Der Tod der Königin: Frauenopfer und politische Souveränität im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts 9783110201512, 9783110181173

Peter-André Alt examines the political role accorded to queens in the Early Modern Age, using 17th century German and En

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German Pages 271 Year 2004

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Frontmatter
Inhalt
I. Was stirbt, wenn die Königin stirbt? Die Monarchin in der politischen Theologie der Frühen Neuzeit
II. Die Königin als Märtyrerin (Gryphius, Hallmann)
III. Die Königin im Krieg (Lohenstein)
IV. Die Königin unter dem Gesetz der Natur (Weise, Lohenstein, Hallmann)
V. Die Königin im Reich des Scheins (Riemer, Haugwitz)
Epilog: Requiem für die Königin
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Der Tod der Königin: Frauenopfer und politische Souveränität im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
 9783110201512, 9783110181173

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I Peter-André Alt Der Tod der Königin

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Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer

Herausgegeben von

Ernst Osterkamp und Werner Röcke

30 (264)

Walter de Gruyter · Berlin · New York

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Der Tod der Königin Frauenopfer und politische Souveränität im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts

von

Peter-André Alt

Walter de Gruyter · Berlin · New York

IV

Ü Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-018117-7 ISSN 0946-9419 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © Copyright 2004 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co.KG, Göttingen

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Elisabeth I (1533–1603) Oh fortune, thy wresting wavering state Hath fraught with cares my trouble wit, Whose witness this present prison late Could bear, where once was joy’s loan quit. Thou causedst the guilty to be loosed From bands where innocents were inclosed, And caused the guiltless to be reserved, And freed those the death had well deserved. But all herein can nothing wrought, So God send to my foes all they have thought.1 Written on a Wall at Woodstock (1554)

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The poems of Queen Elizabeth I, edited by Leicester Bradner, Providence (Rhode Island) 1964, S. 3.

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Vorwort Das vorliegende Buch, dessen Kernthese erstmals im Rahmen meiner Würzburger Antrittsvorlesung (April 2003) öffentlich vorgestellt wurde, unternimmt den Versuch, an der literarischen Figur der sterbenden Königin die politische Logik des Frauenopfers zu rekonstruieren, die sich aus den Rechts- und Herrschaftsstrukturen der Frühen Neuzeit (vor allem des 17. Jahrhunderts) ableiten läßt. Die Auseinandersetzung mit dem gesamten Themenkomplex geht auf die Arbeit der von Rudolf Behrens initiierten DFG-Forschergruppe Imagination und Kultur (Universität Bochum) zurück, der ich zwischen 1999 und 2002 angehörte. Sie regte mich dazu an, die Frage nach dem funktionalen Zusammenhang von politischer Souveränität, Körper und Geschlecht in der Literatur des 17. Jahrhunderts genauer zu verfolgen. Als exemplarisches Untersuchungsfeld erwies sich das barocke Trauerspiel, dessen Haupt- und Staatsaktionen die Gestalt der Königin in unterschiedlichen Rollenmustern und Amtsauffassungen vorführen, dabei aber stets von einem zentralen Befund ausgehen: von der strukturellen Paradoxie und juristischen Ambivalenz weiblicher Macht. Leitfaden meiner Lektüren blieb die Beobachtung des Zusammenwirkens von Imaginärem und politischer Herrschaft, wie es sich in Körperbildern, Handlungslehren, Machttheorien, Geschlechtermodellen und anthropologischen Konzepten der Frühen Neuzeit abzeichnet. Dem genauen Lesen erst vermittelt sich, daß das barocke Theater die Königin in Grenzsituationen präsentiert, die ihrerseits Rückschlüsse auf die seit der Mitte des 17. Jahrhunderts anlaufende funktionale Neubestimmung politischer Herrschaft im Übergang zur Moderne zulassen. Das Sterben der Königin enthüllt die Widersprüche weiblicher Regentschaft in einem männlich konditionierten Souveränitätssystem. Während die Hofmalerei des 17. Jahrhunderts eine derartige Paradoxie hinter den glanzvollen Bildern mythisierender Huldigung verbirgt, legt das Trauerspiel sie offen, indem es die Königin als ambivalente Grenzfigur zwischen Potentatentum und Agonie, Autorität und Gefangenschaft, Hybris und Martyrium inszeniert. ‚Der Tod der Königin‘: das ist die letzte Markierung, an der die Verwerfungen und Gefährdungen weiblicher Herrschaft, vermittelt durch das Sinnbild des Opfers, sichtbar werden dürfen. Das Paradoxon der ohnmächtigen Macht, das hier zutage tritt, be-

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Vorwort

zeichnet Katharina von Aragon in Shakespeares Henry VIII (1613/1623) mit einer schwer übersetzbaren Formel, die auch das Motto für dieses Buch liefern könnte: „Embalme me, | Then lay me forth (although vnqueen’d) yet like | A Queene, and Daughter to a King enterre me.“ („Ihr sollt mich balsamieren, dann zur Schau | Ausstellen: zwar nicht Kön’gin, doch begrabt mich | Als Königin und eines Königs Tochter.“)1 Würzburg, im Dezember 2003

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Peter-André Alt

William Shakespeare, The Famous History of the Life of King Henry the Eight (1623), Complete Works, Vol. VIII, IV,2, v.217 ff. – Übersetzung von Wolf Graf von Baudissin, redigiert durch Ludwig Tieck.

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Inhalt

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII I

Was stirbt, wenn die Königin stirbt? Die Monarchin in der politischen Theologie der Frühen Neuzeit . . . . 1. 2. 3. 4. 5. 6.

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II Die Königin als Märtyrerin (Gryphius, Hallmann) . . .

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III Die Königin im Krieg (Lohenstein) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Sold der Sünde . . . . . Die inszenierte Cleopatra . Erinnerung und Imagination Afrikas Penthesilea . . . . . Mythische Denkformen . .

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1. 2. 3. 4. 5.

Das Leiden der Catharina von Georgien . Stellvertretungen . . . . . . . . . . . . . Eschatologie des Fleisches . . . . . . . . Herodes und Mariamne . . . . . . . . . Entheiligung der Ehe . . . . . . . . . . .

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1. 2. 3. 4. 5.

Begräbnisrituale . . . . . . . . . . . . . . . . . Vicarius Dei et Christi . . . . . . . . . . . . . . Die Königin – ein König ohne zweiten Körper Ordnungen der Partizipation . . . . . . . . . . Hofmalerei und Drama . . . . . . . . . . . . . Typologie des Opfers . . . . . . . . . . . . . .

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IV Die Königin unter dem Gesetz der Natur (Weise, Lohenstein, Hallmann) . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. 2. 3. 4.

Maria von Medici oder: Der Courtisan mit der Krone Inzest und Dämonisierung . . . . . . . . . . . . . . . Die Mutter des Sultans . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewalt als Fluch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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128 138 149 153

X

Inhalt

5. Die Absetzung der Katharina von Aragon . . . . . . . . . . . 157 6. Das Imaginäre und die performance . . . . . . . . . . . . . . . 165

V Die Königin im Reich des Scheins (Riemer, Haugwitz) 170 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Elisabeth I.: Virginität und Mythos Der englische Phönix . . . . . . . . Maria Stuarts Passionsgeschichte . . Administration und Macht . . . . . Die Zerstreuung der Souveränität . Schlafende Regenten . . . . . . . . Der Vorhang fällt . . . . . . . . . .

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Epilog. Requiem für die Königin . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

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Begräbnisrituale

I Was stirbt, wenn die Königin stirbt? Die Monarchin in der politischen Theologie der Frühen Neuzeit wretched Queene adiew1

1. Begräbnisrituale Die Beerdigung Elisabeths I. am 28. April 1603 war ein öffentliches Ereignis. Tausende trauernder Menschen säumten, so heißt es in Augenzeugenberichten, die Straßen Londons, um den Leichenzug zu sehen, der sich langsam von Whitehall zur Westminster Abbey bewegte.2 Nach zeitgenössischer Tradition hatte man eine Wachsfigur vom Körper der Königin angefertigt, die in purpurfarbenem Ornat, bestückt mit den Insignien der Herrschaft, auf dem blumengeschmückten Sarg lag („The lively Picture of her Majesties whole body, in her parliament robes, with a crowne on her head, and a scepter in her hand, lying on the corpes inshrined in leade, and balmed“3). Die kunstvoll drapierte Gestalt wirkte derart lebensecht, daß die Zuschauer bei ihrem Anblick in lautes Klagen und Weinen ausbrachen. Am Ende der feierlichen Zeremonie wurde Elisabeths einbalsamierter Leib in der Gruft ihres Großvaters, Heinrich VII., bestattet.4 Ihr Nachfolger James I., der Sohn Maria Stuarts, ließ wenig später im Nordgang der Lady Chapel zu ihrem Gedächtnis

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William Shakespeare, The Tragedie of Hamlet, Prince of Denmarke (1603). The Complete Works. Reprinted from the First Folio (1623). Edited by Charlotte Porter and Helen Archibald Clarke. 13 Bände, London 1906, Vol. XI, V,2, v.319 (Hamlets Abschiedsformel für die ‚arme Königin‘ bezieht sich, nicht frei von Ironie, auf die vergiftete Gertrud). Jennifer Woodward, The Theatre of Death. The Ritual Management of Royal Funerals in Renaissance England 1570–1625, Woodbridge (Suffolk) 1997, S. 87 ff., Paul Johnson, Elizabeth I. A Study in Power and Intellect, London 1974, S. 440 f. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth. 3 Volumes, London 1823. Reprint New York 1965, Vol. III, S. 625; vgl. auch die zeitgenössische Zeichnung der Prozession S. 624. Zur Herrscherbeerdigung in der Frühen Neuzeit Philippe Ariès, Geschichte des Todes. Aus dem Französischen v. Hans-Horst Henschen u. Una Pfau, München 1980, S. 461 f., ferner Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch. Studien zur Bildfunktion der Effigies, Berlin 1966, S. 98 ff.

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Was stirbt, wenn die Königin stirbt?

1. Maximilian Colt, Jan de Gritz: Grabmal Elisabeths I. (1533–1603) in der Lady Chapel der Westminster Abbey, London.

ein weißes Marmordenkmal errichten, das der Hofbildhauer Maximilian Colt und der Maler Jan de Gritz gestalteten. Es zeigt unter einem Baldachin die ausgestreckt ruhende, Reichsapfel und Zepter haltende Monarchin, zu deren Füßen zwei schläfrige Löwen dämmern: ein Bildnis der Macht im Stadium des Todes. Francis Bacon, der zwischen 1590 und 1593 als persönlicher Rechtsberater Elisabeths („counsel extraordinary“) amtierte, schrieb 1609 im Rückblick auf ihre 45 Jahre dauernde Herrschaft: „But the truth is that the only true commender of this lady is time, which, so long as course as it has run, has produced nothing in this sex like her, for the administration of civil affairs.“5 Diese glorifizierende Charakteristik verdeckt den Umstand, daß die Königin nicht nur das Haupt eines glanzvollen Imperiums, sondern zugleich die umstrittene Repräsentantin einer mächtigen Dynastie war, die mit ihrem Tod unterging. Schon zu Lebzeiten wurde ihre Herrschaft zur geheimen Chiffre für die Fragilität der politischen Macht, denn ihr fehlte nach dem Verständnis der Kronjuristen ein entscheidendes Merkmal der Stabilität: der Sohn,

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Francis Bacon, On the Fortunate Memory of Elizabeth Queene of England (1609/10), in: The Works of Francis Bacon, collected and edited by James Spedding, London 1857–74. Vol. VI, S. 305–318, S. 318. Zu Bacons Verständnis der korporativen Dimension der Monarchie David George Hale, The Body Politic. A Political Metaphor in Renaissance English Literature, The Hague, Paris 1971, S. 107 ff.

Begräbnisrituale

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der sie fortführen konnte.6 James I., bereits seit 1567 König von Schottland, übernahm daher sein neues Amt nur wenige Stunden nach Elisabeths Ende („qui post pauculas horas faustissimis omnium acclamationibus Rex declaratus“ schreibt Camden7), um im schwierigen Augenblick des Erlöschens der dynastischen Tradition die reibungslose Abfolge der Herrschaft unter Beweis zu stellen. Demonstrativ schmückte er sich mit der – erstmals 1521 von Papst Leo X. verliehenen – Titulierung Defender of the Faith (‚Verteidiger des Glaubens‘), die nicht nur die theokratische Begründung, sondern auch die Kontinuität des Imperiums beschwor.8 Elisabeth wurde durch französische und schottische Diplomaten in der höfischen Korrespondenz bisweilen mit dieser Formel der Kurie angesprochen („Grace of God Queene of England Fraunce and Ireland Defendor of the Faith“9), jedoch pflegte sie selbst den Titel als überzeugte Protestantin öffentlich nicht zu benutzen. Der Nachfolger knüpfte auf solche Weise programmatisch an die Epoche Heinrichs VIII. an, als dessen legitime Erbin Elisabeth sich – unter erheblichen juristischen Widersprüchen – stets begriffen hatte. Was stirbt, wenn die Königin stirbt? Für den Normalfall männlicher Herrschaft hatte die politische Theologie des ausgehenden Mittelalters Interpretationsformen erarbeitet, die das Sterben des Regenten nicht als Störung, sondern als Bekräftigung dynastisch geregelter Kontinuität auszulegen erlaubten. Nach einer seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bestehenden Rechtsauffassung bedeutete der Tod des Monarchen die Übergabe der seinem Leib inkorporierten Institution des Königtums an den Nachfolger. Bereits im Spätmittelalter wurde dieser status iuris durch rituelle Handlungen vergegenwärtigt (wobei der Ritus hier als Inszenierung zu betrachten ist, die Vorstellungsinhalte nicht illustriert, sondern – im Vorgang der Wiederholung – 6

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Vgl. Louis A. Montrose, Elisabeth hinter dem Spiegel: Die Ein-Bildung der zwei Körper der Königin, in: Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt seit 1500, hg. v. Regina Schulte, Frankfurt/M. 2002, S. 67–99. William Camden, Rerum Anglicarum et Hibernicarum Annales, Regnante Elisabetha. Ultima Editio, Lugdunum Batavorum 1639 (zuerst 1615), S. 856. Vgl. Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert. 3 Bände, Stuttgart 1954–56, Bd. III, S. 1053. – Der Titel Defender of the Faith (abgekürzt als FD), der bekanntlich bis heute von den britischen Monarchen getragen wird, auch wenn seine juristische Basis ebenso hinfällig geworden ist wie die konfessionelle Bindung an die Kurie, die er ursprünglich zum Ausdruck brachte, wurde Heinrich VIII. im Jahre 1521 durch den Papst verliehen und bedeutete eine Auszeichnung für entschlossenen Kampf gegen das Reformwerk Luthers. George Holmes (Hg.), Foedera, Conventiones, Literae, et cujuscunque generis Actapublica, inter Reges Angliae (…), Tomus VI (1741), Reprint Meisenheim/Glan 1967, Pars III et IV, S. 135.

