Predigten an den Sonn- und Festtagen des ganzen Jahres: Band 1 [Reprint 2021 ed.] 9783112409749, 9783112409732


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Predigten an den Sonn- und Festtagen des ganzen Jahres: Band 1 [Reprint 2021 ed.]
 9783112409749, 9783112409732

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Predigten an

-en Sonn - unb Festtagen d e ö ganzen Jahres,

mehrentheil-

ÜHt die gewöhnlichen kirchlichen Abschnitte,

Don

G. CH. E. Westphal, Königlichem Inspektor der Kirchen und Schulen deS ersten Districtö im Saalkreife, und OberPastor der evangeli sch - Lutherischen Hauptkrrche zu U. L. Fr. in Halle.

Erster

bey

B a n d.

Berlin, Christian Friedrich I7>5>

Himburg,

VorberLcht. Xvctm ich sage, daß die Predigten, welche

man in dieser Sammlung findet, vor einer zahl­

reichen, überaus gemischten Versammlung ge­ halten worden find; so will ich damit weder hie

Förderung derselben zum Drucke rechtfertigen, noch ihren Inhalt als ungewöhnlich und außer­

ordentlich empfehlen, sondern nur den Gesichts­

punct angeben, aus welchem ich sie beurtheilt

zu sehen wünschte, wenn sie, bey der bekanntlich mehr als großen Menge gedruckter Predigten, nicht übersehen werden sollten.

In der angegebenen Rücksicht nämlich,

konnte ihr Verfasser fürs erste in der Wahl der

Vorbericht. der Hauptsätze weniger speciell werden, als man

dies an einigen neuern Predigtsammlungen vor» trefflicher Manner, welche sich aus eine besondere Classe von Zuhörern einschranken konnten, vor­ züglich geschätzt har; ihn mußte die Erinnerung an das

allen alles stets

leiten.

Ferner

durfte er weder denjenigen Grad von Populari­ tät im Vorträge suchen, weichen einige allein unter diesem Worte zu verstehen pflegen, wenn

sie sich die Sprache denken, in welcher man

der ungebildeten

Classe vollkommen verständ­

lich wird, dem Gebildetern aber langweilig und

unbehaglich zu werden befürchten muß; noch den vollen Redefluß und abgeründeten Perioden-

Bau, in welchem man der Fülle und dem Wohl­ klange vor den Geübtern, die Deutlichkeit für die Ungeübtern aufzuopfern Gefahr läuft Wenn es ihm gelungen wäre, sich hierin

der rechten Mittelstraße zu nähern; wenn zugleich in der Wahl und Ausführung der Hauptsätze

das

Dorbericht. das erkannt würde, was der Verfasser ihnen je«

derzeit zu geben suchte, nämlich religiöse Ge-

meinnützigkett und deutlich überzeugender Unterricht von den Wahrbeiten und Forde­

rungen der Religion, nicht ohne Herzens­ wärme sür den hohen Werth

beyder: so

müßte er sich des Zeugnisses der Kenner hier­

über allerdings freuen; wenn ihm dies

noch mehr aber, —

jemahls bekannt werben soll­

te, — der Erbauung solcher Seelen an Lesung dieser Predigten, welche in einer vorzüglichen

Wahrnehmung der Religion stehen, das Gan­ ze derselben mit ihrer Hochschatzung umfassen, sich so wohl,

wenn sie ihnen gegeben werden,

der Beweise ihres Glaubens und ihrer frohen Aussichten, als der Erweiterungen ihrer Pflicht­ erkenntnisse freuen, beydes mit herzlicher Ver­ ehrung des Stifters unsrer Religion und seines

hinterlassenen Wortes.

An sie vorzüglich bey

jeder einzelnen Betrachtung gedacht zu haben, ist sich

Dorbericht. sich der Verfasser bewußt, so wie ihm die Freude

bey seinem Amte gegeben worden ist, sie einzeln

und in ganzen Familien gefunden zu haben. Nur ein Paar Mahl sind die gewöhnlichen

kirchlichen Abschnitte mit andern Texten ver­ tauscht worden, wozu theils Zeit und Gelegen­

heiten, theils bessere Ausführung einer Materie,

welche bey Beybehaltung der Perikope Zwang gelitten hatte, gerathen haben. Als übersehene Druckfehler will ich nur noch bemerken, daß S. 7 in der letzten Zeile das erste Comma- Zeichen wegfallen, S. 22,

Z. 24 als anstatt für, S. z i, Z. z r Ruhe für Unruhe, S. 105, Z. 7 und 8 Absalom für Absolom, und S. 176, Z. 28 das unnatür­

liche für um das natürliche gelesen werden muß. Halle am roten Februar 1795.

Inhalt.

Inhalt. i.

Am Neuj»hrStage. Die Trüglichkeit menschlicher Urtheile über den Lauf der Dinge, predigt uns Gott und einen ihm ergebenen Sinn Seite r II.

Am Feste Epiphanias. Die Sorge für ein furchtloses Gemüth

17

III.

Am ersten Sonntage nach Epiphanias. Herzenseinfalt z3 IV.

Alm zweyten Sonntage nach Epiphanias. Aufmunterung zum Danke zu Gott für irdi­ sches Vergnügen 47

Inhalt.

v. Am dritten Sonntag« nach Epiphanias. Nothwendige Erinnerung und beständige An­ wendung dessen, daß wir Menschen sind S. 6 z

VI. Am vierten Sonntag« nach Epiphanias. Durch Gefahren geübt werden und ruhig in Gefahren seyn können, ist Adel und Vor­ zug, den Gott den Menschen gegeben hat

77

VII. Am fünften Sonntag« nach Epiphanias. Weisheit und Gerechtigkeit Gottes in Zulassung und Duldung des Bösen, und übereilter Menscheneifer dagegen 93

VIII. Am sechsten Sonntage nach Epiphanias. Die Verklarung Christi

109

IX. Am Sonntage Septuagefimä.

Eine zu hohe Meinung von uns selbst hindert an uns den vollen Segen und die Freudig­ keit der Religion 123

Inhalt. x. Am Sonntag« SexagesimL.

-Wa- macht uns zu falschen und lieblosen, und was zu richtigen Beurcheilern der Predigt? ©. 137 XI.

Am Sonntage Estomihi. Wie konnte nur Jesus hingerichtet werden?

151

XII. Am Sonntag« Znvoravit. Jesu Vorbild in Versuchungen

165

XIII. Am Sonntage Reminiscere.

Aufheiterung Jesu in einem seiner öftern leiden 179

XIV. Am Sonntage 01u(i. Warnung wider Verstockung bey deutlicher Ueberzeugung 193

3 «' Hl h. XV. Am Sonntage Lätare.

Das Betragen der Menschen, an und unter wel­ chen Jesus litt, wird ein Prüfstein unsers Glaubens und unsrer Tugendkraft S. 209 XVI;

Am Sonntage Zudica. Aehnlichkeit mit Jesu in dem Leiden wegen der Wahrheit 22z

XVII. Am Sonntage Palmarum.

Das Verdienst Jesu wird die größte Hoffnung unsrer Seligkeit 239 XVIII.

Am Lharfreytage. Heiligung iy der Liebe durch den Tod Jesu

255

XIX. Am ersten Osterfeyertage.

Kraft der Unsterblichkeitslehre durch Jesum Chri­ stum an daö Licht gebracht 271

Inhalt. xx. Am zweyten Osterfeyertage. Da- lieb- und Lehrreiche in der Offenbarung

Zesu nach seiner Auferstehung

S. 287

XXI. Am Sonntage Quasimodogeniti. Der Genuß de- Frühlings erneuert und erwei­ tert das Andenken der unendlichen und

ewigen Güte Gottes

301

XXII. Am Sonntage Misericordia» Domini.

Klagen und Beschuldigungen über unsre mangel­

hafte Menschenliebe im Gegensatze der Menschenliebe Jesu

317

XXIII. Am Sonntage Jubilate.

Kampf mit den Vorstellungen solcher Dinge,

welche unsre Leiden zu vergrößern scheinen

333

XXIV.

Am Sonntag« Cantate. Art und Weise christlich zu strafen

351

XXV.

Inhalt.

xxv. Am Sonntage Rogaie. Belehrungen aus der großen Veränderlichkeit

menschlicher Wünsche

und Bitten zu (S.367

Gott

XXVI.

Am Himmelfahrt-- Tag». Ueber die Himmelfahrt Jesu Christi für for­ schende und anwendende Christen

383

XXVII. Am Sonntage Exaudt.

Warnungen, sich nicht an der Welt zu ärgern

397

XXVIII.

Am ersten Pfingstfeyertage. Gottes Geist ist noch immer erkennbar in der

Religion Jesu

411 XXIX.

Am zweyten Pfingstfeyertage. Forlsehung dieser Betrachtung

427

XXX.

Am Trinitatis-Sonntage. Nachdenken in der Religion

441

XXXI.

Inhalt. XXXI. Am ersten Sonntage nach Trinitatis. Warum ist der Zustand der Seligen in der

Ewigkeit

nicht

ausführlicher

grossen-

bart?

©. 457

XXXII. Am zweyten Sonntage qach Trinitatis. Geistlich arm senn, in dem Sinne Jesu, ist die

rechte Anlage, selig zu werden im Christenthume

471

XXXIII. Am dritten Sonntage nach Trinitatis.

Wichtige Folgerungen aus dem Ausspruche Jesu, daß jede Menschenseele einen großen Werth

485

in GolkeS Augen hat

XXXIV. Am vierten Sonntage nach Trinitatis.

Wie Christen suchen müssen im Frieden mit der Welt zu leben um t'm Frieden Menschen

501

zu bessern XXXV.

Am fünften Sonntage nach Trinitatis. Unterschied unter Glück und Glückseligkeit

517

XXXVI.

Inhalt. xxxvi.

Am sechsten Sonntage nach Trinitatis. Das ächte Christen-Kennzeichen, dem Gesche in allen Stücken zuvor zu kommen 533 XXXVII.

Am siebenten Sonntage nach Trinitatis. Eine Vergleichung der wunderthätigen Spei­ sung durch Jesum Christum mit der all­ gemeinen göttlichen Versorgung 549 XXXVIII.

Am achten Sonntage nach Trinitatis Das beste Mittel, sich vor den Verblendungen der Heucheley zu bewahren 5 67

Hierbey ein Titelkupfer.

I. Am N e u e n j a h r e s t ag e. Text: Pred. Sal. 7, V. i.

W'stphals Predigten 1. B.

A

err Gott,

du List unsre Zuflucht für und für.

Ehe denn die Berge worden, und die Erde und die Welt geschaffen worden, bist du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Vor dem tausend Jahre stnd wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nacht­

wache, dualleinewiger, allmächtiger und allein wei­ ser bist unser Gott. Und sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber deine Gnade soll nicht von

uns weichen, und der Bund deines Friedens soll nicht hinfallen: so hast du gesprochen, du Erbarmet! Deß trösten wir uns heute vor dir, da die Zeit uns nöthigt,

an die zukünftigen Tage unsrer Wallfahrt auf Erden zu denken, und Menschenurtheil über den Lauf der Dinge uns auf vielerley Art bange machen möchte,

wenn wir dich, gnädigen Allregierer, nicht kennten, dessen ewige Huld und Gnade doch über aller Men­ schen Gedanken fest stehet. Hilf sie uns auch heute be­

schämen diese unsre Gedanken, die so oft Plage und Marter sind, und fördere dir selbst in unser aller Her­

zen Ehre und Vertrauen, Vertrauen und Ehre, der

du wärest, und bist, und seyn wirst, weise und heilig

A 2

und

4

1. Am Neuenjahreetage,

und gerecht, gütig, gnädig und voll Erbarmen.

Hal­

leluja, Amen! Zwey Dinge sind es, geliebten Zuhörer, welche

gemeinschaftlich dem Menschen zum frommen, Gott und Menschen gefälligen Sinne, zum ruhigen Genusse des gegenwärtigen lebens, und zu froher Erwartung deS Zukünftigen hinauf helfen , nämlich lehre und Er­

fahrung. Sie dürfen nicht von einander getrennt seyn, eins ohne das andere ist nicht wirksam genug. Erfahrung ohne vorher gegangene und dabey gegebene lehre, ist wie ein Schlag auf den Menschen, den er nicht auszudeuten weiß. Laßt einen Menschen, der ohne Unterricht von Gott, GotteS Lrdnung und Ge­

bot und von dem Schaden der Sünde geblieben ist, die schrecklichste Erfahrung über die Sünde machen; er wird sie doch nicht benuhen können, er wird an der Erfahrung sterben, ohne sich zu bessern, denn er weiß nicht, wocnach er sie beurtheilen und anwenden soll. Im Gegentheile wissen wir eS an einer Menge

von Beyspielen, daß Lehre, auch die reichlichste und beste, unfruchtbar ist ohne alle Erfahrung, daß der Mensch nicht eher volle Ueberzeugung von der Wahr­

heit und dem Werthe der Lehre erhalt, bis die Erfah­ rung dazu kommt. AuS vielen tausend Beyspielen hiervon wähle ich nach der Gelegenheit des heutigen Tageö, und für den Sinn, mit welchem wir alle heu­

te vor Gott treten sollen, folgendes.

WaS für einen

Schah von Lehren zur Demuth vor Gott, zum stillen Gottverrrauen und zur Gottergebenheit enthält nicht

unsre Bibel, und wo sind wohl wirklich christliche Aeltern und Lehrer, welche nicht vorzüglich diese dringenden Leh­ ren

I Am Neuenjahrestage.

5

ren ihren Kindern und Schülern geben und oft, oft wiederhohlcn sollten. Dessen ungeachtet unterlässts der

junge hervor strebende Geist nicht, vieles ohne Demuth zu urtheilen, zu wünschen, zu erwarten, zu sehen,

Plane zu machen, ausführen zu wollen, bis ihm eine Erfahrung die alte lehre bestätigt, wie ohnmächtig der Mensch durch sich ist, wie trüglich der Mensch denkt, weil ein verborgener weiser Gott es lenkt, wie krän­

kend und vereitelt stolze Vorsähe sind, wie still seyn und hoffen uns stark macht. Ehe ich gedemüthigt war, (Ps. ii9,) irrete ich!

Wenn schon einige

Erfahrungen dieser Art gemacht sind,

kommt doch

noch bey vielen der alte widerspenstige Sinn wieder, ohne Demuth zu denken und zu handeln, und erfährt die nämliche Krankheit, den nämlichen Mißmuth wie­ der. Vor dem Eintritte eines ZahreS, für welches wir Glück und Ruhe, Frieden und Segen wünschen und erbitten, scheint mir nichts nöthiger zu seyn^ als diesen Störer unsrer Ruhe, diesen eigenmächtigen Sinn abzulegen, und heilsam hierzu, daß wir mehre­

re gehabte Erfahrungen zusammen nehmen, die uns olle einstimmig sagen: eS ist der allerwenigste Theil von dem, was geschehen ist, nach unserm Sinne und Urtheile ergangen; und unS zu dem Schluffe weisen:

so demüthige dich nun unter die gewaltige Hand Gottes!

Richtet daher eure Andacht mit mir dar­

auf: Wie die Trüglichkeit der menschlichen Ur­ theile über den Lauf der Dinge uns Gott und ei­ nen frommen ihm ergebenen Sinn predige. Ich werde diesen Sah sogleich auf den heutigen Tag anwen­

den, und erstlich zeigen, wie diese Trüglichkeit am besten aus dem zurück gelegten Laufe eines Jahres einzu-

6

I. Am Neuenjahrestage.

einzusehen ist; zweyten«, wer bey ihr am besten gefahren ist, und was daher als der beste Ent­ schluß für die Zukunft zu nehmen ist. Keine Fähigkeit seiner Seele halt der Mensch werther und höher, als die Kraft zu urtheilen, seine Meinung über die Dinge, die ihm vorkommen, zu sagen, ob sie gut oder nicht gut, wahr oder nicht wahr sind. Er laßt sich eher und williger vieles andere ab­ sprechen, als die Richtigkeit seines Urtheils. Und er urtheilt nicht nur über die Dinge, die da sind, oder schon vergangen sind, sondern noch lieber beynahe über das, was kommen kann oder mag, bestimmt auch da, was kommen wird und nicht kommen muß, was zum Nuhen oder zum Schaden kommen wird. Wer kann auch so hart seyn, zu sagen, daß diese Werthschahung der menschlichen Urtheilskraft eine leere Einbildung, sie selbst ein Nichts sey. Immer ist sie doch mit Preis zu Gott als der größte Vorzug anzusehen, den er den Menschen vor den Thieren gegeben" har; immer mit Freuden als die größte Anlage besten, was der Mensch einmahl seyn wird, wenn ihn Gott zu einem Hellern Lich­ te erhebt; immer muß sie uns mit Hoffnung auf diese frohe Aussicht richten; immer wird ihr Nuhen für das gegenwärtige Leben überaus groß bleiben. Nur daS ist dabey so vielen unter uns vorzuwerfen, daß sie bey ihren Urtheilen, sonderlich über den noch zukünftigen tauf der Dinge, Demuth gegen Gott und Bescheiden­ heit gegen ihre Mitmenschen aus den Augen sehen. Nur ihr Urtheil soll gelten, das einzig wahre und rich­ tige seyn; und was das nachtheiligste für sie selbst ist: nach diesen ihnen untrüglich vorkommenden Urtheilen werden denn auch ihre Entwürfe, Anschläge und Vor­ sähe

I. Am Neuenjahrestage.

7

sahe gefaßt, zu thun oder zu lassen, ohne aufGesetzund Gebot zu achten, bloß nach ihrem Urtheile und der Ab­ sicht ihres Vortheils wahrzunehmen, so wie eö Jaco­ bus, (Kap. 4, 13,) treffend schildert: Ihr, die Ihr

saget: heute oder morgen wollen wir gehen in die oder die Stadt, und wollen ein Jahr da liegen und hanthieren und gewinnen, dre ihr nicht wis­ set, was morgen seyn wird. Dafür ihr sagen solltet, so der Herr will und wir leben, wollen Wir das thun. Und hieran schließen sich die Worte unsers Textes, als wenn sie damit in Verbindung stünden. Denn wer weiß und kann mit voller

