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German Pages 363 [376] Year 1845
Rechtsverfassnng wie sie zu rcfornttren sein möchte. Erste Fortsetzung: die Stift’«,beamten und deren Klagen, dabei von der Institution der Referendarien; die Institution der Iustizkonnnissarien und die Untersuchungsmarime; die Winkelschriststellerei; das neue BureauReglement; die Posener Kassen-Instruktion; das Instnuationswesen; das Akten - Ausbewahren und Vernichten; der summarische Prozeß; der Bagatellprozeß; der Strafprozeß; das Militair-Iustizwesen; die Abfassung öffentlicher Urkunden.
Von
C. £. Koch.
V
Sm Verlage von schienen :
G. P. Aderholz'
in Breslau
ist ferner er
Die
Preußischen Städtevrdmmgen vom 19, 9tovber.l8«8 n 17. Marz 1831, eine systematisch geordnete Sammlung aller auf dieselben Bezug habenden gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere der in der Gesetzsammlung für die Preußischen Staaten in den v. Kamptz'scben Annalen für die innere Staatsverwaltung und in deren Fortsetzungen durch die Ministerialblätter ent haltenen Verordnungen und Nescripte, in ihrem organischen Zusammenhänge mit der früheren Gesetzgebung dargestellt unter Benutzung der Archive der Ministerien des Innern, der Justiz, der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten und der Hauptverwaltung der Staatsschulden, von
L. v. Norme,
unt)
48 Bogen,
Heinr. Simon, Oberlandesgerichts - Asseyor.
Kammergerichts - Rathe,
gr. 8.
2^ Rrhlr.
Die genaue Kenntniß der Preuß. Städteordnungen mit den dazu er gangenen Ergänzungen gewinnt doppeltes Interesse in einer Zeit, wo Staat und Gemeinden zu regerem politischen Leben erwacht sind, und wo eö sich um wesentliche Reformen der Gemeindeverfaüunq wichtiger Lan destheile handelt. Deshalb hatte bereits der Eine der Herren Verfasser im Jahre 1840 eine solche Schrift herausgegeben, welche Seitens deS hohen Ministeriums des Innern und der Polizei durch nachstehende, an sämmtl. Kgl. Negierungen erlassene, Cirkular-Verfügung empfohlen ward: „Der Oberlandesgerichts-Rath v. Nonne hat mir ein von ihm her* „ausgegebenes Werk, betitelt: Die Pveuß. Städteordnnugen rc., „Breslau bei Aderholz, übersandt, welches alle die beiden Gesetze ergän„zenden und erläuternden, und die Ausführung und Anwendung ord„nenden Gesetze und Ministerial-Bestimmungen so vollständig und in so „klarer wissemchaftiicher Anordnung enthält, daß eS allen zeitherigen „Arbeiten dieser Art bei weitem vorzuziel>en ist, und ich es als ein sehr „nützliches Hilfsmittel für alle diejenigen Behörden und Personen „betrachten muß, welche bei Ausführung beider Gesetze betheiligt sind. „Ich mache daher die Kgl. Regierung auf dieses sehr schätzbare Werk „aufmerksam, um eS nicht nur für Ihre eigene Bibliothek anzuschaffen, „sondern auch um eS in Ihrem Amtsblatte den Magistraten, „Stadtverordneten und allen Denjenigen zu empfehlen, welche sich „für diesen wichtigen Gegenstand interessiren." Berlin, den 17. Ian. 1810. Der Minister deS Innern u. d. Polizei
v. Rochow. Das Werk ist alS eine durchaus verbesserte, fast um die Hälfte vermehrte zweite Ausgabe zu betrachten, deren Werth außerdem noch durch eine wissenschaftliche Einleitung, welche die Geschichte deS deutschen und des vreuß. StädtewesenS ausführlich enthält, erhöht worden ist. Zweckmä ßige Register und Uebersichten erleichtern den Gebrauch.
Preußens Rechtsverfaffung und
tote fte zu reformiren fein möchte.
Erste Fortsetzung: die Justizbeamten und deren Klagen, dabei von der Institution der Neferendarien;
die Institution der Justizkommissaricn und
die Untersuchungsmarime;
die
Winkelschriftstellereiz
das
neue
Bureau-Reglement; die Posener Kassen-Jnstruktion; das Jnsinuationswesen z das Akten-Aufbewahren und Vernichten; der sum marische
Prozeß;
der Bagatellprozeß;
der
Strafprozeß;
das
Militair-Justizwesen; die Abfassung öffentlicher Urkunden.
Von
C. F. Koch.
Breslau, bei Georg Philipp Aderhvl;. 1S44.
Inhalts- Verzeichnis Seite. Einleitung................................................................................................. 1 L Die Zustizbeamten. 1) Klage über Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Richter
in ihren Urtheilen............................................................................. 4 2) Klagen über Entwürdigung des Richteramts.
.
.
.20
3) Klagen über Erschwerung und Beschränkung der Concurrenz,
und die Institution der Referendarien
....
SO
4) Klage über zu geringe Besoldung....................................................... 84 ö) Klage wegen Ueberbürdung hinsichtlich der Pensionen
.
. 115
II. Die Institution der Zustiz-Commissarien und die Untersuchungs maxime
....................................................................................................... 129
III. Die Winkelschriftstellerei......................................................................... 171 IV. DaS neue Büreau-Reglement.....................................................178
.
. 206
VI. Das Insinuations-Wesen.............................................................
. 230
V. Die Posener Salarien-Kassen-Jnstruktion
.
.
VII. Das Akten.Aufbewahren und Vernichten.......................................... 247 VIII. Der summarische Prozeß.
252
IX. Der Bagatell-Prozeß........................................................................ 290
X. Der Strafprozeß..............................................................................................300 XI. DaS Militair.Zustizwesen.........................................................................311 Anhang zu X und Xi, betreffend die Frage wegen Veröffentlichung
der Uriheilsgründe................................................................................. 348 XII. Die Abfassung glaubhafter Urkunden.
(DaS Notariat.)
. 353
Schlußbemerkung..............................................................................................362
Ginleitnng.
4Jie rhapsodische Schilderung oder Andeutung mancher Zu stände unserer Rechtsverfaffung, womit ich im vergangenen
Jahre vor das verehrte Publikum getreten bin, enthält zu viel, als daß sie hätte unbeachtet bleiben können, und zu wenig, um überall und bei Jedermann die siegende Kraft der Wahr
heit zu entfesseln.
Die Macht der Gewohnheit, Eigenliebe,
Vorurtyeile und Persönlichkeiten sind im Allgemeinen mächtige Stützen alles
einmal Eingeführten und Bestehenden,
und
müssen erst dadurch, daß man die daraus hervorgehenden Mißstände durch genau dargestellte Einzelnheiten der mensch
lichen Vernunft klar vor Augen legt, wankend gemacht wer-
bern.
Welche dankonswerthe Anerkennung auch meine un
maßgebliche« Vorschläge an höchster Stelle durch Wort und
That in mancher Hinsicht gefunden haben, so ist in anderer Hinsicht doch auch die von mir bezweifelte oder bekämpfte
Zweckmäßigkeit der einen oder der andern Institution theils
durch Zweifel an dem Thatsächlichen, theils dadurch, daß man wieder in dm Personen die Ursach des ungünstigen Erfolgs sucht, zu rechtfertigen versucht worden.
2 Dieß macht es nothwendig, Manches noch näher zu be gründen oder weiter auszuführen. Außerdem aber ist Vieles, was noch gar nicht berührt
worden ist und nicht weniger dringend eine Abhilfe oder Besserung fordert.
Davon bringe ich hier dasjenige, was
sich zunächst dargeboten hat, in Anregung.
Der Stoff aber
wird hierdurch noch lange nicht erschöpft, und darum will
ich den Weg, den ich mir dieser Schrift betreten habe, noch
nicht für zurückgelegt ansehen. Mein Zweck ist, für die Herstellung einer zeitgemäßen Rechtspflege zum Wohle meiner Mitbürger und folglich zum
Wohle meines Vaterlandes, nach meinen schwachen Mitteln und Kräften, nntzuwirken;
ich habe keine anderen Bewe
gungsursachen als allein das glühende Verlangen, die In
stitutionen hergestellt zu jehen, welche die allgemeine Stimme
und eine langjährige Erfahrung eben so sehr wie das We
sen der Sache als die sichersten Bürgschaften einer unab hängigen und
selbstständigen Gerechtigkeitspflege
dringend
empfehlen. Aus diesem Gesichtspunkte ist das, was hier folgt, vor
getragen; ich werde dabei nur das Sachliche im Auge ha
ben und mich der Ruhe befleißigen, ohne welche der Sache nicht gedient werden kann.
Wäre aber der eine oder der
andere Ausdruck nicht glücklich gewählt, die eine oder die andere Redefigur nicht recht gerathen, die eine oder die an dere Thatsache überflüssig, so bitte ich den geneigten Leser,
nur die gute Absicht anznsehen.
3 Die Rechtschaffenheit meiner Gesinnungen, in welchen ich
die Mißstände und Beschwerden vor Augen führe, ist mir
Bürgschaft, daß meine Worte an allen Orten, wo es darauf ankommt, eine gute Stelle finden werden; und die Hoch
herzigkeit und Freisinnigkeit unserer höchsten Staatsbehörden, so wie das eifrige aufrichtige Bestreben derselben, überall wo es
Roth thut, zu helfen und allen billigen Wünschen zu entsprechen, sind Gewähr, daß Mühe und Arbeit nicht verloren sind.
1. Die Jnstizbeamteir.
1) Klage über Beeinträchtigung der Unabhängig
keit der Richter in ihren Urtheilen. Bei unsern Staatseinrichtungen hat kein einziger Beam ter die Würde oder den Charakter der Obrigkeit, jeglicher Beamter ist nichts weiter als ein Diener der Obrigkeit.
Mit
Verwunderung habe ich oftmals gehört und gesehen,
wie
einzelne Richter die Bestimmungen des Allg. Landrechts Th. II, Tit. 20, §. 580, wonach leichte Verbalinjurien, wenn sie
von Unterthanen gegen ihre Obrigkeit verübt worden, in schwere Injurien ausarten,
auf Beleidigungen gegen einen
Justiz- oder Polizei-Bedienten haben anwenden wollen, als wenn ein Beamter die Obrigkeit wäre.
überflüssig,
den Beamten zu sagen,
sind als Diener der Obrigkeit.
Es ist daher nicht
daß sie nichts weiter
Wir haben keine Magistrate
(Obrigkeiten), welche in Person den Dienst verrichten, es
müßte denn ein Guts- und Gerichtsherr sein, der in Per
son die Polizei oder gar auch die Justiz auf seinem Gute verwaltete.
nicht,
Wir haben,
sage ich,
dergleichen Magistrate
weil es für ,den Dienstherr» viel zu kostspielig sein
würde, persönlich den Dienst zu verrichten.
Der Dienstherr
5 ist der Staat
keit,
(wol zu unterscheiden noch von der Obrig
auf welchen Unterschied ich mich nicht einlaffe);
t’r
muß für die Verrichtung des Dienstes bei der Obrigkeit Sorge
tragen.
Sollte er also, wie in manchen Republiken, ohne
Miethlinge den Dienst versehen,
Reihedienst sein,
so müßte nothwendig ein
oder der Dienst solchen Mitgliedern der
Staatsgesellschaft überlassen werden, welche darin ihre Un
terhaltung suchten.
Hierin liegt beiläufig ein Grund mit,
warum das gerühmte Institut der Schiedsmänner, in seiner
jetzigen Einrichtung, niemals volksthümlich werden, nie zur
Blüthe komme» wird.
Ein angesehener Bürger,
möge seiner Verhältnisse fortwährend zu
der ver
Gemeindeämtern
angezogen wurde, sagte mir kürzlich: „ich bedaure, daß ich
nicht zum Schiedsmann gewäblt worden bin;
denn dann
wäre ich meine Gemeindeämter losgeworden, und als Schieds
mann hätte ich auch nichts gethan."
Ein Bürger der alten
Republiken konnte freilich so nicht denken, wir aber keine alten Republikaner,
wir sind klüger,
sere Vorschriften (Gesetze)
sind
wir machen Mi
und lassen die zur Vollziehung
erforderlichen Handgriffe durch Diener verrichten, was uns viel wohlfeiler zu stehen kommt, als wenn wir es persönlich
nach der Reihe thun sollten.
Das Institut der Lohndiener
bringt nun mit sich, in Beziehung auf die persönlichen Ver hältnisse:
daß alle für Lohn angenommene Beamten vom
Ersten bis zum Letzten, gehören,
zu einer und derselben Kathegorie
daß hingegen jeder freie Staatsbürger,
insofern
ihm die Mitgliedschaft in der Staatsgesellschaft zugestanden
ist, dem Beamten gegenüber zur Kathegorie der Diensther-
6 rett gehört; und daß in Beziehung auf die Befugnisse der
Bediensteten ein Beamter als solcher noch nicht Repräsen tant des Dienstherr« ist,
sondern daß, um dieses zu sein,
noch Etwas hinzukommen muß.
Die Nutzanwendung davon ist,
daß die Beamten nicht
Herren sondern Diener des Publikums sind, und daß sie nicht regieren und nicht anordnen können und dürfen, dern das thun und verrichten müssen,
was ihnen die von
der die Staatsgesellschaft repräsentirenden juristischen)
Person
(physischen oder
ausgegangenen Instruktionen,
ments und Bestimmungen vorschreiben.
son
Regle
Es wäre nützlich,
wenn diese Verhältnisse klar in das Bewußtsein aller Be diensteten übergingen, und wenn Zeder inüerhalb seiner Berufsgrenze bliebe:
die Klage über Beamtenregierung und
über Büreaukratie würde dann großeniheils grundlos werden.
Eine große Menge von Dienstleuten bringt eine ge wisse Gliederung mit sich, ohne welche sich das Ganze des
Dienstes nicht würde handhaben lassen.
Daraus folgen von
selbst gewisse Abstufungen unter den Dienstleuten und es kann nicht anders sein,
als daß gewisse Obere eine Anzahl
ihnen untergeordneter Dienstleistenden leiten und beaufsich
tigen,
womit das Aufsichtsrecht gegeben ist.
Der Zweck
aller Aufsicht an sich ist lediglich die Erhaltung der Dienst thätigkeit,
sie, die Aufsicht, kann jedoch dabei ihr Augen
merk auf zweierlei richten, uämlich auf das Ob und auf das Wie.
Zst der Dienstleistende bloß Maschine,
hat er
bloß die Handgriffe, wie sie von dem Dienstherr» oder dem
von diesem bestellten Aufseher vorgeschrieben werden, aus-
7 zuführen, werden:
so
muß selbstredend
eine Maschine,
auch ans das Wie gesehen
die nach der Ansicht — denn nur
diese entscheidet darüber — des Maschinisten nicht gut ar beitet, wird bei Seite geworfen, sie muß einer Bessern Platz Wo aber der menschliche Geist in Dienst genom
machen.
wo das vernünftige Ermessen,
men ist,
der Verstand das
Wie der Thätigkeit bestimmen, das Erzeugniß hervorbringen
soll, da kann dem Aufseher kein Einfluß auf das Wie zu stehen, da ist eben der Verstand des Handelnden allein das
Bestimmende.
Ein berufener Sach- oder Kunstverständiger
in Sachen
kennt
seines Urtheils
keine
andere Richtschnur
als seinen Verstand, sollte er dem Einflüsse eines Andern
folgen müssen, so wäre nicht mehr Er selbst, sondern dieser
Andere
Dieses nun
der Urtheiler.
gilt vom Richteramt.
Die Richter sind Kunstverständige und haben ihr Amt ledig lich nach ihrem eigenen Wissen und Gewissen zu verrichten,
kein Anderer kann ihnen, ohne daß sie aufhören zu sein was
sie sein
sollen,
noch mehr:
darin Etwas vorschreiben.
sie sind durch ihren Dienstcontract zugleich be
rufen und beauftragt,
Recht dem
zu
Sie sind aber
finden
als Stellvertreter der Obrigkeit das
und Urtheil zu sprechen,
bestehenden Recht,
welches ihnen,
und zwar nach
nach ihrer eigenen
Auffassung und nach eigenem Kunstverstande, dabei zur aus
schließlichen Norm dient.
Wie der römische Arbiter in den
sogenannten causis arbitrariis lediglich ex officio, d. i. nach
seinem Ermessen und nach seiner Auslegung des Rechts sein
Urtel fällte,
so der heutige Richter nach Bewandniß der
Sache und seiner Rechtserkenntniß.
8 Bei allen civilisirten Völkern
keit der Richter für eins
die Unabhängig
gilt
der größten Güter,
Rationen der Erde, selbst die rohesten,
und alle
halten die Würde
des Richters für heilig und unantastbar.
Selbst mensch
licher Irrthum und Fehlgriff gibt kein Recht, die Person
des Urtheilers anzugreifen, weil damit die Unabhängigkeit im Urtheilen über den Haufen geworfen sein würde; man ehrt
selbst einen irrthümlichen Ausspruch noch als einen richterli
chen Urtelsspruch, und hat nur Mittel und Wege erdacht, Ab hilfe zu erlangen dadurch, daß noch ein anderer Richter über die Sache sein Urtheil spreche. Dieser andere Richter ist aber
in keinem höher» Grade unabhängig als der erste, auch eben
so feblbar als der erste, und darum sind Beide an sich ganz gleiche Größen: der Zweite ist kein Oberer oder Vorgesetzter des ersten,
er ist nur der zweite Richter in der Sache und
hat als solcher mit der Person des ersten Richters gar nichts zu schaffen, der alleinige Unterschied zwischen Beiden beruhet
bloß darin, daß der Letzte Recht behält; aber wer von ihnen
wirklich das Rechte getroffen hat, ist nicht auszumachen. erhellet,
daß die Benennungen von Unterrichter
(ein Ausländer,
der unser Staatsleriko» nicht recht inne
Hieraus
hatte, verstand darunter eine Person, die Unterricht gibt,
einen Lehrer) und Oberrichter unpassend sind;
sie sind aber
auch schädlich, weil sie den Irrthum erhalten und die Be
deutung des Richters Erster Instanz verkennen machen; und der aus Geringschätzung entstandene Gebrauch hat nicht ein
mal das Herkommen für sich,
da unter den aus der Ge
schichte bekannten Ober- und Riedergerichtei» etwas ganz
9 Anderes verstanden wird, soll.
alS hier damit bezeichnet werden
Roch jetzt kommt es vor, daß man, doch wol nicht
ans Hochachtung,
Gerichten erster Instanz
so von Oben
her Vorhalt: sie wären nur Untergerichte, wie man S. 186 des ersten Hefts lesen kann.
Mit sehr widerstreitenden Em
pfindungen denkt man über dergleichen Vorhaltungen nach; ich gehe jedoch darüber hinweg und komme zurück auf den
vorhin entwickelten Satz: daß jeder Richter, nach der Natur seines Amts,
Richter
zweite
in seinem Urtheil völlig unabhängig sei,
erster Instanz in Richter,
Autorität
irgend
und
der
keinem geringern Grade als der
daß weder diesem noch einer andern
ein Einfluß
auf daS Wie der amtlichen
Thätigkeit des ersten Richters zustehe. Finden wir bei uns diese Unabhängigkeit anerkannt und
gewürdigt, finden wir sie gesichert?
Nein.
Derselbe Geist,
welcher einstmals in Folge der bekannten Müller Arnoldschen
Rechtssache,
traurigen Andenkens,
durch den Königlichen
Mund dem Minister v. Zedlitz vorschrieb: tote er das Ur theil sprechen sollte, derselbe Geist, welcher die Richter, well sie nach Pflicht und Ueberzeugung in jener
Sache geurthetlt
hatten, formlos und ohne Richterspruch wegjagte, bestrafte
und zur Entschädigung der unterliegenden Parthei (des Mül ler Arnold) verurtheilte, — dieser Geist ist noch da. Zwar,
das P wahr, in jener fürchterlichen Gestalt ist er seitdem
nicht wieder erschimeN, aber er lebt noch, er lebt in unserer, sich von daher schreibenden Zusiizeinrichtung.
Vermöge der
selben sind es Geister untergeordneten Ranges, welche be-
ntfeit sind oder sich berufe« halten, de» Richtern vorzuschrei-
10 ben, wie sie urtheilen sollen. Ich bringe hierzu einen, mir von den Partheien zugestellten Belag aus der allerueuesten
Zeit. Zn einer ordinairen
Prozeßsache war der Beklagte
in dem Klagebeantwortungstermine
ausgeblieben und der
erschienene Kläger machte den Antrag, den Beklagten wegen seines ungehorsamen Ausbleibens in contumaciam zu verurtheilen.
Ehe jedoch dieser Antrag zum Bortrag bei dem
Richterkollegium kommen konnte, ging ein Promemoria des
Beklagten von demselben Tage ein, worin er anzeigte, daß gewisse namhaft gemachte Hindernisse ganz plötzlich am Bor
mittage eingetreten seien und ihm das persönliche Erscheinen sowie die Absendung eines Bevollmächtigten unmöglich ge
macht hätten; er brachte die Klagebeantwortung bald nach und bat die Sache zu verhandeln. Beide Anträge kamen zugleich zum Vortrage.
Das Richterkollegium fand die Ent
schuldigungsgründe erheblich,
und
resolvirte, daß der Be
klagte, weil er nicht für ungehorsam zu halten und auch die Klage bereits beantwortet habe, nicht in contumaciam zu verurtheilen, sondern die Sache zu verhandeln.
Damit war
der Kläger unzufrieden, er recurrirte, d. h. er beschwerte
sich über das Gericht bei dem Oberlandesgerichte.
Dieses
erforderte denn, nach der bekannten Weise, von dem Gericht Verantwortung, und das Gericht berichtete:
„daß der Bortrag richtig und die Instruction der Sache im Gange sei. Unter den in dem Proroga
tionsgesuche vom 4. September angeführten Umstän den, heißt es: finden wir, wenngleich dasselbe erst
«ach Verlauf der Terminszeit eingegangen, die Be-
11 schuldigung
des Ungehorsams gegen die Beklagte
nicht begründet, und darum haben wir ein Contumacial-Erkenntniß
nicht
abfassen
nach ausdrücklicher Bestimmung Tit.
I,
können.
Denn
des §. 10, Tit. 8,
der A. G.-O. soll nur der
ungehorsame
Beklagte der in der Klage angegebenen Thatsachen für
geständig und überführt erachtet werden; ob aber der Beklagte ungehorsam sei oder nicht, das hat der
erkennende Richter zu befinden, und in dieser Eigen schaft haben wir die
Beklagte bei den augezeigten
erheblichen und plötzlichen Hinderungsursachen nicht ungehorsam befunden, folglich auch nicht in con
tumaciam verurtheilen können."
Wäre nun daS Oberlandesgericht anderer Meinung ge
wesen und hätte als Gericht Zweiter Instanz einen andern
Bescheid abfassen können und den Beklagten verurrheilt; so wäre solches justizmäßig gewesen.
Aber was geschah? Das
Oberlandesgericht belehrte, ganz im Berufe seiner Stellung, das Gericht Erster Instanz, daß der Beklagte ungehorsam
gewesen sei, und in contumaciam verurtheilt werden müsse; und befahl dem Gerichte, hiernach das Contumacial - Urtel
zu sprechen.
Dieses Dokument lautet wie folgt:
„Dem Königlichen rc. Gericht wird in Folge
des auf die Beschwerde des Kaufmann Moritz S. zu N. vom 23. September c., in dessen Prozeßsache
wider die Frau Landräthin von O., unterm 10. d. M. erstatteten Berichts hierdurch aufgegeben, unter
Aufhebung jedes ferneren Instruktions-Termins daS
12 Corttumacial - Erkenntniß nach dem Anträge des klägerischen Mandatarii abzufaffen.
Dieser Antrag erscheint nach §. 8, Tit. 8 der Pro
zeß-Ordnung vollkommen gerechtfertigt, da hiernach angenommen werden muß, daß eine Partei, die in
dem Bormittags angestandenen Termine bis 12 Uhr nicht erschienen, als
ungehorsam
ausgeblieben
zu
erachten ist. Ferner geht auch aus den §§. 20 und 21 1. c.
ganz deutlich hervor,
wenn
daß ein Prorogakionsgesuch,
darauf gerücksichtigt werden soll,
Termine einzureichen ist.
vor dem
Wallte sich daher die Ver
klagte vor den gesetzlichen Folgen der
Contumaz
schützen, so mußte sie sich in integrum restituiren
lassen." Indem diese Verfügung dem Gerichte erster Instanz an
befehlen will, tote Es erkennen soll, negirt sie die richter liche Selbstständigkeit und spottet der Unabhängigkeit des
Richters in seinem Urtheil. Das betroffene Gericht that jedoch wie weiland der Minister von Zedlitz,
der dem König
lichen Gebieter rund abschlug, das Urtheil so zu fällen, wie
befohlen war, «nd erließ folgendes Erkenntniß:
„Zn der ordinären Prozeßsache des Kaufmann Mo ritz S. zu 91., wider die Landräthin v. O. auf St., hat das Königliche rc. Gericht zu 91. in seiner Sitz
ung vom 7. November 1843, an welcher Theil ge nommen haben: u. den erkannt:
Akten gemäß für Recht
13 daß Kläger mit seiwem Anträge: die Verklagte in contumaciam seinem Klageanträge gemäß
ju verurtheileN, abzuwrisen und die Kosten dieses ZwischenurtelS zu tragen schuldig.
B.
R.
W.
Gründ«. Der Kaufmann S. hat als Käufer der Erbpacht-
gertchtigkeit von Alt-G. gegen die Fideikommißbe«
sitzrrin, Landräthin v. O.> auf Ertheilung der Ein willigung in die Veräußerung der Erbpachtgerech
tigkeit geklagt. Zm Klagebkantwortungstermine, den
4. September c., ist bis
12 Uhr von Seiten
Verklagten Niemand erschienen.
der
Kläger beantragte
daher gegen die Verklagte in contumaciam zu er kennen. Noch ehe der Contumazialbescheid abgefaßt wer
den konnte,
kam indeß mittelst einer Vorstellung
Vom 4. September der JustlzcommiffariuS I. für
die Verklagte, Vollmacht von ihr überreichend, ein, mit der Anzeige, daß die Verklagte durch plötzlich
eingetretene Krankheit,
sowie unaufschiebbare Ehe
haften ihres Gemahls, am Erscheinen verhindert
gewesen, und mir der Bitte,
einen anderweitigen
Dermin anzusetzen, wobei er sogl«ch versprach, die Klagebeantwortungsschrift schon den 7. September
emzureichr«.
Dies
letztere hat er auch gethan und
deßhalb erachtet« däs EvllegiUm in Berüekstchtigung des b. 23, Dit. 8 der Prozeßordnung, und weil
14 ordinairer
Prozeß vorlag, die Verklagte nicht für
contumax, faßte den Contumazialbescheid nicht ab,
sondern verordnete einen
Termin
zur
Instruction
der Sache.
Ueber
dieß
Verfahren hat sich der Kläger bei
dem Königl. Oberlandesgericht beschwert, und Dieses hat durch die Verfügung vom 27. Oktober c. dem rc.
aufgegeben,
Gerichte
unter Aufhebung
ferneren Znstruktionstermines kenntniß nach dem
jedes
das Contumazialer-
Anträge des klägerischen Man
datars abzufassen. Da dem erkennenden Richter nicht vorgeschrieben werden kann, wie derselbe erkennen soll, so hat das
Eollegium in jener Anweisung nur den Befehl fin den können, über die Frage:
ob der Contumazial«
bescheid abzufassen, welche Frage in der Regel durch
einfache Verfügung des instruirenden erkennenden
und zugleich
Richters erledigt zu werden pflegt, in
dem vorliegenden Falle durch förmliches Erkenntniß
zu entscheiden. Das Collegium hat auch in seiner
erkennender
als
der Sache nicht des Klägers:
bei nochmaliger Prüfung
Richter finden
jetzt
Eigenschaft
können,
schon
in
daß
der
Antrag
contumaciam zu
erkennen, gerechtfertigt sei. Der §. 20, Tit. 8, Th: I, der A. G.-O.
ver
ordnet zwar, daß ein Verklagter, 'der im Termine
nicht
erscheinen
kann,
dem Gericht noch vor dem
15 Termine davon Anzeige machen und um Berlegung
desselben Litten müsse, schon,
daß
ein
verspätetes
im
Prorogations-Gesuch Folge
die
demselben
Kosten erstatten muß. dabei,
Grunde
zuläßiges
sich
keine
als daß
fruchtlos
weitere er
dem
aufgelaufenen
Vorausgesetzt wird natürlich
daß bei dem Eingänge des Prorogationsge
suchs der Contumazialbescheid
ist.
an
den Verklagten hat,
für
Kläger
allein der §. 21 eod. ergibt
Denn ist dieser ergangen,
bereits über den Ungehorsam
noch nicht abgefaßt so
hat Der Richter
des Verklagten ent,
schieden und diesem bleibt nichts weiter übrig, als
das
ihn«
Contumazialbescheide
gegen
zustehende
Rechtsmittel zu gebrauchen, weil ein einmal ergan
genes Erkenntniß nicht durch bloße Verfügung be seitigt werden kann. Diese Ansicht wird durch die Vorschriften über
das Rechtsmittel der Restitution gegen Contnmazialbescheide bestättigt.
Es unterliegt nach §. 71, Tit.
14, Th. I der A. G -O. keinem Zweifel, daß
ein
Verklagter gegen ein Eontumazialurtel restituirt wer
den muß,
wenn er neben der vollständigen Ein
lassung auf die Klage, zugleich erhebliche Ursachen,
auS denen er zu erscheinen verhindert gewesen, be scheinigt.
Aus §. 75, 77 ib. und §. 125 ergibt sich
sogar, daß die unterlassene Bescheinigung der Hin derungsursachen,
oder
die Unrichtigkeit derselben
zwar den Verklagten unter Umständen einer Pro-
16 zeßstrase unterwirft,
di« Restitutio« ihm aber des-
balb nicht versagt werden kau«. Fällen
Muß in dergleichen
die Restitution gegen Contumazialurtel er
folgen, so ergibt sich von selbst,
daß dann, wenn
der Verklagte noch vor Abfassung des Eontuma-
zialurtelS
die erheblichen Gründe des Ausbleibens
angibt und bescheinigt,
der Richter nicht erst den
Eontumazialbescheid abfaffen darf, sondern sofort
eine« andern KlagebeantwvrtungStermin ansetzt.
Es
würde in einen reinen Formalismus ausarten, wenn der Richter erst den
Eontumazialbescheid
abfassen,
demnächst aber zugleich unter einer Verfügung den
Verklagte« gegen diesen Eontumazialbescheid in in tegrum restituiren wollte.
So wie die Abfassung
des Eontumazialbescheides bedingt ist durch die rich
tige und rechtzeitige Insinuation der Vorladung, so ist sie auf der andern Seite auch durch den Unge horsam des Verklagten bedingt.
§. 10, Tit. 8 ib.
Hat vor Abfassung des Contumazialbescheides der
Verklagte sich nicht gemeldet, allerdings Ungehorsam
so muß der Richter
voraussetzen.
Hat er aber
vorher erhebliche Hinderungsursachen angegeben und bescheinigt,
so fällt diese Voraussetzung «eg und
auf Ungehorsam kann dann ein Urtel nicht gegrün det werden, ohne daß der Richter mit sich selbst in
Widerspruch träte.
In dem vorliegenden Falle hat die Verklagte di« von ihr angegebenen Hinderungsursachen zwar
17 nicht bescheinigt, allein es ist anch der erste Termin
im ordinären Prozeß gewesen, dessen Verlegung sie nachgesucht hat,
und
zu dessen Verlegung bedarf
es nach §.23, Tit. 8 derA. G.-O. nicht der Bescheinigung des obwaltenden Hindernisses.
Es hat
daher dem Anträge des Klägers: in contumaciam gegen die Verklagte zu erkennen, nicht statt gegeben
werden können, und mußten derselben daher, nach §.2, Tit. 23, Th. I der A. G -O., auch die Ko
sten dieses Zwischenurtels zur Last gelegt werden." Dieser Fall mag wol, so lange die Allgemeine Gerichts ordnung und ihr Vorgänger, das Corpus Juris Fridericia
num in Anwendung ist, noch nicht vorgekommen sein; erscheint
ein bloßer Ausweg zu sein, persönlichem Streite und Berationen aus dem Wege zu gehen und sich als Richter nicht zur Ma
rionette machen zu lassen. der Partheien.
Aber das geschieht auf Kosten
Ander« Beispiele, welche bisweilen ebenso
kurzweilig als niederschlagend sind, bringe ich nicht erst bei; die Beschwerde über Beeinträchtigung der richterlichen Un
abhängigkeit ist begründet und «S fragt sich bloß,
wie dem
Mißstande abzuhelfen sein möchte. Es ist wahr, viel läßt sich thun durch weise Handhabung der Aufsicht,
durch vorsichtige Beobachtung der Grenzlinie
zwischen dem Ob und dem Wie, durch intelligente und wohl meinende Behandlung der Beschwerdesachen.
nehmen den dazu
Aber woher
erforderlichen Bedarf an Weisheit und
Intelligenz ohne Eitelkeit, Eigenliebe, ohne Eigenwillen und Borurtheil ? Und hätten wir auch daran Ueberflnß, so wäre da-
18 durch immer nur eine Minderung des Uebels zu erwirken, der Ucbclstand selbst würde dadurch nicht beseitigt, dieser ist
mit der bestehenden Entrichtung gegeben.
Um ihn ganz zu
beseitigen, ist Folgendes nöthig:
1) die Aufsicht muß schlechterdings keinen Einfluß auf das Wie der richterlichen Thätigkeit haben;
muß Sache des Partheistreits sein:
dieses
welch« Parthei
damit nicht zufrieden ist, mag sich auf den Ausspruch
des zweiten Richters, wo es zulässig, berufen; der zweite Richter muß mit der Person des ersten gar
nichts zu schaffen haben, nicht von ihm Antwort
und Vertheidigung verlangen,
nicht an ihn schrei
ben dürfen, nicht seine vermeintlich höhere Weisheit ihm einflößen wollen, er muß es bloß mit den Par
theien zu thun haben, diese anhören und seinen Aus spruch lediglich zwischen ihnen thun;
2) das Beschwerdewesen muß ganz Wegfällen;
3) das Belehren und das Auslegen der Geseye durch höhere Staatsbeamte mit dem amtlichen ^Ansinnen,
daß Richter sich darnach richten sollen, muß unter bleiben, wer sich dazu berufen fühlt, mag als Gelehrter auftrete« und den Schatz seiner Wissenschaft und Erfahrungen gemeinnützig machen.
Damit se-
doch alles dieses ermöglicht werde, muß
4) die für die Gerechtigkeitspflege unpassende Hierar chie mit ihrem Prinzip der Abhängigkeit aufhören;
das
gerichtliche Verfahren dahin geändert werden,
daß
der Richter nur durch Sentenzen oder Urtel
19 über alle vor ihn gebrachten Streitfragen wirksam
sei; und die Einrichtung muß dahin geändert wer«
den, daß der Richter nichts mehr mit Berwaltungsangelegenheiten zu thun hat. Die Besorgniß, daß bei derartigem gerichtlichen Verfah
ren die Prozesse wieder verewigt werden würden, indem ge gen jedes Zwischenurtel appellirt werden könnte, verschwin
det, wenn bedacht wird, daß solche Appellationen zur Siche
rung der Partheirechte durchaus nicht nöthig sind: es kommt dabei auf gute Prozeßgesetze an. das französische Recht,
Ich erinnere hierbei an
ohne damit zu behaupten,
just überall Je und nicht anders sein müsse.
daß es
Dieses unter
scheidet dreierlei Urtel: vorbereitende (jugemens preparatoires), das sind solche, welche die Instruction (die Auf
klärung) der Sache verordnen und den Zweck haben,
die
Sache zum Endurtheil spruchreif zu'machen; dann Inter lokute (jugemens interiocutoires), als welche solche Ur
theile angesehen werden, welche vor dem Rechtsftrruch einen Beweis aufgeben oder die Ausmittelung einer gewissen auf
die Entscheidung der Hauptsache wesentlichen Einfluß ha benden Thatsache (une instruction qui prejuge le fond), d. h. durch welche, wenn sie für erheblich gehalten wird,
der Klagegrund (die causa)
einen andern Charakter als
welchen die eine oder die andere Parthei behauptet, erhal
ten könnte oder welche für den geltend gemachten Klage grund nach der Meinung der einen oder der andern Parthei
ein Erforderniß sein oder nicht sein soll; die Endurtheile
(jugemens definitifs ). Die Appellativ» ist nur gegen Jn2*
20 terlocnte und Endurtheile zulässig,
gegen vorbereitende
Urtheile während der Instanz nicht, sondern erst nach dem Endurtheile und in Verbindung mit der Appellation gegen das Endnrtheil*). Prozeßgang
Die Quere! einer Parthei über eine, den
betreffende richterliche Anordnung (gegen ein
vorbereitendes Urtel) ist dort ein unmögliches und unbekann
tes Ding; man würde den für einen Narren halten, der,an irgend eine Behörde,
oder an ein Appellationsgericht sich
mit einer Beschwerde über ein Gericht wegen einer richter lichen Verordnung wenden wollte.
Hat man darum schon
von Klagen und Beschwerden über schlechte Justiz,
über
Versagung des rechtlichen Gehörs, oder über Verschleppung
der Prozesse wider den Willen
der Partheien — und ein
Dritter hat dabei nichts mitzureden — in den Rheinlanden
gehört? Hat man gesehen, daß die Rechtsstreitigkeiten dort
von den Richtern weniger gründlich und rechtswissenschaftlich entschieden werden als wir solche mit den von oben her empfangenen Belehrungen entscheiden?
2. Klagen über Entwürdigung des Richteramts. Ein Richter, zumal ein sogenannter Unterrichter, kann weise sein wie Salomo, gelehrt wie Leibnitz, fromm und got
tesfürchtig wie Tobias, rechtschaffen und gerecht wie Da-
*) Code de procedure civile, Art. 31, 151, 451.
21 niet: das AlleS gilt — ich will nicht sagen: nichts, daS wäre Uebertreibung — aber es gilt bei uns wenig, Werthmesser
sind ganz andere Dinge,
hauptsächlich die Menge der ver
brauchten Tinte; der Grad der Pedanterie und die Fertig
keit in der buchstäblichen Vollziehung des Reglements über
den sogenannten Büreaudienst;
der Grad der Eilfertigkeit,
womit die vorgelegten Rechtssachen todt gemacht werden; und die Kunst, der Eitelkeit die Schleppe zu tragen.
Ei»
Justitiarius, den ich kürzlich revidirte, und dessen Rechts-
Verwaltung in materieller Hinsicht ganz tadellos war,
der
aber zur exacten Ausführung des Subalternen-Dienstes, den
er doch auch verrichten sollte, nicht hinlängliche Kunstfertig
keit hatte, sagte treffend: die eigentliche Rechtsverwaltung
ist
eine unbedeutende Nebensache,
Schreiberei und die Rechnerei.
meister, der kunstgemäß
die Hauptsache ist die
Es ist wahr,
die wissenschaftlich
ein Schreib auspunktirten
Linien hält, genau die rechte (Solenne trifft, die Züge vor schriftsmäßig macht, die Sechs nach der Vorschrift von Oben
anfängt, statt, wie Viele, von Unten; ein Rechner, der die vorgeschriebenen Schemata kunstgerecht ausfüllt: diese Künst
ler werden höher angeschlagen als ein verständiger Richter
Was thut man mit einem gelehrten Urtel? ringschätzig sageff hören: es gilt
habe ich ge
ja doch nicht, der fol
gende Richter wirft es über den Haufen, die Hauptsache ist das Abmachen und zwar das Abmachen in der verordneten
Schablone, just so und nicht anders; der Parthei ist das
egal, wenn sie nur ein Ende sieht, und es ist auch für daS Ganze egal, wenn nur die Sachen abgethan sind.
Dieß die
22 Philosophie.
Darnach wäre es das rathsamste, von jeder
Sache nur das Ende zu machen,
und gleich mit den unge
lehrten Urteln letzter Instanz anzufangen. Ich komme zurück und nehme
die vorhin angegebenen
Werthmesser nach der Reihe durch.
1) Die Menge des gelieferten Schreibwerks, die Anzahl
der abgemachten Nummern Namen davon haben, der Umfang des
(Vortragsstücke, die wol ihren
daß sie nicht vorgetragen werden),
Haufens
abgethaner Aktenstücke ist das
erste Kennzeichen eines tüchtigen Richters; von Einem, der heißt es: der ist ein
dieses in befriedigendem Maße liefert,
ungeheurer Arbeiter! Ueber diesen Ruhm geht kein anderer.
Rheinische Richter! ich frage Euch: wie stellt Ihr Euch einen Richter, der als solcher ein ungeheurer Arbeiter ist, vor? Muß man sich darunter nicht einen Mann denken, der die Rechts
sachen so verarbeitet wie der Schuster das Leder? Aber
wie soll man sich
das vorstellen? Zhr geht z. B. an dem
heutigen Tage in die Rathskammer,
hört den Vortrag des
Untersuchungsrichters an und beschließt: was weiter gesche hen soll; morgen geht Ihr in die Civilkammer, sitzet in Eu
ren Amtskleidern hinter dem halbrunden Tisch und höret die Borträge der Sachwalter aufmerksam an, dann zieht Ihr
Euch zurück, deliberirt und beschließt; übermorgen versam melt Ihr Euch im Deliberationszimmer,
und überlegt mit
Bedacht die vorigen Tags vorgetragenen Sachen, deren Ent
scheidung auf die nächste Audienz vertagt ist u. f. w.: wie soll dabei Einer vor dem Andern ein
ungeheurer
Arbeiter
sein können? Seid ihr nicht Alle äußerlich gleich viel und
23 gleich wenig thätig? Ja, darin liegt eben ein Unterschied
zwischen Euch und den allgemeinen gerichtsordnungsmäßigen
Richtern, daß ihr mit Verstand und Wissenschaft Dienste lei stet, während die Letzter» auch
mechanische
Arbeiter sind,
d. h. öffentliche Schreiber, Erecutoren und Boten.
Daß der
Richter in gewissen Fällen persönlich die Erecution in Civilsachen vollstrecken soll,
schreibt die Allg. Gerichtsordnung
Th. I, Tit. 24, §. 59 vor;
daß er sich auch als Bote soll
gebrauchen lassen, ist zwar nirgend vorgeschrieben, aber man ästimirt ihn gerade so viel, nm ihn dazu brauchbar zu hal
ten.
Ein an mich selbst ergangener derartiger sehr geehrter
hoher Befehl vom Juni 18.. lauter wie folgt:
„Sie werden in (der und der) Sache hiermit an gewiesen, sich bei dem Hauptmann M. daselbst nach dem Aufenthalte der re. zu erkundigen, und darüber
binnen 8 Tagen zu berichten." Beiläufig ist bemerkenswerth, daß diese Manier, an einen
königlichen Oberlandesgerichts-Rath zu schreiben, der Schreib art in Verfügungen an Boten und Laudreuter ganz gleich ist.
Wer nun in solchen mechanischen Arbeiten etwas Ansehn liches leistet,
wer namentlich große Ladungen Akten abde-
cretirt, Haufen von Schreibwerk liefert und doch alle Zeit fertig, d. h. bereit ist, noch mehr zu vertilgen,
der erwirbt
der erregt Be
den Ruhm
„eines ungeheuern Arbeiters",
wunderung
und wird auch was „ungeheures."
richtsdirector z. B., der eS zu was
bringen will,
Ein Ge
schreibt
an die Behörde: sein Gericht sei, nach dem er es nun in muster
hafte Ordnung gebracht, für seinen Durst nach Thaten viel
24 zu klein, feine Kräfte verlangten einen
größer» Wirkungs
kreis. Erhält er dann em anderes Gericht, so kann er seinen
Ruhm und sein Ansehen durch nichts besser begründen, fei# nenLkuhmeslans durch nichts mehr beschleunigen, als dadurch, daß er es sein erstes Geschäft nach
seiner Dienstantretung
seht läßt, die bis dahin bestandene Vertheilung der Geschäfte als miserabel über den Haufen zu werfen, sich sämmtliche Akten vorlegen zu lassen, und zu jedem Aktenstück ein Scrip
tum, etwa folgenden Inhalts zu machen und zum Vortrag zu geben:
Revisions - Decret in (der und der) Sache.
I. Vidi Acta. II. Diese Sache gehört zur (ersten, oder
zweiten
u. s. w.) Klasse*).
III. Der Herr N. N. wird zum Decernenten ernannt. Um solches auszuführen, sitzt er 8— 14 Tage zwischen großen Akten-Bergen, welche auf der einen Seite vor der Arbeitswuth des neuen Direktors wie Schnee am Feuer verschwinden, und sich auf der andern Seite hoch
aufthür#
men; die
kommen
Aktenverwahrer
(Registraturbedienten)
außer Athem und können die Akten kaum so rasch zustellen und wieder wegschaffen, als der penetrirende Blick und die
Schnelligkeit des Revisors dieselben abthut; nach 14 Tagen
hat der neue Dirigent alle Akten revidirt und eine nie zuvor
*) Um Ließ zu verstehen, muß man wissen, daß er tie Akte» nach der Stärke oder Schwere klassificirt, um die ArbcUspensa gleich »u machen.
25 gekannte Ordnung hergestellt; und sein Ruhm verbreitet sich in alle Lande.
2) Die Pedanterie und die buchstäbliche Ausführung der
mechanischen Dienste ist ein nothwendiges Muster-Richters;
Requisit
eines
denn die Erhebung gleichgültiger Dinge
zu wichtigen gilt für Gründlichkeit und
Genauigkeit. Ich
bringe dafür einige Beläge. Frage: Wenn ein Gericht in seinem Depositorium eine große
Anzahl Testamente aufbewahrt, ist es dabei von Belang: ob es dieselben, der leichtern Auffindung halber, nach alphabeti scher Ordnung, oder nach der Zahlenfolge gelegt hat? und zwar
von solchem Belange, daß darübergroße Berathungen der Auf
sichtsbehörde gehalten und Spezial-Verordnungen erlassen wer
den können? Man sollte denken: bad wäre etwas ganz gleich gültiges, wie das Gericht sich das baldige eben gesuchten
Testaments
der Mühe werth,
Auffinden
des
sichern wollte; und es sei nicht
darüber nur ein Wort zu verlieren, ge
schweige etwas darüber schriftlich in die Welt gehen zu las
sen. Gott bewahre! Dieses Wie, die Frage: ob nach Buch
staben oder nach Nummer», ist eine wichtige ZustizverwalEin
tungsfrage.
der solches für
Revisor,
wichtig
er
kannte, fand die Testamente in einem, in Fächer abgetheilten Deposital-Schranken, nach dem Alphabete in
»ertheilt,
aufbewahrt.
Da schien ihm,
den Fächern
daß ja auch die
Nummern die Ordnung bestimmen könnten; er entschied sich
für
die Nummern,
Verbesserung
und
brachte in seinem
in Vorschlag:
die Testamente
Berichte die
nicht mehr
nach den Buchstaben, sondern nach der Zahlenfolge zu legen.
26 Darauf erging denn von dem Oberlandesgericht an jenes Ge
richt folgender Bescheid: „Beim Testaments--Depositorium
scheint
es
nicht
zweckmäßig zu sein, die Testamente nach Buchstaben in den Fächern des
Deposttal käste ns*)
wahren, da dadurch die Revision
des
sehr aufgehalten und erschwert sein muß.
aufzube
Depositor« Die Bezeich
nung nach Nummern scheint den Borzug zu verdienen." Wären die Testamente nach der Zahlenfolge
geordnet
gewesen — denn vermuthlich soll die Anordnung
nach der
Folge der Zahlen durch die „Bezeichnung nach Nummern" gemeint sein —; so wäre es vielleicht eingefallen,
daß ge
rade umgekehrt die Ordnung nach den Buchstaben besser sei, was auch in der That praktischen Scharfblick bewiesen haben
würde; denn die Folgereihe nach den Zahlen ist ja augen scheinlich so sehr unpraktisch, daß, weil die ältern Nummern
mit der Zeit ganz wegfallen und die Zahl immer
wächst,
von Zeit zu Zeit immer von Neuem die Inschriften an den Fächern geändert und
müßten.
die Testamente umgepackt
werden
Bemerkenswerth ist aber der, übrigens für beide
Ordnungen passende, Grund:
„da die Revision sehr auf
gehalten und erschwert sein muß." Nicht die Erleichterung des
täglichen Dienstes ist der Endzweck, sondern die Erleichterung
der Revision, die das ganze Jahr nur drei Mal vorkommt. Weiter. In der jüngsten Zeit sind gerade solche gleich gültige Nebendinge zu Hauptgegenständen der Justizvisitatio-
*) Dieser Kasten war beiläufig kein Kasten, sonder« ein Schrank.
27 nett gemacht.
Die Allg.
Gerichtsordnung Th. III, Tit. 8
gibt den Revisoren der Gerichte, abgesehen von der Anlei
tung zur Prüfung des Depositalwesens, folgende Anweisung: §. 22. Sie müssen den Sessions- und Gerichtstagen bei
wohnen; auf das Verfahren dabei, und wie die Rich ter in den dabei vorkommenden haupt ,
insonderheit
aber
bei
Geschäften
den
über
Instruktionen
der Prozeßsachen zu Werke geben, genau Acht ge
ben; die etwa vorkommenden Mißbräuche und Un
regelmäßigkeiten sorgfältig bemerken; wenn sie wahr nehmen, daß selbige nur aus Mißverstand, Irrthum, eingeschränkter Kenntniß, oder Mangel an Uebung
herrühren, den Richtern mit
deutlichen
praktischen
Anweisungen dabei zu Statten kommen; wenn aber dergleichen
Mißbräuche in einer groben Ignoranz,
in der Faulheit und Fahrläßigkeit, oder gar in einer unredlichen, parteiischen, oder animirten Denkungs art eines solchen Unterrichters ihren Grund haben, denselben
näher nachzuspüren,
und wenn sich die
Sache zu einer förmlichen Untersuchung qualisicirt, dem Kollegia davon unverzüglich Anzeige machen. §. 23. Alle kurrente Prozeß-, Konkurs- und die wichtige
ren Vormundschafts-Akten müssen sie sich vorlegen lassen; nachsehen, ob dieselben im gehörigen Gange befindlich sind,
und wodurch die Beendigung der
schwebenden Prozesse etwa noch aufgehalten wird; mich was
dabei zu thun, und wie die Sache, um
28 ihre Endschaft zu beschleunigen, einzuleitenfei, flei ßig erinnern und an die Hand geben.
