Politische Freundschaft bei Hofe: Repräsentation und Praxis einer sozialen Beziehung im französischen Adel des 17. Jahrhunderts 9783737000321, 9783847100324, 9783847000327


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German Pages [364] Year 2013

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Politische Freundschaft bei Hofe: Repräsentation und Praxis einer sozialen Beziehung im französischen Adel des 17. Jahrhunderts
 9783737000321, 9783847100324, 9783847000327

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Freunde – Gönner – Getreue Studien zur Semantik und Praxis von Freundschaft und Patronage

Band 6

Herausgegeben von Ronald G. Asch, Sabine Dabringhaus und Hans-Helmuth Gander

Christian Kühner

Politische Freundschaft bei Hofe Repräsentation und Praxis einer sozialen Beziehung im französischen Adel des 17. Jahrhunderts

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0032-4 ISBN 978-3-8470-0032-7 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Genehmigt von der University of Glasgow Library, Special Collections. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Methode und Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.1. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.3. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.4. Adelsmilieu und Hofgesellschaft als Kontext der Freundschaft I.4.1. Öffentlichkeit und Privatheit . . . . . . . . . . . . . . I.4.2. Das Adelsmilieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.5. Die Cond¦ und ihr Umfeld als Akteure im französischen 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.5.1. Der Grand Cond¦ und sein Umkreis . . . . . . . . . .

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II. Aspekte frühneuzeitlicher Adelsfreundschaft . . . . . . . . . . . II.1. Semantik der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.1. Lexikographische Untersuchung . . . . . . . . . . . II.1.2. Etymologie von »amiti¦« . . . . . . . . . . . . . . . II.1.3. Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Französischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.4. Freundschaft und Verwandtschaft . . . . . . . . . . II.1.5. Freundschaft und Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.6. Einseitigkeit und Reziprozität . . . . . . . . . . . . II.1.7. Rang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.8. Freundschaft zwischen Herrscher und Untertan . . II.1.9. »Amiti¦ intime« und »amiti¦ sociale« . . . . . . . . II.1.10. Stabilität und Instabilität . . . . . . . . . . . . . . . II.1.11. Abstrakte Anwendungen des Freundschaftsbegriffs II.1.12. Freundschaft – ein vieldeutiger Begriff . . . . . . .

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Inhalt

II.2. Ideen der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.1. Antike Freundschaftsdiskurse . . . . . . . . . . . . . . II.2.2. Mittelalterliche Freundschaftsdiskurse . . . . . . . . . II.2.3. Renaissance-Freundschaftsdiskurse . . . . . . . . . . . II.2.4. Freundschaft in der Moralistik und Traktatistik des 16. und 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.5. Literarische Topoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.6. Freundschaft und Ehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.7. Problematik von Gefühl und Interesse . . . . . . . . . . II.2.8. Emotionalität und Loyalität . . . . . . . . . . . . . . . II.2.9. Verpflichtung und Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . II.2.10. »Wahre« und »falsche« Freunde . . . . . . . . . . . . . II.2.11. Intensität der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.12. Gruppenfreundschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.13. Konflikte in Freundschaften . . . . . . . . . . . . . . . II.2.14. Loyalitätskonflikte und Dilemmata der Freundschaft . . II.2.15. Freundschaft und Feindschaft . . . . . . . . . . . . . . II.2.16. Gefährliche Freundschaften . . . . . . . . . . . . . . . II.2.17. Negativbilder der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . II.2.18. Freundschaft und Intrige . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.19. Freundschaft und Revolte . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.20. Freundschaft und Homosexualität . . . . . . . . . . . . II.2.21. Männer und Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3. Sprache der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.1. Verben der Freundschaft: was tun mit und in der Freundschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.2. Substantive der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . II.3.3. Freundesbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.4. Verstärkungszeichen der Freundschaft . . . . . . . . . II.3.5. Verwandtschaftstermini in der Freundschaft . . . . . . II.3.6. Sprachliche Praktiken in der Freundschaft . . . . . . . II.3.7. Abweichung von formelhaftem Sprechen . . . . . . . . II.3.8. Gelegenheitslyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.9. Kommunikationsstrategien der Freundschaft . . . . . . II.3.10. Hyperbolische Rhetorik und Rhetorik der Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.11. Herstellung von Vertrauen über Sprache . . . . . . . . II.3.12. Uneigentliches Sprechen? – Die Frage nach der »Aufrichtigkeit« der Sprache der Freundschaft . . . . . II.4. Praktiken der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7

Inhalt

II.4.1. Rituale, Gesten, Symbole . . . . . . . . . . . . . . II.4.2. Rituale der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . II.4.3. Rituale des Beginns der Freundschaft . . . . . . . II.4.4. Entstehungskontexte und Entstehungssituationen II.4.5. Entstehungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . II.4.6. Gestiftete Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . II.4.7. Rituale der Beendigung der Freundschaft . . . . . II.4.8. Rituale der Versöhnung: das raccommodement . . II.4.9. Rituale der Translation der Freundschaft . . . . . II.4.10. Manipulation von Ritualen . . . . . . . . . . . . . II.4.11. Gesten der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . II.4.12. Körperliche Gesten . . . . . . . . . . . . . . . . . II.4.13. Besuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.4.14. Gastfreundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.4.15. Gesten des gemeinsamen Konsums . . . . . . . . II.4.16. Gesten der gemeinsamen Freizeitgestaltung . . . . II.4.17. Gemeinsamer Tabubruch und gemeinsamer Gesetzesbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.4.18. Suspendierung der Etikette unter Freunden . . . . II.4.19. Das Schenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.4.20. Symbole der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . II.4.21. Geschlechtsspezifische und geschlechtsneutrale Praktiken der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . II.5. Freundschaftsdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.5.1. Ökonomische Leistungen . . . . . . . . . . . . . . II.5.2. Politische Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . II.5.3. Militärische Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . II.5.4. Freunde als Versicherung . . . . . . . . . . . . . . II.5.5. Informationen und Ratschläge . . . . . . . . . . . II.5.6. Andere Freundschaftsdienste . . . . . . . . . . . . II.5.7. Freunde von Freunden . . . . . . . . . . . . . . . II.5.8. Männer und Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . II.5.9. Veränderungen der Freundschaftsdienste . . . . . III. Veränderungen der Freundschaft . . . . . . . . . III.1. Freundschaft in der Renaissance . . . . . . III.2. Freundschaft im klassischen Zeitalter . . . III.3. Freundschaft in Aufklärung und Romantik

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Inhalt

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung

Dieses Buch ist die überarbeitete deutsche Version meiner Dissertation, deren französische Version im Jahr 2010 an der Universität Freiburg im Breisgau und der Ecole des hautes ¦tudes en sciences sociales (E.H.E.S.S.) eingereicht und im Jahr 2011 in Paris vor einer binationalen Kommission verteidigt wurde. Diese Arbeit wäre ohne den Rat und die Hilfe vieler Personen nicht entstanden; ihnen gilt es an dieser Stelle Dank abzustatten. Dank gebührt Ronald G. Asch, der mich nach einer Studienabschlussarbeit zum gleichen Thema ermutigte, diese zu einem Dissertationsprojekt auszubauen. Er hat den Entstehungsprozess dieser Arbeit in seiner Eigenschaft als mein deutscher Doktorvater kontinuierlich mit vielen wertvollen Ratschlägen begleitet. Jean Boutier war nicht nur ohne Zögern bereit, im Rahmen einer »Cotutelle de thÀse« als mein französischer Doktorvater für dieses Projekt zu fungieren, sondern hat auch das gesamte französische Manuskript genauestens gegengelesen und mit seinen konstruktiv-kritischen Kommentaren viel zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Daneben habe ich ihm dafür zu danken, dass er mich mit vielen französischen Spezialisten in Kontakt gebracht hat, deren Rat ich für dieses Projekt eingeholt habe. Unter diesen habe ich besonders Robert Descimon und Christian Jouhaud zu danken, die mich während meiner Studienund Forschungsphasen an der E.H.E.S.S. in Paris in ihre Seminare aufnahmen. Michel Cassan, Frank-Rutger Hausmann und Christian Jouhaud danke ich für ihre Mitwirkung an meinem Promotionsverfahren. Die Archivrecherchen für dieses Projekt fanden im Archiv der Prinzen von Cond¦ in Chantilly statt; zu danken habe ich den Mitarbeitern des Archivs, die mich ausgiebig bei der Benutzung ihrer Bestände beraten und unterstützt haben. Wolfgang Eßbach hat mir als mein Mentor im Freiburger DFG-Graduiertenkolleg »Freunde, Gönner, Getreue« viele wertvolle Ratschläge gegeben, auch und gerade über das rein Inhaltliche hinaus und die Frage betreffend, wie man das Großprojekt Dissertation angeht. Besonders erwähnen möchte ich Gottfried Schramm, der mich in Freiburg oft zu Einzelgesprächen empfangen hat. Sein konstruktiv-kritisches Nachfragen hat mich gelehrt, meine Argumentation zu

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Danksagung

schärfen und meinen Gedankengang auf den Punkt zu bringen; dafür möchte ich ihm danken. Profitiert habe ich darüber hinaus über die Jahre meiner Promotionsphase vom Rat vieler Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern, die sich Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten, mir Empfehlungen zu geben oder mir in ihren Seminaren Gelegenheit gegeben haben, mein Projekt vorzustellen; nennen möchte ich insbesondere Katia B¦guin, Lucien B¦ly, Laurent Bourquin, Horst Carl, Birgit Emich, Mark Greengrass, Wolfgang Kaiser, Nicolas Le Roux, Christine Lebeau, Jean Meyer, Wolfgang Reinhard, Barbara StollbergRilinger, Miri Rubin und Christian Wieland. In Freiburg habe ich darüber hinaus viel vom Sachverstand meiner MitDoktoranden im Graduiertenkolleg profitiert. Ihnen verdanke ich wichtige Anregungen zum Thema Freundschaft insbesondere aus dem Blickwinkel anderer Disziplinen wie der Ethnologie, Soziologie und Philosophie; danken möchte ich hier unter anderem Agnes Brandt, Bernadette Descharmes, Judith Gurr, Eric Anton Heuser, Catrin Kersten, Caroline Krüger, Thomas Loy, Laura Polexe, Regina Schleuning, Jan Wolkenhauer und Tanja Zeeb. Ein Dissertationsprojekt ist nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine organisatorische Aufgabe. Annette Ehinger verdanke ich wertvolle Ratschläge und tätige Hilfe bei dem komplexen Verwaltungsvorgang, den eine binationale Promotion insbesondere am Anfang und am Ende darstellt. Michael Strauß als Koordinator des Freiburger Graduiertenkollegs hat in vielerlei Hinsicht dazu beigetragen, für dieses Projekt günstige Bedingungen zu schaffen. Helga Hilmes hat mir in vielen Verwaltungsangelegenheiten geholfen, wobei ich von ihrer Erfahrung profitieren durfte. Susan Garvin am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz half mir in jenem entscheidenden Moment tatkräftig, als die komplexen Formalitäten für eine deutsch-französische Soutenance von Italien aus auf den Weg gebracht werden mussten. Danken möchte ich auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die in Form eines Stipendiums des Freiburger Graduiertenkollegs das Dissertationsprojekt finanziert hat. Die Deutsch-Französische Hochschule gewährte ein großzügiges Zusatzstipendium, durch das die Zusatzkosten einer binationalen Promotion gedeckt werden konnten. Nicht möglich gewesen aber wäre dieses Projekt ohne den Rückhalt und die Unterstützung durch meine Eltern, Monika und Joseph Kühner. Ihnen ist dieses Buch gewidmet.

Einleitung

»Il n’y a pas d’amour, il n’y a que des preuves d’amour.«1 Was im ersten Moment zynisch klingen mag, ist bei näherem Hinsehen eine Aussage, die die Existenz der Liebe nicht so rundheraus leugnet, wie es zunächst scheint. Mag die Liebe als Gefühl des Liebenden noch so stark sein, solange sie nicht mitgeteilt wird, hinterlässt sie keine Spuren, die von Außenstehenden wahrgenommen werden können, und existiert somit in der Tat für diese nicht. Das gilt für die Freundschaft in mindestens so starkem Maße. Und zwar deshalb »mindestens«, weil – zumindest für uns Heutige – die Idee einseitiger, unglücklicher und nicht geäußerter Liebe selbstverständlich ist, dasselbe für die Freundschaft aber befremdlich klingt. Außer vielleicht in einem metaphorischen Sinne, wenn von heimlichen Gönnern die Rede wäre, fänden wir heute die Vorstellung absurd, dass jemand Freunde hat, von denen er nicht weiß. Freundschaft wird also nur in der Mitteilung und in der Interaktion überhaupt existent. Das heißt nicht, dass sie nur im Augenblick der Interaktion besteht und dazwischen nicht;2 aber ohne solche Interaktionen kommt Freundschaft nicht aus. Wird sie nicht ab und an durch Beweise oder Zeichen der Freundschaft aktualisiert, zerfällt sie. Diese Interaktionen können nun aber nicht vollkommen anarchisch verlaufen, sondern müssen sich in Formen bewegen, die von den Beteiligten als die Formen der Freundschaft wahrgenommen werden. Dies ist wohlgemerkt noch keine spezifische Aussage über die höfische Gesellschaft der Frühen Neuzeit, sondern eine allgemeine Vorüberlegung: Freundschaft läuft nicht nur dort in Formen der Konvention ab, wo das Zeremoniell, die Etikette den gesellschaftlichen Umgang explizit und normativ regeln. Vielmehr braucht es Konventionen der Freundschaft, damit die Interaktionen unter Freunden als freundschaftliche verstanden werden. Wenn es aber 1 Ein französisches »Wanderzitat«, das je nach Quelle Andr¦ Malraux, Jean Cocteau oder Pierre Reverdy zugeschrieben wird. 2 Im Diskurs der Frühneuzeithistorie vergleiche zur Gegenposition Kristen B. Neuschel, Word of Honor. Interpreting Noble Culture in Early Modern France, Ithaca 1989.

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Einleitung

solche konventionalisierten Verhaltensweisen gibt, dann steht zu vermuten, dass sie in den Quellen Spuren hinterlassen. Nach diesen Spuren zu suchen, ist Ziel dieser Arbeit. Geographisch soll die Untersuchung auf Frankreich begrenzt werden. Damit soll nicht behauptet werden, die hier herausgearbeiteten Formen adliger Freundschaft seien radikal verschieden von denen im Rest Europas; die Quellen deuten eher auf das Gegenteil hin. Die Abgrenzung hat somit arbeitspraktische Gründe. Die Arbeit behandelt das Milieu des höfischen französischen Adels. Ausgegangen wird dabei von Dokumenten aus dem Umkreis der Familie Cond¦. Die Frage der zeitlichen Abgrenzung muss bei einem Thema wie der Freundschaft in jedem Fall willkürlich ausfallen; sie wurde hier anhand der Cond¦-Quellen vorgenommen. In der vorliegenden Studie wurde ein großer Teil des 17. Jahrhunderts als Untersuchungszeitraum gewählt; er erstreckt sich von den 1620er bis zu den 1680er Jahren, umfasst also in etwa die Lebensspanne des Grand Cond¦ und somit die Jahrzehnte beiderseits der Fronde. Der Grand Cond¦ stirbt 1686. 1682 zieht der königliche Hof endgültig nach Versailles; damit endet die Zeit des umherziehenden Hofes.3 Die Adelsgesellschaft, die hier untersucht wird, ist somit diejenige, die dem Zeitalter von Versailles unmittelbar vorausgeht. Unter adelsgeschichtlichem Gesichtspunkt erscheint diese Einteilung sinnvoller als eine Abgrenzung nach Regierungszeiten. Die vorliegende Untersuchung erstreckt sich somit über den Herrscherwechsel von Ludwig XIII. zu Ludwig XIV. hinweg und umfasst das Kernstück des langen 17. Jahrhunderts. Untersucht man Freundschaft in historischer Perspektive, steht man vor dem Problem, Zustände beschreiben und Wandlungen nachzeichnen zu müssen. Beides zugleich ist kaum möglich. Die vorliegende Arbeit gliedert sich daher in zwei Teile, einen systematischen und einen chronologischen. Der Hauptteil der vorliegenden Arbeit ist der systematische Teil, der verschiedene Hauptaspekte der Freundschaft im französischen Adel des 17. Jahrhunderts nacheinander untersucht. Dabei ist durchaus die Veränderung der einzelnen Aspekte innerhalb des Untersuchungszeitraums berücksichtigt worden; zu bedenken ist dabei, dass sich manche Aspekte der Freundschaft in diesem Zeitraum deutlich, andere kaum gewandelt haben. Der kürzere chronologische Teil wird dann die Wandlungen des Gesamtphänomens nachzuzeichnen versuchen. Im einleitenden Teil wird zunächst überblicksartig der Stand der Forschung dargestellt und die Methode erläutert, darauf folgen eine Beschreibung des verwendeten Quellenmaterials und eine Vorstellung der wichtigsten Personen, die in den Quellen vorkommen. Da die Arbeit weder Prosopographie noch Netzwerkanalyse betreibt, wurde auf die Erstellung eines Glossars bewusst verzichtet, zumal ein Personenregister zu den wichtigsten Klienten der Cond¦ 3 FranÅois Bluche, L’Ancien R¦gime. Institutions et soci¦t¦, Paris 1993, 49.

Einleitung

13

bereits von Katia B¦guin im Anhang ihrer Dissertation vorgelegt wurde; zudem sind viele der beteiligten Personen führende Akteure der französischen höfischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts, zu denen umfangreiche Informationen in der Sekundärliteratur vorliegen.4 Das erste Kapitel des systematischen Durchgangs widmet sich der Semantik des Wortes »amiti¦«. Wie im Methodenkapitel genauer erläutert wird, geht die vorliegende Arbeit nicht von einer der Untersuchung vorgängigen Definition von Freundschaft aus, sondern von den Selbstbeschreibungen der Akteure; eine solche Vorgehensweise erfordert aber zwingend, den wort- und begriffsgeschichtlichen Aspekt zu berücksichtigen. Man muss eruieren, wovon die Zeitgenossen sprechen, wenn sie »amiti¦« sagen, bevor man weitergehende Aussagen über die Rolle dieses Konzepts und die Eigenschaften der so bezeichneten Sozialbeziehung machen kann. Das zweite Kapitel ist den Ideen der Freundschaft gewidmet. Der Begriff »amiti¦« ist in ein diskursives Feld eingebettet, das es zu beschreiben gilt. Damit ist wohlgemerkt nicht die philosophische Traktatistik über Freundschaft gemeint, sondern die Alltagsvorstellungen von Freundschaft, die für die Adligen handlungsleitend sind. Adlige Ehrvorstellungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Verarbeitung der antiken Tradition. Zu fragen ist ebenso nach den Vorstellungen von »wahrer« und »falscher Freundschaft« – aus einer Historisierung des Freundschaftsbegriffes selbst folgt notwendig, dass auch die Vorstellung von wahren und falschen Freunden historisiert werden muss. Das dritte Kapitel schließt an das zweite thematisch eng an und behandelt die Sprache der Freundschaft. Die Interaktion derjenigen, die sich als »amis« bezeichneten, vollzog sich unter Benutzung eines spezifischen Vokabulars. Mit dem Übergang vom Denken zum Reden leitet dieses Kapitel gleichzeitig über zum vierten Kapitel, das den Praktiken der Freundschaft, mithin dem Handeln gewidmet ist. Hier soll es um die Rituale und Gesten der Freundschaft gehen, mit denen auch die Symbole als nicht-sprachliche Zeichen verschränkt sind. Die Freundschaftsdienste sind aus dem Kapitel über die Praktiken als eigenes Kapitel ausgegliedert worden. Dies hat mehrere Gründe. Freundschaftsdienste sind zunächst sehr mannigfaltig, so dass sie als Praktiken den Rahmen des vorhergehenden Kapitels sprengen würden. Sie sind zudem eng mit den Repräsentationen, insbesondere mit Vorstellungen über Verpflichtung verschränkt. Nicht zuletzt hat die Forschungstradition dem Phänomen des Gabentausches und den Reziprozitäten in Netzwerken eine prominente Rolle eingeräumt, die einen eigenen Abschnitt für dieses Phänomen ratsam erscheinen lässt. 4 Katia B¦guin, Les princes de Cond¦. Rebelles, courtisans et m¦cÀnes dans la France du Grand SiÀcle, Seyssel 1999, 395 – 440.

14

Einleitung

Nachdem somit im systematischen Durchgang die Ebenen des Denkens, Redens und Handelns untersucht worden sind, wendet sich der chronologische Durchgang den Veränderungen der Freundschaft zu. Dabei wird sowohl nach vorne als auch nach hinten über die behandelte Periode hinausgegriffen. Ein erster Abschnitt untersucht, wie adelige Freundschaft in der Renaissance beschaffen ist – unter der Leitfrage, was sich zum 17. Jahrhundert hin geändert hat. Ein zweiter Abschnitt ist den Veränderungen innerhalb des siÀcle classique gewidmet; dabei soll postuliert werden, dass sich die allmählichen Veränderungen insbesondere in der Fronde verdichten, die bestimmte Formen der Freundschaft vor allem im Bereich gemeinsamer militärischer Selbstverteidigung zum letzten Male möglich macht. Ein dritter und letzter Abschnitt behandelt die Freundschaft in Aufklärung und Romantik; hier wird zu zeigen sein, wie eine neuartige Konzeption von Freundschaft aufkommt, die eine Verschiebung gegenüber der hier untersuchten Freundschaftsform der höfischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts darstellt und die einen starken Einfluss auf die Freundschaftsideale der Moderne ausgeübt hat.

I. Methode und Kontext

I.1.

Forschungsstand

Das Thema Freundschaft hat in vielen akademischen Disziplinen bereits eine lange Forschungsgeschichte. Vor allem Philosophen5, Philologen6, Soziologen7 und Ethnologen8 haben dem Thema viele Beiträge gewidmet. In der Geschichtswissenschaft blieb das Thema dagegen lange Zeit außerhalb des Blickwinkels der Forschung. Nach der Konstituierung der Geschichte als akademische Disziplin dominierte im 19. und frühen 20. Jahrhundert die traditionelle Politikgeschichte; sie fasste die »großen Männer« mindestens als Hauptakteure, wenn nicht als ausschließliche Subjekte der Geschichte auf. Sie interessierte sich durchaus für die Freunde dieser »großen Männer« – als Teil von deren Biographie und auch wegen der Einflüsse, die die Freunde vielleicht auf diese Protagonisten der Geschichte ausgeübt hatten. Somit ging es aber immer nur um einzelne Freundschaften, oder genauer gesagt um Freundespaare und Freundeskreise. Die Freundschaft als überindividuelles Phänomen dagegen wurde nicht zum Thema. Die strukturgeschichtlichen Schulen der Nachkriegszeit – die Annales-Schule in Frankreich, die Bielefelder Schule in Deutschland – widmeten dem Phänomen 5 Zu denken ist hier beispielsweise an Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, Frankfurt am Main 2000; vgl. auch Klaus-Dieter Eichler (Hg.), Philosophie der Freundschaft, Leipzig 1999. 6 In der Literaturwissenschaft gibt es viele Studien zu Freundschaft bei einzelnen Autoren; als übergreifendes Werk sei hier genannt Ulrich Langer, Perfect Friendship. Studies in Literature and Moral Philosophy from Boccaccio to Corneille, Genf 1994. 7 Für die soziologische Beschäftigung mit Freundschaft ist zentral Friedrich H. Tenbruck, Freundschaft. Ein Beitrag zu einer Soziologie der persönlichen Beziehungen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie 16 (1964), 431 – 456. Einen Überblick über philosophische und soziologische Ansätze zur Freundschaft gibt Andreas Schinkel, Freundschaft. Von der gemeinsamen Selbstverwirklichung zum Beziehungsmanagement – Die Verwandlungen einer sozialen Ordnung, Freiburg/München 2003. 8 Bettina Beer, Freundschaft als Thema der Ethnologie, in: Zeitschrift für Ethnologie 123 (1998), 191 – 213.

16

Methode und Kontext

Freundschaft ebenfalls keine Aufmerksamkeit. Das hing mit der Dominanz einer auf gesellschaftliche Makrostrukturen fokussierten Sozialgeschichte zusammen: Freundschaft als Phänomen der Mikroebene konnte aus dieser Perspektive als unwichtig erscheinen, als eine Ansammlung je individueller Beziehungen, die lediglich jener idiographischen Betrachtungsweise zugänglich waren, die die Historische Sozialwissenschaft als das zu Überwindende am Historismus ansah. Einer der ersten, die interpersonale Beziehungen zu einem Thema speziell der Frühneuzeithistorie machten, war in den 1970er Jahren Roland Mousnier. Gestützt auf Traktate erarbeitete er eine Typologie hierarchischer Beziehungen für das Frankreich des Ancien R¦gime. Bei ihm gliedern sich diese Beziehungen in die emotionale »fid¦lit¦« und die interessebasierte »clientÀle«. Mousnier sieht im Fall der »fid¦lit¦« die Bindungen von Patron und Klient als persönliche Treuebeziehungen, in denen der Klient aufgrund einer starken emotionalen Bindung an den Patron seine Interessen zugunsten derjenigen des Patrons zurückgestellt habe.9 Dabei ist Mousniers Theorie auch in den zeitgeschichtlichen Kontext des Kalten Krieges zu stellen: Mousnier ging es darum, einen Gegenentwurf zu den Thesen des sowjetischen Historikers Boris Porsˇnev zu finden, der die Geschichte des frühneuzeitlichen Frankreich aus marxistischer Sicht als Geschichte von Klassenkämpfen darstellte.10 Insistierte Porsˇnev somit auf der Frontstellung zwischen Ober- und Unterschichten, betonte Mousnier demgegenüber vielmehr die Bindungen, die einzelne Mitglieder der verschiedenen Schichten der Gesellschaft miteinander verbanden und unterstrich die Loyalität zwischen mächtigen Männern und ihren Gefolgschaften. Mousniers Ansatz wurde von der angelsächsischen Schule der Patronageforschung in Frage gestellt, als deren einflussreichste Repräsentantin Sharon Kettering zu nennen ist.11 Kettering 9 Roland Mousnier, Les Institutions de la France sous la monarchie absolue. 1598 – 1789, Bd. I: Soci¦t¦ et Etat, Paris 1974. – Zu Mousnier cf. auch Sergio Manca, La nazione organizzata. Istituzioni, gruppi sociali e Stato moderno nella storiografia di Roland Mousnier, in: Rivista storica italiana 111 (1999), 847 – 931, sowie Armand Arriaza, Mousnier and Barber : The theoretical underpinnings of the ›Society of Orders‹ in Early Modern Europe, in: Past and Present 89 (1980), 39 – 57. 10 Boris Fedorovic Porsˇnev, Les soulÀvements populaires en France au XVIIe siÀcle, Paris 1972; in deutscher Sprache erschienen als idem, Die Volksaufstände in Frankreich vor der Fronde. 1623 – 1648, Leipzig 1954. – Sein Name wird in Publikationen in westlichen Sprachen aufgrund unterschiedlicher Transkriptionen verschieden zitiert, so als Porchnev, Porshnev und Porschnew. 11 Sharon Kettering hat viele Publikationen zum Thema verfasst; eine Synthese der Resultate ihrer Forschung ist Sharon Kettering, Patrons, Brokers, and Clients in Seventeenth-Century France, New York/Oxford 1986. Siehe daneben auch Dies., Patronage and Politics during the Fronde, in: French Historical Studies 14 (1986), 409 – 441; Dies., Patronage in Early Modern France, in: French Historical Studies 17/4 (1992), 839 – 862; Dies., Friendship and clientage in early modern France, in: French History 6 (1992), 139 – 158; Dies., Brokerage at the Court of Louis XIV, in: The Historical Journal 36 (1993), 69 – 87; Dies., Household appointments and dismissals at the court of Louis XIII, in: French History 21 (2007), 269 – 288. – In der

Forschungsstand

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kritisierte Mousnier zu Recht dafür, dass er sich zu sehr auf normative Quellen verlassen und die Rhetorik der Patronagebeziehungen zum Nennwert genommen hatte; er sei somit der Selbstinszenierung der Patrone und Klienten auf den Leim gegangen und habe propagandistische Selbstdarstellungen mit der Wirklichkeit verwechselt. Bei Kettering erscheinen Patronagebeziehungen hingegen im wesentlichen als ökonomisch durchkalkulierte Beziehungen, deren wichtigster Inhalt der Austausch von Ressourcen ist. Der Diskurs der Emotion und die Beteuerungen der Zuneigung erscheinen hier somit als bloße Bemäntelung einer Beziehung, in der es um beiderseitigen materiellen Nutzen geht. Die Tatsache, dass das Konzept der Patronage so zentral für diese Forschungen war, ist wichtig. Freundschaft kam nur am Rande vor und wurde in Analogie zur Patronage konzeptualisiert: wo Patronage Asymmetrie der Gaben bedeute, da sei Freundschaft Symmetrie der Gaben.12 Die Fragen nach Liebe und Sexualität blieben außerhalb des Fokus. Das zeigt, dass es bei dieser Forschungsrichtung nicht um jene Geschichte des privaten Lebens ging, die andere französische Forscher verfolgten;13 das Erkenntnisinteresse galt vielmehr dem Wachstum des frühneuzeitlichen Staates. Mousniers Kritiker bemängelten auch seine Quellenauswahl, die auf normative Traktate setzte. Sie setzten stattdessen auf eine aus der Soziologie übernommene Methode, nämlich die Netzwerkanalyse.14 Mit ihr werden andere angelsächsischen Forschung zum frühneuzeitlichen Frankreich cf. daneben auch die Werke von Mack Holt, so beispielsweise Mack P. Holt, Patterns of Clientele and Economic Opportunity at Court during the Wars of Religion: The Household of FranÅois, duke d’Anjou, in: French Historical Studies 13 (1984), 305 – 322. Cf. des weiteren Ellery Schalk, Clientage, Elites, and Absolutism in Seventeenth-Century France, in: French Historical Studies 14 (1986), 442 – 446; David Parker, Class, Clientage and Personal Rule in Absolutist France, in: Seventeenth-Century French Studies 9 (1987), 192 – 213. Daneben gibt es zur Patronage sozialwissenschaftliche Studien über Gesellschaften der Moderne, so Ernest Gellner/John Waterbury (Hg.), Patrons and Clients in Mediterranean Societies, London 1977. 12 Sharon Kettering hat Freundschaft als symmetrische Austauschbeziehung definiert: »Friends were bound together by mutual respect and affection in a relationship that was enjoyable and useful but not absolutely necessary to them both. It was a free, horizontal alliance of equality in what was exchanged.« Kettering, Patrons, Brokers, and Clients, 14. In einer kürzlich erschienenen Monographie hat sie allerdings eine andere Lösung des Problems der Kategorisierung interpersonaler Beziehungen vorgeschlagen, das die Schwierigkeit vermeidet, eine Grenze zwischen »Freundschaft« und »Patronage« ziehen zu müssen. Sie stellt nun die Klienten eines Patrons seinen Verbündeten gegenüber, wobei die letzteren »had a horizontal, equal relationship with a patron because they already had wealth, status, and power which they were seeking to augment by serving him«, wohingegen die Klienten »were dependent on him for their position in an unequal relationship.« Sharon Kettering, Power and reputation at the court of Louis XIII. The career of Charles d’Albert, duc de Luynes (1578 – 1621), Manchester 2008, 149. 13 Cf. Philippe AriÀs/Georges Duby (Hg.), Histoire de la vie priv¦e, 5 Bde., Paris 1985 – 87. 14 Zur Netzwerkanalyse cf. Katherine Faust/Stanley Wasserman, Social Network Analysis: Methods and Applications, Cambridge 1994. Die sogenannte ego-zentrierte Netzwerkanalyse, bei der die Verbindungen eines Individuums von diesem ausgehend untersucht werden,

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Quellen für die Forschung über interpersonale Beziehungen nutzbar, insbesondere Briefwechsel. Die Netzwerkanalyse ist aus zwei Gründen wichtig für die Geschichte der Freundschaftsforschung. Zum einen brachte diese Schule das von Marcel Mauss entwickelte Konzept des Gabentausches in die Diskussion der Historiker ein; zum anderen war sie die erste historische Schule, die eine systematische sozialwissenschaftliche Methodik auf interpersonale Beziehungen anwandte – womit sie das Defizit der strukturellen Sozialgeschichte behob, bei der der Preis für die statistisch ausgerichtete sozialwissenschaftliche Methodik das tendenzielle Verschwinden der Individuen war. Dabei wurde die Frühe Neuzeit zum bevorzugten Experimentierfeld der historischen Netzwerkforschung: im Unterschied zu Antike und Mittelalter bricht mit der Frühen Neuzeit das Aktenzeitalter an, und durch die spürbare Verbilligung von Papier korrespondieren die Akteure häufiger und verzichten auf Palimpseste, so dass aus den Archiven Interaktionen zwischen Einzelpersonen gut rekonstruiert werden können. Die Netzwerkanalyse in der Geschichtswissenschaft konzentrierte sich im folgenden auf das Funktionieren komplexer Konstellationen frühneuzeitlicher Sozialbeziehungen. Sie wurde in einer Reihe von europäischen Ländern aufgegriffen, so in Großbritannien von Jenny Wormald15 und in Polen von Antoni Ma˛czak.16 In Deutschland erlangte sie insbesondere durch Wolfgang Reinhard und seine Schüler Prominenz.17 Reinhard untersucht Netzwerkstrukturen am Beispiel der römischen Kurie.18 Durch die Tatsache, dass die päpstliche Wahl-

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geht zurück auf Elizabeth Bott, Family and Social Network, London 1957. Ein einflussreicher sozialwissenschaftlicher Beitrag zur Netzwerkanalyse ist darüber hinaus Mark Granovetter, The Strength of Weak Ties, in: American Journal of Sociology 78 (1973), 1360 – 1380. Jenny Wormald, Lords and Men in Scotland: Bonds of Manrent, 1442 – 1603, Edinburgh 1985. Cf. des weiteren Naomi Tadmor, Family and Friends in Eighteenth-Century England. Household, Kinship, and Patronage, Cambridge u. a. 2001. Antoni Ma˛czak, Ungleiche Freundschaft. Klientelbeziehungen von der Antike bis zur Gegenwart, Osnabrück 2005 (Klio in Polen 7); Ders. (Hg.), Klientelsysteme im Europa der frühen Neuzeit, München 1988 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 9); Ders./ Marzio A. Romani (Hg.), Padrini e Clienti nell’Europa moderna. Secoli 15.–19., Parma 1986. Wolfgang Reinhard selbst und die meisten seiner Schüler untersuchen frühneuzeitliche Fallbeispiele; eine Ausnahme davon ist die Studie von Wolfgang Weber, die nach ihrem Erscheinen kontrovers diskutiert wurde, cf. Wolfgang E. J. Weber, Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zu Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800 – 1970, Frankfurt am Main 1984 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 216). Netzwerkanalysen der Wissenschaftswelt entstehen weiterhin, so jüngst unter Gender-Perspektive Elisabeth Maurer, Fragile Freundschaften. Networking und Gender in der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung, Frankfurt am Main 2010. Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. »Verflechtung« als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen: Römische Oligarchie um 1600, München 1979 (Schriften der Philosophischen Fachbereiche der Universität Augsburg 14). Siehe auch Ders., Amici e creature. Politische Mikrogeschichte der römischen Kurie im 17. Jahrhundert, in: Quellen

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monarchie jederzeit einen Herzschlag vom Umsturz der Machtverhältnisse entfernt ist, treten hier die Netzwerke der Abhängigkeit und die häufigen renversements des alliances besonders krass hervor. Die Methode der Untersuchung von Netzwerken wurde im folgenden auf eine Reihe anderer frühneuzeitlicher Fälle angewandt, so von Birgit Emich auf Ferrara,19 von Christian Wieland auf die Beziehungen zwischen Rom und Florenz,20 von Tobias Mörschel auf die Beziehungen zwischen Rom und Savoyen,21 von Andreas Klein auf die Netzwerke irischer Lords im britischen Parlament22 und von Nicole Reinhardt auf Bologna.23 Hillard von Thiessen hat sich allgemeiner dem Zusammenhang von Außenpolitik und Verflechtung zugewandt.24 Auch in die französische Forschung fand das Konzept Eingang.25 Unter den italienischen Historikern ist insbesondere Renata Ago zu nennen.26 War die Netzwerkanalyse zunächst durchaus dem sozialgeschichtlichen Ansatz verpflichtet gewesen und hatte den Akzent auf den Austausch von Gütern

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und Forschungen aus italienischen Bibliotheken und Archiven 76 (1996), 308 – 334. Der französische Gegenbegriff zur Patronage ist der »client¦lisme«; cf. dazu beispielsweise Gunner Lind, Grands et petits amis : client¦lisme et ¦lites du pouvoir, in: Wolfgang Reinhard (Hg.), Les ¦lites du pouvoir et la construction de l’Etat en Europe, Paris 1996, 163 – 201. Im angelsächsischen Raum Paul D. McLean, The Art of the Network. Strategic Interaction and Patronage in Renaissance Florence, Durham/London 2007. – Die Patronageforschung wurde vor einigen Jahren zum Gegenstand einer Kontroverse zwischen Heiko Droste, Patronage in der Frühen Neuzeit – Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für historische Forschung 30 (2003), 555 – 590, und Birgit Emich/Nicole Reinhardt/Hillard von Thiessen/Christian Wieland, Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für historische Forschung 32 (2005), 233 – 265. Birgit Emich, Bürokratie und Nepotismus unter Paul V. (1605 – 1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Rom, Stuttgart 2001 (Päpste und Papsttum 30); Dies., Territoriale Integration in der Frühen Neuzeit. Ferrara und der Kirchenstaat, Köln/Weimar/Wien 2005. Christian Wieland, Fürsten, Freunde, Diplomaten. Die römisch-florentinischen Beziehungen unter Paul V. (1605 – 1621), Köln/Weimar/Wien 2004 (Norm und Struktur 20). Tobias Mörschel, Buona Amicitia? Die römisch-savoyischen Beziehungen unter Paul V. (1605 – 1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Italien, Mainz 2002 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 193). Andreas Klein, Regeln der Patronage. Eine historisch-anthropologische Studie der Mikropolitik des John James Hamilton, First Marquess of Abercorn, in Irland, Augsburg 2009 (Beiträge zur Englandforschung 60). Nicole Reinhardt, Macht und Ohnmacht der Verflechtung: Rom und Bologna unter Paul V. Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik im Kirchenstaat, Tübingen 2000 (FrühneuzeitForschungen 8). Hillard von Thiessen (Hg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit, Berlin 2005 (Zeitschrift für historische Forschung Beiheft 36). Cf. etwa Arlette Jouanna, R¦flexions sur les relations internobiliaires en France aux XVIe et XVIIe siÀcles, in: French Historical Studies 17 (1992), 872 – 881; Elie Haddad, Noble Clienteles in France in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. A Historiographical Approach, in: French History 20 (2006), 75 – 109. Renata Ago, Carriere e clientela nella Roma barocca, Bari 1990.

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und Leistungen gelegt, so gelangten im Laufe der Zeit auch andere Faktoren in den Blickpunkt, namentlich die zeitgenössischen Vorstellungswelten. Dies hing mit dem Aufstieg der Neuen Kulturgeschichte seit den 1980er Jahren27 zusammen. Die Neue Kulturgeschichte, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, zeitgenössische Repräsentationssysteme ernst zu nehmen, lenkte den Blick stärker auf die Frage, wie die Akteure selbst interpersonale Beziehungen konzeptualisierten und wahrnahmen. Sharon Kettering als prominente Vertreterin der frühen, stark den materiellen Gabentausch betonenden Netzwerkanalyse geriet daher in den Fokus ihrer Kritik. Eine prominente Gegenposition zu Kettering ist die Monographie von Kristen B. Neuschel, Word of Honor.28 Charakteristischerweise werden bei Neuschel wie allgemeiner in der Neuen Kulturgeschichte die theoretischen Anleihen nicht mehr bei der empirischen Soziologie, sondern bei der Ethnologie und der Linguistik gemacht: die Vergangenheit wird als fremde Kultur verstanden, der man sich mit ethnologischem Blick nähert, und als System von Bedeutungen, dessen »Grammatik« es zu entschlüsseln gilt. In den Folgejahren wurde insbesondere die Sprache der interpersonalen Beziehungen im frühneuzeitlichen französischen Adel eingehend diskutiert. Arthur L. Herman hat argumentiert, die frühneuzeitliche »language of fidelity« müsse als Sprachspiel im Sinne Wittgensteins gesehen werden, bei dem weniger das auf der wörtlichen Ebene Gesagte als die durch dieses Gesagte motivierten oder gerechtfertigten Handlungen wichtig seien;29 Jay M. Smith hat dagegen argumentiert, dass die Motivationen der Handelnden nicht in den Bereich außerhalb der Sprache, und damit außerhalb der zeitgenössischen Vorstellungswelt, verlagert werden können.30 Immer noch aber wurde die Diskussion um interpersonale Beziehungen im frühneuzeitlichen französischen Adel nicht auf den Begriff der Freundschaft zentriert. Weiterhin stand das Problem der Patron-Klient-Beziehungen im Mittelpunkt. Unter den französischen Historikern hatten sich in den achtziger Jahren Maurice Aymard31 und Jean-Marie Constant der Problematik der Freundschaft im frühneuzeitlichen Frankreich angenommen. Constant, der bereits in seiner 27 Zur Entwicklung der Neuen Kulturgeschichte und einem Überblick über ihre Tendenzen Peter Burke, What is Cultural History, Cambridge 2004, in deutscher Sprache erschienen als Ders., Was ist Kulturgeschichte?, Frankfurt am Main 2005. 28 Neuschel, Word of Honor, op. cit. 29 Arthur L. Herman, The Language of Fidelity in Early Modern France, in: Journal of Modern History 67/1 (1995), 1 – 24. 30 Jay M. Smith, No More Language Games: Words, Beliefs, and the Political Culture of Early Modern France, in: American Historical Review 102 (1997), 1413 – 1440. 31 Maurice Aymard, Amiti¦ et convivialit¦, in: Philippe AriÀs/Georges Duby (Hg.), Histoire de la vie priv¦e, op. cit., Bd. 3: De la Renaissance aux LumiÀres, Paris 1986, 455 – 499.

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Dissertation der Adelsfreundschaft ein Unterkapitel gewidmet hatte,32 hat das Thema 1999 in einem Aufsatz behandelt.33 In den neunziger Jahren beschäftigte sich Michel Rey mit der Freundschaft in der Renaissance.34 Daneben sind auch Arlette Jouanna35 und jüngst Ariane Boltanski36 im Rahmen größerer Studien auf die Problematik adliger Freundschaft eingegangen. Nicolas Schapira hat die Frage nach der Freundschaft im literarischen und intellektuellen Feld des frühneuzeitlichen Frankreich gestellt.37 Jüngst haben für die Diplomatiegeschichte Bertrand Haan38 und an der Grenze zwischen Geschichts- und Literaturwissenschaft Maurice Daumas39 das Thema bearbeitet; daneben sind die Arbeiten von Anne Vincent-Buffault zu nennen.40 Auch im angelsächsischen Raum sind in jüngerer Zeit Arbeiten zur Freundschaft in der Frühen Neuzeit entstanden.41 Unter den aktuellen deutschen Arbeiten sind insbesondere Sebastian Kühns Arbeiten zur Gelehrtenfreundschaft42 und Gabriele Janckes Untersuchungen zur frühneuzeitlichen Gast32 Jean-Marie Constant, Nobles et paysans en Beauce aux XVIe et XVIIe siÀcles, Lille 1981, 239 – 264. 33 Jean-Marie Constant, L’amiti¦: le moteur de la mobilisation politique dans la noblesse de la premiÀre moiti¦ du XVIIe siÀcle, in: XVIIe siÀcle 5/14 (1999), 593 – 608. 34 Michel Rey, Communaut¦ et individu: l’amiti¦ comme lien social — la Renaissance, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 38 (1991), 617 – 625; Ders., L’amiti¦ — la Renaissance. Italie, France, Angleterre, 1450 – 1650, hg. von Anne-Sophie Perriaux, Florenz 1999. – Die letztere Publikation ist die postume Edition von Reys Dissertationsmanuskript. 35 Arlette Jouanna, Le devoir de r¦volte. La noblesse franÅaise et la gestation de l’Etat moderne, 1559 – 1661, Paris 1989, 65 – 90. 36 Ariane Boltanski, Les ducs de Nevers et l’Etat royal. G¦nÀse d’un compromis (ca 1550-ca 1600), Genf 2006 (Travaux d’Humanisme et Renaissance CDXIX), 224 – 242. 37 Nicolas Schapira, Sociabilit¦, amiti¦ et espace litt¦raire au XVIIe siÀcle: les lettres de JeanLouis Guez de Balzac — Valentin Conrart, in: HypothÀses 97. Travaux de l’Ecole Doctorale d’Histoire de l’Universit¦ de Paris I, Paris 1998, 141 – 148; Ders., Les intermittences de l’amiti¦ dans le Dictionnaire universel d’Antoine FuretiÀre, in: Litt¦ratures classiques 47 (Winter 2003), 217 – 224. 38 Bertrand Haan, L’amiti¦ entre princes. Une alliance franco-espagnole au temps des guerres de religion (1560 – 1570), Paris 2011. 39 Maurice Daumas, Des tr¦sors d’amiti¦. De la Renaissance aux LumiÀres, Paris 2011. 40 Anne Vincent-Buffault, L’exercice de l’amiti¦. Pour une histoire des pratiques amicales aux XVIIIe et XIXe siÀcles, Paris 1995; Dies., Une historie de l’amiti¦, Montrouge 2010. 41 Zu Kulturbegegnungen in der europäischen Expansion in den pazifischen Raum im 18. Jahrhundert Vanessa Smith, Intimate Strangers. Friendship, Exchange and Pacific Encounters, Cambridge 2010; zu China Martin W. Huang, Male Friendship in Ming China, Leiden 2007; Fallstudien über politische Freundschaft im angelsächsischen Raum vom 16. bis zum frühen 20. Jahrhundert in Graham Stewart, Friendship and Betrayal. Ambition and the Limits of Loyalty, London 2007. 42 Sebastian Kühn, Wissen, Arbeit, Freundschaft. Ökonomien und soziale Beziehungen an den Akademien in London, Paris und Berlin um 1700, Göttingen 2011 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 10); Ders., Konflikt und Freundschaft in der gelehrten Kommunikation um 1700, in: Klaus-Dieter Herbst/Stefan Kratochwil (Hg.), Kommunikation in der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 2009, 69 – 87.

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freundschaft, Patronage und zu Feindschaft als Gegenteil von Freundschaft zu nennen.43 Freundschaft als zeitgenössische Vorstellung wird schon seit längerer Zeit in einer anderen Subdisziplin der Geschichte intensiver erforscht, nämlich in der mittelalterlichen Geschichte.44 In der deutschsprachigen Mediävistik gelangte das Thema durch die Studie von Gerd Althoff über Verwandte, Freunde und Getreue zu Prominenz.45 In den Folgejahren erschienen mehrere mediävistische Monographien zum Thema,46 unter denen diejenigen von Verena Epp47 und 43 Gabriele Jancke, Editorial. Feindschaft als soziale Beziehung, in: Werkstatt Geschichte 55 (2/ 2010): Feindschaft, hg. von Gabriele Jancke, 3 – 6; Dies., Gelehrtenkultur – Orte und Praktiken am Beispiel der Gastfreundschaft. Eine Fallstudie zu Abraham Scultetus (1566 – 1624), in: Barbara Krug-Richter/Ruth-E. Mohrmann (Hg.), Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa, Köln/Weimar/Wien 2009 (Archiv für Kulturgeschichte, Beiheft 65), 285 – 312; Dies., Patronage, Freundschaft, Verwandtschaft: Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit, in: Johannes F.K. Schmidt/Martine Guichard/Fritz Trillmich (Hg.), Freundschaft und Verwandtschaft. Zur Unterscheidung und Verflechtung zweier Beziehungssysteme, Konstanz 2007, 181 – 200. 44 Zu den deutschsprachigen Beiträgen cf. die folgenden Fußnoten. Für eine Übersicht über den Forschungsstand zu den Themen Freundschaft und Verwandtschaft im Mittelalter in der deutsch-, englisch- und französischsprachigen Forschung Kerstin Seidel/Peter Schuster, Freundschaft und Verwandtschaft in historischer Perspektive, in: Schmidt u. a. (Hg.), Freundschaft und Verwandtschaft, op.. cit., 145 – 156. Unter Einbeziehung des byzantinischen Mittelalters Michael Grünbart (Hg.), Geschenke erhalten die Freundschaft. Gabentausch und Netzwerkpflege im europäischen Mittelalter, Berlin u. a. 2011. In der französischen Mediävistik zuletzt B¦n¦dicte SÀre, Penser l’amiti¦ au Moyen ffge. Êtude historique des commentaires sur les livres VIII et IX de l’Êthique — Nicomaque (VIIIe-XVe siÀcle), Turnhout 2007 (BibliothÀque de l’histoire culturelle du Moyen ffge 4). Im englischsprachigen Bereich zuletzt David Clark, Between medieval men. Male friendship and desire in early medieval English literature, Oxford 2009; Almut Suerbaum (Hg.), Amicitia. Friendship in medieval culture, Oxford 2007 (Oxford German Studies 36,2); Thomas A.F. Kelly (Hg.), Amor amicitiae: on the love that is friendship, Löwen 2004 (Recherches de th¦ologie et philosophie m¦di¦vales. Bibliotheca, 6). Zum mittelalterlichen Mönchtum Brian Patrick McGuire, Friendship and Community. The Monastic Experience 350 – 1250, Ithaca 22010. Zum mittelalterlichen Italien Isabella Lazzarini, Amicizia e potere. Reti politiche e sociali nell’Italia medievale, Mailand 2010. Zur Freundschaft in der italienischen Renaissance jetzt Dale V. Kent, Friendship, love, and trust in Renaissance Florence, Cambridge, Mass. 2009. Mit überepochalem Ansatz Laura Gowing (Hg.), Love, friendship and faith in Europe, 1300 – 1800, Basingstoke 2005, sowie Eva Österberg, Friendship and Love, Ethics and Politics. Studies in Medieval and Early Modern History, Budapest/New York 2010. Mit mediävistischen und frühneuzeitlichen Beiträgen Albrecht Classen/Marilyn Sandidge (Hg.), Friendship in the Middle Ages and Early Modern Age. Explorations of a Fundamental Ethical Discourse, Berlin/New York 2010 (Fundamentals of Medieval and Early Modern Culture 6). Mit noch weiterer Perspektive auf die longue dur¦e von der Antike bis heute Barbara Caine (Hg.), Friendship. A history, London/Oakville, CT 2009. 45 Gerd Althoff, Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellenwert der Gruppenbildungen im frühen Mittelalter, Darmstadt 1990. 46 So die Studie von Simon Teuscher über Verwandtschafts- und Klientelnetzwerke in Bern, Simon Teuscher, Bekannte – Klienten – Verwandte. Soziabilität und Politik in der Stadt Bern

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Claudia Garnier48 herauszuheben sind. Klaus van Eickels hat sich dem Thema im Rahmen seiner Monographie über die anglo-französischen Beziehungen an der Grenze von Hoch- und Spätmittelalter49 sowie in einer Reihe von Aufsätzen genähert.50 Die neueste große Studie zur mittelalterlichen Freundschaft stammt von Klaus Oschema;51 sie kann als aktuelles mediävistisches Standardwerk zu diesem Thema gelten. Deutsche und französische Ansätze zur mittelalterlichen Freundschaft hat jüngst ein von Klaus Oschema herausgegebener Sammelband zusammengeführt.52 Ein weiterer, von Gerhard Krieger herausgegebener Sammelband widmet sich dem Verhältnis von Freundschaft und Verwandtschaft im Mittelalter.53 In der englischsprachigen Mediävistik sind insbesondere die Arbeiten von Julian Haseldine zu nennen.54 An der Grenze zwischen mittelalter-

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um 1500, Köln/Weimar/Wien 1998, diejenige von Kerstin Seidel über Freundschaft und Verwandtschaft in Köln, Kerstin Seidel, Freunde und Verwandte. Soziale Beziehungen in einer spätmittelalterlichen Stadt, Frankfurt am Main u. a. 2009 (Campus historische Studien 49), und jüngst die Studie von Mario Müller, Besiegelte Freundschaft. Die brandenburgischen Erbeinungen und Erbverbrüderungen im späten Mittelalter, Göttingen 2010 (Schriften zur politischen Kommunikation 8). Verena Epp, Amicitia. Zur Geschichte personaler, sozialer, politischer und geistlicher Beziehungen im frühen Mittelalter, Stuttgart 1999 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 44). Claudia Garnier, Amicus amicis – inimicus inimicis. Politische Freundschaft und fürstliche Netzwerke im 13. Jahrhundert, Stuttgart 2000. Klaus van Eickels, Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt. Die englischfranzösischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter, Stuttgart 2002. Ders., Gleichrangigkeit in der Unterordnung. Lehensabhängigkeit und die Sprache der Freundschaft in den englisch-französischen Beziehungen des 12. Jahrhunderts, in: Hannah Vollrath (Hg.), Der Weg in eine weitere Welt. Kommunikation und Außenpolitik im 12. Jahrhundert, Münster 2008 (Neue Aspekte der europäischen Mittelalterforschung 2), 13 – 34; Ders., Verwandtschaftliche Bindungen, Liebe zwischen Mann und Frau, Lehenstreue und Kriegerfreundschaft: Unterschiedliche Erscheinungsformen ein und desselben Begriffs?, in: Schmidt u. a. (Hg.), Freundschaft und Verwandtschaft, op. cit., 157 – 164; Ders., Tender Comrades, Gesten männlicher Freundschaft und die Sprache der Liebe im Mittelalter, in: Invertito 6 (2004), 9 – 48. Klaus Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund. Studien zum Spannungsfeld von Institution und Emotion, Köln/Weimar/Wien 2006 (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit 26). Klaus Oschema (Hg.), Freundschaft oder ›amiti¦‹? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.–17. Jahrhundert), Berlin 2007 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beihefte, 40). Gerhard Krieger (Hg.), Verwandtschaft, Freundschaft, Bruderschaft. Soziale Lebens- und Kommunikationsformen im Mittelalter, Berlin 2009. Julian Haseldine (Hg.), Friendship in Medieval Europe, Stroud 1999; Ders., Friendship and Rivalry : The Role of Amicitia in Twelfth-Century Monastic Relations, in: The Journal of Ecclesiastical History 44 (1993), 390 – 414; Ders., Friendship, Equality and Universal Harmony : The universal and the particular in Aelred of Rievaulx’ De Spirituali Amicitia, in: Oliver Leaman (Hg.), Friendship East and West. Philosophical Perspectives, Richmond, Surrey, 1996, 192 – 214; Ders., Love, Separation and Male Friendship: Words and Actions in

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licher und frühneuzeitlicher Geschichte haben sich mehrere Arbeiten mit der Freundschaft in der Renaissance auseinandergesetzt.55 Das Spannungsfeld von Freundschaft und Homosexualität thematisiert Alan Bray.56 Auch im Bereich der antiken Geschichte wurden Forschungen zur Freundschaft unternommen, hat diese Epoche doch die für die abendländische Tradition grundlegenden philosophischen Texte über Freundschaft hervorgebracht; zudem sind Phänomene wie die altrömische Patronage immer wieder Teil von Reflexionen über Freundschaft im Lauf der europäischen Geschichte gewesen. Als Standardwerk für Freundschaft in der Antike darf das Buch von David Konstan gelten.57 In deutscher Sprache sind insbesondere die Arbeiten von Aloys Winterling zu nennen.58 Daneben hat auch die Altphilologie eine umfangreiche Literatur zur Freundschaft hervorgebracht, die aus Kommentaren zu den erwähnten Grundlagentexten besteht.59 Die Transformation der klassischen antiken Freundschaft in der christlichen Spätantike hat ebenfalls die Aufmerk-

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Saint Anselm’s Letters to his Friends, in: Dawn M. Hadley (Hg.), Masculinity in Medieval Europe, London/New York 1999, 238 – 255; Ders., Friends, Friendship and Networks in the Letters of Bernard of Clairvaux, in: C„teaux: Commentarii Cistercienses 57 (2006), 243 – 280; Ders., The Monastic Culture of Friendship, in: James G. Clark (Hg.), The Culture of Medieval English Monasticism, Woodbridge 2007 (Studies in the History of Medieval Religion 30), 177 – 202. Neben den oben schon erwähnten Arbeiten von Michel Rey cf. Guy F. Lytle, Friendship and Patronage in Renaissance Europe, in: Francis W. Kent/Patricia Simons (Hg.), Patronage, Art, and Society in Renaissance Italy, Canberra/Oxford 1987, 47 – 61; Peter Burke, Humanism and friendship in sixteenth-century Europe, in: Julian Haseldine (Hg.), Friendship in Medieval Europe, op. cit., 262 – 274. Alan Bray, The Friend, Chicago/London 2003. David Konstan, Friendship in the Classical World, Cambridge 1997. Überepochal Luigi Franco Pizzolato, L’idea di amicizia. Nel mondo antico classico e cristiano, Turin 1993. Zu Freundschaftsformen in der auswärtigen Politik des römischen Reiches cf. Paul J. Burton, Friendship and Empire. Roman Diplomacy and Imperialism in the Middle Republic (353 – 146 BC), Cambridge/New York 2011, sowie Altay Cosku (Hg.), Freundschaft und Gefolgschaft in den auswärtigen Beziehungen der Römer (2. Jahrhundert v. Chr.–1. Jahrhundert n. Chr.), Frankfurt am Main u. a. 2008 (Inklusion und Exklusion – Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart 9). Mit althistorischen und mediävistischen Beiträgen Katariina Mustakallio/Christian Krötzl (Hg.), De amicitia. Friendship and social networks in Antiquity and the Middle Ages, Rom 2010 (Acta Instituti Romani Finlandiae 36). Aloys Winterling, Freundschaft und Klientel im kaiserzeitlichen Rom, in: Historia 57 (2008), 298 – 316; Ders., Die Freundschaft der römischen Kaiser, in: Ders. (Hg.), Zwischen Strukturgeschichte und Biographie. Probleme und Perspektiven einer neuen Römischen Kaisergeschichte, München 2011 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 75), 207 – 232. Zuletzt Nathalie von Siemens, Aristoteles über Freundschaft. Untersuchungen zur Nikomachischen Ethik VIII und IX, Freiburg/München 2007 (Symposion 128); Mary P. Nichols, Socrates on friendship and community. Reflections on Plato’s Symposium, Phaedrus, and Lysis, Cambridge 2009; Lorraine Smith Pangle, Aristotle and the philosophy of friendship, Cambridge 2003.

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samkeit der Forschung gefunden,60 wobei vor allem die Forschung zu Augustinus hervorzuheben ist.61 In der Neuesten Geschichte und der Zeitgeschichte gibt es ebenfalls jüngere Studien zur Freundschaft,62 so zur Rolle der Freundschaft in der Amerikanischen Revolution;63 auch geschlechtergeschichtliche Fragestellungen geraten zunehmend in den Blick.64 Daneben dominieren hier Editionen von Briefwechseln zwischen Personen der Zeitgeschichte.65 Ein weiterer Schwerpunkt zeitgeschichtlicher Forschung zur Freundschaft ist die Rolle der Freundschaftsidee in der internationalen sozialistischen Bewegung und in kommunistischen Regimen, wo das Konzept eine große Rolle innerhalb der Propaganda spielte, sollte doch im Sinne eines »proletarischen Internationalismus« Freundschaft zwischen den verschiedenen sozialistischen Staaten demonstriert werden.66 Auch für die Zeit des Nationalsozialismus ist das Thema Freundschaft in den Blick der Forschung gekommen.67 60 Cf. Stefan Rebenich, Freund und Feind bei Augustin und in der christlichen Spätantike, in: Therese Fuhrer (Hg.), Die christlich-philosophischen Diskurse der Spätantike. Texte, Personen, Institutionen, Stuttgart 2008 (Philosophie der Antike 28), 11 – 31. 61 Cf. Dagmar Kiesel, Liebe im Irdischen. Freundschaft, Frauen und Familie bei Augustin, Freiburg i. Br./München 2008 (Symposion 130). Zu Augustinus cf. auch die jüngst fertiggestellte Freiburger Dissertation von Thomas Loy, »Vera Amicitia. Zur Transformation vorchristlicher Freundschaftskonzeptionen bei Augustinus«. 62 Zum Frankreich des 19. Jahrhunderts Brian Joseph Martin, Napoleonic Friendship. Military Fraternity, Intimacy, and Sexuality in Nineteenth-Century France, Durham, NH/Hanover, NH 2011, sowie Sarah Horowitz, The Bonds of Concord and the Guardians of Trust: Women, Emotion, and Political Life, 1815 – 1848, in: French Historical Studies 35 (2012), 577 – 603. Zu den Netzwerken der Gegner des Kolonialismus in Europa und Südasien an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Leela Gandhi, Affective Communities. Anticolonial Thought, Finde-siÀcle radicalism, and the Politics of Friendship, Durham, NC 2006. 63 Richard Godbeer, The overflowing of friendship. Love between men, family values, and the creation of the American Republic, Baltimore, MD 2009. 64 Sharon Marcus, Between women. Friendship, desire, and marriage in Victorian England, Princeton 2007. Zu Freundschaft, Politik und Gender im Italien des 19. und 20. Jahrhunderts Emma Scaramuzza (Hg.), Politica e amicizia. Relazioni, conflitti e differenze di genere, 1860 – 1915, Mailand 2010. 65 Zuletzt Hans Peter Mensing (Hg.), Freundschaft in schwerer Zeit. Die Briefe Konrad Adenauers an Dora Pferdmenges, 1933 – 1949, Bonn 2007; Achim Moeller (Hg.), Years of friendship, 1944 – 1956. The correspondence of Lyonel Feininger and Mark Tobey, Ostfildern 2006; Jean-Michel Nectoux (Hg.), The correspondence of Camille Saint-SaÚns and Gabriel Faur¦. Sixty years of friendship, Ashgate 2004. 66 Zu den internationalen Netzwerken der Sozialdemokratie an der Wende zum 20. Jahrhundert Laura Polexe, Netzwerke und Freundschaft. Sozialdemokraten in Rumänien, Russland und der Schweiz an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, Göttingen 2011 (Freunde – Gönner – Getreue 3); Zu Freundschaft in kommunistischen Regimen Jan C. Behrends, Die erfundene Freundschaft. Propaganda für die Sowjetunion in Polen und in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2006 (Zeithistorische Studien 32); Volker Zimmermann, Eine sozialistische Freundschaft im Wandel. Die Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei (1945 – 1969), Essen 2010 (Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa 34); Doris

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Methode und Kontext

Auch wenn die Kulturgeschichte des Politischen68 stärker die Praktiken und die symbolische Kommunikation in der Vormoderne in den Blick genommen hat, so fehlt doch noch eine Studie, die diese Instrumente auf die politischen Freundschaften der adligen Eliten des französischen Ancien R¦gime anwendet. Diesem Ziel dient die vorliegende Untersuchung. Um unnötige Doppelungen zu vermeiden, wurde die Literatur zu denjenigen Aspekten des Kontexts, die mit eigenen Kapiteln vertreten sind, in die Fußnoten der jeweiligen Kapitel verlagert; dies gilt insbesondere für die Literatur zu Selbstzeugnissen als Quellen, zu den Cond¦ und ihrem Umkreis und zu Adel und Hofmilieu. Einige Themenkreise verdienen jedoch darüber hinaus angeschnitten zu werden, weil sie wichtige Anreize zur Erforschung der Freundschaft geben können. Ein solcher Themenkreis ist die Frage nach den Eigenschaften und der Rolle der Verwandtschaft im frühneuzeitlichen Adel. Hier sind die Studien von Christiane Klapisch-Zuber zu nennen.69 Des weiteren hat Robert Descimon hier sowohl selbst wichtige Impulse gegeben70 als auch eine Schule um sich versammelt, die sich mit Fragen der Verwandtschaft in Großbürgertum und Adel des frühneuzeitlichen Frankreich befasst.71 Ein weiteres Thema, das seit einiger Zeit verstärkte Aufmerksamkeit in der frühneuzeitlichen Geschichte erfährt, ist die Problematik des Verhältnisses von Herrscher und Günstling. Wenn sie denn als Freundschaft konzeptualisiert wird, so stellt sie einen Grenz- und Extremfall von Adelsfreundschaft dar.72

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Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat. Deutschsprachige kommunistische Intellektuelle und ihre sozialen Beziehungen (1918 – 1960), Göttingen 2012 (Freunde – Gönner – Getreue 5). Karina Pryt, Befohlene Freundschaft. Die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen 1934 – 1939, Osnabrück 2010 (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 22). Zur Begriffsbestimmung dieser Forschungsrichtung cf. Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2005 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beihefte 35). Christiane Klapisch-Zuber, Parents, amis et voisins, in: Dies., La maison et le nom. Strat¦gies et rituels dans l’Italie de la Renaissance, Paris 1990, 59 – 80. Cf. Robert Descimon, Guillaume Du Vair (7 mars 1556 – 3 ao˜t 1621): les enseignements d’une biographie sociale. La construction symbolique d’un grand homme et l’¦chec d’un lignage, in: Bruno Petey-Girard/Alexandre TarÀte (Hg.), Guillaume Du Vair. Parlementaire et ¦crivain (1556 – 1621), Genf 2005, 17 – 77. Cf. Elie Haddad, Fondation et ruine d’une maison. Histoire sociale des comtes de B¦lin, 1582 – 1706, Limoges 2009; Mathieu Marraud, La noblesse de Paris au XVIIIe siÀcle, Paris 2000. Zu Favoriten cf. Ronald G. Asch, Der Sturz des Favoriten: Der Fall Matthäus Enzlins und die politische Kultur des deutschen Territorialstaates an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 57 (1998), 37 – 63; Ders., Thomas Wentworth, Earl of Strafford (1593 – 1641): ›Frondeur‹ und Favorit? Eine Karriere zwischen Hof und Provinz, in: Klaus Malettke u. a. (Hg.), Hofgesellschaft und Höflinge an europäischen Fürstenhöfen in der Frühen Neuzeit (15.–18. Jahrhundert), Münster 2002,

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Neben der historiographischen Literatur zur Freundschaft sind Werke aus den Nachbardisziplinen zu nennen. Dabei ist eine vollständige Bestandsaufnahme im Rahmen dieser Studie weder möglich noch sinnvoll. Beiträge aus den Nachbardisziplinen sollen hier somit nur in Auswahl aufgeführt werden, insbesondere wenn sie das Feld der Geschichte mit betreffen (das gilt beispielsweise für interdisziplinäre Sammelbände mit historischen Beiträgen),73 und wenn sie den historiographischen Diskurs über Freundschaft beeinflusst haben. Innerhalb der ethnologischen Literatur gilt dies vielleicht für kein Buch in solchem Maße wie für Marcel Mauss’ Die Gabe.74 Mauss’ Idee des Gabentausches 159 – 174; Michael Kaiser (Hg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit, Berlin 2003 (Zeitschrift für historische Forschung, Beihefte 32). Für das Frankreich des 16. Jahrhunderts die magistrale Arbeit von Nicolas Le Roux, La Faveur du Roi. Mignons et courtisans au temps des derniers Valois (vers 1547-vers 1589), Seyssel 2001. Zu Spanien Antonio Feros, Kingship and Favoritism in the Spain of Philipp III, 1598 – 1621, Cambridge 2000. Einen Überblick bietet J. H. Elliott/L. W. B. Brockliss (Hg.), The World of the Favourite, New Haven 1999. Des weiteren gibt es biographische Fallstudien, so H¦lÀne Duccini, Concini. Grandeur et misÀre du favori de Marie de M¦dicis, Paris 1991; David Onnekink, The Anglo-Dutch Favourite. The career of Hans Willem Bentinck, 1st Earl of Portland (1649 – 1709), Aldershot 2007 (Politics and culture in North-Western Europe 1650 – 1720); Patrick Williams, The Great Favourite. The Duke of Lerma and the court and government of Philip III of Spain, 1598 – 1621, Manchester 2006 (Studies in early modern European history). 73 So Luigi Cotteri (Hg.), Il concetto di amicizia nella storia della cultura europea/Der Begriff Freundschaft in der Geschichte der europäischen Kultur. Atti del XXII convegno internazionale di studi italo-tedeschi/Akten der XXII. internationalen Tagung deutsch-italienischer Studien, Meran 1995; mit kunsthistorischen, literaturwissenschaftlichen und historischen Perspektiven auf Mittelalter und Frühe Neuzeit Sibylle Appuhn-Radtke/Esther P. Wipfler (Hg.), Freundschaft. Motive und Bedeutungen, München 2006; Bernadette Descharmes/Eric Anton Heuser/Caroline Krüger/Thomas Loy (Hg.), Varieties of Friendship. Interdisciplinary perspectives on social relationships, Göttingen 2011 (Freunde – Gönner – Getreue 1); mit Beiträgen vor allem aus der Geschichts- und Literaturwissenschaft zur Frühen Neuzeit Daniel T. Lochman/Maritere Lûpez/Lorna Hutson (Hg.), Discourses and Representations of Friendship in Early Modern Europe, 1500 – 1700, Farnham, Surrey/Burlington, VT 2011; philosophie- und wissenschaftsgeschichtlich mit Beiträgen zu Früher Neuzeit und Moderne Jean-Charles Darmon/FranÅoise Waquet (Hg.), L’amiti¦ et les sciences. De Descartes — L¦viStrauss, Paris 2010; mit Beiträgen vor allem zum 18. und 20. Jahrhundert Natalie Binczek (Hg.), Strong ties, weak ties: Freundschaftssemantiken und Netzwerktheorie, Heidelberg 2010; interdisziplinär mit Schwerpunkt auf philosophischen und theologischen Beiträgen Gudrun Kugler/Denis Borel (Hg.), Entdeckung der Freundschaft. Von Philia bis Facebook, Freiburg 2010 [Festschrift für Christoph Kardinal Schönborn zum 65. Geburtstag]. Geschichte und Ethnologie übergreifend Georges Ravis-Giordani, Amiti¦s. Anthropologie et histoire, Aix-en-Provence 1999. Zur Literaturgeschichte und politischen Ideengeschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert Jost Hermand, Freundschaft. Geschichte einer sozialen Bindung, Köln/Weimar/Wien 2006 (Literatur – Kultur – Geschlecht. Kleine Reihe 22). 74 Marcel Mauss, Essai sur le don. Forme et raison de l’¦change dans les soci¦t¦s primitives, in: Ann¦e sociologique, S¦conde S¦rie 1 (1923 – 1924), 30 – 186; eine weitere Auflage erschien als Ders., Essai sur le don, in: Ders., Sociologie et anthropologie, Paris 31966, 145 – 279; mehrere deutsche Ausgaben, darunter Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt am Main 1990.

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ist nicht nur in den Theorieapparat der Netzwerkanalyse eingegangen, sondern ebenso in die Untersuchungen, die sich mit dem Schenken in der Frühen Neuzeit befassen.75 Daneben gibt es eine jüngere ethnologische Literatur zur Freundschaft, die für historische Forschungen deswegen anregend ist, weil sie die Problematik der Untersuchung von Freundschaft in fremden kulturellen Zusammenhängen zum Gegenstand hat.76 Dabei geht es natürlich um Kulturen, die im Raum entfernt sind, während es der Historiker mit solchen zu tun hat, die zunächst einmal in der Zeit entfernt sind (und dann vielleicht zusätzlich noch im Raum). Daraus entstehen unterschiedliche Probleme in der Forschungspraxis, die man nicht durch vorschnelle Gleichsetzungen von Geschichte und Ethnologie kleinreden sollte; dennoch bleibt das gemeinsame Problem der Fremdheit der untersuchten Kultur – und somit in unserem Fall: auch ihrer spezifischen Art von Freundschaft – bestehen. Als ein soziologischer Zentraltext zur Freundschaft kann der eingangs schon zitierte Aufsatz von Friedrich H. Tenbruck gelten.77 Die historiographische 75 Cf. hierzu Natalie Zemon Davis, The Gift in Sixteenth-Century France, Oxford 2000, auf deutsch erschienen als Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance, München 2002, sowie Valentin Groebner, Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit, Konstanz 2000; Gadi Algazi/Valentin Groebner/Bernhard Jussen (Hg.), Negotiating the Gift. Pre-Modern Figurations of Exchange, Göttingen 2003. 76 Bettina Beer, Art. »Friendship, Anthropology of«, in: International Encyclopedia of the Social and Behavioral Sciences, Amsterdam 2001, 5805 – 5808; Tilo Grätz, Tilo, Barbara Meier und Michaela Pelican: Zur sozialen Konstruktion von Freundschaft. Überlegungen zu einem vernachlässigten Thema der Sozialanthropologie, Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Halle, Working Paper Nr. 53, 2003 (unter http://www.eth.mpg.de); Martine Guichard, Hoch bewertet und oft unterschätzt: Theoretische und empirische Einblicke in Freundschaftsbeziehungen aus sozialanthropologischer Perspektive, in: Schmidt u. a. (Hg.), Freundschaft und Verwandtschaft, op. cit., 313 – 342; Günther Schlee/Fritz Trillmich, Verwandtschaft und Freundschaft im Verhältnis von biologischer, sozialer und handlungstheoretischer Rationalität, in: Schmidt u. a. (Hg.), Freundschaft und Verwandtschaft, op. cit., 369 – 394; Sandra Bell/Simon Coleman (Hg.): The Anthropology of Friendship, Oxford/New York 1999; Amit Desai/Evan Killick (Hg.), The Ways of Friendship. Anthropological perspectives, New York 2010; Agnes Brandt, Among Friends? On the Dynamics of Ma¯ori-Pa¯keha¯ relationships in Aotearoa New Zealand, Göttingen 2013 (im Druck); Dies., Identity and Belonging in Cross-cultural Friendship: Ma¯ori and Pa¯keha¯ Experiences, in: Elfriede Hermann/Wolfgang Kempf/Toon van Meijl (Hg.), Movement, Place Making and Multiple Identifications, Oxford (im Druck). Cf. auch Eric Anton Heusers abgeschlossene Freiburger Dissertation »Friendship in Java. Culture, social context and relatedness« [2011]. Zu Freundschaft und Nationalismus Danny Kaplan, The Men We Loved. Male Friendship and Nationalism in Israeli Culture, New York 2006; im Kontext des modernen Nationalismus in Ostasien Uradyn E. Bulag, Collaborative Nationalism. The Politics of Friendship on China’s Mongolian Frontier, Lanham, MD 2010. An der Grenze zwischen Ethnologie und Neurowissenschaften Daniel J. Hruschka, Friendship. Development, Ecology, and Evolution of a Relationship, Berkeley 2010. 77 Cf. Tenbruck, Freundschaft, op. cit. Cf. des weiteren Ursula Nötzoldt-Linden, Freundschaft.

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Diskussion über Freundschaft in kontroverser Weise beeinflusst hat Niklas Luhmann. Die hier vorgelegte Studie ist keine systemtheoretische Arbeit; dennoch sollen einige Texte Luhmanns hier herangezogen werden, allerdings in einer bewusst eklektischen Weise.78 In der jüngeren soziologischen Forschung hat sich insbesondere Johannes F. K. Schmidt intensiv mit dem Thema Freundschaft auseinandergesetzt;79 zu nennen ist der vom ihm mit herausgegebene interdisziplinäre Sammelband, der das Verhältnis von Freundschaft und Verwandtschaft untersucht.80 Daneben habe sich weitere jüngere soziologische Studien mit dem Thema Freundschaft beschäftigt.81 Zu nennen sind insbesondere die Arbeiten Allan Silvers, die sich dem Phänomen Freundschaft mit einer Kombination aus soziologischer und ideengeschichtlicher Methode nähern.82

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Zur Thematisierung einer vernachlässigten soziologischen Kategorie, Opladen 1994. Für einen Überblick über eine Reihe soziologischer Freundschaftstheorien Alexandra Rapsch, Soziologie der Freundschaft. Historische und gesellschaftliche Bedeutung von Homer bis heute, Stuttgart 2004. Dies betrifft insbesondere einige Texte von Luhmanns Frühwerk, so Niklas Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart 42000; ebenso Ders., Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt am Main 21994; von den späteren Werken ist insbesondere zu nennen Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 1, Frankfurt am Main 1980. Johannes F. K. Schmidt/Peter Schuster/Rudolf Stichweh/Fritz Trillmich/Martine Guichard/ Günther Schlee, Freundschaft und Verwandtschaft als Gegenstand interdisziplinärer Forschung, in: Sozialer Sinn. Zeitschrift für hermeneutische Sozialforschung 4 (2003), 3 – 36; Johannes F. K. Schmidt, Paradigm lost? Freundschaft als soziologische Kategorie, in: Ethik und Sozialwissenschaften 8 (1997), 52 – 54. Schmidt u. a., Freundschaft und Verwandtschaft, op. cit. Zu Schmidts Positionen cf. in diesem Band Frank Rexroth/Johannes F. K. Schmidt, Freundschaft und Verwandtschaft: Zur Theorie zweier Beziehungssysteme, in: ebd., 7 – 13, sowie Johannes F. K. Schmidt, Das Verhältnis von Freundschaft und Liebe im 18. Jahrhundert, in: ebd., 115 – 143. In der deutschsprachigen Soziologie etwa die Arbeiten von Janosch Schobin, Sorgende Freunde. Fragen an eine andere Lebensform, in: Mittelweg 36 20,1 (2011), 24 – 42; Ders., Sechs Farben und drei Rotationsachsen. Versuch über Verpflichtungen in Freundschaften, in: Mittelweg 36 17,3 (2008), 17 – 41; cf. auch Erika Alleweldt/Vincenz Leuschner, Freundschaften auf der Straße. Marginalisierung, Ausgrenzung und Freundschaftsbeziehungen bei jungen Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße, in: Berliner Journal für Soziologie 13 (2004), 339 – 354. Zu einem Intellektuellennetzwerk in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Max Jakob Orlich, Situationistische Intenationale: Eintritt, Austritt, Ausschluss. Zur Dialektik interpersoneller Beziehungen und Theorieproduktion einer ästhetisch-politischen Avantgarde (1957 – 1972), Bielefeld 2011. Einen einführenden Überblick über die angelsächsische Soziologie zur Freundschaft bietet Ray Pahl, Towards a more significant sociology of friendship, in: Archives europ¦ennes de sociologie 43 (2002), 410 – 423; cf. auch Ders., On Friendship, Cambridge 2000. In der frankophonen Soziologie insbesondere Claire Bidart, L’amiti¦, un lien social, Paris 1997. Ein wichtiger älterer Beitrag ist Julian Pitt-Rivers, The Kith and the Kin, in: Jack Goody (Hg.), The Character of Kinship, Cambridge 1973, 89 – 105. Allan Silver, »Two different sorts of commerce« – Friendship and Strangership in Civil Society, in: Jeff Weintraub/Krishan Kumar (Hg.), Public and Private in Thought and Practice. Perspectives on a Grand Dichotomoy, Chicago 1997, 43 – 74; Ders., Friendship and trust as moral ideas: an historical approach, in: Archives europ¦ennes de sociologie 30 (1989), 274 –

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Methode und Kontext

Mit dem Aufkommen der sozialen Netzwerke im Internet hat sich darüber hinaus auch die Medien- und Kommunikationswissenschaft des Phänomens Freundschaft angenommen.83 Auch die Politikwissenschaft hat das Thema in den Blick genommen; politische Freundschaften als Teil der informellen Seite der Politik und als Machtinstrumente weckten das Interesse der Politologen.84 In der Philosophie gibt es ebenfalls eine reichhaltige Literatur zur Freundschaft;85 da die Reflexion über Freundschaft einen der Gegenstände philosophischer Primärtexte seit Platon und Aristoteles bildet, verwundert dies nicht. Hier sollen vor allem Werke herangezogen werden, die sich mit Vorstellungen über Freundschaft in der Frühen Neuzeit befassen.86 Ein Überblick hierzu findet sich in der Gesamtdarstellung von Andreas Schinkel.87 Im philologischen Bereich haben sich Linguistik und Literaturwissenschaft mit der Freundschaft auseinandergesetzt. In der Linguistik taucht das Thema Freundschaft in Materialsammlungen auf.88 In der Literaturwissenschaft ist die

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297; Ders., Friendship and sincerity, in: Sozialer Sinn. Zeitschrift für hermeneutische Sozialforschung 4 (2003), 123 – 130. Klaus Neumann-Braun/Ulla Patricia Autenrieth (Hg.), Freundschaft und Gemeinschaft im Social Web. Bildbezogenes Handeln und Peergroup-Kommunikation auf Facebook & Co., Baden-Baden 2011 (Short-Cuts/Cross Media 2). Judith Gurr, Freundschaft und politische Macht. Freunde, Gönner, Getreue Margaret Thatchers und Tony Blairs, Göttingen 2011 (Freunde – Gönner – Getreue 4); Vincenz Leuschner, Politische Freundschaften. Informelle Beziehungen im Deutschen Bundestag, Berlin 2011. Zu Freundschaft in der politischen Philosophie John von Heyking/Richard Avramenko (Hg.), Friendship and Politics. Essays in Political Thought, Notre Dame, IN 2008. Monographisch jüngst Jan Szaif, Freundschaft und Moral. Über Freundschaft als Thema der philosophischen Ethik, Bonn 2005; Arno Böhler, Singularitäten: vom zu-reichenden Grund der Zeit. Vorspiel einer Philosophie der Freundschaft, Wien 2005. Zu Thomas von Aquin Daniel Schwartz, Aquinas on Friendship, Oxford/New York 2007. Zum spätmittelalterlichen Italien Annalisa Ceron, L’amicizia civile e gli amici del principe. Lo spazio politico dell’amicizia nel pensiero del Quattrocento, Macerata 2011. Auch die französische Postmoderne hatte die Freundschaft thematisiert; dazu Charles J. Stivale, Gilles Deleuze’s ABCs. The Folds of Friendship, Baltimore 2008, sowie Erik M. Vogt/Hugh J. Silverman/Serge Trottein, Derrida und die Politiken der Freundschaft, Wien 2003. Antike und neuzeitliche Philosophie vergleichend GaÚlle Fiasse, L’autre et l’amiti¦ chez Aristote et Paul Ricœur, Louvain-la-Neuve 2006 (BibliothÀque philosophique de Louvain 69). Eine Philosophie der Freundschaft haben formuliert Harald Lemke, Freundschaft. Ein philosophischer Essay, Darmstadt 2000, und jüngst Konrad Utz, Freundschaft. Eine philosophische Theorie, Paderborn 2012. Cf des weiteren Bennett W. Helm, Love, Friendship, and the Self. Intimacy, Identification, and the Social Nature of Persons, Oxford 2010. Cf. jüngst Tanja Zeeb, Die Dynamik der Freundschaft. Eine philosophische Untersuchung der Konzeptionen Montaignes, La Rochefoucaulds, Chamforts und Foucaults, Göttingen 2011 (Freunde – Gönner – Getreue 2). Cf. auch Marc D. Schachter, Voluntary Servitude and the Erotics of Friendship. From Classical Antiquity to Early Modern France, Aldershot 2008. Cf. für die Antike Schinkel, Freundschaft, op. cit., 155 – 206; für das Mittelalter ebd., 207 – 237; für die Renaissance ebd., 238 – 281; und für die Aufklärung ebd., 282 – 347. So Sergio Zazzera, Proverbi e modi di dire napoletani. La saggezza popolare partenopea nelle

Forschungsstand

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Situation ähnlich wie in der Philosophie. Auch hier ist Freundschaft Thema des wissenschaftlichen Diskurses, weil Primärtexte implizit oder explizit von Freundschaft handeln.89 Natürlich sind auch die Werke zu Freundschaften zwischen Dichtern Legion. Sie sind für unsere Fragen eher weniger ergiebig, da ihre beiden Hauptaspekte meistens die Verschränkung der Biographien der jeweiligen Dichter und die eventuellen gegenseitigen Einflüsse auf die Werke sind; und auch da, wo die untersuchten Freunde keine Dichter sind, steht für gewöhnlich die Frage im Hintergrund, wie sie das Werk des Schriftstellers beeinflusst haben.90 Gleiches gilt für Werke, die Freundschaften zwischen Philoespressioni pi¾ tipiche sul culto della famiglia e dell’ospitalit—, sull’amicizia, sull’amore, sul lavoro, sulla religione e la superstizione, Rom 1996 (Quest’Italia 230). 89 Zur mittelhochdeutschen Literatur Caroline Krüger, Freundschaft in der höfischen Epik um 1200. Diskurse von Nahbeziehungen, Berlin/New York 2011. Mit germanistischen Beiträgen in italienischer und deutscher Sprache Anna Fattori/Leonardo Tofi (Hg.), Fidus achates. L’amicizia nella cultura europea, Perugia 2009 [Festschrift für Lia Secci]; zur italienischen Literatur des Mittelalters Anna Fontes Baratto (Hg.), Ecritures et pratiques de l’amiti¦ dans l’Italie m¦di¦vale, Paris 2010 (Arzan—. Cahiers de litt¦rature m¦di¦vale italienne 13). Mit Beiträgen vor allem aus der Latinistik sowie der mittel- und neulateinischen Philologie Perrine Galland-Hallyn (Hg.), La soci¦t¦ des amis — Rome et dans la literature medievale et humaniste, Turnhout 2008. In der vergleichenden Literaturwissenschaft Alexandra Pfleger, Der erinnerte Freund. Das Thema der Freundschaft in der Gegenwartsliteratur, Würzburg 2009 (Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft 47). Zur Ideengeschichte der Freundschaft in der Moderne zuletzt Elke Siegel, Entfernte Freunde. Nietzsche, Freud, Kafka und die Freundschaft der Moderne, Würzburg 2009; Catrin Kersten, Orte der Freundschaft. Niklas Luhmann und »Das Meer in mir«, Berlin 2008. Zur englischen Literatur des späten 18. Jahrhunderts Felicity James, Charles Lamb, Coleridge and Wordsworth. Reading Friendship in the 1790s, Basingstoke/New York 2008. Thematische Untersuchungen zum Motiv der Freundschaft in der amerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts versammelt John T. Lysaker/William Rossi (Hg.), Emerson and Thoreau. Figures of Friendship, Bloomington, IN 2010. Zu britischen Schriftstellerinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Catherine Clay, British Women Writers, 1914 – 1945. Professional Work and Friendship, Aldershot/Burlington, VT 2006. Zur amerikanischen Nachkriegslyrik Andrew Epstein, Beautiful Enemies. Friendship and Postwar American Poetry, Oxford/New York 2006. 90 Eine Sammlung von Fallstudien über Freundespaare unter Dichtern und Philosophen ist Thomas Jung/Stefan Müller-Doohm (Hg.), Prekäre Freundschaften. Über geistige Nähe und Distanz, München/Paderborn 2011. Zu Dichterfreundschaften Rüdiger Safranski, Goethe und Schiller : Geschichte einer Freundschaft, München 2009; Erdmut Wizisla, Benjamin und Brecht. Die Geschichte einer Freundschaft, Frankfurt am Main 2004 (Suhrkamp-Taschenbuch 3454); Paul Michael Lützeler (Hg.), Freundschaft im Exil. Thomas Mann und Hermann Broch, Frankfurt am Main 2004 (Thomas-Mann-Studien 31); Ronald Aronson, Camusartre. The story of a friendship and the quarrel that ended it, Chicago 2004; Harald Emeis, Reflets litt¦raires d’une amiti¦: Andr¦ Gide dans »Les Thibault« de Roger Martin du Gard. Essai de d¦cryptage, Paris 2007; Roger Dadoun, Contre la haine. L’amiti¦ Hermann Hesse-Romain Rolland, Marseille 2002; Pierre-Marie H¦ron, Genet et Cocteau. Traces d’une amiti¦ litt¦raire, Paris 2002 (Cahiers Jean Cocteau. Nouvelle s¦rie 1). Zu den erwähnten Studien zu Dichtern und ihrem Umkreis zuletzt Ulf Diederichs, Agnes Miegel, Lulu von Strauß und Torney und das Haus Diederichs. Die Geschichte einer lebenslangen Freundschaft, Bad Nenndorf 2005; Mark Perry, Grant and Twain. The story of a friendship that changed America, New York

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Methode und Kontext

sophen, Komponisten, Künstlern und Intellektuellen untersuchen.91 Bei diesen Werken dominiert zwar die Literatur seit der Sattelzeit, einige nehmen aber auch frühneuzeitliche Dichter in den Blick.92 Interessant für den hier verfolgten Ansatz sind aber vor allem konzeptuelle Werke.93 Sie stehen in Bezug zur hier verfolgten Methode, der wir uns im folgenden Kapitel zuwenden.

I.2.

Methode

Ziel dieser Untersuchung ist es, die Rolle der Freundschaft in der höfischen Gesellschaft zu untersuchen. Wie ausgeführt, soll Freundschaft dabei als eine Beziehung verstanden werden, die durch eine spezifische kulturelle Praxis gekennzeichnet ist, die mit spezifischen Diskursen über Freundschaft untrennbar verwoben ist. Freundschaft ist im Sinne der ethnologischen Terminologie eine »emische« Kategorie, d. h. eine Kategorie, die innerhalb der untersuchten Kultur eine bestimmte Bedeutung hat (was wir aus der Häufigkeit des Quellenbegriffs ableiten dürfen: spielte Freundschaft im vormodernen Europa keine Rolle, wäre nicht andauernd die Rede von ihr). Dabei ist damit zu rechnen, dass die Eigenschaften und Grenzen der frühneuzeitlichen Kategorie andere sind als diejenigen der gleichnamigen Kategorie »Freundschaft« in unserer eigenen Kultur. Die Homonymie beider Kategorien ist trügerisch und verleitet viel mehr als in der ethnologischen Forschung über räumlich entfernte Kulturen, die ihre Konzepte auch anders benennen, zu der Annahme, hinter gleichen signifiants seien auch 2004; explizit formuliert ist die Fragestellung der Wirkung des Freundes auf den Dichter schon im Titel von Richard Williamson, The impact of Franklin Pierce on Nathaniel Hawthorne. Friendship, politics, and the literary imagination, Lewiston, N.Y. 2006. 91 Zu dieser Richtung cf. zuletzt Dieter Borchmeyer, Nietzsche, Cosima, Wagner. Porträt einer Freundschaft, Frankfurt am Main/Leipzig 2008 (Insel-Taschenbücher 3363); Robin Small, Nietzsche and R¦e. A star friendship, Oxford 2005; Johannes Brahms und Klaus Groth. Die Biografie einer Freundschaft, Heide 2007; Ingeborg Bachmann/Hans Werner Henze, Briefe einer Freundschaft, hg. von Hans Höller, München/Zürich 2004; Anne T. Woollett/Ariane van Suchtelen (Hg.), Rubens & Brueghel – a working friendship, Los Angeles 2006. Es gibt auch Studien über den natur- und verhaltenswissenschaftlichen Bereich, so Arthur L. Miller, Deciphering the cosmic number. The strange friendship of Wolfgang Pauli and Carl Jung, New York/London 2009. 92 Siobh‚n Donovan, Der christliche Publizist und sein Glaubensphilosoph. Zur Freundschaft zwischen Matthias Claudius und Friedrich Heinrich Jacobi, Würzburg 2004 (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft 340). 93 So Klaus Manger (Hg.), Rituale der Freundschaft, Heidelberg 2006; Tom MacFaul, Male friendship in Shakespeare and his contemporaries, Cambridge 2007; Carolyn W. de la L. Oulton, Romantic friendship in Victorian literature, Aldershot 2007. Zur empfindsamen Freundschaft Ute Pott (Hg.), Das Jahrhundert der Freundschaft. Johann Wilhelm Ludwig Gleim und seine Zeitgenossen, Göttingen 2004 (Schriften des Gleimhauses Halberstadt 3).

Methode

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gleiche signifi¦s zu vermuten. Bei der Patronage stellt sich dieses Problem nicht: zumindest in der Sprache des französischen Adels des 17. Jahrhunderts gibt es das Konzept so, wie es heute analytisch verwendet wird, nicht; der Begriff des Klientelismus hat ohnehin seinen Ursprung im 20. Jahrhundert.94 Das Abstraktum »Patronage«95 haben wir in den hier untersuchten Quellen nicht ge-

94 Alain Rey (Hg.), Le Grand Robert de la langue franÅaise, Paris 21989, hat noch keinen Eintrag für »client¦lisme«, sondern beschränkt sich auf »client« und »clientÀle«. Gleiches gilt für Paul Imbs (Hg.), Tr¦sor de la langue franÅaise, 16 Bde., Paris 1971 – 1994. Das Wort scheint somit erst Anfang der neunziger Jahre Eingang in französische Wörterbücher gefunden zu haben. Alain Rey (Hg.), Dictionnaire historique de la langue franÅaise, Bd. 1, Paris 1992, 433, gibt am Ende des Eintrags »client, cliente« zuerst Erklärungen zum Begriff der »clientÀle«, und schließt dann: »De l— client¦lisme n. m. (mil. XXe s.), mot p¦joratif pour ›pratiques politiques de relations personnelles int¦ress¦es‹.« Josette Rey-Debove/Alain Rey (Hg.), Le nouveau Petit Robert. Dictionnaire alphab¦tique et analogique de la langue franÅaise, Paris 21996, 390, gibt als Datum des ersten Auftretens des Wortes »client¦lisme« das Jahr 1972 an; im Gegensatz zu den vorherigen Wörterbüchern widmet es dem Wort »client¦lisme« einen eigenen Eintrag, anstatt es nur als Ableitung im Kontext eines anderen Eintrages zu erwähnen: »Pour un homme ou un parti politique, Fait de chercher — ¦largir son influence par des proc¦d¦s d¦magogiques d’attribution de privilÀges. ›l’abus du client¦lisme politique, voire du n¦potisme‹ (Le Monde, 1987).« Der Begriff hat also eine stark pejorative Konnotation, und es ist charakteristisch, dass ihn die Wörterbücher nicht als sozialwissenschaftlichen Analysebegriff erwähnen. 95 Der Begriff existiert im Französischen des 17. Jahrhunderts sehr wohl, hat aber umfangreichere Bedeutungen als der deutsche Begriff »Patronage«, der ja im übrigen auch im heutigen Französisch nicht wortgleich, sondern eben mit »client¦lisme« zu übersetzen ist. Rey (Hg.), Dictionnaire historique de la langue franÅaise, op. cit., 1453, notiert unter dem Artikel »patron, onne«: »Patron a produit quelques d¦rives : le plus ancien est patronage n. m., sous diverses formes, patrounage (1270), puis patronaje (fin XIIIe s.) et patronaige (fin XIVe s.). D’abord employ¦ comme terme de droit eccl¦siastique, il d¦signe sp¦cialement, en r¦f¦rence — l’Antiquit¦ romaine, l’ensemble des rapports qui lient les ›patrons‹ au ›clients‹ et aux esclaves affranchis (fin XIIIe s.). Depuis le d¦but du XIVe s., patronage est employ¦ au sens g¦n¦ral de ›protection‹ et, par une m¦tonymie ult¦rieure, il d¦signe l’organisation religieuse qui reÅoit les jeunes pendant leurs loisirs et leur propose des activit¦s distrayantes (1879); il est alors familiÀrement abr¦g¦ en patro n. m. (1935). Depuis 1825, patronage d¦signe ¦galement la protection d’une divinit¦, en particulier (1836) celle d’un saint.« Imbs (Hg.), Tr¦sor de la langue franÅaise, op. cit., Bd. 12, Paris 1986, 1197, notiert: »Êtymol. et Hist. 1. 1270 dr. eccl. patrounage (Liv. noir, ms. P¦rigueux, f o 2 b ds Gdf. Compl.); 2. a) fin xiiies. patronaje « protection du patron sur le client » (G. de Lengr., Instit. de Justice, ms. Saint-Omer, fo 31 b, ibid.), puis 1762 (Encyclop. t.12); b) d¦b. xives. [date ms.] patronaige « protection » (Partenopeus de Blois, ¦d. J. Gildea, 5725 var.); 1790 (Moniteur universel, III, 54 : … le comit¦ assurera — la Soci¦t¦, autant qu’il sera possible, le droit de patronage sur ceux [des enfants nÀgres libres] qui seront ainsi mis en apprentissage ou en service) ; 1859 nom donn¦ — diverses associations de bienfaisance (Goncourt, Journal, p.638 : une de ces soci¦t¦s de patronage religieux) ; 1859 (Bouillet : la Soci¦t¦ de patronage pour les jeunes lib¦r¦s) ; sp¦c. 1879 « organisation destin¦e — recevoir des jeunes — leurs heures de libert¦ » (Huysmans, Soeurs Vatard, p.328 : Elle m’a demand¦ pourquoi je n’¦tais pas all¦e dimanche au patronage) ; c) 1825 « protection d’une divinit¦ » (Brillat-Sav., Physiol. go˜t, p.171) ; 1836 « protection d’un saint » (Montalembert, Ste Êlisabeth, p.17). D¦r. de patron1* ; suff. -age*.«

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funden, wohingegen diese Quellen nicht nur personenbezogen von den »amis«, sondern auch abstrakt von »amiti¦« sprechen. Auf der anderen Seite entsprechen den sozialwissenschaftlichen Kategorien »Patron« und »Klient« im frühneuzeitlichen französischen Adel eine Vielzahl unterschiedlicher Bezeichnungen wie »protecteur«, »ma„tre«, »seigneur« einerseits, »cr¦ature« und »serviteur« andererseits. Doch damit nicht genug: auch viele »amis« sind im Sinne des Patronagekonzepts Patrone oder Klienten. Die analytische Kategorie Patronage vereint also eine Reihe von Beziehungen anhand bestimmter Merkmale (vor allem der Asymmetrie des Gabentausches); sie liegt dabei quer zu den zeitgenössischen Repräsentationen, indem sie verschiedene emische Kategorien und Teile von emischen Kategorien zusammenfasst und Gemeinsamkeiten verdeutlicht, die in den zeitgenössischen Repräsentationen nicht aufscheinen. Patronage ist im Sinne der Ethnologie eine »etische« Kategorie, d. h. eine vom Forscher entwickelte Analysekategorie, die von den emischen Kategorien nicht ausgedrückte Zusammenhänge zu veranschaulichen vermag.96 Es kann nun nicht darum gehen, die beiden Arten von Kategorien gegeneinander auszuspielen; sie sind vielmehr komplementäre Untersuchungswege für dieselben Phänomene. Dass in der vorliegenden Untersuchung die emische Freundschaft und nicht die etische Patronage im Vordergrund steht, ist schlicht dem Forschungsstand geschuldet: die etische Perspektive auf interpersonale Beziehungen ist in der Geschichtswissenschaft (und insbesondere in der Geschichte der Frühen Neuzeit) bereits gründlich untersucht worden, während Untersuchungen, die im emischen Modus arbeiten, noch rar sind.97 96 Die Notwendigkeit, bei der Untersuchung von Sozialbeziehungen die emischen Kategorien nicht außen vor zu lassen, hat Maurice Godelier hinsichtlich der Analyse der Verwandtschaft unterstrichen: »Analyser et interpr¦ter le domaine et l’exercice de la parent¦ dans les soci¦t¦s contemporaines n’est ¦videmment pas seulement une affaire de th¦ories et de partis — prendre entre les diff¦rentes hypothÀses et doctrines avanc¦es par tel ou tel anthropologue pour en rendre compte. Il faut aussi avoir mis soi-mÞme la main — la p–te et r¦alis¦, en la matiÀre, une enquÞte syst¦matique sur les rapports et les repr¦sentations de la parent¦ au sein d’une soci¦t¦ r¦elle. L’obligation vaut aussi bien pour les anthropologues que pour les sociologues et autres sp¦cialistes des sciences sociales concern¦es par l’¦tude des soci¦t¦s contemporaines.« Maurice Godelier, M¦tamorphoses de la parent¦, Paris 2004, 33. 97 Das Begriffspaar »emisch« und »etisch« muss an dieser Stelle erörtert werden. Es handelt sich um ethnologische Kategorien, die aber unter in Anlehnung an die strukturalistische Linguistik entstanden sind. Im Kontext der strukturalistischen Linguistik untersucht die Phonetik die Eigenschaften der Laute unabhängig von ihrer Bedeutung in einer bestimmten Sprache, während die Phonemik sie in ihrer Eigenart als Phoneme untersucht, d. h. als Elemente im Lautsystem einer gegebenen Sprache. Lässt man die Silbe »Phon-« weg, erhält man die beiden Begriffe »emisch« und »etisch«. Sie wurden gebildet, um die Übertragung dieser linguistischen Unterscheidung auf die Ethnologie zu ermöglichen. Somit benutzt der Forscher, wenn er sich im etischen Modus ausdrückt, Kategorien, die der wissenschaftlichen Analysesprache eigen sind, und die unabhängig sind von der untersuchten Kultur. Wenn er

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Man kann sich fragen, warum ein Thema wie Freundschaft im frühneuzeitlichen Adel am höfischen französischen Hochadel des 17. Jahrhunderts und nicht an einem anderen Beispiel untersucht wird. Dazu lässt sich – neben der guten Quellenlage – anführen, dass das Frankreich des grand siÀcle nun einmal das paradigmatische Beispiel der höfischen Gesellschaft ist, und zwar aus zwei Gründen, die miteinander zusammenhängen. Inhaltlich kommt die höfische Gesellschaft kaum anderswo in Europa in so extremer Form vor wie in Frankreich. Die Konkurrenzlosigkeit des königlichen Hofes in räumlicher wie in institutioneller Hinsicht ist hier einzigartig, die intensive kulturelle Produktion und die ausgreifende Großmachtpolitik verstärken die Bedeutung dieser speziellen Gesellschaft an diesem Ort und zu dieser Zeit. Diese inhaltlichen Faktoren führten dazu (und wurden dadurch selbst intensiver erforscht und beleuchtet), dass die Forschung zur höfischen Gesellschaft um das Frankreich des Sonnenkönigs nicht herumkam. Diese Tradition hebt im 18. Jahrhundert mit Voltaire an;98 aber auch die Untersuchungen von Norbert Elias haben Frankreich zum Gegenstand, ebenso wie Mousnier, Kettering und Neuschel. Nun ist eine historiographische Tradition per se kein Argument für ihre eigene Fortsetzung. Die Quellenlage und die genannten inhaltlichen Gründe lassen jedoch für das hier behandelte Thema das französische Beispiel geeignet erscheinen. Die vorliegende Untersuchung ist also weder eine Einzelbiographie über den Prinzen von Cond¦ noch eine Gruppenbiographie über seine Freunde; sie ist auch keine Inventarisierung seines Netzwerks. Es sollen keine bestimmten einzelnen Freundschaften lediglich um ihrer selbst willen untersucht werden; des weiteren soll auch vermieden werden, bei der Beschreibung solcher Freundschaften die normative Frage zu stellen, ob es sich denn um »echte« Freundschaften gehandelt habe. Abgesehen von der Frage, wie sehr ein solches Werturteil über »echte« Freundschaften von ganz persönlichen Wertvorstellungen des Historikers geprägt wäre, stellt sich hier noch ein anderes Problem, nämlich das des Anachronismus. Frühneuzeitliche Freundschaften an heutigen Leitvorstellungen zu messen, heißt implizit die überzeitliche Gültigkeit dieser Leitvorstellungen sich hingegen im emischen Modus ausdrückt, benutzt und beschreibt er Kategorien, die in der untersuchten Kultur selbst im Gebrauch sind und von seinen Informanten verwendet werden, cf. Florian Coulmas, Die Kultur Japans. Tradition und Moderne, München 2005, 18 – 21. 98 Voltaire, Le siÀcle de Louis XIV, Neuauflage Paris [o. J., ca. 1930], 1, führt aus, dass »quiconque pense, et, ce qui est encore plus rare, quiconque a du go˜t, ne compte que quatre siÀcles dans l’histoire du monde. Ces quatre –ges heureux sont ceux o¾ les arts ont ¦t¦ perfectionn¦s, et qui, servant d’¦poque — la grandeur de l’esprit humain, sont l’exemple de la post¦rit¦.« Voltaire zufolge sind diese vier Zeitalter das klassische Griechenland, das Rom von Cäsar und Augustus, das Florenz der Medici und schließlich das Zeitalter Ludwigs XIV., cf. ebd., 1 – 2.

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voraussetzen. Das aber heißt negieren, dass die eigenen Wertvorstellungen auch ihren historischen Ort haben. Eine solche Betrachtungsweise sagt letzten Endes nur über die heutigen Wertvorstellungen etwas aus, aber weder über deren Entstehungsgeschichte noch über Freundschaft in der Epoche, die als Untersuchungsgegenstand gewählt wird. Nun könnte man einwenden, das Problem, dass die Analyse auf persönliche Werturteile zurückgreift, ließe sich umgehen, wenn soziologische Freundschaftsmodelle angewandt würden. Das Problem des Anachronismus, so lässt sich entgegnen, bleibt damit aber gegenwärtig. Soziologische Modelle der Freundschaft gehen von Freundschaften in Gegenwartsgesellschaften aus; wendet man sie unmodifiziert auf die Frühe Neuzeit an, läuft man Gefahr, Spezifika der frühneuzeitlichen Freundschaft nicht zu erfassen. Beide genannten Vorgehensweisen haben eines gemeinsam: sie sind deduktiv. Einmal erfolgt die Deduktion von normativen Vorstellungen über Freundschaft aus, das andere Mal von sozialwissenschaftlichen Modellen über interpersonale Beziehungen. Es soll hier vorgeschlagen werden, den Blickwinkel umzukehren und induktiv vorzugehen. Zwar kann auch diese Herangehensweise den Gegenstand nicht voraussetzungslos betrachten; sie kommt aber mit weniger Vorannahmen aus als die Deduktion. Allerdings wirft die Induktion eine neue Problematik auf, nämlich die der Gegenstandskonstitution. Die beiden genannten deduktiven Vorgehensweisen konstituieren den Gegenstand entweder als das, was normativen Freundschaftsvorstellungen entspricht (respektive ihnen fälschlicherweise zu entsprechen vorgibt und daher als falsche Freundschaft entlarvt werden muss), oder als das, was innerhalb eines sozialwissenschaftlichen Modells interpersonaler Beziehungen »Freundschaft« heißt (wobei Freundschaft dann oft als ein Beziehungstyp innerhalb eines Systems von verschiedenen Beziehungstypen dargestellt wird, die sich gegenseitig ausschließen, wie Freundschaft, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Patronage99). Induktion riskiert dagegen, ohne methodisches Raster wahllos einzelne Sozialbeziehungen als Beispiele heranzuziehen und sie dann als »Freundschaft« zu etikettieren. Dieser Gefahr kann in manchen Fällen durch eine sehr einfache Technik vorgebeugt werden, nämlich durch die semantische Vorgehensweise, mit anderen Worten das Ausgehen vom Quellenbegriff. Im Falle der hier behandelten frühneuzeitlichen französischen Texte ist das möglich, weil der Begriff »amiti¦« in diesen Quellen sehr häufig ist. Dies macht zwar die Zusatzhypothese notwendig, dass für die Zeitgenossen eine 99 So verwendet Reinhard, Freunde und Kreaturen, op. cit., 35 – 39, ein Analyseraster, das aus vier Typen von Sozialbeziehungen besteht (Reinhard sagt explizit, dass es sich um eine bewusste Wahl handelt; er will somit nicht behaupten, dass sich alle überhaupt möglichen Sozialbeziehungen unter diese vier subsummieren ließen). Bei den vier Sozialbeziehungen handelt es sich um Verwandtschaft, Landsmannschaft, Freundschaft und Patronage.

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Einheit des Phänomens »Freundschaft« gegeben war – da dies aber in den alternativen Ansätzen implizit ebenfalls vorausgesetzt wird, darf dies angenommen werden. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass auch die Zeitgenossen zwischen eigentlichem und metaphorischem Gebrauch des Begriffs unterschieden; das darf aber nicht zum Umkehrschluss führen, jede Sozialbeziehung, die nicht unter die Reichweite des heutigen Freundschaftsbegriffs fällt, als uneigentliche Freundschaft abzutun, also als eine Beziehung, die die Zeitgenossen zwar als Freundschaft bezeichnet hätten, dabei aber gewusst hätten, dass es nicht »wirklich« Freundschaft war, sondern ein Patronageverhältnis oder ein Zweckbündnis. Eine solche Argumentation ist nicht nur ohne Quellengrundlage, da man nicht wissen kann, was die Zeitgenossen dachten, wenn sie sprachen, und ob sie womöglich etwas ganz anderes meinten als sie sagten; sondern sie ist auch anachronistisch, weil sie selbstverständlich voraussetzt, dass Freundschaft nicht der historischen Wandlung unterliegt, sondern dass die wahre Freundschaft immer gleich bleibt. Das aber lässt sich nicht halten: wir müssen damit rechnen, dass für eine andere Epoche Freundschaft etwas anderes bedeutet als für unsere eigene. Damit soll keineswegs gesagt werden, dass das so abgesteckte Feld innerhalb der untersuchten Gesellschaft völlig homogen sei, konkret also dass alle in unseren Quellen als »amiti¦« bezeichneten Sozialbeziehungen gleichartig seien. Die Orientierung am Quellenbegriff »amiti¦« hat den Vorteil, dass sie ein tertium comparationis zwischen vormoderner und moderner Freundschaft liefert. Zumindest die Existenz des Wortes (und seine Kontinuität von der Frühen Neuzeit bis heute) kann hieb- und stichfest – nämlich durch Textstellen – belegt werden. Dabei ist, um mit Reinhart Koselleck zu sprechen, das Wort zwar gleich geblieben, der Begriff hat sich dagegen geändert.100 Linguistisch gesprochen, ist die Gestalt des signifiant gleichgeblieben, dessen signifi¦ sich aber gewandelt hat.101

100 In Diskussionen unter Historikern wird die von Koselleck kreierte Dichotomie oft so benutzt, dass der Sinngehalt eines »Wortes« als der »Begriff« bezeichnet wird. Kosellecks Terminologie bezieht sich zwar auf Saussure linguistische Terminologie, ist aber nicht eine bloße Reformulierung derselben. Somit ist das »Wort« nicht gleichbedeutend mit dem Signifikanten (signifiant) und der »Begriff« nicht gleichbedeutend mit dem Signifikat (signifi¦). Für Koselleck ist jeder Begriff ein Wort, aber nicht jedes Wort ein Begriff. Als Begriffe bezeichnet er jene Wörter, die besonders reich an Bedeutungen sind, wie beispielsweise »Staat«. Sein großes Überblickswerk untersucht die Begriffe des politischsozialen Feldes. Aus pragmatischen Gründen verzichtet Koselleck darauf, die von Saussure benutzte Dichotomie von signifiant und signifi¦ zu verwenden, cf. Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, op. cit., Bd. 1, Stuttgart 1972, XXII – XXIII. 101 Diese Unterscheidung der beiden Seiten des sprachlichen Zeichens wird in die Debatte

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Essentialistische Zuschreibungen, also Behauptungen, dass das »eigentliche Wesen« eines Phänomens unveränderlich sei, behindern eine historische Semantik – die aber unerlässlich ist, wenn man mit abstrakten Begriffen wie demjenigen der Freundschaft arbeitet. Wenn man mit solche Begriffen historisch untersuchen will, muss man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Konzepte wie »Freundschaft« historischen Wandlungen unterliegen. Wenn man dann in einem zweiten Schritt behauptet, die Wandelbarkeit beziehe sich nur auf den Begriff, das Phänomen aber sei unter wechselnden Namen eben doch überzeitlich, so ist diese Annahme essentialistisch. Sie hat zwei methodische Hauptprobleme: zum einen ist sie zirkulär – die überzeitliche Existenz des Phänomens wird vorausgesetzt, und man sucht dann gezielt nach Belegen, mit denen diese überzeitliche Existenz wiederum »bewiesen« wird; zum anderen macht sie die Überprüfung schwierig, denn es ist ja nicht klar, an welchen Kriterien das Vorhandensein von Freundschaft dann festgemacht werden soll. Der Essentialismus führt dazu, dass das heutige Konzept von Freundschaft anachronistisch rückverlängert wird und frühere Konzepte abgewertet werden; sie erscheinen dann entweder als primitiv, als Freundschaften »unzivilisierter« Menschen, oder aber als heuchlerische und dekadente Perversionen der echten Freundschaft; für die Freundschaften der höfischen Gesellschaft wäre die letztere Sichtweise verlockend. Eine solche Herangehensweise würde für die hier verfolgte Fragestellung mehr verstellen, als sie erklären würde. Eine Untersuchung, die sich auf den Quellenbegriff stützt, muss sich auch dem Sprachenproblem stellen; denn der Quellenbegriff kommt immer nur als einzelsprachlicher Quellenbegriff vor. Wenn hier die Untersuchung an französischsprachigen Texten vorgenommen wird, so sind die Resultate selbstverständlich nicht ungeprüft auf andere Sprachräume im frühneuzeitlichen Europa übertragbar. Das Frühneuhochdeutsche verwendet friuntschaft anders als das Frühneufranzösische amiti¦.102 Da der Analysegegenstand sich aber nur auf das frühneuzeitliche Frankreich bezieht, entsteht an dieser Stelle kein Übersetzungsproblem. Das gilt auch für die lateinischen Texte, die herangezogen werden: es darf damit gerechnet werden, dass französische Autoren, wenn sie in lateinischer Sprache schreiben, amicitia als direkte Übersetzung von amiti¦ verwenden. Was die Forschungsliteratur angeht, so können französischsprachige und deutschsprachige Werke gleichermaßen herangezogen werden: Klaus Oschema hat darauf hingewiesen, dass die in der Frühen Neuzeit noch unterschiedlich besetzten Begriffe »Freundschaft« und »amiti¦« in der Moderne zur eingeführt durch Ferdinand de Saussure, Cours de Linguistique g¦n¦rale, hg. von Tullio de Mauro, Paris 1972, 97 – 103. 102 Die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen Begriff im Spätmittelalter werden diskutiert bei Klaus Oschema, Einführung, in: Ders. (Hg.), Freundschaft oder ›amiti¦‹?. op. cit., 7 – 21, hier 14.

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Deckung gelangen.103 In der Analysesprache ist also eine Übersetzung von »amiti¦« mit »Freundschaft« und vice versa kein faux ami. Diese Überlegungen zur Begriffsgeschichte sollen aber nicht heißen, dass hier eine reine Begriffsgeschichte der Freundschaft versucht werden sollte. Ergebnis der hier vorgenommenen Untersuchung soll es nicht einfach sein, zwei Definitionen von Freundschaft – eine frühneuzeitliche und eine heutige – einander gegenüberzustellen. Dies hat zwei Gründe. Zum einen wäre mit einer solchen Beschreibung einer für die frühe Neuzeit zutreffenden Definition für das Verständnis der Repräsentationen und Praktiken unter Umständen nicht viel gewonnen, da weder die einen noch die anderen Ableitungen aus einer Definition sind – die Repräsentationen entspringen verschiedenen Quellen wie dem adligen Ehrenkodex und der klassischen antiken Tradition, die Praktiken spielen sich im gesellschaftlichen Umgang ein. Zum anderen ist Freundschaft – anders als beispielsweise Lehensabhängigkeit – keine rechtliche Beziehung. Es darf daher vermutet werden, dass eine exakte und allgemeinverbindliche Definition von Freundschaft, die zudem noch allen Zeitgenossen bekannt gewesen wäre, nicht existierte – sowenig wie das in der heutigen Gesellschaft der Fall ist. Es muss also die Gefahr im Auge behalten werden, dass eine Definition, die Freundschaft mit »juristischer« Klarheit fassen wollte, eine Scheingenauigkeit darstellen könnte. Mit einer Polysemie des Wortes muss gerechnet werden – einer Polysemie, die aber beschreibbar ist. Das Wort »amiti¦« grenzt also das Feld der Untersuchung ab. Es soll hier argumentiert werden, dass diese Abgrenzung nicht willkürlich ist. Vielmehr bildet das Konzept der Freundschaft in der Vorstellungswelt (Imaginaire) der frühneuzeitlichen Adligen das einheitsstiftende Element der Vorstellungen und der Praktiken, die mit diesem Begriff regelmäßig assoziiert werden. Es ist eben diese Wiederkehr der Elemente, die zu der Aussage berechtigt, dass man es mit Strukturen zu tun hat. Wie soll man nun die Repräsentationen und die Praktiken auffinden? Repräsentationen finden sich vorwiegend in Texten, da es sich ja um versprachlichte Ideen handelt.104 Bei ihnen stellt es daher kein Problem dar, wenn sie in Form von Texten analysiert werden. Anders ist es mit den Praktiken, die ja nicht innerhalb der Texte stattfinden, sondern von denen die Texte nur berichten. Aus der Sicht der Quellenkritik muss darum natürlich auf die Frage eingegangen 103 Nach Oschema hatte der deutsche Begriff der Freundschaft im Gegensatz zum französischen der »amiti¦« noch im 19. Jahrhundert Bezüge zum Begriffsfeld der Verwandtschaft bewahrt. Oschema zufolge ist dieser Aspekt im Deutschen im Laufe des 20. Jahrhunderts verschwunden, so dass heute die Begriffe in den beiden Sprachen als einander entsprechend verwendet werden können, cf. Oschema, Freundschaft und Nähe im mittelalterlichen Burgund, op. cit., 111. 104 Bildliche Darstellungen der Freundschaft sind im Frankreich des 17. Jahrhunderts rar.

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werden, woher man wissen will, dass die Praktiken, von denen die Texte berichten, in der sozialen Praxis vorkamen und nicht der Phantasie der Autoren entsprungen sind. Hier kann man aber im Falle der Praktiken der Freundschaft mit der Wahrscheinlichkeit argumentieren: wenn eine Praxis in unterschiedlichen Texten aus der gleichen Epoche und dem gleichen Milieu erwähnt wird, möglichst noch in Geschichten, an denen unterschiedliche Persönlichkeiten beteiligt sind, dann darf man daraus schließen, dass diese Praxis gängig war. Selbst wenn einige der berichteten Stellen auf Irrtümern oder bewussten Manipulationen der Autoren beruhen sollten: ein solcher Nachweis würde doch nur aussagen, dass die betreffende Praxis an jenem bestimmten Tag zwischen genau diesen Personen nicht stattgefunden hat, nicht aber, dass sie nicht üblich gewesen wäre. Dass hier die Freundschaftsdienste mit untersucht werden, soll nicht heißen, dass ein konkurrierender Ansatz benutzt würde, bei dem Freundschaft dann doch wieder vorab definiert würde, nämlich als symmetrische Austauschbeziehung, also als eine Beziehung, in der zwei gleichrangige Partner gleichwertige Gaben austauschen. Mit einer solchen Herangehensweise würde man in eine »funktionalistische« Logik eintreten: sobald man Freundschaft über den Gabentausch definiert, setzt man damit auch voraus, dass der Sinn der Freundschaft der Austausch von Ressourcen ist und dass die Menschen um dieses Austauschs willen überhaupt Freunde haben. Hier werden die Freundschaftsdienste aus einer anderen Überlegung heraus in einem eigenen Abschnitt behandelt: Sie haben einerseits Anteil am Imaginaire, an den Repräsentationen: was erwartet man von einem Freund? Was soll er tun? Mit welchen Taten gegenüber den Freunden rühmt man sich, welche Taten rühmt man an den Freunden? – und andererseits haben sie Anteil an den Praktiken, denn Freundschaftsdienste zu leisten ist selbst eine Praxis. Wenn also Repräsentationen und Praktiken der Freundschaft untersucht werden sollen, stellt sich die Frage, welche Quellen einen privilegierten Zugriff auf diese Phänomene erlauben. Ohne andere Quellen auszuschließen, soll postuliert werden, dass es die Selbstzeugnisse sind, die sich hierfür besonders gut eignen. Dies hat mehrere Gründe. Zunächst erfahren wir in diesen Quellen, wen die Autoren jeweils als ihre Freunde betrachten; hat man eine solche Beziehung identifiziert, kann man untersuchen, wie sie dargestellt wird und welche Praktiken zum Einsatz kommen. Zweitens kann die Selbststilisierung der Adligen untersucht werden. Autoren schreiben sich selbst Verhaltensweisen gegenüber ihren Freunden zu; sie wollen dabei natürlich für gewöhnlich herausheben, wie treu und zuverlässig sie gegenüber ihren Freunden waren. Anders gewendet: viele Quellen orientieren vermutlich die Beschreibung des eigenen Verhaltens an demjenigen Verhalten, das vorzugsweise von einem guten Freund erwartet wird. Drittens ist es die Beschreibung der Freunde, die – entweder als Eloge auf den

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wahren oder als Klage über den falschen Freund – Aufschlüsse über Bilder des Freundes gibt. Es sind diese drei Elemente – Beschreibung der Beziehung, Selbstbeschreibung als Freund und Beschreibung des Freundes – die in Selbstzeugnissen besonders klar greifbar sind. Selbstzeugnisse sind zwar durchaus stilisierte Texte. Dennoch bieten sie besser als andere Genres Zugriff auf den Bereich wenig reflektierter Alltagskonzepte, die ungeordnet und in beiläufigen Äußerungen in diesen Texten aufscheinen. Damit leisten sie etwas, was weder die quantifizierende Mentalitätsgeschichte der Annales-Schule noch die traditionelle Ideengeschichte kann. Statistische Methoden können immer nur indirekt auf Mentalitäten schließen; es stellt sich somit immer die Frage, ob die gewählten quantitativen Daten tatsächlich geeignete Indikatoren für das untersuchte Phänomen sind. Die Ideengeschichte, die sich auf gelehrte Quellen stützt, hat hingegen das Problem, dass diese Texte weit vom Alltag entfernt sind, ihre Gegenstände oft im Rahmen philosophischer Schemata (wie der Scholastik) abhandeln oder dass sie stark kompilieren, insbesondere unter Heranziehung antiker Texte. Aus Traktaten erfährt man mithin viel über die Gelehrsamkeit der Epoche, aber wenig über die Alltagsvorstellungen der Zeitgenossen. Dennoch können über die Selbstzeugnisse hinaus auch andere Quellengattungen ergänzend herangezogen werden. Dies betrifft insbesondere historiographische Texte, Kolportageliteratur, philosophische Traktate und literarische Quellen. Historiographische Texte bieten zwar keine Selbstbeschreibungen; sie können aber ebenfalls Bilder des Freundes transportieren. Die oftmals heroisierende Geschichtsschreibung des 17. Jahrhunderts lässt sich in der Weise nutzen, dass aus ihr idealisierende Freundschaftsbilder destilliert werden können. Die Kolportageliteratur ist ebenfalls eine mögliche Quelle für Untersuchungen über Freundschaft. Im Umgang mit dieser Quellengattung ist jedoch Vorsicht geboten. Kolportageliteratur will den Skandal in Szene setzen. Sie ist daher für die Ereignisgeschichte nur in begrenztem Maße brauchbar, denn die Darstellung hat den Hang zur – umso skandalträchtigeren – Übertreibung. Die Sozialgeschichte hat in einer Reihe von Arbeiten die Verbreitung und Zirkulation der Kolportageschriften untersucht;105 ihr inhaltliches Potential ist von den 105 Zur Kolportageliteratur Laurence Fontaine, Histoire du colportage en Europe (XVe-XIXe siÀcle), Paris 1993, sowie Lise Andries, Le grand livre des secrets. Le colportage en France aux 17e et 18e siÀcles, Paris 1994. Die wichtigste Sammlung von Kolportagebüchern im frühneuzeitlichen Frankreich, die BibliothÀque bleue de Troyes, wird untersucht in Robert Mandrou, De la culture populaire aux XVIIe et XVIIIe siÀcles. La BibliothÀque bleue de Troyes, Paris 1964, sowie in GeneviÀve BollÀme, La bibliothÀque bleue. Litt¦rature populaire en France du XVIIe au XIXe siÀcle, Paris 1971 (Collection Archives 44), und in Dies., La bible bleue. Anthologie d’une litt¦rature « populaire », Paris 1975. Eine Auswahl in Dies., les

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Historikern aber bisher nicht voll ausgeschöpft worden. Für die Kulturgeschichte dagegen sind diese Quellen auch inhaltlich von großem Wert. Wie aber soll man sie lesen? Im Zentrum des Textes befindet sich der Skandal. Das Wesen des Skandals birgt Informationen über die Gesellschaft, die den Text hervorgebracht hat: wo es einen Skandal und damit eine Übertretung gibt, gibt es auch eine Norm. Anders gewendet: im Moment der Übertretung werden die Tabus besonders gut sichtbar. Damit aber der Skandal in die Augen sticht, bedarf er eines Rahmens, von dem er sich abhebt. Dieser Rahmen aber darf selbst nicht skandalös sein, damit er die unerhörte Natur des Skandals nicht schmälert. Der Rahmen muss somit dem Bereich der Normalität angehören. Wenn man Kolportagetexte also »gegen den Strich« liest, wenn man auf die kleinen Details des Hintergrundes achtet, erkennt man die Sitten und Gebräuche, die in der betreffenden Gesellschaft üblich sind. Warum aber ein so problematisches Genre benutzen? Der Grund ist, dass die Kolportageliteratur Skandale erzählt, die sich im Alltagsleben der Adligen zutragen. Memorialisten, Autobiographen und Geschichtsschreiber beschreiben dagegen meist die als wichtig erachteten Ereignisse, eben die Memoriabilia. Die Kolportageliteratur öffnet somit ein Fenster zu den Situationen des Alltags. Philosophische Texte können nicht als »normativ« dem »empirischen« Alltagsdiskurs gegenübergestellt werden – auch viele philosophische Texte machen Aussagen über die tatsächliche und nicht nur über die ideale Freundschaft; dies ist schon bei Aristoteles so.106 Wohl aber kann darauf insistiert werden, dass diese Texte systematisierend und reflexiv sind; sie transportieren also unter Umständen Freundschaftsvorstellungen, die kohärenter und komplexer als die der Alltagspraxis sind. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es einen Austausch zwischen den Sphären des Alltagslebens und der Gelehrsamkeit gibt. Philosophische Texte beeinflussen den Alltagsdiskurs, der wiederum auf contes bleus, Paris 1983. Cf. des weiteren Dies., Le peuple par ¦crit, Paris 1986, sowie Roger Chartier, Figures de la gueuserie, Paris 1982. Ein aus dem 19. Jahrhundert stammendes Werk, das Mandrou, De la culture populaire aux XVIIe et XVIIIe siÀcles, op. cit., 222, jedoch als »essentiell« einschätzt, ist Charles Nisard, Histoire des livres populaires, ou de la litt¦rature du colportage depuis l’origine de l’imprimerie jusqu’— l’¦tablissement de la commission d’examen des livres du colportage – 30 novembre 1852, Mayenne 21968 [Nachdruck der Auflage Paris 1855]. Eine spätere Epoche wird untersucht in Jean-Jacques Darmon, Le colportage de libraire en France sous le Second Empire. Grands colporteurs et culture populaire, Paris 1972. Für Deutschland im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert Gabriele Scheidt, Der Kolportagebuchhandel (1869 – 1905). Eine systemtheoretische Rekonstruktion, Stuttgart 1994. 106 Nach Aristoteles ist zwar die auf die Tugend gegründete Freundschaft die vollkommene Freundschaft, aber es existieren dennoch auch unvollkommene Formen der Freundschaft, nämlich diejenigen, die auf dem Vergnügen und auf dem Nutzen basieren. Aristoteles interessiert sich somit nicht nur für die vollkommene Freundschaft, die als Ideal vorgestellt wird, sondern auch für reale Freundschaftsbindungen mitsamt ihren Unzulänglichkeiten.

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die Abfassung neuer philosophischer Texte zurückwirkt. Dabei muss er sich nicht direkt in ihnen spiegeln, sondern kann auch als Gegenmodell dienen. Ein Beispiel komplexer Wechselwirkungen bietet Montaigne. Er nimmt Topoi aus der antiken Tradition auf und verwebt sie mit seinen persönlichen Erfahrungen. Dabei setzt er sich ausdrücklich von den »gewöhnlichen« Freundschaften ab.107 Im 17. Jahrhundert aber kann man in den Briefen – also in Dokumenten aus solchen »gewöhnlichen« Freundschaften – eine Verwendung von Montaignes Ideen nachweisen. Hier wurde also ein philosophisch-literarischer Diskurs zuerst in Absetzung vom Alltagsdiskurs entwickelt, einige Jahrzehnte später aber von anderen Personen wiederum im Alltagsdiskurs verwendet. Mit Montaigne ist bereits neben der philosophischen auch die literarische Sphäre angeschnitten. Für sie gilt hinsichtlich der Wechselwirkungen Ähnliches wie für die philosophischen Texte: Bilder und Ideen aus der literarischen Tradition gehen ebenso in die Selbstdarstellung der Adligen ein wie die Vorgänge in der höfischen Gesellschaft ihrerseits literarisch verarbeitet werden. Hinsichtlich philosophischer und literarischer Texte ist insbesondere zu untersuchen, welche wiederkehrenden Motive und Topoi in die Selbstzeugnisse eingehen und wie die Selbstdarstellung mit ausdrücklichen Bezügen auf literarische Vorbilder geschmückt wird – im 17. Jahrhundert ist dies insbesondere hinsichtlich der klassischen Antike der Fall.108 Dem skizzierten Vorgehen kann man vorwerfen, dass Aussagen verschiedener Autoren und verschiedener Genres aus mehreren Jahrzehnten miteinander vermengt werden; dadurch, so könnte man befürchten, sei die Kohärenz der Resultate in Frage gestellt. Dieser Einwand darf nicht leichtfertig beiseite gewischt werden; man kann allerdings entgegnen: wenn für Personen, die zur selben Zeit am selben Ort leben, der gleichen sozialen Schicht angehören und sich in vielen Fällen gegenseitig kennen, nicht eine gewisse Einheitlichkeit der Mentalität und der Praktiken angenommen werden darf, dann ist es überhaupt sinnlos, diese Phänomene überindividuell zu untersuchen. Es darf vielmehr davon ausgegangen werden, dass die Lektüre der gleichen 107 Montaigne grenzt im Essay über die Freundschaft explizit die vollkomme Freundschaft von den gewöhnlichen Freundschaften ab, die ihm zufolge diesen Namen nicht wirklich verdienen: »Au demeurant, ce que nous appelons ordinairement amis et amiti¦s, ce ne sont qu’accointances et familiarit¦s nou¦es par quelque occasion ou commodit¦, par le moyen de laquelle nos –mes s’entretiennent. En l’amiti¦ de quoi je parle, elles se mÞlent et confondent l’une en l’autre, d’un m¦lange si universel, qu’elles effacent, et ne retrouvent plus la couture qui les a jointes.« Michel de Montaigne, Essais, hg. von Jean C¦ard, Bd. 1, Paris 2002, 330 (I, 28, »De l’amiti¦«). 108 Die Antikenrezeption des französischen siÀcle classique ist so umfangreich, dass sie kaum zu überblicken ist; dies ist wohl der Grund, warum eine Monographie darüber bis heute Desiderat ist. Ich danke Frank-Rutger Hausmann und Jürgen Grimm für Hinweise zu diesem Thema.

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Methode und Kontext

kanonischen Texte (insbesondere aus der biblischen und griechisch-römischen Tradition), die adlige Erziehung, die Regeln adliger Ehre und die sozialen Mechanismen des Hoflebens eine vereinheitlichende Wirkung auf das Denken des französischen Adels im grand siÀcle hatten – immerhin ist insbesondere der höhere Adel ein Kosmos von einer sozialen Geschlossenheit, die in der Moderne ihresgleichen sucht.109 Diese Überlegung führt – insbesondere im Hinblick auf die Diskussion über den Begriff der Kulturgeschichte – auf die Frage nach dem Kulturbegriff, der in der vorliegenden Studie verwendet wird. Tatsächlich könnte man ja einwenden, der französische Adel sei eine Scheineinheit und zerfalle tatsächlich in unterschiedliche Milieus – Hochadel, Landadel, noblesse de robe, um nur die wichtigsten zu nennen – die zu heterogen seien, um über sie Aussagen zu machen. Dem kann man entgegenhalten, dass die genannten Milieus eben doch kulturelle Muster teilen. Ganz im Sinne neuerer Kulturtheorien110 soll Kultur hier nicht als »Container« aufgefasst werden (um eine polemische Lieblingsmetapher der ethnologischen Diskussion zu zitieren), also als geschlossener Raum; vielmehr soll Kultur prozesshaft verstanden werden. Das bedeutet dann folglich auch, dass die Kultur des französischen Adels in beiden Komponenten des Begriffs nicht scharf abgegrenzt ist; konkreter ausgedrückt: die kulturellen Muster machen zwangsläufig weder an der Standesgrenze noch an der Landesgrenze halt. Tatsächlich scheinen die hier untersuchten Verhaltensweisen und Diskurse der Freundschaft im französischen Großbürgertum ebenso verbreitet gewesen zu sein wie im Adel des restlichen West- und Mitteleuropas. Dass der französische Adel den Untersuchungsgegenstand bildet, soll nicht die Behauptung implizieren, die zutage geförderten Phänomene seien diesem Adel radikal eigentümlich und allen Außenstehenden fremd gewesen. Wenn also hier von französischer Adelskultur die Rede ist, so ist damit nicht eine Essenz gemeint, sondern die Tatsache, dass die französischen Adligen eine Reihe von Vorstellungen und Verhaltensweisen teilen; nicht mehr und nicht weniger.111 Die vorliegende Arbeit ist zwar aufgrund ihres Themas dem kulturgeschichtlichen Bereich zuzuordnen, möchte aber keine Frontstellung gegen die Politik- und die Sozialgeschichte einnehmen. Auch wenn, wie zu zeigen sein wird, statistisch-quantifizierende Verfahren sich zur Erfassung des Phänomens 109 Zur sozialen Abgeschlossenheit des Hochadels im Zeitalter von Versailles jetzt Leonhard Horowski, Die Belagerung des Thrones. Machtstrukturen und Karrieremechanismen am Hof von Frankreich 1661 – 1789, Ostfildern 2012 (Beihefte der Francia 74). 110 Für eine Übersicht über wichtige Kulturtheorien insbesondere im Hinblick auf ihren Einfluss auf die Geschichtswissenschaft Peter Burke, Was ist Kulturgeschichte?, op. cit. 111 Der Begriff der Adelskultur soll hier somit nominalistisch und nicht realistisch verstanden werden; er dient als heuristisches Werkzeug, das Phänomene in der Lebenswelt der Adligen beschreibt, und soll nicht als eine Essenz verstanden werden.