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Was stirbt, wenn die Königin stirbt?

selbst produziert10). Als Heinrich VII. am 21. April 1509 starb, verkündete ein Herold öffentlich das Ende des alten und die Inthronisation des neuen Regenten, indem er ausrief: „The Noble Kynge Henry the seaventh is deade – Vive Le noble Roy Henry le VIIIme“. Diese Wendung verfestigte sich später zu einer allgemein gehaltenen Doppelformel, die erstmals in Frankreich im Jahr 1547 aus Anlaß der Beerdigung von Franz I. benutzt worden sein soll: „Le roi est mort! Vive le roi!“11 Das Heroldsritual beschwört dynastische Kontinuität unter den Bedingungen der Sterblichkeit des Menschen, indem es „eine Namensänderung in der ununterbrochenen Herrschaft“ bezeichnet.12 Dahinter steht eine Denkfigur, welche die strukturelle Einheit der Monarchie im Wechsel der sie repräsentierenden Personen hervorhebt: „Imperium semper est.“ Ernst Kantorowicz, der Ahnvater jeder kulturwissenschaftlich orientierten Auseinandersetzung mit der politischen Theologie des Spätmittelalters, spricht von „‚Sempiternität‘“, um die hier anklingende Vorstellung einer immerwährenden, durch Dynastien gesicherten Kontinuität der Herrschaftsinstitution zu umreißen.13 Wie stark das traditionsreiche Denkmodell der ‚Sempiternität‘ noch die Optik der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts beeinflußt, zeigt Theodor Mommsens Aussage über das römische Rechtsverständnis und dessen Bestimmung des höchsten Staatsamtes: „Das Königthum ist ewig; es koennte umgenannt, verdoppelt, verkürzt, beschränkt, aber nicht aufgehoben werden.“14

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Walter Burkert, Homo Necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen, Berlin, New York 1972, S. 37. Näher zum Ritualbegriff und dessen Bindung an eine institutionelle Handlung (die der Kultus nicht aufweist) Wolfgang Braungart, Ritual und Literatur, Tübingen 1996, S. 57 ff. Vgl. Marc Bloch, Die wundertätigen Könige. Mit einem Vorwort von Jacques Le Goff. Aus dem Französischen übers. v. Claudia Märtl, München 1998 (= Les rois thaumaturges, 1924), S. 244, ferner Ralph E. Giesey, The Royal Funeral Ceremony in Renaissance France, Genève 1960, S. 3 ff. Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch, S. 84. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters. Übers. v. Walter Theimer, München 1990 (= The King’s two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, 1957; Übers. Nach der zweiten, korr. Aufl. von 1966), S. 285. Kantorowicz’ Arbeit, die in Deutschland zunächst nur sporadisch rezipiert wurde, hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Forschungsbeiträgen zu Fragen der politischen Körperschaft angeregt. Vgl. exemplarisch den Kantorowicz-Band der Zeitschrift Tumult (Nr. 16, 1993), ferner (mit weiteren Literaturhinweisen) Wolfgang Ernst u. Cornelia Vismann (Hg.), Geschichtskörper. Zur Aktualität von Ernst H. Kantorowicz, München 1998 sowie Jennifer Woodward, The Theatre of Death, S. 93 ff.; zuletzt Friedrich Balke, Wie man einen König tötet oder: Majesty in Misery, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 75 (2001), S. 657–679. Theodor Mommsen, Iudicium legitimum (1891), in: Ders., Juristische Schriften. Bd. III, Berlin 1907, S. 356–374, S. 373. Vgl. auch Mommsens Darstellung der Abschaffung der

Begräbnisrituale

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Zwischen dem Tod des Monarchen und der Inthronisation seines Nachfolgers, die zumeist am Beerdigungstag stattfand, lag bereits im Mittelalter eine Reihe von „‚aufschiebenden‘ zeremoniellen Vorkehrungen“, welche die Fortdauer der Institution in der Präsenz des Leibes zu symbolisieren hatten.15 Im England der Tudor-Epoche verstrich zuweilen ein ganzer Monat mit Trauerfeiern, ehe der Herrscher begraben und der Nachfolger gekrönt wurde; in Frankreich bürgerte sich im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts der Brauch ein, den verstorbenen Monarchen rasch zu beerdigen, danach jedoch im Rahmen symbolischer Ersatzinszenierungen die eigentlichen – oft über mehrere Wochen sich erstreckenden – Exequien zu vollziehen. Zu ihnen gehörte der von einem Architekten überwachte Aufbau eines Trauergerüsts (castrum doloris), auf dem man mit theatralisch-choreographischen Mitteln, oft unterstützt durch allegorische Bühnenarrangements, die Entrückung und Apotheose des verstorbenen Königs vorführte. Baumeister, Maler und Bildhauer arbeiteten wochenlang an den komplizierten Details derartiger Totenfeiern16; Dekorationen und ikonische Darstellungen wurden – ergänzt durch Trauergedichte und Redetexte – nach der Grablegung in kostbar ausgestatteten Funeralwerken dokumentiert, die einen Eindruck vom Glanz des Festaktes vermitteln sollten.17 Als Heinrich IV. am 14. Mai 1610 an den Folgen eines Attentats starb, balsamierte man seinen Leichnam ein und bahrte ihn für die Dauer von drei Wochen im Louvre auf, der für das Trauerdefilee der Bevölkerung Tag und Nacht geöffnet blieb. Der Tote lag auf seinem Prachtbett, ausgestattet mit den königlichen Insignien, wie eine Allegorie des herrscherlichen Willens, der niemals stirbt.18

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Monarchie durch den Volksaufstand gegen die Tarquinier (508 v. Chr.), die er als Akt einer ‚konservativen Revolution‘ bezeichnet; das Königsamt könne man nicht „teilen“ oder offiziell beseitigen, sondern einzig „verdoppeln“ (hier durch die Institution des Konsulats), denn es lasse sich nur „durch sich selber vernichten“ (Th. M., Römische Geschichte. Bd.I, Berlin 1856 [2. Aufl., zuerst 1854], S. 257, 247). Georg Braungart, Hofberedsamkeit. Studien zur Praxis höfisch-politischer Rede im deutschen Territorialabsolutismus, Tübingen 1988, S. 206. Dieser Aufwand blieb der Trauerfeier für regierende Fürsten vorbehalten. Eine Ausnahme bildete die Beerdigung des am am 17. Oktober 1586 verstorbenen Sir Philip Sidney, die von prunkvollen Zeremonien bestimmt war; vgl. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. II, S. 483 ff. Vgl. Jill Bepler, Ansichten eines Staatsbegräbnisses. Funeralwerke und Diarien als Quelle zeremonieller Praxis, in: Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Jörg Jochen Berns u. Thomas Rahn, Tübingen 1995, S. 183–197. „Der Wille des Königs“, so heißt es über die Schaustellung des Toten bei Heinrich Mann, „herrscht bis jetzt.“ (Heinrich Mann, Die Vollendung des Henri Quatre [1938]. Mit einem Nachwort von Hans Mayer und einem Materialienanhang, zusammengestellt von PeterPaul Schneider, Frankfurt/M. 1981, S. 931).

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Was stirbt, wenn die Königin stirbt?

Den im Laufe des 17. Jahrhunderts immer prunkvoller werdenden Pompes funèbres ging zuweilen, wie Georg Braungart in Erinnerung gerufen hat, der erschreckende Ritus der Leichenzerstückelung voraus, dessen Zweck darauf beruhte, den Körper des Herrschers in einzelne bedeutungstragende Reliquien zu zerlegen.19 Man entnahm dem Toten Herz, Gehirn, Zunge und Augen, verschloß sie in kostbar geschmückten Bechern und stellte diese öffentlich auf dem castrum doloris aus. Hinter diesem Verfahren steckte nicht der Glaube an die Magie des Königsleibs, sondern eine ins Extrem getriebene Idee der Repräsentation, der die Annahme zugrunde lag, daß die Allgegenwart des Herrschers auch an der fragmentarisierten Leiche – einem doppelt beschädigten Zeichen – anschaulich hervortrete. Körperteile, aber ebenso Kleidungsstücke und Machtinsignien, die man auf Prunkbetten (den chambres mortuaires) oder in kunstvoll austaffierten Schaugemächern arrangierte, sollten die Anwesenheit des verstorbenen Monarchen und mit ihr die im Bruchstück sichtbare Autorität seines Amtes demonstrieren.20 Im Reliquienkult des 17. Jahrhunderts kulminierte die Vorstellung von der ‚Sempiternität‘ der Regierungsgewalt, die in den symbolischen Requisiten der Trauersäle und Schaugerüste an der sinnlichen Evidenz des Scheins bekräftigt wurde.21 Der Auslöser der Pompes funèbres, die man mit Walter Burkert auch als Modelle „aitiologischer Erzählungen“ bezeichnen kann, war die Angst vor dem Machtvakuum im Moment des Herrscherwechsels.22 Der Tod wurde

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Georg Braungart, Hofberedsamkeit, S. 207 f. Zur Historie der Totenmaske immer noch instruktiv Julius v. Schlosser, Tote Blicke. Geschichte der Portätbildnerei in Wachs. Ein Versuch (1910/11), hg. v. Thomas Medicus, Berlin 1993, bes. S. 54 ff. Vgl. Georg Braungart, Der Tod des Körpers des Herrschers. Begräbnisrituale als Zeichenprozesse, in: Theatralität und die Krisen der Repräsentation, hg. v. Erika Fischer-Lichte, Stuttgart, Weimar 2001, S. 28–41, S. 38 f. (liest die in der Schaustellung vollzogene Fragmentierung des Herrscherkörpers als Analogon zur Bewegung der Metonymie). Eine böse Persiflage des Ritus der Leichenzerstückung bietet Christian Weise in seinem Trauerspiel Masaniello (1683). Nach der Niederschlagung des Aufstands wird Masaniello, der Anführer der Rebellen, öffentlich in Stücke gerissen; der Narr Allegro berichtet, daß das Volk die Leichenteile als Reliquien kaufe, in denen sie den Toten verehren. „Was meint ihr nun / wie viel ehrliche Leute ich damit werde betheilen koennen / und wieviel Ducaten ich vor ein klein bißgen werde fodern moegen? Ich halte immer / wo mir der Handel gut von statten gehet / so erschlag ich ein paar Bauer / und verkauffe ihr zerhacktes alles vor solches Fleisch.“ (Christian Weise, Trauer=Spiel von dem neapolitanischen Haupt=Rebellen Masaniello [1683], Sämtliche Werke, hg. v. John D. Lindberg u. a., Berlin 1971 ff., Bd.I, S. 365 [V,23]). Walter Burkert, Kulte des Altertums. Biologische Grundlagen der Religion, München 1998, S. 139. Der Begriff bezeichnet die Tatsache, daß der Begräbnisritus eine archetypische Form menschlichen Verhaltens – die Bannung der Angst durch Symbole – in die Praxis umsetzt.

Begräbnisrituale

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„wie jeder Übergang“ als „Gewalt“ wahrgenommen, die das Kontinuum der politischen Macht bedrohte.23 Einbalsamierung, kostbare Einkleidung, Aufbahrung und Schaustellung des gestorbenen Herrschers weckten daher die Illusion des Lebens, bis Huldigung und Krönung des neuen Regenten vollzogen waren; zu Kultobjekten und Reliquien verklärte Insignien oder Körperteile erzeugten die Fiktion der Dauer auch im Moment der Unterbrechung: die Illusion eines Herrschaftsganzen im Augenblick des Machtwechsels.24 Die Totenfeiern für den Monarchen bildeten mithin keine ‚rites de passage‘ (Arnold van Gennep), sondern dienten der Suggestion einer Kontinuität der politischen Macht, die auch der Tod nicht durchkreuzen durfte.25 Die stummen Inszenierungen von Requisiten der Krone, die man in Trauersälen und auf Schaugerüsten vorführte, demonstrierten die unaufhebbare Einheit von Leib und Amt, indem sie das Sterben des Königs als Form der Herrschaftstradierung innerhalb eines geschlossenen Systems institutioneller Ordnung auswiesen. Die Beerdigung des Regenten erinnerte damit an die Koexistenz von natürlichem und politischem Körper, die im Tod eigentlich zerfallen ist, faktisch aber – zum Zweck der Sicherung institutioneller Macht – stets aufrechterhalten werden muß. Auch der Körper des toten Königs bleibt ein Zeichen, dessen zwei Seiten zusammengehören. Der Begräbnisritus erzeugt die Illusion einer Entität dieser Seiten: dem Signifikanten des organischen Leibes, der sichtbar, aber in seiner Personenbindung vergänglich ist, ordnet er das Signifikat des politischen Leibes zu, der unsichtbar, doch in seiner Personenunabhängigkeit dauerhaft ist.26 Die Leiche erscheint so als „Staatsverkörperung“ in einer Phase der gefährdeten Stabilität, die erst durch den eigentlichen Machtwechsel nach der

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René Girard, Das Heilige und die Gewalt. Aus dem Französischen v. Elisabeth Mainberger-Ruh, Zürich 1987 (= La Violence et le sacré, 1972), S. 462. Das Wachsbild, das zumeist neben dem Herrschergrab aufgestellt wird, soll die Gegenwart der Macht seinerseits unterstreichen (vgl. Julius v. Schlosser, Tote Blicke, S. 20 ff., 54 ff., Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch, S. 96 ff.). Die hier vollzogene Repräsentation der Staatsgewalt begegnet jedoch nicht allein der Gefahr des Machtvakuums im Moment des Herrscherwechsels, sondern bezeichnet generell die Kontinuität der Institution; dazu die Auslegung bei Horst Bredekamp, Thomas Hobbes Der Leviathan. Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder, Berlin 2003 (2., stark veränderte Aufl., zuerst 1999), S. 100 f. Arnold van Gennep, Übergangsrituale. Aus dem Französischen von Klaus Schomburg u. Sylvia M. Schomburg-Scherff, Frankfurt/M., New York 1986 (= Les rites de passage, 1909), bes. S. 142 ff. Van Gennep begreift Bestattungsrituale vor allem als „Rites de séparation“, während das – von ihm bezeichnenderweise nicht näher betrachtete – Zeremoniell des Herrscherbegräbnisses gerade die Fortdauer der Institution der Macht anzuzeigen sucht. Analog auch die semiotische Lesart des frühneuzeitlichen Herrscherbegräbnisses bei Georg Braungart, Der Tod des Körpers des Herrschers, S. 32 f.

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Beerdigung überwunden wird.27 Anders als der antike Bestattungsritus, der eine „Prozession“ auf dem „Weg vom Drinnen ins Draußen“ bezeichnet, ist das Herrscherbegräbnis seit dem Mittelalter eine symbolische Inszenierung von Kontinuität und Präsenz, die nicht die ‚passage‘ zwischen Königen, vielmehr die ununterbrochene Fortdauer der politischen Autorität beschwört.28 ‚Symbolisch‘ meint hier keine Form bloßer Illustration, sondern eine Wirklichkeit schaffende Qualität, wie sie zumal an der Symbolverwendung bei religiösen Riten oder – mit freierer Kombination der einzelnen Zeichenelemente – in frühneuzeitlichen Hofzeremonien zu beobachten ist.29 Die Realität, die der Akt der Grablegung des Regenten zeigt, offenbart eine durch die ästhetische Modellierung des Herrscherkörpers gewonnene Version der Vergegenwärtigung monarchischer Kontinuität: eine im Bild herbeigeführte Erzeugung einer spezifischen Zeichenwirklichkeit, die auf die eminente politische Bedeutung des Königsleibs verweist. „La souverainité est la puissance absolue et perpetuelle d’une république“, bemerkt Jean Bodin 1583 in seiner großen Abhandlung über Politik, Regierung und Obrigkeit;30; wenn die Souveränität als Synonym für ‚Herrschergewalt‘ und ‚Dauer‘ des Staates gilt, dann muß die Monarchie im Moment des Todes des Königs das Kunststück vollbringen, die Kontinuität der Institution der Krone mit symbolischen Mitteln unter Beweis zu stellen.31 In der Welt der souveränen Herrschaft existieren keine Formen der Abwesenheit, sondern nur unterschiedliche Grade der Sichtbarkeit der Macht, deren Zeichensprache auf ein jeweils identisches Zentrum der Verkörperung der Regierungsgewalt deutet.

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Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch, S. 40. Walter Burkert, Homo Necans, S. 63. Zum Realitätsbegriff des Symbols vgl. Walter Burkert, Homo necans, S. 17 f., zur Differenz von genau fixiertem, auf feste Bedeutungen zurückgreifendem Ritual und Bedeutung erst stiftender Zeremonie Georg Braungart, Der Tod des Körpers des Herrschers, S. 30 f.; zum Verhältnis von Wiederholung und Ritual Wolfgang Braungart, Ritual und Literatur, S. 74 f. Vgl. für die mittelalterliche Bedeutung des Zeremoniells Gerd Althoff, Der König weint. Rituelle Tränen in öffentlicher Kommunikation, in: ‚Aufführung‘ und ‚Schrift‘ in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Jan-Dirk Müller, Stuttgart, Weimar 1996, S. 239–251. Jean Bodin, Six livres de la république. Avec l’apologie de R. Herpin. Faksimiledruck der Ausgabe Paris 1583, Aalen 1961, lib.I, cap.8, S. 122. Zu differenzieren ist hier zwischen der spätmittelalterlichen Herrschertheologie, die den Leib des Monarchen als unmittelbares Anschauungsobjekt seiner Macht betrachtet, und der im europäischen Absolutismus aufkommenden Vorstellung einer zeichenhaften Form der Repräsentation dieser Macht durch den Körper. Zur Logik der Repräsentation Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Aus dem Französischen v. Ulrich Köppen, Frankfurt/M. 1974 (= Les mots et les choses, 1966), S. 78 ff.