Gewißheit sagen, was ihm Nutze ist im Leben­ las da für ihn kommen sollte und müßte, um ihn

glücklich zu machen,) oder wer will dem Menschen sagen, und wie kann er richtig mit seinem Urtheile errathen, was nachher kommen wird. Wie trüglich unsre Urtheile über den lauf der Dinge, über die Folgen der Begebenheiten, über ihren Ausgang, über ihren Schaden oder Nutzen sind, lehrt uns freylich zur Demüthigung, wenn wirs annehmen wollten, manches einzelne Schicksal unsers eigenen lebens, wenn die Dinge ganz anders fallen, als wir sie in unserm voraus gehenden Urtheile gestellt hatten, wenn das dar­ auf gebauete Gebäude des Glücks und des UebermutheS zertrümmert, weil ein einziger Stift gleichsam davon heraus gezogen worden ist, oder von den tausend mög­ lichen Dingen im Rathe der göttlichen Fürsehung nur ein einziges eingetreten ist, woran wir nicht gedacht hatten. Dann klagt man auch, aber bey weitem nicht immer zur Belehrung, sondern mit Groll und Wuth gegen die Fürsehung, über uns, wie Hiob klag­ te:

8

I. Am Neuenjahrestage,

te : (Kap. 19, 8,)

Er hat meinen Weg verzaunt,

daß ich nicht hinüber gehen kann, und hat Fin­

sterniß auf meinen Steig gestellt; er hat meine Ehre mir ausgezogen und meine Krone von mei­

nem Haupte genommen; er hat mich zerbrochen

um und um, und laßt mich liegen, und hat aus­ gerissen meine Hoffnung wie einen Baum. Aber wie weit besser und seliger ists doch, diese Trüglichkeit

unsrer Urtheile über den lauf der Dinge selbst immer vor den Augen unsers Geistes zu haben, sie sich schon in ruhigen und frohen Tagen unsers lebens vorzuhal­

ten, und mit dieser in uns herrschend gewordenen lehre jederzeit in die Zukunft unsrer Wallfahrt auf Erden zu sehen. Und zu dieser Belehrung finde ich keine Zeit geschickter, als die Vollendung eines Jahreö, ei­

nes Zeitraums unsers lebens, der von einem jeden

noch ziemlich vollständig übersehen werden kann, und quS welchem man sich mehrere Hauptbegebenheiten noch erinnern kann, ohne daß sie von andern nachfolgenden aus unsrer Vorstellung verdrängt worden sind. Hier­ zu, dünkt mich/ ist wohl das verflossene Zahr recht aus­

gezeichnet gewesen, an großen, zum Theile schrecklichen Begebenheiten,

welche Gott unter viele Völker der

Erde hat kommen lassen, an welchen auch unser Va­

terland Antheil genommen hat, und die wohl keinem einzigen unter uns ganz unbekannt geblieben sind. Wie urtheilten wir darüber, als sich diese Dinge im Anfänge

dieses zurück gelegten ZahreS anspannen oder zusam­ men zogen? wie fertig und leicht entscheidend thaten

das die Mehresten nach ihrer Gewohnheit?

Aber wie

oft haben sie in dem fortgehenden laufe dieser Dinge ihr Urtheil abändern müssen; wo stehen sie nun mit ihrem

I Am Neuenjahrestage.

9

ihrem Urtheile, und wie schüchtern mögen sie nun ge­ worden seyn, weiter darüber so gewiß und sicher zu

urtheilen,

als im Anfänge, weil ungeglaubte Auf­

tritte und Veränderungen ihr Urtheil so oft verworfen

haben? Unter denen, welche in die Geheimnisse der Könige und Fürsten schaueten und um den Zustand der Landerregierung wußten, ist wohl keiner, derben Krieg, welcher in diesem Jahre sich weit auSgebreitet hat, und das Schicksal der Völker, nach ihrem jehigen Laufe richtig in seinem vorher gegangenen Urtheile

getroffen hatte. Auch die, welche mit ihrem Urtheile dem bisherigen AuSgange der Sachen am nächsten ge­ kommen sind, werden doch sagen müssen, wenn sie

aufrichtig seyn wollen, daß es auf viel andern Wegen, durch viel andere Mittel, aus andern Ursachen so ge­

kommen ist, als sie allenfalls vorher urtheilten.

Wer

hatte das gedacht, wer hatte eS zu der und der Zeit vorher noch vermuthet! Das ist so oft in diesem Jahre unser Ausruf über die Weltbegebenheiten gewe­ sen; und mit diesem Ausrufe haben wir unser voraus gegebenes,

dreistes, festes Urtheil selbst für übereilt

und ganz unrichtig erklärt; haben damit die Erinne-,

wie will dek Mensch sich sagen, was kommen wird unter der Sonne. Und können wir etwas anderes von unsern rung unsers heutigen Textes bestimmt,

Urtheilen über unsre eigenen Angelegenheiten und Le­

bensauftritte in diesem Jahre sagen?

Wie urtheilten

wir und hofften oder fürchteten hiervon, davon, und wie istS,in beyden gekommen? O welch ein Unterschied zwischen dem, was wir urtheilten, und dem, waS erfolgt ist! Der wird sterben, ward geurlheilt, und siehe,

er lebt; der wird lange leben, ward gehofft, und siehe,

er

io

l. Am Neuenjahrestage.

er ist nicht mehr unter den Lebendigen.

Käme das,

hatten wir das, ward gewünscht, wie gut wäre eS

dann!

es ist gekommen, wir habens erhalten, und

wie urtheilen wir nun? Das darf nicht kommen, ward geurtheilt, oder wir sind verloren, und es ist

gekommen, und wir leben und gedeihen. Das sind nur wenige allgemeine Beyspiele, wodurch ich jeden aufsordere, selbst die Hauptbegebenheiten seines Zahreölaufes durchzugehen, die Tage und die Wochen wie­ der aufzurufen, in welchen unser Urtheil am mehresten beschäftigt war, über daS, was sich für uns zeigte, was wirklich geschah, und von welchem die Folgen ge­ hofft oder befürchtet wurden, und es mit dem zu ver­

gleichen, was nun heute davon in unsrer Erfahrung und Vorstellung ist, um dadurch die Worte unsers Textes recht lebendig für uns zu machen: Wer weiß,

was dem Menschen Nutz ist im Leben, so lange er lebt in dieser Eitelkeit; oder wer will dem Men­ schen sagen, was kommen wird unter der Sonne, und wenn er eS auch einiger Maßen vermuthete, unter welchen Umständen es kommen wird, die doch sein Ur­

theil um vieles andern? Wenn wir diese ernsthafte Erinnerung und Vergleichung anstellten, so würde eS ein, stiller und seliger Gottesdienst werden.

Denn wor­

auf anders werden wir kommen, bey dieser Ueberzeu­

gung von der großen Trüglichkeit unsrer Urtheile über den lauf der Dinge, als auf die beyden Satze: Erst­ lich, siehe die Hand Gottes in allen deinen Er­

eignissen und Begegntssrn.

Welt regiert,

Wie er die ganze

ohne Menschenhülfe,

und wider der

Menschen Rath und Urtheil, so führt er auch dich

Einzelnen nach seinem Rathe, und nimmt sich, wenn nur

I. Am Neuenjahrestage.

tx

nur Sünden dich nicht verunehcen, deiner immer mit

Ehren an.

In ihm, von, ihm durch ihn geschehen

auch für dich alle Dinge, da du wohl zugeben mußt,

daß sie nicht durch dich, und nicht einmahl nach deinem Urtheile kommen, und können auch nicht von ungefähr kommen, weil sich alles so wohl fügt, und Ruhen hat

Siehe ferner, wie eben durch diesen höhern Gang seiner Gottesgedanken und Gotteswege, Erkenntniß von ihm unter den Men­ schen ist; gar keine Erkenntniß von ihm da seyn wür­ und Ordnung erhalt.

de, wenn alles nach unserm Urtheile und unsern Aus­ sichten ginge; wie Er aber eben durch die Trüglichkeit unsrer Urtheile über den tauf der Dinge uns sanft

zwingt, daß wir glauben müssen, er sey der, der alles aufs beste regieret. Dies, aufs beste, würdest du schon langst erfahren haben und ruhig geworden seyn,

hattest du dich immer in seiner Ordnung erhalten, die allen Menschen als einzig gut angekündigt ist, Gottes Wott halten, Liebe üben und demüthig seyn vor ihm. Dana würden alle Dinge, die wider dein Urtheil kommen, dir dennoch bald zum besten gedient haben; dagegen, so lange unser Menschensinn we­

niger geschmeidig und ihm ergeben ist, seine wider un­ ser Urtheil gehenden Wege uns oft aufbringen und voll verzehrender Unruhe und Grimm machen müssen. Daher, lieben Zuhörer, ist die Frage und ihre

richtige Beantwortung von viel frommer Ermunterung:

Wer hat denn nun wohl bey einer so großen Trüg­ lichkeit der menschlichen Urtheile über den Lauf der Dinge das zurück gelegte Jahr am frohesten durchlebt?

Wollen wir sie nach dem gewöhnlichen

Dafürhalten beantworten, so wird es heißen: der, der

rr

I. Am Neuenjahrestage.

der Vermögen genug hatte, sich anzuschaffen was er

begehrte, und volle Gesundheit, eS zu genießen, wenn er wollte, und keine leiden an den Seinigen hatte.

Aber dann kann und wird man uns bald mehrere Menschen zeigen, an welchen sich das alles fand, und welche doch wiederhohlt sagen, daß sie keinen frohen Tag

unter allen Tagen des verflossenen Jahres gehabt haben. Nun, so hatten sie vielleicht einen Feind oder Neider, der ihre Ehre krankte, oder ein ungehorsames Kind, einen undankbaren Verwandten, der ihnen Verdruß und Kummer machte? Auch das nicht; sondern es sind sene verwöhnten Seelen, deren Urtheile und An­ schläge in allen Dingen gelten, deren Einfalle, ohne

Demuth und Bescheidenheit gefaßt, immer wirklich werden sollen, und die, wenn ein Umstand daran verän­

dert wird, dann alle Ruhe und Fassung verlieren, die keine Widersprüche von Menschen und keine Abände­ rung ihrer Entwürfe von Gott dulden können. O ja,

Unglückliche durch euch selbst, man kann es euch wohl glauben, daß ihr bey Vermögen, Gesundheit und Be­

quemlichkeit doch wenig frohe Tage gehabt habt.

Da­

gegen ist hier und da einer oder eine, die bey weitem nicht in der Fülle dieses zeitlichen Vermögens standen, deren Gesundheit oft angefochten war- oder die den Tod

geliebter Personen beweinten, oder auf eine andere Art betrübt wurden, und die dennoch heute mit inniger Rührung Gott für daö unverdiente Gute und die viel­

fache Freude danken, die er ihnen in dem vergangenen Jahre bereitet hatte, und hierin nicht heuchlerisch spre­ chen , sondern diesen ruhigen frohen Sinn wirklich ge­ habt haben. WaS giebt ihnen diesen Vorzug? Ein

früh gezähmtes Gemüth, daö sein Urtheil über die kom­ men-

I. Am Neuenjahrestage.

13

menden Dinge dem Rathscdsuffe Gottes unterwarf, mit dem Wahlspruche: ich bin des Herrn Knecht, Magd, mir geschehe wie er null, still und Gott

ergeben erwartete,

daß ihm auch diese Dinge zum

Besten dienen würden, und durch die Erfahrung er­

freuet wurde, daö überhaupt wenig Wünsche, wenig

Plane deö Glücks entwarf,

und wenn es kam, eS

durch Dankbarkeit zu Gott und gute Anwendung ver­ größerte und befestigte, übrigens unter allen Schicksa­

len in der Ordnung Gottes zu leben für sein richtig­ stes Urtheil hielt. In denen ist gewiß viel Gemüths­ ruhe und unrrlogener froher Sinn in dem verflossenen Jahre gewesen. Denn das gute Gewissen gab Friede mit Gott, Demuth bewahrte vor Krankung-über vereit-lte Glückötraume, Glaube gab Muth, und Dank­

barkeit ließ wahrhaft genießen, waS Gott gab. Die­ se Erfahrung, .meine Lieben, sey sie denn auch nur bisher von wenigen vollkommen gemacht, lehrt uns al­

len doch, waS als das beste Theil zu erwählen ist, bey dem Eintritte in ein neues Jahr, über dessen verhüllte Zukunft unsre Urtheile und Vorstellungen eben so trüglich seyn werden, als sie eS in dem vergangenen gewe­ sen sind, und wenn sie denn trüglich von uns erkannt werden, eben so krankend und ruhestörend seyn wer­ den , wenn wir sie nicht vorher mit Demuth und Gott­ ergebenheit seiner Weisheit und Güte unterworfen ha­

ben.

Fast möchte man unö bey dem Eintritte in dieses

Jahr das zurufen,

was Josua seinem Volke zurief

bey dem Eintritte in das gelobte Land, nach dem 246m Kap.: Erwählet euch nun, weichem ihr dienen wollet, dem Herrn euerm Gott, oder den Gö­

tzen deö Landes, ich aber und mein Hauö wollen

dem

-4

I. Am Neuenjahrestage.

dem Herrn dienen.

Eben so auch wir, wollen wir den Gößen dienen, die so mancher schon erwählet hat, der Ehre, der Eitelkeit, dem Aufsehen vor der Welt, dem Reichthums und andern zerbrechlichen Dingen die­ ser Welt, und darnach unsre Urtheile über den Lauf der Dinge und unsre Vorstellungen herrschend werden

lasten,

oder wollen wir Gott in Demuth und Treue

an seinem guten Gebote und in Unterwerfung unter sei­ nen heiligen Willen dienen? Das erstere wird uns, wie

alle Jahre lehren, viel Streit, viel Unruhe, viel Miß­ muth , viel Kränkung bereiten. Denn unsre Urthei­

le und Vorstellungen und darauf gebauete Erwartun­ gen und Entwürfe werden oft trüglich befunden wer­

den, seine Wege zu oft anders als die unsrigen, seine Gedanken zu oft anders als die unsrigen. Unser Wil­ le wird gebrochen werden, Gottes Wille fortgehen und allein bestehen.

Das letztere wird uns bey allen un­

erwarteten Veränderungen und Auftritten viel Ruhe geben, unsre Gedanken und Wege werden sich im­

mer mehr und mehr mit den seinigen vereinigen, und

so wird es unser festes Urtheil über den Lauf der Ding« werden:

Es kann mir nichts geschehen, AlS was sein Rath ersehen Und für mich nützlich hält. Ich nehm' eS, wie erS giebet; Was ihm von mir beliebet. Das hab' ich witzig auch erwählt. Und wenn der Lauf aller Dinge auch in diesem Jahre für uns geendigt seyn wird, so wird bey dem Zurück­ blicke auf denselben das unsre letzte Freude und Hoff­

nung

I Am Neuenjahrestage.

15

nung werden, daß wir UNS zu Gott gehalten und un­

ser Vertrauen auf den Herrn Herrn gesetzt haben. So viel nun unsrer die Wohlthätigkeit eines sol­ chen stillen, Gott ergebenen Sinnes schon erfahren haben, die laßt uns, wider alle unsre sonstige Urthei­ le über den lauf der Dinge, heute mit lob und Dank über das zurück gelegte Jahr urtheilen: Du hast,

0 Gott,

in ihm mein Leben

Nack deinem weisen Rath geführt. Mein Geist muß dir das Zeugniß geben.

Daß du vollkommen wohl regiert.

Leit ferner so durch Welt und Zeit Mich zu dem Thor der Ewigkeit.

Und nach diesem demüthigen Urtheile über den lauf der

Dinge,

wo rott nicht bestimmen wollen,

was uns

nützlich ist, und was kommen muß, wenn es gut ge­ hen soll, sondern nur bittend unsre Abhängigkeit von dem allein Mächtigen und allein Weisen zeigen, sey

denn auch heute unsre gemeinschaftltche Bitte einge­ richtet. Allerhöchster, vor dem uns keine Demuth zu tief ist, auf dem aber unser Vertrauen nicht zu groß und fest gegründet seyn kann, wir übergeben dir aufs

neue und erflehen deinen Segen für alles, was uns Werth und lieb ist. Das leben unsers Königes und

feiner Familie, schütze es und endige die es jetzt bedro­ henden Gefahren durch einen

erwünschten Frieden.

Das Wohl des Landes, laß eS zur Ruhe, zum Frieden

und zur Freud« guter Unterthanen regieret werden, und belebe du hierzu durch deine gnädigen Leitungen alle, wel­ che zum Regiment verordnet sind. Die Wohlfahrt uns­ rer

i6

I. Am Neuenjahrestage,

rer Stadt und ihrer Einwohner in allen Stanxn. Mache die, welche in ihr gebieten, richten und vor­ stehen, die, welche in ihr lehren, die, welche in ihr ar­

beiten und versorgen, einen jeden durch deine Hülfeund

deinen Segen mit seinem Berufe zufrieden und genügt, Menschenwohl und Glückseligkeit um deines NahwenS willen zu befördern.

Zn Gemeinschaft und Liebe, wie

«S dir dem Vater allein wohlgefällig ist, wo einer vem andern deinen Segen gönnet, und der Mangel deS einen auch den andern betrübt macht, rufen wir heute einer für alle und alle für einen, wie uns dein Wort

Herr, unser Gott, sey uns freundlich, und fördere das Werk unsrer Hande bey uns; ja das Werk unsrer Hande wollest du fördern; lehret:

und beten heute in Gemeinschaft inbrünstiger, als es

sonst wohl geschah, mit den Worten deines Sohnes: „Unser täglich Brodt gieb uns in diesem Jahre", und kröne es hierzu mit deiner Güte, daß der Reiche dann gern dir leihe, der erwerbende Stand froh arbeite, der Arme fich erquickt fühle, und vor allen Dingen dein beseligendes Wort ohne drückende Sorge und belä­ stigenden Kummer gehört, und zum Leben und zur Se­ ligkeit fruchtbar werde.

Amen.

II.

Am Feste Epiphanias. Evangelium: Matth. 2, V. i — i2.

Westphals Predigten l.B.

hoffen und fürchten, oHerr, unser Gott, beyde-

soll der Mensch in dem gegenwärtigen Leben zu seinem

Heile, nach deinem gnädigen und guten Willen, zu

beyden hast du seine Seele eingerichtet, zu beyden lei« test du ihn durch dein heiliges Wort. Aber du mei­ nest nur immer die weise Furcht, die ihn das Schäd­ liche zu vermeiden treibt, und ihn bedächtig macht

zur Seligkeit.

