Prozeß oder in einen anderen Prozeß (z. B. Abluft als Verbrennungsluft für eine Feuerung). S07 Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 724. Zu näheren Einzelheiten ebda. sowie Rn. 725. S08 Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 726. m Roßnagel in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 727 ff. Für eine Gleichsetzung dagegen Klockow, ET 1991,678 ff., 679. S10 Roßnagel, in: GK-BlmSchG, § 5 Rn. 729. Zur Auslegung des Begriffes der Zumutbarkeit in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG s.o. Kapitel 3, Gliederungspunkt A.I.3.b)bb)(4).
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BlmSchG
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c) Verringerung des Energieverbrauchs
§ 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG i.V. mit § 8 der 17. BlmSchV verpflichten den Anlagenbetreiber zur Nutzung entstandener Abwärme. Unter bestimmten Umständen soll diese zur Erzeugung von elektrischer Energie, alternativ als Wärme oder Einsatzstoff in demselben oder anderen Prozessen genutzt werden. Die genannten Maßnahmen verringern den Verbrauch von extern erzeugter Primärenergie in der Anlage.
Unter den oben beschriebenen Voraussetzungen der technischen Möglichkeit und Zumutbarkeit einer entsprechenden Vorgehensweise kann § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG i. V. mit § 8 der 17. BlmSchV also ein Gebot zur Verringerung des Energieverbrauchs in der Anlage entnommen werden. Eine Verbesserung des energieseitigen Wirkungsgrades der Produktion durch Maßnahmen zur Vermeidung von Abwärme bezwecken die §§ 5 Abs. I Nr. 4 BlmSchG und 8 der 17. BlmSchV dagegen nicht. Dies wird indes schon von § 5 Abs. I Nr. 2 BlmSchG gefordert, so daß sich hieraus keine Schwäche des geltenden Rechts ableiten läßt. Die Pflicht zur Nutzung entstandener Abwärme betrifft aber nur einen kleinen Kreis der im Rahmen dieser Untersuchung in Rede stehenden immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen. Das ist mit Blick auf die Förderung produktionsintegrierter Umweltschutz-Maßnahmen als Schwäche des geltenden Rechts anzusehen. Ein Gebot zur Nutzung der Abwärme innerhalb der Anlage besteht nach den obigen Ausführungen darüber hinaus nur, wenn die Abgabe an Dritte nicht möglich oder unzumutbar ist. Dies verringert die Anzahl der Fälle, in denen § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG i.V. mit § 8 der 17. BlmSchV zu Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes verpflichtet. Dieses Ergebnis ist angesichts der im Grundsatz bestehenden Vorzugswürdigkeit der internen Nutzung unbefriedigend. Das Verhältnis von interner zu externer Nutzung der Abwärme sollte analog des in § 5 Abs. I Nr. 3 BlmSchG beschriebenen Verhältnisses zwischen Vermeidung und Verwertung von Abfällen auf der einen und Beseitigung derselben auf der anderen Seite festgelegt werden. § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG müßte dann wie folgt lauten: "entstehende Wärme für Anlagen des Betreibers genutzt oder, soweit dies ... technisch nicht möglich oder unzumutbar ist, an Dritte ... abgegeben wird ...".
5. Besonderheiten beim Zusammenwirken aller Grundpflichten
Bislang ist dargestellt worden, in welchem Umfang aus den einzelnen in § 5 Abs. 1 BlmSchG enthaltenen Grundpflichten ein Gebot zur Durchführung von Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes folgen kann. Dabei ist festgestellt worden, daß entsprechende Wirkungen vor allem die Nm. 1 und 2 und nur in Ausnahmefällen auch die Nm. 3 und 4 des § 5 Abs. 1 BlmSchG entfalten. 12"
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3. Kapitel: Direkte Verhaltenssteuerung
Nunmehr soll geprüft werden, ob die Grundpflichten in ihrem Zusammenspiel eventuell sogar weitergehende Anforderungen aufstellen. Insbesondere muß geklärt werden, ob alle Grundpflichten gemeinsam ein Gebot zur Optimierung des Stoffverbrauchs unabhängig davon, in welches Umweltmedium die Stoffe ansonsten freigesetzt würden, aufstellt. Ein solches Gebot zur Optimierung der Anlagentechnik mit Blick auf den Stoffverhrauch würde dem produktionsintegrierten Umweltschutz zu einer verstärkten Durchsetzung verhelfen.
