Ritterschaft und Reformation: Der niedere Adel im Mitteleuropa des 16. und 17. Jahrhunderts [1 ed.] 9783666570674, 9783525570678


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German Pages [249] Year 2018

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Ritterschaft und Reformation: Der niedere Adel im Mitteleuropa des 16. und 17. Jahrhunderts [1 ed.]
 9783666570674, 9783525570678

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Olga Weckenbrock (Hg.)

Ritterschaft und Reformation Der niedere Adel im Mitteleuropa des 16. und 17. Jahrhunderts Academic Studies

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Refo500 Academic Studies Herausgegeben von Herman J. Selderhuis In Zusammenarbeit mit Christopher B. Brown (Boston), Günter Frank (Bretten), Bruce Gordon (New Haven), Barbara Mahlmann-Bauer (Bern), Tarald Rasmussen (Oslo), Violet Soen (Leuven), Zsombor Tóth (Budapest), Günther Wassilowsky (Linz), Siegrid Westphal (Osnabrück).

Band 48

Olga Weckenbrock (Hg.)

Ritterschaft und Reformation Der niedere Adel im Mitteleuropa des 16. und 17. Jahrhunderts

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0165 ISBN 978-3-666-57067-4

Inhalt

Olga Weckenbrock Ritterschaft und Reformation. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Alexander Jendorff Adelsgeschichte oder Reformationsgeschichte? Plädoyer für einen Perspektivenwechsel in der Bewertung niederadeliger Religionshaltungen im Reformationszeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Martin H. Jung Luthers Aufruf „An den christlichen Adel“ (1520) und seine Folgen

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Michael Bühler Die frühe Reformation in den Gebieten der reichsfreien Ritterschaften. Die Beispiele Kraichgau und Ortenau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Martin Sladeczek Zwischen Widerstand und Trägerschaft. Der niedere Adel Thüringens als Akteur der frühen Reformationszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Olga Weckenbrock Erhalt von Herkommen und Gebrauch. Osnabrücker Ritterschaft und die „Fürstenreformation“ des Fürstbischofs Franz von Waldeck . . . . . . . . 125 Wencke Hinz Die Reformation im Fürstentum Lüneburg. Versuch eines Perspektivenwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

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Inhalt

Inken Schmidt-Voges Religionsfrieden als politische Ratio. Heinrich Rantzau und die Konfessionspolitik der schleswig-holsteinischen Ritterschaft im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Josef Hrdlicˇka Ritterschaft und die deutsche Reformation in Böhmen und Mähren (1520–1620) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Andreas Flurschütz da Cruz Die Bedeutung der Reichsritterschaft für Reformation und Gegenreformation in Franken im 16. und 17. Jahrhundert . . . . . . . . . 217 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Olga Weckenbrock

Ritterschaft und Reformation Einführung

Die historischen Jubiläen nutzen die Fachexperten, um die vorliegenden Forschungsergebnisse zu bilanzieren und auf ihre Tragfähigkeit für die aktuellen Fragestellungen zu prüfen. 2017 jährt sich zum 500. Mal der Thesenanschlag von Martin Luther. Als Vorbereitung auf dieses Ereignis fanden seit 2008 im Rahmen der „Lutherdekade 2008–2017“ zahlreiche Veranstaltungen statt, die das weite Spektrum der Reformation aufzeigten.1 Die Beiträge dieses Sammelbandes präsentieren die Ergebnisse des gleichnamigen Workshops, der im Themenjahr der Lutherdekade „Reformation und Politik“ im Oktober 2014 an der Universität Osnabrück veranstaltet wurde.2 Unter diesem Jahresmotto lag es nahe, etablierte Forschungsparadigmen im Hinblick auf die politische Dimension der Reformation zu hinterfragen und zu untersuchen, ob die in der Vergangenheit, oftmals noch im geteilten Deutschland, gewonnenen Erkenntnisse unseren heutigen Perspektiven genügen. Der Osnabrücker Workshop setzte sich als Ziel, die politische Wirksamkeit der frühneuzeitlichen Ritterschaften des niederen – reichsunmittelbaren wie auch landsässigen – Adels zu untersuchen und aus der Perspektive dieser sozialen Gruppe das Paradigma der „Fürstenreformation“ kritisch zu beleuchten. Der Begriff „Ritterschaft“ beschreibt in diesem Zusammenhang zweierlei:3 Zum einen wird so die Gruppe der reichsunmittelbaren Ritter innerhalb des Niederadels genannt, die vor allem im süd- und südwestlichen voralpinen Territorien des Alten Reiches ansässig waren. Zum anderen bezeichnet der Begriff 1 Vgl. das Portal www.luther2017.de/de/2017/lutherdekade/ [01. 05. 2017]. 2 Workshop „Ritterschaft und Reformation“, 23. 10. 2014–24. 10. 2014 Osnabrück, in: H-SozKult, 31. 08. 2014, www.hsozkult.de/event/id/termine-25648 [01. 05. 2017]. Der Workshop wurde finanziell großzügig von der Jenacon Foundation und der Landschaft des ehemaligen Fürstentums Osnabrück unterstützt. Namentlich danke ich dafür Herrn Dr. Joachim Arenth und Herrn Dr. Ludwig v. Bar. 3 Die Überblicksliteratur zum reichsunmittelbaren und landsässigen Niederadel im Spätmittelalter und früher Neuzeit vgl. Hechberger, Adel; Endres, Adel, Sikora, Adel; Demel/Schraut, Adel.

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die politische Korporation des landsässigen Niederadels in der landständischen Verfassung eines Territoriums. Die Ausdifferenzierung des niederen Adels in Reichsritterschaft und den landsässigen Niederadel erfolgte im Spätmittelalter.4 Viele frühneuzeitlichen Reichritter wie auch die Mehrzahl der Mitglieder der Ritterschaften des landsässigen Adels waren Nachkommen der unfreien Dienstleute der Landesherren, der Ministerialen.5 Diesen gelang es im 12. und 13. Jahrhundert, durch Hof-, Kriegs- und Verwaltungsdienste ihre soziale Stellung zu verbessern oder gar zu sozial höhergestellten Rittern und Edelknappen aufzusteigen. Die Treue zu Landesherren wurde durch Lehensbesitz und Privilegien belohnt. Sukzessive entwickelte sich diese Gruppe zum niederen Adel, indem ihre Mitglieder adelige Lebensweise, den spezifischen Ritterethos sowie das politische Gebaren übernahmen.6 Diese sozial aufgestiegenen Ritter integrierten bald in ihr Selbstverständnis die Verpflichtung eines Lehnmannes, dem Gemeinwohl zu dienen und es zu beschützen. Sie wurden zum einen selbst Landesherren im Reichverband (Reichritter in den Kernregionen des staufischen Reiches) 7 oder engagierten sich für den Ausbau landesherrlicher Territorien und schlossen sich zu Korporationen (Ritterschaften des landsässigen Adels), in denen sie als Vertreter von Landes- und Standesinteressen den Fürsten gegenübertraten. Die sogenannten Landsassen erlangten nahezu überall den Zugang zu und das Mitspracherecht auf den fürstlichen Hof- und Landtagen, konsolidierten sich um 1500 als Landstand und trieben die Entstehung der landständischen Verfassungen der Territorien voran.8 Spätestens im 16. Jahrhundert wurden die politischen Korporationen des landsässigen Niederadels als Ritterschaften bezeichnet. An der Seite der anderen Landstände beanspruchten sie selbstbewusst, die Interessen des Landes zu vertreten. Zeitlich parallel erlebten die Ritter im Südwesten des Reiches einen intensiven Organisationsprozess zur Reichsritterschaft, in dem erst die Reichsunmittelbarkeit endgültig verhandelt wurde.9 Folglich durchlebten beide Gruppen, der landsässige und reichsunmittelbare Adel, parallel zum Reformationsgeschehen eine dynamische Entwicklungsphase, die durch vielschichtige Aushandlungsprozesse von Macht und Status gekennzeichnet war.10 Eine soziale Gruppe während der Epoche der Reformation zu erforschen, ist eigentlich nicht besonders originell, da im Zentrum der Reformationsgeschichte

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Vgl. Hechberger, Adel, 39. Vgl. ebd., bes. 27–34. Vgl. Erkens, Militia. Vgl. Hechberger, Adel, 33f. Vgl. ebd., 42. Vgl. ebd., 39, 42. Vgl. auch Demel/Schraut, Adel, bes. 77–84.

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schon seit jeher soziale Gruppen wie Bauern, Bürger oder Hochadel stehen.11 Doch die Reformationsforschung vernachlässigt den Niederadel als (konfessions-)politischen Akteur12 und weist traditionell allein den Landesherren eine überragende Bedeutung zu. Sie bewertet den Prozess der politischen und kirchlichen Neuorganisation als von „oben“ gesteuert und als wesentlich vom Wohl oder Wehe der Fürsten abhängig. Seit den 1970er Jahren etablierte sich das Paradigma der „Fürstenreformation“13, um die Vorgänge auf der territorialen Ebene von den reformatorischen Entwicklungen in den Städten oder Gemeinden zu unterscheiden, wo sich seit dem Spätmittelalter verschiedene Kräfte entfaltet hatten, die einen eigenständigen und -willigen Fortgang der Reformation prägten.14 Für den fürstlichen Machtbereich behauptete sich – trotz kritischer Stimmen15 – die Vorstellung, dass vor allem die Landesherren über die erforderliche Autorität und die nötigen Machtmittel verfügten, das Kirchenwesen zu ordnen und die umfassende Erneuerung der Kirche und Gesellschaft durchzusetzen. Andere politische Akteure fernab der Fürstenhöfe und Städte wie der niedere Adel werden aufgrund ihrer scheinbar indifferenten Haltung und umstrittener machtpolitischer Optionen aus diesen Vorgängen weitgehend ausgeklammert. Dieser dominierende Fokus ist auf die Prämissen der älteren Forschung zurückzuführen. Sie interessierte sich lange Zeit in erster Linie für die Personen und Gruppen, die sich ganz dezidiert zur neuen Lehre bekannten oder diese bekämpften. Aus dem Adel bekam dabei vor allem die Ritterschaftsbewegung der frühen 1520er Jahren viel Aufmerksamkeit. Die Reichsritter am Rhein, in Schwaben und Franken fühlten sich durch Luthers Programmschrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ besonders angesprochen und kämpften „als erste weltliche Anhänger“16 an Luthers Seite gegen die weltliche Herrschaft geistlicher Prälaten. Solche Persönlichkeiten wie Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen waren die zentralen Gestalten dieser Bewegung.17 Die Forschung 11 In Auswahl und stellvertretend für eine reichhaltige Forschung sind zu nennen: Blickle, Gemeindereformation; Hamm, Bürgertum. – Vgl. jüngst zur sozialen Vielfalt Schattkowsky, Fürstenreformation. 12 Vgl. Midelfort, Nobility; Schorn-Schütte, Reformation, 74. Beispielsweise unterstreicht Luise Schorn-Schütte, dass „die Haltung der jeweiligen Landstände und hier insbesondere des landsässigen Adels“ bei der Erforschung dieses komplexen Zeitalters „eine gern übersehene Komponente“ sei. 13 Vgl. in Auswahl Schubert, Fürstenreformation; Wolgast, Formen; Wolgast, Einführung; Wolgast, Territorialfürsten. 14 Vgl. grundlegend Moeller, Reichstadt, v. a. 56–80. – Zusammenfassend und mit weiterführenden Hinweisen vgl. z. B. Blickle, Reformation, 191–197; Schorn-Schütte, Reformation, 61– 68. 15 Vgl. z. B. Hamm, Reformation. 16 Schilling, Aufbruch, 131. 17 Vgl. als Überblick und mit Hinweisen auf weitere Forschungen Kaufmann, Geschichte, 483– 486; Schilling, Aufbruch, 131–139; Breul, Sickingen.

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hat für diese gescheiterte Ritterschaftserhebung, die Thomas Kaufmann in seiner Reformationsgeschichte als „ein kurzes Feuer von begrenzter regionaler Ausstrahlung“ charakterisiert,18 verschiedene Zusammenhänge mit dem politischen Geltungsverlust und dem Funktionswandel des mittelalterlichen Rittertums herausgearbeitet.19 Für die Zeit nach 1530 fällt das Forschungsinteresse für die Reichsritterschaft spürbar ab.20 Es wird zwar unterstrichen, dass es den Reichsrittern unter dem Eindruck des gescheiterten Aufstands gelungen sei, „bestimmte Inhalte oder Handlungsformen […] in einer den spezifischen Bedingungen ihrer Existenz entsprechenden Weise“ zu entwickeln.21 Die Frage nach den spezifischen Handlungsformen des reichsunmittelbaren Adels im reformatorischen Gemengelage bleibt jedoch nach wie vor offen.22 Mangels der den Rittern der frühen 1520er Jahren nachfolgenden offenen Bekenner aus dem niederen Adel verfestigte sich die Vorstellung von einer indifferenten konfessionellen Haltung der Reichsritter, die sich zudem unter dem Eindruck adeliger Konfessionswechsel nach 1550 als das standesspezifische Merkmal eines konfessionell unzuverlässigen Adels im 16. und 17. Jahrhundert etablierte. Der Adel habe sich abgewandt, sobald die sozialen Konsequenzen der Trennung von der Reichkirche zu spüren waren und seine Chancen auf Herrschaft schwanden.23 Die jüngere Forschung hält dagegen, indem sie ein Bild von einem komplizierten Motivgeflecht für dieses Verhalten entwirft, das sich für eine Pauschalisierung des Verhaltens nicht eignet.24 Eine ähnlich ambivalente Einschätzung liegt für den landsässigen Adel vor, wobei für diese Gruppe die Forschungslage überaus dünner ist.25 Die regional ausgerichteten Studien konzentrieren sich in erster Linie auf adelige Frömmigkeitspraktiken und die Durchsetzung der konfessionellen Ansicht im eigenen Herrschaftsbereich.26 Aber es gibt auch Stimmen, die betonen, der Adel habe wie kaum eine andere soziale Gruppe über Möglichkeiten verfügt, eine eigene Konfessionskultur zu entwickeln.27 Ein Konsens besteht darüber hinaus darin, dass der niedere Adel die Durchsetzung oder das Scheitern der Reformation 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Kaufmann, Geschichte, 483. Vgl. beispielsweise Brecht, Ritterschaft; Pfeiffer, Studien. Vgl. Press, Adel, 330–383; auch Schilling, Aufbruch, 139. Kaufmann, Geschichte, 482. – Zur Phasierung der Reformationsepoche für den reichsfreien Niederadel und dessen Handlungsspielräume bis 1550 vgl. auch den Beitrag von Michael Bühler in diesem Sammelband. Erik Midelfort (Reformation, 348) wies 1993 auf dieses Desiderat hin, das weiterhin besteht. Vgl. Brecht, Ritterschaft; Press, Führungsgruppen, 70; Rößler, Adel. Vgl. z. B. Andermann, Ritterschaft; Ninness, Opposition. Vgl. Schattkowski, Adel, 125f. In Auswahl zu nennen: Walther, Glaube; Gillner, Herren; Sikora, Adel; Jendorff, Niederadel. Vgl. Asch, Selbstinszenierung; Schattkowski, Adel.

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wesentlich mitbestimmt habe.28 Als Patronatsherren verfügten Adelige über große Einflussmöglichkeiten auf das dörfliche Kirchenwesen in ihrem Herrschaftsbereich, wo sie durchaus reformatorisch agieren konnten.29 Weitgehend unberücksichtigt bleibt jedoch der Konnex zwischen persönlicher Glaubensüberzeugung, individueller Frömmigkeit und der politischen Funktion der Ritterschaften des niederen landsässigen Adels als Landstand. Überhaupt ist die Erforschung des niederen Adels im Zusammenhang mit der Etablierung der Ritterschaften als landständische Korporation im 16. Jahrhundert ein dringendes Desiderat. Der Status- und Bedeutungsgewinn der Ritterschaften ging einher mit der erfolgreichen Selbstbehauptung des niederen Adels gegenüber dem jeweiligen Landesherr und dem – zumeist juristisch besser ausgebildeten – aufstrebenden Bürgertum.30 Beispielsweise setzte der Niederadel in dieser Zeit – nicht zuletzt mithilfe seines landständischen Engagements – das Indigenat durch und sicherte damit seine Position im Territorium. Auf der anderen Seite zeigte er sich zunehmend bereit, sich das notwendige juristische Wissen anzueignen, um Ämter in der Landesadministration übernehmen zu können. Parallel zu solchen Reaktionen auf die strukturellen Anforderungen des sich wandelnden Territorialstaates entwickelte sich auch das konfessionelle Bekenntnis zum Ausdruck einer besonderen politischen Haltung. Für mehr Aufschluss sorgt der Blick auf die jüngere Ständeforschung, die bislang kaum mit der Adelsgeschichte verknüpft wurde und die viele Anregungen liefert, um das etablierte Forschungsparadigma „Fürstenreformation“ zu hinterfragen. Seit einigen Jahren wird im Kontext der Herrschaftsforschung zur Frühen Neuzeit darauf hingewiesen, dass die territoriale Religionspolitik seit den 1520er Jahren auch maßgeblich von den Landständen, an deren Spitze der niedere – landsässige – Adel stand, vorangetrieben worden sei.31 Überdies stellen die Studien zu den landständischen Verfassungen des 16. Jahrhunderts den beispiellosen Status- und Bedeutungsgewinn der Landstände gegenüber den Landesherren im Allgemeinen und im Reformationsprozess im Speziellen heraus.32 Durch den stetig wachsenden Geldbedarf der Territorialherren sei es den Landständen, die über das Steuerbewilligungsrecht verfügten, gelungen, institutionelle Privilegien und ihre Mitsprache bei allen wichtigen Landesangelegenheiten, zu denen auch die Kirchenpolitik gehörte, zu sichern. Auf der Ebene der einzelnen Landtagskurien sei es zur korporativen Verdichtung gekommen, indem feste Mitgliedschaften und Regeln im Hinblick auf die Zusammensetzung 28 Demel/Schraut, Adel, 85. 29 Vgl. z. B. Gillner, Herren, bes. 97–115; Weckenbrock, Interessen. – Vgl. hierzu auch die Beiträge von Alexander Jendorff, Wencke Hinz und Josef Hrdlicˇka in diesem Sammelband. 30 Vgl. die Beiträge im Sammelband von Carl/Lorenz, Anpassung. 31 Vgl. Schubert, Steuer; Westphal, Ausgestaltung. 32 Vgl. den Überblick bei Krüger, Verfassung, 7f.

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und Verfahrensweise bei der Entscheidungsfindung eingeführt wurden. Die wortführenden Korporationen in den beschriebenen Vorgängen waren die Ritterschaften des landsässigen Adels. Sie waren nicht nur aktiv an der Steuerbewilligung beteiligt, sondern auch als Herrschaftsstand an der Aufrechterhaltung der Ordnung im Territorium interessiert. Im Rahmen dieser Funktionen trugen die Ritterschaften zur Stabilisierung der konfessionellen Verhältnisse innerhalb der Landesgrenzen bei und konnten auch ihre eigenen Herrschaftsrechte absichern.33 Die skizzierten Forschungslücken in Blick nehmend setzt sich dieser Sammelband zum Ziel, die Forschungen zur Reformationsgeschichte mit denen der Stände- und Adelsgeschichte zusammenzuführen. Die darin enthaltenen Impulse sollen die künftige Forschung anregen, die These von der „Fürstenreformation“ aus der Perspektive der Adelsforschung zu hinterfragen, die politischen Aspekte der Konfessionskultur der Ritterschaften im 16. und 17. Jahrhundert in den Fokus zu rücken und Verhaltensweisen sowie Handlungsmuster des niederen Adels im Reformationszeitalter neu zu bewerten. Erkenntnisleitend ist dabei die Annahme, dass die unterschiedlichen konstitutionellen Voraussetzungen in vielen Territorien des Alten Reiches und das daraus resultierende unterschiedliche politische Gewicht des Niederadels dazu führten, dass die reformatorischen und gegenreformatorischen Vorgänge auch ganz wesentlich von der Haltung der jeweiligen Ritterschaften als Bindeglieder zwischen der Landespolitik und Alltagspraxis bestimmt wurden. Differenzierende Einblicke in die vielfältigen Handlungsspielräume der jeweiligen Ritterschaften im 16. Jahrhundert vermögen bis jetzt vor allem die wenigen regionalen Studien zu generieren. Diesen Weg beschreiten auch die Beiträge dieses Sammelbandes, welche die vielfältigen Möglichkeiten und Handlungsspielräume des niederen Adels als Mitglied von politischen Korporationen und als Herrschaftsstand in unterschiedlichen regionalen Kontexten Mitteleuropas ausloten. Die Idee für den Workshop, deren Ergebnisse das Sammelband präsentiert, entstand während der Beschäftigung mit dem Osnabrücker Adel im Reformationszeitalter. Der oben beklagte Forschungsbefund gilt für diese regionale Adelsgruppe in besonderem Maße, stellte er die politische Elite in einem geistlichen Territorium des Alten Reiches dar, das ausgesprochen komplizierten politische und konfessionelle Vorgaben unterlag.34 Vergleichbar mit vielen anderen Niederadelsformationen liegt auch für den Osnabrücker Adel nur eine geringe Anzahl die Untersuchungen; ebenfalls unbefriedigend ist die darin vorgetragene Bewertung, dass die Ritterschaft kaum zur Epoche beigesteuert 33 Vgl. Gillner, Wölfe; Westphal, Ausgestaltung. 34 Vgl. hierzu jüngst Tauss/Winzer, Miteinander.

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habe.35 Die schlechte Quellenlage zum Osnabrücker Adel im 16. Jahrhunderts ermöglicht zudem lediglich Vermutungen, die jedoch mithilfe von Untersuchungen zu anderen Regionen eine festere Basis erhalten. Vor dem Hintergrund dieser Forschungserfahrungen wurde der Wunsch nach einem überregionalen Austausch immer stärker. Der daraus entstandene Aufruf zum Workshop36 hatte eine erfreuliche Resonanz und beförderte verschiedene Forschungsbemühungen jüngerer Historikerinnen und Historiker ans Tageslicht, welche die etablierten Annahmen in Frage stellen. Die Notwendigkeit, diese vereinzelt stattfindenden Forschungen zusammenzubringen, lag somit auf der Hand. Der Workshop war daher als Forum für den Austausch zum Thema „Ritterschaft und Reformation“ konzipiert. Der Teilnehmerkreis setzte sich zusammen zum einem aus den Referentinnen und Referenten, die ihre aktuellen Forschungsvorhaben vorstellten, und den Diskutantinnen und Diskutanten, die mit ihren eigenen Forschungen Adel- und/oder Reformationsgeschichte wesentlich vorangetrieben und bestimmt haben.37 Der vorliegende Sammelband präsentiert die meisten Referate des Workshops, die durch die Beiträge von Martin Jung und Wencke Hinz erweitert wurden. Den Untersuchungen, die sich mit den Gruppen des niederen Adels in unterschiedlichen Regionen Mitteleuropas beschäftigen, sind die Beiträge von Alexander Jendorff und Martin H. Jung vorangestellt. Den Anfang macht Alexander Jendorff, in dem er „aus der Vogelperspektive“ der Frage nachgeht, ob die Annahme der Geschichtsschreibung, die Reformationsepoche sei eine Zäsur auf allen gesellschaftlichen Feldern gewesen, auch für den Adel gelte. Indem Jendorff die Kontinuitätslinien in der Adelsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert nachzeichnet, hinterfragt er den bisher in der Forschung angenommenen Horizont der Ritter und plädiert dafür, die Reformationszeit nicht als ein „Bruchereignis“ für den Adel zu sehen. Der Theologe Martin H. Jung setzt sich mit einer der wichtigsten Reformationsschriften Luthers Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ auseinander und betrachtet am Beispiel von drei Adeligen (Ulrich von Hutten, Argula von Grumbach und Philipp Landgraf von Hessen), inwiefern Luthers Argumente auf diese herausragenden Gestalten des Reformationszeitalters ermutigend wirken konnte. Die darauffolgenden Beiträge stellen die Beispiele für den Niederadel in den verschiedenen Regionen vor und sind, soweit es ging, chronologisch ange35 Vgl. dazu den Beitrag von Olga Weckenbrock in diesem Sammelband. 36 Call for Papers „Ritterschaft und Reformation“, 23. 10. 2014–24. 10. 2014 Osnabrück, in: HSoz-Kult, 29. 11. 2013, www.hsozkult.de/event/id/termine-23617 [01. 05. 2017]. 37 Als DiskutantInnen haben am Workshop teilgenommen: Prof. Dr. Heide Wunder, Dr. Dieter Wunder (beide Bad Nauheim), Prof. Dr. Martina Schattkowski (Dresden), Prof. Dr. Martin H. Jung (Osnabrück), Prof. Dr. Christopher Speer (Jena), Prof. Dr. Siegrid Westphal (Osnabrück), Dr. Stefanie Freyer (Osnabrück). Allen ist an dieser Stelle herzlich zu danken.

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ordnet. Michael Bühler setzt sich mit den Ritterschaften des Kraichgau und Ortenau in der Zeit der „Frühen Reformation“ auseinander und analysiert die Verhaltensweisen und Motive dieser regionalen Führungsgruppen. Dabei hebt er ein immanentes Verhalten des reichsfreien Niederadels hervor, das die Erhaltung der Existenz, der Freiheit und des Ranges auch in der Phase der Frühen Reformation als vorrangig ansah. Martin Sladeczek nimmt ebenfalls die frühe Phase der Reformation in den Blick und nähert sich dem landsässigen Adel in den thüringischen Fürstentümern. Er widerspricht der bisher verbreiteten Forschungsmeinung, der thüringische Adel sei bereits früh Luthers Lehre gefolgt, in dem er eine heterogene Entwicklung nachzeichnet. Neben den Befürwortern gab es auch zahlreiche Gegner der neuen Lehre, die in deren Ausbreitung die Gefährdung ihrer Kirchenpatronatsrechte und ihrer Herrschaftsrechte auf dem Lande allgemein befürchteten. Wencke Hinz unternimmt einen Perspektivenwechsel in der Darstellung der Reformationsgeschichte des Fürstentums Lüneburg, indem sie einen dezidierten Blick auf den Adel in diesem welfischen Herrschaftsgebiet wirft. Damit erweitert sie den derzeit dominierenden Fokus auf Fürsten- und Gemeindereformation. Eine für die Reformationszeit bislang wenig erforschte Adelsregion im Norden des Alten Reiches thematisiert Inken Schmidt-Voges. Am Beispiel SchleswigHolsteins zeigt sie, dass der reformatorische Prozess im Norden des Alten Reiches nicht – wie in der zum Großteil veralteten Literatur dargestellt und in neueren Synopsen übernommen – eine „klassische“ Fürstenreformation skandinavischer Prägung in den 1530er-Jahren war, sondern einen sehr eigenen Weg nahm, der wesentlich in der besonderen politischen Verfasstheit der Herzogtümer und der daraus resultierenden besonderen Bedeutung der Ritterschaft als politischer Korporation begründet lag. Olga Weckenbrock nähert sich der Osnabrücker Ritterschaft, deren politisches Handeln durch die besondere Verfassungsstruktur des Territoriums bestimmt war. Das Fürstbistum Osnabrück stellte als geistliche Wahlmonarchie während der Konfessionskonflikte ein politisches Risiko dar, da die Gefahr einer Säkularisierung durch einen konvertierenden Fürstbischof stets über dem Bistum schwebte. Die Osnabrücker Ritterschaft gemeinsam mit dem Domkapitel verstanden sich als verfassungsgarantierende Konstanten im Territorium und wahrten die Integrität des Territoriums, indem sie den Fürstbischof 1548 zum Widerruf seines Reformationsversuchs zwangen. Josef Hrdlicˇka stellt in seinem Beitrag den böhmischen und mährischen Adel vor, die bei der Formierung und Gestaltung konfessioneller Verhältnisse in den Ländern der böhmischen Krone eine Schlüsselrolle spielte. Als souveräne und autonome Herren konnten die Adeligen auf ihren Grundherrschaften die Verbreitung des reformatorischen Gedankenguts fördern. Andreas Flurschütz da Cruz zeigt am Beispiel des fränkischen Niederadels im 16. und 17. Jahrhundert, wie sich die Prämissen des

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Adels in Verbindung mit den sich wandelnden politischen Rahmenbedingungen veränderten. Während sich der Adel in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch seine dezidiert lutherische Position von den geschwächten geistlichen Landesherren abzugrenzen versuchte, setzte er sich nach dem Dreißigjährigen Krieg verstärkt für die Rekatholisierungsmaßnahmen der Würzburger Bischöfe ein. Der Sammelband versteht sich nicht nur als eine Dokumentation der Workshop-Ergebnisse, sondern möchte in erster Linie einen Impuls für die Fortsetzung der Diskussionen und Forschungen zum niederen Adel des 16. Jahrhundert geben. Wie die Beiträge zeigen, ist das Diskussionspotenzial des Themas keineswegs ausgeschöpft, da viele Themenbereiche noch weiterer und vertiefender Erforschung bedürfen. In der abschließenden Diskussion am Ende des Workshops wurden fünf zentrale Ergebnisse festgehalten, die den Austausch dominierten: Erstens bereicherte die Diskussion die konsequente Berücksichtigung der von Region zu Region abweichenden politischen Strukturen, von denen die konfessionellen und politischen Entscheidungen des Adels maßgeblich abhingen. Zweitens wurde es deutlich, dass die Betrachtung des Niederadels als politischen Akteur nicht mit der Reformation einsetzen darf, sondern längerfristige Prozesse in den Blick zu nehmen sind, in welche die Reformationsereignisse und -umwälzungen einzuordnen sind. Drittens ist es notwendig, die Perspektive des Adels streng zu wahren. Viertens ist der Erfahrungsraum und Erwartungshorizont der regionalen Adelsgruppen bei ihrem Vorgehen und den Reflexionen zu berücksichtigen. Und schließlich ist eine besondere Wachsamkeit geboten, um die nationalstaatlich motivierten Argumentationsmuster des 19. Jahrhunderts zu dekonstruieren.

Literatur Andermann, Kurt, Ritterschaft und Konfession – Beobachtungen zu einem alten Thema, in: ders./S. Lorenz (Hg.), Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 56), Ostfildern 2005, 93–104. Asch, Ronald G., Religiöse Selbstinszenierung im Zeitalter der Glaubenskriege. Adel und Konfession in Westeuropa, in: HJb 125, 2005, 67–100. Erkens, Franz-Reiner, Militia und Ritterschaft. Reflexionen über die Entstehung des Rittertums, in: HZ 258, 1994, 173–195. Blickle, Peter, Die Reformation im Reich, Stuttgart 2000. –, Gemeindereformation. Der Mensch des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil, München 1985. Brecht, Martin, Die deutsche Ritterschaft und die Reformation, in: Ebernburg-Hefte 3, 1969, 27–37.

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Olga Weckenbrock

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Alexander Jendorff

Adelsgeschichte oder Reformationsgeschichte? Plädoyer für einen Perspektivenwechsel in der Bewertung niederadeliger Religionshaltungen im Reformationszeitalter1

1.

Der Horizont der Reformation: ein Ritter und sein Verständnis der Reformationsgeschichte

In dem Hausbuch des westfälischen Ritters Sweder Schele zu Weleveld (1569– 1639) findet sich um das Jahr 1630 folgender Eintrag:2 Successus reformationis Evangelicae orthodoxae 1. Reformationem iam diu a multis retro seculis Speratam et exoptatam a magis piis et a S. Hildegardex, Joachimo abbateb, S. Brigittac aliisque praedictam*) tandem incepit**) M. Lutherus monachus Augustinianus professor Theolog[iae] in Academia Wittenbergensi in Saxonia sub Friderico sapiente duce Electore anno 1517. 2. Publice in diaeta imperii Wormaciae auditus fuit et constanter veritatem professus est anno 1521 nec hominum iudicio nisi secundum verbum Dei submittere voluit.

x

1110 1230 *)**) [s. u.] c 1370 b

1 Bei dem nachfolgenden Beitrag handelt es sich meinen um Nachweise und Details ergänzten Vortrag, dessen pointierter Stil beibehalten wurde. 2 Wiedergabe des Zitats (Teil III, pag. 330) nach: http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/ portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=866&url_tabelle=tab_websegmente [24. 11. 2014], dort neben der zitierten Handschrift auch eine ausführliche Biographie des Sweder von Schele. Der dritte Teil, aus dem der zitierte Textausschnitt stammt, liegt heute im Depositum Huisarchiv Almelo im Historisch Centrum Overijssel in Zwolle (Signatur 3680). Weiterhin zur Biographie Sweders und seiner Hauschronik, sofern nicht anders angegeben, vgl. Teske, Hausbuch; Hoffmann, Adel, 187, 200f, 241f, 249; Gietman, Republiek, 23ff. – Ich danke Herrn Dr. Gunnar Teske (LWL – Archivamt für Westfalen) für den Hinweis auf die Schele-Chronik und die Überlassung der Textstelle sowie für andere Informationen.

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3. Multum deinde disputatum et miros progressus ilico fecit reformatio. Daniae regnum reformationem accepit 1524. Sub rege Friderico 1. x sub rege 4. Sueciae regnum anno 1527x, et alii passim poste[a] Gustavo 1. principes et civitates. Et sonus eorum exivit in omnem terram. 5. Confessio Evangelicae reformatae doctrinae in diaeta imperii Augustae exhibita fuit Carolo 5. Austriaco Imperatori anno 1530. 6. Insurrexere contra sectae Sacramentariorum et similium et Papistae omnes suas vires contra recollegerunt et inter caeteros Jesuitarum ordinem instituere anno 1540. 7. Concilium Tridentinum incepit Papa Paulus 3. anno 1545. 8. Carolus 5. Imperator contra Evangelicos principes arma etiam adsumpsit anno 1546 Luthero iam defuncto et sub hoc Epitaphio sepulto „pestis eram vivus, moriens tua mors ero, Papa“ x 9. Et licet Imperator victoriam reportasset,x pacem Mauricio / tamen deinde super religione per FerdinanSaxone dum fratrem fieri fecit anno 1555. rursus insurgente [links am Rand: *) et ab Johanne Huß / tentatam etiam / anno 1414 **) perfecit über der Zeile]

Sweder Schele zu Weleveld (1569–1639) war Enkel des gleichnamigen westfälischen Adeligen Sweder Schele d.Ä. (ca. 1490–1533), der durch seine Heirat mit der aus Twente stammenden Erbtochter Anna von Weleveld (ca. 1500 – ca. 1548) im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts Besitzungen im östlichen Teil von Overijssel und in Drenthe erhalten hatte. Sweder d.Ä. erbte zudem den hochstiftischosnabrückischen Familiensitz Schelenburg bei Schledehausen. Seine beiden Söhne Caspar (1525–1578) und Christoffer (1529–1606) studierten in Wittenberg und kamen dort mit der lutherischen Lehre in Kontakt, die sie später annahmen. Die Brüder teilten 1555 die Besitzungen ihrer verstorbenen Eltern: Caspar erhielt die Schelenburg, Christoffer das niederländische Weleveld. Aus Christoffers 1558 geschlossener Ehe mit der niederländischen Adeligen Judith Ripperda gingen zehn Kinder hervor. Ältester Sohn war der Autor jener seit 1591 über mehr als vierzig Jahre hinweg entstandenen, zunächst auf manchen Aufzeichnungen seines bereits verstorbenen Onkels Caspar Schele zu Schelenburg aufbauenden Hauschronik,3 in der er neben familiären Ereignissen auch die Entwicklungen seiner politischen Umwelt in der Region Westfalen, im Reich und im übrigen Europa notierte und kommentierte. Sein Anliegen scheint es gewesen zu sein, einen Wissens- und Erfahrungsfundus mit didaktischem Mehrwert für nach3 Sweder stand mit seinem historisch-literarischen Engagement in seiner Familie nicht allein. Schon Caspar Schele hatte eine Geschichte des Osnabrücker Reformationsversuches und des Bischofs Franz von Waldeck verfasst; vgl. Meyer, Geschichte.

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folgende Familiengenerationen und darüber hinaus Familienidentität zu schaffen. Sweder Schele hatte zwischen 1587 und 1591 die Universitäten Jena und Marburg besucht und dort Theologie, Jurisprudenz und Geschichte studiert. Nach seiner Kavalierstour ließ er sich in Weleveld bei Twente nieder. 1598 wurde er Mitglied der Ritterschaft zu Overijssel und des dortigen Landtags. Für die Ritterschaft übernahm er über zwei Jahrzehnte hinweg Gesandtschaften und Ämter. Das Jahr 1621 stellte für ihn einen massiven Bruch dar: Schele genügte den verschärften Anforderungen der Ritterschaft von Overijssel nicht mehr, weil er als überzeugter Lutheraner den verlangten Eid auf den Calvinismus verweigerte. Seine bis dahin auf den Ausgleich der Konfessionen bedachte Position, die er im Kontext der Diskussion um eine verschärfte Calvinisierung der niederländischen Republik auf der Synode von Dordrecht 1619 öffentlich verteidigt hatte, war nun nicht mehr akzeptabel. Infolge zog sich Schele zurück. Dabei handelte es sich nicht um die erste Enttäuschung dieser Art: Schon im Fürstbistum Münster hatte er aus konfessionspolitischen Gründen nicht reüssieren können, was ihm sowohl von seinem konfessionellen Standpunkt als auch von seinem Standesbewusstsein her negativ erscheinen musste. Denn er hielt es für ein wesentliches Merkmal des ritterlichen Adels, dem Fürsten zu raten. Scheles Selbstverständnis war von dem Dreiklang Familie, Adel und Glaube geprägt. Entsprechend betitelte er den Abschnitt über die historische Herleitung des westfälischen Adels mit der Überschrift „Von herkommen, policei, regierung, religion und vornemsten thaten der alten Sachsen und Westphälingen“4. Wie alle weiteren Abschnitte weist er Scheles immense Kenntnis der antik-paganen Autoren aus, die er im Zusammenhang mit deutlichem stoischen bzw. neostoizistischen Gedankengut bruchlos, ja geradezu organisch mit seinem lutherischen Glaubensverständnis zu verbinden wusste. Der Tradition des alteuropäischen Adels entsprechend führte er die Herkunft seiner Familie auf römische Adelsgeschlechter und sogar Kaiserdynastien zurück.5 Sein Standesbewusstsein begründete sich einerseits in formalen Anforderungen, wie sie u. a. aus Turnierbüchern resultierten, andererseits offenkundig aus den zeitgenössischen Regentenlehren: Während Fürsten und Könige als exzellente Mitglieder einer Gemeinschaft zur Führung gewählt worden seien, fungierten Adelige als deren Diener und Funktionsträger, die ihren Kindern als weiteres adeliges Distinktionsmerkmal eine bessere Erziehung und Bildung hätten angedeihen lassen. Diesen edukatorischen Fortschrittsglauben bettete Schele in ein gottgewolltes Ständedenken ein, in dem jeder Stand gleichermaßen und aufeinander bezogen

4 Vgl. Teske, Hausbuch, 86. 5 Vgl. Teske, Hausbuch, 86ff; Gietman, Republiek, 72f.

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seine Funktion und Pflicht besaß.6 Darauf baute die dritte Säule seines Selbstverständnisses auf: sein Glaubensverständnis. Der bekennende Lutheraner, der zeitlebens kein typischer adeliger Söldner, sondern eher adeliger Gelehrter war, hielt sich an das Ideal des miles christianus, für den Stand, Glauben und Gewissen die Basis seiner Adeligkeit darstellten, die er öffentlich vertrat und im Vertrauen auf Gott bzw. göttliche Voraussicht repräsentierte. Seine Devise „Dominus providebit“ parallelisierte er mit dem Wort des Predigers Salomo von der „Nichtigkeit von Nichtigkeiten und alles ist Nichtigkeit“ (Kohelet 1,2 bzw. 12,8), das er mit dem Martial-Epigramm „Quod sis, esse velis“ (Epigrammata X, 47, V. 12) anreicherte.7 Glaube und Frömmigkeit blieben bei Schele nicht bloße individuelle Theorie; er vertrat die Idee des konfessionellen Ausgleichs durchaus offensiv, unterhielt enge – d. h. ebenso intensive wie kontroverse – Beziehungen zu Jesuiten, interessierte sich für die Kapellen im heimatlichen Weleveld und Welbergen und verzeichnete die dortigen Gottesdienstordnungen8, die von der Theologie des Johann Arndt geprägt waren. Vor diesem Hintergrund – dem Amalgam aus adeligem Eigensinn, Familiensinn und Glauben, das in Scheles Hausbuch seinen Ausdruck fand – gewinnt das eingangs vorgestellte Zitat seine eigentliche Bedeutung. Dies betrifft insbesondere das ihm zugrundeliegende Verständnis religionsgeschichtlicher Prozessualität. Von geringerer Bedeutung erscheint dabei das Hineinmünden des reformatorisch-konfessionellen Geschehens in den Augsburger Religionsfrieden von 1555 als vielmehr dessen Fundierung im Hochmittelalter. Hildegard von Bingen, Joachim von Fiore, Brigitte von Schweden und Johannes Hus – sie alle gingen demnach dem Wittenberger Augustiner-Professor und seiner Lehre voraus. Luthers Ideen stellten insofern zwar einen Bruch mit dem römischen Papsttum, nicht aber mit der kirchlich-katholischen bzw. der christlich-spirituellen Tradition dar. Luthers Lehre wurzelte vielmehr in der Tradition der alten Kirche, die er erneuerte – eine historische Einsicht Scheles, die den zeitgenössischen lutherischen Theologen Andreas Osiander und Flacius Illyricus alles andere als fremd war und dem (post-)modernen Historiker einen Denkanstoß geben sollte,9 weist sie doch aus, dass wenigstens dieser Ritter die Reformation nicht als Bruchereignis, sondern als Fortentwicklung verstand und dass er seine lutherische Konfessionalität nicht absolut setzte, sondern als relative Größe – nämlich als Ausformung des allgemeinen Christentums –, wenn auch für ihn und 6 Vgl. Teske, Hausbuch, 88ff; Gietman, Republiek, 89–95. 7 Vgl. Teske, Hausbuch, 91, 95ff. Interessant wäre zu überprüfen, inwieweit sich die KoheletZitation auf die Lektüre des Paulus-Briefes an die Römer (8,19–21) zurückführte. 8 Vgl. Brecht, Luthertum, passim (unter Verwendung der Schele-Chronik Teil II, pag. 891–893 (Weleveld, 1623), 915–932 (Weleveld, 1623), Teil III, pag. 59–68 (Weleveld und Welbergen, 1629) und pag. 844–843 (Welbergen, 1634)). 9 Vgl. Selge, Traditionsbezüge.

Adelsgeschichte oder Reformationsgeschichte?

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seine Familie als allein maßgeblich begriff. Letztlich wirft Scheles Adeligkeitsund Religionsverständnis – mag man es auch als exzeptionelles Beweismittel begreifen – grundlegende heuristische Fragen zum Verhältnis zwischen Adelsgeschichte und Reformationsgeschichte bzw. Reformationsverständnis, zwischen alteuropäischer Adeligkeit und alteuropäischer Religiosität bzw. Religions- und Kirchenentwicklung auf, denen an dieser Stelle nachgegangen werden soll. Daher wird im Folgenden eine eingehende kritische Analyse der bisherigen Historiographie und ihres heuristischen Zugriffs auf das Themenfeld vorgenommen. Sie beschränkt sich auf die zentrale Forschungsliteratur und mündet im Zusammenhang mit der Profilierung von fünf Beispielfeldern in ein pointiertes Plädoyer für einen Perspektivenwechsel bei der Bewertung eines in jeder Hinsicht höchst heterogenen Teils des alteuropäischen Adels, der soziologisch als Niederadel oder ständepolitisch als landsässiger Adel begriffen wird, sich selbst aber als Ritterschaft, hidalguía oder gentry bezeichnete.

2.

Historisch-historiographischer Problemaufriss

Adelsgeschichte und Reformationsgeschichte stehen historiographisch seit Langem in einem engen und zugleich ambivalenten Verhältnis zueinander.10 Die Zahl der einschlägigen Studien, die sich mit dem Adel im Zeitalter von Reformation, Konfessionsbildung und der Konfessionalisierung beschäftigen, ist groß und muss als Ausweis eines ungebrochenen, wenn auch zu verschiedenen Zeiten mehr oder minder prominent publizierten Interesses begriffen werden.11 Und doch scheint dieses Forschungsfeld keineswegs zufriedenstellend erfasst zu sein.12 Zu uneindeutig, zu wenig prägnant, zu variabel scheinen das Verhalten des Adels und seine Motive zu sein, die zwischen persönlicher Glaubensüberzeugung und materialistischem Utilitarismus oszillieren. Personalisiert ausgedrückt: Für die moderne Historiographie tut sich zwischen Hartmut XII. von Kronberg und seinem Enkel – dem Mainzer Kurfürsten Johann Schweikard von Kronberg –, zwischen Hans Landschad zu Steinach und Albrecht von Wallenstein ein scheinbar unüberbrückbarer analytischer Graben auf, so als ob die vier Genannten in unterschiedlichen Galaxien gelebt hätten. Denn schnell ließe sich ein 10 Vgl. Riedenauer, Reichsritterschaft; Rößler, Adel; Brecht, Ritterschaft; Press, Adel, 330–383; Midelfort, Landleben; ders., Reformation. 11 Für die jüngsten Publikationen seien – neben Hoffmann, Adel – ausschnitthaft benannt: Walther, Abt; Gillner, Herren; Ninness, Opposition; Flurschütz da Cruz, Füchsen; Jendorff, Niederadel. 12 Symptomatisch hierfür vgl. Andermann, Ritterschaft, 96: „So muß das Thema Ritterschaft und Konfession […] auf weite Strecken noch immer als terra incognita gelten“.

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eindeutiges Urteil fällen: hier die ritterlichen Glaubensbekenner der Reformationszeit, die die Konsequenzen ihres Handelns trugen, dort die karrieristischmaterialistischen Konvertiten des Konfessionellen Zeitalters, das wenigstens dem Böhmen seine tödliche Lektion erteilte. Bei näherer Betrachtung erweist sich allerdings, wie sehr unser Urteil von Vorprägungen, Unverständnis und subkutanen Lenkungen bestimmt ist, seien sie konfessionalistischer Natur, seien sie von traditionellen Vorannahmen, seien sie von scheinbaren methodisch-heuristischen Selbstverständlichkeiten geprägt; und bei näherer Betrachtung erweist sich das eigentliche analytische Dilemma, das nicht auf das Reformationsereignis beschränkt bleibt, sondern sich in das Konfessionelle Zeitalter hinein erstreckt: Wir verstehen die Akteure und ihre Handlungsmotive nur wenig,13 selbst wenn ihre Handlungen mittlerweile besser erforschbar scheinen, wie die Zahl der neueren Studien zu adeligem Konfessionsverhalten seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ausweist. Doch der Frage nach den Motiven für ambivalentes, widersprüchliches, willkürliche Konfessionsentscheidungen weichen auch sie in der Regel aus, nicht selten unter Verweis auf die mangelnde Zahl an Selbstzeugnissen, die einen vertieften Einblick in adelige Einstellungen vermitteln könnten. All dies ist nachvollziehbar und richtig; doch handelt es sich vielleicht auch und noch vielmehr um ein heuristisches Problem, das in der Frage besteht, was der eigentliche Gegenstand des Forschungsinteresses ist: der Adel oder die Reformation? Undiplomatisch und zugespitzt gefragt: Soll alteuropäische Sozialgeschichte im Reformationszeitalter oder die Reformationsgeschichte des Adels betrieben werden? Vor diesem Hintergrund steht damit zugleich nämlich folgerichtig zur Disposition, wie die Reformationsgeschichte zu begreifen ist: als exzellentes Bruchphänomen oder als inhärenter Teil der alteuropäischen Religions- und Kirchengeschichte? Es handelt sich demnach keineswegs um analytisch-sprachliche Petitessen, sondern um fundamentale Fragen an das Selbstverständnis der Adelsgeschichtsforschung als – in den letzten Jahrzehnten erneuerte – Subdisziplin der modernen Sozialgeschichtsschreibung. Es entspräche dem traditionellen Zugang zu untersuchen, welchen Beitrag der Niederadel zur Reformation leistete, so als ob er dies überhaupt habe tun wollen. Stattdessen wird an dieser Stelle für eine Abkehr vom kontributiven Charakter solcher Adelsgeschichte und für eine entschiedene Berücksichtigung ihrer Eigengewichtigkeit plädiert. Damit einhergehend werden nach einer eingehenden Forschungskritik fünf Ausprägungsfelder profiliert, um sich bewusst von manchen Aspekten einer Reformationshistoriographie abzusetzen, die sich mit den spätmittelalterlichen Wurzeln des Reformationsereignisses bisweilen immer noch schwertut und zugleich die Einsicht in die Vergangenheitsverhaftung des 13 Vgl. Winkelbauer, Karrieristen.

Adelsgeschichte oder Reformationsgeschichte?

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Reformationsgeschehens gerne als Ausweis (modernen) ökumenischen Bewusstseins feiert.

2.1

Bestandsaufnahme: der Niederadel als aktive Gesellschaftsgruppe, Religion als Handlungsfeld niederadeligen Eigensinns und Eigenmacht

In der jüngeren Adelsforschung besteht mittlerweile der Konsens, dass der Niederadel in Gesamteuropa zu jedem Zeitpunkt eine sozioökonomisch-soziopolitisch herausragende Gruppe darstellte, auf der die Durchsetzbarkeit politisch-gesellschaftlicher Entscheidungen auflagerte, ohne die jedwede Politik nicht zu machen war und die wesentlichen Anteil am Werden des modernen Europa besaß.14 Das Diktum vom Niederadel als Krisenopfer des Spätmittelalters und der beginnenden Frühneuzeit ist demnach passé.15 An seine Stelle rückte die Einsicht, dass er an den Wandlungsprozessen umfänglich teilhatte, sie entlang seiner Interessen aktiv mitgestaltete und dabei – wie andere Gesellschaftsgruppen auch – mehr oder minder erfolgreich war. Ein Pauschalurteil verbietet sich allein, weil der alteuropäische Adel nicht als monolithischer Block verstanden werden kann, sondern als bis in die einzelnen Familien hinein differenzierte Personen- und Standesgruppen, die angesichts massiver extrinsischer und intrinsischer Herausforderungslagen in steter Binnen- und Außenkonkurrenz um sämtliche Kapitalsorten standen, die das Bemühen um das ‚Obenbleiben‘16 begleiteten. Dabei waren Religion und Kirche für den Niederadel dabei einerseits selbstverständliche Handlungsfelder und Instrumente, andererseits feste Elemente seines Selbstverständnisses und seiner Eigenmacht als Herrenstand, also seines Eigensinns.17 Es handelte sich um ein reziprokes Verhältnis, das ein entsprechendes Spannungsfeld erzeugte. Der Niederadel war mehr als nur ein Begleiter der Christianisierung der europäischen Gesellschaften und der Verkirchlichung des Christentums. Er fungierte als Motor und Dynamo der religionsgeschichtlichen Entwicklungen, die ihn dazu befähigten, sich die Kirche und ihre Institutionen zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichem, auch variablem Intensitätsgrad anzueignen. Das Reformationszeitalter stellte für den Niederadel insofern lediglich – wenn auch sicherlich gravierend – eine neue Herausforderungslage auf bekanntem Terrain dar. Auf die aus der Reformation und der 14 Als europäischer Querschnitt vgl. Goodwin (Ed.), Nobility; Bush, Nobility; Dewald, Nobility; Scott (Ed.), Nobilities; Wehler, Adel; Demel, Adel; ders., Spezifika; Asch, Adel; Sikora, Adel. 15 Vgl. Morsel, Crise; Andermann, Grundherrschaften; ders. / Peter Johanek, Nicht-Adel; Graf, Feindbild; Schuster, Krise; Rösener, Adel; Asch, Rearistokratisierung. 16 Vgl. Braun, Bemerkungen. 17 Zur Kategorie des adeligen Eigensinns vgl. Jendorff, Eigensinn; ders., Eigenmacht.

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Konfessionsbildung resultierende Konfessionalisierung mussten gleichwohl auch neue Antworten gefunden werden, um ‚oben zu bleiben‘ oder nach oben zu kommen. Schließlich blieb der Charakter von Religion und Kirche als sozialer Mobilitätskanal erhalten.18

2.2

Die Problematik des traditionellen Problemverständnisses, oder: die Frage des heuristischen Herkommens und der analytischen Zielrichtung

Analysiert man die einschlägige Forschungsliteratur, fallen zwei Aspekte auf: die Unklarheit der Zielebene solchen Forschens und dessen konzeptionelle Einbettung. 2.2.1 Die Unklarheit der Zielebene von Forschung zum Adel im Reformationszeitalter Gerade ältere Beiträge zur Geschichte des Adels im Reformationszeitalter zeichnen sich durch den kontributiven Charakter ihres Zugangs zur Problemstellung aus. Dieser steht in der Tradition sowohl reformatorisch-protestantischer Adelshistoriographie in der Frühen Neuzeit als auch der Adelshistoriographie des 19. und 20. Jahrhunderts. Die ältere Forschung der Moderne interessierte insbesondere, welchen Beitrag der (Nieder-)Adel zum reformatorischen Geschehen und speziell in dessen Frühphase leistete,19 so als ob er einen bewussten Beitrag zur Durchsetzung der lutherischen Lehre und der evangelischen Bewegung um ihrer selbst willen habe leisten wollen. Zweifellos gab es solche Standesvertreter; doch handelten alle anderen als Verblendete, waren ihre Motive unlauter, warum rekonvertierten protestantische Ritter, obwohl ihre Vorväter als evangelische „Bekenner“ in die Annalen der protestantischen Kirchengeschichte eingingen?20

18 Vgl. Rechter, Schein, 114f; Flurschütz da Cruz, Füchse, 356–364, mit dem Hinweis auf den Zusammenhang zwischen gegenreformatorischen Aktivitäten und sozialem Auf- bzw. Abstieg im Niederadel Frankens. Für die spanischen Kontexte – insbesondere zum Thema konfessionalisierte Religion und Adelsprofilierung – neuerdings zentral vgl. Sosa Mayor, El noble atribulado. 19 Symptomatisch, dabei differenziert vgl. Brecht, Ritterschaft, 34, mit der Frage nach der „Bedeutung der Ritterschaft für die Reformation“. 20 Die Familiengeschichte der Kronberg mit den herausragenden Gestalten des „Bekenners“ Hartmut XII. (1488–1549) und seines Enkels – dem kurfürstlich-mainzischer Gegenreformator Johann Schweikard (reg. 1604–1626) – steht hierfür exemplarisch; vgl. Bode, Hartmut; Jendorff, Reformatio, 119–121, 290–291.

Adelsgeschichte oder Reformationsgeschichte?

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Dieser kontributive, dabei einseitige Zugriff auf die Adelsgeschichte des Reformationszeitalters stellt quasi ein Kontinuum der europäischen Adelshistoriographie dar. Er leitet sich aus der Stilisierung des niederadeligen Bekennertums im „langen“ 16. Jahrhundert ab. Der Adelsspiegel des Cyriakus Spangenberg aus dem Jahr 1591/94 stand den Interessen und Vorstellungen des Adels im „Zweiten Konfessionellen Zeitalter“21 des 19. Jahrhunderts Pate und verschaffte die entsprechende historische Legitimation.22 Im Zusammenhang mit Frage nach dem Beitrag des Adels zur Reformation und seiner allgemeingesellschaftlichen Position heroisierte Spangenberg – der lutherisch-orthodoxe Adelsverteidiger seiner Zeit – die Namen des Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten, Hartmut XII. von Kronberg, Hans Landschad von Steinach und anderer regelrecht und zwar in harscher Absetzung von den Standesvertretern seiner Zeit, denen er Anpassung, Faulheit, Zaghaftigkeit, Karrierismus, Fürstenhörigkeit, falsches Vertrauen und Kleinmut vorwarf.23 Die Erhebung der genannten Personen zu den national-protestantischen Altären erfolgte im 19. Jahrhundert gleich doppelt: in Form einer nationalen und einer familiären Stilisierung solchen Bekennertums. Im Laufe des „langen“ 19. Jahrhunderts, als die Adelsfamilien des nachrevolutionären, prä- und schließlich national-chauvinistischen Zeitalters um ihre Gesellschaftspositionen u. a. mittels konfessioneller Positionierung und Historisierung rangen, vermochten sie das religiös-konfessionelle Verhalten ihrer Vorfahren als Argument zu instrumentalisieren. Sie (re-)konstruierten dabei konfessionelle Traditionen, die zwar der historischen Fundierung entbehrten oder den Tatsachen widersprachen, aber in den zeitgenössischen Gesellschaftsund Politikdiskurs passten und kaum angefochtene Akzeptanz fanden.24 Dabei kam ihnen zugute, dass die Reformation und das reformatorische Bekennertum vom historiographischen Zeitgeist der Moderne als Moment der nationalen Einigung begriffen wurden. Das Bekennertum des Adels leistete von diesem Standpunkt aus zusammen mit dem preußischen Beruf einen entscheidenden 21 Vgl. Blaschke, Jahrhundert; ders., Konfessionen. 22 Vgl. Spangenberg, Adels-Spiegel, Bd. 2, Buch 6. Zu Spangenbergs Person und Werk vgl. Midelfort, Landleben, 254–259; Carl, Verächter; Sandl, Medialität, 229–231. 23 Vgl. Spangenberg, Adels-Spiegel, Bd. 2, 70f: Die Standesvertreter seien „so schläfferig / so faul vnd zaghafft bey dem Evangelio […] dz diese alte redliche Adelspersonen / wenn sie jetzt auffstehen sollten / sich […] ihrer Nachkommen schemen würden / das sie bey solchem hellen Liechte […] doch so laß vnd kalt gegen das seligmachende Wort vnd heilige Euangelion verhalten / vnd [zeitlicher] Herrn gunst höher / denn des vnsichtbaren GOTtes Gnade achten / oder Menschen mehr denn Gott fürchten / aus falschem vertrawen oder grosser kleinmütigkeit“. Zu Spangenbergs weiterer Kritik vgl. Midelfort, Landleben, 257f. 24 Besonders beliebt war dabei die Konstruktion ungebrochener familiärer Konfessionalität, wie sie sich insbesondere im westfälischen Adel und seiner angeblichen Katholizität fand. Die entsprechenden protestantischen Gegenstücke zu finden, stellt sich als Leichtes dar; vgl. Reif, Adel, 400–431; Stambolis, Kulturen; Gillner, Herren, 28f; Jendorff, Tod, 205–253.

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Beitrag zur langfristigen Nationenwerdung Deutschlands. Der Adel, der wenigstens bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein als Modernisierungsverweigerer verstanden wurde und für den sich deshalb die Frage nach seiner Rolle in der Nationenwerdung stellte, konnte auf diese Weise in das nationale Einigungswerk historisch-analytisch integriert werden.25 Die jüngere und jüngste Adelsforschung interessiert sich weniger für die Haltung des Niederadels in der Kernepoche des Reformationszeitalters. Ihr Blick ist gleichsam nach vorne gerichtet, fokussiert das 17. und 18. Jahrhundert und damit die Auffassungen, Verhaltens- und Umgangsweisen sowie die Möglichkeiten und Grenzen adeligen Handelns auf dem religiös-konfessionellen Feld. Konfessionalisierte Religion erscheint dementsprechend als höchst variables Optionsfeld zwecks ständisch-sozialer Selbstbehauptung. Aus diesen historiographischen bzw. historiographiegeschichtlichen Befunden leitet sich jene oben bereits formulierte Frage ab, ob das reformatorische Ereignis und seine Effekte oder die Geschichte des Adels, seine religiös-kirchlichen Interessen und Erfahrungen im Zentrum des derzeitigen Forschungsinteresses am Problemzusammenhang steht, wie es also um die Eigengewichtigkeit der Adelsgeschichte bestellt ist. Dass die Betonung solcher Eigengewichtigkeit methodisch geboten ist, resultiert aus dem Gegenstand: Adelsgeschichte kann nicht epochal begrenzt erfolgen und erzwingt geradezu die Analyse langfristiger Strukturen. Für die Reformationsgeschichte muss dies nicht gelten, insofern dies auch von konfessioneller Provenienz bzw. konfessioneller Einstellung abhängig ist. Die Vorannahme einer epochalen Bruchqualität des reformatorischen Ereignisses wäre vertretbar und mit ihr einhergehend die Annahme eines Neubeginns des religiösen und dann eben konfessionellen Verhaltens im Niederadel.26 Aus der Perspektive der (post-)modernen sozial- und kulturgeschichtlich argumentierenden Adelsforschung jedoch widerspricht eine solche Verkürzung des Blicks den forschungsstrategisch-methodischen Zugriffsweisen der letzten Jahrzehnte – d. h. dem interregional-komparatistischen, epochenübergreifenden Blick – ebenso sehr wie dem Selbstverständnis des Adels, das auf Herkommen und Tradition basierte und damit seine jeweiligen zeitgenössischen Handlungen 25 So inszenierte Walter Friedensburg den Gewaltkriminellen und frühen Luther-Anhänger Franz von Sickingen unnachahmlich, wenn er formulierte: „der Name Sickingen haftet im Gedächtnis der Nachwelt allein an dem kühnen Recken, der den Versuch, in dem geistlichen Fürstentum das Haupthindernis für die vollständige Eroberung unseres Vaterlandes durch den Protestantismus aus dem Wege zu räumen, mit einem frühen, gewaltsamen Tode bezahlen musste“; vgl. Friedensburg, Franz, 666. Kritischer dagegen: Schreckenbach/Neubert, Luther, 21f. 26 Zum traditionellen Diskurs über den Zäsurcharakter der Reformation vgl. Hamm/Moeller/ Wendebourg, Reformationstheorien; Oberman, Reformationen; ders., Reformationen; Mörke, Reformation, 79–86 unter Wiedergabe der auf dem Zäsurcharakter beharrenden Positionen Kaufmanns und van Dülmens.

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mit der Vergangenheit und der durch ihn und seine Ahnen verkörperten Historizität legitimierte.27 Das Eingangs dargestellte Fallbeispiel des Sweder Schele steht hierfür in mehrfacher Weise symptomatisch, insofern er offenkundig ein Gespür für die Gleichzeitigkeit der Traditionalität und Innovativität des reformatorischen Prozesses besaß. Die Forschung zur Adelsgeschichte im Reformationszeitalter sollte daraus konzeptionell-heuristische Rückschlüsse ziehen und zugleich die bereits vorhandenen Angebote nutzen.

2.2.2 Die konzeptionelle Einbettung einer epochenverbindenden Adelsforschung: Adelsgeschichte als Sozialgeschichte Alteuropas Die jüngere Forschung zum Niederadel im Reformationszeitalter steht nicht singulär. Vielmehr erfolgt sie vor dem Hintergrund von zwei anderen, miteinander verschränkten Diskursen, mit denen sie allerdings nur unzureichend verbunden ist: zum einen mit der Frage nach dem Eigengewicht bzw. der Eigenlogik oder der Verzahnung von Politik und Religion,28 zum anderen mit der Frage, ob die Durchsetzung der lutherischen Lehre als Fürstenreformation erfolgte oder als Stadt- resp. (bäuerliche) Gemeindereformation begriffen werden muss.29 Für beide Forschungsfelder darf attestiert werden, dass der Niederadel erstaunlich wenig berücksichtigt wird. Hinsichtlich des letztgenannten Diskurses – der Frage nach der Primärträgerschaft und Durchsetzungskräfte der Reformation – fokussierte die Forschung gerade der 1960er Jahre bis zum Beginn des neuen Jahrtausends einseitig auf städtische, bäuerliche und fürstliche Akteure. Die Mahnung Ernst Schuberts, neben einer Fürsten- und Stadtreformation auch von einer Adelsreformation auszugehen und bei der Beurteilung viel stärker die Adelsperspektive einzunehmen,30 verhallte beinahe ungehört. Die von Schindling/Ziegler herausgegebene, bis heute maßgebliche, eher auf die Verläufe fokussierte Reihe „Die Territorien des Reiches“ kennt eigentlich nur den Typus der frühen oder späten Fürstenreformation, mit einem fallspezifisch größeren oder kleineren Anteil der Städte. Der Niederadel erscheint zwar durchaus auch, nicht aber als ereigniskonstituierende Formation. Gleichermaßen kommt Blickles Gemeindereformationsparadigma – wie schon sein ideeller Vorläufer: Bernd Moellers 27 Vgl. Midelfort, Landleben, 260f; Asch, Adel, 14–42; Sikora, Adel, 8f. Aus kunstgeschichtlicher bzw. memorialgeschichtlicher Perspektive vgl. neuerdings Hengerer, Memoria, 241–250. 28 Vgl. Friedeburg/Schorn-Schütte, Politik. 29 Vgl. Blickle, Gemeindereformation; Schindling/Ziegler, Territorien. 30 Vgl. Schubert, Fürstenreformation. Dieser unverständlicherweise kaum rezipierte kritische Ansatz fand immerhin seinen Niederschlag in: Schattkowsky, Adel; dies., Rittergut; Westphal, Ausgestaltung.

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„Reichsstadt und Reformation“31 und wie schon sein eigenes Kommunalismuskonzept – weitgehend ohne den Adel als religiös-kirchlichem Akteur aus.32 Historisch lässt sich dies durchaus mit den Erfahrungen des Niederadels in der frühen Reformationszeit begründen: Nach dem frühzeitigen, emphatischen Engagement der großen Bekenner mussten das Sickingen-Desaster 1522/23 und der Bauernkrieg 1525 auf die Standesvertreter abschreckend gewirkt und ihre Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt haben. Passivität, gar Lethargie scheint den Niederadel befallen zu haben. Insofern wirkte Blickles Attest des Jahres 1982 stilprägend: „Mit der gescheiterten Fehde von 1523 schied der Adel als eigenständiger Faktor bei der Durchsetzung der Reformation aus.“33 Doch stellte dies nur eine Facette dar: Viele Ritter hatten sich nicht Luther an den Hals geworfen, viele standen dem Reformator vor und nach 1523/25 abwartend gegenüber, viele hatten Anteil an den politischen Entscheidungen über die Einführung der lutherischen Lehre in verschiedenen Territorien des Reiches oder an deren Verhinderung. Nur geschah dies nicht mehr so laut wie noch zu Zeiten der Bekenner. Man könnte sagen, schon damals setzten sich die politici und die Hausväter resp. Patrone im Niederadel, die wie zuvor ihre Gemeinden religiös-kirchlich „organisierten“, sich also nicht immer konfessionell eindeutig positionierten, vielleicht auch weil sie selbst noch keine eindeutige Linie besaßen oder besitzen wollten. Aus dieser Beobachtung – aus dem Befund der konfessionspolitischen Zurückhaltung und konfessionellen Uneindeutigkeit – resultierte die Formulierung vom „konfessionellen Niemandsland“, die von Volker Press 1979 geprägt und 1997 von Anton Schindling ausformuliert wurde.34 Sie korrespondiert mit Press’ Phasierung niederadeligen Verhaltens in der Reformationsepoche. Demnach habe sich der Niederadel nach „spontanen Einzelaktionen“ bis 1530 religionspolitisch zurückgehalten und am territorialen bzw. reichspolitischen Rahmen orientiert, um in einer dritten Phase die „Konfessionsbildung unter den Bedingungen des Religionsfriedens“ zu vollziehen.35 Dieses vordergründig eingängige, weil gut nachvollziehbare Passivitätsattestat, das gewissermaßen von Erwin Riedenauer bereits 1965 formuliert wurde,36 erweist sich bei näherer Betrachtung

31 Vgl. Moeller, Reichsstadt. 32 Seine Rolle scheint sich auf die des gemeindlichen Oppositionellen, weil auf sein Pfarrbesetzungsrecht bedachten Herrn zu beschränken; vgl. Blickle, Gemeindereformation, 165–217; ders., Kommunalismus. 33 Blickle, Reformation, 72. 34 Vgl. Press, Reich, 28; Schindling, Konfessionalisierung, 24–28. Zur kritischen Würdigung vgl. Ninness, Niemandsland. 35 Vgl. Press, Adel, 343 (mit Zitaten) sowie 380–382. 36 Vgl. Riedenauer, Reichsritterschaft, 60, mit der Bemerkung, der Niederadel habe keinen entscheidenden Einfluss auf die Reformation ausgeübt, die Konfession gar nicht ernst ge-

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als problematisch. Denn es vermittelt unterschwellig, der Niederadel habe sich konfessionell im unentschlossenen Nirgendwo befunden, habe sich anschließend ins Abseits gestellt. Sie findet ihr Interpretationskomplementär in der überholten Auffassung niederadeliger Rückständigkeit und Krisengefangenheit. So wenig das Krisendiktum und ein pauschales Passivitätsattestat generalisierende Geltung beanspruchen können, so wenig entspricht das BekennerZeugnis der Adelsperspektive. Aus konfessionalistisch-dogmatischer Sicht der Zeitgenossen mag sich der Adel im konfessionellen Niemandsland bewegt haben. Eine eindeutige religionspolitische Haltung mochte aus standespolitischer Sicht aber auch gar nicht intendiert gewesen sein, weil sie an den Bedürfnissen und Interessen des Niederadels vorbeiging, zumal sich die Bekenntniskirchen erst herausbildeten. Das niederadelige Primäranliegen bestand – wie in allen anderen (standes-)politischen Fragen dieser Zeit – im Erhalt größtmöglicher Handlungsspielräume im religiös-kirchlichen und damit verbunden im politisch-sozialen Bereich gegenüber der Außenwelt, von der er nicht abgeschottet war,37 mittels dogmatischer Ambiguität38. Darin bestand seine adelige Freiheit, repräsentierte sich seine Eigenmacht und sein Eigensinn, die sich auch auf dem kirchlich-religiösen Handlungsfeld niederschlugen; und dies nicht erst seit dem Reformationszeitalter. So kreiste das niederadelige Interesse an der evangelischen Lehre in der Regel nicht um Luther als dem Reformator, sondern um die Frage der Adeligkeit und ihres Erhalts. Entsprechend handelte es sich bei religiös-konfessionellen Entscheidungen um zentrale Selbstbestimmungs- und zugleich um Zuordnungsfragen, die die adelige Freiheit tangierten und die im Kontext sozialer Prozesse und Abwägungsvorgänge „diskret“, wie Gerrit Walther es nennt,39 wiewohl mit ungewissem Ausgang beantwortet wurden.40 Adeligkeit und Religion stellten demnach aus Adelsperspektive ein Amalgam dar, das an unterschiedliche Verstehensweisen, Funktionalitäten und Traditionen gekoppelt war und mit anderen Facetten der Adelsexistenz korrespondierte. Nicht umsonst beriefen sich niederadelige Familien überkonfessionell in religi-

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nommen und deshalb seine Standespolitik auch gar nicht konfessionell motiviert oder für eine bestimmte Konfession persönlich optiert. Zum Konzept der polykulturellen Partizipation, das die Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen weder negiert noch nivelliert, allerdings auf die existenten – mehr oder minder großen – Schnittmengen verweist und sich von dichotomistischen Modellen abgrenzt vgl. Jendorff/Jung, Partizipation. Zum schwierigen Begriff ‚Volksfrömmigkeit‘ vgl. Schreiner, Laienfrömmigkeit, 1–13,57–63. Zum Forschungsfeld konfessioneller Ambiguität, das die niederadelige Perspektive allerdings ein wenig außen vor lässt, vgl. Pietsch/Stollberg-Rilinger, Ambiguität. Vgl. Walther, Bündnispartner, 345–360; ders., Glaube. Vgl. Deventer, Rom; Winkelbauer, Karrieristen; Lotz-Heumann/Mißfelder/Pohlig, Konversion. Zu den Grenzen konfessioneller Zuordnung und des Zuordnungszwangs, allerdings ohne direkten Adelsbezug vgl. Greyerz/Jakubowsky-Tiessen/Kaufmann/Lehmann, Interkonfessionalität.

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onspolitischen Auseinandersetzungen auf ihr familiäres Herkommen – Sweder Schele war dabei kein Einzelfall. Das Herkommen war ein überkonfessioneller Terminus und Bezugspunkt, der dem adeligen Selbstverständnis entsprach und zugleich die Lebendigkeit der vorreformatorischen Kontexte offenbart, die auch nach der Reformation selbstverständlich erhalten blieben. Von ähnlicher Relevanz und Problematik erscheint der zweite für den Problemzusammenhang relevante Forschungsdiskurs: die Frage nach Eigenlogik oder Verzahnung von Politik und Religion im frühneuzeitlichen Europa. Er greift soziopolitische Zugänge unter Berücksichtigung des Niederadels auf. Allerdings wird dabei die Ausgangsfrage auf den Zusammenhang zwischen adeligem Standesbewusstsein, konfessionell-herrschaftlichen Herausforderungslagen und christlichem Glaubens nicht eigens heruntergebrochen.41 Dies ist nachvollziehbar, erweist sich doch der Gegenstand als komplexer, denn auf den ersten Blick sichtbar. Der (alt-)europäische Adel besaß nämlich zwei miteinander in ambivalentem Spannungsverhältnis stehende Legitimationsstränge, wie sie bei Sweder Schele ebenfalls symptomatisch aufscheinen: die religiöse und die historische, d. h. die gottgewollte Ordnung, die im Zuge der Christianisierung realisiert wurde, sowie die (pseudo-)historische, die sich im Rekurs auf römisch-heidnische Vorbilder niederschlug. Führt man beide Forschungsdiskurse zusammen, gilt es schon an dieser Stelle festzuhalten: Versteht man moderne Adelsgeschichte als Teil der neueren Sozial-, Politik- und Kulturgeschichte, ist ihr ein Eigengewicht in der Reformationsgeschichte einzuräumen. Daraus resultiert, dass die Reformationsgeschichte als Teil der historischen Entwicklung des alteuropäischen Adels zu begreifen ist. Reformations- wie auch Adelsgeschichte werden dann zudem gleichermaßen als Teile der religionsgeschichtlichen Entwicklung Alteuropas begriffen, die nicht erst mit der lutherischen Bewegung begann. Damit darf und kann kein neuerlicher säkularistischer Funktionalismus verbunden sein.42 Vielmehr dient ein solcher Zugang gerade dazu, der religiös-spirituellen Komponente, die mit Adeligkeit im alteuropäischen Christentum verbunden ist, ihr angemessenes Gewicht zu verleihen und ihre Verzahnungen besser definieren bzw. analysieren zu können.43 Eine religionsgeschichtliche bzw. religionssoziologische Profilie41 Im Gegensatz zu den Beiträgen bei Friedeburg/Schorn-Schütte, Politik, erfolgt dies bei Asch, Selbstinszenierung. 42 Es geht also gerade nicht – wie bei Weber, Durkheim oder Bourdieu – um eine Rollenreduktion von Religion – bspw. im Sinne der Legitimierung von sozialspezifischen Interessen –, sondern um deren möglichst umfassende Gewichtung; vgl. Bourdieu, Feld; Hahn, Religion, 17–31; Weinzierl, Individualisierung, 7. 43 Das meint auch, sich von traditionellen „Bezugspunkten“ religiös-konfessioneller Entscheidungen – als solche nimmt Press die Fürstenhöfe, Riedenauer Lehnsherren, Verwandte und Freunde, Rupprecht (am Guttenberger Beispiel) schlicht nur politisch-rechtliches bzw.

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rung der Adelsgeschichte im Reformationszeitalter ist daher auch aufgefordert, sich stärker in das Konzept der longue durée einzubetten, das beiden Forschungsgegenständen entsprechen sollte. Die heuristischen Instrumentarien liegen hierfür seit langem vor: Dietrich Gerhards Alteuropa-Konzept, Pierre Chaunus Interpretation der „Temps de réformes“, Berndt Hamms „normative Zentrierung“ oder die Konzeptionierung der Zeitschrift für Historische Forschung durch Peter Moraw und Volker Press, die Warnungen Moraws und Hartmut Boockmanns vor der Härte der Epochenschwelle um 1500 und nicht zuletzt die vielfältigen Forschungen von Klaus Schreiner – sie alle stellen entsprechende heuristische Basen dar,44 die von Heinz Schilling bereits in die Gesamtschau eingeführt wurden,45 offenkundig jedoch wenig Nachhall fanden. Eine Rückbesinnung erscheint insofern sinnvoll, wie an vier ausgewählten Handlungsfeldern – der Theologie, dem Konversionsphänomen, dem Ordens- und Klosterwesen sowie der Pfarrei – exemplarisch belegt werden kann.

3.

Kirchlich-religiöse Handlungsfelder des alteuropäischen Niederadels prae ac post reformationem Lutheri

3.1

Die theologische Dimension

Kirche und Adelswelt gingen im Mittelalter ein regelrecht symbiotisches Verhältnis ein. Dies kann erstaunen, weil es sich beim Christentum ursprünglich um eine adelsfeindliche Religion handelte. Das Gleichheitspostulat aller Gläubigen, das Fehlen jeglicher proadeliger Referenzstellen im Alten wie im Neuen Testament, die antifamiliären Tendenzen und nicht zuletzt der neutestamentarische Individualisierungsimpetus stellten adelige Seins- und Herrschaftskonzepte per se in Frage. Im Zuge eines langfristigen Aneignungsprozesses, verstärkt seit dem 11. Jahrhundert und parallel zu den beginnenden Binnendifferenzierungsprozessen im Adel, begann die Ausformung „einer adeligen Frömmigkeit, die zwischen der Eigenart des weltlichen Adels und dem Wesen des menschgewordenen

ökonomisches Interesse im Niederadel an – nicht voreinnehmen zu lassen; vgl. Press, Adel, 331; Riedenauer, Reichsritterschaft, 9–10, 15; Rupprecht, Herrschaftswahrung, 274. 44 Vgl. Gerhard, Europe; Chaunu, temps; Moraw, Verfassung; Boockmann, Stauferzeit; Hamm, Frömmigkeit; ders., Gewicht; ders., Reformation; ders., reformatio. Zu den Forschungen Schreiners sei neben dem bereits genannten Beitrag (Laienfrömmigkeit, 59f, mit Verweis auf die Gewichtungsproblematik im Verhältnis zwischen Religion als Ausdruck sozialer Gegebenheiten und Religion als Ausdruck individueller Sinngebung und Autonomie) auch auf die nachfolgend genannten Arbeiten verwiesen. 45 Vgl. Schilling, Reformation; ders., Welten; ders., Vita religiosa; ders., Zeit.