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2. Vicarius Dei et Christi Die Idee der Koexistenz von natürlichem (vergänglichem) und politischem (ewigem) Körper begründet sich durch das Mysterium der zwei Körper Christi, aus dem die englischen Kronjuristen des Spätmittelalters die Vorstellung des in seiner Einheit doppelten Königsleibs ableiteten.32 Locus classicus für die Übertragung dieses Modells auf die Architektur herrscherlicher Macht ist der zwölfte Römerbrief des Apostel Paulus, in dem es heißt: „Denn gleicherweise wie wir an einem Leibe viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder einerlei Geschäft haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des anderen Glied, und haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.“33 Tertullian (160 – ca. 220 n. Chr.) bemerkt in seiner Abhandlung De resurrectio carnis über die Einheit von Natur und Ewigkeit im Körper des Erlösers: „Atquin si lumen ipsum illud verum, quod est in persona Christi, vitam in se continet, eaque vita cum lumine commititur in carnem (…)“34 Die kirchenrechtliche Konsequenz dieser Konstruktion bringt Simon von Tournai in seinen Disputationes, die im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts entstanden, durch eine Formel zum Ausdruck, die anzeigt, wie die Kanoniker den mystischen (spirituellen) Aspekt der Doppelleiblichkeit auf die Ebene der institutionellen (korporativen) Bedeutung überführten: „Duo sunt corpora Christi. Unum materiale, quod sumpsit de virgine, et spirituale collegium, collegium ecclesiasticum.“35 Der Körper des Erlösers bezeichnet nicht nur einen fleischlichen Menschenleib, sondern zugleich – nach dem Muster einer Allusion seines eschatologischen Sinns – die Repräsentation der Gemeinde als Sammelpunkt der Gläubigen, an dem die Botschaft des Heils verwaltet wird. In ihm kommt auch die gesellschaftliche Botschaft des Christusopfers zur Anschauung, das die Sterblichen zu einem Bund vereint, welcher auf Erden die Erlösung in der civitas Dei schon andeuten und zumindest symbolisch vorwegnehmen darf. 32

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Kantorowicz spricht diesbezüglich von ‚politischer Christologie‘ (Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 173; vgl. S. 40f.). Zu den christologischen Implikationen des Modells Piyel Haldar, Königs-Christologie und Synthronos Dike. Inkorporation, Assoziation, Unähnlichkeit, in: Wolfgang Ernst, Cornelia Vismann (Hg.), Geschichtskörper, S. 145–159. Röm. 12,4–6. Die erste nennenswerte Verwendung der Körpermetapher als Sinnbild für den Staat findet sich bei Platon, Politeia (556d) (Sämtliche Werke, nach der Übers. v. Friedrich Schleiermacher mit der Stephanus-Numerierung hg. v. Walter F. Otto, Ernesto Grassi u. Gert Plamböck, Reinbek b. Hamburg 1958, Bd. III, S. 257). Tertullian, De resurrectione carnis. Patrologiae cursus completus. Series latina. 221 Bde., hg. v. Jacques-Paul Migne, Paris 1844–1864 (= PL), Bd. 2, Sp.791–886, hier Sp.857 (cap.XLIV). Simon von Tournai, Disputatio LXXI, in: Joseph Warichez (Hg.), Spicilegium sacrum Lovaniense. Bd. XII (Les disputations de Simon de Tournai), Louvain 1932, S. 203.

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Das Theologumenon, daß die Menschen im Körper Christi eine Einheit bilden, die wiederum in der ecclesia ihren sozialen Ausdruck findet, wurde seit dem Spätmittelalter auf die Konstruktion des Königtums übertragen. Der politische Leib der Monarchie repräsentiert das Gefäß für die physische Existenz der Untertanen, stellt mithin einen Rahmen dar, der das natürliche Leben umgibt und zur institutionellen Gestalt formt. In diesem Sinne definiert auch der einflußreiche Kronjurist Edmund Plowden in seinen 1571 veröffentlichten Comentaries ou les reportes, einer monumentalen Sammlung von Rechtsfällen und Urteilen aus der Zeit zwischen Edward VI. und Elisabeth I., den Staatskörper als Symbol für die Bändigung der Kräfte, die in den Untertanen schlummern.36 Francis Bacon hat die christologisch fundierte Idee der Entität von Natur und Institution im Rahmen einer 1608 gehaltenen Parlamentsrede mit großer Eleganz bezeichnet: „corpus corporatum in corpore naturale, et corpus naturale in corpore corporato“.37 Die gedrängte Prägnanz dieser kasuistischen Formulierung verdeckt die schwierige Rechtskonstruktion, die dem Korporationsbegriff zugrunde liegt. Der natürliche Leib des Königs schließt das Königtum in sich ein, das wiederum die Untertanen zusammenfaßt, welche der Krone zugehören. Trotz dieser Stufung wird die Beziehung der zwei Körper allerdings nicht als Abhängigkeitsverhältnis, sondern als Einheit des Gegensatzes von Natur und Institution gedeutet. Solche Entität, die aus der Inkarnation des Amtes folgt, hielten die Juristen für den Ausdruck einer prekären, gleichsam nur im jeweiligen Augenblick der Herrscherpräsenz erzeugten Balance zwischen Zeit und Ewigkeit, Vergänglichkeit und Dauer.38

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Edmund Plowden, Les comentaries, ou les reportes, London 1571, Fol.97–102 („Matters de Corone“). Francis Bacon, Case of the Post-Nati of Scotland (1641), Works, Vol. VII, S. 637–681, S. 667. Zu Plowden Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 33 f. – Wie zahlreiche andere Formen der politischen Theologie zielt die Lehre von den zwei Körpern auf das „Haupt- und Zentralproblem, um das herum sich die gesamte Theorie des Rechts organisiert (…): das Problem der Souveränität.“ (Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France [1975–76]. Aus dem Französischen v. Michaela Ott, Frankfurt/M. 1999, S. 34). In die Irre führt hier Agambens Auslegung, der gemäß der Körper des Souveräns jenes ‚heilige Leben‘ repräsentiert, das auch der römische Kaiser symbolisierte. Die christologische Tradition stiftet eine vom antiken Kaiserkult gänzlich abweichende Bedeutung des Herrscherkörpers, die das Fleisch zum Zeichen einer vergänglichen, aber eschatologisch aufgehobenen Natur disponiert. Da Christus kein homo sacer, sondern Gottes Opfer für die Menschen ist, bleibt der Leib des Herrschers, der ihn repräsentiert, derselben Symbolik des Opfers jenseits der Bedeutung des immanenten Lebens verbunden. Indem Agamben römische und christliche Tradition kontaminiert, unterstellt er die politische Theologie des

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Seit dem hohen Mittelalter besaß der König den Status eines Stellvertreters Christi. In dieser Funktion repräsentierte er als gemina persona die Figur des Vermittlers, der die Doppelrolle des natürlichen Lebensgesetzen unterworfenen Sterblichen und des durch die Würde seines Amtes Unsterblichen inmitten der Gemeinschaft der Menschen übernahm. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts erklärte der an der Curia Regis tätige Kronjurist Henry of Bracton (1216–1268) in De legibus et consuetudinibus Angliae, einer erstmals 1569 gedruckten Sammlung von Kommentaren zu 450 Rechtsfällen, der König sei der Vikar Christi, zugleich aber die Hand Gottes. Er beschreibt diese Rolle näher, indem er auf die komplizierte Repräsentationslogik verweist, die dadurch entsteht, daß ein Richter den König, dieser wiederum Christus und damit zugleich den Schöpfer vertritt: „Utilitas autem est quia nobilitat addiscentes et honores conduplicat et profectus et facit eos principari in regno et sedere in aula regia et in sede ipsius regis quasi in throno dei, tribus et nationes, actores et reos, ordine dominabili iudicantes, vice regis quasi vice Ihesu Christi, cum rex sit vicarius dei.“39 Ab dem 15. Jahrhundert führte man am englischen Hof zu Ehren des Herrschers im Rahmen von Festen und Turnieren kurze Zwischenspiele auf, in denen der König, die Ecclesia und das Collegium Corporis Christi als Figuren agierten, welche die Einheit von Kirche und Monarchie zu demonstrieren hatten. Hinter solchen Bekundungen der institutionellen Geschlossenheit verbarg sich der Gedanke, daß der Leib Christi im politischen Körper des Regenten erhalten und repräsentiert sei. Das Theater avanciert hier zum Ort einer performativen Selbstdarstellung des spirituell begründeten Königtums, insofern es die Rolle des Monarchen als vicarius hervorhebt, der Gott und seinen Sohn verkörpert.40 Noch James I. wird dieses Denkmodell in einer Rede an die Lords im November 1605 aktualisieren, wenn er bemerkt, die Könige seien die Vikare Gottes: „as being his Lieutenants and Vice-gerents on earth“.41 Der Herrscher repräsentiert im Sinn Bractons Gott (‚quasi in throno dei‘), indem er für ihn handelt oder sich wie dieser vertreten läßt (so, wenn er

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Spätmittelalters einer Ökonomie des nackten Lebens, die hier als Bezugssytem keine Geltung besitzt (Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Aus dem Italienischen v. Herbert Thüring, Frankfurt/M. 2002, S. 103 ff.). Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae. 4 Volumes, ed. by George E. Woodbine. Translated, with revisions and notes, by Samuel E. Thorne. Vol. II, Cambridge, Massachusetts 1968, S. 19. Diese Bestimmung findet sich im allgemeinen, von Beispielfällen freigehaltenen Teil des umfangreichen Werks. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. I, S. 219 f. [King James VI and I] Political Writings, ed. by Johann P. Sommerville, Cambridge 1994, S. 147–158, S. 147.

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Richter in ihr Amt einsetzt und mit den ihm zustehenden Urteilsbefugnissen ausstattet). Als vicarius Dei et Christi bleibt der Monarch jedoch in Bractons Denktypologie, die für das hochmittelalterliche Rechtsverständnis signifikant ist, nur das äußere Sinnbild einer ewig dauernden Majestät, ohne daß diese Konstruktion um ein korporatives Denkmuster ergänzt wird.42 Erst die politische Theologie des Spätmittelalters schafft hier einen Wandel, indem sie die Idee der Stellvertretung durch das Modell der physischen Vergegenwärtigung ersetzt. Der König ist jetzt aufgrund seiner leiblichen Existenz sterblicher Herrscher und Repräsentant einer unvergänglichen Macht.43 Sein Körper bezeichnet Natur und Amt in einer doppelten Sinndimension, die seine Singularität unterstreicht („Rex non habet parem“, hieß es schon bei Bracton44). Mit dieser Neubewertung verknüpft sich zugleich die Einschätzung der politischen Herrschaft als Institut („perpetuity of the living administration of power“45), das über den Körper des Monarchen zur realistischen Anschauung und damit auch zur rechtlichen Geltung gebracht wird. Natur und Institution finden sich hier auf eine Weise verbunden, die für das Staatsdenken des Abendlandes eine gänzlich neue Qualität bedeutete. Die politischen Theorien der Antike waren stets von einer rein weltlichen Begründung der staatlichen Regierung ausgegangen. Platons Nomoi betonten, daß die Differenz zwischen „Herrschen und Beherrschtwerden“ die wesentliche Grundlage einer idealen Staatsform darstelle, die „der Natur gemäß“ zu gestalten sei, folglich Hierarchien auf zwangsfreier Basis auszubilden habe.46 Die für das hohe Mittelalter äußerst einflußreiche und bis zum 17. Jahrhundert als Autorität diskutierte Politika des Aristoteles – bei Christopher Marlowe heißt es: „Make trial now of that philosophy, | That in our famous nurseries of arts | Thou suckedst from Plato and from Aristotle“ – fand in der Herrschaftsstruktur des Staates eine organische Ordnung entfaltet, die den hierarchischen, zugleich aber harmonischen Aufbau der Natur

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Vgl. Ethel Matala de Mazza, Der verfaßte Körper. Zum Projekt einer organischen Gemeinschaft in der Politischen Romantik, Freiburg 1999, S. 61 f. Die Macht des Herrschers erzeugt jedoch den zweiten Körper nicht als ihr immanentes ‚Surplus‘, wie Foucault anzunehmen scheint, sondern aufgrund ihrer transzendenten Begründung; paradox formuliert: innerhalb ihrer unendlich erweiterten Grenzen (Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (= Surveiller et punir. La naissance de la prison, 1975). Aus dem Französischen übers. v. Walter Seitter, Frankfurt/M. 1994, S. 40 f.). Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 32. Ralph E. Giesey, The Royal Funeral Ceremony in Renaissance France, S. 180. Platon, Nomoi 690a-c, in: Sämtliche Werke, Bd. VI, S. 72.

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widerspiegelte, ohne durch metaphysische Instanzen konditioniert oder legitimiert zu sein.47 Dagegen zeichnet sich mit der neuen Rechtskonstruktion der Monarchie als auf Dauer gestelltes Institut ein theologisches Verständnis politischer Machtausübung ab, das der Funktion des Herrschers ein christliches Fundament verschafft. Es löst die bis tief ins Mittelalter fortwirkende Auffassung der Kirchenväter ab, die, Augustinus’ De civitate Dei (413–426/27) folgend, den weltlichen Staat als Spiegel menschlicher Sünde und Anmaßung beschrieben hatten.48 Noch Thomas von Aquin unterschied in der Summa Theologica (1266–73) zwischen der göttlichen Regierung, die die Weltherrschaft im Großen beschirmt, und der politischen Machtausübung, die sich allein mittelbar, durch Tugend und Vernunft, auf göttliches Wirken stützen darf: „Quantum igitur ad rationem gubernationibus pertinet, Deus immediate omnia gubernat; – quantum autem pertinet ad executionem gubernationis, Deus gubernat quaedam mediantibus aliis.“49 Das Modell eines Königtums, das per analogiam zum Abbild Christi erklärt wird, soll nun das aristotelische Konzept des politischen Organismus und die theologische Verwerfung des irdischen Machtstaates gleichermaßen überwinden, indem es Natur und Dauer, Vergänglichkeit und Ewigkeit zu einer juristisch begründeten Einheit zu verknüpfen sucht. Der weltliche Staat repräsentiert seit dem Spätmittelalter weder einen Gegenentwurf zum Gottesstaat noch einen naturgegebenen Raum, vielmehr das kunstvolle Zusammenspiel von mundaner und spiritueller Ordnungskraft. Als imago Christi ist sein Oberhaupt durch die diesseitige Rechtsform der Dynastie, aber zugleich durch ein metaphysisches Prinzip legitimiert. Nicht die „Transzendenz des Souveräns gegenüber dem Staat“, die Carl Schmitt fälschlich für das Merkmal der frühneuzeitlichen Monarchie hielt, sondern die Einheit beider – die Transzendenz des in ihm verkörperten Staates – bildet daher das

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Christopher Marlowe, The Troublesome Raign and Lamentable Death of Edward the Second, King of England/Die unruhige Regierungszeit und der jammervolle Tod König Eduards II. von England (1594). Englisch/Deutsch, hg. v. Dieter Hamblock, Stuttgart 1981, S. 140 f. (IV,6, v.17 f.): „Mach jetzt einen Versuch mit der Philosophie, die du in unseren berühmten Kinderstuben von Plato und Aristoteles eingesogen hast.“ (Die Empfehlung stammt von König Edward selbst und bezieht sich, da sie im Kontext staatsrechtlicher Fragen steht, auf die Politik). Aristoteles, Politik. Schriften zur Staatstheorie, übers. u. hg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 1989, 1252a-1252b (S. 76 f.), 1278b (S. 167). Augustinus, De civitate Dei, PL 41, Sp.115 ff. (IV,4–33). Die weltlichen Reiche seien, so Augustinus mit einer berühmt gewordenen Formel, ‚große Räuberbanden‘ („magna latrocinia“) (IV,4, Sp.115). Vgl. Ernst Cassirer, Vom Mythus des Staates. Philosophische Grundlagen politischen Verhaltens. Übers. v. Franz Stoessl, Zürich 1949, S. 144 ff. Thomas von Aquin, Summa Theologica. Tomus Primus, Paris 1887, Quaestio CIII, Art.VI, S. 513.

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Kennzeichen der von den Juristen des Spätmittelalters entwickelten, bis ins 17. Jahrhundert fortgeltenden Herrschaftstheologie.50 Die konzeptionelle Leistung dieser Herrschaftstheologie liegt nicht in der Begründung einer gänzlich unumschränkten Vollzugsgewalt, wie sie die Souveränitätslehren des Absolutismus exponieren werden; ihr Spezifikum ist vielmehr die Ableitung politischer Macht aus spirituellen Deutungsmustern, die hier eine Übertragung auf die Konstruktion der staatlichen Ordnung und die juristische Definition ihrer höchsten Autorität finden. Sie erlaubten es, den Monarchen naturrechtlich durch seinen von Gott verliehenen Ausnahmestatus zu legitimieren, ohne ihn zum Herrn über das positive Recht zu erheben.51 Ausdrücklich erklärt Bracton in De legibus et consuetudinibus Angliae, daß der König nur als Regierungsoberhaupt ‚absolut‘, das heißt: unbedingt handeln könne, nicht aber im Zusammenhang der weltlichen Gesetze, denen er wie seine Untertanen subordiniert sei: „Ipse autem rex non debet esse sub homine sed sub deo et sub lege, quia lex facit regem.“52 Ihre autoritative Geltung wird dieses Modell der Bindung der Macht an die Immediatgewalt Gottes erst im europäischen Absolutismus ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verlieren, der die Idee einer rein weltlichen, Regierung und Gesetz zusammenfassenden Souveränität verwirklicht, wie sie in systematischer Breite Hobbes’ Leviathan (1651) entwickelt hat.53 Aus abgewandelter Perspektive konnte die doppelte Dimension des Königskörpers nicht nur als Spiegelung des Christusleibes im Sinne einer symbolischen Realpräsenz, sondern – wie schon bei Bracton angelegt – auch als Bekräftigung der Idee des Gottesgnadentums betrachtet werden. So behaup50

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Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Berlin 1993 (6. Aufl., zuerst 1922), S. 53. Schmitt sieht die Koexistenz von weltlicher und spiritueller Herrschaftsbegründung nur über einen sehr vage bezeichneten Zusammenhang mit der Metaphysik hergestellt – in der Monarchie der Frühen Neuzeit habe „das Bewußtsein des Menschen“ einen „Begriff “ gefunden, der „mit der Struktur metaphysischer Begriffe übereinstimmte.“ (S. 50). Vgl. zur Konstruktion eines von Gott unmittelbar gestifteten Rechts Niklas Luhmann, Am Anfang war kein Unrecht, in: Ders.: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. III, Frankfurt/M. 1989, S. 11–64, bes. S. 30 ff. Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 32. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates [1651], hg. u. eingel. v. Iring Fetscher, übers. v. Walter Euchner, Frankfurt/M. 1992, S. 271 ff. (Teil II, Kap. 31) (zur Abgrenzung von weltlicher Herrschaft und Gottes Regierung). Der absolutistische Herrscher des 18. Jahrhunderts betrachtet sich zwar weiterhin als Stellvertreter Gottes, deutet seine Rolle jedoch nicht mehr im Zusammenhang der Christologie. Zum Vergleich die englische Edition: Thomas Hobbes, Leviathan, or the Matter, Form, & Power of a Common-Wealth Ecclesiasticall and Civill (1651), London 1967 (9. Aufl., zuerst 1909).

