246 51 100MB
German Pages 336 [340] Year 1991
Reihe Germanistische Linguistik
119
Herausgegeben von Helmut Henne, Horst Sitta und Herbert Ernst Wiegand
Markus Nussbaumer
Was Texte sind und wie sie sein sollen Ansätze zu einer sprachwissenschaftlichen Begründung eines Kriterienrasters zur Beurteilung von schriftlichen Schülertexten
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Nussbaumer, Markus: Was Texte sind und wie sie sein sollen : Ansätze zu einer sprachwissenschaftlichen Begründung eines Kriterienrasters zur Beurteilung von schriftlichen Schülertexten / Markus Nussbaumer. Tübingen : Niemeyer, 1991 (Reihe Germanistische Linguistik ; 119) NE:GT ISBN 3-484-31119-3
ISSN 0344-6778
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt. Einband: Heinr. Koch, Tübingen. Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich im Wintersemester 1990/91 auf Antrag von Prof. Dr. Horst Sitta als Dissertation angenommen.
Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der graphischen Darstellungen Vorwort l 1.0 l. l 1.2 1 .3 2 2.0 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
IX
Einleitung: Sprache und Wertung. Sprachnormen l Einleitung l Sprache und Wertung. Die Aufgabe des Zürcher Projekts "Muttersprachliche Fähigkeiten von Maturanden und Studienanfängern in der Deutschschweiz" 2 Sprachnormen CNormologie') 16 Motivierung der vorliegenden Arbeit im Verhältnis zum Gesamtprojekt und in ihrer inneren Anlage (mit einer wichtigen Vorbemerkung zum Textbegriff) 29 Grammatik Einleitung Skizze des Grammatikmodells Zur positiven grammatischen Charakterisierung von Texten Fehler CLapsologie1) Zur Gewichtung grammatischer Text-Befunde in einer Text-Bewertung Grammatik der gesprochenen und Grammatik der geschriebenen Sprache: Alles eins?
39 39 43 60 63 79
3 3.0 3. l 3.2 3.3
Schrift Einleitung Was gehört zur Rechtschreibung (Orthographie und Interpunktion)? Welcher Art sind Rechtschreibnonnen? Zur Gewichtung der Schreibnorm-Konformität in der Textbewertung
91 92 92 94 98
4 4.0 4. l 4.2 4.3
Kohäsion Einleitung Der Anspruch der Kohäsionslinguistik Kohäsionsmittel - Vorschlag zu einer Typologie Resümierende Frage nach der Gemeinsamkeit und der Textspezifik der Kohäsionsmittel Was kann als Textbaufehler gelten? Wieviel Kohäsion braucht ein Text?
101 102 102 105
Kohärenz I: Vom Text auf dem Papier zum Text im Kopf Einleitung Kritik an der Kohäsionslinguistik und Kritik an der Kritik der Kohäsionslinguistik Grund-These. Terminologische Regelungen. Die Unterscheidung von Text I und Text II Verstehen. Grundzüge einer Theorie des Text-Verstehens und des TextVerständnisses Zum prozessualen Aspekt des Text-Verstehens Zum repräsentationalen Aspekt des Text-Verständnisses - Textbegriff Grundzüge der Funktionalen Texttheorie Verständlichkeit
129 130
4.4 5 5.0 5. l 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6
82
117 120
131 134 136 148 151 174
_VI
Inhaltsverzeichnis
6
Kohärenz : Über die thematische Entfaltung und
6.0 6. l 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
ihre 'Logik' 179 Einleitung 180 Thematische Entfaltung (TE) 180 Die thematische Entfaltung am Beispiel der Konnektive der "Kausalität" 187 Die thematische Entfaltung und ihre 'Logik' in argumentativen Texten 204 Zum Beispiel: Ein argumentativer Schalertext 219 Verallgemeinerungen. Weiterführende Gedanken 226 Schlaglichter auf Nonnen der thematischen Entfaltung in nicht-argumentativen Textteilen und Texten 235
7 7.0 7. l 7.2 7.3 7.4 7.5 8 8.0 8. l 8.2 8.3 8.4
Metakommunikation Einleitung Lesarten von Metakommunikation. Eingrenzung des Gegenstandes Definitionsversuche Funktionstypen von Metakommunikation in monologischen geschriebenen Texten Sprachliche Eigenheiten metakommunikativer Textteile. Das metakommunikative Sprach* und Ülokutionswissen Nonnfrage
241 242 242 245
Textsorten Einleitung Mögliche Konstituenten eines Begriffs Textsorte Sprechen vs. Schreiben; gesprochene vs. geschriebene Sprache; Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit Textsorten vs. Textmuster. Textmusterwissen - zur Rolle von Mustern in der täglichen Kommunikationspraxis Nonnfrage
255 256 258
247 252 253
270 283 285
9
Attraktivität
287
9.0 9.1 9.2 9.3
Einleitung Linguistik der sprachlich-formalen Schönheit Linguistik der thematischen Relevanz Attraktivität und Repulsivität
287 288 291 293
10
Ausleitung. Ruck- und Ausblick: Textideale
297
Anhang l: Das Zürcher Textanalyseraster Anhang 2: Themenstellung für den in Abschnitt 6.4 analysierten Schülertext Literaturverzeichnis Sachregister
303 306 307 327
Verzeichnis der graphischen Darstellungen Schema 1 2 3 4 5 6 7 7 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
24
Seite Der begriffliche Zusammenhang von Regel, Wissen, Norm Die begriffliche Differenzierung von Korrektheit und Verstoss Die Funktoren RICHTIG und ANGEMESSEN Die Grundanlage des Buches im Überblick Das Grammatikmodell Korrektheit und Verstoss im Bereich der Grammatik Der Funktor GRAMMATISCH Die materiale Fehlerklassen Die Klassen von Verweismitteln Das Verstehensmodell Komponenten einer 'Satz'bedeutung, Ebenen der thematischen Textentfaltung und die Ansiedlung von Konnektoren auf den Ebenen Der Zusammenhang von Grund-Folge-Verhältnis ("Realgrund") und Behauptungs-Begründungs-Verhältnis ("Erkenntnisgrund") Das Toulmin-Schema Funktionale Textklassen Die SuperStruktur "Untersuchungsbericht" (nach T. A. van Dijk 1980b) Die Stilschichten im Duden und im WDG Stilebenen und Stilbenennungen nach H. Löffler 1985 Sprechen vs. Schreiben Gesprochene vs. geschriebene Sprache Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit Merkmale von gesprochener und geschriebener Sprache Typische pragmatische Bedingungen für die Realisierung von gesprochener und geschriebener Sprache Das begriffliche Verhältnis von Kommunikation/Kooperation, Verständlichkeit und Relevanz
Nonnbereiche, Textideale
21 26 27 32 44 65 66 67 107 144 193 195 215 262 264 267 268 272 272 273 277 279 299
300
Vorwort Meinen Eltern, Elsi und Edmund Nussbaumer, habe ich dieses Buch nicht geschrieben, aber ich möchte es ihnen widmen - in Dankbarkeit.
Das Thema der vorliegenden Arbeit hat es mit sich gebracht, dass ich mich eher weit herum habe umsehen und dass ich in einem grossen Feld habe meine Pflöcke einschlagen müssen. Ich weiss, dass die Pflöcke unterschiedlich tief sitzen; wichtig war mir, genau sie und sie am richtigen On einzuschlagen. Da und dort muss noch kräftig gehämmert werden, sollen die Pflöcke dem Sturm der Kritik standhalten und die Bewährungsprobe der Praxis bestehen, auf die die vorliegende Arbeit letztlich ausgerichtet ist. Mit der Breite des Themas hängt die Masse der Literatur zusammen, die ich habe sichten müssen. Was hier verzeichnet ist, habe ich zur Kenntnis genommen; dass ich wirklich alles kennen würde, möchte ich nicht zu behaupten wagen. Die Literatur ist in dieser Arbeit an zwei Stellen verzeichnet: gesamthaft am Ende, wie es sich gehört, und in Auswahl gelegentlich vor einzelnen Kapiteln oder Unterkapiteln, wie es sich vielleicht weniger gehört. Die Literaturangaben vor einzelnen thematischen Blöcken sollen anzeigen, worauf ich mich in den entsprechenden Ausführungen stütze, und sie verzeichnen diejenigen Arbeiten, die ich noch einmal lesen möchte, würde ich mich noch intensiver mit dem betreffenden Thema beschäftigen. Dass vor einem bestimmten Abschnitt Literatur aufgeführt ist und vor einem ändern nicht, mag manchmal etwas zufällig wirken. Das hat jedoch mit der jeweiligen Thematik zu tun: bei der einen ist die Rückbindung an einzelnes Gelesenes leicht, bei der ändern so gut wie unmöglich. Ich mag Inhaltsverzeichnisse nicht, die länger als zwei Seiten sind; ich finde sie unübersichtlich und bemühend. Darum hat diese Arbeit lediglich ein grob gerastertes Gesamt-Inhaltsverzeichnis; in Ergänzung dazu ist die Feinstruktur der einzelnen Kapitel jeweils an ihrem Beginn in einem Überblick zusammengestellt. Die vorliegende Arbeit ist in engem Kontakt zu einem laufenden Forschungsprojekt entstanden - ich mache im Kapitel l die nötigen Angaben dazu. Das bringt es unweigerlich mit sich, dass ich mich in meiner Arbeit da und dort mit fremden Federn schmücke. Ich danke Cornelia Hanser, Guy Andre" Mayor, Heiri Mettler und Peter Sieber dafür, dass sie nicht böse sind, dass ich das tue. Sollten ihre Beiträge und Anregungen hier entstellt wiedergegeben sein, ist das nicht immer ganz unabsichtlich geschehen; die Verantwortung lastet dann aber natürlich ganz auf meinen Schultern. Nebst den Genannten bin ich vielen für vielerlei zu Dank verpflichtet, und ich spreche diesen Dank hier auch sehr gerne aus, namentlich Karin Brack, Tim Krohn, Angelika Linke, Paul Michel, Ann Peyer, Paul Portmann und Christiane Richie. Ein besonderes Dankeschön geht an mein wandelndes Online-Help-System Edgar Brütsch, der auch die graphische Aufbereitung der Darstellungen in diesem Buch besorgt hat. Den letzten und grössten Dank jedoch schulde ich Horst Sitta, der es - über eine sehr lange Zeit - nicht aufgegeben hat zu glauben, dass dieses (oder ein anderes) Buch noch kommt, und der es dadurch (und nicht nur dadurch) möglich machte, dass es kam. Zürich, im Mai 1991
Markus Nussbaumer
l Einleitung: Sprache und Wertung. Sprachnormen Überblick 1.0 1.1
1.1.0 1.1.1 1.1.2 l. l .3 1.1.4 l. l .5 1.2
l .2. l 1.1.2 1.3
Einleitung Sprache und Wertung. Die Aufgabe des Zürcher Projekts "Muttersprachliche Fähigkeiten von Maturanden und Studienanfängern in der Deutschschweiz" Einleitung Urteils-Subjekt Urteils-Adressat Urteils-Motiv, Urteils-Zweck Urteils-Gegenstand Urteils-Art, Urteils-Sprache, Urteils-Basis Sprachnormen fNormologie') A. Weiter Begriff von Sprachnormen B. Engerer Begriff von Sprachnormen C. Versuch einer positiven Bestimmung von Sprachnormen Begriffliche Verklarungen Materiale Differenzierung von Sprachnorm. Differenzierung von Korrektheit und Verstoss Modvierung der vorliegenden Arbeit im Verhältnis zum Gesamtprojekt und in ihrer inneren Anlage (mit einer wichtigen Vorbemerkung zum Textbegriff)
1.0 Einleitung Es gibt einen grösseren forschungspraktischen Zusammenhang, aus dem heraus die vorliegende Arbeit entstanden und auf den hin sie ausgerichtet ist: das Forschungsprojekt "Muttersprachliche Fähigkeiten von Maturanden und Studienanfängern in der Deutschschweiz", domiziliert an der Universität Zürich, finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds, mit einer Laufzeit von Herbst 1988 bis Herbst 1991. Im Moment, wo ich die vorliegende Arbeit schreibe, bin ich Mitarbeiter dieses Projekts. Wie es der Titel dieses Forschungsvorhabens sagt, ist uns darin ganz prinzipiell die Aufgabe gestellt, zu wissenschaftlich begründeten Urteilen darüber zu gelangen, wie es um die Muttersprach-Beherrschung heutiger Deutschschweizer Mittelschul-
2
l Einleitung
ab- und Hochschulzugänger bestellt ist.1 Ich möchte in dieser Einleitung zu meiner Arbeit zunächst diese dem Projekt gestellte Aufgabe skizzieren und dabei auch nachzeichnen, welche Reduktionen wir zu ihrer (Teil-)Lösung vorgenommen haben; dies versuche ich mittels eines Aufrisses der Positionen in einer Logik des Urteils1 (1.1). Dabei erweist sich insbesondere die Position des Urteils-Grundes (Abschnitt 1.1.5) als besonders heikel, was mich dazu führt, in einem separaten Abschnitt (1.2) einige grundsätzliche Bemerkungen zu Sprachnormen meiner weiteren Arbeit voranzustellen. Damit ist dann der Boden bereitet einerseits für eine genauere Motivierung der vorliegenden Arbeit im Verhältnis zum genannten Forschungsprojekt, andererseits für eine Motivierung der inneren Anlage und Durchführung der Arbeit im Hinblick auf ihre Zielsetzung (1.3).
1.1 Sprache und Wertung. Die Aufgabe des Zürcher Projekts "Muttersprachliche Fähigkeiten von Maturanden und Studienanfängern in der Deutschschweiz" Literatur Bayer, Klaus 1982: Mit Sprache bewerten. In: Praxis Deutsch 53,15-25. Beyrer, Arthur/Bernhard Henschel/Hans-Manfred Militz 1989: Aspekte der sprachlichen Wertung. LS/ZISW/A 190. Dieckmann, Walther u.a. 1980: Tagungsbericht der Arbeitsgruppe 6: Sprachbewertung. In: Linguistische Arbeiten und Berichte 15,130-164. Rehbein, Jochen 1977: Komplexes Handeln. Elemente zur Handlungstheorie der Sprache. Stuttgart, 36f. Ripfel, Martha 1987: Was heisst Bewerten? In: Deutsche Sprache 15,2,151-177. Sandig, Barbara 1979: Ausdrucksmöglichkeiten des Bewertens. Ein Beschreibungsrahmen im Zusammenhang eines fiktionalen Textes. In: ds 7,137-159. Nach Abschluss der vorliegenden Arbeit ist erschienen: Fries, Norbert 1991: Bewertung. Linguistische und konzeptuelle Aspekte des Phänomens. In: Sprache & Pragmatik. Arbeitsberichte 23,1-31.
1.1.0 Einleitung Das Stichwort "Sprache und Wertung" ist vieldeutig. Es kann damit gemeint sein, 1
Zum Forschungsprojekt: Sieber (1989,1990c), Sitta (1990).
l Einleitung
3
1) dass Sprache Gegenstand von Wertungen ist, 2)dass Wertungen spezifische sprachliche Handlungen sind, die ihre bestimmte Sprachhandlungslogik haben, 3) dass in natürlichen Sprachen bestimmte Ausdrücke vorkommen, die bevorzugt zu Realisierungen von sprachlichen Handlungen des Wertens gebraucht werden können.2 Im einleitend genannten Forschungsprojekt und auch in der vorliegenden Arbeit steht der erste der drei Aspekte im Vordergrund. Um nun ein Stück weit Klarheit darüber zu schaffen, was es prinzipiell heissen könnte, Sprache zum Gegenstand von Wertungen zu machen, und was es in dem genannten Forschungsprojekt im besonderen heisst, möchte ich im folgenden eine kleine 'Logik des Urteils1 skizzieren, wozu mich die oben genannte Literatur inspiriert hat. Ein beliebiges sprachliches (Wert-)Urteil kann und muss charakterisiert werden hinsichtlich der folgenden Positionen - ich liste sie in der Reihenfolge ihrer nachstehenden Behandlung auf; diese geht vom Unproblematischeren zum Problematischeren: l.Urteils-Subjekt(l.U) 2. Urteils-Adressat (1.1.2) 3. Urteils-Motiv, Urteils-Zweck (1.1.3) 4. Urteils-Gegenstand (1.1.4) 5. Urteils-Art, Urteils-Sprache, Urteils-Basis (1.1.5) Zusammenfassend formuliert: Ein Urteils-Subjekt bildet und formuliert über einen Urteils-Gegenstand aus einem Urteils-Motiv oder zu einem Urteils-Zweck und an einen Urteils-Adressaten gerichtet ein Urteil von bestimmter Urteils-Art, in bestimmter Urteils-Sprache und abgestützt auf eine Urteils-Basis. Die Positionen lassen sich logisch auseinanderhalten. Füllt man sie konkret auf, so zeigen sich sofort starke Interdependenzen, wie sich auch in der folgenden Konkretisierung für das Zürcher Forschungsprojekt "Muttersprachliche Fähigkeiten von Maturanden und Studienanfängern in der Deutschschweiz" zeigt.
Diese drei Ausdeutungen des Stichworts "Sprache und Wertung" reflektieren die Eigenschaft natürlicher Sprachen, in spezifischer Weise über anderes und über sich selbst 'sprechen' zu können. Dazu vgl. Kp. 7 "Metakommunikation".
4
l Einleitung
l.l.lUrteils-Subjekt Wir gehen in unserem Forschungsprojekt unsere Aufgabe primär als Wissenschaftler an, als Sprach-, Literatur- und Erziehungswissenschaftler. Sekundär sind wir jedoch auch Pädagogen und Lehrer der Menschen, um deren Sprachfähigkeiten es uns geht, sei es in der abgebenden Institution (Mittelschule) oder der aufnehmenden Institution (Universität). Als Wissenschaftler ist uns der Gegenstand eher ein äusserer. Wir sind in ihn jedoch involviert insoweit, als wir im Hier und Heute teilhaben an der Sprache, an der teilzuhaben just jene Eigenschaft unserer Probanden darstellt, die Gegenstand unseres Urteilens ist. Als Pädagogen und Lehrer sind wir mit dem Gegenstand und seiner Lebenswelt anders und stärker vertraut denn als Wissenschaftler, und wir sind mit ihm noch enger verknüpft insofern, als wir an die (positiven) Auswirkungen unseres Sprachunterrichts und unseres Vorbild-Seins zu glauben noch nicht ganz aufgegeben haben: Tendentiell beurteilen wir in der Sprache unserer Schüler die Früchte unserer Arbeit. Immer aber beurteilen wir nicht eigentlich uns selbst oder einen Teil von uns, wie das die Schüler mit sich selber tun, wenn wir, was wir ergänzend auch tun, von ihnen Selbsteinschätzungen ihrer Sprache, ihrer Sprachfähigkeiten einholen.3 Neben diesen Selbsteinschätzungen spielt als weiteres Urteils-Subjekt in unserer Arbeit die (nicht-wissenschaftliche, dafür umso praxisgeprägtere) Einschätzung von Lehrerinnen und Lehrern eine Rolle, die wir in Lehrerumfragen in Erfahrung bringen.4 Darüber hinaus nehmen wir die urteilende "öffentliche Meinung" zur Kenntnis, und schliesslich haben auch schon vor uns Wissenschaftler und/oder Pädagogen und Lehrer über vergleichbare Probanden, aber auch schon über "die Sprache in unserer Zeit" generell, geurteilt. Zusammenfassend möchte ich also festhalten, dass wir nur ein spezifisches Urteils-Subjekt in einem ganzen 'Konzert' von Urteilen über mehr oder weniger den gleichen Gegenstand sind. Sehr wichtig ist auch, dass wir als Gruppe urteilen. Hinter diesen Urteilen stecken lange und oftmals mühsame Prozesse der Angleichung und Integrierung von Urteilen einzelner, der Konsensbildung über Urteile. Unsere Urteile sind dadurch zwar niemals Objektiv', sie sind aber Wir tun das einerseits in Interviews mit den Schülerinnen und Schülern, andererseits lassen wir sie Texte schreiben zu Themen, die sie zu Reflexionen über ihre eigene Sprache und ihr Verhältnis zur Sprache anhalten. Siehe z.B. den Schülertext, den ich in Kp. 6 "Kohärenz " bespreche. Das sind zum einen intensive Interviews mit kleinen Gruppen von Lehrkräften, zum ändern breit angelegte Fragebogen-Erhebungen.
l Einleitung
5
intersubjektiv und diskursiv ausgehandelt, und in diesem Prozess decken wir auch immer wieder auf, was wir beurteilen und auf welcher Normenbasis wir dies tun (vgl. auch das Folgende).5
1.1.2 Urteils-Adressat Unsere Arbeit hat, was die konkreten Ergebnisse der Untersuchung anbelangt, ihren primären Adressaten in der interessierten Öffentlichkeit (öffentliche Meinung, Medien, Politiker) einerseits und in den direkter Betroffenen: den Schülern und Studienanfängern, den Mittel- und Hochschullehrerinnen und -lehrem andererseits. Mit ihrem theoretisch-methodischen Teil richtet sich unsere Arbeit an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, vorab Linguisten, die mit Textanalyse beschäftigt sind.
1.1.3 Urteils-Motiv, Urteils-Zweck Hinter unserer Projektarbeit stecken nicht zuletzt die Sprachverfallsklagen der letzten Jahre.6 Sie drängen einen historischen Vergleich auf zwischen einem Sprachstand heute und einem Sprachstand 'der guten alten Zeit', den wir aus Gründen der Arbeitskapazität, aber auch aus theoretischmethodischen Gründen, nicht leisten können.7 Unsere Motivation und Zwecksetzung ist nicht zu beurteilen, ob der fragliche Sprachstand heute besser oder schlechter ist, sondern zu beurteilen, wie er heute ist und - sehr vorsichtig nur - wie gut er heute ist, gemessen an Massstäben, die uns für heute gültig erscheinen und die wir offenlegen und zur Diskussion stellen. An das Interesse am Faktum selber (Wie steht es um die Sprachfähigkeiten?) schliesst sich in zweiter Linie ein pädagogisches an: Kann die Diagnose, die wir einst stellen zu können hoffen, Basis sein für die (Weiter-)Entwicklung didaktischer Konzeptionen, zumindest einen Beitrag zu einer solchen Basis leisten? Das Interesse am Faktum selber, den Sprachfähigkeiten der Maturanden und Studienanfänger, wird begleitet von einem allgemeinen theoretischen und methodischen Interesse an der Frage der Möglichkeit oder Unmöglichkeit wissenschaftlicher Textbeurteilung.8 5 6 7 8
Vgl. den für eine Argumentationstheorie (siehe Abschnitt 6.3.2) wichtigen diskursiven oder konsenstheoretischen Wahrheitsbegriff nach J. Habermas (1973). Vgl. dazu Sitta (1990). Zu den theoretisch-methodischen Gründen vgl. Sitta (1989), Mayor (1989). Vgl. auch meine Ausführungen zum Punkt 5 dieses Abschnitts: "Urteils-Grund". Wichtig ist. dass unser Urteils-Zweck nie die direkte, pädagogisch-didaktische fördernde oder zensurierende Rückmeldung an die Sprachproduzenten ist. Es handelt sich bei unseren Urteilen also um etwas ganz anderes als das Urteilen der Lehrer. Vgl. zu letzterem z.B. J. Baurmann (1987) oder R. Sanner (1990) mit Hinweisen auf die
6
l Einleitung
1.1.4. Urteils-Gegenstand Sprache kann in so vielfältiger Weise Gegenstand von (Wert-)Urteilen werden, wie der Begriff "Sprache" Deutungen zulässt. So kann man beispielsweise urteilen - über "die menschliche Sprache überhaupt", - über eine bestimmte historische Einzelsprache in ihrer Geschichte oder in einem Moment ihrer Geschichte, - über die Fähigkeiten oder Kompetenzen einzelner Sprecherinnen und Sprecher oder Sprechergruppen - und schliesslich über die Aktualisierung dieser Fähigkeiten oder Kompetenzen, den Sprachgebrauch, sowie auch über die Resultate solcher Aktualisierungen, über Texte als geronnene Performanz.9 In unserem Forschungsprojekt werden von uns Urteile erwartet über - Muttersprachfähigkeiten (d.h. im Prinzip Deutsch in Standard- und Dialektausprägung) - von Maturanden/Studienanfängern - in der Deutschschweiz 1990. Mit dieser Gegenstandssetzung ist eine grosse Zahl unterschiedlicher Probleme verbunden. Ich gehe auf einen ersten Komplex solcher Probleme in der folgenden Liste kurz ein. Einen zweiten Komplex gegenstandsbezogener Probleme erörtere ich überleitend zum nächsten und letzten Punkt (dem Punkt 5). Wissenschaft muss, will sie brauchbare Resultate liefern, ihren Gegenstand stets in gewisser Weise eingrenzen; Komplexitätsreduktion ist nötig und sinnvoll. Sie ist es in dem speziellen Fall unseres Forschungsprojektes vor allem auch aus zwei Gründen: aus der Knappheit der verfügbaren Arbeitskraft zum einen, aus Gründen der hochgradigen Komplexität und theoretischen Strittigkeit des Gegenstandes zum ändern: a) Es ist keineswegs so, dass über unseren Gegenstand "Muttersprachfähigkeiten" - wie das bei ändern wissenschaftlichen Gegenständen, selbst bei so vergleichbaren Gegenständen wie etwa "mathematische Fähigkeiten" oder gar "Fremdsprachkenntnisse" der Fall wäre - ein einigermassen etablierter vortheoretischer Konsens bestünde hinsichtlich der Frage, was das eigentlich ist. Ich kann im Augenblick nicht mehr als
9
Forschung zur pädagogisch-didaktischen Textbeurteilung, etwa O. Beck (1979), J. Grzesik/M. Fischer (1985) u.v.a.. Vgl. auch Fussn. 52. Diese Mehrdeutigkeit schlägt sich auch in vielfältigen begrifflichen Ausprägungen sogenannter "Sprachkritik" oder "Sprachpflege" nieder.
l Einleitung
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dies feststellen. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit geht es wenn ich das auch nicht stets explizit sage - indirekt immer auch um eine Auffüllung dieses zentralen Begriffs. b)In jedem Falle sind Sprachfähigkeiten nicht direkt der Beobachtung zugänglich. Wir sehen in unserem Projekt keine andere Möglichkeit, an unseren Gegenstand heranzukommen, als im Sinne des üblichen Kompetenz-Performanz-Modells uns mit der Aktualisierung von Sprachfähigkeiten, und dabei genauer noch mit den Aktualisierungsprodukten, mit Texten also10, zu beschäftigen. Unsere Urteile werden auch am Schluss der Arbeit primär Urteile über Texte sein und nicht eigentlich über Sprachfähigkeiten, ganz einfach deshalb, weil Schlüsse von Texten auf Fähigkeiten hinter diesen Texten prinzipiell problematisch sind.11 Dies umso mehr - aber nicht allein - deshalb, weil vorerst unklar bzw. kontrovers ist, was das ist, auf das geschlossen werden soll, nämlich eben Sprachfähigkeiten (vgl. a). c) Wir konzentrieren uns ganz stark auf die Schülerinnen und Schüler und sehr viel weniger auf die Studienanfänger, und wir beobachten den Sprachgebrauch der Abiturienten und nicht etwa im ausserschulischen öffentlichen, halböffentlichen oder privaten Bereich. Das ist natürlich eine ganz erhebliche Beschränkung. d)Wir legen das Schwergewicht auch ganz klar auf den schriftlichen Bereich,12 versuchen dort aber so weit als möglich auch andere Texte als nur gerade Deutsch-Aufsätze zu betrachten. Mit der Beschränkung auf den Bereich der Schriftlichkeit fällt der sehr wichtige Bereich der natürlich-spontanen Interaktionalität völlig heraus.13 Hingegen nehmen wir bei der Betrachtung von Deutsch-Aufsätzen als einer Form "entfalteter Schriftlichkeit" möglicherweise Fähigkeiten in den Blick, die sich nirgends sonst so konzentriert und konzertiert erfassen lassen. Diese Vermutung bedürfte allerdings einer sehr aufwendigen Hinterfragung und Begründung.14 e) In schriftlichen Texten und im Sprachgebrauch ganz generell schlagen sich unterschiedlichste Fähigkeiten nieder. Dafür den einen Begriff 10 11 12 13
14
Und nicht etwa mit Aktualisierungsprozessen, was natürlich genauso wichtig wäre. Vgl. hierzu auch Abschnitt 6.5.2. Wir hoffen in einem Folgeprojekt uns zum Ausgleich schwergewichtig auf den mündlichen Bereich konzentrieren zu können. Wir verfügen lediglich über Impressionen von mündlichen Fähigkeiten aus den erwähnten Interviews mit Schülerinnen und Schülern, die wir zur Erhebung ihrer Selbstwahmehmung (was ihre Sprachfähigkeiten und ihre Einstellung zur Sprache anbelangt) durchführten.
Fragmente dazu bietet die Abschnitte 6.5.2 und 8.3.2.C der vorliegenden Arbeit.
JJ
l Einleitung "Sprachfähigkeiten" zu brauchen, ist heute mehr denn je problematisch.15 Wir sind natürlich im Projekt bemüht, Texte möglichst nur nach ihrer Sprache und beispielsweise nicht nach Inhalt zu beurteilen, und können nur gestehen, dass das sehr schwer fällt.16 Generell kann man vielleicht sagen, dass es einen inneren Kern von Sprachfähigkeiten gibt - das waren sprachsystematisch-grammatische Fähigkeiten,17 und dass es darüber hinaus diverse menschliche Handlungsformen gibt, in denen Sprache im engsten Sinn zusammen mit ändern Fähigkeiten in unauflösbarer Kombination auftritt. Ich bin der Meinung, dass man sich auch unter dem Etikett der Sprachwissenschaft zu solchen Bereichen äussem darf und soll, nur sollte man dabei nie vergessen, dass man dann, wenn man solcherart weit verstandene "Sprache" beurteilt, immer auch mehr als Sprache beurteilt und dabei als Sprachwissenschaftler ein offenes Ohr haben sollte für andere, die zum Gleichen vielleicht berufenere Urteile abgeben können.
f) Aus (c) und (d) ergibt sich, dass wir nur die Standardsprache und nicht die Mundart in den Bück bekommen. Das ist dort nicht so wichtig, wo es bei unseren Abklärungen - so steht zu vermuten - um Dinge geht (v.a. im Bereich der Schriftlichkeit), die nicht so sehr an eine einzelne Sprachform, an ein einzelnes Subsystem einer Sprache gebunden sind, sondern die zur Fähigkeit zu Sprache und zu Sprachgebrauch überhaupt gehören. g) Die 'klassische* schriftsprachliche Produktion in der Schule - und sie gibt es im Aufsatzunterricht immer noch, und unser Material entstammt noch immer zu einem guten Teil solcher Produktion - steht unter ganz bestimmten Produktionsbedingungen, die man nicht vergessen darf. Sie dürften sich teils förderlich, teils hinderlich, in jedem Falle aber merklich auf die Qualität der dabei entstehenden Texte auswirken. Ich nenne einige Stichworte:18 - Adressatenproblem: Unsere Texte sind sehr oft an die Lehrerin oder den Lehrer und auch an niemanden gerichtet. Die Texte sind insbesondere meistens nicht für uns und nicht an uns geschrieben worden,19 und wenn doch, dann zumeist nicht aus einer genaueren Kenntnis heraus von uns und unserem Projekt heraus.20 15 16 17 18 19 20
Vgl. hierzu insbesondere den Abschnitt 5.5.4. Vgl. hierzu ganz knapp auch Abschnitt 9.2. Vgl. dazu Kp. 2 "Grammatik". Vgl. Boettcher/Firges/Sitta/Tymister (1973/76). Die Tragweite dieser Feststellung lässt sich v.a. aufgrund dessen bemessen, was ich im Kp. 5 "Kohärenz I" ausführen werde. Der Text, den ich im Abschnitt 6.4 genauer analysieren werde, ist bewusst für unser Projekt geschrieben worden. Vgl. dazu auch den Anhang.
l Einleitung
- Polyfunktionalität bis hin zur (Pseudo-)Funktionalität: Bei Schulaufsätzen handelt es sich zumeist um tendentielle (Pseudo-)Kommunikation mit einem (nicht-existenten) Adressaten, und Schulaufsätze werden immer auch hergestellt im Bewusstsein, dass das Produkt später einer benotenden Bewertung durch den Lehrer unterzogen wird. D.h. man schreibt im besten Fall, um wirklich etwas zu sagen, man schreibt immer aber auch, um mit seinem Schreibprodukt bewertet werden zu können. - Die Texte entstehen oftmals unter Zeitdruck, oftmals unter Zwang, oftmals zu nicht selbstgewählten Themen etc.21 Ich komme nun zu einem zweiten Komplex von Problemen, die mit der Gegenstandssetzung verbunden sind und die uns direkt auf die nächste Position in unserer "Urteilslogik" führen: die Urteils-Art, die Sprache des Urteils, die Abstützung des Urteils auf eine Urteils-Basis.
l. l .5 Urteils-Art, Urteils-Sprache, Urteils-Basis Texte sind überaus aspektreiche und hochkomplexe Gegenstände, ihre Eigenschaften sind keineswegs so unmittelbar der Beobachtung zugänglich, wie man sich das wünschen würde.22 Angesichts dieser Sachlage ist es unumgänglich, - den Gegenstand zu faktorisieren, d.h. an ihm einzelne Aspekte zu unterscheiden, wobei sich sofort das Problem der Unabhängigkeit der Aspekte bzw. umgekehrt der Interdependenz einstellt, - aus der Fülle der Aspekte auszuwählen, d.h. die Komplexität des Gegenstandes zu reduzieren - ich habe das oben schon gesagt. Das ist ein Unternehmen, das notwendigerweise auf dem Boden einer bestimmten Theorie (sei das nun eine eher unreflektierte Alltagstheorie oder eine auf eine bestimmte Art eher reflektierte sogenannte 'wissenschaftliche' Theorie) steht. D.h. die ganze Aufbereitung des Gegenstandes ist nun abhängig davon, als was ein Text gelten soll. Damit werden unsere Urteile über Texte von einer bestimmten Art, die ich vorerst einmal 'strittige Urteile' nennen will. Aus Gründen, die sich im folgenden zeigen werden, behandle ich das in meiner 'Logik des Urteils' zusammen mit ändern Punkten, die hier auf eine eigentümliche Weise miteinander verstrickt sind, als eine Position für sich. 21 22
Vgl. zu diesen besonderen Produktionsbedingungen auch den Abschnitt 6.5.4. Ich werde in Kp. 5 "Kohärenz I" gar einen Begriff von Text entwickeln, in dessen Rahmen die 'Gegenständlichkeit' von Texten radikal zum Problem wird.
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l Einleitung
Aussagen oder Urteile über Texte, wie sie mit dem Forschungsprojekt von uns verlangt sind, sind in mehrfacher Weise - wie ich im folgenden zeigen möchte - strittige Urteile. Oftmals spricht man auch von Werturteilen im weitesten Sinn, doch diesen Terminus möchte ich vorerst vermeiden und aufsparen für eine bestimmte Untergruppe der hier anstehenden strittigen Urteile. Strittige Urteile sind der diskursiven Anfechtung ausgesetzt und müssen diskursiv begründet werden, für sie muss argumentiert werden. Für ein Urteil argumentieren heisst: Gründe beibringen, die das Urteil abstützen.23 Argumentative Abstützungen von Texturteilen sind in verschiedene Richtungen denkbar. In der vorliegenden Arbeit versuche ich einen Weg einzuschlagen, der - wie ich hoffe - auf sprachwissenschaftlich oder textwissenschaftlich abgestützte Urteile über Texte führen kann. Wenn ich von strittigen Urteilen rede, so impliziert das ein Gegenteil: unstrittige Urteile. Kandidaten für solche unstrittige Urteile sind einmal Urteile, die man manchmal den Werturteilen im weitesten Sinn als sogenannte Tatsachenurteile entgegenhält. Ich halte solcherart verstandene Tatsachenurteile jedoch strenggenommen für ein Phantom insofern, als auch sie bei näherem Zusehen strittig sind. Ihre Strittigkeit springt lediglich aufgrund der Macht des präetablierten Konsenses (über die Urteils-Stütze, den Urteils-Grund) nicht ins Auge (vgl. dazu weiter unten. Ein weiterer Kandidat für unstrittige Urteile sind sogenannte reine Geschmacksurteile. Sie sind tatsächlich der diskursiven Infragestellung entzogen, sind dagegen immunisiert, und genau aus diesem Grunde haben sie in unserem etablierten Verständnis von Wissenschaft keinen Platz.24 Ich möchte nun zeigen, aus welchen Gründen und auf welche Weisen Urteile über Texte strittig sind, und ich möchte zeigen, welcher Art die Gründe sein können und müssen, die diese prinzipielle Strittigkeit in Richtung auf einen diskursiven Konsens hin aufheben können. a) Ich setze an beim oben zuletzt angesprochenen Problem der Auswahl von Aspekten oder Faktoren von Texten, über die ich eine Aussage machen will. Ich habe gesagt, dass eine solche Auswahl theorieabhängig ist: Es ist eine bestimmmte Theorie (oder vielleicht unverfänglicher: eine bestimmte Vorstellung, ein bestimmter Begriff) von Texten, die mir sagt, welche Aspekte es an einem Text überhaupt gibt, so dass sie Gegenstand eines Urteils werden können. Texte sind, anders als einfache materielle Dinge wie etwa eine Blumenvase, derart komplexe und facettenreiche Gegenstände, dass die Frage der Aspektauswahl von Anfang an viel 23 24
Vgl. hierzu auch Abschnitt 6.3.2. "De gustibus non est disputandum." Natürlich zielen Kunst- und Literaturwissenschaft, Literaturkritik etc. auf sehr viel mehr ab als auf blosse Geschmacksurteile in diesem Sinne.
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strittiger und die Theoriebestimmtheit daher viel augenscheinlicher ist. Wie lässt sich für die Auswahl von Aspekten diskursiv argumentieren? Natürlich ist der Faktor der Zweckbestimmung des Urteils entscheidend. Unter seiner Ägide muss dann für Aspekte im Namen der Relevanz argumentiert werden: An einem Gegenstand sollen jene Aspekte beurteilt werden, die für das, auf das hin ein Gegenstand beurteilt werden soll, ausschlaggebend sind, so dass das Urteil ein relevantes wird. Wer ein Auto kaufen will, das im Gebirge bei Nässe und Schnee auf kleinen Strassen tauglich ist, ist mit Angaben der Autofarbe und der Polsterung der Sitze eher schlecht beraten. b) Damit tut sich ein weiterer und noch viel grundsätzlicherer Bereich von Strittigkeit auf: Was ist die Zweckbestimmung unserer Urteile über Texte? Woraufhin sollen wir die Texte beurteilen? Wir sollen abklären, wie "gut" sie sind. Was aber heisst Güte eines Textes? Das ist die erste und letzte und schwierigste Frage in unserer Arbeit. Sie zielt ab auf letzte Textwerte oder Textideale (vgl. Kp. 10 "Ausleitung"). Prinzipiell ist auch über diese Frage Konsens herstellbar, und wissenschaftlich mit ihr umgehen heisst: immer wieder offenlegen, was für uns die Güte eines Textes ausmacht und welche Aspekte eines Textes wir aus diesen Gründen wie, mit welcher Gewichtung in Betracht ziehen. c) Sind die Aspekte einer Textbeurteilung aufgrund einer Relevanzbestimmung für die "Güte" eines Textes einmal ausgewählt, so können die einzelnen Aspektbeurteilungen ihrerseits wieder strittig sein, dies jedoch nun in sehr unterschiedlicher Art und Weise. Ich erwähne einige unterschiedliche Fälle: Die Aussage, dass ein Text einen Titel hat oder keinen Titel hat, scheint sehr unstrittig, vorausgesetzt allerdings, i) dass der Begriff des Titels hinreichend klare Grenzen hat ii) und dass auch der Gegenstand hinreichend deutlich sich zeigt. Wir sehen an diesem Beispiel das Grundprinzip des Urteilens: Wir applizieren Begriffe auf Gegenstände und Sachverhalte. Je klarer die Begriffe und je klarer die Gegenstände und Sachverhalte uns vor Augen liegen, desto unstrittiger werden die Urteile. Ebenfalls sehr unstrittig - bis auf einige Zweifelsfälle - scheinen Urteile über die Einhaltung oder Durchbrechung orthographischer Regeln. Solche Urteile sind lediglich Von aussen' bestreitbar, indem man die Legitimität heute geltender orthographischer Regeln in Frage stellt. Akzeptiert man diese Regeln jedoch, so findet man in ihnen eine Stütze für Urteile, die diese Urteile als sehr unstrittige
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erscheinen lässt.25 Schon strittiger sind Urteile über die Einhaltung morphosyntaktischer Regeln. Das liegt daran, dass sowohl die Urteilssprache, nämlich die grammatischen Kategorien und Regeln, in gewisser Weise unklar und strittig ist, und das liegt zum ändern daran, dass sich die Wirklichkeit - die Texte - hinsichtlich grammatischer Regeln zum Teil nicht sehr deutlich zeigt.26 Hinzu kommt auch hier wenngleich in anderer Weise als bei der Orthographie - die Problematik der Legitimität morphosyntaktischer Regeln, wie wir sie etwa in einer Gebrauchsgrammatik finden. So etwas wie ein qualitativer Sprung scheint jedoch dort vorzuliegen, wo wir auf Urteile beispielsweise über die Angemessenheit der Wortwahl, die Angemessenheit einer Titelformulierung, die Plaziertheit oder Deplaziertheit von Absatzgliederungen etc. kommen. Die Strittigkeit ist hier augenblicklich eine sehr viel höhere. Das zeigt sich schon in der Sprache, derer solche Urteile sich bedienen: Ihre Prädikate sind nicht mehr die der Richtigkeit/Falschheit, also dichotome Prädikate, die die Wirklichkeit, die an ihnen gemessen werden kann, grundsätzlich in zwei Hälften teilen, in die eine Hälfte der Richtigkeit und in die andere Hälfte der Falschheit, sondern wir operieren nun mit einer Urteilssprache, die Prädikate hat, die mehr oder weniger auf etwas zutreffen oder nicht zutreffen.27 Und zugleich haftet der Wirklichkeit, die es mit dieser Urteilssprache zu beurteilen gilt, etwas Nebulöses an, sie zeigt sich nicht mit Klarheit und scheint stets mit diversen ändern Textaspekten auf eine vertrackte Weise verstrickt und verhängt. Angesichts der Schwierigkeiten mit Aspekten dieser letzteren Art haben sich zwei verschiedene Verteidigungsstrategien sowohl in wissenschaftlicher wie in pädagogisch-didaktischer Textanalyse und -beurteüung etabliert: i)
Entweder man behauptet, dass auch für diese heiklen Aspekte eine unstrittige, dichotomische Beurteilungssprache zutreffend ist, d.h. man dehnt etwa den Begriff des Fehlers auf Bereiche aus, wo er nichts zu suchen hat. ii) Oder man zieht sich auf textuelle Aspekte zurück, deren Beurteilung vergleichsweise unstrittig ist: Orthographie, morphosyntaktische Richtigkeit. Gerade damit macht sich solche Textanalyse und beurteüung jedoch vehement strittig, was die Punkte (a) und (b) an25 26
Zur Orthographie vgl. Kp. 3 "Schrift". Ich verweise für eine detailliertere Problematisierung dieses Punktes auf meine Ausführungen im Abschnitt 2.3. Vgl. ausführlicher Abschnitt 1.2.2.
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belangt: Sind es wirklich die vergleichsweise unstrittig beurteilbaren Aspekte wie Rechtschreibung oder grammatische Richtigkeit, die für die Güte eines Textes relevant sind? d) Damit sind wir bei einer letzten Quelle von Strittigkeit von Textbeurteilungen angelangt: Es mag sein, dass ich über einen bestimmten Text zum begründeten Urteil gelangt bin, dass es in diesem Text 8 Absätze gibt, wovon 6 als angemessen, zwei hingegen als mehr oder weniger deplaziert zu klassifizieren sind, und dass an zwei Stellen des Textes ein Absatz mehr oder weniger empfindlich fehlt. Damit habe ich aber noch kein eigentliches Urteil über den Text gefällt. Vielmehr stellt sich nun die Frage, wie dieser Befund für eine Gesamtbeurteilung des Textes zu gewichten ist. Das ist wohl das schwierigste Problem. Hier spreche ich nun von "Wertung". Grundsätzlich gilt, dass das Gewicht einzelner Faktoren von Situation zu Situation, von Textsorte zu Textsorte usw. unterschiedlich zu veranschlagen ist.28 Auch dafür muss wieder argumentiert werden. Obendrein stellt sich die Frage, ob man in jedem Fall sich über einen Textaspekt ein Urteil bilden kann auch dann, wenn dieser Aspekt für diesen Text gar nicht relevant ist. Sicherlich kann man jeden beliebigen Text auf orthographische und grammatische Richtigkeit hin beurteilen und sich hinterher fragen, welches Gewicht man diesen Teilurteilen im Gesamturteil einräumen will. Aber kann man z.B. über die Angemessenheit von Absätzen in einem "stream-of-consciousness-Tagebuchtext" urteilen und hinterher zum Urteil gelangen, dass Absätze in diesem Text irrelevant sind? Das scheint logisch nicht möglich zu sein. M.a.W.: Es gibt an Texten gewisse Aspekte, für die es eine generell gültige Urteilsnorm gibt. Auf der Basis dieser Norm kann ich zu eher unstrittigen Urteilen über diese Textaspekte gelangen. In einem zweiten Schritt kann ich diese Teilurteile mit mehr oder weniger Gewicht in ein Gesamturteil integrieren (Weitung). Es gibt jedoch in einem Text andere Aspekte, für die es diese zwei Schritte nicht zu geben scheint, weil es für sie jene generelle Urteilsnorm nicht gibt, die mich zuerst etwas feststellen lässt, was ich dann anschliessend gewichten kann. Abschliessend ein letztes, quasi allgemeinstes Wort zum Urteilen: Urteilen liegen Vergleiche - oder wenn man will: Messungen - zugrunde. Im Urteil selber behaupte ich das Resultat dieser Messung, dieses Vergleichs. Bei der Messung oder beim Vergleich vergleiche ich den zur Debatte stehenden, faktischen Gegenstand bzw. Aspekte davon i) entweder mit einem ändern realen Gegenstand oder mit Aspekten davon; 28
Was die Textsorten anbelangt vgl. Kp. 8 'Textsorten".
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d.h. ich vergleiche a] mit % ii)oder mit einer virtuellen Grosse, einer allgemeinen Regel, mit einem Sollwert o.ä; d.h. ich vergleiche a, mit A. Mit diesem "A", das ich Norm nenne, beschäftige ich mich im folgenden Abschnitt (1.2) etwas eingehender. Mit dem Urteil präsupponiere ich zudem die Relevanz des Urteils. Dass Urteilen Vergleiche, Messungen zugrundeliegen, lässt sich auf den unterschiedlichsten Ebenen zeigen: - Wenn ich einen Tatbestand ganz einfach kategorisiere, z.B. als "Titel", so liegt dem ein Vergleich der Sache mit meinem Idealbild von Titel zugrunde; ich stelle Übereinstimmung fest und kategorisiere die Sache als "Titel". - Wenn ich eine Wortschreibung als orthographisch korrekt kategorisiere, liegt diesem Tun ein Vergleich der faktischen Schreibung mit der Normschreibung, d.h. wiederum mit einer Art Idealbild, zugrunde; ich stelle Übereinstimmung fest und konstatiere so korrekte Schreibung. - Wenn ich einen Textabsatz als unangemessen kategorisiere, dann vergleiche ich die Absatzverwendung mit meinem Idealbild von Absatzverwendungen, ich stelle eine Abweichung fest und konstatiere so eine Unangemessenheit des Absatzvorkommnisses. - Wenn ich 32 Orthographiefehler in einem Text als schlechte Leistung taxiere, dann vergleiche ich die Zahl 32 mit einem Normwert, stelle eine Überschreitung fest und taxiere den Text als in diesem Punkt schlecht. - Wenn ich einen Text insgesamt als schlecht einstufe, dann liegen dem diverse Kategorisierungen und Vergleiche mit Sollwerten zugrunde, die ich alle hochrechne zu einem Gesamturteil. - Selbstverständlich präsupponieren Urteile wie "Die heutigen Maturanden schreiben immer schlechter" Vergleiche mit faktischem Sprachgebrauch von Maturanden früherer Zeiten (einen Vergleich von at mit a^. Dass solchen Urteilen kaum je wirkliche Vergleiche zugrundeliegen (und auch kaum zugrundeliegen können),29 zeigt die Fragwürdigkeit solcher Urteile. Halten wir inne. Ich habe zu zeigen versucht, warum unsere Urteile über unsere Texte notgedrungen strittig oder problematisch ausfallen müssen. Damit sind sie noch lange nicht wissenschaftlich wertlos, falls es uns nämlich gelingt, sie in bestimmter Weise argumentativ zu stützen, d.h. offenzulegen, auf welche sprach- und texttheoretische Basis unsere Texturteile gründen, und dabei konsensfähige Stützen beizubringen. Ich verstehe die vorliegende Arbeit als einen solchen Versuch, von der Linguistik her 29
Vgl. Fussnote 7.
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solche Stützen bereitzulegen. Worin diese Stützen materiell bestehen, soll die Arbeit im einzelnen zeigen.
Zwei kleine Nachträge: i) Lehrer sind oft gezwungen, ihre Textbeurteilung maximal enthymemisch, d.h. maximal implizit und verkürzt zu machen, sie zu kondensieren in einer einfachen Zahl, z.B. "4".30 Unsere Texturteile in unserem Forschungsprojekt bedienen sich hingegen der natürlichen Sprache und bestehen stets in mehreren Seiten Text über einen Text. Sie sind enthymemisch, was die Sollwerte, die Kategorien und Normenbegründungen sowie Zuweisungen, die uns eindeutig scheinen, anbelangt, jedoch argumentierend, was alle problematischen Zuweisungen anbelangt. Unsere Beurteilung des gesamten Textkorpus das Resultat unserer Projektarbeit - möchte so weit als möglich in keinem Punkt enthymemisch, möchte also maximal explizit sein. Dafür wenden wir wahrscheinlich den Textumfang mehrerer Bücher auf. ii) Wenn Urteile letztlich darauf beruhen, dass man ein bestimmtes Faktum an einem Soll-Wert misst, und wenn man dieses Faktum zudem als in einer Entwicklung stehend begreift, die letztlich auf das Erreichen dieses Sollwertes gerichtet ist, dann folgt daraus - zumindest für alle Urteile, die nicht einfach dichotomischer Natur sind -, dass man den Befund entweder so charakterisieren kann, dass man festhält, wie weit die empirische Tatsache vom Sollwert entfernt ist, oder so charakterisieren kann, dass man festhält, wie weit sich die empirische Tatsache dem Sollwert angenähert hat. Konkret: Ich kann Texte schwergewichtig in dem charakterisieren, was in ihnen nicht gut ist, oder schwergewichtig in dem, was in ihnen (schon) gut ist. Logisch ist das halb leere Glas dem halb vollen gleich. Psychologisch und pädagogisch ist das keineswegs das gleiche.31 Im Zürcher Projekt geht es uns hauptsächlich darum herauszubekommen, wie voll die Gläser sind, und ein ganz wesentlicher Punkt ist dabei auch, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie gross die Gläser sind, mit denen die heutigen Schülerinnen und Schüler zu hantieren versuchen.
30 31
Zum Stichwort Enthymem vgl. den Abschnitt 6.3.2 der vorliegenden Arbeit. Vgl. hierzu P. Sieber (1990a).
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1.2 Sprachnormen ('Normologie') Literatur Bartsch, Renate 1985: Sprachnormen: Theorie und Praxis. Tübingen. Gloy, Klaus 1975: Sprachnormen I: Linguistische und soziologische Analysen. Stuttgart-Bad
Cannstatt (= problemata 46). Gloy, Klaus 1980: Sprachnorm. In: Hans Peter Althaus, Helmut Henne, Herbert Ernst Wiegend (Hg.): Lexikon der Germanistischen Linguistik. 2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Studienausgabe, Bd. . Tübingen, 363-368. Hannapel, Hans/Theo Herold 1985: Sprach- und Stilnormen in der Schule (Eine Umfrage unter Gymnasiallehrern). In: SuL 55,54-66. Hartmann, Peter 1976: Norm und Sprachbegriff. Zur Normdiskussion in der Linguistik. In: Klaus Gloy/Gunter Presch (Hg.): Sprachnormen m. Kommunikationsorientierte Linguistik Sprachdidaktik. Stuttgart-Bad Cannstatt (= problemata 48), 28-58. Härtung, Wolfdietrich 1977: Zum Inhalt des Normbegriffs in der Linguistik. In: Wolfdietrich Härtung u.a.: Nonnen in der sprachlichen Kommunikation. Berlin (= Sprache und Gesellschaft 11), 9-69. Härtung, Wolfdietrich 1987: Sprachnormen - ihr sozialer Charakter und die linguistische Begrifflichkeit. In: ZPSK 40,317-335. Keller, Rudi 1974: Zum Begriff der Regel. In: Hans Jürgen Heringer (Hg.): Seminar Der Regelbegriff in der praktischen Semantik. Frankfurt (= stw 94), 10-24. Lewis, David 1969/75: Konventionen. Eine sprachphilosophische Abhandlung. Berlin u.a. (= Grundlagen der Kommunikation). Nussbaumer, Markus/Horst Sitta 1983: Bibliographie Sprache und Norm. In: Praxis Deutsch 61. öhlschttger. Günther 1974: Einige Unterschiede zwischen Naturgesetzen und sozialen Regeln. In: Hans Jürgen Heringer (Hg.): Seminar Der Regelbegriff in der praktischen Semantik. Frankfurt (= stw 94), 88-110.
Sandig. Barbara 1982: Sprachliche Nonnen und Werte in der Sicht germanistischer Linguistik. In: Friedrich Hiller (Hg.): Normen und Werte. Heidelberg.
Steger, Hugo 1980: Nonnprobleme. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Der öffentliche Sprachgebrauch, Bd. I: Die Sprachnorm-Diskussion in Presse, Hörfunk und Femsehen. Bearbeitet von Birgitta Mogge. Stuttgart, 210-219. Techtmeier, Bärbel 1977: Die kommunikative Adäquatheit sprachlicher Äusserungen. In: Wolfdietrich Härtung u.a.: Normen in der sprachlichen Kommunikation. Berlin (= Sprache und Gesellschaft 11), 102-162. Techtmeier, Bärbel u.a. 1987 [1984]: Thesen zur Sprachkultur. In: Bärbel Techtmeier (Hg.): Theoretische und praktische Fragen der Sprachkultur. Berlin (= LS/ZISW/A 170), 1-19. [Erstmals in ZfG 1984.4,389-400.] Wiegand, Herbert Ernst 1986: Von der Normativität deskriptiver Wörterbücher. Zugleich ein Versuch zur Unterscheidung von Nonnen und Regeln. In: Sprachnormen in der Diskussion. Beiträge vorgelegt von Sprachfreunden. Berlin, 72-101. Wimmer, Rainer 1977: Sprachliche Normen. In: Hans Jürgen Heringer u.a.: Einführung in die Praktische Semantik. Heidelberg (= UTB 716), 40-59.
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1.2.1 Begriffliche Vorklärungen Urteilen - so habe ich gesagt - liegen Vergleiche zugrunde, seien es Vergleiche zwischen dem zu beurteilenden Gegenstand und einem ändern konkreten Gegenstand (& verglichen mit aj), oder seien es Vergleiche zwischen dem zu beurteilenden Gegenstand und einer abstrakten Grosse, einem Idealbild, einem Sollwert o.a. (at verglichen mit A). Um solche abstrakten Vergleichsgrössen (um "A" also) soll es im vorliegenden Abschnitt in grundsätzlichem Angang gehen. Der Termini- und Begriffswirrwarr in dem für die Sprachwissenschaft so grundlegenden Problembereich von "Sprache und Norm" ist kaum zu bewältigen. Er entsteht in der Sprachwissenschaft, wo er nicht schon aus Disziplinen wie der Philosophie oder Soziologie ererbt wird, wohl durch ungenaue Rezeption und nicht zuletzt durch Rezeption aus unterschiedlichen Richtungen wie etwa sozialwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Normtheorien. Diese Orientierung an unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen hängt aber wiederum mit der ungeheuren Vielfältigkeit des Gegenstandes "Sprache" zusammen und entspricht insofern der potentiellen Vielfältigkeit tatsächlicher Normen in der Sprache. Für die vorliegende Arbeit führt kein Weg am Nonnbegriff vorbei, zugleich aber kann es nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, abschliessende Klarheit und Distinktheit in den Komplex von "Sprache und Norm" zu bringen. Ich muss mich hier mit einigen grundsätzlichen Anmerkungen begnügen und widme mich im weiteren Verlauf dieser Arbeit Fragen des möglichen materiellen Gehalts von Sprachnormen. Ich beginne mit einer gruppierenden Aufstellung von Termini aus dem Komplex von "Sprache und Norm": 1) Norm, Regel, Konvention, Gesetz, Vorschrift, Gebot, Verbot, Anweisung, Richtschnur 2) Regelmässigkeit, Gesetzmäßigkeit, Normalität, das Normale, Praxis 3) Usus, Brauch, Sitte, Habitus, Mode, Gepflogenheit, 4) Muster, Modell, Schema, Plan 5) Wert, Ideal, Moral 6) Vorbild, Leitbild, Ideal, Modell
7) Massstab, Werteskala, Messlatte, "Zollstock"32 8) Maxime 9) Kodex 32
"Auch für den Stil brauchen wir einen Zollstock! Wir müssen nachprüfen können, ob wir gut oder schlecht schreiben. So ein Zollstock ist aber nicht so einfach herzustellen." (Ludwig Reiners: Stilfibel. München 1979,194.)
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Das Wortfeld liesse sich ohne Schwierigkeit vergrössern. Durch bestimmte Ableitungen zu den aufgeführten Wörtern (z.B. durch Normierung zu Norm) liessen sich Tore zu angrenzenden Begriffsbereichen aufstossen: Normierung beispielsweise als Prozess, dessen Resultate Nonnen sind. Etc. Die Anordnung in 7 Gruppen ist ein hilfloser Versuch, Ordnung zu schaffen: - Die Gruppe (1) vereinigt Begriffe, die bei der hier anstehenden Problematik im Zentrum stehen. Der Terminus der Norm kommt darin vor, sei es als Terminus für einen Überbegriff über die ändern oder für einen Begriff, den es durch Absetzung von den ändern (insbesondere vom Begriff des Gesetzes) zu unterscheiden gilt. - Die Gruppe (2) markiert ein methodologisches Grundproblem der Sprachwissenschaft und der vorliegenden Arbeit. Es besteht darin, das vermeintlich Normale umzuwerten in Normen. - Die Gruppe (3) kann man mit Gruppe (2) zusammensehen, man kann aber auch eine leichte Differenz zu (2) darin sehen, dass hier eher Termini für weniger Systematisches, für weniger Wichtiges, Zentrales, auch für weniger Stabiles, für eher Ephemeres versammelt scheinen. - Auch die Gruppe (4) kann man mit der Gruppe (2) (oder (3)) zusammensehen, als Gruppe von Termini, die einen bestimmten Aspekte dessen bezeichnen könnten, was von den in (2) (und ev. (3)) versammelten Termini bezeichnet wird. Vielleicht so: Was nach Normen oder Regeln hergestellt wird oder als daran orientierter Prozess abläuft, zeigt ein Muster, einen Plan, ist modelliert. - In (5) scheint eine hierarchisch höhere Stufe angesprochen als etwa in (1). Das von den Termini in (5) Bezeichnete kann so etwas wie die Basis oder Letztbegriindung für das von den Termini in (1) (oder einigen davon) Bezeichnete meinen.33 - Mit Termini unter (6) benennt man Menschen oder Sprachverwendungsbereiche, an denen man sich bei der eigenen Sprachpraxis oder bei der Beurteilung der Praxis anderer orientiert; gegenüber Normen oder Regeln wie unter (1), die Allgemeines meinen, meinen Termini unter (6) Einzelnes, das für besonders herausragend erachtet wird. Zu denken ist an bestimmte Autoritäten, die kraft ihrer Autorität Normen legitimieren können. - Die Termini in (7) nennen einen möglichen Aspekt von Normen, den Aspekt ihrer Verwendung als Grundlage für Bewertungen.34 - Maxime in (8) verwendet man manchmal wie Termini in (5), manchmal aber auch zur Markierung einer eher subjektiven Seite dessen, was die
33 34
Ich spreche in dieser Arbeit manchmal von Textidealen im Unterschied zu von ihnen begründeten Textnonnen. Vgl. insbesondere Kp. 10 "Ausleitung". Vgl. Abschnitt 1.1 und 1.3.
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Termini in (1) bzw. einige davon an eher Objektivem bezeichnen.35 - Kodex in (9) scheint mir ein Terminus, der ausschliesslich für das Festschreiben von dem gebraucht wird, was insbesondere die Termini in (1) oder einige von ihnen bezeichnen. Die Termini in (1) können dazu aber auch verwendet werden und werden es auch. So weit zur Einstimmung. An Präzisierung und Problematisierung möchte und kann ich nicht mehr leisten als die Formulierung der paar nachstehenden Bemerkungen. Der Terminus Sprachnormfen) wird - so weit ich sehe - eher selten in einer weiteren Lesart, eher häufig in einer engeren Lesart gebraucht.36
A.
Weiter Begriff von Sprachnormen
Ausgangspunkt für die weitere Lesart von Sprachnorm(en) ist die Feststellung, dass Sprache, und zwar der Bau von sprachlichen Ausdrücken wie auch deren Verwendung regelmässig ist, d.h. wiederkehrende Gleichförmigkeiten aufweist und insofern auch in bestimmtem Masse vorhersagbar ist. Diesen Umstand, diese empirische Tatsache, wenn man so will, erklärt man sich so, dass man annimmt, dass die Angehörigen einer bestimmten Sprachgemeinschaft sich nach bestimmten überindividuellen Regeln sprachlich in dieser gleichförmigen Art verhalten.37 Den Terminus Sprachnormen gebraucht man nun - in der weiteren Fassung - entweder als Synonym für dieses Ensemble von Sprachregeln, oder aber etwas differenzierter vielleicht - als Begriff für diese Sprachregeln unter dem Aspekt ihrer sozialen, ihrer überindividuellen Natur oder Existenz (vgl. weiter unten). 35
36
37
K. Gloy (1980, 363): "Normen i.e.S. sind Festsetzungen zur Regulierung menschlichen Handelns im sozialen und gesellschaftlichen Leben. Im Sonderfall der Maximen setzt sich der Adressat selbst individuell-privat diese Regulatoren." Maxime hat wohl auch bei Kant diesen individuellen Anstrich, ist aber sozial gemeint. Ebenso sind die "Konversationsmaximen", die Grice (1975) herausgearbeitet hat, auf das einzelne Individuum hin formuliert ("Mache deinen Beitrag ...!"), aber durchaus überindividuell-sozial gemeint. Von E. Coseriu her gibt es in der Sprachwissenschaft überdies eine bestimmte Lesart von Norm, die in gewisser Weise mit der engeren der beiden hier kurz vorzustellenden Lesarten zusammenhängt, dennoch aber ihre spezifischen Eigenheiten hat: Mit Norm ist eine bestimmte Auswahl aus systematischen Möglichkeiten gemeint, die Favorisierung der einen Variante, die Unterdrückung einer ändern. Vgl. z.B. Coseriu (1988, 297ff.), Eisenberg/Voigt (1990). Vgl. D. Lewis (1969/75), der aus sprachphilosophischer Sicht hierfür den umfassenden Begriff der Konvention vorschlägt. Hartmann (1976) reflektiert über mögliche (auch negative) Konsequenzen dieser petitio principü, dieser absolut fundamentalen forschungsleitenden Grundannahme der jüngeren Sprachwissenschaft
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Diese Lesart von Sprachnormen glaube ich etwa bei K. Gloy (1980) und auch bei W. Härtung (1977) zu finden: "Nonnen i.e.S. sind Festsetzungen zur Regulierung menschlichen Handelns im sozialen und gesellschaftlichen Leben. [...] Unter Sprachnormen versteht man [...] eine Teilmenge sozialer Normen im o.a. Sinne, also explizite Festsetzungen und normative Erwartungen, die auf die Bildung, Anwendung und Verwendungsabsicht sprachlicher Einheiten bezogen sind." (Gloy 1980,363f.) "In einem hinreichend allgemeinen Sinn können wir soziale Nonnen - und die Normen der sprachlich-kommunikativen Tätigkeit sind ein spezieller Fall sozialer Normen - als 'gedankliche Festsetzungen' verstehen, die sich auf menschliche Handlungen beziehen und kollektive Verbindlichkeit besitzen, die vom Handelnden also eine bestimmte, wiederkehrende Art des Handelns fordern und so auf eine Regulation sozialen Verhaltens hinzielen. [...] Wenn wir dieses allgemeine Normverständnis auf die sprachlichkommunikative Tätigkeit beziehen, dann sind die ihr zugrunde liegenden Normen gedankliche Festsetzungen, die den als Sprecher/Schreiber oder Hörer/Leser in kommunikative Beziehungen zueinander tretenden Menschen als Grundlage dafür dienen, wie sie bei der Realisierung der kommunikativen Beziehungen vorgehen können und müssen." (Härtung 1977, l Iff.)
Die Formulierungen - vorab diejenige von W. Härtung - lassen den Schluss zu, dass hier eine Beschränkung auf Sprachgebrauchsnormen vorliegt. Diese Reduktion ist aber weder bei K. Gloy noch bei W. Härtung intendiert.38 Hier wollen wir davon ausgehen, dass Sprachnormen im weiten Sinn beides (Ausdrucksbildung und Ausdrucksverwendung) umfassen. In Entgegensetzung zu den Normen als dem sozialen Charakter von überindividuellen Regeln könnte man den je individuellen Besitz solcher überindividueller Regeln das Gesamt des Wissens des Individuums nennen, das das sprachliche Verhalten des einzelnen Menschen bestimmt, das Sprachwissen also. Es bestimmt das sprachliche Verhalten sowohl in der eigenen Sprachproduktion wie in der Rezeption der Sprachprodukte anderer (in Form von Erwartungen, in Form von Verstehen, in Form von Beurteilungen von Sprachäusserungen - z.B. Wohlgeformtheitsurteile - anderer).39 Wir bekommen so - ganz tentativ nur - ein Begriffssystem, wie es Schema l zeigt. Oftmals wird betont, dass Sprachnormen Regeln und nicht Gesetze sind. R. Keller macht den Unterschied fest am Unterschied zwischen Verhalten und intentionalem Handeln: "Ich will also sagen, dass Verhalten von Gesetzen und Handeln von Regeln geleitet wird." (Keller 1974, 12) Der Umgang des 38
39
Allerdings steckt hier das Problem, ob es einen gemeinsamen Begriff für sprachsystematische und Sprachgebrauchsnonnen geben kann. Ich diskutiere das weiter unten. Dabei denke ich jetzt an den individuellen Besitz sozialer Regeln, also nicht an individuelle Maximen. - Zum Schlagwon Wissen vgl. Kp. 5 "Kohärenz I". Vgl. auch H.-M. Gauger u.a. (1982) zum Stichwort "Sprachgefühl".