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Gottessohnes Affinitäten und Analogien herstellte“.46 Arnold Angenendt spitzt für diesen Vorgang zu: Es gehört zu den Überraschungen der mittelalterlichen Bibelauslegung, daß gerade das deutlichste Wort, mit dem im Neuen Testament eine adlige Sonderstellung abgelehnt wird, in eine den Adel bestätigende Aussage umgedeutet werden konnte.47 Seitdem stabilisierte sich die theologisch abgesicherte adelige Eminenz in Gesellschaft und Kirche und knüpfte zugleich an das römische familia-Modell und die pater-familias-Konzeption mit dem Familienoberhaupt als Verwalter des Hauskultes.48 Unterstützend wirkte in der weiteren Entwicklung schließlich auch der Paradigmenwechsel der hochmittelalterlich-scholastischen Theologie zur Eigenursächlichkeit menschlichen Tuns, die die adeligen Gestaltungsambitionen im lokalen Kirchenraum und seine Sonderstellung untermauerte. Insofern bot die lutherische Lehre wenig Neues. Sie bestätigte und verfestigte die bis dahin etablierte Rolle des Niederadels. Luthers Adelsschrift des Jahres 1520 war hierfür kaum entscheidend, zumal sie eher polemischen, antikirchlichantipäpstlichen Charakters war und sich eher an Kaiser und Fürsten richtete,49 selbst wenn sich auch der Niederadel als Teil der Obrigkeit und Amtmann Gottes angesprochen fühlen konnte. Attraktiver mochten ihm dagegen die wenig später entfalteten drei Kernideen des Reformators erscheinen, also die Sätze, der Christ sei jedermanns Knecht und aller Welt untertan, der Christ sei niemandes Knecht und gänzlich frei und natürlich das individuelle Gewissen als alleinentscheidende Instanz. Diese drei Sätze tangierten das niederadelige Selbstverständnis fundamental. Sie boten den theologisch erstmals abgesicherten Nährboden, um sich von den Fürsten zu distanzieren und die eigenen Untertanen zu kontrollieren, insgesamt also die eigene Position auf der Basis der Gewissensfreiheit und Verantwortung vor Gott zu legitimieren. Zudem entsprach die lutherische Idee der Freiheit des Christenmenschen dem just in jenen Jahrzehnten so prominent vertretenen Diktum und Postulat der adeligen Freiheit, verstanden als niederadelige Unabhängigkeit. Die lutherische Lehre und die aus ihr später resultierenden protestantischen Regentenlehren untermauerten das Selbstverständnis und die Ansprüche des Niederadels, wenn sie die Verantwortung der christlichen Magistrate, den Gestaltungsauftrag des Einzelnen, die Kirche als anthropogenes, zeitbedingtes und zeitliches Phänomen, die Unmöglichkeit absoluter Wahrheiten und grundsätzlicher Lösungen, die Hervorhebung individuellen und situativen Handelns betonten.50 War seine herrschaftliche Position im Spätmittelalter im 46 47 48 49 50

Schreiner, Laienfrömmigkeit, 68; ders., Legitimation, 323–325, 328–330. Angenendt, Geschichte, 343. Vgl. Rüpke, Religion, 14–16, 20–22. Vgl. Kaufmann, Adel. Vgl. Sandl, Medialität, 60–62,158–160, 225–230, 395–407.

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Zuge fürstlicher Verfügungsexpansion bzw. -intensivierung auf vielen Feldern beschnitten worden,51 ließ das lutherische Deutungsangebot aus seiner prekären Position eine prioritäre werden, weil es die Verantwortung und das Vorbild des Herren und Patrons einforderte. Aus dem niederadeligen Pfründenjäger und Pfründeninhaber konnte nun der ‚Bekenner‘ und Schützer des reinen Evangeliums werden, dessen Handeln die Welt nachhaltig beeinflussen und verändern sollte. Mit diesem theologischen Ansatz stand der Protestantismus allerdings keineswegs allein: Eine solche Individualisierungstheologie und auf Christus zentrierte Spiritualität beinhaltete auch die Exerzitienlehre des Jesuitenordens und seines Gründers Ignatius von Loyola, zumal beide Ansätze auf der devotio moderna fußten.52

3.2

Konversion, Bekenntnisdemonstration und adelige Identität

Die lutherische Idee und die evangelische Bewegung werteten Bekenntnis und Individualität auch für den Niederadel auf, gaben ihm eine neue Qualität und Gestaltungsmöglichkeit. Das bedeutet allerdings auch, dass es sich bei dem Bekennertum keineswegs um ein innovatives Phänomen für den Niederadel handelte. Vielmehr stellte es ein im Hochmittelalter weithin bekanntes Grundelement adeligen – gerade auch niederadeligen – Handelns dar, das zur entsprechenden Akten individueller oder gruppenbasierter Autonomisierung im religiösen Raum führte. Denn die Christianisierungsgeschichte und Momente kirchlicher Neuqualifikationen wurden insbesondere vom Adel eingeleitet oder wenigstens von ihm nachhaltig beeinflusst. Beides ging mit Akten öffentlicher Selbstinszenierung und herrschaftlicher Demonstration einher, wie die hochmittelalterlichen Reformbewegungen im monastischen Bereich – bspw. die Hirsauer Klosterreform, die von der Bereitschaft im gesamten Adel getragen wurde, sich einem erneuerten monastischen Leben zuzuwenden – bewiesen.53 Die Sorge um das individuelle und das familiär-dynastische (Seelen-)Heil ließ eine zunehmende Zahl bevorzugt Niederadeliger und ganzer niederadeliger Familien dem weltlichen Leben entsagten und die Mönchskutte nehmen.54 Diese Form der Adelsbekehrung erfolgte nicht zuletzt angesichts des Investiturstreits im 11./12. Jahrhundert auch im Kontext einer bewussten Neuprofilierung adeliger Tugendhaftigkeit sowie angesichts der politisch-kirchlichen Wirren in der 51 Vgl. Borgolte, Kirche, 28–29, 136–137; Schulze, Fürsten; Hahn, Kirchenschutz; Stievermann, Landesherrschaft. 52 Vgl. Maron, Ignatius, 201–231, 270–281; Schilling, Luther. 53 Vgl. Schreiner, Hauskloster, 32–33. 54 Vgl. Grundmann, Adelsbekehrungen; Wollasch, Parenté; Dinzelbacher, Sozialgeschichte; Schreiner, Hauskloster, 33 Anm. 13.

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Folge. Die Gemeinschaften der Hirsauer Observanz definierten die monastische Adeligkeit nicht auf der Basis der sozialen Abstammung, sondern aufgrund der Tugendhaftigkeit und dem Eifer des Einzelnen. Erst später avancierten sie zu Adelsklöstern. Sie standen mit diesem spirituellen Angebot an den Niederadel und dessen folgender Konversionsreaktion nicht allein. Ähnliche Vorgänge lassen sich bei anderen Ordensneugründungen wie den Zisterziensern und den Prämonstratensern beobachten,55 die eine entsprechende Bekehrungs- und Bekennerkultur im hochmittelalterlichen Niederadel geschlechtsübergreifend belegen. Entsprechend lässt sich für den Niederadel am Beginn des 16. Jahrhunderts ableiten, dass ihm das bewusste Entdecken Gottes im Sinne der Entwicklung einer individuellen Theologie sowie der daraus resultierende performative Umkehrakt inklusive anschließender demonstrativer Handlungen keine neuartigen Phänomene, sondern Elemente niederadeliger Kultur und Verhaltens waren. Der Konversionsakt verband sich nämlich mit dem adeligen Selbstverständnis, Herr über sich und seinen Lebensweg zu sein und damit auch – bei allen Chancen und Risiken – die Definitionskriterien von Adeligkeit bzw. christlicher Tugendhaftigkeit im Rahmen der vorgegebenen kirchlichen Dogmatik für die eigene Person bestimmen zu können; und ähnlich dem theologisch-spirituellen Bereich besaß die evangelisch-protestantische Variante der frühen Reformationszeit ein altgläubigkatholisches Pendant, wie sich sich an der Gründung des Jesuitenordens durch den baskischen Hidalgo Ignatius von Loyola aufzeigen ließe.56 Demnach besaß das evangelisch-christozentrische Adelsbekennertum der Reformationszeit ein spirituelles Vorbild in Gestalt der hochmittelalterlichen Adelskonversion und eine Parallele im reformkatholischen, später dezidiert gegenreformatorischen Spektrum. Für beide Aspekte war die Autonomisierung des Individuums entscheidend. Im Unterschied zum hochmittelalterlichen Konversionsakt resultierte aus der Hinwendung zur lutherischen Lehre mit ihrer individualisierten Theologie aber nicht mehr die selbstverständliche Ordensneugründung, sondern die Profilierung eines individualisierten Bekennertums, das sich in der Laiengemeinde entfaltete. Gleichermaßen stellte die Rekonversion von Niederadeligen in späterer Zeit zwar einen bedeutsamen binnensozialen Vorgang dar, der jedoch keineswegs anstößig war, allein weil es sich bei der konfessionellen Alterität im Niederadel um eine akzeptierte Größe handelte. Man akzeptierte einander ständisch als christliche Brüder und sicherte sich gegenseitig den Konfessionsstand zu.57 55 Vgl. Dinzelbacher, 15–21; Grundmann, Adelsbekehrungen, 142–144; Elm, Art. Norbert von Xanten. 56 Vgl. Maron, Ignatius, 70–83, 210–213. 57 Vgl. Press, Adel, 359 mit Anm. 106; Jendorff, Reformatio, 289–290; Hofmann, Adel, 189–190; Ziegler, Rekatholisierung, 289f.

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3.3

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Niederadel und Klosterwesen im prekären Spätmittelalter

Die engen Bindungen zwischen Adel und Klöstern, die seit der Jahrtausendwende entstanden, verweisen auf den dahinterliegenden Aneignungsprozess der christlichen Kirche und ihrer Institutionen durch den Adel. Denn der ursprüngliche monastische Gedanke widersprach adeligem Denken. Brüderliche Gleichheit, Abwendung von der Welt, Spiritualisierung und humilitas-Gedanke standen adeligen Werten – Standesgesetz, Privilegierung, Naturgegebenheit sozialer Ungleichheit – entgegen. Erst um die Jahrtausendwende entwickelte sich langsam eine Äquivalenz der Evangelischen Räte und der seitdem christlich profilierten Adelsideale.58 Orden und Klöster waren attraktiv, weil der Adel sie sich spirituell, kirchlich-herrschaftlich und personell-materiell aneignen konnte. Davon waren nicht nur die alten, benediktinischen Klöster und Klosterverbände inklusive deren Reformableger, sondern auch die qualitativ neuartigen Gründungen im Gefolge des sozioökonomischen Wandels seit der Jahrtausendwende betroffen.59 Die Problematik dieser für beide Seiten fruchtbaren Beziehungen erwies sich schnell, insofern die Klöster automatisch in die Spannungsfelder der Adelswelt eingebunden wurden, die ihre Handlungsspielräume einschränkten und zugleich die Frage nach der Durchsetzbarkeit des monastischen Grundgedankens aufwarfen. Prominent, aber nicht erst im 15. Jahrhundert kollidierten adelige Wertehaltungen und ordensinterne Reforminteressen teilweise ungebremst und unversöhnlich, nicht zuletzt weil für beide Akteursgruppen – Ordensreformer und Adelsfraktionen – zu viel auf dem Spiel stand: Adeligkeit und monastisches Selbstverständnis.60 So konnte dem Niederadel gerade das letzte vorreformatorische Säkulum als ein prekäres monastisches Zeitalter erscheinen. Mochten die Klöster als niederadelige Spitäler gelten, so handelte es sich doch keineswegs um Ruhe-, sondern Kampfzonen, die von adelsfeindlichen Reformern aus Melk und Bursfeld bedroht wurden. Was sich aus Sicht des reformwilligen Teils des – vornehmlich benediktinischen – Ordensklerus als Degenerationsprozess darstellte, musste aus Adelsperspektive als Enteignungsprozess erscheinen, der von den Fürsten mal mitgetragen, mal eingeschränkt wurde.61 Damit einhergehend 58 Vgl. Vetta, Kulturgeschichte, 237f; Keen, Rittertum, 18–24. 59 Die Mendikantenorden fanden ihre Unterstützer nicht nur bei den städtischen Kaufleuten und den Patriziern, sondern auch im niederen Landadel; vgl. Bauer/Matis, Geburt, 149–159; Le Goff, Wucherzins; ders., Suche, 67–92; Elm, Reform- und Observanzbestrebungen; ders., Bedeutung. Zur Gründung von Mendikantenklöstern und deren Beeinflussung nicht nur in der oberitalienischen Region vgl. Stievermann, Gründung; Schreiner, Mönchsein, 565–567; ders., Hauskloster, 31–32. 60 Vgl. Schreiner, Mönchsein, 595–596 mit Anm. 90, 610–615. 61 So drängte der Herzog von Kleve 1491 im Falle des niederadelig dominierten Klosters Deutz

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stand abermals der Diskurs über die Priorität individueller oder ständischer Tugendhaftigkeit auf der Agenda, der letztlich als Adeligkeitsdiskussion geführt wurde. Die Reaktion der betroffenen Niederadelsfamilien bestand in einer geschickten Erhaltungstaktik oder in der Distanzierung vom Klosterwesen. In der ersten Variante zielten die Reaktionen der Betroffenen auf Verzögerung oder Aneignung der (bursfeldisch-melkischen) Reformmaßnahmen zwecks Erhalt, Wiedererlangung oder sogar Ausbau der eigenen innerklösterlichen Position gegenüber nicht-adeligen Mitbrüdern.62 Parallel dazu erstrebte man nicht selten und nicht immer erfolgreich die Pfründenverteidigung durch Umwandlung benediktinischer Klöster in Kanonikerstifte.63 Bei der zweiten Umgangsvariante brach sich das wachsende Desinteresse bei bestimmten Adelsfamilien und eine gewisse Distanzierungs- oder gar Rückzugstendenz Bahn. Sie resultierte aus einem Verlust- und/oder Schädigungsgefühl, weil man sich um die materiellherrschaftlichen Früchte der eigenen Stiftungsverdienste betrogen fühlte. Infolge verminderte sich die Zahl adeliger Konventualen und Dignitäre in bestimmten Konventen und schwand das Interesse an ihnen.64 Auch im Klosterwesen erweist sich demnach: Die Reformation stellte keinen Totalbruch dar. Der Verzicht auf ein monastisches Engagement war vorreformatorischen Ursprungs und generierte Einstellungsänderungen, die allerdings mit der lutherischen Lehre ein neues theologisches Fundament erhielten. Seitdem war die grundsätzliche Abwendung vom monastischen Gedanken nicht mehr nur denkbar, sondern auch biblisch-theologisch begründbar und gerechtfertigt. Parallel dazu darf gelten, dass die mancherorts landesherrlich betriebene Klosterpolitik der Reformationszeit eher eine aus den vorausgegangenen Entwicklungen erwachsene, systemlogische Fortentwicklung war. Sie qualifizierte das Gesamtsystem neu. Die Säkularisation zugunsten des fürstlichen Fiskus, die Verwendung für schulische, universitäre oder Fürsorgebelange, der Verkauf oder die Verlehnung von Kirchengut an niederadelige Familien, die Transformation von Klöstern in Adelsstifte unterschiedlicher religiös-spiritueller Qualität stellten zugespitzte Varianten der fürstlichen Klosterreformpolitik des Spätmittelalters dar. Für den betroffenen Niederadel waren sie durchaus akzeptabel, weil die Fürsten in der Regel seinen materiellen Bedürfnissen entgegenkamen und die Reformmaßnahmen im Konsens anzugehen bestrebt wa-

darauf, das Kloster zu reformieren, aber dem Adel zu erhalten; vgl. Redlich, Kirchenpolitik, Nr. 88. 62 Vgl. Schreiner, Mönchsein, 601–605; Hofmann, Adel, 93–96. 63 Exemplarisch vgl. Unger, Reform; Jendorff, Eisenhut, 92–97; Zeller, Umwandlung; Schmid, Abtei,244–274; Schreiner, Hauskloster, 42–44. 64 Vgl. Schreiner, Mönchsein, 614f.

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ren.65 Klagen über den Pfründenverlust kamen erst später auf; und sie rührten aus dem Alten Reich, während sich bspw. die englische Gentry der spätmittelalterlichen Kritik an den Klöstern, der lollardischen Auflösungsforderungen, der massiven Kritik ihres Standesgenossen John Wyclif und des Nachdenkens über den religiösen Nutzen der Konvente bediente, um von der Säkularisation des Klosterguts im 16. Jahrhundert zu profitieren.66 Schaut man hinter die Kulissen der sogenannten Fürstenreformationen, wird man des entscheidenden Mitwirkens und Einflusses der niederadeligen Stände gewahr. Dies gilt auch und insbesondere für die hoch- und erzstiftischen Politiksysteme, deren Erhalt als reformkatholisch-tridentinische Pfründenreservoirs nicht zuletzt durch protestantische Niederadelsformationen aus den Reihen der Reichsritterschaft gesichert wurde. Die Entwicklung der benediktinischen Fürstabtei Fulda und des Kurerzstifts Mainz zeigt, dass die interessierten, später reichsritterschaftlichen, jedenfalls bikonfessionell angelegten Niederadelsformationen des Mittelrheins, Frankens und der Rhön gewillt waren, ihren Einfluss und ihre Pfründen zu wahren und sie zugleich zu niederadelig-reichsritterschaftlichen Hausstaaten zu entwickeln, indem sie die Katholizität der beiden genannten Stiftssysteme als Basisstruktur akzeptierten und für sich zugleich die konfessionspolitische Entscheidungsfreiheit reklamierten.67

3.4

Die niederadelige Patronatspfarrei als Feld lokaler Religiosität

Das schwindende Interesse bestimmter Niederadelsfamilien an Mönchtum und Klosterwesen korrespondierte mit einer veränderten Wahrnehmung vom Christsein. Seit dem 12., beschleunigt seit dem 14./15. Jahrhundert galten nicht mehr nur Märtyrer und Mönche als wahre Christen.68 Eingepasst in die zeitgenössische Frömmigkeitsentwicklung,69 intensivierte sich parallel dazu das Interesse niederadeliger Herren an ihren Patronatspfarreien als Orten, an denen einerseits ständeübergreifende, gemeinsame Frömmigkeit gelebt, andererseits aber auch Öffentlichkeit konstruiert wurde und die deshalb die Inszenierung wie auch Repräsentation adeligen Eigensinns und Eigenmacht herausforderten. Die 65 Das landgräflich-hessische Beispiel des Jahres 1526/27 stand hierfür Pate und fand seine Entsprechungen im Reich; vgl. Jendorff, Niederadel, 49–56; Winterhager, Glaubenseifer; Press, Adel, 349–356. 66 Vgl. Ingram, Reformation, 136–137 mit Literaturnachweisen; Schilling, Zeit, 472–478. 67 Vgl. Jendorff, Verwandte, 25–85; ders., Eisenhut, 98–120. 68 Vgl. Angenendt, Geschichte, 54–55; Constable, Reformation. 69 Vgl Moeller, Frömmigkeit; Schreiner, Laienfrömmigkeit, 10, mit dem entscheidenden Satz: „Volksfrömmigkeit ist nicht Frömmigkeit einer sozial homogenen Trägergruppe, sondern Medium und Ausdrucksform ständeübergreifender religiöser Vergesellschaftung“.

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Bereitschaft, den im eigenen Verfügungsbereich liegenden, als Teil der adeligen Identität und Herrschaft verstandenen lokalen Kirchenraum zu prägen, fand seinen Niederschlag ebenso in der Besetzung der Pfarr- und Messstellen wie in der Teilnahme an bestimmten Wallfahrten und Formen der Heiligenverehrung sowie beim Neubau von Kapellen, bei der Außen- und Innengestaltung von Pfarrkirchen, bei der personellen Aufrüstung der spirituellen Infrastruktur durch Mess- und Altarstiftungen oder durch eine straffere Organisation ihrer Priesterschaft mittels Kalanden.70 Trotz der päpstlichen Bereinigung des adeligen Eigenkirchenwesen des Früh- und Hochmittelalters71 behauptete sich der niederadelige Anspruch und Wille zur Gestaltung des lokalen kirchlichen Raums und existierte sozial kaum gemindert und mit Fernwirkung für das 16./ 17. Jahrhundert nun im Spannungsfeld von individueller devotio und religiöser Patronage fort.72 Im vielerorts beobachtbaren Bestreben nach Verfestigung lokaler Herrschaft73 investierten in Gesamteuropa zahlreiche Niederadelsfamilien erhebliche Summen in die Ausgestaltung des lokalen kirchlichen Raumes. In diesem Zusammenhang muss die lutherische Lehre für den Niederadel als unwiderstehliches Angebot gesehen werden, seine Patronatsherrschaft im Sinne einer abermals intensivierten Patronage neu zu qualifizieren. Denn sie legitimierte einerseits theologisch die Stellung des Patronatsherrn als gottgesetzte und der evangelischen Wahrheit verpflichtete Obrigkeit, andererseits wertete sie ihn als christlicher Stand und Obrigkeit mit dem Auftrag auf, mittels des reinen Gotteswortes das Seelenheil der Gemeinde zu sichern. Der adelige Kirchenherr und seine Familie wurden somit zu religiösen Vorbildern, Taktgebern und Kontrollorganen, deren Aufgabe es war, neben dem kirchlichen Raum nun auch das soziale Umfeld der Gemeinde zu ordnen und zu kontrollieren. Die altrömische pater-familias-Idee und die Konzeptionierung der christlichen Magistrate gerade durch die lutherisch-orthodoxen bzw. flacianischen Regentenlehren gingen dabei Hand in Hand und bedienten das „Ideal adliger Autonomie“.74 Die Möglichkeit einer derart valide legitimierten konfessionell-religiösen Sozialkontrolle und Sozialdisziplinierung durch den niederadeligen Patronatsherrn 70 Vgl. Menzel, Predigt- und Predigtorganisation; Mischlewski, Aspekte; Machilek, Frömmigkeitsformen; Andermann, Herrschaftsverdichtung; Ehmer, Reformation; Seeliger-Zeiss, Grabdenkmäler, 225f; Alphei, Geschichte. Dieser Befund trifft nicht nur für Mitteleuropa, sondern auch für Spanien und England zu; vgl. Christian Jr., Religion; ders., Apparitions, 12–14, 204–206; Thomas, Religion, 28. Zu den spätmittelalterlichen Priesterbruderschaften vgl. Prietzel, Kalande, 90–93; Remling, Bruderschaften, 186–210. Zu den Wallfahrten vgl. Reichert, Ehre; Schreiner, Laienfrömmigkeit, 60–61. 71 Vgl. Stutz, Eigenkirche; ders., Kapitel. 72 Vgl. Brückner, Devotio. 73 Vgl. Andermann, Rittersitze. 74 Vgl. Walther, Glaube, 192 (mit Zitat); Schorn-Schütte, Kommunikation; dies./Tode, Debatten; Kern, Tugend.

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fanden Ausdruck in der seit den 1530er Jahren zunehmend beobachtbaren Anwerbung und Unterhaltung von Predigern, dem Bau oder Umbau von Pfarrkirchen, der Neubetonung adeliger Memoria und verstärkter Individualisierung der Sepulkralkultur, der Einrichtung von Schulen und Hospitälern, der Stiftung von Bibliotheken und Fonds für die Armen- und Krankenfürsorge, dem Erlass von Kirchen- und Hospitalordnungen oder sogar der Einrichtung von Superintendenturen.75 Flankiert wurden solche Maßnahmen durch Akte religiöser Selbstinszenierung der eigenen Vorbildfunktion, bspw. durch Grabmäler, öffentliche Lobpreisung der Bibelkenntnis des Patrons oder durch öffentliche Demonstration unerschütterlicher Konfessionstreue.76 Konfessionelle Selbst- oder Fremdzuordnung musste aus solchem Handeln der Niederadeligen nicht zwangsweise resultieren, schon weil die Herren ihre konkrete Patronatsherrschaft und -gemeinden im Blick hatten. Gerade weil die Lehrnorm in diesen Patronatspfarreien aus dogmatischer Sicht bis weit in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts diffus war, schon weil alte und neue Liturgien, religiöse Alltagstraditionen und Innovation zwanglos nebeneinander standen, einander ohne Brüche eher evolutionär-schleichend ablösten und manchen religiösen Dissidentengruppen Freiräume gewährt wurden,77 lässt sich eher davon sprechen, dass sich lange vor den Landes- und Territorialbekenntnissen die von Niederadeligen geprägten Lokalkonfessionen entwickelten. Die spätere konfessionelle Selbstzuordnung und wenigstens vordergründige Vereindeutigung des Niederadels besaß demnach die doppelte Funktion, sich angesichts fürstlicher Ordnungsvorstellungen im Sinne der Wahrung der eigenen Autonomie gegenüber der herrschaftlich-politischen Außenwelt abzugrenzen und zugleich nach innen die eigene lokale Herrschaftsposition zu stabilisieren und zu verdichten.78 Auf dem einen wie dem anderen Wege entfaltete sich so ein frühneuzeitliches Eigenkirchenwesen, das sich aus den mittelalterlichen Vorläufern relativ bruchlos ableitete und sich konfessionsübergreifend in den reichsritterschaftlichen Territorien und bei landsässigen Patronatsherren zeigte.79

75 Neben den bereits angeführten Beispielen Neipperg und Adelebsen gilt dies auch für andere Beispiele; vgl. Jendorff, Reformation; Schattkowsky, Adel, 131; Walther, Glaube, 189f; Gillner, Wölfe, 61–63. 76 Vgl. Schattkowsky, Adel, 129; Hengerer, Memoria, 253–278; Tebbe, Epitaphien; Walther, Glaube, 190; ders. Abt, 392–398; Bode, Hartmut, 155–196. 77 Vgl. Hoffmann, Adel, 190f; Zeeden, Entstehung, 68–94, allerdings ohne expliziten Hinweis auf die adeligen Patronatsherren; ders., Überlieferungen, 113–191; Gillner, Wölfe, 58f; Mörke, Ruhe, 135f; Gritschke, Via media, 313–316. 78 Vgl. Gillner, Wölfe, 63; Schiersner, Politik, 203–244. 79 Vgl. Jendorff, Religion, 97–101.

42 3.5

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Von der niederadeligen Pfarr- zur ständischen Konfessionsidentität: Ritter als landespolitische Konfessionsagenten in eigener Sache

Im Zuge der Festigung und Stärkung der religionspolitischen Fürstenmacht durch den Augsburger Religionsfrieden und der Stärkung der landesherrlichprotestantischen Kirchenwesen geriet dieses neuqualifizierte niederadelige Eigenkirchenwesen in absehbare und zunehmende Kollision mit der fürstlichen Landesherrschaft. Konfessionsunabhängig standen sich die Ansprüche des ius patronatus ecclesiae territorialis und des ius patronatus ecclesiae localis einander mit denselben Gestaltungsansprüchen und derselben theologischen Fundierung bei besserer, weil reichsrechtlicher Legitimierung der Fürsten durch den Augsburger Religionsfrieden gegenüber.80 Das Reichsrecht legitimierte über die Pfarrinvestitur einen tiefen Eingriff des Fürsten in den selbstdefinierten, weil selbstgeschaffenen Herrschaftsraum des betroffenen Niederadeligen. Die fürstliche Pfarrinvestitur musste insofern dem betroffenen niederadeligen Herrn konfessionsunabhängig als eine offene, prinzipielle Bedrohung oder gar Kriegserklärung des Fürsten erscheinen, bei der nicht allein Rechte im Vordergrund standen, sondern vielmehr der Angriff auf eine tragende Säule adeligen Selbst- und Freiheitsverständnisses erfolgte; und ebenso konfessionsunabhängig firmierte in den daraus resultierenden Konflikte denn auch der Begriff der Gewissensfreiheit als herausragendes Argument, um individuelle und familiäre Konfessionsfreiheit sowie zugleich möglichst uneingeschränkte Verfügungsgewalt auf die Patronatsgemeinden zu sichern.81 Solche Auseinandersetzungen zeigten zudem, wie weit sich innerhalb der Ritterschaften die konfessionell unentschiedene Eigenkirchlichkeit zu einer Konfessionsbildung mit entsprechender spezifisch niederadeliger Konfessionsidentität entwickelt hatte oder im Konflikt sehr schnell zur Ausbildung einer konfessionellen Identität führte, die sich mancherorts – wie bspw. in dem seit 1605 ausgetragenen Konflikt des calvinisierenden Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel und seinem lutherischen Adel – mit den Begriffen patria und Patriotismus sowie mit Ideen von Notwehr/ Gegenwehr und Widerstand verbanden.82 Solcherart Konfessionsprofilierung bewies zudem, dass viele derart konfessionalisierte Standesvertreter überwiegend angesichts der Formierung einer lutherisch-orthodoxen Theologie und in intensiver Kommunikation oder gar politischer Koalition mit der lutherischen Geistlichkeit ihre neu gefundene Konfessionsidentität einerseits als traditionellangestammtes Bekenntnis definierten, andererseits in Fortführung spätmittel80 Vgl. Sieglerschmidt, Territorialstaat, 154–165, 200–276. 81 Für die Fallbeispiele Hessen-Kassel, Eichsfeld, Braunschweig-Wolfenbüttel und Sachsen vgl. Jendorff, Religion; Hoyer, Staat. 82 Vgl. Schorn-Schütte, Herrschaft, 82–106; Weiß, hendel, 115f, Schreiner, correctio; Friedeburg, Self-defence.

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alterlicher Fürstenkritik als Basis der politischen Auseinandersetzung mit den fürstlichen Landesherrn treffsicher einzusetzen und auf dieser Basis die Frage zugespitzt zu stellen wussten, wer im Kontext der zeitgenössischen politica christiana eigentlich das Land repräsentierte: der Fürst oder die Ritterschaft. Schließlich gilt es auch für dieses Feld, eine gesamteuropäisch-langfristige Perspektive zu berücksichtigen. Denn die beschriebenen Phänomene des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts besaßen ihr spektakuläres Vorbild in der böhmisch-hussitischen Reform des vorausgegangenen Jahrhunderts. Die Hussitenbewegung stellte sich nicht zuletzt als ein dezidiert niederadeliges Ereignis dar. Sie führte nicht nur zur Ausbildung einer durchaus national zu verstehenden Bewegung unter Führung des Adels, die die lutherische Theologie in wesentlichen Punkten vorwegnahm, sondern insbesondere auch zur Amalgamierung adeliger und religiöser Interessen, die sich erfolgreich gegen die habsburgische Königsherrschaft stellte und in deren Gefolge sich ein unaufhebbarer Konfessionalismus im Land entfaltete.83

4.

Fazit und Plädoyer für einen Perspektivenwechsel, oder: Sweder Schele als niederadeliger Konfessionsarchetyp84

Reformation und Konfessionalisierung waren gesamtgesellschaftliche Vorgänge von erheblicher Bedeutung, auch für den alteuropäischen Niederadel; und ähnlich anderen gesellschaftlichen Gruppen stellte die Reformation auch für ihn nicht immer eine umfassende fundamentale Zäsur dar. In mancher Hinsicht verstärkte sie eher gewisse Aspekte des religiös-kirchlichen Lebens, ständischen Selbstverständnisses und politisch-gesellschaftlicher Positionen und qualifizierte traditionelle Auffassungen und Verhältnisse – wenn auch durchaus mit einer erstaunlichen Dynamik und Effizienz – neu. Dies galt auch und insbesondere für die Haltung, das Agieren und das Selbstverständnis des Niederadels in religiös-spirituellen Belangen und vor dem Hintergrund der inneren Entwicklung der evangelischen Lehre vor Ort. Viele ihrer Ausprägungsaspekte, die die Reformation begleiteten oder aus ihr resultierten, waren als Einzelphänomene bekannt und machten gerade deshalb die Akzeptanz der evangelischen Ideen wenigstens aus Adelsperspektive leichter bzw. überhaupt erst möglich. Der Niederadel fühlte sich bisweilen vom Sinn- und Deutungsangebot der evangelischen Lehre angezogen, weil es seinem traditio83 Vgl. Schilling, Zeit, 106–110, 478–480; Machilek, Böhmen, 136–138. 84 Ich greife an dieser Stelle die in der Diskussion meines Vortrags angebrachten Anregungen und Beiträge auf und bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den Tagungsteilnehmern.

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nellen Selbstverständnis entgegenkam. Dabei wollte er nicht unbedingt bewusst pro- oder contra-lutherisch, sondern in erster Linie adelig sein und wie seit ehedem seine Gemeinde auch religiös-kirchlich führen. Die evangelische Lehre – insbesondere diejenige lutherischer Provenienz – bot ihm den Anlass, die Gelegenheit und die theologische Rechtfertigungsbasis, gleichsam seine eigene Gemeindereformation durchzuführen, möglichst unabhängig von fürstlichen Wünschen und Maßgaben sowie gleichgültig ob vor dem Hintergrund eines protestantisch-landesherrlichen Kirchensystems oder einer bischöflich-katholischen Verwaltung. Aufgrund dieser dezidiert niederadeligen Disposition – solchen niederadeligen Eigensinns, der auf Erhalt seiner Eigenmacht zielte – richtete sich das adelige Bestreben im Kontext von Reformation und nachfolgender Konfessionsbildung ebenso wenig auf die Reinheit der evangelischen Lehre wie auf die Eindeutigkeit der Konfession. Niederadelige vermochten mehrere konfessionelle Identitäten in sich zu vereinen, je nachdem welches Handlungsfeld sie gerade „bespielten“ bzw. in welcher Rolle sie auf den unterschiedlichen Handlungsfeldern des KirchlichReligiösen bzw. der Konfessionspolitik agierten. Der mittelrheinische Reichsritter, der für sich die lutherische Orthodoxie als Konfession gewählt hatte, seine Patronatsgemeinden entsprechend konfessionell ausrichtete, seine katholischen Standes- und Korporationsgenossen und seine leiblichen bzw. angeheirateten katholischen Verwandten als christliche Brüder und Schwestern mehr oder minder akzeptierte bzw. akzeptieren musste sowie die systemische Katholizität des Mainzer Erzstifts unterstützte und verteidigte, mag hierfür archetypisch, wenn auch nicht in jeder Hinsicht repräsentativ stehen. Seine Haltung entsprach jedenfalls der Verschiedenheit derjenigen seiner Handlungsrollen auf den verschiedenen Sektoren des kirchlich-religiösen und später konfessionspolitischen Handlungsfeldes, die es jeweils zu definieren und gewichten galt. Diese Vielfalt der Handlungsrollen und -felder sowie die konfessionelle Verschiedenheit waren für den einzelnen Niederadeligen akzeptabel, solange sie ihm seine Autonomie im Sinne der Selbstgestaltung seiner adeligen Herrseins beließ bzw. garantierte. „Glaubensfestigkeit“ im Sinne von konfessioneller Eindeutigkeit und Hartnäckigkeit bewies der Niederadel überall dort, wo seine Adeligkeit bzw. „adelige Freiheit“ tangiert, bezweifelt oder gar bedroht war. Gleiches galt allerdings auch für den Konversions- bzw. Rekonversionsvorgang. Mag es auch dialektisch erscheinen, doch die Konversion erwies sich als ein Teil der adeligen Glaubensfestigkeit, insofern sie seinen Eigensinn auf dem religiösen Feld demonstrierte und repräsentierte. Sie bedeutete eben nicht konfessionelle Uneindeutigkeit oder funktional motivierte Haltlosigkeit, sondern eine Ambiguität, die der Adeligkeit entsprang. Die Wahl des Bekenntnisses entsprach dem adeligen Eigensinn – dem Anspruch auf Autonomie –, dessen Realisierung zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlicher Wege, Methoden und Entscheidungen bedurfte. Für

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die Konversion wie für konfessionelle Beharrung existierten dieselben Triebkräfte, deren Motive einander ergänzen oder widersprechen konnten, die jedenfalls fallspezifisch zu gewichten und zu typisieren sind.85 Unabhängig von religiös-konfessionellen Standpunkten und Dispositionen einzelner Niederadeliger stellten sie jedenfalls Elemente ständischer Selbstbehauptung dar. Daher waren auch, wie bereits Gerrit Walther feststellte,86 die Antworten der Ritter auf das konfessionelle Zeitalter ebenso vielgestaltig wie widersprüchlich. Sie fielen konservativ aus, insofern sie die fürstliche Sprachregelung verweigerten, Religion mit Konfession bzw. konfessioneller Homogenisierung und landesherrlicher Subordination gleichzusetzen, und insofern sie dem entgegenzuwirken versuchten und konfessionelle Divergenzen oder Differenzen ignorierten. Sie erschienen infolge defensiv, weil man die sich anbahnende Konfessionalisierung mancherorts abwartete und relativierte. Dagegen fielen die religiöskonfessionellen Antworten von Niederadeligen gerade nach 1555 offensiv aus, insofern sie seitdem verstärkt – eben im Kontext der drohenden, weil nun reichsrechtlich abgesicherten Fürstenreformation und fürstlichen Konfessionshomogenisierung – als Reformatoren hervortraten und sich zugleich als Protagonisten des friedlichen konfessionellen Nebeneinanders profilierten.87 All dies verweist auf die Notwendigkeit, das niederadelige Verhalten im Reformations- und Konfessionellen Zeitalter aus dem Horizont der Akteure, wenn auch selbstverständlich kontextualisiert-komparatistisch zu bewerten, um das Eigengewicht der Geschichte des alteuropäischen Niederadels angemessen einschätzen zu können. Die Auffassungen und die Lebensgestaltung des eingangs erwähnten Sweder Schele von Weleveld jedenfalls zeigen, dass Niederadelige im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung aus ihrem ständischen Eigensinn heraus sehr wohl ein Bewusstsein für die Langfristigkeit religiös-kirchlicher Entwicklungen und für die beständige, herausragende Rolle des Adels darin besaßen sowie daraus für ihre Gegenwart entsprechende eigenständige Rückschlüsse zogen. Sweder Schele mag im Systematisierungsgrad seiner kirchengeschichtlichen Reflexionen und der Versprachlichungsfähigkeit seiner religiös-spirituellen Einstellungen und Positionen exzeptionell erscheinen. Weder 85 Die Hinweise von Martina Schattkowsky und Heide Wunder auf die Notwendigkeit, die konfessionelle Alltagspraxis des Niederadels – bspw. hinsichtlich der Auswertung theologischer Schriften und Marginalien oder einer Analyse des „bekennenden“ Verhaltens von Niederadeligen – näher zu analysieren, erweist sich in diesem Punkt als umso wertvoller. 86 Vgl. Walther, Glaube, 200. 87 Insofern darf mit Walther, Glaube, 200, in der Tat attestieren, dass solcherlei Anpassung nach dem Augsburger Religionsfrieden nicht unbedingt der Ausweis eines politisch-herrschaftlichen Rückzuges gegenüber einem dominanten fürstlichen Konfessionsstaat war oder die Ritter als Verlierer der allgemeinen Zeittrends gesehen werden können, sondern vielmehr die langfristigen Ergebnisse jenes Verhaltens und ihr Widerstandspotential und dessen politische Erfolge bemessen werden müssen.

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sein Denken noch sein Handeln waren jedoch außergewöhnlich, sondern entsprachen konfessionsübergreifenden, wenn auch sicherlich unterschiedlich ausgeformten, weil unterschiedlich eingebetteten und pointierten Haltungen im alteuropäischen Niederadel, der vor dem Hintergrund seiner jeweiligen Familiengeschichte und seines Selbstanspruchs stets um den Erhalt seiner Autonomie bemüht war.

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Alexander Jendorff

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Martin H. Jung

Luthers Aufruf „An den christlichen Adel“ (1520) und seine Folgen

1.

Luther im Jahr 1520

Das Jahr 1520 bildete einen, wenn nicht den Höhepunkt von Luthers Wirken, zumindest hinsichtlich seines publizistischen Wirkens. Und es war das letzte Jahr, in dem Luther wirklich frei war. Luther schrieb 1520 neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität Schrift um Schrift. Es entstanden in kurzen Abständen die drei später sogenannten reformatorischen Hauptschriften, neben der Schrift an den Adel die Schrift über die Freiheit eines Christenmenschen, kurz Freiheitsschrift, und die lateinische Schrift über die babylonische Gefangenschaft der Kirche, gemeint waren die Fesseln, die aus Luthers Sicht das Papsttum der abendländischen Christenheit auferlegt hatte. Doch gleichzeitig brauten sich 1520 über Luther dunkle Wolken zusammen. Weniger als drei Jahre nach dem Beginn der Reformation mit der Thesenveröffentlichung 1517 kam in Rom der gegen Luther angestrengte Ketzerprozess zum Abschluss und mündete am 15. Juni 1520 in die Androhung des Banns, des Ausschlusses aus der Kirche. Veröffentlicht wurde die Bulle im Laufe des Septembers, in Meißen, Merseburg und Brandenburg Ende September, und in Wittenberg traf Anfang Oktober ein gedrucktes Exemplar ein. Luther war natürlich nicht willens, zu widerrufen. In der Folge wurde Luther am 3. Januar 1521 gebannt und im Mai 1521 nach seinem mutigen Auftritt vor dem Kaiser in Worms auch geächtet. Damit hatte er seine Freiheit verloren. Der Reformator konnte nicht mehr reisen, ohne sich zu gefährden, und musste die Führung der Reformationsbewegung sukzessive anderen überlassen. Melanchthon wurde wichtiger als Luther.

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2.

Martin H. Jung

Entstehung und Verbreitung der Adelsschrift

Am 7. Juni 1520 äußerte Luther in einem Brief erstmals die Absicht, eine an den Adel und den Kaiser gerichtete Schrift zu schreiben. Bereits am 23. Juni, gerade einmal nach zwei Wochen, war das Manuskript fertig. Dass Luther sehr schnell gearbeitet und am Schluss nicht mehr korrigierend durch den Text gegangen ist, merkt man bei der Lektüre, denn es gibt verschiedene Brüche und Fehler im Text sowie weitere Unzulänglichkeiten. Am 5. August lag das Buch in einer Auflage von 4.000 Exemplaren in Wittenberg gedruckt vor. Bereits nach drei Tagen war die gesamte Auflage vergriffen. Luther machte sich schnell an eine erweiterte Neuauflage. Insgesamt erlebte das Buch fünfzehn Auflagen in deutscher Sprache, gedruckt außer in Wittenberg auch in Leipzig, Augsburg, Straßburg und Basel. Auch in italienischer Sprache wurde das Werk zweimal gedruckt. Sollte jede Auflage 4.000 Exemplare gezählt haben, so käme man auf eine Gesamtauflage von 68.000.1

3.

Luthers Erwartungen an den Adel und an den Kaiser

In zwei Widmungsvorreden legte Luther sein Selbstverständnis dar und äußerte die Erwartungen, die er an den Adel und an den neuen Kaiser – Karl V. war am 28. Juni 1519 gewählt worden – richtete. Luther beruft sich auf seinen Doktortitel und seinen Doktoreid, er präsentiert sich als Mönch und er vergleicht sich mit einem Hofnarren. Narren hatten in Luthers Zeit als Einzige das Recht, die Obrigkeit zu kritisieren. Der Mönch und Doktor der Theologie Martin Luther beansprucht dieses Recht und diese Rolle nun für sich. Dem Adel und dem Kaiser legt Luther dar, dass die Not leidende Christenheit darauf warte, dass, nachdem die eigentlich zuständigen Bischöfe versagt hätten, nun diejenigen, die die Macht – und auch das Recht – dazu hätten, eine Kirchenreform einzuleiten, dies in ihrer Verantwortung vor Gott tun müssten, der Adel und der Kaiser. Dass Adel und Kaiser die Macht hatten, in Kirchenangelegenheiten zu handeln, verstand sich von selbst. Dass sie auch das Recht dazu hätten, wollte Luther in seiner Schrift an den Adel darlegen und theologisch begründen. Doch in einem ersten Schritt musste er darlegen, wie man die „Romanisten“,2 den Papst und seine Gefolgsleute in Rom und in Deutschland, bekämpfen und niederringen könne, obwohl sie sich eingemauert hätten.

1 Es liegen vier moderne, „zitierfähige“ Editionen vor (siehe unten Quellenverzeichnis). Im Folgenden wird die Studienausgabe (StA) zitiert. 2 Luther, Adel (StA 2), 98, Z. 20.

Luthers Aufruf „An den christlichen Adel“ (1520) und seine Folgen

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Luther arbeitete gerne mit Bildern, in der Adelsschrift mit dem Bild der Mauer. Städte hatten Mauern, Klöster hatten Mauern und Burgen hatten Mauern, Burgen sogar manchmal mehrere Mauerringe zugleich. Luther sprach nicht von einer, sondern von drei Mauern, welche die Romanisten um sich gezogen hätten, um sich vor Reform- und Strafmaßnahmen – Luther spricht wieder bildhaft von Ruten („rutten“)3 – zu schützen. Die erste Mauer ist die Behauptung, der geistliche Stand stehe über dem weltlichen und der weltliche Stand könne deshalb dem geistlichen Stand nichts befehlen und ihn erst recht nicht strafen. Die zweite Mauer ist die Behauptung, nur der Papst habe das Recht, die Bibel auszulegen. Die dritte Mauer ist die Behauptung, nur der Papst habe das Recht, ein Konzil einzuberufen und die Beschlüsse eines Konzils zu bestätigen. Das waren drei kräftige, weithin akzeptierte „Mauern“. Luther will sie zu Fall bringen und greift wieder zu einem Bild: Er suchte nach einer „Posaune“, welche die drei Mauern zu Fall bringen könnte, wie einst Posaunen der Israeliten die Mauern von Jericho zu Fall gebracht hatten (Jos 6).

4.

Luthers Kampf gegen die „drei Mauern“

Die Beschreibung der drei Mauern und der Kampf gegen die drei Mauern bildet den ersten Hauptteil und den eigentlichen, theologischen Kern der Adelsschrift, von dem alles, was Luther anschließend auf viel mehr Seiten noch ausführt, abhängt. Die erste Mauer reißt Luther nicht einfach so nieder, wie sie sich präsentiert, nämlich als die Behauptung, der geistliche Stand stehe über dem weltlichen, sondern er beseitigt sie, um im Bild zu bleiben, inklusive ihrer Grundmauer, ihrem Fundament, nämlich der Behauptung, es gebe einen unterschiedenen geistlichen und einen weltlichen Stand. Luther stellt die steile These auf, dass es diesen Unterschied in Wirklichkeit gar nicht gebe, es gebe keinen geistlichen Stand, denn alle Christen seien Geistliche, seien Priester.4 Luther formuliert damit die Lehre vom „geistlichen“ oder „allgemeinen Priestertum“ oder, wie man auch sagte, vom Priestertum aller Gläubigen, eine Zentrallehre der Reformation neben dem Schriftprinzip (sola scriptura) und der Rechtfertigungslehre (sola gratia, sola fide, solus Christus). Luther argumentiert, natürlich, biblisch, aber auch mit Beispielen und Argumenten aus Geschichte und Gegenwart, so mit der Praxis der Nottaufe und mit altkirchlichen Bischofswahlen an den Beispielen Augustin, Ambrosius und Cyprian. Im Zentrum seiner Argumentation stand allerdings die Berufung auf 3 Ebd., 98, Z. 28. 4 Ebd., 99, Z. 15 bis 104, Z. 5.

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die Taufe. Alle Christen hätten die gleiche Taufe empfangen und seien durch sie in gleicher Weise Kinder Gottes geworden, ohne Unterschied. Es gibt nur eine Taufe, und es gibt auch nur ein Evangelium und einen Glauben. Diese drei Dinge machen die Christen zu Gleichen. Nachdem Luther so die erste der drei Mauern samt ihrem Fundament beseitigt hat, fällt es ihm leicht, seine Posaune auch gegen die zweite und dritte Mauer zu erheben.5 Wenn alle Priester sind, dann haben auch alle das Recht, die Bibel auszulegen. Und wenn alle Priester sind, dann haben auch alle, insbesondere die weltlichen Obrigkeiten, das Recht, Konzile einzuberufen und deren Beschlüsse zu bestätigen und durchzusetzen. Wieder argumentiert Luther biblisch, theologisch und geschichtlich. Wie in Leipzig 1519 behauptet Luther, viele Päpste hätten geirrt, und behauptet ferner, viele Päpste seien auch ohne Glauben gewesen. Das berühmte Konzil von Nicäa 325, so macht Luther klar, wurde von keinem Papst, sondern vom Kaiser einberufen und geleitet. Im ersten Hauptteil der Adelsschrift entfaltet Luther einen radikalen Gleichheitsgedanken, allerdings zugeschnitten auf das innerkirchliche Leben. Doch diese Gleichheitsidee drängte nach außen, drängte nach gesellschaftlichen Konsequenzen, und an einer Stelle deutet Luther die gesellschaftliche Dimension des Gleichheitsgedankens selbst an, nämlich wenn er fragt, wie es sein könne, dass ein Interdikt über eine Stadt gelegt werde, wenn ein Priester getötet worden sei, nicht aber auch, wenn ein Bauer getötet worden sei.6

5.

Luthers Reformprogramm

Im Anschluss an den erfolgreichen Kampf gegen die drei Mauern entfaltet Luther ein umfangreiches, mehrgliedriges Reformprogramm, der zweite Hauptteil der Adelsschrift. Insgesamt spricht es 34 konkrete Reformkomplexe an und enthält unzählige ganz konkrete Einzelforderungen. Luther behandelt zunächst Themen, die man nach seiner Ansicht auf einem Konzil behandeln sollte.7 Es sind drei Punkte, die den Papst, die Kardinäle und die Kurie betreffen. Luther will den aufgeblähten Verwaltungsapparat der Kirche reduzieren und die Befugnisse Roms in Deutschland begrenzen, insbesondere der von ihm beobachteten finanziellen Ausbeutung Deutschlands durch Rom Einhalt gebieten. Er deutet an (in Wirklichkeit war er schon davon überzeugt), der Papst könnte der Antichrist nach 1 Joh 2,18.22 sein. Julius II., 1513 verstor5 Ebd., 104, Z. 6 bis 108, Z. 10. 6 Ebd., 103, Z. 5–8. 7 Ebd., 108, Z. 11 bis 121, Z. 30.

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ben, beschimpft er schon in einer seiner Vorreden als „blutseuffer“.8 Gleichwohl hält Luther ein Papstamt weiter für berechtigt, wenn der Papst sein Amt demütig ausübe und er sich vor allem als Beter begreife. Anschließen folgen 26 Themenkomplexe, die aus Luthers Sicht entweder ebenfalls von einem Konzil behandelt oder aber von den weltlichen Obrigkeiten angegangen werden könnten.9 Luther fordert, Bischöfe nicht mehr von Rom bestätigen zu lassen. Er erklärt, dass der Papst keine Gewalt über den Kaiser habe, allenfalls ihn salben und krönen könne. Insbesondere wendet er sich gegen das dabei übliche Fußküssen. Ferner bestreitet er den päpstlichen Anspruch auf Neapel und Sizilien. Wallfahrten nach Rom, wie von Luther 1510/11 selbst praktiziert, sollten abgeschafft werden. Scharf wendet sich Luther, obwohl eigentlich noch selbst Bettelmönch, gegen die Bettelorden und ihre Klöster. Der Straßenbettel soll generell verboten und die Armenversorgung neu geregelt werden. Er fordert auch die Aufhebung des Zölibatzwangs. Die Zahl der kirchlichen Feiertage sollten reduziert werden. Kapellen und Feldkirchen, beliebte Wallfahrtsziele wie Wilsnack, Sternberg, Trier, Grimmental, Regensburg sollten zerstört werden. Besonders ausführlich beschäftigt sich Luther im 25. Abschnitt seines Reformprogramms mit dem Bildungswesen.10 Er greift die hohe Stellung der Philosophie des Aristoteles an, gegen die er schon 1518 in Heidelberg polemisiert hatte. Er fordert eine auf die Bibel ausgerichtete Reform des Theologiestudiums. Auch der Allgemeinbildung wendet er sich zu und verlangt, dass in allen Städten Mädchenschulen errichtet werden sollten, die der religiösen Unterweisung dienen sollten. Den insgesamt 29 „geystlichen geprechen“11 fügt Luther am Schluss der Adelsschrift noch exemplarisch fünf „weltliche“ Gebrechen an,12 Missstände, deren Veränderung er ebenfalls erwartet. Er wendet sich gegen Luxus bei der Kleidung sowie beim Essen und Trinken. Er brandmarkt die Geldleihe gegen Zinsen und will die Fugger bändigen. Er fordert, die „frawen heuszer“ in den Städten zu schließen.13 Anders als der erste Hauptteil der Adelsschrift wurde der zweite mitunter nur wenig beachtet oder sogar ignoriert. Manches, was Luther hier sagt, war manchen lutherischen Theologen der späteren Zeit – im Grunde sogar dem späten Luther selbst – unangenehm und peinlich. Vieles widersprach dem späteren Konstrukt der Reformation als einer auf die Befreiung der Gewissen abzielenden und nur 8 9 10 11 12 13

Ebd., 98, Z. 1. Ebd., 122, Z. 5 bis 163, Z. 2. Ebd., 154, Z. 8 bis 158, Z. 38. Ebd., 163, Z. 3. Ebd., 163, Z. 4f. Ebd., 165, Z. 12.

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mit dem Wort kämpfenden Bewegung, die Rücksicht auf die Schwachen nimmt, wie das Luther 1522 in seinen Invokavit-Predigten und von 1522 an auch in anderen Kontexten tatsächlich entfaltet hat. 1520 im Reformprogramm der Adelsschrift zielt Luther aber nicht auf die Gewissen, sondern auf die Verhältnisse, nicht auf Inneres, sondern auf Äußeres, wie später Karlstadt, Müntzer und Zwingli, mit denen sich Luther unter anderem deshalb überwerfen sollte. Ferner fordert Luther nicht nur kirchliche, sondern auch gesellschaftliche Reformen. Und Luther will die Reformen nicht konsequent gewaltfrei durchsetzen, sondern spielt massiv mit Gewaltgedanken, die als Aufrufe zur Gewaltanwendung gelesen und verstanden werden konnten: „[H]encken wir mit rechte die diebe vnnd kopffen die reuber / warumb solten wir frey lassen den Romischen geytz / der der grossist dieb vnd reuber ist“?14 Sicher war das Rhetorik, aber wenige Monate später spielte Luther noch einmal mit Gewaltgedanken. Nachdem am 10. Dezember 1520 die Bannandrohungsbulle öffentlich verbrannt hatte, erklärte er seinen Studenten in einer Vorlesung am folgenden Tag, eigentlich hätte man ja „den Papst“ verbrennen müssen, und korrigierte sich in geschickter Rhetorik sogleich: Er meine natürlich nicht den Papst, sondern den „päpstlichen Stuhl“.15 Zu Gewalt rief Luther, wie ausgeführt, auch gegen kirchliche Gebäude auf. Die Wallfahrtskapellen will er niedergerissen wissen.16 Als anderthalb Jahre später in Wittenberg aber die ersten Bilder aus den Kirchen herausgerissen wurden, erhob er Einspruch, und als fünf Jahre später die aufständischen Bauern Kirchen und Klöster brandschatzten, rief er dazu auf, die Aufrührer totzuschlagen.17 Die Bauern haben Luther 1524/25 nicht missverstanden, wie es 1525 und Luther selbst und mit ihm die spätere Lutherforschung sehen wollten, sondern sie haben ihn sehr gut verstanden, sie haben ihn so verstanden, wie sich Luther 1520 selbst verstanden hatte. Das Evangelium hat soziale Konsequenzen, die Reformation verlangte nach sozialen Konsequenzen wie der Aufhebung der Leibeigenschaft. Luther jedoch ist vor sich selbst zurückgeschreckt.

14 Ebd., 121, Z. 18–20. 15 WA 7, 186, Z. 4–9: Postridie eius diei Doct. Martinus quum psalterium praelegeret […] praemonebat omnes auditores, ut sibi caverent a papisticis statutis: Parum esse hoc deflagrationis, ex re fore ut papa quoque, hoc est, sedes papalis, concremaretur, Gravique supercilio affirmans ‚Nisi‘, inquit, ‚toto corde dissentiatis a regno papali, non potestis assequi vestrarum animarum salutem‘ […]. 16 Luther, Adel (StA 2), 142, Z. 23f. 17 Luther, Bauern, 140–147.

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Resonanz im Adel

Vom Erfolg der Lutherschrift an den Adel zeugen die zahlreichen Auflagen. Vielfach wurde sie später von Anhängern und Anhängerinnen Luthers auch zitiert, ein Beweis dafür, dass sie gelesen worden war.18 Sicher nicht gelesen hat die Schrift der Kaiser. Allenfalls davon gehört könnte er haben. Exemplarisch sollen im Folgenden drei höchst unterschiedliche Adlige betrachtet werden, die auf höchst unterschiedliche Weise ihre Konsequenzen zogen aus der Adelsschrift und sich ermutigt sahen, zu den „Ruten“ zu greifen und gegen die „Romanisten“ vorzugehen und in der Kirche und der Gesellschaft die Reformen einzufordern und einzuleiten, die die Bischöfe verweigerten.

6.1

Ulrich von Hutten

Nachdem der Humanist, Poet und Ritter Ulrich von Hutten (1488–1523) wegen seiner Sympathie für Luther im Frühsommer 1520 seine Stelle beim Mainzer Kurfürsten verloren hatte, zog er Anfang September 1520 auf die Ebernburg bei Bad Kreuznach, dem Wohnsitz von Franz von Sickingen. Mit „Klagschriften“ über Rom, gerichtet an die deutschen Fürsten, versuchte Hutten, der Sache der Reformation und dem Interesse Deutschlands zu dienen. Im September 1520 wandte er sich ganz im Sinne von Luthers kurz zuvor erschienener Adelsschrift an Friedrich von Sachsen und forderte ihn zum Handeln auf.19 Für Rom war Hutten einer der gefährlichsten Luther-Anhänger. Deswegen widerfuhr ihm 1520/21 das gleiche Schicksal wie Luther. Die Bannbulle vom Januar 1521 nannte seinen Namen neben dem Luthers sowie weiterer LutherAnhänger. Von der Ebernburg aus wandte sich Hutten an Erasmus von Rotterdam, lobte ihn als Wegbereiter der Reformation: „Du hast als erster die Geister für die Freiheit wachgerüttelt“ und bot ihm an, ebenfalls auf der Ebernburg Wohnung zu nehmen.20 Hutten nahm sich vor, wie ein Raubritter gegen die alte Kirche und ihre Verbündeten zu kämpfen. Seinen Standesgenossen und dem Volk rief er im Herbst 1520 zu: Erbarmt euch übers Vaterland, ihr werden Teutschen regt die Hand.

18 Vgl. Kaufmann, Adel, 35–46; Matheson, Argula, 53. 19 Hutten, Schriften, 186–198. 20 Erasmus, Opus, 380–383, Nr. 1161, Zitat 381, Z. 16f: „[…] te primum incitasse libertatis studio hominum mentes […]“.

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Jetzt ist die Zeit, zu heben an umb Freiheit kriegen, Gott wills han.21

Im Herbst 1522 beteiligte er sich folgerichtig propagandistisch an der sogenannten Trierer Fehde, dem Feldzug Franz von Sickingens (gest. 1523) gegen den Erzbischof von Trier, der dem Sturz der alten und dem Aufbau einer neuen Kirche im Sinne Luthers dienen sollte. Der „Pfaffenkrieg“ endete mit einer Niederlage der Ritter.22 Hutten musste das Weite suchen. Er ging nach Basel und nahm erneut Kontakt mit Erasmus auf, doch dieser wies ihn auf geradezu zynische Weise ab. Enttäuscht verfasste Hutten eine Streitschrift gegen den Gelehrten und rechnete mit ihm ab. Er warf ihm Abfall und Verrat vor. Der Text war zunächst nur handschriftlich in Umlauf. Erst nach Huttens Tod wurde die „Beschwerde“ (Expostulatio) gedruckt. Nachdem ihm in Basel eine Bleibe versagt worden war, wandte sich Hutten nach Zürich. Zwingli wies ihn nicht ab, sondern vermittelte ihm einen Unterschlupf auf der Ufenau, einer Insel im Zürichsee. Dort lebte ein heilkundiger Pfarrer namens Johannes Klarer, der sich seelsorgerlich und medizinisch um den an Syphilis Erkrankten bemühte. Hutten starb einsam und mittellos am 29. August 1523. Der Kampf gegen die „Tyrannen“ blieb Huttens Anliegen bis zuletzt. Wenige Wochen vor seinem Tod verfasste er einen „Tractatus in tyrannos“, der aber nicht mehr gedruckt wurde und von dem sich nur ein Fragment erhalten hat. Huttens Grab wurde 1958 wieder aufgefunden und ein Jahr später mit einem Gedenkstein versehen. Schon zuvor, im 19. Jahrhundert, hatte der deutsche Protestantismus den verfemten Außenseiter wiederentdeckt. Man schätzte ihn nun wegen seiner nationalen und freiheitlichen Ambitionen. Ulrich von Hutten wurde am 21. April 1488 auf der heute nur noch als Ruine erhaltenen Rhön-Burg Steckelberg bei Schlüchtern geboren und sollte nach dem Willen seines Vaters, obwohl er der erstgeborene Sohn war, wegen seiner geringen Körpergröße und schwächlichen Konstitution Mönch und später, wie es sich für einen Reichsritter gebührte, Abt werden. Von 1499 an lebte und lernte Ulrich im Benediktinerkloster Fulda. Im Jahre 1503 nahm er in Erfurt, an der gleichen Universität wie Luther, sein Studium auf und wurde dort, weitaus deutlicher als Luther, humanistisch geprägt. Dass sich die beiden, die dort gleichzeitig ihr Grundstudium absolvierten, begegneten, ist wahrscheinlich. Mit Huttens humanistischem Freund Johann Jäger von Dornheim, der sich Crotus Rubeanus nannte, war Luther gut bekannt. Im Jahre 1505, als Luther sein Jurastudium abbrach und Mönch wurde, vollzog auch Hutten einen Bruch mit seinem bisherigen Leben. Er gab sein Studium und 21 Hutten, Schriften, 225, Z. 937–940. 22 Vgl. Scholzen, Sickingen.

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sein Mönchsleben auf und reiste quer durch Deutschland. Er besuchte Köln, Leipzig, Greifswald und Wittenberg und erwarb nebenbei in Frankfurt an der Oder doch noch einen, den niedrigsten akademischen Grad, den des Baccalaureus artium. Danach zog es Hutten nach Italien, wo er in Pavia und Bologna juristische Studien aufnahm, dann aber in das kaiserliche Heer eintrat und an der Seite des Kaisers gegen die Franzosen kämpfte. In den Jahren 1510 und 1511 trat er erstmals mit Schriften an die Öffentlichkeit und galt alsbald als hervorragender lateinischer Dichter. Unruhig zog er weiter, besuchte Wien und lernte dort den aus St. Gallen stammenden Humanisten Joachim von Watt, genannt Vadian, kennen. 1514 weilte er in Mainz und kam in Kontakt mit Erasmus. Dieser gab ihm Empfehlungsschreiben, die ihm Kontakte zu italienischen Humanisten vermittelten. In der Reuchlinistenfehde ergriff Hutten Partei und war mit seinem Freund Crotus zusammen Hauptautor der Dunkelmännerbriefe. Zu Beginn des Jahres 1516 ging Hutten für einige Monate nach Rom. In der Heiligen Stadt erlebte er die Passionszeit und gewann, ähnlich wie Luther 1510, einen schlechten Eindruck von den dortigen Repräsentanten der Kirche. Ihm fiel auf, dass sich selbst hohe kirchliche Würdenträger offen über die in der Passionszeit geltenden Fastengebote hinwegsetzten. „Unter dem heiligen Schein frönen sie der wildesten Lust“, dichtete er23 und schickte die Verse seinem Freund Crotus. Infolge dieser Erfahrungen gewann Huttens Kritik an der Kirche an Schärfe. Ulrich von Hutten war von Optimismus und Lebenslust erfüllt. Sein literarisches und poetisches Schaffen fand Resonanz. 1517 war er vom Kaiser nach altem Brauch zum Dichter gekrönt worden. Er glaubte an eine positive, glückliche Zukunft. Die Mächte der Vergangenheit schienen zu schwinden. Dieses typisch humanistische Lebensgefühl spiegelte sich in einem Wort, das Hutten im Jahre 1518 in einem Brief an einen befreundeten Humanisten formulierte: „O Jahrhundert, o Wissenschaften! Es ist eine Lust, zu leben […]. Die Studien blühen, die Geister regen sich. Barbarei, nimm dir den Strick und mach dich auf Verbannung gefaßt!“24 Bereits im Jahre 1519 gewann Hutten Interesse an Luther. Auslöser war die Leipziger Disputation und Luthers Kritik am Papsttum. Die beiden wechselten Briefe.25 Hutten hatte damals ein Hofamt beim Kurfürsten, bei Erzbischof Albrecht, Luthers Hauptgegner im Ablassstreit. Hutten spielte, ohne dass er das wusste, eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Adelsschrift. Er vermittelte Luther nämlich die Kenntnis darüber, dass die auf 23 Hutten, Opera, 257: „Orgia qui vivunt, cum simulent Curios.“ (Epigrammata ex urbe Roma missa). 24 Hutten, Schriften, 340. 25 Vgl. Kornfeld, Stellung.

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einer alten Urkunde beruhende Behauptung der Päpste, Kaiser Konstantin der Große habe sie im 4. Jahrhundert höchstpersönlich mit der von ihnen in Anspruch genommenen Machtfülle ausgestattet, falsch und frei erfunden war. Die Urkunde, als „Konstantinische Schenkung“ bezeichnet, war nämlich, wie schon im 15. Jahrhundert der italienische Humanist Lorenzo Valla bewiesen hatte, eine Fälschung, entstanden im frühen Mittelalter. Hutten hatte Vallas Schrift in Italien gefunden und 1517 publiziert. Anfang 1520 hatte Luther Huttens Valla-Ausgabe mit Entsetzen gelesen. In ihm verstärkte sich der Verdacht, auf dem Papstthron sitze der Antichrist. Wenig später forderte Luther in der Adelsschrift Kaiser, Könige und Fürsten dazu auf, gegen Rom mit Waffengewalt vorzugehen. Im Mai 1520 nahm Hutten erstmals öffentlich Partei für Luther, im Sommer 1522 rief er zu den Waffen.26 Sein weiteres Schicksal war damit gezeichnet.

6.2

Argula von Grumbach

Im Jahre 1523 griff, direkt inspiriert von Luther und seiner Adelsschrift, die bayerische Adlige Argula von Grumbach (1492–1554) zur Feder und schrieb empörte Briefe an die Universität Ingolstadt und an Herzog Wilhelm IV. von Bayern (1508–1550), die alsbald im Druck veröffentlicht und in ganz Deutschland verbreitet wurden. Anlass ihrer Empörung war, dass die Universität Ingolstadt den jungen Magister Arsacius Seehofer (1503–1545), der in Wittenberg studiert hatte, gezwungen hatte, lutherische Thesen, die man aus seinen Aufzeichnungen herausgezogen hatte, zu widerrufen, und den jungen Theologen in das Kloster Ettal verbannen lassen hatte. Im Verlauf der Jahre 1523 und 1524 verfasste die Adlige sechs weitere Texte, darunter offene Briefe an Pfalzgraf Johann II. von Pfalz-Simmern (1492–1557), an Kurfürst Friedrich II. von Sachsen (1463–1525) und an die Ratsherren der Städte Ingolstadt und Regensburg, in denen sie sich erneut mit dem Fall Seehofer und auch mit den Beschlüssen des Nürnberger Reichstags von 1524 auseinandersetzte. Auch diese Werke wurden als Flugschriften verbreitet.27 Dass von Grumbach Luthers Adelsschrift kannte und gelesen hatte, lässt sich daran erkennen, dass sich in ihrer ersten Flugschrift ein beinahe wörtliches Zitat aus der Adelsschrift findet.28 In ihrem Ingolstadt-Brief referiert sie ferner Luthers Tauftheologie ganz in der Weise, wie sie Luther in der Adelsschrift entfaltet hatte.29 26 27 28 29

Wegen seines Syphilisleidens konnte er sich nicht aktiv an den Kampfhandlungen beteiligen. Matheson, Grumbach. Ebd., 78. Ebd., 95.

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Argula von Grumbach war verheiratet mit Friedrich von Grumbach, der als „Pfleger“, also Statthalter, von Dietfurt im Altmühltal im Dienst des bayerischen Herzogs Ludwig X. stand. Durch Flugschriften war sie mit reformatorischem Gedankengut in Berührung gekommen30 und zu eifrigem Bibelstudium veranlasst worden; eine deutsche Bibel besaß sie schon seit ihrer Jugend. Über den weiteren Lebenslauf Argula von Grumbachs ist leider wenig bekannt. Ihr Mann verlor schon 1523 wegen ihres provokativen Verhaltens unter dem Vorwurf, seine Frau nicht beherrschen zu können, seine berufliche Stellung und starb im Jahre 1530. Eine Begegnung Argula von Grumbachs mit Luther gab es im Jahre 1530, als Luther anlässlich des Augsburger Reichstags auf der Coburg weilte und ihn Argula von Grumbach dort besuchte. Auch ein Briefwechsel zwischen ihr und Luther hat sich erhalten. Briefkontakt hatte sie auch mit Paul Speratus, Georg Spalatin und Andreas Osiander.31 Der Sohn Georg studierte von 1529 an in Wittenberg und wohnte bei Melanchthon. 1533 heiratete sie wieder. 1539 starb ihre Tochter Apollonia, im gleichen Jahr ihr erster Sohn Georg, 1542 wurde ihr zweiter Sohn Hans-Jörg ermordet. Die Mutter von insgesamt vier Kindern soll 1554 – ganz sicher ist es nicht – verstorben sein. Argula von Grumbach gehörte zu den vielen Frauen, die von den Reformationsideen erfasst wurden, und zu den wenigen Frauen, die aktiv, öffentlich Partei ergriffen für die Reformation. Die oberpfälzische Adelstochter Argula von Grumbach geborene von Stauff ist die bekannteste unter diesen Frauen, weil ihre Flugschriften schon in der Reformationszeit starke Beachtung erlangten, wovon eine geschätzte Gesamtauflage von 30.000 Exemplaren eindrucksvoll Zeugnis ablegt, und weil ihr Andenken auch später noch bewahrt wurde, zum Beispiel von den Pietisten Gottfried Arnold (1666–1714)32 und Georg Konrad Rieger (1687–1743),33 und ihr Leben und ihr Werk heute verhältnismäßig gut erforscht sind.

6.3

Philipp von Hessen

Im Jahre 1524 wandte sich Philipp (1504–1567) Landgraf von Hessen unter dem Einfluss Melanchthons der Reformation zu. Melanchthon war im Sommer 1524 bei einer Urlaubsreise in seine kurpfälzische Heimat zufällig hinter Heidelberg Philipp begegnet, der zu einem Adelsfest ritt. Philipp wusste von Melanchthon 30 Sie selbst sagte 1523, sie habe alle deutschsprachigen Schriften Luthers gelesen. Grumbach, Schriften, 72, Z. 11–17. 31 Leider ist der ganze Briefwechsel verloren. 32 Arnold, Kirchen- und Ketzerhistorie, T. 2 (Buch 16, Kap. 5, Abschn. 10), 495. 33 Rieger, Grumbach.

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und erkannte ihn und verwickelte ihn in ein Gespräch über die aktuellen religiösen Fragen. Am liebsten hätte Philipp ihn mit sich nach Heidelberg genommen, um dort in der Herberge weiter mit ihm zu diskutieren. Aber Melanchthon wollte nicht umkehren und versprach Philipp eine schriftliche Antwort auf seine Fragen. Im September 1524 schrieb er in Wittenberg eine Zusammenfassung reformatorischer Grundgedanken nieder und schickte sie dem Landgrafen. Ein lebenslanges Vertrauensverhältnis verband die beiden von nun an. Von 1524 an tolerierte Philipp in seinem Territorium die evangelische Predigt. Er war aus innerer Überzeugung evangelisch und suchte sein Glaubenswissen durch Bibelstudien zu vertiefen. Nachweislich las er auch Lutherschriften.34 Ob er auch die Adelsschrift gelesen hat, ist nicht bekannt, jedoch anzunehmen. Er argumentierte unter Aufnahme der Lehre vom allgemeinen Priestertum, wie sie Luther in der Adelsschrift entfaltet hatte.35 Entscheidend für die Reformation in Hessen war das Jahr 1526. Der Beschluss des Speyerer Reichstags, jeder Stand möge es in Glaubensfragen so halten, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne, nahm Philipp zum Anlass, die kirchlichen Verhältnisse in seiner Landgrafschaft gemäß dem Reformprogramm von Luthers Adelsschrift neu zu gestalten. Im Oktober tagte in Homberg an der Efze eine Synode, die eine Kirchenordnung beschloss. Doch Luther erhob Einspruch und empfahl, langsamer vorzugehen und die Reformation zunächst einmal als eine Bildungsaufgabe zu begreifen. Philipp nahm Luthers Rat konstruktiv auf. Wie zur gleichen Zeit in Kursachsen wurde durch „Visitationen“ die evangelische Predigt gesichert: Theologen und Juristen besuchten im Auftrag des Landgrafen die Gemeinden, untersuchten und registrierten die örtlichen kirchlichen Verhältnisse und verpflichteten die Pfarrer auf die reformatorische Lehre. Zur Ausbildung evangelischer Beamter und Pfarrer wurde 1527 die Universität Marburg gegründet. Die Klöster wurden aufgehoben. Philipp war von Anfang an ein kriegsbereiter Anhänger der Reformation. Ähnlich und doch anders als seinerzeit Ulrich von Hutten hielt er Gewalt für ein legitimes Mittel im Dienste der Reformation. 1526 schloss er mit Johann von Sachsen ein Bündnis, und 1528 erwog er einen Präventivschlag gegen altgläubige Fürsten, von denen er eine Kriegsgefahr ausgehen sah. Philipps großes Ziel war ein Bündnis aller evangelischen Kräfte unter Einschluss Zürichs. Doch Luther und Melanchthon widersprachen, weil sie die Einheit in der Lehre als Voraussetzung eines politisch-militärischen Bündnisses ansahen, und diese war wegen der 1524 ausgebrochenen Differenzen in der Frage des Abendmahls nicht gegeben. Aus diesem Grunde initiierte Philipp 1529 das Marburger Religionsgespräch. Das Gespräch fand in Gegenwart Philipps statt und musste, da er es selbst 34 Vgl. Schneider-Ludorff, Reformator, 44. 35 Vgl. ebd., 43.

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mitverfolgen wollte, in deutscher Sprache gehalten werden. Es endete mit Luthers Weigerung, Zwingli weiterhin, trotz der Differenzen als „Bruder in Christo“ anzusehen. Das Ziel, das sich Philipp gesteckt hatte, wurde nicht erreicht. In die Geschichte eingegangen ist das Ereignis dennoch. Beim Augsburger Reichstag unterstützte Philipp das Augsburger Bekenntnis. Anschließend betrieb er die Gründung des Schmalkaldischen Bundes und wurde neben dem sächsischen Kurfürsten einer seiner beiden Hauptleute. 1534 gelang Philipp mit militärischer Gewalt ein wichtiger Sieg für die Reformation. Er führte den wegen Mord und Landfriedensbruch aus seinem Land vertriebenen Herzog Ulrich nach Württemberg zurück. Philipp scheute sich nicht, dafür die Unterstützung des katholischen Frankreichs in Anspruch zu nehmen, das ein Interesse an der Zurückdrängung der Habsburger aus Württemberg hatte. Im gleichen Jahr 1536 erntete Philipp mit der Wittenberger Konkordie einen weiteren Erfolg. Es gelang, in der Abendmahlsfrage eine Kompromissformel zu finden, der immerhin Bucer zustimmen konnte und die den Weg für den Anschluss Straßburgs an die Wittenberger Reformation ebnete. Zürich war allerdings nicht einbezogen. Weit in die Zukunft wies die in Hessen 1539 eingeführte Konfirmation. In den Reformationskirchen war die Firmung als Sakrament abgeschafft worden, weil es keine biblische Grundlage hatte. Durch die Kritik der Täufer an der Kindertaufe wurde aber das Problem erkannt, dass es eines Aktes der bewussten Entscheidung für den christlichen Glauben bedürfte. Bucer nahm sich in besonderer Weise dieser Fragen an und schuf eine Ordnung, die eine Wiederholung des Taufbekenntnisses, eine fürbittende Segenshandlung und den Ritus des Handauflegens vorsah und diese Konfirmation mit der Abendmahlszulassung als Eingliederung in die Gemeinde verband. Zu den weiteren wichtigen Entscheidungen Philipps gehörte 1539 die Zerstörung des Grabes der Heiligen Elisabeth und die Entfernung der Reliquien. Elisabeth von Thüringen, die im 13. Jahrhundert, inspiriert von Franz von Assisi, mit der aufopferungsvollen Pflege von Kranken begonnen hatte, war die Stammmutter der hessischen Grafen und die Patronin des Landes. Ihre Gebeine lagen in einer eigens für sie errichteten Wallfahrtskirche in Marburg. In einem Bereich seines Wirkens knüpfte Philipp jedoch direkt an die nicht mehr geschätzte Ahnin an. Im Rahmen der reformatorischen Neuordnung der Krankenund Armenfürsorge gründete er in Gronau, Haina, Merxhausen und Hofheim in ehemaligen Klöstern Hospitäler für Männer und Frauen. Damit führte er die Armen- und Krankenfürsorge in seinem Land auf eine zu seiner Zeit unbekannte Höhe. Philipp von Hessen gehörte zu den hohen Adligen, die sich von der Reformation überzeugen ließen und zu den wenigen unter den vielen adligen Reformationsanhängern, dem abzunehmen war, dass er wirklich aus religiöser

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Überzeugung und nicht aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen der Reformation anhing wie viele andere. Ob er 1520 oder später Luthers Adelsschrift gelesen hat, wissen wir nicht. 1521 besuchte er den Wormser Reichstag und sprach dort mit Luther, war aber noch gegen ihn eingestellt. Zu dieser Zeit gab es in Hessen aber bereits evangelische Prediger, und an Philipps Hof in Kassel befanden sich „Martinianer“. In Alsfeld predigte der Augustiner-Eremit Tilman Schnabel im Sinne Luthers und in Hersfeld die Priester Heinrich Fuchs und Melchior Rinck, die der Landgraf noch im Januar 1524 des Landes verwies. Der aus Marburg stammende Luther-Schüler Hartmann Ibach wirkte in der Reichsstadt Frankfurt. Problematisch für die anderen Reformationsanhänger freilich war, dass Landgraf Philipp, ähnlich und doch anders als seinerzeit Ulrich von Hutten, auch Gewalt für ein legitimes Mittel hielt. Er versuchte, ein großes evangelisches Militärbündnis aufzubauen unter Einbeziehung Zwinglis und Zürichs. Das Vorhaben scheiterte jedoch am Einspruch der Wittenberger, die mit einem „Irrlehrer“ wie Zwingli kein Bündnis schmieden wollten. Der Versuch, beim Marburger Religionsgespräch die Differenzen, die vor allem die Abendmahlsfrage betrafen, auszuräumen, scheiterte jedoch – an Luther, der Zwingli nicht mehr als „Bruder in Christo“ ansehen wollte. Bis 1539 wirkte Philipp von Hessen äußerst überzeugt und äußerst erfolgreich für die Reformation. Doch dann kam das Verhängnis, für ihn selbst und für die Reformation in Deutschland, und das Verhängnis stand im Zusammenhang mit der von Philipp ganz im Sinne des allgemeinen Priestertums erworbenen weit überdurchschnittlichen Bibelkompetenz. Philipp hatte ein persönliches Problem, und er suchte dieses persönliche Problem, ganz im Sinne Luthers, nach dem Schriftprinzip zu lösen, indem er die Bibel befragte, interpretierte und aktualisierte. Ausgerechnet Philipp von Hessen, einer der erfolgreichsten Politiker und Militärführer der Reformation, führte die Reformation in ihre größte Krise. Er war schuld daran, dass es 1546/47 zum großen Krieg des Kaisers und des Papstes gegen die Protestanten kam. Wie konnte es dazu kommen? Das Drama wurzelte in Philipps persönlichen Lebensverhältnissen. Philipp war seit 1523 standesgemäß verheiratet mit Christine von Sachsen. Wie alle Regenten hatte er aber auch seine Mätressen. Die sexuellen Bedürfnisse Philipps scheinen ganz besonders groß gewesen zu sein und Philipp sah sie als biologisch bedingt an, denn er besaß, so wird überliefert, drei Hoden. Ob wirklich der sehr seltene Fall einer Triorchie vorlag oder es sich nur um eine Spermatozele gehandelt hat, lässt sich natürlich heute nicht mehr klären. Auf jeden Fall sah Philipp seine übermäßigen sexuellen Bedürfnisse als körperlich bedingt an, und dass Sexualität keine Sünde, sondern etwas zum Menschen Gehörendes wie Essen und Trinken war, hatte er bei Luther gelernt.