§. 25. Sie müssen die bei ihnen etwa angebrachten schwerden gegen das Untergericht hören;
Be
dieselben
mit den Akten vergleichen; von dem Gerichte Aus kunft und Erläuterung darüber fordern; wenn die Beschwerde offenbar ungegründet ist,
den Suppli
kanten umständlich bedeuten; wenn sie offenbar er heblich wäre, das Gericht wegen deren Abhelfung
gehörig anweisen;
in bedenklichen
Fällen aber die
weitere Beurtheilung und Verfügung dem Kollegia
Vorbehalten.
Die Allgemeine Gerichtsordnung will also hauptsächlich
auf eine intelligente materielle Thätigkeit der Richter hinge wirkt wissen.
Das ist letzt anders;
dergleichen materielle
Zustizvisitationen gehören heutzutage zu den allergrößten Sel
tenheiten.
Dagegen ist in neuester Zeit eine andere Art von
Gerichterevisionen unter dem Titel von cursorischen schäftsrevisionen
eingeführt,
unverhältnißmäßig
Ge
welche zum Zweck haben, mit
großen Kosten nachzusehen:
Geschäftsjournale und Listen alle die Kolonnen
ob auch die und Linien
haben, welche das Büreau-Reglement vorschreibt;
ob sie
gehörig ausgefüllt und zwar mit der angegebenen Floskel oder Zeichen,
nicht etwa bloß mit einem
gleichbedeutenden
Vermerk, und auch jnst von der befohlenen Person ausgefüllt
werden, u. bergt.
Wenn darin um ein Weniges gefehlt ist,
gleich viel: ob es bei der Sache darauf ankommt oder nicht, so ist das viel schlimmer und tadelnSwerther als ein dum«
29 mes Urtel.
Zuweilen führt das zu Lächerlichkeiten.
Ich
bleibe bei diesen Allgemeinheiten nicht stehen, sondern bringe Einzelheiten. Ich sage: es komme darauf wesentlich an, daß das Jour,
nal just in einer gewissen Manier ausgefüllt sei.
Das s. g.
Journal ist wesentlich ein Verzeichniß der eingegangenen Schriftstücke, und soll nachweisen: was aus den Schrift
stücken geworden ist, wo sie zuletzt hingekommen. lein ist der Zweck.
Das al
Neuerlich ist ein Schema mit einer über
reichlichen Zahl von Colonnen und Rubriken und Unterab-
theilungen vorgeschrieben, welche durch Einschreibung des Datums, an welchem das was die Ueberschrift besagt, ge
schehen, nachgetragen werden.
Nun kommt es oft vor, daß
Alles an demtelben Tage geschieht, so daß das Journal
unter demselben Tage das Decretiren, das Erpediren, das Jnsinuiren und das Einheftten des Schriftstücks in das Ak tenheft nachzuweisen hat. Die Registraturbedienten bei einem Gerichte hatten in solchen Fällen das Datum, z. B. den
in alle Colonnen geschrieben.
Was geschah? Ein Re
visor tadelte das als sehr fehlerhaft, machte darüber viel
Aufhebens und wollte, daß nur in die erste Colonne das Da tum gesetzt, dann durch alle folgende Colonnen bis an die letzte
ei» Strich gemacht und nur in die letzte Colonne wieder das
Datum gesetzt werden sollte! Vieles ähnliche hierher gehörige übergehe ich um die Geduld der Leser nicht zu sehr zu ermüden.
Ferner, sage ich:
wird großes Gewicht darauf ge
legt, daß die Colonnen just von einer gewissen Person ausgefüllt werden, ohne daß es darauf gerade ankommt.
30 Dieß ist z. B. der Fall bei den s. g. Jnsinuationsbüchern
der Gerichtsboten.
Alle Briefe, welche ein Bote zum Ab
tragen erhält, werden in ein Buch geschrieben, welches eine Eoloime für den Vermerk hat:
gabe geschehen ist.
an welchem Tage die Ab
Diesen Nachweis erfordert die Ordnung
und er ist auch schon seit langer Zeit geführt worden.
Das
neue Büreau-Reglement schreibt nun aber vor, daß die
Adressaten eigenhändig jenen Vermerk in das Buch schrei
ben
sollen.
Ein gesetzliches Erforderniß ist dieß durchaus
nicht, aber es ist nun einmal Dienstvorschrift. Die Gerichts
boten befolgen sie jedoch sehr unregelmäßig, und ein Revisor
machte denn daraus, wie natürlich, den Vorwurf einer unordeutlichen Gerichtsverwaltung.
Der Dirigent,
auf dem
der Vorwurf der Unordentlichkeit und Schlechtigkeit dieses
Dienstes sitzen blieb, wollte dafür die Boten hernehmen; bei der Verantwortung zeigte jedoch der Eine an:
„ich
bitte unterthänigst, mir gnädig zu verzeihen,
daß die Leute nicht schreiben können;
denn es steht
doch in meiner Instruktion auS der Gerichtsordnung daß eS auch gut ist, wenn ich auf meinen Amtseid
anzeige, daß die Verfügung infinuirt ist, wie es im mer gewesen, und da habe ich eS auch jetzt immer vermerkt, da ich es doch nicht zwingen kann,
daß
die Leute schreiben lernen."
Ein Anderer berichtete: „Ein hohes Direktorium, ich bitte ganz gehorsamst
«m hohe Verhaltungsbkfehlt. Stad», angesehene Personen,
Die Leute in der lachen mich ost auS,
31 wenn ich mein Buch aufmache und sage, unterschreiben.
sie sollen
Vorgestern sagte der N. R. lachend:
Ach gehen Sre, es ist schon gut; sagen Sie nur auf das
Gericht,
Buchquittiren nicht,
die
Gesetze verlangten
solches
sondern nur wenn Prozeß und
ein Jnsinuatious« Dokument ist mitgefchickt worden, und das Gericht möchte also die Leute nicht unnö-
thig inkommodiren lassen.
Da habe ich doch keine
Macht, die Adressaten selbst einschreiben zu lassen. Zur Probe theile ich noch ein Paar Vorschriften aus einem mir bekannt gewordenen, auf eine derartige kostspielige Geschäfts-Revision ergangenen, Visitations-Abschiede
mit.
Es heißt unter Ander«:
„Bei der Büreau-Einrichtung ist
1) das Insinuationsbuch nach dem dem Geschäfts-Re glement vom 3. August 1841 beiliegenden Formu
lar P anzulegen (§. 22), 2) die Erecutionsliste nach dem Formulare N zu füh ren (8. 22)."
Die ganze Bedeutung dieser Verordnungen wird erst er sichtlich, wenn man weiß, daß es sich nicht darum handelte: ob das in dem erst kurz vorher eingeführten neuen Büreau-
Reglement vorgeschriebene Muster angewendet werden sollte oder nicht; sondern darum: ob das noch vorhandene, völ
lig brauchbare, auf Staatskosten angeschaffte Material auf
gebraucht,
oder wöggeworfe» werden sollte.
Das Oberge
richt mochte es nicht auf sich nehmen, die alten Bücher noch verbrauchen, und unterdessen das neue Reglement hierin unbe-
32 folgt zu lassen, vielmehr mußte von dem betroffenen Gerichte deßhalb höheren Orts Folgendes vorgetragen werden:
„Das Jnssnuationsbuch, wie
der Revisor
es
vorgefunden hat, ist so eingerichtet, wie das sub I beigefügte lithographirte Formular auSweiset. Das selbe enthält nicht bloß die nämlichen Angaben wie
des neuen
das Formular P
Geschäftsreglements,
sondern ist in gewisser Hinsicht noch
übersichtlicher,
und kann daher wenigstens mit demselben Nutzen
für den
Dienst
angewendet werden.
Der Grund
aber, warum nicht schon ei» Buch nach jenem For
mular P in Gebrauch ist, ist der, daß bei Einfüh
rung des Geschäfts-Reglements vom 3. August 1841
noch beinah ein Rieß lithographirrer Formulare vorräthig war, welches bei seiner Brauchbarkeit als Maku latur wegzuwerfen nicht verantwortlich zu sein schien. Was die Erecutionsliste betrifft, so ist schon den 22. Oktober 1841
(lange vor d.er Revision)
eine
Erecutionsliste nach dem neuen Formular angeschaffl
worden.
Allein nicht lange zuvor erst war ein ziem
lich starkes Buch eingebunden und nach dem sub II beiliegenden Formular liujirt worden,
Kosten für den
so daß die
Einband, für das Papier und die
Arbeit weggeworfen gewesen sei» würden, wenn von dem Buche kei» Gebrauch
gemacht worden wäre.
Deßhalb wurde verfügt, dasselbe zuvor vollzuschrei
ben, ehe das angeschaffte neue Buch in Gebrauch genommen würde."
33 Weiter heißt es in jenem Dokument:
„In den Repertorien fehlt die Rubrik: ob und in welchem Jahre die Akten kassations
fähig sind, und wenn
geschehen.
(soll heißen: wann)
sie
§. 18 ibid.
und in den Repertoiren der kurrenten Akten fehlt
die Rubrik: wenn (wann) und bis zu welchem Blatte die Kosten liqnidirt worden. §. 18 ibid.
So
lange noch
die alten Repertorien brauchbar
sind, hat das Direktorium genau darauf zu achten,
daß jene Vermerke in dieselben geschrieben werden." Repertorien sind,
wie zum Verständniß für den Richt
kunstkenner bemerkt wird, Akten - Verzeichnisse, die der Ueber# sichtlichkeit wegen nach gewissen Rubriken geführt werden,
und wozu man große Bücher, die wegen des häufigen Gebrauchs
in Leder gebunden, und daher kostspielig
immer
auf mehrere Jahre
sind, verwendet.
angelegt,
Seitdem die Ver
käuflichkeit der Akten eingeführt worden ist, hat man in die
sen Repertorien bei jedem Aktenstücke das Jahr des tigen Verkaufs
angemerkt.
künf
Das neue Reglement befiehlt
nun, daß dafür bei Anlegung neuer Repertorien besondere
Colonnen angebracht werden sollen.
Run waren auch bei
jenem Gerichte in den Repertorien,
die nod) für mehrere
Jahre ausreichen, die gedachten Vermerke immer genau und
pünktlich gemacht worden; das Gericht erstaunte daher über diesen
ans
den Wolken
fallenden Paragraphen des Vi-
34 sitations-Abschiedes, und berichtete, über den ohne alle 93er* anlassung strafenden und anbefehlenden Ton sich beschwerend,
daß dazu gar keine Veranlassung fei, es müßte denn der Revisor den Befund nicht vollständig registrirt haben; denn sonst müßte das Oberlandesgericht wis sen, daß dieses schon lange vor der Einführung des
neuen
Geschäftsreglements
regelmäßig
und
sehr
pünktlich beobachtet worden sei und fortgesetzt be
obachtet werde, daher der Zweck dieses Befehls un erklärlich.
Die Rechtfertigung des Oberlandesgerichts darauf lautet so: „Da noch die alten Repertorien beibehalten wer den,
und
§. 18,
im
dieselben die
litt, a und
b
Geschäfts-Reglement
vorgeschriebenen Rubriken:
wenn (soll heißen wann) die Akten zur Kassation fähig sind,
und wenn (wann) sie geschehen ist —
nicht enthalten, so konnte unzweifelhaft die Anweisnng an das Direktorium ergehen,
ten,
daß jene Vermerke
darauf zu hal
in den allen Repertorien
nicht unterlassen würden." Heißt das nicht einen treuen,
in ftiiur Emsigkeit nicht Nachlasse?
fleißigen Arbeiter mitten
ins Gesicht schlagen,
damit er
darin
Und ist es nicht eine Entwürdigung des
Richteramts, ihm in solcher Weise zu begegnen wegen einer in
Vergleich
zur
großen Wichtigkeit des richterlichen Berufs
schon an sich gar nicht beachtungswürdigen,
auch
in
vollkommener Ordnung befindlichen,
Operation?
Weil
aber überbieg mechanischen
ich nicht eine »»nöthige Sammlung un-
35 erfreulicher Sachen herausgeben, theilen will als nöthig,
sondern nur soviel mit
um darzuthun,
daß die gethanen
Behauptungen nicht böswillig aus der Luft gegriffen sind, so lasse ich es hierbei bewenden. Die auf eine hohe Stufe der Vollkommenheit gebrachte
Cultur des mechanischen Justizdienstes, weit davon, Gott gefällige, prompte, solide, und
„eine
unparteii
sche Justiz" zu befördern, hat bewirkt, daß ein sehr großer,
wenn nicht gar — wie zu besorgen — der größte Theil der Richter den in Aussicht gestellten Ruhm der Genauigkeit,
der Ordnungsmäßigkeit und der Gründlichkeit zu erwerben und die Krone zu verdienen bestrebt ist, dadurch, daß genau
in der vorgeschriebenen Zeit, in der angeordneten Manier, in der befohlenen Gleichförmigkeit die Handgriffe gethan
werden und auf die wissenschaftliche Güte der Berufshand lungen weiter keine Mühe verwendet wird, was noch dazu
den Vortheil der geistigen Ruhe und Bequemlichkeit gewährt; daß der andere Theil dagegen, der, von der Wichtigkeit und
Heiligkeit seines Berufs durchdrungen, den Werth der rich terlichen Verrichtungen so gering geachtet und zurückgesetzt
sicht, in dem „rechtschaffenen und lebhaften Eifer für die
Beförderung einer Gott gefälligen, prompten, soliden und unparteiischen Justiz," erkaltet. Daß ich es gestehen muß!
Die Preußische Justizverwaltung hat, nach Verhältniß des Standes der Wissenschaft und Cultur überhaupt, in Hinsicht
dessen, was die Geistigkeit, die Zuverläßigkeit, die Gründ lichkeit und die Rechtsverständigkeit in den richterliche« Be
scheiden betrifft, zu keiner Zeit zuvor auf einer niederen Stufe 3*
36 gestanden als eben jetzt; die Gerichtsverwaltung hingegen ist, was die Gleichförmigkeit, die Pointillerie und die Hastig,
keit in der Zuwegebringung und Zutheilung der Bescheide
betrifft, nie zuvor vollendeter gemessn.
Aufgabe ist: nur
schleunigst den nummerirten Bescheid hinaus, und im Innern
des Heiligthums die Nummer durch die Eolonnen des Re
gisters hastig und in der gebotenen Art nachgetragen u. s. w., die materielle Beschaffenheit des Bescheides ist Nebensache.
Noch ein Schritt, und wir haben auf alle erdenkliche Fälle
die Bescheide gedruckt oder lithographirt vorräthig, und es darf dann nur unter der Dille des Briefkastens, der jetzt auf
jedem Gerichte angebracht ist*), noch eine Oeffnung einge richtet werden, durch welche» der außen wartende Suppli
kant auf seine oben hineingesteckte Eingabe unten gleich den
Bescheid zurückempfängt. 3) Die Eilfertigkeit in der Beseitigung der Sachen ist ei» unerläßlicher Zustand
eines normalen Richters.
Man
ist nämlich in der neuern Zeit der Meinung, daß eine schleu nige und prompte Justiz dadurch hergestellt werde, wenn für alle Handlungen und Geschäfte das Zeitmaß im Voraus
bestimmt sei; und man hat nun für die richterlichen Ver richtungen eben nur die Zeit erforderlich gefunden, welche
allenfalls nöthig ist, um jene in die äußere Erscheinung tre ten zu lassen.
So hat man z. B. im Voraus, ehe noch die
*) Diese Einrichtung macht die Gerichte in den Augen des Pub likums auch r» Briefbestell-Anstalten; es vergeht keine Woche, wo nicht eine Anzahl Briefe an andere auch auswärtige Behörden und an Personen, in dem Briefkasten des hiesigen Gericht- gefunden würden.
37 durch das Gesetz vom J. Juni 1833 eingeführte Art, sum marische Prozesse mündlich zu verhandeln, in Gang gekommen war, ermessen und danach gleich mit vorgeschrieben: wieviel
Sachen in einer bestimmten Zeit zu verhandeln und zu ent
scheiden sein würden.
In einem Rescript vom 3. Angust
1833*) heißt es: „es werden 10Lis 20 Sachen in der Zeit von 9 bis 1 Uhr zu verhandeln sein," und — versteht sich — auch zu entscheiden, denn daß unmittelbar auf die Ver
handlung die Berathung und Entscheidung erfolge, ist be*
kannte Prozeßvorschrift. Dieses macht auf einen jeden zur Verhandlung gekommenen Prozeß 12 bis 24,Minuten. Nun wende ich mich au Alle, welche von der Beschaffenheit und
Wichtigkeit des Richteramts durchdrungen sind, insbesondere an die Richter jener Länder, wo man die Handhabung der
Justiz nicht mit mechanische» Dienstleistungen in Verbindung gebracht hat, wie noch heut in den Rheinprovinzen — an Euch,
Ihr Rheinländischen Richter wende ich mich mit der Frage: würdet Ihr Euch nicht tief erniedrigt und entwürdigt fühlen,
wenn Euch irgend eine äußere Macht vorschreiben wollte: wie viele Minuten nur Ihr auf die Ueberlegung: wie eine
vor Euch gebrachte Rechtssache zu entscheiden sei, verwen
den solltet? Weiter: Man möchte gar gern ein so einfaches und er»
pedites Bagatell«Prozeß - Verfahren haben, wie es vor den Rheinländischen Friedensgerichten statt hat: die Richter sollen
die Partheien mündlich vernehmen, darauf sogleich daS Urtel
*) Sabri’. B. 41, ®. -M>8.
38 sprechen, und über das Ganze ein Protokoll aufnehmen, welches Klagegrund, Antrag, und
Vertheidigung enthält»
so daß das kurze Protokoll den ganzen Prozeß mit der Ent
scheidung darstellt, wie man es bei den Rheinischen Friedens richtern findet. Der Grund
Das will aber durchaus nickt recht gehen.
davon ist der, daß alle Voraussetzungen des
Verfahrens fehlen: man will den Erfolg
ohne die Mittel.
Statt die sachlichen Bedingniffe zu schaffen, wendet man sich wieder gegen die Person der Richter.
Bald soll es daran
liegen, daß nicht mit gehöriger Auswahl die Richter für die Bagatellsachen
ernannt
werden,
und
die Präsidenten und
Dirigenten werden angewiesen, nur die fähigsten und, tüchtig sten Richter dazu zu verwenden.
Dieses Mittel findet natür
lich nur da Anwendung, wo eine Auswahl zu Gebote steht;
bei den allermeisten Gerichten kann Jeder die Auswahl nur mit seiner eigenen Person vornehmen.
Wer hat aber auch
jemals gehört oder gesehen, daß z. B. am Rhein daS schleu nige, prompte und regelmäßige Verfahren nur durch die Persön
lichkeit der Friedensrichter gesichert wird? — Dann werden wieder die Präsidenten und Dirigenten und die Oberlandes gerichte erinnert, die Richter fleißig zu stoßen und zu treiben. Zn
einer allgemeinen Verfügung des Zustizministers, vom 17. Okto
ber 1843*), welche auf Veranlassung eines Artikels der Bör sen-Nachrichten der Ostsee, worin dem Gesetze der Borwurf gemacht wird, daß es sich als durchaus unpraktisch erweise,
ergangen ist, wird dasselbe in Schutz genommen und be-
*) Zustü - Ministerial Blatt v. 1843 Rescript vom 5. Dezember 1639. (Iahrb. Bb. 51 S- 120),
77 Last nicht hätte, wenn er sich um die Erziehung und Aus
bildung der Beamten nicht unmittelbar bekümmerte, vielmehr unter den, in der ganzen Nation sich findenden Bewerbern ein freies Wahlrecht ausüben könnte.
Ist biernach auch un
ter den gegebenen Verhältnissen die Ueberfüllung für den
Staat ein Uebel, so kann doch nicht zugegeben werde», daß
dasselbe größer sei als der Nachtheil, der dem Gemeinwohl
durch die Ausschliessung
des Talents und des Fleißes er
wächst; weshalb sich dieselbe, nach meinem Dafürhalten, selbst durch eine wirklich vorhandene Ueberfüllung nicht rechtfertigen lassen möchte.
Nun glaube ich aber auch, daß es mit dieser
Ueberfüllung nicht so gar schlimm ist, man muß sich nur erst über einige Voraussetzungen verständigen.
Der gesetzliche Unterschied, welchen die Allgemeine Ge richtsordnung
zwischen
den Mitgliedern
der sogenannten
Landes -Zustizkollegien und den sogenannten Unterrichtern
in Ansehung
des Verstandes und
der natürlichen Geistes
fähigkeiten macht; die Bestimmung, daß die Erstem äußerst
kluge und geschickte Leute sein müssen, die Letztem aber al lenfalls Dummköpfe sein können,
weil sie von den Klugen
herumgeführt werden*), ist eine Beleidigung der Gerechtig-
*) Man lese und vergleiche hier die §§. 20 und 32, Tit 4-, Th. III der 51. G--O., welche lauten: „Diejenigen, welche mit den obgedachten Qualitäten (d. i. Fleiß, Applikation, Arbeitslust,' stilles und ordentliches Be tragen) zugleich einen vorzüglichen Grad von Scharfstnn, praktischer Beurtheilungskrafl, Rcchtskenntniß, Deutlichkeit und Präcision des Vortrags vcrvinden, sollen bei den LandesZnstizkvllegien als Assessoren und Räthe bestellt "werden."
78
feit und eine Entwürdigung der sogenannten Unterrichter, di« dadurch von Rechts - und Standeswegen für bornirt er klärt werden. Die Gerechtigkeit kennt nicht verschiedeü« Klassen oder Kathegorieu unter ihren Priestern, sie verlangt von Men gleiche Befähigung, gleichwie sie von dem Unter schiede zwischen vermeintlich wichtigen und unwichtigen Sa chen nichts weiß. Dieser Unterschied muß deßhalb wegfal len, und die Richter müssen alle gleiche Proben ihrer Tüch« rigkeit ablegen, folglich auch für jeden Richterposten grundsätzlich für gleichbefähigt gelten. Werden nun die Anforderungen, welche man an Dieje nigen macht, welche Oberlandesgerichts-Affefforen werden wollen, an Alle gemacht, die überhaupt ein Richterauw übernehmen wollen, und werden alle Richterstelleu mir mit solchen Männern besetzt, welche diesen Anforderungen ent sprechen, so wird die angebliche Ueberfüllung sich vielleicht, selbst wahrscheinlich, unter das volle Maaß vermindern, Denn eine große Menge Richterstellen im Lande sind »och nicht mit solchen Männern besetzt, und noch täglich werde» Referendarien als Königliche oder Patrimvnial-Richter angosteüt. „Referendarien, die zwar ebenfalls eine gründliche Kennte niß der Gesetze, und eine gute Fertigkeit in Anwendung der Vorschriften per Prozeßordnung sich durch mehrjährige Uebung erworben, auch sich durch Fleiß und Applikation, und durch einen stillen regelmäßigen Lebenswandel ausgezeichnet haben, denen aber ein geringeres Maaß an natür lichen Fähigkeiten zu Theil geworden ist,— sollen bei u. s. w. Untergerichten, wo sie unter der Aufsicht höherer Kollegien stehen, und von denselben dirigirt werden können, ihre Versorgung erhalten."
79 Diejenigen Referendarien, welche die nach diesem Grund« sahe
das
für
Richteramt
erforderliche
Befähigung
nicht
finden noch bei den zahlreichen höhern Subal
Nachweisen,
tern-Stellen Gelegenheit zu der ihnen verheißenen Versor gung und
beiten;
können dabei an ihrer Vervollkommnung fortar
zur Zeit werden dergleichen Stellen,
wie die An
stellungs-Listen zeigen, noch immer von Referendarien selten
gesucht, was sich doch kaum erklären ließe, wenn eine große Ueberfüllung
in Verbindung mit Mittellosigkeit vorhanden
wäre.
Zuletzt aber, wenn bei einzelnen Individuen von Talent
und Fleiß hin und wieder die Dürftigkeit so groß wäre, daß um sie zu halten eine Unterstützung nothwendig würde, scheint
mir der Anspruch an den Staat um die erforderliche Unter
stützung nicht bloß nicht unbillig, sondern selbst nicht ohne Rechtsgrund, denn der Staat bereichert sich durch die un-
vergolteneu Dienste, die er sich, von den Referendarien thun laßt; es sind Dienste, die er nicht entbehren kann und die
er, wenn es den Referendarim gefiele, ihre Thätigkeit auf gesetzlich Mäßigem Wege einzustellm, d. h. ihre Dimissivn oder Urlaick zu nehmen, sich «n schweres Geld verschaffm
müßte.
Darum könnte er weit eher im Nothfalle ein Ge
ringes thun, als die Unbemittelten an der Schwelle zurückweifen.
Erzieht
doch der Staat, ungeachtet der sehr gro-
ßm Ueberfüllung im Offizierstande, auf seine Kosten, Söhne armer Keltern zu Offizieren, die doch dagegen nichts weiter thun als waS andere nenangesteüte Offiziere freiwillig und gern auch thun; warum sollte es für dm Staat nicht eben
80 so nützlich sein, einen armen Referendarius, der sich bis auf diesen Standpunkt durch eigene Kraft und eigenen Fleiß ge
bracht hat und überdieß dem Staate Jahre lang unvergoltena Dienste leister, zu unterstützen?
Dieß sind die Gründe, aus welchem die Ausschließung
der Unbemittelten von der Vorbereitung zum Staatsdienst
durch Ueberfüllung in keinem scheint.
Falle gerechtfertigt
zu sein
Es werden dafür aber noch andere Rücksichten gel
tend gemacht. Die große Anzahl, sagt man, welche durch ihre Mittel
losigkeit die Regierung in die Verlegenheit setze, den Gesu chen um Remuneration oder Unterstützung
aus
Mitleid
nachzugeben, verursache dadurch Ausgaben, welche der Staats-« dienst, um gehörig besorgt zu werden, nicht erfordere.
Dieser Vorwand ist schon im Vorhergehenden gewürdigt; der Staatsdienst kann schlechterdings nicht bloß nicht gehö rig, sondern zum großen Theile gar nicht besorgt werden ohne die Dienstleistungen der Referendarien.
Daß die Be
hauptung in Beziehung auf einen Einzelnen wahr ist, daß
sich just dem einzelnen Hilfsbedürftigen sagen läßt: Du kannst gehen. Deine Dienste sind zur
gehörigen.Besorgung des
Staatsdienstes nicht mehr nöthig, — das wird doch wol kein Beweis für die Entbehrlichkeit der Dienste dieser Klaffe
von Staatsdieuern sein sollen?
Die Entbehrlichkeit eines
Einzelnen in einer günstigen Zeit rechtfertigt nicht die allge meine Regierungs-Maxime, diesen Einzelnen in dem Augen-,
blicke, wo man ihn gerade nicht braucht, fallen zu lassen.
Eine Regierung,
welche
diese Maxime
befolgen woll«,
81 würde es nicht weit bringen; zu -entbehren sind zu manchen
Zeiten viele Einzelne, die Zeiten bleiben sich aber nicht gleich. — Uebrigens ist hierbei nicht zu übergehen, daß der Staat nicht allein die unentbehrlichen Dienste dieser bei der jetzt
bestehenden Nechtsverfassung nicht bloß nützlichen sondern durchaus nothwendigen Klasse von Staatsdienern ohne Ver
gütung annimmt, sondern daß er noch obenein drückende Ge bühren und Abgaben für ihre Annahme von ihnen einzieht. Ich habe für die drei Examina und die Anstellungen auf den
drei Stufen als Auskultator, als Referendarius und als un besoldeter Kammergerichtsaffessor, obwohl nicht durch einen
mißlungenen Versuch eine unnütze Vermehrung der Kosten von mir selbst verschuldet worden, 30 Rthlr. Gold und 114 Rthlr. 10 Sgr. 4 Pf. Courant bezahlen müssen, und außerdem für
die bald darauf folgende erste besoldete Anstellung mit 500 Thlr. Gehalt noch 19 Thlr. 22 Sgr. 6 Pf. und 2 Thlr. 11
Sgr., so daß ich zusammen 170 Thlr. 13 Sgr. 10 Pf. zu be zahlen gehabt und auch wirklich bezahlt habe, ehe ich noch
einen einzigen Pfennig Entgelt für meine Dienste vom Staate erhalten.
Das ist für Jemand, der nicht von Renten leben
kann, keine Kleinigkeit.
Wenn man nun in einem Rescript
vom 19. Oktober 1831*) liesst: „ — da in neuerer Zeit Unterstützungsgesuche von
Auskultatoren und mehrere der letzter»
Referendarien
sogar
eingehen, und
um Erlaß oder Stun
dung der Bestallungsgebühren, wegen Dürftigkeit,
gebeten haben" u. s. w. *) Lahrb. Bd. 38, S. 386.
8S fe ist mau mit seiner Philosophie am Ende: man sollte glau»
den, der Erlaß oder gar nur die Stundung der -Gebühren wäre das allerwenigste. Auch Gefahren, hört man, sollen sein, häufig sehr große
Gefahren, welchen der in Bermögensbcdrängniß befindliche Iustizbeamte hinsichtlich seiner Gewissenhaftigkeit und Dienst
treue von oben und unten ausgesetzt ist; und weil dem Staate soll daran gelegen sein müssen, dcßfalsigen Pflichtverletzungen vorzubeugen, soll er den Unbemittelten den Eingang versperren
dürfen. — Soll man darauf wirklich eine ernste Antwort ge ben? Ist das nicht ein Pasquill auf jeden unbemittelten aber
rechtschaffenen Mann? Ist Nechlschaffenheit nur bei einem Nei
chen anzutreffcn? Ist der von zeitlichen Glücksgütern
Ent,
blvßte darum ein Schuft?--------Bei den Ungebildeten soll auch das Ansehen der Beam ten geschmälert werden, wen» diese in ihren Vermögens-
Verhältnissen so beschränkt sind, daß sie zurückgezogen von Allem, was einen zum nothwendigsten Bedarf nicht gehöri
gen. Aufwand erfordert, leben müssen. — Das ist zuzugeben; mau muß noch weiter gehen und behaupten,
daß auch bei
den Gebildeten, und vielleicht in den Hähern Ständen mehr noch als im Kreise der Ungebildeten, das Ansehen der Beam-
teu, welche aus Mangel an Mitteln nicht Alles mitmachen,
schwindet.
Daraus folgt aber mit Nichten, daß dem Mittel
losen die Thüre zum Staatsdienste verschlossen werden darf;
es folgt vielmehr, daß,
weil der Staatsdienst heutzutage
ein Gewerbe ist, und jedes Gewerbe seinen Mann standes-
83 mäßig
nähren muß, wenn es
nicht
untergehen soll,
die
Beamten nicht nach den Zeitverhältniffen hinlänglich gelohnt werden, um ihrem Stande gemäß sich zu verhalten.
Selbst die Ausbildung
der Beamten in Kenntniß deS
Lebens und der gesellschaftlichen Verhältnisse soll beeinträch-
tigt werden, wenn dieselben an dem geselligen Verkehr, auS Mangel an Mitteln, so gut wie gar keinen Antheil nehmen
können. — Dieses Vorgeben hat indeß nicht einmal eine thatsächliche Wahrheit.
gen,
Um Kenntniß des Lebens zu erlan-
hat man nicht nöthig,
Festgelage zu halten, Opern
und Concerte zu besuchen u. bergt,
darin besteht der ge«
sellige Verkehr, den ein Beamter, insbesondere ein RechtS«
gelehrter kennen muß, nicht: dieser muß das Geschäftsleben,
das Rechtsleben, in welchem die bürgerliche Gesellschaft sich bewegt, kennen, er muß die Geschäftsbeziehungen verstehen
und mit den bürgerlichen Gewerben bekannt sein: dieß sind die Gegenstände der Wissenschaft,
in welchen er sich auS«
bilden muß, und dazu hat er bloß Talent und Fleiß nöthig.
Diese Betrachtungen, glaube ich, ergeben, daß die Aus
schließung
der Unbemittelten vom Staatsdienst, in keiner
Hinsicht gerechtfertigt
und die Beschwerde darüber wohl
begründet ist. DaS einzig gründlich wirksame Mittel gegen alle Besorg
nisse, welche möglicher Weise aus einer ganz unbeschränkten
Freiheit der Staatsangehörige» in dieser Hinsicht entstehe« könnten, ist, wie gesagt, die Aufhebung oder doch eine we
sentliche Modifikation der Institution der Referendarien und Auskultatoren, -nach vorausgegangeuer Veränderung
der
84 Rechtsverfassung
bung
überhaupt.
Unabweislich
der Advokatur als Gewerbe.
ist di« Freige-
Dabei hat der Staat
zwei Wege, sich seine Beamten zn verschaffen.
Er kann sie
entweder alle aus dem Advokatenstande nehmen, das in ander» Ländern,
wie
die dabei recht gut gehen,
wir
sehen;
ober, wenn ihm das nicht genügt, mag er nebenher eine
besondere Pflanzschule — nicht halten, sondern gestat ten,
d. h. er mag erlauben,
Gerichten
beigesellen
und
daß Rechtsgelehrte sich den
üben.
Allein er muß sich nicht
unmittelbar um sie kümmern; er muß sich mit ihrem Unter
richt
gar nicht befassen;
er muß ihnen schlechterdings gar
keine bestimmten Verheißungen machen,
wie es die Allge
meine Gerichtsordnung thut; er muß sie kommen und gehen lassen wie sie wollen;
und er muß auf sie in keiner Hin
sicht rechnen und seine Beamten wählen wo er will.
ist
Dieß
jedoch schlechterdings nicht ausführbar ohne die freie
Advokatur, weil außerdem die nicht Angestellten keinen Er werbszweig hätten: wollte man
diese Maxime bei der jetzt
bestehenden Rechtsverfassung, wonach die Quasi - Advokatenund Prokurator-Stellen als Staatsämter vergeben werden, annehmen, so wäre das die allergrößte Ungerechtigkeit und
Gewaltthat, eine Vernichtung des Rechtsstudiums, die sich
in nicht langer Zeit schwer rächen würde.
4) Klage über zu geringe Besoldung. Uederall in der Welt ist es dem Gewerbtreibenden, ab
gesehen von einzelnen örtlichen Kalamitäten, möglich, sich
85 die nach den Zritverhältnissen und gangbaren Preisen zum
Unterhalt für sich und seine Familie nothwendigen Mittel
durch seine Gewerbthätigkeit zu verschaffen,
sei es, daß er
mit den steigenden Preisen der Lebensbedürfnisse auch die
Preise oder
feiner eigenen Erzeugnisse
daß
steigert,,
oder Leistungen
sein erhöhter Fleiß eine größere Menge schafft,
oder daß seine Industrie,
und Wege findet.
feine Geschicklichkeit neue Mittel
Nur in Preußen gibt es eine Klasse ge-
werbthätiger Personen, welche daran von Staatswegen ver hindert sind: dieß ist die Klasse der Rechtsgelehrten.
Diesen
ist die freie Ausübung ihrer Wissenschaft und Kunst verbo
ten;
hat der Staat an sich ge
das gewerbliche Rathgeben
zogen und
läßt es durch seine Richter und gewisse Beam
teten, Justizkommissarien genannt,
ausüben;
wer
sich
Rechtswissenschaft und der Staatskunst widmet, um
der
damit
künftig seinen Unterhalt zu erwerben, ist gezwungen, in den
Staatsdienst zu treten.
Dieser Umstand begründet an sich
die Klage
der Justizbeamten über zu
die Klage
läßt sich eben dieses Umstandes wegen nicht da
niedrige Besoldung;
mit abfertigen, daß Niemand gezwungen sei, um den gebo
tenen Preis den Dienst anzunehmen,
und daß wenn er ihn
freiwillig annehme, ja gesucht und verlangt habe, ihm kein
Ich
sage,
mit dieser Redensart ist die Klage nicht zu beseitigen.
Ein
Anspruch
auf Erhöhung
Zwang freilich,
ausgeübt als
oder
in
des
Lohnes
ein physischer Zwang etwa
zustehe.
wird hier so wenig
in Birmingham von den Fabrikherren
den englischen Kohlengruben von den Bergherren
dadurch, daß sie unter sich verabrede», überall nur so und
86 soviel Lohn zu geben: die Arbeiter, wenn sie leben Wüllen,
müssen zuletzt doch dafür arbeiten; aber daß ihnen die Mög
lichkeit entzogen wird, anderswo durch Fleiß, Geschicklichkeit und Betriebsamkeit mehr zu erwerben , darin liegt allerdings ein Zwang.
Wäre es in Preußen, wie in andern Ländern,
möglich, durch gewerbliches Rathgeben und Geschäftssühren
seinen Unterhalt zu verdienen,
die Besten und Geistvollsten
unter den heutigen Richtern würden auf ihre Aemter nicht
zehn Jahre lang gewartet baden und sie ohne nahe Aus sicht auf Verbesserung nicht behalten.
ich,
die Klage rechtlich wohl zu erheben,
darauf an: ist.
Darum ist, behaupte
und es kommt
ob dazu thatsächlich gegründeter Anlaß gegeben
Dieß läßt sich aber allerdings mit siegender Wahrheit
behaupten: während jeder freie Gewerbtreibende durch um
sichtige Betriebsamkeit von
seinem Handwerk , oder
Kunst
sein standesmäßiges Einkommen und wol noch einen Ueber#
schuß für schlechte Zeiten gewinnt,
muß der Justizbeamte
mit Entbehrungen und Nahrungssorgen kämpfen.
Dir erste
etatsmäßige Besoldung, zu welcher ein bereits in die Drei
ßiger gekommener,
oft den Vierzigen sehr naher,
Assessor
gelangt, sind 500 Rthlr., wovon ihm noch die Beiträge zum
Pensionsfonds abgezogen werden; manche Unterrichterstellen
sind noch viel schlechter dotirt.
Ist er in einem Kollegium,
so kann er mit den Jahren in besser dotirte Stellen auf rücken; diese Aussicht ist indeß auch nicht sonderlich ermun
ternd, indem eine lange Reihe von Jahren dazu gehört, und die zuletzt erreichte Verbesserung von 300 — 400 Rthlr. dann
eben so wenig zulangt als anfänglich die 500 Rthlr., sö
87 daß ein solcher Mann,
zumal wenn tr Familie water ist,
auS seiner kümmerlichen Lage niemals herauSkommt.
(Sin
mir amtlich näher stehendes Mitglied eineS Richterkollegiums,
welches 52 Jahre alt
geworden ist und sieben noch uner
zogene Kinder hat (das Aelteste ist erst 14 Jahre), hat eS
im vergangenen Jahre bis
erst
auf 700 Rthlr. gebracht.
Kann dabei Freudigkeit im Dienst, Liebe für den Beruf be#
stehe» ? der«
Anstrengung, Verdoppelung des Fleißes —: in an#
Verhältnissen
wirksame Mittel zur Vermehrung
deS
Einkommens — helfen ihm nichts, er erwirbt damit feinen
Groschen mehr; es ist Alles umsonst. Noch mehr.
Seit den letzten 20 Jahren haben sich die
Preise der nothwendigsten Lebensbedürfilisse verdoppelt; dack Dienst- und Arbeitslohn, der Preis der Fabrikate und der
gleichen sind ungefähr in demselben Verhältnisse gestiegen, so daß der Gewerbsmann dabei nicht schlechter steht.
Man
sollte meinen, es sei dadurch die Nothwendigkeit gegeben» auch die Besoldungen
erhöhen.
Was
ist
der
Beamten
geschehen?
DaS
verhältnißmäßig gerade
zu
Gegentheil,
man hat die Gehälter um ein Fünftel heruntergesetzt, einen nicht unbedeutenden
Abzug von •/, 2 des
ganzen GehaltS
bei der Anstellung, und außerdem noch einen jährlichen Ab#
zug von 1 % bis 2 Prozent znm Pensionsfonds eingeführtund überdieß das 'Verhältniß hinsichtlich der Verbesserungen
durch Aufsteigen verschlechtert.
Dieses zeige ich an einem
bestimmten Beispiel.
Bei dem Fürstenthumsgericht zu Neisse waren nach dem
Etat auf die Jähre 18|i;
88 eine Direktorstelle mit 1900 Rthlr. eine Rathsstelle mir. . 1200
„
drei Rathsstellen mit . 1000
„
drei Rathsstellen mit.
800
„
zwei Assessoren mit. .
600
„
Der nächstfolgende Etat für die Jahre 18Z4 hingegen
bestimmte, in Folge der regulirten Normaletats, das Ein
kommen der künftigen Mitglieder des Kollegiums wie folgt:
ein Direktor mit . . 1300 Rthlr. ein Rath mit . . . 1000
ff
zwei Räthe mit. . .
900
ff
zwei Räthe mit. . .
800
ff
Rath mit. . .
700
ff
zwei Assessoren mit.
600
ff
ein
Eine Rathsstelle sollte also ganz eingezogen werde«. Seit dem ist es noch jetzt so, nur mit dem Unterschiede, daß man die Direktorstelle wieder um 200 jRthlr. verbessert hat und die eingezogene Rathsstelle durch einen Hilfsrichter ver
walten läßt, dem man 1 Rthlr. 10 Sgr. Tagelohn gibt, so daß man an ihm, der zufällig auch den Vierzigen nahe
und Familienvater ist, gegen früher, etwa 500 Rthlr. jähr
lich profitier. Betrachtungen stelle ich hierüber nicht weiter an; ich
mache bloß darauf aufmerksam, daß nach dieser Darlegung das Einkommen der Richter, verhältnißmäßig zu de« heuti
gen Zuständen und Preisen, gegen früher um die Hälfte herabgedrückt ist.
89 Die Dürftigkeit, in welcher demzufolge eine große Zahl, wo «icht die meisten Richter leben, die Entbehrungen, wo mit sie zu kämpfen haben, während der Gewerbtreibende sich im Wohlstände befindet und sich Lebensgenüsse verschafft,
nehmen dem Richterstande den Rest von Ansehen und Ach tung, welche persöntiche Haltung der unter Nummer 1 und
2 dargelegten Entwürdigung
«bringt, in den Augen des
Volks vollends.
Man sieht es ungern, daß die Richter,
besonders
die
höher gestellten, sich dem geselligen Leben und Verkehr ent ziehen, und es kann Ortsverhältnisse geben, unter welchen es bemerkbar wird.
Zn einer nicht unbedeutenden Stadt,
wo eine sehr starke Garnison, zwei Kommandanten, der
Staab einer Division,
drei Brigade-KommandeurS, drei
Regiments-Kommandeure und außerdem einige pensionirte
Generale, eine Menge Staabsoffiziere waren, befand sich von Civilbehörden nur ein ziemlich großes Untergericht und
der Kreislandrath. Dieser der zugleich Rittergutsbesitzer, und der Gerichtsdirigent waren daher, der großen Generalität
gegenüber, die höchsten Civilbeamten des Orts.
Der Ge-
richtsdin'gent vermied den geselligen Umgang mit den bohen Militairchargen und ließ es bei den konventionellen Ankunfts
besuchen und Gegenbesuchen bewenden; er nahm keine Ein ladungen von ihnen an und erließ auch seinerseits keine Ein
ladung. : Darüber hatte man sich
aufgehalten; man sagte
ihm nach: er vermeide allen Umgang, und repräsentire die Civilbeamten des Orts nicht.
Ein hochgestellter Staats
beamter schrieb ihm: „vermeide« Sie nicht ferner den ge-
90 selligen Verkehr mit höher« Personen, sondern suchen Sie
ihn auf; mag auch häufig *-■ — darunter leiden , die Stele lung, in der Sie dort an der Spitze eines grossen Gericht
stehen, erfordert es,
daß Sie- nicht bloß in den Bureau?
und Sitzungen thätig sind, sondern auch durch Wort und Rede wirken und
genheit geben,
heraustreten und
dadurch zugleich Gelee
Ihren Werth kennen zu
lernen." — Der
Gemeinte sagte dazu: der gesellige Verkehr, nämlich — wie
es verstanden wird — in den Privatgesellschaften,
Assem
bleen, Soireen und dergleichen, ist unter den gegebenen Ver-
hältvissen und Umständen nur auf zweierlei Weise möglich: entweder so, daß ich den hohen Herren den Hof mache und mich dafür zu ihren Diners, Soupes und Bällen und FestinS
bitten lasse: dadurch würde ich mich verächtlich machen und meine Würde wegwerfen;
oder so,
daß — wie es mein
Standpunkt und mein geselliges Verhältniß mit sich bringen würde
—
ich
jeden
Neuangekommenen,
der
mir
die
Ehre seines Besuchs erweis't, zu Gaste bitte und keine Ein
ladung schuldig bleibe: und dazu würde mein ganzer Lohn, den mir der Staat für meine „wichtige Dienstleistungen an
der Spitze eines große« Gerichts" zu geben für genügend hält, nid)t ausreichrn,
Schulden zu machen-
ich müßte noch die Kunst lernen,
Deßhalb bleibt, um unter so ungün
stigen Umständen ohne Uuehre zu bestehen, nur das Mittel: für mich zu sein, und den geselligen Verkehr auf meine Kol legen und einen Familienkreis zu beschränken.
auch der Staat zu fordern.
Das scheint
Denn der Divisions - Komman,
deur braucht zum nothwendigen Unterhalt für sich und seine
91 Hamilie nicht mehr als ich; mir gibt der Staat 1500 Thlr.; jenem dagegen 4000 Thlr. Gehalt, für 8 Pferde Rationen
in Natur oder Gelde, wenn er auch nur 2 oder 4 Pferd«
wirklich hält, und außerdem noch 600 Thlr. sogenannte Ta« felgelder, folglich erhält er über 3000 Thlr. mehr als er braucht, jährlich zum LuruS.
Erst dem Präsidenten eines
Provinzial - Kollegiums wird für gleiche Zwecke der Geld kasten offen gehalten.
Soweit Jener.
Hieran ist die Bemerkung zu knüpfen, daß eS den socia
len Stellungen wenig zuzusagen scheint, wenn an kleinen
Orten, wo ein Provinzial-Kollegium ist, ohne daß ein andere Autorität anzutreffen, Insterburg,
den
wie z. B. in Ratibor und
Präsidenten
desselben
eine so große
Menge Geld zur Repräsentation gegeben wird, was sie nicht
verbrauchen sönnen; »jährend an Orten, wie der vorhin in
Rede stehende, die an demselben befindlichen höchsten Eivil« beamten so gestellt sind, daß sie vor dem Glanz und LuruS
der Mikitair-Autoritäten, wie der Mond vor der hellleuchtenden Sonne verschwinden.
Darüber ließen sich viele Be
trachtungen anstellen.
Der Staat kann nicht allen seinen Beamten die Mittel zum Lurus geben; darum ist es nicht gut, wenn höher ge
stellte Beamte von eigenen Mittel entblößt sind, — hört
man wol sagen. Zugegeben werden muß, daß die Zahl der Beamten, na
mentlich der Richter, in Vergleich mit andern Ländern, uh«
verhältnißmäßig groß ist und die Besoldung große Summen fordert.
Die Ursache davon liegt in der Art der Rechts«
82 Verwaltung und in der Gerichtsordnung, nach deren Prin zip der Staat die Besorgung aller Rechtsgeschäfte der Staats
bürger, die Prokuratur und Advokatur an sich gezogen hat, und durch seine Beamten und Richter verrichten läßt, bis in das kleinste Detail, selbst bis zum Briefbestellen.
Allein
daraus folgt bloß soviel, daß wenn die daraus entstehende
Last zu groß wird, die dem Staat nicht einmal gedankte Geschäftsbesorgung aufhören und jedem Einzelnen sein Recht
und seine Sache zur eigenen Bewahrung überlassen werden muß; keinesweges aber mag unter dem Vorwande einer zu großen, ganz freiwillig übernommenen, Bürde die Verbind
lichkeit gegen die angenommenen Beamten unerfüllt bleiben.
Diese Verbindlichkeit aber, die nicht bloß in der Bestimmung des
Gesetzes*),
daß
die
Räthe
Justiz-Kollegien —
der
durchgehends mit auskömmlichen
sorgt werden sollen,
Salarien
ver
sondern die ohne dieses Gesetz
schon in den gegebenen sogleich anzudeutenden Verhältnissen,
beruhet, bringt es, wie allerdings zu behaupten ist, mit sich,
jedem Beamten gerade soviel Mittel zu gewähren, als er nach Maaßgabe seines Ranges, seiner Würde und der Wich tigkeit seines Berufs sowol zu einem bequemen und sorgen
freien Familienleben,
Verkehr gebraucht. nes.
als zu
einem
anständigen geselligen
Das ist der geringste Preis des Man
Dieser Satz gilt insbesondere von de» richterliche«
Beamten in Preußen unbedingt, darum, weil der Staat durch Monopolisirung des Rathgebens und Geschäftsführens
*) Allg. G.-O. Th. in, Tit. 3, §• 19.
93 die Rechtsgelehrten hindert, mit ihrer Kunst und Wissen« schäft diesen Preis sich im freien Verkehr zu erwerben: er läßt ihnen keinen andern Weg als den Staatsdienst.
Da
rum darf er gerechter Weise jenen Preis nicht herabdrücken
wollen; darum darf er gerechterweise nicht sagen wollen: wem der Lohn nicht gefällt, der gehe weg.
Zuerst gestatte
er die vollkommen freie Ausübung der Advokatur und dann bestimme er den Dienstlohn für seine Richter unter dem
Preise! Während
hiernach
die Richter ein vollkommenes Recht
auf eine auskömmliche Besoldung zu haben behaupten, ohne
daß hierdurch andere Beamte im Entferntesten zurückgesetzt werden sollen,
finden sie sich gerade, im Vergleich mit an«
dern Staatsdienern, auffallend zurückgesetzt. Vergleicht man sie mit den Militair-Dignitäten, so fin det man, daß ein Oberrichter (Oberlandesgerichts-Rath,
früher Regierungs - oder Oberamts - Regierungs - Rath) nach
einer Verordnung Friedrich Wilhelm I. zwischen dem Oberst und dem Oberstlieutenant rangirt,
also ungefähr dem Re
giments-Kommandeur oder doch wenigstens dem Batallions-
Kommandeur gleich steht.
Sieht man auf das Einkommen,
so hat ein solcher Oberrichter weniger als der Hauptmann; denn ein Hauptmann von der Artillerie hat 800 bis 1300
Rthlr., und 100 bis 200 Rthlr. Servis, also 900 bis 1500 Rthlr., je nachdem
er Hauptmann 1. oder II. Klasse ist
und in einer großen oder einer kleinen Stadt steht; außer
dem ist er frei von allen directen Personal-Steuern, sowie
von Communal - Beiträgen. — Der Oberrichter. hat
nur
94 800 bis 1400 oder 1500 Rthlr., muß auch direkte Steuern
und
die oft sehr drückenden Communal-Beiträge geben.