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Menschen mit Sprache ist für R. Keller eindeutig Handeln und damit regelgeleitet, nicht gesetzmässig.40
Regel Wissen
Norm
der kognitive, Individuelle Aspekt von Regeln
der soziale, überindividuelle Aspekt von Regeln
[Schema 1]
Regelgeleitet und nicht gesetzmässig - das impliziert eine ganze Menge: - Sprachregeln wirken nicht mechanisch, sondern sie wirken über die Intentionalität und prinzipielle Freiheit des menschlichen Willens. - Sprachregeln wirken - von aussen gesehen - nicht ausnahmslos. Der Mensch kann sie - willentlich oder unwillentlich - missachten oder übertreten. Das betrifft die Aktualgenese von Sprache. - Das Moment der Freiheit, das regelgeleitetem Handeln im Unterschied zu blossem gesetzmässigem Verhalten zukommt, ist virulent in der Ontogenese der Sprache im Individuum: Regeln werden gelernt, müssen gelernt werden. - Das Moment der Freiheit, das Regeln anhaftet, ist schliesslich virulent in der Historiogenese der Sprache: Sprachen - und das heisst: Sprachnormen oder -regeln - können sich verändern, und sie tun das auch. Gesetze kann man mit MUSS-Sätzen fassen, Regeln dagegen mit SOLLSätzen. Gewisse Einschränkungen, was die prinzipielle Freiheit gegenüber Sprachregeln betrifft, sind hier möglicherweise zu machen von dem in jüngerer Zeit insbesondere im Umkreis der Generativen Grammatik und Sprachtheorie verbreiteten biologistischen Bild v.a. grammatisch-systematischer Sprachregeln: In dem Masse, in dem hier Grundlagen grammatischen Wissens für universal und angeboren erklärt werden, ändern sie wohl auch ihren Regelstatus und nähern sich Gesetzen an, die in gewisser Weise weder in der Ontogense noch der Aktualgenese noch der Historiogenese der Sprache hintergehbar sind.41 40
41
Juristische Gesetze sind in diesem Sinne auch keine Gesetze, sondern Regeln. Gesetze sind hingegen das, was wir Prozessen der Natur unterstellen. Vgl. auch G. Öhlschläger(1974). Vgl. hierzu beispielsweise G. Fanselow/S.W. Felix (1987/1). Damit ist erneut die in Fussnote 38 erwähnte Problematik angepeilt, ob es denn wirklich einen gemeinsamen Begriff von Sprachnormen sowohl für Sprachsystematisches wie auch für
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Unter den Sprachnormen in diesem weiten Sinne unterscheidet man manchmal nach dem Aspekt der Explizitheit: a) explizite oder statuierte Nonnen als Normen, die schriftlich oder mündlich festgesetzt sind (vgl. Kodex; manchmal spricht man hierbei auch von Normierung42) b) implizite oder subsistente Normen, die lediglich durch stillschweigende gemeinsame Praxis wirksam sind. Eine andere Unterscheidung scheint lediglich innerhalb der expliziten Normen zu liegen (ich glaube allerdings, dass es die Unterscheidung auch hinsichtlich impliziter Normen gibt). Gemeint ist eine Unterscheidung nach der Kongruenz oder Divergenz von Norm und Realität: a) Regeln fest-schreibende Normen. Der Inhalt der Norm ist das, was der Fall ist. Wenn ich solche Normen explizit festschreibe, dann wandle ich IST-Sätze in SOLL-Sätze um, schreibe die Realität - oder was ich dafür halte - fest.43 Im Bereich der impliziten Normen handelte es sich hier um eine Überzeugung des "Das-macht-man-so" o.a., die sich mit der Realität deckt, aus ihr abgeleitet ist und ihr als Norm entgegentritt. b) Regeln schaffende oder Regeln vor-schreibende Normen. Das sind Normsetzungen; hier trägt man, im expliziten Fall, SOLL-Sätze an eine für anders erkannte Realität heran in der Absicht, diese Realität zu ändern.44 Zu denken ist aber auch an ein 'falsches Bewusstsein': Ich habe das Bewusstsein einer Norm, von der ich meine, dass ich mich an sie auch halte, aber ich tue es nicht. Oder ich nehme mir vor, mein sprachliches Tun zu verändern, mich inskünftig sprachlich anders zu verhalten. Es sind nun diese Differenzierungen, die uns zum engeren Verständnis von Sprachnormen führen.
B.
Engerer Begriff von Sprachnormen
Manchmal werden genau solche Fixierungen von Regeln, die fest-schreibenden wie die vor-schreibenden, als Normierungen und damit das, was festgeschriebenen wird, als Normen bezeichnet. Sprachnormen in diesem Sinne sind alle kodifizierten Normen, also z.B. was im Duden steht. Individueller gefasst spricht man manchmal von Normen, wenn Regeln einem Individuum bewusst werden, wenn Regeln also zu einem bewussten Wissen von der Form "X soll sein" werden. Solches Wissen zeigt sich 42 43 44
Sprachpragmatisches geben kann. Vgl. dazu auch weiter unten. So H. Hannappel/Th. Herold (1985). Dieses Fest-Schreiben schlägt aber vielleicht entscheidend um ins Vor-Schreiben. Manchmal braucht man auch für diesen eingeschränkten Begriff den Terminus der Normierung. So H. Steger (1980, 210).
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insbesondere in metakommunikativen Äusserungen (vgl. Kp. 7 "Metakommunikation"). Sehr oft ist das Verständnis von Sprachnormen aber noch enger und umfasst dann nur die Vor-Schreibungen, d.h. die SOLL-Sätze, die als Korrektiv zur erkannten Realität gemeint sind und an diese herangetragen werden. Einen solchen engen Normenbegriff findet man beispielsweise bei H. E. Wiegand (1986).45 Er unterscheidet Regeln als das, was stillschweigend gilt, unabhängig davon, ob es festgeschrieben ist, und in jedem Fall gilt, bevor es festgeschrieben ist, von Normen als dem, was einzelne oder eine Gemeinschaft bewusst durchsetzen wollen. Gemäss diesem Sprachgebrauch kann es keine Regeln geben, die nicht gelten; das wäre ein Widerspruch in sich selbst. Hingegen gibt es viele Normen, die nicht, nicht mehr oder noch nicht gelten. Normen müssen, damit sie gelten, durchgesetz werden. Als typische Formulierungen von Normen führt H. E. Wiegand an: "(1) Einen Brief beginnt man nicht mit ich. (2) Kinder reden beim Essen nur dann, wenn sie gefragt werden. (3) Man antwortet immer in ganzen Sätzen. (4) Deutsches Wort in deutscher Schrift!" (Wiegand 1986, 87)
Sprachnormen in diesem engsten Sinn sind besonders starke Zwänge, die mit der Absicht der Veränderung der Wirklichkeit an diese Wirklichkeit herangetragen werden und vom Individuum auch als besondere Zwänge erlebt werden.46 Normen in diesem engen Sinn operieren tendentiell über Regeln, fassen Regeln zusammen zu einem bestimmten normierten Sprachgebrauch, scheiden Regeln aus, unterdrücken Regeln etc. Wohl nicht zufällig hat H. E. Wiegand hier nur 'negative' Beispiele versammelt. Ich glaube, dass H. E. Wiegands Verständnis von (Sprach-)Normen einem verbreiteten, v.a. auch alltagssprachlichen Normenverständnis entspricht. Wie ich unter Erwähnung von K. Gloy (1980) und W. Härtung (1977) gezeigt habe, ist dieses enge Verständnis jedoch nicht das einzige innerhalb der Sprachwissenschaft. Ich übernehme es für meine Arbeit nicht, sondern 45
46
Aber auch bei P. v. Polenz (1973; 1982), R. Wimmer (1977), H. J. Heringer (1980), B. Sandig (1982). Letztere unterscheidet beispielsweise Konventionen oder konventionelle Regeln von Normen oder normativen Regeln. Letzteres sind für sie insbesondere ganze Regelkomplexe, die Varietäten wie die sogenannte Kultur- oder Schrift- oder Standardsprache konstituieren und stabilisieren. Normen in diesem Sinne sind nicht gewachsen, sondern artifiziell. Allerdings ist diese Unterscheidung höchst heikel: Es fragt sich, ob es überhaupt in der Sprache das Natürliche, Gewachsene gibt, ob nicht alles mehr oder weniger artifiziell ist. Normen in diesem letzten, engsten Sinn wären nur besonders deutliche Artefakte. Der Unterschied ist nicht nur einer in der Normgenese, sondern damit auch einer der Norm-Legitimation (wobei natürlich auch die Gleichstellung von 'weniger artifiziell' mit 'mehr legitimiert' in ihrer Legitimation sehr fragwürdig ist).
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halte mich vielmehr an den weiteren Begriff von Sprachnonnen, weil es mir in dieser Arbeit um Normen der Sprache geht - des Sprachsystems und des Sprachgebrauchs -, die ich einerseits für mehr oder weniger verbindliche Richtschnüre einer Beurteilung von Texten erachte, die ich jedoch in keiner Weise einfach als Zwängerei missverstanden haben möchte. C.
Versuch, einer positiven Bestimmung von Sprachnormen
Normen haben, betrachtet man mein oben vorgeschlagenes Begriffsschema, vermittelt über den Regelbegriff einen individuellen Aspekt als handlungsleitendes, bewusstes oder unbewusstes, Wissen. Solches Wissen ist dem Individuum unverzichtbar. Es leitet an, d.h. es schränkt in jeder Situation die Menge möglicher Alternativen radikal ein auf einige wenige, und es bietet Entscheidungshilfen für die Wahl einer Alternative an. Es ist Orientierungshilfe und als solche eine Erleichterung für das Handeln. Die absolute Freiheit wäre für das Individuum furchtbar und schlüge augenblicklich in völlige Unfreiheit um, in Handlungsunfähigkeit. Aber natürlich kann die Orientierung auch als zu eng, als Zwang empfunden werden. Bewusst werden einem Individuum die Normen v.a. dann, wenn die Gesellschaft diese explizit an das Individuum heranträgt, insbesondere auch dann, wenn das Individuum Sanktionen für Nicht-Einhaltung der Norm erfährt. Sprachnormen als der soziale, d.h. überindividuelle Aspekt von Regeln (vgl. das Begriffsschema 1) gewährleisten die Verständigung als Grundvoraussetzung von Gesellschaftlichkeit des Individuums. Aber natürlich können Sprachnormen insbesondere dann, wenn sie vor-schreibender Natur sind, und insbesondere dann, wenn sie sozial hoch bewertet werden und wenn gleichzeitig bestimmte soziale Gruppen von der Erreichung dieser Normen ferngehalten werden, oder auch wenn sie dysfunktional sind, zum Zwang, auch zum Herrschaftsinstrument werden. Alle sozial geltenden Normen können als Grundlage für die soziale Bewertung, für die Einstufung von Individuen benutzt werden (und werden auch dafür benutzt), und zwar über einen doppelten Schritt: a) Normen sind die logische Basis für eine Bestimmung dessen, was normkonform und was im Gegenteil ein Normverstoss ist. b) Die Einhaltung von bestimmten Normen ist immer auch mit einem bestimmten Wert verbunden bzw. der Verstoss gegen eine bestimmte Norm mit bestimmten Sanktionen auf einer Skala von leicht bis schwer. Für Linguisten und Pädagogen sind Normen ebenfalls die Basis für Bewertungen von Sprache und Sprachgebrauch von Individuen und Gruppen, und zwar ebenfalls in zweierlei Art: a) Sie sind die Grundlage für Entscheidungen, ob ein Sprachgebrauch regelkonform ist oder nicht oder in welchem Masse er es ist.
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b) Durch (a) sind sie mittelbar die Grundlage für Einstufungen von Sprachgebrauch (oder Menschen mit ihrem Sprachgebrauch) auf diversen Werteskalen: Ausmass/Güte der Sprachkompetenzen; Lokalisierung auf einem Entwicklungsstrang ("Lernersprache" u.a.); Zuordnung zu Varietäten etc. H. E. Wiegands Normenbegriff - auch wenn er weit verbreitet ist - scheint mir zu eng und auch zu negativ. Sprachnormen sind nicht eine blosse Zwängerei, sind nicht nur von aussen an die Sprachwirklichkeit herangetragene SOLL-Sätze zur Korrektur dieser Wirklichkeit (und damit mehr oder weniger illegitim, gesetzt die Sprachwirklichkeit ist naturwüchsig "gut"). Unter Normen kann man auf der ändern Seite aber auch nicht einfach das verstehen, was der Fall ist, also nicht einfach den ganzen Usus, die schlichte Sprachwirklichkeit. Dadurch, dass etwas ist, ist es noch lange nicht einfach gut.47 Sprachnonnen, wie ich sie in dieser Arbeit verstanden haben möchte, sind also weder einfach die Sprachwirklichkeit, noch treten sie dieser von aussen einfach entgegen. Vielmehr: Sprachnormen kommen aus der Sprach Wirklichkeit, sind eine Abstraktion derselben und wirken auf diese regulierend zurück. Es gibt nun das methodologische Grundproblem der deskriptiven Sprachwissenschaft: Wie lassen sich aus Beobachtungen von Regelmässigkeiten Regeln statuieren? Dieses Grundproblem ist in diesem Normbegriff potenziert: Wie lassen sich aus Beobachtungen von Regelmässigkeiten von Sprachbau und Sprachgebrauch und einer Auslotung ihrer möglichen Gründe Normen ableiten, an denen faktischer Sprachbau und faktischer Sprachgebrauch gemessen werden können? Nach K. Gloy (1980) spricht man im Kritischen Rationalismus vom "naturalistischen Fehlschluss" von vermeintlichen Regelmässigkeiten auf Regeln. Demzufolge steht man mit einem solchen Normbegriff in der Gefahr präskriptiver, normativer "naturalistischer Fehlschlüsse". Die Gefahr lässt sich nicht ausschalten, aber es gibt eine Strategie, wie man mit ihr leben kann: Man muss - gerade weil sie prinzipiell strittig sind - unablässig für Normen argumentieren. (Vgl. dazu weiter unten die Motivierung der vorliegenden Arbeit.)
l .2.2 Materiale Differenzierung von Sprachnorm. Differenzierung von Korrektheit und Verstoss™ In der jüngeren Sprachnormdiskussion findet sich dort, wo der weite Begriff von Sprachnormen vertreten wird, durchwegs eine interne materiale 47 48
Vgl. hierzu die Diskussion des Grammatikbegriffs in Abschnitt 2.5.3. Dieser Abschnitt hat einen besonders engen Bezug zum Abschnitt 2.3 über Fehler.
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Zweiteilung dieser Sprachnormen:49 a) Grammatische oder sprachsystematische Normen b) Sprachpragmatische Normen, Sprachgebrauchsnormen W. Härtung weist auf das Alter dieser Zweiteilung hin (1977,40): "Die Zweiteilung ist so alt wie die Linguistik [...]. Die aus der antiken Rhetorik stammende Unterscheidung zwischen einer ars recte dicendi und einer ars bene dicendi bezieht sich ebenso auf diese Zweiteilung wie die spätere Bestimmung des Verhältnisses von Grammatik und Stilistik."
richtig Richtigkeit
Korrektheit Angemessenheit
falsch Fehler
Verstoss Unangemessenheit
[Schema 2]
Er schlägt damit auch gleich die Brücke von der materialen Differenzierung - hie Grammatik/Sprachsystem, hie Pragmatik/Sprachgebrauch - zur Differenzierung zweier damit eng verbundener grundlegend verschiedener Korrektheitsbegriffe: a) dichotomischer Korrektheitsbegriff der "Richtigkeit", dessen Gegenbegriff der Begriff des "Fehlers" ist b) skalarer Korrektheitsbegriff der "Angemessenheit", dessen Gegenbegriff der Begriff der "Unangemessenheit" ist.50 49 50
So bei W. Härtung (1977, 25ff.), H. Steger (1980, 210ff.), K. Gloy (1980, 365), B. Techtmeier u.a. (1987 [1984], 7), R. Bartsch (1985,5). Dabei gibt es eine leicht störende Asymmetrie der Termini, die symptomatisch ist: Fehler meint ein Ereignis, der Bereich hingegen wäre der der Falschheit. Hingegen meint Richtigkeit eher einen Bereich, während das Ereignis, das Richtige, keinen eigentlichen Terminus hat. Der Grund hierfür ist natürlich darin zu suchen, dass wir
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Den Unterschied soll Schema 2 graphisch verdeutlichen. Dabei stehen die dunklen Zonen für Zonen der Auffälligkeit, wodurch unmittelbar deutlich werden sollte, dass wir es mit einer eigenartigen Asymmetrie zu tun haben: Beim dichotomischen Korrektheitsbegriff (a) ergibt sich eine klare Scheidung in Fehlerhaftes, das auffällig, markiert ist, und unauffällig Richtiges. Demgegenüber liegt beim skalaren Korrektheitsbegriff eine grosse Zone unauffälliger Angemessenheit zwischen Polen auffälliger, markierter besonderer Angemessenheit oder Unangemessenheit. Die Verbindung zwischen der materialen Differenzierung von Sprachsystem- und Sprachgebrauchsnormen einerseits und dem Unterschied zwischen diesen zwei grundlegenden Korrektheits- bzw. Verstoss-Typen ist sicherlich angebracht, doch muss vor einer zu einfachen Identifizierung gewarnt werden. Ich komme im Verlauf dieser Arbeit bei der weiteren materialen Differenzierung der Normen auf diese Frage wiederholt zurück.51 Hier sei lediglich die grundsätzliche Charakterisierung dieser zwei Norm-Typen angemerkt: Sowohl der Begriff der Richtigkeit wie der der Angemessenheit sind logisch gesehen zweistellige Funktoren.
[RICHTIG^] d,y) J
[ANGEMESSEN,„J
[Schema 3]
- Der Funktor RICHTIG ist zweiwertig insofern, als er x-y-Paare auf die Menge mit den zwei Elementen "+" und "-" oder "richtig" und "falsch" abbildet, d.h. x-y-Paaren stets den Wert "richtig" oder "falsch" zuweist. - Der Funktor ANGEMESSEN dagegen ist mehrwertig, er bildet x-yPaare ab auf eine Menge mit unendlich vielen Werten auf einer Skala
51
für das Unmarkierte, das unauffällig Normale der Richtigkeit auch keinen Namen brauchen. - Diese Asymmetrie in den Bezeichnungsmöglichkeiten wiederholt sich auch bei den Oberbegriffen: Korrektheit ist eher Terminus für einen Bereich, Verstoss hingegen für ein Ereignis. - Auf Textqualitäten umgelegt könnte man hier auch generell von den Vorzügen und den Mängeln reden. Vgl. besonders die Abschnitte 2.3 (Fehler), 2.5 (Grammatik der gesprochenen und der geschriebenen Sprache), 3.2 (Normen der Schrift), 4.4 (Normen der Kohäsionsherstellung).
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zwischen den Polen maximaler und minimaler Angemessenheit, d.h. er weist x-y-Paaren einen Wert auf einer Skala von "besonders angemessen" bis "besonders unangemessen" zu. Das "x" ist ein bestimmter sprachlicher Ausdruck oder eine bestimmte Verwendung eines Ausdrucks (ein Ausdrucksvorkommnis). Das "y" ist der Normbereich, an dem der Ausdruck "x" oder das Ausdrucksvorkommnis x" gemessen wird, die Norm, auf die hin "x" beurteilt wird. M
Die grundlegende Unterscheidung dieser zwei Arten von Normen, mit denen wir es bei Sprachbeurteilungen zu tun haben, hat in unserem Textanalyseraster im Zürcher Forschungsprojekt (siehe Anhang) zur grundlegenden Zweiteilung zwischen dem Bereich A der orthographischgrammatischen Richtigkeit und dem Bereich B der funktionalen, ästhetischen und inhaltlichen Angemessenheit geführt. Entsprechend der erwähnten Asymmetrie (sichtbar im Schema 2 in den dunklen Partien der Graphik) markieren wir mit dem -Teil des Rasters das Fehlerhafte, mit dem B-Teil hingegen das besonders Angemessene und das besonders Unangemessene. Wichtig ist zu erwähnen, dass ein und dasselbe Phänomen an einem Text prinzipiell mehrfach beurteilt werden kann und in aller Regel auch mehrfach beurteilt werden muss, beispielsweise nach einer Richtigkeitsnorm auf seine grammatische Korrektheit hin und nach diversen Angmessenheitsnormen auf seine funktionale, sachliche, ästhetische Angemessenheit hin. Dabei ist stets die Möglichkeit von sogenannten Normkonflikten gegeben, die Möglichkeit nämlich, dass etwas in bezug auf die eine Norm einen guten Wert, in bezug auf eine andere Norm einen schlechten Wert bekommt. Richtigkeitsnormen (das "y" von RICHTIG) haben etwas Klares, Absolutes, Feststehendes; oftmals sind sie auch explizit kodifiziert. Demgegenüber erscheinen uns Angemessenheitsnormen (das "y" von ANGEMESSEN) in der Regel weit weniger klar, sie sind in hohem Masse relativ zu diversen Parametern, und sie sind in aller Regel nicht festgeschrieben, sondern im Gegenteil sehr oft strittig. Es sei daran erinnert, was ich in Abschnitt 1.1.5 gesagt habe; angesichts der Schwierigkeit der Textbeurteilung aufgrund von Angemessenheitsnormen gibt es zwei fragwürdige Ausweichstrategien: a) Textbeurteilung zieht sich gerne auf Beurteilungen lediglich hinsichtlich absolut geltender, dichotomischer (insbesondere grammatischer und orthographischer) Normen zurück, um damit vermeintlich Objektivität zu erreichen. Dabei wird jedoch vergessen, dass auch oder gerade Befunde bezüglich solcher absoluter, dichotomischer Normen in einem zweiten Schritt gewertet werden müssen: "15 Fehler" ist zwar ein mehr oder weniger objektiver Befund, wie aber sind 15 Fehler zu gewichten? Diese
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Wertung jedoch findet mit Bestimmtheit in Bezug auf skalare Normen statt. b) Oder Textbeurteilung dehnt ungerechtfertigterweise die dichotomische Norm in skalare materiale Normbereiche aus, spricht von "richtig" oder "falsch", wo es gar kein "richtig'V'falsch", sondern nur ein "mehr oder minder angemessen" gibt. Die grundlegende Differenz zwischen dichotomischen und skalaren Normen steht in logischen und sachlich-ursächlichen Zusamenhängen mit Unterschieden in den Sachen, über denen die Nonnen operieren, mit Unterschieden in der historischen und sozialen und/oder biogenetischen Herkunft und Entwicklung und Verankerung dieser Nonnbereiche, mit Unterschieden, was die Einzelsprachspezifik oder aber Universalität dieser Normbereiche anbelangt, mit Unterschieden in der psychologischkognitiven Verankerung dieser Normen als individuelles Wissen, mit Unterschieden in der Art und im Zeitpunkt des Erwerbs dieser Normen mit Unterschieden in der Stabilität dieser Normen etc.52 Sicher nicht zufällig, aber auch nicht sehr eindeutig korreliert der fundamentale Normenunterschied mit dem Prestige der Norm in der Gesellschaft, mit der Wichtigkeit, die ihr beigemessen wird, entsprechend mit der Art und Strenge der Sanktionen, die bei Normübertretungen zu gewärtigen sind.
1.3 Motivierung der vorliegenden Arbeit im Verhältnis zum Gesamtprojekt und in ihrer inneren Anlage (mit einer wichtigen Vorbemerkung zum Textbegriff) Das Forschungsprojekt "Muttersprachliche Fähigkeiten von Maturanden und Studienanfängern in der Deutschschweiz" versteht sich, was seine sprachwissenschaftliche Seite anbelangt, als "angewandte Linguistik": Primäres Ziel ist nicht ein Beitrag zur allgemeinen Theoriebildung (Theorien über Sprachfähigkeiten, Theorien über Texte etc.), sondern sind empirische Aussagen über ein konkretes Textkorpus. Die vorstehenden Ausführungen sollten aber gezeigt haben, dass solche Aussagen im höchsten Masse strittig sind und einen erheblichen Aufwand an theoretischer Reflexion nötig machen, sollen die Aussagen jemals einigermassen konsensfähig werden. Eine Durchsicht bestehender Textanalyse-Instrumentarien hat uns zum Schluss kommen lassen, dass es unter den genannten Zielsetzungen 52
Ich verweise insbesondere auf den Abschnitt 5.5.4.
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unmöglich ist, ein vorliegendes Analyse-Instrument einfach zu übernehmen und auf unser Material anzuwenden. Warum das so ist, müsste hier durch eine eingehende Kritik der vorliegenden Textanalysen und ihrer Instrumentarien begründet werden. Dazu ist hier nicht der Raum. Einiges von dieser Kritik wird jedoch im weiteren Verlauf dieser Arbeit implizit und teilweise auch explizit an geeigneter Stelle nachgeholt.53 Wir wollten also "angewandte Linguistik" betreiben und konnten es nicht: So haben wir in unserem Projekt das Textanalyseraster entwickelt, das im Anhang zur vorliegenden Arbeit abgedruckt ist. Es stellt einen in bestimmter Weise gruppierten Katalog von Fragen dar, die man an Texte stellen kann und muss und von deren Beantwortung eine Bewertung der Texte abhängig ist. In Richtung auf eine solche Bewertung stellt es allerdings nur den ersten, grundlegenden Schritt dar: Es macht keine Aussagen darüber, wie die Antworten auf die einzelnen Fragen für eine Gesamtbeurteilung zu gewichten sind (was ich oben Werturteile genannt habe). Wie ich oben ausgeführt habe, bedarf es der Begründung, warum bestimmte Fragen gestellt werden, was mit den einzelnen Fragen genau im Visier ist, welche Normen mit den einzelnen Fragen präsupponiert werden und für eine Beantwortung als Richtschnur herangezogen werden müssen, worin diese Normen begründet sind etc. Diese notwendige Verankerung des Rasters in linguistischen Theorien54 übersteigt die Kapazitäten des Projekts. Sie zu leisten soll - in Ansätzen, jeder weitergehende Anspruch wäre vermessen - mit der vorliegenden Arbeit versucht werden. Meine Grundüberlegung ist die folgende: a) Aus diversen linguistischen Theorien und Modellen lässt sich zusammentragen, was Texte sind, unter welchen besonderen Bedingungen Textualität steht: "Das sind Texte (ganz allgemein, in ihrem 'Wesen')." b) Dabei entsteht so etwas wie ein Anforderungskatalog für sprachliche Gebilde, die Text genannt werden können, ein Katalog von Bedingungen der Textualität, eine abstrakte Textnorm: "So sollen Texte sein." 53
54
Es seien hier lediglich einige Arbeiten genannt, in denen es um Analyse und Beurteilung von Schülertexten geht und die uns natürlich sehr geholfen haben oder noch helfen könnten: H. Villiger (1977; 1979), O. Beck (1979), R. Sanner (1979), R. Keller (1980), J. Grzesik/M. Fischer (1985), G. Augst/P. Faigel (1986), K. Boeckel (1986), H. Tietjen (1988), R. Sanner (1990), U. Eisenbeiss (1990). Zu ergänzen sind solche linguistisch begründbaren Gütekriterien für Texte natürlich durch eine Analyse von ausserhalb des Linguistischen hegenden Anforderungen, z.B. durch eine Lehrplananalyse, durch eine Analyse von festgeschriebenen Anforderungen an Sprachfähigkeiten, wie sie beispielsweise die Eidgenössische Maturitätsverordnung vorsieht, durch Berufsbildanalysen o.a. - Bei der Frage, wie einzelne linguistische Befunde in einer Gesamtbewertung zu gewichten sind, spielen Alter, Lemziele u.a. eine Rolle, Faktoren, derer eine linguistische Begründung von Textnormen nicht habhaft werden kann.
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c) Diese abstrakte Textnorm bildet einerseits das Raster, das man an beliebige Texte herantragen kann, um sie in ihrer Eigenart zu beschreiben; mit diesem Raster können konkrete Texte beschrieben werden: "So sind die Texte der Abiturienten und Studienanfänger (im besonderen, in ihrer ganz besonderen Erscheinung)." d) Die abstrakte Textnorm bildet darüberhinaus den Massstab, an dem (unter anderem) konkrete Texte gemessen werden können: "Die Texte der Abiturienten und Studienanfänger sind - bezogen auf linguistische Kriterien - so und so zu bewerten." Die Punkte (c) und (d) bilden, neben ändern Arbeiten,55 den Schwerpunkt unserer Projektarbeit. Mit der Entwicklung des Analyserasters (siehe Anhang) haben wir uns schwergewichtig auch im Bereich von Punkt (b) betätigt. Meine Arbeit versucht den für eine Grundlegung des Analyserasters unabdingbaren Punkt (a) zu leisten und zeigt damit immer auch auf diese abstrakte Textnorm im Punkt (b). Dabei gilt für die ganze Arbeit: - Es gibt einen engen, begründenden Bezug meiner Arbeit auf das Analyseraster (siehe Anhang). - Zugleich wird dieser Bezug aber nicht in jedem Detail präzisiert. An eineigen besonders einschlägigen Stellen komme ich explizit auf das Raster zu sprechen; sonst aber bleibt es im Hintergrund. Von dieser Grundüberlegung her ergibt sich die Anlage der Arbeit, wie sie Schema 4 zeigt. Demnach versuche ich nach der vorliegenden Einleitung einen Parcours durch diverse für die Analyse und Bewertung von Texten relevante linguistische Theorien und Modelle. Hinter den einzelnen Kapiteln stehen - wie das Schema zeigt - stets die beiden Leitfragen: a) Was ist ein Text? Unter welchen Bedingungen steht Textualität? b)Wie soll dementsprechend ein Text sein? Welche allgemeinen Anforderungen lassen sich aus den Grundbedingungen der Textualität für konkrete Einzeltexte ableiten? Diese beiden Leitfragen legen es nahe, die einzelnen Kapitel prinzipiell zweizuteilen. Dies wurde zwar versucht, ist aber nur beschränkt gelungen, weil die beiden Fragen nämlich aufs engste ineinander verzahnt sind; darüberhinaus lässt sich zu (a) wesentlich mehr sagen und lassen sich insbesondere Dinge sagen, die indirekt auch begründen, warum sich zu (b) kaum allgemein Verbindliches sagen lässt.
55
Ich habe sie in Abschnitt 1.1 kurz erwähnt.
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EINLEITUNG Sprache und Wertung Sprachnormen
2 GRAMMATIK Texte soten grammatisch korrekte Ausdrucke erdnahen.
Texte enthaften grammatisch speztfcterte Ausdrucke.
3 SCHRIFI SchrttHlche Texte enthalten gemass unserem Sdvtftsystam geschriebene sprachliche AusdrOdcB.
ScnriflRche Texte sawn korrekt geschrieben sein
4 KOHÄSION chkhenAusdrOcfcen Kohaston bestehen.
Tote enthalten sprachliche Ausdrücke, zwischen denen Kohöston besteht.
5 KOHÄRENZ L· VOM TEXT AUF DEM PAPIER ZUM TEXT IM KOPF TM· sind dr* Nmktad· AnMung lor den Ratotantan. da» «r skh «kw koUrarte
6 KOHÄRENZ IL ÜBER DIE THEMATISCHE ENTFALTUNG UND IHRE "LOGIK1
Texte haben ein Thema das In kohärenter Welse entfaltet wird
Texte soten ein Thema haben, das In kohärenter Welse entfallet wird.
7 METAKOMMUNIKATION Texte Isprecnen· teilweise Ober skhseber.
Texte soBentelwetee Ober sich sefcer Sprechen'.
8 TEXTSORTE Texte soten Exemplare von Textsorten seh.
Texte sind Exemplare von Textsorten.
9 ATTRAKTIVITÄT nexte sind formal schön und thematisch relevantJ
Texte sden formal schon und thematisch relevant sein.
10 AUSLEITUNG Rüde- und Ausbilde Texddeate
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Zum Textbegriff überhaupt und zu den mit den Überlegungen dieser Arbeit besonders intendierten Texten Für die weitere Motivierung der einzelnen Kapitel-Schritte meiner Arbeit ist der Textbegriff - im Einklang mit der oben erwähnten GegenstandsReduktion unseres Forschungsprojektes - einzugrenzen. Ich verstehe im folgenden unter Text immer eine monologische geschriebene sprachliche Äusserung von mehreren Sätzen Länge, wobei die Sätze untereinander einen - noch zu spezifizierenden - Zusammenhang haben. Natürlich ist das keine Textdefinition und will auch keine sein. Es geht mir vielmehr nur darum, bestimmte Dinge aus den folgenden Betrachtungen auszunehmen, sei es, dass ich am Sinn einer Subsumierung dieser Erscheinungen unter einen Textbegriff zweifle, oder sei es, dass ich sie für besondere Arten von Texten halte, die mich hier nicht interessieren können: a) Es gibt meines Erachtens in der Geschichte der Textlinguistik einen verhängnisvollen Schritt hin zu einer Identifizierung von "Text" mit "realem Sprachvorkommnis überhaupt". Ich zitiere aus D. Wunderlich (1976), wo dieser Schritt in gewisser Weise postuliert wird: "Eine Weiterentwicklung der Textlinguistik ist nur möglich, wenn sie sprechakttheoretische und pragmatische Gesichtspunkte einbezieht. Ein Text muss primär nicht als Abfolge von Sätzen, sondern als Ergebnis einer Abfolge von Sprechakten (oder Schreibakten) angesehen werden, und deren Abfolge ergibt sich nicht allein aus den syntaktisch-semantischen Eigenschaften der Äusserungen, sondern ausserdem aus dem institutionellen Kontext der Textproduktion und -rezeption. Mit dieser theoretischen Umorientierung verschiebt sich auch der Schwerpunkt der Untersuchungen von monologischen und schriftlichen Texten zu dialogischen und mündlichen Texten', die ich allgemein auch Diskurse nennen will." (1976, 295)
D. Wunderlich postuliert hier eine Pragmatisierung der Textlinguistik, die ich für ganz ausserordentlich wichtig halte, wie ich im Kp. 5 "Kohärenz I" noch ausführlich darlegen werden. Für D. Wunderlich geht eine solche Pragmatisierung einher mit einer Abwendung vom monologischen Text und einer Hinwendung zum Gespräch. Er ist jedoch so vorsichtig und spricht nur noch in Anführungszeichen von "dialogischen und mündlichen Texten'". Tatsächlich führte - so würde ich behaupten die Pragmatisierung der Textlinguistik vorerst zu einer Abwendung vom Text im eigentlichen Sinne; man hat gleichsam das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und gar nicht mehr Textlinguistik, sondern Gesprächsanalyse betrieben. Es ist zwar richtig und wichtig und theoretisch äusserst fruchtbar, Texte als in gewisser Weise pragmatische Gegenstände zu betrachten, Texte also als spezifische Formen von Sprachhandlungen bzw. Korrelate solcher Handlungen zu verstehen.56 Hingegen 56
Vgl. hierzu etwas eingehender Abschnitt 5.5.2.
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ist es ein katastrophaler Umkehrschluss zu sagen, alle Formen realen Sprachvorkommens seien Texte. Dabei geht unweigerlich das, was Texte zu Texten macht, die Textualität, verloren.57 BEMERKUNG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE VON
58
Kurz (1977) zufolge ist die Begriffsgeschichte von Text noch nicht geschrieben. Im Deutschen kommt das Wort seit dem Spätmittelhochdeutschen vor. Es ist m.E. bis heute eher bildungssprachlich. Ausserhalb der linguistischen Fachsprache meint Text nur geschriebene Sprache, prototypisch eine längere zusammenhängende Folge von Sätzen. Innerhalb der Linguistik hat der Begriff - in der Folge der pragmatischen Wende - eine sehr problematische Ausweitung in Richtung auf jegliches sprachliches Kommunikat erhalten. Diese Ausweitung ist aber fachintern umstritten. Ich halte sie für vollständig verfehlt. Aufgrund eines Blicks in etymologische und lateinische Wörterbücher könnte man sich die folgende Rekonstruktion der Begriffsgeschichte von Text zurechtlegen: Etymologisch kommt Text von lat. texo (texui, textus) "weben", "flechten", auch allgemeiner "verfertigen", "bauen". Nominalableitungen sind textum "Gewebe", "Gefüge", "Bau", textura "Gewebe", textus "Geflecht"; textus wird auch schon in der lateinischen Rhetorik-Fachsprache metaphorisch für den Zusammenhang des Redens gebraucht. In allen Bedeutungen der Nominalableitungen und speziell auch in dieser metaphorischen Bedeutung von textus spielt das Moment der cohaesio, des spezifischen inneren Zusammenhaltes, eine ganz entscheidende Rolle. Die frühe Textlinguistik hat dieses Moment der cohaesio unter dem Begriff der Kohäsion an sprachlich manifesten Dingen geglaubt festmachen zu können.59 Allerdings widerspricht hier K. Ehlich (1984, 10) entschieden: textus sei nicht für das allgemeine Merkmal der Gewobenheit gebraucht worden, sondern nur für die spezielle "Webart", also inetwa für das, was wir heute Stil nennen. Daneben sei Text im ganzen Mittelalter Name für das Evangelium gewesen, dies in Absetzung zu den Kommentaren. Mit dieser Bedeutung von "autoritativem Original-Wortlaut" sei das Wort in die europäischen Volkssprachen eingedrungen. Sie lebe insbesondere im Englischen fort und habe allgemein in der Literaturwissenschaft eine Säkularisierung erfahren: Text ist dort das literarische Original bis heute. Die moderne Linguistik erst habe an der antik-rhetorischen metaphorischen Bedeutung angeknüpft, diese aber ausgeweitet von der spezifischen "Webart" zum "Gewebe" überhaupt.
Zentrales Bestimmungsstück von Text war also so oder so - und sollte auch bleiben - das Moment der Textualität oder Verwobenheit, des 57
58 59
Ich werde im Kp. 5 "Kohärenz I" aufzeigen, dass ein pragmatischer Textbegriff möglich und nötig ist, insbesondere unter Einlösung gerade der Postulate von D. Wunderlich (Text als "Ergebnis einer Abfolge von Sprechakten"), ohne dass man dabei den Textbegriff verliert. Gelungen ist der Textlinguistik im letzten Jahrzehnt eine Verbindung von unveräusserlichen Bestandteilen des Textbegriffs, nämlich der spezifischen Verwobenheit von Teilen zu einer Textur, mit Grundkategorien der linguistischen Pragmatik, insbesondere der Sprechakttheorie. Ein solcher pragmatischer Textbegriff geht dabei über das hinaus, was Brinker (21988) an Pragmatisierung erreicht, wenn er von "Textfunktionen" handelt, dabei aber nicht eigentlich die Verbindung von diesen Textfunktionen mit der Textstruktur herstellt. Einige Hinweise entnehme ich G. Kurz (1977, 263); G. Kurz verweist auf K. Stierle (1974). Knappe Bemerkungen finden sich auch bei K. Ehlich (1984,10f.). Vgl. dazu ausführlich das Kp. 4 "Kohäsion".
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Zusammenhangs, der cohaesio oder Kohärenz (siehe Kpp. 4 - 6) in einer sprachlichen Äusserung. Demzufolge sind für mich sprachliche Erscheinungsformen wie Telefonbücher, das "Menü" meines Textverarbeitungsprogramms, eine Adresse auf einem Briefumschlag, der Sachindex am Ende meines Buches, eine Sammlung linguistischer Beispielssätze zwar Sprachvorkommnisse mit kommunikativem Wert, es scheint mir aber wenig sinnvoll, sie zum vornherein als Texte mit in die Betrachtung einzubeziehen; sie mögen ganz an der Peripherie eines prototypischen Textbegriffs angesiedelt sein; wer diesen prototypischen Textbegriff explizieren will, tut gut daran, sie vorerst nicht zu berücksitigen. b) Aus einer solchen Bestimmung von Text sollte Dialogisches vorerst ausgenommen werden; zwar gibt es im Dialogischen zweifelsohne Zusammenhänge zwischen einzelnen Dialogteilen, und diese mögen von einer Art sein, die der textuellen Verwobenheit monologischer Texte nicht unähnlich ist; die Tatsache der Mehrstimmigkeit im Dialogischen bringt jedoch einen so gewichtigen neuen Faktor ins Spiel, dass man das Dialogische zunächst als etwas Eigenes behandeln sollte. c) Natürlich halte ich längere monologische mündliche Äusserungen, also z.B. eine mündliche Erzählung oder einen Vortrag oder ein längeres Statement in einer Diskussion ohne Zweifel für Texte. Sie grenze ich hier lediglich aus, weil ich mich nur mit schriftlich fixierten Texten beschäftigen will.60 Kurze mündliche Äusserungen wären hingegen wieder von jener Art von Sprachvorkommnissen, deren Textualität zumindest zweifelhaft ist. d) Schliesslich erhebt die vorliegende Arbeit keinen Anspruch auf die Erfassung literarischer Sonderformen von Texten, so z.B. von literarischen Texten, in denen alles getan ist, um übliche Normen der Textualität zu durchbrechen, und die dabei natürlich stark davon leben, dass man sie in der Haltung rezipiert, sie seien eben Texte.61 Zurück zur Motivierung der inneren Gliederung meiner Arbeit. Wie das Schema 4 zeigt, versuche ich in acht Kapiteln wesentliche Dinge beizubringen, die zu dem gehören, "was Texte sind", und die die Norm konstituieren, "wie Texte sein sollen". Dabei werde ich Dinge nennen, die 60
61
Die Frage, ob solche längeren Formen des Sprechens Vorbild waren für die Ausbildung typischer geschriebener Texte oder ob umgekehrt solche Formen des Sprechens etwas realisieren, was prototypisch in geschriebener Form vorkommt und entwickelt worden ist, die Frage nach Autonomie oder Interdependenz von Geschriebenem und Gesprochenem, wäre eine interessante Frage, auf die ich hier nicht eingehen kann. Vgl. Abschnitt 8.2. Zum Problem von Text und Nicht-Text vgl. Abschnitt 5.1.
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l Einleitung
durchaus unterschiedlich das konstituieren, was Texte zu Texten macht. Im Kapitel 2 "Grammatik" nenne ich notwendige Bestandteile von Texten, die aber als solche Textualität nicht konstituieren; es geht in diesem Kapitel also nicht um etwas Text-Spezifisches. Gleiches gilt von Kp. 3 "Schrift", das in meiner Arbeit insbesondere deshalb seinen Platz hat, weil ich nur von schriftlichen Texten handle. In Kp. 4 "Kohäsion" referiere und diskutiere ich eine ältere (veraltete) Position der Textlinguistik und darin einen ersten Versuch, das 'Wesen' von Texten zu ergründen. Auch wenn mit dem, was von der Kohäsionslinguistik an Textualitätsmerkmalen herausgearbeitet wurde, die Textualität nicht zu fassen ist, bringt sie doch wichtige Momente von Texten bei. Die beiden Kapitel unter der Überschrift "Kohärenz" (5 und 6) bilden den Kern der vorliegenden Arbeit. Es sind m.E. zwei eigentliche Paradigmenwechsel, die die neuere Textlinguistik gegenüber der älteren (vgl. Kp. 4 "Kohäsion") vollzogen hat und die sie m.E. das 'Wesen' von Texten, die Textualität finden Hess. a) Zum einen ist das eine Kognitivierung ihres Gegenstandes: Text in seinem vollen begrifflichen Gehalt ist nicht länger mehr etwas Äusserliches, etwas auf dem Papier oder als Schallwellen im Äther, sondern etwas in den Köpfen der Sprach-, der Textbenutzer.62 b) Zum ändern ist das eine Pragmatisierung ihres Gegenstandes: Text ist vor allem und zu allererst ein Korrelat einer (sprachlichen) Handlung und erhält von dort her das, was ihn 'im Innersten* zusammenhält und was auch nach aussen seine Struktur, seinen Aufbau und Fortgang bestimmt. Ich habe oben erwähnt, dass die Pragmatisierung der Textlinguistik zunächst zu einem Verlust des Textbegriffs bzw. einer Beendigung der Textlinguistik geführt hat; es ist heute aber gelungen, den Textbegriff zu pragmatisieren, ohne ihn zugleich in Richtung des allgemeinen Begriffs der sprachlichen Äusserung einfach zu verlieren.63 Ich gehe im Kp. 5 "Kohärenz I" eher theoretisch und grundsätzlich auf diesen Textbegriff ein und führe im Kp. 6 "Kohärenz II" einen wichtigen Aspekt eines so verstandenen Textbegriffs genauer aus. Die restlichen drei Kapitel des Hauptteils dieser Arbeit gehen auf verschiedene weitere Aspekte von Texten mehr oder weniger ausführlich ein, auf die für die Verständlichkeit höchst wichtige Eigenart von Texten, 'über sich selber zu reden' (7: "Metakommunikation"), auf den für die Kommunikation so wichtigen Aspekt, dass Texte stets Exemplare bestimmter Sorten sind (8: "Textsorten"), schliesslich auf ein ganz wichtiges Postulat für Texte, zu dem die Linguistik aber ein gepanntes Verhältnis hat: 62 63
D. Viehweger (1987) spricht von "dynamischen" Textmodellen in Absetzung von den älteren, "strukturellen" Textmodellen. Wenn ich es richtig sehe, spricht H. Isenberg (1977b), was diesen Punkt anbelangt, von "dynamischen" Textmodellen im Unterschied zu "propositionalen" Textmodellen. Vgl. dagegen Fussn. 62.
l Einleitung
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die formale und thematische Attraktivität von Texten (9: "Attraktivität"). In einem kurzen Schlusskapitel versuche ich einen Rückblick und wage mich an den Aufriss einer Synthese. In den nachfolgenden Ausführungen wird unter all den Detailfragen und Ausführungen die Zweckbestimmung dieser Arbeit - die Bereitstellung von Grundlagen für die Analyse und Bewertung von Texten aus sprachwissenschaftlicher Sicht - wiederholt aus den Augen schwinden. Im Kp. 5 "Kohärenz I" wird das deshalb der Fall sein, weil der Textbegriff als solcher prekär und damit die Vorstellung von einem Text als einem zu analysierenden und zu bewertenden Objektivgebilde kritisch werden wird. Weniger schlimm wird es in den ändern Kapiteln sein. Für sie seien noch einmal die Leitfragen in Erinnerung gerufen: - Warum gilt es einen ganz bestimmten Faktor in der Textbeurteilung und Textbewertung grundsätzlich zu beachten? - Was genau ist daran zu beachten? Welche Kategorien gibt es? - Was ist davon für einen konkreten Einzeltext zu beachten? - Wie ist das zu diesem Punkt Festgestellte insgesamt in Rechnung zu stellen für eine Gesamtbeurteilung eines Textes?
2 Grammatik Überblick 2.0 2. l 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.3.8 2.4 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3
Einleitung Skizze des Grammatikmodells Domänen Ebenen Resümee Zur positiven grammatischen Charakterisierung von Texten Fehler ("Lapsologie") "Fehleranalyse", "Fehlerlinguistik", "Lapsologie" Grundsätzliches zu sprachsystematischgrammatischen Fehlem Materiale Fehlerklassen auf der Basis des Grammatikmodells Semantische und pragmatische Fehler? Fehler oder Unangemessenheiten? Fehler-Erkennung und Fehler-Klassifizierung Abgrenzungs- und Zuordnungsprobleme bei der materialen Fehler-Klassifikation Materiale vs. genetische Fehlerklassifikation Zur Gewichtung des einzelnen Fehlers Zur Gewichtung grammatischer Text-Befunde in einer Text-Bewertung Grammatik der gesprochenen und Grammatik der geschriebenen Sprache: Alles eins? Vorbemerkung Fakten Eine oder mehrere Grammatiken?
2.0 Einleitung a) Was hat Grammatik in einer Textanalyse zu suchen? Texte enthalten sprachliche Ausdrücke von Satzgrösse und kleiner, die bestimmte strukturelle und funktionale Eigenschaften haben, d.h. die Muster realisieren, die traditionellerweise vom Theorietyp einer Grammatik expliziert werden.1
1
Hier wie überhaupt in der ganzen Arbeit gehe ich - ich habe es in der Einleitung gesagt - vom prototypischen schriftlich realisierten Text aus, der mehrere Sätze enthält. Aber prinzipiell gilt die Aussage z.B. auch für einen 'Einworttext'.
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2 Grammatik
Mit der Ansetzung einer grammatischen Komponente für die Textanalyse plädiere ich dafür, dass grammatische Eigenschaften von Textteilen in einer Textanalyse etwas zu suchen haben, dass Texte - will man umfassend sein - irgendwie auch nach den grammatischen Eigenschaften ihrer Teile von Satzgrösse oder kleiner charakterisiert werden können und müssen. Schulische Textanalyse und Textbewertung hat dies auch immer getan. Ich vertrete also einen traditionell weiten oder besser: einen umfassenden Begriff von Textanalyse, der nicht nur das umfasst, was spezifisch ist für einen Text, sondern alles, was in einem Text mitenthalten ist. Damit soll auch einem möglichen Einwand begegnet werden, der etwa so lauten könnte: "Man kann nicht sagen, dass Texte aus Sätzen und Ausdruckseinheiten unter dem Satzniveau bestehen, weil Texte einerseits und grammatische Ausdrucksklassen wie Wörter und Sätze andererseits auf prinzipiell verschiedenen Ebenen angesiedelt sind: Text ist eine klassische Kategorie der Sprachgebrauchsebene, der pragmatischen Ebene, wie z.B. auch die Kategorie der Äusserung oder der Sprachhandlung·, dies im Unterschied zu Kategorien wie Wort oder Satz." Der Gehalt dieses Einwandes ist teilweise richtig, der Einwand selber wäre hier aber nicht gerechtfertigt. Richtig ist, dass die Kategorie Text auf einer ändern Ebene liegt als Kategorien wie Wort oder Satz, und falsch wäre es, würde ich hier behaupten, dass Wörter und Sätze Texte konstituieren in dem starken Sinn, dass von Wörtern und Sätzen her die Textualität als das 'Wesensmerkmal' von Texten erklärt werden könnte. Dies behaupte ich jedoch nicht, und ich vermeide deshalb tunlichst zu sagen, Texte bestünden aus Sätzen und grammatisch spezifizierten Einheiten unterhalb der Satzebene. Ich gehe lediglich davon aus, dass grammatisch spezifizierbare und spezifizierte Einheiten wie Wörter und Sätze in Texten vorkommen, in ihnen enthalten sind und - und dies behaupte ich allerdings auch - dass die grammatischen Eigenschaften dieser Ausdrücke für die Textualität von Texten nicht unwesentlich sind und demzufolge in einer umfassenden Textanalyse ihren Platz haben müssen.2 b) Etwas präziser gesagt ist ein Grammatikmodell die Basis für zweierlei substantielle Aussagen über Texte: i) Ein Grammatikmodell ist die Basis für eine Charakterisierung der Sprachmittel, die sich in einem Text zeigen. Fragen wie 'Einfache oder komplexe Syntax?' - 'Grundwortschatz oder ausgebauter Wortschatz?' etc. deuten an, worum es hier geht (vgl. Abschnitt 2.2). ii) Ein Grammatikmodell ist zudem die Basis für eine Identifizierung und Klassifizierung von grammatischen Fehlern in einem Text (vgl. Abschnitt 2.3). 2
Vgl. - für eine weitergehende Differenzierung dieser Annahme - den Abschnitt 2.4.
2 Grammatik
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Für diese zwei Typen von Aussagen über die grammatischsprachsystematische 'Befindlichkeit' von Texten ist es nötig, eine klare Vorstellung davon zu haben, was Grammatik ist. Dazu mache ich die nötigen Ausführungen in Abschnitt 2.1. Ihr Anspruch ist nicht der der Originalität, sondern der Übersichtlichkeit. c) Zur Extension des Grammatikbegriffs. Ich vertrete hier einen weiten Grammatikbegriff, der deckungsgleich ist mit dem, was man sonst manchmal das "Sprachsystem" nennt3 und der alle Eigenschaften sprachlicher Ausdrücke umfasst, die diesen Ausdrücken konventionellerweise, das heisst vor und ausserhalb von allem Gebrauch dieser Ausdrücke, anhaften. Dieser Grammatikbegriff ist weit sowohl im Vergleich zu traditionellen Vorstellungen von Grammatik wie auch im Verhältnis zu moderneren Grammatikmodellen wie etwa dem der Generativen Grammatik.4 Weit ist dieser Grammatikbegriff insofern, als er das ganze Lexikon mitsamt einem gewissen Minimalbestandteil an lexikalischer Bedeutung mitumfasst, und weit ist er im weitern insofern, als ich sprachliche Ausdrücke sogar so weit grammatisch charakterisieren möchte, dass ich ihnen ein bestimmtes pragmatisches Potential zuschreibe. Die Frage, ob eine Grammatik auch Textkonstitutives in dem Sinne expliziere, als sie auch reguläre Textbauphänomene umfasst, ob eine Grammatik also auch Textgrammatik zu sein habe, habe ich oben bereits andeutungsweise negativ beantwortet. Die Frage ist aber so wichtig auch wissenschaftshistorisch wichtig -, dass ich auf sie im Kp. 4 "Kohäsion" gesondert zurückkomme. d) Zu den intensionalen Eigenschaften des Grammatikmodells. Den Lesern könnte in meinen folgenden Ausführungen vereinzelt ein kognitivistischer Sprachgestus auffallen: Von bestimmtem grammatischem "Wissen" ist da mitunter die Rede, das sich in Texten, genauer in den in Texten enthaltenen grammatisch spezifizierten und spezifizierbaren Ausdrücken zeigt. Dieser Sprachgestus wird erst im Kp. 5 "Kohärenz I" etwas eingehender thematisiert, da nämlich, wo ich auf die verschiedenen Typen von Wissen zu sprechen kommen werde, die für den Umgang mit Texten wichtig sind, und wo ich auch auf den Begriff des Wissens selber eingehen werde. Ich könnte diesen Sprachgebrauch hier einfach mit dem Hinweis 'entschuldigen', dies sei die Art der 90er Jahre, über Grammatik, ja über Der Begriff des "Sprachsystems" scheint mir aus Traditionsgründen unvermeidlich; ich finde ihn jedoch unglücklich insofern, als er suggeriert, nur das Grammatische an der Sprache sei systematisch, und das heisst so viel wie regelhaft und damit wissenschaftlich erfassbar. Tatsächlich ist auch der Sprachgebrauch durchaus regelhaft und systematisch und als solcher beschreib- und erklärbar. Das im übrigen eine starke Inspirationsquelle für meine nachstehenden Ausführungen darstellt.
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2 Grammatik
Sprache überhaupt zu reden: dass man dies nämlich so tue, dass man über Sprachfähigkeiten, -kompetenzen und -wissen rede. Immerhin bin ich mir der nötigen Implikationen solchen Redens so weit bewusst, dass ich hier folgende Warntafeln aufstellen möchte: i) Auch wenn ich ab und zu in den kognitivistischen Sprachgestus - in diesem vorliegenden Kapitel: vom "grammatischen Wissen" - falle, so will ich damit nicht behaupten, was ich hier alles unter Grammatik anspreche, sei auch wirklich in einem homogenen Bereich menschlicher Kognition vereint. Über diese und ähnliche Fragen möchte ich mich ganz einfach ausschweigen, ii) Ausschweigen möchte ich mich auch weitgehend über das methodologische Problem, wie man von dem, was in einem Text sich zeigt, auf das Wissen des Textproduzenten schliessen kann oder eben nicht schliessen kann. iii) An einer Stelle wird dieses Problem allerdings auch für mich unausweichlich: im Abschnitt 2.3 über Fehler ("Lapsologie"). Dort wird der folgende Punkt virulent: Mein nachstehend skizziertes Grammatikmodell kann man kognitivistisch lesen als eine Art Grobskizze der Architektur grammatischen Wissens. Es ist dies aber in jedem Fall ein völlig statisches Bild von Wissensbereichen und in keiner Art und Weise ein Sprachproduktionsmodell. Dies hat enorme Konsequenzen für die Fehlerklassifikation, wie ich zeigen werde: Ich kann Fehler nämlich allerhöchstens immer nur danach klassifizieren, wo sie in meinem statischen Grammatikmodell hingehören, und nicht danach, wie sie entstanden sind oder sein könnten. Das ist in vielen Fällen eklatant unbefriedigend. e) Das vorliegende Kapitel ist folgendermassen aufgebaut: Ich skizziere zunächst in äusserster Verknappung ein Grammatikmodell (2.1), das die Basis bildet für Aussagen darüber, was in einem Text an Sprachsystematischem realisiert ist (2.2) und was an diesem Sprachsystematischen fehlerhaft ist (2.3). Ich thematisiere dann ganz knapp die Frage der Gewichtung grammatischer Textbefunde in einer Textbeurteilung (2.4) und gehe zum Schluss der Frage nach, ob man für geschriebene und gesprochene Sprache zwei verschiedene Grammatiken anzusetzen hat (2.5).
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2. l Skizze des Grammatikmodells Literatur Es ist sehr schwierig, einzelne Literatur zu nennen, auf die ich mich im folgenden stutzte; zu vielfältig sind hier die Quellen. Als allgemeiner Hintergrund seien dennoch genannt: Bierwisch, Manfred 1979: Wörtliche Bedeutung - eine pragmatische Gretchenfrage. In: Günther Grewendorf (Hg.): Sprechakttheorie und Semantik. Frankfurt (= stw 276), 119-148. Ebenfalls in: Inger Rosengren (Hg.): Sprache und Pragmatik. Lunder Symposium 1978. Lund 1979 (= LgF 48), 63-85. Ebenfalls in: LS/ZISW/A 60 (1979). Grewendorf, Günther/Fritz Hamm/Wolfgang SternefeM 1987: Sprachliches Wissen. Eine Einführung in moderne Theorien der grammatischen Beschreibung. Frankfurt (= stw 695). Motsch, Wolfgang/Marga Reis/Inger Rosengren 1989/90: Zum Verhältnis von Satz und Text. In: Sprache & Pragmatik. Arbeitsberichte 11/1989,1-36. Ebenfalls in: ds 18 (1990), 2,97-125. Vennemann, Theo/Joachim Jacobs 1982: Sprache und Grammatik. Grundprobleme der linguistischen Sprachbeschreibung. Darmstadt (= EdF 176).
Eine Grammatik expliziert oder spezifiziert sprachliche Einheiten von der Grosse von einfachen Lauten bis hinauf zu Sätzen. Das heisst im wesentlichen, dass sie Aussagen darüber macht, welche Ausdrücke mögliche Ausdrücke einer Sprache sind, welche faktischen Ausdrücke wohlgeformt sind und welche nicht (welche "grammatisch" sind und welche " ungrammatisch"). Meinem Grammatikmodell als einer Theorie, die dies im Prinzip zu leisten imstande sein sollte, gebe ich eine zweidimensionale Ordnung: Ich unterscheide Domänen und Ebenen. Zur Orientierung über das folgende betrachte man Schema 5.
2. l. l Domänen Die diversen Typen von grammatisch spezifizierten Ausdrücken teile ich nur gerade zwei Domänen zu: der Satzdomäne und der Wortdomäne.
Satzdomäne - Texte enthalten Sätze. Unter Satz verstehe ich ein grammatisch charakterisierbares Gebilde, das in der geschriebenen Sprache zwischen zwei Satzgrenzzeichen steht - die diesbezüglichen Definitionsprobleme sind bekannt;5 in der gesprochenen Sprache ist der Satz durch 5
Bekanntlich ist eine solche Definition tendentiell zirkulär, dann nämlich, wenn Satz-
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allerdings alles andere als klare und eindeutige - prosodische Merkmale abgegrenzt. - Sätze sind einfach oder komplex. Ein Satz ist ein einfacher Satz, wenn er nur aus einer verbalen Wortkette (Verb mit seinen Ergänzungen/Aktanten und ev. freien Angaben) besteht. Ein Satz ist dann ein komplexer Satz, wenn er aus mehreren verbalen Wortketten besteht. Auch dies birgt wieder enorme Definitionsprobleme, auf die ich nicht eingehen kann.6 - Ganzsätze (engl. sentence) heissen syntaktisch und interpunktuell selbständige Sätze; demgegenüber heissen unselbständige Sätze Teilsätze (engl. clause.) - Sätze (genauer: einzelne verbale Wortketten) bestehen aus Phrasen (engl. phrase), das sind Gruppen aus einem oder mehreren Wörtern, die strukturell zusammengehören; zu denken ist an die Satzglieder einerseits und das Prädikat/die Gruppe der verbalen Teile andererseits.
[Schema 5] Wahrscheinlich sind Einheiten wie verbale Wortkette oder Teilsatz genuin grammatische, d.h. vom Regelsystem der Grammatik determinierte Grösgrenzzeichen nicht ohne Rückgriff auf Satz definiert werden kann. - Aber solche Probleme können uns hier nicht beschäftigen. Namentlich sind Infinitiv- und Partizipialkomplexe fragliche Teilsätze. Hier muss man letztlich wohl - für praktische Zwecke wie das Zählen der Satzanzahl in einem Text o.a. - per conventionem verfahren.
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sen, wohingegen komplexe Ganzsätze in ihrer Extension sehr viel eher semantisch-pragmatisch determinierte Einheiten sind, d.h. die Einheitenbildung unterliegt hier nicht mehr nur und nicht mehr entscheidend grammatischen Regeln.7 Das Problem der Einheitenbildung ist in der geschriebenen Sprache auch ein anderes als in der gesprochenen.8
Wortdomäne Sätze bzw. die Teilsätze und die sie konstituierenden Phrasen enthalten Wörter; hier kann man gar stärker formulieren: sie setzen sich aus Wörtern zusammen, werden konstituiert aus Wörtern.9 Der Terminus Wort wird sowohl in der Linguistik wie ausserhalb von ihr in mehreren Bedeutungen verwendet. Um hier Klarheit zu schaffen, führe ich die Unterscheidung von Wortform und Lexem ein. Wo ich künftig von Wort rede, sollte entweder aus dem Kontext klar sein, ob ich damit Wortform oder Lexem meine, oder aber ist die Differenzierung an der Stelle irrelevant. Woriform: Morphosyntaktisch voll markiertes, flexivisch ausgestaltetes 'Wort'; singe, singst, sang, gesungen sind verschiedene Wortformen. Phrasen und Sätze bestehen aus Wortformen. Lexem: Eine abstrakte Grosse, nämlich die Gesamtmenge der flexivischen Ausgestaltungen eines 'Wortes1; singe, singst, sang, gesungen sind Wortformen ein und desselben Lexems. Im Wörterbuch findet man im Prinzip pro Lexem einen Eintrag; das Lexem ist mittels einer Kenn- oder Zitierform verzeichnet (im Deutschen ist das für Substantive in der Regel der Nominativ Singular, für Verben der Infinitiv). Ableitungen (Derivata) von und Zusammensetzungen (Komposita) mit 'Wörtern' sind eigene Lexeme: singbar, vorsingen, Singstimme sind Wortformen, die je eigenen Lexemen angehören. Bei den Wortformen kann man zwischen einfachen und komplexen unterscheiden. Einfache Wortformen bestehen aus nur einem morphologischen Teil, einem Morphem, während komplexe Wortformen aus mehreren Morphemen bestehen, seien es Wortformen mit flexivischen Affixen oder Wortformen mit Ableitungsaffixen oder Wortformen, die nach PrinziK. Brinker (21988, 22) spricht darum auch vom Ganzsatz zwischen zwei Satzgrenzsignalen als vom "Textsegment". Vgl. hierzu Abschnitt 2.5 sowie - was den interpunktuellen Niederschlag des Problems der Einheitenbildung anbelangt, Abschnit 3.2. Das kann man hier mit Recht sagen, während man nicht ebenso sagen kann, dass Texte sich aus Sätzen zusammensetzen. Vgl. die Einleitung in dieses Kp. sowie das Kp. 4 "Kohäsion".
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pien der Komposition zusammengesetzt sind.
2.1.2 Ebenen Die in der Wort- oder Satzdomäne anzusiedelnden, grammatisch spezifizierbaren Ausdrücke bestimmten Grössen-Typs lassen sich nach verschiedenen Ebenen charakterisieren; ich kann auch sagen: sie tragen verschiedene Typen von Eigenschaften (vgl. Schema 5). Ich behandle zuerst die Ausdrücke der Wortdomäne, dann die Ausdrücke der Satzdomäne. Dadurch entsteht ein zweimaliger Durchgang durch die Ebenen. Gewisse Dinge gelten für die Wort- und die Satzdomäne in gleicher Weise; dann kann ich mir Wiederholungen sparen.
Wortformen bestehen aus einer bestimmten Form. Einfache Wertformen bestehen in genau einer formalen Grundeinheit, gewöhnlich Morphem genannt, komplexe Wortformen haben einen inneren formalen Aufbau, sind nach bestimmten wortsyntagmatischen Regeln aus einfachen formalen Bestandteilen (Morphemen) aufgebaut: - sei es, dass sie durch Affixe flektiert sind, - sei es, dass sie durch Ableitungsmorpheme deriviert sind, - sei es, dass sie aus mehreren 'Wörtern' zusammengesetzt sind. Über ihre Form stehen die Wortformen in bestimmten Beziehungen zueinander - sei es, dass ein bestimmter formaler Bestandteil durch verschiedene Wortformen durchgeht: mach-e, mach-st, mach-t, mach-en bilden ein Lexem (Flexion durch Affigierung); mach-bar, Ab-mach-ung, An-mache bilden einen weiteren Lexemverband (Ableitung, Komposition) - sei es, dass bestimmte reguläre formale Abwandlungen an einem minimalen formalen Bestandteil (Morphem) zu beobachten sind: sing-, sang-, -sung-, sang- (Ablaut beim Verb, Umlaut in diversen morphologischen Prozessen). Der innere, wortsyntagmatische Aufbau der Wortformen sowie die systematischen formalen Beziehungen der Wertformen untereinander sind klassischer Gegenstand der Morphologie.
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Die formale Seite von Wortformen materialisiert sich lautlich (oder graphisch). Die formale Seite von Wortformen besteht im Medium des Sprechens in einer bestimmten Lautgestalt, und zwar in einer bestimmten Lautsequenz einerseits sowie bestimmten prosodischen Eigenschaften (Ort des Wortakzents, prinzipielle Akzentuierbarkeit) andererseits. Die lautlichen Eigenschaften vererben sich von den einfachen an die komplexen Wortformen weiter. Hinzu kommt bei der morphologischen Komplexbildung eine gesonderte Regelung der prosodischen Verhältnisse. Trivialerweise haben wir es in schriftlichen Texten aber natürlich nicht mit lautlich materialisierter Sprache zu tun. An die Stelle der lautlichen Materialisierung tritt - in gewissem Sinn - die Schrift (vgl. Kp. 3 "Schrift").
Wortformen haben Eigenschaften, die für ihre syntaktische Verwendbarkeit entscheidend sind. Wortformen haben bestimmte Eigenschaften oder Merkmale, die dafür entscheidend sind, mit welchen ändern Wortformen sie zu Einheiten der Satzdomäne: zu Phrasen und über diese zu Teil- und Ganzsätzen zusammengebaut werden können. Diese Eigenschaften sind: - die morphosyntaktischen Merkmale, die die Wortformen selber tragen: Wortartprägung, Kasus, Numerus, Genus, Person, Tempus, Modus - die Selektionseigenschaften, die - quasi spiegelbildlich zu den morphosyntaktischen Merkmalen - die Eigenschaften spezifizieren, die andere Wortformen aufweisen müssen, mit denen zusammen die betreffende Wortform kombiniert werden soll. Bemerkungen: a) Wir haben hier jenen Anteil an Determinanten des Satzbaus vor uns, den die Wortformen beisteuern. Damit entsteht ein Abgrenzungsproblem zwischen "Wortgrammatik" und "Satzgrammatik", das man nicht einfach lösen kann, das ich mit meiner Differenzierung von Domänen und Ebenen aber wenigstens benennen kann: Syntaktische Eigenschaften von Wortformen wirken sich im Bereich der Satzdomäne aus (vgl. auch weiter unten). b) Für einige der genannten morphosyntaktischen Merkmale ist es fraglich, ob und inwiefern sie hier zu berücksichtigen sind, wo es - als Grundlage für die formale Wohlgeformtheit - um die Frage der formalen (i.U. zu den semantisch-pragmatischen) Bauprinzipien von Ausdrücken geht. Wir haben hier ein Problem der Abgrenzung von Morphosyntax gegen Semantik/Pragmatik. Fragliche Kategorien sind: Numerus, Tempus, Modus (vgl. ebenfalls weiter unten). c) In der Geschichte der Generativen Grammatik gibt es das sehr lehrreiche Kapitel der Auseinandersetzung um die semantischen Selektionsbeschränkungen zur Verhinderung von Ausdrücken wie dem berühmten Farblose grüne Ideen schlafen wütend. Heute besteht Konsens darüber, dass es sich hier um einen Ausdruck handelt, der formal in
2 Grammatik keiner Weise auffällig oder aussergewöhnlich oder eben nicht-wohlgeformt ist, dessen Eigenartigkeit oder Auffälligkeit demzufolge mit den Selektionseigenschaften, um die es hier geht, nichts zu tun hat.10
Wörter haben bestimmte semantische Eigenschaften (in einem zu spezifizierenden 'engeren' Sinn). Hier steche ich in ein Wespennest von Kontroversen um die Frage des Verhältnisses von Grammatik und Semantik. Ich kann mich auf die weitläufigen Diskussionen nicht einlassen. Mein Credo ist das, dass ein bestimmter konventioneller Teil von Bedeutungshaftigkeit in den Zuständigkeitsbereich einer Grammatik gehört. Dieses Credo ist Grundlage dafür, dass ich für bestimmte sprachliche Ausdrücke von eigentlichen semantischen Fehlem sprechen kann.11 Ich kann aber hier unmöglich diesen Zuständigkeitkeitsbereich näher eingrenzen. Vielmehr muss ich mich auf die folgenden sehr allgemeinen Bemerkungen beschränken (sie gelten teilweise auch für die semantische Charakterisierung von Einheiten der Satzsphäre, so dass ich sie dort nicht wiederhole): a) Für die grammatisch-semantische Charakterisierung von sprachlichen Ausdrücken lassen sich klar zwei verschiedene Prinzipien unterscheiden: Für Ausdrücke einer gewissen Minimalität gilt das Prinzip der Arbitrarität oder Idiosynkrasie. Das bedeutet: Solchen Ausdrücken kommt eine bestimmte konventionelle Bedeutung per definitionem zu. Man muss ihre Bedeutung 'einfach wissen'; man muss sie für jeden einzelnen solchen Ausdruck lernen. Für Ausdrücke, die nicht im erstgenannten Sinn minimal sind, gilt das Prinzip der Kompositionalität (oder das "Frege-Prinzip"). Das bedeutet: Die konventionelle Bedeutung solcher Ausdrücke lässt sich nach bestimmten Regeln aus der Bedeutung der Bestandteile und den angewandten Bauprinzipien ableiten oder 'ausrechnen'; die Bedeutung ist - um mit Saussure zu sprechen - "relativement motivo". Man muss sie nicht wissen, sondern nur die Regeln kennen, nach denen man sie aus den minimalen Bestandteilen aufbauen oder 'ausrechnen' kann. b) Im Prinzip ist es zwar so, dass die Bedeutung formal zusammengesetzter Ausdrücke aus der Bedeutung der Teile sowie der vorliegenden Konstruktion vorhersagbar ist, dass also eine Grammatik die Bedeutung von komplexen Wortformen, Phrasen und Sätzen grundsätzlich nicht einzeln spezifizieren muss, sondern nur die Regeln formulieren muss, wonach 10 11
Zur Frage, ob die Eigenartigkeit dieses Ausdrucks jedoch von einer systematischgrammatischen Semantik eingefangen werden kann, vgl. weiter unten. Vgl. Abschnitt 2.3.4.