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Schließlich verliebte sich Philipp in eine blutjunge Adlige, Margarete von der Saale, und hätte gerne eine engere Beziehung zu ihr aufgenommen. Deren Familie verbot ihr das allerdings und verlangte, sie müsse mit Philipp, wenn schon, eine richtige Ehe eingehen. Doch Philipp war ja schon verheiratet und hatte mit seiner Frau mehrere Kinder, sodass eine Ehescheidung aus Gründen der Unfruchtbarkeit der Ehefrau nicht mehr in Frage kam. Was also sollte er tun? Philipp las in der Bibel, dass die Patriarchen mehrere Ehefrauen gehabt hatten. Und er stellte fest, dass Jesus zwar viel zur Ehe gesagt, aber die Mehrehe nicht ausdrücklich verboten hatte. Philipp folgerte daraus, dass also für einen Evangelischen, der sein Leben streng an der Bibel orientiere, die Mehrehe erlaubt sein müsse. Er schrieb seine Gedanken nieder und schickte sie an Martin Bucer, Philipp Melanchthon und Martin Luther. Alle drei begutachteten die Angelegenheit und kamen zu dem Ergebnis, dass Philipp Recht habe und eine weitere Ehe schließen könne. Sie empfahlen ihm aber, die Sache geheim zu halten. Diesen letzten Ratschlag überhörte Philipp allerdings. Am 4. März 1540 schloss Philipp in Rotenburg an der Fulda mit großem Pomp seine Zweitehe. Natürlich erfuhrt der Kaiser davon und strengte sofort einen Bigamieprozess gegen den von sinnlicher Begierde erfüllten Protestanten an. Auf Bigamie stand nach Reichsrecht die Todesstrafe. So bedroht, musste Philipp einlenken und mit dem Kaiser verhandeln. Der Kaiser erreichte, dass sich Philipp am 13. Juni 1541 verpflichtete, sich mit seinen Truppen nicht an Militäraktionen gegen den Kaiser zu beteiligen. So konnte der Kaiser schließlich, nachdem er den mächtigsten Streiter der Evangelischen kaltgestellt hatte, den Krieg gegen die Reformation 1546 wagen. Mit viel Glück und unter beinahe ebenso obskuren Umständen überlebten die Protestanten trotz ihrer Niederlage 1547 doch diesen Krieg und erreichten 1555 reichsrechtlich ihre Anerkennung. Aber es hätte auch anders kommen können, und dann wäre ausgerechnet Philipp von Hessen, dieser überzeugte evangelische Landesherr, daran schuld gewesen. Am 19. Juni 1547 wurde Philipp vom Kaiser, der zuvor die Reichsacht über ihn verhängt hatte, gefangen genommen. Damit brach der Kaiser ein Versprechen, das er Moritz von Meißen, dem Schwiegersohn Philipps, gegeben hatte. Fünf Jahre verbrachte Philipp in Mecheln in den Niederlanden in Gefangenschaft. Als gebrochener Mann kehrte Philipp 1552 heim. Seinen früheren Einfluss konnte er nicht wiedergewinnen und hat es auch gar nicht versucht. Sein Land teilte er unter seine vier Söhne aus der Ehe mit Christine auf. Margaretes Söhne wurden mit Ämtern abgefunden. Hessen hatte in der deutschen Politik dauerhaft an Gewicht verloren. Philipp starb am 31. März 1567 in Kassel und wurde in der dortigen Martinskirche begraben.

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7.

Martin H. Jung

Schluss

Luther hätte niemals damit gerechnet, dass beinahe 500 Jahre nach ihrem Entstehen seine Schrift an den Adel noch gelesen und erst recht nicht, dass sie zu seinen Hauptschriften gezählt würde. Luther selbst hielt nicht viel von dieser schnell und unkonzentriert hingeschriebenen Schrift und wollte, dass sie wie viele seiner anderen ähnlichen Werke in Vergessenheit geriete, und das war keine Rhetorik, sondern Luthers tiefe Überzeugung. Doch es kam anders, und nicht nur die geschichtlich interessierten Kirchenhistoriker rechnen die Adelsschrift heute zu Luthers „Reformatorischen Hauptschriften“, sondern auch die systematisch interessierten Theologen sagen heute, dass die in der Adelsschrift entfaltete Idee vom allgemeinen Priestertum nicht ein, sondern der Zentralgedanke der Reformation war und von bleibender Aktualität ist. Die Lehre vom allgemeinen Priestertum war für Luther aber zunächst und vor allem eine Kampflehre gegen die alte Kirche, eine Kampflehre zur Entmachtung des Papstes und der Bischöfe. Das allgemeine Priestertum war für Luther keine Leitparole für den Gemeindeaufbau. Luther wollte dem Adel zeigen, dass er das Recht habe, die Kirche zu reformieren, aber Luther wollte nicht den Laien allgemein, dem christlichen Volk zeigen, dass sie die kirchlichen Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen sollten. Und so führte die Lehre vom allgemeinen Priestertum im 16. Jahrhundert nicht zur Entstehung von Basisgemeinden und Freikirchen, sondern sie mündete in das landesherrliche Kirchenregiment. Das in Deutschland bis 1918 herrschende Staatskirchentum war letztlich durch die Lehre vom Priestertum aller Gläubigen legitimiert. Gleichwohl drängte die Lehre vom allgemeinen Priestertum, wie viele andere Ideen und Lehren Luthers aus den frühen Zwanzigerjahren über sich selbst und die ihr von Luther gesteckten engen Grenzen hinaus. Schon im Pietismus des späten 17. Jahrhunderts wurde sie neu entdeckt und nun gegen den Cäsaropapismus, gegen die obrigkeitliche Beherrschung der evangelischen Kirchen, gewandt und zum Prinzip für einen neuen Gemeindeaufbau von unten erklärt. Insbesondere die Aktivierung der Gläubigen, der einfachen Menschen in den Kirchengemeinden, durch die Einrichtung von Konventikeln sowie durch die Bibelverbreitung unter und die Bibelinterpretation durch die Laien. Im 19. Jahrhundert entfaltete Luthers Lehre, getragen von Theologen, die gleichzeitig von den Freiheits- und Gleichheitsidealen der Aufklärung und der Revolution erfüllt waren, eine große Breitenwirkung im deutschen Protestantismus. Nun wurden Gemeindekreise und kirchliche Vereine gegründet und Synoden eingerichtet, um eine Kirche von Unten zu bauen, wie sie in Luthers Idee enthalten, aber nicht intendiert war. Die monografische Behandlung des Themas „Adel und Reformation“ ist ein Desiderat. Auch eine differenzierte und umfassende Rezeptionsgeschichte der

Luthers Aufruf „An den christlichen Adel“ (1520) und seine Folgen

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Adelsschrift wurde bislang nicht geschrieben. Ein äußerst materialreicher Kommentar zur Adelsschrift liegt seit 2014 vor.36

Literatur a)

Gedruckte Quellen

Luther, Martin, An den christlichen Adel deutscher Nation (1520)

1.

Wissenschaftliche Ausgaben:

Luther, Martin, Werke. Kritische Gesamtausgabe, [Abt. Schriften], Bd. 6, Weimar 1888, 381–469. – Abgekürzt: WA. Luther, Martin, Werke in Auswahl, hg. v. Otto Clemen, Bd. 1, 6., durchges. Aufl., Berlin 1966, 362–425 (gekürzt). – Abgekürzt: Cl. Luther, Martin, Studienausgabe, hg. v. Hans-Ulrich Delius, Bd. 2, Berlin (Ost), 1982, 89– 167. – Abgekürzt: StA. Köpf, Ulrich (Hg.), Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Bd. 3: Reformationszeit 1495–1555, Stuttgart 2001 (Universal-Bibliothek 17003), 126–148 (gekürzt).

2.

Ausgaben in modernem Deutsch:

Alan Bornkamm, Karin/Ebeling, Gerhard (Hg.), Martin Luther: Ausgewählte Schriften, Frankfurt a.M. 1982, 150–237. Aland, Kurt (Hg.), Luther deutsch, Bd. 2., Göttingen 1981, 157–170 (gekürzt). Jung, Martin (Bearb.), Luther lesen. Die zentralen Texte, Göttingen 2016, 50–70 (gekürzt). Erasmus, Desiderius, Opus epistolarum […] denuo recognitum et auctum, hg. von, P. St. Allen/H. M. Allen, Bd. 4: 1519–1522, Oxford 1922. Hutten, Ulrich von, Deutsche Schriften, hg. von P. Ukena (Die Fundgrube 50), München 1970. Hutten, Ulrich von: Opera Quae Extant Omnia, hg. von E. J. H. Münch. Bd. 1, Berlin 1821. Luther, Martin, Auch wider die räuberischen und mörderischen Rotten der anderen Bauern, in: H.-U. Delius (Hg.), Martin Luther: Studienausgabe, Bd. 3, Berlin 1983, 140– 147. Grumbach, Argula von, Schriften, hg. von P. Matheson, Gütersloh 2010.

36 Kaufmann, Adel.

74 b)

Martin H. Jung

Forschungsliteratur

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Michael Bühler

Die frühe Reformation in den Gebieten der reichsfreien Ritterschaften. Die Beispiele Kraichgau und Ortenau

1.

Einleitung „Es stellt sich jedoch sehr rasch heraus, daß bei reformatorischen Aktivitäten der Adel hinter den Fürsten, ihren bürgerlichen Räten, ihren Theologen und hinter den städtischen Magistraten bei weitem zurücktrat.“1

Diese These von Volker Press hat die Forschung zum Verhalten des Niederadels in der frühen Reformation über lange Jahrzehnte geprägt. Jedoch ist es nicht nur angesichts des Reformationsjubiläums an der Zeit, neuere Ansätze und Erkenntnisse auf diese Thematik anzuwenden. Hierbei sollte der Fokus aber nicht wie bei Press auf der Haltung des niederen Adels im reichsweiten und gesamtgesellschaftlichen Kontext stehen, sondern durch Analysen und Vergleiche kleinerer Regionen kann das Wirken der adeligen Familien genauer erfasst werden. Im folgenden Beitrag soll dies mit der Ortenau und dem Kraichgau an zwei Regionen des Südwestens gezeigt werden.2 Im einleitenden Teil stehen die Forschungslage sowie die Gegebenheiten und Voraussetzungen in den beiden Regionen im Vordergrund. Die weiteren Kapitel beschreiben zunächst die Vorgänge hinsichtlich des Niederadels im Kraichgau und daran anschließend die Ereignisse und Reaktionen der Ritter und Edelknechte in der Ortenau. Das abschließende Fazit ordnet die Ergebnisse in den Stand der Forschung ein. Diese Untersuchung beschäftigt sich mit verschiedenen Fragen: Einerseits, welche Reaktionen und Verhaltensweisen die Ritterschaft des jeweiligen Gebietes gezeigt hat und welchen Anteil die Entscheidungen der Ritterschaft an der 1 Press, Adel, 330. 2 Die Auswahl dieser Regionen begründet sich im Falle der Ortenau durch das Forschungsinteresse des Verfassers. Als Grundlage dient hierbei die Dissertation des Verfassers zum Ortenauer Niederadel im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit, welche an der Universität Freiburg i.Br. im Januar 2016 angenommen wurde. Der Kraichgau hingegen bietet sich aufgrund der reichhaltigen Ereignisse in der frühen Reformation sowie den vergleichsweise umfassenden Vorarbeiten der Forschung als Untersuchungsgegenstand an.

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Michael Bühler

Ausrichtung des unmittelbaren Umfeldes insgesamt hatten. Andererseits soll nach den Gründen und Voraussetzungen für das Verhalten der Ritterschaft im Kraichgau und in der Ortenau gefragt werden. Abschließend sollen die Auswirkungen der Handlungen der einzelnen Ritter auf die Gruppe der regionalen Niederadeligen dargestellt werden. Die Beantwortung dieser Fragen erlaubt eine Relativierung der Begrifflichkeiten und Thesen der älteren Forschung und legt dabei den Fokus auf ein dem Niederadel stets immanentes Verhalten, das die Erhaltung der Existenz, der Freiheit und des Ranges auch in der Phase der frühen Reformation als vorrangig ansah. Betrachtet man den Forschungsstand zur Reformation im niederen Adel so ist zu konstatieren, dass die wichtigsten Arbeiten ohne Zweifel Volker Press verfasste.3 Seine Ergebnisse und Thesen haben sich, wie bereits angeführt, trotz eines teilweise zu kurz angesetzten Untersuchungszeitraumes bis in die heutige Forschung erhalten.4 Neben der im reichsweiten Vergleich angeblich sehr geringen Rolle in der Durchsetzung der Reformation stellte Press auch fest, dass der Adel ein abwartendes und zurückhaltendes Verhalten zeigte.5 Für eine generelle Neubewertung dieser Thesen, ja des niederadeligen Verhaltens in der Reformation überhaupt, fehlt es insgesamt aber an breiter angelegten und vergleichenden Untersuchungen des Agierens der verschiedenen Ritterschaften in dieser spannenden und wichtigen Phase. Auch dieser Aufsatz kann und möchte dies nicht leisten, jedoch sollen mit dem Kraichgau und der Ortenau zumindest zwei Regionen des Südwestens beschrieben und verglichen werden,6 sodass die Thesen der älteren Forschung zumindest exemplarisch einer Prüfung unterzogen werden können. So bemerkenswert die Ereignisse der frühen Reformation innerhalb der Ritterschaft des Kraichgaus waren, umso erstaunlicher erscheint die insgesamt nicht angemessene Forschungslage. Die Verbreitung der Reformation im Kraichgau bzw. in der dortigen Ritterschaft wurde in erster Linie in diversen Aufsätzen behandelt.7 Mit der Arbeit von Klaus Gaßner liegt jedoch nur eine etwas umfangreichere Einzeldarstellung vor.8 Darüber hinaus gibt es zwar einige Schriften, die hervorstechende ritterschaftliche Personen und Familien des Kraichgaus wie beispielsweise Götz von Berlichingen, Hans Landschad von 3 4 5 6

In Auswahl: Press, Kraichgau; ders., Adel; ders., Ritter; ders., Kaiser; ders., Territorialstruktur. Vgl. Andermann, Beobachtungen, 95. Vgl. Press, Adel, 341f. Beschäftigungen mit dem Verhalten der Ritterschaft in anderen Regionen gab es durchaus, jedoch griffen diese in der Regel nicht auf einen Vergleich zurück; vgl. den Forschungsüberblick bei Andermann, Beobachtungen, 94–96. 7 Press, Kraichgau, bes. 44–52; Ehmer, Luther; ders., Ritterschaft, passim; Andermann, Beobachtungen, bes. 97–99. 8 Gaßner, Reformation, passim.

Die frühe Reformation in den Gebieten der reichsfreien Ritterschaften

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Steinach oder das Geschlecht derer von Gemmingen zu ihrem Thema gemacht hatten, jedoch datieren diese überwiegend aus den Jahren vor der Jahrtausendwende.9 Die Forschung hat sich seither, mit Ausnahme eines Aufsatzes von Hermann Ehmer, nicht mehr den reformatorischen Handlungen der Kraichgauer Ritter zugewandt,10 wenngleich diese Region in anderen Themenbereichen gerade durch die Arbeiten Kurt Andermanns weiterhin eine hohe Aufmerksamkeit erhält.11 Die Reformation in der Ortenau bzw. das Verhalten der Ortenauer Niederadeligen in der Phase des Umbruchs und Wandels wurde bislang noch nicht ausreichend bearbeitet.12 Als offizielles Einführungsdatum der Reformation in Baden gilt das Jahr 1556, aus dem die ersten Kirchenordnungen für diese Region überliefert sind;13 jedoch gingen die Entwicklungen der 1520er und 1530er Jahre sicherlich auch an den Ortenauer Rittern und Edelknechten nicht unbemerkt vorüber. Zugleich muss die Nähe zu Straßburg und damit zu einem weiteren reformatorischen Bezugspunkt im unmittelbaren Lebensumfeld konstatiert werden. Dies hat jedoch nicht dazu geführt, dass sich eine auf den Ortenauer Niederadel bezogene Reformationsforschung etablieren konnte. Lediglich einzelne Städte oder Herrschaften der Ortenau wurden näher untersucht,14 dabei zumeist aber nur einige Daten und Fakten genannt, eine wissenschaftliche Analyse oder der Bezug zwischen den Vorgängen in der Ortenau und den Ereignissen im Reich wurde nicht hergestellt.15 Das Vorhaben, Beobachtungen zur frühen Reformation darzulegen, erfordert zunächst eine genaue zeitliche Einordnung dieser Phase. Aufgrund der regional unterschiedlichen Ausprägung ist es schwierig und grundsätzlich diskussionswürdig, eine Periodisierung der reformatorischen Bewegung festzulegen. Jedoch stellte die Phase bis zum Augsburger Religionsfrieden für den niederen Adel zweifellos eine Zeitspanne dar, die von unklaren Verhältnissen und unvorher-

9 Vgl. hierzu die Literaturhinweise bei Ehmer, Schwaigern, 95f, Anm. 6 sowie bei Gaßner, Reformation, 92f. 10 Vgl. Ehmer, Schwaigern. 11 Vgl. zuletzt Andermann, Reichsritterkanton. 12 Vgl. Andermann, Ortenau, 35. 13 Vgl. dazu Wennemuth, Reformation. 14 Hier wäre beispielsweise die Reformation in Gengenbach zu nennen, vgl. Bläsi, Reformation. Ein weiteres Beispiel sind die Abhandlungen über die Reformation im Kinzigtal, welches unter der Herrschaft des lutherisch gesinnten Grafen Wilhelm von Fürstenberg gestanden hatte, vgl. Thoma, Kirchenpolitik, bes. 21–29. 15 In zahlreichen stadtgeschichtlichen Bänden und auch bei Hanß, Geschichte, Bd. 1, bes. 104f, geht die Beschäftigung mit der Reformation nicht in die Tiefe. Der Aufsatz von Krebs über die kirchliche und politische Geschichte der Ortenau behandelt diese wichtige Phase auch nur auf wenigen Seiten und begnügt sich zumeist mit der Nennung einiger Fakten, nicht aber einer wissenschaftlichen Bewertung, vgl. Krebs, Ortenau, 172–183.

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sehbaren Ereignissen geprägt war und somit als eine Einheit betrachtet werden sollte. Dabei hat die Forschung verschiedene Vorschläge zur Einteilung dieser Zeitspanne gemacht. Volker Press stellte bereits 1979 eine Dreiteilung des niederadeligen Engagements in Bezug auf die Reformation vor: Einer ersten Phase der spontanen Einzelaktionen bis etwa 1530 folgte die Orientierung im territorialen und im reichspolitischen Rahmen, in dem die reformatorische Bewegung zunehmend strukturiert wurde; unter den Bedingungen des Religionsfriedens verfeinerte sich schließlich ab 1555 die adelige Konfessionsbildung.16 Diese Einschätzung hat nach Ansicht der Forschung bis heute Bestand und wurde jüngst von Gerrit Walther noch einmal in ähnlicher Weise bestätigt.17 Jedoch verwendet Walther nun für die erste von Press‘ Phasen den Begriff der „frühen Reformation“ und setzt deren Beginn mit dem Auftreten Luthers fest. Den Anfang der zweiten Phase behält Walther bei, lediglich die letzte Phase lässt er mit den Beschlüssen des Trienter Konzils von 1563 beginnen. Von Interesse ist aber die Definition der frühen Reformation als die Zeit vom Anschlag der Thesen zu Wittenberg im Jahr 1517 bis zu den 1530er Jahren, in denen sich laut Walther die protestantischen Kirchen und Bekenntnisse allmählich ausbildeten. Klaus Gaßner hat in seiner Arbeit eine deutlich kürzere Zeitspanne vorgeschlagen. Er legt die Jahre 1517–1525 als seinen Untersuchungszeitraum und somit als Phase der frühen Reformation fest und lässt diese folglich mit dem Bauernkrieg enden. Als Begründung seiner Wahl diente einerseits die Quellenlage, andererseits die große Bedeutung dieser ersten Phase als Weichenstellung insbesondere für die Kraichgauer Ritter.18 Diese Einteilung mag für einen einzelnen geographischen Raum durchaus plausibel sein, jedoch eignet sich eine so kurze Spanne nicht für den Vergleich mit anderen Regionen. Die Festsetzungen von Press und Walther gehen m. E. ebenso einen Schritt zu weit, da die Phase von 1530 bis zum Augsburger Religionsfrieden insbesondere für den niederen Adel von einem unklaren Konfessionsbegriff geprägt war, der sich erst nach 1555 weiter ausdifferenzierte. Somit erscheint es m. E. durchaus angebracht, speziell für den Niederadel des Südwestens eine von den Geschehnissen auf der Reichsebene zumindest teilweise losgelöste Periodisierung zu verwenden. Folglich wird die Phase der frühen Reformation in dieser Untersuchung als die Zeit vom Thesenanschlag Luthers 1517 bis zum Augsburger Religionsfrieden 1555 festgesetzt.19 16 17 18 19

Press, Adel, 342. Vgl. Walther, Glaube, 186f. Vgl. Gaßner, Reformation, 12f. Auf Reichsebene müsste man durchaus dem Vorschlag von Press bzw. Walther folgen, wie es jüngst auch Schiersner, Spielräume, 96, Anm. 8, bemerkt. Er stellt hier fest, dass ab 1530 „auf der politischen Ebene des Reiches dogmatisch distinkte Vorstellungen der Kontrahenten, die auf dem Augsburger Reichstag präsentierten Bekenntnisschriften‟ vorlagen.

Die frühe Reformation in den Gebieten der reichsfreien Ritterschaften

2.

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Die Ritterschaften von Kraichgau und Ortenau

Ein Blick auf die Gegebenheiten und Voraussetzungen für den niederen Adel im Südwesten offenbart einige Besonderheiten. Grundsätzlich waren die Handlungsmöglichkeiten der Ritterschaft und damit zugleich deren Verhalten in der frühen Reformationszeit sehr stark abhängig von den jeweiligen politischen Strukturen. Entgegen den mittleren und nördlichen Regionen des Reiches, in denen die Ritterschaft zumeist landsässig, also unter der Herrschaft des Landesfürsten war, konnten sich die Niederadeligen des Südwestens im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit eine gewisse Freiheit und Unabhängigkeit bewahren. Dies begründet sich durch die Entwicklung dieser Landschaft, die nach dem Zerfall der Stauferdynastie und durch ein in der Folge entstandenes Machtvakuum zahlreiche Nachfolgekämpfe und -konflikte über sich ergehen lassen musste. Ergebnis dieser Auseinandersetzungen war die Entstehung eines machtpolitischen Flickenteppichs, der die Geschichte im Südwesten über die nächsten Jahrhunderte prägen sollte. Da es keinem der regionalen Fürstenhäuser gelungen war, dauerhaft eine großflächige Herrschaft zu errichten, kam es zu ständig wechselnden Konstellationen in der Herrschaftsordnung einzelner Regionen des Südwestens. Die Ortenau und der Kraichgau stellten im 15. und 16. Jahrhundert exemplarische und somit vergleichbare Landschaften des Südwestens dar, die sich stets inmitten der Interessen verschiedener Fürstenhäuser und Herrschaften befanden. In den Kraichgau hatten viele Familien ehemaliger Reichsministerialen ihren Besitzschwerpunkt gelegt und somit einen Raum mit einer hohen Adelsdichte geschaffen.20 Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts konnte sich hier der Pfalzgraf vom Rhein zunehmend in der Rolle des wichtigsten Territorialherrn etablieren.21 Dazu gehörte neben den zahlreichen Besitzungen und Rechten im Kraichgau selbst auch die große Einflussnahme auf die Hochstifte Speyer und Worms, die als geistliche Fürstentümer gleichfalls im Kraichgau Ansprüche besaßen.22 Zudem stellte der Heidelberger Hof des Pfälzer Kurfürsten durch attraktive Ämter und Dienste einen weiteren Anziehungspunkt für den niederen Adel dar. Diesen und die Hochstifte der Bistümer nutzten die Pfälzer, um die Ritterschaft ihres Territoriums enger an sich zu binden.23 Die Ämter und Pfründen im Einflussbereich der Kurfürsten verhalfen den Kraichgauer Rittern und Edelknechten zu einem verhältnismäßig großen Reichtum, der es ihnen wiederum erlaubte, 20 21 22 23

Vgl. Ehmer, Ritterschaft, 173f. Vgl. Andermann, Landschaft, 16f. Vgl. Gassner, Reformation, 16f. Vgl. Hammes, Fürst, 223.

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u. a. den Pfalzgrafen Kredite zu geben, wodurch diese Bindung zusätzlich gestärkt wurde.24 Neben den Pfälzer Kurfürsten waren einzig die Markgrafen von Baden sowie im ausgehenden Mittelalter die Grafen von Württemberg in der Lage, einen politisch relevanten Gegenspieler in der Region darzustellen.25 Die Stadt Heidelberg selbst war als Zentrum des kurfürstlichen Territoriums, aber auch als Universitätsstadt ein wichtiger Bezugspunkt für die Kraichgauer Ritter. Die Besitz- und politische Geschichte in der Ortenau hatte einen etwas unterschiedlichen Verlauf.26 Hier konnten sich mehrere Mächte in der Nachfolge der Staufer behaupten, beispielsweise die Geroldsecker, das Haus Fürstenberg, der Bischof von Straßburg sowie das Königtum selbst. Die Verhältnisse änderten sich jedoch im Laufe des Spätmittelalters und schließlich waren es die Markgrafen von Baden, die sich den größten Anteil an Besitzungen und Rechten in der Region sicherten. Zudem stellte der Straßburger Bischof durch seine zahlreichen rechtsrheinischen Besitzungen einen regionalen Machtfaktor dar. Durch die Politik des Königtums, Teile des Reichsgutes zu verpfänden, wurde die im 13. Jahrhundert eingerichtete Landvogtei Ortenau ab 1351 zunächst alleine an den Bischof von Straßburg gegeben, ab 1404 wurde sie je zur Hälfte verpfändet. Neben dem Straßburger Bischof war im 15. Jahrhundert der Kurfürst von der Pfalz der zweite Pfandschaftsinhaber. Dies änderte sich nach der Pfälzer Niederlage im Erbfolgekrieg 1504, der für die Ortenau zur Folge hatte, dass fortan der Graf von Fürstenberg die andere Hälfte der Reichslandvogtei besaß. Das Reich bzw. die Habsburger lösten die Landvogtei erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wieder aus und behielten sie bis 1701.27 Durch diese Politik, die dem Reichsoberhaupt in erster Linie einen finanziellen Ertrag bringen sollte, wurde einer weiteren politischen Macht die Möglichkeit gegeben, Einfluss in der Ortenau zu nehmen. Die Pfälzer Kurfürsten, die gestärkt durch das Königtum Ruprechts eine vorherrschende Rolle im Südwesten spielten, versuchten in der Folge, den Adel der Region durch Lehen, Verträge sowie Dienste stärker an sich zu binden. Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts zogen zudem die Grafen von Württemberg Teile des Ortenauer Adels an ihren Hof. Insgesamt hatten die Markgrafen von Baden zwar ihre wichtige Bedeutung für die Niederadeligen bewahrt, jedoch war gerade die Zeit des Umbruchs vom 15. auf das 16. Jahrhundert von einer enormen territorialen Konkurrenz gekennzeichnet. Zu diesen fürstlichen Mächten kam die Stadt Straßburg hinzu, denn sie besaß als eine der 24 Vgl. insbesondere zu den Kraichgauer Familien am Hochstift Speyer, Fouquet, Domkapitel, 233–280. 25 Vgl. Krieg, Ritter, 75–77. 26 Vgl. grundlegend zur Geschichte der Ortenau: Krebs, Ortenau, passim. 27 Vgl. ebd., 151–154, wenngleich Krebs hier für den Übergang der Fürstenbergischen Hälfte an die Habsburger das Jahr 1521 nennt, dies aber erst 1551 geschah, vgl. Thoma, Kirchenpolitik, 2f. Die Straßburger Hälfte wurde 1556 vom Bischof ausgelöst.

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bedeutendsten Reichsstädte des Südwestens eine fast schon fürstengleiche Anziehung. Der überwiegend aus der Ministerialität der Grafen von Eberstein bzw. des Bischofs von Straßburg entstammende Ortenauer Niederadel musste sich somit mit weitaus mehr politischen Kräften auseinandersetzen.28 Einerseits konnte dies einen Vorteil bieten, da die Bindung an nur einen Fürsten nicht zu einer endgültigen Abhängigkeit führen musste, andererseits erschwerten die häufigen Veränderungen in der regionalen politischen Lage die eigene Orientierung und Anbindung oder machten eine falsche Entscheidung wahrscheinlicher. Deshalb verwundert es nicht, dass sich zahlreiche Ortenauer Familien im 15. und 16. Jahrhundert zunächst an die alteingesessenen Markgrafen von Baden hielten, wenngleich deren Schicksal nicht immer von Aufstieg gekennzeichnet war. Insgesamt stellten die Gegebenheiten für den niederen Adel des Südwestens eine große Herausforderung dar, die Existenz, die eigene Freiheit und den Rang zu bewahren. Um diese Bedürfnisse zu erfüllen, war eine stete Analyse der politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten und eine entsprechende Anpassung des Verhaltens notwendig. Durch das Aufkommen reformatorischen Gedankenguts veränderte sich die Situation jedoch zusätzlich. Mit der Religionsfrage kam ein Faktor hinzu, dessen Tragweite die niederadeligen Akteure in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch nicht in vollem Umfang ermessen konnten. Während der landsässige Niederadel in vielen Regionen des Reiches durch die Entscheidung der Landesherren an die alte oder neue Lehre gebunden war, bewegte sich der reichsfreie Adel zwar nicht rechtlich, aber faktisch in einem Raum ohne Vorgaben. Mit dieser Freiheit ausgestattet gab es innerhalb der Ritterschaft unterschiedliche Handlungen und Vorgehensweisen in der Religionsfrage, welche im Folgenden an den Beispielen des Kraichgau und der Ortenau veranschaulicht werden.

28 Den Kern des Ortenauer Niederadels bildeten im 15. Jahrhundert die Familien, die 1474 an einer Einung mit dem Markgrafen Karl von Baden beteiligt waren. Zu diesen gehörten die Familien von Bach, von Großweier, von Neuenstein, Pfau von Rüppur, Röder von Diersburg und Röder von Rodeck, von Schauenburg, die Ganerbengeschlechter der Burg Staufenberg Bock, Hummel, Stoll und Wiedergrün sowie die Familie von Windeck. Die Ortenauer Einung wurde 1490 ohne den Markgrafen auf rein niederadeliger, genossenschaftlicher Basis erneuert. Verlängerungen gab es zudem in den Jahren 1497 und 1508. Zwar waren weitere Familien hinzugekommen, die mittlerweile Güter und Besitzungen oder auch Ämter in der Ortenau erlangt hatten, jedoch waren die Familien der ersten Ortenauer Einung auch an der Gründung der Reichsritterschaft im Jahr 1542 beteiligt. Zumindest wenn sie nicht zuvor ausgestorben waren, wie beispielsweise die von Bach, die Bock von Staufenberg oder auch die von Großweier.

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3.

Michael Bühler

Die frühe Reformation im Kraichgauer Niederadel29

Im Kraichgau konnte die neue Lehre insbesondere in Kreisen des niederen Adels schon sehr früh Fuß fassen. Zu Beginn der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als der Theologieprofessor David Chyträus seine bekannte Oratio de Chreichgoa hielt, hingen die hiesigen Ritter und Edelknechte bereits nahezu vollständig dem evangelischen Bekenntnis an.30 Die Phase der konfessionellen Neuorientierung hatte unter diesen folglich bereits deutlich früher begonnen. Ein erster und wahrscheinlich entscheidender Impuls ging von der Heidelberger Disputation im Jahr 1518 aus.31 Martin Luther stellte am 26. April in der dortigen Universität vierzig Thesen vor, die er mit anwesenden Humanisten diskutierte. An diesem Ereignis nahmen zahlreiche Studenten der Heidelberger Universität teil, unter denen nicht nur einige spätere lutherische Prediger waren, sondern vermutlich auch Angehörige des Kraichgauer Niederadels, die in Heidelberg immatrikuliert waren.32 Drei Jahre später kam der Wittenberger erneut in die unmittelbare Nachbarschaft des Kraichgaus, als er auf dem Reichstag zu Worms war. Bei diesem Ereignis waren zweifellos zahlreiche Niederadelige des Kraichgaus anwesend und konnten so wiederholt oder auch erstmals die Wirkung Luthers und seiner Worte direkt erfahren. Vereinzelt fanden im Kraichgauer Adel jedoch schon zuvor Auseinandersetzungen mit Martin Luthers Gedankengut statt. Ein erstes Beispiel hierfür ist Hans III. Landschad von Steinach, der 1520 in einem Brief an den Kurfürsten Friedrich den Weisen von Sachsen erwähnt, dass er die Schrift Luthers gelesen habe. Daraufhin forderte er Friedrich auf, dessen Sache zu schützen und zu unterstützen.33 Dieser Brief war demnach eine Reaktion auf Luthers Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation und Hans Landschad gewährt uns einen Einblick in deren Rezeption. Die Initiative für die neue Lehre ging bei Hans Landschad aber noch weiter. In den folgenden Jahren verfasste er eigene Schriften, in denen er sich teilweise an die Obrigkeiten wandte – wie in seinem Missive aus dem Jahr 1522 an den Kurfürsten Ludwig von der Pfalz – oder die Allgemeinheit ansprach – wie in seinem Pamphlet von 1524 mit dem Titel Ursach warumb etlich harttnickichen dem aufgehend Evangelio so zuo wider sindt. Hans unterhielt wohl zudem eine Korrespondenz zu Martin Bucer.34 Seine wirkungs29 Für Hinweise zur frühen Reformation im Kraichgau und insbesondere zu den Gründen für die dortigen Vorgänge möchte der Verfasser an dieser Stelle Herrn Prof. Kurt Andermann sowie Herrn Dr. Steffen Krieb herzlich danken. 30 Vgl. Ehmer, Ritterschaft, 174. 31 Vgl. Gaßner, Reformation, 36. 32 Vgl. Ehmer, Ritterschaft, 175. 33 Vgl. Gaßner, Reformation, 59f; Ehmer, Ritterschaft, 177f. 34 Vgl. Gaßner, Reformation 61.

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vollste Maßnahme lag aber sicherlich nicht in der Erstellung und Verbreitung reformatorischen Schriftgutes, sondern in der Berufung eines lutherischen Predigers. Mit Jakob Otter berief Hans Landschad von Steinach einen Prediger, der aus seinem alten Wirkungskreis bei Kenzingen im Breisgau auf Betreiben der altgläubigen Habsburger vertrieben worden war und auf eine freigewordene Stelle in Steinach präsentiert wurde, in der er bis 1529 mit der Unterstützung Hans Landschads wirkte.35 Die Besetzung von freigewordenen oder von der Ritterschaft frei gemachten Priesterstellen mit lutherischen Predigern erwies sich als effektive Maßnahme, ja sogar als eine der Grundvoraussetzungen für die Durchsetzung und Verbreitung der neuen Lehre.36 Insbesondere im Kraichgau war diese Vorgehensweise häufig zu beobachten, hier besaßen die Ritter zahlreiche Patronate und konnten über diesen Weg die Reformation in den eigenen Ortsherrschaften etablieren und vorantreiben. Zahlreiche Beispiele belegen diese Praxis: Wolf von Gemmingen ließ mit Bernhard Griebler einen entschiedenen Vertreter der neuen Lehre in Gemmingen und Berwangen predigen und ernannte ihn zudem zum ersten Leiter der neuen Lateinschule in Gemmingen.37 Philipp von Gemmingen, der Bruder des Wolf, setzte schon zu Beginn der 1520er Jahre mit Martin Germanus einen lutherischen Prediger in Fürfeld und Bonfeld ein.38 Gleichfalls beriefen die Herren von Neipperg in Schwaigern den Theologen Bernhard Wurzelmann, der ab 1525 im Ort erschien und dort für eine gewisse Zeit als Prediger wirkte.39 Götz von Berlichingen installierte ebenso lutherische Prediger in seinen Patronatskirchen am Neckar und verteidigte dieses Vorgehen gegenüber dem Würzburger Bischof, indem er dem alten Pfarrer vorwarf, seine Aufgaben nicht erfüllen zu können.40 Diese Aufzählung ließe sich ohne Probleme noch erweitern, insgesamt wird klar, dass die Kraichgauer Ritter in ihren Herrschaften die Grundlagen für die Verbreitung der neuen Lehre gelegt hatten. Jedoch war dieses Handeln nur durch eine weitere günstige Konstellation möglich. Ohne die lutherischen Prediger wäre der Wunsch nach Veränderungen, der den Kraichgauer Niederadel erfasst hatte, nicht zu realisieren gewesen. Das Reservoir an Predigern ergab sich aus zwei Bereichen. Zum einen konnten sich durch das Auftreten Luthers an der Heidelberger Universität etliche Studenten für dessen Haltung begeistern, u. a. Martin Bucer und Johannes Brenz. Die Absolventen versuchten in der Folge, die Thesen Luthers selbst in die Tat umzu-

35 36 37 38 39 40

Vgl. ebd., 62f. Vgl. Ehmer, Schwaigern, 95. Vgl. Ehmer, Ritterschaft, 180; Gaßner, Reformation, 49–51. Vgl. ebd., 51f. Vgl. Ehmer, Schwaigern, 108–110. Vgl. Gaßner, Reformation, 66f.

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setzen.41 Davon profitierte der geographisch nahegelegene Kraichgau, der zahlreiche erste Wirkungsorte für die neuen Prediger bereitstellte. Zum anderen kamen viele der in Württemberg von den Habsburgern vertriebenen Prediger in den Kraichgau und fanden dort eine aufgeschlossene Ritterschaft vor, die ihnen neue Pfarreien zuwies.42 In diesem Zusammenhang erlangte die Burg Guttenberg des Dietrich von Gemmingen einen gewissen Bekanntheitsgrad, da hier zahlreiche dieser ehemals württembergischen Prediger eine erste Zuflucht fanden.43 Beispielsweise hatte Dietrich Caspar Gräter als Hauslehrer auf der Burg angestellt, durch den er in Bekanntschaft mit Johannes Brenz kam. Eine Folge dieser Kontakte war eines der frühesten Religionsgespräche, in dem ein Abendmahlstreit zwischen Theologen der Ausrichtung Zwinglis gegenüber der Auslegung Luthers verhandelt wurde.44 Zwar scheiterte dieses Gespräch schlussendlich, dennoch etablierte sich die Burg Guttenberg als ein Ort der neuen Lehre und das Verhältnis zwischen Dietrich von Gemmingen und Johannes Brenz wurde in enge Bahnen gelenkt, sodass der mittlerweile in Schwäbisch Hall tätige Prediger sogar zu der Trauerfeier des Ritters von Gemmingen anreiste.45 Eine weitere Verankerung der neuen Lehre im Kraichgau zeigen die Ereignisse und Geschehnisse um Franz von Sickingen. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob Franz von Sickingen ein Kraichgauer Adeliger war. Beantwortet man diese Frage nur nach dem Stammsitz des Ritters, so müsste man sie verneinen, da seine Ebernburg in fränkischem Territorium lag. Jedoch stammte die Familie von Sickingen aus dem Kraichgau und Franz hatte hier noch zahlreiche Besitzungen und Rechte.46 Darüber hinaus wurden die Verbindungen der Familie in den Kraichgau u. a. durch Heiraten aufrechterhalten.47 Das reformatorische Wirken des Franz von Sickingen in den Kraichgau hinein wird durch seinen bekannten Sendbrief an Dieter von Handschuhsheim, den Schwiegervater seines Sohnes ersichtlich.48 In diesem Schreiben bezieht er sich auf einige wichtige, durch Luther angestoßene Veränderungen in der Kirchenpraxis und verteidigt diese gegenüber seinem altgläubig gebliebenen Verwandten.49 Somit nahm Franz zwar nicht unmittelbar im Kraichgau selbst Einfluss, sein Eintreten für die neue Lehre war aber über die Verbindungen dorthin präsent. In eine reformatorische Richtung wurde lange Zeit die Landshuter Einung bzw. die Trierer Fehde ge41 42 43 44 45 46 47 48 49

Vgl. Ehmer, Ritterschaft, 174f. Vgl. Gaßner, Reformation, 45f. Vgl. ebd., 45–48. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Kehrer, von Sickingen II, 135–137. Beispielsweise war seine Schwester Katharina mit Orendel von Gemmingen verheiratet. Vgl. hierzu Oelschläger, Sendbrief. Vgl. Ehmer, Ritterschaft, 178–179.

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deutet, jedoch hat sich in der Forschung mittlerweile die Ansicht etabliert, dass Franz von Sickingen einen etwaigen reformatorischen Hintergrund nur für den Erfolg der Unternehmung selbst glaubhaft machen wollte.50 Diese Instrumentalisierung hatte aber dennoch bei manchen Zeitgenossen Erfolg, wie es das Beispiel des Hartmut von Kronberg zeigt, der sich durch die Fehde Sickingens eine Förderung der neuen Lehre versprach.51 Darüber hinaus sollte nicht unerwähnt bleiben, dass zahlreiche Kraichgauer Niederadelige in die kriegerischen Unternehmungen von Sickingens involviert waren und eine Beeinflussung und Wirkung somit naheliegt. Denn obgleich nicht jeder ein Verständnis für theologische Fragen entwickelt hatte, so wurden die Reden des Franz von Sickingen doch sicherlich gehört und dessen in erster Linie auf den eigenen Vorteil zielenden Absichten möglicherweise nicht bemerkt. Zusammengefasst können die Ereignisse der frühen Reformation im Kraichgau als sehr umfassend und entschlossen erachtet werden. Nahezu der gesamte niedere Adel hatte sich der neuen Lehre zugewandt und seine Patronatskirchen mit lutherischen Predigern besetzt. Darüber hinaus gab es mit Hans Landschad von Steinach einen niederadeligen, reformatorischen Flugschriftenverfasser und auf der Burg Dietrichs von Gemmingen weilten lutherische Theologen, die intensive Glaubensgespräche und -diskussionen abhielten. Zudem bestanden enge Verbindungen zu Franz von Sickingen und somit indirekt auch zu Ulrich von Hutten und dessen energischem Auftreten für die neue Lehre. Neben den bereits geschilderten impulsgebenden Ereignissen wie der Heidelberger Disputation und dem Wormser Reichstag sowie der Tatsache, dass ein Reservoir an lutherischen Predigern im Kraichgau durchaus vorhanden war, gab es weitere Einflüsse bzw. begünstigende Faktoren. Ein nur schwer einzuschätzender Umstand ist die Wirkung der Publizistik. 1520 erschien Martin Luthers Schrift an den Adel und diese wurde auch von Angehörigen des niederen Adels gelesen, wie es nicht zuletzt das Beispiel des Hans Landschad von Steinach belegt. Insgesamt jedoch muss die Wirkung der Publizistik, nicht nur für die eher im lokalen Raum verbreiteten Schriften des Kraichgauers Hans Landschad, sondern durchaus auch für die Werke eines Ulrich von Hutten oder Hartmut von Kronberg eher in Frage gestellt werden. Die Texte waren ja nicht nur im Kraichgau bekannt, sie wurden in vielen Städten – insbesondere in Straßburg – gedruckt und vertrieben und hatten somit zumindest eine deutlich breitere geographische Verbreitung erfahren. Die neue Lehre fand allerdings in keiner anderen Region des Südwestens einen auch nur annähernd starken Rückhalt wie im Kraichgau, weshalb dies nicht zwingend an 50 Vgl. zuletzt Andermann, Evangelium, 74–76. 51 Vgl. ebd., 76.

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einer Rezeption der Schriften eines von Hutten, von Kronberg, Hans Landschad, ja sogar Martin Luther festgemacht werden sollte. Ein weiterer Punkt betrifft die allgemeine Religiosität des niederen Adels. Kurt Andermann hob hervor, dass diese insbesondere im Kraichgau eine intensive Steigerung zum Ende des 15. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erfahren hatte. Als Beleg führte er umfassende und bedeutende Stiftungen der von Gemmingen um die Jahrhundertwende an.52 Doch diese Argumentation lässt sich recht schwer einordnen, da es zu dieser Zeit in anderen Regionen ebenso eine ausgeprägte Stiftungstätigkeit gab.53 Weitaus anschaulicher wird dieser Ansatz jedoch durch die ausgeprägte Beschäftigung einiger Kraichgauer Ritter mit theologischen Fragen; dies war ein eher unübliches Verhalten in den durch gesellschaftliche Veränderungen entstandenen Wirren und Anforderungen jener Zeit. Adelige wie Hans Landschad oder Dietrich von Gemmingen zeigten hierfür eine selten zu beobachtende Offenheit und Kompetenz und dies lässt eine Steigerung der Religiosität im niederen Adel durchaus plausibel erscheinen. Nachdem unter diesen Voraussetzungen die Ereignisse um Martin Luther eine Begeisterung des Kraichgauer Niederadels für die neue Lehre entfacht hatten, verhalfen wiederum diverse Faktoren zu der intensiven Verbreitung und Durchsetzung der Reformation im Kraichgau selbst. Hermann Ehmer erörterte hierfür drei Bedingungen:54 Erstens das bereits erwähnte Vorhandensein von Theologen und Predigern, die die neue Lehre verkünden konnten. Zweitens hatte deren Tätigkeit nur Aussicht auf Erfolg, wenn sie von den Obrigkeiten, also den lokalen Herren oder den Städten geduldet oder unterstützt wurden. Drittens bedurfte es für das Wirken der Prediger eine für Neuerungen und Veränderungen empfängliche Gemeinde. Diese Vorbedingungen sah Hermann Ehmer für den Kraichgau allesamt als erfüllt an und insbesondere das große Reservoir an lutherischen Predigern war sicherlich einer der entscheidenden Vorteile für die Verbreitung der Reformation im Kraichgau. Wie bereits angeführt, kamen diese entweder aus dem Umfeld der Heidelberger Universität oder wurden zuvor aus dem an die altgläubigen Habsburger gefallenen Württemberg vertrieben. Darüber hinaus bildete sich im Kraichgau aber eine zweite Predigergeneration selbst heraus, die zunächst aus Absolventen der Lateinschule in Gemmingen bestand.55 52 Vgl. Andermann, Beobachtungen, 97f. 53 Auch in der Ortenau gab es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sowie am Übergang zum 16. Jahrhundert zahlreiche Stiftungen der Adelsfamilien. Diese waren zwar insgesamt nicht so umfangreich wie die der wohlhabenderen Familien des Kraichgaus, dennoch sind für einzelne Familien beträchtliche Stiftungen überliefert. Vgl. Gartner, Regesten, Nr. 570, 582, 585, 632, 647, 683, 698, 755, 800, 801; GLA 34/1004, 34/1079, 37/4524, 43/5244, 498–1/2533. 54 Vgl. Ehmer, Ritterschaft, 174. 55 Vgl. Andermann, Beobachtungen, 98.

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Die Akzeptanz, ja sogar Unterstützung der Ortsherren war im Kraichgau durch die Niederadeligen gegeben. Hinzu kam die Haltung des Pfälzer Kurfürsten Ludwig, der zwar offiziell altgläubig geblieben war, sich insgesamt aber eher unentschlossen verhielt und beiden Seiten eine gewisse Akzeptanz entgegenbrachte.56 Dies hatte zur Folge, dass er im Unterschied zu den Habsburgern die lutherischen Prediger nicht aus seinem Territorium vertrieb und diesen somit eine Möglichkeit gab, das eigene Wirken zur Entfaltung kommen zu lassen. Darüber hinaus gab er durch sein abwartendes Verhalten keine Orientierung und somit keine Beschränkung für die eigene Klientel, zu denen auch die Adelsfamilien des Kraichgaus zählten. Diese blieben folglich recht frei in ihren Entscheidungen und die Tatsache, dass die Pfalzgrafen nach der Niederlage im Erbfolgekrieg nicht mehr den starken Zugriff des 15. Jahrhunderts auf die Ritterschaft besaßen, förderte diese Haltung zusätzlich.57 Die Kriterien Ehmers müssen allerdings noch um weitere Punkte ergänzt werden, die zugleich als ein Ergebnis der Entwicklungen der Kraichgauer Niederadelsfamilien im Spätmittelalter gesehen werden können. Zunächst drängt sich die Frage nach finanziellen Spielräumen und Abhängigkeiten in den Vordergrund, da mit der Hinwendung zur neuen Lehre oftmals ein Austritt aus den Hochstiften und damit der Verlust der lukrativen Pfründe verbunden waren.58 Zwar musste dies noch nicht zwangsläufig in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Fall gewesen sein, doch spätestens nach dem Augsburger Religionsfrieden und dem darauf folgenden offiziellen Übertritt zur neuen Lehre gingen diese Einnahmen verloren. Der Kraichgauer Niederadel zählte jedoch vielfach zu den besser gestellten Familien dieses Standes. Die finanzielle Situation vieler Familien kann als gesichert und wohlhabend bezeichnet werden, da sie sich vor der Reformation über eine lange Zeit die Pfründe in den unter pfälzischem Einfluss stehenden Hochstiften sichern konnten und darüber hinaus durch zahlreiche besoldete Ämter und Dienste am Hof der Pfalzgrafen begünstigt waren. Dies führte dazu, dass die möglichen wirtschaftlichen Folgen durch die Einführung der neuen Lehre für die Kraichgauer Niederadeligen nicht im Vordergrund standen, zumal sie durch die unentschlossene Haltung der Pfalzgrafen keinen Verlust der Ämter und Dienste zu befürchten hatten. Eine weitere Ergänzung stellt die Frage nach den Patronaten dar, da der eigentliche und in gewissem Sinne einfachste und effektivste Weg die neue Lehre zu verbreiten das Einsetzen eines lutherischen Predigers in die Pfarrstellen war. Hier ergab sich im Kraichgau eine überaus günstige Situation. Die Niederadeligen besaßen für den überwiegenden Teil der Kirchen das Patronatsrecht und konnten somit Prediger 56 Vgl. Wolgast, Bewegung, 27. 57 Vgl. Ehmer, Ritterschaft, 175. 58 Vgl. Andermann, Beobachtungen, 100.

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ihrer Wahl präsentieren. Dies können zahlreiche, insbesondere von Klaus Gaßner angeführte Beispiele belegen: Alleine Götz von Berlichingen besaß durch die Herrschaft Hornberg das Patronat für mindestens sieben Pfarreien.59 Somit hatten die Adelsfamilien des Kraichgaus vielfach eine unmittelbare Möglichkeit, ihren religiösen Interessen in den eigenen Herrschaften Ausdruck zu verleihen. Als letzter begünstigender Faktor sollten zudem Einzelschicksale der Ritter und Edelknechte nicht unerwähnt bleiben. So war beispielsweise Hans Landschad von Steinach an schwerer Gicht erkrankt, die ihm Bewegung und Mobilität erschwerte oder gar verhinderte. Durch diese Erkrankung hatte er die Zeit und die Gelegenheit, sich mit theologischen Fragen auseinanderzusetzen.60 Desgleichen erkrankte Dietrich von Gemmingen schwer und erlitt möglicherweise auch deshalb einen recht frühen Tod.61 Klaus Gaßner vermutet, dass diese Krankheit zugleich der Auslöser war, sich intensiver mit den Fragen des Glaubens zu beschäftigen und die Abwendung von allzu irdischen Problemen brachte Dietrich letztlich sogar die Bewunderung von Johannes Brenz ein.62 Somit wird ersichtlich, dass persönliche Schicksale ein individuelles Interesse an der Auseinandersetzung mit der Religion bzw. den Übertritt zur neuen Lehre fördern konnten, wenngleich dies hier sicherlich nicht als ausschließliche Besonderheit des Kraichgaus gelten sollte. Diese Vorbedingungen, Voraussetzungen und Entwicklungen ergeben in der Summe eine überzeugende Erklärung dafür, dass die Ritterschaft im Kraichgau zunächst empfänglich für die neue Lehre war und aus dieser Begeisterung heraus zugleich die Möglichkeiten hatte, die Veränderungen in den eigenen Herrschaften durchzusetzen und für eine längere Zeit zu etablieren. Die Vielzahl der begünstigenden Faktoren legt jedoch nahe, dass es sich bei den Vorgängen im Kraichgau um einen Sonderfall handelte. In den anderen Regionen des Südwestens verhinderte das Fehlen einzelner oder mehrerer dieser Elemente eine ähnliche Entwicklung. Die Frage nach den Auswirkungen des Verhaltens in der Zeit der frühen Reformation für die Gruppe der Niederadeligen lässt sich im Falle des Kraichgaus recht einfach beantworten. Durch den nahezu geschlossenen Übergang zur neuen Lehre hatte sich in dieser Region eine Konstellation des Miteinanders von konfessionell gegenüberliegenden Vertretern nicht ergeben. Erst im 17. Jahrhundert kehrten wieder vermehrt Angehörige des Kraichgauer Niederadels zur alten Konfession zurück.63 In der Gründungsphase der freien Reichsritterschaft

59 60 61 62 63

Vgl. Gaßner, Reformation, 64. Vgl. ebd., 59–61. Vgl. ebd., 47f. Vgl. ebd., 47f. Vgl. Andermann, Reichsritterkanton, 318–320.

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in den 1540er Jahren stellte die Religionsfrage somit keinen Hinderungsgrund dar.

4.

Die frühe Reformation im Ortenauer Niederadel

In der Ortenau waren die Reaktionen der Niederadeligen deutlich zurückhaltender; es gibt nur sehr wenige Hinweise und Belege für eine Begeisterung oder gar einen Übertritt der Ritter und Edelknechte zur neuen Lehre. Der prominenteste Vertreter der evangelischen Bewegung innerhalb der Adelsfamilien war Egenolf Röder von Diersburg, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einige Male das Amt des Stettmeisters der Stadt Straßburg innehatte und zudem etliche Jahre den verschiedenen Straßburger Räten angehörte.64 Auch 1523 war er Stettmeister und bekam während dieser Zeit vom Rat den Auftrag, dafür Sorge zu tragen, dass die neue Lehre in den Kirchen der Stadt verkündet werde.65 Unter dem Eindruck der evangelischen Bewegung in Straßburg ordnete Egenolf in der Ortenau als Senior seines Geschlechtes die Verkündigung der neuen Lehre in der Patronatskirche Diersburg an. Allerdings galt dies wohl nicht für alle Röderschen Patronate, denn in Hofweier wurde erst 1535 ein evangelischer Pfarrer eingesetzt und in Schutterwald und Oberweier wurde dieser Schritt gar nicht vollzogen.66 Die Entscheidung des Egenolf war aber nicht von langer Dauer, schon seine Söhne Franz und Claus kehrten in den 1570er Jahren zur alten Religion zurück.67 Jedoch gab es bei den Röder von Diersburg zumindest noch weitere bemerkenswerte Ereignisse im Zusammenhang mit der frühen Reformation. Egenolfs Schwestern, die überwiegend in Klöster oder Stiften untergekommen waren, kamen in den 1520er und 1530er Jahren nachweisbar in Berührung mit der neuen Lehre. Dabei verhielt sich die Familie jedoch nicht einheitlich, sondern nur von Anna Röder von Diersburg ist überliefert, dass sie sich der neuen Lehre zuwandte. 1526 trat sie aus dem Straßburger Kloster St. Marx aus, in dem sie zuvor sogar als Pröpstin agiert hatte, und heiratete bald darauf Hans von Botzheim.68 Magdalena Röder von Diersburg, eine weitere Schwester von Egenolf war Äbtissin des Klosters St. Stephan in Straßburg. Dieses verblieb unter ihrer Leitung bei der alten Religion und ließ sich selbst durch den Druck des Straßburger Rates und die Einführung der evangelischen Messe in der Kirche St. Stephan nicht zum Übertritt bzw. der Auflösung des Konvents bewegen.69 64 65 66 67 68 69

Vgl. Hatt, Strasbourg, 523, 607, 644. Vgl. Röder von Diersburg, Mittheilungen, 227f. Vgl. ebd., 232–234. Vgl. Kindler von Knobloch, Geschlechterbuch, 573. Vgl. ebd., 572. Vgl. Klapp, Äbtissinnenamt, 317–331.

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Diese Beispiele aus der Familie Röder von Diersburg belegen die im Ortenauer Niederadel weit verbreitete unentschiedene Haltung, die sich dadurch auszeichnet, dass in vielen Fällen ein Eintreten für eine bestimmte Konfession nicht nachgewiesen, sondern lediglich vermutet werden kann. Neben der Familie Röder stellt jedoch Georg von Bach diesbezüglich eine Ausnahme dar. Die von Bach hatten sehr enge Verbindungen mit den Pfalzgrafen und damit auch mit den in dessen Klientel vertretenen Kraichgauer Adelsfamilien. Georg war im Gefolge des Pfalzgrafen auf dem Reichstag zu Worms im Jahr 152170 und saß zusammen mit Wolf von Windeck als Vertreter der Ortenauer Ritterschaft im Ausschuss der bereits erwähnten Landauer Einung unter der Führung des Franz von Sickingen.71 Wenngleich die Landauer Einung nicht als reformatorisches Unternehmen beurteilt werden darf, so agierten Georg von Bach und Wolf von Windeck dort zusammen mit einigen Personen, die sich in der Durchsetzung der neuen Lehre innerhalb des niederen Adels prominent positioniert hatten und deren Taten und Wirken den Ortenauern demnach sicherlich nicht verborgen geblieben war. Darüber hinaus war Georg mit Hartmut von Kronberg verwandt,72 dem schon früh publizistisch tätigen Vorkämpfer der Reformation, der sich ebenfalls an dem Ritterbündnis des Franz von Sickingen beteiligte. Georg von Bach hatte zudem Besitzungen im Kraichgau, genauer in Michelfeld und Eichtersheim, und in diesem Zusammenhang ist eine Förderung der neuen Lehre zu finden. Zunächst hat sich eine Notiz über ein Gespräch zwischen den beiden Ortsherren von Michelfeld und Eichtersheim, dies waren Georg von Bach und Orendel von Gemmingen, mit dem Pfarrer von Michelfeld im Jahr 1518 über die Abhaltung der Messe erhalten, wodurch zwar ein Interesse der Ortsherren an den hiesigen kirchlichen Zuständen vermutet werden kann, eine eindeutige Aussage erlaubt dies jedoch nicht.73 Klaus Gaßner konstatiert folglich, dass sich aus den vorhandenen Quellen nicht erschließen lässt, ob Georg von Bach für die Einsetzung lutherischer Prediger in Eichtersheim verantwortlich war.74 Jedoch gibt es eine äußerst interessante Urkunde des Georg von Bach im Generallandesarchiv in Karlsruhe, die der Einschätzung Gaßners widerspricht. Am 25. Juni 1536 zog Georg von Bach seine vormals in Eichtersheim gestifteten Güter, die für die Unterhaltung eines Kaplans und eines Frühmessers bestimmt waren und zwischenzeitlich wohl größtenteils abhanden gekommen waren, wieder ein und 70 Vgl. Wrede, Deutsche Reichstagsakten, 959. 71 Vgl. Roth von Schreckenstein, Reichsritterschaft, Bd. 2, 239. 72 Hartmut von Kronberg war mit einer Anna von Kronberg verheiratet, die zwar den gleichen Namen getragen hatte, aber einer anderen Linie entstammte. Anna wiederum war aber die Tochter des Philipp von Kronberg und der Katharina von Bach, der Schwester von Georg von Bach, vgl. Ronner, Kronberg, Nr. 800, 2041–2042. 73 Vgl. Schwarz, Michelfeld, 45. 74 Vgl. Gaßner, Reformation, 53f.

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errichtete von den übrig gebliebenen Gütern eine Prädikatur, deren erster Inhaber Hans Wagner sein sollte.75 Die Berufung eines Prädikanten kann in diesem Zusammenhang als reformatorisches Vorgehen gedeutet werden und somit ist Georg von Bach doch als Vertreter der Reformation anzusehen. Bezeichnenderweise veranlasste er dies im Kraichgau und nicht in seiner Heimat der Ortenau, jedoch verfügten die von Bach dort über keine Patronatsrechte und ein direkter Eingriff in die pastorale Versorgung war somit nicht möglich. In der Ortenau befindet sich jedoch noch heute sein Grabmal an der Heilig-Kreuzkirche zu Offenburg. Dieses ist aber im üblichen und für diese Zeit fernab jeglicher Konfession standesgemäßen opulenten Stil mit allen ritterlichen Insignien und Merkmalen ausgestaltet. Verantwortlich dafür waren im Übrigen wohl in den 1550er Jahren die Nichten Georgs und nicht der Ortenauer Ritter selbst. Weniger eindeutig verhielt es sich bei der Familie von Windeck. Diese besaß mit Wolf von Windeck einen Vertreter, der ebenso Verbindungen zum Bündnis des Franz von Sickingen und damit zu Kraichgauer Familien hatte, womit ihm die Agitatoren der reformatorischen Bewegung zumindest bekannt waren. Da Wolf aber nur wenige Jahre später als bischöflich-straßburgischer Vogt in Ortenberg agierte, scheint eine Neigung zur neuen Lehre eher unwahrscheinlich. In der Stadt Bühl, in der die Windecker gemeinsam mit den Markgrafen von Baden das Patronatsrecht besaßen, wurde zwar in den 1520er Jahren ein lutherischer Prediger eingesetzt,76 ob dies allerdings von der Bevölkerung veranlasst wurde und zudem von der unentschlossenen Position der Markgrafen noch begünstigt oder, ob tatsächlich die Familie von Windeck diesen Prediger berufen hatte, kann nicht geklärt werden. Dass die Niederadeligen der Ortenau jedoch wie zahlreiche Standesgenossen in anderen Teilen des Reiches nur recht wenig über die verschiedenen Konfessionen wussten und deren Inhalte im Unterschied zu einigen Kraichgauer Rittern wohl nicht wirklich erfasst hatten, zeigt eine Episode aus dem Jahr 1584: Markgraf Philipp von Baden forderte Georg von Windeck auf, im Kondominat Bühl die Reformation einzuführen.77 Georg antwortete, dass ihm die katholische Religion zwar in vielen Dingen nicht ungelegen sei, er aber trotzdem die Kommunion im lutherischen Sinne geändert habe. Des Weiteren habe er den neuen Kalender eingeführt und verwahre sich zudem von jeglicher Beeinflussung seines Bühler Patronatspfarrers durch den Markgrafen.78 Kurt Andermann deutete diese Vermischung der Konfessionen zurecht hinsichtlich zweier verschiedener Aspekte: Zum einen als den Versuch, die niederadelige Macht und Eigenständigkeit im engeren lokalen Raum zu demonstrieren79 und 75 76 77 78 79

Generallandesarchiv Karlsruhe (weiter GLA), 69-v. Venningen 189. Vgl. Cramer, Pfarrerbuch, 18. Vgl. Andermann, Beobachtungen, 98. Ebd. Vgl. Andermann, Markgrafen, 108f.

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zum anderen mit einem möglichen Desinteresse des niederen Adels an religiösen Kontroversen und Feinheiten. Stattdessen habe Georg größere Bestrebungen gezeigt, seinen autonomen Stand zu bewahren.80 Die Argumentation Andermanns sollte jedoch um weitere Aspekte wie die Frage nach der Notwendigkeit einer Konfessionsentscheidung bzw. deren Stellenwert im niederadeligen Lebenskosmos erweitert werden. Die Familie von Schauenburg stellt zu den Röder von Diersburg und denen von Bach jedoch ein Gegenbeispiel dar. Grundsätzlich scheint es, dass sie der alten katholischen Konfession treu blieb. Die Schauenburger besaßen mit Bietigheim und Zimmern zwei Patronate in der damaligen Ortenau, von beiden sind aber keine lutherischen Prediger überliefert. Neben den Patronaten gibt es weitere eindeutige Anzeichen, allen voran die Nähe der Familie zum Kaiserhaus. In den 1540er Jahren standen mit Maximilian, Christof und Bernhard von Schauenburg gleich drei Familienmitglieder in hohen kaiserlichen Diensten und dies konnte einem niederadeligen Geschlecht wohl am ehesten dann gelingen, wenn es sich nicht in religiöser Opposition zu den Habsburgern befand.81 Obschon diese drei der von der Ortenau etwas entfernten Luxemburger Linie entstammten, so hatten sie doch weiterhin Besitz an der Schauenburg und damit verbundene Rechte in der Region. Gerade Bernhard war in vorderster Linie anzutreffen und kämpfte an der Seite des Kaisers im Schmalkaldischen Krieg.82 In der näheren Umgebung der Schauenburg gab es zudem weitere Begebenheiten, die ein Verbleiben der Familie beim alten Glauben nahelegen. Im elsässischen Stift Andlau wurde 1536 die aus der Höfinger Linie stammende Veronika von Schauenburg als Anwärterin auf eine Pfründe angenommen.83 Zwei Jahre später war Veronika inzwischen aufgenommen worden und weilte zusammen mit den Schwestern Agnes und Margaretha Wurmser von Vendenheim, die über ihre Mutter Barbara von Schauenburg mit Veronika verwandt waren, in Andlau.84 Neben diesen drei Kanonissen war nur noch die Äbtissin Cordula von Krotzingen im Stift anwesend und sie erlebte wohl eine überaus schlechte Zeit innerhalb der Gemeinschaft. Die Kanonissen pflegten einen weltlichen Lebensstil und waren beispielsweise nicht bereit, auf ihre angestammte, vornehme Kleidung zu verzichten. Mit den Angehörigen der Kanonissen, also auch den Schauenburgern, wurde zwar versucht, eine Einigung zu erzielen, aber zumeist folgten diese den Ladungen nicht. Dass die Ablehnung einer religiösen und dem Stift angemessenen Lebensweise mit reformatorischem Gedankengut im Zusammenhang 80 Vgl. Andermann, Beobachtungen, 98. 81 Bernhard von Schauenburg war Oberst, Max ein Hauptmann und Christof kaiserlicher Kommisar, vgl. Urkunden und Akten der Stadt Strassburg, Bd. 4/2, 1451. 82 Vgl. Schauenburg, Familiengeschichte, 220f. 83 Vgl. Klapp, Äbtissinnenamt, 205, Anm. 427. 84 Vgl. auch im Folgenden ebd., 291–305.

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stand, scheint jedoch nicht der Fall gewesen zu sein, vielmehr waren die niederadeligen Kanonissen auf die Zurschaustellung ihres adeligen Ranges und Lebensstils bedacht. Eine Unterstützung der neuen Lehre hätte sicherlich zur Folge gehabt, dass die drei Frauen aus dem Stift ausgetreten wären, wenngleich die Wirren der Reformation und die Aus- und Übertrittswellen in den Klöstern des Südwestens einer Duldung dieses unangemessenen Verhaltens gewiss förderlich waren. Insgesamt belegt die Angelegenheit aber, dass die Schauenburger überwiegend katholisch blieben, lediglich der ebenfalls der Höfinger Linie entstammende Batt von Schauenburg stand 1536 im Dienste eines Anhängers der neuen Lehre. Er war unter dem bekennend protestantischen Ortenauer Landvogt Graf Wilhelm von Fürstenberg Hauptmann in Frankreich.85 Allerdings muss dieser eindeutig im Zusammenhang mit dem kurzzeitigen militärischen Engagement stehenden Verbindung nicht zwangsläufig ein religiöses Bekenntnis vorausgegangen sein. Somit ist in der Frühphase der Reformation lediglich von den Röder von Diersburg sowie von Georg von Bach ein Übertritt zur neuen Lehre bekannt, die Schauenburger hingegen verblieben offenkundig bei der alten Religion. Die weiteren Familien der Ortenau positionierten sich jedoch nicht eindeutig bzw. erlauben die Quellen hierzu keine Einschätzung. Damit reihten sich die Ortenauer insgesamt in die unentschlossene oder auch häufig wechselnde Haltung der umliegenden Fürstenhöfe ein. Weder die Markgrafen von Baden noch die Kurfürsten von der Pfalz oder auch die Grafen von Württemberg gaben eine verlässliche Orientierung für ihren Adel. Das Verhalten der Ritter und Edelknechte der Ortenau stellt jedoch keine Besonderheit dar, in vielen Regionen gerade des Südwestens hielt sich der Niederadel eher im Hintergrund des reformatorischen Geschehens.86 Vergleicht man die Vorbedingungen und Voraussetzungen des niederen Adels im Kraichgau nun mit denen des Ortenauer Adels, so werden einige Unterschiede ersichtlich. Diese beginnen mit den auslösenden Momenten und Ereignissen, an denen die Ritter des Kraichgaus schon rein geographisch deutlich näher beteiligt waren. So ist beispielsweise nicht zu vermuten, dass bei der Heidelberger Disputation von 1518 Adelige aus der Ortenau anwesend waren. Die Heidelberger Universität stellte für diese Region nicht den ersten Bezugspunkt dar; diese Rolle fiel den Universitäten in Freiburg und Basel zu. Ebenso waren beim Wormser Reichstag von 1521 sicherlich nicht viele Vertreter der Ortenauer Adelsfamilien zugegen, die Kraichgauer Ritter erschienen jedoch zahlreich auf diesem wichtigen Ereignis in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Somit erlebten die Ortenauer zwei wichtige und beeindruckende Auftritte Martin Luthers gar nicht oder nur in 85 Vgl. Urkunden und Akten der Stadt Straßburg, Bd. 2, 337–339. 86 Vgl. Press, Adel, 341f.

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geringer Zahl, eine daraus resultierende Begeisterung war daher eher unwahrscheinlich. Luthers Schrift an den Adel lasen vermutlich auch die Familien der Ortenau oder brachten zumindest etwas darüber in Erfahrung; schließlich war gerade Straßburg ein wichtiger Ort für die Drucke und deren Verbreitung. Jedoch gibt es aus der Ortenau keine überlieferte Reaktion auf dieses Werk Luthers, im Unterschied beispielsweise zu den Äußerungen Hans Landschad von Steinachs. Des Weiteren sind für die Ortenau leider keine adeligen Bibliotheken bzw. deren Bestandslisten überliefert, eine Verbreitung der reformatorischen Publizistik in der Region lässt sich somit nicht beurteilen. Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen steht zudem die städtische Situation der Ortenau. Die eher kleineren Reichsstädte Gengenbach, Offenburg und Zell am Harmersbach erlangten für den niederen Adel keine allzu große Bedeutung. Weder boten sie lukrative Ämter noch waren deren Bürger interessante Heiratspartner. Somit konnte der auf der anderen Seite des Rheins liegenden Metropole Straßburg diese Rolle zufallen. Insbesondere zum Ende des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhundert hatten sich die Beziehungen zwischen Straßburg und dem Ortenauer Niederadel deutlich intensiviert.87 Die übergeordnete Bedeutung dieser Metropole in der Reformation wirkte somit sicherlich auch auf die Ortenauer Familien, wie es das Beispiel von Egenolf Röder von Diersburg zeigt. Jedoch hatte Straßburg im Gegensatz zu Heidelberg keine Universität, diese bildete sich in ihren Grundzügen erst mit dem durch Jakob und Johannes Sturm 1538 gegründeten Gymnasium aus. Das Fehlen einer Universität konnte allerdings zur Folge haben, dass es in der Ortenau sowohl an Predigern für die eigenen Kirchen als auch an überzeugten Studenten innerhalb des niederen Adels fehlte, der seine Söhne eben bevorzugt nach Freiburg oder Basel schickte.88 Für die Ortenau kann der Einfluss Straßburgs dennoch nicht hoch genug bewertet werden, jedoch scheint die Ausstrahlung speziell auf den niederen Adel im Vergleich zu den Gegebenheiten in Heidelberg geringer gewesen zu sein. Insgesamt können eventuelle Auslöser für den Ortenauer Niederadel nicht so eindeutig erkannt werden wie im Kraichgau. Des Weiteren hatten die Adelsfamilien der Ortenau unterschiedliche Vorbedingungen. Hier muss zunächst die durch zwei grundlegende Nachteile gegenüber den Kraichgauern gekennzeichnete finanzielle Situation der Geschlechter angeführt werden. Einerseits war das 87 Vgl. Bühler, Bedeutung, passim. 88 Press, Adel, 377, proklamiert indirekt durch das Fehlen einer Universität sogar eine „intellektuelle Isolierung dieser ländlichen Herren“ und führt diese in der Folge als einen möglichen Grund für das fehlende reformatorische Engagement des niederen Adels an. So weit kann man nicht gehen, wenngleich das Fehlen einer Universität in den umliegenden Städten, die damit verbundenen Bildungsmöglichkeiten, aber auch das dadurch entstandene Reservoir an geeigneten Studenten und Absolventen nicht zu gering geschätzt werden darf.

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Hochstift Straßburg für den niederen Adel nicht zugänglich, da es wie das Kölner Domkapitel nur eine rein hochadelige Herkunft akzeptierte. Die Versuche der Ortenauer, die eigenen Söhne in anderen Hochstiften unterzubringen, waren aufgrund fehlender Verbindungen wenig erfolgreich.89 Andererseits waren die Ortenauer Familien an verschiedene Fürstenhöfe gebunden und leisteten dort ihre Dienste oder Ämter. Jedoch waren die Dienstherren häufig die Markgrafen von Baden oder der Straßburger Bischof und diese Herren konnten weder mit dem Glanz noch der Entlohnung eines Pfalzgrafen aufwarten, an dessen Hof zwar einige Ortenauer zu finden waren, allerdings nur selten in wichtigen Ämtern oder Diensten. Insgesamt war die finanzielle Situation der Ortenauer Adeligen demnach schlechter als die der Kraichgauer. Die Einführung der neuen Lehre und ein dadurch möglicherweise entstehender finanzieller Nachteil stellte für die Ortenauer Niederadeligen eindeutig ein größeres Risiko dar. Auf der anderen Seite offenbart die Frage nach dem direkten persönlichen Einfluss deutliche Unterschiede zum Kraichgau. Die niederadeligen Geschlechter in der Ortenau besaßen nur relativ wenige Patronate, lediglich etwas mehr als zehn von insgesamt über 100 Kirchen der Region kannten ein Präsentationsrecht des Niederadels. Dadurch war aber genau jener Bereich limitiert, in dem die Adeligen des Kraichgaus entscheidende Impulse setzten. Die Patronatskirchen waren, wie bereits beschrieben, ein ausschlaggebender Faktor für die Durchsetzung der neuen Lehre, unabhängig von einer zwar verpflichtenden, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gleichwohl sehr häufig nicht beachteten bischöflichen Bestätigung der Geistlichen. Ob für Ortenauer Adelige ebenfalls Einzelschicksale als Auslöser in Frage kamen, lässt sich nur bedingt analysieren; einerseits wegen der ohnehin überschaubaren Zahl an Übertritten, andererseits aufgrund der gerade für diese Phase sehr schlechten Quellenlage. Im Falle von Egenolf Röder von Diersburg sah ein Nachfahre des 19. Jahrhunderts jedoch durchaus einen Anlass in der persönlichen Biographie. Der Vater Egenolfs, Hans Röder von Diersburg, war gegen Ende des 15. Jahrhunderts in einen ausufernden Streit mit einem lokalen Priester geraten, der letztlich mit einem großen Kirchenbann für Hans und dessen Bruder Ludwig gipfelte.90 Ob Egenolf aber nun tatsächlich unter dem Eindruck dieses bei ihm wohl immer noch heftigen Groll hervorrufenden Vorfalls den Übertritt zur neuen Lehre vollzog,91 kann nicht geklärt werden. Allerdings erscheint es plausibler, dass der Einfluss Straßburgs, seinem Wohn- und Dienstort, hier stärker zum Tragen kam.

89 Vgl. das Beispiel von Ludwig Bock von Staufenberg bei Fouquet, Domkapitel, 346. 90 Vgl. Schreiber, Geschichte, 264–288. 91 Vgl. Röder von Diersburg, Mittheilungen, 227.