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tete Stephen Gardiner, der Bischof von Winchester und spätere Lordkanzler, 1535 in seiner gegen die römische Kurie gerichteten Schrift De Vera Obedientia („Über die wahre Gehorsamspflicht“) ergänzend zu den christologischen Erklärungsbemühungen der Juristen, der Leib des Königs sei „the image of God vpon earth, so that he is called the head and the guide of the people (…)“54; als „Götter dieser Welt“ bezeichnet Lohensteins Ibrahim Sultan (1673) in diesem Sinne die Herrscher.55 Bei Hobbes heißt es prinzipiell über das Verhältnis von Teil und Ganzem im religiösen Kontext: „Der wahre Gott kann vertreten werden.“56 Solche Denkmuster bildeten Variationen der in den Religionen des Altertums gängigen Vermutung, daß der König einen irdischen Repräsentanten der höchsten Gottheit darstelle, deren Willen er verkörpere. Ähnliche Modelle tauchten bereits in den altorientalischägyptischen, aber auch in chinesischen Traditionen auf. Die ‚Übergabe der Herrschaft durch Gott‘ war schon in frühen Hochkulturen Gegenstand bildkünstlerischer Vergegenwärtigung im Rahmen symbolischer Inszenierungen, die dem Zweck gehorchten, die prekäre Spannung zwischen irdischem Leib und göttlicher Macht, Natur und Ewigkeit festzuhalten und zu veranschaulichen.57 Auf die christliche Lehre wurde dieses Denkmodell erstmals durch Eusebius von Caesarea (263–339 n. Chr.) übertragen, der in seiner panegyrischen Würdigung des Lebens von Kaiser Konstantin (Vita Constantini, 337 n. Chr.) den weltlichen Monarchen als Vikar des Schöpfers deutet, welcher an seiner Stelle auf Erden regiert.58 Christologie und Gottesgnadentum begründen seit dem ausgehenden Mittelalter gleichermaßen die naturrechtlich fundierte Macht eines Herrschers, der sich jenseits seiner organischen Physis als Repräsentant des Kontinuums der Institution begreifen und auslegen darf.59 Als imago Dei et figura Christi ist er doppelt legitimiert durch die spirituelle Würde des Vaters und des Sohnes, die er nicht nur per analogiam, sondern über ihre symbolische 54 55 56 57 58 59

Zitiert nach der englischsprachigen Ausgabe: Stephen Gardiner, De Vera Obedientia, Hamburg 1536, Bl. XX (v). Daniel Casper von Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, hg. v. Klaus Günther Just, Stuttgart 1953, S. 117 (I, v.145). Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 125 (Teil I, Kap. 16). Walter Burkert, Kulte des Altertums, 118 ff. Eusebius, Libri quatuor de vita Constantini, PL 8, Sp.9–92. Von solchen Konstruktionen der politischen Theologie unterscheidet sich die seit der Antike vertraute allegorische Beschreibung des königlichen Körpers als Chiffre für die Ordnung des Staates, die lediglich eine funktionale Analogie, nicht aber eine Spiritualisierung des Politischen bezeichnet; vgl. Gotthart Frühsorge, Der politische Körper. Zum Begriff des Politischen im 17. Jahrhundert und in den Romanen Christian Weises, Stuttgart 1974, S. 59 ff. (jedoch ohne Vergleich mit Kantorowicz).

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Vergegenwärtigung in seinem weltlichen Amt vertritt.60 Dabei bleibt die Differenzierung zwischen gubernaculum und iurisdictio, die dem Herrscher uneingeschränkte politische Entscheidungsvollmacht bei durchgehender Rechtsunterworfenheit zugesteht, als maßgebliches Prinzip in Kraft.61 Der Dualismus des für die Rolle des Königs leitenden theologischen Deutungsmusters bezeichnet die juridische Macht des Vaters (vis directiva), dem die Stiftung des Rechts zufällt, und die Weisungsbindung des Sohnes, der sich dem Recht zu fügen hat (vis coactiva). Als vicarius Dei ist der König ein Gesetzgeber (auctor iuris), der Gottes Omnipotenz unter mundanen Bedingungen repräsentiert, als vicarius Christi ein dem Gesetz Verpflichteter, der denselben menschlichen Grenzen gehorcht wie der durch seinen Richter gedemütigte Heiland. Wenn Hegel am Ende seiner Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (1822 ff.) in anachronistischer Terminologie vermerkt, die englischen Könige seien „spitzfindige Theologen“ gewesen, die mit scharfsinniger Kasuistik „für das Prinzip des Absolutismus“ gestritten hätten, so ignoriert er diese Bindung der politischen Theologie an die genau differenzierte Ordnung des Rechts.62 Er übersieht zumal, daß die theologische Ableitung der Regierungsgewalt aus dem Naturrecht zwar die göttliche Legitimation des Herrschers, nicht aber seine unbedingte Verfügung über das Gesetz sicherstellt. Es ist die spirituelle Begründung aus der Idee der doppelten Repräsentation von Gott und Gottessohn, die den Monarchen gleichermaßen unter und über das Recht (infra et supra legem) treten läßt.63 Die Lehre von den zwei Körpern des Königs galt seit dem Spätmittelalter in England und Frankreich, mit gewissen Einschränkungen ab dem 16. Jahrhundert auch in Spanien.64 Exequias reales hießen dort die Beerdi-

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Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 70 In der Praxis konnte freilich, wie auch die englischen Juristen des Spätmittelalters wußten, die naturrechtliche Begründung der Einsetzung des Herrschers von diesem selbst als Lizenz zur Erweiterung seiner Rechtsbefugnisse gebraucht werden; vgl. H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 163 (Anm.178). Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: Werke, hg. v. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1986, Bd. XII, S. 519. – Der Begriff des ‚Absolutismus‘ bleibt für die Rechtskonstruktionen der spätmittelalterlichen Tudor-Dynastie ohne Frage unangemessen. Vgl. Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 32 f. Richard A. Jackson, Vivat rex: Histoire des sacres et couronnements en France 1364–1825, Paris 1984, S. 81 ff. („Le mariage du roi et du rouyaume“); Regine Jorzick, Herrschaftssymbolik und Staat. Die Vermittlung königlicher Herrschaft im Spanien der frühen Neuzeit (1556–1598), Wien, München 1998, S. 184 ff. Kantorowicz betont, daß allein in England die juristische Bedeutung des Korporationsgedankens mit letzter Konsequenz entfaltet wurde (Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 43 f.). Zur Differenz zwischen dem englischem Rechtsverständnis und den stärker äußerlichen – ästhetisierten –

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gungsriten, zu denen die Enthüllung eines Grabmals (túmolo) gehörte, dessen Bildsprache die institutionelle Macht des Herrschers neben seinem natürlichen Körper zu veranschaulichen hatte. Bei den Trauerfeiern aus Anlaß des Todes von Philipp II. (1598) in der Kathedrale von Sevilla zeigte eine Skulptur den Regenten mit Schwert und in Rüstung – ein Zeichen für die Gegenwart des politischen Souveräns, der den Tod des irdischen Menschen überdauert.65 In der unweit von Madrid gelegenen Residenz El Escorial, wo Philipp neben Karl V. seine letzte Ruhe fand, sind zahlreiche Effigies versammelt, die den Raum zu einem „Ort des kollektiven Gedächtnisses“66 im Sinne des spanischen Habsburger-Hauses werden lassen. Die lebensgroßen Entwürfe zeigen die verstorbenen Herrscher als Figuren in einem imposanten Tableau mit ihren Vorgängern und Nachfolgern, das den geschichtlichen Prozeß zu einem monumentalen Standbild verklärt.67 Die in der Effigies dargestellte Person des jeweiligen Regenten demonstriert die Macht der spanischen Krone, indem sie den inneren Zusammenhang der imperialen Tradition vor Augen führt, den sie selbst als Teil eines gewaltigen Gefüges begründet. Für die Erinnerungskultur der spanischen Monarchie schienen solche Formen der Repräsentation des kollektiven dynastischen Ganzen, das den historischen Moment in der ‚Sempiternität‘ aufhebt, bedeutsamer als im England der Tudor-Periode oder in Frankreich zur Zeit der Medici-Königinnen. Die methodische Voraussetzung für die Lehre von den zwei Körpern des Königs war ein Denken in korporativen Kategorien, das es erlaubte, die metaphysische Begründung monarchischer Macht mit einem nachgerade ‚physiologischen‘ Modell (Kantorowicz) zu verknüpfen und auf eine Rechtsarchitektur zu gründen, die ihrerseits aus der Transformation theologischer Strukturen abgeleitet wurde.68 Innerhalb der Ordnung, welche dieses Konzept hervorbringt, bleibt der Leib des Herrschers ein doppelt konnotiertes Zeichen für Gott und Christus, Ewigkeit und Natur, Gesetzeskraft und Gesetzesunterworfenheit. Es gehört zur inneren Logik des gesamten Denksystems, daß es in seiner Bindung an einen natürlichen Körper, der die Hülle für die Institution der Krone darstellt, eine geschlechtsspezifische Prägung

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Adaptionen der Zweikörper-Lehre in Frankreich Ralph E. Giesey, Was für zwei Körper?, in: Tumult 16 (1993), S. 79–93. Vgl. Regine Jorzick, Herrschaftssymbolik und Staat, S. 184 f. Sehr informativ hier Ulrich Schulze, Philipp II. und die Politik des Todes im Escorial, in: Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation, hg. v. Hans Belting, Dietmar Kamper u. Martin Schulz, München 2002, S. 131–150, bes. S. 148. Vgl. Ulrich Schulze, Philipp II. und die Politik des Todes im Escorial, S. 147 f. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 44.

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aufweist. In der politischen Theologie des Spätmittelalters ist es der männliche Herrscher, der als vicarius Dei et Christi amtiert. Der Königin fällt dagegen eine Funktion zu, die anderen Strukturmustern unterliegt, als sie die Rechtsexperten für die Krongewalt des Monarchen ausarbeiteten. Deren nähere Bestimmung gehorcht Vorgaben, die in den frühen Nationalstaaten des 16. und 17. Jahrhunderts differieren, jedoch eine Gemeinsamkeit aufweisen: die Königin bleibt, selbst wenn sie Regierungsgewalt ausüben darf, eine Herrscherin mit problematischem Rollenprofil in zumeist widerspruchsvoller juristischer Konstellation.

3. Die Königin – ein König ohne zweiten Körper Die fein ausgeschliffenen Denkmuster der politischen Theologie stützen sich auf die Vorstellung, daß der Herrscher durch seinen institutionellen Leib eine figura Christi bilde. Es war daher ausgeschlossen, daß ihre Rechtslogik auch für die Person der Königin Geltung besaß, die den Körper des Heilands nach den Normen christlicher Dogmatik nicht vertreten konnte. Plowdens polyphone Comentaries – mit mehr als 800 Seiten die umfangreichste Abhandlung über zivilrechtliche Streitigkeiten der späten Tudor-Periode – streuen zwar immer wieder huldigende Dithyramben auf Elisabeth I. in die detaillierten Fallbeschreibungen ein, verzichten aber darauf, die vertrauten theologischen Argumentationsmuster zu bemühen, wenn sie ihre Regierung preisen.69 Kantorowicz, der sich mit dem Problem weiblicher Herrschaft nicht näher befaßt, sieht die ‚Sempiternität‘ an drei zentrale juristische Konstruktionselemente gebunden: die „Fortdauer der Dynastie“, den „korporativen Charakter der Krone“ und die „Unsterblichkeit der Königswürde“.70 Einer näheren Analyse offenbart sich, daß keines dieser Elemente ohne Einschränkung auf die Rolle der Königin zu beziehen ist. Das dynastische Prinzip bedeutet eine Verstetigung des Königtums in der Kontinuität der Abfolge von Herrschern, deren Körper jeweils als Gefäß für die in sie eingeschlossene Institution der Regierungsmacht fungieren. Das Gesetz der Dynastie bewirkt die Aufhebung der begrenzten Zeit des natürlichen Leibes in der unbegrenzten Zeit des Herrschaftskontinuums. Könige, 69

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Vgl. Edmund Plowden, Les comentaries, Fol.400. – Plowdens Text ist in drei Sprachen abgefaßt, wobei das Idiom beständig (und oft übergangslos) wechselt. In allgemeiner Hinsicht steht das Englische für die Monarchie, das Französische für höfische Traditionen, das Lateinische für den Rechtsdiskurs, ohne daß jedoch die Wahl der Sprache konsequent bestimmten Themenfeldern zugeordnet wird. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 319.

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so formuliert 1575 Adam Blackwood, ein katholischer Jurist und früherer Günstling Maria Stuarts, seien nicht Erben von Königen, sondern Erben des Königtums: „Kings are heirs, not of kings, but of the kingdom“.71 Es ist bezeichnend, daß seit dem Spätmittelalter im Interesse einer auch äußerlich sichtbaren Betonung der Dauer der Dynastie Testator und Erbe aus juristischer Perspektive als eine Person galten (wobei der Begriff ‚Erbe‘ im 14. Jahrhundert durch den juristisch offeneren des ‚Nachfolgers‘ ersetzt wurde72). Der Herrscherwechsel mußte sich so vollziehen, daß die Übergabe der Macht nicht als ein in der Zeit sich manifestierender Akt, sondern als sofortiger Übertritt des institutionellen Körpers in einen neuen natürlichen Leib zu denken war. Der Rhythmus der Zeit, der Unterbrechungen, Stockungen und Verzögerungen mit sich bringt, sollte einer symbolischen Einheit des monarchischen Amtes unterworfen bleiben, die kein Interregnum zuließ. Die Überzeugung, daß ‚die Zeit niemals gegen die Dynastie laufen konnte‘, bekräftigt den Grundsatz der Dauer, der dem Herrscheramt implantiert ist.73 Bei Hobbes findet man ein solches Denkmuster sehr klar umrissen, wenn er mit Blick auf die Zeitunterworfenheit des Regenten erläutert: „Der Stoff all dieser Regierungsformen ist sterblich, so daß nicht nur Monarchen, sondern auch ganze Versammlungen sterben. Deshalb ist es zur Erhaltung des Friedens unter den Menschen notwendig, daß so, wie Regeln zur Konstruktion des künstlichen Menschen geschaffen worden sind, auch Regeln zur Schaffung eines künstlichen ewigen Lebens eingeführt werden, ohne das die Menschen, die von einer Versammlung regiert werden, in jeder Generation in den Kriegszustand zurückfielen, und die von einem Menschen Regierten, sobald dieser stirbt. Diese künstliche Ewigkeit nennt man das Recht der Nachfolge.“74 An der hier bezeichneten politischen Kontinuität, die jegliche Zeitdynamik in der Ewigkeit des Amtes stillstellt, ist die Königin nur insofern betei-

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Zit. nach Ernst H. Kantorowicz, The King’s two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton, New Jersey 1957, S. 373; vgl. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 372. Über Fragen der Nachfolgeregelung und des Erbrechts Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 153 f. (Teil II, Kap. 19). Weiteres Quellenmaterial dazu bei Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 379 (unter Bezug auf rechtsgeschichtliche Untersuchungen aus dem späten 19. Jahrhundert). Vgl. Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 106 ff., Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 332. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 151 (Teil II, Kap. 19).