Methode

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Freundschaft nicht eignen, so kann dieses Phänomen sinnvollerweise nicht abgekoppelt von seinem Kontext untersucht werden. Das impliziert zum einen den Blick auf den politischen Kontext und damit auf den Hof sowie auf die Veränderungen der französischen Monarchie und des französischen Staates im Laufe des 17. Jahrhunderts; zum anderen impliziert es den Blick auf den sozialen Kontext, also wiederum auf den Hof als sozialen Raum und auf den Adel als gesellschaftliche Gruppe, die ein Milieu bildet, in dem standesspezifische Wertvorstellungen gelten und ein standesspezifischer Lebensstil gelebt wird. Wenn von Kulturgeschichte die Rede ist, so ist neben der Kultur auch die zweite Komponente des Begriffs zu befragen: mit welchen Recht verortet sich eine Untersuchung wie die hier vorgelegte in der Geschichtswissenschaft? Ist sie nicht eher eine philologische als eine historische Studie? Dazu sind mehrere Punkte anzumerken. Die Texte, die hier herangezogen werden, sind in ihrer großen Mehrheit expositorische, keine fiktionalen Texte. Sie sind also eingebettet in gesellschaftliche Funktionszusammenhänge. Auch wenn viele der Texte »Autofiktionen« sind,112 mithin Texte, die das eigene Leben durchaus literarisch stilisieren, so kann dennoch der Unterschied nicht eingeebnet werden, dass hier Menschen aus Fleisch und Blut agieren und nicht Romanfiguren. Mit anderen Worten: anders als die Figuren eines Racineschen Dramas etwa agieren die realen Autoren in einer Wirklichkeit, die komplex und widersprüchlich ist, während die fiktionale Welt meist geglättet, vereinfacht, schematisiert, auf bestimmte Konflikte zugeschnitten ist. Die Texte, die von den untersuchten Autoren produziert werden, haben reale Folgen für sie – die dramatischen Folgen, die die Histoire amoureuse des Gaules ihrem Autor Bussy-Rabutin eingetragen hat, mögen als ein Beispiel dienen, dass es durchaus nicht beliebig ist, wer was über wen schreibt. Ein zweiter Punkt kommt hinzu. Gerade weil die Texte oft Gebrauchstexte sind, deren Grad an literarischer Stilisierung sowohl von Autor zu Autor wie von Text zu Text variiert, fällt die hier angewandte Betrachtungsweise aus dem traditionellen Rahmen der Philologie. Drittens ist anzumerken, dass es sich zwar bei der Freundschaft im hier untersuchten Sinne vornehmlich um ein Ensemble von Ideen, Rhetoriken und Praktiken, mithin um Selbststilisierung und Kommunikation handelt; dies stellt jedoch kein Argument dar, warum dieses Thema nicht historisch oder nicht relevant für die Geschichtswissenschaft sein sollte. Historisch ist es, weil Menschen zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort auf diese Weise miteinander interagierten; und relevant für die Geschichtswissenschaft, weil 112 Zum Konzept der Autofiktion Vincent Colonna, Autofiction & autres mythomanies litt¦raires, Auch 2004; Philippe Gasparini, Est-il je? Roman autobiographique et autofiction, Paris 2004.

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Methode und Kontext

diese Form des Interagierens ein wichtiges Instrument höfischer Machtpolitik war.

I.3.

Quellen

Die vorliegende Studie basiert bewusst auf verschiedenen Formen von Quellen. Freundschaft ist kein Lebenslauf, kein datierbares Einzelereignis und kein Verwaltungsvorgang: daher hat sie auch kein Quellenkorpus, das ihr zwingend zugeordnet und klar gegen nicht relevante Quellen abgegrenzt werden könnte. Freundschaft ist darüber hinaus auch nicht quantifizierbar. Es erscheint auf den ersten Blick verlockend, Briefe auszuzählen und aus der Dichte der Interaktion auf die Intensität der Freundschaft zu schließen; man könnte dann schlussfolgern: je mehr Briefe sich zwei Personen insgesamt schreiben und je kürzer die zeitlichen Abstände zwischen den Briefen sind, desto enger sind sie befreundet. Schriftliche Interaktionsdichte ist aber kein zwingendes Produkt der Freundschaft, sondern ist bedingt einerseits durch den Grad der geographischen Nähe oder Ferne (da letztere es verhindert, mündlich zu kommunizieren), andererseits durch die Anliegen, die die Korrespondenzpartner zu besprechen haben. Die Häufigkeit der Korrespondenz ist somit kein notwendiger Indikator dafür, ob die Beziehung eng ist, und noch weniger dafür, ob es sich um Freundschaft handelt, und zwar weder im zeitgenössischen noch im heutigen Sinne. Die Quellen im Archiv von Chantilly zeigen, dass der Prinz von Cond¦ mit Personen, die in den narrativen Quellen und in der Sekundärliteratur als seine engen Freunde gelten (vor allem die sogenannten Petits-ma„tres113) oft nur wenig korrespondiert – zumindest wenn man nach dem erhaltenen Material urteilt. Dagegen gibt es umfangreiche Korrespondenzen mit Personen wie Perrault, seinem Finanzintendanten, von dem er manchmal fast täglich Post erhält; weder nach heutigen noch nach damaligen Kriterien würde man aber einen Angestellten zu den Freunden des Prinzen rechnen. Wollte man somit auf einem quantifizierenden Ansatz beharren, wäre der Preis dafür eine Definition von Freundschaft, die mit der Vorstellung der Zeitgenossen nicht mehr vereinbar wäre. Dieser Preis erscheint zu hoch. Wenn aber quantifizierende Verfahren versagen, ist ein gewisser Eklektizismus bei der Quellenanalyse naheliegend, wenn nicht unvermeidlich. Allerdings besteht, wenn man Quellen vollkommen unsystematisch heranzieht, die Gefahr, das nicht Zusammengehörige zu vermengen. Der hier gewählte Ansatz geht folgendermaßen vor. Es wird von der Person des Grand Cond¦ ausgegangen. Dieser Ansatzpunkt ermöglicht es, eine Vielzahl 113 Als petits-ma„tres wird ein Kreis von engen Jugendfreunden Cond¦s bezeichnet.

Quellen

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von Quellen aufzufinden; darunter sind archivalische Quellen, vor allem Briefe, aber auch publizierte Memoiren, historiographische Texte, Grabreden und literarische Texte. Dies bedeutet nicht, dass es darum ginge, ein Inventar von Cond¦s Freunden zu erstellen, was unserer Ansicht nach aus methodischen Gründen unmöglich ist. Allerdings ermöglicht es das Ausgehen vom Umkreis einer Person, Texte von Menschen aufzufinden, die zur gleichen Zeit, am selben Ort und im selben Milieu gelebt haben. Auch diese Vorgehensweise ergibt zwar kein Korpus, das quantifizierbare Aussagen zuließe, aber sie sichert eine inhaltliche Kohärenz der Quellen. Anders formuliert: die zeitliche, örtliche und soziale Kohärenz der Quellen dient, soweit das möglich ist, als Gegengewicht zum unvermeidlichen Eklektizismus. Die Kohärenz der Quellen ist eine von zwei Leitplanken, deren andere der Quellenbegriff »amiti¦« selbst bildet.114 Die Verwendung unterschiedlicher Genres verringert zudem die Gefahr, sich durch die Charakteristika insbesondere der Gattungen Brief und Autobiographie115 in die Irre führen zu lassen. Wo sich Pisten auftaten, die vielversprechend waren, wie im Fall von Bussy-Rabutin und Madame de S¦vign¦, wurden sie auch »weg vom Prinzen« weiterverfolgt. Die beschriebene Vorgehensweise ist ergiebiger als z. B. das Heranziehen von Selbstzeugnissen aus vielen verschiedenen Zirkeln; kennt man prosopographische Details über die Beteiligten, können ihre Zeugnisse über Freundschaft mit größerem Gewinn gelesen werden. Warum aber sollen hier die Selbstzeugnisse speziell des Hauses Cond¦ als Ausgangspunkt genommen werden? Sind die Cond¦ nicht ein Sonderfall, da sie in der gesellschaftlichen Hierarchie so weit oben stehen, dass sie nicht mehr als repräsentativ für den Adel gelten können? Dem kann entgegnet werden, dass der 114 Cf. supra, Methode. 115 Die Literatur zur Autobiographie als Genre ist immens, da die Literaturwissenschaft sich traditionell für diese Gattung sehr interessiert hat, insbesondere für die moderne Autobiographie seit Rousseau. Cf. zur Autobiographie Martina Wagner-Egelhaaf, Autobiographie, Stuttgart/Weimar 22005 (Sammlung Metzler 323); Linda Anderson, Autobiography, London 2001; Sidonie Smith/Julia Watson, Reading Autobiography. A Guide for Interpreting Life Narratives, Minneapolis 2001; Günter Niggl (Hg.), Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, Darmstadt 1989; Jürgen Lehmann, Bekennen, erzählen, berichten. Studien zu Theorie und Geschichte der Autobiographie, Tübingen 1988 (Studien zur deutschen Literatur 98); William C. Spengemann, The Forms of Autobiography. Episodes in the History of a Literary Genre, New Haven 1980. Mit Beiträgen zur Frühen Neuzeit Sabine Coelsch-Foisner (Hg.), Fiction and Autobiography. Modes and Models of Interaction, Frankfurt am Main u. a. 2006 (Salzburg Studies in English Literature and Culture 3). Spezieller zu frühneuzeitlichen Autobiographien Ronald Bedford (Hg.), Early Modern Autobiography. Theories, Genres, Practices, Ann Arbor 2006; Elizabeth Heale, Autobiography and Authorship in Renaissance Verse. Chronicles of the Self, Basingstoke 2003; Günter Niggl, Geschichte der deutschen Autobiographie im 18. Jahrhundert. Theoretische Grundlegung und literarische Entfaltung, Stuttgart 1977. Zur Theorie der Autobiographie des weiteren Philippe Lejeune, Je est un autre. L’autobiographie de la litt¦rature aux m¦dias, Paris 1980.

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Vorwurf, nicht repräsentativ zu sein, den Prinzen selber treffen könnte, nicht aber all diejenigen, die mit ihm interagieren. Von diesen darf vielmehr angenommen werden, dass sie sich auch gegenüber einem sehr hohen Adligen so verhalten, wie man sich allgemein gegenüber ranghöheren Adligen verhält. Cond¦ ist nicht der Herrscher : die Besonderheiten, die im Umgang mit gekrönten Häuptern gelten, betreffen ihn nicht. Was die Kulturformen der Freundschaft angeht, so steht im übrigen zu vermuten, dass auch Prinzen von Geblüt keine »Sonderkultur« oder »Subkultur« innerhalb des Adels bilden. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass diese hohen Adligen »Trendsetter« aristokratischen Verhaltens sind. Das agonale Moment in der Adelskultur führt nämlich dazu, dass die Adligen ihr Verhalten an den über ihnen im Rang stehenden Adligen ausrichten.116 Von daher steht zu vermuten, dass die höchsten Adligen auch im Bereich der Ausgestaltung der Freundschaft Vorbilder für den Rest des Adels sind. Des weiteren sind gerade die höchsten Adligen Stützen der Institution Hof; Verhaltensweisen, die sich in ihrem Umkreis finden, sind mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit typisch für die höfische Gesellschaft. Zudem ist der Adel nicht ein Milieu, in dem die Spitze hierarchisch, die Masse der Adligen aber egalitär wäre. Hierarchisch-agonales Denken ist Teil des adligen Selbstverständnisses. Die Rhetorik des Königs gegenüber Cond¦ ähnelt stark der Rhetorik Cond¦s gegenüber rangniedrigeren Adligen – es gibt keinen Grund 116 Norbert Elias treibt dieses Raisonnement noch wesentlich weiter. Ihm zufolge sind die höchsten Schichten der Gesellschaft unaufhörlich dem Druck ausgesetzt, neue Formen des guten Benehmens zu erfinden, da die mittleren Schichten beginnen, die Oberschicht nachzuahmen; dadurch aber verlieren die Verhaltensformen der Oberschicht ihren Charakter als Zeichen sozialer Distinktion und müssen durch neue Zeichen ersetzt werden, cf. Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Bd. 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, Amsterdam 1997, 426: »Die Hauptfunktion der höfischen Aristokratie – ihre Funktion für den mächtigen Zentralherrn – ist es ja gerade, sich zu unterscheiden, sich als unterschiedene Formation, als soziales Gegengewicht gegen die Bourgeoisie aufrechtzuerhalten. Sie ist völlig freigesetzt für eine ständige Durcharbeitung des distinguierenden, geselligen Verhaltens, des guten Benehmens und des guten Geschmacks. Bürgerliche Aufstiegsschichten sitzen ihr auf der Ferse. Sie sind weniger für die Durcharbeitung des Verhaltens und des Geschmacks freigesetzt; sie haben einen Beruf. Aber auch ihr Ideal ist es zunächst, wie die Aristokratie ausschließlich von Renten zu leben, und wenn möglich ganz in den höfischen Kreis Eingang zu finden; noch ist der höfische Kreis auch für einen guten Teil der bürgerlichen Menschen, die etwas auf sich halten, das Vorbild. Sie werden ›Bourgeois Gentilhommes‹ [sic]. Sie ahmen den Adel und seine Manieren nach. Eben damit aber werden ständig Verhaltensweisen, die oben im höfischen Kreise ausgebildet worden sind, als Unterscheidungsmittel unbrauchbar, und die maßgebenden Adelsgruppen werden zu einer weiteren Durchbildung des Verhaltens gedrängt. Immer wieder werden Gebräuche, die zuvor ›fein‹ waren, nach einiger Zeit ›vulgär‹. Immer wieder feilt man weiter aus und die Peinlichkeitsschwelle verlagert sich, bis schließlich mit dem Untergang der absolutistischhöfischen Gesellschaft in der französischen Revolution diese Wechselbewegung aufhört oder mindestens an Intensität verliert.«

Quellen

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anzunehmen, dass diese nicht ihrerseits dieselben Verhaltensweisen an den Tag legen, wenn sie selbst als Ranghöhere mit rangniedrigeren Adligen kommunizieren. Die – je nach Standpunkt – Selbstherabstufung des Ranghöheren bzw. sein Fingieren einer Erhebung des rangniederen Partners auf Augenhöhe sind vermutlich Konstanten in der gesamten Adelshierarchie. Bei den Cond¦ und ihrem Umkreis hat man den Vorteil, dass man die hierarchische Position der meisten Personen genau kennt und deshalb weniger Missverständnisse in diesem Punkt entstehen können; auch gibt es über die meisten der beteiligten Personen viele prosopographische Informationen. Vergleicht man diese Situation mit einer anderen möglichen Vorgehensweise der Erforschung von Adelsfreundschaften, nämlich den Niederadel in den Mittelpunkt zu stellen (da dieser nun einmal die Masse des Adels stellt und somit quantitativ repräsentativer wäre), so fände man dort weniger Überrestquellen als bei einem Magnaten und – wenn überhaupt – sehr wenige Traditionsquellen. Die Kontextualisierung könnte also viel schlechter geleistet werden. Cond¦s Umkreis hat zudem den Vorteil, dass er Menschen aus unterschiedlichen Schichten des Adels versammelt, von sehr hohen Adligen (wie La Rochefoucauld) über mittlere und kleinere Adlige (wie Guitaut und Bussy-Rabutin) bis hin zu aus dem Bürgertum stammenden Aufsteigern wie Gourville. Alle Grade hierarchischen Abstands sind also hier versammelt. Was an Kulturformen aus den Quellen dieses Umkreises gewonnen wird, kann somit von Menschen gewonnen werden, die zwar eng zusammen leben, aber verschiedenen Niveaus des Adels angehören. Gerade diese Mischung gewährleistet eine bessere Einsicht in das gesamtadlige Imaginaire. Die Bekanntheit der Cond¦ führt zu weiteren Vorteilen. Die Cond¦ tauchen in anderen adligen und hochadligen Selbstzeugnissen auf, so z. B. bei der Grande Mademoiselle;117 diese Verzahnung mit dem Rest des Adels stützt die Resultate zusätzlich. Das kann man darauf zurückführen, dass der jeweilige Chef des Hauses Cond¦ ein besonders berühmter Adliger ist, oder darauf, dass sein Bekanntenkreis die berühmtesten Mitglieder der höfischen Gesellschaft umfasst; wie unschwer zu erkennen ist, sind beide Aspekte zwei Seiten einer Medaille. Zudem können anhand der Cond¦ auch Texte fruchtbar gemacht werden, die vielfach ediert und daher leicht zugänglich sind; die Werke von Bussy-Rabutin sind ein Beispiel hierfür. Schließlich führt die Bekanntheit der Prinzen auch zu einer verglichen mit anderen Adligen stärkeren Produktion gedruckter Quellen (so Bossuet, Oraison funÀbre du Prince de Cond¦; Bergier, De morte Ludovici 117 Zur Grande Mademoiselle cf. Vincent Pitt, La Grande Mademoiselle at the Court of France. 1627 – 1693, Baltimore 2000; Jean Garapon, La Grande Mademoiselle m¦morialiste. Une autobiographie dans le temps, Genf 1989; Christian Bouyer, La Grande mademoiselle. Anne Marie Louise d’Orl¦ans duchesse de Montpensier, Paris 1986.

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Borbonii; Coste, Histoire du Grand Cond¦). Diese erleichtern den Zugriff auf Freundschaftskonzeptionen und -praktiken im Umkreis des Prinzen. Der Sinn der Konzentration auf die Cond¦-Quellen ist also keine Netzwerkanalyse; es geht nicht darum, wie Freundschaft in diesem bestimmten Netzwerk funktioniert. Das Netzwerk der Cond¦ ist so groß, dass seine erschöpfende Analyse weder möglich noch sinnvoll wäre: allein die Korrespondenz 1646 – 1686 füllt 108 Bände mit Briefen von vielen hundert Partnern. Dieses Korrespondenznetzwerk reicht zudem weit über Frankreich hinaus und überschreitet somit auch die hier behandelte Fragestellung – die spezifische Form der Freundschaft an der Spitze der französischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts. Eine Netzwerkanalyse unter dem Gesichtspunkt der Freundschaft wäre nur dann möglich, wenn man die Freunde von den Klienten, Verwandten, Dienern etc. als klar umgrenzte Gruppe absonderte – womit man wieder am Anfang stünde: erneut sähe man sich mit der Unmöglichkeit konfrontiert, Freundschaft von anderen Sozialbeziehungen trennscharf abzugrenzen. Man könnte an dieser Stelle argumentieren, dass sich unter diesen Umständen die Mühe nicht mehr lohnte, überhaupt Archivalien heranzuziehen und der hier verfolgte Ansatz, der auf Repräsentationen und Praktiken von Freundschaft zentriert ist, auch effizienter allein mit edierten Quellen durchgeführt werden könnte. Dann allerdings würde man neben den ohnehin unhintergehbaren Überlieferungszufall eine zweite Restriktion setzen, nämlich die Abhängigkeit von der Auswahl der Editoren. Außer königlichen Korrespondenzen gibt es kaum große Korrespondenzsammlungen von oder an einzelne Personen, die ediert wären. Diejenigen, die existieren, wie z. B. die Korrespondenz von Mazarin,118 stammen aus dem 19. Jahrhundert und sind entsprechend den damaligen Forschungsperspektiven gestaltet: sie konzentrieren die Auswahl der Texte auf die Haupt- und Staatsaktionen und kürzen systematisch alle Stellen weg, die den damaligen Herausgebern nichtssagende Höflichkeitsfloskeln zu sein schienen; so sind z. B. die Schlussformeln der Briefe oft nicht in die Editionen übernommen worden, an ihrer Stelle steht meist ein simples »etc.«. Eher schon sind einzelne Briefwechsel ediert, so z. B. derjenige zwischen Cond¦ und Mademoiselle de Portes.119 Eine Ausnahme bietet Madame de S¦vign¦, deren Briefe als literarisch vorbildlich galten und daher umfassend publiziert sind; sie stellen zwar eine wichtige Quelle dar, die Autorin kann als »pr¦cieuse«120 aber nicht alleinige Grundlage für eine Untersuchung über Adelsfreundschaft sein. 118 Lettres du Cardinal Mazarin — la Reine, — la Princesse Palatine, etc. Ecrites pendant sa retraite hors de France, en 1651 et 1652, hg. von Jules A. Ravenel, Paris 1836. 119 Marie-Felice de Budos, marquise de Portes, La correspondance de Marie-Felice de Budos, marquise de Portes, avec le Grand Cond¦, hg. von Jean-Bernard ElziÀre, Portes 1975. 120 Carolyn Lougee Chappell, Le Paradis des Femmes. Women, Salons, and Social Stratification in Seventeenth-Century France, Princeton 1976, 7, erklärt die Geschichte des Terminus

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Für die Gattung Korrespondenz muss also auf ein Archiv zurückgegriffen werden. Hier nun bietet sich das Archiv der Cond¦ in Chantilly an, da es sowohl einen großen Bestand hat als auch Dokumente von Personen bietet, von denen und über die viele gedruckte Quellen existieren, so dass viele Belege für die Diskurse und Rituale gesammelt werden können und die Aussagen aus verschiedenen Quellengattungen zur gegenseitigen Kontextualisierung genutzt werden können. Außerdem sind die Bestände von Chantilly im 19. Jahrhundert umfassend verzeichnet worden; der Herzog von Aumale, der nach dem Aussterben der Cond¦121 das Schloss geerbt hatte und es zu dem Kunstmuseum umgestalten ließ, das es heute ist, ließ seine Archivare systematisch die Cond¦Korrespondenzen inventarisieren. Die Korrespondenzen sind somit heute nach Jahrgängen geordnet zugänglich, wobei jeder Jahrgangsband ein Register aller Briefe hat; ein Findbuch ermöglicht das Auffinden von Personen nach Bänden, wenn auch nicht das Auffinden einzelner Briefe. Unter den hier verwendeten Quellen nehmen die Selbstzeugnisse einen großen Raum ein.122 Dabei sollen Selbstzeugnisse pragmatisch definiert werden »pr¦cieuse«: »The term pr¦cieuse also requires definition. The term was originally coined in the early 1650s to ridicule the affectation of one group of young women in Paris; at that time other women prominent in polite society, Mademoiselle de Montpensier and Madeleine de Scud¦ry among them, vigorously distinguished between the one overzealous coterie of pr¦cieuses and themselves. Gradually, however, the term came to be applied without pejorative connotations to more and more groups of women until by 1661, when Somaize published the Grand dictionnaire des pr¦tieuses […], the term pr¦cieuse was commonly applied to all women in Parisian salons.« 121 Den letzten Herzog von Enghien hatte bekanntlich Napoleon entführen und vor dem Schloss von Vincennes erschießen lassen, wo noch heute ein Denkmal an ihn erinnert; sein Vater, der letzte Prinz von Cond¦, starb kurze Zeit später unter nicht ganz aufgeklärten Umständen im Exil. 122 Die Literatur zu Selbstzeugnissen der Frühen Neuzeit ist reichhaltig. Cf. Winfried Schulze, Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte », in: Bea Lundt/Helma Reimöller (Hg.), Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters, Köln/Weimar/Wien 1992, 417 – 450. Verzeichnisse von Selbstzeugnissen für das frühneuzeitliche Deutschland sind Gabriele Jancke, Selbstzeugnisse im deutschsprachigen Raum. Autobiographien, Tagebücher und andere autobiographische Schriften, 1400 – 1620. Eine Quellenkunde, online unter http://www.geschkult.fu-berlin.de/ e/quellenkunde/index.html, und Benigna von Krusenstjern, Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis, Berlin 1997. Cf. des weiteren die Studie von Gabriele Jancke, Autobiographie als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, Köln/Weimar/ Wien 2002 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 10). Cf. des weiteren Alf Lüdtke/Reiner Prass (Hg.), Gelehrtenleben. Wissenschaftspraxis in der Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2008 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 18); Andreas Bähr/Peter Burschel/Gabriele Jancke (Hg.), Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell, Köln/Weimar/Wien 2007 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 19); Kaspar von Greyerz/Hans Medick/Patrice Veit (Hg.), Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500 – 1850), Köln/Weimar/Wien 2001 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 9); Kaspar von Greyerz (Hg.), Selbstzeugnisse in der Frühen Neuzeit. Individualisierungsweisen in interdisziplinärer

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als Quellen, die in der ersten Person Singular geschrieben sind. Dies betrifft im vorliegenden Fall vor allem die Briefe und die Memoiren.123 Wenn man mit solchen Quellen arbeitet, kann man nicht umhin, die Probleme des Self-faPerspektive, München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 68); Gudrun Piller, Private Körper. Spuren des Leibes in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts, Köln/ Weimar/Wien 2007 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 17); Gabriele Jancke/Claudia Ulbrich (Hg.), Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, Göttingen 2005; Klaus Arnold (Hg.), Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bochum 1999 (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit 1); Eva Kormann, Ich, Welt und Gott. Autobiographik im 17. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2004 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 13). – Zur französischsprachigen Selbstzeugnisforschung Pierre-Yves Beaurepaire/Dominique Taurisson, Les ego-documents — l’heure de l’¦lectronique. Nouvelles approches des espaces et des r¦seaux relationnels, Montpellier 2003; Jean-Pierre Bardet/Elisabeth Arnoul/FranÅois-Joseph Ruggiu (Hg.), Les ¦crits du for priv¦ en Europe (du Moyen Age — l’¦poque contemporaine). EnquÞtes, Analyses, Publications, Bordeaux 2010; Michel Cassan/Jean-Pierre Bardet/FranÅois-Joseph Ruggiu (Hg.), Les ¦crits du for priv¦. Objet mat¦riel, objet ¦dit¦, Limoges 2007; Jean-Pierre Bardet/FranÅoisJoseph Ruggiu (Hg.), Au plus prÀs du secret des cœurs? Nouvelles lectures historiques des ¦crits du for priv¦ en Europe du XVIe au XVIIIe siÀcle, Paris 2005; Madeleine Foisil, L’¦criture du for priv¦, in: Philippe AriÀs/Georges Duby (Hg.), Histoire de la vie priv¦e, op. cit., Bd. 3: De la Renaissance aux LumiÀres, Paris 1986, 331 – 369. Zum autobiographisch tätigen Autor, der gleichzeitig Akteur ist cf. Christian Jouhaud, L’autobiographie comme histoire imm¦diate. Marie Dubois valet de chambre de Louis XIV, in: Jakab Albert Zsolt/ Keszeg Anna/Keszeg Vilmos (Hg.), Emberek, ¦letp‚ly‚k, ¦lettört¦netek, Kolozsv‚r 2007, 29 – 51. 123 Zum Genre der Memoiren im grand siÀcle Fr¦d¦ric Charbonneau, Les Silences de l’Histoire. Les m¦moires franÅais du XVIIe siÀcle, Quebec 2001; Hubert Carrier, Pourquoi ¦crit-on des m¦moires au XVIIe siÀcle ? L’exemple des m¦morialistes de la Fronde, in: Madeleine Bertaud/FranÅois-Xavier Cuche (Hg.), Le genre des m¦moires. Essai de d¦finition, Paris 1995, 137 – 151; No¦mi Hepp/Jacques Hennequin (Hg.), Les valeurs chez les m¦morialistes franÅais du XVIIe siÀcle, Paris 1979; Marc Fumaroli, Les m¦moires du XVIIe siÀcle au carrefour des genres en prose, in: XVIIe siÀcle 94 – 95 (1972), 7 – 37. Fumaroli ist jüngst scharf kritisiert worden von Christian Jouhaud/ Dinah Ribard/Nicolas Schapira, Histoire, Litt¦rature, T¦moignage. Ecrire les malheurs du temps, Paris 2009, die ihm vorwerfen, sich auf einen im 19. Jahrhundert entstandenen Begriff von »m¦moires« zu stützen, unter dem ihnen zufolge im 19. Jahrhundert heterogene Texte aus der Frühen Neuzeit in einer Kategorie versammelt wurden. Cf. des weiteren die Arbeiten von Carolyn Lougee Chappell über autobiographische Texte aus dem frühneuzeitlichen Frankreich, Carolyn Lougee Chappell, ›Reason for the Public to Admire Her‹: Why Madame de La Guette Published Her Memoirs, in: Elizabeth C. Smith/Dena Goodman (Hg.), Going Public. Women and Publishing in Early Modern France, Ithaca 1995, 13 – 29. Carolyn Lougee hat einen besonderen Akzent auf die Erforschung der Memoiren hugenottischer Emigranten gelegt, cf. Carolyn Lougee Chappell, ›The Pains I Took to Save My/His Family‹: Escape Accounts by a Huguenot Mother and Daughter after the Revocation of the Edict of Nantes, in: French Historical Studies 22 (1999), 5 – 67; Dies., Emigration and Memory. After 1685 and After 1789, in: Rudolf Dekker (Hg.), Egodocuments and History. Autobiographical Writing in its Social Context since the Middle Ages, Hilversum 2002, 89 – 106; Dies., Paper memories and identity papers. Why Huguenot refugees wrote Memoirs, in: Bruno Tribout/Ruth Whelan (Hg.), Narrating the Self in Early Modern Europe, Oxford 2007 (European Connections, 23), 121 – 138.

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shioning und des autobiographischen Schreibens in der Vormoderne zu thematisieren. Die neuere Selbstzeugnisforschung hat argumentiert, dass in der Vormoderne ein anderes Verständnis des Subjekts herrsche als in der Moderne. Nach dieser Theorie begreifen sich vormoderne Autoren nicht als vollkommen autonome und einzigartige Subjekte, die in sich eine abgeschlossene Innenwelt tragen, die von der Außenwelt abgegrenzt ist.124 Wenn die Unabhängigkeit des Subjekts auch in der Moderne bei näherem Hinsehen eine Fiktion ist, so wird diese Behauptung in der Vormoderne gar nicht erst erhoben.125 Vormoderne Memoirenschreiber wollen nicht carmina non prius cantata vortragen, sondern betreiben Selbstvergewisserung. Sie betonen und bejahen ihren sozialen Standort – im vorliegenden Fall, den Adel. Natürlich betreiben sie bewusste Selbstdarstellung, Self-fashioning.126 Aber diese Selbststilisierung zielt eben nicht – oder zumindest nicht ausschließlich – auf eine Persönlichkeit, die vor allem ihre Einzigartigkeit betont, sondern auf die Darstellung standesspezifischer Qualitäten des Autors. Jonathan Dewald hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es im französischen Adel des 17. Jahrhunderts bereits einen ausgeprägten Individualismus gibt;127 es wäre aber ein Missverständnis, diesen Individualismus bereits mit dem modernen Individualismus gleichzusetzen, der den geographischen und sozialen Ort einer Person eher als äußere Rahmenbedingungen auffasst. Oft sind die autobiographischen Texte des frühneuzeitlichen Adels geradezu das, was man didaktische Autobiographien nennen könnte. Es sind Texte, die sich zunächst einmal an die eigenen Kinder richten, die dazu aufgefordert werden, die Erfolge des Autors zu imitieren und – noch mehr – seine Fehler zu vermeiden.128 Es geht also darum, auf welche Weise und wie gut der 124 Andreas Bähr, Furcht, divinatorischer Traum und autobiographisches Schreiben in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung 34 (2007), 1 – 32, hier 29. 125 Eva Kormann, Ich, Welt und Gott, op. cit., Köln/Weimar/Wien 2004, 5. 126 Zu diesem Begriff grundlegend Stephen Jay Greenblatt, Renaissance Self-fashioning, Chicago 1980. 127 Jonathan Dewald, Aristocratic Experience and the Origins of Modern Culture. France, 1570 – 1715, Berkeley/Los Angeles/Oxford 1993, 3, benennt als Forschungsproblem »to understand how an individualistic, skeptical, and in many ways anxious culture emerged within a ›society of orders.‹« 128 So wendet sich Beauvais-Nangis im Vorwort seiner Memoiren an seinen Sohn: »Mon fils, vous voyant en aage d’entrer en la Court, j’ay creu qu’il n’estoit pas hors de propos de vous faire un discours de la fortune de vostre grand-pÀre, lequel ayant est¦ l’un des plus galands hommes de son temps, ayant esp¦r¦ et m¦rit¦ les plus belles charges de France, n¦antmoings n’a raport¦ autre rescompanse de ses services que quantit¦ de debtes, et la r¦putation d’avoir est¦ plus homme de bien et d’honneur que bon courtisan. J’y adjousteray aussy quelque chose, non pas de ma fortune, car je n’en e˜s jamays; seulement je vous diray ma conduite — la Court, afin que vous apreni¦s par les d¦fauts que je vous y remarqueray de vous y conduire plus prudemment que moy.« Nicolas de Brichanteau de Beauvais-Nangis,

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Methode und Kontext

Erzähler die ihm zugefallene soziale Rolle gespielt hat. Gerade das aber macht die Selbstzeugnisse ergiebig für strukturelle Untersuchungen über Freundschaft: wo das Subjekt nicht originell sein muss, um es selbst zu sein, da muss auch die Beziehung zum Freund nicht in der Weise einzigartig sein, dass sie sich von allen anderen Freundschaften unterscheiden muss. Vielmehr zeigt man dem Freund seine Zuneigung gerade durch die Zeichen der Freundschaft, die allgemeinverständlich, weil allgemein üblich sind. Dies gilt auch für Briefe. Auch hier kommen dem heutigen Leser viele Formulierungen abgedroschen, weil konventionalisiert vor. Ein solcher Eindruck ist aber Teil eines von modernen Werten geprägten Wahrnehmungsschemas, in dem das Originelle und Schöpferische als gut, das Konventionelle als uninspiriert und einfallslos bewertet wird. In der Vormoderne ist das nicht so. Einhaltung der Konventionen heißt nicht, dass man sich für den Freund keine geistige Mühe gibt (dass man das tut, zeigen Zeichen wie die Gelegenheitslyrik), sondern sie ist vielmehr Zeichen des Respekts für den gesellschaftlichen Rang des Freundes. Dies erlaubt, gerade anhand der standardisierten Teile der Briefe Aussagen über das zu machen, was im Umgang in Freundschaften üblich ist. Die dichte Überlieferung von Quellen erlaubt zudem verschiedene Arten der Kombination und Kontextualisierung dieser Selbstzeugnisse. In manchen Fällen existieren Briefe und Memoiren von derselben Person, so z. B. von Bussy-Rabutin. Autoren von Briefen, zu allererst der Prinz von Cond¦ selbst, tauchen in Memoiren auf; Autoren von Memoiren erscheinen als beschriebene Personen in anderen Memoiren. Dieser letzte Fall leitet bereits über zu einem Genre, das mit den Memoiren den Charakter als narrative Traditionsquellen gemeinsam hat, sich von ihnen aber insofern unterscheidet, als es sich nicht um Selbstzeugnisse handelt: die Rede ist von den zeitgenössischen historiographischen Quellen. Auch der Umgang mit ihnen erfordert quellenkritische Überlegungen, die ebenso wie bei den Memoiren der Tatsache Rechnung tragen müssen, dass die Regeln des Genres sich zwischen dem 17. Jahrhundert und heute geändert haben. Das betrifft insbesondere den Status historiographischer Texte im Spannungsfeld von Literatur und wissenschaftlichem Schreiben. Christian Jouhaud weist darauf hin, dass der Begriff litt¦rature im heutigen Sinne des Wortes erst im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts auftaucht.129 Die wissenschaftliche Geschichtsschreibung entsteht erst im 19. Jahrhundert.130 Es wäre also zu einfach zu sagen, die GeM¦moires du marquis de Beauvais-Nangis et Journal du procÀs du marquis de La Boulaye, hg. von Louis Jean Nicolas Monmerqu¦/Alphonse-Honor¦ Taillandier, Paris 1862, 1. 129 Christian Jouhaud, Les pouvoirs de la litt¦rature. Histoire d’un paradoxe, Paris 2000, 20. 130 Zu diesem Prozess der Verwissenschaftlichung cf. Markus Völkel, Geschichtsschreibung. Eine Einführung in globaler Perspektive, Köln/Weimar/Wien 2006, 279 – 283. – Aus der reichhaltigen Literatur zur Geschichte der Geschichtswissenschaft seien hier des weiteren zitiert Jan Eckel/Thomas Etzemüller (Hg.), Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichts-

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schichtsschreibung sei ein literarisches Genre gewesen und habe sich dann zu einem wissenschaftlichen Genre gewandelt; vielmehr ist das Kategorienpaar literarisch versus wissenschaftlich ein spezifisch modernes. Der Historiograph der Vormoderne ist also seinem Selbstverständnis nach kein Dichter, der schreiben kann, was ihm gefällt; er ist aber auch kein Universitätsgelehrter, der die Regeln des scholastischen Traktats einzuhalten hat, denn die Geschichte ist im 17. Jahrhundert noch keine akademische Disziplin. Der Historiker soll erzählen, was sich ereignet hat, aber er soll es dennoch auf ansprechende Weise tun. Immerhin beruft Ludwig XIV. zu seinem offiziellen Historiographen keinen Professor der Sorbonne, sondern Jean Racine. Nicht derjenige, der die besten Abhandlungen schreibt, sondern derjenige, der die besten Tragödien verfasst, wird hierzu berufen.131 Der Leser wird daher bei frühneuzeitlichen historiographischen Texten nicht gleich vermuten müssen, dass der Autor die Geschehnisse frei erfunden hat; wohl aber wird er damit rechnen müssen, dass das Gesagte stilisiert, geglättet, dramatisiert, rhetorisiert ist. Hinsichtlich der konkreten Ereignisse in den Quellen muss man Skepsis walten lassen; zur Erforschung von Repräsentationen, Idealen und wiederkehrenden Praktiken eignen sie sich durchaus. Mit Vorsicht zu gebrauchen ist die Kolportageliteratur, z. B. die Historiettes von Tallemant des R¦aux; man darf die dort berichteten Skandalnachrichten keinesfalls zum Nennwert nehmen. Dennoch ist das Genre nicht unergiebig. Kolportageliteratur will den Skandal in Szene setzen; damit dieser aber wirkt, braucht er einen Rahmen, der seinerseits glaubwürdig sein muss. Diese Texte muss man also gegen den Strich lesen. Die Haupthandlung ist in diesem Fall weniger interessant als die nebenbei berichteten Dinge. Viele kleine Details des Hintergrundes können interessante Aufschlüsse liefern, insbesondere da die Kolportageliteratur ihre Skandale oft mitten im Alltag ansiedelt. So kommen unspektakuläre Situationen in den Blick, die in Memoiren nicht für berichtenswert gehalten und in Briefen wegen ihrer Selbstverständlichkeit nicht eigens erläutert werden. Ergänzend sollen philosophische und literarische Texte herangezogen werden. Dies kann nicht systematisch geschehen; einzelne wichtige Texte sind aber zur Kontextualisierung der anderen Quellen unerlässlich. Im Hinblick auf die höfische Gesellschaft gibt es zweierlei Bezüge zur Literatur. Einerseits rezipiert die höfische Gesellschaft Literatur, sowohl antike als auch zeitgenössische; anwissenschaft, Göttingen 2007; Mirjana Gross, Von der Antike bis zur Postmoderne. Die zeitgenössische Geschichtsschreibung und ihre Wurzeln, Köln/Weimar/Wien 1998; Erhard Wiersing, Geschichte des historischen Denkens. Zugleich eine Einführung in die Theorie der Geschichte, Paderborn 2007; Volker Reinhardt (Hg.), Hauptwerke der Geschichtsschreibung, Stuttgart 1997. 131 Der andere offizielle Historiograph des Königs wird der Literaturkritiker und –theoretiker Nicolas Boileau.

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dererseits wird sie selbst in den literarischen Quellen ihrer eigenen Zeit reflektiert. Antike Quellen sind somit durchaus aufschlussreich, insbesondere dort, wo man weiß, dass die frühneuzeitlichen Adligen diese Texte gelesen haben. Roger Chartier in Frankreich, die Konstanzer Schule der Literaturwissenschaft in Deutschland haben zu Recht den Blick auf den Leser als aktiven Rezipienten gelenkt, der literarische Texte nicht nur passiv konsumiert, sondern sie produktiv verarbeitet und mit seinen eigenen Vorstellungen kombiniert.132 Das gilt im hier untersuchten Kontext etwa für Autoren wie Plutarch, der eine bevorzugte Lektüre in der adligen Erziehung war. Daneben ist damit zu rechnen, dass auch antike Klassiker, die die Adligen nicht unbedingt selbst gelesen haben, sie beeinflussen. Dabei wäre beispielsweise an Cicero und Aristoteles zu denken. Diese Autoren sind in Form von Ideen, Zitaten, Auszügen, Kurzversionen auch für diejenigen präsent, die den Originaltext nie zur Hand genommen haben – das 17. Jahrhundert ist eine Epoche, die so stark im Bann der Antike steht, dass ihre kulturellen Formen von antiken Referenzen völlig durchwirkt sind. Auf der anderen Seite stehen die literarischen Zeugnisse des siÀcle classique. Sie können natürlich nicht systematisch, sondern nur ergänzend herangezogen werden. Ihre Lektüre ist dennoch aufschlussreich, weil der hier behandelte Personenkreis das Publikum ist, für das diese Werke geschrieben sind. Zudem treten manche Adlige – allen voran Cond¦ selbst – als Protektoren oder Mäzene von Schriftstellern in Erscheinung, und nicht wenige – wie La BruyÀre und La Rochefoucauld – schreiben selbst. Es ist damit zu rechnen, dass die Konzeptionen der Freundschaft, wie sie in der höfischen Gesellschaft verbreitet sind, in dieser Literatur Widerhall finden – ist sie doch in dieser Gesellschaft und für sie verfasst. Es ist aber nicht nur so, dass literarische Dokumente zusätzliche Facetten der Repräsentationen der Freundschaft liefern; die hier untersuchten Repräsentationen und Praktiken der höfischen Gesellschaft können selbst auch wiederum zur Kontextualisierung der klassischen literarischen Texte des grand siÀcle helfen.133

132 Zu Roger Chartiers Forschungen zur Geschichte des Lesens cf. Roger Chartier, L’Ordre des livres. Lecteurs, auteurs, bibliothÀques en Europe entre XIVe et XVIIIe siÀcle, Aix-en-Provence 1992; Ders. (Hg.), Histoires de la lecture. Un bilan des recherches, Paris 1995. Zur Rezeptionsästhetik, wie sie von der Konstanzer Schule entwickelt wurde cf. Wolfgang Iser, Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Beckett, München 21979 (UTB-Taschenbücher 163); Ders., Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 31990 (UTB-Taschenbücher 636); Hans Robert Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, Frankfurt am Main 41984; Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik, München 31988 (UTB-Taschenbücher 303). 133 Insofern könnten die hier gewonnenen Erkenntnisse auch für die Literaturwissenschaft von Interesse sein.

Adelsmilieu und Hofgesellschaft als Kontext der Freundschaft

I.4.

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Adelsmilieu und Hofgesellschaft als Kontext der Freundschaft

Die kulturgeschichtliche Forschung hat inzwischen ihren Blick für die Tatsache geschärft, dass Kulturen in sich sehr viel heterogener sind, als man früher vermutet hatte. Freundschaft im höfischen Milieu, das heißt Freundschaft im Milieu des höheren und höchsten Adels, ist nicht notwendigerweise identisch mit den Freundschaftsformen anderer sozialer Schichten derselben Epoche – weder auf der Ebene der Repräsentationen noch auf derjenigen der Praktiken. Dieser Umstand aber macht einen Blick auf jenes Milieu notwendig, das in der vorliegenden Untersuchung den Kontext des Phänomens Freundschaft bildet. Dabei wird zu zeigen sein, dass auch der Adel in sich nicht homogen ist: hoher und niedriger Adel unterscheiden sich. Zudem sind gerade unter dem Aspekt der Freundschaft die Unterschiede zwischen verschiedenen sozialen Räumen wichtig: dieselben Adligen können sich am Hof anders verhalten als in der Provinz. Der Hof ist ein Phänomen der longue dur¦e: im Mittelalter entstehend, reicht seine Geschichte in Frankreich ohne Unterbrechung bis 1789, mit Unterbrechungen sogar bis 1870.134 Der französische Hof des Mittelalters ist ein um134 Überblicksartig zum französischen Hof cf. Jean-FranÅois Solnon, La cour de France, Paris 1987. Eine vergleichende Geschichte der europäischen Höfe unternehmen Klaus Malettke/ Chantal Grell (Hg.), Hofgesellschaft und Höflinge an europäischen Fürstenhöfen in der Frühen Neuzeit (15.–18. Jh.)/Soci¦t¦ de cour et courtisans dans l’Europe de l’¦poque moderne (XVe-XVIIIe siÀcle), Münster 2001. Eine Übersicht über die Historiographie zur Hofgesellschaft gibt John Adamson, Introduction. The Making of the Ancien-R¦gime Court, 1500 – 1700, in: Ders. (Hg.), The Princely Courts of Europe. Ritual, Politics, and Culture under the Ancien R¦gime, 1500 – 1750, London 1999, 7 – 41, hier 9 – 10. Den französischen Hof behandelt im gleichen Band Olivier Chaline, The Kingdoms of France and Navarre. The Valois and Bourbon Courts, c. 1515 – 1750, in: ebd., 67 – 93. Einen Vergleich zwischen Bourbonen und Habsburgern unternimmt Jeroen Duindam, Vienna and Versailles. The Courts of Europe’s Dynastic Rivals, 1550 – 1780, Cambridge 2003. Das Exil eines Hofes im 18. Jahrhundert wird behandelt in Edward Corp, The Jacobites at Urbino. An Exiled Court in Transition, Basingstoke 2009. Zu den ökonomischen Aspekten des Hofes Maurice Aymard (Hg.), La cour comme institution ¦conomique, Paris 1998, sowie Gerhard Fouquet (Hg.), Hofwirtschaft. Ein ökonomischer Blick auf Hof und Residenz in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Ostfildern 2006 (Residenzenforschung 21/Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 10). Die Natur des Hofes als Zentrum der Repräsentation, das die Macht des Fürsten seinen Untertanen sowie konkurrierenden Höfen veranschaulicht, unterstreicht Sebastian Werr, Politik mit sinnlichen Mitteln. Oper und Fest am Münchner Hof (1680 – 1745), Köln/Weimar/Wien 2010. Den Feiern widmet sich auch ein großer Teil der Beiträge in Heinz Noflatscher (Hg.), Der Innsbrucker Hof. Residenz und höfische Gesellschaft in Tirol vom 15. bis 19. Jahrhundert, Wien 2005 (Archiv für österreichische Geschichte 138). Den Aspekt der Repräsentation analysiert auch Heiko Laß (Hg.), Hof und Medien im Spannungsfeld von dynastischer Tradition und politischer Innovation zwischen 1648 und 1714. Celle und die

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herziehender Hof. Noch im 16. Jahrhundert hat der Hof keinen festen Sitz; erst Heinrich III. etabliert den Hof dauerhaft in der Gegend von Paris.135 In der hier betrachteten Periode beschränkt sich der Hof weitgehend auf die Ile-de-France, hat aber noch keinen festen Sitz. Erst mit dem Umzug des Hofes nach Versailles gibt es eine dauerhafte feste Residenz des französischen Königs und des Hofes. Mit der Fixierung des Hofes in der Pariser Gegend und dem Ausbau der königlichen Zentralverwaltung vergrößert sich der Hof seit dem ausgehenden Mittelalter, um im Zeitalter von Versailles schließlich auf mehrere tausend Personen anzuwachsen. Die soziale Grunddynamik des Hofes, nämlich die Rivalität der Höflinge um die Gunst des Königs, gibt es zwar schon im Mittelalter, aber die absolute Größe des Hofes bleibt nicht ohne Einfluss auf das Hofleben, wie zu zeigen sein wird.136 Das Anwachsen des frühneuzeitlichen Hofes ist keine von oben geplante Entwicklung, sondern unterliegt einer starken Eigendynamik. Die aufgrund von Residenzen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, München/Berlin 2008 (Rudolstädter Forschungen zur Residenzkultur 4). Höfe sind auch intellektuelle Zentren; ihre Rolle als Orte der Produktion von historiographischen Werken untersucht Markus Völkel (Hg.), Historiographie an europäischen Höfen (16.–18. Jahrhundert). Studien zum Hof als Produktionsort von Geschichtsschreibung und historischer Repräsentation, Berlin 2009 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 43). Die komplexe Beziehung zwischen Höfen und Städten analysieren Werner Paravicini/Jörg Wettlaufer (Hg.), Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Ostfildern 2006 (Residenzenforschung 20). Zum Hofzeremoniell Irmgard Pangerl (Hg.), Der Wiener Hof im Spiegel der Zeremonialprotokolle (1652 – 1800). Eine Annäherung, Innsbruck/Wien/Bozen 2007 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 47/ Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 31). Zur Rolle von Frauen am Hof Ute Essegern, Fürstinnen am kursächsischen Hof. Lebenskonzepte und Lebensläufe zwischen Familie, Hof und Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts: Hedwig von Dänemark, Sibylla Elisabeth von Württemberg und Magdalena Sibylla von Preußen, Leipzig 2007 (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 19). Zu adligen Höfen im Frankreich des 17. Jahrhunderts Katia B¦guin, Höfe abseits des Hofes. Adelige Prachtentfaltung im Reich Ludwigs XIV., in: Werner Paravicini (Hg.), Luxus und Integration. Materielle Hofkultur Westeuropas vom 12. bis zum 18. Jahrhundert, München 2010, 53 – 63. Es existieren auch Studien, die die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen europäischen Höfe mit denjenigen anderer Kulturkreise vergleichen; hierzu Reinhardt Butz (Hg.), Hof und Macht. Dresdener Gespräche II zur Theorie des Hofes, Berlin/Münster 2007 (Vita curialis 1); Jeroen Duindam/Tülay Artan/Metin Kunt (Hg.), Royal Courts in Dynastic States and Empires. A Global Perspective, Leiden 2011. 135 Robert J. Knecht, The French Renaissance Court. 1483 – 1589, New Haven/London 2008, xxiii. Zum Hof Heinrichs III. cf. Jacqueline Boucher, Soci¦t¦ et mentalit¦s autour de Henri III, 4 Bde., Lille 1981. Cf. des weiteren Xavier Le Person, « Practiques » et « Practiqueurs ». La vie politique — la fin du rÀgne de Henri III (1584 – 1589) Genf 2002. 136 Die Auswirkungen der Größe auf eine Gruppe, und zwar unabhängig von anderen Faktoren, hat Georg Simmel in einem klassisch gewordenen Aufsatz untersucht, cf. Georg Simmel, die quantitative Bestimmtheit der Gruppe, in: Ders., Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, hg. von Otthein Rammstedt, Frankfurt am Main (Georg Simmel Gesamtausgabe Bd. 11), 63 – 159.

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Norbert Elias’ Konzepten entwickelte Idee, dass der König die Adligen an den Hof zwingt, um sie zu überwachen, ist in dieser Einfachheit nicht richtig. Bei Elias wird der Adel vom König »domestiziert«; Jeroen Duindam hat Elias wegen dieser Auffassung scharf kritisiert. Der Adel sei mitnichten Opfer des Monarchen gewesen; vielmehr ließen sich alle Charakteristika der höfischen Gesellschaft auch als Machtinstrumente des Adels deuten. Zudem sei der Geburtsrang ein wichtiges Element der höfischen Ordnung gewesen; die Stellung des einzelnen Höflings sei somit mitnichten so unsicher gewesen, wie Elias suggeriere.137 Stuart Carroll hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass Elias selbst nie behauptet hat, der Zivilisations- und Staatsbildungsprozess sei planmäßig abgelaufen, sondern diese vereinfachte Idee erst in der an Elias anschließenden Historiographie vertreten wurde. Bei Elias selbst ergibt sich der Prozess der Zivilisation als ungeplantes Resultat des Wettbewerbs der Adligen.138 Ludwig XIV. war unter dem Einfluss der Erfahrung der Fronde in der Tat skeptisch gegenüber provinziellen Machtbasen des Adels; das Wachstum des Hofes jedoch fängt schon weit vor der Fronde an, und gerade die Fronde der Prinzen ist ja nicht ein Aufstand von Machthabern in der Provinz, die sich gegen das Zentrum erheben, sondern von mächtigen Adligen, die selbst ihr Leben am Hof verbringen und ihren provinziellen Anhang mobilisieren, um ihren Anteil an der Zentralmacht einzufordern. Die Frondeure haben viele und einander zum Teil widersprechende Ziele, aber die Auflösung des Königreichs in einen lockeren, föderalen oder konföderalen Herrschaftsverband gehört nicht dazu. Was die Adligen ab dem späten 16. Jahrhundert in immer größerer Zahl an den Hof strömen lässt, ist nicht königlicher Zwang, sondern die sich dort bietenden Chancen. Mit der Größe des Hofes wächst seine Organisationsstruktur ; es werden immer neue Hofchargen geschaffen. Hier eröffnen sich Adligen mittleren und niedrigen Ranges unverhofft Möglichkeiten, aufzusteigen. Ein Beispiel ist der Herzog von Luynes: obwohl er lediglich aus dem provenzalischen Kleinadel stammt, schafft er es, königlicher Falkner zu werden. In dieser Funktion hat er häufigen Kontakt zum jungen Ludwig XIII.; er wird dessen Günstling, wird zum Herzog erhoben und erhält schließlich sogar das Amt des Konnetabels, also das höchste militärische Amt, das es in Frankreich überhaupt gibt.139

137 Jeroen Duindam, Myths of Power. Norbert Elias and the Early Modern European Court, Amsterdam 1994, 181. – Duindams Buch ist eine Fundamentalkritik an Elias sowie an der Forschung, die sich an ihm orientiert; neben Elias kritisiert er vor allem Jürgen Freiherr von Krüdener, Die Rolle des Hofes im Absolutismus, Stuttgart 1973 (Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 19). 138 Stuart Carroll, Blood and Violence in Early Modern France, Oxford 2006, 308. 139 Zu Luynes cf. Sharon Kettering, Power and reputation at the court of Louis XIII. The career

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Parallel zum Wachstum des Hofes wächst auch die Armee; das erzeugt einen erhöhten Bedarf an Geld, was die Monarchie zwingt, höhere Steuern zu erheben. Um diese erheben und durchsetzen zu können, muss wiederum die Verwaltung ausgebaut werden.140 Das führt dazu, dass auch hier mehr Ämter entstehen, die zu besetzen sind. Diese stellen einerseits neue Karrieremöglichkeiten dar ; andererseits wächst so auch der Spielraum der Monarchie, für die Ämter Gehälter zu bezahlen oder Höflingen, die in der königlichen Gunst stehen, direkt Gratifikationen in Geld zukommen zu lassen. Die Einnahmen der Adligen aus dem Landbesitz können nur langsam gesteigert werden, und aufgrund der technischen Beschränkungen der vormodernen Anbaumethoden auch nur innerhalb enger Grenzen; am Hof dagegen tun sich Möglichkeiten auf, das eigene Einkommen signifikant zu erhöhen. Ariane Boltanski hat am Beispiel der Herzöge von Nevers nachgewiesen, dass die Einnahmenstruktur der (hohen) Adligen sich schon im 16. Jahrhundert weg von Einnahmen aus Grundbesitz hin zu königlichen Zahlungen verschiedenster Art verschiebt – seien es Pensionen, einmalige Geldgeschenke oder Zinsen auf Kredite, die die Adligen dem Staat zur Verfügung stellen.141 Natürlich ist der finanzielle Aspekt nur ein Anreiz unter mehreren, hohe Ämter zu erwerben; das Ansehen, das mit ihnen verbunden ist, ist mindestens ebenso wichtig. Und wie am Beispiel Luynes’ aufgezeigt wurde, kann ein Günstling auch auf eine Rangerhöhung hoffen. Um aber in den Genuss der königlichen Gunst zu gelangen und zum Kandidaten für ein Amt zu werden, genügt es nicht, dem Hof regelmäßige Besuche abzustatten. Insbesondere Ludwig XIV. vergibt wichtige Ämter nämlich nur an Kandidaten, die er persönlich kennt. In Abwesenheit standardisierter Rekrutierungsmechanismen142 of Charles d’Albert, duc de Luynes (1578 – 1621), Manchester/New York 2008 (Studies in early modern European history). 140 Zu dieser Entwicklung cf. Ronald G. Asch, Kriegsfinanzierung, Staatsbildung und ständische Ordnung in Westeuropa im 17. und 18. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 268 (1999), 636 – 671. 141 Ariane Boltanski, Les ducs de Nevers et l’Etat royal, op. cit., 131 – 169, zeigt, wie sich zunehmend komplexe finanzielle Austauschmechanismen zwischen den Nevers und der Krone entwickelten. 142 Für den Kirchenstaat wird dieses Fehlen standardisierter Rekrutierungsverfahren erläutert bei Wolfgang Reinhard, Amici e creature. Politische Mikrogeschichte der römischen Kurie im 17. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Bibliotheken und Archiven 76 (1996), 308 – 334, hier 319; der Befund trifft für Frankreich auch zu. – Zu beachten bleibt allerdings, dass es im frühneuzeitlichen Frankreich neben der Ämtervergabe über persönliche Beziehungen einen weiteren wichtigen Mechanismus der Rekrutierung gab, nämlich die Ämterkäuflichkeit. Eine wichtige neuere Studie zur Ämterkäuflichkeit ist Jean Nagle, Un orgueil franÅais. La v¦nalit¦ des offices sous l’Ancien R¦gime, Paris 2008. Cf. daneben Christophe Blanquie, Justice et finance sous l’Ancien r¦gime. La v¦nalit¦ pr¦sidiale, Paris 2001; Robert Descimon, La v¦nalit¦ des offices et la construction de l’Êtat dans la France moderne. Des problÀmes de la repr¦sentation symbolique aux problÀmes du co˜t social du pouvoir, in: Ders./Jean-Fr¦d¦ric Schaub/Bernard Vincent (Hg.), Les Figures de l’administrateur. Institutions, r¦seaux, pouvoirs en Espagne, en France et au Portugal 16e-

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für Ämter in Kirche, Armee und Verwaltung ist dies durchaus auch ein Kontrollmechanismus, um sich einen Eindruck von der Eignung des Kandidaten zu verschaffen. Er führt aber auch dazu, dass es für jemanden, der über königliche Ämter Karriere machen will, unumgänglich wird, am Hof präsent zu sein. Es entsteht also eine gewisse selbstverstärkende Dynamik der höfischen Gesellschaft; erreicht sie eine kritische Masse, indem ein substantieller Teil des mittleren und höheren Adels sich dort aufhält, so läuft jeder, der sich weiterhin fernhält, Gefahr, von der Elite des Königreichs abgekoppelt zu werden: wer jetzt noch auf dem Land bleibt, der wird zum hobereau, zum Krautjunker. Dazu kommt, dass der Hof in Bereichen wie Sprache oder Kleidung schnell wechselnde Moden hervorbringt; wer längere Zeit dem Hof fernbleibt, fällt bei seiner Rückkehr durch seine altmodisch gewordene Kleidung und Sprache auf.143 Um Teil der höfischen Gesellschaft zu sein, reicht es folglich nicht, dem Hof einigermaßen regelmäßig Besuche abzustatten; man muss den Großteil seiner Zeit dort verbringen, muss seinen Lebensmittelpunkt dorthin verlegen. Der Hof ist somit eine Anwesenheitsgesellschaft;144 das erklärt auch, warum die höfische Freundschaft, wie zu zeigen sein wird, stark geprägt wird von Formen der Interaktion unter Anwesenden, wie den Gesten, den gemeinsamen Unternehmungen, der geistreichen Konversation. Das Wachstum des Hofes geht einher mit dem Ende des Wanderkönigtums. Hier gibt es keine lineare Kausalkette, sondern zwei Entwicklungen, die sich gegenseitig aufschaukeln: je mehr Höflinge der Hof zählt, desto größer wird der Aufwand, umherzuziehen; ein Hof, der länger verweilt und kürzere Strecken zurücklegt, erlaubt den Adligen aber wiederum, sich dauerhafter einzurichten, was auch ein größeres Gefolge einschließen kann. Das Gefolge von Hochadligen erhöht die Zahl der Höflinge (durch die Kleinadligen, die den Magnaten folgen) und die Gesamtzahl der Personen, die am Hof anwesend sind (durch die nichtadligen Diener). Im Lauf des 17. Jahrhunderts beschränkt der Hof zunächst das 19e siÀcle, Paris 1997, 77 – 93; Ders., La v¦nalit¦ des offices comme dette publique sous l’Ancien R¦gime franÅais, in: Jean Andreau/G¦rard B¦aur/Jean-Yves Garnier (Hg.), La dette publique dans l’histoire, Paris 2006, 177 – 242; Klaus Malettke (Hg.), Ämterkäuflichkeit: Aspekte sozialer Mobilität im europäischen Vergleich (17. und 18. Jahrhundert), Berlin 1980 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 26); Ilja Mieck (Hg.), Ämterhandel im Spätmittelalter und im 16. Jahrhundert, Berlin 1984 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 45); Roland Mousnier, La v¦nalit¦ des offices sous Henri IV et Louis XIII, Paris 21971. 143 Jonathan Dewald, Aristocratic Experience and the Origins of Modern Culture, op. cit., 26 – 27. 144 Zur Anwesenheitsgesellschaft oder auch »Vergesellschaftung unter Anwesenden«, einem von Rudolf Schlögl für die Analyse der frühneuzeitlichen Stadt entworfenen Ansatz cf. Rudolf Schlögl, Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit – Eine Skizze, URL:

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Wanderkönigtum auf die Ile-de-France (vorher hatten die Könige beispielsweise auch die Schlösser an der Loire öfters aufgesucht), bevor 1682 mit Versailles eine permanente Residenz gewählt wird. Da das politische Geschehen nun in der Ilede-France stattfindet, bauen die Hochadelsfamilien ihre Pariser Hútels prunkvoll aus – sie sind bis heute ein wichtiges Element des Pariser Stadtbildes.145 Somit sind die Adligen in den Hof und in die Hauptstadt gleichermaßen eingebunden – es entsteht die Verbindung von la cour et la ville, die tonangebend für die französische Kultur des grand siÀcle wird, weil die Künstler der französischen Klassik ihre Werke auf dieses Publikum ausrichten. Neben dem Hof (konkret also: demjenigen Schloss, wo der König sich gerade aufhält) und der Hauptstadt haben die Adligen als dritten Bezugspunkt natürlich weiterhin ihre Schlösser in der Provinz, auch wenn sie diese nicht mehr unbedingt oft aufsuchen. Der Hof ist ein anderer sozialer Raum als die Provinz. Die gleiche Semantik der Adelsfreundschaften bezeichnet, das wird zu zeigen sein, am Hof Beziehungen, die sich auf der Ebene der Gesellschaftsstruktur von den Beziehungen in der Provinz unterscheiden. Das in der Frühneuzeit-Historiographie seit den 1970er Jahren ausgearbeitete Modell der Patron-Klient-Beziehungen passt gut auf Beziehungen innerhalb des Provinzadels sowie zwischen einem Patron am Hof und seinen Klienten in der Provinz; auf die Beziehungen innerhalb des Hofes passt es dagegen weniger gut. Anders als in den Beziehungen zwischen Hochadligen und kleinem und mittlerem Adel in den Provinzen oder in den Beziehungen der Provinzadligen untereinander gibt es bei Hof weit weniger festgelegte traditionelle Hierarchien. In den Provinzen ist die Feudalordnung als juristische Ordnung zwar auch in Auflösung begriffen, ihre sozialen Funktionsmechanismen dauern jedoch vielerorts fort: überkommene Bindungen vasallitischer Art zwischen einer hohen und einer niedrigen Adelsfamilie transformieren sich in informellere Patronagebindungen. Die Form dieser Beziehungen ist in der Frühen Neuzeit schon nicht mehr die eines »bastard feudalism«,146 in dem der Lehensherr anstatt Lehen Geldzahlungen verteilt; die 145 Auch in anderen europäischen Residenzen bauen sich die großen Höflinge eigene Palais im Umfeld der Residenz, sobald diese definitiv an einem Ort fixiert wird, cf. Ronald G. Asch, The Princely Court and Political Space, in: Beat Kümin (Hg.), Political Space in PreIndustrial Europe, Farnham, Surrey/Burlington, VT 2009, 43 – 60, hier 53. Zu den Adelspalais in Paris Jean-Pierre Babelon, Demeures parisiennes. Sous Henri IV et Louis XIII, Paris 1965, und Natacha Coquery, L’hútel aristocratique. Le march¦ du luxe — Paris au XVIIIe siÀcle, Paris 1998 (Publications de la Sorbonne. S¦rie Histoire moderne 39). 146 Der Begriff des »Bastard Feudalism« als analytisches Konzept wurde geprägt von K. B. McFarlane, Bastard Feudalism, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 20 (1943 – 45), 161 – 180. McFarlane schreibt die Erfindung des Terminus selbst Charles Plummer zu, der ihn als erster verwendet habe in der Einleitung zu John Fortescue, The governance of England. Otherwise called »The difference between an absolute and a limited monarchy«,

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Treuebindungen sind informell, nicht mehr formell wie im feudalen System. Dabei sind in der Provinz die Hierarchien schon deshalb recht fest, weil das Ausmaß des Landbesitzes sie mitbestimmt und darüber hinaus bestimmte hohe Adelsränge oft nur ein- oder zweimal in jeder Region vertreten sind. Wer mit wem in welcher Beziehung steht, wer wessen Rivale ist, hat oft eine Tradition von mehreren Generationen; diese Muster ändern sich nicht über Nacht.147 Zum höfischen Favoriten gibt es in der Provinz kein Äquivalent; hier ist es schwieriger als bei Hof, durch einen kometenhaften Aufstieg den eigenen Platz innerhalb der Elite radikal zu verändern. Bei Hof dagegen ist die Situation anders. Weit entfernt von ihren Landbesitzungen, treten die Adligen ein in eine Gesellschaftsformation, in der diese Güter weiterhin wichtig sind als Quelle von Einnahmen, aber zunehmend weniger als politisch-militärische Machtressource. Spätestens nach der Fronde ist es für die Adligen nicht mehr möglich, Festungen auf ihrem Gebiet und die Rekrutierung von Truppen aus ihren Besitzungen als Druckmittel gegen die Krone einzusetzen: die Monarchie entwickelt nun anders als zuvor ein stehendes Heer, das die Drohung mit der Adelsrevolte nicht mehr realistisch erscheinen lässt. Während also regionale Machtbasen an Bedeutung verlieren, tun sich am Hof neue Karrierechancen auf: königliche Ämter, Geldgeschenke, Aufstieg durch Rangerhöhungen und durch vorteilhafte Heiraten eröffnen demjenigen, der die Gunst des Königs zu erringen weiß, die Aussicht auf große Gewinne an Besitz, Macht und Status. Bei Hof herrscht also zwar eine Hierarchie der Ränge: zum einen aber kann sie durchbrochen werden, am spektakulärsten von Favoriten; und zum anderen ergeben sich aus der Begegnung von Adligen aus allen Landesteilen weit vielfältigere Möglichkeiten für Allianzen, als dies auf den verschiedenen lokalen und regionalen Ebenen einer feudalen beziehungsweise postfeudalen Ordnung der Fall ist. Die traditionelle Unterscheidung symmetrischer und asymmetrischer, oder – noch schärfer – horizontaler und vertikaler Bindungen kann die Sozialbeziehungen, die sich bei Hof entwickeln, nicht mehr adäquat beschreiben. Hier gibt es Beziehungen mit größerem oder geringerem Rangabstand, aber kaum je eindeutig horizontale oder vertikale Beziehungen. Jedem Höfling stehen viele Optionen offen, und fast jeder nützt sie. Was den Hof zu einem besonders geeigneten Ort für die Untersuchung der Freundschaft macht, ist seine beachtliche soziale Geschlossenheit. Viele Nichtadlige mögen als Diener und Lieferanten physisch am Hof präsent sein; an der Geselligkeit der Höflinge haben sie jedoch nicht teil, sie haben lediglich die Aufgabe, die materiellen Voraussetzungen dieser Geselligkeit zu schaffen und Oxford 1885, 15 – 16. Zum »Bastard Feudalism« cf. des weiteren J. G. Bellamy, Bastard Feudalism and the Law, London 1989. 147 Zu denken ist hier beispielsweise an die von Sharon Kettering untersuchte Provence des 17. Jahrhunderts, cf. Kettering, Patrons, Brokers, and Clients, op. cit.

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aufrechtzuerhalten. Die Diener sind bei Festmählern anwesend, aber selbstverständlich essen sie anderswo; sie kommen mit auf die Jagd, werden aber selbstverständlich nie eine Trophäe erhalten. Diejenigen, die die höfische Gesellschaft im Vollsinne bilden, sind eine kleine Machtelite, die sich zunehmend abschließt. Ein Charakteristikum der höfischen Gesellschaft ist die Rivalität der Höflinge um die Gunst des Königs. Norbert Elias’ Darstellung dieser Rivalität ist sicher zu holzschnittartig, zumal sie eine Opposition zwischen altem Adel auf der einen, amtsadligen und bürgerlichen homines novi auf der anderen Seite konstruiert, wobei diese Gruppen in sich als recht monolithisch erscheinen. Jeroen Duindam hat zu Recht darauf hingewiesen, dass weder der Adel noch das Bürgertum geschlossene Gruppen waren;148 somit kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sie als geschlossene Gruppen handelten. Die Lage ist vielmehr differenzierter einzuschätzen: es sind nicht große Blöcke, die rivalisieren, sondern Individuen und kleine Gruppen, deren Zusammensetzung aber changiert. Die höfischen Faktionen149 bestehen meist aus Mitgliedern verschiedener Adelsränge. Es stehen nicht unbedingt z. B. »die Minister« gegen »die Hochadligen«; der Rivale eines Herzogs kann ein Herzog, der eines Ministers ein Minister sein. Doch auch diese Konstellation darf nicht verabsolutiert werden. Hoffaktionen sind keine Lehensverbände, die notwendig einen Magnaten an der Spitze bräuchten; das beste Gegenbeispiel ist sicher Mazarin, der als Ausländer zum mächtigsten Mann des Hofes und Rivalen Cond¦s, des ersten Prinzen von Geblüt wird. Es ist gerade die Offenheit der Allianzmöglichkeiten und die Unvorhersehbarkeit der tatsächlichen Bündnisse, die charakteristisch für den Hof ist. Mit Mazarin ist schon die Figur des Favoriten angesprochen. Sie ist deshalb wichtig, weil der Favorit die traditionelle Hierarchie der Ränge besonders schnell und radikal in Unordnung bringt. Wenn ein Höfling den Status eines Favoriten erlangt, so hat das zwei Auswirkungen: einerseits verbünden sich viele 148 Duindam, Myths of Power, op. cit., 181 – 182. 149 Zum Konzept der Faktion Roger Mettam, Power and Faction in Louis XIV’s France, Oxford/ New York 1988; cf. auch Emmanuel Le Roy Ladurie, Saint-Simon ou le systÀme de la Cour, Paris 1997, hier das Kapitel »Cabale, lignage, pouvoir«, 181 – 235. Bezugnehmend auf SaintSimon identifiziert Le Roy Ladurie verschiedene Kabalen, die sich an die verschiedenen Generationen der königlichen Familie anlehnen – diejenige des Königs, diejenige des Grand Dauphin und diejenige des Petit Dauphin. Es handelt sich hier um einen anderen Ansatz als bei Norbert Elias, wo der König per definitionem außerhalb der Kabalen und Faktionen steht, sondern vielmehr deren unbewegter Beweger ist. Die Faktionen des Habsburgerhofes diskutiert Ivo Cerman, ›Kabal‹, ›Parthey‹, ›Faction‹ am Hofe Kaiser Leopolds I., in: Werner Paravicini/Jan Hirschbiegel (Hg.), Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, Ostfildern 2004 (Residenzenforschung 17), 235 – 247. Cf. des weiteren Leonhard Horowski, Das Erbe des Favoriten. Mätressen und Günstlinge am Hof Ludwigs XIV., in: ebd., 77 – 126.

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Höflinge mit ihm, um gleichsam auf den fahrenden Zug aufzuspringen und im Windschatten des Favoriten ihre eigene Karriere voranzutreiben; so bemerkt La BruyÀre, dass einem neu ernannten Minister über Nacht erstaunlich viele neue Freunde erwüchsen.150 Andererseits riskiert der frisch gekürte Favorit einen Zusammenschluss seiner Rivalen, von denen jeder ihm seinen Platz neidet und vielleicht selbst danach trachtet. Nun ist es so, dass königliche Entscheidungen nicht einmal fallen und dann unwiderruflich sind; der Monarch trifft andauernd Personalentscheidungen, und er ernennt und begünstigt nicht nur, sondern entlässt und bestraft auch. Das Resultat ist, dass die Höflinge sich in Faktionen und Parteien um den König gruppieren, deren Muster und Zusammensetzung sich ständig verändern.151 Stürzt beispielsweise ein Favorit, ändert sich die Machtbalance. Ähnliche Auswirkungen hat der Tod eines einflussreichen Höflings, der auch eine Lücke reißt, die das Machtgefüge verändert. Das zeigt sich etwa in den Memoiren von Beauvais-Nangis, der 1612 mit seinem Bruder, dem Bischof von Laon, eine Reise ins Berry und Bourbonnais unternimmt, um familiäre Angelegenheiten zu ordnen. Während seiner Abwesenheit stirbt der Graf von Soissons am 31. Oktober oder 1. November 1612.152 Als Beauvais-Nangis zurückkehrt, hat der Tod des Grafen eine Neuordnung der Allianzen verursacht: »Pendant ledit voyage M. le comte de Soissons mourut proche la Toussaint, et quand je retournay, je trouvay toutes les caballes de la court chang¦es, car la Royne-mÀre, quy ne pouvoit comp–tir avec mondit sieur le comte, s’appuya de M. le Prince et de MM. de Nevers, Mayenne et Bouillon contre la caballe de MM. de Guise, d’Espernon et de Bellegarde«.153

Aber, wie Beauvais-Nangis notiert, »cette caballe dura peu«: am 5. Januar 1613 tötet der Chevalier de Guise den Baron de Lus, den Lieutenant du Roi der Bourgogne, im Duell; als der Herzog von Mayenne für einen gewissen M. de Tiange die freigewordene Charge erbittet und nicht erhält, verlässt er aus Protest 150 Jean de La BruyÀre, Les CaractÀres, hg. von Louis van Delft, Paris 1998, 276 – 277 (De la Cour, 57): »Que d’amis, que de parents naissent en une nuit au nouveau Ministre! les uns font valoir leurs anciennes liaisons, leur soci¦t¦ d’¦tudes, les droits du voisinage; les autres feuillettent leur g¦n¦alogie, remontent jusqu’— un trisaeul, rappellent le cút¦ paternel et le maternel, l’on veut tenir — cet homme par quelque endroit, et l’on dit plusieurs fois le jour que l’on y tient, on l’imprimerait volontiers, c’est mon ami, et je suis fort aise de son ¦l¦vation, j’y dois prendre part, il m’est assez proche. Hommes vains et d¦vou¦s — la fortune, fades courtisans, parliez-vous ainsi il y a huit jours? Est-il devenu depuis ce temps plus homme de bien, plus digne du choix que le Prince en vient de faire? attendiez-vous cette circonstance pour le mieux conna„tre ?« 151 Sharon Kettering, Household appointments and dismissals at the court of Louis XIII, op. cit., 272; Nicolas Le Roux, La Faveur du Roi, op. cit., 20 – 48. 152 Charles de Bourbon, Graf von Soissons (1566 – 1612) ist der Sohn von Louis I. de Bourbon, dem ersten Prinzen von Cond¦, und seiner zweiten Frau FranÅoise d’Orl¦ans-Longueville. 153 Nicolas de Brichanteau de Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 123.

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den Hof, und der Prinz von Cond¦ und der Herzog von Bouillon tun es ihm gleich.154 Mayenne, so Beauvais-Nangis, habe geglaubt, dass er als »malcontent« seine Interessen besser durchsetzen könnte. Das ist ein Verhaltensmuster, das nach der Fronde nicht mehr möglich ist: in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verliert der Rückzug vom Hof sein Drohpotential. Wer nun vom Hof abwesend ist, bringt seine Karriere in Gefahr und schadet sich somit eher selbst. Insofern ergibt sich nach der Fronde in der Tat eine Radikalisierung der Mechanismen der höfischen Gesellschaft, da die Teilnahme an ihr nun alternativlos wird. Höfische Freundschaft unterliegt somit dem kontinuierlichen renversement des alliances und entzieht sich daher der Beschreibung durch Netzwerkmodelle, in denen bestimmte Personen dauerhaft miteinander verbunden sind und gemeinsam in Opposition zu anderen stehen.155 Diese Instabilität der höfischen Freundschaft mag der Grund dafür sein, dass sich das Modell der »heroischen Freundschaft«, des Bündnisses zweier Personen gegen den Rest der Welt, das allen Widrigkeiten trotzt, in den höfischen Selbstzeugnissen aus Frankreich so nicht findet – obwohl es beispielsweise im Venedig des 17. Jahrhunderts nicht nur beschworen, sondern durchaus auch gelebt wird, wenn etwa zwei Freunde ihre Testamente gemeinsam veröffentlichen und sich darin gegenseitig als Verwalter ihrer Güter einsetzen.156 Die hier untersuchte Periode liegt zwar vor dem Zeitalter von Versailles; man könnte daher einwenden, die Mechanismen der höfischen Gesellschaft seien noch gar nicht gegeben, da die permanente örtliche Fixierung, noch dazu außerhalb der Hauptstadt, nicht gegeben ist. Dem kann jedoch entgegnet werden, dass bereits im frühen 17. Jahrhundert die Elite des Königreiches um den König konzentriert ist; in den Memoiren aus der Zeit der Fronde wird bereits deutlich, dass die wichtigen Entscheidungen in Paris fallen. Dabei ist als Revision gegenüber Elias anzubringen, dass – im Kontrast zum Zeitalter Ludwigs XIV. – Entscheidungen oft am König respektive an der Regentin vorbei fallen. Worauf es ankommt, ist aber, dass ein räumliches Zentrum, eine kleine, enge Gesellschaft der Machthaber entsteht. Es wäre zu eindimensional, alle Intrigen und Allianzen immer nur als auf den König selbst gerichtet zu sehen. Auch Macht und Status innerhalb adliger Zirkel können Objekt von Machtkämpfen und 154 Ebd., 124. 155 Cf. Infra, Semantik der Freundschaft. 156 Peter N. Miller, Friendship and Conversation in Seventeenth-Century Venice, in: Journal of Modern History 73 (2001), 1 – 31, hier 12. – Die Vermutung liegt nahe, dass die politische Struktur des republikanischen Venedig, wo es keinen Monarchen gibt, der Gunst und Ungunst immer neu verteilen könnte, und wo somit auch nicht kometenhafter Aufstieg oder jäher Absturz in die Ungnade zu erwarten ist, solche stabileren Beziehungen begünstigt.

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Allianzen sein. Die Konkurrenz der großen Höflinge, die nach dem Status des Favoriten streben, ist im Übrigen in den Memoiren des Marschalls von Bassompierre schon für die Zeit Heinrichs IV. und Ludwigs XIII. in großer Ausführlichkeit beschrieben.157

I.4.1. Öffentlichkeit und Privatheit Wie die Verflechtungen mit Intrigen und Revolten zeigen, ist das Verhältnis der Freundschaft zur Öffentlichkeit in der Frühneuzeit komplizierter als heute. Das berührt zwei miteinander zusammenhängende Aspekte. Zum einen gibt es in der Frühen Neuzeit keine scharfe diskursive (geschweige denn praktische) Trennung zwischen einer öffentlichen einer privaten Sphäre; zum anderen ist folglich die Freundschaft nicht letzterer eindeutig zugeordnet. Das bedeutet auch, dass Freundschaft im Diskurs der Vormoderne nicht unpolitisch ist – wie das der moderne Diskurs über Freundschaft, die als privat und zweckfrei gilt, oft implizit annimmt. Der moderne Diskurs stellt den »privaten« Freundschaften, die den Menschen »an sich«, nicht aber seine gesellschaftliche Rolle betreffen sollen, funktionale Arbeitsbündnisse mit Kollegen oder Geschäftspartnern gegenüber. Dass auf der Ebene der sozialen Praxis oft beide Arten von Beziehungen gleichzeitig zwischen denselben Personen bestehen, ändert nichts an der diskursiven Trennung. 157 Cf. FranÅois de Bassompierre, Journal de ma vie, in: Claude Bernard Petitot/Alexandre Petitot/Louis Jean Nicolas de Monmerqu¦ (Hg.), Collection des m¦moires relatifs — l’histoire de France: depuis l’avÀnement de Henri IV, jusqu’— la paix de Paris, conclue en 1763, Band XIX – XXI, Paris 1822 – 1823. – FranÅois de Bassompierre wird 1579 auf Schloss Harouel in Lothringen geboren. 1598 kommt er an den französischen Hof; Heinrich IV. findet schnell Gefallen an dem jungen lothringischen Adligen und fördert ihn. Er bleibt auch nach dessen Tod in Frankreich, wobei er auch öfters Gesandtschaftsreisen ins Ausland unternimmt. 1622 wird er mar¦chal de France. Nach der Journ¦e des Dupes wird er im Januar 1631 auf Geheiß Richelieus verhaftet und verbringt die nächsten zwölf Jahre in der Bastille. Nach Richelieus Tod im Dezember 1642 wird er im Januar 1643 auf freien Fuß gesetzt; er verstirbt 1646 in Provins. Seine Memoiren schreibt er während der Zeit seiner Haft. – Zu Bassompierre und seinen Memoiren Christian Jouhaud, Les »m¦moires« du Mar¦chal de Bassompierre et la prison, in: Cahiers du Centre de Recherches Historiques 39 der Gesamtfolge (2007), 95 – 106; Mathieu Lemoine, Un m¦morialiste face — l’¦vÀnement: le mar¦chal de Bassompierre et la journ¦e des Dupes, in: Bruno Tribout, Ruth Whelan (Hg.), Narrating the Self in early modern Europe, Oxford 2007, 69 – 81; Ders., Le bannissement de la cour : caractÀres et enjeux de la disgr–ce chez les m¦morialistes de la premiÀre moiti¦ du XVIIe siÀcle, in: Pascale Drouet, Yan Brailowsky (Hg.), Le bannissement et l’exil en Europe aux XVIe et XVIIe siÀcles, Rennes 2010, 217 – 230; Yves Coirault, Les violons de la m¦moire. FÞte et guerre dans le Journal de Bassompierre, in: No¦mi Hepp, Jacques Hennequin (Hg.), Les valeurs chez les m¦morialistes franÅais du XVIIe siÀcle avant la Fronde, Paris 1979, 223 – 235.

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Das Fehlen einer scharfen begrifflichen Trennung der Sphären von öffentlich und privat in der Vormoderne verbietet es, schematisierend moderne »private« und frühneuzeitliche »öffentliche« Freundschaft einander gegenüberzustellen. Die Eigenschaften höfischer Freundschaft lassen sich eher mit der Kategorie des Politischen fassen. Die Beziehung zweier Adliger im 17. Jahrhundert ist immer politisch. Die höhere Adelsgesellschaft ist so klein, dass jede Freundschaft und jede Feindschaft potentiell Auswirkungen auf das ganze Machtgefüge innerhalb der Elite des Königreichs haben kann, mit anderen Worten Auswirkungen auf Nichtbeteiligte hat. Für den Niederadel gilt Analoges auf der Ebene einer Region oder eines Landstrichs. Generell sind in der Lebenswelt des Hofes Öffentlichkeit und Privatheit nicht klar zu trennen.158 Das Öffentliche und das Private sind in der höfischen Gesellschaft einander nicht dichotomisch entgegengesetzt. Sicherlich ist Habermas’ Postulat, dass es vor dem 18. Jahrhundert eine bloß »repräsentative« Öffentlichkeit gebe,159 zu schematisch; gerade das französische Publikum nimmt an politischen Debatten intensiv teil, wie etwa die Fülle der Mazarinaden während der Fronde zeigt.160 Die Situation ist komplexer. Das zeigt sich beispielsweise in der räumlichen Dimension, die in der höfischen Gesellschaft nicht eindeutig zwischen öffentlich und privat scheidet. Viele höfische Zeremonien sind in dem Sinne »öffentlich«, dass sie den König als Souverän, mithin als öffentliche Person betreffen; sie sind aber deswegen nicht unbedingt öffentlich in dem Sinne, dass alle Untertanen des Königs teilnehmen könnten. Das lever du roi ist ein deutliches Beispiel dafür : es ist eine wichtige Staatszeremonie, und dennoch sind nur wenige genau ausgewählte Teilnehmer zugelassen. Dass der König wichtige Gäste in seinem Schlafzimmer empfängt,161 zeigt die ambivalente Natur eines solchen Raumes als Teil des Privatbereichs des Monarchen einerseits, Ort von Staatsgeschäften andererseits. Der Hof als ganzer ist ein Raum mit zweideutiger Natur: er ist einerseits der erweiterte Haushalt des Königs162 – das 158 Cf. Ronald G. Asch, Der Höfling als Heuchler?, Unaufrichtigkeit, Konversationsgemeinschaft und Freundschaft am frühneuzeitlichen Hof, in: Wolfgang Reinhard (Hg.), Krumme Touren. Anthropologie kommunikativer Umwege, Köln/Weimar/Wien 2007, 183 – 203, hier 196. 159 Für Habermas ist diese repräsentative Öffentlichkeit gekennzeichnet durch die Abwesenheit einer Debatte, an der das Publikum, eben die Öffentlichkeit, teilnimmt; ihm zufolge ist die Öffentlichkeit in dieser Epoche auf die Rolle von Zuschauern beschränkt, vor denen der Fürst seine Größe in Szene setzt, cf. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990 [Erstauflage 1962], 58 – 67. 160 Die Literatur der »Mazarinades« in ihrem sozialen und kulturellen Kontext untersucht Christian Jouhaud, Mazarinades: La Fronde des mots, Paris 1985. Cf. auch Marie-NoÚle Grand-Mesnil, Mazarin, la Fronde et la presse. 1647 – 1649, Paris 1967. 161 Cf. hierzu Asch, The Princely Court and Political Space, op. cit., 46. 162 Michael Sikora weist darauf hin, dass die paternalistische Auffassung vom Staat, die den

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macht den »privaten« Aspekt seiner Natur aus. Er ist auf der anderen Seite aber auch Zentrale der Macht und somit »öffentlicher« Raum. Anders gewendet: der politische Betrieb findet gewissermaßen im Hause des Monarchen statt.163 Die Schlossarchitektur gliedert den Raum nicht dichotomisch, sondern schafft vielmehr eine ganze Reihe von Abstufungen von Räumen, die »öffentlicher« oder »privater« sind als andere, aber nicht vollkommen öffentlich oder rein privat. In den meisten europäischen Monarchien des 17. Jahrhunderts gliedert sich das Schloss des Königs oder Fürsten – wie auch die Häuser der großen Adligen – in verschiedene Zimmer, zu denen verschieden viele Personen Zutritt haben.164 Anders als der französische König sind die Herrscher in Wien und Madrid oft lange unsichtbar für ihre Untertanen.165 In Frankreich ist somit die Vermengung des privat-intimen Lebens des Monarchen mit seiner öffentlich-politischen Rolle stärker als dort;166 wenn man so will, zielt das französische Modell auf eine größtmögliche Verschmelzung der beiden Körper des Königs ab.167 Das wird etwa an den Zeremonien des lever und des coucher du roi deutlich: selbst beim Aufstehen und beim Zubettgehen wird der Herrscher als öffentliche Person inszeniert.168 Louis Marin hat detailliert gezeigt, wie diese Überhöhung des Königs vonstatten geht.169 In Frankreich ist der Großteil des Schlosses zwar zugänglicher als in Madrid oder Wien, dennoch hat der König Wohnräume, die nur wenigen Personen offenstehen. Verkompliziert wird die Hierarchie der Räume durch die Hierarchie der »entr¦es« bei den Zeremonien des Aufstehens und Zubettgehens des Königs.170 So ist es beim lever du roi entscheidend, zu einem frühen Zeitpunkt eintreten zu dürfen. Der fehlenden Dichotomie in räumlicher Hinsicht entspricht die fehlende Dichotomie in zeitlicher Hinsicht. Da die Adligen keinen Beruf im modernen Sinne haben,171

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Herrscher als Hausvater des ganzen Landes sieht, den Hof als seinen Haushalt begreift, cf. Michael Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2009 (Geschichte kompakt), 90. Ebd., 95. Cf. auch die Beiträge in Adamson (Hg.), The Princely Courts of Europe, op. cit. Cf. hierzu Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 74 – 75, 96. Sikora weist neben der komplizierten räumlichen Gliederung der Schlösser noch auf die Hofordnungen als ein Mittel hin, mit dem die Fürsten regeln konnten, wer wann wo Zutritt hatte, ebd., 93. Cf. auch Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen Asch, The Princely Court and Political Space, op. cit., 47. Die Frage des Verhältnisses von Öffentlichkeit und Privatheit bei Hofe berührt auch die Frage des Verhältnisses des Formellen und des Informellen; zu dieser Problematik Reinhard Butz/Jan Hirschbiegel (Hg.), Informelle Strukturen bei Hof, Berlin 2009 (vita curialis 2). Zum Konzept der zwei Körper des Königs Ernst H. Kantorowicz, The King’s Two Bodies. A Study in Medieval Political Theology, Princeton 1957, deutsch als Ders., Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990. Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 97. Louis Marin, Le portrait du roi, Paris 1981. Asch, The Princely Court and Political Space, op. cit., 44. Elias, Die höfische Gesellschaft, op. cit., 94.

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gliedert sich ihr Tagesablauf auch nicht in Arbeitszeit und Freizeit, also in »berufliche« und »private« Zeiten. Michael Sikora betont daher zu Recht, dass es anachronistisch wäre, die adlige Muße als Freizeit im modernen Sinne zu deuten: weder stehe ihr eine Arbeitszeit gegenüber, noch finde dabei ein Rollenwechsel statt, bei dem das Adligsein für eine Weile abgelegt würde.172 Die adlige Muße ist vielmehr ein »otium cum dignitate«, ein Müßiggang, der aber mit Würde ausgeübt werden muss. Folgerichtig sind auch die Sozialbeziehungen der Adligen nicht entweder der »Arbeitszeit« oder der »Freizeit« zugeordnet. Der Hof kennt keine festen Arbeitszeiten; der Hof aber macht somit auch keinen Feierabend. Deswegen funktioniert auch die Trennung von »privater« Zuneigung und »politischer« Allianz nicht und wird von den Zeitgenossen auch gar nicht erst erwartet. Darüber hinaus sind die Sozialbeziehungen am Hof noch in einem weiteren Sinne »öffentliche« Beziehungen und somit die Freundschaften auch in gewissem Sinne »öffentliche« Freundschaften: der Hof wird – sei es direkt, wenn die Untertanen ihn aufsuchen, sei es über die entstehenden Zeitschriften wie den Mercure galant, sei es über Pamphlete und Kolportageliteratur – vom Rest der Gesellschaft durchaus beobachtet. Das ist auch gewollt; es ist die Aufgabe des Hofes, die Macht des Herrschers sichtbar zu machen.173 Der Hof ist nicht nur der Raum, in dem die Höflinge leben, sondern er ist auch eine Bühne,174 auf der das Theater der Staatsmacht vor dem Rest der Bevölkerung aufgeführt wird.

I.4.2. Das Adelsmilieu Wer sind nun diese Adligen, die den Hof bilden? Es ist an dieser Stelle auch nötig, kurz die Charakteristika des Adels als sozialer Gruppe Revue passieren zu lassen.175 Der französische Adel ist eine durchaus heterogene Gruppe. Allgemein 172 Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 88. 173 Asch, The Princely Court and Political Space, op. cit., 50. 174 Auch Castiglione modelliert den Hof als eine Bühne, cf. Asch, Der Höfling als Heuchler?, op. cit., 189. 175 Eine erste Annäherung an das Thema des frühneuzeitlichen europäischen Adels bietet Gudrun Gersmann, Artikel »Adel«, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart 2005, 39 – 54. Zum alteuropäischen Adel seien drei aktuelle Gesamtdarstellungen in deutscher Sprache genannt. Einführenden Charakter hat das auf das Heilige Römische Reich konzentrierte Buch von Michael Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2009 (Geschichte kompakt); einen Überblick auf sehr knappem Raum gibt Walter Demel, Der europäische Adel. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2005 (C. H. Beck Wissen); die gesamteuropäischen Gemeinsamkeiten wie die nationalen und regionalen Unterschiede im Adel erläutert Ronald G. Asch, Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit. Eine Einführung, Köln/Weimar/Wien 2008. Einen Überblick über den europäischen Adel im 16. und 17. Jahrhundert bietet Ders., Nobilities in Transition, 1550 – 1700. Courtiers and Rebels in

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bekannt ist der Unterschied von Schwert- und Amtsadel. Ersterer spricht letzterem gerne die Zugehörigkeit zum Adel ab, sind die Amtsadligen doch geadelte Bürgerliche, die durch den Besitz eines nobilitierenden Amtes in den Adelsstand aufgerückt sind, während die Schwertadligen zumindest ihrem Selbstbild nach, wenn auch durchaus nicht immer realiter, vom mittelalterlichen, feudalen Kriegeradel abstammen. Dennoch nehmen die Amtsadligen im 17. Jahrhundert durchaus schon wichtige Machtpositionen ein; sie bilden aber nicht die Spitzen der höfischen Gesellschaft, zumal die meisten von ihnen sich gar nicht bei Hofe aufhalten, sondern in den Städten, wo sie in den Parlamenten und anderen Korporationen Schlüsselstellungen einnehmen. Der Niederadel oder Kleinadel steht nach eigenem Selbstverständnis über dem Amtsadel, auch wenn tatsächlich oft die Amtsadligen reicher und mächtiger sind als die zwar aus alten Familien stammenden, oft aber auf ihre ländliche seigneurie beschränkten hobereaux. Der Kleinadel nimmt an der höfischen Gesellschaft nicht teil – den Kleinadligen fehlen schlicht die Mittel, um den höfischen Lebensstil bestreiten zu können. Da die höfische Anwesenheitsgesellschaft Karrierechancen vor allem denjenigen zuteilt, die den König persönBritain and Europe, London/New York 2003. Noch allgemeiner Jonathan Powis, Aristocracy, Oxford 1984, deutsch als Ders., Der Adel, Paderborn u. a. 1986. Eine groß angelegte Übersicht ist Hamish M. Scott (Hg.), The European Nobilities in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, 2 Bde., Basingstoke 22007 – 2008; darin Artikel zum jeweiligen Adel einzelner europäischer Länder. Zum französischen Adel darin für das 17. Jahrhundert Roger Mettam, The French Nobility, 1610 – 1715, in: ebd., Bd. 1: Western Europe and Southern Europe, Basingstoke 2007, 127 – 155, und für das 18. Jahrhundert Julian Swann, The French Nobility in the Eighteenth Century, in: ebd., Bd. 1, 156 – 190. Ein ähnliches Werk in deutscher Sprache, das ebenfalls dem Adel einzelner Regionen Europas je einzelne Kapitel widmet, ist Ronald G. Asch (Hg.), Der europäische Adel im Ancien R¦gime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (1600 – 1789), Köln/Weimar/Wien 2001; darin für die hier behandelte Thematik insbesondere Jean-Marie Constant, Der Adel und die Monarchie in Frankreich vom Tode Heinrichs IV. bis zum Ende der Fronde (1610 – 1653), in: ebd., 129 – 150. Cf. des weiteren Jean-Pierre Labatut, Patriotisme et noblesse sous le rÀgne de Louis XIV, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 29 (1982), 622 – 634. Unter den Studien zum Adel außerhalb Frankreichs Nils Jörn/Haik Thomas Porada (Hg.), Lebenswelt und Lebenswirklichkeit des Adels im Ostseeraum. Festgabe zum 80. Geburtstag von Bernhard Diestelkamp, Hamburg 2009 (Schriftenreihe der David-Mevius-Gesellschaft 5). Wichtige Beiträge enthält auch der mehrsprachige Band V‚clav Bu˚zˇek/Pavel Kr‚l (Hg.), Sˇlechta v habsbursk¦ monarchii a c†sarˇsky´ dvu˚r (1526 – 1740), Budweis 2003, darunter Jeroen Duindam, Problems and prospects for a »new« history of the court: the Habsburg Hofstaat in perspective, in: ebd., 49 – 66. Die Debatte um eine Krise des Adels in der hier behandelten Epoche wurde ausgelöst durch Lawrence Stone, The Crisis of the Aristocracy. 1558 – 1641, Oxford 1965 (Oxford Paperbacks 118); cf. auch FranÅois Billacois, La crise de la noblesse europ¦enne (1550 – 1650). Une mise au point, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 23 (1976), 258 – 277. Zum Adel nach dem Ende des Ancien R¦gime Monika Wienfort, Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006, sowie Peter Mandler, Aristocratic Government in the Age of Reform. Whigs and Liberals, 1830 – 1852, Oxford 1990.

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lich kennen, wächst auch der Abstand zwischen den Angehörigen der Hofgesellschaft und dem Rest des Adels. Über dem Kleinadel steht eine Schicht des mittleren Adels, die in der französischen Forschungsdiskussion oft als noblesse seconde bezeichnet wird. Diese Schicht nimmt an der Hofgesellschaft teil; viel mehr als der Hochadel gehört sie aber nicht nur aus eigenem Recht, sondern auch von königlichen Gnaden zur Machtelite des Reiches. In dieser Schicht finden sich daher in den innenpolitischen Konflikten der Frühen Neuzeit oft Loyalisten, die sich für den König und seine Minister gegen den Hochadel stellen. Der Graf von Bussy-Rabutin oder der Graf von Tavannes, die beide mit Cond¦ brechen und sich auf Mazarins Seite schlagen, können als Vertreter dieser Gruppe angeführt werden. Über ihnen steht schließlich der Hochadel, Kern der höfischen Gesellschaft und Spitze der adligen Elite des Reiches. Hierzu zählen vor allem die Herzöge, darunter die herausgehobene Gruppe der ducs et pairs, sowie die Prinzen, die sich untergliedern in Prinzen von Geblüt und princes ¦trangers. Die vorliegende Studie stützt sich vor allem auf Dokumente aus dem Umkreis der Prinzen von Cond¦, die zu den Prinzen von Geblüt gehören; auf die Cond¦ und ihre Rolle in der Geschichte des französischen 17. Jahrhunderts wird weiter unten noch eingegangen. Was den Adel als Untersuchungsobjekt von anderen sozialen Gruppen unterscheidet, ist seine Qualität als eigener Stand. Nun ist Erblichkeit des Status zwar ein generelles Charakteristikum alteuropäischer Gesellschaften, und speziell in Frankreich bilden auch Zünfte, Städte, Berufsstände, ja ganze Provinzen Korporationen, denen bestimmte Privilegien zukommen; dennoch nimmt der Adel als Spitzengruppe dieser Gesellschaft vielfach verschachtelter Korporationen eine Sonderstellung ein. Der Aufstieg in den Adel ist zwar möglich, vor allem durch den Erwerb nobilitierender Ämter oder aufgrund einer Nobilitierung durch den König. Diese soziale Mobilität hat aber enge Grenzen: von einigen krassen Ausnahmen abgesehen – nobilitierte Minister wie Colbert wären hier zu nennen – wirkt sich die starke Binnendifferenzierung des Adels auf Nobilitierte so aus, dass sie ganz unten in die Hierarchie eingegliedert werden. Das liegt zum einen daran, dass Nobilitierten praktisch nie höhere Adelsränge verliehen werden, und zum anderen daran, dass sich die Dignität einer Adelsfamilie immer auch an ihrem Alter misst – ein frisch Geadelter hat es also schwer, an alteingesessenen Adligen vorbeizuziehen. Dieser Mechanismus gilt analog für Neuverleihungen höherer Adelstitel oder die Neuschaffung von Titeln. Der Adelsstand weist also eine ambivalente Struktur auf, die nicht ohne Auswirkungen auf die adlige Konzeption und Praxis von Freundschaft bleiben kann: er ist einerseits nach außen eine Einheit, scharf getrennt von den Nicht-

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adligen176 und ihnen gegenüber durch bestimmte Privilegien, etwa die Befreiung von vielen Steuern und das Recht zum Waffentragen, herausgehoben; auf der anderen Seite erweist er sich als in sich extrem ausdifferenzierte Gruppe, in der es nicht nur darum geht, »adlig« zu sein, sondern auch darum, »adliger« als andere zu sein. Was zeichnet nun den Adel gegenüber den Nichtadligen aus? Durch Geburt oder Nobilitierung erwirbt der Adlige die adlige Ehre, die der Nichtadlige nicht besitzt. Das heißt nicht, dass es eine Ehre der Bürger, Handwerker oder Bauern nicht gäbe, diese also ehrlos wären; nur ist diese Ehre eben eine andere als diejenige der Adligen und mit ihr nicht kompatibel. Dieser Unterschied drückt sich beispielsweise im Kriterium der Satisfaktionsfähigkeit aus: an Duellen können ausschließlich Adlige teilnehmen.177 Nur sie besitzen jenen point d’honneur, der dafür notwendig ist; ein Konflikt zwischen einem Adligen und einem Nichtadligen kann nicht auf diese Weise ausgetragen werden. Michael Sikora postuliert, dass die Geselligkeit zum adligen Lebensstil dazugehörte: die adlige Lebensweise ließ sich erst in der Begegnung mit anderen Adligen zur Gänze verwirklichen. Daraus erkläre sich auch die Wichtigkeit der Besuche, die sich Adlige gegenseitig abstatten.178 Man darf hinzufügen, dass auch viele Beschäftigungen, die für die adlige Kultur typisch geworden sind, nur in Gesellschaft zu verwirklichen sind – zu denken ist etwa an die Jagd, an das Glücksspiel, an den Tanz und an die geistreiche Konversation. All dies trägt natürlich zusätzlich zur Wichtigkeit von Freundschaften im Adelsmilieu bei. Die beschriebenen Eigenschaften des Adelsmilieus mögen zur Erklärung eines Befundes beitragen, den wir hier vorwegnehmen: über die Standesgrenze hinweg sind Freundschaften sehr schwierig, innerhalb des Adels aber zwischen Adligen unterschiedlichen Ranges durchaus möglich. Ein Faktor, der adlige und höfische Freundschaft beeinflusst und sie von Freundschaft beispielsweise unter den Bedingungen der modernen Massengesellschaft unterscheidet, ist somit, dass der Kreis der potentiellen Freunde eines Adligen, zumal eines Hochadligen, eingeschränkt ist, da ja nur andere Angehörige dieses exklusiven Milieus in Frage kommen. Von ethnologischer Seite ist anhand heutiger außereuropäischer Kontexte betont worden, dass Freundschaft 176 Damit ist der Dritte Stand gemeint, nicht der Klerus als erster Stand. Da aufgrund des Zölibats kirchliche Ämter nicht erblich sein können, muss der Klerus sich kontinuierlich aus Adel und Drittem Stand neu rekrutieren; der höhere Klerus erweist sich bei näherem Hinsehen praktisch als Teil des Adels, da er ganz überwiegend aus Priestern adliger Herkunft besteht. 177 Kleriker sind nicht aufgrund ihres Ranges vom Duell ausgeschlossen, sondern weil ihnen das Tragen von Waffen verboten ist. 178 Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 89; zu den Besuchen cf. infra, Praktiken der Freundschaft.

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Methode und Kontext

in der Praxis oft nicht jene Beziehung der absolut freien Wahl des Gegenübers ist, als die sie traditionell in Europa oft gesehen wurde, da oft ein konkretes soziales Feld schon begrenzte Wahlmöglichkeiten vorgibt; für ein höfisch-hochadliges Milieu gilt dies ganz besonders.179 Georg Simmel hat betont, dass eine Aristokratie nur als solche funktionieren kann, wenn sie für das einzelne Mitglied noch überschaubar ist, wenn noch jeder mit jedem bekannt sein kann und die Verwandtschaften und Verschwägerungen innerhalb der Gruppe noch nachverfolgt werden können.180 All dies trifft auf den französischen Hochadel zu. Das hat eine wichtige Konsequenz. Alle Freundschaften am Hof sind politische Freundschaften – nicht in dem Sinne, dass es unpolitische Freundschaften neben ihnen gäbe, sondern in dem Sinne, dass der Aspekt des Politischen aus adligen Freundschaften nicht herauszulösen ist, da jeder Adlige per definitionem Politiker ist. Diese politische Qualität der Freundschaften verbunden mit der Begrenztheit von Hof und Adel hat zur Folge, dass jede neu geschlossene Freundschaft und jede zerbrochene Freundschaft potentiell das gesamte Machtgefüge verändert. Somit betreffen Freundschaften, die ja politische Allianzen sind, nicht nur die Partner selbst, sondern potentiell auch alle anderen Mitglieder der höfischen Gesellschaft. Höfische Freundschaft unterliegt also nicht einem reinen »Königsmechanismus«.181 Zwar sind die Wechsel königlicher Gunst und Ungunst, die einzelnen Personen zuteil wird, der wichtigste Faktor im höfischen Machtgefüge, allein schon deshalb, weil der König der einzige ist, gegen den es innerhalb der höfischen Gesellschaft keine Allianz geben kann – wer die Macht des Königs herausfordert, muss zum Aufständischen werden, wie Cond¦ während und nach der Fronde. Jedoch ist es nicht so, dass der König allein Handelnder wäre und die Adligen lediglich Behandelte oder zumindest nur Reagierende; auch Wechsel der Allianzen unter den Adligen, ohne dass der König zunächst einmal beteiligt wäre, verändern das Gesamtgefüge der Machtbeziehungen innerhalb der höfischen Gesellschaft.

179 Grätz/Meier/Pelican, Zur sozialen Konstruktion von Freundschaft, op. cit., 4. 180 Georg Simmel, Die quantitative Bestimmtheit der Gruppe, in: Ders., Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, hg. von Otthein Rammstedt, Frankfurt am Main 1992 (Georg Simmel Gesamtausgabe, Bd. 11), 63 – 159, hier 66 – 67. 181 Der Terminus stammt aus Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft, op. cit., 44. Bei ihm bezeichnet der Terminus die Funktionsweise der höfischen Gesellschaft, die dadurch charakterisiert ist, dass jede Handlung des Königs, und sei sie auch noch so geringfügig, für ihn eine Quelle der Macht ist, da sie dazu dienen kann, Höflinge zu ehren oder zurückzusetzen.

Die Condé und ihr Umfeld als Akteure im französischen 17. Jahrhundert

I.5.

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Die Condé und ihr Umfeld als Akteure im französischen 17. Jahrhundert

Die vorliegende Studie soll ausdrücklich keine Netzwerkanalyse sein. Der Hof ist ein Milieu, kein Netzwerk, und er wird letztlich auch nicht von jenen dauerhaften Strukturen dominiert, die man für gewöhnlich unter dem Begriff der Netzwerke versteht, sondern von wesentlich flüchtigeren Allianzen. Dass wir uns hier auf Material aus dem Umkreis der Prinzen von Cond¦ stützen, soll also nicht die Analyse der Freundschaft innerhalb einer kohärenten Gruppe zum Ziel haben, sondern Exempel bereitstellen, wie höfische Freundschaft funktioniert. Dabei sind die Quellen aus dem Umkreis der Cond¦ deswegen gut geeignet, weil die Überlieferung besonders reichhaltig ist. Darüber hinaus spielt gerade der Grand Cond¦ eine wechselvolle Rolle im 17. Jahrhundert, so dass man in seinem Umkreis Freundschaft in einer Vielzahl von Situationen beobachten kann – in alltäglichen Situationen, aber auch in Extremsituationen wie Bürgerkrieg und Exil. Beim Durchgang durch die Personen wird auch sichtbar werden, dass die Protagonisten der höfischen Politik, die Autoren von Selbstzeugnissen und die Autoren von Briefen sehr oft dieselben Personen sind, und dass diese Personen zudem untereinander in mannigfaltigen Beziehungen stehen. Es ist in diesem Milieu gang und gäbe, dass der Autor eines Textes in anderen Texten als beschriebene Person auftaucht. Zudem sind viele der beschriebenen Personen führende Mitglieder der höfischen Gesellschaft; man darf also hoffen, dass bei einer auf die Texte dieser Personen gestützten Analyse zum einen eine Kohärenz der Denk- und Verhaltensformen gewährleistet ist, und dass zum anderen die Resultate nicht nur repräsentativ für die beschriebenen Personen, sondern für die Hofgesellschaft als ganze sind. Schon vor dem Grand Cond¦ haben die Cond¦ eine wechselvolle Geschichte zwischen Auflehnung gegen die erstarkende Monarchie und Anpassung an sie, die hier nicht in ihren Einzelheiten dargestellt werden kann.182 So steht der 182 Die Familiengeschichte der Cond¦ ist in toto dargestellt in dem Werk, das zum Ausgangspunkt der Cond¦-Forschung geworden ist: Henri d’Orl¦ans d’Aumale, Histoire des princes de Cond¦ aux XVIe et XVIIe siÀcles, 9 Bde., Paris 1885 – 1896. Der Autor ist jener Herzog von Aumale, der nach dem Aussterben der Cond¦ das Schlosss Chantilly mitsamt dem Cond¦-Archiv geerbt hatte. Zu erwähnen ist in diesem Kontext auch der Text, den der letzte Prinz von Cond¦ in seinem Exil in England verfasste, Louis Joseph de Bourbon, prince de Cond¦, Essai sur la vie du grand Cond¦, London 1807. Aktuelles Standardwerk zu den Cond¦ ist Katia B¦guin, Les princes de Cond¦. Rebelles, courtisans et m¦cÀnes du Grand siÀcle, Seyssel 1999. Cf. auch Christian Jouhaud, Politiques de princes : Les Cond¦, in: Philippe Contamine (Hg.), L’Etat et les Aristocraties (France, Angleterre, Ecosse), XIIeXVIIe siÀcle, Paris 1989, 335 – 355. In englischer Sprache Mark Bannister, Cond¦ in Context. Ideological Change in seventeenth-century France, Oxford 2000.

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Grand Cond¦ sowohl mit seiner Revolte während und nach der Fronde als auch mit seiner späteren Unterstützung der starken Monarchie Ludwigs XIV. in der Familientradition.183 Ein kurzer Blick auf die Biographie Cond¦s ist hier unerlässlich.184 Louis II de Bourbon wird am 8. September 1621 als Sohn von Henri II de Bourbon, Prinz von Cond¦185 im Hútel de Cond¦ in Paris geboren. Er erhält den Titel eines Herzogs von Enghien; beim Tod seines Vaters 1646 erbt er den Titel eines

183 Die Geschichte Frankreichs im 17. Jahrhundert, die den Hintergrund der vorliegenden Studie bildet, ist Gegenstand einer umfangreichen wissenschaftlichen Literatur. An Gesamtdarstellungen sind zu nennen Robert Descimon/Christian Jouhaud, La France du premier XVIIe siÀcle, 1594 – 1661, Paris 1996; Michel Nassiet, La France du second XVIIe siÀcle, Paris 2000; Lothar Schilling, Das Jahrhundert Ludwigs XIV. Frankreich im Grand SiÀcle 1598 – 1715, Darmstadt 2010. Als Gegenentwurf zu der traditionellen, auf Eliten und Zentralstaat zentrierten Perspektive und somit mit besonderer Betonung der bäuerlichen Schichten und der ländlichen Regionen in den Provinzen William Beik, A Social and Cultural History of Early Modern France, Cambridge 2009. Eine ältere Darstellung ist PeterEckhard Knabe (Hg.), Frankreich im 17. Jahrhundert, Köln 1983 (Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur 4). Cf. des weiteren Klaus Malettke, Die Bourbonen, 3 Bde., Stuttgart 2008 – 2009, sowie – mit einem Akzent auf der Fronde – Peter J. Coveney, France in Crisis. 1620 – 1675, Totowa, NJ 1977. Zur Entwicklung des politischen Systems Aleksandra D. Lublinskaya, French Absolutism: the crucial phase, 1620 – 1629, Cambridge 1968; Richard Bonney, Political Change in France under Richelieu and Mazarin. 1624 – 1661, Oxford 1978; Ders., Society and Government in France under Richelieu and Mazarin, 1624 – 61, Basingstoke/London 1988. Cf. des weiteren Mack P. Holt (Hg.), Society and Institutions in Early Modern France, Athens, GA 1991. Ein Klassiker der »Geschichte von unten« ist William Beik, Absolutism and Society in Seventeenth-Century France. State Power and Provincial Aristocracy in Languedoc, Cambridge 1985. Über Frankreich hinausgreifend Heinz Duchhardt/Eberhard Schmitt (Hg.), Deutschland und Frankreich in der frühen Neuzeit. Festschrift für Hermann Weber zum 65. Geburtstag, München 1967 (Ancien R¦gime, Aufklärung und Revolution 12). 184 Der Grand Cond¦ hat eine Reihe von Biographen gefunden; die aktuellste Biographie über ihn ist Bernard Pujo, Le Grand Cond¦, Paris 1995. An weiteren modernen Biographien seien genannt Georges Mongr¦dien, Le Grand Cond¦. L’homme et son œuvre, Paris 1959; Pierre Duhamel, Le Grand Cond¦ ou l’orgueil, Paris 1981; Marc Blancpain, Monsieur le Prince. La vie illustre de Louis de Cond¦, h¦ros et cousin du Grand roi, Paris 1986. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Henri Malo, Le Grand Cond¦, Paris 1937; daneben Hubert Camon, Cond¦ et Turenne. Deux grands chefs de guerre au XVIIe siÀcle, Paris 1933. Schon die Frühe Neuzeit selbst hat biographische Literatur zu Cond¦ hervorgebracht, so Pierre Costes erstmals 1692 veröffentlichte Histoire de Louis de Bourbon, Second du Nome, Prince de Cond¦, et premier prince du sang. Contenant ce qui s’est pass¦ en Europe depuis 1640, jusques en 1686 inclusivement, Den Haag 31748 [erste Auflage 1692]. Bereits zu Lebzeiten des Prinzen erschienen ist Edme Boursault, le prince de Cond¦, Genf 1979 [Nachdruck der Auflage Paris 1675]. 185 Zur Biographie von Henri II de Bourbon cf. jetzt Caroline Bitsch, Vie et carriÀre d’Henri II de Bourbon, Prince de Cond¦ (1588 – 1646), exemple de comportement et d’id¦es politiques au d¦but du XVIIe siÀcle, Paris 2008 (BibliothÀque d’histoire moderne et contemporaine 27).

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Prinzen von Cond¦.186 Er erhält eine Erziehung am Jesuitenkolleg, später an einer Adelsakademie. Seine Ausbildung wird sicher auch deshalb sehr sorgfältig betrieben, weil es lange Jahre so aussieht, als würde er eines Tages den französischen Thron besteigen. Denn während seiner Kindheit regiert der kinderlose Ludwig XIII.; dessen Bruder, Gaston d’Orl¦ans, hat lediglich eine Tochter, die Grande Mademoiselle. Sie spielt später in der Fronde eine wichtige Rolle als Verbündete Cond¦s und hat auch Memoiren über diese Zeit hinterlassen. Henri II de Bourbon ist somit hinter dem Bruder des Königs die Nummer zwei in der Sukzessionsordnung; der zukünftige Grand Cond¦ steht also bereits an dritter Stelle in der Thronfolgeordnung, und ist darüber hinaus der erste Kandidat, der eine Generation jünger ist als Ludwig XIII. selbst. 1638 ändert sich die Situation jedoch schlagartig mit der Geburt des späteren Ludwigs XIV.;187 als 1640 noch dessen Bruder Philippe d’Orl¦ans geboren wird, ist das Aussterben der Bourbonen und die Thronbesteigung der Cond¦ in weite Ferne gerückt – tatsächlich tritt sie nie ein. Louis II de Bourbon konzentriert nun seine Energie auf eine Karriere, die im Adel eine große Tradition hat, nämlich die Militärlaufbahn; er erweist sich dabei als außerordentlich talentiert. Am 19. Mai 1643 erringt er in der Schlacht bei Rocroi einen triumphalen Sieg über die spanischen Truppen.188 Dieser Sieg macht ihn, dem der Weg auf den Thron verbaut ist, dennoch zu einer zentralen Figur der französischen Politik: die Tatsache, dass er mit Anfang zwanzig künftiger erster Prinz von Geblüt und gleichzeitig einer der erfolgreichsten Generäle des Landes ist, verleiht ihm ein politisches Gewicht, das in der seit Richelieu sich herausbildenden Konstruktion der Monarchie ein Risiko darstellt. Auch wenn das entsprechende Exempel erst Jahrzehnte später am Minister Fouquet statuiert wird, der ein prächtigeres Fest feiert als der König:189 186 Der Titel des Herzogs von Enghien ist der traditionelle Titel des ältesten Sohnes des jeweiligen Prinzen von Cond¦. 187 Ludwig XIV. als Person ist Gegenstand zahlreicher Studien, die vollständig aufzuzählen hier unmöglich ist. Erwähnt seien Richard Wilkinson, Louis XIV, London 2007; Uwe Schultz, Der Herrscher von Versailles. Ludwig XIV. und seine Zeit, München 2006; Olivier Chaline, Le rÀgne de Louis XIV, Paris 2005; Lucien B¦ly, Louis XIV. Le plus grand roi du monde, Paris 2005; Geoffrey R. R. Treasure, Louis XIV, Harlow/München 2001; Klaus Malettke, Ludwig XIV. von Frankreich. Leben, Politik und Leistung, Göttingen/Zürich 1994 (Persönlichkeit und Geschichte 143/145). Cf. des weiteren Daniel Dessert, 1661, Louis XIV prend le pouvoir : naissance d’un mythe ?, Brüssel 2000, und Peter Burke, The Fabrication of Louis XIV, New Haven/London 1992. 188 Zur Schlacht von Rocroi cf. Pujo, Le Grand Cond¦, op. cit., 59 – 75; zum Ablauf der Schlacht Gilbert Bodinier, Artikel »Rocroi«, in: FranÅois Bluche (Hg.), Dictionnaire du Grand SiÀcle, Paris 22005, 1348 – 1349. Eine kurze Monographie über die Schlacht ist Laurent Henninger, Rocroi, 1643, Paris 1993, deren Interpretation allerdings nationalistisch gefärbt ist. 189 Zu Aufstieg und Fall Fouquets jetzt Christine Howald, Der Fall Nicolas Fouquet. Mäzenatentum als Mittel politischer Selbstdarstellung 1653 – 1661, München 2011 (Pariser Historische Studien 96).

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unausgesprochene Arbeitsgrundlage der »absoluten« Monarchie190 ist zwar nicht die totale Entmachtung aller anderen Instanzen (ein Gedanke, der unter den vormodernen Bedingungen der Verteilung und Verfügbarkeit von materiellen und machtpolitischen Ressourcen völlig illusorisch ist), wohl aber die Wahrung gebührenden Abstands zwischen dem Monarchen und jedermann sonst. Zudem ist 1642 Richelieu gestorben, und am 14. Mai 1643, wenige Tage vor der Schlacht von Rocroi, stirbt Ludwig XIII.; das Land hat zum Zeitpunkt der Schlacht von Rocroi einen noch nicht fünfjährigen König und eine Regentin, die als Ausländerin keine große Hausmacht hat. In dieser Situation ist die entscheidende Frage, wer der politische Mentor des minderjährigen Königs wird und damit mindestens bis zu dessen Volljährigkeit entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der französischen Politik erhält. Der Sieg bei Rocroi hat Louis II de Bourbon in die Lage gebracht, diese Position beanspruchen zu können. Damit 190 Die Termini »Absolutismus« und »absolute Monarchie« waren und sind Gegenstand kontroverser Debatten unter Historikern. Zur Debatte über die Konzepte selbst Lothar Schilling (Hg.), Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz/L’absolutisme, un concept irremplaÅable? Une mise au point franco-allemande, München 2008, sowie Dagmar Freist, Absolutismus, Darmstadt 2008. Zur absoluten Monarchie jetzt Jan-Frieder Mißfelder, Das Andere der Monarchie. La Rochelle und die Idee der »monarchie absolue« in Frankreich 1568 – 1630 (Pariser Historische Studien 97). Eine Bilanz aus französischer Sicht in Robert Descimon/Fanny Cosandey, L’absolutisme en France. Histoire et historiographie, Paris 2002 (Points : S¦rie Histoire 313). Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive H¦lÀne Merlin, L’absolutisme dans les lettres et la th¦orie des deux corps. Passion et politique, Paris 2000 (LumiÀre classique 29). Cf. des weiteren Yves-Marie Berc¦, La naissance dramatique de l’absolutisme. 1598 – 1661, Paris 1992 (Nouvelle histoire de la France moderne 3). Die Vor- und Nachteile des Begriffes werden diskutiert in Ronald G. Asch/Heinz Duchhhardt (Hg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550 – 1700), Köln/Weimar/Wien 1996 (Münstersche Historische Forschungen 9), wo die Unterscheidung zwischen dem frühneuzeitlichen Diskurs über die absolute Monarchie und dem erst in der Moderne entstandenen Begriff des Absolutismus betont wird; der Begriff des Absolutismus müsse eher heuristisch als deskriptiv verwendet werden. Völlig verneint wird die Nützlichkeit des Konzeptes des Absolutismus hingegen in Nicolas Henshall, The Myth of Absolutism: Change and Continuity in Early Modern European Monarchy, London/New York 1992. Eine Gesamtdarstellung der Epoche ist Johannes Kunisch, Absolutismus, Göttingen 21999. Unter den älteren Beiträgen seien genannt Perry Anderson, Lineages of the Absolutist State, London 1974, deutsch als Ders., Die Entstehung des absolutistischen Staates, Frankfurt am Main 1979; Ernst Hinrichs (Hg.), Absolutismus, Frankfurt am Main 1986 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 535); Hans Patze (Hg.), Aspekte des europäischen Absolutismus. Vorträge aus Anlaß des 80. Geburtstags von Georg Schnath, Hildesheim 1979; Walther Hubatsch (Hg.), Absolutismus, Darmstadt 1973 (Wege der Forschung 314). Der Absolutismus ist auch Thema in Raymond R. Kierstead, State and Society in Seventeenth-Century France, New York 1975. Zur Theorie des Absolutismus Enzo Sciacca, Le radici teoriche dell’assolutismo nel pensiero politico francese del primo cinquecento (1498 – 1519), Mailand 1975 (Pubblicazioni della Facolt— di Giurisprudenza/Universit— di Catania 79). Zur Rolle des Fürsten Wolfgang E. J. Weber (Hg.), Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, Köln/Weimar/Wien 1998.

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aber gerät er in Konflikt mit demjenigen, der als erster Minister die Geschicke des Landes lenken soll: mit Kardinal Mazarin. Der italienische Kardinal hat allerdings zunächst sehr viel erbittertere Feinde als den Herzog von Enghien: zum einen die Parlamente, zum anderen weite Teile des Adels. Beide Gruppen sehen in der Zeit der Minderjährigkeit des Königs eine Chance, um von Richelieu eingeleitete Tendenzen der Bündelung von Macht an der Staatsspitze rückgängig zu machen; sie versuchen, den Aufbau des Staates dahingehend zu ändern, dass ständische Korporationen wieder so an der Macht beteiligt werden, wie dies angeblich im Mittelalter der Fall gewesen sein sei. Der Konflikt zwischen Mazarin und seinen Gegnern wird allerdings hinausgezögert, solange Frankreich noch am Dreißigjährigen Krieg beteiligt ist. Louis II de Bourbon ist aufgrund dieses Krieges längere Zeit im Ausland: so führt er 1644 und 1645 Feldzüge nach Deutschland und 1647 einen Feldzug nach Katalonien. Auf diesen Feldzügen knüpft er Kontakte zu den örtlichen Verbündeten, also zu vielen deutschen Fürsten, zu den mit Frankreich verbündeten Schweden und zu lokalen katalanischen Würdenträgern. Diese Kontakte kommen zu den weitgespannten Verbindungen hinzu, die sein Vater bereits innerhalb und außerhalb Frankreichs aufgebaut hatte. Louis II de Bourbon übernimmt also bereits ein Netzwerk, das er in der Folgezeit ausbaut, bis es sich praktisch über das gesamte lateinische Europa erstreckt.191 Etwa zeitgleich mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges bricht in Frankreich der Konflikt zwischen Mazarin und seinen Gegnern auf: die Fronde beginnt. Die Fronde zeichnet sich durch eine große Komplexität aus, die hier nicht nachgezeichnet werden kann.192 Für ihren Verlauf wie für ihr Scheitern ist 191 Zu Cond¦s europaweiten Verflechtungen und ihrer Verortung im Raum cf. Christian Kühner, Shaping a Political Network, in: Marko Lamberg/Marko Hakanen/Janne Haikari (Hg.), Physical and Cultural Space in Pre-Industrial Europe, Lund 2011, 176 – 195. Ein weiterer Beitrag zur Abbildung von Netzwerken auf Landkarten ist Thierry Rentet, Network Mapping. Ties of fidelity and dependency among the major domestic officers of Anne de Montmorency, in: French History 17 (2003), 109 – 126. 192 Zur Fronde cf. die Gesamtdarstellung von Orest Ranum, The Fronde. A French Revolution, 1648 – 1652, New York/London 1993. Cf. des weiteren Paul Sonnino, Mazarin’s Quest. The Congress of Westphalia and the coming of the Fronde, Cambridge, MA 2008; Hubert Carrier, Le labyrinthe de l’Etat. Essai sur le d¦bat politique en France au temps de la Fronde (1648 – 1653), Paris 2004 (BibliothÀque d’histoire moderne et contemporaine 14); Michel Pernot, La Fronde, Paris 1994; Roger DuchÞne (Hg.), La Fronde en questions, Aix-enProvence 1989; Hubert M¦thivier, La Fronde, Paris 1984 (Collection SUP : L’historien 49); Alanson Lloyd Moote, The Revolt of the Judges. The Parlament of Paris and the Fronde 1643 – 1652, Princeton 1971; Pierre-Georges Lorris, La Fronde, Paris, 1961. Eine wichtige Quelle ist Abraham de Wicquefort, Chronique discontinue de la Fronde. 1648 – 1652, hg. von Robert Mandrou, Paris 1978. In Bordeaux war die Fronde besonders radikal und langlebig, und wurde von einer lokalen Bewegung, der Orm¦e, dominiert, mit der Cond¦ zeitweise ein enges Bündnis einging. Zur Orm¦e Helmut Kötting, Die Orm¦e (1651 – 1653). Gestaltende Kräfte und Personenverbindungen der Bordelaiser Fronde, Münster 1983

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wichtig, dass sie aus mehreren, aufeinanderfolgenden Revolten verschiedener Gruppen besteht. Louis II de Bourbon, seit dem Tod seines Vaters am 26. Dezember 1646 Prinz von Cond¦, hält sich in den ersten Phasen der Fronde vom Aufstand fern, obwohl andere Hochadlige sich der Revolte anschließen. Als sich aber die Lage zuspitzt, lässt Mazarin am 18. Januar 1650 Cond¦, seinen Bruder, den Prinzen von Conti, und seinen Schwager, den Herzog von Longueville präventiv verhaften. Dreizehn Monate bleiben die drei Hochadligen in Haft. Mazarin erreicht damit das Gegenteil des Gewünschten. Als er gezwungen ist, Cond¦ schließlich freizulassen, hat dieser seine Skepsis gegenüber der Fronde hinter sich gelassen. Er teilt nun seinerseits das, was der kleinste gemeinsame Nenner der heterogenen Fronde ist: die Gegnerschaft zu Mazarin. Die Faktoren, die Cond¦ zu einer Ausnahmegestalt in der politischen Landschaft der Zeit machen, sind oben beschrieben worden; es verwundert daher nicht, dass er nicht einer unter vielen Beteiligten an der Fronde wird, sondern ihm deren Führung zufällt. Zwar sieht sich auch Cond¦ als traditioneller Rebell, der nicht gegen, sondern für seinen König rebelliert, als einen Aufständischen, der gegen den mauvais conseiller Mazarin die »Pflicht zur Revolte« hat;193 allerdings überschreitet er den Rubikon, indem er mit den Spaniern paktiert, mit denen Frankreich sich im Kriegszustand befindet. Cond¦ lässt seine Truppen auf Paris marschieren. Dorthin bewegt sich auch die königliche Armee, die von Turenne befehligt wird; er war zeitweise Frondeur gewesen, hatte sich inzwischen aber wieder der Krone unterstellt. Als Cond¦s Armee in Paris ankommt, findet sie die Tore verschlossen vor; Turenne gelingt es am 2. Mai 1652, Cond¦s Truppen im Faubourg Saint-Antoine gegen die Stadtmauer zu drängen. Die Situation scheint für die Aufständischen aussichtslos, doch Cond¦ wird Hilfe von unerwarteter Seite zuteil: die Prinzessin von Montpensier194 lässt die Kanonen von Paris auf die königlichen Truppen feuern und öffnet Cond¦s Truppen die Stadttore. Cond¦ zieht sich mit seiner Armee in die Hauptstadt zurück und beginnt dort Verhandlungen mit den Anführern der Parlamentsfronde. Am 4. Juli kommt es unter nicht ganz geklärten Umständen zu einem Tumult im Hútel de Ville und zu einem Massaker, der sogenannten »terreur cond¦enne«. Auch wenn Cond¦s Anteil an den Geschehnissen nicht klar ist, wendet sich dennoch die Stimmung in Paris gegen ihn. Er ist schließlich am 13. Oktober 1652 gezwungen, Paris zu verlassen; am 12. November 1652 werden ihm seine Titel und Gouvernements aberkannt, seine Besitztümer konfisziert. Cond¦ zieht sich in die Spanischen (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. 14); Eckart Birnstiel, Die Fronde in Bordeaux. 1648 – 1653, Frankfurt am Main/Bern/New York 1985; Sal A. Westrich, The Orm¦e of Bordeaux. A revolution during the Fronde, Baltimore 1972 (Johns Hopkins University studies in historical and political science 89,2). 193 Zu diesem Konzept cf. Jouanna, Le devoir de r¦volte, op. cit. 194 Sie ist die Tochter von Gaston d’Orl¦ans, die oben bereits erwähnte Grande Mademoiselle.

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Niederlande zurück; er wird am 27. März 1654 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Cond¦ ist somit der einzige Anführer der Fronde, der nach dem Scheitern des Aufstandes weiterkämpft – eine Aufgabe wäre einer Unterwerfung unter seinen Erzfeind Mazarin gleichgekommen, woran auch die großzügigen Amnestien nichts ändern, die vielen Frondeuren zuteil werden. Cond¦ ist aufgrund seiner extrem hohen Position als erster Prinz von Geblüt zudem derjenige unter den Frondeuren, der in der neuen Konzeption der Monarchie am klarsten auf der Verliererseite steht: während die traditionellen Eliten der Provinzen sich gerne unterwerfen, wenn ihnen die Krone im Gegenzug ihre Dominanz in der Lokalpolitik garantiert und viele Adlige auch der höheren Ränge die Karriereoptionen zu schätzen wissen, die sich am Hof, im Heer und in der Diplomatie für sie auftun, sind solche Möglichkeiten für Cond¦ nicht attraktiv. Ihm geht es letztlich um eine Beteiligung an der Königsmacht selbst; das aber ist der Punkt, in dem Ludwig XIV. und Mazarin zu keinem Kompromiss bereit sind.195 Statt sich zu unterwerfen, geht Cond¦ daher ins Exil und kämpft auf spanischer Seite weiter – der Krieg zwischen Spanien und Frankreich ist vom Westfälischen Frieden ausgenommen und dauert somit an. Acht Jahre lang, von 1652 bis 1659, führt er vom spanischen Machtbereich aus Krieg gegen den Kardinal, der seiner Ansicht nach den jungen König manipuliert. Erst als Spanien und Frankreich 1659 den Pyrenäenfrieden schließen, muss Cond¦ aufgeben. Sein hohes Ansehen bei den Spaniern und eine geschickte Verhandlungsführung ermöglichen es ihm jedoch, zu vergleichsweise günstigen Konditionen nach Frankreich zurückzukehren: im Gegenzug für seine Unterwerfung erreicht er nicht nur Straffreiheit für sich und seine Gefolgsleute, sondern auch die weitgehende Restitution seiner Güter. Allerdings kann Cond¦ nach seiner Rückkehr seine Machtposition von vor der Fronde nicht wiedererlangen: er ist zwar immer noch der erste Prinz von Geblüt, aber nun ist er ein begnadigter Rebell, nicht mehr der Anführer einer mächtigen und bewaffneten Adelsfraktion, wie er das vor und während der Fronde gewesen war. Zudem haben sich die Machtgleichgewichte verschoben. Trotz aller berechtigten Kritik an den Konzepten der »absoluten Monarchie« und der »Domestizierung des Adels« ist die Fronde ein Wendepunkt: nach ihrem Scheitern werden von Hochadligen befehligte Truppen nie mehr zu einem Machtfaktor in der französischen Innenpolitik. Auch diejenigen grands, die loyaler sind als Cond¦, verlieren in der nun anbrechenden Zeit der Alleinregierung Ludwigs XIV. an politischer Macht, da dieser die zunehmend wichtiger 195 Cf. Christian Kühner, ›Il va de ma vie, de mon honneur et par cons¦quent de tout‹. Die Selbstinszenierung des Grand Cond¦, in: Ronald G. Asch/Birgit Emich/Jens Ivo Engels (Hg.), Integration, Legitimation, Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, Frankfurt am Main 2011, 115 – 130.

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werdenden Minister- und Staatssekretärsposten systematisch mit Bürgerlichen oder Nobilitierten besetzt, also mit Personen, die keine traditionelle Hausmacht in Form von Landbesitz und Netzwerken von niederadligen Gefolgsleuten in der Provinz haben. Als Cond¦ daher von der polnischen Königin Marie-Louise de Gonzague das Angebot erhält, seinen Sohn zum König von Polen wählen zu lassen, unterstützt er das Projekt. Es scheitert zwar, ebenso wie Cond¦s eigene Kandidatur kurz darauf. Dennoch unterstreicht diese Episode eindrucksvoll, dass hoher Rang verbunden mit europaweiten Netzwerken enorme Handlungsoptionen bietet: als frisch begnadigter Hochverräter nach einer Königskrone zu greifen, ist alles andere als gewöhnlich.196 Trotz des Scheiterns des polnischen Sukzessionsprojekts kann Cond¦ nach einer gewissen Karenzzeit auch in Frankreich wieder an frühere Erfolge anknüpfen. Von politischen Entscheidungen bleibt er zwar auf Dauer ausgeschlossen, aber Ludwig XIV. macht sich Cond¦s militärisches Talent zunutze: ab dem Devolutionskrieg darf Cond¦, der seinen Zeitgenossen zusammen mit Turenne als größter französischer Heerführer seines Zeitalters gilt, wieder französische Armeen befehligen. Daneben konzentriert sich der Prinz auf die Verschönerung des Familiensitzes Schloss Chantilly,197 das systematisch zu einem Zentrum der Künste ausgebaut wird. Cond¦ protegiert viele Künstler ; man kann das so deuten, dass die unmöglich gewordene politische Patronage durch das Mäzenatentum ersetzt wird. Cond¦ unterhält eine eigene Theatertruppe, die durchaus nicht nur in Chantilly spielt, sondern auch auf Tournee geht.198 Er lässt in Chantilly Gärten anlegen und verpflichtet dazu den Landschaftsarchitekten Andr¦ Le Nútre, der auch die Gärten von Versailles gestaltet hat. Nicolas Boileau, der große Literaturtheoretiker des französischen siÀcle classique, ist ein häufiger Gast in Chantilly ; Cond¦ lädt ihn manchmal ein, in den Wäldern von Chantilly mit auf die Jagd zu kommen. Boileau stellt ihm auch den jungen Jean Racine vor, für den 196 Zu Cond¦s europäischen Kontakten in ihrer Eigenschaft als Machtressource cf. Christian Kühner, Hochadlige Außenverflechtung zwischen Fürstendienst und Hochverrat. Der Grand Cond¦ als europaweit tätiger Akteur, in: Hillard von Thiessen/Christian Windler (Hg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, Köln/Weimar/Wien 2010, 63 – 77. Zu Marie-Louise de Gonzagues Biographie vgl. das ihr gewidmete Kapitel in Lucien B¦ly, La soci¦t¦ des princes. XVIe-XVIIIe siÀcle, Paris 1999, 246 – 259. Ein Teil der Korrespondenz der Königin mit dem Hause Cond¦ liegt in edierter Form vor: Le Grand Cond¦ et le duc d’Enghien, Lettres in¦dites — Marie-Louise de Gonzague, Reine de Pologne, sur la cour de Louis XIV (1660 – 1667), hg. v. Emile Magne, Paris 1920. 197 Das Schloss von Chantilly, das heute eine der bedeutendsten Kunstsammlungen Frankreichs beherbergt, ist Gegenstand mehrerer Studien, Jean-Pierre Babelon, Le ch–teau de Chantilly, Paris 2008, und Raoul de Broglie, Chantilly. Histoire du ch–teau et de ses collections, Paris 1964. 198 Pujo, Le Grand Cond¦, op. cit., 353.