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Hinsichtlich der Auswirkungen einer individuellen Konfessionsentscheidung auf die Gruppe des Niederadels gilt es zunächst anzumerken, dass auch die Ortenauer in den 1540er Jahren den Beitritt zur Reichsritterschaft vollzogen.92 Am 7. Juli 1542 kamen 19 Ortenauer Ritter und Edelknechte in Straßburg zusammen und vereinbarten den Anschluss der eigenen Versammlung an die Ritterschaft im Viertel am Neckar und im Schwarzwald.93 Mit diesem Vertrag wurde das erste Mal nach 1508 wieder eine Gruppe des Ortenauer Niederadels schriftlich erfasst. Dass die Ritterschaft während der Zeit des Bauernkrieges fortbestanden hatte, belegen der Renchener Vertrag und der Oberkircher Vertrag aus dem Oktober 1525, die von Vertretern der Ortenauer Ritterschaft mitunterzeichnet wurden.94 Mit dem Reichserbküchenmeister Albrecht von Seldeneck sowie Eberhard Röder von Rodeck, dem bischöflich-straßburgischen Amtmann zu Oberkirch, waren zwei wichtige Vertreter der Ritterschaft an den Verträgen des Bauernkrieges und dem Straßburger Vertrag beteiligt. Die weiteren Teilnehmer der Straßburger Versammlung kamen aus verschiedenen Ortenauer Familien, mit Gebhard von Neuenstein, Eberhard Röder von Rodeck, Jakob von Schauenburg, Wolf und Kaspar Stoll von Staufenberg sowie Gervasius Wiedergrün von Staufenberg waren aber immerhin noch Vertreter aus fünf Familien beteiligt, die schon der Ortenauer Einung von 1474 angehört hatten.95 Andere Geschlechter waren teilweise zum Ende des 15. oder im beginnenden 16. Jahrhundert in die Ortenau gekommen. So beispielsweise die aus der Straßburger Familie Rebstock stammenden Brüder Gabriel und Johann Diebold oder die aus dem nördlichen Breisgau kommenden, mittlerweile aber überwiegend in Straßburg beheimateten von Endingen. Der Vertrag von 1542 ist zudem mit zahlreichen Amtsbezeichnungen versehen: Genannt werden beispielsweise der Reichserbküchenmeister Albrecht von Seldeneck, der württembergischer Obervogt im Schwarzwald Jost Münch von Rosenberg,96 der bischöflich-straßburgische Amtmann zu Ettenheim Hans Rudolph von Endingen, der straßburgische Amtmann zu Fürsteneck Gabriel Rebstock, der badisch-nassauische Amtmann zu Lahr Matthias Haller von Hallerstein, der badische Amtmann zu Baden Kaspar Stoll von Staufenberg und der 92 Vgl. hierzu Andermann, Reichsritterschaft in der Ortenau. 93 GLA 31/4; vgl. hierzu auch Hillenbrand, Ritterschaft, 256f. 94 Im Renchener Vertrag waren dies Wolf von Windeck und Wilhelm Hummel von Staufenberg, vgl. Hanß, Geschichte, Bd. 2, 61. Beim Abschluss des Oberkircher Vertrag waren Hans von Neuenstein, Albrecht von Seldeneck, Wilhelm Hummel von Staufenberg, Eberhard Röder von Rodeck und Hans Friedrich Wiedergrün von Staufenberg zugegen, vgl. Urkunden und Akten der Stadt Straßburg, Bd. 1, 236f. 95 Siehe oben Anm. 27. 96 Dieser war zugleich auch in Diensten des Grafen von Fürstenberg und war in dessen Auftrag Oberamtmann des Kinzigtals in den Jahren 1528–1551 und von 1520–ca. 1536 auch Amtmann in der Landvogtei zu Ortenberg, vgl. Asch, Verwaltung, 260.

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bischöflich-straßburgische Amtmann zu Oberkirch Eberhard Röder von Rodeck. Hinzu kamen Lehensmänner der Grafen von Fürstenberg, wie beispielsweise Jakob Münch von Rosenberg oder Wolf Stoll von Staufenberg.97 Für die Frage nach der Auswirkung der Reformation auf die Zusammensetzung und Funktion dieser niederadeligen Gruppe sind die Amtsbezeichnungen aber noch von weitaus größerer Bedeutung, da sie zeigen, dass sich hier Dienst- und Lehensmannen von Herren mit teils unterschiedlicher konfessioneller Ausrichtung vereinten. Einerseits von unentschlossenen Herrschaften wie Baden, andererseits von eindeutig protestantischen wie der Stadt Straßburg und den Grafen von Württemberg bzw. Fürstenberg, denen der Straßburger Bischof als konfessioneller Widerpart gegenübergestellt werden kann. Zwar brachte eine Diensttätigkeit nicht zwangsläufig die gleiche religiöse Orientierung mit sich, jedoch ist eine ähnliche Gesinnung zumindest anzunehmen. Darüber hinaus vereinten sich in der Straßburger Versammlung Geschlechter die zumindest im Falle der Schauenburger eher altgläubig geblieben waren oder aber wie die Münch von Rosenberg zu den Anhängern der neuen Lehre zählten. Somit scheint offensichtlich, dass für die Gründung der Gruppe und deren weiterer Existenz einer unterschiedlichen konfessionellen Ausrichtung keine übermäßige Bedeutung zukam. Auch in den folgenden Versammlungen in Straßburg, die in den Jahren 154398 und 154599 sogar unter dem Vorsitz des bekennend protestantischen Landvogts der Ortenau Graf Wilhelm von Fürstenberg stattfanden, waren wiederum Anhänger beider Religionen vereint. In der Reichsritterschaft, die bekanntlich aufgrund von Steuerforderungen des Reiches ihren Anfang gefunden hatte, standen andere Interessen der Ritter und Edelknechte im Vordergrund. Hier ging es nicht um die Bündelung der Kräfte in der weiterhin schwelenden Frage der Religion und Konfession, vielmehr waren es existentielle Probleme, die einen Zusammenschluss der Ritterschaft erfordert hatten.100 Dass die konfessionelle Ausrichtung der Mitglieder in dieser Phase aber keine allzu große Rolle spielte, belegt die dringlicheren Interessen und Schwierigkeiten des niederen Adels. Somit muss die Tatsache, dass für die Ortenauer Adelsfamilien nur sehr wenige Einzelentscheidungen oder sonstige Annäherungen an die neue Lehre bekannt sind in einem anderen Licht betrachtet werden. Das Verhalten der Niederadeligen muss als eindeutige Konsequenz aus den fortwährenden Problematiken des Spätmittelalters gesehen werden. Die Frage nach einem Konfessionswechsel stand nicht im Vordergrund, sondern weiterhin die 97 98 99 100

Vgl. Ebenda, 363f. GLA 31/7. GLA 31/1. Nach wie vor maßgebend für die Erforschung der Anfänge der Freien Reichsritterschaft ist Press, Entstehung der Reichsritterschaft.

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Suche nach Möglichkeiten der Bewahrung von Existenz, Freiheit und Rang. Es bestand keine dringliche Notwendigkeit, sich einer frühen Konfessionsentscheidung zu unterwerfen und damit ungeahnte Veränderungen oder Konsequenzen zu riskieren, die die unmittelbaren Aufgaben des alltäglichen Überlebens zusätzlich erschwert hätten. Darüber hinaus stützte die Unentschlossenheit der Territorialherren die Zurückhaltung der Niederadeligen, da es einerseits nicht erforderlich war, dem eigenen Dienst- oder Lehensherren in seiner nicht erkennbaren Haltung zu folgen, andererseits war es nicht möglich, eine bewusste Gegenposition einzunehmen, um sich von den Fürsten abzugrenzen, wie es in anderen Regionen des Reiches bekanntlich zu beobachten war.101

5.

Ergebnisse und Thesen

Die frühe Reformation in den Gebieten der reichsfreien Ritterschaften des Südwestens hatte trotz oftmals ähnlicher Voraussetzungen durchaus unterschiedliche Verläufe und Ausprägungen. Der Kraichgau mit seiner durchweg evangelisch gewordenen Ritterschaft stellt zwar eine Ausnahme dar, fungiert zugleich aber als Paradebeispiel für die bislang eher unbeachteten Möglichkeiten der Ritterschaft. Gerade im Bereich der eigenen, oftmals kleinen Herrschaften hatten die Adelsfamilien ihren Einfluss und über das vielerorts in ihren Händen liegende Patronatsrecht zugleich den Zugang für die Einführung und Durchsetzung der neuen Lehre. Insbesondere auf diese Weise wurden durch die Entscheidungen der Ritterschaft viele heute regional noch geltende konfessionelle Zustände geschaffen. In weiten Teilen der späteren Reichsritterschaft waren zwar Sympathien für die neue Lehre vorhanden – dies zeigt sich anhand der großen Zahl an ritterlichen Anhängern nach dem Augsburger Religionsfrieden – dennoch blieb es in der Frühphase größtenteils bei Sympathien und einer gewissen Offenheit gegenüber den aufkommenden Strömungen; bekennende Übertritte stellten eher die Ausnahme dar.102 Jedoch kann dieses auch in der Ortenau zu 101 Dieses Argument für eine frühe Entscheidung für oder auch gegen die Reformation führt auch Schiersner, Spielräume, 100f, an. In diesem Zusammenhang nennt er einige weitere Faktoren, die eine frühe Entscheidung hervorrufen konnten. Dazu gehörten u. a. Klientelbildungen, Möglichkeiten der Ämter- und Dienstbesetzung, attraktive Konnubien und Allianzen. Jedoch lassen sich diese für den Kraichgau äußerst selten und auch für die Ortenau nur in Einzelfällen beobachten. Lediglich der letzte Punkt Schiersners, theologische Einflüsse oder Erweckungserlebnisse können auf den Kraichgau bezogen werden. Insgesamt scheint diese Argumentation Schiersners aber auf den niederen Adel nur bedingt anwendbar. 102 Zu diesem Ergebnis kommt auch Stefan Birkle, der dem Verfasser freundlicherweise Erkenntnisse seiner Dissertation übermittelt hat, in welcher er das Verhalten des Oberschwäbischen Adels im 16. Jahrhundert analysiert hat. In Oberschwaben hatte es demnach

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beobachtende Verhalten der Niederadeligen unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten und Entwicklungen erklärt werden: Zunächst hatte es eines Auslösers bedurft, der Interesse oder bestenfalls Begeisterung für die neue Lehre entfachte, und schon in diesem Bereich gab es Unterschiede. Einerseits durch Ereignisse in der unmittelbaren regionalen Nähe, andererseits durch die verschiedenen, zumeist aus den Städten austretenden Informations- und Diskussionsflüsse. Im Falle eines Interesses an der neuen Lehre stellte die spezifische Situation einer Adelsfamilie einen wichtigen Indikator für deren Umsetzung dar. Es bestanden nicht nur individuelle Abhängigkeits- und Dienstverhältnisse, die eine Ausrichtung beeinflussen konnten, auch die finanzielle Situation und der Besitz von Patronatsrechten waren wichtige Einflussgrößen. Die Verfügbarkeit von lutherischen Predigern war ein weiteres Kriterium, das auf die Gesamtsituation wirken konnte. Im Kraichgau vereinten sich mehrere begünstigende Faktoren, sodass nahezu der komplette niedere Adel von der neuen Lehre erfasst wurde. In der Ortenau hingegen riefen diverse, oftmals nur einzelne Familien betreffende Umstände ein zurückhaltendes Verhalten hervor. Daher erscheint m. E. die Situation der Ortenauer Familien für die übrigen Regionen des Südwestens eher repräsentativ als das Agieren der Kraichgauer Niederadeligen. Die Ritter und Edelknechte im südwestdeutschen machtpolitischen Flickenteppich hatten in einem extrem schwierigen und von vielerlei Einflüssen bestimmten Umfeld ihr eigenes Überleben zu sichern. Der Erhalt von Existenz, Freiheit und Rang war ihr vorrangiges Interesse, eine für die Zeit vor 1555 zumeist unklar bleibende konfessionelle Orientierung stellte eine zusätzliche Unsicherheit dar. Es bestand folglich angesichts der dringlicheren Probleme des alltäglichen Überlebens keine zwingende Notwendigkeit, sich in der Religionsfrage eindeutig zu positionieren. Dies bedingte ein scheinbar passives Verhalten, das jedoch zumeist auch die umliegenden Fürsten gezeigt hatten, durch deren Unentschlossenheit dem niederen Adel darüber hinaus weder eine Orientierung noch eine Gegenposition ermöglicht wurde. Dass die existentiellen Nöte und Bedenken für den niederen Adel im Vordergrund standen, belegt letztlich auch die Gründung der Reichsritterschaft. Nicht nur in der Ortenau vereinten sich hierbei Angehörige der verschiedenen Konfessionen in einer Organisation, deren Intention die gemeinsame Vertretung und dadurch Stärkung der eigenen Position in der Frage der Reichssteuern war. Eine weitere Aussage lässt sich aber nach der Darstellung der Entwicklungen im Kraichgau und in der Ortenau noch formulieren. Für die Ritterschaft dieser Regionen waren die Vorgänge und Ausstrahlungen der Städte sicherlich bein der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nur zwei Übertritte zur neuen Lehre gegeben, weitere kamen erst nach dem Augsburger Religionsfrieden hinzu, vgl. Birkle, Reichsritterschaft.

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deutender, als der Einfluss der oftmals unentschlossenen Fürsten, denen es im Südwesten zudem nicht gelungen war, den niederen Adel landsässig zu machen und so stärkeren Zugriff zu erhalten. Diese Ergebnisse belegen jedoch, dass die bisherige Forschung und hier vor allem Volker Press einer Neubewertung bedarf. Zunächst muss die bislang unterschätzte Tragweite der lokalen ritterlichen Entscheidungen in die Ergebnisse der Forschung integriert werden. Wenngleich die Ritter und Edelknechte mit ihren Entschlüssen keinen solch großen Wirkungskreis wie Fürsten oder Städte erreichten, so waren die individuellen konfessionellen Bekenntnisse dennoch wirksam für die eigenen Untertanen. Darüber hinaus stellte die vielerorts vermeintliche Zurückhaltung des Niederadels kein elementar unterschiedliches Verhalten zu den Fürsten dar, die selbst in vielen Fällen keine eindeutigen Entscheidungen trafen. Des Weiteren müssen die Begrifflichkeiten Press‘ modifiziert werden. Wie bereits erwähnt, bezeichnete er die frühen Hinwendungen zur Reformation als spontane Einzelaktionen und das Verhalten des Niederadels insgesamt als abwartend und zögerlich.103 Jedoch darf das Agieren der Ritter und Edelknechte nicht als abwartend gewertet werden, stattdessen geriet die Konfessionsfrage durch eine fehlende Notwendigkeit bzw. die insgesamt in vielen anderen Bereichen herausfordernde allgemeine Situation des niederen Adels in den Hintergrund. Die politischen Verhältnisse im Südwesten erlaubten, ja erforderten von den Niederadeligen eine Position zwischen den fürstlichen Höfen.104 Zu diesen gesellten sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts die Städte, die für die Ritter vielfältige Optionen bieten konnten. All dies ließ die Frage der Religion noch einmal zurücktreten, das eigene Überleben, der Erhalt von Freiheit und Rang, waren drängendere Sorgen. Zwar wurde zuweilen versucht, mit Hilfe der Forderungen Luthers und der neuen Lehre die eigene Position gegenüber den Fürsten zu stärken, aber allzu häufig stießen die Niederadeligen hier als Mindermächtige an ihre Grenzen. Somit sollten für das Verhalten des niederen Adels in der Phase der frühen Reformation eindringlich die Entwicklungen des Spätmittelalters beachtet werden: Gerade im 15. Jahrhundert veränderte sich die Situation der Adelsfamilien bereits auf teils dramatische Art und Weise, sodass das Aufkommen des reformatorischen Gedankenguts und die Entwicklungen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts für den überwiegenden Teil des niederen Adels eine weitere Unsicherheit darstellten.

103 Vgl. Press, Adel, 341f. 104 Vgl. Krimm, Baden, 62–65, der aus der Situation der Familien die Begrifflichkeit eines interterritorialen Adels schuf, sowie Krieg, Markgrafen, 84, der diesen Begriff weiterführte und die Ritter und Edelknechte als interdynastischen Adel bezeichnete.

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Martin Sladeczek

Zwischen Widerstand und Trägerschaft Der niedere Adel Thüringens als Akteur der frühen Reformationszeit

Die reformatorische Entwicklung in Mitteldeutschland war im Jahr 1523 soweit fortgeschritten, die neue Lehre hatte so viele Menschen erreicht, dass die Lage auch politisch nicht mehr ignoriert werden konnte. Allenthalben, in Stadt und Land, wurden Zinsen verweigert, Predigten unter freiem Himmel abgehalten, Stiftungen abgebrochen und Spenden nicht gezahlt.1 Parallel wuchs die Angst vor Aufruhr. In diese Zeit fällt im ernestinischen Kurfürstentum der Altenburger Landtag, auf dem hauptsächlich Steuerfragen besprochen werden sollten. Doch durch die äußeren Ereignisse beeinflusst trugen die Geistlichen Beschwerden vor.2 Sie wünschten eine stärkere Unterstützung durch die Amtleute in der Frage der ausstehenden Zinsen, was vom Kurfürsten mit dem Hinweis abgetan wurde, dass es keine Not gäbe, dies auf dem Landtag vorzutragen. Weiterhin wünschten sie eine Bekämpfung der aufrührerischen Prediger, die die Geistlichkeit verspotteten. Die Antwort des Kurfürsten fiel auch hier nicht zufriedenstellend aus. Zwar würden aufrührerische Prediger verfolgt; etliche allerdings, die die neue Lehre verteidigten, täten dies aus „gedrengknus des göttlichen Worts“.3 Wahrscheinlich im Anschluss daran trugen die Vertreter der Ritterschaft ihre Beschwerden vor.4 In großen Teilen kann es als evangelisches Bekenntnis gelesen werden. „Nachdem icze das heyl unser seligkeyt das gotlich wort bey uns gnediglichen erscheint“, forderten sie, Verfolgungen gegen christliche Prediger zu verhindern, da der „glawbe ein frey ding ist, daczu niemandt durch gewalt geczwungen soll werden“.5 Allerdings sollten Prediger, die den gemeinen Mann in Aufruhr versetzten, ermahnt und gegebenenfalls bestraft werden. Darüber sollte in den Ämtern durch die Amtleute und den Adel gewacht werden. Weiterhin 1 Zusammenfassend zu Indizien über die Ausbreitung der Reformation in der breiten Bevölkerung: Schirmer, Ausbreitung der Reformation. 2 Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten, Nr. 283. 3 Ebd., Nr. 284. 4 Ebd., Nr. 292. 5 Ebd., Nr. 292.

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sollte das Volk mit christlichen Predigern versehen werden, wo diese bisher fehlten. Geistliche Lehen sollten, wenn kein Pfarrer Anspruch auf sie habe, in den Ämtern gemeldet und in den Kreisen verwaltet werden, bis ein Konzil hoffentlich verfüge, dass Bedürftige davon versorgt würden. Die abschließende Forderung lautete, das Auslaufen der Mönche und Nonnen aus den Klöstern einzudämmen, um Ärgernis zu verhindern. Diese letzte Forderung und der Wunsch, aufrührerische Prediger zu bestrafen, zeigen das Streben des Adels, geordnete Verhältnisse im Land zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Besonders die Forderungen nach einer Kirchenzucht auf der Ebene der Ämter und die Umnutzung der Stiftungsgüter wirken allerdings wie ein Vorgriff auf die folgende Entwicklung. Nach dieser Quelle könnte man die Ritterschaft als Vordenker des evangelischen Bekenntnisses und des weiteren Verlaufs, etwa in Form der Visitationen, sehen. Der Adel also als wichtige Stütze des neuen Glaubens gegen Prälaten und altgläubige Herren? Betrachtet man die Landtagsakten weiter, stößt man allerdings auf ein offenes Anschreiben Kurfürst Johanns aus dem September 1528, in dem die Generalvisitation angekündigt wird: Er weist darauf hin, dass trotz der Ausbreitung des Evangeliums, gerade „in den dem Adel zuständigen Orten noch Mangel und Unrichtigkeit empfunden werden“.6 Der Kurfürst hebt an dieser prominenten, öffentlichen Stelle die Adelsdörfer als Hort der reformatorischen Rückständigkeit hervor. Das Bild des geschlossen reformatorisch-gesinnten Niederadels relativiert sich. Wie lassen sich diese scheinbar widersprüchlichen Nachweise in einem Abstand von fünf Jahren vereinen? Anhand einiger konkreter Beispiele soll gezeigt werden, wie sich Niederadlige in der frühen Reformation zu selbiger stellten und in welchem Rahmen sich ihre Möglichkeiten bewegten. Die ausgewählten Beispiele stammen aus den thüringischen und osterländischen Gebietsteilen der ernestinischen Kurfürsten und der albertinischen Herzöge. Gerade in diesem Vergleich liegt ein besonderer Reiz des Untersuchungsgebiets. Im ernestinischen Kurfürstentum konnte sich die Reformation bereits vor der Mitte der 1520er Jahre auch unter herrschaftlichem Schutz ausbreiten,7 während die Kirchenpolitik des albertinischen Herzogs Georg von einer strikten Ablehnung der reformatorischen Ideen gekennzeichnet war.8 Erst nach seinem Tod 1539 fanden die ersten Visitationen statt.9 Bis dahin wurden Sympathisanten Luthers mit aller Härte verfolgt.

6 Ebd., Nr. 355. 7 Nach wie vor grundlegend: Burkhardt, Kirchen- und Schulvisitationen; Herrmann, Kirchenvisitationen. 8 Volkmar, Kirchenpolitik. 9 Burkhardt, Kirchen- und Schulvisitationen, 225–296.

Zwischen Widerstand und Trägerschaft

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Die Stellung des thüringischen Niederadels in der frühen Reformation ist bisher nicht erforscht. Lediglich in einigen reformationshistorischen Werken finden sich wenige, knappe Einzelbeispiele. Dabei lädt gerade die frühe Ausbreitung und Durchführung der Reformation in Thüringen zu dieser Betrachtung ein. Welche Rolle spielte der Adel in diesen Prozessen? Dass der Adel lehensrechtlich von der Kirchenpolitik des jeweiligen Fürsten abhängig war, ist selbstverständlich. Zwar gab es Familien, die sowohl ernestinische als auch albertinische Lehen besaßen, alle mussten eine Entscheidung für oder wider die neue Lehre aber mit Bedacht wählen.10 Dieser Sachverhalt lässt besonders die Möglichkeiten des Widerstandes gegen die Einflussnahme der jeweiligen Kirchenpolitik des Fürsten auf die Verhältnisse vor Ort interessant erscheinen. In einem ersten Schritt wird dieser Widerstand dargestellt. In welcher Form lässt sich diese Frage der Mentalität in den Quellen feststellen? Der Problematik der Adligen, die den Landesherren nicht in ihren religionspolitischen Entscheidungen folgten, schenkte die Forschung ebenfalls keine Aufmerksamkeit.11 In einem zweiten Schritt soll anhand des Umgangs mit dem Stiftungsgut die Stellung der Adligen zu den Visitationen als wichtigstem Element der Ausweitung der landesherrlichen Kirche gezeigt werden, da diese an vielen Stellen adlige Interessen berührten. Welchen Einfluss hatten die Adligen auf die Entscheidungen der Visitationskommissionen und konnten sie ihre Stiftungen vor deren Zugriff bewahren? Andere Konfliktpunkte, etwa die Änderung der Pfarrlandkarte, die mitunter auch die Abwertung adliger Pfarreien zu Filialen zur Folge hatte, werden an dieser Stelle nicht thematisiert. Abschließend sollen die Beispiele mit den pathetischen Forderungen der Ritterschaft auf dem Altenburger Landtag verglichen werden.

1.

Der thüringische Niederadel am Vorabend der Reformation

Einige Vorbemerkungen: Im thüringischen Altsiedelland hatte der niedere Adel im späten Mittelalter einen geringeren Stellenwert, als in den wettinischen Territorien Meißens und des Vogtlandes, also vor allem des heutigen Bundeslandes Sachsen.12 Dennoch formten sich einige starke Familien heraus, die schriftsässige 10 Göse, Führungsgruppen, 178. 11 Eine Ausnahme für den albertinischen Teil des Untersuchungsgebiets bildet Winter, Adel. 12 Quirin, Landesherrschaft und Adel, 81f sowie 101f. Zur Entstehung des niederen Adels weiterhin Helbig, Ständestaat, 350–355. Die umfassende Habilitation Joachim Schneiders behandelt leider beinahe nur die meißnischen Gebietsteile der Wettiner; Schneider, Niederadel. Zu den Adligen in der lokalen Verwaltung der Region: Hesse, Amtsträger. Grundlegend für den thüringischen Niederadel die verschiedenen Arbeiten Wieland Helds, besonders die im Literaturverzeichnis genannten. Die einzelnen Familien sind völlig unzureichend er-

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Güter besaßen, zu denen meist auch mehrere Dörfer gehörten.13 Neben ihren Besitztümern erreichten diese Dynastien oft einen starken Einfluss in der landesherrlichen Verwaltung, etwa die Familien von Witzleben, von Wangenheim oder von Hopfgarten.14 Sie stellten Amtmänner und Räte bei den Wettinern, aber auch bei den Grafen von Schwarzburg und den reußischen Herren. Jedoch ist auch in den Gebieten der Grafen und Herren ein starker Bezug des niederen Adels auf die Wettiner und ihren Hof festzustellen. Die Personen in Verwaltungsämtern sollen an dieser Stelle nur knapp betrachtet werden. Im großen Landgebiet der Stadt Erfurt spielte der Adel fast keine Rolle, da der Rat es im Laufe des Spätmittelalters verstand, diesen konkurrierenden Machtfaktor auszuschließen und die Bildung starker Güter zu verhindern. Im Gegenteil, errangen doch einige große Ratsfamilien reiche Güter in den umliegenden wettinischen Gebieten.15 Viele Niederadlige besaßen in ihren Dörfern einen hohen Einfluss auf die Gemeinde und ihre Kirche. Idealtypisch waren sie in Besitz des Patronatsrechtes und hatten sich vor allem die Kontrolle über die Kirchenfabrik und ihre Rechnungen gesichert. Auch die Heimbürgen eines Dorfes mussten oft den Gutsherren Rechnung legen und sich Geschäfte bestätigen lassen. Viele Gutsherren nutzten dieses System aus, etwa indem sie die Kirche und die Gemeinde als Kreditkassen nutzten. Daneben unterhielten viele von ihnen Vikarien und kleinere Stiftungen in den Dorfkirchen. Auch eine Schule, eine Bruderschaft, ein Hospital oder eine Spende konnten zu diesem kirchlichen System gehören.16 Neben dem Interesse an einem funktionierenden kirchlichen System vor Ort und dem eigenen Seelenheil sprach noch ein weiterer Grund für die Stiftung von Benefizien: die Schaffung von Stellen für Familienmitglieder. So war eine Vikarie der von Wangenheim in Wangenheim mit einem Sohn der Familie besetzt.17 Für die Versorgung Familienangehöriger hatten außerdem Klöster und Stifte eine entscheidende Bedeutung.18

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forscht. Es existieren lediglich zwei kleinere, neuere Untersuchungen zu einzelnen Geschlechtern: Held, Brandenstein; Molzahn, Wangenheim. Die Brandenstein verfügten über 460 Bauern in 24 Dörfern, die von Wangenheim über 800 Bauern in 18 Dörfern; Held, Brandenstein, 179; Molzahn, Wangenheim, 139. Zu wichtigen Geschlechtern existieren mitunter ältere Familienchroniken: Wangenheim, Wangenheim; Witzleben/Witzleben, Witzleben. Aber auch diese fehlen für viele bedeutende Familien, etwa die Goldacker, die Seebach oder die Schenken von Tautenburg. Beispielhaft seien genannt die Ziegler in Stedten (Stadtarchiv Erfurt, 1–0, A VIII-3a, f. 106v). – Rommel, Verhältnisse, 170. Eine umfangreiche Thematisierung dieser Fragen erfolgt im Rahmen der Dissertation des Autors zu „Vorreformation und Reformation auf dem Land in Thüringen“. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv (ThHStAW, EGA), Reg. Ii 4, Bd. I, f. 318r. Press, Adel, 335–338. Weiterhin unterhielten einige Familien in Kloster- oder Stadtkirchen Erbbegräbnisse und waren Teil der dortigen Memoria.

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Dieses gesamte System wurde durch die einsetzende Reformation und v. a. die Visitationen zweifach gefährdet. Zum ersten drohte die sich ausweitende landesherrliche Kirche, den Adligen Befugnisse abzunehmen. Zum zweiten wurde oftmals über Vermögenswerte der vorreformatorischen Kirche frei entschieden, etwa wenn die Ausstattung einer Stiftung einem anderen Zweck zugeführt wurde. Dennoch kann man pauschal Herrmanns Urteil in seiner Thüringischen Kirchengeschichte zustimmen, dass der Großteil der Niederadligen sich der Reformation und ihrer Entwicklung unter landesherrlicher Führung anschloss.19 Worin bestand dafür die Motivation? Natürlich war die Entscheidung für oder wider die Reformation durch die Abhängigkeit vom Landesherrn beeinflusst, weshalb eine abwartende Haltung folgerichtig erscheint.20 Wie sah aber gleichzeitig der Widerstand in den Adelsdörfern aus, den Kurfürst Johann 1528 feststellte?

2.

Widerstand in den Adelsdörfern

Es existieren kaum Selbstzeugnisse oder andere Quellen, die einen direkten Einblick in die Gedankenwelt eines Adligen in der frühen Reformationszeit gestatten würden. Jedoch kann aus den Handlungen vor Ort in vielen Fällen auf die Stellung zur lutherischen Lehre geschlossen werden. Einige Ritter nutzen das Patronatsrecht, um evangelische Predigten zu verhindern. So etwa Bernhard von Creutzen, der 1525 den lutherischen Pfarrer von Reichstädt bei Altenburg absetzte, worüber sich die Dorfbevölkerung beschwerte.21 Auch ein nochmaliges Bitten der Bauern, „umb gots willen unsern selen heyll“,22 den Pfarrer eines Nachbardorfes predigen zu lassen, lehnte er ab. Der ebenfalls im Altenburger Land ansässige Götz von Ende wies vor dem Bauernkrieg die Forderung der Bauern nach einem evangelischen Prediger zurück.23 Er schlug verschiedene „from redlich“ Männer vor, die die Bauern jedoch 19 Herrmann, Kirchengeschichte, 79. Diese Hinwendung soll an dieser Stelle nicht tiefer behandelt werden. Es sei etwa auf Adlige an der Universität Wittenberg (z. B. Friedrich von Wangenheim; Molzahn, Wangenheim, 128f.) oder adlige Zinsverweigerungen gegen Klöster in den frühen 1520er Jahren verwiesen. Auch die Einschätzung von Volker Press, dass sich der kursächsische Adel rasch der Reformation anschloss, aber nie im Vordergrund der Entwicklung stand ist prinzipiell richtig; Press, Adel, 345. 20 Ebd., 340. 21 ThHStAW, EGA, Reg. Ii 145, f. 2r–3r. 22 Ebd., f. 2v. Allerdings konnte Bernhard von Creutzen das Drängen der Bevölkerung nach der lutherischen Lehre nicht mehr lang unterdrücken, in der ersten Visitation des Amtes Altenburg 1528 wurde der von ihm belehnte Pfarrer als ziemlich befunden; ebd., Reg. Ii 1, f. 14r. Vgl. etwa die Verwendung der Patronatsrechte und der Schulen durch den böhmischen Adel, um die Untertanen zu beeinflussen; Hrdlicˇka, Rolle, 89f. 23 ThHStAW, EGA, Reg. Ll 378; AGBM II Nr. 1146, 60–62 sowie Nr. 1148.

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nicht dulden wollten. Ein neuer Pfarrer sollte nach ihnen seine Köchin heiraten, deutsch taufen und das Sakrament unter beiderlei Gestalt reichen. Dies stieß bei Götz von Ende auf wenig Verständnis. Dem Kurfürsten schrieb er, dass dies „doch weyß her alleß wyder die ordenung der heylgen krystlichen Kyrchen“ sei.24 Diesen Versuchen setzten im ernestinischen Gebiet meist die Visitationen ein Ende. Bei der ersten Visitation des Amtes Tenneberg bei Gotha 1526 wurden zwei Adlige festgestellt, Kunz von Lissa zu Boilstädt und Andreas von Teutleben zu Laucha, die ihre Pfarrer zum alten Ritus zwangen und sich in der Visitation der Reformation widersetzten.25 In beiden Fällen bestanden die Einwohner des Ortes auf einen lutherischen Prediger, vor allem die Lauchaer beschwerten sich aber aus Furcht vor ihrem Junker nicht offen.26 Ein Zustand, der wohl in vielen Adelsdörfern anzutreffen gewesen sein wird. Von den Visitatoren wurden diese Adligen nun angehalten, die Unterdrückung der neuen Lehre zu unterlassen. Bereits an dieser Stelle, in der ersten Visitation auf thüringischem Gebiet, wird deutlich, dass das Patronatsrecht nicht mehr den Wert hatte, wie noch einige Jahre zuvor.27 Allerdings fügten sich keineswegs alle Adligen sofort in die stärker werdende Macht der Visitationen. Götz von Ende zu Lohma wollte nach Beharrung der Visitatoren zwar dulden, dass seine Leute Predigt und Sakrament nehmen, wie es ihnen gefällt, erklärte den Visitatoren allerdings, dass „sein gewissen, het Im mein gnedigster Herr, oder niemanndts zu regirnn“.28 Er könne von der Messe nicht lassen. Ihm wurde erstaunlicherweise zugestanden, dass er und seine Frau die Messe bei geschlossener Türe empfangen dürften. Ähnlich erklärte Götz von Wolfersdorf zu Endschütz bei Gera den Visitatoren 1529, dass er von der lateinischen Messe nicht ablassen könne. Jedoch blieb ihm keine Wahl. Er verkaufte sein Gut und ließ sich im noch katholischen Gera nieder, das er bei der Einführung der Reformation dort 1533 wieder verließ.29 24 ThHStAW, EGA, Reg. Ll 378, f. 3r. Der gesamte Prozess kam durch eine bäuerliche Supplik in Gange, nach der sich der Adlige rechtfertigte. Von Kurfürst Friedrich erging die Weisung, dass er sie dermaßen mit einem Prediger versehen solle, dass sie keinen Grund zum Klagen hätten (ebd., f. 5r). Ein unmissverständlicher Hinweis auf den religionspolitischen Kurs bereits vor dem Tod Kurfürst Friedrichs. 25 Thüringisches Staatsarchiv Gotha (ThStAG), Oberkonsistorium, Loc 19, Nr. 1, f. 3r/3v. 26 Ebd., f. 3r. 27 An den späteren Visitationen erkennt man, dass einige Adlige im Laufe des 16. Jahrhunderts Patronatsrechte komplett an den Landesherrn einbüßten; vgl. Heerdegen, Kirchenvisitation, 82 sowie 107f. 28 ThHStAW, EGA, Reg. Ii 1, f. 54r. Selbiger Götz von Ende zu Lohma fiel bereits kurz vor der Visitation negativ auf, als sich der Pfarrer der Kleinstadt Schmölln beim Kurfürsten beschwerte, dass der Adlige ein Filial der Schmöllner Pfarrei abgezogen hätte, damit seine Untertanen aus dem Dorf Selka gezwungen wären, die „papistische Art“ der Messe in Lohma zu besuchen; ThHStAW, EGA, Reg. Ii 248. 29 ThHStAW, EGA, Reg. Ii 418. Bei der Visitation 1529 betonte Götz von Wolfersdorf, dass sein

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Der landesherrlichen Macht in Form der Visitationen hatten die Adligen meist wenig entgegenzusetzen. Einige Güter blieben aber altgläubige Zufluchtsorte, so beherbergte Albrecht von Meusebach zu Schwerstedt einige aus Weimar vertriebene Franziskaner.30 In den Visitationen wurden diese altgläubig bleibenden Adligen weiter argwöhnisch beobachtet. Georg Metsch zu Schönfeld bei Greiz wurde 1534 als „der verdamlichen papistrey anhengig“ bezeichnet.31 Jedoch ist kein Fall bekannt, in dem ein Gutsherr im ernestinischen Kurfürstentum dauerhaft einen altgläubigen Pfarrer hätte behaupten können. Der eigene Glaube eines Adligen stand so wahrscheinlich oftmals den Kirchenverhältnissen vor Ort entgegen. Nur wenige erhoben aber offen ihre Stimme. Hans Puster zu Großbockedra weigerte sich in der ernestinischen Visitation 1533 beharrlich, dem Pfarrer des Ortes zu zinsen, da dieser ihm nicht diene.32 Nach Aussage der Visitatoren ging er auch nicht in die Kirche, „und lest im fremde papistische pfaffenn mit teuffen unnd anderm dienen“.33 Einige solcher Fälle erscheinen in den Visitationsprotokollen ungelöst. In vielen Fällen geschahen die Hinwendung zum neuen Glauben und die Unterstützung der Visitationen analog zum Hochadel mit einem Generationswechsel.34 Im albertinischen Gebiet lassen sich vice versa die entsprechenden Beispiele finden. Hier wurde die Reformation erst 1539 durch Herzog Heinrich eingeführt. Die vorherige Kirchenpolitik Herzog Georgs war durch eine strenge Verteidigung des alten Glaubens gekennzeichnet. Lutherische Ketzer wurden in der Regel mit Landesverweis bestraft. Die Umsetzung dieser Glaubenskontrolle unterlag entweder den Gerichtsherren eines Ortes oder den Amtmännern. So wurde der komplette Stadtrat der Stadt Kölleda mit Stadtschreiber und Schulmeister 1523 von Herzog Georg ihrem Gerichtsherren Hans von Werthern zur Bestrafung überstellt, weil diese eine evangelische Predigt in der Stadt nicht verhindert hatten.35 Trotz der rigiden Religionspolitik ihres Landesherrn vertrieben die von

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alter Kaplan niemanden zum Sakrament unter einerlei Gestalt gezwungen habe, sondern dies nur auf Verlangen gereicht habe; ThHStAW, EGA, Reg. Ii 3, f. 54v–55r; Herrmann, Kirchengeschichte, 79. Auch die anderen Familienmitglieder scheinen der Reformation nicht aufgeschlossener gegenüber gestanden zu haben. 1529 wurde festgestellt, dass auch Heinrich und Jörg von Wolfersdorf zu Endschütz der Aufforderung zu einem evangelischen Prediger noch nicht nachgekommen seien; ThHStAW, EGA, Reg. Ii 265. Herrmann, Kirchengeschichte, S. 74. Jauernig, Reformation, 321. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 4, Bd. II, f. 292r. Ebd. Heinrich von Wolfersdorf zu Endschütz (vgl. oben) stiftete 1543 eine lutherische Pfarrei, ein Stipendium und eine Spende in Endschütz, nachdem er sich noch knapp vorher katholische Messen von einem Priester aus Weida hatte lesen lassen; Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (weiter HStA DD), Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10508/8; Wiessner, Bistum Naumburg, 311. ABKG I, Nr. 505, 502; vgl. weiterhin ebd., Nr. 516, 660. Dass sich Herzog Georg bei der Abwehr

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Hopfgarten, die umfangreiche albertinische Lehen um Langensalza innehatten, 1534 Mönche aus dem Kloster Mülverstedt und brachen Stiftungsmessen ab.36 Der Amtmann zu Langensalza, Friedrich von Witzleben, schlug Herzog Georg vor, dass die Familie wegen des Ungehorsams ihre Güter verkaufen und das Land verlassen müsste. Die Hopfgarten verteidigten sich damit, dass sie den römischen Brauch nicht halten könnten, und baten den Herzog, es zu überdenken. Vom Herzog wurde es aber als klarer Verstoß gegen die Lehenspflicht gewertet, und die Dörfer wurden angewiesen, den Hopfgarten keinen Gehorsam zu leisten; die Messen wurden wieder eingesetzt. Man sieht an diesem Beispiel das direkte Gegenüber von widerstrebenden Junkern und willfährigen Amtleuten. Ganz ähnlich wurde der Amtmann zu Dornburg an der Saale angewiesen, die Güter des Volrad von Watzdorf einzuziehen, da dieser sich der Reformation geöffnet hatte.37 Die Argumente der Hopfgarten, das Sakrament unter beiderlei Gestalt nur auf den kursächsischen Lehen zu halten und den Untertanen in den Dörfern die neue Lehre nicht vorzuschreiben, wurden nicht anerkannt. Allerdings gibt es keinen Nachweis, dass tatsächlich Adlige zum Verkauf ihrer Güter gezwungen wurden.38 Im albertinischen Gebiet folgten aber die meisten Ritter der reformatorischen Entwicklung ihres Landesherrn. Hans Schenk von Tautenburg etwa entließ 1536 noch den Pfarrer von Niedertrebra, weil dieser das Sakrament unter beiderlei Gestalt gereicht hatte und gelehrt hatte, dass die deutsche Taufe löblich sei.39 1539, im Jahr der Einführung der Reformation im albertinischen Gebiet, bat er um einen evangelischen Prediger.40 Für den evangelischen Adel im albertinischen Gebiet bedeutete die Einführung der Reformation eine Erlösung. Die eben erwähnten von Hopfgarten hatten schon vor der ersten Visitation einen evangelischen Prediger aus dem Kurfürstentum in eines ihrer Dörfer berufen.41 Im Dezember 1538 wurden Gerüchte an den albertinischen Hof getragen, wonach

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der reformatorischen Entwicklung entscheidend auf die Ritterschaft stützte, zeigt sich v. a. an einem Brief an etliche Ritter aus dem Januar 1525, worin er zu einem organisierten Widerstand gegen die lutherischen Prediger aufruft; ABKG II, 13, Anm. 2. ABKG III , Nr. 2554; vgl. weiterhin Nr. 2597, 2627, 2629, 2632 sowie ABKG IV, Nr. 2640, 2645, 2652, 2654, 2660, 2665, 2669, 2675, 2680, 2682, 2797, 2811f, 2819f, 2829, 2834, 2859, 2897f, 2901, 2930, 2945. Die Akte unter HStA DD, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10300/6. Vgl. zusammenfassend Winter, Adel, 259f. ABKG IV, Nr. 2778; vgl. weiterhin ABKG III, Nr. 2313. Vgl. Winter, Adel, 260. Ebd., 262. Die Beispiele zeigen, dass die Einschätzung Göses, dass allenfalls Bemühungen der adligen Ständevertreter erkennbar waren, der restriktiven Religionspolitik Georgs etwas die Schärfe zu nehmen, die Zustände nicht ausreichend charakterisiert; Göse, Führungsgruppen, 181. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 1010, f. 1r; vgl. ABKG IV, Nr. 2922. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 1218. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg (weiter LHASA, MD), A 29a, II, Nr. 1b, f. 144v.

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ein Herr Goldacker das Sakrament unter beiderlei Gestalt empfangen hatte.42 Scheinbar kam durch den nahenden Tod Herzog Georgs kein solch umfangreiches Verfahren wie gegen die von Hopfgarten vier Jahre zuvor zustande. Es wäre aber ein grundlegendes Missverständnis, die ersten Visitationen als jeweiliges Ende jeder katholischen Regung zu sehen. Auch in den Jahrzehnten danach flammte in einigen Gutsdörfern ein altgläubiger Widerstand auf. So zum Beispiel durch die Familie von Seebach in den sogenannten Fahnerdörfern nordwestlich Erfurts. 1543 beschwerte sich der Pfarrer von Großfahner bei Friedrich Myconius über seinen Junker Jost von Seebach.43 Dieser sei, wie die Dorfvorstände, einem Erfurter Papisten verfallen und arbeite gegen das Evangelium. Weiterhin stellt er fest: „also ist auch de volck, wie die Oberkeit ist, die regiret an dem Orte“.44 Myconius berichtet an Kurfürst Johann Friedrich, dass sich Jost von Seebach im Moment beim Bischof von Straßburg aufhalte und den Papisten gar als Verwalter seiner Dörfer eingesetzt habe.45 Der Kurfürst erlässt einen Befehl an den Gutsherren, einen evangelischen Prediger einzusetzen und die Pfarrhäuser herzurichten.46 Eine stumpfe Klinge, da die Klage ja vom evangelischen Pfarrer des Ortes ausging. Die Seebach hinderten ihre Bauern auch, vor den Visitatoren zu erscheinen und verweigerten noch in den dreißiger Jahren Zinse in Dörfer mit einem evangelischen Pfarrer.47 Für das albertinische Gebiet lässt sich ebenfalls feststellen, dass sich viele Familien der Reformation auch nach ihrer obrigkeitlichen Einführung 1539 keineswegs begeistert zuwandten.48 Allerdings ist hierbei ein Unterschied zwischen den Adligen des meißnischen und des thüringischen Besitzteils der Albertiner festzustellen. Während große Teile des schriftsässigen Adels in Meißen ein Element der altgläubigen Opposition bildeten, wünschten Adlige aus einigen thüringischen Ämtern die Einigkeit in Glaubensfragen zwischen dem Kurfürstentum und dem Herzogtum.49 Wahrscheinlich meinte dies eine Hinwendung zu einer Reformation nach ernestinischem Vorbild, was den Einfluss des Kurfürsten und des Adels im Kurfürstentum auf denjenigen des Herzogtums zeigen dürfte.

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ABKG IV, Nr. 3481. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 1682, f. 3r–3v. Ebd., f. 3r. Ebd., f. 4r. Ebd., f. 8v–9v. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 4, Bd. I, f. 348r; ThHStAW, EGA, Reg. Ll 722. Schattkowsky, Schleinitz, 142 mit Erklärungsansätzen und weiterer Literatur. Wartenberg, Landesherrschaft, 100f und Anm. 417.

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3.

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Die Frage des Stiftungsguts

Die Visitationen stellten aus Sicht der Adligen oft einen grundlegenden Eingriff in ihre gewachsenen kirchlichen Rechte vor Ort dar. Neben dem Patronat betraf dies vor allem die vorreformatorischen Stiftungen und deren materielle Ausstattungen. Diese mussten nicht nur gegen den Landesherrn verteidigt werden. 1524 klagte etwa Siegfried von Schönfeld zu Heilingen vor Graf Günther XXXIX. von Schwarzburg, dass seine Gemeinde Kirchengut veräußert und Messen abgebrochen hätte.50 Er bat um Unterstützung gegen diese Eingriffe in seine Rechte. Ein typisches Beispiel dafür, wie Edle in der Frühzeit der Reformation ihre Rechte nicht ohne Hilfe des Landesherrn oder der Grafen behaupten konnten, es sei an die Erstürmung einiger Gutssitze im Bauernkrieg erinnert.51 In der Folgezeit wurde aber der Streit mit dem Landesherrn um die geistlichen Lehen drängender. Bereits in der Visitationsinstruktion von 1527 wurde verfügt, dass besonders auf Adlige und Bürger geachtet werden solle, die geistliche Stiftungen zum eigenen Nutz unterzogen hatten. Den Lehensherren sollte auferlegt werden, dass die Einkommen der Pfarrbesoldung oder christlichen Werken zukommen sollten.52 Auch Adlige, von denen sonst kein antireformatorisches Verhalten bekannt ist, versuchten in der Zeit des Übergangs Stiftungsgut zu retten, hierin ist also nicht per se ein Verhalten gegen das Evangelium zu sehen. Bereits 1524 baten die Gebrüder von Zossen um die Ausstattung einer Vikarie, die ihr Vetter, gewesener Pfarrer der Großpfarrei Neunhofen im Orlagau, in der dortigen Kirche gestiftet hatte.53 Viele Adlige versuchten aber eher stillschweigend Stiftungsgut einzuziehen, teilweise auch solches, das ihnen gar nicht zustand. Sie hofften wohl, dass solche Kleinigkeiten in den großen Umstrukturierungen der kirchlichen Finanzen schlicht untergingen. Drei Beispiele: 1526 beklagte sich die Gemeinde Krölpa bei Saalfeld über Christoph von Brandenstein, den Bruder des kurfürstlichen Rates Ewald von Brandenstein, weil dieser Stiftungsgut der Gemeinde aus einer Fronleichnamsvikarie beanspruchte.54 1533 beklagten sich verschiedene Bauern, dass Rudolf von Bünau zu Tannroda eine Frühmesse und ein weiteres geistliches Lehen in der 50 Fleischer, Leben, 167. Kurz zuvor hatte es auch einen Pfaffensturm in Heilingen gegeben; AGBM II, Nr. 1115. 51 Wahrscheinlich war die Erfahrung des Bauernkriegs auch für viele Niederadlige ein Argument für Zurückhaltung gegenüber der Reformation in den folgenden Jahren; vgl. Bauer, Reichsritterschaft, 197. 52 EKO 1,1, 144. 53 ThHStAW, EGA, Reg. Ll 620. 54 ThHStAW, EGA, Reg. Ii 170. Er beanspruchte die Ausstattung der Vikarie und 240 fl., die sich sein Vater aus der Stiftung geliehen hatte. Weiterhin bestellte er die Messe erneut, „Ane unsern gunst ader vorwilligung, wider e churf g Reformacion“, wie die Bauern feststellten.

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dortigen Kirche unterschlagen hätte.55 1541 wurde Christoph von Seebach zu Kleinfahner eine Strafe über 672 Gulden auferlegt, da er nach dem Bauernkrieg Land der Kirche und einer Bruderschaft verkauft hatte.56 Durch die Visitationen wurden auch viele Fälle offenbar, in denen Adlige Pfarr-, Kirchen- oder Stiftungsgut in den zwanziger Jahren an sich gezogen hatten.57 Von ihnen wurde die Zurückdrängung der kirchlichen Aufsicht im Zuge der frühen Reformation als Chance verstanden, einen finanziellen Vorteil zu erzielen. Die vielen Unterschlagungen aufzuführen, würde an dieser Stelle zu weit führen; ein paradigmatischer Fall geschah 1533 nahe Arnstadt. Dort „habenn Die leuthe, sambt dem pfarrer zum libenstein bericht, das Kuntz von witzleben, der pfar etliche ecker entzog deßgleichen auch dem gotshaus etzliche wachszinße furenthaltenn soll“.58 Wenn Adlige einer Kirche oder einem Geistlichen Zinse vorenthielten, zahlten meist auch ihre Untertanen nicht mehr. So sollte Adam Puster auch seine Leute aus dem Dorf Rabis anhalten, Zinse an die Kirche von Lobeda zu zahlen.59 Viele solcher Fälle wurden keineswegs von den ersten Visitationen geklärt, sondern liefen noch über Jahre und Jahrzehnte, bis sie durch Beschwerden der Pfarrer oder die Verhandlungen im Zuge des Bewidmungswerks offenbar wurden. So beschwerte sich auch der Pfarrer von Keßlar bei Blankenhain 1539 über ausbleibende Zinse von Joachim von der Pforten zu Reinstädt.60 In einigen Fällen protestierten Adlige erst zur Zeit der jeweiligen Visitation, meist direkt durch Suppliken an den Hof. Wahrscheinlich hatten sie diese Gefahr des Entzuges ihrer Rechte schlicht nicht in vollem Umfang geahnt. Allerdings wurde es belohnt, wenn Adlige sich schnell zu einer Übereinkunft mit den Visitatoren durchringen konnten. In der Visitation 1528 setzten die von Witzleben zu Molschleben eine Urkunde über ein Kapellengut auf. Der Großteil wurde zur Pfarrpfründe geschlagen, ihnen blieb allerdings eine Hufe Landes.61 In der Folgezeit, vor allem in der Visitation 1533, wäre das Einkommen wohl vollständig kirchlichen Zwecken zugekommen. Freilich finden sich auch positive Beispiele, bei denen Adlige ganz im Sinne der Visitationskommissionen handelten. 1529 bitten Ewald und Felix von Brandenstein, das Einkommen ihrer Pfarrei Ranis mit erledigten Lehen aufbessern zu dürfen.62 Auch in der Struktur der Visitationen 55 ThHStAW, EGA, Reg. Ii 646. 56 ThStAG, Geheimes Archiv, XXIII, 2c. 57 Dies ist für alle Herrschaften festzustellen. Bei der zweiten albertinischen Visitation 1540 wurde z. B. festgestellt, dass Christian von Bendeleben eine Vikarie unterzogen hatte und sich dazu nicht äußern wollte; LHASA MD, A 29a, II, Nr. 1c, f. 52r. 58 ThHStAW, EGA, Reg. Ii 4, Bd. I, f. 256v. Es handelt sich um Liebenstein an der Gera. 59 ThHStAW, EGA, Reg. Ii 4, Bd. II, f. 144r. 60 ThHStAW, EGA, Reg. Ii 1230. Einige weitere Beispiele bei Bauer, Reformation, 65. 61 Gebhardt, Molschleben, 20. 62 ThHStAW, EGA, Reg. Ii 3, f. 66v. Bei diesen beiden Brandenstein wird die Verbindung zum

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liegt begründet, dass über die positiven Beispiele weniger informiert wird. Wenn Lehen umgewandelt werden, wird nicht betont, ob dies mit Zustimmung der Adligen geschehen sei. Vergleicht man die Vielzahl der vorreformatorischen Stiftungen des Adels in den Dorfkirchen mit der Zahl der Probleme, von denen die Visitationsakten berichten, fällt aber auf, dass keineswegs alle Adligen Stiftungen zu unterschlagen versuchten. In der Mehrzahl der Fälle lief die Umwandlung anscheinend reibungslos, sodass zumindest von einer stillschweigenden Anerkennung des fürstlichen Vorgehens ausgegangen werden kann. Da eine prinzipielle Rückerstattung kirchlichen Gutes ohnehin nicht erfolgte, versuchten viele, ehemaliges Stiftungsgut in Studienstipendien für ihre Familie umzuwandeln. Etwa die Familie Meerrettich, die 1546 ein Vikariegut für 230 Gulden verkaufte und davon eine Studienstiftung für die Söhne der Familie einrichtete.63 Allerdings war auch diese nicht von Dauer. Eigene Initiativen wurden schnell unterbunden; eine Einrichtung von Stipendien war nur mit Absegnung der entstehenden Landeskirche möglich und war meist auf wenige Jahre begrenzt. Hier zeigt sich, dass sich die Adligen des Problems der Versorgung ihrer Kinder immer bewusster wurden. Volrad von Watzdorf hatte inzwischen eine Stelle im ernestinischen Kurfürstentum gefunden, er war Verwalter des säkularisierten Klosterguts Bürgel.64 1540 und 1542 bat er in Schreiben an Kurfürst Johann Friedrich jeweils um Empfehlungsschreiben für Söhne oder Neffen.65 Erschwerend wirkte aus seiner Sicht, dass eine geistliche Laufbahn weniger in Frage kam, obwohl „ich unnd andere unvormogende edelleut vor zeittenn unsern hochsten trost die Kinder hin zu steckenn gehabt“.66 Auch die unversorgten Töchter der Familien stellten zunehmend ein Problem dar. Ab 1544 stellte der Kurfürst 1600 fl. jährlich aus den Klostergütern für deren Versorgung zur Verfügung.67 Weiterhin belasteten die zunehmenden Erbteilungen innerhalb der Geschlechter die Versorgung aller Mitglieder einer Familie, weshalb eine gute Verbindung zum Hof immer wichtiger wurde.68 Vor der Reformation erfüllten diese Versorgungsfunktion neben den Klöstern und Stiften vor allem auch eigene

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Hof in der Frage der Visitationen gut deutlich. Ewald war kurfürstlicher Rat und zeitweise Hauptmann in Weimar, Felix war in den 1530er Jahren Münzaufseher und einer der Sequestratoren; Held, Brandenstein, 194. Das prinzipiell visitationskonforme Verhalten dürfte bei der Erlangung v. a. der Sequestratorenämter wichtig gewesen sein. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 2124. Er gehörte zu den Adligen, die sich unter Herzog Georg wegen ihrer evangelischen Gesinnung verantworten mussten (s. o.). ThHStAW, EGA, Reg. Gg 3533, f. 3r. 1542 betonte er, dass er durch den Tod seines Bruders nun zwölf eigene Kinder (davon neun Söhne) und neun Kinder seines Bruders (davon fünf Söhne) versorgen müsse. Ebd., f. 3r. Held, Landadel, 216. Ebd., 205–207 und 212–214.

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geistliche Lehen, die sehr oft mit Mitgliedern der Familie besetzt wurden. Hier bildete sich nun ein Vakuum. Auch nach den Umwandlungen der ersten Visitationen gab es eine enorme Zahl von Streitigkeiten von Adligen mit den Dorfpfarrern. Meist war die Verweigerung bestimmter Zinse durch den Junker die Ursache. Utz von Ende zu Niederndorf im Holzland verweigerte 1528 dem Pfarrer des benachbarten Kraftsdorf den Zehnt, weil er bestimmte Wochenmessen nicht wie früher halte.69 Seinem Sohn Nickel von Ende wurde noch 1546 selbiges vorgeworfen.70 Gerade in den späten 30er und den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts häufen sich die Fälle der adligen Zinsverweigerungen. Die Pfarrer wandten sich an den kurfürstlichen Hof, der sodann auf die Zahlung der Zinse gemäß der Visitationsordnung drang.71 Ob die Zinsverweigerungen ein eindeutiges Indiz für eine Abneigung gegen die Reformation überhaupt oder die fürstliche Kirchenpolitik im Speziellen sind, ist natürlich nicht in allen Fällen zu sagen.72 In vielen Fällen dürften lokale sowie materielle Interessen oder auch persönliche Antipathien ausschlaggebend gewesen seien. So gab es auch im späteren 16. Jahrhundert viele Streitfälle zwischen einem Junker und einem Pfarrer, die an dieser Stelle nicht behandelt werden können.73 Neben der Sicherung finanzieller Rechte hatten die Niederadligen ein hohes Interesse daran, für gute Zustände in ihren Dörfern zu sorgen. Dazu gehörte vor allem die sichere Versorgung des Pfarrers. Auch die Sicherstellung der Unterhaltung der Kirche und einer Schule gehörten zu diesen Wünschen. Sie deckten sich somit oft mit den Zielen der Visitationen. Insgesamt blieb der Einfluss der Adligen auf die Visitatoren und ihre Entscheidungen vor Ort gering. Allerdings finden sich auch wenige Fälle, in denen eine Familie überhaupt die Zuständigkeit der jeweiligen Visitationskommission in Frage zu stellen oder einzuschränken gedachte. Lediglich die von Wangenheim versuchten über Jahrzehnte, sich Sonderrechte auszubedingen. Bei der Visitation von 1554 versuchten die Wangenheim erneut, eine Einschränkung ihrer kirchlichen Kontrolle vor Ort zu verhindern. Sie betonten, nicht mit dem restlichen Adel auf einer Stufe zu stehen und bestritten, dass der Gothaer Superintendent Rechte an der Bestallung ihrer Pfarrstellen habe. Auch die Verwendung der geistlichen Lehen zu milden Sachen

69 ThHStAW, EGA, Reg. Ll 465. 70 ThHStAW, EGA, Reg, Ii 2031, Nr. 2. 71 So etwa 1540 der Pfarrer von Großkromsdorf, dem Hans von Meusebach zu Schwerstedt einige Zinsen vorenthielt; ThHStAW, EGA, Reg. Ii 1418. 72 Im angeführten Beispiel des Utz von Ende spricht die Formulierung aber für eine altgläubige Gesinnung, da er Wochenmessen wie früher gehalten haben wollte. 73 Vgl. die entstehende Dissertation des Autors zu „Vorreformation und Reformation auf dem Land in Thüringen“

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liege bei ihnen und nicht bei den Visitatoren.74 Allerdings mussten sie sich nach einer nochmaligen Ladung fügen. Der Streit um die Kompetenzen hielt allerdings weiter an. 1559 mussten sie sich erneut rechtfertigen, da sie Pfarreien ohne Ersuchen des Gothaer Superintendenten besetzt hatten. Dabei beriefen sie sich auf die Rechte des Wangenheimer Pfarrers aus den ersten Visitationen, die angeblich auf der Stellung Wangenheims als Erzpriestersitz im Papsttum beruhten.75 Erneut mussten sie aber um Entschuldigung bitten. Selbst diese bedeutende niederadlige Familie konnte bei allen Versuchen keine Sonderrechte über einen längeren Zeitraum behaupten.76 Ihr Vorgehen zeigt aber, dass auch in den thüringischen Gebieten religiöse Fragen als Argumente gegen fürstliche Machtansprüche dienen konnten.

4.

Fazit

Betrachtet man die Anwesenheitsliste des anfänglich angesprochenen Altenburger Landtags von 1523,77 auf dem die Ritterschaft so pathetisch die Freiheit des Glaubens und evangelische Prediger gefordert hatte, fallen einige Bekannte aus den genannten Beispielen auf: Unter den ca. 175 anwesenden Adligen aus allen ernestinischen Landesteilen findet man Bernhard von Creutzen, der zwei Jahre später seinen Pfarrer wegen einer evangelischen Predigt absetzen sollte. Anwesend waren Cunz von Lissa, der 1526 seinen Priester zum alten Ritus zwang, Götz von Wolfersdorf, der sein Gut bei der ersten reußischen Visitation 1533 verkaufte, und Georg Metsch, der 1534 der verdammlichen Papisterei anhängig war; ebenso Götz von Ende zu Lohma, der nicht von der Messe lassen konnte und sein Gewissen nicht vom Landesherrn regieren lassen wollte. Auch die Familie von Meusebach, die 1533 die Weimarer Franziskaner auf ihrem Gut aufnahm, war zugegen. Die Ritterschaft forderte 1523 auch eine Verwendung der geistlichen Lehen für Elende und Bedürftige. Dennoch unterzog der anwesende Christoph von Brandenstein drei Jahre später gemeindliches Stiftungsgut, und der anwesende Christoph von Seebach verkaufte Kirchenbesitz und Land einer Bruderschaft. Auch die Zinsverweigerer Konrad von Witzleben zu Liebenstein, Adam Puster, Utz von Ende und Joachim von der Pforten waren in Altenburg zugegen. Man sieht, dass die Landtagsakten hier eine falsche Spur legen. Die Ritterschaft war selbstverständlich sehr heterogen in der Frage der Reformation. 74 Heerdegen, Kirchenvisitation, 76f. 75 ThHStAW, EGA, Reg. Ii 2745. 76 Unter Herzog Ernst dem Frommen wurde der Familie im 17. Jahrhundert zugestanden, dass der Wangenheimer Pfarrer als Co-Adjutor anwesend sein dürfe; Molzahn, Wangenheim, 130. 77 Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten, Nr. 273.

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Kurfürst Johann traf in seinem Schreiben 1528 den Kern, dass einige Adelsdörfer Zentren des Widerstandes gegen die Reformation waren. Die Mehrheit dieser Beispiele findet sich dabei im Osterland und nicht im thüringischen Kernland. Gleichwohl schloss sich der Großteil des Adels der Reformation an und stützte so das sich weiter ausformende landesherrliche Kirchenregiment.78 Für diese Hinwendung zur Reformation muss man primär religiöse Motive vermuten.79 In Altenburg vertrat die Ritterschaft eine Mehrheitsentscheidung, die wahrscheinlich von einer führenden Gruppe mit großer Nähe zum Hof getragen wurde. Die Meinung der nachweislich anwesenden Altgläubigen fand – zumindest in den Akten des Landtags – keinen Niederschlag. Die Autoren der Beschwerde sind mit großer Sicherheit in der Ritterschaft zu suchen.80 Die Personen, die diese Gruppe bildeten, und ihre Motive, aktiv in den unsicheren reformatorischen Prozess im Kurfürstentum einzugreifen, näher zu benennen, ist Aufgabe der weiteren Forschung. Auch wenn diese Gruppe im vorliegenden Text eingeschränkt werden konnte, stellen die Beschwerdeartikel der Ritterschaft vom Altenburger Landtag doch ein hervorragendes Zeugnis für das aktive Wirken des niederen Adels bereits in den Jahren vor dem Bauernkrieg dar. Gleichzeitig steht der Altenburger Landtag beispielhaft für die Notwendigkeit mikrohistorischer Untersuchungen, will man das Wirken des niederen Adels genauer bezeichnen. Auch aus der großen Mehrheit der reformatorisch Gesinnten stechen einige heraus, die in den Visitationen eigene Interessen verfolgten. Lutherische Gesinnung ist keineswegs mit Unterstützung der fürstlichen Religionspolitik gleichzusetzen. Dass Herzog Georg für den altgläubigen Adel des Kurfürstentums als Schutzherr fungierte, ist gut denkbar. Trotz der vielen Auseinandersetzungen beider wettinischer Linien über Einzelheiten der Kirchengüterfrage lässt es sich an den Quellen aber nicht zeigen. Im Gegenzug trat Kurfürst Johann Friedrich aber nachweislich für die evangelischen Adligen im albertinischen Gebiet ein.81 Jedoch blieben diese Fälle, wie gezeigt, ohnehin Ausnahmen. Der Großteil des Adels schloss sich der Kirchenpolitik des jeweiligen Fürsten an oder nahm sie zumindest hin. Dafür sprach auch das beiderseitige Ansinnen, dem Niedergang des öffentlichen Kirchenwesens und der damit verbundenen sittlichen Verfehlungen entgegenzuwirken, um einen weiteren Aufruhr zu verhindern. 78 Die Betonung des ständischen Einflusses auf die Visitationspolitik Kurfürst Johann Friedrichs bei Westphal, Ausgestaltung, 275–278. 79 Walther, Anpassung, 191. 80 Bereits Kirn, Kirchenpolitik, 157f, stellte fest, dass die These von Kalkoff, Reichstag, 414 nicht zu halten ist, wonach Kurfürst Friedrich die Beschwerdeartikel den Ständen „bestimmt“ hätte. 81 Dies lässt sich bei dem Fall der Hopfgarten zeigen; ABKG III, Nr. 2627 und Nr. 2629; vgl. Winter, Adel, 259. Freilich hatte die wettinische Teilung an vielen Stellen Einfluss auf den Adel vor Ort. Dies zeigte sich besonders im Schmalkaldischen Krieg; vgl. Göse, Führungsgruppen, 181–185.

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Vor allem die vielen Räte, Amtmänner und auch Visitatoren hatten aber entscheidenden Anteil an der flächendeckenden Umsetzung der Reformation.82 Sie folgten ihren Landesherren qua Amt. Viele dürften so ihre Entscheidung für oder gegen die neue Lehre aus Vernunft getroffen haben, um ihre Familie nicht ins politische Abseits zu stellen und Ämter am Hof erhalten zu können. Eine erneute Abkehr vom Evangelium war aus diesen Gründen ohnehin nicht möglich, die Konfession wurde sehr schnell staatstragend.83 Natürlich waren auch die Landesherren auf den Adel angewiesen, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Einerseits war der Adel der wichtigste Kreditgeber beider wettinischer Linien,84 andererseits war der Landesherr bei der Erhebung von Steuern auf die Stände angewiesen. Im Zuge des steigenden Finanzbedarfs in diesen Jahren stützte insbesondere Kurfürst Johann Friedrich seine Finanzpolitik und die Kirchengüterfrage auf eine Zusammenarbeit mit den Ständen.85 An verschiedenen Stellen wurde Rücksicht auf deren Interessen genommen, wie Volker Press anführte, etwa durch die leichte Beteiligung an den Sequestrationen;86 allerdings immer aus einer Position der Stärke. Knappe Zusammenfassung: Der Großteil des niederen Adels wendet sich aus reformatorischer Begeisterung dem neuen Glauben zu, ahnt aber wohl die materiellen Konsequenzen zu dieser Zeit nicht vollständig. Die Ritterschaft gerät dann in die schneller werdende Entwicklung der Visitationen und verliert dadurch bedeutenden Einfluss an den Landesherren und sein Kirchenregiment.87 In der Bearbeitung dieses Themas bleiben viele Fragen offen: Wie wirkte der Adel unterhalb der Ebene der Visitationen auf die kirchlichen Verhältnisse im eigenen Besitz, den Pfarrer und die religiöse Erziehung seiner Untertanen ein? Welche Rolle spielte die Kirche für die herrschaftliche Präsenz und Selbstdarstellung? Welche Strategien gab es bei der Behauptung eigener Rechte? Welche Motive waren bei diesen Fragen leitend? In vielen Fällen wirkt der Adel – verglichen mit der progressiven Landbevölkerung – eher verlangsamend auf die reformatorische Entwicklung vor Ort.

82 Beispielhaft das Wirken der Räte beim Unterricht der Visitatoren; Bauer, Reformation, 67. 83 Gehrt, Konfessionspolitik, passim. Langfristige Versuche des Adels, in den eigenen Herrschaften die konfessionellen Verhältnisse zu bestimmen, sind völlig undenkbar. Vgl. zu dieser Entwicklung in Böhmen Hrdlicˇka, Rolle, 84f. 84 Schirmer, Staatsfinanzen, 241–249, 338–344 sowie 488–495. 85 Ebd., Staatsfinanzen, 396–417, bes. 405–407; Westphal, Ausgestaltung, 269f. 86 Press, Adel, 347; Schirmer, Reformation und Staatsfinanzen, v. a. 184f.; ders., Staatsfinanzen, 405. 87 Volker Press ordnete dies in einen „Territorialisierungsschub“ der Reformation ein; Press, Adel, 357.

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Olga Weckenbrock

Erhalt von Herkommen und Gebrauch Osnabrücker Ritterschaft und die „Fürstenreformation“ des Fürstbischofs Franz von Waldeck

Der Osnabrücker Adelige Caspar von Schele (1525–1578) war als Achtzehnjähriger einer der begeisterten Zeugen, als 1543 in der Stadt Osnabrück auf Geheiß des Fürstbischofs Franz von Waldeck die Reformation eingeführt wurde.1 Nur fünf Jahre später, 1548, musste der Bischof jedoch auf Drängen der Osnabrücker Landstände nach der Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg diesen Vorstoß in seinem Territorium widerrufen.2 Daraufhin verfasste Caspar um 1550, noch zu Lebzeiten des Bischofs, eine Lebensbeschreibung desselben, in der er nach weiteren Erklärungen für das Scheitern des Reformationsversuchs suchte, „der mit Erlaubniß des Bischofs, jedoch gegen den Willen der übrigen Geistlichkeit“ unternommen wurde.3 Caspar hielt darin fest: „Eines wünschte ich wäre damals unterlassen worden, nämlich die Beraubung und Einziehung der städtischen Klöster.“ Der Bischof und die Stadt haben „mit zu viel Freiheit die Hand an die Besitzungen der Mönche“ gelegt und damit die Gegner der Reformation zum Widerstand ermutigt. „Durch diese unüberlegte Handlung“ habe die ganze evangelische Lehre einen üblen Namen [erhalten], und viele Schwache verwarfen […] das Evangelium als ausschweifend und lieblos, vorzüglich unter dem Adel und der Ritterschaft, aus deren Vermögen und Begabungen jene Klöster gestiftet und bereichert worden waren. Dieß war ein großes Hinderniß für das Evangelium, und ist es bei einigen noch jetzt.

Caspars Darlegung der miterlebten Situation bildet einerseits die politische Situation im Hochstift Osnabrück ab, genau genommen die landständischen Verhältnisse nach dem gescheiterten Reformationsversuch. Die Gegnerparteien waren dabei auf der einen Seite die Stiftsstadt Osnabrück und der Fürstbischof Franz von Waldeck, der die Reformation eingeführt und der Stadt die Klöster überlassen hatte, und auf der anderen Seite die adeligen Landstände, das 1 Vgl. zum Ereignis Kaster/Steinwascher (Hg.), Reformation; Stratenwerth, Reformaion; Tauss/ Winzer (Hg.), Miteinander. – Vgl. zur Person Schele, Geschichte; Sperber, Schele. 2 Stratenwerth, Interim, bes. 257f. 3 Dieses und die folgenden Zitate Schele, Waldeck, 99f.

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Domkapitel und die Stiftsritterschaft, die den durchgeführten Reformationsversuch ablehnten.4 Andererseits deutet Caspar an, dass es innerhalb des Stiftsadels und der Stiftsritterschaft durchaus Sympathisanten mit der reformatorischen Lehre gegeben hatte.5 Die Osnabrücker Reformationsforschung folgert Schele und konstatiert, dass die beiden Landstände, das Domkapitel und die Stiftsritterschaft, zum Zeitpunkt der Reformationseinführung gegen die fürstbischöfliche Politik opponierten und bereits wenige Monate nach der Einführung der evangelischen Kirchenordnung beim Papst und Kaiser dagegen protestierten.6 Dass der Fürstbischof den größten Teil des Stiftsadels in seine Entscheidung nicht einbezog und sie vor vollendete Tatsachen stellte, wird in der bisherigen Forschung dagegen kaum als ein Schlüsselfaktor für das Scheitern des Reformationsversuchs gewürdigt. Betont wird in erster Linie, dass es dem Domkapitel (und mitunter auch der Stiftsritterschaft) vorrangig um den Erhalt der eigenen Interessen und der massiv gefährdeten kirchlichen Rechte ging.7 Die Forschung beurteilt zudem das Vorgehen des Adels als Ausdruck seiner altgläubigen Überzeugung und leitet daraus ab, dass der Adel gegen die Reformation war.8 Mit dieser Lesart der Vorgänge nimmt sie sein Agieren als politische Kraft im Fürstbistum kaum in den Blick.9 Diese Bewertung entspricht weitgehend dem Muster der traditionellen Reformationsgeschichte, die ihr Augenmerk in erster Linie auf die Akteure und Gruppen richtet, die sich offen zur lutherischen Lehre bekannten und aktiv an ihrer Ausbreitung beteiligt waren oder dagegen ankämpften. Auf den Adel, nicht nur den Osnabrücker, sondern auch allgemein, wirft diese Perspektive kein schmeichelhaftes Licht. Während der aktive Einsatz der süddeutschen Reichsritter für die Reformationssache und seine Niederwerfung als eine Ausnahme hervorgehoben wird,10 wird dem übrigen niederen, landsässigen Adel im weiteren Verlauf des Reformationsgeschehens eine zögerliche bis ablehnende Haltung bescheinigt; er habe sich erst dann für eine konkrete Partei entschieden, als die machtpolitische Lage geklärt war und der Sieger feststand.11

4 Vgl. Hoffmann, Adel, bes. 137–147; jüngst zum Domkapitel ders., Pragmatismus, bes. 189– 191. 5 Vgl. Flaskamp, Reformation, 69; ders., Zwischenbericht, 133; Behr, Haltung. 6 Vgl. mit weiterführenden Hinweisen Stratenwerth, Interim. 7 Ebd., 254. 8 Eine gegensätzliche Position vertritt Flaskamp, Reformation, 69, der annimmt, dass der Adel der Einführung der Reformation zustimmte. 9 Eine der wenigen Ausnahmen bildet Hoffmann, Adel, bes. 137. Allerdings sieht er im Verhalten des Adels ein Indiz für seine überwiegend katholische Haltung (ebd., 138). 10 Vgl. beispielsweise Kaufmann, Geschichte, 483; weitere Literaturhinweise in der Einführung zu diesem Sammelband. 11 Vgl. die Literaturhinweise in der Einführung zu diesem Sammelband.

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Dieser Fokus fixiert jedoch zu stark die konfessionelle Haltung der einzelnen Adeligen und Adelsgruppen und blendet weitgehend andere Interessen und Motive des niederen Adels aus, etwa das politische Selbstverständnis und/oder das Gewicht der landständischen Korporationen des Adels in einzelnen Territorien. In diesem Zusammenhang stellen sich aber die Fragen, welche Motive die Ritterschaften bei konfessionspolitischen Entscheidungen antrieben und ob diese Motive deckungsgleich mit den individuellen Beweggründen und Ansichten der adeligen Mitglieder dieser Ritterschaften waren.12 Der folgende Beitrag nähert sich diesen Fragen am Beispiel der Osnabrücker Stiftsritterschaft an und unternimmt den Versuch einer Neubewertung der bereits bekannten Quellen13 zur Osnabrücker Stände- und Reformationsgeschichte aus der Perspektive des Adels. Dabei ist zu zeigen, dass die Stiftsritterschaft den Alleingang des Fürstbischofs mit der Stadt Osnabrück als eine massive Gefahr für die Existenz des Hochstifts Osnabrücks und somit auch für die politischen Mitspracherechte des Adels bewertete. Das bedeutete jedoch nicht zwangsläufig, dass die einzelnen Mitglieder der Ritterschaft an dem alten Glauben festhielten oder diesen um jeden Preis erhalten wollten. Das vor allem politisch motivierte Vorgehen der Stiftsritterschaft war eng an die territoriale und politische Integrität des Hochstifts geknüpft. Nachdem der Fürstbischof Franz von Waldeck durch das Interim bedrängt die Reformation widerrufen hatte, eröffnete sich der Stiftsritterschaft zum einen die Möglichkeit, die Kontrolle über die politischen Verhältnisse im Hochstift zu erlangen und damit die Machtposition der Landstände zu sichern. Zum anderen bot der Widerruf auch eine Chance, die konfessionellen Verhältnisse des Territoriums im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Alten Reiches neuzuordnen, ohne dabei die Unversehrtheit des Hochstifts zu gefährden. Die Argumentation erfolgt in zwei Schritten: Im ersten werden die Grundzüge des Osnabrücker Stiftsadels und seiner Entwicklung in den politischen Korporationen des Hochstifts seit dem Spätmittelalter skizziert. Im zweiten Schritt geht es um das politische Profil der Stiftsritterschaft als Landstand und um seine Leitmotive im Reformationszeitalter.

12 Der Osnabrücker Historiograph des 19. Jahrhunderts, Johann Carl Bertram Stüve, unterstrich 1848, dass bei der Bewertung der reformatorischen Bewegung in Osnabrück die religiösen Aspekte die politischen überzeichnet hätten. Stüve, Streitigkeiten, 135. 13 Die Quellengrundlage bilden hauptsächlich: der Osnabrücker Ständevertrag von 1532, in: Fink, Stadtbuch, 232–235; Niedersächsisches Landesarchiv Standort Osnabrück (weiter NLA Os), Rep 100 Abschnitt 367 Nr. 7, fol. 13–15; NLA Os, Dep. 3b IV Nr. 2214; Schele, Geschichte.