Jene quälende Furcht und Unruhe,

die sich dec Mensch durch den Wandel auf verbokhenen

Wegen macht, ist nicht dein Werk. £ lehre und treibe uns auch die ersten Ursachen derselben fliehen, und vollkommner in dec Liebe zu dir werden, welche die Furcht austreibt, und keine Pein, sondern lautec Süßigkeit Has. Amen.

Das Mancherley,

was der Seele fehlet,

und

was durch Religion an ihr gebessert werden soll, wird in der heiligen Schrift häufig mit leiblichen Krankhei­ ten verglichen, und auch unter uns ist diese Verglei­ chung bekannt und in die gemeine Sprache übergegan. gen. Gott hat unö zerschlagen, aber er heilet

auch wieder, heißls beym Propheten Hos. 6, 2 ; und

in den Klageliedern Jerem. 2, 13 wird von nnem durch Sünde verdorbenen Volke gesagt: deiNVcyaB L

de

ao

II. Am Feste Epiphanias.

de ist zu groß, wer kann dich heilen? Und so re­ den auch wir von einem kranken Gemüthe, von einem verwundeten Gewissen, von einem zerschlagenen Her­ zen. Und in der That, wenn es der körperlichen Krankheiten eine Menge giebt, so giebtS der Seelen­ krankheiten noch mehr; und focnn jene nut eine Zeit lang den Menschen angreifen, so machen diese ihn auf weit längere Zeit unglückselig. Wo ist ein Fieber, oder eine Seuche, die den Menschen so lange und so sehr quält, als der GeiH und der Neid, oder ein ande­ re« herrschendes läster. Und wenn jene nur einen Theil deö Körpers betäuben oder unbrauchbar machen, während daß die andern gesund sind, so nimmt die Krankheit der Seele die ganze Seele ein, und hat ei­ tlen Einfluß auf alles Denken und alles Gefühl des Menschen. Und wenn jene körperlichen Krankheiten sich oft mit den Jahren oder mit der Verwechselung der lüft ändern, so nehmen die ungeheilten Krankhei­ ten der Seele mit den Jahren zu, oder begleiten unö, wir mögen uns aufhalten wo wir wollen. Die Sor­ ge, das unruhige Gewissen, der Ehrgeih und die Hab­ sucht ziehen mit uns von einer Stadt zurändern, sie heilet nicht die Gesellschaft und nicht die Einsamkeit. Und wenn jene körperlichen Uebel dann am gefährlich­ sten sind, wenn sie schleichend sind, wenn sie der Kranke nicht fühlt und sich dabey für gesund hält; so ist auch dies der gefährlichste Zustand mit den Krank­ heiten der Seele, daß die Eigenliebe den Menschen dagegen gefühllos macht, daß er sie, wenn sie ihm auch gesagt werden , nicht kennen will und mit schmei­ chelhaften Nahmen benennt, den Neid eine Ehrliebe, den GeiH eine Sparsamkeit, die Vortheilsucht eine Klug-

II. Am Feste Epiphanias.

rr

Klugheit, die lasterung Freyheit im Urtheile. Doch haben sie ihre gewissen und untrüglichen Kennzeichen, woran man leicht den kranken Zustand seiner Seele er» kennen müßte, eben wie die körperlichen Krankheiten ihre verschiedenen Kennzeichen und besondern Schmer­ zen haben, woran sie die Aerzte erkennen, und nach denen sie zuerst fragen, um die Krankheit recht zu beur­ theilen. Eins der bedeutendsten Kennzeichen, daß die Seele durch läster oder unreine Begierden verdorben ist, ist die Furcht und Unruhe des Gemüthes. Zch meine hier nicht jenes erste Schlagen deö Gewissens, wenn die böse That geschieht; denn dieses Gewissen kann oft schon taub und durch häufige Wiederhohlung der Sünde zum Schweigen gebracht seyn, und doch ist diese Furcht und Unruhe da: sondern jenes Erschre­ cken vor allem, jenes beständige Befürchten des Schlimmsten, jener Verdacht auf und in alle Men­ schen, jene Unruhe, sich zu verbergen, jene ängstliche Mühe, sich immer zu verstellen, jenes freudenleere, menschenfeindliche Wesen, das alsdann über den gan« zen Menschen ausgegossen ist, das ihn Ruhe suchen und nicht finden laßt. £) wenn du die ersten Spuren von dieser Furcht und Unruhe an dir merkst, so suche den Grund davon in deiner unreinen Seele, und sey versichert, sie wird zu einem erschrecklichen Ungeheuer in dir werden, und dir die Vorempfindung der Hölle schon hier geben, wenn du nicht dein Grunvübel wegrschaffst. Zch habe mir daher auch vorgesetzt, heute die­ se Furcht noch naher zu bestimmen, sie von aller an­ dern leichter zu heilenden Furcht zu unterscheiden, und auch dadurch wieder daö bessere Theil, das sanftere Joch und die leichtere Last Jesu Christi zu empfehlen, das

22

II. Am Feste Epiphanias.

das unS Ruhe finden laßt für unsre Seele. Diegeschiehet, indem ich jetzt: Von der Sorge für ein

furchtloses Gemüth zu euch rede, und hierbey erst­ lich an dem Beyspiele des Evangelii untersuche, wo­

her die peinlichste Furcht in dem Gemüthe entste­ het, und wie sie sich äußert, um das zu vermei­ den, was uns in sie stürzt; und dann, tote alles andere Schreckhafte seinen Trost und seine Lin­ derung bald findet, und die Religion nur dann erst wirken kann, wenn man die Ursache dieser peinlichen und sündlichen Furcht in sich hebt. Wie sehr diente doch die Geschichte, die uns in

dem heutigen Evangelio erzählt wird, zur Bekannt­ machung der wirklichen Geburt des verheißenen Mes­ sias.

Hatten die Aeltern des neu gcbornen Kindes,

oder seine Verwandten, daö Außerordentliche, was bey seiner Geburt vorgegangen war, und die Erklärung, daß dies der langst Verheißene sey, zu Jerusalem be­

kannt gemacht; so würde man, ich weiß nicht was für Zweifel und Mißtrauen in ihre Aussage gesetzt und sie verlacht haben.

Aber daß drey ganz unbefangene

gelehrte Manner aus einem ganz entfernten lande nach der Hauptstadt kamen, in der Absicht, den Neugebornen für die zukünftige große Person, die ihnen angedeutet worden war, aufzusuchen, daß Zeit und Umstande ihrer Behauptung mit den Wcißagungen der Propheten so genau überein trafen, machte die Sa­ che äußerst wichtig und wahr. Und wie viel Freude

hatte diese Nachricht und Bestätigung der Vermu­ thung nach unter einem Volke bringen sollen, daö, wie das Jüdische, die Verheißung des Messias hatte, die Früchte seines lebens auf Erden zuerst genießen sollte, und

II. Zim Feste Epiphanias. und so vielfältig darauf verwiesen war.

2Z Aber man

siehet auch hier, was man durch die Erfahrung im klei­ nen und im großen bestätigt findet, daß wenn Gott freudige Begebenheiten kommen laßt, auch die Gemü­

ther der Menschen darnach beschaffen seyn mässen, die Freude anzunehmen, sonst kann das, was wirkliche Freude geben sollte, für dazu unbereitete und verdor­ bene Gemüther Last und Schmerzen werden. Denn

anstatt daß die Ankunft dieser Zeugen von einer so wich­ tigen Sache und ihre Behauptung Freude und freu­ dige Hoffnung zu Jerusalem hatte hervor bringen sol­ heißt es: da das Herodes hörte, erschrak er und mit ihm das ganze Jerusalem. Es fragt

len,

sich nun: warum wurde Herodes nicht nur, sondern auch der größte Theil der Einwohner dieser Stadt so

unruhig und voll Furcht bey dieser Nachricht?

Laßt

uns beydes naher untersuchen. Warum Herodes über diese Nachricht erschrak, laßt sich bald finden. Wenige Regenten hat die Geschichte aufzuweisen, die diesem Fürsten gleich kommen in unbezähmten Begier­

den, in einem durstigen Bestreben, seine Herrschaft, so sehr er auch durch die Macht her Römer beschränkt

wurde, auszubreiten, seinen Willen in allem durchzusetzen, und groß zu heißen durch Gewalt und Ty­ ranney. Man denke sich einen Fürsten, dessen Ehrgeitz göttliche Verehrung von seinen Unterthanen ver­ langte; der, um seine Pracht auszuführen, das so hei­ lig gehaltene Grab Davids plünderte, der auf jede fal­ sche Angabe, daß man sich ihm widersetze und nicht ehre,

sogleich ein Blutbad ergehen ließ; der aus Herrsch­ sucht seine eigenen Brüder verdrängte und seine Ge­ schwisterkinder umbringen ließ, und,

um nur diese Herrsch

14

n. Am Feste Epiphanias.

Herrschsucht und Tyranney ungehindert ausü-ben zu können, die größten Summen zu Geschenken an den

Römischen Kaiser und dessen Familie schickte, wel­ cher ihm allein zu gebieten hatte. Man denke sich diesen in seinen Begierden ungezähmten, in seinem Ehrgeiße immer durstigen Fürsten, dann wird man

die Ursache erkennen, warum er über die Nachricht von einem gebornen Könige in seinen landen in Furcht und Unruhe gerathen mußte, weil er nun wieder

einen

eine neue Gefahr

neuen Nebenbuhler zu bekommen,

seiner Ehre und Macht zu sehen glaubte.

Aber er

'in seiner Furcht und mit seinem unruhigen Geiste ist nur ein hervor stechendes Bild von dem, was allen eigen

ist, undalle auch in weit geringerm Stande in sich er­

fahren, die sich nur ehren und stets nach hohen Din­ gen trachten, und sich durch nichts in jhrek Eitelkeit

und Selbstsucht züchtigen.

Nur weil er ein Fürst

war, ists an ihm bekannt geworden.

Die andern alle,

die ihm im Gemüthe ähnlich sind, quält Furcht und

Unruhe,

nur die Welt erfährt- nicht so,

Stand niedrig ist.

weil ihr

Ist diese Begierde bey einem

Menschen einmahl aus ihren Schranken gelassen, so

gleicht sie einem Raubthiere, das wüthend und doch

furchtsam zugleich ist.

Alles reiht ihn, macht seinen

Neid und seine Eifersucht rege, alles beunruhigt ihn.

Jede Veränderung, die alsdann um und neben einem

solchen Menschen vorgehet, wird ihm bedenklich, ob sie nicht ihm gefährlich werden, und seine eiteln Ab­ sichten und Anschläge hindern könnte.

Je verbothener

die Wege sind, die er gehet, und die Mittel, die er braucht, um sich vorzudrangen,

desto mehr muß er

sich verstellen, desto mehr neues erdenken, desto ängst­

licher

II Am Feste Epiphanias:

25

sicher werden. Ueberall horcht und forscht er, ob man nicht wider ihn sey, denkt sichS, — und glaubtö, daß manö sey; jeder wird ihm bald verdächtig; keiner, dem ep seines Herzens Meinung zu entdecken wagte. Un­ zufrieden mit seinem Glücke, und doch besorgt für das­

selbe, olS das höchste Glück. — Welch ein leben? ZstS auch wohl noch ein leben zu nennen, das so umgetrieben wird in steter Furcht und peinlicher Besorgniß, das so ängstlich ist, als wennS immer dem Verluste und dem

Tode nahe wäre, wo der Mensch seines Geistes und sei­ nes Herzens nicht mächtig ist, weil sie immer und allein

bey seinem eingebildeten Schatze, bey seinem hochgetrie­ benen Glücke wachen müssen? Man frage nicht, ob in einem solchen Gemüthe Trost der Religion, Friede der Andacht und Ergötzung an Himmel und Seligkeit seyn könne. Wie kann das seyn, wo man die Sünde um

der Sünde und um des Eiteln willen täglich begehet,

die Gott und Menschen von einander scheidet, und wo uns die Religion nicht blos ekelhaft, sondern verhaßt werden muß. Fragt vielmehr, ob auch nur eine er­ laubte Erdenfrcude in einem solchen Gemüthe seyn

kann, eine herzliche Gatten- oder Aelternliebe, oder Freundschaft, oder ein Ergößen an den Werken Got­ tes; — und ihr findet auch dafür keinen Raum in dem­ selben, sondern nichts als die Begierde, reich oder hoch zu seyn,

und diese gepaart mit Furcht und Unruhe.

-O wenn man ein solches Schattenleben einmahl recht und noch nicht ganz verblendet erwägt, wie lieb ge­ winnt man da, wie küsset man das Bibelwort: Trach­

tet nicht nach hohen Dingen, — sondern haltet euch herunter zu den niedrigen, (Röm. 12,16 ;) Ringet darnach, daß ihr stille in der Welt seyd.

L6

II. Am Feste Epiphanias.

(i. Thess. 4, ii.)

Und das ist auch die erste nöthi­

ge Sorge für ein furchtloses, zu allem und vorzüglich zu dem Segen der Religion ruhiges Gemüth, die ich auch heute wieder unter uns in Anregung bringen möch­ te, — weil eS so Noth thut, sie uns in der Welt täg­ lich zurufen zu lassen: daß wir uns doch ja für daS irdische Glück das möglichst kürzeste Ziel stecken, doch ja nicht weiter auf diesem so schon besehten ge­

drängten Wege gehen wollen, als Gott uns überflüs­ sige Kräfte dazu gegeben hat, und selbst dann, wenn er sie durch Geburt, Stand und Vermögen gegeben

hat, doch uns noch mit Fleiß zurück zu halten, nicht

mehr davon haben und erlangen zu wollen, weil sonst Furcht und Unruhe zugleich damit in uns einkehren. Du daher, der du in dem ehrlichen Handwerksstande gebohren und erzogen bist, schilt den Gedanken und die tust, die in dir aufsteigt, mehr unter deinen Zeit­ genossen seyn zu wollen, alö dir dieser Stand an Werth und Achtung giebt; du, dem bey Fleiß und Ordnung Gott sein Auskommen gab, so daß du dich im Wohl­ seyn fühlst, schilt den Gedanken und die Lust, dich unter die Reichen und Vornehmen zu mischen, und

mit ihnen an Pracht und Glanze zu wetteifern; und du, der da anfangt, am Vermögen zu gewinnen, oder du, der da anfangt, wegen seines Geschäftes einigeAchtung und Ehre zu genießen, scheltet den Gedanken in euch, als sey dies nicht genug, als müßtet ihr noch den und den Grad darin erlangen; in Summa, hüthet euch,

wie Johannes am Ende seines ersten Briefes schreibt, hüthet euch vor den Abgöttern, eö sey dem Abgotte des

Geldes oder dem Abgotte der Ehre; sonst wird euer leben an Furcht und Unruhe ähnlich dem Leben deö HerodeS. Aber

Il Am Feste Epiphanias.

27

Aber nicht Herodcö allein erschrak über die Nach« richt von der Geburt des Messias, sondern, wie eS heißt, mit ihm das ganze Jerusalem.

Warum dieö?

wird man.fragen. Hier muß man sich die ganz ausge­ artete Lebensart und das äußerste Siktenverderbniß den­ ken, welches unter den Einwohnern dieser großen Stadt war, wie es uns aus der Lcbenögeschichte Jo­ hannis deS Täufers und Jesu Christi selbst bekannt ge­

worden ist; an die Ungerechtigkeiten der ersten Stan­ de in derselben, der Obrigkeit und der Lehrer, an das

Wehe euch, ihr Pharisäer und Schriftgelehrten, die ihr bas Himmelreich verschliesiet, selbst nicht hinein kommt, und die nicht hinein lasset, die hinein wollen; an das Volk, das wie die Schafe war, die keinen Hirten hatten, wo ein jeder that, was er wollte, nach seiner sündlichcn Lust, wenn er nur die Sünde des andern mit befriedigen half, oder sie un­ gestört ließ. Hieran muß man zuerst denken, und dann ferner daran, daß man zu Jerusalem doch Wei-

ßagungen auf den Messias kannte, von ihm laö und hörte, daß er ein König der Gerechtigkeit sey, daß er das Verfallene wieder Herstellen, Recht von dem Un­ rechte scheiden, einen jeden richten werde nachdem er ihn finde. Wenn man nun hörte, daß dieser gerech­ te König und Feind der Laster nun wirklich geboren sey,

konnte eS Freude oder mußte es Furcht und Unruhe in denen erwecken, die unreines Herzens waren und das Laster liebten? Die Frage entscheidet sich von selbst. Es war auf einer Seite betrachtet keine Freude mehr über die Zukunft des Messias zu Jerusalem, nämlich

wenn man die von ihm angekündigte Gerechtigkeit und Reinigkeit erwog, eö verursachte vielmehr der Gedan­

ke

LS

Is. Am Feste Epiphanias.

ke an ihn Furcht.

Es konnte nicht anders seyn, —

und eS kann auch jetzt nicht anders seyn.

Wo das

Herz'unrein ist, und wissentlich mit Sünden umge^

het, da muß Furcht und Beängstigung seyn, wenn man sie auch vor den Menschen geschickt zu verbergen

weiß,

so zittert sie doch in dem Innersten.

DaS

Hauptbuch in der Bibel in dieser Rücksicht wo uns dies auf allen Blattern gesagt wird, daß die Sünde den reinen frohen Muth von dem Menschen nimmt und ihn

mit Furcht erfüllt, sind die Sprüche Salomo's. Der Gottlose flieht und niemand jagt ihn, der Ge­ rechte aber ist getrost wie ein junger Löwe. Der Gottlose bebet sein Lebelang, der Gerechte ist auch in seinem Tode getrost. Aber ich will noch einen Spruch anführen, der mir immer der stärkste hierüber geschienen hat; es ist das, was zum Cain ge­ sagt wurde, da die Unruhe ihm auf dem Gesichte zu lesen war: (i. B. Mos. 4, 7,) Isis nicht so, wenn du fromm bist, so bist du angenehm; bist du aber nicht fromm, so ruhet die Sünde vor der Thür. Sie wird dein beständig drohender Feind,

der dir gleichsam vor dem Hause auflaucrt, und nicht erlaubt, daß du heraus gehest, sonst werde er dich zu

schänden machen.

Welch ein Bild und Vorstellung!

Wie so voll Wahrheit!