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Cond¦ zweimal öffentlich Partei ergreift, als seine Tragödien »Berenike« und »Phädra« von Kritikern scharf attackiert werden. Ständig erweitert der bibliophile Prinz durch Zukäufe seine enorme Bibliothek; dorthin lädt er Intellektuelle ein, um mit ihnen zu diskutieren, darunter Louis Bourdaloue, Jacques B¦nigne Bossuet und Nicolas Malebranche.199 Seine Tätigkeit als Protektor der Wissenschaften gipfelt darin, dass er unter seiner Schirmherrschaft eine eigene Akademie einrichtet.200 Der Grand Cond¦ stirbt am 11. Dezember 1686 in Fontainebleau an den Pocken. Fortan bleibt sein Haus loyal zur Monarchie; die Erinnerung daran, dass der berühmteste Vertreter der Familie auch ein Rebell war, wird eher verschämt gepflegt.201 Der Grand Cond¦ hat zwei Geschwister, die ebenfalls wichtige politische Akteure des französischen 17. Jahrhunderts sind. Sein Bruder, Armand de Bourbon, prince de Conti (1629 – 1666), ist von fragilem Gesundheitszustand. Aus diesem Grund bestimmt ihn die Familie für die geistliche Laufbahn; die Priesterweihe empfängt er jedoch niemals. Er wird zusammen mit seinem Bruder verhaftet und schließt sich wie er nach ihrer Befreiung im Jahre 1651 der Fronde an. Im Gegensatz zu seinem Bruder jedoch unterwirft sich Conti nach dem Scheitern der Fronde und geht sogar noch weiter : er heiratet Anna Maria Martinozzi, eine Nichte des Kardinals Mazarin. Mit ihr begründet er die Linie der Prinzen von Conti: ihre beiden Söhne werden der zweite und der dritte Prinz von Conti. Die politischen Parteinahmen des Grand Cond¦ und des Prinzen von Conti zeigen, dass im Milieu von Hof und Hochadel des grand siÀcle die Mitglieder ein und derselben Familie durchaus radikal entgegengesetzte politische Entscheidungen treffen können. Anne-GeneviÀve de Bourbon (1619 – 1679) ist die Schwester der Prinzen von Cond¦ und Conti. Sie heiratet im Jahre 1642 Henri II d’Orl¦ans, duc de Longueville (1595 – 1663) und wird somit Herzogin von Longueville. Zusammen mit ihren beiden Brüdern nimmt sie in führender Position an der Fronde teil; während dieser Zeit führt sie eine Liebesbeziehung mit La Rochefoucauld, der seinerseits an der Fronde teilnimmt. Nach dem Scheitern der Fronde wendet sie sich dem Jansenismus zu und ist bis zu ihrem Tod eine wichtige Protektorin des 199 Ebd., 362 – 363. 200 Cf. Katia B¦guin, L’acad¦mie du Grand Cond¦ : un asile de la libert¦ scientifique ?, in: Christiane Demeulenaere-DouyÀre/Eric Brian (Hg.), RÀglement, usages et science dans la France de l’absolutisme, Paris/London/New York 2002, 25 – 35. 201 Cf. hierzu Katia B¦guin, La trahison glorieuse. Une transfiguration de la m¦moire de la Fronde cond¦enne — la fin du XVIIe siÀcle, in: Horst Carl/Martin Wrede (Hg.), Zwischen Schande und Ehre: Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise, Mainz 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Beihefte 73), 53 – 64.

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Klosters Port-Royal-des-Champs. Ihr Ehemann, der Herzog von Longueville, nimmt ebenfalls an der Fronde teil; er wird auch gemeinsam mit seinen beiden Schwagern Cond¦ und Conti inhaftiert. Der Grand Cond¦ heiratet im Februar 1641 Claire-Cl¦mence de Maill¦-Br¦z¦ (1628 – 1694). Sie ist die Tochter von Urbain de Maill¦-Br¦z¦, mar¦chal de France (1597 – 1650), der mit einer Schwester Kardinal Richelieus verheiratet ist; somit ist sie eine Nichte des Kardinals. Sie hat mit dem Grand Cond¦ drei Kinder, von denen zwei als Kleinkinder sterben. Ihr einziger überlebender Sohn ist HenriJules de Bourbon (1643 – 1709), der nach dem Tod des Grand Cond¦ Prinz von Cond¦ wird. Er wird – auch im Hinblick auf das polnische Sukzessionsprojekt – 1663 mit Anna Henriette von Pfalz-Simmern (1648 – 1723) vermählt. Sie ist eine Nichte Marie-Louise de Gonzagues und wird von ihrem Ehemann, dem polnischen König Johann Kasimir, adoptiert.

I.5.1. Der Grand Condé und sein Umkreis Die Menge der Personen, mit denen der Grand Cond¦ Briefe austauscht, ist enorm; man kann dies beispielsweise daran ersehen, dass allein seine Korrespondenz als amtierender Prinz von Cond¦, also zwischen 1646 und 1686, im Archiv von Chantilly 108 großformatige Bände füllt. Nun ist es ein Kurzschluss, aus Korrespondenz auf Freundschaft zu schließen; eine Prosopographie von Cond¦s Korrespondenzpartnern würde für unsere Fragestellung eher irreführende Scheingenauigkeiten als wirkliche Aufschlüsse bringen. Der Prinz hat zudem eigene Memoiren nicht hinterlassen;202 man kann also nicht dort nachschauen, welche Personen er als Freunde betrachtete, und dann gezielt deren Korrespondenz durcharbeiten. Teile des Cond¦-Netzwerks sind darüber hinaus prosopographisch bereits aufgearbeitet worden, so dass auf die dort erzielten Ergebnisse zurückgegriffen werden kann.203 Hier soll daher qualitativ anstatt 202 Der pÀre Bergier berichtet, Cond¦ sei von seinen Freunden gedrängt worden, Memoiren zu schreiben: »Ses meilleurs amis l’ont conjur¦ cent fois d’enrichir la post¦rit¦ de ce qu’elle ne sÅauroit qu’imparfaitement s’il ne l’en instruisoit.« Er habe dies jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass er solche Memoiren nicht schreiben könnte, ohne schmeichelhaft von sich und vielleicht schlecht von anderen zu reden, cf. FranÅois Bergier, De morte Ludovici Borbonii, Principis Condaei, primi e regio sanguine principis; et de praeclare ab eodem in vita gestis, epistolae duae, Paris 1689, 322 – 323. 203 Die Adelspartei der Cond¦ vor und während der Fronde findet sich in dem ausgezeichneten prosopographischen Anhang der Monographie von B¦guin, Les Princes de Cond¦, op. cit., 395 – 440. Einen anderen Personenkreis untersucht Pierre Lefebvre, Aspects de la « fid¦lit¦ » en France au XVIIe siÀcle: le cas des agents des princes de Cond¦, in: Revue Historique 250 (1973), 59 – 106; Lefebvre versteht unter einem »Agenten« einen Amtsträger im Haushalt und in den Besitzungen des Prinzen.

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quantitativ vorgegangen werden; einige der wichtigsten Personen sollen vorgestellt werden, die in den herangezogenen Quellen eine herausragende Rolle spielen. Eine Gruppe, die Beachtung verdient, sind die sogenannten petits-ma„tres. Es handelt sich um eine Gruppe von Jugendfreunden Cond¦s, die vor allem durch ihre Libertinage im Reden und Handeln auffällt. Der Kreis ist nicht institutionalisiert, und es findet sich daher auch nirgends in der Literatur zu den Cond¦ eine Liste seiner Mitglieder.204 Pierre Coste erwähnt zwar den Begriff der PetitsMa„tres, nennt aber keine Namen: »Alors, beaucoup de Petits-Ma„tres, qui s’¦toient attach¦s auprÀs de ce Prince, lui conseilloient de s’en retourner — la Cour pour y recevoir les applaudissemens qui ¦toient d˜s — sa valeur.«205 Schon das unbestimmte »beaucoup de Petits-Ma„tres« weist darauf hin, dass damit kein geschlossener, genau bestimmbarer Personenkreis gemeint ist. Die Quellenlage zu Freundschaft bei den petits-ma„tres ist eher dürftig: viele von ihnen sterben früh, wie etwa Cond¦s enger Jugendfreund La Moussaye,206 und im Archiv von Chantilly finden sich für die meisten von ihnen nur eine Handvoll Briefe. Das gilt beispielsweise für Gaspard de Coligny, marquis d’Andelot, duc de Ch–tillon.207 1620 geboren, stirbt er 1649 in der Schlacht von Charenton. Er scheint eine enge Verbindung zu Henri II de Bourbon gehabt zu haben; er verbringt einen Großteil seines Lebens in der Entourage des Prinzen und stirbt jung an der Seite des Prinzen. Da keiner von beiden Memoiren verfasst hat und sie sich wenige Briefe schrieben (was damit zu tun haben mag, dass sie sich sehr häufig sahen), gibt es sehr wenige Quellen, aus denen Details über ihre Beziehung zueinander zu entnehmen wären. Die Freundschaften Cond¦s mit den petits-ma„tres bieten ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass gerade von den 204 Katia B¦guin nennt Charles d’Aumont, Arnaud de Corbeville, Bussy-Rabutin, den chevalier de Chabot, Amaury de Goyon und Gaspard de Coligny als »les principaux des ›petitsma„tres‹«, Katia B¦guin, Les Princes de Cond¦, op. cit., 102. Eine andere Liste gibt Pujo, Le Grand Cond¦, op. cit., 53: »Pendant cet hiver de l’ann¦e 1641, le duc d’Enghien mÀne joyeuse vie — Paris, escort¦ de toute une bande d’amis — sa d¦votion, ceux que l’on appellera ›les petits ma„tres‹: d’Andelot, futur duc de Ch–tillon, et son frÀre Coligny, Pisani, fils de la marquise de Rambouillet, La Roche-Guyon, frÀre de Marthe du Vigean, La Moussaye, ami particuliÀrement proche, Toulangeon, frÀre du mar¦chal de Gramont; Chabot qui deviendra Rohan; Montmorency-Boutteville, futur mar¦chal de Luxembourg…« 205 Cf. Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 31. 206 FranÅois de Goyon-Matignon, baron de Nogent, baron de La Moussaye (gestorben 1650). B¦guin, Les Princes de Cond¦, op. cit., 421 – 422, urteilt über ihn: »De tous les petitsma„tres, c’est le plus proche du duc d’Enghien, qui l’avait choisi comme confident.« B¦guin erläutert darüber hinaus, dass auch sein älterer Bruder, der kurz vor ihm verstirbt, Amaury de Goyon, marquis de La Moussaye (gestorben 1647 oder 1648), Louis II de Bourbon nahesteht: »Il est, comme son frÀre cadet FranÅois de Goyon-Matignon, un intime du duc d’Enghien, et l’un des petits-ma„tres.« Ebd., 421. 207 Für einen biographischen Abriss zu Gaspard de Coligny cf. Katia B¦guin, Les Princes de Cond¦, op. cit., 413.

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Zeitgenossen als eng wahrgenommene Freundschaften nicht zwingend viele Dokumente hinterlassen müssen. Mehrere Autoren, deren Selbstzeugnisse hier zitiert werden, waren nach eigenen Angaben ursprünglich mit Cond¦ befreundet, bevor sie mit ihm gebrochen haben. Dies gilt insbesondere für die drei Autoren Bussy-Rabutin, ColignySaligny und Tavannes. Roger de Rabutin, comte de Bussy (1618 – 1639) ist eine schillernde Figur, die hier bei weitem nicht so ausführlich beschrieben werden kann, wie es ihr zukäme.208 Der Graf hat zunächst ein gutes Verhältnis zu Cond¦; als dieser von Mazarin aus der Haft entlassen wird, zwingt er Bussy-Rabutin, seine Charge als Lieutenant an Cond¦s Favoriten Guitaut zu verkaufen. Daraufhin bricht BussyRabutin mit dem Prinzen und stellt sich in der wiederaufflammenden Fronde in den Dienst Mazarins. Seine höfische Karriere endet 1665 jäh, als seine Histoire amoureuse des Gaules – ein bis dahin geheim gehaltener satirischer Text, in dem die gesamte adlige Prominenz seiner Zeit, allen voran Cond¦, verspottet wird – durch Bussy-Rabutins Unvorsichtigkeit in die Hände eines Verlegers gerät, der Raubdrucke davon verkauft. Zunächst wird Bussy-Rabutin in der Bastille inhaftiert. Nach sechzehn Monaten verbannt Ludwig XIV. ihn vom Hof; er muss die nächsten siebzehn Jahre auf seinem Schloss in Burgund verbringen. Als es ihm schließlich gelingt, rehabilitiert zu werden, muss er feststellen, dass inzwischen eine neue Generation von Höflingen die einflussreichen Positionen bei Hof besetzt hat; da er erkennt, dass er an seine frühere Karriere als wichtiger Höfling nicht wieder anknüpfen kann, verlässt er den Hof nach kurzer Zeit wieder und zieht sich endgültig auf seine Güter in Burgund zurück. Es war nicht zuletzt Cond¦, der Bussy-Rabutins Verbannung aktiv betrieben hatte. Der verbannte Bussy-Rabutin wiederum versucht seinerseits den Prinzen umzustimmen und ihn dazu zu bewegen, sich für seine Begnadigung einzusetzen: so schreibt er Cond¦ einen Brief, in dem er die Autorschaft an der Histoire amoureuse des Gaules zwar zugibt, jedoch behauptet, diejenigen Passagen, die 208 Die Kombination von literarischem Werk und bewegter Biographie hat Bussy-Rabutin das Interesse vieler Gelehrter eingebracht. Immer noch informativ ist Emile G¦rard-Gailly, Bussy-Rabutin. Sa vie, ses œuvres et ses amies, Paris 1909. Bussy-Rabutins Korrespondenz wird analysiert in C¦sar Rouben, Bussy-Rabutin ¦pistolier, Paris 1974. Unter den jüngeren Werken ist wichtig FranÅois-Antoine Mertens, Bussy-Rabutin, m¦morialiste et ¦pistolier, Louvain-la-Neuve 1984. Zwei wichtige literarische Biographien Bussy-Rabutins sind Jean Orieux, Bussy-Rabutin. Le libertin galant homme (1618 – 1693), Paris 1958; sowie Jacqueline DuchÞne, Bussy-Rabutin, Paris 1992. Zum Sturz Bussy-Rabutins J¦rúme Loiseau, La disgr–ce de Roger de Rabutin, comte de Bussy, — la lumiÀre des pratiques de clientÀles, in: Annales de Bourgogne 76 (2004), 23 – 40; zu Bussy-Rabutins Exil Christian Kühner, L’esilio nel regno: la caduta in disgrazia del conte di Bussy-Rabutin, in: Fabio Di Giannatale (Hg.), Escludere per governare. L’esilio politico fra Medioevo e Risorgimento, Florenz 2011, 96 – 113.

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für Cond¦ beleidigend seien, seien von seinen Feinden nachträglich in das Manuskript eingefügt worden; der Brief ist im Archiv von Chantilly erhalten.209 Zwischen Bussy-Rabutin und Cond¦ kann man von zerbrochener Freundschaft sprechen; dabei wird deutlich, dass die Beziehung klar politisch ist – es geht um die Haltung in der Fronde und um die Frage, wessen Karriere Cond¦ fördert. An der Figur Bussy-Rabutins kann auch illustriert werden, wie eng das gesamte Milieu der höfischen Gesellschaft verflochten ist. Jenseits seiner Beziehung zu Cond¦ hat er viele Kontakte zu anderen in diesem Kapitel erwähnten Persönlichkeiten. Bussy-Rabutin ist der Cousin von Madame de S¦vign¦, die als Autorin von Briefen eine wichtige Quelle ist.210 Er verfasst einmal mit der Grande Mademoiselle zusammen eine Satire auf Turenne. Seine Mätresse, Madame de Montglas, ist nicht nur ihrerseits eine der engsten Vertrauten der Grande Mademoiselle, sondern auch die Frau von Monsieur de Montglat,211 der selbst ein wichtiger Memoirenautor des grand siÀcle ist.212 Bussy-Rabutin korrespondiert mit Coligny-Saligny, der in Burgund nicht weit von ihm entfernt lebt – in der Zeit von Bussy-Rabutins Exil hat sich Coligny-Saligny wegen seiner mit fortschreitendem Alter immer schwerer werdenden Gichterkrankung auf seine Güter zurückgezogen; die beiden sind miteinander befreundet. Außerdem ist er als Besitzer des Schlosses Bussy-Rabutin Nachbar von Cond¦s Favorit Guitaut, dem in der Nähe das Gut Êpoisses gehört.213 Möglicherweise rivalisieren die beiden um die lokale Dominanz in diesem Teil von Burgund, was auch ihren Kampf um Cond¦s Gunst in ein neues Licht tauchen würde. Wie Stuart Carroll nachgewiesen hat, ist der Zusammenhang von Duellen, Familienfehden und Nachbarschaftskonflikten enger als von der Forschung bisher angenommen;214 es ist somit wahrscheinlich, dass solche Konflikte auch in höfische Rivalitäten hin209 Archives de Chantilly P XXXVII 314 – 319, Le comte de Bussy-Rabutin au prince de Cond¦, 9. November 1668. 210 Zur Biographie Madame de S¦vign¦s cf. Roger DuchÞne, Naissance d’un ¦crivain. Madame de S¦vign¦, Paris 1996; Jeanne A. Ojala/William T. Ojala, Madame de S¦vign¦. A Seventeenth-century Life, New York 1990. Zu ihrer Korrespondenz Nathalie Freidel, Public et priv¦ dans la « Correspondance » de Madame de S¦vign¦, Paris, 2000 (LumiÀre classique 85); Christiane Solte-Gresser, Leben im Dialog. Wege der Selbstvergewisserung in den Briefen von Marie de S¦vign¦ und Isabelle de CharriÀre, Königstein im Taunus 2000 (Frankfurter feministische Texte: Literatur und Philosophie 4); MichÀle Longino Farrell, Performing motherhood. The S¦vign¦ correspondence, Hanover, NH 1991. 211 DuchÞne, Bussy-Rabutin, op. cit., 148, 152. – Man findet auch andere Schreibweisen des Namens wie Monglat, Monglas. 212 Cf. FranÅois de Paule de Clermont, marquis de Montglat, M¦moires de FranÅois de Paule de Clermont, marquis de Montglat, in: Joseph-FranÅois Michaud/Jean-Joseph-FranÅois Poujoulat (Hg.), Nouvelle collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, Bd. 3/5, Paris 1838, 1 – 365. 213 DuchÞne, Bussy-Rabutin, op. cit., 201. 214 Carroll, Blood and Violence in Early Modern France, op. cit.

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einwirken. Dazu passt auch, dass Coligny-Saligny, der ebenfalls aufgrund der Konkurrenz mit Guitaut um die Gunst des Prinzen mit Cond¦ bricht, auch aus Burgund stammt; möglicherweise ist auch er ein Rivale Guitauts in lokalen Konflikten. Zudem sind Bussy-Rabutin, Guitaut und Coligny-Saligny allesamt Grafen; gerade der Umstand, dass sie der gleichen Rangstufe angehören, macht Spannungen zwischen ihnen um ihre Position in ihrer Heimatregion Burgund wahrscheinlich. Die Cond¦ haben traditionell das Amt des Gouverneurs von Burgund inne und sind somit die erste Familie der Provinz; sie residieren zwar nicht dort, haben dort aber ihre Grablege. Das macht für die erwähnten Grafen die Gunst der Cond¦ zu einer entscheidenden Machtressource. Auf der anderen Seite darf dieses Beispiel nicht verallgemeinert werden: da der Hof Adlige aus allen Teilen Frankreichs versammelt, haben die meisten keine einander benachbarten Besitzungen und somit keine Rivalitäten aus der Heimatregion, die sie in den Hof hineintragen. Der Stellenwert der Nachbarschaftskonflikte wird daher niedriger anzusetzen sein als im Adel einer Region, wo es viele Anlässe zu solchen Konflikten gibt. Der Hof selbst schafft in Form der Rivalitäten um königliche Gunst und um Ämter eigene Konfliktanlässe. Jacques de Saulx, comte de Tavannes (1620 – 1683)215 war bereits ein Prot¦g¦ von Henri II de Bourbon gewesen, der ihn 1637 in der Nachfolge seines Onkels zum bailli von Dijon macht. In den 1640er Jahren folgt er Louis II de Bourbon auf mehreren Feldzügen. Er ist auch in der Fronde zunächst ein Gefolgsmann des Prinzen – er kommandiert sogar dessen Truppen – wendet sich aber im Verlauf des Aufstandes ebenfalls von ihm ab. Er selbst stellt die Geschichte des Bruches so dar : als sich die Fronde cond¦enne radikalisiert, üben Tavannes’ Freunde Druck auf ihn aus, er solle beizeiten mit Cond¦ brechen, bevor dieser zum Usurpator würde.216 Seine Tante, die Gräfin von Tygery, droht ihm gar mit Enterbung, wenn er nicht mit dem Prinzen bricht.217 Tavannes versucht zu lavieren und den Prinzen zu unterstützen, aber ohne in eventuelle »folies« verwickelt zu werden. Ende 1652 kommt der prince de Tarente Cond¦ in einer brenzligen Lage mit seinen Truppen zu Hilfe – zum Dank sieht sich Cond¦ gezwungen, ihm das Kommando über seine eigenen Truppen zu übertragen, das er somit Tavannes entziehen muss. Tavannes quittiert daraufhin den Dienst, da er, wie er ausführt, unmöglich unter jemand anderem in einer Truppe dienen könne, die er davor selbst kommandiert hatte.218 Ob Tavannes tatsächlich aus verletztem Stolz mit Cond¦ bricht oder ob er einen Vorwand sucht, um aus dem immer aussichtsloseren Aufstand auszusteigen, muss offenbleiben. 215 Zu Tavannes B¦guin, Les Princes de Cond¦, op. cit., 437. 216 Jacques de Saulx comte de Tavannes, M¦moires. Contenant ce qui s’est pass¦ de plus remarquable de 1649 jusqu’en 1653, Paris 1691, 319 – 320. 217 Ebd., 320 – 322. 218 Ebd., 369 – 373.

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Der Graf von Coligny-Saligny (1617 – 1686) vollzieht den Bruch mit Cond¦ am radikalsten. Das mag damit zusammenhängen, dass er ihn sehr viel später vollzieht als die anderen bisher beschriebenen Adligen. Er bleibt Cond¦ über die Fronde hinaus treu und folgt ihm ins Exil. Er kehrt auch erst nach dem Pyrenäenfrieden im Zuge von Cond¦s eigener Amnestie nach Frankreich zurück. Er notiert, dass er zu den drei Personen gehört, die im Januar 1660 mit Cond¦ zusammen in dessen eigener Kutsche nach Frankreich zurückkehren;219 einem Freund einen Platz in der eigenen Kutsche zuzuweisen, ist ein Zeichen der Nähe.220 Die beiden anderen Passagiere in der Kutsche sind der Graf von Guitaut und der spätere mar¦chal de Luxembourg, ein Cousin Cond¦s, der mit ihm zusammen erzogen worden war.221 Zum Bruch zwischen Cond¦ und ColignySaligny kommt es 1661, als Cond¦ sich weigert, Coligny-Saligny durch seine Empfehlung dazu zu verhelfen, Chevalier du Saint-Esprit zu werden.222 Monmerqu¦, der die Memoiren Coligny-Salignys ediert hat, verweist erläuternd darauf, dass der König Cond¦ erlaubt hatte, einen Ritter zu bestimmen; allgemein war die Ernennung Coligny-Salignys erwartet worden, Cond¦ schlägt aber statt dessen seinen Favoriten Guitaut vor.223 Es ist verständlich, dass ColignySaligny, der anders als etwa Bussy-Rabutin oder Tavannes nicht während der Fronde die Seiten gewechselt, sondern den ganzen Aufstand hindurch und darüber hinaus im Exil dem Prinzen die Treue gehalten hat, von diesem Dankbarkeit erwartet, die sich in einer Belohnung manifestieren soll; er empfindet Cond¦s Verhalten ganz offensichtlich als Bruch der unausgesprochenen Verpflichtung, die eine so lange und enge Freundschaft mit sich bringt. Begonnen hatte die enge Beziehung Coligny-Salignys zu Cond¦, als dieser ihn zum mestre-de-camp-lieutenant des Regiments des Herzogs von Enghien gemacht hatte. Coligny-Saligny sieht dies als Ausgangspunkt seiner langen und verhängnisvollen Bindung an Cond¦, die im Hass endet:

219 Jean de Coligny-Saligny, M¦moires du comte de Coligny-Saligny, hg. von Louis Jean Nicolas Monmerqu¦, Paris 1841, 60 – 61: »Au bout de deux ou trois jours nous poursuivismes notre voyage, n’estant que quatre dans le carrosse de M. le Prince, sÅavoir: luy, Boutteville, Guitaud et moy.« 220 Cf. infra, Praktiken der Freundschaft. 221 FranÅois-Henry de Montmorency-Boutteville (1628 – 1695) ist ein Neffe von Cond¦s Mutter, die aus dem Hause Montmorency stammt. Er wird 1661 durch Heirat duc de Piney-Luxembourg und damit pair de France und 1675 mar¦chal de France. – Seine Schwester, Elisabeth-Ang¦lique de Montmorency-Boutteville (1620 – 1695) heiratet 1646 Cond¦s Jugendfreund Gaspard de Coligny und wird dadurch duchesse de Ch–tillon. Nach Gaspard de Colignys Tod 1649 heiratet sie 1664 Christian Ludwig I. zu Mecklenburg und wird somit Herzogin von Mecklenburg-Schwerin. 222 Coligny-Saligny, M¦moires, op. cit., 64 – 67. 223 Ebd., xxi.

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»Hinc mihi prima mali labes.224 C’est ce qui a est¦ cause que je me suis attach¦ — lui, et que j’ai fait beaucoup de choses contre mon inclination, et ensuite avec les Espagnols, sept ans, et deux fois prisonnier de guerre pour son service; et tout cela s’est termin¦ en une guerre mortelle et une haine irr¦conciliable entre nous; car s’il me hait en diable, je le hais en diable et demi; mais revenons.«225

Da er Cond¦ hasst, sind Coligny-Salignys Memoiren durchzogen von Invektiven gegen den Prinzen, die alle paar Seiten en passant in die Erzählung eingeflochten werden; der Text ist somit auch ein eindrucksvolles Dokument des Umschlags gebrochener Freundschaften in Feindschaften. Wie zu zeigen sein wird, schlagen gebrochene Freundschaften in der kleinen Welt des Adels nicht in Indifferenz um, sondern in Feindschaft. Das Beispiel illustriert dies deutlich: Cond¦ und Coligny-Saligny können einander nicht einfach ignorieren, da sie ja weiterhin Prinz und Graf bleiben. Sie begegnen sich weiterhin am Hof; nachdem sie wegen Cond¦s Weigerung, Coligny-Saligny zur Mitgliedschaft im Orden vom Heiligen Geist zu verhelfen, miteinander gebrochen haben, verlangt Coligny-Saligny eine Beteiligung an der Summe, die die Spanier Cond¦ als Entschädigung für die Kosten zukommen lassen, die er während des Kampfes auf ihrer Seite gehabt hatte. Darüber kommt es beinahe zum Duell der beiden.226 Cond¦s Favorit Guillaume de Pechpeyrou de Comminges (1626 – 1685), comte de Guitaut, ist ebenfalls eine wichtige Figur. Es gibt keine Memoiren und fast keine Briefe von ihm; die wichtigsten Selbstzeugnisse, die im Zusammenhang mit ihm zu erwähnen sind, sind Abschriften von 114 Briefen Cond¦s an ihn, die in Chantilly überliefert sind.227 Er ist Page des Kardinals Richelieu, dann corvette der chevau-l¦gers Cond¦s. Er folgt Cond¦ ins Exil und ist dessen premier gentilhomme. Durch seine Heirat mit Madeleine de la Grange d’Arquian wird er marquis d’Êpoisses.228 Aus den Quellen geht aber nicht hervor, was letztlich der Grund ist, warum Cond¦ ihn derart gegenüber seinen anderen Gefolgsleuten bevorzugt. Guitaut ist besonders eindeutig das, was die sozialwissenschaftlich inspirierte Patronageforschung einen Klienten nennt; Cond¦ ist sein Patron. Wie zu zeigen sein wird, spricht Cond¦ in Briefen an Guitaut sehr oft von ihrer Freundschaft; man könnte nun einwenden, diese Freundschaft sei ja keine, denn es handle sich ja um eine Patronagebeziehung und somit nicht um eine »echte« Freundschaft. Eine solche Entgegensetzung soll hier abgelehnt werden. Da die 224 Wie die Edition erläutert, stammt das lateinische Zitat aus Vergil, Aeneis, II, 97. Die Wendung »prima mali labes« wird von Gaffiot, dictionnaire latin-francais, Paris 1934, als »commencement de ma chute et de mes malheurs« übersetzt. 225 Coligny-Saligny, M¦moires, op. cit., 18. 226 Ebd., 71 – 83. 227 Archives de Chantilly O I 161 – 219, Copies de 114 lettres adress¦es au comte de Guitaut par le Grand Cond¦, en un cahier de 57 ff., donn¦ au duc d’Aumale par le comte de Guitaut. 228 Pujo, Le Grand Cond¦, op. cit., 423 – 424.

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Begriffe des Patrons und des Klienten in der hier untersuchten Korrespondenzsprache des Adels nicht vorkommen, wäre es nicht sinnvoll zu argumentieren, Cond¦ nenne Guitaut zu Unrecht seinen Freund. Die Beziehung dieser beiden Männer kann als Paradebeispiel dafür dienen, dass eine Beziehung auf der Ebene der Selbstbeschreibung durch die Zeitgenossen Freundschaft sein kann, obwohl sie, wenn man sozialwissenschaftliche Analysekategorien anlegt, klar eine Beziehung zwischen Patron und Klient ist, geprägt von Ungleichheit des Ranges, hier zwischen einem Prinzen und einem Grafen, von der Förderung des Klienten durch den Patron und von großer Loyalität des Klienten zum Patron – letzteres illustriert dadurch, dass Guitaut freiwillig Cond¦s Exil teilt. Die Beziehung ließe sich somit auch als Freundschaft unter Ungleichen beschreiben. Henri-Charles de La Tr¦moille, prince de Tarente (1620 – 1672) lernt Louis II de Bourbon in jungen Jahren, auf der Adelsakademie kennen. Er ist ein Mitglied der wichtigen protestantischen Adelsfamilie La Tr¦moille; sein Prinzentitel verweist auf den Anspruch der La Tr¦moille auf das Königreich Neapel. Der mar¦chal de Turenne, neben Cond¦ der berühmteste Heerführer des französischen 17. Jahrhunderts, ist sein Onkel mütterlicherseits. Als Protestant hält er sich viel in Holland auf; er schließt sich während der Fronde Cond¦ an und gibt diesem nach dem Scheitern des Aufstandes 1653 Zuflucht in Den Haag.229 Er hat Memoiren hinterlassen.230 Eine spannungsreiche Beziehung verbindet Cond¦ auch mit Antoine de Gramont, mar¦chal de Guiche (1604 – 1678). Sein Sohn, der Herzog von Gramont, hat aus Briefen und Memoirenfragmenten die Memoiren seines Vaters kompiliert.231 Antoine de Gramont wird im Jahre 1641 mar¦chal de France. Kurz nach dem Sieg bei Rocroi wird er zur Armee des zukünftigen Grand Cond¦ geschickt und kämpft fortan nur noch unter dessen Kommando; so nimmt er beispielsweise an dessen Katalonienfeldzug teil. Die Beziehung zwischen Cond¦ und Gramont kann als ein Paradebeispiel einer Freundschaft gelten, die durch lange gemeinsame Zeit bei der Armee entsteht und gefestigt wird. Anders als Cond¦ kämpft der Marschall jedoch gegen die Fronde, obwohl er ein persönlicher Freund des Prinzen ist. In Chantilly ist ein Brief Cond¦s überliefert, in dem er Gramont erklärt, ihre Freundschaft solle trotz der Tatsache Bestand haben, 229 B¦guin, Les Princes de Cond¦, op. cit., 426. 230 Die einzige gedruckte Ausgabe der Memoiren ist eine gekürzte Fassung aus dem 18. Jahrhundert, M¦moires de Henri-Charles de La Tr¦moille, Prince de Tarente, Lüttich 1767. Eine elektronische Edition nach der im Nationalarchiv in Paris erhaltenen Handschrift wurde kürzlich von Jean-Luc Tulot erstellt, M¦moires du prince de Tarente d’aprÀs le manuscrit d¦pos¦ aux Archives Nationales dans le Fonds La Tr¦moille, Saint-Brieuc [online] 2010. 231 M¦moires du Mar¦chal de Gramont, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 3/7, Paris 1839, 225 – 341.

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dass sie auf verschiedenen Seiten kämpften.232 Dieser Text ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen illustriert er ein Dilemma der Freundschaft, nämlich dasjenige zwischen Loyalität zum König und Loyalität zum Freund. Zum anderen zeigt das Dokument, dass sich in der Frühen Neuzeit die Kategorien von politischer Loyalität und persönlicher Freundschaft voneinander zu differenzieren beginnen, auch wenn dieser Prozess noch keineswegs abgeschlossen ist. Die Beziehung zwischen Cond¦ und Gramont ist in dieser Hinsicht aber eine große Ausnahme; wie zu zeigen sein wird, ist eine solche Abtrennung der persönlichen Beziehung von den politischen Umständen in den hier untersuchten Quellen eher die Ausnahme als die Regel. Gramonts jüngerer Bruder, Henri de Gramont, comte de Toulongeon (1619 – 1679) ist ein Jugendfreund Cond¦s und gilt unter den »petits-ma„tres« als ein besonders großer Libertin. Wie sein Bruder bleibt er während der Fronde loyal zur Krone.233 Nicolas de Brichanteau, marquis de Beauvais-Nangis (1582-nach 1641) ist zwar wesentlich älter als der Grand Cond¦; er ist aber ein Gefolgsmann der Familie. Seine Memoiren berichten über sein eigenes Leben, darüber hinaus aber auch über Taten seines Vaters, Antoine de Beauvais-Nangis.234 Die Memoiren, die voll sind von Klagen über die Undankbarkeit der Prinzen, wobei durchaus die Cond¦ gemeint sind, geben einen Einblick in das Denken jener mittleren Adelsschicht, für die sich der Begriff der »noblesse seconde«235 eingebürgert hat. Die Geschichte adliger Freundschaft kann nicht ausschließlich die Geschichte von Männerfreundschaften sein; da fast alle Briefquellen und die überwiegende Zahl der Memoiren von Männern stammen, ergibt sich in dem hier untersuchten Quellenkorpus dennoch ein Schwerpunkt auf männlichen Adelsfreundschaften. In den Beständen von Chantilly stehen tausende von Briefen zwischen Männern zur Verfügung, aber nur eine Handvoll von Briefen zwischen Männern und Frauen und praktisch keine zwischen Frauen. Cond¦s Frau ist in den Dokumenten des Archivs von Chantilly so vollkommen abwesend, dass man sogar 232 Archives de Chantilly J IV 158, Le prince de Cond¦ au mar¦chal de Gramont, 28. September 1651. 233 Zu Toulongeon B¦guin, Les Princes de Cond¦, op. cit., 422. 234 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit. 235 Der Begriff der noblesse seconde wurde geprägt von Jean-Marie Constant, Un groupe sociopolitique strat¦gique dans la France de la premiÀre moiti¦ du XVIIe siÀcle: la noblesse seconde, in: Philippe Contamine (Hg.), L’Etat et les Aristocraties (France, Angleterre, Ecosse), XIIe-XVIIe siÀcle, op. cit., 279 – 304. Cf. dazu auch Laurent Bourquin, Noblesse seconde et pouvoir en Champagne aux XVIe et XVIIe siÀcles, Paris 1994; J. H. M. Salmon, A Second Look at the Noblesse Seconde: The Key to Noble Clientage and Power in Early Modern France, in: French Historical Studies 25 (2002), 575 – 593. Das Konzept wurde scharf kritisiert von Robert Descimon, Chercher de nouvelles voies pour interpr¦ter les ph¦nomÀnes nobiliaires dans la France moderne. La noblesse, ›essence‹ ou rapport social?, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 46 (1999), 5 – 21.

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vermuten kann, dass die Überlieferung von ihren Dokumenten gezielt gesäubert wurde,236 was angesichts des dramatischen Endes ihrer Beziehung – Cond¦ lässt seine Frau für den Rest ihres Lebens auf einer Festung einsperren, nachdem sie ihn mit einem Pagen betrogen haben soll – nicht verwundern würde;237 aber auch seine Schwester, die Herzogin von Longueville, und seine Schwiegertochter Anne de BaviÀre haben nur eine Handvoll Dokumente in Chantilly hinterlassen. Durch die bewusste Heranziehung von Quellen, die von Frauen aus dem Umkreis Cond¦s verfasst wurden, kann dieses Ungleichgewicht zwar abgemildert, allerdings nicht beseitigt werden. Vor allem zwei Autorinnen sind für diese Studie wichtig, es sind die Grande Mademoiselle und Madame de S¦vign¦. Anne Marie Louise d’Orl¦ans, Die Prinzessin von Montpensier, auch genannt die Grande Mademoiselle (1627 – 1693) ist die Tochter von Gaston d’Orl¦ans und somit die Cousine Ludwigs XIV. Sie ist also eine noch engere Verwandte des Königs als Cond¦ selbst. Dennoch schlägt sie sich in der Fronde auf die Seite des Prinzen; ihre spektakulärste Aktion während des Aufstandes besteht darin, dass sie wie erwähnt während der Schlacht im Faubourg Saint-Antoine die königlichen Truppen mit Kanonen beschießen lässt und so Cond¦s Truppen den Rückzug in die Stadt Paris ermöglicht. Die Tatsache, dass Bussy-Rabutins Mätresse, Madame de Montglas, zum engsten Kreis der Grande Mademoiselle gehört,238 mag die Tatsache verdeutlichen, dass zwischen den hier beschriebenen Persönlichkeiten der höfischen Gesellschaft zahlreiche Querverbindungen bestehen; nichts wäre falscher als der Eindruck, man hätte es hier mit Personen zu tun, die nur jeweils bilateral mit dem Prinzen von Cond¦ verbunden sind. Die höfische Gesellschaft ist ein Milieu, in dem zumindest unter den wichtigen Höflingen jeder jeden kennt; allein dies würde es schwierig machen, in diesem Milieu bestimmte Personen eindeutig einem bestimmten »Netzwerk« zuzurechnen. Wie zu zeigen sein wird, wird dies durch die große Volatilität der Beziehungen bei Hofe vollends vereitelt. Marie de Rabutin-Chantal, marquise de S¦vign¦, genannt Madame de S¦vign¦ (1626 – 1696) ist die Cousine Bussy-Rabutins. Die Quellen berichten nicht, dass sie enge Verbindungen zu Cond¦ gehabt hätte; aufgrund der engen Beziehung zu Bussy-Rabutin darf sie aber zum selben Milieu gerechnet werden, und ihre Schriften können als Beispiele weiblicher höfischer Korrespondenz herange236 So die Vermutung von Bernard Pujo, der postuliert: »Les archives de Chantilly ont ¦t¦ syst¦matiquement expurg¦es de tout ce qui avait trait — Claire-Cl¦mence.« Pujo, Le Grand Cond¦, op. cit., 367. Pujo ist allerdings auch der Ansicht, die Prinzessin von Cond¦ sei geisteskrank gewesen, was seiner Ansicht nach erklärt, warum der Prinz von Cond¦ kurz vor seinem Tod Ludwig XIV. bat, die Prinzessin weiterhin in Ch–teauroux gefangen zu halten; sie verblieb in der Tat dort bis zu ihrem Tod, ebd., 403 – 404. 237 Ebd., 306. 238 DuchÞne, Bussy-Rabutin, op. cit., 148.

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zogen werden. Ihre Briefe sind in Frankreich Teil des klassischen Literaturkanons geworden und wurden lange als Musterbriefe verwendet. Zwar ist das Herzstück ihrer Korrespondenz der Briefwechsel mit Madame de Grignan, ihrer Tochter, die in der Provence verheiratet und deswegen weit weg von Paris ist; aber es finden sich auch Briefe an viele andere höfische Adlige, wie z. B. an BussyRabutin. Es gibt auch wichtige Autoren von Quellen, die sowohl mit Cond¦ viel korrespondieren als auch Selbstzeugnisse hinterlassen haben, aber dennoch nicht zu seinen Freunden zu zählen sind. Dieser scheinbare Widerspruch ist damit zu erklären, dass es sich bei den betreffenden Personen um Angestellte des Prinzen handelt – auch wenn der Begriff des »employ¦« noch nicht verwendet wird. Zu nennen sind insbesondere Cond¦s Privatsekretär Pierre Lenet und sein Finanzintendant Jean H¦rault de Gourville. Pierre Lenet (1600 – 1671) ist der Sohn eines Beraters von Henri II de Bourbon;239 er dient dem Grand Cond¦ als Sekretär. Im Jahre 1650 organisiert er, während Cond¦ gefangen gehalten wird, den Aufstand. Aufgrund seiner Position in der unmittelbaren Nähe des Prinzen sind seine Memoiren eine wichtige Quelle, auch wenn er selbst kein Adliger ist. Jean H¦rault de Gourville (1625 – 1703) macht eine Karriere, die typisch für einen nichtadligen Aufsteiger ist. Aus bürgerlichen Verhältnissen stammend, gelingt ihm der Karrieredurchbruch, als er die rechte Hand von Nicolas Fouquet wird. Als engster Mitarbeiter des surintendant des finances erwirbt er ein enormes Vermögen; nach dessen Sturz rettet er sich ins Exil in die spanischen Niederlande. Die französische Krone hat ein pragmatisches Verhältnis zu ihm: der eigentlich strafrechtlich gesuchte Emigrant wird mitunter auch als Sondergesandter eingesetzt. Gourville kann schließlich nach einigen Jahren zurückkehren; nicht zuletzt durch seine guten Kontakte zu Colbert240 und Louvois241

239 B¦guin, Les Princes de Cond¦, op. cit., 427. 240 Colbert, der traditionell als Architekt des Merkantilismus gilt, hat das Interesse vieler Historiker hervorgerufen, was sich in einer langen Reihe von Arbeiten niedergeschlagen hat. In französischer Sprache Daniel Dessert, Le royaume de Monsieur Colbert (1661 – 1683), Paris 2007; Michel Verg¦-Franceschi, Colbert. La politique du bon sens, Paris 2003; Aim¦ Richardt, Colbert et le colbertisme, Paris 1997; Jean Villain, La fortune de Colbert, Paris 1994; Roland Mousnier (Hg.), Un nouveau Colbert, Paris 1985; Jean Meyer, Colbert, Paris 1981; InÀs Murat, Colbert, Paris 1980; Georges Mongr¦dien, Colbert. 1661 – 1683, Paris 1963. Im angelsächsischen Raum Jacob Soll, The Information Master. Jean Baptiste Colbert’s secret state intelligence system, Ann Arbor 2009; Glenn J. Ames, Colbert, Mercantilism, and the French Quest for Asian Trade, DeKalb, IL 1996. In deutscher Sprache Klaus Malettke, Jean-Baptiste Colbert. Aufstieg im Dienste des Königs, Göttingen 1977. Auch der umstrittene Literaturkritiker und Publizist Friedrich Sieburg hat ihm eine Biographie gewidmet, Friedrich Sieburg, Das Geld des Königs. Eine Studie über Colbert, Stuttgart 1974. Zur Herkunft der Familie Jean-Louis Bourgeon, Les Colbert avant Colbert. Destin d’une

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erreicht er die Niederschlagung der Anklagen gegen ihn. Als Finanzintendant Cond¦s übernimmt er die Aufgabe, den aus dem Exil zurückgekehrten Prinzen finanziell zu sanieren, und ist dabei recht erfolgreich. Er hat Memoiren hinterlassen. Das Beispiel dieser beiden letzteren Personen zeigt bereits, dass man sich vor der Gleichsetzung von »Freunden« und »Korrespondenzpartnern« hüten muss. Wie zu zeigen sein wird, ist höfische Freundschaft eine Beziehung, die in vielen Fällen wesentlich instabiler ist, als heutige Konzeptionen es von einer Freundschaft erwarten, die diesen Namen verdient, und die darüber hinaus wesentlich weiter gefasst ist als heute im Deutschen oder Französischen – so dass Beziehungen »geringer Intensität«, die man heute als bloße Bekanntschaften (connaissances) bezeichnen würde, in der höfischen Gesellschaft schon als Freunde gelten. Eine Reihe weiterer Personen sind in den Korrespondenzen in Chantilly vertreten; darunter sind viele Korrespondenzpartner im Ausland sowie Partner, mit denen Cond¦ Korrespondenzen administrativer Art führt, wie z. B. der Präsident Jean Perrault (1604 – 1681), der Sekretär seines Vaters gewesen war. Des weiteren sind weitere Adlige vertreten, so etwa Amaury III de Goyon, marquis de La Moussaye, comte de Quintin (1601 – 1674), der Schwiegersohn des Herzogs von Bouillon und somit der Schwager Turennes. Die genannten Personen machen ausdrücklich nicht zusammen den Freundeskreis Cond¦s aus. Sie stehen mit ihm in sehr unterschiedlichen, manche auch in sehr lockeren Beziehungen. Wie zu zeigen sein wird, ist höfische Freundschaft eine instabile, oft sehr kurzfristige Beziehung; es geht mehr um Allianzen zwischen auf eigene Rechnung operierenden Akteuren als um die Bildung fester Gruppen. Die von Katia B¦guin untersuchte und im Anhang ihres Buches prosopographisch aufgeschlüsselte Cond¦-Klientel kann ebenfalls nicht als Freundeskreis angesprochen werden. Hier handelt es sich um eine Gefolgschaft, die famille marchande, Paris 1973 (Travaux du Centre de Recherches sur la Civilisation de l’Europe Moderne 14). 241 Zu Louvois cf. Aim¦ Richardt, Louvois. Le bras arm¦ de Louis XIV, Paris 1998; Andr¦ Corvisier, Louvois, Paris 1983. Wie im Falle der Cond¦ mit dem Werk des Herzogs von Aumale, so hat das 19. Jahrhundert auch für Louvois ein monumentales Werk hervorgebracht, Camille Rousset, Histoire de Louvois et de son administration politique et militaire, 4 Bde., Paris 1862 – 1864. Der Herzog von Aumale selbst hat sich im übrigen mit Louvois beschäftigt, cf. Henri d’Orl¦ans d’Aumale, Les institutions militaires de la France : Louvois, Carnot, Saint-Cyr, Paris 1867. Cf. auch kürzlich Thierry Sarmant, Les demeures du soleil. Louis XIV, Louvois et la surintendance des b–timents du roi, Seyssel 2003, sowie das laufende Projekt der Edition von Louvois’ Korrespondenz, Thierry Sarmant (Hg.), Architecture et beaux-arts — l’apog¦e du rÀgne de Louis XIV. Edition critique de la correspondance du marquis de Louvois, surintendant des b–timents du roi, arts et manufactures de France, 1683 – 1691, Paris 2007ff, von der bisher zwei Bände erschienen sind, die die Jahre 1683 bis 1685 abdecken.

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sich aus Adligen und Nichtadligen zusammensetzt. Viele ihrer Mitglieder – wie eben z. B. Lenet und Perrault – stehen in einem Beschäftigungsverhältnis mit Cond¦, sind also, modern gesprochen, seine Angestellten. In diesen Beziehungen, gerade zu den Nichtadligen, ist der Freundschaftsbegriff abwesend. Der frühneuzeitliche Freundschaftsbegriff ist einerseits schillernd, und andererseits umfasst er durchaus nicht alle Beziehungen, die wir heute als Freundschaften bezeichnen würden. Das macht den Begriff der Freundschaft als Analysebegriff ungeeignet; die Frage, ob beispielsweise Gramont Cond¦s Freund war oder nicht, lässt sich auf zwei Weisen beantworten, die beide problematisch sind. Denn entweder muss die Antwort tautologisch ausfallen – er war sein Freund, weil Cond¦ ihn so nannte; oder die Antwort muss doch wieder auf vom Interpreten gesteckte Kriterien für Freundschaft zurückgreifen und sich damit vom Quellenbegriff lösen, womöglich gar in Widerspruch zu ihm geraten. Will man Netzwerke rekonstruieren, ist der Freundschaftsbegriff nicht der geeignete Ansatzpunkt; die Bezeichnung wird von den Zeitgenossen nicht so verwendet, dass sich aus ihr Personenkreise rekonstruieren ließen.242 Für einen solchen Ansatz sind sozialwissenschaftliche Kategorienapparate wie derjenige des Klientelismus bei weitem geeigneter. Die Freundschaft aber kann als Quellenbegriff und Praxis in ihren Facetten untersucht werden; das ermöglicht neue Einsichten in die Praxis der Allianzen bei Hof, die eher eine Praxis situativer Bündnisse als fester Netzwerke ist.

242 Cf. infra, Semantik der Freundschaft.

II. Aspekte frühneuzeitlicher Adelsfreundschaft

II.1. Semantik der Freundschaft Das Wort »Freundschaft« mag gleich geblieben sein, der Inhalt des Begriffes hat sich aber von der Frühen Neuzeit bis heute erheblich gewandelt – um dies festzustellen, genügt eine kursorische Lektüre autobiographischer oder historiographischer Quellen. So berichtet etwa der Marschall von Bassompierre von einem Streit im Jahre 1611 zwischen dem Herzog von Guise und dem Grafen von Soissons; der Streit eskaliert, als der Graf von Soissons seinen Freunden befiehlt, sich zu versammeln, woraufhin wiederum vor dem Hútel de Guise sich die »Freunde« des Herzogs in solcher Menge versammeln, dass über eintausend Edelleute dort versammelt sind.243 Nun ist es bei tausend Freunden schwer vorstellbar, dass der Herzog mit jedem von ihnen eine personale Nahbeziehung unterhält, die in irgendeiner Weise dem entspricht, was man sich heute unter »Freundschaft« vorstellt. Des weiteren berichten Quellen aus demselben Milieu, dass Eheleute in »Freundschaft« miteinander leben.244 In solchen Verwendungsweisen sind offensichtlich Bedeutungen angesprochen, die dem heutigen Freundschaftsbegriff fremd sind. Eine Untersuchung, die vom Quellenbegriff »amiti¦« ausgeht, muss sich daher zunächst der Semantik des Wortes selbst zuwenden und das Feld seiner Bedeutungen und seiner Anwendung in der behandelten Epoche untersuchen; danach kann dann untersucht werden, wie sich dieses Wort in den Kontext des Sprechens und Handelns der Zeitgenossen einfügt. Klaus Oschema hat zu Recht darauf hingewiesen, dass gerade da, wo das Wort für »Freundschaft« sich wenig oder gar nicht gewandelt hat, die Versuchung für den heutigen Interpreten groß ist, dasselbe für den Begriff anzunehmen.245 Linguistisch gesprochen: eine Veränderung des Signifikats, also der Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens, kann durchaus auch dann vonstatten 243 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XIX, 446. 244 Cf. infra. 245 Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, op. cit., 109.

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Aspekte frühneuzeitlicher Adelsfreundschaft

gehen, wenn der Signifikant, also die Ausdrucksseite, sich nicht verändert.246 Und in der Tat verwenden die Adligen des 17. Jahrhunderts ebenjenes Wort »amiti¦«, das auch im heutigen Französisch gebraucht wird; sie meinen aber eben damit nicht notwendig auch dasselbe. Es wird kaum möglich sein, dem Begriff »amiti¦« eine einheitliche Definition zuzuweisen, die den frühneuzeitlichen Gebrauch in einem oder zwei Sätzen zusammenfassen würde; denn was uns hier interessiert, ist der Alltagsbegriff von Freundschaft. Solche Alltagsbegriffe aber sind notwendig weniger geschlossen als die Definitionen der Philosophie, der Rechtswissenschaft oder auch der Lexikographie, die einem bestimmten Wort einen exakt umgrenzten Inhalt zuweisen möchten. Die Vorstellungen der Adligen addieren sich somit nicht zu einem systematischen Gedankengebäude, sondern sind unsystematisierte Elemente einer »folk theory«247 der Freundschaft. Aussichtsreicher als ein systematisierender Definitionsversuch erscheint daher eine Beschreibung der Verwendung von »amiti¦«. Dabei soll es in diesem Kapitel nur um die Verwendungen des Wortes selbst gehen; dem Freundschaftsdiskurs, also den Ideen über Freundschaft, ist ein eigenes Kapitel gewidmet.

II.1.1. Lexikographische Untersuchung Will man einen Überblick über Versuche gewinnen, Freundschaft zu definieren, so bietet sich ein Blick in Lexika und Enzyklopädien an. Dabei ist zu bedenken, dass die heutige Forschung Lexika, und insbesondere vormoderne Lexika, nicht mehr als bloße Protokolle des alltäglichen Gebrauchs von Wörtern sieht (wie sie das selbst durchaus zu sein beanspruchen), sondern mindestens ebenso sehr als normative Instanzen, die in einen Alltagsgebrauch, der immer vielfältig und nie ohne Widersprüche ist, selbst ordnend einzugreifen versuchen.248 Auch der Lexikograph ist ein Autor, der selbst handelnd in den Diskurs eingreift. Die Encyclop¦die249 definiert Freundschaft folgendermaßen: »L’amiti¦ n’est 246 Zur Wandelbarkeit beider Seiten des sprachlichen Zeichens cf. Saussure, Cours de linguistique g¦n¦rale, op. cit., 108 – 112. 247 Der Begriff der »folk theory« ist kein Konzept, das sich einem bestimmten Forscher zuordnen ließe. Der Ausdruck unterstreicht, dass populäre Repräsentationen nicht zwingend irrational sind, sondern dass das volkstümliche Wissen komplexe Ideen enthält, die man als Theorien bezeichnen kann, obwohl sie nicht den strengen Standards wissenschaftlicher Theoriebildung entsprechen. 248 Cf. Jean-Claude Waquet, La conjuration des dictionnaires. V¦rit¦ des mots et v¦rit¦s de la politique dans la France moderne, Straßburg 2000, 233. 249 Artikel »amiti¦«, in: Encyclop¦die ou dictionnaire raisonn¦ des sciences, des arts et des m¦tiers. Nouvelle impression et facsimil¦ de la premiÀre ¦dition de 1751 – 1780, Bd. 1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, 361 – 362, hier 361.

Semantik der Freundschaft

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autre chose que l’habitude d’entretenir avec quelqu’un un commerce honnÞte & agr¦able.« Dabei unterscheidet sie, anders als der Alltagsgebrauch der Selbstzeugnisse des 17. Jahrhunderts, bereits klar zwischen Freunden und Bekannten: »Le commerce que nous pouvons avoir avec les hommes, regarde ou l’esprit ou le cœur : le pur commerce de l’esprit s’appelle simplement connoissance; le commerce o¾ le cœur s’int¦resse par l’agr¦ment qu’il en tire, est amiti¦.«250 Lexika des 20. Jahrhunderts führen manchmal, aber nicht immer Einträge über Freundschaft;251 so fehlt der Begriff in der Encyclopædia Britannica.252 Für die Brockhaus-Enzyklopädie von 1968 ist Freundschaft »ein Verhältnis aus gegenseitiger individueller Zuneigung bei rückhaltloser Vertrautheit mit den Lebensumständen des Freundes oder der Freundin.« Die Freundschaft wird sodann von anderen Sozialbeziehungen abgegrenzt: »Oberflächlicheren Bindungen, die sich im geselligen Miteinander erschöpfen, versagt unsere Umgangssprache diese Bezeichnung«; lediglich, wenn ein einschränkendes Bestimmungswort hinzukomme, könne man von »Geschäftsfreund, Gastfreund, Klubfreund« sprechen. Die »sittlich ähnlich hoch eingeschätzte Kameradschaft« unterscheide sich von der Freundschaft dadurch, dass die äußere Situation, nicht die Zuneigung zum Individuum sie begründe, so dass der Partner grundsätzlich austauschbar sei.253 Damit ist hier die auf intensive Bindung abhebende Freundschaftskonzeption der Moderne angesprochen; es wird zu zeigen sein, dass in der frühneuzeitlichen höfischen Gesellschaft jene »oberflächlicheren Bindungen, die sich im geselligen Miteinander erschöpfen« sehr wohl als Freundschaften gelten. Bei den modernen französischen Lexika ist besonders erhellend der Eintrag im Grand Larousse de la langue franÅaise von 1971.254 Er weist dem Begriff »amiti¦« nicht weniger als zwölf verschiedene Bedeutungen zu. Als allererste (und somit wohl als Standardbedeutung) nennt er : »Affection r¦ciproque de deux Þtres, ¦trangÀre aux liens du sang et — l’attrait sexuel«. Hier ist deutlich die moderne Dreiteilung in die Kategorien sexuelle, verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen ausgesprochen, die als sich gegenseitig ausschließend gedacht werden. Es wird zu zeigen sein, dass die Verhältnisse für die Vormoderne so klar nicht sind. Interessanterweise ist das Konzept einseitiger 250 Ebd. 251 Vertiefend zu den Artikeln über Freundschaft in deutschsprachigen Lexika von 1850 bis heute Rapsch, Soziologie der Freundschaft, op. cit., 15 – 21, die sowohl allgemeinbildende Lexika wie soziologische Fachlexika heranzieht. 252 Dies gilt sowohl für Encyclopædia Britannica. A New Survey of Knowledge, Chicago/ London/Toronto 1953, als auch für The New Encyclopædia Britannica. Micropædia, Chicago 1997, und für The New Encyclopædia Britannica. Macropædia, Chicago 1997. 253 Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 6, Wiesbaden 171968, 591. 254 Artikel »amiti¦«, in: Grand Larousse de la langue franÅaise, Bd. 1, Paris 1971, 151.

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Freundschaft ebenfalls angesprochen: »4. Affection d’un Þtre pour un autre sans qu’il y ait n¦cessairement r¦ciprocit¦«, wobei unter diesem Eintrag auch der Ausdruck »prendre quelqu’un en amiti¦« angeführt wird, und zwar in der Bedeutung »¦prouver une sympathie naissante pour un inf¦rieur«. Es wird zu zeigen sein, dass einseitige Freundschaft in den Selbstzeugnissen der Vormoderne häufig ist und sehr oft mit einem Hierarchiegefälle zwischen den Freunden einhergeht. Auch die Bedeutung als »bienveillance« wird angeführt, z. B. in der Wendung »recevoir quelqu’un avec amiti¦«. Dass diese Verwendung von »amiti¦« für deutsche Ohren besonders fremdartig klingt, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass in der deutschen Sprache die Opposition der beiden Substantive »Freundschaft« und »Freundlichkeit« gängig ist, wohingegen im Französischen »amicalit¦« (also jenes vom Adjektiv »amical« abgeleitete Wort, das man dort erwarten würde, wo vom Verhalten einer Person, nicht aber von der Beziehung zwischen Personen die Rede ist) ein sehr seltenes und gewähltes Wort ist, das in der Alltagssprache praktisch nicht vorkommt. Der erwähnte Eintrag im Grand Larousse verzeichnet nun, abweichend von der Eingangsdefinition, auch zwei Abschnitte für die Überschneidungen der Freundschaft mit Verwandtschaft und Liebe: »8. Class. Affection pour une personne — qui on est li¦ par les liens du sang« sowie »9. Class. Amour t¦moign¦ — quelqu’un, attachement tendre (peut s’employer par retenue, par r¦serve)«. Charakteristischerweise sind beide aber als »classique« gekennzeichnet, gehören also der Sprache des siÀcle classique an und gelten heute als veraltet. Dies stützt die These, dass die Ausdifferenzierung der drei semantischen Felder Freundschaft, Liebe und Verwandtschaft erst nach dem 17. Jahrhundert zu ihrem Abschluss gekommen ist. Als Beispielautoren werden unter 8. MoliÀre und Racine, unter 9. Pascal, Racine und Corneille aufgeführt. Zurückzukommen sein wird auch auf die in diesem Eintrag erwähnte Tatsache, dass die Bezeichnung von Liebesbeziehungen als Freundschaft ein gedämpfter, abschwächender Gebrauch ist: der Einfluss der Preziosität hat hier sicher eine Rolle gespielt. Der Artikel verweist abschließend auf »amiti¦s« im Plural; die angegebene Hauptbedeutung ist: »T¦moignages d’affection ; paroles affectueuses ou simplement obligeantes«. Bei der Untersuchung der Sprache der Freundschaft wird auch dieser Gebrauch zu berücksichtigen sein. Der Grand Robert von 1989 definiert ebenfalls Freundschaft in Abgrenzung zu Verwandtschaft und Liebe: »Sentiment d’affection ou de sympathie d’une personne pour une autre, ou entre deux personnes, qui ne se fonde ni sur la parent¦, ni sur l’attrait sexuel: relations qui en r¦sultent.«255 In neueren geisteswissenschaftlichen Enzyklopädien ist Freundschaft nur 255 Artikel »amiti¦«, in: Alain Rey (Hg.), Le Grand Robert de la langue franÅaise. Dictionnaire alphab¦tique et analogique de la langue franÅaise, Paris 21989, 318 – 319, hier 318.

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manchmal vertreten: so widmen ihr die »Geschichtlichen Grundbegriffe« keinen Artikel. Wolfgang Weber sieht in der »Enzyklopädie der Neuzeit« die »Amicitia« der europäischen Vormoderne grundsätzlich als Austauschbeziehung; sie sei »das in Europa nach der Verwandtschaft wichtigste Vergesellschaftungs- bzw. Gruppenkonstituierungsmuster. Es tendiert prinzipiell zur Gleichrangigkeit und beruht auf materiellem und immateriellem Gabentausch.«256 Die Tendenz zur Gleichrangigkeit mag für manche Kontexte innerhalb des frühneuzeitlichen Europa gelten; wie zu zeigen sein wird, lässt sich die These von der Gleichrangigkeit als wesentlichem Kennzeichen der Freundschaft jedoch zumindest für das hier untersuchte Milieu des französischen Adels im 17. Jahrhundert nicht aufrechterhalten, wenn man die Quellensprache ernst nimmt. Nur eine scheinbare Lösung wäre es, zu argumentieren, die Quellensprache spreche zwar oft von Freundschaft unter Ungleichen, meine dies aber niemals, denn Freundschaft sei ja per definitionem gleichrangig; denn eine solche Argumentation wäre ein Zirkelschluss, der die ungleichen Freundschaften ausschließt, so dass von vornherein nur die gleichrangigen Freundschaften als Objekte der Analyse übrigbleiben. Die Theologische Realenzyklopädie von 1983 fasst Freundschaft als »eine zwischenmenschliche Beziehung, in der sich ›Freiheit‹ und ›Liebe‹ in einer Weise begegnen, daß durch positive Zuwendung von Menschen menschliches Dasein Orientierung und Stabilisierung erfährt.«257 Das Lexikon für Theologie und Kirche von 1995 verzichtet auf eine einheitliche Definition von Freundschaft und untersucht stattdessen drei Aspekte von Freundschaft getrennt: »GriechischHellenistisch u. im Neuen Testament«, »Ethisch« und »Pädagogisch«.258 Es wird deutlich, dass bei den modernen Nachschlagewerken keine Einigkeit über die Definition von Freundschaft besteht. Konzeptionen, in denen Freundschaft auf Zuneigung und »rückhaltloser Vertrautheit« beruht, stehen solche gegenüber, die im Austausch von Leistungen das begründende Element sehen. Hier sind sicherlich verschiedene Denktraditionen in Anschlag zu bringen, einerseits diejenige der Romantik, die das für den Freund empfundene Gefühl in den Mittelpunkt stellt, andererseits diejenige der empirischen und historischen Sozialforschung, die quantifizierbare Indikatoren (wie z. B. ausgetauschte Gaben) bevorzugt. Dennoch: wenn so fundamentale Differenzen darüber bestehen, was die Grundlage des Phänomens Freundschaft ist, so darf vermutet werden, dass diese Differenzen im Phänomen selbst begründet sind. 256 Wolfgang E. J. Weber, Artikel »Amicitia«, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart 2005, 297 – 300, hier 297. 257 Heinz-Horst Schrey, Artikel »Freundschaft«, in: Theologische Realenzyklopädie Bd. XI, Berlin/New York 1983, 590 – 599, hier 590. 258 Michael Theobald/Manfred Masshof-Fischer/Wolfgang Krone, Artikel »Freundschaft«, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 4, Freiburg u. a. 1995, 132 – 135.

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Tatsächlich erweist sich Freundschaft als ein Phänomen mit unklaren Grenzen, das historisch variabel ist. Deshalb wird hier auf einen Definitionsversuch bewusst verzichtet; vielmehr soll der Quellenbegriff ausgeleuchtet werden, gerade auf die Möglichkeit hin, dass der vormoderne Freundschaftsbegriff sich wesentlich von unserem unterscheiden könnte.

II.1.2. Etymologie von »amitié« Als romanische Sprache leitet sich das Französische aus dem Vulgärlateinischen her.259 Das bedeutet, dass im Gegensatz etwa zum Deutschen lateinische Wurzeln im Französischen nicht Lehn-, sondern Erbwörter sind. Die Verwandtschaft zum Lateinischen erleichtert aber auch spätere Übernahmen, so dass im Lauf der Jahrhunderte immer wieder zusätzliche lateinische Wörter ins Französische eingehen. Im Gegensatz zu diesen nah am Lateinischen gebliebenen mots savants (wie z. B. imagination, fid¦lit¦, litt¦rature, universit¦) gehören »ami« und »amiti¦« zu den mots populaires, also den Erbwörtern, die in einer direkten Kontinuität vom Vulgärlatein über das Altfranzösische ins Neufranzösische eingegangen sind. Sie sind daher auch auf allen überlieferten Sprachstufen von der Antike bis heute zu finden. Man darf folglich postulieren, dass den lateinischen Formen amicus und amicitia zu jeder Zeit volkssprachliche Gegenstücke entsprachen. Die Übersetzbarkeit dieser Termini zwischen Latein und Volkssprache war ebenfalls immer gegeben: trotz des Lautwandels haben sich die französischen Formen speziell dieser Wörter nicht so weit von den lateinischen entfernt, als dass die Entsprechung nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen gewesen wäre. Für die Frühe Neuzeit ist das nicht unwichtig: die Hochadligen beherrschen für gewöhnlich das Lateinische, historiographische Quellen sind manchmal lateinisch verfasst, und manche Texte werden sogar zweisprachig gedruckt, so der Bericht des pÀre Bergier vom Sterben des Grand Cond¦.260 Was die Ausdrucksseite des Wortes angeht, so geht ami direkt aus amicus hervor, wohingegen sich amiti¦ nicht vom klassisch-lateinischen amicitia ableitet, sondern vom Akkusativ *amicitatem der erschlossenen vulgärlateinischen Form *amicitas.261 259 Cf. hierzu die grundlegende Darstellung bei Johannes Klare, Französische Sprachgeschichte, Stuttgart/Düsseldorf/Leipzig 1998. 260 Bergier, De morte Ludovici Borbonii, op. cit. 261 Walther von Wartburg, Französisches Etymologisches Wörterbuch. Eine darstellung des galloromanischen sprachschatzes, Bd. 1, Bonn 1928, 88; Oscar Bloch/Walther von Wartburg, Dictionnaire ¦tymologique de la langue franÅaise, Paris, 51968, 23; Rey (Hg.), Dictionnaire historique de la langue franÅaise, op. cit., Bd. 1, 63, notiert, dass das Wort »amiti¦« »est issu d’un d¦riv¦ tardif non attest¦ de amicus, dont l’existence est assur¦e par une s¦rie

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Eine »ursprüngliche« lateinische Bedeutung von amicus und amicitia ist wohl nicht greifbar. Abgesehen davon, dass Sprache ohnehin kontinuierlichem Wandel unterliegt, sind schon die ersten greifbaren literarischen Quellen, in denen diese lateinischen Formen auftauchen, stark vom Griechischen beeinflusst.262 Amicitia wurde daher oft als direkte Übersetzung des griechischen philia verwendet und somit von dessen Inhalten geprägt.263 Eine Bedeutung des Wortes vor dem intensiven Kontakt der Römer mit den Griechen, die erlauben würde, das »ursprünglich« Römische des Begriffes vom griechischen Einfluss abzutrennen, kann daher nicht angegeben werden.

II.1.3. Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Französischen Ein wichtiger Unterschied in der Entwicklung der Freundschaftsbegriffe im Deutschen und im Französischen besteht darin, dass die Vorstufen des neuhochdeutschen »Freund« noch lange auch das semantische Feld der Verwandtschaft abdecken können, so mittelhochdeutsch vriunt »Freund, Nächster, Geliebte(r), Verwandte(r)«.264 Zurückgeführt wird dieses Wort auf eine erschlossene germanische Wurzel *frijond- »Freund, Verwandter«.265 Im Französischen sind dagegen immer zwei Begriffsapparate für Freundschaft und Verwandtschaft verfügbar, die aus amicus respektive parens266 hervorgehen. Ob die klarere Abhebung der lateinisch-romanischen Wurzel von der Verwandtschaft unter griechischem Einfluss geschah oder schon vorher gegeben war, lässt sich aus den oben genannten Gründen wohl nicht mehr eruieren. Zu beachten ist, dass die heute sowohl im Deutschen wie im Französischen gegebene gegenseitige Ausschließung von Freundschaft und Verwandtschaft von unterschiedlichen Voraussetzungen herkommt: deckt im Deutschen der Freundesbegriff zunächst beide Felder ab, so meint die »amiti¦« unter Verwandten im Französischen nicht die zugeschriebene Verwandtschaftsbeziehung selbst, sondern dem Umstand, dass diese Beziehung von Sympathie erfüllt ist.

262 263 264 265 266

de mots romans : ancien franÅais amistet, catalan, espagnol (amistad), portugais, occitan (d’o¾ l’italien amist—). La forme moderne (v. 1330), d’abord amisti¦ (v. 1170), est la r¦fection de amistet (mil. XIe s.), du latin populaire 8amicitas, -atis (— l’accusatif), alt¦ration de amicitia, ›amiti¦‹, mot s¦par¦ de la notion de amor et d¦riv¦ de amicus.« Cf. aussi Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, op. cit., 116. Konstan, Friendship in the Classical World, Cambridge 1997, op. cit., 122. Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, op. cit., 115. Wolfgang Pfeifer (Hg.), Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Berlin 21993, Bd. 1, 374 – 375. Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/New York 24 2002, 316. von Wartburg, Französisches Etymologisches Wörterbuch, op. cit., Bd. 7, Basel 1955, 642 – 644.

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II.1.4. Freundschaft und Verwandtschaft Einer der deutlichsten Unterschiede in der Konzeption von Freundschaft zwischen dem 17. und dem 21. Jahrhundert ergibt sich aus ihrem Verhältnis zur Verwandtschaft.267 Der heutige Sprachgebrauch benutzt »Freunde« und »Verwandte« als zwei einander ausschließende Kategorien; die letztere Beziehung gilt als zugeschrieben, die erstere als erworben. Im deutschen wie im französischen Sprachraum gilt es heute als selbstverständlich, dass jemandem seine Verwandten durch Geburt zugeordnet sind, wohingegen man sich die Freunde aussucht. Man spricht zwar von angeheirateten Verwandten, aber eben indem man präzisiert, dass sich diese von den Blutsverwandten, die als die »eigentli267 Die Geschichte der Verwandtschaft ist ein Feld, das eine umfangreiche Literatur hervorgebracht hat, die zahlreiche Anregungen aus der Ethnologie aufgenommen hat, wo die Analyse der Verwandtschaft ein klassisches Thema ist. Eine Übersicht bietet David Warren Sabean/Simon Teuscher/Jon Mathieu (Hg.), Kinship in Europe. Approaches to long-term development (1300 – 1700), New York 2007. Fallstudien vom 15. bis zum 20. Jahrhundert versammelt Margareth Lanzinger (Hg.), Politiken der Verwandtschaft. Beziehungsnetze, Geschlecht und Recht, Göttingen 2007; cf. auch Anne-Lise Head-König (Hg.), Famille, parent¦ et r¦seaux en Occident (XVIIe-XXe siÀcles). M¦langes offerts — Alfred Perrenoud, Genf 2001 (M¦moires et documents. S¦rie in-8 61). Geschichte und Literaturwissenschaft übergreifend Eva Labouvie (Hg.), Familienbande – Familienschande. Geschlechterverhältnisse in Familie und Verwandtschaft, Köln/Weimar/Wien 2007. Zu Heiratsallianzen Margareth Lanzinger, Das gesicherte Erbe. Heirat in lokalen und familialen Kontexten, Innichen 1700 – 1900, Köln/Weimar/Wien 2003 (L’homme. Schriften 8). Zum Problem des Inzests Claudia Jarzebowski, Inzest. Verwandtschaft und Sexualität im 18. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2006 (L’homme. Schriften 12). Zur Rolle der Großeltern Vincent Gourdon, Histoire des grands-parents, Paris 2001. Ein Klassiker zum Thema ist die David Sabeans Analyse der Verwandtschaftsstrukturen in einem württembergischen Dorf, David Warren Sabean, Kinship in Neckarhausen, 1700 – 1870, Cambridge 1998. Zum Adel an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit Michel Nassiet, Parent¦, noblesse et Etats dynastiques, XVe-XVIe siÀcles, Paris 2000 (Recherches d’histoire et de sciences sociales 90). Zum Pariser Amtsadel im 16. und 17. Jahrhundert Claire Chatelain, Chronique d’une ascension sociale. Exercice de la parent¦ chez de grands officiers (XVIe-XVIIe siÀcles), Paris 2008; zur Gruppe der Notare S¦bastien Jahan, Profession, parent¦, identit¦ sociale. Les notaires de Poitiers aux temps modernes (1515 – 1815), Toulouse 1999. Zu Schottland Alison Cathcart, Kinship and Clientage. Highland Clanship, 1451 – 1609, Leiden 2006; zu England Will Coster, Family and Kinship in England, 1450 – 1800, Harlow 2001. Eine wichtige Studie zu Italien ist G¦rard Delille, Famille et propri¦t¦ dans le royaume de Naples (XVe-XIXe siÀcle), Rom 1985 (D¦mographie et soci¦t¦s 18/BibliothÀque des Êcoles FranÅaises d’AthÀnes et de Rome 259,1). Zu den Gonzaga Ebba Severidt, Familie, Verwandtschaft und Karriere bei den Gonzaga. Struktur und Funktion von Familie und Verwandtschaft bei den Gonzaga und ihren deutschen Verwandten (1444 – 1519), Leinfelden-Echterdingen 2002 (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 45). Zum Frühmittelalter Stephen D. White, Re-thinking Kinship and Feudalism in Early Medieval Europe, Aldershot 2005 (Variorum Collected Studies 823). Zur Literatur in den Nachbardisziplinen Michael Wagner/Yvonne Schütze (Hg.), Verwandtschaft. Sozialwissenschaftliche Beiträge zu einem vernachlässigten Thema, Stuttgart 1998 (Der Mensch als soziales und personales Wesen 14).

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chen« Verwandten gelten, unterscheiden. Natürlich kann man sich mit seinen Verwandten gut oder schlecht verstehen; es wäre aber ungewöhnlich, dies auszudrücken, indem man sagt, man sei mit diesem Verwandten befreundet, mit jenem nicht. Die Überschneidung, ja teilweise Ununterscheidbarkeit der Felder von Freundschaft, Liebe und Verwandtschaft im europäischen Mittelalter ist vielfach beschrieben worden.268 Auch im frühneuzeitlichen französischen Sprachgebrauch weichen hinsichtlich des Verhältnisses zur Verwandtschaft sowohl »ami« wie auch »amiti¦« vom heutigen Sprachgebrauch ab. Die Kreise der Freunde und der Verwandten überlappen sich; und Freundschaft gilt auch als eine Dimension von Beziehungen in der Kernfamilie, also zwischen Ehegatten, Geschwistern, Eltern und Kindern. Bei letzteren Beziehungen ist besonders deutlich, dass »amiti¦« die Qualität einer zugeschriebenen Beziehung ausdrücken kann. Die Überlappungen der Kreise von Freunden und Verwandten können damit erklärt werden, dass die frühneuzeitlichen Adligen einen erheblich weiteren Begriff von »Verwandtschaft« haben als dies heute üblich ist: gerade im Adel ist das genealogische Wissen auch über entferntere Verwandtschaftsgrade hoch entwickelt – denn genealogische Beziehungen determinieren Rangordnungen zwischen Familien und werden im Falle des Aussterbens eines Adelsgeschlechts wichtig für die Bestimmung der Erben von Titeln und Ländereien: wenn nur entfernte Verwandte übrig sind, ist es entscheidend zu wissen, wer von diesen am wenigsten weit von der ausgestorbenen Familie entfernt ist. In einem solchen Fall versuchen die verschiedenen Anwärter häufig, ihr jeweiliges Verwandtschaftsverhältnis als vorrangig darzustellen, woraus langwierige Erbstreitigkeiten resultieren können; genealogisches Wissen ist die entscheidende Ressource in solchen juristischen Konflikten. Des weiteren betreffen in katholischen Ländern wie Frankreich kanonische Heiratsverbote auch entferntere Grade der Verwandtschaft, für die im Falle einer beabsichtigten Heirat eine kirchliche Dispens eingeholt werden muss; gerade dadurch aber wird das Bewusstsein für die Existenz einer verwandtschaftlichen Bindung wiederum verstärkt. Es ergibt sich durch die weite Auffassung von Verwandtschaft eine Unschärfe hinsichtlich der Frage, ob zwischen zwei weitläufig verwandten Adligen die zugeschriebene Verwandtschafts- oder die erworbene Freundschaftsbeziehung überwiegt. Es ist daher folgerichtig, dass sich in den Quellen nicht nur viele Stellen finden, wo die »parents et amis« in einem Atemzug genannt werden, sondern auch solche, wo eine einzige Person als »mon parent et ami« beiden Kategorien gleichzeitig 268 Für das deutsche Mittelalter und die deutsche Frühe Neuzeit ist die Beziehung von Freundschaft und Verwandtschaft jüngst aufgegriffen worden von Manuel Braun, Versuch über ein verworrenes Verhältnis: Freundschaft und Verwandtschaft in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Erzähltexten, in: Appuhn-Radtke/Wipfler (Hg.), Freundschaft. Motive und Bedeutungen, op. cit., 67 – 96.

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zugeordnet wird. Gerade aber die Nennung in einem Atemzug unterstreicht wiederum, dass die Begriffe selbst nicht ineinanderfließen, auch wenn sie auf dieselben Personen angewandt werden können. Fremdartiger erscheint das Konzept der Freundschaft als einer Eigenschaft bestimmter zugeschriebener Beziehungen. Man könnte das einfach so erklären, dass der Sprachgebrauch eben so ist, dass der Begriff der »amiti¦« auch mit »Sympathie« übersetzt werden kann; das ist aber erstens keine Erklärung, sondern eine Feststellung, und klärt zweitens das Verhältnis der »amiti¦« zu der zugeschriebenen Beziehung, in der sie herrscht, nicht auf. Hier soll folgender Erklärungsansatz versucht werden: wie im Kapitel über die Ideen der Freundschaft noch zu sehen sein wird, ist die Essenz der frühneuzeitlichen Adelsfreundschaft nicht Intimität, sondern Loyalität. Der Freund ist also nicht derjenige, dem man sein Herz ausschüttet, sondern derjenige, auf dessen Loyalität man vertraut. Diese Loyalität nun ist aber in der höfischen Gesellschaft auch unter engsten Verwandten nicht selbstverständlich. Zur Veranschaulichung mag ein Konflikt zwischen Cond¦ und seinem Schwager, dem Herzog von Longueville dienen, der in den Memoiren von Tavannes geschildert wird. Im Jahre 1650, kurz vor seiner Verhaftung, hat Cond¦ die Einheirat einer Nichte Mazarins in den französischen Hochadel verhindert, indem er den vorgesehenen Bräutigam, den Herzog von Richelieu, auf die Schnelle mit der Witwe des Herzogs von Albret verheiratet hat; es wird vermerkt, dass die Heirat auf einem der Güter des Herzogs von Longueville stattfindet. Longueville, der sich einige Tage zuvor mit Mazarin versöhnt hat, gibt sich indigniert: die Heirat habe ohne seine Zustimmung auf seinen Gütern stattgefunden. Wie glaubhaft dies ist, mag dahingestellt sein; es könnte durchaus sein, dass Longueville, schließlich selbst ein Hochadliger, sich zwar mit der Herrschaft Mazarins als Premierminister abfindet, ihn aber dennoch nicht in die Heiratskreise des Hochadels aufnehmen will. Ein solches doppeltes Spiel müsste dann natürlich verschleiert werden, so dass Mazarin nicht merkt, dass er von Longueville hintergangen worden ist. Longueville nimmt diese Heirat zum Anlass, mit Cond¦ zu brechen – hier kann man somit mutmaßen, ob Longueville sich tatsächlich von Cond¦ hintergangen fühlt oder ob er sich einen Vorwand suchen muss, mit Mazarins Gegenspieler Cond¦ zu brechen, damit seine Loyalität dem Kardinal gegenüber glaubhaft erscheint. Angesichts dieses Zerwürfnisses aber tritt Cond¦s Mutter, die Prinzessinwitwe von Cond¦, auf den Plan: »Mais Madame la DoüairiÀre de Cond¦, qui avoit un extrÞme soin d’entretenir to˜jours l’union dans la famille, s’¦tant aperÅ˜Ú de cette division, fit aussi-tút venir Messieurs le Prince son fils, & le Duc de Longueville son gendre dans son cabinet, & les remit si bien

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dans leur premiÀre amiti¦, qu’ils se jurerent une mutuelle assistance contre tous leurs ennemis.«269

Das Verhältnis der beiden Schwäger wird hier also ganz eindeutig als »amiti¦« bezeichnet; das wiederhergestellte gute Einvernehmen findet einen sichtbaren Ausdruck darin, dass beide sich nicht nur Beistand gegen ihre Feinde zusichern, sondern dieses Versprechen sogar noch beschwören.270 Wie gesagt, könnte es durchaus sein, dass hier die ganze Abfolge von Zerwürfnis und Versöhnung eine Inszenierung ist, um Mazarin in die Irre zu führen; an der Bedeutung von »amiti¦«, die hier untersucht wird, ändert das jedoch nichts. Der Begriff »amiti¦« wird auch benutzt, um harmonische Ehen zu beschreiben. Madame de Motteville schreibt über Anne d’Autriche, es scheine »que la Reine estoit n¦e pour rendre par son amiti¦ le feu Roi son mari le plus heureux mari du monde«.271 Sie selbst hält sich zugute, die Zuneigung ihres früh verstorbenen Ehemanns nicht ausgenutzt zu haben: »et si j’avois voulu profiter de l’amiti¦ qu’il avoit pour moi, et recevoir tous les avantages qu’il pouvoit et vouloit me faire, je me serois trouv¦e riche aprÀs sa mort.«272 Philippe Hurault berichtet von dem Moment, als Heinrich IV. Maria von Medici zum ersten Mal trifft; er beginnt sofort »— luy tesmoigner l’honneur, le respect et l’amity¦ qu’il luy a tousjours trÀs soigneusement rendue«.273 Auch späterhin leben König und Königin zusammen »avec tous les tesmoignaiges d’honneur, d’amity¦ et respect reciproques qui se peuvent imaginer«.274 Diese Verwendung des Freundschaftsbegriffs dürfte damit zusammenhängen, dass der Adel des 17. Jahrhunderts die Liebesehe nicht kennt275 bzw. ablehnt. 269 Tavannes, M¦moires, op. cit., 19 – 20. 270 Zur Bedeutung von Schwüren in Freundschaften cf. infra, Praktiken der Freundschaft. 271 FranÅoise Bertaut dame de Motteville, M¦moires de Madame de Motteville, in: Michaud/ Poujoulat (Hg.), Nouvelle collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 2/10, Paris 1838, 5 – 572, hier 13. 272 Ebd., 25. 273 Philippe Hurault, M¦moires de Philippe Hurault, Abb¦ de Pontlevoy, Evesque de Chartres. Lesdits M¦moires en suitte de ceux que j’ay ramass¦s et mis en ordre, portans le discours entier de la vye de feu M. le chancelier de Cheverny mon pÀre, descrypte par lui mesme, lequel il m’a command¦ d’acheverapprÀs luy, et de continuer en suitte celuy de la mienne ; le tout pour demeurer particuliÀrement — ceux de nostre maison, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 1/10, Paris 1838, 577 – 614, hier 605. 274 Ebd., 606. 275 Luhmann, Liebe als Passion, op. cit., 119 – 120, unterstreicht, dass in der Frühen Neuzeit Liebe und Vernunft noch als einander entgegengesetzt gedacht werden. Er stützt sich auf einen zeitgenössischen »Dialogue de l’Amour et de la Raison« aus F. Joyeux, Trait¦ des combats que l’amour a eu contre la raison et la jalousie, Paris 1667, 1 – 23. Luhmann erläutert, dass in diesem Texte die Vernunft auf zwei Punkten beharrt, zum einen auf dem Recht des Vaters beziehungsweise der Eltern, den Partner zu bestimmen, den ihr Kind heiraten soll, und zum anderen auf der Notwendigkeit, einen Partner gleichen sozialen

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In den Memoiren der Grande Mademoiselle kommt dies deutlich zum Ausdruck; als über eine Heirat der Autorin mit dem König von England spekuliert wird, äußert sie sich einem Gespräch mit Madame d’Epernon über umlaufende Gerüchte: »je lui dis que j’avais su que, M. de Fienne disant dans le monde que j’aimais passionn¦ment le roi d’Angleterre et que je l’¦pouserais par amour, cela me d¦plut au dernier point.«276 Zwei Elemente der Erklärung sollen vorgebracht werden. Zum einen hat, wie Niklas Luhmann gezeigt hat, das französische 17. Jahrhundert einen anderen Begriff von Liebe als das 19. Jahrhundert und die Folgezeit: während die romantische Konzeption von Liebe die Heirat als Ziel setzt und dauerhaftes Glück verspricht, versteht das 17. Jahrhundert die Liebe als eine Leidenschaft, die aufgrund ihrer Eigengesetzlichkeit nicht von Dauer sein kann: wenn die Sehnsucht erfüllt wird, wenn man also von dem begehrten Menschen erhört wird, ist damit das Erlöschen der Liebe bereits eingeleitet. Die einzig dauerhafte Liebe kann in dieser Konzeption die unerfüllte Liebe sein. Eine Ehe auf die Liebe zu gründen ist für die Adligen des 17. Jahrhunderts daher absurd, da somit eine dauerhafte Institution auf ein notwendig vergängliches Gefühl gegründet würde. Die Liebe wird folgerichtig im höfischen Milieu als das Charakteristikum außerehelicher Affären verstanden, während die Ehe eine Zweckbindung ist. Zum anderen haben Heiraten im Adel, zumal im Hochadel, einen politischen Aspekt: mit wem die Tochter des Herzogs von Orl¦ans eine Ehe eingeht, ist zuallererst nicht eine Frage ihrer persönlichen Präferenz, sondern eine politische Aussage. An Liebesheirat auch nur zu denken ist für eine Prinzessin, in modernen Termini gesprochen, höchst unprofessionell, es ist unvereinbar mit der Rolle, die sie als Angehörige des Herrscherhauses zu spielen hat. Die Ehe ist eine Allianz nicht nur zwischen Individuen, sondern mindestens ebenso sehr zwischen adligen Familienverbänden, im Falle einer herrschenden Dynastie also zwischen Herrscherhäusern samt ihren jeweiligen Reichen.277 Als Mitglied der Königsfamilie soll eine Prinzessin ihren Ehemann bevorzugt im Ausland suchen; dort kann sie nicht nur einen Mann finden, der ihr ebenbürtig ist, sondern aus Sicht der Dynastie kann damit auch eine außenpolitische Allianz geschmiedet werden – eine Prinzessin an einen eigenen Untertanen zu verheiRangs zu heiraten. Orest Ranum, Les refuges de l’intimit¦, in: AriÀs/Duby (Hg.), Histoire de la vie priv¦e, op. cit., Bd. 3: De la Renaissance aux LumiÀres, 211 – 265, hier 254, bemerkt, dass in der Frühen Neuzeit »L’amour dans le mariage est exprim¦ dans le discours de la ›parfaite amiti¦‹, c’est- —-dire de l’amour divin qui unit deux –mes sur la terre. La sexualit¦ est souvent ¦voqu¦e, mais, dans l’amiti¦, la raison domine le corps, et cette raison est divine.« 276 M¦moires de la Grande Mademoiselle, hg. von Bernard Quilliet, Paris 2005, 108. 277 Grundlegend für die ethnologische, und im Gefolge auch für die von der Ethnologie inspirierte historische Diskussion über Heiratsallianzen und die Struktur der Beziehungen innerhalb von durch Verschwägerung verflochtenen Verbänden ist Claude L¦vi-Strauss, L’analyse structurale en linguistique et en anthropologie, in: Ders., Anthropologie structurale, Paris 21974, 43 – 69.

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raten erschiene aus der Sicht eines dynastischen Politikers als unnötiger Verzicht auf die Möglichkeit, eine Bindung an ein ausländisches Herrscherhaus einzugehen. Liebe und Ehe sind also im Adel des grand siÀcle nicht rein zufällig getrennt, sondern als Konzeptionen unvereinbar. Die Freundschaft hingegen gilt als dauerhaft, oder genauer : sie hat zumindest das Potential zu unbegrenzter Dauer, auch wenn höfische Freundschaften andauernd gebrochen werden. Anders als bei der Liebe gilt der Bruch aber nicht als der Entwicklung der Beziehung notwendig inhärent. Freundschaften können zudem auch wieder hergestellt werden, während dem grand siÀcle die einmal erloschene Liebe als endgültig vergangen gilt. Es wird im Kapitel über die Praktiken der Freundschaft zu zeigen sein, dass es elaborierte Praktiken zur Wiederherstellung gebrochener Freundschaften gibt. Der Bruch der Freundschaft ist weder in der Theorie noch in der Praxis notwendig endgültig; man kann auch mehrmals miteinander brechen und sich immer wieder versöhnen. Freundschaft und Verwandtschaft sind natürlich auch in der Hinsicht verschränkt, dass durch Heiraten zwischen befreundeten Familien erworbene Beziehungen in zugeschriebene überführt werden können. Da dieser Aspekt jedoch nicht die Semantik, sondern die soziale Praxis betrifft, soll er im Rahmen des Kapitels über die Praktiken der Freundschaft behandelt werden. Es gibt darüber hinaus auch die Idee der Freundschaft mit einem ganzen Adelshaus: Freundschaft zwischen zwei Individuen kann auf die Familienmitglieder ausgedehnt werden und das gesamte Haus als befreundet umfassen. Als Gourville im Brüsseler Exil ist, wählt er sich nicht Individuen, sondern Familien aus, deren Freundschaft er dann zu erwerben sucht: »Les deux maisons que je choisis par pr¦f¦rence pour m’attacher d’une liaison particuliÀre furent celles de M. le prince d’Arenberg et de M. le comte d’Ursel, qui ¦tait un trÀs bon vivant. Sa femme avait aussi son m¦rite, et je puis dire que notre amiti¦ des uns et des autres a dur¦ jusqu’— la mort.«278

Es fällt – auch unter dem Geschlechteraspekt – auf, dass Gourville hier also Freundschaft sowohl mit dem Grafen Ursel als auch mit dessen Frau schließt; bei der Familie Arenberg geht er eine enge Bindung nicht nur zum Prinzen Arenberg, sondern ebenso zu dessen Bruder, dem Herzog von Arschot, ein.279 Ebenso wie die Verschwägerung betrifft also auch die Freundschaftsbindung zumindest 278 Jean H¦rault de Gourville, M¦moires de Monsieur de Gourville, hg. von Arlette Lebigre, Paris 2004, 151. Neben dieser rezenten Edition, nach der wir hier zitieren, existiert auch eine Edition von Gourvilles Memoiren aus dem 19. Jahrhundert, Jean H¦rault de Gourville, M¦moires, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 3/5, Paris 1838, 486 – 593. 279 Ebd., 152 – 153.

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potentiell auch die Angehörigen derjenigen, die sie eingehen. Dieses Konzept ist streng zu scheiden von Freundschaftsbünden: während in einem Freundschaftsbund alle Mitglieder als Individuen sich der Gruppe je einzeln anschließen, bedeutet die Freundschaft eines Adligen mit einem ganzen Adelshaus die Freundschaft mit einer Gruppe, die aufgrund zugeschriebener Beziehungen zusammengehalten wird; dasselbe gilt für die Freundschaft zwischen zwei Adelshäusern, wo folglich nur die Beziehung zwischen den beiden Gruppen eine erworbene ist, nicht aber die Beziehungen innerhalb der Gruppen. Mit anderen Worten: die Freundschaft zu jedem Mitglied einer Familie muss nicht unbedingt je einzeln erworben werden; zumindest aber macht es die Freundschaft mit einem Mitglied des Hauses einfacher, auch individuelle Freundschaftsbeziehungen zu anderen Mitgliedern des Hauses zu entwickeln. Natürlich sind auch hier Nuancierungen anzubringen: Freund eines ganzen Adelshauses zu werden, ist nur möglich, wenn dieses nicht in konkurrierende Faktionen gespalten ist, wie das etwa bei Erbstreitigkeiten oft der Fall ist. Es zeigt sich hier eine Zweideutigkeit des Freundschaftsbegriffs. Einerseits ist höfische Freundschaft eine Beziehung zwischen zwei Höflingen, die ihre je individuelle Karriere verfolgen und eine je individuelle Agenda haben; auf der anderen Seite hat sie aber auch den Aspekt, Bindung zwischen Familienverbänden zu sein. Jonathan Dewald hat postuliert, dass die Adligen des grand siÀcle die Vorreiter des modernen Individualismus seien; er weist darauf hin, dass das Wort »carriÀre« vor 1630 seinen modernen Sinn annimmt, denjenigen des Strebens eines Individuums nach Erfolg.280 Das ist zwar richtig, muss aber eben immer durch den Hinweis ergänzt werden, dass die Adligen des grand siÀcle immer noch stark in adlige Häuser eingebunden sind und sich durchaus auch personenübergreifenden Strategien unterordnen; das betrifft etwa die Art der Karriere, die der einzelne verfolgt. Älteste Söhne übernehmen den Familienbesitz, zweite Söhne werden oft auf eine geistliche Laufbahn vorbereitet. Die Familienverbände erwarten auch von den Mitgliedern, dass sie ihre eigene Lebensplanung den Interessen des Hauses unterordnen; sicher finden sich Fälle, wo einzelne Adlige dagegen rebellieren, aber die skizzierten Verhaltenserwartungen dürften doch immer noch die Norm sein. Im Bereich der Freundschaft ist die Lage entsprechend komplex; hier scheint in der Tat das 17. Jahrhundert eine Konzeption der Freundschaft zu haben, die im Umbruch ist. Auf der einen Seite gibt es noch die Idee der Bindung von Familien aneinander (das wird etwa an einem noch zu diskutierenden Phänomen deutlich, nämlich an der Vererbung von Freundschaften), auf der anderen Seite werden Freundschaften zwischen Individuen geschlossen und gebrochen; später, im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, tritt dann eine weit radikalere Konzeption auf den Plan, die sich 280 Dewald, Aristocratic Experience, op. cit., 20.

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für die Bindungen außerhalb der Freundschaft zweier Individuen nicht mehr interessiert, sondern nur noch die Interaktion der beiden wesensverwandten Seelen betont. Auch hier ist Montaigne ein Vorreiter : das Geschehen zwischen ihm und Etienne de La Bo¦tie spielt sich zumindest seiner Darstellung nach auf radikale Weise nur zwischen ihnen beiden ab, die Familien spielen keine Rolle. Diese Ambiguität der Freundschaft, die für die Adligen des 17. Jahrhunderts einerseits Bindung zwischen Individuen, andererseits Bündnis zwischen Familien ist, zeigt beispielhaft eine Eigenschaft von Freundschaft als Alltagskonzeption. Solche Konzeptionen bestehen aus verschiedenen Aspekten und Elementen, die sich nicht notwendigerweise widerspruchsfrei zu einem logischen Gesamtgebäude zusammenfügen. Was einen solchen Alltagsbegriff zusammenhält, ist das Wort, aber nicht eine Definition, die alle Elemente harmonisch zusammenbinden würde. Ein solcher Alltagsbegriff funktioniert nicht wie der Freundschaftsbegriff eines philosophischen Traktats – man denke etwa an das Kapitel über die Freundschaft in Aristoteles’ Nikomachischer Ethik, wo die Freundschaft in genau drei Untertypen mit jeweils charakteristischen Eigenschaften zerfällt. Die genannten Widersprüchlichkeiten sind allerdings kein Charakteristikum des 17. Jahrhunderts; auch Untersuchungen zu Freundschaften in der Moderne zeigen, dass Menschen im Alltag keineswegs eine festgefügte Definition von Freundschaft haben, geschweige denn sich notwendig einig über die Eigenschaften der Freundschaft sind.281

II.1.5. Freundschaft und Liebe Wie erwähnt, hat das Französische mit den Ableitungen der beiden lateinischen Wurzeln parens und amicus im Gegensatz zum Deutschen immer schon zwei Begriffsapparate, um den Unterschied von Freundschaft und Verwandtschaft zu verdeutlichen. Im Französischen gibt es dafür eine andere semantische Nähe, nämlich diejenige von Liebe282 und Freundschaft, da beide auf Ableitungen des 281 Dieses Problem hat der Soziologe Graham Allan formuliert, cf. Graham A. Allan, A Sociology of Friendship and Kinship, London 1979; Ders., Friendship. Developing a Sociological Perspective, New York 1989; Ders., Kinship and Friendship in Modern Britain, Oxford 1996. Dieselbe Feststellung findet sich bei Rexroth/Schmidt, Freundschaft und Verwandtschaft: Zur Theorie zweier Beziehungssysteme, op. cit., 11, die erklären: »Hinzu kommt der empirische Befund, dass die moderne Gesellschaft selbst eine sehr unspezifische Semantik der Freundschaft pflegt: Befragungen haben gezeigt, dass der Begriff der Freundschaft auf höchst unterschiedliche Beziehungen angewandt wird und die Bezeichnung ›Freund‹ häufig als eine Art Residualkategorie verwendet wird (›just friends‹), so dass eine Abgrenzung zu Bekannten zunehmend schwer fällt.« 282 Zur Geschichte des Wortes »amour« cf. den Artikel »amor« in: von Wartburg, Französisches Etymologisches Wörterbuch, op. cit., Bd. 1, 90.

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lateinischen amare zurückgehen; bis heute hat im Übrigen »aimer« die erotische und die nicht-erotische Bedeutung, also »lieben« genauso wie »mögen«, behalten. Es verwundert daher auch nicht, dass die beiden Semantiken in vormodernen Texten mitunter nicht scharf getrennt sind. In den Briefen des Grand Cond¦ an seinen Favoriten Guitaut ist das Verb »aimer« häufig: »soyez persuad¦ que je vous aime de tout mon cœur«,283 »J’ai des impatiences furieuses de vous voir pour vous pouvoir t¦moigner que je vous aime avec tout l’estime et toute la tendresse imaginables«,284 »Croyez, mon cher, que personne au monde ne vous aime et ne vous estime tant que moi«.285 Der Dictionnaire culturel en langue franÅaise veweist darauf, dass »amiti¦« noch im 16. und 17. Jahrhundert mitunter den Sinn von »amour« annehmen kann: »L’¦volution du sens de amiti¦ et de amour correspond — un croisement des valeurs dominantes de aimer, qui a gard¦ les deux contextes: ›fid¦lit¦‹ et ›¦rotisme‹. Amiti¦ a perdu le second progressivement: on dit encore charnel amiti¦ au XVIe s. et encore faire une amiti¦, ›avoir une liaison‹ au XVIIe.«286

In den Selbstzeugnissen und historiographischen Texten der Frühen Neuzeit gibt es Beispiele, wo »amiti¦« ganz eindeutig als Synonym für »amour« gebraucht wird. Ein Beispiel findet sich bei Pierre Coste, der über den Prinzen von Conti schreibt: »Il se laissoit poss¦der par la duchesse de Longueville sa Sœur, & s’abandonnoit si fort — tous ses sentiments, qu’on a cru, quoi qu’injustement, qu’il e˜t pour elle une passion qui passoit les bornes de la plus violente amiti¦.«287 Man hat es hier wohl mit preziösem Sprachgebrauch zu tun, der aus Zurückhaltung nicht von »amour« oder gar »passion« spricht; für diese Sichtweise spricht, dass Freundschaft für gewöhnlich gerade nicht als »violent« gedacht wird, sondern als ruhig und beständig. Ein Liebesverhältnis zwischen Conti und der Herzogin von Longueville wäre inzestuös; auch dies spricht dafür, dass der Historiograph Coste hier »violente amiti¦« als eine untertreibende Umschreibung gebraucht, um dem Leser den Sachverhalt verständlich zu machen, ohne ihn aussprechen zu müssen. Der Amtsadlige288 Nicolas Goulas berichtet, wie er sich beim Studium in Bourges in eine Bürgerstochter verliebt; aus 283 284 285 286

Archives de Chantilly O I 183, Cond¦ an Guitaut, 25. April 1657. Archives de Chantilly O I 177, Cond¦ an Guitaut, 17. Dezember 1656. Archives de Chantilly O I 170, Cond¦ an Guitaut, undatiert. Artikel »amiti¦«, in: Alain Rey (Hg.), Dictionnaire culturel en langue franÅaise, Paris 2005, Bd. 1, 273. 287 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 96. 288 Die Freundschaftsbeziehungen im Milieu des Amtsadels wären ein lohnendes Objekt für eine eigene Studie. Zum Amtsadel Albert Cremer, La genÀse de la notion de noblesse de robe, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 46 (1999), 22 – 38; ein Fallbeispiel bietet Philippe Hamon, La chute de la maison de Thou : la fin d’une dynastie robine, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 46 (1999), 53 – 85.

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Gründen des Standes ist ihm diese »amiti¦« aber so peinlich, dass er sie einem Kommilitonen gegenüber verschweigt.289 Man kann diese Stelle – auch wenn »amiti¦« hier gerade nicht die Freundschaft der Ehrenmänner, sondern eine Liebesbeziehung meint – als einen weiteren Beleg dafür lesen, dass Freundschaft für einen Adligen eben doch die adlige Qualität des Freundes (oder der Freundin) voraussetzt. Die partielle wechselseitige Substituierbarkeit der beiden Wörter »amour« und »amiti¦« im Alltagsgebrauch der Frühen Neuzeit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei den philosophischen Diskursen über Freundschaft und Liebe die Situation anders ist: hier ist einerseits der traditionell misogyne antike Freundschaftsdiskurs wirksam, der Frauen für nicht freundschaftsfähig hält, andererseits der caritas-Diskurs des christlichen Mittelalters, der idealiter alle Christen durch umfassende Nächstenliebe verbunden sehen möchte.290 Der antike Diskurs klammert also die Liebe zwischen den Geschlechtern aus der Freundschaft aus, der mittelalterliche universalisiert die Freundschaft, zumindest unter den Gläubigen. Bei La BruyÀre, am Ende des 17. Jahrhunderts, wird deutlich eine Opposition von Freundschaft und Liebe konstruiert: »Les femmes vont plus loin en amour que la plupart des hommes: mais les hommes l’emportent sur elles en amiti¦«;291 »Le temps qui fortifie les amiti¦s affaiblit l’amour.«292

II.1.6. Einseitigkeit und Reziprozität Wie oben bereits erläutert, kann das französische Wort »amiti¦« auch einseitig gebraucht werden, also nicht nur als »amiti¦« zwischen zwei Personen, sondern auch als »amiti¦«, die eine Person für eine andere empfindet. Im frühneuzeitlichen Diskurs ist dieser Gebrauch häufig. Die Grande Mademoiselle berichtet in ihren Memoiren, wie sie, etwa zehn Jahre alt, von Ludwig XIII. und Anna von Österreich mit Bezeugungen der Freundschaft bedacht worden ist: »le roi et la reine me traitaient avec une bont¦ non pareilles et me donnaient toutes sortes de t¦moignages d’amiti¦.«293 Sie bezeichnet sich aber dennoch nicht als Freundin des Herrscherpaares. Hier geht es wohlgemerkt nicht primär um die Problematik der Freundschaft mit dem Herrscher ; auch bei Adligen außerhalb der 289 Nicolas Goulas, M¦moires et autres in¦dits de Nicolas Goulas, Gentilhomme ordinaire de la chambre du duc d’Orl¦ans. Publi¦s d’aprÀs des manuscrits autographes pour la Soci¦t¦ de l’histoire de France par No¦mi Hepp. Paris 1995, 89 – 90. 290 Cf. ausführlicher infra, Ideen der Freundschaft. 291 La BruyÀre, CaractÀres, op. cit., 184 – 185 (Des Femmes, 55). 292 Ebd., 192 (Du Cœur, 4). 293 M¦moires de la Grande Mademoiselle, op. cit., 27.

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Herrscherfamilie wäre es schwer vorstellbar, dass ein zehnjähriges Kind sich unter ihre Freunde rechnen dürfte. Ganz offensichtlich bezeichnet diese einseitige Form der Freundschaft schlicht einen Ausdruck der Zuneigung. Ebenfalls in den Memoiren der Grande Mademoiselle wird berichtet, wie die Autorin mit dem damals fünfjährigen Ludwig XIV. und dessen kleinem Bruder spielt, wenn sie im Louvre ist: »Mon occupation ordinaire y ¦tait de jouer avec le roi ou M. le duc d’Anjou, qui ¦tait l’enfant du monde le plus joli et pour qui j’ai toujours eu grande amiti¦.«294 Da die Grande Mademoiselle die Cousine der beiden Königssöhne ist, begegnet bei dieser »amiti¦« als Zuneigung auch die Verknüpfung des Begriffs mit zugeschriebenen Beziehungen wieder. Auch in diesen, so scheint es, kann die »amiti¦« sowohl einseitig wie auch reziprok gedacht werden. Das Konzept der Freundschaft als Zuneigung zeigt sich des weiteren darin, dass sie auch als Empfindung beschrieben werden kann, als etwas, das man fühlt. So berichtet die Grande Mademoiselle über ihr Verhältnis zu ihrer Stiefmutter : »Je le [sc. Monsieur] mettais le plus souvent qu’il m’¦tait possible sur le chapitre de ma belle-mÀre, pour qui je me sentais beaucoup d’amiti¦: mÞme nous nous ¦crivions et je puis dire avec v¦rit¦ qu’aprÀs avoir parl¦ d’elle en plusieurs occasions — Son Altesse Royale, personne ne la servit auprÀs de lui plus utilement que moi.«295

Diese Möglichkeit der einseitigen Konzeptualisierung von Freundschaft hat eine wichtige methodische Konsequenz. Solange man Freundschaft als grundsätzlich wechselseitige Beziehung denkt, könnte man angesichts der Häufigkeit der Termini »ami« und »amiti¦« versucht sein zu denken, dass sich auf dem semantischen Weg recht schnell der Kreis der Freunde einer Person herausfinden ließe: wer Freund genannt wird, ist Freund, wer nicht, ist dann offensichtlich Patron, Klient, Verbündeter etc. In der Korrespondenz des Partners ließe sich die Gegenprobe machen, da Freundschaft ja eine reziproke Beziehung ist. Letztere Vorstellung aber, so wird bei der Lektüre frühneuzeitlicher Quellen klar, mag in der Moderne gültig sein, nicht aber in der Frühen Neuzeit. Nicht jede Beziehung, die von einem der Beteiligten Freundschaft genannt werden kann, kann von beiden Seiten so konzeptualisiert werden; und nicht jede, die tatsächlich von beiden so genannt werden könnte, muss auch zwingend von beiden so bezeichnet werden. Nicht nur »amiti¦«, auch »ami« kann asymmetrisch gebraucht werden. Wer höherrangig ist, hat wohl einen gewissen Spielraum, bis zu welchem Rangunterschied nach unten er sich als Freund gibt und ab wann er klar seine Position als Herr affirmiert. Es gibt hier aber deutliche Grenzen: zu weit unter ihm stehende Personen wird ein hoher Adliger nicht ohne Grund seine Freunde nennen, und umgekehrt ist es für ihn ratsam Adlige, die nur wenig unter 294 Ebd., 49. 295 Ebd., 34.

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ihm selbst stehen, eher als Freunde denn als Diener anzureden. Was für die Anrede der anderen als Freunde gilt, gilt auch für die Selbstbezeichnung als Freund: sich selbst den Freund eines Rangniedrigeren zu nennen ist eine Gunstbezeugung, sich selbst den Freund eines Ranghöheren zu nennen ist unter Umständen eine Anmaßung, die als Zumutung empfunden werden kann. Die Bezeichnung Dritter als eigene Freunde, wenn man über sie redet, ist wieder ein anderer Fall. Sie ist protokollarisch viel weniger problematisch als Selbstbezeichnungen und Anreden in Briefen. Größere Freiheit hat man insbesondere in Memoirentexten, die viele Jahre nach den beschriebenen Ereignissen geschrieben werden; viele der beschriebenen Personen sind dann bereits tot und können sich gegen eine eventuelle Vereinnahmung als Freunde des Autors, der seine Bedeutung damit steigert, nicht mehr wehren; außerdem muss der Autor, wenn er über seine Beziehungen zu verstorbenen Adligen berichtet, zwar aus Gründen der Schicklichkeit deren Titel korrekt zitieren, dennoch bleibt ihm bei weitem mehr Freiheit als in Briefen an andere Adlige, wo er auf alle rhetorischen Konventionen sowie auf eventuelle persönliche Empfindlichkeiten des Adressaten Rücksicht nehmen und die jeweils korrekten Formeln wählen muss.296 Am meisten Freiheit herrscht, wenn es um die Freundschaften Dritter geht: wer zwei Adlige als befreundet bezeichnet, ohne selbst involviert zu sein, übernimmt weniger Haftung als jemand, der über seine eigenen Freunde oder gar an sie schreibt. Auch zwischen Reden und Schreiben muss unterschieden werden. Sich selbst einem Höherrangigen gegenüber in einem Brief als seinen Freund zu bezeichnen, ist nicht üblich; genauso wenig wie es üblich ist, den höherrangigen Partner anzuschreiben und ihn dabei einen Freund zu nennen. In Memoiren werden dagegen Gesprächssituationen überliefert, in denen dies praktiziert wird. Ein Beispiel dafür findet sich in den Memoiren von Bassompierre. Als Henri II de Cond¦, Schomberg297 und Retz Bassompierre vorschlagen, ihn zum Favoriten zu machen, wenn er dafür mit seinem Freund Monsieur de Puisieux bräche, versucht er sich dem zu entziehen, indem er die drei Genannten in der Rangordnung seiner Freunde über Puisieux einordnet, an dem er gleichwohl festhält; er erläutert ihnen die Kriterien seiner Rangordnung:

296 Die Bedeutung von Anrede- und Schlussformeln ist in einem wichtigen Beitrag von Christophe Blanquie herausgearbeitet, der dazu das Material der Cond¦ benutzt, cf. Christophe Blanquie, Entre courtoisie et r¦volte. La correspondance de Cond¦ (1648 – 1659), in: Histoire, ¦conomie et soci¦t¦ 14 (1995), 427 – 443. Zur Codierung des Ranges im Brief im grand siÀcle cf. jetzt Giora Sternberg, Epistolary Ceremonial: Corresponding Status at the Time of Louis XIV, in: Past & Present 204 (August 2009), 33 – 88. 297 Henri de Schomberg, comte de Nanteuil-le-Haudoin et de Durtal, duc d’Alluyn (1575 – 1632). Er wird im Jahre 1625 mar¦chal de France.

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»je saurois toujours bien garder les degr¦s d’amiti¦ selon la qualit¦ de mes amis, comme je ferois premiÀrement de service trÀs-humble et de respect soumis envers M. le prince, privativement — tous autres, — cause de sa qualit¦, de celle de mon g¦n¦ral qu’il poss¦doit maintenant, et pour les faveurs qu’il avoit daign¦ me faire depuis qu’il m’avoit fait l’honneur de m’assurer de ses bonnes gr–ces; ensuite de messieurs le cardinal de Retz et de Schomberg, par une amiti¦ plus ancienne que celle de M. de Puisieux, mais qu’il marcheroit aussi dans son rang en mon affection, et que je ne lui manquerois pas.«298

Bassompierre bezieht hier also den Rang der einzelnen Personen, ihre Ämter, die Gunstbeweise, die sie ihm erwiesen haben, und die Dauer ihrer Beziehung zu ihm selbst als Faktoren ein. Er konzeptualisiert weder eine Opposition zwischen Freundschaft und Patronage noch eine zwischen gleicher und ungleicher Freundschaft, sondern konstruiert eine übergreifende Kategorie »Freundschaft«, innerhalb derer er die Freunde nach Präzedenz anordnet, wobei der Rang in der Adelshierarchie einer unter mehreren Faktoren ist. Interessant ist die Metapher der imaginären Prozession seiner Freunde, die Bassompierre benutzt (»qu’il marcheroit aussi dans son rang en mon affection«), wobei der Rang der jeweiligen Person in der Prozession sich aus der Kombination der genannten Faktoren ergibt. Dabei darf unterstellt werden, dass Bassompierre als adliger Memorialist die Regeln der biens¦ance gut genug kennt, um ein solches Gespräch auch aus dem Gedächtnis nicht so zu beschreiben, dass es elementaren Regeln der Höflichkeit widerspräche. Selbst wenn das Gespräch so nicht stattgefunden hat, so muss Bassompierre es dennoch so beschreiben, wie ein solches Gespräch in der höfischen Gesellschaft abgelaufen sein könnte, wenn er für seine zeitgenössischen Leser glaubwürdig bleiben will; und die Stimmigkeit solcher Situationen ist durchaus wichtig für die Glaubwürdigkeit der Memoiren als ganzer, an der dem Autor ja gelegen sein muss. Neben dem Reden mit dem Freund und dem Schreiben an den Freund ist noch das Schreiben über den Freund zu berücksichtigen, also die Situation, wenn ein Freund im Brief und vor allem in Memoiren erwähnt wird. BeauvaisNangis schreibt über seine Beziehung zum Herzog von Bouillon: »Depuys ce temps, mondit sieur de Bouillon m’a tousjours pris en amiti¦, et moy je l’ay honor¦ comme un des meilleurs seigneurs et amys que j’aye eu.«299 Hier ist klar, dass das Verhältnis ungleich ist; aber obwohl dies ausdrücklich betont wird, wird es dennoch als Freundschaft bezeichnet. Etwas später erwähnt er auch den Herzog von Montbazon, »que je tenoy en ce temps-l— pour un de mes meilleurs seigneurs et amys«.300 A fortiori können ungleiche Freundschaften zwischen 298 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XX, 413. 299 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 92. 300 Ebd., 93 – 94.

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Dritten beim Namen genannt werden; so bezeichnet Beauvais-Nangis seinen Vater als »amy et serviteur« des Herzogs von Guise.301 Eine Nuance ist auch noch zwischen den einseitigen Verwendungen der beiden Begriffe »ami« und »amiti¦« anzubringen: es ist etwas anderes, jemandem einseitig »amiti¦« entgegenzubringen, als sich als jemandes Freund zu bezeichnen. Es steht zu vermuten, dass die Zusicherung von »amiti¦« weniger verbindlich klingt als die Selbstbezeichnung als Freund oder die Bezeichnung des Gegenübers als Freund. Wenn ein Höherrangiger einem Niederrangigen Zuneigung entgegenbringt, gibt es dafür den Ausdruck »honorer quelqu’un d’amiti¦(s)«;302 dies ist wohl nicht zwingend schon gleichbedeutend mit »Þtre ami de quelqu’un«. So rühmt sich der pÀre Bergier, von Cond¦ mit dessen Freundschaft beehrt worden zu sein: »Pour moy je n’ay plus qu’un party — prendre, de prier Dieu pour luy le reste de mes jours, & pleurer un Prince, qui tout grand qu’il estoit, a bien voulu durant plus de trente ans m’honorer de son amiti¦ & de sa confiance jusqu’au dernier soupir de sa vie.«303 Der Pater, der nicht hochadliger Herkunft ist, beansprucht damit nicht unbedingt einen Rang als Freund des Prinzen. Man könnte sogar argumentieren, dass der Ausdruck »honorer« es sehr unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass der so Geehrte ein Freund sein kann, anstatt lediglich ein Empfänger der Zuneigung, die ihm der Höherstehende als eine Ehre gewährt. Die beschriebene Möglichkeit der einseitigen Zuschreibung von Freundschaft, die von der Gegenseite nicht erwidert wird, weil sie aus Gründen des Ranges nicht erwidert werden darf, erschwert das Unterfangen, tatsächlich Freundespaare zu isolieren; interessantere Erkenntnisse erzielt man, wenn man die Rede über die Freundschaft und die damit verbundenen Praktiken zur Kenntnis nimmt und auf ihren Bedeutungsgehalt hin befragt, anstatt anhand dieser Belege zu versuchen, Listen von Freunden einer Person aufzustellen. Dies lässt es auch geraten erscheinen, die Freundschaft als eine spezifische Art und Weise des Interagierens zwischen Personen in den Mittelpunkt zu stellen, anstatt zu untersuchen, wer wessen Freund ist, wer also bei wem den Status »Freund« innehat.

II.1.7. Rang Die genannten Überlegungen zeigen bereits ein Kernproblem des frühneuzeitlichen Freundschaftsbegriffs auf, nämlich die Frage, wer wen seinen Freund 301 Ebd., 43. 302 Bergier, De morte Ludovici Borbonii, op. cit., 327 – 328. 303 Ebd., 327 – 328.

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nennen darf. Wie bereits angedeutet, soll hier die These vertreten werden, dass es nicht die absolute Gleichrangigkeit ist, die Freundschaft ermöglicht – der französische Adel ist nämlich gerade in seinen höheren Rängen so extrem ausdifferenziert, dass es exakte Gleichheit des Ranges nicht gibt. Selbst wenn zwei Adlige genau die gleichen Titel und Ämter innehaben – was schon ein reichlich unwahrscheinlicher Fall ist – kann immer noch aufgrund der Anciennität der Titel ein Rangunterschied zwischen beiden konstruiert werden; dies findet auch tatsächlich statt, etwa im Fall der ducs et pairs.304 Aufgrund der Höflichkeitsregeln, die in der Korrespondenzsprache den Gebrauch des Begriffs »Freundschaft« limitieren, kann die Frage nach dem Verhältnis von Freundschaft und Rang erst in der Zusammenschau mit narrativen Quellen beantwortet werden. Es soll folgende Hypothese gewagt werden: Freundschaft ist innerhalb des adligen Standes prinzipiell möglich, mit Partnern außerhalb dieses Standes nicht. Es gibt einige Ausnahmen von dieser Regel, die sie jedoch nicht generell entwerten. Innerhalb des Adels können alle Sozialbeziehungen als Freundschaft bezeichnet werden; sie folgen dabei dem erwähnten Muster, dass der Rangniedrigere den Terminus in der direkten schriftlichen Interaktion eher meiden wird. Es scheint, dass für die Interaktion zwischen Adligen und Klerikern dieselben Regeln gelten wie bei der Interaktion unter Adligen, zumal sich der höhere Klerus ja ohnehin ganz überwiegend aus dem Adel rekrutiert. Ein Hochadliger hat keine Probleme, einen Bischof oder Kardinal seinen Freund zu nennen, ein Dorfpfarrer dagegen wäre als Freund eines Hochadligen eher ungewöhnlich. Geht die Beziehung über die Standesgrenze hinaus, müssen in der Regel andere Semantiken verwendet werden. Meist ist dies die Semantik des Herrn und Beschützers und seines treuen Dieners. Auffällig ist im übrigen, dass »patron« und »client« als Quellenbegriffe im hier untersuchten Korpus weitgehend abwesend sind. Der Patron und der Klient sind für das Frankreich des grand siÀcle das, was die Ethnologen etische Kategorien nennen, also Analysekonzepte, die nicht der Quellensprache entstammen. Das gilt nicht zwingend gleichermaßen für andere europäische Sprachen; Mark Hengerer bemerkt, dass in der Korrespondenz hoher Adliger am Wiener Kaiserhof in der Mitte des 17. Jahrhunderts der Begriff »Patron« häufig ist, der Begriff »Klient« hingegen nicht.305 Unter den

304 Cf. zu den Einzelheiten der Ausdifferenzierung von Rang am französischen Hof Le Roy Ladurie, Saint-Simon ou le systÀme de la Cour, op. cit., der ein Kapitel dem Thema »la hi¦rarchie et les rangs« widmet, 43 – 99. Le Roy Ladurie erläutert, wie der Rang der einzelnen Höflinge in einem extrem elaborierten System von Titeln und Anredeformeln ausgedrückt wird, des weiteren in der Zuweisung bestimmter Sitzmöbel (Sessel, Stuhl, Hocker) und in der Tischordnung. 305 Mark Hengerer, Amtsträger als Klienten und Patrone? Anmerkungen zu einem For-

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emischen Kategorien, also den Kategorien der Quellensprache, gibt es viele, die sich mit der etischen Kategorie der Patronage überschneiden oder einen Teil von ihr abdecken, aber keine, die mit ihr deckungsgleich wäre. Man findet in den Quellen »ma„tres«, »seigneurs«, »cr¦atures«, »serviteurs«, »amis«, aber eben praktisch nie »patrons« oder »clients«, zumindest nicht mit den Bedeutungen, die uns hier interessieren. Das mag damit zusammenhängen, dass diese beiden letzteren Wörter in der französischen Sprache eigene Bedeutungen haben, die nicht mit dem Konzept der Patronage zusammenhängen. Der »client« ist schlicht ein Kunde. Der »patron« kann ein Schankwirt sein; häufiger bezeichnet das Wort jedoch einen Chef, aber eben gerade nicht im Sinne der informellen Patronage: zu einem »patron« steht man in einem Angestelltenverhältnis. Das Verhältnis ist also nicht eines der personalen Treue, wo bewusst Leistung und Gegenleistung vage bleiben, sondern eines, bei dem eine genau definierte Leistung mit einer Gegenleistung in Geld vergolten wird – das aber ist unaristokratisch. Das einzige Mal, dass der Begriff »patron« in den hier untersuchten Selbstzeugnissen aus dem Umkreis des Grand Cond¦ auftaucht, ist bezeichnenderweise eine Äußerung seines Kammerdieners Rochefort;306 hier meint »patron« wie im heutigen Französisch den Arbeitgeber. Zwar kommt der Begriff in literarischen und philosophischen Texten vor, dort dürfte er aber eher Ausdruck antikisierender Gelehrsamkeit sein.307 Es gibt hinsichtlich der Freundschaft zwischen Personen verschiedenen Standes zweierlei Arten von Grenzfällen. Die eine Gruppe umfasst Personen bürgerlicher Abstammung, die zwar nicht adlig sind, sich durch ihre Lebensweise aber dem Adel assimilieren. Als Beispiel für diese Gruppe kann Cond¦s Finanzverwalter Gourville genannt werden. Als rechte Hand Nicolas Fouquets wird er reich, muss aber nach dessen Sturz das Land verlassen. In Brüssel führt er eine Existenz, in der er die widersprüchlichen Aspekte des Exilanten und des zeitweiligen französischen Sondergesandten in sich vereinigt. Er bezeichnet in seiner Autobiographie viele Adlige als seine Freunde, allerdings nicht den Prinzen von Cond¦. Dafür können zwei Erklärungen versucht werden: zum einen ist Cond¦ ein extrem hoher Adliger, als dessen Freund sich zu bezeichnen schungskonzept, in: Stefan Brakensiek/Heide Wunder (Hg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, Köln/Weimar/Wien 2005, 45 – 78, hier 69. 306 Die Stelle findet sich bei Bussy-Rabutin, dem ein Adliger berichtet, wie er Rochefort begegnet ist, wobei explizit erwähnt wird, dass Rochefort den Prinzen von Cond¦ als »patron« bezeichnet: »lui, qui me parloit, l’avoit reconnu et lui avoit demand¦ d’o¾ il venoit; que Rochefort se trouvant surpris, lui avoit r¦pondu qu’il ¦toit avec le patron, voulant parler du prince.« Roger de Bussy-Rabutin, M¦moires de Roger de Rabutin, comte de Bussy, lieutenant-g¦n¦ral des arm¦es du roi, mestre de camp g¦n¦ral de la cavallerie l¦gÀre. Nouvelle ¦dition revue sur un manuscrit de famille, augment¦e de fragments in¦dits, hg. von Ludovic Lalanne, 2 Bde., Westmead 1972 [Faksimile der Ausgabe Paris 1857], Bd. 1, 264. 307 Asch, Der Höfling als Heuchler, op. cit., 183, erwähnt eine Formulierung La BruyÀres über den Höfling, von dem es heißt »il vise ¦galement — se faire des patrons et des cr¦atures«.

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Gourville möglicherweise nicht wagt, weil ihm das nicht zusteht. Zum anderen steht Gourville in seiner Eigenschaft als sein Finanzverwalter zu Cond¦ in einem Dienstverhältnis, der Prinz ist, modern gesprochen, sein Vorgesetzter, sein Arbeitgeber, Gourville der Angestellte des Prinzen. Gourville zählt in Brüssel dagegen Reichsfürsten zu seinen Freunden. Es ist möglich, dass sein Prestige im Ausland, wo er als reicher Exilant ankommt, wesentlich höher ist als im Inland, wo die Adligen aus etablierten Familien in ihm einen Parvenü sehen mögen. Und zumal in den Phasen, in denen die französische Krone ihn als Emissär einsetzt, dürfte er im Ausland von geliehenem Prestige profitieren: wenngleich er kein Botschafter ist, gilt er dann doch zumindest als eine Art Diplomat; Diplomaten aber sind in der Frühen Neuzeit für gewöhnlich Adlige.308 Es ist wahrscheinlich, dass ihm seine Eigenschaft als Gesandter den Zugang zu adliger Geselligkeit erleichtert – zusammen mit seinem immensen Reichtum, der ihm jenen Lebensstil ermöglicht, der eigentlich als typisch adlig gilt, das »vivre noblement«. Die andere Gruppe von Grenzfällen umfasst Freundschaften zwischen Kleinadligen und Großbürgern. Niedriger Schwertadel und Amtsadel auf der einen, hohes Bürgertum auf der anderen Seite sind nicht so weit voneinander entfernt, als dass die Standesgrenze hier Freundschaften unmöglich machen würde. Großbürger streben im 17. Jahrhundert ohnehin nach Nobilitierung und können daher gewissermaßen als »Adlige im Wartestand« gelten. Das soll aber nicht heißen, ein Großbürger könnte auch der Freund eines Hochadligen werden; zumindest in den hier untersuchten Quellen finden sich keine Belege für so konzeptualisierte Beziehungen. Auch hier kann wieder auf Gourville zurückgegriffen werden. Er schildert eine Situation aus dem Sommer 1653. Die Verhältnisse bewegen sich auf einen Friedensschluss zwischen den Prinzen und der Krone zu, so dass der exilierte Cond¦ isoliert wird. Mazarin schickt Gourville als Unterhändler nach Bordeaux zu den Prinzen: »Je jugeai bien qu’il [sc. Mazarin] avait envie que j’allasse — Bordeaux sur ce qu’il me demanda si je n’¦tais pas bien dans l’esprit de M. le prince de Conti et de Mme de Longueville. Je lui dis que j’avais l’honneur d’en Þtre bien connu et que M. de Marcin et M. Lenet ¦taient particuliÀrement de mes amis«.309

Der großbürgerliche Gourville ist hier also einerseits mit dem ebenfalls bürgerlichen Lenet, andererseits mit dem Adligen Marcin befreundet, den er anders als den Prinzen von Cond¦ ausdrücklich zu seinen Freunden zählt. Die beiden einander auf den ersten Blick widersprechenden Aussagen – Freundschaft über die Standesgrenze hinweg ist nicht möglich, aber wenn die beiden Freunde in der Hierarchie knapp oberhalb und knapp unterhalb der 308 Für das Heilige Römische Reich erläutert dies Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 54. 309 Gourville, M¦moires, op. cit., 75.

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Standesgrenze stehen, ist sie doch möglich – lassen sich vereinbaren, wenn man auf Aristoteles zurückgreift. Nach der Nikomachischen Ethik ist Freundschaft zwischen Ungleichen so lange möglich, wie der Abstand nicht zu groß wird.310 Freundschaft vertrage ein gewisses Maß an Ungleichheit; es sei aber ganz unmöglich anzugeben, wo genau die Grenze liege, ab der Freundschaft zwischen Ungleichen nicht mehr möglich sei. Beide genannten Fälle erfüllen das Kriterium, dass der Abstand nicht übermäßig groß ist. Freundschaften über die Standesschranke hinweg können offensichtlich dann entstehen, wenn beide Partner in der Hierarchie nahe an der Schranke stehen – also nicht zwischen einem Prinzen von Geblüt und einem Tagelöhner, wohl aber zwischen Großbürgertum und Kleinadel. Nun mag man einwenden, die gesellschaftliche Realität richte sich nicht nach den Vorgaben des Philosophen. Dem kann man – im Sinne der Diskursanalyse – entgegnen: die Frühe Neuzeit ist eine Epoche, die in der Tradition eines viele Jahrhunderte langen aristotelisch geprägten Mittelalters steht. Man muss in einer solchen Gesellschaft Aristoteles nicht gelesen haben, um zu denken wie er, da seine Ideen auch viele Texte durchdringen, in denen sie nicht expressis verbis zitiert werden. Lehnt man eine Erklärung über Denktraditionen ab und insistiert auf dem Primat der Sozialstruktur, so können die beschriebenen Phänomene mit dem Pragmatismus der Akteure erklärt werden: wer nur die absolut Gleichen als Freunde anerkennt, der wird in einer so hierarchisch ausdifferenzierten Gesellschaft wie dem Ancien R¦gime kaum Freunde finden – und wird diejenigen, die im Rang knapp unter ihm stehen, vor dem Kopf stoßen. Ein Hochadliger kann es sich leisten, bei der Beschränkung seiner Freunde auf den Adel streng zu sein, ein Kleinadliger, der in der Adelshierarchie weit unten steht, ist vielleicht eher auf das Wohlwollen von Nichtadligen angewiesen. Eine andere Vorstellung soll im Kontext des Ranges ebenfalls erwähnt werden, nämlich die Konzeption des Verhältnisses zum Schutzheiligen als Freundschaft. Dies darf als ein Argument für die Vorstellung von der Möglichkeit ungleicher Freundschaft gelten: in Bezug auf den Bereich des Heiligen ist Dissimulation unangebracht, und die Verschleierung des Rangunterschiedes zwischen sich selbst und seinem Schutzpatron müsste einem katholischen Adligen als geradezu blasphemisch erscheinen. Der pÀre Bergier berichtet, wie Cond¦ auf seinem Sterbebett den Schutz der Heiligen sucht:

310 Aristoteles, Nikomachische Ethik, hg. von Franz Dirlmeier, Stuttgart 1969, 226 (Buch VIII): »Eine scharfe begriffliche Festlegung, bis zu welcher Grenze Freunde noch Freunde sind, gibt es in solchen Fällen allerdings nicht. Es kann (von der einen Seite) vieles weggenommen werden und es ist immer noch Freundschaft, ist aber der Abstand sehr groß geworden, z. B. bei der Gottheit, so ist es keine mehr.«

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»son esprit s’estant calm¦ par une confiance entiÀre qu’il prit en la mis¦ricorde divine, je luy proposay de dire les Litanies de Saints, afin que la Sainte Vierge, & ces bienheureux se joignissent ensemble pour estre ses intercesseurs auprÞs [sic] de Dieu. Faisons-le, dit il, je le veux bien, un grand pecheur comme je fus a besoin de puissans amis auprÞs de Dieu justement irrit¦ contre moy.«311

Die Heiligen werden also hier als mögliche Freunde Cond¦s bezeichnet, obwohl sie klar über ihm stehen. Dies ist aber wohl nur möglich, weil es sich um ein Reden über Dritte handelt und nicht um eine direkte Anrufung der Heiligen.

II.1.8. Freundschaft zwischen Herrscher und Untertan Abzutrennen vom Problem der Freundschaft zwischen Personen ungleichen Ranges ist das Problem der Freundschaft zwischen Herrscher und Untertan, da hier zusätzlich die Dimension der Herrschaft312 des einen Freundes über den anderen hinzukommt.313 Nicht jede ungleiche Freundschaft muss unbedingt ein klienteläres Abhängigkeitsverhältnis implizieren; aber selbst bei den ungleichen Freundschaften, wo das der Fall ist, ist die Beziehung von beiden Seiten auflösbar. Patronage ist nicht Herrschaft, denn Patron und Klient sind nicht Herrscher und Untertan. Die letztere Beziehung ist unter normalen Umständen nicht auflösbar ; weder der Herrscher noch der Untertan können ihre jeweilige Eigenschaft ablegen. Das Verhältnis von Herrscher und Untertan ist eine zugeschriebene Beziehung, dasjenige von Patron und Klient eine erworbene: denn der Herrscher ist in einer Erbmonarchie in seine Rolle ebenso hineingeboren, wie der Untertan durch Geburt ihm unterworfen ist. Ein Patronageverhältnis dagegen wird nur dann erworben und aufrechterhalten, wenn sowohl der Patron als auch der Klient das Verhältnis pflegen. Das sieht man auch daran, dass der Herrscher die meisten seiner Untertanen nicht kennt, das Herrscher-UntertanVerhältnis also auch da besteht, wo keine Interaktion stattfindet, wohingegen ein klienteläres Verhältnis nur unter Partnern bestehen kann, die miteinander interagieren. Der Herrscher kann nur durch Abdankung, der Untertan nur als Emigrant oder als Verbannter seine Rolle ablegen; all dies sind aber Extremsituationen. Die Abdankung beispielsweise kommt in Frankreich im Untersuchungszeitraum überhaupt nicht vor, auch wenn sich im Ausland Beispiele 311 Bergier, De morte Ludovici Borbonii, op. cit., 64. 312 Herrschaft soll hier in demjenigen Sinne verstanden werden, den Max Weber dem Begriff beilegt, wenn er von den drei Formen legitimer Herrschaft (traditionale, legale, charismatische Herrschaft) spricht. Cf. zu den verschiedenen Formen der Herrschaft Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, hg. von Alexander Ulfig, Neu-Isenburg/Frankfurt am Main 2005, 157 – 222. 313 Cf. infra, Ideen der Freundschaft.