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Der Osnabrücker Stiftsadel

Der Osnabrücker Stiftsadel hatte seine Wurzeln in der bischöflichen Ministerialität des Spätmittelalters.14 Im 12. und 13. Jahrhundert erfuhr die Gefolgschaft der Bischöfe von Osnabrück eine grundlegende Umgestaltung: Die Geschlechter des alten Adels wurden durch Aussterben oder Fortziehen dezimiert und deren Positionen im Herrschaftsgefüge (der bischöfliche Hof, das Domkapitel und die Stiftsverteidigung) durch die unfreien Dienstleute besetzt. Bei diesem Prozess in den westfälischen Territorien verdrängten die Ministerialen nahezu gänzlich den alten Adel. Dabei traten im Hochstift Osnabrück um 1200 erstmals Familien hervor, die später den wesentlichen Teil der Osnabrücker Stiftsritterschaft ausmachen sollten. Darunter waren beispielsweise die Familien von Varendorf (1170), von Bar (1204), von Ledebur (1211), von Oer (1215), von Vincke (1223), von dem Bussche (1224) und von Schele (1235).15 Als Stand formierte sich der Osnabrücker Stiftsadel parallel zur sozialen Ausdifferenzierung innerhalb der Landstände. Dabei gab das Domkapitel den Ton an. Dieses erwirkte 1517 nach einem langwierigen Prozess seit dem Ende des 14. Jahrhunderts das päpstliche Adelsindult, durch welches Nichtadelige gänzlich von der Aufnahme ausgeschlossen wurden.16 In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts besetzten 71 Personen aus 43 Familien die 26 Osnabrücker Dompräbenden. Die führenden Geschlechter waren dabei die Familien des Stiftsadels von Dincklage und von Bar. Diese Familien waren untereinander und mit anderen Stiftsfamilien vielfach verwandt, da es keine Beschränkungen der verwandtschaftlichen Verbundenheit wie in anderen Domkapiteln gab.17 Der Abschluss des Osnabrücker Domkapitels gegenüber den nichtadeligen Mitgliedern hatte weitreichende Rückwirkungen auch auf die Stiftsritterschaft, den zweiten adeligen Landstand im Hochstift Osnabrück. Diese nahm ihren Anfang im 13. Jahrhundert, aus dem das korporative Siegel stammt. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurde der Kreis der dazu gehörigen Mitglieder immer enger eingrenzt. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts gehörten nur diejenigen dazu, die auf dem Territorium des Stifts ansässig waren und in bischöflichen Kriegsdiensten standen.18 Während der Stiftsadel noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Nähe zum Stadtpatriziat, etwa in ähnlicher Lebensweise und im Konnubium der Adelstöchter mit Bürgerssöhnen, pflegte, schloss es sich bald 14 Vgl. Stüve, Geschichte, Teil 1. 15 Vgl. nach wie vor anregend und reichhaltig Vom Bruch, Rittersitze. – Vgl. auch die zahlreichen Geschlechtergeschichten der Osnabrücker Adelsfamilien, z. B. Bussche, Geschichte; Schele, Geschichte. 16 Vgl. Stüve, Geschichte, Teil 2, bes. 26f. 17 Vgl. Hoffmann, Adel, 100–105. 18 Vgl. Stüve, Teil 2, 590f.

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nach 1517 sozial ab, sodass sich die Stiftritterschaft allmählich zu einer ausschließlich aus dem Stiftsadel bestehenden Korporation entwickelte.19 Als am Beginn des 15. Jahrhunderts die Bewilligung von Steuern an die Zustimmung der Dienstmannen geknüpft wurde, bezeichnete man deren politische Korporation zunächst als „Stiftsmannen“ und seit 1450 als „Ritterschaft“.20 In ihrer Verfassung entwickelte sich die Ritterschaft in den folgenden einhundert Jahren langsam. Eine Verfassung und konstitutive Versammlungen gab es erst nach 1550. Über die Anzahl der Mitglieder der Stiftsritterschaft lässt sich ebenfalls keine genaue Aussage treffen. Erst für das Jahr 1556 liegt eine Auflistung der zum Landtag eingeladenen Ritter vor, in der etwa fünfzig Personen mit der Angabe des jeweiligen Adelsgutes genannt werden.21 Trotz dieser scheinbar späten statuarischen Entwicklung trug bereits der beschleunigte Wandel des Territoriums um 1500 dazu bei, dass sich die Stiftsritterschaft immer mehr zum politisch bedeutenden Landstand verfestigte. An der Seite der anderen Landstände erlebte sie seit 1500 einen Bedeutungsgewinn. Der gestiegene Finanzbedarf und die Arrondierung des Machtbereichs zwangen die Landesherren im Sinne der Herrschaftssicherung, ihre Macht mit den Landständen zu teilen. Die Bewahrung von ständischen Rechten und Freiheiten bestimmte immer mehr das Verhältnis zum Landesherrn. Versuche des Landesherrn, die eigene Macht auf Kosten der Landstände zu konzentrieren, stießen auf Protest und beförderten die Verbreitung von Wahlkapitulation und Landesprivilegien.22 Diese landständischen Vorrechte des Stiftsadels waren an die territoriale Integrität des Hochstifts geknüpft und nur durch seine politische Stabilität garantiert. Der Aufstieg der Ritterschaft innerhalb des Hochstifts ging einher mit dem steigenden Selbstbewusstsein des Stiftsadels: Die Adelsfamilien reagierten auf den Funktionswandel des mittelalterlichen Rittertums und bauten die Fähigkeiten ihrer Söhne sowie deren Eignung für die zeitgemäße Politikberatung aus.23 Die universitäre Bildung war für die Söhne des Stiftsadels, die für eine geistliche Laufbahn vorgesehen waren, bereits seit vielen Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit.24 Die neuen Bildungsanforderungen an den Fürstendienst wurden auch im Adel wahrgenommen: Der eingangs zitierte Caspar von Schele ist hierfür ein geeignetes Beispiel. Er wurde 1525 als ältester Sohn der Eheleute Sweder von Schele zu Schelenburg und Anna von Welwede, einer niederländischen Adeligen, geboren. Sein 1533 verstorbener Vater war viele Jahre ein angesehenes Mitglied 19 20 21 22

Vgl. ausführlich bei Hoffmann, Adel, 85f. Vgl. Stüve, Geschichte, Teil 2, 590; Hoffmann, Adel, 57–60. Vgl. Hoffmann, Adel, 155f. Dies wird vor allem während der Herrschaft des Fürstbischofs Erich II. von Grubenhagen bis 1532 deutlich, vgl. Stüve, Geschichte, Teil 2, bes. 29–31. 23 Zum Bildungsverhalten des niederen Adels vgl. Müller, Norm. 24 Vgl. Hoffmann, Adel, 112f.

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der Stiftsritterschaft und in deren Diensten ein Landrat beim Fürstbischof Erich II. von Grubenhagen. Nach dem Tod des Vaters sorgten Caspars Mutter und drei Vormünder – allesamt führende Vertreter der Osnabrücker Ritterschaft – für die Ausbildung der Söhne von Schele.25 Diese besuchten verschiedene Schulen in Osnabrück, Oldenzaal, Wiedenbrück, Münster, Emmerich und Magdeburg und kamen in den Genuss einer herausragenden humanistischen Erziehung ihrer Epoche. Caspar studierte unter anderem Theologie in Wittenberg und gehörte nach der Rückkehr in das Fürstbistum Osnabrück zu den führenden Persönlichkeiten der Stiftsritterschaften und am fürstbischöflichen Hof. Die Reformation brach also in den Prozess intensiver ständischer und politischer Konsolidierung des Osnabrücker Stiftadels ein.26 Ob sich der Osnabrücker Stiftsadel von den reformatorischen Lehren überzeugt zeigte, ist in der Forschung umstritten und lässt sich aufgrund der unzureichenden Quellenlage nicht eindeutig festlegen. Der Historiker Hans-Joachim Behr behauptet ohne eindeutige Belege, dass „Teile des Adels […] sich ohne Zweifel bereits früh der Reformation zugewandt“ hätten.27 Seinen Schluss zieht er aus dem Ergebnis einer Visitation des Hochstifts von 1624 (!), laut der die überwiegende Mehrheit des Osnabrücker Adels lutherisch war. Christian Hoffmann widerspricht dagegen diesem Befund und schließt aus dem Widerstand des Domkapitels und der Ritterschaft gegen den bischöflichen Reformationsversuch auf die altkirchliche Ausrichtung des Stiftsadels.28 Doch auch dieser Schluss erweist sich als unbefriedigend. Caspar von Schele deutet in dem eingangs zitierten Auszug darauf hin, dass es im Stiftsadel Anhänger der Reformation gab.29 Aus Caspars Umfeld lassen sich außerdem dafür weitere stichhaltige Argumente vorbringen, die bislang von der Forschung nicht beachtet wurden: Caspar entschied sich nämlich 1543 unter dem Eindruck der in der Stadt Osnabrück eingeführten Reformation für ein Studium an der Universität Wittenberg und wurde dabei vom Fürstbischof von Waldeck unterstützt.30 Es ist davon auszugehen, dass der damals 18jährige Caspar diese Entscheidung nicht allein traf, sondern von seiner Mutter und seinen Vormündern, den Mitglieder der Ritterschaft Albert von dem Bussche, Hermann von Oer und Claus von Rottorf, beraten und unterstützt wurde. Auch im Empfehlungsschreiben des Fürstbischofs an Martin Luther und Philipp Melanchthon vom 2. Mail 1543 wird ausdrücklich betont, dass Caspar und sein 25 26 27 28 29

Vgl. Sperber, Schele, 171f. Vgl. zu anderen Regionen Demel/Schraut, Adel, 81. Behr, Haltung, 532. Hoffmann, Adel, 137f. Diese Interpretation von Caspars Aussage stützen die Befunde zu ähnlichen Verhaltensweisen im Niederadel der benachbarten Territorien, vgl. zu Schaumburg Bei der Wieden, Anschauungen, 137–139; zu Münster Gillner, Freie Herren, 82–84. 30 Vgl. zum Studium der Osnabrücker an protestantischen Universitäten Jung, Hecker, bes. 93f.

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Vetter „mit rat und wissen ihrer Eltern und Freundschaft hochbegierig und willig [seien], sich in die Universität zu Wittenberge zu begeben“.31 Diese Andeutungen lassen im Verhalten der Stiftsritterschaft nach dem Reformationsversuch des Fürstbischofs weniger den Ausdruck ihrer altgläubigen Gesinnung erkennen. Vielmehr stellt sich die Frage, welche Rolle (und ob überhaupt) das Bekenntnis einzelner Adeligen bei den politischen Entscheidungen der Korporation der Stiftsritterschaft spielte. Zusammenfassend zeigt der Blick auf die Entwicklung des Osnabrücker Stiftadels, welche ständischen und korporativen Voraussetzungen für die Vorgehensweise der Ritterschaft im Zusammenhang mit der Einführung der Reformation vorlagen. Die politische Stellung und die im Laufe der Jahrhunderte angehäuften Privilegien des Stiftadels standen 1543 nach der eigenwilligen Entscheidung des Fürstbischofs Franz von Waldeck auf dem Spiel. Der Stiftsritterschaft als landständischen Korporation eröffneten sich die Möglichkeiten, diese lang erkämpfte Position zu sichern und für die Zukunft auszubauen.

2.

Die Stiftsritterschaft im Reformationszeitalter

Nimmt man das Vorgehen der Stiftsritterschaft im Reformationszeitalter genauer unter die Lupe, lassen sich vor allem an drei Momenten ihre Motive erkennen: erstens am Abschluss des ständischen Vereinigungsvertrag 1532, zweites am Protest gegen den Reformationsversuch des Fürstbischofs und der Stadt und drittens an der ständischen Regierung in den letzten Lebensjahren des gescheiterten Bischofs 1548 bis 1553. Das Hochstift Osnabrück war als Bistum der deutschen Reichskirche ein geistliches Wahlfürstentum. Die innenpolitische Entwicklung solcher Territorien bestimmte nachhaltig die landständische Verfassung: Der Fürstbischof musste als Landesherr mit einem Landtag zusammenwirken, zu dem meistens das Domkapitel, die Ritterschaft und die Stiftsstädte erschienen. In Osnabrück besaß das Domkapitel die politische Vorrangstellung und verstand sich als ‚Erbherr‘ und als politische Konstante sowie Mitregent. Der zweite Stand war die Stiftsritterschaft. Auf der Städtebank saßen die Vertreter von Osnabrück, Quakenbrück, Wiedenbrück und Fürstenau, die allerdings eine geringere sozialständische Qualität besaßen als die beiden adeligen Kurien und deshalb befehlsabhängig waren.32

31 Zit. nach Sperber, Schele, 181. 32 Vgl. allgemein Moraw, Ständeforschung, 6. – Zum Osnabrück im 16. Jahrhundert vgl. Stüve, Geschichte, Teil 2, 558–595.

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Die Macht des Domkapitels innerhalb des Osnabrücker Landtags ging auf den ersten Blick über die der anderen Stände hinaus. Es konnte beispielsweise aufgrund seiner zahlreichen Privilegien einen Bischof, wenn dessen Verhalten Zweifel an seiner politischen und kirchlichen Zuverlässigkeit erkennen ließ, zur Verantwortung ziehen. Doch trotz dieses Übergewichts hatten auch die sogenannten nachsitzenden Stände, also die Ritterschaft und die Städte, ihre Einflussmöglichkeiten, etwa in Gestalt von zwei Landräten, die jeder Stand stellen konnte und die als Fürstenberater nicht zu unterschätzen waren.33 Und auch wenn das Domkapitel das letzte Wort bei der Kandidatenwahl und bei der Wahlkapitulation hatte, konnte es schon aus strategischen Bedenken nicht gänzlich ohne Rücksicht auf die nachsitzenden Stände handeln. Das Domkapitel brauchte die Ritterschaft, um das adelige Element in der Politik zu stärken und dem Landesherrn nachdrücklich die Stirn bieten zu können. Für die Stadt wiederum war die Ritterschaft ebenfalls unentbehrlich, weil sie ansonsten Gefahr lief, zum Spielball des Landesherrn und des Domkapitels zu werden. Wenn die bisherige Geschichtsforschung ausschließlich im Domkapitel und im Osnabrücker Magistrat die dominierenden politischen Kräfte im Hochstift sieht, vernachlässigt sie einen wichtigen Bestandteil des landständischen Gefüges.

2.1

Die ständische Vereinigung von 1532

Die Bedeutung dieses landständischen Dreiergespanns offenbart sich besonders eindrücklich während der Reformationsepoche und manifestiert sich als Erstes im Ständevertrag von 1532 – einem für die Verfassungsgeschichte des Hochstifts Osnabrück wichtigen Vereinigungsvertrag.34 Mit der Verbreitung der lutherischen Lehre in Stadt und Land und den dadurch drohenden politischen Konsequenzen geriet die politische und territoriale Unversehrtheit des Hochstifts Osnabrück in Gefahr. Damit einhergehend wurde auch die politische Stellung des Stiftsadels massiv gefährdet. Die Osnabrücker Landstände hatten die Brisanz der Lage durchaus im Blick, als sie sich am 5. Juni 1532 zusammenschlossen. Der Vertrag kam wenige Wochen nach dem Tod des Bischofs Erich II. von Grubenhagen (um 1480–1532, reg. seit 1508) und kurz vor der Wahl Franz von Waldecks zustande. Der Anlass waren die eigenmächtigen Beschlüsse des Bischofs vor seinem Ableben wie übermäßige Verschuldung, eigenmächtige Besteuerung des Landes und die Besetzung der Stiftsämter mit 33 Vgl. Van den Heuvel, Ausbau, 541. 34 Ebd., 544f. – Der Vertrag „De voreinigung tuschen dem doemcapittel, ritterschup und stadt Osenbrugk“ vom 5. Juni 1532 wird aus der Ausgabe Fink, Stadtbuch, 232f, zitiert.

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landfremden Beamten.35 Die Stände wehrten sich im Vereinigungsvertrag gegen die „ungelegenen, ungewontlicken, oik unredelycken uplagen“ des verstorbenen Bischofs, die gegen das alte Herkommen verstießen, da sie ohne Beratung mit den Landständen eingeführt worden waren.36 Bereits seit Jahren belastete das rücksichtslose Verhalten des Fürsten die Osnabrücker Innenpolitik und zeigte sich nicht zuletzt darin, dass die frühe Reformation in den unteren Bevölkerungsschichten Fuß fassen konnte, da ihr von ‚oben‘ nichts entgegengesetzt wurde.37 Dies bewerteten die Landstände als „schaden und nadeile“, mit denen das Land „beswerth und beschedigeth“ worden war.38 Nach dem Tod des Fürstbischofs und bei der Vorbereitung der Wahl seines Nachfolgers wollten die Stände ihre Position stärken. Der Vereinigungsvertrag spiegelt daher den Wunsch nach der Absicherung der politischen Verhältnisse wider. Die Landstände betrachteten offenbar sich selbst und nicht den jeweiligen Landesherrn als Garanten der herkömmlichen Ordnung. Das Hauptziel des Vertrags war daher, ein Gegengewicht für den Fall erneuter willkürlicher Machtpolitik eines Bischofs zu schaffen. Zwar wurde im Vertrag in keinem Punkt auf die religiösen Zustände hingewiesen, doch mit der Vereinigung wollten die Landstände verhindern, dass ein gewählter Landesherr seine religiösen Vorstellungen an den Ständen vorbei diktieren konnte. Das Bestreben der Landstände, das Stiftsherkommen auch in religiösen Dingen zu wahren, belegt der so genannte Bürgenbrief, der gleichzeitig mit dem Vereinigungsvertrag abgeschlossen wurde und sich auf die anstehende Bischofswahl bezog.39 Darin und auch in der daraufhin verfassten Wahlkapitulation steht nachdrücklich, dass sich der neugewählte Bischof zum einen „gegen den vorgiftigen Lutterischen handel“ einsetzen sollte.40 Zum anderen sollte er Bürgen dafür aufstellen, dass er in Steuerfragen stets die Landstände konsultieren und die Rechte seiner Untertanen achten werde.41 In beiden Dokumenten wurde die Gültigkeit der Wahl mit den Sanktionen durch den Kaiser und Papst verknüpft, ein Mittel, das in den Augen der Landstände die Integrität des Territoriums gewährleisten sollte. Die Verbindung der Fragen von Religion und Stiftherkommen wurde also im ständischen Sinne ausgelegt, der Landesherr spielte dabei eine geringere Rolle.42 Auf Bestehen des Domkapitels wurde der Bürgen35 Zur ständischen Beschwerden während der Herrschaft Erichs von Grubenhagen vgl. Stüve, Geschichte, Teil 2, 29f. Stüve ordnet dieses Aufbegehren der Stände in den Zusammenhang mit der Ritterschaftserhebung im Süden des Reiches. 36 Zit. nach Fink, Stadtbuch, 232. 37 Vgl. Jung, Hecker, bes. 89–98. 38 Fink, Stadtbuch, 232. 39 Vgl. Van den Heuvel, Ausbau, 542f; Behr, Waldeck, 62. 40 Kissener, Ständemacht, 81–83. 41 Zit. nach Behr, Waldeck, 35. 42 Der neu zu wählende Landesherr sollte dafür einstehen, „dat olt herkomen und gebrueck der

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vertrag von dreizehn einflussreichen Adeligen aus den Stiften Osnabrück, Münster und Minden unterzeichnet, die vertraglich zusicherten, im Falle eines Vertragsbruchs des Fürstbischofs mit einem Aufgebot in die Stadt einzumarschieren. Trotz dieser konkreten Erwartungen in konfessionellen Belangen entschied sich das Domkapitel im Verbund mit den nachsitzenden Ständen für einen Kandidaten, dessen konfessionelle Haltung viele Fragen offenließ.43 Einerseits war Franz von Waldeck mit dem Landgrafen Philipp dem Großmutigen von Hessen verbündet, einem bekanntlich führenden Vertreter der Reformation im Reich.44 Andererseits schien Waldeck den Osnabrückern eine bessere Wahl zu sein als ein Kandidat aus dem mächtigen, auf territoriale Expansion bedachten Welfenhaus.45 Da Franz von Waldeck bereits seit 1530 mehrere westfälische Bistümer beherrschte und damit über eine beträchtliche Territorialmacht verfügte, glaubte das Wahlgremium, eine durchsetzungsstarke Persönlichkeit als Landesherren zu bekommen. Waldecks entschiedenes Vorgehen gegen die radikale Reformation in Münster bestätigte zunächst dieses Bild und brachte dem Fürstbischof große Anerkennung unter den Osnabrücker Landständen. Doch die günstige Ausgangsstimmung verspielte Franz von Waldeck schon bald, als er seine Wahlversprechen gegenüber den Landständen ähnlich wie sein Vorgänger missachtete und etwa die bedeutenden Ämter in seinem Umfeld mit landfremden, überwiegend hessischen Adeligen besetzte.46 Das Niederringen der Täufer hatte Waldeck zudem dazu gezwungen, hohe Schulden zu machen, und brachte ihn bald in Bedrängnis. Auch seine anfänglichen Bemühungen, die alte Kirchenordnung zu erhalten, vermochten nicht darüber hinweg zu täuschen, dass eine allgemeine Unsicherheit in konfessionellen Belangen, der politische Druck von außen und die drohenden sozialen Unruhen im Innern des Territoriums die Handlungsfähigkeit des Bischofs lähmten. Zudem gewann er durch sein halbherziges Vorgehen gegen die reformatorischen Vorgänge in der Stadt Osnabrück den Rückhalt der Städtebank auf dem Landtag als Gegengewicht zum Domkapitel.47 Der Stiftsadel opponierte zunächst nicht gegen diese Vorgänge. Besonders seit dem Ende der 1530er Jahre erweckte Franz von Waldecks Innenpolitik immer stärker den Eindruck, er wolle seine Machtstellung gegenüber

43 44 45 46 47

hilligen kerken, sunderlinges im styfte Osenbrugg Gode almechtig thon eren, menen vrede tho gude unterholten und gehanthavet werden“. Zit. nach Van den Heuvel, Aufbau, 543. – Vgl. zur geringeren politischen Macht des Fürstbischofs Franz auch Behr, Waldeck, 36. Vgl. Behr, Waldeck, 31–35; Gillner, Freie Herren, 74 f; Westphal, Waldeck, 31. Der Landgraf Philipp von Hessen förderte die Wahl Franz von Waldecks in Münster und Osnabrück, vgl. Lies, Beziehungen, 222. Vgl. Stüve, Geschichte, Teil 2, 58f. Vgl. zu Waldecks unglücklicher Klientelpolitik Hoffmann, Adel, 126f; zu Münster mit Ausblicken nach Osnabrück Gillner, Freie Herren, 80f. Vgl. Behr, Waldeck, 61f.

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den Stiftsständen festigen. Er äußerte außerdem die Absicht, das Territorium zu säkularisieren und eine neue Dynastie zu gründen.48

2.2

Stiftsritterschaft und die Einführung der Reformation 1543

Sich der politischen Gefahren für das Land und die Landstände bewusst betrachteten die adeligen Stände (Domkapitel und Ritterschaft) mit Argwohn, wie sich die offensichtliche Annäherung des Fürstbischofs an die Eliten der Stadt Osnabrück entwickelte. Franz von Waldeck nutzte offenbar die günstige politische Gelegenheit, als die Religionsgespräche von Hagenau (1540), Worms und Regensburg (1541) einen möglichen Ausgleich zwischen den konfessionellen Streitparteien verhießen, seine Plane in Osnabrück zu verwirklichen.49 Der Osnabrücker Magistrat fürchtete die sich abzeichnenden sozialen Unruhen und öffnete sich zunehmend den reformatorischen Forderungen der Bürgerschaft.50 Franz von Waldeck lockte den Magistrat mit der Säkularisation der innerhalb der Stadtmauern liegenden Klöster– ein Vorgehen, das Caspar von Schele in seiner eingangs zitierten Bischofslebensbeschreibung anprangerte. Des Weiteren unterstützte Waldeck die Initiative der Stadt, den Lübecker Superintendenten Hermann Bonnus (1504–1548) als Reformator nach Osnabrück zu holen.51 Als 1543 die Reformation offiziell eingeführt worden war,52 protestierte der Osnabrücker Adel entschieden, da der Bischof die adeligen Landstände zu keinem Zeitpunkt in die Entscheidung mit einbezogen hatte.53 Sie wurden quasi vor vollendete Tatsachen gestellt. Dieser Alleingang des Bischofs und der Stadt mussten das Domkapitel und die Stiftsritterschaft als Angriff auf seine politische Position und als einen massiven Vertragsbruch auffassen: Der Bischof habe seine Wahlverträge missachtet, die Stadt den Vereinigungsvertrag von 1532 gebrochen. Die Gründe für eine dezidierte Opposition des Stiftsadels gegen die bischöfliche und städtische Reformation sind in den Quellen nicht ausreichend gesichert. Die bisherige Forschung interpretierte darin die katholische Gesinnung der meisten Adeligen; doch betrachtet man die politische Konstellation im Stift, lassen sich die Vorgänge auch anders deuten, nämlich als Versuch, der Entmachtung der Landstände entgegenzuwirken und das Hochstift vom Übergriff des taktieren48 49 50 51 52 53

Vgl. ebd., 480f; Westphal, Waldeck, 31f. Vgl. zur politischen Situation Rabe, Reich, 376–388. Vgl. zu den reformatorischen Entwicklungen in der Stadt Osnabrück Jung, Hecker. Westphal, Waldeck, 32f. Vgl. Hauschild, Einführung. In den Anschreiben der adeligen Landstände an den Fürstbischof bestehen diese auf die Einberufung des Landtags, um über die Veränderungen („over swinde anrichtunge“) zu beschließen. NLA Os, Rep 100 Abschnitt 367 Nr. 7, fol. 13–14.

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den Bischofs zu retten. Die adeligen Landstände verteidigten „dusses Stiffes hergebrachte herlichheidt und rechticheidt“, solange das „Christliche Consilium oder ordnunge des Hilligen Riches“ keine eindeutigen Vorgaben formulierten.54 Aufgrund der Verfassungsbesonderheit eines geistlichen Territoriums erscheint dieses politisch motivierte Vorgehen des Domkapitels und der Ritterschaft als der einzig mögliche Weg. Nach der erfolgreichen Reformation hätte das Land neuorganisiert werden müssen, was mindestens eine institutionelle Umformung und im härtesten Fall eine Säkularisierung hätte bedeuten können.55 Im beiden Fällen hätten die Bereiche des ständischen Einflusses auf die Landespolitik zur Disposition gestanden. Zum einen hätte ein erfolgreicher Säkularisierungsversuch des Bischofs im Hochstift das Domkapitel und sein Bischofswahlrecht als das Fundament der adeligen Macht in einem geistlichen Territorium gefährdet. Der Stiftsadel war außerdem auf die einträglichen Pfründen in den Stiftskapiteln angewiesen. Zum anderen hätte die Ritterschaft im Falle der Vertreibung des Domkapitels mit einschneidenden Einbußen in ihrer politischen Durchsetzungskraft rechnen und befürchten müssen, dass der neue Dynast die Verfassung und Privilegien der Landstände verwirft. Der Bischof reagierte nicht auf die Protestschreiben der adeligen Stiftsstände56 und ermutigte damit das Domkapitel, sich über die anmaßende Religionspolitik des Landesherrn vor dem Kaiser und in Rom zu beschweren. Es wurde erhört und dem Bischof ein Ketzerprozess in Rom angedroht.57 Das Scheitern der protestantischen Partei im Schmalkaldischen Krieg und das Interim zwangen Franz von Waldeck schließlich am 12. Mai 1548 bei einem Landtag zum Widerruf der Reformation im Hochstift Osnabrück.58

2.3

Ständische Stiftsverwaltung nach 1548

Nach diesem gescheiterten Reformationsversuch forcierten die adeligen Stiftsstände nicht, den Bischof gänzlich zu entmachten und zu verstoßen; er durfte vielmehr im Besitz seiner Hochstifte bleiben, musste allerdings die Verwaltung seiner Temporalien an die landständische Regierung in Osnabrück abgeben.59 Ein kurzer Blick auf die Jahre der ständischen Regierung bis zum Tod des Bischofs Franz von Waldeck 1553 liefert ein weiteres Argument dafür, dass die 54 NLA Os, Rep 100 Abschnitt 367 Nr. 7 fol. 14. 55 Vgl. zu diesem politischen Szenario Wolgast, Hochstift, 57–82; Schindling, Reichkirche, 81– 92, Ziegler, Hochstifte. 56 NLA Os, Rep 100 Abschnitt 367 Nr. 7, fol. 13–15. – Behr, Waldeck, 354–356. 57 NLA Os, Rep 100 Abschnitt 367 Nr. 6–9. – Stratenwerth, Interim, 255f. 58 Vgl. Stratenwerth, Interim, 253–258; Van den Heuvel, Ausbau, 543f; Behr, Waldeck, 411–421. 59 Ebd.

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Ablehnung der „Fürstenreformation“ im Hochstift durch die adeligen Stände nicht ausschließlich altgläubig motiviert war. Eine dezidierte Rekatholisierung des Stifts oder eine katholische Konfessionalisierung wie im benachbarten Niederstift Münster blieben nämlich aus.60 Verschiedene Initiativen bekennender altgläubiger Domkapitulare liefen ins Leere,61 weil sich die Stiftsritterschaft für einen Ausgleich zwischen den Streitparteien in Sachen der Religion bemühte. Die Verschiebungen im Reich zugunsten des protestantischen Lagers führten sogar dazu, dass Franz von Waldeck 1551 auf Bitte der Stadt die Reformation wiedereinführen durfte.62 Diesmal leistete der Stiftsadel keinen Widerstand. Der soziale Frieden und die politische Stabilität in der Stadt Osnabrück und im gesamten Hochstift hatten die oberste Priorität.63 Außerdem war seit den 1550er Jahren nicht nur die städtische Bevölkerung mehrheitlich protestantisch, sondern es lassen sich auch in den Quellen auch zunehmend protestantisch gesinnten Domkapitulare und Ritter nachweisen.64 Die Regierungszeit des folgenden Bischofs, Johann von Hoya (1524–1574, reg. seit 1553) war dadurch gekennzeichnet, dass die konfessionellen Streitigkeiten in den Hintergrund rückten und der Intensivierung der Staatsbildung Platz machten.65 Zwar gehörte dieser „gebildete und juristisch geschulte“ Landesherr der „engeren Klientel“ des Kaisers Karl V. an, doch schien ihn mehr der Ausbau der Landesverwaltung zu interessieren, für den die konfessionellen Differenzen nur störend waren.66 Der Bischof nahm sich der Osnabrücker Landstände an und beförderte den Wandel des Landtags zum „jährlichen Steuerbewilligungsforum“, er erneuerte 1561 die Lehensordnung. Insgesamt betrachtet nutzte dieser ambitionierte Landesherr den Stiftsadel, um seine Herrschaft zeitgemäß zu organisieren.67 Aus diesem Grund ist es alles andere als verwunderlich, dass die Osnabrücker Landstände nach der langen Tradition ihrer Missachtung jetzt bereitwillig an der Verwaltung des Hochstifts mitwirkten und die notwendigen Summen für die Begleichung der Stiftsschulden bewilligten.68 60 61 62 63 64 65 66

Vgl. Westphal, Indifferenz. Vgl. Schröer, Kirche, 74. Van den Heuvel, Ausbau, 544. Vgl. zur Stadt Osnabrück Stratenwerth, Interim, 257f. Vgl. Behr, Haltung; jüngst Weckenbrock, Interessen. Vgl. Van den Heuvel, Ausbau, 544f; jüngst Westphal, Indifferenz. Zitate Hoffmann, Ritterschaftlicher Adel, S. 151. Sowohl das Domkapitel als auch die weltlichen Stände stimmten der Wahl zu. „In Johann v. Hoya glaubte man den Mann der Mitte gefunden zu haben, der den Vorstellungen des Kapitels und der Stände am besten entsprach.“ Schröer, Kirche, 74. Johann von Hoya verwaltete seit Februar 1554 mit kaiserlichen Indult das Hochstift, am 6. 10. 1554 hielt er endgültig den feierlichen Einzug in Osnabrück, ebd., 77. 67 Vgl. allgemein Meyer, Beiträge 68 Verwundert über die fehlende landständische Opposition und stattdessen eine Kooperation zwischen dem Landesherrn und den Landständen zeigt sich Hoffmann, Ritterschaftlicher Adel, 153f.

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Auch von außen ließ der Druck nach, nachdem der Kaiser Ferdinand I. in seiner Declaratio vom 24. September 1555 den evangelischen Landständen in den geistlichen Territorien Schutz und freie Religionsausübung zuerkannt hatte.69 Auf dieser – zwar ziemlich umstrittenen, jedoch existierenden – rechtlichen Grundlage schienen die Integrität des Hochstifts Osnabrück als geistliches Fürstentum, die Existenz des Domkapitels als Wahlgremium und somit auch die politische Stellung der Stiftsritterschaft als Landstand gesichert zu sein.70

3.

Fazit und Ausblick

Diese kurze Skizze zeigt, dass das Handeln der Stiftsritterschaft als politische Korporation der Osnabrücker Landstände kaum Schlüsse über die konfessionelle Anhängerschaft ihrer Mitglieder erlaubt. Daran lässt sich in erster Linie ablesen, welchen politischen Konstellationen die getroffenen Entscheidungen der Korporation entstammten. Zum Zeitpunkt der Reformation befand sich der Stiftsadel auf dem Höhepunkt seines politischen Einflusses. Der Reformationsversuch des Fürsten und der Stiftsstadt Osnabrück brachten das Territorium in Gefahr und griffen damit die Machtansprüche der Stiftsritterschaft an. Indem die Ritterschaft an der Seite des Domkapitels dagegen protestierte, sorgte sie sich um die territoriale und politische Integrität des Hochstifts. Im nächsten Untersuchungsschritt wäre nun der Blick auf die einzelnen Familien des Stiftsadels und ihre Mitglieder zu richten, um die dynastischen und individuellen Positionen zu erforschen. Auch allgemein erweist sich der punktuelle Blick als ergiebiger, um zwischen korporativem und individuellem Verhalten zu differenzieren, da sie nicht zwangsläufig übereinstimmten müssen. Im Umgang mit den Herausforderungen des Reformationszeitalters wurde ein Grundstein für die spätere politische Rolle der Stiftsritterschaft im Hochstift Osnabrück gelegt. Vor allem nach 1648 verstand sie sich als Beschützerin der evangelischen Religion im Territorium und als Bewahrerin des friedlichen Zusammenlebens beider Konfessionen, indem sie sich als gemischtkonfessionelle Korporation klar gegen das überwiegend katholische Domkapitel positionierte.

69 Wolgast, Hochstift, bes. 256. 70 Westphal, Indifferenz, 105f.

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Literatur a)

Gedruckte Quellen

Fink, Erich (Bearb.), Das älteste Stadtbuch von Osnabrück / Das Legerbuch des Bürgermeisters Rudolf Hammacher zu Osnabrück (Osnabrücker Geschichtsquellen 4), Osnabrück 1927. Schele, Caspar von, Zur Geschichte des Bischofs Franz von Waldeck (1532–1553), bearb. und aus dem Lateinischen übersetzt von D. Meyer, in: Mitteilungen des historischen Vereins zu Osnabrück 1, 1848, 85–111.

b)

Forschungsliteratur

Behr, Hans-Joachim, Franz von Waldeck: Fürstbischof zu Münster und Osnabrück, Administrator zu Minden (1491–1553), sein Leben in seiner Zeit, 2 Bde., Münster 1993–1996. –, Die Haltung der Osnabrücker Ritterschaft zur Reformation, in: Kaster/Steinwascher (Hg.), Reformation in Osnabrück, 531–540. Bei der Wieden, Brage, Außenwelt und Anschauungen Ludilf von Münchhausens (1570–1640) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 32), Hannover 1993. Bussche, Gustav Freiherr von dem, Geschichte der von dem Bussche, Erster Teil: Regesten und Urkunden mit 20 Stammtafeln, Hameln 1887. Demel, Walter/Schraut, Sylvia, Der deutsche Adel. Lebensformen und Geschichte, München 2014. Flaskamp, Franz, Reformation und Gegenreformation in Osnabrück, in: Westfälische Forschungen 11, 1958, 68–74. –, Ein Zwischenbericht der Osnabrücker Reformationsgeschichte, in: Jahrbuch für Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 58, 1960, 113–134. Gillner, Bastian, Freie Herren – Freie Religion. Der Adel des Oberstifts Münster zwischen konfessionellem Konflikt und staatlicher Verdichtung 1500 bis 1700 (Westfalen in der Vormoderne 8), Münster 2011. Hauschild, Wolf-Dieter, Von der reformatorischen Bewegung zur evangelischen Kirche. Die Einführung der Kirchenordnung in Osnabrück 1543, in: Kaster/Steinwascher (Hg.), Reformation, 155–171. Hoffmann, Christian, Ritterschaftlicher Adel im geistlichen Fürstentum. Die Familie von Bar und das Hochstift Osnabrück: Landständewesen, Kirche und Fürstenhof als Komponenten der adeligen Lebenswelt im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung 1500–1651 (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen, 39), Osnabrück 1996. –, Konfessioneller Pragmatismus – religiöse Überzeugung – Familienraison. Das Osnabrücker Domkapitel und seine Kanoniker im Zeitalter der Reformation, in: Tauss/ Winzer (Hg.), Miteinander, 185–198.

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Olga Weckenbrock

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Die Reformation im Fürstentum Lüneburg Versuch eines Perspektivenwechsels

Im Jahr 1665 lässt Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg (1624– 1705) ein mehrseitiges Schriftstück ausfertigen, in welchem er der Landschaft des Fürstentums Lüneburg ihre althergebrachten Privilegien bestätigt. Dieser vom Landesherrn vollzogene rechtliche Akt erfolgte im direkten Zusammenhang mit seiner Regierungsübernahme im Fürstentum Lüneburg und verband den Herzog mit der ständischen Korporation der Landschaft.1 Diese hatte sich seit dem Mittelalter als ein bedeutendes politisches Gremium auf territorialer Ebene etabliert, auf welche die jeweils regierenden Herzöge von Braunschweig-Lüneburg in der Durchsetzung ihrer territorialen Herrschaft angewiesen waren, insbesondere im Hinblick auf finanzpolitische Entscheidungen. Allen voran der Adel des Fürstentums Lüneburg konnte so über seine Mitgliedschaft in der ritterschaftlichen Kurie der Landschaft politische Teilhabe generieren und in gewissem Rahmen die fürstliche Landespolitik mitgestalten. Rechtlich bindender Ausdruck dieser Teilhabe waren u. a. die Privilegienbestätigungen, die zwar mehrheitlich fiskalische Rechte beinhalteten, aber auch weitere rechtliche Regelungen umfassen konnten, welche die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg über die Jahrhunderte in Verhandlungen mit der Landschaft festgelegt hatten. So stehen im genannten Schriftstück von 1665 dezidiert die religionspolitischen Entwicklungen und diesbezüglichen rechtlichen Bestimmungen im Fokus, die im Fürstentum Lüneburg seit Einführung der Reformation innerhalb von etwa 140 Jahren erfolgt waren.

1 Als Landschaft wird eine ständische Korporation bezeichnet, die im vorliegenden Fall aus den drei Kurien der Prälaten, des Adels und der Städte bestand und seit dem Mittelalter eine politische Rolle innerhalb der jeweiligen Landesherrschaft einnahm. Ob es sich beim jeweiligen Landesherrn und der jeweiligen Landschaft jedoch stets um einen politischen Dualismus handeln musste, ist in der Forschung umstritten. Allgemeingültige Aussagen die die Landschaften im Alten Reich charakterisieren sind sowohl diesbezüglich als auch im Hinblick auf ihre Organisation und politische Teilhabe nicht zu treffen. Grundlegend für den norddeutschen Raum u. a. Bei der Wieden, Landtags- und Ständegeschichte 2004.

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Von Gottes Gnaden wir Georg Wilhelm Hertzog zu Braunschweig und Lüneburg, Thun kund und bekennen hiermit offentlich, für Unß, Unsere Erbes, auch Succession und Nachkommens an der Regierung, demnach wir bey Unß wohl erwogens, daß der sterbliche Mensch und also auch Unser angehoriger Unterthan ewige Heyl. und Sehligkeit vornehmblich darin bestehe, daß das Wort Gottes lauter und rein gepredigt, und die Heyl. Sacramenta, nach der einsetzung Christi, gebührlich administrit werde.2

Diese gewählten Formulierungen belegen, dass der evangelisch-lutherische Glauben als religiöser Konsens sowohl für den fürstlichen Landesherrn als auch für seine Untertanen spätestens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bindend war und sich die kirchenpolitischen und religiösen Veränderungen basierend auf dem evangelisch-lutherischen Protestantismus durchgesetzt und verfestigt hatten. Verknüpft wurde diese Entwicklung in der zeitgenössischen Erinnerung und frühneuzeitlichen Historiographie ausschließlich mit dem damals regierenden Fürsten, dem auch in der Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts eine herausragende Rolle hinsichtlich der Einführung und Durchsetzung der Reformation zugewiesen wurde. Auch in der Privilegienbestätigung aus dem Jahr 1665 wird diese personenbezogene Erinnerungstradition aufgegriffen, wenn es heißt: Unß auch darnebst erinnert, mit waß für großem eyfer, mühe und Tapferkeit, der weiland Hochgeborene Fürst Herr Ernst Hertzog zu Braunschweig und Lüneburgk, Unser vielgeehrter Uhrgroßvater, Hochseelige gedechtnis, so hat nach angetretener Regierung, die Christl. reformation, den prophetischen und apostolisch Schrittes gemaß, in diesem Unserem Fürstenthum Lüneburgk angefangen.3

Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg (1497–1546) gilt bis heute als die herausragende Person bei der Einführung und Durchsetzung der Reformation im Fürstentum Lüneburg. Jedoch wird der oben skizzierte Zusammenhang zwischen fürstlicher und landständischer Politik und insbesondere die Teilhabe des niederen Adels, der die damalige Religionspolitik mitprägte, von der Forschung hinsichtlich seiner Bedeutung für die Etablierung der Reformation im Fürstentum Lüneburg kaum erwähnt. Die politischen Entscheidungen und Handlungen Herzogs Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg, die er in seiner Regierungszeit von 1520/22 bis 1546 vollzog, stehen bereits in Werken der Historiographie des 18. Jahrhunderts im Vordergrund der Reformationsgeschichte des Fürstentums Lüneburg, auch wenn es schon im ausgehenden 15. Jahrhundert verschiedene Reforminitiativen in den welfischen Herrschaftsgebieten gegeben hatte.4 Vor allem in der ersten 2 Niedersächsisches Landesarchiv – Standort Hannover (weiter NLA HA), Celle Br. 67, Nr. 2. 3 NLA HA, Celle Br.47, Nr. 59. 4 Verschiedene religiöse Bewegungen mit reformatorischen Ansprüchen können seit dem Hochmittelalter in unterschiedlicher Intensität innerhalb der Kirche nachgewiesen werden.

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historiographischen Biografie zu Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg, die im Jahr 1719 von J.G. Bertram verfasst wurde und in der der Herzog den bis heute gebräuchlichen Beinamen „der Bekenner“ erhielt, ist dieses ersichtlich.5 Das in der Frühen Neuzeit begründete personenbezogene Narrativ lässt sich in den bis heute als Standardwerk zur Reformation im Fürstentum Lüneburg geltenden Schriften von Adolf Wrede aus dem späten 19. Jahrhundert ebenso nachweisen wie in den wissenschaftlichen Betrachtungen der Reformation als Fürstenreformation.6 Die Studien zur Fürstenreformation gehen in ihrer grundlegenden Konzeption davon aus, dass sowohl die Einführung der Reformation auf territorialer Ebene als auch ihre Etablierung in territorialen Strukturen ohne die aktive, umfangreiche Beteiligung der jeweiligen Fürsten respektive Landesherren nicht gelungen wäre. Dabei rekurrieren sie u. a. auf die entsprechenden Aussagen in den Schriften Martin Luthers (1483–1546), der, unter dem Eindruck der Bauernkriege um 1524, eine Veränderung der althergebrachten, auf Abhängigkeiten und Untertanenkonzeptionen basierende Gesellschaftsordnung ablehnte und eine Umsetzung der Reformation im Sinne einer kirchenpolitischen und kirchenrechtlichen Erneuerung von den regierenden Fürsten verlangte.7 Innerhalb des Forschungsbereichs zur Fürstenreformation wurden in den vergangenen Jahrzehnten einerseits reichspolitische und reichsrechtliche Aspekte wie die Bündnispolitik reformatorisch gesinnter Fürsten untersucht, andererseits auf regionaler bzw. lokaler Ebene der Durchsetzung des landesherrlichen Kirchenregiments und der damit einhergehenden Klosterpolitik einzelner Landesherren nachgegangen, ergänzt durch Studien, die die verwandtschaftlichen und dynastischen Implikationen im Zusammenhang mit der von den Fürsten eingeführten Reformation thematisieren.8 Mit Blick auf das Fürstentum Lüneburg ist u. a. die Studie von Markus Vollrath zu nennen, die die reforma-

5 6 7 8

Noch im späten 15. Jahrhundert werden von Seiten der Bischöfe reformatorische Maßnahmen vor allem hinsichtlich des klerikalen respektive monastischen Lebens in Klostergemeinschaften unternommen, so auch im Bereich des Fürstentums Lüneburg. Zu nennen sind diesbezüglich die sog. Bursfelder Kongregation sowie die Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung beispielsweise vom Abt des Klosters St. Michaelis in Lüneburg im Jahr 1471. Dazu die Überlieferung im Stadtarchiv Lüneburg unter der Signatur UA–b:1471 November 4. Allgemein zu diesen Entwicklungen Leppin, Reformation, 1–25, Schulze, Fürsten, sowie mit Blick auf das Fürstentum Lüneburg u. a. Boockmann, Herzog Ernst, 21f. Wrede, Einführung, 26. Eine kritische Stellungnahme zu diesem Beinamen, der den Herzog einzig mit der Konfessionalisierung seines Herrschaftsgebiets in Bezug setzt, bei Schubert, Herzog, 25. Wrede, Ernst, und ders., Einführung. Zum Begriff der Fürstenreformation zusätzlich Schubert, Fürstenreformation. Vollrath, Klosterpolitik, 13f. Zu diesem Themenspektrum u. a. Blickle, Reformation, 2015, und Baar-Cantoni, Religionspolitik 2011.

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torischen Veränderungen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus dem Blickwinkel der Handlungsoptionen von Herzog Ernst I. von BraunschweigLüneburg erörtert und den Schwerpunkt auf die welfische Klosterpolitik vor dem Hintergrund eines reichsweit verzweigten Fürstennetzwerkes legt.9 Ein weiterer Blick der wissenschaftlichen Forschung richtet sich auf die sog. Gemeindereformation, die im Fürstentum Lüneburg explizit mit den reformatorischen Geschehnissen in und um die Stadt Lüneburg verknüpft ist.10 Zum Großteil werden die entsprechenden Ereignisse jedoch erneut vor dem Hintergrund der Politik von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg erläutert, insbesondere bezüglich dessen Initiative, den Rat der Stadt Lüneburg mithilfe des Reformators Urbanus Rhegius (1489–1541) zur Annahme der neuen Lehre zu bewegen.11 Die wissenschaftliche Darstellung der Reformation im Fürstentum Lüneburg wird demnach vorwiegend aus diesen hier genannten Perspektiven der Fürstenund der Gemeindereformation, die sich wiederum auf spezifische Personen beziehen, betrachtet. Umfangreiche Einzelstudien, die bestimmte soziale Gruppen sowohl aus den ländlichen als auch aus den städtischen Regionen des Fürstentums Lüneburg in den Mittelpunkt der Reformationsgeschichte stellen, können aktuell noch als Desiderat der Forschung betrachtet werden.12 Dieses umfasst zudem Fragen nach dem Einfluss der Glaubensinhalte der Reformation auf Individuen und soziale Gruppen sowie nach den Auswirkungen der mit dieser Bewegung einhergehenden politischen, sozialen sowie kulturellen Veränderung auf den Einzelnen und sein soziales Umfeld, ebenso wie Fragen nach möglichen Konflikten, die Auswirkungen auf verschiedene Bereiche des Zusammenlebens innerhalb des Untertanenverbandes hätten haben können. Des Weiteren bleiben Fragen nach dem spezifisch individuellen Umgang mit der Reformation im Sinne von mentalitätsgeschichtlichen Vorstellungen noch weitgehend im Dunkeln. Dieser mikrogeschichtliche Fragenkomplex sollte sich in weiteren Forschungen zur Reformationsgeschichte im Allgemeinen als auch im Speziellen auf die reformatorischen Entwicklungen in einzelnen Territorien 9 Vollrath, Klosterpolitik. 10 Zur Gemeindereformation u. a. Blickle, Gemeindereformation 1987. Mit Blick auf das Fürstentum Lüneburg und erschlossen über die Biographien einzelner Reformatoren Balzer, Reformatoren. 11 Der Reformator Urbanus Rhegius wird in der Forschung als maßgebliche Kraft im Hinblick auf die Etablierung des evangelisch-lutherischen Glaubens im Fürstentum Lüneburg angesehen. Allerdings kann sein Wirken nicht ohne den Einfluss von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg betrachtet werden, in dessen Diensten sich Rhegius ab Sommer 1530 stellte, um als Reformator die Kirche im gesamten Fürstentum Lüneburg im Sinne der neuen Lehre zu formieren. Einen Überblick über die Forschungen zu Leben und Werk von Urbanus Rhegius bietet grundlegend Liebmann, Urbanus Rhegius, 313f, sowie Zschoch, Existenz, 352f. 12 Als Ausnahme Cordes, Rat, 2008.

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des Alten Reiches richten. Der dadurch notwendige Perspektivenwechsel innerhalb der Forschung kann so im Fall des Fürstentums Lüneburg das dominierende Narrativ der Fürstenreformation umgehen und die Darstellung der Reformation in diesem geographischen Raum umfassender untersuchen. Allerdings ist ein Perspektivenwechsel aufgrund der Quellenlage nur schwer zu erreichen.13 Die in den öffentlichen Archiven überlieferten Bestände, die Aussagen über die Reformation im Fürstentum Lüneburg bereithalten, können vorwiegend als landesherrliche respektive obrigkeitliche Überlieferungen charakterisiert werden, die vor allem die Handlungen des Herzogs abbilden, welches wiederum leicht zur Fokussierung auf das Narrativ der Fürstenreformation führt. Ähnliches gilt auch für die städtischen Überlieferungen wie etwa für die Stadt Lüneburg.14 Um etwaige Hinweise auf den oben genannten Fragenkomplex und damit einen Wechsel der Perspektive zu erhalten, müssen neben diesen Beständen zusätzlich weitere schriftliche Überlieferungen etwa in Form von gedruckten Familienchroniken und Selbstzeugnissen bzw. materiellen Überresten dieser Zeit, beispielsweise in Form von Ausstattungen dörflicher Kirchen oder privater Kapellen, kombiniert werden, um einen differenzierteren Blick auf die Lebenswelten des 16. Jahrhunderts zu erhalten.15 Trotz einer diffizilen Quellenlage soll nachfolgend ein Perspektivenwechsel in der Darstellung der Reformationsgeschichte des Fürstentums Lüneburg erfolgen, der einen dezidierten Blick auf den Adel in diesem welfischen Herrschaftsgebiet wirft. Obwohl ebenso Studien etwa zu bäuerlichen Gruppen oder städtischen Personengruppen mit Blick auf die Reformation in diesem geographischen Raum fehlen, soll hier der Adel des Fürstentums Lüneburg nicht nur aufgrund seiner Funktion als ranghöchste soziale Gruppe innerhalb des ständisch gegliederten Untertanenverbandes der frühneuzeitlichen Gesellschaft dargestellt werden, sondern ebenfalls aufgrund seiner politischen Stellung innerhalb des Herrschaftsverbandes. Nach einer kurzen, überblicksartigen Zusammenfassung der wesentlichen Charakteristika des Lüneburger Adels am Vorabend der Reformation werden ihre frühen Kontakte mit der neuen Glaubenslehre skizziert. Im Anschluss daran 13 Große Teile des Archivbestandes zum Fürstentum Lüneburg, insbesondere zur Korporation der Landschaft, in der auch personenbezogenes Material überliefert war, fielen dem Brand in Folge eines Bombenangriffs auf Hannover im Herbst 1943 sowie dem Leinehochwasser von 1946 zum Opfer. In den bis heute überlieferten Beständen ist die Zeit des 16. Jahrhunderts nur spärlich vertreten, so etwa in Dep. 37S und Dep. 37R im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover. 14 Dazu Überlieferungen im Stadtarchiv Lüneburg, die sich v. a. auf die Konflikte zwischen Rat und den Klöstern bezogen, u. a. in den Aktenbeständen unter der Signatur St.Mich.–39. 15 Nützlich dafür auch die entsprechenden Überlieferungen in Privatarchiven, etwa der noch heute im Fürstentum Lüneburg ansässigen niederadeligen Familien, in denen jedoch eine systematische Auswertung zum Thema Reformation noch aussteht.

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stehen die niederadeligen Handlungsspielräume als Fürstenberater vor dem Hintergrund der herzoglichen Politik und mit Bezug auf die Einführung, Etablierung und Durchsetzung der Reformation sowie der Lüneburger Adel als Kirchenpatron und ihre Verbindungen zu den klösterlichen Institutionen im Blickpunkt, einem Bereich, in der die Veränderungen in Folge der Reformation von besonders einschneidender Bedeutung waren. Mit dieser thematischen Gliederung wird versucht, den oben angesprochenen Perspektivenwechsel vorzunehmen und dem Bild des bei der Einführung und Durchsetzung der Reformation allein handelnden Fürsten weitere Facetten hinzuzufügen. Die Darstellung basiert dabei vornehmlich auf Landtagsabschieden sowie auf Auswertungen von Stammbäumen, Chroniken sowie Leichenpredigten einzelner niederadeliger Familien aus dem Fürstentum Lüneburg.

1.

Der Lüneburger Adel am Vorabend der Reformation

Der Adel im Fürstentum Lüneburg bestand aus mehreren Familienverbänden, deren Mehrzahl urkundlich seit der Regierungszeit von Herzog Heinrich dem Löwen als Ministeriale in dieser Region nachweisbar ist.16 Über verwandtschaftliche Verbindungen untereinander, die über ein ausgeprägtes endogames Heiratsverhalten sowie über Paten- und Freundschaftsbeziehungen hergestellt wurden, bildete der Adel des Fürstentums Lüneburg ein engmaschiges, auf persönlichen Kontakt fokussierendes Beziehungsnetz. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts konnten die niederadeligen Familien in unterschiedlichem Umfang Güterbesitz in und zum Teil auch über die Grenzen des Fürstentums Lüneburg hinaus akkumulieren. Diese Güter, die in der Forschung auch als Rittergüter bezeichnet werden, gingen im Kern zumeist auf allodialen Besitz der jeweiligen niederadeligen Familie zurück und wurden über die Lehnsvergabe durch die welfischen Herzöge erweitert.17 Mit dem Gutsbesitz war auch die sog. Landstandschaft verbunden, ein Zugangsrecht zur ritterschaftlichen Kurie der politischen Korporation der Landschaft, womit ein direkter Bezug zwischen Besitz und politischer Teilhabe gegeben war.18 Jedoch bezog sich die politische Teilhabe der Mitglieder der Landschaft im Mittelalter vorwiegend auf die Bewilligung der sog. Bede, die ursprünglich, in Anlehnung an die Lehnshilfe, als Mittel zur Deckung eines außerordentlichen finanziellen Bedarfs des Fürsten bestimmt war. In der Bede materialisierte sich die Rats- und Hilfepflicht des Lehnsmannes gegenüber seines 16 Grundlegend dazu vor allem Vogtherr, Landadel, 1983. 17 Hindersmann/Brosius, Rittergüter, 42–47. 18 Hindersmann, Adel.

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Lehnsherrn, der für die Erhebung allerdings die Genehmigung der einzelnen Stände benötigte, da er kein direktes Recht über deren abgabenpflichtige Hintersassen in finanzpolitischen Belangen besaß.19 Bis zum 16. Jahrhundert stieg der finanzielle Bedarf der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg infolge ihrer stetig steigenden Verschuldung so stark an, dass sich die außerordentlichen Steuerbewilligungen zu einer festen Institution mit dazugehörigen Verwaltungsstrukturen etablierten, auf welche die Herzöge während ihrer Regierungszeit stets zurückgriffen.20 Da die Zustimmung zu den finanziellen Forderungen der Herzöge von Seiten der Landschaft nicht ohne Gegenleistungen, u. a. in Form von Verleihungen bestimmter Privilegien, erfolgte, konnte die Landschaft ihren Einfluss auf die herzogliche Regierung weiter ausbauen. Zu nennen sind diesbezüglich vor allem die Möglichkeiten einzelner Mitglieder der Landschaft, insbesondere der ritterschaftlichen Kurie, als Bürgen tätig zu werden.21 Innerhalb der ständischen Korporation der Landschaft erfolgte um 1500, im Zuge ihres wachsenden politischen Einflusses, die Herausbildung verschiedener landständischer Ämter, die den zunehmenden Aufgaben und Entscheidungsbefugnissen der Landschaft Rechnung trugen.22 Von dieser Entwicklung profitierten vorwiegend die adeligen Mitglieder, die mehrheitlich parallel dazu ebenfalls Ämter am herzoglichen Hof innehatten. Bereits seit dem Spätmittelalter agierten Mitglieder aus einigen Familien des niederen Adels im Dienst des jeweils regierenden welfischen Herzogs von Braunschweig-Lüneburg.23 Sie besetzten zentrale Stellen innerhalb der herzoglichen Verwaltung und bekleideten politische Ämter, ohne jedoch eine entsprechende adäquate Bildung respektive universitäre Ausbildung genossen zu haben. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts standen ihnen gelehrte Räte, d. h. vor allem ausgebildete Juristen, die meist nicht dem Adel entstammten, gegenüber und konkurrierten um die landesherrlichen Stellen u. a. in der herzoglichen Kanzlei und im herzoglichen Rat und damit um politische Einflussnahme. Welche spezifischen Kriterien der einzelne Adelige um 1500 für die Bestallung in den entsprechenden landesherrlichen Diensten er19 Schmidt-Salzen, Landstände, 36. 20 Zur Entwicklung der Steuer im 15. und 16. Jahrhundert im Fürstentum Lüneburg und die damit einhergehenden strukturellen Veränderungen innerhalb der Korporation der Landschaft Schmidt-Salzen, Landstände, 36–61, sowie Lange, Landtag, 137–152. 21 Basierend auf der Auswertung der im Jahr 1794/95 erschienenen Landtagsabschiede von Andreas Ludolph Jacobi und den korrespondierenden Überlieferung im Niedersächsischen Landesarchiv – Standort Hannover u. a. unter der Signatur NLA HA, Celle Br. 47, Nr. 10. 22 Zu nennen ist vor allem das Amt des Landrats, der eine verfassungsrechtliche Sonderstellung zwischen dem Landesherrn und der Landschaft einnahm und dem Landesherrn u. a. Rat erteilen konnte. Lange, Landtag, 139–145, hier 139 und ein Beispiel gebend für diese Verbindung und dessen Auswirkungen bei Schmidt-Salzen, Landstände, 161–192. 23 Zu nennen sind diesbezüglich u. a. Mitglieder der Familien Grote, von Harling und von der Wense.

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füllen musste, ist nicht pauschal zu klären. Anzunehmen sind zu diesem Zeitpunkt sowohl grundlegende Kenntnisse in der Materie der zu besetzenden Stelle in Anlehnung an die gelehrten Räte, als auch Faktoren, welche sich auf persönliche Beziehungen zum herzoglichen Hof, der Anciennität der abstammenden niederadeligen Familie oder auf den Ruf und die Charaktereigenschaften des jeweiligen Adeligen selbst bezogen. Der niedere Adel des Fürstentums Lüneburg hatte am Vorabend der Reformation somit Möglichkeiten der politischen Teilhabe sowohl innerhalb von landständischen als auch von landesherrlichen Institutionen und war darüber in die zeitgenössischen politischen Diskussionen und sozialen respektive gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die die Reformation auslöste, eingebunden. Parallel dazu kann der niedere Adel des Fürstentums Lüneburg auch als Herrscher auf dem Lande bezeichnet werden.24 Der ländlich geprägte Gutsbesitz mit dazugehörigem Herrensitz, Ländereien und spezifischen Rechten, wie etwa dem Jagd- und Fischereirecht, charakterisierte die niederadelige Herrschaft auf dem Lande ebenso wie die Zugehörigkeit einzelner Dörfer und Bauernstellen zum Gutsbesitz. Die Verfügungsgewalt über dienst- und abgabenpflichtige Untertanen, die ihrem Guts- und damit ihrem Herrschaftssitz zugeordnet waren, bildeten die wesentliche Existenzgrundlage des niederen Adels im Fürstentum Lüneburg. Die zentrale wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Guts war darüber hinaus auch die Grundlage für die landständische Partizipation und für angestrebte Karrieren in herzoglichen Diensten. Gerichts- und Patronatsrechte rundeten die Herrschaft des niederen Adels im ländlichen Raum ab. Sichtbarer Ausdruck des Letzteren waren die Patronatskirchen, die oftmals in direkter Nähe zum Herrensitz bzw. zum Gutshaus errichtet und von der jeweiligen niederadeligen Familie repräsentativ ausgestattet wurden. Die Ausübung der Religion und die Sichtbarmachung der familiären Frömmigkeit innerhalb der Patronatskirchen korrespondiert mit der Nutzung der monastischen Einrichtungen im Fürstentum Lüneburg.25 Neben dezidiert religiösen Aspekten spielten in unterschiedlichem Umfang aber auch Ausbildungs-, Karriere- und Versorgungsaspekte bei der Besetzung von Konvent- und Domherrenstellen durch Söhne und Töchter einzelner Familien des niederen Adels eine Rolle. 24 Diesbezüglich grundlegend u. a. der umfangreiche, sachkundige und mit zahlreichen materiellen Überlieferungen illustrierte Ausstellungskatalog des Museumsdorfs Cloppenburg. Düselder, Kultur, 15–179. 25 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die der Benediktinerregel folgenden Konvente in Ebstorf, Lüne und Walsrode, die Zisterzienserklöster in Isenhagen, Medingen und Walsrode für niederadelige Töchter sowie Domherrenstellen in Lübeck, Ratzeburg und Hildesheim und die Benediktinerkonvente St. Michael in Lüneburg und in Oldenstadt, das Zisterzienserkloster in Scharnebeck sowie die Stifte Bardowick und Ramelsloh für die Söhne des Lüneburger Adels. Zur allgemeinen Geschichte der niedersächsischen Klöster u. a. Dolle/Knochenhauer, Klosterbuch, und Dannowski/Johaentges, Klöster.

Die Reformation im Fürstentum Lüneburg

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Das hier skizzierte Bild des Lüneburger Adels am Vorabend der Reformation birgt allerdings bereits Krisenmomente, die in der Forschung allgemein mit dem Begriff Adelskrise umschrieben werden.26 Von den Auswirkungen der spätmittelalterlichen Agrarkrise bei gleichzeitigem Bestreben, die standesgemäße Lebenshaltung aufrechtzuerhalten, über die durch Gelehrte gestiegene Konkurrenz um Ämter am herzoglichen Hof bis hin zur zunehmenden Einbindung in die administrative und juristische Durchdringung des Fürstentums, die das Verhältnis zum Landesherrn veränderten, reichten die Krisenmomente, die die Lebenswelt des niederen Adels betrafen. In welchem Ausmaß auch der Lüneburger Adel von der Adelskrise am Vorabend der Reformation betroffen war und wie einzelne Mitglieder dieser sozialen Gruppe darauf reagierten, muss aufgrund fehlender Aussagen u. a. aus Selbstzeugnissen bis dato ungeklärt bleiben.27 Ob die Hinwendung zur neuen Glaubenslehre, deren Etablierung und Durchsetzung vom Landesherrn vehement vorangetrieben wurde, eine Reaktion auf die sich verändernde Lebenswelt des niederen Adels im Fürstentum Lüneburg war, um innerhalb des Untertanenverbandes weiterhin eine tragende politische und gesellschaftliche Rolle zu spielen, erscheint beispielsweise mit Blick auf die Handlungen in ihrer Funktion als Fürstenberater plausibel, bedarf allerdings einer umfangreicheren Forschung in diesem Bereich.

2.

Der Lüneburger Adel und die Reformation

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts befand sich Georg von Estorff an der Universität Wittenberg und hörte die Ausführungen zu Themen der Jurisprudenz von Guolfgangus Reisenpusch. Als „Georgius de Etzdorff nobilis“ ist das um 1492 geborene Mitglied der lüneburgischen Adelsfamilie von Estorff in den Universitätsmatrikeln von 1512 nachweisbar, ebenso wie die beiden herzoglichen Brüder Ernst I. und Otto I. von Braunschweig-Lüneburg (1495–1549), welche die Universität zum selben Zeitpunkt besucht haben. Ipsa domincia passionis dominicae alias Judica uocitata Illustres principes ac domini Otto et Ernestus fratres Germani domorum Brunsswigktzen et Luneburgen duces etc. Nepotes Illustrissimi domini, domini Foederichi principis Electoris etc. ducis Saxonie: Lanthgrauij Thuringie Marchionisque Misie: Huiusce quoque gymnasii nostri fundatoris ac patroni munificentissimi, sese inscribi fecerunt28, 26 Die verschiedenen wissenschaftlichen Deutungen des Begriffs „Adelskrise“ zusammengefasst bei Gillner, Freie Herren, 51f. 27 Einige Hinweise liefert jedoch Bei der Wieden, Konfessionalisierung. 28 Digitalisat des Album Academiae Vitebergensis, erstellt von der Universitätsbibliothek Düsseldorf und abrufbar unter der URN: urn:nbn:de:hbz:061:1–445596.

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lautet der entsprechende Eintrag in der Matrikel, der nicht nur die Anwesenheit der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg in Wittenberg, sondern zusätzlich ihre familiären Verbindungen zum Kurfürstentum Sachsen, genauer zum Universitätsgründer Kurfürst Friedrich III. von Sachsen (1463–1525) belegt. Die Universität Wittenberg entwickelte sich seit ihrer Gründung im Jahr 1502 durch Kurfürst Friedrich III. von Sachsen zu einem Zentrum des Humanismus und mit den Lehrtätigkeiten Martin Luthers und Philipp Melanchthons (1497– 1560) schließlich zu einem Zentrum der Reformation. Die humanistische Prägung der Universität rückte Wittenberg als Studienort für Fürsten und Adelige ebenso in den Fokus wie der kursächsische Hof, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts als ein Aufenthaltsort im Verlauf einer adligen Kavalierstour für den niederen Adel, insbesondere auch für denjenigen der norddeutschen Territorien, an Bedeutung gewann. Aus welchen Gründen Mitglieder niederadeliger Familien aus dem Fürstentum Lüneburg zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach Wittenberg kamen, kann allerdings nicht eindeutig geklärt werden, dennoch erschien das Studium an der Universität Wittenberg und der Aufenthalt in Kursachsen ab 1510 für Niederadelige aus den welfischen Territorien erstrebenswert. So finden sich etwa Mitglieder der Familien von Alvensleben, von Behr, von dem Knesebeck, von Plato und von Schulenburg als Immatrikulierte in verschiedenen Fakultäten der Universität wieder. Weitere Lüneburger Adelige lassen sich in den vorliegenden Universitätsmatrikeln zwar nicht nachweisen, allerdings wird in der Forschung angenommen, dass eine Reihe junger Adeliger aus dem Fürstentum Lüneburg die welfischen Herzöge schon um 1512 nach Kursachsen begleiteten.29 Für die Begleitung der Herzöge war ein eigenständiges Universitätsstudium oder der Besuch von Lehrveranstaltungen nicht zwingend. Es bleibt festzuhalten, dass adelige Söhne aus dem Fürstentum Lüneburg, die im selben Alter wie die Herzöge Ernst I. und Otto I. waren, diese um 1512 nach Kursachsen begleitet haben und zum Großteil Söhne von herzoglichen Räten gewesen sind. Ein elterlicher Anspruch, die jungen Adeligen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in ein Zentrum der sich entwickelnden neuen Glaubenslehre zu schicken, kann jedoch nicht angenommen werden, stand doch vor allem der Aufbau von Beziehungen zum herzoglichen Umfeld und die Herstellung persönlicher Nähe zum künftigen regierenden Herzog im Vordergrund solcher Aktivitäten, die sich demnach direkt auf die Konstruktion von Karrieren am herzoglichen Hof bezogen. Dennoch erscheint es plausibel, dass die reformatorischen Ideen und neuen Glaubensinhalte vorwiegend über Studienaufenthalte und Kavalierstouren innerhalb des niederen Adels eine gewisse Kenntnis und 29 Einen Verweis darauf, dass Adelige aus dem Fürstentum Lüneburg die Herzöge begleiteten, ohne diese jedoch namentlich benennen zu können u. a. bei Drömann, Reformator, 7.

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Verbreitung fanden. Verstärkt werden konnte diese Tendenz zudem über verwandtschaftliche und freundschaftliche Verbindungen, etwa über Eheschließungen in Wittenberg ausgebildeter Adeliger mit lüneburgischen Adeligen oder über die gemeinsamen Aktivitäten in der politischen Korporation der Landschaft.30 In welchem Umfang und auf welche Weise die Verbreitung der lutherischen Reformation auf dieser als innerfamiliär zu bezeichnenden Ebene schon vor ihrer von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg ab den 1520er Jahren initiierten Einführung und Durchsetzung erfolgte, bleibt aufgrund der Quellenlage im Dunkeln. Über die hier skizzierten Möglichkeiten, mit der neuen Glaubenslehre in Kontakt zu kommen, würden sich für eine umfangreichere Bewertung dieses Sachverhalts u. a. detailliertere Analysen bezüglich der Verbreitung reformatorischer Flugblätter sowie der jeweiligen Aktivitäten lutherischer Prediger im Fürstentum Lüneburg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts anbieten.

2.1

Der Lüneburger Adel als Fürstenberater

Schon um 1500 existierten enge personelle Verbindungen zwischen der welfischen Landesherrschaft und der ständischen Korporation der Landschaft, indem Mitglieder aus zahlreichen niederadeligen Familien des Fürstentums Lüneburg auch bei Übernahme in den herzoglichen Dienst vollwertige Mitglieder der ritterschaftlichen Kurie der Landschaft blieben. Zusätzlich hielten sie ihren Anspruch auf die Besetzung landständischer Ämter aufrecht. Während der Regierungszeit von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg sind entsprechende Verbindungen insbesondere für die niederadeligen Familien von Bothmer, von Estorff, Grote und von der Wense nachzuweisen, deren Mitglieder sowohl als Unterzeichner von Landtagsabschieden als auch in ihrer jeweiligen Funktion als herzogliche Beamte in Quellen erscheinen. Die doppelte Funktion in landesherrlichen und landständischen Diensten brachte es mit sich, dass diese Adeligen sowohl die politischen Bestrebungen des Herzogs als auch diejenigen der Landschaft kannten. Diesen, durch Herrschaftswissen und über ihre Position innerhalb des Herrschaftsapparates begründeten Vorteil, konnten sie gezielt bei Verhandlungen zentraler politischer Themen entweder zur Erlangung eines Konsenses oder zur Durchsetzung der herzoglichen oder aber der landständischen Position anwenden. In jedem Fall konnten sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den zwei politischen Sphären des Fürstentums Lüneburg beratend tätig werden, welches sich auch im Verlauf der Etablierung und Durchsetzung der Reformation zeigt. 30 Ablesbar anhand der entsprechenden Auswertungen von Jacobi, Landtags-Abschiede.

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In diesem Zusammenhang ist als Beispiel die politische Tätigkeit des aus einem altadeligen Geschlecht des Fürstentums Lüneburg abstammenden Thomas Grote zu nennen.31 Aussagekräftige Informationen zu den ersten Lebensjahren sowie zur Ausbildung des im Jahr 1478 geborenen Thomas Grote fehlen, in der Familienchronik aus dem 19. Jahrhundert wird er lediglich als ausgesprochen gebildet bezeichnet. Bereits in jungen Jahren, so heißt es darin, sei Thomas als Rat am herzoglichen Hof tätig gewesen und habe auch in engem Kontakt zu den Herzögen gestanden. Ob seine politische Karriere noch am Hof von Herzog Heinrich dem Mittleren von Braunschweig-Lüneburg (1468–1532) begann oder erst unter dessen Söhnen Herzog Otto I. und Herzog Ernst I., welche die Regierung im Zuge der Verhängung der Reichsacht über ihren Vater ab 1520/ 22 gemeinsam übernommen hatten, bleibt vage. Eine wiederkehrende Rolle in der landesherrlichen Überlieferung nimmt Thomas Grote erst ab dem Jahr 1527 ein, dem Zeitpunkt der Übernahme sämtlicher Regierungsgeschäfte durch Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg. Eine erste urkundliche Erwähnung als herzoglicher Rat datiert allerdings bereits aus dem Jahr 1522, den Anfangsjahren der gemeinsamen Regierung der jungen Herzöge. Welche Qualifikationen Thomas Grote für seinen Dienst am herzoglichen Hof mitbrachte und ob bei der Ernennung zum herzoglichen Rat direkt oder indirekt ein Bekenntnis zur neuen lutherischen Glaubenslehre ein Thema war, bleibt offen. Während seiner mehrere Jahrzehnte andauernden Tätigkeit für Herzog Ernst I. von BraunschweigLüneburg scheint sich Thomas Grote zu einem Verfechter der Reformation entwickelt zu haben, war er doch maßgeblich beratend und zum Teil auch ausführend an den politischen Entscheidungen des Herzogs beteiligt, welche die Einführung und Durchsetzung der Reformation im Fürstentum Lüneburg ermöglichten. Dieses bezieht sich zum einen auf das sogenannte Artikelbuch und zum anderen auf den Landtagsabschied des Jahres 1527. Beides sind Elemente der herzoglichen Reformpolitik, die sowohl auf Verwaltungsstrukturen seines eigenen Hofes als auch auf die Reform geistlicher Einrichtungen u. a. in Form einer neu ausgerichteten Klosterpolitik ausgerichtet waren. Die von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg angestrebte und von seinen Räten, darunter auch den im Fürstentum über ihre Familien und Besitz verwurzelten adeligen Räte, unterstützte Reformpolitik, wird in der Forschung dezidiert als Merkmal territorialer Staatswerdung gedeutet und somit vorwie31 Das adelige Geschlecht der Grotes führt sich urkundlich bis in die Zeit von Herzog Heinrich dem Löwen zurück und war im 16. Jahrhundert mit einem umfangreichen Gutsbesitz von mehreren Rittergütern und dazugehörigen Dörfern vorwiegend im Fürstentum Lüneburg ausgestattet. Über ihren Besitz besaßen sie die Stimmfähigkeit und die Zugehörigkeit zur ritterschaftlichen Kurie der Landschaft und stellten zum Teil auch Mitglieder für die landständischen Ausschüsse. Grundlegende Informationen dazu in der 1891 erschienenen Familiengeschichte der Grotes.

Die Reformation im Fürstentum Lüneburg

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gend unter politisch-fiskalischen Motiven betrachtet.32 Parallel dazu liegen aber zusätzlich dezidiert religiöse Motive vor, die Herzog Ernst I. von BraunschweigLüneburg mit seinem Handeln verband und die auch von den adeligen Räten an seinem Hof mitgetragen wurden, spätestens seit sich der Herzog mit seinem Beitritt zum sogenannten Gotha-Torgauer Bund der Öffentlichkeit des Alten Reichs als Anhänger der lutherischen Glaubenslehre zu erkennen gab. Etwaige Konflikte bezüglich des Glaubens sind für den in Celle residierenden herzoglichen Hof und für die im herzoglichen Dienst stehenden Adeligen nicht bekannt, ebenso wenig etwaige innerfamiliäre Auseinandersetzung im Adel des Fürstentums Lüneburg. Doch auch wenn diese aufgrund der Quellenlage getroffene Aussage gemacht werden kann, ist nicht davon auszugehen, dass sich jedes Mitglied einer adeligen Familie im Fürstentum Lüneburg, ob nun in herzoglichen Diensten stehend oder nur als Mitglied der Landschaft oder ganz ohne politische Teilhabe wie etwa die adeligen Frauen, mit oder gar während der Regierungszeit des sich zum lutherischen Glauben bekennenden Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg, zwangsläufig und ohne Konflikte der neuen Lehre zuwandte. Es ist eher zu vermuten, und darauf verweisen auch neuere mentalitätsgeschichtliche Forschungen, dass bis Mitte des 16. Jahrhunderts und in Teilen auch darüber hinaus altgläubige Elemente in die neue Lehre integriert und gewisse Kulthandlungen beibehalten sowie ein zunehmendes individuelles Gestaltungsmoment den eigenen Glauben charakterisierte. Die Herausbildung einer eigenständigen evangelisch-lutherischen Konfession mit den entsprechenden Zugehörigkeitsvorstellungen erfolgte erst in Abgrenzung zu den Bestimmungen des Konzils von Trient ab 1545.33 Die herzoglichen Räte und darunter vor allem Thomas Grote unterstützten Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg bei der Einführung und Durchsetzung der Reformation im Fürstentum Lüneburg, in dem sie nicht nur die herzogliche Reformpolitik mittrugen, sondern ebenso ihren Einfluss auf die Landschaft, die über die oben skizzierten direkten oder familiären Verbindungen gegeben waren, geltend machten.34 Wie weit und in welchem Ausmaß auch hier eine direkte oder auch indirekte Einflussnahme zugunsten der neuen Glaubenslehre von Seiten derjenigen Adeligen, die im herzoglichen Dienst standen, ausging, bleibt bis dato ebenso ungesichert wie mögliche Diskussionen und Verhandlungen über die Annahme der Reformation und die damit einherge-

32 Schulze, Fürsten, 13. 33 Grundlegend dazu u. a. Holzem, Christentum, sowie mit Bezug zur Liturgie die Aufsätze aus Brademann/Brode-Thies, Liturgisches Handeln. 34 Dieses geschah nicht ohne Eigennutz, konnte sich doch beispielsweise Thomas Grote durch seine loyalen Dienste für Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg mehrere Anwartschaften auf und Verleihung von Lehnsbesitz sichern. Grote, Geschichte, 1–6.