a) Verhältnis der Grundpflichten zueinander
Die jeweiligen Grundpflichten können nach den bisherigen Ausführungen im Einzelfall eine Modifikation des Stoffeinsatzes in der Art oder in der Menge, die Kreislaufführung von Einsatzstoffen und Wasser, die Vermeidung respektive Nutzung von Abwärme sowie die Modifikation eines Verfahrensschrittes, eines Produktionsprozesses oder des gesamten Produktionsverfahrens gebieten. Dies setzt die Ermittlung und Bewertung verschiedener zur Produkterzeugung geeigneter Herstellungsvarianten voraus. Diese Maßnahmen sind zunächst eindimensional auf die jeweils in Rede stehende Grundpflicht bezogen. Geprüft wird jeweils, ob die in Frage kommenden Varianten dem Abwehrgrundsatz, dem Vorsorge grundsatz, den abfallbezogenen Grundpflichten oder der Abwärmenutzungspflicht entsprechen. Dabei sind unter den oben beschriebenen Voraussetzungen Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs von (gefährlichen) Stoffen oder von Energie zu ergreifen. Hier erscheint es durchaus möglich, daß einer Grundpflicht mit einer Variante nachgekommen werden soll, die sich aus Sicht einer anderen Grundpflicht als weniger geeignet erweist. Dies betrifft insbesondere das Verhältnis der Abwehr- und Vorsorgepflicht auf der einen zu den abfallbezogenen Grundpflichten auf der anderen Seite. In der Literatur findet sich als Beispiel oft der Fall, in dem eine besonders wirksame Begrenzung von Emissionen nach § 5 Abs. I Nr. 2 BImSchG zu einem stärkeren Abfallaufkommen führt 511 • Denkbar erscheint auch, daß eine im Einzelfall nach § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG gebotene Vermeidung von Abfällen, z. B. durch die Modifikation eines Produktionsprozesses oder durch einen veränderten Stoffeinsatz, zu höheren Emissionen führt. Wenn sich solche nachteiligen Wirkungen nicht oder nur mit nicht gebotenem Aufwand vermeiden lassen, stellt sich die Frage, wie Konflikte zwischen den Zielen der verschiedenen Grundpflichten gelöst werden sollen. Hierfür soll zunächst ein Blick auf das Rangverhältnis der vier Grundpflichten erfolgen. Dabei ist festzuhalten, daß die Abwehrpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG den anderen drei Grundpflichten im Rang vorgeht 512 • Zwar steht ausm Vgl. nur Hansmann, NVwZ 1990,409 ff., 411; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 199OTz. 228. m Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1990, Tz. 228.
A. Grundpflichten des Betreibers nach § 5 Abs. 1 BImSchG
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drücklich nur das Abwärmenutzungsgebot aus § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit den Pflichten aus Nr. 1; entsprechendes muß aber auch für § 5 Abs. 1 Nm. 2 und 3 gelten. Denn § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG dient der Gefahrenabwehr. Dieser kommt Vorrang im Verhältnis zu den vorsorgebezogenen Anforderungen der anderen Grundpflichten ZU 513 • Schädliche Umwelteinwirkungen, sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft müssen vermieden werden. Maßnahmen der Abfallvermeidung und vorsorgebezogene Anforderungen dürfen folglich nicht zu entsprechenden Wirkungen führen 514 • Maßnahmen produktionsintegrierten Umweltschutzes, die der Erfüllung der Abwehrpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG dienen, haben folglich Vorrang vor Maßnahmen zur Erfüllung der sonstigen Grundpflichten. Wenn sich entsprechende Herangehensweisen technisch oder aus Gründen der Zumutbarkeit ausschließen, sind sonstige Maßnahmen nicht zu ergreifen. Das Abwärmenutzungsgebot ist dagegen im Verhältnis zu der Vorsorgepflicht und den abfallbezogenen Grundpflichten bereits nach seinem Wortlaut nachrangig. Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG müssen nur ergriffen werden, "soweit dies ... mit den Pflichten nach den Nummern 1 bis 3 vereinbar ist." Das Vorsorgegebot und die abfallbezogenen Grundpflichten schließlich stehen gleichrangig nebeneinander 15. Beide Grundpflichten dienen der Vorsorge. Dies spricht für ihre Gleichrangigkeit516 • Darüber hinaus fehlt bei Nr. 3 die bei Nr. 4 ausdrücklich enthaltene ,,Nachrangklausel,