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ligt, als sie der Monarchie Söhne gebiert, die zu Königen heranwachsen. Wie gewichtig diese Binnendifferenzierung des dynastischen Prinzips für das Rechtsverständnis der Epoche bleibt, zeigt der Umstand, daß auch die souveräne Herrscherin Elisabeth I. in ihren ersten beiden Regierungsjahrzehnten von Staatsjuristen und Parlamentariern permanent mit den Erfordernissen ihrer biologischen Rolle – im Blick auf die Sicherung der Thronfolge durch Mutterschaft – konfrontiert wurde.75 Die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung solcher Erwartungsnormen bleibt in der Frühen Neuzeit unabhängig von der faktischen Macht, die einer Königin zufällt. Die dynastische Begründung des Herrscheramtes besitzt für die Monarchin verbindliche Geltung allein im Sinne eines biopolitischen Prinzips, das ihre Funktion als Mutter regelt, ihr aber keine juristischen Ansprüche auf den Thron verschafft.76 Das mythische, bereits für den antiken Ritus verbindliche Gesetz, demzufolge die gebärende Frau „die Kontinuität schafft“, überträgt sich hier auf die Ordnung der Politik; als Mutter garantiert die Königin, daß „die Lücken des Todes sich schließen“ und die Unsterblichkeit der Monarchie trotz der Sterblichkeit des Monarchen gewahrt bleibt.77 Die korporative Bedeutung der Krone, die seit dem Hochmittelalter die weltliche Regentschaft im Stand des Gottesgnadentums (gratia Dei) bezeichnet, läßt sich nur nach englischem Recht in historischen Ausnahmefällen auf die Königin beziehen. Die Formel „honori nostro regio et corone Anglie“ hatte Edward I. 1258 genutzt, um die Einheit von Staatsgewalt und Herrscherwürde zu betonen.78 Die Königin wird zwar gekrönt, empfängt die Krone jedoch stets nach dem König; bis ins späte Mittelalter überreichte man bei der feierlichen Zeremonie das Zepter allein dem Monarchen, dessen aktive Rolle auch dadurch hervortrat, daß er seinen Amtseid leistete, während die Königin dem Procedere stumm beiwohnen mußte.79 Vermählte sich der Herrscher nach dem Tod seiner Gemahlin erneut, so entfiel das Krönungszeremoniell bisweilen vollständig; diese Praxis galt insbesondere in

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Vgl. Ursula Machoczek, Die regierende Königin – Elizabeth I. von England. Aspekte weiblicher Herrschaft im 16. Jahrhundert, Pfaffenweiler 1996, S. 25 ff., S. 201 f. ‚Biopolitik‘ meint gemäß der auf Foucault bezogenen Definition Agambens die „Einbeziehung des natürlichen Lebens des Menschen in die Mechanismen und das Kalkül der Macht.“ (Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 127). Vgl. Michel Foucault, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Übers. v. Ulrich Raulff u. Walter Seitter, Frankfurt/M. 1983 (= Histoire de la sexualité, 1: La volonté de savoir, 1976), S. 161 ff. Walter Burkert, Homo Necans, S. 95. Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik, Bd. III, S. 1039. Amalie Fößel, Die Königin im mittelalterlichen Reich. Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume, Stuttgart 2000, S. 17 ff.

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Fällen, da die Ehefrau erheblich jünger als ihr Gatte war.80 Die rechtliche Symbolik der Inthronisation bleibt der Königin aber auch in der Frühen Neuzeit, die ihren Status durch die Verleihung der Herrschaftsinsignien aufwertet, vorenthalten, insofern der Akt der Krönung hier keine juristische Bedeutung impliziert. Die Demonstration der Machteinsetzung im Krönungszeremoniell wird an der Königin folglich nicht vollzogen.81 Schon im Alten Testament ist sie von der sakralen Würde des unter dem Schutz Gottes gesalbten Regenten gänzlich ausgeschlossen.82 Die schöpfungstheologische Bestimmung der Frau „disqualifizierte“ sie als potentielle Regentin – ein Deutungsmuster, das noch in den Staatslehren der Frühen Neuzeit und ihrem auf das justinianische Corpus Juris Civilis gestützten Denken fortwirkt.83 Es ist jedoch nicht nur die nachrangige Position innerhalb der Krönungszeremonie, sondern auch die Wertigkeit der ihr zufallenden Krone, die die Königin von ihrem Gemahl unterscheidet. Ein Blick auf die juristischen Konzeptionen, die das Zeichen der corona seit dem römischen Kaisertum determinieren, erschließt die Tatsache, daß die Königin eine Krone trägt, deren symbolischer Gehalt von anderem Charakter als die des männlichen Herrschers ist. Die Krone repräsentiert in beiden Fällen durch die Kostbarkeit ihres Goldzirkels und der eingearbeiteten Edelsteine das Sinnbild der Macht. Daneben dachte man sich aber schon in

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Vgl. Amalie Fößel, Die Königin im mittelalterlichen Reich, S. 35 ff. Die materialreiche Arbeit zeigt aber auch, daß die Königin seit dem 10. Jahrhundert über eigenständige Machtkompetenzen verfügte und in Einzelfällen sogar selbständig regierte – im Rechtsstatus der Stellvertretung wie die Kaiserinnen Theophanu und Adelheid (984–994) sowie Agnes (1056–1062/65) (S. 319 ff.). Jörg Jochen Berns, Der nackte Herrscher und die nackte Wahrheit. Auskünfte der deutschen Zeitungs- und Zeremonialschriften des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts zum Verhältnis von Hof und Öffentlichkeit, in: Hof, Staat und Gesellschaft des 17. Jahrhunderts, hg. v. Elger Blühm, Jörn Garber u. Klaus Garber, Amsterdam 1982 (= Daphnis, Bd. 11, Hft. 1–2), S. 315–349, S. 337; ferner Bernd Herbert Wagner, Kaiserwahl und Krönung im Frankfurt des 17. Jahrhunderts. Darstellung anhand der zeitgenössischen Bildund Schriftquellen und unter besonderer Berücksichtigung der Erhebung des Jahres 1612, Frankfurt/M. 1994, S. 161 ff. Eine Gestalt wie die Königin Isebel, die sich in die politischen Geschäfte ihres Mannes einmischt und ihn zum Verbrechen treibt (1 Kö 21, 2 Kö 9.33), ist im Alten Testament eine Ausnahme. Die außerhalb des Volkes Israel allein regierenden Königinnen wie Saba (1 Kö 10) unterliegen wiederum anderen Gesetzen, da sie nicht durch Gott auserwählt sind. In der Politika des Aristoteles ist die „Frauenherrschaft“ ein allein auf den häuslichen Bereich bezogenes Phänomen, das der Philosoph nur mit misogyner Verachtung erwähnt (Aristoteles, Politik, 1313b [S. 288]). Vgl. Heide Wunder, Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, hg. v. Ute Gerhard, München 1997, S. 27–54, hier S. 32 f.

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der römischen Spätantike eine unsichtbare, nicht-materielle Krone, welche die Einheit der korporativen (also den Staat und seine Institutionen umfassenden) Dimension des Königtums signifizierte. In ihr gründet nach den Rechtsauffassungen des Mittelalters, das hier die römischen Denkmuster fortführt, die von Gott verliehene Ewigkeit des Amtes, die sich wiederum in der lückenlosen Übergabe der Herrschermacht vom Testator zum Nachfolger besonders augenfällig bekundet (‚corona non moritur‘). Die juristische Logik dieser Konzeption leitet sich aus den erbrechtlichen Bestimmungen der Institutiones des Codex Justiniani ab. Dabei galt als wesentlicher Grundsatz, daß das Eigentum im Moment des Todes des Eigentümers automatisch an den Sohn überging.84 Analog dazu ist das Kronrecht geregelt, sofern es die Tradierung des herrscherlichen Machtzeichens betrifft. Die unsichtbare Krone, die das System der rechtlich-politischen Körperschaften des Staates (zumal Parlament und Gerichte) einschließt, wandert gleichsam im Rahmen einer juristischen Fiktion auf das Haupt des neuen Königs und führt ihm de iure die Regierungsgewalt zu; sie entspricht dem body politic der Institution des Königtums, den man sinnlich nicht wahrnehmen und allein durch Hilfskonstruktionen darstellen kann. Die großen Abdankungsdramen der elisabethanischen Ära – Marlowes Edward II (1594) und Shakespeares Richard II (1597) – operieren mit dieser Bedeutung, indem sie die Krone als Sinnbild für Besitz und Verlust der Verfügung über Staat und Untertanen vorführen. Die corona ist hier als Zeichen für das Recht auf die Ausübung der Regierungsgewalt zugleich ein Symbol, dem mit der Möglichkeit zum Vollzug der Herrscherrolle eine performative Dimension einbeschrieben ist. Wenn Marlowes Edward in grotesker Travestie des Abdankungs- und Inthronisationsrituals die Krone rasch wechselnd ab- und wieder aufsetzt, so spielt er mit den pragmatischen Implikationen, die Gewinn und Einbuße des status coronae herbeiführen.85 „The king hath willingly resign’d the crown“, erklärt der Bischof von Winchester am Ende, nachdem Edward sein Amt in tragikomischer Attitüde aufgegeben hat, und meint damit den Verzicht auf sämtliche Rechte und Handlungsoptionen, die mit dem Erwerb des Herrschaftszeichens verbunden sind. Die auch von Shakespeare in Richard II genutzte Dramaturgie der Devestitur, die im Ablegen der Krone gipfelt, entspricht, wie Walter Pater bemerkt hat, einer Inversion des Krönungsrituals, insofern sie dessen performativen Sinn umkehrt 84 85

Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 338 ff. Christopher Marlowe, The Troublesome Raign and Lamentable Death of Edward the Second, King of England/Die unruhige Regierungszeit und der jammervolle Tod König Eduards II. von England (1594). Englisch/Deutsch, hg. v. Dieter Hamblock, S. 152 f. (V,1, v.55 ff.); S. 160 f. (V,2, v.28).

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und die symbolische Inszenierung von Ermächtigung in jene von Entmächtigung umschlagen läßt.86 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die Königin nur über eine repräsentative Autorität verfügt, denn sie trägt zwar die äußerlich erkennbare, nicht aber die unsichtbare Krone, welche die eigentliche Herrschaft verleiht. Die Königin partizipiert an der Symbolik der corona visibilis als Sinnbild der Kostbarkeit, des Reichtums und der Schönheit, jedoch nicht an der korporativen Fiktion der corona invisibilis, die Hoheitsrechte auf juristisch gesicherter, dynastisch stabilisierter Basis gewähren kann. Die Krone, die sie bei der Inthronisationszeremonie empfängt, ist ein natürliches Zeichen ihrer öffentlichen Funktion als Gattin des Herrschers, ohne daß sie freilich den Doppelsinn der Krone des Monarchen birgt, die äußerliche Majestät und institutionelle Autorität gleichermaßen stiftet. Sie bildet ein sichtbares Signum, dem jedoch die Dimension der korporativen Einschließung – als unsichtbares Moment politischer Macht – fehlt. Die Unsterblichkeit der Königswürde schließlich verweist auf das Zusammenwirken juristischer und politischer Autorität in der dauerhaften, zeitübergreifenden Institution. Das Königsamt ist nach römischem Verständnis dignitas, nicht officium : kein bloßer Dienst, sondern Ausübung einer Herrschaft, deren exzeptioneller Rechtscharakter durch eine doppelte Integrationsleistung geschaffen wird. Die Königswürde summiert einerseits die Vielzahl der staatlichen Institutionen, die sie vertritt, und umfaßt andererseits das gesamte Zeitkontinuum vergangener wie künftiger Herrschaft. Jeder Regent steht aufgrund der Unsterblichkeit des Amtes in einem Zusammenhang mit seinen toten Vorgängern und seinen noch nicht geborenen Nachfolgern. In der Serie der Würdenträger gibt es keinen Sprung, weil sie durch die korporative Einheit sichergestellt wird, die sich wiederum in der bindenden Wirkung von im Namen der Dignität fixierten Gesetzen und Verträgen äußert. Der Herrscher bekräftigt die Idee des Königtums, indem er die Entscheidungen seines Vorgängers respektiert und die Position seines Nachfolgers durch kluge Regentschaft stabilisiert. Vergangenheit und Zukunft bilden hier keinen Gegensatz, da die Majestät der Krone als Institution die Zeit überdauert. Dieses Konstrukt der unsterblichen Amtswürde des Königs findet seine Analogie im kanonischen Recht, das am Modell des Pontifikats die ewige Geltung der päpstlichen dignitas zu erweisen pflegt.87 Die Dignität der Krone ist freilich stets gebunden an die Person des Herrschers, welche die institutionelle Autorität des Amtes verwirklichen 86 87

Walter Pater, Appreciations. With an Essay on Style, London 1904, S. 198. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 384 f.

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muß. Zwar überdauert die Würde das natürliche Leben des sterblichen Königs, jedoch kann ohne dessen Kraft und Präsenz die ihr eingeschriebene Macht nicht zur Anschauung kommen. Die dem Amt immanente Herrschaftsfülle erstarrt in der juristischen Abstraktion, wenn sie nicht durch die Person verwirklicht und geformt wird.88 Der Begriff ‚Person‘ bzw. ‚persona‘ (ursprünglich aus dem Etruskischen) bezeichnet einerseits die Verkörperung einer Rolle im Raum des öffentlichen Handelns, auf der Basis eines juristisch anerkannten Vertretungsanspruchs; Hobbes’ Leviathan erinnert ausdrücklich an den Bezug zur Funktion des Schauspielers, die das spezifische Modell für dieses auf das Feld der sozialen bzw. politischen Repräsentation übertragene Rollenkonzept abgibt.89 Andererseits bedeutet das Moment der Verkörperung einen permanenten Verweis auf das natürliche Leben als Hülle, in der das Prinzip der Herrschaft zur Wirksamkeit gelangt. Erst in einem menschlichen Leib kann nach den Rechtsvorstellungen des Spätmittelalters die korporative Autorität des Herrscheramtes ihre staatliche Ordnungsfunktion erfüllen. Rollentypologie und Lebensbegriff treten im Modell der Person zu einer Einheit zusammen, die den Doppelsinn der politischen Repräsentation als Akt der sichtbaren Symbolisierung der Majestät und Vorgang der Ausübung von Regierungsgewalt bezeichnet. Gerade diese Entität, die Institution und Natur im Körper des Monarchen ausbilden, spricht Hamlet dem Usurpator Claudius ab, wenn er ironisch über ihn bemerkt: „The body is with the King, but the King is not | with the body. The King, is a thing –“90 Den zweiten Körper der Macht besitzt Hamlets toter Vater, der in der Geistererscheinung jene königliche Dig-

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Zur ‚Form‘ als epistemischer Grundlage für die Bestimmung der Person vgl. Niklas Luhmann, Die Form „Person“, in: Soziologische Aufklärung 6 (Die Soziologie und der Mensch), Opladen 1995, S. 142–154. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 123 (Teil I, Kap. 16): „So ist also eine Person dasselbe wie ein Darsteller, sowohl auf der Bühne als auch im gewöhnlichen Verkehr, und als Person auftreten heißt soviel wie sich selbst oder einen anderen darstellen oder vertreten.“ Vgl. auch Thomas Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger (De Cive, 1642), hg. u. eingel. v. Günter Gawlick, Hamburg 1959, S. 53 ff. William Shakespeare, The Tragedie of Hamlet, Prince of Denmarke, Complete Works, Vol. XI, IV,2, v.2656 f. – Den Doppelsinn des Wortes ‚body‘, das sich im Text einerseits auf den Leib des toten Polonius, andererseits auf die korporative (Claudius fehlende) Dimension des Königtums bezieht, erschließt August Wilhelm Schlegels Übersetzung nicht: „Die Leiche ist beim König, aber der König ist nicht bei der Leiche. Der König ist ein Ding –“. Selbst Heiner Müller, der doch einen Sinn für die Sprachen der Macht besaß, wiederholt diese Übertragung wörtlich und ignoriert damit die politischen Implikationen des Körperbegriffs (H.M., Shakespeare Factory 2, Berlin 1989, S. 84).

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nität unter Beweis stellt, die Claudius nur vortäuscht. Der Usurpator verfügt einzig über einen natürlichen Leib, den er vergebens zu monarchischer Würde aufzublähen sucht (den ‚gedunsnen König‘ nennt ihn Hamlet vieldeutig in der großen Anklagerede der Szene III,491); der ermordete Herrscher trägt dagegen als Gespenst seiner selbst nur den politischen Leib der Königsmacht, dem – nach einem Wort Gertruds – die ‚körperlose Luft‘ („th’incorporall air“92) korrespondiert, nicht aber mehr die organische Hülle, die der Institution des Herrscheramtes zur äußeren Anschauung verhilft. Die Einheit von monarchischer Dignität und Natur ist im Hamlet, wie die Zeichensprache des Trauerspiels prägnant demonstriert, auf verhängnisvolle Weise zerbrochen, ohne daß sie wiederhergestellt werden könnte: dem Geist fehlt das physische Leben wie dem König die legitime Souveränität. In Shakespeares Drama offenbart sich eine Trennung von politischem und natürlichem Körper, die man auch als Reflex des Verbindlichkeitsverlusts interpretieren kann, den die politische Theologie des Spätmittelalters am Ende der Tudor-Periode bereits erlitten hat.93 Die personale Würde des Herrschers verdeutlicht sich im Bereich der äußeren Anschauung über die Requisiten seiner Macht, die Fülle seines Leibes und die performative Bedeutung seiner Gebärden. Daß der natürliche Körper des Königs die Autorität der Institution einschließt, wird sichtbar an den Konsequenzen, die eine Geste des Herrschers zeitigen kann: sie vermag Gnade zu erweisen, einen Titel zuzuerkennen, Recht zu sprechen, eine Entscheidung in Vollzug zu setzen. Die Gebärden des Regenten dürfen kraft des Amtes, das sie vertreten, über Leben und Tod befinden; der sterbliche Leib bekundet mit den Zeichen, die er aussendet, die dauerhafte Geltung der korporativen Gewalt, die dem Machthaber zufällt. Ein Exempel, das die Rechtswirksamkeit herrscherlicher Gesten unterstreicht, bietet Lohenstein in einer Anmerkung des Trauerspiels Ibrahim Sultan (1673), in der er erklärt, der os-

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So Schlegels in diesem Fall kongeniale Übersetzung der Wendung „the blunt King“: William Shakespeare, The Tragedie of Hamlet, Prince of Denmarke, Complete Works, Vol. XI, III,4, v.2558. Zuvor schon hieß es über Claudius: „A vice of Kings, | A Cutpurse of the Empire and the Rule. | That from a shelfe, the precious Diadem stole, | And put it in his Pocket.“ (III,4, v.2478 ff.). William Shakespeare, The Tragedie of Hamlet, Prince of Denmarke, Complete Works, Vol. XI, III,4, v.2499. Zur Auseinandersetzung mit der Lehre von den zwei Körpern des Königs im Hamlet Martin Windisch, Metapher, Allegorie und Materialität des Körpers als Medien des nationalen Gedächtnisses in der Frühen Neuzeit, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 72 (1998). Sonderheft Medien des Gedächtnisses, hg. v. Aleida Assmann u. a., S. 90–115, S. 110 f.