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finden lassen, so etwa Christina von Schweden. Vollends unmöglich ist eine Umkehrung des Machtverhältnisses, wie sie beispielsweise bei den Patronageverhältnissen an der römischen Kurie durchaus vorkommen kann, wenn der Klient eine so steile Karriere macht, dass er seinen ehemaligen Patron überflügelt.314 Im Gegensatz zum Patron, der einen unzuverlässigen Klienten zwar fallenlassen und sich vielleicht auch an ihm rächen, letztlich aber seine Gefolgschaft nicht erzwingen kann, kann der Herrscher zudem eingegangene Verpflichtungen mit Zwangsmaßnahmen einfordern.315 Anders als ein Patron für seine Klienten ist ein Herrscher für seine Untertanen alternativlos, solange sie nicht das Land verlassen wollen. Auch hier gibt es Ausnahmen: Bassompierre, der ein gebürtiger Lothringer ist, verbringt Zeit in verschiedenen Ländern Europas, bis er sich schließlich persönlich Heinrich IV. verpflichtet, den er selbst sich als Herrn auswählt. In der Folge steigt er bis zum mar¦chal de France auf. Allerdings ist eben selbst in diesem durchaus erfolgreichen Fall die Bedingung dafür, sich den Herrscher selbst zu suchen, die Auswanderung nach Frankreich. Ein Adliger in der Provinz kann dagegen seine Patrone am Hof durchaus wechseln, ohne selbst umziehen zu müssen. Hinsichtlich der Freundschaft mit dem Herrscher soll es hier nicht um die Frage gehen, ob sich eine als emotionale Nähe gedachte Freundschaft mit einem Herrschaftsverhältnis verträgt. Die Frage hier soll vielmehr sein: wurden Beziehungen zwischen Herrscher und Untertan in der höfischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts als Freundschaften konzeptualisiert? Wieder soll diese Frage über die Semantik, also über die Verwendung der Begriffe »ami« und »amiti¦« geklärt werden. Was den Begriff »ami« in Bezug auf den Herrscher angeht, so wird er in den Quellen im Untersuchungszeitraum eindeutig asymmetrisch verwendet. Untertanen bezeichnen sich selbst niemals als Freunde des Herrschers; noch weniger wagen sie es, den Herrscher ihren Freund zu nennen. Beides gilt sowohl, wenn sie mit ihm reden als auch, wenn sie über ihn berichten. Der Herrscher selbst jedoch kann durchaus Untertanen als seine Freunde bezeichnen. FranÅois Bluche berichtet, dass Ludwig XIV. beim Tod Mazarins zum mar¦chal de Gra314 Wolfgang Reinhard illustriert dies am Beispiel Mazarins, der seine Karriere als Prot¦g¦ der Barberini beginnt und am Ende, im Dienst des Königs von Frankreich, zu ihrem Gönner wird. Nach Reinhard liegt dazwischen ein Stadium, in dem Mazarin ein Freund der Barberini war, und zwar zu dem Zeitpunkt, als seine Macht gleich groß war wie die ihre, cf. Reinhard, Freunde und Kreaturen, op. cit., 69 – 70. Man könnte nun zwar einwenden, dass Mazarin, der ja die Kurie verlässt, ein ungeeignetes Beispiel ist, um die Patronagestrukturen der Kurie zu analysieren; Wolfgang Reinhard unterstreicht jedoch, dass Mazarin in der römischen Politik aktiv bleibt, wo er sich bemüht, die Karrieren der Mitglieder seiner Familie voranzutreiben, ebd., 70. 315 Emich/Reinhardt/von Thiessen/Wieland, Stand und Perspektiven der Patronageforschung, op. cit., 237.

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mont gesagt habe: »Ah! Monsieur le mar¦chal, nous venons de perdre un bon ami.«316 Zu beachten ist allerdings, dass Ludwig XIV. hier über einen Untertanen redet, nicht mit ihm. Dass der Sonnenkönig seine Untertanen noch als Freunde anredete, ist zumindest in den hier analysierten Quellen nicht belegt; ebenso wenig, dass er sich als Freund eines Untertanen bezeichnen würde. Bei Heinrich IV. ist dies noch der Fall: als er Bassompierres Verlobung mit der Tochter des conn¦table de Montmorency zwangsweise auflöst, weil er sich selbst in die Verlobte verliebt hat, eröffnet er dies Bassompierre mit den Worten: »Bassompierre, je veux te parler en ami«.317 Man darf hier durchaus unterstellen, dass damit gemeint ist, dass er bewusst nicht als König, sondern als Freund zu ihm redet – was natürlich eine rhetorische Strategie ist, da er ja nichtsdestotrotz seine Macht einsetzt, um Bassompierre zu zwingen, zugunsten von Henri II de Cond¦ auf die Heirat mit der reichen Erbtochter Montmorencys zu verzichten.318 Im Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts findet zudem eine zunehmende Heraushebung des Herrschers aus dem Hof statt. In dem Maße, wie der Hof wächst, um schließlich Tausende von Höflingen zu umfassen, entfernt sich der Hof vom Modell der erweiterten Familie des Herrschers, der er traditionell gewesen war ; im traditionellen paternalistischen Denken war der Hof schlicht der Haushalt319 des Herrschers gewesen.320 Der Hof des 17. Jahrhunderts kann einer Aktion des Herrschers ein vielhundertköpfiges Publikum bieten – allein dadurch ist die Situation eine völlig andere als an einem kleinen mittelalterlichen Hof. Dazu kommt eine zunehmende Sakralisierung des Monarchen,321 die, wenn schon nicht zu einem Monarchen, der »legibus absolutus«322 ist, so doch zu einem Herrscher führt, der der Sphäre der gewöhnlichen Menschen zunehmend enthoben ist. Diese Dynamik steigert sich unter Ludwig XIII., um unter Ludwig XIV. ihren Höhepunkt zu erreichen. Damit aber wird Freundschaft mit dem Herrscher immer schwerer vorstellbar, denn die Betonung des unüberbrückbaren Gefälles zwischen dem propagandistisch ins Übermenschliche vergrößerten Herrscher und selbst den Vornehmsten unter seinen Untertanen wirkt der Idee eines freundschaftliches Austauschs entgegen – eines Austauschs nicht zwischen 316 317 318 319 320 321 322

FranÅois Bluche, L’Ancien R¦gime. Institutions et soci¦t¦, Paris 1993, 47. Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XIX, 386. Es handelt sich bei diesem Paar also um die Eltern des Grand Cond¦. Wobei ein solcher königlicher Haushalt natürlich eine große Anzahl von Dienern umfasste. Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 90. Asch, The Princely Court and Political Space, op. cit., 47. Zur Idee der absoluten Monarchie in Frankreich jetzt Jan-Friedrich Mißfelder, Das Andere der Monarchie. La Rochelle und die Idee der »monarchie absolue« in Frankreich 1568 – 1630, München 2012 (Pariser Historische Studien 97). Zur Entwicklung der absoluten Monarchie Richard Bonney, The Limits of Absolutism in Ancien R¦gime France, Aldershot 1995 (Variorum Collected Studies, 491); zu ihren Institutionen Denis Richet, La France moderne. L’esprit des institutions, Paris 1980 (Collection champs. Historique 86).

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Gleichen, aber zwischen Partnern, deren Rangunterschied durch die Freundschaft noch überbrückt werden kann. Der Begriff »amiti¦« scheint zunächst weniger asymmetrisch zu sein als derjenige des »ami«, reden doch auch die Untertanen manchmal von der Freundschaft des Herrschers, die ihnen zuteil wird. Sieht man genauer hin, taucht die Asymmetrie jedoch wieder auf: es ist immer nur die Rede von der Freundschaft, die der Herrscher dem Untertanen, nie von derjenigen, die der Untertan dem Herrscher entgegenbringt. Dies gilt von beiden Seiten. Der Herrscher kann den Untertan seiner Freundschaft versichern; so schließt ein Brief Ludwigs XIV. an Cond¦ mit den Worten: »je finirai cette lettre en vous assurant de la continuation de mon amiti¦, Louis«.323 Es ist fast überflüssig zu sagen, dass niemals der Untertan den Herrscher seiner Freundschaft versichert. Jedoch erzählen Untertanen von der Freundschaft, die ihnen der Herrscher entgegengebracht hat. Wie oben ausgeführt, berichtet die Grande Mademoiselle, zugegebenermaßen ein Mitglied der erweiterten Königsfamilie, dass sie schon im Kindesalter die Freundschaft des Herrscherpaares erfahren hat.324 Sie berichtet weiter, dass nach der Geburt des Dauphin, des späteren Ludwigs XIV., Richelieu verfügt habe, dass sie von ihm ferngehalten werden solle. Der Grund für diese Maßnahme könnte sein, dass Richelieu in der Tochter Gaston d’Orl¦ans’ einen möglichen Hebel für dessen Einfluss auf den Dauphin sieht; es könnten sogar Sicherheitsbedenken eine Rolle spielen, denn immerhin verliert Gaston durch die Geburt des Dauphin ja seine Stellung als Thronfolger. Am Tag, als sie den Hof in Saint-Germain verlassen und nach Paris zurückkehren muss, bezeugt ihr das Königspaar beim Abschied seine Zuneigung: »Ce ne furent que pleurs et que cris quand je quittais le roi et la reine; Leurs Majest¦s me t¦moignÀrent beaucoup de sentiments d’amiti¦, et surtout la reine, qui me fit conna„tre une tendresse particuliÀre en cette occasion.«325 Die Verwendung des Begriffes »amiti¦« in den zitierten Stellen macht deutlich, dass er hier die Bedeutung von »Zuneigung« hat. Wieder einmal zeigt sich, dass die Verwendung des Begriffes »Freundschaft« im Verhältnis zweier Personen nicht notwendigerweise bedeutet, dass sie sich gegenseitig als Freunde bezeichnen. Wenn im Plural von den »amiti¦s« des Herrschers die Rede ist, so dürfen darunter wohl Zeichen der Zuneigung verstanden werden. Der Begriff kommt beispielsweise bei Bussy-Rabutin vor. Als während der Fronde die Kapitulation der in Montrond verschanzten Cond¦-Anhänger in greifbare Nähe rückt, erklärt Bussy-Rabutin einigen Adligen, was er nach der Einnahme der Stadt zu tun gedenke: 323 Archives de Chantilly, P XXXIX 168 – 169. 324 M¦moires de la Grande Mademoiselle, op. cit., 27. 325 Ebd., 37.

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»Je leur dis mon dessein, qui ¦toit que voyant Montrond pris et et n’ayant plus rien — faire en ce pays-l— pour le service du roi, je m’en allois — la cour recevoir de Sa Majest¦ les amiti¦s qu’elle fait d’ordinaire — ceux qui l’ont bien servie.«326

II.1.9. »Amitié intime« und »amitié sociale« Der Begriff »amiti¦« ist deswegen kompliziert, weil er im Frankreich des 17. Jahrhunderts – wie in heutigen Gesellschaften auch – Beziehungen höchst unterschiedlicher Intensität bezeichnet. Arlette Jouanna hat die beiden Formen »amiti¦ intime« und »amiti¦ sociale« einander gegenübergestellt;327 auch JeanMarie Constant erwähnt die Gegenüberstellung von »amiti¦s intimes« und »amiti¦s de Cour« durch Beauvais-Nangis.328 Man könnte erwarten, dass die ersteren »echte« Freundschaften im Sinne des modernen, stark die emotionale Komponente betonenden Freundschaftsbegriffes sind, die letzteren rein funktionale Bündnisse. Das impliziert aber die Annahme, dass schon die Zeitgenossen unterscheiden zwischen einer »echten« Freundschaft, in der man dem anderen sein Herz öffnet, und oberflächlichen oder rein strategischen Beziehungen. Es gibt jedoch die romantische Selbstöffnung in den hier untersuchten Briefen des 17. Jahrhunderts so nirgends. Montaigne ist kein geeignetes Gegenbeispiel, denn wenn man ihn ernst nimmt, dann muss man ihm auch glauben, dass seine Freundschaft mit Etienne de La Bo¦tie aus den Normen seiner Zeit herausfällt, also alles andere als repräsentativ für die Sozialbeziehungen seiner Epoche ist – genau darauf insistiert er ja im Essay über die Freundschaft. Auch bei der Entgegensetzung von »amiti¦ intime« und »amiti¦ sociale« ist darauf zu achten, dass emische und etische Kategorien nicht vermischt werden. Dies zu betonen ist hier deshalb wichtig, weil »amiti¦ intime« oder »intime amiti¦« durchaus Formulierungen sind, die in den Quellen vorkommen, wohingegen der Gegensatz zwischen »amiti¦ intime« und »amiti¦ sociale« analytischer Natur ist, also der Seite der etischen Kategorien angehört. Wenn man sie als Gegensatzpaar auffasst, müssen beide im Weberschen Sinne als Idealtypen gelten und dürfen nicht für Realtypen gehalten werden. Die beiden Kategorien »amiti¦ intime« und »amiti¦ sociale« sind also – wenn man überhaupt mit ihnen arbeiten will – erstens als Kontinuum, nicht als binäre Opposition zu begreifen; zweitens aber sind diejenigen Freundschaften, die von den Zeitgenossen mit »amiti¦ intime«, »amiti¦ particuliÀre« oder mit anderen verstärkenden Be326 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 320 – 321. 327 Arlette Jouanna, Artikel »amiti¦«, in: Lucien B¦ly (Hg.), Dictionnaire de l’Ancien R¦gime. Royaume de France, XVIe-XVIIIe siÀcle, Paris 1996, 56 – 58, hier 56 – 57. 328 Jean-Marie Constant, La vie quotidienne de la noblesse franÅaise aux XVIe et XVIIe siÀcles, Paris 1985, 163.

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zeichnungen beschrieben werden,329 wohl vor allem durch stärkeres Vertrauen, längere Dauer der Freundschaft und deshalb sicherere Loyalität als in anderen, ephemeren Beziehungen am Hof gekennzeichnet. Es ist aber nicht so, dass hier neue Dimensionen der Selbstöffnung angesprochen würden, die es in den anderen Freundschaften nicht gäbe. Die Quellen erlauben es nicht, die »amiti¦ intime« mit jenem Typus von Freundschaft gleichzusetzen, der im 19. Jahrhundert von den Romantikern idealisiert wird. Die Aussagen von Zeitgenossen, die in ihren Selbstzeugnissen manche Freundschaften als »amiti¦s intimes« aus dem höfischen Alltag herausheben, müssen auch unter dem Aspekt der Selbststilisierung gesehen werden. Einige der eigenen Freundschaften aus dem höfischen Machtspiel auszuklammern heißt, ihnen einen höheren Rang zuzuweisen und sie über die »amiti¦s de cour« herauszuheben. Das muss bei weitem nicht heißen, dass dem tatsächlich so gewesen ist. Das extremste Beispiel ist wiederum Montaigne, bei dem die Freundschaft mit La Bo¦tie völlig anderen Gesetzen gehorcht als diejenigen Beziehungen, die für gewöhnlich Freundschaften genannt werden. Bei solchen Berichten mögen Topoi heroischer Freundschaft die Darstellung beeinflusst haben; umstandslos von diesen Darstellungen auf die soziale Praxis zu schließen, wäre voreilig. Das soll nicht heißen, dass es keine verschieden engen Freundschaften gibt; aber die Selbststilisierung der Adligen muss einbezogen werden. Man muss daher sowohl damit rechnen, dass vom Autor als besonders eng empfundene Freundschaften literarisierend überhöht und ausgeschmückt werden, als auch damit, dass Freundschaften z. B. mit illustren Persönlichkeiten im Rückblick enger dargestellt werden, als sie vielleicht waren. Es ist des weiteren in Memoiren einerseits mit der unwillkürlichen Verklärung von lange zurückliegenden Freundschaften in der Erinnerung zu rechnen, andererseits damit, dass beim emplotment der eigenen Lebensgeschichte Konflikte unter Freunden unterschlagen werden, um eine Freundschaftsbeziehung kohärenter darzustellen. Es wäre zudem naiv zu glauben, innerhalb der höchst agonalen höfischen Gesellschaft würden Freundschaften bestehen, die als geschützte Inseln nicht vom Machtpoker der Höflinge betroffen wären. Selbst wenn das Verhältnis zweier Freunde tatsächlich ein Leben lang ungetrübt und aufrichtig war : sie mögen gemeinsam gegen Dritte intrigiert haben; das aber kann man in einer Beschreibung einer solchen Freundschaft kaum darstellen, ohne sie in den Augen des Lesers zu entwerten. Es soll also hier nicht behauptet werden, dass es keine Unterschiede zwischen engeren und weniger engen Freundschaften gibt; nur soll hier die Position vertreten werden, dass gerade dieser Punkt nicht nur Objekt der Stilisierung der eigenen Rolle, sondern starker Literarisierung des gesamten Geschehens ist, so 329 Zu den sprachlichen Verstärkungszeichen der Freundschaft cf. infra, Sprache der Freundschaft.

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dass diesen Beschreibungen mit starker Skepsis zu begegnen ist. Hinzu kommt, dass die Intensität einer Freundschaft auch eine Frage des subjektiven Empfindens ist, und das auf beiden Seiten; der Historiker kann nicht quantifizierend messen, wie eng eine Freundschaft ist, und somit auch nicht hieb- und stichfest feststellen, dass eine bestimmte Freundschaft enger ist als eine andere. Eng verflochten mit der Problematik enger und weniger enger Freundschaften ist diejenige des Verhältnisses von Gefühl und Interesse. Ariane Boltanski hat darauf hingewiesen, dass diese Opposition dem modernen Betrachter weit schärfer erscheint als den Zeitgenossen;330 dies soll im Kapitel über die Ideen der Freundschaft ausführlicher diskutiert werden.

II.1.10. Stabilität und Instabilität Eng mit der Frage nach »amiti¦ intime« und »amiti¦ sociale« hängt die Frage von Stabilität und Instabilität der Freundschaft zusammen. Sie ist methodisch von großer Wichtigkeit. Das Wort »amiti¦« bezeichnet unter den Adligen nicht nur verschieden enge, sondern auch verschieden stabile Beziehungen. Dabei scheint es aber so zu sein, dass Instabilität die Regel, Stabilität eher die Ausnahme ist. Das zeigt sich daran, dass Instabilität der Beziehungen eher generell konstatiert wird, Stabilität dagegen im Einzelfall betont wird. Beauvais-Nangis beklagt an vielen Stellen die Heuchelei der Höflinge gegenüber ihren Freunden, wobei er jedesmal eigene Erlebnisse zur Illustration anführt. Die Höflinge seien nicht zuverlässig, ließen ihre Freunde in Zeiten der Ungnade fallen; ihre Freundschaft halte oft keine zwei Tage, sie vergäßen einen jungen Höfling sofort, wenn er sich einmal vom Hof entferne, sie seien zu feige, um ihren Freunden beizustehen.331 Ist eine Freundschaft von langer Dauer, so wird dies von den Autoren oft eigens hervorgehoben. Als Bussy-Rabutin mit dem Herzog von Candale Freundschaft schließt, notiert er : »cette amiti¦ a dur¦e jusqu’— sa mort [1658] et 330 Boltanski, Les ducs de Nevers et l’Etat royal, op. cit., 244 – 245, wendet sich gegen Sharon Kettering, die eine strikte Entgegensetzung vornimmt zwischen den in der Rhetorik behaupteten Gefühlen der Zuneigung und den Interessen, die nach ihr die eigentlichen Motive der klientelären Interaktionen sind; gestützt auf Mark Greengrass, unterstreicht Boltanski, dass in diesen Beziehungen vielmehr Interesse und Zuneigung zusammengehen: »Il convient, — cet ¦gard, de prendre au s¦rieux ces t¦moignages ›affectueux‹. S’il ne faut pas Þtre dupe de ces messages ou les comprendre au sens litt¦ral, ce qui probablement d’ailleurs n’¦tait pas le fait des contemporains, il ne s’agit pas davantage, par une distanciation objectiviste, de montrer discours et pratiques de l’affection comme des masques qui d¦guisent des consid¦rations int¦ress¦es ; on s’attachera plutút — les d¦crire, tels qu’ils se pr¦sentent, comme des actes qui se d¦ploient dans un espace affectif, — cút¦ de celui des int¦rÞts« (Ebd., 245). 331 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 23, 38, 64 – 65, 86 – 87.

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elle ¦toit — un point qu’il n’avoit guÀre de secrets dont il ne me fit confidence.«332 Die Grande Mademoiselle erläutert in ihren Erinnerungen, dass sie zwar zornig gewesen sei, als ihre Freundin Mademoiselle d’Epernon ins Kloster gegangen sei, aber betont auch: »Quant — l’amiti¦ que j’ai pour elle, elle durera autant que ma vie.«333 Angesichts der vielen Erzählungen über Freundschaften, die nicht lang halten, und der stereotypen Klagen darüber, dass es am Hof keine Freundestreue gebe, ist es wahrscheinlich, dass solche lange anhaltenden Freundschaften von den Memoirenautoren als Ausnahmen empfunden werden. Dafür spricht erstens, dass sie überhaupt zu den Memorabilia gezählt werden, die man in einem autobiographischen Text erwähnt, und zweitens, dass die lange Dauer noch einmal eigens hervorgehoben wird – was man wohl nicht täte, wenn dies die Regel anstatt die Ausnahme wäre. Unter den erwähnten Umständen erscheint es zumindest für das höfische Milieu nicht vielversprechend, Freundschaft primär mit der Fragestellung zu untersuchen, wer wessen Freund ist. Eine Netzwerkanalyse innerhalb des französischen Hofes würde daran scheitern, dass die »Netzwerke« in ständiger Umschichtung begriffen sind – oder genauer gesagt, dass sich das Handeln der Höflinge gar nicht erst zu stabilen Strukturen verfestigt, die den Namen »Netzwerk« verdienen. Der Netzwerkbegriff hat nur dann einen Sinn, wenn immer wieder die gleichen Personen miteinander über längere Zeiträume auf die gleiche Weise interagieren. Da dies im höfischen Milieu nicht der Fall ist, ist es aber im Gegenzug wahrscheinlich, dass sich Verhaltensweisen der Freundschaft herausbilden, die unabhängig von den beteiligten Einzelpersonen sind; Verhaltensweisen, die innerhalb des Gesamtmilieus des höfischen Adels gültig sind und gerade nicht der internen Kultur eines spezifischen Netzwerks angehören. Jens Ivo Engels hat gezeigt, dass stabile Netzwerke eine eigene Kultur ausbilden, die diese Stabilität wiederum unterstützt;334 eine ad hoc gebildete und ebenso rasch wieder zerfallende Hoffaktion hat dazu schlicht nicht die Zeit. Anders gewendet: Hofparteien können immer auch ganz anders zusammengesetzt sein, ihre Zusammensetzung ändert sich oft; das spricht dafür, dass es eine Idee, die sie zusammenhält, in der Tat nicht gibt, sondern dass ihre Zusammensetzung sich vielmehr schlicht aus der momentanen Kongruenz der je persönlichen Karriereambitionen einer Reihe von Adligen ergibt. Am Hof bilden in den seltensten Fällen Freundespaare oder Freundesgruppen dauerhaftere soziale Systeme im Luhmannschen Sinne, in denen dann eine spezifische Form der 332 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., Bd. 1, 404. 333 La Grande Mademoiselle, M¦moires, op. cit., 70. 334 Jens Ivo Engels, Von der Heimat-Connection zur Fraktion der Ökopolemiker. Personale Netzwerke und politischer Verhaltensstil im westdeutschen Naturschutz, in: Hillard von Thiessen/Arne Karsten (Hg.), Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, Göttingen 2006, 18 – 45.

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Kommunikation entstünde, von der Außenstehende ausgeschlossen wären. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass der Bezugsrahmen der Verhaltensweisen, die unter Freunden üblich sind, die sozialen Systeme des Hofes respektive des Adels sind. Gerade weil die Höflinge viele und häufig wechselnde Freunde haben, kann man überindividuelle Charakteristika höfischer Freundschaft auf der Ebene der Sitten und Gebräuche finden. Sie sollen im Kapitel über die Praktiken der Freundschaft analysiert werden. Michael Sikora argumentiert, dass die individuelle Entfaltung in einer Ständegesellschaft durch die Konventionen beschränkt ist, denen der einzelne als Mitglied eines Standes unterworfen ist; dies stärke die Bedeutung von »Konventionen, Umgangsformen, symbolischen Attributen«.335 Das spricht dafür anzunehmen, dass frühneuzeitliche Adelsfreundschaften nicht jene einzigartigen, von der unersetzbaren Individualität der beiden Freunde geprägten Beziehungen sind, als die die Romantik und in ihrem Gefolge die Moderne Freundschaften zu denken gelernt haben – auch wenn natürlich in der sozialen Praxis auch die Freundschaften in Gegenwartsgesellschaften ungeschriebenen gesellschaftlichen Konventionen angemessenen Verhaltens unterworfen sind. Dennoch dürfte das Gewicht sozialer Regeln, Sitten, Bräuche in den Freundschaften der hochformalisierten und sehr kleinen höfischen Gesellschaft noch weit größer gewesen sein. Das gilt natürlich nicht zuletzt für den schon angesprochenen Einfluss der Ungleichheit des Ranges auf die Beziehungen; denn diese Ungleichheit schreibt dem Höherrangigen und dem Niederrangigen je bestimmte Rollenerwartungen für sein Verhalten vor.336

II.1.11. Abstrakte Anwendungen des Freundschaftsbegriffs Freundschaft kann im Frankreich der Frühen Neuzeit auch als abstrakter Terminus verwendet werden. Als abstrakte Formen der Freundschaft sollen alle diejenigen gelten, die nicht zwischen natürlichen Personen bestehen, also keine interpersonalen Beziehungen sind. Vier Konstellationen können unterschieden werden: Freundschaften zwischen Kollektiven, Freundschaften zwischen Individuen und Kollektiven, metaphorische und schließlich allegorische Verwendungen. Wenn wir die letzteren beiden Formen zunächst beiseite lassen, so lassen sich insbesondere zwei große Bereiche angeben, in denen abstrakte 335 Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 5. 336 Das gilt zum Beispiel für die von Jean Boutier untersuchten Festtagsbriefe an Höherrangige im Italien des 17. Jahrhunderts, cf. Jean Boutier, Adresser ses vœux au grand-duc. Pratiques ¦pistolaires entre recherche de la gr–ce et expression de la fid¦lit¦ dans l’Italie du XVIIe siÀcle, in: Ders./Sandro Landi/Olivier Rouchon (Hg.), La politique par correspondance. Les usages politiques de la lettre en Italie (XIVe-XVIIIe siÀcle), Rennes 2009, 249 – 274, hier 250.

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Freundschaften zu finden sind, nämlich das Militär und die Diplomatie. Beide Bereiche stehen einerseits in engem Zusammenhang, da sie beide mit über Frankreich hinausreichenden Beziehungen und mit dem Problem von Krieg und Frieden zu tun haben; andererseits ist es dennoch sinnvoll, sie getrennt abzuhandeln, da es einige strukturelle Unterschiede gibt. Dabei kommt es unter begriffsgeschichtlichem Aspekt auf die in beiden Bereichen verwendete Semantik an, nicht auf die Funktionsweise von Außenverflechtung. Der militärische Freundschaftsbegriff fasst »arm¦es amies et ennemies«337 als Gegensätze. Die Bedeutung von »ami« ist hier nicht gleichzusetzen mit der Bezeichnung der eigenen Truppen oder gar nur der eigenen Landsleute, da sie »eigene Truppen« ebenso wie »verbündete Truppen« bezeichnen kann.338 Auch der diplomatische Freundschaftsbegriff339 ist eine abstrakte Anwendung des Wortes »amiti¦«. Seine Verbindung zur Freundschaft zwischen natürlichen Personen ist aber durchaus noch greifbar. Ursprünglich ist diplomatische Freundschaft eine personenbezogene Konzeption: die Freundschaft verbindet zwei Herrscher. Im Zuge der begrifflichen Verselbständigung der Krone und des Staates und ihrer Ablösung von der konkreten Person des Herrschers wird dann das Konzept der Freundschaft auf diese Abstrakta übertragen. Das ist ein gradueller Prozess, der über viele Zwischenstufen verläuft. Für diese Sichtweise spricht, dass personenbezogene und abstrakte Verwendungen noch im 17. Jahrhundert kombinierbar sind. So gibt es im Alten Reich die »amis de France«,340 die man in heutigen Termini als Sympathisanten oder Parteigänger beschreiben könnte. Hier ist also der eine Partner der Freundschaft das Abstraktum »Frankreich«, der andere eine natürliche Person im Heiligen Römischen Reich. Metaphorische Anwendungen des Freundschaftsbegriffs bezeichnen eine Person als Freund einer unbelebten Sache oder einer abstrakten Qualität. Zu beobachten ist dies z. B. in der Einleitung der Memoiren des Grafen von Tavannes. Nachdem er in stereotyper Weise über die Voreingenommenheit der meisten Geschichtsschreiber geklagt hat, fährt er fort: 337 So die Formulierung in den Memoiren von Madame de La Guette. cf. M¦moires de Madame de La Guette, ¦crits par elle-mÞme, hg. von Micheline Cu¦nin, Paris 1982 (Le temps retrouv¦. Les livres blancs 35), 108. 338 Bei Madame de La Guette findet sich dieser Ausdruck im Kontext der Fronde, wo es somit um zwei einander bekämpfende Lager während eines Bürgerkrieges geht. 339 Das diplomatische Vokabular der Freundschaft in der Frühen Neuzeit untersucht Andreas Würgler, Freunde, amis, amici. Freundschaft in Politik und Diplomatie der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, in: Oschema (Hg.), Freundschaft oder ›amiti¦‹?, op. cit., 191 – 210. Würgler kann zeigen, dass es in der eidgenössischen Diplomatie zwischen den vier verwendeten Sprachen – Deutsch, Französisch, Italienisch, Latein – keine Unterschiede hinsichtlich der Benutzung des Freundschaftsbegriffs gibt, ebd., 207. 340 Zu den »amis de France« cf. das Berner Dissertationsprojekt von Tilman Haug.

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»Mais il arrive aussi quelquefois, pour la consolation des honnÞtes gens, qu’il se trouve parmi eux des hommes sincÀres & amis de la v¦rit¦, qui laissent — leur vertu & — leur m¦rite les marques d’honneur qui leur sont d˜Ús, & qui ne pouvant faire une meilleure fortune aux malheureux, leur font au moins une meilleure r¦putation, & leur sauvent l’honneur, malgr¦ l’infid¦lit¦ de ces Ecrivains mercenaires, & l’injustice de ceux qui les font servir — leur vanit¦.«341

Die Bezeichnung einer Person als »Freund der Wahrheit« wäre in einem heutigen Text noch möglich, wenn sie auch sicherlich als pathetisch empfunden würde; dies gilt nicht für eine andere abstrakte Anwendung der Freundschaft, die als allegorische Freundschaft bezeichnet werden kann. Sie besteht darin, abstrakte Sachverhalte zu veranschaulichen, indem man sie als Freundschaft oder Feindschaft zu allegorischen Figuren ausdrückt. Anders als bei der metaphorischen Freundschaft wird das dargestellte Abstraktum also personalisiert. Da das eine gewisse Verklausulierung der Aussagen bedeutet, verwundert es nicht, dass sich dieses Vorgehen bei den Preziösen findet; schließlich ist es geradezu eine Stilübung der Preziösen, Dinge auf neue und raffiniertere Weise auszudrücken – genau dies karikiert ja MoliÀre in den »Pr¦cieuses ridicules«. Madame de S¦vign¦, die als Vertreterin der Preziosität gelten kann, lobt in einem Brief vom 3. März 1671 den Fleiß ihrer Tochter, Madame de Grignan. Dabei entwickelt sie ein verstiegenes Sprachbild: sie lässt die Allegorie der Faulheit auftreten, die sich bei Madame de Grignan beklagt, dass sie doch ihre älteste Freundin sei und dennoch von ihr verlassen werde; aber Madame de S¦vign¦ lässt keinen Zweifel daran, dass der Bruch dieser Freundschaft unabänderlich ist: »Il me semble que vous lui [sc. la paresse] dites en passant un petit mot d’amiti¦, vous lui donnez quelque esp¦rance de la poss¦der — Grignan; mais vous passez vite, et vous n’avez pas le loisir d’en dire davantage. Le devoir et la raison sont autour de vous, qui ne vous donnent pas un moment de repos.«342

Einige weitere Anwendungen seien abschließend und der Vollständigkeit halber aufgeführt. Es gibt einen Artikel »amiti¦« im Dictionnaire der Acad¦mie franÅaise von 1694; dort sind noch einige ungewöhnlichere Freundschaftsbegriffe aufgeführt, wie »amiti¦« zwischen zwei Spezies von Lebewesen343 oder zwischen Magnet und Eisen, also »amiti¦« als eine unerklärliche Anziehungskraft.344 Al341 Tavannes, M¦moires, op. cit., 2 – 3. 342 Madame de S¦vign¦, Lettres, hg. von Bernard Raffalli, Paris 1976, 80 – 81. 343 So zwischen der Ulme und dem Weinstock; vermutlich ist damit gemeint, dass sich der Weinstock an der Ulme emporrankt. 344 Dictionnaire de l’Acad¦mie franÅaise, Paris 1694, 23: »Amiti¦, Se dit fig. de la simpathie qui se trouve naturellement entre de certaines choses, soit dans les vegetaux, soit dans les mineraux. Il y a de l’amiti¦ entre la vigne & l’ormeau, entre l’aimant & le fer.« Cf. auch Georges Mator¦, Artikel »amiti¦«, in: FranÅois Bluche (Hg.), Dictionnaire du Grand SiÀcle, op. cit., 71.

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lerdings ist bei den Freundschaftsbegriffen der Wörterbücher Vorsicht geboten: Wie Jean-Claude Waquet gezeigt hat, sind die Semantiken der Wörterbücher Interpretationen der Lexikographen. Sie behaupten zwar, den »allgemeinen« Gebrauch wiederzugeben, stützen sich aber zum einen stark auf gelehrte Quellen und sind zum anderen nicht rein deskriptive, sondern durchaus normative Darstellungen der Bedeutung, wollen also zu einem korrekteren Gebrauch der Sprache erziehen.345

II.1.12. Freundschaft – ein vieldeutiger Begriff Der Begriff »amiti¦« hat also im Französischen des 17. Jahrhunderts durchaus keine enge und eindeutige Bedeutung, sondern viele Facetten. Diese vielen, einander überlappenden zeitgenössischen Bedeutungen zeigen, dass der Begriff der Freundschaft viele neue Forschungsperspektiven eröffnen kann. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass er gerade dadurch als Begriff der Analysesprache ungeeignet ist; als Teil eines sozialwissenschaftlichen Kategorienapparates an der Seite von Analysebegriffen wie dem Klientelismus taugt er nicht, vielmehr können dadurch Verwirrungen entstehen, welche der vielen Bedeutungen nun gemeint ist. Hier soll somit Freundschaft als frühneuzeitlicher Quellenbegriff im Mittelpunkt stehen. Dadurch wird der Blick frei auf Diskurse, Sprache und Praktiken der Freundschaft. Diesen Phänomenen wollen wir uns in den folgenden Kapiteln nacheinander zuwenden. Nachdem wir das Wort »amiti¦« in seinen Bedeutungsfacetten untersucht haben, stellt sich als erstes die Frage, was die Zeitgenossen über das so bezeichnete Phänomen dachten, mit welchen Themen, Normen, Wertvorstellungen sie es in Verbindung brachten, womit sie den Begriff füllten. Dieser Frage ist das nächste Kapitel gewidmet.

II.2. Ideen der Freundschaft Freundschaft ist keine Beziehung, die voraussetzungslos zwischen Individuen existieren würde. Zum einen ist Freundschaft seit der Antike ein Thema der philosophischen Reflexion; zum anderen gehen im hier untersuchten Milieu adlige Ehrbegriffe in das Verhalten in der Freundschaft ein. Will man Freundschaft in der höfischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts untersuchen, so ist es wichtig zu wissen, was diese Gesellschaft über die Freundschaft gedacht hat. Daher muss sich eine Untersuchung über Freundschaft dem Freundschaftsdiskurs der betrachteten Epoche zuwenden. 345 Waquet, La conjuration des dictionnaires, op. cit., 233.

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Aspekte frühneuzeitlicher Adelsfreundschaft

Wenn von Ideen der Freundschaft die Rede ist, so könnte gefragt werden, warum nicht einfach theoretische Texte über die Freundschaft herangezogen und die in ihnen dargelegten Ideen über die Freundschaft referiert werden. Drei Argumente sprechen gegen eine solche Vorgehensweise. Erstens bedeutet das Abfassen eines Traktats immer eine Systematisierung der Ideen. Schon bei Aristoteles tauchen drei, und zwar genau drei Arten der Freundschaft auf. Traktate neigen zu Idealtypen; das ist durchaus ein Erfordernis des Genres. Zweitens ist speziell in der Frühen Neuzeit damit zu rechnen, dass ein Traktatautor antike Quellen kompiliert; liest man also frühneuzeitliche Traktate, läuft man Gefahr, eine Zurschaustellung humanistischer Gelehrsamkeit mit einer Beschreibung der Epoche des Autors zu verwechseln. Drittens schließlich sind Freundschaftstraktate oft normativ. Sie entwerfen nicht selten idealisierte Gegenmodelle zur Freundschaftspraxis ihrer Zeitgenossen. Montaignes Freundschaftsessay346 ist ein gutes Beispiel dafür ; hier geht es ja darum, die ideale Freundschaft, die, so Montaigne, nur alle dreihundert Jahre einmal vorkommt,347 abzugrenzen von den amiti¦s communes.348 Dabei ist klar, dass die amiti¦s communes nur die Folie abgeben, auf der sich die dargestellte vollkommene

346 Montaigne und sein Werk sind Gegenstand zahlreicher Studien, die hier nur in Auswahl aufgeführt werden können. Unter den neueren Studien sind zu nennen Laurence D. Kritzman, The fabulous imagination. On Montaigne’s Essays, New York 2009; Dominik Andreas Eberl, Michel de Montaigne und das Politische in den Essais, Würzburg 2009; Hans Peter Balmer, Montaigne und die Kunst der Frage. Grundzüge der »Essais«, Tübingen 2008; Nicola Panichi, Les liens — renouer. Scepticisme, possibilit¦, imagination politique chez Montaigne, Genf 2008 (Etudes montaignistes 51); Philippe Desan, Montaigne, les formes du monde et de l’esprit, Paris 2008 (En toutes lettres 2); Terence Cave, How to read Montaigne, London 2007; Marcel Conche, Montaigne ou la conscience heureuse, Paris, 2 2007; Philippe Desan (Hg.), Dictionnaire de Michel de Montaigne, Paris 22007 (Dictionnaires & r¦f¦rences 14); Jean-Luc Martinet, Montaigne et la dignit¦ humaine. Contribution — une histoire du discours de la dignit¦ humaine, Paris 2007; Giovanni Dotoli, Montaigne et les libertins, Paris 2006 (Etudes montaignistes 49); Philippe Desan (Hg.), Montaigne politique, Paris 2006 (Colloques, congrÀs et conf¦rences sur la Renaissance 55); Elisabeth Schneikert, Montaigne dans le labyrinthe. De l’imaginaire du Journal de voyage — l’¦criture des Essais, Paris 2006 (Etudes montaignistes 47); Ullrich Langer (Hg.), The Cambridge Companion to Montaigne, Cambridge 2005; Wendell John Coats, Montaigne’s Essays, New York 2004 (Masterworks in the Western tradition 11); Marie-Luce Demonet (Hg.), L’¦criture du scepticisme chez Montaigne, Genf 2004; Ann Hartle, Montaigne. Accidental Philosopher, Cambridge 2003; Bruno Roger-Vasselin, Montaigne et l’art de sourire — la Renaissance, Saint-Genouph 2003; Marie-Luce Demonet, »A plaisir12. S¦miotique et scepticisme chez Montaigne, Orl¦ans 2002; Olivier Guerrier, Quand les poÀtes feignent. »Fantasie« et fiction dans les Essais de Montaigne, Paris 2002 (Etudes montaignistes 40); G¦ralde Nakam, Le dernier Montaigne, Paris 2002 (Etudes montaignistes 39); Karin Westerwelle, Montaigne und die Kunst des Essays, München 2002. 347 Michel de Montaigne, Essais, Bd. 1, hg. von Jean C¦ard, Paris 2002, 324. 348 Ebd., 333.

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Freundschaft umso glänzender abheben soll. Die Aussageabsicht des Textes verlangt daher, sie eher negativ darzustellen. Aussagen über Freundschaft finden sich aber auch in vielen Texten, die keine Traktate über die Freundschaft sind. Es gibt also offensichtlich zwei Arten von Ideen über Freundschaft, und zwar gelehrt-systematische und im Alltag virulente. Andreas Schinkel hat eine Differenzierung dieser beiden Ebenen herausgearbeitet. Folgt man seiner Terminologie, beschäftigt sich dieses Kapitel nicht mit der Freundschaftsvorstellung (die in theoretischen Texten enthalten ist, die über Freundschaft im allgemeinen reflektieren), sondern mit dem Freundschaftsverständnis, d. h. der individuellen Erfahrung mit Freundschaften. Als Quellen für die letztere Kategorie nennt Schinkel übrigens ausdrücklich Briefe und Tagebücher.349 Die systematischen Texte sind somit nicht der Alltagsdiskurs, wirken aber wohl auf ihn ein. Das Insistieren auf der Trennung von Traktaten und Alltagspraxis soll somit auch nicht heißen, das im Freundschaftsverständnis keine antiken Einflüsse sichtbar wären. Hier gibt es zwei mögliche Wege der Rezeption: einerseits die direkte Einwirkung antiker Texte auf die Adligen, andererseits die Einwirkung antiker Inhalte über die zeitgenössische französische Belletristik und Philosophie, in der sie verarbeitet sind. Nicht in jedem Fall lässt sich zwischen beiden möglichen Wegen eine eindeutige Entscheidung treffen. Somit können die theoretischen Texte nicht einfach übergangen werden, da sie einen wichtigen Einfluss für das Freundschaftsverständnis bilden. Die philosophische Tradition der Freundschaft soll daher hier kurz referiert werden.

II.2.1. Antike Freundschaftsdiskurse Wie in vielen anderen Bereichen, so hat auch im Bereich der Freundschaft die Antike Texte produziert, die die abendländische Reflexion über dieses Thema »pfadabhängig«350 (um einen politologisch-wirtschaftswissenschaftlichen Ausdruck zu benutzen) beeinflusst haben, indem sie nämlich die grundlegenden Kategorien, Metaphern und Topoi schufen, mit denen sich spätere Texte über

349 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 23 – 26. 350 Zum Konzept der Pfadabhängigkeit in den Wirtschaftswissenschaften cf. Douglass C. North, Institutions, institutional change and economic performance, Cambridge 1990; zu ihrer Weiterentwicklung in der Politologie cf. Paul Pierson, Politics in Time: history, institutions, and social analysis, Princeton 2004; Ders., Path Dependence, Increasing Returns, and the Study of Politics, in: American Political Science Review 94/2 (2000), 251 – 267.

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Freundschaft dann auseinanderzusetzen hatten.351 Semantische Probleme der antiken Freundschaftsterminologie brauchen uns hier nur am Rande zu beschäftigen. Zwar stellt es in der Tat für die Interpretation antiker Texte ein Problem dar, dass philos mit der modernen Konzeption des Freundes in etwa zusammenfällt, philia hingegen einen weiteren Bereich hat als Freundschaft.352 Uns interessieren aber die antiken Texte hier als Hintergrund für frühneuzeitliches Denken. Die Frühe Neuzeit kennt noch keine historisch-kritische Philologie; sie übersetzt daher philia und amicitia mit »amiti¦«, und in dieser Form gehen die antiken Aussagen über Freundschaft in den frühneuzeitlichen Diskurs ein. Zwei Hauptaspekte der antiken Tradition sollen hier hervorgehoben werden: zum einen die episch-mythische, zum anderen die philosophische Tradition. Die episch-mythische Tradition hat die europäische Tradition insofern beeinflusst, als sie klassische ideale Freundespaare schuf: genannt seien für die Griechen Achill und Patroklos, Orest und Pylades, Theseus und Peirithoos, bei den Römern dann Scipio und Laelius. Homers Helden bilden den Anfang dieser Traditionsgeschichte der Freundespaare. Gerade bei Achill und Patroklos wird etwas beschrieben, was man als heroische Freundschaft353 bezeichnen könnte: zwei Freunde kämpfen gemeinsam bis zum Tod gegen übermächtige Feinde. Da Homer in der Ilias die Ähnlichkeit zwischen Achill und Patroklos betont, Patroklos in der Rüstung des Achill fällt und – wie die Odyssee berichtet – beide am Ende gemeinsam bestattet werden, hat man dieses Freundschaftspaar als Ursprung des Motivs vom Freund als »alter ego« interpretiert.354 Eine andere Freundschaftskonzeption steht dagegen bei Hesiod im Vordergrund: in Werke und Tage wird Freundschaft nicht als emphatische Zweierbeziehung beschrieben, sondern als reziproke Beziehung in der bäuerlichen Lebenswelt, bei der es vor allem auf gegenseitige Hilfe ankommt.355 Plato thematisiert das Phänomen der Freundschaft im Lysis.356 Die platonische Tradition ist allerdings in die mittelalterlichen Diskurse weit weniger eingeflossen als die aristotelische. Im Mittelalter ist Aristoteles schlicht »der Phi351 Die Geschichte antiken Denkens über Freundschaft von den Griechen bis zur christlichen Spätantike ist dargestellt bei Konstan, Friendship in the Classical World, op. cit. 352 Ebd., 9. 353 Zum Konzept der heroischen Freundschaft cf. Miller, Friendship and Conversation in Seventeenth-Century Venice, op. cit., 5. 354 Konstan, Friendship in the Classical World, op. cit., 41 – 42; im Anschluss daran Schinkel, Freundschaft, op. cit., 164. 355 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 169 – 170. 356 Platon, Lysis, hg. von Michael Bordt, Göttingen 1998 (Platon, Werke. Übersetzung und Kommentar, im Auftrag der Kommission für Klassische Philologie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz hg. von Ernst Heitsch und Carl Werner Müller 5,4).

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losoph«, dessen Aussagen als Standard gelten. Diese starke aristotelische Orientierung zusammen mit der geringen Verbreitung von Griechischkenntnissen im westeuropäischen Mittelalter dürfte die Rezeption Platos erschwert haben. Platos Rezeption ist daher in weit größerem Maße als diejenige des Aristoteles und des Cicero eine Neuanknüpfung des Humanismus. Die platonische Freundschaftskonzeption ist insofern bemerkenswert, als sie das Eigeninteresse in Freundschaften nicht grundsätzlich abwertet, sondern als legitim erachtet. Der Nutzen aber, der im Lysis angesprochen ist, ist nicht primär als ökonomischer Nutzen gedacht, sondern vor allem als gleichsam charakterlicher Nutzen: auch der erzieherische Wert der Freundschaft wird unter die nützlichen Aspekte gerechnet. Die Nikomachische Ethik357des Aristoteles ist deswegen zentral, weil hier die grundlegenden kategorialen Unterschiede eingeführt werden, die die Diskussion über Freundschaft in der europäischen Denktradition fortan bestimmt haben. Aristoteles unterscheidet die Freundschaft um der Tugend willen als wahre, eigentliche, echte Freundschaft von den zwei falschen, uneigentlichen, unechten Formen der Freundschaft, nämlich der Freundschaft um des Nutzens willen und derjenigen um der Lust willen.358 Damit führt Aristoteles die lange nachwirkende Abwertung des Nutzenaspekts in der Freundschaft in den europäischen Diskurs ein, ebenso wie die ebenso lange nachwirkende Idee, dass wahre Freundschaft nur zwischen Tugendhaften möglich sei. Damit wird die Tugend zum Fundament der Freundschaft erklärt; Aristoteles sagt in Anspielung auf Plato: »Und manche sind überzeugt, ein trefflicher Mann und ein Freund seien ein und dasselbe.«359 Andreas Schinkel sieht mit Aristoteles die Ordnung der Freundschaft im griechischen Kontext vollendet; danach gebe es lediglich noch Akzentverschiebungen, so bei Epikur, der das Moment des Lustvollen in den Mittelpunkt der Freundschaft stellt.360 An Epikurs Auffassungen knüpft in Rom später Lukrez an; sein Freundschaftsbegriff lehnt sich an die weite Auslegung des philia-Begriffes an und meint also Sympathie. Sie ist für Lukrez als Epikureer keine anthropologische Grundgegebenheit, sondern entsteht erst mit dem Zusammenschluss der ursprünglich vereinzelten Menschen zu Gesellschaften.361 357 Wir zitieren hier nach der bereits oben erwähnten Ausgabe: Aristoteles, Nikomachische Ethik, hg. von Franz Dirlmeier, Stuttgart 1969. Zur Freundschaft in der Nikomachischen Ethik Nathalie von Siemens, Aristoteles über Freundschaft. Untersuchungen zur Nikomachischen Ethik VIII und IX, op. cit., und Lorraine Smith Pangle, Aristotle and the philosophy of friendship, op. cit. 358 Aristoteles, Nikomachische Ethik, hg. von Franz Dirlmeier, op. cit., 216 – 218. 359 Ebd., 214. 360 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 193. 361 Konstan, Friendship in the Classical World, op. cit., 111.

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Es ist aber vor allem Cicero, der die Freundschaftskonzeptionen der griechischen Philosophie, insbesondere die aristotelischen Ideen, in einen römischen Kontext hinein vermittelt, und zwar in der Schrift Laelius de amicitia.362 In Ciceros Werk debattieren römische Adlige über das Wesen der Freundschaft. Sein Text wird damit für frühneuzeitliche Oberschichten »anschlussfähig« an ihre eigene Lebenswirklichkeit, denn auch bei Cicero ist Freundschaft ein Elitenphänomen. Laelius und Scipio sind Aristokraten und daher mögliche Vorbilder für frühneuzeitliche adlige Leser. Die zeitliche Distanz zur Antike wird in der Frühen Neuzeit durchaus nicht als Hindernis empfunden, um sich mit den Figuren der Texte zu identifizieren; die Vormoderne ist auch ein vor-historistisches Zeitalter. Montaignes Texte zeigen das sehr deutlich: in ihnen werden antike Beispiele und solche aus Montaignes eigener Zeit ohne Unterschied verwendet, um dieselben Phänomene zu illustrieren. In Senecas De Beneficiis, einem Traktat über die Wohltaten, spielt Freundschaft als Begriff nur eine Randrolle.363 Es wird lediglich erwähnt, dass Wohltaten unter Freunden nicht möglich seien, da sie ohnehin alles gemeinsam besäßen. Anschlussfähig für frühneuzeitliche Leser dürfte Seneca hingegen vor allem wegen seiner Thematisierung der Verpflichtungs- und Reziprozitätsethik gewesen sein. Zu erwähnen ist schließlich noch Plutarch, der in zwei Abhandlungen der Moralia zwei Probleme diskutiert, die für die spätere Reflexion über Freundschaft wichtig geworden sind: zum einen die Frage, wie man den Freund vom Schmeichler unterscheidet364 und zum anderen die Frage, wie viele Freunde man haben soll.365 Augustinus ist in gewissem Sinne die Schnittstelle zwischen antikem und mittelalterlichem Denken über Freundschaft. Wie Aristoteles und Cicero wendet auch er sich gegen die Nutzenfreundschaft. Im Gegensatz zur klassischen Antike ist aber bei Augustinus Freundschaft wesentlich begründet durch die Liebe zu Gott. Neu ist der Begriff der caritas, der antikem Denken bisher fremd ist. Für Augustinus vollzieht sich in der Freundschaft die Synthese von Gottes- und Nächstenliebe. Freundschaft hat bei Augustinus zwei Seiten: zum einen die aus der Antike übernommene Vorstellung der Freundschaft, die durch Vernunft und Tugend begründet wird, zum anderen die Verbindung der Freunde mit Gott und, so darf man hinzufügen, durch Gott. Dabei gibt es eine klare Hierarchie: die 362 Cicero, Laelius. Über die Freundschaft, hg. von Robert Feger, Stuttgart 1970. Zur Freundschaft bei Cicero cf. Beryl Rawson, The Politics of Friendship: Pompey and Cicero, Sydney 1978; Raymond Sansen, Doctrine de l’amiti¦ chez Cic¦ron. Expos¦, source, critique, influence, Paris 1975. 363 Konstan, Friendship in the Classical World, op. cit., 127 – 128. 364 Es sei hier nach der französischen Übersetzung zitiert, die eine der neuesten Editionen der Moralia ist: Plutarch, Œuvres morales, Bd. 1,2, hg. von Robert Klaerr/Andr¦ Philippon/Jean Sirinelli, Paris 1989, 64 – 141. 365 Ebd., 213 – 228.

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Freundschaft um Gottes willen ist Substanz, die Freundschaft um der Tugend willen Akzidens.366

II.2.2. Mittelalterliche Freundschaftsdiskurse Mittelalterliche Denker greifen die augustinischen Ideen auf und entwickeln sie weiter. Zwei Stränge des Denkens über Freundschaft sollen hier herausgehoben werden: zum einen die monastische und später scholastische Reflexion, zum anderen die Tradition der Ritterepik. In der monastischen Reflexion wird Freundschaft im Kontext der klösterlichen Lebenswelt thematisiert, so beispielsweise bei Aelred von Rieval.367 Die im Hochmittelalter einsetzende scholastische Tradition reichert dann die patristische Tradition wiederum aristotelisch an. In Aelred von Rievals De spirituali amicitia368 werden drei Formen der Freundschaft unterschieden, nämlich fleischliche, weltliche und geistliche Freundschaft. Dahinter sind unschwer Lust-, Nutzen- und Tugendfreundschaft zu erkennen. Interessant ist, dass bei Aelred eine begriffliche Scheidung von Freundschaft (amicitia) und Nächstenliebe (caritas) vorgenommen wird: während erstere nur unter den Guten und Gläubigen möglich ist, gilt letztere allen Menschen.369 Die geistliche Freundschaft dient bei Aelred der gegenseitigen Vervollkommnung; sie findet ihr Ziel und ihre Vollendung in der gemeinsamen Freundschaft beider Freunde mit Christus, also in der unio mystica.370 Aelred betont die gegenseitige Selbstoffenbarung der Freunde.371 Man darf aber interpretierend hinzufügen, dass diese Selbstoffenbarung nicht die gleiche ist wie bei den Romantikern. Bei Aelred geht es um das Bekennen der Sünden, um diese fürderhin mit Hilfe des Freundes unterlassen zu können; die Selbstoffenbarung ist nicht Selbstzweck. Dazu kommt, dass Aelreds Text eindeutig theoretischnormativ ist, wohingegen bei den Romantikern die Selbstoffenbarung aktiv gepflegt wird – sei sie nun aufrichtig empfunden oder Gestus der Selbststilisierung. Die scholastische Tradition findet ihren gewichtigsten Ausdruck in Thomas 366 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 211 – 219. 367 Ebd., 221. 368 Aelred von Rieval, Über die geistliche Freundschaft, hg. von Rhaban Haacke, Trier 1978. Zur Freundschaft bei Aelred cf. Peter Schuster, Aelred von Rievaulx und die amicitia spiritualis. Überlegungen zum Freundschaftsdiskurs im 12. Jahrhundert, in: Johannes Altenberend (Hg.), Kloster – Stadt – Region. Festschrift für Heinrich Rüthing, Bielefeld 2002 (Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg 10), 13 – 26. 369 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 224 – 227. 370 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 227 – 228. 371 Ebd., 229.

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von Aquins Summa theologica.372 Der Aquinat verbindet hier aristotelisches, augustinisches und mittelalterliches Gedankengut. Dadurch entstehen in seiner Konzeption deutlich mehr Arten der Freundschaft. An oberster Stelle steht die Freundschaft des gläubigen Menschen mit Gott, dann folgen – ganz aristotelisch – Tugend-, Nutzen- und Lustfreundschaft als die drei Formen der Menschenfreundschaft. Daneben steht die prinzipiell auf alle Menschen, also auch auf Sünder sich erstreckende Nächstenliebe, die ebenfalls als Freundschaft konzipiert wird, schließlich die Tugend der Freundlichkeit (affabilitas) im gesellschaftlichen Umgang.373 Neben dieser monastisch-scholastischen Tradition, also geistlichen Texten zur Freundschaft, stehen als weltliche Texte die ritterlichen Epen. Hier taucht – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Freundschaften der Antike – der Topos der heroischen Freundschaft wieder auf, repräsentiert beispielsweise durch Roland und Olivier im Rolandslied.374 Die beiden Helden kämpfen Seite an Seite gegen die Heiden; das letzte, was der sterbende Olivier tut, ist, sich von Roland zu verabschieden, als dessen Freund (»sun ami«) er vom Erzähler ausdrücklich bezeichnet wird.375 Andreas Schinkel weist zu Recht darauf hin, dass auch diese Art von Freundschaft christlich grundiert ist;376 allerdings darf man hinzufügen, dass das Christliche hier einen anderen Akzent trägt als in der geistlichen Reflexion. Hier geht es weniger um Selbstvervollkommnung, sondern um den gemeinsamen militärischen Kampf gegen die Heiden, die weniger als Repräsentanten konkurrierender Glaubenssysteme, sondern als Heerscharen des Teufels gesehen werden.377

372 Thomas von Aquino, Summe der Theologie, hg. von Joseph Bernhart, 3 Bde., Leipzig 31985. Zur Freundschaft bei Thomas von Aquin Eberhard Schockenhoff, Die Liebe als Freundschaft des Menschen mit Gott. Das Proprium der Caritas-Lehre des Thomas von Aquin, in: Communio 36 (2007), 232 – 246; Maarten J. F. M. Hoenen, Thomas von Aquin über Liebe und Freundschaft, in: Cora Dietl (Hg.), Ars und scientia im Mittelalter und in der frühen Neuzeit: Ergebnisse interdisziplinärer Forschung. Georg Wieland zum 65. Geburtstag, Tübingen 2002, p. 125 – 137; Dagmar Kiesel, Liebe im Irdischen. Freundschaft, Frauen und Familie bei Augustin, op. cit. 373 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 230 – 235. 374 Das altfranzösische Rolandslied, hg. von Wolf Steinsieck, Stuttgart 1999. 375 Ebd., 152 – 159 (Laisse 146 – 151). 376 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 223. 377 Das zeigt sich etwa im Rolandslied in der Beschreibung der verschiedenen Abteilungen des sarazenischen Heeres, wo viele der beschriebenen Völker körperliche Eigenschaften von Monstern haben, cf. Rolandslied, hg. von Wolf Steinsieck, op. cit., 246 – 251 (Laisse 232 – 234).

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II.2.3. Renaissance-Freundschaftsdiskurse Wenn von Freundschaft in der Renaissance, insbesondere der französischen, die Rede ist, kommt man an Montaigne nicht vorbei. Seine Freundschaftskonzeption ist niedergelegt in dem Essay »De l’amiti¦«.378 Montaigne vertritt eine radikal neue Auffassung von Freundschaft: seine Freundschaft mit Etienne de La Bo¦tie gründet nicht mehr auf Qualitäten der beiden Freunde, nicht mehr auf Tugenden, sondern auf irreduzibler Individualität: »Si on me presse de dire pourquoi je l’aimais, je sens que cela ne se peut exprimer, qu’en r¦pondant : Parce que c’¦tait lui, par ce que c’¦tait moi.’«379 Montaigne betont aber, dass diese Freundschaft vollkommen außergewöhnlich sei: eine solche Bindung komme nur alle dreihundert Jahre einmal vor und sei im übrigen mit mehr als einer Person im Leben unmöglich. Sie unterscheide sich scharf von den gewöhnlichen Freundschaften. Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis dieses Textes: Montaigne ist untypisch für die Frühe Neuzeit, er ist in ideengeschichtlicher Hinsicht die Ausnahme, die er mit seiner Freundschaft zu La Bo¦tie in moralischer Hinsicht zu sein beansprucht. Nur wenn man Montaignes Konzeption der Freundschaft als typisch für seine Zeit versteht, kann man zu dem Schluss kommen, der im Artikel »amiti¦« des Dictionnaire du Grand SiÀcle vertreten wird, nämlich dass die Freundschaft in der Renaissance mehr gepflegt worden sei als im 17. Jahrhundert.380 Eine solche Deutung führt im übrigen zu interpretatorischen Problemen: lässt man die moderne Form der Freundschaft bereits mit Montaigne beginnen, dann muss man alle vormodernen Züge der Freundschaft im 17. Jahrhundert als vorübergehende Atavismen oder Dekadenzerscheinungen wegerklären. Montaignes Konzept, Freundschaft nicht mehr auf Tugend, sondern auf irreduzible Individualität zu gründen, setzt sich frühestens in der Sattelzeit mit dem Freundschaftskult der Empfindsamkeit,381 mit voller Wucht erst bei den Romantikern durch. Die Freundschaften des 16. und 17. Jahrhunderts gehorchen dagegen noch einem Verständnis, in dem die Grundlagen von Freundschaft in lobenswerten Eigenschaften der Person liegen, nicht so sehr in der Tatsache, dass sie sie selbst ist.382 An dieser Stelle treten 378 Montaigne, Essais, hg. von Jean C¦ard, op. cit., Bd. 1, 321 – 341. 379 Ebd., 330 – 331. 380 Georges Mator¦, Artikel »amiti¦«, in: Bluche (Hg.), Dictionnaire du Grand SiÀcle, op. cit., 71. 381 Der empfindsame Freundschaftskult ist konzis beschrieben in Silvia Bovenschen, Die Bewegungen der Freundschaft. Versuch einer Annäherung, in: Dies., Schlimmer machen, schlimmer lachen. Aufsätze und Streitschriften, hg. von Alexander Garc†a Düttmann, Frankfurt am Main 1998, 34 – 66, hier 43 – 50. 382 Niklas Luhmann postuliert für die Wandlungen des Konzepts Liebe einen ähnlichen Ablauf: auch hier dominiert bis über das Ende des Mittelalters hinaus eine substantialistische Auffassung. Diese wird dann im 17. Jahrhundert abgelöst vom Konzept des amour-passion,

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allerdings der gelehrte Diskurs der Traktate und die soziale Praxis (und mit ihr auch der Alltagsdiskurs) auseinander : Voraussetzung für Freundschaft, beziehungsweise überhaupt für Freundschaftsfähigkeit, ist in der aristokratischen Gesellschaft des siÀcle classique eher adlige Ehre als Tugend – wobei sich das Problem für die Zeitgenossen sicher so versöhnen ließe, dass aus adliger Ehre Tugend hervorgeht. Ein Bauer, mag er noch so tugendhaft sein, taugt nicht zum Freund eines Adligen. Nahbeziehungen zwischen ihnen müssen eine andere Semantik verwenden, vorzugsweise die des treuen Dienens und des Beschützens und Belohnens des treuen Dieners.

II.2.4. Freundschaft in der Moralistik und Traktatistik des 16. und 17. Jahrhunderts Wie bereits erwähnt, hat die Frühe Neuzeit durchaus eine umfangreiche Literatur zum Thema Freundschaft hervorgebracht. Sie soll hier aus drei Gründen nicht im Zentrum stehen. Erstens sind diese Texte normativ oder doch zumindest normreflektierend. Sie sagen somit zwar über Ideale etwas aus, aber kaum über empirische Erwartungen an Freunde. Zum zweiten sind die Texte oft systematisierend, führen in der aristotelischen Tradition Unterteilungen der Freundschaft ein und glätten die Empirie. Damit hat der dritte Punkt zu tun: Freundschaftstraktate reflektieren über Freundschaft als solche, nicht über aristokratische Freundschaft. Sie sind daher zwar eine wichtige Quellengruppe, müssen aber für die hier verfolgte Fragestellung unbedingt durch Selbstzeugnisse ergänzt werden. Eine wichtige Quelle für frühneuzeitliches Denken über Freundschaft ist die Hofmannstraktatistik. Wir fassen hier die Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts zusammen: es handelt sich um ein hochspezialisiertes Genre, das inneren Regeln gehorcht, die stärker sein dürften als relativ kurzfristige ideengeschichtliche Konjunkturen. Das Genre entsteht in Italien;383 Urbild und auch in der weiteren Entwicklung also der Liebe, die gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass sie unmöglich von Dauer sein kann. Im 18. und 19. Jahrhundert vollzieht sich dann der Übergang zur Idee einer dauerhaften Liebe, die nun als Basis der Ehe und nicht mehr als Gegensatz zu ihr gesehen wird; cf. Luhmann, Liebe als Passion, op. cit. – Für die Freundschaft, so könnte man hinzufügen, fällt das Stadium der Passion weg, da dem Konzept der Freundschaft immer Dauer und niemals kurze, exzessive Leidenschaftlichkeit zugeschrieben wurde. 383 Zur Freundschaft in der Traktatistik der italienischen Renaissance am Beispiel von Alberti, Castiglione und Della Casa cf. Ada Annoni, L’amicizia nella trattatistica rinascimentale, in: Luigi Cotteri (Hg.), Il concetto di amicizia nella storia della cultura europea/Der Begriff Freundschaft in der Geschichte der europäischen Kultur. Atti del XXII convegno internazionale di studi italo-tedeschi/Akten der XXII. internationalen Tagung deutsch-italienischer Studien, Meran 1995, 462 – 484.

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europaweit gelesener Klassiker des Genres ist Baldassare Castigliones Il Cortegiano.384 Sicherlich wird man die Entwicklung der Hofmannstraktatistik auch als eine Antwort auf das quantitative Wachstum der Höfe sehen dürfen, das neue Probleme des Zusammenlebens und der Konkurrenz von Eliten im höfischen Milieu aufwirft. So steht bei Castiglione nicht mehr wie bei Machiavelli der Fürst, sondern der Höfling im Mittelpunkt – der Principe dagegen kommt noch ohne Diskussion höfischer Mikropolitik aus. Dort kommen zwar Gruppen wie die Großen und das Volk vor, deren Interessen jeweils bedacht werden müssen, nicht aber Individuen am Hof mit ihren je eigenen Zielen. Castiglione hingegen geht der Frage nach, wie man die Freundschaft seines Herrschers gewinnt. Ein zweiter wichtiger Autor der Gattung ist Giovanni Della Casa, der mit zwei Werken zu ihr beigetragen hat. Dabei ist sein bekannteres Werk, der italienischsprachige Galateo,385 vor allem ein Buch über das gute Benehmen des Höflings; die Problematik der Freundschaft wird ausführlicher erörtert im lateinischsprachigen Traktat De officiis inter potentiores ac tenuiores amicos.386 Dieser Text greift Probleme auf, die sich auf die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Rangunterschieden in Freundschaften beziehen. Die italienische Traktatistik wird in Frankreich rezipiert; im 17. Jahrhundert entstehen dann eigene Traktate, deren wichtigster Nicolas Farets L’HonnÞte homme ou l’art de plaire — la cour ist.387 Antoine Gombaud, Chevalier de M¦r¦, stellt den honnÞte homme wenig später nicht mehr in Traktat-, sondern in Dialogform vor. In seinen Conversations388 betont er die honnÞtet¦ in Freund384 Baldassare Castiglione, Das Buch vom Hofmann. hg. von Fritz Baumgart, München 1986; als neue Ausgabe zu erwähnen ist Baldassare Castiglione, Der Hofmann. Lebensart in der Renaissance, hg. von Albert Wesselski, Berlin 22004. 385 Giovanni Della Casa, Der Galateo. Traktat über die guten Sitten, hg. von Michael Rumpf, Heidelberg 1988. Zwei Editionen der ursprünglichen italienischen Fassung sind Giovanni Della Casa, Galateo, hg. von Saverio Orlando, Mailand 1988, und Giovanni Della Casa, Galateo, hg. von Gennaro Barberisi, Venedig 1991. Der Text wurde bereits im 16. Jahrhundert ins Französische übersetzt: Le Galat¦e, premiÀrement compos¦ en italien par J. de La Case, et depuis mis en FranÅois, Latin et Espagnol par divers auteurs, Lyon 1598. 386 Die lateinische Originalausgabe findet sich in Ioannis Casae Latina Monimenta, Quarum partim versibus, partim soluta oratione scripta sunt, Florenz 1657, 27 – 52. Der Traktat wurde bald darauf ins Französische übertragen: Des Offices mutuels qui doivent estre entre les Grands Seigneurs et leurs Courtisans. Prins en partie sur le Latin du Seigneur Jean De La Case, Archevesque de Benevent. Plus Du devoir qui doit estre reciproquement gard¦ & observ¦ entre les Maistres & Serviteurs privez, par le mesme Traducteur, hg. von FranÅois de Ferris, Paris 1571. Zur Wirkung Della Casas in Frankreich cf. Mario Richter, Giovanni Della Casa in Francia nel Secolo XVI, Rom 1966 (Quaderni di Cultura Francese 8), zum Galateo 53 – 85, zu De Officiis 87 – 100. Zu Della Casas Interpretation des Hoflebens cf. Asch, Der Höfling als Heuchler?, op. cit., 197 – 201. 387 Nicolas Faret, L’honnÞte homme, ou l’art de plaire — la cour, Genf 1970 [Neudruck der Ausgabe Paris 1925]. 388 Chevalier de M¦r¦, Les Conversations, hg. von Charles-H. Boudhors, Paris 1930.

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schaften. Hier zeigt sich schon die Verbindung von Freundschaft und Ehre.389 Es ist durchaus kein bloßes Wortspiel, honnÞtet¦ mit honneur zu verknüpfen: nur ein homme d’honneur kann ein honnÞte homme sein. Dies ist dem Nichtadligen, dem roturier, versagt, wenn er nicht zumindest eine der adligen Lebensweise angenäherte Lebensart pflegt, die als vivre noblement bezeichnet wird. Auch wenn diese Texte die Lebenswelt der Adligen nur teilweise abbilden, da sie bei ihren Befunden Konzessionen an humanistische Gelehrsamkeit und an die Gesetze des Genres machen, ist ihre Wirkung nicht zu unterschätzen: viele Höflinge des 17. Jahrhunderts dürften zumindest einige der erwähnten Texte gelesen haben.390 Zumindest zwei außerfranzösische Autoren sollen aufgrund ihrer weiten Verbreitung hier noch Erwähnung finden. Ihre Werke gehören nicht unmittelbar zur Hofmannstraktatistik, weisen aber durchaus inhaltliche Überschneidungen mit ihr auf. Francis Bacon nennt sein Werk zwar in Anlehnung an Montaigne Essays;391 tatsächlich aber hat die geordnete Struktur seiner Texte weit mehr mit der Gattung des Traktats gemein als mit den willentlich abschweifenden Essais Montaignes.392 Bacon greift die Problematik des Nutzens in Freundschaften auf393 und stellt ebenso wie Plutarch die Frage nach der Unterscheidung von Freunden und Schmeichlern.394 Ein weiterer Klassiker ist Baltasar Graci‚n y Morales, dessen Or‚culo manual y arte de la prudencia schon im 17. Jahrhundert europaweite Verbreitung findet. Das aus Maximen zusammengesetzte Werk bietet eine Anleitung zum geschickten Überleben und Vorankommen bei Hofe; dabei geht es durchaus auch um taktische Verstellung. Graci‚n praktiziert damit ein Genre, das auch in Frankreich im 17. Jahrhundert Verbreitung findet und die Traktatistik dort sogar ein Stück weit ablöst. Schon der Blick auf den Chevalier de M¦r¦ hatte gezeigt, dass im siÀcle classique offenere Formen neben der Abhandlung etabliert werden. Es entsteht eine Maximen- und Aphorismenliteratur. Für das Thema 389 Cf. infra. 390 Zur Hofmannstraktatistik cf. Manfred Hinz, Rhetorische Strategien des Hofmannes. Studien zu den italienischen Hofmannstraktaten des 16. und 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1992; zur Höflingsliteratur speziell in Deutschland cf. Manfred Beetz, Frühmoderne Höflichkeit: Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum, Stuttgart 1990. 391 Francis Bacon, The essayes or counsells, civill and morall, hg. von Michael Kiernan, Oxford 2000 (The Oxford Francis Bacon, Bd. 15). 392 Silvia Bovenschen sieht in Montaigne und Bacon die beiden Gründerväter des modernen Essays, und betont die Spannung zwischen ihren beiden Vorgehensweisen, die die Geschichte der Gattung seither bestimmt habe. Sie betont im übrigen ausdrücklich, dass beide Essays über die Freundschaft verfasst haben; cf. Bovenschen, Die Bewegungen der Freundschaft, op. cit., 59 – 60. 393 Bacon, The Essayes or Counsels, Civill and Moral, hg. von Michael Kiernan, op. cit., 80 – 87 (Kapitel XXVII, Of Frendship). 394 Ebd., 147 – 152 (Kapitel XLVIII, Of Followers and Frends, und Kapitel XLIX, Of Sutours).

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Freundschaft besonders wichtig sind hier die Maximen und Reflexionen La Rochefoucaulds395 und die Charaktere La BruyÀres.396

II.2.5. Literarische Topoi Neben Philosophie und Traktatistik ist die fiktionale Literatur eine weitere wichtige Quelle für Vorstellungen über Freundschaft. Auch wenn die Schwertadligen für gewöhnlich keine Universitäten besuchen, sind sie deswegen nicht unbedingt weniger gebildet als die Amtsadligen. Cond¦ selbst ist hier ein Beispiel: er wird mit acht Jahren aufs Jesuitenkolleg in Bourges geschickt und erhält dort unter anderem Unterricht in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften.397 Man mag die Anekdote, dass er bereits mit sieben Jahren eine Rede in fließendem Latein gehalten habe,398 bezweifeln oder für übertrieben halten; an der Bibliophilie und umfassenden Bildung des Prinzen ändert das nichts. Belletristische Texte gehören ebenso wie philosophische zum Bildungsgut der Adligen; auch sie thematisieren die Freundschaft. Angesichts der Geringschätzung, die das siÀcle classique dem Mittelalter entgegenbringt, und umgekehrt seiner Hochschätzung der Antike sind hier einerseits Autoren des Altertums, andererseits solche des 16. und 17. Jahrhunderts in den Blick zu nehmen. Bei den antiken Autoren ist in erster Linie an Plutarch zu denken. Die Vies des hommes illustres sind die Pflichtlektüre par excellence für junge Adlige. Sie werden von den Adligen nicht im griechischen Original gelesen, sondern in der klassisch gewordenen Übersetzung von Jacques Amyot.399 Die Popularität des Werkes als Erziehungslektüre ist leicht erklärlich, stellt es doch die Taten großer Männer vor, gibt also den jungen Adligen Rollenvorbilder an die Hand, an denen sie sich orientieren können. 395 La Rochefoucauld, Maximen und Reflexionen, hg. von Konrad Nußbächer, Stuttgart 1965. Eine zweisprachige Ausgabe ist FranÅois de La Rochefoucauld, Maximen und Reflexionen. Französisch und deutsch, hg. von Jürgen von Stackelberg, München 1987; eine französische Ausgabe ist FranÅois de La Rochefoucauld, Maximes, suivies des R¦flexions diverses, du Protrait de La Rochefoucauld par lui-mÞme et des Remarques de Christine de SuÀde sur les Maximes, hg. von Jacques Truchet, Paris 1967. 396 Jean de La BruyÀre, Les CaractÀres, hg. von Louis van Delft, op. cit. 397 Jean de La Brune, M¦moires pour servir — l’histoire de Louis de Bourbon, prince de Cond¦, Köln 1693, 10 – 11. 398 Nach Pierre Duhamel, einem der Biographen des Prinzen, habe Cond¦ im Alter von sieben Jahren mit den Kindern der Nachbarschaft Krieg gespielt und dabei eine Ansprache auf Latein an seine »Truppen« gehalten, cf. Pierre Duhamel, Le grand Cond¦ ou l’orgueil, op. cit., 26. 399 Diese Übersetzung ist noch heute die Grundlage für die Pl¦iade-Ausgabe, nach der wir daher zitieren: Plutarch, Les vies des hommes illustres. Traduction de Jacques Amyot, hg. von G¦rard Walter, 2 Bde., Paris 1951.

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In Plutarchs Vita des Theseus rauben Theseus und Peirithoos gemeinsam die schöne Helena; sie losen um sie, und da sie Theseus zufällt, verpflichtet dieser sich, Peirithoos zu helfen, seinerseits eine Frau zu rauben, und zwar die Tochter des Molosserkönigs, wobei Peirithoos allerdings zu Tode kommt.400 Die Beziehung von Theseus und Peirithoos wird expressis verbis als Freundschaft bezeichnet.401 Die Hilfe des Freundes beim Frauenraub erinnert sehr an die in Bussy-Rabutins Histoire amoureuse des Gaules als »Histoire d’Ang¦lie et de Ginolic« berichtete402 Geschichte von Mademoiselle de Boutteville, die ColignySaligny raubt, woraufhin Cond¦ ihm sein Schloss Stenay als Fluchtort zur Verfügung stellt.403 Es ist durchaus möglich, dass Plutarchs Darstellung in BussyRabutins Erzählung eingegangen ist; immerhin ist die ganze Histoire amoureuse des Gaules and Petronius’ Satyricon angelehnt. Die antiken Autoren bilden einen Kernbestand des Bildungshorizonts, den ein Autor bei seinem höfischen Publikum voraussetzen kann; er kann somit auch mit unmarkierten und indirekten Anspielungen auf antikes Bildungsgut spielen. Was die Literatur des 16. Jahrhunderts angeht, ist auf den Einfluss Montaignes zu verweisen. Die radikale Freundschaftskonzeption Montaignes ist zwar, wie oben beschrieben, eine Ausnahme im Freundschaftsdiskurs des 16. und auch des 17. Jahrhunderts. Das hindert die Adligen des grand siÀcle aber nicht daran, sein Werk als Steinbruch für die Beschreibung von Freundschaften zu benutzen, denen der Autor der Essais den Rang wahrer Freundschaften sicherlich abgesprochen hätte. Wenn der Graf von Bussy-Rabutin seiner ehemaligen Mätresse, einer Gräfin, empfiehlt, eine Liaison mit einem seiner Freunde einzugehen und ihr erklärt, dieser Freund sei doch sein alter ego, so zeigt sich, dass die Zeitgenossen sich Topoi kreativ aneignen und sie umdeuten, manchmal auch frivolironisch: »je vous d¦clare que bien loin d’Þtre jaloux, le plus grand plaisir que vous me puissiez faire, c’est de le bien traiter ; c’est un autre moi-mÞme, madame, je vous aurai obligation des faveurs qu’il recevra de vous comme si je les recevois.«404

400 Ebd., Bd. 1, 30 – 31. 401 Ebd., 29. 402 Roger de Bussy-Rabutin, Histoire amoureuse des Gaules, hg. von Antoine Adam, Paris 1967, 93 – 94. 403 Pujo, Le Grand Cond¦, op. cit., 97; cf. auch B¦guin, Les princes de Cond¦, op. cit., 342 – 343. 404 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 106 – 107.

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II.2.6. Freundschaft und Ehre Ein wichtiger Aspekt adliger Freundschaft ist die adlige Ehre.405 Dabei sind konzeptuelle Schwierigkeiten des Ehrbegriffs selbst mit zu bedenken.406 Wenn von adliger Ehre die Rede ist, so muss die Differenz von Ehre und Ansehen (honneur/r¦putation, honour/reputation) berücksichtigt werden. Beides eignet Adligen; die beiden gehorchen aber unterschiedlichen Gesetzen. Honneur hat ein Adliger von Geburt an; man kann sie nicht steigern, wohl aber verlieren. Es handelt sich bei honneur und r¦putation nicht um Teile eines Analyseapparats, sondern um Quellenbegriffe. Bei Bussy-Rabutin tauchen die beiden Begriffe sogar explizit als Gegensatzpaar auf. Bussy-Rabutin nutzt die Angst eines (wahrscheinlich adligen) Mädchens vor öffentlicher Entehrung sexuell aus: das Mädchen schläft mit ihm, nachdem es sich vor Bussy-Rabutins eigenen Soldaten zu ihm geflüchtet hat; er notiert: »elle me r¦pondit fort honnÞtement, que pour sauver son honneur, elle ne soucioit pas de hasarder sa r¦putation.«407 R¦putation dagegen kann man steigern, aber auch vermindern; in sie geht natürlich der Rang des eigenen Hauses ein, aber auch eigene Taten, Titel, Ämter und eben Kontakte. Die Beziehung von Freundschaft und Ehre ist vielleicht am ehesten das spe405 Zum Thema adlige Ehre cf. Ronald G. Asch, »Honour in all parts of Europe will be ever like itself«. Ehre, adlige Standeskultur und Staatsbildung in England und Frankreich im späten 16. und im 17. Jahrhundert: Disziplinierung oder Aushandeln von Statusansprüchen?, in: Ders./Dagmar Freist, Staatsbildung als kultureller Prozeß. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln 2005, 353 – 379; Andreas Pecˇar, Die Ökonomie der Ehre. Höfischer Adel am Kaiserhof Karls VI., Darmstadt 2003; Beatrix Bastl, Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2000. Cf. auch Arlette Jouanna, Recherches sur la notion d’honneur au XVIe siÀcle, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 15 (1968), 597 – 623. Nach Jouanna umfasst die frühneuzeitliche Ehre vier Aspekte: erstens die Eigenschaften, die eine Person würdig machen, respektiert zu werden; zweitens die Wirkungen, die die Taten einer Person im Bewusstsein der Mitmenschen erzeugen; drittens, wobei hier auch »honneurs«, »Ehren«, im Plural gemeint sind, die äußeren Zeichen, in denen sich die Wertschätzung ausdrückt; und viertens eine gesellschaftliche Distanz, die denjenigen, der Ehre besitzt, vor den anderen auszeichnet und über sie hinaushebt. Jouanna unterstreicht des weiteren, dass im frühneuzeitlichen Frankreich jede gesellschaftliche Gruppe ihre je eigene Ehre besitzt. Cf. auch Klaus Schreiner/Gerd Schwerhoff (Hg.), Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1995 (Norm und Struktur 5). Cf. des weiteren jetzt Brendan Kane, The Politics and Culture of Honour in Britain and Ireland, 1541 – 1641, Cambridge 2010. 406 Einen kulturübergreifenden Überblick über den Ehrbegriff bietet Frank Henderson Stewart, Honor, Chicago/London 1994. Markku Peltonen hat in seinem Buch über das Duell Stewarts Modell auf die europäische Frühneuzeit angewendet; er widmet der Ehre ein Kapitel, cf. Markku Peltonen, The Duel in Early Modern England. Civility, Politeness and Honour, Cambridge 2003 (Ideas in Context 65), 35 – 44. 407 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 140.

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zifisch »Adlige« an der Adelsfreundschaft. Was das Verhältnis von adliger Freundschaft und adliger Ehre angeht, so soll postuliert werden: honneur ist Voraussetzung für adlige Freundschaft, r¦putation kann ein zusätzlicher Anreiz für das Eingehen einer Freundschaft sein, kann jedoch auch durch Freundschaft gesteigert, gegebenenfalls aber auch vermindert werden. Ein Brief Cond¦s an Mazarin zeigt, wie kritisch r¦putation und Freundschaft verflochten sind: als es um den Posten des Gouverneurs von Ypern geht, den Cond¦ Gaspard de Coligny zugedacht hat, vergibt ihn Mazarin an den Grafen von Palluau, wobei er ausdrücklich sagt, dieser sei »extrÞmement de [ses] amis«. Cond¦ sieht dies als gezielten Schachzug, um seine Autorität und sein Prestige in der Armee zu schädigen. Er schreibt Mazarin, es sei hart, zu dienen und dabei »se voir hors d’estat de rien faire ny pour soy ny pour ses amis«; fürderhin werde kaum jemand mehr ihn um eine Gunst bitten, und er selber sei nun kaum mehr willens, sich für jemanden einzusetzen, um sich nicht weiter zu »d¦cr¦diter«.408 Der Begriff des »cr¦dit« meint hier nicht den finanziellen Kredit, sondern das Vermögen, aufgrund von r¦putation Dinge zu bewirken. Jay Smith hat darauf hingewiesen, dass der Begriff »cr¦dit« in der Frühen Neuzeit zwei Bedeutungen hat, die sich jedoch überlappen und miteinander in Verbindung stehen: einerseits bezeichnet er den finanztechnischen Sinn, der heute noch geläufig ist, andererseits meint er auch das persönlich-subjektive Vertrauen und Wohlwollen, das andere in eine Person setzen.409 Die Ehre erklärt, warum es Nichtadlige so schwer haben, mit Adligen befreundet zu sein. Honneur, die sich manifestiert in der Satisfaktionsfähigkeit, ist eine Qualität, die Adligen eignet, Nichtadligen jedoch nicht.410 Um es genauer zu fassen: es ist nicht so, dass Nichtadlige überhaupt keine Ehre hätten, aber die spezifisch adlige Ehre besitzen sie nicht. Im Begriffsapparat Frank Henderson Stewarts ausgedrückt, ist die adlige Ehre eine »horizontale« Ehre, d. h. das Recht, als Mitglied einer Gruppe von Gleichen, in diesem Fall: des Adels, behandelt zu werden; eine solche Gruppe heißt bei Stewart honor group.411 Nichtadlige dagegen schulden Adligen, wiederum in Stewarts Begriffsapparat, »vertikale« Ehre, d. h. die Anerkennung ihrer Höherrangigkeit. Nichtadlige können deshalb mit Adligen für gewöhnlich keine Freundschaften führen. Ein Beispiel für eine anders geartete Nahbeziehung bietet diejenige zwischen Cond¦ und dem Dichter Vincent Voiture, der, gerade weil er nicht satisfaktionsfähig ist, den Prinzen in 408 Archives de Chantilly P II 110 – 117, Cond¦ an Mazarin, 4. Juni 1648; cf. B¦guin, Les Princes de Cond¦, op. cit., 98. 409 Jay Smith, No More Language Games: Words, Beliefs, and the Political Culture of Early Modern France, in: American Historical Review 102 (1997), 1413 – 1440, hier 1427 – 1428. 410 Geistliche dürfen nicht mit Waffen kämpfen, wodurch sich für sie die Frage der Satisfaktionsfähigkeit so nicht stellt. 411 Stewart, Honor, op. cit., 54.

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einer Weise anredet, die sich ein Adliger nicht leisten könnte; der berühmte Brief, den er an den Prinzen als »Gevatter Hecht« adressiert, ist sicher das drastischste Beispiel dafür.412 Die Art, wie Voiture den Prinzen anredet, bezieht sich auf ein nicht näher erläutertes galantes Spiel, das der Prinz mit Hofdamen gespielt hatte, wobei ihm die Rolle des Hechtes im Karpfenteich zugefallen war.413 Wer keine adlige Ehre besitzt, riskiert paradoxerweise kein Duell; das allerdings heißt nicht, dass jeder Nichtadlige sich Respektlosigkeiten erlauben dürfte. Das Gegenteil ist der Fall: Ein Nichtadliger, der einen Adligen beleidigt, muss im vormodernen Europa mit harten gerichtlichen Strafen rechnen.414 Wer sich als Nichtadliger gegenüber einem Adligen Freiheiten herausnimmt, tut dies daher immer von dessen Gnaden: Voiture spielt in gewisser Weise Cond¦ gegenüber den Hofnarren. Stewarts Befunde liefern eine weitere Erklärung dafür, warum Freundschaften über die Standesgrenze hinweg schwierig sind. Stewart postuliert, dass ein Mitglied einer honor group gegenüber einem niedrigeren Außenstehenden auf der Behandlung als Höherrangiger bestehen muss, will er nicht die Anerkennung seiner Standesgenossen und damit seine horizontale Ehre verlieren. Stewart stützt sich bei dieser Überlegung zwar auf das Großbritannien des 18. Jahrhunderts – er zitiert den Fall eines Offiziers, der verurteilt wird, weil er sich beim Trinken mit den Mannschaften verbrüdert hat415 – die Schärfe der Abgrenzung dürfte aber im Frankreich des 17. Jahrhunderts eher noch deutlicher gewesen sein. Es ist also nicht nur so, dass der Nichtadlige nicht die erforderliche Ehre hat, um der Freund des Adligen sein zu können; er könnte auch dessen Ehre beschädigen, weil jener fürchten müsste, bei seinen Standesgenossen den Eindruck zu erwecken, er mache sich mit dem Volk gemein. Es gibt auch Grenzfälle wie Gourville, die allerdings den grundlegenden Befund nicht widerlegen; Gourville ist zwar ein Aufsteiger, als rechte Hand Fouquets aber so reich geworden, dass er sich eine Lebensweise leisten kann, die derjenigen eines Adligen entspricht. Auch wenn im 17. Jahrhundert das »vivre noblement« kaum mehr zur Usurpation von Adelstiteln taugt (schon gar nicht im höfischen Milieu), so mag es doch gesellschaftliche Schranken zumindest lockern. Wenn Gourville im Ausland in diplomatischer Mission unterwegs ist, besitzt er dort außerdem sehr viel abgeleitetes Ansehen und als Gesandter wohl 412 Œuvres de Voiture. Lettres et po¦sies, nouvelle ¦dition revue en partie sur le manuscrit de Conrart, corrig¦e et augment¦e de lettres et piÀces in¦dites, avec le Commentaire de Tallemant des R¦aux, des ¦claircissements et des notes par M. A. Uricini, Bd. I, Genf 1967 [Neudruck der Ausgabe Paris 1855], 401 – 402; im Wortlaut: »Eh! bonjour, mon compÀre le Brochet! bonjour, mon compÀre le Brochet!« 413 Ebd., note ¦ditoriale, unpaginiert. 414 Demel, Der europäische Adel, op. cit., 63. 415 Stewart, Honor, op. cit., 59.

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auch honneur, die ihm im Inland als roturier nicht zukäme; das mag erklären, warum er so viele Freunde unter den Adligen im Reich hat, wähend er beispielsweise die Beziehung zu Cond¦ in seinen Memoiren niemals als Freundschaft bezeichnet. Ein weiterer Grenzfall sind die Minister bürgerlicher Herkunft. Cond¦ benutzt in einem Brief an Colbert den Begriff amiti¦: »Monsieur, Comme rien ne m’est plus cher que ce qui me vient de vous, je n’ay pas eü peu de joie en recevant vostre lettre d’hier d’y voir des marques de la continuation de vostre amiti¦«.416 Hier darf aber zum einen ein taktisches Motiv unterstellt werden – der begnadigte Rebell muss an den mächtigen Minister in höflichem Ton schreiben; zum anderen sind auch Minister Personen, die durch ihr Amt eine zumindest adelsäquivalente Stellung haben und damit in den Rang von gens d’honneur gehoben sind. Bürgerliche Minister werden meist sehr schnell auch offiziell nobilitiert. Reputation kann man sich in Freundschaften gegenseitig zuschreiben. Der niederrangige Freund erhöht vor allem die Zahl der Freunde des Höherrangigen.417 Eine große Zahl von Freunden erhöht mit dem Ansehen auch das politische Gewicht.418 Dabei entsteht auch eine Wechselwirkung: ein politisch gewichtiger Adliger ist wiederum als Freund erstrebenswert. Der Höherrangige ist ein besonders illustrer Freund des Niederrangigen und erhöht so dessen Ansehen, insbesondere im Vergleich zu Adligen ähnlichen Ranges, die nicht über hochrangige Freunde verfügen. Dasselbe kann natürlich auch im Modell der Patronage ausgedrückt werden, dort liegt aber der Fokus anders, nämlich auf dem Gabentausch anstatt auf der Ehre. Beide Dimensionen schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich; es geht hier also nicht darum, den analytischen Begriff der Patronage anzugreifen, sondern denselben Sachverhalt unter einer anderen Perspektive zu sehen. Zudem muss nicht jede Freundschaft zwischen Ungleichen eine Patronagebeziehung im Sinne eines asymmetrischen Gabentausches sein. Die Adelsgesellschaft des 17. Jahrhunderts ist durch die Umstrukturierung von traditionellen feudalen Bindungen hin zum höfischen Modell in einer Weise umgebaut worden, dass Rang und materielle Möglichkeiten nicht mehr linear korrespondieren. In einer vom Rang her asymmetrischen Freundschaft müssen also nicht unbedingt auch die Gaben in der gleichen Weise asymmetrisch fließen. Schon Castiglione weist darauf hin, dass die richtige Wahl der Freunde die eigene »riputazione« steigert.419 Die positive Korrelation von Freunden und 416 417 418 419

Archives de Chantilly, P LII 333 – 334, Cond¦ an Colbert, 15. September 1673. Cf. Boltanski, Les ducs de Nevers et l’Etat royal, op. cit., 235 – 236. Cf. im selben Buch das Kapitel »Avoir beaucoup d’amis«, ebd., 228 – 242. Castiglione, Das Buch vom Hofmann, hg. von Fritz Baumgart, op. cit., II.29, 146.

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Ansehen hat aber auch ein negatives Gegenstück: Wer Verschwörer oder gar Aufständische zu seinen Freunden zählt, muss damit rechnen, als ihr Parteigänger zu gelten. Hier kann Freundschaft also dem Ansehen schaden.420 In solchen Fällen kann es politisch geraten sein, Freundschaften rechtzeitig zu beenden.421

II.2.7. Problematik von Gefühl und Interesse Bei Aristoteles dominiert die Frage, ob die Freundschaft aus der Tugend oder aus dem Nutzenkalkül hervorgeht – eine Problematik, die in der Folge den antiken Diskurs auch weiterhin beherrscht. Zwar unterscheidet Aristoteles weiter zwischen Lust- und Nutzenfreundschaft; da es aber bei beiden um einen Vorteil geht, stehen sie untereinander nicht im Widerspruch, wohl aber bilden beide zusammen einen Gegensatz zur Tugendfreundschaft. Im Denken der Frühen Neuzeit ist diese antike Freundschaftskonzeption noch präsent, es ergeben sich aber Verschiebungen. In der Konkurrenzsituation, in der sich die Höflinge latent immer befinden, rücken strategische Probleme in den Vordergrund; Bündnisse mit den weniger Tugendhaften erscheinen nun selbst auf der Diskursebene als akzeptabler als in den antiken Freundschaftstexten, wo es nicht um Karriere geht, sondern um ethische Selbstvervollkommnung. Andreas Schinkel weist zurecht darauf hin, dass schon in Leon Battista Albertis 1441 verfasstem Buch Über das Hauswesen422 einerseits bereits die Aufwertung der der Nutzenfreundschaft zu konstatieren ist, andererseits auch die antike Tugendfreundschaft noch beschrieben wird; beide Aspekte stehen recht unverbunden nebeneinander.423 420 Cf. infra, Freundschaft und Revolte. 421 Schon Alberti rät, Freundschaften zu beenden, die der eigenen »fama« schaden: Leon Battista Alberti, Über das Hauswesen, hg. Walter Kraus/Fritz Schalk, Zürich/Stuttgart 1962, 415; dabei soll aber ein Bruch mit dem Freund vermieden werden, sondern die Freundschaft soll langsam und unmerklich gelockert werden, damit sie nicht in Feindschaft umschlägt: ebd., 416 – 418. 422 Leon Battista Alberti, Über das Hauswesen , übers. von Walther Kraus, Zürich/Stuttgart 1962. Zur Biographie Albertis cf. Anthony Grafton, Leon Battista Alberti. Baumeister der Renaissance, Berlin 2002. 423 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 247. – Ariane Boltanski hat im übrigen argumentiert, dass die frühneuzeitlichen Adligen Gefühl und Interesse nicht als Widerspruch empfinden, sondern vielmehr das Streben nach individuellem Profit wohl durchaus mit tatsächlich empfundener Loyalität einhergehe, cf. Boltanski, Les ducs de Nevers et L’Êtat royal, op. cit., 223 – 224. Das erscheint vor dem Hintergrund der hier vorgestellten Freundschaftsformation durchaus einleuchtend; da den frühneuzeitlichen Adligen anders als den Romantikern die Vorstellung fremd ist, Freundschaft sei materiell zweckfrei, gehorchen ihre Freundschaften einer Logik, in der Gefühl und Nutzen durchaus keinen Gegensatz bilden müssen.

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Im weiteren Verlauf der Frühen Neuzeit gibt es in den Texten über Freundschaft verschiedene Mischungsverhältnisse antiker Tugendfreundschaft und frühneuzeitlich-strategischer Höflingsfreundschaft. Einerseits koppeln Autoren wie Baltasar Graci‚n424 Probleme des Überlebens bei Hofe und des Erfolges in der Hofgesellschaft weitgehend von der Frage der eigenen Tugendhaftigkeit ab. Andererseits bringt die Figur des honnÞte homme wie beispielsweise beim Chevalier de M¦r¦ die Frage eigener Vollkommenheit wieder in Texten zur Sprache, in denen es um Freundschaft geht. Allerdings geht es jetzt um honnÞtet¦, nicht um vertu: der honnÞte homme zeichnet sich zwar auch durch moralische Qualitäten aus, aber ebenso sehr, wenn nicht noch mehr durch Fähigkeiten, die ihn zu höfischer Geselligkeit befähigen. Auch im Adel des 17. Jahrhunderts gibt es also durchaus die Vorstellung, dass die Qualitäten der Freunde bei ihrer Auswahl eine Rolle spielen; nur sind diese Qualitäten anders als in der philosophischen Tradition der Antike nicht nur ethisch-moralische Qualitäten, sondern spezifisch höfisch-aristokratische. Sie haben nicht nur eine ethische, sondern auch eine ästhetische Dimension. Mitunter finden sich in den Selbstzeugnissen Aussagen, die ein unbekümmertes Verhältnis zum Nutzen in der Freundschaft ausdrücken, das dem heutigen Betrachter frivol vorkommt. Als Bussy-Rabutin 1652 erfährt, dass sein Freund Palluau lebensgefährlich erkrankt ist, sucht er Mazarin auf, um ihn für den Fall des Todes seines Freundes um dessen Amtsnachfolge zu bitten: »Deux jours aprÀs, il [sc. Mazarin] revint — Sedan, o¾ il reÅut la nouvelle de la rechute du comte de Palluau et de son extr¦mit¦. Il me l’apprit; et sur cela je lui dis que si mon ami e˜t eu des enfants je n’aurois pas song¦ — profiter de ses d¦pouilles — leur pr¦judice; mais que n’ayant point d’h¦ritier connu, je suppliois trÀs-humblement son Eminence de me faire obtenir sa charge de mestre de camp g¦n¦ral de la cavalerie l¦gÀre en cas de mort, et de prendre ma lieutenance de roi dont il r¦compenseroit quelqu’un. Il m’en donna sa parole et me renvoya — la cour avec mille assurances de la continuation de son amiti¦, en me disant que je lui serois plus n¦cessaire l— qu’auprÀs de lui.«425

Mazarin findet diesen Vorschlag ebenso wenig frivol wie Bussy-Rabutin, sonst würde er nicht darauf eingehen. Dass eine solche Vorgehensweise die Zeitgenossen nicht schockiert, zeigt sich daran, dass Bussy-Rabutin sie von sich aus in seinen Memoiren berichtet.

424 Balthasar Graci‚n, Handorakel und Kunst der Weltklugheit, hg. von Arthur Hübscher, Stuttgart 1954. 425 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 338.

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II.2.8. Emotionalität und Loyalität Fragt man nach Gefühlen in Freundschaften und nach ihrem möglichen Ausdruck in Selbstzeugnissen, so ist die Lektüre von Korrespondenzen aus dem grand siÀcle in dieser Hinsicht zunächst eher ernüchternd: in Briefen, in denen von »amiti¦« die Rede ist, steht ebenso viel oder vielmehr ebenso wenig Persönliches wie in anderen Briefen. Dieser Befund zeigt offensichtlich einen grundlegenden Unterschied zwischen frühneuzeitlichem und modernem Freundschaftsdiskurs an. Freundschaft in der Frühen Neuzeit verlangt keine »self-disclosure«. Nun wird Gefühl zwar in den Quellen immer wieder betont, die Aussagen darüber bleiben aber eindimensional: es ist die Intensität des Gefühls, die in immer neuen Formulierungen unterstrichen wird. Was sich dagegen nicht findet, sind Differenzierungen dieses Gefühls. Man teilt dem Freund keine Schwankungen der Gefühle mit, die man für ihn hegt. Das ist konsistent mit der These Andreas Schinkels, dass erst die Romantik Freundschaft nicht mehr als Zustand, sondern als Prozess begreift.426 Ebenso fehlen Äußerungen über Zweifel, Ängste, Obsessionen, also all das, womit die Romantiker die Rückhaltlosigkeit ihrer Selbstoffenbarung gegenüber dem Freund unterstreichen und zur Schau stellen. Eine konsistente Deutung dieser Befunde ergibt sich, wenn man die Aussagen über Gefühle anders interpretiert als bei den Romantikern üblich. Wenn es nicht um Selbstoffenbarung geht, dann sind die frühneuzeitlichen Gefühlsäußerungen auch nicht als Beschreibungen des eigenen Seelenzustandes aufzufassen. Sie sind vielmehr ein Versuch, Loyalität mitzuteilen – ob aufrichtig gemeinte oder geheuchelte Loyalität, ist dann eine andere Frage. In Abwandlung der systemtheoretischen Aussagen über Liebe und Freundschaft könnte man formulieren, dass frühneuzeitliche Adelsfreundschaft gerade nicht Codierung von Intimität, sondern Codierung von Loyalität ist. Cond¦ versichert Guitaut einmal, er hege für ihn »toute l’estime, la tendresse et l’amiti¦ que vous m¦ritez.«427 Sieht man Freundschaft als zentriert auf Loyalität, wird diese Figur der Freundschaft, die man verdient hat, verständlicher. Loyalität kann verdient werden, und zwar gerade durch Loyalität: auf wen selbst Verlass ist, der darf vom Freund Verlässlichkeit einfordern. Hier kommt bereits die Rhetorik der Verpflichtung ins Spiel: es erwachsen nicht nur aus der Freundschaft Verpflichtungen zu Wohltaten, sondern auch umgekehrt aus dem loyalen Dienst eine Verpflichtung zur Freundschaft. Für diese Sichtweise spricht auch, dass in Selbstzeugnissen als Prüfstein für Freundschaft oftmals die Unterstützung der Interessen des Freundes angeführt 426 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 395 – 396. 427 Archives de Chantilly, O I 172, Cond¦ an Guitaut, 30. September 1656.

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wird. So etwa bei Coste in einem Absatz, der in der Randnotiz den Titel »Profonde dissimulation de Mazarin« trägt. Der Kardinal empfängt Cond¦, dessen Verhaftung unmittelbar bevorsteht; es ist der 18. Januar 1650: »Il [sc. Cond¦] sortit le matin pour aller voir le Cardinal, qu’il trouva dans sa chambre avec le Marquis de Lionne, qui y ¦crivoit les ordres pour l’arrÞter avec son FrÀre et son Beau-frÀre. Le Cardinal, sans faire semblant de rien, le reÅut avec des t¦moignages d’une sincÀre amiti¦, & le Prince s’¦tant plaint — lui des bruits qui couroient qu’il ne songeoit qu’— le perdre, Mazarin l’assura que jamais il n’avoit eu la moindre pens¦e de lui nuire, & lui fit mille protestations de service, & d’un attachement inviolable — ses int¦rÞts. Cependant le Marquis de Lionne continuoit d’¦crire l’ordre pour l’arrÞter. Le Prince rassur¦ par tous ces beaux semblans d’amiti¦, donna dans tous les piÀges qu’on vouloit lui tendre.«428

Als schändlich gilt hier also die Diskrepanz zwischen geheuchelter Loyalität und bereits vorbereitetem Verrat, nicht etwa falsche Aussagen Mazarins über seine Empfindungen. Die skizzierte Interpretation bietet auch den Vorteil, dass sie die zunächst paradox scheinenden Fälle von angeordneter respektive durch fürstliches Veto verbotener Freundschaft erklären kann. Der Herrscher oder Patron ordnet in solchen Fällen natürlich nicht Seelenzustände an – wie sollte das auch möglich sein? Vielmehr geht es im Fall der angeordneten Freundschaft darum, zwei Personen im Interesse von Herrscher oder Patron zur loyalen Zusammenarbeit anzuhalten, im Falle der verbotenen Freundschaft um den Versuch, eine Parteibildung zu verhindern oder zumindest zum Ausdruck zu bringen, dass sie unerwünscht ist.

II.2.9. Verpflichtung und Reziprozität Die Loyalität, auf die in den Quellen immer wieder abgehoben wird, bedeutet nicht nur eine Wahl im Konfliktfall, der zwar häufig, aber nicht unbedingt alltäglich ist. Sie bedeutet auch eine Treue zum gegebenen Wort und somit die Einhaltung von Verpflichtungen. Daher ist ein Gesichtspunkt, der in frühneuzeitlichen Korrespondenzen eine wichtige Stellung einnimmt, die Frage der Verpflichtung, der aus Freundschaftsdiensten hervorgehenden Dankesschuld gegenüber dem Freund. Die philosophische Tradition geht unterschiedlich mit diesem Problem um. Bei Aristoteles und Montaigne handelt es sich um ein zweitrangiges Problem. Bei Aristoteles ist dies deshalb so, weil auf der einen Seite die Nutzenfreundschaft keine wahre Freundschaft ist, und weil auf der anderen Seite die Tugend428 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 156.

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freundschaft in der gegenseitigen Selbstverbesserung ihren Kern hat – ob dann, als Akzidens, noch ein materieller Nutzen aus ihr hervorgeht, ist weniger wichtig. Bei Montaigne wird das Problem so gelöst, dass in seiner Freundschaftskonzeption die beiden Freunde so radikal eins sind, dass man »die Naht zwischen den beiden Seelen nicht mehr sieht«.429 Wenn aber, so folgert Montaigne weiter, die Grenze zwischen Ich und Du kollabiert, dann hat es auch keinen Sinn mehr, nach Reziprozität zu fragen: was man für den Freund tut, tut man für sich selbst, und von Seiten des Freundes gilt dasselbe. Diese Konzeptionen haben mit der Lebenswelt des Adels im 17. Jahrhundert wenig zu tun. Dabei geht es nicht einfach um Ideen auf der einen, soziale Praxis auf der anderen Seite. Die Verpflichtungs- und Reziprozitätsidee ist vielleicht einer der Punkte, wo der humanistisch-gelehrte Diskurs der Traktate und der Alltagsdiskurs der Selbstzeugnisse am schärfsten auseinanderfallen. In den Selbstzeugnissen wird immer wieder betont, dass man sich an die Verpflichtungen aus geleisteten Freundschaftsdiensten erinnert.430 Dies wiederum hängt mit aristokratischen Normen zusammen: wenn Adlige Leistungen austauschen, muss zwischen Gabe und Gegengabe eine zeitliche Verzögerung liegen; andernfalls würde es sich um ein Geschäft handeln.431 In diesem Fall müsste mindestens einer der Partner den Eindruck haben, er werde für seine Leistung bezahlt oder in einer der Bezahlung analogen Weise entlohnt; das aber ist mit adliger Ehre nicht zu vereinbaren.432 Daraus aber entsteht Unsicherheit darüber, ob die Gegengabe tatsächlich erfolgen wird. Diese Unsicherheit wird durch die Beteuerungen der eigenen Verpflichtung überbrückt. Die Adligen bedienen sich dazu einer speziellen Rhetorik der Verpflichtung.433 Dabei neigt man zur

429 Montaigne, Essais, hg. von Jean C¦ard, op. cit., Bd. 1 (I, 28 »De l’amiti¦«), 330: »En l’amiti¦ de quoi je parle, elles [sc. les –mes] se mÞlent et confondent l’une en l’autre, d’un m¦lange si universel, qu’elles effacent, et ne retrouvent plus la couture qui les a jointes.« 430 Zu der Frage, welche Leistungen unter Freunden ausgetauscht werden cf. infra, Freundschaftsdienste. 431 Zum Gabentausch cf. Mauss, Die Gabe, op. cit.; zum Gabentausch speziell im Frankreich des 16. Jahrhunderts cf. Natalie Zemon Davis, Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance, München 2002. 432 Speziell für den Kontext der Diplomatie, aber ausweitbar auf andere adlige Kontexte ist diese Problematik erläutert bei Barbara Stollberg-Rilinger, Zur moralischen Ökonomie des Schenkens bei Hof (17.–18. Jahrhundert), in: Paravicini (Hg.), Luxus und Integration, op. cit., 187 – 202. Ich danke Barbara Stollberg-Rilinger für die Möglichkeit, das Manuskript bereits vor der Publikation des Bandes einsehen zu dürfen. Eine vertiefende Studie zu den Diplomatengeschenken ist Jeannette Falcke, Studien zum diplomatischen Geschenkwesen am brandenburg-preußischen Hof im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2006 (Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 31). 433 Zum spezifischen Vokabular der Rhetorik der Verpflichtung cf. infra, Sprache der Freundschaft.

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Übertreibung der Leistungen des anderen und zur Betonung der Unmöglichkeit, die eigene Dankesschuld jemals abzutragen.

II.2.10. »Wahre« und »falsche« Freunde Resümiert man die oben skizzierten Problematiken, stellen sich also zwei Fragen: Ist die Loyalität des Freundes echt oder geheuchelt? Und wird er die Versprechen, die er abgibt, auch einhalten? Dies führt auf eine Frage, die die Autoren der Hofmannstraktate und ihre Zeitgenossen sehr bewegt: die Frage nach den »wahren« und den »falschen« Freunden. Ob jemand ein wahrer oder falscher Freund war, ist eine Frage, die letztlich wieder mit Fragen der normativen und der essentiellen Bestimmung von Freundschaft zusammenhängt. Damit taucht zwar die Gefahr des Anachronismus auf; ihr kann jedoch begegnet werden. Will man nach wahren und falschen Freunden fragen, so muss insbesondere vermieden werden, diese Frage im Horizont der heutigen Auffassungen von diesen beiden Begriffen zu stellen. Das gilt um so mehr, als man auf einem solchen Wege leicht in die Fragestellung hineingeraten kann, ob ein bestimmter Adliger nun ein wahrer oder falscher Freund gewesen sei; das aber hieße, in erster Linie Moralurteile über die Adligen zu fällen, anstatt zu versuchen, ihr Verhalten in Freundschaftsbeziehungen zu erklären. Vielmehr ist zunächst einmal danach zu fragen, welche Auffassungen von wahrer und falscher Freundschaft die Zeitgenossen hatten. Was als wahre und falsche Freundschaft gilt, ist zeit- und ortsabhängig. Eine Gesellschaft hat Standards, an denen sie die Echtheit der Freundschaft misst. Diese Standards sind aus den Selbstbeschreibungen der Gesellschaft zu entnehmen. Im vorliegenden Fall sind dazu neben den systematisch-traktatistischen Texten die Selbstzeugnisse der Adligen auf ihre Bilder vom wahren und falschen Freund hin zu befragen. Bilder des wahren Freundes findet man vor allem in zwei Situationen in den Selbstzeugnissen. Zum einen finden sich solche Bilder in der Selbststilisierung. Die Adligen sind natürlich bemüht, ihr eigenes Verhalten gegenüber ihren Freunden positiv darzustellen; wo sie eigenes Verhalten gegenüber Freunden beschreiben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, auf Topoi des idealen Freundes zu stoßen. Auf der anderen Seite finden sich diese Bilder in den Elogen auf die Freunde. Diese Elogen finden sich in Memoiren – oftmals dann, wenn im chronologischen Ablauf der Memoiren der Tod des Freundes beschrieben wird. Die Freundschaftsforschung hat herausgearbeitet, dass der Tod des Freundes

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einer der klassischen Anlässe ist, über die Freundschaft zu erzählen.434 Daneben können auch andere Genres solche Elogen enthalten. Elogen auf Cond¦ als Freund finden sich sowohl bei Bergiers Beschreibung von Cond¦s Sterben435 als auch in Bossuets Grabrede für Cond¦.436 Was zeichnet nun den wahren Freund aus? Ein erster Punkt ist die Dauerhaftigkeit der Freundschaft. Häufig begegnet in Memoiren die Bemerkung, eine Freundschaft habe ein Leben lang gedauert – manchmal fällt diese Bemerkung im Zusammenhang mit dem Tod des Freundes, wo dann gesagt wird, die Freundschaft habe bis zu dessen Tod gedauert. Dies betont zum Beispiel Gourville, der sich im Brüsseler Exil nach einer Zeit des Abwartens und Sondierens der dortigen Gesellschaft schließlich zwei Familien auswählt, um mit ihnen eine enge Freundschaft zu schließen: »Les deux maisons que je choisis par pr¦f¦rence pour m’attacher d’une liaison particuliÀre furent celles de M. le prince d’Arenberg et de M. le comte d’Ursel, qui ¦tait un trÀs bon vivant. Sa femme avait aussi son m¦rite, et je puis dire que notre amiti¦ des uns et des autres a dur¦ jusqu’— la mort.«437

Wahre Freundschaft hat also eine Verbindung zum Tod. Sie ist zunächst einmal aus der christlichen Tradition erklärbar, die das Opfer des eigenen Lebens für den Freund zum höchsten aller Liebesbeweise erklärt: »Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.«438 Jacques Derrida hat den Bezug zwischen Freundschaft und Tod so gedeutet, dass in der Freundschaft immer schon antizipiert sei, dass einer der Freunde eines Tages den anderen überleben werde.439 Im frühneuzeitlichen Kontext ist dies nicht unbedingt falsch; im Rahmen des aristokratischen Loyalitätsdiskurses ist aber nicht nur die Tatsache wichtig, dass der Tod die Freundschaft beendet hat, sondern mindestens ebenso sehr, dass der Freund bis zum Lebensende die Freundschaft nie verraten hat. Insistiert wird also auf der Dauer der Freundschaft und darauf, dass sie nicht durch einen Bruch, sondern nur durch den Tod beendet wurde. Ein besonders deutliches Insistieren auf der Unverbrüchlichkeit der Freundestreue findet sich in einer Passage bei Beauvais-Nangis, wo er den Leichnam

434 Silvia Bovenschen, Vom Tanz der Gedanken und Gefühle, in: Dies., Schlimmer machen, schlimmer lachen, op. cit., 19 – 33, hier 26. 435 Bergier, De morte Ludovici Borbonii, op. cit., 260 – 273. 436 Jacques-B¦nigne Bossuet, Oraison funÀbre du prince de Cond¦, in: Ders., Oraisons funÀbres, hg. von Jacques Truchet, Paris 1988, 352 – 410, hier 383 – 384. 437 Gourville, M¦moires, op. cit., 151. 438 Joh. 15,13. 439 Cf. Derrida, Politik der Freundschaft, op. cit., 33 – 35.

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seines im Duell getöteten Freundes Dunes vor dessen Feinden rettet.440 Man kann das zwar als strategische Hilfe für die Hinterbliebenen Dunes’ deuten; es ist aber auch eine Deutung möglich, die die Tat nicht in erster Linie auf die Hinterbliebenen bezieht, sondern auf die Selbststilisierung des Autors: indem er die Treue zum Freund nicht mit dem Tod aufkündigt, sondern darüber hinaus bewahrt, inszeniert sich Beauvais-Nangis als außergewöhnlich treuer Freund, der durch die Übersteigerung der Freundespflichten aus dem Rahmen fällt. Ob sich diese Geschichte so tatsächlich ereignet hat oder ob sie erst Beauvais-Nangis in dem Text so dargestellt hat, den er über sein eigenes Leben schreibt, ist dabei zweitrangig; die Selbststilisierung kann auf jeden Fall konstatiert werden. Der wahre Freund zeichnet sich auch durch Aufrichtigkeit aus.441 So betont Boileau in seiner Art po¦tique, der wahre Freund werde schlechte Gedichte nicht loben, sondern scharf kritisieren, damit sie verbessert werden können.442 Hier wird die alte Diskurstradition wieder aufgenommen, die den wahren Freund vom Schmeichler unterscheidet. Der wahre Freund ist schließlich auch der, der seine Verpflichtungen einhält, d. h. derjenige, auf den insbesondere in Zeiten der Not Verlass ist – eine Konzeption, die in mehreren europäischen Sprachen bis heute in Sprichwörtern bewahrt ist: »A friend in need is a friend indeed«, »Freunde in der Not, gehn tausend auf ein Lot«, »Amiti¦ dans la peine, amiti¦ certaine«, »En la necesidad se conoce la amistad«, »Chi sta fermo in casi avversi, buon amico À da tenersi«. Die Figur des verlässlichen als des wahren Freundes lässt sich bereits auf die Bibel zurückführen; in der vom gegenreformatorischen Katholizismus geprägten Kultur des französischen Adels des 17. Jahrhunderts ist sie eine wichtige Quelle von Leitvorstellungen. Im Buch Jesus Sirach gibt es eine längere Passage über wahre und falsche Freunde: »Mancher ist Freund je nach der Zeit, am Tag der Not hält er nicht stand. Mancher Freund wird zum Feind, unter Schmähungen deckt er den Streit mit dir auf. Mancher ist Freund als Gast am Tisch, am Tag des Unheils ist er nicht zu finden. In deinem Glück ist er eins mit dir, in deinem Unglück trennt er sich von dir. Trifft dich ein Unglück, wendet er sich gegen dich und hält sich vor dir verborgen. Von deinen Feinden halte dich fern, vor deinen Freunden sei auf der Hut! Ein treuer Freund ist wie ein festes Zelt; wer einen solchen findet, hat einen Schatz gefunden.«443 440 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 114; ausführlicher zu dieser Stelle cf. infra, Praktiken der Freundschaft. 441 Zur Aufrichtigkeit Claudia Benthien (Hg.), Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jahrhundert, Tübingen 2006 (Frühe Neuzeit 114); aus literaturwissenschaftlicher Perspektive Achim Geisenhanslüke, Masken des Selbst. Aufrichtigkeit und Verstellung in der europäischen Literatur, Darmstadt 2006. 442 Nicolas Boileau, Art po¦tique, in: Ders., Satires, Ep„tres, Art po¦tique, hg. von Jean-Pierre Collinet, Paris 1985, 225 – 258, hier 232. 443 Sir 6, 8 – 14.

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Bilder des falschen Freundes findet man vor allem bei der Beschreibung von Feinden des Autors bzw. des Protagonisten. Eine sehr ergiebige Quelle ist in dieser Hinsicht die »Histoire du prince de Cond¦« von Pierre Coste,444 in der Mazarin geradezu lehrbuchartig alle Verhaltensweisen aufweist, die einem falschen Freund eignen. Der Kardinal, so Coste, erweist sich als undankbar : er vergisst Cond¦s Freundschaftsdienste. Dabei ist besonders verwerflich, dass er dies nicht aus Nachlässigkeit tut, sondern weil er nicht willens ist, die aus seiner Dankesschuld erwachsenden Verpflichtungen zu erfüllen: »En effet, le Cardinal oubliant bientút les services que le Prince de Cond¦ venoit de lui rendre, ne songea qu’— le perdre, pour se d¦livrer du joug de ses obligations, qui lui devenoit tous les jours plus insupportable.«445 Die Echtheit der Freundschaft wird hier also daran gemessen, ob jemand seine Verpflichtungen einhält. Der falsche Freund ist auch der, der ein doppeltes Spiel spielt. Mazarin warnt Cond¦ vor einem Attentatsversuch (den er, wie Coste unterschwellig insinuiert, selbst eingefädelt hat): »AprÀs l’avis que le Prince avoit reÅu du Cardinal, il ne douta plus que ce coup ne v„nt des Frondeurs. A l’instant il alla demander justice au Roi & — la Reine contre eux. Le Cardinal se surpassa lui-mÞme en cette occasion. Il parut touch¦ de cet accident, il s’emporta contre les auteurs d’un si horrible complot, & embrassa les int¦rÞts du Prince de Cond¦ avec tant de chaleur, qu’il sembloit avoir plus — cœur cette affaire que les plus proches parens, & les amis les plus passionn¦s de ce Prince. Tous ces empressemens du Cardinal pass¦rent dans l’esprit du Prince pour de v¦ritables marques d’amiti¦, & lui persuadÀrent sans peine que ce Ministre ¦toit sincÀrement attach¦ — ses int¦rÞts.«446

Mazarin wird hier deutlich als falscher Freund dargestellt: er gibt die marques d’amiti¦ in der Absicht, sein Gegenüber in Sicherheit zu wiegen und dann zu überrumpeln. Interessanterweise ist nicht davon die Rede, dass Cond¦ sich eingebildet hätte, dass der Kardinal etwa freundschaftliche Gefühle für ihn hegte, sondern vielmehr, dass der Kardinal seine, Cond¦s, Interessen verteidigen würde. Der falsche Freund ist auch der, der schlicht und einfach lügt. Bei Coste gibt es einen Absatz mit dem bezeichnenden Titel »Profonde dissimulation de Mazarin«, der bereits weiter oben erwähnt wurde.447 Es ist der 18. Januar 1650: Cond¦ kommt zu Mazarin und befragt ihn nach Gerüchten, wonach der Kardinal ihm schaden wolle. Dieser beteuert seine Freundschaft und führt so den Prinzen 444 445 446 447

Cf. Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit. Ebd., 143 – 144. – Coste beschreibt hier die Situation im Jahre 1649. Ebd., 150. Ebd., 156.

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hinters Licht – denn während der ganzen Unterhaltung sitzt der Marquis de Lionne im Raum und schreibt die Verhaftungsbefehle für die Prinzen. Dass Lionne den Haftbefehl tatsächlich in Cond¦s Anwesenheit schreibt, darf getrost als Strategie der Dramatisierung verbucht werden; es kommt darauf an, dass Mazarin sich hier als falscher Freund erweist, indem er die Freundschaft noch einmal ausdrücklich beteuert, während er schon entschlossen ist, sie zu brechen – und damit den Verrat noch schlimmer macht, als wenn er die Prinzen einfach ohne Vorwarnung hätte verhaften lassen.

II.2.11. Intensität der Freundschaft Noch radikaler als bei der Frage nach wahren und falschen Freunden ist man hinsichtlich der Intensität der Freundschaft auf die Aussagen der Beteiligten angewiesen. Quantifizierende Aussagen können allenfalls Indizien liefern, aber auch zu Fehlschlüssen führen. Dies gilt insbesondere für die a priori nahe liegende Vermutung, die Häufigkeit der Korrespondenz entspreche einer größeren Intensität der Freundschaft. Gourville nennt sich in seinen ganzen Memoiren nicht ein einziges Mal einen Freund des Prinzen von Cond¦; dennoch korrespondiert er weitaus häufiger mit dem Prinzen als viele, in deren Korrespondenz der Begriff der Freundschaft vorkommt. Er korrespondiert überdies oft mit Henri Jules, dem Herzog von Enghien. Die Lösung ist einfach: Gourville ist Cond¦s Finanzintendant, in vielen Briefen geht es schlicht um Finanzangelegenheiten.448 Aber selbst wenn man solche Fälle ausschließt: die Häufigkeit der Korrespondenz ist zunächst einmal eine Funktion der geographischen Distanz. Es kann daher von den Beteiligten als eng empfundene Freundschaften geben, die kaum Korrespondenz hinterlassen haben, weil die Beteiligten die meiste Zeit am selben Ort lebten. Solche Beziehungen sind dann nur über narrative Quellen greifbar – seien es Selbstzeugnisse der Beteiligten oder Texte von Dritten. Darüber hinaus hat in der nach Rängen gestuften Gesellschaft des Ancien R¦gime nicht jeder Brief den gleichen Stellenwert. Ein königlicher Brief, gar ein von eigener Hand geschriebener, hat ein enormes Gewicht; dieses Gewicht würde vermindert, wenn jemand solche Briefe jede Woche erhielte. Die Verknappung bestimmter Kommunikationsformen steigert ihre Bedeutung. Auch aus solchen Gründen ist es ein Fehlschluss, aus der Häufigkeit der Briefe die Intensität der Freundschaft abzuleiten.

448 So beispielsweise in einem langen Brief Gourvilles an Enghien, Archives de Chantilly, P XXXVIII 122, M. de Gourville an den Herzog von Enghien, 5. September 1670.

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II.2.12. Gruppenfreundschaften Die meisten Fundstellen in den hier untersuchten Quellen, die auf Freundschaft verweisen, meinen dabei eine Freundschaft zwischen zwei Individuen. Es gibt aber auch die Idee einer Freundschaft in Gruppen. Damit ist nicht das Phänomen gemeint, dass die Freundschaft zwischen zwei Individuen zu einer Freundschaft zwischen ihren jeweiligen Familien werden oder umgekehrt aus dieser hervorgehen kann;449 es geht vielmehr um Gruppen, die sich aus Individuen zusammensetzen und die durch Freundschaft zusammengehalten werden. Zwei Erscheinungsformen sollen hier herausgehoben werden: zum einen Faktionen, zum anderen Adelsbünde. Dabei sind erstere vorwiegend am Hof, letztere eher fern von ihm zu finden; beide nähern sich auch je einer spezifischen Form der Subversion an, nämlich die Faktion der Intrige, der Adelsbund der Revolte. Höfische Faktionen werden im Frühneufranzösischen als cabales bezeichnet. Es verdient herausgehoben zu werden, dass mit diesem Namen die Unterstellung eines Komplotts nicht direkt verbunden ist; dass im Deutschen der Begriff »Kabale« synonym für Intrige geworden ist, zeigt jedoch die enge Vernetzung der Phänomene. Bei Madame de Motteville wird eine um Anne d’Autriche zentrierte »cabale de la Reine« erwähnt, die Richelieu auf die Weise behandelt wie »ceux qu’il ne croyoit pas Þtre de ses amis.«450 Hier ist also die Anführerin der Kabale eine Frau, wenn auch zugegebenermaßen die Regentin, also kein einfaches weibliches Mitglied der höfischen Adelsgesellschaft. Allerdings ist die Rolle der cabales451 in den Selbstzeugnissen eher schwach ausgeprägt. In vielen Texten kommen sie gar nicht vor. Sie sind keine Organisationen, die über Jahre hinweg mit fester Mitgliederstruktur bestehen würden oder gar regelmäßige Versammlungen abhielten. Man darf sie sich wohl eher als Gruppen denken, die sich für eine Weile um eine mächtige Person herum bilden. Das Gesamtbild, wonach am Hof situative Allianzen gegenüber festgefügten Netzwerken dominieren, stellen sie nicht in Frage. Ganz anders stellt sich die andere Erscheinungsform adliger Gruppenfreundschaft dar, die Adelsbünde. Sie sind Männerbünde, während höfische cabales durchaus Männer und Frauen umfassen können. Der Grund ist einfach: 449 Eine Gegenposition vertritt Maurice Aymard, der die Freundschaft zwischen Familien als grundsätzlich derjenigen zwischen Individuen übergeordnet und vorausgehend sieht, cf. Aymard, Amiti¦ et convivialit¦, op.. cit., 460. Aymard hat dabei allerdings nicht den Adel, sondern die Gesamtgesellschaft im Blick; er urteilt: »Elle [sc. l’amiti¦] engage les familles entiÀres plus encore que des personnes, et les secondes — travers les premiÀres.« 450 Madame de Motteville, M¦moires, op. cit., 30. 451 Zu den cabales cf. Emmanuel Le Roy Ladurie, Saint-Simon ou le systÀme de la Cour, op. cit.

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Es handelt sich nicht wie bei den Kabalen um Bündnisse zur Beeinflussung politischer Entscheidungen, sondern um im Kern militärische Bündnisse. Die eigentliche raison d’Þtre des Bundes ist die gemeinsame Selbstverteidigung. Geschlossen wird der Bund, indem sich die Adligen unter Eid Treue und gegenseitigen Beistand versprechen. Dabei wird ein »acte d’union« von allen Teilnehmern der Adelsversammlung unterzeichnet. Noch während der Fronde lebt diese aus dem Mittelalter stammende Form der beschworenen Gemeinschaft von Freunden wieder auf.452 Dass nur männliche Schwertadlige Mitglieder solcher Bünde sind, versteht sich aufgrund der militärischen Komponente von selbst. Anders also als die cabales sind diese Bünde auf Dauer gestellte, institutionalisierte Gruppen mit fester Mitgliederstruktur, in die man durch bestimmte, ritualisierte Aufnahmepraktiken initiiert wird. Sie kommen am Hof selbst aber nicht vor, sondern bilden sich vielmehr in hoffernen Gegenden. In der Fronde sind sie ein Krisenphänomen, in Friedenszeiten sind sie in der höfischen Gesellschaft nicht vorgesehen.

II.2.13. Konflikte in Freundschaften Die Konflikte zwischen Freunden in einem Kapitel über Ideen abzuhandeln, mag zunächst verwundern; scheinen doch Konflikte gerade nicht dem Reich der Gedanken, sondern der handfesten Machtpolitik anzugehören. Es hängt jedoch von der Konzeption der Freundschaft ab, welche Ursachen Anlass zu Konflikten zwischen Freunden geben. Unter adligen Männern im grand siÀcle entstehen Konflikte zwischen Freunden unter anderem aus Konkurrenz um Ämter, aus Präzedenzstreitigkeiten, aus den »affaires amoureuses«, aus echten oder vermeintlichen Beleidigungen und nicht zuletzt aus dem Vorwurf – sei er berechtigt oder nicht – die Freundschaft verraten zu haben. An Konflikten können Freundschaften zerbrechen; die Adelsgesellschaft besitzt allerdings auch Mechanismen zur Schlichtung von Konflikten und zur Wiederherstellung von Freundschaften.453 Konkurrenz ist ein Grundelement der Adelsgesellschaft; daher ist der Erfolg eines Adligen eine Belastungsprobe für seine Freundschaften, da er bei seinen Freunden Neid hervorrufen kann. So berichtet Beauvais-Nangis, wie eine Beförderung seines Vaters den Neid von dessen Freunden hervorruft: »La paix se fit et vostre grand-pÀre prit possession du r¦giment des gardes, ce qui luy causa 452 Constant, L’amiti¦: le moteur de la mobilisation politique dans la noblesse de la premiÀre moiti¦ du XVIIe siÀcle, op. cit., 605. 453 Cf. infra, Praktiken der Freundschaft.

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l’envie de tous ses meilleurs amys.«454 Den Zeitgenossen ist diese Gefahr für die Freundschaft bewusst; Madame de Motteville spricht von »l’ambition, qui l’emporte presque toujours sur l’amiti¦«.455 Wenn von zwei vormals mehr oder weniger gleichrangigen Freunden einer seinen Aufstieg zu nutzen versucht, um die Freundschaft in eine klar hierarchische Beziehung umzuwandeln, kann das zu ihrem Zerbrechen führen. Beauvais-Nangis berichtet, wie die steile Karriere seines Freundes, des mar¦chal de Vitry, einen Keil zwischen sie treibt: »Le mareschal de Vitry, avec quy j’avoys vescu comme frÀre, se voyant eslev¦ pardessus moy, me voulust traiter de petit gentilhomme de campagne«.456 Wie Beauvais-Nangis weiter berichtet, zerbricht die Freundschaft an diesem Konflikt. Zumindest Beauvais-Nangis’ Wahrnehmung zufolge ist es in diesem Beispiel also nicht der Neid des Unterlegenen, sondern vielmehr die Arroganz des Überlegenen, die die Freundschaft zerstört. Als Vitry 1618 in Ungnade fällt, vermeidet Beauvais-Nangis es, ihn zu besuchen, obwohl er auf einer Reise an seinem Wohnort vorbeikommt – ein deutliches Zeichen der zerbrochenen Freundschaft, denn ein solches Verhalten kann als Geste der Missachtung gedeutet werden.457 Dieser dauernde Bruch der Freundschaft ist um so bemerkenswerter, als auf der Ebene zugeschriebener Beziehungen eine »proximit¦« zwischen Beauvais-Nangis und Vitry besteht, denn sie sind Vettern zweiten Grades. Somit ist die Beziehung zwischen ihnen eine multiple, sie kombiniert Verwandtschaft und Freundschaft. Dennoch ist die Kränkung, die BeauvaisNangis durch die Forderung Vitrys nach unterwürfigem Verhalten empfindet, so groß, dass eine Wiederherstellung der Beziehung nicht mehr versucht wird; erst Jahre später versöhnen sie sich. Am Ende seiner Memoiren erhebt BeauvaisNangis – unter deutlicher Selbststilisierung – solche Streitigkeiten um die Erhaltung der Ranggleichheit sogar zur Konfliktursache in engen Freundschaften schlechthin, als er von seinen engen Freunden berichtet: »s’il y a eü quelque refroidissement d’amiti¦ entre eux et moy, le d¦faut est venu de leur part, et non de la mienne, car s’estant veüs plus eslev¦s de la fortune que moy, ils ont voulu changer de faÅon de vivre avec moy, et je ne l’ay peü souffrir.«458 Rivalität um Ämter und Auszeichnungen, eine konkrete Ausformung der Konkurrenz, kann besonders zerstörerisch auf Freundschaften wirken. Beauvais-Nangis berichtet, wie sein Vater und der mar¦chal d’Aumont um eine 454 455 456 457

Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 23. Madame de Motteville, M¦moires, op. cit., 30. Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 153. Ebd., 156: »Je partis de Nangis avec feu mon frere, et passay dans ce village sans luy faire de recommandations, car je vivois froidement avec luy depuys qu’il avoit voulu faire l’entendu avec moy, et qu’il s’estoit imagin¦ que pour estre mareschal de France, je devois luy rendre beaucoup plus d’honneur qu’auparavant.« 458 Ebd., 246.

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Charge als Admiral rivalisieren, bis Aumont sie erhält, woran ihre Freundschaft zerbricht – und dies, obwohl sie durch eine Heiratsallianz verstärkt war.459 Als Beauvais-Nangis 1628 auf einem Feldzug erfährt, dass Henri II de Cond¦ ihn als mar¦chal de camp durch Monsieur de Montferrand ersetzt hat, quittiert er kurzerhand den Dienst beim Prinzen; als Begründung führt er an, er sehe sich außerstande, sich deutlich seinem Freund untergeordnet zu sehen: »car je ne pouvois plus entrer dans le conseil pour seoir au-dessous dudict sieur de Montferrand, lequel, quoyqu’il fust fort mon amy, je ne pouvois souffrir que Mgr le Prince l’eut pr¦fer¦ — moy.«460 Eine weitere Konkretisierung der Konkurrenz sind Präzedenzstreitigkeiten. Als der Bischof von LuÅon, der spätere Kardinal Richelieu, 1617 zum Staatssekretär ernannt wird, fordert er eine schriftliche Zusicherung der Präzedenz gegenüber Brienne, seinem Freund und Amtskollegen; als dieser dies nicht akzeptieren will, greift ihn der Bischof in Gegenwart der Königin an, wie Brienne selbst berichtet: »Celui-ci [sc. Richelieu] oublia pour lors ce qu’il m’avoit souvent protest¦, qu’il vouloit Þtre de mes amis, et l’exp¦rience qu’il avoit faite de ma bonne foi en m’adressant les lettres qu’il ¦crivit — la Reine pendant le voyage de Guienne; car il me dit, d’un ton fier, qu’il avoit longtemps qu’il savoit que plusieurs personnes (et moi particuliÀrement) qui approchoient de celle du Roi, avoient peu de consid¦ration pour l’Eglise.«461

Auch beim Bruch von Freundschaften462 gilt, dass er in erheblichem Maße von Ideen über Freundschaft abhängt. Was die zentrale Erwartung an einen Freund in einer gegebenen Gesellschaft ist, bestimmt auch, welche Verfehlungen eines Freundes lässlich und welche unverzeihlich sind. Smith nennt als eine häufige Ursache des Zerbrechens von Patron-Klient-Beziehungen reale oder vorgestellte Beleidigungen, unzureichende Beachtung, Unaufmerksamkeiten, die als Respektlosigkeiten gedeutet werden konnten.463 Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies nur bei Freundschaften zwischen rangmäßig Ungleichen der Fall sein muss. Des weiteren kann der Vorwurf, den Freund hintergangen zu haben, ein Grund für den Bruch der Freundschaft sein. So im Falle des Grand Cond¦, der 459 Ebd., 48: »Le roy le dit — vostre grand-pÀre, lequel ne fut jamays depuis son amy, car auparavant il ne croyoit pas avoir un meilleur amy au monde, et il avoit espous¦ une niÀce de sa femme.« 460 Ebd., 206 – 207. 461 Henri-Auguste de Lom¦nie, comte de Brienne, M¦moires contenant les ¦vÀnements les plus remarquables du rÀgne de Louis XIII et de celui de Louis XIV jusqu’— la mort du cardinal Mazarin, compos¦s pour l’instruction de ses enfants, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle Collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 3/3, Paris 1838, V-172, hier 11. 462 Zu den Modalitäten, eine Freundschaft zu beenden, cf. infra, Praktiken der Freundschaft. 463 Smith, No More Language Games, op. cit., 1433.