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hende Zustimmung zur herzoglichen Politik innerhalb der ritterschaftlichen Kurie. Letztendlich positionierten sich die Adeligen der Landschaft des Fürstentums Lüneburg im Hinblick auf die neue Glaubenslehre erst im Verlauf des Jahres 1527. Im Frühjahr des Jahres 1527 kehrte Herzog Heinrich der Mittlere von Braunschweig-Lüneburg aus seinem französischen Exil in das welfische Fürstentum zurück, mit der Absicht, die Regierung seines Sohnes zu beenden und selbst erneut als regierender Fürst die Herrschaft auszuüben. Unterstützung für dieses Vorhaben fand Herzog Heinrich der Mittlere bei den Prälaten des Fürstentums sowie beim Rat der Stadt Lüneburg, die der Reformpolitik von Herzog Ernst I. ablehnend gegenüberstanden.35 Dieser wiederum berief im April des Jahres 1527 einen Landtag zu Scharnebeck ein, indem er den Anwesenden, in der Mehrzahl den Adeligen des Fürstentums Lüneburg, die negativen Auswirkungen einer erneuten Herrschaft des alten Herzogs vor Augen führte. Dieser habe das Land nach seiner Reichsacht mit immensen Schulden und somit in einem desaströsen, den inneren Frieden gefährdenden Zustand zurückgelassen. Seit seiner eigenen Regierungsübernahme seien dagegen Schritte unternommen worden, diese Missstände zu beseitigen, wozu auch die engere Einbindung der Landschaft in die landesherrliche Politik, insbesondere bezüglich steuerlicher Themen, beigetragen hätte. Nach einer zeitgenössischen Chronik beschlossen daraufhin die Mitglieder der Landschaft, vor allem die ritterschaftliche Kurie, „dat man dem olden heren synem motwillen sturen und werden wolde“.36 Dieses war ein klares Bekenntnis zu Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg und bedeutete zugleich nicht nur eine Ablehnung von Herzog Heinrich dem Mittleren als politische Person, sondern ebenso die Ablehnung einer mit seiner Person verbundenen Beibehaltung des alten katholischen Glaubens und seiner kirchenrechtlichen Strukturen. Ob damit jedoch auch eine umfangreiche Zustimmung zu der von Herzog Ernst I. angestrebten Einführung und Durchsetzung der Reformation zu verstehen ist, bleibt fraglich, da auf diesem Landtag im Frühjahr 1527 wohl noch keine weitreichenden Verhandlungen bezüglich religiöser Fragen anstanden.37 Eine grundlegende Entscheidung für die neue Glaubenslehre und die damit im Zusammenhang stehende Kirchenpolitik von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg wurde von der Landschaft erst auf dem darauffolgenden Landtag im August 1527 virulent. Zuvor war das im Auftrag vom Herzog erstellte Artikelbuch unter der Führung des lutherischen Predigers Gottschalk Kruse (1499–1540) mit dem Titel „Artikel, darinne etlike mysbruke by den parren des 35 Schulze, Nutzen, 16. 36 Schomaker, Chronik, 135. 37 In dieser Meinung Adolf Wrede folgend Fabricius, Kontroversen, 37.

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förstendoms Lüneborg entdecket unde darjegen gude ordenynge angegeven werden mit bewysynge und vorklarynge der Schrift“ erschienen, welches als erste provisorische Kirchenordnung für das Fürstentum Lüneburg angesehen werden kann.38 Dieses Artikelbuch, dass das Schriftprinzip und die Person Christi als Grundlage der wahren Verkündigung zentral hervorhob sowie dem Herzog und damit einem weltlichen Fürsten die alleinige Handlungskompetenz bezüglich der Durchführung religiöser und kirchlicher Neuerungen zusprach, sollte von der Landschaft zügig angenommen werden, um die weitere herzogliche Politik, die sich insbesondere gegen die Klöster im Fürstentum Lüneburg richtete, zu unterstützen. Hatten sich die Adeligen der Landschaft noch während der Landtage des Jahres 1525 gegen ihre Teilhabe an der herzoglichen Reformpolitik verwehrt, führten nun zwei Jahre später die Verhandlungen auf dem Landtag 1527 zu einer Art ausgleichendem Kompromiss, der im Rückblick dennoch den Ausgangspunkt für die Einführung der Reformation im gesamten Territorium des Fürstentums Lüneburg markiert.39 Aufgrund der mehrheitlichen Ablehnung des Artikelbuchs innerhalb der geistlichen Kurie der Landschaft wurde es aber weder allgemein angenommen noch allgemein abgelehnt, auch wenn es etwaige Fürsprecher in den beiden anderen Kurien, der ritterschaftlichen und städtischen, gegeben hatte. Vielmehr wurden Formulierungen gefunden und im rechtsgültigen Landtagsabschied festgehalten, wonach sich die Hinwendung zur neuen Lehre an den bestehenden Standesprivilegien orientieren sollte.40 Festzuhalten bleibt, dass dieser Landtagsabschied von 1527 bezüglich der religionspolitischen Fragen einen Ausgleich suchte und Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg augenscheinlich eine spezifische Form der Zusammenarbeit mit der Landschaft in diesem Bereich anstrebte. Dass dafür vor allem auch die fürstliche Abhängigkeit von den landständischen Steuerbewilligungen eine wichtige Rolle spielte, wurde in der Forschung bereits ausführlich thematisiert.41 Offen bleiben aufgrund der Quellenlage allerdings Fragen, welchen Einfluss die adeligen Räte aus dem niederen Adel des Fürstentums Lüneburg auf die herzogliche Reformpolitik nehmen konnten und wie der einzelne Adelige diesbezüglich individuell und als Teil der landständischen Korporation die Wandlungsprozesse, die von Herzog Ernst I. durchgesetzt wurden, wahrnahm und seine persönlichen politischen Entscheidungen beeinflusste. 38 Zum Reformator Kruse grundlegend Balzer, Reformatoren, 10, und ein Abdruck des sogenannten Artikelbuchs bei Sehling, Kirchenordnungen, 492f. 39 Schmidt-Salzen, Landstände, 203f. 40 Dazu gehörten u. a. dass sich die kirchlichen Zeremonien, die die Prälaten vollzogen, an den Bestimmungen des Reichstagsabschieds von Speyer aus dem Jahr 1526 orientieren sollten und der Adel in seinen Patronatskirchen das Evangelium im Sinne der lutherischen Auffassung predigen lassen sollte. Schulze, Nutzen, 84. 41 Schulze, Nutzen, 84, und Vollrath, Klosterpolitik, 262f.

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Für Thomas Grote, herzoglicher Rat und Mitglied der Lüneburger Landschaft, war die loyale Unterstützung des Herzogs bezüglich der Einführung und Durchsetzung der Reformation, die er sicherlich auch innerhalb der ritterschaftlichen Kurie vertrat, mit individuellen religiösen und politische Motiven verknüpft. Einerseits sicherte er sich durch die Unterstützung der Reformation seine weitere Karriere am herzoglichen Hof, da er u. a. für die ab 1529 beginnenden herzoglichen Klostervisitationen im Fürstentum Lüneburg eingesetzt wurde, andererseits vertrat er noch nach dem Tod von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg während seiner Tätigkeit in der Vormundschaftsregierung für dessen 1546 noch minderjährigen Söhne vehement die Hinwendung des Fürstentums Lüneburg zur Reformation und verhinderte, dass die jungen Herzöge zur Erziehung an katholische Höfe geschickt wurden.42 Dieses kann nicht nur aus rein politischen Motiven betrachtet, sondern ebenso als Indiz der Anhängerschaft von Thomas Grote an den lutherischen Glauben gedeutet werden. Letztendlich macht es die vorhandene Quellenlage nötig, den Lüneburger Adel in seiner Funktion als Fürstenberater vor dem Hintergrund der herzoglichen Politik zu spiegeln und anhand der Verhandlungen und Beschlüsse seinen Umgang mit der Reformation nachzuzeichnen. Zwar fehlen dezidierte Aussagen einzelner adeliger Protagonisten, allerdings kann das bis dato erkennbare Agieren der niederen Adeligen dahingehend gedeutet werden, dass die Aufrechterhaltung ihrer vielfältigen politischen Teilhabe während der reformatorischen Umbrüche im Zentrum ihres Handelns stand und die Annahme der neuen Glaubenslehre dabei eher ein Mittel zum Zweck dieses Bestrebens war. Gewalttätige Konflikte mit dem Herzog bei Einführung und Durchsetzung der Reformation sind aus diesem Grund im niederen Adel des Fürstentums nicht zu finden. Beiderseitige Konsensbereitschaft von Seiten des Herzogs und des niederen Adels sowie die engen Verbindungen dieser sozialen Gruppe an den herzoglichen Hof scheinen eine im Vergleich mit anderen Adelslandschaften konfliktfreie Reformation im Fürstentum Lüneburg ermöglicht zu haben. Diese Konsensbereitschaft zeigt sich nachfolgend ebenfalls im kirchlichen Bereich.

42 Grote, Geschichte, 1–6. Ein genaueres Bild der religiösen Vorstellungen einer einzelnen Person würden personenbezogene Überlieferungen wie Tagebücher, Testamente und Ähnliches liefern, die aber für den niederen Adel des Fürstentums Lüneburg im 16. Jahrhundert kaum überliefert sind.

Die Reformation im Fürstentum Lüneburg

2.2

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Der Lüneburger Adel als Kirchenpatron und im Lüneburger Klosterwesen

Der auf dem Landtag von 1527 zwischen Herzog Ernst I. von BraunschweigLüneburg und der Mehrheit der landständischen Mitglieder erreichte Konsens bezüglich der Einführung der Reformation im Fürstentum Lüneburg bedeutete zugleich die Zustimmung zur umfassenden herzoglichen Reformpolitik des territorialen Kirchenwesens, welches den niederen Adel sowohl in seiner Funktion als Kirchenpatrone als auch hinsichtlich seiner Nutzung der monastischen Einrichtungen des Fürstentums Lüneburg direkt betraf. Im überlieferten Revers zum Landtagsabschied von 1527 lautet die zentrale Formulierung: Zudem wollen und sollen auch unserer mannschaft wie sie daß auf ergst gehaltenen Landtage angenommen und bewilligt, in denen Kirchen, es von Ihnen Zulehen gehen, auch das Evangelium lauter, rein und klar, in form und maß wie abbewärt, vortragen und predigen laßen, und es mit Ceremonien alß halten laßen, alß sie vor Godt verlassen zu verantworten.43

Nach dieser Bestimmung sollte der niedere Adel, welcher hier als Mannschaft bezeichnet wird, das Evangelium im Sinne der lutherischen Auffassung, d. h. ausschließlich basierend auf der Bibel, in ihren Patronatskirchen predigen lassen. Patronatskirchen werden kirchenrechtlich der sogenannten Eigenkirche zugeordnet, welches als „ein Element der Kirchenverfassung, das in der Auseinandersetzung der in der Spätantike geformten kirchlichen Institutionen mit der Adelsherrschaft der germanischen Nachfolgestaaten des römischen Reichs entsteht“.44 Die Eigenkirche kennzeichnete, dass als das bestimmende Element der Kirchenverfassung allein der adelige Grundherr auftrat und über das kirchliche Leben auf lokaler Ebene entschied. Als adeliger Grundherr konnten sowohl der Landesherr eines Territoriums als auch Mitglieder des niederen Adels, die im Besitz von Allodial- oder auch Lehngut waren, auftreten. Die Erträge aus dem Kirchengut und weiteren zur Kirche gehörenden Einkünften standen dem Eigenkirchenherrn zur Verfügung. Des Weiteren verfügte der Patronatsherr über eine hervorgehobene, repräsentative Stellung innerhalb der Gemeinde, die anhand von heilsgeschichtlich verzierten Patronatsgestühlen, der Stiftung von Altären, Kapellen und weiteren liturgischen Gegenständen sowie anhand seiner hervorgehobenen Begräbnisstätte innerhalb der Patronatskirche sichtbar gemacht wurde. Darüber hinaus verfügte der Patronatsherr über das Präsentationsrecht für Kleriker, die an seiner Kirche wirken sollten und konnte somit die Wahl des kirchlichen Gemeindevorstehers nach seinen Vorstellungen

43 NLA HA, Celle Br. 47, Nr. 3. 44 Sieglerschmidt, Territorialstaat, 7f.

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beeinflussen, obwohl die letztendliche Investitur vom zuständigen Archidiakon vollzogen werden musste.45 Die Patronatskirchen im Fürstentum Lüneburg standen mehrheitlich in der Verfügungsgewalt einzelner niederadeliger Familien, sodass der herzogliche Landesherr keinen direkten Zugriff auf diese Kirchen und die dazugehörigen Gemeinden hatte. Um die Reformation im gesamten Kirchenwesen, einschließlich des vom niederen Adel dominierten dörflichen Niederkirchenwesens durchzusetzen, übte Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg mit der oben zitierten Formulierung aus dem Landtagsabschied von 1527 Zwang auf die adeligen Patronatsherren aus. Faktisch bedeutete der Landtagsabschied die Einbeziehung der adeligen Patronatskirchen in die von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg vorangetriebene Ausweitung des landesherrlichen Kirchenregimentes. Damit einher ging zudem die engere Einbindung des Adels in die herzogliche Landesherrschaft respektive in die sich entwickelnden staatlichen Strukturen des welfischen Herrschaftsgebiets. Ob es parallel zu den herzoglichen Bestrebungen zusätzlich von den der Grundherrschaft unterstehenden Bevölkerungsteilen, die ebenfalls am kirchlichen Leben der Patronatskirche teilnahmen, entsprechende Forderungen nach Einführung der Reformation gab, kann u. a. aufgrund der Ereignisse rund um den Bauernkrieg angenommen werden, bedürfen aber einer konkreteren Auswertung entsprechender Archivalien. Festzustellen ist, dass trotz des Landtagsabschieds von 1527 und der weiteren Reformpolitik von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg in den Folgejahren, die neue Glaubenslehre nicht flächendeckend und auch nicht gleichzeitig in allen Patronatskirchen des niederen Adels des Fürstentums Lüneburg etabliert wurde. Erst vermehrt ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sind sowohl eine deutliche Hinwendung der sich im Besitz des niederen Adels befindenden Patronatskirchen zur neuen Lehre, u. a. ablesbar an ihrer veränderten Kirchenausstattung, als auch eine zunehmende Bautätigkeit und Errichtung neuer Patronatskirchen nachweisbar. So erbaute beispielsweise Jakob Grote (1526–1567), zweitgeborener Sohn des bereits erwähnten herzoglichen Rats Thomas Grote, im Jahr 1563 eine neue Patronatskirche in Form einer Kapelle mit evangelischer Kirchenausstattung auf seinem Gutsbesitz Breese.46 Ob die Errichtung einer Patronatskirche, welche die neue Glaubenslehre verbreitete, jedoch ausschließlich vom jeweiligen Gutsbesitzer ausging, d. h. aus persönlicher, religiöser Überzeugung erfolgte, oder doch auch eine gewisse Nähe zum jeweils regierenden Herzog von Braunschweig-Lüneburg bei einer Neuerrichtung, etwa im Zusammenhang mit einer Vergabe von Lehnsgut, in Betracht zu ziehen ist, bleibt spekulativ. Eine entsprechende herzogliche Vorgehensweise, eine Lehns45 Gillner, Freie Herren, 97. 46 Grote, Geschichte, 6.

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vergabe indirekt mit der Auflage zum Bau einer Patronatskirche zu versehen, die zur Verbreitung der Reformation beitragen würde, könnte zwar als ein Mittel der Durchsetzung der Reformation im vom niederen Adel dominierten ländlichen Herrschaftsraum angenommen werden, in einzelnen, ausgewählten Stiftungsurkunden für neu zu errichtende Patronatskirchen sind entsprechende Hinweise jedoch nicht zu finden. Stattdessen werden noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts persönliche Glaubensüberzeugungen und familiäre Aspekte in entsprechenden Fällen als Gründungsargumente einer neuen Patronatskirche angeführt. Exemplarisch dafür stehen die Aussagen von Abt Conrad von Bothmer (1548–1617), welcher im Jahr 1612 auf dem Gutsbesitz Bothmer I eine Kapelle stiftete, an der ein protestantischer Geistlicher predigte. Einerseits stellte Conrad von Bothmer in der Stiftungsurkunde für diese Kapelle seine persönlichen religiösen Überzeugungen als Argument zur Legitimation dieser Gründung heraus, andererseits führte er an, dass eine Gutskapelle, in der die reformatorische Lehre gepredigt werde, sowohl für seine Familie als auch für die bäuerlichen Schichten der Umgebung von Gut Bothmer I bezüglich eines gottgefälligen Lebens von Vorteil sei.47 Welche spezifischen Gründe es für Neugründungen von Patronatskirchen und Umwidmungen bereits bestehender Kirchen im Sinne der neuen Glaubenslehre gab, die sich ab der Mitte des 16. Jahrhunderts für zahlreiche weitere niederadelige Familien des Fürstentums Lüneburg nachweisen lassen, bedarf einer ausführlicheren Analyse.48 Denkbar wäre u. a. die Auswertung serieller Quellen mit Blick auf die bestallten Kleriker an den Patronatskirchen sowie eine kunsthistorische Analyse der kirchlichen Ausstattung, die wiederum auf Aspekte zur praktischen Umsetzung der Reformation in diesen Kirchenräumen verweisen würde. Bedeutete die von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg im Jahr 1527 geforderte Umsetzung des neuen Glaubens in den adeligen Patronatskirchen einen direkten Eingriff in den niederadeligen Herrschaftsbereich, hatten auch die weiteren, vom Herzog angestrebten reformatorischen Maßnahmen im Kirchenwesen Auswirkungen auf die Familien des niederen Adels, welche sich besonders deutlich anhand der Ereignisse rund um die von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg betriebene Klosterpolitik aufzeigen lassen. Bereits in den frühen 1520er Jahren standen sowohl die Klöster als auch die Stifte des Fürstentums Lüneburg in ihrer kirchenrechtlichen, strukturellen Organisation, ihrer wirtschaftlichen Eigenständigkeit und ihrer theologischen Ausrichtung zur Disposition, trotz der vor dem Jahr 1500 einsetzenden monastischen Reformbewegungen, welche sich u. a. in der Windesheimer und Bursfelder Kongregation 47 Paraphrasiert nach einer Quelle aus dem Privatarchiv der Familie von Bothmer. 48 Nachweisbar etwa bei den Familien von Bothmer, von Estorff, Grote und von der Wense. Hindersmann/Brosius, Rittergüter, 2015.

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widerspiegelten.49 Ab dem Jahr 1525 erfolgte eine umfangreiche Inventarisierung der Klöster, in Folge dessen jedes einzelne Kloster und Stift im Fürstentum Lüneburg eine detaillierte Auflistung ihres jeweiligen Besitzes anfertigen und dem Herzog bzw. der herzoglichen Regierung übergeben musste und welches letztendlich die Grundlage für die umfangreiche Einziehung von Propsteigut bildete. Ab dem Jahr 1529 erfolgte die Absetzung der Pröpste, an deren Stelle nun Amtsleute eingesetzt wurden, die dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg direkt unterstellt waren und womit die betroffenen Klöster fortan administrativ als auch juristisch von ihm abhängig wurden. Im Kreis dieser Amtsleute, welche die ursprünglichen Aufgaben der Pröpste übernommen hatten, darunter die Verwaltung und den Schutz des Klostervermögens sowie die Wirtschaftsführung des jeweiligen Klosterhofes, befanden sich auch Adelige aus dem Fürstentum Lüneburg, die sich in Folge der Klosterpolitik von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg hier ein neues Betätigungsfeld erschließen konnten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang u. a. Mitglieder der niederadeligen Familien von Honstedt, Grote und von der Wense. Rechtlich legitimiert wurde diese Neugestaltung des Klosterwesens im Fürstentum Lüneburg über die vom Herzog gemäß des ius reformandi erlassenen evangelischen Kloster- und Kirchenordnungen.50 Obwohl der Herzog seine religionspolitischen und kirchenrechtlichen Neuerungen bis zum Ende seiner Regierungszeit konsequent durchsetzte, spiegelt sich in seinem Agieren dennoch eine gewisse Rücksichtnahme auf die Stände, insbesondere auf den eingesessenen Adel des Fürstentums Lüneburg, wider. Vor allem bedingt durch die finanzielle Abhängigkeit von den Steuerbewilligungen der Landschaft zeichnet sich bereits in den oben zitierten Formulierungen des Landtagsabschieds aus dem Jahr 1527 eine auf Ausgleich angelegte Reform- und Klosterpolitik seitens des Herzogs ab. Zwar hatten die Proteste der Prälaten gegen die Einführung der Reformation und die damit drohende Auflösung des althergebrachten Kloster- und Stiftwesens sowie die damit einhergehende zunehmende Marginalisierung ihrer politischen Partizipation letztendlich keinen Erfolg, jedoch konnte der Großteil des niederen Adels des Fürstentums, bei dem die herzogliche Reform- und Klosterpolitik anfänglich ebenfalls auf Ablehnung gestoßen war, für die Vorgehensweise von Herzog Ernst I. von BraunschweigLüneburg gewonnen werden. Einen erheblichen Beitrag zur allgemeinen adeligen Zustimmung der herzoglichen Reform- und Klosterpolitik leistete einerseits die Option mit Teilen des eingezogenen Propsteiguts belehnt zu werden und zu49 Zu diesen Aspekten allgemein Krumwiede, Kirchengeschichte, 95–105. 50 Zu nennen ist beispielsweise die Kloster- und Kirchenordnung von 1530 mit dem Titel „Radtslach to notdroft der Kloster des forstendoms Lüneburch, Gades Wort und ceremonien belangen“. Abdruck der entsprechenden Kloster- und Kirchenordnungen bei Sehling, Kirchenordnungen.

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künftig tendenziell weniger Steuern für den Herzog veranschlagen zu müssen, da dieser seinen finanziellen Spielraum über das eingezogene Klostergut verbessern konnte, andererseits das intensive Bestreben von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg in den Konventen die evangelische Predigt einzuführen, ohne zwangsläufig nach einer direkten Auflösung der Klöster und Stifte zu streben.51 Letzteres war für den eingesessenen Adel des Fürstentums Lüneburg von zentraler Bedeutung im Hinblick auf die Versorgungs- und Ausbildungsmöglichkeiten ihrer Töchter und nachgeborenen Söhne. Der durch die Reformation drohende Einschnitt in die monastische Lebensform vor allem in den Frauenkonventen hatte in den sogenannten Heideklöstern52 nicht nur bei den Äbtissinnen und den in den Konventen lebenden Frauen für hartnäckigen Widerstand gegen die herzogliche Politik gesorgt, sondern auch bei den niederadeligen Familien existentielle Fragen mit Blick auf die Versorgung ihrer Töchter aufkommen lassen.53 So verlangten die Landstände unter der Führung der ritterschaftlichen Kurie noch im Jahr 1541, dass Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg ihnen „des besten dieses orts gelegen jungfern closter unssere tochter dar […] to levende“ zu ermöglichen.54 Ausgangspunkt für diese Forderung der Landschaft war die zunehmend mit Zwangsmaßnahmen verbundene, von den herzoglichen Amtsleuten durchzusetzende Einführung des Gottesdienstes nach reformatorischen Richtlinien, die auf massiven Widerspruch der Frauenklöster traf und in dessen Folge von Seiten des Herzogs oftmals drakonische Strafen gegen die Klöster verhängt wurden, wie etwa der Abriss von Klostergebäuden. In welchem Umfang sich zu diesem Zeitpunkt innerhalb niederadeliger Familien die religiösen Konflikte, etwa zwischen den in den Heideklöstern lebenden und weiterhin der katholischen Lehre anhängenden Frauen und ihren in landesherrlichen Diensten und eventuell bereits den neuen Glaubensinhalten zugeneigten Familienmitgliedern, Bahn brachen, ist aufgrund der Quellenlage nicht eindeutig zu beantworten, erscheint jedoch als eine mögliche Konsequenz der herzoglichen Politik. Auch etwaige Selbstzeugnisse der in den Klöstern lebenden niederadeligen Frauen, die Hinweise hinsichtlich innerfamiliärer Streitpunkte oder möglicher Diskussionen unter den Frauen des Konvents liefern könnten und die nicht nur aus Sicht der Äbtissinnen verfasst wurden, stellen für weibliche Mitglieder aus niederadeligen Familien des Fürstentums 51 Schmidt-Salzen, Landstände, 202–211. 52 Als Heideklöster werden die monastischen Einrichtungen Ebstorf, Lüne, Isenhagen, Medingen, Walsrode und Wienhausen bezeichnet. 53 Entsprechende Überlieferungen im Niedersächsischen Landesarchiv – Standort Hannover u. a. im Bestand NLA HA, Celle Br. 49. Zusammenfassend zu den Konflikten mit den Frauenklöstern u. a. Vollrath, Klosterpolitik, 43f, sowie zur klösterlichen Lebenswelt u. a. Brandis/ Stork, Weltbild. 54 NLA HA, Celle Br. 47, Nr. 14.

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Lüneburg ebenfalls aufgrund der Quellenlage ein Desiderat dar. Festzuhalten ist, dass die Forderungen der Landschaft und damit des niederen Adels, die Frauenklöster vor allem mit Blick auf die Versorgungs- und Ausbildungsaspekte der adeligen Töchter zu erhalten, erfüllt wurden.55 Dieses belegen auch die Auswertungen von Stammbäumen und Familienchroniken, wonach vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als unter Herzog Wilhelm dem Jüngeren von Braunschweig-Lüneburg (1535–1592) die Durchsetzung der Reformation gefestigt wurde, eine hohe Anzahl von Töchtern aus niederadeligen Familien des Fürstentums Lüneburg freie Konventstellen in den Heideklöstern besetzte.56 Hatte die Einführung und Durchsetzung der Reformation für die Töchter des niederen Adels im Fürstentum Lüneburg offensichtlich eine höhere Frequentierung der Frauenklöster als Versorgungs- und Ausbildungsstätten bedeutet, orientierten sich die nachgeborenen Söhne dieser sozialen Gruppe mit Blick auf die Männerkonvente gänzlich um. Obwohl zahlreiche ehemalige Mönchsklöster nach der endgültigen Durchsetzung der reformatorischen Lehre in neuer Gestalt fortbestanden, so etwa das St. Michaeliskloster in Lüneburg, scheint die Mehrheit des niederen Adels des Fürstentums Lüneburg diese kirchlichen Einrichtungen nicht mehr frequentiert zu haben. Vielmehr erfolgte eine zunehmende Orientierung auf Dienstverhältnisse zu Landesherren oder Ämterkarrieren im Militär. Eine erwähnenswerte Ausnahme bildete in diesem Zusammenhang die niederadelige Familie von Bothmer, für die ab Mitte des 16. Jahrhunderts einige männliche Mitglieder in den noch bestehenden Klöstern des Fürstentums Lüneburg nachzuweisen sind. Sie bekleideten oftmals hochrangige Positionen innerhalb dieser kirchlichen Institutionen, so etwa zweimal aufeinanderfolgend das Amt des Abtes von St. Michaelis in Lüneburg.57 Auch die reformatorische Idee, dass Mönchsklöster in Schulen für die jeweilige Landesbevölkerung umgewandelt werden sollten, welches noch auf dem bereits erwähnten Landtag im Jahr 1541 von der Landschaft gegenüber Herzog Ernst I. von BraunschweigLüneburg gefordert wurde, wonach vor allem das Kloster St. Michaelis in Lüneburg „unseren jungen herschop und weme yd byllich geboren mach darynne tho studeren“ zustehen sollte, fand seine Umsetzung letztendlich erst im 17. Jahrhundert.58 Im Vergleich bedeuteten die Einschnitte, die die Einführung 55 Die über diese Aspekte hinausgehende Motivation, adelige Töchter in Klöster und Stifte zu geben, wird exemplarisch für das 18. Jahrhundert von Heike Düselder aufgezeigt und bietet entsprechende Denkansätze auch für das Reformationszeitalter. Düselder, Bedeutung. 56 Belegbar u. a. anhand der Familienchroniken der niederadeligen Familien von Estorff und von Bothmer. Estorff, Geschichte, und Bothmer, Familie. 57 Im Jahr 1586 wird Conrad von Bothmer zum Abt des Klosters St. Michaelis gewählt, nach dessen Tod folgt ihm sein Großneffe Joachim von Bothmer im Jahr 1617 in diesem Amt. Ternes, Bothmer, 210f. 58 NLA HA, Celle Br. 47, Nr. 14 und zur Entstehungsgeschichte der Lüneburger Adelsschule Bleeck, Adelserziehung, 1977.

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und Durchsetzung der Reformation in der monastischen Lebenswelt für den niederen Adel im Fürstentum Lüneburg mit sich brachten, zum einen den Verlust eines Teils der politischen Partizipation innerhalb der Prälatenkurie der Landschaft sowie der oftmals hochdotierten Pfründen und Ämter in den Klöstern, zum anderen aber die Möglichkeit, den weiblichen Mitgliedern adäquate Versorgungs- und Ausbildungsmöglichkeiten zu bieten. Ähnlich wie im politischen Bereich verhielten sich die niederen Adeligen des Fürstentums Lüneburg auch im kirchlichen Bereich bei der vom Herzog angestrebten Reformation eher passiv. Eine dezidierte Hinwendung zum reformatorischen Glauben, beispielsweise durch Einsetzung lutherischer Prediger in adlige Patronatskirchen oder einer entsprechenden Umgestaltung dieser Kirchenräume, blieb bis zu den deutlichen von Herzog Ernst I. von BraunschweigLüneburg initiierten Bestimmung des Landtagsabschieds von 1527 aus. Die Aufrechterhaltung ihrer spezifischen Rechte und Positionen, insbesondere im Klosterwesen, beschäftigten die Mitglieder des niederen Adels deutlich mehr, wie die obengenannten Einwendungen und Forderungen belegen. Erst über die Option der finanziellen Teilhabe an der reformatorischen Klosterpolitik und der Ausweitung von kirchlichen Ausbildungs- und Versorgungsstellen konnte das potentielle Konfliktpotential der herzoglichen Maßnahmen in diesem Bereich gemindert werden. Allerdings zeichnet auch hier die eingeschränkte Quellenlage dieses Bild. Etwaige Verstimmungen innerhalb des niederen Adels bezüglich der Umstrukturierungen im kirchlichen Bereich bleiben infolge des fehlenden personenbezogenen Archivmaterials unbekannt.

3.

Fazit

Die Einführung und Durchsetzung der Reformation im Fürstentum Lüneburg ist als ein vielschichtiger Aushandlungsprozess zwischen mehreren Protagonisten zu beschreiben. Als herausragende, die Veränderungen infolge der neuen Glaubenslehre maßgeblich vorantreibende Person ist Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg zu nennen. Jedoch konnte der Herzog nur im Zusammenspiel mit weiteren Akteuren, darunter insbesondere mit dem niederen Adel des Fürstentums Lüneburg, die wesentlichen Grundzüge seiner Reformpolitik umsetzen. Vereint in der ständischen Korporation der Landschaft nahm der niedere Adel über seine Mitgliedschaft in dieser rechtlichen Institution an der landesherrlichen Politik teil und wurde mit der zunehmenden Durchsetzung der Reformation unter Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg auch mit den damit einhergehenden umfassenden religionspolitischen und kirchenrechtlichen Veränderungen konfrontiert. Dieses geschah zusätzlich am herzoglichen Hof, an dem einige Mitglieder des niederen

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Adels u. a. als Räte in Diensten standen und die politischen Forderungen des Herzogs im Hinblick auf die Reformation mittrugen. Eine eigenständige Initiative, die Reformation im Fürstentum Lüneburg einzuführen, hatte es von Seiten des niederen Adels nicht gegeben. Vielmehr reagierten die Adeligen nur auf die entsprechenden Forderungen ihres Landesherrn, die sich zentral im Landtagsabschied vom Sommer 1527 widerspiegeln und der die Grundlage für die Einführung der neuen Lehre legte. Allerdings war die Zustimmung zum Landtagsabschied sowie auch die weiteren Verhandlungen über die konkrete Ausgestaltung der Reformpolitik von Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg mit spezifischen Zugeständnissen sowohl im politischen als auch im kirchlichen Bereich verbunden, etwa mit der Teilhabe des niederen Adels am eingezogenen Propsteigut. Umfassendere Forschungen zum Umgang des niederen Adels mit der Reformation, die über die hier erörterten Aspekte hinausgehen, müssen künftig ein breiteres Quellenkorpus in den Blick nehmen, welches u. a. personenbezogenes Schriftgut ebenso wie familiär überlieferte materielle Quellen, beispielsweise die Ausstattung von Patronatskirchen umfassen kann. Erst dann kann die Reformation aus einer breiteren niederadeligen Perspektive für das Fürstentum Lüneburg deutlich gemacht werden. Bis auf Weiteres bleibt festzuhalten, dass sich die Reformation und die auf ihr basierende Politik mit den Veränderungen in den verschiedenen politischen, kirchlichen und sozialen Bereichen erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sowohl im Fürstentum Lüneburg als auch innerhalb der niederadeligen Familien etabliert hat. Nur langsam, über mehrere Generationen hinweg, erfolgte letztendlich die Abkehr vom alten und die Hinwendung zum lutherischen Glauben sowie die Entwicklung einer evangelisch-lutherischen Identität innerhalb des Lüneburger Adels und des Fürstentums Lüneburg, die auf mehrschichtigen Aushandlungsprozessen zwischen herzoglicher Herrschaft und adeliger, landständisch-politischer Partizipation beruhte.

Literatur a)

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b)

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Religionsfrieden als politische Ratio Heinrich Rantzau und die Konfessionspolitik der schleswig-holsteinischen Ritterschaft im 16. Jahrhundert

[F]ür einen sicheren frieden [dörffte man] uf keine handlung gedengken, wo nicht Spanien, Frangkreich, Engel- und Niederlandt gleichsam unter ein Dach begriffen, ein Generalfriedt gemacht und die Religion frey gestelt und für einen gueten Frieden die Gewissen ungezwungen sollen gelassen werden.1

Mit dieser Vision unterstrich Heinrich Rantzau (1526–1598), Landesrat in Schleswig-Holstein und Sprecher der Ritterschaft, in einem Schreiben vom 4. Juli 1591 an Herzog Ulrich von Mecklenburg den Kerngedanken eines übergreifenden Friedensplans für Europa, den er ihm bereits in mehreren vorangegangenen Schreiben erläutert hatte. Reimer Hansen, der sich intensiv mit Heinrich Rantzau und seinem Friedenskonzept auseinandergesetzt hat, interpretiert dies im theoretisch-intellektuellen Kontext des Renaissancehumanismus und der Irenik des späten 16. Jahrhunderts, war Rantzau doch intensiv in der respublica litteraria vernetzt.2 Intrinsisch motiviert sei der Friedensplan aber vor allem durch Rantzaus ureigenen wirtschaftlichen Interessen, beruhte sein immenser politischer Einfluss nicht unwesentlich auf seinem nicht minder immensen Reichtum, den er zusammen mit seiner Frau Christine von Halle (1533–1603) durch ein Wirtschaftsimperium als Zwischenhändler für Ochsen, Käse, Getreide und Tuche, Geldverleih und Pfandrenten aufgebaut hatte. So hatte er unmittelbar vor dem Entwurf seiner Friedenspläne 400.000 Reichstaler verloren geben müssen, die er in Antwerpen investiert hatte.3 In ihrer Pragmatik beruhten seine Friedenspläne aber sicherlich auf seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Diplomat, Chefstratege, politischer Berater und Unterhändler der dänischen Könige. Als solcher hatte er drei Könige durch den 1 Landeshauptarchiv Schwerin (weiter LHAS) 2.12–1/23 (797), Korrespondenz der Herzöge mit Räten und anderen Amtsleuten, fol. 326v; vielfach zitiert von Reimer Hansen in Hansen, Krieg, 130f.; Hansen, Friedensplan, 367. 2 Hansen, Krieg, 126–132; Hansen, Friedensplan, 365–369. 3 Hansen, Friedensplan, 361.

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Dithmarscher Krieg, den Nordischen Siebenjährigen Krieg – mit dem Frieden von Stettin 15704 – und den Livländischen Krieg begleitet. Vor allem aber war er seit beinahe einem Vierteljahrhundert für Friedrich II. (1534–1588) und den minderjährigen Christian IV. (1577–1648) bzw. dessen Vormünderin Sophie von Mecklenburg (1557–1631) in Nordwesteuropa unterwegs, um Dänemarks Verflechtung in die Konflikte rund um den Achtzigjährigen Krieg zwischen Spanien, den Niederlanden und England optimal auszutarieren. Die Frage nach dem praktisch-politischen Erfahrungshintergrund unterhalb der Ebene europäischer Diplomatie und ihre Bedeutung für die Gestaltung und Konzeptualisierung von Politik auf europäischer Ebene wurden aber bisher nicht in den Blick genommen. Als königlicher Landesrat, Amtmann und Sprecher der schleswig-holsteinischen Ritterschaft war Rantzau mit ähnlich gelagerten Konflikten – konfessionelle Pluralität, heterogene politische Landschaften, widerstreitende Vorstellungen über politische Mitsprache – seit mehreren Jahrzehnten vertraut. Es waren aber gerade die konfessionspolitischen Praktiken der schleswig-holsteinischen Ritterschaft im späten 16. Jahrhundert, die den regionallokalen Erfahrungshintergrund für Rantzaus spätere, überregionale Friedenspläne boten, so die These dieses Beitrages. Erste Überlegungen auf der Basis der (nicht sehr umfangreichen) bestehenden Forschungen scheinen geeignet zu sein, den Blick auf den Umgang der Ritterschaft mit konfessionellen Differenzen in konflikthaften politischen Konstellationen auf drei Ebenen zu werfen: Zum einen ermöglicht der Fokus auf die Ritterschaft als Träger von Herrschaft vor Ort – durch ihre politische Mitbestimmung auf den Landtagen einerseits, durch ihre vielfach mit kirchlichen Institutionen verbundenen Einflussmöglichkeiten durch Vogtei- und Patronatsrechte andererseits – die Rolle und Reichweite landesherrlicher Konfessionspolitik zu hinterfragen. Zum anderen offenbart das Agieren der Ritterschaft in ihrer Funktion als Mittler zwischen Landesherr und Untertanen auch das Verhältnis von politischen Erwägungen und konfessionellen Überzeugungen, womit die Frage nach der Motivation im Prozess der Einführung einer lutherischen Landeskirche neugestellt werden kann. Zum dritten eröffnet es die Möglichkeit, die Bedeutung der regionalen und lokalen Kontexte für übergeordnete Politik-, insbesondere Friedenskonzepte des 16. Jahrhunderts herauszuarbeiten, die bisher eher im theoretisch-abstrakten gelehrten Milieu oder der europäischen Diplomatie verortet wurden. Damit schließen die Überlegungen an Entwicklungen der jüngeren Politikund Diplomatiegeschichte an, in akteurs- und praxisorientierter Analyse nicht nur Herrschaft als sozialen und kulturellen Prozess zu begreifen, sondern auch 4 Zu den Vertragstexten vgl. Heinz Duchhardt/Martin Espenhorst (Hg.), Europäische Friedensverträge der Vormoderne online, URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de [05. 06. 2016].

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das Gestalten von Politik zwischen Herrschaftsträgern auf unterschiedlichen Ebenen und die damit verbundenen Techniken wie etwa das Dissimulieren und „in der Schwebe Lassen“ stärker aufeinander zu beziehen.5 Die angedeutete Reichweite des Beitrags muss jedoch vor dem Hintergrund der Forschungslage deutlich eingegrenzt werden. Während sich zahlreiche Einzelstudien zu spezifischen Aspekten des Lebens von Heinrich Rantzau finden, fehlen sowohl für die Ritterschaft als auch für das Reformationsgeschehen in den Herzogtümern Schleswig und Holstein aktuelle Forschungen, welche die theoretisch-methodischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte reflektieren und umsetzen. Zu beiden Themenbereichen finden sich im Wesentlichen Überblickswerke, welche die ältere Forschung zum wiederholten Male neu zusammenfassen; wo es originäre Forschung zu Teilaspekten gibt, stammt sie überwiegend aus den 1980er- und 1990er-Jahren, sodass der Duktus der Darstellungen sich im Wesentlichen zwischen den Polen der Fürstenreformation und der Herausbildung des frühmodernen Staates bewegt.6 Es kann im Folgenden also nur um eine kritische Relektüre des bekannten Materials gehen, um Möglichkeiten einer alternativen Einordnung am Beispiel Heinrich Rantzaus und seiner Friedenspläne zu diskutieren und Perspektiven für neue Forschungen zu entwickeln. Dazu möchte ich im Folgenden nach einer kurzen Verortung Rantzaus in der schleswig-holsteinischen Ritterschaft deren kirchenpolitisches Agieren im Prozess der „Einführung und Verbreitung der Reformation“7 in den Herzogtümern Schleswig und Holstein vorstellen, um anschließend die politischen Praktiken der Ritterschaft in Bezug zu Rantzaus Friedenskonzepten zu setzen und als konkreten Erfahrungshintergrund für Rantzaus Konzepte eines Religionsfriedens als Teil der politischen Ratio herauszuarbeiten.

5 Als zentrale Texte eines mittlerweile breiten Feldes vgl. hierzu Asch/Freist, Staatsbildung; Blockmans u. a., Interactions; Thiessen/Windler, Akteure oder Pietsch/Stollberg-Rilinger, Ambiguität. 6 Die aktuellste eigenständige Darstellung der Reformationsgeschichte datiert von 1982 (Göbell, Reformation) und wird weiterhin als Grundlage verwandt, so etwa von Bohn, Geschichte, 46– 49 oder Riis, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 172–182. Zur Ritterschaft liegt eine neuere Darstellung ihrer Entwicklung als Korporation vor: Fuhrmann, Ritterschaft; Einzeluntersuchungen zum politischen Handeln des Adels fokussieren vornehmlich auf das 17. und 18. Jahrhundert, wie etwa Bischoff, Amtleute. 7 So der Titel der ersten Gesamtdarstellung von Georg Lau, Geschichte der Einführung und Verbreitung der Reformation in den Herzogthümern Schleswig-Holstein bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts, Hamburg 1867.

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1.

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Heinrich Rantzau als Teil der schleswig-holsteinischen Ritterschaft

Den politischen Eliten Europas im späten 16. Jahrhundert war Rantzau nicht so unbekannt, wie es seine Randexistenz in der Forschung vermuten lassen mag. Genauso wenig ist seine Verwurzelung in der schleswig-holsteinischen Ritterschaft ein Exotikum und die scheinbare „Randständigkeit“ dieser Region für die Geschichte des Reiches und Europas in der Frühen Neuzeit eher der Perspektive der älteren, auf Kaisernähe ausgerichteten Verfassungsgeschichte geschuldet als der tatsächlichen Verflechtung in die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Entwicklungen des 16. Jahrhunderts.8 So galt Rantzau etwa dem päpstlichen Nuntius Minuzio Minucci als „huomo dottissimo et versatissimo nei mestieri della pace et della guerra“,9 am englischen Hof war er „the rich Henryck Rantzow“.10 In der bisherigen Forschung ist Heinrich Rantzau meistens im Hinblick auf seine kulturellen Leistungen gewürdigt worden, während sein politisches und diplomatisches Wirken nur am Rande thematisiert wurde.11 Rantzau war Mitglied des weit verzweigten holsteinischen Adelsgeschlechts der Rantzau, die zu den Equites Originarii zählten und in der seit dem 15. Jahrhundert als politische Korporation auftretenden Ritterschaft eine dominante Rolle spielten. Sowohl Heinrichs Großvater Heinrich Rantzau d. Ä. (1440–1497) als auch sein Vater Johann Rantzau (1492–1565) waren bereits in ritterschaftlichen und königlichen Diensten als Landesräte, Berater und Heerführer hervorgetreten.12 Früh war Rantzau auf seine politischen Aufgaben vorbereitet worden. Als 12-jähriger ging er 1538 nach Wittenberg, wo er unter Anleitung seines Hofmeisters Johannes Saxonius (1507/08–1561),13 der Hausgenosse Luthers und Professor für Philosophie in Wittenberg war, vornehmlich Rhetorik und Jurisprudenz studierte. Zwischen 1548 und 1553 war er im Gefolge Herzog Adolfs von 8 Vgl. zur Forschungsdebatte Jörn/North, Integration, passim und neuerdings Mörke, Geschwistermeere, 10–13. 9 Hansen, Nuntiaturberichte, 744ff, zit. nach Hansen, Politiker, 27; Fuhrmann, Korrespondenten, 71–77. 10 William Herle and William Cecil Lord Burghley, 1582, zit. nach Hansen, Politiker, 26. Weitere Belege von europäischen Höfen bei Hansen, Politiker, 26, Anm. 42f. 11 Heinrich Rantzau war der gelehrten Welt bekannt durch zahlreiche Schriften zu Astrologie, Geschichte, Genealogie, Landesbeschreibungen, Gesundheit und Lebensführung (über 80 verschiedene Drucke zu seinen Lebzeiten finden sich im VD16). Im Hinblick auf sein politisches Handeln sind seine Schriften zur Eroberung Dithmarschens von 1570 sowie ein „Commentarius belli“ von 1595 für den minderjährigen Christian IV. von Interesse, auf die später noch genauer einzugehen sein wird. Eine ausführliche Bibliographie zu Heinrich Rantzau bei Zeeberg, Rantzau, passim. 12 Zu Johann Rantzau vgl. Lohmeier, Rantzau, 29–31. Zum Aufbau des Vermögens der Rantzaus vgl. sehr aufschlussreich Kraack, Aufstieg, bes. 391–403. 13 Hoche, Saxonius, passim.

Religionsfrieden als politische Ratio

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Holstein-Gottorf (1526–1586) für fünf Jahre am Hof Karls V. 1554 wurde er – frisch verheiratet mit Christine von Halle (1533–1603) – königlicher Rat, 1555 Amtmann in Segeberg, dem königlichen Hauptort Holsteins und 1566 Statthalter des dänischen Königs in den Herzogtümern Schleswig und Holstein. Rantzau stieg so zu einer der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Führungspersonen in den Herzogtümern auf, die sich formal seiner Funktion als Sprecher der schleswig-holsteinischen Ritterschaft niederschlug.14 Die Funktion dieser Ämter sowie deren Bedeutung im Spannungsfeld von Landständen und Landesherrn lässt sich nur mit einem kurzen Blick auf die Entstehung der Ritterschaft als politischer Korporation verstehen: Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts hatten die Schauenburger als Grafen von Holstein und Stormarn auch das zum dänischen Reich gehörende Herzogtum Schleswig als Lehen erhalten. Sie förderten eine enge Bindung an ihre holsteinischen Territorien und verpachteten dem holsteinischen Adel weite Teile des Grenzwaldes zur Besiedlung. Dieser erwarb darüber hinaus große Ländereien in Schleswig und etablierte eine umfangreiche, grenzübergreifende Gutswirtschaft. Zusätzlich steigerten die großen Adelsgeschlechter der Originarii ihren Einfluss durch Kredite an die Landesherren, für deren Sicherung sie verschiedene landesherrliche Ämter als Pfand erhielten und erhebliche Einkünfte erzielen konnten.15 Als Grund- und Gutsherren formierten sie sich politisch als Landstände, aus deren Mitte sogenannte Landesräte die Landesherren in politischen Fragen berieten und Einfluss nahmen.16 Neben den weltlichen Ämtern und Herrschaften waren die adeligen Familien auch in den geistlichen Ständen der Domkapiteln von Schleswig, Bremen, Hamburg und Lübeck sowie in großen Klöstern wie Preetz, Itzehoe, Bordesholm, Uetersen, Cismar, Reinfeld, Ahrensbök präsent und ein politisch wie wirtschaftlich einflussreicher Teil der Landstände. Als einigermaßen festumrissene politische Korporation trat die Ritterschaft von Schleswig und Holstein in den verschiedenen Vertragswerken zu Tage, mit denen 1460 nach dem Aussterben der Schauenburger Hauptlinie die zukünftige Regierung der beiden Territorien festgelegt wurde. 1460 lassen sich die Stände als jene Gruppe greifen, die den Oldenburger Christian (1426–1481, seit 1448 als Christian I. König von Dänemark) als Neffen des verstorbenen Herzogs und Grafen Adolf VIII. von Schauenburg (1401–1459) zum Nachfolger in beiden Territorien wählten. Dabei ließen sie sich weitreichende Mitspracherechte verbriefen (Wahl des Landesherren ohne Erbansprüche, Kontrolle über Ämter und feste Plätze, Mitsprache in Lehnsachen, Krieg und 14 Zu biographischen Rahmendaten vgl. Ceynowa, Herrenhaus, S. 38–45; Lohmeier, Heinrich Rantzau,29–56. 15 Für Heinrich Rantzau vgl. die Zahlenaufstellung bei Lohmeier, Heinrich Rantzau, 41–47. 16 Vgl. hierzu Lange, Privilegien, 34f.

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Frieden sowie Steuerpolitik). Darüber hinaus sollte die Formel „op ewich tosamende un ungedelt“ die gemeinsame Regierung von Schleswig und Holstein sicherstellen (tosamende) und dynastisch motivierte Landesteilungen untersagen (ungedelt). Während der Abwesenheit des Landesherrn sollten Stellvertreter in Schleswig und Holstein (Drost und Marschall, später: Statthalter [produx]) mit weitreichenden Vollmachten an seiner Statt die Regierungsgeschäfte führen.17 Traten die Stände in den folgenden Jahrzehnten vielfach gemeinsam gegen landesherrliche Ansprüche auf, so waren sie doch intern auch immer wieder in heftige Differenzen zwischen Rittern und Klerus verstrickt, insbesondere im Hinblick auf die Verteilung der finanziellen Lasten zahlreicher militärischer Unternehmungen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts besaß der Klerus etwa 21 Prozent der Bauernstellen in Schleswig und Holstein, während dem Adel 22 Prozent gehörte und die übrigen 57 Prozent der insgesamt ca. 21.976 Bauernstellen dem Landesherrn unterstanden.18 Neben den institutionellen Privilegien beruhte der politische Einfluss der Ritterschaft in erster Linie auf der kreditbasierten Abhängigkeit der Landesherren, waren doch alle Ämter verpfändet und zudem der Finanzbedarf in den innerdänischen Machtkämpfen enorm.19 Dies war in verschärftem Maße der Fall, als sich zu Beginn der 1520er-Jahre reformatorische Lehren in den Herzogtümern auszubreiten begannen.

2.

Die Kirchen- und Konfessionspolitik der schleswig-holsteinischen Ritterschaft im 16. Jahrhundert

Das Aufkommen reformatorischer Lehren und damit verknüpft die Dynamisierung schwelender sozialer und politischer Konflikte traf die Ritterschaft in einer heiklen politischen Situation. Trotz des Ripener Privilegs waren die Herzogtümer im späten 15. Jahrhundert in einen Segeberger, einen Gottorfer und einen gemeinsamen Herrschaftsbereich geteilt worden, deren übergeordnete Angelegenheiten von beiden Herzögen gemeinsam regiert werden sollten.20 So regierten 1520 der Sohn Christians I., Friedrich I. (1471–1533), als Herzog des Gottorfer Teils und der dänische König Christian II. (1481–1559), Enkel Christians I. und Neffe Friedrichs I., als Herzog im Segeberger Teil. Christians II. Wirtschaftspolitik zugunsten der Städte und niederländischer Kaufleute war

17 18 19 20

Vgl. hierzu Fuhrmann, Ritterschaft, 18–27. Die Prozentangaben sind aus den Angaben in Prange, Landesherrschaft, 64–78 errechnet. Fuhrmann, Ritterschaft, 63. Vgl. Fuhrmann, Ritterschaft, 74–84.

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geeignet, den erheblichen wirtschaftlichen wie politischen Einfluss des Adels sowohl in Dänemark wie in den Herzogtümern zurückzudrängen. Da Christian zudem jedwede Anerkennung der ständischen Privilegien vermissen ließ, wurde er 1523 mit Unterstützung zahlreicher Ritter aus den Herzogtümern gestürzt und Friedrich als Friedrich III. zum König von Dänemark erhoben.21 Im engsten Kreis der Unterstützer des neuen Königs finden sich Johann Rantzau, Wulf Pogwisch, Detlev Reventlou und Claus von Ahlefeldt. Auf den Landtagen 1523, 1525 und 1526 wurden daher in erster Linie ständischpolitische Probleme verhandelt, in die sich die Auseinandersetzung mit reformatorischen Umtrieben einfügte und erhebliche Dynamiken mit sich brachte. Wenn im Folgenden also das kirchen- und konfessionspolitische Agieren der Ritterschaft beleuchtet wird und dabei die Aspekte des „in der Schwebe Lassens“ bzw. Vermeidens eindeutiger Festlegungen im Mittelpunkt stehen, sind die politischen Konstellationen in der besonderen Stellung der Ritterschaft zwischen den verschiedenen Landesherrn und Dänemark zu berücksichtigen.

2.1

Ritterschaft und Reformation auf territorialer Ebene

Seit 1520 waren reformatorische Prediger in das Land gekommen und hatten sich zunächst entlang der Handelsorte an der Westküste und in den größeren Städten der Herzogtümer etabliert, während die meisten ländlichen Gemeinden den neuen Lehren eher ablehnend gegenüberstanden, wie die spektakuläre Hinrichtung Heinrich von Zütphens in Meldorf zeigte.22 Kirchenkritische Strömungen und Stimmungen waren auch in Holstein und Schleswig im 15. Jahrhundert präsent gewesen, sodass sich auch im Adel bald Anhänger der lutherischen Lehre, Unterstützer reformkatholischer Strömungen und Verteidiger der alten Kirche fanden. Dabei verliefen die Linien quer durch die weit verzweigten und vielfach miteinander verschwägerten Ritterschaftsfamilien: Während etwa Johann Rantzau früh ein entschiedener Verfechter lutherischer Lehren war, trat sein Bruder Kay Rantzau als Wortführer der altgläubigen Ritterschaft auf. Politisch wurden diese Haltungen in den ersten Landtagen der Regierung Friedrichs III. nur indirekt wirksam, ging es nun doch primär um die formale Bestätigung als neuer Landesherr auch in den schleswigschen Gebieten sowie um die Finanzierung der immensen Kosten für militärische Rüstungen und diplomatische Unternehmungen. Diese waren für den dänischen König, seine Räte und Geistlichen ebenso existentiell wie für die schleswig-holsteinischen Ritter, hatte sich der entmachtete Christian II. doch im niederländischen Exil einge21 Vgl. ebd., 84–91. 22 Göbell, Reformation, 35–53; Seegrün, Zütphen, 103–123.

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richtet und versuchte mit Unterstützung seines Schwiegervaters, Kaiser Karls V., seinen Thron militärisch wiederzuerlangen.23 Auf den Landtagen 1523, 1525 und 1526 wurde hitzig um die Verteilung der von Friedrich eingeforderten 400.000 Mark lübisch (Ml) gestritten, insbesondere die hohe Veranlagung der Geistlichkeit – sie sollten die Hälfte ihrer Einnahmen abliefern – riefen deren Protest hervor. Die Beschwerden des altgläubigen Bischofs von Schleswig Gottfried von Ahlefeldt, dass die adeligen Amtmänner immer stärker die Abgaben verhinderten oder selbst einbehielten, parierte die Ritterschaft mit einer vehementen Kritik am Kirchenwesen; die wirtschaftliche Macht des Klerus stünde in keinem Verhältnis zur mehr als mangelhaften Wahrnehmung seiner eigentlichen, seelsorgerischen Aufgaben.24 Im Ergebnis wurde – durchgesetzt von den ritterschaftlichen Landesräten – festgehalten, dass die Geistlichkeit 80.000 Ml beizutragen hätten, während die Ritterschaft 30.000 und die Städte 10.000 Ml zahlten; im Gegenzug erhielt die Geistlichkeit Bestandsgarantien hinsichtlich ihrer Privilegien und des alten Glaubens, wie die Ritterschaft auch.25 Auch wenn die Zusicherung, den alten Glauben weiterhin schützen und fördern zu wollen, kein zentrales Moment in den Verhandlungen darstellte, lässt sich die Thematisierung der Konfessionsfragen als deutlichen Hinweis darauf lesen, dass die Problematik als politisches Druckmittel geeignet war. Friedrichs Kirchenpolitik war wesentlich von seinem Bestreben bestimmt, die landesherrliche (in Dänemark königliche) Position gegenüber den Ständen und der Geistlichkeit zu festigen, sodass er vor allem auf die politische und finanzielle Macht und Eigenständigkeit des Klerus zielte – inhaltlich vertrat er reformkatholische Vorstellungen und stand lutherischen Inhalten und Forderungen zeit seines Lebens skeptisch gegenüber. Dementsprechend legte er eine besondere Gründlichkeit in der Eintreibung der zugesagten Gelder bei den geistlichen Institutionen an den Tag, was viele der kirchlichen Einrichtungen zwang, erhebliche Teile ihres Grundbesitzes und ihrer Herrschaftsrechte zu veräußern – eine gute Gelegenheit für die kapitalkräftigen Familien der Ritterschaft, ihren eigenen herrschaftlichen Besitz teilweise deutlich auszuweiten.26 So besaß die Landesherrschaft in Schleswig und Holstein am Ende des 16. Jahrhunderts 68 Prozent 23 Beyer, King, 205–228; Grell, Movement, 35–38. 24 Vgl. hierzu Fuhrmann, Ritterschaft, 162f. 25 Zu den hinsichtlich der politischen Spannungen zwischen Ritterschaft und Geistlichkeit im Detail sehr aussagekräftigen Verhandlungen Fuhrmann, Ritterschaft, 157–162. 26 Ebd., 168–170. Johann Rantzau kaufte dem Kloster Bordesholm etwa für 4.000 Mark lübisch den gesamten Besitz in der Störniederung ab und legte damit einen wesentlichen Grundstein für die ökonomische Macht der Breitenburg und späteren Reichsgrafschaft Rantzau. Vgl. Ibs u. a., Atlas, 145. Für die innerfamiliären Verteilungsstrategien vgl. die Einzelstudie über Hinrich Rantzau bei Prange, Hinrich Rantzau, bes. 59–74.

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der Bauernstellen, der Adel 23 Prozent und die Kirche nur noch 9 Prozent – mit Blick auf die Position des ritterschaftlichen Adels wird die Verschiebung vor allem in Holstein deutlich, wo die ausgeprägtesten Formen der Gutsherrschaften vorherrschten. Hier verschoben sich die Verhältnisse von 39 Prozent Grundbesitz des Klerus und 32 Prozent des Adels zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu 18 Prozent bzw. 38 Prozent am Ende des 16. Jahrhunderts.27 Auch wenn die Landesherrschaft als wesentlicher „Säkularisationsgewinner“ hervorging, wurde dieser „Nebeneffekt“ der politisch-finanziellen Schwächung des Klerus dann im Hinblick auf das gutsherrliche Selbstverständnis und auf die Patronatsrechte wichtig. Bestimmte also in den 1520er Jahren in erster Linie das politische Ausbalancieren der wichtigen Bündnisse zur Stützung Herzog Friedrichs die Politik der Ritterschaft, eröffnete das Offenlassen der Glaubensfragen in Bezug auf Lehrinhalte Spielräume auf der lokalen Ebene. In zahlreichen Städten hatten sich protestantische Gemeinden gebildet, waren Klöster von Bettelorden aufgelöst und säkularisiert worden und neue Prediger angekommen. In Kiel sorgte Melchior Hoffmann seit 1526 für hitzige theologische Debatten, die 1528 zu einer Disputation in Flensburg mit der Führungsfigur der lutherischen Lehre in den Herzogtümern, Hermann Tast, führte und zu seiner Ausweisung führte. Bereits 1524 hatte Friedrich seinem Sohn Christian zwei Ämter in Schleswig übertragen. Da Christian seit seiner Begegnung mit Luther auf dem Wormser Reichstag von 1521 ein überzeugter Anhänger der lutherischen Lehre war und deren Durchsetzung zu seiner politischen Kernaufgabe gemacht hatte, nutzte er seine Regierungs- und Verwaltungsvollmachten in diesen Ämtern zur Umsetzung dieses Ziels.28 Gleichwohl konnte er nach dem plötzlichen Tod Friedrichs 1533 keine durchgreifende Reformationspolitik betreiben, da er entgegen dem Unteilbarkeitsdiktum des Ripener Privilegs die Herrschaftsbestätigung und Huldigung nicht nur für sich, sondern auch für seine beiden minderjährigen Brüder beanspruchte. Gleichzeitig bedurfte Christian der Unterstützung der Ritterschaft in der Auseinandersetzung mit oppositionellen Kreisen im dänischen Reichsrat und ihren lübeckischen Verbündeten.29 Da sich Christian des massiven Widerstands gegen seine reformatorische Programmatik bewusst war, korrespondierte er im Vorfeld des Landtags mit seinem Vertrauten und „Amtskollegen“, Landgraf 27 Zu den Zahlen und den Datengrundlagen vgl. Prange, Landesherrschaft, 80–89. Eine eindrückliche Visualisierung dieser Verschiebungen in Ibs u. a., Atlas, 148–149. 28 Fuhrmann, Ritterschaft, 169; Göbell, Reformation, 57–60. 29 Zur so genannten Grafenfehde, die sich aus diesen Spannungen entwickelte und von 1534 bis 1536 zu militärischen Auseinandersetzungen in Holstein führte unter Beteiligung zahlreicher Fürsten Norddeutschlands und des Ostseeraums, vgl. ausführlich Fuhrmann, Ritterschaft, 193–213, Sellmer, Albrecht VII. und im Zusammenhang des Ostseeraums Kirby, Northern Europe, 77–81 sowie Olesen, Reformation, 83–85.

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Philipp von Hessen. Da Christian Philipps Vorschlag, mit drei- bis viertausend Landsknechten „die underthanen in forcht, gehorsam und einigkeit“ zu halten als politisch unklug ablehnte, verwies ihn Philipp auf die Politik seines Vaters. Er möge „soviel immer möglich die disputation umgehen und der Geistlichen und Edeln Privilegien mit den Worten, wie E.L. herr Vatter, confirmieren und nicht viel uszug machen“. Zudem solle er sein politisches Programm nicht zu forsch angehen, sondern „wie der Vatter getan, schleiffen lassen“.30 In Christians Erörterungen mit Philipp lässt sich die bewusste, gezielt eingesetzte Politik der konfessionellen Indifferenz ablesen, die der heiklen politischen Konstellation geschuldet war – wenn auch nicht Religionsfrieden im engeren Sinne, so doch das Vermeiden von Konflikten und Konfrontation. Darüber hinaus zeigt der Verweis auf die Politik seines Vaters Friedrich, dass dessen Handeln von seinen Zeitgenossen eben nicht nur als unentschlossen und wankelmütig wahrgenommen wurde, sondern als spezifische Leistung seiner prudentia im Umgang mit den politischen Herausforderungen auf der kimbrischen Halbinsel.31 Christian bestätigte also alle Privilegien und Absprachen; der alte und der neue Glauben sollten gleichberechtig nebeneinander bestehen ohne gegenseitige öffentliche Schmähung, er gewährte Bestandsschutz für bestehende geistliche Einrichtungen, insbesondere für vier große Klöster, die der Ritterschaft als Jungfrauenklöster dienten.32 Gleichwohl kam es immer wieder zu Kollisionen mit altgläubigen Adeligen, wenn Christian Nonnen frei- und Klostergut aufkaufte, um diese dann seiner Rentkammer einzuverleiben. Nachdem die Thronfolgeauseinandersetzungen in Dänemark im Rahmen der Grafenfehde 1536 für Christian endgültig überwunden waren, führte er 1537 eine von Bugenhagen inspirierte Kirchenordnung ein, mit der das gesamte Königreich Dänemark-Norwegen eine lutherische Kirchenverfassung erhielt.33 Obwohl im Titel der Ordnung, entsprechend des Herrschaftsanspruchs neben den dänischen Kronlanden auch das „ducatum Sleswicensis, Holsatiae etc.“ genannt war, gelang es Christian nicht, die Kirchenordnung hier gleichfalls einzuführen, da vor allem die Ritterschaft auf den Absprachen von 1533 – auch und gerade vor dem Hintergrund ihrer Unterstützung für Christian in der Grafenfehde – beharrten. Christian führte daher in jenen Gebieten der Herzogtümer, wo er als Landesherr, Grundherr, oder Patron die entsprechenden Rechte besaß, eine neue Organisationsform ein, in der es lutherischen Visitatoren oblag, die Lehre des rechten Glaubens, die Sakramentenverwaltung, die Kirchenzucht und die Rechnungs30 Zit. nach Jensen, Herzog Christian, 10–12. 31 Zur negativen Einschätzung der Zeitgenossen Fuhrmann, Ritterschaft, 183; in der älteren Reformationsgeschichte wird Friedrichs Politik kurzerhand zur „Wegbereitung einer Fürsten- und Staatskirche“: Göbell, Reformation, 39. 32 Fuhrmann, Ritterschaft, 184–192; Bertheau, Preetz, 196–253. 33 Vgl. hierzu Olesen, Reformation, 92–104; Lillie, Bugenhagen, passim.

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führung zu überwachen.34 1540 berief er dann einen Landtag ein und legte die nun ins Niederdeutsche übersetzte Kirchenordinanz zur Abstimmung vor. Entgegen der Erwartungen Christians und seiner lutherisch gesinnten Landesräte protestierten die altgläubigen Vertreter der Ritterschaft so vehement, dass die bis dato geübte korporative Gemeinsamkeit einer konfessionellen Gruppenbildung wich. Immerhin ein Drittel der Ritterschaft – darunter einflussreiche Landesräte und Bischöfe sowie deren Klientel – lehnte eine protestantische Kirchenordnung vehement ab.35 1541 jedoch, als mit dem Bischof von Schleswig die wichtigste Integrationsfigur der Altgläubigen in Holstein starb, war kein Widerstand mehr zu erwarten und Christian konnte seine Kirchenordnung durchsetzen – nicht jedoch ohne Zugeständnisse, zu denen auch gehörte, dass die Ritterschaft als Patronatsherren die Pastoren ihrer Kirchen ohne Anhörung der Gemeinde bestimmen durften.36 Gerade dieser Passus sollte für die weitere konfessionspolitische Praxis der Ritterschaft von Bedeutung sein, wenngleich mit der Annahme der Kirchenordnung die Reformation als durchgesetzt angesehen wurde – vom Landesherrn wie von der Geschichtsschreibung.37

2.2

Ritterschaft und Reformation nach „Gutsherren Art“

Galt ab 1542 offiziell die schleswig-holsteinische Kirchenordnung mit der Oberaufsicht der Generalsuperintenden über das Lehramt und die Kirchenzucht aller Pastoren im Lande, zeigt sich die konfessionspolitische Praxis doch deutlich heterogener. Von den insgesamt 420 Patronaten der Herzogtümer lagen ca. 220 in den Händen der Ritterschaft, die in ihren Gutsbezirken weitgehende Freiheiten von landesherrlicher wie auch von bäuerlich-gemeindlicher Mitsprache genossen – gerade im Hinblick auf die Pastorenwahl.38 Es finden sich immer wieder vereinzelt Hinweise in der Literatur, dass die adeligen Gutsherren ihrem Selbstverständnis entsprechend diese Freiräume verteidigten und auch den Visitatoren Zutritt verwehrten. So fanden sich auf den Gütern der altgläubigen Familie Pogwisch noch mehrere Generationen lang Prediger, deren eindeutig lutherische Orientierung nicht zweifelsfrei geblieben war; die Grafschaft Pinneberg im 34 35 36 37

Fuhrmann, Ritterschaft, 214f. Eine Liste der Namen bei Fuhrmann, Ritterschaft, 219f. Ebd., Ritterschaft, 236. Vgl. etwa Jensen, Abschluß, passim; Hoffmann, Sieg, 115, der vom „Sieg der Reformation“ 1542 spricht. Rathjen formuliert zurückhaltender vom „formal-rechtlichen Abschluss der Reformation“; Rathjen, Reformation, 199. 38 Zur Geschichte des Patronats in Schleswig-Holstein vgl. Aßmann-Weinlich, Adelskultur, 19–21.

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Südwesten des Landes blieb bis 1640 ganz formal katholisch, ebenso wie in kleineren Gütern an der Westküste vertriebene katholische Niederländer aufgenommen wurden.39 Aber auch zahlreiche Gemeinden von Taufgesinnten finden sich in den Herzogtümern des 16. Jahrhunderts. Bei Oldesloe ließ der Gutsherr Bartholomäus von Ahlefeld 1543 auf der Koppel Wüstenfeld des Gutshofs Schadehorn eine Siedlung errichten, in der vertriebene Anhänger des Taufgesinnten Menno Simons Schutz fanden, wie auch 1554 Simons selbst.40 Diese konfessionellen Unbotmäßigkeiten führten immer wieder zu Konflikten mit der Kirchenobrigkeit und den Visitatoren, zeigen aber deutlich den konfessionellen „Eigensinn“ der holsteinischen Adeligen, die ihre Patronatsrechte gegen den Anspruch der Landesobrigkeit verteidigten. Natürlich barg diese gutsherrliche Praxis reichlich Konfliktpotenzial. Die Superintendenten und Generalsuperintendenten beschwerten sich, wenn ihnen der Zutritt zur Kirche auf Gütern verwehrt wurde, Geistliche beschwerten sich über offene täuferische Agitation, katholische Adelige beschwerten sich über den Landesherrn, der sich unter Bruch der Privilegien Klostergut aneignete.41 Diese Konflikte spiegeln sich in einer Vielzahl von Prozessen wider, vom Reichskammergericht über die Landtage bis zum landesherrlichen Hof. Konflikthafte Multikonfessionalität war also durchaus ein politischer Faktor, mit dem die Ritterschaft konfrontiert war und den sie in ihr politisches Kalkül mit einbezog. Diese Prozesse sind, soweit ich feststellen konnte, nicht untersucht – hin und wieder wird auf sie in der älteren Literatur hingewiesen. Was sie gekennzeichnet zu haben scheint, war, dass beide Seiten ihre Position zwar aktenkundig werden ließen, aber eine Konfrontation bzw. Entscheidung vermieden.42 Auch wenn eine Analyse des Prozessaufkommens im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Gutsherren und Landesherrn (noch) fehlt, kann man gleichwohl vermuten, dass gerade das Insistieren auf den patronatsrechtlichen Privilegien seitens der Gutsherren im größeren Kontext der politischen Auseinandersetzungen in der Region zu sehen ist. Einerseits galt es, als ständische Korporation dem Landesherrn möglichst geschlossen gegenüber zu treten, der immer mehr Privilegien zu kassieren suchte.43 Andererseits mussten Landesherren und Ritterschaft ihre Politik eng miteinander abstimmen, um in den verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Auseinandersetzungen im Ostseeraum ihre Stellung zu behaupten oder gar auszubauen. Und schließlich 39 40 41 42 43

Rehder, Volksfrömmigkeit, 31–35, Lau, Einführung, 439–441. Dollinger, Geschichte, passim. Hein, Spiritualisten, 353–355. Stein-Stegemann, Findbuch, Bd. 1, passim. Zum langfristigen Prozess vgl. Lange, Privilegien, passim.

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konnte man ganz pragmatisch kaum auf die wirtschaftlichen Beziehungen und vor allem das Know-How der zugewanderten katholischen, reformierten oder taufgesinnten Niederländer im Deichbau und in der Milchwirtschaft verzichten, als dass man sich hier als konfessioneller Hardliner zu gerieren hätte leisten können.44 Auch auf dieser Ebene lässt sich also eine politische Praxis religiöser Pluralität feststellen, indem Gutsherren ihre patronatsrechtlichen Befugnisse zur Umsetzung ihrer eigenen konfessionspolitischen Vorstellungen nutzten – Rechtsstreitigkeiten waren dabei Teil des Spiels, in dem beiden Seiten ihre Positionen festschrieben, ohne das zwangsläufig eine Lösung oder gar Durchsetzung erreicht werden musste, die der politischen Stabilität auf territorialer und regionaler Ebene abträglich gewesen wäre.

2.3

Konfessionelle Flexibilität als dynastiepolitisches Konzept?

Dass individuelle Glaubensüberzeugungen nicht unmittelbar politisches Handeln beeinflussten, sondern standespolitische, wirtschaftliche und dynastische Aspekte eine wichtige Rolle spielten, ist in den Ausführungen zur ritterschaftlichen wie gutsherrlichen Praxis deutlich geworden. Dass dies auch auf dynastiepolitisches Handeln bezogen sein konnte und persönliche Frömmigkeit mitunter in vermeintlichem Widerspruch zu politischen Aktionen stand, mag folgendes Beispiel aus Rantzaus Strategien geben, die eigene Dynastie möglichst gut in wichtigen politischen Korporationen zu etablieren. Heinrich Rantzaus Vater Johann war 1521 im Gefolge Christians beim Reichstag in Worms gewesen, wo er den Auftritt Luthers erlebt hatte und, tief beeindruckt, zu einem frühen Verfechter seiner Lehren wurde. Dementsprechend erzog er seine Kinder im lutherischen Glauben und setzte sich als Landesrat vehement für lutherische Lehren ein – gegen eine als unzulänglich empfundene alte Kirche wie auch gegen „Schwärmer“ wie Melchior Hoffmann, für den er im Zuge der Flensburger Disputation 1529 die Todesstrafe forderte.45 Auch Heinrich Rantzau wird in der Literatur eine reformatorische Frömmigkeit bescheinigt.46 Unabhängig von persönlichen Glaubensüberzeugungen pflegte Heinrich Rantzau die hergebrachten Strategien dynastischer Statussicherung und des Machterhalts. Entsprechend versuchte er seinen viertältesten Sohn und Nachfolger als königlicher Statthalter, Gerhard Rantzau (1558–1627) während dessen 44 Riis, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 204–215. 45 Fuhrmann, Ritterschaft, 154; Ramm, Wegbereiter, 294; Lohmeier, Rantzau, 74f. 46 Lohmeier, Heinrich Rantzau, 30–35. Eine Untersuchung der Kirchenstühle weist offenbar im Bildprogramm ebenfalls auf eine lutherische Ausrichtung hin. Aßmann-Weinlich, Adelskultur, 53–68.

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Grand Tour und Studien an wichtigen europäischen Universitäten eine Präbende im Bremer Domkapitel zu verschaffen, in dem die Familie Rantzau und andere holsteinische Adelige wie auch in Hamburg und Lübeck seit langem präsent waren. Da Gerhard zum Zeitpunkt der Einsetzung aber noch minderjährig war und daher eigentlich noch nicht die niederen Weihen eines Domkapitulars empfangen durfte, sandte Heinrich Rantzau eine Supplik an den Nuntius in Köln, in der er sich als „viri catholicissimi ecclesiaeque Romanae defensoris, qui insultibus hereticorum vigilanter restitit ac ecclesiam personasque ecclesiasticas […]“47 vorstellte – offenbar hatte er kein Problem mit einer solchen Selbstdarstellung als Verteidiger der katholisch-römischen Kirche, wenn es galt, wichtige Positionen für den Statuserhalt der Familie zu sichern. Das mag ein kleiner Hinweis auf die Fluidität von konfessioneller Identität sein, wobei offenbar sehr deutlich je nach Spielfeld unterschieden wurde.

3.

Heinrich Rantzaus Friedenskonzept als politische Ratio

Es lässt sich also annehmen, dass diese Ereignisse und Entwicklungen auf den unterschiedlichen Ebenen fürstlicher, territorialer, gutsherrlicher und dynastischer Politik den Sozialisations- und Erfahrungshintergrund für Rantzaus Konzepte und Vorstellungen bildeten, wie in den komplexen Konfliktkonstellationen in (Nord-)Europa Frieden zu stiften sei – und in diesem Zusammenhang politische Erwägungen und konfessionelle Pluralität in ein tragfähiges Verhältnis zueinander zu setzen, ohne dabei den einen oder anderen Aspekt zu eng zu reglementieren. Vor diesem Hintergrund muss Rantzaus Erfahrung mit den ritterschaftlichen Praktiken des je nach politischer Ebene „in der Schwebe Lassens“ konfessioneller Festlegungen als Ressource derjenigen politischen Mittel betrachtet werden, mit denen sich dauerhaft friedliche Verhältnisse schaffen ließen. Mögen die Motivation im ökonomischen Eigeninteresse sowie in der Notwendigkeit des Statuserhalts der Dynastie im Einzelnen wie der Ritterschaft als politischer Korporation gelegen haben und die theoretisch-rhetorischen Möglichkeiten zur Formulierung in humanistischen Konzepten bereitgestellt worden sein, in den politischen Mitteln und Instrumenten zur Durchsetzung zeigt sich jedoch eine ganz traditionell ständische Haltung bei Heinrich Rantzau. Die zentrale Beteiligung der Stände an allen politischen Entscheidungen lässt sich auch mutatis mutandis in seinem „Commentarius bellicus“ von 1595 ablesen. Geschrieben als politisches Vermächtnis an den minderjährigen dänischen König Christian IV., diskutiert er im ersten der sechs Bücher, wie ein Krieg, so er 47 Hector, Herrschaft Breitenburg (Nr. 511, 512), 246f.

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unvermeidlich sei, gerecht und richtig anzufangen ist. Das dritte Kapitel ist dabei explizit „De bello cum proceribus deliberandum“ gewidmet. Rantzau schreibt hier in direkter Mahnung: Alle Könige und Fürsten in den meisten recht und löblich eingerichteten Gemeinweisen werden durch den Vertrag, der vor der Erhebung geschlossen wurde, verpflichtet, nicht ohne die Zustimmung aller Stände und Fürsten irgendeinen Krieg zu beginnen oder zu verursachen. So hat, wie mir zu Ohren gekommen ist, Philipp, König von Spanien, als er sich in Belgien von den Untertanen die Treue zusicherte, ebenso hoch und heilig den Ständen versprochen, dass er nur mit ihrem Mitwissen, jedem Einzelnen in jenen Teilen, Krieg machen wird. Dasselbe ist auch angenommen worden, Durchlauchtigster König, und es wird nicht nur in deinen Reichen und Herrschaftsgebieten beachtet, sondern ist auch in fast ganz Europa Brauch.48

Die Betonung der ständischen Mitsprache als integraler Bestandteil europäischer politischer Kultur ist unübersehbar, und was hier für die Entscheidung über Aufnahme bzw. Fortsetzung eines Krieges gilt, muss umgekehrt auch für den Frieden gelten, der am Schluss des Bandes in humanistischer Manier als non plus ultra menschlicher Existenz besungen wird.49 Grundsätzlich sei der „liebe Frieden“, die „pax alma“ die entscheidende Grundvoraussetzung für ein gottgefälliges Leben, in dem die Freiheit bewahrt, die Würde von Kirche und Staat gewahrt und Landschaften gepflegt werden können; ein Zustand, in dem Herrschaft und Wirtschaft gedeihen und die Bürger sich zu friedliebenden Menschen bilden könnten.50 Es sind also nicht nur die großen militärischen Auseinandersetzungen in Europa, die er als existentielle Bedrohung sieht, sondern auch die großen Auseinandersetzungen zwischen Landesherrn und Ständen, die seine politische Praxis und letztlich auch seinen Rückzug 1598 bestimmten.51 Waren Rantzaus Friedensbemühungen von seinen politischen Erfahrungen insbesondere der 1560er und 1570er Jahre geprägt,52 so entspricht auch ihre 48 [Omnes Reges ac Principes in plerisque Rebus publicis recte laudabiliterque constitutis, ex pactione ante inaugurationem inita obstringuntur ne absque omnium ordinum et procerum consensu ullum bellum incipiant aut moveant. Ita me audiente Philippus Hispaniarum Rex, cum fidem in Belgio a subditis stipularetur, mutuo sancte promisit Ordinibus, non nisi ipsis consciis bellum se cuique illis in partibus facturum. Idem quoque receptum est, Serenissime Rex, & observatur non solum in tuis regnis ac ditionibus, verum etiam in universa pene Europa in usu est.] Rantzau, Commentarius, lib. I, cap. 3, 26. 49 Vgl. hierzu Lohmeier, Rantzau, 100–104. Dass er damit durchaus aus dem gelehrten Geschmack seiner Zeit entsprach, zeigt ein Blick in die Sammlung zeitgenössischer Friedensschriften, wie sie vorgestellt sind bei Franz Joseph Worstbrock (Hg.), Krieg und Frieden im Horizont des Renaissancehumanismus, Weinheim 1986; Kurt von Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg 1953 oder Markus Vogl, Friedensvision und Friedenspraxis in der Frühen Neuzeit (1500–1649), Augsburg 1996. 50 Rantzau, Commentarius: Epigrammata, [6]. 51 Vgl. hierzu Lange, Privilegien, 42–49. 52 Hansen, Friedensplan, 362–364.