WaS ist dem Menschen bey

dem Laster nicht alles furchtbar? Was macht ihn nicht unruhig? Jeder Mensch, der ärmste und wehr­ loseste, scheint ihm sein Verräther und Entdecker zu

werden; jeder reinere bessere Mensch giebt ihm einen Stich ins Herz; jedes kommende Schicksal, jede Be­ gebenheit, die er sich als möglich denkt, macht ihn

angstvoll um der Sünde willen, — sie treibt ihn, das

gefahr-

1L Am Feste Epiphanias. gefährlichste zu denken.

29

Wen schrecken die majestäti­

schen Begebenheiten in der Natur, Donner und Blih, mehr als den, der so eben von seiner Sünde zurück kommt? wer fürchtet die Religion, die HerzenStröste-

rinn mehr und beugt ihr aus, als der, der seine Sünde unterhält und nähret? und was giebt der Todeövorstel? lung die größten Schrecken? Die unbezähmte Sün­ de! Peinlicher Zustand, ängstliches leben, lehre du

heute einen jeden, was sonst so viel Stimmen vergeb­

lich predigen: Dein Lebelang habe Gott vor Au­ gen, und hüthe dich, daß du in eine Sünde willi­ gest Denn siehe, bist du fromm, so bist du an­ genehm, sonst ruhel die Sünde vor der Thür. Darum laß du ihr nicht den Willen, sondern herrsche über sie. Gut, möchte man nun noch zu diesem allen sa­ gen, Du hast zwey Ursachen angezeigt, die den Men­

schen voll peinlicher Furcht und Unruhe machen: das Sweben nach hohen Dingen und die Sünde. Und

du hast Recht, wir erkennen, daß dies Wege dec Furcht und Unruhe sind. Aber sind sie's allein? Kannst du behaupten, daß eine Seele, die sich mir Fleiß von dem ersten abhält, und über die letztere zu

herrschen sucht, .ohne Furcht und Unruhe bleibt.

Er bleibt ein Mensch, und seine Ruh' Nimmt in der Seele ab und zu. Bald stören ihn de« Körper« Schmerzen, Bald da« Geräusche dieser Welt; Bald kämpft in feinem eignen Herzen Ein Feind, der öfter« siegt al« fällt; Bald sinkt er durch de« Nächsten Schuld In Kummer und in Ungeduld. Der

30

II. Am Feste Epiphanias.

Der Mensch lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe;

zn der Welt habt ihr Angst; es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine Plage habe.

Das ist wahr.

Aber eben daher lerne, wie viel innere Ruhe und Muth der Mensch nöthig hat, diese äußerlichen, nicht ausbleibenden und nöthigen Wehetage zu bestehen, und was er dann erst wird, wenn er diese nicht dem Lei­

den und Schicksale entgegen sehen kann ; aber wie we­ nig ihn jene zufälligen Dinge, die über dies der Gott

der Liebe zu seinem Besten regiert, niedcrwerfen wer­ den , wenn sie ihn bey innerer Seelenruhe treffen. Zu den Menschen, die aus Zrrung oder Leidenschaft uns angreifen, spricht Gott, bis hierher sollt ihr kommen;

den Schaden, in den wir durch des Nächsten Schuld sinken, erseht er durch eine Quelle der Hülfe, wenn

wir auf ihn achten, und den Kampf mit der Sünde lohnet er mit Sieg, wenn wir ihn vor seinen Augen führen. Es bleibt die Krankheit übrig, wovon frey­ lich manche Art uns so voll ängstlicher Furcht sehen

und unsre Einbildung so mit Schreckbildern erfüllen kann, daß der Körper die Seele beuget, aber ach,

wenn je innere Ruhe der Seelen, wahre Freyheit des Gewissens und Religion tirt guten Gewissen gesam­ melt, nöthig ist, und ihre Kraft erzeigt, so ists da. —

Ueber wie viele bange Vorstellungen wird dann doch, durch sie ausgerüstet, der Geist Herr werden! Wie von einem Angriffe der Krankheit zum andern wird er sich stärken, niemahls ganz ohne Tröstung und wieder­ kehrenden Muth seyn, und endlich die frohe Aussicht über Tod und Grab hinaus behalten! Denn das ist

ja eben der Segen der innern Seelenruhe und eines durch die Sünde nicht furchtsam gemachten Gemü­ thes,

H. Am Feste Epiphanias.

zr

theS, daß wir in demselben das Vertrauen auf Gott

erhalten, das Feld deS Glaubens und der Hoffnung angebauet haben und nun in den Tagen der Prüfung die Früchte davon ernten können. Wenn wir denn so in der ruhigen Zeit, wo uns weder die unbereuete Sünde, noch eine heftige eitle Begierde davon abhielt,

unsrer Erbauung nachgegangen sind und die Schaße der Religion für uns eingesammelt haben, — o wie

dienen sie uns dann so mannigfaltig, wenn Auftritte für uns kommen, wo andere voll Unruhe und Zagen sevn würden. nicht furchtbar,

Vieles, was dann kommt, ist uns gar

denn wir wissen ihm aus der Güte

und Weisheit Gottes die rechte Deutung zu geben und den besten Ausgang zu hoffen, wie die stillen morgen­ ländischen Weisen aus der Begebenheit gutes und freu,

digeö hofften, die Jerusalem und seinen König so er­ schrecken machte. In andern bedenklichern Fallen sind

wir dann ruhig genug, um den Wink und die Anwei­ sung der Fürsehung abzuwarten, und da unser Herz nicht verstrickt ist, so können wir ihm folgen, wie die Wei­ sen dem Winke der Fürsehung, nicht durch Jerusalem in ihr Land zu ziehen, ungehindert folgen konnten, weil

sie keine Schmeichler des Tyrannen waren und in kei­ nem sündlichen Verständnisse mir ihm standen. Aus noch andern uns hart angreifenden Schicksalen wissen wir die beste Lehre und geistlichen Nüßen für unsre Seele zu ziehen, — weil wir diese schon vorher in der Ruhe besorgten und besser und gottgefälliger zu machen suchten.

So tröstet und stärket die Religion immer

bey den äußerlichen Unruhen des Lebens, wenn nur die innere Unruhe da ist, — und kann auch nur allein da wirken, wo es an dieser nicht fehlt, so daß wir

als-

zr

fl. Am Feste Epiphanias«

alsdann nur von ihrem Troste und ihrer Stärkung sa­ gen können, was Paulus davon sagte: (2. Cor. 4, g,) Wir haben viel Trübsal, aber wir ängstigen uns

nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden untergedrückt, aber wir kommen

Nicht lltn.

Daher laßt uns denn heute einmahl mit

rechter Theilnehmung und Anwendung sagen, was wir vielleicht zu

anderer Zeit weniger nachdenkend ge­

sungen haben:

Ein- ist Noth, ach Herr, die- Eine Lehre mich erkennen doch. Alles andre, wie'S auch scheine. Ist doch nur rin schweres Hoch, Worunter das Herz sich selbst naget und plaget. Und dennoch kein wahres Vergnügen erjaget. Erlang' ich dies Eine, da- alles ersehet. So werd' ich in einem durch alle- ergötzet. Gott unterstütze unsern Vorsah, diese Furchtlosigkeit und Seelenruhe durch tägliche Wachsamkeit über uns selbst und in steter Anwendung seines Wortes zu su» chen, und bald vor seinem Angesichte betend und dan­ kend zu rühmen, baß wir sie gefunden haben. Amen.

III.

A m ersten Sonntage nach Epiphanias. Evangelium: tue, 2, V. 41 — 52.

Aalsch urtheilen und falsch beurtheilt werden, s Gott, ist unser tooS in dieser Welt; das empfinden wir so oft

mit Schmerz und mit Reue. wir zu dir:

Desto inniger beten

lehre du uns denken, urtheilen, richten

nach deinem Wohlgefallen;

dein guter Geist führe

uns auf dieser ebenen Bahn, auf welcher unser Ab­ scheu und unser Wohlgefallen an Menscheneigenschaf­

ten, so viel eS auf dieser Welt möglich ist, deinem

reinen Gottesurtheile ähnlicher wird.

Amen.

Der Mißbrauch, den Einige von gewissen Lehren deS Christenthums und von gewissen Worten und Re­ densarten der Bibel gemacht haben oder noch machen,

hat den großen Schaden für die Religion und beson­

ders für die Sittrnlchre derselben, daß dadurch einer

Meng« anderer Menschen gewisse sonst vortreffliche Ei­

genschaften des Geistes und Herzens, welche man mit jenen Worten und Redensarten bezeichnet, im höch­ sten Grade verdächtig oder verächtlich werden; so daß

sie die Nahmen dieser Eigenschaften nicht mehr hören

wollen,

weil sie sich nur immer den Mißbrauch und

das Schlechtere dabey denken, nach diesen Eigenschaf­

ten also selbst nicht mehr streben, sondern wohl gerade

das Gegentheil davon thun und reden, um nur so recht

ihren Abscheu gegen die gemißbrauchte Sache anzuzei-

gen.

Es ist dies nicht nur in unsern Tagen geschehen,

sondern es ist immer so gewesen.

Einst gab eS «ine

Zeit unter einem alten wegen Weisheit und Kennt­

nisse berühmten Volke, in welcher der Nahm« eines

Weisen oder Weiöheitslehrers so verdächtig und

C r

ge-

z6

III. Am ersten Sonntage

gehässig war, daß man nichts anderes als einen Klüg­ ler und Verdreher der Wahrheit darunter verstand, und daher viele wirklich weise Manner nur Freunde und Liebhaber der Weisheit genannt seyn wollten. Wie verdächtig und verabscheuet von vielen ist erst kürzlich in unsern Tagen das Wort Aufklärung ge­ worden, so daß sich viele wegwenden, wenn sie nur das Wort brauchen hören, weil sie nach dem Miß­ brauche, den einige davon gemacht haben, nichts an­ deres als die Verbreitung unüberlegter, gefährlicher und Religion stürzender Meinungen darunter verstehen. Gleichwohl ist wahre Aufklärung, nämlich Berichti­ gung und Reinigung menschlicher Vorstellungen und Begriffe von den wissenöwürdigsten Dingen, eine vor­ treffliche, allen Zeiten und Menschen zu wünschende Sache. Wer weiß nicht, wie verhaßt das Wort Pietist noch manchem ist und noch mehrern ehemahls war, wie man so einzig nur das scheinheilige Wesen sich dabey denkt oder dachte. Gleichwohl hat dieses Wort einen so vortrefflichen Ursprung, daß nichts mehr zu wünschen wäre, als wir könnten alle mit Recht Pietisten genannt werden, nämlich, (denn so viel will das Wort eigentlich sagen,) solche, die sich eines from­ men und gewissenhaften Verhaltens in allen Stücken be­ fleißigen. Selbst die Wörter fromm und Frömmig­ keit haben angefangen, einigen verdächtig zu werden. Denn man gehet freylich sehr weit in diesem Fehler, sich eine ganze Sache anstößig werden zu lassen, um des Mißbrauches willen, welcher damit gemacht ist, zumahl wenn in unsern eigenen Herzen etwas ist, das gerade von jener guten Sache absticht. Kein Nahme guter HerzenSeigenschaften ist aber wohl mehr in Verach-

nach Epiphanias, achtung gerathen, als der der frommen Einfalt.

Durchaus lächerlich ist er sogar vielen geworden, als wenn etwas schimpfliches damit verbunden wäre; und dpch weiß ich seiner wahren Bedeutung nach, welchen er in der Bibel hat, keinen angelegenern Wunsch für

unsre heutige Christenwelt zu thun, als daß mehr fromme Einfalt in ihr wäre, als leider nicht gefunden wird. Die gegenwärtige Bettachtung möge doch da­ zu dienen, den wahren Werth dieser guten Eigenschaft wieder unter uns in Bekanntschaft zu bringen, und

das zu verabscheuen und zu vermeiden, was unwissen­ der Leichtsinn wider sie denkt, redet und thut, und was Trägheit und Tücke von ihr mißbrauchen. Es kommt aber bey einer Betrachtung über fromme oder Her­ zenseinfalt vorzüglich darauf an, daß man erstlich fehe, worin sie bestehe und was für einen ehr­ würdigen Begriff man sich von ihr zu machen habe; zweytcns, daß man sie gehörig behandeln lerne, wo man sie findet; und drittens, daß man sich hüthen lerne, gewisse schlechte und unwürdige

Eigenschaften mit ihrem Nahmen zu belegen.

pnd war nicht in dem Erdbeben, das entstand, und war nicht in dem Feuer der Blitze, sondern tn dem stillen sanften Sausen; anzuzeigen seinen weisen langmüthigen Eifer, welcher so unendlich seli­ ger ist, als der Menschen heftige Gedanken. Dor allen Dingen aber wollen wir anhalten, uns zu warnen vor dem Aergernisse in der Welt, daß die sündlichen Beyspiele uns nicht in der Ver­ führung hinreißen, wir nicht ihren Grundsätzen Recht geben, und unsre guten Grundsätze fahren lassen. Wie leicht und häufig das geschieht, ist wohl das Gemeinste, was man erfahren kann. "Machen es doch die und die so, redet doch der und der so"; das sind die gewöhnlichsten Entschuldigungen, die man hört, wenn ein Gemüth schon die guten Wege verlas­ sen und den bösen eingeschlagen hat. Als Schande müsse es doch von jedem angesehen werden, fich in der erkannten schlechten Sache auf andere zu berufen und sich mit den Beyspielen anderer zu, entschuldigen. Auch von diesen leichtfertigen Beyspielen ist ja nichts anderes zu urtheilen, als mit Christi Worten: solches wer­ den sie thun, weil sie weder mich noch den Vater kennen. Allein du, der du dich mit ihren Beyspie­ len entschuldigen willst, gestehest doch, daß du das Bessere gekannt hast, und du nun das entgegen stehen­ de Böse weißt, worüber du Entschuldigung suchst. Das

XXVII. Am Sonntage Exaudi.

409

Das wird dich richten, das bessere Wissen, die bessere Anweisung gehabt zu haben, die bessere Ueberzeugung ge#

faßt, und doch wieder aufgegeben zu haben. Doch möchte

mancher, dem man so ans Herz redet, antworten. Die, denen ich folge und Nachrede und nachthue, wissen wohl, was sie thun; wie sollten sie es nicht wissen? es sind vornehme, angesehene, kluge Leute und Menschen von

sonst feiner Lebensart; sollten die nicht Erkenntniß und Einsicht haben? O möchten doch einmahl viele unsrer Mitchristen, vorzüglich aus den ungelehrten Standen, anfangen zu bedenken, daß die so genannte große Welt

nicht das Land ist, auf welchem die Erkenntniß des Guten wachst und Frucht bringt. Denn es ist bey solcher Erziehung und Lebensart auf den so genannten großen Fuß auch weniger Besinnen, weniger Auf­

merksamkeit, mehr frühere und häufigere Veranlas­ sung zur Zerstreuung, und viel Verblendung deS Ver­ standes durch das unbewachte Herz, und viel Verwil­ derung dieses Herzens, die nur durch den Schein nicht immer offenbar wird. Schätze doch also auch gegen

solche Menschen, wenn sie deine Verführer werden wollen, und dir ihr Beyspiel im frechen Urtheile und in gewissenlosen Handeln vorleuchten lassen, dein bis jetzt ruhiges und bewährt befundenes Christenthum höher als alle Nachahmung des groß Scheinenden, welche ja doch nur kleinliches unbedachtsames Ding ist.

Setze

deinen Weg mit festen Schritten ruhig fort, und laß dich nicht irre machen, was auch von Vornehmern und

Größern, oder auch Gelehrtern zur Rechten und zur

Linken unlauteres geschieht und geredet wird. Denn es gilt auch von ihnen das Wort Jesu aus dem heuti­ gen Evangeüo, das du oft hören sollst, um eö fleißig anzur

4io

xxvn. Am Sonntage Exaudi,

anzuwenden:

Solches werden sie thun, weil sie

weder mich noch den Vater erkennen. Sie haben ihn niemahls nach seinem himmlischen Sinne recht ken­ nen gelernt, und jetzt stehen sie nun schon zu entfernt Von ihm, können ihn nicht mehr schätzen, weil si^ihe

Verderbniß lieben, oder jede Umkehrung zu ihm für zu große Aufopferung halten. Dies, m. l., sind einige Warnungen, sich nicht an der Welt zu ärgern; ein so nöthiger Zuruf, daß

ich für das Wachsthum, den Genuß, die Anwendung und Wirksamkeit der Religio« eines jeden Einzelnen

keinen nöthigern kenne. Zch schließe daher mit Wor­ ten der Bibel, welche diesen Zuruf in der kräftigsten Sprach« thun, und euch die Sache nochmahls auf das angelegentlichste empfehlen können: Lastet euch niemand das Ziel verrücken> (Col. 2, ig.) Sehet

euch vor, , daß wir nicht verlieren, was wir er­ arbeitet haben. Wer übertritt und bleibt nicht in der Lehre Christi, der hat keinen Gott, (2.Z0H. 8 u. 9.) Halt, was du hast, daß niemand dei­ ne Krone nehme, (Offenb. 3,11.) Bey einer wei­ sen Sorge hierfür wird unser Glaube die SiegeSkraft erhalten, welche die Welt überwindet.

Amen.

XXVIIL

XXVIII.

Am ersten Pfingstfeycrtage. Evangelium:

Zoh. 14, V. 23—31;

«Leite uns, o Gott unsers Heils, durch deinen Geist, daß wir ungeheuchelr und in wahrer Ueberzeugung da» göttlich Große erkennen, was du ehemahls schon für uns gegründet hast, aber noch jetzt an unsern Herzen fruchtbar werden lassest; damit du uns, der Gott al­ ler Zeiten, heute so wie gestern, und derselbe in alle Ewigkeit werdest, unsre Hoffnung auf dich, den Var ter der Geister, sich vermehre, und unsre Gemüther sich dir ganz ergeben, um deine gnädigen Absichten zu unsrer Seligkeit zu erreichen. Erwecke denn in unS allen, deren Herz sich jetzt in festlicher Andacht zu dir erhebt, ein gewiffenhafteS Verlangen darnach, und segne uns, daß unsre Herzen und unser ganzes Leben deines Lobes und deiner Anbetung voll wer­ den. Amen.