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während der Fronde Geheimverhandlungen mit der Princesse Palatine führt und dabei fürchtet, dass seine Freunde von ihnen erfahren könnten; die Tatsache, dass er sie nicht einbezogen hat, wäre, so La Rochefoucauld, »un juste pr¦texte au duc de Bouillon et — M. de Turenne de quitter ses int¦rÞts.«464

II.2.14. Loyalitätskonflikte und Dilemmata der Freundschaft Konflikte entstehen nicht nur zwischen Freunden, also innerhalb einer Freundschaft; es gibt auch Fälle, in denen die Freundschaft mit einer anderen Loyalität in Konflikt gerät. Dabei können wiederum zwei Fälle unterschieden werden: Loyalitätskonflikt soll ein Konflikt heißen, in dem die Freundschaft in Gegensatz gerät zu einer konkurrierenden Loyalität, wie derjenigen zum Monarchen oder zur Religion; Dilemma der Freundschaft soll ein Konflikt heißen, indem die betroffene Person eine von zwei Freundschaften brechen muss, um die andere aufrechterhalten zu können. Hier wird noch einmal deutlich, dass solche Konflikte entscheidend ideen- und mentalitätsgeschichtlich mitgeprägt sind: es geht um die Hierarchie von Normen, wenn diese in Konflikt geraten. Drei wichtige Formen von Loyalitätskonflikten kommen in den untersuchten Quellen vor. Die Konflikte zwischen Freundschaft und konfessioneller Loyalität spielen im 17. Jahrhundert, nach dem Ende der Religionskriege, eine wesentlich geringere Rolle als im 16. Jahrhundert. Es bleiben die Konflikte zwischen verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Loyalität sowie zwischen Königs- und Freundestreue. Freundschaft kann mit verwandtschaftlichen Loyalitäten in Konflikt geraten. Schomberg ist Beauvais-Nangis’ Freund und zugleich (über eine Cousine) sein angeheirateter Verwandter ; er lässt jedoch Beauvais-Nangis ein Kommando entziehen und gibt es seinem Neffen, dem comte du Lude, der wesentlich jünger ist als Beauvais-Nangis, worauf sich Beauvais-Nangis über ihn beklagt. Der Herzog von Elbeuf465 spricht Beauvais-Nangis auf diese Angelegenheit an und setzt ihm auseinander, dass die Bevorzugung des eigenen Neffen normal sei; Beauvais-Nangis differenziert: »je luy dics que si le comte du Lude et moy eussions pr¦tendu une mesme charge, je n’eusse pas trouv¦ estrange qu’il l’eust pr¦fer¦ — moy, mays de m’oster un commandement en l’aage o¾ j’estoys pour le 464 FranÅois de La Rochefoucauld, M¦moires, 142, in: idem, Œuvres complÀtes, hg. von L. Martin-Chauffier, Paris 21964, 39 – 213, hier 142. 465 Charles II de Guise-Lorraine, duc d’Elbeuf (1595 – 1657). Die Elbeuf sind eine der verschiedenen Linien des Hauses Guise. Zu den verschiedenen Linien der Guise im Frankreich des 17. Jahrhunderts Jonathan Spangler, The Society of Princes. The Lorraine-Guise and the Conservation of Power and Wealth in Seventeenth-Century France, Farnham/Burlington, VT 2009.

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faire donner — un jeune homme, je ne le pouvoys souffrir.«466 Schomberg hat also hier seine Freundschaft zu Beauvais-Nangis belastet, um seinen Neffen versorgen zu können. Die Stelle illustriert im übrigen die These Jens Ivo Engels’, dass es in der Frühen Neuzeit oftmals konkurrierende Normensysteme gibt:467 im Streit um die Frage, wer für den betreffenden Posten am besten geeignet ist, führt Beauvais-Nangis das Alter (also die militärische Erfahrung) an, während Schomberg und mit ihm der Herzog von Elbeuf auf dem Vorrang der Pflicht zur Solidarität mit der eigenen Familie beharren. Zumindest dem Anspruch nach gibt es eine Loyalität, der gegenüber die Freundschaft immer zurückzustehen hat, und zwar diejenige zum Herrscher. Es gibt in der betrachteten Epoche keine abstrakte Staatstreue, sondern nur eine konkrete Königstreue. Praktisch alle Adligen, deren Memoiren hier analysiert wurden, teilen diese affektiv aufgeladene Loyalität zur Person des Monarchen468 – zumindest auf der Ebene der textuellen Selbststilisierung. Als Beispiel mag die Situation dienen, als Richelieu Bassompierre 1630 der Verschwörung gegen ihn verdächtigt; Bassompierre verwahrt sich gegen den Vorwurf und betont seine Treue zuerst zum König und dann zu seinen Freunden: »que je ne m’¦tois mÞl¦ jamais que de bien et fidÀlement servir le Roi premiÀrement, et ensuite mes amis, dont il ¦toit un des premiers, et — qui j’avois vou¦ tout trÀs-humble service«.469 Die Loyalität zum König kann allerdings mit ihrer eigenen Übertretung, beispielsweise während eines Aufstandes, vereinbar sein: man führt dann die Denkfigur ein, dass nicht gegen den König, sondern vielmehr für ihn revoltiert wird, um ihn aus den Fängen skrupelloser Berater zu befreien.470 Das Problem der Loyalität zum König deutet bereits an, dass Freunde sich auf verschiedenen Seiten eines Bürgerkriegs wiederfinden können. Im 17. Jahrhundert geht dieses Problem immer weniger mit dem Problem der Freundschaft über Konfessionsgrenzen hinweg einher, was in den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts noch oft der Fall gewesen war. Es bleibt aber in der Fronde trotz der Entlastung von religiösem Gehalt als politisches Problem virulent. Die Akteure versuchen mitunter, ihre Freundschaften aus den Kämpfen herauszuhalten. So schreibt Cond¦ an den mar¦chal de Gramont, ihre Freundschaft solle nicht daran zerbrechen, dass sie auf unterschiedlichen Seiten kämpften:

466 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 188 – 189. 467 Die Untersuchungen von Jens Ivo Engels beziehen sich konkret auf das Problem der Korruption: Jens Ivo Engels, Politische Korruption in der Moderne, in: Historische Zeitschrift 282 (2006), 313 – 350, hier 326. 468 Cf. Constant, L’amiti¦ : le moteur de la mobilisation politique dans la noblesse de la premiÀre moiti¦ du XVIIe siÀcle, op. cit., 605. 469 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XXI, 274. 470 Jouanna, Le devoir de r¦volte, op. cit., 9.

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»Je m’asseure que vous me cognoissez assez pour croire que vous ne doutez pas du desplaisir que je scay de me voir r¦duit par mes ennemis — prendre les r¦solutions que j’ay prises, mais enfin il y va de mon honneur, de ma vie et par cons¦quent de tout. Vous estes t¦moin de toutes mes pens¦es et vous savez que je ne me suis r¦solu — faire ce que j’ai fait qu’— l’extr¦mit¦ ; mais puisqu’on m’y a forc¦, j’agirai de sorte qu’on se repentira de m’y avoir pouss¦, et — vous, — qui je ne puis rien celer, je vous dirai que je n’¦pargnerai rien pour sortir glorieusement du pas o¾ je suis, j’en ay assez de moyens, et j’ay assez peu d’estime pour mes ennemis pour ne les guÀre appr¦hender. Je souhaitte avec passion, dans ces f–cheuses rencontres, qu’il ne se fasse rien qui puisse diminuer notre amiti¦. De mon cút¦ je feray tout ce que je dois pour cela, et je ne doute pas que vous fassiez de mÞme du vútre. Je continuerai mon commerce avec vous jusqu’— ce que vous me t¦moigniez de ne le pouvoir plus et j’espÀre que vous ne ferez rien contre moi sans me faire savoir auparavant que vous ne pouvez plus vous en empÞcher«.471

Dilemmata der Freundschaft entstehen meistens dann, wenn eine Freundschaft zerbricht und bisherige gemeinsame Freunde der beiden Kontrahenten nun zu wählen gezwungen sind. Dies geht manchmal sogar so weit, dass der Betreffende von einem der Kontrahenten ausdrücklich vor diese Wahl gestellt wird. Als Bassompierre das Angebot ablehnt, sich mit Henri II de Cond¦, Schomberg und Retz gegen Puisieux zu verschwören, droht Henri II de Cond¦ damit, ihn vor eine solche Wahl zu stellen: »M. le prince me dit alors que je ne serois pas toujours en ¦tat de choisir, et que quand, pour conserver l’amiti¦ de M. de Puisieux, j’aurois perdu la sienne et celle des trois ministres, j’aurois tout loisir de m’en repentir et n’aurois plus moyen d’y revenir.«472 Noch im gleichen Jahr macht der Prinz abermals einen Vorstoß. Als der mit seiner Faktion verbündete Aligre Siegelbewahrer werden soll, stellt er Bassompierre vor die Wahl: er lässt ihm durch den Abb¦ Rousselay sagen, er habe noch bis zum Abend des betreffenden Tages Zeit, mit Puisieux zu brechen, andernfalls könne er die Freundschaft Henri II de Cond¦s nicht erlangen.473 Eine Weigerung wäre gleichbedeutend mit der Feindschaft des Prinzen, was sich daran zeigt, dass dieser Bassompierre drohen lässt, er werde mit Puisieux zusammen auch ihn ruinieren.474 Bassompierre setzt daraufhin heimlich den König von den Plänen des Prinzen in Kenntnis; es gelingt ihm, den König zu überzeugen, der Prinz und seine Verbündeten wollten den König zu ihrer Marionette machen. Daraufhin kehrt er zu Rousselay zurück und erklärt ihm, er verweigere sich der Wahl zwischen der Freundschaft Henri II de Cond¦s und seiner anderen Freunde. Allerdings bedeutet in der Logik eines 471 Archives de Chantilly, J IV 158, Cond¦ an Gramont, 28. September 1651. 472 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XX, 413. 473 Ebd., 471, wo Rousselay Bassompierre erklärt: »Enfin il [sc. Cond¦] m’a dit qu’il vous avoit offert son amiti¦ tout entiÀre, pourvu que vous voulussiez quitter celle de M. de Puisieux, et m’a dit que ayez — vous en r¦soudre toute cette journ¦e, parce que, celle-ci pass¦e, il ne vous recevra plus.« 474 Ebd., 471 – 472.

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Dilemmas der Freundschaft die Verweigerung der Wahl soviel wie eine Ablehnung: auch wenn Bassompierre nicht von sich aus mit Henri II de Cond¦ bricht, muss er doch damit rechnen, dass dieser wie angekündigt mit ihm brechen wird. Allerdings erlangt Bassompierre einen momentanen Sieg über den Prinzen, indem der König auf Bassompierres Vorschlag nicht Henri II de Cond¦s Kandidaten Aligre, sondern Caumartin zum Siegelbewahrer macht.475 Auch der Sohn Henri II de Cond¦s, der Grand Cond¦ selbst, provoziert einmal eine solche Situation, indem er die Frondeure vor die Frage stellt, wie sie sich im Falle eines Konfliktes zwischen ihm und dem Herzog von Orl¦ans entscheiden würden. Ihr Wortführer BelliÀvre versucht das Dilemma zu umgehen, indem er einen solchen Konflikt für undenkbar erklärt, da Cond¦ und Orl¦ans »parens si proches« seien. Cond¦ insistiert zwar, aber die anderen Frondeure schließen sich der ausweichenden Antwort an, denn sie wollen den Herzog von Orl¦ans nicht vor den Kopf stoßen. Daraufhin bricht Cond¦ mit ihnen: »il se raccommoda publiquement avec le cardinal Mazarin […] et sans autres formalit¦s il rompit avec eux.«476 Hier zeigt sich auch, dass für Cond¦ erst durch den Bruch mit den Frondeuren die Versöhnung mit Mazarin ermöglicht wird; in dieser Hinsicht hatte er sich selbst in einem Dilemma zwischen zwei Allianzen befunden. Dilemmata der Freundschaft können auch dann entstehen, wenn eine von einem Patron oder Herrscher angeordnete Freundschaft unvereinbar ist mit bereits bestehenden Freundschaften; dies ist der Fall, als die Königin La Rochefoucauld eine Freundschaft mit dem Herzog von Beaufort befiehlt: »Elle souhaita mÞme que je fusse ami du duc de Beaufort et que je me d¦clarasse pour lui contre le mar¦chal de La Meilleraye, bien qu’il f˜t des amis de mon pÀre et le mien.«477 Ebenso wie Herrscher die Schließung neuer Freundschaften anordnen, befehlen sie auch den Bruch von bestehenden. So z. B., als die Königin auf Mazarins Betreiben La Rochefoucauld befiehlt, die Freundschaft zu Madame de Chevreuse zu brechen; sie begründet dies interessanterweise damit, dass dies für sie selbst ein Beweis von La Rochefoucaulds Freundschaft wäre, auch und gerade, wenn er von ihrem Rang absähe.478 Ein vom Herrscher angeordneter Bruch einer Freundschaft kann also auch als Dilemma aufgefasst werden, nämlich 475 Ebd., 473 – 476. 476 Marie d’Orl¦ans, duchesse de Nemours, M¦moires, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 2/9, Paris 1838, 607 – 660, hier 627. 477 La Rochefoucauld, M¦moires, op. cit., 72. 478 Ebd., 83 – 84: »¦tant assur¦e de la fid¦lit¦ et de l’amiti¦ que j’avais toujours eues pour elle, je ne devais pas lui en refuser une marque qu’elle devait attendre de moi comme mon amie, quand mÞme je ne consid¦rais pas sa dignit¦ et son pouvoir.« – La Rochefoucauld versucht sich dem Dilemma zu entziehen, indem er ausführt, er würde diese Freundschaft zwar der Königin zuliebe brechen, nicht aber dann, wenn es nur Mazarins wegen geschehe; daraufhin betreibt Mazarin seine disgr–ce.

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zwischen der Freundschaft des Herrschers und des anderen Freundes. Nur ist hier die Wahl wesentlich erschwert, da die Entscheidung für den anderen Freund in diesem Fall die disgr–ce als Konsequenz oder aber den Entschluss zur Revolte implizieren würde. So wie sich manchmal zwei Freundschaften gegenseitig ausschließen können, so kann umgekehrt in anderen Situationen der Bruch einer Freundschaft den Bruch weiterer Freundschaften nach sich ziehen. Bassompierre berichtet von einem solchen Fall aus dem Jahre 1626. Die Adligen Louvigny und Candale haben »pour quelques amourettes« Streit miteinander. Daraufhin bitten die Adligen Chalais und Bouteville Bassompierre, er möge Louvigny tadeln, was er tut; sie und andere Adlige warnen Louvigny, er solle keinen weiteren Zwist mit Candale anfangen, wenn er sie nicht als Freunde verlieren wolle, denn sie hätten Candale gegenüber »obligations particuliÀres«. Louvigny setzt den Streit fort, »et lors tous ceux qu’il pensoit ses amis le quittÀrent pour s’aller offrir — M. de Candale«.479

II.2.15. Freundschaft und Feindschaft Der Bruch von Freundschaften verweist bereits auf die Feindschaft. Sie ist nicht das Thema dieser Untersuchung, muss aber als Gegenstück zur Freundschaft hier Erwähnung finden.480 Im Gegensatz zu romantischen und modernen Freundschaftskonzeptionen gelten für die Frühe Neuzeit Freundschaft und Feindschaft als zwei Beziehungen, die strukturell sehr ähnlich sind, gleichsam nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Freundschaft und Feindschaft gelten in der Theorie als leicht ineinander überführbar und sind es auch in der sozialen Praxis. La BruyÀre bezeichnet es daher als eine politische Maxime, den Umschlag einer Beziehung in ihr Gegenteil immer als reale Möglichkeit zu betrachten: »Vivre avec ses ennemis comme s’ils devaient un jour Þtre nos amis, et vivre avec nos amis comme s’ils pouvaient devenir nos ennemis, n’est ni selon la nature de la haine, ni selon les rÀgles de l’amiti¦: ce n’est point une maxime morale, mais politique.«481 Feindschaft funktioniert – als das Gegenteil von Freundschaft – weitgehend

479 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XXI, 55. – Louvigny rächt sich, indem er den Inhalt von Geheimverhandlungen verrät, die er für Monsieur geführt hat, was unter anderem zur Verhaftung von Chalais führt. 480 Zur Feindschaft im frühneuzeitlichen Frankreich cf. Stuart Carroll, Blood and Violence in Early Modern France, op. cit. 481 La BruyÀre, Les CaractÀres, hg. von Louis van Delft, op. cit., 198.

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nach denselben Regeln wie diese.482 Auch sie kann explizit erklärt werden: Bassompierre notiert, Monsieur de Bellegarde »s’¦toit d¦clar¦ ennemi de M. le cardinal«.483 Den Freundschaftsschwüren steht die Figur des »ennemi jur¦« gegenüber.484 Ähnlich wie Freundschaft kann auch Feindschaft über Generationen vererbt werden. So ist der Herzog von Epernon der Feind des Memoirenautors Beauvais-Nangis, weil er schon der Feind von dessen Vater war.485 Als die Princesse Palatine 1651 mit Cond¦ verhandelt, ist eine der Bedingungen, dass Cond¦ die Rückkehr Mazarins nicht behindern soll; er soll aber frei sein »d’Þtre son ami ou son ennemi«, je nachdem, wie Mazarin sich verhalten wird.486 Die Idee einer neutralen Distanz wird nicht ausgesprochen; Freundschaft und Feindschaft gelten als binäre Wahlmöglichkeiten, tertium non datur. Freundschaft und Feindschaft zwischen zwei Personen können innerhalb kurzer Zeiträume mehrfach hin und her wechseln, theoretisch beliebig oft. So kann La Rochefoucauld schreiben, er sei Zeuge der wichtigsten Taten des Herzogs von Beaufort gewesen, »souvent comme son ami, et souvent comme son ennemi.«487 Für den heutigen Betrachter mag die Idee der direkten Umwandlung einer gebrochenen Freundschaft in Feindschaft befremdlich erscheinen, noch befremdlicher aber erscheint der umgekehrte Fall. Als die Königin die Freilassung Cond¦s nach der Haft der Prinzen anordnet, eilt Mazarin zu ihm und setzt ihm zunächst auseinander, dass er sich nach wie vor im Recht glaubt, ihn verhaftet zu haben. Daraufhin bietet er ihm seine Freundschaft an, mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass eine Ablehnung Cond¦s Freilassung nicht behindern werde; Cond¦ nimmt an, und sie feiern ihre Versöhnung mit einem Festmahl.488 Es ist überdeutlich, dass »amiti¦« hier nicht im geringsten eine von Zuneigung geprägte Beziehung meint, sondern eine taktische Allianz; Cond¦ und Mazarin sind Erzrivalen, die sich mit allen Mitteln bekämpfen. Tatsächlich ist ihre Versöhnung auch nicht von Dauer, der Konflikt zwischen ihnen flammt kurz darauf wieder auf. Feindschaften können durch bewusstes Agieren beendet werden: Die Logik der obligation will, dass ein Dienst, den man seinem Feind leistet, diesen zwingt, die Feindschaft in Freundschaft (und nicht etwa in Gleichgültigkeit oder Neutralität) umzuwandeln; so berichtet Beauvais-Nangis über Monsieur de Ville482 Constant, Nobles et paysans en Beauce, op. cit., 248. – Zu den entsprechenden Praktiken für die Freundschaft cf. infra, Praktiken der Freundschaft. 483 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XXI, 268. 484 So ist z. B. La Vieuville ein »ennemi jur¦« Schombergs, cf. ebd., Bd. XX, 498. 485 Constant, L’amiti¦: le moteur de la mobilisation politique dans la noblesse de la premiÀre moiti¦ du XVIIe siÀcle, op. cit., 597. 486 La Rochefoucauld, M¦moires, op. cit., 141 – 142. 487 Ebd., 71. 488 Ebd., 136 – 137.

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quier, dem Beauvais-Nangis’ Vater hilft, eine geborstene Brücke zu überqueren, obwohl Villequier ihm ein mauvais office angetan hatte: »Le Roy lui fit grand accueil et tesmoignage d’estime, car il sÅavoit et toute la compagnie le mauvais office que l’autre luy avoit rendu, il n’y avoit pas long-temps, et n¦anmoings M. de Villequier ressentit tellement l’obligation que depuys il fut fort son amy.«489 Fast müßig zu sagen ist, dass es in den Konjunkturen höfischer Politik auch geläufig ist, im Sinne einer Divide-et-impera-Strategie Konflikte in anderen Freundschaften zu säen, um deren Zerbrechen herbeizuführen. So ist La Rochefoucauld der Ansicht, die Königin habe Cond¦ seinen Freunden suspekt machen wollen, um ihn von den Frondeuren zu isolieren.490

II.2.16. Gefährliche Freundschaften Neben dem Negativbild des falschen Freundes gibt es in der Frühen Neuzeit auch Diskurse, die die Freundschaft selbst als gefährlich zeichnen. Zwei Punkte können hier identifiziert werden. Erstens wird Freundschaft dadurch suspekt, dass sich Verschwörungen und Aufstände ihrer Semantik bedienen; hier gerät sie in den Verdacht einer politischen Gefahr. Freundschaften einzugehen, bedeutet zwar einerseits soziales Kapital zu erwerben,491 andererseits kann Freundschaft aber auch zum Risiko für die eigene Machtposition, ja sogar für Leib und Leben werden: es gibt nicht nur liaisons dangereuses, sondern auch amiti¦s dangereuses. Zweitens bringen manche frühneuzeitliche Diskurse die Freundschaft in Verbindung zur Homosexualität; sie besitzt somit eine unklare Abgrenzung zu einer verbotenen Praxis, die als moralische Gefahr gesehen wird.

II.2.17. Negativbilder der Freundschaft Ungeachtet der vorherrschenden Diskurstradition, die seit Aristoteles Freundschaft auf Tugend gründet, gibt es auch einen Kontrapunkt, der in diesen Diskussionen mitläuft und die schwarze Seite der Freundschaft betont. Schon bei Aristoteles wird die Möglichkeit einer Freundschaft als Bündnis zum gemeinsamen Verbrechen erwähnt – wenn auch natürlich nicht als wahre Freundschaft anerkannt: »Also entwickelt sich die Freundschaft der Minderwertigen zum 489 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 9 – 10. 490 La Rochefoucauld, M¦moires, op. cit., 141. 491 Zum Begriff des sozialen Kapitals im Kontext von Bourdieus Theorie verschiedener Kapitalsorten cf. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Stuttgart 1987, 204.

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Bösen – ihre Haltlosigkeit verführt sie zur Gemeinschaft im Minderwertigen, und überdies werden sie schlecht, indem sie sich aneinander angleichen«.492 Die Verschwörung ist die schwarze Seite des adligen Freundschaftsbundes zur Selbstverteidigung;493 einmal »verschworen« (diese Bünde werden ja durch Eide zusammengehalten), öffnet sich bei solchen Formen der Vergemeinschaftung natürlich die Möglichkeit, sie gegen den Herrscher zu kehren oder zumindest gegen eine Gegenpartei, der ihrerseits Machtmissbrauch vorgeworfen wird. Von dort bis zur Revolte ist es nur noch ein kleiner Schritt.494 Angesichts der vielen Adelsrevolten bis einschließlich zur Fronde ist dies kein abstrakt-philosophisches Bild, sondern durchaus auch eine soziale Praxis. Daneben gibt es als weiteren Topos denjenigen der Klüngelei. Es ist dies die Vorstellung einer Gruppe von Freunden, die sich im Zentrum der Macht einnistet, um von dort aus die Ressourcen des Gemeinwesens zum eigenen Nutzen umzuleiten. Dies verbindet sich oft mit dem Topos des »evil counsellor«,495 der 492 Aristoteles, Nikomachische Ethik, hg. von Franz Dirlmeier, op. cit., 270. 493 Zu Freundschaft als Element von Verschwörungen cf. Constant, L’amiti¦ : le moteur de la mobilisation politique dans la noblesse de la premiÀre moiti¦ du XVIIe siÀcle, op. cit., 597 – 600. Zu Verschwörungen Klaus Malettke, Opposition und Konspiration unter Ludwig XIV. Studien zu Kritik und Widerstand gegen System und Politik des französischen Königs während der ersten Hälfte seiner persönlichen Regierung, Göttingen 1976 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 49); Yves-Marie Berc¦ (Hg.), Complots et conjurations dans l’Europe moderne, Rome 1996 (Collection de l’Ecole FranÅaise de Rome 220). 494 Cf. infra, Freundschaft und Revolte. 495 Die Formulierung ist frühneuzeitlich, sie stammt aus einem Brief, den Thomas Cromwell von seinem Klienten Stephen Vaughan im November 1531 erhält: »Who seeth not that he that is an evil counsellor to a prince is an evil counsellor to a realm? If it be sin to be an evil counsellor to one man, what abomination, what devilish and horrible sin is it to be an evil counsellor to a prince?«, in: J. S. Brewer u. a. (Hg.), Letters and Papers, Foreign and Domestic, of the Reign of Henry VIII, 21 Bde., London 1862 – 1932, Bd. V, 533, zitiert nach: Greg Walker, Writing under Tyranny. English Literature and the Henrician Reformation, Oxford 2005, 8. Zu dieser Stelle cf. auch Geoffrey R. Elton, Reform and Renewal. Thomas Cromwell and the Common Weal, Cambridge 1973, 41 – 42. Der Kampf gegen die evil counsellors ist ein Schlüsselthema frühneuzeitlicher Revolten, die sich auf die »Pflicht zur Revolte« (Arlette Jouanna) berufen. Zu diesen Revolten cf. Yves-Marie Berc¦, Histoire des croquants. Etude des soulÀvements populaires au XVIIe siÀcle dans le Sud-Ouest de la France, 2 Bde., Paris/Genf 1974 (M¦moires et documents publi¦s par la soci¦t¦ de l’Ecole des chartes 22); Ders. (Hg.), Croquants et Nu-pieds. Les soulÀvements paysans en France du XVIe au XIXe siÀcle, Paris 1974; Ders., R¦voltes et r¦volutions dans l’Europe moderne (XVIeXVIIe siÀcles), Paris 1980 (Collection SUP : L’historien 40); Bernard Barbiche (Hg.), Pouvoirs, contestations et comportements dans l’Europe moderne. M¦langes en l’honneur du professeur Yves-Marie Berc¦, Paris 2005 (Collection Roland Mousnier 23); Ren¦ Pillorget, Les mouvements insurrectionnels de Provence entre 1596 et 1715, Paris 1975; Madeleine Foisil, La r¦volte des Nu-pieds et les r¦voltes normandes de 1639, Paris 1970 (Publications de la facult¦ des lettres et sciences humaines de Paris-Sorbonne, S¦rie »Recherches« 57); Reynald Abad, Une premiÀre Fronde au temps de Richelieu ? L’¦meute parisienne des 3 – 4 f¦vrier 1631 et ses suites, in: XVIIe siÀcle 218 (Januar-März 2003), 39 – 70. Zu den könig-

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den Monarchen in seiner Gewalt hat. Wenn solche Klüngel den Monarchen in ihrer Gewalt haben, ist Revolte nicht nur legitim, sondern Pflicht. Mazarin ist aus Sicht Cond¦s und der Frondeure ein »evil counsellor« par excellence.

II.2.18. Freundschaft und Intrige Die Freundschaft von Höflingen ist deshalb gefährlich, weil sie leicht in die Intrige hinübergleiten kann. Es gibt ein besonders markantes Beispiel, bei dem verschiedene Quellen Freundschaft und Verschwörung assoziieren: die Rede ist von der Verschwörung von Cinq-Mars im Jahre 1642,496 und hier konkret von der Freundschaft zwischen Cinq-Mars und FranÅois-Auguste de Thou.497 Thou wird es zum Verhängnis, dass er das Komplott seines Freundes Cinq-Mars zwar nicht unterstützt, aber deckt.498 Er wird zusammen mit Cinq-Mars hingerichtet. Der Historiograph Benjamin Priolo bezeichnet die Hinrichtung der beiden als Strafe ihrer »verderblichen Freundschaft«: »Quinque-Martius & Thuanus exitiosae amicitiae poenas luunt«.499 Die Grande Mademoiselle betont, Richelieu habe nach der Hinrichtung der beiden auch alle ihre Freunde einschüchtern wollen: »il voulut que tous ceux qui avaient ¦t¦ des amis de ces malheureux et qui lui faisaient ombrage se sentissent des effets de sa colÀre«.500 Dies ergibt nur einen Sinn, wenn die Freunde der Verschwörer als potentielle Mitwisser gelten können. Auch La Rochefoucauld muss bei der Cabale des Importants erfahren, dass Freunde von Verschwörern immer im Verdacht stehen, Mitverschwörer oder Mitwisser zu sein: »Pour mon malheur, j’¦tais de leurs amis, sans approuver leur conduite.«501 Bei Bassompierre findet sich ein Beispiel, das zeigt, wie leicht Freundschaft in den Verdacht der Verschwörung kommen kann; es sei hier zitiert, auch wenn es etwas vor der betrachteten Periode liegt. Als Bassompierre und Cr¦qui eine Versöhnung zwischen Saint-Luc und La Rochefoucauld vermitteln, beobachten Maria von Medici und der Marquis von Ancre dies vom Fenster aus. Ancre sagt der Königin, es handle sich mit Sicherheit um eine Verschwörung – dies gehe aus

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lichen Beratern selbst cf. Orest Ranum, Richelieu and the Councillors of Louis XIII. A Study of the Secretaries of State and Superintendents of Finance in the Ministry of Richelieu, 1635 – 1642, Oxford 1963. Für einen Überblick über die Verschwörung cf. Lucien B¦ly, La France moderne. 1498 – 1789, Paris 51999, 308 – 309; für eine detailliertere Darstellung cf. Jean-Marie Constant, Les conjurateurs. Le premier lib¦ralisme politique sous Richelieu, Paris, 1987. Der älteste Sohn des Memoirenautors Jacques-Auguste de Thou. Madame de Motteville, M¦moires, op. cit., 37 – 39. Benjamin Priolo, Ab excesso Ludovici XIII. de rebus gallicis historiarum libri XII, Utrecht 1669, 7. M¦moires de la Grande Mademoiselle, hg. von Bernard Quilliet, op. cit., 42. La Rochefoucauld, M¦moires, op. cit., 76.

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den Gesten hervor, denn anders sei nicht erklärlich, warum sich Leute umarmten, die sich andauernd sähen.502 Die Königin macht allen vieren daraufhin »mauvaise mine« und sagt in Bassompierres Gegenwart, es gebe Leute »qui se mÞloient de faire des ligues contre le service du Roi et le sien«, und dass sie strafen werde, wenn sie etwas entdecken sollte. Der Begriff der »ligue« verweist auf durch Schwur zusammengehaltene Adelsbünde. Als Bassompierre erfährt, dass die Königin ihn der Illoyalität geziehen hat, bittet er um eine Aussprache, bei der die Königin ihm aber lediglich sagt, dass sie ihn beobachten und sich ein Urteil bilden werde. Erst als Bassompierre daraufhin Anstalten macht, Frankreich zu verlassen, lässt sie alle Anschuldigungen fallen.503 Aus Sicht der Monarchie ist Adelsfreundschaft also oft verdächtig; die geschilderte Episode geht immerhin aus nicht mehr hervor als einer missverstandenen Geste, die als Indiz für eine größere Verschwörung gedeutet wird. Die Herzogin von Nemours sieht auch im Vorfeld der Fronde cond¦enne Intrigen am Werk. Als die Prinzen 1650 gefangen sitzen, sind es ihrer Ansicht nach Freundschaftsbindungen, die über Komplotte ihre Partei am Leben halten: »Cependant les princes […] ne laissÀrent pas d’Þtre extrÞmement bien servis: leurs amis n’oubliÀrent rien de tout ce qui leur pouvoit Þtre utile et dans la Fronde et dans le parlement, o¾ ils faisoient de grandes brigues.«504 Dabei bezeichnet der Begriff »brigue« ein Komplott.

II.2.19. Freundschaft und Revolte Was für die Intrige gesagt wurde, kann nicht direkt auf die Revolte übertragen werden; denn die Verschwörung ist ebenso definitionsgemäß heimlich wie die Revolte offen ist. So sind Missverständnisse hier kaum möglich; allerdings kann selbstverständlich jemand als Sympathisant verdächtigt werden, der nicht selbst an der Revolte teilnimmt. Ein anderer Bezug der Revolte zur Freundschaft erscheint jedoch wichtiger. Die Revolte bedient sich oft der Semantik der Freundschaft. Die 1650 geschlossene Allianz der Partei der Prinzen mit den Frondeuren deutet Coste als ein Zusammengehen der Freunde der gefangenen Prinzen mit den Aufständischen: »Tous les Frondeurs entr¦rent, dans le mÞme 502 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XX, 43 – 44: »Alors le marquis, prenant son temps, lui dit: ›Pardieu, madame, tout cela est contre nous. Ils font une brigue, et je veux mourir si Bassompierre ne les assure de messieurs de Rohan, Cr¦qui, de LesdiguiÀres, et les autres r¦ciproquement — eux. Il est ais¦ — juger par leurs gestes. Autrement, — quoi seroient bonnes toutes ces embrassades — gens qui se voient incessament?‹« 503 Ebd., 44 – 46. 504 Duchesse de Nemours, M¦moires, op. cit., 636.

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tems, en trait¦ avec les Amis des Princes.«505 Man ginge sicher zu weit, wenn man behaupten wollte, die Fronde sei in der Selbstbeschreibung und Wahrnehmung der Zeitgenossen ausschließlich oder auch nur vorwiegend durch Freundschaft zusammengehalten worden – in der Analysesprache kommen ohnehin die Begriffe der Patronage ins Spiel.506 Dennoch taucht der Begriff der Freundschaft in der Fronde auf. Auch in der Fronde gibt es actes d’union, wie beispielsweise den Vertrag von Saint-Maur zwischen Cond¦ und seinen Verbündeten: dies sind sein Bruder, seine Schwester, die Herzöge von Nemours und La Rochefoucauld und der pr¦sident Viole.507 Die Zeitgenossen deuten Freundschaft durchaus als einen möglichen Grund, sich einer Revolte anzuschließen. Die Herzogin von Nemours ist beispielsweise der Ansicht, für den mar¦chal de La Mothe sei Freundschaft zumindest eines von zwei Motiven gewesen, sich der Fronde anzuschließen; in einer Aufzählung der Frondeure und ihrer jeweiligen Beweggründe führt sie an: »Le mar¦chal de La Mothe, par l’amiti¦ qu’il avoit pour M. de Longueville, comme aussi pour se venger de quatre ann¦es de prison o¾ l’avoit d¦tenu la cour.«508

II.2.20. Freundschaft und Homosexualität Im 17. Jahrhundert kann sich die Idee der Freundschaft mit dem Thema der Homosexualität verbinden. Die Unterstellung einer homosexuellen Beziehung zwischen Fürst und Favorit ist ein geradezu klassischer Topos der Verleumdung.509 Homosexualität gilt in Europa im 17. Jahrhundert einerseits als illegitim;510 auf der anderen Seite gibt es, wie zu zeigen sein wird, auch das Phänomen 505 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 187. 506 So bei B¦guin, Les princes de Cond¦, op. cit., wo (nach einem ersten Hauptteil über die Fronde) die anderen beiden Hauptteile »Les clientÀles, un monde presque clos« und »Patronage princier et absolutisme« heißen. 507 Archives de Chantilly, P XII 11 – 12, Trait¦ conclu entre le prince de Cond¦, le prince de Conti, la duchesse de Longueville, le duc de Nemours, le duc de la Rochefoucauld, et le pr¦sident Viole, 22. Juli 1651. 508 Duchesse de Nemours, M¦moires, op. cit., 617. 509 Dewald, Aristocratic Experience, op. cit., 118. Das klassische Beispiel für Gerüchte um homosexuelle Beziehungen eines Monarchen zu seinen Günstlingen sind die mignons Heinrichs III. Zur Diffamierung der mignons cf. Le Roux, La faveur du roi, op. cit., 266 – 270, zu den Gerüchten über ihre Homosexualität ebd., 268, zu den Pamphleten über die Favoriten ebd., 650 – 652. 510 Zur Homosexualität im vormodernen Europa cf. Bray, The Friend, op. cit.; John Boswell, Same-Sex Unions in Premodern Europe, New York 1994; Katherine O’Donnell/Michael O’Rourke (Hg.), Love, Sex, Intimacy, and Friendship Between Men, 1550 – 1800, Basingstoke 2003. Für das Italien des 16. Jahrhunderts wurde das Thema untersucht von Michael Rocke, Forbidden Friendships. Homosexuality and Male Culture in Renaissance Florence, New York/Oxford 1996.

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eines Kokettierens mit dem Tabubruch. Der Graf von Toulongeon schreibt einmal Cond¦ ein Billet (also einen Kurzbrief, in dem man auf die Formalitäten von Anrede und Schluss verzichtet), das bereits mit den Pseudonymen »Le Prince de l’amour — son frÀre« die erotische Konnotation anklingen lässt; dass es im Text heißt, der Autor freue sich darauf, »bald die Schenkel seiner Hoheit zu küssen«,511 macht diese Anspielung noch deutlicher. Cond¦ und die petits-ma„tres stehen bei den Zeitgenossen in dem Ruf sowohl heterosexueller als auch homosexueller Ausschweifungen.512 Die Frühe Neuzeit kennt bekanntlich die Konzepte »Heterosexualität« und »Homosexualität« noch nicht; frühneuzeitlichem Denken ist die Vorstellung fremd, die sexuelle Orientierung sei eine dauerhafte Eigenschaft der Person, ein Teil ihrer Identität. Stattdessen gilt Homosexualität als eine Handlung, und zwar als eine lasterhafte. Mit anderen Worten: Homosexualität ist für die Frühe Neuzeit kein Sein, sondern ein Tun.513 Die diskursive Verbindung von Freundschaft und Homosexualität ist auch deshalb so heikel, weil die Grenze zwischen der lobenswerten Freundschaft und der stigmatisierten Homosexualität in der Praxis der Sozialbeziehungen der Adligen fließend ist.514 Das Element des Kokettierens mit dem Verbotenen kommt auch in den Gelegenheitsgedichten in makkaronischem Latein vor, die Cond¦ und La Moussaye austauschen.515 Als sie 1643 auf einer Fahrt auf der Rhúne zusammen in ein Gewitter kommen, soll der Prinz La Moussaye folgendes Gedicht überreicht haben: »Carus amicus Mussaeus! Ah! Deus bone! Quod tempus! Landerirette, Imbre sumus perituri, Landeridi.«

511 Archives de Chantilly, P III 438, Le prince de l’amour — son frÀre, 2. Mai 1649. 512 Dewald, Aristocratic Experience, op. cit., 119. – Bei Cond¦ selbst ist dabei z. B. an seine Affäre mit der berühmten »Hetäre«, also Kurtisane, Ninon de Lenclos zu denken. 513 Ebd. – Dewald weist noch darauf hin, dass gerade homoerotische Beziehungen zwischen Adligen ungleichen Ranges durchaus auch Machtbeziehungen sind, ebd., 119 – 120. Zu männlicher Homosexualität im Frankreich des Ancien R¦gime cf. auch Maurice Lever, Les b˜chers de Sodome. Histoire des »inf–mes », Paris 1985. 514 Dewald, Aristocratic Experience, op. cit., 117. 515 Die beiden Gedichte werden von Monmerqu¦ im Vorwort seiner Ausgabe von ColignySaligny, M¦moires, op. cit., xlix-I, zitiert; als Quelle wird dort ein Manuskript aus Monmerqu¦s Privatbesitz angegeben, das aufzufinden uns leider nicht möglich war.

Ideen der Freundschaft

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La Moussaye habe ihm geantwortet: »Securae sunt nostrae vitae, Sumus enim s[odomitae].516 Landerirette, Igne tantum perituri, Landeridi.«

In diesen Gelegenheitsgedichten geht es offensichtlich um ein Spiel mit dem Tabubruch. Das Sujet eignet sich um so mehr zur Provokation, als einerseits auf Homosexualität prinzipiell die Todesstrafe durch Verbrennen steht (worauf die Zeile igne tantum perituri anspielt), andererseits diese Strafe schon seit dem 16. Jahrhundert kaum mehr verhängt wird.517 Wichtig ist allerdings zu betonen, dass dieses Kokettieren nur mit männlicher Homosexualität möglich ist; Liebesbeziehungen zwischen Frauen werden in den hier untersuchten Quellen niemals auch nur angedeutet.

II.2.21. Männer und Frauen Wenn hinsichtlich der Ideen der Freundschaft nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Geschlechter die Rede sein soll, so müssen zwei Dimensionen unterschieden werden. Zum einen geht es um die Frage, ob die beiden Geschlechter unterschiedliche Vorstellungen über Freundschaft haben, also um die männliche oder weibliche Sicht auf Freundschaft; zum anderen um die Frage, welche Charakteristika den beiden Geschlechtern unter dem Aspekt der Freundschaft zugeschrieben werden, also um eine Sicht auf die Geschlechter unter dem Aspekt der Freundschaft. Zum ersten Aspekt ist zu sagen, dass zumindest in den hier untersuchten Quellen keine grundlegenden Unterschiede auszumachen sind. Allerdings kommen im Korpus von Chantilly archivalische Selbstzeugnisse über Freundschaften zwischen Frauen auch nicht vor, so dass diese Aussage nur für die Schriften der analysierten Memoirenautorinnen gilt; es ist somit durchaus möglich, dass in anderen Quellen ein spezifisches Imaginaire der Freundschaft unter Frauen greifbar wird. Bisherige Untersuchungen über Frauenfreundschaft 516 Die Ergänzung nimmt Pujo, Le Grand Cond¦, op. cit., 108, ebenso vor. – »Sodomita« hat im Sprachgebrauch des 17. Jahrhunderts die Bedeutung von »Homosexueller«, cf. Jean-Marie Carbasse, Artikel »Vice ultramontain (d¦finition de la sodomie et r¦pression du)«, in: Bluche (Hg.), Dictionnaire du Grand SiÀcle, op. cit., 1588 – 1589; cf. des weiteren FranÅois Bluche, Artikel »Vice ultramontain (relativit¦ du)«, in: Ders. (Hg.), Dictionnaire du Grand SiÀcle, op. cit., 1589. 517 Carbasse, Artikel »Vice ultramontain (d¦finition de la sodomie et r¦pression du)«, op. cit., 1588 – 1589.

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im grand siÀcle haben die schwierigere Quellenlage im Vergleich zu Freundschaften unter Männern dadurch zu beheben versucht, dass sie sich anderen Quellen, etwa literarischen, zuwandten, und versuchten, sich der Lebenswelt adliger Frauen auf indirekte Weise zu nähern. Marianne Legault hat das in ihrer Studie über weibliche Intimität im grand siÀcle kürzlich beispielhaft durchgeführt.518 Sie zeigt auf, dass es im 17. Jahrhundert kein philosophisches Modell weiblicher Freundschaft gibt. Frauenfreundschaft ist nach Legault marginalisiert, weibliche Homosexualität tabuisiert.519 Zu dieser Beobachtung passt in der Tat, dass die anzüglichen Anspielungen auf Homosexualität, die sich in den Quellen finden, immer nur diejenige zwischen Männern betreffen. Somit wird männliche Homosexualität skandalisiert, weibliche beschwiegen; das aber ist nicht dieselbe Art von Marginalisierung. Freundschaften zwischen den Geschlechtern – etwa im Falle der vielen Freunde der Grande Mademoiselle oder im Falle der Freundschaft zwischen Bussy-Rabutin und Madame de S¦vign¦ – kommen durchaus vor; die Struktur der höfischen Gesellschaft, die ihre Geselligkeit nicht in Sphären für Männer und Frauen unterteilt, begünstigt dies auch. Anders als die Kriegerfreundschaften des Mittelalters, die auf der gegenseitigen Hilfe der beiden Freunde im Kampf aufbauen und somit adligen Männern vorbehalten sind, sind die politischen Freundschaften des Hofes auch adligen Frauen zugänglich. Daneben bleiben allerdings der Kriegsdienst und das Duell wichtige Aspekte aristokratischer Männlichkeit. Innerhalb der Sphäre des Hofes, die durch das Zeremoniell geregelt ist, ist Gewaltanwendung aber tabuisiert: der Krieg findet nur außerhalb statt, und das Duell ist – wenn auch praktiziert – illegal. Das höfische politische Spiel ist für Frauen durchaus zugänglich; dennoch prägen die Männer seinen Stil. Die Institution des Monarchen bleibt auf einen Mann zugeschnitten;520 und das gilt vom Herrscher absteigend auch für die Rollen der höfischen Politiker. Die allermeisten höfischen Ämter sind nur Männern zugänglich, dasselbe gilt für die begehrten Mitgliedschaften in Orden wie dem Orden vom Heiligen Geist. Höfische Politikerinnen müssen daher männliche Verhaltensweisen adaptieren, um erfolgreich zu sein. Wenn die Grande Mademoiselle in der Schlacht im Faubourg Saint-Antoine die

518 Marianne Legault, Narrations d¦viantes. L’intimit¦ entre femmes dans l’imaginaire franÅais du dix-septiÀme siÀcle, Qu¦bec 2008. 519 Ebd., 1 – 13. Nach Legault ist das allerdings kein Spezifikum des französischen 17. Jahrhunderts; ihr zufolge reiht sich das Denken des 17. Jahrhunderts in eine lange Tradition der Misogynie ein, die das westliche Denken über Freundschaft von der Antike bis zu Philosophen der jüngeren und jüngsten Vergangenheit kennzeichne; so zitiert sie Passagen, in denen Nietzsche und Deleuze Frauen als unfähig zur Freundschaft bezeichnen, ebd., 2. 520 Zu Stellung und Rolle der französischen Königin cf. Fanny Cosandey, La reine de France. Symbole et pouvoir, XVe-XVIIIe siÀcle, Paris 2000.

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Kanonen abfeuern lässt, dann schlüpft sie in eine aristokratisch-männliche Rolle, nämlich diejenige des militärischen Befehlshabers. Freundschaften zwischen den Geschlechtern gelten als möglich. Madame de S¦vign¦ bezeichnet nicht nur ihre Beziehung zu Bussy-Rabutin in Briefen an diesen als Freundschaft; sie versichert auch Monsieur de Pomponne,521 den Neffen des Grand Arnauld, ihrer Freundschaft,522 und bezeichnet in Briefen an ihn Nicolas Fouquet, dem gerade der Prozess gemacht wird, als »notre pauvre ami«.523 Freundschaften zwischen Frauen werden in dem Korpus von Chantilly, in dem die Korrespondenzen fast ausschließlich von Männern stammen, nicht greifbar ; hier liegt ein Potential für weitere, auf andere Archivalienkorpora gestützte Studien. Hinsichtlich der Sichtweise auf die Geschlechter unter dem Aspekt der Freundschaft zeigt sich eine Spannung zwischen den theoretischen Texten und den hier untersuchten Selbstzeugnissen. Die normreflektierenden Texte wie etwa Montaignes Freundschaftsessay zeigen, dass antike Vorstellungen über die Unfähigkeit der Frauen zur wahren Freundschaft weiterhin virulent sind; auf der anderen Seite aber findet sich in den Selbstzeugnissen kein Indiz dafür, dass höfische Freundschaften mit Frauen von den betreffenden Männern als Freundschaften zweiten Ranges angesehen werden. Eine Frau wie die Grande Mademoiselle ist eine höfische Politikerin, und agiert in ihren Freundschaften als solche. Es ist also durchaus nicht so, dass den Freundschaften zwischen Männern und Frauen das politische Moment fehlen würde. Frauen können zwar die allermeisten politischen, militärischen und kirchlichen Ämter nicht selbst bekleiden, sind aber zum einen als Angehörige von Adelshäusern an deren Rivalitäten beteiligt und haben zum anderen auch ihrerseits männliche Freunde, deren Karriere sie vorantreiben wollen.

II.3. Sprache der Freundschaft In diesem Kapitel soll die Sprache der frühneuzeitlichen Adelsfreundschaft analysiert werden. Nach der Analyse der Vorstellungen über Freundschaft im vorigen Kapitel sollen nun das konkrete Vokabular und die Rhetorik der Freundschaft im Vordergrund stehen. Die Sprache bildet die Scharnierstelle zwischen den Repräsentationen und den Praktiken der Freundschaft: sie ist einerseits in Wort und Schrift das Instrument, mit dem die Repräsentationen

521 Simon Arnauld de Pomponne (1618 – 1699), Sohn von Robert Arnauld d’Andilly. 522 Madame de S¦vign¦, Lettres, hg. von Bernard Raffalli, op. cit., 48. 523 Ebd., 46.

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zum Ausdruck gebracht werden, hat aber, als Handlung des Kommunizierens (linguistisch ausgedrückt: als Sprechakt) auch an den Praktiken Anteil.524 Die Sprache der Freundschaft beschränkt sich nicht auf den Gebrauch der Wörter »ami« und »amiti¦«; vielmehr gruppiert sich um diese herum ein ganzes Feld von Vokabeln und Redewendungen. Diese sollen zunächst dargestellt werden. Ein eigenes Unterkapitel soll den sprachlichen Verstärkungszeichen der Freundschaft gewidmet werden – wie schon betont, insistieren frühneuzeitliche Adlige immer wieder auf der Intensität der Freundschaft, was zu einem reichhaltigen Vokabular in diesem Bereich führt. Danach soll es um die Verwendung dieser Sprache, also um die sprachlichen Praktiken gehen, bevor dann im nächsten Kapitel der Blick auf die nichtsprachlichen Praktiken, nämlich die Rituale und Gesten gerichtet wird. Vorangestellt sei die Bemerkung, dass auf der Ebene der Sprache zumindest in den hier untersuchten Quellen keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen feststellbar sind. Es gibt in Memoiren und Briefen eine Rhetorik der Freundschaft, die von Männern wie von Frauen benutzt wird.

II.3.1. Verben der Freundschaft: was tun mit und in der Freundschaft? Mit dem Begriff der Freundschaft und des Freundes wird eine Reihe von Verben verbunden, die die Stiftung und Ausgestaltung der Freundschaft bezeichnen. Der Beginn der Freundschaft kann mit dem Ausdruck »acqu¦rir l’amiti¦ de quelqu’un« bezeichnet werden;525 auch die Formulierung »gagner l’amiti¦ de quelqu’un« kommt vor.526 Freundschaft wird also als erwerbbar gedacht; ohne dies überinterpretieren zu wollen, scheint der Ausdruck ein weiteres Indiz dafür zu sein, dass es in der aristokratischen Freundschaftskonzeption nicht wie bei Montaigne darum geht, dass sich verwandte Seelen finden, sondern um Zusagen der Loyalität – Seelenverwandtschaft, also die Ähnlichkeit der Charaktere, kann schwerlich als erwerbbar gedacht werden, Loyalität und Treue dagegen durchaus. Das Schließen der Freundschaft, das manchmal explizit beschrieben wird,527 wird mit dem Ausdruck »se lier d’amiti¦ avec quelqu’un« bezeichnet; so be524 Zur Sprechakttheorie cf. John L. Austin, How to do things with words. The William James lectures delivered at Harvard University in 1955. Cambridge, MA 1962, deutsch als Ders., Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 22005, und John Searle, Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language, Cambridge 1969, deutsch als Ders., Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay, Frankfurt am Main 51992. 525 So z. B. Gourville, M¦moires, op. cit., 236. 526 So z. B. Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 335. 527 Cf. infra, Praktiken der Freundschaft.

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richtet Gourville, er habe, als er nach Brüssel gekommen sei, zunächst keine Freundschaften geschlossen, sondern gewartet »jusqu’— ce que j’eusse bien connu les personnes avec qui je voudrais me lier d’amiti¦, pour, dans la suite, n’Þtre pas oblig¦ d’en changer.«528 Die bloße Semantik des Wortes weist hier darauf hin, dass die Zeitgenossen Freundschaft als Bindung, als lien social konzeptualisieren, denn dies ist das dem Verb »lier«, »verbinden«, entsprechende Substantiv. Da man manchmal den anderen expressis verbis um seine Freundschaft bittet, findet sich der Ausdruck »demander l’amiti¦ de quelqu’un«.529 Ist die Freundschaft einmal geschlossen, muss sie gepflegt werden. »Cultivez vos amis, soyez homme de foi«, rät Boileau demjenigen, der dichten will.530 Boileau ist zwar nicht adlig, aber sein Publikum ist es; daher darf diese Aussage als Ausdruck höfischer Kultur gesehen werden, da der Autor der »art po¦tique« sich an Normen der höfischen Gesellschaft orientiert. Dass bei Boileau das Pflegen der Freundschaft und das Halten der eigenen Versprechen in einem Atemzug genannt werden, verweist wieder auf die im letzten Kapitel beschriebenen Vorstellungen über wahre Freunde. Ebenfalls sehr häufig ist der Ausdruck »pratiquer des amis«,531 der ebenso wie »cultiver« auf den kontinuierlichen Aspekt des Umgangs unter Freunden abhebt. Das »Kultivieren« der Freundschaft zeigt an, dass Freundschaft sich in Interaktionen manifestiert; auch dies widerspricht dem »parce que c’¦tait lui, parce que c’¦tait moi« Montaignes. In einer solchen Konzeption muss die Freundschaft nicht kultiviert werden, um sie vor dem sonst drohenden Zerfall zu bewahren, sondern der Bestand der Freundschaft geht aus der Komplementarität der beiden einander bedingungslos liebenden Freunde hervor. Auch der Ausdruck »t¦moigner de l’amiti¦« findet sich;532 auch dieser Ausdruck deutet wieder auf die Zuneigung hin, die sich in sichtbaren Zeichen manifestiert. Wichtig ist schließlich der Ausdruck »faire des amiti¦s«.533 Wie im ersten Kapitel bereits erwähnt, bedeutet »amiti¦« im Plural meist »Komplimente«; der genannte Ausdruck bezeichnet also die Praxis des Komplimentierens beziehungsweise – wenn die »amiti¦s« von einer Mittelsperson überbracht werden – das Ausrichten von Grüßen.

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Gourville, M¦moires, op. cit., 151. La BruyÀre, Les CaractÀres, hg. von Louis van Delft, op. cit., 231. Boileau, Art po¦tique, op. cit., IV, 122. So z. B. Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 165 – 166. So z. B. Gourville, M¦moires, op. cit., 199. So z. B. Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 194.

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II.3.2. Substantive der Freundschaft Freundschaft taucht oft im Kontext anderer abstrakter Substantive auf, die Nahbeziehungen bezeichnen. Das soll nicht heißen, dass alle diese Termini als Synonyme für »Freundschaft« gelten können. Sie markieren vielmehr das semantische Feld der Nahbeziehungen, in das der Freundschaftsbegriff sich einschreibt. Bei Gourville finden sich die Begriffe der »confiance« und der »familiarit¦s«. Gourville ist 1669 auf diplomatischer Mission in Spanien. Der Marquis d’Aytona, Majordomus der Königin, bekundet Freundschaft für Gourville: »[il] me t¦moigna beaucoup d’amiti¦ et de confiance«; da Gourville sieht, dass er Aytonas Vertrauen gewonnen hat, beginnt er mit ihm zu verhandeln: »Me voyant dans ses bonnes gr–ces et, si j’ose dire, familiarit¦s, j’entrai avec lui sur les sommes immenses que les Pays-Bas avaient co˜t¦ — l’Espagne.«534 Gourville schlägt ihm, wenn auch erfolglos, einen Tausch der Spanischen Niederlande gegen das Roussillon vor. Die »familiarit¦s« im Sinne von »Vertraulichkeiten« hängen eng mit der »confiance« zusammen: es geht darum, jemandem sub sigillo Informationen mitzuteilen, die man einem Fremden nicht anvertrauen würde. Beide Begriffe machen deutlich, dass Vertrauen als wichtiger Bestandteil der Freundschaft gilt. Dieses Vertrauen ist in der Frühen Neuzeit nicht als eines gemeint, bei dem man dem Freund die eigenen Empfindungen anvertraut, sondern als Vertrauen darauf, dass der Freund die Informationen, die man ihm preisgibt, nicht missbrauchen wird. Es ist also ein Vertrauen, das im Sinne Niklas Luhmanns auf »riskanter Vorleistung« beruht.535 Die Konzeption des Vertrauens ist in diesem Freundschaftsdiskurs also noch mitnichten die rückhaltlose Hingabe an den Freund, wie sie später, im 19. Jahrhundert, etwa Schleiermacher propagiert.536 In höfischen Freundschaften der Frühen Neuzeit beruht Vertrauen, anders als in der Konzeption der Romantiker, auf der gezielten Preisgabe von Informationen und der nachfolgenden Beobachtung des Freundes. Die höfische Freundschaft ist und bleibt eine von Politik durchwirkte Beziehung; wen man ins Vertrauen zieht und was man wem anvertraut, kann Folgen für die beiden Freunde und oft auch für Dritte haben.537 534 Gourville, M¦moires, op. cit., 185. 535 Luhmann, Vertrauen, op. cit., 27. 536 Friedrich Schleiermacher, Monologen, in: Friedrich Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe, Abt. 1, Bd. 12, hg. von Günter Meckenstock, 322 – 393, hier 353: »So bald ich etwas Neues mir angeeignet, an Bildung und Selbständigkeit hie und dort etwas gewonnen: eile ich dann nicht in Wort und That dem Freund es zu verkünden, daß er die Freude mit mir theile, und meines inneren Lebens Wachstum wahrnehmend selbst gewinne? Wie mich selbst lieb ich den Freund: sobald ich etwas für mich erkenne, geb ichs ihm hin.« 537 Es ist bezeichnend, dass Schleiermacher darüber klagt, dass sein Zeitalter von genau solchen Freundschaften dominiert sei; es ist typisch für die Neuausrichtung der Idee der

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Ein weiterer Begriff der Sprache der Freundschaft ist »croyance«. Gourville erwähnt diesen Begriff bei der Beschreibung seines Verhältnisses zu Louvois: »Depuis que M. de Louvois m’eut admis — son commerce, il m’a toujours t¦moign¦ de l’amiti¦ et de la confiance, mÞme, si je l’ose dire, beaucoup de croyance sur tout ce que je lui disais; et cela a dur¦ jusqu’— sa mort.«538 Der Freund erscheint hier also als derjenige, dem man glaubt, was er sagt; in der höfischen Gesellschaft, in der Falschinformationen im Kontext von Intrigen häufig gestreut werden, ist das ein großer Vertrauensbeweis. In der Sprache der frühneuzeitlichen Adelsfreundschaft fallen Vokabeln auf, die heute der Liebe vorbehalten sind. Zu nennen ist hier insbesondere der Begriff der »tendresse«. So schließt Cond¦ einen Brief an Guitaut: »Croyez que je ne vous abandonnerai jamais et que vous n’aurez jamais lieu de douter de ma tendresse et de mon amiti¦.«539 Dies kann so gedeutet werden, dass das Vokabular von Freundschaft und Liebe im 17. Jahrhundert noch nicht so streng getrennt ist wie in der Moderne.540 Hinzu kommt ein anderer Aspekt, der speziell die Sprache des grand siÀcle betrifft, nämlich die Preziosität.541 Jenseits der von MoliÀre in den »Pr¦cieuses ridicules« verspotteten Übertreibungen hat diese Bewegung eine Verfeinerung der französischen Sprache zum Ziel. Das Rohe und Direkte soll durch das Angedeutete und Indirekte ersetzt werden. Diese »sprachliche Dämpfung« führt auch dazu, dass in preziösen Texten mitunter Liebe als Freundschaft erscheinen kann; wenn von »tendre amiti¦« die Rede ist, ist eher Liebe als Freundschaft gemeint. Die als wilde Leidenschaft konzeptualisierte Liebe542 wird in den Formen der als ruhig und stabil aufgefassten

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Freundschaft bei den Romantikern, den Nutzenaspekt in der Freundschaft abzuwerten: »Darauf ist Alles andere auch gerichtet: vermehrten äußern Besitz des Habens und Wissens, Schutz und Hülfe gegen Schiksal und Unglükk, vermehrte Kraft im Bündnis zur Beschränkung der Andern: das nur suchet und findet der Mensch von Heute in Freundschaft, Ehe und Vaterland; nicht Hülfe und Ergänzung der Kraft zur eignen Bildung, nicht Gewinn an neuem inneren Leben.« (Schleiermacher, Monologen, op. cit., 364 – 365). Gourville, M¦moires, op. cit., 209. Archives de Chantilly O I 165, ohne Datum, vom Archivar auf Ende 1662 datiert. Die mediävistische Forschung weist schon seit längerem darauf hin, dass im Mittelalter die Semantiken von Freundschaft und Liebe und – in einzelsprachlich unterschiedlich starkem Maße – auch diejenigen von Freundschaft und Verwandtschaft noch nicht getrennt sind, cf. Althoff, Verwandte, Freunde und Getreue, op. cit.; Klaus van Eickels, Freundschaft im (spät) mittelalterlichen Europa. Traditionen, Befunde und Perspektiven, in: Oschema (Hg.), Freundschaft oder ›amiti¦‹?, 23 – 34, hier 23 – 25; Claudia Garnier, Politik und Freundschaft im spätmittelalterlichen Reich, in: ebd., 35 – 65, hier 55. Der Prozess der Ausdifferenzierung dieser Semantiken ist in der Frühen Neuzeit in vollem Gange und noch keineswegs abgeschlossen. Zur Preziosität vgl. Roger LathuillÀre, La Pr¦ciosit¦. Etude historique et linguistique, tome 1: Position du problÀme – les origines, Genf 1966. Als epochenübergreifendes Phänomen wird Preziosität aufgefasst bei Ren¦ Bray, La pr¦ciosit¦ et les pr¦cieux. De Thibaut de Champagne — Jean Giraudoux, Paris 1948. Cf. Luhmann, Liebe als Passion, op. cit., 71 – 96.

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Freundschaft ausgedrückt. Das hindert die Preziösen aber nicht daran, auch platonische Freundschaften in empfindsamem Vokabular auszugestalten. So schreibt Madame de S¦vign¦ an den Dichter M¦nage anlässlich ihrer Versöhnung nach einem Streit: »[je] me loue si fort de votre tendresse et de votre amiti¦, que je veux prendre — t–che d¦sormais d’en dire autant de bien que j’en ai dit de mal.«543 Ein Begriff, der in der Forschungsdiskussion von großer Wichtigkeit gewesen ist, ist die »fid¦lit¦«. Der pÀre Bergier schreibt sie beispielsweise in seiner Eloge auf Cond¦ als Freund dem Freundschaftsverhältnis zwischen Cond¦ und dem mar¦chal de Gramont zu: »J’estois un jour — Chantilly avec luy [sc. Mr le Prince], quand il apprit que Mr le mar¦chal de Grammont estoit tout d’un coup tomb¦ malade dangereusement — la Cour, il partit une heure aprÞs pour se rendre incessamment auprÞs d’un amy, dont il avoit ¦prouv¦ la fid¦lit¦ dans tous les temps de sa vie, bons & mauvais.«544

Seine Prominenz als analytisches Konzept verdankt das Konzept Roland Mousnier ; er deutete »fid¦lit¦« als Ausdruck lebenslang bewahrter Treuebindungen zwischen Ungleichen.545 Mousniers Kritiker haben zu Recht eingewandt, dass Mousnier die Rhetorik der Zeitgenossen zum Nennwert nahm und vom Diskurs direkt auf die soziale Praxis schloss.546 Sie warfen ihm vor, seine methodische Entscheidung, die Analyse auf frühneuzeitlichen Traktaten anstatt auf dem Verhalten der Akteure aufzubauen, habe zu Fehlschlüssen geführt.547 Die Ergebnisse des »linguistic turn« erlauben es, die binäre Alternative zwischen »aufrichtiger« Repräsentation von Gefühlen und Verschleierung falscher Absichten zu transzendieren; denn Sprache trägt selbst zur Ausformung der Beziehungen bei, in denen sie verwendet wird. Sie ist nicht bloße Abbildung, die die Absichten und Gefühle des Sprechers richtig oder falsch nach außen darstellt. Wenn somit »fid¦lit¦« als eines der Elemente der affektiven Rhetorik der Freundschaft erkannt wird, so heißt das nicht, dass der Begriff deshalb bloßes Ornament wäre. Was immer im Innern des Sprechers vorgeht: wer ein affektives Vokabular verwendet, sendet damit Botschaften der Loyalität aus, an denen sein Handeln vom Adressaten später gemessen werden kann. Treue zu versprechen

543 Madame de S¦vign¦, Lettres, hg. von Bernard Raffalli, op. cit., 39 – 40. 544 Bergier, De morte Ludovici Borbonii, op. cit., 260 – 273. 545 Mousnier, Les Institutions de la France sous la monarchie absolue, 1598 – 1789, op. cit., Bd. I: Soci¦t¦ et Etat, 85 – 93. Kommentierend zur auf Mousnier folgenden Forschungsdiskussion Boltanski, Les ducs de Nevers et l’Etat royal, op. cit., 174 – 177. 546 Herman, The Language of Fidelity in Early Modern France, op. cit., 3. 547 Neuschel, Word of Honor, op. cit., 10.

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und dann nicht verfügbar zu sein, wenn man gebraucht wird, ist riskant für die eigene Reputation.548 Ein weiterer Schlüsselbegriff der Sprache der Freundschaft ist »affection«. Zu diesem Begriff muss gleich eingangs gesagt werden, dass Rückschlüsse von der behaupteten Zuneigung auf Seelenzustände der Akteure methodologisch höchst schwierig wären. Stärker als »fid¦lit¦« verweist »affection« auf Empfindungen, nicht nur auf Überzeugungen. Die oben angesprochene Akzentverschiebung der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit von der Repräsentationsfunktion der Sprache zu ihrer Eigenschaft, die Wirklichkeit zu strukturieren und mitzugestalten, hat auch den Blick dafür geschärft, dass das Innenleben der Akteure nicht zugänglich ist: nur ein »Ich im Text« ist greifbar, also die Stilisierung der Verfasser gegenüber ihren Lesern, seien sie Zeitgenossen oder Nachgeborene. Am Begriff der »affection« lässt sich ein weiterer Charakterzug der Sprache der Freundschaft veranschaulichen, der Rückschlüsse auf die »wahren« Empfindungen der Akteure erschwert, nämlich der Konventionscharakter vieler ihrer Termini. Dieser Charakter des Begriffs »affection« gilt natürlich vor allem für Briefe, weil deren Sprache den Regeln der Höflichkeit unterliegt; daneben muss in Briefen wie auch in narrativen Texten die Selbststilisierung des Autors bedacht werden. Es wäre daher problematisch, die Rede von der »affection« zum Nennwert zu nehmen. In Briefen fällt vor allem auf, dass das Adjektiv »affectionn¦« Teil von Schlussformeln in Briefen ist, die von deutlich höherrangigen Personen an rangniedrigere Adressaten gesendet werden. Der Briefsteller Jean Puget de la Serre sagt auch explizit, dass die Formel »Vútre tr¦s humble & tr¦s affectionn¦ serviteur« für Adressaten gilt, die niedriger im Rang stehen als der Sender des Briefes.549 Dies bestätigt sich in den überlieferten Korrespondenzen höfischer Adliger. Der Graf von Bussy-Rabutin erhält von Kardinal Mazarin550 wie auch vom Herzog von Epernon551 Briefe, die mit der Formel »votre trÀs-affectionn¦ serviteur« enden. Beide sind von deutlich höherem Rang als der Graf. Diese Formel weicht also von der Formel »votre trÀs-humble et trÀs-ob¦issant servi-

548 So das Argument bei Herman, The Language of Fidelity in Early Modern France, op. cit., der allerdings die gesamte affektive Rhetorik für ein reines Sprachspiel hält. 549 Jean Puget de La Serre, Le secr¦taire — la mode. Augment¦ d’une Instruction d’¦crire des Lettres, cy devant non imprim¦e. Avec un recüeil de Lettres Morales des plus beaux esprits de ce temps. Plus le devis d’un Cavalier & d’une Damoiselle. Ensemble de nouveaux Complimens de la Langue FranÅoise, lesquels n’ont et¦ encor v˜s, Rouen 1693, 34 – 35. Zu Puget de La Serre cf. Jacques Chupeau, Puget de La Serre et l’esth¦tique ¦pistolaire : les avatars du ›Secr¦taire de la cour‹, in: Cahiers de l’association internationale des ¦tudes franÅaises 39 (1987), 111 – 126. 550 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 237. – Der Brief ist datiert auf den 14. Februar 1652. 551 Ebd., 240. – Der Brief ist datiert auf den 21. Februar 1652.

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teur« ab, die als Standardschlussformel gilt.552 Gleich doppelt lässt sich hier der Konventionscharakter der Sprache nachweisen. Erstens erscheint in beiden Formeln der Begriff des »serviteur«. Er scheint eine Unterordnung auszudrücken – und tut das auch, wenn er in narrativen Texten gebraucht wird; wenn sich dort ein Adliger niederen oder mittleren Ranges als Diener eines Prinzen oder Herzogs bezeichnet, ist damit – in etischen Kategorien gesprochen – eine klienteläre Beziehung gemeint. In der Sprache des Briefes ist die Rede vom »serviteur« dagegen eine rhetorische Selbstherabstufung. Die Herabstufung ist aber wiederum nur eine scheinbare, denn die verschiedenen Adjektive, die dem Substantiv »serviteur« beigeordnet werden, codieren die Rangdifferenz zwischen Sender und Empfänger, ohne sie auszusprechen. Hier kommt der zweite Aspekt konventioneller Sprache ins Spiel: »affectionn¦« erweist sich als Codewort für »übergeordnet«, hat also mit der Intensität der Beziehung gar nichts zu tun. Interessant ist an dieser Stelle auch, dass der Begriff des »serviteur« sich nicht einordnet in ein System der Selbstherabstufung und der Aufwertung des anderen, in dem sich der Gleiche als niedriger und der Übergeordnete als gleich darstellen würde. Statt dessen finden wir ein System, in dem jeder Sender der »Diener« des Adressaten ist – und in dem auf einer zweiten, codierten Ebene die Rangdifferenz umgehend wieder manifestiert wird. Der einzige, der daran nicht partizipiert, ist übrigens der König; königliche Briefe enden mit der Formel »que Dieu vous prenne, Monsieur, en sa trÀs-sainte garde« oder Variationen davon; so endet etwa ein Brief Ludwigs XIV. an Bussy-Rabutin: »Sur ce, je prierai Dieu qu’il vous ait, monsieur de Bussy-Rabutin, en sa sainte garde«.553 Der König ist also auch auf der Ebene der codierten Briefsprache aus dem Adel herausgehoben: er ist der einzige, der sich niemals selbst herabstuft. Interessanterweise aber erhöht er sich auch nicht selbst, bezeichnet sich nicht etwa als »votre ma„tre«, sondern wechselt komplett das Register : er erbittet den Schutz Gottes für den Adressaten des Briefes. Rangdifferenzen werden in Briefen also nur codiert ausgesprochen; so ist der Text zumindest in seiner wörtlichen Bedeutung kompatibel mit dem Ideal der christlichen Demut, das sich in der biblischen Formel manifestiert: »Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.«554 In narrativen Texten erscheint das Substantiv »affection« des Öfteren im Umkreis von »amiti¦«. Gourville verwendet die beiden Wörter in einer Weise, die sie geradezu als eine Tautologie erscheinen lässt. Er hat dem Herzog von Hannover vorgeschlagen, katholisch zu werden; dadurch könne dieser, so 552 Nathanael Adam, Le secr¦taire franÅois, Paris 1615, 15. 553 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 236. 554 Mt 23,12; Lk 18,14.

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Gourville, vielleicht eine Kurwürde erlangen. Der Herzog lehnt ab: »Il lui [sc. dem Fürsten von Fürstenberg, den Gourville herbeigebeten hat] dit que la proposition lui paraissait belle et bonne, mais qu’il la regardait seulement comme une marque de l’affection et de l’amiti¦ que j’avais pour lui, parce qu’il voulait mourir dans sa religion.«555 Auch in narrativen Texten kommt die Verbindung des Terminus »affection« mit hierarchischen Beziehungen zum Ausdruck. Dies zeigt sich beispielsweise in einer Passage, wo Bussy-Rabutin sich darüber auslässt, wie Guitaut zum Favoriten Cond¦s geworden sei. Nachdem er Guitauts Lebensgeschichte kurz resümiert hat, erläutert er, dass Guitaut als Gascogner Umgang mit dem mar¦chal de Gramont gepflegt habe: »celui-ci lui rendit de bons offices auprÀs du prince qui, le trouvant — son gr¦, prit de l’affection pour lui et fit sa fortune.«556 Er berichtet weiter, dass er selbst die Zuneigung des Prinzen von Conti gewonnen habe – dieser ist nicht nur höheren Ranges als er, sondern sogar sein militärischer Vorgesetzter, da er den Feldzug nach Katalonien befehligt, an dem Bussy-Rabutin als Offizier teilnimmt. Bussy-Rabutin schreibt über ihn: »il avoit de la bont¦ et de la tendresse pour ses amis, et comme il ¦toit persuad¦ que je l’aimois fort il m’honoroit d’une affection trÀs-particuliÀre.«557 Ebenso wie bei der Freundschaft überrascht auch bei der Zuneigung der Umstand, dass man jemanden mit ihr »beehren« kann. Diese Formulierung drückt sicherlich zunächst einmal einen Rangunterschied aus – einen Höherrangigen kann man »ehren«, »verehren«, aber schwerlich »mit etwas beehren«. Außerdem dürfte aber wie bei der Freundschaft selbst die Vorstellung hineinspielen, dass es auch bei der Zuneigung weniger um reine Gefühlszustände als um Loyalität geht. Die Zuneigung erscheint als Wertschätzung, die man sich durch Verdienste und Loyalität erwirbt, im Gegensatz zur irrationalen Passion, die den Menschen überfällt und übermächtig gegenüber Einwänden des Verstandes ist. Die »affection« enthält aber auch ein Moment des Wohlwollens des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren. Dies kann demonstriert werden am Beispiel der »affection«, die Erwachsene für Kinder hegen. Die Grande Mademoiselle beschreibt, wie sie als kleines Mädchen die »affection« ihrer Großmutter Maria von Medici erfährt; dies ist wegen des Unterschiedes von zwei Generationen und wegen des Rangunterschiedes zwischen Königin und Prinzessin kein Verhältnis auf Augenhöhe: »La reine, ma grand-mÀre, Marie de M¦dicis, m’aimait extrÞmement et t¦moignait, — tout ce que j’ai ou dire, beaucoup plus de tendresse pour moi qu’elle n’avait jamais fait pour ses propres enfants; et comme Monsieur en avait toujours ¦t¦ le plus ch¦ri, cette 555 Gourville, M¦moires, op. cit., 254. 556 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 159 – 160. 557 Ebd., 358.

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consid¦ration, jointe — l’estime et — l’affection qu’elle avait eues pour ma mÀre, fait qu’on ne doit pas s’¦tonner de l’amiti¦ qu’elle avait pour moi.«558

Die »amiti¦« der Großmutter zu ihrer Enkelin wird hier also hergeleitet aus der »tendresse« für ihren Sohn und dem »estime« und der »affection« für ihre Schwiegertochter. Weiter unten in der sozialen Hierarchie ist die Beziehung Nicolas Goulas’ zu seinem Lehrer Richer angesiedelt, den er am CollÀge kennenlernt und über den er notiert: »Il me prist en affection dÀs qu’il me vist«.559 Mit diesen Beispielen soll nicht behauptet werden, der Begriff »affection« codiere grundsätzlich hierarchische Verhältnisse; es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass er das kann. Auch zur Beschreibung von Beziehungen, in denen nicht unbedingt ein Verhältnis der Unterordnung des einen Partners unter den anderen erkennbar ist, kann der Terminus verwendet werden. So notiert Tavannes über Mazarin, der nach der Befreiung der Prinzen 1651 ins Exil geht: »L’Electeur de Cologne lui envoya pour lors des assurances de son affection, qui le firent r¦soudre — se retirer auprÀs de lui.«560 Hier ist die hierarchische Situation zumindest unklar : auch wenn Mazarin der Exilant ist, dem der Erzbischof von Köln Asyl gewährt, so ist er doch auch ein Kardinal. Schließlich gibt es auch Passagen, in denen von der »affection« der Diener zu ihren Herren die Rede ist. Goulas berichtet von einem Edelmann, der selbst sein Freund ist; dieser hat Gaston d’Orl¦ans eingeredet, seine gesamte Umgebung halte nur aus eigenem Nutzenkalkül zu ihm. Goulas urteilt, es sei »bien inconsider¦ ou bien meschant d’empoisonner ainsi l’esprit des princes contre leurs serviteurs et les persuader que, tout ce qui estoit autour d’eux cherchant son seul interest, personne n’alloit au leur et les servoit par affection.«561 Ein weiterer Begriff, der sich im Umkreis von »amiti¦« findet, ist derjenige des »sentiment« im Singular oder Plural. Er ist in narrativen Texten ein komplexer Begriff, der viele Stimmungen und Haltungen, aber auch Absichten beschreiben kann. Gourville berichtet, wie ihn der aus dem Exil zurückgekehrte Cond¦ Anfang 1660 zu sich rufen lässt. Es geht um die heikle Frage, wie Cond¦ sich künftig zu Mazarin verhalten soll. Dieser hat den Machtkampf zwischen den beiden ja gewonnen: Cond¦ ist ein begnadigter Rebell, Mazarin der Premierminister Ludwigs XIV. Cond¦ versucht also, eine Freundschaft mit Mazarin zu knüpfen; Gourville soll als sein Bote zum Kardinal gehen. Der Prinz macht Gourville deutlich, dass er ihn ins Vertrauen zieht: »AprÀs m’avoir beaucoup 558 559 560 561

M¦moires de la Grande Mademoiselle, op. cit., 26. Goulas, M¦moires, op. cit., 73. Tavannes, M¦moires, op. cit., 96. Goulas, M¦moires, op. cit., 244 – 245.

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parl¦ de tout ce qui le regardait, il me dit qu’il me disait ses sentiments comme — un homme auquel il se confiait entiÀrement, comme il l’avait fait autrefois.«562 Leider berichtet Gourville nicht, um welche »sentiments« es sich handelt. Vermutlich dürfen sie aber eher mit »Standpunkte, Pläne und Absichten« übersetzt werden als mit den Gefühlen des Prinzen gegenüber dem Kardinal. Denn Gourville erwähnt, Cond¦ habe ihm erzählt von »l’amiti¦ qu’il me disait Þtre commenc¦e entre lui et Monsieur le Cardinal«. Nun hat die Rivalität zwischen dem Prinzen und dem Kardinal eine lange Geschichte, sie geht im Grunde zurück auf die Zeit unmittelbar nachdem Richelieu und Ludwig XIII. gestorben waren; und immerhin hatte Mazarin Cond¦ dreizehn Monate lang präventiv inhaftieren lassen, und dieser hatte danach gegen ihn einen Bürgerkrieg geführt. Vergegenwärtigt man sich diese Vorgeschichte, so dürfte die Freundschaft zwischen Cond¦ und Mazarin wie kaum eine andere ein Beleg dafür sein, dass das frühneuzeitliche Freundschaftskonzept rein strategische Allianzen umfassen kann, in denen keiner der beiden Partner an die Zuneigung des anderen glaubt. Ob diese Freundschaft von Dauer gewesen wäre, ist eine kontrafaktische Frage: etwa ein Jahr nach der beschriebenen Szene stirbt der Kardinal. Der Gebrauch von »sentiment« im Sinne von »politischer Meinung« wird noch deutlicher bei Coste, der über ein Treffen Cond¦s mit Vertrauten im Jahre 1648 schreibt: »Ce Prince avoit admis — sa confiance deux personnes de qualit¦ & de m¦rite, qui avoient des sentiments bien oppos¦s, savoir le duc de Ch–tillon, & le Mar¦chal de Grammont. Le premier lui inspiroit de se d¦clarer pour le Parlement, ou du moins de moderer les differends avec toute la neutralit¦ possible; & l’autre attach¦ par toutes sortes d’int¦rÞts — la Cour, employoit ses persuasions pour lui faire prendre son parti.«563

Der Begriff des »sentiment« kann jedoch durchaus auch heftige Emotionen beschreiben. Die Grande Mademoiselle beschreibt eine Situation, in der sie von Gefühlen geradezu überwältigt wird. Ihre Freundin Mademoiselle d’Epernon hat sich entschlossen, nicht zu heiraten und stattdessen ins Kloster zu gehen. Sie lässt sich von der Grande Mademoiselle weder umstimmen noch wenigstens zur Wahl eines Klosters in Paris bewegen; stattdessen wählt sie ein Kloster in Bourges. Die Grande Mademoiselle besucht sie dort; als sie sich treffen, empfindet die Grande Mademoiselle Abscheu angesichts der Tatsache, dass ihre Freundin freiwillig das Eingeschlossensein wählt: »Lorsqu’elle fut arriv¦e, elle m’envoya prier de l’aller voir : j’y allai dans un esprit de colÀre et d’une personne outr¦e d’une violente douleur, et bien r¦solue de lui t¦moigner 562 Gourville, M¦moires, op. cit., 121. 563 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 124.

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mon ressentiment sur tous les sujets que j’avais de me plaindre d’elle. Lorsque je la vis, je ne fus touch¦e que de tendresse; et tous les autres sentiments c¦dÀrent si fort — celuil— qu’il me fut impossible de le lui cacher, puisque mes larmes et l’extrÞme douleur que j’avais m’empÞchÀrent de pouvoir lui parler ; elles ne discontinuÀrent pas pendant deux heures que je fus avec elle, sans pouvoir lui dire une parole. Elle reÅut cela avec la derniÀre cruaut¦; peut-Þtre que les autres trouvÀrent cela fermet¦; l’amiti¦, que j’avais eue pour elle, fait que je ne la puis nommer autrement. Elle me plaignait de plaindre ainsi son bonheur et me reprochait que ce n’¦tait pas l’aimer que d’en user ainsi; puis elle me fit des sermons qui ne me touchÀrent point: j’en pus profiter ; je m’affligeai seulement.«564

Die Grande Mademoiselle betont, später habe sie erkannt, dass sie in der Welt viel unglücklicher sei als ihre Freundin im Kloster ; jene müsse vielmehr über sie klagen, nicht umgekehrt. Sicher ist hier in Rechnung zu stellen, dass die beschriebene Szene sich anbietet, um den Topos anzubringen, dass die vita activa in der Welt nur scheinbar reicher sei als die den Weltverzicht einschließende vita contemplativa. Interessanterweise betont die Grande Mademoiselle an dieser Stelle die lebenslange Dauer ihrer Freundschaft: »Quant — l’amiti¦ que j’ai pour elle, elle durera autant que ma vie.«565 Coste, der über eine inzestuöse Beziehung des Prinzen von Conti zu seiner Schwester spekuliert, schreibt, dieser habe sich von seinen Gefühlen mitreißen lassen: »Il se laissoit poss¦der par la duchesse de Longueville sa Sœur, & s’abandonnoit si fort — tous ses sentiments, qu’on a cru, quoi qu’injustement, qu’il e˜t pour elle une passion qui passoit les bornes de la plus violente amiti¦.«566 Interessant ist an diesem Zitat im übrigen, dass Freundschaft als prinzipiell gemäßigt gesehen wird, auch wenn es eine »violente amiti¦« gibt, die einen Grenzfall zur Leidenschaft darstellt. Niklas Luhmann hat herausgearbeitet, dass im französischen 17. Jahrhundert die Freundschaft als dauerhaft und ruhig gesehen wird, wohingegen die Liebe als leidenschaftlich, aber unfähig zur Dauer erscheint.567 Der Begriff des »sentiment« bezeichnet also je nach Kontext einerseits Emotionen, die durchaus auch – wie im Fall der Grande Mademoiselle – mit körperlichen Reaktionen wie Tränen einhergehen können, andererseits aber auch kühle, berechnende Meinungen über die politische Situation.

564 565 566 567

M¦moires de la Grande Mademoiselle, op. cit., 69. Ebd., 70. Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 96. Cf. Luhmann, Liebe als Passion, op. cit., 94.

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II.3.3. Freundesbezeichnungen Neben den abstrakten Substantiven, die Nahbeziehungen bezeichnen, stehen andere, die in einer Nahbeziehung miteinander verbundene Personen bezeichnen. Auch hier gilt wie bei den Abstrakta, dass die genannten Wörter keinesfalls eine Aufzählung von Synonymen für »Freund« sind. Allerdings ist daran zu erinnern, dass man es im Bereich der Freundschaft nicht mit einem festgefügten System aufeinander bezogener Rollenbezeichnungen zu tun hat, wie das im Bereich der zugeschriebenen Verwandtschaftsbeziehungen oder der juristisch kodifizierten Feudalbeziehungen der Fall ist. Semantische Überschneidungen der genannten Begriffe mit »ami« und auch ihre gelegentliche Verwendung als Synonyme für dieses Wort begegnen daher in den Quellen. Die mediävistische Forschung hat darauf hingewiesen, dass im Mittelalter das Feld der Bezeichnungen für die Phänomene Freundschaft, hierarchische Abhängigkeitsbeziehung, Verwandtschaft und schließlich Liebe noch weniger klar unterteilt ist als in der Frühen Neuzeit.568 In der Frühen Neuzeit beginnen die entsprechenden Bezeichnungen sich auszudifferenzieren; dieser Prozess ist im 17. Jahrhundert aber bei weitem noch nicht abgeschlossen. Das zeigt sich daran, dass »amiti¦«, wie oben am Beispiel der Grande Mademoiselle und ihrer Großmutter geschildert, noch für besonders innige Verhältnisse zwischen Verwandten verwendet werden kann; dass der Begriff als gedämpfter Terminus zur Umschreibung von »amour« verwendet werden kann; und dass hierarchische Beziehungen als Freundschaften aufgefasst werden können, so lange der Abstand nicht zu groß wird. Die Begriffe »parent¦«, »amour«, »fid¦lit¦«, dazu personenbezogene Konzepte wie »ma„tre« und »serviteur« stehen durchaus schon zur Verfügung; aber noch hat sich die Idee nicht durchgesetzt, dass Freundschaft und Verwandtschaft oder Freundschaft und Hierarchie sich gegenseitig ausschließen. Freunde können auch als »camarades« bezeichnet werden. Bei Bassompierre findet sich eine Stelle, wo die beiden Begriffe explizit synonym verwendet werden. Bassompierre spricht mit seinem Freund Cr¦qui, um einen (aus Rivalität um die Zuneigung einer Frau entstandenen) Konflikt zwischen ihren gemeinsamen Freunden Saint-Luc und La Rochefoucauld beizulegen: »Nous juge–mes, M. de Cr¦qui et moi, biens¦ant d’empÞcher cette froideur entre amis et les nútres si particuliers. M. de Cr¦qui me dit: ›Parlez-en de votre cút¦ — votre camarade, et j’en ferai de mÞme du mien; et si nous y voyons jour, demain au matin nous les ferons embrasser.‹«569

568 van Eickels, Freundschaft im (spät)mittelalterlichen Europa, op. cit., 24. 569 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XX, 43 – 44.

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Eine weitere Bezeichnung ist der »confident«. Bei Bussy-Rabutin findet sich der Begriff in einem reichlich frivolen Kontext. Er macht seinen Freund Chavagnac zum Mitwisser seiner amourösen Abenteuer mit der comtesse de Moulins, da er ihn als Rivalen fürchtet; als sein Vertrauter, so rechnet er sich aus, werde Chavagnac Hemmungen haben, ihn zu hintergehen: »Mon dessein ¦toit de le faire mon confident, pour les commodit¦s qu’il me pouvoit donner de la [sc. la comtesse] voir, et de peur mÞme qu’il ne dev„nt mon rival; car encore que ce ne soit pas toujours un coup s˜r, n¦anmoins l’honneur ou du moins la honte de paro„tre infidÀles — leurs amis, retient souvent les gens qui ne sont pas encore fort touch¦s.«570 Von besonderem Interesse sind Termini, die Rangunterschiede in Freundschaften bezeichnen. Ihre Analyse kann zu der Diskussion über die Frage beitragen, ob die Rhetorik der Freundschaft tatsächlich ein Mittel der Verschleierung von Rangunterschieden ist. Hier ist zwischen dem Reden mit dem Freund und dem Reden über den Freund zu unterscheiden. Im Reden mit dem Freund wird in der Tat beim Gebrauch der Wörter »ami« und »amiti¦« nicht explizit auf den Rangunterschied in der Freundschaft hingewiesen. Dennoch dient der Begriff der Freundschaft keineswegs der Verschleierung des Rangunterschiedes, der nämlich durchaus ausgedrückt wird, und zwar in den codierten Schlussformeln der Briefe. »Amiti¦« aber ist nicht Teil dieser Schlussformeln. Der Begriff wird auch nicht ausschließlich »von oben nach unten« gebraucht. Zur Illustration mag ein Brief Mazarins an Bussy-Rabutin aus dem Jahre 1652 dienen. Der Kardinal ist sowohl durch seinen Rang als auch durch seine Machtstellung dem Grafen überlegen. Dennoch spricht der Kardinal im Brief nicht von seiner Freundschaft zu dem Grafen, sondern von dessen Freundschaft zu ihm. Bussy-Rabutin hat ihm mitten in der Fronde seine Dienste angeboten; der Kardinal antwortet: »Monsieur, Je vous suis sensiblement oblig¦ des offres que vous avez bien voulu me faire par la lettre que ce gentilhomme m’a rendue de votre part: ce sont des marques d’amiti¦ — n’oublier jamais.«571 Zugegebenermaßen steht der Brief in Bussy-Rabutins eigenen Memoiren, könnte also von ihm gefälscht sein; wenn er allerdings auf diese Weise versuchen würde, den Rangunterschied zwischen ihm und dem Kardinal umzudrehen, wäre dieses Bemühen vergeblich, da kein Zeitgenosse ihm glauben würde. Gegen die These vom verschleierten Rangunterschied spricht weiter, dass die Stellung eines jeden Höflings im Gefüge der höfischen Hierarchien ihm selbst und auch den anderen genau bekannt ist; man kann gegenüber einem Gesprächspartner darauf verzichten, auf dem Unterschied zu insistieren, aber man kann ihn nicht gegenüber Dritten (also beispielsweise den Lesern narrativer Texte) verheimlichen. 570 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 103. 571 Ebd., 221 – 222.

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Die Selbstbezeichnung als »ami« dagegen ist in Briefen dem Ranghöheren vorbehalten – auch hier also verschleiert die Freundschaftsterminologie nicht den Rangunterschied, sondern codiert ihn lediglich. Dieser Gebrauch ist kein Spezifikum der Frühen Neuzeit. Klaus van Eickels hat nachgewiesen, dass der Begriff des Freundes im mittelalterlichen deutschen Reich bereits denselben Gebrauchsregeln unterliegt: in einer Lehensbeziehung redete der Lehensherr den Vasallen als Freund an, dieser jedoch hatte seinerseits den Herrn als dominus anzureden. Van Eickels betont zu Recht, dass der Vasall es sich nicht erlauben durfte, seinen Lehensherrn als Freund anzureden, da dies eine Provokation dargestellt hätte; dieser jedoch konnte auch den Vasallen nicht als Befehlsempfänger behandeln, ohne ihn zu demütigen.572 Diese Überlegungen gelten für ungleiche Freundschaften des frühneuzeitlichen Adels ebenso; im Normenhorizont der Zeitgenossen stehen diese Bindungen in der Tradition feudaler Beziehungen, auch wenn sie im Gegensatz zu diesen nicht mehr formalisiert werden. Bei den asymmetrischen Anreden geht es nicht um die Verschleierung der Hierarchie, sondern um die Rücksichtnahme auf das Ehrgefühl des jeweils anderen. Der Lehensherr, Patron oder amicus potentior hat Anspruch auf die Anerkennung seiner Überlegenheit, der Vasall, Klient oder amicus tenuior Anspruch darauf, dass seine Autonomie und Entscheidungsfreiheit respektiert wird.573 In narrativen Texten dagegen ist der Begriff des Freundes flexibler ; er kann Personen bezeichnen, die im Rang höher, etwa auf der gleichen Stufe oder niedriger stehen als der andere. In diesem Reden über den Freund wird der Rangunterschied sogar oft expressis verbis thematisiert. Eine Person kann sowohl als »ami et serviteur« als auch als »seigneur et ami« einer anderen bezeichnet werden. Beauvais-Nangis beschreibt seine Freundschaft zum Herzog von Bouillon als ein Verhältnis, das sowohl von Freundschaft wie von einer klaren Hierarchie geprägt ist: »Depuys ce temps, mondit sieur de Bouillon m’a tousjours pris en amiti¦, et moy je l’ay honor¦ comme un des meilleurs seigneurs et amys que j’aye eu.«574 Später schreibt er über den Herzog von Montbazon, »que je tenoys en ce temps-l— pour un de mes meilleurs seigneurs et amys«.575 Seinen Vater beschreibt Beauvais-Nangis als »amy et serviteur« des Herzogs von Guise.576 Dieselbe Flexibilität ist a fortiori bei der Beschreibung von Freundschaften möglich, an denen der Autor nicht beteiligt ist. Solchen Befunden kommt in der Debatte um Freundschaft und Rang große 572 van Eickels, Freundschaft im (spät)mittelalterlichen Europa, op. cit., 26 – 27. 573 Wir greifen hier eine Terminologie Giovanni Della Casas auf, der seinen Traktat über die ungleiche Freundschaft De officiis inter potentiores ac tenuiores amicos nennt. 574 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 92. 575 Ebd., 93 – 94. 576 Ebd., 43.

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Bedeutung zu. In der bisherigen Forschung ist die Ansicht vertreten worden, dass der Terminus Freundschaft in hierarchischen Beziehungen der Verschleierung des Rangunterschiedes diene und somit als reiner Euphemismus aufzufassen sei; dem liegt die Vorannahme zugrunde, Freundschaft sei immer als eine Beziehung unter Gleichen aufgefasst worden und schließe hierarchische Verhältnisse unter den Freunden grundsätzlich aus.577 Stützt man sich nur auf Korrespondenz und nicht auch auf narrative Quellen, kann ein solcher Eindruck in der Tat entstehen, weil ein Rangniedrigerer sich in den Briefschlussformeln immer als »serviteur« und nicht als »ami« eines Ranghöheren bezeichnen wird. Verwirrend ist dabei auf den ersten Blick, dass der Ranghöhere sich ebenfalls als »serviteur« bezeichnet. Die Unterschiede liegen in den genauen Zusätzen.578 Der Begriff des »ami« ist im Untersuchungszeitraum nicht mehr Teil dieser Formelschemata; es ist also nicht so, dass »ami« und »serviteur« ein Begriffssystem bilden würden, in dem der eine Begriff für egalitäre, der andere für hierarchische Verhältnisse stünde. Hinsichtlich des Gebrauchs von »ami« ändern sich ganz offensichtlich die Regeln im Laufe des 17. Jahrhunderts. Im 16. Jahrhundert ist »amy« noch geläufiger Teil von Briefschlussformeln. Ein Blick in Briefsteller-Traktate579 macht deutlich, dass der Freundschaftsbegriff im 577 Wolfgang Reinhard definiert Freundschaften als Beziehungen unter Gleichen. Er räumt zwar ein, dass die Grenze zwischen Freundschaft und Patronage fließend sei, will aber dennoch die Bezeichnung von Klienten als »amici« durch ihre Patrone als Euphemismus verstanden wissen, den man nicht wörtlich nehmen dürfe, cf. Reinhard, Freunde und Kreaturen, op. cit., 38 – 39. Sharon Kettering definiert Freundschaft als symmetrische Austauschbeziehung: »Friends were bound together by mutual respect and affection in a relationship that was enjoyable and useful but not absolutely necessary to them both. It was a free, horizontal alliance of equality in what was exchanged.« (Kettering, Patrons, Brokers, and Clients, op. cit., 14). 578 Cf. infra. 579 Zum Briefeschreiben in der Frühen Neuzeit Janet Gurkin Altman, Epistolarity. Approaches to a Form, Columbus, OH 1982; Dies., The Letter Book as a Literary Institution, 1539 – 1789. Toward a Cultural History of Published Correspondences in France, in: Yale French Studies 71 (1986) (Themenheft »Men/Women of Letters«), 17 – 62. Cf. des weiteren Maurice Daumas, Manuels ¦pistolaires et identit¦ sociale (XVIe-XVIIe siÀcles), in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 40 (1993), 529 – 556; Alain Viala, La genÀse des formes ¦pistolaires en franÅais et leurs sources latines et europ¦ennes. Essai de chronologie distinctive, in: Revue de litt¦rature compar¦e 218 (1981), 168 – 183; Guy Guedet, Arch¦ologie d’un genre. Les premiers manuels franÅais d’art ¦pistolaire, in: M¦langes sur la litt¦rature de la Renaissance — la m¦moire de V.-L. Saulnier, Genf 1984 (Travaux d’humanisme et renaissance 202), 87 – 98; Guy Guedet, L’art de la lettre humaniste. Textes r¦unis par Francine Wild, Paris 2004; Marc Fumaroli, A l’origine d’un art franÅais : la correspondance familiÀre, in: Ders., La diplomatie de l’esprit : de Montaigne — La Fontaine, Neuausgabe Paris 1998, 163 – 181. In deutscher Sprache Angelika Ebrecht (Hg.), Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. Texte, Kommentare, Essays, Stuttgart 1990. In italienischer Sprache Maria Luisa Doglio, L’arte delle lettere. Idea e pratica della scrittura epistolare tra Quattro e Seicento, Bologna 2000.

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Laufe des 17. Jahrhunderts aus diesen Formeln verschwindet. Nathanael Adam nennt in »Le secr¦taire franÅois« (1615) »amy« noch als Teil von Schlussformeln. Der Begriff fällt in folgenden Briefschlussformeln: »Vostre affectionn¦ amy — vous servir« »Vostre affectionn¦ amy« »Vostre entiÀrement bon amy — vous servir« »Vostre entiÀrement bon amy« »Vostre meilleur amy« »Vostre bon amy«580

In Jean Puget de La Serres »Le secr¦taire — la mode« (1693)581 kommt »ami« nicht mehr in den Formeln vor, die vom Autor als möglich aufgezählt werden. In Barth¦l¦my Pi¦lats »Le secr¦taire inconnu« (1677) gibt es keinen Erläuterungsteil; alle angeführten Beispielbriefe sind jedoch stereotyp mit der Standardformel »Vostre tres-humble, & tres-obessant serviteur« unterzeichnet – beziehungsweise mit »Vostre tres-humble, & tres-ob¦issante servante«, wenn der Brief von einer Frau geschrieben ist. Wenn bei Pi¦lat ein französischer Brief eine andere Schlussformel hat, dann ist es eine Variante der Standardformel, bei der ein Adjektiv weggelassen oder ein zusätzliches hinzugefügt ist; die fremdsprachlichen Briefe enden mit Schlussformeln, die mehr oder weniger wortwörtliche Übersetzungen der französischen Standardformel sind.582 Der Begriff »ami« fällt auch bei Pi¦lat nicht mehr in Schlussformeln. Der Wegfall des Begriffs des Freundes aus den Schlussformeln geht einher mit einer Verringerung der Anzahl gebräuchlicher Formeln. Adam stellt zwar fest, dass die Selbstbezeichnung als »tres-humble serviteur« zwischen »personnes qualifi¦es« die Standard-Briefschlussformel sei; er gibt dann aber nicht weniger als 26 alternative Briefschlussformeln an, darunter die oben genannten mit dem Bestandteil »amy«. Angaben, wer wann wem gegenüber diese Formeln verwenden darf, gibt er nicht; man wird daraus ableiten dürfen, dass es einen gewissen Freiraum bei der Wahl zwischen ihnen gab. Puget de la Serre dagegen gibt nur noch fünf Varianten an, wenn man weibliche Pendants zu männlichen Formen nicht mitzählt: »La Souscription tient le plus bas lieu des Lettres, & ¦crivant — des Grands se fait en cette sorte. Vútre tr¦s humble & tr¦s-ob¦issant serviteur. N. 580 Nathanael Adam, Le secr¦taire franÅois, op. cit., 15 – 16. 581 Dies ist das Datum der Ausgabe, die uns in Freiburg im Breisgau zugänglich war ; es gibt allerdings eine frühere Ausgabe von 1640. Das lässt allerdings unsere Chronologie unberührt, da auch die frühere Ausgabe von Puget de La Serre zeitlich deutlich nach Nathanael Adam liegt. 582 Barth¦l¦my Pi¦lat, Le secr¦taire inconnu. Contenant des lettres sur diverses sortes de matiÀres, Lyon 21677.

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Ou bien Vútre tr¦s humble & tr¦s oblig¦ serviteur. N. A des moindres. Vútre tr¦s humble & tr¦s affectionn¦ serviteur. Ou bien Vútre plus humble — [recte »& «?] affectionn¦ serviteur. Et — ceux de basse condition: Vútre affectionn¦ — vous faire plaisir. Si c’est une femme qui ¦crit, elle mettra. Vútre servante, & c.«583

Hier fällt auf, dass nun jeder Formel eine Erläuterung beigegeben ist, bei welchem Rangverhältnis zwischen Sender und Adressat sie zu stehen hat; nur eine, höchstens zwei Formeln werden für jeden Fall zur Auswahl gestellt. Der Reduktion der Formeln entspricht also eine Systematisierung ihres Gebrauchs. Es dürfte sich hier auf dem Gebiet der Epistolographie um dieselben Tendenzen handeln, die im siÀcle classique in anderen Bereichen der französischen Sprache spürbar sind: seit Malherbes Sprachreform gibt es ein Bestreben, gegenüber dem Französischen der Renaissance »überflüssige« Synonyme abzubauen und eine möglichst exakte Entsprechung von Wörtern und Dingen zu erreichen.584 Natürlich kann über die Frage, warum der gerade der Freundschaftsbegriff aus der formelhaften Sprache verschwindet, nur gemutmaßt werden, und vielleicht sollte dieser Punkt auch nicht überbewertet werden. Wenn einige Formeln wegfallen, dann verschwinden auch Begriffe aus den Formeln, und das muss mit dem Inhalt der jeweiligen Begriffe nicht notwendigerweise zu tun haben; denn, wie oben ausgeführt, codiert die Sprache der Schlussformeln andere Informationen als die in ihrer wortwörtlichen Bedeutung enthaltenen. Umgekehrt aber darf konstatiert werden: in dem Moment, wo der Freundschaftsbegriff aus formelhaften Kontexten verschwindet, öffnet er sich für eine stärkere Aufladung mit Bedeutung als bisher. Wenn man den Korrespondenzpartner nicht mehr einfach deshalb »Freund« nennen muss, weil das so üblich ist, dann macht es einen größeren Unterschied als vorher, ob man ihn als Freund bezeichnet. Das umgekehrte Phänomen lässt sich in anderen frühneuzeitlichen Kontexten, etwa in diplomatischen Korrespondenzen, feststellen: Andreas Würgler hat darauf verwiesen, dass etwa in den staatsrechtlichen Verträgen der Alten Eidgenossenschaft der Terminus Freundschaft so häufig ist, dass er nicht dazu taugt, die 583 Puget de La Serre, Le secr¦taire — la mode, op. cit., 34 – 35. 584 Für eine noch umfassendere Deutung des siÀcle classique als »Zeitalter der Repräsentation« cf. Michel Foucault, Les mots et les choses. Une arch¦ologie des sciences humaines, Paris 1966, deutsch als Ders., Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a. M. 1974.

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Vertragspartner in etwaige Freunde und Nicht-Freunde der Eidgenossen einzuteilen.585 Ein weiterer Punkt, der in bisherigen Debatten vernachlässigt wurde, ist der Unterschied zwischen drei Formen der Kommunikation hinsichtlich der Freundschaft. Wir haben oben bereits in unsystematischer Weise auf sie zurückgegriffen. Der Unterschied dieser Formen wird sichtbar, wenn neben Briefen auch narrative Texte einbezogen werden. In Briefen findet sich fast ausschließlich das Reden mit dem Freund; in narrativen Texten dagegen auch das Reden über die eigenen Freunde und die eigenen Freundschaften und – als dritter Fall – über die Freunde und Freundschaften der anderen. Die Herabstufung der eigenen Position und die Aufwertung des anderen als Teil von Höflichkeitsformeln finden sich beim Reden mit dem Freund, das somit zur Klärung der Frage, ob Freundschaft hierarchisch sein kann, schlecht geeignet ist. Die oben genannten Beispiele zeigen, dass in narrativen Texten Freundschaft und Rangunterschied durchaus gekoppelt werden können. Eine Verschleierung des Ranges von Dritten ist in der französischen höfischen Gesellschaft nicht nur praktisch unmöglich, da alle Beteiligten über die Hierarchie im Klaren sind, sie ist auch unnötig. Dies gilt um so mehr für Freundschaften, an denen der Autor nicht beteiligt ist, aber auch für Freundschaften des Autors mit Verstorbenen und a fortiori für Freundschaften unter Verstorbenen. Dass Beauvais-Nangis’ verstorbener Vater und der Herzog von Guise nicht gleichen Ranges waren, ist unmöglich zu verschleiern; dass ihr Verhältnis als Freundschaft unter Ungleichen dargestellt wird, spricht dafür, dass es im frühneuzeitlichen französischen Adel eine solche Konzeption gibt. Ein weiteres Charakteristikum der Sprache der frühneuzeitlichen Adelsfreundschaft, das sie von heutigen Formen unterscheidet, ist die weitgehende Abwesenheit von Termini für das, was man Beziehungen niedriger Intensität nennen könnte. Das umfasst nicht nur das Feld der Neutralität in Konflikten (die, wie Klaus Oschema herausgearbeitet hat, erst im Laufe des Spätmittelalters allmählich nicht mehr als suspekte Unentschlossenheit wahrgenommen wird),586 sondern auch Bezeichnungen für Beziehungen, in denen weitgehende Gleichgültigkeit herrscht. Die mehr oder weniger flüchtige Bekanntschaft kommt in den Selbstzeugnissen der Adligen nicht vor. Das mag damit zusammenhängen, dass Hof und Hochadel kleine, weitgehend geschlossene Milieus sind, in denen sich alle Beteiligten ohnehin kennen. Ebenso abwesend sind Ausdrücke für versachlichte Beziehungen. Viele Ad585 Würgler, Freunde, amis, amici, op. cit., 192. 586 Klaus Oschema, Auf dem Weg zur Neutralität. Eine neue Kategorie politischen Handelns im spätmittelalterlichen Frankreich, in: Ders., Freundschaft oder ›amiti¦‹?, op. cit., 81 – 108, hier insbesondere 91.

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lige haben höfische, militärische und diplomatische Ämter inne; von Vorgesetzten, Untergebenen und Kollegen ist aber nicht die Rede. Ebensowenig spielt der Begriff des Angestellten eine Rolle, obwohl die vielen nichtadligen Diener der Höflinge ja regelmäßig entlohnt werden, wirtschaftlich betrachtet zu ihren Herren also nicht in einem Feudal- oder Klientelverhältnis, sondern in einem Angestelltenverhältnis stehen. In diesen Befunden kommt wieder die fehlende Trennung des Öffentlichen und des Privaten zum Ausdruck: noch werden funktionale Arbeitsbeziehungen nicht unabhängig von persönlichen Loyalitätsbeziehungen gedacht.

II.3.4. Verstärkungszeichen der Freundschaft Die Freundschaftsrhetorik der frühneuzeitlichen höfischen Gesellschaft hält eine ganze Reihe von Möglichkeiten bereit, unter den Personen, die man als Freunde bezeichnet, einzelne durch Verstärkungszeichen hervorzuheben – sowohl in der Interaktion mit dem Freund als auch beim Sprechen über den Freund. Beim Sprechen mit dem Freund dürfen Verstärkungszeichen als Teile der weiter unten beschriebenen hyperbolischen Rhetorik verbucht werden; beim Sprechen über den Freund dürfen sie als Ausdruck subjektiv als besonders eng empfundener Freundschaften gedeutet werden, wenn sie nicht klar als strategische Elemente der Selbststilisierung erkennbar sind. Letzteres ist z. B. im Vorwort der Memoiren von Nicolas Goulas der Fall: der Autor unterstreicht gegenüber seinem Neffen, an den die Memoiren gerichtet sind, dass diese Lektüre sich lohnt. Ein Argument dabei ist, dass er über seine Freunde herrscherliche Arkana erfahren habe: »[…] mes amis plus intimes ont eu occasion plusieurs fois de negotier avec le Premier ministre du feu Roy [Mazarin und Ludwig XIII.] et de la Reyne regente et ils se sont confiez en ma discretion; ainsi vous lirez dans cet escrit des particularitez de ce qui s’est traitt¦ et fait en ce Royaume et dehors que peut-estre n’apprendrez-vous point de l’histoire et que d’honnestes gens seront ravis d’apprendre.«587

Bezeichnend ist, dass die »amis plus intimes« hier nicht beim Namen genannt werden; die beteuerte Intensität der Freundschaft soll die Glaubwürdigkeit und Wichtigkeit von Goulas’ Aussagen unterstreichen. Es ginge aber zu weit, würde man jede Beschreibung, bei der auf die Intensität von Freundschaften abgehoben wird, als reine Selbststilisierung verbuchen, bei der der Autor versucht, sich mit dem Prestige des Freundes zu brüsten; oft sind nämlich die beschriebenen Freunde nicht unbedingt illustrer als der Autor selbst. 587 Goulas, M¦moires, op. cit., 35 – 36.

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Bei den Verstärkungszeichen der Freundschaft gibt es eine Varianzbreite. Bei der Beschreibung eines seiner Aufenthalte in Brüssel erwähnt Gourville Monsieur de Monterey, den Gouverneur der Stadt, »qui m’avait t¦moign¦ une amiti¦ toute particuliÀre dans le temps que j’¦tais en ce pays-l—.«588 Der Zusatz »toute particuliÀre« ist eindeutig eine Hervorhebung. An einer anderen Stelle erwähnt Gourville im Zusammenhang mit Fouquet Monsieur de Harlay, »son parent et extrÞmement de ses amis«.589 Die enge Beziehung zwischen Fouquet und Harlay drückt sich konkret darin aus, dass Fouquet Harlay einen Vorzugspreis beim Verkauf seiner Charge als procureur g¦n¦ral macht: er tritt sie ihm für 1,4 Millionen livres ab, obwohl er von einem anderen Bieter ein Angebot für 1,8 Millionen livres erhalten hat.590 Eine andere Formulierung der Verstärkung findet sich, als Gourville im Winter 1676/77 mit La Rochefoucauld in den Ort B–ville kommt; er trifft dort den premier pr¦sident Lamoignon sowie dessen Söhne und vermerkt: »MM. de Lamoignon et de B–ville, ses fils, ¦taient de mes plus intimes et plus particuliers amis«.591 Des weiteren benutzt er die Formulierung »Þtre fort des amis de quelqu’un«. Während des Holland-Krieges kommt er nach Löwen und vermerkt: »j’y trouvai M. de Marcin, qui avait toujours ¦t¦ fort de mes amis«.592 Auch der Begriff des »ami intime« taucht in zeitgenössischen Memoiren auf, so in der schon zitierten Stelle bei Goulas. Ohne den Wortlaut überinterpretieren zu wollen, sei darauf hingewiesen, dass dort von »mes amis plus intimes« die Rede ist, nicht etwa von »mes amis intimes«. In der Tat scheinen die Verstärkungszeichen der Freundschaft ein engeres Verhältnis innerhalb der umfassenderen Kategorie Freundschaft auszudrücken; es ist nicht erkennbar, dass sich für die Zeitgenossen die Freundschaft scharf in zwei Unterkategorien »amiti¦ intime« und »amiti¦ sociale« teilen würde. Die Vielzahl unterschiedlicher Verstärkungszeichen deutet – letztlich wenig überraschenderweise – darauf hin, dass Intensität der Freundschaft als ein Kontinuum von sehr oberflächlichen bis hin zu sehr engen Freundschaften aufgefasst wurde. Anders als bei den Briefschlussformeln ist die Sprache der Verstärkungszeichen allerdings nicht reglementiert und codiert; es dürfte daher müßig sein, die verschiedenen Verstärkungszeichen zu einem System ordnen zu wollen oder etwa zu fragen, ob ein »ami intime« mehr oder weniger ist als ein »ami particulier«. Die Autoren besaßen hier ganz offensichtlich stilistische Freiheit, zumal in narrativen Texten. Ein weiterer Begriff der Verstärkung ist derjenige des »premier ami«. Coste vermerkt, der Tod Gaspard de Colignys, seines Jugendfreundes, in der Schlacht 588 589 590 591 592

Gourville, M¦moires, op. cit., 199. Ebd., 132. Ebd., 130 – 132. Ebd., 229. Ebd., 215.

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von Charenton habe Cond¦ sehr bewegt: »le Prince de Cond¦ avec l’Arm¦e — Montreuil, fort touch¦ de la perte du Duc de Ch–tillon, son parent & son premier Ami.«593 Damit könnte gemeint sein, dass Cond¦ von frühester Jugend an mit Coligny befreundet war, und damit länger als mit jedem anderen; es kann aber auch als »bester Freund« gedeutet werden. Beide Deutungen müssen sich nicht ausschließen. Mitunter finden sich in Memoiren Erwähnungen bester Freunde des Autors. Bei Beauvais-Nangis findet sich die Formulierung »un des meilleurs amys que j’aye jamais eu«, die sich auf Monsieur de La Ch–taigneraye bezieht.594 Wenig später schreibt er abermals, die Seigneurs Souvray und La Ch–taigneraye seien »jusques leur mort les meilleurs seigneurs et amys que j’aye jamays eü« gewesen; schon auf der folgenden Seite bemerkt er allerdings über den Seigneur de Dunes: »aprÀs mes frÀres, je n’aymoys personne — l’¦gal de luy«.595 Offensichtlich können nicht alle diese Superlative gleichermaßen bedeuten »der beste Freund unter Ausschluss aller anderen«. Sie scheinen hier eher elativisch gemeint zu sein, also im Sinne von »ein außerordentlich guter Freund«. An weiteren Verstärkungszeichen finden sich in der Memoirenliteratur »bons amis«,596 »mon cher ami«597 und »grande amiti¦«.598 Während die genannten Beispiele das Sprechen und Schreiben über den Freund betreffen, gibt es auch das schriftliche und mündliche Kommunizieren mit dem Freund. Hier sind Verstärkungszeichen ebenfalls üblich; wie bereits gesagt, ist ihr Aussagewert angesichts der formalisierten Briefsprache weit geringer zu veranschlagen als in narrativen Texten. Dennoch sind diese Zeichen als Teil der Rhetorik der Freundschaft lohnende Analyseobjekte. Madame de S¦vign¦ versichert Bussy-Rabutin in einem Brief: »croyez surtout que je suis la plus fidÀle amie que vous ayez au monde.«599 Hier wie in vielen anderen Quellen wird die Verstärkung durch den Gebrauch des Superlativs ausgedrückt. Schließlich gibt es Formulierungen, deren Status als Verstärkungszeichen unklar ist. Auch hier findet sich ein Beispiel bei Gourville. Er ist aus dem Exil zurückgekehrt, aber nicht offiziell begnadigt worden. Colbert rät ihm zu einem vorauseilenden Geldgeschenk an die Krone: 593 594 595 596

Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 135. Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 91. Ebd., 110 – 111. Nicolas de Neufville, seigneur de Villeroy, M¦moires d’Estat par Monsieur de Villeroy, conseiller d’Etat et secr¦taire des commandemens des rois Charles IX, Henri III, Henri IV, et de Louys XIII, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle Collection des M¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 1/11, Paris, 1838, 89 – 263, z. B. 107, 110. 597 Madame de La Guette, M¦moires, hg. von Micheline Gu¦nin, op. cit., 55. 598 Henri de la Tour d’Auvergne, duc de Bouillon, M¦moires du vicomte de Turenne, depuis duc de Bouillon, 1565 – 1586, hg. von Gustave Baguenault de Puchesse, Paris 1901, 38. 599 Madame de S¦vign¦, Lettres, hg. von Bernard Raffalli, op. cit., 40 – 41.

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»M. Colbert, de bonne amiti¦, me disait quelquefois que je ferais bien de me r¦soudre — donner quelque somme d’argent au Roi, pour lui fournir un pr¦texte d’obtenir de S.M. un arrÞt qui me d¦charge–t de toutes les affaires que j’avais eues; mais il ne trouvait pas mauvais que je ne le fisse pas.«600

Die Formulierung »de bonne amiti¦« meint hier vermutlich keine Verstärkung der Freundschaft. Wäre nicht der einschränkende Nachsatz, könnte sie sogar als unterschwellige Warnung, wenn nicht gar als Drohung aufgefasst werden. Sie kann auch so gedeutet werden, dass Colbert hier Gourville den Rat nicht in seiner Eigenschaft als Minister, sondern als Freund gibt, und somit eine Differenzierung zweier Rollen ausdrückt.

II.3.5. Verwandtschaftstermini in der Freundschaft Unabhängig davon, dass Freundschaft sich mit Verwandtschaft überlappen kann, gibt es auch den Brauch, Verwandtschaftstermini zwischen Freunden zu verwenden, die nicht verwandt sind, oder zumindest nicht in dem Grad, den die benutzten Termini bezeichnen. So kann man sich in Freundschaften gegenseitig als Bruder anreden. Bassompierre und Schomberg reden sich gegenseitig als »mon frÀre« an.601 Ist der Altersunterschied zwischen den Freunden groß, kann die Terminologie von Eltern und Kindern verwendet werden. So schreibt die polnische Königin Marie-Louise de Gonzague Cond¦ als ihren »Bruder«, seinen Sohn, den Herzog von Enghien, als ihren »Sohn« an.602 Montr¦sor berichtet, dass die spanische Infantin in Brüssel so eng mit Gaston d’Orl¦ans befreundet ist, dass sie ihn ihren Sohn nennt: »Monsieur arriva […] — Bruxelles, et fut descendre au logis du comte de Sallazar, d’o¾ il vint aussitút au palais de l’Infante, de laquelle il fut trait¦ avec autant de bont¦, de t¦moignage d’affection et de tendresse, que s’il e˜t ¦t¦ son fils, qui ¦toient les termes dont elle se servoit ordinairement lorsqu’elle voulait exprimer l’amiti¦ qu’elle avoit pour lui.«603

Die Verwendung von Verwandtschaftstermini in der Freundschaft kann auch expressis verbis vereinbart werden. Während seiner Gesandtschaftsreise nach Spanien begrüßt Bassompierre den Herzog von Ossuna. Nachdem dieser ihn 600 Gourville, M¦moires, op. cit., 211. 601 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XX, 324. 602 Christophe Blanquie, op. cit., 431. Die Belegstellen, die Blanquie zitiert, stammen aus Le Grand Cond¦ et le duc d’Enghien, Lettres in¦dites — Marie-Louise de Gonzague, hg. von ed. Emile Magne, op. cit. 603 Claude de Bourdeille, comte de Montr¦sor, M¦moires, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 3/3, Paris 1838, 173 – 241, hier 183.

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drei oder vier Mal bewirtet hat, erinnert er ihn daran, dass sie in Paris bei einem Essen des Bankiers Zamet »avions fait alliance ensemble, et promis que je l’appellerois mon pÀre et lui mon fils, et me pria de continuer de la sorte, comme nous f„mes depuis, sans nulle c¦r¦monie.«604 Allerdings ginge man wohl zu weit, würde man aufgrund eines solchen Sprachgebrauchs bereits »spiritual kinship« konstatieren wollen, wie dies bei Adoption und Taufpatenschaft der Fall ist. Im Gegensatz zur Freundschaft gibt es bei den Beziehungen spiritueller Verwandtschaft festgelegte Verpflichtungen, sie sind formalisiert und ein Leben lang gültig.605 Es liegt auf der Hand, dass man eine Paten-Patenkind-Beziehung nur einmal schließt, sie nicht auflösen und folglich auch nicht nach einem Bruch wiederherstellen kann. Es macht ja gerade den verwandtschaftsanalogen Charakter einer solchen Beziehung aus, dass sie, einmal geschlossen, zur zugeschriebenen Beziehung wird. Zudem kann zwar ein Pate zugegebenermaßen mehrere Patenkinder haben. Die Zahl der Paten, die ein Kind haben kann, ist aber durch das Konzil von Trient auf einen Paten und eine Patin festgelegt;606 und natürlich besteht darüber hinaus im Gegensatz zur Freundschaft die enorme Einschränkung, dass man nach der eigenen Taufe keine Paten neu erwerben kann, selbst wenn die eigenen Paten sterben. Die Verwandtschaftssemantik in Freundschaften bleibt hingegen eine Metapher, es findet keine Gleichsetzung mit der biologischen Verwandtschaft statt, die Beziehung wird nicht institutionell eingebunden und nicht formalisiert. Auch sind Freunde, die man als Brüder anredet, aufgrund dieser Eigenschaft nicht – wie z. B. die Paten bei der Taufe – in bestimmten Rollen an bestimmten Ritualen beteiligt.607 Die Praxis der Benutzung von Verwandtschaftstermini kann auch ironisiert werden: mit frivolem Kokettieren mit dem Tabubruch verbindet sie sich bei dem schon erwähnten Billet des Grafen von Toulongeon an Cond¦ , das mit »Le prince de l’amour — son frÀre«608 adressiert ist. Dies leitet über zu einem anderen Brauch 604 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XX, 226 – 227. 605 Cf. Maurice Aymard, Amiti¦ et convivialit¦, op. cit., 473; Julian Pitt-Rivers, The Kith and the Kin, op. cit., 90, 102 – 103. Zur Patenschaft jetzt Guido Alfani, Fathers and Godfathers. Spiritual Kinship in Early Modern Italy, Farnham 2009. Cf. auch Anita Guerreau-Jalabert, Spiritus et caritas. Le baptÞme dans la soci¦t¦ m¦di¦vale, in: FranÅoise H¦ritier-Aug¦/ Elisabeth Copet-Rougier (Hg.), La parent¦ spirituelle, Paris 1995, 133 – 203. In deutscher Sprache Bernhard Jussen, Patenschaft und Adoption im frühen Mittelalter. Künstliche Verwandtschaft als soziale Praxis, Göttingen 1991 (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte 98). 606 Guido Alfani, Les r¦seaux de marrainage en Italie du Nord du XVe au XVIIe siÀcle: coutumes, ¦volution, parcours individuels, in: Histoire, Economie et soci¦t¦ 25/4 (2006), 17 – 44, hier 18. 607 Cf. Pitt-Rivers, The Kith and the Kin, op. cit., 102 – 103. 608 Archives de Chantilly P III 438, 2. Mai 1649. – Da Toulongeons Handschrift aus anderen Briefen bekannt ist, kann er als Verfasser identifiziert werden.

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unter Freunden, nämlich dem Gebrauch von Pseudonymen. Dabei kann es sich um solche programmatischen Bezeichnungen wie den erwähnten »prince de l’amour« handeln; meist aber sind die Pseudonyme der klassischen Antike entlehnt, wobei die Wahl nicht zufällig ist, sondern selbst programmatischen Charakter hat. So ist es kein Zufall, wenn Cond¦, der durch seine Siege als Heerführer in jugendlichem Alter Berühmtheit erlangt hat, den Namen »Alexandre« wählt und sich damit mit Alexander dem Großen vergleicht. Die klassisch gebildeten französischen Hochadligen verstehen eine solche Anspielung ohne Erläuterungen.

II.3.6. Sprachliche Praktiken in der Freundschaft Das Vokabular der Freundschaft schwebt nicht im luftleeren Raum; es ist eingebettet in eine Reihe sprachlicher Praktiken unter Freunden, die Freundschaft zum Ausdruck bringen. Sie lassen sich in mündliche und schriftliche Praktiken unterteilen. Unter den mündlichen Praktiken sind die wohl am weitesten verbreiteten die Komplimente. Sie sind sicher nicht ausschließlich den als Freundschaft konzeptualisierten Beziehungen vorbehalten, in diesen aber unerlässlich. Begrifflich sind sie mit der Freundschaft eng verbunden: als Gourville, wie oben geschildert, beschreibt, wie er dem Herzog von Hannover eine Konversion zum Katholizismus vorschlägt, damit dieser eine Kurwürde erlangen könnte, notiert er : »Mme la duchesse, qui sut cela, me fit des compliments et des amiti¦s sur la bonne volont¦ que j’avais, d’une maniÀre qui me fit juger qu’elle aurait volontiers consenti — la proposition, si Monsieur son mari y ¦tait entr¦.«609 Hier werden also die Begriffe »amiti¦s et compliments« zusammen gebraucht. Komplimente sind in der höfischen Gesellschaft oft standardisiert. Die Beteiligten wissen also, dass ihre Komplimente nicht individuell auf den anderen zugeschnitten, sondern aus einem Formelrepertoire genommen sind. Dem »Sender« wie dem »Empfänger« der Komplimente ist klar, dass diese nicht so emphatisch gemeint sind, wie der Wortlaut es vermuten lässt. Sie sind aber dennoch als Zeichen der Freundschaft unverzichtbar. La BruyÀre hat diese Problematik in einer weiter oben bereits einmal zitierten Passage auf den Punkt gebracht: »Il y a un certain nombre de phrases toutes faites, que l’on prend comme dans un magasin, et dont l’on se sert pour se f¦liciter les uns les autres sur les ¦vÀnements: bien qu’elles se disent souvent sans affection, et qu’elles soient reÅues sans reconnaissance, il n’est pas permis avec cela de les omettre; parce que du moins elles sont l’image de ce 609 Gourville, M¦moires, op. cit., 254.

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qu’il y a au monde de meilleur, qui est l’amiti¦, et que les hommes ne pouvant guÀre compter les uns sur les autres pour la r¦alit¦, semblent Þtre convenus entre eux, de se contenter des apparences.«610

Komplimente werden hier also bewusst als inhaltsleer konzeptualisiert. Sie sind also einerseits Sprachspiele; sie sind aber keine sprachlichen Glasperlenspiele ohne Sinn, da sie als Codierungen von Zuneigung unverzichtbar sind. Dazu passt, dass Komplimente oft in narrativen Texten als Teil von Unterhaltungen erwähnt werden, ohne dass aber ihr Inhalt ausformuliert würde. Neben den Komplimenten gibt es eine zweite Form der Kommunikation, die der Freundschaft eigentümlich ist. Es handelt sich um die »protestations d’amiti¦«. Diese Aussagen werden in den narrativen Texten oft erwähnt, aber praktisch nie ausformuliert. Es geht bei ihnen offensichtlich schlicht darum, die Freundschaft expressis verbis zu beteuern. In gewisser Weise ist dies eine selbstreferentielle Form der Kommunikation unter Freunden: Freundschaft selbst wird zum Thema des Gesprächs unter Freunden. Die Funktion der protestations d’amiti¦ darf in der Beteuerung von Loyalität gesehen werden. Auch das Gratulieren kann eine sprachliche Geste der Freundschaft sein. So gratuliert Bussy-Rabutin seinem Freund Palluau, weil dieser mit den in Montrond verschanzten Cond¦-Anhängern endlich eine Frist für die Übergabe an Palluaus Truppen ausgehandelt hat, sollte kein Entsatz eintreffen: »Enfin, le 15 ao˜t 1652, Persan, gouverneur de Montrond, ayant trait¦ avec le comte de Paluau que si, le 1er septembre prochain, il n’¦toit secouru par un corps consid¦rable de troupes qui forŖt un de ses quartiers, il lui rendroit la place, j’en fus averti le lendemain. Je ne manquai pas d’¦crire aussitút au comte de Paluau avec tous les t¦moignages de joie qu’on peut rendre — son ami dans une rencontre comme celle-l—, et en mÞme temps je me disposai d’aller — la cour.«611

Auch das Ausrichten von Grüßen, »faire des amiti¦s — quelqu’un«, kann als verbales Zeichen der Freundschaft aufgefasst werden. Ein Beispiel findet sich bei Gourville, der Grüße aus dem Ausland erhält: »La paix [von Rijswijk] ¦tant faite, M. le duc de Zell envoya au Roi M. le comte de Schulenbourg, qui me vint dire que S. A. l’avait charg¦ de me faire bien des amiti¦s de sa part et de celle de Mme la duchesse. Cela me donna beaucoup de joie.«612 Das Ausrichten von Grüßen hat dieselbe Funktion wie die protestations d’amiti¦: Freundschaft wird schlicht dadurch aufrechterhalten, dass darauf hingewiesen wird, dass sie noch besteht. Was die protestations in der Kommunikation unter Anwesenden leisten, vollbringen die ausgerichteten Grüße in der Kommunikation unter Abwesenden – unter Einschaltung eines Dritten, der die Grüße überbringt. 610 La BruyÀre, Les CaractÀres, hg. von Louis van Delft, op. cit., De la Cour, 81. 611 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 320. 612 Gourville, M¦moires, op. cit., 263.

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Wenn dieser Dritte nicht dazwischentritt, ist die Kommunikation unter Abwesenden nicht mündlich, sondern nur schriftlich möglich, nämlich über Briefe. Das Korrespondieren ist somit ebenfalls eine Praxis unter Freunden. Der briefliche Kontakt macht zwei Adlige zwar noch nicht zu Freunden, aber die Adligen, die sich als Freunde bezeichnen, korrespondieren zumindest gelegentlich, wenn sie sich längere Zeit weit voneinander entfernt aufhalten. Es wäre, wie oben diskutiert, ein Kurzschluss, aus der Häufigkeit der Korrespondenz zweier Personen darauf schließen zu wollen, dass sie besonders enge Freunde gewesen seien. Eine häufige Korrespondenz kann auch aus der Notwendigkeit resultieren, Informationen – beispielsweise administrativer oder militärischer Natur – auszutauschen. Dennoch ist es ein Zeichen der Freundschaft, wenn man dem Freund verspricht, ihm häufig zu schreiben. Dies lässt sich Conti am Ende des Katalonienfeldzuges 1654 von Bussy-Rabutin zusichern: »j’attendis jusqu’au dernier novembre, que je pris cong¦ du prince: j’en reÅus — mon d¦part toutes les caresses imaginables et toutes les assurances de l’honneur de son amiti¦; il me fit promettre de lui ¦crire souvent, — quoi je ne manquai pas.«613 Neben der reinen Häufigkeit gibt es innerhalb des Briefes Zeichen, mit denen man die Wertschätzung des Freundes zum Ausdruck bringen kann. Die Ausführlichkeit eines Briefes kann ein solches Zeichen sein; dies dürfte insbesondere dann gelten, wenn der Höherrangige dem niedriger Stehenden schreibt. Ebenfalls ein Zeichen, das Ranghöhere verwenden, sind Briefe, die man im Unterschied zu anderen gerade nicht vom Sekretär schreiben lässt, sondern selbst schreibt.614 Will man dieses Zeichen in abgeschwächter Form verwenden, kann man einem vom Sekretär geschriebenen Brief einen eigenhändigen Zusatz hinzufügen; Cond¦ erhält beispielsweise einmal einen Brief Christinas von Schweden, dem sie ein eigenhändiges Postskriptum hinzugefügt hat.615 Es gibt also eine Praxis der gestuften Anteile von diktierten und eigenhändig geschriebenen Anteilen in Briefen, die zum Ausdruck besonderer Anerkennung eingesetzt wird. Cond¦ selbst bedient sich der Praxis, bei Korrespondenzpartnern von hohem Rang die Höflichkeitsformel von eigener Hand zu schreiben, bei niedriger gestellten Partnern dies hingegen einem Sekretär zu überlassen.616 Auch Komplimente kommen in geschriebener Form vor. Bussy-Rabutin liefert ein Beispiel dafür, wie unerlässlich Komplimente sind. Er berichtet, dass er 613 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 405. 614 Das komplexe Problem der Autographen im frühneuzeitlichen Frankreich diskutiert Christian Jouhaud, La main de Richelieu ou le pouvoir cardinal, Paris 1991, der die Frage erneut aufgreift in Ders., Les M¦moires de Richelieu : une logique manufacturiÀre, in: Mots 32 (September 1992), 81 – 93. 615 Archives de Chantilly P X 151, 18. Februar 1651. 616 Blanquie, Entre Courtoisie et r¦volte, op. cit., 432.

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sich die Freundschaft Turennes verscherzt hat, weil er es versäumt hat, ihm ein Kompliment zu machen, bevor er eine Charge in seinem Regiment angetreten hat. Denn falls er Turenne geschrieben hätte, hätte er sich dessen Freundschaft wohl bewahrt: »je ne serois pas en doute, comme je suis, d’avoir manqu¦ son amiti¦ faute d’un compliment.«617 Anders als bei Gesprächen kann bei Briefen nachvollzogen werden, wie komplimentiert wird. Ein Beispiel findet sich in der oben erwähnten Episode, als der Graf von Palluau Montrond belagert. BussyRabutin zieht die Adligen des Nivernais zusammen, um Palluau zu Hilfe zu kommen, falls das nötig sein sollte. Als in der Tat Truppen Cond¦s sich auf den Weg machen, um Montrond zu entsetzen, bittet Palluau Bussy-Rabutin in einem Brief vom 20. August 1652 um Hilfe: »Monsieur, j’ai avis certain, par un gouverneur de Gergeau, que les ennemis ont pass¦ — Ch–teauneuf-sur-Loire quatre cents chevaux pour secourir Montrond; je vous supplie de marcher ici avec vos trois compagnies et l’emploi de la Noblesse, si votre sant¦ vous le permet, ou de me les envoyer si vous ne pouvez venir. Je me pr¦pare — les bien recevoir. Si vous Þtes de la partie, je m’en estimerai beaucoup plus fort, par l’amiti¦ et la confiance que j’ai en vous.«618

Die Bitte um militärischen Beistand wird hier also elegant mit einem Kompliment für die persönlichen Tugenden Bussy-Rabutins verbunden. Auf die Bedeutung der Höflichkeitsformeln, mit denen Briefe begonnen und geschlossen werden, wurde bereits verwiesen. Sie kommen jedem zu, auch und gerade denjenigen, die nicht als Freunde gelten. Für die Anfangs- und Schlussformeln der Briefe gelten dieselben Überlegungen wie für die Komplimente: sie sind standardisierte Formeln, die nicht zum Nennwert genommen werden, auf die man aber nicht verzichten kann, ohne dass der Text unhöflich, wenn nicht gar schroff wirkt. Eine Ausnahme hiervon ist das billet, ein formloser Brief völlig ohne Anrede und Schlussformel oder zumindest mit stark reduziertem Apparat. In den hier analysierten Quellen taucht er in zwei Formen auf: zum einen als militärische Anweisung, deren Knappheit offensichtlich der Zeitnot geschuldet ist, zum anderen aber auch als Zeichen der Vertrautheit unter engen Freunden, was manchmal durch frivolen Inhalt unterstrichen wird – auf das Billet des »prince de l’amour« wurde bereits verwiesen. Aus diesem Billet kann man schließen, dass Cond¦ den Grafen von Toulongeon als engen Freund betrachtete – andernfalls hätte dieser sich einen solch anzüglichen Scherz gegenüber dem Prinzen wohl nicht erlauben können, ohne das dieser das als Beleidigung aufgefasst hätte. Auch in der gewöhnlichen Briefkommunikation kann man aber die Höflichkeitsformeln modulieren. Wie man im persönlichen Umgang die Etikette 617 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 348 – 349. 618 Ebd., 326 – 327.