Die Direktoren der Untergerichtskollegien stehen den Ober, richtern an Rang
und Einkommen gleich.
die Wichtigkeit der Stellung
Sieht man auf
und des Dienstes;
so findet
man, daß der Hauptmann eine vicht selbstständige Abtheitheilung von 100 Soldaten führt;
ein Gerichts-Direktor
hat bisweilen ein eben so großes Dienst-Personal unter sei, nem Befehl und — was eigentlich seine Bedeutung macht — verwaltet mit seinen Beisitzern
oft über mehr als 50,000 Menschen.
selbstständig
die Justiz
Entspricht dem Range
und der Wichtigkeit des Berufs eines solchen Mannes die
Löhnung eines Hauptmanns? Weiter. Auch in Vergleich mit andern Civil - Beamten werden die Richter in der Belohnung ihrer Dienste zurück
gesetzt.
Die Verwaltungsbeamten, namentlich die bei dem
Abgaben - Wesen beschäftigten Beamten,
erhalten für gute
Dienstleistung, neben ihrer Besoldung, regelmäßig alle Jahre
bedeutende Geldsummen.
sensteuer
Wird z. B. der Ertrag her Klas
durch Hinaufschrauben
der Abgabepflichtigen in
eine höhere Klasse erklecklich erhöht; so erfolgt für den ei
frigen und treuen Staatsdiener eine besondere Remuneration
von mehreren hundert Rthlr. Die Richter hingegen mögen so ei
frig und pflichtgetreu ihr Amt verwalten wie sie wollen, an sie oder vielmehr an ihre Entbehrungen wird nicht ge
dacht. Doch ich irre mich: in meiner vieljährigen Dienstzeit
habe ich es in neuerer Zeit zwei Mal erlebt, daß zwei meiner Kollegen mit Fünfzig Thaler«, oder vielmehr, um genau
95 zu fein, nach Abzug der ihnen davon wieder abgenommenen Stempelabgabe von 5 Sgr. mit 49 Rthlr. 25 Sgr. außer»
ordentlich belohnt worden sind.
Wie es hiernach das positive Gesetz befiehlt und die Ge rechtigkeit fordert, die Richtersiellen auskömmlich zu bohren,
so gebietet solches nicht weniger auch die Staatsklngheit, die bem. Richterstande gebührende Achtnng und Würde durch
Gewährung eines anständigen Auskommens zu unterstützen
und aufrecht zu erhalten, und gegen Versuchungen zu be
wahren.
Die Erhöhung der Besoldungen kann nicht länger
zurückgewiesen werden; sie muß aber auch mit Rücksicht auf
die örtlichen Verhältnisse verschieden eintreten. Beispielsweise bleibe ich bei Neisse stehen. Hier müssen, um anständig leben zu
könne», ans vielerlei Gründen, die Gehälter und zwar des Di
rigenten auf 2000 — 2500 Rthlr., der ersten Hälfte der Mit glieder für jedes auf 1500 —1800 Rthlr., die der andern Hälfte quf 1000 Rthlr. erhöhet werden. Die viele» Abstufungen sind
nicht zu rechtfertigen. Der Grund, de» man wol dafür an gibt, daß das Alter mehr Bedürfnisse habe als die Jugend,
ist unerheblich; mit besserem Gewicht läßt sich a»S dem Al ter, ein Grund für das Gegentheil entnehmen, indem das
Alter weniger Lebensgenüsse hat als die Jugend, und im kräftigen Mannsalter Lasten, wie die Erziehung der Kinder, zu tragen sind, die im Alter nicht mehr Vorkommen.
Dieser durch Gesetz, Gerechtigkeit und Staatspolitik gleich
sehr gerechtfertigte Anspruch der Richter, auf eine auskömm liche anständige Besoldung ist schon vielfach, jedoch vergeb lich geltend gemacht.
Die vielfachen einzelnen Gesuche um
96 Gehaltserhöhungen werden abgeschlagen oder stillschweigend zu den Akten geheftet, und wenn die Klagen zu dringlich
werden,
erfolgt mitunter eine kleine Unterstützung als All
mosen,. welche die Noth mit Unterdrückung des sich empören
den Ehrgefühls anzunehmen gebietet. Einzelner
um
Verbesserung
Richt allein Gesuche
der Lage werden in grosser
Menge angebracht: es kommen auch Vorstellungen aller Mit glieder und Beamten von Gerichten in Pleno vor, und ich theile eine solche zur Probe hier mit:
R. N. den 24. März 1843. Euer Excellenz ist es nicht unbekannt, daß der
bei der Organisation des Königlichen rc. Gerichts zu N. N. für die Jahre 1823 und migte Etat später
1824 geneh
in Rücksicht des Gehalts meh
rerer Mitglieder und Beamten bedeutend herabgesetzt
worden ist. Diese Herabsetzung ist gerade in der
Stadt N. N. für alle Beamten, welche sie betrifft, äußerst drückend geworden.
Es ist Thatsache, daß in den Zähren 1823 und 1824 im Allgemeinen wohlfeiler zu leben war, als jetzt schon seit einigen Zähren zu lebe« ist, und die
ser Unterschied stellt sich besonders in N. N. auf eine sehr bemerkbare und für den Beamten, höchst
empfindliche Art heraus, ja der Unterschied ist so groß,
daß alle
Lebensbedürfnisse,
besonders
Wohnung,
Holz und Blctualien, um das Doppelte im Preise
gestiegen sind.
Die Stadt N. N. ist als Festung
auf einen bestimmten Raum angewiesen und begrenzt,
97 eine Vergrößerung
der Stadt in ihrem Umfange
kann also nicht stattfinden.
Die Zahl ihrer Civil»
Einwohner hat sich seitdem
bedeutend vermehrt,
und wird von Jahr zu Jahr größer. ihre so sehr starke,
Hierzu kommt
aus zwei Regimentern Infan
terie, einer Pionier- und einer Artillerie-Abtheilung
bestehende Garnison, hohem
zu welcher eine Menge in
Gehalte stehender Staabs-Offiziere gehö
ren, und wozu noch eine große Zahl zum Gouver
nement und zur Festung gehöriger Offiziere kommen.
Der lange Frieden trägt wohl auch dazu bei, daß unter dem Militair-Stande mehr Berheirathun-
gen stattfinden,
wovon die Folge ist,
daß immer
mehr Wohnungen in Anspruch genommen werden, und durch Alles dieß wird nicht nur eine Thenrung
der Wohnungen,
sondern auch eine Erhöhung der
Preise aller übrigen Lebensbedürfnisse herbeigebracht.
Eine Aenderung dieses Zustandes ist auch nicht abzusehen, eben weil N. N. eine Festung ist.
Der Gewerbtreibende leidet dadurch keinen Nach theil, weil er seine Arbeiten um so viel theurer liefert
und verkauft, als er zu seinem Unterhalt und Aus kommen nöthig hat; der Beamte aber ist auf seinen
feststehenden
Gehalt angewiesen,
kann nicht
den
Preis seiner Arbeiten nach dem Bedürfniß erhöhen, und muß davon «och zu den Kommunal-Lasten und
zum Pensions-Fonds beitragen.
98 Alle diese Umstände vereint, machen es ganz un
möglich, daß der Beamte seine« Stande gemäß le ben kann, ja er muß oft darben.
Hierdurch werden die unterzeichneten Mitglieder
und Beamten des Königlichen rc. Gerichts veran
laßt, Euer Excellenz unterchänigst zu bitten: bei
der
Regulirung des
neuen
Kaffen-Etats
vorstehend angegebene Umstande gnädigst zu be rücksichtigen und die Gehälter angemessen zu er
höhen.
Die Mitglieder und Beamten des Königlichen rc. Gerichts."
Eine Antwort
darauf soll nach
Jahr
und
Tag
noch
kommen. Um die wohlbegründeten
Forderungen
ohne
alle Be
schwerde für den Staat zu tilgen, ist nur das zu bewilligen nöthig, was allgemein so dringend gewünscht wird:
lichkeit
des Prozeßverfahrens,
der Gerichtsverfassung
entsprechende
mit Aufhebung
des
Münd
Umänderung erimirten
Ge
richtsstandes, Entlastung der Richter von der Schreiberar
beit
und
den
staatsobervormundschaftlichen
Verwaltungen
der Geschäfte mündiger Staatsbürger, Freigebuag der Ad
vokatur und der Rechtsgeschäftsführung.
Geschieht das, so
wird das ungeheure Heer von Richtern und Beamten selbst sehr vermindert,
von
die zum Staatsdienst nicht erforder
lichen Rechtsgelehrten intb Geschäftskundigen finden eine an
dere ehrenvolle Laufbahn und zur völlig auskömmlichen Be soldung der nöthigen. Richter und Beamten würden die näm-
«s lieben Mittel, welche' jetzt bet fo kärglicher Belohnung nicht ausreichen wollen, bei Weitem nicht erforderlich sein.
Aber
ehe noch dieses Radikalmittel zur Anwendung kommen kann, erfordert es die Dringlichkeit der Umstände, daß
vorläufig
bald Etwas geschehe.
Das ist der erste Theil der Klage, jetzt komme ich zu dem Zweiten, welcher sich auf die Subaltern-Beamten be
zieht. Die Gerichtsverwaltung nach den Grundsätzen der Allgemeinen Gerichtsordnung und des Allgemeinen Landrechts
erfordert ein Heer von angelernten ausführenden Beamten, und jedes Gericht muß nothwendig seine Expedienten, Re gistratoren,
Calculatoren, Rendanten,
Aetuarien,
Kanz
listen, Assistenten und Diener haben, um den Geschäftsbe trieb im Gange zu erhalten.
Das Geschäft deS Expedien
ten und des Kalkulators erfordert mcht bloß allgemeine Ge schäftskunde, sondern auch eine wissenschaftliche Bildung und
Rechtskenntniß ; die Andern müssen, mit Ausnahme der Die ner , alle mehr oder weniger Geschäftskunde, eine allgemeine
Kenntniß
des
Verfahrens
und. gründliche Schulkenntnisse
haben, wenn sie brauchbar fein sollen.
Die Allgemeine Ge
richtsordnung, würdigt das: sie verlangt zu Secretairen aus schließlich Referendarien,
zu Registratoren beruft sie Refe-
reudarien und Ausknltatorm vorzugsweise; und diesem ent
sprechend sind denn bisher auch die Besoldungen gewesen. Zwar ist der Subaltern-Dienst im Ganzen kostspielig; allem die Verrichtungen^ welche man verlangt, setzen besonnene,
100 gehörig vorgebildete und zuverlässige Männer voraus, und
wenn die Kostspieligkeit ein Gebrechen ist, so liegt es nicht in der Bewilligung der für solche Arbeiter nothwendigen Be
lohnung, sondern in der Einrichtung, welche einen solchen
^Geschäftsverkebr überhaupt bei den Gerichten mit sich bringt. Neuerlich ist ein davon sehr abweichendes sogenanntes
Büreau - System, über welches sich das neue Büreau-Re
glement verhält, aufgekommen und in einigen Departements
eingeführt; seine Heimath ist die Provinz Posen.
Dieses
beruhet auf dem Grundsatz:
daß für jeden sogenannten Dienstzweig, das will sagen: für jeden Gegenstand der Gerichtsverwal
tung, als: Prozesse, Vormundschaften, Hypotheken sachen, Untersuchungen, nur Ein verantwortlicher
Beamter bei dem Gerichte vorhanden sein soll, der Alles, was in diesem Zweige (in dem dazu bestimm
ten Büreau) vorkommt, als: Zournalführen, Akten
aufsuchen und zum Vortrag präpariren, Erpediren,
Kvpiren,
Briefe convertiren u. s. w., wie es ihm
vorkommt, eigenhändig thun, oder — wenn es für ihn allein zu viel werden sollte, durch sogenannt«
ihm auf seine Verantwortung beigegebene
Gehilfen
machen lassen soll. Dieser Beamte, Bureau-Vorsteher genannt, soll ferner
ein provortionirliches Gehalt, etwa das eines Registrators, beziehen, die Gehilfen hingegen sollen junge Leute sein, die eine Kleinigkeit erhalten, so etwa 8, 10, 12 '/2 Rthlr. mo
natlich ; und das Schreibwerk soll hauptsächlich durch Lohn-
101 schreibet um 1 Sgr. für den Bogen verrichtet werden. Denn
der Geschäftsverkehr, wie ihn die Gerichtsordnung vorschreibt,
erfordert, sagt man, zu zahlreiche Arbeitskräfte und einen zu großen Geldaufwand; sie unterhalte eine Menge rein mechanischer Beamten gegen hohes Lohn, bei geringem Ta
die Leistungen solcher Beamten könnten mit gerin
gewerk;
gen Geldmitteln bestritten werden.
Der Vorzug
dieser Büreau-Verfassung ssoll nun darin
bestehen: daß die Aufgabe des Subalternen-Dienstes schnel
ler, besser und besonders mit weit geringeren Mit
teln und Kräften, als früher, gelöst werden könne. Mit der größern Schnelligkeit ist es nichts; Bessern verhält
es sich gerade umgekehrt;
mir dem
aber mit der
Wohlfeilheit, ja, damit hat es seine Richtigkeit, so lange die
Sache geht, lich
aber sie wird nicht lange gehen.
Wird näm
daS Bureau-System mit seinen wohlfeilen Gehilfen
durch den ganzen Staat eingeführt,
und haben mithin die
die sich dem Subaltern-Beamtenstande widme»
Personen,
wollen, überall dieselbe traurige Aussicht, den größten Theil
ihres Lebens (ich kenne mehrere s. g. Gehilfen hoch in den Dreißigen,
die noch immer nicht mehr als 15 Rthlr. mo
natliche Diäten haben) mit einem, nicht einmal die Lebens bedürfnisse
eines einzelnen Mannes
hinlänglich deckenden,
Lohne eiues Gehilfen sich abfinden lassen zu müssen: so ist künftig auf die erforderliche Zahl mit Sicherheit nicht zu
rechnen,
und nach nicht langer Zeit werden die Behörden
in Verlegenheit kommen;
denn jeder nur einigermaßen ge>
102 schickte Handwerksgeselle verdient ebensoviel wie ein Büreüu»
gehilfe und hat vor diesem -en Vortheil, daß er bei der
Arbeit — wäre es auch «Ur dmch ein Schurzfell — Klei der schonen, und daran im Verhältniß zu Jenem, Erspar»«,
gen machen kann.
Die Provinz Posen kann, bezüglich auf
etwa hinlänglichen Borrath, nicht entgegengehalten werden. Dort werden junge Leute angelernt und schon — wenn sie
auch nur im Schreiben helfen können — anfangs gelohnt,
daher sie für die erste Zeit ihrer Laufbahn keine günstigere Gelegenheit finden können; wenn sie aber überall brauchbar
geworden sind, so gehen sie weg und suchen in andern De
partements,
wo jenes System noch keinen Eingang gefun
den hat, ein vortheilhafteres Unterkommen.
rere Beispiele dieser Art, und
Ich kenne meh
ich habe eine entschiedene
Abneigung gegen die Rückkehr in die Posen'er Dienstver
hältnisse bei solcheri jungen Leuten gefunden.
Würde dieser
Ausweg dm jungen Leuten dadurch, daß mau alle übrigen
Departements den Posenschen hierin gleich machte, abge schnitten, so würde es bald an Zufluß der Zöglinge fehlen,
weil man
sich einem andern Erwerbe zuwenden würde.
Auf eine Nachhaltigkeit dieser Einrichtung ist mithin nicht zu rechnen.
Sieht man
auf den Zustand
und
die Stimmung der
Leute, die nun einmal in der Lage sind, nehmen zu müssen,
was ihnen geboten wird,
weil sie in so spätem Alter kein
anderes Gewerbe mehr anfangen können; so kann man sich eines tiefen Mitleids nicht erwehren.
Am schlimmsten .aber von Allen geht eö den Kanzlei beamten, welche man Lohnschreiber nennt: diese werden
buchstäblich wie Tagelöhner behandelt.
Sie erhalten mei-
stenrheils 1 Sgr. (einzelne wenige erhalten wol anch 1 Sgr.
3 Pf.) Arbeitslohn für den vorschriftsmäßig geschriebenen Bogen, und verdienen mithin an Wochentagen 8—15 Sgr.,
an Sonn- und Festtage» nichts, und wenn sie einmal krank sind, natürlich auch nichts, gleich dem Holzhauer und Last-
träger, verdient.
der — wenn er arbeitet — wenigstens
Diese Leute sind in einer beklagenswerthen Lage,
zumal wenn sie,
sind;
ebensoviel
was
häufig der Fall
ist, Familienväter
sie nagen da«n am Hungertuche und kämpfen oft mit
der Verzweiflung; es kostet ibne» viel Hunger, um nur nicht anstößig gekleidet in den Dienst zu komme«, worin sie gegen
dje gemeinen Tagelöhner in großem Nachtheil sind.
Doch
ihre elende Lage wird von ihnen selbst in einer mir mitgetheilteu
Vorstellung,
«t welcher die Lohnschreiber eines
Gerichts gar kläglich bitte« und welche ich hier wörtlich folgen lasse, am.beste« geschildert :
^Hochgebornor Hochzugebietender Herr Geheimer Staats- und Justiz-Minister,
Gnädiger Herr! N, N. de« 10. November 1843,
Die Lohnschreiber bei dem Königlichen rc. Gericht zu R. N. bitten ganz unterthänigst um gnädige Ab
änderung ihres bisher so drückenden Dienstverhält
nisses durch eine gnädigst zu gewährende Fmrung eventzrell durch Hchöhung des Ochrerblohnes.
104 Keine Zeit hat uns unsere drückende Lage so fühl bar werden lassen als die gegenwärtige.
Es ist die Zeit, wo durch hohe Preise der Be
dürfnisse der Landmann und der Bürgerstand sich hebt und der mittelmäßig besoldete Beamte,
der
im äußern Verhältniße zu Jenem nur einem Skla
ven gleicht, kaum so gestellt ist: daß er für die Ge genwart sorgen, geschweige denn für die Erziehung
seiner Kinder etwas zu erübrigen vermag, weil zu jener Zeit, als seine Anstellung erfolgte, sein Ge
halt schon für eine sparsame Haushaltung berech net war, und er, nachdem seine Familie sich ver größert, und die Bedürfnisse um noch einmal so
hoch im Preise gestiegen, jetzt mit nur eben so viel
mehr zu bestreiten hat, als in jener für den Beam tenstand bessern Zeitperiode.
Das ist das Loos des Beamten, der sich heut zu Tage noch glücklich preisen muß, daß er d a s ist
und das hat, was er seit der Einführung des Po
sener Geschäftsreglements nie erreichen kann und wird. Ganz anders aber gestaltet sich das Loos der
noch nicht definitiv angestellten Beamten und vor züglich das der Lohnschreiber.
Denn durch die Ein
führung des in Posen erfundenen Geschäfts - Regle ments für die Subalternen - Büreaus ist den dem Schreibfach sich widmenden jungen Leuten, wenn
sie auch mit Opfern das Aktuariats - Examen Ister Klaffe hinter sich gebracht, nur die traurige Aus-
105 sicht eröffnet: eine Reihe von Zähren in einem un steten wandernden »nd kaum nur für ihre Person
die unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse gewährenden
Dienstverhältnisse zu verharren, und im Dienste zu er grauen, ehe sie durch endliche Erlangung eines der
wenigen Büreauvorstehcrpostens in den Stand gesetzt
werden, aus ihrem Hagestolziat herauszutreten und
nothdürftig eine Familie erwähren zu können.
Dieses Dienstverhältniß ist jedoch noch ein glück liches gegen das eines Lohnschreibers.
Dieser, bei dem doch auch einige Ausbildung ge fordert wird, ist übler daran, als ein gewöhnlicher Tagelöhner, mit dem er fast gleichen Titel führt.
Nach Pfennigen wird seine Arbeit tarirt, und an jedem Morgen muß er mit dem Kummer sein Tage werk beginnen: ob er auch heute wieder so viel Pfen
nige oder Points heraus bringen wird, um mit sei ner unglücklichen Familie
wenigstens trocknes Brot
genießen zu können.
Die Posener Verfassung geht aber noch weiter,
indem sie die Lohnschreiber der strengsten Kontrollirung ihrer Arbeiten unterwirft und die Büreau-
Vorsteher verpflichtet, darauf zu sehen:
daß der
Schreiber nicht um eine Zeile oder Silbe fehlt. Ze der Tagelöhner fordert selbst den Lohn seiner Arbeit, denn ja nur er allein kann die Mühe und Zeitver-
säumniß am besten berechnen, und nur den Gefan
genen werden ihre Arbeiten abgetheilt und tarirt.
106 Denn so viel steht fest: daß die Arbeit sich nicht
immer gleich bleibt und der Büreauvorsteher beim
Geschäftsdrange
in
der Taxe leicht irren kann.
Aber hat er sich auch nachträglich von der Unrich
tigkeit seiner Tare überzeugt, — was Hilsts? die Kopialien sind gebucht,
Hie Kosten-Noten schon
den Parteien notifizirt, und aus seiner Tasche wird
so wenig er wie die Kanzlisten dem
arme» Lohn
schreiber für den error etwas vergnügen.
Unter
solchen Umständen bleibt dem Lohnschreiber nichts übrig, als , so lange es nicht etwa an Arbeit fehlt, Tag und Nacht zu arbeiten, um sein Leben zu fri
sten , während bie, welche ihr Verbreche« in Straf anstalten büßen, sich der nächtlichen Ruhe erfreuen,
und ihren Kummer verschlafen. -Das ist sein Loos
bei regem Fleiße und Sparsamkeit! Das ist für ihn noch eine glückliche Zeitperiode zu nennen. Tritt aber der Zeitpunkt ein, wo er durch Krankheit Wmgesucht
wird, dann steht der Lohnschreiber als das elendeste
Geschöpf auf der ganzen Erde da, dann steht er nicht nur unterm Tagelöhner, sondern unterm Wurm im Staube! Für Gesellen, Tagelöhner und Gesinde
sind für diese» Fall Hospitäler errichtet, Gefangene nnd Verbrecher werden in ihren Anstalten verpflegt, den Wurm, der sich vor Schmerzen krümmt, zertritt
der Fuß eines für Leid gefühlvollen Herzens, —
aber an den leidende» Lohnschreiber denkt keine gefichlvoüe Seele;
denn, er trug ja nach,
weil er
107 »6th Volke in die Neide der Beamten gezählt wird, «ne anständige, wenn auch geliehene Kleidung,
er
ging ja noch nicht betteln, obgleich bei ihm der Hun ger weit mehr zu Hause ist, als in den erbärmlich,
sten Hütten; und wenn er genesen, wenn er Kleider,
Betten, kurz Alles, was er noch hatte, in dieser
Bedrängniß veräußert, dann steht er am Ende brot los
da.
Ja, wenn man sich diese Lage in ihrer
gräßlichen Wirklichkeit vergegenwärtigt, dann drängt -sich unwillkürlich der Gedanke auf:
daß es besser
wäre, wenn das Gesetz vorschriebe oder gestattete: daß man einen solchen unglücklichen durch Krankheit heim
gesuchten Lohnschreiber einen
Stein anbände und
zur Rettung seiner Familie vor dem gänzlichen Ruin, und zu seiner Befreiung von Schmerzen und der quälenden, ängstlichen Sorge: was aus ihm werden würde, ins Wasser versenke;
dann wäre er wenig
stens nicht noch der Versuchung ausgesetzt: sich ge gen den 'Ewigen, der ihm das Leben gegeben, durch eigene Handanlegung an dasselbe, zu versündigen.
Die Schilderung erscheint im ersten Augenblick
übertrieben, sie ist es aber nicht, sie hat sich schon
in ihrer Wirklichkeit theilweise bewährt uud ist aus dem Leben gegriffen. Vor Kurzem erst ist ein Lohn schreiber, der auf vieles Bitten und weil er ledig
war, in ein hiesiges Hospital ausgenommen worden,
daselbst gestorben, und hätten wir klebrigen nicht auf «inen Sarg gesammelt, so wäre er in einer söge-
108 nannten Rasenquetsche durch die Stadt getragen worden.
Dieß war aber noch eine Begünstigung,
weil der Verstorbene ledig war, und man kann den
Grundsatz: daß Gott für Alle gesorgt hat, nur dann gelten lassen, wenn man davon die Lohnschreiber
ausnimmt.
Abgesehen von jeglicher Krankheit, die
wol Jeder zu erwarten hat, ist der Lohnschreiber zu blosgestcllt, denn er steht kreditlos da; mangelt es ihm daher, was oft, namentlich während der
Ferien vorkommt, an Arbeit, und also an Brot,
so kann er nicht gleich einem Tagelöhner von Haus zu Haus gehen und nach Arbeit fragen; und eben
sowenig kann er seiner Noth durch eine Anleihe abhelfen, sondern er muß mit seiner Familie hun gern ; denn wer wird einen Menschen, der nicht weiß,
ob er morgen noch im Brote sein wird, und der
kein bestimmtes Wort der Rückerstattung geben kann,
weil er nicht weiß: was der kommende Tag ihm bringt, etwas zur Abhilfe momentaner Noth borgen? Trifft aber gar den unglücklichen Lohnschreiber das
Loos, daß er, ohne sein Verschulden, wegen Man gel an Arbeit, entlassen wird, welche traurige Aus
sichten liege» dann vor ihm?
Er ist an den Ort
durch seine Familie gebunden, und kann, weil es ihm an Mitteln fehlt, nicht wie die Handwerks
gesellen, denen überall freie Herbergen offen stehen,
die Ferne suchen; denn den armen Lohnschreiber, der doch auch ein Mensch ist, nimmt ohne Geld
109 Niemand auf, ja er muß sogar um ein anderwei
tiges Unterkommen zu finden, bei allem seinem Elend
und bei hungrigem Magen noch anständig erscheinen. Und was erwartet ihn am Ende für all' seine An strengung und Aufopferung seiner Gesundheit und
Kräfte für ein Loos, in welcher Gestalt erscheint
ihm sein einstiges Schicksal, wenn er sein Alter und den Zeitpunkt bedenkt, in dem seine Unbrauchbar, feit, die gewiß durch sein unglückliches und kum
mervolles Dienstverhältniß beschleuniget werden muß, eintritt, wo er dann wird den Bettelstab ergreifen müssen?
Denn er ist sich bewußt, daß er ja nur
ein Lohnschreiber ist, der jederzeit entlassen werden kann, ohne Hoffnung auf Pension oder die gering
sten Benefizien, auf was Alles er ja schon bei seiner Annahme ad protocollum verzichten mußte.
Die
Lohnschreiber in der jetzigen Zeitepoche, zu denen
wir leider gehören, sind gewiß nur die Unglücklichen,
denn sicher wird in späterer Zeit das Dienstverhält niß der Lohnschreiber verbessert werden müssen, um
gänzlichem Mangel an solchen Leuten vorzubeugen. Dieser Mangel ist jetzt auch wirklich schon mehr, mals bei dem hiesigen rc. Gerichte eingetreten, und
selbst die vorgesetzte Behörde desselben, das Königs.
Oberlandesgericht zu NR-, hat ihm nicht abhelfen und solche unglückliche Lohnschreiber-Subjekte nicht zuweisen können, weßhalb Stockungen im Geschäfts betriebe durch längere Zeit eingetreten sind, und
HO die auch wieder eintreten müsse», wenn wir dieses harte Dlenstverhältniß aufgeben, wozu uns leicht
Verzweiflung veranlassen kann.
Der Umstand, daß
bisher immer wieder, wenn auch mit .Mühe und Noth, die erforderlichen Lohuschrriber bei den Ge
richten aufgebracht wurden, ist kein Grund zur Wi derlegung unserer,Behauptung; denn hätten wir,
und gewiß alle bei andern Gerichten fungirenden Lohnschrelber damals, als wir uns dem Schreibfach widmeten, wo von Lohnschreiberei noch keine Rede
war, geahndet: daß wir einstens Lohnschreiber hei ßen und das schauervolle Dienstverhältmß eines sol
chen unser Loos sein würde, wir und alle ander» Lohnschreiber würden sicher jedes Handwerk vorge
zogen und durch Erlernung eines solchen uns ein besseres Loos bereitet haben, als uns i» den Hallen der ho hen Gerichtshöfe zu Theil geworden ist. Der Lohn
schreiber ist, vermöge dieses Looses, oft in die Noth wendigkeit versetzt: den nothwendigsten Lebeusbedarf
auf Kredit zu nehmen, wodurch der Charakter des Beamten und überhaupt der Beamtenstand, — zu dem wenigstens das Publikum den Lohnschreiber
zählt — in den Augen des Letzteren so sehr herab-
gewürdiget wird. So wenig, wie es wol der Wille Sr. Majestät des Königs unsers so hochherzigen Landesvaters,
der nur sein Volk glücklich zu machen strebt» sein
kann, eben so wenig ist es mit den allgemein be-
111 kannten hochedessten
Gesinnungen
in Uebereinstimmung zu bringen:
Euer
Excellenz
daß die Staats,
Kaffe durch die eingefübrte Art der Belohnung der
Lohnschreiber, ein paar Thaler ersparen soll. Wir sind weit entfernt, gegen unsere vorgesetzte
Behörde, daS Königliche rc. Gericht zu R. N. oder
gegen das Königliche Oberlandesgcricht zu N. N., Beschwerde zu führen, und wenden uns um deßhalb
unmittelbar an die Gnade Euer Excellenz, weil wir
die Ueberzeugung haben, daß es ja doch nur dieser Gnade anheimgestellt sein kann:
das herbe Dienst
verhältniß der Lohnschreiber aufzuheben. Von Kummer und Sorge um das tägliche Brot
zu sehr gebeugt und keinen Ausweg sehend, unserm
gänzlichen Untergange bei Abnahme der Kräfte za entgehen, nahe« wir uns in tiefster Unterthänigkeit Euer Excellenz hochgepriesenen Gnade, mit der al
lergehorsamsten Bitte:
durch gnädige Fixirung, unserer momentanen Noth huldreichst abhelfen, eventuell, wenn dieß wegen der hier den Kanzlisten überwiesenen Kopialien zur Zeit nicht statthaft, de« uns bis jetzt gewähr
ten Lohn pro Bogen mit 1 Sgr. auf 2 Sgr. er höhen zu wollen.
Der schönste Lohn wird Euer Exzellenz in dem
Bewußtsein erblühen, uns so sehr-vom Kummer ge
drückten und höchst mühsamen Arbeitern die Last er leichtert und uns in den Stand gesetzt zu haben, unsere
112 Familien wenigstens vor der Nothdurft und Blöße schützen. Aber auch wir werden nicht ermangeln die Groß«
und Gnade Euer Exzellenz zu preisen, und durch an
gestrengten Fleiß und erneuerte Kraft, so viel in un sern Kräften steht, dem Staate zu nützen. Genehmigen Euer Erzellenz die Versicherung, daß wir im tiefster Unterthänigkeit ehrfurchtsvoll ver
harren. Euer Exzellenz Unterthänigste."
Aehnliche Vorstellungen um Erhöhung des Lohnes sol len von
verschiedenen
Seiten
erfolgt
sein,
und
selbst
die Stände der Provinz Posen haben sich bekanntlich bei ihrer
letzten Versammlung dieserhalb zu einer Petition bewogen
gefunden. So ist es mit dieser unglücklichen Klasse von Beam ten, bei welchen noch Das zu wissen ist, daß, da die Par theien für den Bogen 2 Sgr. 6 Pf. bezahlen müssen, und zwar für jeden angefangenen Bogen, für jede Zuschrift, und
wäre sie nur eine Zeile lang, während dem Lohnschreiber die Zeilen zusammengezählt werden,
so daß
das
Schreib
werk, wofür die Partheien 10 — 15 Sgr. zu bezahlen
ha
ben können, der Lohnschreiber nur einen Silbergroschen er hält, — die Königl. Salarien - Kassen, noch mit Berücksich tigung
derjenigen Schreiberei, wofür keine Parthei Etwas
bezahlt (sogenannte Offizial- und Armen - Sachen), an je
dem Lohnschreiber
jährlich, mehr als noch
wie der Lohn beträgt, gewinnt.
einmal so viel
113 Diese Herabdrückung des Arbeitslohnes für die Subaltern-Beamten überhaupt verträgt sich nicht mit der Würde des
Staats, verletzt den äußern Anstand durch das armselige
hungrige Auftreten der Arbeiter, untergräbt die Würde der Gerichtshöfe, und gefährdet die Sicherheit des Publikums hinsichtlich der theuersten Jrfleressen der Staatsbürger. Denn da die Arbeit wie der Loh» ist, so sind für das gebotene Arbeitslohn durchaus brauchbare, ordentliche Arbeiter in
ausreichender Anzahl dauernd nicht zu haben.
Die wichtig
sten Arbeiten, wie z. B. das Erpediren, die Actuariatsge-
schäfte, werden zum Theil von ungeübten und unwissenden Personen, die mitunter nicht einmal die Regeln ihrer Mut
tersprache kennen und nicht fehlerfrei schreiben könne«, ver richtet , die Last der Richter wird dadurch, daß sie die Con cepte wie Schul - Exercitien corrigiren, oft ganz durchstreichen
und neu machen müssen, vergrößert, ohne daß sie dabei im Stande sind, jeden Unsinn zu verhindern; die Lohnschreiber
müssen, um auf ihr Tagelohn zu kommen, flüchtig schreiben, welches Fehler und Unleserlichkeiten zur Folge hat. Dadurch
werden die Gerichte lächerlich gemacht und die Partheien in
Schaden gebracht.
Ein Revisionsbescheid eines Oberlandes
gerichts , vom 12. Mai 1843, schließt z. 23., nachdem bogen
lang gehofmeistert worden, emphatisch: „Ueber die Befolgung dieser Mängel ist binneu 3
Monaten zu berichten."
Zn einer mir unlängst vorgekommenen Bagatell-Prozeß,
Sache war die Zahl des Terminstages in der Vorladung so undeutlich geschrieben, daß der Beklagte den litten für den
114 IKtttt gsleseü hatte und auch hatte lesen können.
Er erscheint
daher nicht am 13., und als er sich am 15. einfindet, steht
seine Sache nicht auf dem Aushang und sie wird auch nicht
aufgerufen. Dadurch kommt er auf den Gedanken, der Klä ger werde die ganz grundlose Klage wieder zurückgenommen haben, und die Nachricht darüber habe noch nicht erpedirt
und ihm zugestellt werden können. Zn Erwartung Dessen, was weiter folgen werde, vergeht die Restitutionsfrist, und nun erst erfährt er, daß er wegen seines Ausbleibens am 13. kontumacirt worden.
Natürlich beschwert er sich über ein solches
Verfahren, da findet sich aber, daß in dem Behändigungs
schein, Len er bei Zustellung der undeutlich geschriebenm Citation gesehen und unterschrieben hatte, die Zahl 15 deut
lich war ; und nun galt er nicht allein für rechtskräftig ver-
«rtheilt, sondern er mußte auch noch die Kosten der Be schwerde dazu bezahlen. In Bescheiden an die Partheien und in Requisitions-
Schreiben an andere Behörden ist bald Dieß bald Das ganz
ausgelassen, oder unverständlich und unrichtig geschriebeu, so daß Rücksendungen und Rückfragen in großer Menge vor kommen.
Dieser Zustand kann unmöglich so bleiben, der Dienst in den Gerichtshöfen muß wieder zuverläßigett, wissenschaftlich
gebildeten und ihrem Fache gewachsenen Personen anvertraut
werden, welche anständig und auskömmlich besoldet sind.
Eine Verminderung der dadurch entstehenden Staatslast
ist nicht anders zu erreichen als auf dem oben, bezüglich auf Vie Richter angegebenen
Wege: durch die gewünschte Ver-
115 Änderung der Gerichtsverwaltung und des Rechtsverfahrens
fällt das ganze Heer der vom Staate zu besoldenden Subaltern - Beamten bis auf wenige Gerichtsschreiber weg, ohne
daß das übrige Personale erwerblos zu werden braucht.
5) Klage wegen Ueberbürdimg hinsichtlich der Pensionen. Zeder Dienstherr macht es sich zur Gewissenspflicht, einen
Diener, der bei ihm grau geworden und hinfällig, im Alter zu versorgen, ihn nicht von sich zu stoßen; und darum mag
auch der Staat, der seinen Dienern nicht soviel gibt, um für das Alter Etwas zu erübrigen, die alt und hinfällig
gewordenen Beamten nicht dem Erbarmen mildthätiger Her zen überlassen.
Darauf beruhet die durch Gesetz anerkannte
und näher bestimmte Berbindlichkeit des Staats, die nicht mehr dienstfähigen Beamten zu pensioniren.
In andern Län
dern gibt dazu der Staat allein die Mittel her, in Preußen
nicht. Unterm 31. August 1824 erging eine Allerhöchste Kabi-
nets»Ordre an das Staats-Ministerium, durch welche meh
rere Maßregeln angeordnet wurden, um besonders bei den damaligen, auf den Ertrag der Staats-Einnahmen ungün
stig einwirkenden Zeitverhältnissen die nöthigen Beschränkun gen bei den Staats-Ausgaben herbeizuführen und diese mit den Einnahmen ins Gleichgewicht zu bringest. Ueber die Art,
116 in welcher, zur Errcichnng dieses Zwecks, auch sämmtliche
Staatsdiener beitragen sollten,
war Folgendes
bestimmt
worden: 1) Die in der allerhöchsten Kabinetsordre vom 29. Mai
1814 enthaltene Bestimmung, nach welcher ein Theil der Staalsdiener das Fünftel der Besoldung in Golde bezieht, ist vom Jahre 1825 an, in dem Maße aufgehoben» daß für
den ferneren Bezug der bisherigen Goldrate 13^tel Prozent angerechnet werden. 2) Um bei Beschaffung des Fonds zu den Pensionen der
Staatsdiener einige Erleichterung der Staatskasse zu bewir ken, soll nicht nur von den Staats-Beamten ein, mit ihrem
Diensteinkommen im Verhältniß stehender jährlicher Beitrag, sondern auch der 12te Theil eines jeden, den neu angestell
ten Beamten bewilligten Jahrgehalts, sowie aller Gehalts
zulagen , für den Pensionsfonds eingezogen werden.
Die
Erhebung dieser Beiträge geschieht nach folgenden 6 Ab stufungen :
1) von einer Besoldung bis einschließlich 400 Rthlr. zu 1 Prozent;
2) von einer Besoldung über 400 Rthlr. bis ein schließlich 1000 Rthlr. zu 1^ Prozent;
3) von einer Besoldung von 1000 Rthlr. bis ein schließlich 2000 Rthlr. der vorige Satz, und vom zweiten Tausend zu 2 Prozent;
4) von einer Besoldung bis einschließlich 4000 Rthlr. die Sätze 2 und 3, und von dem was über 2000
Rthlr. hinansteigt, zu 3 Prozent;
117 5) von einer Besoldung bis einschließlich 6000 Rthlr. die Sätze 2, 3 und 4, und von dem Betrage
über 4000 Rthlr. zu 4 Prozent;
6) von einer Besoldung, die mehr als 6000 Rthlr. beträgt, [bie vorigen Sätze, und von den über 6000 Rthlr. hinangehenden, zu 5 Prozent. Hiernach sind seit dem 1. Januar 1825 den Beamten die
Abzüge gemacht worden.
Wenn also z. B. einem Richter
eilte Besoldung von 500 Rthlr. jährlich versprochen ist,
so
erhält er nicht 500 Rthlr.; sondern das erste Jahr erhält er
nur 450 Rthlr. 25 Sgr. und die folgenden Jahre 492 Rthlr. 15 Sgr.
Davon kann nicht Rede sein, daß in Zeiten der Drang sal nicht jeder Staatsangehörige, mithin anst) jeder Staats beamte, und Dieser vor Allen, das Seine thun soll; hier ist die Rede davon: ob die Beamten ohne allgemeine Noth und
Kalamität, vorzugsweise zurückgestellt werden sollen.
Als
im Jahre 1824 die Zeitverhältnisse außerordentliche Anstreng ung und Opfer forderten,
wird
kein Beamter in Leistung
Dessen, was man von ihm forderte, haben zurückstehen wol
len;
aber
diese
Anforderungen müssen wieder wegfallen,
wenn die Ursach dazu aufhört.
Diese Ursach, wird behaup
tet, hat schon lange aufgehört, und der Beweis wird dar
aus hergenommen,
daß vor zwei Jahren eine Ermäßigung
der Staatsabgaben um 2 Millionen, oder wieviel sonst, hat
eintreten können, wie allgemein bekannt ist.
Dabei hat Nie
mand daran gedacht, in Erinnerung zu bringen, daß vorerst
die contractlichcVerbindlichkeit gegen die Staatsdiener zü
118 erfüllen,
und ihnen die versprochene Besoldung ohne allen
Abzug zu zahlen sei.
Die Pensionen find eine allgemeine Staatslast,
wie die
Besoldungen der Staatdiener, die Beamten müssen, gleich je
dem andern Staatsbürger,
zu
den öffentlichen Lasten und
Abgaben beitragen, und noch überdieß wird ihnen die enorme Summe eines Zwölftels des ganzen Jahrgehalts bei der Anstellung und dann jährlich die angegebenen Prozente als
eine Abgabe
zu allgemeinen Staatszwecken abgenommen.
Die Aushebung aller Pensionen wäre überhaupt weniger un
gerecht als dieseharte und ungleiche Belastung. Zum Genuß einer Pension gelangt,
zumal wenn von den schon als Invalide
in den Dienst tretenden Unterbeamten abgesehen wird, nicht der vierte Theil der Beamten;
die übrige große Menge
stirbt im Dienst oder wird ohne Pension entlassen. zahlen also die ihnen aufgebürdete enorme
Diese
hohe Staatsab
gabe, ohne je einen Nutzen davon zu haben;
sie bereichern
bloß den Staat. Spräche der Staat sich einseitig frei von seiner Verbind lichkeit, die ausgedienten Beamten zu ernähren, so würden
Privat - Pensions - Anstalten entstehen, und es könnte Nie mand z» solchen basten gezwungen werden,
wovon er nach
seiner Wahrscheinlichkeits-Rechnung keinen Nutzen zu hof fen hätte.
Es ist also nicht blos Billigkeit, sondern es ist
Recht und Gerechtigkeit, welche gebiete«, den ohnehin zu
kärglich besoldeten Beamten diese enorme Staatslast abzu es nicht der Wille Sr. Majestät des
nehmen.
Gewiß ist
Königs,
dieselben unter veränderten ZeitverlMniffen fort-
lid dauern zu lassen,
und es kann nur daran liegen,
daß die
traurig« Lage der Beamten und die noch fortbestehende Mit» gleiche und harte Besteuerung derselben nicht Vorgelege wor
den ist.
Es kommt nicht selten vor, daß die Penfivnir»
-Weiter:
«ng vorläufig abgelehnt oder doch verschoben werden muß, aus keinem andern Grunde, als weil der Pensionsfonds er
Ein Rescr. vom 30. November 1843 bezeugt
schöpft, ist.
dieß wieder; es heißt:
„ Dem rc. wird auf den Bericht vom 17. d. M., betreffend die Peusiomrung des Registrators R. zu R. vorläufig
bekannt gemacht,
daß die Pension des
N. mit 250 Rtblr. für die Zeit vom 1. April 1844 ab ,
da
der
Zu st t z - Penstonsfonds
genwärtig erschöpft ist,
ge
in die des Königs
Majestät vorzulegende Peusionsuachweisung aufge» nommen
migung
der
werden dieser
wird.
Nach Allerhöchster Geneh
Nachweisung
Pension die weitere
wird wegen Zahlung
Verfügung erlassen wer
den. " Daun beklagen sich die Beamten noch darüber,
Pension für langjährige Dienste zu niedrig sei;
daß die
sie berufen
sich auf andere Länder, z. B. Oesterreich und Sachsen,
wo
einem Beamten, welcher 40 Zahre vorwurfsfrei gedient har, freistehen
soll:
ob
er
Ruhestand zurücktreteu,
mit seinem ganzen Gehalte in den
oder weiter dienen will;
wogegen
in Preußen einem Beamten nach vierzigjähriger vorwurfsfreier
120 Dienstzeit nicht mehr als fünf Achtel seines Gehalts als Pension gelassen werden.
Ich kenne die Bestimmungen in
Oesterreich und Sachsen hierüber nicht, indessen scheint, auch abgesehen davon,
Manches dafür zn sprechen,
einem im
Dienste so alt gewordenen Manne — denn da die Dienst zeit erst nach dem LOsten Jahre anfängt zu zählen, so ist ein so lange dienender Beamter gewöhnlich von den Siebzi
gen nicht mehr weit — für die wenigen ihm noch übrigen
Lebensjahre Das unverkümmert zu lassen, was er bisher
gehabt hat. Biele Beamtete beklagen sich endlich über den Druck, in
welchen sie dadurch kommen, daß sie gezwungen werden, ih
ren Ehefrauen bei der Allgemeinen Wittwen - BerpflegungsAnstalt eine Pension zu versichern.
Bis zum Jahre 1800
bestand in dieser Hinsicht kein Zwang; in diesem Jahre er
schien eine Kabinetsordre vom 18. Oktober,
welche den,
von dem damaligen General - Direktorium gemachten Bor
schlag : daß alle zur Aufnahme qnalifizirte Königliche Die
ner ernstlich durch die Landeskollegien aufgefordert werden, für ihre Frauen, Falls es noch nicht ge schehen, bei der Wittwenkasse einzusetzen, mit dem Beifugen,
daß sie im Unterlassungsfälle auf eine
Pension für ihre nothleidenden Wittwen nicht z»
rechnen haben, und daß von jetzt an, jeder Civil, beamte, welcher heirathen will, durch seinen unmit
telbaren Borgesetzten, bei dem Chef des Departe
ments sich melden und nachweisen muß,
mit wel-
121 cher Summe er sich bet der Wittwenkaffe affoziiren
wolle,
oder daß seine künftige Frau nach seinem
Tode ohnehin leben könne, widrigenfalls die Er« laubniß zum Heirathen, nur gegen einen von beide«
Theilen zu unterschreibenden Revers,
daß die zu,
rückbleibende Wittwe auf keine Pension Anspruch
mache, ertheilt werden soll, genehmiget, mit der Bestimmung, daß die Erlaubniß zum
Heirathen, wenn einer von den obigen Bedingungen Genüge geleistet worden, nie verweigert werden soll. Diese Bestim«
mungen wurden durch die spätere Kabinets-Orvre vom 17. Juli 1816*) dahin abgeändert: daß künftig, ohne allen Unterschied der Fälle, jedem Civiloffizianten, welcher den Heirathskonsens nach,
sucht, zur Pflicht gemacht werden soll, eine bestimmte Erklärung abzugeben, mit welcher Summe er seine künftige Gattin in die Wittwenkaffe emkaufen wolle,
und daß jedem Civiloffizianten, welcher diese be,
stimmte Erklärung abzugeben unterläßt, der Hei,
rathskonsens verweigert werden soll. Das Staats-Ministerium wurde angewiesen, diese an
derweite Bestimmungen $us vollziehen, auch besonders darauf zu sehen, daß diejenigen Offizianten, welche nach Abgabe
obiger Erklärung den Heirathskonsens erhalten, auch wirk lich derselben gemäß, sich nach vollzogener Heirath bei der allgemeinen Wittwenkaffe affoziiren.
*) Gesetz - Sammt, von 1816, S. 814.
122 Die Schwierigkeit war nun, wie der Beitritt zur Wittwenverpflegungs - Anstalt, nach vollzogener Heirath, erzwun genwerden sollte, und, wenn der Beitritt wirklich geschehen,
wie man verhindere, daß die Vortheile des Einkaufs durch unterbleibende Zahlung der halbjährigen Beiträge wieder
verloren gehen.
Zn letzterer Hinsicht ist angeordnet, daß
jedem Justizbeamten, welcher in eiuem Zahlungstermine mit dem Beitrage im Rückstände bleibt, die folgenden halbjäh
rigen Besträge von seinem Gehalte abgezogen, und unmittel bar aus der Kasse an die Hauptkaffe der Allgemeinen Witt wen-Verpflegungs-Anstalt abgeführt werden*). Hinsichtlich
des Zwanges zum Einkauf war die Sache weniger einfach.
Man dachte daran, den Einkauf der Ehefrau eines nicht willigen Justizbeamten von Amtswegen zu bewirken, was sich jedoch schon darum als unausführbar darstellt > weil die
Mitwirkung des Beamten zur Herbeischaffung der erforder lichen Bescheinigungen nöthig ist. Der Justiz-Minister schrieb
endlich vor:
daß die Beschlagnahme eines angemessenen Theils des Diensteinkommens zum Behuf der Bewirkung des Einkaufs der Ehefrau eines Beamten in die
Wittwenkasse, ohne Rücksicht auf den Betrag des
Dirnsteinkommens des betreffenden Beamten, anzu
wenden sei; denn die gesetzliche Verpflichtung, den Einkauf zu bewirken, stehe mit de» Amtsverhältniffen in so genauer Verbindung, daß die für andere
*) Reser, v. 9. Octobr. 1816. (Zahrb. Bd. 8, S>. 270.)
123 Fälle
vorhandene
gesetzliche Bestimmung,
einem
Beamten 400 Rthlr. frei zu lassen, bei dieser Be
schlagnahme nicht berücksichtigt werden könne.
Es
sei jedoch in keinem Falle erforderlich, so viel von
dem Gehalte des Beamten, der, ungeachtet er ge setzlich dazu verpflichtet sei, dieses zu thun sich xoeif gere, in einem Quartale in Beschlag zu nehmen, als die
Antrittsgelder, Retardat- Zinsen und die
laufendm Beiträge betragen.
Die Bestimmung der
in Beschlag zu nehmenden Summe bleibe vielmehr dem Ermessen des Gerichts überlassen; und es könne
daher auch in Ansehung der bereits verfügten Be schlagnahme bewenden, wenn das Gericht der Mei
nung sei,
daß dieselbe die betreffenden Beamte«
schon dadurch bewogen werden, ihrer Verpflichtung nachzukommen*).
Diese Beschlagnahme des Gehalts, die man dadurch aus führt, daß der vorenthaltene Theil von der Staatskasse an das Depositorium abgegeben wird, ist mithin eine Zwangs
maßregel, darauf gerichtet,
Etwas zu thun (executio ad
faciendum), ein ganz abnormes, singulaires Erecutions-
mittel. ergehen
Es kommt vor, daß Beamte dieses ruhig über sich lassen,
weil die
Zwangsmaßregel
bisweilen im
schlimmsten Falle noch immer vortheilhafter ist, als derprä-
tendirte Einkauf in die Wittwenkasse in irgend einem Falle
je werden kann.
Denn stirbt die Frau vor dem Wanne,
*) Resc. v. 7. Septbr. 183» (Zaheb. Bd. 86, S. 155.)