Wir feyern heute ein Christenfest, meine Zuhö­ rer, welches in seiner Absicht nicht weniger wichtig ist als die erfreulichen Feste, welche wir vor kurzem erst zurück gelegt Wen. Denn die Absicht unsers heuti­ gen Festes ist unstreitig die, uns dankbar und froh in Gott an die großen Anstalten zu erinnern, welche Gott nach seinem Geiste und durch feinen Geist getrof­ fen hat, die Lehre Jesu unter die Menschen zu brin­ gen, und dadurch die Menschen zu einer solchen Ver­ edlung und geistigen Größe zu erheben, welcher sie nur für dieses gegenwärtige Leben fähig sind. Dies

muß

414 xxviii. Am ersten Psingstfeyertage. muß eö denn auch seyn, worauf ein jeder Christ seine Andacht in diesen heilitzen Tagen vorzüglich zu richten hat. Denn wollten wir bloß mit unsrer Betrachtung bey dem stehen bleiben, was vor mehr als ein tausend sieben hundert Zähren an diesem merkwürdigen Tage den ersten ZeugenJesuAußerordentlicheü widerfahren ist, und es bloß ansehen als einen Vorzug und eine auözeichnen-

de Ehre, welche nur ihnen deswegen und zur Belohnung gegeben worden sey, weil sie Jesu bey seinem Wandel auf Erden treu nachgefolgt waren; so würde das für

uns, welche die Gelegenheit nicht gehabt haben, das auch thun zu können, mehr eine Art von neidischer Vorstellung erwecken , als erbaulich für uns werden. Nein, alles Große, was an ihnen, den ersten Zeugen

Jesu, geschehen ist, ist für uns geschehen.

Und da­

von haben wir wohl keine bessere und freudigere Ue­

berzeugung, als wenn wir finden, daß der Geist Got­ tes, welcher den Aposteln mitgetheilt wurde, noch im­ mer erkennbar und merklich für jeden in der Religion

liege, welche durch ihn auögebreitet wurde und unter uns ist. Dies sey denn auch die Sache, auf welche ich meine lieben Zuhörer in diesen heiligen Tagen füh­ ren will.

Es ist aber hierüber eine zwiefache Betrach­

tung anzustellen.

Denn einmahl ist Gottes Geist in

der Religion, welche durch ihn unter uns ist, merk­ lich und erkennbar für jeden, durch das, wozu sie uns gegeben ist und was sie ausrichtet, und

das, meine lieben Zuhörer, soll eö seyn, worauf ich heute eure Andacht führen will. Wir erkennen aber auch zum andern Gottes Geist in der Religion Jesu, wenn wir auf die ihm so ganz würdige Art und Weise sehen, wie sie gegeben ist, und hierzu will

ich,

xx viii. Am ersten Pfingstfeyertage. 415 ich, gefallt es Gott, in der morgenden Betrachtung

einige Anweisungen

geben.

Gott aber lasse eS zur

wahren festlichen Freude unter Christen gereichen, daß dieser sein Geist in unsrer Religion allen sichtbar

«erde,

und eö in jedem Herzen heißen möge, wie

wir oft singen: 0 Christenglaube, du allein Sollst meinen Geist beleben. Mein Kleinod hier auf Erden seyn. Und mich zu Gott erheben.

Wir bitten ihn noch besonders hierum u. s. w. Wenn wir uns also davon überzeugen wollen, wie Gottes Geist noch immer erkennbar in der Religion Jesu sey, durch das, wozu sie gegeben

ist; so kommt eS hierbey erstlich darauf an, daß wir fragen und beantworten, wozu die Religion ge­ geben sey, und einzig und allein gegeben seyn müsse; zum andern, daß wir sehen, wie sich hier«

in Gottes Geist offenbart für jeden, welcher darauf achten will. Geist und Herz des Menschen, Herz und Geist, sind, meine lieben Zuhörer, die beyden Stücke der menschlichen Seele, die wir auch in unsern gemeinsten Reden für das Wichtigste an dem Menschen, und für

unzertrennbar für die Vollkommenheit desselben halten, von welchen das eine so gut als das andere besorgt, und und keines vernachlässigt werden müsse. Wir rühmen auch daher keinen mehr, als wenn wir ihn einen treff­ lichen Menschen von Geist und Herz nennen, und kön­

nen

4i 6 XXVIn. Am ersten Pfingstfeyertage. twn keinen mehr verachten, als wenn wir ihn einen verwerflichen Menschen nach Geist und Herz nennen, und pflegen eS oft zu hedauern, daß ein Mensch zwar einen starken Geist und Geistesfähigkeiten habe, aber ein schlechtes, d. i., jum läster und zur Bosheit geneigtes Herz. Geist und Herz also, das ist nur mit andern Worten, Verstand und Wille, oder noch mit andern Worten, das Vermögen zu erkennen, und das Ver­ mögen zu wählen, das sind die beyden wichtigsten Din­ ge an dem Menschen und in der Menschenseele. Durch sie kommt das größte Gute und das ärgste Bö­ se unter die Menschen, eS laßt sich kein Geschäft be­ lebens denken, wobey eS nicht auf Geist und Herz, auf Verstand und Willen, auf Erkennen und Wahlen ankommt. Beyde haben auch den größten Einfluß auf einander. Bey schlechter und unrichtiger Erkenntniß fehlt auch der Mensch vom besten, wohlwollendsten Her­ zen, und fehlet oft erschrecklich zum Schaden vieler; aber durch ein unreines zum Bösen einmahl geneigtes und gleichsam darin eingewurzeltes Herz oder einen sol­ chen Willen wird auch der beste Verstand, der schärfste Geist nur gemißbraucht, und zum Diener der Her­ zenslüste gemacht, der mehr böses als gutes stiftet. Aus dem Herzen kommen arge Gedanken und Aus­ führungen dieser Gedanken. Wenn also Gott, der Vater aller Geister, Men­ schen groß machen will zu großen und gedeihlichen. Tha­ ten in seiner Welt, so muß er sie von Seiten dieser beyden wichtigsten Ding« bedenken. Er muß ihnen eia großes Maß des Geistes und der richtigen Erkenntniß und des weniger als andere irrenden Verstandes geben, und « muß ihnen Gelegenheit geben, ihr Herz auf das

XXVIIT. Am ersten Pfingstfeyertage» 417 das wahre Gute zu leiten, es fühlbar für dasielbe wer­ den zu lassen, und in Lust und Begierde darnach zu entbrennen. So ist es immer gewesen, so lange die Welt steht und durch Gott regiert wird, und ist durch keine andere Sache ein Mensch von Gott ausge­ zeichnet und zu wirklichen Gottesthaten zum Wohl und Heil der Menschen ausgerüstet worden, als durch diese beyden Dinge, durch großes Geistes- und Er­ kenntnißvermögen, das er ihm beygelegt hatte, und durch Gelegenheiten, sein Herz zu veredeln, und auf das wahre vor Gott geltende Gute zu richten. Nie ist ein Mensch, so weit die Geschichte von Menschen re­ det, bloß und allein durch Macht und Gewalt, oder Reichthum und zeitliches Vermögen, oder andere ir­ dische und äußerliche Dinge nützlich und in Gott groß geworden. Und waren ja seine Zeitgenossen so verblen­ det, ihm um dieser Dinge willen eine Achtung odereinen Ruhm zu geben, so ist doch dieser Ruhm bald wie ein« taube Blüthe abgefallen, und nicht oder nur verächt­ lich auf die Nachkommen gekommen. Nur welchen Gott am Geiste erhoben hatte, und wer sich von Sei­ ten deü Herzens ausgezeichnet hat, dessen Name ist in der Geschichte der Menschheit geblieben, und reiht und wirkt noch seht. Selbst aus der Geschichte der Bibel sind einem jeden Salomo wegen seiner Weisheit und David wegen seines frommen Herzens bekannter, als HiskiaS wegen seiner Schatze, mit denen er vor dem Könige von Babel prangere. (r. B. derKön. 20.) Wollte daher Gott die von Zesu selbst erwählten Zeugen und Bothen von ihm für die Welt auszeichnen und kräftig machen zu einem großen Geschäfte, so konnte es nach der Natur der Menschheit, worin eS Westphals Predigten i.D, Dd allein

4i8 XXvili. Am ersten Pfingstfeyertage. allein auf Geist undHerz onkommt, und nachdem alten unabänderlichen Gange seiner Regierung unter Men­ schen nicht anders seyn, als daß er sie in diesen beyden Stücken vorzüglich bedachte, daß er nämlich ihren Geist durch seinen Geist zur richtigsten Erkenntniß' leitete, Talente des Geistes ihnen in hervor stechendem Maße verlieh, und ihren Herzen genugsam Gelegenheit gab, das in Gott Gute und Heilsame zu lieben und zu be­ gehren. Alle andere Verzierungen gleichsam von Reich­ thum , Gewalt und andrem irdischen Vermögen waren hierzu unnörhig, wie sie auch in Jesu Christo selbst unnökhig dazu waren. Dies ist nun auch an ihnen geschehen, und dadurch beweiset sich GotteS Sache und Gottes Geist in ihnen. Hatten sie in Macht und Ge­ walt und Reichthum, worin sie geboren gewesen wä­ ren, oder watz ihnen zugefallen wäre, das Ihre ge­ sucht, so wäre eS erklärtes Mcnschenwerk gewesen. Aber Geist und Herz, und was sie nach beyden thaten und ausrichteten, zeugte für sie oder für Gottes Geist in und mit ihnen. Und hier schließt sich unser heuti­ ges Evangelium an die vielen Verheißungen an, wel­ che ihnen Jesus vor seinem Hingange zum Tode gab, wo er ihnen, wie wir an mehrern Sonntagen seither gehört haben, den tröstenden Geist, den Geist der Wahrheit, verhieß, der sie in alle Wahrheit,

So heißt es auch in unserm heutigen Evangelio: Der Tröster, der heilige Geist, welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, zu meinem Geschäfte unter den Menschen, derselbige wird euch alles lehren, oder richtige Erkenntniß leiten sollte.

nämlich was nöthig, was wichtig ist für meine Sache

unter den Menschen , und wird euch, jetzt noch ver­ gessene

XXVIII. Am ersten Wngstfeyertage. 419

-essene und flüchtige Gemüther, erinnern alles deß, das ich euch gesagt habe. Merket, meine tieben, bey dieser Verheißung Jesu unfeine Jünger, zweyerley: erstlich, daß er ih­ nen nicht alle Einsichten und Verstandesfähigteikcn zu allen Künsten und Wissenschaften und bürgerlichen Ge­ schäften verheißt, und eS würde eine falsche Vorstel­ lung seyn, welche wir uns von dem geistlich Großen machen wollten, das an den Aposteln Je>u geschehest sey, wenn wir glauben wollten, daß ihnen alles menschliche Geschick ertheilt worden sey; sondern daß er ihnen nur erhöhete Einsicht, richtige Erkenntniß in der geistlichen Sache und für dieselbe verhieß, die er ihnen übertrug. Zum andern, daß Jesus Christus bey dieser außerordentlichen Erhöhung und Stärkung ihrer Gei­ steskräfte auf ihr Herz bauet, welches bisher unter sei­ ner Leitung zu dem heiligsten und reinsten Willen, wie er in ihm selbst war, angeführt worden war. Deß­ wegen antwortete er mit dem ersten Verse des Evangelii dem Judas Thadäuö auf die Frage, warum er sich ih­ nen nur und nicht allen übrigen Menschen offenbaren wolle, mit den Worten: Nur wer mich liebt und mein Wort halt, den wird mein Baier siebenin dem ist gleichsam eine Wohnung oder ein Aus­ enthalt für den Vater und mich. Deßwegen führte er sie in dem letzten Verse nochmahls auf dey ununter­ brochenen Gehorsam, welchen er selbst Gott geleistet habe, und eben dadurch setzt leisten wolle, daß er aus ihrer ruhigen Mitte aufstehe, und seinem Verrärher und seinem Tode entgegen gehe, weil eö Gotteowerk für ihn sey, diesen Todeskelch zu trinken.

420 XXVIII. Am ersten Pfmgstfeyertage. Also Geist und Herz war das einzige, worin sich Gottes Geist an den Aposteln Jesu verherrlichte. Geist und Herz konnte auch nur, nach dem, was ich vorher gesagt habe, das einzige seyn, worin er sich an ihnen «rwieS. Alle andere Vorzüge von Gewalt, Macht, Reichthum und Pracht hatten vielmehr das Zeugniß Don Gottes Geist bey dieser Sache verdorben, indem hierdurch etwas gewöhnliches menschliches daran ge­ hängt worden wäre. laßt uns nun weiter gehen, und nach dieser vorläu­ figen Bewachtung fragen: Wenn Gott dem Menschen «ine Religion, das ist, eine Erkenntniß und Vereh­ rung von sich geben wollte, was mußte diese für Ab­ sicht haben? Keine andere Antwort kann hierauf ge­ geben werden, als die: sie muß Geist und Herz des Menschen veredeln, in beyden den Menschen zu seiner Würde erheben wollen, und sein Sinken an beyden, am Geist und Herzen, verhindern. Das muß uns nun auch das Kennzeichen seyn, ob eine Religion von Gott sey, oder der Geist Gottes in ihr sey. Wenn sie diese Absicht nicht hat und in allen ihren Aussprüchen und Sähen nicht gleichsam an der Stirn trägt, wenn sie vielmehr gemeine Dinge beschickt, zu irdischen Din­ gen Anweisung geben oder verhelfen will, mit mensch­ lichem Gewinne sich vermischt, auf äußerliche Hand­ griffe und Ceremonien bloß gerichtet ist, und Geist und Herz dahinten läßt, dann ist sie gewiß nicht von Gott und kein Geist Gottes in ihr. Denn diese bey­ den Stücke, Geist und Herz, hat Gott selbst zu wich­ tig gemacht, und als das allerwichtigste in der Mensch­ heit aufgestellt, als daß er sie in der Religion überge­ hen konnte, als daß vielmehr nicht Religion allein dar­ auf

XXVIII. Am ersten Pfingstfeyertage. 421 auf gerichtet seyn mußte. Göttlich sind daher wahr­ haftig die Worte Jesu von der Religion, die er den Menschen geben wollte: Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten. Nach diesem Maßstabe, den wir nun gleichsam fest geseht haben, daß die wahre Religion nur immer Veredlung des menschlichen Geistes und Herzens zur Absicht haben müsse, und dies den Geist von Gott in ihr bezeuge, laßt uns in dem zweyten Theile der Be­ trachtung sehen, wie dieser Gottesgeist noch für je­ den, der darauf achten will, in unsrer Religion merklich und erkennbar ist. Sehet denn zuerst darauf, und laßt eS oft noch eure stille Betrachtung, zur Ehre Jesu und seines Geistes werden, wie die Religion Jesu, die wir be­ kennen, darauf ausgehe, unsern Geist, Verstand oder unser Erkenntnißvermögen zu veredeln, und euch hierin nicht sinken zu lassen, sondern zur Würde vor Gott zu erheben. Und zwar veredelt sie ihn einmahl durch die Dinge, welche sie ihm zu betrachten vorhält. Den­ ket hier, wie der natürliche Verstand des Menschen, wenn er sich selbst überlassen ist, doch so gern auf Klei­ nigkeiten und Tandeleyen des Lebens verfallt, di« kei­ nen Ruhen für ihn haben, und das edle Leben gleich­ sam verspielen; denkt, wie der edle Trieb der Wißbe­ gierde so oft in dem Menschen zur Neugierde sich er­ niedrigt, wo er nur unbrauchbare Kenntnisse sammelt, und sich dadurch selbst Quellen deö Verdrusses eröff­ net. Von diesen Dingen will uns der Geist der Re­ ligion ablenken, indem er unsern Geist auf die Be-

422 XXVIII. Am ersten Pfingstfeyertage. trachmng der allerwichtigsten Dinge hinführt. Und diese allcrwichtigsten Dinge sind Gott, Seele des Menschen, ihr Wohl in dieier Welt, und ihr Schicksal nach dem Tove ihres Leibes oder ihre Unsterblichkeit. Hier öffnet die Religion einem jeden Menschen, der des Nachdenkens fähig ist, Betrach­ tungen, die durch sein ganzes leben, und wenn es weit über die gewöhnliche Zahl der Jahre ginge, im Stande sind, seinen Geist zu beschäftigen, und ihm niemahls klein Vorkommen oder ihn ihrer überdrüßig werden las­ sen, wie das mit andern Dingen so oft der Fall ist, mit denen sich ehemahls unser Geist beschäftigt hat. Edleres für den Menschen hat keine Wissenschaft, kei­ ne Kunst zu betrachten, als das, was ihm die Reli­ gion vorlegt, und bey der Betrachtung keines andern Dinges fühlt sich auch der Mensch so veredelt, so her­ auf gezogen zu Gott, und so erhoben über seinen sterb­ lichen Theil, als in dieser Betrachtung. Sie veredelt aber auch zum andern den Men­ schengeist dadurch, daß sie ihn den richtigsten Weg zur Betrachtung und Anwendung Vieser Dinge führt, ihn vor den beyden Klippen des Aberglaubenund des Unglaubens bewahrt, auf welche er zu seinem Unheile stoßen würde, wenn er sich selbst ohne ihre Führung befände. Sie befteyet ihn durch den Erlöser und sein Wort von so viel schrecklicher Furcht, Vie ihm sonst der wichtige Gedanke an Gott geben müßte; sie macht den Geist freu in dec Verehrung und dem Dienste Gottes, den sich oft die Menschen erschwert und uner­ träglich gemacht haben, indem sie uns auf das Vor­ bild dessen weiset, der ihm recht gedient hat, und sie reißt endlich den Geist aus den Finsternissen und Schat­ ten