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unter Freunden ein Stück weit suspendieren kann,619 so kann man auch in der brieflichen Kommunikation unter Freunden einen Teil des Formelapparats einsparen. In den Memoiren von Bussy-Rabutin finden sich eine Reihe inserierter Briefe, die ihm der Graf von Palluau schreibt; Bussy-Rabutin hat leider keine Kopien seiner eigenen Antworten auf diese Briefe in den Text inseriert, so dass nur die eine Seite der Korrespondenz verfügbar ist. Palluau ist, wie BussyRabutin in einem Brief an Mazarin Anfang 1652 beteuert, sein »ami particulier de longue main«.620 Allerdings hat Bussy-Rabutin erst Ende 1651 mit Cond¦s Partei gebrochen und sich Palluaus Patron Mazarin angeschlossen. Mazarin hält beide dazu an, bei der Bekämpfung der Frondeure eng militärisch zusammenzuarbeiten. Es ist zu beobachten, dass Palluaus Briefe im Februar des Jahres 1652 hochformell beginnen und er den Formelapparat dann schrittweise reduziert. Der erste erwähnte Brief Palluaus an Bussy-Rabutin vom 4. Februar 1652 schließt mit dem Satz: »[…] et je chercherai sans rel–che les occasions de vous t¦moigner que je suis, monsieur, votre trÀs-humble et trÀs-passionn¦ serviteur, Paluau.«621 Am 25. Februar ist der Schluss bereits reduziert: »je vous assure que personne du monde n’est avec plus de passion que moi, monsieur, votre trÀshumble serviteur, Paluau.«622 Noch ein paar Tage später schließlich begnügt sich Palluau in zwei Briefen mit der Formel: »Je suis, monsieur, votre trÀs-humble serviteur, Paluau.«623 Das Duzen unter Freunden ist in den Quellen des 17. Jahrhunderts nur noch selten zu beobachten. Im siebzehnten Jahrhundert scheint sich vielmehr, zumindest nach den hier untersuchten Quellen zu urteilen, ein allgemeines Siezen innerhalb des höfischen Adels durchgesetzt zu haben; auch in stark hierarchischen Beziehungen innerhalb des Adels ist nicht zu beobachten, dass asymmetrisch geduzt würde, also nur der Ranghöhere den Rangniederen duzt, während jener ihn siezt. Ein Beispiel, in dem das Duzen noch vorkommt, findet sich bei Bassompierre, und zwar in einer Stelle, wo von einem Gespräch Bassompierres mit Heinrich IV. berichtet wird; hier gibt es einen interessanten Wechsel zwischen Siezen und Duzen. Bassompierre berichtet eine kritische Situation aus dem Frühjahr 1609: er hat sich soeben mit der Tochter des conn¦table de Montmorency, einer der reichsten Erbinnen Frankreichs, verlobt. Der gichtkranke König lässt ihn zu sich rufen und erklärt ihm, er wolle ihn verheiraten. Bassompierre erklärt ihm, dass seine Hochzeit doch ohnehin unmittelbar bevorstehe. Der König erwidert: »Non, ce dit-il, je pensois de vous marier avec mademoiselle d’Aumale, et, 619 620 621 622 623

Cf. infra, Praktiken der Freundschaft. Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 223. Ebd., 227. Ebd., 241. Ebd., 244 – 245.

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moyennant ce mariage, renouveler le duch¦ d’Aumale en votre personne.« Bassompierre gibt vor, nicht zu verstehen; ob der König ihm zwei Frauen geben wolle? Erst jetzt geht der König zum Du über, und hebt mit einem »tiefen Seufzer« an zu erklären, warum er Bassompierres Verlobung auflöst: »Bassompierre, je te veux parler en ami. Je suis devenu non-seulement amoureux, mais furieux et outr¦ de mademoiselle de Montmorency. Si tu l’¦pouses, et qu’elle t’aime, je te harai ; si elle m’aimoit, tu me harois. Il vaut mieux que cela ne soit point cause de rompre notre bonne intelligence, car je t’aime d’affection et d’inclination. Je suis r¦solu de la marier — mon neveu le prince de Cond¦, et de la tenir prÀs de ma famille. Ce sera la consolation et l’entretien de la vieillesse o¾ je vais d¦sormais entrer. Je donnerai — mon neveu, qui est jeune, et aime mieux la chasse cent mille fois que les dames, cent mille francs par an pour passer son temps, et je ne veux autre gr–ce d’elle que son affection, sans pr¦tendre davantage.«624

Bassompierre, der, wie er dem Leser erläutert, ohnehin keine Wahl hat, erklärt nun dem König, der Verzicht, der ihm abverlangt werde, gebe ihm Gelegenheit, das Ausmaß seiner Treue zum König unter Beweis zu stellen: er leiste diesen Verzicht daher gerne, gerade weil er so groß sei. Bassompierre redet Heinrich IV. dabei immer mit »vous« und »Sire« an und bezeichnet ihn als »Votre Majest¦«. Der König ist entzückt über Bassompierres Einlenken: »Alors le Roi m’embrassa et pleura, m’assurant qu’il feroit pour ma fortune comme si j’¦tois un de ses enfans naturels, et qu’il m’aimoit chÀrement, que je m’en assurasse, et qu’il reconno„troit ma franchise et mon amiti¦.«625 Henri II de Cond¦ heiratet daraufhin Mademoiselle de Montmorency ; aus dieser Verbindung geht später der Grand Cond¦ hervor. In dem geschilderten Beispiel ist das Duzen ein asymmetrisches, da der König Bassompierre manchmal duzt, er den König aber niemals. Das Beispiel illustriert übrigens noch einmal, dass von »amiti¦« eines Niedrigeren zu einem Höheren durchaus die Rede sein kann – auch wenn Bassompierre sich mit Sicherheit nicht selbst als Freund des Königs bezeichnen dürfte, der seinerseits »als Freund« zu ihm spricht. Gleichzeitig wird die Problematik der Freundschaft mit einem Monarchen hier greifbar : Heinrich IV. betont zwar, als Freund zu Bassompierre zu sprechen – was man so deuten kann, dass er eben nicht als Herrscher zu ihm spricht; dennoch zwingt er ihm seinen Willen auf, benutzt also seine Macht als Monarch, um sich durchzusetzen.

624 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XIX, 386 – 387. 625 Ebd., 388.

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II.3.7. Abweichung von formelhaftem Sprechen Wie geschildert, ist das Wort »amiti¦« selbst nicht Teil der standardisierten Höflichkeitsformeln. Andererseits benutzt die Sprache der Freundschaft solche standardisierten Formeln in großem Umfang. Das aber bedeutet in einem nächsten Schritt, dass man Nähe dadurch ausdrücken kann, dass man gerade diese Formeln nicht verwendet; man weicht als Zeichen großer Vertrautheit vom Protokoll ab. In den Briefen Cond¦s an seinen Favoriten Guitaut fällt auf, dass die Beteuerungen der Freundschaft mal am Anfang, mal am Ende des Textes stehen: offensichtlich gibt es hier gerade kein briefstellerisches Schema. Auch begegnet in diesen Briefen eine große Bandbreite an Formeln, obwohl es ja immer dieselben beiden Korrespondenzpartner sind. Zudem sind es Formeln, die sich in anderen Briefen nicht finden. Auch innerhalb des Korpus der Briefe an Guitaut fallen viele Briefschlüsse nur ein einziges Mal, sind also ganz offensichtlich ad hoc und mit dem bewussten Willen zur Abweichung von der Formelsprache erfunden worden. Ausdruck des engen Vertrauensverhältnisses ist hier also gerade die Suspendierung des formelhaften Sprechens zugunsten einer nicht weniger barocken, aber eben freieren Sprache. Natürlich ist dies nur möglich, weil Cond¦ der Ranghöhere von beiden ist und somit freier bei der Gestaltung des Textes ist; er könnte ja aber auch als »affectionn¦ serviteur« unterzeichnen, wie das in ungleichen Freundschaften üblich ist. Stattdessen ehrt er Guitaut, indem er ad hoc Schlussformeln für die Korrespondenz mit ihm kreiert. Einige dieser Formeln lauten: »Je suis — vous de tout mon cœur«;626 »Je suis tout — vous et — Madame de Guitaut«;627 »Je suis tout — vous«;628 »Je suis absolument — vous«;629 »Croyez, mon cher, que personne au monde ne vous aime et ne vous estime tant que moi«;630 »je ne me puis empÞcher de vous dire que je vous aime de tout mon cœur et que je vous souhaite fort auprÀs de moi«;631 »Je meurs d’impatience de vous voir et suis tout — vous«.632 Die Liste ließe sich fortsetzen.

II.3.8. Gelegenheitslyrik Der hohe Bildungsgrad des höfischen Adels erlaubt es den Aristokraten, mit Bildungsgütern kreativ umzugehen und diese als Zeichen der Freundschaft 626 627 628 629 630 631 632

Archives de Chantilly O I 166, Cond¦ an Guitaut, 24. Juni 1665. Archives de Chantilly O I 167, Cond¦ an Guitaut, undatiert. Archives de Chantilly O I 167, Cond¦ an Guitaut, undatiert. Archives de Chantilly O I 168, Cond¦ an Guitaut, undatiert. Archives de Chantilly O I 170, Cond¦ an Guitaut, undatiert. Archives de Chantilly O I 173, Cond¦ an Guitaut, 2. Oktober 1656. AC O I 174, Cond¦ an Guitaut, 10. Oktober 1656.

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einzusetzen. So schreiben Adlige zu freudigen und traurigen familiären Anlässen, manchmal aber auch ohne äußeren Anlass Gelegenheitsgedichte für ihre Freunde. Die Gelegenheitslyrik ist einerseits als Teil der Selbststilisierung Ausdruck von Bildung, gleichzeitig aber auch – im Veblenschen Sinne – conspicuous consumption633 zwar nicht von Geld, wohl aber von Zeit und Mühe, die für den Freund aufgewendet wird. Ein besonders eindrückliches Beispiel für diese Praxis stammt zwar aus dem gebildeten Amtsadel, soll aber hier dennoch zur Veranschaulichung zitiert werden. Als er vom Tod seines Vaters berichtet, zählt Thou 27 Freunde namentlich auf (es sind insgesamt aber noch mehr), die Texte auf den Verstorbenen verfassen, und erwähnt, dass alle Genannten bereits drei Jahre zuvor, beim Tod seines Bruders, dasselbe getan hatten.634 Man kann Gelegenheitsgedichte auch ohne besonderen Anlass schreiben; als Beispiel mögen die ewähnten Gedichte dienen, die Cond¦ und La Moussaye austauschen und in denen mit dem Tabu der Homosexualität gespielt wird.635

II.3.9. Kommunikationsstrategien der Freundschaft Neben den auf die Form bezogenen Gesten des mündlichen und schriftlichen Kommunizierens gibt es inhaltliche Strategien, die Kommunikation unter Freunden zu gestalten. Besonders zwei derartige Strategien sollen hervorgehoben werden, nämlich Geheimnisse und Euphemismen. Der verlässliche Freund ist der, der ein Geheimnis bewahren kann. Die Kommunikation unter Freunden spielt daher oft mit Andeutungen, bei denen es sich ganz offensichtlich um zwischen den Freunden ausgemachte Geheimzeichen handelt. In Bezug auf konkrete Textstellen kann ein solches Geheimzeichen vom Interpreten daher auch oft nur konstatiert, nicht aber aufgelöst werden. Dies gilt insbesondere für Briefe, die ihren Kontext ja nicht mitliefern, sondern voraussetzen. So schreibt Cond¦ an Guitaut: »J’ai reÅu vos lettres et je ne vous ai pas fait r¦ponse, puisque je croyais que vous viendriez. Cependant comme je vois que vous ne venez pas, je ne suis pas sans inqui¦tude d’apprendre ce que vous me voulez dire. Mandez-moi si vous viendrez ou non. Je me suis mis dans la tÞte d’en deviner quelque chose. Mandez-moi seulement si 633 Cf. Thorstein Veblen, The Theory of the Leisure Class. An economic study of institutions, New York 1934 [Erstauflage 1899], deutsch als Ders., Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, Frankfurt am Main 1986. 634 Jacques-Auguste de Thou, M¦moires de Jacques-Auguste de Thou, depuis 1553 jusqu’en 1601, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle Collection des M¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 1/11, Paris 1838, 265 – 374, hier 314. 635 Cf. supra, Ideen der Freundschaft.

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l’homme qui vous a parl¦, n’aime pas le chocolat. Par-l— je verrai si j’ai bien devin¦ ou non.«636

Wer der Mann ist, der keine Schokolade mag, bleibt im Dunkeln; es muss sich aber um einen Charakterzug eines gemeinsamen Bekannten von Cond¦ und Guitaut handeln, sonst würde diese Art der Kommunikation nicht funktionieren. Weniger ernst als die Geheimnisse, aber ihnen als Kommunikationsstrategien wesensverwandt sind Scherze unter Freunden. Auch hier kann die Freundschaft dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass nur die beiden Freunde als Eingeweihte den Scherz verstehen. Darüber hinaus kann der Scherz eine Grenzüberschreitung sein, wenn er gegen das Decorum verstößt, das bei der Kommunikation unter Respektspersonen eigentlich gewahrt werden muss. Auch hier spielt sicherlich der Rang eine Rolle: wenn Toulongeon und La Moussaye Cond¦ Briefe mit frivolem, ja sogar obszönem Inhalt schicken dürfen, ist das bedeutsamer als ein Scherzwort eines Prinzen oder Herzogs gegenüber einem niedrigeren Adligen. Dennoch ist auch letzteres ein Zeichen der Zuneigung, wie ein Beispiel bei Bussy-Rabutin zeigt. Es geht um einen Scherz zwischen ihm und dem Prinzen von Conti. Der Text ist, wie Bussy-Rabutin anmerkt, ein von Conti eigenhändig geschriebener Brief, was ja ein Zeichen besonderer Zuneigung ist; somit ist der ironische Ton des Schreibens in keinem Falle als Verhöhnung des Adressaten gemeint. Da der Brief in einen Memoirentext inseriert ist, erfährt der Leser im Gegensatz zu in Archiven aufbewahrten Quellen, was die Anspielung bedeutet: »Il [sc. Conti] fut tromp¦ dans ses esp¦rances de venir — la cour: les affaires du roi en Languedoc l’y retinrent, et je reÅus quelque temps aprÀs cette lettre de sa main: ›A Montpellier, ce 2 mars 1655. Je ne sais o¾ trouver des amiti¦s qui puissent bien exprimer ce que je sens pour vous. Je vous assure, mon cher Temple, que cela va au del— de toutes choses et que j’¦crirai pour vous avoir en Catalogne avec le mÞme empressement que je le ferois pour avoir dix mille hommes de pied de plus que je n’ai. Mandez-moi des nouvelles de Braquerie et si vos palefreniers ne vous volent plus; c’est-—-dire, en langue vulgaire, si vous vous Þtes d¦fait de votre ¦cuyer. Adieu. Armand de Bourbon.‹ Pour entendre la plaisanterie des palefreniers, il faut savoir qu’en allant en Catalogne avec le prince, on me prit trente pistoles une nuit dans mon haut de chausses; et comme j’en faisois du bruit le lendemain dans mon domestique, le gentilhomme qui me servoit d’¦cuyer et qui avoit couch¦ dans ma chambre, me dit qu’assur¦ment c’¦toit un de mes palefreniers qui m’avoit vol¦. Je fis semblant de le croire, quoique je soupÅonnasse fort ce gentilhomme, de qui la vie avoit ¦t¦ jusque-l— d’un filou. Je contai le mÞme jour mon

636 Archives de Chantilly O I 163 – 164, undatiert.

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aventure et mes soupÅons au prince qui, depuis ce temps-l—, en railloit toujours avec moi.«637

Diese Stelle verweist zugleich auf die Praxis unter Freunden, einander mit Pseudonymen anzureden, die ebenfalls Sympathie ausdrücken. Bussy-Rabutin erklärt, warum Conti ihn »mon cher Temple« nennt: »Mais pour ne rien laisser qu’on n’entende, il faut savoir que le prince de Conti aimoit — rire et badinoit toujours avec moi: et parce que mon oncle ¦tant grand prieur de France et que je logeois au Temple avec lui, le prince avoit trouv¦ plaisant de m’appeler quelquefois son templier.«638

Es ist durchaus möglich, dass in der Praxis der Pseudonyme ein Einfluss der Preziosität vorliegt, in deren Stil raffinierte Assoziationen geschätzt werden. Dies ist insbesondere dort wahrscheinlich, wo die Pseudonyme auf gelehrten Anspielungen beruhen wie hier : Bussy-Rabutin, der in Paris im Temple (dem ehemaligen Pariser Sitz des Templerordens) wohnt, wird für Conti zum Tempelritter. Eine weitere Strategie des Kommunizierens mit Freunden und über Freunde besteht in der Verwendung von Euphemismen. Damit ist hier nicht etwa eine Verschleierung von Rangunterschieden gemeint, wie Sharon Kettering dies postuliert,639 sondern die Praxis, Schwächen des Freundes entweder nicht anzusprechen oder zumindest positiv umzuformulieren. La BruyÀre ironisiert diese Praxis: wenn jemandes Freunde über ihn sagten, er sei zu allem geeignet, so bedeute dies, er sei zu nichts besonders talentiert, und eigentlich zu nichts nutze.640

II.3.10. Hyperbolische Rhetorik und Rhetorik der Verpflichtung Eine weitere wichtige Kommunikationsstrategie ist die Verwendung von hyperbolischer Rhetorik. Sie ist als ein eigener Punkt anzusehen, der sich von den Komplimenten und Briefschlussformeln unterscheidet. Die beiden genannten Kategorien umfassen standardisierte Formeln; die hyperbolische Rhetorik dagegen ist eine Strategie des Kommunizierens, bei der die standardisierten Formeln nur einen Teil der verwendeten Elemente ausmachen; die Adligen kreieren auch ad hoc neue Hyperbeln. Madame de S¦vign¦ versichert dem Grafen von Bussy-Rabutin: »croyez 637 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 406 – 407. 638 Ebd., 373. 639 Cf. Kettering, Patrons, Brokers, and Clients, op. cit., 15: »Client loyalties were expressed in terms of friendship, masking inequalities and conflicts of interest.« 640 La BruyÀre, Les CaractÀres, hg. von Louis van Delft, op. cit., 158 (Du m¦rite personnel, § 10).

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surtout que je suis la plus fidÀle amie que vous ayez au monde.«641 Auch der oben schon zitierte Brief Contis an Bussy-Rabutin beginnt mit einem hyperbolischen Satz: »Je ne sais o¾ trouver des amiti¦s qui puissent bien exprimer ce que je sens pour vous.«642 Hyperbolisch schreibt auch der Herzog von Epernon an BussyRabutin, wenn er ihm am Ende eines Briefes versichert: »Obligez-moi, cependant, de croire que je suis aussi passionn¦ment qu’il se peut, monsieur, votre trÀs-affectionn¦ serviteur, Le duc d’Epernon.«643 Dieser Satz zeigt die Praxis, formalisierte Elemente (in diesem Fall die standardisierte Formel »votre trÀsaffectionn¦ serviteur«) mit eigenen Formulierungen (»aussi passionn¦ment qu’il se peut«) zu kombinieren. Diese Praxis setzt sich in späteren Jahrhunderten fort; im 19. Jahrhundert lobt der Sekretärstraktatist Armand Dunois sie sogar als besonders kunstvoll und führt einen Brief Voltaires als Musterbeispiel an.644 Nicolas Le Roux hat für das Frankreich des 16. Jahrhunderts eine »rh¦torique de l’amiti¦« und eine »rh¦torique du don de soi« identifiziert;645 man kann entsprechend eine Rhetorik der Verpflichtung identifizieren. Im Bereich dieser Rhetorik zeigen sich hyperbolische Formulierungen besonders deutlich. Die »obligation« ist ein Dauerthema adliger Korrespondenz; immer wieder insistieren die Autoren darauf, dass sie geleistete Dienste nicht vergessen und sich zu gegebener Zeit erkenntlich zeigen werden. Als Bussy-Rabutin nach dem Bruch mit Cond¦ während der Fronde im Januar 1652 Mazarin seine Dienste anbietet, antwortet ihm der Kardinal: »Je vous suis sensiblement oblig¦ des offres que vous avez bien voulu me faire par la lettre que ce gentilhomme m’a rendue de 641 642 643 644

Madame de S¦vign¦, Lettres, hg. von Bernard Raffalli, op. cit., 40 – 41. Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 406. Ebd., 240. »Les lettres se terminent par certaines formules qui expriment un sentiment affectueux ou respectueux pour la personne — laquelle on ¦crit, et qui sont suivies de la signature. Quelquefois celle-ci est amen¦e par une transition, et une pareille fin de lettre est assez heureuse, quand la transition est amen¦e adroitement. Par exemple Voltaire, ¦crivant — M. de Lamarre qui avait fait imprimer sa trag¦die de Jules C¦sar, lui dit: Vos fautes sont si peu de chose en comparaison des miennes, que je ne songe qu’— ces derniÀres. J’en ferais une fort grande de ne vous point aimer, et vous pouvez compter toujours sur moi.« (Armand Dunois, Le Petit secr¦taire franÅais. Contenant des lettres sur toutes sortes de sujets, Paris 1854, 40), Hervorhebung im Original. 645 Le Roux, La faveur du roi, op. cit., 284 – 288. – Als Parallelbeispiele zu den Befunden zu Frankreich sind die Untersuchungen von Ulla Koskinen zur Rhetorik der Freundschaft im frühneuzeitlichen Skandinavien zu nennen, cf. Ulla Koskinen, Friends and Brothers. Rhetoric of friendship as a medium of power in late-16th-century Sweden and Finland, in: Scandinavian Journal of History 30 (2005), 238 – 248. Cf. auch Dies., ›Benevolent Lord‹ and ›Willing Servant‹. Argumentation with Social Ideals in Late-Sixteenth-Century Letters, in: Petri Karonen (Hg.), Hopes and Fears for the Future in Early Modern Sweden, 1500 – 1800, Helsinki 2009 (Studia Historica 79), 55 – 76; Marko Hakanen/Ulla Koskinen, From ›friends‹ to ›patrons‹. Transformations in the social power structure as reflected in the rhetoric of personal letters in sixteenth- and seventeenth-century Sweden, in: Journal of Historical Pragmatics 10 (2009), 1 – 22.

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votre part : ce sont des marques d’amiti¦ — n’oublier jamais. Je ne manquerai pas, ¦tant — la cour, d’en rendre compte — Leurs Majest¦s.«646 Die Übertreibung wird hier deutlich daran sichtbar, dass es sich zum fraglichen Zeitpunkt ja um ein bloßes Angebot handelt; noch hat Bussy-Rabutin nichts für Mazarin geleistet. Im Februar 1652, als Bussy-Rabutin schon für Mazarin kämpft, weist dieser ihn nochmals darauf hin, dass er die geleisteten Dienste nicht vergessen werde: »Je vous en conjure aussi, et de croire que je correspondrai de sorte — l’amiti¦ que vous me t¦moignez, que vous conno„trez que je sais l’estimer au point qu’elle m¦rite, et que je suis v¦ritablement, monsieur, votre trÀs-affectionn¦ serviteur, Le cardinal Mazarini.«647 Man könnte nun versucht sein, diese Rhetorik als reines Sprachspiel abzutun; die Formulierungen hätten dann rein ornamentale Funktion, sie wären sprachliches Rankenwerk, das die Sprache schlicht schöner erscheinen lassen soll, zur Botschaft aber nichts beiträgt. Bedenkt man allerdings, dass La BruyÀre auf die Wichtigkeit der Komplimente hinweist und dass in Briefschlussformeln der Rangunterschied der Beteiligten in codierter Form enthalten ist, so liegt die Vermutung nahe, dass auch die hyperbolische Rhetorik als Ganze Bedeutungen jenseits des Wortlauts trägt. Hier soll die Hypothese gewagt werden, dass es sich um die Codierung von Loyalität handelt. Die immer neuen Formulierungen, mit denen die Intensität der Freundschaft betont wird, bringen den Willen zur Loyalität zum Ausdruck. Ob dieser Wille echt oder geheuchelt ist, ist eine andere Frage als die nach der Funktion der Rhetorik. Man kann sogar noch weiter gehen und formulieren: falsche Loyalität kann nur dann effektiv geheuchelt werden, wenn sie sich der gleichen Formen bedient wie wahre. Das weist aber schon darauf hin, dass Loyalität in der höfischen Gesellschaft prekär ist. Die chronische Instabilität der Freundschaften macht es notwendig, Loyalität immer wieder zu betonen. Wäre sie selbstverständlich, müsste man nicht so viele Worte über sie verlieren.648 Auch die Frage nach Gegenleistungen für geleistete Dienste kann nur unter Einbeziehung aristokratischer Verhaltensnormen erklärt werden. Ein Adliger ist durch den adligen Ehrenkodex gehalten, largesse, also Großzügigkeit, bedingungslose Treue und den Mut zur Selbstaufopferung zur Richtschnur seines 646 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 221 – 222. 647 Ebd., 237. 648 Am Beispiel von Gesetzen hat Alessandro Manzoni das Problem literarisch verarbeitet, dass gerade über das Nicht-Selbstverständliche immer wieder geredet werden muss. Im Einleitungskapitel der Promessi Sposi erlassen die spanischen Gouverneure von Mailand eine Verordnung gegen Straßenräuberei nach der anderen. Sie verbieten die Räuberei immer aufs Neue, weil sie ihrer nicht Herr werden. Realgeschichtlich gilt dies in Frankreich für die im 17. Jahrhundert immer wieder erneuerten Duellverbote, cf. Michel Nassiet, La France au XVIIe siÀcle. Soci¦t¦, politique, cultures, Paris 2006, 161.

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Handelns zu machen. Somit darf er nicht klar angeben, bis wohin seine Treue tatsächlich reicht. Sein Gegenüber aber darf die beschriebene Haltung zwar voraussetzen, nicht aber ausnutzen. Das Charakteristikum der adligen Großzügigkeit ist ja gerade, dass sie freiwillig ist; sie kann daher nicht eingefordert werden. Die exaltierten Beteuerungen der Loyalität werden so zu Teilen eines Spiels auf Gegenseitigkeit: grenzenlose Hilfeleistung und grenzenlose Dankbarkeit werden versprochen, durchaus begrenzte Leistungen und Gegenleistungen werden am Ende ausgetauscht.649

II.3.11. Herstellung von Vertrauen über Sprache Die fehlende Sprache der Intimität zwischen Freunden führt dazu, dass ein in späteren Epochen sehr wichtiger Mechanismus der Herstellung von Vertrauen in den höfischen Adelsfreundschaften fehlt, nämlich die Herstellung von Vertrauen durch Bekenntnisse über das eigene Innenleben. Die Praxis mag es sicherlich auch gegeben haben, in die Überlieferung ist sie aber nicht eingegangen. Anders als im 19. Jahrhundert schreibt man solche Bekenntnisse also zumindest nicht nieder und berichtet auch nicht von Vieraugengesprächen. Die Herstellung von Vertrauen unter Freunden erfolgt bei Hof also nicht, zumindest nicht primär, über eine Kommunikation, die sich radikal von der Kommunikation mit Außenstehenden unterscheiden würde. Man kann aber andere Mechanismen identifizieren. Das betrifft die Herstellung von Vertrauen über Handlungen, über Geheimnisse und über Beteuerungen. Die erste Möglichkeit ist natürlich die naheliegendste: Vertrauen in Freunde entsteht, wenn sie sich in einer Krisensituation als loyal erweisen. Eine andere Möglichkeit sind Geheimnisse: den Freund in Angelegenheiten einzuweihen, die nicht allgemein bekannt sind, ist ein Vertrauensbeweis, der seinerseits wiederum verpflichtet. Allerdings sind die Geheimnisse unter Freunden in den Briefen oft nur indirekt greifbar : Briefe sind ein viel zu unsicheres Kommunikationsmittel, als dass man ihnen sensible Informationen einfach so anvertrauen würde;650 wenn man es dennoch tut, dann 649 Der Mechanismus, dass unbegrenzten Versprechungen von beiden Seiten begrenzte Leistungen von beiden Seiten entsprechen, ist am Beispiel des Verhältnisses des Fürsten zu seinen Höflingen herausgearbeitet in Stollberg-Rilinger, Zur moralischen Ökonomie des Schenkens bei Hof, op. cit. 650 Als Beispiel können die Komplikationen dienen, die entstehen, als in dem am Hof spielenden Roman La Princesse de ClÀves ein Höfling einen Liebesbrief verliert. Cf. Marie Madeleine Pioche de La Vergne de La Fayette, La Princesse de ClÀves, hg. von Jean Mesnard, Paris 1980. Der Roman ist zum Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Studien geworden; zitiert seien Michael G. Paulson, Facets of a Princess. Multiple Readings of Madame de La Fayette’s «Princesse de ClÀves«, New York 1998 (Currents in comparative Romance

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chiffriert.651 Was sich in Briefen allerdings findet, sind Hinweise auf Geheimnisse, die mündlich unter vier Augen mitgeteilt werden sollen, wie das oben erwähnte Beispiel von Cond¦s Brief an Guitaut zeigt, in dem es um den Mann geht, der keine Schokolade mag. In der höfischen Öffentlichkeit und im allgemeinen Briefverkehr bleibt als dritte Möglichkeit die Herstellung von Vertrauen über Beteuerungen von Loyalität. Sie sind allerdings, wie Niklas Luhmann treffend festgestellt hat, ihrerseits problematisch: kann doch das allzu häufige Betonen der Aufrichtigkeit den Gegenüber dazu führen, dass er genau diese Aufrichtigkeit anzweifelt.652 Wer seinem Gegenüber wieder und wieder versichert, dass er ihn nicht hintergehen will, wird ihn ab einem bestimmten Punkt misstrauisch machen. In der höfischen Gesellschaft ist es allerdings so, dass Loyalität grundsätzlich prekär ist; daher hat es durchaus einen Sinn, sie offensiv zu beteuern. Der Zweifel ist aber auch allgegenwärtig. Ein Thema, über das in der höfischen Gesellschaft immer wieder theoretisiert wird, ist der falsche Freund: wie soll man ihn erkennen, wie seine Täuschungsmanöver durchschauen? Der Hof ist eine Umgebung allgemeinen Misstrauens; aufgrund der vielen Intrigen und der ständig wechselnden Konjunkturen von Gunst und Ungunst ist Vorsicht geraten. Die Sprache der Freundschaft ist also durchaus paradox: durch den häufigen Gebrauch nutzen sich die Beteuerungen der Loyalität ab; diese Loyalität ist aber so prekär, dass auf sie immer wieder hingewiesen werden muss. Das mag ein Grund dafür sein, warum die Zeitgenossen die Komplimente, von denen sie laut La BruyÀre ja durchaus wissen, dass sie inhaltsleer sind, dennoch wieder und wieder verwenden. Das einzelne Kompliment reicht nicht aus, da es ja durch inflationäre Verwendung an Bedeutung verloren hat; also muss wieder und wieder komplimentiert werden.

languages and literatures 58); Janet Letts, Legendary Lives in La Princesse de ClÀves, Charlottesville 1998; Sung Kim, Les r¦cits dans La Princesse de ClÀves. Tentative d’analyse structurale, Saint-Genouph 1998; John Campbell, Questions of Interpretation in «La Princesse de ClÀves«, Amsterdam 1996; Jean-Michel Delacompt¦e, La Princesse de ClÀves. La mÀre et le courtisan, Paris 1990; Jean Fabre, L’art de l’analyse dans »La Princesse de ClÀves », Straßburg 1989; Georg Bergner, Gesellschaft und Moral der Klassik im Spiegel der »Princesse de ClÀves« von Madame de La Fayette, Saarbrücken 1988; Laurence A. Gregorio, Order in the Court. History and society in La Princesse de ClÀves, Saratoga, CA 1986 (Stanford French and Italian studies 47). 651 So finden sich in den Beständen von Chantilly eine ganze Reihe von Briefen, die entweder teilweise oder vollständig chiffriert sind. 652 Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main, 21985, 207.

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II.3.12. Uneigentliches Sprechen? – Die Frage nach der »Aufrichtigkeit« der Sprache der Freundschaft Hinsichtlich der Sprache interpersonaler Beziehungen in der Frühen Neuzeit ist ausgiebig diskutiert worden, wie ernst sie zu nehmen sei. Während Roland Mousnier im Großen und Ganzen der Ansicht ist, dass die Intentionen dem Gesagten auch entsprachen, sieht Sharon Kettering die Sprache der fid¦lit¦ als Instrument, das materielle Interessen verschleiere. Kristen Neuschel ist der Ansicht, das Problem sei falsch gestellt: man habe in der frühneuzeitlichen Adelsgesellschaft nur als Klient handeln, nicht aber Klient sein können; entsprechend, so darf man hinzufügen, hätte man dann auch nur als Freund handeln, nicht aber Freund sein können. Die entsprechenden Äußerungen bezögen sich also nur auf situatives Handeln, nicht auf längerfristige Bindungen.653 Arthur L. Herman argumentiert, dass die Frage, ob die Adligen ihre eigenen Äußerungen glaubten, nebensächlich sei: es handle sich um ein Sprachspiel, das die eigenen Handlungen legitimiere und das Gegenüber zu Reaktionen bewegen solle.654 Jay M. Smith hat eingewandt, dass auch der Sprachspiel-Ansatz am selben Problem leide wie frühere Ansätze, nämlich dass er – indem er den Akteuren unterstellt, die eigenen Äußerungen nicht ernst zu nehmen – die Motivationen ebendieser Akteure in einen Bereich jenseits der Sprache verlege und prompt nur solche Motivationen angeben könne, die scheinbar keiner weiteren Begründung bedürften, wie beispielsweise das Streben nach Macht oder dasjenige nach Status. Smith unterstreicht stattdessen, dass auch die Interessen der Beteiligten nur im Rahmen zeitgenössischen Denkens existierten, und dass somit die Sprache unmöglich von zeitgenössischen Wertvorstellungen getrennt werden könne.655 Die Debatte ist aus zwei Gründen schwer entscheidbar. Zum einen wirft die Frage nach der Aufrichtigkeit oder Unaufrichtigkeit der Akteure unweigerlich Fragen auf, die mit dem methodischen Arsenal des Historikers nicht zu beantworten sind. Die Frage, ob Akteure meinten, was sie sagten, impliziert die Frage, was im Inneren der Akteure vorging, und damit Phänomene, die grundsätzlich jenseits der Quellen liegen. Zum anderen aber reichen die aufgeführten Fragen über die frühneuzeitliche »language of fidelity« hinaus und haben sich vielleicht deshalb an ihr entzündet, weil dieses Sprachregister für moderne Beobachter besonders krasse Diskre653 Cf. Neuschel, Word of Honor, op. cit., 23: »French warrior society […] weighed incidental performance over continuing states of being. In a very real sense, then, the possibility of being a client was a behavioral and psychological possibility that postdates sixteenthcentury warrior society.« Hervorhebung im Original. 654 Cf. Herman, The Language of Fidelity in Early Modern France, op. cit. 655 Cf. Smith, No More Language Games, op. cit.

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panzen – zwischen affektivem Vokabular auf der einen, Machtpolitik auf der anderen Seite – bereitzuhalten scheint. Grundsätzlich aber berührt die Debatte die Frage, inwieweit die Akteure Gefangene der Sprache ihrer Zeit sind; zu Ende gedacht, berührt das sprachphilosophische Fragen, die über die historische Fragestellung weit hinausreichen. Sie sollen hier nicht weiterverfolgt werden; hier soll vielmehr ein Vorschlag gemacht werden, wie die Rhetorik der frühneuzeitlichen Adelsfreundschaft genauer verstanden werden kann. Die bisherigen Ansätze haben die Sprache frühneuzeitlicher Korrespondenz immer als Einheit betrachtet und globale Aussagen über ihren Status gemacht. Hier soll vielmehr argumentiert werden, dass diese Sprache verschiedene Elemente enthält, denen unterschiedlicher Status zukommt. Drei Arten von Elementen können unterschieden werden. Die erste Kategorie bilden wörtlich zu nehmende Elemente. Diese Kategorie umfasst Sachinformationen, die in Briefen übermittelt werden, z. B. militärische Details, geschuldete oder gezahlte Geldsummen, Informationen über Verlobungen, Heiraten, Geburten. Hier ist Dissimulation fehl am Platz – sie nützt weder dem Sender noch dem Empfänger. Das soll nicht heißen, dass in den Briefen nicht gelogen wird – nur ist die simple Lüge, bei der von nicht geschehenen Ereignissen berichtet wird oder Zahlen gefälscht werden, kein spezifischer Zug höfischer Kommunikation. Die zweite Kategorie bilden Sprachspielelemente, wie sie Arthur Herman darstellt.656 Hyperbeln, die auf der wörtlichen Ebene die Intensität der Gefühle betonen, sind Aussagen, die die Botschaft tragen »ich bin loyal.« Was dabei genau gesagt wird, ist in der Tat zweitrangig, solange die Botschaft ankommt. Eine solche Botschaft kann auch eine Warnung, eine Ermahnung oder eine Erinnerung daran sein, dass ein hierarchisches Verhältnis zwischen den Freunden herrscht. Ein Beispiel bietet ein Brief Cond¦s an Guitaut. Cond¦ beteuert, dass er »bien f–ch¦« sei, gezwungen zu sein, Guitaut zu sich zu rufen, während dessen Frau krank sei; er habe aber eine dringende Angelegenheit (»une affaire press¦e«), die er ohne Guitaut nicht erledigen könne.657 Dennoch findet sich im Brief kein Befehlston, Cond¦ bittet Guitaut ausdrücklich. Es dürfte Guitaut aber klar gewesen sein, dass er diese Bitte seines mächtigen Freundes nicht ablehnen konnte. In zwei weiteren Briefen wird Cond¦ deutlicher. Am 28. Dezember 1656 schließt Cond¦ einen Brief, indem er die Unverbrüchlichkeit 656 Das Konzept des Sprachspiels stammt aus Wittgensteins Philosophie und besagt, dass kein Wort eine von seinem Gebrauch in der Sprache unabhängige Bedeutung besitzt. Dieses Konzept wurde durch John L. Austins Sprechakttheorie modifiziert und von den Begründern der »Cambridge School«, Quentin Skinner und J. G. A. Pocock, in die Geschichtswissenschaft eingeführt, cf. Smith, No More Language Games, op. cit., 1421. 657 Archives de Chantilly O I 166 Cond¦ an Guitaut, ohne Datum, vom Archivar auf 1667 datiert.

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seiner Freundschaft zu Guitaut betont, diesen aber zugleich zur Treue ermahnt: »Je ne vous en dirai pas davantage sinon que rien au monde n’est capable de diminuer l’amiti¦ que j’ai pour vous. Vous pouvez Þtre fort en repos l—-dessus, mais aussi vous devez en Þtre de mÞme pour moi.«658 Bereits am 23. Dezember 1656 hatte Cond¦ Guitaut aus Brüssel einen Brief geschrieben, in dem er zunächst im Plauderton scherzt, Guitaut dann aber mehr oder weniger unverblümt herbeizitiert, indem er ihm mit der Aufkündigung der Freundschaft droht: »Raillerie — part, revenez bientút, si vous voulez que je continue — Þtre de vos amis.«659 Aus den Briefen geht nicht hervor, ob Guitaut dieser Aufforderung sofort Folge leistet; man darf aber davon ausgehen, dass eine solche Formulierung nichts anderes ist als ein Befehl. Cond¦ ist im Jahre 1656 schließlich im Exil. Somit ist er zwar von seinen wenigen verbliebenen Getreuen, die ihm gefolgt sind, ein Stück weit abhängig. Ihre Abhängigkeit von ihm ist aber wesentlich größer : anders als er können sie nicht aufgrund ihres Ranges auf Gnade von seiten des französischen Königs hoffen. Ob sie Karriere im Exil machen oder nach Frankreich zurückkehren wollen, in jedem Falle sind sie an Cond¦s Schicksal gekettet. Die dritte Kategorie bilden formelhafte Elemente, bei denen ganz und gar nicht egal ist, wer was zu wem sagt, weil die Wörter bestimmte Bedeutungen codieren, ohne dass diese auf der wörtlichen Ebene unbedingt erkennbar wären – ein Beispiel dafür sind die Briefschlussformeln, wo das Adjektiv »affectionn¦« Überordnung codiert. Die zweite und die dritte Kategorie zeigen, dass es zu kurz greift, die »uneigentliche« Verwendung von Wörtern in der höfischen Sprache als Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse (vor allem natürlich der Machtverhältnisse) zu begreifen. Die Sprache verschleiert ein etwaiges Machtgefälle nur insofern, als sie es nicht schroff ausdrückt, sondern in codierte Formeln verpackt; das ist aber etwas grundsätzlich anderes, als wenn diese Machtverhältnisse negiert würden. Es gibt Briefe, in denen die zweite und dritte Kategorie von sprachlichen Elementen dominieren – so in Gratulationsschreiben und in schriftlichen Komplimenten, in denen ja keine Sachinformation übermittelt wird. Es fällt auf, dass Sprachspiele und codierte Formeln da zum Einsatz kommen, wo es um die Beziehung zwischen Sender und Adressat geht. Sachinformationen werden nicht in Sprachspielen oder uneigentlichen Formulierungen ausgedrückt – wenn man nicht will, dass ein Dritter sie lesen kann, werden sie chiffriert. Anders als chiffrierter Text ist die codierte Sprache der höfischen Korrespondenz für andere Mitglieder der höfischen Gesellschaft ohne Probleme lesbar ; sie dient nicht

658 Archives de Chantilly O I 180. 659 Archives de Chantilly O I 179.

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der Geheimhaltung, sondern der Höflichkeit. Vermutlich ist sie aber noch mehr, nämlich ein Distinktionsmerkmal. Es darf vermutet werden, dass die Fähigkeit, höfische Korrespondenz einerseits zu lesen und die in ihr enthaltenen Botschaften zu decodieren und andererseits unter Verwendung der korrekten Formeln selbst zu produzieren, ein »feiner Unterschied« im Sinne Pierre Bourdieus ist. Denn wer in der Korrespondenz unkorrekt schreibt oder falsch reagiert, wird in der höfischen Gesellschaft schnell nicht mehr ernstgenommen werden. Das richtige Korrespondieren ist somit eine der vielen Fähigkeiten, die man beherrschen muss, um an höfisch-adliger Geselligkeit teilnehmen zu können – wie auch das Tanzen, das Komplimentieren oder die höfische Konversation. Dass diese Fähigkeiten nötig sind, bildet eine Hürde für Aufsteiger, die an ihrer mangelhaften Beherrschung scheitern können, wie MoliÀre es an Monsieur Jourdain, dem Protagonisten des Bourgeois gentilhomme, beispielhaft vorführt. Die Frage, ob eine Äußerung wörtlich gemeint ist oder nicht, ist abzutrennen von der Frage, ob sie manipulativ verwendet wird oder nicht. Wenn man nicht vorhandene Gefühle bekundet, um Loyalität zu versprechen, so ist das eine andere Art von Lüge, als wenn man diese Loyalität verspricht und sie hernach bricht. Selbst wenn die gesamte Kommunikation ein Sprachspiel wäre, so könnte man immer noch in diesem Sprachspiel die geweckten Erwartungen erfüllen oder nicht. Ein Unterschied, der im Kontext der Sprache der Freundschaft auch Beachtung verdient, ist derjenige zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Die Linguistik und die Literaturwissenschaft haben schon länger darauf hingewiesen, dass mündliche und schriftliche Kommunikation nach sehr unterschiedlichen Regeln ablaufen;660 auch in der Geschichtswissenschaft wurde diese 660 Das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie die Übergänge zwischen ihnen sind gut erforscht, nicht zuletzt dank der Arbeit des abgeschlossenen Freiburger Sonderforschungsbereichs 321 »Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit«. Selbst die frühneuzeitrelevanten Werke können hier nur in Auswahl zitiert werden: Wolfgang Raible (Hg.), Zwischen Festtag und Alltag. Zehn Beiträge zum Thema ›Mündlichkeit und Schriftlichkeit‹, Tübingen 1988 (ScriptOralia 6); Wolfgang Raible (Hg.), Erscheinungsformen kultureller Prozesse. Jahrbuch 1988 des Sonderforschungsbereichs »Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit«, Tübingen 1990 (ScriptOralia 13); Willi Erzgräber/Hans-Martin Gauger (Hg.), Stilfragen, Tübingen 1992 (ScriptOralia 38), Paul Goetsch (Hg.), Lesen und Schreiben im 17. und 18 Jahrhundert. Studien zu ihrer Bewertung in Deutschland, England, Frankreich, Tübingen 1994 (ScriptOralia 65); Werner Röcke/Ursula Schaefer (Hg.), Mündlichkeit – Schriftlichkeit – Weltbildwandel. Literarische Kommunikation und Deutungsschemata von Wirklichkeit in der Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Tübingen 1996 (ScriptOralia 71); Wolfgang Raible (Hg.), Kulturelle Perspektiven auf Schrift und Schreibprozesse. Elf Aufsätze zum Thema Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen 1995 (ScriptOralia 72); Gabriele Kalmbach, Der Dialog im Spannungsfeld von Schriftlichkeit und Mündlichkeit, Tübingen

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Fragestellung aufgegriffen.661 Die Struktur von Sätzen wird von diesem Unterschied ebenso beeinflusst wie die Stilistik und nicht zuletzt die Struktur ganzer Texte. Am Beispiel der Anrede- und Schlussformeln in Briefen kann man sich das leicht vergegenwärtigen: heute ist es weder im Deutschen noch im Französischen möglich, diese Formeln, deren Gebrauch in Briefen als guter Stil gilt, in einem Gespräch zu verwenden. Jemanden auf Deutsch als »sehr geehrter Herr« anzusprechen würde ebenso bizarr wirken, wie jemandem auf Französisch im Gespräch zu versichern, man hege »sentiments distingu¦s« für ihn. Nun ist die Struktur der mündlichen Kommunikation für den Historiker vormoderner Epochen naturgemäß schwerer zu greifen als die der schriftlichen Kommunikation – stehen ihm doch anders als dem Historiker des 20. Jahrhunderts keine audiovisuellen Quellen zur Verfügung, die mündliche Kommunikation direkt aufzeichnen. Für die Vormoderne erfolgt jede Überlieferung des Mündlichen nur auf dem Umweg über die Schrift, und damit wird auch der Bericht von einem Gespräch bereits durch die Formen der Schriftlichkeit »kontaminiert«. Dennoch darf man annehmen, dass auch und gerade den Höflingen der Unterschied beider Formen der Kommunikation bewusst war. Die erwähnten Sekretärstraktate zeigen ja, dass die in Briefen zu verwendenden Konventionen sprachlicher Art auch für die Zeitgenossen etwas waren, was man entweder systematisch aus diesen Lehrbüchern lernen oder sich durch Studium vieler Musterbriefe aneignen musste – die Traktate geben deshalb dem theoretischen Teil auch immer eine Sammlung von Musterbriefen bei, wenn sie nicht sogar nur aus einer solchen Sammlung bestehen. Bei der Debatte um die Aufrichtigkeit oder Unaufrichtigkeit der Briefsprache muss also bedacht werden, dass es um schriftliche Kommunikation geht, und dass die Zeitgenossen wissen, dass dabei Konventionen einzuhalten sind. Wie kommt es zur codierten Sprache bei Hofe? Die Faktoren, die in der höfischen Gesellschaft zu dieser Codierung der Sprache führen, dürften insbesondere die Höflichkeit und der adlige Ehrenkodex sein. Die Höflichkeit verbietet es, ein Machtgefälle direkt anzusprechen, da das zu harsch wäre. Codierte Formulierungen wie die Schlussformeln der Briefe machen aber eben doch klar, 1996 (Communicatio 11); Bettina Rommel, Rabelais zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Gargantua: Literatur als Lebensführung, Tübingen 1997 (Mimesis 24). Allgemein sei verwiesen auf die Bände der von Paul Goetsch, Wolfgang Raible und Hans-Robert Roemer herausgegebenen Reihe »ScriptOralia«. 661 So z. B. in der Alten Geschichte von Hans-Joachim Gehrke, Verschriftung und Verschriftlichung im sozialen und politischen Kontext: das archaische und klassische Griechenland, in: Christine Ehler/Ursula Schaefer (Hg.), Verschriftung und Verschriftlichung. Aspekte des Medienwechsels in verschiedenen Kulturen und Epochen, Tübingen 1998 (ScriptOralia 94), 40 – 56.

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dass es ein Hierarchiegefälle gibt – man muss sie nur lesen können.662 Der adlige Ehrenkodex verbietet z. B. zu deutliches Insistieren auf ökonomischen Angelegenheiten: etwa einen Kredit zu einem bestimmten Termin zurückzufordern, wäre sehr unaristokratisch. Hier empfiehlt es sich eher, en passant auf das geliehene Geld hinzuweisen und darauf zu vertrauen, dass der Schuldner sich bei seiner Ehre gepackt fühlt und das Geld ohne offene Aufforderung zurückzahlt. Betrachtet man die Sprache der Freundschaft als Ganzes, so macht die Beschreibung der sprachlichen Praktiken und der Kommunikationsstrategien der Freundschaft bereits deutlich, dass es eine Reihe von Möglichkeiten gibt, sich als Freund zu verhalten und so sichtbar zum Ausdruck zu bringen, dass man sich als Freund seines Gegenübers versteht. Das bedeutet wohlgemerkt nicht, dass man nur im Moment der Handlung Freund ist, wie das die oben angeführte These Kristen Neuschels besagt; wohl aber, dass ohne solche Handlungen die Freundschaft nicht sichtbar wird, weder für den Freund noch für Dritte. Das legt nun nahe, dass es neben den sprachlichen Praktiken auch eine Reihe nichtsprachlicher Verhaltensweisen gibt, die Freundschaft zum Ausdruck bringen können. Ihnen ist das nächste Kapitel gewidmet.

II.4. Praktiken der Freundschaft Die Unterschiede zwischen den Freundschaftsdiskursen des 17. Jahrhunderts und der Gegenwart sind zwar beträchtlich; gemeinsam ist ihnen allerdings die Auffassung von Freundschaft als erworbener Beziehung. Anders als eine zugeschriebene Beziehung ist Freundschaft somit darauf angewiesen, dass die Freunde miteinander interagieren. Eine Freundschaft, die nicht mehr aktualisiert wird, kann in Vergessenheit geraten, sich tendenziell auflösen – ein Gedanke, der sich schon in der Nikomachischen Ethik findet, wo Aristoteles, einen unbekannten Dichter zitierend, warnt: »Oft schon hat fehlender Austausch des Wortes die Freundschaft vernichtet.«663 Daher kommt Praktiken der Freundschaft eine besondere Bedeutung zu. Die Analyse der Praktiken stellt sicher, dass die Studie sich nicht rein auf der Diskursebene bewegt. Indem die Praktiken der Freundschaft einbezogen werden, wird nicht nur die Seite des Redens, sondern auch die Seite des Handelns analysiert. Dadurch entgeht die Studie der Gefahr, die untersuchten Phänomene rein ideengeschichtlich abzuhandeln. Hier bestünde sonst das Risiko, die Dar662 Die Existenz codierter Bedeutungen in der frühneuzeitlichen Briefsprache hat Wolfgang Reinhard bereits hinsichtlich der Korrespondenzen an der frühneuzeitlichen römischen Kurie postuliert, cf. Reinhard, Amici e creature, op. cit., 322; die hier vorgenommenen Untersuchungen bestätigen für den französischen Fall seine Überlegungen. 663 Aristoteles, Nikomachische Ethik, hg. von Franz Dirlmeier, op. cit, 221 (Buch VIII).

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stellungen normativer Vorstellungen über Freundschaft irrtümlicherweise für Abbildungen der sozialen Praxis zu halten. Beschreibungen der Praktiken sind vor allem in narrativen Quellen zu finden; in den Briefen werden die Praktiken eher selten erwähnt. Das ist nicht weiter verwunderlich: die Sitten und Gebräuche, die in der Freundschaft gelten, sind für Sender und Empfänger selbstverständlich; sie gehören somit zum Kontext der Briefe und tauchen daher im Text normalerweise nicht auf. In den narrativen Quellen dagegen ist der Freund nicht der Adressat des Textes; zudem berichten Autoren manchmal nicht nur über ihre eigenen Freundschaften, sondern auch über die Freundschaften Dritter. Die Praktiken sind gerade in der höfischen Gesellschaft deshalb so wichtig, weil der gesellschaftliche Umgang dort in besonderem Maße von sozialen Regeln durchstrukturiert wird, die – in Form des Hofzeremoniells – viele Details regeln, seien es die Sitzordnung, die Bewegungen des Körpers, oder die Kleiderordnung.664 Ronald G. Asch hat festgestellt, dass Kommunikation am Hof oft rituellen Charakter hat.665 Die Wichtigkeit der symbolischen Kommunikation in der sozialen Ordnung des Ancien R¦gime im Allgemeinen und in den Eliten im besonderen hat Barbara Stollberg-Rilinger herausgearbeitet.666 Innerhalb einer solchen Kultur kann auch die Freundschaft innerhalb der politischen Elite nicht unberührt von der symbolischen Aufladung der Praktiken bleiben.

II.4.1. Rituale, Gesten, Symbole Im Rahmen dieser Studie sollen Rituale und Gesten unterschieden werden. In Anlehnung an Werner Paravicini667 und Barbara Stollberg-Rilinger668 soll hier ein eng gefasster Ritualbegriff verwendet werden. Ritual soll eine stereotypisierte Handlungssequenz heißen, die Wandlungscharakter hat.669 Dabei bezieht 664 Cf. hierzu Le Roy Ladurie, Saint-Simon ou le systÀme de la Cour, op. cit. 665 Asch, The Princely Court and Political Space, 55. Asch verwendet hier den Ritualbegriff in einem weiteren Sinn als wir es hier tun, da in seiner Darstellung der Begriff des Rituals nicht der Geste entgegengesetzt wird. 666 Barbara Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neuere Forschungen zu symbolischer Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), 389 – 405, hier 397; cf. auch Dies., Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Forschungsperspektiven – Thesen, in: Zeitschrift für Historische Foschung 31 (2004), 489 – 527. 667 Werner Paravicini, Zeremoniell und Raum, in: Ders. (Hg.), Zeremoniell und Raum. 4. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, 25.–27. September 1994, Sigmaringen 1997, 11 – 36, 14. 668 Cf. Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol, op. cit; Dies., Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, op. cit. 669 Karl Leyser, Ritual, Zeremonie und Gestik: das ottonische Reich, in: Frühmittelalterliche

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der Ritualbegriff bewusst performative Sprechakte mit ein, also Aussagen, denen dieser Wandlungscharakter zukommt;670 das wäre beispielsweise der Fall, wenn sich jemand zum Freund seines Gegenübers erklärt oder ihm die Freundschaft aufkündigt. Als Gesten der Freundschaft sollen dagegen alle Verhaltensweisen definiert werden, die Freundschaft zum Ausdruck bringen, ohne ihren Zustand zu verändern; der Begriff der Geste soll hier also mehr umfassen als nur die körperlichen Gesten.671 Darunter können also auch Tätigkeiten fallen, die den Körper eher vermittelt involvieren, wie zum Beispiel das gemeinsame Glücksspiel. Allerdings wurden die Gesten, die primär Sprechakte sind – seien es mündliche wie beim Kompliment, seien es schriftliche wie beim Korrespondieren – in das Kapitel über die Sprache der Freundschaft verlagert. Als Symbole sollen alle Gegenstände aufgefasst werden, die Freundschaft zum Ausdruck bringen.672 Mithin ist die Geste der Freundschaft eine Handlung, die Freundschaft zum Ausdruck bringt, und das Symbol ein Ding, das Freundschaft zum Ausdruck bringt. Keines von beiden wird hier »Zeichen« der Freundschaft genannt, da dies ein übergreifender Begriff für sprachliche und nichtsprachliche Handlungen sowie Dinge ist. Dass die Symbole hier unter den Praktiken abgehandelt werden, liegt daran, dass sie mit ihnen verschränkt sind: so ist die Geste des Schenkens eine Praxis, das Geschenk selbst ein Symbol. Die Freundschaftsdienste sollen an dieser Stelle zunächst ausgeklammert werden, auch wenn sie natürlich zu den Praktiken zu zählen sind; ihnen ist aufgrund ihrer Mannigfaltigkeit und ihrer komplexen Beziehungen zu den Repräsentationen und zum Gabentausch ein eigenes Kapitel gewidmet.

II.4.2. Rituale der Freundschaft Das Ritual ist in der Geschichtswissenschaft ein relativ neues Forschungsthema. Es gehört nicht zu den kanonischen Subjekten der klassischen Politikgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die einflussreichen wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Schulen des späteren 20. Jahrhunderts, wie die AnnalesStudien 27 (1993), 1 – 26, hier 2 – 3. – Sowohl bei Leyser als auch bei Paravicini ist der Gegenbegriff zum Ritual das Zeremoniell respektive die Zeremonie. Sie ist veranschaulichend, nicht wandelnd. Da Freundschaft aber eine nicht-verrechtlichte Beziehung ist, scheint uns der Begriff des Zeremoniells für ihre Beschreibung nicht angemessen, da »Zeremoniell« die Konnotation des Offiziellen hat. 670 Cf. hierzu wie zur Sprechakttheorie allgemein Austin, Zur Theorie der Sprechakte, op. cit., und Searle, Sprechakte, op. cit. 671 Der Gestenbegriff ist hier also weiter als bei Paravicini, Zeremoniell und Raum, op. cit., 13. Dort wird ein stärkerer Akzent auf die Körperlichkeit der Geste gelegt; Gesten werden gefasst als »Körperliche Haltungen, Bewegungen, Tätigkeiten«. 672 Auch in dieser Hinsicht wird hier von der Definition von Paravicini abgewichen, der auch Handlungen unter die Symbole fasst; Paravicini, Zeremoniell und Raum, op. cit., 15.

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Schule und die Bielefelder Sozialgeschichte, machten das Ritual ebenfalls nicht zu einem Forschungsthema.673 Die Anstöße zur Befassung mit dem Ritual kamen für die Geschichtswissenschaft daher aus anderen, benachbarten Disziplinen. Theologie und Religionswissenschaft hatten sich seit langem mit Ritualen beschäftigt: seit dem 18. Jahrhundert bildete sich die Liturgiewissenschaft als Teildisziplin der Theologie heraus.674 Hier stand naturgemäß aber die Liturgie im Mittelpunkt, und somit das sakrale, nicht das profane Ritual. Für die Beschäftigung der Historiker mit Ritualen war vor allem die Bearbeitung des Themas durch die Ethnologie von Bedeutung. Die systematische Beschreibung des Rituals, wie sie etwa von Victor Turner unternommen wurde,675 stellte Analyseinstrumente bereit; es wurde zudem klar, dass die Annahme irrig ist, Rituale würden in einem Prozess der Rationalisierung und Modernisierung zunehmend aus Politik und Gesellschaft verschwinden. Neben der Kritik an linearen Modernisierungskonzepten hat die Erforschung von Ritualen in der Geschichtswissenschaft ihren Ursprung in einer gewissen Skepsis gegenüber einer einseitig auf Texte fokussierten Geschichtswissenschaft;676 sie führte zum »performative turn«, einer neuen Betonung des konkreten Handelns. Als einflussreichste Richtung der Ritualforschung innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft ist die in Münster entstandene Forschungsrichtung zu nennen, wo Gerd Althoff für das Mittelalter677 und Barbara Stollberg-Rilinger für die Frühe Neuzeit678 speziell politische Rituale untersucht haben. Rituale der Freundschaft sind bisher in der Geschichtswissenschaft wenig beachtet worden. Auch in den Nachbardisziplinen ist das Thema weitgehend unbearbeitet geblieben; der bisher einzige Sammelband zum Thema679 konzentriert sich vor allem auf die Zeit um 1800, die meisten Beiträge sind litera673 Das mag daran liegen, dass sich das Ritual schlecht zur Erforschung mit der quantitativstatistischen Methode eignet; zudem ist der Ablauf von Ritualen eben oft Interaktion zwischen Einzelpersonen – ein Bereich, der durch die Fokussierung auf große gesellschaftliche Gruppen aus dem Blickwinkel der genannten Forschungsrichtungen geriet. 674 Albert Gerhards/Benedikt Kranemann, Einführung in die Liturgiewissenschaft, Darmstadt 2006, 25. – Zur Entstehung und Geschichte der Liturgiewissenschaft cf. Franz Kohlschein/ Peter Wünsche (Hg.), Liturgiewissenschaft. Studien zur Wissenschaftsgeschichte, Münster 1996. 675 Victor Turner, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt am Main Neuauflage 2005. 676 Hanns Peter Neuheuser, Profane Rituale und Ritualität. Tendenzen der fächerübergreifenden Forschung und der kulturhistorischen Ansätze in den Einzeldisziplinen, in: Archiv für Kulturgeschichte 87 (2005), 427 – 455, hier 428. 677 Cf. Gerd Althoff, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003; Ders./Barbara Stollberg-Rilinger, Rituale der Macht in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Axel Michaelis (Hg.), Die neue Kraft der Rituale. Sammelband der Vorträge des Studium Generale der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Wintersemester 2005/ 2006, Heidelberg 2007, 141 – 178. 678 Cf. Barbara Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol, op. cit. 679 Klaus Manger/Ute Pott (Hg.), Rituale der Freundschaft, op. cit.

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turwissenschaftliche Aufsätze, die im Umkreis der Weimarer Klassik angesiedelt sind. Für die hier betrachtete französische Adelsgesellschaft des 17. Jahrhunderts spielen Rituale der Freundschaft offensichtlich eine große Rolle: Nimmt man die Situationen in den Blick, in denen Freundschaft ihren Zustand ändert, so fällt auf, dass diese Situationen oft – nicht immer! – von Praktiken begleitet sind, die immer wiederkehren, relativ unabhängig von der Person der Beteiligten. Das legt die Vermutung nahe, dass man es mit ritualisierten Praktiken, mit rites de passage zu tun hat.680 Mit Klaus Oschema681 sollen Rituale nicht als Praktiken aufgefasst werden, die sich primär an die Zuschauer wenden. Vielmehr richten sich Rituale der Freundschaft zunächst einmal an die Beteiligten selber ; gemeinsam ein Ritual der Freundschaft zu vollziehen heißt, sich selbst als Freund des anderen zu kennzeichnen und den anderen als Freund anzuerkennen.

II.4.3. Rituale des Beginns der Freundschaft Frühneuzeitliche Adlige wählen ihre Freunde durchaus mit Bedacht aus. Gourville hält diese Überlegung explizit fest, als er seine Ankunft in Brüssel schildert, wo er zunächst abwartet, bevor er Freundschaften schließt: »Cependant, je me proposai d’Þtre un temps sans faire de liaison particuliÀre, jusqu’— ce que j’eusse bien connu les personnes avec qui je voudrais me lier d’amiti¦, pour, dans la suite, n’Þtre pas oblig¦ d’en changer.«682 Entsprechend schildern die Adligen oft, woher sie einen Freund kennen, und überliefern manchmal sogar die konkrete Situation, in der die Freundschaft geschlossen wurde. Es gibt allerdings durchaus Freundschaften, die aus Bekanntschaften allmählich entstehen, bis einer der Partner den Begriff der Freundschaft zu benutzen beginnt. Als Beispiel kann der Anfang der »Conversations« des chevalier de M¦r¦ dienen. Der Text ist ein Lehrtext über den honnÞte homme, gleichzeitig aber eine Beschreibung der Freundschaft zwischen dem chevalier de M¦r¦683 und dem mar¦chal de Cl¦rambault;684 letzterer ist identisch mit dem oben bereits

680 Das Konzept der rites de passage ist grundgelegt in: Arnold van Gennep, Les rites de passage. Etude syst¦matique des rites de la porte et du seuil, de l’hospitalit¦, de l’adoption, de la grossesse et de l’accouchement, de la naissance, de l’enfance, de la pubert¦, de l’initiation, de l’ordination, du couronnement, des fianÅailles et du mariage, des fun¦railles, des saisons, etc, Paris 1909. 681 Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, op. cit., 19. 682 Gourville, M¦moires, op. cit., 151. 683 Antoine Gombaud, chevalier de M¦r¦ (1607 – 1684). 684 Philippe de Cl¦rambault, comte de Palluau (1606 – 1665). Für seine Siege im Krieg und während der Fronde, unter anderem die Belagerung und Einnahme von Montrond, sowie

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erwähnten Grafen von Palluau. Der Text bezieht sich in komplexer Weise auf sich selbst: die beiden Personen sind, worüber sie reden – nämlich honnÞtes hommes; und sie praktizieren, worüber sie reden – die ideale höfische Konversation. Der mar¦chal de Cl¦rambault ist zur Kur in Poitiers, wo der Chevalier sich zufällig aufhält. So wird aus ihrer Bekanntschaft Freundschaft: hatte der Marschall den Chevalier bisher nur gekannt »comme on se connoist dans la foule«, so treffen sie sich nun öfter : »Le Mareschal avoit l’esprit si agreable qu’on ne se lassoit point de l’entendre: Cela m’engageoit — le voir souvent, et je fus assez heureux pour avoir quelque part en son amiti¦.«685 Diese Freundschaft verfestigt sich schnell: nachdem der Chevalier den Marschall sieben oder acht Tage lang täglich besucht hat, kommt er nicht mehr ohne ihn aus.686 In einem solchen Fall ist kein Ritual nötig, um den Übergang von der Bekanntschaft zur Freundschaft zu markieren. Freundschaft kann aber auch explizit angetragen werden.687 Man kann als Reaktion auf eine solche Bitte die Freundschaft ausdrücklich versprechen. In der Kultur des Ancien R¦gime spielen performative Elemente eine große Rolle, also Vorgänge des Bittens, Gewährens oder Verneinens an sich.688 Eine explizite Bitte um Freundschaft hat daher großes Gewicht. Bei La BruyÀre findet sich der Ausdruck »prier quelqu’un d’accorder son amiti¦«.689 Das zeigt, dass die Zeitgenossen auch die Idee der Bitte um Freundschaft als solche formulieren und es nicht nur die Praxis ohne zugehöriges Konzept gibt. Der Akt des Bittens um Freundschaft kann zusätzlich durch Verstärkungszeichen unterstrichen werden; zu nennen sind hier insbesondere der Freundschaftsschwur und das Hinzuziehen von Zeugen, vor deren Augen die Freundschaft geschlossen wird. Rituale des Beginns der Freundschaft treten in den hier analysierten Quellen beispielsweise dann auf, wenn es sich um eine Freundschaft zwischen wichtigen Amtsträgern handelt, die sich vorher nicht nahestanden, und wenn eine beendete Feindschaft direkt in eine Freundschaft übergeleitet werden soll. Ein Beispiel für den ersten Fall liefert der Siegelbewahrer Aligre,690 der nach seiner Ernennung 1624 dem Marschall von Bassompierre seine Freundschaft anträgt. Dabei kombiniert er zwei Verstärkungszeichen, nämlich den Schwur und die Bitte um Freundschaft vor Zeugen. Bassompierre berichtet: »Puis il me

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689 690

für seine Treue zum König während des Aufstandes wird er 1653 zum mar¦chal de France ernannt. Chevalier de M¦r¦, Les Conversations, hg. von Charles-H. Boudhors, op. cit., 3. Ebd., 22. Cf. Constant, Nobles et paysans en Beauce, op. cit., 246. Christian Wieland, Paul V. und das Großherzogtum Toskana. Zwischen Idealismus und Pragmatismus: von der Makro- zur Mikropolitik in fünf Schritten, in: Alexander Koller (Hg.), Die Außenbeziehungen der römischen Kurie unter Paul V. Borghese (1605 – 1621), Tübingen 2008, 261 – 283, hier 279. Cf. La BruyÀre, Les CaractÀres, hg. von Louis van Delft, op. cit., 231. Etienne Ier d’Aligre (1560 – 1635).

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dit qu’il me prioit de l’aimer, et qu’il me juroit, devant ces messieurs, qu’il seroit fidÀlement mon serviteur et mon ami, comme certes il me l’a depuis t¦moign¦ en toutes les occasions qui se sont rencontr¦es.«691 Ein besonders drastisches Beispiel für den zweiten Fall ist die Entstehung der Freundschaft zwischen Bassompierre und dem an der Türkengrenze befehligenden General Rosworm.692 Da Bassompierres Vater Rosworm einmal beinahe hätte hinrichten lassen, sind er und Bassompierre verfeindet; als Bassompierre jedoch bei einem Angriff gegen die Türken Tapferkeit beweist, bietet ihm Rosworm vor den anderen hohen Offizieren als Zeugen seine Freundschaft an – dass sie dabei auf den Leichen in der Schlacht gefallener Türken sitzen, gibt der Schließung der Freundschaft einen makabren Rahmen: »Puis nous revinmes au lieu o¾ ¦toit le Rosworm et autres chefs, assis sur des Turcs morts; qui me voyant me voulut parler devant tous ces messieurs, et aprÀs m’avoir lou¦ de m’avoir bien vu faire, et que je ne serois pas de la maison dont je suis issu si je n’¦tois vaillant, il me dit ensuite: ›Feu M. de Bestein votre pÀre a ¦t¦ mon ma„tre, mais il m’a voulu indignement faire mourir. Je veux oublier ce dernier outrage pour me ressouvenir de la premiÀre obligation, et Þtre d¦sormais, si vous voulez, votre ami et serviteur.‹«693

Bassompierre steigt daraufhin vom Pferd ab, grüßt Rosworm und versichert ihn seiner Treue. Rosworm lädt die Anwesenden zu einem Essen am nächsten Tag ein, um die Versöhnung zu bekräftigen.694 Die neu geschlossene Freundschaft ist also hier auch die Beendigung einer vererbten Feindschaft; daher wird sie zugleich als Versöhnug empfunden – Bassompierre spricht von »Rosworm, qui depuis notre r¦conciliation, m’avoit port¦ une trÀs-¦troite amiti¦.«695 Unabhängig davon, ob der Beginn der Freundschaft rituell markiert oder unmarkiert ist, kann dieser Beginn allerdings nur aus den Selbstbeschreibungen der Beteiligten ermittelt werden. Das führt zu der Frage, in welchem sozialen und situativen Rahmen die Adligen die Entstehung von Freundschaft verorten. Diese Frage soll hier in einem Exkurs beantwortet werden, bevor mit der Beschreibung der übrigen Freundschaftsrituale fortgefahren wird.

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Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XXI, 6. Hermann Christof Graf von Rußworm (1565 – 1605), kaiserlicher Feldmarschall. Ebd., Bd. XIX, 307. Ebd., 308. Ebd., 321.

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II.4.4. Entstehungskontexte und Entstehungssituationen Um die Umstände der Entstehung von Freundschaften zu beschreiben, soll zwischen Entstehungskontexten und Entstehungssituationen differenziert werden. Entstehungskontext soll ein soziales Milieu oder eine Institution heißen, in deren Rahmen Freundschaften entstehen. Der Begriff der Entstehungssituation soll die konkreten Umstände bezeichnen, unter denen Freundschaften entstehen. Bei den Entstehungskontexten ist zu differenzieren zwischen Entstehungskontexten für Jugendfreundschaften und Entstehungskontexten, die der Erwachsenenwelt angehören. Zu den Entstehungskontexten für Jugendfreundschaften zählen die Pagenzeit, die Schule, die Kavaliersreise und gegebenenfalls die Universität. Die nourriture, d. h. die gemeinsame Pagenzeit im Hause eines Adligen, ist meist der biographisch erste Entstehungskontext für Freundschaften. Davor liegt die Kindheit im elterlichen Haushalt; in den hier analysierten Quellen findet sich keine Freundschaft, die bereits dort entstanden wäre. Dabei ist die Auswahl des Adelshauses, in dem jemand Page wird, in der Regel bereits von den Netzwerken seiner Eltern bestimmt – den eigenen Sohn als Pagen in ein bestimmtes Haus zu schicken, kann also wiederum als Geste der Freundschaft interpretiert werden. Kristen Neuschel betont, dass innerhalb des elterlichen Haushaltes und des Haushaltes der nourriture die lebenslange Gewohnheit entstand, zu anderen Adligen innerhalb und außerhalb der Familie Beziehungen zu pflegen; schließlich sei die nourriture »a period of apprenticeship in being noble« gewesen. Alleinsein sei hier praktisch nie vorgekommen; der Hausherr, dessen Familie, andere dem Haushalt angehörige Adlige, Mitpagen und adlige Gäste schufen ein permanentes adliges Milieu. Hier habe der junge Adlige gelernt, viele simultane und dabei enge Beziehungen zu pflegen. Solche aus der Zeit der nourriture stammenden Beziehungen hielten oft ein Leben lang und wurden manchmal durch gegenseitige nourriture der eigenen Kinder erneuert.696 Schulen und Adelsakademien697 sind ebenfalls Kontexte, in denen sich 696 Neuschel, Word of Honor, op. cit., 85 – 86. 697 Zu den Ausbildungsinstitutionen des Adels Corinne Doucet, Les acad¦mies ¦questres et l’¦ducation de la noblesse (XVIe-XVIIIe siÀcle), in: Revue historique 628 (2003), 817 – 837; Jean Boutier, L’acad¦mie de Lun¦ville-Nancy. Education nobiliaire et culture ¦questre dans la Lorraine ducale (1699 – 1737), in: Patrice Franchet d’Esp¦rey (Hg.), Lun¦ville, la cit¦ cavaliÀre par excellence. Perspectives cavaliÀres du siÀcle des LumiÀres au XXe siÀcle, Paris 2007, 81 – 95. Cf. des weiteren Jean Meyers große Studie über die Fürstenerziehung, Jean Meyer, L’¦ducation des princes en Europe du XVe au XIXe siÀcle, Paris 2004. Zum 18. Jahrhundert in Deutschland Claudia Kollbach, Aufwachsen bei Hof. Aufklärung und fürstliche Erziehung in Hessen und Baden, Frankfurt am Main 2009 (Campus Historische Studien 48).

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Freundschaften bilden – die Lehranstalten sind auch in der Adelswelt des 17. Jahrhunderts ein klassischer Kontext der Entstehung von Jugendfreundschaften. Der Vater des Grand Cond¦ erkennt darin eine Chance, seinem Sohn frühzeitig ein Netzwerk zu schaffen und verzichtet deshalb bewusst darauf, ihn von einem Hauslehrer unterrichten zu lassen, wie das für einen Adligen seines Ranges – die Cond¦ sind Prinzen von Geblüt – eigentlich üblich gewesen wäre. Stattdessen schickt er ihn auf eine Akademie, wie Pierre Lenet berichtet; er hofft, dass gerade der große Name des Herzogs von Enghien andere wichtige Adelsfamilien dazu bewegen werde, ihre Söhne auf die gleiche Anstalt zu schicken: »Le prince, son pÀre, habill¦ et ¦clair¦ en toute chose, creut qu’il seroit moins diverti de ceste occupation si pr¦cis¦ment n¦cessaire — un homme de sa naissance, dans l’accad¦mie que dans l’hostel, et creut encore que, l’y mestant parmi tant de seigneurs et tant de gentilshommes, qui y estoient et qui y entreroient pour avoir l’honneur d’y estre avec luy, seroient autant de serviteurs et d’amis qui s’attacheroient — sa personne et — sa fortune.« 698

Tatsächlich lernt der spätere Grand Cond¦ auf der Akademie beispielsweise den prince de Tarente kennen, der dort sein Mitschüler ist. Die Kavaliersreise ist ein weiterer Kontext. Beauvais-Nangis berichtet von einer Freundschaft, die sich im Adelskolleg und auf der Kavaliersreise gebildet hat: Als er 1604 endgültig bei Hofe eintritt, nimmt er Quartier bei Monsieur de Dunes, bei dem beide Kontexte zusammenkommen: »Je me logeay avec M. de Dunes, premier mari de Mme de Gi¦, l’un des plus galans hommes de son aage. Nous avions commenc¦ nostre amiti¦ dÀs le coll¦ge, l’avions continu¦e en Italie, et elle n’a fini que par sa mort.«699 Die Geschichte, wie Beauvais-Nangis nach Dunes’ gewaltsamem Tod seinen Leichnam rettet, wurde oben bereits beschrieben. Die Universität als weitere Ausbildungsphase nach der Schule ist ebenfalls ein Entstehungskontext für Freundschaften; dies betrifft aber vor allem den Amtsadel, da der Schwertadel selten die Universität besucht. Die Entstehung von Jugendfreundschaften zwischen adligen Frauen läuft anders ab, weil hier Institutionen der gemeinsamen Erziehung außer Haus fehlen. Die Grande Mademoiselle schildert, wie sich ihre »grande amiti¦« zu Mademoiselle de Longueville700 im Winter 1637 bildet, als beide sich zweimal die 698 Pierre Lenet, M¦moires, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 3/2, Paris 1838, 183 – 632, hier 188. 699 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 74. 700 Marie d’Orl¦ans (1625 – 1707), die spätere Herzogin von Nemours, deren Memoiren wir hier auch verwenden. Sie ist eine Tochter aus erster Ehe von Henri II d’Orl¦ans, Herzog von Longueville (1595 – 1663). Der Herzog von Longueville ist 24 Jahre älter als seine zweite Frau, die Schwester des Grand Cond¦, die durch diese Heirat zur Herzogin von Longueville wird.

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Woche bei festlichen Zusammenkünften im Hútel de Brissac treffen.701 Die Grande Mademoiselle ist damals zehn Jahre alt. Die beiden primären Entstehungskontexte für Freundschaften in der Erwachsenenwelt der männlichen Schwertadligen sind der Hof und das Militär ; dies verwundert auch nicht, sind dies doch die beiden Milieus, in denen sich adlige Männer hauptsächlich aufhalten, die beiden »Pole adliger Existenz«.702 Auch in Kriegszeiten verbringen die Adligen die Zeit des Winterquartiers, also die Zeit zwischen zwei Feldzügen, vorwiegend bei Hofe.703 Dazu kommen als weitere Kontexte freiwillige und unfreiwillige Aufenthalte im Ausland, also Gesandtschaften und private Reisen einerseits, das Exil andererseits. Im Falle des Amtsadels treten an die Stelle des Militärs die verschiedenen cours, in denen die robins Gelegenheit haben, Freundschaften mit ihren Kollegen zu schließen. Auf die Tatsache, dass am Hofe Freundschaften schnell entstehen, aber auch leicht wieder vergehen, wurde bereits eingegangen. Für den Schwertadel ist das Militär ein weiterer Entstehungskontext. Hier kommen Freundschaften beispielsweise zwischen Adligen zustande, die als Offiziere in der gleichen Einheit dienen. Gourville erwähnt, dass er seinen Freund Langlade »aux guerres de Bordeaux« kennengelernt habe.704 Hat man erst einmal Beziehungen in der Armee, kann man leichter weitere knüpfen. Ein Beispiel dafür findet sich bei Bussy-Rabutin, der über das enge Vertrauensverhältnis zwischen Cond¦ und dessen Favoriten Guitaut schreibt (wie es in Cond¦s Briefen an Guitaut auch zum Ausdruck kommt). Da Cond¦ Guitaut die Kosten für den Erwerb seiner Charge bezahlt hat, will Bussy-Rabutin erklären »d’o¾ venoit au prince tant d’amiti¦ pour ce petit garÅon«. Er kommt zu dem Schluss, dass der mar¦chal de Gramont, der ja wie erwähnt ein enger Freund Cond¦s ist, »affection« für Guitaut entwickelt und ihn Cond¦ empfohlen habe.705 Auch gemeinsame Reisen können Entstehungskontext für Freundschaften sein. So schließt Bussy-Rabutin Freundschaft mit dem Abb¦ Fouquet, dem Bruder des surintendant Nicolas Fouquet, als sie Anfang 1653 mit Mazarin und der Armee zur Belagerung von Vervins reisen.706 Auf Gesandtschaften wie auch im Exil können Adlige ebenfalls Freundschaften schließen. Beide Situationen geben sowohl dazu Anlass, mit den eigenen Landsleuten im Ausland Freundschaft zu schließen, als auch Freunde unter 701 702 703 704 705

M¦moires de la Grande Mademoiselle, hg. von Bernard Quilliet, op. cit., 35. Asch, Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 218. Bluche, L’Ancien R¦gime, op. cit., 51. Gourville, M¦moires, op. cit., 220. Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 159 – 160. – Wir haben den Wortlaut der Passage weiter oben, im Kapitel über die Sprache der Freundschaft zitiert, als ein Beispiel für die Verwendung des Terminus »affection«. 706 Ebd., 340 – 341.

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den ausländischen Adligen zu erwerben. Bei Gourville – der sowohl als Gesandter wie auch als Exilant in die spanischen Niederlande kommt – finden sich für diese Konstellationen Beispiele. So wohnt er als Exilant in Brüssel in einem Haus, in dem Georg Wilhelm von Braunschweig, Herzog von Hannover, später Herzog von Zell, einige Monate später Wohnsitz nimmt; dieser hat zwei Franzosen in seinem Gefolge: »Cela fit que je fus bientút connu de M. le duc de Zell. Je fus assez heureux pour acqu¦rir son amiti¦, si je l’ose dire, et un peu sa confiance.«707 Auch die beiden Seigneurs de la Frette, zwei als Duellanten ins Exil gegangene französische Brüder, erzeigen ihm Freundschaft.708 Bei Amtsadligen ist Kollegenschaft ein wichtiger Entstehungskontext. Das vielleicht prominenteste Beispiel liegt zwar im 16. Jahrhundert, soll hier aber dennoch erwähnt werden, da aus ihm ein klassischer Text über die Freundschaft hervorgegangen ist: Montaigne und La Bo¦tie lernen sich kennen, als sie beide conseillers am Parlament von Bordeaux sind.709

II.4.5. Entstehungssituationen Die konkrete Entstehungssituation einer Freundschaft wird von den Zeitgenossen vorwiegend dann überliefert, wenn sie ein dramatisches Moment enthält. Ein gutes Beispiel hierfür liefert die weiter oben zitierte Situation, in der Bassompierre Freundschaft mit dem General Rosworm schließt. Strukturell sind an dieser Entstehungssituation vor allem zwei Dinge bemerkenswert: die Freundschaft entsteht aus einer beendeten Feindschaft; und der Moment, der von den Beteiligten dafür gewählt wird, liegt nach einer Schlacht, also nach einem Erlebnis des Kampfes gegen einen gemeinsamen Feind, in diesem Fall die Türken. Gerade der Kampf an der Türkengrenze ist im 17. Jahrhundert durchaus noch mit Kreuzzugsideen aufgeladen; das Erlebnis der Solidarität wird auf diese Weise religiös grundiert und dadurch verstärkt. Ein weiteres Beispiel, wo Freundschaft im militärischen Kontext entsteht, berichtet Bussy-Rabutin; hier ist die Entstehungssituation allerdings bei weitem weniger spektakulär als bei dem eben angeführten Beispiel. 1655 führt der Prinz von Conti einen Feldzug nach Katalonien an; an ihm nehmen Bussy-Rabutin selbst und der Herzog von Candale710 teil. Bussy-Rabutin und Candale sind verfeindet. Während der Belagerung von Puigcerd— in der Cerdagne kommt es zwischen beiden sogar zum Eklat, als Candale in Anwesenheit von Conti kriti707 708 709 710

Gourville, M¦moires, op. cit., 152. Ebd., 151. Kettering, Friendship and clientage in early modern France, op. cit., 151. Louis-Charles de Nogaret de Foix, duc de Candale (1627 – 1658), Sohn des Herzogs von Epernon.

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siert, dass Bussy-Rabutin seinen Biwak ungewöhnlich nah an die Festung setzen lässt; Bussy-Rabutin entgegnet treuherzig, diese Technik habe er von Cond¦ gelernt. Wie nicht anders zu erwarten, gibt Conti Bussy-Rabutin recht: Cond¦ ist nicht nur einer der berühmtesten Feldherrn der Epoche, sondern zudem sein eigener Bruder. Candale hat das Nachsehen. Bussy-Rabutin selbst erläutert, dass dieser Zusammenstoß ihr Verhältnis weiter vergiftet; umso mehr erstaunt es ihn, dass Candale ihm am Ende des Feldzugs seine Freundschaft anträgt: »Cet ¦vÀnement ne ma regagna pas le cœur du duc [sc. de Candale]; au contraire, il me hat davantage de ce qu’il m’avoit t¦moign¦ de la haine inutilement; cependant, — la fin du siÀge, il lui prit envie d’Þtre de mes amis. Je ne sais si le prince, qui nous aimoit fort tous deux, lui en fit venir la pens¦e ou si ce fut de son mouvement, mais enfin il me fit des avances que je reÅus avec beaucoup de joie et auxquelles je r¦pondis avec toute l’attention que je devois au rang qu’il tenoit dans l’arm¦e: cette amiti¦ a dur¦e jusqu’— sa mort (1658) et elle ¦toit — un point qu’il n’avoit guÀre de secrets dont il ne me fit confidence.«711

Zwei Punkte sind zu dieser Stelle noch anzumerken. Zum einen findet sich hier eine Erwähnung, dass die Freundschaft bis zum Tod des Freundes gedauert hat; diese Bemerkung findet sich manchmal in Memoiren. Häufig ist sie allerdings nicht. Dies verwundert auch nicht: die explizite Erwähnung, dass eine Freundschaft bis zum Lebensende Bestand hatte, lässt den Umkehrschluss zu, dass dies eher eine Ausnahme ist – wäre es selbstverständlich, müsste es nicht eigens erwähnt werden. Der zweite Punkt betrifft die Rolle Contis. Bussy-Rabutin vermutet ihn hinter der Stiftung der Freundschaft. Dass ein Dritter Freundschaften heimlich anbahnt, ist eine Ausnahme; offene und formelle Stiftungen von Freundschaften durch Dritte sind dagegen häufig.712 Freundschaft kann auch aus einem Duell entstehen. Wenn beide Gegner den Kampf überleben, ist es nicht selten, dass sie danach Freundschaft schließen. Coligny-Saligny berichtet über das dritte von fünf Duellen, die er in seinem Leben ausgefochten hat: »La troisiÀme fois, je me battis contre le marquis d’Êquo: nous ¦tions tous deux capitaines de cavalerie au r¦giment d’Harcourt. […] Depuis nous avons tousjours ¦t¦ amis. Il ¦toit fort brave et fort fou.«713 Obwohl das Duell ein gewaltsamer Konfliktaustrag ist, ist es doch auch ein konstituierendes Element der Adelsgesellschaft: denn diejenigen, die fähig sind, sich als Gegner im Duell gegenüberzutreten, sind ebenso auch qualifiziert, zu Freunden zu werden. Indem sich die Gegner wechselseitig als satisfaktionsfähig anerkennen, erkennen sie sich auch gegenseitig als Edelmänner an.714 711 712 713 714

Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 403 – 404. Cf. infra, Gestiftete Freundschaft. Coligny-Saligny, M¦moires, op. cit., xliv. Nach FranÅois Billacois, der in seiner großen Studie über das Duell Archivrecherchen mit

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Freundschaft entsteht auch in Situationen, in denen ein Adliger dem anderen einen wichtigen Dienst leistet. Dieser Dienst begründet dann die Freundschaft; er ist eine »riskante Vorleistung«, aus der Vertrauen hervorgeht.715 Indem der eine Partner dem anderen hilft, verpflichtet er ihn zur Dankbarkeit. Die dadurch entstehende Bindung wird von den Adligen als Freundschaftsbindung aufgefasst. Ein solcher Dienst kann eine militärische Hilfeleistung sein. Im Herbst 1652 fürchtet Turenne einen Angriff der Frondeure; er schreibt an Bussy-Rabutin, der gerade an der Belagerung von Montrond teilnimmt, und bittet ihn um Hilfe. Bussy-Rabutin bietet ihm an, seinen Truppen zu befehlen, in einem Eilmarsch Turenne zu Hilfe zu kommen. Dadurch gewinnt er Turennes Dankbarkeit. Bussy-Rabutin notiert: »Ce qui m’obligea de faire cette offre au mar¦chal de Turenne fut la seule envie de gagner son amiti¦ par un service consid¦rable, et celui-ci l’¦toit effectivement.«716 Bemerkenswert ist, dass Bussy-Rabutin den Mechanismus der Stiftung der Freundschaft durch Hilfeleistung nicht nur durchblickt, sondern auch noch zugibt, dass er ihn gezielt eingesetzt hat. Eine andere Form eines solchen Dienstes kann es sein, jemandem aus einer finanziellen Notlage zu helfen. Gourville beschreibt, wie er 1675 dem mar¦chal de Cr¦qui zu Hilfe kommt. Dieser ist von den Hannoveranern gefangen genommen worden, zu denen Gourville ein gutes Verhältnis hat; er überredet sie, sich mit 50.000 livres Lösegeld zufrieden zu geben: »M. le mar¦chal de Cr¦quy, ayant fait payer cette somme, se trouva libre: dont il me fit de grands remerciements et de belles protestations. Il m’a toujours depuis t¦moign¦ beaucoup d’amiti¦, et il se sentit d’autant plus oblig¦ que M. le mar¦chal de la Fert¦, qui avait ¦t¦ pris au secours de Valenciennes, avait pay¦ cent mille francs pour sa ranÅon.«717

Ein Spezifikum aristokratischer Freundschaft ist, dass sie offenbar niemals auf Distanz geschlossen wird. Beispiele für die schriftliche Stiftung von Adelsfreundschaften fehlen in den Quellen. Damit unterscheidet sich die Adelsfreundschaft von der amicitia litteraria der Gelehrten. Letztere ist wesentlich schriftliche Kommunikation; es gibt sogar Freundschaften zwischen Gelehrten, die sich nie gesehen haben. Angetragen und geschlossen wird sie durch den der Lektüre von Traktaten über das Duell, wie z. B. Brantúmes Discours sur les duels kombiniert hat, stellt das Duell ein Schlüsselelement der Kultur der Adligen dar, das eng mit ihrem Selbstbild als Kriegerstand verbunden ist, cf. FranÅois Billacois, Le duel dans la soci¦t¦ franÅaise des XVIe-XVIIe siÀcles. Essai de psychosociologie historique, Paris 1986 (Civilisations et Soci¦t¦s 73), 193 – 219. Das Thema des Duells als Element der sociabilit¦ wird behandelt in Pierre Serna/Pascal Brioist/Herv¦ Dr¦villon, Croiser le fer. Violence et culture de l’¦p¦e dans la France moderne (XVIe – XVIIIe siÀcle), Seyssel 2002. 715 Luhmann, Vertrauen, op. cit., 27 – 28. 716 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 334 – 335. 717 Gourville, M¦moires, op. cit., 227.

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Initialbrief, der ein eigenes Briefgenre bildet. Adlige Freundschaft dagegen ist grundsätzlich zunächst einmal Kommunikation unter Anwesenden, die dann im Falle einer räumlichen Trennung brieflich aufrechterhalten wird, wobei die Briefe aber immer nur Substitut für die persönliche Begegnung sind. Unter diesem Aspekt ist der höfische Adel in der Tat eine »Anwesenheitsgesellschaft«.718 Wie zu zeigen sein wird, sind die meisten Gesten höfisch-adliger Freundschaft solche, die sich an unmittelbar anwesende Personen richten. Das mag mit der Rolle des Hofes zusammenhängen, wo sich ein Adliger, der Karriere machen will, zwingend aufhalten muss und der somit – gerade in Frankreich – ein räumliches Zentrum hochadliger Kultur schafft. Die amicitia litteraria der Gelehrten ist dagegen polyzentrisch und funktioniert damit strukturell anders als Freundschaft unter den Bedingungen der höfischen Gesellschaft. Höfische Politik wird von denen gemacht, die am Hof persönlich anwesend sind. Bei den Gelehrten hingegen geht es vielmehr darum, durch Korrespondenz mit vielen illustren Partnern innerhalb der Gemeinschaft wahrgenommen zu werden. Persönliche Begegnungen sind sekundär, da die Stellung des Gelehrten ja hauptsächlich auf seinen Schriften beruht.

II.4.6. Gestiftete Freundschaft Ein Sonderfall der Entstehung von Freundschaft ist die gestiftete Freundschaft: hier greift ein Dritter ein,719 und dieser Dritte hat entscheidenden Anteil am Zustandekommen der Freundschaft. Dabei kann gestiftete Freundschaft wiederum zwei Formen annehmen. Wenn der Stifter der Monarch selbst ist oder die beiden zukünftigen Freunde in einem Klientelverhältnis zum Stifter stehen, handelt es sich um angeordnete Freundschaft: Je weiter der Rang des Stifters den Rang der beiden miteinander in Beziehung gesetzten Personen übersteigt, desto mehr nimmt die Stiftung der Freundschaft den Charakter eines Befehls an. Bei Gourville findet sich ein Beispiel für die Stiftung von Freundschaft durch einen Patron. Der Abb¦ Fouquet, der Bruder des surintendant Nicolas Fouquet, bittet diesen um die Stiftung einer Freundschaft zu Gourville. Der surintendant erteilt 718 Das Konzept der Anwesenheitsgesellschaft wurde in der Frühneuzeitforschung am Beispiel städtischer Gesellschaften entwickelt; cf. hierzu Rudolf Schlögl, Die Stadt in der europäischen Vormoderne. Ein Sozialsystem der Anwesenheitsgesellschaft in der Transformation, Konstanz 2007 (Diskussionsbeiträge des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs/SFB 485 76). 719 Mit den mannigfachen Fragestellungen, die Dreierkonstellationen in den Geistes- und Sozialwissenschaften aufwerfen, beschäftigte sich das Konstanzer Graduiertenkolleg »Die Figur des Dritten«; zur Theorie von Dreierkonstellationen Eva Eßlinger u. a. (Hg.), Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma, Berlin 2010.

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seinem Klienten Gourville den Befehl, seinen Bruder aufzusuchen. Gourville versichert diesem, »que je ferais tout ce qui d¦pendait de moi pour m¦riter ses bonnes gr–ces et son amiti¦.« Der Abb¦ nimmt die Bitte um Freundschaft an: »Cela m’attira beaucoup de protestations de sa part: ce qui fit que, depuis, nous nous v„mes souvent et par˜mes dans une bonne intelligence, dont on fut assez surpris dans le monde.«720 Monarchen und Regenten können auch Freundschaft anordnen. So befiehlt Anna von Österreich La Rochefoucauld, mit Mazarin Freundschaft zu schließen.721 Dies kann sogar so weit gehen, dass Freundschaft über den Kopf des Betroffenen hinweg vom Herrscher oder Patron versprochen wird. La Rochefoucauld erfährt erst von FranÅois-Auguste de Thou,722 dass die Königin diesem seine Freundschaft versprochen hat.723 Umgekehrt kann auch der Fall vorkommen, dass das Zustandekommen einer Freundschaft durch den Einspruch eines Mächtigen verhindert wird. So berichtet Tallemant des R¦aux, La Rochefoucauld habe auf Geheiß der Königin das Freundschaftsangebot Richelieus ausschlagen müssen.724 Diese Anordnungen und Verbote von Freundschaft zeigen deutlich, dass Freundschaft im frühneuzeitlichen Adel eben nicht einer als unpolitisch gedachten Privatsphäre zugeordnet wird, sondern eine politische Dimension hat. Wenn der Stifter der Freundschaft etwa gleichrangig mit den beiden Personen ist, die er in Kontakt bringt, hat der Vorgang anders als bei angeordneter Freundschaft den Charakter eines Vorschlags oder einer Einladung: das Miteinander-Bekanntmachen, das Vorstellen fungiert hier als mögliche Entstehungssituation der Freundschaft.

720 Gourville, M¦moires, op. cit., 119. 721 La Rochefoucauld, M¦moires, op. cit., 30. 722 FranÅois-Auguste de Thou (1607 – 1642), Sohn von Jacques-Auguste de Thou, dem Gelehrten und Memoirenautor. 723 La Rochefoucauld, M¦moires, op. cit., 64 – 65. – Der Kontext ist hier die gegen Richelieu gerichtete Verschwörung von Cinq-Mars, der mit Thou befreundet ist. Die fehlgeschlagene Verschwörung kostet Cinq-Mars und Thou das Leben. Allerdings, so betont La Rochefoucauld, hätten er und Thou, als sie ihre Freundschaft schlossen, noch nichts von CinqMars’ Plänen gewusst: »M. de Thou n’en avait encore aucune connaissance, lorsqu’il vint me trouver de la part de la Reine pour m’apprendre sa liaison avec M. le Grand, et qu’elle lui avait promis que je serais de ses amis.« 724 Tallemant des R¦aux, Historiettes, hg. von Antoine Adam, op. cit., Bd. 1, 238: »Depuis, le Cardinal le prit en amiti¦ et luy offrit de le recevoir au nombre de ses amys. Luy n’osa l’accepter sans le consentement de la Reyne, qui ne le luy voulut pas permettre.«

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II.4.7. Rituale der Beendigung der Freundschaft Die Welt des höheren Adels ist klein. Tendenziell kennt jeder jeden, wenn nicht persönlich, dann doch immerhin als Mitglied einer Adelsfamilie, deren Einordnung ins hierarchische Gefüge man kennt.725 Wenn eine Freundschaft zerbricht, kann man sich in dieser eng verflochtenen Welt kaum aus dem Weg gehen; und selbst wenn das gelingt, bleibt die Tatsache bestehen, dass die Beteiligten Mitglieder der politischen Elite des Königreiches sind und somit eine Änderung in den Allianzen das Gleichgewicht der Macht innerhalb dieser Elite verändern kann. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass zerbrochene Freundschaften nicht in Gleichgültigkeit, sondern in Feindschaft übergehen; man lebt sich nicht auseinander, man wendet sich vielmehr gegeneinander.726 Es lässt sich beobachten, dass es bei Konflikten in Freundschaften verschiedene Eskalationsstufen gibt. Eine erste Stufe stellt das sogenannte refroidissement dar. Dies meint nicht etwa eine Abschwächung über die Zeit, weil die Freundschaft nicht aktiv gepflegt würde (Freundschaften, die nicht gepflegt werden, fallen zwar in einen Latenzzustand, sind aber jederzeit reaktivierbar). Vielmehr ist das refroidissement ein »frostiger« Umgang, der allerdings lediglich eine Verknappung, nicht aber einen Abbruch der Kommunikation bedeutet; es ist daher auch kein Ritual stricto sensu, sondern ein Zeichen der Missbilligung. Offenbar kann man eine solche abgekühlte Freundschaft durchaus fortführen, auch wenn der Konflikt nicht ausgeräumt wird. So berichtet die Herzogin von Nemours über den Herzog von Beaufort,727 der sich von Retz hintergangen fühlt: »depuis cela, il eut toujours beaucoup de refroidissement pour le coadjuteur.«728 Dies ist kein Umschlag in Feindschaft, sondern eine beschädigte Freundschaft. Auf dieser Stufe kann die Versöhnung auch noch ohne Schlichter gelingen. Die beiden genannten Freunde versöhnen sich in der Tat wieder, und zwar unter dem Druck äußerer Verhältnisse: »Quoique M. de Beaufort et le coadjuteur ne s’aimassent guÀre, la n¦cessit¦ o¾ ils ¦toient d’Þtre bien ensemble fit qu’ils se raccommodÀrent, parce qu’ils n’avoient aucun cr¦dit tous deux quand ils ¦toient d¦sunis.«729 Erst mit dem Abbruch der Kommunikation, der sogenannten rupture, ist die Freundschaft beeendet. Die rupture kann implizit erfolgen, indem man einfach aufhört, mit dem früheren Freund zu kommunizieren, und ihn meidet, oder 725 Zur engen Verflochtenheit des adligen Kosmos cf. Horowski, Die Belagerung des Thrones, op. cit. 726 Cf. hierzu Oschema (Hg.), Freundschaft oder ›amiti¦‹?, op. cit. 727 FranÅois de Bourbon-Vendúme, zweiter Herzog von Beaufort (1616 – 1669), wegen seiner wichtigen Rolle in der Fronde »Roi des Halles« genannt. 728 Duchesse de Nemours, M¦moires, op. cit., 632. 729 Ebd., 635.

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explizit, indem man ihm formell die Freundschaft aufkündigt. Insbesondere die letztere Handlung kann als rituelle Beendigung der Freundschaft gelten. Implizite Beendigung der Freundschaft kann sich z. B. darin äußern, dass man sich nicht mehr grüßt. La Rochefoucauld berichtet, dass der Graf von Montr¦sor nicht nur selbst den Abb¦ de La RiviÀre nicht mehr gegrüßt, sondern sogar von allen seinen Freunden verlangt habe, dies ebenfalls nicht zu tun.730 La Rochefoucauld bezeichnet dieses Verhalten allerdings als lächerlich, es ist also ein Extremfall. Ihm wird überdies bald von seinem Vater auferlegt, Montr¦sor hierin nicht Folge zu leisten. Beauvais-Nangis berichtet, wie er dem Marschall von Vitry731 die Freundschaft explizit aufgekündigt hat. Nachdem Vitry Marschall geworden ist, empfindet Beauvais-Nangis sein Verhalten als herablassend;732 es kommt zum Streit, woraufhin Vitry die Charge eines mar¦chal des logis in seiner Kompanie nicht an Beauvais-Nangis, sondern an dessen ehemaligen Untergebenen Monsieur de Rimbe vergibt. Dies ist Anlass des Bruchs: »Je me s¦paray d’amiti¦ avec luy et le dis assez librement audict Rimbe, quand il me dist adieu.«733

II.4.8. Rituale der Versöhnung: das raccommodement Eine rupture kann von den Beteiligten nicht alleine überwunden werden. Ist die Stufe des refroidissement überschritten, können die beiden zerstrittenen Freunde den Konflikt nicht mehr ohne weiteres alleine ausräumen. Ein Schlichter ist nötig. Die Gründe werden in den Quellen nicht thematisiert. Es steht jedoch zu vermuten, dass der adlige Ehrenkodex der Grund ist. Wollten die beiden Freunde den Konflikt selbst beenden, so müsste einer den Anfang machen und den anderen um Verzeihung bitten – womit er in die Pose des Bittstellers geriete. Dies wäre an sich schon problematisch genug; würde die Bitte um Verzeihung gar abgeschlagen, verlöre der Abgewiesene sein Gesicht. Um seine Ehre zu retten, bliebe ihm nur der Ausweg, den anderen zum Duell zu fordern. Eine Möglichkeit, diese Situation zu vermeiden, bietet das Versöhnungsritual des accommodement oder raccommodement;734 es wird nicht von einem der Kontrahenten, sondern von einem Schlichter eingeleitet. 730 La Rochefoucauld, M¦moires, op. cit., 85. 731 Nicolas de l’Hospital, mar¦chal de Vitry (1581 – 1644). 732 Der Wortlaut der betreffenden Passage, in der sich Beauvais-Nangis darüber beschwert, Vitry habe ihn als »petit gentilhomme de campagne« behandeln wollen, ist bereits zitiert worden, cf. supra, Ideen der Freundschaft. 733 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 153. 734 Der Sprachgebrauch der Zeitgenossen scheint die beiden Begriffe synonym zu verwenden; es ist also nicht so (obwohl die Wörter das nahelegen), dass »accommodement« eine

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Der Vermittler sondiert zunächst die Versöhnungsbereitschaft beider Parteien. Nicht selten rennt er dabei offene Türen ein. Dies kann als Indiz dafür gedeutet werden, dass der Schlichter nicht unbedingt eine fehlende Bereitschaft zur Versöhnung durch Überredung herstellen muss, sondern vielmehr durch sein Dazwischentreten eine Versöhnung erlaubt, bei der alle Beteiligten das Gesicht wahren. Als Bassompierre und Schomberg wegen ihrer Rivalität um eine Stelle als mar¦chal de France nicht mehr miteinander reden, werden sie dennoch nach einigen Wochen von gemeinsamen Freunden versöhnt, wobei Bassompierre vermerkt, dass sie beide zur Versöhnung geneigt gewesen seien.735 Ist die Versöhnungsbereitschaft gegeben, arrangiert der Vermittler Ort und Zeit eines Treffens zur Versöhnung, bei dem er selbst auch anwesend ist. Der Schlichter ist allerdings auch deshalb persönlich beim raccommodement anwesend, damit dieses nicht doch noch aus dem Ruder läuft. So, als der Herzog von Elbeuf ein Treffen Beauvais-Nangis’ mit Schomberg arrangiert, zwischen denen der Streitpunkt das Kommando ist, das Schomberg Beauvais-Nangis entzogen und seinem Neffen gegeben hat. Schomberg wirft nun BeauvaisNangis vor, zu Unrecht an seiner Zuneigung zu zweifeln; dieser entgegnet, gerade wegen der bisherigen Freundschaft sei die Zurücksetzung für ihn so schlimm. An diesem Punkt greift Elbeuf ein: »M. d’Elbœuf interrompist et dist qu’il n’y falloit plus penser, et M. de Schomberg […] m’embrassa fort«.736 Tallemant des R¦aux schildert, dass der Schlichter in einer solchen Situation durchaus auch scheitern kann: er berichtet in einer der Historiettes, dass einer der Kontrahenten zum raccommodement mit einem Stock unter seinem Mantel erscheint, mit dem er auf seinen Gegner eindrischt. Der Schlichter, der ältere Bruder des Aggressors, versucht diesen zurückzuhalten, andere Anwesende

erstmalige, »raccommodement« eine erneute Versöhnung bezeichnen würde. Die Praxis des »accommodement« wird erwähnt, aber nicht in den Details ihres Ablaufs analysiert in Billacois, Le duel dans la soci¦t¦ franÅaise des XVIe-XVIIe siÀcles, op. cit., insbesondere 156 – 159, 182 – 185. Mediationen in Konflikten zwischen Adligen im frühneuzeitlichen Frankreich werden analysiert bei Stuart Carroll, The Peace in the Feud in Sixteenth- and Seventeenth-Century France, in: Past & Present 178 (2003), 74 – 115, der allerdings den Schwerpunkt auf den Adel auf dem Lande legt; Carroll zeigt, wie sich gewaltsamer und gerichtlicher Konfliktaustrag zwischen Adligen ergänzen. Zu Fehden in Deutschland an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit Hillay Zmora, State and nobility in early modern Germany. The knightly feud in Franconia, 1440 – 1567, Cambridge 1997, sowie jetzt Ders., The Feud in Early Modern Germany, Cambridge 2011. 735 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XX, 376: »Le Roi partit, et ce mÞme jour, les amis communs de M. de Schomberg et de moi, f–ch¦s de voir notre mauvaise intelligence, travaillÀrent pour nous remettre bien ensemble: ce qui leur fut ais¦, car nous y ¦tions tous deux port¦s. Ils nous firent voir aprÀs vÞpres aux Chartreux, o¾ ils nous donnÀrent rendezvous, d’o¾ nous sort„mes trÀs-bons amis.« 736 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 189.

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dessen Gegner am Kämpfen zu hindern; trotzdem kommt es zum Kampf, bei dem es am Ende zwei Tote gibt.737 Die strukturellen Ähnlichkeiten des raccommodement zum Duell738 springen ins Auge. Ort und Zeit werden vorher vereinbart, es ist ein Dritter anwesend (manchmal auch mehrere739), um das Prozedere zu überwachen. Der formalen Parallele entspricht durchaus eine inhaltliche: das raccommodement ist das positive Gegenstück zum Duell, zu dessen Vermeidung es ja gerade auch dient. Die enge Verbindung beider Rituale wird auch dadurch deutlich, dass Tallemant des R¦aux in den Historiettes mehrere Anekdoten unter das gemeinsame Motto »Duels et accommodemens« stellt.740 Die Interpretation, dass Tallemant sie als Gegensatzpaar aufgefasst sehen will, ist nicht zwingend, aber naheliegend. Die zentrale Position des Schlichters lenkt den Blick auf die Frage, wer als Schlichter in Frage kommt. Auch hier spielt der adlige Ehrenkodex eine Rolle: der Schlichter muss mindestens gleichen Ranges mit den beiden Kontrahenten sein – andernfalls würde ihm die Autorität fehlen, ein raccommodement in die Wege zu leiten und gar über seine Durchführung zu präsidieren. Es ist zudem von Vorteil, wenn der Schlichter mit mindestens einem der beiden Kontrahenten befreundet ist – im Idealfall ist er es mit beiden. Auch hier scheint wieder eine Parallele zum Duell auf: wer als Schlichter in Frage kommt, kann oft auch als Sekundant in Frage kommen. Eine andere Parallele ergibt sich zwischen dem Stifter einer neuen Freundschaft und dem Schlichter zwischen zwei zerstrittenen Freunden. Auch die Verbindlichkeit des raccommodements wird erhöht, wenn der Schlichter im Rang deutlich über den Kontrahenten steht. Somit liegt es auf der Hand, dass ein sehr hochrangiger Adliger für die Rolle des Schlichters besonders gut geeignet ist. Im Archiv von Chantilly finden sich mehrere Berichte von raccommodements, die vom Grand Cond¦ durchgeführt wurden;741 das muss zwar nicht 737 Tallemant des R¦aux, Historiettes, hg. von Antoine Adam, op. cit., Bd. 2, 754. 738 Zum Duell cf. insbesondere Billacois, Le duel dans la soci¦t¦ franÅaise des XVIe-XVIIe siÀcles, op. cit.; Victor G. Kiernan, The Duel in European History. Honour and the Reign of the Aristocracy, Oxford 1988; Ute Frevert, Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991; Markku Peltonen, The Duel in Early Modern England. Civility, Politeness and Honour, Cambridge 2003; Marco Cavina, Il sangue dell’onore. Storia del duello, Rom/Bari 2005. Eine kulturgeschichtliche Sichtweise auf das Duell, das seinen Charakter als eine Praxis der Gewalt unterstreicht, findet sich in Serna/Brioist/Dr¦villon, Croiser le fer, op. cit. 739 Es gibt auch Fälle, in denen mehrere Adlige als Schlichter zusammenwirken, cf. infra. 740 Tallemant des R¦aux, Historiettes, hg. von Antoine Adam, op. cit., Bd. 2, 754 – 758. 741 So z. B. Archives de Chantilly P XXVIII 413, »Accommodement fait par le prince de Cond¦ entre les sieurs de FerriÀre et de Loubat« (08. 04. 1663), oder M XXXIV 400, »Accommodement de M. de Langes et de M. de Ch–teluc« (undatiert, zwischen 1610 und 1646). Zwei Beispiele finden sich auch im Anhang von Billacois, Le duel dans la soci¦t¦ franÅaise des XVIe-XVIIe siÀcles, op. cit., 461 – 462, 464 – 466.

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heißen, dass alle in den Protokollen genannten Kontrahenten zerstrittene Freunde sind, unterstreicht aber deutlich die Bedeutung des Schlichters Cond¦. Bossuet lobt denn auch in seiner Grabrede die Qualifikationen Cond¦s als Schlichter : »je l’ai vu […] dans les accommodements calmer des esprits aigris avec une patience et une douceur qu’on n’aurait jamais attendue d’une humeur si vive ni d’une si haute ¦l¦vation.«742 In einem Brief an seinen Favoriten Guitaut bietet Cond¦ diesem an, ihn mit dem Bischof von Autun zu versöhnen – der Inhalt des Konflikts wird leider nicht genannt: »Mr d’Autun a dit — Caillet743 qu’il viendrait ici. Si vous y ¦tiez dans le mÞme tems, on pourrait accommoder votre affaire.«744 Cond¦ setzt hier als selbstverständlich voraus, dass dieser Konflikt einen Schlichter braucht und dass er die Autorität besitzt, ihn erfolgreich zu schlichten; deutlich wird aber auch, dass die persönliche Anwesenheit von Kontrahenten und Schlichter Voraussetzung ist: Boten oder brieflicher Austausch werden nicht in Betracht gezogen. Hochrangige Adlige und Inhaber hoher Ämter versuchen manchmal auch, ein raccommodement anzuordnen. Das kann auch Konflikte zwischen Personen betreffen, die keine Freunde sind. Die Macht des Schlichters reicht hier allerdings nur aus, um eine momentane Versöhnung anzuordnen, nicht dazu, den Konflikt dauerhaft aus der Welt zu schaffen. Als Bussy-Rabutin 1653 von dem Adligen FaviÀres herausgefordert wird, der behauptet, Bussy-Rabutins Truppen hätten während der Fronde einige seiner Pferde requiriert und nicht zurückgegeben, will der mar¦chal de Gramont, der die Armee befehligt, eine Versöhnung erzwingen. Bussy-Rabutin lässt FaviÀres daraufhin ausrichten, er sei bereit, einige Tage nach der Schlichtung durch Gramont sich unter einem anderen Vorwand doch mit FaviÀres zu duellieren.745 Dieses Beispiel zeigt zweierlei. Zum einen muss nicht jedes raccommodement unter Freunden stattfinden; es kann sich auch um die Schlichtung eines Konfliktes zwischen nicht-befreundeten Kontrahenten handeln. Zum anderen gerät das Ritual da an seine Grenzen, wo die Versöhnungsbereitschaft der Kontrahenten nicht gegeben ist: sie können umgehend einen neuen Konfliktanlass suchen. Das raccommodement geschieht durch Aussprache; eine Umarmung kann als Verstärkungszeichen dienen. Ein Beispiel findet sich bei Bassompierre. Die Adligen Cr¦qui, Saint-Luc und La Rochefoucauld wollen bei Bassompierre übernachten. Saint-Luc und La Rochefoucauld sprechen aus Eifersucht wegen Mademoiselle de N¦ry nicht miteinander. Cr¦qui und Bassompierre wollen sie versöhnen; Cr¦qui schlägt vor, dass jeder von ihnen einen der Kontrahenten zur 742 743 744 745

Bossuet, Oraison funÀbre du Prince de Cond¦, op. cit., 383 – 384. Caillet ist ein Sekretär Cond¦s. Archives de Chantilly, O I 164. Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 341 – 342.

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Versöhnung bewegen solle, »et si nous y voyons jour, demain au matin nous les ferons embrasser.« Am nächsten Morgen kommt Bassompierre mit La Rochefoucauld und Cr¦qui mit Saint-Luc. Sie veranlassen die Kontrahenten, sich zu umarmen, und umarmen sie ihrerseits »avec beaucoup de t¦moignages de tendresse et d’affection.«746 Dieses Beispiel zeigt auch, dass mehrere gemeinsame Freunde als Schlichter zusammenwirken können: hier sind es zwei Schlichter, die in Absprache miteinander je einen Kontrahenten zur Versöhnung bewegen. Das Ritual der Schlichtung kann entfallen, wenn der Rangunterschied zwischen den Freunden sehr groß ist, wenn es sich also, in der Begrifflichkeit der Patronageforschung, um ein Verhältnis von Patron und Klient handelt. Ein Beispiel liefert Beauvais-Nangis: als ihm Henri II de Cond¦ den Adligen Montferrand vorzieht, quittiert er kurzerhand den Dienst im Heer des Prinzen. Dieser regt sich zunächst zwar auf, lässt aber am nächsten Tag Beauvais-Nangis zu sich kommen und schreibt ihm sogar noch eine Empfehlung an den Hof. All dies geschieht ohne Vermittlung Dritter.747 Der Prinz als Höherrangiger bietet also dem Grafen als dem Niederrangigen an, ihn wieder unter seine Getreuen aufzunehmen; er akzeptiert. Wie oben bereits erwähnt wurde, entstehen Freundschaften manchmal aus Duellen. In solchen Fällen wird jedoch die Position eines Vermittlers nicht erwähnt. Es handelt sich hier aber nur um einen scheinbaren Widerspruch. Wenn das Duell einmal ausgefochten ist, braucht man keinen Schlichter mehr : man hat ja unter Beweis gestellt, dass man dem Konflikt nicht ausweicht. Auch die Bitte um Verzeihung ist nach dem Duell hinfällig. Die Kontrahenten sind dann frei, Freundschaft zu schließen respektive sich zu versöhnen.

II.4.9. Rituale der Translation der Freundschaft Freundschaft wird von den frühneuzeitlichen Adligen zwar zunächst einmal als Beziehung zwischen Individuen konzeptualisiert; sie kann aber dann auf die Familien der beteiligten Freunde ausgeweitet werden und wird dann zu einem Bündnis zwischen zwei adligen Häusern. Das bedeutet, dass sie mit dem Tod des Freundes in der einen Hinsicht endet, in der anderen nicht. Die Diskontinuität der Freundschaft zwischen Individuen wird überbrückt durch die Kontinuität der Freundschaft zwischen Familien. Der Sicherstellung dieser Kontinuität dienen die Rituale der Translation der Freundschaft. 746 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XX, 43 – 44. Auf dieses Beispiel wurde weiter oben schon bei der Diskussion des Begriffs »camarade« eingegangen, cf. supra, Sprache der Freundschaft. 747 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 207 – 208.

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Die Vererbung von Freundschaften kann auf mehrere Weisen geschehen. Ein erster Unterschied ist der zwischen impliziter und expliziter Vererbung. Wird die Freundschaft implizit vererbt, führt der Sohn die Freundschaften des Vaters fort, ohne dass sie ausdrücklich übertragen werden. Dies wird dadurch möglich, dass ein Adliger oft individuelle Beziehungen zu mehreren Mitgliedern einer Familie pflegt. Die Archive von Chantilly zeigen, dass oft Korrespondenzpartner gleichzeitig einen Brief an den Prinzen von Cond¦ und an den Herzog von Enghien schreiben. Manchmal gehen sogar vier Briefe gleichzeitig ein: an Prinz und Prinzessin von Cond¦ sowie Herzog und Herzogin von Enghien. Bei der expliziten Vererbung erhalten Söhne (oder andere Erben) den ausdrücklichen Auftrag, bestimmte Freundschaften weiterzupflegen. BeauvaisNangis, dessen Memoiren ja in pädagogischer Absicht an seinen Sohn gerichtet sind, erwähnt Monsieur d’ElbÀne, der sich erfolgreich für eine Erhöhung von Beauvais-Nangis’ Pension eingesetzt hat, und ermahnt seinen Sohn zur Fortführung dieser Freundschaft: »Je suis bien ayse de vous faire remarquer ceste particularit¦, afin de vous souvenir de ceste obligation, et que vous continuez — toute sa maison l’affection et l’amiti¦ que je leur ay tousjours t¦moign¦e.«748 Dabei ist bemerkenswert, dass auch die obligation auf den Erben übergeht. Die Vererbung der Freundschaft verpflichtet den Erben also, sich für dem Erblasser erwiesene Wohltaten erkenntlich zu zeigen – auch dies Teil einer Logik der Freundschaft, in der die einem Familienmitglied erwiesene Wohltat zugleich ein Dienst an dessen gesamter Familie ist. Das genannte Beispiel verweist zugleich auf den zweiten Unterschied zwischen verschiedenen Fällen der Vererbung von Freundschaft: geschieht diese hier schriftlich, durch Festschreibung in den an die Nachkommen gerichteten Memoiren, so kann sie in anderen Fällen auch mündlich geschehen. Ein etwas vor der hier behandelten Epoche liegender Fall ist in den M¦moires d’Estat des Nicolas de Villeroy zu finden. Villeroy berichtet, wie sein Freund Jean de Nogaret, seigneur de La Valette, ihm bei seinem Tod seine Kinder anempfohlen hat. Er wird dann für Nogarets Sohn Epernon erste »Anlaufstelle« bei Hofe, »ce que ledit sieur duc d’Espernon a dit souvent, et que l’amiti¦ qu’il me portoit estoit h¦r¦ditaire et proc¦doit de l’obligation que feu son pÀre m’avoit«.749 Die Vererbbarkeit der Freundschaft ist also ein Konzept, das von den Zeitgenossen explizit formuliert wird. Die genannten Beispiele zeigen auch, dass nicht zwangsläufig nur die Kinder die Adressaten des Rituals der Vererbung sind: man kann seinen Kindern die Freunde, aber auch seinen Freunden die eigenen Kinder anempfehlen. Ein verwandtes Ritual der Translation von Freundschaft ist die Anerkennung 748 Ebd., 147. 749 Villeroy, M¦moires d’Estat, op. cit., 112.

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des Sohnes eines verstorbenen Freundes als Freund. Ein Beispiel findet sich bei Bassompierre. Als er auf seiner Kavaliersreise zum Vizekönig von Neapel, Don Henrique de Gusman, Graf von Olivares kommt, überreicht er ihm ein Empfehlungsschreiben des Herzogs von Lessa; der Vizekönig fragt ihn und seinen Bruder daraufhin, ob sie die Kinder von Monsieur de Bassompierre seien: »et comme nous lui e˜mes dit que oui, il nous embrassa avec grande tendresse, nous assurant qu’il avoit aim¦ mon pÀre comme son propre frÀre, et que c’¦toit le plus noble et franc cavalier qu’il e˜t jamais connu; qu’il ne nous traiteroit pas seulement comme personnes de qualit¦, mais comme ses propres enfans: ce que v¦ritablement il ex¦cuta depuis, par tous les t¦moignages d’affection et de bonne volont¦ dont il se put imaginer.«750

In diesem Fall geht also die Translation der Freundschaft nicht vom verstorbenen, sondern vom überlebenden Freund aus. Es gibt auch den Fall, wo zwei Söhne befreundeter Väter miteinander Freundschaft schließen. So erklärt Monsieur de Puisieux Beauvais-Nangis, ein Grund ihrer Freundschaft sei »parce que nos pÀres estoient grands amys«.751 Hier ist der Grenzfall erreicht zwischen einer erneuerten und einer neu geschlossenen Freundschaft, da keine der beiden Personen selbst die Kontinuität verkörpert. Die genannten Rituale der Translation von Freundschaft sind immer doppelgesichtig: sie sind auf der einen Seite Erneuerung von Freundschaften zwischen Familien, auf der anderen Seite aber auch Schließung neuer Freundschaften zwischen Individuen.

II.4.10. Manipulation von Ritualen Der Vollzug von Ritualen führt eine Zustandsveränderung herbei; das Ritual hat aber nur einen Sinn, wenn die Beteiligten sich an das Ergebnis des Rituals auch gebunden fühlen. Bei den beschriebenen Ritualen der Freundschaft sorgen der adlige Ehrenkodex und manchmal die Präsenz weiterer adliger Zeugen dafür, dass die Rituale Verbindlichkeit annehmen. Damit aber ist prinzipiell die Versuchung gegeben, das Ritual manipulativ einzusetzen. Als Beispiel soll das Versöhnungsritual dienen. Hier kann Manipulation auf zwei Weisen geschehen: zum einen kann man selbst das Versöhnungsritual einleiten, ohne es ernst zu meinen, und so eine Versöhnung vortäuschen.752 Auf der anderen Seite kann man versuchen, den Kontrahenten zur Versöhnung zu zwingen, indem man ihn 750 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XIX, 259 – 260. 751 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 194 – 195. 752 Philippe Buc, The Dangers of Ritual. Between Early Medieval Texts and Social Scientific Theory, Princeton/Oxford 2001, 8.

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überrumpelt. Gelingt es, ein Ritual erst einmal zu initiieren, können die Anwesenden es nur um den Preis eines Eklats abbrechen. Ein besonders deutliches Beispiel findet sich in den Memoiren von Beauvais-Nangis. Es stammt zwar aus der Zeit seines Vaters Antoine de Beauvais-Nangis und liegt somit vor der hier betrachteten Periode; es sei es hier dennoch zitiert, denn da das 17. Jahrhundert die Rituale der Freundschaft weiter verwendet, besteht auch die Gefahr ihrer Manipulation fort. Als Antoine de Beauvais-Nangis nach sieben Jahren disgr–ce, die – der Darstellung Beauvais-Nangis’ zufolge – der Herzog von Epernon verursacht hat, an den Hof zurückkehrt, möchte der König, dass die beiden sich versöhnen. Als Monsieur de Guiche, ein Freund Antoine de Beauvais-Nangis’, mit diesem zusammen im Louvre auf Epernon trifft, zwingt er beide regelrecht zur Versöhnung (die von Epernon, nicht aber von Beauvais-Nangis gewünscht wird), indem er dem Herzog sagt: »Monsieur, voil— M. de Beauvais qui vous veut saluer.« Die Versöhnungsbereitschaft wird nun dadurch sichtbar gemacht, wie weit sie sich entgegenkommen: »Ledit duc d’Espernon fit plus de la moiti¦ du chemin, et vostre grand-pÀre, avec regret, fit l’autre.« Daraufhin bittet Epernon Antoine de Beauvais-Nangis, am nächsten Tag mit ihm zu speisen; »ainsi ils furent en apparence r¦concili¦s.«753 Der Zusatz »en apparence« verweist allerdings darauf, dass die Versöhnung nicht von Dauer ist, wie Beauvais-Nangis im folgenden auch ausführt; die Freundschaft zerbricht bald wieder. Rituale schaffen zwar soziale Verbindlichkeit, können aber nicht alleine schon sicherstellen, dass die durch sie begründeten, wiederhergestellten oder übertragenen Freundschaften von Dauer sind.

II.4.11. Gesten der Freundschaft Die Gesten der Freundschaft sind wesentlich vielfältiger als ihre Rituale.754 Die Zahl potentieller Zustandsveränderungen der Freundschaft ist eng begrenzt, die Möglichkeiten, Freundschaft zum Ausdruck zu bringen, sind dagegen vielfältiger. Gesten der Freundschaft tauchen oft als »marques d’amiti¦« in den Quellen 753 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 40. 754 Die Analyse von Gesten im mittelalterlichen Europa hat Jean-Claude Schmitt unternommen, cf. Jean-Claude Schmitt, La raison des gestes dans l’Occident m¦di¦val, Paris 1990. Nach Schmitt sind Gesten zentral für die mittelalterliche Kultur; sie sind nicht einfache Zeichen, sondern bringen die Verhältnisse, die sie zeigen, mit hervor, indem sie z. B. Hierarchien erzeugen, cf. ebd., 14. Schmitt hat darüber hinaus das Thema des Körpers im Mittelalter behandelt, cf. Ders., Le corps, les rites, les rÞves, le temps. Essais d’anthropologie m¦di¦vale, Paris 2001.

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auf;755 ohne dies überbewerten zu wollen, kann dies doch so interpretiert werden, dass offensichtlich schon den Zeitgenossen die Vorstellung nicht fremd ist, dass Freundschaft sich in Zeichen manifestiert. Eine Einteilung des Feldes der Gesten der Freundschaft muss ein Stück weit willkürlich ausfallen. Acht große Bereiche sollen hier vorgeschlagen werden. Die körperlichen Gesten sollen am Anfang behandelt werden. Die Bereiche des Besuchens und der Gastfreundschaft sind in mancher Hinsicht zwei Seiten derselben Medaille. Die Gesten des gemeinsamen Konsums und der gemeinsamen Freizeitgestaltung bewegen sich innerhalb der gesellschaftlichen Normen, was für die Gesten des gemeinsamen Tabubruchs nicht mehr gilt. Richten sich diese nach außen, so richten sich die Gesten der Suspendierung der Etikette unter Freunden an die Beteiligten selbst. Das Schenken schließlich soll am Ende stehen, da es die Überleitung zu den Freundschaftsdiensten bildet, die im nächsten Kapitel behandelt werden: der Übergang vom schwerpunktmäßig symbolischen Geschenk zur schwerpunktmäßig materiellen Austauschressource ist gleitend.

II.4.12. Körperliche Gesten Höfisches Zeremoniell ist in hohem Maße körperlich. Die Disziplinierung des Körpers am Hof, wie sie zum Beispiel in den komplizierten Schrittfolgen des Menuetts zum Ausdruck kommt, bedeutet durchaus nicht eine Entkörperlichung des höfischen Zeremoniells: gerade die Disziplinierung der Körper zeigt ja deren Bedeutung an. Zeremonien wie das lever du roi involvieren den Körper des Königs in entscheidender Weise, da er in genau festgelegten Formen angekleidet wird. Es nimmt daher auch nicht wunder, dass auch Freundschaft in der höfischen Gesellschaft nicht ausschließlich verbal, sondern auch unter Einsatz körperlicher Gesten zum Ausdruck gebracht wird. Dazu kommt, dass in der höfischen Gesellschaft des grand siÀcle ein König, der wie Ludwig XIV. das Spiel der Gesten beherrschte, mit feinsten körperlichen Signalen – etwa einem unfreundlichen Blick – einem Höfling mitteilen kann, dass er unzufrieden mit ihm ist.756 Stellen, wo französische Herrscher den Höflingen durch das Mienenspiel Mißfallen ausdrücken, finden sich schon vor Ludwig XIV. Maria von Medici macht Bassompierre und anderen Adligen, die sie einer Verschwörung verdächtigt, »mauvaise mine«;757 und als Bassompierre 1623 Kritik an Ludwig XIII. übt, was diesem hinterbracht wird, notiert Bassompierre: »le Roi m’en fit la 755 So z. B. bei Gourville, M¦moires, op. cit., 98. 756 Asch, The Princely Court and Political Space, 45. 757 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XX, 44 – 46.

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mine, et fut huit jours sans me parler«.758 Ludwig XIV. treibt diese Praxis allerdings zur Perfektion. Wenn aber die Höflinge auf die Beobachtung der Gesten des Königs so trainiert sind, dass sie jede von ihnen wahrnehmen und ihr eine Bedeutung beilegen, so ist es fast zwangsläufig, dass sie auch gegenseitig ihre Gesten zu beobachten beginnen. Dadurch gewinnen körperliche Gesten an Bedeutung. Nicht zuletzt führt die stärkere Disziplinierung der Körper und die wachsende Bedeutung des richtigen Verhaltens auch dazu, dass ein Blick oder eine Handbewegung schon als Provokation empfunden werden kann, die eine Duellforderung rechtfertigt. Das zwingt wiederum die Akteure, auf ihre eigenen Gesten zu achten. Vorausschickend sei gesagt, dass eine wichtige körperliche Höflichkeitsgeste der Moderne, nämlich der Handschlag, in den hier untersuchten Texten nicht erwähnt wird. Für das Frühmittelalter ist er belegt, wie Karl Leyser nachgewiesen hat; dort ist er ein Ausdruck der Gleichrangigkeit und wird deshalb sehr selektiv gehandhabt.759 Da dies noch in der Moderne der Fall ist,760 dürfte diese Bedeutung in der Frühen Neuzeit ebenfalls präsent sein, was den Gebrauch des Handschlags schon stark einschränkt. Wenn diese Geste in der höfischen Gesellschaft im 17. Jahrhundert überhaupt üblich war, so muss ihr Gebrauch allerdings sehr selektiv gewesen sein, da sie auch in en passant gemachten Äußerungen nicht auftaucht. Wichtigste körperliche Geste ist die Umarmung. Sie kommt beim schon beschriebenen raccommodement zum Einsatz, aber auch als Geste der Sichtbarmachung der Freundschaft. Bussy-Rabutin beschreibt eine Begegnung mit Mazarin, der ihn in Briefen öfters seiner Freundschaft versichert; als sie sich begegnen, spielt sich folgende Szene ab: »Le cardinal me promit qu’il seroit — la cour, il m’enverroit des ordres pour faire [lever] des troupes […] et me confirma, en m’embrassant, les promesses qu’il m’avoit faites d’abord de contribuer — ma fortune.«761 Hier ist die Umarmung also ein Zeichen der Verstärkung, das ausdrücklich mit der Bestätigung von Versprechungen assoziiert wird. Die Umarmung ist auch in einseitigen Freundschaftsverhältnissen möglich: Gourville wird zwar von Cond¦ manchmal als Freund bezeichnet,762 nennt sich selbst aber in seinen gesamten Memoiren kein einziges Mal so. Dennoch wird er vom Prinzen mit einer Umarmung verabschiedet, als dieser ihn Anfang 1660 zu Mazarin schickt, »pour t–cher de cimenter l’amiti¦ qu’il me disait Þtre commenc¦e entre lui et Monsieur le Cardinal.«763 758 759 760 761 762 763

Ebd., Bd. XXI, 5. Leyser, Ritual, Zeremonie und Gestik, op. cit., 3 – 5. Für diesen Hinweis danke ich Monika Wienfort. Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 223 – 224. Bergier, De morte Ludovici Borbonii, op. cit., 26 – 27. Gourville, M¦moires, op. cit., 121.

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Im 16. und auch noch im 17. Jahrhundert sind Umarmungen zwischen engen Freunden eine übliche Begrüßung. Das ist deshalb wichtig, weil den Situationen der Begrüßung in der ständischen Gesellschaft ein großer Stellenwert zukommt: wie man den anderen begrüßt, sagt etwas darüber aus, welchen Status man ihm zuschreibt und wie sehr man ihn ehrt.764 So z. B., als Thou 1589 in der Schweiz ist und bei Solothurn dem französischen Gesandten Nicolas Br˜lart de Sillery zufällig begegnet: »Il [sc. Thou] le reconnut, et, mettant aussitút pied — terre avec toute sa suite, il courut l’embrasser comme son intime ami, et demeura avec lui pendant quelques jours.«765 Dies gilt auch noch für das 17. Jahrhundert; dabei ist die Umarmung Teil eines internationalen adligen Verhaltenscodes: Buckingham und Bassompierre umarmen sich zum Abschied, als Bassompierres Gesandtschaft nach Frankreich zurückkehrt.766 Schließlich sind Umarmungen auch Zeichen der Gratulation: als Bassompierre den Marschallstitel erhält, umarmen ihn alle im conseil Anwesenden.767 Die Umarmung kann auch eingesetzt werden, um den Freund gegenüber anderen Anwesenden herauszuheben. Als Bussy-Rabutin am 24. August 1652 in Montrond ankommt, begrüßt Palluau allein ihn mit einer Umarmung, während er den anderen Adligen nur Komplimente macht. Er differenziert so zwischen der besonders engen Beziehung zu Bussy-Rabutin und dem Verhältnis zu den anderen Adligen. Außerdem kommt er Bussy-Rabutin demonstrativ eine halbe Meile entgegen, was eine weitere Geste der Freundschaft ist.768 Das Küssen ist unter Männern im 17. Jahrhundert bereits problematisch. Anders als noch im Mittelalter769 gilt in der Frühen Neuzeit der Kuss auf den Mund als sexuelles Zeichen – wenn er unter Männern praktiziert wird, wäre er somit ein Zeichen der Homosexualität. Er wird daher als Geste der Freundschaft vermieden. Allgemein ist das Praktizieren körperlicher Nähe eine Geste der Freundschaft. Ein Beispiel hierfür ist das gemeinsame Quartier auf Reisen. BeauvaisNangis berichtet, dass er auf einer Reise zusammen mit Monsieur de Givry logiert, und zwar weil er sich mit seinem Freund Monsieur de Dunes überworfen hat (woraus also hervorgeht, dass er für gewöhnlich mit diesem das Quartier teilt). Als sie sich wieder versöhnen, verspricht Dunes, nie mehr mit jemand

764 Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 9, bezeichnet die Formen der Begegnung als »Medien des Ansehens«. 765 Thou, M¦moires, op. cit., 345. 766 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XXI, 77. 767 Ebd., 486. 768 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 329. 769 Zur Geste des Kusses unter Männern cf. Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, op. cit.; Bray, The Friend, op. cit.

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anderem zu logieren, und hält das bis zu seinem Tod ein.770 Freunde schlafen sogar manchmal im gleichen Bett; unter Männern ist dies im 16. und 17. Jahrhundert durchaus noch häufig.771 Bussy-Rabutin praktiziert dies zusammen mit seinem Freund Chavagnac. Dieser hatte ihn einem Grafen vorgestellt, dessen Frau Bussy-Rabutin verführen will – was er Chavagnac vorher auch mitgeteilt hat. Chavagnac betont nun gegenüber dem Grafen die enge Freundschaft zu Bussy-Rabutin; somit kann das Schlafen im gleichen Bett auch als ein Zeichen gedeute werden, das Dritten gegenüber unterstreicht, wie eng die Freundschaft der beiden ist: »Le lendemain, Chavagnac me pr¦senta au mari, auquel il avoit d¦j— dit qu’il vouloit donner ma connoissance, que j’¦tois le meilleur homme du monde et le meilleur de ses amis, et cela afin qu’il ne cherch–t point d’autres raisons quand il nous verroit ensemble; je couchois mÞme avec lui, parce que c’¦toit la nuit que je pouvois entretenir la comtesse.«772

Dies zeigt, dass Oschemas Feststellung, dass physischer Kontakt im Mittelalter nicht im selben Maß mit sexuellen Implikationen befrachtet war wie in der Moderne,773 auch für das 17. Jahrhundert noch gilt. Dabei sind in der Frühen Neuzeit die Grenzen zwischen Gesten, die der Freundschaft, und solchen, die sexuellen Beziehungen zugeordnet werden, sowohl andere als im Mittelalter, z. B. was den Kuss auf den Mund angeht, als auch andere als in der Moderne, z. B. was das Schlafen im selben Bett betrifft. Physische Nähe kann auch im höfischen Kontext zur Schau gestellt werden, z. B. durch das Reisen in derselben Kutsche: wem ein hochrangiger Adliger die freien Plätze in seiner Kutsche zuweist, ist eine Entscheidung, die notwendig eine Auszeichnung der betreffenden Personen bedeutet – weil eine solche Nähe zu einem Grand das eigene Ansehen steigert. Gourville, der als reich gewordener Aufsteiger bürgerlicher Herkunft im In- und Ausland viele adlige Freunde gewinnen kann, beschreibt in seinen Memoiren eine solche Situation während seines Brüsseler Exils. Als der neue Gouverneur Castel-Rodrigo nach Brüssel kommt, fährt Gourvilles Freund, der Herzog von Arschot, ihm entgegen und gewährt Gourville einen der Plätze in der Kutsche: »M. le duc d’Arschot me donna une place dans son carosse, avec M. le prince d’Arenberg et M. le comte de 770 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 88 – 89. 771 Dewald, Aristocratic Experience, op. cit., 118 – 119. Dieselbe Geste praktizieren im 12. Jahrhundert Richard Löwenherz und Philippe Auguste anlässlich eines Friedensvertrages, cf. Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, op. cit., 15 – 25, sowie im 16. Jahrhundert der Prinz von Cond¦ und der Herzog von Guise, cf. Neuschel, Word of Honor, op. cit., ix. 772 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 103. 773 Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, op. cit., 21.