124 so sind alle Zinsen und Beiträge, die vielleicht für eine lange Reihe von Jahren gezahlt sind, verloren; stirbt der Mann innerhalb der ersten Jahre nach der Versicherung, so hat die
Frau auch nichts und Zinsen und Beiträge sind weggewor fen; stirbt aber der Mann nach vielen Jahren, so hat die
Frau an dem aufgesammelten Gelde auch wol zu leben. Der Grund, warum man so große Abneigung gegen den Beitritt
zur
Preußischen Allgemeinen
Wittwen-Verpfleg«
ungs - Anstalt in Berlin hat, sind die außerordentlich ungünsti gen und lästigen Bedingungen und
der Zwang, für die
versäumte Zeit Beiträge und Zinsen von dem Einkaufsgelde nachzuzahlen, und überdieß noch' ein viel höheres Antritts
geld zu erlegen. Wer z. B. im Alter von 40 Jahren erst 5 Jahre nach seiner Vcrheirathung seine 30 jährige Frau einkauft, hat erstlich soviel an Beiträgen zu bezahlen, wie er
bezahlen müßte wenn er sich erst gestern verheirathet hätte; zweitens muß er auf die schon
vergangenen
5 Ehejahre
von der Summe des Antrittsgeldes 4 Prozent für jedes
Jahr nachzahlen; und drittens muß er das gewöhnliche An trittsgeld doppelt erlegen*). Bei dem besten Willen kommt es vor, daß einige Receptionstermine vergehen, ehe die er
forderlichen Atteste und Bescheinigungen alle können zusam
men gebracht werden, und es ist eine nicht zu rechtfertigende Härte,
daß alsdann der Anstalt eine Summe gezahlt wer
den soll, die doch ein reiner Gewinn für sie ist, weil darauf
bei der Wahrscheinlichkeitsrechnung, nach welcher Prämie *) Information der General-Direktion der Köm'gl. Preuß. Allge meinen Wittwenkasse, vom so. August 4816.
125 Mttb Beiträge bestimmt werden, nicht Rücksicht genommen lein kann. Schon darin liegt eine große Erschwerung für die Seihte# tenden, daß man nur zu zwei bestimmten Terminen im Jahre
aufnimmt, mithin just vor dem bestimmten Tage Alles ein zureichen hat, so daß, wenn dabei Ausstellungen gemacht
werden, oder auch nicht zeitig genug vorher Alles zusam
mengebracht wird, wieder ein ganzes halbes Jahr gewartet werden muß. Wer im vorgerückten Alter heirathet, dessen Abzüge
werden so bedeutend, daß er sie nicht erübrigen kann. Durch die Kabinets - Ordre vom 27. Februar 1831*) ist eine neue
sehr lästige Bedingung hinzugekommen.
Bis dahin konnte
man das Antrittsgeld baar bezahlen oder auch schuldig blei
ben;
im letztern Fall verzinsete man das Kapital mit 5
Prozent.
Seitdem aber kann man sich nicht mehr durch Zah
lung befreien, sondern die Zinsen werden von dem zu be
rechnenden Antrittsgelde zu 5 Prozent gleich bei der Auf nahme den halbjährig zu zahlenden Beiträgen hinzugerechnet, und die Beiträge mithin um so viel erhöhet. Dadurch werden
die Beamten gezwungen, immerfort Fünf Prozent Zinsen zu zahlen, und der Anstalt ist die Sorge und die Arbeit ab
genommen, die Kapitalien unterzubringen und zu verwal
ten.
Die
Fonds
dieser Staatsanstalt, die doch von den
Mitgliedern zusammengebracht werden, lernt man nicht ken
nen; sie müssen bedeutend sein, und man glaubt, daß unge heure Ueberschüsse gewonnen werden. In der That, es
möchte, auch ohne das Verbot in dieser
*) Gesetz-Sammt, von 1831, S. 3.
Kabinets-Ordre
vom 27. Februar 1831,
bei den jetzt sich darbietenden w
sich fach en Gelegenheiten, seine Hinterbliebenen mit Vortheil gegen Mangel zu sichern, sich schwerlich noch Jemand finde»,
der sich bei dieser Staatsanstalt interessirte, wenn nicht die Königlichen Beamten gezwungen würden beizutreten; sie ist
jetzt eine Staatsanstalt, die allein durch die Staatsbeamten aufrecht erhalten wjrd.
Es gibt keinen Rechtsgrund, der den Beamten eine solche
Last aufbürdete; der Staat hat kein anderes Interesse, als sich zu sichern,
daß die Wittwen seiner Beamten ihn nicht
mit Gesuchen um Unterstützung behelligen, und diese Siche
rung kann geschehen, ohne daß werden,
die Beamten gezwungen
zu ihrem Schaden die bestehende Staatsanstalt zu
erhalten; die deßfalsige Beschwerde der Beamten erscheint mithin nicht so ungegründet.
Zur Abstellung derselben und
zugleich zur Sicherung jenes Staats-Interesses, welches ohnehin nicht erheblich ist, weil eine wirkliche Verbindlichkeit
zur Verpflegung
der Beamten-Wittwe» gar nicht besteht
würde Folgendes genügen: 1) Wer so bemittelt ist, daß seine Wittwe für den er
forderlichen Lebensunterhalt nicht zu
sorgen
muß nicht weiter belästigt werden;
er mag ein
hat»
Witthum oder ein Leibgedinge bestellen. L) Wer zwar selbst mittellos ist, aber eine reiche Fran
heirathet, muß ebenfalls ungestört bleiben.
3) Wer ohne Vermögen ist,
mag dafür sorgen,
daß
seine arme Wittwe die erforderlichen Mittel hat, und
daß er dieß gethan nachweisen;
es muß ihm aber
127 freie Wahl
in
der Art
der Versorgung
Diese läßt sich bewirken,
werden.
Leibrente
gelassen
entweder durch
Versicherung
einer
verschiedenen
Nentenversicherungs - Anstalten,
in
irgend
einer der
oder
durch Lebens-Versicherung mit einem Kapitale, wel um der Wittwe ein sorgenfreies
ches hinlänglich ist,
Auskommen zu gewähren. Dabei geht das Staatsin teresse nicht weiter als zuerst die Nachweisung der gesche
henen Versicherung zu fordern, und dann darauf zu
halten,
daß
die
damit
erlangten Vortheile durch
Ausscheiden nicht wieder verloren gehen.
tere
wird
jährlichen
vollständig dadurch erreicht,
Beiträge
den
Beamten
Das letz
daß er die
vom
abziehen und unmittelbar abführen läßt.
Gehalte
Hierdurch
entsteht keine neue Arbeitslast, denn gerade dasselbe
thut er jetzt auch schon,
mit den Beiträgen zu sei
ner Wittwen - Verpflegungs - Anstalt.
128
II. Dre Institution der Justiz -Comnrifsarien und die Untersuchungsmaxime.
Was in dem ersten Hefte dieser Schrift über die Advo-
katen vorgebracht worden ist, erfordert bei der unermeßlichen Wichtigkeit dieses Standes in der bürgerlichen Gesetzgebung
noch eine weitere Ausführung und eine ruhige Betrachtung der Ursachen seines Verfalls in Deutschland und besonders in Preußen, und die Würdigung der Mittel, ihn in sein na
türliches Ansehen zurückzuversetzen. Worin liegt es nur, daß in keinem Lande dieser ganz
unentbehrliche,
hochzuverehrende Stand in eine solche Miß
achtung gekommen ist, wie in Deutschland? Die Grund ursache davon ist ganz allein der Znqnisttionü-Prozeß in Civil - und Criminal - Sachen, welchen Deutschland mit sei
nem eigenthümlichen, auf Freiheit und Selbstständigkeit der
Individuen gegründet gewesenen, Prozeßverfahren hat vertau schen müssen; alles Uebrige, was sonst noch als Ursach der
Unterdrückung dieses Standes angegeben wird, sind bloße
Folgen.
Zerschneide man die Wurzel der Schlingpflauze,
129 so wird das edle, nutzbringende Gewächs ganz von selbst
emporschiessen. Als nun der Untersuchungsprozeß dem ge
sellschaftlichen Bedürfniß nicht entsprach, als man einerseits dem Herrn des Rechts (der Parrhei) Zwang anthun wollte, so oder so seine Sache anzugreifen, anderseits aber der ge
wünschte Erfolg nicht zu erreichen war, und in Folge Des
sen allgemeine Klage
entstand: da
waren die Advokaten
der Sündenbock; der Volkshaß wurde auf sie gelenkt, es
gab keinen Spott- und Schimpfname», den man ihnen nicht beilegte, sie waren die Vampyre, die Blutsauger, welche nur in Ränken und Kniffen, in Entzündung von Zank und Zwie
spalt, in Vermehrung und Erzeugung von Prozessen Nah
rung fanden. Die höchste Höhe hatte diese bornirte Ansicht
in der Mitte des vorigen Jahrhunderts erreicht, wo man öffentlich darüber disputirte: ob denn überhaupt in einem wohlgeordneten Staate Advokaten geduldet werden dürften*). Es war damit wie zu seiner Zeit mit dem Volksglauben an
Heren und Zauberer.
Bei dieser herrschenden Volksmeinung
mag es dem großen Könige Friedrich II. nicht zum Vor
wurf gemacht werden, daß sein Scharfblick nicht durchdrang, daß er vielmehr, vorbereitet durch seine technischen Rathge
ber, und außer Stande, selbstständig zu urtheilen, fortgerissen ward von der Volksmeinung, die in der Unterdrückung,
*)
sind darüber eine Anzahl Broschüren erschienen, von welchen ich hier bemerke: Cramer disquisitio an advocati in rebiis publicis tolerandi sint, -der ob die Advokaten in der Republik zu dulden sind? Lips. 1736. — Erörterung der Frage: ob die Abschaffung der Advokaten dem gemeinen Leben nützlich oder schädlich sei? Berlin, 1780.
130 in der Ausrottung der Advokaten Heil suchte.
die Advokaten ganz ab.
an den
Er schaffte
In der bekannten Kabinets - Ordre
Großkanzler v. Carmer, vom
14. April 1780,
heißt es:
„Es ist wider die Natur der Sache, daß die Par theien mit ihren Klagen und Beschwerden von dem Rich ter nicht selber gehört werden,
sondern ihre Nolhdurft
durch gedungene Advokaten vorstellen sollen.
Diesen Ad
vokaten ist sehr daran gelegen, daß die Prozesse verviel
fältiget und in die Länge gezogen werden; denn davon dependirt ihr Verdienst und ihr ganzes Wohl.
Selbst der redliche Mann unter ihnen, welcher mit Hintenansetzung seines Interesses, die Pflichten eines gu ten Bürgers zu erfüllen wünschte, darf als Kläger oder
Verklagter nicht offenherzig zu Werke gehen, weil sein Gegner eine umständliche Erzählung des Facti dahin miß brauchen könnte, ihm eine Menge Beweise auf den Hals
zu schieben, und ihn dadurch in ein Labirinlh zu führen, aus welchem er sich ohne Gefahr oder Verlust seines
Rechts kaum wieder herauswickeln würde.
Denn wenn der Richter die Akten nicht eher in die Hand bekommt, als bis die Advokaten durch ihr« Schrift
sätze das Faktum nach Wohlgefallen verdreht und ver dunkelt oder mangelhaft vorgetragen haben, so ist es sehr
natürlich, daß der Urtelsfasser .den rechten Gesichtspunkt verliert, folglich auf unadäquate Beweise erkennet, und weil er auf dem eingeschlagenen irrigen Wege fortgehen
131 muß, oft wider seine Ueberzeugung am Ende ein offenbar
ungerechtes Urtel zu sprechen genöthiget ist. Ich kann kaum glauben, daß jemalen einer der alten und vernünftigen Gesetzgeber auf die Gedanken gerathen
sein könne,
eine dergleichen unnatürliche Prozeßordnung
statuiren zu wollen, und vermuthe vielmehr, daß die Bar barei späterer Zeiten, und die Bequemlichkeit der Richter,
diese Mißgeburt veranlaßt haben. In der römischen Geschichte finde Ich nichts, so Mich
ein anderes vermuthen ließe. Die Richter bei den Römern
mußten erst die Sache in facto selbst untersuchen, ehe die
von den Partheien bestellte» Redner angehört und das
Urtheil gesprochen wurde; und wenn es wahr ist, daß auch die päbstlichen Gesetze ausdrücklich verordnen,
daß der
Richter das Faktum untersuchen, und die Advokaten nur die Rechte der Partheien defendiren sollen, so wird Meine
obige Vermuthung zur Gewißheit.
Dem sei aber wie ihm wolle, so ist es Mein ernst licher Wille:
daß der Richter künftig die Partheien mit ihrer Klage und Verantwortung
selber hören, ihre Er
zählungen und mitzubringenden Beweisthümer ge
geneinander halten, und so den wahren Zusammen hang der Sache, welche zu dem Rechtsstreit Anlaß gegeben, eruiren; hiernach aber denselben den Rech
ten und der Billigkeit gemäß Vorschläge zum Ver
gleich machen solle.
132 Ich halte Mich versichert, daß schon dadurch, daß die Panbeien von der eigentlichen Lage der Sache unterrichtet werden, die allermehresten Processe sich durch Vergleich wer
den heben lassen.
Diejenigen Rechts-Händel, welche auf diese Art nicht beigclegt werden können, sind wenigstens gegen alle BeweisErkenntnisse, welche bisher die allermehrsten Weitläuftigkei-
ten verursacht haben, gesichert; und können sodann, so viel die Rechts-Fragen betrifft, sehr leicht ferner zum Spruch iustruirt werden. Es ist Meine Meinung hierbei nicht, daß den Partheien
bei dergleichen gerichtliche» Handlungen die Assistenz eines Rechts-Freundesversagtwerde; vielmehr finde Ich es nö
thig, sowol dem Kläger als Beklagten, auch schon bei Un tersuchung des Facti, seinen Advokaten zu dem Ende zu accordiren, damit derselbe den Richter, welcher vielleicht ans Nachlässigkeit, Mangel der Penetration oder wol gar
aus Partheilichkeit, der ihm obliegenden Untersuchung keine
Satisfaction leisten möchte, seiner Pflicht erinnern, ihn in
allem controlliren, die Rechts - Gründe der Parthei deduciren, und also für die Sicherheit seines Clienten auf alle Art Sorge tragen solle.
Damit aber diese neue Art von Advokaten nicht wieder auf die alten Irrwege gerathen möge; so muß die Sache
so eingerichtet werden, daß solche bei dem Verzüge der Ent scheidung und Vervielfältigung der Prozesse nicht interessiret
sind, sondern einen ganz andern Gesichts-Punkt zur Beför
derung ihres Glücks und ihres Interesse erhalten.
133 Die Referendarien müssen nemfidj bei Meiner neuen Ein richtung, hauptsächlich bei den Untersuchungen der Sache
in Facto gebraucht, und den Räthen dabei zur Hilfe ge geben werden.
Diejenigen Referendarii, welche bei diesen Gelegenhei ten die mehrste Geschicklichkeit und Penetration zeigen, wer
den zu fernerer Beförderung beibehalten; und aus diesen sollen die Advokaten, oder wie man sie füglicher nenne»
möchte, die Assistenzräthe; aus diesen aber in der Folge die
wirklichen Räthe der Landes-Collegiorum gewählt werden. Diese Assistenz-Räthe müssen eben sowol, als die Räthe
der Landes-Eollegiorum auf stritte Besoldungen gesetzt, und zu dem Ende ihre Defensions-Gebühren in einer gemein
schaftlichen Sportul-Casse gesammelt werden. Es kann wol sein, daß nur sehr wenige X) er bisherigen Advokaten sich zu künftigen Räthen qnalificiren, und also
brotlos werden dürften.
Ich werde aber die Verfügung
treffen, daß, in sofern brauchbare und ehrliche Leute da
runter sind, solche vorzüglich zu Magistrats-Bedienungen,
Justiziariaten und andern dergleichen Aemtern wieder em« ploiret werden sollen. Ganz schlechte Leute verdienen keine
Attention." Das war das
Preussen.
Todes urtheil
des Advokatenstandes in
Der Vollstreckung ging jedoch noch eine Art von
Anklage-Akte voraus.
Zn dem
Vorbericht zum Corpus
Juris Fridericianum wird sehr wortreich erzählt, daß die
Advokaten als eigennützige Menschen, welche keinen andern
Grundtyieb ihrer Handlungen hätten als ihr Interesse, sich
134 nur darum bekümmert hätten: wie sie den Prozeß für ihren Clienten gewinnen, den Gegentheil durch Umzüge und Kosten
ermüden, sich dadurch in Ruf und Ansehen bringen, und durch Anhäufung der Gebühren, als der einzigen bei ihrem Metier zulässigen Art des Erwerbs, ihre Glücks-Umstände
emporheben wollen, und durch alle nur ersinnliche Kunst
griffe den Gegentheil entweder gänzlich um fein Recht zu
bringen oder ihn doch durch alle Jrrgänge der Jahre lang herumzuführen,
Chikane
„dabei es listigen und eigen
nützigen Advokaten niemals an Gelegenheit ermangelt, eine große Zahl von Nebenpluckten auf die Bahn zu bringen.
Das Wohl und Weh der Unterthanen des Staats ist der Diskretion eines solchen Sachwalters völlig überlassen ge
wesen, dergestalt, daß dieser entweder aus Bosheit, Ge winnsucht und andern gleichsträflichen Nebenabsichten, oder auch aus Trägheit, Unverstand und Leichtsinn, durch Ver-
absäuniung gewisser Formalitäten, durch Mangel an Einsicht
und Thätigkeit
die gerechteste Sache verderben können."
Zwar habe es bisher schon an Verordnungen nicht gefehlt,
wodurch den Mißbräuchen der Advokaten gesteuert werden
sollen; diese Verordnungen aber hätten ihren Endzweck nicht erreichen können, weil es dem Richter, welcher bloß nach
den von den Advokaten aufgenvmmenen Akten hätte ur theilen müssen, nicht möglich gewesen, „dergleichen schlaue»,
in den Kunstgriffen der Chikane geübten Sachwaltern nach zuspüren." — „Um daher diesem landverderblichen Uebel in seinen ersten Quellen abzuhelfen", schien es nothwendig, das verworfene Geschlecht ganz auszurotten und den Rich-
135 ter selbst an die Stelle der Advokaten zu sehen. Als Grund
sätze der neuen Prozeß ♦ Ordnung wurden unter Andern hin gestellt:
I. „ Die Untersuchung des Faktums soll von dem Richter unmittelbar und hauptsächlich besorgt werden; und dieser soll schuldig sowol als
befugt sein, alle an
sich erlaubte und der Sache gemäße Mittel zur Er
forschung der Wahrheit anzuwenden."
V. „ Da der Richter die Wahrheit von Amtswegen auf zusuchen schuldig ist, so darf er sich an die von den
Partheien angegebenen Mittel, zu deren Erforschung
nicht schlechterdings binden: sondern er ist berechttgt, wenn sich — «och mehrere oder andere ergeben, —
solchen auch ohne besondere Anregung der Partheien nachzugrhen." —
VII. „ Die bisherigen Advokaten sind aus den oben ange führten
Gründen
gänzlich abgeschafft.
Dagegen
werden "
VIII. „ Assistenz-Räthe bestellt, deren Amt in sofern, als von der Untersuchung des Facti die Rede, ein wirkliches richterliches Amt ist. Sie sind also keinesweges Söld ner und bloße Sachwalter der Partheien, sondern Beistände und Gehilfen des Richters. Nur das ein
zige Geschäft haben sie mit den bisherigen Advoka ten gewissermaßen gemein,
daß sie mit den Par
theien über die bei der Instruktion vorkommend»
Angelegenheiten und beizuschaffende Beweismittel corre spoudiren ; nach hinlänglich entwickeltem Fac»
136 tum aber die daraus entspringenden Rechte der ihnen
besonders angewiesenen Parthei herleiten, oder ver theidigen sollen; doch muß auch dieß von ihnen ge
schehen, ohne sich strafbarer Versuche zur anderwei
tigen Verdunkelung des Facti, oder rabulistischer Verdrehung des Gesetzes, schuldig zu machen." Nach solchen Grundsätzen wurde denn durch die nens Prozeß-Ordnung das Prozeßführen eine Staatssache, welche
die Partheien der Obrigkeit und deren Beamten zur Besor gung überlassen, und wobei sie selbst, nach Art der allge
meinen Staatslasten, persönliche Leistungen verrichten muß ten', indem ihnen die Verbindlichkeit, persönlich zu erschei
nen und sich dem inquisitorischen Verhör zu unterwerfen,
auferlegt wurde.
Hierin lag zweierlei: erstlich wurde den Staatsange
hörigen soweit der freie Gebrauch ihres Privatsrechts ent zogen und zur Pflicht gemacht, ihre Prozesse genau so, wie es die Vormundschaft für gut finden würde, führen und besor
gen zu lassen; zweitens wurde die Advokatur und die
Prokuratur ein Staatsmonopol, welches der Staat, in der
selben Art wie das Salzregal oder das Tabaksregal, durch seine Agenten und Commiffarien, gegen Entrichtung der vor
geschriebenen Gebühren, verwalten ließ. Bon nun an hatten die Staatsbürger außer dem mit der Sache von Obrigkeits wegen beauftragten
Agenten nie
mand, mit dem sie sich über ihre streitigen Angelegenheiten berathen konnten.
Denn der Satz, daß die Partheien un
mittelbar dem Richter ihre Sache vortragen sollten, hat bei
137 dem schriftlichen Verfahren, und wenn auf Akten, die dem eigentlichen Richter ldem Spruchkollegium) später vorgele« sen werden, das Urtel gefällt wird,
selbstredend keinen
Sinn; Derjenige, welcher diese Akten macht, ist nicht der Richter, er ist in Verrichtung dieses Geschäfts überhaupt gar
ein Richter, sondern Agent der Staatsbehörde, welche Besorgung der Prozeßhandlungen kuratur-Geschäfte) übernommen
(Advokatur- und
die Pro«
hat. Zwar ward gleichzei«
tig noch eine besondere Art von Commisstonairen unter der
Beneunung von
Zustizcommissarien geschaffen, allein
Diese hatten andere Geschäfte zu besorgen, und durften sich bei Strafe mit dem Rathsieben in Prozeß-Sachen nicht be
fassen. In Beziehung auf diese neue Art von Commission nairen verordnete die Prozeß-Ordnung, Th. III, Tit. 7:
§. 1. „ Ausser den eigentlichen Prozessen fallen im bür
gerlichen Leben häufig Geschäfte vor, bei welchen,
wenn sie auf eine gültige und gesetzmässige Art voll zogen werden sollen, die Unterthanen und Einwoh ner des Staats den Rath und die Assistenz eines
Rechtsverständigen nicht entbehren können." „Da von einer ordentlichen, zuverlässigen und
legalen Besorgung solcher
Angelegenheiten,
Sicherheit und der Wohlstand
die
der Unterthanen
größkentheils mir abhangen; so kann es dem Staat nicht gleichgültig sein, was
für Leute zu solchen
Besorgungen gebraucht werden; sondern er muß dazu Männer von geprüfter Geschicklichkeit und
Rechtschaffenheit aussuchen, und dem
Publiko als
138 solche, an die eS sich in seinen Privatangelegen
heiten wenden könne, bezeichnen." §.
2.
„Aus diesem Grunde haben Se. Königl. Majestät resolvirt, — dergleichen Personen anzusetzen, welche dazu bestimmt und authorisirt sind, den Ein
wohnern und Unterthanen in ihren, keinenProzeß betreffenden, Rechtsangelegenheiten,mit ihrem Rath und Beistand, auf Verlangen, an die Hand
zu gehen." 3.
„ Diesen Justizbedienten wird der Name von Justiz«
§. 4.
„ Diese Justizcommiffarii sind zur Besorgung solcher
S.
commiffarien — beigelegt."
ad Processualia nicht gehörigen
genheiten
Rechtsangele
ausschliessungsweise
befugt,
dergestalt, daß ausser ihnen niemanden erlaubt sein
soll, sich mit dergleichen Geschäften abzugeben; und
daß folglich keine Vorstellungen und Exhibita, in Sachen dieser Art, welche nicht von recipir-
ten Justiz- Commissariis unterschrieben und lega-
lisirt sind, bei den Collegiis angenommen, oder Verfügungen darauf erlassen werden sollen." §. 13. I.
„Die Verrichtungen der Justizcommiffarien sind:
Daß sie den Partheien in ihren rechtlichen Angele genheiten auf Verlangen mit Rath und Gutachten
an die Hand gehen;
II.
daß sie von denselben in dergleichen
Geschäften,
besonders wenn solche gerichtlich vollzogen werden sollen, Aufträge und Vollmachten übernehmen."
139 §. 24.
„Als Consulenten der Partheien sind sie berech
tigt, denjenigen, welche sich an sie wenden, in allen Arten von außergerichtlichen Angele
genheiten mit ihrer Rechtswissenschaft und Rath
schlägen zu assistiern." §. 25.
„So lange Partheien, welche über eine Sache streiten, solche bei Gerichten noch nicht anhängig
gemacht haben, können die Zustizcommiffarii den selben dabei mit ihrem Rath — zu statten kom
men. Sobald aber die Sachs zum Prozeß gediehen ist, müssen sie sich alles weitern Consulirens oder
anderer Einmischungen dabei gänzlich enthalten." §. 27.
„ Als Bevollmächtigte der Partheien können die Justizcommissarii sich von denselben zu allen und
jeden gerichtlichen und außergerichtlichen Angele genheiten, die currenten Prozesse allein ausge
nommen, gebrauchen lassen." §. 28.
„Bei Instruktionen der Prozesse hingegen können
Justizcommissarii, so wenig in - als außerhalb deS Departements, zu Bevollmächtigten der Partheien — admittirt werden." —
Hierdurch war auch das Rathgeben und Verfertigen von Eingaben und Vorstellungen in nichtprozessualischen Angele
genheiten zum Staatsmonopol gemacht, dessen Ausübung den dazu creirten Commissionairen aufgetragen wurde.
Die prozessirenden Partheien waren indeß mit den ihnen aufgedrungenen Prozeß-Agenten unzufrieden, und die Staats
behörde mußte nachgeben, einestheüs, daß die Parrheien
140 statt des persönlichen Erscheinens sich durch Bevollmächtigte vertreten lassen konnten, und daß^dazu die Justizcommissarien
gebraucht wurden.
Die revidirte Ausgabe der Prozeßord
nung, nämlich die Allgemeine Gerichtsordnung, hat nun beide Institute nebeneinander, nämlich die alte Assistenzschaft und die Stellvertretung, die Erstere jedoch mit der Modifikation,
daß nur auf Verlangen der Parthei ihr ein Assistent zuge
ordnet und dazu, weil die Assistenzräthe abgeschafft worden waren, entweder ein Beisitzer des Gerichts, oder ein Refe-
rendarius, oder ein Justizcommissarius verwendet werden sollte*).
Diese Assistenten werden jedoch ebenso behandelt
wie die Stellvertreter der Partheien, d. h. sie müssen sich, wie die Parthei selbst, von dem Richter, oder vielmehr von
dessen Commissiouair, befragen und vernehmen lassen. Die Zulassung der Justizcommissarien als Bevollmächtigte
der Partheien hat in dem Grundsätze: daß die Advokatur und die Proknratur sich in den Händen der Staatsbehörde
und deren Beamten befindet, gar nichts geändert, vielmehr ist ausdrücklich verordnet:
„Die Zulassung von Bevollmächtigten an die Stelle
der Partbeien selbst ändert nichts in der Art der Instruktion.
Diese muß schlechterdings auch als
dann von dem Richter selbst dirigirt und betrieben, und den Bevollmächtigten muß dabei kein Schrift
stellen, Diktiren oder Rezessiren zum Protokoll ge
stattet werden.
Vielmehr muß der Richter sie eben
*) A. G.-O. Th. I, Tit. 3, §• 14.
141 so, wie in Ansehung der Partheien selbst in der
Folge verordnet wird, vernehmen und befragen, und sie müssen demselben über alle und jede zur Sache
gehörige Umstände eben so die nöthigen Antworren
und Auskünfte ertheile», als wenn die Parthei in Person gegenwärtig wäre "*).
Ein allgemein anerkannter Rechtssatz ist, daß ein Zwangs« berechtigter den Bedürfnissen des Verpachteten gehörig Ge
nüge leisten muß,
nur allein in diesem Verhältnisse der
Staatsbürger zum Staat scheint er keine Geltung zu haben: der Staat hat nicht qualifizirte Beamten genug, um die Verhöre
und Vernehmungen ordnungsmäßig und vollständig verrichten zu lassen, er bedient sich dazu der noch nicht hinlänglich geüb ten Auskultatoren und Referendarien, wie schon vorhin nachge
wiesen worden ist. Ich kenne Sachen, in welchen Landleute, um mit ihrer Klage vernommen zu werden,
ihren Marsch
sieben, acht Mal haben machen müssen und wo über ein halbes Zahr darüber hingegangen ist, ehe eine vollständige Klage
zum Dasein kam, aus dem alleinigen Grunde, weil der zum Deputirten bestellte Referendarius die Sache nicht verstand.
Wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes und weil man sich die Sache ohne zu lesen oder zu sehen gar nicht so denken
kann wie sie ist, muß ich, zum Beweise meiner Behauptung, auf die Gefahr hin noch mehr zu mißfallen, eine solche Ver
nehmung, welche „das Wohl der Unterthanen und Einwoh
ner des Staats" begründet, von der Klageanmeldung an
*) Ebendas. §. 74.
142 bis zur Aufnahme der für vollständig angenommenen Klage wörtlich mittheilen.
Ein Bauer, welcher drittehalb Meilen vom Gerichtsorte entfernt wohnt, klagt gegen die Erben seines gewesenen HypothekengläubigerS auf Löschung der bezahlten Post. Die
Sache ist höchst einfach. Rr. 1. Verhandelt N. den 25. Mai 18..
Erscheint der Bauer Johann L. aus L... und trägt vor: Auf meinem Bauergute Nr. 11. zu L. haften Rubr.
III. Nr. 1. 192 Thlr. für die verstorbene Auszügerin Catharine N. geb. E. —, meine Großmutter.
Mehrere
Erden derselben haben die Quittung verweigert und ich
bitte daher: zur Aufnahme der Klage wider sie Termin an-
zusetzen. Borgelesen, genehmigt und unterschrieben. Johann L.
V.
w.
o.
NN. Nr. 2.
Citation zur Klageaufnahme ad terminnm den
17. Juni, vor dem Devutirten des Gerichts. Nr. 3.
Verhandelt N. den 17. Juni 18.. In dem heutigen ex decreto vom 30. v. M. zur Auf
nahme einer vollständigen Klage anberaumten Termine er schien der Bauer Johann L. aus L..., und gab wider die
143 Erben der Auszüger «Wittwe 8-, Catharina gehonten E., folgende Klage zum Protokoll:
Ich habe das Bauergut Nr. 11. zu L... an Ostern d. I. von meinem Vater Franz L. übernommen für die Kaufsumme von 1000 Thalern.
Zn der gerichtlichen Ver
handlung d. d. den 24. Juli und 27. September 18.. bei
den Grundakten vonL... Nr. 11, die ich zu adhibiren bitte, haben: 1) der Häusler Joseph L. aus Wackerau,
2) die Erbe» der Catharina, verehlicht gewesenen B.,
gefronten L., als: A. deren Ehemann, Bauerauszüger Franz L.aus L. ;
B. deren
mit dem
ad A.
Erwähnten erzeugte
Kinder:
a. die Catharine, verehlichte G., gefronte L., mit ihrem
Ehemann,
dem Robotgärtner
Joseph G. aus L-, b. der Bürger und Hausbesitzer Johann L.
aus Z., c. der Dienstknecht Peter L. aus N., d. der Häusler Johann K. aus Sch., jedoch
ohne den Beitritt seiner Ehefrau Rosalie,
gebornen L-, e. der Bauer Anton Z. aus L. (derselbe war mit der Anna Maria gebornen L. verhei«
rathet und hat mit derselben einen Sohn erzeugt, den noch minorennen Anton Z.)
für sich und seinen Sohn
144 erklärt, daß sie aus dem Nachlasse der Gläubigerin des nun
mehrigen Bauer-Auszügers Franz L., meines Vaters, meiner Großmutter Catharina L. gehonten E. noch Ansprüche hätten,
und haben daher in die Löschung der auf meinem Bauergute Rubr.
III. Nr.
1. für meine Großmutter Catharine L. geborne E. ein
getragenen rückständigen Kaufgelder per 192 Thlr. nicht
gewilligt und die Quittung verweigert, obgleich der Chri
stoph L>, der Bruder meines Vaters, welcher der noch mi norennen Rosalie verehlichten K. zum Curator bestellt worden war, sowohl für sich als diese Letztere erklärte,
daß er in
die Löschung der beregten Post von 192 Thlr. willige.
Derselbe hat behauptet, daß diese rückständigen Kauf gelder richtig und
vollständig bezahlt worden seien,
und
zwar von dem frühern Besitzer des Gutes, meinem Vater Franz L.
Daher berufe ich mich auf sein eidliches Zeugniß.
Ich lege ferner dieser Klage zwei Quittungen bei über 195 Thlr. Erbe- und Ausstattungsgelder für die Catharina
L. geborne L., worin deren Ehemann Fran; L. in L. mei nem Vater völlig Decharge leistet, und resp, über 45 Thlr. Zinsen und Kapital, als den Rest der Erbegelder für den Freigärtner Joseph L. in W.
Da hiernach die rechtliche Vermuthung für meinen Vater streitet, so hoffe ich, daß er auf Grund dieser Dokumente
zum Zeugniß darüber verstattet werden wird, daß er auch diese 192 Thlr. rückständige Kaufgelder bezahlt hat. Auch meine Mutter Rosalie geborne B. weiß um die
Bezahlung der 192 Thlr.
Ich trage darauf an;
145 die obengenannten Erben der Catharina L. gebornen E. zur QuittungSleistnng über das Jntabulat
von 192 Thlr. zu verurtheilen, sie mit ihren An sprüchen an den Nachlaß der Catharine L. gebornen
E. abzuweisen, so wie ihnen die Kosten zur Last zu legen.
Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben. Johann L.
a.
u.
N.?
Deputatus.
s.
Nr. 4.
Decret.
Die Klage ist überhaupt nicht klar.
Die eingereichten
Quittungen scheinen gar nicht die in Rede stehende Post zu
betreffen; denn a, die Quittung über 45 Rthlr. spricht über Erbtheil
eines Joseph. L., und d, die Quittung über 195 Rthlr. spricht über Erbtheil
und Ausstattung einer Catharina L. gebornen L.,
während der Kläger eine Quittung über 192 Rthlr. Kauf
gelder verlangt, die für eine Wittwe Catharina L. gebor nen E. eingetragen stehen.
Citetur daher der Kläger ad novum terminum den 12.
Juli, Vormittags 11 Uhr, zur Aufnahme einer substantiirten Klage.
N. den 23. Juni. 1840.
v.
U.
146 Ar.
5.
Verhandelt, R. den 12. Juli 1840.
ün heutigen ex decreto vom 2.3 v. M.
Es erschien
anberauinten Termine der Bauer Johann
L. zu L., und
ergänzte seine unvollständige Klage folgendenmaße«:
Mein Vater hat von seiner Mutter Catharina L. gebor-
nen E. das sub No. 11 gelegene Bauergut im Jahre 1810 übernommen.
Er
hatte an dieselbe
noch ein Hypotheken--
Kapital per 192 Rthlr. zu zahlen, welches, als sie im Jahre 0814
gestorben
war, i» 6 Theile zerfiel, da sie 5
Kinder
hinterließ und ein Theil auf Begräbnißkosten verwendet wurde. Mein Vater hat den
betreffenden Miterben, die im vorher
gehenden Protokolle namentlich aufgeführt sind, ihre Erbes« Portionen, Jedem i« Höhe von 32 Rthr. ausgezahlt.
wird der
Christoph L.,
Dieß
mein Vetter, ein Miterbe meines
Vaters, nöthigenfaüs bekunden, wie derselbe ja auch schon in der bei den Grund-Akten Nr. 11 befindlichen Verhandlung vom 27. September v. I. erklärt hat.
ten
zu
adhibiren.
Auf den
Grund
Ich bitte, diese Ak dieser Zeugenanssage
des Christoph 8., hoffe ich, wird mein Vater Franz L., und
meine Mutter
Rosine geborne Berger, zum Erfiillungseide
darüber verstattet werden, daß sämmtliche 5 Miterben der Catharina L. gebornen E., Jeder in Höhe von 52 Thlr.,
befriediget worden sind.
Die sub A. eingereichte Quittung
Aber zusammen 45 Thlr. 6 Sgr. lautet auch
über die Post
per 32 Thlr. Dieß war nämlich Münze und ist mit 26 Thlr.
Erbegelder in Courant berechnet worden. bei meinem früheren Anträge stehen:
Ich bleibe daher
n« Die Behandlung des Eingangsporto
nach Vorschrift des Posener Regle
ments verlangt daher einen Zeitauf
1 15 Std. 18 Min.
wand von Nach der vorigen Instruktion stellt sich
Folgendes heraus:
a.
von den 1586 Nummern wurden kon«
tirt 1146, ä 3 Mi».
57 Std. 18 Min.
1>. 440 Posten wurden
in die kleine SportelKontrolle ausgenom
men und in derselbe« kreditirt, ä 2 Min.
14 „
40
„
---------------- ~
71 "
58 "
Es muß daher nach der Posener. In
struktion mehr gearbeitet werden . 2.
.
43 Std. 20Min.
Abgangsporto.
Im Jahre 1841 sind 1098 Nummern vorgekommen und davon 341 zur kleinen Sportel - Kontrolle
Rücksichtlich
übergegangen.
aller Auslagen gilt daS beim Eingangsporto
Gesagte; nach Maßgabe der Posener Instruktion sind
daher auf daS Kontiren von 1098 Posten zu rechnen: 54 Std. 54 Min. und auf das Notiren von 341 Posten in der
kleinen Sportel-Koutrolle-und das Kreditiren im Konto-Buche . 22
„ 44 „
zusammen 77 Std. 38 Min.
216 Transport 77 Std. 38 Mm.
Nach der vorigen Instruktion waren nur er
forderlich: auf das Kontiren von 757 Posten .... 37Std.5lMin. auf das Hinübernehmen von 341 Posten zur kleinen
Sportel-Kontrole
.
.
.11
„
22
„
Es ist daher nach der Posener Jnstruk-
tion Mehrarbeit 3.
Stempel,
28 „
25 „
deren Verwendung nicht bis zur Been
digung der Sache ausgesetzt werden darf.
Ueber diese Auslagen - Gattung wird der Belag C. ge führt, welcher sich nach beiden Instruktionen ganz gleich
behandeln läßt.
4.
Reisekosten, Diäten und baare Auslagen
der Gerichts-Beamten, Gebühren der Sachver ständigen und Zeugen, Jnsertionskosten rc.
Nach
der Posener Instruktion bedarf die Kaffe über die meisten, zum Auslagenbuch gehörige Beträge vollständiger, mit dem
Festsetzungs-Dekrete und der Zahlungs,Anweisung versehener Liquidationen.
Ausgenommen sind:
a) Auslagen und Gebühren fremder Königlicher Ge richte und anderer Staatsbehörden,
b) Jnsertionskosten und Alimenten - Vorschüsse, c) Kalkulatur - Gebühren und Kostenvorschußbestände. Nach der vorigen Instruktion mußten nur die Reisekosten
und Diäten der Gerichts-Koyunissarien mit Liquidationen
belegt werden. Das Auslagen buch für das Jahr 1841 wei-
217 von denen 509 kontirt und 568
set 1077 Nummern nach,
Ferner sind nur zu
anderweitig abgewickelt worden sind.
105 Posten Liquidationen erforderlich gewesen. Nach der Posener Zustruktion würde folgende Arbeits
zeit nothwendig gewesen sein: 1) Kontiren von 1077 Posten ....
53Std. 51Min.
2) Anhängen von 568 Posten an andere
Kontrolen 3) Kreditiren von 568 Posten ....
18
,»
56 „
18
„
56 „
4) Anfertigen von 571 Liquidationen und
das unter dieselbe zu setzende,
durch
Expedition besonders auszufertigende, zu mundirende und dem Gerichrsvor-
tzande zur Unterschrift vorzulegende Festsetzungs-Decret, zusammen ä 10
Minuten .
. 95
.................................
„
10
„
5) Prüfung der Liquidationen durch den Sportel-Revisor ä 2 Minuten
. .
19 „ 2 „ 205StH5Mm.
Nach der vorigen Instruktion ist aber nur gebraucht worden:
1) zum Kontiren von 509
Posten
25Std. 27Min.
2) zum Anhängen von
568 Posten
an an
dere Kontrolen
.
. 18
„
56 „
Latus 44 Std. 23Min. 205 Std. 55Min.
218 Transport 44Std. 23 Mm. 205 Std. 55 Min.
3) zum Unfertigen 105 Liquidationen
von 8
„
45 „ 53
„
8 ,,
Die Posener Instruktion verursacht mit«
hin Mehrarbeit
152 Std. 47Min.
Hierbei muß bemerkt werden, daß mit
Auflösung der Kontrole für Untersuchungs dem Auslagenbuche jährlich min
kosten,
destens 300 Nummern zutreten und ebenso
viele
Liquidationen
müssen.
angefertigt
werden
Es kommen daher zu der berech
neten Arbeitszeit:
1) für das Kontiren von 300 Posten
.
15
„
— „
2) für daS Anfertigen von 300 Liquida«
datiotten.....................................................25 „
— „
3) für Prüfung derselben und für die Ein
tragung, welche früher unter Einem mit den Kosten
erfolgte,
ä 3 Mi
nuten ...........................................................15
„
— „
und ist die Arbeit hiernach um
„
47 „
.
. 207
vermehrt worden.
B. Nachliquidiren und Einfordern der Kosten. Das Nachliquidiren der Kosten macht zwischen der frü hern und der gegenwärtigen Einrichtung keinen Zeitunter«
219 schied; wohl aber ist zu beachten,
was alles jetzt befolgt
werden muß, bevor die Zahlungs-Mandate zum Znstnuiren
reif sind.
Nach
der vorigen Instruktion kamen die Akten
zur Anfertigung der Liquidation in die Kasse, gleichviel, ob
die Kosten in die kleine oder in die Haupt-Sportel-Kontrole gehörten. - Die Kosten liquidirte der Kontroleur,
zur Haupt-Sportel-Kontrole
der Kontobuchführer
fügte
die
gebuchten Kosten 6er, berechnete die Quote, schloß die Note, machte die Anträge
auf Zurückgabe der Borschußbestände,
und
legte die Rechnung dem Kaffen-Kurator zur Revision
vor.
Nach der Revision und Festsetzung wurden die nach-
liquidirten Kosten durch den Kontroleur in die Haupt-Spor
tel - Kontrole eingetragen, die Noten und die im FestsetzungS-
Dekrete angegebenen Zahlungs-Mandate vom Kaffenschrei
ber mundirt und die Reinschriften vom Kaffen-Kurator voll zogen, die Konzepte der Liquidationen aber blieben bis nach
Abwickelung des Konto
in der Kaffe.
Die nachliquidirten
Stempel wurden vom Stempel-Distributor auf Grund der Kontrole kassirt und von ihm dieselben gegen Quittung der
betreffenden Beamten in die Registraturen abgeliefert. Kontirt wurde erst am 14. Tage nach bewirkter Eintragung in die Haupt-Sportel-Kontrole, eingehenden Beträge in
und
alle
während
derselben kreditirt.
dieser Zeit
In die kleine
Kontrole wurden alle vom Kollegium eingeforderten Kosten,
in der Regel auch die Kosten in Hypotheken-Sachen, ein getragen,
und
aus
derselben
erst am 68. Tage nach der
Eintragung kontirt, während dieser Frist aber das Kredi tiren in derselben vorgenvmmen.
Jetzt werden die Koste«
220 in den Büreaur liquibirt und die Zusammenstellungen dem
Sportel-Revisor gegen Quittung übergeben. Das Einträgen in das Quittungsbuch erfordert für jede Post ................................................................................ 1 Minut. Der Sportel-Revisor braucht zur Vergleichung
der Rote mit den Akten und Prüfung der Sätze im Durchschnitt.......................................................... 8
„
Nach Festsetzung der Kosten durch den KassenKurator gelangt die Rechnung zum Rendanten. Dieser fügt die schon erwachsenen, zur Soll-Ein
nahme gekommenen Auslagen nebst der KassenQuote hinzu, schließt die Rechnung und entwirft
............................................6
das Zahlungsmandat
„
Darauf erhält der Kontroleur die Kostenrech nung, welcher sie in calculo revidirt und zur Kon-
trole einträgt. Die Revision in calculo verlangt
2
„
1
„
Es ist ein zweimaliges Quittiren über die Stem pel nothwendig.
Der Kontroleur quittirt nämlich über die zu den Rech
dem Stempeldistributor
nungen beigelegten Stempel, und der Büreau«
Vorsteher wiederum dem Kontroleur bei Abliefe
rung der Rechnungen und Stempel.
Die dop
pelte Eintragung in die Quittungsbücher macht für jede Nummer einen Zeitaufwand nöthig von Jede Kosten-Liquidation erfordert daher gegen
sonst an Zeit mehr
.
.
...................................... 18 Minut.
Dieß ist von den zur Haupt-Sportel-Kontrole gehörigen
Posten zu verstehen.
Die zur kleinen Sportel - Kontrolle
221 kommenden Kosten verlangen nur dieselbe Zeit wie früher.
Es sind im Jahre 1841
a. in die Hpt.-Sportel-Kontr. ausgenommen 1982 Posten, 1», in die kleine Sportel-Kontrole, welche nach der jetzigen Einrichtung gleichfalls zurHpt.Sportel-Kontrole gehören
und diese
1641.
„
................................. 3623 Posten
hätten nach Maßgabe der vorstehenden Berechnung
einen
größeren Zeitaufwand zur Folge gehabt von 1086 Stunden 34 Minuten.
Kreditirt wurden:
1. in der Haupt-Sportel-Kontrole
.
.
. 1198 Posten
2. von obigen 1641 Beträgen in der kleinen
1510
Sportel-Kontrolle
Wären diese
„
2708 Posten
kontirt worden, so würden dazu 135 Stunden 24 Minuten nöthig gewesen
sein und es ergibt sich hieraus,
daß die
Posener Instruktion bei dem Nachliquidiren und Einfordern
der Kosten die Arbeit um und
1086 Std. 54 Min.
135
„
24
„
zusammen um 1222 Std. 18 Min.
vergrößert hat.
Dazu kommt noch das Aussüüen und Abres-
siren der, aus der kleinen Sportel-Kontrole hergenommenen
1641 Zahlungs-Mandat« a 3 Minuten mit 82 Stunden 5 M muten.
Alle übrigen mechanischen Berrichtungen werden sich an Zeitbedarf das Gleichgewicht halten; denn obgleich die Po> sene r Instruktion «ine Anzahl besonderer Listen vorschreibt,
222 so hat dieselbe stuf der andern Seite verschiedene Soll-Eio-
nahme-Beläge in der Haupt-Sportel-Kontrole vereinigt.
II. Legung, Revision und Abnahme der Rechnung. Die außerordentliche Vermehrung der Special-Beläge
und Zahlungs-Anweisungen, die früher durch revidirte mtb.
attestirte Listen, welche die Quittung unmittelbar neben der, angewiesenen Post in der letzten Colonne enthielten, durch
Bücher u. s. w.
ersetzt wurden,
Rechnungslegung und Neviston.
hat auch
Einfluß auf die
Der Rechnungsleger muß
a) die Beläge nach den verschiedenen Listen absondern und mit diesen vergleichen,
b) bei
der
Rechnungslegung selbst
Vergleichung
die
nochmals vornehmen, außerdem die Beläge nummeriren und die Nummern in den Listen vermerken,
c)
nach Zurückkuuft der gehefteten Beläge vom Buch binder die Vergleichung zum dritten Male
vorneh
men, um ein mögliches, bei dem Eiubinden vorge
fallenes, Versehen zu berichtigen. Zu der Rechnung von 1841 wären jetzt gegen früher 766
besondere, einzelne Beläge mehr erforderlich.
Angenommen,
daß zu dieser dreimaligen Prüfung für jede Liquidation nur drei Minuten nothwendig find, Arbeit von
Außerdem. aber
der
so
gibt dieß eine Mehr-
........................................ 38 Stunden, hat. der Kalkulator
Rechnungs- Durchsicht, und der
bei
SuperLatus 38 Stunden.
223 Transport 38 Stunden. Revisor ebenfalls Belästigung, welche gering
gerechnet Jedem 1 */2 Minute für den einzelnen Belag mehr kostet, thut ebenfalls
.... 38
„
76
„
Dieß macht zusammen
Zusammenstellung.
Die Posener Instruktion fordert gegen die
vorige
bei dem gedachten Gerichte mehr Zeitaufwand: 1) bei Behandlung des Eingangs-Porto
2) bei Behandlung
des Abgangs - Porto
43Std. 20Min. 28
„
25 „
................................. 207
„
47 „
1222
„
18 „
82
„
3 „
76
„
— „
3) bei Behandlung der Reisekosten, Diä
ten,
baaren Auslagen der Beamten,
Gebühren der Sachverständigen Zeugen rc.
.
4) beim Nachliquidiren
und
und
Einfordern
der Kosten und
5) bei der Rechnungslegung rc. In Summa
.
.
.
.
.
1659 Std. 53Min.
Rechnet man 7 Arbeitsstunden auf ein Tagewerk, weil
in den 8 Dienststunden mehr nicht gearbeitet wird, so gibt dies 237 Tagewerke oder, nach Abzug der Sonn- und Fest
tage, beinah ein Jahr, d. Iy. es wird beinah ein ganzer Ar beiter mehr erfordert.
Dabei ist die Erschwerung und Ver
längerung der zahlreichen ordentlichen und außerordentliche«
Kassenrevistonen noch gar nicht in Anschlag gebracht. Ueberdieß sind die baaren Auslagen um Folgendes ver mehrt:
224 1. Für Papier und Druck zu 1641 Zahlungs-Mandaten 105%. 275%. 6H 2. Lohnschreibergebühren, ü I V, -Ä .
. 11 „ 25 „
2 „
Die Partheien müssen dafür 136 5%. 22 LA 6 H bezahlen, so daß mithin um
so viel mehr ganz unnütz auf Kosten ausgeschrieben wird, was ein Grund mehr zur Abschaffung ist.
3. Für Papier zu 766 Belägen
.
.
.
1 „ — „ — „
4. Lohnschreibergebühren für 766 Fest-
setzungs-Decrete, ä
.
5. Für das Ein bind en der 766 Beläge
1 „
2 „ — „
— „
6 „ — „
6. Mehrkosten auf Konto-Bücher un-
ssefähr
.. 5 ,, —- „
Thut zusammen 305%. —
f>
8^
Dieses Alles um Nichts.