XXVIII. Am ersten Mngstfeyertage.

423

ten des Todes, in welchen er sich ängstigen müßte, in» dem sie seiner ernstlichen Reue Vergebung der Sünden ankündigt, und Leben und unvergängliches Wesen an das Licht bringt, die Verheißung von der Unsterblichkeit der Seele seinem Wunsche und Verlangen anpaßt, und das Beyspiel der Auferstehung und Verklarung in seinem Heilande ihm giebt. Und in den Sahen der Religion Jesu ist kein einziger, der, wenn er geglaubt oder vor Augen genom» men wird, nicht auch zweytens das Herz des Men* schen veredeln, das ist, es zu dem geneigt und wil­ lig machen sollte, was sein und anderer Menschen Heil seyn wird, wenn ers thut. Wie ist die Erkennt­ niß von der unendlichen Liebe Gottes, welche die Re­ ligion Jesu giebt, so einzig das Mittel, uns geneigt zu allen seinen Geboten zu machen, und zu uns selbst zu sagen: laß mich ihn lieben, denn er hat mich erst geliebt; wie treibt sie UNS, dem Gesetze der Men­ schen zuvor zu kommen, und in Liebe zu Gott zu allem Guten geneigt erfunden zu werden! Wie treibt unS die Vergebung unsrer Sünden zur Sanftmuth und Versöhnlichkeit! Wenn man dich aufbrausendes, har­ tes und rachsüchtiges Herz durch ^nichts besänftigen kann, so geschieht» durch jenes evangelische Gleichniß vom Schalksknechte und seiner Unterschrift: also wird euch mein himmlischer Vater auch thun, wo ihr nicht vergebet von Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler. Und wo ist edler Muth in Gefahr, wahrhaftige, nicht stolze Gcoßmuth -egen den Verfolger und Beleidiger, ungezwungene Gelassen­ heit im Leiden und lächelnde Ruhe im Tode, als in dem Gemüthe, in welchem der feste Christenglaube an

424 XXVin. Am ersten ^fingstfeyertage. an ein ewiges leben sich immer in die Auftritte dieses Lebens mit untermischt, und das über ein Kleines die* ses lebens leicht berechnen laßt. Ach wie wenig kann ich in .der Kürze der Zeit von der Veredlung des Herzens sagen, die aus der Religion so wahrhaft kommt. Ein Spruch der Bibel selbst umfasse alles, was ich nicht sagen kann; es sind die Worte des Apostels, ( 2. Tirnoth. 3, 16:) Alle Schrift von Golt eingegeben,

ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, auf daß em Mensch Gottes, (nach Gott gebildet,) sey vollkommen zu allen guten Werken geschickt. Wenn hat denn wohl jemahls ein Verächter oder Spötter der Religion es wagen dürfen, das erstere zu läugnen, daß in der heiligen Schrift, als dem Grun­ de unsrer Religion, nicht alles Gute für das Herz «nthalten sey, und alleS, was sie lehre, den Menschen veredeln werde, wenn er es thäte. Wie kann man denn also auch das letztere dieses Spruchs widerle­ gen, daß der Christ, welcher der Schrift nachzuleben bemühet ist, das edelste Herz haben müsse, wenn anders dieses Wort noch einen wahren Sinn behal­

ten soll. Und nun laßt uns zurück kehren zu dem, was ich heute doch gewiß nicht ohne Grund behauptet habe, daß das sicherste Kennzeichen, ob Gottes Geist in ei­ ner Religion sey, das ist, wenn sie darauf auögehet, Geist und Herz des Menschen zu veredeln, und daß hieran Gottes Geist einem jeden Christen leicht bemerk­ bar in seiner Religion werden müsse. Und wozu könnte uns diese Betrachtung und Ueberzeugung in ihr anders führen, als zur erneuerten Verehrung und Werth­ schatzung

XXVIII. Am ersten Pfingstfeyertage.

425

fchaßung dieser Religion, welche so unlaugbar dieseKennzeichen von Gott an sich tragt. Ich will mich «eines Glauben- freu'», DeS Glauben- der Erlbs'ten; Nur dieser kann mir Dlärkung seyn

Und mich im Tob« tristen.

Die- müsse doch heute an dem Feste seiner Aus­ breitung unser aller freudiger Ausspruch seyn. Diemüsse uns denn auch alle Uebungen der Religion nöthig und alle Gelegenheiten wichtig machen, welche unter uns da sind, in ihr unterrichtet, erneuert, et» weckt und gestärkt zu werden, und dadurch auch an Veredlung des Geistes und Herzens zuzunehmen. So sey «S denn auch an dem heutigen Feste vorzüglich, t»o ein jeder, der den Werth der Religion zu fühlen erweckt worden ist, feine tust zum öffentlichen Gottes­ dienst erneuere, und die Kirche werth halte, worin er durch das Wort der Religion auf die Veredlung seineGeistes und Herzens geführt wird. Wer dies mit Dank zu Gott und Jesu erkennt, den darf ich auch dreist bitten, an dem heutigen Tage der Bedürfnisse dieses kirchlichen Gebäudes, nach der geschehenen An­ kündigung vor acht Tagen, eingedenk zu seyn, und seine willige und dankbare Gabe in die dazu ausgesetzten Becken einzulegen. ES ist ein erfreuliches Kennzei­ chen von einer Gemeinde, ob Religionsliebe in ihr sey, wenn die Collecten für ihre Kirche nicht kärglich aus­ fallen. laßt dies auch heute meine Freude über mei­ ne liebe Versammlung werden. Uebrigens berechtigt uns dieses Fest vorzüglich, den großen Schluß zu machen, den auch keiner zu sei­ ner

416 XXVIII. Am ersten Pfmgstfeyertage. ner frohesten Anbetung zu machen vergessen wolle, daß, wenn sich Gott die Veredlung des Geistes und Herzens so sehr hat angelegen seyn lassen, und uns durch die von den Aposteln verkündigte Religion Jesu eine Er­ ziehung hierzu gegeben hat, wir auf nichts gewisseres, als auf eine herrliche Vollendung dieses großen Werks und auf eine Vollkommenheit unsrer Seele rechnen können. Es werde also jedem, um der Ewigkeit wil­ len, seine Religion das Größte, als auf welche ste hinweiset. So schließen wir ja denn wohl alle mit dem lobgesange des Apostels, (Ephes. i, z u. f.:) Gelobet sey Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerley geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Jesum Christum. Wie er uns denn erwählet hat, durch denselben, ehe der Welt Grund ge­ legt ward, daß wir sollten seyn heilig und un­ sträflich vor ihm in der Liebe; und hat uns ver­ ordnet zur Kindschaft gegen ihn, durch Jesum Christum, nach dem Wohlgefallen seines Wil­ lens zum Lobe seiner herrlichen Gnade. Amen.

XXIX.

Am zweyten Pfingstfeyertage. Evangelium: Zoh. 3, D. >6 — 2i,

Laß uns in deiner Liebe und Erkenntniß zunehmen, damit wir im Glauben bleiben, und im Geiste dir so dienen, daß wir seht schon Freudigkeit dadurch haben, und nach der Vollkommenheit der Seele immer begie« riger werden. Dies, o Gott, wollest du selbst zu der rechten Herzensbitte eines jeden unter uns machen, und hierzu jeden zu der Erkenntniß bringen, aus wel­ cher reinsten Liebe du dich uns in Christo Jesu grossenbaret und durch deinen Geist das Wort von Menschen­ seligkeit ausgebreitet hast, damit freudige Anbetung und williger Gehorsam dieser Erkenntniß Nachfolgen. Erhöre uns um dieser deiner Liebe willen. Amen.

§iebe und Freyheit, geliebten Zuhörer! welche erwünschte Worte sind das für jedes Menschenherz. Wer will nicht gern irr Liebe behandelt werden, wer will nicht gern frey seyn? Zwar laßt sich das letztere hier auf Erden nicht jedermann in allen Stücken geben. Ohne Gebrauch der Vernunft, wie bey Kindern und Unsinnigen, muß Zwang seyn, da wäre Freyheit schädlich; aber außerdem gehört sie gewiß zu den ge­ schätztesten Gütern des Menschen. In Liebe und in Freyheit geschieht alles williger, und geräth alles besser, als nach Befehl und nach Zwang. Wie ganz anders arbeitet der freye Handwerksmann, wie ganz anders der Gefangene, der zur Arbeit verdammt ist. Wie ganz anders treibt die Furcht, wie ganz anders die Liebe;

XXIX. Am zweyten Pfingstfeyertage. 429 Liebe; wie ganz anders das Wort: du sollst ihm da­ thun, wie ganz anders die eigne Aufforderung in un­ serm Herzen: ich will ihm das thun, denn er hat Mich heb. Und nicht nur das, sondern eS ist uns auch immer ein sicherer Beweis, daß jemand eine ge­ rechte und gute Sache betreibt, welche sich von selbst empfiehlt, wenn er sie in Liebe antragt, und keinen Zwang oder keine Gewalt dabey braucht, sie einzufüh­ ren, sondern jedem die Freyheit laßt, sich ihrer zu bedie­ nen oder nicht. Dagegen macht es eine Sache sehr verdächtig, wenn es der Befehle bedarf, sie einzuführ ren, und wenn sie durch Strafen aufgedrungen wer­ den muß. Diesen beyden Gefühlen gemäß, welche der Mensch für Liebe und Freyheit hat, ist nun Gott auch immer mit ihm umgegangen, er hat ihn immer mit unaussprechlicher Liebe behandelt, und ihm immer seinen freyen Willen gelassen. Es ist dir gesagt, 0 Mensch, hieß es immer, was gut ist: bist du weise,

so bist du dir weise, bist du ein Verächter, so mußt du es allein tragen. Gott hat dir vorgelegt Se­ gen oder Fluch, wähle unter beyden. Diesen Geist von Golt muß nun auch jede Religion haben, wenn sie Gottes- und nicht Menschenwerk seyn soll, und man gewiß seyn soll', daß sie von ihm sey. Hier erin­ nern sich nun mehrere meiner lieben Zuhörer meines gestern gethan«« Versprechens, nämlich daß ich heute zeigen wollte: Wie Gottes Geist in unsrer Reli­

gion für jeden merklich und erkennbar ist aus der Art und Weise, wie uns die Religion Jesu gegeben sey, so wie ich gestern gezeigt hatte, daß sich Gottes Geist in der Religion leicht erkennen lasse

aus

43° XXIX. Am zweyten Pfingstfeyertage.

aus der Absicht, wozu sie gegeben sey, und wai sie unter den Menschen ausrichte. Gott segne denn auch dieses Wort zur Vermehrung froher Erkenntnisse von ihm und freudiger Befolgung seines guten und gnädir gen Willens. So laßt uns denn sehen: Wie Gottes Geist in der Religion für jeden merklich und erkennbar sey durch dre Art und Weise, wie sie den Menscheu gegeben ist, einmahl, in einer Betrachtung der Liebe, womit sie gegeben ist; zum andern, der Freyheit, welche dabey den Menschen ge­ lassen ist. Daß Gott sey, sagt Paulus, (Röm. r, 19 u. f.,) das ist auch den Heiden offenbaret, dadurch, daß Gottes unsichtbares Wesen, seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen aus den Wer­ ken der Schöpfung, so daß keiner eine Ent­ schuldigung hat Wenn man nun aber fragt, wel­ che bemerkbare Eigenschaften Gottes in der Natur auch die Heiden zu einer willigen und freudigen Er­ kenntniß Gottes bringe, so fällt die Antwort für die höchste Güte aus. Denn die erschütternden Beweise der Allmacht Gottes in der Natur sind für den natür­ lichen Menschen, welcher sich dieselben nicht erklären, und die guten Folgen, die auch sie haben, nicht s» leicht merken kann, mehr schrecklich und niederschla­ gend, als anziehend zum lobe Gottes. Die Beweise der höchsten Weisheit Gottes sind für den rohen Hei­ den zu versteckt, die Ordnung, in welcher alles erhal­ ten wird, zu künstlich groß, als daß er sie finden und daraus Gott preisen sollte. Nur die höchste Güte Gottes

XXIX. Am zweyten Pfingstfeyertage. 4g r Gottes in der Natur macht auch den rohen Heiden dankbar und froh in dem höchsten Wesen, das für ihn sorgt. Daß der Baum seine reifen Früchte giebt zu seiner Zeit, daß die Sonne den Menschen erwärmt und den Schooß der Erde aufschließt, und das, was der Mensch säet und pflanzet, sein Gedeihen und Reife erhält, mit Einem Worte, daß er es so findet, wie «S die Bibel oft in den erhabensten Worten schildert, wenn sie sagt: Die Erde ist voll der Güte des Herrn: er trankt die Menschen mit Wollust wie mit einem Strome, und macht sie trunken durch die reichen Güter seines Hauses, dies, verbunden mit dem erweckten Gefühle seiner Hhmacht, das ists, waauch den sonst unwissenden und unerleuchteten Heiden zur Anbetung bringt. Also auch den Heiden hat Gott ihr« Religion mit Liebe und durch seine Liebe gegeden. Dies muß denn auch wohl das erste Kennzeichen bey der christlichen Religion seyn, ob sie von Gott ist, ob Geist Gottes in ihr sey, und nicht Menschengeist, daS muß sich daraus ergeben, ob sie in Liebe und mit Lie­ be gegeben sey. Denn da die natürliche Religion schon allein durch Liebe Gottes da ist, so muß auch die naher geoffenbarte durch liebe Gottes da seyn, weil GotteWesen unveränderlich ist und dasselbe bleibt. Hiervon kann nun keine stärkere Hinweisung und Bestätigung gegeben werden, als die unser Tert ent­

hält: Also hat Gott die Welt geliebt, daß er sei­ nen eingebohrnen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Wo ist ein Vater- oder Mukterherz, .da- den Nachdruck dieser Worte nicht

fühlen

4z r XXIX. Am zweyten Psingstfeyertage. fühlen sollte? Wo. ist der Vater oder die Mutter, welche aus Liebe zu andern Menschen ihr einziges Kind in das Elend bereitwillig hingäbe? wie streben sich beyde, wie beklagen sie ihr Schicksal, wenn sie den Sohn zum gefahrvollen Dienste des Vaterlandes hin­ geben sollen ? Und Gott, der keines Menschen bedarf, der sich allgenugsame Gott hat die Menschenseelen so geliebt, daß er seinen eingebohrnen Sohn dahin gab, um den Menschen ein Mittel und einen Weg zu zei­ gen, wie sie nicht verloren gehen könnten. Wir wis­ sen zwar, geliebten Zuhörer, das Verhältniß nicht genau, in welchem Christus mit feinem Vater steht, warum er so einzig der Sohn Gottes genannt wird; aber das eine dürfen wir doch davon annehmen, näm­ lich Christus sey das einzige Wesen, an welchem sich Gottes Heiligkeit genüge,nach jenem Ausspruch«:

das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen

habe. Und dennoch hat er ihn für uns dahin gege­ ben , damit wlr in ihm das Leben, und bey unsrer Un­ würdigkeit, welche auch die Reinsten unter uns von sei­ ner Gnade abweisen, oder nicht Muth zu ihm fassen lassen würde, Freudigkeit zu Gott haben möchten. Wenn cS so ist, wie eS Jesus Christus nach unserm heutigen Evangelio selbst versichert, (und wen anders sollen wir darin hören, und wem anders glauben?) so reichen alle unsre Lob und Danklieber über seine Menschwerdung, über sein Leiden und Sterben, über seine Lehre und alles, was er gethan hat, nicht hin, die Liebe auszudrucken, mit welcher uns Jesus Christus und der Glaube und die Hoffnung und Anweisung zur Seligkeit, mir einem Worte, mit welcher uns unsre Reli-

XXIX. Am zweyten Pfingstfeyertage. 4Z z Religion gegeben ist. Das alles ist etwas so unerwar­ tetes und unvermutheteS für unö, daß, wenn wir eS selbst uns hatten verschaffen, oder nur wahrscheinlich machen sollen, eS ewig hätte anstehen müssen. Zn der Art und Weise, uns unter einander zu lieben und uns unter einander ju helfen, liegt gar nichts ähn­ liches, daß wir davon hätten auf Gott schließen kön­ nen, er werde es an uns auch erweisen, wie wireS uns unter einander erwiesen; er werde uns auf Reue und Besserung, wodurch wir doch das Gescheht«« nicht wieder gut machen können, uns unsre Sünden vergeben; er werde Wohlgefallen an der Gegenliebe ei­ nes jeden einzelnen haben, der sich bemühet, nach seinem Willen zu leben, werde unveränderlich in feiner Gna­ denerklärung seyn zum ewigen Leben. Es liegt in der Liebe, aus welcher sich Gott, (wie Jesus Christus hier versichert,) durch ihn den Menschen offenbare, -ar kein Menschengeist, sondern lauterer reiner Geist Got­ tes, den die Menschen nicht unter sich erfinden und nachahmen können. Dies wird noch sichtbarer, wenn wir auf di« Folgen dieser geoffenbarten Liebe Gottes sehen, was sie nun in der Religion selbst hervorbringt. Nun näm­ lich hat der Aermste und Elendeste ein Erbe, das ihn für alles, was er hier entbehren muß, die kurze Zeit seines Lebens über, schadlos hält. Nun siehet sich der Geringste in gleiches Recht vor Gott mit dem Vor­ nehmsten und Gewaltigsten eingesetzt. Das ist ja wieder nicht Welt und nicht Menschengeist! Auf Erden unter den Ständen, Vermögen und Geschäften der Welt kann keine Gleichheit Statt finden. Aber irt Wejtpbal« Predigten i.Q). Et der