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sich diese Bedeutungen systematisch aufbauen. Dieses Prinzip ist jedoch in der Wortdomäne beinahe systematisch und in der Satzdomäne ab und zu durchbrochen, d.h. die hier angesprochene semantische Minimalität deckt sich nur zum Teil mit der formalen (morphologischen) Minimalität: Zusammengesetzte 'Wörter1 bedeuten vielfach mehr und ganz Spezifisches, was sich nicht aus den Teilen und der Konstruktion allein vorhersagen lässt: Ist beispielsweise ein Holzschuppen ein Schuppen aus Holz oder ein Schuppen für die Lagerung von Holz? Grammatisch lässt sich nur sagen, dass es ein Schuppen ist, der etwas mit Holz zu tun hat, mehr nicht. Darum führen Wörterbücher einer Sprache die eingebürgerten Wortzusammensetzungen und -ableitungen neben den einfachen, arbiträren Lexemen ebenfalls auf. In der Satzdomäne gibt es die Fälle von stehenden Wendungen, Phraseologismen bis hin zu Sentenzen, Sprichwörtern, deren Bedeutung 'man einfach wissen muss', wo es einem nichts nützt, wenn man die Bedeutung der Teile kennt und das Bauprinzip wiedererkennt. Phraseologismen u.a. kann und muss man deshalb vom semantischen Standpunkt als eine Art 'mehrwertiges Wort' betrachten. c) Hinter der Tatsache, dass die systematische Vorhersagbarkeit der Bedeutung komplexer Ausdrücke beschränkt ist, steckt ein grundlegenderes Problem, das man etwa so fassen kann: Sprachliche Zeichen haben systematisch, konventionell, vor jeder Verwendung eine Bedeutung nur in einem sehr abstrakten Sinn. Oder vielleicht genauer: sie haben ein bestimmtes Bedeutungspotential oder auch einen bestimmten Umfang an Vagheit. Dieses Potential, dieser Umfang an Vagheit wird in der Verwendung von den Sprachbenutzern einerseits unter dem Einfluss des Kontextes anderer sprachlicher Ausdrücke und andererseits durch die Situationsdeutung, damit verbundene Erwartungen etc. konzeptuell ausgedeutet, interpretiert, vereindeutigt usw.12 Folgende Beispiele können wenigstens andeuten, was gemeint ist:13 Nach dem Streit verliess sie das Theater. Vor dem Künstlereingang wartete ihr Mann auf sie. Nach dem Streit verliess sie das Theater und baute sich eine Karriere als Sängerin auf. Behandelt wurden drei Knochenbrüche und eine Fleischwunde. In allen vier Fällen wurden schmerzstillende Mittel verabreicht. Die Fleischwunde musste mehrmals genäht werden. 12 13
Vgl. hierzu insbesondere M. Bierwisch 1979; M. Pinkai (1980/81; 1985a; 1985b), S. Wichter (1989). Das erste stammt von M. Bierwisch, das zweite von P. E. Pause, das dritte von W. Motsch/M. Reis/I. Rosengren.
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2 Grammatik Behandelt wurden drei Knochenbrüche und eine Fleischwunde. Die Literatur hierzu ist sehr umfangreich. Die nächste Vorlesung befasst sich mit inneren Verletzungen. Du wirst dein Geld verlieren, wenn du es weiterhin in diesem komischen Beutel herumträgst. Du wirst dein Geld verlieren, wenn du in diese Sache investierst.
Bei diesen konzeptuellen Ausdeutungen und Vereindeutigungen wirkt sicher nicht mehr nur sprachliches Wissen. Wo aber genau die Grenzen zwischen konventioneller Semantik - als einem Teil des sprachlichen Wissens - und Weltwissen liegt, ist völlig unklar.14 d) Nicht zu den konzeptuellen Ausdeutungen, sondern zum konventionell festen Bedeutungsbestandteil von Wörtern sind hingegen zu rechnen: Semantische Präsuppositionen: Ich habe es nicht geschafft, früher zu kommen präsupponiert konventionellerweise, dass man früher kommen wollte und sich darum bemühte. Implikationen: Ein Begriff, wie ihn Hund bezeichnet, ist ein Unterbegriff des Begriffs, den Tier bezeichnet, so dass man abgekürzt sagen kann, dass Hund Tier impliziert.15 Auch hier gibt es jedoch wiederum sehr heikle Streitfälle. Ein ganz besonderer Streifall ist die Frage, inwieweit so etwas wie Konnotationen, Wertungsbestandteile von Wortbedeutungen konventionell fest sind und wie weit sie je nach Verwendung dazukommen oder nicht (vgl. auch weiter unten). e) Ich habe weiter oben morphosyntaktische Kategorien genannt, deren Verwendung (manchmal oder tendentiell immer) nicht formalen Selektionsbeschränkungen, sondern semantischen Regeln zu unterliegen scheint, m.a.W. davon abhängig ist, 'was gesagt werden soll'. Gemeint sind Kategorien wie Tempus, Modus, Person, Numerus und ev. weitere (z.B. die Dativ-Akkusativ-Opposition zur Markierung der Orts-Richtungs-Opposition). Man spricht davon, dass ihr Vorkommen "nicht grammatikalisiert" sei. Informationstheoretisch gesprochen: All das, was nicht einfach einem formalen 'Mechanismus' gehorchend vorkommt, sondern wofür es eine Alternative gibt, was demzufolge bei der Produktion aus mehreren Möglichkeiten ausgewählt werden kann und muss, ist für die Rezeption informationsträchtig. Es ist in dem Masse, in dem es nicht durch einen formalen Mechanismus determiniert ist, semantisch gesteuert in dem Sinne, als die Frage "Was will ich sagen?" in der Produktion darüber 14
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Vgl. hierzu Kp. 5 "Kohärenz I".
Vgl. hierzu A. Linke/M. Nussbaumer (1988) mit Verweisen auf einschlägige Literatur.
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entscheidet, welche Kategorie ich brauche. Ein Beispiel: Kasus sind im Deutschen allermeist vollständig 'grammatikalisiert', im Selektionsrahmen von Verben obligatorisch vorgegeben, und in diesem Masse sind sie auch 'bedeutungslos'. Man sollte keine Bedeutung suchen hinter dem DativAkkusativ-Wechsel zwischen Ich helfe dir - Ich unterstütze dich.16 Hingegen ist der folgende Wechsel im Kasus nur unter Rekurs auf die Bedeutung zu erfassen bzw. eben bedeutungshaft, informationsträchtig: Ich fuhr auf der Strasse - Ich fuhr auf die Strasse.
Es scheint mir angemessen, solches Vorkommen grammatischer Kategorien zusammenzusehen mit dem Auftreten einer Kategorie wie Definitheit/Indefinitheit, die im Deutschen nicht morphologisch, sondern lexikalisch mit Hilfe des Artikels ausgedrückt wird. In ändern Sprachen ist das durchaus anders. f) Einer uralten - und natürlich sehr heiklen - Unterscheidung folgend würde ich die genannten Vorkommensfälle von grammatischen Kategorien dem Bereich des Synsemantischen - im Unterschied zum Autosemantischen - zurechnen.17 Dem synsemantischen Bereich würde ich auch die Verwendung ganzer Wortarten wie die der Präpositionen oder Konjunktionen zuordnen sowie bestimmte Bereiche der Adverbien. Dem Bereich der Synsemantika wäre der Bereich der Autosemantika entgegenzuhalten, unter den der überwiegende Teil der Wörter fällt. Die Unterscheidung von Auto- und Synsemantika ist theoretisch äusserst heikel, sie erlaubt aber in der Praxis, auf die es mir ankommt, eine differenziertere Aussage über das, was in einem Text an Sprachlichem da ist, und über das, was allenfalls falsch ist. Sie verhindert z.B., dass man den semantisch falschen Gebrauch eines Substantivs mit dem semantisch falschen Gebrauch einer subordinierenden Konjunktion (sog. "Sprachlogikfehler") in einen Topf wirft. g) Gegen einen Ausdruck wie Farblose grüne Ideen schlafen wütend ist formal nichts einzuwenden. Es fragt sich, ob dagegen semantisch etwas einzuwenden ist. Grundsätzlich ist hier allergrösste Vorsicht geboten, denn nur zu schnell macht man sich im Namen der Semantik zum Richter über Weltansichten und ignoriert überdies die metaphorische Kraft von natürlicher Sprache: So ist in der heutigen politischen Landschaft ein Ausdruck wie farblose grüne Ideen natürlich ohne 16 17
Ich erinnere an die Kontroverse um die Kasusbedeutungen, um den "inhumanen Akkusativ" in den 50er und 60er Jahren. Um diese Unterscheidung, die niemals eindeutig gemacht werden kann, rankt sich eine Menge an terminologischen und begrifflichen Dichotomien wie kategorematisch vs. synkategorematisch, lexikalisch vs. grammatisch, Vollwort/Inhaltswort/ Begriffswort vs. Strukturwort/Funktionswort/Formwort usw.
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weiteres - nur eben metaphorisch - interpretierbar. Solche Vorsichtsklauseln, die man nicht deutlich genug anbringen kann, können aber nicht den Blick verstellen auf bestimmte semantische Selektionsbeschränkungen für Wörter, die nicht zu bestreiten sind. Bekannt sind die sogenannten Kollokationen, die eine Phrase wie ein blondes Haus, obschon das ohne weiteres interpretierbar wäre, ausschliessen, ebenso ein Kind erhalten.18 Die Kombinatorik von Wörtern scheint in der Sprache durch eine Vielzahl von rein usuellen, semantisch nicht weiter motivierbaren Beschränkungen kontrolliert zu werden. Sehr oft bieten Wörterbücher hier keine Hilfe, denn sie schliessen nicht aus, was nicht geht, sondern nennen nur das, was geht. Häufig ergeben sich hier auch Probleme der Abgrenzung gegenüber Fällen formaler Selektionsbeschränkungen (etwa bei stehenden Wendungen).
Wörter tragen (manchmal - im markierten Fall, im Ausnahmefall) bestimmte pragmatische Eigenschaften. Damit meine ich, dass Wörter manchmal selbst über ihre morphosyntaktischen und semantischen Eigenschaften hinaus nur beschränkt verwendungsfähig sind: Sie rechnen bestimmten fachsprachlichen oder gruppensprachlichen Bereichen oder bestimmten Registern, Stilebenen zu (haben bestimmte "Konnotationen") und wirken in ändern Verwendungszusammenhängen störend oder werden auch ganz einfach nicht verstanden.19 Diese pragmatischen Restriktionen betreffen vorwiegend Autosemantika. Beispiel: Antlitz - Gesicht - Visage - Fratze - Fresse. Es gibt aber auch einige Synsemantika wie z.B. bestimmte Konjunktionen (obzwar, wenngleich, nichtsdestotrotz) mit solchen pragmatischen Sondermerkmalen. Ich komme nun zu den Einheiten der Satzdomäne.
Phrasen, einfache Sätze und komplexe Sätze haben einen inneren formalen Aufbau Wir können unterscheiden: a) Phrasen bestehen zumeist aus mehreren Wortformen; es kann auch sein, dass eine Wortform allein eine Phrase bildet. Der Phrasenbau ist in der traditionelleren Grammatik Gegenstand der Lehre vom sog. "Satzgliedinnenbau". b) Einfache Sätze bestehen aus mehreren Phrasen (von "Einwortsätzen" abgesehen, die entweder aus einem einfachen Imperativ bestehen oder 18 19
Im Sinne von "ein Kind bekommen", nicht im Sinne von "ein Kind ökonomisch unterhalten". Ich komme im Kp. 8 "Textsorten" genauer darauf zu sprechen.
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Ellipsen sind). Einfache Sätze sind der Gegenstand der "Lehre vom einfachen Satz". c) Komplexe Sätze bestehen aus mehreren einfachen, minimalen Sätzen. Sie sind Gegenstand der "Lehre vom zusammengesetzten Satz". Das Ganze ist der klassische Gegenstandsbereich der Syntax oder Satzlehre. Sie ist die Lehre vom formalen Aufbau der sprachlichen Einheiten der Satzdomäne aus Wortformen. Ein Stichwort wie "syntaktische Komplexität", das für die Charakterisierung von Texten manchmal eine wichtige Rolle spielt,20 kann demnach mindestens drei Bereiche meinen: a) komplexer Phrasenbau (Kern und Attribuierungen). b) komplexe verbale Wortketten (komplexe Satzbaupläne, Erweiterungen durch nicht-selegierte, freie Angaben). c) komplexe Ganzsätze (insbesondere Haupt-Nebensatz-Gefüge).21 Besonders was den Bau von Teilsätzen aus Phrasen sowie den inneren Bau von Phrasen selber anbelangt, ist vieles durch die Selektionseigenschaften von Wortformen determiniert; viel Syntaktisches fliesst demnach aus der Wortdomäne (vgl. oben) in die Satzdomäne. Das schafft klassische Abgrenzungsprobleme für die Fehlerzuteilung (vgl. Abschnitt 2.3.6). Der Bau von Ausdrücken der Satzsphäre unterliegt darüber hinaus einigen allgemeinen syntaktischen Prinzipien, die insbesondere die sog. "Wortstellung" regeln. Ausdrücke der Satzdomäne entstehen grundsätzlich aus produktiver Regelanwendung. Die Syntax ist - anders als die Wortlehre - keine Lehre von festen Ausdrücken, sondern ein reines Regelsystem. Feste Wendungen, Phraseologismen u.a. sind daher nicht nur aus semantischen Gründen (weil ihre Bedeutung nicht vorhersagbar ist) aus der Satzdomäne auszuscheiden, sondern auch aus sprachproduktionstheoretischen Gründen. Sie sind wie komplexe Wortformen zu behandeln. Noch ein warnendes Wort zur Terminologie: In der Sprachwissenschaft wird der Terminus syntaktisch in mehreren Bedeutungen gebraucht: a) syntaktisch zur Bezeichnung all dessen, was als Ausdrucks-Grössen-Typ in die Satzdomäne gehört (syntaktisch i.w.S., als Domänen-Epitheton; syntaktisch gegenüber lexikalisch oder morphologisch) b) syntaktisch zur Bezeichnung der Eigenschaften des formalen Baus von 20 21
Vgl. z.B. G. Augst/P. Faigel (1986, 77-85). Es ist beispielsweise für die jüngere Sprachgeschichte - bezogen auf bestimmte Textsorten (z.B. geschriebene 'Bildungsprosa1) oftmals schon eine statistische Verschiebung von der Komplexität im Ganzsatzbereich (Hypotaxe) zu phrasaler Komplexität (Nominalstil) festgestellt worden. Vgl. z.B. H. Eggers (1973), P.v. Polenz (1984), P. Braun (1987), K.-E. Sommerfeld! (1988).
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Einheiten der Satzdomäne (syntaktisch i.e.S., als Epitheton eine bestimmten Ebene der Spezifizierung von Einheiten der Satzdomäne) c) syntaktisch zur Bezeichnung aller Eigenschaften, die den formalen Bau von Ausdrücken betreffen (syntaktisch gegenüber semantisch). Ich verwende syntaktisch immer in der zweiten Bedeutung (b). Ein syntaktischer Fehler ist also beispielsweise nicht irgendein Fehler an einem oder in Verbindung mit einem phrasalen oder satzhaften Ausdruck, sondern ein Fehler im formalen Aufbau eines solchen Ausdrucks (vgl. auch Abschnitt 2.3.6).
Ausdrücke der Satzdomäne haben bestimmte Eigenschaften, die über ihre syntaktische Weiterverwendbarkeit entscheiden. Bestimmte nominale Phrasen passen beispielsweise in einen bestimmten verbalen Selektionsrahmen, oder Teilsätze mit Verb-Endstellung passen in die "Matrix" eines übergeordneten Satzes (eines "Matrixsatzes") etc. Es ist dies nur die andere Blickrichtung auf das, was ich im voraufgegangenen Abschnitt angesprochen habe: Ich kann den formalen Aufbau von Einheiten der Satzdomäne analytisch betrachten, vom Ganzen auf die Teile hin, oder ich kann die Teile betrachten und ihre Eigenschaften, sich zu grösseren Einheiten zu verbinden. Es gibt auch bestimmte Eigenschaften an selbständigen Sätzen, die für deren Kombinatorik mit ändern Sätzen ausschlaggebend sind. An diesen Eigenschaften setzt die sogenannte Textgrammatik an und verlängert die Zuständigkeit der Grammatik damit über den Satz hinaus. Ich folge diesem Schritt nicht, gehe auf diese Eigenschaften jedoch weiter unten unter dem Stichwort der pragmatischen Eigenschaften genauer ein und greife das Problem im übrigen im Kp. 4 "Kohäsion" wieder auf.
Ausdrücke der Satzdomäne haben semantische Eigenschaften. So wie wir es in der Satzdomäne auf der formalen Seite per defmitionem nur mit produktiv gebildeten komplexen Ausdrücken zu tun haben, haben wir es auf der semantischen Ebene nur mit Ausdrücken zu tun, für die das Kompositionalitätsprinzip gilt (vgl. oben): Eine Grammatik hat zu explizieren, wie - parallel zum formalen Aufbau - der Aufbau komplexer semantischer Gebilde vonstatten geht. Theorien darüber sind im Unterschied zu den formalen Theorien sprachwissenschaftsgeschichtlich jung und eher dünner gesät. Reich sind die Anleihen bei der formalen Logik, von wo auch der zentrale Begriff einer Satzsemantik, nämlich der der Proposition, stammt. Grundsätzlich gilt, dass es zwischen Teilsatz und Proposition ein enges quantitatives Verhältnis gibt, jedoch kein strenges quantitatives l:l-Ver-
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hältnis: - In komplexen Nominalphrasen kann man einzelne Propositionen festmachen: [Wegen der drohenden Gefahr von Seuchen} [wurde der Zustrom weiterer Flüchtlinge durch das Militär gestoppt] kann man als zwei Propositionen ansehen. - Er sagt, dass es regnet kann man hingegen als nur eine Proposition verstehen. - Vielen Satzsemantikern gelten performative Formeln wie in Ich verspreche, dass ich morgen komme (die performative Formel ist Ich verspreche) nicht als Proposition; Proposition wäre dann nur [ich morgen komme] - Usw. Ich möchte mich hier auf keinen Fall auf diese Diskussionen einlassen.22 Proposition wird gewöhnlich eng verstanden als jener Bedeutungsteil, der wahrheitswertfähig ist. Das ist zwar ein zentraler Bestandteil der Bedeutung von satzartigen Ausdrücken, erschöpft deren Bedeutungspotential, auch deren konventionell festes Bedeutungspotential, allerdings bei weitem nicht. Ein Satz hat über das Wahrheitswertfähige hinaus weitere konventionell zeichengebundene Bedeutungsaspekte. So enthalten die Ausdrücke Peter kommt. Peter kommt auch. Sogar Peter kommt.
zwar die gleiche Proposition, ihr Bedeutungspotential ist aber dennoch nicht das gleiche. Das liegt an unterschiedlichen Präsuppositionen, die mit den drei Ausdrücken verbunden sind. Die Diskussionen darüber, welche Präsuppositionen konventionellerweise mit bestimmten Ausdrücken verbunden sind, sind allerdings wiederum endlos und können hier nicht geführt werden. Im übrigen habe ich Grundsätzliches zur Semantik weiter oben in den Ausführungen zur Wortdomäne gesagt.23 22 23
Ich werde selber in den Kpp. 5 und 6 "Kohärenz" einen weiten, nicht weiter definierten Propositionsbegriff brauchen. N.E. Enkvist, der eine Reihe von Wohlgeformtheitsbedingungen für Sätze und Texte zusammenstellt, nennt eine solche Wohlgeformtheitsbedingung mit dem Stichwort "salience" (wörtlich: "das Hervorragen"; Enkvist 1989a, 373). Damit ist ein in der psychologischen Semantik schon lange bekanntes Prinzip benannt, wonach von den beiden folgenden Sätzen der erste der unmarkierte, der zweite der markierte ist; in unmarkierter Verwendung muss der zweite Satz irgendwie als abweichend eingestuft werden: 1) Die Pantoffeln stehen unter dem Bett. - 2) Das Bett steht über den Pantoffeln. - Es fragt sich, ob damit eine Art sprachlich-semantischer Wohlgeformtheitsbedingung angesprochen ist oder ob man den zweiten Satz besser als eine verquere Art der Weltsicht behandelt (die im übrigen in bestimmten Kontexten ganz normal sein kann!).
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Ausdrücke der Satzdomäne haben bestimmte pragmatische Eigenschaften. Auch Ausdrücke der Satzdomäne unterliegen mehr oder weniger stark bestimmten Verwendungsrestriktionen. Natürlich vererben sich die Verwendungsrestriktionen der Wörter, von denen ich oben gehandelt habe, von den Wörtern auf die syntaktischen Gebilde, in denen diese Wörter gebraucht werden. Davon will ich hier aber nicht mehr reden. Vielmehr soll hier gefragt werden, ob den Ausdrücken der Satzdomäne satzdomänenspezifische (und nicht wortspezifische) pragmatische Beschränkungen zukommen. a) Da ist zum einen das zu nennen, was N. E. Enkvist (1989a, 373) den "textual fit" (wörtlich: "textueller Sitz") von Sätzen nennt und was von der sog. Textgrammatik als textuelle Kombinationsbeschränkungen von Sätzen beschrieben worden ist (vgl. auch Kp. 4 "Kohäsion"). W. Motsch/M. Reis/I. Rosengren (1989/90, 103ff.) sprechen von der "Informationsstruktur" bzw. "Informationsgliederung" in einem Satz. In den letzten Jahren scheint sich der Begriff der Fokus-HintergrundGliederung (FHG) in Ablösung der älteren Thema-Rhema-Konzeption durchzusetzen.24 Ich will diese Terminologie übernehmen. Mit FHG ist der Umstand gemeint, dass Sätze für gewöhnlich eine mehr oder weniger deutliche25 Teilung in zwei Hälften aufweisen. Die Benennung dieser zwei Hälften ist vielfältig, je nach der Theorie, mit der man dieses Satzteilungsphänomen zu fassen versucht: Aussagebasis, Aussagegegenstand, Hypokeimenon (Aristoteles), Thema, Zugrundeliegendes, topic, Hintergrund, Bekanntes, Präsupponiertes einerseits Ausgesagtes, Kategoroumenon (Aristoteles), Rhema, focus, Fokus, Neues andererseits. Auch wenn diese Benennungen - und auch die begrifflichen Füllungen davon - sehr oft an Klarheit und Deutlichkeit zu wünschen übrig lassen, so dürfte doch so viel erkennbar sein, dass hier eine pragmatisch relevante Eigenschaft von Sätzen im Visier ist. Kontrovers ist, ob und wie weit man diese Eigenschaft in den theoretischen Grenzen einer Grammatik beschreiben kann. Mittel zur Realisierung dieser pragmatischen Eigenschaften sind jedenfalls grammatische Mittel: Im wesentiichen sind es die "Wortstellung"26 und die Prosodie (Satzakzent, Intonation), die aufs engste interagieren. 24 25
26
Zur FHG vgl. insbesondere R. Pasch (1983c). M. Reis (1987), J. Jacobs (1988). Zur Problematik vgl. auch A. Lötscher (1983), H. W. Eroms (1986), L. Hoffmann (1989). Umstritten ist, ob die Gliederung streng dichotomisch oder skalar ist.
Genauer müsste man von Satzglied- oder Phrasenstellung sprechen,.
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Hinzu kommen gewisse Partikeln, die systematisch fokussierend sind, z.B. nur oder sogar.21 Bestimmter/unbestimmter Artikel spielen ebenfalls eine Rolle. Wichtig ist: Auch hier spezifiziert die Grammatik für einen bestimmten Satz normalerweise nur ein bestimmtes FHG-Potential. Wortstellung und Prosodie sind zumeist mehrdeutig. Welche FHG-Gliederung genau aktuell gültig ist, darüber entscheidet die verwendungsabhängige Interpretation. Es gibt allerdings Ausdrücke, wo der Interpretationsspielraum von der Wortstellung und/oder Prosodie her schon sehr eingeschränkt ist. Eindeutig sind besonders Ausdrücke mit bestimmten FHG-relevanten Partikeln. So dürfte die FHG in Sogar Peter kommt eindeutig sein. b) Zum ändern gibt es aber auch seit längerer Zeit - insbesondere seit dem Aufkommen der Sprechakttheorie - in bestimmten Richtungen der Grammatikographie28 Versuche, für bestimmte syntaktische Ausdruckstypen oder bestimmte konkrete syntaktische Ausdrücke so etwas wie ein "Illokutionspotential" zu formulieren (Motsch/Reis/Rosengren 1989/90, 108ff.): Das ist eine von den sprachsystematischen, grammatischen Eigenschaften eines Ausdrucks her eingegrenzte Palette an Möglichkeiten der funktionalen Verwendung dieses Ausdrucks zur Realisierung von Sprechhandlungen. Die Grammatik nimmt dabei insbesondere etwas auf, was von der 'ändern Seite', nämlich von der Sprechakttheorie her an sprachlichen Ausdrücken als "Illokutionsindikatoren" oder IFIDS ("illocutionary force indicating devices") ausgemacht wird. Im wesentlichen sind das grammatische Eigenschaften wie die Satzarten oder Satzmodi (Deklarativ-, Interrogativ-, Imperativsatz), performative Formeln (ich behaupte, ich lehne ab, ich verspreche, ich möchte fragen), illokutionsmarkierende oder -indizierende Partikeln (bitte, gefälligst); in gesprochener Sprache: prosodische Merkmale. Es dürfte beispielsweise evident sein, dass ein Ausdruck wie Haben Sie Feuer? ein engeres und spezifischeres Illokutionspotential hat (d.h. für weniger Sprechhandlungen verwendet werden kann) als ein Ausdruck wie Ich bin müde. 27 28
Vgl. J. Jacobs (1988). Ich denke besonders an das internationale Grossprojekt "Sprache und Pragmatik" (Informationen hierzu in I. Rosengren 1988 und W. Motsch/M. Reis/I. Rosengren 1989/90) oder die im Entstehen begriffene IDS-Grammatik (vgl. G. Zifonun 1986; 1987). Man kann Ansätze dazu auch schon in den "Grundzügen" (K. E. Heidolph/W. Flämig/W. Motsch 1980) finden.
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Die formale Seite der Ausdrücke der Satzdomäne materialisiert sich in lautlicher (oder graphischer) Gestalt. Bei der lautlichen Gestalt29 von Ausdrücken der Satzdomäne vererbt sich die lautliche Gestalt der minimalen Wortformen über komplexe Wortformen, Phrasen und Teilsätze bis hinauf zu komplexen Sätzen. Es gibt aber auch einige Lautprinzipien, die bei der Lautkomposition wirksam werden. Für die prosodischen Eigenschaften (Akzent, Intonation) gibt es bei der Komplexbildung gesonderte Regeln, die sich den prosodischen Eigenschaften der einzelnen Wortformen überlagern. Kleiner Exkurs zur Frage der Prosodie in geschriebener Sprache Gemeinhin sagt man, dass es in geschriebener Sprache keine Prosodie gibt.30 Das ist natürlich in einer trivialen Weise wahr, in einer etwas weniger trivialen Weise aber auch falsch. Wahr ist es natürlich insofern, als unser Schriftsystem die prosodischen Eigenschaften eines Ausdrucks im allgemeinen nicht markiert.31 Prosodie ist also materialiter im Schriftbild weitestgehend unmarkiert. Ich sage: Prosodie ist in schriftlicher Realisierung/Materialisierung von Sprache nicht markiert. Das ist trivial. Davon zu unterscheiden ist jedoch die geschriebene Sprache.32 Falsch ist die Meinung nämlich, wenn man daraus, dass in schriftlich fixierter Sprache Prosodie nicht markiert ist, ableitete, Sätze in geschriebener Sprache hätten keine Prosodie. Dann müssten Sätze in geschriebener Sprache in noch viel erheblicherem Masse systematisch mehrdeutig sein, als sie dies ohnehin schon sind. Das könnte man tatsächlich so sehen. Schriftliche Kommunikation ist aber nur so erklärbar, dass man annimmt, dass der Textproduzent beim Schreiben eines Satzes diesem Satz eine ganz bestimmte Prosodie unterlegt und dass dies der Textrezipient beim verstehenden Rezipieren genauso tut. Schriftsprachliche Kommunikation funktioniert nur, indem man geschriebenen Sätzen die nicht markierte Prosodie ergänzt. Man kann nun die These wagen, dass für die geschriebene Sprache andere, engere Normen der Realisierung (oder vielleicht besser: der stillschweigenden Unterlegung) von prosodischen Mustern gelten. Die Hypothese lautete: In geschriebenen Sätzen gilt Normalprosodie, solange nicht Wortstellung oder bestimmte graphische Mittel etwas anderes zwingend anzeigen. Es gibt in der Grammatikographie des Deutschen Vorstellungen darüber, was Normalprosodie ist. Das hat Konsequenzen für die Realisierung der FHG im Satz, insbesondere also auch Konsequenzen für die Nonnen der Realisierung von Wortstellung. Vereinfachend ausgedrückt: In der geschriebenen Sprache ist die Wortstellung weniger frei.
29 30
31 32
Zur graphischen Materialisierung in Form von Schrift vgl. das Kp. 3 "Schrift". Von der segmentalen Lautstruktur behauptet man Gleiches übrigens nicht so deutlich. Das liegt daran, dass man die Schrift als Abbild der segmentalen Lautstruktur betrachtet, was fragwürdig ist; vgl. Kp. 3 "Schrift". Allerdings gibt es einige graphische Sonderelemente, mit denen man eine solche Markierung versucht; vgl. Kp. 3 "Schrift". Vgl. zur Unterscheidung von schriftlich/mündlich realiserter Sprache und gesprochener/geschriebener Sprache Abschnitt 8.2.
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2.1.3 Resümee Ich habe ganz knapp und skizzenartig zu zeigen versucht, dass in Texten Ausdrücke vorkommen, die eine weit verstandene Grammatik expliziert. Es sind Ausdrücke verschiedenen, verschieden komplexen Typs, die man grob den beiden Domänen des Wortes und des Satzes zuweisen kann. Jeder Typ von Ausdruck und damit jeder Ausdruck selber ist als ein Bündel verschiedenartiger Eigenschaften zu verstehen bzw. kann auf verschiedenen Ebenen näher charakterisiert werden (vgl. Schema 5): - im internen formalen Aufbau, - in der externen formalen Verwendbarkeit - in der Bedeutung - in pragmatischen Eigenschaften - in Eigenschaften der lautlichen oder graphischen Materialisierung. Wichtig ist, dass die Grammatik für die einzelnen Ausdrücke, was die Bedeutungseigenschaften und die pragmatischen Eigenschaften anbelangt, im Prinzip lediglich Potentiale spezifiziert. Die Semantik und Pragmatik der Ausrücke sind von der Grammatik her nicht eindeutig, aber auch nicht beliebig. Eindeutig werden Ausdrücke semantisch und pragmatisch in der konkreten Verwendung, und das in der Interpretation der Sprachbenutzer aufgrund von Kontext, Situation etc. Man kann eine Theorie, die sich mit solchen Vereindeutigungsprozessen, solchen Deutungsprozessen beschäftigt, ebenfalls eine Pragmatik nennen, Pragmatik aber in einem ändern Sinn. Ihr Gegenstand - so hält man das gewöhnlich terminologisch auseinander - sind nicht mehr grammatisch spezifizierte Ausdrücke, z.B. Sätze, sondern Interpretationen von grammatisch spezifizierten Ausdrücken, sogenannte Äusserungen. Texte, so möchte ich im weiteren Fortgang dieser Arbeit zeigen, sind in diesem Sinne den Äusserungen und nicht den grammatisch spezifizierten Ausdrücken zuzurechnen! Darum habe ich eingangs dieses Kapitels auch hervorgehoben, dass Texte zwar grammatisch spezifizierte Ausdrücke enthalten, jedoch keineswegs durch diese konstituiert werden. Beschäftigung mit Texten ist eher Beschäftigung mit Äusserungen als mit grammatisch spezifizierten Ausdrücken.33 Dem vollen Gehalt dieser These mit all ihren Konsequenzen werde ich mich erst im Kp. 5 "Kohärenz I" zuwenden. Dazwischen wird uns ganz kurz die Schrift beschäftigen (Kp. 3) sowie ein wissenschaftshistorisch 33
Oftmals hat man diese Einsicht aber auch in verkürzender und vergröbernder Weise einfach umgekehrt und gesagt: "Jede Beschäftigung mit irgendwelchen Äusserungen ist Beschäftigung mit Texten", bzw. "Jede Äusserung ist ein Text", oder "Sprache kommt realiter nur als Text vor" etc., was der Textlinguistik und insbesondere dem Textbegriff sehr geschadet hat (zu diesem falschen Umkehrschluss vgl. Abschnitt 1.3).
j)0
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älterer Versuch, Texte als 'grosse grammatische Ausdrücke' zu beschreiben und zu erklären (Kp. 4 "Kohäsion"). Vorerst aber möchte ich in einigen weiterführenden Abschnitten zeigen, was aus der bis hierher gelegten grammatischen Basis für eine Textanalyse folgt.
2.2 Zur positiven grammatischen Charakterisierung von Texten Texte enthalten sprachsystematisch spezifizierbare und zu spezifizierende Ausdrücke. Ich vermeide - wie begründet - die Ausdrucksweise: "Texte bestehen aus ..." Solche Ausdrücke sind eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für Textualität (als die wesentliche Eigenschaft von Texten). Es ist von daher prinzipiell begründbar, warum man Texte auch daraufhin analysieren und danach bewerten soll, von welcher Art und welcher Güte in grammatischer Hinsicht die grammatisch spezifizierbaren Textelemente sind. Damit ist allerdings nichts darüber präjudiziert, wie diese Befunde für eine Gesamtbeurteilung von Texten in Rechnung zu stellen sind.34 In welche Richtung könnte nun eine grammatische Charakterisierung von Texten gehen? Traditionellerweise kennt Textanalyse in dieser Beziehung vor allem eine Richtung: Der Blick geht auf das, was von einem sprachsystematischen Standpunkt aus als falsch zu beurteilen ist. Ich widme mich diesem Punkt im Abschnitt 2.3. Darob wird oftmals vergessen, dass man den Blick auch in die entgegengesetzte Richtung lenken könnte: auf das nämlich, was da ist. Dies ist nur schon deshalb von allergrösster Wichtigkeit, weil auch eine Beurteilung dessen, was fehlerhaft ist, ungemein viel aussagekräftiger wird, sobald man die Fehler mit dem korrelieren kann, was da ist. Das ist aber auch ganz abgesehen von der Fehlerproblematik eigentlich die naheliegendste Betrachtungsweise: Man schaut sich das an, was da ist. Warum nur wurde diese naheliegende Betrachtungsweise so oft verdrängt und wird es noch?35 Nun kann man das, was da ist, wiederum unter zwei Perspektiven sehen: a) unter einer quasi absoluten Perspektive b) unter der relativen Perspektive einer Messung dessen, was da ist, an den vom Textgegenstand und der Textfunktion herrührenden Notwendigkeiten. 34 35
Vgl. dazu Abschnitt 2.4. Vgl. dazu P. Sieber (1990, bes. Kpp. 1.3, 2.2 und 5).
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Die Perspektive (b) setzt die Perspektive (a) voraus, baut auf ihr auf. Vgl. dazu den Abschnitt 2.2. Zur absoluten Perspektive: Man kann im Prinzip an einem Text so viel Verschiedenes positiv charakterisieren, als vom sprachsystematischen Standpunkt aus Verschiedenartiges da ist. Sinnvolle Grenzen kann es nur von der vergleichenden Perspektive (b) her geben. Es dürften bestimmte Hypothesen über relevante Zusammenhänge zwischen Sprachformen, sprachsystematischen Ausdrücken einerseits und Sprachfunktionen andererseits sein, die hier die Suche anleiten könnten. Folgende Punkte seien kurz erwähnt: a) Syntaktische Komplexität36 Natürlich müsste man vorerst einmal bestimmen, was syntaktische Komplexität ist (vgl. auch Abschnitt 2.1.2). Es spielen eine Rolle: Koordination vs. Subordination Phrasenkern vs. Attribut Abhängigkeit 1., 2., ..nten Grades die Art der Subordinierung (Genitiv vs. präpositional; Relativanschluss, Konjunktionalanschluss) und ev. weiteres. Syntaktische Komplexität gilt es beispielsweise in folgenden Zusammenhängen zu betrachten: Sie dürfte in einer nicht-zufälligen (aber natürlich auch nicht einfach linearen) Relation zur Komplexität des Textgegenstandes und seiner textuellen Behandlung stehen:37 Eine Textthematik bestimmter Komplexität dürfte nicht mit einer beliebigen sprachlichen, und das heisst insbesondere syntaktischen, Komplexität adäquat (was immer das hier heisst!) bewältigbar sein.38 Syntaktische Komplexität spielt eine gewisse Rolle in der Determination der Verständlichkeit eines Textes:39 Die Verständlichkeit eines Textes leidet beispielsweise, wenn eine bestimmte Thematik mit Sprachmitteln transportiert wird, die komplexer sind als nötig (was immer das hier heisst!). Ich habe oben angedeutet, dass syntaktische Komplexität entsprechend den drei Subdomänen der Satzdomäne an dreierlei systematischen Orten zu suchen ist: im phrasalen Bereich, im Bereich des 36 37 38 39
Mit der syntaktischen Komplexität beschäftigen sich auch G. Augst/P. Faigel (1986, 77-85). Vgl. Kp. 5 und 6 "Kohärenz ". Wie bestimmte Verständlichkeitstheorien manchmal mit ihrer "Einfachheits"-Maxime implizit vorauszusetzen scheinen. Vgl. Abschnitt 5.6. Das ist allerdings eine sehr heikle These, die überdies unter dem Strich nicht sehr viel besagt.
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einfachen (Teil-)Satzes, im Bereich des komplexen Ganzsatzes. Nun ist es nicht so, dass im Deutschen die Sprachmittel in diesen drei Bereichen einfach äquivalent wären, was ihre inhaltliche Deutlichkeit anbetrifft.40 Darauf ist etwa hingewiesen worden in Arbeiten, die sich mit dem Phänomen des Übergangs vom hypotaktischen Stil zum Nominalstil in der jüngeren Geschichte der deutschen Wissenschaftssprache beschäftigen.41 Bekanntlich können sich hinter einem attributiven Genitiv mehrere Dutzend verschiedene inhaltliche Relationen verbergen. b) Wortschatz Für die Bewältigung beliebiger Textaufgaben ist das Verfügen über eine bestimmte Lexik und der Umgang damit so wichtig wie die Beherrschung von Morphologie und Syntax. Man kann wiederum die - alles andere als originelle - These wagen, dass eine bestimmte Textthematik nicht mit einem beliebigen Wortschatz adäquat (was immer das heisst!) bewältigt werden kann. Vielmehr muss der Wortschatz aus einem bestimmten themenrelevanten Bereich sein und eine bestimmte Differenziertheit aufweisen. Das gilt für Autosemantika genauso wie für Synsemantika (insbesondere Konjunktionen, Konjunktionaladverbien u.a. "Funktionswörter").
Neben der funktionalen Forderung der thematischen Adäquatheit des Wortschatzes gibt es die Forderung der Variation, die sowohl mit ästhetischen Argumenten als auch mit dem funktionalen Argument der auf merksamkeitsf ordernden Variation bzw. aufmerksamkeitsbehindernden Eintönigkeit vorgetragen wird. Die deutsche Sprache kennt zwischen der Domäne des einfachen Wortschatzes und der Satzbaudomäne die Zwischendomäne der Wortbildung mit vielerlei formalen Möglichkeiten der Ad-hoc-Ausgestaltung nötiger lexikalischer Mittel. Aus alledem ergibt sich die Notwendigkeit, den Wortschatz eines Textes in absoluter Perspektive beispielsweise zu charakterisieren: hinsichtlich des Wortschatzbereichs; zu denken ist an Stichworte wie Grund-/Basis-Wortschatz, Auf- oder Ausbauwortschatz, Bildungswortschatz ("schwere Wörter", "brisante Wörter"),42 Fachwortschatz, gruppensprachlicher (z.B. jugendsprachlicher) Wortschatz, Fremdwortschatz etc.; nominaler Wortschatz, verbaler Wortschatz, 'Funktionswörter' 40 41 42
G. Augst/P. Faigel (1986,77ff.) sprechen dies an mit dem Titel "Von der Sequenz zur Integration". Vgl. Fussnote 21 sowie Kp. 8, Fussn. 39. Vgl. dazu G. Strauss/U. Hass/G. Harras (1989) sowie die theoretischen Überlegungen dazu in G. Strauss/G. Zifonun (1985).
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hinsichtlich des Umfangs und der Diversifikation (Anzahl verschiedener Lexeme im Verhältnis zur Anzahl Wortformen eines Textes o.a.) hinsichtlich der Originalität mittels Neuschöpfungen. c) Textlänge Solche und ähnliche Charakterisierungen, aber auch Textcharakterisierungen ganz anderer Art können schliesslich angewiesen sein auf die völlig lapidare Kenntnis des Textumfangs, der Textlänge, für die ein Mass gefunden werden muss. Die Anzahl Ganzsätze dürfte ein sehr schlechtes Mass sein, die Anzahl Wortformen (token) ein vernünftiges, die Anzahl Grapheme ein überflüssig exaktes.
2.3 Fehler ('Lapsologie') Literatur Äugst. Gerhard/Peter Faigel [unter Mitarbeit von Karin Müller und Helmuth Feilke] 1986: Von der Reihung zur Gestaltung. Untersuchungen zur Ontogenese der schriftsprachlichen Fähigkeiten von 13-23 Jahren. Frankfurt u.a. (= Theorie und Vermittlung der Sprache 15). [bes. Kp. l und 2] Braun, Peter 1979: Beobachtungen zum Nonnverhalten bei Studenten und Lehrern. In: ders. (Hg.): Deutsche Gegenwartssprache. München, 149-155. Eisenberg, Peter/Gerhard Voigt 1990: Grammatikfehler? In: Praxis Deutsch 102,10-15. Keller, Rudi 1980: Zum Begriff des Fehlers im muttersprachlichen Unterricht. In: Dieter Cherubim (Hg.): Fehlerlinguistik. Beiträge zum Problem der sprachlichen Abweichung. Tübingen (=RGL 24), 23^2. Klute, Wilfried 1985: Ausdrucksfehler - Formulierungsschwäche. In: DD 16,106-122. Ortner, Hanspeter 1990: Die Arbeit am Ausdrucksfehler - ein Stiefkind des Oberstufenunterrichts. In: ide-extra l, 30-47. Villiger, Hermann 1977: Ist das wirklich falsch? Versuch einer Fehlerklassifikation. Frauenfeld (= Schriften des Deutschschweizerischen Sprachvereins 9). Villiger, Hermann 1979: Schreiben unsere Maturanden von Jahr zu Jahr schlechter? In: Deutschblätter. Halbjahresschrift des Vereins Schweizer Deutschlehrer 6, 3-24. Villiger, Hermann 1984: Was für sprachliche Fehler machen unsere Abitutienten? In: Praxis Deutsch 68,17-21.
2.3.1 "Fehleranalyse", "Fehlerlinguistik", "Lapsologie" Es gibt in der Sprachwissenschaft die Arbeitsgebiete der "Fehlerlinguistik" oder der "Fehleranalyse". Ich möchte hier lieber von "Lapsologie" in bewusster Absetzung von diesen Arbeitsgebieten sprechen. Das soll nicht heissen, dass ich von dort nicht wichtige Anregungen bekommen könnte, es soll aber deutlich signalisieren, dass es mir hier um etwas anderes geht.
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Worum geht es in der "Fehlerlinguistik" und der "Fehleranalyse"? So weit ich sehe, werden diese Namen nicht sehr einhellig gebraucht; der Tendenz nach trifft aber folgendes zu: Die "Fehleranalyse" hatte ihre grosse Zeit in den 70er Jahren.43 Sie ist ein Teilgebiet der angewandten kontrastiven Linguistik und beschäftigt sich insbesondere mit Interferenzproblemen zwischen Erst- und Zweitsprache beim Zweitspracherwerb. Die "Fehleranalyse" hat in den vergangen 20 Jahren eine sehr wichtige Entwicklung durchgemacht von der Defizitorientiertheit auf die Lerner- oder Entwicklungsorientiertheit hin,44 unter Einbezug des Konzepts der Lerner- oder Interimsprache, unter deren Optik Fehler eigentlich gar keine Fehler mehr sind. Die "Fehlerlinguistik" ist ein Teilbereich der theorieorientierten, psycholinguistischen Grammatik- und Sprachproduktionsforschung. Ihr geht es darum, über die Analyse von Fehlern ganz normaler Sprachbenutzer (teilweise auch von Fehlern von Menschen mit Sprachstörungen) Aufschluss darüber zu bekommen, wie sprachlich-grammatisches Wissen im menschlichen Geist repräsentiert ist und welche Prozesse bei der Aktualgenese von Sprache ablaufen. Die Fehlerlinguistik beschäftigt sich mit Versprechern (slip of the tongue), mit 'Verschreibern', 'Verhörern', 'Verlesern'. Man unterscheidet beispielsweise zwischen Fehlern, die auf Eigenschaften der Kompetenz beruhen (errors), und solchen, die in der Performanz passieren (mistakes), ein Unterschied, der für uns durchaus einschlägig ist (vgl. unten).45 In teilweiser Absetzung von Fragestellungen der "Fehleranalyse" wie der "Fehlerlinguistik" interessieren mich hier hingegen Fehler fortgeschrittener Muttersprach-Erwerber und -Benutzer unter der Erwerbsperspektive sowie der Perspektive der Normproblematik und der Problematik der Fehlerklassifikation und Fehlergewichtung.
2.3.2 Grundsätzliches zu sprachsystematisch-grammatischen Fehlern "Lapsologie" als Lehre von den Fehlern ist das logische Gegenstück zur "Normologie" als der Lehre von den Regeln und Normen, ist doch ein Fehler logisch erst als Fehler möglich, wenn es eine Regel oder eine Norm gibt, die durchbrochen werden kann. Das ist trivial. Die folgenden not43 44 45
Ein "Klassiker" ist etwa G. Nickel (21973); vgl. auch z.B. G. Kasper (1975) Vgl. Fussn. 35. Vgl. die frühen Arbeiten von M. Bierwisch (1970) und V. A. Fromkin (1973). Vgl. mit etwas breiterer Streuung der Thematik allerdings - auch den Sammelband von D. Cherubim (1980). Das Thema scheint in den letzten Jahren an Interesse wieder zu gewinnen, vgl. z.B. H. Leuninger (1987). Eine Arbeit über 'Verhörer1 ist G. List (1980). Weitere Literatur findet man beispielsweise bei M. Schwarz ( 1988, 80ff.).
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wendigen Präzisierungen sind es vielleicht schon etwas weniger. Dabei gehe ich so vor, dass ich hier zuerst eine idealtypische Unterscheidung in Erinnerung rufe, die ich im Abschnitt 1.2.2 eingeführt habe, um anschliessend (2.3.3ff.) die Charakterisierung sprachsystematisch-grammatischer Verstösse gemäss dieser Unterscheidung schrittweise zu hinterfragen. Ich habe im Abschnitt 1.2.2 die idealtypische Unterscheidung von dichotomischen Normen von "richtig/falsch" und skalaren Normen von "angemessen/unangemessen" eingeführt. Ich wiederhole hier die Schemata 2 (als Schema 6) und 3 (als Schema 7), konkretisiert allerdings für den Normenbereich des Sprachsystematisch-Grammatischen.46
richtig=grarrimatisch falsch=ungrammafisch Grammatikalität
Korrektheit
[ Ungrammaükalität |
Verstoss
[Schema 6]
Mit diesen Schemata mache ich eine sehr starke Behauptung: die Behauptung, Sprachsystematisch-Grammatisches sei stets nach einer dichotomischen Norm von "richtig/falsch" zu beurteilen. Das Schema 7 reduziert überdies den prinzipiell zweistelligen Funktor RICHTIG ("x ist richtig gemäss y") zu einem einstelligen Funktor GRAMMATISCH ("x ist grammatisch"); das zweite Argument, nämlich "y", das Argument für die Norm, ist im Funktor GRAMMATISCH integriert.
46
Man könnte die Schemata in gleicher Weise auch für den Bereich des Graphematischen konkretisieren, allerdings unter ahnlichen Vorbehalten, wie ich sie im folgenden entwickeln werde. Vgl. das Kp. 3 "Schrift".
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[GRAMMATISCH
[Schema 7]
Ich muss diese sehr starke Behauptung im folgenden präzisieren und auch etwas relativieren.
2.3.3.Materiale Fehlerklassen auf der Basis des Grammatikmodells Vorbemerkung Ich muss hier eine Bemerkung wiederholen, die ich schon im Abschnitt l .3 gemacht habe: Die nachstehende Fehlerdiskussion (wie auch alle ändern in dieser Arbeit geführten Norm- und Verstoss- oder Korrektheits-Diskussionen sind zwar die Basis für das Textanalyse-Raster, das im Anhang dieser Arbeit abgedruckt ist; sie begründen jedoch nicht im Detail die Struktur dieses Rasters; dafür wären zusätzliche praktische Erwägungen mitzubedenken, die ich in der vorliegenden Arbeit nicht vorführen möchte. Nur so viel sei gesagt: - Das Textanalyse-Raster hat einen -Teil, mit dem Fehler erfasst werden, und einen B-Teil, mit dem besonders Angemessenes und besonders Unangemessenes in einem Text erfasst werden. - Die nachstehende, vom Grammatikmodell her motivierte materiale Fehlerklassifikation strukturiert den -Teil des Rasters und wiederholt sich grosso modo im B-Teil unter B.1.6 bzw. B.2.2. - Diese Doppelung oder gar Vermehrfachung hat ihren Grund einmal darin, dass es in prinzipiell dichotomischen Normbereichen SubBereiche gibt, wo die Norm unscharf oder auch wirklich offen ist (vgl. unten). Zum ändern ist sie darauf zurückzuführen, dass prinzipiell alle in ihrem So-Sein dichotomisch geregelten sprachlichen Dinge immer auch zusätzlich, was ihr Da-Sein, ihre Verwendung betrifft, skalaren Normen unterliegen! Konkreter: eine Satzkonstruktion beispielsweise mag gram-
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matisch schlicht tadellos ("richtig") sein; sie erfährt keinen Vermerk mit dem -Teil des Analyse-Rasters. Jedoch kann und soll man sich immer zusätzlich die Frage stellen, ob die Satzkonstruktion auch funktionsadäquat angewendet und ob sie auch ästhetisch einwandfrei ist (B. 1.6 bzw. B.2.2 des Analyse-Rasters). So weit die Vorbemerkung. Vor dem Hintergrund meines Grammatikmodells (siehe Schema 5) kann man nun folgende materialen Fehlerklassen unterscheiden (vgl. Schema 8) auf Problematisches gehe ich weiter unten genauer ein:
[Schema 8]
a) Formfehler in der Wortdomäne (Morphologie-Fehler): Wortformen, die vom System her vorgesehen sind. al) Es werden Morpheme verwendet, die es vom Sprachsystem her her gar nicht gibt (inexistente Grundmorpheme, falsche innere Abwandlungen).47 a2) Es wurde eine komplexe Wortform falsch gebildet (formal falsches Kompositum oder Derivatum oder formal falsche Flexionsaffigierung).
47
Strenggenommen dürfte man das nicht unter der Rubrik "innerer formaler Aufbau" aufführen; einfache Grundmorpheme sind ja gerade per definitionem morphologisch einfach.
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b) Formfehler in der Satzdomäne (Syntax-Fehler): Phrasen-, Teilsatz-, Ganzsatz-Konstruktionen (Wortformenkombinationen), die so vom System her nicht möglich sind. In dem Masse, in dem syntaktische Regularitäten aus den Eigenschaften der beteiligten Wortformen herrühren, können das Verstösse gegen Selektionseigenschaften der Wortformen sein; es können aber auch Verstösse gegen allgemeine syntaktische Regeln der Wortstellung, der Kongruenz u.a. sein. Von daher erklärt sich die doppelte Aufführung von (b) im Schema 8. c) Semantikfehler in der Wort- oder Satzdomäne. Man kann intern unterscheiden: Ein Autosemantikum bedeutet systematisch nicht, was es in einer bestimmten Verwendung bedeuten soll, d.h. es ist semantisch falsch gebraucht. Ein Synsemantikum (semantisch determinierte grammatische Kategorien wie Numerus, Definitheit u.a. eingeschlossen) bedeutet nicht, was es an einer bestimmten Stelle eines Textes bedeuten soll. Eine Ad-hoc-Wortbildung bedeutet nicht, was sie an der betreffenden Stelle bedeuten soll. Eine syntaktische Konstruktion kann nicht die Bedeutung tragen, die ihr vom Produzenten oder der Produzentin offenbar zugedacht ist. Es kommt zu Unverträglichkeiten zwischen Bedeutungen einzelner Wörter oder Wortkomplexe. Es kommt bei metaphorischem Sprachgebrauch zu Bildbrüchen u.a. d) Pragmatikfehler, die von der Wortdomäne oder von der Satzdomäne herrühren. Eine interne Differenzierung könnte z.B. so aussehen - es zeigt sich hier allerdings eklatant die Uneinheitlichkeit des Pragmatikbegriffs:48 Ein Wort, das einer bestimmten Sprach-Subvarietät angehört, tritt in einer ändern Varietät auf ("Register-Missgriff', "Stilbruch"). Eine bestimmte Satzkonstruktion passt - von ihrer FHG her - nicht in den Textverlauf. Mit einem bestimmten Satz soll eine Sprachhandlung vollzogen werden, zu der dieser Satz ungeeignet ist. Eine textuelle Verweisung misslingt. - Etc. e) Fehler bei der Materialisierung der Ausdrücke: Sprechfehler, Schreibfehler.« 48 49
Mit unserem Textanalyse-Raster haben wir diese verschiedenartigen Dinge denn auch nicht einer Kategorie zugeordnet, sondern auf diverse Positionen des Rasters verteilt. Für die Schreibfehler vgl. Kp. 3 "Schrift".
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In dieser Aufzählung stecken einige ganz schwerwiegende Probleme. - Es gibt erhebliche Abgrenzungs- und Zuordnungsprobleme innerhalb dieser materialen Fehlerklassifikation; sie diskutiere ich weiter unten in Abschnitt 2.3.6. - Es stellt sich die Frage, ob man überhaupt von semantischen und pragmatischen Fehlern sprechen kann. - Weiter stellt sich die Frage, ob augenscheinlich streng dichotomisch geregelte Bereiche wie Morphologie und Syntax oder Rechtschreibung wirklich in jedem Fall streng dichotomisch geregelt sind? Auf die zwei letzten Fragen trete ich im folgenden Abschnitt ganz kurz ein.
2.3.4 Semantische und pragmatische Fehler? Fehler oder Unangemessenheiten? Zwischen morphologischen und syntaktischen Fehlern50 einerseits und semantischen und pragmatischen Fehlern andererseits scheint es einen entscheidenden qualitativen Unterschied zu geben. Er deutet sich schon darin an, dass für die Fehlererkennung ganz verschiedene Prozesse nötig sind. Der Erkennung eines morphologischen oder syntaktischen Fehlers liegt keine Interpretation in dem Sinne zugrunde, wie sie für die Erkennung der ändern Fehlertypen nötig scheint: - Wenn ich einen morphologischen oder syntaktischen Fehler erkenne, dann urteile ich im Prinzip folgendermassen: "X (d.h. diese morphologische oder syntaktische Form) ist vom System her nicht vorgesehen, ist unmöglich, 'geht nicht'." - Wenn ich hingegen einen Fehler der ändern Art erkenne, dann urteile ich etwa so: "X (d.h. dieses Wort, dieser syntaktische Ausdruck) passt an der betreffenden Stelle nicht, geht hier/in diesem konkreten Kontext nicht, hat einen Effekt, der nicht intendiert ist." Interpretatorisch scheint mir am zweiten Typus der Umstand, dass ich die Realität an dem messe, was meines Erachtens an einer bestimmten Textstelle der Fall sein müsste, und dass ich sie nur an dem messen kann. Demgegenüber messe ich im ersten Fall die Realität an dem, was ganz prinzipiell möglich ist. Man bringt diesen Unterschied im Umkreis der kognitivistischen Linguistik mit einem ändern, grundlegenderen Unterschied in Zusammmenhang, dass nämlich das morphologische und syntaktische Regelwissen von ganz anderer Art ist, auch ganz anders erworben wird, als das semantische und 50
Wohl sind hierher auch bestimmte phonologische Fehler, Fehler im Bereich der segmentalen Phonologic, zu rechnen. Auf sie gehe ich nicht ein. Zu den grapnematischen Fehlem vgl. das Kp. 3 "Schrift".
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sprachsystematisch-pragmatische Wissen .5' Es scheint so zu sein, dass wir es bei augenscheinlichen semantischen und pragmatischen Fehlern - traditionell spricht man gerne von "Ausdrucksfehlern"52 - gar nicht mit Fehlern im dichotomischen Sinn (vgl. die obigen Schemata 7 und 8) zu tun haben, sondern lediglich mit Extremfällen von Unangemessenheit! Daraus sollte man für die Praxis der Textbeurteilung den Schluss ziehen, dass man für diese Regelbereiche äusserst sparsam umgeht mit der Kategorie "Fehler" und dieser Kategorie eine Kategorie grösserer oder kleinerer "Unangemessenheit" an die Seite stellt, unter der die meisten negativen Auffälligkeiten dieser Bereiche abzubuchen sind. Entsprechend ist es geboten, als Gegenstück zur Kategorie der "Unangemessenheit" für semantische und pragmatische Fälle eine Kategorie "Besondere Angemessenheit" vorzusehen, unter der die Fälle abzubuchen sind, wo ein sprachlicher Ausdruck semantisch oder pragmatisch besonders treffend, besonders effizient o.a. eingesetzt ist. Eine entsprechende Kategorie kann es hingegen aus logischen Gründen für die Kategorie des "Fehlers" nicht geben: Ein Ausdruck ist nicht mehr oder weniger richtig, mehr oder weniger grammatisch, genauso wenig wie er mehr oder weniger falsch, mehr oder weniger ungrammatisch ist. Was es aber natürlich immer gibt, ist die Beurteilbarkeit dessen, was prinzipiell grammatisch geht, nach zusätzlichen, nun nicht mehr grammatischen, sondern funktionalen oder stilistischen Normen der Angemessenheit. Doch ist das wirklich so? Gibt es nicht auch in diesen grammatischen Regelbereichen Teilbereiche - und zwar durchaus alltägliche und nicht bloss abgelegene, wie man manchmal meint -, in denen die meisten Sprachbenutzer darüber, was richtig ist, im Zweifel sind? - Ich denke beispielsweise an die starke/schwache Adjektivflexion im attributiven Bereich nach bestimmten Quantoren: Heisst es manche schöne Bücher oder heisst es manche schönen. Bücher! - Ich denke an bestimmte Wortstellungsfälle, etwa so markierte Topikalisierungen wie Amerikanische Autos fahren sie kleine. - Oder ich denke an erststelliges nicht wie in Sie liest fast alles, vom Kioskroman bis Stefan George. Nicht liest sie Kriminalromane, -weil: dabei fürchtet sie sich. - Im letzteren Beispiel finden wir eine markierte Stellung von weil, wie sie in gesprochener Sprache häufig ist: Ist das einfach falsch, ist das eher unangemessen? Man konsultiere Abschnitt 2.5.2 für einen Katalog weiterer Zweifelsfälle aus dem Bereich der gesprochenen Sprache. 51 52
Vgl. hierzu Abschnitt 5.5.4. Das sind die Fehler mit dem Buchstaben "A" am Heftrand. Zu den Ausdrucksfehlern vgl. W. Klute (1985), H. Ortner (1990).
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Der Katalog von Zweifelsfällen Hesse sich beliebig verlängern. Wichtig für eine Diskussion dieser Fälle scheinen mir die folgenden Unterscheidungen: a) Wie verhalten sich Regelwerke - die gängigen Gebrauchsgrammatiken gegenüber diesen Fällen, und wie reagiert unser Sprachgefühl auf diese Fälle? Letzteres ist natürlich von ersteren geprägt und nicht selten verformt, etwa in Richtung auf eine Haltung der Hyperkorrektheit (man schliesst Möglichkeiten als falsch aus, die gar nicht falsch sind) oder in Richtung auf eine Dichotomisierung ("richtig'V'falsch") eines Bereichs, der gar nicht dichotomisch geregelt ist.53 b) Handelt es sich um einen Bereich, in dem man vom Sprachgefühl her im Prinzip eine dichotomische Regelung erwartet (etwa im Fall der starken oder schwachen Adjektivdeklination im attributiven Bereich), oder aber um einen Bereich, in dem man - bei prinzipiell dichotomischer Regelung - eine 'Grauzone' skalarer Normen vermutet (wie bei den Phänomenen markierter Wortstellung). Für den letzteren Fall gibt es in der Grammatikographie verbreitet das Konzept, dass man, in das 'Reich' prinzipiell dichotomischer Regeln 'eingelagert', periphere Zonen skalarer Übergänge ausmacht, in denen die Dichotomic von Grammatikalität/Ungrammatikalität aufgehoben und eine Skala grösserer oder kleinerer Akzeptabilität angesetzt wird. Weit herum hat sich die Notationsweise mit Asterisk (*) oder einem oder mehrere Fragezeichen (???, ??, ?) eingebürgert. Ich denke, dass man für die Textbeurteilung diese grammatikographische Einsicht dergestalt berücksichtigen sollte, dass man in Zweifelsfällen zurückhaltend umgeht mit der Kategorie des Fehlers und den Mut hat, Auffälligkeiten vorerst einmal als Auffälligkeiten zu vermerken und nicht immer gleich als Fehler. Bei der Konsultation grammatischer Handbücher wie auch bei der Befragung des eigenen Sprachgefühls ist überdies immer mit Hyperkorrektheit zu rechnen. Diese Bemerkungen vermögen jedoch die prinzipielle Behauptung, dass wir es im grammatischen Bereich - und genauer im morphologischen und syntaktischen Bereich54 - mit dichotomischen Regeln zu tun haben, nicht aufzuheben. Von einer Beurteilung grammatischer Ausdrücke nach ihrer Grammatikalität ist jedoch strikte eine Beurteilung derselben Ausdrücke nach der Angemessenheit ihrer Verwendung zu unterscheiden, nach der Sachadäquatheit, der Funktionsadäquatheit, der situativen, textsortenmässigen 53 54
Vgl. hierzu z.B. P. Braun (1979). Und im phonologischen und graphematischen Bereich.
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Verwendungsadäquatheit, der Einpassung in den textuellen Verlauf etc. Das sind in jedem Fall skalare Beurteilungen. Beurteilungen der Semantik und der Pragmatik der Ausdrücke gehören im Prinzip hierher, doch kann es Fälle so krasser Unangemessenheit geben, dass man von einem Fehler reden kann.
2.3.5 Fehler-Erkennung und Fehler-Klassifizierung Ich will im folgenden die diskutierten Probleme zurückstellen und davon ausgehen, dass wir es im Bereich der Grammatik mit dichotomischen Regeln und Normen zu tun haben. Die "Fehleranalyse" (siehe oben) unterscheidet mehrere Stufen der Beschäftigung mit Fehlern, vor allem: a) Fehler-Erkennung b) Fehler-Identifizierung, -Klassifizierung c) Fehler-Erklärung d) Fehler-Bewertung, -Gewichtung e) Fehler-Therapie Ich blende die pädagogisch-didaktische Problematik der Fehlertherapie (e) hier gänzlich aus und widme mich nur den ersten vier Stufen. Eine interessante Frage scheint mir zu sein, ob die Fehler-Erkennung vor einer Fehler-Identifizierung/-Klassifizierung stattfinden kann oder ob das ein und derselbe Akt ist und zu sein hat. Die Frage ist aufs engste verhängt mit der Frage, wie man denn einen Fehler erkennt. Man könnte sich auf den folgenden Standpunkt stellen: Ein Fehler ist ein Verstoss gegen eine Regel. Die Regel, gegen die verstossen wird, klassifiziert den Fehler: Wird gegen eine Wortbildungsregel verstossen, ist es ein Wortbildungsfehler, wird gegen eine Selektionsregel verstossen, ist es ein Selektionsfehler etc.. Mithin sind Fehler-Erkennung und FehlerKlassifizierung logisch eins, denn um einen Fehler zu erkennen muss ich ja die Regel kennen, die ihn allererst zum Fehler macht. Gegen diesen Standpunkt spricht die Erfahrung: Wie oft kommt es vor, dass man der felsenfesten Überzeugung ist (und sich dabei durch andere Sprachbenutzer bestätigt sieht), dass in einem sprachlichen Ausdruck ein Fehler vorliegt, und dass man gleichzeitig nicht sagen kann, 'wo der Fehler liegt', d.h. was genau falsch ist, gegen welche Regel verstossen wurde! Für diese Diskrepanz zwischen der logischen Einheit von Fehler-Erkennung und Fehler-Klassifizierung einerseits und dem empirischen Auseinanderklaffen gibt es mehrere erklärende Gründe.