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manische Souverän habe seine armenische Geliebte „mit Aufreckung eines Fingers und Außsprechung weniger Worte“ zur „Türkin gemacht“.94 Ihre Illustration erfährt die physisch sichtbare Macht des Monarchen durch die ikonischen Darstellungen, die von ihm in Umlauf gebracht werden. Für die englischen Verhältnisse der Tudor-Zeit hat bereits Wolfgang Brückner einen förmlichen Bilderkult dokumentiert, dessen historische Signifikanz kaum zu überschätzen ist.95 Die Differenz, die das Rollenprofil der Königin von dem des Königs trennt, ist auf diesem Sektor in unterschiedlicher Intensität zu erkennen. Während der (noch näher zu diskutierende) Bereich der Huldigungskunst die Königin zuweilen mit der Fiktion faktischer Regierungsmacht ausstattet, pflegen die repräsentativen Bildgestaltungen im Rahmen der spätmittelalterlichen Grabkultur – in Basiliken oder Kapellen – eine subtilere Zeichensprache. Sie offenbart, daß der Körper der Monarchin nach zeitgenössischem Rechtsdenken keine Hülle für eine von ihm beherbergte Institution darstellt. Am Bildnis der Königin soll nicht die Unsterblichkeit des Königtums, sondern der Glanz rein äußerlicher Leibeswürde ohne korporative Bedeutung demonstriert werden. Ein Gebiet, das den Hiatus visuell vermittelter Rollenentwürfe besonders markant veranschaulicht, ist die seit dem 13. Jahrhundert in zunehmendem Maße verfeinerte Gestaltung von Herrscherporträts über der Grablege. Während der Sarg des verstorbenen Königs traditionell durch sein Bild geschmückt wird, fehlt ein solches Signum der Dignität in der Regel bei der Königin; Abweichungen liegen bei Gemeinschaftsdarstellungen vor, die den Monarchen auf der Grabplatte neben seiner Gemahlin zeigen (Maximilian Colts Ausführung von Elisabeths Gruft bleibt hier singulär).96 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die seit dem Hochmittelalter vertraute, auf die Bildapotheosen der römischen Kaiser-Exequien zurückgehende Praxis, neben dem Sarkopharg, zumeist innerhalb eines Schreins, eine lebensgroße Bildgestalt (Effigies) zu postieren, die den Toten durch einen Scheinleib verkörpern sollte.97 In England entwarf der Hof eine solche Ganzkörperfigur für den verstorbenen Herrscher erstmals 1327 aus Anlaß der Beerdigung des (von seinen politischen Gegnern ermordeten) Edward II.,

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Daniel Casper von Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 225. Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch, S. 83 ff.; vgl. auch Ders., Roß und Reiter im Leichenzeremoniell. Deutungsversuch eines historischen Rechtsbrauches, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 15/16 (1964/65), S. 144–209, S. 159 ff. Zur Bildverwendung im Kontext der Grabgestaltung H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 415 ff.; vgl. auch Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 103 ff. Zur Kaiserapotheose mit Hilfe von Wachsbildern als Ursprung der Geschichte der Effigies Julius v. Schlosser, Tote Blicke, S. 21 f., ferner Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 103.

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in Frankreich taucht eine Herrscher-Effigies 1422 im Zusammenhang mit dem Begräbnis Karls VI. auf.98 Bei der handwerklichen Gestaltung, die zumeist in den Händen ausgewählter Künstler lag, verwendete man Wachs (so der englische Brauch99) oder Holz (wie es in Frankreich üblich war, wo man die Effigies gemeinhin als Mannequin bezeichnete). Seit dem späten 16. Jahrhundert wurden auch andere Materialien wie Leder oder Gips benutzt, wobei der artistische Aufwand, den man bei der Herstellung und Bemalung der Figuren trieb, sukzessive wuchs.100 Die Effigies trägt die Kleidung und die Machtinsignien des Herrschers, den sie verkörpert; sie zielt auf die Illusion der Authentizität, denn sie strebt nicht nur die Illustration, sondern zugleich die Demonstration der Königsmacht an. Die ‚repraesentatio in effigie‘ besitzt den Charakter „rechtlicher Stellvertretung“, die dem Volk im Moment des Ablebens des Regenten die Gegenwart der Institution der Krone verdeutlicht. So dient sie weniger der bildkünstlerischen Veranschaulichung als der juristischen Funktion, den ‚body politic‘ des Königs zu dokumentieren (erst Ende des 17. Jahrhunderts wird es zur ästhetischen Verselbständigung der Darstellungsformen kommen, die die Ablösung der Effigies von ihrem politischen Zweck herbeiführt).101 Zwar würdigt man mit der Effigies auch die Gemahlin des Herrschers, jedoch treten dabei graduelle Unterschiede auf. So erhält Elisabeth von York, die Ehefrau des ersten Tudor, 1503 ein Bildnis, das in exakter sprachlicher Differenzierung zwischen Natur und Kunst durch die Wendung „image or personnage lyke a queene“ erläutert wird. Als Heinrich VII. 1509 stirbt, charakterisiert man dagegen seine Effigies, die auf der Grundlage einer durch den Florentiner Künstler Pietro Torrigiano gearbeiteten Totenbüste entstand102, mit der knapperen Formel „Image or Representaçon“, welche die Distanz 98 Dazu auch das vorzügliche Nachwort von Thomas Medicus in: Julius v. Schlosser, Tote Blicke, S. 123–152, hier S. 139. 99 Angeblich geht diese Tradition auf den in Macrobius’ Saturnalia (ca. 395 n. Chr.) beschriebenen Glauben zurück, daß Wachsfiguren anstelle von Menschen den Göttern geopfert werden könnten (1,11, 46–49); vgl. Julius v. Schlosser, Tote Blicke, S. 161, Anm.113. 100 Vgl. Julius v. Schlosser, Tote Blicke, S. 41 ff.; Ralph E. Giesey, The Royal Funeral Ceremony in Renaissance France, S. 91 ff., Hans Belting, Repräsentation und Anti-Repräsentation. Grab und Porträt in der Frühen Neuzeit, in: Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation, hg. v. Hans Belting, Dietmar Kamper u. Martin Schulz, S. 29–52. 101 Wolfgang Brückner, Artikel „Effigies“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. v. Adalbert Erler u. Ekkehard Kaufmann. 4. Lieferung, Berlin 1967, Sp.806–808, hier Sp.806. 102 Zu Torrigianos Büste und deren typologischer Anspielung auf Julius Cäsar Martin Windisch, Metapher, Allegorie und Materialität des Körpers als Medien des nationalen Gedächtnisses in der Frühen Neuzeit, S. 108 f., vgl. Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 100 f.

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2. Pietro Torrigiano: Totenbüste von Heinrich VII. (1509), Westminster Abbey, London.

des Bildes zur Vorlage explizit verringert.103 Während die Darstellung der Königin im Sinne eines Erinnerungszeichens fungiert, das sein Objekt nur über eine Vergleichsbeziehung zur Anschauung bringt (‚lyke a queene‘), erfüllt das Herrscherbildnis den Zweck, durch den Akt der ‚Representaçon‘ die

103 Beide Zitate nach Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch, S. 96; dort auch nähere Kontextualisierung des Repräsentationsbegriffs. Die Verwendung von Effigies blieb bis zum 17. Jahrhundert auf das Herrscherpaar beschränkt (S. 85). Vgl. ebenso Nigel Llewellyn, The Art of Death. Visual Culture in the English Death Ritual c.1500 – c.1800, London 1991, S. 68 ff.

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unaufhörliche Gegenwart der Macht als Merkmal der Amtswürde zu verdeutlichen. Ralph Giesey bezeichnet die Effigies des Königs als „tableau vivant of the theory of the king’s dual nature“.104 Der rein personal gedachten Figur der Königin ist damit der institutionelle Leib des Monarchen kontrastiert, dessen Präsenz sich in der Einheit spiegelt, die Bild und Körper zusammenzwingt. Arbeitet die Effigies der Königin dem Vergessen entgegen, so unterstreicht das Bildnis des Regenten die Dauer der von ihm ausgeübten Herrschaft. Die dem Monarchen zugeordnete Figur „ad similitudinem regem“105 ist ein Abbild, das die Fiktion des politischen Körpers in einer selbst fiktiven (ästhetischen) Form wiederholt. Während die Totenmaske des Herrschers auf diese Weise ein Imaginäres verdoppelt, steht das Porträt der Königin als Medium des Gedächtnisses für die Reminiszenz an einen dem Verfall preisgegebenen natürlichen Körper. Wo Heinrich VII. durch die Darstellung der Einheit von Amt und Person, Bild und Vorbild der Logik dieses Verfalls entzogen bleibt, resultiert die Ästhetik des der Königin gewidmeten Erinnerungskultes gerade aus der Differenz, die Leben und Tod trennt. Ihr Körper existiert freilich in anderen Formen fort: die Zeit, in welcher der Leib der Monarchin überdauert, ist die Zeit der Königssöhne.

4. Ordnungen der Partizipation Als Garantin für die Sicherung der Nachkommenschaft bildet die Königin letzthin nur einen Bestandteil der korporativen Einheit, die der König repräsentiert; „uxor et filius sunt nomina naturae“, bemerkt Bacon dazu. Weiter heißt es bei ihm: „A corporation can have no wife, nor a corporation can have no son: how is it then that it is treason to compass the death of the queen or of the prince? There is no part of the body politic of the crown in either of them, but it is entirely in the king.“106 Die Königin tritt einzig durch ihre Rolle als Ehefrau und Mutter in den Ordnungsraum der Macht ein. Sie bleibt ihrerseits dem männlichen Königtum inkorporiert und besitzt nur innerhalb dieser Funktion, Teil eines anderen Ganzen zu sein, politische Bedeutung. Die Macht der Königin entsteht dadurch, daß sie dem Doppelkörper des Königs einverleibt ist; sie erweist sich als Macht der Par-

104 Ralph E. Giesey, The Royal Funeral Ceremony in Renaissance France, S. 179. 105 Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 416. 106 Francis Bacon, Case of the Post-Nati of Scotland, Works, Vol. VII, S. 668.

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tizipation, deren Evidenz durch die Geburt eines männlichen Erben bekräftigt wird.107 Kantorowicz’ Material läßt kaum Zweifel daran, daß die englischen Kronjuristen der Tudor-Epoche das Konzept der Zwei-Körper-Lehre aus prinzipiellen Erwägungen nicht auf die Königin übertrugen. Ihr Leib bildet keine Einheit in der Vielheit, wie sie aus der Christus-Analogie des Königskörpers abgeleitet wird, sondern gehorcht dem Prinzip der biologischen Transformation. Als Mutter künftiger Königssöhne ermöglicht und befestigt die Königin das Kontinuum der Macht. Die Aufgabe der Sicherung der Nachkommenschaft tritt in der zeitlichen Abfolge hervor, die durch Geburt, Erziehung und Regierungsübernahme des Thronfolgers bezeichnet wird. Der Körper der Königin ist daher kein doppelter, vielmehr ein funktionaler Leib, der das Fortpflanzungsgesetz der Dynastie, nicht aber das Königtum in sich beschließt.108 Wo den König die Entität von Natur und Institution bestimmt, erfüllt sich die Rolle der Königin durch die Überführung der Natur in Institution; bleibt der König mit der nach den Regeln der politischen Theologie gedachten Einheit seines Körpers der Präsenz der Macht zugeordnet, so die Königin mit ihrem Leib der funktionalen Gewährleistung einer Herrschaft, die sich erst im Königtum des Sohnes verwirklicht. „Der Souverän“, hat Walter Benjamin über den Monarchen des frühneuzeitlichen Absolutismus bemerkt, „repräsentiert die Geschichte.“109 Die Königin aber, ließe sich ergänzen, bezeichnet deren naturrechtlich determinierte Kontinuität durch das Konzept der dynastischen Tradierung von Herrschaft.110

107 Einen ähnlichen Befund formuliert Regina Schulte, wenn sie über den Leib der Königin bemerkt, „seine politische Kraft“ scheine „der Nähe zu einem männlichen Körper zu bedürfen“ (R.S., Der Körper der Königin – konzeptionelle Annäherungen, in: Der Körper der Königin, hg. v. Regina Schulte, S. 11–23, S. 11). 108 Nicht nachvollziehbar hier die Position von Marie Axton, The Queen’s Two Bodies. Drama and the Elizabethan Succession, London 1977, S. 12 ff., die davon spricht, daß die Kronjuristen Elisabeth einen zweiten politischen Körper ‚verliehen‘ hätten; vgl. dagegen Ursula Machoczek, Die regierende Königin – Elizabeth I. von England, S. 224 ff. (mit dem Nachweis einer juristischen Spezialbewertung Elisabeths und der Reduktion ihrer Person auf den body natural). 109 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, in: Gesammelte Schriften, hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1972 ff., Bd.I, S. 245. 110 Abweichend von den hier vorgetragenen Überlegungen Jill Bepler, Die Fürstin im Spiegel der protestantischen Funeralwerke der Frühen Neuzeit, in: Der Körper der Königin, hg. v. Regina Schulte, S. 135–161, die – im Anschluß an die Arbeit von Marie Axton – in der Trauerliteratur eine politische Dimension des Körpers der Königin bezeichnet findet, dabei jedoch allzu leichtfertig mit Kantorowicz’ Unterscheidung umgeht, insofern sie die Rhetorik des Herrscherlobs mit der Erzeugung eines ‚body politic‘ gleichsetzt. So wird die ‚Verkörperung‘ der Macht zu einem diskursiven Universalereignis, ohne daß die juristische

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Aus dieser Rollenbegründung leitet sich die unter den Staatsjuristen der Frühen Neuzeit verbreitete Auffassung ab, daß die Königin auch in der Funktion der Alleinherrscherin einzig über eine provisorisch-temporäre Macht verfüge. Die Regierung einer Monarchin, so führt Jean Bodin 1583 in seinen Six livres de la république aus, sei als Verstoß gegen das Naturrecht zu werten, das die Rolle des Souveräns allein dem Mann zubillige.111 Ludwig Milichius betont 1567, daß Frauen in der Rolle des Staatsoberhaupts nicht selten „Unbarmhertzigkeit und Tyranney“ an den Tag legten, weil sie für ihr Amt nicht geschaffen seien.112 In Johann Sebastian Mitternachts Schuldrama Die Edle Regiments=Kunst (1667) erklärt Politica, die Allegorie der klugen Herrschaftskunst, ebenso grob wie unmißverständlich, daß ein „Weiber= Regiment gar selten wohl zu gerathen“ pflege: „Denn ob wohl einige Exempel der Weiber vorhanden / die wohl regieret haben / so macht doch eine Schwalbe keinen Sommer.“113 Hobbes’ Leviathan empfiehlt, innerhalb der – als Modell der Herrschaftstradierung bei ihm bevorzugten – genealogischen Erbfolge der Krone „von den eigenen Kindern lieber männliche als weibliche“ auszuwählen, da „Männer von Natur aus sich für mühsame und gefährliche Handlungen besser eignen als Frauen.“114 Im Detail sind allerdings die Differenzen zwischen den Rechtskodifizierungen zu bedenken, die in den einzelnen europäischen Ländern Funktionen und Befugnisse der Frauenregierung fixierten. Die dynastischen Bestimmungen des Heiligen Römischen Reichs sahen für die Landesherrschaft ein weibliches Interregnum grundsätzlich nicht vor, da das geltende Erstgeburtsrecht (Primogenitur) die Kontinuität männlicher Herrschaft auch im Fall

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Konstruktionslogik des Zwei-Körper-Modells hinreichend Berücksichtigung findet. Eine ähnliche Tendenz taucht in dem Beitrag von Horst Wenzel auf (H.W., Zwei Frauen rauben eine Krone. Die denkwürdigen Erfahrungen der Helene Kottannerin (1439–1440) am Hof der Königin Elisabeth von Ungarn (1409–1442), in: Der Körper der Königin, S. 27–48). Der ‚body politic‘ ist aber nicht der Reflex metaphorischer Rede, sondern das Funktionselement einer juristischen Herrschaftskonstruktion, die – auch in der Tudor-Periode – von der unbedingten männlichen Dominanz im politischen Machtsystem ausgeht. Jean Bodin, Six livres de la république, lib.VI, cap.5, S. 1010: „(…) si le droit naturel est violé en la gynecocratie, encore plus est le droit civil & le droit des gents, qui veulent que la femme suyve le mari (…)“. Ludwig Milichius, Schrap Teufel Was man den Herrschaften schuldig sey (…) (1567), in: Teufelbücher in Auswahl, hg. v. Ria Stambaugh. Bd.I, Berlin 1970, S. 187–379, S. 251. Johann Sebastian Mitternacht, Politica Dramatica. Das ist Die Edle Regiments=Kunst In der Form oder Gestalt einer Comoedien / in Hoher Standes= und anderer vornehmer Personen vorgestellet, in: Johann Sebastian Mitternacht, Dramen (1662–1667), hg. v. Marianne Kaiser, Tübingen 1972, S. 268 (IV,3). Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 153 (Teil II, Kap. 19).