434 XX|X- Am zweyten Pfingstfeyertage. der Religion Jesu haben wir eine völlige Gleichheit. Hier ist ein Glaube, eine Taufe, einerley Hoff­ nung unsers Berufs, ein Herr, ein Golt und ein Vater, der da ist in uns allen und für uns alle und durch uns alle; einerley Gewißheit der Ver­ gebung unsrer Sünden, wenn wir mit inniger Reue und Verlangen nach Besserung kommen; einerley Freude zu Gott über das Rechtthun; einerley Anwei­ sung zur Seligkeit, nicht schwerer für einen, nicht leichter für den andern. Sage, o Mensch, wenn du aus der so gebrechlichen Menschenwelt, wo das meh­ rest« nach Gunst und Parteylichkeit zugeht, wo so viel Ungerechtigkeit und falsche Austheilung und Erwer­ bung und Begünstigung ist, zu deiner Religion zurück kehrst, wie fühlst du, da Gottes Geist in ihr, wie sticht er dir da so merklich ab von dem Weltgeiste, wie recht göttlich wird dir die Religion Zesu! 0 wie zerstreut Zn jedem Leid Ihr Wort den Kummer, der dich brücket! Di« Schwermuth weicht. Da« Herz wird leicht. Wenn dich der Trost, den et enthält, erquicket. Dies ist,— ach! nur eine kurze, kurze Erin­ nerung, wie der Geist Gottes für jeden, der darauf merken will, so leicht in der Religion Zesu zu finden ist, «egen der liebe, mit welcher sie gegeben ist. Die­ ser .Geist Gottes in ihr wird aber noch, unlaugbarer, wenn wir auch auf die Freyheit achten, welche dabey den Menschen gelassen ist,, die Religion anzunehmen oder

xxix. Am zweyten Pfingstfeyertage. 4Z5 oder nicht. Hiervon in dem Zweyten Theile der Be­ trachtung. Auch liebe wird verhaßt, wie die Erfahrung leh­ ret, wenn sie aufgedrungen wird, wenn Gewalt um ihretwillen gebraucht, und die Menschen; gezwungen werden, ihre» Erweisungen anzunehmen. Furcht darf nicht in der Liebe seyn, denn die Furcht hat Pein. Daher ist von Anfang bis hierher von Gott den Menschen Freyheit in der Religion gelassen. Den­ ket nach, die ihr einiger Maßen die Erde und die Menge von Völkerschaften kennet, welche sie bewoh­ nen , wie verschieden doch unter ihnen Gott verehck wird. So viel Heiden sind noch übrig, und so ver­ schieden die Länder sind, worin sie wohnen, so verschie­ den ist auch ihr Gottesdienst, bald vernünftiger, bald thörichter. Selbst unter den Christen, wie verschie­ den ist nicht ihre öffentliche Religion nach den beson­ dern Bekenntnissen. Ware eSdenn Gott nicht ein leich­ tes, diese Verschiedenheit aufzuheben und einerley An­ betung seines Namens überall zu verschaffen? Wer mag hieran zweifeln? Aber sehet, die Freyheit, die er einmahl den Menschen gegeben hat, soll nicht aufge­ hoben werden. Sehet, wie ihr diesen Gottesgeist der Freyheit so vorzüglich in der Religion findet, welche durch Jesum Christum unter uns ist, und hierin ihre Göttlichkeit merken könnet. Er, ihr großer Stifter, ist, nach seinem eignen Ausspruche im I7ten Verse des Evangelii, nicht in die Welt kommen, daß er die Welt richte, sich als einen König darstelle, der sich in dem neu eroberten lande huldigen, und diejeni­ gen tödten oder ins Gefängniß werfen lasse, welche ihn Ee a nicht

4)6 XXIX. Am zweyten Pfingstfeyertage. nicht annehmen wollen, sondern er ist kommen, daß die Welt durch ihn selig werde. Daher sind alle Reden, welche er auf Erden an Menschen richtete, nur Einladungen: Kommt her zu mir, lernet von mir; wer zu mir kommt, den will ich nicht hin­ aus stoßen: dein König ist sanftmülhig. Und was er nicht selbst gethan hatte, da er aüf Erden lebt«, nämlich Gewalt gebraucht und Men­ schen gezwungen, daß sie ihn annehmen mußten, das ließ er auch nicht beyder Ausbreitung seiner lehre durch seine Apostel geschehen. Das gegenwärtige Fest erin­ nert uns au die zwangslose, sanfte, (eben daher aber göttliche,) Ausbreitung des Evangelii auf Erden, wie -ar wenig wehrlose Männer, ohne obrigkeitlich« Brie­ fe, ohne Hülfe oder Begünstigung eines Fürsten, in verschiedene Länder der Erde ausgingen, und da nicht mit Drohworten, die sie nach seinem Willen nicht füh­ ren sollten, von ihm und dem Werthe seiner Lehre zeug­ ten. So lang« die Religion auch nicht von Menschen -«mißbraucht worden ist, ist sie auch nicht gewaltthätig verbreitet oder aufgezwungen worden. Nur Menschen, deren unreiner Sinn auch das heiligste mißbraucht, hat sie oft zu Verfolgungen und Plagen gebraucht. Gott in seiner unmittelbaren und höchsten Regierung drin-et sie niemandem auf. Di« Spötter und Frevler an ihr «erden nicht augenblicklich vertilgt. Als es die Jünger Jesu einst wünschten, daß Feuer auf Veräch­ ter Jesu fallen und sie verzehren möchte, sprach er, der Sohn Gottes: wisset ihr nicht, welches Geistes Kmder ihr seyd? Noch bis jetzt entziehet er keinem, der ihn nicht erkennt und seinen Willen befolgen will,

aus

XXIX. Am zweyten Pfingstfeyertage. 4Z7 aus Zwang zur Religion, den Genuß irdischer Wohkthaten, sondern wie das alte Wort war, sogiltSauch noch: er lasset seine Sonne aufgehen über Böse und Gme, und lasset regnen über Gerechte und Ungerechte. Allen, allen wird die vollkommenste Freyheit -klaffen, zu wählen zwischen diesen beyden: NimmdaS an/ schaße rS, thue und befolg« das, so wirst du selig werden und unaufhörlich in der Selig­ keit wachsen: nimmst du eS nicht an, schaßest und be­ folgst du es nicht, so ist der Natur der Sache nach, un­ ausbleibliche Unseligkeit des Gemüths damit verbun­ den, in welcher du wachsen und zunehmen wirst, wor­ aus dich nichts befreyen kann, so lange du bey der un­ glücklichen Wahl bleibest. Dies ist auch der Sinn der Worte Zesu in un­ serm Texte: wer nicht glaubt, der ist schon gerich­ tet/. ist von Stund' an unselig in seinem Gemüthe, und wird der Natur der Sach« nach immer unseliger werden. Denn er Hal das nicht, nach seiner eignen Wahl hat er e- nicht, was ihm hier Trost und dort Freude allein geben kann. Es giebt nur einen Him­ mel, und eine selige Freude, und wer nach der ange­ bothenen Wahl sich nicht darauf vorbereitet hat , nicht schon seht Wohlgefallen daran gehabt hat, kann nicht hinein kommen. Der Himmel selbst würde für ihn nicht Himmel seyn. Das ist das Gericht, (nach dem i gt«! Verse unsers Textes,) daß das Licht in die Welt kommen ist, und dir Menschen liebtert die Finsterniß mehr denn das Licht. Dahermeine Lieben, auch das, was di« heilte -« Schrift von dem letzten oder jüngste» Gerichte übet jede

43 8 XXIX. Am zweyten Pfingstfeyertage. jede Menschenseele sagt, ja wohl nach diesen Worten Zesu, welche wir vor uns haben, verstanden werden muß. Menschlich und wohl irrend ist die Vorstellung, welche sich mancher von diesem Gerichte machen möch­ te, als würde es ein langes Verhör über jeden Einzel­ nen seyn, wo alle Einwendungen und Entschuldigun­ gen jedes ungläubigen und lasterhaften Mesens hervor -«bracht, widerlegt, und hiermit eine große Reihe vie­ ler Jahre zugebracht werden würde. Diese Dorstel, lung ist dem alles durchforschenden Geiste Gottes nicht würdig. Schon die Worte der heiligen Schrift: der

Mensch könne Gott auf tausend nicht eins ant­ worten, können uns eines andern belehren. Noch mehr aber die Wort« Jesu in unserm Texte: ste sind schon gerichtet; sie tragen jetzt schon ihre Unseligkeit und Verwerfung bey sich, nur fühlen werden sie die­ selbe, und gegen alle bis jetzt genannte Einwendungen und Entschuldigungen werden sie von der Rechtmäßig­ keit derselben überzeugt seyn, wenn die Wahrheit des Weltrichters sie umleuchten, das bisher schlafende Ge­ wissen mächtig in ihnen erweckt werden, und der alles durchdringende Geist Gottes ihnen die gewisseste An­ zeige über sie geben wird, fo daß sichs der Verurtheilte ohne Widerrede selbst sagen wird: du bist der Wensch des Tode-, und leidest, was deine Thaten werth sind. So sehet also, meine Lieben, di« freyeste Wahl in der Sache Gottes und der Menschen, und eben dar­ aus den Geist Gottes in der Religion Jesu. Kein Mensch, der die gerechteste Sache wider unö hat, kann «vs durch seine Freymüthigkeit und liebe so beschämen, als

XXIX. Am zweyten Pfingstfeyertage. 4Z9 als uns dieser Geist unsrer Religion beschämt, wenn wir sie bisher verächtlich behandelt, oder sie gar als ei­ ne last heimlich gehaßt haben, von der wir wünschten, sie wäre gar nicht da. O Gott verhüthe, Gott verhAthe, daß sie uns dann nicht einmahl auf eine von ihrer Seite ganz unschuldige, von unsrer Seite ganz schul­ dige Art schrecklich beschäme, und wir uns über unsre seht getroffene freye Wahl selbst das Gericht sprechen müffen. Jedem und jeder, die bisher von Jesu und seiner lehre in der That noch fern standen, sie nicht zu ihrem höchsten Gute machten, wie Gott sie dazu ge­ macht hat, sich nicht ihres Trostes dankbar freueten, und sich nicht mit Wohlgefallen in ihr übten, denen müsse sie doch heute in ihren göttlichen Kennzeichen, in der Liebe und Freyheit, womit sie gegeben ist, über alle» liebens - und schähenswürdig werben. Sie müssen nach ihren Zeugnissen ringen, als nach dem größten Klei­ node , sich gern deßhalb selbst züchtigen und selbst rich­ ten , wie Zesus Christus in den goldenen Worten unser» Textes sagt, an ihr Licht kommen, und ihre Wahr­ heit lieben, welche sie ohne Bitterkeit jedem zur Bes­ serung und Seligkeit sagt. Dolle Freude aber müsse dieses Fest und die angestellte Betrachtung dem vollkommnern Christen gegeben haben und noch geben, daß et, durch die untrüglichsten Kennzeichen von der Gött­ lichkeit seiner Religion gestärkt, ferner seines Glauben­ froh lebe, und unerschütterlich fest und ruhig der Zeit entgegen gehe, wo Glaube, welcher durch Gottes Geist unter Menschen ist, zum Schauen gebracht, und des­ sen Verheißungen in die herrlichste Erfüllung gehen sollen. Daher sey unser Schlußgebet, wie wir heute



44o xxix. Am zweyten Pfingstfeyertage. zu Anfänge beteten: Laß uns in deiner Liebe und Er­ kenntniß zunehmen, daß wir jetzt schon Freudigkeit dadurch haben, und nach der Vollkommenheit der See­ le immer begieriger werden. Heil mir, daß ich es empfinde. Wie so llebenswerth du bist!

Daß mein Herz vom Haß der Sünde, Die dich schmäht, durchdrungen ist.

Daß auf dein Gebot ich achte. Und e» zu erfüllen trachte!

Heil mir! du verbirgest nicht Einst vor mir dein Angesicht! Noch lieb' ich dich unvollkommen; Meine Seel' erkennt er wohl:

Dort, im Vaterland der Fromme«,

Lieb' ich dich, Herr! wie ich soll. Ganz werd' ich bann deinen Willen Kenne«, ehren und erfüllen.

Gieb mir dann vor deinem Thron

Der volltommnem» Liebe Lohn,

Amen.

XXX.

Am Trinitatis-Sonnta-e. Evangelium:

3, D. i —15.

2J welch eine Tiefe des Reichthums beyde der Weise

heil und Erkenntniß, ist in dir, unendlicher Herrund Gott von uns allen, Vater in Christo Jesu von uns allen. Wer wird je diesen deinen Reichthum der Weisheit und Erkenntniß erforschen, je dich würdig genug anbeten und verehren.. Doch du, Unendlicher, willst verschieden von und verehrt seyn, hast selbst das ver­ schiedene Maß der Erkenntniß und des Geistes und der Liebe unter uns angelegt; hast Geduld mir dem, der noch im schwachen lichte dich erkennt und mit wemgerm Gefühle dir dankt, so. wie du Wohlgefallen an dem hast, dec das große Maaß seiner Erkenntniß dir mit Demuth verdankt. Erhalte das beständige An­ denken an diese deine langmuth mit unsrer Schwach­ heit, daß es uns zum Frieden und zur Liebe gegen ein­ ander reiße, wenn auch unsre Erkenntniß von dir und die Verehrung deines Namens unter uns verschieden ist, und wir in Sanftmuth einander hinauf helfen zu einerley Freude an dir und dem, was wie haben und halten durch Zesum Christum. Amen.

Denken, nicht bloß wissen, sondern denken, das ist der große Vorzug der menschlichen Seele vor allen Geschöpfen auf Erden. Denn durch' den Drang ihrer Triebe, oder auch bey der Gabe der Nach­ ahmung, welche einigen Thieren eigen ist, können sie auch dahin gebracht «erden, daß sie vielerley zu ma­ chen wissen. Aber das Denken dabey und darüber, oder das Ueberlegen, was eine Sache für Gründe und für

XXX. Am Trinitatis-Sonntage.

44z

für Folgen hat, und ob sie sich mit dieser und jener andern zusammen schickt oder nicht, das fehlet den Thieren, das ist der große natürliche Vorzug , welchen der Mensch hat. Das kann er nun bey allen Din­ gen anwentzen, und eben dadurch alle Wissenschaften, alle Künste, alle Handwerke vollkommner machen und weiter bringen, als sie ehemahls noch waren. Es ist kein Geschäft des Lebens so gering und niedrig für manchen, wobey sich nicht durch Denken Erfindun­ gen und Entdeckungen machen ließen, und wobey sich also nicht der menschliche Geist in seinem Vorzüge, den er von Gott hak, vor den Thieren zeigen könnte, wel­ che in demjenigen, was sie machen, niemahls weiter gehen und vollkommner werden, als ihre Vorfahren vom Anfänge der Welt an gewesen sind. Ze würdiger freylich eine Sache an und für sich ist, je mehr sie die Seele und nicht bloß den Körper angehet, desto wich­ tiger wird auch das Denken oder Nachdenken des Men­ schen darüber. Und so weiß ich denn keine Sache, wo das Denken oder Nachdenken wichtiger und schahbarer wird, als in der Religion, in welcher der Mensch mit den wichtigsten und geistigsten Dingen zu thun hat, mit Gott, seiner Seele, ihrem wahren Wohl auf Erden, und dem Schicksale derselben nach dem Tode des Leibes, oder mit der Unsterblichkeit der Seele. Zn ihr ohne Nachdenken zu seyn und zu bleiben, zeigt gewiß «inen hohen Grad der Geistes­ schläfrigkeit, oder auch wohl einen im Laster verdorbe­ nen Zustand der menschlichen Seele an; wahrhaftigeund richtiges Nachdenken in ihr ist eine vortreffliche, fchähenswürdige Sache, man mag sie finden in wem man will. Doch scheint es mir in unsern Tagen nicht bloß

444

XXX. Am Trinitatis-Sonntage,

bloß darauf anzukommen, daß man auf das Nachden­ ken in der Religion Lobreden halte, und es überhaupt empfehle, da in einem gewissen Betrachte und von ei­ ner gewissen Art Menschen nur zu viel Ruhmzeschrey über das eigne Denken oder Nachdenken in der Reli­ gion erhoben wird; sondern vielmehr darauf scheint eS mir seht anzukommen, daß Man das Nachdenken in der Religion gehörig berichtige, das wahre von'dem falschen unterscheide, und für das erstere einige VerhaltungSregeln fest sehe, damit eS immer das wahre und für Geist und Herz gesegnete Nachdenken bleibe, und nicht in das Wilde, Vermessene und Verderben« de ausarte. Und hiervon zu reden finde ich nach dem heutigen Evangelio erwünschte Gelegenheit. Bey ei­ ner Betrachtung über Vas Nachdenken in der Reli­ gion soll meine erste Bemühung dahin gehen, das wahre werthe Nachdenken in der Religion von dem fälschlich dafür ausgegebenen zu unterschei­ den; zweytens, noch einige besonders warnende Regeln für daS letztere fest zu setzen. Unlaugbaren Vorzug hatte gewiß in Jesu Augen der forschende und lernbegierig fragende und zweifclaufwerfende Pharisäer Nikodemus, Hessen Unterre­ dung mit ihm unser heutiges Evangelium enthält, vor so vielen andern Juden, mit welchen er eS oft zu thun hatte, über deren Gleichgültigkeit er so oft klagte, die, wenn sie nur Zeichen und Wunder von ihm sahen, nicht weiter über seine Person und feine lehre nach­ forschten. Unlaugbaren Vorzug muß daher auch in unsern Augen der über sein« Religion nachdenkende Christ vor so manchen schläfrigen Gewohnheitschristen haben, der di« Glaubenssätze nur den Buchstaben nach nach-

XXX. -Am Trinitatis'Sonntage.

445

nachbetet, ohne einen Grund dafür angeben zu können, warum er sie annimmt, und ohne auch Grund und Festigkeit seines Glaubens zu suchen, oder seine Mei­ nungen in der Religion zu untersuchen, ob sie sich auch unter einander vertragen und der Seele licht und Kraft und Starke geben. Denn dies lehtere, man mag es noch so sehr vertheidigen und wider das Nach­ denken in der Religion dabey eifern wollen, ist doch im­ mer wider das Wort des Apostels, (Röm. 15, 5:) ein jeglicher suche in seiner Meinung gewiß zu werden,und (I. Petri 3,15.16:) Seyd allezeit bei reit zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert von der Hoffnung, die in euch ist. Dies letztere geschiehet ja nun eben durch das Nachdenken in der Religion, wo man sich selbst Rede und Antwort von seinem Glauben abfordert; sich selbst fragt, war­ um man dies annehme und fest halte, was für Grün­ de uns dafür bekannt seyn, daß man mit einem dun­ keln Wissen und einem schwachen Grunde nicht zufrie­ den ist, sondern mehr licht und mehr Gewißheit darin haben will; daß man aus den Sahen und au- dem Wissen Folgen herziehet, und daraus sich selbst neue Gründe für dieSache schafft; daß man die Glaubens­ sähe unter einander vergleicht, und sieht, wie der ei­ ne mit dem andern zusammen hängt, welchen Einfluß der eine aus den andern habe; daß man seine Meinung

mit andern, welche uns bekannt werden, prüft, die leichten und unrichtig befundenen aufgiebt, die fester« und bessern auftnmmt: mit einem Worte, für licht und Ordnung und Festigkeit in seinem Glauben sorgt. Das alles gehört zum Nachdenken in der Religion. Und das alles wird auch, wenn eö in Stille und Demuth und