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a) Wichtig sind klassifikatorische Abgrenzungs- und Zuordnungsprobleme, die ich weiter unten (2.3.6) behandle. b) Einen prinzipielleren Grund möchte ich hier kurz andeuten: In der Kluft zwischen Fehler-Erkennung und Fehler-Identifizierung offenbart sich ein Fundamental-Unterschied, der in verschiedenen Zusammenhängen schon reflektiert worden ist und entsprechend verschiedene Namen trägt:55 unbewusstes (Sprachregel-) Wissen bewusstes (Sprachregel-) Wissen tacit knowledge ? knowing-how knowing-that56 prozedurales Wissen deklaratives Wissen cognitio clara confusa cognitio distincta adaequata (Leibniz)
Ich erkenne als Rezipient einen Fehler zwar, weil gegen eine Erwartung verstossen wurde, die mein Regelwissen ständig in mir aufbaut oder wachhält, und ich erkenne den Fehler genau als solche Durchbrechung einer Erwartung. Ich kenne damit den Fehler aber noch lange nicht, d.h. der Fehler ist für mich noch nicht die Durchbrechung einer bestimmten, mir bewussten Regel. Um den Fehler wirklich zu kennen, benennen oder klassifizieren zu können, bedarf ich der Theorie, die mir meine eigenen Erwartungen als Ausfluss aus einem Besitz an Regeln erklärt. FehlerIdentifizierung ist damit ein Prozess der Überführung von funktionierendem knowing-how oder tacit knowledge in theoretisches knowingthat oder bewusstes Regelwissen. Was oft genug die Sprachwissenschaftler überfordert, wie sehr muss es Menschen überfordern, die - wie Lehrer - nicht die Zeit und Kraft haben, ein halbes Leben lang über sprachliche Regeln nachzudenken, und die von den Regel-Kodizes oft genug im Stich gelassen werden?57
2.3.6 Abgrenzungs- und Zuordnungsprobleme bei der materialen Fehler-Klassifikation Angenommen es liegt eindeutig ein Fehler vor, und weiter angenommen, ich weiss ganz genau, was falsch ist. Selbst dann noch können sich mir 55
56 57
Wie immer soll dabei nicht behauptet werden, dass diese Unterscheidungen immer genau das gleiche meinen. Besonders vorsichtig sollte man mit einer Gleichsetzung von knowing that mit explizitem oder bewusstem Wissen sein. Zur Problematik vgl. P. R. Portmann (1990, 32ff.). Vgl. auch meine Abschnitte 5.5.5 und 7.1.2. Vgl. auch H.-M. Gauger u.a. (1982) zum Begriff des "Sprachgefühls". Diese Unterscheidung stammt offenbar von Gilbert Ryle: The concept of mind. London 1949. Vgl. hierzu mit sehr eindriicklichen Beispielen R. Keller (1980).
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Klassifikationsprobleme auftun, selbst dann noch kann ein Fehler hinsichtlich meines Grammatikmodells vage oder mehrdeutig oder opak sein. Wenn ich richtig sehe, gibt es hierfür je nach Fall verschiedene Gründe: a) Mein Grammatikmodell beschert uns nicht-distinkte Regelbereiche. Ich denke hier an das Beispiel der reitenden Kavalleriekaserne. Der Befund ist klar: Gesagt werden sollte etwas, das die Bedeutung "Kaserne der reitenden Kavallerie" tragen kann. Was gesagt wurde, kann just diese Bedeutung nicht tragen. Traditioneller Fehleranalyse gilt das als "Konstruktionsfehler" o.a. Was ist damit gesagt? Hier hat jemand zu einer Bedeutung X eine ungeeignete Konstruktion gemacht. Gemäss meinem Grammatikmodell ist der Aufbau eines komplexen sprachlichen Ausdrucks wie etwa einer solchen Phrase ein paralleler Prozess des Aufbaus eines syntaktischen Gebildes und eines komplexen semantischen Gebildes, wobei es zwischen diesen beiden Prozessen reguläre Beziehungen gibt. Informell gesagt: Das adjektivische Attribut reitende kann sich semantisch nur auf den Kern (hier: Kaserne), nicht auf das Bestimmungsglied des Kompositums (hier: Kavallerie) beziehen. Das ist eine allgemeine Regel, die die Syntax mit der Semantik verbindet. Ergo ist ein Verstoss gegen diese Regel ein Fehler, der in beiden Bereichen (der Syntax und der Semantik komplexer Ausdrücke) anzusiedeln ist. Das mag unbefriedigend sein, aber sicherlich noch unbefriedigender ist es, wenn man für reitende Kavalleriekaserne einfach einen Syntaxfehler konstatierte in dem Sinne, dass eine unmögliche syntaktische Konstruktion gemacht worden wäre. Eine Fehlerklassifikation, die reitende Kavalleriekaserne gleich kategorisiert wie die Eroberung Cäsars Roms, ist eine schlechte Klassifikation, weil sie krasse Unterschiede zwischen diesen beiden Fehler-Fällen verwischt: Im ersten Fall stimmt eine an sich mögliche Konstruktion nicht mit dem zusammen, wofür sie stehen soll mit der intendierten Bedeutung, im zweiten Fall aber haben wir schlicht eine an sich unmögliche Konstruktion. b) Mein Grammatikmodell erlaubt nur eine Klassifikation des Fehler-Resultats, nicht der Fehler-Genese. Zu den Auswirkungen dieser Tatsache auf die Analyseresultate vgl. den Abschnitt 2.3.7. Hier sei lediglich angedeutet, welche Probleme das einer Klassifikation beschert: Fehler, wie sie mir als Rezipient aus einem Text begegnen, können mehrdeutig sein. Beispiele: i) In einem schriftlich fixierten Text begegnet mir ein graphematisches Wortbild, das es nicht gibt. Liegt hier ein falsch geschriebenes Wort vor (Orthographie-Fehler) oder ein falsches, d.h. inexistentes Wort (Morphologie-Fehler)?
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ii) Ein ähnlich gelagerter Fall: In einem schriftlich fixierten Text begegnet mir ein graphematisches Wortbild, das es zwar an sich sehr wohl gibt, doch das eine Wortfonn bezeichnet, die an dieser Stelle unpassend ist (z.B. dasldass). Ein solcher Fall ist im Prinzip sowohl als Orthographie- wie als Syntax-Fehler klassifizierbar.58 iii) Ein vielleicht etwas weniger offensichtliches Beispiel sind KasusFehler. Klassische Fehlertypologien sprechen manchmal von "FormFehlern". Was ist damit ausgesagt? Der Terminus ist genauso zweideutig, wie es der Fehler manchmal ist: Steht hier eine richtige Kasusform für einen syntaktisch deplazierten Kasus (Syntax-Fehler) oder steht hier eine falsche Kasusform für einen intendierten richtigen Kasus (Morphologie-Fehler)?59 Was das Beispiel Kasus-Fehler anbelangt, so könnte man ganz puristisch so verfahren, dass man als Morphologie-Fehler nur zählt, wenn eine Wortform Verwendung findet, die es gar nicht gibt. Dann wäre nicht nur Ich liebe dir ein Syntax-Fehler (was intuitiv einleuchtet), sondern auch das Gegenteil jener Kurzentschlossener wäre ein Syntax-Fehler (was für viele kontra-intuitiv ist),60 denn die Wortform Kurzentschlossener gibt es, nur ist sie in dieser syntaktischen Umgebung ausgeschlossen. c) Schliesslich gibt es die ganz komplexen Fälle von Fehlern, wo man zwar die Regel kaum benennen kann, gegen die verstossen wurde, wo man aber auch den dringenden Verdacht hat, dass es nicht damit getan wäre, dass man eine einzelne Sache repariert.
2.3.7 Materiale vs. genetische Fehlerklassifikation Mein Grammatikmodell bietet keinerlei Basis für eine genetische FehlerKlassifikation, d.h. eine Fehler-Klassifikation nach der Herkunft, nach dem Grund des Fehlers. Eine genetische Fehlerklassifikation ist nur möglich - auf der Basis einer Theorie der Sprachproduktion, der Aktualgenese von Sprache, die wohl zu differenzieren wäre in eine Theorie mündlicher und eine Theorie schriftlicher Sprachproduktion - und auf der Basis genauester Kenntnisse der situativen Umstände, unter denen ein Text entstanden ist. 58
59 60
Zuordnungsprobleme analoger Art gibt es bei 'falscher Interpunktion': In dem Masse, in dem die Kommasetzung im Deutschen grammatisch determiniert ist, kann ein 'falsches Komma' (das aussieht wie ein Interpunktions-Fehler) auch ein Ausdruck einer falschen Syntax sein (Syntax-Fehler). In der Glinz-Grammatik unterscheidet man das terminologisch mit Phonomorphie (falsche Form) vs. Morphosyntax (falsch gebrauchte Form). Wenn man bei derart theorieabhängigen Entscheidungen überhaupt noch von Intuition sprechen will und nicht vielmehr von traditionsgeschuldeter (Ver-)Büdung o.a.
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Demgegenüber kann man mein Grammatikmodell lediglich als eine - wie wir gesehen haben: obendrein nicht immer ganz befriedigende - Schablone benutzen für die Verortung von Fehlern, die als Resultat 'einfach vorliegen'. Dies kann man nicht genug betonen, um damit zu warnen vor falschen Interpretationen der Resultate von Fehleranalysen mit diesem Instrument. Ich weise sogleich auf mögliche Fehlinterpretationen hin. Hier sei vorerst eine mögliche Klassifikation von Abweichungen skizziert, innerhalb derer ein genetischer Fehlerbegriff einen Platz haben könnte - die Aufstellung soll zeigen, dass nicht alles, was resultativ als Fehler erscheint, auch genetisch ein Fehler genannt werden darf.
Abweichungen a) gewollte Abweichung als Sprachspiel61 b) gewollte Abweichung infolge Nicht- Anerkennung einer Norm (z.B. Kleinschreibung) c) bewusste, aber ungewollte Abweichung (Lispeln als Sprachfehler; Schreibfehler, weil der Computer ein Zeichen nicht hat) d) Fehler Der genetische Fehlerbegriff wird gewöhnlich folgendennassen subklassifiziert: a) Performanz-Fehler (mistake). Man nimmt an, dass der Fehler bei der Regelanwendung, der Aktualgenese entstanden ist, dass hinter dem Fehler jedoch richtige Regeln stecken. b) Kompetenz-Fehler (error). Hier nimmt man einen Besitz falscher Regeln oder einen Regel-Mangel an. Ich kann auf diese sehr heikle Unterscheidung hier nicht weiter eintreten. Sie hat mit der oben genannten Unterscheidung von knowing that und knowing how zu tun. Möglicherweise ist die Zweiteilung viel zu einfach und muss man vielmehr unterscheiden zwischen einer statischen Kompetenz (Regelkenntnis), einer Umsetzungs- oder Aktualisierungskompetenz und der faktischen Aktualiserung (Performanz). Gehört die bekannte Kategorie des "Flüchtigkeitsfehlers" zu den blossen Performanzfehlern, oder sind "Flüchtigkeitsfehler" auf Mängel in der Aktualisierungskompetenz zurückzuführen? Fehler, die Vorliegen', sind ein sehr schwaches Indiz dafür, ob wir es mit einem Kompetenz- oder einem Performanz-Fehler zu tun haben. Fehler, die systematisch auftreten, deuten eher auf Kompetenz-Fehler hin. Fehler, die unsystematisch auftreten, sind noch lange kein Indiz für blosse Performanz61
Vgl. dazu beispielsweise H. Sitta (1980), U. Püschel (1985), A. M. Dittgen (1989).
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Fehler; bekanntlich gibt es bei Unsicherheit über eine Regel die Strategie des Ausprobierens. Was folgt aus alledem für eine Interpretation möglicher Ergebnisse von Fehleranalysen mit meinem Grammatikmodell? Es folgt daraus, was ich schon in der Einleitung zu dieser Arbeit (Kp. 1) ausgeführt habe: Ergebnisse von Fehleranalysen dürfen niemals als Aussagen über Kompetenzen verstanden werden. Nehmen wir folgendes Beispiel: In einem Text finden sich gemäss meinem Grammatikmodell 11 Syntax-Fehler. - Dieser Befund ist eine ganz schwache Basis für Aussagen über die Syntaxkompetenz des Schreibers. Wir wissen nämlich nicht, wie es zu diesen 11 Syntax-Fehlern gekommen ist. Man hat die Tendenz, einen Befund wie "11 Syntax-Fehler" misszuverstehen als "llmal hat die Syntaxkompetenz versagt", d.h. man hat die Tendenz, "Fehler" als Kompetenz-Fehler misszuverstehen. Für die wahre Kompetenz des Schreibers sehr viel aussagekräftiger sind hingegen positive grammatische Befunde von Texten;62 von dem, was tatsächlich da ist und richtig da ist, kann ich auf Kompetenzen schliessen, es sei denn, ich mache den Zufall dafür verantwortlich. - Der Befund "11 Syntax-Fehler" ist - ich habe es oben gezeigt - strenggenommen nicht einmal eine Basis für die Behauptung, dass in dem fraglichen Text llmal etwas im Bereich der Syntax nicht stimmt, denn Fehler können, auch was ihre materiale Klassenzugehörigkeit anbelangt, nicht nur, was ihre Genese anbelangt, ambig sein.
2.3.8 Zur Gewichtung des einzelnen Fehlers Man kann und muss nicht nur den gesamten Fehler-Befund bei einer Textbeurteilung in Rechnung stellen,63 man kann und muss wohl auch den einzelnen Fehler gewichten. Um letzteres geht es hier. Dabei spielt sicherlich die materiale und die genetische Klassifizierung der Fehler, wie ich sie in den vorangegangenen Abschnitten angesprochen habe, eine wichtige Rolle. Man kann auch ausschliesslich nach diesen Gesichtspunkten gewichten, also z.B. "Flüchtigkeitsfehlern" - vorausgesetzt, man weiss, was das ist - schlicht kein Gewicht geben oder aber umgekehrt ein grosses mit dem (schon fast moralischen) Argument, dass gerade solche Fehler vermieden werden könnten und darum sollten.
62 63
Vgl. Abschnitt 2.2. Vgl. dazu Abschnitt 2.4
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Man kann jedoch auch weitere, bisher nicht angesprochene Gesichtspunkte in die Fehlergewichtung miteinbeziehen: a) Ein Gesichtspunkt, der sich aufdrängt, wenn man von der Produktionsseite her blickt, ist der Gesichtspunkt der Schwierigkeit. Es scheint plausibel, dass man Fehler bei schwierigen Dingen leichter gewichtet als Fehler bei einfachen Dingen. Die Plausibilität hat dabei sowohl einen pädagogischen wie moralischen wie auch entwicklungspsychologischen 'touch'. Die Frage ist natürlich, ob und wie sich der Schwierigkeitsgrad einer sprachlichen Regel messen lässt. Es gibt so etwas wie ein intuitives Schwierigkeitskonzept. Ich möchte darin vorerst die folgende Unterscheidung machen: i) Empirische Schwierigkeit: Etwas ist umso schwieriger, je häufiger es falsch gemacht wird. Das ist zwar plausibel, ruft jedoch nach einer Erklärung und ist selber keine. M. E. muss der Schwierigkeitsgrad eine Erklärung für die statistische Auftretenshäufigkeit eines Fehlers sein und sollte nicht mit ihr gleichgesetzt werden. Ein Schwierigkeitskonzept, das sich etwa auf die Formel bringen lässt: "Etwas, was oft falsch gemacht wird, muss schwierig sein. Und weil es schwierig ist, wird es oft falsch gemacht." scheint mir wertlos zu sein, ii) Theoretische Schwierigkeit: Sie basiert auf der Art der Regel und den Erfordernissen der Regelanwendung. Mögliche Faktoren eines eher theoretischen Schwierigkeitskonzepts - die aufgezählten Faktoren sind sehr eng miteinander verhängt:64 i) Die Art, die Komplexität etc. der Regel. Ich denke beispielsweise an sehr einfache, sehr generelle Interpunktionsregeln im Unterschied zu sehr speziellen, die allgemeinen Regeln voraussetzenden und auf ihnen aufbauenden Einzelfall-regelnden Bestimmungen. Aufpassen muss man, dass man nicht die Kompliziertheit der Regelformulierung mit der Kompliziertheit der Regel gleichsetzt. Es gibt im syntaktischen Bereich Regeln, deren Formulierung von hoher Komplexität ist, die auch noch kaum adäquat beschrieben sind, gegen die aber ein Muttersprachler nie verstösst. ii) Mögliche Interferenzen mit ändern Regeln. In der Theorie des Fremdsprachenerwerbs65 hat man sehr intensiv Interferenzerscheinungen zwischen Erst- und Zweitsprache untersucht. Etwas Analoges kann man aber auch innerhalb einer einzelnen Sprache tun. Fehler scheinen uns umso 'naheliegender', je mehr sie ein 'Vorbild' haben. 64
65
Ich erhoffe mir hier Erhellendes aus der Rechtschreibforschung, die Untersuchungen zu Fehlerhäufungen und ihren möglichen Erklärungen aus Regelschwierigkeiten anstellt. Vgl. oben das Stichwort "Fehleranalyse".
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iii) Interferenzen können eine Erklärung für das Phänomen sein, dass die Schwierigkeit einer Regel nicht dasselbe scheint wie die Schwierigkeit der Anwendung einer Regel. Hier müsste man wiederum sehr viel mehr wissen über die Sprachproduktion, über das mit dem knowing-that verbundene, mit ihm aber keineswegs identische knowing-how. Beispielsweise scheint es aufgrund der empirischen Fehlerhäufung schwieriger, bei eingeschobenen Nebensätzen das Komma am Ende des Nebensatzes zu setzen als am Anfang. Von der Regel aus betrachtet, dass eingeschobene Nebensätze mit Kommas abzugrenzen seien, leuchtet es nicht ein, dass hier eine Differenz im Schwierigkeitsgrad bestehen soll. Wenn man jedoch die Sprachproduktion ins Auge fasst, wird sich bestimmt eine Erklärung finden. Der Einsatz des Nebensatzes scheint psychologisch eine stärkere Zäsur als die Rückkehr auf das höhere syntaktische Niveau. Wahrscheinlich gibt es auch zusätzliche Markierungen am Beginn des Nebensatzes, die an dessen Ende fehlen: Konjunktion oder Relativpronomen, prosodische Markierungen (allerdings am Ende des subordinierten Satzes: Finitum). iv) Neben solchen eher qualitativen theoretischen Schwierigkeitskonzepten gibt es das quantitative: Eine Regel scheint uns umso einfacher, je häufiger sie angewandt werden muss. Die Regel wird dadurch nicht einfacher, aber vertrauter, und damit scheint sie uns einfacher. b)Eine Fehlergewichtung ganz anderer Art folgt aus einer Berücksichtigung der Rezipientenperspektive und ist im Zuge der Erneuerung der Sprachdidaktik unter dem Einfluss der kommunikativen Wende sehr dominant, ja teilweise fast zu dominant geworden66: die Gewichtung der Fehler nach dem Grad der Beeinträchtigung der Kommunikation, der Verständigung, der Verständlichkeit des Textes. Vgl. hierzu die kurzen Bemerkungen im nächsten Absatz.67
2.4 Zur Gewichtung grammatischer TextBefunde in einer Text-Bewertung Die positiven Befunde grammatisch-sprachsystematischer Art über einen Text sind in einem sehr komplexen und ganzheitlichen Zugriff in Relation 66 67
Vgl. hierzu beispielsweise G. Kolde (1980). Zum Stichwort Verständlichkeit vgl. den Abschnitt 5.6.
2 Grammatik zu setzen mit dem, was in dem betreffenden Text von seinem Gegenstand und seiner Funktion und vom 'Usus1 her an Sprachmitteln erforderlich ist, und sie sind dadurch zu werten. "Genügt der verwendete Wortschatz in Umfang und Differenziertheit und Spezialisierung diesen Anforderungen?" - "Genügen die syntaktischen Mittel ebendiesen Anforderungen?" - "Ist mit den Sprachmitteln eine angemessene Tonlage gefunden?" etc. sind mögliche sehr allgemeinen Leitfragen. Wie steht es um die Gesamtgewichtung festgestellter sprachsystematischgrammatischer Mängel? Präzise Anworten können hier ebenfalls nicht gegeben werden. Ich muss mich mit den folgenden allgemeinen Bemerkungen begnügen (eine etwas differenziertere Sicht folgt im abschliessenden Abschnitt 2.5): a) Grammatisch-sprachsystematische Richtigkeit ist bis zu einem sehr schwer genauer zu bestimmenden, sicherlich aber nicht absoluten Grad notwendige Bedingung für die Kommunikativität, sprich: Verständlichkeit eines Textes. Natürlich ist sie in keiner Weise hinreichende Bedingung dafür. b) Ganz bestimmt sind Differenzierungen hinsichtlich der einzelnen Regelbereiche angebracht: Die Verständlichkeit wird erheblich mehr beeinträchtigt durch Fehler im semantischen Bereich68 als durch Fehler im morphologischen und syntaktischen Bereich. H. Sitta differenziert punkto Schwere der Fehler m.E. sehr zu Recht, wenn er schreibt: "Wer schreibt: Hier liegt auf einem Haufen mehr beisammen, wie ich je gesehen habe, verstösst - in meinen Augen - gegen eine im wesentlichen noch intakte grammatische Regularität der geschriebenen Sprache, gegen einen sprachlichen Mechanismus, desgleichen, wer - unter Dialekteinfluss - formuliert: Das ist die Fabrik, wo du mir gezeigt hast. [...] Hier kann man vernünftigerweise nicht von einem Denkfehler sprechen. Nicht einfach ein Sprachfehler, sondern Verdacht auf mangelnde Beherrschung einer Denkkategorie oder jedenfalls auf mangelnde Bereitschaft, genauer zu differenzieren, liegt vor, wo eine Begründung durch (instrumentales) dadurch, dass bzw. dadurch oder durch statt durch (kausales) weil bzw. deshalb eingeleitet wird, was in Schüleraufsätzen - aber auch sonst - heute auffällig oft zu beobachten ist." (Sitta 1986, 153f.)
Allerdings zögere ich mehr als H. Sitta, von bestimmten Sprachfehlern auf Denkfehler oder mindestens mangelnde Bereitschaft zur (gedanklichen?) Differenzierung zu schliessen.69 Wenn mir hier an einer analogen Differenzierung in der Fehlergewichtung (morphosyntaktische vs. semantische Fehler) liegt, dann vorerst einfach aus der Rezeptions68 69
So man denn von Fehlem in diesem Bereich überhaupt reden will. Vgl. die Ausführungen im Abschnitt 2.3.4. Ich gehe auf diese heikle Frage in Abschnitt 6.5.2 ein.
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Perspektive, der Perspektive dessen, der verstehen will, aus der kommunikativen Perspektive heraus.70 c) Natürlich können auch morphologische und syntaktische Fehler ein Ausmass annehmen, dass die Verständlichkeit gefährdet wird. Es bedarf dazu aber in der Regel mehr als im semantischen Bereich. Das hat wiederum mit der Unterschiedlichkeit der Art der Regeln zu tun: Semantische Regeln betreffen die Relation von Ausdruck und Bedeutung, morphologische und syntaktische Regeln dagegen betreffen direkt lediglich die Ausdruckskonstitution. Sie sind nur indirekt mit der kommunikativen Funktion der Sprache verbunden, insofern falsch gebaute Ausdrücke entweder nicht interpretiert werden können oder falsch interpretiert werden. Versuche, morphologische und syntaktische Regeln funktional zu begründen, hat man immer wieder unternommen; solche Versuche scheinen mir ohne Hoffnung. Ich glaube, dass man die morphologischen und syntaktischen Regeln nicht von der kommunikativen Sprachfunktion her begründen kann, man kann aber von dieser Funktion her begründen, warum ein bestimmtes Mass an morphologischer und syntaktischer Korrektheit (ein hohes, aber nicht absolutes) für das kommunikative Funktionieren der Sprache notwendig ist. d) Die gesellschaftliche Bewertung und Sanktion von Verstössen morphologischer und syntaktischer (und orthographischer) Art ist gewöhnlich strenger, als es von dieser funktionalen Begründung her sein müsste. Darüber, warum das so sein könnte und ob das unter ändern als nur kommunikativen Gesichtspunkten berechtigt ist, ist schon sehr viel geschrieben und diskutiert worden. Sicherlich spielt hier der prinzipiell dichotomische Charakter der fraglichen Normen eine wichtige Rolle: Für die Beurteilung von Texten - gerade auch die pädagogische Beurteilung und gerade auch aus einem echten Willen zur Objektivität1 heraus - zieht man sich gerne auf die Aspekte zurück, von denen man glaubt, dass man für sie klare Massstäbe besitzt. Dies mag sogar zutreffen, aber dabei verwechselt man den Massstab für die Einhaltung der Norm mit dem Massstab für die generelle Wichtigkeit der Einhaltung dieser Norm: die Urteile über "richtig'V'falsch" sind möglicherweise unstrittig, aber umso strittiger ist die unreflektierte Bewertung solcher Befunde von "richtigVfalsch".
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VgJ. hierzu Kp. 5 "Kohärenz I".
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2 Grammatik
2.5 Grammatik der gesprochenen und Grammatik der geschriebenen Sprache: Alles eins? Literatur Betten, Anne 1976: Ellipse, Anakoluthe und Parenthesen - Fälle für Grammatik, Stilistik, Sprechakttheorie oder Konversationsanalyse? In: ds 4,207-230. Betten, Anne 1977/78: Erforschung gesprochener deutscher Standardsprache. 2 Teile. In: ds 5, 335-361 ;ds 6,21-44. Betten, Anne 1980: Fehler und Kommunikationsstrategien. Zur funktionalen Erklärung häufig vorkommender syntaktischer Wiederaufnahme-Formen in der gesprochenen deutschen Gegenwartssprache. In: Dieter Cherubim (Hg.): Fehlerlinguistik. Beiträge zum Problem der sprachlichen Abweichung. Tübingen (= RGL 24), 188-208. Haiford, Brigitte KYHerbert Pilch (Hg.) 1990: Syntax gesprochener Sprachen. Tübingen (= scriptoralia 14). Leska, Christel 1965: Vergleichende Untersuchungen zur Syntax gesprochener und geschriebener deutscher Gegenwartssprache. In: PBB (Halle) 87,427-464. Mackeldey, Roger 1987: Alltagssprachliche Dialoge. Kommunikative Funktionen und syntaktische Strukturen. Leipzig. Ortner, Hanspeter 1987: Die Ellipse. Ein Problem der Sprachtheorie und der Grammatikschreibung. Tübingen (= RGL 80). Range, Hans 1973: Spontane Selbstkorrekturen im Sprechen von Schulanfängern. In: DD 4, 165-190. Ramge, Hans 1980: Korrekturhandlungen von Lehrern im Deutschunterricht In: Hans Ramge (Hg.): Studien zum sprachlichen Handeln im Unterricht. Giessen (= Beiträge zur deutschen Philologie 44), 132-157. Rath, Rainer 1975: Korrektur und Anakoluth im gesprochenen Deutsch. In: LB 37,1-12. Rath, Rainer 1985: Gesprochene und geschriebene Form der heutigen Standardsprache. In: Werner Besen/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger (Hg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2. Halbbd. Berlin u.a., 1651-1663. Rath, Rainer 1990: "Satz" und "Äusserungseinheit". Syntaktische und interaktive Struktur in der Sprache? In: Eynar Leupold/Yvonne Petter (Hg.): Interdisziplinäre Sprachforschung und Sprachlehre. Festschrift für Albert Raasch zum 60. Geb. Tübingen (= TBL 353), 197-216. Rupp, Heinz 1965: Gesprochenes und geschriebenes Deutsch. In: WW 15,19-29. Sandig, Barbara 1973: Zur historischen Kontinuität normativ diskriminierter syntaktischer Muster in spontaner Sprechsprache. In: ds l, 3,37-57. Sandig, Barbara 1976: Schriftsprachliche Norm und die Beschreibung und Beurteilung spontan gesprochener Sprache. In: Gunter Presch/Klaus Gloy (Hg.): Sprachnormen II. Theoretische Begründungen - ausserschulische Sprachnormenpraxis. Stuttgart-Bad Cannstatt (= problemata 47), 93-105. Schank, Gerd/Gisela Schoenthal 1976: Gesprochene Sprache. Eine Einführung in Forschungsansätze und Analysemethoden. Tübingen (= G A 18). Schank, Gerd/Johannes Schwitalla 1980: Gesprochene Sprache und Gesprächsanalyse. In: Hans Peter Althaus/Helmut Henne/Herbert Ernst Wiegand (Hg.): Lexikon der Germanistischen Linguistik. Bd. II. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen, 313-322. Wackernagel-Jolles, Barbara S. (Hg.) 1973: Aspekte der gesprochenen Sprache. Deskriptionsund Quantifizierungsprobleme. Göppingen. Wackernagel-Jolles, Barbara S. 1971: Untersuchungen zur gesprochenen Sprache. Beobachtungen zur Verknüpfung spontanen Sprechens. Göppingen. Weiss, Andreas 1975: Syntax spontaner Gespräche. Einfluss von Situation und Thema auf das Sprachverhalten. Düsseldorf (= Sprache der Gegenwart 31).
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2.5.1 Vorbemerkung Ich baue hier auf Unterscheidungen auf, die ich erst gegen Ende dieser Arbeit71 etwas ausführlicher begrifflich und terminologisch begründen werde, und zwar deshalb erst dort, weil das systematisch dorthin gehört. Möglicherweise drängt sich auf, dass man erst dort liest, bevor man hier weiterliest. Ich unterscheide: A.Sprechen vs. Schreiben (als zwei dichotomisch getrennte Materialisierungsformen von Sprache) B. gesprochene Sprache vs. geschriebene Sprache (als zwei skalar entgegengesetzte idealtypische Sprachformen, Sprachmittelkonfigurationen) C. Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit (als zwei grundlegende kommunikative Prinzipien, Grundhaltungen oder Normkomplexe) Im vorliegenden Abschnitt geht es mir um einen ganz bestimmten Teilaspekt aus diesem sehr komplexen und facettenreichen Problembereich: In der Literatur findet man, seit man sich ab ungefähr Mitte der 60er Jahre72 mit den Unterschieden zwischen gesprochener und geschriebener Sprache intensiver beschäftigt, wiederholt die Meinung, hinter gesprochener und geschriebener Sprache stünden zwei mehr oder weniger getrennte, gegeneinander autonome grammatische Systeme.73 Dieser Ansicht ist jedoch auch immer wieder widersprochen worden. Zur Illustration zwei Stimmen, und zwar teilweise vom gleichen Autor: G. Augst/P. Faigel (1986, 85) scheinen von einer spezifischen "Syntax und Grammatik" für gesprochene Sprache auszugehen, wenn sie schreiben: "Ein Vergleich der grammatischen Fehler der gesprochenen und geschriebenen Sprache ist nicht möglich. Dies setzt genaue Kenntnis über die Syntax und Grammatik der gesprochenen Sprache voraus, um diese oder jene sprachliche Erscheinung an dem Massstab des mündlich grammatisch Richtigen und Akzeptablen einstufen zu können."
G. Augst/K. Müller (1986, 410) halten demgegenüber in ihrer kritischen Rezension von E. Feldbusch (1985) der Autorin, die einen extremen Standpunkt der Autonomie der Schriftlichkeit gegenüber der Mündlichkeit vertritt, entgegen: "Für Sprechen und Schreiben gibt es eine Syntax und Semantik, die in den Mitteln weitgehend gleich sind, aber durch unterschiedliche Anwendung der Mittel (etwa bezogen auf Häufigkeit und Verknüpfung) zu unterschiedlichen Registern geführt haben." 71 72 73
Im Abschnitt 8.2. Vgl. H. Rupp (1965) und Ch. Leska (1965). Das ist eine der Konkretisierungen des Streits um die Autonomie oder Interdependenz von Sprechen, Mündlichkeit etc. einerseits und Schrift, Schreiben, Schriftlichkeit etc. andererseits. Vgl. Abschnitt 8.2.
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2 Grammatik
Um diesen Streit - oder vielleicht ist es nur eine Verwirrung - geht es mir hier. Ich präsentiere zunächst einige Fakten (2.5.2). Ich skizziere dann (2.5.3) - äusserst kurz - verschiedene Argumentationsstränge für die ZweiGrammatiken-These und versuche, gegen diese Argumentationen zu argumentieren und die These von nur einer Grammatik zu vertreten. Der Streit wird am Ende nicht endgültig entschieden sein, ich hoffe aber, dass der Streit an sich erhellend ist, erhellend, was den Grammatikbegriff anbelangt und erhellend, was die Frage grammatischer Normen und grammatischer Normmassstäbe für Texte anbelangt. Darum hat es uns hier ja letztlich zu gehen.
2.5.2 Fakten Typisch gesprochene Sprache weist Eigenheiten auf in Lexik, Morphologie, Phonologic,74 vor allem aber in der Syntax. Ich konzentriere mich hier ganz auf die Syntax und erwähne einige immer wieder genannte syntaktische Merkmale spontan gesprochener Sprache.75 Dabei ist der nachstehenden Liste als Generalklausel folgende Bemerkung voranzustellen: Die Merkmale gesprochener Sprache, besonders gesprochener Syntax, sind für gewöhnlich vor dem Hintergrund einer Grammatik formuliert, die sich an 'entfalteter' geschriebener Sprache orientiert, und entsprechend benennen diese Merkmale sehr oft einen Mangel, ein Defizit, z.B. "Konstruktionsbruch", "Ellipse" usw. Genau diese Voreingenommenheit gilt es im folgenden zu problematisieren.
Merkmale sprechsprachlicher Syntax 1) Konstruktionsabbrüche, Satzfragmente (Aposiopesen). 2) Konstruktionsbrüche, Kontaminationen (Anakoluthe); als ein besonderer Fall ist das syntaktische Zeugma76 (auch: Syllepse) zu nennen: Ich werde mit dem Zug fahren und abgeholt, eine Sonderform davon ist die Apokoinu-Konstruktion: Das ist also als Stilmittel mein ich damit. Hierher gehören auch Fälle 'weicher Syntax1, wie wir sie im Zürcher Projekt bezeichnen, d.h. nicht nach allen Regeln schreibsprachlicher Kunst durchkomponierte Sätze. 3) Ellipsen. Ersparung valenz-obligatorischer Redeteile (vgl. Ortner 1987).
4) Allein-/freistehende Nebensätze: Wenn ich denke ... - Dass du mir ja gesund wirst! Ob er schon zu Hause ist? - Und wenn ich nicht will? 74 75 76
Man wird sagen: Das ist tautologisch. Das ist es nicht, denn gesprochene Sprache gibt es nicht nur mündlich realisiert und geschriebene nicht nur schriftlich realisiert. Eine erste grosse Liste findet sich in B. Sandig (1973). Für die ändern Merkmale vgl. auch den Abschnitt 8.2.3.B. Ein semantisches Zeugma wäre H. Heines Die Flaschen wurden leerer und die Köpfe voller oder Ungehaltene Worte über eine gehaltene Rede von W. Jens mit der Variation Wenn du doch geredet hättest, Desdemona. Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen von Ch. Bruckner. Vgl. hierzu auch Kp. 9 "Attraktivität".
2 Grammatik 5) Parenthesen, Einschübe. Duden (1984, 665) spricht von "Schaltsatz". Oft findet sich darin V-2-Stellung. Bei umfangreicheren Einschüben kommt es oftmals zu Wiederholungen: ... sondern in Luckemvalde, das liegt bei Potsdam, in der Automatenfabrik. ... dann hat er nachher, der Jüngste war 15 Jahre, dann hat er geheiratet. 6) 'Logisch' subordinierte Sätze werden asyndetisch mit V-2 angeschlossen: Ich würde sagen, wir machen ... Relativsätze werden mit V-2 angeschlossen: Zum Beispiel ist eine Schülerin in unserer Klasse, die hat noch vier jüngere Geschwister. 7) Ausklammerungen aus dem Satzrahmen, sei es durch Voranstellung, oft mit pronominaler Wiederaufnahme: Der Kerl, der hat mich geschlagen. - Dass du mir geholfen hast, das vergess ich dir nie.; sei es durch Nachträge: Der hat mich geschlagen, der Kerl. - ... was ich denn damit machen könnte, mit meinem Patent. 8) und-Anschlüsse bei "logischer1 Subordination: Die bringen es fertig und amüsieren sich darüber. - Würden Sie mir den Gefallen tun und das schnell durchlesen. 9) Angefangene Subordinationskonstruktionen (mit V-End) werden parataktisch (mit VZweit) weitergeführt: Wir wolln schnell noch ein Foto machen, bevor es dunkel wird und ihr müsst heim. 10) wei/-/oöicAo«-Konstruktionen mit V-2.77 1 1) Nicht-adjazente Genitiv-Attribute: die Vorstellung vielleicht der Ehe - Wo harn' Sie schon Bekanntschaft gemacht der psychiatrischen Erkrankungen? 12) HO- Anschlüsse anstelle von Relativpronomina: Das alles sind Bestrebungen, wo versucht wird, die Sache doch noch hinzukriegen. - Ich lehne eine Politik ab, wo die Rechte des einzelnen ... - Das ist etwas anderes bei Kindern dieser Altersstufe, wo man sehr aufpassen muss, doss ...
So weit einige bekannte Typen. Die Liste Hesse sich fortsetzen; mit den einzelnen Typen beanspruche ich keinerlei Systematik oder Distinktivität. In der Liste gibt es m.E. auch einen ganz prominenten Abwesenden: Bezeichnenderweise taucht so etwas wie "unklare Ganzsatzgrenzen", "inkonsequente Teilsatzgrenzen" o.a. - solches zeichnen wir in unserem Zürcher Projekt an schriftlichen Schülertexten sehr oft aus - als Merkmal nicht auf, denn dies zeigt sich ja eben gerade nur im Schreiben, unter dem Zwang, Sprachfluss zu interpungieren. Wer jemals gesprochene Sprache transkribieren musste, weiss von der Problematik der adäquaten Interpunktion ein Lied zu singen. Eine mögliche positive Fassung dieses wiederum negativ formulierten Merkmals der "unklaren Satzgrenzen" o.a. könnte etwa in der Richtung gesucht werden, dass in gesprochener Sprache ein anderes Gliederungsprinzip ("anders" im Sinne von substitutiv oder im Sinne von additiv) als das der Syntax der geschriebenen Sprache wirksam ist (vgl. dazu z.B. R. Rath 1990 oder B. Halford/H. Pilch 1990). B. Sandig (1973) hat darauf hingewiesen, dass die in der Liste genannten Erscheinungsformen eine grosse historische Kontinuität besitzen und dass sie in früheren Zeiten sehr viel stärker in geschriebener Sprache anzutreffen sind. Gegenwartsgrammatiken diskriminieren diese Phänomene, obschon sie in der gesprochenen Sprache lebendig sind. Sie diskriminieren sie - indem sie sie totschweigen78 77 78
Vgl. dazu auch Abschnitt 6.2.2.C. In traditionellen Grammatiken bedeutet Nicht-Erwähnt-Sein allerdings nicht zwingend
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- oder indem sie sie explizit als Fehler behandeln; - einige besondere Fälle, die eine lange rhetorische Tradition haben (etwa das Apokoinu), werden als spezielle stilistische Mittel erwähnt, geduldet, ja gar gelobt.
2.5.3 Eine oder mehrere Grammatiken? Es scheint also ganz so zu sein, dass unsere Grammatiken hier stark vorschreibende und nicht nur fest-schreibende Züge haben, dass hier lenkend einzugreifen versucht wird - und dies mit Erfolg: Schaffen doch die Grammatiken mit dem Instrument der Schule notabene so erst die Varietät der geschriebenen Sprache, die eben - in ihrer typischen, sprich: Grammatik-Norm-konformen Ausprägung - frei von den oben genannten Erscheinungen ist. Heisst das nun also, dass die 'eigentliche', die 'naturwüchsige' Grammatik in der spontan gesprochenen Sprache zu suchen ist, sich dort immer aufs Neue realisiert, und dass die Grammatik, die man uns als die der deutschen Sprache vorsetzt und die uns in typisch geschriebener Sprache realisiert begegnet, ein Artefakt ist, eine vor-geschriebene Norm und nicht eine gewachsene Norm? Heisst das darüberhinaus, dass wir nicht nur zwei Grammatiken haben, eine für die gesprochene und eine für die geschriebene Sprache, sondern auch eine 'eigentliche' und eine 'uneigentliche'? Vorerst ist zu sagen, dass man ob der Erkenntnis der Unterschiede nicht vergessen darf, dass wir in gesprochener und geschriebener Sprache eine Übereinstimmung finden, die ich tief gerechnet mit 99% ansetzen würde. Das allein scheint mir ein ganz starkes Argument gegen die ZweiGrammatiken-These zu sein. Wie sieht es mit den Pro-Argumenten aus? a) Für die Zwei-Grammatiken-These wird manchmal ganz einfach mit der Faktizität argumentiert: 'Die unterschiedlichen Formen sind da, also sind die Grammatiken unterschiedlich.' Diese Argumentation ist völlig unhaltbar; sie basiert auf einem absurden Grammatikbegriff: Grammatiken können niemals einfach induktive Ableitungen aus all dem sein, was 'einfach da' ist, denn in dem, was 'da' ist und das kann auch vom liberalsten Standpunkt aus nicht geleugnet werden -, gibt es Irreguläres, gibt es Fehler.79
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Ungrammatikalität. Vgl. Abschnitt 2.3.
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b) Wesentlich differenzierter ist hingegen die Argumentation: 'In gesprochener Sprache werden Formen akzeptiert, die in der geschriebenen Sprache nicht akzeptiert werden. Die unterschiedliche Akzeptanz ist Ausfluss unterschiedlicher Grammatiken.' Dem würde ich entgegenhalten, dass faktische Akzeptanz nicht gleichgesetzt werden darf mit einem Akzeptabilitätsurteil.80 Es gibt hier eine klassische Argumentationslinie, die ich die "entschuldigende" Argumentationslinie nennen will. Sie sieht etwa so aus: Was als Eigenheiten gesprochener Sprache angeführt wird, sind eigentlich performanzbedingte Verstösse gegen die Regeln der Grammatikalität. Ungefähr in dem Masse, in dem sie von der Performanz her unvermeidlich sind (Beschränktheit des Kurzzeitgedächtnisses, gestörte Aufmerksamkeit etc.), werden sie von der Rezipientenseite her auch toleriert oder gar nicht wahrgenommen; dies wiederum aus Gründen der rezeptiven Performanz. Hinzu kommt jedoch überdies eine aus der aktuellen Situation längst verselbständigte typische Rezeptionshaltung der Mündlichkeit, die eine fehlertolerantere ist als die Rezeptionshaltung der Schriftlichkeit. Diese "entschuldigende" Argumentationslinie belässt oder behauptet die sprechsprachliche Eigenheit als Fehler. Gegen diesen Umstand geht die dritte Argumentation für die Zwei-Grammatiken-These an: c) Die dritte Argumentation für die Zwei-Grammatiken-These versucht, die Eigenheiten gesprochener Sprache funktional zu erklären: Sie seien keine Fehler, sondern erfüllten vielmehr einen ganz bestimmten Zweck, und in dem Masse, in dem sie einen solchen Zweck erfüllen, und zwar insbesondere einen Zweck in der speziellen Situation spontanen Sprechens, seien diese Eigenheiten auch als Ausfluss einer speziellen Grammatik der gesprochenen Sprache zu verstehen. Insbesondere gelte in gesprochener Sprache ein anderes Gliederungsprinzip als in der geschriebenen Sprache, und zwar ein "anderes" im Sinne einer Substitution des syntaktischen Gliederungsprinzips der geschriebenen Sprache oder ein "anderes" im Sinne einer Ergänzung oder Überlagerung dieses schreibsprachlichen syntaktischen Gliederungsprinzips (vgl. auch oben). Diese Argumentation münzt die vermeintlichen Performanzfehler um in Resultate sprechsprachlicher Kompetenz. In diesem Lichte werden sogar schreibsprachliche Pendants zu den sprechsprachlichen Formen plötzlich unangemessen, ja 'fehlerhaft': Wir haben deutlich eine Schere zweier Normen, und das gilt als Beweis zweier Grammatiken. Beispiele: Im Anschluss an Konversationsmaximen etwa von H. P. Grice (1975) formuliert A. Betten (1976, 225) Regeln für Ellipsen, Anakoluthe, Aposiopesen u.a.: 80
Und ein solches nicht unbedingt mit einem Grammatikalitätsurteil; vgl. weiter unten sowie Abschnitt 2.3.2.
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2 Grammatik "Sobald du merkst, dass der Hörer verstanden hat, was du mitteilen willst, ist eine Fortsetzung deiner Rede in vielen Situationen unnötig oder unangemessen. [...] Sobald du merkst, dass der Hörer dich nicht (mehr) versteht, unterbrich deine Rede, ändere deine weitere Planung und/oder schiebe eine Erläuterung ein oder nach [...] Sobald du merkst, dass du unzutreffend formulierst, brich ab und/oder korrigiere dich im folgenden."
Und in (1980, 208) stellt A. Betten die Regel auf: "Wenn eine Satzkonstruktion durch zu grosse Ausbauteile unübersichtlich zu weiden droht, kann der Anschluss verdeutlicht und das Verständnis gesichert werden, indem ein Teil des ersten Ansatzes wörtlich oder durch geeignete Pro-Formen wiederaufgenommen wird."
Ähnlich funktionale Erklärungen für Eigenheiten gesprochener Sprache finden sich beispielsweise bei H. Ramge (1973, 1976) und R. Rath (1975) und in vielen ändern Arbeiten. Die Rhetorik und nach ihr die Stilistik haben schon immer auch Vorzüge dieser Eigenheiten gesprochener Sprache hervorgehoben. Es seien nur die Stichworte Rhythmus und Betonung genannt.81 Es scheint mir sehr wichtig, für eine Erklärung und Beurteilung der Eigenheiten gesprochener Sprache von der Defizitorientierung wegzukommen, diese Eigenheiten nicht in jedem Fall als Performanz-Fehler aufzufassen (und selbst als Perfbrmanzfehler in ihren möglichen kommunikativen Vorteilen zu würdigen!). Ist damit aber zwingend die These einer eigenen Grammatik der gesprochenen Sprache verbunden? Ich meine ganz entschieden: Nein! Ich habe auch bei A. Betten, die ich oben zitiert habe, nicht gefunden, dass sie ihre Regeln als Regeln einer Grammatik der gesprochenen Sprache verstünde.82 A. Betten deutet mit der Formulierung "Verwendungsregeln über grammatischen Regeln" (1976, 227) an, in welcher Richtung es nach meinem Dafürhalten gehen sollte: Adäquat scheint mir ein modulares System weitgehend unabhängiger Regelkomplexe, die in der aktuellen Sprachverwendung je nach Situation in unterschiedlichem Masse und unterschiedlicher Zusammenarbeit zum Zuge kommen. Ein Regelkomplex unter ändern, wenn auch ein sehr zentraler, ist das eine, unteilbare grammatische System einer Einzelsprache. In der 'entfalteten Schriftlichkeit', in der es um die Schaffung von "Sprachwerken" geht, die fast ganz aus der Sprache heraus einen Gehalt, einen kommu81 82
Vgl. auch L. Hoffmann mit dem Referat "Anakoluth und sprachliches Wissen" auf der DGfS-Jahrestagung 1990. In A. Betten (1978, 524) fällt allerdings das Stichwort "Grammatik der gesprochenen Sprache". Gemeint ist damit aber eine Systematik der Dialoggestaltung. D.h. hier wird der Terminus Grammatik metaphorisch verwendet für "Systematik", und der Terminus gesprochene Sprache für "natürlichen Dialog" o.a. Solches Reden kann eine wichtige Quelle für Verwirrungen aller Art sein!
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nikativen Sinn und Wert haben müssen, kann und muss dieses grammatische System ganz anders zur Entfaltung kommen als in der Mündlichkeit, der Situation des spontanen Sprechens; da ist es einerseits nicht möglich, andererseits weniger wichtig, dass das grammatische Regelwerk voll zur Anwendung gelangt, und drittens wäre es auch manchmal dysfunktional, wenn es so wäre, dass das grammatische System voll zur Anwendung käme. Ich stelle mir vor, dass in der Situation des spontanen Sprechens Grammatisches unter ein zusätzliches Regime gerät, das die Sprache den besonderen Produktions- und Rezeptionsbedingungen der spontanen mündlichen Verständigungssituation anpasst. Dieses Regime dürfte übereinzelsprachliche Züge haben, was sich daran zeigt, dass gesprochene Sprache stark übereinzelsprachliche bis universale Eigenheiten aufweist.83 Ich habe gesagt, dass die faktische Akzeptanz nicht zu verwechseln ist mit Akzeptabilitätsurteilen, dass also in spontaner Gesprächssituation Ausdrücke akzeptiert und verstanden werden, die niemals grammatisch und auch niemals akzeptabel genannt würden, würden zu ihnen Akzeptabilitätsurteile verlangt. Es ist durchaus so, dass solche defekten Ausdrücke sehr oft gar nicht als defekte wahrgenommen werden. Was nun die Akzeptabilitätsurteile anbelangt, ist das - genauso wie mit den Grammatikalitätsurteilen84 - bekanntlich ein unlösbares methodologisches Grundproblem jeder Grammatikschreibung. Mir scheint hier nur wichtig zu bedenken, dass Akzeptabilitätsurteile über spontan sprechsprachliche Äusserungen etwas anderes sind als Akzeptabilitätsurteile über Ausdrücke in Texten entfalteter Schriftlichkeit. Ich halte letztere für eher 'reine1 Grammatikalitätsurteile, erstere für Urteile über die Angemessenheit von Äusserungen, in der Grammatikalität und Funktionalität zusammenkommen. Wenn man einen 'aufgeweichten' Begriff von "Verstoss" ansetzt, der neben dem Fehler auch die Unangemessenheit kennt, so könnte man die These wagen: Was an gesprochener Sprache das Akzeptabilitätsurteil passiert, kann auch in geschriebener Sprache nicht ungrammatisch, sehr wohl aber unangemessen genannt werden. Umgekehrt wird aber auch vieles, was an geschriebener Sprache für voll und ganz grammatisch angesehen wird, in 83 84
Vgl. B. Halford/H. PUch (1990). Einen Unterschied zwischen Akzeptabilität und Grammatikalität machen z.B. R.-A. de Beaugrande/W. U. Dressler (1981, 136f.) mit folgender erhellender Erläuterung: "Man hat sich angewöhnt, zwischen Grammatikalität (was von einer abstrakten Grammatik bestimmt wird) und Akzeptabilität (was in der Kommunikation tatsächlich akzeptiert wird) zu unterscheiden. Bis jetzt ist aber die Korrelation zwischen diesen beiden Begriffen recht unklar. Wir vermuten, dass der entscheidende Unterschied eigentlich zwischen virtuellen Systemen und Aktualisierungsverfahren liegt [...] Wie wir bereits bemerkten, kann sich die Aktualisierung anscheinend über die Organisation von virtuellen Systemen hinwegsetzen, wenn eine angemessene Motivation vorhanden ist - ein Prinzip, welches Sprache und Kommunikation von den Studienobjekten der Naturwissenschaften und Mathematik unterscheidet."
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2 Grammatik
gesprochener Sprache zwar nicht als ungrammatisch, aber als unangemessen taxiert werden müssen. Ich habe hier für eine unteilbare Grammatik plädiert und dafür, dass man diese Grammatik immer nur als eines von mehreren Regelmodulen betrachtet, die am Zustandekommen von Äusserungen beteiligt sind und unter deren normativem Licht Äusserungen dann auch zu beurteilen sind. Diese modulare Sichtweise scheint mir weiterzuführen als die Forderung nach zwei Grammatiken.85 Nicht zwei verschiedene Grammatiken sind für das Zustandekommen typischer Sprechsprache und typischer Schriftsprache verantwortlich, und nicht im Lichte zweier verschiedener Grammatiken sind Sprechsprache und Schriftsprache zu beurteilen, sondern es ist immer nur die eine Grammatik, aber durchaus unterschiedlich dominant, am Zustandekommen von Äusserungen beteiligt, und Äusserungen sind stets im Lichte der einen Grammatik, aber unter durchaus unterschiedlich hoher Ansetzung von deren Normen, zu beurteilen. Mit dieser fast etwas katholisch-strengen Gläubigkeit an die eine Grammatik soll keineswegs ausgeschlossen werden, - dass es in dieser einen Grammatik 'Ränder' gibt, wo 'gesetzlose Zustände' herrschen - und dass unsere gängigen Grammatiken gerade in diesen unsicheren Randzonen, aber auch in ändern Gebieten, vor-schreibend eingreifen und zumal aus ihrem Hoheitsgebiet der Schriftlichkeit seit Jahrhunderten Dinge verbannen, die eigentlich 'urwüchsig' hineingehörten.86 Wichtig ist mir auch, dass ich glaube mit dem hier angedeuteten modularen Ansatz die berechtigten Anliegen, die hinter der Zwei-Grammatiken-These stehen, letztlich besser einlösen zu können. Als solche Anliegen erachte ich namentlich die folgenden: a) Ein eher sprachwissenschafts-internes, theoretisches Anliegen ist es, die Erscheinungen der gesprochenen Sprache in ihrem systematischen Auftreten nicht länger nur als Fehler, sondern als funktional sinnvolle Erscheinungen zu erklären. b) Ein sprachwissenschafts-externes, normenkritisches, sozial-emanzipatorisches und pädagogisches Anliegen ist es, gesprochene Sprache nicht länger mehr an den Normen geschriebener Sprache zu messen, Schüler nicht länger zu einem Sprechen nach dem Modell der Schriftlichkeit zu zwingen und Sprechsprache nicht länger als sozial niedrige Sprache zu stigmatisieren, und nicht zuletzt könnte es auch ein berechtigtes normenkritisches Anliegen sein zu fragen, welche Elemente der Sprechsprachlichkeit auch in der 'entfalteten Schriftlichkeit' ihren sinnvollen, funktionalen Platz haben könnten und sollten.87 85 86 87
Warum sollen es übrigens nur gerade zwei und nicht hundert sein? Vgl. Abschnitt 2.5.2. Vgl. hierzu die Abschnitte 6.5.2 und 8.2.3.C.
3 Schrift Überblick 3.0
Einleitung
3. l
Was gehört zur Rechtschreibung?
3.2 3.3
Welcher Art sind Rechtschreibnormen? Zur Gewichtung der Schreibnorm-Konformität in der Textbewertung
Literatur Eisenberg, Peter 1979: Grammatik oder Rhetorik. Über die Prinzipien unserer Zeichensetzung. In: ZGL 7,323-337. Eisenberg, Peter 1983: Orthographie und Schriftsystem. In: Günther/Günther 1983,41-68. GaUmann, Peter 1985: Graphische Elemente der geschriebenen Sprache. Grundlagen für eine Reform der Orthographie. Tübingen (= RGL 60). GaUmann, Peter 1987: Das System der deutschen Orthographie. Prinzipien - Regeln Wörterbuch. In: Rechtschreibunterricht Hg. v. der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren der Ostschweiz (EDK-Ost). Redaktion: Urs Ruf. Zürich, 53-67. Gallman, Peter/ Horst Sitta 1987: Wohin steuert die deutsche Rechtschreibung? Zum Stand der Reformbemühungen. In: Neue Zürcher Zeitung 217,25-26. Günther, Hartmut 1988: Schriftliche Sprache. Strukturen geschriebener Wörter und ihre Verarbeitung beim Lesen. Tübingen (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 40). Günther, K.B./H. Günther 1983: Schrift, Schreiben, Schriftlichkeit. Arbeiten zur Struktur, Funktion und Entwicklung schriftlicher Sprache. Tübingen (= RGL 49). Kohrt, Manfred 1987: Theoretische Aspekte der deutschen Orthographie. Tübingen (= RGL 70). Mentrup, Wolfgang 1968: Die Regeln der deutschen Rechtschreibung. An zahlreichen Beispielen erläutert Mannheim (= Duden-TB 3). Mentrup, Wolfgang 1979: Die Gross- und Kleinschreibung im Deutschen und ihre Regeln. Historische Entwicklung und Vorschlag zur Neuregelung. Tübingen (= Forschungsberichte des IDS 47). Mentrup, Wolfgang 1983: Zur Zeichensetzung im Deutschen. Die Regeln und ihre Reform. Oden Müssen Duden-Regeln so sein, wie sie sind? Tübingen (= TBL 209). Menzel, Wolfgang 1985a: Rechtschreibfehler - Rechtschreibübungen. In: PD 69,9-11. Menzel, Wolfgang 1985b: Die Rechtschreibung - Praxis und Theorie. Beiheft zu PD 69. Menzel, Wolfgang 1990: Didaktik des Rechtschreibens. In: Günter Lange u.a. (Hg.): Taschenbuch des Deutschunterrichts. Bd. 1. Hohengehren, 282-303. Menzel, Wolfgang/Horst Sitta 1982: Interpunktion - Zeichensetzung im Unterricht. In: PD 55, 10-21. Nerius, Dieter (Autorenkollektiv u.L.v.) 1987: Deutsche Orthographie. Leipzig. Nerius, Dieter/Jürgen Scharnhorst (Hg.) 1980: Theoretische Probleme der deutschen Orthographie. Berlin (= Sprache und Gesellschaft 16).
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3.0 Einleitung Schriftlich fixierte Texte sind Notate von sprachlichen Ausdrücken im Notationssystem einer bestimmten Schrift, und als solche Notate sind sie mit Kategorien dieses Schriftsystems beschreibbar, spezifizierbar. Sie unterliegen insbesondere den Normen, die mit einem solchen Schriftsystem verbunden sind. Ich will im vorliegenden Kapitel, das beinahe ein blosses PlatzhalterKapitel ist, einiges weniges zur Schrift sagen. Ich liste in einem ersten Teil auf, was m.E. zur Schrift gehört, und tippe dabei die Frage nach der 'Natur' der Schrift-Regeln an (3.1). Im zweiten Teil geht es mir um die Eigenart der Schreib-Normen (3.2), im dritten Teil um die Gewichtung der SchreibNorm-Konformität eines Textes in der Gesamtbeurteilung des Textes (3.3). Nicht um die blosse "Kulturtechnik" des Schreibens oder das blosse System Schrift, sondern um geschriebene Sprache und um Schriftlichkeit in einem sehr viel komplexeren Sinn geht es in der vorliegenden Arbeit in den Abschnitten 2.5,6.5.2, 8.2.1
3.1 Was gehört zur Rechtschreibung (Orthographie und Interpunktion)? Zur Beherrschung der Schrift als eines Notationssystems gehört: a) die Schreibung der Wörter als Buchstaben-Abfolge (sei es auf der Basis von regulären Phonem-Graphem-Beziehungen oder auf der Basis weiterer Prinzipien, Regeln und Einzelfestlegungen)2 b) die Getrennt-/Zusammenschreibung, also der Umgang mit dem Wortzwischenraum,3 und die Bindestrich-Schreibung c) die Silbentrennung am Zeilenende d) die Grossschreibung bestimmter Wortarten (inklusive die pragmatische Regelung der Anrede-Grossschreibung) 1 2 3
Vgl. im Abschnitt 8.2 auch den ausführlicher begründeten Vorschlag zur begrifflichen Differenzierung und zur Terminologie. Vgl. z.B. W. Menzel (1985b), P. Gallmann/H. Sitta (1987), P. Gallmann (1987). Jeder, der schreibt, ist ein kleiner Linguist oder eine kleine Linguistin, denn er oder sie hat - im Prinzip (in Wahrheit ist es natürlich weitgehend einfach geregelt) - zu entscheiden, ob etwas ein Wort ist oder zwei, eine Entscheidung, die selbst hoch spezialisierten Linguistinnen und Linguisten oft sehr schwer fällt Damit will ich sagen: Schreiben setzt ein sehr viel höheres Bewusstsein von Sprache voraus als Sprechen, Schreiben fördert damit das Sprachbewusstsein. Vgl. dazu H. Andresen (1985).
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e) die Beherrschung des Apostrophs f) Schreibung von Abkürzungen (mit und ohne Punkt).4 Das bildet zusammen den Bereich der Orthographie oder Rechtschreibung im engeren Sinne.5 Es geht dabei um die Schreibung - die graphische Materialisierung - von Einheiten der Wortdomäne (vgl. Abschnitt 2.1). Hinzu kommt - für die Schreibung von Einheiten der Satzdomäne - die Interpunktion oder Zeichensetzung, worunter zu rechnen sind: g) die Setzung der sog. Satz- oder Interpunktionszeichen (inklusive Klammern, Gedankenstriche, Gedankenpünktchen) h) die Grossschreibung am Satzanfang i) das Setzen von (einfachen und doppelten) Anführungszeichen bei direkter Rede, Zitaten, zur Markierung von uneigentlichem Sprechen u.a. (vgl. R. Klochkow 1980). Orthographie/Rechtschreibung im engeren Sinne und Interpunktion/Zeichensetzung bilden zusammen das System der Orthographie/Rechtschreibung im weiteren Sinne.6 Man sollte jedoch zur Technik des Schreibens noch einige weitere Dinge hinzurechnen (vgl. hierzu P. Gallmann 1985): Es gibt in der Schrift eine Reihe weiterer graphischer Elemente, etwa Mittel der äusserlichen TextGliederung (Absätze, Spiegelstriche etc.), Mittel der Schriftauszeichnung (Kursive, Fettdruck, die Schriftart, Schriftgrösse, Farben, Unterstreichungen etc.); schliesslich umfasst unser Schriftsystem eine ganze Reihe von anderen Graphemen neben den Buchstaben: Ziffern und andere Ideogramme oder Symbole, d.h. Schriftzeichen, die für ganze Begriffe stehen. Der Umgang mit all diesen Dingen muss zu einer vollen Schreib-Kompetenz (im technischen Sinn) hinzugerechnet werden. Es gibt unter Spezialisten unserer Schrift die Debatte um die Autonomie der Schrift: Ist unser Schriftsystem, das im Kern eine Buchstaben-Schrift ist, lediglich ein Epi-System zum Lautsystem unserer Sprache, und das heisst: historisch oder systematisch oder im Erwerb durch den einzelnen Menschen oder im aktualisierenden Gebrauch vom Lautsystem her beschreib- und Apostroph und Abkürzungspunkt ähneln formal sehr viel eher den Satzzeichen; es sind klar keine Buchstaben. Dire Funktion ist aber dennoch eine der Einzelwortschreibung, ihr Wirkungsbereich ist nicht die Satzdomäne, vielmehr wirken sie auf Einheiten der Wortdomäne. Die Termini Orthographie, Rechtschreibung und Interpunktion werden uneinheitlich gebraucht. Ich verwende Orthographie und Rechtschreibung synonym, spezifiziere jedoch jeweils, ob ich den engeren Begriff, d.h. unter Ausschluss der Interpunktion, oder den weiteren Begriff, unter Einschluss der Interpunktion, meine. Vgl. Fussnote 5.
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erklärbar? Oder ist sie vielmehr ein zweites System der Materialisierung von Sprache prinzipiell neben und unabhängig vom Lautsystem (wenngleich natürlich nicht zu leugnen ist, dass Beziehungen zur Lautstruktur bestehen)?7 Der Streit ist nicht entschieden. Tatsache ist, dass, wer Phonem-GraphemBeziehungen lernen würde (oder tatsächlich gelernt hat), unsere Schrift noch nicht beherrschte, d.h. unsere Sprache noch nicht unserem Schriftsystem gemäss schreiben könnte. Neben dem Lautprinzip gibt es eine Reihe weiterer Schreibprinzipien für das Schreiben der Wörter.8 W. Menzel (1990) betont, dass unsere Recht-Schreib-Regeln eben auch Recht-LesRegeln sind,9 d.h. die Prinzipien und Regeln unserer Schrift regeln nicht nur die Produktion schriftlich materialisierter Sprache, sondern stehen auch im Dienste der möglichst leichten, schnellen und eindeutigen Rezeption solcher Sprache. Orthographie-Reform kann also nicht nur an die Schreiberin oder den Schreiber, sie muss auch an die Leserin oder den Leser denken. Die Streitfrage um Autonomie oder Interdependenz von gesprochener und geschriebener Sprache hat Auswirkungen darauf, als was man den Komplex der Orthographie - und als Entsprechung dazu: den Komplex der Orthophonie oder Orthoepie - versteht. Vom Standpunkt der Autonomie ist die Orthographie einfach der Regelkomplex der richtigen Schreibung, die Orthophonie oder Orthoepie der Regelkomplex der richtigen Lautung einer Sprache. Vom Standpunkt der Abhängigkeit der Schrift von der Lautung ist Orthographie hingegen der Regelkomplex der richtigen schriftlichen Wiedergabe der Lautsprache, und Orthophonie oder Orthoepie ist in umgekehrter Richtung der Regelkomplex der richtigen 'Verlautung1 schriftlich fixierter Sprache.
3.2 Welcher Art sind Rechtschreibnormen? Unsere Schrift - so würde man zumindest auf den ersten Anhieb sagen - ist, anders als die einzelnen Teilsysteme unseres Sprachsystems, unserer Grammatik i.w.S. (vgl. Kp. 2), ein Artefakt. Das zeigt die Geschichte Ich erwähne andere Ausprägungen der Frage der Autonomie von "Schrift, geschriebener Sprache, Schriftlichkeit" in den Abschnitten 2.5 und 8.2. An Literatur zur spezifischen Frage der Autonomie oder Abhängigkeit der Schrift vom Lautsystem vgl. z.B. K. B. Günther/H. Günther (1983) oder D. Nerius/G. Äugst (1988). Vgl. Fussnote 2. Man beachte allerdings bei dieser Ausweitung die leichte Konzeptverschiebung: Aus Regeln, an die sich eine Schreiberin oder ein Schreiber halten muss, werden Regem im Dienste der Leserin oder des Lesers. Dahinter verbirgt sich die eigenartige 'Dialektik' von Normen: Normen als Zwang und Normen als Erleichterung, Befreiung. Vgl. dazu Abschnitt 1.2.1.
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unserer Sprache und unserer Schrift, das zeigt ein Blick auf andere, schriftlose Kulturen, das lässt sich auch tagtäglich am Spracherwerb durch das Individuum beobachten: Während Menschen unter normalen Bedingungen Sprache fast zwangsläufig lernen, lernen sie Schrift nach wie vor zur Hauptsache nur unter besonderen institutionellen Bedingungen der Schule und in einem sehr viel bewussteren Prozess von Lernen. Zu viele lernen sie auch in unserer heutigen Gesellschaft mit ihrem Bildungssystem noch immer nicht, und das sind Menschen, die wie alle ändern irgendwann einmal fast zwangsläufig ihre Muttersprache gelernt haben. Allerdings gilt es die starre Entgegensetzung 'hie Natur - hie Artefakt' ein Stück weit zu mildern: Nicht alles an natürlichen Sprachen ist naturwüchsig, strenggenommen - das kommt natürlich auf den Begriff an das wenigste,10 wenngleich vielleicht auch der Kern,11 und nicht alles an unserer Schrift ist Resultat bewussten Wollens; vielmehr geht es mit der Schrift wie mit allem, was man als Regel einmal ins 'Sprachleben' entlässt: es entwickelt augenblicklich eine gewisse Eigendynamik. So ist es möglich, dass die Orthographie nicht nur vor-schreibend, Norm-setzend, sondern auch im nachhinein fest-schreibend sein kann.12 Das ist aber sicherlich die Ausnahme. Orthographische Normen sind so gut wie vollständig kodifiziert, explizit in Regelwerken verankert. Das verleiht ihnen eine grosse Stabilität. Veränderungen - selbst wenn sie längst Usus sind - bedürfen im Prinzip der Absegnung durch befugte Instanzen. Obschon wir es bei orthographischen Normen mit einem stark artifiziellen Regelwerk zu tun haben, sind jedoch auch hier Regel und Regelformulierung auseinanderzuhalten. Öfter als uns lieb sein kann sind die Regeln unklar, verwirrend, irreführend oder spitzfindig formuliert. Das ändert nichts an der Tatsache, dass der überwiegende Teil der Regeln dichotomisch gemeint sind, d.h. Regeln sind, die Richtiges von Falschem trennen. Ein nicht unwesentlicher Teil der Regeln ist dies hingegen nicht: a) Im Bereich der Rechtschreibung im engeren Sinn, d.h. der Wortschreibung, eröffnen nur wenige Bereiche einen Freiraum, lassen Varianten zu. Zu nennen sind: i) Fremdsprachige oder eindeutschende Schreibweise? (Fremdwörter: rekreativ vs. recreativ, Friseur vs. Frisör)13 10
Vgl. H. Günther (1989, 1): "Nichts ist so unnatürlich wie die Sprache, und in der Sprache nichts so unnatürlich wie die Schrift." 1 ' Dabei denke ich an nativistische TTieorien von der Universalgrammatik, wie sie von der Generativen Grammatik vertreten werden (vgl. G. Fanselow/S. W. Felix 1987/1). 12 Vgl. hierzu Abschnitt 1.2.1. 13 Hier gilt es zu beachten, dass die üblichen Rechtschreibregeln ausdrücklich nur die Gemeinsprache regeln und nicht den fachsprachlichen Gebrauch von Wörtern. Es mag also innerhalb der Fachsprachen weitere Spezialregelungen geben, z.T. auch bedeutungsdifferenzierende unterschiedliche Schreibweisen.