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schwieriger Sukzessionsverhältnisse durch die lineare Erbfolge sicherte.115 Die Primogenitur war im Spätmittelalter durch die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (1356), die, wie Hermann Conring 1643 schrieb, die hohe Autorität des sächsischen Rechts demonstrierte, in Ergänzung zur älteren – longobardischen – Lehensordnung der Libri Feudorum neben dem Gebot der Unteilbarkeit des Amtes als verbindliches Prinzip zur Bestimmung der Sukzession festgesetzt worden.116 Wenn männliche Erben fehlten, regelte man die Thronfolge über familiäre Nebenlinien nach dem Muster verwandtschaftlicher Nähegrade, so daß die dynastische Kontinuität gesichert blieb. Lediglich die mittleren und kleineren deutschen Territorialstaaten gestatteten eine provisorische Amtsübernahme durch die Fürstin für den Fall, daß der Landesherr verstorben und der erbberechtigte Sohn noch minderjährig war. Insbesondere in Grafschaften mit überschaubaren Regierungsgebieten galt diese Konstellation, die der Fürstin zumindest vorübergehend die Staatsgewalt verschaffte, während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als keineswegs ungewöhnlich. Für die ausgedehnten, politisch einflußreicheren Territorien wie Bayern, Hessen-Kassel oder Württemberg schlossen die juristischen Bestimmungen der Sukzession allerdings, ebenso wie auf der Ebene des Reichs, ein weibliches Interregnum – das es in ottonischer Zeit noch gegeben hatte – konsequent aus.117 In Frankreich konnte dagegen die Königin als Witwe des Königs bzw. Mutter minderjähriger (oder debiler) Söhne gemäß älterem (salischem) Recht die Herrschaft stellvertretend übernehmen, wie es bei Katharina von Medici (1560–1598), Maria von Medici (1610–1617) und Anna von Österreich (1643–1651) der Fall war. Hier wurde das Prinzip der Primogenitur, das allein männliche Erben kannte, an einem entscheidenden Punkt durchbrochen; wenn der Thronfolger nach dem Tod seines Vaters noch unmündig war, griff das Recht der Sukzession nicht auf einen entfernteren männlichen Verwandten über, vielmehr sah das salische Gesetz – analog zur Praxis in kleineren 115 Jürgen Weitzel, Artikel „Primogenitur“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. v. Adalbert Erler u. Ekkehard Kaufmann, Berlin 1984, Bd. 3, Sp.1950–1955; vgl. Wolfgang Weber, Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1992, S. 314 ff. 116 Hermann Conring, De origine juris Germanici (1643), in: Opera, hg. u. mit Anmerkungen v. Johann Wilhelm Göbel. Neudruck der Ausgabe Braunschweig 1730. 7 Bände, Aalen 1970–73, Bd. VI, S. 77–187, S. 162 f. (Cap.XXXI). 117 Zur Erbfolgeregelung in den deutschen Territorialstaaten des 17. Jahrhunderts vgl. Heide Wunder, Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Frauen in der Geschichte des Rechts, hg. v. Ute Gerhard, München 1997, S. 27–54, S. 47 ff., zum weiblichen Interregnum im 11./12 Jahrhundert Amalie Fößel, Die Königin im mittelalterlichen Reich, S. 319 ff.

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deutschen Territorien – ein Interregnum der Mutter für die Dauer der Minorennität des Erben vor. Katharina von Medici übte auf diese Weise, nachdem ihr Gemahl Heinrich II. und ihr ältester Sohn Franz II. in rascher Folge 1559 bzw. 1560 verschieden waren, nahezu drei Dekaden lang die Regierungsgewalt aus. Offiziell amtierte sie für ihre nicht handlungsfähigen Nachkommen Karl IX. (gestorben 1574) und Heinrich III. (gestorben 1589), die sich aufgrund ihres schwankenden Geisteszustands de facto in einem Stadium dauerhafter Minorennität befanden, so daß die Krönung politisch keine Bedeutung gewann. Katharina von Medici füllte ihre Position mit Machtbewußtsein und Gestaltungswillen aus, auch wenn sie niemals als offizielle Herrscherin, sondern stets als Bevollmächtigte ihrer umnachteten Söhne agierte. Auf dem schmalen Grat zwischen Rücksichtslosigkeit und Diplomatie, Härte und strategischem Gespür operierte die Königin mit einem politischen Geschick, das demonstrierte, daß sie auf ihr schwieriges Amt glänzend – weit besser als zahlreiche ihrer männlichen Nachfolger – vorbereitet war. Die Faszination, die von ihrer exponierten geschichtlichen Rolle ausging, spiegelt sich in zahlreichen literarischen – insbesondere dramatischen – Darstellungen im breiten Spektrum zwischen Marlowe und Gottsched (wobei zumeist ihre Verantwortung für die Morde der Bartholomäusnacht von 1572 beleuchtet wurde).118 Auch Maria von Medici, die ihr Gemahl Heinrich IV. am 13. Mai 1610, dem Tag vor seiner Ermordung, zur Mitregentin erklärt hatte, amtierte als Königin mit eigenen innen- und außenpolitischen Vorstellungen. In maßgeblichen Entscheidungsfällen ließ sie sich zwar von ihrem italienischen Berater Concini, dem Marquis d’Ancre, beeinflussen, jedoch zeigte sie sich bestrebt, die Richtlinien des Regierungshandelns im Sinne einer prokatholischen Interessenwahrung allein zu bestimmen (das Bild der schwachen Herrscherin, das Christian Weise 1681 in seinem Trauerspiel Der gestuerzte Marggraff von Ancre skizzierte, entsprach kaum der Realität). Den Anspruch auf die souveräne Ausfüllung ihres Amtes begründete Maria von Medici mit der Sorge um ein Anwachsen des protestantischen Einflusses in Frankreich. Wenn sie am Ende mit ihrer papsttreuen Kirchenpolitik scheiterte, so leitete sich das nicht aus ihrem problematischen Rechtsstatus, sondern aus der Tat-

118 Christopher Marlowe, The Massacre at Paris: With the Death of the Duke of Guise (1592), Oxford 1928; Johann Christoph Gottsched, Die parisische Bluthochzeit König Heinrichs von Navarra (1745), Ausgewählte Werke, hg. v. Joachim Birke u. a., Berlin, New York 1968 ff., Bd. II, S. 199–279. – In beiden Fällen wird ein dezidiert negatives Bild Katharinas entworfen. Marlowe zeigt sie als listige Intrigantin (vgl. v.24 f., 782f), Gottsched – nun schon aus moralistisch-aufgeklärtem Blickwinkel – als Machiavellistin (S. 203, I,2, v.56 f.).

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sache ab, daß sie vor dem Hintergrund der bedrohlichen konfessionalistischen Konflikte im Land die falsche politische Option – für die Kurie, gegen den absoluten Staat – wählte. Die europäischen Nachbarn sahen in der strikt katholischen Linie Marias das Indiz für die Subordination unter die Vorgaben des Heiligen Stuhls; es sei bedenklich, so bemerkte selbst James I. zu Beginn des Jahres 1615, daß die Päpste sich anmaßten, über den französischen Thron zu verfügen, als sei er ein Tennisball („That Popes may tosse the French King his Throne like a tennis ball“).119 Nur unter dem Druck offener Gewalt gab die Königin nach Jahren des schleichenden Autoritätsverlusts ihrem Sohn Ludwig XIII. im April 1617 den Schaltplatz der Macht preis; in späteren Jahren suchte sie immer wieder, wenngleich ohne dauerhaften Erfolg, Einfluß auf die Leitlinien seiner Regierung zu gewinnen. Dagegen sah sich Anna von Österreich, die 1643 stellvertretend das Zepter übernahm, lediglich in der Rolle der Wegbereiterin Ludwigs XIV.; als der Dauphin 1651 für mündig erklärt wurde, räumte sie nach achtjährigem Interregnum bereitwillig den Thron. Im Unterschied zu den Medici-Königinnen, die ausgeprägtes Machtbewußtsein entfalteten, begründete die von ihrem Vertrauten Mazarin – dem Nachfolger Richelieus – gelenkte Anna ihr Selbstbild allein aus einer dienenden Funktion, die den politischen Raum für die Zukunft des Kronprätendenten öffnete. Die Königinmutter, die nach solchem Amtsverständnis den Sohn wie eine Effigies repräsentiert, richtet ihr Handeln auf den Moment aus, da der Dauphin die Bühne der Politik betritt. Ihr Körper fungiert als Surrogat für den Leib des noch nicht handlungsfähigen Thronerben, den sie zur Welt brachte; er ist ein Medium ohne eigene Formen: eine Allegorie der Erwartung. Das Interregnum der Königinmutter gleicht so einer zweiten Geburt, die erst in dem Moment abgeschlossen wird, da sie hinter ihrem mündigen Sohn in die Welt der bloßen Repräsentation zurückgleiten kann. Auch im russischen Zarenreich ließen die Verhältnisse prinzipiell eine weibliche Regierung mit eigenen Thronansprüchen zu, jedoch existierten keine verbindlichen Rechtsnormen, die die Sukzession eindeutig regelten. So hatten nach dem Tod Peters I. (1725) mehrfach Frauen aus der Zarenfamilie – Katharina I. (1725–27), Anna I. (1730–40), Katharina II. (1762–96) – die Herrschaftsgewalt inne, ohne daß ihr Status allerdings juristisch abgesichert

119 James I., A Remonstrance for the Right of Kings, And the Independance of their Crownes (1615), in: [James I], A Collection of His Maiesties Workes, London 1616. Faksimile-Nachdruck, Hildesheim, New York 1971, S. 381–484, S. 382. Bemerkenswert ist, daß James I. von „King“ spricht, den Bezug auf Maria von Medici also vermeidet.

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war.120 Der Zar besaß die Möglichkeit, seinen Nachfolger zu bestimmen und dabei das Gesetz der Primogenitur zu übergehen. Auf diese Weise konnten komplizierte Konstellationen mit zweideutigem Rechtscharakter entstehen, die eine Gefährdung der politischen Stabilität bedeuteten. So ernannte Peter I. seine Ehefrau Katharina 1724 zu seiner Mitregentin, verknüpfte damit aber noch keine verbindliche Festlegung der Herrscherfolge; als er ein Jahr später starb, bedurfte Katharina daher der Unterstützung durch die kaiserliche Garde, um ihre Kronansprüche gegen die Zarenfamilie durchzusetzen. Der Thronbesteigung Katharinas II. (1762) gingen wiederum eine Palastrevolte und die Ermordung ihres Ehemanns Peter III. voraus – Verhältnisse, die die weibliche Herrschaft zu einem (prinzipiell legitimen) Ausnahmefall im Zeichen einer destabilisierten dynastischen Ordnung machten. Im englischen Recht galten seit dem Mittelalter Erbfolgebestimmungen, die es in besonderen Situationen zuließen, daß Frauen Land und Regierungsverantwortung von ihren Ehemännern oder Söhnen übernahmen. In Bractons wegweisendem Werk konnte man lesen, daß zwar grundsätzlich Söhne bei der Regelung von Nachlaßfragen bevorzugt seien, andererseits aber beim Fehlen direkter Erben der Grad der verwandtschaftlichen Nähe stärker ins Gewicht falle als das Geschlecht: „Ut si quis hereditatem habens genuerit ex se filium et filiam, unam vel plures, si omnes fuerint heredes antecessoris, masculus exus in successione semper praeferri debet sexui feminino. Numquam enim ad successione vocatur femina quamdiu aliquis heres superfuerit ex masculo, nisi contrarium faciat modus donationis.“121 Unter mehreren legitimen Kindern eines Testators sind jeweils die Söhne gegenüber den Töchtern bevorrechtigt; der Sohn verkörpert den juristischen Idealtypus des Erben: „Legitimus vero heres et filius est quem nuptiae demonstrant esse legitimum, sicuti ille qui natus est ex legitimo matrimonio (…)“122 Fehlen jedoch die direkt erbberechtigten Söhne, so geht der Nachlaß an die Töchter und nicht an entfernt verwandte männliche Erben über: „Item eodem modo facit linea feminam heredem propinqiorem in linea recta descendentem, et excludet masculum in linea transversali.“123 Die Beispiele, die Bracton anführt, um diesen Grundsatz zu erläutern, zeigen die wesentliche Differenz gegenüber dem römischen und sächsischen Recht. Die Erbfolge verläuft hier nicht unter kompletter Aussparung weib120 Vgl. zu den komplizierten Rechtsverhältnissen im Spannunsgfeld zwischen Kirche (Patriarchat) und Krone (Zarentum) die Arbeit von Helmut Neubauer, Car und Selbstherrscher. Beiträge zur Geschichte der Autokratie in Rußland, Wiesbaden 1964, S. 81 ff. 121 Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 190. 122 Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 185. 123 Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 190.

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licher Angehöriger, sondern gestaltet sich allgemein nach dem Kriterium der Verwandtschaftsgrade, das von der Natur der Geburt bestimmt, mithin geschlechtsunabhängig ist: „Item sanguis facit heredem propinquiorem (…)“.124 Folgerichtig bleibt es, daß die Frau nicht nur als Erbin, sondern auch als legitime Erblasserin auftreten kann, deren Testament volle Gültigkeit besitzt: „Mulier vero quae sui iuris extiterit taestamentum facere poterit (…)“125 Die einzige Bevorzugung männlicher Erben gegenüber weiblichen äußert sich dort, wo die Ansprüche von Söhnen ohne Einschränkung höher zu bewerten sind als die von Töchtern. Das ist eine quantitative Abwägung, deren normativer Charakter jedoch hinter die qualitative Festlegung zurücktritt, derzufolge Verwandtschaftsgrade nur unter Einbeziehung weiblicher Familienangehöriger als Indikatoren für die Regelung von Nachlaßfragen berücksichtigt werden dürfen. In der übergreifenden Bewertung verschafft das englische Recht durch seine geschlechtsindifferente Interpretation des Nähekriteriums der Frau den Rang einer potentiellen Erbin, den ihr das justinianische Corpus Juris Civilis vorenthalten hatte. Den bei Bracton formulierten juristischen Prinzipien entsprach es, daß nach der Praxis der Tudor-Periode das Königsamt mit voller Regierungsverantwortung an eine Frau vererbt werden konnte, wenn ein direkter männlicher Nachfolger fehlte. Vor dem Hintergrund des geltenden Erbrechts konnten Mary I. (1553–58) und Elisabeth I. (1558–1603) zumindest formal in ungeteilter Autorität das Zepter führen. Jedoch demonstrierte gerade die kontroverse Diskussion über die Rolle Elisabeths, daß man die Regentin auch hier – primär aus dynastischen Gründen – den Normen der ihr zugedachten biologischen Zweckerfüllung unterwarf. Elisabeths Position war aus mehreren Gründen gefährdet; als Tochter Anne Boleyns, die Heinrich VIII. 1536 nach dreijähriger Ehe verstoßen und hatte hinrichten lassen, blieb ihr Erbanspruch im formaljuristischen Sinne aufgrund schwankender Testamentsbestimmungen ihres Vaters uneindeutig; die Kurie hielt sie für eine illegitime Herrscherin, weil sie einer durch den Papst nicht gesegneten Ehe (nach Heinrichs Scheidung von Katharina von Aragon) entsprossen war; zudem konnte sie ihr Amt weder aus der Rolle der Witwe noch aus der Funktion der Vertretung unmündiger Kinder ableiten, was wiederum ihren umstrittenen Status als Erbin Heinrichs mit besonderem Begründungszwang belastete. Vor allem in den ersten Jahren nach ihrer Inthronisation im November 1558 konfrontierte das Parlament die Herrscherin mit der offenen Forderung, daß sie eine Ehe zu schließen und der Krone Kinder zu gebären 124 Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 190. 125 Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 178.