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Ausformulierung diesem Entstehungszusammenhang. Nicht abstrakt konstruiert, sondern aus der Vielfalt an politischer und diplomatischer Erfahrung gespeist, zeigt sich hier, wie sich Rantzau die Realisierung solcher abstrakten Friedensideen in der Praxis seiner eigenen Gegenwart vorstellte. Er hatte sie bereits in den Jahren zuvor entworfen und verschiedenen Akteuren auf dem diplomatischen Parkett als handschriftliches Konzept vorgelegt –gedruckt wurden sie jedoch nie. Es basiert auf mehreren diplomatischen Vermittlungsversuchen Dänemarks im Konflikt zwischen England und Spanien in den 1580er Jahren sowie auf der Furcht, in den Achtzigjährigen Krieg involviert zu werden, da die Spanier immer wieder vehement Druck auf Dänemark ausübten, den Sund zu schließen und damit den einträglichen niederländischen Getreidehandel zu unterbinden. Bereits eingangs hatte ich das Grundprinzip zitiert, das auf einem alle Akteure umfassenden politischen Interessenausgleich beruhte, wobei die Frage der Konfession ausgeklammert bleiben sollte. Im Kern sah sein Plan so aus, dass Philipp zwar die gesamten Niederlande erhalten sollte, aber seine Soldaten abziehen sowie die hergebrachten Privilegien der Stände bestätigen und achten sollte. Abgesehen davon sollten beide Seiten keinerlei Einmischung in konfessionelle Belange gestattet sein.53 Als Orientierungsrahmen seiner Forderung nach Gewissenfreiheit nennt er die „Türkei, Polen, Schweden, Dänemark und Deutschland“, wobei im Reich gerade der Augsburger Religionsfrieden „auß langweiliger Unruhe wiederumb zu bestendiger Ruhe und Frieden“ geführt habe. Der krasse Widerspruch zwischen dieser Einschätzung und der konfessionspolitischen Realität in den genannten Gesellschaften ist sicherlich nicht auf Ignoranz oder Altersmilde zurückzuführen. Rantzau wich den Aufforderungen seines Korrespondenzpartners Georg Braun bewusst aus, indem er darauf hinwies, dass nicht konfessionelle Zuspitzung und einförmige Regulierung das Rezept wäre, sondern eher ein situativ-pragmatischer Umgang, um möglichst „Ruhe und Frieden“ zu bewahren;54 ein Konzept, dass erstaunlich gut zur Kirchenpolitik der schleswig-holsteinischen Ritterschaft passt – und sich auch darin widerspiegelt, dass er jenes Schreiben an Herzog Ulrich von Mecklenburg mit seinem Generalfriedensplan mit den Worten beginnt: „[…] waß ich verrückter Zeit als eines Holsteinischen Edelmanns Anbringen […], welches E.F.G auß endlich meiner schreiben nicht allerdings unbekand ist […]“.55

53 Hansen, Problem, 105. 54 Zitiert nach Hansen, Problem, 103. 55 LHAS, 2.12–1/23 (797) Korrespondenz Herzog Ulrich von Mecklenburg mit Heinrich Rantzau 1564–1593, fol. 362, vgl. auch Wurm, Korrespondenz, passim.

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4.

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Schlussüberlegungen

Die Einbettung des in der Forschung breit rezipierten Friedenskonzepts Heinrich Rantzaus in den Kontext der Politik der schleswig-holsteinischen Ritterschaft hat Perspektiven in verschiedene Richtungen geöffnet. Zum einen ist deutlich geworden, dass die bereits andernorts fruchtbar gemachte Einbeziehung von politischer Sozialisierung und praktischen Erfahrungshorizonten die Bedeutung theoretischer Konzepte und makrostruktureller Zusammenhänge neu gewichten kann. Eine systematische, quellenorientierte Erforschung der Friedensprozesse am Ende des 16. Jahrhunderts würde hier sicherlich neue Einsichten ermöglichen, die wiederum die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenpolitik weiter in Frage stellt. Gerade aber im Hinblick auf die Durchsetzung der Reformation und die Gestaltung des Konfessionalisierungsprozesses sind die politischen Praktiken der Ritterschaften neu in den Blick zu nehmen. Als Scharnierstellen zwischen übergeordneten territorialen politischen Interessen und politischen Akteuren vor Ort hatten sie neben persönlichen Glaubensüberzeugungen eine Reihe anderer Aspekte mit zu berücksichtigen, die ihrerseits auf die konfessionelle Prägung rückwirkten.

Literatur a)

Gedruckte Quellen

Hector, Kurt (Bearb.), Schleswig-Holsteinische Regesten und Urkunden, Bd. 9: Herrschaft Breitenburg 1256–1598 (Veröffentlichungen des Schleswig-Holsteinischen Landesarchivs 21), Neumünster 1988. Rantzau, Heinrich, Commentarius bellicus. Libris sex distinctus, praecepta, consilia, et strategemata pugna terrestris ac navalis, ex variis Eruditorum collecta scriptis, complectens, Frankfurt 1595.

b)

Forschungsliteratur

Asch, Ronald G./Freist, Dagmar (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2005. Assmann-Weinlich, Kerstin, Adelskultur im Kirchenraum. Herrschaftsstände in Schleswig-Holstein aus nachreformatorischer Zeit, Diss. Kiel, Monsheim 2009. Bertheau, Friedrich, Die Reformation des adeligen Klosters Preetz, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 48, 1918, 196–253.

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Ritterschaft und die deutsche Reformation in Böhmen und Mähren (1520–1620)

Obwohl die Forschung zum böhmischen und mährischen Adel in den letzten 25 Jahren einen der bedeutendsten Zweige in der tschechischen Frühneuzeitforschung darstellt, ist von der Beziehung dieser Adelsgruppen zu der konfessionellen Situation in den beiden Kronländern viel weniger bekannt, als man es sich gewünscht hätte.1 Der Grund dafür mag vor allem in den komplizierten religiösen Verhältnissen liegen, die in Böhmen und Mähren vor der Zwangkatholisierung herrschten. Im untersuchten Zeitraum beteiligten sich daran zusammen mit den Katholiken auch religiöse Strömungen, die der böhmischen Reformation zugeneigt waren, genauso wie die Anhänger der deutschen oder der schweizerischen Reformation. Diese Konfessionen entwickelten sich nicht ganz autonom. Es kam in der Praxis zu ihrem Aufeindanderprallen, gleichzeitig übten sie aber auch gegenseitigen Einfluss aufeinader aus. Zu den multikonfessionellen Territorien, in denen die Anhänger verschiedener Bekenntnisse nebeneinander lebten, gehörten auch die meisten, sogar alle, Herrschaften dem Adel. In dem Jahrhundert, das durch den Anfang des Vordringens der deutschen Reformation ins Königreich Böhmen sowie Markgrafschaft Mähren am Ausgang des zweiten Jahrzehntes des 16. Jahrhunderts und einhundert Jahre später durch die Niederlage des böhmischen Ständeaufstandes in der Schlacht am Weißen Berg im November 1620 abgegrenzt wird, spielte gerade der Adel bei der Formierung und Gestaltung konfessioneller Verhältnisse in den Ländern der böhmischen Krone eine Schlüsselrolle. Diese Rolle lässt sich auf einigen Ebenen betrachten. Die erste Ebene stellt die Beteiligung des Adels an der ständischen Opposition und an ihrem politischen sowie konfessionell motivierten Kampf gegen die herrschende Dynastie der Habsburger und ihre Anhänger dar, also ein Thema, dem schon in einer Vielzahl von Arbeiten Aufmerksamkeit geschenkt wurde.2 Zweitens kann man sich mit der Beteiligung des hohen und niederen 1 Bu˚zˇek/Král/Vybíral, Der Adel; Bu˚zˇek/Hrdlicˇka/Král/Vybíral, Veˇk; Matˇa, Sveˇt. 2 Z. B. Eberhard, Konfessionsbildung; ders., Monarchie; ders., Stände; ders., Gegensätze; Pánek, Stavovská opozice.

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Adels am Funktionieren der katholischen wie auch der nichtkatholischen Kirchenverwaltung auf zentraler Ebene befassen, wovon im Gegenteil nur ganz wenig bekannt ist.3 Die dritte Möglichkeit sehe ich in der Erforschung der konfessionellen Politik der Adligen, die sie auf ihren eigenen Grundherrschaften förderten, also bei ihren dort in den Städten und Dörfern ansässigen Untertanen durchsetzten. Gerade mit dem dritten Thema, also der Rolle des niederen Adels bei der Einführung und Durchsetzung der deutschen Reformation in ihren Herrschaften, wird sich diese Studie befassen.4 Diese Heransgehensweise ermöglich zu untersuchen, wie in der Praxis die konfessionelle Entwicklung in den einzelnen Orten aussah, welche Akteure sich daran beteiligten und welcher Methoden und Verfahren sie sich dabei bedienten. Gerade die Methoden, mit denen sich die böhmischen und mährischen Adligen bemühten, die konfessionellen Verhältnisse in ihren Herrschaften zu beeinflussen, stehen im Fokus dieses Beitrags. Der Untersuchung wird jedoch zuerst eine kurze Erläuterung der Entwicklung des niederen Adels im untersuchten Zeitraum vorangeschickt.

1.

Der böhmische und mährische Niederadel

Wenn sich ein Historiker mit dem Thema „Ritterschaft und Reformation“ in den beiden Ländern der böhmischen Krone zwischen den Jahren 1520 und 1620 befassen will, muss er sich mit einigen Problemen auseinandersetzen. Das erste, weniger gewichtige Problem stellt der Begriff Ritterschaft dar. Diese bildete in Böhmen und Mähren im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts den niederen der beiden Adelsstände, die sich in den beiden Ländern zugleich um 1500, also zur Zeit der Konsolidierung der politischen Strukturen des böhmischen Staates nach dem Ende der Hussitenkriege, rechtlich zu konstituieren begannen.5 Im Gegensatz zu dem zahlenmäßig geringeren, jedoch wohlhabenderen, politisch engagierteren und vornehmeren Hochadel bildete der niedere Adel eine zahlenmäßig größere und differenziertere Gruppierung. Er grenzte sich innerhalb seines Standes durch die verwendete Titulatur, die Vermögensverhältnisse und den Grad an Vornehmheit ab. Obwohl in den beiden Ländern der böhmischen Krone im gesamten Untersuchungszeitraum die Grenze zwischen den beiden Adelsständen genauso wie zwischen den Rittern und den Personen nichtadliger Herkunft gesetzlich festgelegt war, wurde sie überschritten, wenn die Stadtbürger 3 Hlavácˇek/Hrdina (Hg.), Církevní správa; Kordiovský (Hg.), Vývoj; Hrdina/Zilynská (Hg.), Církevní topografie; Matˇa, Sveˇt, 478–496. 4 Zur Bedeutung des Adels für die Konfessionalisierung der Untertanen in den Herrschaften des Adels im Königreich Böhmen Winkelbauer, Sozialdisziplinierung; ders., Grundherrschaft. 5 Macek, Jagellonský veˇk, Bd. II, Praha 1994, 43-79. Zur Entwicklung der Ritterstchaft im 16. und am Anfang des 17. Jahrhunderts Bu˚zˇek, Nizˇsˇí sˇlechta.

Ritterschaft und die deutsche Reformation in Böhmen und Mähren (1520–1620)

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nobiliert oder die Ritter in den Herrenstand aufgenommen wurden. Den niederen Adel ergänzten auch Ritter, die ins Königreich Böhmen aus dem Ausland kamen und dort das Einwohnerrecht erwarben.6 Der Anteil der Ritterschaft an der Gesamtzahl der Adligen in Böhmen belief sich im untersuchten Zeitraum auf achtzig bis neunzig Prozent. Während dieses Verhältnis vor 1620 nur kleine Schwankungen aufwies, nahm die Zahl böhmischer Ritter sukzessive ab. Dies korrespondierte mit der sinkenden Zahl von Adligen insgesamt, wie davon die zeitgenössischen Steuerverzeichnisse Auskunft geben. Noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts handelte es sich um 1.438 Ritter, um 1615 treten in den Steuerrollen nur noch 977 erwachsene Angehörige des böhmischen Niederadels auf.7 Auch in Mähren nahm die Zahl der Adligen, dessen Vermögen in den Steuerrollen erschien, fortlaufend ab. Noch schneller gingen die Zahlen der Ritter genauso wie ihr Anteil an der Gesamtzahl der Adligen zurück. In der Mitte der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts bildete die Ritterschaft achtzig Prozent des Adels in der Markgrafschaft Mähren (290 Ritter), vier Jahrzehnte später waren es drei Viertel (231 Ritter) und im Jahre 1619 zwei Drittel aller Adligen (180 Ritter).8 Obwohl die Ritterschaft zahlenmäßig der Gesamtzahl der Angehörigen des Herrenstandes stark überlegen war, konnte sie hinsichtlich ihrer Vermögensverhältnisse nur am Anfang des untersuchten Zeitraumes mit ihm Schritt halten. Der Adel besaß dabei in den beiden Kronländern 70 bis 85 Prozent des gesamten in den Steuerverzeichnissen evidierten Bodens. In Böhmen konnte die Ritterschaft noch am Ausgang der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts den größeren Umfang an Besitzungen für sich deklarieren. Es dauerte aber nicht lange, bis sie vom Hochadel diesbezüglich überholt wurde. Der Anteil des Herrenstandes am böhmischen Grundbesitz war dann fast einhundert Jahre später, also am Anfang des 17. Jahrhunderts, um zehn Prozent höher als jener der Ritterschaft, der ungefähr ein Drittel der Besitzungen im Königreich Böhmen gehörte.9 In Mähren dagegen verfügte der Hochadel immer über größeren Bodenbesitz als der niedere Adelsstand. Während in der Mitte der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts dieser Unterschied nur ganz gering war, war das gesamte Vermögen des Herrenstandes in der zweiten Hälfte des 16. wie auch zu Beginn des 17. Jahrhunderts ungefähr doppelt so groß wie jenes der Ritterschaft. Während die Ritterschaft im Jahre

6 Klecanda, Prˇijímání do rytírˇského stavu; ders. Prˇijímání cizozemcu˚; ders., Zakupování. Im Königreich Böhmen wurden zwischen den Jahren 1538 und 1615 insgesamt 55 Ritter in den Herrenstand aufgenommen; Starý, Rytírˇi. 7 Felcman, Majetkové pomeˇry, 196. 8 Hrubý, Moravská sˇlechta, 139. 9 Míka, Majetkové rozvrstvení; Bu˚zˇek, Majetková skladba.

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1526 über 42 Prozent des Vermögens in der Markgrafschaft Mähren verfügte, waren es in den Jahren 1585 und 1619 nur noch 20 bis 23 Prozent.10 Anhand der angeführten Zahlen ist es offensichtlich, dass die Mehrheit des niederen Adels nur vergleichsweise geringfügigen Grundbesitz mit weniger als einhundert Hintersassen besaß. In Böhmen waren es für den untersuchten Zeitraum fast neunzig Prozent der Ritter. Auf den Herrschaften von zehn Prozent der böhmischen Ritter lebten einhundert bis fünfhundert Hintersassen. Über einen größeren Großgrundbesitz verfügten nur einige Einzelpersonen, es waren aber nie mehr als zehn Personen, also ungefähr ein Prozent der erwachsenen Angehörigen des niederen Adelsstandes im Königreich Böhmen. In Mähren befand sich die Ritterschaft dagegen in einer viel günstigeren Lage, denn ein Viertel aller Ritter hier verfügte über ein mittelgroßes oder vergleichsweise größeres Vermögen. Eine Herrschaft mit einhundert bis fünfhundert Hintersassen besaßen im Jahre 1619 in der Markgrafschaft Mähren 32 Ritter. Nur neun der wohlhabendsten Ritter wiesen auf ihren Herrschaften eine höhere Zahl an Hintersassen auf.11

2.

Der bömische und mährischen Niederadel im Reformationszeitalter

Während die Genese der Ritterschaft und ihrer Vermögensverhältnisse in groben Zügen bekannt ist, stellt ihre konfessionelle Entwicklung eine viel komplizierte Problematik dar. Die meisten veröffentlichten Arbeiten fokussieren vor allem den Hochadel, was im Hinblick auf seinen politischen Einfluss, auf den Umfang seines Bodenbesitzes und letztendlich auf die Menge der überlieferten Quellen gerechtfertigt ist.12 Das Interesse der Autoren gilt vor allem den politisch engagierten Rittern, die durch ihren formalen wie auch informellen Einfluss in die bedeutenden politischen und konfessionellen Auseinandersetzungen im letzten Drittel des 16. und in den ersten zwei Dezennien des 17. Jahrhunderts eingriffen. Es handelt sich z. B. um Michal Sˇpanovský von Lisov (1530–1601), eine bedeutende Figur in den Verhandlungen um die Confessio Bohemica im Jahre 1575,13 um den Anführer der böhmischen evangelischen ständischen Opposition vom Anfang des 17. Jahrhunderts Wenzel Budovec von Budov (1551-1621)14 oder um den Vizekanzler von Böhmen Christoph Zˇelinský von Sebuzín, dem es durch 10 11 12 13 14

Hrubý, Moravská sˇlechta, 139. Míka, Majetkové rozvrstvení, 67, 70, 72. Matˇa, Vorkonfessionelles. Pakosta, Michal Sˇpanovský z Lisova; Bu˚zˇek, Rytírˇi, 124–132. Rejchtová, Václav Budovec z Budova, Praha 1984.

Ritterschaft und die deutsche Reformation in Böhmen und Mähren (1520–1620)

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seinen Einfluss wie auch durch die Verhältnisse in der böhmischen Kanzlei gelang, bis zu seinem Sturz im Jahre 1599 die Aktivitäten der ständischen Opposition in bedeutendem Maße zu fördern.15 Der dritte Problembereich hängt mit dem Charakter der deutschen Reformation in den beiden untersuchten Kronländern zusammen, also mit der Frage, was man in dem böhmischen und mährischen multikonfessionellen oder konfessionell vielfältigen Milieu des 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts eigentlich für lutherisch halten kann. Zusammen mit dem eigenen Charakter des Luthertums bleibt auch seine Beziehung zu den unterschiedlichen Richtungen und Strömungen der böhmischen Reformation nicht ganz klar. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatten die beiden Kronländer schon eine einhundertjährige Erfahrung mit der böhmischen Reformation hinter sich. Im Laufe der Zeit bekannte sich zu ihr die Mehrheit der Bevölkerung, darunter auch die Ritterschaft. Sie bildete dann zusammen mit den Einwohnern der meisten landesherrlichen Städte wie auch der böhmischen und mährischen Städte in adliger Hand eine soziale Basis des Utraquismus.16 Die reformatorischen Ideen Martin Luthers begannen sich schon am Ausgang der 20er Jahren des 16. Jahrhunderts in Böhmen zu verbreiten. Außer bei radikalen Prager Utraquisten fanden sie zuerst bei der deutschsprachigen Bevölkerung in den bisher katholischen Regionen in Nord- und Nordwestböhmen Widerhall, wo ihre Verbreitung einige adlige Grundherrschaften förderten. Bereits auch in den 1520er Jahren begann das Luthertum auch nach Mähren vorzudringen. In den Weg stellte sich ihm vor allem in Böhmen nicht nur die böhmische Reformation, die einen breiten Strom von reformatorischen Ideen, die sich zum Vermächtnis von Johannes Hus bekannten, umfasste, sondern auch die Bestrebungen des Königs Ferdinands I., der eine Integration des konservativen Utraquismus und des Katholizismus anstrebte. Darüber hinaus stellten der Katholizismus und der Utraquismus die einzigen im Königreich Böhmen landesrechtlich garantierten Religionen dar. Die anderen reformierten Konfessionen samt dem Luthertum waren im Lande bis 1609 formal landesrechtlich nicht erlaubt und konnten nur unter dem Schleier der legalen utraquistischen Kirche verbreitet werden, was sich nicht nur auf einige ihre äußeren Ausdrucksformen auswirkte, sondern auch in einigen Fällen die Identifikation ihrer Konfessionalität erschwerte.17 Ihre Existenz war somit in gewissem Maße abhängig von der Beschirmung und Förderung durch einige Adlige als Grundherren, die ihnen Zuflucht und Unterstützung auf ihren Herrschaften boten. In Mähren dagegen

ˇ eská kancelárˇ. 15 Borovicˇka, Pád; Stloukal, Papezˇská politika, 153–210; ders., C 16 Macek, Víra, 41. 17 Z. B. Eberhard, Voraussetzungen; ders., Entstehungsbedingungen.

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war konfessionelle Toleranz weitverbreitet.18 Zur Lockerung der Verhältnisse im Königreich kam es nach der Thronbesteigung durch Maximilian II., als die Bestrebungen um eine neue Gestaltung der religiösen Verhältnisse im Lande, die die Beziehung der böhmischen Reformation zu den aktuellen Reformströmungen und -ideen widerspiegelten, in dem Kampf um die Confessio Bohemica im Jahre 1575 ihren Höhepunkt erreichten.19 Ihr Scheitern konnte jedoch die Verbreitung der Ideen der deutschen Reformation in einigen landesherrlichen Städten genauso wie auf den Herrschaften des Adels keinesfalls verhindern. Stärker noch als in Böhmen kam es dazu in Mähren, wo es auch Versuche zur Konstituierung der evangelischen Kirchenverwaltung im ganzen Land gegeben hatte. In Böhmen wurde die juristische Legalisierung der ganzen „Partei unter beiderlei Gestalt“, zu der zusammen mit den Utraquisten und der Brüderunität auch die Lutheraner gehörten, durch den Erlass des Majestätsbriefes im Juli 1609 vollzogen.20 Die übrigen Jahre bis zum Ausbruch des böhmischen Ständeaufstandes 1618–1620 waren nicht nur von den Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des Trienter Katholizismus und ihren konfessionellen Opponenten, sondern auch von den Konflikten zwischen den verschiedenen reformierten Glaubensgemeinschaften gekennzeichnet. Obwohl es in den beiden Kronländern Pfarrgemeinden gab, die sich zur Confessio Augustana bekannten, kam die Konstituierung einer einheitlichen lutherischen Kirchenorganisation nicht zustande.21 Eine wichtige Rolle für die Ausbreitung des evangelischen Bekentnisses in einem Land mit katholischem Landesherrn spielten die Bereitschaft und der Wille einzelner Grundherren, evangelische Geistliche auf ihren Herrschaften zu beschützen und zu fördern. In Betracht sollte aber nicht nur der ausgedehnte Bodenbesitz in adliger Hand, der in den beiden Kronländern dominierte, sondern auch der Charakter der Patrimonialherrschaft, die in den Dominien unter adliger Obergewalt ausgeübt wurde, gezogen werden. Die adligen Herrschaften stellten im untersuchten Zeitraum in bedeutendem Maße souveräne und autonome Territorien dar. Die Obergewalt hatte ausschließlich der jeweilige Adlige inne. Der auf sie ausgeübte Einfluss des Landesherrn genauso wie der höheren kirchlichen Autoritäten war bis auf Ausnahmen grundsätzlich gering.22 Einen 18 Válka, Ctibor Tovacˇovský z Cimburka. ˇ eská konfesse. Den Text gaben kürzlich Just/Rothkegel (Hg.), Confessio Bohemica, 19 Hrejsa, C heraus. 20 Hausenblasová/Mikulec/Thomsen (Hg.), Religion. 21 Zur Entwicklung der deutschen Reformation in Böhmen Turnwald, Luthertum; Eberhard, Reformation in Böhmen. Für Mähren Hrubý, Luterství a novoutrakvismus; ders., Luterství a kalvinismus; Hrejsa, Luterství. Aktuell dazu Just, Luteráni; ders., Vyznavacˇi; Hlavácˇek, Otazníky. 22 Maur, Poddanská otázka; ders., Staat und (lokale) Gutsherrschaft; ders., Staat und die lokalen Grundobrigkeiten.

Ritterschaft und die deutsche Reformation in Böhmen und Mähren (1520–1620)

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Ausnahmefall, der die Autonomie der Herrschaften in adliger Hand verletzte und die Verbreitung der deutschen Reformation verhindern sollte, bildete eine Reihe von Verordnungen Ferdinands I. aus den Jahren 1554 und 1555, die aus den Herrschaften der dem Luthertum zugeneigten Herren und Ritter die Geistlichen ohne ordentliche Priesterweihe auswiesen.23

2.1

Patronatsrecht

Es scheint, dass die Ritterschaft bei der Umsetzung ihrer eigenen konfessionellen Politik in ihren Herrschaften die gleichen Methoden verwendete, die schon am Beispiel des Hochadels beschrieben wurden.24 Die wichtigste und eigentlich bedeutendste Maßnahme stellte die Ausübung des Patronatsrechts dar.25 Dieses gehörte zu einer Reihe von Privilegien der Ritter als Obrigkeit und ermöglichte dem adeligen Patron, einen neuen Kandidaten auf eine unbesetzte Pfründe zu ernennen. Die weltliche Obrigkeit konnte somit die Wahl der Geistlichen, die für die Verwaltung der Pfarrgemeinden auf ihrer Grundherrschaft zuständig sein sollten, und dadurch auch das Glaubensbekenntnis der in den Städten, Marktflecken und Dörfern unter ihrer Obergewalt lebenden Untertanen beeinflussen. Formell handelte es sich um das Vorrecht auf die Ernennung eines Kandidaten auf die unbesetzte Pfründe demjenigen, der über das Befugnis der Amtseinsetzung verfügte, also seinem Vorsteher in der Kirchenhierarchie. In Hinblick auf das praktische Fungieren und die Gestalt der nichtkatholischen Kirchenverwaltung auf zentraler Ebene waren es gerade die Adligen, die die Pfarreien in ihren Herrschaften mit evangelischen Geistlichen selbst direkt besetzten. Diese Gewohnheit ist bei einer ganzen Reihe von Herrschaften bekannt, die überwiegend im Besitz evangelischer Adliger waren. Aus dem niederen Adel handelte es sich z. B. um die Familien Doupovec von Doupov, Fictum von Fictum, Hora von Ocelovic, Kelbl von Gejzink, Konojedský von Pojetic und Sˇtampach von Sˇtampach.26 Ähnlich gingen auch Adelsfamilien vor, die ihre Güter in Nord- und Nordwestböhmen besaßen, wo die deutsche Reformation schon sehr früh ihre Wurzeln schlug. Die in diese Regionen des Königreichs Böhmen aus Sachsen, Schlesien, aus der Lausitz oder aus der Meißner Region eingewanderten Grundherren förderten die Verbreitung des Luthertums.27 Darüber hinaus war es 23 Pánek, Stavovská opozice, 52. 24 Hrdlicˇka, Konfesijní politika; ders., Rolle. 25 Von den zusammenfassenden Arbeiten steht nur die schon veraltete und nicht mehr ausreichende Monographie von Schlenz, Kirchenpatronat, zur Verfügung. 26 Borový, Jednání, 167-193. 27 Bobková, Cizí sˇlechta.

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auch die deutschsprachige Bevölkerung, die dazu beitrug, wie auch die Tatsache, dass eine Vielzahl von Ortschaften katholisch blieb, dass die neuen reformatorischen Ideen mit dem Utraquismus nicht ringen mussten. Als Beispiel kann das verzweigte Adelsgeschlecht der Ritter von Bünau genannt werden, dessen Familienmitglieder Dominien auf den beiden Seiten der böhmisch-sächsischen Grenze besaßen und in den 20er Jahren des. 16. Jahrhunderts in den böhmischen Ritterstand aufgenommen wurden.28 Im Norden des Königreichs Böhmen erwarben sie um 1530 die zwei ausgedehnten Herrschaften Blansko/Blankenstein (seit 1527) und Deˇcˇín/Tetschen (seit 1534). Während der erste Besitzer der Herrschaft Tetschen Rudolf II. von Bünau (†1540) dem katholischen Glauben treu geblieben war, sind seine Söhne nach dem Tod des Vaters zum Luthertum konvertiert. Der erste von ihnen war Heinrich II. (1504–1570), seit 1552 Besitzer der Herrschaft Blankenstein, der jedoch nie nach Böhmen umsiedelte. Von anderen Angehörigen dieses Adelsgeschlechts, die im Königreich Böhmen lebten, bekannte sich der jüngste Sohn Rudolfs II. von Bünau, Günther von Bünau (†1576), seit 1553 Besitzer der Herrschaft Tetschen, als erster zur deutschen Reformation. Von dem Glauben ihrer Vorfahren wandten sich dann alle Angehörigen dieser Adelsfamilie nach und nach ab.29 Es war gerade Günther von Bünau, der in Tetschen im Dezember 1559 den bisherigen katholischen Pfarrer durch einen protestantischen Prediger feierlich ersetzte. Obwohl ihn König Ferdinand I. mehrmals dazu aufforderte, er solle den katholischen Pfarrer ins Amt wieder einführen, hörte Günther nicht auf ihn und lud ganz im Gegenteil auch auf andere Pfarreien in seinen Herrschaften lutherische Prediger ein.30 Der vollständige Wandel konfessioneller Verhältnisse, den er dadurch anbahnte, lässt sich auch am Vertrag zwischen Günthers Sohn Heinrich dem Älteren (1555–1614) und dem neuen Tetschener Pastor beobachten. Gemäß dem im April 1605 abgeschlossenen Abkommen sollte der Pfarrverwalter seine Pfarrkinder entsprechend der reinen und unverfälschten Lehre des Evangeliums und nach dem Inhalt und den Satzungen der Confessio Augustana betreuen und unterrichten.31 Nicht überall übernahmen die Adligen zusammen mit der Verwaltung der Herrschaft auch das Patronatsrecht. Diese Tatsache bereitete daher bei der Durchsetzung der Reformation oft Schwierigkeiten. Die Bemühungen, die Adelsreformation durchzusetzen, stießen in einigen Fällen auf den Widerstand der Stadtgemeinden. Dies war der Fall der Ritter von Salhausen, eines weiteren

28 29 30 31

Klecanda, Prˇijímání, 109. Hrdy, Bünauer; Chmelíková u. a., Rytírˇi; Schattkowsky, Familie von Bünau. Wolkan, Studien, 9–12; Borový, Jednání, 293–294. Wolkan, Studien, 14–18; Chlebnícˇek, Neznámá listina.

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Adelsgeschlechts mit engen Bindungen an Sachsen, das auch mit den Rittern von Bünau verwandt war. Das Adelsgeschlecht ließ sich in Böhmen bereits in 1515 nieder, als die Brüder Hans, Friedrich († 1562) und Wolf von Salhausen († um 1543) die nordböhmiˇ eská Kamenice/Kamnitz, Deˇcˇín/Tetschen und Ostrý/Sˇarschen Herrschaften C fensˇtejn/Scharfenstein mit der Stadt Benesˇov nad Ploucˇnicí /Bensen erworben hatten. Wahrscheinlich schon in 1518 luden sie einen lutherischen Pastor nach Bensen ein. Sie haben ihn zwar noch nicht mit der Pfarrverwaltung betraut, aber er durfte da schon predigen. Die Verwaltung der Pfarre übernahm er in 1523. Die überwiegend katholische Stadtgemeinde bestand auf seiner Amtsenthebung. Allerdings in 1529 wurde dieses Amt mit einem weiteren lutherischen Geistlichen besetzt. Spätestens 1522 wird auch ein lutherischer Prediger für Tetschen belegt, wohin ihn Hans von Salhausen einlud. In der katholischen Stadt geriet er in Konflikt mit den Vertretern der Pfarrverwaltung wie auch mit den Stadtbürgern. Die Nachricht über diese Auseinandersetzung gelangte sogar bis an den Herrscherhof. Die frühe Reformation auf der Herrschaften der Ritter von Salhausen, die durch ihre Obrigkeit gefördert wurde, stoß auf den Widerstand der katholischen Untertanen wie auch des katholischen Klerus, der die lutherischen Geistlichen zum ( jedoch nur zeitweiligen) Verlassen der beiden Städte gezwungen und die Reformation zum Anhalten gebracht hatte.32

2.2

Mäzenatentum

Das nächste mit der Ausübung des Patronatsrechts eng zusammenhängende Mittel, dessen sich die Adligen bei der Formierung der eigenen lokalen Konfessionspolitik bedienten, stellte adliges Mäzenatentum dar. Von den vielen Formen, die es haben konnte und bei denen die konfessionelle Dimension wahrgenommen werden kann, wird der Sakralarchitektur Beachtung geschenkt. Da die Konfessionalität der Kunstwerke aus dem 16. und vom Beginn des 17. Jahrhunderts erst in den letzten Jahren in den Fokus der historischen Forschung rückte,33 können nur einige Beispiele vorgestellt werden. Die Auftraggeber der Neubauten dieser Kirchen stammten allerdings häufiger aus dem Herrenstand aus Nord- und Nordwestböhmen oder Mähren als aus der Ritterschaft.34 Doch es lassen sich in den gleichen Gebieten auch Sakralbauten finden, derer Bau von der Ritterschaft veranlasst wurde. In Nordböhmen war es Rudolf III. von 32 Arnold, Das Luthertum, 70, 75, 96–104. 33 Hornícˇková/Sˇroneˇk, Umeˇní; dies., In puncto religionis. 34 Just, Luteráni, 114–121.

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Bünau (1547–1622), seit 1572 Besitzer der Herrschaft Blankenstein, der die Kirche der Jungfrau Maria (heute die St.-Florian-Kirche) bei dem sogenannten Alten Schloss in Krásné Brˇezno/Schönpriesen erbauten ließ. Die Bau der Kirche, die als Schlosskapelle diente, beendete Hans Boge aus Pirna im Jahre 1603 oder 1604. Im Jahre 1605 wurde in der Kirche ein geräumiger Hauptaltar installiert, in dessen Marmorkorpus Reliefe und Plastiken aus Sandstein und Alabaster inkorporiert wurden. Die anderen zwei beachtenswerten lutherischen Altäre entstanden ebenfalls kurz nach 1600, wahrscheinlich im Auftrag von Rudolfs Cousin und dem Besitzer der Herrschaft Tetschen, Heinrich dem Älteren von Bünau. Einer von ihnen war für die Kirche in Trmice/Türmitz bestimmt, die ursprüngliche Verortung des zweiten Altars ist nicht bekannt. Unter den anderen Aktivitäten dieses Rittergeschlechts kann der Umbau der Kirche der Enthauptung des heiligen Johannes des Täufers in Teˇchlovice/Tichlowitz um 1550 auf Geheiß Heinrichs des Jüngeren von Bünau (†1553) oder die Bauarbeiten vor 1570 an der Dreikönigskirche und an der Pfarrkirche in Libouchec/Königswald auf der Herrschaft Tetschen unter dem Besitzer Günther von Bünau erwähnt werden. In einer ganzen Reihe von Kirchen blieben erhalten oder waren für sie weitere künstlerische Artefakte wie Glocken, Taufbecken, Grabschriften oder Kanzeln ursprünglich bestimmt. Die Mehrheit dieser Artefakte entstand nach der Konversion des Adelsgeschlechts zum Luthertum im Jahre 1559. Ihre Anfertigung war ein Werk vor allem sächsischer und schlesischer Künstler.35 In einem größeren Umfang als in Böhmen entstanden die Sakralbauten im Stil der Spätrenaissance in Mähren. Ihre Auftraggeber waren die Anhänger der Confessio Augustana. Die Gründe hingen nicht nur mit der Konfession des dortigen Adels ab, sondern auch mit den landesrechtlichen Bedingungen zusammen, denn in Böhmen ermöglichte erst der Majestätsbrief Rudolfs II. vom Juli 1609 den evangelischen Ständen, auf seinen Herrschaften neue Kirchen wie auch Schulen zu errichten, während die bestehenden Kirchen bei der Konfession bleiben sollten, zu der sie sich vor dem Erlass des Majestätsbriefes bekannten.36 Ein Komplex aus sieben Sakralbauten aus der Zeit um 1600 befand sich in der Herrschaft Sovinec/Eulenberg in Zentralmähren. Es wurde im Zusammenhang mit den reformatorischen Bestrebungen ihrer Besitzers, des Ritters Johann des Älteren Kobylka von Kobylí († nach 1627), errichtet, zu denen auch der Erlass einer eigenen Kirchenordnung im Geiste der Confessio Augustana gehörte. Die 35 Navrátil, Projevy; Hlavácˇek, Otazníky, 292–295. Im Kontext anderer künstlerischen Aktivitäten des Adelsgeschlechts Chmelíková u. a., Rytírˇi; Finger, Frömmigkeitsformen, 406–410. 36 Gindely, Geschichte, 182–189; Krofta, Majestát, 37–38; Just, Rudolfu˚v Majestát, 85–86, 139. Der im Zusammenhang mit dem Majestätsbrief erlassene Ausgleich/Porovnání berechtigte die nichtkatholischen Untertanen in den königlichen Städten und in den Kammergütern zum Bau einer neuen Kirche. Dieses Recht wurde dagegen den auf den Herrschaften in adliger oder kirchlicher Hand lebenden Untertanen nicht verliehen; vgl. Just, Neuordnung, 144–145.

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Gruft eines dieser Sakralbauten, konkret die Kirche der heiligen Kunigunde in Paseka/Passek, umgebaut in den Jahren 1602–1603, wählte ihr Gründer als die Grabstätte für sich selbst wie auch für seine zweite Ehefrau Anna Eder von Sˇˇtavnice (†1607).37 Aus der gleichen Zeit stammen auch die Dreifaltigkeitskirche in Beˇharˇovice/Biharzowitz in Südmähren, die der Ritter Georg Teufel von Gundersdorf, der Besitzer der Herrschaft Tavíkovice/Tajkowitz, im Jahre 1596 erbauen ließ, oder der Umbau der Dreifaltigkeitskirche (heute der St.-KatharinaKirche) in Prusinovice/Prusinowitz, der auf Wunsch des nächsten mährischen evangelischen Ritters Arkleb Prusinovskýs von Víckov (†1608) durchgeführt wurde. Auch diese Sakralbauten dienten als Familiengruft für ihre Gründer.38 Die bemerkenswerten und für das böhmische und mährische multikonfessionelle Milieu bis zu einem gewissen Maße charakteristischen Umstände bewegten den mährischen evangelischen Ritter und obersten Landschreiber Johann ˇ ejka von Olbramovic, in den Jahren 1614–1615 eine neue Kirche in Bystrˇice nad C Pernsˇtejnem/Bistritz ob Pernstein zu bauen. Er wurde zum Besitzer dieser Stadt und Herrschaft erst im Jahre 1609, nachdem die evangelische Stadtgemeinde in den Jahren zuvor einem intensiven gegenreformatorischen Druck ausgesetzt worden war. Die Gegenreformation initiirte der ehemalige Besitzer der Stadt Wratislaw von Pernstein (1530–1582). Um 1580 übergab er das Patronatsrecht ˇ ejka gelang es, auf die Pfarrei in Bistritz ob Pernstein dem Bischof von Olmütz. C im Juli 1613 das Patronatsrechts vom Bischof abzukaufen, aber nur unter der ˇ ejka Bedingung, dass die Bistritzer Pfarrei wieder den Katholiken gehören wird. C ließ daher für seine evangelischen Untertanen auf dem neuen Stadtfriedhof eine neue Dreifaltigkeitskirche mit einer Pfarrei bauen, dessen Einkünfte von jenen Stadtbürgern stammten, die dem katholischen Pfarrer nicht zahlen wollten.39

2.3

Evangelische Kirchenordnungen

Die nächste Möglichkeit, wie der evangelische höhere und niedere Adel das religiöse Leben auf seinen Grundherrschaften beeinflussen konnte, stellte den Erlass von evangelischen Kirchenordnungen dar.40 Einige in Mähren erlassenen Kirchenordnungen wurden als ein Reformversuch der evangelischen Kirchenverwaltung auf gesamtländlicher Ebene oder zumindest in ihren bestimmten Teilen aufgefasst, also auf einem breiteren Territorium, das über die Herrschaft, auf der sie entstanden, hinausreichte. Die meisten der bekannten evangelischen 37 38 39 40

Mlcˇák, Pozdneˇrenesancˇní luterské kostely. Jakubec, Modalita, 63–64. Tenora, Z pameˇtí, 9–50. Hrdlicˇka, Evangelische Kirchenordnungen.

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Kircheordnungen waren jedoch nur in den Herrschaftsbereichen ihrer Aussteller gültig. Die Entstehung der böhmischen und mährischen Kirchenordnungen hing mit der Form und Gestalt der nichtkatholischen Kirchenverwaltung in den beiden Kronländern zusammen. Die böhmischen Stände hatten in den 1550er Jahren ihren Einfluss auf das Prager utraquistische sog. Untere Konsistorium verloren. Im Jahre 1575 scheiterten die Verhandlungen um die Confessio Bohemica und die damit zusammenhängenden Versuche um die Reform der nichtkatholischen Kirchenorganisation im Königreich Böhmen. In den 60er Jahren verlor das Untere Konsistorium seinen Einfluss auch in Mähren. Dort war es dagegen der Bischof von Olmütz, der die Aufsicht über die nichtkatholischen Pfarreien zu gewinnen versuchte. Dies war einer der Gründe, warum sich die evangelischen Adligen und die Geistlichen aus ihren Herrschaften bemühten, eine evangelische Kirchenorganisation zu errichten. Auf den Dominien des Adels in Böhmen und Mähren entstanden im untersuchten Jahrhundert ungefähr 25 solcher Texte.41 Diese Dokumente regelten die Gestalt der evangelischen Kirchenverwaltung, gaben die Richtlinien für Amtspflichten der Geistlichen vor oder legten die Vorschriften für die Abhaltung der Gottesdienste fest.42 Ihre Aussteller aus den Reihen der Ritterschaft gehörten zu jenen Adelsgeschlechtern, deren Güter und Besitzungen sich in verschiedenen Teilen der beiden Kronländer befanden, besonders in Südmähren, das in der zweiten Hälfte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Zentrum des Luthertums wurde. Die ersten Vorschläge aus der Zeit nach 1550, der evangelischen Kirchenverwaltung in Mähren eine neue Gestalt zu verleihen, stammten vor allem aus dem Milieu des hiesigen Hochadels und der in ihren Herrschaften wirkenden Geistlichen. Über das Engagement der Ritterschaft in diesem Unternehmen ist nur wenig bekannt. Besondere Aufmerksamkeit verdient vor allem das Adelsgeschlecht Tetour von Tetov. Sie besaßen einige Herrschaften im Südosten der Markgrafschaft Mähren samt Nový Sveˇtlov/Neu Swetlau und Veselí nad Moravou/Wessely an der March, auf denen eine Kirchenordnung gelten sollte, die im Jahre 1584 durch einige in diesem Teil der Markgrafschaft ansässige adlige Grundherrschaften verabschiedet und eingeführt wurde.43 In dieser Zeit gehörten die Angehörigen dieses Adelsgeschlechts schon dem Hochadel an, in den sie im Jahre 1549 aufgenommen worden waren.44 Die Kirchenordnung für die 41 Hrdlicˇka/Just/Zemek, Evangelické církevní rˇády. ˇ eská konfesse, 33–37, 348–358, 504–505. Das Interesse weckte vor 42 Kurz darüber Hrejsa, C allem die Kirchenordnung aus Jáchymov/Joachimsthal in Westböhmen, die im Jahr 1551 auf Geheiß Johann Mathesius’ erlassen wurde. Dazu Eckert, Kirchenordnungen; Wriedt, Kirchen- und Schulordnungen. ˇ eská konfesse, 350; Hrdlicˇka/Just/Zemek, Evangelické církevní rˇády, 53–59, 336–340. 43 Hrejsa, C 44 Starý, Rytírˇi, 252.

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Herrschaften der Tetour von Tetov war nicht ausgeprägt lutherisch. Sie sollte eher an die kompromissvolle Koexistenz der Anhänger mehrerer Reformströmungen angepasst werden. Die Familienmitglieder des Adelsgeschlechts Tetour von Tetov förderten allerdings auch die Brüderunität auf ihren Herrschaften.45 Der nächste südmährische Ritter, der durch eine Kirchenordnung das evangelische Glaubensbekenntnis bei seinen Untertanen zu festigen und zu beeinflussen beabsichtigte, war Johann Dubský von Trˇebomyslice.46 Sein Vater Wilhelm Dubský († wahrscheinlich 1631) erwarb in Mähren nach und nach ausgedehnten Grundbesitz und wurde um 1610 in den mährischen Hochadel aufgenommen. Im Jahre 1608 erließ Johann eine Kirchenordnung, durch die er auf die Auseinandersetzungen zwischen dem Pfarrverwalter in der Stadt Jimramov/Ingrowitz, seinen Pfarrkindern und dem Rektor der dortigen Schule reagierte. Sein Ziel war es, verbindliche Anweisungen für den jetzigen Pfarrer wie auch für seinen Nachfolger aufzustellen. Die evangelischen Pastoren sollten das Abendmahl in beiderlei Gestalt spenden und das wahre Wort Gottes ohne menschliche Eingriffe predigen. Die größte Aufmerksamkeit wurde dem Abendmahl gewidmet. Darüber hinaus schenkte man ausführlich auch der materiellen Versorgung der Pfarrei Beachtung.47 Vier Jahre später veröffentlichte Johann Dubský eine Verordnung für die Literatenbruderschaft in Ingrowitz, in der er festlegte, dass alle Gesänge, Zeremonien wie auch der Gottesdienst in der dortigen Pfarrkirche der Geburt der Jungfrau Maria im Einklang mit der Confessio Augustana von 1530 abgehalten werden sollen.48 Eine änliche Kirchenordnung in Ostböhmen veröffentlichte Christopher Mauschwitz von Armenruh († 1617), dessen Vater Joachim († 1585) im Jahre 1558 das Inkolatsrecht verliehen worden war. Im Jahre 1567 kaufte Joachim die Herrschaft Rokytnice v Orlických Horách/Rokitnitz im Adlergebirge, die zu dieser Zeit infolge der fortschreitenden Kolonisation dieses Berggebietes starker Germanisierung ausgesetzt war.49 Christopher Mauschwitz erließ im Dezember 1601 für seine Untertanen eine evangelische Kirchenordnung, die elf Artikel umfasste. Die Satzung verordnete die regelmäßige Teilnahme an den Gottesdiensten und das Einhalten der Verordnung wie auch die Pflicht, der Obrigkeit 45 Fialová, Poddanské pomeˇry, 94, 96; Spurný/Zemek, Kopiárˇ, 189f, 192f. 46 Hrubý, Vilém Dubský z Trˇebomyslic. ˇ eská konfesse, 353f. Der Text der Kirchenordnung wurde ins Grundbuch der Stadt 47 Hrejsa, C Ingrowitz eingetragen. Das Grundbuch befindet sich im Staatlichen Kreisarchiv Zˇdˇár nad Sázavou, Bestand Archiv der Stadt Jimramov/Ingrowitz, Inv. Nr. 7, Sign. C 17 16281, Buch Nr. 1. Eine moderne Abschrift der Kirchenordnung befindet sich im Mährischen Landesarchiv Brno, Bestand Neue Sammlung (G2), Sign. 170/3. 48 Die Abschrift der Kirchenordnung veröffentlichte Still, Pameˇti, 128–135; eine Edition bei Hrdlicˇka/Just/Zemek, Evangelické církevní rˇády, 106–108, 386–389. 49 Zur Herrschaft des Adelsgeschlechts Mauschwitz in Rokytnice v Orlických horách Sˇu˚la, Rokytnice, 25–59.

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und dem Pfarrer etwaige Fälle des Sektierens und eines die Verordnung verletzenden Verhaltens zu melden. Die Pfarrer waren verpflichtet, Matrikeln und Verzeichnisse von Gläubigen, die am Abendmahl teilnahmen, anzulegen und zu führen. Die Norm enthielt darüber hinaus Anweisungen zum Vollzug von Trauungen, Taufen, von der Einführung der Wochenbettnerinnen und von Begräbnissen. In Hinblick auf den ethnisch gemischten Charakter der Bevölkerung sollten bei den Gottesdiensten tschechische wie auch deutsche geistliche Lieder gesungen werden.50 In Südböhmen und an seiner Grenze zu Südmähren besaßen zwei weitere Aussteller der evangelischen Kirchenordnungen aus den Reihen der Ritterschaft ihre Güter. Der eine, der Besitzer der Herrschaft Pacov/Patzau in der BöhmischMährischen Höhe, Johann Sˇpanovský von Lisov (†1583) veröffentlichte 1581 ˇ áslavský seine Kirchenordnung, die vom Patzauer Pfarrverwalter Johann Laetus C (†1595), ordiniert im Jahre 1572 in Wittenberg, verfasst wurde. Zur Zeit seines Wirkens in Patzau pflegte dieser den intensiven Kontakt zu den lutherischen Geistlichen in Jihlava/Iglau, dem in dieser Zeit bedeutendsten Zentrum der deutschen Reformation im westlichen Teil Südmährens.51 Die Patzauer Pfarrer mussten bedingungslos die Confessio Bohemica einhalten. Indem er auf ihren Text verwiesen hatte, wollte er der facettenreichen konfessionellen Struktur der Stadtgemeinde entgegenkommen, in der außer den Lutheranern auch die durch diese Bekenntnisschrift beeinflussten Utraquisten vertreten waren. Zusammen mit dem Unterricht des Katechismus enthielt die Kirchenordnung auch die Anweisungen zur Spendung des Abendmahls wie auch zum Vollzug von Taufen und Trauungen. Die Kirchenordnung befasste sich auch ausführlich mit der Form der Kirchenverwaltung in der Herrschaft sowie mit der Beziehung zwischen der kirchlichen und weltlichen Macht samt der Bestrafung der Übertretungen seitens der Geistlichen.52 Der zweite böhmische Ritter, der auf diese Art und Weise im Jahre 1597 die religiösen Verhältnisse in seinen Herrschaften zu disziplinieren versuchte, war Prˇech Hodeˇjovský von Hodeˇjov (1566–1610), der Besitzer der süd- und mittelböhmischen Herrschaft Milevsko/Mühlhausen und Tloskov/Tloskow. Seine Kirchenordnung verpflichtete die Geistlichen zum Predigen des wahren Wortes 50 Die Abschrift der Kirchenordnung befindet sich im Grundbuch der Herrschaft Rokytnice v Orlických horách aus den Jahren 1515/1572–1666. Dieses wird im Staatlichen Regionalarchiv Zámrsk, Bestand Herrschaft Rokytnice v Orlických horách, Inv. Nr. 7438, Buch Nr. 6756, fol. 72r–74v, aufbewahrt. Die Abschrift fertigte Netolitzky, Kirchenordnung, an. Zu ihrem Inhalt Eckert, Kirchenordnungen, 42f. Eine Edition bei Hrdlicˇka/Just/Zemek, Evangelické církevní rˇády, 104–106, 361–364. 51 Schenner, Beiträge. ˇ eská konfesse, 355. Die Kirchenordnung befindet sich im Nationalmuseum in Prag, 52 Hrejsa, C Handschriften und alten Drücken, Sign. II B 3 (= Acta Unitas fratrum XIII), fol. 47f. Eine Edition bei Hrdlicˇka/Just/Zemek, Evangelické církevní rˇády, 94–98, 260–267.

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Gottes. Besondere Beachtung wurde weiter dem Sakrament der Taufe und dem Abendmahl zuteil, die ohne etwaige Eingriffe erteilt und vollzogen werden sollten, sowie dem Unterricht des Katechismus.53 Prˇech Hodeˇjovský besaß 1603 die Herrschaften mit 929 Hinterssasen und gehörte damit zu den wohlhabendsten Rittern Böhmens. Zu dieser Zeit gehörte er jedoch dem Hochadel an, denn er war im Februar 1601 in den Herrenstand aufgenommen worden.54 Diese Beispiele zeigen, dass sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts auch einige Angehörige der traditionellem böhmischen und mährischen Rittergeschlechter den aktuellen Reformströmungen zuwandten. Da diese gegenüber der Ritterschaft, deren Mitglieder aus dem Heiligen Römischen Reich am Anfang des 16. Jahrhunderts nach Böhmen und Mähren gekommen waren, persönliche Kontakte mit Martin Luther gepflegt und eine Außenseiterposition in dem Land gehabt hatten, die Mehrheit darstellten, konnten sie einen viel intensiveren Einfluss auf die Durchsetzung der Reformation ausüben. Von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit genauso wie von der konfessionellen Struktur ihrer Untertanen ist bisher nur wenig bekannt. Zusammen mit Anhängern der Lehre Martin Luthers oder seiner Schüler und Nachfolger fanden auf ihren Herrschaften wahrscheinlich auch andere Reformströmungen, die aus der Tradition der böhmischen Reformation hervorgingen, die Unterstützung und Förderung. So einen Fall stellt einer der wohlhabendsten Ritter Adam Hrzán von Harasov dar, der nach und nach einige Herrschaften in Ostböhmen erwarb und an der Wende zum 17. Jahrhundert mit mehr als 2.000 Hintersassen zum reichsten Ritter im Königreich Böhmen wurde.55 Kurz nach dem Kauf im Jahre 1588 berief er auf das ausgedehnteste seiner Dominien, Lansˇkroun-Lansˇperk/Landskron-Landsberg, in Ostböhmen lutherische Geistliche. Darüber hinaus gehörte er zu den Förderern der Brüderunität.56

2.4

Urkunden

Das vierte Instrument, dessen sich die adlige, der deutschen Reformation zugeneigte Obrigkeit bediente, um die konfessionelle Homogenität der Pfarrgemeinden in ihren Städten und gleichzeitig die Kontinuität der evangelischen Kirchenverwaltung zu fördern und anzustreben, stellte der Erlass einer Urkunde ˇ eská konfesse, 357f. Die Abschrift der Kirchenordnung befindet sich im Natio53 Hrejsa, C nalmusem in Prag, Handschriften und alten Drücken, Sign. III G 3. Näher Winter, Zˇivot, Bd. I, 356f. Eine Edition bei Hrdlicˇka/Just/Zemek, Evangelické církevní rˇády, 101–104, 356–360. 54 Starý, Rytírˇi, 262. 55 Zum Kreditunternehmen und den Vermögensverhältnissen Adam Hrzáns ausführlich Bu˚zˇek, Úveˇrové podnikání, 92–96. 56 Rybicˇka, Pomu˚cky.

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für die im Herrschaftsbereich des Adeligen liegenden Städten dar. Der vornehme Aussteller verbürgte sich in dieser Urkunde bei seinen Untertanen dafür, dass unter seiner Regierung wie auch unter der Herrschaft seiner Nachkommen die Pfarrverwaltung in der jeweiligen Stadt ein evangelischer Geistlicher ausüben wird. In einigen Fällen übertrugen die adligen Aussteller durch diese Urkunden das Patronatsrecht an die Stadträte, jedoch unter der Bedingung, dass die Pfarreien nur mit evangelischen Pastoren weiterhin besetzt werden. Zwar verzichteten sie dadurch auf ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung ihrer eigenen konfessionellen Politik, jedoch versuchten sie damit, ihre Nachkommen oder andere Besitzer der Herrschaft, die nicht evangelisch wären, daran zu hindern, das Glaubensbekenntnis der städtischen wie auch ländlichen Untertanen zu beeinflussten. Das Ausstellen von solchen Urkunden war eine Reaktion auf die geläufige Praxis: Denn immer, wenn die Herrschaft ihren Besitzer wechselte, der sich zu einer anderen Konfession bekannte, wurde oft auch die Pfarrverwaltung neu besetzt und die Untertanen zum Glaubenswechsel gezwungen. Die erwähnte Praxis war nicht nur eine Folge von häufigen Änderungen in den Besitzverhältnissen der einzelnen Herrschaften in adliger Hand, sondern auch der komplizierten konfessionellen Entwicklung beider Adelsstände wie der einzelnen Herren- und Ritterhäuser, deren einzelne Angehörige sich zu anderen Konfessionen als ihre Blutsverwandten bekannten.57 Die Aussteller dieser Urkunden waren wieder vor allem die Angehörigen des Herrenstandes. In der Zeit der Veröffentlichung dieser Urkunde gehörte zu ihnen auch Jaroslaw Trcˇka von Leipa (†1588), der ursprünglich einem Rittergeschlecht entstammte und der im März 1567 in den Hochadel aufgenommen wurde.58 In einer Urkunde vom Januar 1588 übertrug er seinen Untertanen in der Stadt Trˇebechovice pod Orebem/Hohenbruck in Ostböhmen das Recht, mit dem Einverständnis der Obrigkeit die Pfarrei an der dortigen Pfarrkirche St. Andreas mit einem Priester zu besetzten, der das Abendmahl sub utraque specie spenden und das wahre Wort Gottes predigen würde.59 Auch die anderen Aussteller solcher Urkunden aus dem Adelsgeschlecht der Trcˇkas von Leipa gehörten ursprünglich der Ritterschaft an. Zu ihnen gehörte Johann Rudolf Trcˇka von Leipa (†1634), der zusammen mit seinen Brüdern im Dezember 1586 in den Herrenstand aufgenommen wurde.60 Bereits als Ange57 Hrdlicˇka, Vrchnostenská meˇsta. 58 Starý, Rytírˇi, 255, 276. 59 Das Original der Urkunde befindet sich im Staatlichen Kreisarchiv Hradec Králové, Bestand Archiv der Stadt Trˇebechovice pod Orebem, Inv. Nr. Es ist beschädigt und praktisch unlesbar. Ich habe mit der späteren Abschrift gearbeitet, die ein Bestandteil der Handschrift mit Texten der Stadtprivilegien der Stadt Trˇebechovice ist. Sie befindet sich im Krippenmuseum in Trˇebechovice pod Orebem, Sammlung der Handschriften, unsigniert. 60 Starý, Rytírˇi, 258f, 276.

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höriger des Herrenstandes ließ er zwei Urkunden ausstellen, die für zwei seiner Städte Jicˇín/Jitschin und Dobrusˇka/Dobruschka in Ostböhmen bestimmt waren. Im Juni 1605 überführte er in den Besitz der Stadtgemeinde in Jitschin die Pfarrkirche St. Jakob mit der benachbarten Kapelle St. Michael, die St.-JohannesKirche in der Vorstadt, genauso wie die Pfarre und das Schulgebäude mit ihrem gesamten Hab und Gut. Die Stadtgemeinde verfügte somit über das Patronatsrecht. Der Aussteller verpflichtete sie, die Pfarrei wie auch die Schule zukünftig mit evangelischen Pastoren zu besetzen.61 Elf Jahre später, im August 1616 wurde ein ähnliches Privileg der Stadt Dobruschka verliehen. Dabei wurde auf das Einverständnis der Obrigkeit ausdrücklich hingewiesen. Zusammen mit der Übertragung des Patronatsrechts an die Stadtgemeinde, die ihre konfessionelle Homogenität stärken sollte, versuchte Johann Rudolf Trcˇka diesen Schritt noch mit einer anderen Maßnahme zu untermauern, die in den bisher bekannten Urkunden fehlte. Wenn sich ein Bewerber um das Bürgerrecht in Dobruschka weigerte, die Autorität des evangelischen Pfarrverwalters zu respektieren, durfte ihm das Bürgerrecht nicht erteilt werden. Einen Bestandteil der Urkunde vom August 1616 stellte eine kurzgefasste evangelische Kirchenordnung dar, derer Verfasser Trcˇkas Schlosskaplan Johann Galiarda Kourˇimský war. Der normative Text legte in sechs Punkten den Ablauf der in der Pfarrkirche Jungfrau Maria (heute St.-Wenzels-Kirche) abgehaltenen Zeremonien fest, der für den zukünftigen Pfarrer verbindlich sein sollte.62 Die Urkunden aus der Provenienz der Familie Trcˇka von Leipa, durch die sie das Patronatsrecht in den Besitz der Stadtgemeinden in den Städten unter ihrer Obergewalt übertrugen, sprachen von Geistlichen, die nur das wahre Wort Gottes verkünden und das Abendmahl in beiderlei Gestalt spenden sollten. Die Confessio Augustana wurde hier aber nicht ausdrücklich erwähnt. Aus dem Milieu der böhmischen Ritterschaft ist bisher nur eine einzige Urkunde bekannt, die einen solchen Verweis enthielt. Diese ließ der Grundherr der Stadt Patzau im September 1596 für diese Stadt ausstellen. Es handelte sich um den oben bereits genannten Ritter Michal Sˇpanovský von Lisov, den jüngeren Bruder des Ausstellers der evangelischen Kirchenordnung Johann Sˇpanovskýs. Im Gegenteil zu den beiden ostböhmischen Rittern behielt sich Michal Sˇpanovský das Patronatsrecht vor. Seinen Untertanen gegenüber verbürgte er sich dafür, dass sie zukünftig von niemandem zu einer anderen Konfession als der, die die Confessio Augustana von 1530 genauso wie die Confessio Bohemica von 1575 beinhalten, gezwungen werden. Darüber hinaus sollten sich auch die Pfarrverwalter, die 61 Die Urkunde befindet sich im Nationalarchiv Praha, Bestand Alte Manipulation, Inv. Nr. 2688, Sign. P 106/J 20, Kart. Nr. 1744. 62 Staatliches Kreisarchiv Rychnov nad Kneˇzˇnou, Bestand Archiv der Stadt Dobrusˇka, Inv. Nr. 19. Weiter Sˇu˚la, Ze zˇivota. Eine Edition bei Hrdlicˇka/Just/Zemek, Evangelické církevní rˇády, 111–114, 411–413.

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durch die Obrigkeit einberufen wurden, an die Prinzipien der beiden Texte halten.63 Die Absenz oder im Gegenteil das Auftreten der Erwähnung der Confessio Augustana in den Urkunden der böhmischen genauso wie der mährischen Herren und Ritter führen zu keinerlei verallgemeinernden Schlussfolgerungen in Hinblick auf die Konfessionszugehörigkeit ihrer adligen Herausgeber oder den Charakter der Reformation in den Herrschaften dieser Aussteller. Weitere Erkenntnisse sind durch eine tiefere Erforschung der lokalen konfessionellen Verhältnisse zu erwarten. In Anbetracht der Lage des gegenwärtigen Erkenntniszustandes scheint die Behauptung wahrscheinlicher zu sein, dass die Confessio Augustana in diesen Texten als eine dogmatische Schrift wahrgenommen wurde, auf die sich mehrere zu den Ideen der deutschen Reformation inklinierende Reformströmungen berufen konnten. Diese konstituierten sich jedoch in den konkreten Regionen sukzessive und im Kontakt mit der einheimischen Tradition.64 Eine größere Zahl von ähnlichen Urkunden ist für Süd- und Zentralmähren überliefert, wo unter den Ausstellern die Angehörigen des Herrenstandes die Mehrheit darstellten. In den ersten zwei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts waren aber auch einige Ritter unter ihnen zu finden. Im Juni 1607 verlieh der bereits erwähnte Ritter Arkleb Prusinovský von Víckov ein solches Privileg dem Marktflecken Boleradice/Polehraditz. Dieser Adlige war der Angehörige eines mährischen Rittergeschlechts, das im 16. Jahrhundert in Hinblick auf sein Glaubensbekenntnis einen dynamischen Wandel durchmachte.65 Zu seinen Verwandten gehörte z. B. der bedeutende Förderer der Gegenreformation auf dem Bischofsstuhl in Olmütz Wilhelm Prusinovský von Víckov (1534–1572, Bischofsamt 1565–1572).66 Andere Mitglieder des Adelsgeschlechts förderten dagegen die Brüderunität.67 Arkleb Prusinovký war der erste Ehemann Lukretias Nekesch von Landeck (†1614), die nach seinem Tod Albrecht von Wallenstein (†1634) heiratete.68 In der Urkunde versprach Arkleb Prusinovský seinen Untertanen, die Pfarre in Polehraditz unter seiner Herrschaft wie auch unter der Herrschaft seiner Nachfolger ausschließlich durch evangelische, in Wittenberg, Leipzig oder an einer anderen lutherischen Akademie ordinierte Prediger zu besetzen. Ein solcher Geistlicher sollte nur das wahre Wort Gottes verkünden und die Kommunion in beiderlei Gestalt im Geiste der Confessio Augustana erteilen. Den Text der Urkunde edierte Pakosta, Michal Sˇpanovský z Lisova, unpaginierte Anlagen. Just, Vyznavacˇi, 62. Zur Geschichte des Adelsgeschlechts nur kurz und bündig Houdek, Náhrobky. Zu seinem Episkopat im Kontext der Entwicklung der konfessionellen Verhältnisse in Mähren Jakubec, Kulturní prostrˇedí, 45–51. 67 Fialová, Poddanské pomeˇry, 94, 98; Spurný/Zemek, Kopiárˇ, 195. 68 Fialová, Lukrecie Neksˇovna z Landeka; Janácˇek, Valdsˇtejn, 74–91. 63 64 65 66

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Gleichzeitig verbürgte er sich bei seinen Untertanen dafür, dass weder er noch die weiteren Besitzer der Herrschaft, die das Patronatsrecht innehätten, jemanden zu einer anderen als der evangelischen Konfession zwingen würden.69 Im Juni 1613 und im Dezember 1619 erließ der Ritter Christopher Cedlar von Hof († um 1619/1620), der Besitzer der Herrschaft Zlín/Zlin in Südostmähren, zwei ähnliche Urkunden. Im 16. Jahrhundert war Zlin eine utraquistische Stadt, wo sich auch die Gemeinschaft der Böhmischen Brüder niederließ. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts setzte sich in bedeutendem Maße die deutsche Reformation durch, derer Förderer Christopher Cedlar war, seit 1605 der Besitzer dieser Stadt.70 In der älteren der beiden Urkunden verlieh er der Stadtgemeinde der Stadt Zlin das Patronatsrecht, das ihre städtischen Untertanen dazu berechtigte, die dortige Pfarrei mit dem Priester, der die Gottesdienste in der Zliner Pfarrkirche St. Philipp und Jakob genauso wie in der Kirche der heiligen Barbara in dem nicht weit entfernten Marktflecken Trávník/Trawnik abhielt, zu besetzen. Das gleiche Privileg erhielten in dieser Urkunde auch die Untertanen im Dorf Zˇelichovice nad Drˇevnicí/Zelechowitz in der Herrschaft Zlin, die die Pfarrei an der Pfarrkirche des heiligen Petrus und Paulus mit einem Geistlichen besetzen durften. Der Aussteller der Urkunde legte hier fest, dass das Privileg ohne etwaige Eingriffe der Obrigkeit, also seine wie auch jene der weiteren Besitzer der Herrschaft, ausgeübt werden soll. Er bestand nur darauf, dass die beiden Pfarreien ausschließlich mit Geistlichen besetzt werden müssten, die nur das wahre Wort Gottes verkünden und die Kommunion in beiderlei Gestalt im Geiste der Confessio Augustana erteilen.71 Sechs Jahre später erhielten die Untertanen im Dorf Brˇeznice/Brzesnitz von Christopher Cedlar von Hof das gleiche Privileg. Sie konnten die Pfarrei an der Pfarrkirche des heiligen Bartolomäus mit einem Geistlichen besetzen. Dabei sollte es sich wieder um einen evangelischen, in Wittenberg oder an einer anderen lutherischen Akademie ordinierten Pastor handeln, der sich an die Grundsätze der Confessio Augustana halten würde. Der Aussteller versprach allen städtischen und ländlichen Untertanen, dass er und seine Nachkommen wie auch die weiteren Besitzer der Herrschaft Zlin weiterhin nur die Konfession, die mit dem angeführten dogmatischen Text korrespondierte, fördern werden und dass die Untertanen zu keinem Wechsel des Be-

69 Die Urkunde befindet sich im Mährischen Landesarchiv Brno, Bestand Neue Sammlung (G2), unsigniert. 70 Zur Entwicklug der konfessionellen Verhältnisse in Zlín im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts Polisˇenský, Ekonomický a sociální vývoj, 104–109; Pokluda, Kapitoly, 181–188. 71 Die Urkunde befindet sich in Staatliches Kreisarchiv Zlín, Bestand Archiv der Stadt Zlín, Inv. Nr. 5. Zu ihrem Inhalt Polisˇenský, Ekonomický a sociální vývoj, 107f; Pokluda, Kapitoly, 137, 186.

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kenntnisse gezwungen werden.72 Zusammen mit den Anhängern der Augustana unterstüzte Cedlar auch die Brüderunität, die Zlin eine Brüdergemeinde hatte.73 Im Jahre 1616 veröffentlichte eine ähnliche Urkunde auch der bereits erwähnte Ritter Johann der Ältere Kobylka von Kobylí für die Herrschaft Eulenberg. Seinen Worten nach wurde er von klein auf im evangelischen Glauben gemäß der Confessio Augustana und ihrer Apologie erzogen. Die zwölf Pfarreien in drei Städten und in neun Dörfern in der Herrschaft sollte er wie auch die zukünftigen Besitzer der Herrschaft, die weiterhin das Patronatsrecht innehatten, ausschließlich mit den evangelischen Geistlichen besetzen. Ähnlich wie die oben genannten Aussteller versprach auch Kobylka seinen Untertanen, dass sie zukünftig von niemandem zum Glaubenswechsel gezwungen werden dürfen.74 Die deutsche Reformation hatte dabei auf dieser Herrschaft schon längst Wurzeln geschlagen. Diese reichten zurück bis in das zweite Drittel des 16. Jahrhunderts, als sich die Herrschaft im Besitz der Herren von Boskowitz befand.75

3.

Fazit

In Hinblick auf die politische Macht, den Umfang des Bodenbesitzes wie auch auf den Charakter der Patrimonialherrschaft spielte der böhmische und mährische Adel in der Entwicklung der konfessionellen Verhältnisse in den beiden Kronländern des Königreichs Böhmen im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle. Dieser Tatsache waren sie sich selbst genauso bewusst wie die Autoritäten, die sich bemühten, die konfessionellen Verhältnisse in den beiden Ländern zu beeinflussen, und die das Glaubensbekenntnis der in den Herrschaften in adliger Hand ansässigen Untertanen in direkten Zusammenhang mit der Konfession dieser weltlichen Obrigkeit setzten. Die Bedeutung des niederen Adels für die Einführung und Durchsetzung der Reformation stellt kein neues Thema dar, aber es handelt sich eindeutig um ein Thema, das noch nicht gründlich erforscht wurde. Das hängt einerseits damit zusammen, dass die Historiker traditionell eher dem Hochadel als der Ritterschaft die Aufmerksamkeit schenkten, und andererseits, dass es bisher nur wenige Arbeiten gibt, die sich ausführlicher mit der Entwicklung der konfessionellen Verhältnisse in den 72 Zur Verfügung steht nur eine spätere Abschrift der Urkunde, derer Autor Jan Jirˇí Strˇedovský war; Jan Jirˇí Strˇedovský, Apographa Moraviae sive copiae variarum litterarum, Bd. VI, p. 344– 347. Die Handschrift befindet sich in der Schloßbibliothek Kromeˇˇrízˇ. Weiter Kamenícˇek, Zemské sneˇmy, 513; Polisˇenský, Ekonomický a sociální vývoj, 108; Pokluda, Kapitoly, 186 73 Fialová, Poddanské pomeˇry, 94, 101. 74 Mährisches Landesarchiv Brno, Bestand Sammlung der Urkunden des Frantisˇek’s–Museum (G4), sign. B I/4 75 Spurný, Deˇjiny, 142–143.

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einzelnen Städten oder Herrschaften in adliger Hand befassen.76 Solche Fallstudien können nicht nur die konfessionelle Entwicklung einer konkreten Lokalität oder die Akteuere, die darin involviert waren, annähern, sondern auch zur Erkenntnis der Konfessionalität der adligen Besitzer oder der einzelnen Gemeinden beitragen. Im Fall der Städte unter adliger Obergewalt handelte es sich um multikonfessionelle Gemeinden, wo die Anhänger der deutschen Reformation eine zahlenmäßig unterschiedlich vertretene Gruppen und Gruppierungen bildeten, die sich mit der Gegenwart anderer Glaubensrichtungen auseinandersetzen mussten. Bis auf einige Ausnahmen konnte sich die Ritterschaft mit dem Hochadel hinsichtlich der Beeinflussung der ständischen Politik kaum messen. Darüber hinaus deklarierte sie für sich nur einen vergleichsweise geringfügigen Umfang an Besitzungen, wo sie ihre eigene lokale konfessionelle Politik umsetzen konnte. Diese Tatsache hinderte einige evangelisch gesinnte Ritter allerdings nicht daran, die deutsche Reformation sowie andere Reformrichtungen in ihren Herrschaften durchzusetzen und zu fördern. Dabei bedienten sie sich der gleichen Methoden wie der Hochadel. Obwohl ihre konfessionelle Politik in dem böhmischen und mährischen multikonfessionellen Milieu vor 1620 in der Regel keine vollständige konfessionelle Homogenität der ganzen Herrschaften erlangen konnte, bemühten sich einige Ritter vor allem in Nordböhmen, aber auch in Mähren oder in anderen Teilen der beiden Kronländer aktiv darum, das Luthertum zu verbreiten. Gerade hier auf der lokalen Ebene sehe ich die Schlüsselrolle der Ritterschaft, besonders dann derjenigen Ritter, die über einen ausgedehnten Bodenbesitz verfügten, für die Förderung der Reformation in Böhmen und Mähren.77

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76 Auch zwei neulich veröffentlichte Monographien fokussierten den konfessionellen Wandel der Städte in der Hand des Hochadels; Zemek, Reformace; Hrdlicˇka, Víra. ˇ echách 77 Die Studie entstand bei der Durchführung des Projekts „Evangelické církevní rˇády v C a na Moraveˇ 1520–1620. Prˇíspeˇvek k poznání multikonfesionality a sˇlechtické konfesionalizace v cˇeských zemích“, das durch die Grantagentur der Tschechischen Republik (cˇ. 14– 23509S) gefördert wurde.

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Andreas Flurschütz da Cruz

Die Bedeutung der Reichsritterschaft für Reformation und Gegenreformation in Franken im 16. und 17. Jahrhundert

1.

Einleitung

Die fränkische Reichsritterschaft spielte nicht nur für die Einführung der Reformation in weiten Teilen Frankens bereits ab den 1520er Jahren eine wichtige Rolle, sondern umgekehrt auch für die Rückführung vieler Ortschaften dieser Region zur alten Kirche im 17. und sogar noch im 18. Jahrhundert. Was die Generation der ritterlichen Zeitgenossen Luthers mühevoll und im Ringen mit den Fürstbischöfen der fränkischen Hochstifte Würzburg und Bamberg verwirklicht hatte, wurde wenige Generationen später unter erheblichen Anstrengungen derselben Reichsritterschaft und nun in Kooperation mit eben jenen Fürsten vielfach wieder rückgängig gemacht, wenngleich dies bis in die neueste Forschung hinein nicht erkannt, sondern weiterhin von Gegenreformation als einer rein fürstlichen Initiative „mit und ohne System“ ausgegangen wird.1 So bezeichnet Kurt Andermann das Thema ‚Ritterschaft und Konfession‘ für die Zeit nach 1648 generell „auf weiten Strecken noch immer als terra incognita“,2 und tatsächlich hat es die moderne Geschichtswissenschaft gerade für den süddeutschen Raum seit Volker Press3 bis auf einzelne Gebiete und Familien bisher weitgehend vernachlässigt.4 1 2 3 4

Brommer, Rekatholisierung. Andermann, Ritterschaft und Konfession, 96. Exemplarisch Press, Reichsritterschaft; ders., Adel, Reich und Reformation. Einzelne Publikationen reißen die Thematik immerhin an: Dippold, Konfessionalisierung. Im Mittelpunkt steht aber auch hier meist die Konfession der Untertanen. Eine erfreuliche Ausnahme stellt Fackler, Stiftsadel, dar. Mit der Konfessionsfrage in der Familie und im Herrschaftsbereich der Reichsritter von Thüngen beschäftigen sich sowohl Bauer, Thüngen, als auch die Beiträge in Baier / Soder von Güldenstubbe, „Bei dem Text“, mit konfessionellen Strategien in der Familie von Guttenberg setzte sich Klaus Rupprecht auseinander: Rupprecht, Ritterschaftliche Herrschaftswahrung. Ausführlicher und in einer weitergefassten Perspektive haben sich Rudolf Endres und Erwin Riedenauer in verschiedenen Publikationen mit dem fränkischen Adel sowie mit der Konfessionsfrage befasst, exemplarisch Endres, Erwerb, ders., Adel; Riedenauer, Reichsritterschaft und Konfession, jüngst für die angloamerikanische

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Die gesellschaftlichen und politischen Vorzeichen indes hatten sich, spätestens nach 1648, grundlegend geändert. Der Adel war in seiner Konfessionswahl eben nicht frei, wie es ihm der Augsburger Religionsfrieden zugesichert hatte, sondern abhängig von wirtschaftlichen und politischen Faktoren sowie von potenten und einflussreichen fürstlichen Gönnern und Dienstherren. Daher kommt ihm auch in Bezug auf die Gegenreformation in Franken eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Der skizzierte Kontrast soll an dieser Stelle in seinen wichtigsten Etappen und an ausgewählten Beispielen zweier reichsritterlicher Familien nachgezeichnet werden, die exemplarisch für zwei gegensätzliche Handlungsoptionen stehen: Während die Fuchs von Bimbach bis Ende des 17. Jahrhunderts am Protestantismus festhielten, die Gutswirtschaft als traditionelles ökonomisches Rückgrat des fränkischen Adels fortführten und eng in regionale Adelskorporationen eingebunden waren, suchten ihre Widersacher aus der ursprünglich ebenfalls protestantischen Familie Wolf von Wolfsthal die enge konfessionelle, dienst- und lehnrechtliche Anbindung an einen fürstbischöflichen und somit katholischen Patron und wurden schließlich selbst zu Verfechtern eines erneuerten Katholizismus in Franken. Als Instrument zur Implementierung dieses erneuerten fränkischen Katholizismus beziehungsweise zur Etablierung eines neuen, katholischen Adels in den entsprechenden Ritterkantonen, ja als Dreh- und Angelpunkt am konfessionellen Hebel fungierte das Lehnwesen. Eine ganze Reihe an Lehenentzügen adeliger Vasallen5 legt die Vermutung nahe, noch nach Abschluss der Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück 1648 hätten die fränkischen Bischöfe eine neuerliche Gegenreformation durchgeführt, wenn auch unter dem Deckmantel ihrer Lehn- und Personalpolitik. Die ‚artifiziell‘ herbeigeführten Lehen- und Vasallenwechsel, die nicht, wie es dem Alten Herkommen entsprochen hätte, durch Erlöschen einer Linie und den damit verbundenen Heimfall des Lehens, sondern durch aktiven Lehenentzug oder eine unter unklaren Umständen erfolgenden Neuausgabe herbeigeführt wurden und zudem mit konfessionellen Umschwüngen einhergingen, hatten ein stets identisches Resultat: Die Lehen wurden protestantischer Herrschaftsgewalt entzogen und katholischen Verwaltungen unterstellt. Die Schlussfolgerung liegt daher nahe, es könnte sich hier um ein fürstlich gesteuertes Programm und gezielt konfessionell ausgerichtete Lehnpolitik handeln.6 Waren die katholischen Aufsteiger und NeuForschung, allerdings nicht über den Dreißigjährigen Krieg hinaus, auch Richard J. Ninness, Between Opposition and Colaboration, sowie ders., Hochstift Bamberg. 5 Ausführlich zu den genannten Familien und den zwischen ihnen schwelenden Lehenstreitigkeiten sowie zu weiteren Beispielen Flurschütz da Cruz, Zwischen Füchsen und Wölfen, v. a. Kap. IV und V.2. 6 Vgl. Hoffmann, Adelige Herrschaft, 103, Anm. 374.