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ii) Ältere oder neuere Schreibweise? (zumeist auch bei Fremdwörtern, etwa Photographic vs. Fotografie) iii) Zusammenschreibung, Bindestrichschreibung (Schweizersein ist teuer. Schweizer-sein ist teuer. Schweizer sein ist teuer, oder auf Grund vs. aufgrund) iv) Silbentrennung am Zeilenende (das den Schriftsetzern bestbekannte Ur-in-stinkt,Text-il-lokutiori). b) Schon wesentlich mehr Freiraum (innerhalb strenger Richtigkeitsnormen) gibt es im Bereich der Zeichensetzung/Interpunktion.14 Es gibt auch hier weite Bereiche, für die eine dichotomische Norm von "richtigY'falsch" gilt; das ist der ganze Bereich grammatisch geregelter Satzzeichensetzung. Innerhalb dieser Regelungen bleibt aber immer noch ein beträchtlicher Freiraum, in dem Normen von "mehr/weniger angemessen" gelten. Leitende Gesichtspunkte sind hier i) Semantisch-pragmatische Gesichtspunkte der Sinneinheiten-Abgrenzung: Komma oder Semikolon oder Punkt. Vgl. das Bsp. von K. Brinker (21988,22f.; Verse von Matthias Claudius):15 Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar; der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget der weisse Nebel wunderbar. Der Mond ist aufgegangen. Die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar. Der Wald steht schwarz und schweiget. Und aus den Wiesen steiget der weisse Nebel wunderbar.
ii) Semantisch-pragmatische Gesichtspunkte der Rezipientenführung, der Illokutionsmarkierung: Doppelpunkt, Fragezeichen (nach Aussagesatz), Ausrufezeichen (nach Fragesatz), Gedankenpünktchen am Satzende (oder bei Satzabbruch) u.a. iii) Semantisch-pragmatische Gesichtspunkte der Gewichtung: Einschübe in Klammern, in Kommas, in Gedankenstrichen. iv) Ästhetische Gesichtspunkte, etwa Rücksichtnahme auf Rhythmus. Einzelne Bereiche der Zeichensetzung/Interpunktion scheinen gar nicht geregelt; so z.B. die Zeichensetzung in tabellarischen Aufzählungen oder die Zeichensetzung in der Brief anrede.16 In solchen Fällen prinzipieller Ungeregeltheit gibt es aber immer die allgemeinen Normen:
14 15 16
Vgl. hierzu z.B. W. Menzel/H. Sitta (1982). M.W. hat H. Glinz in einer früheren Arbeit dieses Beispiel einmal verwendet. Hier gibt es zumindest diverse Möglichkeiten; in bestimmten Kommunikationsbereichen wie etwa Geschäftsbriefen mag es kornmunikationsbereichsspezifische Konventionen geben, etwa Regelungen des Kaufmännischen Vereins.
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i)
Man soll sich für eine Machart entscheiden, die als ganze praktikabel, sinnvoll u.a. ist. ii) Man muss sich an eine einmal gewählte Machart wie an ein System halten, begibt sich also unter eine frei gewählte Norm, die durchaus eine dichotomische Norm von richtig/falsch sein kann.
Die Korrektheits- wie die Angemessenheitsnormen der Interpunktion gehören in die Varietät der geschriebenen Sprache, die sich durch klare, 'harte' Syntax auszeichnet, im Unterschied zu 'weichen' syntaktischen Fügungen der gesprochenen Sprache.17 Wenn man stark sprechsprachlich schreibt, bekommt man zwangsläufig Probleme mit der Interpunktion. Man kann das erfahren, wenn man gesprochene Sprache transkribiert (und ich denke jetzt nicht an Dinge wie Satzabbrüche oder Konstruktionsbrüche), wenn man authentisch klingende sprechsprachliche Dialoge zu schreiben versucht, oder generell wenn man - z.B. in einem Brief sprechsprachlich formuliert. Die Probleme betreffen die Ganzsatzgrenzen, den Umgang mit Ausrufe- und Fragezeichen, Kommas (oder andere Satzzeichen) in der Teilsatzfügung. Nur ein Beispiel: Sätze mit weil, obschon, wobei und V-2-Stellung:18 Es hat Frost gegeben, weil [:] die Heizungsröhren sind geplatzt. Ich komme nicht mit, obschon [-] interessieren würde es mich schon. Da ist erst noch diese Frage, wobei l] da gedenke ich nicht viel zu tun.
Es ist zu erwarten, dass in dem Masse, in dem Schulaufsätze (Texte überhaupt) sprechsprachlich formuliert sind, die Zahl der Interpunktionsunstimmigkeiten steigt, aber auch die Zahl der Fälle zunimmt, wo wir als Analysierende Schwierigkeiten haben, über die Güte der Interpunktion zu befinden, ganz einfach deshalb, weil wir hier mit der Schreibung in einen 'rechtlosen* Raum geraten, wo höchstens noch per analogiam, aufgrund allgemeiner funktionaler oder ästhetischer Normen o.a. entschieden werden kann. c) So gut wie gar nicht mehr dichotomisch nach "richtigY'falsch" geregelt ist der Gebrauch weiterer graphischer Elemente,19 namentlich die Absatzgliederung, die Schriftauszeichnung zur Hervorhebung, zur Markierung von Zitaten, Metasprache etc. Allerdings ist auch hier die gewichtige Präzisierung am Platz, dass für die Wahl aus den Möglichkeiten das Prinzip der Funktionalität leitend ist, es also durchaus auch dysfunktionale, unangemessene Wahlen gibt, und dass eine einmal getroffene Wahl nicht unmotiviert aufgegeben werden darf; geschieht dies, kann man durchaus von einem Fehler reden. 17 18 19
Vgl. die Abschnitte 2.5,6.5.2, 8.2. Vgl. hieizu Abschnitt 6.2.2.C. Vgl. P. Gallmann (1985).
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3.3 Zur Gewichtung der SchreibnormKonformität in der Textbewertung Bekanntlich wird in unserer Gesellschaft die Beherrschung der SchreibRegeln im allgemeinen sehr hoch, gemessen an der Geltung anderer Normbereichen der Sprache zu hoch gewertet (vgl. hierzu R. Hoberg 1983). Woher rührt diese Hochschätzung? Woher rührt auch die extreme Empfindlichkeit weiter Teile der Gesellschaft gegenüber Normverstössen im Bereich der Schreibung, eine Empfindlichkeit, die sich beispielsweise auch in den übertriebenen Reaktionen der Öffentlichkeit auf geringste Vorstösse in Richtung einer Reform der deutschen Orthographie zeigt (vgl. hierzu H. Zabel 1989)? Folgende Punkte scheinen mir bedenkenswert: a) Die Rechtschreibung i.w.S. ist von dem, was man an geschriebenen Texten beobachten, beschreiben und bewerten kann, trotz der genannten Einschränkungen überwiegend dichotomisch geregelt und zudem am vollständigsten kodifiziert. Dies befördert sehr stark das Bewusstein, dass in diesem Bereich unstrittige Urteile möglich seien. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass die Tatsache, dass etwas unstrittig beurteilt werden kann, noch lange nicht bedeutet, dass es auch unstrittig ist, wie stark man dieses Urteil gewichtet. b) Darüberhinaus fördert der hohe Grad an dichotomischer Geregeltheit und die fast vollständige Kodifiziertheit zusammem mit dem artifiziellen Charakter orthographischer Normen wohl auch allgemein ein Bewusstsein von Wichtigkeit in einem Masse, das der Sache vielleicht gar nicht zusteht. c) Eine einheiüiche Orthographie ist zweifellos zur Sicherung einer überregionalen Kommunikation notwendig. Solche Überlegungen sind m.E. jedoch typische Überlegungen von Fachleuten; für den Laien stehen sie nicht im Vordergrund; seine Empfindlichkeit im orthographischen Bereich können sie kaum erklären. d) Schon erklärungsstärker scheint mir das Argument, dass die Schreibung ein Transportmittel für Sprache ist und als solches ganz im Dienste ihres Transportgutes1 zu stehen hat, dass jedoch idiosynkratische Schreibung stattdessen den Produzenten mit seinen Eigenheiten störend ins Spiel bringt und damit den Rezipienten vom zu transportierenden Inhalt ablenkt, seine Aufmerksamkeit störend an Unwesentliches bindet. Dies gilt umso mehr, je öffentlicher Schreiben ist; für privatere Textsorten gilt es selbstverständlich weniger. Nun ist aber gerade schulisches Schreiben zweifellos auch und vor allem ein Einüben in öffentliches Schreiben. D.h. etwas paradox formuliert, und paradox ist es auch: Die so unwesentlich scheinende, aber von der Gesellschaft als so wesentlich
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eingestufte und als solche auch bewertete Orthographie ist insofern sehr wesentlich, als sie eine Kommunikation zu gewährleisten hat, in der die ganze rezeptive Energie von der Orthographie weg auf anderes, Wesentliches, nämlich auf Inhalte gelenkt werden kann. e) In die gleiche Richtung, aber wohl noch einen Schritt weiter, gehen Überlegungen aus der Lese-Psychologie:20 Für ein effizientes Lesen ist es offenbar ungeheuer wichtig, dass Schriftbilder sehr stabil sind. Lesen scheint ein kognitiv derart aufwendiger Prozess zu sein, dass geringste Schwankungen im graphischen Erscheinungsbild zur Folge haben, dass die Rezeption nicht mehr ohne weiteres durchdringt auf die Sprache und ihre Inhalte und stattdessen an der materiellen Erscheinung haften bleibt. Dies ganz im Unterschied zur lautlichen Materialisierung von Sprache, zu den Lautbildern, wo einem beispielsweise in Dialektregionen wie der Deutschschweiz eine ungeheure rezeptive Flexibilität tagtäglich abverlangt wird (zu einer Wortform gibt es schnell einmal Dutzende von lautlichen Varianten) und wo man diese auch völlig problemlos leistet, ohne dass einem das auch nur bewusst würde. So weit einige mögliche Gründe für den hohen Stellenwert orthographischer Normen in unserer Gesellschaft und für die Empfindlichkeit, mit der unsere Gesellschaft auf alle Veränderungen in diesem Bereich reagiert. Im übrigen möchte ich hier auf die Ausführungen im Abschnitt 2.3 zurückverweisen, wo ich die grundsätzlichen Fragen der Fehlererkennung, Subklassifizierung und -gewichtung angesprochen habe; die dort angestellten Überlegungen sind auch hier einschlägig. Ich habe dort insbesondere auch herausgestellt, dass für eine Gesamtbeurteilung auch nur der formalen Richtigkeit eines Textes seine Fehler immer nur in Korrelation zu dem, was prinzipiell versucht wurde und faktisch auch richtig realisiert wurde, gesehen werden dürfen, wenn anders man nicht wertlose Urteile abgeben will.
20
Vgl. P. Gallmann (1985,5). Vgl. H. Günther (1988).
4 Kohäsion Überblick 4.0 4. l 4.2 4.2.1 4.2.2
Einleitung Der Anspruch der Kohäsionslinguistik Kohäsionsmittel - Vorschlag zu Typologie Einleitung Die vier Kohäsionsmittel-Klassen
einer
A. Verweismittel, Zeigemittel (mit Rekurrenz)
4.3 4.4
B. Verknttpfungsmittel (Konnektive) C. Textstrukturierende Mittel ('Organisatoren') D. Textuelle Einpassung ("textual fit") Resümierende Frage nach der Gemeinsamkeit und der Textspezifik der Kohäsionsmittel Was kann als Textbaufehler gelten? Wieviel Kohäsion braucht ein Text?
Literatur Beaugrande, Robert-Alain de/Wolfgang Ulrich Dressler 1981: Kohäsion. In: dies.: Einführung in die Textlinguistik. Tübingen (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 28), 50-87. Buscha, Joachim 1988: Satzverknüpfung durch Konjunktionen. In: DU 40,6,53-64. Dederding, Hans-Martin o.J.: Diskonnexität in Schülertexten. Ms. Erlangen. Dijk, Teun A. van 1980a: Connection and connectives. In: ders.: Text and context. Explorations in the semantics and pragmatics of discourse. London/New York, Kp. 3 (43-92). Dressier, Wolfgang 1973: Textgrammatik. In: ders.: Einführung in die Textlinguistik. 2., durchgesehene Auflage. Tübingen (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 1), 16-91. Pritsche, Johannes (Hg.) 1982: Konnektivausdrücke und Konnektiveinheiten. Grundelemente der semantischen Struktur von Texten I. Hamburg (= PzT 30). Halliday, M.A.K./Ruqaiya Hasan 1976: Cohesion in English. London. Harweg, Roland 1968/1979: Pronomina und Textkonstitution. München (= Poetica. Beihefte 2). Isenberg, Horst 1977a: Der Text' als kommunikative Einheit In: Dieter Viehweger (Hg.): Probleme der semantischen Analyse. Berlin (= studia grammatica 15), 358-377. Isenberg, Horst 1977b: Text' versus 'Satz'. In: Frantisek Danes/Dieter Viehweger (Hg.): Probleme der Textgrammatik II. Berlin (= studia grammatica 18), 119-146. Meraner, Rudolf 1988: Salzverknüpfung durch Pronomen. In: DU 40,6,69-83. Peyer, Ann 1989: Satzverknüpfungen: Formale Möglichkeiten und inhaltliche Kategorien. Ein Klassifizierungsversuch. Lizentiatsarbeit Zürich.
102
4 Kohäsion
4.0 Einleitung Ich muss mit einer Generalklausel beginnen: Ich referiere in diesem Kapitel eine ältere Position in der Textlinguistik, die zweifellos sehr wichtige Aspekte von Texten herausgearbeitet hat. Ich halte die Position jedoch in ihrer Grundanlage für falsch und überholt. Entsprechend kann ich an einzelnen Stellen meiner folgenden Ausführungen mit Kritik nicht immer ganz hinter dem Berg halten, und einzelne Punkte stelle ich in einer Weise dar, die bereits auf dem Boden einer Texttheorie steht, wie ich sie erst im nächsten Kapitel (Kp. 5 "Kohärenz I") systematischer entwickeln werde. Ich versuche, dies durch Bemerkungen und Fussnoten jeweils wenigstens zu markieren. Ich referiere zunächst den grundlegenden Anspruch der Kohäsionslinguistik und führe dabei die zentralen Begriffe "Kohäsion" und "Kohäsionsmittel" informell ein (4.1). Ich mache dann einen Vorschlag zur Typologie der sogenannten Kohäsionsmittel und versuche damit etwas Systematik in einen eher offenen und unsystematischen Katalog von sprachlichen Phänomenen zu bringen (4.2). Anschliessend stelle ich die Frage nach der Gemeinsamkeit und der Textspezifik der angetroffenen Sprachmittel (4.3). Die abschliessenden Erörterungen drehen sich um die Frage der Nonnen und damit um die Frage möglicher Fehler im Bereich der Kohäsion (4.4).
4. l Der Anspruch der Kohäsionslinguistik Die Kohäsionslinguistik dreht sich um die folgende Grund-Tatsache über Texte:1 Texte enthalten mehrere sprachliche Ausdrücke, namentlich Sätze und Teilsätze, zwischen denen spezifische Beziehungen bestehen, die man (oder: deren Gesamt man) Kohäsion nennt. Die Kohäsion wird durch sprachliche Mittel geschaffen, die man Kohäsionsmittel nennt. Ein Wort zur Terminologie: Die Termini Konäsion/Kohäsionsmittel haben sich in der Textlinguistik weitgehend durchgesetzt für jenen spezifisch textuellen Zusammenhang, für den man glaubt explizite sprachliche Mittel (eben Kohäsionsmittel) verantwortlich machen zu können.2 Der englische Terminus ist cohesion. In älteren Arbeiten findet man für die Sache manchmal noch Kohärenz oder spezifiziert grammatische Kohärenz.3 Diesen Terminus brauche ich jedoch für etwas ganz anderes (siehe Kp. 5 "Kohärenz I").
Texte in meinem oben in der Einleitung (Abschnitt 1.3) präzisierten Sinn, also 'Einworttexte' o.a. nicht mitbedacht. Namentlich brauchen Kohäsion in diesem Sinne M.A.K. HaUiday/R. Hasan (1976) oder R.A. de Beaugrande/W. U. Dressler (1981). So noch R. Meraner (1988,72).
4 Kohäsion
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H.-M. Dederding spricht für die hier gemeinte Sache von Konnexität* K. Boost hat seinerzeit von der Satzverflechtung gesprochen. Heute noch üblich sind die beiden Termini der Satzverknüpfung (verkürzt für "Verknüpfung von Sätzen zu Texten") oder der Textverknüpfung (verkürzt für "Verknüpfung von Sätzen zu Texten"). Von R. Harweg stammt der Terminus der Textkonstitution. M. Schemer nennt die Kohäsionsphänomene, die H. Isenberg zusammengestellt hat, transphrastische Sprachphänomene. Und es gibt weitere Termini für die Sache.
Die Beschäftigung mit Phänomenen der Kohäsion bildet den Schwerpunkt der frühen Textlinguistik, bildet ihren Anfang. Man kann sie Kohäsionstheorie oder eben Kohäsionslinguistik nennen. Sie hat sich selber manchmal als Textgrammatik verstanden und auch so bezeichnet. Im Begriff der Kohäsion und der Kohäsionsmittel ist der erste Versuch der Textlinguistik zu sehen, das Spezifische an Texten, die Textualität, zu explizieren. Die folgenden Postulate scheinen mir für die Theoriebildung dieser frühen Textlinguistik charakteristisch: a) Postulat l der Kohäsionslinguistik: Textgrammatik ist für eine linguistische Beschreibung von Texten (und gar von Einzelsätzen) notwendig. Texte werden verstanden als äusserliche sprachliche Objekte von mehreren Sätzen Länge. Man kann auch sagen: Texte sind grosse sprachliche Zeichen. Diese grossen sprachlichen Zeichen namens Texte bestehen aus Sätzen, und Sätze werden traditionellerweise von der Grammatik beschrieben, deren grösste Beschreibungseinheit just der Satz ist. Nun gibt es aber in den Sätzen eines Textes 'Dinge', die i) in ihrer Spezifik über den Satz hinausweisen oder hinauswirken ii) und in ebendiesem Masse sich einem explanativen Zugriff traditionell auf den Satz als grösste Einheit beschränkter Grammatiken entziehen (vgl. im Abschnitt 4.2 die Zusammenstellung der Kohäsionsmittel). Traditionelle Satzgrammatiken - so die Kohäsionslinguistik - sind in Hinsicht auf diese Phänomene defizitär. Das heisst nicht, dass wir es hier mit 'Dingen' zu tun haben, die für diese Grammatiken schlicht Fremdkörper sind, aber dass es sich um Phänomene handelt, deren Spezifik, deren besondere sprachliche Leistung sich einer Satzgrammatik gerade entzieht; eine Satzgrammatik kann sie nur als satzinterne Phänomene fassen und ist damit 'blind' für ihren eigentlichen 'Wert'.5 4 5
Unter Berufung auf K. Hatakeyama/J. S. Petöfi/E. Sözer (1985/89). Die Benennung transphrastische Sprachphänomene (M. Schemer zum Katalog von Phänomenen, den H. Isenberg aufstellt) ist erhellend: Es geht um sprachliche Dinge, die über die Satzgrenzen hinausgreifen, die etwas dem einzelnen Satz Übergeordnetes stiften und folglich von einer Theorie, für die das Grösste der Satz ist, nicht erfasst werden können.
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Von daher drängt sich eine Theorie auf, die sich Textgrammatik oder Textsyntax nennt und die speziell für diese Phänomene zuständig ist. b) Postulat 2 der Kohäsionslinguistik: Textgrammatik ist für eine linguistische Beschreibung von Texten hinreichend. Zugleich erachtet man in der frühen Textlinguistik diese sprachlichen Phänomene als diejenigen, die einen Text gerade zu einem Text machen, als die notwendigen und auch hinreichenden textkonstitutiven sprachlichen Phänomene. Demzufolge wird eine Textgrammatik als Theorie dieser Phänomene nicht nur als notwendige, sondern auch als hinreichende Theorie der Textkonstitution verstanden. Und der Name Textgrammatik ist dabei durchaus symptomatisch, glaubte man doch, für die Einheit Text eine der Satzgrammatik hinsichtlich Art und Umfang der Erklärung vergleichbare Grammatik von Texten zur Seite stellen zu können.6 Exemplarisch für diesen Auffassung ist beispielsweise Harweg (1968), der mit seinem erweiterten Pronomen-Begriff7 glaubt, Textualität hinreichend, in einer Art Textgrammatik, beschreiben zu können. Diese frühe Textlinguistik hätte meine obige Eingangsthese - "Texte enthalten Sätze, zwischen denen sprachliche gestiftete Kohäsion besteht" wesentlich stärker formuliert, nämlich etwa so: "Texte sind sprachliche Gebilde aus mehreren Sätzen, zwischen denen lückenlose Kohäsion besteht." Dabei meine ich das "sind" im starken Sinn: Texte sind genau das, sind das in ihrem 'Wesen'. Im folgenden trete ich v.a. auf das Postulat l näher ein. Ich vermeide den Weg über eine Erörterung von Kohäsionsdefmitionen und stelle stattdessen die Kohäsionsmittel zusammen, die in der Forschung immer wieder genannt werden. Dabei schlage ich eine Typologie vor, die mir sinnvoll und erhellend scheint. Im Hintergrund stehen dabei die folgenden Fragen: a) Inwiefern ist das, was hier als Kohäsionsleistung einem sprachlichen Phänomen zuerkannt wird, eine sprachliche Leistung? Inwiefern liegt sprachlich gestifteter Textzusammenhalt vor? Diese Art der Frage ist bereits vom nächsten Kapitel her, dem Kp. 5 über Kohärenz, inspiriert. b) Was ist das Kohäsive, Kohäsion-Stiftende, das angeblich8 allen üblicherweise als Kohäsionsmittel angesprochenen Phänomenen gemeinsam ist? c) Was ist an den Kohäsionsmitteln das Textspezifische? Spezifischer gefragt: Gibt es eine Domäne des grammatischen Textbaus, die von der 6
7 8
Das ging bis hin zu Ausdehnungen der Chomsky'schen Satzkompetenz auf Textkompetenz: "alle und nur die wohlgeformten Texte einer Sprache bilden können" o.a. Vgl. im Abschnitt 4.2.2 die Kohäsionsmittel im einzelnen. So legt es zumindest die Terminologie nahe.
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Domäne des Satzbaus abgegrenzt werden kann? Damit frage ich auch nach der Möglichkeit oder Notwendigkeit einer Ausweitung meines Modells von Grammatik, das ich in Kp. 2 skizziert habe. Die Frage liesse sich auch so konkretisieren: Gibt es spezifische Textbaufehler oder Textbau-Unangemessenheiten? Auf das Postulat 2 der Kohäsionslinguistik, dass nämlich Kohäsion ein hinreichendes Merkmal für Textualität bzw. dass eine Explikation der Kohäsion eine hinreichende Explikation der Textualität von Texten sei, komme ich erst eingangs des nächsten Kapitels, des Kapitels 5 über die Kohärenz zurück. Eine Kritik an dieser These wird mich direkt zu dem Textbegriff führen, der in dieser Arbeit des weitern dann gelten soll.
4.2 Kohäsionsmittel - Vorschlag zu einer Typologie 4.2.1 Einleitung H. Isenberg (1977a; 1977b) hat eine Sammlung kohäsiver Sprachphänomene vorgestellt, von der M. Scherner (1984, 145) sagt, es sei die umfangreichste. H. Isenberg gibt dem Inventar an Kohäsionsmitteln eine dichotomische Ordnung. Er unterscheidet a) kohäsive "einzelne Elemente des Satzes"; prototypisch sind hier ProFormen und Konnektive9 b) kohäsive "globale Eigenschaften des Satzes"; hierher rechnen Dinge wie Wortstellung oder prosodische Eigenschaften. Eine andere, ebenfalls dichotomische, Ordnung der Kohäsionsmittel macht H.-M. Dederding (o.J., 10) unter Berufung auf R.A. de Beaugrande/U. Dressler (1981). Danach ist zu unterscheiden zwischen a) Kohäsionsstiftung durch Wiederholung/Rekurrenz von etwas b) Kohäsionsstiftung durch Anzeige von Relation zwischen zwei oder mehr Dingen. E. Gülich/W. Raible (1977, 42ff.) haben eine Zweiteilung vorgeschlagen, die mir in die gleiche Richtung zu gehen scheint: a) textkonstituierende Relationen bzw. Relatoren, die verweisen und verknüpfen b) Relationen und Relatoren, die nur verknüpfen. Zu den Tennini vgl. weiter unten.
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Beide (bzw. alle drei) Ordnungen scheinen mir jeweils etwas Richtiges und Wichtiges in den Blick zu nehmen. Die beiden letzteren Dichotomien treffen m. E. jedoch eine wesentlichere Unterscheidung als die erstere.10 Will man alle von der Forschung vorgeschlagenen Kohäsionsmittel berücksichtigen, reicht die dichotomische Ordnung allerdings nicht aus: sie zwingt zu unbefriedigenden Zuordnungen.11 Ich schlage deshalb vier Gruppen vor, womit mir der Heterogenität der Phänomene besser Rechnung getragen zu sein und womit mir der Charakter der einzelnen Typen auch deutlicher zum Ausdruck zu kommen scheint:12 A. Verweismittel (mit Rekurrenz) B. Verknüpfungsmittel (Konnektive)13 C. Textstrukturierende Mittel ('Organisatoren') D.Textuelle Einpassung eines Satzes ("textual fit").
4.2.2 Die vier Kohäsionsmittel-Klassen A.
Verweismittel, Zeigemittel (mit Rekurrenz)™
Etwas geht durch den Text hindurch, kommt wieder, ist rekurrent. Durch das Wiederkommen ergibt sich ein Moment von Verweisen, von Zeigen. Es ist nicht ganz unproblematisch, die beiden Aspekte "Wiederkommen/ Rekurrenz" und "Verweisen/Zeigen" zusammenzunehmen. Die nachstehende Subklassifizierung zeigt, a) dass ganz Verschiedenartiges rekurrent ist: Ausdrucksseitiges oder Inhaltliches (Begriffliches oder Referenz), b) dass wir einmal nur partielle Rekurrenz, dann wieder globale Rekurrenz von etwas haben c) und dass mithin das Verweisen/Zeigen ein unterschiedliches ist (was zeigt, worauf wird gezeigt, wie wird gezeigt);15 so lange wir im lexi10 11 12
13
14
15
Vgl. auch meinen Abschnitt 6.1.1, wo ich ebenfalls mit diesen zwei Grundtypen operiere. So etwa H.-M. Dederding (o.J.. 14). Ich gehe damit auch einen Schritt weiter, als wir in A. Linke/M. Nussbaumer/P.R. Portmann (1991) gehen, wo wir die Phänomene nur aufreihen (und da nicht immer in der optimalen Deutlichkeit und Distinktivität). Dafür finden sich dort sehr hilfreiche Illustrationen. R. Meraner (1988, 69) nennt den Typus A Satzverknüpfung, den Typus B Satzanknüpfung. Ich habe diese terminologische Scheidung sonst nirgendwo gefunden und halte sie für unzweckmässig. Zu diesem Typus vgl. den "Klassiker" R. Harweg (1968/21979) sowie jüngst wieder R. Harweg (1986; 1988). Vgl. auch K. Brinker (21988, 26^1); M. Charolles (1978) nennt eine seiner vier Grundregeln für Kohärenz die . - Die Liste der Literatur hierzu könnte fast ins Unendliche fortgesetzt werden.
Vgl. die Illustrationen zu den einzelnen Subklassen in A. Linke/M. Nussbaumer/P. R. Portmann (1991).
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kaiischen Bereich bleiben, ist jedoch immer ein mehr oder weniger starkes Moment von Koreferenz im Spiel.16 Zur Orientierung betrachte man Schema 9. Rekurrenz von Ausdrücken
Rekurrenz von Inhalf Referenz)
A.1 Lexemrekurrenz mit Koreferenz
A.2.1 Lexemrekurrenz, mit partieller Koreferenz A.2.2 Rekurrenz des Lexemvertaandes, mit partielief Kofeferenz
A.3.1 koreferente Proformen A.3.2.1 durch Koreferenz konventionell gestützte Substitution A.3.2.2a enzyklopädisch gestützte Koreferenz A,3.2.2b Ad-hoc-Substituüon
A.5 Rekurrenz von Morphosyntaktlschem A.6 Reim, Metrum u.a.
EU keine Rekurrenz E2 partielle Rekurrenz ^3 globale Rekurrenz [Schema 9] 16
daric (1977) fasst diese Phänomene zusammen unter dem Begriff des Bridging.
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Zu den -Typen im einzelnen: A. l Lexemrekurrenz mit Koreferenz Rekurrent ist das Bezeichnete, das Referenzobjekt, und rekurrent ist die Bezeichnung für dieses Bezeichnete, das Wort oder die Wortgruppe. Wir haben demnach wiederkehrende Wörter, die koreferent sind: Es war einmal eine wunderschöne Prinzessin ... die Prinzessin ... die Prinzessin ... die Prinzessin... Bei rekurrenten Nominalgruppen spielt der Artikel eine markierende Rolle. Gewöhnlich wird ein neues Referenzobjekt mit unbestimmtem Artikel eingeführt und mit bestimmtem wiederaufgenommen. Der bestimmte Artikel hat so zeigende Funktion, er zeigt auf etwas anderes im Text (TextDeixis).17 Die Wortwiederholung verstösst im allgemeinen gegen die stilistische Norm der variatio, kann aber auch als stilistisches Mittel bewusst eingesetzt werden.18 In bestimmten Texten mit streng definierter Terminologie ist die Wortwiederholung bei gemeinter Koreferenz hingegen nötig. A.2 Rekurrenz des Lexems oder des Lexemverbandes mit partieller Koreferenz Rekurrent ist das Wortmaterial, sei es ein Lexem oder seien es Lexeme des gleichen Lexemverbandes (also morphematisches Material). Nicht rekurrent ist das genaue Referenzobjekt, aber mit dem Wortmaterial rekurrieren gewisse Begriffsteile, rekurriert Thematisches o.a. Wir haben also keine Koreferenz im strengen Sinn - das wäre bildlich gesprochen ein referentieller Strick -, aber wir haben dennoch so etwas wie einen referentiellen roten Faden. A.2.l Rekurrenz des Lexems: meine Mutter... deine Mutter... Mütter ... A.2.2 Rekurrenz des Lexemverbandes:19 Mutter ... mütterlich ... Mutterschaft... Mutterbeziehung ... Mutter-Tochter-Verhältnis ... A.3 Koreferenz ohne Rekurrenz von identischen Ausdrücken Rekurrent ist das Referenzobjekt, nicht aber das Wortmaterial. D.h. wir haben wechselnde Wörter, die koreferent sind. Hier gibt es mehrere Unterformen: 17
18 19
Es kann aber auch von Anbeginn weg mit bestimmtem Artikel gearbeitet werden. Der bestimmte Artikel ist eine Anweisung folgender Art: "Du Rezipient kennst das - sei es aus dem Vortext oder sei es aus deiner allgemeinen Kenntnis, die du mitbringst." Neben dem Zeigen auf den Vortext (Text-Deixis) zeigt der Artikel so auch auf das Weltwissen (Wissens-Deixis). Vgl. dazu weiter unten. Zur Relevanz des Weltwissens vgl. systematisch das Kp. 5 "Kohärenz I". - Zum Artikel vgl. z.B. H. Weinrich (1969). Vgl. dazu Kp. 9 "Attraktivität". Zu den Termini Lexem und Lexemverband vgl. Abschnitt 2.1.1. - R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler (1981,60) sprechen von "partieller Rekurrenz".
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A.3.1 Koreferente Proformen. In 'reinster1 Form ist das Referenzobjekt rekurrent, wenn es mit Proformen wiederaufgenommen wird, d.h. mit sprachlichen Zeichen, die selber inhaltsleer sind, die rein verweisend, deiktisch, zeigend sind. Mehrmalige proformige Wiederaufnahme ist dann natürlich eine Art von Lexemrekurrenz bei Koreferenz (also A.l), allerdings Rekurrenz einer leeren Form.20 Übüche weitere Differenzierungen in diesem Bereich sind: i) Funktionsklassen: Was wird mit Proformen ersetzt? Es gibt Pro-Nomen, Pro-Verben und ev. weitere Subklassen nach Wortarten; es gibt beispielsweise Pro-Attribute (ein Mann von Mitte 30 mit Beziehungen und Geld ... ein solcher Mann); wiederaufgenommen werden kann durch eine Pro-Form jedoch auch ein ganzer Satz, ein ganzer Textabschnitt, ii) Formklassen: Was ist die ersetzende Proform? An erster Stelle sind die Pronomen21 (Personalpronomen, Demonstrativpronomen und ev. weitere) zu nennen. Es gibt aber auch verbale Proformen (für Verben: tun, machen), adjektivische Proformen (derartig-, solch-, erstere-, letztere-) und ev. weitere. Zu erwähnen sind auch die Verschmelzungen von Pronomen mit Präpositionen, die Pronominaladverbien oder Konjunktionaladverbien: darüber, deswegen etc. Sie sind mehr als reine Verweisformen.22 Als eine Art Grossform von Proformen kann man einen Typus von Metakommunikation betrachten, mit dem explizit Bezug genommen wird auf andere Textteile (texttopische Metakommunikation): Ich habe weiter oben ... Im folgenden möchte ich (vgl. Kp. 7 "Metakommunikation"). iii) Man unterscheidet anaphorische (rückverweisende) und kataphorische (vorverweisende) Verweise. Im vorliegenden Typus A.3.1 ist Zeigen in einem ändern, radikaleren Sinne zu verstehen als etwa beim zeigenden Moment der LexemRekurrenz und Koreferenz, gelten die Proformen doch als sprachliche Zeichen, die eben nur zeigen und selber nichts bedeuten, die nur qua Zeigen referieren und nicht qua eigenem Inhalt. Wie beim Zeigecharakter des bestimmten Artikels gilt auch bei Proformen: Das Zeigen muss nicht notwendig auf einen Punkt im Text gerichtet sein (Text-Deixis). Proformen können auch aus dem Text hin20 21
22
Hierzu der Klassiken R. Harweg (1968). Vgl. auch R. Meraner (1988) und eine Hut von weiterer Literatur. Man merke, dass ein Pronomen (Formklasse) und ein Pro-Nomen (Funktionsklasse) keineswegs dasselbe ist!
Zu ihnen vgl. auch den Kohäsionsmittel-Typus B weiter unten.
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aus zeigen (Situations-Deixis). Allerdings dürfte es situations-deiktische Proformen in geschriebenen Texten kaum geben; wenn es das gibt, liegt zumeist ein textuelles Problem vor. Proformen können hingegen nicht (?) auf Weltwissen zeigen, wie das der bestimmte Artikel zusammen mit einem Nomen kann. Kleiner Exkurs zum Stichwort Deixis Das Stichwort der Deixis zieht sich durch diverse Untertypen des Typs A der Kohäsionsmittel hindurch; deshalb seien einige Stichworte dazu hier zusammengefasst.23 - Ich unterscheide also drei Deixis-Arten: 1. Text-Deixis, 2. Wissens-Deixis, 3. Situations-Deixis. Die drei Deixis-Arten wären in Beziehung zu setzen zu den drei Arten, die Karl Bühler (1934, Kp. II) unterscheidet: 1. Demonstratio ad oculos, 2. Anaphora, 3. Deixis am Phantasma. - Ich unterscheide diverse Formklassen deiktischer Ausdrücke; im engeren Sinn deiktisch sind Proformen, der bestimmte Artikel und schliesslich auch die 'Hie et nunc'-Adverbien hier, jetzt, heute etc.; ihnen sind in einem funktionalen Sinne ich, du etc. zuzurechnen. - Ich unterscheide des weitern diverse Funktionsklassen von Deixis (worauf wird gezeigt). Damit liessen sich nun Zuordnungen von Formtypen und Funktionstypen sowie Deixis-Arten vornehmen. Zur Frage der Referenzinterpretation von Pronomen vgl. unten ausführlicher. Es stellt sich auch die Frage, ob Proformen referieren, dank dem, dass sie auf anderes im Text zeigen, oder ob sie auf anderes zeigen, dank dem, dass sie referieren.
Der Gebrauch von Proformen anstelle von semantisch vollem Wortmaterial hat v.a. sprachökonomische Gründe; er erlaubt abgekürztes Reden, er erlaubt die zusammenfassende Wiederaufnahme zur thematischen Weiterführung etc. Vom stilistischen Standpunkt aus ist der Proformen-Gebrauch ein Mittel zur Vermeidung störender Wortwiederholung (vgl. Kp. 9 "Attraktivität"). A.3.2 Nicht-proformige Koreferenz. Hier haben eine Rekurrenz des Referenzobjektes bei Substitution semantisch gehaltvollen Wortmaterials durch anderes semantisch gehaltvolles Wortmaterial. Man spricht manchmal von "Paraphrase".24 Im Nominalbereich haben wir auch hier den Artikel als wichtiges Markierungselement (vgl. oben). Man kann wiederum zwischen zwei Typen von Fällen unterscheiden, zwischen denen es allerdings keine klare Grenze gibt; das Problem dieser Begrenzung kann man als das Problem der Grenze der Sprache ansehen (vgl. Kp. 5 "Kohärenz I"): A.3.2.l Koreferenz durch konventionell gestützte Substitution. Gemeint ist eine Substitution durch Zeichen, die sprachsystematisch in einer so gearteten Beziehung zum Substituendum stehen, dass die 23 24
Vgl. auch Fussn. 17. So etwa R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler (1981,62).
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Substitution auch über den konkreten Fall hinaus, d.h. immer, weil konventionell, möglich ist.25 Klassischer Fall ist hier die Substitution eines Unterbegriffs durch einen Oberbegriff: der Hund - das Tier. Man sagt: Hund enthält alle semantischen Merkmale von Tier. Ein anderes Beispiel: Sie schnitt die Büsche, jätete das Unkraut aus, grub die Beete um. Die Gartenarbeit machte ihr Spass.26 A.3.2.2 Substitution, die nicht sprachsystematisch abgestützt ist. Man kann auch hier wieder zwei Fälle unterscheiden: - A.3.2.2.a. die Substitution ist durch enzyklopädische Weltkenntnis abgestützt:27 Diana und Charles ... das königliche Paar - A.3.2.2.b. die Substitution basiert ganz auf der momentanen Sprachverwendungssituation; das Substituens ist ein solches nur in diesem konkreten Fall, und es stellt gerade dank dieser weder sprachsystematisch noch durch enzyklopädische Weltkenntnis abgestützten Beziehung eine zusätzliche Prädikation über das Referenzobjekt dar:28 Diana ... die Prinzessin von ... die Tochter aus gutem Haus ... die freche Göre ... das kleine Monster... A.4 Kontiguität Rekurrent ist Thematisches, Begriffliches (ohne Rekurrenz von Referenzobjekten oder von Wortmaterial). Manchmal spricht man hier von semantischer Kontiguität, was so viel heisst wie "begriffliche Nähe", "inhaltliche Berührung":29 die Prinzessin ... der König ... das Schloss ... Oft werden solche Beziehungen sprachlich hypostasiert als "SemRekurrenz" und dergleichen,30 d.h. als etwas durchaus Sprachsystemati25
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Allerdings ist die Substitution nur möglich und keineswegs zwingend; faktisch kann auch Nicht-Koreferenz vorliegen. Das wird gerne vergessen, und dies nicht zufällig: Die Kohäsionslinguistik sucht den textuellen Zusammenhalt eben in einem sprachlichen Mechanismus und nicht in der Interpretationsleistung des Sprachbenutzers. Vgl. Kp. 5 "Kohärenz I". Dass hier ein referentielles Nomen Verbbedeutungen wiederaufnimmt, denen man üblicherweise keinen Referenzbezug zuspricht, will ich hier einfach übergehen. Jedes Nachfragen führt augenblicklich in ungeheure Schwierigkeiten, die mit der mangelhaften semantischen Theorie zusammenhängen, die hinter dem ganzen Konzept der textuellen Wiederaufnahme und rekurrenten Koreferenz steht Damit sind wir natürlich flugs aus dem heraus, was man noch sinnvoll als Kohäsion, d.h. als sprachlich gestifteten Textzusammenhalt bezeichnen kann. Aber die Kohäsionslinguistik hat diesen Schritt dennoch oft getan. - Das Beispiel enthält übrigens nicht zufällig einen Eigennamen: Eigennamen gelten als inhaltsleer, die Kohäsion durch Koreferenz kann also nicht sprachlich gestiftet sein. Informationstheoretisch gesprochen: Was unerwartet ist, d.h. weder durch Sprachkenntis noch Weltkenntnis vorhersagbar, hat Informationswert. Vgl. dazu auch Kp. 9 "Attraktivität". So für die Textlinguistik offenbar erstmals R. Harweg (1968), der logisch, ontologisch, kulturell und situationell begründete Kontiguitätsrelationen unterscheidet. Vgl. K. Brinker(21988, 35).
Das Stichwort verweist auf das Isotopie-Konzept von A. Greimas (1966). "Sem-
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sches. So schreibt etwa K. Brinker: "Die aufgeführten Gegenstandsbeziehungen [seine Beispiele waren: Stockholm Bahnhof, Giebelhaus - Haustür, MN] sind im heutigen Sprachsystem, d.h. im Sprachbesitz, in der Sprachkompetenz des Sprachteilhabers verankert, so dass man sagen kann, dass dem Ausdruck Stadt in der Sprachkompetenz u.a. das Merkmal 'Bahnhof, dem Ausdruck Haus Merkmale wie 'Haustür', 'erster Stock', 'Wohnzimmer' usw. mitgegeben sind." (Brinker 21988,35)
Zweifellos haben wir es hier mit etwas Zusammenhängendem zu tun; es ist aber m.E. ganz klar, dass das niemals ein sprachlich gestifteter Zusammenhang ist. Mit sprachlich gestifteter Kohäsion hat so etwas nach meinem Dafürhalten nichts zu tun (vgl. Kp. 5 "Kohärenz I"). A.5 Rekurrenz von Morphosyntaktischem Bisher haben wir von Rekurrenz von Referenzobjekten und von 'in ihrem Dienste stehendem' sprachlichem Material gesprochen: Wortmaterial, prototypisch Nomina, oder dann Pro-Formen, prototypisch Pronomina. Nun gibt es in Texten natürlich auch die Rekurrenz grammatischer Phänomene, die Rekurrenz von morphologischen Kategorien oder syntaktischen Kategorien. Das kann sehr vieles sein; Rekurrenz ist in diesem Bereich umso eher zu erwarten, als wir es hier im Unterschied zum lexikalischen Bereich (und dort vorab dem Bereich der Autosemantika; vgl. Abschnitt 2.1.2) mit geschlossenen, endlichen Systemen zu tun haben. Umso vorsichtiger muss man hier aber sein, wenn man die Rekurrenz von Merkmalen als Verweisung und damit als textkonstitutives Moment interpretieren will.31 Subjekt-Prädikat-Kongruenz kehrt in jedem deutschen Satz wieder, hat aber wohl nichts Verweisendes, genausowenig wie die Rekurrenz der Wortklasse Nomen irgendwie kohäsiv ist. Informationstheoretisch kommt als Kohäsionsmittel hier wohl nur das in Frage, was nicht notwendig wiederkehrt. Als stark kohäsiv darf der sogenannte syntaktische Parallelismus angesprochen werden, d.h. die Wiederkehr syntaktischer Muster, und dies wohl umso mehr, je auffälliger ein Muster ist. Zwei Sätze hintereinander mit je einem Akkusativobjekt dürften hier noch kaum ins Gewicht fallen, folgen sich aber zwei Sätze mit gleich auffälliger Topikalisierung, schafft das eine gewisse Kohäsion. Solcher Parallelismus kann ein attraktives rhetorisches Mittel sein, er kann aber auch stilistische Wohlgeformtheitsprinzipien verletzen (vgl. Kp. 9 "Attraktivität"). Eine Negativ-Form zum syntaktischen Parallelismus ist die Ellipse, wo gerade dank diesem syntaktischen Parallelismus Teile einer syntaktischen 31
Rekurrenz" könnte man auch bei A.2.1 und A.2.2 sehen. Die Rekurrenz von derart Morphosyntaktischem entbehrt - im Unterschied zur Rekurrenz im Lexikalischen - jeglicher Koreferenz, ganz einfach deshalb, weil diese Sprachmittel nicht referentiell sind.
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Struktur eingespart werden, was natürlich eine hohe Kohäsivität ergibt. Man stelle sich das vor wie zwei Puzzle-Teile, die ineinander passen. A.6 Reim, Metrum u.a. Zu erwähnen sind Phänomene wie Metrum oder Reim o.a., die in literarischen Textsorten natürlich kohäsiv sind. In nicht-literarischen gibt es das nicht; wo z.B. Reim oder Gleichklang in ungebundener Rede unfreiwillig auftritt, kann er ästhetisch störend wirken.
B.
Verknüpfungsmittel
(Konnektive)^
Zwei oder mehr Text-Teile werden verknüpft durch Verknüpfer, durch Ausdrücke, die speziell um des Verknüpfens willen eingesetzt werden. Verknüpfungsmittel sind logisch gesehen Funktoren mit zwei oder mehr Argumenten. Sie knüpfen Teil-Ausdrücke zusammen zu einem neuen, komplexen Ausdruck: F(x y) Vielen Typen natürlichsprachlicher Ausdrücke kann man Verknüpferfunktion zusprechen. a) So kann man beispielsweise sagen, dass Verben, die zwei und mehr Valenzstellen haben, eine Verknüpfung ihrer Aktanten oder Argumente leisten: In Ich liebe dich verknüpft liebe die zwei Aktanten ich und dich zu einem neuen, komplexen Ausdruck: LIEB(ichidich) b) Ebenso verknüpfen gewisse Adjektive und Substantive: Beispielsweise verknüpft in Ich bin stolz auf dich der Funktor stolz die Argumente ich und dich; ebenso in mein Stolz auf dich: STOLZ(ichidich) c) Auch Präpositionen verknüpfen: In Ölten ist zwischen Bern und Zürich verknüpft zwischen die Aktanten oder Argumente Ölten, Bern und Zürich zu einem neuen, komplexen Ausdruck: ZWISCHEN(olten>bemiZüriCh) Diese Klassen natürlichsprachlicher Zeichen werden jedoch allesamt nicht als textuelle Kohäsionsmittel gehandelt. Offenbar liegt das daran, dass ihr Wirkungsbereich satzintern ist, dass das, was sie verknüpfen, Wörter, Phrasenteile, Phrasen, aber nicht mehr sind. Ich komme auf dieses Abgrenzungsproblem weiter unten zurück. Als Textverknüpfer gelten nur natürlichsprachliche Zeichen der nachstehend aufgeführten Klassen. Zur Terminologie: Ich nenne diese Kohäsionsmittel im folgenden Konnektive, dies im Unterschied zu Konnektoren, welchen Terminus ich für den von Konnektiven intendierten relationalen Gehalt, also für semantische Kategorien und nicht für Ausdrucksmittel, reserviere. Man kann also sagen: Konnektive drücken Konnektoren aus. Die 32
Vgl. hierzu insbesondere T.A. van Dijk (1980a, Kp. 3), J. Pritsche (1982), J. Buscha (1988), E. Rudolph (1988), A. Peyer (1989).
114
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Relation, die ein Konnektor (durch ein Konnektiv angezeigt oder nicht angezeigt) stiftet, heisst Konnexion. Das, was Konnektive verknüpfen, sind Konnekte.33 Zu den Subklassen der Konnektive ist zu sagen, dass hier eine sehr unübersichtliche formale, syntaktisch-distributionelle und semantisch-pragmatische Vielfalt herrscht. Ich beschränke mich auf eine vereinfachende Auflistung der wichtigsten Klassen:34 B.l Subordinierende Konjunktionen bzw. Subjunktionen Klassische Vertreter sind wenn, weil, nachdem, obschon etc. Hervorzuheben gilt es, dass sie eigentlich nur Teilsätze zu komplexen Ganzsätzen verbinden und insofern gar nicht klassische Vertextungsmittel genannt werden können! Dennoch tauchen sie in der Literatur immer wieder als prominente Kohäsionsmittel auf. Das liegt an ihrer funktionalen Verwandtschaft mit den nachstehenden Subklassen. B.2 Koordinierende Konjunktionen oder Konjunktionen i.e.S. Typische Vertreter sind und, oder, denn, aber etc. Hier verbergen sich allerdings diverse Kategorien, die man bei genauerem Hinsehen auseinanderhalten sollte. Gemeinsam sind diesen Wörtern zwei negative Eigenschaften, die sie von den ändern Subklassen unterscheiden: a) Sie leiten nicht syntaktisch subordinierte Teilsätze ein (wie B.l). b) Sie haben nicht Satzglied-Status (wie B.3). Einige Vertreter dieser groben Subklasse sind an den Anfang von Teilsätzen gebunden (z.B. denn), andere sind syntaktisch sehr viel freier verwendbar und verknüpfen so auch nicht nur Teilsätze, sondern auch Satzglieder, Satzgliedteile, aber auch syntaktisch selbständige Ganzsätze. Einige Vertreter dieser Subklasse (doch, auch u.a.) können auch SatzgliedStatus haben - wobei sich damit ev. auch ihr Sinn ändert: ..., doch er hat... -..., doch hat er... -..., hat er doch ... B.3 Konjunktionaladverbien, Pro(nominal)adverbien und weitere Typen von Adverbien Vertreter: also, ausserdem, deshalb, darüber, damit, allerdings etc. Im Unterschied zu den Vertretern der Subklasse B.2 haben diese Wörter Satzglied-Status. Sie enthalten oftmals auch ein verweisendes Element und könnten deshalb genausogut unter dem Kohäsionstyp A aufgeführt werden. 33
34
Diese terminologische Regelung steht im Einklang mit J. Pritsche (1982) und R. Pasch (1987). Vgl. hierzu auch ausführlicher meine Abschnitte 6.1.1 und 6.2. Andere Autoren nennen das Konnektoren, was ich hier Konnektive nenne. Die Rede ist auch von der Junktion und den Junkloren oder Junkfiven oder von der Konjunktion und den Konjunkturen etc. Wie immer ist die Terminologie extrem uneinheitlich. Vgl. hierzu detaillierter P. v. Polenz (1985,265ff.), A. Peyer (1989).
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B.4 Es gibt auch verknüpfende Metakommunikation (vgl. Kp. 7 "Metakommunikation", allerdings kaum ohne verweisendes Element: das ist der Grund, weshalb ich ...; als Folge davon ... In den Subklassen B.l und B.2 gibt es einige paarige und mehrteilige Vertreter: nicht nur - sondern auch', sowohl - als auch\ entweder - oder; zwar - aber etc. Die Einheitlichkeit und die Grenzen der Klasse der Konnektive ist sehr schwer zu sehen. Es gibt hier so lange keine Klarheit, als nicht Klarheit darüber besteht, wo die Grenzen der Kohäsion zu suchen sind. C.
Textstrukturierende Mittel ('Organisatoren')
Mit textstrukturierenden Mitteln sind Kohäsionsmittel gemeint, die neben (anstelle von oder zusammen mit) den graphischen Mitteln der Absatzgliederung, Einrückung, Spiegelstrichen etc. (vgl. Kp. 3 "Schrift") der Textgliederung dienen. Es sind alphanumerische Mittel wie 1. ... 2. ...; erstens ... zweitens ...; zum einen ... zum ändern ...; einerseits ... andererseits ...; a) ... b)... Es gibt auch für diesen Typus den Grenzbereich spezifischer Metakommunikation (vgl. Kp. 7 "Metakommunikation"): Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt:... Durch ihre Mehrteiligkeit kommt den textstrukturierenden Mitteln auch ein verweisendes Moment zu: Wo ein erstens ist, muss auch ein zweitens sein. Auch die Abgrenzung gegenüber den Konnektiven dürfte nicht immer klar sein. D.
Textuelle Einpassung ("textual fit"ps
Unter dem Begriff der Kohäsionsmittel werden manchmal auch Eigenschaften von Sätzen geführt, die in dem Masse, in dem sie in der faktischen Verwendung der Sätze zu einer besonders guten oder besonders schlechten Einpassung der Sätze in das kontextuelle Umfeld führen, auch erst aus diesem Umfeld heraus richtig beschrieben werden zu können scheinen. D. l Fokus-Hintergrund-Gliederung (FHG). Ich erinnere hier an die Ausführungen im Abschnitt 2.1.2 zu einem bestimmten pragmatischen Potential, das Sätzen insbesondere durch die sogenannte Fokus-HintergrundGliederung FHG zukommt.36 Die FHG von Sätzen (früher v.a. "Thema-Rhema-Gliederung" genannt) taucht in älteren kohäsionslinguistischen Arbeiten deshalb immer auf, weil 35 36
So N.E. Enkvist, z.B. (1989b, 373). Vgl. dort auch den Hinweis auf einschlägige Literatur.
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es sich hier um eine Eigenschaft von Sätzen handelt, die für eine streng satzgrammatisch ausgerichtete Theorie besonders schwer in den Griff bekommen zu sein scheint. Neuere grammatische Arbeiten sehen die Sache allerdings leicht anders: Die FHG als solche ist durchaus satzintem beschreibbar. Aus ihr folgt ein bestimmtes pragmatisch-textuelles Potential für den betreffenden Satz, und was sich erst mit einem Blick auf den Text entscheiden lässt, ist einzig die Frage, ob eine konkrete Verwendung eines so spezifizierten Satzes textuell gelungen ist oder nicht. Wenn sie gelungen ist, wenn ein Satz mit seiner FHG gut in die Abfolge mit ändern Sätzen passt, dann ergibt das zweifellos einen bestimmten Eindruck hoher Kohäsivität. D.2 Tempus. Oftmals wird im Zusammenhang von morphosyntaktischen Kohäsionsmitteln Tempus (für andere Sprachen auch: Aspekt) erwähnt.37 Vermutlich ist das der bekannten Arbeit von Harald Weinrich (1964) zu verdanken, in der er die Tempuswahl als eines jener sprachlichen Phänomene beschreibt, deren reguläres Auftreten erst von einer Warte über dem einzelnen Satz, also textuell erfasst werden kann, und zwar deshalb, weil ein Tempus nicht für sich etwas bedeutet oder markiert, sondern immer erst im Verband mit ändern Tempora in ändern Sätzen. Es fragt sich aber hier, ob Tempus in dem Masse, in dem es nur textuell expliziert werden kann, auch kohäsionsstiftend ist. Manchmal wird gesagt, Tempus markiere die Zeitstruktur im Referenzobjekt (Vorzeitigkeit, Nachzeitigkeit, Gleichzeitigkeit) und hole damit einen Zusammenhang dieses Referenzobjektes (z.B. die temporale Struktur einer Geschichte) als Kohäsion in den Text hinein.38 Tempus hat in diesem Sinne auch - wie lexikalische Sprachmittel - einen referentiellen Aspekt. Aber natürlich müsste man dann sämtliche Sprachmittel, die zum Aufbau eines geordneten Referenzobjektes beitragen, als Kohäsionsmittel ansprechen. Man könnte Tempus schliesslich auch schlicht unter dem Gesichtspunkt der Rekurrenz (morphosyntaktischer Merkmale) als kohäsionsstiftendes Mittel führen. Was ist aber das Kohäsive an einem Präteritum, das über Seiten hinweg geht?
37 38
Zu Tempus und Aspekt als textkonstitutive Momente vgl. K. Dorfmüller-Kaipusa (1988). Stichwort: ordo naturalis. Vgl. dazu Abschnitt 6.6.
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4.3 Resümierende Frage nach der Gemeinsamkeit und der Textspezifik der Kohäsionsmittel Ich greife die drei am Ende von Abschnitt 4.1 angeführten Leitfragen wieder auf: a) Inwiefern ist die angebliche Kohäsionsleistung, die die Kohäsionsmittel erbringen, eine sprachliche Leistung bestimmter Sprachmittel? b) Gibt es ein gemeinsames Kohäsives, Kohäsionsstiftendes aller sogenannten Kohäsionsmittel? c) Gibt es eine Textspezifik dieser Kohäsion, d.h. etwas, was diese Kohäsionsmittel beispielsweise von satzstiftender 'Kohäsion' unterscheidet? Und weiter: Begründet ein derart textspezifischer Kohäsionsbegriff einen Bereich der textuellen Korrektheit (der Richtigkeit oder Angemessenheit) und des textuellen Verstosses (des Fehlers oder der Unangemessenheit)? Gibt es eine spezielle textgrammatische Domäne neben und klar abgegrenzt von der Satzdomäne? (vgl. Kp. 2 "Grammatik") Ich denke, dass die Vorstellung der verschiedenen Kohäsionsmittel und Kohäsionstypen deutlich gemacht hat, dass von einem einheitlichen Begriff der Kohäsion, der über so etwas wie 'textueller Zusammenhalt' hinausgeht, nicht die Rede sein kann. Einige der sogenannten "Mittel" der Kohäsion erwiesen sich überdies, was ihren Status als sprachliche Mittel der Kohäsionsstiftung anbelangt, als höchst prekär. Ich habe das jeweils mit Verweisen auf das Kp. 5 "Kohärenz I" angezeigt. Damit möchte ich die zweite der obigen Fragen negativ beantworten und die Beantwortung der ersten Frage auf das folgende Kp. 5 "Kohärenz I" verschieben. Was nun die dritte Frage betrifft, ist vorab zu erwähnen, dass verschiedene Autoren den Begriff der Kohäsion explizit nicht auf die textuelle Domäne beschränken, sondern von Kohäsion auch innerhalb eines Satzes und gar eines Teilsatzes sprechen.39 Es ist deshalb naheliegend anzunehmen, dass Kohäsion, spezifisch als Textzusammenhang, als Textmörtel' verstanden, kein kategorial eingrenzbarer Begriff ist, sondern einfach bestimmt wird a) über die Domäne, in der er wirkt b) über die Mittel, mit denen er wirkt. Beides hängt eng zusammen, und beides ist als Definition unbefriedigend. Werfen wir einen Blick auf die unterschiedlichen Kohäsionsmittel, und fragen wir nach ihrer Wirkungsdomäne: 39
So namentlich R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler (1981, 50ff.) oder auch H.-M. Dedenting (o.J, 10).
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A. Verweismittel, Zeigemittel (mit Rekurrenz) Es ist trivial, dass die Tatsache der Wiederkehr von etwas in mehreren Sätzen nur einem Blick auf diese mehreren Sätze aufgehen kann, dass Konferenz von Elementen verschiedener Sätze nur beschrieben werden kann, wenn diese verschiedenen Sätze in den Blick genommen werden. Es ist jedoch so, dass Koreferenz und Rekurrenz und das Zeigen nicht prinzipiell textspezifisch sind; diese Phänomene lassen sich alle auch innerhalb eines Satzes, auch innerhalb von Teüsätzen finden. Richtig ist, dass sie sich auch zwischen verschiedenen Sätzen finden, und richtig ist wohl, dass sie im Bereich zwischen Sätzen ein prominentes Mittel der Kohäsionsstiftung darstellen. Wie ich unten am Beispiel der Pronomen kurz ausführen werde, ist jedoch der Meinung, es Hessen sich für das Problem der Koreferenz strikte Regeln im Sinne einer Textgrammatik formulieren, mit Skepsis zu begegnen. B. Verknüpfungsmittel (Konnektive) Hier ist das Bild so: Koordinierende Konjunktionen verknüpfen auch innerhalb eines Teilsatzes Phrasen und Phrasenteile, sie verknüpfen Teilsätze, Ganzsätze, und sie verknüpfen schliesslich auch grosse Textteile, Abschnitte etc. Gleiches gilt von den adverbialen Konnektiven; sie verknüpfen allerdings nicht syntaktisch, sondern nur semantisch. Subordinierende Konjunktionen verknüpfen lediglich Teilsätze. Ginge es nur nach ihnen, so läge hier wohl kein Textkohäsionsmittel vor, denn Relativpronomen beispielsweise (oder auch dass als die wichtigste Konjunktion für die "Inhaltsbeziehungen") gelten niemals als Kohäsionsmittel, obwohl sie Teilsätze, aber eben nur solche, und solche primär syntaktisch verknüpfen. Die subordinierenden Konjunktionen gelangen in den Rang von Kohäsionsmitteln - so die These, weil sie a) "starke Verwandte" im Zwischen-Satz-Bereich haben, die koordinierenden Konjunktionen und die Adverbien b) und weil sie wie diese für Konnektoren (inhaltliche Relatoren) stehen, Konnektoren 'ausdrücken', die auch und vor allem zwischen ganzen Sätzen und noch grösserem stehen und die auch (implizit) 'da' sind, wenn Konnektive ganz fehlen.40 Das Kohäsionsmittel der Konnektive entpuppt sich hier also als ein versteckt semantischer Begriff, ist also kein 'textsyntaktischer1 Begriff. Und wiederum gilt, dass das Mittel nicht ausschliesslich textspezifisch genannt werden kann, wenngleich es prominenterweise im Zwischen-Satz-Bereich zu Hause ist. C. Textstrukturierende Mittel (Organisatoren1) Auch sie können durchaus innerhalb eines Satzes wie auch über die Satzgrenzen hinaus wirksam sein. D. Textuelle Einpassung ("textual fit") Hier ist v.a. zu sagen, dass die Bezeichnung Kohäsionsmittel problematisch ist, denn es wird ja nicht etwas Zusätzliches aufgewandt, um zu vertexten, sondern die Vertextung gelingt durch Einpassung. Der Effekt einer FHG lässt sich satrintem sehr wohl beschreiben, und es lässt sich satzgrammatisch sogar ein bestimmtes Vertextungspotential beschreiben. Lediglich der Effekt selber wirkt sich immer erst im Zusammenspiel mit ändern (Teil-)Sätzen aus, und die Frage der faktischen Einpassung in der konkreten Verwendung lässt sich selbstredend nicht mehr satzgrammatisch erfassen. Gleiches gilt vom Tempus.
40
Vgl. hierzu genauer die Abschnitte 6.1.1 und 6.2.2.
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Mein Fazit: a) Textkohäsionsmittel - das hat meine Aufstellung hoffentlich gezeigt haben nicht wirklich etwas ganz Spezifisches gemeinsam: Sie zeigen lediglich alle einen - im einzelnen immer wieder anderen - Zusammenhalt zwischen Teilausdrücken eines grösseren Teilausdrucks an.41 b) Den meisten Textkohäsionsmitteln ist nicht der Bereich zwischen Sätzen als ausschliesslicher Wirkungsbereich vorbehalten, sie wirken auch innerhalb von Sätzen. c) Schliesslich entscheidet letztlich darüber, ob etwas ein Kohäsionsmittel genannt wird oder nicht, nicht so sehr eine ausdrucksseitig-'syntaktische' Verknüpfungsleistung, sondern eine 'inhaltliche' Verknüpfungsleistung. Dieser letzte Punkt scheint mir für symptomatisch dafür, dass mit der Satzgrenze eine prinzipielle Grenze für ausdrucksseitigen Zusammenhalt erreicht ist, dass jenseits dieser Grenze der Zusammenhalt ein kategorial anderer ist. Ich finde es deshalb sehr problematisch, jeglichen Zusammenhalt Kohäsion zu nennen.42 Den Zusammenhalt innerhalb eines Satzes stiftet ein grammatischer Mechanismus der Valenz oder Selektion. Ausserhalb des Satzes ist solch grammatische Integration nicht mehr gegeben, Integration ist dort eine ganz andere Angelegenheit, und ich halte es für falsch, in sogenannten Kohäsionsmitteln grammatische Mittel zu suchen, die in gleicher Weise einen intersententiellen Zusammenhalt stiften sollen, wie dies die grammatischen Mechanismen innerhalb des Satzes (intrasententiell) tun. Ein letztes Wort zur "Satzgrenze": Die Grenze, wo die 'Kohäsionsmittel1 andere werden, ist eher die Grenze des Teilsatzes (clause), wenngleich natürlich nicht zu leugnen ist, dass das, was traditionellerweise "zusammengesetzter Satz" heisst, noch ein grammatisches Phänomen ist. Jedenfalls ist der Ganzsatz (sentence) keine grammatische Grosse mehr, sondern eine semantisch-pragmatische Grosse.43 Es ist v.a. auch eine Grosse der geschriebenen Sprache; in gesprochener Sprache sind Ganzsatzgrenzen undeutlich (vgl. die Abschnitte 2.5 und 3.2). Ich will die Frage nach der Spezifik einer grammatischen Textdomäne in Abgrenzung zur Satzdomäne auch im folgenden letzten Abschnitt noch einmal - von einer ändern Seite - angehen, unter der Fragestellung, ob es, so wie es Satzbaufehler gibt, auch Textbaufehler gibt.
41 42 43
Ich sage bewusst nicht: sie "stiften" den Zusammenhang. Vgl. Kp. 5 "Kohärenz I". Vgl. Fussn. 39. Das sieht auch K. Brinker (21988, 21ff.) so.
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4 Kohäsion
4.4 Was kann als Textbaufehler gelten? Wieviel Kohäsion braucht ein Text? Ich diskutiere im folgenden einige mögliche Korrektheitsprobleme (Fehler oder Unangemessenheiten) im Zusammenhang mit Kohäsionsmitteln, die ersteren nur ganz kurz, das letzte etwas ausführlicher.44 Ein erster sehr wichtiger Befund scheint mir der zu sein, dass von einem textuellen Fehler niemals dann gesprochen werden kann, wenn ein Kohäsionsmittel fehlt, sondern höchstens dann, wenn ein Kohäsionsmittel inadäquat gebraucht wird. Eine Ausnahme sind hier höchstens paarige und mehrteilige Kohäsionsmittel (zwar ohne aber, erstens ohne zweitens). Das scheint mir ein wichtiger Hinweis darauf zu sein, dass wir es hier mit etwas kategorial anderem als Grammatischem im eigentlichen Sinne zu tun haben. a) Verknüpfungsmittel/Konnektive Natürlich kann es bei der Verwendung von Konnektiven zu grammatischen Fehlem kommen, sei es im Satzbau45 oder sei es, dass ein Konnektiv offensichtlich semantisch falsch gebraucht wird.46 Spezifische textuelle Inkorrektheiten sind das aber nicht. Es ist auch sehr schwer zu sagen, wieviel Konnektive ein Text braucht. "Je mehr, desto besser" scheint auf den ersten Blick nicht falsch, kann aber zu Schwerfälligkeiten führen, kann den Rezipienten entmündigen (vgl. Kp. 9 "Attraktivität"). b) Textstrukturierende Mittel ('Organisatoren') Ein einerseits ohne ein andererseits kann als Fehler angesehen werden. Ein zweitens ohne ein explizites erstens ist dies nicht unbedingt, sondern nur dann, wenn unklar ist, was im Text "erstens" war. So etwas ist natürlich nicht ein Fehler, sondern eine mehr oder weniger grosse Unangemessenheit. Auch hier lässt sich nicht allgemein sagen, wieviel textstrukturierende 44
45
46
H.-M. Dederding (o.J. 17ff.) diskutiert, was als Kohäsionsfehler gelten soll, und bietet auch empirische Ergebnisse eigener Fehleranalysen an Schülertexten. In dieser Arbeit ist allerdings noch alles sehr 'im Fluss1; diverse Beispiele vermögen mich nicht zu überzeugen. Beispielsweise ein um zu-Anschluss ohne Subjektsgleichheit, vgl. das berühmte Beispiel von K. Bühler (1934, 24): "Ich denke, es war ein guter Griff Platons, wenn er im Kratylos angibt, die Sprache sei ein Organum, um einer dem ändern etwas mitzuteilen über die Dinge." So etwas ist als syntaktischer Fehler zu werten. Hier verweise ich beispielsweise zurück auf Abschnitt 2.4, wo ich H. Sitta zitiert habe: "..., wo eine Begründung durch (instrumentales) dadurch, dass bzw. dadurch oder durch statt durch (kausales) weil bzw. deshalb eingeleitet wird, was in Schüleraufsätzen - aber auch sonst - heute auffällig oft zu beobachten ist." (1986, 153f.) Hier handelt es sich, wenn überhaupt um Fehler, um semantische Fehler.