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Fürstenberg, qui ¦tait de leurs amis et des miens.«774 Arenberg und Arschot sind Brüder ; die anderen beiden Personen in der Kutsche sind mit ihnen und untereinander befreundet.

II.4.13. Besuche Besuche sind ein wichtiges Zeichen der Freundschaft. Wer als Adliger durch eine Gegend reist, in der er Freunde hat, besucht sie; er gibt ihnen einerseits Gelegenheit zur Gastfreundschaft, andererseits erweist er ihnen damit Ehre und Zuneigung. Die Gastfreundschaft adliger Freunde ist für reisende Adlige auch deshalb wichtig, weil sie ihnen erlaubt, in standesgemäßer Umgebung zu leben und die öffentlichen Gasthäuser zu vermeiden.775 Dort übernachten Nichtadlige; mit ihnen dasselbe Gasthaus zu teilen, wäre problematisch, da der standesgemäße Abstand nicht eingehalten werden könnte. Einen Freund nicht zu besuchen, obwohl man an seinem Wohnort vorbeireist, kann als Geste der Missachtung interpretiert werden. So wirft Bussy-Rabutin Coligny-Saligny in einem Brief vom 19. September 1674 vor, ihn auf der Durchreise nicht aufgesucht zu haben: »Est-ce vous, mon cher cousin, qui passez — ma porte — l’entr¦e de la nuit sans venir coucher chez moi? Quoy! mon parent, mon amy, qu’il y a dix ans qui ne m’a vu, me faire un tour comme celui-l—!« Er schließt daraus, dass er ColignySaligny gleichgültig ist: »Nous nous serions montr¦s l’un — l’autre la fermet¦ avec laquelle nous soutenons notre mauvaise fortune. Mais enfin puisque tout cela vous est indiff¦rent je me contenteray de vous dire Adieu.«776 Wer auf einer Reise einem Freund begegnet, muss bei ihm verweilen – dies nicht zu tun, wäre eine offene Beleidigung. Auf einer Reise durch Burgund kommt Bussy-Rabutin in diese Situation: »J’y trouvai S¦vign¦ et sa femme; ce qui m’obligea d’y s¦journer six jours«.777 Wer auf einer Reise die Gastfreundschaft eines Adligen in Anspruch nimmt, versucht darüber hinaus oft noch, auch noch anderen Freunden in der Region einen Besuch abzustatten. So, als BussyRabutin und sein Freund Beauvoir zu Gast bei einer Gräfin sind: Während Bussy-Rabutin dort bleibt, besucht Beauvoir für drei Tage einen Freund in der Nachbarschaft, bevor er zurückkehrt und sie ihre Reise gemeinsam fortsetzen.778 Während solche Besuche, die sich situativ ergeben, die Freundschaft in gewöhnlichen Zeiten aktualisieren, gibt es auch Besuche in Krisensituationen, die 774 Gourville, M¦moires, op. cit., 152. 775 Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 89. 776 Coligny-Saligny, M¦moires, op. cit., 129. – Mit dem jeweiligen Unglück, das die beiden ertragen, ist Coligny-Salignys Gicht und Bussy-Rabutins Verbannung vom Hof gemeint. 777 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., Bd. 1, 172. 778 Ebd., 77.

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somit ein besonderer Ausdruck der Solidarität sind. Dazu zählen Besuche bei Kranken, bei Gefangenen und bei in Ungnade gefallenen Personen. Einen kranken Freund zu besuchen, ist ein Zeichen der Unterstützung in einer schwierigen Lage. Gourville beschreibt die Situation, in der er 1702 seine Memoiren verfasst; aufgrund einer entzündeten Wunde am Bein liegt er seit 1696 krank, man fürchtet um sein Leben, zumal er bereits 75 Jahre alt ist; er überlebt zwar, kann aber lange Zeit nicht ohne Hilfe laufen. In dieser Zeit beobachtet er das Verhalten seiner Freunde: »mes amis, qui ¦taient en grand nombre, me vinrent voir une fois ou deux chacun, et, jugeant apparemment que je ne pourrais plus Þtre bon — rien, ils se contentÀrent d’envoyer quelque temps savoir de mes nouvelles, hors mes plus particuliers, en petit nombre, qui ont continu¦ — me voir.«779 Bemerkenswert an dieser Schilderung ist insbesondere, dass offenbar für viele Höflinge auch die Besuche bei kranken Freunden Teil der politischen Kontaktpflege sind und eher dem eigenen Vorankommen dienen als der Unterstützung des Kranken; auch das unterstreicht das politische Element, das Freundschaften am Hofe innewohnt. Krankenbesuche können dennoch auch als Zeichen der besonderen Zuneigung aufgefasst werden, weil der Besucher unter Umständen seine eigene Gesundheit aufs Spiel setzt, und zwar dann, wenn der Freund an einer ansteckenden Krankheit leidet. Die Grande Mademoiselle berichtet voller Bewunderung, dass Madame d’Epernon sie 1650 besucht, als sie an den Pocken leidet: »elle eut tant de bont¦ et d’amiti¦ pour moi qu’elle me voulut voir en cet ¦tat.«780 In einer Umkehrung dieser Geste der Zuneigung stellt sich der Grand Cond¦ Ludwig XIV. in den Weg, als dieser 1686 die an den Pocken erkrankte Herzogin von Bourbon781 besuchen will; der Prinz fürchtet um die Gesundheit des Königs. Die Begebenheit wird deswegen erinnert, weil sich Cond¦, der sich intensiv um die junge Herzogin kümmert, dabei selbst mit den Pocken ansteckt und an ihnen stirbt.782 Es verwundert somit nicht, dass der Besuch bei kranken Freunden zu den Tugenden gehört, die in Elogen auf Freunde gerühmt werden.783 Der pÀre Bergier

779 Gourville, M¦moires, op. cit., 25 – 26. 780 M¦moires de la Grande Mademoiselle, op. cit., 88. 781 Louise FranÅoise de Bourbon (1673 – 1743). Sie ist die uneheliche Tochter Ludwigs XIV. mit Madame de Montespan. 1685 heiratet sie Louis III de Bourbon (1668 – 1710), Herzog von Bourbon und Herzog von Montmorency. Er ist der älteste Sohn von Henri-Jules de Bourbon und somit der Enkel des Grand Cond¦; er erbt 1686 den Titel eines Herzogs von Enghien (als Henri Jules beim Tod des Grand Cond¦ zum Chef des Hauses wird) und wird 1709 selbst Prinz von Cond¦. Nach seinem Tod im folgenden Jahr wird sein Sohn Louis IV Henri de Bourbon Chef des Hauses Cond¦. 782 Pujo, Le Grand Cond¦, op. cit., 381 – 383. 783 Cf. supra, Repräsentationen der Freundschaft.

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erwähnt in seiner Eloge auf Cond¦ als Freund auch, dass er seine kranken Freunde besucht oder zumindest nach ihnen geschickt habe: »Ses amis estoient-ils affligez, il s’affligeoit avec eux; estoient ils incommodez, malades, il les envoyoit visiter plusieurs fois le jour, il les visitoit luy-mesme, & il ne falloit que voir son visage, pour sÅavoir l’estat de leur sant¦. J’estois un jour — Chantilly avec luy, quand il apprit que Mr le mar¦chal de Grammont estoit tout d’un coup tomb¦ malade dangereusement — la Cour, il partit une heure aprÞs pour se rendre incessamment auprÞs d’un amy, dont il avoit ¦prouv¦ la fid¦lit¦ dans tous les temps de sa vie, bons & mauvais.«784

In dieser Passage wird auch abermals die enge Bindung zwischen Cond¦ und dem mar¦chal de Gramont unterstrichen. Ein besonderes Zeichen der Freundschaft sind Gefangenenbesuche, da sie Zeichen der Solidarität in Krisenzeiten sind. Das bezieht sich weniger auf adlige Kriegsgefangene, die ja meist bald gegen Lösegeld freikommen, sondern auf Gefangene in der Bastille, deren Haft für gewöhnlich politisch motiviert und in ihrer Dauer grundsätzlich nicht festgelegt ist. So kommt 1636 Mazarin den in der Bastille inhaftierten Bassompierre besuchen, den Richelieu dort gefangenhalten lässt: »le nonce Mazarini, qui s’en alloit le lendemain en sa vice-l¦gation d’Avignon, et qui se disoit fort mon ami, me voulut venir dire adieu«.785 Solche Besuche sind allerdings durchaus ambivalent: einerseits sind sie nicht ungefährlich, da sich der Besucher eines Gefangenen durch diese Geste immer ein Stück weit mit diesem solidarisiert; andererseits schafft ein solcher Besuch gerade deswegen für die Zeit nach der Freilassung des Gefangenen eine besonders starke Verpflichtung. Der Besuch kann auch mit Bittgesuchen für die Freilassung des Gefangenen oder mit heimlicher Informationsweitergabe in Verbindung stehen.786 So bekommt Bussy-Rabutin, als er in der Bastille inhaftiert ist, Besuch von einem Freund: »Quinze jours aprÀs que je fus — la Bastille, le comte de Guiche m’envoya faire compliment par Jumeaux, mon ami, capitaine de son r¦giment de cavalerie, et offrit son service auprÀs du cardinal de Richelieu, dont il avoit ¦pous¦ la niÀce.«787 Auf Geheiß des surintendant Nicolas Fouquet darf Gourville, als er in der Bastille inhaftiert ist, zwar das bequemste Zimmer dort beziehen, seinen Diener mitbringen und sich mit den anderen Gefangenen unterhalten, aber keinen Besuch von seinen Freunden empfangen.788 Vermutlich fürchtet der 784 785 786 787 788

Bergier, De morte Ludovici Borbonii, op. cit., 260 – 273. Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XXI, 331. Cf. infra, Freundschaftsdienste. Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 84. Gourville, M¦moires, op. cit., 95: »il ne fallait pas qu’aucun de mes amis demand–t — me voir.«

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surintendant, Gourville könne bei solchen Besuchen mit seinen Freunden zusammen Fluchtpläne schmieden oder Intrigen vorbereiten. Der Umstand, dass gerade Besuche bei Gefangenen und bei Kranken in den Memoiren so oft vorkommen, könnte auch mit der religiösen Sozialisation der Adligen zu tun haben. Im Matthäus-Evangelium sagt Christus beim Weltgericht zu den Erwählten: »Ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.«789 Aristokratische Freundschaftspraktiken und christliche Tugenden können hier konvergieren. Auch Besuche bei in Ungnade Gefallenen sind eine wichtige Geste der Freundschaft; in politisch-strategischer Hinsicht gilt für sie dasselbe wie für die Gefangenenbesuche. Besonders klar ausgedrückt ist der Wert solcher Besuche als Freundschaftsgeste in den Memoiren von Jacques-Auguste de Thou. Thou und ein weiterer Freund besuchen Monsieur de Simi¦, der gerade beim Herzog von Anjou in Ungnade gefallen ist, »pour lui t¦moigner que s’ils l’avoient honor¦ dans sa faveur, ils gardoient pour lui les mÞmes sentiments dans sa disgr–ce.« Er rechnet ihnen dies auch hoch an.790 Ähnlich wie Besuche bei in Ungnade Gefallenen und Gefangenen ist auch das Demonstrieren von Solidarität in Gefahrensituationen eine Geste der Freundschaft. Auch hier demonstriert der Freund seine Zuneigung, indem er ein Risiko eingeht. 1654, bei der Belagerung von Puigcerd—, übernimmt Bussy-Rabutin einen gefährlichen Abschnitt des Belagerungsringes. Viele Adlige harren demonstrativ nachts bei ihm aus, um ihm ihre Solidarität zu zeigen: »je traÅois le travail avec […] beaucoup de volontaires et d’officiers de cavalerie qui m’avoient voulu t¦moigner leur amiti¦ en passant la nuit auprÀs de moi.«791

II.4.14. Gastfreundschaft Das Gewähren von Gastfreundschaft792 ist eine Geste, die ein Adliger seinen Freunden schuldig ist – allerdings nicht nur ihnen. Wie wenige andere Gesten der Freundschaft hat die Gastfreundschaft eine eigene Diskurstradition, die bis in die Antike zurückreicht. Dabei ist die Gastfreundschaft manchmal Folge, manchmal aber auch Ursache der Freundschaft. Für das 17. Jahrhundert kann zwischen zwei Formen der Gastfreundschaft unterschieden werden, die situative 789 Mt 25,36. 790 Thou, M¦moires, op. cit., 295: »Simi¦ les reÅut avec de grandes marques d’amiti¦: l’entretien ne roula que sur son malheur.« 791 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 401. 792 Eine Monographie zur Gastfreundschaft im frühneuzeitlichen Frankreich ist Desiderat. Für das englische Beispiel ist adlige Gastfreundschaft umfassend untersucht von Felicity Heal, Hospitality in Early Modern England, Oxford 1990.

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und regelmäßige Gastfreundschaft heißen sollen. Situative Gastfreundschaft entsteht auf der Durchreise oder bei zufälligen Begegnungen; regelmäßige Gastfreundschaft dagegen bedeutet, dass ein Adliger bei wiederholten Reisen an denselben Ort immer denselben Gastfreund aufsucht. In den Memoiren von Montglat wird berichtet, dass Bouthillier (der spätere Pflegevater Richelieus) seinen Freund Barbin jedes Mal aufnimmt, wenn dieser nach Paris reist: »Or ¦tant — Melun petit compagnon, il [sc. Barbin] avoit un ami intime chez lequel il logeoit quand il alloit — Paris, nomm¦ Bouthillier, avocat au parlement«.793 Adlige gewähren Gastfreundschaft nicht nur ihren Freunden, sondern auch deren Verwandten. Während Cond¦s Gefangenschaft tragen die Herzöge von Bouillon und La Rochefoucauld dafür Sorge, dass die Prinzessin von Cond¦ mit ihrem Sohn nach Bordeaux reisen kann, »o¾ il y avoit plusieurs amis du Prince, tout dispos¦s — la recevoir.«794 Der Herzog von Bouillon zieht zu diesem Zweck auch eine Eskorte zusammen: Gäste aufzunehmen und Gäste zu eskortieren geht oft Hand in Hand.795

II.4.15. Gesten des gemeinsamen Konsums Wer Gäste aufnimmt, bewirtet sie meist auch; damit ist das Phänomen der Kommensalität angesprochen.796 In den Sozialwissenschaften gilt die Kommensalität – neben dem Konnubium797 – seit jeher als ein wichtiges Zeichen der Nähe. Mit wem man sich an einen Tisch setzt, ist eine wichtige Entscheidung. Die sehr rangbewusste Adelsgesellschaft der Frühen Neuzeit kann jedoch Kommensalität nicht jedem zukommen lassen, sie darf gleichzeitig aber im Namen der aristokratischen largesse die Bewirtung niemandem verwehren. Die Lösung ist die Aufspaltung in verschiedene Formen der Bewirtung von Gästen: Felicitiy Heal hat gezeigt, dass in England seit dem 16. Jahrhundert begrifflich unterschieden wird zwischen der charity, die den Armen, und der hospitality, die den Edelleuten gewährt wird.798 Bei der Kommensalität unter Adligen ist eine wichtige Variable, mit wie vielen Personen zugleich diese Kommensalität gepflegt wird. Die Kommensalität reicht 793 Montglat, M¦moires, op. cit., 9 – 10. 794 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 168 – 169. 795 Zu den Eskorten und zum dabei wirksamen Mechanismus der Rekrutierung der Freunde der Freunde cf. infra, Freundschaftsdienste. 796 Zur Kommensalität Martin Aurell/Olivier Dumoulin/FranÅoise Thelamon (Hg.), La sociabilit¦ — table. Commensalit¦ et convivialit¦ — travers les –ges, Rouen 1992 (Publications de l’universit¦ de Rouen 178). 797 Zum Konnubium cf. infra, Freundschaftsdienste, über die Rolle des Freundes als Schwager und auch als Heiratsvermittler. 798 Heal, Hospitality in Early Modern England, op. cit., 15 – 16.

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von der Einladung zum Essen für einen einzelnen Freund bis zum großen Fest mit vielen Gästen. Dazwischen liegt das Essen mit einigen wenigen Freunden. Kommensalität kann strategisch eingesetzt werden. Der in der Bastille inhaftierte Gourville gewinnt die Zuneigung des Gouverneurs der Bastille, indem er diesen zum Hechtessen in seine Zelle einlädt; auf diese Weise kann er das vom surintendant verhängte Besuchsverbot zwar nicht kippen, aber doch unterlaufen: »un jour maigre, ayant fait venir un brochet fort raisonnable, je priai Monsieur le gouverneur d’en vouloir bien manger sa part, ce qu’il m’accorda. Nous pass–mes une partie de l’aprÀs-d„n¦e — jouer au trictrac, et j’en fus, dans la suite, trait¦ avec beaucoup d’amiti¦. J’avais la libert¦ d’¦crire et de recevoir des lettres tant que je voulais, et quelquefois une personne de mes amis venait demander — voir d’autres prisonniers qui ¦taient proches de ma chambre: ainsi j’avais l’occasion de lui pouvoir parler«.799

Dabei ist es sicherlich von Bedeutung, dass Gourville sonst niemanden einlädt und somit die Ehre der Kommensalität ausschließlich dem Gouverneur zuteilt – der sich, wie die Stelle zeigt, dadurch zur Erleichterung von Gourvilles Haftbedingungen verpflichtet fühlt. Einladungen an kleine Gruppen von Freunden sind allgemein üblich, und zwar in Friedens- wie auch in Kriegszeiten. Die Offiziere einer Armee laden einander während der Feldzüge zum Essen ein. Bussy-Rabutin berichtet von einem Gastmahl, an dem er teilnimmt, während er zusammen mit Cond¦s Truppen 1647 L¦rida belagert: »Le chevalier de la ValiÀre, mar¦chal de camp de jour — la tranch¦e du mar¦chal de Gramont, me sachant de garde — la tranch¦e du prince, m’envoya prier du grand matin — d„ner, me mandant que Barbantane, lieutenant des gendarmes d’Enghien, et Jumeaux, mar¦chal de bataille, deux de mes meilleurs amis, s’y trouveroient.«800

Adlige können wiederum eigene Freunde zu solchen Einladungen mitbringen, wie Cond¦ dies ebenfalls während der Belagerung von L¦rida praktiziert: »Le 11 [juin 1647], le prince, qui aimoit fort la Moussaye, lui envoya dire de venir d„ner avec lui chez Marchin o¾ il ¦toit pri¦.«801 Dabei kann der Prinz von Cond¦ sicherlich aufgrund seiner Ausnahmestellung eher weitere Gäste mitbringen, die der Gastgeber nicht eingeladen hat, als andere Gäste dies können; andererseits aber gehört es auch zum adligen Verhaltenskodex, zusätzliche Gäste nicht abzuweisen, sondern Großzügigkeit, largesse,802 zu demonstrieren. Das Fest ist Kommensalität mit vielen Gästen und daher eine Geste der Zuneigung an eine große Anzahl von Personen gleichzeitig. Es hat darüber hinaus 799 800 801 802

Gourville, M¦moires, op. cit., 95. Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 147 – 148. Ebd., 151. Zur Idee der largesse cf. Jean Starobinski, Largesse, Paris 1994.

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aber auch Aspekte, die über die Freundschaft hinausreichen. Es ist conspicuous consumption,803 zeigt also den tatsächlichen oder zumindest behaupteten ökonomischen Überfluss – die Praxis des tenir table ouverte, des Verköstigens beliebig vieler auch ungeladener Gäste, ist Teil des adligen Ethos; und es hat agonalen Charakter, ist also Potlatsch804 – die Adligen rivalisieren darum, wer besonders pompöse Feste geben kann. Das Essen wird bei solchen großen Gastmählern zwar mit vielen geteilt; die Zuschreibung von Ehre kann aber auch hier wieder ausdifferenziert werden, und zwar durch die räumliche Anordnung der Gäste. Sie können in verschiedenen Räumen plaziert werden; innerhalb des Raumes können verschiedene Tische für verschiedene Ränge von Gästen aufgestellt werden; an einem Tisch schließlich kann die Sitzordnung selbst Abstufungen ausdrücken.805

II.4.16. Gesten der gemeinsamen Freizeitgestaltung Neben gemeinsamem Essen gibt es eine ganze Reihe anderer Tätigkeiten, die Adlige gemeinsam ausüben können. Da die Adligen nicht im modernen Sinne berufstätig sind,806 kann der Begriff der Freizeitbeschäftigung hier nur eine heuristische Hilfskonstruktion sein; bezeichnet werden sollen damit Beschäftigungen, die außerhalb des Militärs (das im 17. Jahrhundert immer noch als eigentlicher Beruf des Adels gilt) und der höfischen Zeremonien liegen. Eine der wichtigsten derartigen Beschäftigungen ist die Jagd.807 Als spezifisch aristokratische Betätigung, die man zudem nicht alleine ausübt (es wird in der Frühen Neuzeit nicht mit Feuerwaffen gejagt, sondern entweder mit Pfeil und Bogen – chasse — tir – oder mit Hunden – chasse — courre), eignet sie sich zur Darstellung von Nähe. Auf die Jagd geht man nicht auf eigene Faust: da man zur Treibjagd eine Hundemeute braucht, deren Unterhalt aufwendig ist, geht die 803 804 805 806 807

Cf. Veblen, The Theory of the Leisure Class, op. cit. Cf. Mauss, Die Gabe, op. cit., 77 – 119. Heal, Hospitality in Early Modern England, op. cit., 31 – 32. Elias, Die höfische Gesellschaft, op. cit., 94. Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 88, sieht die Jagd als die adlige Beschäftigung par excellence. Zur Jagd im frühneuzeitlichen Frankreich cf. Philippe Salvadori, La chasse sous l’Ancien R¦gime, Paris 1996. Die Zeitschrift XVIIe siÀcle hat dem Thema ein Sonderheft gewidment, cf. XVIIe siÀcle 57/1 (2005) [Themenheft »Chasse et ForÞt au XVIIe siÀcle«]. Cf. des weiteren Claude d’Athenaise (Hg.), Chasses princiÀres dans l’Europe de la Renaissance, Arles 2007. – Zur Geschichte der Jagd im europäischen Kontext cf. Martin Knoll, Umwelt – Herrschaft – Gesellschaft. Die landesherrliche Jagd Kurbayerns im 18. Jahrhundert, St. Katharinen 2004 (Studien zur neueren Geschichte 4); Werner Rösener, Die Geschichte der Jagd. Kultur, Gesellschaft und Jagdwesen im Wandel der Zeit, Düsseldorf/Zürich 2004; Wolfram Martini, Die Jagd der Eliten in den Erinnerungskulturen von der Antike bis in die Frühe Neuzeit, Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 3).

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Initiative zur Jagd vom Besitzer einer solchen Meute aus (der manchmal zugleich der Revierinhaber ist). Er lädt Gäste zur Jagd ein; er kann also bereits durch die Einladung bestimmte Personen auszeichnen. Gourville – für den es als homo novus bürgerlicher Herkunft durchaus nicht selbstverständlich ist, zur Jagd eingeladen zu werden – vermerkt in seinen Memoiren, dass seine adligen Freunde in Brüssel ihm diese Ehre zuteil werden lassen, als er sich im Spätjahr 1664 und im Frühjahr 1665 dort aufhält: »J’allais trÀs souvent — la chasse du cerf avec M. le duc d’Arschot, et — celle du chevreuil avec M. le prince d’Arenberg, qui avait une meute, et quelquefois avec celui qui en avait une entretenue par le roi.«808 Zusätzliche Zuschreibung von Ehre kann bei dieser Gelegenheit dadurch geschehen, dass einem Jagdgast, der sich bei der Jagd besonders hervorgetan hat, eine Jagdtrophäe zur Erinnerung an die gemeinsame Jagd überreicht wird; diese Trophäe kann somit auch als ein Symbol der Freundschaft gesehen werden.809 Das gemeinsame Glücksspiel ist eine weitere solche Geste; auf Gourvilles Trictrac-Spiel mit dem Gefängniskommandanten, das er gezielt zur Beziehungspflege und damit zur Erlangung von Hafterleichterungen einsetzt, wurde schon verwiesen. Da oftmals beim Glücksspiel auch beträchtliche Summen Geld im Spiel sind, zeugt es durchaus von Vertrauen in die Ehrlichkeit des Gegenübers, sich mit ihm auf Glücksspiele einzulassen. Gerade weil es um Geld geht, ist das Glücksspiel aber auch konfliktträchtig. Der Chevalier de M¦r¦ und der mar¦chal de Cl¦rambault spielen daher bewusst nur zum Vergnügen: »Leur jeu n’estoit qu’un amusement, et c’est ainsi qu’il en faut user avec ses vrais amis: Car si le grand jeu ne d¦truit l’amiti¦, du moins elle en pouvoit estre alt¦r¦e.«810 Auch andere Gesellschaftsspiele können Zuneigung ausdrücken: Ob Chamillart nun seinen Ministerposten seiner Stellung als Billard-Partner Ludwigs XIV. verdankt oder nicht, eine Geste der Nähe ist eine solche regelmäßige Spielpartnerschaft allemal.811 Sich gemeinsam vom Hof zu entfernen, ist eine weitere Geste der Freundschaft. Es wurde schon darauf verwiesen, dass Bussy-Rabutin und sein Freund Chavagnac zusammen durch die Provinz reisen. Aber auch Spaziergänge und Ausritte bringen Nähe zum Ausdruck. So pflegt Gourville, dessen Status in den Spanischen Niederlanden zwischen dem eines Exilanten und eines Sondergesandten Frankreichs changiert, in Brüssel ein gutes Verhältnis zum französischen Botschafter :

808 809 810 811

Gourville, M¦moires, op. cit., 153. Zu den Symbolen der Freundschaft cf. infra. Chevalier de M¦r¦, Les Conversations, hg. von Charles-H. Boudhors, op. cit., 23. Cf. Bluche, L’Ancien R¦gime, op. cit., 47.

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»Je passais mon temps avec Monsieur l’ambassadeur, mes camarades et ses domestiques dans les promenades ordinaires, et souvent, le soir aprÀs souper, nous montions — cheval pour aller promener dans les champs et go˜ter le bon air, que nous y sentions d’une fra„cheur — faire plaisir.«812

II.4.17. Gemeinsamer Tabubruch und gemeinsamer Gesetzesbruch Freundschaft kann auch dadurch demonstriert werden, dass man gemeinsam Regeln bricht. Heuristisch können dabei drei Stufen unterschieden werden: erstens das gemeinsame Verletzen von Anstandsregeln, zweitens das gemeinsame Brechen von Gesetzen, drittens die gemeinsame Revolte – wobei dieser letzte Bereich über die Gesten der Freundschaft hinausgeht und bereits zur Problematik der Freundschaftsdienste, der Loyalität und der Verpflichtung gehört. Ausschweifungen und gemeinsames Betrinken sind Möglichkeiten, einen Kontrapunkt zur höfischen Etikette zu setzen. Der gemeinsame alkoholische Exzess stellt außerdem eine Extremform der Kommensalität dar ; in anekdotischer Weise erwähnt dies Lenet, der berichtet, wie er einmal zu Cond¦ gerufen wird: »Je le trouvai dans son lit o¾ il ¦toit encore, quoiqu’il f˜t prÀs de midi«; der Prinz ist nämlich »fatigu¦ d’une grande d¦bauche qu’il avoit faite la veille — SaintCloud avec le roi d’Angleterre«.813 Solche gezielten Verstöße gegen die Regeln guten Benehmens können den Freunden dazu dienen, sich gemeinsam von der Gesellschaft abzusetzen und sich gerade dadurch enger aneinander zu binden. Der gemeinsame Tabubruch ist, wenn er bekannt wird, auch eine gemeinsam ausgeübte Provokation. Der zukünftige Grand Cond¦ praktiziert dies in seiner Jugend mit den sogenannten »petits-ma„tres«, einem Zirkel von Jugendfreunden, der für seine Libertinage bekannt ist; man könnte diese demonstrativen Ausschweifungen mit dem Umstand in Verbindung bringen, dass sein Vater, Henri II de Bourbon, nach seiner Konversion zum Katholizismus ein d¦vot geworden ist, also eine besonders strenge Auslegung des Katholizismus vertritt.814 Die gemeinsame Ausschweifung kann sogar als Auftakt zur gemeinsamen bewaffneten Auflehnung fungieren. Henri II de Bourbon bekräftigt 1616 sein Bündnis mit den Parlamentariern durch gemeinsame »d¦bauche«; Katia B¦guin weist darauf hin, dass Louis II de Bourbon sich 1649 auf dieselbe Weise, nämlich

812 Gourville, M¦moires, op. cit., 190. 813 Lenet, M¦moires, op. cit., 196. 814 B¦guin, Les princes de Cond¦, op. cit., 42.

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durch gemeinsame Festessen, Tänze und Feiern, sichtbar mit den Frondeuren solidarisiert.815 Wenn der Tabubruch indes nicht Auftakt zur Revolte ist, ist das Risiko, das die Beteiligten eingehen, begrenzt; beim gemeinsamen Gesetzesbruch ist dies anders. Insbesondere ein Gesetz wird von den Adligen immer wieder gebrochen, nämlich das Duellverbot. Das Duell selbst ist natürlich keine Geste der Freundschaft, wohl aber die Solidarisierung mit einem der beiden Duellanten. Da das Duellverbot durchaus strafbewehrt ist,816 ist diese Geste der Freundschaft auch eine Mutprobe. Das Duell kann Anlass zu zwei wichtigen Freundschaftsdiensten817 geben: dem Fungieren als Sekundant und der Unterstützung behördlich gesuchter Duellanten. Die hier untersuchten Quellen erwähnen allerdings nicht die Praxis, die Bereitschaft zum Gesetzesbruch für den Freund strategisch als Freundschaftsprobe einzusetzen, wie dies in der zeitgenössischen deutschsprachigen Traktatliteratur empfohlen wird.818 Die gemeinsame Revolte ist ebenfalls ein starkes Zeichen der Freundschaft. Mindestens ebenso sehr wie beim Duell steht bei ihr aber der Charakter als Freundschaftsdienst im Vordergrund, also der Aspekt der konkreten Hilfeleistung. Einem Freund in der Revolte beizustehen hat zwar einen symbolischen Aspekt, aber mindestens ebenso sehr auch einen militärisch-machtpolitischen. Zum Schluss dieses Abschnitts soll ein Sonderfall erwähnt werden: der Gesetzesbruch für einen Freund, der bereits tot ist. Der Fall findet sich bei Beauvais-Nangis und wurde bereits kurz erwähnt. Beauvais-Nangis’ bester Freund Dunes hat im Streit einen Angehörigen der Familie Marets getötet und ist dabei selbst umgekommen. Die justice von Provins hat den Leichnam des getöteten Dunes in Gewahrsam genommen, aber die Familie Marets möchte ihm postum den Prozess machen. Sowohl Marets als auch Beauvais-Nangis versammeln nun ihre Freunde, um den Leichnam des toten Dunes zu entführen. Beauvais-Nangis ist schneller, es gelingt ihm, den Körper seines toten Freundes an dessen Familie zu übergeben. Als er an den Hof zurückkehrt, sind die Reaktionen auf seine Tat 815 Ebd., 107. 816 Auch wenn im Einzelfall Duellanten oft begnadigt werden, steht doch prinzipiell auf die Teilnahme an Duellen im 17. Jahrhundert die Todesstrafe; überdies hatte bereits das Konzil von Trient die Exkommunikation von Duellanten beschlossen, cf. FranÅois Billacois, Artikel »Duel«, in: Bluche (Hg.), Dictionnaire du Grand SiÀcle, op. cit., 503 – 504, hier 503. 817 Cf. infra, Freundschaftsdienste. 818 Heiko Droste, Die Erziehung eines Klienten, in: Brakensiek,/Wunder (Hg), Ergebene Diener ihrer Herren?, op. cit., 23 – 44, hier 36 – 38. – In dem dort zitierten Traktat des lutherischen Predigers Johann Balthasar Schupp, »Freund in der Not« (1657) wird dem Protagonisten als Freundschaftsprobe empfohlen, er solle ein Tier schlachten, es in einen Sack stecken und dann die Freunde seines Vaters aufsuchen. Er solle vorgeben, er habe soeben einen Menschen getötet: sein wahrer Freund sei dann nur der, der einwillige, ihm bei der Beseitigung der Leiche zu helfen.

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gemischt: die einen tragen dem Mann ihre Freundschaft an, der seinen Freunden über den Tod hinaus die Treue hält, die anderen werfen ihm vor, überreagiert zu haben: er solle sich damit begnügen, seinen engsten Verwandten beizustehen.819 Die Diskussion darüber, ob Beauvais-Nangis zu weit gegangen ist, und die Bewunderung einiger Höflinge für seine Tat zeigen, dass dieser Freundschaftsdienst jenseits dessen liegt, was normal ist. Seine Kritiker halten ihm vor, mutwillig das Wohlwollen des Kanzlers (der Marets’ Schwiegervater ist) verscherzt zu haben; Beauvais-Nangis aber sieht es als eine Frage der Ehre, Dunes vor postumer Entehrung zu bewahren.820 Die Stelle ist insofern bemerkenswert, als hier der – ansonsten implizite – Kodex der Freundespflichten angesichts dieses Extremfalls explizit am Hof diskutiert wird.

II.4.18. Suspendierung der Etikette unter Freunden Unter Freunden ist es möglich, die Etikette zumindest ein Stück weit zu suspendieren. Zwei Aspekte können hier unterschieden werden: zum einen die komplexe Beziehung der Freundschaft zum Rang der Beteiligten,821 zum anderen das Verhältnis der Freundschaft zu höfischen Regeln und Umgangsformen, die allgemein unter Adligen üblich sind. Dabei zeigt sich, dass zumindest unter engeren Freunden ein »lockererer« Umgang möglich ist als unter Adligen allgemein. Eine Stelle bei Tallemant des R¦aux zeigt dies auf drastische Weise. Der Baron von Aspremont wird von Tallemant als ein Mann dargestellt, »der sich dreimal am Tag duelliert«. Da er von einem Duell eine Wunde davongetragen hat, fühlt er sich schlecht und sitzt bei einem Essen beim Herzog von Enghien822 nur gelangweilt da, während die anderen speisen. Aus Langeweile beginnt er, einen Freund mit Brotkügelchen zu bewerfen. Dabei trifft eines der Kügelchen einen ungenannten anderen Gast an der Stirn; dieser Gast ist, wie Tallemant vermerkt, nur an jenem Tage anwesend. Der Gast glaubt, sich der Verachtung auszusetzen, wenn er keine Erklärung für dieses Verhalten verlangt – woraufhin Aspremont (dessen Duellfreudigkeit durch die ganze Geschichte ja bewiesen 819 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 114: »On parla differemment de mon action, les uns approuvant ce que j’avoys fait; et huit jours aprÀs, comme je retournay — la court, force gents se vindrent offrir — moy, me priant de les vouloir aymer, puysque j’aymays mes amys jusques aprÀs leur mort, et que je quittoys ma fortune pour leur en randre preuve […]. Les autres me blasmerent de my estre port¦ si violemment, que je pouvoys, sans prendre les affaires si fort — cœur, me contenter d’assister les parens les plus proches.« 820 Ebd., 115. 821 Cf. supra, Semantik der Freundschaft, Ideen der Freundschaft, Sprache der Freundschaft. 822 Die Geschichte ist nicht datiert, aber es handelt sich beim Herzog von Enghien wohl um Louis II de Bourbon.

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werden soll) antwortet, dass er sich nur in Form eines Duells erklären werde.823 Liest man diese Stelle gegen den Strich, kann man folgendes feststellen: der Freund Aspremonts, dem die Brotkügelchen eigentlich gelten, nimmt dies offenbar als einen unter Freunden möglichen Scherz hin, während der fremde Gast sich beleidigt fühlt.

II.4.19. Das Schenken An letzter Stelle unter den Gesten der Freundschaft soll das Schenken stehen. Das Schenken ist einerseits eine Praxis mit Zeichenwert, also eine Geste; es leitet aber auch schon über zu den Freundschaftsdiensten. Das Schenken kann – wie auch das Korrespondieren – der Aktualisierung der Freundschaft in Zeiten der Abwesenheit dienen. Das Schenken wird allerdings in den Selbstzeugnissen der Adligen eher selten erwähnt. Das liegt wohl nicht an der historisch-semantischen Tatsache, dass das Wort cadeau erst im 18. Jahrhundert den Sinn von »Geschenk« annimmt;824 Geschenke werden zuvor als don oder pr¦sent bezeichnet. Der Fall könnte einerseits ähnlich liegen wie bei der Korrespondenz unter Freunden, die archivalisch umfangreich erhalten ist, in den narrativen Quellen aber kaum als Praxis thematisiert wird – außer wenn Autoren wörtlich aus gesendeten oder erhaltenen Briefen zitieren. Möglicherweise sind viele Geschenke eher kleine, alltägliche Gaben, die nicht zu den Memorabilia gerechnet werden. Dass solche kleinen Geschenke durchaus vorkommen, zeigt die Marginalie eines Briefes des Chevalier de Ch¦r¦ an Cond¦s Favoriten Guitaut, die lautet: »Je feray part — vos amis des gands & pomades qu’il vous a pleu m’envoyer«.825 Andererseits werden in Frankreich seit dem 16. Jahrhundert die Gesetze gegen die Bestechung von Amtsträgern verschärft.826 Von daher wäre es verständlich, dass man bestimmte Geschenke in den eigenen Memoiren nicht erwähnt, auch wenn das moderne Konzept von Bestechung in dieser Strenge noch fehlt;827 es ist dennoch denkbar, dass man es vermeidet darzustellen, wie man durch Geschenke einer politischen Entscheidung nachgeholfen hat. Beschenkt zu werden, kann durchaus auch verdächtig machen, insbesondere wenn die Geschenke aus dem Ausland kommen. Als der ehemalige Exilant Gourville vom 823 824 825 826

Tallemant des R¦aux, Historiettes, hg. von Antoine Adam, op. cit., Bd. 2, 755. Davis, Die schenkende Gesellschaft, op. cit., 25. Archives de Chantilly, M XXII 204 (12. 04. 1641). Davis, Die schenkende Gesellschaft, op. cit., 127 – 129. – Zum Problem der Korruption cf. auch Groebner, Gefährliche Geschenke, op. cit. 827 Davis, Die schenkende Gesellschaft, op. cit., 129 – 130, führt aus, dass das Ancien R¦gime ein eigenes Wort für »Bestechung« nicht kannte.

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Herzog von Hannover acht Pferde übersandt erhält, bittet er den König, dieses Geschenk an die königlichen Stallungen weitergeben zu dürfen, was der König akzeptiert.828 Es darf vermutet werden, dass Gourville diesen Schritt unternimmt, um den Verdacht der Spionage von vornherein abzuwenden. Ein weiterer und durchaus problematischer Aspekt des Schenkens ist die Einleitung eines Gabentausches und die damit verbundene Erwartung von Reziprozität.829 Da solche Erwartungen in den Quellen aber weit häufiger im Zusammenhang mit Freundschaftsdiensten als mit Geschenken thematisiert werden, soll auf sie im nächsten Kapitel eingegangen werden.

II.4.20. Symbole der Freundschaft Mit dem Schenken gelangt man zum Bereich der Symbole der Freundschaft. Dass man nicht schenken kann, ohne Geschenke auszutauschen, klingt zunächst banal; das bedeutet aber auch, dass die Zeichenhaftigkeit des Vorgangs des Schenkens sich auf das Geschenk überträgt, dass ein Gegenstand also symbolisch aufgeladen wird, wenn er zum Geschenk wird. Allerdings sind verschiedene Gegenstände für diese symbolische Aufladung unterschiedlich gut geeignet. Insbesondere Geld eignet sich hierfür nicht, da die geschenkten Münzen nicht von anderen zu unterscheiden sind; hier besteht also eine Einschränkung, indem das Geschenk als Symbol verpufft, indem es im Guthaben des Beschenkten aufgeht. Ebenfalls wenig geeignet für den Symbolwert sind Verbrauchsgüter wie Wein und Lebensmittel; auch hier beschränkt sich wie beim Geldgeschenk der Zeichenwert weitgehend auf den Akt des Schenkens – wobei der Schenkende sicher hofft, der Beschenkte werde beim Konsum der genannten Güter seiner gedenken. Jedes Geschenk ist auch eine Austauschressource und jede Austauschressource auch ein Geschenk.830 Somit beinhaltet der Austausch von Gaben immer zwei Aspekte, nämlich einen materiellen und einen symbolischen Aspekt. Beim Geldgeschenk steht der materielle Aspekt im Vordergrund; das muss aber nicht heißen, dass der eine Aspekt um so stärker wäre, je schwächer der andere ist. 828 Gourville, M¦moires, op. cit., 254. 829 Zum Konzept des Gabentausches cf. Mauss, Die Gabe, op. cit. – Davis, Die schenkende Gesellschaft, op. cit., 10, kritisiert, dass Mauss den Gabentausch frühen historischen Phasen zuordnet und annimmt, er verliere über die Jahrhunderte an Bedeutung; cf. zur Kritik an Mauss’ Konzepten auch Marshall Sahlins, Stone Age Economics, New York 51981. Zum Gabentausch des weiteren Maurice Godelier, L’enigme du don, Paris 1996, deutsch als Ders., Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, heilige Objekte, München 1999. 830 Zu den Austauschprozessen und den damit verbundenen Verpflichtungskreisläufen cf. infra, Freundschaftsdienste; hier soll es um die verschiedenen Geschenke und ihren symbolischen Wert gehen.

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Bussy-Rabutin berichtet eine Episode, in der beide Aspekte zusammengehen: Saint-Preüil, der Gouverneur von Dourlens, hat sich bei der Einnahme von Arras hervorgetan; Richelieu bestellt ihn zu einem Empfang in Gegenwart des Königs und des ganzen Hofes, verleiht ihm im Namen des Königs das Amt des Gouverneurs des eroberten Arras und schenkt ihm gleichzeitig einen kostbaren Diamantring als Zeichen seiner Freundschaft, wie er expressis verbis betont.831 Hier ist nicht nur auffällig, dass Richelieu die Gabe des Königs und seine eigene Gabe peinlich unterscheidet, sondern auch, dass das Geschenk, das als »marque« der Freundschaft angesprochen wird, einerseits durch den Diamanten einen hohen materiellen Wert hat, andererseits ein symbolisch hochbedeutender Gegenstand ist, nämlich ein Ring – vergegenwärtigt man sich die Bedeutung von Verlobungsringen, Eheringen, Bischofsringen und adligen Siegelringen, so wird die Freundschaftsbindung im Ring fast schon übertrieben versinnbildlicht. Während also bei Geld und Lebensmitteln der Akt des Schenkens symbolischen Wert hat, beim Geschenk selbst aber vor allem der materielle Nutzwert im Vordergrund steht, ist ein Geschenk wie der Ring sowohl materiell wie symbolisch bedeutsam. Der dritte mögliche Fall, eine hohe symbolische Aufladung eines materiell nicht sehr wertvollen Gegenstandes, ist dann denkbar, wenn der Gegenstand durch persönliche Erinnerungen des Schenkenden oder durch die Erinnerung an einen vormaligen Besitzer aufgeladen ist. Der Fall hohen symbolischen Wertes bei geringem materiellem Wert ist aber vor allem bei jenem anderen wichtigen Symbol gegeben, das der Freundschaft außer dem Geschenk zur Verfügung steht, nämlich dem Brief. Der Brief ist, wie Michael Sikora argumentiert, Medium der Aufrechterhaltung von Netzwerken, auch wenn sein Inhalt nur der Austausch über Alltagsbegebenheiten ist oder gar nur der Ausdruck persönlicher Wertschätzung.832 Im Florenz des späten 16. und des 17. Jahrhunderts finden sich, wie Jean Boutier gezeigt hat, jährlich hunderte von Schreiben, in denen dem Großherzog von Adligen aus Italien (und teils sogar von außerhalb Italiens) zu Weihnachten ein frohes Fest gewünscht wird833 – Schreiben, die nicht dem Austausch von Informationen, sondern ausschließlich der Pflege der Beziehung dienen. Papier ist im 17. Jahrhundert nicht mehr annähernd so teuer wie noch im Spätmittelalter, der materielle Wert des übersandten Briefes also gering. Dafür ist der symbolische Gehalt groß und kann 831 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 65 – 66. 832 Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, op. cit., 90. Sikoras Bemerkung, der Brief habe auch Raum für persönliche Empfindungen gegeben, trifft für das französische 17. Jahrhundert nur eingeschränkt zu, da die Adligen im Brief große Zurückhaltung üben, wenn es um Gefühlsäußerungen jenseits stereotypisierter Formeln geht; da Sikoras Buch jedoch eine Gesamtdarstellung der deutschen Adelsgeschichte sein will, ist seine Beobachtung zumindest für das 18. Jahrhundert natürlich zutreffend. 833 Boutier, Adresser ses vœux au grand-duc, op. cit., 15 – 20.

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durch verschiedene Verfahren wie Länge des Briefes, Schreiben von eigener Hand, Verwendung bestimmter Formeln und natürlich durch den Inhalt selbst variiert werden.834 Dennoch ist die Materialität des Briefes nicht vollkommen ohne Bedeutung: worauf man schreibt, in welcher Schriftart, wie kalligraphisch die Schrift ist – all dies sind Elemente, die eingesetzt werden können, um die Bedeutung des Briefes zu unterstreichen. Die Kultur der Empfindsamkeit steigert nach der hier betrachteten Epoche die Bedeutung der Materialität des Briefes noch, beispielsweise durch den Brief, auf den beim Schreiben Tränen fallen. Noch stärker von der Materialität losgelöst als der Brief ist dagegen das Gelegenheitsgedicht; es ist einerseits inoffizieller als viele Briefe, andererseits betonet es hier den intellektuellen und gerade nicht auf den materiellen Aufwand. Bei den Freundschaftsdiensten verhält es sich anders: hier spielt es sehr wohl eine Rolle, welche materiellen Leistungen man für einen Freund aufzubringen bereit ist, wenn es darauf ankommt. Dieses Feld soll Gegenstand des nächsten Kapitels sein.

II.4.21. Geschlechtsspezifische und geschlechtsneutrale Praktiken der Freundschaft Auch bei den Praktiken der Freundschaft stellt sich die Frage, inwieweit sie geschlechtsspezifisch oder geschlechtsneutral sind. Man könnte geneigt sein, aufgrund der Rollenzuschreibungen an Männer und Frauen zu vermuten, dass sich die Praktiken, die sie in Freundschaften einsetzen, radikal unterscheiden. Die Analyse der Praktiken zeigt jedoch, dass zwar nicht sämtliche Praktiken der Freundschaft von beiden Geschlechtern ausgeübt werden können, dass jedoch ein großer Teil der Praktiken nicht geschlechtsspezifisch ist. Alle Praktiken, die mit Gewaltanwendung zu tun haben, sind den Männern vorbehalten, da in der höfischen Gesellschaft Frauen keine Gewalt anwenden dürfen. Eine adlige Dame trägt keine Waffen; entsprechend kann sie sich nicht duellieren.835 An der Jagd können Frauen allenfalls als Zuschauerinnen teilnehmen; entsprechend können sie keine Jagdtrophäen als Zeichen der Freundschaft erhalten. Die Kommensalität steht beiden Geschlechtern offen; die d¦bauche, der gemeinsame Exzess dagegen ist eine rein männliche Praxis. Eine adlige Dame, die daran teilnähme, würde ihren Ruf ruinieren. Spezifische Praktiken reiner Frauenfreundschaften sind aus dem hier ana834 Cf. supra, Sprache der Freundschaft. 835 Zum Duell ausführlicher cf. infra, Freundschaftsdienste.

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lysierten Korpus aufgrund der Quellenlage nicht zu entnehmen; spezifische Praktiken von Freundschaften zwischen den Geschlechtern sind in den hier analysierten Texten nicht erkennbar, womit die Möglichkeit der Existenz solcher Praktiken natürlich nicht negiert werden soll. Viele Praktiken, wie etwa das Komplimentieren, werden von beiden Geschlechtern für beide Geschlechter verwendet – hier ist die Position des einzelnen in der sozialen Hierarchie die entscheidende Variable, nicht so sehr das Geschlecht. Den Mitgliedern von königlichen, Prinzen- und Herzogsfamilien schulden ihre Freunde Ehrerbietung, und zwar zunächst einmal unabhängig davon, ob die betreffende Person männlich oder weiblich ist. Es gibt dann geschlechtsspezifische Binnendifferenzierungen: in Komplimenten für männliche Freunde wird man Tugenden loben, die Männern zugeschrieben werden, wie militärische Tapferkeit, in Komplimenten für weibliche Freundinnen solche, die Frauen zugeschrieben werden, wie Sittsamkeit. Schließlich gibt es Praktiken wie das Schenken, bei denen überhaupt keine Geschlechterdifferenzierung erkennbar ist.

II.5. Freundschaftsdienste Die Freundschaftsdienste sind ein komplexes Phänomen, dem hier aus mehreren Gründen ein eigenes Kapitel gewidmet werden soll. Freundschaftsdienste gehören einerseits zu den Ideen, andererseits zu den Praktiken. Letzteres liegt auf der Hand: seinen Freunden Dienste zu leisten, ist unzweifelhaft eine Praxis. Weniger offenkundig ist die Zugehörigkeit zum Bereich der Ideen, die aber dennoch gegeben ist. Zunächst einmal ist der »service« selbst ein Konzept innerhalb des Freundschaftsdiskurses. Aber auch die »obligation« ist eine Repräsentation. Die Idee aristokratischer largesse beinhaltet, dass einem Freund die Hilfe nicht versagt werden darf. Darüber hinaus ist die Praxis der Freundschaftsdienste so vielgestaltig, dass sie eingehender beschrieben zu werden verdient. Freundschaftsdienste beschränken sich nämlich durchaus nicht auf einen Bereich, etwa finanzielle Hilfe oder die Beschaffung von Ämtern; sie umfassen eine Vielzahl von Bereichen. Im Gegensatz zu den im vorigen Kapitel beschriebenen Praktiken liegt bei den Freundschaftsdiensten der Fokus nicht auf der symbolischen Funktion des Zeigens von Freundschaft, sondern auf materiellen Austauschbeziehungen. Das schließt eine symbolische Konnotation der Freundschaftsdienste als Freundschaftsbeweis nicht aus, sondern vielmehr ein. Es soll nun nicht behauptet werden, der Austausch dieser Dienste sei die Funktion der Freundschaft, sie existiere nur um dieser Dienste willen. Die Perspektive ist eine andere. Unzweifelhaft regeln als Freundschaften bezeichnete

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Beziehungen in der Vormoderne eine Reihe von Bereichen wie etwa die Kredite, auf die die Gesellschaft nicht verzichten kann; gerade der Vergleich mit heutigen Gesellschaften zeigt aber, dass der Austausch dieser Gaben und Leistungen durchaus nicht zwingend in die Organisations- und Beschreibungsform der Freundschaft gebracht werden muss. Die Vermittlung von Gütern und Krediten kann marktförmig, die Besetzung administrativer und juristischer Ämter durch Prüfungen, die Vergabe politischer Ämter durch Wahlen organisiert werden. Dass im 17. Jahrhundert viele dieser Leistungen noch über Freundschaftsbeziehungen vermittelt werden und dieser Sachverhalt nicht als dysfunktional gilt,836 darf also als ein Zug gelten, der frühneuzeitliche Adelsfreundschaft von Freundschaftskonzepten der nachfolgenden Epochen unterscheidet – und mit vorangehenden Epochen verbindet, da Antike und Mittelalter in dieser Hinsicht viele Parallelen zu frühneuzeitlichen Konzeptionen und Praktiken aufweisen.837 Dies ist insofern nicht verwunderlich, als beispielsweise auch mittelalterliche Gesellschaften keine hoch organisierte Staatlichkeit besitzen, die eine Alternative zum Gabentausch in personalen Netzwerken bieten würde. In der Frühen Neuzeit ist das Bild differenzierter : gerade in Frankreich ist der Beamtenapparat838 schon recht weit entwickelt und kennt mit dem Mechanismus der Ämterkäuflichkeit eine Alternative zur Vergabe von Ämtern über personale Netzwerke. Wenn man den materiellen Aspekt der Praktiken der Freundschaft beleuchten will, ist wichtig zu betonen, dass Austauschbeziehungen sich nicht auf den Austausch von Objekten beschränken müssen; mindestens ebenso wichtig ist der Austausch von Leistungen verschiedenster Art. Ebenso wie bei den Gesten der Freundschaft soll versucht werden, das unübersichtliche Feld dieser Leistungen durch Unterkategorien zu gliedern. Auch hier hat die Unterteilung heuristischen Wert; alternative Unterteilungen des Feldes anhand anderer Kriterien wären selbstverständlich möglich. Sechs solche Unterkategorien sollen vorgeschlagen werden. Als ökonomische Leistungen sollen diejenigen bezeichnet werden, bei denen der Austausch von materiellen Ressourcen im Vorder836 Wobei es in der Frühen Neuzeit selbstverständlich auch Klagen über Korruption gibt, cf. Engels, Politische Korruption in der Moderne, op. cit., 323. 837 Zu Freundschaft und Patronage in der Antike weiterhin grundlegend Konstan, Friendship in the Classical World, op. cit. In deutscher Sprache jüngst Winterling, Freundschaft und Klientel im kaiserzeitlichen Rom, op. cit. Zur Spätantike Rebenich, Freund und Feind bei Augustin und in der christlichen Spätantike, op. cit. Für eine Übersicht über das Problem der Freundschaft als horizontale respektive vertikale Beziehung im Mittelalter Garnier, Politik und Freundschaft im spätmittelalterlichen Reich, op. cit. 838 Der Begriff des »Beamten« ist hier natürlich problematisch; es handelt sich um frühneuzeitliche »officiers«, nicht um moderne »fonctionnaires«. Die Entwicklung, die in Frankreich von den frühneuzeitlichen Amtsträgern zum modernen öffentlichen Dienst führt, analysiert Nagle, Un orgueil franÅais, op. cit.

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grund steht; zu denken ist hier beispielsweise an große Geschenke, an Kredite und an materielle Hilfe in der Not. Unter politischen Leistungen sollen diejenigen verstanden werden, die sich auf den Erwerb von Ämtern und Machtpositionen beziehen; vor allem hier sind Patron-Klient-Beziehungen von Bedeutung, also die Vermittlung eines Amtes durch einen mächtigeren Freund an einen weniger mächtigen. Aber auch die Vermittlung von Heiratsallianzen ist eine politische Angelegenheit in einem Zeitalter, das die Liebesehe nicht als Ideal, sondern bestenfalls als verzeihbare Schwäche, schlimmstenfalls als Unfall ansieht. Als militärische Leistungen sollen diejenigen verstanden werden, die mit dem Einsatz von Gewaltanwendung beziehungsweise dem Schutz vor Gewaltanwendung zu tun haben. Hier ist zu denken an Eskorten, an Bünde zur gemeinsamen Selbstverteidigung, aber auch an die Teilnahme an Duellen eines Freundes, um diesem als Sekundant oder auch als Mitkämpfer beizustehen. Ein vierter wichtiger Bereich von Freundschaftsdiensten besteht in der Nothilfe: Freundschaft dient als Versicherung in Krisensituationen. Informationelle Leistungen beziehen sich auf die Weitergabe von Nachrichten, aber auch auf Beratung des Freundes. Ein letzter Bereich umfasst als Residualkategorie Dienste, die sich den vorgenannten Hauptkategorien entziehen; hierzu ist z. B. die Situation zu rechnen, wenn ein Freund den anderen in einer Affäre höfischer Galanterie unterstützt – da diese gerade nicht die Heirat zum Ziel hat, ist dies nicht mit dem Freund als Heiratsvermittler gleichzusetzen. Es soll im Folgenden untersucht werden, welche Leistungen im Einzelnen als Freundschaftsdienste ausgetauscht werden.

II.5.1. Ökonomische Leistungen Die ökonomischen Leistungen sollen am Anfang stehen, da sie am deutlichsten dem klassischen Modell von Marcel Mauss entsprechen, das die Diskussion über Gaben und Gabentausch seither geprägt hat.839 Die Anwendungen dieses Modells auf frühneuzeitliche Freundschaften operationalisieren es so,840 dass 839 Cf. Mauss, Die Gabe, op. cit. 840 Kettering, Patrons, Brokers, and Clients in Seventeenth-Century France, op. cit., 14, definiert Freundschaft über Symmetrie der Gaben; ausführlicher zu Ketterings Freundschaftsbegriff cf. supra, Forschungsstand. Reinhard, Freunde und Kreaturen, op. cit., 38, billigt der Freundschaft zwar eine gewisse Toleranzbreite gegen Ungleichheiten zwischen den Freunden zu, hält aber daran fest, dass wenn dieses Ungleichgewicht eindeutig oder permanent werde, die Grenze zur Patronage überschritten sei. Die Grenze zwischen beiden Phänomenen sei somit fließend, was Patronen erlaube, ihre Klienten mit höflichem Euphemismus als Freunde zu bezeichnen. Die Bezeichnung des Klienten als Freund wird ebenfalls als reiner Euphemismus betrachtet bei Wolfgang E. J. Weber, Bemerkungen zur Bedeutung von Freundschaft in der deutschen politischen Theorie des 16.–18. Jahrhun-

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Symmetrie der Gaben als Schlüssel zur Freundschaft aufgefasst wird; symmetrische Gaben bedeuten demnach Freundschaft, asymmetrische Patronage. Das ist aber nur dann richtig, wenn man die entsprechenden Beziehungen von den zeitgenössischen Repräsentationen abkoppelt, wenn man also festlegt, dass Freundschaft und Patronage einander ausschließen und dass Freundschaft immer symmetrisch sein muss. Eine solche Konzeption macht Freundschaft also zu einer etischen Kategorie; Freundschaft erscheint bei der Betrachtung der Gesellschaftsstruktur als die symmetrische Beziehung zwischen Nichtverwandten. Die Selbstbezeichnungen der frühneuzeitlichen französischen Adligen basieren, wie weiter oben dargelegt, auf einer anderen Konzeption von Freundschaft. Es soll daher hier nicht behauptet werden, Symmetrie der Gaben sei Bedingung aristokratischer Freundschaft; denn auch wenn die ausgetauschten Gaben asymmetrisch sind oder gar ein Abhängigkeitsverhältnis entsteht, halten die Aristokraten an der Bezeichnung Freundschaft fest. Darüber hinaus lässt sich das Konzept der Symmetrie der Gaben grundsätzlich in Frage stellen, wenn neben den Gaben auch die immateriellen Leistungen in die Betrachtung einbezogen werden. Schon materielle Gaben sind nur hinsichtlich ihres Geldwertes quantifizierbar, der aber die symbolische Dimension nicht erfasst:841 ob man jemandem z. B. ein kostbares Schwert schenkt oder dessen Gegenwert in Geld, ist bei weitem nicht dasselbe, da das Schwert die Konnotation kriegerischer Heldentaten, das Geld dagegen die Konnotation merkantilen und damit unadligen Wirtschaftens trägt.842 Immaterielle Leistungen sowie der Gewinn von Ehre sind aber überhaupt nicht mehr quantitativ zu erfassen, geschweige denn gegeneinander aufzurechnen. Es würde beispielsweise zu kurz greifen, ein Amt über das damit verbundene Gehalt quantifizieren zu wollen; viele Ämter erfordern so hohe Kaufpreise, dass sie sich innerhalb der Lebensspanne des Käufers nicht amortisieren. Das gilt nicht nur für die frei verkäufderts, in: Cotteri (Hg.), Il concetto di amicizia nella storia della cultura europea/Der Begriff Freundschaft in der Geschichte der europäischen Kultur, op. cit, 756 – 764, hier 761. Weber konstatiert an anderer Stelle, Freundschaft tendiere prinzipiell zur Gleichwertigkeit und beruhe auf materiellem und immateriellem Gabentausch: Wolfgang Weber, Artikel »Amicitia«, op. cit., 297. 841 Das darf natürlich umgekehrt nicht zur Verabsolutierung der symbolischen Dimension führen; cf. Wolfgang Reinhard, Manchmal ist eine Pfeife wirklich nur eine Pfeife. Plädoyer für eine materialistische Anthropologie, in: Saeculum 56/1 (2005), 1 – 16. Reinhard polemisiert hier gegen Michel Foucault, Ceci n’est pas une pipe, Montpellier, ¦dition d¦finitive 1986 [Erstausgabe Fontfroide-le-haut 1973], deutsch als Ders., Dies ist keine Pfeife, München 1974; Reinhards Kritik nimmt auch Bezug auf Egon Flaig, Kinderkrankheiten der Neuen Kulturgeschichte, in: Rechtshistorisches Journal 18 (1999), 458 – 476. Die Ausblendung der wirtschaftlichen Dimension in der Neuen Kulturgeschichte kritisiert auch HansUlrich Wehler, Historisches Denken am Ende des 20. Jahrhunderts, Göttingen 22002, 73, der – aus der Perspektive der Bielefelder Sozialgeschichte argumentierend – zu einem insgesamt negativen Urteil über die Neue Kulturgeschichte kommt. 842 Cf. Stollberg-Rilinger, Zur moralischen Ökonomie des Schenkens bei Hof, op. cit.

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lichen Ämter, sondern auch für jene hohen Chargen, für deren Erwerb man die Zustimmung des Königs braucht. Adlige erwerben diese Ämter nicht, oder zumindest nicht ausschließlich, als Geldanlage, sondern als Teil von Karrierestrategien, die ihnen und ihren Nachkommen Ehre und politischen Einfluss sichern sollen. Pierre Bourdieus Konzept der verschiedenen Kapitalsorten kann zwar den Blick dafür schärfen, dass neben ökonomischem Kapital auch Beziehungen (soziales Kapital), Ansehen (symbolisches Kapital) und Informationen bzw. Wissen (kulturelles Kapital) von den Adligen angezielt werden.843 Doch kann auch Bourdieus Konzept die immateriellen Leistungen nicht quantifizieren, denn so weit trägt die Analogie der anderen Kapitalsorten mit dem ökonomischen Kapital nicht. Im Gegensatz zu diesem letzteren haben die anderen Kapitalsorten keine Währungseinheit. Zudem kann man sie nicht in der Weise ausgeben wie ökonomisches Kapital: wer aufgrund von Beziehungen, also von sozialem Kapital, z. B. die Aufnahme in einen Ritterorden erreicht, also symbolisches Kapital erwirbt, verliert dadurch die zugrundeliegenden Beziehungen keineswegs; möglicherweise werden sie sogar noch intensiver, aufgrund der Verpflichtung des neuen Ordensritters gegenüber seinen Wohltätern. Immaterielle Leistungen entziehen sich also zum einen der quantitativen Bilanzierung und zum anderen a fortiori der Verrechnung mit materiellen Gaben, die ihrerseits nicht nur unter dem Aspekt des Geldwertes betrachtet werden dürfen. Will man den Gabentausch unter frühneuzeitlichen aristokratischen Freunden untersuchen, so ist zu beachten, dass zeit- und ortsspezifische Repräsentationen – im Falle der höfischen Gesellschaft vor allem aristokratischer Ehrbegriff und aristokratische Höflichkeit – die Art und Weise beeinflussen, wie Gaben wahrgenommen werden. Dies gilt auch für die Frage nach Reziprozität; nicht jede Gabe ist für jeden geeignet, es stellt sich vielmehr die Frage nach der Angemessenheit oder Unangemessenheit von Gaben.844 Es ist damit zu rechnen, dass es unter aristokratischen Freunden bestimmte, adelsspezifische Verhaltensweisen beim Austausch von Gaben gibt. Es mag 843 Cf. Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983 (Soziale Welt, Sonderband 2), 183 – 198. 844 Barbara Stollberg-Rilinger hat am Beispiel von Diplomatengeschenken beispielhaft gezeigt, welche Geschenke zwischen einem Monarchen und ausländischen Diplomaten ausgetauscht werden konnten – und welche Botschaft jeweils damit verbunden wurde: so galt ein Geldgeschenk als einem Adligen unangemessen, da es mit der Entlohnung von nichtadligen Dienern, beispielsweise Kammerdienern und Lakaien, assoziiert wurde. Allmählich bildete sich ein Standard heraus, welcher Umfang von Geschenken einem Botschafter zustand; das Abweichen von diesem Umfang konnte Botschaften der Wertschätzung respektive Missbilligung transportieren; cf. Stollberg-Rilinger, Zur moralischen Ökonomie des Schenkens bei Hof, op. cit.

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Gourvilles Herkunft als bürgerlicher homo novus und damit als Neuankömmling im aristokratischen Milieu geschuldet sein, dass er seinen Freund Monsieur de Langlade gleich doppelt brüskiert: nicht nur schlägt er Langlades Angebot aus, dessen Schwester zu heiraten, sondern bietet ihm auch noch dreitausend Pistolen an, um der Schwester eine Mitgift zu sichern.845 Langlade nimmt die Summe an, da die Familie offensichtlich verarmt ist – Gourville notiert, dass das Schloss eine Ruine ist.846 Langlade sieht sich also offensichtlich gezwungen, nicht nur dem sozialen Aufsteiger Gourville die Heirat mit seiner Schwester anzubieten, sondern auch noch sein Geld anzunehmen, als dieser die Heirat verschmäht. Dabei ist es eines Adligen eigentlich unwürdig, Geldgeschenke anzunehmen. Gourville scheint nicht klar zu sein, wie sehr er Langlade damit demütigt – denn er notiert, dass er sich über die »jalousie extraordinaire« wundert, die Langlade zeitlebens für ihn an den Tag legt. Geld zu schenken, ist also nicht unproblematisch; es zu leihen dagegen offensichtlich weit weniger, denn Kredite sind ein wichtiger ökonomischer Freundschaftsdienst. Der Kredit ist nicht Gabe, sondern Leihgabe; der Schuldner nimmt also vom Gläubiger nicht in dem Sinne Geld, dass er bezahlt oder beschenkt würde. Aus zwei Gründen kommt Krediten so große Bedeutung zu. Zum einen verpflichtet die aristokratische Lebensform zur Großzügigkeit und zu großen Ausgaben; es ist weit weniger problematisch für das Ansehen eines Adligen, Schulden zu haben, als zuzugeben, dass er sich bestimmte Ausgaben nicht leisten kann. Zum anderen kann es für einen Adligen schwierig sein, von einem Bankier einen Kredit zu bekommen: als nichtadliger Bankier einen säumigen adligen Schuldner gerichtlich zur Begleichung seiner Verbindlichkeiten zu zwingen, ist für den Kläger ein schwieriges Unterfangen, da Adlige ja nur von ihresgleichen gerichtet werden dürfen. Viele Adlige sind gegenüber den Bankiers verschuldet; mitunter dürften die Bankiers daher gezögert haben, den Adligen ein weiteres Mal Kredit zu gewähren. Hier könnte eine Erklärung für dem Umstand liegen, dass Adlige sich des öfteren Geld von Freunden leihen. Selbstverständlich sind solche Kredite zinsfrei: weder die Vorstellung der Freundeshilfe noch die aristokratischen Verhaltensnormen würden es erlauben, Zinsen von Freunden zu nehmen.847 Der zinslose Kredit unter Freunden wird 845 Gourville, M¦moires, op. cit., 219 – 220. 846 Ebd. 847 Theologisch dagegen ist das Zinsverbot in der Frühen Neuzeit kein dringendes Problem mehr. In der sozialen Praxis beginnt der Geldverleih unter Christen bereits im 13. Jahrhundert mit lombardischen Kaufleuten, die in Nordeuropa Geld verleihen, cf. Matthias Theodor Kloft, Das christliche Zinsverbot in der Entwicklung von der Alten Kirche zum Barock. Eine Skizze, in: Johannes Heil/Bernd Wacker (Hg.), Shylock? Zinsverbot und Geldverleih in jüdischer und christlicher Tradition, 21 – 34, hier 30 – 31. Ab dem ausge-

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darüber hinaus anders als der Kredit mit Zinsen von kirchlicher Seite nicht nur als unbedenklich gesehen, sondern sogar empfohlen.848 Bussy-Rabutin erwähnt in seinen Memoiren, wie er im Jahr 1647 seinen Freund Marchin um einen Kredit bittet. Bussy-Rabutin hat Cond¦ auf dessen Katalonien-Feldzug begleitet und braucht nun Geld, um nach Frankreich zurückzukehren. Marchin schreibt ihm, er fühle sich durch diese Anfrage sogar geehrt, und verweist ihn an einen Bankier in Barcelona, der ihm das nötige Geld auszahlen werde: »Je vous prie de croire que vous m’obligez, lorsque vous en usez avec moi comme avec votre ami d’une v¦ritable libert¦. Vous prendrez la peine, s’il vous pla„t, de faire rendre la ci-jointe au sieur Jean Martin, banquier — Barcelone, lequel, — la lettre vue, vous donnera ce dont vous aurez besoin.«

Bussy-Rabutin fährt fort: »Je pris cinq cents ¦cus du banquier de Marchin, et je les lui rendis l’hiver suivant. Mais quoique bientút aprÀs il se jeta dans le parti d’Espagne, nous sommes demeur¦s bons amis tout le reste de sa vie.«849 Nicht nur belastet der Kredit die Freundschaft nicht, er festigt sie vielleicht sogar – dass diese Freundschaft belastbar ist, zeigt sich daran, dass sie es aushält, dass der eine Freund für Frankreich und der andere für Spanien kämpft. Der Kredit unter Freunden gibt jedem von beiden Gelegenheit, seine Tugenden unter Beweis zu stellen: der Gläubiger demonstriert Großzügigkeit, der gewissenhaft zurückzahlende Schuldner Zuverlässigkeit. Madame de S¦vign¦ hält Bussy-Rabutin in einem Brief aus dem Jahre 1668 vor, wie weit sie für ihn gegangen ist: sie hatte ihm Geld geliehen, und dies, obwohl sie sich vorher wegen der unvorteilhaften Darstellung Madame de S¦vign¦s in Bussy-Rabutins Histoire amoureuse des Gaules gestritten hatten. Sie schreibt ihm: »vous savez bien mÞme qu’aprÀs notre paix vous e˜tes besoin henden 15. Jahrhundert wird das Zinsverbot durch die Lehre vom »dreifachen Vertrag« umgangen: während die mittelalterliche thomistische Lehre nur bei geteiltem Risiko einen Gewinn auf geliehenes Geld erlaubte, setzte sich nun die Ansicht durch, ein Investor dürfe Geld verleihen, wenn er sich mit einem vorher festgelegten Zinssatz begnüge, der deutlich niedriger sei als der zu erwartende Gewinn, beispielsweise halb so hoch wie dieser ; cf. John Noonan, The Scholastic Analysis of Usury, London 1957, 204 – 205; Kloft, Das christliche Zinsverbot, op. cit., 31 – 32. Zum Kredit als sozialer Bindung Laurence Fontaine, L’¦conomie morale. Pauvret¦, cr¦dit et confiance dans l’Europe pr¦industrielle, Paris 2008. 848 Bernard Schnapper, Les Rentes au XVIe siÀcle. Histoire d’un instrument de cr¦dit, Paris 1957 (Affaires et gens d’affaires, 12), 9. – Zum frühneuzeitlichen Kreditwesen cf. Michael North, Artikel »Kredit«, in: Enzyklopädie der Neuzeit, op. cit., Bd. 7, Stuttgart 2008, 130 – 134; Ders. (Hg.), Kredit im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa, Köln/Wien 1991; Craig Muldrew, The Economy of Obligation. The Culture of Credit and Social Relations in Early Modern England, Basingstoke 2001. Die Charakteristika des Kredits werden auch diskutiert bei Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, hg. von Alexander Ulfig, op. cit., 57 – 58. 849 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 158 – 159.

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d’argent; je vous donnai une procuration pour en emprunter, et n’en ayant pu trouver, je vous fis prÞter sur mon billet deux cents pistoles de M. le Maigre, que vous lui avez bien rendues.«850 Der Brief ist voll von weiteren Vorwürfen, die sich auf Bussy-Rabutins Verhalten beziehen, und Madame de S¦vign¦ versteigt sich sogar zu der Aussage, sie würde ihn ohrfeigen, wenn er anwesend wäre. Nur aus diesem Kontext ist erklärlich, dass sie ihm die geleisteten Freundschaftsdienste vorrechnet; eigentlich widerspricht dies nämlich aristokratischen Verhaltensnormen. Wer einem Freund die geleisteten Dienste vorhält, erweist sich als kleinlich; die Marquise kann das hier nur tun, weil sie selbst von Bussy-Rabutin nichts einfordert, sondern ihn zu besserem Verhalten ermahnt. Neben Krediten gewähren Freunde einander auch finanzielle Vorteile. Gourville ist mit Messieurs de Lamoignon und de B–ville, den beiden Söhnen des premier pr¦sident de Lamoignon befreundet. Er spielt zunächst mit dem Gedanken, in ihrer Nähe ein Haus zu erwerben; schließlich aber zieht er eine andere Lösung vor : er streckt seinen beiden Freunden 40000 livres vor, damit sie ein Haus bauen können. Er sichert sich das Recht, immer dort wohnen zu dürfen. Die Summe soll über zwanzig Jahre mit jeweils 2000 livres pro Jahr zurückgezahlt werden, das Darlehen ist also zinslos.851 Derartige Fälle unterscheiden sich durchaus von den oben beschriebenen Krediten unter Freunden: hier ist es der Gläubiger, der den Kredit anbietet; zudem dient dieser einer Investition, von der Gläubiger wie Schuldner etwas haben, und die ohne das Darlehen überhaupt nicht zustande gekommen wäre. Auch im Falle von Kaufämtern kommt es vor, dass man sie seinen Freunden zu Vorzugspreisen verkauft. Der Fall der procureur-Charge Nicolas Fouquets wurde schon erwähnt:852 weil Monsieur de Harlay »son parent et extrÞmement de ses amis« ist, erhält er die Charge für 1,4 Millionen Pfund, obwohl Fouquet von anderer Seite ein Gebot über 1,8 Millionen Pfund erhalten hat.853 Man kann einem Freund auch in der Weise einen finanziellen Vorteil gewähren, dass man auf Abgaben verzichtet. Ein Beispiel findet sich bei BussyRabutin, der im Jahre 1655 Le Tellier einen solchen Gefallen erweist. Le Tellier will ein Haus kaufen, das sich in einem Teil von Paris befindet, der BussyRabutins Onkel, dem Grand prieur du Temple, untersteht. Bei solchen Verkäufen fallen die sogenannten »lods et ventes« an, d. h. Abgaben, die dem Feudalherrn zustehen, wenn ein von ihm abhängiges Grundstück den Besitzer wechselt.854 850 851 852 853 854

Madame de S¦vign¦, Lettres, hg. von Bernard Raffalli, op. cit., 59 – 62. Gourville, M¦moires, op. cit., 229. Cf. supra, Sprache der Freundschaft. Gourville, M¦moires, op. cit., 132. Im vorrevolutionären Frankreich gibt es einen doppelten Grundstücksmarkt. Jedes Grundstück hat potentiell zwei Eigentümer. Der Besitzer der »propri¦t¦ utile« hat das Recht, das Grundstück zu benutzen und weiterzuverkaufen; der Besitzer der »propri¦t¦ ¦minente«

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Bussy-Rabutin und sein Onkel verzichten nun auf die ihnen zustehende Abgabe; Bussy-Rabutin erklärt, sie wollten nur die Freundschaft des Ministers, nicht sein Geld: »Dans ce temps-l—, il s’offrit — moi une occasion de faire plaisir — M. le Tellier. Il acheta une maison dans la rue des Francs-Bourgeois, et comme elle ¦toit dans la justice du Temple, il m’envoya d’Arbon, son intendant, pour traiter des lods-et-ventes855 dus au grand prieur de France, mon oncle. Je lui dis que M. le grand prieur et moi ne voulions que l’amiti¦ de M. le Tellier et point son argent, et le lendemain je portai — d’Arbon la quittance du grand prieur, ne voulant pas moi-mÞme la donner — son ma„tre, de peur que cela ne par˜t trop chercher un remerc„ment. M. le Tellier m’en rendit mille gr–ces aussitút qu’il me vit.«856

Dass Bussy-Rabutin eigens betont, er habe, indem er sich an den Intendanten Arbon anstatt an den Minister selbst wendet, die Angelegenheit so arrangiert, dass sein Streben nach Dankbarkeit (oder einer Gegenleistung) nicht allzu offensichtlich wird, ist aufschlussreich. Die Beteiligten rechnen mit solchen Hintergedanken offensichtlich genauso wie Bussy-Rabutins Leser, denen gegenüber er auf seiner Großzügigkeit insistiert.

II.5.2. Politische Leistungen Der Bereich der »politischen« Freundschaftsdienste umfasst Kernbereiche dessen, was die Patronageforschung untersucht. Der Begriff des Politischen kann hier nur heuristischen Wert haben, zeichnet sich die höfische Gesellschaft doch gerade dadurch aus, dass sie das Politische nicht streng vom Privaten abtrennt: die dynastische Heiratspolitik ist dafür nur ein Beispiel, wenn auch ein besonders deutliches. Im Bereich der Freundschaft bedeutet dies, dass Bindungen der Sympathie auch als machtpolitische Allianzen verstanden werden. Anders gewendet: höfische Freundschaften sind grundsätzlich politische Freundschaften. Es gibt für die Höflinge keine von der Politik geschiedene Sphäre, in der sie rein auf Sympathie beruhende, »unpolitische« Freundschaften pflegen würden. Wenn hier mit Blick auf die ausgetauschten Leistungen von ist Feudalherr über das Grundstück, ihm stehen die Feudalabgaben zu, die ihm der Inhaber der »propri¦t¦ utile« schuldet. Sind beide Eigentumsarten in einer Hand, spricht man von »propri¦t¦ totale«; dies ist z. B. der Fall bei großen adligen Gütern, die von Pächtern bewirtschaftet werden. Zur Seigneurie und den verschiedenen Formen von Grundeigentum, die innerhalb der Seigneurie bestehen cf. Beik, A Social and Cultural History of Early Modern France, op. cit., 25 – 26. 855 Die Fußnote des Herausgebers definiert die lods-et-ventes als »droit p¦cuniaire pour la vente d’un bien relevant d’un seigneur.« 856 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 410.

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politischen Leistungen im Gegensatz zu anderen Leistungen gesprochen wird, so sind damit, wie oben erwähnt, diejenigen gemeint, bei denen es um Macht geht. Eine wichtige Leistung aus dem politischen Bereich ist das Verschaffen von Ämtern. Wenn die Grande Mademoiselle über Richelieu urteilt »il a laiss¦ — la plupart de ses h¦ritiers et de ses amis des charges et des gouvernements«,857 dann gibt es keinen Anlass, die Bezeichnung »Freunde« hier als Euphemismus zu sehen: an den geschilderten Freundschaften ist die Prinzessin nicht beteiligt, und Richelieu ist seit Jahrzehnten tot. Die Hierarchie zwischen Richelieu und seinen Gefolgsleuten braucht die Prinzessin auch nicht zu verschleiern, da sie offenkundig ist. Solche Beziehungen, in denen Ämter von mächtigen Adligen an weniger mächtige vergeben werden, gelten den Zeitgenossen offensichtlich als Freundschaften, da sie ja auch von Außenstehenden so beschrieben werden. Die Karriere seiner Freunde zu fördern, bringt politisches Gewicht und Ehre ein – wobei beides untrennbar verwoben ist. Hier greifen die von der Patronageforschung beschriebenen Mechanismen: der mächtigere Freund hat selbst ein vitales Interesse daran, dem mindermächtigen Freund zu helfen, um sich dessen Loyalität zu sichern. Gerade im höfischen Milieu, wo die Rangabstufungen nicht dichotomisch, sondern graduell sind, sind die Treuebindungen nicht selbstverständlich und können sich auch leicht wieder lösen. Dabei ist es durchaus nicht immer der mächtigere Freund, der den mindermächtigen fallenlässt; auch der mindermächtige Freund kann die Bindungen kappen, wenn der mächtige Freund zur Belastung wird. Die Rolle des Prinzen von Cond¦ in der Fronde zeigt das deutlich: La Rochefoucauld, Bussy-Rabutin, Tavannes und andere fallen der Reihe nach von ihm ab. Bei Bindungen des nichthöfischen Niederadels an Magnaten sieht es oft anders aus: diese im Vergleich zu den höfischen Freundschaften deutlicher hierarchischen Bindungen halten auch in der Fronde, so dass die Kleinadligen die Parteinahme ihres Patrons für oder gegen die Fronde meist mitvollziehen.858 Das ist sicher auch dadurch zu erklären, dass diese Bindungen im Gegensatz zu den ephemeren höfischen Allianzen oft auf einem Substrat traditioneller Feudalbindungen aufruhen, die sich als »Bastard feudalism« (also als ein System, in dem statt Lehen Geld vergeben wird)859 ins Spätmittelalter hinein fortsetzen und in der Frühen Neuzeit zu informellen Bindungen werden. Die Loyalitäten der kleinadligen Familien zu den Magnaten werden dabei von Generation zu Generation weitervererbt. Im Kontext von Cond¦s Rolle in der Fronde finden sich auch Beispiele, die deutlich zeigen, dass es für einen hohen Adligen wichtig ist, die Karriere seiner Freunde zu fördern. 1651, nach dem Ende der Gefangenschaft der Prinzen, will 857 M¦moires de la Grande Mademoiselle, op. cit., 43. 858 Cf. Kettering, Patronage and Politics during the Fronde, op. cit. 859 Zum Begriff des »Bastard Feudalism« cf. supra, Adelsmilieu und Hofgesellschaft.

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die Königin heimlich – über Anne de Gonzague – mit Cond¦ verhandeln; dabei wird das Angebot von Vorteilen für seine Freunde zu einem Lockmittel: »La Reine […] redoubla ses empressements pour gagner le Prince de Cond¦, soit afin de le mettre v¦ritablement dans ses int¦rÞts, ou de le rendre de nouveau suspect — tout ce qui avoit pris son parti. Dans cette v˜e, elle pressa la Princesse Palatine de faire expliquer le Prince sur ce qu’il pouvoit d¦sirer pour lui & pour ses amis, & lui fit faire des offres si avantageuses, que le Prince de Cond¦ se r¦solut enfin de traiter s¦crettement chez la Princesse Palatine, o¾ Servient et Lionne se trouvÀrent de la part de la Reine.«860

Sie sagt Cond¦ in einem Vertragsentwurf unter anderem zu »Qu’on donneroit la Guienne au Prince de Cond¦, avec la Lieutenance-G¦n¦rale pour celui de ses amis qu’il voudroit«.861 Dies ist ein durchaus geläufiges Muster bei der Vergabe von Ämtern: man erhält nicht nur das Amt selbst, sondern auch das Recht, die davon abhängigen Ämter nach eigenem Gutdünken zu besetzen. Die Besetzung dieser Posten geschieht, zumal in Abwesenheit standardisierter Rekrutierungsprozeduren für die Ämter,862 mit Freunden. Die Unfähigkeit, die Karriere der Freunde zu fördern, ist gefährlich für das eigene Ansehen. Als Cond¦ 1648 Ypern einnimmt, stellt sich die Frage, wer Gouverneur der Stadt werden soll. Diesen Posten vergibt Mazarin nicht an den von Cond¦ vorgeschlagenen Ch–tillon, sondern an Palluau. Dieser hat gerade die von ihm verteidigte Stadt Courtrai an die Spanier verloren – was am Hof strategischen Fehlern Cond¦s zugerechnet wird.863 Da sein Kandidat auf diese Weise übergangen wird, schreibt Cond¦ am 4. Juni 1648 an Mazarin einen Beschwerdebrief: »Je vois bien qu’il faut toutes les campagnes que je reÅoive une petite mortification, mais surtout il est assez rude de servir avec la passion avec laquelle je sers et de se voir hors d’¦tat de rien faire ni pour soi, ni pour ses amis. […] Je vois fort peu de gens dor¦navant qui se veuillent adresser — moi pour obtenir quelque gr–ce et je serai fort circonspect — en demander de peur de me discr¦diter tout — fait.«864

Cond¦s Hauptbeschwerdepunkt ist also nicht die Enttäuschung über die Zurücksetzung seines Kandidaten, sondern die Befürchtung, das eigene Ansehen zu verlieren. Die Konsequenzen des Verlustes von »cr¦dit« sind weitreichend: Cond¦ spricht das natürlich nicht aus, aber es ist klar, dass er um seine Machtposition fürchtet. 860 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 200. 861 Ebd., 200 – 201. 862 Für den Kirchenstaat wird dies erläutert bei Reinhard, Amici e creature, op. cit, 319; der Befund trifft für Frankreich auch zu. 863 Pujo, Le Grand Cond¦, op. cit., 128. 864 Archives de Chantilly P II 110 – 115, Minute.

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In vielen Situationen ist es so, dass der Freund nicht selbst über die Zuteilung des angestrebten Amtes oder Titels entscheiden kann; Hilfestellung kann er aber dennoch leisten. Ein weiterer wichtiger Freundschaftsdienst ist daher das Abgeben von Empfehlungen. Der Unterschied zwischen dem Freund, der eine Auszeichnung oder ein Amt zuteilt, und dem, der lediglich empfiehlt, ist klar abzutrennen von der Unterscheidung zwischen Ressourcen erster und zweiter Ordnung, die Jeremy Boissevain vornimmt:865 dort geht es nicht um die Frage, ob der Handelnde tatsächlich über die zugeteilten Ressourcen entscheidet, denn das wird vorausgesetzt; vielmehr geht es darum, ob er Ressourcen aus seinem eigenen Besitz (erster Ordnung) oder anderen gehörende Ressourcen (zweiter Ordnung) verteilt. Bassompierre erwähnt, dass er einmal einem Freund durch Empfehlung dazu verholfen hat, Bischof von Rennes zu werden.866 Fontenay-Mareuil berichtet in einem Rückblick sogar, dass Heinrich IV. die Praxis der Empfehlungen von Freunden bewusst gefördert habe: »Quand il avoit quelque charge vacante, il ne la donnoit jamais que tous ceux qui la pouvoient pr¦tendre n’eussent eu le temps de la venir demander […] afin de n’estre pas surpris, et de pouvoir mieux choisir ; escoutant tout le monde, et souffrant que ceux qui l’approchoient parlassent pour leurs amis, et l’informassent de ce qui faisoit pour eux, et qu’ils n’eussent peut-estre pas os¦ dire eux-mesmes«.867

Der König macht sich hier also die Empfehlungen der Freunde als Informationsinstrument zunutze: es steht einem honnÞte homme nicht an, seine eigenen Qualitäten zu rühmen – diejenigen seiner Freunde aber kann er natürlich loben. Es ist im höfischen Kontext diskreter und gerade deshalb wohl auch effektiver, sich von einem Freund für ein Amt empfehlen zu lassen, als sich selbst darum zu bewerben. Freunde können nicht nur für Ämter und Titel, sondern auch für weniger formalisierte höfische Auszeichnungen empfehlen. Gourville erhält im Jahre 1661 eine Einladung, mit dem König »petite prime« zu spielen.868 Dass er be865 Jeremy Boissevain, Friends of Friends. Networks, Manipulators and Coalitions, Oxford 1974, 147 – 148. Ähnlich Rolf Pflücke, Beiträge zur Theorie von Patronage und Klientel. Eine vergleichende Soziologie der Gefolgschaft, Augsburg 1972, 38, der »primäre Klientelherrschaft« aufgrund eigener Ressourcen und »sekundäre Klientelherrschaft« aufgrund von Kontakten und Einfluss, die der Patron nutzen kann, unterscheidet. Den Zuwachs an Handlungsspielraum, der einem Vermittler entsteht, der Ressourcen zweiter Ordnung aus verschiedenen Quellen mobilisieren kann, betont Klein, Regeln der Patronage, op. cit., 29 – 31. 866 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XXI, 412. 867 FranÅois Duval, Marquis de Fontenay-Mareuil, M¦moires, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 2/5, Paris 1837, 1 – 292, hier 22. 868 Die Prime ist ein Kartenspiel, bei dem nur vier Karten ausgegeben werden, wobei es zwei

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hauptet, sich nicht erklären zu können, wie er zu dieser Ehre kommt, mag Koketterie sein; interessanter ist, dass er die Einladung auf das Eingreifen von Freunden von Freunden zurückführt: »Vers le commencement de 1661, je ne sais par quel bonheur je me trouvai — l’appartement de Mme la comtesse de Soissons, o¾, le Roi ¦tant venu pour jouer — la petite prime et n’ayant trouv¦ que Mme la mar¦chale de la Fert¦, qui avait accoutum¦ de jouer avec lui et une autre dame, il me commanda d’Þtre de la partie. Je crus devoir l’honneur qu’on me fit — Mme la comtesse de Soissons, qui ¦tait des amies de M. de Vardes, et moi des siens.«869

Freunde können auch als Bittsteller auftreten. Dieser Freundschaftsdienst kann durchaus riskant sein: wer sich für eine persona non grata einsetzt, läuft Gefahr, selbst mit Aufruhr und Verschwörung identifiziert zu werden. Das Agieren als Bittsteller kann als ein Pendant zur Empfehlung gesehen werden: soll dort dem Freund ein Vorteil erwirkt, soll hier ein Nachteil vermieden respektive rückgängig gemacht werden. Während der Gefangenschaft der Prinzen setzen sich ihre Freunde für ihre Freilassung ein; als Pierre Coste über die Freilassung Cond¦s berichtet, erwähnt er »ses amis qui s’¦toient employ¦s avec tant de chaleur pour sa libert¦«.870 Auch die Rückkehr aus dem Exil kann erleichtert werden, wenn Freunde ein gutes Wort einlegen. Als Gourville aus dem Exil zurückkehrt, steht die Tatsache im Raum, dass er ein enger Mitarbeiter Nicolas Fouquets gewesen war, der wegen Korruption zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist; er muss daher fürchten, gerichtlich belangt zu werden, solange er kein Begnadigungsschreiben erhält. Dass er dieses Schreiben schließlich bekommt, hängt nach seiner eigenen Darstellung maßgeblich mit dem Eingreifen seiner Freunde zusammen: »Je suis bien aise de me souvenir ici qu’— mon retour d’Espagne, o¾ j’avais ¦t¦ pour les affaires de Monsieur le Prince, ¦tant — Chantilly, aprÀs avoir obtenu des lettres d’abolition, M. le premier pr¦sident de Lamoignon et M. de Harlay, qui l’est aujourd’hui, pour lors procureur g¦n¦ral, — la sollicitation de quelques-uns de mes amis, les firent ent¦riner au Parlement sans aucune autre formalit¦, ce qui ne s’est peut-Þtre jamais fait et ne se verra plus.«871

Obgleich er strafrechtlich begnadigt ist, hängt allerdings immer noch das Damoklesschwert von Restitutionsforderungen über ihm. Es gelingt ihm aber, die Freundschaft des neuen contrúleur g¦n¦ral Pontchartrain zu erlangen: Sorten gibt, grande und petite prime; cf. Dictionnaire de l’Acad¦mie franÅaise, Sechste Ausgabe, Bd. 2, Paris 1835, 502. Zur Ludologie der Frühen Neuzeit cf. Philippe AriÀs/JeanClaude Margolin (Hg.), Les Jeux — la Renaissance, Paris 1982. 869 Gourville, M¦moires, op. cit., 128. 870 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 198. 871 Gourville, M¦moires, op. cit., 144.

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»M. de Pontchartrain fut fait contrúleur g¦n¦ral, lorsque M. le Peletier, qui y contribua autant qu’il put, voulut quitter cette place. DÀs qu’il eut celle d’intendant des finances, j’avais commenc¦ d’en Þtre connu, et, peu — peu, ayant eu assez de commerce avec lui, il m’honora de quelques marques d’estime et de son amiti¦.«872

Pontchartrain verschafft ihm Anfang der 1690er Jahre das entsprechende Schreiben des Königs; damit ist Gourville vollständig begnadigt. Es kann auch ein Freundschaftsdienst sein, Freunde gegen Vorwürfe in Schutz zu nehmen. Ein Beispiel findet sich bei Bussy-Rabutin. Als er im Oktober 1652 mit Mazarin zusammentrifft, sprechen sie über die kurz zuvor erfolgte Einnahme von Montrond. Mazarin erwähnt, dass er mit Palluaus Rolle nicht zufrieden ist, da dieser die beschlossene Schleifung der eroberten Festung hinauszögert: »En me parlant de Montrond, il me fit conno„tre qu’il n’¦toit pas content du comte de Paluau, me disant qu’on avoit beau le presser de raser cette place, qu’il diff¦roit toujours sur de m¦chantes excuses; qu’il pensoit peut-Þtre que cela le feroit plus tút mar¦chal de France, mais qu’il se trompoit. J’excusai mon ami le mieux qu’il me f˜t possible. Je repr¦sentai qu’il ¦toit malade, et qu’il avoit toutes les peines du monde d’avoir de la poudre pour faire sauter les bastions; et quoique tout cela f˜t v¦ritable je ne pus jamais le persuader au cardinal.«873

Das erwähnte Beispiel dient im Kontext der Memoiren zwar sicherlich BussyRabutins Selbstdarstellung als treuer Freund; andererseits stellt er seine Verhaltensweise auch nicht als so außergewöhnlich heraus, dass man Anlass hätte, an der Gängigkeit dieser Praxis zu zweifeln. Auch die Verleumdung von Feinden der eigenen Freunde kann ein Freundschaftsdienst sein. Sie ist in gewisser Weise ein negatives Pendant zur Empfehlung: während man bei der Empfehlung den Vorteil des Freundes anzielt, zielt die Verleumdung auf Nachteile der Feinde des Freundes – was sich für ihn wiederum als Vorteil herausstellen kann. Gourville berichtet eine Geschichte von Monsieur Rose, einem Nachbarn der Cond¦-Ländereien, der mit dem Prinzen in einem Nachbarschaftsstreit liegt. Er gibt zwar kein Datum an, die Geschichte spielt sich aber nach einer Spanienreise Gourvilles im Jahre 1669 ab, vermutlich also Anfang der 1670er Jahre. Gourville, der zu diesem Zeitpunkt bereits die Finanzen Cond¦s verwaltet, gerät in die Schusslinie des Streits. Louvois hinterbringt Gourville, dass ein gewisser Monsieur de Seyron ihm Schlechtes über ihn, Gourville, erzählt hat; Gourville vermutet dahinter Rose, was Louvois einleuchtet: »il me dit qu’il en ¦tait persuad¦, parce qu’ils [sc. Rose und Seyron] ¦taient bons amis.«874 Selbst wenn man Gourville, der in diesem 872 Ebd., 258. 873 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 337 – 338. 874 Gourville, M¦moires, op. cit., 205.

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Streit Partei ist, nicht glauben will: seine Feinde bei einem Minister verleumden zu lassen, wäre in der Tat eine erfolgversprechende Machtstrategie. Einen Freund – in diesem Fall Seyron – vorzuschicken verschleiert dann die Motive der Verleumdung, da dieser Freund ja nicht selbst Konfliktpartei ist. Rose weiß aber ganz offensichtlich nicht, dass er einen Freund des Ministers bei diesem verleumden lässt, so dass der Minister selbst die Information an die Gegenpartei weitergibt. Hier zeigt sich zugleich wieder die Wichtigkeit von Freundschaften als Informationskanäle; interessant ist zudem, dass die beiden sozialen Aufsteiger Gourville und Louvois sich anfreunden, obwohl ja Gourville für den begnadigten Rebellen Cond¦ arbeitet. Gourville notiert allerdings, dass Louvois ein schwieriger Freund gewesen sei, und dass dessen Vater Le Tellier ihrer Freundschaft skeptisch gegenübergestanden habe: »M. de Louvois, bientút aprÀs, trouva bon de me mettre dans sa confidence, et, si j’ose dire, dans son amiti¦, autant qu’il en ¦tait capable. Cela alla mÞme plus loin que M. Le Tellier ne le souhaitait«.875 Freundschaft ist oft ein Faktor, der zu Heiraten führt. Dabei kann man in die Familie eines Freundes einheiraten; hier soll aber zunächst ein anderer Aspekt interessieren, nämlich die Situation, in der ein Freund sich einem anderen als Heiratsvermittler zur Verfügung stellt. Diese Rolle des Freundes ist durchaus nicht unbedeutend. Heiraten sind wichtige Faktoren der Neukonfiguration des machtpolitischen Gefüges innerhalb des Adels; wer solche vermittelt, stellt unter Umständen wichtige Weichen. Der Historiograph Pierre Coste berichtet die Geschichte von Cond¦ und Ch–tillon, die sich beide gleichzeitig in Elisabeth-Ang¦lique de MontmorencyBoutteville verlieben.876 Coste ist gegenüber Cond¦ sehr ehrerbietig, daher nimmt sich das Verhalten der Protagonisten dieser Geschichte bei ihm sehr viel ritterlicher aus als bei Bussy-Rabutin in der Histoire amoureuse des Gaules, wo eine andere Version derselben Begebenheit geschildert wird; auch dort ist Cond¦ Helfer für Ch–tillons Heirat, aber Bussy-Rabutin führt hämisch an, Ch–tillon habe seine Frau bereits drei Tage nach der Hochzeit verlassen, was bei Coste nicht vorkommt.877 Bei Coste zeigt die Geschichte vielmehr den traditionellen literarischen Topos von den beiden Freunden, die sich in die gleiche Frau verlieben, was eine Entscheidung nötig macht, wer von beiden auf sie verzichten muss. Cond¦, so Coste, habe zugunsten seines Freundes verzichtet, weil dieser 875 Ebd. 876 Elisabeth Ang¦lique de Montmorency-Bouteville, auch genannt Isabelle Ang¦lique (1624 – 1695), ist die Tochter von FranÅois de Montmorency-Bouteville, der 1627 als Duellant hingerichtet wurde. 1645 heiratete sie Gaspard IV. de Coligny, seit 1646 Herzog von Ch–tillon. Nach seinem Tod 1649 heiratete sie 1664 in zweiter Ehe Herzog Christian Ludwig I. von Mecklenburg-Schwerin. 877 Bussy-Rabutin, Histoire amoureuse des Gaules, hg. von Antoine Adam, op. cit., 94.

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anders als Cond¦ entschlossen gewesen sei, Elisabeth-Ang¦lique zu heiraten. Cond¦ willigt in diese Heirat ein und hilft Ch–tillon sogar, das Mädchen gegen den Widerstand von dessen Familie zu entführen: »ce Duc le pria de se d¦faire de son amour, puisqu’il n’avoit pour but que la galanterie, & que lui songeoit au mariage. Le Prince, qui ¦toit son parent & son ami, ne fit pas difficult¦ de lui accorder sa demande, & lui promit non-seulement qu’il n’y songeroit plus, mais encore qu’il le serviroit dans cette affaire contre le MarÞchal son PÀre & ses Parens, qui s’y opposoient. Et en effet ce Prince lui donna les moyens d’enlever Mademoiselle de Bouteville, & lui prÞta vingt mille livres pour s’entretenir.«878

Damit ist Cond¦s Hilfe in dieser Angelegenheit noch nicht beendet: er gewährt dem jungen Ehepaar Zuflucht auf seiner Festung Stenay. Bei Bussy-Rabutin findet sich ein Beispiel, wo die Familien in die Heirat einverstanden sind; trotzdem spielt ein Freund eine hilfreiche Rolle. BussyRabutins Vater will ihn mit einem Mädchen aus Ch–lons verheiraten, das 400000 livres Mitgift hat; Bussy-Rabutin ist damit einverstanden, »et pour bien enfourner dans cette affaire, je m’adressai — un de mes amis, parent de la demoiselle, qui m’instruisit de la conduite que je devois tenir.«879 Hier leitet der Freund zwar das Heiratsprojekt nicht selbst in die Wege, trägt aber durch Ratschläge zu dessen Erfolg bei. Der Freund als Heiratsvermittler ist also jemand, der sein soziales Kapital benutzt, um einem Freund die Anbahnung einer Heirat zu ermöglichen, die dieser aus eigener Kraft nicht beginnen könnte, weil er die entsprechenden Kontakte nicht hat. Aber auch wenn die beiden Familien schon miteinander bekannt sind, kann der Freund als Heiratsvermittler eine wichtige Rolle spielen, dann nämlich, wenn er enge Beziehungen zu einer oder zu beiden beteiligten Familien hat; er stellt sie dann zwar nicht einander vor, macht sie aber besser miteinander bekannt und intensiviert ihre Beziehung. Seine Leistung ist also entweder die Herstellung der Bekanntschaft oder die Erleichterung der Heiratsanbahnung durch Empfehlungen. Davon zu unterscheiden ist jener Fall, in dem zwei Freunde ihre Familien durch Heirat miteinander verbinden. Das Konnubium ist eine kritische Schwelle von Sozialbeziehungen, noch mehr als die Kommensalität; mit wem man sich an einen Tisch setzt, drückt aus, wen man als qualifiziert für den gesellschaftlichen Umgang ansieht. Wen man aber heiratet oder mit wem man seine Kinder verheiratet, ist eine viel existentiellere Frage. Die Bindung ist dauerhaft, sie hat Auswirkungen auf das Vermögen und bringt die nächste Generation der Familie hervor. Es verwundert daher nicht, dass im französischen Adel das Konnubium noch weit restriktiveren Regeln unterliegt als die Kommensalität. Adlige sind 878 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 180 – 181. 879 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 57.

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grundsätzlich qualifiziert, miteinander an einem Tisch zu essen; die Hierarchiedifferenzen können dann durch die Sitzordnung adäquat ausgedrückt werden. Das Konnubium dagegen ist ohne Ansehensverlust normalerweise nur zwischen Angehörigen von Familien möglich, deren Rang sich nicht allzu sehr unterscheidet, ansonsten gilt die Verbindung für die höherrangige der beiden beteiligten Familien als M¦salliance. Dabei gibt es eine gewisse Freiheit für die Eltern von Söhnen, da im Ancien R¦gime der Status einer Familie vom Mann als ihrem Oberhaupt abhängt; während also eine adlige Frau, die einen Bürgerlichen heiratet, aus dem Adel ausscheidet, gilt das nicht für den adligen Ehemann einer bürgerlichen Frau. Jenseits der juristischen Ebene gibt es aber feinere Unterschiede hinsichtlich des Prestiges, die für hochadlige Familien bereits Verbindungen mit den unteren Rängen des Adels als Zumutung, wenn nicht gar als Schande erscheinen lassen, und zwar auch im Fall einer Schwiegertochter. Das gilt erst recht für Verbindungen mit dem Amtsadel oder gar mit dem Großbürgertum. Wenn man nun die eigene Familie durch Heirat an die eines Freundes bindet, so kann man das entweder in der eigenen Generation tun oder in der folgenden. Im ersten Falle heiratet man also in die Familie des Freundes ein, im zweiten verheiratet man die eigenen Kinder mit denen des Freundes. Für den ersten Fall sei Gourville zitiert, dem, wie erwähnt, sein Freund Langlade anbietet, seine Schwester zu heiraten. Die Situation ist prekär : ganz offensichtlich sind es auch finanzielle Gründe, die den verarmten Adligen Langlade dazu bewegen, dem reichen homo novus Gourville die Hand seiner Schwester anzubieten. Gourville willigt ein, ohne die Schwester gesehen zu haben – man darf vermuten, dass er hier eine gute Gelegenheit sieht, seinen sozialen Aufstieg durch die Einheirat in eine Adelsfamilie abzusichern. Gourville beschreibt die Szene, wie er der Schwester Langlades vorgestellt wird, sarkastisch: »Il m’avait propos¦ d’¦pouser sa sœur, et, de bonne foi, j’avais eu envie de lui faire ce plaisir. En allant en Guyenne, j’avais pass¦ en P¦rigord, chez son pÀre, qui demeurait dans le ch–teau de Limeuil, qui appartient — M. de Bouillon. Mais, comme le ch–teau ¦tait ruin¦, la demoiselle logeait dans un endroit qui avait autrefois servi d’office. On me la fit voir dans son lit, par¦e autant qu’on l’avait pu; mais, entre autres choses, elle avait deux pendants d’oreille de crin rouge, quasi gros comme le poing, qui ne faisaient pas un trop bon effet avec son visage, qui ¦tait p–le et fort brun. Ce spectacle me fit voir que j’¦tais engag¦ un peu l¦gÀrement de l’¦pouser et me fit r¦soudre — chercher les moyens de ne le pas faire; et, pour ne pas trop choquer mon ami, je r¦solus de dire — M. de Langlade, — mon retour, que, ne me sentant aucune inclination pour le mariage, je donnerais trois mille pistoles pour marier sa sœur : ce qu’il reÅut tant bien que mal;

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mais enfin il crut qu’il ¦tait toujours bon de prendre les trois mille pistoles, avec quoi elle fut mari¦e — un gentilhomme du Poitou, et mourut quelque temps aprÀs.«880

Indem er Langlade die Mitgift für seine Schwester bezahlt, kauft sich Gourville faktisch von der Verlobung frei. Wie oben erwähnt, ist es wahrscheinlich, dass er damit das Verhältnis zu Langlade ruiniert. Für den zweiten Fall sei eine Bemerkung Gourvilles über zwei Adlige aus seinem Bekanntenkreis, Cl¦rambault und La Feuillade, zitiert. Er ist der Ansicht, dass sie wohl ihre Kinder miteinander verheiratet hätten, wenn La Feuillades Sohn nicht gestorben wäre: »S’il avait v¦cu, je crois que Monsieur son fils e˜t ¦pous¦ Mlle de Cl¦rembault, par l’union ¦troite et l’amiti¦ qui paraissait entre ces deux Messieurs.«881 Interessant ist hieran, dass Gourville nicht von einem konkreten Heiratsprojekt berichtet, sondern vielmehr aus der engen Freundschaft der beiden Adligen folgert, dass sie früher oder später einen solchen Entschluss gefasst hätten. Es erscheint ihm also natürlich, dass eine lange bewährte Freundschaft schließlich in eine Verschwägerung der Familien mündet.

II.5.3. Militärische Leistungen Die militärischen Leistungen wurden eingangs als solche definiert, die mit der Ausübung von Gewalt respektive dem Schutz vor ihr zu tun haben. Sie werden im Laufe der Frühen Neuzeit zunehmend heikler, da das alleinige Recht auf legitime Gewaltanwendung immer massiver vom Staat beansprucht wird. Die gewissermaßen harmloseste Variante dieser Form von Freundschaftsdiensten ist die Eskorte. Sie ist defensiv, gedacht zum gegenseitigen Beistand bei der Durchquerung gefährlicher Gegenden. Sie bewegt sich noch innerhalb der Grenzen der Legalität. Eskorten sind in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als nach dem Ende der Fronde eine allgemeine Pazifizierung Frankreichs erfolgt, nicht mehr so dringlich wie während der Fronde und erst recht während der Religionskriege – vor allem in diesen beiden Epochen werden Eskorten häufig beschrieben. So bittet Cheverny während der Religionskriege den mar¦chal d’Aumont, mit dem er eng befreundet ist, seine Kinder in sicheres Gebiet zu eskortieren, was dieser gerne tut, auch wenn er dafür wohl einen Umweg in Kauf nehmen muss.882 Wer selbst über eine militärische Kommandostelle verfügt, kann auch Truppen abstellen, um Freunde zu beschützen; so will, wie Madame 880 Gourville, M¦moires, op. cit., 219 – 220. 881 Ebd., 243. 882 M¦moires de Messire Philippe Hurault, comte de Cheverny, chancelier de France, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 1/10, Paris 1838, 459 – 614, hier 508.

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de La Guette berichtet, der Graf von Grancey seinem Freund La Guette während der Fronde eine Wache zum Schutz schicken.883 Bei Eskorten geht es nicht nur um den Schutz vor feindlichen Truppen, sondern auch vor Wegelagerern. Sie müssen deshalb nicht immer aus ganzen bewaffneten Verbänden bestehen; abseits von Kampfgebieten oder in Friedenszeiten können auch Einzelpersonen den Schutz von Reisenden übernehmen. So lässt Madame de La Guette, als sie ihre drei Töchter zur Erziehung in ein Kloster schickt, diese von lediglich zwei Freunden begleiten.884 Als sie selbst ihren Mann bei dessen Truppen besuchen möchte, wendet sie sich an einen Freund ihres Mannes, dem sie versichert, es wäre ihrem Mann recht, wenn sie in Begleitung dieses Freundes zu ihm reise.885 Ihre Reise gestaltet sich nun so, dass sie von einem Freund ihres Mannes jeweils bis zum Aufenthaltsort eines weiteren Freundes eskortiert wird; sie reist also von einem Punkt im Freundschaftsnetzwerk ihres Mannes zum nächsten. Dabei leisten die Freunde ihres Mannes ihr diesen Dienst nicht widerwillig; als sie z. B. zum Gouverneur von P¦rigueux kommt, erklärt ihr dieser, sie müsse nur den Befehl zum Aufbruch geben, und er stelle ihr Kutsche, Sänfte und seine Geldbörse zur Verfügung.886 Dabei ist nicht klar, ob sie diese Freunde früher schon persönlich kannte; es kann sich auch um Freundschaftsdienste handeln, die ihr in ihrer Eigenschaft als Ehefrau eines Freundes angeboten werden. Eskorten haben aber nicht immer nur militärische Bedeutung: sie können auch den Hauptzweck haben, die Bedeutung des Eskortierten herauszustellen. 1613 reist Bassompierre nach Rouen, wo er seit längerem einen Prozess laufen hat; er reist mit einigen Freunden, andere kommen nach, so dass zeitweise über zweihundert Edelleute mit ihm in Rouen sind.887 Dabei bleibt ambivalent, was er mit dieser Eskorte bezweckt; einerseits könnte sie lediglich dazu dienen, seinen Rang zu unterstreichen, andererseits aber auch, zumindest unterschwellig, den Zweck haben, die Prozessgegner oder gar das Gericht einzuschüchtern. Zumindest große Eskorten werden traditionell auch nach dem gleichen Muster zusammengezogen wie Heere, nämlich durch die Mobilisierung von Freunden von Freunden.888 Dabei ist die Grenze zwischen rein defensiver Es883 M¦moires de Madame de La Guette, M¦moires, op. cit., 80. – Die Stellung der Wache erübrigt sich, da Grancey selbst im Hause La Guette einquartiert wird. 884 Ebd., 108. 885 Ebd. – Der Freund rät ihr aus Sicherheitsgründen dringend ab, bietet ihr auch den Freundschaftsdienst an, an ihrer Stelle ihren Mann zu besuchen (das Ziel der Reise soll sein, M. de La Guette zur Rückkehr aus dem Feld zu überreden), sie aber insistiert. 886 Ebd., 117 – 118. 887 Bassompierre, Journal de ma vie, op. cit., Bd. XX, 37. 888 Cf. infra, Freunde von Freunden.

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korte und zumindest potentiell offensiver Streitmacht fließend. Deutlich wird dies, als im Jahre 1650 La Rochefoucaulds Vater stirbt. Unter der Hand verwandelt sich die anlässlich des Begräbnisses zusammengezogene Eskorte in ein Heer, wie Gourville berichtet: »M. le prince de Marsillac, pour lors devenu M. de La Rochefoucauld par la mort de son pÀre, d¦c¦d¦ au ch–teau de La Rochefoucauld, sous pr¦texte de faire conduire son corps — Verteuil, o¾ ils sont inhum¦s, assembla deux ou trois cents gentilshommes, avec les valets et autres gens de ses terres. Ayant fait jusqu’— six ou sept cents hommes de pied, ils accompagnÀrent le corps — Verteuil. Alors M. de La Rochefoucauld proposa — ses amis d’aller avec lui — Saumur, o¾ le gouverneur, qui ¦toit mis par M. le mar¦chal de Br¦z¦, promettoit de le recevoir. Il marcha jusqu’— Lusignan; et m’ayant envoy¦ devant pour avertir le gouverneur de sa marche, j’appris en approchant sont trait¦ avec le Roi, et qu’il y avoit reÅu ses troupes. Je revins aussitút en porter la nouvelle — M. de La Rochefoucauld, qui arrivoit — Lusignan; ce qui l’obligea — s’en retourner, et — cong¦dier ses amis.«889

Hier zeigt sich, in welchem Maße die bewaffnete Selbstverteidigung der Adligen problematisch ist: sie kann jederzeit mit dem Anspruch des werdenden Staates auf Monopolisierung der Gewalt kollidieren. Ob La Rochefoucauld allen seinen Freunden, die er versammelt, von vornherein klarmacht, dass er die Eskorte offensiv einsetzen will, ist nicht klar ; es scheint eher, dass einmal zusammengezogene Verbände zu unterschiedlichen Zwecken einsetzbar sind. Ein anderes Phänomen adliger Gewaltausübung wird von der Staatsmacht de facto geduldet, obwohl es de jure verboten ist (und dieses Verbot auch immer wieder punktuell durch abschreckende Exempel durchgesetzt wird): die Rede ist vom Duell. Beim Duell sind die Freunde vor allem als Sekundanten wichtig. Bussy-Rabutin berichtet in diesem Kontext eine Geschichte, bei der seine Freunde ihm wichtige Unterstützung liefern. Eines Abends im Jahr 1638 kommt Bussy-Rabutin mit vier seiner Freunde aus der com¦die de l’hútel de Bourgogne, als ein junger Gascogner mit Namen Busc ihn anspricht und behauptet, BussyRabutins Onkel habe ihn beleidigt; da jener sich aber in der Provinz aufhalte, wolle er anstatt seiner Bussy-Rabutin zum Duell fordern. Das Gespräch wird hitzig, und es kommt zum Kampf: »Et en disant cela, nous m„mes l’¦p¦e — la main tous deux en mÞme temps. Il n’avoit qu’un de ses amis avec lui, et moi j’en avois quatre, auxquels il s’en joignit encore d’autres m’entendant nommer, lesquels mirent tous l’¦p¦e — la main et vinrent se ranger auprÀs de moi. Je les priai de me laisser faire seul, et en mÞme temps je m’avanÅai sur Busc, qui reculoit le long de la rue si vite, qu’— peine le pouvois-je atteindre: cela me

889 Gourville, M¦moires, op. cit., 495.

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donna mauvaise opinion de lui; cependant il ¦toit fort brave, mais le nombre de mes amis l’¦pouvanta d’abord, ne sachant pas si je m’en voudrois pr¦valoir.«890

Busc flieht zunächst; nach einigen Tagen erscheint er jedoch mit vier Edelleuten vor Bussy-Rabutins Logis und wiederholt die Duellforderung. Bussy-Rabutin kommt mit seinen vier Freunden zum vereinbarten Duellort bei Bourg-la-Reine. Als aber das Duell gerade beginnen soll, erscheint ein fünfter Adliger, der auf Buscs Seite kämpfen will. Es ist nun bemerkenswert, dass der Kampf nicht stattfindet: die beiden Parteien achten strikt darauf, dass eine gleiche Anzahl von Adligen auf beiden Seiten kämpft. Die Lösung, die sie finden, überrascht: »Comme il se trouva avoir un homme plus que moi, nous r¦sol˜mes, les deux partis ensemble, que j’enverrois un de mes amis — Paris en chercher un, et cependant de nous aller au Bourg-la-Reine dans une hútellerie faire collation.« Es ist nicht ganz klar, ob beide Duellparteien die »collation« zusammen einnehmen. Wenn ja, so wäre es ein erstaunliches Beispiel dafür, in welchem Ausmaß eine ritualisierte Form der gewaltsamen Konfliktlösung wie das Duell die Konflikte vom Alltag abkapselt: so lange das Ritual nicht begonnen hat, kann man höflich miteinander umgehen. Der Freund, den Bussy-Rabutin nach Paris geschickt hat, kommt abends dort an; da er annimmt, dass die meisten Adligen ohnehin ausgegangen sein werden, stellt er sich auf den Pont-Neuf. Dort überredet er einen ihm unbekannten Musketier, beim Duell auszuhelfen; er erzählt ihm von Bussy-Rabutins Notlage, »la peine o¾ j’¦tois d’avoir un ami pour m’aider — vider une querelle«. Der Gebrauch des Freundschaftsbegriffs ist hier ganz offensichtlich durch die Dualität von Freund und Feind bestimmt: der Musketier kann ja bisher nicht Bussy-Rabutins Freund gewesen sein, da er ihn offenbar gar nicht kennt. Er würde aber zu seinem Freund, wenn er auf seiner Seite in einem Duell kämpfte. Bussy-Rabutins Freund und der Musketier verirren sich jedoch auf dem Weg nach Bourg-la-Reine; die verhinderten Duellanten, die dort warten, kehren aus Furcht vor einer Festnahme schließlich am späteren Abend nach Paris zurück. Busc schlägt Bussy-Rabutin nun vor, dass beide ihre Freunde wegschicken und sich alleine duellieren sollen. Der Kampf findet am Morgen darauf statt; zwar stirbt keiner von beiden, aber Busc muss schwerverletzt aufgeben.891 Es fällt auf, dass das Duell ohne Freunde als Sekundanten hier eine Notlösung ist, die erst am Ende der vergeblichen Versuche steht, auf beiden Seiten die gleiche Zahl von Freunden, also von kämpfenden Sekundanten zu versammeln. Ein weiterer Freundschaftsdienst, der mit der Anwendung von Gewalt zu tun hat, ist die Befreiung von Gefangenen. Er ist ein deutlicherer Akt des Ungehorsams gegen die Staatsmacht als das Duell. Beim Duell wird zwar auch ein 890 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., Bd. I, 21 – 22. 891 Ebd., Bd. I, 21 – 25.

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staatliches Verbot übertreten, die ausgeübte Gewalt richtet sich aber gegen einen anderen, ebenfalls bewaffneten Adligen, der seinerseits durch die Teilnahme am Duell das Verbot übertritt; das macht im übrigen das Duell auch zu einer Verhaltensweise, die auch für den adligen Ehrenkodex akzeptabel, ja sogar ruhmreich ist – was für Gewalt gegen Unbewaffnete nicht gelten würde. Bei der Befreiung von Gefangenen aber richtet sich die Gewalt gegen die Staatsmacht selbst, konkret verkörpert in ihren Gefängnissen und deren Wächtern. Die Gefangenschaft der Prinzen in den Jahren 1650 – 51 liefert hierfür ein Beispiel. Als sie in Marcoussy festgehalten werden, arbeiten ihre Freunde an einem Fluchtplan; dieser sickert allerdings durch, daraufhin werden die Prinzen in das Gefängnis von Havre-de-Gr–ce verlegt. Aus dem Gefängnis heraus bitten sie ihre Freunde, zu warten; Coste notiert: »[les princes] firent savoir — leurs amis de se reserver pour une plus favorable occasion.«892 Umgekehrt kann der Freundschaftsdienst auch darin bestehen, einen Freund nicht aus dem Gefängnis zu befreien, sondern ihn von vornherein dem Zugriff der Justiz zu entziehen. Dies tut Cond¦, als er den Marquis von Saint-Etienne beschützt, der wegen Entführung der Mademoiselle de Salnove gerichtlich verfolgt wird.893 Von solchen Handlungen ist es nicht mehr weit bis zur offenen Rebellion. Die Teilnahme an der Revolte des Freundes kann als derjenige Freundschaftsdienst gelten, bei dem die Staatsmacht am deutlichsten herausgefordert wird: die Konfrontation ist offen und von längerer Dauer, im Gegensatz zu den oben erwähnten punktuellen Übertretungen von Gesetzen. Coste berichtet, dass die Freunde der Prinzen bewusst Unruhen anzetteln, um die Prinzen freizubekommen: »La Cour eut bientút de nouvelles affaires sur les bras. Malgr¦ les avantages qu’elle venoit de remporter, les amis des Princes continuerent — exciter de nouveaux troubles dans le Royaume, pour leur procurer la libert¦.«894 Freunde kann man auch versammeln, um ein aufständisches Heer aus ihnen zu formen. Tavannes berichtet, dass der Hof genau dies befürchtet, als Cond¦ in Bordeaux einzieht: »le Prince qui sÅavoit que le Roi devoit bien-tút aller en personne — Bourdeaux, s’y rendit en diligence avec Messieurs de Conty & de Nemours, & y fut reŘ par les Bourdelois comme leur sauveur. A son arriv¦e il en chassa le Premier President comme ennemi, visita les places de la Province, & prepara toutes choses pour la guerre. Ce qui obligea la Cour — h–ter la marche du Roi, pour úter — Son Altesse le loisir d’assembler des forces & des amis pour une longue d¦fense, & — donner cependant les ordres n¦cessaires pour assi¦ger Mont-Rond.«895

892 893 894 895

Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 185. B¦guin, Les Princes de Cond¦, op. cit., 117. Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 166. Tavannes, M¦moires, op. cit., 162 – 163.

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Die Treue von Freunden in der Revolte kann allerdings prekär sein. BussyRabutin ist ein Beispiel dafür : er verlässt mitten in der Fronde Cond¦ und dient fortan Mazarin. Als er im August 1652 die Einnahme von La Charit¦ vorbereiten will, kommen die beiden Adligen Villars und Chavagnac, die gerade mit Cond¦ gebrochen haben, zu Bussy-Rabutin und erzählen ihm die letzten Neuigkeiten aus Cond¦s Kriegsrat; Bussy-Rabutin räsonniert: »cela me fait faire r¦flexion sur le malheur de la condition des chefs d’un parti rebelle, qui est qu’on se d¦shonore en les servant et que cela s’appelle faire son devoir que les trahir.«896 Tavannes, der ebenso wie Bussy-Rabutin Cond¦ während der Fronde verlässt (und auch ebenso wie Bussy-Rabutin seine Familiengüter und sein Schloss in Burgund hat), berichtet dieselbe Geschichte. Die gesamte Passage über die beiden Adligen findet sich paraphrasiert bei ihm wieder, samt der Konklusion: »Et c’est le malheur ordinaire des Chefs de partis rebelles, qu’on croit faire son devoir en les trahissant.«897 Welcher der beiden burgundischen Grafen, die beide nach dem Ende der Fronde ihre Memoiren schreiben, dabei den Text des anderen vor Augen hatte, lässt sich nicht sagen; beide Texte werden erst in den 1690er Jahren erstmals gedruckt, als beide Autoren schon verstorben sind.

II.5.4. Freunde als Versicherung Ebenso wie Außenverflechtung eine Versicherung sein kann,898 können auch Freunde im eigenen Land eine Versicherung darstellen. Für die Nutzung von Freundschaft als Versicherung sollen hier zwei Beispiele aus der Memoirenliteratur im Umkreis des Grand Cond¦ angeführt werden, nämlich Fouquet und Mazarin. Man könnte argumentieren, dass beide, ein bürgerlicher Minister und ein italienischer Kardinal, keine französischen Adligen sind; die Freunde, auf deren Hilfe sie zählen, sind es aber sehr wohl. Gourville berichtet, dass ihm Fouquet im Jahre 1660 in seinem Schloss SaintMand¦ einen schriftlich ausgearbeiteten Plan vorgelegt habe, der detaillierte Angaben darüber enthalten habe, welche Hilfeleistungen Fouquet von seinen Freunden erwarten würde, sollte Mazarin versuchen, ihn zu stürzen: »Environ ce temps-l—, M. Foucquet s’avisa de me lire, dans la galerie de Saint-Mand¦, un projet qu’il avait fait, quelques ann¦es auparavant, pour se maintenir au cas que Monsieur le Cardinal le voul˜t pousser, comme il y avait des temps qu’il le craignait. Ce projet ¦tait rempli de tout ce que ses amis devaient faire en ce cas-l—. Il comptait, parmi 896 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 321. 897 Tavannes, M¦moires, op. cit., 296. 898 Zu Außenverflechtung als Versicherung cf. Kühner, Hochadlige Außenverflechtung zwischen Fürstendienst und Hochverrat, op. cit.

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ses amis qui devaient faire un soulÀvement, un nombre de gens auxquels il avait fait donner de l’argent de pure gr–ce, et d’autres qui avaient des pr¦textes pour en demander. Je ne pus l’entendre sans beaucoup de surprise que cela e˜t pass¦ dans son esprit comme quelque chose de bon.«899

Gourville versucht Fouquet klarzumachen, dass der Plan illusorisch sei und sich die angeführten Adligen nicht gegen Bezahlung erheben würden. Fouquet eröffnet ihm, dass er ihn selbst auch eingeplant hat: »Il m’avait aussi nomm¦ pour avoir un emploi ambulatoire vers ses amis.«900 Fouquet verspricht Gourville, den Plan zu verbrennen, tut es aber nicht; der Plan wird bei Fouquets Verhaftung aufgefunden und wird Teil des belastenden Materials im Prozess gegen ihn. Zweierlei Fehleinschätzungen von seiten Fouquets fallen hier auf. Zum einen glaubt er, Jahre nach der Fronde noch einmal eine Adelsrevolte entfachen zu können; ihm scheint nicht klar zu sein, dass die Bedingungen hierfür nicht mehr gegeben sind. Der Ausbau des königlichen stehenden Heeres901 lässt die Aussicht, ihm über die traditionelle Methode der Rekrutierung von Freunden von Freunden ein adliges Heer entgegenzustellen, zunehmend illusorisch erscheinen, und ein eigenes stehendes Heer können die in immer stärkerem Maße finanziell vom König abhängigen Adligen nicht bezahlen; die immer größer werdenden stehenden Heere sind nur noch aus Steuereinnahmen zu finanzieren. Das Scheitern Cond¦s in der Fronde und die harte Haltung des Königs, der auf seiner Unterwerfung als Bedingung der Begnadigung beruht, machen den Adligen zudem klar, dass Ludwig XIV. Aufstände nicht hinzunehmen gewillt ist. Zum anderen irrt Fouquet in der Annahme, eine solche Revolte ließe sich durch Geldgeschenke auslösen. Der Superintendent der Finanzen schätzt hier offensichtlich aristokratische Verhaltensnormen falsch ein. Erfolgreicher nutzt Mazarin seine Kontakte als Versicherung. Tavannes berichtet in seinen Memoiren, wie der Kardinal nach der Freilassung der Prinzen 1651 ins kurkölnische Exil geht. Als er in Sedan Station macht, bieten ihm eine Reihe von Adligen bewaffnete Hilfe an, einschließlich der Mobilisierung ihrer Freunde. Mazarin lehnt dies allerdings ab, weil er das Exil für die erfolgversprechendere Option hält: »L’Electeur de Cologne lui envoya pour lors des assurances de son affection, qui le firent r¦soudre — se retirer auprÀs de lui. En y allant il passa par Sedan, o¾ les Sieurs de 899 Gourville, M¦moires, op. cit., 125. 900 Ebd. 901 Zur Entwicklung des französischen Heeres unter Ludwig XIV. cf. Guy Rowlands, The Dynastic State and the Army under Louis XIV. Royal Service and Private Interest, 1661 – 1701, Cambridge 2002. Zur weiteren Entwicklung des Heeres Rafe Blaufarb, The French Army, 1750 – 1820. Careers, Talent, Merit, Manchester 2002. Eine kulturgeschichtliche Interpretation des Militärs im Frankreich des 17. Jahrhunderts unternimmt Herv¦ Dr¦villon, L’impút du sang. Le m¦tier des armes sous Louis XIV, Paris 2005.

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Faber, d’Hocquincourt, de Navaille, de Mondejeu & de Broglio, s’offrirent — lui avec tout ce qu’ils avoient de forces & d’amis, pour le maintenir en France, disoient-ils, contre la violence de ses ennemis. Mais il aima mieux en sortir suivant l’avis de la Reine, & se retirer promptement vers l’Electeur de Cologne, aprÀs qu’il eut obtenu de Fuensaldagne & de Leopold, des passeports pour y aller par les terres d’Espagne.«902

Zugegebenermaßen wird der Fürsterzbischof von Köln nicht als Mazarins Freund bezeichnet – die »assurances de son affection« lassen aber auf eine Nahbeziehung schließen. Interessant ist, dass die genannten Adligen Mazarin ihre Hilfe gerade in einer Krisensituation anbieten – sie tun also gerade das von sich aus, was Fouquet vergeblich von seinen Freunden einzufordern versucht. Und sie bieten ihm an, auf ihre »forces & amis« zurückzugreifen, also den traditionellen Rekrutierungsmechanismus anzuwenden, bei dem einerseits adlige Freunde (und Freunde von Freunden), rekrutiert werden, andererseits ein Gefolge aus nichtadligem Fußvolk aufgeboten wird. Nicolas Goulas berichtet von einer Verschwörung im Umkreis Gaston d’Orl¦ans’, die zum Ziel gehabt hatte, Richelieu zu entführen. Goulas wirft den Verschwörern vor, sie hätten nur geheuchelt, das Leben des Kardinals schonen zu wollen, da sie im Fall von Gegenwehr seiner Freunde Richelieus Tod zumindest billigend in Kauf genommen hätten: »Mais en se voulant saisir du Premier ministre, probablement, ses amis et serviteurs mettant l’esp¦e — la main pour le deffendre, l’on auroit procedd¦ — le percer de mille coups. Cette langue est assez intelligible, et il ne fault pas avoir beaucoup estudi¦ pour l’entendre.«903 Hier wird also die zu erwartende Gegenwehr der Freunde zum Risikofaktor – man darf aber auch vermuten, dass die zu erwartende gewaltsame Auseinandersetzung zumindest ein Grund ist, der die Verschwörer abschreckt. Aber auch wenn eine Situation gewaltsamer Auseinandersetzungen eintritt, können Freunde noch als Versicherung wirken. Bussy-Rabutin zitiert aus einem Brief, in dem ihm sein Pariser Verbindungsmann Corbinelli die Ereignisse des 4. Juli 1652 im Hútel de Ville schildert. Als der Mob daran geht, die »mazarins« unter den Anwesenden zu lynchen, rettet der Herzog von Beaufort seine Freunde: »M. de Beaufort entra ensuite dans l’hútel de ville, apaisa le peuple, et fit sortir ses amis, en les mettant en s˜ret¦ entre les mains de ses gens arm¦s.«904 Hier rettet also die Autorität eines Freundes einigen Anwesenden das Leben.

902 Tavannes, M¦moires, op. cit., 96 – 97. 903 Goulas, M¦moires, op. cit., 218 – 219. 904 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 308.

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II.5.5. Informationen und Ratschläge Das Informieren und das Beraten des Freundes sind zwei wichtige Freundschaftsdienste. Die höfische Gesellschaft ist ein Mikrokosmos; das Politische und das Private sind nicht getrennt. Das bedeutet erstens, dass es keine Trennung zwischen wichtigen politischen Informationen einerseits und unpolitischem Klatsch andererseits gibt, von dem sich ein ernsthafter Höfling getrost fernhalten könnte; und zweitens, dass die Angelegenheiten anderer Höflinge auch deshalb interessant sind, weil man selbst von ihren Rückwirkungen betroffen werden kann. Die Höflinge wissen, dass Informationen auf diese Weise weitergegeben werden. Als Mazarin 1651 ins Exil gegangen ist, gibt es bei Hofe Überlegungen, Cond¦ wieder verhaften zu lassen. Lionne spielt dem Prinzen nun diese Pläne durch eine Kette gezielter Indiskretionen zu: »Mais, soit que Lionne en craign„t les suites pour l’Etat, ou que voulant empÞcher le retour du Cardinal, il crut que le Prince y apporteroit un grand obstacle tant qu’il seroit en libert¦; il d¦couvrit au Mar¦chal de Grammont, qu’il croyoit ami du Prince, tout ce qui avoit ¦t¦ r¦solu chez le Comte de Montr¦sor. Le Mar¦chal le dit — Chavigny, aprÀs l’avoir pourtant engag¦ par toutes sortes de sermens — ne le point reveler ; & Chavigny en avertit aussi-tút le Prince.«905

Dabei ist bemerkenswert, dass für Lionne Gramonts Freundschaft mit Cond¦ Anlass genug ist anzunehmen, die Nachricht werde ankommen. Die Verschwiegenheitsschwüre, die Gramont dann Chavigny auferlegt, bedeuten offensichtlich das Gegenteil des Gesagten. Gramont wahrt so den Schein und gibt Chavigny gleichzeitig zu verstehen, dass diese Information so wichtig ist, dass sie unverzüglich weitergegeben werden muss. Einmal mehr zeigt sich hier übrigens das Dilemma, in dem Gramont steckt: er ist ein enger Freund Cond¦s, gleichzeitig aber ein unerschütterlicher Loyalist, der die Fronde von Anfang bis Ende bekämpft und dem Kardinal die Treue hält. Sein Verhalten gegenüber Chavigny wird so verständlich als ein Versuch, den Gegner des Kardinals zu warnen, ohne sich gegen diesen zu stellen. In anderen Fällen nehmen die Informationen auch den direkten Weg von Freund zu Freund. Madame de S¦vign¦ schreibt am 9. Dezember 1664 an Pomponne, den sie in anderen Briefen ihrer »amiti¦« versichert, dass sie ihn im Falle eines milden Urteils gegen Fouquet, den sie an anderer Stelle als »notre pauvre ami«906 bezeichnet, sofort benachrichtigen lassen wolle:

905 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 207. 906 Madame de S¦vign¦, Lettres, hg. von Bernard Raffalli, op. cit., 46.