III.
Die Posener Instruktion veranlaßt durch
das
die Kosten zu liquidiren und einzufordern,
den
Verfahren,
Partheien unnöthige Gänge und Reisen.
auf dem Lande unnütze
Es ist vorgeschrieben: §. 13. „Die sämmtlichen — Kosten werden am
Schluß
der Sache oder bei Beendigung des Ge
schäfts, nachliquidirt —"
§. 14. „Sobald nämlich gediehen ist,
eine Sache so weit
fertigt der betreffende Sekretair, aus
den vollständige» Akten, indem er solche Blatt für
Blatt durchgeht, die Kostenrechnung an."
225 §. 15.
„Die Anfertigung der Kostenrechnung
durch den betreffenden Beamten muß erfolgen 1) u. s. w. 2) in Hypotheken- und Testaments - Sachen, bei
Erbeslegitimationen und Handlungen der frei
willigen Gerichtsbarkeit, sobald die Ausfertigung des beweisenden Dokuments
erfolgt." §. 16. „Die angefertigte Kostenrechnung wird —
mit den Akten (zur Kasse gegeben und) dem —
Sportel-Revisor — zur Prüfung vorgelegt." §. 17. „Nach erfolgter Revision — gelangt die
Rechnung an den Kassen-Kurator, Behufs der rich
terlichen Festsetzung." §. 20. „— Darauf müssen die Mandate nebst den Kostenrechnungen (in der Kasse) mundirt, und
dem
Kurator zur Unterschrift vorgelegt werden,
welcher alle Verfügungen in Kaffensachen, Namens
des Kollegii, vollzieht." Und in der Beilage G, S. 86: 25. „Nach der Vollziehung des Kurators wer
den die Reinschriften der Zahlungs-Mandate, nach einem darüber zu führenden Journal an den Boten
meister abgegeben, die Konzepte aber bleiben, bis zu ihrer Erledigung — in der Kaffe, die Kosten-
Rechnungen
dagegen werden nebst den kassirten
Stempeln in das betreffende>Büreau gegeben." Wo „beweisende Documente" ausgefertigt werden, gehen 15
226 diese zur Kaffe, bis die Koste» bezahlt sind, und den De«
benten wird gesagt, daß sie die Documente gegen Zahlung der Kosten in der Kasse in Empfang zu nehmen haben.
Während so die Kostenrechnung mit dem Zablungsmandat vom Büreau aus ihren besondern Weg geht, werden die „beweisenden Documente" im Büreau ausgefertigt.
Weil
diese aber oft lang sind und, zumal Hypotheken-Jnstrumente,
mit den Hypothekenbüchern verglichen, dann auch von meh,
reren Mitgliedern unterschrieben werden müssen; so sind in den meisten Sachen die Kostenzahlungsmandate schon immer
viel früher iusinuirt, ehe die Dokumente bis zur Ausreichung fertig geworden sind.
Daher kommt es, daß die Partheien,
welche dieselben in der Kasse abzuholen kommen, ihren Weg umsonst machen, wodurch die Landleut sehr beschwert wer
den.
Es werden eine Menge Beschwerden darüber geführt,
in der Meinung, daß die Beamten die Schuld davon tragen.
Zum Belage theile ich eine dergleichen (es ist eine der aller, neuesten, vom 6. des laufenden Monats) hier mit.
Sie
lautet:
„Durch die Verfügung vom 27. v. M. bin ich an, gewiesen worden, die in der Grundsache Nr. 77 Waltdorf, für die Bestellung
der Hypothek über
80 Dhlr. für den Gastwirth G.— mit 4 Thlr. 19 Sgr. 7 Pf. an die rc. Gerichts-Salarien-Kaffe zu zahlen. Dieser Anweisung habe ich genügt und die Kosten am 4. h. M — bezahlt; aber das Hypotheken-Znstru,
ment hat mir die Kasse nicht aushändigen können, weil es — wie mir gesagt worden — noch nicht
227 fertig ist.
In der Voraussetzung, daß das Instru
ment vielleicht heute fertig fein würde, habe ich mir
deute abermals den Weg von zwei Meilen gemacht, um es in Empfang zu nehmen und vom Gläubiger die Valuta zu erheben; allein ich muß zu meiner Verwunderung wieder vernehmen, daß das Instru
ment noch nicht fertig ist. Da ich nicht gesonnen bin, zum dritten Male
einen Weg von 2 Meilen zu machen
und wieder
einen ganzen Tag zu versäumen, so bitte ich — zumal ich das Geld höchst nothwendig bedarf: das Instrument mir
noch heute zustellen zu
lassen. N. N."
Eine andere gleichzeitige Beschwerde dieser Art zeigt zu gleich, daß die Verfahrungsart auch zur Ausdehnung auf
andere Fälle Veranlassung gibt,, wo noch andere Nachtheile
daraus entstehen können: ich meine wirkliche Prozesse.
Zn
diesen sollen zwar die Kosten „gleich nach Publikation oder
Insinuation des Urtels" liquidirt werden; allein der Secrc« fair liquidirt sie wol auch, wie in jenen Sachen, gleich bei
Ausfertigung des Urtels, was manche Vortheile im Ge schäftsgänge bei der einmal bestehenden Vorschrift für die
Beamten hat.
Geschieht das, so werden der in die Kosten
verurtheilten Parthei die Kosten eher abgefordert als sie das
Erkenntniß erhält, wie folgende Beschwerde zeigt:
„Bis heut noch kein Erkenntniß erhalten, ist mirmittelst Mandats vom 30
v. M
und behändigt 15*
228 erhalten den 1. d. M. schon anfgrgeben worden, in Zahlung von 4 Thlr. 28 Sgr. 6 Pf. Kosten
binnen 14 Tagen bei Vermeidung der Ereeution das Erkenntniß im Kostenpunkte zu erfüllen. Zu dieser Zahlung kann ich wohl nach, nicht
aber vor Empfang des Erkenntnisses aufgefordcrt
werden, und kann die Zahlungsfrist erst von dem
Tage an gerechnet werden, an welchem nach Em pfang des Urtels mir das Zahlungs-Mandat behän
digt werden wird, wenn das Erkenntniß, wenn auch
noch nicht rechtskräftig, doch im Kostenpunkte als
ein Interimistikum betrachtet werden sollte. Ich bitte gehorsamst:
das zu frühzeitig erlassene Zahlungs-Mandat bis
nach rechtskräftiger
Entscheidung in dieser Sache
auszusetzen.
Gehorsamster Franz B—" IV. Die Posener
Kosten durch
Instruktion vermehrt unnöthig die
die große Menge von
Zahlungsmandaten,
welche früher ganz entbehrlich waren. Vorhin, bei Ziffer II,
ist schon angegeben, daß bei dem gedachten Gericht nur für eine Cathegorie derselben allein schon 136 Thlr. 22 Sgr. 6 Pf. Kopialien zum Ansatz kommen.
Rechnet man diejenigen
Sachen, in welchen, wie in Testaments«, Hypotheken-Sachen
und dergleichen, sonst die Kostens» der Zufertigung der Ur--
künden, oder in der Benachrichtigung am Schluffe eingeforderL wurden, während jetzt, wie gesagt, noch besondere Zah
lungs-Mandate von der Kasse ausgehen, noch dazu; so
229 steigen die Kopiakien für unnöthige besondere ZahlungS-Man« date, bei einem einzigen Gerichte von dem Umfange des oben Gedachten, auf mehrere Hunderte von Thalern jährlich.
Diese verschiedenen und mannigfache» Belästigungen sind
sehr wohlfeil zu beseitigen: man hat bloß nöthig, die Vor liebe für die Posener Instruktion und die uniforme Hand
habung derselben aufzugcben und den Vernunftsatz wieder
anzuwenden:
daß es nur darauf ankomme,
wie mit de»
gegebenen Kräften und mit Rücksicht auf Lokalität und Um stände die Verwaltung am leichtesten, schnellsten und für Pub likum wie für Beamte am zweckdienlichsten zu handhaben.
Das läßt sich nicht durch Vorschreibung eines allgemei nen Reglements,
und durch erercirmeisterliche Vollziehung
der Handgriffe erreichen: dazu
dient keine todte Maschine,
sondern allein die menschliche Vernunft und der Verstand, welche
aller
dergleichen
anzutreffen
Orten
Dinge,
die
im
sind.
Ich
Vergleiche zu
will
sagen,
den höchsteil
und wichtigsten Interessen des Publikums, welche man den
Gerichten
anvertrauet,
wahre Lapalien sind,
müssen den
kollegialisch formirten Gerichten selbst überlassen sein: em jedes große Gericht mag selbst, nach dem Bedürfniß und seinen Umständen, die Einzelheiten seiner inneren Admini
stration regeln und es ist genug,
völlig genug, wenn der
Erfolg günstig ist. Bei kleinen Gerichten init Einem Rich ter und Actuarius paßt gar nichts von
dieser Posener
Instruktion, man muß sich abmarrern, um nur etwas Ana
loges zu erfinden und darzustellen.
23V
VI. Das InsinuationS - Wesen. Die Insinuation der Vorladungen im Civil-Prozeß ist wegen der damit verbundenen Wirkungen ein sehr wichtiger
Act, oft so wichtig, daß davon das ganze Vermögen Einet
der Partheien abhängt.
Darum wird auch dieser Act in
allen bekannten Prozeß-Ordnungen mit besonderer Aufmerk samkeit
behandelt und von
Beamten ausgeführt.
besonders dazu
verpflichteten
Nur bei uns wird darauf weit weni
ger Werth gelegt als auf die Eintragung einer Nummer in das Journal.
Wer den Zusammenhang und das Getriebe
nicht kennt, begreift das nicht.
Die Prozeßordnung würdigt diesen Akt nach seiner Wich tigkeit; sie verordnet, daß die Citationen und andere Vor
ladungen , durch einen dazu bestellten und vereideten Gerichts bedienten insinuirt werden müssen, und schreibt mit vieler
Sorgfalt vor, wie bei der Ausführung zu verfahren und
wie die Insinuation mit rechtlicher Wirkung selbst dann zu bewerkstelligen, wenn der Adressat die Annahme ver
weigert*).
Dieß ist von besonderer Wichtigkeit, weil sonst
*) A. 0..JÖ. LH. i, rit. 7, z. 19 flg.
231 ein Beklagter die ihm nachtkeiligen Wirkungen der Jnsinua»
tion einer Klage oder soiistigen Verordnung willkührlich zu vereiteln in seiner Gewalt hätte. der Prozeßordnung
hierüber nur
Werden die Bestimmungen einigermaßen vernünftig
angeweudet und ausgeführt, so ist so leicht kein Nachtbeil für die Parthei zu besorgen.
Allein hier stoßen wir auf ein
neues Uebel, welches durch das Prinzip der Vormundschafts«
fühnmg und
Geschäftsbesorgung des
Gerichte für die Staatsangehörigen,
sirung der Prozeßschriften-Anfertigung
Staats durch seine durch die Monopoliund dergleichen er
wachsen ist: die ungeheure Menge der abzutragenden Briefe,
Schreiben und Schriften konnten durch die angestellten Ge richtsdiener, welchen auch die Insinuationen übertragen waren, nicht bestellt werden, und das Personal mochte man zur Erspa
rung der Kosten nicht vermehren. Die Gerichtsdiener, die ohne
hin zu den Insinuationen schlecht qualificirt sind, mußten den größten Theil ihrer Zeit als Laufburschen zu bloßen Be stellungen und Ablieferungen, welche auf die für das Pub
likum besorgten Geschäfte und verfertigten Schriften Bezug
hatten, verwenden, für den eigentlichen Gerichtsdienst blieb ihnen viel zu wenig Zeit übrig.
leichterung geschafft werden.
Es mußte Hilfe und Er
Wäre dabei der Gesichtspunkt
genommen worden, daß man die Geschäftsbestellungen An deren übertragen und nur die Insinuationen der richterlichen
Dekrete und Urtheile den Gerichtsdienern vorbehalten hätte;
so würde unleugbar eine Verbesserung eingetreten sein. Allein man machte hierin gar keinen Unterschied, man nahm Alles
en bloc.
Dabei muß jedoch anerkannt werden, daß bei
232 der innige» Verschmelzung der bloßen GeschäftSbesorgungSAugelegenheiten mit den eigentlichen richterlichen Verfügun gen eine Sonderung zu neuen Verwickelungen und Fehlgriffen
geführt haben würde; denn wenige Beamte, ja bei weitem
nicht alle Richter, sind im Stande, eine genau richtige Son derung zu bewirken.
Das erste Auskunftsmittel war vor ungefähr 12 Jahren
die Zuhilfenahme der die
Dorfschulzen.
Insinuationen durch
In Westpreußen, wo
die Gerichtsboten
Wochen lang
dauerten oder ganz unterbleibe», so daß immer wieder neue
Termine angesetzl und neue Vorladungen geschrieben werden mußten, wurde den Dorfschulzen aufgebürdet, an bestimmten Tagen wöchentlich zu kommen, das für sie bestimmte Packet
mit Briefen abzuholen und für die Bestellung zu sorgen*). Allgemein wurden die Postboten für die Insinuationen au
Auswärtige zu Hilfe genommen**); und zuletzt sind die In sinuationen durch die Postboten auf alle Fälle, wo ein Be händigungsschein beigebracht werden muß, und wo die Ver fügungen nicht an Personen, die am Absenduugsorte oder an *) Nach §. 25, Tit. 7, ThI. I der A. G.-O.
**) Anh. zur A. G.-O. §. 56, (zu §. 26, Tit. 7); Instruktion vom 24. Zull 1833, §. 42 (Zahrb. Bd. 41, S. 437); Verordnung vom 5. Mai, 1838 §. 3, Buchst, d (G.-Samml. S. 274); Rescripte vom 14. Januar 1830 (Jarhb. Bd. 35, S. 128), vom 24. Januar 1836 (Bd. 48, S. 480), vom 11. März und 26. Juni 1837 (Bd. 49, S. 173, und Bd. 50, S. 153), vom 6. März 1838 (Bd. 51, S. 147), vom 12. März, 20. September und 3. Dezember 1839 (Justiz - Ministerialblatt S. 116, 326 und 417), vom 24. November 1840 (jJustiz - Ministerialblatt, S. 385), vom 29. Mai und 23. Oktober 1811 (Justiz - Ministerialblatt S. 194 und 329).
233 solchen Orten wohnen, wohin weder Postverbindungrn beste
hen, noch Landbriefträger gehen, gerichtet sind, mit eingehvlter Königlicher Genehmigung ausgedehnt*).
Seitdem ist die
Unsicherheit und die Schädlichkeit des Jnsinuationswesens
noch vergrößert, und Das liegt 1) in der den Postboten gegebenen Instruktion, welche im §. 6, Buchst, c vorschreibt:
„ Verweigert derjenige, an den die Verfügung gerichtet ist,
die
Annahme oder
die
Bescheinigung
des
Emgfanges, so ist dieses von dem Boten auf dem
Behändigungsschein zu vermerken. Wird die Annahme
verweigert, so ist die Verfügung, gleich unbe stellbaren Adressen, sammt dem mit dem erwähnten
Attest
versehenen
Behändigungsschein, zurückzu
senden**):
Dieses Verfahren ist den Vorschriften der Prozeß-Ord nung***) zuwider und hat zur Folge, daß ein Beklagter, dem es darauf ankommt, noch über das Streitobjekt zu verfü gen, bevor es litigiös wird, oder sonst eine mit der Insinua tion verbundene ihm nachtheilige Wirkung hinauszuschieben,
hat.
Dieses zu thun in seiner
Gewalt
sind schon vorgekommen.
Ferner liegt es:
Dergleichen Fälle
2) in der fahrlässigen und mangelhaften Ausrichtung der Insinuationen durch die Postbriefträger, und
*) Rescript vom 23. Mai 1842 und Kabinets-Ordre vom 31. Mai 1842 (Justiz-Ministerialblatt S. 199).
**) Justiz-Ministerialblatt, 1842, S. 201.
***) A. G.-O. Thl. I, Tit. 7, §. ri.
234 3) in der Vorschrift des neuen Bureau-Reglements, daß alle Jnsinuationsberichte und Behändigungsscheine, sofern
sie
nicht
wegen
Mangelhaftigkeit
der Insinuation eind
Verfügung nothwendig machen, von der Eintragung in das
Journal und von der Vorlegung zur Prüfung und zum vor trage ausgeschlossen
sind *). Die Prüfung:
ob
die In
sinuation richtig sei oder nicht, ist dem Büreau - Beamten
aufgetvagen, in folgender Anweisung: „ Da
die Jnsinuations - Berichte
scheine zur Vereinfachung der Eintragung
geschlossen
des
und Behändigungs
Geschäftsbetriebes
in das Journal in
bleiben ,
so
liegt
den
von
der Regel aus Büreau - Vorste
hern ob: 1) sofort nach ihrem Empfang genau zu prüfen, ob die Insinuationen vorschriftsmäßig erfolgt und ob die
Behändigungsscheine vollständig sind, oder ob und
was dagegen zu erinnern ist, und ob deßhalb oder
in anderer Beziehung eine weitere richterliche Ver fügung und deßhalb di« Eintragung in das Journal nothwendig wird.
Vorzüglich haben dieselben auf die Bescheini gungen über die Insinuationen der Urtels-Ausfer
tigungen und Abschriften der Urtelsformeln, inglei
chen auf diejenigen, welche in Subhastations-Sache« die Bekanntmachung des Bietungstermins und die Benachrichtigung
der
Subhastations - Interessenten
betreffen, ihr besonderes Augenmerk zu richten — *) Be ilage B, Dem nkuug 5 Buchst, a.
235 2) Die Znsinnationsberichte und Bebändigungsscheine sind von den Bureau-Vorstehern, sofern sich nicht-
1» erinnern findet, — zu den Akten, sonst aber zum
Vortrag zu schreiben." Diese Anordnung hat zur Folge, daß die Prüfung unter»
bleibt oder keinen Erfolg hat, so daß die mangelhaften In sinuationen »«verbessert bleiben, bis sich zuletzt die Wirkungs
losigkeit zeigt.
Daraus entsteht für die Partheien Schaden
und Nachtheil, für die Sachen Verschleppung und für die Gerichte eine Menge unnützer Arbeit. Es liegt mir ob, dieß darzulegen und ich thue solches mittelst folgender Beispiele:
1. Jemand wurde als sogenannter Natural-Besitzer eines Grundstücks vor dem Richter der Sache mit einer Real klage zu einer Zeit, wo er gerade mit dem Verkaufe um
ging, belangt, und die Citation wurde ihm nach seinem ent
fernten Wohnort zugeschickt.
Der Postbote bringt des Mor
gens den Brief mit dem Behändigungsschein, und, weil er wegen seiner übrigen vielen Briefbestellungen nicht warten
mag, gibt er denselben dem Dienstboten mit der Bemerkung, daß er wiederkommen und die Bescheinigung abholen werde.
Der Borgeladene, ein Rechtsverstänbiger, mochte nicht gern
kurz vor dem Ende seines Besitzes noch in vielleicht nach theilige Rechtshändel kommen; er unterschreibt den Behän digungsschein nicht, sondern geht, sobald er den Inhalt des
Briefes erkannt hat, weg, verschließt sein Zimmer, thut als
wenn er den Brief vergessen hätte, und bringt eilig sein Verkaufs- und Uebergabe-Geschäft in Ordimng.
Den Be
händigungsschein datirt er darauf erst vom folgenden Tuge,
236 und der Briefträger nimmt denselben auch erst am folgen den Tage in Empfang, so daß die Postbehörde ihre Be
scheinigung erst von diesem Tage datirt.
In dem Klage
beantwortungs-Termin leugnete nun der Mandatarius des
Beklagten, daß der Beklagte das betroffene Grundstück besitze
oder zur Zeit der Insinuation der Klage noch besessen habe, und der Kläger war genöthigt, seine Klage zurückzunehmen
und dafür an Prozeßkosten zu bezahlen: a) Gerichtskosteu b) Gebühren seines Mandatars .
.
.
c) außergerichtliche Kosten des Beklagten Die
5,A
14Atz.
14 „ 10 „ — ,,
13 „
2 „
6 „
postamtliche Insinuation kostete
diesem Mann also..........................................41 Atz 19 Ar UH, und seine Sache mußte er wieder von
vorne
anfangen.
Dieser Schade würde unmöglich gewesen sein, wenn die In sinuation
durch
einen
ordentlichen und
geschäftskundigen
Gerichtsbeamten vorschriftsmäßig geschehen wäre.
Ein anderer Fall dieser Art: Jemand wird wogen meh rerer Tausend Thaler, nebst Zinsen vom Tage der Insinua tion der Klage verklagt; er hat davon durch die Drohung
des Klägers selbst Nachricht erhalten, und ist in Erwar tung der Citation.
Diese bringt der Postbote endlich an;
der Adressat verweigert aber die Annahme, und nun macht
der Brief den Rückweg.
Darüber wird die Frist, welche
dem Beklagten bis zum Termin freibleiben muß,
zu kurz
und es muß eine neue Citation ausgefertigt und diese durch
eine» Gerichtsdiener iusinuirt werden.
Das Alles kostete
237 uber einen Monat Zeit und der Kläger verlor darüber an
den Verzugszinsen mehr als 30 Thlr. 2. In dem Fürstenthum N. gibt es zwei Brüder v. H.,
welche beide Rittergutsbesitzer sind.
Der Eine hat die be
nachbarten Rittergüter Fraueneck und Schwammwitz, und
wohnt auf dem Erster»; der Andere besitzt das nahe dabei gelegene Schloß O. in dem gleichnamigen Städtchen, und
das Gut N. — Der Kaufmann I. zu B. klagte wegen einer Bagatellforderung gegen den Rittergutsbesitzer von H. auf
Schwammwitz, Adresse ab.
und die Vorladung geht unter dieser
Der Postort ist das Städtchen O.
Der Be
händigungsschein wird von dem Postamte zurückgesandt und, wie vorgeschrieben, von dem Büreaubeamten in die Akten geheftet.
In dem Termine bleibt der Beklagte aus, daher
er für in contumaciam verurtheilt gilt.
Der Kläger, der
noch immer keine Befriedigung erhält und die Prozeßkosten vorgeschossen hat, bringt nach einigen Wochen die Erecution
in Antrag, die auch verfügt wird.
Als der Zahlungsbefehl
bei dem Beklagten eingeht, fällt er aus den Wolken; er
prorestirt gegen die Erecution und versichert, von der gan
zen Sache nicht das Mindeste zu wissen.
Es wird ihm ge
sagt, daß ihm die Klage an dem und dem Tage insinuirt worden sei; er kann sich aber auf nichts besinnen, und fragt an: zu wessen Händen denn die Insinuation bewirkt worden
sei.
Er erhält den Bescheid,
daß nach dem Botenbericht
„die Insinuation in Abwesenheit des Adressaten an dessen Frau Gemahlin geschehen."
Darauf bittet er, doch ein Ein
sehen zu haben, er hätte ja gar keine Gemahlin ; und nun
238 findet sich, dass der Postbote den an den Rittergutsbesitzer
v. H. ans Schw ammwi'tz adressirten Brief der Frau des gleichnamigen Gutsbesitzers v. H. auf dem Schloff« O. in-
sinuirt hatte.
Folglich hatte der Kläger die Prozeßkosten
weggeworfen und mußte von Neuem klagen.
3.
In einer weitläuftigen Prozeß-Sache sollte das er
gangene Erkenntniß den Erben einer inzwischen verstorbenen
Parthei insinuirt werden.
Dieß wurde zufolge eines, von
dem Appcllationsgcricht erlassenen Resoluts, den 23. Juni
1841 verfügt.
Nach drittchalb Monaten waren die Behän
digungsscheine noch nicht alle von den Postämtern einge gangen.
Auf mehrmalige Erinnerung antwortete das colli-
girende Postamt, den 6. October 1841: das fehlende Insi
nuations-Dokument sei nicht nachzuweisen; der Adressat solle von W. nach B. verzogen sein, wohin die Erinnerung zur
weitern Ermittelung abgegeben worden.
Endlich, den 29.
October 1841, meldete das Postamt: der Verbleib des Be
händigungsscheins sei nicht zu ermitteln, es werde aber eine Empfangsbescheinigung der
Adressatin
übersendet.
Diese
hatte kein Datum, und es mußte deshalb die sechswochent-
liche Appellationsfrist von Neuem abgewartet werden. Dar auf wurden die Akten wieder zum Spruch cingesandk, es
erging jedoch abermals folgendes Resolut vom 20. Apr. 1842: Nach dem Resolut vom 2. Juni 1841 sollte das Erkennt niß vom 25. Juni 1838 für die Johann Gottlieb R.schen Erben ausgefertigt, einem von ihnen insinuirt, jedem der übrigen
aber, unter abschriftlicher Mittheilung des Tenors, Nachricht
239 davon gegeben und dieselbe« zugleich zur Beantwortung der Appellations - Rechtfertigung aufgefvrdert werden.
Nach Lage der Akten gehören zu den Erben des am 7.
April 1831 in Glockschütz verstorbenen Oekonomen Johan« Gottlieb R.:
A. dessen Ehefrau Anna Rosina geb. R. verwittwete R. B. seine Kinder und zwar: 1) Johanna Caroline R-, 2) Eleonore verehel. Kammerdiener K. geb. R.,
3) Ernestine verehel. Schullehrer W. geb. R-, 4) nnverehel. Amalie R.,
5) unverehel. Pauline R>, 6) Henriette verehel. Schuldirector H. geb. R. Die Verfügungen sind erlassen, die Behändigungen aber
nicht rite erfolgt. Rach §. 20, Tit. 7, Th. I der A. G.-O. muß, wenn der
Vorzuladcnde in seiner Wohnung nicht angetroffen wird,
die Citation seinen Angehörige» oder seinem Gesinde 'zuge stellt, und wie dieses geschehen, mit Benennung der Person
und ihres Verhältnisses gegen den Vorgeladenen in der von dem insinuirenden Boten azrf seinen Amtseid zu machende«
Anzeige genau vermerkt werden. In dem hier vorliegenden Falle ist
1) die an die Rosina verwittwete Oekonom R. geb. R. qdressirt« Vorladung vom „Helmholz" unterschrieben und von dein Boten vermerkt worden', daß er die Behändigung,
da er die Adressatin nicht persönlich angetroffen, durch den Lehrer Helmholz bewirkt habe.
240 Es fehlt also die Angabe, in
welchem Verhältniß der
Letztere zu der Wittwe R. steht.
2) Die an die Caroline R. gerichtete Verfügung ist von einer Pauline R. unterzeichnet, und doch bemerkt der Bote,
daß er die Adressatin, also die Caroline, persönlich an getroffen. Hier muß eine Ausklärung gegeben werden.
3) Die
an
die verehelichte W. und ihren Ehemann,
Schullehrer W., adressirte Verfügung ist unterschrieben:
„Im Auftrage W."
Der Boten-Bericht lautet, daß er den Adressaten per sönlich angetroffen. Es ist nicht ersichtlich, ob der unterzeichnete W. der Ehemann der verehelichten W. ist.
4) Die der unverehelichten Amalie R. zu behändigende Verfügung ist unterschrieben:
„W. ehelicher Kurator."
Der Bote bemerkt, daß er, da er die Adressatin nicht angetroffen, die Insinuation an ihren Kurator bewirkt.
Es muß hier ein Irrthum vorgefallen sein.
5) Endlich ist über die, der Eleonore verehel. Kammer diener K. zu insinuiren gewesene Verfügung, kein Boten-Be richt vorhanden.
Die in Folge einer Aufforderung des Post
amts in H., vom 24.-Oktober 1841, geschriebenen Worte:
-^Erhalten Eleonora K.",
ohne Bestimmung von Ort und
Zeit, sind durch nichts beglaubigt.
241 Hiernach können die Verfügungen an die hier gedachten 5 Personen für rite insinuirt nicht erachtet werden.
Es müssen daher,
ehe definitiv erkannt werden kann,
Insinuations-Dokumente, welche den gesetzlichen Bestimmun gen §. 20 seq. Tit. 7, Thl. I, der A. G.-O. entsprechen,
zu den Akten beschafft werden." Nun eröffnete sich eine besondere Instanz znr Ermitte
lung und Ergänzung der Insinuationen. Nicht allein meh rere Postämter, sondern auch andere Gerichte mußten requirirt
werden,
um
gewisse
theile ich zwei mit, um
Verfahren bei
Vernehmungen zu bewirken. Davon
das fahrlässige und unregelmäßige
den postamtlichen Insinuationen
ersichtlich
zu machen:
Nr. 1.
„Verhandelt, Breslau den 17. Juli 1842. In Sachen der Amtsrath Franz W—schen Erben, wi
der die Amtsrath Franz W—schen Concurs - Gläubiger stand
auf heute in Verfolg der Requisition des Königl. it. Gerichts
zu N., vom 7. Juni d. I., Termin an. In demselben erschien
die verehlicht gewesene, jetzt verwittwete Kammer
diener Eleonore K. geborne R.. Derselben wurde die auf der Rückseite der Original - Bei lage der gedachten Requisition befindliche Unterschrift unter
dem Empfangsbekenntniß vorgelegt und erklärte sie hierauf, nachdem sie noch eine Verfügung des re. Gerichts zu N., vom
23. Juni 1841, wodurch ihr in Appellations-Sachen der Amts
rath Franz
W—schen
Erben
gegen die Amtsrath Franz
W—schen Concurs - Gläubiger, eine Abschrift des Tenor-
242 des Erkenntnisses erster Instanz, vom 25. Juni 1839, und eine Abschrift der Appellations-Rechtfertigung, vom 3. Okto, der 1839, mit der Auflage, die Gegendeduction binnen 6
Wochen einzureichen, sowie einige andere Anzeigen zu machen, mitgetheilt worden, vorgezeigt hatte:
Ich erkenne die mir vorgelegte Namensunterschrift „Elenore K." für die meinige und von mir geschrieben an.
Ich
habe dieselbe zum Zeichen des Empfanges der hier von mir vor, gezeigten Verfügung des Kgl. k. Gerichts zu N., vom 23. Juni
1841, auf die Rückseite der Original-Beilage der jetzt an das hiesige Gericht ergangenen Requisition gesetzt, doch muß
ich bemerken, daß als ich dieses Empfangs - Bekenntniß nie,
derschrieb, ich di« gedachte Verfügung vom 23. Juni v. I. noch nicht erhalten hatte.
Zur Erklärung, wie ich dessen,
ungeachtet den Empfang bekennen konnte, führe ich Folgen,
des an: Als der Postbote mir die auf der Rückseite der gedachten Requisition befindliche Anfrage: ob ich die vorgedachte Ver
fügung erhalten habe, vorlegte, antwortete ich ihm, daß dies noch nicht der Fall wäre, und fragte ihn, da ich nicht wußte,
wie ich mich zu benehmen hatte: was ich auf das mir vor-
gelegte Schriftstück schreiben sollte.
Er antwortete mir dar
auf: Wenn Sie die Verfügung noch nicht haben, so wird
sie wol beim Amte in H. liegen; schreiben Sie nur: „ er,
halten"; und diesen Rath befolgte ich auch, wobei ich noch bemerk«, daß der Postbote E. heißt und in W. wohnt.
In
Folge der mir vom Postboten E. gemachten Anzeige ging
ich einige Tage darauf zu drei Malen nack) $>., um die ge-
243 Es gelang mir erst ungefähr
dachte Verfügung zu holen.
drei Wochen nach dem erzählten Vorfall mit dem Postboten,
den Herrn NN. in H. zu treffen, welcher mir die gedachte
Verfügung vom 23. Juni v. I. selbst übergab.
Ich fragte
hierbei denselben noch um Rath, was ich damit thun scllte, und er erwiederte mir:
„Da Sie jetzt von W. weggehen,
so thun Sie nur was Ihr Schwager thut." Die Zeit,
um
welche ich
die vielerwähnte Verfügung
vom 23. Juni v. I. erhalten habe, kann ich jetzt nicht genau
angeben,
und bemerke nur, daß es ungefähr 11 Wochen
nach Dem geschah, als mein, den 25. Juni d. I. verstor bener Ehemann, der Kammerdiener K., von W. weggereis't
war, um sich einen neuen Dienst zu suchen; die Abreise war aber am 8ten August v. I. erfolgt.
Etwas Näheres kann
ich nicht anführen. V.
g.
u.
Eleonore verwittwete K. geborne R. 8«
Ue
Se
NR., Deputirter."
Nr. 2.
„ Verhandelt, B ..., den 22. August 1842. Zufolge Requisition des König!, rc. Gerichts zu N., vom
16. August 1842, wurde der Briefträger N. unter Verlegung
des betreffenden DocumentS über die nähern Umstände bei der Insinuation eincS Schreibens vom 2. Juli 1841 befragt. Derselbe gibt an:
Das Schreiben mit Jnsinuations-Document an Ca-
roline R. habe ich, da Adressatin verreis't war, am 16*
244 L. Juli 1841 an deren Schwester Pauline R-, in
Diensten beim Herrn Regierungsrath v. 9L, überge ben, welche auch unterschrieben und die Weiterbe
förderung an die Schwester versprochen hat.
Die
Caroline R. dient beim Herrn Rendanten C., welche auf Requisition des König!, rc. Gerichts zu N. das
in Rede stehende Dokument noch nachträglich am
21. Mai 1842 unterkreuzt hat.
Mehr wußte der Briefträger N. nicht anzuführen, weshalb die Verhandlung nach nachmaliger genauer Durchsicht ge
schlossen wurde. Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben. N. N.
Briefträger. So geschehen, wie oben. S.
Postsecretair." Diese Nachforschungeu dauerten fünf Monate und ver stärkten die Akten um 40 Blätter. Darauf mußten die Akten von Neuem zum Spruch vorgelegt werden und ihren Weg zum zweiten Male durch die Hände zweier Referenten zurücklcgen, so daß das Appellationsurtel beinah ein ganzes
Jahr (genau 11
Monate 5 Tage) später einging als ge
schehen sein würde, wenn die Insinuationen durch gehörig qualificirte Gerichtsbeamten bewirkt worden wären.
Außerdem
haben zwei Referenten die ohne die Adhibenda über 300
Blätter starken Akten ein Mal umsonst durchlesen, und jeder
eine schriftliche Relation in einer verwickelten Punktensache
245 umsonst machen müssen, was für Jeden «ine Arbeit von we
nigstens fünf Tagen, a 3 Thlr. zusammen von 30 Tblr., gekostet hat, die Versäumniß deS Kollegiums bei dem Por
trage ungerechnet; und
die Kosten der stattgehabten Er
mittelungen für Reisen und Schreiberei sind auf 20 Thlr.
zu veranschlagen. Dieß sind nur Einige von den mir in der neueste» Zeit
bekannt gewordenen Fällen aus einem verhältnißmäßig sehr klei nen Kreise.
Erwägt man, daß anderwärts die Sache eben
so geht, so kann man sich vorstellen, wie groß im Ganze» der Schade und Nachtheil sein muß, der durch die mangel haften Insinuationen
in
Prozcßsachen
hcrbeigeführt wird.
Darum ist es dringend nothwendig, diese Insinuationen durch
gehörig qnalificirte Gerichtsbeamte verrichten zu lassen, welche unter unmittelbarer Aufsicht und Leitung der Gerichte stehen
müssen, so lange die Richter die Prozeßleitung haben.
Wie
es jetzt ist, wo die insinuirenden Boten nicht einmal in der Disciplinar-Gewalt des Richters stehen, wird es nicht blei ben dürfen, wenn die Rechtssicherheit und das Wohl der
Rechtsuchenden für beachtungswerth gehalten werden.
Schwierig ist es aber, angemessen zu helfen.
Durch die
jetzt angestellten Gerichtsdiener, die ohnehin auch nicht Alle
zu Insinuationen gehörig qualificirt sind, kann die Bestellung
sämmtlicher Briefe in den Gerichtsbezirken nicht bewerkstel liget werden.
So lange die jetzige Gerichtsverfassung besteht,
möchte es das Beste sein, alle Citationen und präjudicirliche»
Mandate in den Prozessen, sowie die Urtel, von den post
amtlichen Insinuationen anszunehmcn, und in diesen Sachen
246 die Jnsinuationsberichte auch nicht den Subalternbeamten zur Prüfung zu überlassen, sondern ordentlich zum Vortrag
zu bringen. Eine gründliche Besserung ist indeß bei dem jetzt
bestehenden Verfahren, ohne unverhältnißmäßig große Kosten,
überhaupt nicht möglich; denn der Uebelstand hat eben in
dem jetzigen Gerichtswesen, welches die Quelle so vieler Miß stände in der Rechtspflege ist, seine Entstehung und Dauer.
Mit der Einführung des mündlichen Verfahrens und Aufgebung der Prozeßleitung durch den Richter, fallen auch die
aus dem jetzigen Znsinuationswesen hervorgehenden Nachtheile der Parthkien von selbst weg.
247
VII. Das Akten - Aufbewahre» rmd Vernichte». Eine Folge des jetzt bestehenden Gerichtswesens ist, daß die Gerichtslokalien zugleich Magazine für Aufbewahrung
der Akten sind.
Schon vor beinah 50 Jahren wußte man
sich damit keinen Rath mehr, es fehlte an Raum in den
Gerichtsgebäuden.
Durch die Königl. Kabinetsordres vom
22. und 31. August 1799 wurde die Wegräumnng und Ver nichtung
der unbrauchbaren
Akten
anbefohlen,
und eine
Ministerial - Verordnung vom 21. Februar 1800*) gab dazu nähere Anweisung. Die dadurch geschaffte Hilfe war jedoch
nicht nachhaltig; die jährlich wieder fertig gewordenen Akten übertrafen an Menge die zur Vernichtung bestimmten Schrif
ten.
Achtzehn Jahre später „machte das Anhäufen der Akten
bei den
Gerichten
die
Erweiterung
der Gerichtslokalien
nöthig,"und man erweiterte die Grundsätze, nach welchen die Akten vernichtet und
weggeschafft werden
solle» **).
Heutzutage ist es bei solchen Gerichten, welche seitdem keine Veränderung erlitten und auch kein erweitertes Lokale er-
*) Diese Verordnungen sind nicht gedruckt. *a) Reser, vom 30. Dezember 1818 (Jahrb. Bt. Xli, S. 282).
248 halfen haben, wie damals: man möchte eine abermalige Erweiterung des Akten-Vernichtungswesens anordnen, um
Raum zu gewinnen.
Nach 100 Jahren würde man, wenn
die jetzige Einrichtung so lange aushalten könnte, besondere
Magazine bauen müssen, denn der Polyp wächst immerfort. Das Eigenthum der für unbrauchbar gehaltenen Akten
eignet sich der Staat an; die vernichteten Akten werden theils als Makulatur, theils zum Einstampfen nach dem
Gewicht verkauft,
und der Erlös wird zur Unterstützung
hilfsbedürftiger Justiz-Offizianten-Wittwen verwendet. Ge gen diese Verwendung wird sich wol schwerlich irgend Etwas
sagen lassen;
allein die wenigen Groschen, welche für das
eine oder andere Aktenstück nach Maßgabe seines Gewichts
eingehen, kommen zuweilen einzelnen Partheien, die durch
Zufall gerade getroffen werden, sehr theuer zu stehen.
Mir
sind schon viele Fälle vorgekommen, wo man Akten, die lange vernichtet waren, zum Beweise verlangt hat, nicht allein in späteren Prozessen, sondern auch in Fällen,
wo
man zum Nachweise des Status, namentlich gewisser Ber-
wandschaftsverhältniffe, der ehelichen Geburt oder sonstiger Legitimationen, Urkunden forderte, die in vernichteten Akten
gewesen waren und sich nicht"wieder ersetzen ließen.
Man
darf z. B. nur an Anerkennungen unehelich geborner Kinder
denken,
deren Eltern sich später geheirathet haben, und
deren Legitimation in den Vormundschaftsakten geführt wor-
den ist, die nach 30 Jahren vernichtet werden.
Die Erbes
legitimation, wie sie nach unserem Landrecht verlangt wird
und geführt werden muß, erfordert verschiedene Urkunden,
249 welche bei den sogenannten Nachlaßakten und beziehungs weise Bormundschaftsakten verbleiben, und zu seiner Zeit mit diesen Akten vernichtet werden.
mundschaftsakten sind von
Nur diejenigen Bor,
der Vernichtung ausgenommen,
welche über die Vormundschaft der Besitzer solcher Güter,
oberlandesgerichtliche Hypothekenbücher eingetragen
die in
sind, geführt worden.
eben kommt es vor, daß zwei
So
Pfandbriefe, ä 200 Thlr., von dem Inhaber präsentirt wer,
den, welche im Jahre 1813, für das Gerichts --Depositorium
ausser Cours gesetzt, mit einem, von Niemand unterschrie
benen, bloß mit dem Gerichtssiegel gestempelten, Wiederin-
courssetzungs-Vermerk wieder ausgegeben worden sein sollen. Der Inhaber verlangt die ordnungsmäßige Jncourssetzung.
Aber bei dem Gerichte findet sich keine Spur mehr von den Deposita!-Rechnungs- und Revisions-Akten, oder von den
Akten betreffend den Verkehr mit der Landschaft, vernichtet und es ist nun durchaus
nicht zu ermitteln: ob
diese Pfandbriefe überhaupt dem Depositorio
wesen, noch an
wen sie
Alles ist
ausgegeben
zuständig ge,
worden
sind.
Der
jetzige Inhaber will sie im Verkehr an sich gebracht haben;
eine Ermittelung des rechtmäßigen Empfängers ist schlech terdings
unmöglich,
eine Menge Kosten.
und
es
entstehen
in
Folge
dessen
Dergleichen bedeutende Nachtheile für
Einzelne erwachsen aus dem Vernichtungswesen schon nach den dafür gegebenen Regeln.
Run kommen aber die zahl
reichen Versehen nnd Mißgriffe bei der Ausführung noch dazu.
Denn das Vernichlungsgcschäft,
welches nach der
jetzt bestehenden Anordnung alle zwei Jahre sich erneuert,
250 erfordert viel Zeit und Arbeitskraft und soll nichts kosten. Deshalb muß es von den Beamten nebenher, oder von Ap
plikanten*) ausgeführt werden.
Zwar wird einem Richter
die Leitung übertragen, und dieser muß unter dem Verzeich
nisse der zu vernichtenden Akten pflichtmäßig versichern, daß
er sich vollständig überzeugt habe, daß sich unter den abge
sonderten Akten keine solche befinden, deren Verkauf oder Vernichtung nach den festgestellren Grundsätzen unstatthaft sein würde**).
Zeder kann indeß von selbst ermessen, in
wiefern eS bei großen Gerichten menschlich möglich ist, daß ein Richter, neben seinen gewöhnlichen Obliegen
ten, in Zeit von einigen Monaten mehrere Tausend Akten
stücke genau durchsehe.
Mit dem Befehl ist es nicht gethan;
nemo ultra posse obligatur.
Mir ist es sehr zweifelhaft, ob nach dem geltenden Recht einem Staatsangehörigen zugemuthet werden kann, sich die
Nachtheile gefallen zu lassen, welche ihn in Folge der Akten vernichtung treffen. Zu diesem Zweifel habe ich zwei Gründe:
erstens sind nicht alle Akten und Schriftstücke das Eigen*) Diese erhalten gewöhnlich 10 Prozent des Erlöses als Remune ration, welches einem Tagclohne von etwa 2 — 3 Sgr. gleich kommt. Das Zerschneiden wird von gemeinen Handarbeitern gegen gewöhnliches Tageloh» besorgt. Unter diesen Tagelöhnern hatte sich einmal auch ein Frauenzimmer befunden, und daraus nahm das vorgesetzte Oberlandesgerichl Veranlassung, dem be troffenen Untergerichte pathetisch zu rescribircn und zu belehren: „daß es nicht angemessen erscheint, künftig das Zerschneiden der zu kassirendenAkten einerFrauensperso n zu ü bertragen. " Vermuthlich, weil Frauensperso nen keine Gerichtsgeschäfte verrichten können!
**) Rescr. vom SS. Septbr. 1830 (Jahrb. Bd. 36, S. 157).
251 thum des Staats oder des Gerichtsherrn, und zweiten-
hat er in Folge der von ihm selbst so beliebten Gerichts« einrichtung die Verbindlichkeit übernommen, die Akten, welche
die Interessenten gezwungen den Gerichten überlassen müssen, auch wirklich so aufzubewahren, daß sie zu allen Zeiten wie der erlangt werden können.
Von dieser Verbindlichkeit, die
freilich eine große Last ist, kann er sich durch Vernichtung des Gegenstandes nicht einseitig befreien; will er sich der
selben für die Zukunft entledigen, was eine gebieterische Nothwendigkeit werden wird, so muß er die Einrichtung än dern, durch welche er Selbst sich die Last aufgebürdet hat. Das eben ist es, worauf wir überall wieder zurückkommen.
Die einmal übernommenen Akten muß er, glaube ich, im
merfort aufbewahren, so weit dieselben nicht sein unzweifel haftes alleiniges Eigenthum sind; alle übrigen kann er nur mit Zustimmung der Interessenten los werden.
Wird die Rechts- und Gerichtsverfassung nach dem Vor schläge geändert, so fällt diese sehr schwere und kostspielige Last für die Zukunft von selbst weg und die Gerichte be
dürfen so wenig einer Erweiterung ihrer Lokalien, daß sie an den jetzt vorhandenen Räumlichkeiten Ueberfluß haben
werden.
252
VIII. Der summarische Prozeß. Das summarische Prozeßverfahren nach den Bestimmun
gen der Verordnung vom 1. Juni 1833 habe ich als unzu reichend und in mancher Hinsicht noch schlimmer als den
ordinairen Prozeß nach der Allgemeinen Gerichtsordnung bezeichnet.
Dieß ist zu meinem Bedauern Anlaß gewesen,
wieder, um nichts auf die Sache kommen zu lassen,
die
Person der Richter, denen nach meiner Ueberzeugung nicht das Mindeste vorzuwerfen ist, in einer allgemeinen und durch
den Druck veröffentlichten Verfügung, unter der Voraus setzung
anzugreifen und zurechtzuweisen, daß die von mir
behauptete Thatsache richtig sein sollte. Deßhalb muß ich nun darlegen, daß der ungenügende Erfolg des summari
schen Verfahrens durchaus nicht an den Personen sonder»
lediglich und ganz allein an der Sache liegt. Zu diesem Zwecke wolle der geneigte Leser gestatten, die
allgemeine Verfügung, welche der Herr Justiz-Minister die serhalb unterm 19. Juli 1843 an sämmtliche Gerichtsbehörden in den Provinzen, in welchen die Verordnung vom 1. Juni
1833 angewendet wird,
erlassen hat*),
*) Justiz-Ministerialblatt, 1843, S. 196.
soweit hierher zu.
253 setzen, als es mir zur Sache dienlich scheint. Die Verfiigintg lautet:
„In der Schrift
„Preußens Rechtsverfassung und wie
sie zu r(formtreu sein möchte, von E. F. Koch," welche
manche zweckmäßige Vorschläge Ausnahme
einiger wenigen,
enthält,
von denen, mit
die meisten übrigen,
hohem
Orts schon früher angeregt, bereits in der Bearbeitung be
griffen sind und nachdem sie die verfassungsmäßigen Stadien der Gesetzgebung durchgegangen sein werden, ihrer Aus
führung entgegenschreiten, finden sich auch einige Bemerkun
gen vor, die weniger das Gesetz als die Personen treffen, deren Ausführung jenes unterliegt.
Besonders befremdend
ist folgender Satz, Seite 243: „Das sogenannte mündliche Verfahren (im summarischen
Prozesse) ist
nichts weiter, als ein Instruktions-Termin,
welcher, wenn das Gericht ein Kollegium ist, mit der Vor lesung einer schriftlichen Relation durch Einen der Richter eröffnet
wird,
Partbeien
worauf denn
zu sagen
alles
dasjenige,
für gut finden, von
Richter zu Protokoll genommen werden muß.
was die
dem Einen der Da nun keine
schriftliche Replik vorhergegangen ist, so erfolgt diese bei der Gelegenheit, und der Gegner, wenn er persönlich
wesend
ist und Information hat,
an
duplizirt, sodaß dieses
Protokoll öfter Bogen lang wird, während dessen Abfassung die andern Richter stillsitzen und Langeweile haben."
Wäre dem also, so läge in dieser Behauptung der Vor
wurf einer gänzlichen Unfähigkeit der Referenten nnd der
254 Vorsitzenden der Deputationen für summarische Sachen. DaS Gesetz bestimmt Folgendes:
§. 36 der Verordnung vom 1. Juni 1833. Ueber die mündlichen Verhandlungen wird ein Proto«
koll ausgenommen, welches enthält:
1) die Namen der anwesenden Gerichts-Mitglieder; 2) die Namen der Partheien und ihrer Sachwalter, und
ob sie erschienen sind oder nicht; 3) den Gegenstand des Rechtsstreits;
4) den Gang der stattgefundenen Verhandlungen im Allgemeinen; 5)
die Zugeständnisse der Partheien, deren Aufzeichnung
verlangt wird,
so wie diejenigen
Erklärungen
der Par
theien, deren Aufnahme das Gericht für erheblich hält. Dieser letztere Vermerk wird den Partheien vorgelesen, und diese sind mit ihrer Bemerkung über dessen Fassung
zu hören.
1. Einen Kommentar zu
diesem
§. 36
enthält
das
Werk „der Mandats-, summarische und Bagatell-Prozeß nach der Verordnung vom 1. Juni 1833 und den späteren
darüber ergangenen Bestimmungen", herausgegeben von dem
Zustizrath Schering, Seite 336 und flg. Art 422 — 429, welche also lauten:
Art. 422.
Das Protokoll über die mündliche Verhand
lung nimmt der Referent auf; er bemerkt darin die Zuge ständnisse der Parlheien,
deren
Aufzeichnung der
Gegner
verlangt, sowie die Erklärungen deren Aufnahme das Ge
richt für erheblich hält» liest dieselben den Partheien vor und
255 berichtigt die Fassung, wenn sie dabei etwas zu erinnern finden.
Wenn dieß geschehen, und der Rechtsspruch erfolgt
ist, trägt er den Inhalt des letzteren in das Protokoll nach, legt dasselbe am Schluß*) der Sitzung den Richtern zur
Unterschrift vor, und arbeitet hierauf bis zur nächsten Sitz
ung das Erkenntniß mit seinen
Entscheidungsgründen aus,
wobei er das Referat, das Protokoll über die mündliche Verhandlung und den publizirten Urtels-Entwurf zum Grunde
»u legen hat. Art. 423, 1.