Bedeutung der Reichsritterschaft für Reformation und Gegenreformation in Franken

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ankömmlinge unter den fränkischen Reichsrittern von den bischöflichen Lehnherren ‚unter der Hand‘ mit der Durchführung einer neuen Gegenreformation betraut worden, indem sie protestantische Reichsritterfamilien verdrängen sollten und im Gegenzug dafür deren Besitzungen erhielten? In einem zweiten Schritt hätte dann die Rückführung der Untertanen zur katholischen Konfession erfolgen können. Der konkreten Rolle der Ritter für Reformation und Gegenreformation und speziell der Frage nach der bislang nahezu völlig ignorierten Bedeutung des Lehnwesens in diesem Zusammenhang soll im Folgenden nachgegangen werden. Zu diesem Zweck wurden vor allem Prozessakten, aber auch interne Korrespondenzen der betroffenen Adelsfamilien (sowohl untereinander als auch mit ihren bischöflichen Lehnherren) und territorialer Behörden ausgewertet. Sie ermöglichen einen authentischen Einblick in konfessionelle Motivationen und Strategien der Akteure, die in den offiziellen Prozessakten nicht einmal ansatzweise anklingen. Nach einem Überblick über die Bedeutung der Reichsritter für die Reformation in Franken und zu deren Motiven wird deren reichsrechtliche Stellung in Bezug auf die Bekenntniswahl knapp beleuchtet. Mit der seit dem Ende des 16. Jahrhunderts einsetzenden Gegenreformation wandelte sich zwar der rechtliche Status der evangelischen Ritter nicht, wohl aber ihr Verhältnis zu den bischöflichen Landesherren. Konversionsbereite Vasallen und neu zuziehende Adelige, die selbst gegenreformatorische Ambitionen zeigten, hatten daher die besten Aufstiegschancen an deren Höfen. Sie ließen sich, wie das Beispiel Johann Wolf von Wolfsthals zeigt, nicht nur zur Rekatholisierung der Bevölkerung gebrauchen, sondern auch in den Auseinandersetzungen mit den protestantischen Untertanen protegierenden Nachbarfürsten. Anhand eines weiteren Beispiels soll aufgezeigt werden, dass allerdings nicht die gesamte Reichsritterschaft dem diagnostizierten konfessionspolitischen Opportunismus folgte, zumindest nicht in letzter Konsequenz, was zu ihrer Diversifizierung in katholische und evangelische sowie neuzugezogene und alteingesessene Familien führte. Ihre Mitglieder wurden selbst zu Akteuren der Rekatholisierung, wo es ihnen und ihrer Karriere nützlich erschien, statt nur Ausführende fürstlicher Anordnungen zu sein. Mit der Reichsritterschaft des 16. Jahrhunderts, die die Reformation in Franken protegiert hatte, hatten diese Adeligen oft sogar genealogisch nur noch wenig zu tun, was ihre gleichgültig anmutende Haltung bzw. bisweilen sogar konträres konfessionelles Engagement erklären kann.

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2.

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Reformation in Franken

Die Karte Mainfrankens zeigt in der Reformationszeit ein buntscheckiges Bild. In die großen geistlichen Fürstentümer Würzburg und Bamberg waren neben den Grafschaften die kleineren Territorien der reichsunmittelbaren Ritterschaft eingestreut.7 Eben dieser hohe und niedere Adel war es, welcher der Lehre Luthers Tür und Tor nach Franken öffnete. Die Grafschaften Wertheim, Henneberg, Castell, Limpurg und Rieneck sympathisierten früh mit Wittenberg und auch die Reichsritterschaft unterstützte die Lehre Luthers in offener Weise, so etwa Ulrich von Hutten, Adam und Sylvester von Schaumberg, Moritz Marschalk von Ostheim, Johann von Schwarzenberg oder Burkhard Hund von Wenkheim, der zusammen mit Johann von Berlepsch Luther auf die Wartburg entführt hatte.8 Der Bamberger Hofmeister Johann von Schwarzenberg und Mitglieder der Familie von Schaumberg standen sogar mit Luther in enger persönlicher Verbindung. Ersterem stattete Luther seinen schriftlichen Glückwunsch ab, als er seine Tochter wieder aus dem Kloster nahm; von Sylvester von Schaumberg wurde Luther eingeladen, nach Franken zu kommen, denn der ganze Adel werde seine Sache fördern.9 Die zahlreichen frühen ritterlichen Anhänger der Reformation zeugen von der Bedeutung dieser privilegierten Schicht für die Konfessionsbildung. Die mainfränkische Ritterschaft leistete zum Erfolg der Reformation sicher einen erheblichen Beitrag. Sie unterstützte Martin Luther publizistisch, gewährte ihm und seinen Anhängern Zuflucht und errichtete ein evangelisches Kirchenwesen, das sie gegenüber den geistlichen Landesherren – meist mit Erfolg – zu verteidigen suchte. Evangelische Untertanen altgläubiger Reichsstände liefen zum Gottesdienst in ritterschaftliche Orte aus. Gerade im herrschaftlich stark fragmentierten Franken war dies für die Hochstifte und die finanzielle Ausstattung ihrer Pfarreien eine ernst zu nehmende Herausforderung.10 Das Tann’sche Gebiet beispielsweise lag zum größten Teil nördlich der Rhön jenseits der Grenze des heutigen Unterfranken. Es bestand aus 23 Dorfschaften; der Hauptort war das Städtchen Tann. Bedeutendster Vertreter der Familie in der Reformationszeit war Eberhard von der Tann, ein persönlicher Freund Luthers, mit dem er in Briefwechsel stand.11 Er wohnte 1529 dem Marburger Religionsgespräch bei und war in der Zeit von 1541 bis 1546 in Diensten des Kurfürsten von 7 Vgl. Schübel, Evangelium in Mainfranken, 145. 8 Vgl. ebd., 29. 9 Eine Edition des Briefs Sylvesters von Schaumberg sowie Luthers Reaktion darauf (überliefert in einem Brief an Georg Spalatin) findet sich ebd., 185. Zu Sylvester von Schaumberg und seiner Familie siehe Kipp, Silvester von Schaumberg. 10 Vgl. Wüst, Konfessionalisierungsparadigma, 118f und 130; Bauer, Reichsritterschaft, 196f. 11 Schübel, Evangelium in Mainfranken, 167.

Bedeutung der Reichsritterschaft für Reformation und Gegenreformation in Franken

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Sachsen zu sämtlichen Reichstagen abgeordnet. Der Ort Tann wurde für die Rhön folglich zum Mittelpunkt der Reformation.12 Die Mehrzahl der ritterschaftlichen Orte war somit schon um 1555 evangelisch. Die Ritterschaft, die meist das Patronatsrecht über ihre Herrschaften innehatte und dies teils bis heute ausübt, legte den Grund dazu, dass zusammenhängende Gebiete in Franken noch heute evangelisch sind und sich Gemeinden innerhalb einer katholischen Umgebung ihr evangelisches Bekenntnis bewahren konnten. Als Amtmänner im Dienst der katholischen Hochstifte Bamberg und Würzburg waren die Ritter auch dort „Träger der Konfessionalisierung“.13

3.

Motive der Ritterschaft für die Annahme der Reformation

Volker Press beurteilte die „entschieden protestantische Haltung“ des mainfränkischen Ritteradels als eine Reaktion auf die Politik des Würzburger Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn (1573–1617), der, obwohl eigentlich gleicher Herkunft, als einer der ersten auf seine ritterlichen Standesgenossen wenig Rücksicht genommen, sondern ihnen gegenüber eine oberhoheitliche Stellung reklamiert, ihre adeligen Privilegien negiert und zuweilen gewaltsam in ritterschaftliche Herrschaften eingegriffen habe.14 Dabei scheint Press jedoch übersehen zu haben, dass dieser erst seit 1573 regierte, als die meisten fränkischen Reichsritter ihre Kirchenherrschaft längst ausgebaut und gefestigt hatten. Für die Mitglieder dieser Gruppe war die Reformation von Anfang an und besonders seit ihrer reichsrechtlichen Anerkennung 1555 ein außerordentlich attraktives Angebot, nicht nur aufgrund der sich darin manifestierenden Opposition zu dezidiert dominanten und selbstbewussten katholischen Fürsten und Lehnherren wie Julius Echter. Dass die Ritter die Chance der Reformation annahmen, ist, so Klaus Guth, auf ein „Knäuel von Gründen und Motiven“ zurückzuführen.15 Helmut Neumaier erkennt in der Umsetzung der Reformation die „Verknüpfung von politischen und religiösen Motiven“.16 Den Missständen in der spätmittelalterlichen Kirche und ihrem Klerus, der seiner Residenzpflicht und seinen seelsorglichen Aufgaben vielerorts nicht nachkam und den geistlichen Regelkatalog nicht beachtete, stand auch der fränkische Niederadel mit Argwohn gegenüber. Die Reformation, die Martin Luther 1517 ausgelöst hatte, war somit fast von Anfang an von zustimmenden Äußerungen des Adels begleitet. Schließlich hatte sich Luther in einer eigens auf diese soziale Gruppe 12 13 14 15 16

Ebd. Brommer, Rekatholisierung, 79. Press, Reichsritterschaft, 112. Guth, Kirche und Religion, 184. Neumaier, Reformation und Gegenreformation, 98.

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abgestimmten Schrift in Form eines eindringlichen Appells explizit an den deutschen Adel gewandt und diesen aufgefordert, sich vom Papsttum loszusagen.17 Martin Stingl spricht neben den Aversionen der Neugläubigen gegenüber den bischöflichen Regierungen von einer nationalen „Los-von-Rom-Bewegung“,18 die bei vielen Rittern Anklang gefunden habe. In der damals durch ihren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Abstieg verunsicherten Ritterschaft war das Bewusstsein von der Notwendigkeit einer umfassenden Reform besonders stark ausgeprägt, und so fielen Luthers Ideen in der Reichsritterschaft auf fruchtbaren Boden. Es ging aber bei dem Übertritt der Ritterschaft zur Reformation nicht nur um die religiöse Loslösung von der Papstkirche. Die Reichsritter hofften, mittels der sich abzeichnenden kirchlich-religiösen Reform auch ihre schon Jahrzehnte früher einsetzenden territorialen Autonomiebestrebungen verwirklichen, sich aus der Abhängigkeit der geistlichen und weltlichen Reichsfürsten lösen und geschlossene Herrschaftsgebiete sowie eigene Pfarreien ausbilden zu können.19 Die Grundlage dafür bildeten im Fall der fränkischen terrae inclausae et permixtae hauptsächlich verschiedene, von beiden Seiten beanspruchte Rechtstitel, aus denen sich ein Anspruch auf die Landesherrschaft bzw. auf das ius reformandi ableiten ließ, allen voran das Patronatsrecht. Unter diesem Sammelbegriff werden für gewöhnlich das ius praesentandi, das ius nominandi, das ius confirmandi und das ius conferendi zusammengefasst, die verschiedenen Inhabern zustanden sowie in unterschiedlicher Weise kombiniert werden konnten und folglich unter Umständen eine konträre Einflussnahme ermöglichten.20 Weiterhin ging es um die Vogtei mit ihrer großen hoheitlichen Bedeutung sowie um die Cent und die hohe Strafgerichtsbarkeit, die von ihren landesherrlichen Inhabern als konstitutiv für den Religionsbann bezeichnet wurde. Allerdings herrschte inzwischen vielerorts Uneinigkeit darüber, wem tatsächlich welche der sich oft überlappenden Kompetenzen zukamen. Indem die Ritterschaft sich von der alten Kirche abwandte, sollte die konkrete Zuschreibung und Sicherung dieser Kompetenzen vorangetrieben werden. Die Reichsritterschaft zielte darauf ab, die sie politisch beeinträchtigende geistliche Gerichtsbarkeit der Bischöfe zu beseitigen, vielleicht sogar die geistlichen Fürstentümer überhaupt aufheben und die Stiftsgüter säkularisieren zu können.21 Immerhin erwuchs dem Adel durch die Vereinnahmung geistlicher Rechte und die Zurückweisung bischöflicher Eingriffe die Chance auf eine Schwächung der landesfürstlichen Gewalt und gleichzeitig auf den Ausbau der eigenen 17 18 19 20 21

Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation. Stingl, Reichsfreiheit und Fürstendienst, 115. Vgl. Rupprecht, Herrschaftsintensivierung, 132. Vgl. Weiss, Anspruch und Praxis, 591f.; Wüst, Konfessionalisierungsparadigma, 113. Vgl. Sicken, Franken, 172; Weiss, Reform, 166f.

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Herrschaft als wesentlichem Schritt zur eigenen Staatlichkeit.22 Der Sprengel des Bamberger Bischofs und damit seine Jurisdiktionsgewalt waren um 1560 mit dem Verlust der Territorien des Markgrafentums Brandenburg-Kulmbach, der Reichsstadt Nürnberg und der zahlreichen reichsritterschaftlichen Gebiete, die nun selbst das ius reformandi beanspruchten, um zwei Drittel seines Diözesangebietes geschrumpft. Sein Einflussgebiet war dadurch weitestgehend auf das Hochstift als das Territorium, in dem er als Fürst auch die weltliche Herrschaft ausübte, reduziert worden. Im Prozess der frühneuzeitlichen Staatswerdung stellten die eingestreuten ritterschaftlichen Gebiete, deren Herren nun auch noch selbst das ius reformandi beanspruchten, spätestens nach der Reformation somit ein anscheinend unüberwindliches Hindernis dar.23 Die Opposition gegen die Landesfürsten und den Klerus mag für die breite Hinwendung der fränkischen Ritterschaft zur Reformation ebenso eine Rolle gespielt haben wie wirtschaftliche und unmittelbar religiöse Gründe, die offensichtlich die maßgebliche Antriebskraft von Personen wie Argula von Grumbach (1492–1568) waren, die als Stütze der lutherischen Lehre in Franken galt.24 Für ritterliche Grundherren und -herrinnen wie sie scheint die Übernahme der Kirchenherrschaft und der geistlichen Gerichtsbarkeit nicht nur die Gelegenheit zur Herrschaftsintensivierung geboten zu haben. Der Grund für die Einführung der Reformation in ihren Gebieten dürfte indes vielfach auch auf ein starkes Glaubens- und Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Untertanen zurückzuführen sein. In ritterlichen Kreisen ist in diesen Maßnahmen eine Fortsetzung bzw. protestantische Modifikation der religiösen Bewegung des späten 15. Jahrhunderts zu sehen, die auf eine Verinnerlichung von Frömmigkeit bei gleichzeitiger Intensivierung frommer Stiftungen hinauslief.25 Widerstände in Fällen, in denen Adelige ihre Untergebenen aus vorgeblicher oder tatsächlicher patriarchalischer Sorge um deren Seelenheil zu dem von ihnen bekannten neuen Glauben zu führen suchten, scheint es vonseiten der Untertanen kaum gegeben zu haben.26

22 Vgl. Sicken, Franken, 98. 23 Vgl. Flurschütz da Cruz, Zwischen Füchsen und Wölfen, 58–61. 24 Zu ihr siehe Merz, Argula von Grumbach; Birnstein, Argula von Grumbach; Kommer, Reformatorische Flugschriften, Kap. II.1; siehe auch Riedenauer, Entwicklung, 93. Vgl. Reingraber, Evangelischer Adel, 196. 25 Vgl. Reingraber, Evangelischer Adel, 234. 26 Vgl. Edres, Adel und reichsgräfliche Geschlechter, 256.

224

4.

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Der Augsburger Religionsfrieden und sein umstrittener Paragraph 26

Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 schrieb die reichsrechtliche Anerkennung der ritterschaftlichen Unmittelbarkeit fest, wenn auch im Hinblick auf Umfang und Geltung des ritterschaftlichen ius reformandi nur implizit und unpräzise definiert. Er ermöglichte der Ritterschaft die Wahl zwischen dem Augsburger Bekenntnis und dem alten Glauben.27 Daher nahmen die Reichsritter seit den Anfängen der Reformation für die konfessionelle Entwicklung ihrer eigenen Familien und die der Untertanen ihrer Territorien eine Schlüsselrolle ein, was wiederum einen zentralen Aspekt im Prozess der Emanzipation der Ritter von den sich ausbildenden Territorialherrschaften und in ihrem Ringen um die eigene Landesherrlichkeit darstellte.28 Im Reichsabschied von 1555 wurde die gesamte Reichsritterschaft wie gesagt erstmals im Augsburger Religionsfrieden als offizielle Korporation behandelt, wonach in solchem Frieden […] die freye Ritterschafft, welche ohne Mittel der Kayserl[ichen] Majest[ät] und Uns unterworffen, auch begriffen seyn, also und dergestalt, daß sie obbemeldter beeder Religion halb auch von niemand vergewaltigt, beträngt noch beschwert sollen werden.29

Nachdem somit die Unmittelbarkeit der Reichsritter explizit durch den Kaiser anerkannt worden war, wurden ihre Rechte und Freiheiten im Westfälischen Frieden gut ein Jahrhundert später mit Frankreich und Schweden sogar von anderen europäischen Mächten garantiert. Das Instrumentum Pacis Osnabrugensis (IPO) mit seinen die Rechtsstellung der Reichsritter sichernden Bestimmungen des Artikels IV § 17 stellt einen Schlusspunkt dieser Entwicklung dar. Der sich auf die Reichsritterschaft beziehende Paragraph 26 zählt allerdings auch zu den meist diskutierten Artikeln des Religionsfriedens von 1555. Ob sich die Freiheit der Konfessionsentscheidung nur auf die persönliche Religionsfreiheit des Reichsritters und seiner Familie beziehe oder ob er im Sinne einer ‚landeskirchlichen‘ Auslegung unter Einschluss der geistlichen Gerichtsbarkeit auch seine Untertanen auf die eigene konfessionelle Option verpflichten könne, war in der Folgezeit in Rechtsprechung und politischer Praxis strittig. Tatsache war jedoch, dass die in den sechs fränkischen Kantonen organisierten Ritter sich nach 1540 zunehmend aus den sie umgebenden Territorien lösten und sich von der römischen Kirche trennten, die zunächst mangels überzeugender seelsor27 Vgl. Dippold, Bistum Bamberg, hier 218, Bauer, Thüngen, 111. 28 Vgl. Bauer, Thüngen, 111. 29 AR, Abschied des Reichstags durch Mandat König Ferdinands, § 26: Hofmann, Quellen.

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225

gerlicher und theologischer Konzepte den Abfall kaum aufhalten konnte.30 Die zentrale und verkehrsgeographisch günstige Lage Mainfrankens sowie die Bedeutung der benachbarten, vom bischöflichen Einfluss weitgehend freien Reichsstadt Nürnberg als Kultur- und Wirtschaftszentrum verschafften den reformatorischen Ideen Martin Luthers rasche Verbreitung. Hinzu kam der Übergang der brandenburgischen Gebiete von Ansbach als „führender lutherischer Macht Frankens“31 und Kulmbach-Bayreuth zur neuen Lehre, deren „Adhäsionskraft“ auf ganz Franken ausstrahlte.32 Rudolf Endres schätzt, dass um 1560 der größte Teil der Ritterschaft in Franken und mit ihr ein Großteil der Untertanen dem Protestantismus zugewandt war.33 Zu Recht wurde das Bistum Bamberg in der Regierungszeit Bischof Weigands von Redwitz (1522–1556) in Rom daher als derjenige Sprengel angesehen, der eine Reform im Sinne des Konzils von Trient am nötigsten habe.34

5.

Gegenreformation in den fränkischen Hochstiften vor und nach 1648

Diese Anregung wurde von den fränkischen Fürstbischöfen in Würzburg und in Bamberg in den folgenden Jahrzehnten auch eifrig aufgegriffen. In Bamberg sind hier Johann Georg Fuchs von Dornheim (reg. 1623–1633) und Franz von Hatzfeld (reg. 1633–1642) zu nennen; für die Durchsetzung der Gegenreformation im Hochstift Würzburg waren die Bischöfe Julius Echter von Mespelbrunn (reg. 1573–1617) und Philipp Adolf von Ehrenberg (reg. 1623–1631) federführend. Als Ehrenberg im Juli 1631 starb, konnte er sich rühmen, über 200 Dörfer ‚reformiert‘ zu haben.35 Echter sprach gar von 100.000 Konversionen, die er schon während der ersten Jahrzehnte seiner über vierzigjährigen Regierungszeit bewirkt habe.36 Das Franken, das ab 1618 auf einen verheerenden militärischen Konflikt zusteuerte, war somit ein in weiten, zumindest hochstiftischen Teilen wieder katholisches Franken. Ganz anders aber die Gebiete der Reichsritterschaft. Die Fronten der Konfessionsparteien, die zwischen 1618 und 1648 einen dreißigjährigen Krieg gegeneinander ausfochten, verhärteten sich mehr und mehr. Nach Ende des Krieges setzte daher eine neue Phase gegenreformatori30 31 32 33 34 35 36

Vgl. Bauer, Thüngen, 111. Rechter, Schein und Sein, 115. Guth, Kirche und Religion, 191. Endres, Reichsgräfliche Geschlechter, 257. Vgl. Zeissner, Religio incorrupta, 289. Vgl. Schübel, Evangelium in Mainfranken, 53. Vgl. Wendehorst, Bistum Würzburg 3, 201.

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scher Maßnahmen ein. Für die Hochstifte Würzburg und Bamberg hatte das zur Folge, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt eine konfessionelle Homogenisierung der Beamten- und Vasallenschaft angestrebt wurde. Das stellte das hochstiftisch-herrschaftliche Kräftefeld auf eine enorme Probe und bedeutete, dass Herrschaft und die Teilhabe an ihr neu, nämlich nun unter eindeutig konfessionellen Gesichtspunkten auszuhandeln war. Daher ist in der fränkischen Reichsritterschaft, die durch die Annahme der Reformation und dem damit letztlich einhergehenden Wegfall geistlicher Pfründen wie auch weltlicher Amtspositionen vor erhebliche Versorgungsprobleme gestellt wurde, bzw. in jenen Teilen der Ritterschaft, die den Krieg überhaupt überlebt hatten, seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ein „Trend zur Rückkehr zum Alten Glauben“37 zu konstatieren, der aber zögerlich anlief. Die Frage nach der Vereinbarkeit von evangelischer Konfession und katholischer Bepfründung sowie der daraus resultierende Konflikt und seine Konsequenzen waren in der Zeit unmittelbar nach der Reformation noch keineswegs vorhersehbar gewesen. Die relative konfessionelle Unentschiedenheit bis ins späte 16. Jahrhundert hinein hatte es evangelischen Eltern immer noch ermöglicht, sich auf beiden Seiten Optionen offen zu halten.38 So war es für evangelische Adelige selbstverständlich, bei Bedarf ihre Söhne in Domkapitel und ihre Töchter in Damenstifte eintreten zu lassen. Domherren und auch hohe Beamte konnten in Bamberg zu Beginn der Reformationszeit der lutherischen Lehre anhängen, ohne deshalb zwingend aus ihren Präbenden bzw. Ämtern ausscheiden zu müssen. Die geistlichen Pflichten der Kapitulare, von denen die meisten ohnehin nur die Subdiakonatsweihe besaßen, beschränkten sich auf die gelegentliche Teilnahme am Chorgebet und an herausragenden Gottesdiensten. Demzufolge stellte auch die einsetzende Konfessionsproblematik für die Kapitel zunächst kein allzu drängendes Problem dar. Richard J. Ninness unterstellt den Reichsrittern daher zumindest noch für die Zeit um 1600, ein „Doppelspiel“ gespielt zu haben.39 Sie seien zwar von der evangelischen Konfession angetan gewesen, auch im Hinblick auf den Ausbau ihres Herrschaftsbereichs, hätten aber die Einflussnahme auf die Hochstifte nicht verlieren wollen. Diese Schwebeposition, die Volker Press mutmaßen lässt, der Reichsadel sei „ein Zentrum des konfessionellen Opportunismus“40 gewesen, setzte sich bis in die drei Jahrzehnte des Dreißigjährigen Krieges fort. Ließ sich die eindeutige konfessionelle Festlegung einer Person oder ganzer Familien in den ersten Jahren nach der Kirchenspaltung noch umgehen, so wurde sie mit fortschreitender 37 Stingl, Reichsfreiheit und Fürstendienst, 116. 38 Vgl. hierzu Schindling, Mehrkonfessionalität, 468, sowie die Beiträge in Pietsch/StollbergRilinger, Ambiguität. 39 Ninness, Hochstift Bamberg, 235f. 40 Press, Reichsritterschaft, 111.

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Konfessionalisierung und sich häufenden Differenzen zwischen den beiden Parteien zunehmend unvermeidlich. Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts wurde als Folge des Konzils von Trient die Zulassung zu den Domkapiteln erstmals von einem klaren Bekenntnis zur Alten Kirche in Form der Professio fidei Tridentina abhängig gemacht. So vorteilhaft der Anschluss an die Reformation manchen Rittern für ihr politisches Unabhängigkeitsstreben auch anfangs geschienen haben mag, so nachteilig, vor allem in materieller Hinsicht, konnte er sich nun auswirken. Die Übernahme der Verpflichtung auf das Tridentinum durch die Domkapitel bedeutete für die Anhänger des neuen Bekenntnisses den Verlust der einträglichen kirchlichen Pfründen, was indes nicht nur einzelne Familienmitglieder betraf, sondern vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten negativ auf die Gesamtfamilie zurückstrahlen konnte.41 Für die dem Lehenhof der geistlichen Fürstenhöfe in Franken angehörenden Adeligen war das mit dem Ende des Krieges 1648 endgültig zementierte Verbleiben der Hochstifte beim alten Glauben somit ein mächtiger Impuls für das Festhalten am oder die Rückkehr zum Katholizismus, um den Söhnen ihre Stiftsfähigkeit in den Domkapiteln und die damit einhergehenden Karrieremöglichkeiten zu sichern. Ricarda Matheus beschreibt den Konfessionswechsel folgerichtig als „Eintrittsbillet für eine anschließende standesgemäße Versorgung“.42 Die Konfession des Hofes beeinflusste auf diese Weise auch die Konfession des Ritteradels, der, so konstatiert auch Christoph Bauer, überhaupt „ein hohes Maß an Flexibilität“ in der Konfessionsfrage an den Tag gelegt habe.43 Da der weitaus größere Teil der fränkischen Reichsritterschaft auch weiterhin auf dem Augsburger Bekenntnis beharrte und dadurch sein Ausscheiden aus den dem Adel vorbehaltenen Domkapiteln besiegelte, öffnete dieses Phänomen katholischen Familien vor allem aus Schwaben, dem Rheinland, Bayern und Österreich den Zugang zu den Bamberger und Würzburger Kapiteln, die das entstandene Vakuum zu füllen und das Ausscheiden protestantischer Familien zu kompensieren vermochten.44 Zu ihren erfolgreichsten Vertretern zählten Familien wie die Schönborn, Greiffenclau und Dernbach. Ihr Auftreten setzte nicht nur in den Domkapiteln, sondern auch in der Beamten- und Vasallenschaft einen umfangreichen Substitutionsprozess in Gang.

41 42 43 44

Weiss, Anspruch und Praxis, 594. Matheus, Konversionen, 71. Bauer, Thüngen, 14. Weiss, Pietas Schönborniana, 267.

228

6.

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Schlüsselrolle der frühen Konvertiten: Das Beispiel Wolfsthals

Die neu nach Franken zuziehenden katholischen Adelsfamilien, aber auch Aufsteiger aus dem Bürgertum, oftmals Konvertiten, nahmen nach 1648 eine Schlüsselrolle für eine neue und dezidiert katholische Linie innerhalb der fränkischen Reichsritterschaft ein. Sie kooperierten mit den katholischen Höfen Würzburgs und Bambergs. Diese Zusammenarbeit stellt die Basis mehrerer für die Zeitgenossen aufsehenerregender Lehenentzugsprozesse vor dem Bamberger, Würzburger, ja sogar dem kaiserlichen Lehenhof dar. In der jüngsten Forschung konnte eine ganze Reihe von unter dubiosen Umständen erfolgten Lehenentziehungen meist hoch verschuldeter protestantischer Reichsritter nachgewiesen werden, die zugunsten von neuen katholischen Vasallen vorgenommen wurden.45 Renommierte und alteingesessene Familien wie die von Rotenhan, die Fuchs von Bimbach, die Schaumberg und die Thüngen, die einstigen Protagonisten der Reformation in Franken, wurden so durch Urteile der fürstlichen Lehnhöfe um ihre „uralten Stammlehen“ gebracht, die in der Folge häufig blitzschnell an Katholiken, meist Inhaber von Schuldscheinen der verschuldeten Vorbesitzer, ausgegeben wurden. Konfessionelle Repressalien gegen die Untertanen setzten ein, Kirchen wurden geschlossen und evangelischen Pfarrern der Zutritt verboten, katholische Priester eingesetzt und Pfarreien neugegründet.46 Diese Entwicklung legt die Vermutung nahe, die Gegenreformation habe in Franken den Westfälischen Frieden überdauert und sei von den dortigen Fürstbischöfen unter lehn- und personalpolitischen Vorzeichen fortgesetzt worden. Welche Rolle die neuen, katholischen Vasallen als Katalysatoren einer verlängerten Gegenreformation in Franken gegenüber der Bevölkerung und sogar gegenüber benachbarten protestantischen Landesfürsten einnehmen konnten, die als Ganherren in denselben Ortschaften begütert waren, veranschaulicht das folgende Beispiel. Der Konvertit Johann Wolf von Wolfsthal (1603–1672) hatte 1651 als Inhaber eines entsprechenden Schuldscheines vom Bamberger Lehenhof im Eilverfahren das Rittermannlehen Westheim-Eschenau erhalten, mit dem bis zu diesem Zeitpunkt über Jahrhunderte hinweg die Familie Fuchs von Bimbach belehnt gewesen war. Ehe sich der protestantische Vorbesitzer versah und den entsprechenden Bescheid aus Bamberg erhielt, war er bereits entlehnt und das Lehen neu ausgegeben. Der neue Besitzer Wolfsthal leitete umgehend Rekatholisierungsmaßnahmen innerhalb der Bevölkerung ein. Unmittelbar nach der Besitzübernahme erfolgte die Schließung des protestantischen Gotteshauses St. Georg. Genau genommen wurde die Kirche nicht, 45 Vgl. Flurschütz da Cruz, Zwischen Füchsen und Wölfen, Kap. V.2. 46 Vgl. auch Schübel, Evangelium in Mainfranken, 158.

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etwa unter dem Vorwand der Baufälligkeit, geschlossen, sondern dem protestantischen Pfarrer der Zutritt verboten; katholische Kasualien fanden auch weiterhin darin statt. Bei seiner letzten vorgenommenen Trauung am 4. Februar 1651 vermerkte der evangelische Pfarrer im Kirchenbuch: „Welche copulation Zu Eschenau in der Capellen geschehen, Nach diesem hats der Von Wolffsthal nicht mehr gestatten wollen, sond[ern] hat mir die Capell verbieten lassen.“47 1679 wurde im fast ausschließlich protestantischen Nachbarort Westheim, einem Dorf von immerhin ca. 100 Haushalten, wiederum maßgeblich auf Initiative der Familie von Wolfsthal, die einen der sieben Gane im Ort an sich gebracht hatte, die katholische Pfarrei wiedergegründet. Der Wolfsthal’sche Gan war sozusagen das Zünglein an der Waage, da die restlichen sechs Dorfanteile je drei katholischen und drei protestantischen Herren unterstanden. Mittels der Entlehnung der protestantischen Fuchs und der Belehnung Wolfsthals 1651 hatte sich also auch das Mächteverhältnis innerhalb des Westheimer Ganerbenkollegiums zugunsten der katholischen Seite verschoben, die dadurch handlungsfähig wurde und Entscheidungen gegenüber den sich nun in der Unterzahl befindenden protestantischen Ganherren sowie den bislang nahezu vollständig protestantischen Untertanen durchsetzen konnte.

7.

Konkurrenz zwischen dem Hochstift Bamberg und dem Herzogtum Sachsen

Den Anlass zur Gründung einer katholischen Pfarrei gab der Tod des evangelischen Westheimer Pfarrers M. Johann Werner Kraus am 2. Mai 1679.48 Er hatte seit 1650 im Ort gewirkt. Sein Tod machte die „wied[er] bestellung der verledigten Euangelisch[en] Pfarr stelle zu Westheim“ nötig, die der Ranghöchste der protestantischen Dorfherren, der seit 1675 regierenden Herzog Friedrich von Sachsen-Gotha (1646–1691), für sich beanspruchte.49 Abermals spielten dabei die Wolf von Wolfsthal – nun Johanns Sohn Philipp Gaston (1643–1717) – eine wichtige Rolle in den im Hintergrund ablaufenden Verhandlungen. Fürstbischof Peter Philipp von Dernbach (1619–1683), ebenfalls Mitganerbe und als Fürstbischof von Bamberg und Würzburg sogar Inhaber zweier Gane, war mit der sächsischen Initiative nicht einverstanden und ließ seinem Hofrat und West-

47 Evangelisches Pfarrarchiv Westheim (EPAW), Kirchenbuch (KB) Nr. 1 (1650–1748), 5. 48 EPAW KB Westheim Nr. 1, fol. 86r. 49 Fuchsarchiv Burgpreppach (FAB), Ortsbestände, Westheim III, 2: Von der Bamberger Regierung an Wolfsthal überschickte Copia schreibenß An Die Regierung Von Bamberg Von Der Regierung Coburg, Friedenstein 3. 7. 1679.

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heimer Mitganerben Philipp Gaston Wolf von Wolfsthal die Stellungnahmen von Herzog Friedrichs Regierung zukommen, damit Wolfsthal sehe, waß gestalten das Fürstl[iche] Hauß Sachsen Gotha denen gan Erblich[en] Juribus in bestellung eines neüen der Augspurg: Confession verwandten Pfarrers zu Westheimb eintrag zu thuen, und sich hierin falß liberam dispositionem privativè und mit außschliesung der übrigen Gan Erben aigenmächtig zu attribuiren erkühne.50

Sowohl territoriale als auch konfessionelle Motive spielten hier eine Rolle. Bischof Peter Philipp forderte Wolfsthal daher auf, „zu unterbrechung sothaner beEinTrächtigungen“ seinen Untertanen zu befehlen, „zu des Prædicantens unterhalt nicht das geringste zu contribuiren“.51 Seine Absicht gab der Fürstbischof in dem persönlichen Schreiben unverhohlen zu erkennen. Er wünsche, dass die katholischen Ganerben „mithin allerseits darahn seÿn wollen, daß dermahlen dieses Sachs[ische] wieder Rechtliche Beginnen conjunctis viribus hintertrieben werden mögte“,52 hatte man im Vorjahr vonseiten der Hochstifte doch die Gunst der Stunde und den sich ständig verschlechternden Gesundheitszustand des protestantischen Pfarrers genutzt, einen Priester auf die damit neu gegründete katholische Pfarrei Westheim zu berufen. Dessen Stellung sollte nun gestärkt, die eines nachfolgenden evangelischen Pfarrers hingegen durch Reduktion der Einkünfte geschwächt werden. Doch scheute der Fürstbischof die direkte Auseinandersetzung mit dem zwar wesentlich jüngeren, ihm jedoch gleichrangigen Herzog Friedrich I. von SachsenGotha. Stattdessen agierte er im Hintergrund und instruierte insgeheim Wolfsthal, sich den sächsischen Maßnahmen entgegenzustellen. Herzog Friedrich erteilte dem gegen ihn aufbegehrenden Wolfsthal jedoch eine Absage und wandte sich unmittelbar an Fürstbischof Peter Philipp, um diesen ironischerweise dazu aufzufordern, auf seinen Gefolgsmann, den offensichtlich auf Konfrontationskurs befindlichen Wolfsthal, beschwichtigend einzuwirken. Dem Fürstbischof blieb nun – um die Regeln der Höflichkeit zu wahren – nichts anderes übrig, als „in freundlicher Antwortt“ zu erklären, bei seinen Vasallen und Untertanen „die Verordnung zuthun“, dass sie bis auf weiteres „[…] die schuldige Pfarr Gefälle dem Evangelischen Pfarrer entrichten sollten“.53 Auf die Konfrontation mit dem rangniederen Wolfsthal ging der sächsische Herzog indes gar nicht ein, sondern setzte ihn lediglich über die auf fürstlicher Ebene getroffene Übereinkunft in

50 FAB, Ortsbestände, Westheim III, 1: Bamberger Regierung an Wolfsthal, Bamberg 15. 9. 1679, fol. 1r. 51 FAB, Ortsbestände, Westheim III, 1: Bamberger Regierung an Wolfsthal, Bamberg 15. 9. 1679, fol. 1v. 52 FAB, Ortsbestände, Westheim III, 1: Bamberger Regierung an Wolfsthal, Bamberg 15. 9. 1679, fol. 2r. 53 Ebd.

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Kenntnis. Friedrich von Sachsen-Gotha sei sicher, Wolfsthal werde „sich mit hochgedachtes herrn Bischoffs L[ieb]d[en] hierunter conformiren undt seine Unterthanen zu dergleichen Abgabe deme Evangelischen Pfarrer […] anhalten“.54 Durch persönliche Intervention und direkte Kontaktaufnahme mit seinem Standesgenossen als Entscheidungsträger war es dem sächsischen Herzog gelungen, den Konfrontationskurs des eigens dazu abgeordneten Wolfsthal abzuwenden sowie dessen fürstlichem Hintermann zu entwaffnen und einstweilen Frieden – vor allem für die betroffenen Untertanen – herzustellen. In diesem Fall war die Mission des Konvertiten Wolfsthal also gescheitert. Westheim und Eschenau stellten dabei allerdings seltene Ausnahmen dar. Grundsätzlich hatten er und seine Kollegen erheblichen Erfolg mit ihrem Rekatholisierungsprogramm auf den reichsritterschaftlichen Gütern zwischen den Hochstiften Würzburg und Bamberg. Bis Ende des 17. Jahrhunderts konnte auch dieser Landstrich, bisher ein Dorn im Auge der Bischöfe bzw. im ‚Fleisch‘ ihrer katholischen Hochstifte, mittels später Zwangsmaßnahmen weitgehend zum katholischen Glauben zurückgeführt werden. Den frühen Konvertiten wie Johann Wolf von Wolfsthal oder seinem Vetter, dem berühmtem Gottfried Heinrich von Pappenheim (1594–1632), kam aufgrund ihrer Multiplikatorenfunktion im Hinblick auf die Untertanen eine Schlüsselrolle in diesem Prozess zu. Ritter wie sie zeigten Eigeninitiative, um den Wünschen der Bischöfe nicht nur zu entsprechen, sondern ihnen sogar zuvorzukommen. So zeigt die Korrespondenz des Johann Wolf von Wolfsthal mit dem Bamberger Bischof Philipp Valentin (reg. 1653–1672), dass sich ersterer nicht etwa auf bischöflichen Befehl hin, sondern aus eigenem Antrieb im Juli 1665 mit dem Reichsritter Georg Adolf Fuchs von Dornheim „zusammen betaget“ und mit diesem gemeinsam beschlossen habe, dem Fürsten bei der „Rettung Vieler Seelen, nach allen Vnseren Cräfften, wie auch sonsten Treu gehorsambst an handt Zugehen“. Dies alles geschehe „Zu beförderung vnd wider Emporhebung, der allein Seelig machenden Catholischen religion“.55 Durch die Strategien, die die Adeligen entwarfen, bevor der Fürst entsprechende Wünsche überhaupt hätte äußern können, erwarben sie sich freilich dessen besondere Dankbarkeit und außerordentliches Ansehen, was ihrer weiteren Karriere nur förderlich sein konnte, wenngleich sie sich ihren protestantischen Standesgenossen gegenüber damit in Misskredit brachten.

54 FAB, Ortsbestände, Westheim III, 3: Herzog Friedrich an Philipp Gaston Wolf von Wolfsthal, Friedenstein 21. 5. 1680. 55 FAB, Ortsbestände, Westheim IV, Missbräuche 1657–1683, Johann Wolf von Wolfsthal und Georg Adolf Fuchs von Dornheim an Bischof Philipp Valentin von Bamberg, Zeilitzheim 5./ 15. 7. 1665 (Konzept).

232

8.

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Abgrenzung zu späteren, rein politischen Konvertiten: Das Beispiel Fuchs’

Ein gegensätzliches Beispiel bietet ein Blick auf die den Wolfsthal benachbarten, allerdings damals noch protestantischen Reichsritter Fuchs von Bimbach. Im Fall der bis um die Jahrhundertwende auf ihrer protestantischen Konfession beharrenden Familie hatte ihr Festhalten an tradierten Normen und Lebensformen nach dem Dreißigjährigen Krieg angesichts des katholischen Charakters der süddeutschen Stifte eine erfolgreiche Familienkarriere für Jahrzehnte behindert. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts fanden dann allerdings auch die Fuchs Anschluss an einen fürstbischöflichen Hof, nämlich den Würzburger. Die Konversion des Christoph Ernst Fuchs von Bimbach und Dornheim zum Katholizismus im Jahre 1706 erscheint als konsequenter Abschluss dieser grundsätzlichen Umorientierung. Christoph Ernst zeigte durch seinen Konfessionswechsel fast 60 Jahre nach dem Westfälischen Frieden die Bereitschaft, flexibel auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse zu reagieren. Dieser Schritt hatte für seine Familie weitreichende Folgen. Als öffentlicher Ausdruck der Neuorientierung seines Hauses und um „seine Loyalität zum Herrscherhaus mit dem Mittel der Religion unter Beweis zu stellen und zu demonstrieren“,56 können die – im Gegensatz zu Christoph Ernsts vor 1700 geborenen Kindern – explizit katholischen, ja sogar gegenreformatorisch konnotierten Taufnamen seiner Töchter zweiter Ehe, Maria Josepha Theresia (*1711) und Maria Ernestina Antonia Rosalia (*1713) verstanden werden.57 Seine Töchter wurden innerhalb der Heiratskreise stiftsfähiger katholischer Familien zu begehrten Kandidatinnen, seine Söhne wurden in verschiedene Domkapitel aufgenommen und waren somit versorgt.58 Dass dies ein Aspekt seiner Familien- und Besitzpolitik war, der er anscheinend auch seine Konfession unterordnete, dass es sich also auch bei seiner Konversion um einen strategischen Zug handelte, deutet sein Testament an, weil daß absehen, vor meine beede Eltiste Söhne […] einige præbenten Zu erlangen, haubtsächlich von mir dahin gerichtet gewesen, daß sich dieselbe, meiner gütter nicht theilhafftig machen, sondern solche, sambt und sonders Zu Conservation der Familie Ihrem weltlichen Bruder überlaßen mögten.59

Auswirkungen auf seine Untertanen, etwa im Sinn später gegenreformatorischer Maßnahmen, die Stiftung von Pfarreien und die Etablierung von Simultaneen, hatte der Konfessionswechsel ihres Herrn jedoch nicht. Auch dieser Umstand 56 57 58 59

Pons, Herrschaftsrepräsentation, 386. Vgl. Biedermann, Geschlechtsregister Baunach, Tab. LXI. Vgl. Amrhein, Reihenfolge, 97. FAB, Familienarchiv, Abt. 7f, Nr. 1, Art. 7.

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verweist auf „die politische Dimension von Konfession“60 und auf die Pragmatik, die der Konversion Christoph Ernsts zugrunde lagen.61 Untermauert wird dieser Befund durch eine Klausel im Testament Christoph Ernsts, in der er explizit verfügt, es [s]olle nach meinem Tod, weder die Vormundschafft, noch meine Kinder nicht befugt sein, auff meinen güttern der Geistlichkeit wegen, einige verenderung vorzunehmen, angesehen, dergleichen mutationes öffters die gütter in daß abnehmen bringen und von denen neü ankommenden Catholischen Geistlichen Personen, meistlich allzu weit gegangen und von Ihnen […] in ein und andern selbsten viel vertruß und wiederwillen causirt wirdt, sondern wie es an jedem ohrt der religion halber herkommen, dabeÿ solle es gelassen und keinem Geistlichen er seÿe welcher Religion er wolle, etwaß an seiner Bestallung entzogen werden.62

Der Konvertit Christoph Ernst zeichnete sich also sogar durch eine kritische Haltung gegenüber der katholischen Kirche und ihrer Geistlichkeit aus und fixierte den konfessionellen Status quo auf seinen Gütern zugunsten des protestantischen Bekenntnisses seiner Untertanen mittels seines Testamentes, obwohl er selbst einen bemerkenswerten Aufstieg durch Konfessionswechsel machte: Nur als Katholik konnte er an den von Traditionalität geprägten Höfen der Würzburger Fürstbischöfe sowie Kaiser Josephs mit dessen klarer konfessioneller Ausrichtung die ihm verliehenen Ämter bekleiden.

9.

Gegenreformation nach 1648 als fürstliches Programm?

Adressaten für gegenreformatorische Maßnahmen der Fürsten waren nach 1648 nicht mehr die Untertanen als schwächstes Glied in der Kette von Herrschaft, sondern der Niederadel – der wiederum seinerseits im Sinne der eigenen Konfession auf die Untertanen einwirkte. Er fungierte sozusagen als Multiplikator. Wenn Richard Ninness also sagt: „The work of conversion continued into the seventeenth century and was by nomeans complete until after the Thirty Years War“,63 so ist dem zuzustimmen, aber ergänzend hinzuzufügen, dass die auf Konversion abzielenden fürstlichen Maßnahmen sich nicht mehr direkt an die breite Masse der Bevölkerung richteten und somit nicht mehr auf Anhieb als solche zu erkennen waren. Vielmehr konzentrierte sie sich auf den dem Namen nach immediaten, bei der Karriere aber von der Gunst der Fürsten abhängigen Adel, der dann wiederum häufig in einem aus landesherrlicher Sicht durchaus 60 61 62 63

Wunder, Herrendienst, 348. Vgl. Fackler, Stiftsadel, 146. FAB, Familienarchiv, Abt. 7f. Nr. 1, Art. 10. Ninness, Between Opposition and Colaboration, 132.

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wünschenswerten zweiten Schritt aus eigener, willfähriger Initiative seine von ihm beherrschten Untertanen in die konfessionelle Pflicht nahm. Eine effiziente religionspolitische Disziplinierung des hochstiftischen Untertanenverbandes war eben nur über die umfassende Einbeziehung der niederadeligen Mittelebene möglich, der ja auch der Großteil der Amtsleute entstammte.64 Die Hoffnung, prominente Konversionen könnten eine erhebliche Vorbildwirkung haben und eine große Zahl von weiteren Übertritten nach sich ziehen, erfüllte sich Ines Peper zufolge letztlich aber nicht. Eine zwangsweise Bekehrung der Untertanen, also ein Konfessionswechsel ganzer Territorien habe nach 1648 „so gut wie überhaupt nicht mehr“ stattgefunden.65 Die betrachteten ritterschaftlich dominierten Landstriche und Orte zwischen den Hochstiften Bamberg und Würzburg stellen dabei offensichtlich eine Ausnahme dar, denn dort wurde der Katholizismus auch noch nach 1648 unter Zwang durchgesetzt. Die maßgeblichen Akteure waren jedoch nicht die Bischöfe als Landesherren, sondern katholische bzw. konversionseifrige Ritteradelige. Erst gegen Ende des Jahrhunderts setzten adelige Konversionen ein, die ihren politischen Hintergrund nicht mehr verbargen, zwar noch die Einrichtung katholischer Schlosskuratien nach sich zogen, die Bevölkerung in ihrer Religionsausübung aber nicht mehr oder nur noch wenig beeinflussten. Ja, diese wurden in manchen Fällen sogar explizit von den Übertretenden vor möglichem, nun einsetzenden Missionseifer ankommender katholischer Geistlicher geschützt, wie das Beispiel des Testaments des Grafen Christoph Ernst Fuchs von Bimbach und Dornheim zu verdeutlichen vermag. Nach dem Dreißigjährigen Krieg vollzog sich in den einzelnen Kantonen durch Aussterben, Abwanderung und Güterverlust einerseits, aber andererseits durch Zuzug und Aufnahme unmittelbaren oder landsässigen Adels, neuen Adels, von Stiftungen und bürgerlichen Güterbesitzern eine „Differenzierung, Lockerung und Strukturwandlung der ritterlichen Genossenschaft“, die die skizzierten Entwicklungen und den Einsatz der Reichsritter, die als gesellschaftliche Gruppe im 16. Jahrhundert noch nahezu geschlossen f ü r die Reformation gekämpft hatte, zugunsten der Gegenreformation ermöglichten. Frankens Ritterschaft des 17. Jahrhunderts hatte insofern mit der des 18. Jahrhunderts kaum noch etwas gemein, ja oft nicht einmal mehr die adeligen Namen: Es hatte ein großangelegter Austausch der Mitglieder dieser Korporation stattgefunden. Die fränkische Reichsritterschaft bildete eben gerade kein von Anfang bis Ende des Alten Reiches „adelig-ständisch geschlossenes Corpus“.66

64 Baumgart, Konfessionalisierung, 581. 65 Peper, Konversionen im Umkreis des Wiener Hofes, 34. 66 Riedenauer, Kontinuität und Fluktuation, 142.

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Besonders der Kanton Steigerwald wird von Erwin Riedenauer als ‚Kanton des Durchzugs‘ charakterisiert, in dem sich nach dem Dreißigjährigen Krieg eine hohe Mobilität der Adelsfamilien, wie es auch das Beispiel der Wolf von Wolfsthal zeigt, abzeichnete.67 Neben markanten Generationswechseln in der mainfränkischen Reichsritterschaft zwischen 1650 und 1700 ist somit auch ein erheblicher personaler Austausch innerhalb der Korporation selbst zu verzeichnen. Da der Kanton Steigerwald benachbart zu beiden Hochstiftssitzen Bamberg und Würzburg lag, hatten diese dadurch die Chance, auf die Besitzerstruktur der nahen Rittergüter mit Nachdruck einzuwirken. Die Mehrzahl der katholischen, größtenteils neuadeligen Familien, vorzugsweise rheinischer Provenienz, machte sich zwischen dem Westfälischen Frieden 1648 und ca. 1700 im Kanton Steigerwald ansässig.68 Damit korrelierte der Abgang zahlreicher alter protestantischer ritterschaftlicher Familien, die entweder ausstarben oder den Besitz aufgrund ihrer prekären finanziellen Lage aufgeben mussten. Auch Mauchenheim vermutet hinter dieser Entwicklung „mit großer Wahrscheinlichkeit ein[en] bestimmte[n] Einfluß der benachbarten geistlichen Fürstentümer“.69 Die an ihrem Hof versammelten reichsritterlichen Vasallen und Dienstleute erhöhten nicht nur die Magnifizenz der bischöflichen Lehnsherren innerhalb der Adelsgesellschaft des Alten Reiches, sondern boten ihnen darüber hinaus zahlreiche Möglichkeiten zu gezielter ‚realpolitischer‘ Einflussnahme.70 Fürsten wie Lothar Franz von Schönborn (reg. 1693–1729) gelang es über ihren privaten Besitz teilweise sogar, persönlich Mitglied in den Kantonen zu werden.71 Ein Befund aus den Domkapitelsprotokollen des Hochstifts Würzburg vermag Mauchenheims Vermutung überdies zu stützen. Dabei handelt es sich um eine abschlägige Antwort auf ein protestantisches Lehengesuch. Der um seinen Aufstieg in den Niederadel bemühte Advokat und ehemalige schwedische Kanzler Dr. Friedrich Fabritius suchte Jahre nach der Vertreibung der Schweden aus Franken beim Hochstift Würzburg um die Belehnung mit Gütern der ausgestorbenen protestantischen Familie seiner verstorbenen Frau, einer geborenen Zollner von Brand, nach. Das Domkapitel kam allerdings zu einem abschlägigen Conclusum. Dabei wurde – neben anderen gravierenden Ursachen – auch seine Konfession angeführt. Es dürfte sich dabei um eine lediglich interne und nicht nach außen kommunizierte Begründung handeln: [D]er Supplicant Fabriz habe dieße g[nade] Vmb daß Stüfft nit meritirt, daß Ihme mit Einem solchen deß Stüffts Lehen gratificiert werdten, Zudeme seÿe Er im Schwedischen

67 68 69 70 71

Ebd., 192. Mauchenheim genannt Bechtolsheim, Steigerwald, 200. Ebd., 199. Vgl. Schenk, Reichshofrat, 263. Vgl. Mauchenheim genannt Bechtolsheim, Steigerwald, 205.

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Interregno Cantzler alhier gewesen, vndt sich gegen der Burgerschafft nit affectionirt erzeiget, drittens seÿe Er der Religion nit, Da doch in Allen Lehenbrieffen nouorum feudorum dieße Clausul expresse inserirt werdte, daß Sie der Romisch. Catholisch[en] Religion Beÿgethan sein sollen […]. Obwohle Er Fabriz Immittel .1000. fl [sic] recompens Ihrer Fürstl[ichen] G[naden] Versprochen, da man es Vf seine Kinder Zu lehen Verleihen wolte, So seÿe doch solches Bedenklich ra[tion]e Religionis Vndt alles in suspenso Zuhalten.72

Aufgrund seiner Konfession wurde Fabritius also sein Lehengesuch abgeschlagen. Das lag aber auch daran, dass es sich um ein feudum novum handelte. Denn Fabritius war kein Spross einer alteingesessenen reichsritterlichen Familie, sondern ein Aufsteiger, ein Anwärter auf ein immediates Gut. Für solche Fälle sah der Würzburger Lehenhof inzwischen explizit vor, dass es sich um Katholiken zu handeln habe. Auch in diesem Fall, dem Lehngesuch, agierten der Fürst und seine Verwaltung aber nur als Adressat – von sich aus tätig wurden sie nicht. Aktiv in bestehende Lehensverhältnisse einzugreifen (im Sinne einer dezidiert konfessionspolitisch gesteuerten Maßnahme), sahen die Statuten mit keinem Wort vor.

10.

Zusammenfassung: Kooperation von Landesfürsten und Vasallen

Was in der vorliegenden Untersuchung auf den ersten Blick wie eine zielgerichtete gegenreformatorische Aktion, ausgehend von den bischöflichen Landesherren, anmutet, ist in der Zusammenschau der Quellen daher vielmehr als pragmatische Kooperation von Individuen, Familien und Gruppen zu werten, die sich aufgrund ähnlicher gesellschaftlicher Lagerung73 mit denselben Herausforderungen konfrontiert sahen und unter Einsatz ökonomischen, aber vor allem sozialen und symbolischen Kapitals, zu dem unter anderem auch ihre Konfession zählte, innovative Lösungswege beschritten. Trotz der gegenreformatorisch ausgerichteten Strategien und Motivationen, die für alle zwischen 1648 und 1700 in Bamberg und Würzburg herrschende Fürsten nachgewiesen werden können, lässt sich anhand der Quellen keine aktiv gegenreformatorische bzw. konfessionsspezifische Lehnpolitik feststellen, die über das normale Maß, in dem ein (geistlicher) Reichsfürst an einer homogenen Konfession seines Territoriums interessiert sein musste, hinausgehen. Die hochstiftischen Regierungen waren sich zwar der „Binsenweisheit“, dass Besitz und Politik in einem Wechselver72 Staatsarchiv Würzburg, Würzburger Domkapitelsprotokolle 88 (1641), fol. 66v. 73 Mannheim, Problem der Generation, 528f.

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hältniszueinander stehen74 und es deshalb keine „verläßlichere Grundlage zur Rekatholisierung“ als die territoriale Erwerbspolitik geben könne,75 bewusst. Allerdings war ihr finanzieller und machtpolitischer Spielraum viel zu gering, um diese Strategie im großen Stil aktiv zu verfolgen. Zudem war ein gewisses Maß an politischer Rücksichtnahme gegenüber Kaiser, Reichsgesetzen und protestantischen Reichs- und Nachbarfürsten in Friedenszeiten unabdingbar. Man könnte auf der Grundlage der vorliegenden Untersuchung und ihrer Ergebnisse daher von einer fallweise verdeckten Gegenreformation nach 1648 ausgehen. Die verantwortlichen Bischöfe hielten sich in ihrer Funktion als Landesherren – wenn überhaupt – nur widerwillig an die Friedens- und Reichsgesetze, interpretierten diese aber nach ihren eigenen Bedürfnissen und umschifften sie im Einzelfall mit taktischer Findigkeit und ausgesprochenem Geschick. Die maßgebliche Initiative für die beschriebenen Ereignisse ging jedenfalls offensichtlich nicht von den Landesherren als Lehnherren aus. Diese griffen vor allem Anregungen in Form von Angeboten interessierter Dritter auf, eine diesen Initiativen ‚von unten‘ übergeordnete landesherrliche Strategie lässt sich dagegen nicht belegen. Motor der beschriebenen Einzelinitiativen, die in der Zusammenschau ein durchaus stimmiges Bild ergeben, waren also nicht die Fürstbischöfe, sondern gesellschaftliche Aufsteiger, die sich in deren jeweiligen Herrschaftsbereich etablieren wollten. Diese Aufsteiger verfügten über die entsprechenden Voraussetzungen, derer der Großteil der bisherigen Vasallität entbehrte: Die ‚uomini novi‘ zeichneten sich vor allem dadurch aus, bereits in Kriegszeiten auf der ‚richtigen‘ Seite gestanden zu haben, nämlich in fürstbischöflichen und kaiserlichen Diensten, sowie durch ihre katholische Konfession. Darüber hinaus brachten sie oft die – nicht selten aus ihren Beamten- und Militärkarrieren herrührende – Finanzkraft mit, die den Erwerb der zum Eintritt in die fürstbischöfliche Vasallität nötigen Lehen ungemein erleichterte. Die Kombination dieser Begehrlichkeiten, Voraussetzungen und Optionen signalisierte eine Bereitschaft der Neuanwärter, sich trotz reichsfreiem Status dem politischen Gesamtkonzept ihrer prospektiven zukünftigen Dienst- und Lehnherren ein- bzw. unterzuordnen. Die Integration solcher hochstiftstreuer Hoffnungsträger versprach trotz der für die Landesfürsten durch die Westfälischen Friedensverträge erschwerten Konditionen die bestmögliche Annäherung an ein altes Ziel, nämlich die Herstellung des auf möglichst allen Ebenen in sich geschlossenen Territorialstaats. Die Initiative für die auch noch nach 1648 durchgeführten konfessionellen Veränderungen aber ging von den Empfängern und Nutznießern der Lehen aus, die eben mittelbar oder unmittelbar von den beschriebenen Verschiebungen 74 Schröcker, Besitz und Politik des Hauses Schönborn, 212. 75 Sicken, Wehrwesen, 205.

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profitierten und die durch die im Vorfeld stattfindenden Lehenentziehungen zu fürstlichen Vasallen wurden. Sie waren sich dabei sowohl der Wünsche des Landesherrn als auch ihres eigenen Wertes bewusst. Diesen warfen sie in die Waagschale und boten an, ihr soziales und finanzielles Kapital in die Dienste des jeweiligen Hochstifts zu stellen, um so im Gegenzug durch das berufliche Entgegenkommen der Fürsten auch selbst von ihren ‚Talenten‘ und ‚Qualifikationen‘ profitieren zu können. Lehen waren attraktiv und nötig für die Karriere in den ritterschaftlichen Institutionen und adeligen Gremien. Zunächst einmal aber waren sie unabdingbar, um den eigenen reichsfreien Status zu erlangen und zu sichern. Die Lehnpolitik an den fränkischen Bischofshöfen scheint also nicht anhand einer konfessionellen Schablone umgesetzt worden zu sein. Die Bereitschaft der Fürsten, auf entsprechende Angebote und Maßnahmen aus dem niederen Adel einzugehen und in der Folge mit diesem zu kooperieren, war zwar unbestreitbar vorhanden: Der „Wunsch des Fürsten, dem persönlich als richtig erkannten Glauben zur Alleinherrschaft zu verhelfen“,76 lebte auch noch an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts fort, aber es mangelte an den legalen Instrumenten und dem organisatorischen Potential, um diesen Wunsch aktiv und umfassend in die Tat umzusetzen. Eigenständige Maßnahmen wie die gegen Sachsen gerichtete Offensive des Bamberger und Würzburger Bischofs Peter Philipp von Dernbach von 1679 bildeten eher die Ausnahme und hatten wohl mehr politische Hintergründe denn religiös-konfessionelle. Vonseiten der Hochstifte beschränkte man sich auf mehr defensive Verordnungen wie beispielsweise reichsrechtlich dubiose und daher inoffizielle Zulassungsbeschränkungen konfessioneller Art in Bezug auf die Neuausgabe von Lehen. Solche Maßnahmen zielten fraglos auf Langzeitwirkung und weniger auf einen abrupten und vollständigen konfessionellen Umschwung innerhalb der Vasallenschaft ab. Die Reichsritter waren also nicht nur Opfer bzw. Befehlsempfänger anlässlich der Rekatholisierungsmaßnahmen der Landesherren, sondern deren Nutznießer und Akteure, ja sogar Urheber, die sich den nachvollziehbaren Wunsch der Bischöfe nach konfessioneller Einheitlichkeit zunutze machten, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen, nämlich Fuß in den Ritterkantonen zu fassen, ihren Territorialbesitz abzurunden oder begehrte Ämter am bischöflichen oder gar kaiserlichen Hof zu erlangen.77 Die Initiativen für rekatholisierende Maßnahmen gingen dann auch von den Rittern selbst aus. In keinem der genannten Fälle hätte der Fürst aktiv in die Lehnverhältnisse eingegriffen, würde nicht zuvor ein katholi76 Schnettger/Kusber, Sichtbare Grenzen, 595. 77 Zur Anpassungsfähigkeit und Anpassungswilligkeit dieser Gruppe sowie ihrer Akteursrolle siehe Baumann/Jendorff, Einleitung, 9–14, die eine „sozial- und politikgeschichtliche Neueinschätzung des Adels“ vornehmen, ebd., 10.

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scher Interessent dezidiert um seine Belehnung mit Gütern meist finanziell schlecht gestellter protestantischer Adliger nachgesucht haben. Sogar im Fall des Protestanten Fabritius waren nicht die hochstiftischen Behörden aktiv geworden, um sich um das freigewordene Lehen zu kümmern, sondern er selbst war es gewesen, der sich, wenngleich erfolglos, an den Lehenhof gewandt hatte.

11.

Alte und neue Ritter

Es zeichnet sich in der Zusammenschau ein Bild von Politik und Herrschaft ab, die nicht als ein linearer „top-down process“78 verlief, sondern im Sinne von Lüdtkes These von sozialer Praxis unter polyzentrischer Partizipation verschiedenster Herrschaftsträger.79 Im Fall der eng miteinander verflochtenen Hochstifte Würzburg und Bamberg müssen die beschriebenen Prozesse als Ergebnis kooperierender Akteure und ihrer Netzwerke von Landesherren (als den Verteilern von Gunst) und adeligen Aufsteigern (als Nutznießern dieser Entwicklungen) gelten, die sich untereinander kannten und assistierten.80 Diese Netzwerke umfassten den Fürstbischof, das Domkapitel sowie adelige und bürgerliche Beamte und Untertanen, aber ebenso einzelne Reichsritter und ihre Familien. Die Ereignisse sind somit nur multikausal unter Berücksichtigung komplexer Kräftefelder zu erklären und können nicht auf einzelne Akteure und schablonenhafte Handlungsschemata reduziert werden. Der Markt freier Lehen im 16. und 17. Jahrhundert war klein und jedes einzelne Gut begehrt, jedoch waren die meisten von ihnen von alteingesessenen protestantischen Rittern besetzt. Neu in die Kantone kommende katholische Adelige mussten also alternative, mitunter aggressive Wege beschreiten, um ihre vollständige Integration zu erreichen. Dies konnte ihnen nur in Kooperation mit den zuständigen Lehnherren gelingen. Konfession bot sich dabei gegenüber geistlichen Landesherren als ein attraktives und gewichtiges Argument an. Die Reichsritter des 17. Jahrhunderts waren andere als die des 16. Jahrhunderts, ja sie entstammten oft nicht einmal mehr den gleichen Familien, was aus den Listen der in den Kantonen immatrikulierten Häuser hervorgeht: Viele Familien waren ausgeschieden, für die Nachrücker gab es Beschränkungen vor allem konfessioneller Art. Bezüglich der protestantischen Adeligen, die im Kollegium verblieben, zeichnen sich verschiedene Wege ab: Konvertiten mit weiterführenden konfessionellen Ambitionen konnten Karriere machen, doch diejenigen, die protestantisch blieben, büßten meist an politisch-gesellschaftli78 Ninness, Between Opposition and Collaboration, 203. 79 Lüdtke, Herrschaft. 80 Vgl. Flurschütz da Cruz, Zwischen Füchsen und Wölfen, Kap. V.2.5.

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cher wie auch wirtschaftlicher Bedeutung ein, was sich in – wenn überhaupt nur späten – Standeserhöhungen niederschlug, wie etwa im Falle der Reichsfreiherren (1771) von Rotenhan.81 Bei jenen späten Konvertiten wie dem Grafen Christoph Ernst Fuchs handelte es sich oft um rein politisch motivierte Konversionen ohne größere Folgen für die Untertanen. Die Wege der Reichsritter, ihr Umgang mit den Ergebnissen des Krieges 1648 und deren Konsequenzen waren somit grundverschieden. Die hier aufgeführten Beispiele zeigen, dass die Entwicklung reichsritterlicher Familien in der Frühen Neuzeit keine lineare Auf- bzw. Abstiegsbewegung darstellt, sondern von zahlreichen Brüchen und Kontingenzen geprägt war. Obschon ihre Rolle für die Reformation in Franken essentiell gewesen war, wurden die Reichsritter schließlich ebenso wichtig für die Rückkehr weiter Landstriche zum alten Glauben noch nach dem Dreißigjährigen Krieg. Doch handelte es sich dabei nur noch auf den ersten Blick um den fränkischen Adel von einst: Die Familien waren inzwischen ausgetauscht und die Gewichtungen von Karriere, Konfession, ökonomischen und politischen Interessen hatten sich extrem verschoben. Frankens Ritterschaft war eine andere geworden.

Literatur Amrhein, August, Reihenfolge der Mitglieder des adeligen Domstifts zu Wirzburg, St. Kilians-Brüder genannt, von seiner Gründung bis zur Säkularisation 742–1803, in: Archiv des Historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 32, 1889, 1–315. Andermann, Kurt, Ritterschaft und Konfession – Beobachtungen zu einem alten Thema, in: Ders. / S. Lorenz (Hg.), Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 56), Ostfildern 2005, 93–104. Bauer, Christoph, Die Einführung der Reformation, die Ausgestaltung des evangelischen Kirchenwesens und die Auswirkungen der Gegenreformation im Gebiet der Herren von Thüngen, Neustadt an der Aisch 1985. –, Reichsritterschaft in Franken, in: A. Schindling / W. Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1600, Bd. 4: Mittleres Deutschland (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 52), Münster 1992, 182–213. Baumann, Anette / Jendorff, Alexander, Einleitung: Adelskultur(en) und Rechtskultur(en) in der Frühen Neuzeit als Problemzusammenhang, in: dies. (Hg.), Adel, Recht und Gerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Europa (bibliothek altes Reich 15), München 2014, 9–30.

81 Vgl. Frank, Standeserhebungen und Gnadenakte, Bd. IV, 193.

Bedeutung der Reichsritterschaft für Reformation und Gegenreformation in Franken

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Andreas Flurschütz da Cruz

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Autorinnen und Autoren

Bühler, Michael, Dr. des.: freier Historiker mit Fachgebiet Ortenauer Geschichte; Studium der Fächer Alte Geschichte, Mittelalterliche Geschichte und Psychologie in Freiburg i.Br.; 2016 Promotion an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. Publikationen (in Auswahl): Existenz, Freiheit und Rang. Handlungsmuster des Ortenauer Niederadels am Ende des Mittelalters (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in BadenWürttemberg B 222), erscheint Ende 2018. Flurschütz da Cruz, Andreas, Dr.: Akademischer Rat a.Z. am Lehrstuhl für Neuere Geschichte unter Einbeziehung der Landesgeschichte an der OttoFriedrich-Universität Bamberg; Studium der Fächer Geschichte und Romanistik in Bamberg, München und Madrid; 2013 Promotion in Bamberg; 2013–2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Publikationen (in Auswahl): Zwischen Füchsen und Wölfen. Konfession, Klientel und Konflikte in der fränkischen Reichsritterschaft nach dem Westfälischen Frieden (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 29), Konstanz– München 2014; Hexenbrenner Seelenretter. Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn und die Hexenverfolgungen im Hochstift Würzburg (1573–1617) (Hexenforschung 16), Bielefeld 2017; gemeinsam mit M. Häberlein, Jussuphs Geschichte. Agency, Kontingenz und Identität in der Epoche der Türkenkriege, in: J. u. M. Elvert (Hg.), Agenten, Akteure, Abenteurer. Beiträge zur Ausstellung „Europa und das Meer“ am Deutschen Historischen Museum Berlin, Berlin 2018, 199–220. Hinz, Wencke, M.A.: Doktorandin am Historischen Seminar an der Universität Osnabrück und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bomannmuseum Celle – Abteilung Residenzmuseum; Studium der Fächer Geschichte und Kunstgeschichte in Osnabrück; 2013–2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leibniz Universität Hannover. Publikationen (in Auswahl): Die Herrschaft des Adels im Fürstentum Lüneburg – eine Skizzierung am Beispiel der Landschaft, in:

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Autorinnen und Autoren

Vereinigte Westfälische Adelsarchive e.V. (Hg.), Zwischen Macht und Ohnmacht? Adelsherrschaft zwischen Rhein, Maas und Sauer, erscheint Ende 2018. Hrdlicˇka, Josef, Dr.: wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut ˇ eské Budeˇjovice/Budweis; Studium der Fächer der Südböhmischen Universität C Geschichte und Bohemistik in Budweis; 2009 Promotion und 2013 Habilitation in Budweis. Publikationen (in Auswahl): Víra a moc. Politika, komunikace a ˇ eské protireformace v prˇedmoderním meˇsteˇ (Jindrˇichu˚v Hradec 1590–1630), C Budeˇjovice 2013 [Habilitationsschrift]; Die Rolle des Adels im Prozess der Konfessionalisierung der böhmischen Länder am Anfang der Frühen Neuzeit, in: Ronald G. Asch/Václav Bu˚zˇek/Volker Trugenberger (Hg.), Adel in Südwestdeutschland und Böhmen 1450–1850, Stuttgart 2013, 77–94; Vrchnostenská meˇsta mezi konfesní pluralitou a „sˇlechtickou konfesionalizací“, in: O. Fejtová/V. Ledvinka/J. Pesˇek (Hg.), Meˇsto v prˇevratech konfesionalizace v 15. azˇ 18. století, Praha 2014, 59–84; gemeinsam mit J. Just / P. Zemek (Hg.), Evangelické církevní ˇ echách a na Moraveˇ 1520–1620, C ˇ eské Budeˇjovice rˇády pro sˇlechtická panství v C 2017. Jendorff, Alexander, apl. Prof. Dr.: Außerplanmäßiger Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Studiendirektor am Burggymnasium Friedberg; Studium der Fächer Geschichte und Klassische Philologie in Gießen, Leicester und auf der Humboldt-Universität Berlin; Erstes und Zweites Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien (1995, 2000); 1998 Promotion an der HU Berlin; 2009 Habilitation in Gießen; 2000–2016 (Ober-)Studienrat an der Goetheschule in Wetzlar. Publikationen (in Auswahl): Condominium. Typen, Funktionsweisen und Entwicklungspotentiale von Herrschaftsgemeinschaften in Alteuropa anhand hessischer und thüringischer Beispiele, (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 72), Marburg 2010; Religion und niederadeliger Eigensinn. Konfessionsbildung, ständische Selbstbehauptung und Fürstenherrschaft im Werra-Weser-Gebiet im langen 16. Jahrhundert (Beiträge zur Reformationsgeschichte in Thüringen 2), Jena 2015; gemeinsam mit A. Baumann (Hg.), Adel, Recht und Gerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Europa (bibliothek altes Reich 15), München 2014; gemeinsam mit H. Wunder / C. Schmidt (Hg.), Reformation – Konfession – Konversion. Adel und Religion zwischen Rheingau und Siegerland im 16. und 17. Jahrhundert. Beiträge der Tagung „Reformationen und Adel – vom Rheingau bis zum Siegerland“ am 26. Februar 2016 im Hessischen Hauptstaatsarchiv (Nassauische Annalen 128, 2017), Wiesbaden 2017. Jung, Martin, Prof. Dr.: Professor für Historische Theologie an der Universität Osnabrück; Studium der Evangelischen Theologie in Tübingen und Berlin; 1990

Autorinnen und Autoren

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Promotion und 1995/96 Habilitation an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Publikationen (in Auswahl): Philipp Melanchthon und seine Zeit, Göttingen 2010; Reformation und Konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2012; (Bearb.), Luther lesen. Die zentralen Texte, Göttingen 2016; Kirchengeschichte, Tübingen 2017. Schmidt-Voges, Inken, Prof. Dr.: Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Philipps-Universität Marburg; Studium der Fächer Mittlere und Neuere Geschichte, Soziologie, Fachjournalistik, Slawistik und Kunstgeschichte in Gießen und Kiel; 2003 Promotion an der Christian Albrechts-Universität Kiel; 2005–2014 wissenschaftliche Mitarbeit an der Universität Osnabrück; 2012 Habilitation in Osnabrück. Publikationen (in Auswahl): Mikropolitiken des Friedens. Semantiken und Praktiken des Hausfriedens im 18. Jahrhundert (bibliothek altes Reich 18), Berlin 2015; gemeinsam mit N. Jörn (Hg.), Mit Schweden verbündet – von Schweden besetzt. Akteure, Praktiken und Wahrnehmungen der schwedischen Herrschaft im Alten Reich während des Dreißigjährigen Krieges, Hamburg 2015; gemeinsam mit S. Derix / J. Eibach u. a. (Hg.), Das Haus in der Geschichte Europas. Ein Handbuch, Berlin 2016; gemeinsam mit A. Crespo Solana (Hg.), New worlds? Transformations in the culture of international relations c. 1713, Aldershot 2017. Sladeczek, Martin, Dr.: wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Thüringische Landesgeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU); Studium der Fächer Mittelalterliche Geschichte, Neuere Geschichte und Volkskunde/Kulturgeschichte in Jena; 2017 Promotion in Jena; 2016–2018 Reformationsbeauftragter und Kuratorentätigkeit in Arnstadt; Mitarbeit an versch. weiteren Ausstellungsprojekten sowie freiberufliche Forschungsprojekte. Publikationen (in Auswahl): (Hg.), Wandel & Beständigkeit. Die Reformation in Arnstadt und Umgebung, Ausstellungskatalog, Arnstadt 2017/18, Petersberg 2017; Vorreformation und Reformation auf dem Land in Thüringen. Strukturen – Stiftungswesen – Kirchenbau – Kirchenausstattung (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 9), Köln–Weimar–Wien 2018; (Hg.), Die Arnstädter Oberkirche. Klosterkirche – Stadtkirche – Residenzkirche, Petersberg 2018. Weckenbrock, Olga, Dr.: Lehrerin im niedersächsischen Schuldienst; Studium der Fächer Geschichte und Germanistik in Osnabrück; 2012 Promotion in Osnabrück; 2005–2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Osnabrück und der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Publikationen (in Auswahl): Adel auf dem Prüfstand. Strategien der Selbstbehauptung bei Ernst (1738–1813) und Ludwig (1774–1844) Freiherren von Vincke (Westfalen in der

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Autorinnen und Autoren

Vormoderne 20), Münster 2014; Von Interessen und Pflichten. Der Osnabrücker Adel und das Kirchenpatronat im Reformationszeitalter, in: S. Tauss / U. Winzer (Hg.), Miteinander leben? Reformation und Konfession im Fürstbistum Osnabrück 1500–1700, Münster–New York 2017, 199–212; Politische Kultur in Livland nach dem Herrschaftswechsel von 1710, in: H.-J. Bömelburg / S. Westphal / H. Wunder (Hg.), Adelskulturen im Baltikum, erscheint Ende 2018.