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»Je lui [sc. Mme du Plessis] disais avec la plus grande v¦rit¦ du monde que si nous avions un arrÞt tel que nous le souhaitons, le comble de ma joie ¦tait de penser que je vous enverrais un homme — cheval, — toute bride, qui vous apprendrait cette agr¦able nouvelle, et que le plaisir d’imaginer celui que je vous ferais, rendrait le mien entiÀrement complet.«907

Neben dem Informationsaspekt fällt in dieser Quellenstelle noch auf, dass das Vergnügen betont wird, dem Freund eine Freude zu machen. Solche Argumentationsfiguren, kombiniert mit der raffinierten Art der rhetorischen Darstellung – die Freude des Freundes vervollkommnet die eigene Freude – sind sicher auch der Tatsache geschuldet, dass Madame de S¦vign¦ eine pr¦cieuse ist; diese Bewegung zielt neben der Verfeinerung der Sprache ja auch auf Kultivierung der Sittlichkeit und Betonung der Tugendhaftigkeit. Madame de S¦vign¦ macht ihre Ankündigung wahr : als am 21. Dezember 1664 feststeht, dass Fouquet nicht zum Tode verurteilt wird, schreibt sie umgehend an Pomponne: »Je mourais de peur qu’un autre que moi vous e˜t donn¦ le plaisir d’apprendre la bonne nouvelle.«908 Wichtig sind Informationen von Freunden natürlich auch dann, wenn man sich selbst außerhalb von la cour et la ville, also außerhalb von Hof und Hauptstadt befindet, und somit von der in der höfischen Anwesenheitsgesellschaft so wichtigen Kommunikation von Angesicht zu Angesicht abgeschnitten ist. Bei Gourville finden sich hierzu Beispiele, da er längere Zeiten im Ausland verbringt. Im Jahre 1663 lässt er sich, während er auf einer Reise von den Spanischen Niederlanden nach England in Cambrai Rast macht, von einem Freund Neuigkeiten aus Paris überbringen: »Pour savoir de vive voix des nouvelles de Paris, je donnai rendez-vous — Cambrai — une personne de mes amis.«909 Information kann auch als Austauschressource fungieren. Goulas beschreibt eine Geschichte, in der er die Ernennung von Saint-Preüil zum Gouverneur von Arras910 nicht auf dessen Tapferkeit bei der Einnahme der Stadt zurückführt, sondern auf eine Indiskretion Saint-Preüils. Dieser habe von seinem Vetter Saint-Ibar die Information erhalten, dass Gaston d’Orl¦ans die Heirat des Grafen von Soissons mit der Nichte Richelieus hintertreiben wolle; die Weitergabe dieser Information an Richelieu habe ihm dessen Freundschaft eingetragen: »il est certain que M. de Saint-Ibar revela la chose — M. de Saint-Preuil, son cousin germain, et celui-cy — M. le cardinal de Richelieu, qui lui donna pour recompense le gouvernement d’Arras et une des premieres places en son amiti¦, o¾ il le laissa peu, par des raisons hors de ce sujet.«911 907 908 909 910 911

Ebd., 48 – 49. Ebd., 52. Gourville, M¦moires, op. cit., 147. Cf. supra, Praktiken der Freundschaft. Goulas, M¦moires, op. cit., 216.

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Warum die Freundschaft Saint-Preüils mit dem Kardinal von kurzer Dauer ist, erwähnt Goulas leider nicht; es zeigt sich an diesem Beispiel aber einmal mehr die Instabilität von Freundschaften im höfischen Milieu. Wesentlich heikler als Informationen sind Ratschläge. Wer einem Freund eine Information übermittelt, überlässt es ihm, was er damit anfängt; wer ihm einen Rat gibt, stellt ihn zwangsläufig vor die Entscheidung, den Rat zu befolgen oder nicht. Das muss Gourville erfahren, als er sich Anfang der 1660er Jahre gegen den Rat seiner Freunde in Brüssel niederlässt. Es darf vermutet werden, dass sie befürchten, Gourville könnte aufgrund seines Aufenthaltes in den Spanischen Niederlanden in den Augen der französischen Obrigkeit als habsburgischer Agent gelten. Ihm wird hinterbracht, dass seine Freunde in Frankreich ihm die Missachtung ihrer Ratschläge durchaus übelnehmen: »J’appris, par des gens de Paris qui m’¦taient venus voir, qu’une partie de ceux qui ¦taient au nombre de mes amis me bl–mÀrent fort du parti que j’avais pris de m’¦tablir — Bruxelles contre les avis que l’on m’avait donn¦s sur cela. Sous ce pr¦texte, ils bl–mÀrent encore d’autres choses dans ma conduite: ce qui m’obligea d’¦crire — Mme du Plessis pour la prier de dire — la troupe, quand elle serait assembl¦e, que je lui avais mand¦ que je priais Dieu qu’il me gard–t de mes amis, et qu’— l’¦gard de mes ennemis j’esp¦rais que je m’en garantirais bien.«912

Doch es ist nicht nur problematisch, den Rat eines Freundes nicht zu befolgen, sondern auch, seinen Freunden ungebetene Ratschläge zu geben. Während der Fronde mit ihren schnell wechselnden Konjunkturen von Allianzen kommt es zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen Cond¦ und seinen Freunden über ein Bündnis mit den Frondeuren; Cond¦ verbittet sich gerade im Namen der Freundschaft ungebetene Ratschläge: »Le Duc de Bouillon, le Vicomte de Turenne, & tous ceux qui ¦toient particuliÀrement attach¦s — ses int¦rÞts, ne manquerent pas de l’aller voir dans cette rencontre pour l’avertir de ne pas s’engager dans une affaire de si grande importance sans en avoir de bonnes raisons; mais tout cela ne servit qu’— aigrir son ressentiment : il les pria mÞme de ne lui en pas parler davantage s’ils ¦toient ses amis.«913

Ratschläge von Freunden können sich auf sehr unterschiedliche Gegenstände beziehen. Gaston d’Orl¦ans erhält während der Fronde strategische Ratschläge von seinen Freunden, die ihm raten, sich nach Orl¦ans zu begeben, weil Cond¦ seinerseits die Sicherung dieser Stadt anrät: »La communication de la Guienne ¦tait encore une action fort considerable pour le parti et pour les int¦rÞts de Monsieur le Prince, qui recommandait toujours que l’on e˜t

912 Gourville, M¦moires, op. cit., 150 – 151. 913 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 151.

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soin de m¦nager Orl¦ans; de sorte que tous ses amis pressaient fort Monsieur d’y aller : — quoi il se r¦solut le samedi de P–ques fleuries [Palmsonntag 1652] au soir.«914

La Rochefoucauld steht im Jahr darauf vor der Entscheidung, mit Cond¦ zu brechen, da die Fronde gescheitert ist; hier geht es also um eine politische Entscheidung für oder gegen die Verbindung mit dem Rebellen Cond¦. Auch in La Rochefoucaulds Fall sind es seine Freunde, die ihn dazu drängen; Gourville, der dies berichtet, muss selbst Cond¦ diese Nachricht überbringen: »M. de La Rochefoucauld passa toute l’ann¦e 1653 — Damvillers, et, ayant eu des nouvelles de Paris que tous ses amis lui conseillaient de d¦gager absolument d’avec Monsieur le Prince le plus tút qu’il pourrait, surtout dans la vue d’assurer le mariage de M. le prince de Marcillac avec Mlle de la Rocheguyon, sa cousine germaine, je fus charg¦ d’aller — Bruxelles pour le d¦gager d’avec Monsieur le Prince.«915

Freunde raten manchmal auch in Geldangelegenheiten. Als Beispiel soll eine Geschichte dienen, in der zugegebenermaßen Gourville der Kronzeuge ist, der selbst ein Aufsteiger aus dem Bürgertum ist; es ist also mit der Möglichkeit zu rechnen, dass er sich unaristokratisch verhält, als er seinem Freund Monsieur de Fieubet rät, Fouquets Charge als procureur g¦n¦ral zu kaufen, bevor jemand anders ein höheres Gebot machen würde: »J’allai donc trouver M. de Fieubet, qui ¦tait — sa maison de campagne. Il ¦tait pour lors bien de mes amis, et nous vivions dans une grande confiance l’un et l’autre. Je lui exposai la chose tout comme je viens de la dire. Je lui conseillai en mÞme temps d’en donner plutút quatorze cent mille livres que de laisser perdre cette occasion, qu’il ne trouverait peut-Þtre plus […].«916

Auch bei den Ratschlägen von Freunden gilt wie bei den Informationen, dass sie besonders wertvoll sind, wenn man sich selbst außerhalb der höfischen Gesellschaft aufhält. Die Höflinge verfügen naturgemäß über mehr Informationen als beispielsweise ein Exilant; der Kontakt mit ihnen kann daher vor Fehleinschätzungen der Situation bewahren. Gourville hält sich 1663 während des Prozesses gegen seinen Patron Fouquet in Amsterdam auf; seine Freunde bei Hofe raten ihm, nicht nach Brüssel zu gehen (wohl um nicht als spanischer Spion zu erscheinen), und überhaupt den Ausgang des Prozesses im Ausland abzuwarten.917 Er bereist die Hauptstadt der Spanischen Niederlande aber doch, fährt dann allerdings weiter nach London; als er von dort aus einige Zeit später doch nach Brüssel zurückkehrt, um sich dort niederzulassen, entsteht der eingangs erwähnte Konflikt mit seinen Freunden. 914 915 916 917

M¦moires de la Grande Mademoiselle, 112 – 113. Gourville, M¦moires, op. cit., 71 – 72. Ebd., 130 – 131. Ebd., 146 – 147.

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Der Rat kann auch darin bestehen, den Freund vor einer Gefahr zu warnen. So berichtet Coste, in der Zeit vor seiner Verhaftung sei Cond¦ von seiner Schwester, der Herzogin von Longueville, und von einigen seiner Freunde vor den bösen Absichten des Kardinals Mazarin gewarnt worden.918 Dem Kardinal sei es allerdings gelungen, Cond¦ durch Lügen solange in Sicherheit zu wiegen, bis er ihn habe verhaften lassen.919 Freundschaftstraktate und Freundschaftsessays sind nicht das Thema dieser Studie; dennoch sei im Kontext dieses Absatzes darauf verwiesen, dass die frühneuzeitliche systematische Reflexion über Freundschaft der Funktion des Freundes als Ratgeber einen großen Stellenwert einräumt. Dies gilt für Francis Bacon, der empfiehlt, sich auf den Rat eines einzigen Freundes zu verlassen, der die eigene Situation sehr gut kennt,920 und auch für Boileau, der dem ambitiösen Dichter rät, die eigenen Gedichte der strengen Kritik eines wahren Freundes zu unterziehen – der sich gerade durch die Ehrlichkeit der Kritik vom Schmeichler unterscheide.921

II.5.6. Andere Freundschaftsdienste Schließlich gibt es eine Reihe von Freundschaftsdiensten, die hier in eine Residualkategorie eingeordnet werden müssen, da sie sich der Einordnung in die großen Felder entziehen. Es handelt sich meist auch um Dienste, die eher ungewöhnlich sind und entsprechend in den Quellen nur je einmal erwähnt werden. Gourville notiert explizit, dass eine Bitte seines Freundes Langlade ihm als »singulier« vorkommt; dieser zieht in Betracht, eine gewisse Mademoiselle de Campagnac zu heiraten, ist sich aber nicht sicher, ob er das wirklich tun soll; er bittet daher Gourville, Messen für ihn lesen zu lassen: »Et ce qu’il y a encore de singulier et de trÀs v¦ritable, c’est qu’il m’¦crivit, deux jours avant d’arriver chez Mlle de Campagnac, qu’il me priait de faire dire des messes — son 918 Coste, Histoire de Louis de Bourbon, op. cit., 152. 919 Ebd., 157. 920 Francis Bacon, Of Frendship, in: Ders., The Essayes or Counsels, Civill and Morall, hg. von Michael Kiernan, op. cit., 80 – 87, hier 86: »But a Frend, that is wholly acquainted with a Mans Estate, will beware by furthering any present Businesse, how he dasheth upon other Inconvenience. And therefore, rest not upon Scattered Counsels; They will rather distract, and Misleade, then Settle, and Direct.« 921 Boileau, Art po¦tique, op. cit., 232: »Faites-vous des amis prompts — vous censurer ; qu’ils soient de vos ¦crits les confidents sincÀres, et de tous vos d¦fauts les z¦l¦s adversaires. […] Mais sachez de l’ami discerner le flatteur: Tel vous semble applaudir, qui vous raille et vous joue. Aimez qu’on vous conseille et non pas qu’on vous loue. Un flatteur aussitút cherche — se r¦crier : Chaque vers qu’il entend le fait extasier. […] Un sage ami, toujours rigoureux, inflexible, sur vos fautes jamais ne vous laisse paisible«.

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intention, afin que Dieu l’inspir–t sur ce qu’il avait — faire. Mais j’appris bientút qu’il avait fait son mariage, avant que j’eusse eu le temps de faire dire les messes«.922

Interessant ist hier, dass sich Langlade an einen Freund wendet, nicht direkt an einen Priester. Es könnte vermutet werden, dass der verarmte Adlige Langlade den reichen Gourville implizit auch bittet, die Gebühr für das Lesen der Messen zu übernehmen. Bussy-Rabutin berichtet eine Episode, in der ihn ein Freund bei Liebeskummer tröstet, indem er mit ihm Ovids Remedia amoris liest. Der fünfundzwanzigjährige Bussy-Rabutin hat eine Affäre mit seiner eigenen Cousine; dies missfällt seinem Vater, der ihn daraufhin verheiratet. Wie von Bussy-Rabutins Vater beabsichtigt, bricht dessen Cousine daraufhin mit ihm, was ihn in tiefe Trauer stürzt: »encore bien que je sache qu’on ne se pende pas d’ordinaire en ces rencontres, il est pourtant naturel d’Þtre d’abord dans une grande douleur et d’avoir de la peine — en revenir. Pour moi, je fus dans cet ¦tat quinze jours durant, au bout desquels la conversation d’un de mes amis, qui savoit l’¦tat de mes affaires et qui lisoit avec moi le trait¦ d’Ovide des RemÀdes de l’amour, commenÅa de me consoler.«923

Dies ist eine der ganz wenigen Stellen in den frühneuzeitlichen Adelsmemoiren, in denen adlige Freunde einander Seelenzustände preisgeben. Es wäre aber sicher voreilig, hieraus zu schließen, die romantische Freundschaft sei eben doch avant la lettre im höfischen Milieu gepflegt worden: Bussy-Rabutin befindet sich aufgrund der Trennung von seiner Cousine in einer Ausnahmesituation. Der allgemeinen Feststellung, dass für höfische Adlige Selbstkontrolle die leitende Verhaltensnorm ist, tut dies keinen Abbruch.

II.5.7. Freunde von Freunden Freundschaftsdienste spielen sich nicht immer nur zwischen zwei Freunden ab. So weitgespannt die Freundschaftsnetzwerke des einzelnen Adligen auch sein mögen, so ist doch jeder mit dem Problem konfrontiert, nur eine begrenzte Zahl von Beziehungen pflegen und damit dauerhaft aufrechterhalten zu können. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet der Rückgriff auf die Freunde der Freunde. Auf diese Weise braucht derjenige, der ein Problem löst, in keiner direkten Beziehung zu dem Begünstigten zu stehen.924 Dies kann dann so ablaufen, dass man einen Freund bittet, bei einem seiner Freunde etwas zu er922 Gourville, M¦moires, op. cit., 101. 923 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 98. 924 Cf. Boissevain, Friends of Friends, op. cit., 25; cf. auch Reinhard, Freunde und Kreaturen, op. cit., 37 – 38.

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wirken, beispielsweise Ämterpatronage. Oder man verweist einen Bittenden an einen eigenen Freund weiter ; dies tut zum Beispiel Beauvais-Nangis, als er Monsieur de Rays, der als Bote Luynes’ nach Unterstützung sucht, neben eigener Hilfe noch die seines Freundes, des Herzogs von Roannois zusichert.925 Eine weitere Möglichkeit, weitverzweigte Netzwerke zu nutzen, die vor allem im militärischen Kontext wichtig ist, ist die Bitte an den Freund, so viele Freunde wie möglich zu mobilisieren – was diese ihrerseits wieder tun. So können in kurzer Zeit große Heere entstehen. Der Herzog von Bouillon versammelt im Jahre 1650 »trois cent gentilshommes de ses amis«, La Rochefoucauld weitere dreihundert mit ihm befreundete Edelleute; außer seinen Freunden hebt der Herzog von Bouillon noch zwölfhundert Infanteristen aus seinen Ländereien aus.926 Als Freunde werden aber nur die sechshundert Edelleute gezählt.927 Den gleichen Rekrutierungsmechanismus benutzt lange Zeit auch noch das königliche Heer. Der Rekrutierungsmechanismus über Freunde von Freunden ist auch deshalb wichtig, weil jeder einzelne teilnehmende Adlige mit Recht behaupten kann, freiwillig da zu sein und einen Freundschaftsdienst zu leisten. Dies erlaubt der Monarchie, große Heere aufzubieten, ohne eine Verpflichtung auszusprechen, die – als Einschränkung der Unabhängigkeit – Gefahr liefe, mit adligen Ehrvorstellungen zu kollidieren.928 Beauvais-Nangis berichtet eine Episode, an der sein Vater teilgenommen hat: 1589 befiehlt Heinrich III. Antoine de Beauvais-Nangis »de s’aller en Brie, pour le venir trouver avec touts ses amys.« Hier greift der König also auf das Prestige und die Verbindungen Antoine de Beauvais-Nangis’ in dieser Region zurück, um das Heeresaufgebot zusammenzubringen. In Nangis wird Antoine de Beauvais-Nangis von »la plus grande partie de la noblesse« von Brie aufgesucht. Dabei sind deren Motive unterschiedlicher Natur: »tant pour l’esp¦rance que quelques-uns avoient de faire leur fortune par son moyen, que parce que, de toute entiennet¦ [anciennet¦], nostre maison a eu ce bonheur d’estre aym¦e dans ce pays, tellement que prÀs de deux cents gentilshommes luy avoient promys de l’assister«.929 Antoine de BeauvaisNangis fungiert also als Multiplikator : Der Aufwand, zweihundert Adlige direkt durch königlichen Befehl zu erreichen, wäre ungleich größer, als auf das Freundschaftsnetzwerk solcher Schlüsselpersonen zu rekurrieren. Es zeigt sich 925 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 151: »que j’avois un amy, quy estoit M. le duc de Roannois, homme de cœur et de qualit¦, pour porter parolle — quy que ce fust qu’il eust affaire.« Cf. auch Constant, Der Adel und die Monarchie in Frankreich vom Tode Heinrichs IV. bis zum Ende der Fronde (1610 – 1635), op. cit., 141 – 142. 926 La Rochefoucauld, M¦moires, op. cit., 109. 927 Ebd., 111. 928 Constant, L’amiti¦ : le moteur de la mobilisation politique dans la noblesse de la premiÀre moiti¦ du XVIIe siÀcle, op. cit., 606. 929 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 50 – 51.

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hier außerdem, dass die Rekrutierung von Freunden von Freunden oft auf ererbte Freundschaften in einer bestimmten Region zurückgreift. Dadurch wird sie für den Monarchen berechenbarer : die Beziehungen, auf denen das Funktionieren des Rekrutierungssystems beruht, hängen nicht nur an der Sympathie zwischen je zwei Personen, sondern die Loyalitäten werden von einer Generation auf die nächste übertragen. In den Religionskriegen dient die Rekrutierung über Freunde von Freunden dem König dazu, zusätzliche Truppen über die regulären Einheiten hinaus zu mobilisieren.930 Die Demobilisierung solcher Kontingente läuft wieder über denselben Mechanismus: nach dem Fall der Stadt P¦ronne entlässt Antoine de Beauvais-Nangis seine Freunde und folgt dem König.931 Wer also einen Freund mobilisiert hat, der entlässt ihn auch wieder. Dennoch hat dieses Verfahren den gravierenden Nachteil, dass es von Hochadligen auch zur Rekrutierung aufständischer Heere genutzt werden kann. So ist es Henri II de Cond¦, nicht der König, der Beauvais-Nangis 1627 befiehlt »d’aller assurer mes amys pour partir au 20e novembre«.932 Dieses Beispiel zeigt zugleich, dass es sich bei dem beschriebenen Mechanismus mitnichten um ein Phänomen handelt, das mit dem Ende der Religionskriege obsolet geworden wäre; man wird sein Ende vielmehr mit dem Scheitern der Fronde ansetzen dürfen. Ein weiteres Problem bei der Rekrutierung von Freunden von Freunden ist, dass mit einem Magnaten, der ein Heer oder eine Partei verlässt, auch dessen Freunde wegbrechen. So, als Saint-Simon933 während der Fronde in seiner Unterstützung für die Partei der Prinzen schwankend wird: »son changement soudain avait refroidi tous ses amis de Bordeaux, qui jusque-l— paraissaient les plus z¦l¦s pour les int¦rÞts de Monsieur le Prince.«934 Sie können von den Parteigängern der Prinzen nur mit viel Mühe bei der Stange gehalten werden. Der Appell an die Freunde der Freunde muss im übrigen nicht zwangsläufig gleichzusetzen sein mit dem Brokerage-Konzept Sharon Ketterings.935 Er schließt dieses andererseits auch nicht aus. Das oben genannte Beispiel von Bouillon und La Rochefoucauld zeigt, dass beim Zusammenziehen von Eskorten und Heeren adlige Freunde, aber auch Nichtadlige rekrutiert werden. Das legt 930 931 932 933

Jouanna, Le devoir de r¦volte, op. cit., 81. Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 57. Ebd., 200. Claude de Rouvroy, duc de Saint-Simon (1607 – 1693), der Vater des Memoirenautors Louis de Rouvroy, duc de Saint-Simon (1675 – 1755). 934 La Rochefoucauld, M¦moires, op. cit., 109. 935 Bei Sharon Kettering ist der Broker eine Figur, die einen Ressourcenaustausch zweier Personen vermittelt, wobei der Broker für die eine Person Klient, für die andere seinerseits Patron ist; dabei beeinflusst er den Austausch durch seine eigene Tätigkeit oder durch das Hinzufügen eigener Ressourcen zum Austausch, cf. Kettering, Patrons, Brokers, and Clients in Seventeenth-Century France, op. cit., 42.

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den Schluss nahe, dass in solchen Situationen regelmäßig eine Vielzahl von Beziehungen gleichzeitig mobilisiert werden – symmetrische wie auch asymmetrische Freundschaftsbindungen, daneben auch Bindungen zu Nichtadligen, die nicht als Freundschaften konzeptualisiert werden, und schließlich zugeschriebene Verwandtschaftsbeziehungen. In einer Eskorte, die aus mehreren hundert Mann besteht (wobei dann für gewöhnlich sowohl Adlige als auch nichtadlige Begleiter beteiligt sind), ist damit zu rechnen, dass manche der Beteiligten eher freiwillig, andere eher aufgrund von Abhängigkeiten teilnehmen. Zu unterstellen, in einer solchen Eskorte sei zwangsläufig jedes einzelne Mitglied abhängig vom Anführer, dürfte eine zu starke Vereinfachung sein. Betont werden muss allerdings für die asymmetrischen Beziehungen der Stellenwert ererbter Loyalitätsbindungen: viele der Mitglieder solcher Eskorten oder Heere nehmen aufgrund traditioneller Vasallitätsbindungen an Hochadlige teil, wie sie typisch für die Beziehungen zwischen hohem und niedrigem Adel in den Provinzen sind. Neben dem Schneeballsystem, das die Rekrutierung von Freunden der Freunde darstellt, erklären solche Bindungen, wie solche großen Eskorten oder Heere mobilisiert werden können: nicht, indem jedem einzelnen Mitglied greifbare Vorteile in Aussicht gestellt werden, sondern indem auf traditionelle Loyalitäten zurückgegriffen wird. Gerade am Beispiel dieses Mechanismus erweist sich, dass im sozialen Raum der Provinz adlige Beziehungen anders funktionieren als am Hof, wo es solche großen festgefügten Gefolgschaften, auf die ein Anführer bei Bedarf zurückgreifen kann, nicht gibt.

II.5.8. Männer und Frauen Können alle genannten Freundschaftsdienste von Freunden beiderlei Geschlechts für Freunde beiderlei Geschlechts geleistet werden? Wenig überraschenderweise ist die Antwort negativ. Es gibt Freundschaftsdienste, die nur von Männern für Männer geleistet werden können. Als deutlichstes Beispiel hierfür darf das Fungieren als Sekundant im Duell gelten. Frauen können sich nicht duellieren; sie tragen keine Waffen, und die Anwendung von Gewalt durch Frauen wäre in der höfischen Gesellschaft ein Skandal. Für adlige Männer dagegen ist das Recht zum Waffentragen und damit zur bewaffneten Selbstverteidigung konstitutives Element der Praktiken, die den Adel als Gruppe aus der Masse der Bevölkerung herausheben. So liegt es auf der Hand, dass alle Freundschaftsdienste, die mit bewaffneter Hilfe einhergehen, nur von Männern geleistet werden können; und wo der Adressat des Freundschaftsdienstes selbst Gewalt ausübt wie beim Duell, da kann dieser Adressat wiederum nur selbst ein Mann sein. Freundschaftsdienste, die nur von Männern nur für Frauen geleistet werden könnten, sind in

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den hier analysierten Quellen nicht erkennbar. Das elaborierte Spiel der höfischen Galanterie kommt dafür nicht in Frage, da es ja der Domäne der Liebe, nicht der Freundschaft zugeordnet wird. Hingegen gibt es solche Freundschaftsdienste, die zwar nur von Männern geleistet werden können, deren Adressat aber ein Mann oder eine Frau sein kann. Ein Beispiel hierfür sind die Eskorten. Die Eskortierten können Männer oder Frauen sein (oft sind es übrigens, wie im Fall der Prinzessin von Cond¦ und des Herzogs von Enghien in der Fronde, Frauen mit ihren Kindern), aber die Eskorte muss natürlich aus Bewaffneten und somit aus adligen Männern bestehen, um wirkungsvollen Schutz vor Übergriffen zu gewährleisten – was im übrigen auch bedeutet, dass z. B. eine Eskorte aus unbewaffneten nichtadligen Lakaien wirkungslos wäre. Hier taucht also neben der adligen Ehre ein weiterer Aspekt auf, warum nichtadlige Diener zwar in einem engen Vertrauensverhältnis zu ihrem Herrn stehen können, aber dennoch nicht als Freunde in Frage kommen: sie sind zu einigen wichtigen Freundschaftsdiensten nicht in der Lage. Freundschaftsdienste, die nur von Frauen geleistet werden könnten, sind in den hier untersuchten Quellen ebenfalls nicht erkennbar ; dies könnte so erklärt werden, dass in der höfischen Gesellschaft die Handlungsspielräume adliger Frauen zwar beträchtlich sind, aber doch geringer als die Handlungsspielräume adliger Männer. Hilfeleistungen, für die Männer oder Frauen sich speziell an Frauen wenden müssten, weil nur sie das Recht zu dieser Hilfeleistung haben, kommen in den hier betrachteten Quellen nicht vor. Interessant ist jedoch, dass ein großer Teil der Freundschaftsdienste geschlechtsunspezifisch ist – was für die weiten Handlungsspielräume adliger Frauen spricht. Sind sie auch aus dem militärischen Bereich verbannt, so können sie doch in den Bereichen Politik, Ökonomie und Information oftmals genauso handeln wie die Männer. Ämter und Titel werden nicht immer nur auf Empfehlung von Männern vergeben – auch wenn sie nur an Männer vergeben werden können. Madame de S¦vign¦ gewährt Bussy-Rabutin einen Kredit und versorgt Pomponne mit Informationen über den Fouquet-Prozess – sie handelt hier nicht anders als ein männlicher Akteur in der höfischen Politik. Dort, wo Freundschaftsdienste nicht mit spezifisch an Frauen gerichteten Verhaltenserwartungen wie der Gewaltlosigkeit kollidieren, können sie von Männern und Frauen gleichermaßen geleistet werden.

II.5.9. Veränderungen der Freundschaftsdienste Die Freundschaftsdienste verändern sich zwar im Laufe des Untersuchungszeitraums, dennoch überwiegen die Kontinuitäten gegenüber den Brüchen. Geht man die verschiedenen Felder durch, so wird man zunächst auf dem politischen

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Feld weitgehende Kontinuität feststellen dürfen. Solange es die höfische Gesellschaft gibt, gibt es innerhalb ihrer Ämter zu vergeben; und solange dies der Fall ist, gibt es auch den Freundschaftsdienst der Empfehlung des Freundes. Auch im Bereich der ökonomischen Freundschaftsdienste ist nicht erkennbar, dass im Untersuchungszeitraum die Praxis aufgehört hätte, Freunden Geld zu leihen. Die Normen der largesse und des vivre noblement verpflichten die Adligen weiterhin zu Ausgaben, die nicht zwangsläufig durch entsprechende Einnahmen gedeckt sind. Das Problem der Geldknappheit bleibt ein grundlegendes aristokratisches Problem. Diese Konstellation ändert sich auch nach den 1680er Jahren, also im Zeitalter von Versailles, nicht. Auch Ratschläge und Informationen bleiben selbstverständlich Teil der Freundschaftspraxis. Auch hier gilt, dass beides in der höfischen Gesellschaft essentiell wichtig bleibt – und dieser hohe Stellenwert wird von den Transformationen des Hofes im Laufe des 17. Jahrhunderts nicht berührt. Die vielleicht wichtigste dieser Transformationen, der Übergang vom umherziehenden zum dauerhaft ansässigen Hof,936 berührt die Wichtigkeit von Informationsnetzwerken ebenso wenig, wie sie bei den politischen Leistungen etwa zu einem Ende der Ämterpatronage geführt hätte. Die »Figuration« Hof, um mit Norbert Elias zu sprechen,937 verändert innerhalb des 17. Jahrhunderts ihre Größe und viele Einzelheiten ihres Zeremoniells, nicht aber ihre grundlegende Struktur : über die ganze Periode hinweg bleibt der Hof eine Gesellschaft, in der Adlige um die Gunst des Monarchen ebenso konkurrieren wie um die Sympathie anderer Höflinge, die als Förderer oder Verbündete agieren können. Der Hof bleibt eine Anwesenheitsgesellschaft, aus der ausgeschlossen zu werden das Ende der eigenen Karriere bedeutet – der Fall des nach Burgund auf seine Güter verbannten Bussy-Rabutin zeigt das deutlich. Solange all dies so ist, brauchen Höflinge auch weiterhin möglichst umfassende Information über die Geschehnisse am Hof, um ihr eigenes Verhalten entsprechend ausrichten zu können. Anders sieht es auf dem Feld der militärischen Freundschaftsdienste aus. Hier scheint sich mit der Fronde tatsächlich ein Wechsel der Praktiken zu vollziehen. Die großen bewaffneten Eskorten werden in den hier untersuchten Quellen für die Zeit nach der Fronde nicht mehr erwähnt. Hier Ursachen und Wirkungen zu 936 Es ist Heinrich III., der die bisherige Praxis des umherziehenden Hofes aufgibt und den Hof dauerhaft in Paris etabliert, cf. Knecht, The French Renaissance Court, op. cit., xxiii. 937 Bei Norbert Elias bezeichnet der Begriff der Figuration eine Konstellation sozialer Rollen, die aufeinander bezogen sind und gemeinsam einen sozialen Funktionszusammenhang ergeben; Paradebeispiel bei Elias sind der Monarch und seine Höflinge. Dabei ist der Zuschnitt der Rollen unabhängig von der Person des Inhabers, der die Rolle dennoch auf seine je individuelle Weise ausfüllt. Elias geht es mit dem Konzept der Figuration um ein soziologisches Instrumentarium, mit dem das Dilemma vermieden werden soll, entweder das Individuum ohne die Gesellschaft oder die Gesellschaft ohne das Individuum in den Mittelpunkt der Analyse zu stellen; Elias, Die höfische Gesellschaft, op. cit., 25 – 30.

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unterscheiden, ist schwierig. Spielen Eskorten keine Rolle mehr, weil sie nach dem Ende der Fronde nicht mehr gebraucht werden? Natürlich reist auch danach niemand unbewaffnet über Land, und Frauen und Kinder reisen auch weiterhin nicht alleine: da der frühneuzeitliche Staat keine Polizei im modernen Sinne kennt, ist dies aber auch nicht verwunderlich. Diese Praxis ist aber grundsätzlich verschieden von den mehrhundertköpfigen Eskorten, die von den Religionskriegen bis zur Fronde begegnen, und die – wie oben beschrieben – schnell von der Verteidigungs- zur Angriffsmacht werden können. Bussy-Rabutin beschreibt zwar, wie er noch 1654 als Freundschaftsdienst eine Eskorte von vierhundert Mann für den erkrankten Prinzen von Conti zusammenstellt; allerdings befinden sie sich im Krieg im Feindesland, nämlich in Katalonien: »Le prince [sc. de Conti], ¦tant le 21 septembre — Bagnols, s’y trouva si mal qu’on prit r¦solution de le faire porter en litiÀre — Perpignan: l’amiti¦ que j’avois pour lui m’obligea de le suivre; je l’escortai donc avec quatre cents chevaux.«938 Auch wenn der Faktor der größeren Sicherheit die Eskorten verkleinert haben mag, so ist doch auch damit zu rechnen, dass die Monarchie gerade unter dem Eindruck der Fronde größere, autonome, bewaffnete Versammlungen von Adligen fortan nicht mehr dulden möchte. Dabei bedarf sie nach der Fronde keiner bewaffneten Repression mehr. Auch wenn Norbert Elias’ Konzept der »Domestizierung« des Adels zu holzschnittartig ist, so ist die Adelsrevolte nach der Fronde weder nötig noch erfolgversprechend; angepasste Höflinge können innerhalb des Staatsapparates ihre Ziele effizient verfolgen, eine Rückkehr zum Verhalten der revoltierenden adligen »malcontents«, die es noch zu Richelieus Zeiten gibt, wäre nun hingegen kontraproduktiv. Wie oben erwähnt, können Adlige nun keine Streitmacht mehr finanzieren, die mit dem stehenden Heer der Krone konkurrieren könnte. Sie sind nicht mehr in der Position, die Krone durch Revolten zu Verhandlungen zwingen zu können. Das Schicksal Cond¦s zeigt das deutlich. Er wird zwar zu sehr vorteilhaften Konditionen begnadigt; seine Unterwerfung bleibt aber die Vorbedingung für diese Begnadigung. Eine andere mit Gewalt verbundene Praxis bleibt bestehen: es handelt sich um das Duell, und damit auch um die mit ihm verbundenen Freundschaftspraktiken wie etwa das Fungieren als Sekundant. Auch wenn Bussy-Rabutin beschreibt, wie ihn 1653 ein neues, scharfes Duelledikt, das auch streng durchgesetzt wird, vor einem Duell zurückschrecken lässt:939 das Duell übersteht die Fronde und lebt sogar über die Frühe Neuzeit hinaus fort. Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts wird das Duell zwar offiziell verboten.940 Die frühneuzeit938 Bussy-Rabutin, M¦moires, op. cit., 396. 939 Ebd., 350. 940 Heinrich IV. erlässt im Jahre 1602 ein erstes königliches Edikt gegen das Duell, das darin als Verbrechen bezeichnet wird; Billacois, Le duel dans la soci¦t¦ franÅaise des XVIe-XVIIe siÀcles, op. cit., 148 – 149.

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liche Staatsmacht kann dieses Verbot aber nie systematisch durchsetzen – davon zeugen schon die immer wieder neu erlassenen Edikte gegen das Duell941 – und will es wohl auch nicht. Sie begnügt sich damit, an einzelnen Duellanten abschreckende Exempel zu statuieren. Oftmals wird das Duell stillschweigend geduldet, werden Duellanten zu leichten Strafen verurteilt oder begnadigt. Denn dem staatlichen Verhalten zum Duell liegt ein Zielkonflikt zugrunde: einerseits das Bestreben nach Monopolisierung legitimer Gewalt und folglich auch nach Ausschaltung der Selbstjustiz; andererseits das Bemühen, den Adel an den Staat zu binden, was Rücksicht auf seine Ehrvorstellungen nahelegt – und zu diesen Ehrvorstellungen gehört nun einmal, dass ein Ehrenmann sich nicht ungestraft beleidigen lassen darf. Insgesamt zeichnet sich das Feld der Freundschaftsdienste im französischen Adel des 17. Jahrhunderts durch seine Vielgestaltigkeit aus; sie bleibt durch die analysierte Periode hindurch weitgehend erhalten. Dabei ist auch offensichtlich das Feld dessen, was als legitimer Freundschaftsdienst gilt, weit. Dass z. B. Ämterpatronage für Freunde den frühneuzeitlichen Adligen nicht als illegitim gilt, geht daraus hervor, dass in Memoiren – die ja oft für die Veröffentlichung bestimmt sind – freimütig darüber geredet wird. Hätte man bei der Ämterpatronage etwas zu verbergen, dürfte sie allenfalls als Korruptionsvorwurf thematisiert werden, den man den eigenen Feinden machen würde oder den ein Historiograph gegenüber einer Persönlichkeit erheben würde, die er negativ darstellt. Personale Netzwerke, so zeigt die Vielgestaltigkeit der Freundschaftsdienste, erfüllen in der frühneuzeitlichen Gesellschaft wichtige Funktionen. Viele Funktionen, die in späteren Epochen von Institutionen übernommen werden (etwa der Polizei im Falle der Sicherheit auf Straßen) werden im frühneuzeitlichen französischen Adel über personale Netzwerke geregelt.

941 Allein sechs königliche Edikte und acht Deklarationen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, cf. ebd., 148.

III. Veränderungen der Freundschaft

Wir haben die Veränderungen der einzelnen Aspekte der Freundschaft zum Teil bereits beim Durchgang durch diese behandelt; in diesem Kapitel soll der Blick auf die Veränderungen des Gesamtphänomens Freundschaft gerichtet werden. Da die Ideengeschichte der Freundschaft bereits im Kapitel über die Ideen der Freundschaft behandelt wurde, soll hier nicht über das 16. Jahrhundert hinaus zurückgegriffen werden. Eine umfassende Geschichte der Freundschaft seit der Antike unter allen im systematischen Teil behandelten Aspekten würde Rahmen und Zielsetzung dieser Arbeit sprengen;942 bei der Ideengeschichte wurde aus dem Grund eine Ausnahme gemacht, weil sie anders als die Praktiken oder die Sprache der Freundschaft eine verschriftlichte Tradition darstellt, mit der sich die nachfolgenden Generationen auseinanderzusetzen hatten. Das antike und mittelalterliche Denken über Freundschaft schlägt sich somit in Texten nieder, die in der Frühen Neuzeit gelesen und kommentiert werden. Die Praktiken und die gesprochene Sprache der Freundschaft dagegen verflüchtigen sich; sie mögen zwar ebenfalls über viele Generationen tradiert werden, das wird aber für die Zeitgenossen nicht so ohne weiteres sichtbar, wie das bei den Texten der Fall ist. Anders als bei den Ideen muss sich die Frühe Neuzeit im Bereich der Praktiken also nicht mit einer schriftlichen Tradition auseinandersetzen, sondern die Praktiken werden durch Überlieferung im Zuge der Sozialisation der Adligen als Mitglieder der Adelsgesellschaft weitergegeben. Man könnte nun versuchen, die Veränderungen der Freundschaft Jahrhundert für Jahrhundert nachzuzeichnen; ein Phänomen wie Freundschaft verändert sich jedoch in anderen Rhythmen als denen der Ereignisgeschichte. Die verschiedenen Formationen, die durchaus erkennbar sind, fallen nicht mit Jahrhundertgrenzen zusammen. Drei Formationen sollen hier skizziert werden. Die erste ist die Formation der Renaissance-Freundschaft, die in etwa mit dem 942 Gesamtdarstellungen, die dies – allerdings notwendig immer in selektiver Weise – unternehmen, sind Schinkel, Freundschaft, op. cit.; Vincent-Buffault, Une Histoire de l’amiti¦, op. cit.; und Rapsch, Soziologie der Freundschaft, op. cit.

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16. Jahrhundert zusammenfällt. Die zweite, die Freundschaftsformation des klassischen Zeitalters, wurde im systematischen Teil untersucht; es soll hier die Hypothese gewagt werden, dass sie bis ins 18. Jahrhundert hinein fortdauert. Danach folgt die aufklärerisch-romantische Freundschaft der Sattelzeit. Dabei sollen die genannten Formationen der Freundschaft nicht als monolithisch verstanden werden; innerhalb dieser großen Epochen wandeln sich durchaus einzelne Aspekte der Freundschaft. Die Darstellung der Veränderungen orientiert sich an den im systematischen Teil abgehandelten Kategorien Begriffsgeschichte bzw. Semantik, Ideen, Sprache, Praktiken und Freundschaftsdienste. Sie muss, da sie über den in den Quellen behandelten Zeitraum hinausgreift, notwendigerweise grobkörniger sein und sich in stärkerem Maße auf Befunde aus der Sekundärliteratur stützen als der systematische Teil.

III.1. Freundschaft in der Renaissance Im 16. Jahrhundert taucht in den gelehrten Texten der französischen Humanisten ein neues Bild der Freundschaft auf. Dabei ist durchaus zu bedenken, dass diese Konzeption von Freundschaft eng mit der humanistischen Bildung der Autoren zusammenhängt; sie darf nicht ohne weiteres als Freundschaftskonzept der gesamten Machteliten missverstanden werden. Dennoch muss dieses Konzept hier erwähnt werden: es ist im 17. Jahrhundert wie auch später in der literarischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung über Freundschaft enorm einflussreich geworden. Auf Freundschaft in adligen Selbstzeugnissen des 16. Jahrhunderts wird im Anschluss einzugehen sein. Die für die Gelehrsamkeit der Renaissance typischen Ausprägungen des Freundschaftskonzepts finden sich beispielsweise bei Michel de L’Hospital und bei Jacques-Auguste de Thou; Montaignes Essay über die Freundschaft, sicherlich der einflussreichste Text, den das französische 16. Jahrhundert zu diesem Thema hervorgebracht hat, ist weniger typisch, als es zunächst scheinen mag. Bei L’Hospital und Thou fällt auf, dass intensiv auf antike Texte rekurriert wird. Diese werden nicht unbedingt jedes Mal zitiert, sondern die antiken Topoi werden oft in die eigene Argumentation integriert, ohne dass darauf verwiesen wird, woher sie stammen – der Kreis von hochgebildeten Lesern, an den sich diese Texte richten, erkennt die Zitate wieder, ohne dass sie markiert wären. Die antikisierenden Referenzen gehen im übrigen über das Textuelle hinaus und beziehen die Stilisierung der eigenen Lebensweise mit ein. So empfängt Michel de L’Hospital seine Freunde oft auf seinem Landgut in Le Vignay ; die

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ganze Inszenierung evoziert Ciceros Tusculum.943 Der Staatsmann, der zugleich Gelehrter ist, empfängt seine Freunde, procul negotiis und fern der Hauptstadt, auf seinem Landsitz. Wichtig für die neue Konzeption der Freundschaft ist auch der Brief als Medium der Freundschaft. Unter den Gelehrten des 16. Jahrhunderts wird Freundschaft durch Briefe gepflegt, im Brief beteuert; oft wird sie durch einen Brief erbeten. Gelehrte, die sich sehr wahrscheinlich nie gesehen haben, pflegen über Briefe Freundschaften miteinander. Ein Beispiel findet sich bei Thou: Er besucht in Bordeaux Elie Vinet de Barbezieux, der mit vielen Gelehrten befreundet ist, darunter mit George Buchanan, von dem er einmal pro Jahr Briefe erhält, wenn die schottischen Händler in Bordeaux anlegen.944 Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur Freundschaft der Höflinge des 17. Jahrhunderts, an der man nur teilhaben kann, wenn man regelmäßig am Hof anwesend ist. Das schließt Phasen der Abwesenheit nicht aus, in denen Freundschaften dann über Briefe weitergepflegt werden; das ist aber immer nur ein Substitut, das die Zeit bis zur nächsten Begegnung überbrückt. Bei Montaigne wird die antike Idee der Freundschaft, die nur unter den Tugendhaften möglich ist, abgelöst von einer Freundschaft, die radikal auf der Individualität beruht: »Parce que c’¦tait lui, parce que c’¦tait moi.« Es versteht sich zwar, dass die beiden Freunde immer noch tugendhaft sind und so die aristotelische Bedingung erfüllen, aber für Montaigne ist Etienne de La Bo¦tie nicht ersetzbar, auch nicht durch jemand anderen, der ebenso tugendhaft wäre wie er. Freundschaft erscheint bei Montaigne nicht als sozial vorstrukturierte Beziehung, in der die Freunde Rollenerwartungen zu erfüllen haben, sondern als einzigartiges Geschehen, das durch die Personen der beiden Freunde bestimmt wird. Damit aber, das soll noch einmal betont werden, formuliert Montaigne keineswegs den Konsens seiner Zeitgenossen, sondern eine abweichende Einzelmeinung. Das will er im übrigen auch: er wird nicht müde zu betonen, dass seine Freundschaft mit Etienne de La Bo¦tie eine Ausnahme gewesen sei. Er stilisiert sie nicht zum Modell, er empfiehlt sie nicht zur Nachahmung: vielmehr erscheint sie als außergewöhnliche, nicht zu erzwingende Gunst des Schicksals, das zwei perfekt zusammenpassende Seelen zusammenführte. Montaigne beschreibt einen Idealfall; ihm ist klar, dass die Alltagsfreundschaften seiner Zeitgenossen einer anderen Logik gehorchen. Das muss man im Auge behalten, um nicht der optischen Täuschung zu erliegen, das 16. Jahrhundert habe bereits

943 Denis Crouzet, La sagesse et le malheur. Michel de l’Hospital, chancelier de France, Seyssel 1998, 348 – 350. 944 Thou, M¦moires, op. cit., 297.

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eine romantische Freundschaftskonzeption avant la lettre gepflegt, die dann im 17. Jahrhundert von der höfischen Gesellschaft zunichte gemacht worden sei.945 Was adlige Selbstzeugnisse angeht, so ist im 16. Jahrhundert zunächst die Quellenlage eine andere als im 17. Jahrhundert: adlige Selbstzeugnisse sind im 16. Jahrhundert noch wesentlich wortkarger als im darauffolgenden Jahrhundert. Autobiographische Texte beschränken sich meist auf chronologische Aufzählungen, was der Autor wann getan hat. Betrachtet man etwa die Commentaires von Blaise de Monluc,946 so zeigen sie wesentlich eine Reihung von militärhistorischen Details, von Beschreibungen der Schlachten, an denen der Autor teilgenommen hat. Das 17. Jahrhundert bringt jene ausführliche, zunehmend detaillierte Memoirenliteratur hervor, die dann zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit Saint-Simon kulminiert; diese Literatur aber fehlt noch im 16. Jahrhundert. Die in der vorliegenden Untersuchung angewandte Methode ist daher auch für das 17. Jahrhundert weitaus ergiebiger als für die Zeit davor. Aussagen über Freundschaft fallen in den Selbstzeugnissen des 16. Jahrhunderts spärlich; wenn von Freundschaft die Rede ist, werden oft nur wenige Kontextinformationen erwähnt. Die Selbstzeugnisse des 16. Jahrhunderts erwähnen kaum Alltagssituationen; das führt dazu, dass die Praktiken der Freundschaft kaum erwähnt werden. Klaus Oschema hat dieses Quellenproblem für das 15. Jahrhundert, wo es sich noch einmal schärfer stellt als im 16. Jahrhundert, so gelöst, dass er auf historiographische Quellen anstatt auf Selbstzeugnisse rekurrierte.947 Wo aber in den Texten des 16. Jahrhunderts Praktiken der Freundschaft auftauchen, erscheint eine weitgehende Kontinuität zumindest bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Dies gilt beispielsweise für das Duell. Bei BeauvaisNangis kommt ein Duell vor, bei dem der Vater des Autors 1575 seinem Freund, dem Adligen d’O als Sekundant dient. D’O tötet seinen Gegner »au milieu de touts ses amys«; offensichtlich ist die Tatsache, dass sie ihren Freund nicht verteidigt haben oder verteidigen konnten, für die Freunde des Getöteten eine Beschmutzung ihrer Ehre, denn Antoine de Beauvais-Nangis wird – obwohl nur Sekundant d’Os – seinerseits von den als Sekundanten dienenden Freunden des Getöteten gefordert.948 Somit wird also das Versagen beim Schutz des Freundes 945 Diesem Irrtum erliegt Georges Mator¦, der Verfasser des Artikels zur Freundschaft in Bluche (Hg.), Dictionnaire du Grand SiÀcle, op. cit, der feststellt: »V¦cue authentiquement pendant la Renaissance (qu’on pense aux relations de Montaigne et de la Bo¦tie et — la camaraderie des poÀtes de la Pl¦iade), l’amiti¦ semble avoir ¦t¦ moins pratiqu¦e au XVIIe siÀcle.« Cf. Mator¦, Artikel »amiti¦«, op. cit., 71. 946 Blaise de Monluc, Commentaires. 1521 – 1576, hg. von Paul Courteault, Paris 1964. 947 Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, op. cit., 169 – 232. Oschema verwendet das Korpus der sogenannten Burgundischen Historiographie. 948 Beauvais-Nangis, M¦moires, op. cit., 15: »D’O le tua au milieu de touts ses amys et se retira l’esp¦e haute; ce qui aporta une querelle — vostre grand-pÀre, car ceux qui estoient avec

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zum Grund für ein Duell – und dieses ist ja genau das Indiz für die Beschädigung der eigenen Ehre, die wiederhergestellt werden soll. Dass die Sekundanten ihrerseits in Kämpfe miteinander verwickelt werden, kommt wiederum auch im 17. Jahrhundert noch vor. Auch die Umarmung als Geste der Freundschaft ist aus dem 16. Jahrhundert belegt. So zum Beispiel, als Thou 1589 in der Schweiz ist und bei Solothurn949 dem französischen Gesandten Nicolas Br˜lart de Sillery zufällig begegnet: »Il le reconnut, et, mettant aussitút pied — terre avec toute sa suite, il courut l’embrasser comme son intime ami, et demeura avec lui pendant quelques jours.«950 Eskorten sind ebenfalls bereits im 16. Jahrhundert belegt. So bittet Cheverny während der Religionskriege den mar¦chal d’Aumont, mit dem er eng befreundet ist, seine Kinder in sicheres Gebiet zu eskortieren, was dieser gerne tut, auch wenn er dafür wohl einen Umweg in Kauf nehmen muss.951 Auf Ideen über Freundschaft wird in den Selbstzeugnissen des 16. Jahrhunderts weniger rekurriert als in denen des 17. Jahrhunderts; auch dies dürfte ein Effekt des lakonischeren Stils der Berichterstattung sein. Die autobiographischen Texte des 17. Jahrhunderts räumen neben dem Bericht über die Ereignisse als solche Kommentaren und Hintergrundschilderungen viel mehr Platz ein als die Texte des 16. Jahrhunderts; diese Tendenz erreicht an der Wende zum 18. Jahrhundert bei Saint-Simon einen Höhepunkt, wo die Beschreibung von anekdotischen Ereignissen sich abwechselt mit seitenlangen Charakterportraits, die immer auch deutliche Stellungnahmen zu den portraitierten Personen enthalten. Wo aber kommentiert wird, da wird oft auch über Freundschaft reflektiert; dies ist im 16. Jahrhundert somit noch weniger der Fall, was nicht auf die Abwesenheit eines Freundschaftsdiskurses hindeutet, sondern auf andere Charakteristika des Genres Selbstzeugnis. Wenn man dennoch nach Ideen der Freundschaft und hier insbesondere nach Charakteristika des 16. Jahrhunderts suchen will, lassen sich einige Punkte nennen. Ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden hier diskutierten Jahrhunderten ist, dass im 17. Jahrhundert die Religionskriege vorüber sind; daher spielen konfessionelle Loyalitätskonflikte eine wesentlich geringere Rolle als noch im 16. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert überlagern sich oft militärische und konfessionelle Loyalitätskonflikte. In den Religionskriegen kollidieren die Loyalitäten von Freundschaft und Konfession, wenn Adlige vor der Entscheidung stehen, ob sie für die eigene Konfession zu den Waffen greifen sollen, Poissonnier [der Getötete], ayant honte de ce que leur amy avoit est¦ tu¦ au milieu d’eux, se r¦solurent d’en tirer raison«. 949 In der Zeit der Alten Eidgenossenschaft, d. h. bis zur Eroberung der Schweiz durch die revolutionären französischen Armeen ab 1792, war Solothurn der Sitz des französischen Gesandten. 950 Thou, M¦moires, op. cit., 345. 951 Hurault, M¦moires, op. cit., 508.

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obwohl sie mit Angehörigen der anderen Glaubensrichtung befreundet sind – und wenn ja, ob diese Freundschaften dann dennoch aufrechterhalten werden können. Was Patronagebindungen betrifft, die über die Konfessionsgrenzen hinweg reichen, so werden sie in den Religionskriegen manchmal, aber durchaus nicht immer gekappt, wie Sharon Kettering ausgeführt hat.952 Jean-Marie Constant ist der Ansicht, in solchen Konflikten seien die persönlichen Bindungen vorrangig gewesen; es habe eine adlige Moral gegeben, die Personen den Vorrang vor Ideen eingeräumt habe. Die Konversion vieler protestantischer Adliger im Anschluss an den Übertritt Heinrichs IV. zum Katholizismus sei somit als ein Akt der persönlichen Treue (und nicht etwa des Opportunismus) zu verstehen.953 Constant geht so weit, den Adligen zu unterstellen, Religion und politische Optionen seien für sie Privatsache gewesen, die gegenüber der Freundschaft stets nachrangig gewesen seien; die adlige Moral habe verlangt, Bindungen an Personen über Ideen zu stellen.954 So gibt der Ligueur Th¦odore de Ligneris, ein »ami particulier« Thous, diesem den Hinweis, dass die Stadt Chartres sich für die Liga erklären will, so dass Thou sich in Sicherheit bringen kann.955 Der Begriff der »affaire priv¦e« ist allerdings unglücklich gewählt, da er eine Trennung des Religiösen von den öffentlichen Angelegenheiten impliziert, die der Frühen Neuzeit fremd ist; auch die Trennung von Freundschaft und Politik ist für die Frühe Neuzeit alles andere als selbstverständlich. Auf Cond¦s Brief an Gramont wurde hingewiesen, in dem er erörtert, wie eine Freundschaft angesichts unterschiedlicher Parteinahmen in der Fronde dennoch aufrechterhalten werden kann;956 das zeigt ja, dass Freundschaften eben nicht unbeeinflusst von solchen politischen Entscheidungen bleiben. Bestehen bleibt trotz dieser methodischen Einwände gegen Constants Thesen der Befund, dass schon im 16. Jahrhundert Freundschaft über konfessionelle Grenzen hinweg möglich ist. Thou hält trotz – und wenn man seiner Selbstdarstellung glauben darf, gerade wegen – der Vorwürfe seiner katholischen Glaubensgenossen an der Freundschaft mit dem protestantischen Gelehrten Joseph Juste Scaliger fest. Thou betont ausdrücklich, dass Scaliger nie Bekehrungsversuche gegenüber Katholiken unternommen habe, und greift seinerseits diejenigen an, die Freundschaften über Konfessionsgrenzen hinweg für schlecht halten: »J’ai cru devoir, en passant, faire ces r¦flexions, au sujet de l’amiti¦ que de Thou conserva

952 Kettering, Patronage in Early Modern France, op. cit., 860 – 861. 953 Constant, La vie quotidienne de la noblesse franÅaise aux XVIe et XVIIe siÀcles, op. cit., 181 – 182. 954 Constant, Nobles et paysans en Beauce, op. cit., 258 – 260. 955 Thou, M¦moires, op. cit., 335. 956 Archives de Chantilly, Serie J, Bd. IV, fol. 158, Cond¦ an Gramont, 28. September 1651.

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toute sa vie pour l’illustre Scaliger, amiti¦ qui lui fut reproch¦e par une espÀce de gens d’un caractÀre aussi ennemi des lettres que de la vertu.«957 Ein anderes Beispiel bietet Cheverny, der in einen komplexen Loyalitätskonflikt gerät: als sowohl Heinrich IV. als auch die Liga ihn auf ihre Seite ziehen wollen, muss er sich entscheiden zwischen seiner Freundschaft zum Hause Lothringen,958 »dont tous les princes m’ont toujours fait l’honneur de m’aimer« und seiner katholischen Religion auf der einen und der Loyalität zum Monarchen, dessen Gottesgnadentum er ausdrücklich betont, auf der anderen Seite.959 Den Ausschlag für den König gibt dessen Konversionsabsicht. Damit sind die Rivalen konfessionell angeglichen, und im Konflikt zwischen Freundschaft und Königstreue entscheidet sich Cheverny für den König. Ein Beispiel für das komplexe Verhältnis der Treue zum König, zur eigenen Konfession und zu den eigenen Freunden findet sich bei Margarete von Valois. Margaretes Residenz N¦rac ist 1580 nur unter der Bedingung neutralisiert, dass Heinrich von Navarra sich nicht dort aufhält, was er allerdings doch tut. Daraufhin greift der mar¦chal de Biron N¦rac an; er ist aber ein Freund Margaretes. Sie lässt ihm ausrichten, sie verstehe seinen Loyalitätskonflikt, fordert ihn aber auf, ihn zu ihren Gunsten zu entscheiden (und damit zu Lasten Heinrichs III., denn sie sagt nicht, wie er den Angriff auf N¦rac unterlassen könnte, ohne den königlichen Befehl zu verweigern).960 Zwar sind Margarete und Biron beide Katholiken, dennoch ist sie die Frau des Anführers der hugenottischen Kriegspartei, und sie betont ausdrücklich, Biron habe »honneur et bon traittement« all jenen angedeihen lassen, »qui se disoient — moy« (und dies mögen auch Hugenotten gewesen sein). Es handelt sich also um eine Freundschaft, die zwar nicht über die Glaubensgrenze, aber über die militärische Frontlinie hinweggeht. Im entscheidenden Moment schlägt jedoch der Primat der Königstreue durch: Biron greift trotz der Freundschaft zu Margarete N¦rac an. All diese Beispiele zeigen einen hohen Stellenwert des konfessionellen Faktors in den Adels-

957 Thou, M¦moires, op. cit., 274. – Thou redet in seinen Memoiren von sich in der dritten Person. 958 Die Guise, die die prominenteste Familie der Liga sind, sind ein jüngere Linie des Hauses Lothringen. 959 Hurault, M¦moires, op. cit., 503. 960 Marguerite de Valois, M¦moires de Marguerite de Valois, reine de France et de Navarre, in: Michaud/Poujoulat (Hg.), Nouvelle Collection des m¦moires pour servir — l’histoire de France, op. cit., Bd. 1/10, Paris 1838, 391 – 453, hier 449 – 450; Margarete notiert über ihr Gespräch mit Biron: »Je r¦pondis — sa trompette que je sÅavois bien que M. le mareschal ne faisoit en cela que ce qui estoit du devoir de la guerre et du commandement du Roy, mais qu’un homme prudent comme il estoit pouvoit bien satisfaire et — l’un et — l’autre sans offenser ses amis ; qu’il me pouvoit bien laisser joüir ces trois jours du contentement de voir le Roy mon mari — Nerac« (450).

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freundschaften des 16. Jahrhunderts und in ihren Konflikten und Dilemmata, den es so im 17. Jahrhundert nicht mehr gibt. Noch weniger als im 17. Jahrhundert ist im 16. Jahrhundert das Gefüge von Institutionen ausgebildet, die den Austausch von Gütern und Leistungen und die Gewährleistung der Sicherheit übernehmen. Was über den größeren Stellenwert materieller Hilfeleistung in den Freundschaften des 17. Jahrhunderts im Vergleich zu denen der Moderne gesagt wurde, gilt a fortiori für das 16. Jahrhundert.

III.2. Freundschaft im klassischen Zeitalter Auf der konzeptionellen Ebene herrscht in der Frühen Neuzeit insgesamt eine Gemengelage bei den Freundschaftsvorstellungen; Jonathan Dewald hat darauf hingewiesen, dass im 17. Jahrhundert sowohl Ideen über Freundschaft bestanden, die zurück in die Antike und ins Mittelalter, als auch solche, die vorwärts in 18. Jahrhundert verwiesen.961 Die in der Antike wurzelnde Vorstellung, Freundschaft beruhe auf intrinsischen Qualitäten, ist noch dominant. Gleichzeitig ist aber schon eine neue Vorstellung artikuliert, die mit Montaigne vielleicht nicht beginnt, aber ihren ersten prominenten Ausdruck erhält: Freundschaft als radikale Individualität. Diese Vorstellung ist aber weder in Montaignes eigener Zeit noch im darauffolgenden Jahrhundert dominant, sondern wird es erst in der Sattelzeit. Im Bereich der Selbstzeugnisse wird im 17. Jahrhundert sowohl in den Briefen wie auch in den Memoiren das Thema Freundschaft häufiger erwähnt als im 16. Jahrhundert. Dabei darf man nicht der optischen Täuschung verfallen, das Phänomen sei für die Gesellschaft im Übergang zum grand siÀcle radikal wichtiger geworden als im Jahrhundert zuvor ; es ist schlicht so, dass die Texte an Anzahl und Länge zunehmen. Fortschritte in der Papierherstellung dürften die handschriftliche und die gedruckte Kommunikation intensiviert haben: Papier wurde preiswerter, so dass es nun auch für Gelegenheits- und Gebrauchstexte wie etwa Depeschen oder billets verwendet werden konnte. Einen solchen Gebrauch hatte man im Mittelalter von Beschreibstoffen nicht gemacht, diese waren vielmehr – wie die Praxis der Palimpseste zeigt – so wertvoll, dass sie wiederverwendet wurden. Die Veröffentlichung von Memoiren dürfte auch von Fortschritten in der Drucktechnik und von der stetigen Vermehrung der Anzahl der Druckerpressen profitiert haben; der Buchdruck hatte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts in Frankreich quantitativ immer mehr ausgeweitet.962 Zudem 961 Dewald, Aristocratic Experience, op. cit., 108. 962 Zum Aufschwung des Druckgewebes in Frankreich im 16. Jahrhundert cf. Frank-Rutger

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wirkt sich die innere Pazifizierung Frankreichs nach dem Ende der Religionskriege günstig aus; Druck und Vertrieb von Büchern können im Klima inneren Friedens ungleich effektiver und berechenbarer betrieben werden als in der Zeit des Bürgerkriegs. Dies aber ist nicht nur eine Veränderung der Quellenlage über die Freundschaft, sondern auch eine Veränderung des Phänomens selber : denn das nun im Vergleich zum 16. Jahrhundert viel extensivere Reden über die Freundschaft ist ja selbst eine Veränderung in den Praktiken der Freundschaft. Die Zeitgenossen, die über Freunde und Freundschaft schreiben, sind keine Historiker, die eine distanzierte Zeitdiagnose geben wollen; ihre Texte sind vielmehr selbst Handlungen, mit denen sie oft ganz konkrete Ziele verfolgen;963 bei Briefen ist dies am deutlichsten. Dass nun innerhalb der höfischen Elite viel mehr und ausführlicher als im Jahrhundert zuvor über höfische Soziabilität und über Phänomene wie Freundschaft und Liebe geschrieben wird, schafft unter den literarisch tätigen Adligen eine im Vergleich zum 16. Jahrhundert intensivierte Reflexion über diese Phänomene, die sich in Werken wie La Rochefoucaulds Maximen und La BruyÀres Charakteren niederschlägt – das 16. Jahrhundert kennt diese aphoristische Weise der Reflexion über Freundschaft noch nicht. Die gelehrten Texte des 16. Jahrhunderts gehen anders an das Thema heran. Wenn man Denker, die in der höfischen Gesellschaft leben, wie etwa La Rochefoucauld und La BruyÀre, mit den humanistischen Denkern des 16. Jahrhunderts vergleicht, so fallen deutliche Unterschiede auf. Man könnte zwar argumentieren, dieser Vergleich sei nicht statthaft, da hier eben nicht Gleiches mit Gleichem verglichen werde, sondern die gelehrte Kultur eines Jahrhunderts mit der adlig-höfischen Kultur eines anderen. Dennoch ist dieser Vergleich notwendig: denn die humanistischgelehrte Textproduktion des 16. und die im höfischen Milieu beheimatete Literatur des 17. Jahrhunderts sind jeweils für das Bild, das sich spätere Generationen von diesen beiden Jahrhunderten gemacht haben, bestimmend geworden. Montaignes essayistische Herangehensweise betont ganz andere Züge der Freundschaft als die genannten Moralisten des 17. Jahrhunderts. Während Montaigne fern vom Hof in einem Klima religiöser Gewalt die eine, wahre Freundschaft zu einem sicheren Halt in einer aus den Fugen geratenen Welt verklärt (wobei die Schrecken des Bürgerkriegs nicht erwähnt werden, als Hausmann, Französische Renaissance, Stuttgart/Weimar 1997, 122 – 127. Cf. des weiteren die große Gesamtdarstellung über die Geschichte des Buches im frühneuzeitlichen Frankreich, Henri-Jean Martin/Roger Chartier (Hg.), Histoire de l’¦dition franÅaise, 4 Bde., Bd. 1: Le livre conqu¦rant : du Moyen ffge au milieu du XVIIe siÀcle, Paris 21989. 963 Eine Analyse frühneuzeitlicher narrativer Quellen unter dem Aspekt ihrer Eigenschaft als Handlungen wurde jüngst vorgenommen bei Jouhaud/Ribard/Schapira, Histoire, Litt¦rature, T¦moignage, op. cit.

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stummer Hintergrund aber präsent sind), stellen die höfischen Autoren des folgenden Jahrhunderts die Unvollkommenheit, oft auch die Verlogenheit der höfischen Freundschaften dar. Dabei ist ihre Darstellungsweise jene, die für die Moralistik des grand siÀcle typisch ist: die Schwächen und Laster der Menschen werden geschildert, wobei die Darstellung nicht von einem anklagenden Kommentar begleitet wird. Denn einerseits ist die kommentarlose Darstellung selbst die harscheste Kritik der Zustände – und andererseits aber glauben die Moralisten, Anhänger einer pessimistischen Anthropologie, nicht an die Heilbarkeit der menschlichen Schwächen.964 Die höfische Gesellschaft bringt hier also ein Denken hervor, das das Hofleben und damit auch die höfischen Freundschaften ironisch und illusionslos betrachtet. Von der antiken Tugendfreundschaft ist hier nicht mehr viel übrig. Ob in diesem Denken die Werte, die später gegen den Hof in Stellung gebracht werden – Aufrichtigkeit, Natürlichkeit, Tüchtigkeit – bereits angelegt sind,965 ist schwierig zu beurteilen; man könnte argumentieren, die Beschreibung der verlogenen höfischen Freundschaften impliziere bereits die Konklusion, eine neue, ehrlichere Art von Freundschaft (oder aber eine Rückkehr zu früheren, einfacheren, natürlicheren Formen menschlichen Zusammenlebens) sei nötig. Allerdings steht dem in der Tat das pessimistische Menschenbild der höfischen Moralisten gegenüber. Erst das späte 18. Jahrhundert entwickelt im Zuge der Aufklärung eine positivere Sicht des Menschen; daraus folgt dann in der Tat auch die Forderung nach besseren, tugendhafteren Beziehungen unter den Menschen. Die höfischen Hochadligen des 17. Jahrhunderts eignen sich auch die Antike anders an als die gelehrten Humanisten des 16. Jahrhunderts. Die Antike ist für sie eher eine Requisitenkammer für die eigene Selbststilisierung als ein Universum, das es systematisch sich anzueignen gilt. Die adlige Art, mit Wissen umzugehen, ist eine andere als die gelehrte.966 Neben dem Ideal der sprezzatura, das verlangt, dass die Gelehrsamkeit nicht zur Pedanterie ausarten dürfe, gibt es sicher noch einen weiteren Grund: anders als die gelehrten Humanisten blicken die Schwertadligen auf lange Familiengeschichten zurück, die ins Mittelalter zurückreichen. Für sie ist das Mittelalter nicht eine finstere Epoche, von der es sich abzusetzen gilt. Vielmehr beruht die Dignität ihrer Häuser ja gerade darauf, dass sie sich weit ins Mittelalter zurückverfolgen lassen. Es gibt bei ihnen also 964 Auch MoliÀres Komödien sind ein Spiegel dieser Haltung: die Charakterfehler der Protagonisten werden ins Lächerliche gezogen – doch von ihren Lastern kuriert werden der Geizige, der ehrgeizige Bürger als Edelmann oder der Eingebildete Kranke nicht. 965 So die Kernthese von Dewald, Aristocratic Experience, op. cit. 966 Die Gegenüberstellung von adliger und gelehrter Antikenkultur entwickelt Gerrit Walther, Adel und Antike. Zur politischen Bedeutung gelehrter Kultur für die Führungselite der Frühen Neuzeit. In: Historische Zeitschrift 266 (1998), 359 – 385, hier 367 – 368, der im übrigen auch Montaigne der adligen Antikenkultur zurechnet.

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nicht das Bestreben, unter Ausklammerung des Mittelalters direkt an die Antike anzuknüpfen. Vielmehr bietet die Antike Beispiele von exemplarischen Helden, mit denen man sich selbst vergleichen kann. Folgerichtig sind die Figuren, an denen man sich orientiert, bei den Höflingen andere als bei den Humanisten: es ist kein Zufall, dass Michel de L’Hospital sich an Cicero orientiert, während der Grand Cond¦ Alexander zum Vorbild wählt. Die kriegerischen Schwertadligen haben anders als die Amtsadligen verständlicherweise kein Interesse am Gestus des cedant arma togae. Auch wenn die höfische Gesellschaft, wie sie sich im 17. Jahrhundert herausgebildet hat, in ihren institutionellen Strukturen bis 1789 bestehen bleibt, so bleibt dennoch die Zeit nicht stehen. Eine eigene Untersuchung über Adelsfreundschaft im 18. Jahrhundert steht noch aus; hier soll als Hypothese formuliert werden: Als dominierende Veränderung der Ordnung der Freundschaft im Elitenmilieu, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts ergibt, kann die schärfere Ausdifferenzierung der Sphären des Öffentlichen und des Privaten angesehen werden. Im Zuge des Ausbaus der Staatsgewalt werden der Hof und die Verwaltung zunehmend voneinander getrennt; das stehende Heer trennt zudem zunehmend die Gesellschaft der Höflinge von derjenigen der professionellen Militärs, wohingegen noch im 17. Jahrhundert jeder männliche Höfling, der kein Geistlicher ist, unter dem Erwartungsdruck steht, für seinen König in den Krieg zu ziehen, um nicht als »noble paresseux« zu gelten. Im Adelskonzept des 17. Jahrhunderts ist noch jeder Adlige durch Geburt Berufspolitiker und Berufssoldat. Im Zuge der beschriebenen Institutionalisierung von Verwaltung und Militär wird dieses weniger selbstverständlich. Das heißt nicht, dass ein Adliger nicht Administrator oder Militär werden könnte; nur ist er es eben nicht schon in seiner Eigenschaft als Adliger. Er erwirbt diese Funktionen erst, wenn auch aufgrund der nach wie vor herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung des Adels oft leichter als seine nichtadligen Konkurrenten. Mehr und mehr aber wird das Einschlagen solcher Laufbahnen zu etwas, das dem klassischen Adelsmodell fremd ist, nämlich zu einer Berufswahl im modernen Sinne. Die alte Einheit der Adelskultur, nämlich die selbstverständliche Einheit von höfischem Leben, Politik und Kriegsdienst, zerbricht im 18. Jahrhundert.

III.3. Freundschaft in Aufklärung und Romantik In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, zu Beginn der sogenannten Sattelzeit, verändert sich das Denken über Freundschaft deutlich. Schon Friedrich Tenbruck hat die Ansicht vertreten, die Freundschaft der Epoche 1750 – 1850, für ihn die »große Epoche der Freundschaft in der deutschen Geschichte«, sei etwas

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qualitativ Neues gewesen.967 Während sich das moralistische Denken des klassischen Zeitalters von der Idee der Tugendfreundschaft wegbewegt und betont hatte, wie viel Eigennutz und menschliche Schwäche in Freundschaften stecke, betonen Aufklärung und Romantik aufs Neue die wahre Freundschaft. Dabei wird durchaus nicht behauptet, dass am Hof, bei den Mächtigen, wahre Freundschaft zu finden wäre, im Gegenteil. Nur erscheint dieser Befund jetzt nicht mehr als Ausfluss der Schwächen der menschlichen Natur, sondern als Folge einer bestimmten politischen und gesellschaftlichen Ordnung. Die aufklärerische und romantische Sehnsucht nach echter, aufrichtiger Freundschaft ist somit mehr und anderes als die stereotype traditionelle Hofkritik, die es gibt, solange es Höfe gibt, also seit dem Mittelalter. Denn in der Sattelzeit kommt die Kritik an den Höfen nicht mehr von Angehörigen des höfischen Milieus selbst. Die Konsequenz, auf die sie hinausläuft, ist nicht, wie bisher, Rückzug vom Hof entweder ins Landleben oder ins Kloster ; die aufklärerischen und insbesondere die romantischen Philosophen und Schriftsteller sind oft gar nicht am Hof. Vielmehr ist ihre Kritik umfassender, der Hof ist nur Teil eines politisch-sozialen Gesamtsystems, an dem sie Kritik üben. Ihre Forderungen zielen – und das ist neu – in letzter Konsequenz auf die Abschaffung der Höfe selbst. In dieser Perspektive scheint somit der romantische Freundschaftskult durchaus verbunden mit einer anderen Idee der gleichen Zeit, nämlich der revolutionärrepublikanischen Brüderlichkeit. Beide erscheinen als Bilder neuer, menschlicherer, aufrichtigerer Beziehungen, die es den verlogenen und verkrusteten Beziehungen der Eliten des Ancien R¦gime entgegenzusetzen gelte. Dabei weisen die beiden Ideen durchaus auch in entgegengesetzte Richtungen: während die Brüderlichkeit universalisiert wird und somit auf die Nation, wenn nicht auf die gesamte Menschheit zielt (die fraternit¦ der ersten französischen Republik, das Schillersche »Alle Menschen werden Brüder«), wird das Ideal der Freundschaft eingeengt auf wenige Personen, wenn nicht gar auf eine einzige. Folgerichtig kommt die Forderung nach emotionaler Vertiefung der Freundschaft auf. Rousseau in Frankreich, Hölderlin in Deutschland betonen Aufrichtigkeit als zentralen Wert. Die Freundschaft, wie sie beispielsweise in Hölderlins »Hyperion« beschrieben wird, wo sich zwei Freunde darum streiten, wer dem anderen durch den Verzicht auf die von beiden geliebte Frau die Tiefe seiner Zuneigung beweisen darf, ist somit ein Modell, das mit den Ideen höfischer Freundschaft nichts mehr gemein hat. Der »Hyperion« verweist auf einen schon erwähnten ideengeschichtlichen Zug, der im 18. und 19. Jahrhundert stärker wird: es ist dies die Idee, dass wahre Freundschaft letztlich nur mit einer einzigen Person möglich sei. Diese Idee ist ein Korollarium der emotionalen Tiefe, die jetzt für die wahre Freundschaft 967 Tenbruck, Freundschaft, op. cit., 436 – 437.

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gefordert wird: je höher die Anforderungen an Freundschaft sind, desto weniger Freunde, die diesen Namen verdienen, kann man haben. Das logische Ende dieses Gedankens ist die Idee, dass neben einem einzigen wahren Freund für andere Freunde kein Platz ist. Am Ende der Frühen Neuzeit gelangen also Vorstellungen zum Durchbruch, die bei Montaigne bereits im Wesentlichen ausformuliert sind, im 16. und 17. Jahrhundert sich aber gegen den Diskurs der höfischen Freundschaft nicht durchsetzen können. Andreas Schinkel weist darauf hin, dass bei Shaftesbury die höfische Nutzenfreundschaft nicht mehr vorkommt.968 Schinkel selbst deutet dies so, dass Shaftesbury im England des ausgehenden 17. Jahrhunderts unter politischen Verhältnissen lebt, die sich verglichen mit denjenigen der Autoren der Hofmannstraktatistik verändert haben. Das kann so verstanden werden, dass Shaftesbury bereits nicht mehr in einer höfischen Gesellschaft lebt; das trifft allerdings sicher nicht zu, sind die Höfe im 18. Jahrhundert doch noch sehr vital. Einleuchtender erscheint eine innerdiskursive Erklärung: der aufklärerische Vernunft- und Moraldiskurs verträgt sich nicht mehr mit höfischer Strategie; im 18. Jahrhundert kann man ein Buch wie Farets »Moyen de parvenir« schon vom Titel her nicht mehr schreiben, von Graci‚n ganz zu schweigen. Auch wenn die Praktiken im Alltag diesem Anspruch sicher nicht immer genügen, muss eine aufklärerische Freundschaftstheorie die Freundschaft auf Vernunft und damit auf Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit gründen, um innerhalb des aufklärerischen Weltbildes kohärent sein zu können. Das schließt eine Freundschaft der Verstellung, der Winkelzüge, der Hintergedanken aus. Dass bei den Aufklärern die höfische Freundschaft nicht mehr als echte Freundschaft gesehen wird, ist somit wohl eher Kritik an den als dekadent empfundenen Höfen denn ein Zeichen dafür, dass die Höfe bereits in Auflösung begriffen wären. Auf dem Weg vom 18. ins 19. Jahrhundert lädt sich der Freundschaftsdiskurs stärker mit irrationalen, das Emotionale gegenüber dem Rationalen betonenden Elementen auf. Das war bei den am Ende des 18. Jahrhunderts stehenden Denkern Rousseau und Hölderlin bereits deutlich geworden. Was nun zählt, ist Seelenverwandtschaft, nicht mehr unbedingt die Verbindung der Weisen und Tugendhaften. Damit einher geht eine Neubewertung des Faktors Alter in Freundschaften. Empirisch erwerben natürlich auch die Adligen der Frühen Neuzeit viele Freundschaften in der Jugend. Anne Vincent-Buffault hat argumentiert, die Frühe Neuzeit sehe Jugendfreundschaften als unfertig an und schreibe erst dem reifen Erwachsenenalter die Fähigkeit zu Freundschaften im Vollsinn des Wortes zu. Das ändere sich im 19. Jahrhundert, wo der Jugendfreundschaft nun immer stärker charakterbildende Funktion zugeschrieben

968 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 294 – 295.

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werde.969 Die Lektüre der Selbstzeugnisse aus dem 17. Jahrhundert bestätigt diese Lesart zumindest teilweise. Diese Texte erwähnen durchaus Freundschaften, die in der Jugend geschlossen wurden; die Jugendfreundschaft ist aber kein Thema um ihrer selbst willen. Jugendfreundschaften werden in keiner Weise herausgehoben, sie werden allerdings auch in keiner Weise gegenüber anderen Freundschaften abgewertet. Es fehlt in den Selbstzeugnissen des grand siÀcle auch das nostalgische Zurückblicken auf die unwiederbringlich vergangenen Freundschaften der Jugend. Die Denkfigur, dass die Gefühle reiner und intensiver sind, wenn man jung ist, dass die Freundschaft am schönsten blüht, solange man noch kein Philister geworden ist, scheint also in der Tat eine Neubildung ab der Sattelzeit zu sein. Das passt wiederum zu der Emphase auf Gefühl und Aufrichtigkeit; die Freundschaft ist innerhalb der aufklärerischromantischen Konzeption dann am edelsten, wenn die Freunde noch in einem Alter sind, in dem sie noch nicht in das Erwachsenenleben eingetreten sind, noch nie moralische Kompromisse eingehen mussten, noch keine Politik betreiben und keine Geschäfte machen. Wenn Aufklärung und Romantik aber hohe ethische Anforderungen an die Freundschaft stellen, so kehren sie damit nicht zur antiken Tugendfreundschaft zurück. Den Romantikern ist die Idee fremd, dass man sich Freundschaft verdienen könne. Wie bei Montaigne schon vorgezeichnet, wird als Basis der romantischen Freundschaftsidee die irreduzible Individualität des Freundes gesetzt. Ähnlich wie bei der sich parallel zum Aufkommen der Liebesheirat durchsetzenden modernen Konzeption der Liebe, die idealiter nur einmal im Leben vorkommen und das ganze Leben dauern soll (eine der als Passion verstandenen Liebe der höfischen Gesellschaft entgegengesetzte Konzeption), so legen auch bei der Freundschaft die nun dominierenden Konzeptionen den Akzent auf den Zusammenklang zweier Seelen. Das bedeutet gegenüber der Tugendfreundschaft eine Mystifizierung der Freundschaft, da nun die Frage, wer sich als wahrer Freund eignet, nicht mehr mit der Vernunft, sondern mit dem Gefühl erfasst werden muss. Eine solche Konzeption ist kaum vereinbar mit der Erörterung klar angebbarer Kriterien, wie ein guter Freund beschaffen sein muss. Bei den Praktiken der Freundschaft ist es wesentlich schwieriger als bei den Ideen, ihre Veränderungen nachzuzeichnen, da sie sich – wie schon im Untersuchungszeitraum des systematischen Teils – weniger in der »gepflegten Semantik«970 widerspiegeln als in Selbstzeugnissen des Alltags. 969 Vincent-Buffault, L’exercice de l’amiti¦, op. cit., 14 – 15; cf. auch im selben Buch das Kapitel »L’adolescence invent¦e«, 135 – 183. 970 Der Begriff der »gepflegten Semantik« wird entwickelt bei Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, op. cit., Bd. 1, Frankfurt am Main 1980, 19, wo ihr der weniger formalisierte Alltagsgebrauch entgegengestellt wird.

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Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte sich die Korrespondenzpraxis im französischen Adel verändert: der formelhafte Apparat der frühneuzeitlichen Korrespondenz ist immer noch die Norm, aber nun kann man Intimität dadurch ausdrücken, dass man ihn demonstrativ weglässt.971 MarieClaire Grassi hat dies in die Formel gefasst, Intimität zeige sich in dieser Kultur als Kunst der Normübertretung.972 Damit aber deutet sich ein bedeutsamer Wandel an, nämlich die Einführung der Intimität in die schriftliche Korrespondenz unter Freunden. Die frühneuzeitlichen Briefe zwischen Freunden unterscheiden sich in ihrem Vokabular und Tonfall nicht wesentlich von Korrespondenzen, in denen von Freundschaft nicht die Rede ist. Angesichts der Instabilität höfischer Freundschaften verwundert das auch nicht. Mit der Verschiebung von Loyalität zu Intimität als dem Zentrum der Freundschaft, wie sie in der Sattelzeit eintritt, verschieben sich auch die sprachlichen Register. Es entsteht eine Art und Weise des Kommunizierens unter Freunden, die dieser Beziehung eigentümlich ist.973 Am Ende des 18. Jahrhunderts entsteht das journal intime, das Freunde auch gegenseitig lesen.974 Das passt eindeutig zu der neuen Vorstellung der exklusiven Freundschaft mit wenigen Auserwählten. Ältere tagebuchartige Genres wie beispielsweise die bürgerlichen ricordanze oder livres de raison des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit erwähnen Ereignisse in der Familiengeschichte, schweigen sich aber über den Bereich der Gefühle aus;975 das ist um so folgerichtiger, als diese Dokumente oft nicht das Zeugnis eines einzelnen sind, sondern über Generationen weitergegeben werden, sie sich somit als Ausdruck der Befindlichkeit eines Individuums schlecht eignen. In Deutschland findet der neue Diskurs der Intimität im späten 18. Jahrhundert eine geradezu exaltierte Ausprägung im empfindsamen Freundschaftskult. In dem Maße, wie die frühneuzeitlichen materiellen Freundschaftsdienste delegitimiert werden, wird die Korrespondenz selbst als Ausdruck der Freundschaft stärker betont.976 Auch hier spielt die stärkere Trennung der öffentlichen und privaten Sphäre gegenüber dem grand siÀcle hinein: es entwickeln sich nun verschiedene Sprachregister des Briefschreibens. Auf der einen 971 Marie-Claire Grassi, Un r¦v¦lateur de l’¦ducation au XVIIIe siÀcle: expressions de la vie affective et correspondances intimes, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 28 (1981), 174 – 184, hier 179. 972 Ebd., 174. 973 Vincent-Buffault, L’exercice de l’amiti¦, op. cit., 13. 974 Ebd. 975 Klapisch-Zuber, Parents, amis et voisins, op. cit., 68. Cf. des weiteren zu den ricordanze Dies., Propager l’injure? Les limites de l’intime dans l’¦criture priv¦e, in: Odile Redon/Line Sallmann/Sylvie Steinberg (Hg.), Le d¦sir et le go˜t. Une autre histoire, XIIIe-XVIIIe siÀcle, Vincennes 2005, 291 – 307. 976 Vincent-Buffault, L’exercice de l’amiti¦, op. cit., 21.

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Seite stehen Briefe, die der politischen oder beruflichen Sphäre angehören, also etwa diplomatische Korrespondenz, Verwaltungsschreiben oder Geschäftsbriefe; hier bleibt die aus der Frühen Neuzeit überkommene Praxis der formelhaften Sprache erhalten, insbesondere in Anfangs- und Schlussformeln von Briefen. Auf der anderen Seite steht der Privatbrief, der der Pflege der Beziehung dient, nicht unbedingt in erster Linie der Übermittlung einer Sachinformation; dieses Genre entwickelt den neuen Stil der Intimität. Interessant ist, dass die neue Kultur der Aufrichtigkeit und Intimität sich abgrenzt vom Hof. Für Deutschland hat Norbert Elias diese Entwicklung so gedeutet, dass die bürgerlichen Intellektuellen Deutschlands, die anders als die Eliten Frankreichs kein großstädtisches intellektuelles Zentrum wie Paris haben, sondern in kleineren Städten zuhause sind (und auch an den klein- und mittelstädtischen Landesuniversitäten sozialisiert werden), diese neue Kultur in Abgrenzung zu den adligen Oberschichten des eigenen Landes entwickeln, die sich ihrerseits am französischen höfischen Modell orientieren.977 Aufrichtigkeit, so Elias, werde betont als eine Tugend, die der Falschheit der Höflinge entgegengesetzt sei.978 In Frankreich ist das aus verschiedenen Gründen anders: das Bürgertum orientiert sich kulturell in vieler Hinsicht am Hof, die geographische Nähe von Hof und Hauptstadt führt im 18. Jahrhundert beispielsweise in der Salonkultur979 zu häufigeren Kontakten adliger und bürgerlicher Milieus. Nicht zuletzt dauert in Deutschland das Ancien R¦gime im 19. Jahrhundert stärker 977 Elias, Der Prozeß der Zivilisation, op. cit., Bd. 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, Frankfurt am Main 1997, 105 – 114. 978 Ebd., 108. Elias’ Formulierung sei, da sie vieles zusammenfasst, hier wörtlich wiedergegeben: »Man findet in den Schriften der jungen Generation des Hainbundes Äußerungen eines wilden Hasses gegen Fürsten, Höfe, Aristokraten, gegen Französlinge, höfische Unmoral und Verstandeskälte, und man findet überall in der mittelständischen Jugend vage Träume von einem neuen, geeinten Deutschland, einem natürlichen Leben, ›natürlich‹ gegenüber der ›Unnatur‹ des höfisch gesellschaftlich Lebens, und immer wieder die gewaltige Lust an dem eigenen Gefühlsüberschwang.« 979 Aktuelles Standardwerk zur Salonkultur ist in französischer Sprache Antoine Lilti, Le monde des salons. Sociabilit¦ et mondanit¦ — Paris au XVIIIe siÀcle, Paris 2005. In englischer Sprache Lougee, Le paradis des femmes. Women, op. cit. In deutscher und italienischer Sprache jetzt Rita Unfer Lukoschik, Der Salon als kommunikations- und transfergenerierender Kulturraum/Il salotto come spazio culturale generatore di processi communicativi di interscambio, München 2008. Da der Band den Schwerpunkt auf die Rolle des Salons als Ort des kulturellen Austauschs legt, beschäftigen sich mehrere Beiträge auch mit dem französischen Kulturraum, so Rita Unfer Lukoschik, Der Salon als hybrider Ort feminozentrischen Kulturtransfers: die Gräfin d’Albany (1752 – 1824) und Madame d’Epinay (1726 – 1783) im Spannungsfeld französischer, italienischer und deutscher Kultur, in: ebd., 219 – 242, und Renate Knoll, Haupt- und Nebenwege des Kulturtransfers: der Salon im Grand SiÀcle der fünfziger Jahre, in: ebd., 165 – 184. Die Rezeption der italienischen Salonkultur in Frankreich thematisiert Olaf Müller, ›mÞme toilette, mÞme ton, mÞme usage‹ ? Französische Blicke auf die italienische Salonkultur zwischen Nostalgie und Utopie (Madame de StaÚl, Chateaubriand, Stendhal), in: ebd., 243 – 262.

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fort als im Frankreich der Restauration, der Julimonarchie und erst recht der folgenden Regime. Dennoch hat auch in Frankreich die Entwicklung neuer, freierer Formen des Schriftverkehrs die höfische Korrespondenzkultur zum Hintergrund – und grenzt sich damit von dieser ab.980 Auf der Ebene der Praktiken entspricht der Einengung der Freundschaften auf wenige, exklusive und stark emotionalisierte Beziehungen eine Intensivierung der körperlichen Gesten. Die Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts bringt es mit sich, dass viel geweint und viel geküsst wird.981 Dabei ist der Freundschaftskuss ein Kuss auf den Mund, im Extremfall sogar zwischen gemischtgeschlechtlichen Freundespaaren.982 Bemerkenswert ist allerdings, dass der Kuss zwischen Männern nicht mit dem Argument der unscharfen Abgrenzung zur Homosexualität kritisiert wird; hier tritt erst um 1900 eine Änderung ein. Darüber hinaus verschiebt sich in der Romantik das Verhältnis der Freundschaft zur Feindschaft. Freundschaft und Feindschaft gelten nun nicht mehr als komplementär und als leicht ineinander überführbar : Freundschaft ist nun Selbstoffenbarung, Seelenverwandtschaft, nicht mehr eine der beiden Seiten der Unterscheidung von Loyalität und Illoyalität. Die Idee der romantischen Freundschaft, die man idealiter mit einer einzigen Person führt, braucht die Feindschaft nicht mehr als Kontrastfolie. Anders gewendet: solange Freundschaft zentral auf Loyalität gegründet erscheint, ist der Gegensatz zur Feindschaft naheliegend; wenn sie auf Intimität gründet, nicht mehr. Freundschaft erscheint nun vor allem als Schutz gegen die Vereinsamung des Menschen in der anonymen Massengesellschaft, nicht etwa gegen Feinde in einem überschaubaren sozialen Universum. Dazu passt, dass gerade die Romantik eine Gegenbewegung gegen die Folgen technischer Modernisierung für das gesellschaftliche Leben ist. Die Freundschaft erscheint weniger als Heilmittel gegen die Bedrohung durch Feinde als gegen die Vereinsamung des Menschen in einer entzauberten und zunehmend technisierten Welt. Somit erscheint es logisch, dass 980 Vincent-Buffault, L’exercice de l’amiti¦, op. cit., 22 – 23. 981 Dieter Martin, Der Freundschaftskuß im 18. Jahrhundert, in: Manger/Pott (Hg.), Rituale der Freundschaft, op. cit., 51 – 67, hier 51. 982 Ebd., 53 – 54. – An der Praxis des Freundschaftskusses unter Männern regt sich in Deutschland durchaus auch Kritik; der lutherische Prediger Hermann Christoph Gottfried Demme, der in einer Schrift aus dem Jahre 1790 den seiner Ansicht nach heuchlerischen Freundschaftskuss wieder durch den Handschlag ersetzt sehen möchte, der männlicher und deutscher sei (cf. ebd., 63 – 64), mag als Beispiel für eine Richtung dienen, die sich im 19. Jahrhundert verstärkt: die Betonung der Ehrlichkeit in der Freundschaft, deren Gegenteil, die Heuchelei, in Deutschland mit dem Adel assoziiert wird – und mit der französischen Hofkultur, von der eben dieser Adel im 18. Jahrhundert europaweit beeinflusst worden war. Dieses Phänomen zeigt sich auf verschiedenen Ebenen, unter anderem in der Architektur von Schlössern, die sich am Versailler Modell orientiert, in der Mode, dem Hofzeremoniell und nicht zuletzt in der häufigen Verwendung der französischen Sprache durch die adligen Eliten Europas.

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den Romantikern ein einziger Freund ausreichend erscheint – was im Kontext höfischer Freundschaft der Frühen Neuzeit eine Absurdität wäre. Die Aussage, dass vertiefte, emotionale Freundschaft unter den Bedingungen von beginnender Industrialisierung, sozialem Wandel und entstehender Massengesellschaft an Bedeutung gewinnt, soll hier aber nicht so generalisiert werden, wie Tenbruck es tut, der argumentiert, Freundschaft sei immer in den Epochen besonders wichtig gewesen, wo das soziale Gefüge nicht vollkommen fest gefügt gewesen sei oder sich durch Differenzierung verändert habe.983 Freundschaft hat in seiner Deutung eine kompensatorische Funktion für die Defizite des sozialen Gefüges, aufgrund derer sich das Individuum notgedrungen zu anderen Individuen hinwendet; dies ist nach Tenbruck im Griechenland des Aristoteles ebenso zu finden wie in der Renaissance und in der Sattelzeit.984 Die höfische Gesellschaft des 17. Jahrhunderts aber ist ja eine, die in Tenbrucks Modell für Freundschaft eigentlich keine Verwendung hat: der Hof ist eine sehr mächtige Institution, die das Leben ihrer Angehörigen in seiner Gänze einbezieht und streng reglementiert. Dennoch nimmt Freundschaft in den Selbstbeschreibungen der Höflinge einen breiten Raum ein. Zwar räumt Tenbruck ein, dass es auch ritualisierte Freundschaft gebe, will diese aber zum einen nicht als wirklich freiwillige Zweierbeziehung, sondern als sozial überwachte Bindung gesehen wissen und lokalisiert sie zum anderen nicht am Hof;985 dieses Modell greift also für die Beschreibung der höfischen Gesellschaft nicht. Mit der Entpolitisierung und Privatisierung der Freundschaft geht eine Delegitimierung des Nutzenaspekts einher ; utilitaristische Motive gelten nun als Verunreinigung der Freundschaft.986 Es handelt sich hier zwar einerseits um eine Wiederaufnahme des alten aristotelischen Motivs, wonach die Nutzenfreundschaft keine echte Freundschaft ist; andererseits aber wird diese Idee in der Romantik auch radikalisiert. Denn das Gegenbild ist nun nicht mehr die Tugendfreundschaft, aus der ja durchaus auch Nutzen hervorgehen kann, sondern die auf Gefühlen und gegenseitiger Selbstoffenbarung beruhende Herzensfreundschaft. Montaigne ist gewissermaßen der Patron der romantischen Freundschaftsidee – ohne dass damit unbedingt gesagt sein müsste, dass sich das romantische Denken über Freundschaft ausdrücklich auf ihn bezieht. Die Trennung von Freundschaft und Nutzen entspricht der stärkeren Trennung von öffentlich und privat auf der Diskursebene. Allan Silver hat sich gegen die ältere Auffassung gewandt, wonach personale Beziehungen in der Moderne 983 Tenbruck, Freundschaft, op. cit., 442 – 443. 984 Ebd., 436 – 447. 985 Ebd., 448 – 449. – Vielmehr lokalisiert Tenbruck diese Art der Freundschaft in »tribalen« Gesellschaften. 986 Das sieht etwa Schleiermacher so; zu Schleiermachers Freundschaftsverständnis cf. auch Schinkel, Freundschaft, op. cit., 355 – 366.

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ein Residuum der Vormoderne darstellen, das in die neue Zeit hineinragt. Vielmehr argumentiert er – auf der gleichen Linie wie die vorliegende Untersuchung – dass vielmehr die Vorstellung rein privater Beziehungen erst in dem Moment möglich wird, wo diese Beziehungen durch andere, versachlichte Beziehungen etwa auf dem Markt und in der Verwaltung von materiellen Funktionen entlastet werden. Er zeigt auf, dass dieses Argument von einigen Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts schon formuliert worden ist, und zwar von den schottischen Aufklärern um Adam Smith und David Hume.987 Dazu passt das Konzept einer rein privaten Freundschaft, bei der der geistige und seelische Austausch im Mittelpunkt steht und materielle Erwägungen die Freundschaft eher gefährden – etwa wenn der Freund das Ansinnen, Geld zu leihen, abschlagen muss. Diese Idee ist der europäischen Vormoderne fremd. Sie sieht Gefühl und Nutzen nicht als Widerspruch, ganz im Gegenteil. Der Austausch von materiellen Ressourcen und die Zuneigung der Partner bringen sich gegenseitig hervor, das eine geht nicht ohne das andere. Die Trennung »emotionaler« und »instrumenteller« Bindungen erweist sich also nicht als anthropologische Konstante, sondern ganz im Gegenteil als eine höchst spezifische Unterscheidung der Moderne. Die romantische Freundschaftskonzeption könnte somit als das Seitenstück einer dem Anspruch nach versachlichten Politik gedeutet werden, in der persönliche Vorlieben keinen Platz mehr haben sollen, sondern die nur noch durch rationale Erwägungen bestimmt sein soll. Gerade an die unpolitische Freundschaft lassen sich dann so exaltierte Erwartungen knüpfen wie bei den Romantikern. Wo Freundschaft politische Implikationen hat, wie beim starken Insistieren auf Freiheit bei Schleiermacher,988 geht es um idealistisch-utopische Gegenentwürfe zur eigenen Lebenswelt, nicht um die Rechtfertigung eigener mikropolitischer Strategien. Mit der stärkeren Entpolitisierung der Freundschaftskonzeption verschwindet auch die Idee, dass aus einer wahren Freundschaft (der Tugendhaften) der Dienst am Gemeinwohl als Konsequenz hervorgehen müsse. Die romantische Freundschaftsidee betont, dass Freundschaft ein Geschehen in Freiheit sei; dem aber entspricht, dass eine solche Konzeption nicht mehr traktatistisch, sondern nur noch poetisch darstellbar ist.989 Der Freundschaftstraktat erlebt im 18. Jahrhundert seine letzte Blüte, wird aber im 19. Jahrhundert abgelöst von Florilegien und Gelegenheitslyrik.990 Das neue Freundschaftsbild

987 Silver, »Two Different Sorts of Commerce« – Friendship and Strangership in Civil Society, op. cit., 44 – 45. 988 Cf. dazu Schinkel, Freundschaft, op. cit., 362. 989 Schinkel, Freundschaft, op. cit., 354 – 355. 990 Vincent-Buffault, L’exercice de l’amiti¦, op. cit., 13 – 14. – Vincent-Buffault merkt an, dass

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hat für Traktate keine Verwendung mehr : wo Freundschaft als einzigartiger Zusammenklang zweier unwiederholbarer Individualitäten aufgefasst wird, sind allgemeine Ratschläge über das Verhalten gegenüber Freunden sinnlos. In der Französischen Revolution entwickelt Saint-Just allerdings ein völlig anderes und radikal politisches Konzept von Freundschaft. Wie viele andere Entwürfe der Revolution – man denke an den Kult des Höchsten Wesens, den Revolutionskalender oder das dezimale Zeitsystem mit der 100-Minuten-Stunde – hat auch Saint-Justs Idee einer institutionalisierten Freundschaft über die Revolutionszeit hinaus keinen Bestand gehabt. Sie ist aber gerade deshalb ein Beispiel, das eindrucksvoll veranschaulicht, dass die Geschichte der Freundschaft durchaus nicht eine lineare, gar zielgerichtete Evolution ist, sondern dass sich immer wieder auch Gegenmodelle zum herrschenden Trend bilden, die kurzlebig sein mögen, aber ein Verständnis für die Offenheit der historischen Entwicklung der Freundschaft geben können. In seinen »Fragments sur les institutions r¦publicaines« fordert Saint-Just, jeder Mann ab dem Alter von einundzwanzig Jahren müsse öffentlich im Tempel erklären, wer seine Freunde seien. Wer eine Freundschaft beenden wolle, müsse seine Gründe dafür öffentlich erläutern; weigere er sich auszusagen, werde er verbannt. Freunde sollten im Kampf nebeneinander platziert werden, und im Falle ihres Todes gemeinsam bestattet werden. Beim Tod eines Freundes solle der andere Trauer tragen. Die Freunde sollten auch das Grab des Verstorbenen ausheben und seine Bestattungsfeier ausrichten. Die Erzieher eines Kindes sollten vom Volk aus den Freunden des Vaters ausgewählt werden. Wenn ein Mann ein Verbrechen begehe, so sollten seine Freunde verbannt werden. Verbannt werden solle darüber hinaus derjenige, der keine Freunde hat, derjenige, der erklärt, nicht an die Freundschaft zu glauben, und derjenige, der der Undankbarkeit gegen seine Freunde überführt wird.991 Die starke Orientierung an Bildern der klassischen Antike ist unübersehbar ; das gilt beispielsweise für den großen Stellenwert, der dem Instrument der Verbannung eingeräumt wird, wobei Saint-Just an den Ostrazismus in Athen gedacht haben dürfte. Die Freunde, die nebeneinander kämpfen, erinnern an eine griechische Phalanx. Auch Sparta mag Modell gestanden haben, etwa bei der Idee, dass die Gemeinschaft für die Auswahl der Erzieher der Kinder zuständig ist. Was aber vor allem auffällt, sind zwei Aspekte: zum einen der Versuch der Institutionalisierung der Freundschaft, zum anderen der angestrebte Bruch mit den Freundschaftsvorstellungen und Freundschaftspraktiken des Ancien R¦gime. Es ist der letztere Punkt, der diese Vorstellung mit derjenigen der Romantik verbindet: eine Abkehr von den utilitaristisch aufgedas 19. Jahrhundert interessanterweise in umso größerer Zahl Traktate über das Eheleben hervorbringt. 991 Louis-Antoine de Saint-Just, Fragments sur les institutions r¦publicaines, hg. von Pierre Palpant, Paris 2003, 26.

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ladenen Sozialbeziehungen der Eliten des vorrevolutionären Systems. Die Institutionalisierung der Freundschaft dagegen weist in eine ganz andere Richtung als die Romantik: hier geht es gerade nicht um eine Sphäre der Innerlichkeit, die nur den Freunden gehören soll, sondern um öffentliche Registrierung – und damit um Kontrolle darüber, wer wessen Freund ist. Indem Freunde in Form der Verbannung gegenseitig für ihre Straftaten haften sollen, wird die Freundschaft in die politische Sphäre eingebunden oder vielmehr aus der Privatsphäre gewaltsam in die Öffentlichkeit gezerrt. Die Behandlung der Freundschaft macht deutlich, dass diese Utopie aus der Zeit der Französischen Revolution eine radikal politische Freundschaft vorschlägt; für eine Privatsphäre, in der die Freundschaft nur die Freunde angehen würde, ist bei Saint-Just kein Platz. Die angeführten Freundschaftsmodelle der Sattelzeit dürften deutlich gemacht haben, dass hier große Verschiebungen gegenüber dem 17. Jahrhundert eingetreten sind. Die Moderne, die die Freundschaftskonzepte insbesondere der Romantik geerbt hat, ist somit weit entfernt vom Freundschaftsmodell des Ancien R¦gime. Um die politischen Freundschaften der Vormoderne zu verstehen, ist es deshalb notwendig, gedanklich hinter die Romantik zurückzugehen, um jenes »Ancien R¦gime der Freundschaft«992 verstehen zu können, dessen Rekonstruktion die vorliegende Untersuchung vorzunehmen versucht hat.

992 Wir greifen hier eine Formulierung von Ronald G. Asch auf.

Schluss

Was lässt sich nach dem synchronen und diachronen Durchgang durch die verschiedenen Felder zusammenfassend über Adelsfreundschaft im Frankreich des 17. Jahrhunderts sagen? Zunächst ist festzustellen, dass es adlige Spezifika der Freundschaft gibt. Adlige Freundschaft beruht jenseits aller Ungleichheit des persönlichen Ranges auf der fundamentaleren Gleichheit der Edelleute. Ein Bürger ist nicht satisfaktionsfähig – und damit taugt er auch nicht als Freund eines Adligen. Zwar können auch adlige Frauen ihre Ehre nicht mit der Waffe in der Hand verteidigen, aber eine adlige Ehre kommt ihnen unzweifelhaft aufgrund ihres Standes zu. Einige adlige Tugenden, wie Tapferkeit, gelten zwar als spezifisch männlich. Dagegen sind andere Tugenden, die als adlig gelten, wie Integrität und Großzügigkeit, nicht geschlechtsspezifisch. Auch wenn die Handlungsspielräume adliger Frauen Grenzen haben, so wäre es verfehlt, adlige Freundschaft als reine Männerfreundschaft, gar als männerbündische Freundschaft darzustellen.993 Gerade bei Verschwörungen und Revolten, wo man männerbündische Elemente vielleicht erwarten würde, spielen Frauen oft eine Rolle – die Grande Mademoiselle, die führend an der Fronde teilnimmt, ist ein eindrückliches Beispiel dafür. Adlige Freundschaft ist aber nicht nur durch den Ehrenkodex spezifisch adlig, sondern auch durch ihre Praktiken. Manche dieser Praktiken, wie Glücksspiel oder Feste, sind reichen Nichtadligen auch zugänglich; andere, wie die Jagd, sind dem Adel vorbehalten – auch wenn ein Adliger selbstverständlich Nichtadlige auf die Jagd mitnehmen darf. Das Gesamtbild ist dennoch dasjenige 993 Der Begriff des Männerbundes wurde eingeführt von Heinrich Schurtz, Altersklassen und Männerbünde. Eine Darstellung der Grundformen der Gesellschaft, Berlin 1902. Schurtz postuliert, dass solche Bünde auf allen Kontinenten existierten und manchmal zugleich Geheimbünde seien. In Frankreich wurde der Begriff insbesondere aufgenommen von Georges Dum¦zil, Aspects de la fonction guerriÀre chez les Indo-Europ¦ens, Paris 1956. Dum¦zils Rezeption zeigt, dass der Begriff nicht unproblematisch ist, bezieht Dum¦zil sich doch insbesondere auf Stig Wikander, Der arische Männerbund. Studien zur indo-iranischen Sprach- und Religionsgeschichte, Lund 1938.

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Schluss

einer Form von Freundschaft, die in ihren Praktiken eng mit der adligen Lebenswelt zusammenhängt und daher nicht ohne weiteres Personen von jenseits der Standesgrenze einschließen kann. Von diesen Überlegungen ausgehend wären Elitenfreundschaften des 18. Jahrhunderts zu untersuchen: führt die Durchdringung adliger und nichtadliger Geselligkeit bei den Eliten des Aufklärungszeitalters zu einer Aufweichung ständischer Grenzen im Bereich der Freundschaft? Oder verschärfen sich diese vielmehr von der Seite des Hochadels im Zuge der Abkapselung des Versailler Hofes und der »Aristokratischen Reaktion«? Denkbar wäre auch eine Abfolge beider Entwicklungen oder ihr paralleles Auftreten bei verschiedenen Teilen des Adels. Adlige Freundschaft, auch das hat diese Untersuchung ergeben, nimmt in verschiedenen sozialen Räumen verschiedene Formen an. Das Schwergewicht lag, da die meisten Quellen dem Hochadel entstammen, auf der Freundschaft im Milieu des Hofes. Hier sind die Beziehungen durch eine große Instabilität gekennzeichnet. Diese Instabilität kann aus der Funktionslogik der Institution Hof erklärt werden. Jede Allianz zwischen höfischen Adligen hat das Potential, die Bildung einer Gegenallianz anzuregen; jeder Adlige, der stirbt oder in Ungnade fällt, hinterlässt ein Machtvakuum, um dessen Füllung ein Machtkampf ausbricht – der das Gesamtgefüge wiederum umso stärker beeinflusst, je gewichtiger die Machtposition des Verstorbenen oder Verbannten ist. Jeder Favorit erwirbt einerseits Anhänger, die in seinem Windschatten die eigene Karriere vorantreiben wollen, und Rivalen, die ihm seine Position neiden und vielleicht selbst nach ihr trachten. Situative Allianzen bilden sich und fallen nach dem Erreichen taktischer, kurzfristiger Ziele wieder auseinander. Stabile Gruppierungen, die als Netzwerke anzusprechen wären, entstehen unter solchen Bedingungen nicht. Bei den aus dem Hof in die Provinz hinausreichenden Beziehungen ist das anders. Die Situation unterscheidet sich hier schon dadurch vom Hof, dass die Kommunikation nicht nur unter Anwesenden, sondern zum Teil unter Abwesenden stattfindet: die hochadligen Magnaten halten sich im 17. Jahrhundert meistens am Hof auf, während ihre Gefolgsleute unter dem mittleren und niederen Adel weiterhin in der Provinz verbleiben, wo sie die lokale Elite stellen. Die hohen Adligen am Hof fungieren als Mittelsmänner, die die Interessen ihrer Heimatregion am Hof vertreten; ihre Gefolgsleute wiederum vertreten ihre Interessen in der jeweiligen Region. Die Kommunikation zwischen ihnen spielt sich über Briefe ab. Das allein verhindert schon das hektische Veränderungstempo, das im höfischen Milieu vorherrscht. Zudem aber sind Bindungen zwischen höfischen Hochadligen und ländlichen Adligen mittleren und niedrigen Ranges oft durch traditionelle Loyalitäten geprägt: es sind postfeudale Beziehungen, der hier zum Tragen kommen. Das Feudalsystem mag juristisch in Teilen bereits verblasst sein, seine Normen und Wertvorstellungen sind im Adel

Schluss

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jedoch noch lebendig. Viele dieser Bindungen haben eine Tradition von vielen Generationen. Das Gewicht der Erinnerung an derartige alte Lehensbeziehungen zwischen Familien darf für solche postfeudalen Bindungen im 17. Jahrhundert nicht unterschätzt werden. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch andere Fälle gäbe; viele provinzielle Adlige haben mehr als einen mächtigen Beschützer bei Hofe, sind also nicht ausschließlich Getreue eines einzigen hochadligen Protektors. In der Provinz selbst schließlich herrscht wieder eine andere Dynamik. Hier ist die Zahl tonangebender Familien in einer Region meist überschaubar. Anders als bei den in der vorliegenden Studie untersuchten höfischen Freundschaften sind die Rivalitäten und Allianzen, die horizontalen und vertikalen Bindungen in diesem sozialen Raum oft ererbt und daher mitunter über Generationen stabil. Zudem ist der Monarch im Rahmen einer Provinz nicht, wie am Hof, Dreh- und Angelpunkt des politischen Geschäfts und wichtiger Impulsgeber, dessen Verhalten sich unmittelbar in Veränderungen der Machtkonstellationen umsetzt, sondern eine externe Instanz, zu der die wenigsten Provinzadligen einen direkten Kontakt aufbauen können. Der König wirkt in den Provinzen als Quelle von Gesetzen und Erlassen, also als jemand, der Rahmenbedingungen setzt; will ein Provinzadliger den König in eigener Sache mobilisieren, so geht das – wenn überhaupt – meist nur über Vermittlung eines Höflings. So können sich in der Provinz viel eher als am Hof stabile Gruppen bilden, die gemeinsam wichtige Institutionen wie Parlamente oder Provinzstände oder Teile einer Provinz, wie Städte oder Landstriche, zu beherrschen versuchen. Solche Gruppen rivalisieren dann in der Tat über lange Zeiträume, gar über Generationen hinweg, miteinander um lokale und regionale Machtpositionen. Die genannten sozialen Räume sind soziale Räume des Adels; mit den Städten ist aber schon ein Kontext angesprochen, in dem auch großbürgerliche Eliten wichtige Schaltstellen innehaben. Weiterführende Untersuchungen könnten sich Freundschaftskonzeptionen und Freundschaftspraktiken nichtadliger Schichten widmen. Wie gestalteten städtische Eliten Freundschaft? Wie die städtischen Mittel- und Unterschichten? Gerade in den Städten gibt es auch Korporationen, die sich als »honor groups« verstehen; ein wichtiges Beispiel sind die Zünfte. Wie schließlich gestalteten Bauern Freundschaft? Anders als es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag, sind diese Fragen wohl durchaus zu beantworten; diesbezügliche Untersuchungen sind nicht von vornherein dazu verurteilt, an der Quellenlage zu scheitern. Die jüngere Selbstzeugnisforschung – beispielsweise die systematische Durchforstung der französischen Selbstzeugnisse durch das Projekt »Ecrits du for priv¦« – hat gezeigt, dass das Material für Mittel- und Unterschichten zwar keineswegs so reichlich ist wie für Eliten, dass aber dennoch die Praxis autobiographischen Schreibens nicht auf die Eliten beschränkt war und somit Material vorhanden ist; gerade der letztere Befund

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Schluss

war durchaus so nicht abzusehen. Untersuchungen über nichtadlige Freundschaftsformen wären aus der Perspektive der Adelsforschung deswegen zu begrüßen, weil durch sie geklärt werden kann, welche Charakteristika adliger Freundschaft tatsächlich schichtspezifisch sind und welche nicht. Weiter ergänzt werden könnte das Bild durch Untersuchungen über Freundschaft im klerikalen Milieu. Hier ist zwar einiges über das Mittelalter bekannt, das Bild für die Frühe Neuzeit aber recht lückenhaft. Wie sah Freundschaft in einem frühneuzeitlichen Kloster aus? Wie innerhalb des Weltklerus? Daran anschließend wäre auch zu fragen, welche Art von Freundschaftsbindungen eine religiöse Bewegung wie die Jansenisten entwickelte. Betrachteten sich die in und um Port-Royal versammelten Jansenisten als Freunde? Ähnliche Fragestellungen könnten für die französischen Protestanten formuliert werden, und zwar sowohl für die in Frankreich lebenden als auch für diejenigen, die nach 1685 die Diaspora bildeten. Verfügte man über mehrere Untersuchungen über Freundschaft aus verschiedenen sozialen, regionalen und religiösen Milieus des Ancien R¦gime, könnten auch die Praktiken der Freundschaft intensiver in Beziehung gesetzt werden zu den Praktiken anderer Sozialbeziehungen wie beispielsweise Verwandtschaft oder Patenschaft. Was an der Freundschaft nicht schichtspezifisch ist, kann durchaus epochenspezifisch sein. Das Spezifisch Vormoderne an der hier untersuchten Formation der Freundschaft dürfte die klar zugegebene utilitaristische Komponente sein; das Zweckfreiheitsideal der romantischen Freundschaft erscheint im Vergleich damit als ein »Luxus« der modernen Gesellschaft, die sich aufgrund ihres dichten Institutionennetzes interpersonale Beziehungen, die dem Anspruch nach zweckfrei sind, leisten kann. So betrachtet, braucht man den Unterschied zwischen vormodernen, stärker auf den Nutzen ausgerichteten Freundschaftsformen und modernen, auf Zweckfreiheit abzielenden Freundschaftskonzepten (wenn auch vielleicht nicht Freundschaftspraktiken) weder einzuebnen noch als Ausdruck einer Geschichte des Fortschritts, der Zivilisierung oder der Veredelung von Freundschaft zu begreifen. Der starke Gegensatz zwischen »affektiver« und »instrumenteller« Freundschaft erweist sich als Anachronismus: erst innerhalb des modernen Paradigmas von Freundschaft ist es sinnvoll, Gefühl und Nutzen als einander ausschließende Aspekte zu behandeln. In den antiken Freundschaftstheorien, die für das vormoderne philosophische Verständnis von Freundschaft grundlegend sind, ist der Gegensatz zur Nutzenfreundschaft ja auch nicht die auf dem Gefühl beruhende Freundschaft, sondern diejenige, die auf der Tugend beruht. Gerühmt wird seit der Antike nicht diejenige Freundschaft, die keinen materiellen Nutzen bringt; vielmehr diejenige, bei der der Nutzen nicht Ursache, sondern Folge der freundschaftlichen Verbindung ist. Getadelt wird somit derjenige, der Freunde ohne Ansehen ihrer Person wählt, nur um sich strategische Vorteile zu verschaffen. Die Tu-

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gendfreundschaft aber darf im klassischen antiken Denken selbstverständlich auch Nutzen für die Freunde bringen; und sie bringt im übrigen darüber hinaus auch dem Gemeinwesen Nutzen, da die Tugendfreundschaft ein Bund zum Dienst am Gemeinwohl ist. Solche Ideen konnten von den Adligen der Frühen Neuzeit um so besser rezipiert werden, als sie anschlussfähig an die Vorstellung adligen Führungsanspruches waren. Tugend war dem Adligen angeboren; von dahin bis zur Vorstellung adliger Freundschaft als Tugendfreundschaft war es nicht mehr weit. Konnten solche Vorstellungen von Eliten von der Antike bis zur Frühen Neuzeit gepflegt werden, so besteht das spezifisch Frühneuzeitliche des hier untersuchten Beispiels sicherlich in der soziologischen Konstellation des frühneuzeitlichen Hofes, an dem die Höflinge weit radikaler vom Monarchen abhängig sind als in der mittelalterlichen Ordnung, wo die mächtigeren Höflinge immer eine feudale (oder auch klerikale) Machtbasis haben, auf die sie sich zurückziehen können und die somit eine Alternative zum Hof bietet. Des weiteren eröffnen sich dem frühneuzeitlichen Höfling am Hof Karrierechancen, die selbst innerhalb der festgefügten Hierarchie des Adels Karrieren im modernen Sinne des Wortes zu ermöglichen beginnen. Am krassesten zeigt sich dies natürlich an geadelten homines novi wie Colbert oder Gourville. Der Freundschaft wächst hier große Bedeutung zu: ein entscheidendes Element bei der Besetzung von Ämtern und Stellen im wachsenden Staatsapparat sind Empfehlungen. In der Moderne ist sozialer Status zwar weiterhin vererbbar, aber nur in Form von Kapital, nicht in Form von juristischen Privilegien. Aristokratische Titel und Privilegien hingegen sind in der Vormoderne vererbbar ; wer eine Standeserhöhung für sich erwirken kann, erwirkt sie auch für seine Nachkommen. Dieser Unterschied hinsichtlich der Vererbbarkeit des Status aber bedeutet, dass es die in diesem Buch beschriebene Form der politischen Elitenfreundschaft, die auf der Zugehörigkeit zu einer geburtsständischen »honor group« beruht, heute so nicht mehr gibt. Diese politische Elitenfreundschaft erfährt ihre spezifische Ausprägung durch die Institution Hof. Dort präsent zu sein, ist Vorbedingung dafür, am politischen Geschäft teilhaben zu können. Für einen französischen Adligen des 17. Jahrhunderts ist der Abschied vom Hof stets gleichbedeutend mit dem Karriereende. Man kann sich, wie Coligny-Saligny, krankheitshalber auf seine Güter zurückziehen – das entspricht einem Ruhestand und wird auch so wahrgenommen, nicht als zeitweiliger Abschied, sondern als endgültiger Rückzug. Man kann vom Hof verbannt werden, wie Bussy-Rabutin. Wem dies widerfährt, der kann immerhin hoffen, eines Tages begnadigt zu werden – aber, wie Bussy-Rabutins Beispiel zeigt, hoffen in Ungnade Gefallene manchmal auch vergeblich. Man kann sich schließlich in ein Kloster zurückziehen oder in eine klosterähnliche Gemeinschaft, wie das die Jansenisten tun – dies aber ist der

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bewusste Verzicht auf eine Karriere, die Abkehr von der Welt. Der Prinz von Cond¦ ist den 1650er Jahren der letzte Adlige, der noch versucht, als Rebell die Krone zu einem Kompromiss zu zwingen; er ist somit der letzte, der das Verhältnis von König und Adligen nicht als Verhältnis der Herrschaft des Souveräns über den Untertan begreifen will, sondern als jenes Verhältnis gegenseitiger Verpflichtungen von Schutz einerseits, Rat und Hilfe andererseits, das das Verhältnis zwischen Lehensherr und Vasall geprägt hatte. Auch wenn er zurückkehren darf, so ist er doch gescheitert: denn er kehrt als Begnadigter zurück. Es ist symptomatisch, dass der Erste Prinz von Geblüt als höchstrangiger Adliger noch weiterkämpft, als die anderen Herzöge und Prinzen sich bereits mit der Krone arrangiert haben. Der partielle Machtverlust zumindest des hohen Adels und sein Wechsel zu neuen Karrierestrategien, die nun auf Laufbahnen innerhalb des monarchischen Staatsapparats zielen und nicht mehr auf die Aushandlung eines Herrschaftskompromisses durch Herausforderung der Krone, bedeutet allerdings keinen radikalen kulturellen Wandel. Auf das Mittelalter zurückgehende Vorstellungen adliger Tugenden wirken weiter, und die höfischen Umgangsformen werden bereits weit vor den eben beschriebenen Konfrontationen zwischen Krone und Adel ausgebildet. Auf der Ebene des Alltagshandelns gibt es eine große Kontinuität in der Adelsfreundschaft. Es ist wahrscheinlich, dass diese in großen Teilen bis zur Französischen Revolution erhalten bleibt, und vielleicht sogar darüber hinaus in die Adelskultur des 19. Jahrhunderts – doch dies zu untersuchen, wäre Thema eines anderen Buches.

Bibliographie

1.

Quellen

1.1.

Archives de Chantilly

Serie J (diverse Schriftstücke der Familie Cond¦) Serie O (Korrespondenz der Familie Cond¦ aus der Zeit, als Henri II de Cond¦ Familienoberhaupt war) Serie P (Korrespondenz der Familie Cond¦ aus der Zeit, als Louis II de Cond¦ Familienoberhaupt war)

1.2.

Gedruckte Quellen

1.2.1. Briefe, Memoiren und Historiographie Bassompierre, FranÅois de, Journal de ma vie, in: Claude Bernard Petitot/Alexandre Petitot/Louis Jean Nicolas de Monmerqu¦ (Hg.), Collection des m¦moires relatifs — l’histoire de France: depuis l’avÀnement de Henri IV, jusqu’— la paix de Paris, conclue en 1763, Bd. XIX – XXI, Paris 1822 – 1823. Beauvais-Nangis, Nicolas de Brichanteau de, M¦moires du marquis de Beauvais-Nangis et Journal du procÀs du marquis de La Boulaye, hg. von Louis Jean Nicolas Monmerqu¦ und Alphonse-Honor¦ Taillandier, Paris 1862. Bergier, FranÅois, De morte Ludovici Borbonii, Principis Condaei, primi e regio sanguine principis; et de praeclare ab eodem in vita gestis, epistolae duae, Paris 1689. Bossuet, Jacques-B¦nigne, Oraison funÀbre du prince de Cond¦, in: Ders., Oraisons funÀbres, hg. von Jacques Truchet, Paris 1988, 352 – 410. Bouillon, Henri de la Tour d’Auvergne, duc de, M¦moires du vicomte de Turenne, depuis duc de Bouillon, 1565 – 1586, hg. von Baguenault de Puchesse, Paris 1901. Boursault, Edme, Le prince de Cond¦, Genf 1979 [Nachdruck der Ausgabe Paris 1675]. Brienne, Henri-Auguste de Lom¦nie, comte de, M¦moires contenant les ¦vÀnements les plus remarquables du rÀgne de Louis XIII et de celui de Louis XIV jusqu’— la mort du cardinal Mazarin, compos¦s pour l’instruction de ses enfants, in: FranÅois-Joseph

332

Bibliographie

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Zeeb, Tanja, Die Dynamik der Freundschaft. Eine philosophische Untersuchung der Konzeptionen Montaignes, La Rochefoucaulds, Chamforts und Foucaults, Göttingen 2011 (Freunde – Gönner – Getreue 2). Zimmermann, Volker, Eine sozialistische Freundschaft im Wandel. Die Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei (1945 – 1969), Essen 2010 (Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa 34). Zmora, Hillay, The Feud in Early Modern Germany, Cambridge 2011. State and nobility in early modern Germany. The knightly feud in Franconia, 1440 – 1567, Cambridge 1997.

Personenregister

Aelred von Rieval 139 Aristoteles 30, 42, 56, 111, 121, 134, 136 – 138, 151, 154, 171 f., 222, 320 Bassompierre, FranÅois de 67, 97, 115 f., 123 f., 166 – 170, 173 f., 191, 201 f., 207 f., 227 f., 232, 239, 241 f., 244, 246, 248, 252, 276, 283 Beauvais-Nangis, Antoine de 92, 245, 296 f., 306 Beauvais-Nangis, Nicolas de Brichanteau, marquis de 53 f., 65 f., 92, 116 f., 126, 128, 157 f., 162 – 166, 170 f., 193, 197, 200, 230, 238 f., 242 – 245, 248 f., 259 f., 296 f., 306 Bergier, pÀre 49, 84, 102, 117, 121 f., 157, 184, 247, 251 f. Boileau, Nicolas 55, 82, 158, 181, 294 Bossuet, Jacques-B¦nigne 49, 83, 157, 241 Bourbon, Anne-GenieviÀve de, duchesse de Longueville 83, 93, 112, 120, 190, 230 Bourbon, Armand de, prince de Conti 80, 83 f., 112, 120, 187, 190, 205, 211 – 213, 232 f., 301 Bourbon, Henri II de, prince de Cond¦ 66, 76 f., 85, 88, 94, 115, 124, 164, 167 f., 208, 242, 258, 297 Bourbon, Henri-Jules de, duc d’Enghien 84, 89, 160, 201, 243, 251, 299 Bourbon, Louis II de, prince de Cond¦ (gen. der Grand Cond¦) 12, 35, 46 – 50, 54, 56, 64, 72, 74 – 96, 102, 106, 112, 117,

119 – 122, 124 f., 145 f., 148 – 150, 153 f., 157, 159 f., 164, 166, 168, 170 f., 173, 175 f., 183 f., 187 – 189, 200 – 203, 205 – 211, 213, 216, 218 f., 230 f., 233, 240 f., 243, 247, 251 f., 254 f., 258, 260 f., 271, 274 f., 277 – 280, 286 – 288, 290, 292 – 294, 301, 308, 313, 330 Bourdaloue, Louis 83 Bussy-Rabutin (Roger de Rabutin, comte de Bussy) 45, 47, 49, 54, 72, 85 – 89, 93 f., 119, 125 f., 128 f., 146 f., 152, 178 – 180, 185 – 187, 192, 200, 204 – 207, 211 – 214, 231 – 234, 241, 247 – 250, 252 f., 255, 257, 263, 271 – 274, 278 – 280, 284 f., 287, 289, 295, 299 – 301, 329 Cicero 56, 137 f., 305, 313 Colbert, Jean-Baptiste 72, 94, 150, 200 f., 329 Coligny, Gaspard de, marquis d’Andelot, duc de Ch–tillon 85, 89, 148, 199 f., 279 Coligny-Saligny, Jean de 86 – 90, 146, 176, 233, 250, 329 Coste, Pierre 50, 76, 85, 112, 154, 159, 174 f., 181, 189 f., 199 f., 254, 275, 277, 279 f., 286, 290, 292, 294 Fouquet, Nicolas 77, 94, 119, 149, 179, 199, 231, 235, 252, 272, 277, 287 – 291, 293, 299 Gonzague, Anne de 275 Gonzague, Marie-Louise de 82, 84, 201

360 Goulas, Nicolas 112 f., 188, 198 f., 289, 291 f., Gourville, Jean H¦rault de 49, 94, 109, 119 f., 149, 157, 160, 180 – 183, 186 – 189, 199 – 201, 203 f., 226, 231 f., 234 – 236, 246 f., 249 – 253, 255, 257 f., 261 f., 270, 272, 276 – 279, 281 f., 284, 287 f., 291 – 295, 329 Gramont, Antoine de, mar¦chal de Guiche 85, 91 f., 96, 166 f., 184, 187, 231, 241, 252, 255, 290, 308 Gramont, Henri de, comte de Toulongeon 85, 92, 176, 202, 206, 211 Guitaut, Guillaume de Peychperou de Comminges, comte de 49, 86 – 91, 112, 153, 183, 187, 209 – 211, 216, 218 f., 231, 241, 261 Heinrich III. 58, 175, 296, 300, 309 Heinrich IV. 67, 71, 107, 123 f., 207 f., 276, 296, 301, 308 f. La Bo¦tie, Etienne de 111, 126 f., 141, 232, 305 La Rochefoucauld, FranÅois de 49, 56, 83, 145, 165, 168, 170 f., 173, 175, 191, 199, 236, 238, 241 f., 254, 274, 284, 293, 296 f., 311 La Tr¦moille, Henri Charles de, prince de Tarente 88, 91, 230 Le Nútre, Andr¦ 82 Le Tellier, Michel 272 f., 279 Lenet, Pierre 94, 96, 120, 230, 258 L’Hospital, Michel de 304, 313 Louvois, FranÅois Michel Le Tellier, marquis de 94 f., 183, 278 f. Ludwig XIII. 12, 59, 67, 77 f., 113, 124, 189, 198, 246 Ludwig XIV. 12, 35, 55, 59 f., 66, 76 f., 81 f., 86, 93, 114, 123 – 125, 186, 188, 246 f., 251, 257, 288 Malebranche, Nicolas 83 Mazarin, Jules, Kardinal 50, 64, 72, 79 – 81, 83, 86, 106 f., 120, 123, 148, 152, 154, 159 f., 168, 170, 173, 185, 188 f., 192,

Personenregister

198, 207, 213 f., 231, 236, 247, 252, 275, 278, 287 – 290, 294 Meudrac, Catherine de (gen. Madame de La Guette) 131, 200, 283 Montaigne, Michel de 43, 111, 126 f., 134, 138, 141, 144, 146, 154 f., 179 – 181, 232, 304 – 306, 310 – 312, 315 f., 320 Montr¦sor, Claude de Bourdeille, comte de 201, 238, 290 Orl¦ans, Anne Marie Louise d’, Prinzessin von Montpensier (gen. die Grande Mademoiselle) 49, 51,77, 80, 87, 93, 108, 113 f., 125, 129, 173, 178 f., 187 – 191, 230 f., 251, 274, 293, 325 Orl¦ans, Gaston, duc d’ (gen. Monsieur) 77, 80, 93, 108, 114, 125, 168 f., 187 f., 201, 289, 291 – 293 Orl¦ans, Henri II d’, duc de Longueville 80, 83 f., 106, 175, 230 Orl¦ans, Marie, d’, duchesse de Nemours 168, 174 f., 230, 237, Orl¦ans, Philippe, duc d’ 77 Palluau, Philippe de Cl¦rambault, comte de 148, 152, 204, 206 f., 226 f., 248, 275, 278 Perrault, Jean 46, 95 f. Plato 24, 30, 136 f. Racine, Jean 55, 82, 100 Richelieu, Armand du Plessis, Kardinal von 67, 77 – 79, 84, 90, 125, 161, 164, 166, 173, 189, 236, 252, 254, 263, 274, 289, 291, 301 Richelieu, Armand Jean de Vignerot du Plessis, Herzog von 106 Schleiermacher, Friedrich 182 f., 320 f. Seneca 138 S¦vign¦, Marie de Rabutin-Chantal, marquise de (gen. Madame de S¦vign¦) 47, 50, 87, 93, 132, 178 f., 184, 200, 212 f., 271 f., 290 f., 299 Tavannes, Jacques de Saulx, comte de 72,

Personenregister

86, 88 f., 106 f., 131 f., 188, 274, 286 – 289 Thomas von Aquin 30, 140 Thou, Jacques-Auguste de 173, 210, 236, 248, 253, 304 f., 307 – 309

361 Turenne, Henri de La Tour d’Auvergne, vicomte de 80, 82, 87, 91, 95, 165, 206, 234, 292

Orts- und Sachregister

absolute Monarchie 78, 81, 124 Absolutismus 59, 78 Adel 12, 20, 26, 33 – 35, 44 f., 47 – 49, 53, 57, 59, 61 f., 64, 70 – 74, 77, 79, 81, 88, 90 f., 101, 104 f., 107 – 109, 118 f., 121, 129 f., 148, 152, 155, 158, 161, 186, 193, 197, 207, 209, 229, 235 – 237, 239, 256, 279 – 281, 298, 301 f., 317, 319, 325 – 327, 329 f. Antike 18, 22, 24, 30, 43, 56, 102, 133, 135, 138, 140, 145, 152, 178, 203, 253, 266, 303, 310, 312 f., 322, 328 f. Armee 60 f., 80, 82, 91, 148, 231, 241, 255, 307 Aufklärung 14, 30, 312 – 314, 316 Besuch 60 f., 73, 250 – 253 Brief 43, 46 f., 50 – 52, 54 f., 75, 84 – 87, 90 – 92, 94, 112, 115 f., 125 f., 132, 135, 148 – 150, 153, 160, 172, 179 f., 183, 185 f., 192 f., 195, 197, 200, 202, 205 – 207, 209 – 211, 213, 215 f., 218 f., 221, 223, 231, 235, 241, 243, 247, 250, 261, 263 f., 271 f., 289 f., 305, 308, 310 f., 317 f., 326 Broker 297 Burgund 86 – 88, 250, 287, 300 Chantilly 9, 46, 51, 75, 82, 84 f., 87, 90 – 93, 95, 177, 179, 184, 216, 240, 243, 252, 277 Duell 65, 73, 87, 90, 147, 149, 158, 178,

233 f., 238, 240, 242, 259 – 261, 264, 267, 284 – 286, 298, 301 f., 306 f. Eskorte 254, 267, 282 – 284, 297 – 301, 307 Exil 31, 51, 57, 67, 75, 81, 86 f., 89 – 91, 94 f., 109, 157, 188, 200, 219, 231 f., 249, 277, 288, 290 Feindschaft 22, 68, 90, 132, 151, 167, 169 f., 227 f., 232, 237, 319 Fronde 12, 14, 59, 63, 66, 68, 74, 76 f., 79 – 81, 83 f., 86 – 89, 91 – 93, 125, 131, 162, 165 f., 172, 174 f., 192, 213, 226, 237, 241, 274, 282 f., 287 f., 290, 292 f., 297, 299 – 301, 308, 325 Gabentausch 13, 18, 20, 27, 34, 40, 101, 150, 155, 224, 262, 266 – 269 Geschenk 224, 246, 261 – 263, 267, 269 Glücksspiel 73, 224, 257, 325 Heer 63, 81, 140, 242, 283 f., 286, 288, 296 – 298, 301, 313 Hof 12, 35, 45, 48, 57 – 64, 66 – 71, 74 f., 81, 83, 86, 88, 90, 93, 96, 118, 123 – 125, 127 – 130, 143 f., 152, 161 f., 178, 197, 215 f., 221, 223, 230 f., 235, 242 f., 245 f., 250 f., 257, 259 f., 263, 275, 286, 290 f., 293, 298, 300, 305, 311 – 314, 318, 320, 326 f., 329 Homosexualität 24, 171, 175 – 178, 210, 248, 319

364 Jagd 64, 73, 82, 256 f., 264, 325 Klient 12, 16 f., 20, 34, 50, 62, 90 f., 114, 118, 122 f., 164, 172, 193 f., 217, 236, 242, 267, 297 Klientel 95 Klientelismus 33, 96, 133 Kommensalität 254 f., 258, 264, 280 Konnubium 254, 280 f. Korruption 166, 261, 266, 277 Kredit 60, 148, 222, 266 f., 270 – 272, 299 Kuss 248 f., 319 Mittelalter 18, 22 f., 27, 30 f., 57 f., 79, 104 f., 113, 121, 136 f., 141, 145, 162, 178, 183, 191, 225, 239, 245, 248 f., 266, 310, 312 – 314, 328, 330 Monarchie 45, 60, 63, 69, 75 – 78, 81, 83, 124, 174, 296, 301 Netzwerk 13, 19, 25, 30, 35, 50, 75, 79, 82, 84, 93, 96, 129, 161, 229 f., 263, 266, 296, 302, 326 Patron 16 f., 20, 34, 62 f., 90 f., 114, 118 f., 122 f., 154, 164, 168, 193 f., 207, 235 f., 242, 267, 274, 276, 293, 297, 320

Orts- und Sachregister

Patronage 17, 19, 22, 24, 33 f., 36, 82, 116, 119, 122, 150, 175, 194, 266 – 268 Preziosität 100, 132, 183, 212 raccommodement 238 – 241, 247 Renaissance 14, 21 f., 24, 30, 141 f., 196, 303 f., 306, 320 Romantik 14, 101, 130, 153, 313 f., 316, 319 f., 322 f. Sekundant 240, 259, 267, 284 f., 298, 301, 306 f. Staat 17, 25, 37, 45, 60, 68, 79, 131, 282, 284, 301 f. Umarmung 241, 247 f., 307 Vasall 193, 330 Versailles 12, 44, 58, 62, 66, 82, 300 Versöhnung 107, 168, 170, 173, 184, 228, 237 – 239, 241 f., 244 f. Verwandtschaft 22 f., 26, 29, 34, 36, 39, 74, 100 – 105, 109, 111, 163, 183, 191, 201 f., 328 Zeremoniell 11, 178, 224, 246, 300