Die Vorschrift, daß die Namen der anwe
senden Gerichts-Mitglieder in dem Protokoll mit ausgenom men werden sollen, steht im Einklänge mit dem §. 24 der Verordnung vom 14. Dezember 1833
(Gesetz - Sammlung,
307), wonach aus den Ausfertigungen der von kollegiali-
schen Gerichten abgefaßtett Erkenntnisse die Namen der Rich ter ersichtlich sein müssen
(§. 5, Nr. 4 daselbst)**). Wenn
gleich diese Vorschrift zunächst nur für solche Verhandlungen
bestimmt ist, welche vor der Deputation, also vor einem
Kollegium ausgenommen werden, so ist es doch ganz zweck mäßig, wenn auch
bei den Einzelrichtern der Name des
*) Warum gerade erst am Schluß der Sitzung, die 4—6 Stunden und noch länger dauert, die Protokolle unterschrieben werden sollen, ist nicht erfindlich. Vorsicht und Geschäftsordnung empfeh len das Unterschreiben sogleich beim Schluffe jedes einzelnen Pro tokolls. Cs trifft sich, daß das eine oder andere Mitglied die Sitzung verlassen muß und später schwer oder gar nicht wieder zu erlangen ist.
**) Für diejenigen geneigten Leser, welche das französische Prozeßrecht nicht kennen, bemerke ich, daß diese Bestimmung eine Nachah mung des französischen Rechts ist.
256 Richters und des Protokollführers in der Verhandlung bemerkt wird.
(V. §. 62.)
R. v. 8. September 1834, Nr. i. (Jahrb. Bd.44, S. 87.)
Die Namen der Gerichts-Mitglieder sind am zweckmä
ßigsten an der Seite der Verhandlung zu verzeichnen, Gegenstand des Rechtsstreits aber,
der
sowie die Namen der
Partheien in den Tert des Protokolls aufzunehmen.
Ist die
namentliche Bezeichnung der Gerichts-Mitglieder unterlassen,
so hat dieß zwar keine Nichtigkeit der Verhandlung zur Folge, es soll jedoch jeder Verstoß der Art im
Disciplinarwege
gerügt werden*).
Instruktion vom 7. April 1839, Nummer 13. (Gesetz
sammlung S. 138.)
Wenn für die Partheien Bevollmächtigte erschienen sind, so ist bei deren Benennung zugleich die Uebergabe der Voll machten event, wo dieselben befindlich sind, zu bemerken.
Art. 424, 2.
Sodann muß der Gang der Verhandlung
im Allgemeinen angegeben werden.
Sind z. B. beide Par
theien ausgeblieben u. s. w.
*) Ein der neuern Grund gemachter licher Vorschriften viel zu rügen und
preußischen Justiz-Administration nicht ohne Vorwurf ist der, daß eine Menge unwesent und Bestimmungen gegeben werden, die recht zu strafen geben. Was nicht wesentlich ist und
mithin dem Verfahren nicht hilft und nicht schadet, das muß gar nicht vorgeschrieben werden. Die fort und fort und immer wie der angedrohten Disciplinar-Rügen wegen unwesentlicher Dinge sind ein Hohn der richterlichen Würde. Man denke stch | lebhaft einen alten ehrwürdigen Richter, der wegen einer auf die Gültigkeit des Protokolls einflußlosen Weglassung, wer weißhvon wem, sich Hofmeistern und zurechtstoßen, oder wolIgar bestrafen lassen soll! Zu keiner Zeit ist die Richterwürde so verletzt worden.
257 Sind endlich beide Theile erschienen, so ist der wesentliche Inhalt der gegenseitigen Erklärungen in dem Protokoll
aufzunehmen.
Der Referent muß dabei von dem Gesichts
punkte ausgehen, daß das Protokoll nur das Resultat der Verhandlung enthalten soll,
und dasselbe dem Referat so
anschließen, daß es mit diesem die Grundlage für die Ent
scheidung bilden kann. Er hat daher
a) nur diejenigen Erklärungen der Partheien aufzuneh men, welche nach seiner Ueberzeugung oder nach der Ansicht
des Dirigenten und der übrigen Mitglieder für die Ent scheidung der Sache von Erheblichkeit sind.
Die Allg. Ge
richtsordnung Th. I, Tit. 10, §§. 41 flg.,
die Verordnung
vom 14. December 1833, §. 5, Nummer 10a, die Deklara tion vom 6.
April
1839, Art. 3, Nummer 1 und 4, und
die Znstr. v. 7. April 1839, Nummer 18, werden ihm dabei hinreichenden Anhalt gewähren.
Sollte darüber,
ob die
Erklärung einer Parthei für erheblich und deren Aufnahme
in das Protokoll für nothwendig zu erachten sei oder nicht, eine Meinungsverschiedenheit unter den Gerichts-Mitgliedern obwalten» so ist darüber nicht etwa durch Stimmenmehrheit zu entscheiden, vielmehr hat der Vorsitzende der Deputation
darüber zu bestimmen*), da ihm nach§. 28 der Verordnung
*) Diese Meinung ist handgreiflich irrig, weil nicht der Dirigent allein, sondern das Richtercollegium zu erwägen hak, welche von der Parthei vorgebrachten Allegationen erheblich sind oder nicht; denn darüber müssen sich die Urtelsgründe auslassen. Daraus ergibt sich zugleich, daß der ganze hier gegebene Unterricht falsch ist, indem zuletzt weder der Dirigent noch ein Beisitzer, sondern
558 die Leitung und Schließung der Verhandlung, die Sorge
für die gehörige Erörterung der Sache, und die Stellung der Fragen, mithin auch die Leitung des darüber aufzu-
nehmenden Protokolls gebührt.
Er hat aber dabei auf die
Meinung der beisitzenden Richter Rücksicht zu nehmen, und
sowie
er Fragen,
welche diese den Parrheien
vorgelcgt
zu sehen wünschen, stellen muß, ebenso muß er auch Er
klärungen der Partheien, welche jene für erheblich halten,
protokolliren lassen.
R. v. 24. April 1841, Nummer 2 l Zust.-Min.-Bl. 154,
Nummer 118). Bon einem Gericht war die Frage aufgeworfen worden: ob die von einer Parthei bei der mündlichen Verhandlung
abgegebenen neuen thatsächlichen Erklärungen auch alsdann
in das Protokoll ausgenommen werden müssen,
wenn sie
auf die von der betreffenden Deputation beschlossene Ent scheidung von keinem Einfluß sind.
Der Fall kann aber so,
wie er hier gestellt ist, gar nicht vorkommen, wenn ordnungs mäßig »erfahren wird, indem die Aufnahme des Protokolls über die mündliche Verhandlung dem Beschluß der Deputalediglich'die Parthei zu bestimmen hat, was in ihre Prozeßschrifl ausgenommen werben soll. Denn da diese Deputation nicht der einzige und letzte Richter in ter Sache ist, und im weitern Verlauf des Prozeßes viel darauf aukommt: ob eine Allegation
schon in den früheren Instanzen vorgekommen, aber von dem Richter unbeachtet gelassen ist; so muß eine Parthei das Recht haben, in ihrer Prozeßschrift, also hier in dem Protokoll, dasje nige nieterzulegen, waü sie für erheblich hält. Jede Verhinde rung daran ist Versagung des rechtlichen Gehörs; denn die münd liche Rede der Parthei allein ist bei einem wesentlich schriftlichen Verfahren unzureichend für das rechtliche Gehör, welches bei die sem Verfahren die rechtliche Sicht heißen muß.
259 tion über die Entscheidung der Sache vorhergehen, das auf#
genommene Protokoll also erst den Partheien vorgelesen, und nach ihren Einwendungen berichtigt werden muß, bevor
der Rechtsspruch erfolgen kann. R. v. 24. April 1841, Nummer 1.
(J.-M.-Bl. S. 154,
Nummer 118.)
b) Außer den erheblichen Erklärungen der Partheien müssen in dem Protokoll auch diejenigen Zugeständnisse der
selben ausgenommen werden, deren Aufzeichnung der Gegner verlangt.
Dies kann sich natürlich nur auf solche Zuge
ständnisse beschränken, welche zur Sache gehören, und aus
die Entscheidung derselben von Einfluß sind. Man hat zwar aus der Allgemeinheit der Fassung des §. 36, Nr. 5, fol
gern wollen, daß auch andere Zugeständnisse einer Parthei, wenngleich sich dieselben nicht auf den vorliegenden Rechts
streit beziehen, in das Protokoll mit ausgenommen werden
müßten, sobald der Gegner dies verlange, und bat sich da bei auf §. 83, Th. I, Tit. 10 der Allg. Gerichtsordnung
bezogen, indem der Gegner hierdurch ein Interesse dabei habe,
daß dergleichen Geständnisse gerichtlich protokollirt
werden, damit er sich vielleicht in einem späteren Prozesse
darauf berufen könne.
Allein eine solche Annahme würde
mit der Tendenz der Verordnung — die bisherige übermä
ßige Schreiberei in den Prozeß-Verhandlungen zu vermin dern — im Widerspruch stehen, und möglicherweise dahin
führen, daß die Protokolle mit fremdartigen, zu dem vor
liegenden Rechtsstreite in keiner Beziehung stehenden Erklä rungen
überfüllt
werden.
Wenn schon im
gewöhnlichen 17*
260 Prozeß dem Deputaten eine Verpflichtung der Art nirgends anferlegt ist*), so kann sie um so weniger im summarischen
Prozeßverfahren der Deputation zugemuthet werden**). c) Außerdem ist es noch rathsam, in dem Protokoll jit
bemerken, welchen Thatsachen von dem Gegner widerspro
chen worden ist, damit bei einer etwanigen künftigen Kontumazial-Instruktion, bei welcher nach §. 25 d. V. die von
der einen Parthei angeführten Thatsachen, denen der Gegner
noch nicht ausdrücklich widersprochen hatte, für zugestandcn erachtet werden müssen, kein Streit darüber obwalten könne,
bei welchen Thatsachen ein solcher Widerspruch Statt ge
funden habe. Art. 425.
Sobald das Protokoll aufgenommen ist, muß
dasselbe den Partheien vorgelesen, und nach deren Einwen dungen berichtigt oder verständigt werden.
Der Unterschrift
von Seiten der Parlheien bedarf es bei Verhandlungen vor
der Deputation nicht; nur bei Einzelrichtern ist dieselbe er
forderlich.
V. §. 62.
Es liegt hierin eine Abweichung von
dem gewöhnlichen Prozeßverfahren; indem nach der Allgemei
nen Gerichtsordnung jede mit einer Parthei aufgenommcne
Verhandlung von derselben unterschrieben,
oder wenn sie
nicht schreiben kann, unter Zuziehung eines Beistandes unter zeichnet werden muß.
Anhang zur Allgemeinen Gerichts-
Ordnung §§. 66 — 75.
*) Doch, Loch. Ter 8- 76, Tit. 3 ter Prozeß-Ort», bestimmt wört lich , taß ter Protokollant stch am Schluffe des Protokoll- die Nachträge von ter Parlhei muß tiftire» lassen. **) Daß dieses gleichwohl geschehen kann, wird stch weiterhin zeigen.
261 Nach btr Vorlesung deS Protokolls folgt die Berathung
der Deputation und deren Beschluß.
Der Letztere wird den
Parthcien von dem Vorsitzenden eröffnet und damit die Ver
handlung geschloffen.
Der Referent nimmt sodann das Konklusum wörtlich in das Protokoll auf, bemerkt darin die erfolgte Publikation desselben, schließt das Protokoll, und legt es den übrigen Mitgliedern der Deputation zur Mitunterschrifr vor.
Art. 426, 3.
Das Protokoll wird von dem Referenten
ausgenommen u. s. w.
Art. 427, 4.
Wenn in dem Audienz-Termine sogleich
die definitive Entscheidung der Sache erfolgt, so muß seden-
falls der Tenor des Erkenntnisses in das Protokoll mit aus genommen werden u. s. w.
Die Dirigenten sollen streng darauf halten*), daß die
Absetzung des Erkenntnisses bis zur nächsten Sitzung erfolgt, und zu diesem Behuf die Einrichtung treffen, daß das Sitz ungsprotokoll nach beschlossener Entscheidung sogleich mit dem
vollständig abgesetzten Erkenntnisse zur Präsentation vorgelegt, und dann zur Registratur und zum Journal abgegeben werde.
R. v. 12. November 1836. (Gräff, S. 638, Zus. 2.) Das Erkenntniß wird dann von den übrigen Mitgliedern der Deputation unterschrieben und hiernächst ausgefertigt.
*) Mit dem „Daraufhalten" ist es nicht gethan. Wenn, wie wöhnlich, die Richter zu viel zu schreiben und zu terminiren ben, so können sie es nicht machen, wie es denn auch in Wirklichkeit vorkommt, daß Urtel wol erst 4 Wochen nach Publikation zur Ausfertigung gelangen.
ge ha der der
262 (Die noch folgenden beiden langen Artikel 428 und 429 aus der genannten Druckschrift bleiben hier weg, weil wir
solche nicht gebrauchen.
Das Ministerial - Nescript
fährt
dann nach diesem langen Auszug fort wie folgt:) Hou einem Repliziren und Dupliziren, von einer schrift lichen Instruktion des Prozesses im Protokolle über die münd
liche Verhandlung, ist im Gesetz und in der dazu ertheilten
Instruktion überall nicht die Rede.
In der Nummer 5 des
§. 36 ist nur die Aufnahme dessen gemeint, was nicht bereits
in der schriftlichen Klage und in der schriftlichen Beantwort ung vorgekommen, und doch für die Entscheidung von Er
heblichkeit ist, weil das Erkenntniß in dem Referate und in dem Protokolle seine Begründung finden muß.
Vollständige
Auslassungen des Klägers oder des Verklagten sollen nicht
in das Protokoll ausgenommen werden, sondern nur That-
umstände, die der Richter bei der Abfassung des Beweis-
Resoluts oder des Erkenntnisses, nach der nähern Anleitung der §§. 29 und 30 der Instruktion vom 24. Juli 1833 zu jener Verordnung, zu berücksichtigen verpflichtet ist.
Der Justiz-Minister darf von der Einsicht der Gerichte erwarten, daß bereits in dieser Weise verfahren worden ist, und daß sich nie Referent oder Dcpulirter dazu hergcgeben haben wird, den Protokollführer der Partheien und deren
Anwälte zu machen.
Wo dieß aber dennoch geschehen sollte,
haben sich die Gerichte fortan nach der vorstehenden An
weisung zu achten; die Dirigenten der summarischen Depu tationen aber haben die Partheien und Justiz-Kommissarien in gebührender Ordnung, ingleichen strenge darauf zu halten,
263 daß die Vermerke in abgesonderten, mit besonder« Nummern zu versehenden, zunächst dem Gange der Klage folgenden
Sätzen in das Protokoll ausgenommen werden, um alles
Repliziren und Dupliziren schlechterdings unmöglich zu machen. Daß bei jedem dieser Sätze, er mag vom Kläger oder Ver
klagten aufgestellt sein, die Erklärung des Gegners, wenn er eine abweichende Erklärung abzugeben bat, sofort mit
aufgeführt werden muß, verstellt sich von selbst.
Jeder Satz
muß als das Ergebniß der mündlichen Verhandlung völlig abgeschlossen für sich da stehen.
Darum ist, wo es nur
immer möglich ist, auch darauf zu halten, daß das Protokoll von dem Referenten selbst ausgenommen werde, der mit den Vorverhandlungen vertraut, am besten im Stande ist, kurz
und klar die Vermerke zu fassen, deren Aufnahme nothwen
dig erscheint."
In dieser Verfügung wird voran ein Zweifel an der
Wahrheit meiner angeführten Behauptung ausgedrückt, und
für den Fall, daß Dem also wäre, den Richtern, und zwar den Referenten und den Dirigenten der Vorwurf einer gänz
lichen Unfähigkeit gemacht, weil in dem summarischen Prozesse 1) von einem Repliziren und Dupliziren, und
2) von einer schriftlichen Instruktion des Prozesses im
Protokolle über die mündliche Verhandlung nicht die Rede sein könne;
3) kein Referent oder Deputirter sich dazu hergeben darf, den Protokollführer der Partheien und deren Anwälte zu
mache»;
264 4) die Dirigenten die Partheien und Instizkommissarien in gebührender Ordnung und strenge darauf zu halten haben,
daß die Vermerke in der vorgeschriebenen Ordnung und Art von dem Referenten ins Protokoll geschrieben werden, um alles Repliziren und Dupliziren schlechterdings unmöglich zu machen.
Das Erste, was ich zu thun habe, ist, den ausgespro chenen Zweifel gegen die Wahrheit der Thatsache zu besei tigen.
Ich thue dieses durch wörtliche Mittheilung eines
Protokolls über eine solche mündliche Verhandlung, wie es
mir gerade auf mein Ersuchen mitgetheilt worden ist.
Der
gütige Leser wolle mir deßhalb Nachsicht schenken. Es lautet: „Verhandelt, N. den 15. Februar 1843, in der Sitzung der Deputation des Königlichen rc. Gerichts,
in Gegenwart nachbenannter Richter: 1) des rc. Raths N. als Vorsitzenden,
2) des rc. Raths N. 3) des rc. Assessor N. Zur mündlichen Verhandlung in Prozeßsachen des Dr. G.
zu Berlin, Klägers, wider den Gutsbesitzer F. zu G., Ver klagten, wegen 350 Thlr., fand sich heute bei dem Aufrufe
der Sache ein: 1) für den Kläger der Herr Zustizkommiffarius S-, 2) für den Verklagten der Herr Justizkommiffarius H.
Der Referent, Gerichts-Rath N-, eröffnete durch münd liche Darstellung des Sach-Verhältnisses nach Maßgabe des bei den Akten befindlichen Referats, die Verhandlung, deren
Resultat Folgendes war:
265 Kläger bemerkt, eS finden sich noch in Wittstock, in Zech, lin in der Mark, Schönwalde in Pommern * * * Fabriken.
Am letzter» Orte habe Kläger schon * * * Fabriken mit Er» folg vor 12 Jahren eingerichtet; Beweismittel würden vor,
behalten.
Kläger läugnet, daß er ihm besondere Versprechungen über den Erfolg seiner Einrichtung gemacht habe, wie dieß
Verklagter Folio 15 der Akten in der Klagebeantwortung
behauptet habe. Kläger nimmt den Eid hierüber an, hält ihn indeß für
unerheblich. Kläger übergibt den mit der Klage nur in Abschrift über, reichten Revers des Beklagten im Original.
Kläger rekog,
noscirt das vom Verklagten produzirte Schreiben.
Wenig
stens gehe daraus hervor, meint er, daß Kläger vorzugsweise für das qu. Fabrikat gestimmt habe.
Klägerischer Mandatar fährt sodann weiter fort: Kläger bestreitet, daß er das in G. Vorgefundene rc. Fabrik für aus reichend erklärt habe.
Gegen die Zeugen wird protestirt
wegen des Verwandschafts -
und Dienstverhältnisses jum
Kläger. Was Verklagter über
die stattgehabte Prozedur beim
Einmaischen anführt, ist im Wesentlichen richtig.
Bestritten
aber wird, daß Kläger zum Einmaischen die ganze Hefe von
232 Quart verwendet habe, ebenso, daß Kläger eine außer gewöhnliche Quantität von Salmiak, Schwefelsäure und Pottasche verbraucht habe.
266 Nach welchen Prinzipien, nach Maßgabe der Sache, ver
fahren werden mußte,
und auch wirklich verfahren worden
ist, hat Kläger in der anliegenden Schrift auseinandergesetzt, und er hat sie durch zwei Sachverständige, V. und P., vor läufig begutachten lassen, die er überhaupt als Sachverstän dige darüber vorschlägt, daß er bei der Sache gehörig ver
fahren. —
Uebrigens bleibt Kläger dabei stehen, daß das, was ab geschöpft worden, *** war.
Es ergibt sich dies aus der
eigenen Aeußerung des Verklagten sogar, daß 10 Menschen einen ganzen Tag beim Pressen beschäftigt gewesen. Kläger bestreitet, daß die mit der gewonnenen *** beleg ten Bottiche nicht in Gährung gekommen, und daß die vom
Maischbottich
abgeschöpfte Masse nur eine unreife 'Masse
gewesen, die nie eine *** habe abgebcn können. —
Gegen die vom Verklagten angegebenen Sachverständige»
hat Kläger, vorausgesetzt, daß sie in diesem Geschäft Kennt niß haben, nichts einzuwenden, beruft sich aber seinerseits auf die von ihm vorgeschlagenen Sachverständigen, die auch,
wenn es erheblich, bekunden können, daß er die Fabrikatio» verstehe.
Unwahr ist es, daß dem Verklagten 6000 Quart
Maische verloren gegangen.
Die sonstigen Thatsachen, die
Verklagter angeführt, werden bestritten.
Anlangend die Bemängelung der Reisekosten, so ist Klä ger mit der Schnellpost gereist, und übergibt die Beläge.
Das Trinkgeld rechtfertigt sich von selbst. von Berlin war damals noch nicht eröffnet.
Die Eisenbahn
Kläger blieb
in Breslau, um vom Schwager des Verklagten *** zu be-
267 kommen; allein tiefer wat nickt zu Hause und er konnte daher die *** nicht erlangen. —
Ueber die Steife von Breslau übergibt Kläger den Belag. Die Jehrkosten Litt. f. der Beläge in N. sind auf der Stück reise entstanden. Kläger mußte in N. bleiben, weil die Fuhre
von G. ihn zu spät nach N. gebracht hatte,
worüber der
Eid beferirt wird. — Verklagter behauptet, Kläger habe ihm versprochen,
a) daß bei seiner Art der Fabrikation er durch die künf
tige *** dasselbe Resultat erzielen würde, als durch Pfund- oder Bier***,
b)
daß er mit grünem Malze dasselbe Resultat erzielen werde, wie mit gedörrtem Malze,
c)
daß bei der Fabrikation der *** dieselbe starke Einmai-
schung beibehalten werden könne, wie dies beim Alkohol
der Fall sei, wenn man, ohne *** erzielen zu wollen, einmaische;
d)
daß man in Stettin nur mit l/3 einmaische, wogegen
er die Bottiche voll einmaischen werde. Dieß Alles habe er Folio 13 in der Klagebeantwortung
sagen wollen. Unter der Voraussetzung, daß Kläger die Fabrik so er
richte und ihn mit der Fabrikation bekannt gemacht haben
werde,
habe er versprochen, dem Kläger 300 Thlr. zu
zahlen. — Ergänzen muß Kläger, daß die 232 Thlr. Quart Sier#
*** dem Kläger zu drei Bottichen gegeben worden; er habe
sie auch zu drei Bottichen verwendet. Die Masse fei darum
268 eine unreife gewesen, weil sie sich nicht habe durch einen Kanavas - Beutel durchdrücken lassen, dazu vielmehr erst 10 Menschen nothwenvig gewesen; dies sei das ' Wesentliche,
worüber die Sachverständigen zu vernehmen seien.
Eine
solche unreife Masse sei aber zur ***fabrikation untauglich
gewesen. —
Der Verklagte habe dem Kläger nicht gesagt,
er solle fortreisen,
sondern Kläger sei selbst
aus freien
Stücken fortgereist, ohnerachtet ihn der Wirthschaftsbeamte
W. aufgefordert habe, die Arbeit doch fortzusetzen, was W. bekunden könne.
— Verklagter behauptet, daß das vom
Kläger überreichte Gutachten zu seinen Gunsten spricht, in dem daraus hervorgeht, daß er in der That die Bottiche mit zu vieler Hefe versetzt habe, wodurch die Gährung zu
stark geworden» und daher eben eine unreife Masse gewon nen worden. — Verklagter kann sich übrigens im Speziellen
über die in diesem Gutachten
erwähnte Verfahrungsweise
und auf die Behauptung des Klägers, daß ganz so verfah
ren worden, nicht auslassen; er bittet um Abschrift des Gut achtens und Ansetzung eines neuen Termins. In Betreff der Reise- und Zehrkosten beruft sich Ver
klagter auf richterliches Ermessen. —
Kläger kann, da heut Verklagter erst deutlich erklärt hat, was Folio 13 der Klagebeantwortung
undeutlich erklärt
worden, sich heut darüber nicht aussprechen, ob Kläger ihm die Zusicherungen gemacht habe. Er bittet um einen neuen Termin. Kläger bestreitet, daß er ans freien Stücken fortgegan
gen, und daß ihn der Wirthschaftsbeamte W. aufgefordert,
die Arbeit fortzusetzen. —
269 Was den vom Kläger produzirten ReverS vom 23. Juli 1842 betrifft, so rekognoscirt Verklagter die Unterschrift, gibt auch zu, daß Verklagter denselben von den Worten an
„dieses Abkommen rc." selbst geschrieben habe. —
Der Vermerk ist vorgelesen, nichts erinnert worden.
und gegen dessen Fassung
Das Kollegium beschloß die An
setzung eines neuen Termins zur fortgesetzten mündlichen
Verhandlung, was den Partheien eröffnet worden.
NN.
NR.
NN."
Frage: welche Angabe in dem, in der Ministerial - Ver
fügung vom 19. Juli 1843 hervorgehobcnen und bezweifel ten Satze ist es, die durch dieses Protokoll nicht bestättigt
würde?
Selbst an der behaupteten Langeweile der andern
Richter, welche während dessen Abfassung stillgesessen haben,
fehlt kein Strich; denn dieses zwei Kanzleibogen lange Pro tokoll hat weil über eine Stunde gedauert,
durch welche
Zeit die beiden andern Richter und die beiden Justizkommissarien müßig zugesehen haben; und ich habe schon noch län
gere Protokolle gesehen. Wenn nun also auch meine Angaben in der That wahr sind, so muß der Vorwurf der Unfähigkeit der Richter doch
ganz und gar abgelehnt werden, ich werde deßhalb die zur
Rechtfertigung solches Vorwurfs angegebenen Gründe nach der Reihe erwägen, ohne Mißachtung, aber mit Freimü
thigkeit. 1) Ein Repliziren und Dupliziren soll und
darf im summarischen Prozeß nicht vorkommen
27« sondern muß schlechterdings unmöglich gemacht
werden. Wir wollen zusehen, was dieser Satz besagen will, und
dazu müssen wir wissen, was „Replizüen und Dupliziren"
heißt. Wir erfahren solches am sichersten, wenn wir Dieje nigen, von welchen wir es gelernt und angenommen haben, mit ihren eigenen Worten hören:
a) Gajus sagt Lib. IV darüber so: §. 126 Interdum evenit, ut exceptio, quae prima facie
justa videatur, inique noceat actori. Quod cum accedit, alia adjectione opus est adjuvandi actoris
gratia, quae adjectio replicatio vocatur, quia per
eam replicatur atque resolvitur jus exceptionis. Nam si verbi gratia pactus sim tecum, ne pecuniam,
quam mihi debes, a te peterem, deinde postea in contrarium pacti simus, id est, ut petere mihi liceat,
et, si agam tecum, excipias tu, ut ita demum mihi condemneris, si non convenerit, ne eam pecuniam
peterein, nocet mihi exceptio pacti conventi^ namque nihilominus hoc verum manet, etiamsi postea
in contrarium pacti simus: sed quia iniquum est,
me excludi exceptione, replicatio mihi datur ex posteriore pacto hoc modo: si non postea conve
nerit, ut eam pecuniam petere liceret §. 127. Interdum autem evenit, ut rursus re plicatio, quae prima facie justa sit, inique reo no ceat.
Quod cum accidit, adjectione opus est ad
juvandi rei gratia, quae duplicatio vocatur.
271 b) Justinian wiederholt dieß in pr. et §. 1, Inst.de
replic. (IV, 14) wörtlich, bis auf den auf das Formelwe sen sich beziehenden Ausdruck „adjectio“, den er in den für den damaligen Prozeß, in welchem die in unserer Gerichtsord
nung damals noch vorausgesetzten und deßhalb verbannten
formulae actionum schon lange vor Justinian nicht mehr
vorkamen, passenderen Ausdruck ,, allegatio “ umändert. c) Utpian in L. 2, §. 1 D. de except. (XLIV, 1): Replicationes nihil aliud sunt, quam exceptiones,
et a parte actoris veniunt.
Quae quidem ideo ne-
cessariae sunt, ut exceptiones excludant: semper enim replicatio
idcirco objicitur, ut exceptionem
oppugnet.
Dem rechtsunkundigen geneigten Leser mache ich mich durch ein Beispiel verständlich.
Hinz borgt dem Kunz 500 Thlr. Schon vorher hatte Kunz dem Hinz ein Pferd für 300 Thlr. verkauft, aber
nicht gleich übergeben.
Nach jenem Darlehn leistet er die
Uebergabe und hat mithin nun 300 Thlr. Kaufgeld zu for dern.
Hinz bezahlt das nicht, sondern fängt nach einiger
Zeit an über Fehler des Pferdes zu mäkeln, so daß Kunz
sich bereit findet, von dem bedungenen Kaufgelde 200 Thlr. zu erlassen.
Bald nachher verkauft Hinz das Pferd um
300 Thlr. und es zeigt sich, daß das Pferd keinen sichtbaren Fehler hat.
Darüber stellt ihn Kunz zur Rede, und Hinz
versteht sich dazu, daß er den Erlaß von 200 Thlrn. am
Kaufgelde bis auf 50 Thlr. wieder aufhebt.
So steht die
Angelegenheit, als Hinz sein Darlehn von 500 Thlr. zu-
272 rückverlangt, und, da Kunz nicht zahlt, gegen ihn auf
Zurückzahlung der 500 Thlr. nebst Zinsen klagt. Kunz wendet ein, daß der Kläger (Hinz) ihm 300
Thlr. Kaufgeld schuldig sei, und weil compensirt werde, nur noch 200 Thlr. zu forden habe.
Diese Einrede ist eine
exceptio.
Hinz (der Kläger) sagt dagegen, daß der Beklagte von
dem Kausgelde der 300 Thlr. die Summe von 200 Thlr.
erlassen habe.
Dieß ist eine Replik, replicatio.
Kunz (der verklagte) hingegen bringt vor, daß Hinz den Erlaß von 200 Thlr. bis auf 50 Thlr. später wieder,
aufgehoben habe, mithin noch 150 Thlr. Kaufgeld restire. Dieß ist Duplik, dnplicatio. Wäre das sogenannte Repliziren und Dupliziren verbo ten, so dürste indem vorgeführten Falle Hinz nicht sagen, daß ihm 200 Thlr. rechtmäßig nackgelassen seien, und Kunz
dürfte wieder nicht sagen, daß der Erlaß theilweise wieder
aufgehoben worden sei. Beide Theile müßten mithin dulden, daß ihr Recht keine Anerkennung, keine Geltung fände. Nun ist es von selbst verständlich, was der in der all
gemeinen Ministerial-Berfügung ausgesprochene Satz:
ein Repliziren und Dupliziren darf im summarischen Prozesse nickt vorkommen und muß schlechterdings un möglich gemacht werden, bedeutet; hätte er Geltung, so würde man in unserem
Vaterlande, wo Person und Eigenthum so kräftigen Schutz
finden, eine Justiz zu dulden haben, wie sie zu keiner Zeit zuvor und in keinem Lande der Welt bisher gewesen ist.
273 Das hieße aus lauter Justizeifer das Recht selbst gänzlich
verweigern, was freilich ein durchgreifendes Mittel wäre,
die Rechtspflege zu vereinfachen.
Denn das Repliziren und
Dupliziren verbieten, ist soviel wie die Prozesse selbst oder vielmehr die Verfolgung und Vertheidigung des Rechts ver
bieten, folglich eine vollkommene Rechtsverweigerung.
Ein
solches Verbot ist eine rechtliche Unmöglichkeit, und wider
streitet auch dem geltenden Prozeßgesetz.
Die Verordnung
über den summarischen Prozeß, vom 1. Juni 1833 bestimmt: §. 14. Bestreitet der Verklagte den Anspruch, so muß derselbe die Klage nicht nur vollständig beantwor
ten, sondern auch alle Einreden in dem Klagebeantwor«
tungstermine vorbringen. Thatsachen und Urkunden,
worüber er sich nicht
erklärt, werden für zugestanden^und anerkannt gehalten. Fernere Einreden, welche auf Thatsachen beruhen,
dürfen im Laufe
der ersten Instanz vom Verklagten
nicht mehr vorgebracht werden."
Unter Einreden versteht man im Allgemeinen auch die
Repliken und Dupliken, und insofern gestattet zwar der Ausdruck,
ihn darauf zu beziehen; hier aber ist dieß unzu
lässig, weil gerade erpreß von der Klagebeantwortung, und
von den gegen die Klage vorzubringenden Einreden, also
von Erceptionen im engern Sinne die Rede ist. Zu Gun sten des Verklagten sollen späterhin keine neuen Ercep
tionen mehr vorgebracht werden dürfen lWiederherstellung der Eventualmaxime), so also, daß z. B. ein Verklagter,
welcher dem Darlehnsanspruche die beiden Einreden der
274 Verjährung und des Erlasses entgegensetzen könnte, und in der Klagebeantwortung nur die Verjährung al,
lein eingeweudet hätte, späterhin mit der Einrede des Er
lasses nicht mehr gehört werden darf. Was geschieht nun mit
den vorgebrachten Einreden?
Darf darauf der Kläger nach dem Prozeßgesetz nichts ant
worten? Allerdings!
Der Richter muß einen Termin zur
mündlichen Verhandlung ansetzen und hier hat der Kläger das erste Wort, wobei ihn« natürlich erlaubt ist, zu sagen,
was er gegen die Einrede des Verklagten einzuwenden hat. Dieß ist die Replik.
Indem also der Kläger den Mund
aufthut, um die Einreden des Verklagten zu entkräften, re« plizirt er schon; wie soll nun „alles Repliziern schlechterdings
unmöglich zu machen" sein? Die eigene Instruktion des Ju
stizministeriums, vom 24. Juli 1833*), bestätigt durch die Allerhöchste Kabinets-Ordre vom 17. October 1833**), er. kennt auch die Zulässigkeit des Replizirens und Duplizirens,
wie es nicht anders sein kann, ausdrücklich an, «'««dein §. 28 gesagt wird: „in so weit die Klage-Beantwortung dem Kläger Ver
anlassung zur Anführung neuer Tbatsachen, und diese dem Verklagten Veranlassung
zu deren Widerlegung
gibt, bleibt die Erörterung derselben im Fortgänge des
Prozesses, d. h. bei der mündlichen Verhandlung, noch zulässig."
Aus diesen Gründen glaube ich, daß das, in der allge*) Jahrb. Bd. XM, S. 437. **) Ebend. S. 607.
275 meinen Ministerin!- Verfügung vom 19. Zuli 1843 erlassene
Verbot gegen das Repliziern und Dupliziren bei der münd lichen Verhandlung im summarischen Prozesse nicht nach dem
Wortverstande gemeint ist; doch ist mir, wenn dieses richtig, der Sinn dunkel.
Denn was der Sprachgebrauch des ge
meinen Prozesses als Replik und Duplik auch noch bezeich net, nämlich den Schriftsatz, worin die Parthei die Replik
und Duplik vorbringt, kann auch nicht gemeint sein, weil ja nur von dem mündlichen Vorbringen der Repliken und Dupliken bei Gelegenheit der mündlichen Verhandlung ge
redet wird und eben hiergegen die Verfügung gerichtet
ist.
Hiernach ist der von mir behauptete Satz: „Da nun keine schriftliche Replik vorhergegangen ist, so erfolgt diese bei dieser Gelegenheit (der mündlichen
Verhandlung) und der Gegner, wenn er persönlichLanwesend ist und Information hat, duplizier",
buchstäblich wahr und die darin behaupteten Prozeßhandlun gen sind schlechterdings auch gar nicht zu verbieten. 2.
Von einer schriftlichen Instruktion im Pro
tokolle über die mündliche Verhandlung soll nicht die Rede sein können.
Jnstruiren heißt, nach der Allgemeinen Gerichtsord nung, die Partheien, nachdem die Klagebeantwortung aus genommen worden, wechselseitig über ihre Angaben verneh
men, d. h. diese Angaben niederschreiben.
Es ist dabei hin
reichend, wenn der Jnstruent bloß die factischcn und recht
lichen Streitpunkte aufnimmt und *) Anh. zur Allg. G.-O. §■ 76-
niederschreibt*).
Kein
276 preußischer Gerichtötechniker,
der sich auf
das Jnstruiren
verstanden, hat das jemals anders gemacht, als daß er bei jedem Streitpunkt Erklärung und Gegenerklärung
zusam
mengeschrieben, d. h. zusammengestellt oder selbst mit einan der verwebt hat.
Dieß ist eine der ersten Regeln,
welche
in den Mustern und Anweisungen gegeben werden;
man
braucht nur die Muster-Instruktions - Protokolle in dem be kannten „Briefwechsel über die gegenwärtige Justiz-Reform
in den Preußischen Staaten, Berlin 1780" anzusehen, um sich davon zu überzeugen; und v. Trützschler hebt im §. 3
seiner, den Kammergerichts-Referendarien gegebenen,
An
weisung über die Methode zu instruiren, v. 2. Dezember 1817, besonders hervor: „Auch da, wo diese (Separations-)Methode nicht an wendbar ist, müssen Sie wenigstens nicht
beziehungs
weise ad 1, 2, 3 u. s. w. instruiren, weil es höchst un bequem ist, die in solcher Manier abgefaßten Erklärungen
aufzusuchen, und nicht selten Verwechselungen und we-,
sentliche Mißverständnisse daraus entstehen." Und dann schärft er im §. 1 besonders ein, sich nur mit
erheblichen Thatsachen zu befassen, sagend:
„— er versteht sein Amt nicht,
oder er überschreitet
die Grenzen seiner Pflicht, wenn er sich um Dinge küm
mert, die auf die Entscheidung keinen Einfluß haben.
Denn nur mit
erheblichen Thatsachen darf sich die
Instruktion befassen."
Die hier vorliegende allgemeine Ministerial- Verfügung, vom 19. Juli 1843, gibt darüber: wie das Protokoll über
277 eine mündliche Verhandlung beschaffen sein müsse, folgende Beschreibung: „ ist nur die Aufnahme dessen gemeint, was nicht bereits
in der schriftlichen Beantwortung vorgekommen, und doch für die Entscheidung von Erheblichkeit ist —>. Vollstän
dige Auslassungen des Klägers oder des Verklagten sollen nicht in das Protokoll ausgenommen werden, son dern nur Thatuinstände»
die der Richter bei der Ab
fassung des Beweis-Resolnts oder des Erkenntnisses — zu berücksichtigen verpflichtet ist*)." „ — darauf zu halten, daß die Vermerke in abgesonder
ten, mit besondern Nnmmern zu versehenden, zunächst
dem Gange der Klage folgenden Sätzen in das Pro tokoll ausgenommen werden — Daß bei jedem dieser Sätze, er mag vom Kläger oder
Verklagten aufgestellt sein, die Erklärung des Gegners,
wenn er eine abweichende Erklärung abzugeben hat, sofort mit aufgeführt werden muß, versteht sich von
selbst.
Jeder Satz muß als das Ergebniß der münd
lichen
Verhandlung völlig
abgeschlossen
für sich da
stehen**)".
Noch niemals habe ich ein Jnstruktionsprotokoll von einem gescheidten und geübten Praktiker gesehen, welches anders beschaffen gewesen wäre als ein nach dieser Anweisung auf genommenes
vollständiges
Protokoll.
Vollständige Aus-
*) D. h. erhebliche. **) Das ist, wie sich t'. Trützschler ausdruckt: es muß nicht be ziehungsweise ad 1, 2, 3 ii. s. w. infnuirt werken.
278 laffungen des Klägers und des Verklagten werden auch in einem
Jnstruktionsprotokolle
der Klage und in der
nicht wiederholt, da diese in
Klagebeantwortung
enthalten sind:
die Instruktion beschäftigt sich wesentlich nur mit den Differenzpunkten und mit dem Repliziren und Dupliziren, just so
wie die s. g. mündliche Verhandlung im summarischen Pro zesse.
Die ganze Anweisung, welche die allgemeine Ministe-
rial- Verfügung durch den ans einem Privatwerke aufgenom
menen Auszuge gibt, enthält Regeln, die für jeden Jnstruenten brauchbar sein können, wie denn darin auch aus die Vorschrift der Allgemeinen Gerichtsordnung über die In struktion der Prozesse, namentlich auf Th. I? Tit. 10, §§. 41
flg. ausdrücklich verwiesen wird.
Demnach ist es wieder buchstäblich wahr, wenn ich ge sagt habe:
„DaS sogenannte mündliche Verfahren (iw summari schen Prozesse) ist nichts weiter, als ein Instruktions
termin, welcher, wenn das Gericht ein Kollegium ist,
mit der Vorlesung einer schriftlichen Relation durch Einen der Richter eröffnet wird, worauf denn alles dasjenige, was die Partheien zu sagen für gut finden,
von dem Einen der Richter zu Protokoll genommen werden muß." Daß daö Erhebliche zu Protokoll genommen werden muß, darüber ist kein Zweifel. Frage kann nur sein: ob and) solche Angaben, die dem Rid)ter unerheblick) scheinen,
auf Verlangen der Parthei (oder deren Mandatars) nieder geschrieben werden müssen. Ick) behaupte auch Dieses «ach
279 dem bestehenden Prozeßgesetz.
Zur Widerlegung dessen wird
in der allgemeinen Ministerialverordnung weiter angeordnet: 3) Kein Referent
dazu
hergeben,
theien und
den
deren
oder Deputirter darf sich Protokollführer der Par
Anwälte
zu machen.
Daß stch solches nicht paßt, behaupte ich eben; ich sage
aber, daß das Prozeßgesetz den Richter in die Lage setzt,
stch dazu hergeben zu müssen, wovon schon S. 46 Rede ge wesen. Wir wollen nnn sehen, ob die Ministerial-Verfügung hierin mit dem Gesetze in Einklang steht.
Dieses befiehlt:
§. 36. „Ueber die mündlichen Verhandlungen wird ein
Protokoll aufgenommen, welches enthält:
rc. rc. 5) Die Zugeständnisse der Partheien, deren Aufzeich nung verlangt wird, sowie diejenigen Erklärungen der
Partheien, deren Aufnahme das Gericht für erheblich hält.
Dieser letztere Vermerk wird den Partheien vorgelesen,
und diese find mit ihrer Bemerkung über dessen Fassung
zu Horen." Kurz vorher, ehe die vorliegende Ministerial-Verfügung ausspricht: hergeben,
kein Referent oder Deputirter dürfe stch dazu
den Protokollführer der
Partheien zu machen,
schreibt ste durch den aufgenommenen Auszug wörtlich vor.
Art. 425. „Sobald das Protokoll ausgenommen ist, muß dasselbe den Partheien vorgeleseu, und nach deren Ein
wendungen berichtigt oder vervollständigt werden."
280 Frage: Wenn nach der Vorlesung des Protokolls die Parthei sagt: das Protokoll ist nicht richtig gefaßt und ich habe dagegen zu erinnern, daß u. s. w., muß dieses nach
jener Vorschrift hingeschrieben werden, oder nicht? Muß es, nun, so ist ja eben der Richter der Protokollant der Parthei,
die es durchsetzen kann, daß ihre Angabe wider den Willen des Richters ins Protokoll geschrieben wird, sowie es die Allgemeine Gerichts-Ordnung vorschreibt, nur mit dem Bei
satz , daß der Znstruent am Schluffe des Protokolls von der
Parthei sich diktiren lassen
muß*).
Muß es nicht, nun,
so ist die Vorlesung, und die Erklärung der Parthei über die
Fassung unnöthig und das Gesetz sammt der Vorschrift in
der Ministerialverfügung (Art. 424, Buchst, a, am Ende u. Art. 425), muß wegfallen, wozu jedoch ein neues Gesetz erforderlich ist. Um alles Repliziren und Dupliziren schlechterdings un
möglich zu machen, sollen 4) die Dirigenten die Partheien und Justiz-
kommissarien in gebührender Ordnung und strenge
darauf halten, daß die Vermerke in der
vorge
schriebenen Ordnung und Art von dem Referen
ten ins Protokoll geschrieben werden.
Dieser Befehl hat zwei Richtungen.
a)
Die Dirigenten sollen die Partheien und
Justizkommissarien
in
halten.
*) 51. G.-O Thl. t,.Tlt. 8, §. 76.
gebührender Ordnung
281 Die gebührende Ordnung besteht in Anstand, Ruhe und
regelmäßigem Verlauf der Verhandlungen.
Damit die Par
theien und Justizkommissarien sich darin halten, ist erforder lich, daß Einer nach dem Andern, wie ihm dazu das Wort bewilligt wird, spricht, seinen Vortrag mit Ruhe, Anstand
und geziemenden Ausdrücken hält. Keiner dem Andern in
die Rede fällt, und Zeder sogleich stillschweigt, wenn ihm das Wort entzogen wird.
Ich gestehe, ich sehe nicht, wie
hierdurch den Partheien soll schlechterdings unmöglich ge macht werden können, zu Repliziren und zu Dupliziren, so lange man ihnen nicht überhaupt das Sprechen verbieten darf,
was doch nicht gemeint sein kann. b) Die Dirigenten.sollen strenge darauf hal
ten, daß die Vermerke in der vorgeschriebenen Ordnung und Art von dem Referenten ins Pro
tokoll geschrieben werden. Diese Maßregel ist so weit davon entfernt, das Replizi
ren und Dupliziren schlechterdings unmöglich zu machen, daß es im Gegentheil gerade die Form, und zwar, wie wir
weiterhin sehen werden, eine sehr mangelhafte Form ist, in
welcher das Repliziren und Dupliziren im summarischen Prozesse ermöglicht wird.
Die Partheien haben schon repli-
zirt und duplizirt, wenn sie ihre Allegationen vorgebracht
haben, und indem der Referent dieselben ins Protokoll schreibt,
mag es in einer Ordnung geschehen, in welcher es will, macht er den Schriftsatz der Replik, Duplik u. s. w. Dem geneigten Leser überlasse ich nun, Selbst zu beur
theilen, in wiefern der von mir behauptete Satz, welcher
282 zu der allgemeinen Mim'sterial - Verfügung Anlaß gegeben
hat, wahr ist oder nicht, und in wiefern dabei den Personen, nämlich den Richtern, denen die bezeichneten Mängel aufge bürdet werden sollen, mit Grunde Etwas zur Last gelegt
werden mag.
Hier muß ich noch einen Augenblick bei der
letzten Vorschrift Ziffer 4 stehen bleiben. Die Dirigenten sollen strenge darauf halten, daß die
Vermerke just in der vorzuschreiben beliebten Ordnung und Art von dem Referenten ins Protokoll geschrieben werden.
Diese Ordnung ist, wie schon
oben angedeutet,
für das
Wesen der Sache völlig gleichgültig; ich stimme aber darin
bei, daß es zweckmäßig ist, das Protokoll in solcher Art ab zufassen.
Diese zweckmäßige abgerundete Fassung ist indeß
nicht so leicht gethan als gesagt.
In seiner Stube freilich,
wo man mit sich allein ist, da läßt sich das sehr hübsch aus
denken und als Muster hinschreiben. Aber bei dem wechsel seitigen Partheien-Vortrage selbst, wo die anhörendeu Richter
noch nicht wissen, was
die Partheien sagen werden? —
Man stelle sich eine solche mündliche Verhandlung, wo wirk
lich erhebliche Umstände von beiden Seiten angegeben wer den, vor.
Beide Theile sprechen nicht zugleich und auch
nicht mit Unterbrechung des Vortrags wechselsweise, viel
mehr ist es Regel, daß Einer nach dem Andern seine Sache vollständig entwickelt und darstellt.
Der Referent, d. h. der
Protokollant, hat nun zwei Methoden,
den Schriftsatz, in
welchem die Repliken, Dupliken u. s. w. den Akten einver leibt werden müssen — denn es gilt trotz der sogenannten mündlichen Verhandlung der Satz des schriftlichen Prozesses:
283 quod non est in actis, non est in mundo — für die Partheien zu verfertigen:
entweder kann er während des
Vortrags schreiben und den Parthei-Vorträgen unmittelbar
folgen: — dies hat den Nachtheil, daß er nicht so wie der Herr Justizminister befiehlt,
die Erklärungen und Gegen
erklärungen unmittelbar beieinander vermerken, in hübsch
abgerundeten Perioden gleichsam mit einander vermählen kann, es hat aber den praktischen Vortheil, daß Auslassun gen seltener find und bei weitem weniger Zeit erforderlich ist;
oder er kann den Schluß der mündlichen Parthei-Vorträge abwarten: — alsdann ist es möglich, die wechselseitigen Al-
legationen zusainmenzufaffen,
es kommen dann aber öfter
Auslassungen, Verwechselnngen und Mißverständnisse vor, und die
Abfassung dieses kunstgerechten Protokolls kostet
wenigstens noch einmal so viel Zeit
Methode.
als nach der ersten
Für die Sache ist es, wie gesagt, ganz gleich
gültig, wie das Protokoll gefaßt ist, wenn es nur die Re pliken, Dupliken und Tripliken, d. h. die erheblichen Alle-
ga tionen der Partheien, wirklich enthält; der geübte Prak
tiker wird in jedem Falle diejenige Methode anwenden, bei welcher seinen Kollegen und den Partheien die kürzeste Zeit
versäumt wird.
Nun komme ich auf Das zurück, was der
Herr Justizminister hier den Dirigenten anbefiehlt.
Sie sol
len strenge darauf halten, daß der Referent das Protokoll just so, wie vorgeschrieben ist, abfaßt.
Personen in
Man stelle fich beide
der Gerichtsfitzung lebhaft vor.
gleichgestellte Kollegen.
Beide find
Wie soll der Dirigent es angreifen,
um dem Befehle gemäß strenge auf etwas Unwesentliches zu
284 halten?
Ansehen kann er doch dem Protokollanten nicht,
was derselbe im nächsten Augenblick niederschreiben will; er
muß also aufstehen, sich hinter ihn stellen,
sein Auge un
verwandt auf die Hand des Schreibers richten und, wenn
er meint, daß nun etwas folgen soll, was nicht in der Ord nung, Halt! gebieten.
Der Protokollant,
der die Sache
so gut wie der Dirigent, vielleicht noch besser versteht, und sich, zumal im Angesicht der Partheien, so schülerhaft be
handelt sieht, hält nur mit Mühe seinen Unwillen an sich,
und fertigt den Dirigenten ab.
Ist der Dirigent klug, so
schweigt er still und geht auf seinen Platz, wo nicht, so ver
wandelt sich die Scene: die Richter agiren und die Par
theien werden Zuschauer und Zuhörer. So gestaltet sich die
Wirklichkeit.
Ohne daß nachträglich noch näher vorgeschrie
ben wird, wie es die Dirigenten angreifen und machen sol
len, um den Befehl: „strenge darauf zu halten, daß die Ver merke, wie vorgeschrieben, in das Protokoll ausgenommen werden," auszuführen, weiß man nicht, was man sich dabei
zu denken hat.