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Mittel einem Text guttun und welches Mass zu viel oder zu wenig ist. Wie immer ist das stark textsortenabhängig (vgl. Kp. 8 "Textsorten"). c) Textuelle Einpassung ("textual fit") i) FHG: Eine Inkorrektheit ist hier eindeutig erst textuell auszumachen, wenngleich die FHG selber satzintern - als bestimmtes Vertextungspotential - beschrieben werden kann (vgl. Abschnitt 2.1.2). In der Aufsatzkorrektur-Praxis wird eine unpassende FHG gewöhnlich als Satzbaufehler markiert. Das ist zumindest irreführend, eigentlich sogar falsch, weil die Auffälligkeit dadurch mit wirklichen syntaktischen Verstössen in einen Topf geworfen wird, mit denen sie jedoch nichts gemein hat. Von Fehlern kann man bei unpassender FHG wohl niemals reden; es gibt aber mehr oder weniger starke Unangemessenheiten, wie es umgekehrt auch Fälle besonders gelungener textueller Einpassung gibt. ii) Tempus: Hier lässt sich von Fehlern reden bei kontextueller NichtEinpassung des Tempus. Man kann das aber ebenso gut einen synsemantischen wie einen textuellen Fehler nennen. d) Verweisung mittels semantisch voller Wörter Meine obigen Ausführungen sollten deutlich gemacht haben, dass solche Verweisung einerseits auf der konventionellen Semantik der Wörter beruht (A.3.2.1), andererseits auf das Vorwissen der Textrezipienten baut (A.3.2.2.a) und drittens auf kontextuell-situative Stützen (A.3.2.2.b), wobei Abgrenzungen hier sehr heikel sind.47 Zu eigentlichen Fehlern kann es nur im ersten Fall kommen, wenn also beispielsweise sich Tier auf vorangehendes Geranium beziehen soll - aber so etwas kommt in der Sprachwirklichkeit wohl nicht vor. Falsch nennen kann man allenfalls was vorkommen dürfte - eine Wiederaufnahme wie Tier ... Hund. Hier liegt genau genommen eine unzulässige Präsupposition vor. Mit Präsuppositionsproblemen haben wir es in diesem Bereich generell zu tun, mit der Frage also, wieviel als mitgesagt und mitverstanden gelten darf, wenn etwas Bestimmtes explizit gesagt wird, oder mit der Frage, auf welchen Referenzpunkt ohne Einführung direkt mit bestimmtem Artikel 'gezeigt' werden darf, wo also auf präsentes Weltwissen gebaut werden darf.48 Generell haben wir bei Präsuppositionen mit Angmessenheits- und kaum mit Richtigkeitsnormen zu tun. Ich komme bei der Besprechung des folgenden letzten Punktes auf das Präsuppositionsproblem zurück.
47 48
Abgesehen davon, dass namhafte Linguisten eine konventionell feste und damit sprachsystematische Semantik ohnehin für ein Phantom halten. Vgl. Kp. 5 "Kohärenz I" sowie A. Linke/M. Nussbaumer (1988).
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Verweisung ist in einem Text, der den Namen Text verdient, unvermeidlich; zu einem 'Mehr oder weniger' ist hier gar nicht zu raten, allenfalls zur Art der Verweisung. Verweisung mittels semantisch voller Wörter (im Unterschied zu Proformen) hat immer ein Moment der zusätzlichen Prädikation, sie ist dadurch nicht nur variationsreicher, sondern in bestimmter Weise auch sprachökonomisch (man nimmt etwas wieder auf, sagt damit aber zugleich etwas darüber aus), sie ist jedoch gerade in diesem Punkt gefährlich, weil man vielleicht zu 'nebenbei1 prädiziert, und sie läuft Gefahr, dass die Verweisung nicht erkannt wird. In Fachtexten ist die Wortvarianz gefährlich. e) Verweisung mittels Pronomen Proformen bedeuten nicht selber, sondern sie verweisen nur, sie zeigen nur, zeigen in einem strengeren Sinn als andere Verweisformen. Das haben sie gemeinsam mit dem bestimmten Artikel und gewissen deiktischen Adverbien ('Hie et nunc'-Adverbien). Prominenter Vertreter von Proformen sind die Pronomen. Um sie geht es im folgenden. Entweder zeigen Pronomen auf anderes im textuellen Umfeld, im Kontext (Text-Deixis). Oder Pronomen zeigen auf Punkte ausserhalb des Textes, auf Objekte in der Situation (Situations-Deixis). Den dritten Deixis-Typ, das Zeigen auf Weltwissen (Wissens-Deixis), kann es - so vermute ich wenigstens - mit Pronomen nicht geben. Im folgenden geht es nur um die erstere Zeige-Art (Text-Deixis). In schriftlichen Texten dürfte es - von Ausnahmen, etwa einer Gebrauchsanweisung, die auf eine Zeichnung verweist o.a., abgesehen - nur diese Zeige-Art geben (oder sollte es zumindest nur diese geben - das ist also bereits eine Norm). Pronominale Verweise sind in Texten unvermeidbar. Es hat auch hier keinen Sinn, zu einem 'Mehr oder weniger' zu raten. Wichtig ist die Güte der pronominalen Verweisung. So kommt R. Meraner (1988) in einer eigenen kleinen Fehleranalyse an Aufsätzen eines 7. Schuljahres einer Mittelschule im Südtirol zum interessanten Befund, dass im Zusammenhang mit Pronomen insgesamt relativ wenig Inkorrektheiten auftreten, dass solche aber - wo es sie überhaupt gibt - ganz besonders gehäuft in argumentativen Texten zu finden sind. R. Meraner: "Den Grund dafür sehe ich vor allem darin, dass der Umfang der Pronomen, den die Schüler zur Herstellung von argumentativen Texten brauchen, um einiges grosser sein dürfte als der, den sie für erzählende Texte benötigen. Die Erzählungen sind meist durchgehend in der Ich- oder Er-Perspektive geschrieben. Die Personal-, Possessivund Relativ-Pronomen, die dafür hauptsächlich gebraucht werden, bereiten den Schülern kaum Schwierigkeiten. Beim Schreiben von argumentativen Texten kommen die Schüler aber meistens mit diesen nicht aus, in weit höherem Masse sind sie vielmehr auf die Verwendung von Demonstrativ-, Interrogativ- und Indefinitpronomen angewiesen. Im Umgang mit diesen Formen sind aber viele Schüler noch etwas unsicher. Dazu kommt, dass in argumentativen Texten die Wiederaufnahmen komple-
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xer sind, weil Pronomen nicht nur für Personen und Gegenstände eingesetzt werden, sondern sich oft auf Gedanken, Meinungen, Äusserungen beziehen und damit häufiger Teilsätze oder ganze Sätze ersetzen oder auf sie verweisen." (Meraner 1988, 70)
Das scheinen mir sehr plausible Hypothesen zu sein. Nun zur Frage der Referenz von Personalpronomen.49 Grammatische Regularitäten stecken einen einigermassen klaren Rahmen der grammatisch möglichen Pronominal-Referenz ab. Zweierlei Faktoren spielen dabei eine Rolle: a) die morphologische Kongruenz (Numerus und Genus) b) die syntaktische Konfiguration. Das sind Grundlagen für ziemlich eindeutige Fehler: a) Ein solcher liegt etwa vor bei Numerus- oder Genus-Inkongruenz zwischen Pronomen und intendiertem Bezugsglied. Allerdings gibt es selbst hier Zweifelsfälle: i) Die Genus-Kongruenz kann durch Sexus gestört werden: das Mädchen - sie. ii) Die Numerus-Kongruenz kann ev. Übergängen werden beim Wechsel zwischen einem generischen Singular für die Klasse und dem Plural für die Menge der Exemplare der Klasse: der Bartgeier sie. iii) Schliesslich ist es auch zu kurz gegriffen, wenn man die folgenden Fälle einfach als Fehler infolge Inkongruenz interpretiert (Meraner 1988,70): "Man will nie arbeiten gehen, denn sie gefällt dir ja nicht." "Hallo Iris! Stell dir vor, in unserer Klasse ist eine neue Schülerin. Sie heisst... Sie ist eine gute Schülerin, sie spricht nicht besonders gut Deutsch, und Italienisch kann sie überhaupt nicht. Sie haben das Nachbarhaus gekauft."
Mir scheinen hier Fälle vorzuliegen, die sehr viel komplizierter gelagert sind, als dass sie einfach Fehler genannt werden könnten: Fälle von zu grosser Präsupposition etwa: arbeiten —> (die Arbeit) — > sie; Iris --> sie --> (ihre Familie/Eltern) —> sie. Oder Fälle leichter Verschiebungen in der Textperspektivierung, Textadressierung: man -> du. b) Die syntaktische Konfiguration scheint ebenfalls einigermassen strikte Grenzen zu setzen, Grenzen für das, was an Pronominal49
Vgl. z.B. P.E. Pause (1984), C. Eschenbach u.a. (1990), J. Müsseler/G. Rickheit (1990). Spezielle andere Regeln gibt es z.B. für die Referenz von DemonstrativPronomen wie dies-Jen-.
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referenz notwendig, möglich oder ausgeschlossen ist. Hier verweise ich einfach auf entsprechende Ausführungen zum Stichwort "Bindungstheorie" etwa in G. Fanselow/S. W. Felix (1987/11,93-113). Durch die beiden grammatischen Faktoren der Kongruenz und der Konfiguration ist die Referenz von Pronomina nun zumeist grammatisch unterdeterminiert, d.h. im Rahmen des grammatisch Möglichen sind in der Regel mehrere Referenz-Lesarten zugelassen. Berücksichtigt man die Situations-Deixis (in mündlichen Texten), sind es theoretisch gar unendlich viele. Dennoch funktioniert bei 'normalen1, 'wohlgeformten' Texten die Interpretation der Pronominal-Referenz (ich spreche jetzt aus der Rezipienten-Perspektive!) gewöhnlich problemlos. Dazu muss es demnach weitere determinierende Faktoren geben. Diese sind - nebst den genannten morphologischen und konfigurationellen - als eine Reihe von Prinzipien fassbar (vgl. P. E. Pause 1984): a) das Nähe-Prinzip: Koreferenz mit möglichst naheliegendem ändern referentiellen Ausdruck b) Präferenz für Koreferenz mit dem Subjekt des aktuellen oder vorausgehenden Satzes c) Prinzip der Rollenträgheit: Antezedenskandidaten in der gleichen thematischen Rolle (Agens, Patiens, Instrumental etc.) wie das Pronomen werden bevorzugt d) Präferenz für das Thema des aktuellen oder vorausgehenden Satzes ("Thema" im Sinne der Thema-Rhema-Gliederung; im Sinne der FHG müsste man von Fokus reden) e) Präferenz für ein Antezedens, das die Konsistenz des Textes am besten wahrt; d.h. Präferenz für eine Interpretation, die 'Sinn macht', eine Textwelt ergibt, die mit dem Weltbild des Vorwissens in Einklang steht.50 Die genannten Prinzipien spielen bei der rezeptiven Text-Interpretation in komplizierter Weise zusammen. Sie haben unterschiedliches Gewicht. Es sind immer mehrere Prinzipien mit ihrem spezifischen Gewicht einschlägig. Hinzu kommt, dass bei on-line-Verarbeitung51 die Indikatoren unterschiedlich zugänglich sind, d.h. einige wirken schon im Moment des Auftauchens der Proform, andere z.B. erst nach Abschluss des Satzes oder gar erst Sätze später. Die Prinzipien mit ihrem spezifischen Gewicht und ihrer unterschiedlichen Zugänglichkeit im Moment der Pronomeninterpretation führen zu einer Kumulation von 50 51
Zu dieser Art meines Redens vgl. die ausführliche Begründung im Kp. 5 "Kohärenz I". Vgl. Abschnitt 5.4: On-line-Verarbeitung heisst: Es wird fortlaufend verarbeitet, was an Input anfällt, es wird z.B. nicht gewartet, bis ein Satz fertig gelesen ist, bis er verarbeitet wird.
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Interpretationsindikatoren. Diejenige Interpretation, die am meisten Indikatoren auf sich vereinigt, schwingt oben aus. P. E. Pause (1984) fasst dieses "Kumulationsprinzip" in eine Maxime für den Textproduzenten und in eine Maxime für den Textrezipienten (Anapher steht für Pronomen, Antezedens für das textuelle Element, auf das sich das Pronomen bezieht): Für den Produzenten: "Verwende eine Anapher stets in der Weise, dass der Adressat aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen das Antezedens hinreichend sicher erschliessen kann!" Für den Rezipienten: "Wähle als Antezedens für eine Anapher stets den Kandidaten, auf den sich die meisten Faktoren mit der höchsten Gewichtung kumulieren lassen!" (Pause 1984,47)
Diese kumulativen Prinzipien begründen eindeutig Normen der grösseren oder kleineren Angemessenheit der Pronomenverwendung innerhalb der dichotomischen Grenzen der Grammatikalität. Es lassen sich grob drei Gütestufen für die Pronomenverwendung in Texten formulieren. a) Eine Pronomenverwendung ist tadellos, wenn die Pronomen nach dem Kumulationsprinzip verwendet wurden, d.h. so verwendet wurden, dass ihre Interpretation nach dem Kumulationsprinzip auf die Interpretation führt, die tatsächlich gemeint war. b) Eine Pronomenverwendung ist anstössig, aber reparierbar, wenn die Interpretation nach dem Kumulationsprinzip auf eine falsche Interpretation führt, jedoch so, dass man die Falschheit bemerkt und durch leichte Retuschen an der Kumulierung (dem Prinzip eigentlich zuwiderlaufend) auf die richtige Lösung gelangt. Typische Beispiele sind hier die Fälle, die man gewöhnlich "Stilblüten" nennt. Zwei Beispiele von P. E. Pause: i) "An den Chef der 3. Kompagnie! Ich habe mich drei Jahre zu den Soldaten verpflichtet. Jetzt werde ich Vater. Kann ich das noch rückgängig machen?'"52 ii) "Wir bezeugen ebenso unsere Hochachtung vor jenen, die unter Einsatz ihres Lebens den Ghetto-Bewohnern geholfen haben, aus dem Inferno zu entkommen. Sie alle stritten für die Würde des Menschen. Vergleichbares darf nie wieder geschehen."53
Gemäss einer Differenzierung, die ich in Abschnitt 6.5.1 vornehmen werde, könnte man hier von beeinträchtigter "Textvordergrundslogik" bei intakter "Texthintergrundslogik" sprechen. 52
53
Dieses Beispiel findet sich auch bei R. Meraner (1988, 70) wieder. Es ist aus der bekannten Stilblüten-Sammlung von Emil Waas (Hg.): Es fängt damit an, dass am Ende der Punkt fehlt. München 1973. Bundeskanzler Helmut Kohl zum Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto, 4.5.1983.
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c) Eine Pronomenverwendung ist anstössig und auch nicht reparierbar, i) in Fällen, wo mehrere Interpretationen möglich sind, ohne dass eine davon deutlich favorisiert würde, ii) oder aber in Fällen, wo keine klare Interpretation möglich ist, wo ein Pronomen ins Leere zeigt ("Irrläufer"). Ein Beispiel für den ersteren Typ (Beispiel von P. E. Pause): "Rank Xerox unterstützt den Kunden bei der Arbeit am System, soweit es seine Ressourcen zulassen."
Den zweiten Typus (den Typus "Irrläufer") kann man nicht so leicht illustrieren. Gerade ihn findet man aber sehr oft, etwa ein dies, das in ganz unklarer Weise irgendetwas im vorangehenden Text aufgreift.54 Dem hier vorgestellten Kumulationsprinzip von Pause (1984) möchte ich gerne grundsätzlichen Modellcharakter für Prozesse des Verstehens von Textelementen zuerkennen, die mehrere Interpretationsmöglichkeiten bieten, und damit Modellcharakter für die Formulierung von Normen im Umgang mit solchen Elementen, Modellcharakter für die Formulierung von Gütekriterien für Texte bezüglich solcher Elemente, und Modellcharakter für eine Taxonomie der Abweichungen von den Normen, der Inkorrektheiten, seien es Fehler oder Unangemessenheiten. Was könnten solche Textelemente sein? Hier ein kleines Angebot: a) Prinzipiell Elemente aus dem lexikalischen Bereich, denkt man an die grundsätzliche semantische Vagheit und Mehrdeutigkeit von lexikalischen Einheiten (Autosemantika). b) Verwendung von Synsemantika. c) Morphologische Mehrdeutigkeiten: Umgang mit Pronomen wie sie, die sehr mehrdeutig sind. Unklare Kasus- und Numerusmarkierungen. d) Syntaktisch mehrdeutige Konstruktionen: Gestern traf die Mannschaft aus der Sowjetunion hier ein. e) Wortstellung und Prosodie als Markierungen von FHG. f) Bereiche der Interpunktion. Für diese und weitere Elemente sollten sich jeweils Kumulationsprinzipien für die die Interpretation determinierenden Faktoren aufstellen lassen. Eine textuelle Verwendung solcher Elemente wäre immer dann normgerecht, wenn die beiden folgenden Punkte erfüllt sind: a) Die Anwendung des spezifischen Kumulationsprinzips führt zu einer fortlaufenden Ausscheidung aller Hypothesen bis auf eine. Mit 54
Vgl. hierzu auch die Textanalyse im Abschnitt 6.4.
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ändern Worten: Der Interpretationsprozess kommt zu einem eindeutigen Abschluss. b) Die verbleibende Hypothese repräsentiert diejenige Lesart, die vom Textproduzenten intendiert war. Noch etwas scheint mir an diesem "Kumulationsprinzip" sehr deutlich zu werden - aber das weist jetzt endgültig in das nächste Kapitel mit seinem ganz ändern Textbegriff hinüber: Kohäsion isi nicht einfach! Vielmehr: Der Rezipient unterstellt einem Text Kohäsion, weil er einem Text Textualität, d.h. Zusammenhang unterstellt, und entsprechend sucht er die Kohäsion im Text, interpretiert sie in den Text hinein, wo es geht. Genau dies könnte ein nicht nur gradueller, sondern prinzipieller Unterschied zur satzgrammatisch gestifteten "Kohäsion" sein, die - anders als die textuelle - im wesentlichen nichts Interpretatives hat, sondern etwas Imperativisches,55 die eine vom Objekt her gestiftete, eine gewissermassen zwingende ist, viel stärker einem Mechanismus vergleichbar. So kann ja ein Satz Kraft seiner grammatischen "Kohäsion" ganz neue, ganz unerwartete inhaltliche Zusammenhänge stiften: Farblose grüne Ideen schlafen -wütend. Als Rezipient kann ich nicht anders als das so anzunehmen, ich kann mich dem Zwang, den die Sprache hier ausübt, nicht entziehen, wie ich das vor einem Text kann, den ich, wo seine Interpretation meinen Erwartungen so krass zuwiderläuft, einfach als nicht kohäsiv und damit als Nicht-Text quasi 'neutralisiere'.
55
Vgl. B. Schlieben-Lange (1975, 194).
5 Kohärenz I: Vom Text auf dem Papier zum Text im Kopf Übersicht 5.0 S. l 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.4 5.5
5.5.1 5.5.2 5.5.3
5.5.4
5.5.5 5.5.6
5.5.7 5.6
Einleitung Kritik an der Kohäsionslinguistik und Kritik an der Kritik der Kohäsionslinguistik Grund-These. Terminologische Regelungen. Die Unterscheidung von Text I und Text II Verstehen. Grundzüge einer Theorie des TextVerstehens und des Text-Verständnisses Einleitung. Terminologie Engführung: Was hier zu erwarten ist und was nicht Elemente einer Theorie des Text-Verstehens und des Text-Verständnisses Zum prozessualen Aspekt des Text-Verstehens Zum repräsentationalen Aspekt des TextVerständnisses - Textbegriff - Grundzüge der Funktionalen Texttheorie Zusammenhang von Text, Textkohärenz, Textthema, Texttitel Funktionaler vs. propositionaler Text-, Thema- und Kohärenz-Begriff Die Trias der Triaden A. Die drei Aspekte der Kohärenz (Gesamtidee, Gliederung, Entfaltung) B. Die drei Ebenen eines Textes II C. Die drei Bereiche des Wissens Die Triade des Wissens C. Sprachliches Wissen B. Weltwissen, Sachwissen A. (Sprach-)Handlungswissen, (sprachliches) Interaktionswissen, Illokutionswissen Zum Begriff des Wissens und zum Konzept des Schema-Wissens Die Triade der Textebenen und die Wirkung des Vorwissens bei der (Re-)Konstruktion eines Textes II A. (Sprach-)Handlungs-Ebene, funktionalillokutive Ebene B. Inhaltlich-propositionale Ebene C. sprachlich-ausdrucksseitige Ebene Zusammenfassung Verständlichkeit
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5.0 Einleitung Das vorliegende Kapitel ist das theoretische Zentrum meiner Arbeit. Nachdem ich in den Kpp. 2 "Grammatik" und 3 "Schrift" Aspekte besprochen habe, die zweifellos an den Texten, um die es mir in dieser Arbeit geht, zu beobachten, zu beschreiben und zu bewerten sind, ohne für die Textualität von Texten eigentlich konstitutiv zu sein, und nachdem ich im Kp. 4 "Kohäsion" einen wissenschaftshistorisch teilweise überholten Versuch referiert habe, dessen habhaft zu werden, was einen Text zu einem Text macht, versuche ich hier nun meinerseits eine positive Annäherung an die Textualität von Texten. "Sprungbrett" dazu ist eine Kritik an der Kohäsionslinguistik und an einer bestimmten Kritik an ihr (5.1). Das führt mich zu einer ersten Unterscheidung zweier Textbegriffe (5.2). Für den einen, den eigentlichen, zumindest den von jeder Texttheorie intendierten Begriff von Text muss ich dann einen 'Ausflug' machen in die Theorie des (Text-)Verstehens (5.3; 5.4). Damit vollziehe ich den im Abschnitt 1.3 erwähnten wissenschaftshistorischen Paradigmenwechsel der Kognitivierung der Textlinguistik. Man beachte auch die Doppeldeutigkeit des Titels des vorliegenden Kapitels: Markiert sein soll damit sowohl ein bestimmmter Weg, den die Texttheorie gegangen ist und den ich mit dieser Arbeit nachgehen möchte, und markiert sein soll damit auch ein Prozess, der immer dann statt hat, wenn Texte rezipiert, verstanden und damit überhaupt erst zu Texten werden. Für die eigentliche Bestimmung meines Textbegriffs benötige ich darüberhinaus einen zweiten Schritt, den der Pragmatisierung des Textbegriffs. Er führt mich auf die Funktionale Texttheorie, die ich in den Grundzügen skizziere (5.5). Das normative Pendant zu einer Theorie des Textverstehens ist eine Theorie der Textverständlichkeit. Ich werfe darum abschliessend einige wenige Schlaglichter auf die Verständlichkeitsforschung (5.6).
5 Kohärenz I
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5.1 Kritik an der Kohäsionslinguistik und Kritik an der Kritik der Kohäsionslinguistik "Nous marchions et il lui echappait des phrases presque incohorentes. Malgro mes efforts, je ne suivais ses paroles qu'ä grand-peine, me bomant enfm ä les retenir. L'incoherence du discours depend de celui qui l'ecoute. L'esprit me parait ainsi fait qu'il ne peut etre incohorent pour soi-meme. Aussi me suis-je gardo de classer Teste parmi les fous. D'ailleurs, j'appercevais vaguement le lien de ses idees, je n'y remarquais aucune contradiction; - et puis, j'aurais redoutd une solution trop simple." (Paul Valeiy: Monsieur Teste. Zit. nach M.Charolles 1978, 7)
Kohäsionslinguistik (vgl. Kp. 4) nenne ich die erste Etappe in der modernen Textlinguistik, in der man das, was man schon immer intuitiv als das Textuelle am Text, nämlich die intersententielle Vemetzt- und Verwobenheit, empfunden hat, festzumachen versuchte an sprachlichen Oberflächenerscheinungen, die man Kohäsionsmittel und deren textkonstitutive Leistung man Kohäsion nannte. Sie muss - auch wenn sie viele wichtige Einsichten in die Textualität von Texten beigebracht hat - im letzten scheitern, weil sie, indem sie den Grund für die Textualität von Texten in den Kohäsionsmitteln suchte, ihn im letzten am falschen Ort suchte. Denn es lässt sich zeigen - und das ist nun schon beinahe ein Topos in der jüngeren Textlinguistik: a) Kohäsion ist für Textualität nicht notwendig: Eine Satzfolge kann jeglicher Kohäsionsmittel entbehren und dennoch als Text, als etwas Zusammenhängendes, aufgefasst werden. b) Kohäsion ist für Textualität nicht hinreichend: Eine Satzfolge kann ein hohes Mass an Kohäsionsmitteln aufweisen und dennoch kein Text, d.h. nichts Zusammenhängendes, sein. Ich verzichte hier darauf, die Geschichte der Textlinguistik durch eigene Beispiele zu bereichern (ich zitiere weiter unten ein Beispiel).1 Stattdessen 1
Vgl. vielmehr z.B. J. Hennig/L. Huth (1975, 152); K. Brinker (21988, 37f.); sehr früh schon finden sich Beispiele in M. Bierwisch ([1965] 1971). Vgl. auch E. Nündel/W. Schlotthaus (1978, 22), die sich allerdings hüten, ihr Beispiel einen Nicht-Text zu
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möchte ich an den Thesen und den sie stützenden Beispielen zwei Dinge kritisieren bzw. präzisieren: a) Meine Kritik an der ersten These ist vergleichsweise harmlos: Ich behaupte, dass Kohäsion - zumal in dem breiten Sinn der in Kp. 4 gebotenen Liste von Kohäsionsmitteln - in einem Text schon ab einer minimen Länge schlicht unvermeidbar ist, und sie ist auch - zumal wenn Kohäsion auch so etwas wie "Sem-Rekurrenz" oder "Kontiguität" umfasst - notwendig und konstitutiv für Textualität von Texten einer minimen Länge. Beispiele, die Textualität ohne Kohäsionsmittel zeigen sollen, sind deshalb auch nie Texte im prototypischen Sinn, d.h. umfangreichere Satzsequenzen, sondern kürzere Satzfolgen, die implizit 'vertextet1 sind. Dass Kohäsion als die notwendige Bedingung von Textualität von der jüngeren Textlinguistik zurückgewiesen wird, hat seinen Grund darin, dass man diese Kohäsion mehr und mehr als blosse Folge, als Epiphänomen bereits bestehender und durch ganz anderes gestifteter Textualität erkannt hat. Nicht Kohäsion stiftet Textualität, sondern Textualität lässt uns Phänomene im sprachlichen Ausdruck als Kohäsionsphänomene allererst sehen; dies aber mit Notwendigkeit. b) Meine Kritik gegenüber der zweiten These (bzw. der Art, wie sie vorgetragen wird) ist radikal:2 Ich halte strenggenommen jeden Versuch, eine bestimmte Satzfolge, enthalte sie nun Kohäsionsmittel oder nicht, als Nicht-Text zu erweisen, für unzulässig, genauso unzulässig nämlich wie den Versuch, eine Satzfolge als wahrhaften Text zu erweisen. Wer das dennoch versucht, hat die Grundschwäche der Kohäsionslinguistik noch nicht überwunden. Diese Grundschwäche liegt eben gerade darin, dass man davon ausgeht, dass sprachliche Gebilde als solche Texte sind oder nicht sind. Dagegen aber geht es mir in diesem Kapitel darum zu zeigen, dass Textualität prinzipiell nie einem sprachlichen Gebilde eignet oder nicht eignet, sondern immer nur einem sprachlichen Gebilde von einem Rezipienten unterlegt oder unterstellt wird, und dass demnach kein sprachliches Gebilde prinzipiell davor 'geschützt' ist, als Text (oder auch als Nicht-Text) aufgefasst zu werden, also auch nicht das folgende, das ich K. Blinker (1988, 37) als angebliches Beispiel für einen Nicht-Text entnehme: "Ich habe eine alte Freundin in Hamburg getroffen. Dort gibt es zahlreiche öffentliche Bibliotheken. Diese Bibliotheken wurden von Jungen und Mädchen 2
nennen. Vgl. hierzu auch G. Kurz (1977).
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besucht. Die Jungen gehen oft in die Schwimmbäder. Die Schwimmbäder waren im letzten Jahr mehrere Wochen geschlossen. Die Woche hat 7 Tage."
Wer Beispiele für Nicht-Texte gibt, hat noch nicht wirklich eingesehen, dass Textualität keine linguistische, sondern eine hermeneutische Angelegenheit ist, d.h. nicht etwas ist, was sprachlichen Gebilden objektiv zukommt, sondern immer nur etwas, was sprachlichen Gebilden von Sprachbenutzern zuerkannt wird. Demzufolge kann man NichtTextualitat nicht zeigen. Das heisst im weitern auch - und dies sei gegen H. Isenberg (1977b, 137) und viele andere, die das auch behaupten,3 gesagt -, dass ein Text mit der grammatischen Grosse Satz nicht die Gemeinsamkeit teilt, nach Eigenschaften der Wohlgeformtheit beurteilbar zu sein, zumindest niemals in der Art, wie man Sätze nach ihrer Wohlgeformtheit beurteilt. Zu sagen, das 'Gebilde', das ich von K. Brinker zitiert habe, sei ein nichtwohlgeformter Text oder eben ein Nicht-Text, ist etwas grundsätzlich anderes als zu sagen, ein sprachliches Gebilde sei ein nicht-wohlgeformter Satz oder eben ein Nicht-Satz. Ich glaube, dass dazwischen nicht nur ein gradueller, sondern ein prinzipieller Unterschied besteht. Der Unterschied beruht auf den Grundlagen, aufgrund derer solche Wohlgeformtheitsurteile Zustandekommen. Etwas als einen Satz oder einen Nicht-Satz zu beurteilen bedarf genau einer solchen Grundlage, einer grammatischen Wissenskomponente. Etwas als einen Text oder NichtText zu beurteilen bedarf hingegen einer ganzen Reihe verschiedener solcher Grundlagen. An der ersten, der grammatischen Grundlage, haben alle Sprecher einer Sprache inetwa (!) gleichen Anteil, an den ändern Grundlagen haben verschiedene Sprecher mehr oder weniger verschiedenen Anteil, und es handelt sich dabei auch teilweise um prinzipiell anders geartete Grundlagen. Dieses vielleicht etwas enigmatische Reden deutlicher werden zu lassen ist Ziel des vorliegenden Kapitels.
Beispielsweise auch M. Charolles (1978), dem ich das Motto verdanke, das über diesem Abschnitt steht.
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5.2 Grund-These. Terminologische Regelungen. Die Unterscheidung von Text I und Text II "How do human beings communicate with one another? For verbal communication at least, there is a sort of folk answer, suggested by a variety of metaphors in everyday use: 'putting one's thoughts into words', 'getting one's ideas across', 'putting one's thoughts down on paper', and so on. These make it sound as if verbal communication were a matter of packing a content (yet another metaphor) into words and sending it off, to be unpacked by the recipient at the other end. The power of these figures of speech is such that one tends to forget that the answer they suggest cannot be true. In writing this book, we have not litterally put our thoughts down on paper. What we have put down on paper are little dark marks, a copy of which you are now looking at. As for our thoughts, they remain where they always were, inside our brains." (Sperber/Wilson 1986, 1)
Gegenstand der Textlinguistik, seit es sie gibt, sind Texte als sprachliche Gebilde von mehreren Sätzen Länge, die einen spezifischen inneren Zusammenhalt haben, den man die Textualität, das Spezifikum von Texten, nennen kann. Ich behaupte nun: Solche Texte sind keine einfach vorliegenden Objektivgebilde, sondern solche Texte entstehen immer wieder neu und sind überhaupt nur in Köpfen von Sprachbenutzern, von Textproduzenten und Textrezipienten. Ich konzentriere mich hier und im folgenden auf die Rezipientenseite. Die ganze bisherige Textlinguistik nimmt diese rezipientenorientierte Perspektive ein, und zwar durchaus aus ihrem falschen Textbegriff heraus: Es ist eine Theorie, die Texten, die sie für Objektivgebilde ansieht, entgegentritt und die erklären will, warum etwas ein Text ist und warum etwas anderes nicht. Ich glaube, man kann diese grundlegende Gegenstandsbestimmung ablehnen und dennoch mit guten Gründen die Rezipientenperspektive beibehalten: Texte werden auch in den Köpfen von Rezipienten, und unsere
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Arbeit der Textanalyse und der Textbewertung ist Rezipientenarbeit.4 Ich spreche also aus der Perspektive der Rezeption und will sagen: In dem Masse, in dem einem Textrezipienten in seinem Kopf ein Text Text wird, Textualität gewinnt, in dem Masse stellt sich auch Kohärenz ein, jenes spezifisch Zusammenhängende, das eben genau die Textualität von Texten ausmacht und das dasjenige ist, nach dem jede Texttheorie letztlich sucht, auch die Kohäsionslinguistik. Textualität und Kohärenz sind demnach Begriffe, die in einer sehr engen Beziehung stehen. Dennoch zögere ich, sie für logisch äquivalent oder gar für identisch zu halten: Textualität ist der Begriff vom Wesen von Texten, um die es mir hier geht. Kohärenz ist aber möglicherweise ein sinnvoller Begriff auch für mehr als nur Texte in meinem Sinn, nämlich z.B. auch für ein dialogisches Gespräch, bei dem ich zögere, das in meinem Sinne einfach als einen Text zu verstehen.5 Auf der ändern Seite kann ich als Rezipient etwas als einen Text anerkennen, ohne dass ich an ihm die Kohärenz erlebe; ich denke an bestimmte literarische Texte oder schwierige wissenschaftliche Fachtexte. Da mag es genügen zu wissen oder zu glauben, dass das für andere ein Text ist, um sie als Texte anzuerkennen. Allerdings kann ich dabei die Textualität nicht erleben und habe damit eben auch nicht das Erlebnis der Kohärenz, sondern nur ein theoretisches Wissen davon. Textualität und Kohärenz existieren nicht auf dem Papier, sondern in den Köpfen von Sprachbenutzern, und sie sind konsequenterweise auch dort zu suchen und unter den spezifischen Bedingungen der 'Welt in Köpfen' zu beschreiben, zu beurteilen und zu bewerten. Diese These markiert die fundamentale Veränderung innerhalb der Textlinguistik seit den 70er Jahren, die ich die Kognitivierung der Textlinguistik nenne. Man kann sie als eine Ablösung der älteren, strukturalistischen Textlinguistik, verkörpert in der Kohäsionslinguistik, sehen, und als Pendant zur kognitivierten Grammatikforschung und als Teil einer allgemein 'um sich greifenden' Kognitivierung der Linguistik, deren Grund-Impetus der ist, dass der Gegenstand linguistischer Forschung einen neuen oder neu überhaupt einen Ort bekommt: den Kopf, genauer (und damit auch wieder ungenauer) den Geist des Menschen.6 Für eine moderne Texttheorie aus der Produzentenseite vgl. man z.B. G. Antos (1982), G. Antos/G. Äugst (1989), G. Antos/H.-P. Krings (1989). H. Strohner/G. Rickheit (1990) benützen beispielsweise den Begriff der Kohärenz sowohl für textuelle Kohärenz in meinem Sinn wie für den Zusammenhang in einem kommunikativen Ablauf wie auch für den Zusammenhang innerhalb kognitiver Strukturen. An Literatur zur cognitive science insgesamt möchte ich nennen: J. R. Anderson (1983), M. Eysenck/M. T. Keane (1990), R. Lachmann/J. L. Lachmann/E. C. Butterfield (1979), L. Montada u.a. (1983), A. J. Sanford (1985), R. C. Schank (1982). Literatur speziell zur kognitiven Linguistik: M. Bierwisch (1987), S. W. Felix/S. Kanngiesser/G. Rickheit (1990).
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Aber natürlich gibt es das, was auf dem Papier steht, und natürlich ist das alles andere als nebensächlich. Ich behaupte nur, dass man darin niemals das finden wird, was man in der Textlinguistik schon immer als das Wesen von Texten, eben die Textualität, das spezifisch Zusammenhängende, die Kohärenz, gesucht hat. Ich treffe deshalb - aus einer gewissen Verlegenheit heraus - die folgende terminologische Regelung - die begriffliche Füllung werde ich am Ende dieses Kapitels, wenn ich die hierzu notwendigen Ausführungen gemacht haben werde, etwas revidieren: Das, was sich allererst als Text im Kopf des Rezipienten ausbildet, will ich den Text II nennen. Das Gebilde hingegen, das in unserem Fall auf dem Papier notiert und das als solches ein Objektivgebilde, allen seinen Rezipienten gleicherweise gegeben ist, will ich den Text I nennen. Die frühe Textlinguistik hat nicht unterschieden, und zwar nicht bloss terminologisch, sondern begrifflich nicht unterschieden zwischen Text I und II und hat in einer Beschreibung von Text I gemeint Text II erklären zu können.
5.3 Verstehen. Grundzüge einer Theorie des Text-Verstehens und des TextVerständnisses "Man kann Sprache nur verstehen,
wenn man mehr als Sprache versteht." (Hans Hörmann 1976)
Literatur Apel, Karl-Otto 1955: Das "Verstehen". Eine Problemgeschichte als Begriffsgeschichte. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Bausteine zu einem historischen Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Erich Rothacker. Bd. 1. Bonn, 142-199. Äugst, Gerhard 1983: Fachsprache - Textverständlichkeit - Textproduktion. In: DU 35,2,5-21. Balbtaedt, Steffen-Peter/Heinz Mandl/Wolfgang Schnotz/Sigmar-Olaf Tergan 1981: Texte verstehen - Texte gestalten. München u.a. Biere, Bernd Ulrich 1989: Verständlich-Machen. Hermeneutische Tradition - Historische Praxis - Sprachtheoretische Begründung. Tübingen (= RGL 92). Engelkamp, Johannes (Hg.) 1984: Psychologische Aspekte des Verstehens. Berlin u.a. (= Lehrund Forschungstexte Psychologie 10). Groeben, Norbert 1982: Leserpsychologie: Textverständnis - Textverständlichkeit. Münster. Groeben, Norbert/Ursula Christmann (Hg.) 1989: Textoptimierung unter Verständlichkeitsperspektive. In: Gerd Antos/Hans Peter Krings (Hg.): Textproduktion. Ein interdisziplinärer Forschungsüberblick. Tübingen (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 48), 165196.
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Heringer, Hans Jürgen 1984: Textverständlichkeit. Leitsätze und Leitfragen. In: Wolfgang Klein (Hg.): Textverständlichkeit - Textverstehen. LiLi 55,57-70. Hörmann, Hans 1976: Meinen und Verstehen. Grundzüge einer psychologischen Semantik. Frankfurt. Hörmann, Hans 1983: Über einige Aspekte des Begriffs 'Verstehen'. In: Leo Montada/Kurt Reusser/Gerhard Steiner (Hg.): Kognition und Handeln. Hans Aebli zum 60. Geburtstag. Stuttgart, 13-22. Hoppe-GrafT, Siegfried 1984: Verstehen als kognitiver Prozess. Psychologische Ansätze und Beiträge zum Textverstehen. In: Wolfgang Klein (Hg.): Textverständlichkeit - Textverstehen. LiLi 55,10-37. Mandl, Heinz 1981: Einige Aspekte zur Psychologie der Textverarbeitung. In: Heinz Mandl (Hg.): Zur Psychologie der Textverarbeitung. Ansätze, Befunde, Probleme. München u.a., 1-37. Mandl, Heinz/Sigmar-Olaf Tergan/Steffen-Peter Ballstaedt 1982: Textverständlichkeit Textverstehen. In: B. Treibner/F. E. Weinert (Hg.): Lehr-Lemforschung. München u.a. Nündel, Ernst/Werner Schlotthaus 1978: Angenommen: Agamemnon. Wie lehrer mit texten umgehen. München u.a. Rickheit, Gert/Hans Strohner 1985: Psycholinguistik der Textverarbeitung. In: Studium Linguistik 17/18,1-78. Schnotz, Wolfgang 1987: Textverstehen als Aufbau mentaler Modelle. Tübingen (= DIFF 43). Schwarz, Monika 1988f.: Sprache und Kognition: Aspekte der neueren Forschung. 2 Teile. Köln (= KLAGE 17 + 18). Strohner, Hans: 1990: Textverstehen. Kognitive und kommunikative Grundlagen der Sprachverarbeitung. Opladen (= Psycholinguistische Studien).
5.3.1 Einleitung. Terminologie Das Motto von Hans Hörmann habe ich aus einem doppelten Grund an den Anfang dieses Kapitels gestellt: Es formuliert zum einen eine Grundtatsache des Text-Verstehens als des Gegenstandes dieses Abschnitts: Verstehen von Text heisst immer mehr als nur Verstehen von Text. Und zum ändern kann man das Motto auch lesen als eine kleine Entschuldigung, warum ich hier, wo ich von Texten sprechen müsste, in bestimmter Weise von mehr als von Texten spreche, nämlich vom Verstehen von Texten: Man muss, um das Verstehen von Texten zu verstehen, sich mit mehr beschäftigen als nur mit Texten (als nur mit Texten I notabene). Ich möchte eingangs Festlegungen für die folgenden vier Termini treffen: Verständigung, Verstehen, Verständnis und Verständlichkeit. Die genauere begriffliche Füllung der Termini ist Gegenstand des weiteren Kapitels. Der ganze Problembereich, um den es hier geht, soll Verständigung heissen. Verständigung meint inetwa den gleichen Gegenstandsbereich wie Kommunikation, nimmt diesen aber unter einer ganz bestimmten, nämlich psychologischen, Optik in den Blick.7 Zudem wenden wir uns der Kommunikation mit einer ganz bestimmten Fokussierung zu: KommunikaIm Unterschied etwa zu einer eher äusserlich-technischen oder einer sozialen o.a. Optik Vgl. ähnlich H. Sitta/H. J. Tymister (1978,42ff.).
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tion wird mit den wohlbekannten Kommuniktionsmodellen modelliert. Diese weisen stets in der einen oder ändern Art drei fundamentale Positionen auf, nämlich zwei Kommunikationspartner oder -Seiten, einen Produzenten (1) und einen Rezipienten (2), sowie ein Kommunikat oder einen Text1 oder wie immer man es nennt (3). Wenn wir uns mit dem Verstehen beschäftigen, beschäftigen wir uns mit der Rezeptions sei te und damit, unter psychologischen Vorzeichen, mit dem hermeneutischen Aspekt der Verständigung. Die Produktionsseite beträfe den rhetorischen Aspekt der Verständigung. Die Position des Produzenten ist in unserer Betrachtung in den Hintergrund gedrängt; in erster Linie geht es um eine Interaktion von Rezipient und Kommunikat.8 Ich will die zentrale Aktivität des Rezipienten in der Verständigung Verstehen nennen.9 Verstehen ist geistige Arbeit am Kommunikat, das zum Verstehens- oder Rezeptionsgegenstand wird, ist in unserem Fall Arbeit am Text I. Im Prozess des Verstehens baut der Rezipient ein Verständnis10 von seinem Verstehensgegenstand auf. Verstehen heisst also der Prozess, Verständnis das Produkt. Verständlichkeit gilt gemeinhin als Eigenschaft von Verstehensgegenständen, die davon mehr oder weniger haben sollen. Wir lassen es vorläufig bei dieser Sprachregelung (vgl. Abschnitt 5.6).
5.3.2 Engführung: Was hier zu erwarten ist und was nicht Mit dem Verstehen beschäftigen sich seit alters ganz unterschiedliche Disziplinen - die "verstehenden Wissenschaften", die "hermeneutischen Wissenschaften" (i.U. zu den 'bloss' beschreibenden oder den erklärenden Wissenschaften):11 Philosophie, Theologie, Sozialwissenschaften, Kunstund Literaturwissenschaft, Semiotik, Kommunikationswissenschaft, Geschichtswissenschaft u.a.. Sie nehmen ganz unterschiedliche Verstehenssubjekte und Verstehensobjekte in den Blick und haben im Laufe der Wissenschaftsgeschichte ganz unterschiedliche Theorien des Verstehens und mithin ganz unterschiedliche Verstehensbegriffe entwickelt. Diese 8 9
10
11
Für die Produzentenseite vgl. die Lit. unter Fussn. 4. Ein Rezipient tut je nach Verständigungssituation noch anderes als nur verstehen. Es sei z.B. für die natürliche mündliche Verständigungssituation auf Stichworte wie "back channel behavior" hingewiesen. Um diese Aktivität geht es hier nicht, sondern vielmehr inetwa um das, wofür H. Henne eine Hörverstehensakttheorie in Ergänzung zur produzentenseitenorientierten Sprechakttheorie gefordert hat (Henne 1975). Man beachte, dass Verständnis in unserem Alltags-Sprachgebrauch auch so viel heisst wie "Bereitschaft, zu verstehen", eine bestimmte psychische Disposition also: Verständnis aufbringen/haben/zeigenJwecken. Zu einer Geschichte des Verstehensbegriffs und besonders zum historischen Verhältnis von Verstehen und Erklären vgl. K.-O. Apel (1955).
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ungeheure Vielfalt bestimmt auch unseren Alltagsbegriff und Alltagsgebrauch des Wortes Verstehen. Ich kann hier lediglich einige Andeutungen machen:
Was ist das Verstehenssubjeki? Prototypisch ist das Verstehenssubjekt ein Mensch. Vielleicht fallen unter die möglichen Verstehenssubjekte auch Tiere? Vielleicht auch soziale Körperschaften: eine soziale Gruppe, ein Jahrhundert (gemeint: die Menschen eines Jahrhunderts), die Humanitas? In den letzten Jahren ist eine neue Art von Verstehenssubjekten im Gerede: Maschinen. Das Stichwort heisst Künstliche Intelligenz (KI). Das spielt in der Verstehensforschung jüngerer Psycholinguistik und cognitive science eine eminente Rolle:12 Indem man versucht, auf Maschinen das Verstehen zu simulieren, macht man möglicherweise fruchtbare Hypothesen über menschliches Verstehen, bildet immer erklärungsstärkere Modelle für menschliches Verstehen.13 Es wird aus prinzipiellen Gründen niemals gelingen, Maschinen das Verstehen beizubringen,14 aber die blosse Simulation kann heuristisch wertvoll sein, und sei es nur, dass man aus dem Scheitern solcher Versuche lernt.
Was ist ein möglicher VerStehensgegenstand? Möglicher Verstehensgegenstand kann Sprachliches sein, kann allgemein Zeichenhaftes, Kunst, können Handlungen von Menschen, Menschen in ihren Handlungen, in ihren Produkten, Menschengruppen, Zeitalter sein. Können Verstehensgegenstände auch Vorgänge in der Natur, in der Gesellschaft sein? Die Welt, die kosmische Ordnung, Gott? Es fällt gar nicht leicht, gemeinsame Merkmale all dessen zu benennen, was in unserem Konzept von Verstehen und Verständnis Gegenstand von Verstehen und Verständnis sein kann. Es drängt sich mir vorerst vielmehr folgende Scheidung auf: a) Das zu Verstehende ist etwas Zeichenhaftes: "aliquid stat pro aliquo", "X steht für Y". Verstehen und Verständnis meint dann: Glauben, dem X sein Y, dem Zeichen das von ihm Bezeichnete zuordnen zu können. b) Es handelt sich bei dem zu Verstehenden um Vorgänge und Handlungen, und Verstehen/Verständnis meinen dann: Glauben, Gründe, Motive etc. 12 13
14
Vgl. oben Fussn. 6, was Literatur anbelangt. Weitere Ausführungen vgl. weiter unten. Diese Formulierung hat - im Lichte Diltheys - viel von einem Oxymoron: das Verstehen erklären. Als solches trifft es aber sehr genau den Geist solcher Bemühungen. Menschliches Verstehen als ein intentionaler Akt setzt das voraus, was wir Bewusstsein nennen, und dies wiederum setzt Selbstbewusstsein voraus. Selbstbewusste Maschinen aber kann ich nicht denken!
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für Vorgänge, Handlungen ausmachen zu können ("Ich kann den Lieben Gott nicht verstehen, dass er das zulässt"). Vermutlich ist das Gemeinsame hinter diesen zwei Typen von Verstehensgegenständen darin zu sehen, dass das, was als Objekt des Verstehens erscheint, in einer Relation zu etwas anderem steht, und Verstehen heisst dann: Dieses andere in Relation zu dem einen sehen können, sei das nun die Bedeutung in Relation zu dem Zeichen oder das Motiv, den Beweggrund oder was immer hinter der Handlung, dem Vorgang, dem Ereignis. Gemeinsames Wort für dieses andere, das man hinter dem einen sucht, ist Sinn: ein Text hat einen Sinn, eine Handlung hat einen Sinn. Verstehen-Wollen heisst Sinnsuche, Verstehen heisst SinnFindung, Verständnis ist gefundener Sinn.13 Die Unterscheidung sowie der Versuch, das Unterschiedene auch wiederum zusammenzudenken, sind von höchster Relevanz auch für uns, und zwar aus folgendem Grund: Wir beschäftigen uns 'nur' mit Text-Verstehen/TextVerständnis und Text-Verständlichkeit. Sicherlich haben wir es bei Texten mit Zeichenhaftem (a) zu tun. Jedoch kann man (und sollte man!) Texte auch (irgendwie) als Handlungen verstehen (b), und dann spielen die Begriffe Verstehen/Verständnis und Verständlichkeit beim Text-Verstehen auch in dieser zweiten Hinsicht der Intentionalität von Handlungen eine Rolle. Ich komme auf diesen Punkt anlässlich der Skizzierung meines Textbegriffs ausführlich zurück (siehe Abschnitt 5.5).16 Zu Verstehensobjekten macht man häufig auch den Urheber von Zeichen oder Handlungen und spricht dann davon, dass man Menschen verstehen oder nicht verstehen kann. Und man meint damit: Man versteht Menschen in ihren Zeichen, Handlungen, oder man versteht sie darin nicht. Diskutabel ist wiederum, inwiefern unser Verstehensbegriff über den einzelnen Menschen als Verstehensobjekt hinaus ausgedehnt ist: Kann man Tiere verstehen? Kann man das 14. Jahrhundert verstehen? Kann man Naturvorgänge verstehen? Wenn das Verstehensobjekte sind, impliziert das, dass Intentionalität da ist, sei es in diesen Objekten drin oder hinter diesen Objekten (etwa in einem Schöpfer).
Charakterisierung von Verstehen und Verständnis Verstehen wird oftmals genauer charakterisiert. Die Charakterisierungen verraten die Vielschichtigkeit und Uneinheitlichkeit des Verstehensbegriffs 15
16
Vermutlich reflektiert die Mehrdeutigkeit des Begriffs der Intention, wie er vorab in bestimmten sprachphilosophischen Schulen (J. R. Searle, H. P. Grice) gebräuchlich ist, genau den Zusammenhang zwischen diesem Doppelsinn von Sinn und den zwei Typen von Verstehensgegenständen: Man spricht gleicherweise von der Intention von Zeichen und von der Intention von Handlungen. Vgl. hierzu A. Burkhardt (1990c). R. Keller (1986) beispielsweise unterscheidet in diesem Sinne terminologisch zw. Textbedeutung und Textsinn; ähnlich auch E. Nündel/W. Schlotthaus (1978).
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und lassen Rückschlüsse auf wichtige Präsuppositionen zu, die mit dem Verstehensbegriff verbunden sein können. Auf dem Boden des Verstehensbegriffs, den ich im folgenden referieren will, charakterisiert man das Verstehen etwa mit Prädikaten wie "einfach/ leicht" vs. "schwierig", mit "ganz" vs. "partiell", mit "richtig" vs. "falsch". Diese Charakterisierungen präsupponieren, dass Verstehen einen End- oder Zielpunkt haben kann: das richtige, ganze Verstehen, das erreicht wird, indem Schwierigkeiten überwunden werden. Sie präsupponieren auch, dass Verstehen ein Gegenteil hat. Genauer sind es zwei: das Nicht-Verstehen, das Un-Verständnis einerseits und das Falsch-Verstehen, das Missverständnis andererseits (vgl. Abschnitt 5.4). Verstehen, wie es in ändern Disziplinen thematisiert wird, lässt sich hingegen charakterisieren mit Prädikaten wie "oberflächlich" vs. "tief oder "einschichtig" vs. "vielschichtig". Diese Charakterisierungen präsupponieren eher eine prinzipielle Unabschliessbarkeit des Verstehens: Verstehen hat die Dimension einer unendlichen Tiefe und Vielschichtigkeit. In der Alltagssprache brauchen wir den Begriff des Verstehens sowohl graduell als auch nicht-graduell: Ich verstehe etwas ganz oder nicht ganz. Oder: Ich verstehe oder verstehe nicht. Oft haben wir den Eindruck, etwas restlos verstanden, eben "verstanden" zu haben, oder den Eindruck, "nur noch Bahnhof zu verstehen". Das sollte man auch in einer wissenschaftlichen Theorie des Verstehens nicht vergessen: Es scheint so etwas wie Punkte auf einer Skala zu geben, wo graduelles Verstehen in den subjektiven Eindruck von prinzipiellem Verstehen oder Nicht-Verstehen umschlägt. Das hat mit Eigenheiten von Verstehen zu tun, die ich weiter unten referieren will. Wichtig ist zu unterscheiden zwischen dem subjektiven Gefühl von Verstehen/Verstanden-Haben einerseits und Objektiv' beobachtbarem oder messbarem Verstehen/Verständnis. Die Verständlichkeitsforschung, auf die ich am Schluss dieses Kapitels ganz kurz zu sprechen kommen werde, geht davon aus, dass es letzteres geben kann, dass man Verstehen beobachten und messen kann, und dass es demzufolge zu unterscheiden gilt zwischen subjektivem Gefühl von Verstehen und Objektivem1 Verstehen. Im folgenden geht es mir um Sprachverstehen, genauer um das Verstehen geschriebener Texte, und ich versuche unter den Termini Verständigung, Verstehen, Verständnis und Verständlichkeit v.a. die Konzepte vorzustellen, die man in neuerer Zeit in der Sprachwissenschaft, speziell der Text- und Kommunikationstheorie, sowie der Psycholinguistik, der Sprachpsychologie und der allgemeineren kognitiven Wissenschaft, der cognitive science, unter dem Etikett dieser Termini handelt. Die ganze Verstehensproblematik wird in ändern der oben genannten Disziplinen, verglichen mit den Disziplinen, auf die ich hier rekumere, sehr viel weniger 'technisch1 angegangen, dafür aber breiter und tiefer. Damit
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meine ich, dass mehr und ganz andere Gegenstände als mögliche Gegenstände des Verstehens in den Blick genommen werden, dass der Begriff des Verstehens reicher, aber ev. auch problematischer ist, z.B. insofern, als Verstehen als prinzipiell unabgeschlossener Prozess konzipiert wird: Verstehen mit einer Dimension unendlicher Tiefe, oder insofern, als sich der Verstehensbegriff - etwa mit seinem Grenzbegriff des Begreifens - tendentiell dem rationalen Verstehenszugriff zu entziehen scheint.17
5.3.3 Elemente einer Theorie des Text-Verstehens und des Text-Verständnisses "Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstossen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?" (Georg Christoph Lichtenberg18)
Neuere kognitivistische Ansätze konzipieren den Prozess des TextVerstehens so: Text-Verstehen ist wie jedes Verstehen eine spezifische Form der Informationsverarbeitung. Dabei führt ein Verstehenssubjekt einen Text-Input (den zu verstehenden Text I) in einem zeitlich prinzipiell abschliessbaren Prozess über in seinen geistigen Besitz, in ein Verständnis (macht daraus einen Text II). Ein Verständnis ist dann erreicht, wenn das zu Verstehende in bestimmter Weise integriert ist in vorausbestehende geistige Repräsentationen, in vorausbestehendes Wissen. Diese Begriffsbestimmung von Verstehen im kognitivistischen Paradigma hat natürlich enorme Konsequenzen für die weitere Theoriebildung. Vorerst erwachsen aus dieser Konzeption zwei Fragen: a) Wie sieht solcher geistiger Besitz eines Textes II aus? Wie ist ein Text II geistig repräsentiert? (repräsentationaler Aspekt A: Repräsentation des Textes II; Verständnis) b) Wie funktioniert die Überführung des Text-Inputs, der Informationen des Textes I von aussen in den inneren geistigen Besitz? (prozessualer Aspekt; Verstehen) Eine dritte Frage ergibt sich aus den folgenden Teilantworten zur Frage (b): Es gibt unter den modernen Verstehenstheorien - in Absetzung gegenüber älteren behavioristischen Theorien, aber sicher teilweise in Übereinstimmung mit noch weit älteren Ansätzen - Konsens über folgende zwei Punkte: 17
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So weit ich sehe bemüht sich v.a. B. U. Biere (1989) um eine Vermittlung altehrwürdiger hermeneutischer Traditionsstränge mit neueren Ansätzen psycholinguistischer Provenienz, die - ich gebe es zu - den Eindruck einer gewissen Plattheit ihres Themas nicht ganz zu kaschieren vermögen. Georg Chr. Lichtenberg: Aphorismen. Hg. v. Max Rychner. Zürich 71986, 170.
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i) Verstehen ist nicht bloss passives Aufnehmen, passive Rezeption, Eingeprägt-Bekommen, sondern vielmehr (Re-)Aktion, aktive Aneignung, "produktive Rezeption". Manchmal sagt man auch: Verstehen ist eine Handlung, ist eine Leistung, ist Arbeit (z.B. eine spezifische Form der Problemlösung) des Rezipienten. N. Groeben (1982) spricht vom "kognitiven Konstruktivismus", um diesem wesentlichen Punkt des Verstehens Rechnung zu tragen: dass Verstehen eine Aktivität (und nicht blosse Passivität) ist.19 ii) Eine entscheidende Rolle in diesem (Re-)Agieren des Rezipienten spielt das, was der Rezipient mitbringt an bereits vorhandenem Wissen im weitesten Sinn,20 so dass Verstehen zu einem Prozess der Auseinandersetzung von Neuem, dem Input, mit vorausbestehenden Strukturen wird. Verstehen ist ein Prozess der Amalgamierung von Altem mit Neuem. Diese Auseinandersetzung leistet der Rezipient. Mit der Annahme einer Voraus-Struktur, auf die ein Text-Input trifft, kommt eine dritte Frage ins Spiel - neben (a) der Frage nach der endgültigen geistigen Textrepräsentation und (b) der Frage nach dem Prozess der Überführung von Text-Input (Text I) in eigenen Besitz (Text II): c) Wie sieht das aus, worauf ein Text-Input (Text I) beim Rezipienten trifft? (repräsentationaler Aspekt B: Voraus-StrukturenlVor-Wisseri) Eine saloppe Fassung der drei Fragen könnte etwa lauten: Was habe ich im Kopf, wenn ich einen Text verstanden habe (a), wie baue ich das jeweils auf, was ich dann im Kopf habe (b), und was hatte ich schon vorher im Kopf und hat mir beim Aufbau des Textverständnisses geholfen (c)? 19
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Vgl. auch H. Heimes Forderung nach einer der Sprechakttheorie auf der Produzentenseite entsprechende "Hörverstehensakttheorie" auf der Rezipientenseite: Analog zur Sprechakttheorie, die sich die Frage stellt, was ein Sprecher tut, wenn er Sprache sprechend gebraucht, würde eine Hörverstehensakttheorie fragen, was ein Hörer tut, wenn er Sprache hörend gebraucht, allgemeiner: wenn ein Rezipient Sprache rezipiert, d.h. zu verstehen versucht (Henne 1975). - Der aktiven Konzeption des Verstehens als Handlung widerspricht ein Stück weit H. J. Heringer (1984), indem er auf das weitgehend Unbewusste dieses Prozesses hinweist: "Ich kann Verstehen nicht unterbrechen, ich kann nicht damit aufhören. Es geschieht mir, ich tue es nicht." (58) und dämm unwillkürliches, ein Stück weit auch zwanghaftes Verstehen von (willentlichem) Interpretieren zu unterscheiden vorschlägt. Da scheint mir etwas dran zu sein: Verstehen verlangt sicherlich eine Aktivität des Verstehenden, das Verstehensprodukt wimmelt von Spuren, die der Verstehende dabei hinterlässt. Aber dennoch ist Verstehen wirklich etwas anderes als eine bewusste Handlung. Am adäquatesten ist, eine Skala von sehr unbewusster bis sehr bewusster VerstehensArbeit anzusetzen. Immer aber ist es Arbeit, Handeln, ein intentionaler Akt, aber längst nicht immer im prototypischen Sinn von Planen, Plan-Ausfuhren, Revidieren etc. Zu diesem zentralen, heiklen und über alle Massen strapazierten Begriff vgl. im Abschnitt 5.5.5 einige grundsätzliche Bemerkungen.
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5 Kohärenz I
Wenn man nun noch bedenkt, dass Texte I immer in einem bestimmten situativen Kontext wahrgenommen, aufgenommen und interpretiert werden (und sei dieser Kontext auch noch so arm), so dass der Input grundsätzlich ein mehrfacher ist, so lässt sich die ganze Konzeption im Lichte dieser Grundannahmen und -einsichten mit dem Schema 10 graphisch veranschaulichen.
[Schema 10]
Ich knüpfe an diese grundsätzlichen Ausführungen eine Reihe von Bemerkungen an: a) Verstehen ist ein intentionaler Akt der Sinnsuche und der Sinnstiftung. Ist er erfolgreich, d.h. endet er im Verständnis bzw. im subjektiven Gefühl von Verstanden-Haben, stellt sich ein Glücksgefühl ein.21 Scheitert das Verstehen, d.h. bricht es im Un-Verständnis ab, so macht sich Frustration, und in ihrer Folge oft auch Ablehnung, Aggression, Angst, breit. b) Ich habe weiter oben Verstehen zeichentheoretisch als Sinnzuschreibung, als Ein-Sicht in die Dinge, für die die Zeichen stehen, oder Ein-Sicht in die Gründe und Motive, derentwegen die Zeichen stehen und Handlungen geschehen, umschrieben. Diese Konzeption ist hier kogniti21
Dazu, dass dieses möglicherweise umso grosser und nachhaltiger ist, je grosser die Schwierigkeit war, die es im Prozess des Verstehens zu überwinden galt, vgl. Abschnitt 9.3.
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vistisch insofern aufgehoben, als es primär immer das ist, wofür Zeichen stehen und wozu Handlungen geschehen, was in bestehende Wissensstrukturen integriert, was mit diesen amalgamiert wird, und nicht etwa Texte I in ihrer äusseren sprachlichen Gestalt. Diese ist blosses Vehikel, bleibt kaum haften, hat ganz transitorischen Charakter.22 Dies etwa im Unterschied zum blossen Auswendiglernen, was lediglich ein Memorisieren von Zeichenformen, von Äusserem, ist.23 c) Dass es im Prozess des Verstehens zu einem Miss-Verständnis (vgl. auch Bemerkung g weiter unten) kommen kann, ist eine sehr schöne Stütze für die These, dass ein Verstehenssubjekt im Prozess des Verstehens von sich aus seinen Teil zum Verstehensprodukt beisteuert, denn ein MissVerständnis liegt ja nur in jenen Fällen von falschem Verständnis vor, wo nicht einfach die Zeichen falsch waren, sondern allenfalls zu undeutlich, nicht adressatengerecht usw.24 d) Dass es für das Text-Verstehen zwei 'Verantwortliche1 gibt, nämlich den Text I als Input und den Verstehenden mit seinen Voraus-Strukturen, dieses Credo ist nur eine spezifische Spielart des kognitivistischen Grund-Credos: Alle Rezeption - von den einfachen Sinneseindrücken bis zu so komplexen Dingen wie Textverstehen, vom Aufnehmen von speziellen Einzel-Dingen bis hin zu allgemeinem Lernen - ist niemals nur mechanisches Eingeprägt-Bekommen, sondern immer Überführung von Input in vorausbestehende Repräsentationen, ist immer Be- und VerArbeitung. Beispielsweise wird das von der visuellen Wahrnehmung genauso behauptet wie vom Spracherwerb.25 e) Die geteilte Verantwortlichkeit beim Verstehen zeigt sich sehr schön in der folgenden Alltagssituation: In einer Diskussion widerspricht mir ein Diskussionsteilnehmer. Ich sage auf seinen Widerpruch hin: "Ich glaube, 22
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Paradoxerweise ist der Text I zwar transitorisch im Verstehensprozess; ausserhalb dieses Prozesses ist aber gerade der Text I das, was Zeiten überdauert, das was bleibt ("fester Buchstab"). Der Terminus Auswendiglernen reflektiert sehr hübsch den kategorialen Unterschied zum Verstehen, was ein Inwendig-Lernen, ein Aneignen dessen, was den Zeichen 'inwendig1 ist, wäre. Man denke etwa an die Anekdote, wonach Bob Dylan die berühmte Liedzeile der Beatles "I can't hide" schlicht als "I get high" missverstanden hat, bis er bei seinem ersten Zusammentreffen mit der in Drogen-Sachen noch reichlich unschuldigen europäischen Band eines Besseren belehrt wurde. Bekanntes Indiz dafür sind beispielsweise bei der visuellen Wahrnehmung die optischen Täuschungen: Man sieht anders, als die Wirklichkeit ist. D.h. unsere visuelle Wahrnehmung funktioniert nicht wie eine Kamera mit passiv-rezeptiver Fotoplatte, sondern visuelle Wahrnehmung ist Überführung eines Inputs in eigene Strukturen (oft sagt man: Wahrnehmen ist 'Umrechnen'). - Dafür, was das für den Spracherwerb heisst, vgl. G. Fanselow/S. W. Felix (1987/1).
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Sie haben mich da nicht ganz richtig verstanden." Diese meine Replik ist nicht ganz ungefährlich, denn für das Missverständnis mache ich damit sehr stark den Widersprechenden verantwortlich: ich qualifiziere seine Verstehensleistung - als spezifische Form von Handeln - als mangelhaft. Weitaus höflicher, weil ich damit die Verantwortung für das Missverständnis selber übernehme, aber natürlich nicht einfach äquivalent, ist, wenn ich sage: "Ich glaube, ich habe mich etwas unklar ausgedrückt." Das heisst nicht eigentlich: "Sie haben mich falsch verstanden", sondern "Sie konnten mich gar nicht richtig verstehen. Die Verantwortung liegt bei mir. Ich habe Ihnen einen schlechten Text I geliefert." f) Das Schema 10 zeigt den Unterschied von Text I und Text II: Textualität, Kohärenz, Sinn sind Eigenschaften eines Textes II. Ein Text I deutet einen Text II immer nur an; es ist der Rezipient, der den Text I zum Text II ausdeutet. Ein Text I ist verständlich, wenn er einen Text II so andeutet, dass der Rezipient den Text I zum Text II ausdeuten kann. Dabei ist allerdings das Verhältnis von Text II zu Text I keineswegs beliebig; vielmehr ist davon auszugehen, dass es normalerweise - ich denke jetzt an Sachtexte - zu einem Text I lediglich eine schmale Bandbreite zulässiger Texte II gibt. Ist diese Bandbreite zu gross, so ist der Text I mehrdeutig oder vage und gerade darin nicht maximal verständlich. Für literarische Texte mag das ganz anders sein: Da kann es ein Ideal sein, dass ein Text I bei jedem Verstehen auf einen neuen Text II führt. g) Wir können nun sagen, was ein Missverständnis ist: Ein Rezipient deutet einen Text I so aus, dass der dabei entstehende Text II ausserhalb der vom Produzenten intendierten und damit zulässigen Bandbreite möglicher Texte II liegt. Gegenstand eines Missverständnisses kann ein Detail sein, das kann aber auch der Text II in seiner Ganzheit oder seinem innersten Kern sein (vgl. auch Bemerkung c weiter oben). Ein Unverständnis hingegen liegt dann vor, wenn es einem Rezipienten nicht gelingt, zu einem Text I einen kohärenten Text II herzustellen (globales Unverständnis), oder wenn der Rezipient bestimmte Teile von Text I in dem von ihm geschaffenen Text II nicht unterbringen kann.26 Insgesamt: Ein Text I determiniert einen bestimmten Text II (oder eine schmale Bandbreite von Texten II), ein Text I ist aber nicht ein Text II, und mithin ist ein Text I niemals kohärent und weist niemals die Eigenschaft der Textualität auf, die die Textlinguistik sucht und lange Zeit in Texten I gesucht hat.
26
Vgl. hierzu auch Abschnitt 6.5.1 über die Texthintergrundslogik (THL) und die Textvordergrundslogik (TVL).