446

XXX. Am Trinitatis Sonntage.

und in wahrhaftig frommer Absicht geschieht, jenen unausbleiblichen Gewinn haben, welchen der Apostel in den vorhin angeführten Worten davon angiebt, daß man sich dreist und fteymüthig der Hoffnung freuet, welche durch Jesum Christum in uns ist, dage­ gen die, welche ohne alles Nachdenken bey ihrem Glau­ ben verfahren, gar leicht von jedem Spotte und allen fremden Einfällen umgeworfen werden, und eins mit dem andern aufgeben, weil sie gar nichts eignes und fe­ stes haben, woran sie sich halten könnkN. Man könnte in der That die Regel fest sehen: man muß seinen Glauben immer bey sich tragen wie sein Geld, und immer berechnen, ob man damit auökommen könne, und darauf denken, daß man es vermehre, und nicht schlecht weggebe. Je schätzbarer nun das Nachdenken über Reli­ gion ist, desto aufrichtiger muß jeder dafür sorgen, daß er es recht habe, und nichts falsches und schlechtes nur so benenne. Und da sind nun zwey Dinge, die man so gern fälschlich mit dem Namen des Nachdenkens in Ver Religion benennt, wovor sich aber ein jeder Christ, dem seine Würde und Seligkeit in der Religion lieb ist, hüthen muß, daß er sie nicht für wahres Nach­ denken annehme. Das erste ist das bloße Nachbeten anderer in auffallenden Religioirebchauplungen. Da­ ist nun leider und bekannter Maßen einhäusiger Fehler schwacher Gemüther, daß ihnen jede für sie neue und noch nicht gehörte Meinung, die sie als die ihrige aus­ schreyen, die liebste ist, und daß sie auf diese Art bey­ nahe jede Woche ein anderes ReligionSbekennrniß, we­ nigsten- in diesem und jenem Stücke, haben, und da­ durch

XXX. Am Trinitatis-Sonntage.

447

durch selbst dem ernsthaften Zweifler in der Religion lächerlich und anstößig werden. Noch mehr Schwach­ heit und Unbedachtsamkeit solcher Gemüther ist es, wenn sie dieses ihr Nachfprechen anderer in Religions­ behauptungen ein Selbstdenken nennen, und sich dann selbst schmeicheln, nachdenkende Christen zu heißen. Denn es ist doch gar wenig Unterschied unter ihnen und jenen vorhin angeführten schläfrigen und gleichgültigen Christen, welche ihre Religion bloß nach dem Buchsta­ ben der Glaubensartikel kennen. Diese sagen das ge­ schriebene Wort ohne Gedanken nach, jene wiederhoh­ len das Menschenwort, das sie hören, ohne Grund und Verantwortung geben zu können, wenigstens wohl keinen andern, als weil es neu, weil es abstechend und auffallend ist, für ihren schwachen und nach der Wahr­ heit nicht begierigen Geist. Ein anderes, womit man das wahre Nachden­ ken in der Religion nicht verwechseln wolle, ob es gleich einige so benennen, ist das so genannte Grübeln in der Religion, oder wo man seine Kräfte im For­ schen und Suchen und Erklären entweder auf of­ fenbare Geheimnisse anwendet, welche ja ihrer Natur nach hier nicht deutlich werden können, oder auf solche Dinge, welche gar keinen eigent­ lichen Nutzen für unsre Seele, Ruhe, unsern Frieden, unsre Hoffnung oder Besserung haben, und immer unausgemacht bleiben könnten. Zu den Grübeleyen der «rstern Art gehören z. B. alle Er­ klärungen, welche man. über das Geheimniß der Dreyeinigkeit suchen und geben, und alle Bestimmun­ gen, welche man über das Verhältniß zwischen Vater und Sohn fest setzen will» zu denen der letzter»Art ge­ hören

448

XXX. Am Trinitatis Sonntage,

hören z. B. alle Bestimmungen und Vorhersagungen über das Ende der Welt, ausführliche Beschreibungen des Ortes der Qual, oder genaue Bestimmung der Gliedmaßen menschlicher Leiber in der Vollkommenheit, oder auch jedes Vertiefen ungelehrter Christen über ganze Bücher der heiligen Schrift, um hier, ohne so viele dazu nöthige gelehrte Kenntnisse zu haben, etwas nach ih­ rem Sinne und Willen heraus zu bringen. Dies alles ist ja Neugierde und Mißbrauch der Seelenkrafte,und nicht Nachdenken über den Kern unsrer Religion, der zum Vertrauen, zur Hoffnung und zum Festhalten führt, und hat völlig das Wort des Apostels wider sich: (i.Tim. i, 5 7:) Die Hauptsumme der kehre ist: Liebe von reinem Herzen, und von gutem Gewissen, und von ungefärbtem Glauben- wel­ cher haben etliche gefehlet, und sind umgewandt zu unnützem Geschwätze; wollen der Schrift Mei­ ster seyn, und verstehen nicht, was sie sagen und was sie setzen.

So bleibe denn jederzeit wahres Nachdenken in der Religion von jenen Dingen dadurch unterschieden, daß es seyn müsse ein stilles Beschäftigen unsers Geistes mit den Wahrheiten unsrer Religion, um in ihr das Herz zu mehrerer Ruhe und Freude, Ermunterung und Hoffnung zu bringen. Und alles, was man in dieser einzigen Absicht thut, daß man z. B. einem Vortrage in der Religion mir ange» strengten Gedanken nachgehe, oder in Religionsschrisi ten aufmerksam lese, seine eignen Gedanken so wohl als di« Meinungen anderer prüfe) ob und wie sie sich mit bett Haupt- und Grundwahrheiten vertragen, und was gu­ tes oder schädliche- daraus für das Herz komme, das ge­ hört

XXX Am Trinitatis-Sonntage.

449

hört zum Nachdenken in der Religion, und ist Sache des

nachdenkenden Christen, je nachdem er freylich

Gelegenheit har.

Aber so köstlich nun dies ist, wo

manö findet, so nöthig ist es doch auch, uns mir eini­ gen fest ju haltenden Regeln dabey zu verwahren, daß es

ja immer bleibe, was eS einzig seyn soll, eine Sacht

Von diesen Regeln will ich nun in dem

zum Heil.

zweyten Theile meiner Betrachtung reden. Die erste gehe UNS doch niemahls aus,

oder

komme aus unserm Gesichte: nämlich, daß allesNach-

denken über Religion in Demuth und Bejcheiverrheit geschehe. In Demuth gegen Go», daß wir immer bedenken, wie er auch die Kräfte zum Nachden­

ken uns gegeben hat, und aller Glaube und alle Ge­ genstände des Glaubens ursprünglich von ihm da sind,

daher uns auch nie weiter wagen wollen mit unserm Nachdenken und Urtheilen in Religionssachen, als eS

die Ehrfurcht vor ihm erlaubt, nie unser Nachdenken zur Ehre unsers Verstandes machen, sondern die Freu­ de,

die daraus entstehet,

Gott

verdanken wollen,

nach den bekannten Worten, (2. Cor. 3, 5: ) Nicht

daß wir tüchtig sind von uns selber, etwas zu den­ ken, sondern daß wir tüchtig sind, ist von Gort. Und dies wird denn auch schon geben, daß wir un­

ser Nachdenken in der Religion betreiben mit

Be­

scheidenheit

gegen unsre Mitchristen; nicht nach dem gemeinen Dünkel uns als die einzigen Denker

ansehen,

und alle als gedankenlose Nachbeter verach­

ten, sondern zu Gott, der die Gaben austheilt, ge­ wiß sind, daß mancher auch unter den geringsten Stän­

den seinen Glauben wohl durchdenke,

und

richtige

Anwendung davon mache; und sollten wir dann noch

WestphalSPredigten i.V.

Ff

man-

45o

xxx. Am Trinitatis Sonntage.

manche, ja viele finden, deren Vorurtheile und schwache Glaubrnömcinungen, ja selbst Aberglaube von unsern richtigern Urtheilen sehr absticht, wir wohl bedenken, wie das nicht ganz von ihnen, sondern so sehr viel von der Gelegenheit und den Kräften abhängt, welche Gott beyde auStheilt nach seinem Wohlgefallen.

Für andere vorzüglich nachzudenken anfangende Christen mag die zweyte Regel hauptsächlich. gesagt seyn, daß sie bey dem, was sie in ihrem Nach, denken erfahren, nicht zu sehr erschrecken und zu kleinmüthig werden. Oft nämlich führt uns eignes

Nachdenken über Neligionswahrheit, n,

eignes For-

schen und lesen der heiligen Schrift auf Gedanken, die uns auffallen und anstößig sind; auf Bedenklichkeiten

und Zweifel, die uns Niederschlagen und bekümmert machen; auf Vorstellungen und Aussichten, die von unsrer bisherigen Ueberzeugung sich entfernen. Gerade so, wie Nicodemus in unserm Texte durch die Vor­ stellung Jesu, -daß der Mensch nicht durch leibliche Geburt bey Gott beliebt sey, sondern durch Besserung feine- Innersten selig werde, in seinem bisher jüdischen

Glauben niedergeschlagen wurde, so wirds uns auch bey dem Nachdenken über Religion gehen. Wer ist utiter uns, dem nicht schon manches über Religion bey­ gefallen wäre, was er sich niemahls zugetrauet hätte;

so wohl angenehme Gedanken, die den Glauben be­ festigten und frohe Aussicht gaben, als auch solche, welche durch ihre Abweichung von unserm bisherigen Glauben und wohl gar Abscheulichkeit uns mit Entsehen und Angst erfüllten? Wenn denn das letztere kommt, so wolle man nur nicht zu kleinmüthig wer­ den, und sich von einem unreinen Geiste geleitet und für

XXX. Am Trinitatis-Sonntage.

45l

für verdammt und verworfen halten. Es kann das nicht anders seyn. Je aufmerksamer wir auf die Re­ ligion sind, je öfter wir uns in Betrachtungen dersel­ ben einlaffen, desto häufiger werden uns ungesuchte

Meinungen aufstoßen, welche uns befremden und oft er­ schrecken. Man sey aber nur gutes Muthes dabey, auch aus dieser Finsterniß wird wieder licht kommen, und selbst durch diese Zweifel oder niederschlagende Einfalle geht der Weg zur Gewißheit und Freudigkeit des Glaubens. Wenn man nur die dritte Regel befolgt, näm­ lich: nur immer aus frommer heiliger Absicht zu forsche» u«d nachzudenken, bey allem, was uns zu prüfen und zu betrachten vorkommt, nach der

Voifchrift des Apostels, das Gute oder das, was das Herz bessert, behalt, von der Frömmigkeit im Wandel nicht ahweicht, und Gott im Gebete anruft, uns auf dre ebne Bahn zu leiten und darin zu erhalten. Dannntzrden wir gewiß ruhiger bey solchen aufsteigenden befrem­ denden Gedanken in unserm Nachdenken über die Reli­ gion werden, wir werden endlich uns in die Erfah­

rung ergeben, welche uns der große Apostel voraus ge­ sagt hat, daß unser Wissen hienieden Stückwerk ist, oder unsre Religionöerkenntniffe immer mangelhaft bleiben, und bald einen Zuwachs erhalten, bald eine Berichti­

gung erfahren, bald, nach der Art, wie wir sie bisher gefaßt haben, eine Einwendung und einen Zweifel lei­

den, welcher, wenn wir eine andere richtigere Vorstellung annehmen, wegfällt. Solche Erfahrung wird uns dann auf dergleichen Erscheinungen immer vorbereitet -seyn lassen, und wir werden unser Forschen, (Nach­

denken,) in der Religion ruhig forrsetzen.

Ff r

Und nicht nur

45»

XXX. Am Trinitatis-Sonntage.

riür dieses Gute wird daraus kommen, wenn wir uns fromm bey dergleichen Erfahrungen halten, sondern auch das, daß wir gelassener und sanftmüthiger gegen jeden werden, der anders in gewissen Stücken der Re­ ligion denkt als wir, daß wir uns nicht zu sehr vor ihm entsetzen und ihn schnell verdammen, wenn er sich mit einer Meinung hören läßt, welche von der unsrigen abweicht. Denn unsre eigne Erfahrung wird unalüdann sagen, daß man und wie man auf dem besten Wege des Nachdenkens manchmahl auf eine andere Meinung in der Religion kommen kann, als die un­ gelehrt worden ist, daß man dabey gar nicht boshaft oder lasterhaft seyn kann, und wenn sie unrichtig ist, auch das bessere ticht und die Wahrheit finden werde, wenn man nur in frommer Absicht fortfahrt, nachzuden« ket». Zn der That giebt die Gelassenheit, mit welcher Nicodemus, der doch als Jude sehr auf die leiblich« Geburt und Abkunft von Abraham halten mußte, ei­ nen starken Beweis davon, daß er schon viel über fein« Religion nachgedacht haben und selbstauf manchen unge­ wöhnlichen Gedanken gekommen seyn mußte, weil er die Wahrheit Jesu, daß die leibliche Geburt und Abkunft von Abraham nichts zum Wohlgefallen Gottes helfe, sondern alles auf Herzensbesserung beruhe, so gelassen anhörte. Ich will hiermit bey weitem nicht sagen, dass man über jeden auch wohl argen und schädlichen Ein­ fall, den andere über die Religion haben, gleichgültig seyn solle; sondern um jene Gelassenheit und Sanftmuth gegen anders Denkende, von welcher ich jetzt rede, recht zu verstehen, so nehme man den folgenden Unterschied an, der uns immer richtig führen wird. Druckt

XXX. Am Trinitatis-Sonntage.

45z

Druckt sich ein Mensch, vielleicht noch dazu von schlechtem Wandel, spöttisch gegen unsre Religions­ meinung aus; so ist er darum, daß er eine wichtige, heilige Sache mit Spott und leichtsinn behandeln sann, mit Verachtung zu belegen: redet aber ein ernsthaf­ ter Mensch, der rein und rechtschaffen zu wandeln sucht, ernsthaft gegen unsre Religionsmeinung, so ist er mit aller Gelassenheit und Sanftmuth zu hören, feine Meinung zu prüfen, und ohne Scham und Be­ denken anzunchmen, wenn uns ihre Richtigkeit ein­ leuchtet. Denn nur das, was wahr in der Religion ist, muß uns als nachdenkenden Christen gelten, und nicht das, was wir eine lange Zeit ohne richtigen Grund be­ hauptet haben. Und das erste Gesetz beym Nachden­ ken in der Religion muß seyn, daß wir uns gern be­ lehren lassen, und wenn wir auch Meister in Israel waren, dennoch gern den Meister erkennen, herüber uns kommt. Und nun schließe ich mit einer der wichtigsten Re­ geln: Unser Nachdenken in der Religion müsse je­ derzeit ein stilles Geschäft zu unserm eignen Heil, und höchstens zur Mittheilung an unsre bekann­ testen und vertrautesten Freunde werden, und niemahls eine prahlende und sich aufdringende Lehre gegen jedermann, der uns vorkommt, so

daß wir nun durch das, was wir durch unser Nach­ denken in diesem und jenem Stücke der Religion ent­ deckt zu haben glauben, auch andere zu unsrer Meinung bekehren wollten. So häufig auch dies leider geschieht, und so großen Schaden und so große Verwirrung diese Unbesonnenheit stiftet, so gewiß ists auch, daß dieje­ nigen,

454

xxx. Am Trinitatis < Sonntage,

nigen, welche sie begehen und sich in allen Gesellschaf­ ten mit ihren, wie sie eS nennen, neuen Meinungen in der Religion hören ließen, fast gar nicht zu nach­ denkenden Christen gerechnet werden können. Denn

sonst müßten sie zweyerley aus Erfahrung wissen und bedenken: einmahl, daß sie sich selbst wohl irren kön­ nen , wie sie sich schon oft geirrt haben; daß eben diese

bessere Einsicht, welche sie erlangt zu haben glauben, vielleicht ihnen in der Folge selbst wieder falsch erschei­ nen werde, wie eS ihnen schon oft ergangen ist , und sie daher Bedenken tragen sollten, eine Religionsmei­ nung, die selbst bey ihnen noch nicht alt ist, andern aufzudringen als die allein richtige. Zum andern würden sie als erfahrne nachdenkende Christen wissen,

wie eS ihnen bey aller wahren Seelenkraft, die viel­ leicht in ihnen war, im Anfänge ergangen ist; wie sie über Gedanken und Einfalle erschraken, die ihnen be­

fremdend und ihrer bisherigen Glaubensmeinung zu­ wider waren; wie sie dadurch beunruhigt und nieder­ geschlagen worden sind, und nur durch einen guten Grund in der Religion und durch Anhalten an der Hauptsache derselben sich ermannt haben: da wür­ ben sie denn leicht bedenken, was es für Schaden thun müsse, wenn man ein an und für sich schwaches Ge­ müth, das des Nachdenkens und Prüfens nicht recht fähig ist, wohl noch dazu sehr unordentlich und

verworren auf eine andere Glaubensmcinung führen und die bisherige seinige verwerflich machen will. Hierüber mag man ja deS Apostels Wort nie

aus

dem

iz, 2:)

lassen,

(Röm.

Stelle sich em jeder also,

daß er fernem

Gedächtnisse

kommen

XXX. Am Trinitatis - Sonntage.

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seinem Nächsten gefalle nur zum Guten und zur Besserung. Und so bleibt «S denn gewiß, meine lieben, daß nachzudenken in seiner Religion die Sache eines jeden Christen seyn sollte, nach fcttti Maße der Geisteskräfte, und nach der Gelegenheit, die er oder sie von Gott empfangen haben. Nur bleibe alles, was ein jeder hierin leistet, in den Schranken der Demuth, der Bescheidenheit und der liebe, sonst heißt es nach des Apostels Worten, (l.Cor.«,rr) Das Wissen blaset auf, aber die Liebe bessert; und dann ist gewiß der oder die, welche -sich durch ihr weniges Wissen in dem Gehorsam gegen Gott und in dem Frieden und der liebe mit den Menschen erhalten, Gott wohl­ gefälliger als der, welcher sich durch fein mehreres Wissen und richtigeres Erkennen und Beurtheilen, zum beleidigenden Stolze, zum Hader und Un­ frieden, oder zur Verwirrung schwacher Gemüther verleiten laßt. Darum wollen wir zwar nicht aufhören, nach des Apostels Worten, Gott zu bitten, daß er uns gebe den Geist der Erkenntniß, und erleuch­ tete Augen des Verständnisses, aber zu keinem an­ dern Gebrauche, als daß wir mit desto zuversichtlichern Schritten wandeln, und jederzeit, und so auch einst im Gerichte, mit Freudigkeit vor ihm treten mögen, über ein unverletztes Gewissen, und über die liebe, die wir gehalten haben, und über den Frieden, dem wir nachgejagt haben, ohne welchen niemand wird den Herrn schauen. Gott verhelfe uns durch unser gan­ zes leben hierzu. Zu ihm sey unsre ernstliche Bitte:

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