Welcher ehrliebende Richter wird sich wäh
rend der Arbeit, wie ein Schüler beim Ererzizium, von sei
nem Kollegen Hofmeistern lassen!
Daß alle Protokolle just
nach einer bestimmten Schablone verfertigt werden, läßt sich
den Dirigenten nur dann anbefehlen, wenn ihnen zur Pflicht gemacht wird, dieselben zu diktiren.
Schon dieses wäre für
die Mitglieder, wenn diesen das Schreiben nach dem Diktat ihres Kollegen zngemuthet würde, ehrenrührig, um wieviel mehr jede andere persönliche Einwirkung auf das Protokoll
schreiben.
285 Nach dieser Betrachtung der veröffentlichten allgemeinen Ministerialverfügung komme ich zu dem summarischen Prozeß
Dieser Prozeß, behaupte ich, ist wesentlich nichts
selbst.
weiter, als das durch die Eventualmaxime verbesserte und
dadurch, daß die Jnstruenten auch das Urtel abfassen, vortheilhaft modifizirte schriftliche Verfahren der Allgemeinen Gerichtsordnung, welches wesentlich darin besteht, daß die
Gerichte den Prozeß leiten und die Partheien beherschen, und
für beide Partheien die Schriftsätze machen.
Die übrigen
am meisten in die Angen springenden Unterschiede zwischen
dem alten und dem modifizirte» neuen Verfahren sind fol
gende:
1) In dem alten Verfahren wird, wenn die Sache nicht sehr weitläuftig ist, in dem Klagebeantwortungstermin die Sache zugleich instruirt und bis zur Beweisaufnahme gebracht;
in dem neuen geht das nicht, vielmehr muß, wenn Beweis aufzunehmen ist, alle Mal zur Instruktion ein besonderer Termin, nämlich der Termin zur sogenannten mündlichen
Verhandlung, angesetzt werden, die Sache mag so klar und einfach sein wie sie will.
2) In dem alten Verfahren kann Einer die Sache instruiren; in dem Neuen sind dazu in der ersten Instanz drei,
und in der Zweiten fünf Richter nöthig. Daß dieses soge nannte mündliche Verfahren wesentlich ein Jnstruktionstermin im schriftlichen Prozesse ist, macht sich durch folgende Merk
male kenntlich:
a. es kaun nicht auf die mündliche Verhandlung erkannt werden, sondern dazu ist ein schriftliches Aktenstück über
286 die wechselseitigen Einreden und Allegationen der Par theien wesentlich nothwendig;
b. dieses Aktenstück, Schriftstück oder Protokoll, gleichviel wie es genannt wird, muß der die Partheieu anhörende
Richter im Beisein der Partheien verfertigen, und er
muß darin alle wechselseitige Allegationen aufnehmen; c. der Status causae ist, gerade wie es die Allgemeine
Gerichtsordnung verlangt, im Voraus entworfen (das Referat); ä. die Streitfragen, über welche Beweis aufgenommen werden soll, werden,
sowie es nach 8.76 des Anhan
ges zur Allgemeinen
Gerichtsordnung
im ordinairen
Prozeß geschieht, am'Schluß des Protokolls niederge
schrieben, nämlich in der Bestimmung: worüber und wo
durch der Beweis erhoben werden soll. Alles dieses, nicht mehr und nicht weniger, ist der Gegen
stand und Zweck eines Jnstruktionstermins nach der Allge meinen Gerichtsordnung. 3) Die Jnstruklionsprotokolle im alten Verfahren sind vollständig und zuverlässig, und geben dem richterlichen Ur
theil eine sichere Grundlage; die in dem neuen Verfahren aufgencmmenen sogenannten Audienzprotokolle entbehren diese
Eigenschaften, weil sie in größter Hast und unter dem Vor
trage der Partheie» niedergcschrieben werden.
Daher kom
men öfter Auslassungen, Verwechselungen, Mißverständnisse
und Undeutlichkeiten, ja noch mehr: vor nicht langer Zeit
hat es sich sogar bei einem Obergerichte zugetragen, daß das gerade Gegentheil von Dem, was die Parthei gesagt hatte,
287 in das Protokoll, das nicht immer vorgelesen wird, geschrie«
den worden war.
Bei der nächsten Fortsetzung der sogenann
ten mündlichen Verhandlung
brachte die betroffene Parthei
diesen Fehler zur Sprache, das Gericht aber konnte natür
lich davon nichts mehr wissen und wollte auf seine schrift liche Akten fußen.
Da wendete sich
die Parthei an ihren
Gegner, ihn auffordernd, auf seine Ehre zu erklären: ob nicht das gerade Gegentheil von ihr gesagt worden sei.
Der ehren
hafte Gegner antwortete mit einem „ich kann das nicht
leugnen." Bedenkt man nun, daß derartige Protokolle die Grund lage des künftigen Urtels, besonders in den folgenden In
stanzen sind, so ist es in der That schwer, diesem Verfahren zu vertrauen.
Das summarische Verfahren ist ein verstüm
melter schriftlicher Prozeß nach der alten Fasson; denn gerade der Schriftsatz (die Prozeßschrift), worauf so ausserordent lich viel ankommt, nämlich die Replik und Duplik, worunter
hier dasjenige Schriftstück zu verstehen ist, in welchem die Partheien ihre wechselseitigen Allegationen, technisch Replik,
Duplik, Triplik u. s. w. genannt, bei den Gerichtsakten nie#
derlegen müssen, wird von dem damit beauftragten Beam ten mit Hastigkeit im Gedränge verfaßt, und wird deßhalb lückenhaft, ungeordnet, unverständlich ja stellenweise selbst
ganz unrichtig, ist aber dennoch völlig beweiskräftig und die
Grundlage des Urtels. Jeder Unbefangene muß, Alles wohl erwogen, anerkenne»,
daß ein solches Prozeßverfahren für die Rechtssicherheit un genügend ja gefährlich ist,
und unmöglich die Grundlage
288 deS
künftigen
civilrechtlichen
Verfahrens sein
oder wer
den kann. Ueberdieß wird dieser Prozeß entsetzlich vertheuert durch die unzweckmäßige Prozedur.
Denn da der alte Grundsatz
beibehalteu iß, daß wesentlich der Abgeordnete des Gerichts
die Prozeßacte aufnehmen muß, so sind beide Partheien ge
nöthigt, in dem Klagebeantwortungs-Termine vor dem De-
putirten, der die Klagebeantwortung aufzunehmen hat, zu erscheinen.
Bringt nun der Beklagte, wie ihm freisteht, eine
schriftliche Beantwortung, so empfängt der Deputirte solche
im Termine aus den Händen des Beklagten oder dessen Bevollmächtigten, der Kläger oder dessen Bevollmächtigter
sieht zu, und der Deputirte nimmt darüber eine Registratur
auf, nach deren Vollziehung man wieder nach Hause reist. So eben kommt mir eine Sache von einem kleinen formir-
ten Land- und Stadtgericht vor, wo die in der l'/2 Meile entfernten Kreisstadt wohnenden Zustizkommiffarien prakti-
ziren dürfen.
In dieser Sache wegen einer Forderung von
mehr als 500 Thlr. kostet der Termin zur Klagebeantwortung: 1) Gebühren des für den Verklagten erschienenen Justiz-
kommissarius: a) für die schriftliche Klagebeant wortung ............................................ 2 b) Schreibgebühren für die Rein .
1 „
........
2 ,,
schrift und das Duplikat c)
.
d) Reisekosten auf 3 Meilen ä 1^.
3 „ ------------ 8
gifc.
289 Transport
8 SSfc.
2) Gebühren des für den Kläger erschienenen Ju-
stizkommissarius: a) Diäten
. 2 Atz,
............................
b) Reisekosten............................ 3 „
3) Gerichtskosten für den Termin
.
.
.
. ,
Zusammen .
.
5 2 „ 15
bloß dafür, daß die schriftliche Klagebeantwortung überge ben worden ist.
Wenn die Klagebeantwortung sowie die
Klage durch die Post eingeschickt werden dürste, was die Sache just eben so weit brächte als das Botengehen der
Zustizkommissarien, so würden die Kosten dafür in dieser Sache 12 Thlr. weniger betragen haben.
Z» der Sache
liegt kein Grund, warum die Partheien oder deren Bevoll
mächtigten im Klagebeantwortungstermin persönlich zusam men kommen müssen.
290
ix. Der Bagatell - Prozeß. Difficile est satyram non scribere.. Der heutige Baga
tellprozeß ist die siebente Klaffe des Konkurses der Justiz verwaltung.
Der Maffenkurator bietet allen Scharfsinn, alle
ihm ju Gebot« stehenden physischen und psychologischen Mit
tel auf, die Kräfte der Masse zu verstärken, aber die Masse bleibt unzureichend, di« Gläubiger können nur verhältnißwäßig (in tributum) befriedigt werden, so sehr man auch
die vermeintlichen Schuldner der Masse drängt und treibt.
Der geneigte Leser wolle sich zuvörderst hier dessen erin
nern, was ich vorhin
bei Gelegenheit der Klage über die
Behandlung der Richter, die für die materielle Jnsufficienz
aufkommen sollen,
S. 37 und flg., in Beziehung auf den
Bagatell - Prozeß angemerkt habe.
Diesem will ich noch Eini
ges beifügen, um ersichtlich zu machen, daß der moderne Bagatell-Prozeß, wie er durch die Berordnung vom 1. Juni
1833 und die dazu gekommenen zahllosen Ministerialbefehle
jetzt vorgescbrieben ist, ein formloses Verfahren ist, waS weder -dem
Kläger noch
dem Verklagten
Rechtssicherheit
gewährt. 1) Jedes richterliche Erkenntniß soll die Entscheidungs
Gründe angeben, so daß es sonst eine Nichtigkeit ist, wenn
291 der Richter gar keine Entscheidungsgründe angegeben hat*). Nur im Bagatell - Prozeß ist dieß kein Erforderniß eines voll
ständigen und gültigen Richterspruchs, obwohl der Gegen
stand, in Folge einer Klagecumulation, sich auf Hunderte
und mehr belaufen kann.
Denn die Vorladung des Verklag
ten verurtheilt denselben zugleich in contumaciam auf den
Fall des Ausbleibens, ohne daß irgend ein Rechtsgrund dafür angegeben wird, warum aus den für wahr anzunehmenden
Thatsachen das Urtheil rechtlich folgen soll**).
2) Befindet der Richter, daß aus der il m vorgetragenen Klage der Anspruch nicht folgt, so weiset er den Kläger
ohne weiteres zurück, ohne daß davon der Gegner Etwas erfährt.
Diese Zurückweisung hat eben so wie in dem vo
rigen Fall die Natur eines richterlichen Ausspruchs,
wird
aber nicht als ein solcher behandelt. Nicht ausschließlich der
ordentliche zweite Richter,
sondern zunächst das Kollegium,
welchem der selbstständige Richter angehört, soll zur Reme dur berechtigt sein***), ohne alle Fasson, man weiß nicht ob als zweite Instanz oder als was sonst.
Man kann sich
aber auch an den ordentlichen zweiten Richter wenden. Hier
wird uun die Sache nicht als eine Berufung
(Rekurs)
gegen einen Richterspruch behandelt, sondern als eine Be schwerdefache, in welcher der Richter als Parthei traktirt
und zur Rechtfertigung seines Verfahrens aufgeforderl wird. Wird die Beschwerde für begründet gehalten, so sollte man *) Verordnung vom 14. Dezember 1833, §. 5, Nr. S.
♦*) Verordnung vom 1
Zuni 1833, §. 68-
) Schering, der Mandats-Prozeß, Art- 528, S- 425 19*
292 denken, es sei die vorgeschriebene Resolution des zweiten Spruchrichters abzufassen, wodurch der Ausspruch des ersten
Richters aufgehoben und anderweit erkannt wird, zu welchem Zwecke nur vorher noch die in derKlage behaupteten That sachen ausgemittelt werden müßten.
Richter,
So ist es nicht.
Der
der selbstständige Richter erhält vielmehr Befehl,
die vorgeschriebenen Vorladungen zn erlassen und in seinem
Namen den Verklagten, sowie es der Kläger verlangt oder wie es etwa der Befehl modificirt, zu vernrtheilen*). Erscheint der Verklagte, und räumt die Thatsachen ein, bestreitet aber
den Anspruch,, selbst ohne sich eines Grundes bewußt zu sein, so weis't der Richter den Kläger natürlich wieder ab,
wie er es gleich anfangs gethan.
Nun haben wir drei ver
schiedene Aussprüche eines und desselben Richters, über eine und dieselbe Rechtssache.
Der Erste lautet: wenn auch die
Thatumstände gegründet sind,
so ist der darauf gestützte
Anspruch doch unstatthaft, und der Kläger wird abgewiesen.
Der Zweite lautet: wenn die Thatumstände gegründet sind,
so ist der Anspruch zulässig, und der Verklagte wird für
schuldig erkannt u. s. w.
Der Dritte lautet:
Thatumstände als richtig zugestanden sind, spruch den Rechten nach doch nicht
Kläger wird abgewiesen.
obgleich die
so ist der An
begründet, und der
Nun muß der Beklagte nochmals
den Recurs einlegen, und es erfolgt eine Resolution, wo
durch der zweite Richter unmittelbar entscheidet. Wird hingegen die Beschwerde unbegründet befunden, *) Reser- vom 10. Oktober 1831 u. vom 15. Februar 1839. (Zust.Min.-Bl. 1839, S. 83.)
293 so wird freilich der Kläger abgewiesen,
sein Bewende».
und es
hat dabei
beliebten Verfahren er
Allein nach dem
fährt davon der Verklagte kein Wort,
und darum ist es
möglich, daß 3) der Kläger vielleicht bei einem ander» Richter, wie
namentlich bei dem Institut der Kreis »Justizräthe, wo der Kläger die Wahl hat, ob er bei dem Kreis-Justizrath oder bei den« Bagatell-Kommiffarius des Oberlandesgerichts kla gen will, wirklich vorkommt,
und sonst auch bei Personal
oder Wohnsitz-Veränderungen geschehen kann, sein Gluck von Neuem versucht, ihm
den
Einwand
ohne daß der Kläger im Stande ist,
entschiedener
rechtskräftig
Sache
zu
machen. 4) Die erste Vorladung an den Verklagten muß, wie falls er ausbleibt, dem
gesagt, bestimmen, was derselbe,
Kläger zu leisten ha^.
Dieß wird nach einem vorgeschrie
benen Formular von 1834*) so u. s. w. nicht ii. s. w.,
ausgedrnckt:
liegt Ihne» ob,
„ Wenn Sie
dem Kläger die
eingeklagte Summe von .... binnen 14 Tagen zu bezahlen, widrigenfalls die Erecutio» ohne Weiteres auf den Antrag
desselben wider Sie verfügt werden wird."
Zur Verein
fachung des Geschäfts soll es zweckmäßig sein, sowohl dem
Verklagten als auch dem Kläger gleich in der Vorladung
den Betrag der Kosten anzugeben,
den sie bei ihrem Aus
bleiben an die Gerichtskasse zu bezahlen oder an de» Geg ner zu erstatten haben, und es ist 1837 ein zweites Formu-
*) Lahrb. Bd. 43, S. 529.
294 lar vorgeschrieben *), wonach die Urtelsformel lauten soll:
„Für den Fall u. s. w. liegt Ihnen ob,
dem Kläger die
eingeklagte Summe von .... binnen 14 Tagen zu bezahlen, auch sämmtliche Kosten, nämlich an Gerichtskosten
Thlr.
Sgr.
Pf. zu
Sgr.
Pf., und an Deserviten
Thlr.
erstatten, widrigenfalls die Erecution" u. s. w.
Unter den
„Deserviten" werden nämlich die außergerichtlichen Kosten
gemeint, welche theils aus Deserviten d. h. Anwaltsgebüh
ren, theils aus verschiedenen andern Kosten und Auslagen bestehen,
Ganze.
es gilt mithin in diesem Muster ein Theil fürs
Dieß nebenher. Was jedoch eine Hauptsache: die
ses Formular ist so weit davon entfernt, zur Vereinfachung
des Geschäfts zweckmäßig zu sein, daß es das gerade Ge gentheil, also zweckwidrig ist. Der Betrag der außergericht
lichen Kosten läßt sich begreiflich nicht im Voraus bestim men, noch dazu ohne Wahrscheinlichkeitsberechnung durch
einen Dritten, wie der Richter ist,' der den Kläger gar nicht gefragt hat, wieviel dessen außergerichtliche Kosten muth« maßlich betragen werden.
Nicht einmal die Deserviten des
Anwalts sind genau vorauszuberechnen, weil man die noch
über das Pauschquantum zustehenden Schreibgebühren und Auslagen noch nicht kennt, ja selbst die Gerichtskosten las
sen sich, trotz deS Pauschquantums, in sehr vielen Sachen wegen der noch unbekannten bäaren Auslagen,
noch nicht
im Voraus genau bestimmen.
Man kann sich daher kaum
etwas vorschnelleres denken,
als
*) Zahrb. Bd. 50, ®. 496.
ein solches Vorurtheil.
295 Wird nun von dem Richter eine beliebige Summe an „De« serviten" angenommen, so ist Streit und Schreiberei, also
gerade
Weiterung
statt Vereinfachung
Denn die außergerichtlichen Kosten,
die Folge
davon.
deren Zahlung ohne
spezielle Rechnung übrrdieß dem verklagten wider alles Recht anbefohlen wird,
da er sich darauf ja gar nicht speziell
anslassen kann, betragen alle Mal mehr als der Richter ins Ungewisse anzuuehmen beliebt;
in dem zum Urtel ge
wordenen Befehl ist aber der Verklagte verurtheilt, sämmt
liche Kosten,
nämlich n. s. w.
zu bezahlen,
das Urtel
spezifizirt mithin dasjenige, was er zahlen soll, mehr ist er aus diesem Erkenntnisse nicht schnldig.
Darüber erheben sich
dann unnütze Wcitläuftigkeiten.
5) Rach
einer andern Richtung hin hat diese Art, die
Erkenntnisse im Voraus zu machen, den Uebelstaüd, daß der Kläger den Inhalt nicht kennen lernt; denn Er seinerseits
wird nach dem vorgeschriebenen Formular bloß zum Termin norgeladen, oder laut Vorschrift auch nur mündlich bestellt, unter der Warnung,
daß wenn er ansbleibt und der Ver
klagte den Anspruch nicht anerkennt, die Akten auf seine Kosten reponirt werden.
Wie der Verklagte in eventum
verurtheilt worden ist, wird ihm nicht gesagt.
Vorgeschlagen
worden ist*), solches in der Vorladung an den Kläger zu
thun, oder ihm eine Abschrift der an den'.Verklagten erlas senen Vorladung mitzutheilen.
Die erstere Methode würde
den Vorzug verdienen, weil eine
simple Abschrift beweis-
*) Schering, a. a. ü-, Formulare Nr. 25, S. 506.
296 unkräftig ist; indessen gehören solche willkuhrliche Nachhilfen immer nicht zum Verfahren, und außerdem fehlt es in Fäl len,
wo der Kläger für eine ganze Anzahl von Sachen
mittelst nur einer Verfügung vorgeladen wird, wie es ge
schehen soll, wenn Jemand, z. B. ein Apotheker, Kaufmann n. s. w., mehrere Klagen gegen verschiedene Personen zu gleicher Zeit emreicht*), sowie wenn er nur mündlich be
stellt wird, an dieser Benachrichtigung.
6. Erscheint in dem Termin der Kläger,
der Verklagte
aber nicht, so wird eine Registratur ausgenommen, in wel cher solches, und von dem Kläger der Antrag: die Vorla dung nun als ein Kontumacial - Erkenntniß anzusehen, ver
merkt ist. Weiter geschieht nichts, die Akten werden nun re-
ponirt.
Daß die Vorladung in die Kraft eines Erkennt,
nisses übergegangen,
braucht dem Verklagten nicht bekannt
gemacht zu werden; er erfährt mithin nicht,
ob er für ver-
urtheilt gilt oder ob, was eben so gut möglich ist, der Klä ger ausgeblieben und die Sache bei Seite gelegt ist, bis ihm der Erecutor ins Haus kommt, indem nach Ministerialbestim-
mung auch nicht einmal der sonst vorgeschriebene monitorische Zahlungsbefehl (das Eommendement) der Erecution voraus gehen soll**).
Der Kläger seinerseits erhält eben so wenig
eine Urkunde, was noch schlimmer ist.
Die praktische Folge
davon besteht darin, daß wenn z. B. die Erecution fruchtlos
gewesen wäre > und erst nach 5 Jahren Erfolg verspräche,
*) Reser, vom 16. Mai 1842; bei Schering S. 430. **) Reser, vom rz. Septbr. 1840 (Just.-Min.-Bl. 1840, S. 315).
297 der Kläger abgewiesen wird; denn da ausdrücklich auch für
den Fall, wenn die Vorladung des Verklagten bei dem Aus bleiben desselben in die Kraft eines Kontumazial-Erkennt-
nisses übergegangen ist und die Befriedigung des Klägers nicht erhellt, die Kassation der Akten anbefohlen ist*), so sind die Gerichtsakten nun schon als Makulatur verkauft und der
Kläger kann keinen erecutorischen Titel vorlegen, hat viel leicht auch nicht mehr die Beweise, nm sich
von einem
neuen Prozeß Erfolg zu versprechen. Es scheint auf das Zweckwidrige dieses Verfahrens schon von andern Seiten her vergeblich aufmerksam gemacht wor
den zu sein, denn man liest in einer gedruckten MinisterialVerfügung, vom 6. März 1838**1: „zu einer Aenderung des
Kontumazialverfahrens vorzuliegen.
scheint
kein
praktisches
Bedürfniß
Die Kontumaz und deren Folgen treten ein,
sobald der Verklagte im Termine nicht erscheint, was durch
die von dem Kommissarius darüber aufgenommene Registra tur konstatirt wird.
Wünscht der Kläger eine Be
scheinigung darüber, so kann sie ihm der Kom
missarius ertheilen".
Wieder eine Art Nachhilfe, die
das Verfahren nicht mit sich bringt, und auch dann erst ge
währt werden soll, wenn der Kläger weiß, daß er sie wün
schen muß, und auch just daran denkt,
solches zu thun.
Ueberdieß ist selbst die Bescheinigung zu weiter nichts nütze,
da für den gedachten Fall immer nicht die Erecution daraus
*) Rescr. vom 21. Februar 1812, bei Schering S. 185. **) Zahrb. Bd. 51, S. 150.
298 statthaft ist, weil das documentum relatum ldie Vorladung)
fehlt, und die Sache sich nicht übersehen läßt. Ist es hiernach nicht, als reichte der Justizverwaltungs
stoff nicht für Alle völlig aus, und als müßten sich die Ba
gatellkläger und Verklagten, wie die Concursgläubiger der siebenten Klasse, mit Dem begnügen, was noch für sie übrig
ist? Dabei passirt es, daß ab und zu auch ein Gläubiger einer bessern Klasse in der Hast hier hineingeworfen wird; denn wenn aus Irrthum daS Bagatellverfahren angewenhet
worden ist, und der Verklagte ausbleibt, so gilt die Vorla dung als ein Urtel, der Gegenstand mag so viel betragen
wie er will, und es soll nur da allein die Restitution dage gen übrig bleiben*), was ich indeß doch nicht glaube, auS
vielerlei Gründen, wozu auch der gehört, daß in der Vorladung
ein Urtel über ein höheres als ein Bagatellobject ohne Ent scheidungsgründe gegeben worden ist, und ein solches grund
loses Urtel nichtig ist. Soll das Verfahren das Rechtsbedürfniß völlig befriedi
gen, so muß es folgendes sein:
1. Auf die Klage müssen allemal Vorladungen erlassen werden, mag die Klage statthaft zu sein scheinen oder nicht.
Die Vorladungen werden unter der gewöhnlichen Prozeß
verwarnung erlassen, wenn überhaupt die Warnungen bei zubehalten beliebt wird; im Grunde sind sie »»nöthig.
L. In der Audienz muß der Richter, auch in contuma
ciam gegen den ausgebliebenen Verklagten, erkennen, was
*) Schering, a. a. O. S. 140-
299 er, die Thatsachen als richtig vorausgesetzt, für Recht findet,
und dieses Urtel mit Gründen in Gegenwart des erschiene
nen Klägers aussprechen. 3. Darüber ist ein Akt zu fertigen (ein Protokoll aufzu nehmen).
4. Jeder Parthei ist davon eine Ausfertigung gehörig zu
instnuiren. 5. Bei der kontradiktorischen Verhandlung ist die Unter
schrift der Partheien nicht nöthig; der Richter erkennt auf den mündlichen Vortrag was Rechtens, und fertigt auch hierüber einen Akt, wovon jedem Theil eine Ausfertigung zu instnuiren.
aoo
x. Der Strafprozeß. Die Gefährlichkeit des preußische» Untersuchungsvert'ahrens für die Rechtssicherheit bringe ich von Neuem in ($r>
inneriing. Die Beschwerden nnd Klagen der Angeschnldigten über Einseitigkeit und Vorurtheil der Inquirenten, über üble
Behandlung bei verweigertem Geständnisse, über Unvollstän
digkeit und Ungenauigkeit der Protokolle über die Verueh-
mungeu, über verweigerte Ausnahme vorgebrachter Vertheidigungsmittel sind stehend,
und,
was die Hauptsache ist,
oft nicht ungegründet. Sind die Betroffenen nicht verhaftet, so suchen sie gewöhnlich durch Vorstellungen bei der Dienstbe hörde Abhilfe.
Zur Ansicht lasse
ich aus einer
solchen
Vorstellung, wie sie mir so eben ohne Auswahl vorkommt, den Hanpttheil hier folgen:
„Die Aussage des einen Zeugen ist uirs gar nicht be kannt gemacht worden, wiewohl dieses nach §. 343 der Cri-
minalordnung hätte geschehen müssen, da der heutige Termin
nach der Verfügung vom 15. December 1843 znm Schluß
der Untersuchung anberaumt worden war; dagegen ist uns aus der Aussage des andern Zeugen mündlich mitgetheilt
worden, daß er die Behauptungen des Denuncianten voll
kommen bestättigt habe. Der Inquisitor berüchtigte uns frü-
301 her vorgebrachter Lügen auf Grund der Aussage deS Zeu
gen H., weil wir die Behauptungen des Denuncianten der
Wahrheit getreu widersprechen mußten. Wir wendeten gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen H. Folgendes ein: 1) daß dieser Zeuge eigentlich derjenige sei, der am 19.
November v. I. Abends im Kretscham zu D. in unserm Beisein den Denuncianten gröblich beleidigt habe, und um
die Schuld von sich abzuwenden, er aus Furcht vor Strafe fein« eigene Schuld auf uns geworfen und fälschlich dem Denuncianten die Mittheilung gemacht habe, als hätten
wir ihn — den Denuncianten — »ijuriirt; 2) daß dieser Zeuge H. eventualiter der Zuträger der
Injurie sei, uud somit die Veranlassung zur Denunciation gegen uns gegeben habe, und 3) daß ich, der Johann B., gegen eben diesen Zeugen H. wegen mir am 19. November v. I. Abends im hiesigen
Kretscham zngefügten Beleidigungen
förmlichen Prozeß ge
führt habe, in Folge dessen er nach Ausweis der Akten
des Königlichen Gerichts zu N. mit fünftägigem Gefängniß bestraft nnd zur Tragung und resp. Erstattung aller Kosten
verurtherlt worden ist. Damit wurden wir ebensowenig gehört, als mit nnserm Verlangen, ins Protokoll niederzuschreiben, daß, wenn wir
wirklich uns über die unrichtige Handlungsweise des Denun
cianten, in seiner Eigenschaft als Gerichtsscholze, geäußert hätten, es doch in der Wahrheit bestände, daß er durch 6 Jahre 10 Monate, monatlich 5 Sgr., also 13 Thlr. 20 Sgr.
302 zuviel an Klassensteuer von dem Bauer St. erhoben habe,
welchen Betrag er auf Befehl des Königs. KreiS»Landraths eben dem ic. St. am 20. November v. Z-, also erst Tags
darauf, nachdem am 19. desselben Monats im Kretscham
Seiten des Zeugen H. von dieser Handlungsweise des De nuncianten zu uns gesprochen worden war, habe zurücker statten müssen, worüber wir »ns heute auf das Zeugniß
1) des Königlichen Kreis - Landrathes Herrn N. N.
2) des Bauer St. hierselbst berufen. Nichts von allen diesen, zu unserer Rechtfertigung, Ver
theidigung resp. Entschuldigung dienende» Beweismittel», wurde ins Protokoll niedergeschrieben, wir wurden vielmehr zur
Unterschrift aufgefordert, ohne uns zufragen, ob wir zur Sache noch Etwas anzuführen hätten oder uns vertheidigen lassen wollten, und da wir bei dieser mangelhaften Untersuchung,
wie sich's von selbst versteht, unsere Unterschrift versagen mußten, so befahl uns der Inquisitor, uns sofort zu ent
fernen, mit dem Bedeuten, daß es sich ganz gleich bleibe,
ob wir unterschreiben wollten oder nicht. Wir können diese Untersuchung, insbesondere das heu
tige Verfahren des Inquisitors, um so weniger für gültig erkennen, als er gegen den §. 5, 343 und 344 der Crimi-
nalordnung verstoßen,
und die Vorschrift aus den Augen
gesetzt hat, mit gleicher Sorgfalt nach denjenigen Umständen
zu forschen,
resp, sie nach unserem Verlangen
iu'S Pro
tokoll niederschreiben zu lassen, die wesentlich zu unserer
Rechtfertigung, Vertheidiguug und Entschuldigung gereichen. Ein ic. bitten wir ganz gehorsamst: dem Inquisitor hoch-
303 geneigtest aufzngeben, die Untersuchung zu vervollständigen,
unsere Defenstonalzeugen abzuhören, uns mit unsern Vor-
und Anträgen gelassen und bescheiden
zu hören, sie alS
wesentliche Bestandtheile des Nachweises unserer Unschuld
ins Protokoll niederschreiben zu lassen, und sodann erst die
Untersuchung zu schließen."
Ist der Angefchuldigte verhaftet, so ist er ganz in der Gcwa.lt des Inquirenten, er kann nicht einmal den gewöhn«
lichen Weg
der Beschwerde, wenigstens nicht ohne große
Schwierigkeiten und Hindernisse, betreten.
Bei sörinlichen Criminal-Untersuchungen hat der Ange schuldigte allenfalls noch eine schwache Stütze an dem Pro tokollführer, wenn ein solcher von Anfang und nicht erst, wie oft
geschieht, am Schluß des Protokolls zugezogen wird, indessen ist
auch dieser Rückhalt äußerst schwach, weil der Protokoll führer sehr viele Gründe hat, seinem Vorgesetzten nicht zu widersprechen.
Der letzte Hoffnungsanker bleibt ihm dann
noch die Unterredung mit dem Vertheidiger und der von dem Inquirenten verschiedene Referent, weil dieser vielleicht
liest und vorträgt, was in dem Unterredungsprotokoll und
in der Defension steht.
Allein vollends verlasse» ist man
bei den neuen summarische» Untersuchungen.
Denn diese
können, soweit sie polizeilich zu führen, von dem Inquiren ten allein, ohne Zuziehung eines Protokollführers, abgemacht
werden, es steht mithin ganz bei ihm, wie er die Protokolle fassen und was er daraus vorlesen will; er selbst ist es
endlich auch, der den Inhalt dieser Akten den beiden Kol
legen des Spruchkollegiums vorträgt.
Wenn nun die Er-
304 fahrung gemacht worden ist und noch täglich gemacht wird, daß auch ohne alle Böswilligkeit sehr oft etwas ganz An deres, auch mehr oder weniger vorgetragen wird, als die Akten entkalken: so wird man eingestehen müssen, daß nicht
leicht ein schlimmeres geheimes Verfahren ersonnen werden
kann.
Es ist mit diesen summarischen Strafsachen wie mit
den Bagatellsachen: das Verfahren ist auf Kosten der Rechts sicherheit vereinfacht worden, weil die Kräfte der Justiz
masse unzureichend sind. Daß die Strafen nicht so gar hoch ausfallen können, gilt, wie ich schon früher gesagt habe, gar nicht für einen Rechtfertigungsgrund, auch die geringste
Strafe ungerecht einem Unschuldigen zugefügt, ist ein Justiz
mord. Ueberdieß müssen doch auch wol anderwärts die von den sogenannten summarischen Deputationen erkannten Strafen
das vorausberechnete Maß, in Folge der Concurrenz gleich
artiger Vergehen, oft überschreiten, da durch eine Ministe-
rial-Verfügung vom 16. Januar 1844 (Minist.-Bl. S. 31) aus Anlaß einer Anfrage den Gerichten besonders bekannt
gemacht wird, was im Grunde nicht zweifelhaft ist, daß nämlich
das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, deren
jedes Einzelne an sich zur Untersuchung im summarischen
Verfahren geignet ist, diese Form der Untersuchung nicht
ausschließe, wenn auch durch das Zusammentreffen der für die verschiedenen Vergehen verwirkten Strafen das in der Kabinels-Ordre vom 24. März 1841 bezeichnete Maß der
Strafe überstiegen wird.
Aber auch wenn nach Vorschrift der Criminal - Ordnung ein von dem Inquirenten verschiedener Referent die Sache
305 vorträgt, so ist auch dabei für die Rechtssicherheit noch wenig gewonnen, einestheils, weil die Aktenvorträge immer mehr oder
weniger unvollkommen sind, anderntheils, weil ein Theil der Richter während des Vortrags sich mit Decretiren oder an dern Dingen beschäftigt, und dadurch von der Sache abge
zogen wird, so daß beim Votiren mitunter Lächerlichkeiten
vorkommen. Ich gestehe aufrichtig, daß wenn ich so unglücklich würde,
ingeklagt (zur Untersuchung gezogen) zu werden, wofür mich Gott in Gnaden bewahren wolle! und ich wäre unschul dig; so würde ich, wo möglich, landflüchtig.
Nichts in dem
ganzen Gerichtswesen und in der ganzen Nechtsverfassung
ist nothwendiger und zugleich dringender, als die Ein
führung der Mündlichkeit; jede Stunde Verzug wirkt nach theilig. Hierbei komme ich auf meine schon im ersten Hefte ge
machten Vorschläge in Beziehung auf das Geschwornengericht zurück.
Man hat gegen den S. 262 anerkannten Umstand
gesagt, „wenn ich diesem zwar historischen, für unsere Zeit aber unsinnigen Principe zu Liebe die Wahl von Geschwornen
auf die schon angestellten Richter fallen lassen will, — so muß Zeder, dem es nicht um einen scheinbaren, sondern wahr
haftigen Fortschritt in unserm Staatsleben zu thun ist, aufs Entschiedenste und mit aller Kraft gegen ein Institut von Geschwornen protestiren,
die von der Regierung aus den
angestellten Richtern zu ernennen wären — "*). Ich wider-
*) Breslauer Zeit, von 1843 Nr. 157, S. 1247-
306 spreche nicht; aber eö ist unbestreitbares Berfassnngsrecht, daß
der König
der
alleinige Gesetzgeber
und
folglich auch seine Stellvertreter zu ernennen
Richter,
befugt ist;
ich bestreite es nicht und untersuche auch nicht die Entste hung, hoffe aber für mein Theil zuversichtlich, daß die Weis heit des Königs und seiner Rathgeber dieses Princip zu beseitigen wissen wird, wonachst sich das Uebrige ohne Zwie
spalt und Conflict von selbst regelt.
Doch muß ich dabei
bleiben, daß auch die angestellten Richter, welche sich nur
nach ihrer subjeciiven Ueberzeugung, ohne Anwendung von vorgeschriebenen Beweisregeln, zu bestimmen haben, in so
weit wirkliche Geschworne sind, daher ich gegen den Ein wurf: wie es denn mit meinem Prinzipe, demzufolge ich mich für Richter-Geschworne erkläre, in den preußischen Rhein
landen stehe, ob hier die Geschwornen nicht aus dem Volke
genommen würden, und ob es etwa Beamtete, angestellte Richter seien, — auf die rheinische» s. g. Correctionsgerichte
verweisen muß, die bloß aus Richter-Geschwornen bestehen
und (gegen Rückfällige) bis auf 10 Zahre Einsperrung und zugleich mehrere 1000 Fr. Geldbuße erkennen können, auch
werden überdieß zu den Geschwornen bei den Assisen aller
dings auch Staatsbeamte genommen*).
Ich bitte wohl zu
bemerken, daß ich nicht behaupte, es müsse fust so fein; mir
kommt es zunächst auf Erringung der Einrichtung in ihrem Wesen an, die Ausführung nach Maßgabe der Wesenheit findet sich dann schon.
Indessen
gestehe ich freilich, daß
Code d’instruction criminell^ Art. 982.
307 wenn der Angeschuldigte bei dem Prinzipe der Geschwornen gerichte, wo Zeder nach seiner individuellen Meinung über
die Thatfrage urtheilt, nicht ein freies und unbedingtes Rekusationsrecht gegen die Geschwornen bis zu einer gewissen Grenze haben sollte, dieß eine sehr schlimme Einrichtung sein
würde, denn schon der Gedanke, daß man sich von Personen, welchen man nicht traut oder die wol gar Privathaß, den
man nicht immer nachweisen kann,-gegen Einen hegen, soll
richten lassen, ist entsetzlich: dieß ist gerade einer der Haupt
gebrechen der jetzt bestehenden Einrichtung. Bei Dieser sollen
doch noch die Gründe, welche anzugeben sind, gewissermaßen schützen, wenngleich Das nicht viel sagen will,
da in sehr
vielen Fällen die nämlichen Gründe dem Einen für, dem Andern wider den Angeschuldigtrn vorgeblich gelten; indeß fehlt es bei dem Richter-Geschwornengericht selbst auch an
diesem Schein von Schutz gegen Willkühr.
Darum ist das
freie Rekusationsrecht unzertrennlich von dem Geschwornen gericht, folglich wird man nicht Richter-Geschwornengerichte,
bei welchen die freie Rekusation unausführbar ist, allgemein
einführen wollen.
Roch einen Umstand hebe ich hervor, der wol künftig durch eine veränderte Strafgesetzgebung von selbst wegfallen wird, aber bis dahin doch einer Berücksichtigung werth ist.
Die entmenschende Prügelstrafe, die zur Freude des Men schenfreundes so selten wie möglich von den Richtern ange wendet wird, kostet durch das beobachtet werdende Verfahren
dem Lande eine enorme Summe Geld.
Die Eriminalord-
uung schreibt nämlich im §. 261 vor, daß gleich nach der 20*
308 ersten Vernehmung die Leibes-Constitution des Angcschnl-
bißteit, und ob und welchen Grad der körperlichen Züchti gung derselbe ertragen könne, genau untersucht und beschrie
ben werden solle; und im §. 432, daß am Schluß der Un
tersuchung, wenn die zu erwartende Strafe in körperlicher
Züchtigung bestehet, die körperliche Beschaffenheit des Angcschuldigten in Rücksicht auf die Fähigkeit, die Züchtigung
ohne Gefahr zu erleiden, nochmals geprüft
werden soll.
Darunter versteht man mit Recht eine ärztliche Untersuchung.
Der Arzt erhält für jede Besichtigung auf die Person 4 Thlr. Wird nun nach dem Buchstaben verfahren, so erfolgt im
Laufe einer.langwierigen Untersuchung eine zweimalige Be sichtigung, welche 2 Thlr. für die Person kostet, und es
wird nachher gar nicht auf Züchtigung erkannt; in dem an dern Falle, wenn einmal auf Züchtigung erkannt wird, ist
man durch jene schon vor längerer Zeit geschehene Unter suchung keincsweges sicher,
daß der Sträfling die Schläge
werde ohne Gefahr für seine Gesundheit erleiden können, sondern es muß dann öfter noch
eine dritte Besichtigung
dazu kommen, wenn bis zum zweiten Erkenntniß
längere
Zeit verlaufen ist; »nd bei dieser als der eigentlich entschei denden Besichtigung zeigt sich dann eine Züchtigungsunfähig keit. Zu diesem Falle, wenn einmal auf Züchtigung erkannt
worden, sind dann 3 Thlr. umsonst ausgegeben, während in den meisten andern Fällen das Geld darum weggeworfen ist, weil gar nicht auf Züchtigung erkannt wird.
Darum
wird bei vielen Gerichten so verfahren, daß eher keine Be
sichtigung vorgenommen wird, als bis wirklich auf Züchti-
309 gung rechtskräftig erkannt worden ist, und für den Fast, daß sich dabei eine Züchtignngsunfähigkeit zeigen sollte, ist
dann allemal schon in dem Erkenntnisse
Freiheitsstrafe substituirt.
eine angemessene
Durch diese verständige Praris
wird eine bedeutende Summe Geld erspart, es geschieht dem Gesetz viel besser Genüge, und die mögliche Gefahr für die
Gesundheit des Sträflings ist viel sicherer abgewendet, weil
in der Zwischenzeit seit der am Schluß der Untersuchung vorgenommenen Besichtigung bis zur Vollstreckung der Strafe
eine dem Sachunkundigen nicht wahrnehmbare Veränderung mit ihm vorgegangen sein kann, welche macht, daß die zu gefügten Schläge lebensgefährlich werden.
Dieses Verfah
ren hat sehr vernünftige Gründe für sich und verdient all
gemein beobachtet zu werden, selbst auf die Gefahr hin, daß einmal der Sträfling auf die Besichtigung einen Tag länger warten müßte, was indeß bei ordentlichen Gefängnißanstal
ten, wo der Hausarzt alle Tage kommen muß, nicht ohne
Versehen vorkommen kann, was sich aber eben so gut auch dann zuträgt, wenn die Besichtigung am Schlüsse der Unter suchung erfolgt.
Ein Oberlandesgericht hat indeß durch eine an ein Inquisitoriat erlassene Verfügung vom Januar d. I. dieses
Verfahren verboten, und die Besichtigung vor dem Schlüsse der Untersuchung angeordnet.
Seitdem wird bei dem ge
dachten Jrquisitoriat eine Menge Geld, woran es sonst zu
nothwendigen Dingen fehlt,
unnütz weggegeben, indem der
Inquirent, um sich möglichst gegen Vorwürfe zu sichern, die köroerliche Untersuchung in allen Sachen vornehmen läßt,
310 wo die Strafgesetze überhaupt nur von der körperlichen Züchtigung reden, indem er immer nicht wissen kann, wie
erkannt werden wird. Man kann annehmen, daß unter zehn Sachen, welche, weil oft mehrere Personen darin vorkom men, 15 bis 30 Thlr. Besichtigungsgebühren kosten, vielleicht
nur eine oder zweie sind, in welchen wirklich auf Schläge
erkannt wird; und dann muß mitunter zuletzt doch noch eine Besichtigung eintreten, so daß die erste ganz und gar nutzlos ist.
311
XI.
Das Mkilitakr - Justizwefen.
Die Mängel der bestehenden Preußischen Militair-Straf
rechtspflege sind größtentheils in der schätzbareti Schrift „Andentungen zu einer Reorganisation der Preußischen Militair-
justiz, aus den nachgelassenen Papieren eines alten Militairs, von Dorow, Leipzigs 1843," und in den „Bemer kungen über die Preußische Militairgerichtsbarkeit," in Bie
dermanns deutsche Monatsschrift für Litteratur und öffent
liches Lebe», Nvvemberheft
1843, S. 401 und flg., aufge
deckt, mancherlei ist jedoch noch nicht hervorgehoben und ich unternehme es deßhalb, mit Zuhilfenahme der eigenen Er
fahrung die außerordentliche» Gebrechen der in Rede stehen den Justizverwaltung kurz zusammenzustellen und die nach meiner Einsicht zweckdienlichen Vorschläge zur Verbesserung
des Zustandes beizufügen. Die vorhin genannten Schriftsteller finden in der Mili
tair-Justiz nicht die geringste Garantie gegen die gröbsten
materiellen Rechtsverletzungen, der Verfasser der „Bemer
kungen ic.“ bei Biedermann spricht den Kriegs- und Standgerichten jede Selbstständigkeit und richterliche Würde ab und bezeichnet sie nur als ein Spielwerk in den Händen
der Auditeure, S. 403.
Dieses Urtheil ist zutreffend, denn
es muß behauptet werden, daß die Kriegs- und Standge-
312 richte überhaupt gar keine Gerichte, sondern blosse begutach
tende Militairkommando's sind, bei deren Gutachten der Au» diteur Alles thut. Das charakteristische Merkmal eines jede«
Gerichts überhaupt ist nämlich die Befähigung, ein richterliches d. h. einen Ausspruch zu thun, dessen
Urtheil abzufassen,
Kraft und Wirksamkeit von dem Willen irgend eines Andern
völlig unabhängig ist. Das können die Kriegs- und MilitairGerichte nicht, vielmehr sind sie nur befugt, bloße Entwürfe zu Urteln zu machen,
gleichwie gewisse Untergerichte die
Befugniß haben, in Criminal-Sachen, welche ihrer Competenz entzogen sind, ein Urtel zu entwerfen und dem kompe tenten Richter vorzulegen*). Kein einziges kriegs- oder stand
gerichtliches Erkenntniß hat ohne Besiättigung irgend eine
rechtliche Wirkung.
Die Bestättignng erfolgt theils von deS
Königs Majestät, theils von dem Kriegsminister, theils von
den kommandirenden Generalen, theils von den Divisions >
Kommandeuren, theils von andern Befehlshabern.
Diesen
wird ein vollständiger Vortrag mit gutachtlichen Vorschlägen
gemacht, und sie verfahren darauf nach ihrem Befinden. Das entworfene Erkenntniß kann selbst ganz bei Seite ge
legt (aufgehoben) werden, was nicht selten geschieht; doch
ist dazu alle Mal die Königliche Zustimmung nothwendig. Hieraus
erhellet, daß die Kriegs- und Standgerichts
nur uneigentlich den Namen der Gerichte führen; das eigent
liche kompetente Militairgericht oder der Richter ist diejenige
Person, welcher die Bestältigung des Entwurfs zum Erkennt-
*) Criminal-Ordnung
513.
313 niß rechtlich zustehet.
Ordentlich
organisirte wirkliche Mili-
tairgerichte bestehen so nach gar nicht.- Dieß ist ein Haupt übelstand.
Jeder Angeklagte wird endlich immer nur von
einer einzelnen Person gerichtet, die weder ihn selbst gesehen
oder angehört, noch auch die Akten gelesen hat: ste urtheilt lediglich nur nach dem ihr gehaltenen mündlichen Vortrage.
Ein zweiter Hauptübelstand beruhet in der Art und Weise, wie die Vorarbeiten für jenen, dem wirklichen Richter zu haltenden, Vortrag, nämlich die Untersuchung und die Gut
achten bewerkstelliget werden.
Dieses Verfahren ist aus einer
Reihe von Gebrechen zusammengesetzt. Die Mängel lassen
sich in zwei Gruppen scheiden: in solche, welche sich in den Zuständen und Verhältnissen der handelnden Personen fin
den, und in solche welche die Handlungen betreffen.
I. Die in einem Criminal- Prozeß gegen einen Militair handelnd auftretenden Personen sind außer dem Angeklagten:
1) Derjenige Militair-Vefehlshaber, welchem in dem Falle die Gerichtsbarkeit zusteht.
Dieser beschließt und befiehlt,
mit Zuziehung des Auditeurs oder untersuchungsführenden
Offiziers, die Eröffnung der Untersuchung. 2) Der Inquirent.
Dieser ist in allen Untersuchungen,
welche nicht von einem nur mit der s. g. niederen Gerichts
barkeit versehenen Befehlshaber angeordnet sind, ein Audi
teur; sonst ist es ein Offizier.
technischen
Von den Auditeuren, diesen
Militair - Justizhadienten,
sagen Dorow
und
Biedermann a. a. O., es sei für einen großen Mißgriff
zu halten,
daß die Anstellung und Beförderung
derselben
fast ganz allein in den Händen des General-Auditeurs ruhe,
314 der dadurch ein höchst gefährliches Uebergericht über die ihm untergeordneten
Beamten
erhalte, was von umsogrögerem
Einfluß sein könne, als er, als Dirigent des General-Auditoriats,
bei Revisionen,
bei
Anfrage»,
bei
zweifelhaften
Rechtsfällea, bei Auslegungen der Gesetze», s. w. eine ent scheidende Stimme habe.
Ausser den Rücksichten, welche die
Auditeure gegen den General-Auditeurzu beobachten haben,
wären sie auch noch genöthigt, sich mit ihren militairischen Vorgesetzten auf einen guten Fuß zu stellen, da sie zu dem
selben in einem Subordinationsverhältniffe ständen und selbst dann
einen
unbedingten
Gehorsam zu
leisten verpflichtet
wären, wenn der Gerichtsherr Anordnungen treffe, welche die bestehenden
Gesetze wesentlich verletzen.
Der Auditeur
sei also nicht einmal, wie der Patrimonialrichter, eine selbst ständige Gerichtsperson, sondern er sei nur das willenlose
Werkzeug in der Hand des Gerichtsherrn, der, mit den Gesetzen unbekannt, vielleicht aus Laune und Partheilichkeit
dagegen fehle, und dessen Befehl der Auditeur sich unbedingt zu fügen habe, da ihm in solchen Fälle» kein anderes Mit
tel, als ein Recurs an das Generalauditoriat übrig bleibe.
Da dergleichen Conflicte zwischen den Auditeuren und ihren
Gerichtsherren nickt gern gesehen würden,
so suche man
denselben, wenn sie häufig vorgekommen seien, durch Ver
setzung der betreffenden Auditeure für die Zukunft vorzu beugen, und Dieß sei ein Mittel mehr, um einen Auditeur
gegen den Willen seiner Vorgesetzten nachgiebig zu machen, wenn er vielleicht aus Familien- und Privatrücksichten einen Garnisonwechsel nicht wünsche.
Diese Nachgiebigkeit werde
315 aber auch noch dadurch vermehrt, daß selbst die Besoldung der Auditeure nicht nach festen Grundsätzen geregelt, son
dern der Willkübr überlassen sei, und di« Gehaltserhöhungen nicht immer an das Dienstalter gebunden seien, sondern von den Vorschlägen abhingen, welche das Auditoriat dem KriegS-
ministerium in dieser Beziehung mache. Da der Gerichtsherr über die ihm beigegebenen Auditeure auch geheime Condui-
tenlisten einreiche, so sei die Stellung der Auditeure eine so unangenehme, so vielfach beschränkte, daß es nicht Wunder
nehmen könne, daß sich befähigte, selbstständige Männer, die von dem Gefühle der Unabhängigkeit der richterlichen
Würde
durchdrungen seien,
nicht gern
der militairischen
Praxis widmeten, und daß in der Armee, trotz der Cabinetsordre vom 26. August 1829, welche eine höhere wissen
schaftliche Befähigung für die Auditeure vorschreibt, noch immer ein
Vorurtheil gegen die Brauchbarkeit
derselben
bestehe." — Hiermit bin ich völlig einverstanden. Die Audi teure sind wesentlich nichts anderes als die Sekretaire der Gerichtsherren, wozu sich befähigte Männer nicht gern her geben mögen. Die untersuchungsführenden Offiziere werben ganz nach
Willkühr des Gerichtsherrn zu ihrem Geschäft berufen und davon wieder entfernt, und bleiben in einem streng dienst
lichen Subordinationsverhältnisse.