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h) S. J. Schmidt (1983, 64) nennt Text I die Textpartitur analog zu einer Musik-Partitur: Man kann und muss sie spielen, damit es Musik wird, und man spielt die Partitur notwendig immer etwas anders.27 S. J. Schmidt spricht vom Text I auch als Kommunikat-Basis, die ein Interpretationsangebot an den Rezipienten darstellt; Text II nennt er das Kommunikat,,28 das ist ein interpretiertes Interpretationsangebot. T. A. van Dijk (1980b, 33) unterscheidet - nach meinem Dafürhalten mit einer irreführenden Terminologie - implizite Textbasis von expliziter Textbasis. Implizite Textbasis ist das, was in einem Text I dasteht, das, was für alle Rezipienten gleich ist; implizit heisst heisst die Textbasis, weil in ihr vieles implizit ist. Explizite Textbasis ist das vom Rezipienten hergestellte Konstrukt; explizit heisst dieses, weil in ihm auch das in der impliziten Textbasis Implizierte ergänzt ist. In der Literaturwissenschaft gibt es die Unterscheidung von Text und Werk, in der unser Unterschied von Text I und Text II wohl aufgehoben ist.29 i) Die Tatsache der geteilten Verantwortung für das Verstehen lässt sich auch ummünzen in eine differenzierte Verantwortung des Textproduzenten für das Verstehen: Texte I müssen so beschaffen sein, dass sie von ihren spezifischen Adressaten verstanden werden können. Texte I müssen mit ändern Worten adressatenspezifisch sein. Dass das insbesondere im schulischen Schreiben ein grosses Problem schafft, muss uns noch beschäftigen.30 j) Aus der Grundannahme über das Verstehen folgt ein gravierendes Problem für die Textanalyse und -bewertung in unserem Zürcher Forschungsprojekt: Wir sind als Analysierende und Bewertende vorerst immer Verstehende. Sind wir die intendierten Verstehenden? Können wir uns in die Lage dieser intendierten Verstehenden versetzen? Müssen wir das? Oder können oder sollen wir analysieren und bewerten von einem möglichst 'allgemeinen' Verstehenden aus? Ist so etwas möglich und legitim? 27
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Die Metapher ist überdies dahingehend ausbeutbar, als eine Partitur auch als eine Zusammefassung der diversen Instrumente und Stimmen eines Orchesters verstanden werden kann, so wie ein Text I eben auch verschiedene Ebenen ansprechen muss, um zu einem ganzheitlichen Verständnis anzuleiten. Ich habe diesen Terminus im Abschnitt 5.3. l genau im ändern Sinn, nämlich im Sinne von Text I gebraucht. Stärker, imperativischer und nicht bloss als Inteipretationsangebot, sieht S.J. Schmidt (1973, 76) den Text I, wenn er ihn eine Anweisungsmenge nennt (vgl. auch M. Scherner 1984, 83). Ebenso schreibt B. Schlieben-Lange (1975, 194): "Die Sprache ist Imperativisch." Wieder schwächer, nämlich als Angebot, sehen E. Nündel/W. Schlotthaus (1978) den Text I. Vgl. Abschnitt 6.5.4.
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5.4 Zum prozessualen Aspekt des TextVerstehens Meine Ausführungen hierzu müssen sehr kurz ausfallen. Ich muss mich mit einigen allgemeinen Bemerkungen begnügen. Die Forschung ist stark im Fluss, und in jedem Fall führen Details uns weg vom eigentlichen Thema.31 Verstehen im Lichte der kognitiven Psychologie ist - so habe ich gesagt ein komplexer Informationsverarbeitungsprozess. Ganz allgemein habe ich von einer Amalgamierung von dreierlei Informationsquellen gesprochen: dem Text I-Input, dem Input des situativen Umfeldes des Textes I und dem Vorwissen (zu letzterem weiter unten ausführlicher). Dabei entsteht das, was ich Text II genannt habe, ein geistiges, inneres Textwelt-Modell zu Text I. Dieses wird Teil meines geistigen Besitzes, tritt also ein in mein Vorwissen. Man kann darum das Textverstehen als einen Prozess der Integrierung von Neuem in bestehende Wissensstrukturen beschreiben, wobei sich der Input diesen Strukturen anpasst und umgekehrt diese Strukturen sich dem Input anpassen; letzteres können wir Lernen nennen. Wie das im einzelnen aussieht, kann ich hier nicht darstellen. Einiges wird vielleicht etwas klarer, wenn ich mich weiter unten den Voraus-Strukturen widme.32 Bei der Amalgamierung von Input mit Voraus-Strukturen kommt es zu Inferenzen: Ein Rezipient nimmt einen Input stets als Basis für geistige Schlussprozesse. Die Produkte dieser Schlussprozesse begründen das Mehr des Textes II gegenüber dem Text I; sie ergänzen im besten Fall den Text I um genau das, was der Textproduzent bei der Textproduktion präsupponiert hat,33 d.h. was er im Text nicht gesagt hat unter der Annahme, dass es der Rezipient von sich aus ergänzen würde. Ein Textproduzent muss seinen Text I so einrichten, dass gewährleistet ist, dass der Textrezipient wenigstens die Inferenzen machen kann und macht, die auf das führen, was der Produzent präsupponiert.34 Ein Textrezipient inferiert auf der Basis des 31
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Es sei auf einschlägige Literatur verwiesen; nebst der eingangs dieses Kapitels erwähnten noch die folgende: T. A. van Dijk/W. Kintsch (1983), M. A. Just/P. A. Carpenter (1977), M. A. Just/P. A. Carpenter (1987), A. J. Sanford/S. C. Garrod (1981), H. Strohner (1988). Hinter diesen Überlegungen steckt insbesondere die Konzeption des Text-Verstehens von P. Johnson-Laird (1983), wonach beim Text-Verstehen ein sogenanntes mentales Modell aufgebaut wird: "A necessary and sufficient condition for a discourse to be coherent as opposed to a random sequence of sentences, is that it is possible to construct a single mental model from it." (1983, 370) Vgl. hierzu auch A. Linke/M. Nussbaumer/P. R. Portmann (1991, Kp. "Psycholinguistik"). Wiederum spreche ich hier nur von sogenannten Gebrauchstexten. Vgl. zum Stichwort Präsuppositionen A. Linke/M. Nussbaumer (1988), wo wir - in bewusster Ausweitung und Verwässerung eines von der Logik entlehnten Begriffs, der in der Sprachwissenschaft aber längst so weit und entleert gebraucht wird - eine
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Text-Inputs, des Situations-Inputs und seines Vorwissens und im Rahmen ganz allgemeiner kommunikationsleitender Maximen, wie sie insbesondere H. P. Grice u.a. formuliert haben.35 Zum genauen Prozess des Verstehens nur so viel: Verstehen spezifische Performanz ist eine Menge von Prozessen mit folgenden Eigenschaften: - auf den verschiedenen Textebenen parallel, synchron ablaufend - on-line ablaufend - bottom-up- und top-down-Prozesse, - rekursiv, zyklisch. Was heisst das? Seit den 60er Jahren hat man viel gearbeitet an Modellen für die rezeptiven Verarbeitung von grammatischen Einheiten bis hin zum Satz. Lange Zeit konzipierte man solche sogenannte Parser einfach als umgedrehte generative Grammatikmodelle. Heute setzt sich immer mehr die Einsicht durch, dass für die Verarbeitung beispielsweise einer syntaktischen Struktur die Modellierung dieser Struktur, wie sie eine generative Grammatik bietet, als Erklärung nicht ausreicht.36 Ein wichtiges empirisches Feld für die Theoriebildung in diesem Bereich sind rezeptive Fehlleistungen, also 'Verhörer' oder 'Verleser' in Analogie zu den Versprechern und 'Verschreibern'.37 Eine Verstehensforschung kann sich aber natürlich nicht auf die Verarbeitung von grammatischen Einheiten beschränken, sondern ihr eigentliches Ziel ist die Erfassung von Sinn, ist der Aufbau komplexer Text II-Welten. Dazu ist es nötig, dass man den Prozess des Verstehens als einen konzipiert, der auf den verschiedenen Text-Ebenen gleichzeitig abläuft, auf einer lautlichen oder graphematischen, einer lexikalischen, einer syntaktischen, auf einer propositionalen und einer über-propositionalen, einer illokutiven der Handlungen etc.38 Doch ist dies nicht nur dann nötig, wenn man Textverstehen global erfassen will, sondern auch das Verstehen von Wörtern und Sätzen scheint nur zu funktionieren, wenn gleichzeitig ein Verstehen auf der viel globaleren Ebene des Sinns stattfindet.
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Typologie von Präsuppositionen vorgeschlagen haben als eine Typologie all dessen, was in einem Text I nicht gesagt wird, aber mitverstanden weiden kann und muss. Was in diesem Aufsatz zusammengestellt ist, findet sich im vorliegenden Kapitel und teilweise auch im weiteren Rahmen der vorliegenden Aifoeit verstreut. Vgl. auch R. Keller (1975), P. v. Polenz (1985, Kp. 4), R. Van de Velde (1988; 1989a; 1989b). Vgl. H. P. Grice (1975), W. Kallmeyer/F. Schütze (1975), D. Sperber/D. Wilson (1986) u.a. Einige interessante Bemerkungen zu von solchen Maximen - insbesondere der Relevanz - gesteuerten Inferenzprozessen machen R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler (1981, 147ff.) mit ihrem Drei-Stufen-Modell der Informativität. Vgl. dazu auch mein Kp. 9 "Attraktivität". An neuerer Literatur hierzu sei S. W. Felix/S. Kanngiesser/G. Rickheit (Hg.) (1990) erwähnt Vgl. den Abschnitt 2.3.1 zur sogenannten "Fehlerlinguistik". Vgl. im Abschnitt 5.5.6 mein Textmodell mit der Triade der Textebenen.
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In diesem Zusammenhang taucht folgendes Begriffspaar in der Diskussion immer wieder auf: bottom-up-Prozesse (Von unten nach oben') und topdown-Prozesse ('von oben nach unten'): - bottom-up: Aufsteigendes, Text-Input-geleitetes, induktives Verarbeiten von den Teilen zum Ganzen. - top-down: Absteigendes, schemageleitetes, von Erwartungen, Zielen, Vorannahmen, Hypothesen geleitetes, deduktives Verstehen.39 Für die top-down-Prozesse spielt das Vor-Wissen eine wichtige, leitende Rolle: Noch vor Erreichung des Endes des Text-Inputs, d.h. eigentlich permanent, bildet der Verstehende aufgrund seines Vorwissens und damit verbundenen Annahmen und Erwartungen Hypothesen darüber, was 'das Ganze soll', und diese Hypothesen leiten entscheidend die Verarbeitung des nach und nach eintreffenden Informationstromes. Das nennt man on-lineVerarbeitung.40 Neu eintreffende Informationen können zu Revisionen der Hypothesen über das ganze führen, was teilweise die Neu-Verarbeitung bereits verarbeiteten Inputs nötig macht, d.h. der Prozess kann rekursiv oder zyklisch sein. Viele Autoren modellieren den Verstehensprozess als einen komplexen Problemlösungsprozess und machen dabei Anleihen bei allgemeinen Problemlösungstheorien. Andere - oder die gleichen - Autoren versuchen es mit Tätigkeits- und Handlungstheorien.41 Schematheorien diskutieren diverse Möglichkeiten der Angleichung von Input und Voraus-Schemata. Darauf komme ich sogleich zurück. Diese paar wenigen Andeutungen zum eigentlichen prozessualen Aspekt des Textverstehens müssen genügen. Ich möchte mich im folgenden der repräsentationalen Seite des Verstehens- und Verständnis-Problems zuwenden, das - ich habe es oben gesagt - zwei Aspekte hat: - die Repräsentation des Text-Verständnisses, des Textes II (a) - und die Repräsentation der Voraus-Strukturen, des Vorwissens, das beim Aufbau eines Textes II eine wichtige Rolle spielt (c).
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So weit ich sehe, passt das andernorts auch antreffbare Begriffspaar von data-driven versus concept-/hypothesis-/expectation-driven processes hierher. Vgl. hierzu eingehender H. Strohner (1988). Ich habe das im Abschnitt 4.4 für die Modellierung des Verstehens von Pronomen erwähnt: Für das Verständnis von Pronomen muss man unterscheiden zwischen den Informationen, die im Moment des Auftauchens eines Pronomens zur Verfügung stehen, und den Informationen, die im weiteren Verlauf der Verarbeitung noch dazukommen und möglicherweise dann zu Revisionen des ersten Verständnisses zwingen. - Das gilt natürlich ganz generell, nicht nur für Pronomen-Verarbeitung. Vgl. aber den Einwand von HJ. Heringer, Fussnote 19.
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5.5 Zum repräsentationalen Aspekt des TextVerständnisses - Textbegriff - Grundzüge der Funktionalen Texttheorie 5.5.1 Zusammenhang von Text, Textkohärenz, Textthema, Texttitel Worin besteht die Kohärenz eines Textes II? Was ist das, was einen Text II 'im Innersten zusammenhält'? Oft wird gesagt, wenn man einen Text zusammenfassen könne oder wenn man für ihn ein Thema benennen könne, ihm gar einen Titel setzen könne, der zum Ausdruck bringt, 'worum es in dem Text geht', dann sei das Ausdruck davon, dass man einen kohärenten Text, eben einen Text im Kopf habe.42 Ich glaube, dass zur Explikation von Texten II (ihrer Textualität, ihrer Kohärenz) Stichworte wie TextkondensatyZusammenfassung, Thema, Titel tatsächlich wichtige Stichworte sind. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass sich die Textualität eines Textes II genau darin niederschlägt, dass der Text II ein integrales Thema hat. Allein, damit ist vorerst wenig gewonnen, denn das Konzept des Textthemas ist natürlich genau gleich erklärungsbedürftig wie dasjenige des Textes.43
5.5.2 Funktionaler vs. propositionaler Text-, Thema- und Kohärenz-Begriff Immerhin: Es gibt ein sehr starkes Alltagskonzept von Thema, das sich auch weitherum in der Textlinguistik findet und in dem Thema in etwa den Sachbezug eines Textes meint, das also, 'wovon ein Text handelt'. Ich nenne dies den propositionalen Thema-Begriff, der einen propositionalen Text-Begriff begründet. 42
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Beispielsweise wird in T. A. van Dijk/W. Kintsch (1983) ganz stark der Slogan vertreten, dass man Texte in dem Masse versteht bzw. kohärent findet, in dem man sie zusammenfassen kann. - Den weitläufigen Zusammenhang von Text, Textualität und Thema behandelt A. Lötscher (1987). Der Untertitel dieser Arbeit, "Studien zur thematischen Konstituenz von Texten", weist in die Richtung, dass die thematische Einheit kohärenz- und damit text-stiftend, text-konstitutiv ist. A. Lötscher (1987, 128) explizit: "[...], dass die Beschreibung der Thematik eines Textes bzw. der thematischen Strukturierung eines Textes eine Voraussetzung für die Erklärung der Kohärenz des Textes darstellt." - Zum Zusammenhang von Text und Titel vgl. P. Hellwig (1984a; 1984b). Vgl. A. Lötscher (1987).
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Demnach besteht ein Text I aus einer Reihe von Sätzen, in denen jeweils eine oder mehrere Propositionen enthalten sind.44 Diese Propositionen sind Anstoss für den Rezipienten, ein propositionales Grossgebilde, eine propositionale Textwelt zum Text I, eben den Text , zu (re-) konstruieren. Das bekannteste Modell hierfür stammt von T. A. van Dijk (z.B. 1980c) und wird in der linguistischen Forschung unter dem Stichwort der Makrostruktur von Texten gehandelt. Es gibt andere Modelle, die in Details davon abweichen.45 T. A. van Dijk hat eine Reihe von Operationen formuliert, mittels derer ein Textrezipient die ihm vom Text-Input angebotenen Propositionen unter Rückgriffen auf sein Vorwissen zum Ganzen einer propositionalen Makrostruktur integriert. Ich verzichte darauf, das hier im Detail anzuführen. Wichtig ist, dass das ein Prozess der Verdichtung des propositionalen Gehalts eines Textes ist, vergleichbar - so könnte man auf den ersten Blick wenigstens meinen - einem Verdichtungsprozess bei der Herstellung einer Zusammenfassung, eines Abstracts o.a. Wichtig scheint mir bei solchen Modellen des Textverständnisses die mehr oder weniger starke Durchbrechung der Linearität des Textes: Das, was einen Text II zusammenhält, ist eine Struktur hinter der Linearität des Textes I, darstellbar etwa als hierarchischer Baum von sich überlagernden propositionalen Hyper- und Hypo-Themen. Diese Struktur wird als eine propositionale Struktur gesehen, als eine Struktur des Textgegenstandes, von dem der Text handelt. Es mag sehr viele Typen von Texten geben, wo diese Sachverhaltsstruktur sehr dominant ist und sich gewissennassen aufdrängt. Ich nenne diese Typen von Texten vorderhand einmal "ordo naturalis"-Texte, Texte also, die eine starke Ordnung dessen, von dem sie handeln, importieren und sich als eigene Ordnung zu eigen machen. Zu denken ist an erzählende Texte oder Gegenstandsbeschreibungen. Doch scheint mir selbst bei solchen Texten diese rein propositionale Sichtweise auf Textkohärenz und Textthema verkürzt, und zwar um den entscheidenden Punkt verkürzt. Nimmt man hingegen argumentative Texte in den Blick, so zerfällt die Fiktion der rein propositionalen Kohärenz im Nu. Was ist es denn, was solchen Texten (und ich behaupte: jedem Text) letztlich den Zusammenhalt stiftet? Ich behaupte, dass nicht so sehr der Gegenstand oder Sachverhalt, von dem ein Text handelt, seinen thematischen Kern oder seine Kohärenz ausmacht, sondern vielmehr, dass und wie er davon handelt. Über den Sachbezug, über den propositionalen Gehalt dominiert eine Text-Funktion, dominiert eine Text-Intention, dominiert eine Text-Hlokution. Sie ist es, die den Text 'im Innersten zusammenhält', und zwar jeden Text! 44 45
Zum genauen Verhältnis von Satz und Proposition vgl. weiter unten Abschnitt 5.5.6.B sowie den Abschnitt 2.1.2. Vgl. die Zusamenstellung in G. Rickheil/H. Strohner (1985).
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Krass sichtbar ist das etwa in einer zugegeben sehr markierten Textsorte wie einem Trostbrief, in dem man Von Gott und der Welt' handeln kann in einer Art und Weise, die vom reinen Sachbezug her betrachtet niemals kohärent genannt werden könnte; die Sachen scheinen gar eher zweitrangig. Kohärenz stiftet hingegen sehr stark die generelle Funktion eines solchen Textes, und wenn auch seine Gegenstände vielleicht gar nicht so wichtig sind, der Text und mit ihm sein Thema ist es - das Thema ist eben nicht einfach das, wovon der Text spricht, sondern dass und wie er davon spricht. Ein anderes Beispiel wären diverse Texte über einen Unfall: die persönliche Schilderung, die Zeitungsnachricht, der Polizeirapport, der Versicherungsrapport. Sie alle haben den gleichen Sachbezug, aber sie handeln sehr unterschiedlich davon; ich sage: sie haben ein unterschiedliches Thema. Sachverhaltsfragmente, die im einen Text zentral und konstitutiv sind, können im ändern die Kohärenz zerstören: Nicht die Sachordnung stiftet die Kohärenz, sondern der Gestus des Handelns von den Sachen. Noch ein anderes Beispiel: Texte zum Gegenstand "Ehe": Ein Text aus dem Zivilgesetzbuch, eine Hochzeitspredigt, die Ansprache der Standesbeamtin, ein Schülertext zum Thema "Soll man heiraten?", eine Parlamentsdebatte zum Eherecht, ein Roman, eine soziologische Abhandlung, eine kulturhistorische Abhandlung, ein Heiratsinserat, ein Kneipen-Gespräch mit einem Freund, der Eheprobleme hat: So viele Texte, so viele Themen. Natürlich ist dabei auch der Gegenstand nicht einfach immer der gleiche, was aber entscheidend wechselt, ist nicht so sehr der Gegenstand als vielmehr das sprachliche Handeln von diesem Gegenstand. Ich will diesen Thema-Begriff den funktionalen Themabegriff nennen; er begründet einen funktionalen Textbegriff oder die Funktionale Texttheorie (FTT). Die FTT integriert den propositionalen Text- oder Thema-Begriff, analog der Sprechakttheorie, die in ihr Konzept von der Bedeutung eines Satzes den propositionalen Gehalt integriert.46 Formal könnte man das Textthema im Sinne der FTT so darstellen: F(p). Dabei ist p der propsositionale Textgehalt, F "normativ", "setzend" (z.B. rechtssetzend) -> "instruktiv", "befehlend" -> "behauptend", "belehrend" ohne Begründung
-> "deskritptiv" (So ist es.) -> "narrativ" (So war es. Das geschah.)
kausal ("kausal" i.w.S.)
Leitfrage: Warum ist etwas der Fall? -> "explikativ" (p ist/ist so, weil ...;p geschah, weil...)
Leitfrage: Warum soll man p glauben? Warum soll p gelten? -> "argumentativ" (Behauptungen, Meinungsbekundungen, Aufforderungen, Verbote etc. mit Begründungen; Handlungen mit Rechtfertigungen etc.)
[Schema 14]
Versucht man, die Typen wie deskriptiv, narrativ etc. in ein System zu bringen, so könnte das Schema 14 ein Anfang dazu sein.6 Vgl. z.B. R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler (1981, 190f.). Die sog. "Funktionalkommunikative Sprachbeschreibung (vgl. z.B. K.-E. Somerfeldt 1987) unterscheidet nebst 'Textklassen", die aufgrund der Grundfunktion des Textes gebildet werden (z.B. informierend, aktivierend, klärend), 'Textarten" nach dem "dominierenden Kommunikationsverfahren" wie deskritptiv, inziativ (Fragen, Bitten, Anregungen), inventiv (Argumentation, Erörterung, Beweis) u.a. Vgl. hierzu auch den Abschnitt 6.3.2 sowie J. Kopperschmidt (1989, 73). Das Schema
8 Textsorten
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Ich denke, dass man mit Charakterisierungen wie deskriptiv, narrativ, normativ usw. sowohl Texte in ihrer Grundfunktion bestimmen kann wie auch konstitutive Teile von Texten. So kann ein im Grunde argumentativer Text - etwa ein politischer Appell - einen narrativen Teil enthalten. Und umgekehrt mag in einem im Grunde narrativen Text ein argumentativer Passus - etwa im Sinne eines Plausibilitätsarguments für etwas Erzähltes vorkommen (vgl. Abschnitt 6.6). Von einer funktionalen Texttypologie mit Begriffen wie deskriptiv, narrativ, argumentativ gibt es einen starken Bezug zur traditionellen Aufsatzlehre mit ihrer Unterscheidung von: a) Beschreibung und Schilderung b) Erzählung und Bericht c) Besinnung und Abhandlung/Erörterung.7
8.1.5 Textbaumuster, Grobgliederung Ein Textthema, verstanden als eine bestimmte Text-Funktion über einem bestimmten Text-Gegenstand (vgl. Abscnitt 5.5.2), hat nicht eine beliebige Grobgliederung, sondern determiniert diese. Es gibt jedoch über die Determination der Text-Grossgliederung durch das Textziel und den Gegenstand hinaus gewisse etablierte Standardmuster der Gliederung. T. A. van Dijk (1980, 128-159) hat dafür den Terminus "SuperStruktur" geprägt, und er hat die "SuperStrukturen" für die 'Textsorten' "Erzählung",8 "Arguist nur ein Versuch; mit dieser Systematik ist insbesondere nicht Exhaustivität beansprucht. Beispielsweise haben Texte mit reiner Kontaktfunktion (phatische Funktion) darin keinen Platz. Die "nicht-kausalen" Typen sind gegenüber den "kausalen" im Prinzip 'durchlässig', d.h. der setzende ("nicht-kausale") Sprachgestus kann in den argumentierenden, begründenden, erklärenden etc. (in den "kausalen") übergehen. In bestimmten Textsorten oder Kommunikationsbereichen ist das allerdings verhindert, z.B. bleibt ein Gesetzestext normativ, z.B. sind militärische Befehle instruktiv. - Ich möchte insgesamt mit dem Schema lediglich andeuten, dass man solche bekannten Texttypologien rhetorisch und argumentationstheoretisch verankern sollte, also dort, von woher die zumeist intuitiven Begriffe dieser Typologien kommen oder wo sie zumindest traditionellerweise etwas systematischer 'zusammengedacht' werden.. Vgl. hierzu G. Beck (1988) oder O. Ludwig (1980b). Von den Begriffspaaren meint der erste Begriff jeweils die "subjektivere" Variante (also z.B. Schilderung), der zweite die "objektivere" Variante (z.B. Beschreibung). Vgl. auch W. Kallmeyer/F. Schütze und ihre Trias der Typen von in Dialoge eingebetteten "Sachverhaltsdarstellungen". Vgl. auch Abschnitt 6.1.2. Für die Erzählung rckurriert T. A. van Dijk auf die strukturalistische Erzähl-, insbesondere Märchcnforschung, die ihn wohl auch zum Konzept der SuperStrukturen inspiriert hat. Vgl. auch Abschnitt 5.5.4, Fussn. 70 mit Literatur zu den sogenannten "Geschichtengrammatiken".
264
8 Textsorten
mentation"9 und "wissenschaftliche Abhandlung" genauer herausgearbeitet. S. 154 listet er auch weitere "Textsorten" mit möglichen charakteristischen "SuperStrukturen" auf. Die SuperStruktur für den "Untersuchungsbericht" sieht etwa so aus, wie in Schema 15 gezeichnet (nach van Dijk 1980b, 151). Untersuchungsbericht Lösung Beobachtungen
L\iroau Versuchs]
Durchführung
Resultate
Diskussion
Untersuchungsbedingungen
[Schema 15]
Viele Textsorten weisen charakteristische SuperStrukturen oder Grossgliederungen auf. Einige davon sind in hohem Masse standardisiert und gar kodifiziert. Die Grossgliederung ist ein stark distinktives Merkmal. Normalerweise schlägt sie sich auch äusserlich - im Bereich der geschriebenen Sprache: graphisch - nieder. Oft ist die Grobgliederung Gegenstand von (insbesondere texttopischer) Metakommunikation. Schulaufsätze sind nicht von der Art von Texten mit charakteristischer SuperStruktur. Es gibt allenfalls bei bestimmten Aufsatzformen und in bestimmten Aufsatzdidaktiken Normen wie die von Einleitung, Hauptteil, Schlussteil.10
9
10
Vgl. Abschnitt 6.3.2. Es scheint mir falsch, "Argumentation" auf eine Stufe zu stellen mit "wissenschaftlicher Abhandlung" oder "Erzählung". Letztere scheinen mir eher Redegattungen im Sinne der klassischen Rhetorik, ersteres jedoch ein Redeteil, ein Textbausteinmuster und weniger eine Textsorte. In der klassischen Rhetorik wird das unter dem Stichwort der dispositio behandelt.
8 Textsorten
265
8.1.6Äusseres Erscheinungsbild, Materialisierung des Textes Im Bereich der geschriebenen Sprache ist damit die graphische Anordnung und Gestaltung eines Textes gemeint, in der sich insbesondere die TextGrossgliederung niederschlägt (sehr deutlich etwa die Zeitungsmeldung mit Titel, Untertitel, Lead, Text), in der sich darüberhinaus aber noch weitere Chrakteristika zeigen können (in der Todesanzeige die ganze Darstellungsform, der schwarze Rahmen). Hierher ist auch der auch Schrifttyp zu rechnen: in der Zeitung etwa Kursive für den Kommentar vs. Normalschrift für Meldungen; Handschrift im persönlichen Brief vs. Schreibmaschine oder Computer-Ausdruck für offizielle oder Geschäftsbriefe. Im Bereich der gesprochenen Sprache gibt es paraverbale und prosodische Mittel. Pausen markieren Grenzen von Textgrossteilen. Diese können sich voneinander abheben im Tempo, in der Lautstärke, im "Tonfall". Ein bestimmter "Tonfall" markiert ganze Texte als Exemplare eines bestimmten Typs; so verrät er den politischen Redner im Parlament, die RadioSprecherin eines ätherischen Berieselungs-Senders, den Beichtvater.
8.1.7 Kommunikationsmedium, Kanal, Textbenützer (Produzent, Rezipient),Kommunikationssituation, sozialer Kommunikationsraum In diesem Punkt habe ich verschiedene Dinge zusammengenommen, die nicht unbedingt zusammengehören. Auch in unserem Alltagsbewusstsein und in unserem Alltagsreden von "Textsorten" spielt das Medium manchmal eine wichtige Rolle. Denken wir z.B. an den Bereich der BriefKommunikation oder an Textsorten der Massenmedien. Gewisse Textsorten sind fest an bestimmte spezielle Situationen mit ganz speziellen Textbenützern und Rollen gebunden. Textsorten sind spezifiziert nach Kommunikationsräumen wie "privat", "öffentlich", "offiziell". Solches ist hier gemeint und braucht wohl nicht weiter ausgeführt zu werden.
8.1.8 Sprachmittelwahl, Sprachmittelkonfiguration An textsortencharakterisierenden Sprachmitteln kommt eigentlich alles in Frage, besonders: a) Wörter: Welche Lexeme werden gebraucht? Mit welcher Bedeutung werden sie gebraucht (z.B. alltagssprachliche oder fachsprachliche Be-
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deutung)? Es ist ungemeini'sehr/furchtbar!saumässig kalt draussen.n b) Wendungen, Floskeln, Versatzstücke; insbesondere sei hier erinnert an metakommunikative Wendungen, die bestimmte Textsorten auszeichnen können bzw. in bestimmten Textsorten deplaziert sein können c) morphologische Eigenheiten (Pluralformen, etwa bei Fremdwörtern; analytische oder synthetische Verbformen, etwa beim Konjunktiv II; Perfekt oder Präteritum; am Bach/am Bache, etc.) d) morphosyntaktische Eigenheiten, Satzmuster etc.; beispielsweise Texte mit deutlichem Ich im Unterschied zu Texten mit man, mit vermehrtem Passiv, mit sogenannter Deagentivierung12 e) Kohäsionsmittelgebrauch: Wieviel? Welche Mittel? Unter 8.1.6 habe ich die materielle Form der Sprache - das Schrift- bzw. Lautbild - bereits behandelt. Vorerst sei ein ganz lapidarer Punkt erwähnt: In der Sprachmittelwahl dürfte (oder sollte) sich niederschlagen, wo ein Text auf einer Skala von "empraktisch vs. synsemantisch" oder "situationseingebunden vs. situationsenthoben" anzusiedeln ist,13 so etwa im Umgang mit Deiktika14 oder genereller in der Realisierung von Referenz. Insofern als bestimmmte Textsorten per se situationseingebunden sind und andere per se situationsenthoben, dürfte diese Variation einschlägig sein. Der Text einer Gebrauchsanleitung zu einem Fotokopiergerät ist anders gestaltet als der Text, den ein Mitarbeiter der Herstellerfirma mündlich produziert anlässlich einer Demonstration des Gerätes vor den Mitarbeiterinnen der Firma, die das Gerät gekauft hat. Ein Gebrauchsanleitungstext ist aber auch anders, wenn er mit Zeichnungen von Geräteteilen kombiniert ist als wenn er das nicht ist. Doch nicht von solcher situationsgeschuldeter Sprachmittelvariation soll hier die Rede sein, sondern von ändern Variationsdimensionen, namentlich:15 - Register, Tonlage, Stilschicht - Fachsprache vs. Gemeinsprache - Wissenschaftssprache vs. Alltagssprache - Bildungssprache vs. Gemeinsprache - Gruppensprache vs. Gemeinsprache 1
' Vgl. weiter unten sowie den Abschnitt 2. l .2. Selbstbezügliche Fussnote: Ich stelle mir vor, dass einige meiner Leserinnen und Leser in meinem Text eine textsorten-unübliche Häufung von Ich feststellen. 13 K. Bühler (1934). - N. E. Enkvist (1986) setzt eine Skala an zwischen "extremly operational" und "extremly evocative". 14 Vgl. Abschnitt 4.2.2.A. 15 Vgl. die Artikel zu "Varietät", zu "Style and register" sowie zu "Linguistic repertoire" in U. Ammon/N. Dittmar/K. J. Matthcier (1987). 12
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- Standardsprachnähe vs. regionale Umgangssprache vs. Mundartnähe - Sprechsprachlichkeit vs. Schriftsprachlichkeit. Solche Variationsdimensionen kann man sich als Skalen denken, auf denen das anzusiedeln ist, was man Varietäten nennt, wobei Varietäten zumeist nicht bloss auf einer einzigen solchen Skala, sondern auf einem Schnitttpunkt diverser Skalen liegen. Wenn es um Varietäten geht, die spezifisch für bestimmte Verwendungssituationen sind, spricht man in der neueren Stilistik auch von Funktionalstilen. Ein wichtiger Begriff für die textsortenspezifische Sprachmittelvariation ist der des Registers,16 der Tonlage, der Stilschicht oder Stilfärbung als einer von vielen Dimensionen der inneren Variabilität einer historischen Einzelsprache. Ich habe im Kp. 4 "Grammatik" darauf hingewiesen, dass Sprachmittel ein bestimmtes pragmatisches Potential dieser Art aufweisen können. "Register" umfasst sicherlich das, was man in der Semantik auch Konnotation nennt, was in Wörterbüchern mit "Stilschichten"17 oder "Stilfärbungen" bezeichnet wird und was jeweils für Lexeme, die in dieser Hinsicht markiert sind, beim entsprechenden Lemma verzeichnet wird.18 Vgl. z.B.: WOG19
Duden. Universalwörterbuch20
dichterisch gehoben
dichterisch (ältere Dichtung, altertümelnd) gehoben bildungssprachlich normalsprachlich umgangssprachlich (alltäglich, familiärvertraulich, mündlich) salopp (burschikos, z.T. nachlässig) derb vulgär (niedrig, obszön, Gossensprache)
normalsprachlich umgangssprachlich salopp-umgangssprachlich vulgär [Schema 16]
Zu den "Stilschichten" kommen im WDG noch differenziertere "Stilfärbungen" hinzu. Im Duden (1989,9) heisst es: "Zu diesen stilistischen Bewertungen können Gebrauchsangaben wie 'scherzhaft, ironisch, abwertend, nachdrücklich, verhüllend, Schimpfwort' u.a. treten, die etwas über die Haltung des Sprechers oder die Nuancierung einer Äusserung aussagen." 16
17 18 19 20
Zum Begriff des Registers vgl. ausführlich Berruto (1980) sowie den entsprechenden Artikel in U. Ammon/N. Dittmar/K. J. Mattheier (1987). - In linguistischen Wörterbüchern ist der Begriff noch nicht überall verzeichnet, was zeigt, dass es sich dabei noch nicht um einen voll etablierten Begriff der Sprachwissenschaft handelt. Die klassische Rhetorik hat unterschieden zwischen den Stilarten stilus sublimis, stilus mediocris, stilus humilis. Vgl. hierzu K.-D. Ludwig (1986; 1991), U. Püschel (1990). Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (1964ff., 012ff.). Duden (l989, 9).
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8 Textsorten
Solche Abstufungen von Stilschichten diskutiert auch H. Löffler (1985, 169ff.), mit dem gewichtigen Zusatz, dass er dabei die traditionelle InBezug-Setzung von Stilschichten mit sozialen Schichten thematisiert. Löffler führt aus, schon in der klassischen Rhetorik habe man die Stilschichten tendentiell mit sozialen Schichten identifiziert, und als Stereotyp halte sich das bis in unsere Zeit; es habe allerdings den Status einer "literarischen Fiktion"21 und "grenze beinahe an soziale Verleumdung", wenn man etwa behaupte, untere soziale Schichten hätten auch nur Zugang zu unteren Stilschichten (Löffler 1985, 170). Wenn H. Löffler die Zuordnung von "Stilebene" und "Stil-Benennungen/Kennzeichen" vornimmt, die ich im Schema 17 wiedergebe, so betont er, dass es sich um einen idealtypischen Aufriss des "Register-Repertoires" von Mittelschichtsprechern handle: STILEBENE
STILBENENNUNG
erhaben gehoben Normallage l Normallage 2 Untemiveau ordinär
literarisch, poetisch, liturgisch, rituell förmlich, offiziell, institutionell öffentlich: höflich, wohl gesetzt, sprachbewusst privat: weniger kontrolliert, eingefärbt, umgangssprachlich lässig, salopp, jargonhaft grob, obszön, deftige Kraftausdrücke; auch literarische Zitate: Hundsfott,...
[Schema 17]
Die idealtypische Zuordnung wäre für Unterschichtsprecher gegenüber derjenigen für Mittelschichtsprecher gegen unten versetzt, d.h. beispielsweise, dass diejenige Stilausprägung, die für Unterschichtsprecher eher eine "öffentliche" Prägung hat, für Mittelschichtsprecher eher eine "private" Prägung hat. Wichtig ist vor allem, dass Sprecher verschiedener sozialer Schichten je über eine spezifische Bandbreite an Registern verfügen, dass also nicht soziale Schichten mit Registern identifiziert werden, sondern allerhöchstens - und immer nur idealtypisch - mit Register-Repertoires. So viel zum Register. Zweifellos zeichnen sich die allermeisten Textsorten durch bestimmte Registervorgaben aus.22 Nebst der Registervariation gibt es in einer historischen Einzelsprache jedoch noch weitere Dimensionen der Variation. Eine solche fasst das Begriffspaar von "fachsprachlich vs. gemeinsprachlich". Zu bestimmten Textsorten gehört eine fachsprachliche Sprachmittelwahl, in bestimmten 21
22
"Die Zuordnung beruht eher auf einer Theater-Konvention der Unwirklichkeit, wo der Bauer tölpelhaft, der Sklave ungehorsam und aufdringlich, der Herr normal und der König erhaben zu sein hat." (Löffler 1985,170) In N. E. Enkvists Liste der Wohlgeformtheitsbedingungen für Texte (Enkvist (1989b) figuriert das als "situational appropriateness (which could also be called stylistic fit or, with a monstrous coinage, as stylisticity)".
8 Textsorten
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ändern Textsorten ist gerade eine solche deplaziert. Andere Variationsdimensionen sind "bildungssprachlich vs. gemeinsprachlich" oder "wissenschaftssprachlich vs. alltagssprachlich". Eine weitere Dimension der Sprachvariation ist die soziale oder gruppenspezifische, insoweit sie nicht schon mit "fachsprachlich" oder "wissenschaftsprachlich" angesprochen ist. Es kann für bestimmte Textsorten dazugehören, dass man sie mit gruppensprachlichen Versatzstücken durchsetzt, oder aber, dass man dies unterlässt. "Standardnah vs. regional-umgangssprachlich vs. mundartnah" ist eine weitere Dimension der inneren Sprachvariation, und auch sie kann für Textsorten einschlägig sein. In der Deutschschweiz und in süddeutschen und österreichischen oder wiederum ganz norddeutschen Regionen hängt die regionalsprachliche Variation eng mit der Variation nach dem Parameter von "sprechsprachlich vs. schriftsprachlich" zusammen. In ändern Regionen ist sie eher davon entkoppelt.23 Die Variation nach "sprechsprachlich vs. schriftsprachlich" stellt aber, auch wenn sie mit ändern Variationen enge Verbindungen hat, durchaus eine eigenständige Variationsdimension dar, die sogar stark übereinzelsprachliche Züge aufweist. Auch diese Dimension ist textsortenrelevant. Ich komme im Abschnitt 8.2 etwas ausführlicher auf diese Problematik zurück.
8.1.9 Realisierungsmuster für bestimmte Textteile und TextTeilhandlungen Damit ist das spezifische Zusammentreffen bestimmter Sprachmittel mit bestimmten Textteilen oder Text-Teilhandlungen gemeint. B. Sandig (1983, 95ff.) illustriert die Unterschiedlichkeit von Textsorten am Beispiel der Einführung von Personen in den Text, der Personenschilderung (als eine spezifische Text-Teilhandlung). Diese ist sehr offen in literarischen Erzähltexten, auch in Alltagserzählungen, hingegen weit weniger offen in Kontaktanzeigen, Heiratsannoncen, Nekrologen, Polizeiberichten, hoch standardisiert in Todesanzeigen.
23
Die Variationsdimension von "standardsprachlich vs. mundartlich" ist dort aber ev. eher mit der sozialen, gruppensprachlichen Variation verknüpft.
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8.2 Sprechen vs. Schreiben gesprochene vs. geschriebene Sprache Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit "Wer ein Werkzeug auswählt oder gestaltet, kann das nicht tun, ohne sich die genaueste Rechenschaft zu geben von den Aufgaben, die es zu erfüllen hat, von den Bedingungen, unter denen es arbeiten soll, von dem Stoff, der zu seiner Herstellung verfügbar ist [...] So tiefgreifend sind die Unterschiede in den Bedingungen, in den Mitteln und Zwecken, in der gesamten Gestaltung, die zwischen geschriebenem und gesprochenem Worte bestehen. Wer all das unbefangen ins Auge fasst, wird nicht daran denken können, das eine als Massstab für das andere zu betrachten." (O. Behaghel 1899/1927; ziL nach G. Feldbusch 1985,39f.) Literatur Äugst, Gerhard/Karin Müller 1986: Rezension zu "Gisela Feldbusch: Geschriebene Sprache. Berlin 1985". In: WW 36,5,407-411. Ehlich, Konrad 1981: Text, Mündlichkeit. Schriftlichkeit. In: Hartmut Günther (Hg.): Geschriebene Sprache - Funktion und Gebrauch, Struktur und Geschichte. München (= Forschungsberichte des Instituts für Phonetik und Sprachliche Kommunikation der Universität München 14), 23-51. Feldbusch, Gisela 1985: Geschriebene Sprache. Untersuchungen zu ihrer Herausbildung und Grundlegung ihrer Theorie. Berlin. Günther, Hartmut 1983: Charakteiislika von schriftlicher Sprache und Kommunikation. In: K. B. Günther/H. Günther (Hg.): Schrift, Schreiben, Schriftlichkeit. Arbeiten zur Struktur, Funktion und Entwicklung schriftlicher Sprache. Tübingen (= RGL 49), 17-39. Klein, Wolfgang 1985: Gesprochene Sprache - geschriebene Sprache. In: LiLi 15,59,9-35. Koch, Peter/Wulf Österreicher 1985: Sprache der Nähe, Sprache der Distanz. In: Romanistisches Jahrbuch 36,15-43. Ludwig, Otto 1980a: Geschriebene Sprache. In: Hans Peter Allhaus/Helmut Henne/Herbert Ernst Wiegand (Hg.): Lexikon der germanistischen Linguistik. Bd. II. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen, 323-328. Ludwig, Otto 1980b: Funktionen geschriebener Sprache und ihr Zuammenhang mit Funktionen der gesprochenen und inneren Sprache. In: ZGL 8, l, 74-92. Wieder in: Hartmut Günther (Hg.): Geschriebene Sprache - Funktion und Gebrauch, Struktur und Geschichte. München (= Forschungsberichte des Instituts für Phonetik und Sprachliche Kommunikation der Universität München 14), 3-21.
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271
Müller, Karin 1990: "Schreibe, wie du sprichst!" Eine Maxime im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Eine historische und systematische Untersuchung. Frankfurt u.a. (= Theorie und Vermittlung der Sprache 12). Nerius, Dieter/Gerhard Äugst (Hg.) 1988: Probleme der geschriebenen Sprache. Beiträge zur Schriftlinguistik auf dem XIV. Internationalen Linguistenkongress 1987 in Berlin. Berlin (= LS/ZISW/A 173). Portmann, Paul R. 1990: Schriftlichkeit, Schriftsprache, Text. In: ders.: Schreiben und Lernen. Grundlagen einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik. Tübingen (im Erscheinen). Schank, Gerd/Gisela Schoenthal 1976: Gesprochene Sprache. Eine Einführung in Forschungsansätze und Analysemethoden. Tübingen (= GA 18). Schank, Gerd/Johannes Schwitalla 1980: Gesprochene Sprache und Geprächsanalyse. In: Hans Peter Althaus/Helmut Henne/Herbert Ernst Wiegand (Hg.): Lexikon der germanistischen Linguistik. Bd. II. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen, 313-322. Sieber, Peter 1990: Veränderungen in der Einschätzung von schriftlicher und mündlicher Sprache. In: ders.: Perspektiven einer Deutschdidaktik für die deutsche Schweiz. Aarau (= Reihe Sprachlandschaft 8), 50-77. Sieber, Peter/Horst Sitta 1986: Mündlichkeit und Schriftlichkeit. In: dies.: Mundart und Standardsprache als Problem der Schule. Aarau (= Sprachlandschaft 3), bes. 121-132. Tannen, Deborah (Hg.) 1982: Spoken and written language. Norwood, N.J. Vachek, Josef 1939/1976: Zum Problem der geschriebenen Sprache. In: Jürgen Schamhorst/ Erika Ising (Hg.): Grundlagen der Sprachkultur. Beiträge der Prager Linguistik zur Sprachtheorie und Sprachpflege. Teil 1. Berlin 1976 (= Sprache und Gesellschaft 8/1), 229-239. [Erstmals in: TCLP 8 (1939), 94-104.]
8.2.1 Vorbemerkung Die hier zur Sprache kommenden Unterscheidungen spielen in jeweils spezifischer Hinsicht auch in ändern Teilen der vorliegenden Arbeit eine wichtige Rolle und werden dort angesprochen: Im Abschnitt 2.5 (unter der Fragestellung: eine oder zwei Grammatiken für gesprochene und geschriebene Sprache/ein oder zwei "Systeme"?), im Abschnitt 3.2 über die Schrift, im Abschnitt 6.5.2 und 6.5.3 über die Logik der thematischen Entfaltung und die dahinter stehenden kommunikativen Grundhaltungen. Ich versuche diese diversen Fäden an der vorliegenden Stelle etwas zusammenzuzwirnen und zugleich die überaus facettenreiche und ziemlich verworrene Problematik von gesprochener und geschriebener Sprache etwas auseinanderzulegen.
8.2.2 Die drei Unterscheidungen im Überblick. Terminologie Ich schlage eine dreifache begriffliche und terminologische Unterscheidung vor; siehe dazu die Schemata 18 bis 20. Wie die Darstellungen deutlich machen sollten, handelt es sich um eine dichotomische Unterscheidung im ersten Fall (A. Sprechen vs. Schreiben), in den beiden ändern Fällen hingegen je um eine skalare Unterscheidung
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(B. gesprochene vs. geschriebene Sprache; C. Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit).
A. Medium/Kanal/Materialisierungsform
Sprechen
Schreiben
mündlich realisierte Sprache lautlich materialisierte Sprache mündlich
schriftlich realisierte Sprache graphisch materialisierte Sprache schriftlich
[Schema 18] Ein Wort zur Terminologie und zur Forschungssituation: Ich erachte diese dreifache begriffliche Unterscheidung und ihre terminologische Fixierung für dringend notwendig, angesichts einer Forschung, die sich durch extreme begriffliche und terminologische Unscharfe und entsprechend viele Missverständnisse und Scheindiskussionen auszeichnet. Die Notwendigkeit einer terminologischen wie begrifflichen Unterscheidung betont auch P. R. Portmann (1990, 181ff.). Er macht jedoch, so weit ich sehe, die Unterscheidung zwischen B und C nicht.
B. "Varietät VMRegisterV"Sprachform"
gesprochene Sprache
geschriebene Sprache
Sprechsprache sprechsprachlich Sprechsprachlichkeit
SchreiWSchriftsprache schreib-/schriftsprachlich Schreib-/Schriftsprachlichkeit
[Schema 19]
273
8 Textsorten
Eine vernünftige Terminologie zu finden ist extrem erschwert einerseits durch die Alltagssprache und andererseits durch in der Forschung allmählich etablierte Termini. Die Termini gesprochene Sprache (engl. spoken language) vs. geschriebene Sprache (engl. written language) als Termini für unterschiedliche Sprachvarietäten oder -formen haben sich, seit man sich seit Mitte der 60cr Jahre24 mit dieser Differenzierung beschäftigt, weitgehend etabliert,25 so dass auch ich sie übernehme, wenngleich mir die Termini von der Alltagssprache her viel eher in die Richtung der ersten Unterscheidung (A) zu deuten scheinen.
C. Kommunikative Grundhaltung
Mündlichkeit
Schriftlichkeit
[Schema 20] In der jüngeren Forschung findet sich vermehrt die Tendenz, die material-mediale Unterscheidung terminologisch und begrifflich abzuheben von der Sprachformdifferenz; ich sehe jedoch noch keine einheitliche Terminologie für die erste Differenzierung. Deshalb schlage ich mit P. R. Portmann (1990) und im Einklang mit der Alltagssprache vor, hier nominal von Sprechen (engl. speaking oder speech) vs. Schreiben (engl. writing) und adjektivisch von mündlich(realisiert)er vs. schriftlich(realisierter Sprache zu sprechen, obgleich das zu Verwechslungen mit den Termini der dritten Unterscheidung führen könnte. Für diese dritte Unterscheidung (Mündlichkeit, engl. oracy oder orality vs. Schriftlichkeit, engl. literacy)26 greife ich ein Termini-Paar auf, das sich in der jüngeren Forschung langsam durchzusetzen scheint, wo man sich nicht länger primär nur mit den Unterschieden in der sprachlichen Realisierung, in den Sprachformen also, beschäftigt, sondern immer mehr mit den hinter diesen unterschiedlichen Sprachformen steckenden kommunikativen Grund-Verfahren und Grund-Einstellungen, die nicht zuletzt auch den Aspekt von grundlegenden kommunikativen Normen haben.
24 25 26
Vgl. Ch. Leska (1965) und H. Rupp (1965). Vgl. z.B. O. Ludwig (1980a), G. Schank/J. Schwitalla (1980). Engl. literacy und oracy scheinen als Termini allerdings vorab Kulturzuständc (orale vs. literale Kulturen) zu meinen. Darum geht es mir hier eigentlich nicht.
274
8 Tcxtsorten
8.2.3 Die drei Unterscheidungen im einzelnen A.
Sprechen vs. Schreiben
Dieser materiale oder mediale Unterschied interessiert mich eigentlich nicht, bis auf die Tatsache, dass er in der Phylo- wie Ontogenese sowie auch in der Aktualgenese der mich interessierenden beiden ändern Unterscheidungen eine wichtige Rolle spielt. P. R. Portmann (1990, 181 und 186) sagt zu Recht, dass sich mündlich realisierte und schriftlich realisierte Sprache jederzeit sauber unterscheiden lassen; Zweifelsfälle, Übergänge gibt es nicht, und die Unterscheidung ist auf die Sprach Wirklichkeit bezogen exhaustiv. Natürlich kann man einmal mündlich Realisiertes (aufschreiben, dann wird es schriftlich Realisiertes (oder besser: schriftlich Fixiertes); und natürlich kann man schriftlich Realisiertes 'verlauten', dann wird es mündlich realisiert. Vertritt man den Standpunkt der Abhängigkeit des Schreibens vom Sprechen, dann sind Orthographie und Orthoepie die zwischen den beiden Materialitäten vermittelnden Regel- und Normbereiche, vertritt man den Standpunkt der Autonomie, dann sind sie die je autonomen Regel- oder Normbereiche für diese zwei Materialisierungsformen von Sprache (vgl. 3.1 sowie weiter unten). In der ganzen bisherigen Geschichte der Sprachen mussten Transformationen von der einen Materialität in die andere durch das Nadelöhr des menschlichen Gehirns. Seit neuestem scheint ein Weg über die Maschine gefunden. Zwei Vorsichtsklauseln sind hier jedoch angebracht: a) Damit, dass ich von solchen Transformationen zwischen Mündlichem und Schriftlichem rede, will ich nichts über Autonomie oder Abhängigkeit des einen Systems vom ändern präjudizieren (vgl. dazu weiter unten). b) Ebensowenig soll mit solchen Transformationen eine absolute Äquipotenz von Schrift und Laut behauptet werden. P. R. Portmann (1990, 181) spricht von "weitgehender Äquipotenz von schriftlichem und mündlichem Sprachmodus", buchstabiert das dann allerdings sehr absolut aus: "Alles, was sprachlich gesagt werden kann, kann auch geschrieben werden, alles, was geschrieben werden kann, kann auch mündlich ausgedrückt werden." Das scheint mir 'im Grossen' zu stimmen, nicht aber in allen Details; ich denke beispielsweise an die Markierung der Fokus-Hintergrund-Gliederung mittels Prosodie oder an andere Funktionen der Prosodie. Da ist die Schrift ärmer als die Lautung. Und umgekeht mag es auch Leistungen der Schrift geben, die lautlich unerreichbar sind: Man kann sich lautlich wohl nie so anpreisen wie mit einer Visitenkarte; ich denke auch an Konkrete Poesie oder einfach an die Handschrift eines Menschen, die vielleicht anderes verrät als seine Stimme.
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Eine interessante Frage scheint mir die nach möglichen weiteren differenzierenden Merkmalen dieser beiden Existenzformen27 von Sprache, nebst ihrer medialen Materialität, zu sein. Portmann favorisiert besonders den Gegensatz von Fixiertheit vs. Flüchtigkeit: Das Visuelle, schriftlich Realisierte habe die Merkmale der Fixiertheit, der Permanenz und der Wiederholbarkeit der Verarbeitung. Dem stehe die Flüchtigkeit des Akustischen, des mündlich Realisierten gegenüber (1990, 181 und 186). Portmann muss allerdings etwas später (1990, 189) einräumen, mit den Tonträgern sei dieser Gegensatz etwas relativiert. Ich stelle mir sogar die Frage, ob die Fixierung von Sprache als elektronische Datei, die nach Belieben mal graphisch und mal akustisch abrufbar ist, nicht letztlich die ganze Dichotomie in Frage stellt. Dem sind allerdings zwei gewichtige Einwände entgegenzuhalten, die uns Portmanns Unterscheidungskriterium differenzierter sehen lassen: a) Dem Menschen kann auch elektronisch gespeicherte Sprache immer noch28 nur entweder als lautlich oder als graphisch realisierte und nicht anders begegnen.29 b) Trotz dieser Wiederholbarkeit nun auch des mündlich Realisierten bleibt - wie Portmann richtig bemerkt - eine fundamentale Differenz zwischen dem mündlich Realisierten und dem schriftlich Realisierten; es ist diese Differenz, die etwa bewirkt, dass man für die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit mündlich realisierter Sprache diese gerne aufschreibt (transkribiert): Es ist ein ganz erheblicher Unterschied in der Überblickbarkeit, Übersichtlichkeit zwischen der lautlich materialisierten und der graphisch materialisierten Sprache: Schreiben transformiert die unhintergehbare Linearität der Sprache aus der zeitlichen Linearität mit ihrem Merkmal der momentanen Flüchtigkeit in die räumlich-flächige Linearität mit ihrem Merkmal der visuellen Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem. Es ist meines Erachtens dieses Merkmal, das die schriftlich realisierte Sprache von der mündlich realisierten fundamental unterscheidet nicht so sehr das Merkmal der Fixiertheit. Oder sagen wir: Es ist das Merkmal der Fixiertheit in einem strengeren Sinn, das mit blosser prinzipieller Wiederholbarkeit, die für gesprochene Sprache mit den Tonträgern erreicht ist, noch immer unerreicht ist. So weit einige Bemerkungen zum Unterschied von Sprechen und Schreiben. Wie gesagt interessiert dieser hier nur am Rande oder im Hintergrund. 27
28 29
Ich nenne die Materialitäten von Sprache Existenzformen oder -weisen. D. Nerius/J. Schamhorst (1980, 13) markieren damit eine Differenz: Sie nennen die Materialitäten Existenzweisen und verstehen demgegenüber unter Existenzformen das, was ich mit gesprochener und geschriebener Sprache meine, nämlich Varietäten der Sprache. Ich formuliere das absichtlich mit dieser zeitlich offenen Form; wer weiss, was noch auf uns zukommt. Wobei hier präzisierend vermerkt werden muss, dass ich so etwas wie die BrailleBlindenschrift als sekundäre Form zur schriftlichen Materialisierung betrachte, auch wenn sie strenggenommen eine taktile Materialisierung von Sprache darstellt.
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B.
8 Textsorten
Gesprochene Sprache vs. geschriebene Sprache
Ich habe das eine skalare Unterscheidung genannt. Was bedeuten die Termini? Es ist angebracht, hier folgendermassen zu differenzieren: a) Die nominalen Termini gesprochene Sprache/Sprechsprache und geschriebene Sprächet'Schreib-/'Schriftsprache bezeichnen Pol-nahe Bereiche bzw. die idealtypischen Pole einer Skala von Sprach"varietäten"30 oder "Registern"31, und sie bezeichnen damit solche idealtypischen "Varietäten" oder "Register" selber. Es handelt sich hier um eine von mehreren Variationsdimensionen einer historischen Einzelsprache. Es ist eine Skala, die extrem markierte "Varietäten" und eher 'neutrale', mittlere Sprachmittelkonfigurationen aufreiht. b) Die dazugehörigen Adjektive sprechsprachlich und schreib-/ schriftsprachlich sowie die von ihnen abgeleiteten Substantive sind entweder Epitheta für solche abstrakten Varietäten oder aber für konkrete Texte oder aber für einzelne Sprachmittel: So kann man einen konkreten Text als "besonders sprechsprachlich" charakterisieren, oder ein einzelnes konkretes Sprachmittel (ein Lexem, eine syntaktische Konstruktion) als "besonders schriftsprachlich" usw. Diese Skalen a) von Varietäten b) zur Einordnung von konkreten Texten oder zur Einordnung von konkreten Sprachmitteln kommen bestimmt in jeder Kultursprache, die die Mündlichkeit und die Schriftlichkeit (vgl. unten) kennt, vor. Die auf ihnen zu verzeichnenden "Varietäten" oder Sprachmittel dürften teilweise auch übereinzelsprachliche Züge aufweisen. Das liegt daran, dass wir es hier mit ganz stark aussersprachlich determinierten Abstufungen und Differenzierungen zu tun haben, die in jeder Sprachkultur, die die geschriebene Sprachform kennt, in ähnlicher Weise vorkommen. Die Varietätenskala "gesprochene Sprache vs. geschriebene Sprache" hat man sich so vorzustellen: a) Einerseits sind es idealtypische Bündelungen von solchen Sprachmitteln, die als einzelne besonders sprechsprachlich oder besonders schriftsprachlich markiert sind. Hier handelt es sich um qualitative Merkmale der "Varietät". b) Andererseits hat man sie sich auch so vorzustellen, dass in ihnen bestimmte - für sich genommen eher 'neutrale' - Sprachmittel in einer Häufung auftreten, die das spezifisch Sprechsprachliche oder Schriftsprachliche ausmachen. Das wären quantitative Merkmale der "Varietät". 30 31
P. R. Portmann (1990, 181). P. Sieber/H. Sitta (1986,123); sie erwägen den Begriff allerdings nur fragend.
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Die spezifischen Unterschiede lassen sich etwa so wie in Schema 21 zusammenstellen.32 GESPROCHENE SPRACHE
GESCHRIEBENE SPRACHE
->einfacherc, kürzere, variationsäimere Lexik; mehr Floskeln, sprachliche Versatzstücke ->sprechsprachliche lexikalische Spezifika ->viele und typisch sprechsprachliche Partikeln ->einfache, kürzere, variationsärmere Syntax ->'weiche', nicht streng durchkomponierte Syntax, unklare Ganzsatzgrenzen (ev. ganz anderes oder zusätzliches Gliederungsprinzip) Holophrasen ->typisch sprechsprachliche gramm. Kategorien und morpholog. Formen (z.B. Perfekt, analytischer Konjunktiv H, Demonstrativ- statt Personalpronomen) ->mehr 'Fehler ->typisch sprechsprachliche Konstruktionen ->markiertere Wortstellung ->weniger komponierter Textbau (z.B. weniger Konsequenz im Gebrauch von Kohäsionsmitteln; 'weiche', unscharfe Kohäsionsmittel)34 ->typisch sprechsprachliche Metakommunikation ->weniger Information im Verhältnis zur Texüänge ->etc.
->schwierigere, differenziertere, längere, variationsreichere Lexik ->schriftsprachliche Spezifika ->wenige Partikeln ->kompliziertere, längere, variationsreichere Syntax -> 3 ', streng durchkomponierte Syntax, klare Ganzsatzgrenzen ->typisch schriftsprachliche gramm. Kategorien und morpholog. Formen (z.B. mehr Prateritum, synthetischer Konjunktiv II) ->weniger 'Fehler133 -Xypisch schriftsprachliche Konstruktionen -> 'normalere1 Wortstellung ->stärker komponierter Textbau (z.B. konsequenterer Kohäsionsmittelgebrauch; Tiarte1, präzise Kohäsionsmittel) -Xypisch schriftsprachliche Metakommunikation ->mehr Information im Verhältnis zur Texüänge ->etc.
[Schema 21]
Man könnte - nach Durchsicht einer solchen Liste - versucht sein zu sagen: Insgesamt sind typisch schreib-/schriftsprachliche Sprachprodukte (Texte i.w.S.) sprachlich nicht nur anders als typisch sprechsprachliche Sprachprodukte, sie sind auch sprachlich 'voller', 'runder', ausgearbeiteter, elaborierter als typisch sprechsprachliche Sprachprodukte; letztere sind verglichen mit ersteren in rein sprachlicher Hinsicht nicht nur different, sie sind defizitär. Das erinnert uns an die Diskussion, die wir im Abschnitt 2.5 32
33 34
Es gibt viele Zusammenstellungen der Unterschiede. Ich verweise z.B. auf P. Sieber/H. Sitta (1986, 128f.), wo auch die einschlägige Literatur verzeichnet ist (S. 122f.). Im übrigen verweise ich auf Abschnitt 2.5.2 dieser Arbeit für einen speziellen Teilbereich der hier interessierenden Unterschiede. Vgl. dazu sehr viel differenzierter Abschnitt 2.5. Vgl. z.B. die Analyse des Schülertextes im Abschnitt 6.4.
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darüber geführt haben, ob man für gesprochene und geschriebene Sprache zwei oder aber nur eine Grammatik ansetzen soll. Es erinnert entfernt auch an Diskussionen in ganz ändern Bereichen: Diskussionen um den elaborierten und den restringierten Code in der frühen Soziolinguistik, und irgendwo hat es damit auch einen Zusammenhang, wenn man das folgende bedenkt: Diese idealtypisch gezeichneten Sprachformen sind das Resultat bestimmter pragmatischer Bedingungen, bestimmter kommunikativer Grundkonstellationen und ihnen entsprechender kommunikativer Grundeinstellungen, die ich mit meinem dritten Begriffspaar - mit Mündlichkeit und Schriftlichkeit - anpeile, und dabei handelt es sich um ontogenetisch und sozial durchaus unterschiedlich zugängliche Kommunikationsbereiche und Kommunikationseinstellungen und -fähigkeiten, wie ich im folgenden andeuten möchte. C.
Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit*5
Für die Unterschiede zwischen den Sprachformen der gesprochenen Sprache und der geschriebenen Sprache und also für die Existenz solcher idealtypischer sprachlicher Varietäten kann man unterschiedliche idealtypische pragmatische Bedingungen verantwortlich machen, unter denen diese Varietäten immer wieder aufs Neue entstehen und gebraucht werden: Bedingungen der Produktion, der Rezeption, der Verwendungssituation, der Verwendungsfunktion etc., die idealtypischerweise für die Sprechsprachlichkeit andere sind als für die Schriftsprachlichkeit. Man stellt sich diese pragmatischen Bedingungen wiederum am besten als idealtypische Bündelungen von Merkmalen vor, wie ich sie in Schema 22 zusamengestellt habe.36 Solche unterschiedliche pragmatische Bedingungen (wie sie Schema 22 zeigt) macht man gemeinhin verantwortlich für die Unterschiede zwischen den zwei idealtypischen Sprachformen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache; Gestus: "Weil die Produktionsbedingungen so und so sind, ist die Sprache so und so". Man trifft aber auch finale Erklärungen mit dem Gestus: "Weil die Rezeptionsbedingungen oder die Sprachfunktionen so und so sind, muss die Sprache so und so sein". Tatsächlich verhalten sich aufgrund der pragmatischen Konstellationen die Produktions- und Rezeptionsbedingungen spiegelbildlich; z.B. steht kurzer Planungszeit kurze Verarbeitungszeit gegenüber, oder fehlendem Feedback steht fehlende Rückfrage- und Einspruchsmöglichkeit entgegen etc. Damit deutet sich an, dass man das je konkrete, einzelne Auftreten von typisch gesprochener oder typisch geschriebener Sprache aus diesen je konkreten pragmatischen Bedingungen erklären zu können glaubt. Das ist 35 36
Vgl. zu diesem Abschnitt auch Abschnitt 6.5. Vgl. z.B. auch P. Koch/W. Österreicher (l985).
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zwar sicherlich ein Stück weit richtig, doch genau so sicher nur ein kleiner Teil der Wahrheit. TYPISCHE PRAGMATISCHE BEDINGUNGEN VON GESPROCHENER SPRACHE
TYPISCHE PRAGMATISCHE BEDINGUNGEN VON GESCHRIEBENER SPRACHE
->mündlich realisiert, lautlich materialisiert -xlialogisch, zweiwegig ->eher privat, wenig Kommunikationspartner ->ungeplant, spontan ->kurze Planungszeit (Produktion) ->kurze Verarbeitungszeit (Rezeption) ->Zeit-/Ortsgleichheit von Produktion und Rezeption
->schriftlich realisiert, graphisch materialisiert ->monologisch, einwegig ->eher öffentlich, mehr (und auch anonyme) Kommunikationspartner ->geplant ->lange Planungszeit (Produktion) ->lange Verarbeitungszeit (Rezeption) ->Zeit-/Ortsversetztheit von Produktion und Rezeption; zerdehnte Sprechsituation31 ->ohne direktes Feedback (für die Produzentin); ohne die Möglichkeit der Rückfrage, des Einspruchs (für den Rezipienten) ->von Produzenten und Situation abgelöstes sprachliches Produkt (verbunden mit grösserer Text-Autorität, grösserer Behaftbarkeit auf den Text) (Text, text, Sprachwerk, Poiesis) ->situationsenthoben, verselbständigt und verselbständigbar; synsemantisch ->ein Zeichenkanal (visuell) und im wesentlichen eine Zeichenart (verbal) ->etc.
->mit direktem Feedback (für den Produzenten); mit der Möglichkeit der Rückfrage, des Einspruchs (für die Rezipientin) ->an Produzenten und Situation gebundenes sprachliches Produkt (Diskurs, utterance, Sprechhandlung, Praxis) ->situationseingebunden, von der Situation untrennbar, empraktisch ->diverse Zeichenkanäle und Zeichenarten ->etc.
[Schema 22] Der ganzen Wahrheit näher kommen wir, wenn wir bedenken, dass gesprochene und geschriebene Sprache nicht einfach jedesmal, wenn sie entstehen, aus der immer neuen aktuellen Situation heraus so entstehen, wie sie sind, sondern mindestens so sehr auch Ausfluss sind aus unterschiedlichen kommunikativen Grundeinstellungen oder kommunikativen Varietäten, die ein bestimmtes Normenwissen darüber darstellen, wie bestimmte kommunikative Situationen grundsätzlich einzuschätzen sind und wie ihnen grundsätzlich kommunikativ zu begegnen ist, insbesondere auch mit welche Gestaltung der sprachlichen Mittel, mit welchem Einsatz der sprachlichen Mittel. Ein solches Nonnenwissen, das die Mündlichkeit und Schriftlichkeit idealtypisch darstellen, ist aus der je konkreten kommunikativen Situation, in der es erworben wurde herausgelöst und tritt der konkreten Situation erwartend und prägend, definierend entgegen und verwirklicht sich in der je 37
K. Ehlich (z.B. 1981,39).
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aktuellen Situation immer von neuem. Der Mensch erwirbt seine diversen, die 'Sprachfähigkeit1 ausmachenden Teilfähigkeiten zuerst in der Mündlichkeit, und erst um einiges später und für gewöhnlich nur im Zuge einer schulischen Sozialisation wird er auch teilhaftig der Normen der Schriftlichkeit. Zu diesen gehört die Produktion schreib-/schriftsprachlicher Texte; doch gehört dazu wohl noch mehr als die blosse Realisation einer bestimmten Sprachvarietät. Unter dem Leitstern der Schriftlichkeit kommt es auch zu ganz spezifischen kommunikativen Verfahren, Verfahren "entfalteter Schriftlichkeit" im Unterschied zu Verfahren der Mündlichkeit, wie ich sie im Abschnitt 6.5.2 charakterisiert habe. Solche kommunikative Grundverfahren umfassen mehr als nur bestimmte Sprachformen, sie umfassen auch - oder richtiger: hinter den Sprachformen stehen - grundsätzliche Arten der Wahrnehmung und Einschätzung der kommunikativen Situation, der damit verbundenen kommunikativen Planbildung und sprachlich-kommunikativen Bewältigung oder Lösung bestimmter Aufgaben oder Probleme, sie umfassen auch eine spezifische Art der Behandlung eines Themas etc. Man denke hier besonders zurück an den in Abschnitt 6.4 analysierten Schülertext, für den ich das Begriffspaar von Mündlichkeit und Schriftlichkeit vor allem auch im Zusammenhang mit dem Begriffspaar von Wissens- und Erfahrungsdiskurs bemüht habe (bes. die Abschnitte 6.5.2 und 6.5.3). Ich kenne eine Situation im Alltag, wo die Differenz zwischen einer so verstandenen Mündlichkeit und Schriftlichkeit besonders deutlich erfahrbar ist: die Situation, dass ich eine Person anrufe, um ihr etwas mitzuteilen, und am ändern Ende antwortet der automatische Telefonbeantworter und fordert mich auf, meine Mitteilung auf Band zu sprechen. In so einem Augenblick, der für mich oft ein Augenblick des Erschreckens ist, sehe ich mich statt in die erwartete Situation der Mündlichkeit in eine Situation der Schriftlichkeit versetzt, und das bedeutet: Mein kommunikatives Ziel ist zwar prinzipiell nach wie vor erreichbar, ich muss aber augenblicklich meine Planung grundlegend abändern, ich sehe mich vor die Aufgabe gestellt, unter Zeitdruck einen Text zu produzieren, der die Merkmale der Schriftlichkeit hat. Oftmals gelingt mir dieses abrupte Umschalten nicht, und ich hänge wieder auf, um einige Zeit später mit einer geplanten Schriftlichkeitshaltung erneut anzurufen. - Das Beispiel zeigt übrigens, dass Schriftlichkeit nur prototypischerweise, nicht jedoch notgedrungen auf das Schreiben festgelegt ist. In einer Sprachgemeinschaft gibt es Domänen oder Hoheitsgebiete der Schriftlichkeit und der Mündlichkeit. Diese Gebietsverteilung ist nicht ein für allemal fest, sie kann sich historisch wandeln,38 und es kann zu 38
Für eine Geschichte des Verhältnisses von Schriftlichkeit und Mündlichkeit vgl. G.