Biedermann a. a. O.
S. 406 fügt hier bei, daß diese Offiziere mitunter aus Pri«
vatrücksichten, um ihnen vielleicht, wenn sie verschuldet oder verheirathet sind, eine kleine Zulage zu verschaffen, erwählt
werden, und daher mitunter weder durch ihre Bildung noch
316 durch ihre Charakiereigenschasten dazu befähigt sind.
In
vielen Fällen beauftragen die Gerichtshcrren ihre Adjutanten
mit dem Justizdienst.
Diese Offiziere sind mithin in allen
Fällen bereitwillige Vollstrecker des Willens ihres Gerichts-
Herrn und Vorgesetzten. 3) Die Gutachter, nämlich die sogenannten Richter bei den Kriegs- und Standgerichten.
Diese sind Alle Militair-
Personen, bis auf den Auditeur, wenn der Fall einen sol chen erfordert.
Was bei Biedermann a. a. O. in Bezie
hung auf diese Gutachter gesagt wird, bedarf keiner weitern Bekräftigung noch Ausführung.
Es heißt S. 402: „ man
kann sich kaum etwas Widernatürlicheres denken, als
von
rechtsunkulidige», zum Theil völlig ungebildeten Richtern zu
verlangen,
daß
sie
die feinen Unterscheidungen
erkennen
sollen, welche die Bcweistheorie erfordert, welche Letztere ordentliche und außerordentliche Strafen, völlige, vorläu fige und Freisprechungen aus Mangel an Beweisen mit sich
führt.
Es werden bei den Preußischen Kriegs- und Stand
gerichten an die Urtheilskraft rechtsunkundiger, ungebildeter Richter Anforderungen gemacht, die selbstJuristen von Fach nur
mit Schwierigkeiten zu lösen vermögen, und diese Schwierige
leiten noch dadurch erhöht, daß das Richterpersonal ludji nur über die verschiedenen Nüancirungen der Schuld oder
Unschuld der Jnkulpaten zu entscheiden hat, sondern daß et auch nach den Bestimmungen der verschiedenartigsten Rechts-
bücher, nach unzähligen Kabinetsordern, Declarationen, Oll servanzen, Reskripten, ja selbst, in manchen Fällen, nacl
alten, außer Kraft gesetzten Reglements das Urtheil finde»
317 Aid das Strafmaß bestimmen muß".
S. 410 wird als
traurige, die Würde des Gerichts herabsetzende Erscheinung, welche man bei den Kriegs- und Standgerichten leider so oft sehe, mitgetheilt, daß einfältige Rekruten, weil man sie
vielleicht noch nicht in die Parade einstellen will, vorzugs weise zu Gerichtsbeisitzern kommandirt werden. Ist es nicht eine ungeheure Ironie, von solchen Perso
nen ein Rechtsgutachten zu erfordern: wie gegen einen An geklagten zu erkennen sei?
Weiterhin wird sich zeigen, wie
es damit geht.
II.
Die Handlungen, durch welche ein solches Rechts
gutachten vorbereitet und zu Wege gebracht wird, oder daS Verfahren ist folgendes:
1) Die Untersuchung wird geheim, nach den Vorschriften der Criniinalordnung von 1805 geführt,
aber wie?
Die
Untersuchungen der Eivilgerichte sind hiergegen ein wahres Paladium der Unschuld und des Rechts.
Bei den c vilge-
richtlichen Untersuchungen besteht doch das Gericht aus zwe Gerichtspersonen,
von welchen die Eine der Andern die
Aussagen der eben vor Gericht stehenden Personen laut in die Feder diktirt, so daß die vernommene Person kontroli-
ren und den Abweichungen, Ungenanigkeiten oder Unvoll ständigkeiten auf der Stelle entgegentreten kann.
Bei den
Militairgerichten aber ist der Auditeur, dem nur ein oder
zwei Offiziere als Beisitzer zugeordnet werden, ganz allein
thätig bei der Nicderschreibung der Aussagen.
Run denke
man sich eine mehrere Stunden dauernde Vernehmung, bei welcher der Auditeur still für sich das Protokoll schreibt,
318 und zuletzt die nicht selten rasche und undeutliche Ablesung des bogenlangen Protokolls, welche Ablesung, wie wohl zu
merken, eben Derselbe, der das Protokoll geschrieben hat,
verrichtet, ohne daß ein Anderer sieht, was wirklich darin steht.
Frage: welche Sicherheit gibt es hier dafür, daß das
Protokoll ganz genan die Aussage der abgehörten Person,
nicht mehr und nicht weniger und auch unverändert enthält? Ist eS nicht entsetzlich, zu wissen, daß von derartigen, von abhängigen und nicht immer ausgezeichnet befähigten Per»
fönen
anfgenommenen Protokollen Ehre,
Leben, Freiheit
und Vermögen, kurz alle irdischen Güter abhängen? Und nun muß
mungen,
man erfahren haben, selbst
ohne alle
wie dergleichen Verneh
Böswilligkeit, ausfallen.
wenn nun erst der Wille als Factor dazu kommt!
Und
So ein
Inquirent kann, unter gegebenen Umständen, einen Feder
strich machen und mit dem „alten guten Gottlieb Cooke"
sagen: „nun ist er todt!" Ein Vertheidiger, welcher wegen der Gefährlichkeit des Verfahrens für seinen eines Capital
verbrechens grundlos angeschulbigten und voreilig zur Cri-
müialuntersuchung gezogenen Clienten einigen Vernehmungen
beiwohnte, führte darüber Beschwerde und sagte unter An dern Folgendes:
„ Die Protokolle sollen ein treues Bild von dem Hergänge bei der Vernehmung und von dem Benehmen der erzählen
den Personen geben, damit der erkennende Richter, welcher
bei dem geheimen und schriftlichen Verfahren die sprechenden und handelnden Personen nicht selbst sehen und höre» kann,
doch einigermaßen in den Stand kommen soll, sich die Zeu-
319 gelt und Angeschuldigten in ihrem Benehmen bei ihren Aus sagen vorznstellen. Zu diesem Zwecke soll der Inquirent:
a) nach §. 320 der Criminal - Ordnung eine zusammen hängende und umständliche Erzählung abfordern und getreu
und vollständig, auch soviel möglich mit des Zeugen eigenen
Worten niederschreiben, und sodann über erhebliche Umstände
noch spezielle Fragen
vorlege» und züederschreiben, hier-
nächst aber b) nach §. 326, wenn sich tu der Aussage auf die vor
gelegten Fragen ei» Widerspruch mit Demjenigen, was er etwa schon zuvor in der summarischen Erzählung bekundet hat, zu äußern scheint, Vorhaltungen darüber mache», und
die Antworte» darauf ebenfalls in das Protokoll nieder schreiben; und
c) nach §. 320, in keinem Falle Suggestiv-Fragen, d. h. Fragen, worin die Antwort schon liegt (gewöhnlich solche, worauf bloß mit Ja oder Nein geantwortet zu werden braucht),
oder verfängliche Fragen vorlegen. Wird so verfahren, so wird in der Regel jedesmal aus
dem Protokolle doch einigermaßen zu erkennen sein, in wie fern der Abgehörte geordnete Vorstellungen
hat und nach
Maßgabe seiner Fassnngsgabe glaubwürdig sein kann. Die Methode des Herrn Inquirenten weicht hiervon ganz ab.
Er fährt den Zeugen mit den speciellen Fragen mitten
durch die summarische Erklärung, ohne Beides niederzu schreiben, und unterbricht sie; er combinirt aus dem Da
zwischenfragen und den darauf erhaltenen meistentheils aus
Ja und Nein bestehenden Antworten eine zusammenhängende
320 Erzählung in einem wohlgeordneten blühenden
abgerundeten Sätzen und Perioden.
Styl mit
Ich berufe mich auf
die Protokolle: ob darin der natürliche schlichte und einfache Vortrag, wie er Leute aus der niedern Volksklasse eigen
ist, von einem einzigen Zeugen aus dieser Klasse zu finden ist.
Diese Methode ist jedoch höchst gefährlich,
denn die
Aussagen verlieren ihre ursprüngliche Natur und nehmen
eine fremde Färbung nach den Voraussetzungen oder Mei» nungen des Uebersetzers an.
Hiervon könnte ich eine An
zahl Beispiele aufzählen; ich beschränke mich aber auf We
niges : 1) Soviel ich errathen habe, ist der Umstand erheblich: ob es in dem abgebrannten Schafstall bei Tage dunkel und
wie dunkel gewesen; je dunkler je günstiger für die Verthei digung des Angeschuldigten.
Der Zeuge O. sagte auf die
Nachfrage nach der Art des Lichts im Stalle:
„es war
sehr dunkel", und auf mehrmals wiederholte Frage wieder
holt: „es war sehr dunkel."
Es wurde aber immer die
Frage wiederholt: wie dunkel es gewesen; worauf der Zeuge denn auch einmal sagte: „es war ziemlich dunkel."
Nun
aber steht in der zusammenhängenden Erzählung, wie man
sie im Protokoll liesst, nicht, was der Zeuge mehrmals ge sagt hatte: „es war sehr dunkel", sondern nur, was er endlich auch einmal gesagt hatte: „es war ziemlich dunkel."
2) Derselbe Zeuge antwortete auf die Nachfrage:
wie
die Beleuchtung des Schafstalles in der Nähe der Thüre, wenn
diese
Worten:
offen
stand,
beschaffen gewesen,
mit diesen
321 „da war es in der Nähe der Thüre hübsch hell, aber
nach den Enden blieb es doch dunkel." Hieraus ist in der schön stylistrten Erzählung geworden: es war ganz hell u. s. w.
3) Die Zengin G-, erheblich
scheinenden
die einzige Person,
welche
einen
Umstand gegen den Angeschukdigten
behaupten will, welche aber nach der Behauptung des Letz-
lern eine falsche Zeugin ist und mit dem Angeber unter einer Decke spielt, — diese Zeugin wurde am 9. d. M., und nachher nochmals am 11. d. M. vernommen.
Am 9. be
hauptete sie: die Thüre, durch welche der Angeschuldigte in den Stall gegangen, habe offen gestanden, und daher habe sie denselben, im Stalle mit dem Schäfer sprechend, stehen
sehen.
Am 11. aber sagte sie aus: sie wisse nicht, ob die
Thür, durch welche der Angeschuldigte in den Stall gegan gen, offen gestanden habe, oder nicht. Es ist von höchster Wichtigkeit, die Unglaubwürdigkeit
dieser Person durch ihre eigenen Widersprüche, in welche sie
sich verstrickt, nachzuweisen.
Der Widerspruch wurde ihr
also zur Erklärung vorgehalten.
Aber wie verfuhr der In
quirent dabei? Als die Zeugin auf die Vorhaltung stockte und um die Antwort verlegen war, dann aber sagte: sie wisse es nicht mehr, es sei schon so lange her, da sagte der Inquirent, welcher der Meinung zu sein schien, als sei es
seine Aufgabe, den Widerspruch befriedigend und unbescha det der Glaubwürdigkeit aufzulösen, zu der Zeugin:
Was wissen Sie nicht mehr, wissen Sie nicht mehr:
ob dqs ganze Thor mit beiden Flügeln, oder ob nur 21
322 Ein Thorflügel, oder die in dem tüten Flügel befind liche kleine Tl'üre offen war? Auf diese der Zeuge« sehr willkommene Suggestiv-Frage
antwortete sie alsbald mit einem lauten Ja. Diese Auflösung des
Noch mehr.
Widerspruchs wollte er sogar durch
AuSstreichung und Einschaltung im Protokoll an der betref fenden Stelle bewirken, so daß, wenn dieß geschehen wäre, nicht einmal das Dasein des Widerspruchs aus den Akten zu
erkennen gewesen wäre. Erst auf meine Protestation hiergegen trug er die Erläuterung iw Protokolle nach; aber auf welche
Weise die Erläuterung entstanden, und die von dem Inqui renten vorgelegte Suggestiv - Frage ist nicht in das Pro
tokoll viedergeschricben worden.
Es ist nicht bloß eine Befugniß, sondern die Schuldigkeit
des Vertheidigers, darauf zu wachen, daß die Aussagen vor schriftsmäßig zu Protokoll genommen werden.
Dieser Pflicht
gemäß wollte ich mir am 9. Juni, bei Vernehmung der Zeu gin W., einen Antrag in Beziehting auf das Protokoll er
lauben,. ich hatteiedoch denselben eben erst begonnen und meint
Gedanken noch lange nicht vollständig ausgesprochen, als ich von dem Inquirenten schon durch den Bescheid unter brochen wurde: das Protokoll geht Sie nichts an, das ist meine Sache.
Ganz natürlich war ich darauf ganz still, weil gegen ei
nen abweisenden Bescheid für den Augenblick nichts zu thun ist, sondern auf dem gesetzlickM Wege Remedur gesucht werbett muß; der Inquirent war aber nach ausdrücklicher Vor schrift der Eriminal-Ordnung §. 39, wo es heißt:
32S „ Damit das Verfahren des Richters vollständig übersehen und geprüft werden könne, muß über Alles, was ;»m
Zwecke der Untersuchung verhandelt wird, jederzeit und ohne Ausnahme ein Protokoll ausgenommen werden, "
verpflichtet,
zu solchem Zweck mein Ansuchen und seinen
Bescheid in das Protokoll zu schreiben.
DaS hat er wieder
nicht gethan, und ich habe nachträglich, um es wenigstens aus den Akten ersichtlich zu machen, durch Verweigerung
meiner Unterschrift erst einen Vermerk darüber erzwingen müssen.
WaS an jenen Bescheid sich nun noch anreihete, das will
ich, weil es mir nur auf die Sache ankommt, so lange über gehen, als es im Jntertsse der Sache und der Vertheidigung nicht nothwendig wird, von Uebereilungen und Persönlichkeiten
Gebrauch zu machen." 2.
schwert.
Die Vertheidigung
wird nach der Möglichkeit er
Bei keinem Verfahren in der Welt ist dem An
geschuldigten ein Vertheidiger nothwendiger als gerade bei
den militairgerichtlichen Untersuchungen;
aber selbst
diese
einzige Beruhigung wird ihm nicht vollständig und nicht mit
derjenigen Freiheit, wie sie eine ordnungsmäßige Verthcidignng erfordert,
gewährt,
gleichsam als wollte
man
die
Rechtlosigkeit des Menschen, der das große Unglück hat, vor ein Militair- Gericht gestellt zu werden, möglichst voll kommen machen.
Wegen gemeiner Verbrechen und Vergehen gelten hin
sichtlich der Vertheidigung die Bestimmungen der Crimiual-
Ordnung ; es soll mithin,
nach der Vorschrift, dem Ange21*
324 schuldigten die Wahl eines Vertheidigers, von Anfang der
Untersuchung, freistehen, und ein solcher Vertheidiger hat
dann die Befugniß, sich zu allen Zeiten mit dem Augeschuldigten zu untergeben und den Vernehmnugeli beizuwohnen. Zn der Anwendung ist es jedoch ganz anders.
Der Fall
mag wol überhaupt unerhört fein, daß eine angeklagte Militairperson von der gesetzlichen Befugniß, sich von Anfang
einen selbstständigen, unabhängigen Vertheidiger zu wählen, Gebrauch macht, zumal wen» sie zum Stande der Unter offiziere und Gemeinen, die schon wegen des Subordinations
verhältnisses keine vollkommene Willensfreiheit haben, gehört;
allenfalls mag es Vorkommen, daß ein angefochtener Offizier
diesen Schein von Schlitz ergreift.
Ereignet sich ein solcher
Fall, so ist es dem Auditeur, dem dieß vielleicht zum aller
ersten Male in seinem Leben passirt, höchst zuwider, das
Verhältniß ist ihm ungewohnt, er sieht, zumal wenn seine Befähigung manches zu wünschen übrig läßt,
den Verthei
diger für seinen natürlichen Feind an, tritt ihm von Anfang
taktlos und feindlich entgegen, verhindert so viel wie möglich,
sich in die Karte sehen zu lassen und ihm zu folgen, nimmt die Anträge und Gesuche des Vertheidigers schief auf und sucht den lästigen Zeugen allenfalls durch Anzüglichkeiten,
wo
nicht gar durch grobe Beleidigungen, ganz zu entfernen oder
doch abzuhalten.
Hierzu bringe ich einen Belag und bitte,
mir zu erlauben, die Beschwerde eines Vertheidigers über den Auditeur in einem solchen Untersuchungsfalle mitzu-
theilen:
„Die Untersuchung wider den NN., welche in ihrer An-
325 läge wie in ihrer bisherigen Behandlung eine Merkwürdig
keit der geheimen schriftlichen Znquisitionsprariü ist und kei nen ungewichtigen Beitrag zur Lehre der Gemeinschädlichkeit und Gefährlichkeit des geheimen schriftlichen Verfahrens zu liefern verspricht, wird in einer Art geführt, daß der An
geschuldigte zu Beschwerden genöthigt ist; und ich bin alS sein Vertheidiger verbunden, diese Beschwerden »ach seinem
Auftrage schon jetzt aktenmäßig zu mache» und zur Remedur
anzubringen;
denn
Pflicht gemäß, um nicht allein
ich will und
werde,
meiner heiligen
kein erlaubtes Mittel unangewendet lassen, die durch die bis dahin ungerechtfertigte
Einleitung einer solchen Untersuchung angetastete Unbeschol tenheit des Mannes zu retten, sonder» auch die Reinbeit
und Klarheit seiner Unschuld vor einem trübenden Anhauch, wo möglich, zu schützen.
I. Schon vor den am 9. und folgende Tage in B. und S. stattgefnndenen Zeugenverhören hat sich
ein Vorurtheil
hier in R. dadurch geltend zn machen gesucht, daß mit be
denklichen Mienen einzelnen Personen insinuirt worden, lägen sehr gravirende Umstände wider den
Akten vor.
es
RN. in den
Durch diese unerlaubten Insinuationen einsei
tiger Meinung oder Ansicht wird auf die öffentliche Mei
nung zum Schaden und Nachtheil meines Defendendus influirt, und möglicherweise können selbst seine künftigen Richter ganz unbewußt von diesem in Umlauf gebrachten angeblichen
Akten - Inhalt,
der
mir,
seinem
Vertheidiger,
bisher
auf das Sorgfältigste verheimlicht worden ist, eingenommen
werden und sich ein Urtheil bilden, welches wider Wissen
326 und Wollen ihrem künftigen Ausspruch eine Färbung gibt. So lange es nicht durchaus nöthig wird, will ich keine Per«
soncn nennen, welchen derartige Aeußerungen zugegangen sind, auch nicht die Quelle bezeichnen, aus welcher sie ge
flossen, weil ich sorgfältig jede Persönlichkeit vermeiden will
und nur die Sache verfolge, diese aber auch verfolgen muß.
II. Der Angeschuldigte beschwert sich über die große kangsamkeit und Verzögerung der Untersuchung.
In den
drei Tagen vom 10. 11. und 12. d. M. sind in B. und S.,
außer der Besichtigung der unbedeutenden Localität, nur 7 Zeugen sich müßte mich irren, wenn es 8 wären) vernom
men worden; und obwohl noch mehrere Zeugen oder Personen daselbst sind, welche vernommen werden sollen, so hat der Untersuchungsrichter doch die Untersuchung abgebrochen, ist
zurückgereist und beabsichtigt,
nach seiner Aeußerung, die
weite Reise dahin nach einiger Zeit wieder zu machen. Dazu
ist in der Sache durchaus kein Grund; nach der Versicherung des Angeschuldigten aber hat der Untersuchungsbeamte diesen Plan schon von Anfang gemacht und zwar aus Gründen,
die den Angcschnldigten sehr frappirt haben, und welch« er mir zu dem Zwecke mitgetheilt hat, anznzeigen.
um sie zu den Akten
Dieses will ich mir für den Fall vorbehalten,
wenn mein unten folgendes Perhorrcscenzgesuch abgeschlagen werden sollte.
III. Der Untersuchungs-Richter erschwert die Vertheidi gung gegen Humanität und Recht dadurch, daß er mir ver weigert hat, mich durch Einsicht der Akten, selbst in seiner
und der Herren Beisitzer Gegenwart, zu infvrmiren.
Die
327 Criminal - Ordnung schreibt zu
dem Zweck, um den Ange
schuldigten gegen die Gefährlichkeit deö geheimen schriftliche»
Verfahrens an sich, und gegen die noch größere Gefährlich
keit, welche darin liegt, daß ein einzelner Mensch (der In quirent) das Ganze in seiner Hand hat und die Aussagen
der
seine
durch
Personen
Auffassung
und
Uebertragnng
durchgehen, doch Ein, wenngleich unzureichendes Mittel zu
geben, im §. 433 vor, daß der Angeschuldigte sich einen Vertheidiger wählen und dessen Zuziehung bei der Verneh
mung über die Species facti,
oder bei dem
artiknlirten
Verhör und bei Vernehmung der Zeugen verlangen, und
sich mit demselben über die Vertheidigungsmittel
Diese Unterredungen nun sind durch
unterreden könne.
aus
nicht an
einen gewissen Termin gebunden,
vielmehr
können und müssen sie zu allen Zeiten und so oft stattfinden, als es der Angeschuldigte und der Vertheidiger für nöthig
oder zweckdienlich hält.
richten
niemals
Zweifel sein.
Darüber ist bei den Criminal-Ge-
Zweifel gewesen und kann auch kein
ein
Wie in der Wirklichkeit darüber bei den Ge
richten gedacht wird, drückt der bekannte Commentator der Criminal - Ordnung, Pa a lz ow, Bd. II, S. 351 mit fol genden Worten aus:
„Die Unterredung des Vertheidigers mit dem Ange
schuldigten ist ein sehr wesentliches Stück der Unter suchung, denn es geschieht öfters, daß die zu deö Jnkulpaten Vertheidigung
vorzüglich
dienende Umstände
entweder gar nicht, oder doch nur mangelhaft aufge nommen sind.
Sowohl der Richter als der Beschnldigte
328 können zu diesem Mangel Gelegenheit gegeben haben.
Der Richter hat sich
vielleicht aus
Unverstand
oder
Bosheit nur um Dasjenige bekümmert, was den An geschuldigten gravirt, von welchem ungerechten Verfah
ren die Verhöre der Zeugen und des Beschuldigten nicht selten deutliche Merkmale geben.
Er kann die im Ge
richte wirklich vorgekommenen, dem Jnquisiten Vortheil hafte Umstände nicht haben registriren lassen; er kann
andere Nullitäten begangen haben, davon qber in
den Akten keine Spur zu finden ist. — Zu Ab
hebung dieser Mängel soll die Unterredung mit dem Defensor dienen, und es ist also klar, daß sie nicht bloß an den Schlußtermin gebunden werden kann, sondern daß sie so oft geschehen muß, als es der Angeschuldigte
verlangt —".
Um den Zweck der Unterredung zu erreichen, ist wesent
lich erforderlich, daß der Defensor die Sache kennen muß,
und deßhalb macht es ihm die Criminal-Ordnung §. 451 zur Pflicht, sich zur Unterredung durch das Lesen der Ak
ten vorzubereiten, zu welchem Ende ihm solche von dem Richter
vorgelegt und sogar,
wenn
der Vertheidiger ein
öffentlicher Beamter ist, ins Hans verabfolgt werden sollen.
Dieses Alles steht im §. 451 wörtlich. Dessenungeachtet hat sich der Auditeur N. erlaubt, mir die Einsicht der Akten zu verweigern, ja er hat mir — was er aber nicht in das Pro tokoll geschrieben hat — sogar gesagt: es sei Sache des An geschuldigten, mich zu informiren.
mich informiren,
der selbst
Der Angeschuldigte soll
die Akten
nicht
kennt
und
329 keinen Ueberblick hat! Der Herr Auditeur meint: die Ein sicht der Akten Seitens des Vertheidigers sei noch zu früh.
Dieses mag er aus dem §.451 entnehmen wollen, wo es heißt: „Zu dem Unterredungstermine muß sich der Ver
theidiger. durch das Lesen der Akten vorbereiten rc.," und er scheint sich zu denken, daß weil er keinen Unterre-
dungstermin angesetzt habe, auch die Unterredung nicht nöthig sei.
Der Herr Auditeur hat außer Acht gelassen, daß diese
Bestimmung den Fall voraussetzt: wo
der Ange sch ul«
digte eingesperrt ist, und wo also, wenn eine Unterre
dung vor sich gehen soll, erst der Antrag dazu gemacht und eine Zusammenkunft veranstaltet (ein Termin dazu angesetzt) werden muß.
Wäre der Angeschuldigte verhaftet und hätte
mich, seinen Vertheidiger, vor dem Zeugenverhör sprechen
wollen; so wäre es Pflicht und Schuldigkeit des Richters gewesen, zur Zusammenkunft (Unterredung) eine Zeit (Ter
min) zu bestimmen, und es wäre eben so seine Schuldigkeit gewesen, mir zur Vorbereitung dazu die Akten ins Hans zu schicken. Nun aber, da der Angeschuldigte nicht eingesperrt
ist und er keine» besondern Termin zur Zusammenkunft mit
seinem Vertheidiger bei dem Richter zu ertrahiren nöthig hat — nun soll die Unterredung ohne Vorbereitung des Ver
theidigers geschehen müssen?
Wäre das logisch
so müßte
ja besonders der Unschuldige seine Einsperrung als eine
Wohlthat
erbitten,
damit ihm nur die Möglichkeit
gehörigen Vertheidigung zu Theil würde.
einer
Es wäre über
flüssig hierüber noch Worte zu machen; ich werde den noch
330 nie vorgekommenen Vorfall noch besonders zur Kenntniß deS Hochlöbl. General-Auditoriats bringen; hier aber muß ich
ihn zu dem Zweck vortragen, um gleich hervorzuheben, daß wegen der mir vorenthaltenen Information Vieles, was dem
Angeschuldigten günstig ist, bei Vernehmung der Zeugen unerörtert geblieben, Anderes aber, was zn seinem Nach theile ausgelegt werden könnte, als anscheinend gleichgültig und unerheblich nicht berichtigt und näher erklärt worden
ist. Dahin gehört unter Anderm ein Umstand, bezüglich auf die verbrannten Schafe, angeblich 126 an der Zahl. Der
Schäferknrcht IL und der sehr beschränkte Schäferjunge G. geben an, diese 126 Stück wären einige Zeit vor dem Brande aus der übrigen Heerde ausgebrackt (ausgewählt) und in eine Abtheilung für sich gebracht worden. Daraus sind denn
in den Protokollen „ Brackschafe", die bestimmt gewesen wären, immer im Stalle zu bleibe», geworden, worunter
man im engern Sinne das zur Zucht untauglich gewordene Vieh, welches man abschaffen oder los werden will, versteht;
im Allgemeinen aber noch' etwas Anderes. Wegen der mir
fehlenden Information konnte ich nicht wissen, wo das hin
aus sollte. Nach beendigtem Verhör erfuhr ich ganz zufällig, daß zur Zeit des Brandes das Brackvieh schon verkauft, und gar kein Brackvieh mehr vorhanden war. Dadurch auf
merksam geworden auf jene Aussage, brachte ich in Kenntniß:
1) daß nach den Wirthschafts- und Schäferei-Rechnun gen das sogenannte Brack- oder Mcrzvieh schon im
Sommer ausgebrackt und auch verkauft worden,
2) daß von dem sogenannten Ausbracken, welches nicht
331 lange vor dem Brande stattgefunden haben soll, dem
Beamten sowenig wie dem Angeschuldigten Etwas be# sannt geworden ist und, wen» es wirklich stattgefunden hat, von dem Schafmeister ldem Denuncianten) zu ei
nem ökonomischen Zwecke geschehen ist, 3) daß diese in einen besonderen Haufen gebrachten Schafe
nicht im Stalle behalten, vielmehr wie die übrigen Hau fen bei Tage geweidet worden sind und an dem Tage des Brandes eben als das Feuer ausbrach eingetrieben worden waren, während die übrigen Schaafe, unter wel
chen sich nach dem Zeugniß des U. ausgesuchte schlechte Mut tern befanden, auf dem Rückwege noch geweidet wurden. Dieses kann der Beamte O. bezeugen und beziehungsweise
durch die Rechnungen
nachweisen.
Wären mir die Akten
nicht vorenthalten worden, so hätte ich auf der Stelle eine
bestimmtere und speziellere Vernehmung des U. darüber in Antrag bringen und solchergestalt auf der Stelle diesen Um stand in das wahre Licht
setze»
lassen können.
Ich kenne
zwar den Zusammenhang, in welchen dieser Umstand in dem Gewebe der Denunciation gebracht worden sein mag, noch nicht, ich vermuthe aber, daß darauf eine der Combinationen des rachgierigen und eigennützigen Denuncianten beruhet. Ist
diese Voraussetzung richtig, so muß ich darauf bestehen und darauf antragen: „diesen
Umstand durch nochmalige Vernehmung
der
Zeugen U. und G. und durch Vernehmung des Beam ten O., sowie durch Einsicht der Rechnungen gründlich und vollständig auszumilteln."
332 Um diesen, dem Auditeur gar sehr unangenehmen Verthei
diger zu beseitigen, war an das General - Auditoriat geschrie ben und vorgeschlagen worden,
daß dem Vertheidiger der
Zutritt zu den Vernehmungen ferner nicht gestattet würde.
Man hatte, zur Motivirung dieses Vorschlags einseitig in die Akten geschrieben nnd vorgetragen: der Defensor habe sich erlaubt,
den Auditeur über die Ordnung in welcher
die Zeugen abzuhören seien, ob eidlich oder informatorisch —
über die formelle Fassung des Protokolls instruiren und ihm Anleitung geben zu wollen, selbst unmittelbar in sein Amt
eingegriffen,
das
Zeugenverhör
unterbrochen,
selbst
die
Zeugen mehrfach befragt, und dadurch— wie es dem Auditeur angeblich geschienen, eine Zeugin zu verwirren gesucht, ihn
selbst persönlich über die Achsel angesehen. Diesen sachlichen
Bemerkungen folgte dann noch eine Reihe persönlicher Be leidigungen.
Dem General-Auditoriat ward vorgestellt, daß
wenn dem Vertheidiger ferner die Gegenwart bei den Ver
hören gestaltet würde, er jedes Mal sogleich dem Angeschul digten Alles hinterbringe», und Dieser dann neue Weiter
ungen veranlassen nnd die Sache in die Länge ziehen würde. Jedenfalls möchten dem Vertheidiger die Akten vorenthalten
werden.
Auf diese» einseitigen Vortrag antwortete das Ge
neral - Auditoriat Folgendes:
„Zn der Untersuchungssache wider den RR. erwiedern wir Einer rc. auf das gefällige Schreiben vom 3. d. M. bei Wiederanschluß der uns mitgetheilten 6 Vol. Act. und des
Schreibens des Auditeur N. vom 2. d. M. Folgendes ergebenst: Was zuvörderst die Frage betrifft: ob der von dem
333 Angeklagten erwählte Defensor noch weiter bei Abhörung
der Zeugen zugezogen werden dürfe?
so läßt der Inhalt
der §§. 318 und 340 der Criminalordnung keinen Zweifel
darüber, dem Defensor zu gestatten, daß er bei der Verneh mung ingleichen bei der Vereidigung der Zeugen anwesend sei.
Die Criminalordnung beschränkt jedoch den Vertheidiger
lediglich auf die Befugniß seiner Gegenwart bei diesen Ver
handlungen; die Einmischung in das Verhör selbst, oder
Einreden gegen die Verfahrungsweise des Inquirenten kön nen nicht gebilligt werden; letzterem stehl unbedenklich daS
Recht zu, dergleichen nicht zu dulden, vielmehr den Defen sor
damit
Ermessen
jurückzuweisen überlassen,
und es bleibt lediglich
ob und
seinem
wie weit er Anträge
des
Vertheidigers, welche am Schlüsse eines ZcUgenverhvrs etwa
gemacht werden,
nöthig erachtet.
für erheblich und zu berücksichtigen für
Der Inquirent hat sein Hauptaugenmerk
streng auf die Wahrheit zu richten, und dieselbe mit gleicher Gewissenhaftigkeit zu erforschen, möge sie für den Angeklag ten nachtheilig oder vortheilhaft sein.
Die eigentliche Thä
tigkeit des Vertheidigers aber ist erst mit dem Schlnsse der
ganzen Untersuchung zulässig, auch dürfen demselben, wenn
der Angeklagte,
wie im vorliegenden Fall, nicht verhaftet
und ein besonderer Unterredungstermin vor Gericht nicht erforderlich ist, erst nach dem Schlußvcrhör die Akten jedoch
ohne von deren Inhalt etwas zu sccretirru, vorgelegt oder
mitgetheilt werden. (§§. 422. 430. 451. 452. 454 a. a. C.) Was sodann die zweite Frage" u. s. w.
Die Angaben deö Vertheidigers aber lauten darüber ganz
334 anders.
In der an das General-Auditoriat eingereichten
Denkschrift heißt es mit Bezug darauf: „Die faktischen Behauptungen (des Auditeurs) sind
theils ganz unwahr, theils entstellt und verdreht:
das
Wahre davon ist, daß ich als Defensor Anträge und Erklärungen gemacht habe,
damit sie sollten mS
Protokoll geschrieben werden, welches zu verlangen nicht
bloß meine Befugniß, sondern meine Pflicht war.
Der
Inquirent aber hat sie nicht protokollirt, wie er hätte thun müssen, und wir auf meine Anträge auch keinen
aktenmäßige« Bescheid gegeben,
ebenfalls hätt«
damit das erkenuende Gericht
geschehen müsse»,
Borträge
was
und das Verfahren zu prüfen im
sein konnte."
die
Stande
Und:
„ Im Interesse
der Wahrheit
und Vertheidigung
machte ich einige Anträge, die der Inquirent jedoch
so wenig als solche fachlich würdigte, daß er vielmehr,
statt darauf ordnungsmäßig Bescheid zu geben und den Bescheid aktenmäßig zu machen, in Leidenschaft gerieth
und in Persönlichkeiten ausbrach.
Da es mir lediglich
um die Sache zu thun war, nahm ich davon gar keine
Notiz, und erwirkte nur, durch Versagung der Unter
schrift, wenigstens soviel, daß doch Einiges zu Protokoll
genommen
und
dadurch- urkundlich
gemacht
wurden
Dieses nun ist dem Auditeur N. Veranlassung gewesen, mich in den Akten zu injuriiren."
Durch diese Beläge wird die Behauptung bei Bieder mann a. a. O., daß die Vertheidigung Schwierigkeiten finde,
335 und daß man dem Vertheidiger die Akren vorenthalte, be«
stättigt.
Auch das Generalauditoriat ist nach seinem Be
scheide der Meinung, daß wenn in Kapitalfällen ein Verthei diger von Anfang der Untersuchung zugezogen werde, der
selbe die Sache nicht zu kennen brauche und so lange die ganze
Untersuchung nicht geschloffen sei, wesentlich unthätig sein müsse.
Nicht einmal das freie Wort der Vertheidigung wird
mit Gleichmuth ausgenommen. In derselben Sache hatte der
Vertheidiger in der Verthcidignngsschrift mancherlei Klagen
seines Schützlings — eines Offiziers, der nach der Ueber zeugung aller seiner nähern Bekannten, und wie denn auch
der Erfolg bewies, schuldlos angegriffen worden war — laut werden lassen und unter Anderm, bezüglich auf einen
ganz gleichgültigen Umstand, den Ausdruck gebraucht: „ES
ist schmachvoll, sich darauf peinlich inquiriren lassen zu müs sen, das kann auch mir bei einem Militärgericht Vorkom
men 2t.“ —
Dieserhalb beschwerte sich das Generalaudito
riat über den Vertheidiger bei dessen Dienstbehörde.
Dieses ist die Gestalt der Sache, wenn einmal ein freier unabhängiger Mann als Vertheidiger dazu kommt, welcher Fall wegen der persönlichen Verhältnisse und Verdrießlich keiten so selten ist, wie ein weisser Rabe.
Die Regel ist, daß
wenn einem Angeklagten ein Vertheidiger von Amtswegen zu be-
will^en, ihm v o r z u g s w e i se ei« Auditeur als Defensor zuge ordnet werden muß*). Das ist eine bloße Formalität, denn erst lich verursacht Niemand seinem Freunde und Collegen Wei-
*) Erlaß deS Kriegs.Min. v. iS. Januar 1883.
336 ternngen, und zweitens sind die Auditeure, wie wir gesehen
haben, Männer, welchen die einem Vertheidiger nothwendige
Unabhängigkeit abgeht. 3. Die dritte Handlung des Schauspiels ist die Znwegebrin-
gung deS Gutachtens oder des Entwurfs zum Erkenntnisse. Zu der dazu bestimmten Kommission, Kriegs- oder Standrecht
genannt, werden die Personen von dem Militair- Befehls
haber (Gerichtsherrn) kommandirt, und dahin vereidigt, daß
sie nach ihrem besten Wissen und Gewissen und nach ihrer Einsicht, den Akten und Gesetzen gemäß, Recht sprechen wollen.
Da sie jedoch weder den Inhalt der Akten noch
die Gesetze kennen, so wird ihnen Beides von dem Auditeur,
in der Regel eben demselben, welcher die Protokolle geschrie ben hat, bekannt gemacht, und er sagt ihnen seine eigene
rechtliche Meinung darüber: ob, weshalb, und wie der
Angeklagte zu bestrafen
fei.
Run
ist dieß zwar nur ei»
Ratb, allein, wiegst es möglich, von rechtsnnkundige», und
oft selbst geschäftSnNkundigcn Personen eine eigene rechtliche
Meinung zu fordern?
Der geehrte Verfasser der „Bemer
kungen rc.", bei Biedermann, S. 40L, sagt in dieser Beziehung:
„Da es fast keine Offiziere, noch viel weniger aber Unter offiziere und Gemeine gibt, die in diesem Labyrinthe Bescheid wissen, so wäre ein Urtheil ohne die Hilfe der den Kriegs
und Standgerichten als Referenten beigeordneten Auditeure oder untersuchungsführenden Offiziere ganz unmöglich, und es erhalten daher die Rechtskundigen
bei diesen
Gelegen
heiten, obgleich sie nach, den gesetzlichen Bestimmungen nur eine berathende Stimme haben sollen, in der That allein
337 das entscheidende Votum, indem es von Seiten derselben nur einer geringen dialektischen Fertigkeit bedarf, um ihre
Ansichten gegen die der nicht sachverständigen Richter geltend
zu
machen.
Es
wird
dieß
dem
untersuchungssührenden
Auditeur noch dadurch erleichtert, daß die Besorgniß, für Bota, welche nicht innerhalb
der gesetzmäßigen
Schranken
geblieben sind, später vielleicht von dem Gerichtsherrn oder
andern vorgesetzten
einer
zu erhalten,
blinden
häufig sonst
Werkzeugen
eines
Behörde ganz
und Verweise
selbstständige Männer zu
Juristen
den Prozeß als Inquirent —
Rügen
macht,
geheim
der
instruirt
vorher
hat
und
dessen Urtheil dadurch nothwendig mehr oder minder be»
fangen sein wird."
Was noch mehr als alles Dieses die
Gutachter in die Hand des Auditeurs gibt, ist die Bestim mung, daß ein Jeder, welcher anders stimmen will, als der
Auditeur vorgeschlagen hat, seine abweichende Meinung mit Gründen unterstützen muß, und daß der Auditeur, wenn er
ein solches Votum ungesetzlich findet, ihn besonders belehren muß.
Von einer selbstständigen Meinung ist mithin schlech
terdings keine Rede, und der Auditeur hat gar keinen dia
lektischen Aufwand nöthig, um die formelle Zustimmung der Gutachter zu erhalten.
Ist das Gutachten abgegeben, so faßt nun derselbe Au diteur auch den Entwurf zum Erkenntnisse ab, und dieser
Entwnrf wird mit den Akten dem eigentlichen Richter, d. h.
derjenigen Person, die es bestättigen, abändern oder verwer fen kann, zu ihrer Entschließung eingesendet. Hier haben wir also eine richtende Anstalt, wobei
338 1) das ganze Verfahren ausschließlich in der Hand eines
einzigen vielseitig abhängigen Menschen ohne Controle, ohne Beaufsichtigung liegt, indem er die Eröffnung der Unter suchung decretirt, die Vernehmungen bewirkt, die Protokolle
darüber still für sich schreibt, dieselben auch selbst vorliest, so daß möglicherweise
etwas Anderes
darin
stehen kann
als vorgelesen wird; indem er ferner selbst-auch die zusam, mengeschriebenen Akten den unkundigen Gutachtern vorträgt,
und endlich ihnen noch mit Erfolg sagt,
wie sie sich dar
über äußern sollen; und wobei
2) die richtende Person
wieder ein einzelner Mensch ist,
der bloß nach Dem, was ihm ein Anderer aus jenen Akten vorträgt, über Leben und Tod erkennt.
Kann der Mangel an aller und jeder Rechtssicherheit vollkommener sein?
Wie ist Dem abzuhelfen?
Dor ow findet die Wurzel aller Uebel „in der unnatür liche» Verschmelzung des Prinzips der Geschwornengerichte mit dem Prinzip der Beweistheorie und mit dem, zur Un
terstützung der letzter» aufrechterhaltenen Institute der Militairjustizbeamten".
Er will
deshalb
die Auditeure
ab
schaffen, die Militärgerichte in Criminal- und Ehrengerichte
eintheilen und sie nur mit Militairpersonen besetzen.
Bei.
den Eriminalgerichten soll das untersuchende Gericht in der Regel aus dem Befehlshaber als Gerichtsherrn, einem Sub alternoffizier als Rechtsbeistand und einem Unteroffizier als
Protokollführer, welche heimlich inquiriren sollen, und das erkennende (Kriegs-) Gericht außer dem Präsidenten, Höch-
339 stens aus 12 Richtern, wovon die eine Hälfte der Charge
des Angeklagte», die andere Hälfte den beiden nächst höher» Chargen angehören müßte, bestehen.
Bei dem Spruch soll
der Angeklagte und sein Vertheidiger zugelaffen und mit seinen Einwendungen gegen die Richter gehört werden; dann, nach Vereidigung der Richter, soll der Protokollführer die Akten vollständig, Blatt für Blatt, vorlesen, darauf der Angeklagte oder dessen Vertheidiger seine Defenstonsgründe,
und nach ibm der untersuchungsführende Offizier die Bela stungsmomente entwickel».
Rach Entlassung des Angeschul
digten und dessen Vertheidigers wäre dann über daS schul dig oder nicht schuldig, und zuletzt über die Strafe abzu
stimmen.
Das Erkenntniß soll der Gerichtsherr bestättigen.
Ueber diesen Criminalgerichten sollen Militairappellhöfe ste hen, die, mit Ausschließung jedes wissenschaftlich gebildeten
Rechtsgelehrten, nur aus halbinvalideu, im Dienste ergrau ten höheren Offizieren zusammengesetzt werden sollen. Diese Vorschläge dürften wenig Beifall finden. Schon die vorausgesetzte Quelle der Uebel ist in der Wirklichkeit nicht da; die vermeintliche Verschmelzung des Prin
zips der Geschwornengerichte mit dem Prinzipe der Beweis theorie findet sich durchaus nicht. Durch den Umstand, daß ein
Gericht aus Standesgenoffen und rechtsunkundigen Personen besteht, wird das Gericht noch kein Geschwornengericht, sonst
wären alle Handels- und die Geistlichen Gerichte, bei wel chen ost keine Zuristen sind, auch Geschwornengerichte.
Die
sogenannten Kriegs- und Standgerichte unterscheiden sich, abgesehen davon, daß sie nicht selbst erkennen, sondern nur 22*
340 Las Urtel Vorschlägen können, von andern ans einer Anzahl von
Personen zusammengesetzten Gerichten in den alten Provinzen im wesentlichen gar nicht; sie sollen, wie die Civilgerichte
eben auch, nicht, wie Geschworne, lediglich nach ihrem Ge wissen und ihrer innersten Ueberzeugung, sondern — nach äußern Rechtsgründen urtheilen, und die Civilgerichte könn
ten, wie die Milirairgerichte, aus Ungelehrten gebildet wer den, ohne daß sie dadurch Geschwornengerichte sein würden.
Der Verfasser der „Bemerkungen rc." bei Biedermann, S. 412, schlägt dagegen vor, mit Beibehaltung des General-
Auditoriats als einer bloßen Aufsichtbehörde,
die höhere
Gerichtsbarkeit bei den Armeecorps-,Divisions-,Gouverne
ments- und Commandantur-Stäben von nur einem Rechts gelehrten lAuditeur), und die niedere Gerichtsbarkeit bei den
Regimentern und Bataillonen
von einem untersuchungs
führenden Offizier handhaben zu lassen. Dieser Auditeur, so
wie der Offizier, sollen von dem Militair-Befehlshaber ganz unabhängig, die Militairgerichtöhcrrlichkeit soll aufgehoben und
die Justiz im Namen des Landesherrn verwaltet werden. Das Verfahren soll Folgendes sein.
Die Eröffnung einer
Untersuchung kann nicht von Amtswegen, sondern nur auf
Grund einer Anklage des Befehlshabers des Angeschuldig ten von 'dem Militairgericht geschehen.
Der Auditeur oder
uurersuchungsführende Offizier hätte sodann den Prozeß sum marisch schriftlich zu instruiren und hiernächst ein Kriegs- oder
Standgericht zusammen zu berufen, welches ■— ohne Präses
— von Militairpcrsoncn, mit Berücksichtigung der Charge des Angeschuldigten, zu besetzen wäre.
Der Angeschuldigte
341 und dessen Vertheidiger wüßten zugegen sein und freie Aus
wahl der Richter haben.
Nach der Zusammensetzung des
Gerichts hätte der Inquirent die Anklage zu verlesen, den Augeschuldigten und die Zeugen in Gegenwart der Richter
noch einmal mündlich zu verhören, darauf die Sachlage kurz vorzntragen, und endlich der Vertheidiger seinen Vortrag zu halten, worauf dann das Richterpersonale über die Schuld oder Unschuld abzustimmen hätte, wobei dem Inquirenten gar
kein Einfluß zu gestatten wäre.
Würde der Angeschuldigte
freigesprochen, so müßte sofortige Freilassung erfolgen und
jede fernere Prozedur unzulässig sein; würde er aber für schuldig erklärt, so hätte der Inquirent das Strafgesetz zu
verlesen, über die anzuwendende Strafe einen Beschluß fassen zu lassen, darnach daS Erkenntniß auszufertigen und dasselbe zur Bestättigung an den ihn correferirenden Auditeur zu über schicken. Wem dieser Auditeur correferiren soll, wird nicht
angegeben, eS scheint eine Revision des Verfahrens gemeint zu sein; denn es wird weiter vorgeschlagen, daß wenn Die
ser nichts zu erinnern fände, so müßte das Urtel bindende Kraft erhakten und vollstreckt werden; fände er aber Milderungsgründe, bedeutende Formvcrletzungcn, oder legre der
Angeschuldigte
oder dessen
Vertheidiger Cassations- und
Restitutionsgesuche ein, so würde die Sache dem General-
Auditoriate zur Revision vorzulegen fei«, bei dessen Aus
spruch es verbleiben müßte.
Bezüglich auf das vorhin er
wähnte Correferat wird noch vorgeschlagen: „Um die Uebel stände zu vermeiden, welche mit dem gegenseitigen Eorreferate der Auditeure eines Truppentheils verbunden sein köu-
342 neu, erscheint es zweckmässig, künftig die erkennenden Rich
ter von den correferirenden gänzlich zu trennen und z. B.
die Divisions-, Gouvernements- und Commandantur-Audi teure nur mit der Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit
und dem Correferate der von den untersuchungsführenden
Offizieren, die jetzigen Corpsauditeure dagegen nur mit dem Correferate der von den Auditeuren ihres Armeecorpü be
arbeiteten Sachen zu beauftragen, und die Letzteren von der Abfassung eigener Erkenntnisse auszuschließen." Dieser Pas sus ist mir unklar.
Denn erkennende Richter kommen unter
den Auditeuren, nach dem obigen Borschlage, gar nicht vor,
weil die Auditeure nur als Inquirenten und Referenten ohne Stimmrecht thätig sein sollen; und einen Correferenten kann
ich mir nicht denken, wenn Niemand ist, der die Correlation anhört.
Würden nach diesen Vorschlägen des Herrn Verfassers, der ziemlich treu das Verfahren vor den französischen Assisen
wiedergegeben hat, die Militairgerichte eingerichtet, so wäre ihm unzweifelhaft darin beizustimmen, daß durch Einführung
des Prinzips der Geschwornengerichte, wobei sich die Ab schaffung der Bcweistheorie von selbst versteht, durch Münd
lichkeit, durch Aufhebung der Gerichtsherrlichkeit, durch grö ßere Selbstständigkeit der Inquirenten und der Richter, durch
Zulassung eines Vertheidigers, durch freigestellte Verwerfung der Richter eine erhöhte Rechtssicherheit für den Angeklagten,
und überdieß eine große Ersparniß durch Verminderung der schon jetzt zum Theil unbeschäftigten Auditeure gewonnen sein
würde.
343 Indessen hat diese Einrichtung zuvörderst alles Daö gegen
sich, was man gegen das Institut der Richter-Geschwornen, d. h.
die Einrichtung, daß die eigentlichen Richter, welche das Straf gesetz anzuwenden haben, auch über das „schuldig oder nicht
schuldig" urtheilen sollen, nicht ohne Gewicht einwendet. Dann findet sich dabei derselbe Mangel, wie bei den fetzigen Kriegs und Standgerichten, daß nämlich die Richter, die doch nicht
bloß nach ihrem Gefühl über das Dasein einer Thatsache urtheilen,
sondern
das
geltende
Recht
anwenden
sollen,
rechtsunkundige Männer sind und ganz rathlos bleiben. Was jedoch tiefer eingeht, ist, daß bei dieser Einrichtung die Ju
stiz für Militairpersonen wieder eine ganz andere als die für die übrigen Staatsangehörigen sein würde.
Mir scheinen die Spezialgerichte ein Uebel zu sein, welche
nicht ohne Nothwendigkeit zu hegen; und selbst für die ganz unentbehrlichen Spezialgerichte muß das Verfahren so wenig
wie möglich von dem
abweichen.
allgemeinen landüblit