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unterschiedlichen Gebietsaufteilungen zwischen Generationen oder ändern sozialen Gruppen kommen, was wiederum zu Uneinigkeiten über Beurteilung und Bewertung von Texten führen kann. Seit einiger Zeit ist immer wieder festgestellt worden,39 dass Merkmale gesprochener Sprache vermehrt in Hoheitsgebiete der Schriftlichkeit vordringen, in die schöne Literatur, in die Wissenschaftsprosa, in die Sprache der Zeitungen, nicht zuletzt wohl auch in die Sprache der Schulaufsätze (vgl. die Abschnitte 6.5.2 und 6.5.3). Mit solchen Befunden sollte man sich nicht begnügen, sondern sie als Indiz dafür lesen, dass sich hier ein Wandel in der kommunikativen Grundeinstellung gegenüber bestimmten Textsorten und ganzen Kommunikationsbereichen vollzogen hat: der Wandel von der Einstellung der Schriftlichkeit zu der der Mündlichkeit (und vielleicht auch ein Wandel vom Wissensdiskurs zum Erfahrungsdiskurs).40 Das müsste sich dann auch in ändern textuellen Merkmalen als nur gerade den SprachformMerkmalen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache niederschlagen. Was die Normproblematik anbelangt, verweist G. Äugst (1983, 14) auf eine interessante Aporie in der Schreibdidaktik: Einerseits predige man Schreibern heute gemeinhin, dass ihre Sprache anders zu sein habe, wenn sie schreiben, als wenn sie sprechen: "Schreibe nicht, wie du sprichst!" Andererseits zeige hingegen die Verständlichkeitsforschung, dass schriftliche Texte umso verständlicher würden, je mehr Stil-Elemente der gesprochenen Sprache sie enthalten: "Schreibe, wie du sprichst!" Der Grund für diese scheinbare Aporie liegt nach meinem Dafürhalten in der zu grossen Pauschali tat der beiden Maximen. Vor dem Hintergrund meiner Unterscheidungen kann man hier nämlich differenzieren: "Schreibe nicht, wie du sprichst!" bezieht sich primär auf die kommunikative Grundhaltung, die in prototypischen Schreibsituationen eine der Schriftlichkeit zu sein hat, die etwa darauf abzielt, einen synsemantischen, selbstgenügsamen, von der Situation ablösbaren, aus sich heraus verständlichen Text herzustellen. "Schreibe, wie du sprichst!" zielt dagegen sehr viel eingeschränkter nur auf Merkmale der gesprochenen Sprache wie Einfachheit in Lexik und Syntax und darüber hinaus auf bestimmte textuelle Merkmale wie Metakommunikation, direkte Ansprache an den Rezipienten und dergleichen. Was die angeblich verständnisfördernde sprachliche Einfachheit in Lexik und Syntax betrifft, ist jedoch generell grosse Vorsicht bei Versuchen der Verallgemeinerung geboten (vgl. Abschnitt 5.6). Und wenn wir uns an die Ausführungen im Abschnitt 2.5 zur Frage "Eine oder zwei Grammatiken 39 40
Feldbusch (1985), B. Schlieben-Lange (1982), D. Tannen (1982), H. Glück (1987). Vgl. H. Eggers (1973), P. Braun (1987), P. v. Polenz (1984), K.-E. Sommerfeld! (1988), H. Glück/W. W. Sauer (1990). Vgl. hierzu M. Nussbaumer/P. Sieber (1991).
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für gesprochene und geschriebene Sprache?" erinnern, so scheint die Maxime "Schreibe, wie du sprichst!" auch lediglich bezogen auf die formale Gestaltung der sprachlichen Ausdrücke gefährlich: Unter der Ägide der Schriftlichkeit herrschen andere, strengere Akzeptanz-Bedingungen für sprachliche Ausdrücke als unter der Ägide der Mündlichkeit. Ein letztes: In der neueren Forschung zum Themenkomplex von "Schreiben, geschriebene Sprache, Schriftlichkeit" stellt das Stichwort Autonomie einen prominenten Streitpunkt dar.41 Es geht dabei ganz allgemein gesagt um die Frage, ob der Komplex von "Schreiben, geschriebene Sprache, Schriftlichkeit" gegenüber "Sprechen, gesprochene Sprache, Mündlichkeit" autonom ist oder aber nicht, wobei "nicht autonom" so viel hiesse wie: abgeleitet, blosse sekundäre Ausprägungen zu "Sprechen, gesprochener Sprache, Mündlichkeit". Ein Motto wie "Schreibe, wie du sprichst!"42 zeigt beispielsweise "Schreiben" gegenüber "Sprechen" als nicht-autonom. Man muss den 'Kampf um die Autonomie' von "Schreiben etc." vor dem wissenschaftshistorischen Hintergrund einer sehr langen Marginalisierung des Komplexes des "Schreibens etc." sehen. Derart allgemein benannt hat die Diskussion um Autonomie allerdings keinerlei Substanz. So facettenreich der Themenkomplex von "Sprechen vs. Schreiben etc." - wie ich hoffentlich bisher zeigen konnte - ist, so facettenreich ist auch die Ausprägung des Autonomie-Streitpunktes: Tatsächlich wird hier um ganz verschiedene Dinge gefochten (vgl. auch H. Günther 1983). Einmal muss man auseinanderhalten: a) die Frage der historisch-phylogenetischen Autonomie (Ist etwa Schrift und Schreiben etc. als Abbild von Sprechen entstanden, entwickelt worden, wie wir das heute glauben, oder hat sich Schrift, Schreiben etc. nur allmählich der Sprache angenähert, ohne eine gewisse Selbständigkeit aufzugeben?) b) die Frage der ontogenetischen Autonomie (im Erwerb durch den einzelnen Menschen; beispielsweise Transfer-Problematik für eine Lerntheorie) c) die Frage der systematischen Autonomie (etwa für die theoretische Erfassung des Orthographiesystems) d) die Frage der aktualgenetischen Autonomie (Spricht, wer schreibt, sich innerlich erst etwas vor? Vgl. das Motto "Schreibe, wie du sprichst!" Läuft Verarbeitung von Buchstabenschrift über Lautliches oder direkt auf Bedeutungen?). Zum ändern muss man auch materialiter differenzieren: a) Im Kp. 3 "Schrift" habe ich eine materiale Lesart dieses Autonomie-Streits lediglich angesprochen: die Frage nach der (systematischen) Autonomie oder Dependenz des Schriftsystems vom Lautsystem. b) Im Abschnitt 2.5 habe ich die Frage "Eine oder zwei Grammatiken?" kurz andiskutiert. c) Schrift(sprach)lichkeit in ihrer Ganzheit reklamiert G. Feldbusch (1985) als autono" men Kommunikationsbereich gegenüber der Mündlichkeit.
41
42
Vgl. hierzu beispielsweise K. B. Günther/H. Günther (1983), D. Nerius/G. Äugst (1988) oder G. Feldbusch (1985) mit der kritischen Rezension von G. Augst/K. Müller (1986). Vgl. K. Müller (1990) zu diesem Topos in der Geschichte der Schreibschulung.
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8.3 Textsorten vs. Textmuster: Textmusterwissen - zur Rolle von Mustern in der täglichen Kommunikationspraxis Es ist unverkennbar, dass im Zuge dessen, was ich an anderer Stelle (Abschnitte 1.3 und 5.Iff.) die Kognitivierung der Sprachwissenschaft und damit auch der Textlinguistik genannt habe, auch eine Aufwertung des alltäglichen, vortheoretischen Wissens (und zwar verstanden als funktionierendes knowing how) um Textsorten zum Gegenstand der Theoriebildung stattgefunden hat. Dokumentiert ist diese Hinwendung zum Wissen über oder von Textsorten beispielsweise in Arbeiten wie R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler (1981), B. Sandig (1983; 1987), E. Gülich (1986), K. Ehlich (1986), G. Antos (1987), W. Heinemann (1989). B. Sandig beispielsweise zieht es vor, in Absetzung von den "Textsorten" oder "Textklassen" als Begriffen aus einer linguistischen Klassifikation, die man der Sprachverwendungswirklichkeit aufzuprägen versucht, von "Textmustern" als Begriff für spezifisches Musterwissen von Sprachbenutzern zu sprechen. Dass es dieses Musterwissen gibt, zeigt sich in verschiedenen Erscheinungen: a) Natürlich zeigt es sich in der lapidaren Tatsache, dass sich Texte verschiedener Sprachbenutzer, die unter ähnlichen situativen und funktionalen Bedingungen entstanden sind, in bestimmten Hinsichten ähneln, und zwar mehr ähneln, als das von den ähnlichen Kommunikationsbedingungen her erklärbar wäre: Da schlagen nicht äusserliche Bedingungen nur durch, da realisiert sich Musterwissen (vgl. die oben aufgeführten Konstituenten). b) Es zeigt sich auf der rezeptiven Seite darin, dass wir Textexemplare Textsorten zuordnen können, dass wir auch Textmuster-bezogene "Wohlgeformtheits"urteile abgeben können (die natürlich niemals dichotomische, sondern immer nur graduelle Urteile sind). c) Es zeigt sich in Texten selber in bestimmten Ausprägungen von Metakommunikation (vgl. Kp. 7), wenn nämlich der Textproduzent - oder in Dialogen die Kommunikationspartner - Normen und Konventionen von Textsorten thematisieren (vgl. Abschnitt 7.3.5).43 d) Wie schon weiter oben erwähnt, zeigt sich Textmusterwissendarin, dass es in unserer Alltagssprache sehr viele Wörter für Textsorten gibt. Das ist gleichsam der lexikalisch-sprachsystematische Niederschlag der Metakommunikation über Textsorten. 43
Vgl. hierzu auch E. Gülich (1986).
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Die Akzentverschiebung hin zur Beschäftigung mit Textmusterwissen hat m.E. einige positive Konsequenzen: a) Theoretische Konsequenzen: Was linguistischen Typologisierungsversuchen immer als lästige und kaum zu bändigende Vielschichtigkeit erschien, zeigt sich hier als höchst flexibles, an unterschiedlichste Kommunikationssituationen immer wieder anpassungsfähiges kommunikatives Wissen. Der Prototypenbegriff, der sich in der Semantik für viele empirische Zwecke als wesentlich geeigneter denn die alte aristotelische Merkmalssemantik erwiesen hat, scheint auch hier einschlägig: Unser vortheoretisches Textsortenwissen ist Prototypenwissen, mit allen Konsequenzen der Möglichkeit von zentralen vs. peripher-randständigen Textexemplaren oder von Textexemplaren, die gleichzeitig mehreren Klassen angehören. b) Mit der Hinwendung zum Textmusterwissen tritt die Relevanz dieses Wissens für die Kommunikationspraxis in den Blick. Für die Seite der Textproduktion ist dabei ein Stichwort wie Routine wichtig: Textmusterwissen erlaubt bei einer komplexen Problemlösungshandlung, die die Textproduktion nun mal darstellt, kraftsparende Abkürzungen, die Energie für andere Dinge freisetzen. Für Textmusterwissen gilt, was ich weiter oben für Schema-Wissen allgemein gesagt habe: Textmusterwissen prägt Erwartungen und steuert die Verarbeitung von Textinput und hat auch hier einen kraft-ökonomischen Aspekt. c) Textmusterwissen kann man enger oder weiter verstehen. Enger verstanden ist Textmusterwissen das Routinewissen etwa um ganz bestimmte Textsorten und dabei um Dinge wie Grob-Gliederung eines Textes (Wo fange ich an? Wo höre ich auf?) oder um die angebrachten sprachlichen Versatzstücke. Weiter verstanden ist Textmusterwissen vergleichbar dem, was Löffler (1985, 170ff.) das Register-Repertoire nennt - das breite Verfügen über diverse funktions- und situationsadäquate Sprachverwendungsmuster. Sehr weit verstanden gerät Textmusterwissen zu einem umfassenden pragmatischen Wissen, zum Synonym von pragmatischer oder kommunikativer Kompetenz. Im Unterschied zu einem sprachlichen Konstruktionswissen (Wissen um das Wie der Konstruktion von sprachsystematischen Ausdrücken; grammatisch-sprachsystematisches Wissen) könnte man das ein sprachliches Selektionswissen nennen: Wissen darum, wann was an sprachlichen Ausdrücken angebracht ist (knowing that) bzw. die Fähigkeit, solches Wissen in die Tat umzusetzen (knowing how).44 Denken wir zurück an die bekannte Wissens-Trias, die ich im Abschnitt 5.5 vorgestellt habe - Sprachwissen, Weltwissen, Handlungs- (inkl. Illo44
Einen dahingehenden Vorschlag hat W. Motsch an der DGfS-Jahrestagung 1990 in Saarbrücken gemacht.
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kutions-)Wissen -, so fällt es nicht leicht, das Textmusterwissen klar zuzuordnen. Es dürfte ein Schnittpunkt mindestens von Handlungs-(Illokutions-)Wissen und Sprachwissen sein.
8.4 Normfrage Wie bei allen soziohistorischen (im Unterschied zu biogenetischen) Verhaltensmustern spielt auch bei Textmustern die Dialektik von Freiheit und Zwang: Was unter gewisser Optik als Zwang erscheint, kann auch als Befreiung vom Zwang zur Originalität und damit als Freisetzung von Energien für anderes erlebt werden. Und: Nur wo das Muster herrscht, kann man es - wenn man es beherrscht - durchbrechen, durchbrechen hin zu wirkungsvolleren, weil ungewöhnlichen Formen. Kreativität und Originalität gibt es nur dort, wo es Konventionen und Normen gibt (vgl. auch Kp. 9). Müssen Schulaufsätze auch hinsichtlich Textmusternormen beurteilt werden, oder gibt es für sie keine solchen Normen? Sicherlich sind Schulaufsätze schwach normierte Textsorten, aber die Ausführungen sollten gezeigt haben, dass es Texte im ganz und gar textmusternormenfreien Raum nicht gibt. Was kann an Schulaufsätzen musterhaft sein? a) Bestimmt gibt es für Schulaufsätze Registervorgaben, und sei es, dass man diese besser negativ fasst: In Schulaufsätzen sollten unmotivierte Wahlen von Extremregistern vermieden werden. Und: Register sollten durchgehalten werden. b) Für bestimmte Themen kann Bildungs- oder Fachwortschatz angezeigt sein. c) Argumentative Schulaufsätze unterliegen minimalen Normen des Aufbaus, etwa: 1) Einleitung, Exposition des Themas, der Fragestellung, der Textabsicht; 2) Durchführung; 3) Schluss, Resumoe o.a. d) Ebenso dürfte für sie ein Minimum an zusätzlicher Rezipientenführung, an Metakommunikation u.a. geboten sein. e) Wenn man textfunktionsabhängige Muster thematischer Entfaltung zu Textmusternormen rechnen will - und das muss man wohl -, so sind natürlich auch Schulaufsätze davon nicht ausgenommen. Generell gilt, dass Schulaufsätze schwach normierten Textmustern angehören. Und für diese gilt generell, dass ihre Normen in dem Masse, in dem sie undeutlich und nahezu heimlich sind, auch schwer zu vermitteln und schwer zu lernen sind. Sich in solchen Mustern gut zu bewegen, ist nicht etwa leichter, es ist schwerer!
9 Attraktivität Übersicht 9.0 9. l 9.2 9.3
Einleitung Linguistik der sprachlich-formalen Schönheit Linguistik der thematischen Relevanz Attraktivität und Repulsivität
9.0 Einleitung Dieses Kapitel ist ein Platzhalter-Kapitel; es steht nur der Vollständigkeit halber da - wenn Vollständigkeit für das Thema dieser Arbeit nicht überhaupt ein Aberwitz ist. Es vereinigt zwei Stichworte, die - auf den ersten Blick zumindest - ganz Verschiedenes betreffen; inem zweiten, genaueren Blick könnte aber durchaus aufgehen, dass die Dinge mehr miteinander zu tun haben, als man manchmal meint und auch behauptet. Über Stichworte geht das Kapitel jedoch kaum hinaus. Ich habe im bisherigen Gang durch diese Arbeit einen - zugegebenermassen sehr problematischen - Zweischritt versucht: "Was Texte sind" und daraus abgeleitet: "Wie Texte sein sollen". Das Stichwort im Titel dieses Kapitels benennt nun aber weniger, "was Texte sind" als vielmehr, "wie Texte sein sollen"; es benennt eine Textnorm oder gar ein Textideal: "Texte sollen attraktiv sein". Ich stelle unter diesem Oberbegriff der Attraktivität zwei vorderhand ganz unterschiedliche Normen zusammen: "Texte sollen formal schön sein" und "Texte sollen thematisch relevant sein". Das sind zwei Textideale, die wohl niemand bestreiten kann: Texte sind umso bessere Texte, je schöner, eleganter, formal ansprechender sie sind, und die Attraktivität eines Textes steigt natürlich auch mit der Relevanz seines Themas, steigt damit, wieviel mir ein Text 'zu sagen hat'. Ich stelle im folgenden zuerst die Frage nach der Zuständigkeit der Linguistik für diese Stichworte und nenne dabei mögliche Quellen für weiterführende Auskünfte (9.1 und 9.2). Danach gehe ich ganz knapp auf ein Teilproblem im Zusammenhang mit diesen Stichworten ein: auf die Dialektik von Attraktivität und Repulsivität (9.3).
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9.1 Linguistik der sprachlich-formalen Schönheit Literatur Kopperschmidt, Josef (Hg.) 1990a: Rhetorik. Bd. 1: Rhetorik als Texttheorie. Bd. 2: Wirkungsgeschichte der Rhetorik. Darmstadt 1990f. Nickisch, Reinhard M. G 1975: Gutes Deutsch? Kritische Studien zu den massgeblichen praktischen Stillehren der deutschen Gegenwartssprache. Göttingen. Perelman, Chaim 1980: Das Reich der Rhetorik. Rhetorik und Argumentation. München (= Beck'sche Schwarze Reihe 212). Püschel, Ulrich 1980: Linguistische Stilistik. In: H.P. Althaus/Helmut Henne/Herben Ernst Wiegand (Hg.): Lexikon der germanistischen Linguistik. Bd. II. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen, 304-313. Püschel, Ulrich 1991: Stilistik: Nicht Goldmarie - nicht Pechmarie. Ein Sammelbericht. In: ds 19, l, 50-67. Sanders, Willy 1990: Gutes Deutsch - besseres Deutsch. Praktische Stillehre der deutschen
Gegenwartssprache. 2., durchgesehene und ergänzte Neuausgabe Darmstadt. Sandig, Barbara 1978: Stilistik. Berlin/NY. Sandig, Barbara 1986: Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. Berlin/NY (= Sammlung Göschen 2229). Ueding, Gert/Bernd Steinbrink 1986: Grundriss der Rhetorik. Geschichte - Technik - Methode.
2. Auflage.StuttgarL
W. Klein (1986, 14ff.) nennt von den vier Bewertungskriterien für Sprache, "über die im Grundsatz, nicht in der Entscheidung im einzelnen Fall, Einigkeit besteht", an dritter Stelle: "Verantwortung gegenüber den Musen. Was gesagt wird, soll nicht nur die Sache, die ausgedruckt wird, genau wiedergeben und für den jeweils Angesprochenen verständlich sein, es soll auch schön, elegant, witzig ausgedrückt sein, es soll gefallen." (1986,16)
Umstritten in seiner Relevanz für die Güte von Texten - und beileibe nicht nur von literarischen Texten - ist dieses Kriterium der sprachlichen Schönheit - R. Sanner (1979, 89-97) spricht von Poetizität - eigentlich nicht (allenfalls mag sein Gewicht für bestimmte Textsorten gegen Null tendieren). Und: Zweifellos ist sprachlich-formale Attraktivität etwas ungemein Sprachliches; das ist beinahe schon eine tautologische Feststellung. Dennoch macht die moderne Wissenschaft von der Sprache einen weiten Bogen um diese Fragen, sieht man einmal ab von bestimmten Teilen der Stilistik. Man hält Urteile über die Ästhetik von Texten offenbar heute mehr denn je für unwissenschaftlich, für nicht objektiv begründbare Werturteile oder blosse Geschmacksurteile über Sprache, oder man ist zum Schluss gekommen, über sprachliche Schönheit lasse sich allenfalls im konkreten Einzelfall, niemals aber allgemein urteilen.
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Ich verstehe diese Zurückhaltung sehr, und ich bedaure es auch nicht allzu sehr, dass die Sprachwissenschaft mit ihrer Abstinenz in ästhetischen Fragen das Terrain der stilistischen Volksaufklärung ändern, wahrscheinlich zumeist noch Unberufeneren überlässt.1 Was ich eher bedaure, ist der Umstand, dass die Sprachwissenschaft auch kaum die Begründung leistet, warum es denn so schwer bis unmöglich ist, über sprachästhetische Fragen wissenschaftlich zu handeln. Lässt sich auch dazu nichts Verbindliches sagen? In W. Kleins "Verantwortung gegenüber den Musen" kann ich bequem mein naives Verständnis des 'Ortes1, wo das Sprachästhetische zu suchen ist, hineininterpretieren. Das sieht etwa so aus: Basis-Annahme ist, dass sich in der Regel ein bestimmter Inhalt innerhalb der Grenzen der Grammatikalität verschiedenartig sprachlich ausdrücken lässt. Hier spielte die "Verantwortung gegenüber den grammatischen Regeln", die W. Klein seltsamerweise unerwähnt lässt. Dieser Freiraum wird zunächst weiter eingeengt durch das, was bei W. Klein (1986, 14ff.) die ändern drei "Verantwortungen" sind: a) "Verantwortung gegenüber der Sache"; das wäre etwa die sachliche Angemessenheit. b) "Verantwortung gegenüber dem Hörer bzw. Leser" c) "Einfachheit". Die drei "Verantwortungen" zusammengenommen ergäben die Dimension der Verständlichkeit, der funktionalen Adäquatheit innerhalb der Grenzen der Grammatikalität. Und was jetzt noch bleibt an Freiraum, ist der Freiraum der Ästhetik: Kriterien, die jetzt noch die weitere Ausgrenzung von Möglichkeiten und letztlich die Wahl der Wirklichkeit determinieren, sollen ästhetische Normen sein. Diese Art Abstrichmethode schwebt mir vor, wenn es um die Sprachästhetik geht, und ich führe das hier so an, weil ich mir erlaube zu vermuten, dass ich mit dieser naiven Vorstellung nicht ganz alleine bin. Es gibt eine Menge überkommene 'Ladenhüter' mehr oder weniger normativer Stilistik,2 die diesen sprachästhetischen Freiraum bevölkern. Da ist das Prinzip der variatio in Lexik und syntaktischer Konstruktion,3 da ist Rhythmus, da sind die endlosen Kataloge rhetorischer Tropen und Figuren. Da ist auch das Konzept der Stilhöhe, des Registers, das es zu wählen und von strategischen Momenten abgesehen - durchzuhalten gilt. Usw. Das ist 1
2 3
Ich denke hier an allerlei Sprachratgeber, deren Rezepte gegen "Sprachdummheiten" allerdings über die formale Schönheit von Texten hinaus ins Funktionale, in die Verständlichkeit hineingehen. Vgl. Abschnitt 5.6. Vgl. etwa den neuesten Sammelbericht von U. Püschel (1991). Allerdings kann syntaktischer Gleichlauf als sogenannter syntaktischer Parallelismus auch ein Stilmittel sein, und ein Kohäsionsmittel obendrein, vgl. Abschnitt 4.2.2.A.
290
9 Attraktivität
der Hintergrund, vor dem in der Praxis der sprachpädagogischen Textbeurteilung die Randbemerkungen wie "Stil!", "Ausdruck!",4 "Rhythmus!", "Bild!" oder "unschöne Wortwiederholung!" u.a. entstehen, meist Anmerkungen negativer, kritisierender Art, an Orten, wo "eine Sprachform, ohne falsch oder dem Empfänger und der Textsorte nicht angepasst zu sein, das Ohr beleidigt, handle es sich nun um Wiederholungen des gleichen Wortes, um zu auffälligen Gleichlauf der syntaktischen Formen oder um aufdringliche Klangwirkungen, die keine erkennbare Funktion haben." (H. Villiger 1979, 12) Man nennt diese 'stilistischen Ladenhüter' traditionellerweise die "Stilmittel". Schon im Namen deutet sich ihre Problematik an: Sprachästhetisches soll an einem Inventar an Mitteln oder abstrakten Prinzipien (z.B. dem Prinzip der variatio) festgemacht werden. Schönheit wäre dann je nach Bedarf und Gelegenheit aus einem Fundus dieser Mittel hervorzukramen. - Das kann es wohl nicht sein, und wie es so etwas vom Prinzip her nicht sein kann, scheint es auch prinzipiell sprachwissenschaftlich nicht einholbar zu sein. Das ist ein anderes Element meiner naiven Vorstellung von Sprachschönheit: dass sie sich immer wieder auf neue Art einstellt, dass sie nicht allgemein fassbar und beschreibbar ist. Wohl auch vom Prinzip her falsch zu nennen (und diese Falschheit hängt mit der erstgenannten Falschheit im Grunde zusammen) ist an meiner naiven Sicht der Stellenwert des Ästhetischen: dass es mit dem sich begnügen soll, was von der Grammatik und der Verständlichkeit Tische fällt. Helfen kann hier vielleicht das Graben in der Geschichte der klassischen Rhetorik, wie wir es zum Glück in den letzten Jahren allenthalben beobachten können.5 Zwar scheint meine oben genannte naive Vorstellung auch schon in der klassischen rhetorischen Lehre von der elocutio insofern angelegt, geht sie doch von der Annahme zweier Sprachschichten aus,6 einer ersten, banalen, nackten Schicht der 'unverblümten' Benennung der Dinge, und einer zweiten, diese erste Schicht umhüllenden Sprachschicht der Tropen und Figuren (colores, lumina, flores, venustas der Sprache genannt). Jedoch kann ein integrales Verständnis der Rhetorik als Lehre der guten und schönen, der funktional guten, weil ästhetisch schönen, und der ästhetisch schönen, weil funktional guten Rede diese zweite Sprachschicht niemals auf das reduzieren, als was sie in der verkümmerten Form der Stilistik als Nachfolgerin einer auf die blosse elocutio reduzierten Rhetorik manchmal erscheint: als blosses decorum, blosser ornatus: statt der colores und flores ein absonderliches Herbarium vertrockneter Stil-Blumen.7 In der 4 5 6 7
Zu den "Ausdrucksfehlers" vgl. W. Klute'(1985), H. Ortner (1990). Vgl. als Dokumentation hiervon J. Kopperschmidt (1990a) sowie das internationale Jahrbuch "Rhetorik" (1980ff.). Vgl.R.Barthes(1990, 82). Vgl. hierzu Ch. Perelman (1980, 8ff). - Interessanterweise ist eine Stilblüte
9 Attraktivität
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klassischen Rhetorik bevölkert die Schönheit nicht einfach einen Freiraum, den ihr grammatische Richtigkeit und funktionale Angemessenheit lassen; vielmehr ist sie mit diesen Texttugenden aufs engste verknüpft.
9.2 Linguistik der thematischen Relevanz Literatur Beaugronde, Robert-Alain de/Wolfgang Ulrich Dressler 1981: InformativitäL Situationalitat. In: dies.: Einführung in die Textlinguistik. Tübingen (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 28), 145-187. Grice, H. P. 1975: Logic and conversation. In: P. Cole/Jl. Morgan (Hg.): Speech acts. New York (= Syntax and semantics 3), 41-58. [Deutsch in: Georg Meggle (Hg.): Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Frankfurt 1979. Dieser Text ist Teil eines längeren Manuskripts von 1967. Deutsche Fassung in: P. Kussmaul (Hg.): Sprechakttheorie. Ein Reader. Wiesbaden 1980,109-126.] Schütz, Paul 1971: Das Problem der Relevanz. Herausgegeben und erläutert von Richard M. Zaner. Einleitung von Thomas Luckmann. Frankfurt Sperber, Dan/Deirdre Wilson 1986: Relevance. Communication and cognition. Oxford.
Kann man das bezweifeln: "Der subjektive Eindruck der Güte eines Textes steigt mit der Relevanz seines Themas"? Unter Relevanz des Themas verstehe ich ganz allgemein, dass der Text dem Rezipienten oder der Rezipientin 'etwas zu sagen hat', dass er bei ihnen auf Interesse stösst oder Interesse wecken kann, dass seine Rezipienten das Gefühl haben, dass sie ohne den Text ärmer wären. Ich sehe keine Möglichkeit, den genannten Grundsatz zu bezweifeln. Es mag allenfalls Texte geben, wo die Wichtigkeit der inhaltlichen Relevanz gegen Null sinkt; ich denke an das "phatische Sprechen" im Lift oder über den Gartenzaun des Nachbarn, oder ich denke an den Trostbrief, in dem die Funktion alles und der Inhalt blosses Mittel ist. In solchen Texten mag es eher nebensächlich sein, wovon sie handeln, keineswegs aber, dass sie von irgendetwas handeln. In solchen Texten ist eben dieses objektneutrale 'Handeln-von' relevant (vgl. Abschnitt 5.5.2). Ich würde den genannten Grundsatz sogar noch etwas verschärfen und behaupten: Gerade mit dem Stichwort der Relevanz nähern wir uns dem Zentrum dessen, was einen Text - zumindest in unserem Alltagsverständnis, in der kommunikativen Praxis der schnellen, auf Effizienz gerichteten TextKonsumtion - zu einem guten Text macht. Wir begeben uns damit aber zugleich auch an den Rand dessen, was einen Text sprachlich zu einem guten Text macht. keineswegs eine sprachliche Schönheit, aber auch nicht einfach eine sprachliche Hässlichkeit, sondern eine sprachliche Dysfunktionalität mit komischem Effekt. In diesem Begriff hat Stil also noch einen weiteren Bedeutungsumfang als das bloss Ästhetische, umfasst durchaus auch Funktionalität.
292
9 Attraktivität
Dennoch hat sich die Linguistik der letzten 20 Jahre nicht gescheut, dazu ein gewichtiges Wort mitzusagen, eine Linguistik notabene mit dem Selbstverständnis nicht einer Wissenschaft von den Sprachstrukturen (allein), sondern (vor allem) von den Sprachfunktionen, eine Linguistik mit dem Selbstverständnis einer Kommunikationswissenschaft oder gar der Kommunikationswissenschaft. Tatsächlich gehört zum Begriff der Kommunikation ganz zentral der Begriff der Kooperation8, und zum Begriff der Kooperation ganz zentral der Begriff der Relevanz. Deutlich hat diesen Zusammenhang H. P. Grice (1975) reflektiert, dessen oberste Maxime rationaler Kommunikation lautet: "Sei kooperativ!". Die eine der vier substantiellen Untermaximen heisst: "Sei relevant!". Dies ist mittlerweile linguistisches Allgemeingut geworden. D. Sperber/D. Wilson (1986) haben die Relevanz zum Grundprinzip von Kommunikation und Kognition erklärt. R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler (1981) führen unter ihren "sieben Kriterien der Textualität" auch das Kriterium der "Informativität", d.h. das Prinzip des Gehalts, der Informationsträchtigkeit, sowie das Kriterium der "Situationalitat", von der sie sagen: "Diese betrifft die Faktoren, die einen Text für eine Kommunikationssituation relevant machen." (1981, 12) Dabei verweisen R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler für dieses Stichwort auf die Soziolinguistik und Ethnomethodologie, wo das eine zentrale Rolle spielt. Die Relevanz als kommunikatives Grundprinzip nimmt auch innerhalb der Sprechakttheorie sowie im Umfeld der "Diskurstheorie" von Habermas einen gewichtigen Stellenwert ein. Schliesslich ist zu erwarten, dass man auch schon in der klassischen Rhetorik in den Reflexionen über die inventio, speziell in der Lehre von den Topoi, den Fundstätten der Argumente, intensiv über die Relevanz nachgedacht hat. Von der Relevanz des Gesamtthemas ist die Relevanz der Teile, der TextSchritte zu unterscheiden. Ich habe von letzterem ausführlich im Kp. 6 "Kohärenz II" gehandelt.9 In der Praxis schulischen Schreibens (vgl. Abschnitt 6.5.4) wird selten frei geschrieben; zumeist ist das Thema vorgegeben. Die Frage der Relevanz des Gesamtthemas wird dabei quasi neutralisiert, und es steht zu vermuten, dass dies die Schreibleistungen grundsätzlich negativ beeinflusst. In der Praxis der Aufsatzkorrektur kann man demnach kaum die Relevanz des Themas beurteilen; man kann lediglich beurteilen, ob "das Thema getroffen" oder aber "das Thema verfehlt" ist. Hingegen kann man die Relevanz der Text-Schritte für das Gesamtthema beurteilen. Negative Urteile lauten etwa "nicht am Thema geblieben", "Abschweifung"; man spricht von Gedanken-Dissoziation. 8 9
Vgl. F. Liedtke/R. Keller (1987). Vgl. zur Forderung nach Relevanz der Text-Einzelschritte in Bezug auf das GesamtThema R. Giora (1985) und das relevance requirement.
9 Attraktivität
293
Ich habe die thematische Relevanz als den thematischen Ast der Attraktivität eines Textes genommen. Ist das nicht ein vorschneller Zusammenzug von thematischer Relevanz und thematischer Attraktivität? Kann ein Text auch thematisch attraktiv sein, ohne relevant zu sein oder umgekehrt? Zumindest letzteres scheint mir möglich und führt mich auf einen letzten heiklen Punkt, heikel für jede Praxis der Beurteilung von Texten, sei es nur eine wissenschaftliche oder sprachpädagogische: Es gehört wohl zu unserer alltäglichen Erfahrung, dass wir Texte rezipieren, die ein für uns höchst relevantes Thema behandeln, aber in einer Art und Weise, die uns nicht gefällt, oder mit einem inhaltlichen Standpunkt, den wir nicht akzeptieren können. Solche Texte sind zweifellos relevant, aber nicht das, was ich attraktiv nennen möchte. Eine ganz schwierige Frage ist dabei die, ob ich einem Text, mit dem ich inhaltlich nicht einverstanden bin, eine Logik der thematischen Entfaltung (vgl. Kp. 6) zubilligen kann. Ist es denkbar, dass ich meinen eigenen Standpunkt so weit relativiere, dass ich einer ändern Sicht der Dinge ihre Logik zubilligen kann? - Glücklicherweise ist das eine Frage, die ich als Sprachwissenschaftler nicht zu beantworten habe. Leider aber ist es eine Frage, die ich als Beurteiler von Texten nicht einfach wegschieben kann.
9.3 Attraktivität und Repulsivität Ich kann - hier und überhaupt - nicht sagen, woher die Attraktivität eines Textes rührt. Zu sagen, das habe mit formaler Schönheit und inhaltlicher Relevanz zu tun, ist fast nichts sagen (und darum sagt es die moderne Sprachwissenschaft manchmal lieber nicht). In einem einzigen Punkt möchte ich den Begriff der Attraktivität ein ganz kleines bisschen an Gehalt anreichern. Es gibt zumindest eine 'Sorte' Attraktivität oder "Anziehung", die man nur in ihrer dialektischen Einheit mit ihrem Gegenteil, der Repulsivität10 oder "Abstossung" verstehen kann: Es zieht an, was zunächst abstösst, was Widerstand bietet. Oder noch allgemeiner gesagt: Repulsivität hat mit Auffälligkeit zu tun; es fällt auf, was Erwartungen durchbricht, dadurch Spannung aufbaut, kognitive Unordnung schafft, dadurch eine rezeptive Sonderleistung zur Wiederherstellung der gestörten Ordnung (und damit wohl immer auch zur Herstellung einer in gewissem Masse neuen Ordnung) nötig macht. Wenn diese Sonderanstrengung erbracht werden kann und 10
Das Stichwort der Repulsivität verdanke ich besonders Heiri Mettler, der in unserem Zürcher Projekt mitgearbeitet und dort immer wieder mit Nachdruck auf diesen wichtigen Punkt in der Textanalyse hingewiesen hat.
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9 Attraktivität
Erfolg zeitigt, schafft das Befriedigung.11 So etwas wird seit längerem in der Verständlichkeitsforschung mitbedacht (vgl. Abschnitt 5.6): Im sogenannten Hamburger Verständlichkeitskonzept12 ist von "anregenden Zusätzen" die Rede, die die Rezeption motivational positiv beeinflussen, und zu solchen "anregenden Zusätzen" gehört auch das Reizende, Überraschende. Im Verständlichkeitskonzept von N. Groeben13 wird noch mehr Wert auf solche Dinge gelegt; da ist die Rede vom "kognitiven Konflikt" oder "konzeptuellen Konflikt", den ein Text im Rezipienten vorübergehend auslösen kann und der - in Massen - zu höherer Verständlichkeit und besserem Behalten14 führt. In die gleiche Richtung gehen Bemerkungen von M. Bock (1988, 27ff.) zur "Funktion der 'Anstrengung' für die Textverarbeitung". Es handelt sich hier um Importe in die Verständlichkeitsforschung, die aus der Lern-, Motivations-, Neugierpsychologie stammen. Ich erinnere an die Ausführungen im Abschnitt 5.5 zur Rolle von Voraus-Strukturen beim Verstehen (Stichwort: Schema-Theorie): "Kognitiver Konflikt" (oder "kognitive Dissonanz", wie es in der Sozialpsychologie heisst) meint die initiale Inkongruenz von Input und Voraus-Struktur bzw. daraus abgeleiteter Erwartung: Eine Erwartung wird durchbrochen, was so viel heisst wie: Es fällt etwas auf. Auffällt, was auf Anhieb nicht hineinpasst. Es setzt ein Prozess erhöhter kognitiver Verarbeitungsaktivität ein, und wenn diese erfolgreich ist, das heisst eine Versöhnung von repräsentiertem Wissen und Input erreicht, ist sowohl kognitiv mehr erreicht (mehr verstanden) als auch eine grössere Befriedigung da. (Allerdings fragt sich, ob das Ziel immer die Versöhnung ist und sein muss, ob nicht auch im Aushalten einer Spannung, einer Dissonanz Attraktivität zu finden sein kann.) In eine ähnliche Richtung gehen Ausführungen von R. A. de Beaugrande/ W. U. Dressler (1981, 145ff.) zur "Informativität", die bei ihnen eines der "sieben Kriterien der Textualität" darstellt.15 R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler unterscheiden unter Rückgriff auf informationstheoretische Überlegungen eine Skala von drei "Informativitätsstufen", die einer "Skala allgemeiner Wahrscheinlichkeiten" entspricht. Das bedeutet - bezogen auf Texte - eine Skala der Auftretenswahrscheinlichkeit von Themen, Teilthemen, Teilinhalten, Sätzen, Wörtern, Formen, Lauten, Buchstaben: a) Die Stufe l umfasst jedes Auftreten, das hoch erwartbar ist. Entsprechend ist ein solches Auftreten informationsarm. 11 12 13 14 15
Hier muss man wohl S. Freuds "Jenseits des Lustprinzips" erwähnen. Vgl. z.B. I. Langer/F. Schulz von Thun/R. Tausch (1981). N. Groeben (1982, bes. 202f. und 267-270), N. Groeben/U. Christmann (1989, bes. 171 und 185f.). So weit ich sehe, identifiziert die Verständlichkeitsforschung Verstehen und Behalten weitestgehend. Das muss man kritisieren, aber das kann ich hier nicht kritisieren. Zwar ist "Informativität" v.a. auf der inhaltlichen Seite zu suchen, die Ausführungen lassen sich aber auch auf die formale Seite und damit auf Fragen der Ästhetik übertragen.
9 Attraktivität
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b) Auf der Stufe 2 ist einzusortieren, was eine mittlere Erwartbarkeit hat. Das ist wesentlich informativer als das, was auf Stufe l steht, kann aber problemlos verarbeitet werden, wenn auch mit einem etwas grösseren Aufwand. Die Rezeption 'normaler1 Texte spielt sich zumeist auf diesen Stufen l und 2 ab, wobei Stufe 2 attraktiver, aber auch anstrengender, jedoch eben vielleicht gerade attraktiver, weil anstrengender ist. c) Auf Stufe 3 sind die Vorkommensfälle anzusiedeln, die sehr unerwartet sind und deren Auftreten überrascht, irritiert (repulsiv ist). Für sie setzt regelmässig ein Reparatur- oder Problemlösemechanismus ein, mit dem versucht wird, den Vorkommensfall auf die 2. Stufe hinunterzuinterpretieren, d.h. ein Vorkommenseregnis so umzudeuten oder aufzuladen, dass es wieder Sinn macht, und d.h.: dass es nicht mehr völlig 'aus der Luft gegriffen' ist. Dazu finden dann Inferenzen, Umdeutungen u.a. statt.16 Ich meine, dass man dieses Prinzip der "Informativität" von R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler sowohl auf Thematisches wie auf ÄusserlichFormales anwenden kann. Ein bekanntes Beispiel für letzteres hat man im grösseren Umkreis der "Fehlerlinguistik" schon des öftern unter Stichworten wie "strategische Normverstösse" u.a. reflektiert.17 Dabei geht es allerdings um Repulsivitäten, die aus grammatischen Normverstössen resultieren. Ohne Zweifel gibt es auch so etwas wie die Attraktivität des sprachlich-formal vorerst Anstössigen oder des thematisch vorerst Widersinnigen oder Unverständlichen geben kann. Kronzeuge ist hier Th. W. Adorno, der wiederholt die 'Schwere', die anfängliche Unverständlichkeit von Texten verteidigt hat als Mittel des Widerstands gegen eine zu schnelle Text-Konsumption und damit gegen den Schein vom Verstehen.18 Bei Adorno, und nicht nur da, hat das Argument für die 'Schwere' von Texten einen elitären Zug. Es lässt sich aber - dreht man es um in die Praxis der Textanalyse - auch in gewisser Weise demokratisieren: Warum das 'Schiefe1 und 'Quere1 in Texten von Schülern immer gleich negativ anmerken? Warum nicht seinem Zwang zum Innehalten auch mal stattgeben und nachdenken, ob es denn wirklich so quer ist und ob die Quere nicht auch Methode sein könnte, zumindest Zeichen (wie bei Adorno)?
16 17 18
Vgl. ganz ähnlich die "konversationeilen Implikaturen" bei offenkundiger Veiietzung von Konversationsmaximen in der Theorie von H. P. Grice (1975). Vgl. Abschnitt 2.3, Fussn. 61. Vgl. z.B. Th. W. Adornos Aufsatz "Wörter aus der Fremde" in: ders.: Noten zur Literatur. Frankfurt 1981 (= stw 355), 216-232. Vgl. auch Abschnitt 6.5.2.
10 Ausleitung. Rück- und Ausblick: Textideale Texte sind nach unserem Zürcher Textanalyseraster (vgl. den Anhang) umso bessere Texte, je höher ihre "Wegqualität" ist, d.h. je stärker und je besser sie ihre Leser mitnehmen auf einen Weg Von irgendwo her irgendwo durch irgendwo hin1. Die "Wegqualität" ist umso höher, je übersichtlicher der Weg und je lohnender der Weg und je lohnender das Ziel, auf das der Weg hinläuft. Viele Wege haben jedoch auch ihr Ziel in sich selber, ihre Qualität hängt nicht vom Endpunkt ab, sondern vom Unterwegs-Sein. Ich hoffe, der Weg durch die vorliegende Arbeit war in sich interessant und da und dort gar lohnend. Die Leser, die an dieser Stelle glauben, das Eigentlich komme erst, muss ich enttäuschen. Sollte mein Text I in ihnen diese Erwartung geweckt haben? Sei's drum: Was ich zu sagen hatte, habe ich gesagt, mehr kann ich im Augenblick nicht. Ich versuche stattdessen zurückzublicken. Ich bin ausgegangen von der Aufgabe, die dem Zürcher Forschungsprojekt "Muttersprachliche Fähigkeiten von Maturanden und Studienanfängern in der Deutschschweiz" gestellt ist, und ich habe im grösseren Komplex dieser gestellten Aufgabe die vorliegende Arbeit mit ihrer Problemstellung anzusiedeln versucht (Kp. 1): Meine Absicht war, sprachwissenschaftliche Theorien und Modelle darüber, was zu Texten gehört und was Texte letztlich sind, zusammenzutragen, zu ordnen, zu integrieren; und meine Absicht war auch, aus den einzelnen Teilen des allmählich entstehenden Gesamtbildes ein Stück weit Normbereiche für die Beurteilung und Bewertung konkreter sprachlicher Gebilde, die Texte sein möchten, herauszudestillieren und zu diskutieren. Das ganze Unternehmen war gedacht als theoretische Fundierung des Textanalyserasters, mit dem wir in unserem Zürcher Projekt arbeiten (siehe den Anhang). Der Weg durch die einzelnen Bestimmungsstücke des Begriffes "Text" nahm seinen Ausgangspunkt in der Grammatik, die den Bau sowie partiell die semantische und pragmatische Verwendung sprachlicher Teüausdrücke bis zur Grosse Satz determiniert bzw. als Norm kontrolliert (Kp. 2). Für den Bereich schriftlicher Texte waren einige wenige Ausführungen zum Schriftsystem und den Normen, die mit ihm verbunden sind, unverzichtbar (Kp. 3). Mit Betrachtungen über die sogenannte Kohäsion von Texten habe ich mich ein erstes Mal an den Begriffskem von "Text", die Textualität, die spezifische Eigenschaft des "Zusammenhängens" angenähert (Kp. 4). Ich habe aber zu zeigen versucht, dass dieser Zugang aus prinzipiellen Gründen
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10 Ausleitung
nicht gelingen kann. Ein anderes theoretisches Fundament musste gefunden werden und mit ihm ein anderer Begriff von Text. Mit einer Abwendung vom Text auf dem Papier und einer Hinwendung zum Text im Kopf - verbunden mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zum Verstehen - und zugleich mit einer entschiedenen Pragmatisierung des Konzeptes "Text" hoffe ich, einen tragfähigeren Textbegriff entwickelt zu haben (Kp. 5). Er sollte etwas deutlichere Konturen noch gewinnen in den, anschliessenden Konkretisierungen eines bestimmten seiner Teilaspekte, der "thematischen Entfaltung" nämlich, auf die hin ich auch einen Beispieltext analysiert habe (Kp. 6). In den anschliessenden Kapiteln habe ich mich vom Begriffskern von "Text" wieder etwas entfernt, ohne alllerdings auf Unnötiges zu kommen; ich habe von der wichtigen Eigenheit von Texten gehandelt, 'über sich selber zu sprechen* (Kp. 7), ich habe mich mit der Tatsache abgegeben, dass wir Texte kaum anders denn als Exemplare bestimmter Muster oder Schemata produzieren und wahrnehmen können (Kp. 8), und ich bin in aller Kürze darauf eingegangen, dass Texte umso bessere Texte sind, je schöner sie sind und je relevanter ihr Thema für die Kommunikationspartner ist (Kp. 9). Dies war kein Weg, auf dem 'alles über Texte1 gesagt werden konnte oder wollte, doch sollte Wesentliches über Texte gesagt werden und sollte auch das Wesentliche über Texte gesagt werden, das die Sprachwissenschaft über Texte zu sagen hat. Dass das nicht alles, auch nicht alles Wesentliche über Texte ist, ist mir klar. Es war ein Weg durch Theorien und Modelle über Texte oder über Bestandteile von Texten. Immer auch war es damit ein Weg durch Normbereiche zu Texten. Die Frage, die ich mir zum Abschluss stelle, ist die Frage, ob diese Normbereiche lediglich so additiv nebeneinander zu sehen sind, wie es die Anlage und Durchführung der vorliegenden Arbeit vielleicht suggeriert (vgl. den Abschnitt 1.3 sowie das Schema 4). Die ältere Stilistik beispielsweise kannte eine hierarchische Architektur von Stilidealen, Stilprinzipien und Stilregeln (vgl. W. Sanders 1990). Ist nicht so etwas auch denkbar und auch der Fall für die hier angetroffenen Textnormen? Ich mache einen Versuch: Zumindest für nicht-literarische Texte reklamiere ich eine letzte oder erste oder höchste Zweckbestimmung: Kommunikativität oder Kooperativität (vgl. F. Liedtke/R. Keller 1987; ausgenommen sind hier Texte, die nicht kommunikativ gemeint sind, z.B. bestimmte private Tagebuchtexte; solche Texte sind auch niemals zu beurteilen). Ich nenne zwei Gewährsleute für diese oberste Zweckbestimmung von Texten:
10 Ausleitung
299
a) H. P. Grice (1975) formuliert als höchste Konversationsmaxime, allerdings nicht für Texte, aber für Kommunikationsteilnehmer (die ja immer hinter Texten stehen): "Sei kooperativ!" b) R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler (1981) formulieren sieben Textualitätskriterien (Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität, Intertextualität). Sie führen sie am Anfang ihres Buches folgendermassen ein: "Wenn irgendeines dieser Kriterien als nicht erfüllt betrachtet wird, so gilt der Text nicht als kommunikativ. Daher werden nicht-kommunikative Texte als Nicht-Texte behandelt." (1981, 3).
Die Logik dieser Textstelle von R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler ist mehr als zweifelhaft, das Konnektiv daher deutet einen Konnektor an, den ich hier nicht sehen kann. Doch das soll uns an dieser Stelle nicht interessieren (vgl. Kp. 6). Was R. A. de Beaugrande/W. U. Dressler meinen, ist, dass jedes ihrer sieben Textualitätskriterien ein notwendiger Zuträger zur Kommunikativität und damit zur Textualität eines Textes ist. So etwas schwebt mir hier vor. Kann man also als höchste Textmaxime (sinnvollerweise natürlich: als höchste Maxime für Textproduzenten) formulieren: "Sei kommunikativ!" "Sei kooperativ!"? F. Liedtke/R. Keller (1987) schreiben in ihrem Vorwort, dies sei eine etwa so sinnlose Maxime wie die Aufforderung "Stell dich im Kreise auf!" sinnlos ist. In Erinnerung an das Kapitel 5 der vorliegenden Arbeit wissen wir auch zu sagen, warum das so ist: Zur Kommunikation braucht es immer mindestens zwei! Es genügt nicht, wenn ein Text oder sein Produzent kooperativ ist; wir als seine Rezipienten müssen es auch sein.
Kommunikativität/Kooperativität
Verständlichkeit
Relevanz
[Schema 23]
Unter diesem relativierenden General-Einwand möchte ich die Maximen "Sei kommunikativ!" - "Sei kooperativ!" für Texte dennoch aufrechterhalten. Die Kommunikativität oder Kooperativität von Texten hat zwei Konstituenten, wie Schema 23 zeigt.
10 Ausleitung
300
Damit ein Text kommunikativ oder kooperativ ist, muss er verständlich sein, und er muss relevant sein. Die eine Bedingung geht in der ändern nicht auf, obgleich die beiden Bedingungen natürlich auch nicht unverbunden nebeneinander stehen: Nur was ich verstehe, kann letztlich auch tatsächlich relevant sein für mich, und etwas, das ich für relevant erachte, das versuche ich mit umso grösserer Bereitschaft und umso grösserem Aufwand zu verstehen; Relevanz steigert also die Verständlichkeit durch Steigerung der Verstehensbereitschaft des Rezipienten (darum taucht im Schema 24 die Relevanz auch im Hinblick auf die Verständlichkeit auf).
•'ThematiSutät,
[Schema 24]
Von der Relevanz habe ich in dieser Arbeit fast gar nichts gesagt, weil sie m.E. sehr am Rande dessen ist, worüber die Sprachwissenschaft sich zu verbreiten hat (vgl. Kp. 9). Hingegen glaube ich, dass fast alles, was ich in dieser Arbeit über Texte - wie sie sind und wie sie sein sollen - gesagt habe, mehr oder weniger mit Verständlichkeit zu tun hat. Verständlichkeit ist das sprach-bezogene Textideal unter dem noch höheren Textideal der Kommunikativität/Kooperativität, auf die Verständlichkeit hin sollten die diversen Normbereiche gesehen werden, die ich im Laufe dieser Arbeit angesprochen habe.
10 Ausleitung
301
In der Verständlichkeit gehen die einzelnen Normbereiche jedoch kaum je vollständig auf. Weder sind sie von der Verständlichkeit her letztbegründbar, noch ist ihre Erfülltheit stets zu 100% Bedingung für Verständlichkeit. Dem ist Rechnung zu tragen, wenn es darum geht, für die Gesamtbeurteilung eines Textes das Mass der Erfülltheit der Teilnormen in Rechnung zu stellen. Und diese Bezogenheit der einzelnen Normbereiche auf das Textideal der Verständlichkeit bei gleichzeitiger Nicht-Reduzierbarkeit auf diese Funktion soll die Graphik 24 andeuten; ich hoffe, mein Text war verständlicher als diese Graphik - manche Dinge lassen sich eben doch mit Sprache immer noch am besten sagen.
Anhang 1: Das Zürcher Textanalyseraster 0 Bezugsgrössen/Korrelate 0.1
Textlänge. token-Zahlen 0.1.1 0.1.2 0.1.3 0.1.4
0.2
types-Zahlen 0.2.1 0.2.2 0.2.3 0.2.4
0.3 0.4 0.5 0.6
Buchstaben Wertformen Teilsätze Ganzsätze
Lexeme grammatische Kategorien Teilsätze (Satzbaupläne) Ganzsätze
Charakterisierung des Wortschatzes: Grundwortschatz/Nicht-Grundwortschatz Charakterisierung der Syntax: einfach/komplex; normal/ausgefallen Charakterisierung der Kohäsionsleistung: viel/wenig; einfach/schwierig Charakterisierung der Komplexität des Themas sowie der Komplexität der Behandlung des Themas im Text
A. Sprachsystematische und orthographische Richtigkeit A. l A.2 A.3 A.4 A.5 A.6 A.7 A.8
O I M SY T SA SS SK
Orthographie Interpunktion Morphologie Syntax Textbau/Satzverknüpfung Semantik von Inhaltswörtern/Autosemantika Semantik von Funktionswörtern/Synsemantika Semantik komplexer Ausdrücke (komplexe Wörter, Wortgruppen, Sätze)
304
Anhang
B B.l Funktionale Angemessenheit: Verständlichkeit/Kohärenz B. 1.1
Gesamtidee, Thema, Absicht des Textes 1.1.1 In welchem Masse lässt sich im Text eine Gesamtidee erkennen, die den einzelnen Textteilen ihren Ort zuweist? 1.1.2 Welches ist diese Gesamtidee? 1.1.3 Entspricht die Gesamtidee der Aufgabenstellung (wie sie z.B. durch den Titel markiert sein kann)?
B. 1.2
Aufbau, Gliederung (Textmakrostruktur) Hat der Text eine der Gesamtidee entsprechende Gliederung? Welches sind die einzelnen Glieder? 1.2.1 Innere Gliederung 1.2.2 Äussere Gliederung (graphisch mittels Absatz, Spiegelstrich u.a.)
B.1.3
Thematische Entfaltung 1.3.1 Lässt sich in der thematischen Entfaltung eine Logik hinter dem Text rekonstruieren? (Texthintergrundslogik THL) 1.3.2 Zeigt sich in der thematischen Entfaltung eine Logik im Text selbst? (Textvordergrundslogik TVL)
B.1.4
Grad an Implizitheit/Explizitheit l .4. l Ist der Text so implizit wie möglich? l .4.2 Ist der Text so explizit wie nötig?
B. 1.5
Ausdrückliche Rezipientenführung 1.5.1 Metakommunikative Elemente 1.5.2 Kohäsionsmittel (Verweis-, Verknüpfungsmittel: Pronomen, Konjunktionen, Konjunktionaladverbien u.a.; textstrukturierende Mittel, Wortstellung) 1.5.3 Graphische Mittel (Unterstreichung, Schriftauszeichnung u.a.) 1.5.4 Explizite Nennung von Produzent und Rezipient; Markierung des Standpunktes des Produzenten
B. 1.6
Angemessenheit der Sprachmittel (Sachadäquatheit, Funktionsadäquatheit, Ususadäquatheit) 1.6.1 1.6.2 1.6.3 1.6.4 1.6.5 1.6.6 1.6.7
B. 1.7
Interpunktion Wortformen-, Phrasen-und Satzbau Textbau Wahl von Autosemantika Wahl von Synsemantika Semantik komplexer Ausdrücke Registerwahl
Erfüllung von Textmusternormen
Anhang
305
B B.2 Ästhetische Angemessenheit: Besondere formale Qualitäten B.2. l
Sprachlich-formales Wagnis
B.2.2. Qualität der Sprachmittel (Attraktivität/Repulsivität) 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Wortwahl Satz-und Textbau Rhythmus Registerwahl, Tonlage
B B.3 Inhaltliche Relevanz: Besondere inhaltliche Qualitäten B.3.1 Inhaltliches Wagnis B.3.2
Inhaltliche Wegqualität (Attraktivität/Repulsivität)
306
Anhang
Anhang 2: Themenstellung für den in Abschnitt 6.4 analysierten Schülertext Das Thema, das das Zürcher Projekt den Schülerinnen und Schülern stellte, lautete: "[...] Im Folgenden sind Sie mit Zeugnissen früherer Zeiten zum Thema 'Sprachwandel1 konfrontiert. Schon damals wurde es manchmal in Form beredter Klage über den Sprachzerfall aufgegriffen. Wählen Sie eines der dargebotenen Zitate bzw. einen Ausschnitt, der Ihnen besonders entspricht oder Sie zu Kritik herausfordert. Sie können auch verschiedene Sätze miteinander verbinden. Wie immer Sie es halten mögen: Notieren Sie die Sätze, die für Ihren Aufsatz verbindlich sind. Der so gewählte Titel dürfte zur Klärung Ihres eigenen Standpunktes, dieser zu einer genaueren Erfassung des Titels beitragen. Setzen Sie sich in Ihrem Text mit der ausgewählten Aussage auseinander."
Der Verfasser des in Abschnitt 6.4 analysierten Textes (Text 4/8/4 des Zürcher Korpus) hat aus der folgenden Textsequenz von G. Steiner seinen Titel gewählt: "Zugegeben, das Deutschland der Nachkriegszeit ist ein Wunder. Aber es ist ein recht eigenartiges Wunder. An der Oberfläche flutet ein gleissendes, hektisches Leben, im Inneren aber ist eine sonderbare Stille. [...] Was hier zugrunde gegangen ist, das ist die deutsche Sprache. Wir brauchen nur die Tageszeitungen aufzuschlagen, die Magazine, die Flut der allgemein gelesenen und der wissenschaftlichen Bücher, die sich aus den neuen Druckerpressen ergiessen, wir brauchen nur ein modernes deutsches Theaterstück anzusehen oder der Sprache zuzuhören, wie sie über den Rundfunk oder im Bundestag gesprochen wird. Das ist nicht mehr die Sprache Goethes, Heines, Nietzsches. Das ist nicht einmal die Sprache Thomas Manns. Irgend etwas unermesslich Zerstörendes ist ihr widerfahren. [...] Sprachen sind lebende Organismen. Sie haben eine bestimmte Lebenskraft in sich und eine bestimmte Fähigkeit, sich zu verjüngen und zu wachsen. Sie können aber auch in Verfall geraten und sterben." (G. Steiner 1960: Das hohle Wunder. Bemerkungen zur deutschen Sprache.)
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Sachregister Kursive Seitenzahlen verweisen auf Fussnoten auf den entsprechenden Seiten.
Abweichung, 76 Adressat, 8;145;147;214;234;253
Angemessenheit/Unangemessenheit, 12; 25-29;69-72;89;95;120-128 argumentativ/Argumentation, 5; 10; 14; 25;123;152;168;185;186;187; 204219;235;254;261;263 Artikel, 109;110;111 Attraktivität, 238;285-29S Ausdrucksfehler, 69-72;290;295 Autonomie od. Interdependenz v. gespr. u. geschr. Sprache, J5;83;93;274; 282-283 beschreiben/Beschreibung (siehe deskriptiv/Deskription)
schweiz". 2-16;28;29; 147;210;220; 226;230;231; 242;297 Frage, 797;250;253 "Gemeinsame Einordnungsinstanz/ GEI", 170:239 Gesetz. 20 geschriebene Sprache (siehe Sprache gesprochen vs. Sprache geschrieben) gesprochene Sprache (siehe Sprache gesprochen vs. Sprache geschrieben) Grammatik, 37-90;81;120 Grammatik/Sprachsystem vs. Pragmatik/Sprachgebrauch, 25-29; 69-72; 120-128 Grammatikalität/Ungrammatikalität, 65; 69-72:86-90
cognitive science, 735; 139 Deixis, 109:110-111; 123 deskriptiv/Deskription, 152; 168; 183; 185;235;254;261 Ellipse, 84; 113; 195 Entwicklungsperspektive/Lemersprache, 15;25;60;64;77;99;186 erzählen/Erzählung (siehe narrativ/Narration) explikativ/Explikation, 185;210;224;261 Fehler, 12;25-29;42;63-79;95;120-128; 277;295 "Fehleranalyse", 64;72 Fehlergenese, 64;74;75-77 "Fehlerlinguistik", 64;149;295 Hüchtigkeitsfehler, 76 Fokus-Hintergrund-Gliederung, 56;58; 70;116;119;122;184;225;226; 227; 274;277 Forschungsprojekt "Muttersprachliche Fähigkeiten von Maturanden und Studienanfängern in der Deutsch-
Handlungswissen, 15 8; 159; 160-161; 172;258;283-28S niokution, 57:164-168; 194;217-219;248 niokutionswissen, 158;159;160-161; 166-168 Interpunktion/Zeichensetzung, 68;75;93;96;197;202 Isotopie, 772 Kausalität, 187-204:210 knowing how vs. knowing that, 73:76; 163;243;258;283;284 Kohärenz, 128-177, bes. 150-158:177240
Kohäsion, 54;56;99-128, bes.: 102;118; 120;130-133 Kohäsionsmittel, 102;105-120;277 "Konnexität", 103 (siehe auch Verknüpfung/Verknüpfungsmittel) Konnotation, 50;52;267-268 (siehe auch Register/Stilebene) "Kontiguität", 112;122;770 Kooperation, 292;298
328 Konferenz, 106-114;122-128 Korrektheit, 25-29;65;133 Logik, 206-207;212-216;243 "Makrostruktur", 152; 168; 171 Metakommunikation, 23;110;115;116; 224;227;240-254;266;277;281 ;283 Metasprache, 242 Metrum, 114 Morphologie, 46;67;74;75 Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit (siehe Sprache gesprochen vs. Sprache geschrieben) narrativ/Narration, 152;168;183;185; 225;235;254;261; 263 Norm/Sprachnorm, 11-1S;16-29;30; 58; 86-90;94;98;120-128; 175; 187;207; 217;236-240;244;253-254;279;280282;285;287 ordo natundis/ordo artificialis, 777; 152; 168;187;239;254 Orthographie/Rechtschreibung, 68;74; 75;92;95 Paraphrase, 111 Phraseologismus/stehende Wendung, 49;52;53 Pragmatik, 52;56;68;69-72 Präsupposition, 50;55;122; 124; 182; 198; 224;225;227 Proform, 109-111;123-128 Pronominalreferenz, 123-128; 150 Proposition, 54;152;168;769;194;250 Rechtschreibung (siehe Orthographie/ Rechtschreibung) Regel, 19;78;244 Register/Stilebene, 52;68;266;267-268; 276;289 Reim, 114 Rekurrenz, 106; 114; 170; 181 Relevanz, 749;238;291-293;299 Repulsivität, 293-295 Rhetorik, 26;86;88;113;207;264;268 Satz,43;52-58;120 "Satzverknüpfung", 103;183
Sachregister Schrift, 47;58;90-99; 159 Schule, 8;147;222;234-235;292 Schwierigkeit (einer Regel), 78 Semantik, 48-52;54;68;69-72;74;80; Sprachbewusstsein (siehe Sprachwissen; knowing how vs. knowing that) Sprache + Denken, 80;229-233 Sprache gesprochen vs. Sprache geschrieben, 3J;45;58;81-90;97;120; 197;201-204;213;230;231; 234:254; 257;265;267;269;270-283 Sprache/Sprachfähigkeiten, 6;8;17;77; 230 Sprachgefühl, 7?;244 Sprachnorm (siehe Norm/Sprachnorm) Sprachproduktion, 42;64;75-77;79 Sprachproduktionsbedingungen, 8;75; 222;234-235;278 Sprachschönheit, 288-291 Sprachwissen, 20;24;29;41 ;50;64;70;73; 111;133;158;159;172;243;253;258; 283-285 Sprechakttheorie, 153:154; 155; 161:164168;207;217-219;261;292 Sprechen vs. Schreiben (siehe Sprache gesprochen vs. Sprache geschrieben) Stil/Stilistik, 52;68;70;88;267-268;288291:298 "SuperStruktur", ;J7;765;277;252;253; 263 syntaktische Komplexität, 53;61 syntaktischer Parallelismus, 113;2S9 Syntax, 47;52-54;68;74;75;84-86;727; 277 tacit knowledge, 73 Tempus, 47;50;117;1 19;122 Text(-begriff), 9;33-35;59; 133-136; 146; 150-158:164-174 Textgrammatik, 54;103;104;120;128 Texthintergrundslogik (siehe Textvordergrundslogik/rexthintergmndslogik) Textideal, 11:287:298-301 Textiänge, 63 Textsorte, 13;98;109;122;146;75S;159; 185;252;253;254;255-285;288
Sachregister textstrukturierendes Mittel/Organisator1, 106;116;119;121;172 Textsyntax, 104 (siehe auch Textgrammatik) Textualität (siehe Text(-begriff)) textuelle Einpassung/"textual fit", 106; 116;119;122;172 "Textverknüpfung", 103; 183 Textvordergrundslogjk/rexthintergrundslogik, 126;746;226-229;230 Thema, 150-158;251;260;263;292 thematische Entfaltung, 157;177-240, bes.: 180-187;247 Titel, 151;157;250;253 Urteüen/Werten, 2-16;24;79-81;98-99; 210:288 variatio, 62;109;123;289;290 Varietät, 266-269;276 Verknüpfung/Verknüpfungsmittel, 106; 114-116;119;121;166;171;181; 182183;187-204;226;227 Verständlichkeit, 61;79;80;138;174-177; 294;299 Verstehen, 127;136-150;233
329 Verstoss, 24;25-29;65;89 Verweisung/Verweismittel, 106-114; 118;122-128;166;170;171;181;225; 227 weil mit V2-Stellung, 85;201-204 Weltwissen, 50;709;111;158;159-160; 169;172;232 Wissen, 24;29;70;73;133;143;158-164; 244;258;283-285 (siehe auch Sprachwissen; Handlungswissen; Weltwissen; knowing how vs. knowing that) Wissensdiskurs vs. Erfahrungsdiskurs, 222;223;225;233-234;280;281 Wohlgeformtheit(-surteil) (siehe Korrektheit; Wissen; Sprachwissen) Wort, 45;46-52 Wortschatz, 62;277 Wortstellung (siehe Syntax; FokusHintergnind-Güedening) Zeichensetzung (siehe Interpunktion/ Zeichensetzung) Zeigemittel (siehe Verweisung/Verweismittel)