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habe, damit die Fortdauer des Hauses Tudor gesichert sei; gesteigert wurde das Drängen der Lords durch die Furcht vor einem plötzlichen Tod der Königin, die unter dem Eindruck ihrer lebensbedrohlichen Pockenerkrankung im Oktober 1562 weitere Nahrung erhielt. Den fragilen Rechtsstatus Elisabeths beleuchtet ein anschauliches Beispiel aus der ersten Dekade ihrer Regierung, in der die Monarchin noch nicht über jene Machtbasis verfügte, die sie sich später durch eine erfolgreiche Außenpolitik verschaffte. Im Jahr 1566 stellte die Königin eine für Friedenszeiten ungewöhnlich hohe Subsidienforderung an die Parlamentarier, die deren Bewilligung nach längerer Beratung von ihrem Versprechen abhängig machten, durch eine Heirat einen ersten Schritt zur Vorbereitung ihrer Nachfolge zu tun.126 Auf diesen Vorschlag eines Junktims antwortet Elisabeth in einer Rede vom 5. November 1566 im Ton verbindlich, jedoch unter Zurückweisung der anmaßenden Position der Lords („A straunge thynge that the foote sholde dyrecte the hede in so weyghtye a cause“127). Sie versichert, daß eine Eheschließung ihr eigenes Ziel sei, jedoch kluge Vorsicht verlange, da die jüngere Geschichte – eine Anspielung auf die Mesalliance zwischen Maria Stuart und dem Grafen Darnley – abschreckende Exempel für die fatalen Folgen einer falschen Wahl liefere: „And therefore I saye ageyn, I will marrye assone as I can covenyentlye, yf God take not hym awaye with whom I mynde to marrye, or my self, or els sum othere great lette happen.“ Mit Nachdruck fügt sie hinzu, daß auch sie sich die Mutterschaft wünsche: „And I hope to have chylderne, otherwyse I wolde never marrie.“128 Diese Aussage trägt keineswegs den Charakter eines intimen Bekenntnisses, sondern impliziert eine politische Bedeutung von erheblichem Gewicht. Wenn die Herrscherin in poetischem Stil ankündigt, sie werde einen klug agierenden Heiratskandidaten wie einen Engel aufnehmen, so erklärt sie damit ihren Willen zur aktiven Sicherung der Dynastie. Noch im Februar 1559, drei Monate nach ihrer Krönung, hatte die junge Königin selbstsicher das Glück ihres ehelosen Stands gepriesen: „I hapelie chose this kynde of life in which I yet lyve“.129 Wenige Jahre später operiert Elisabeth rhetorisch kunstvoller, indem sie ein Bekenntnis zu ihrem ungebundenen Status vermeidet und an

126 Zur Vorgeschichte Ursula Machoczek, Die regierende Königin – Elizabeth I. von England, S. 201 ff. 127 Thomas E. Hartley (Hg.), Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. Vol. I (1558–1581), London, New York 1981, S. 147. 128 Thomas E. Hartley (Hg.), Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. Vol. I (1558–1581), S. 147. 129 Thomas E. Hartley (Hg.), Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. Vol. I (1558–1581), S. 148; S. 44.

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ihrer Heiratswilligkeit keine Zweifel läßt. Die Erfüllung der Mutterrolle erweist sich für sie angesichts der Forderungen der Parlamentarier als das zentrale Gebot der herrscherlichen prudentia. Die Königin, so weiß sie, ist einzig dann eine gute Monarchin, wenn sie Söhne gebiert, die sie beerben können. Am Ende wurde der Streit mit den Lords beigelegt, weil Elisabeth ein Drittel ihrer Subsidienforderung zurückzog, um den Eindruck der Erpreßbarkeit zu vermeiden. Obwohl die Königin damit ihre Souveränität unter Beweis gestellt zu haben schien, beleuchtete der Machtkampf mit dem Parlament die geschwächte Position einer Regentin, die an biologischen, nicht an politischen Kriterien gemessen wurde. Das Intermezzo zeigt, daß die Lords Elisabeth nur dann als Herrscherin akzeptierten, wenn sie bereit war, durch Heirat und Mutterschaft ihre Nachfolge zu regeln. Die Königin besaß keinen politischen Leib, sondern mußte sich an ihrer Gebärleistung messen lassen, die das Parlament auch in den folgenden Jahren mit machtbewußtem Nachdruck von ihr einforderte. Die Haltung der Lords spiegelt Bacons bereits zitierte Bestimmung, daß sich das Institut des Königtums allein im Körper des Königs repräsentiert finde („it is entirely in the king“130). Die Macht der Monarchin bleibt ein Surrogat für die Präsenz des abwesenden alten oder des noch nicht handlungsfähigen neuen Königs.131 Während im Normalfall männlicher Herrschaft die Institution vom natürlichen Leib beherbergt wird, vertritt im Ausnahmefall weiblicher Regentschaft der natürliche Leib einen absenten männlichen Körper, der body natural und body politic vereint. Diese Absenz kann als faktische Form eines Machtdefizits, wie in der ValoisDynastie, oder als virtueller Mangel, wie im Tudor-Haus, aufgefaßt werden. Der body politic ist die Differenz, die innerhalb der männlichen Welt der Herrschaft die Ordnung der Geschlechter erzeugt.

5. Hofmalerei und Drama Auch wenn die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rolle der Königin festlegen, in den einzelnen Staaten Mitteleuropas höchst gegensätzlich ausfallen, ist zu beobachten, daß eine eindeutige Regelung ihrer politischen 130 Francis Bacon, Case of the Post-Nati of Scotland, Works, Vol. VII, S. 668. 131 Solche Formen der Repräsentation sind typisch für die politischen Verhältnisse der Frühen Neuzeit, die ihre Bestandteile ineinander abbilden (die hierarchische Ordnung des Hofes spiegelt das Königtum, der Dienst des Ministers die Rolle des Herrschers als vicarius). Das Ganze dieser politischen Welt ist jedoch stets mehr als die Summe ihrer Teile; das wiederum entspricht dem Verhältnis von natürlichem und institutionellem Körper. Vgl. hier Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1998, Bd. II, S. 947 ff.

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Körperschaft selbst dort unterbleibt, wo ihr die Legitimation zur eigenständigen Ausübung des Herrscheramtes – wie in England – zugebilligt wird. Umso aufschlußreicher sind die kulturellen Ausdrucksformen, die diesen juristischen Mangel mit einer vieldeutigen Zeichensprache verbergen. Die symbolischen Inszenierungen, die die Regentin in Malerei, höfischem Ballett und Maskenspiel erfährt, suchen ihren defizitären Status – anders als Porträts und Büsten über dem Grab – durch mythische Überhöhungen zu verdecken. Die Bildkunst der Spätrenaissance und des Barock präsentiert die Figur der Königin nicht nur als idealisierte Gestalt mit erotischen Attributen, sondern häufig als antike Göttin neben olympischem Hofstaat, die machtvoll die gesamte Schöpfung lenkt.132 Die Monarchin erscheint auf diese Weise in der Rolle der Naturbeherrscherin, deren politischer Einfluß kosmische Dimensionen gewinnt. Was Cupido als Personifikation der Liebe in Ben Jonsons allegorischem Maskenspiel Love Freed from Ignorance and Folly (1616) über den Regenten James I. sagt, gilt in der Malerei ebenso für die Königin: „The King’s the eye, as we do call | The sunne the eye of this great all. | And is the light and treasure too; | For ’tis his wisdome all doth too.“133 Die ästhetisch inszenierte Monarchin gerät zur Göttin, an deren sinnlichen Reizen zugleich eine überschießende Machtfülle sichtbar werden soll. Maler wie Hilliard, Huret, de La Hyre, de Leu, Rubens und Vouet verbinden die Illustration einer scheinbar unumschränkten Autorität mit den Topoi des traditionellen Schönheitslobs, indem sie die Herrscherin als Artemis, Minerva und Amazone oder als attraktive Grazie in der Gesellschaft der Olympischen vorführen. Die mythologischen Analogien erzeugen das plastische Muster eines Leibes der Souveränität und Präsenz, der dem Betrachter den Umstand verbirgt, daß seine tatsächliche Funktion darin besteht, ein Gefäß für die dynastische Kontinuität der politischen Herrschaft, nicht aber diese selbst zu repräsentieren. Die für die Frühe Neuzeit verbindliche Aufgabe der Königin, Natur in Institution zu verwandeln, wird hier verdeckt durch die suggestive Modellierung eines opulent ausgestatteten Körpers der unumschränkten Dignität, der die Fiktion der politischen Machtausübung erzeugt. Nicht die transformierende (und damit dienende) Leistung des Leibes, sondern seine erdrückende Präsenz als Zeichen der potestas – der

132 Über den Konnex von Mythos und bildhafter Panegyrik Edgar Wind, Heidnische Mysterien in der Renaissance. Mit einem Nachwort von Bernhard Buschendorf. Übers. v. Christa Münstermann unter Mitarbeit v. Bernhard Buschendorf u. Gisela Heinrichs, Frankfurt/M. 1987 (= Pagan Mysteries in the Renaissance, 1958), S. 250 ff. 133 Ben Jonson [Collected Works], ed. by Charles H. Herford and Percy Simpson. 11 Vol. , Oxford 1925–1952, Vol. VII, S. 368.

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„Herrschaftsgegenwart“134 – tritt in solchen Bildern zutage; die transitorische, provisorische und rein funktionale Bestimmung des Körpers der Königin scheint verdrängt von einer Inszenierung der Fülle, des Überschusses und der Evidenz.135 Charakteristische Beispiele liefern hier die Porträts der Medici-Königinnen, die das spannungsvolle Zusammenwirken unterschiedlicher Rollenmuster dokumentieren. Auf einem 1561 entstandenen Gemälde, das vermutlich ein Künstler aus der Werkstatt François Clouets geschaffen hat, wird Katharina von Medici mit ihren drei Söhnen Karl, Heinrich und Hercule-François sowie ihrer Tochter Marguerite gezeigt (die bereits verheirateten Schwestern Elisabeth und Claude fehlen). Dominant wirkt die Geste der Mutter, die ihre Hände schützend auf die Schultern des elfjährigen Thronfolgers Karl gelegt hat, was nicht als Zeichen privater Intimität, sondern als Merkmal politischer Fürsorge im Interesse der Sicherung der Sukzession zu deuten ist (sein Bruder Franz I. war wenige Monate zuvor gestorben). Die Plazierung der Personen entspricht ihrem jeweiligen Gewicht in der Dynastie: hinter dem Dauphin steht der nächstfolgende Sohn Heinrich; der sechsjährige HerculeFrançois ist weiter unten positioniert und stemmt einen Fuß auf das Postament, während der Körper der Prinzessin Marguerite durch ihre Brüder nahezu verdeckt wird. Der Leib Katharinas hebt sich aufgrund des dunklen Kleides, das sie trägt, nur unvollkommen vom schwarzen Hintergrund ab. Hände, Hals und Gesicht ragen durch ihr strahlendes Weiß aus dem Bildzusammenhang hervor. Es scheint, als ob die Königin einzig durch ihre mütterliche Gebärde existiere; sie ist die Beschützerin ihrer Kinder, ohne über die äußeren Requisiten der monarchischen Macht zu verfügen. In dieser Rolle beschreibt sie auch der Gedichtzyklus, den Pierre de Ronsard um 1560 unter dem Titel Discours à la Royne verfaßt hat. Das Gebet, mit dem die erste Ode auf die Königin ausklingt, betont explizit ihre Mutterschaft: „O Dieu qui de là haut nous envoyas ton Fils, | Et la paix eternelle avecques nous tu fis, | Donne (je te suppli) que ceste Royne mere | Puisse de ces deux camps appaises la colere (…)“136

134 Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch, S. 101. 135 Daß solche Inszenierungen auf Oberflächenwirkungen zielen und oftmals mit Korrekturen, Relativierungen und Gegenentwürfen durchsetzt sind, die die politische Macht der Herrscherin durch den Rückgriff auf die Bedeutung der (in ihr gerade nicht verkörperten) Staatsgewalt in Frage stellen, hat bereits Martin Warnke, Kommentare zu Rubens, Berlin 1965 (bes. S. 57 ff.) gezeigt. 136 Pierre de Ronsard, Œuvres complètes II. Edition etablié, presentée et annotée par Jean Céard, Daniel Ménager et Michel Simonin, Paris 1994, S. 991 ff., hier S. 996.

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3. François Clouet (Werkstatt): Katharina von Medici und ihre Kinder (1561), Privatbesitz.

Nach 1561 porträtierte man Katharina kaum noch im familiären Kreis, sondern in der Pose der unabhängigen Monarchin, die Autorität und Entschlossenheit ausstrahlt. Auf den meisten Bildern trug sie Trauergewänder oder zumindest einen dunklen Schleier, was ihren tatsächlichen Kleidungsvorlieben entsprach (das Volk nannte sie bekanntlich ‚die schwarze Königin‘, weil sie ihren Witwenstatus ostentativ vorführte). Gerade die Gebärde des melancholischen Ernsts wird in den späteren Porträts zum Signum des Schutzes, den sie ihren Untertanen bietet. Die regierende Königin ist die Mutter ihrer Landeskinder und damit die Vertreterin einer Rolle, die Fassungskraft

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ebenso wie Strenge verlangt. Die dunklen Gewänder verhüllen die genaueren Konturen ihres Körpers und verleihen ihr den Charakter der einsamen Monarchin, die, anders als im Familienbild, ihre Identität aus sich selbst, nicht aus einem interpersonalen Beziehungsgefüge gewinnt. Das Schwarz der Trauer verweist zugleich auf den toten König, dessen Rang seine Witwe innehat. Es ist ein korrigierendes Zeichen, das unaufdringlich daran erinnert, daß Katharinas Herrschaft sich nicht der Präsenz weiblicher, sondern der Absenz männlicher Macht verdankt. Die ‚schwarze Königin‘ ist eine Statthalterin, deren Leib den politischen Körper des Herrschers und nur über ihn vermittelt das Amt einschließt, das sie vertritt. Die panegyrische Tendenz, die das höfische Bild der Königin seit der Spätrenaissance aufweist, spiegelt sich exemplarisch in den 24 Gemälden des berühmten Zyklus, den Peter Paul Rubens zwischen 1621 und 1625 als Auftragswerk für Maria von Medici schuf. Er beleuchtet eine chronologische Abfolge markanter biographischer Ereignisse von Marias Geburt am 26. April 1575 über ihre Verlobung und Eheschließung mit Heinrich IV. am 9. Dezember 1600, die Entbindung des Thronerben Ludwig in Fontainebleau, den Tod Heinrichs und ihre Proklamation zur Königin am 14. Mai 1610 bis zu ihrer Entmachtung durch den Sohn am 24. April 1617 und der (vorübergehenden) Rückkehr nach Paris am 3. November 1621.137 Der Zyklus erfaßt Erfolge und Niederlagen im Leben der Königin mit einem durchgreifenden Willen zur allegorisch-mythologischen Inszenierung, deren Technik freilich Momente der Relativierung und Korrektur des panegyrischen Herrscherinnen-Bildes einschließen kann. Die überhöhende Zeichensprache der Gemälde erlaubt es Rubens zunächst, auch Schicksalsschläge in Marias Biographie – so die demütigende Absetzung durch Ludwig XIII. – in das Licht der legendenhaften Verklärung zu rücken. Die Königin agiert vorwiegend auf einer mythisch-typisierenden Bedeutungsebene, als keusche Jungfrau, gewappnete Amazone oder Sinnbild der Staatsklugheit138; ihren Körper arrangiert der Zyklus mit wenigen Ausnahmen im Zentrum personenreicher Tableaus, so daß der Blick automatisch auf ihn und seinen exponierten Status gelenkt wird. Bemerkenswert ist zumal Rubens Technik, Maria von Medici in der Gemeinschaft der Götter vorzuführen und ihr damit über Umwege eine mythische Rolle zuzuschreiben. So zeigt ein Gemälde, wie die junge Maria durch

137 Vgl. Martin Warnke, Kommentare zu Rubens, S. 55 ff. 138 Über Rubens’ Politikverständnis im Kontext des niederländischen Neostoizismus vgl. Martin Warnke, Kommentare zu Rubens, S. 33 f., Reinhard Brandt, Philosophie in Bildern. Von Giorgione bis Margritte, Köln 2000, S. 244 ff.

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4. Peter Paul Rubens: Der Rat der Götter (Ausschnitt), aus dem Maria-von-Medici-Zyklus (1622–1625), Musée du Louvre, Paris.

Minerva erzogen wird; ein späteres Bild präsentiert dieselbe Göttin als Retterin, welche die Königin aus der Schutzhaft in Blois befreit, wohin sie Ludwig nach der Thronbesteigung verbannt hatte. In mehreren Tableaus des Zyklus gewinnt Maria die Züge der Juno, die über allen Himmlischen rangiert – besonders signifikant in jenem Gemälde, das sie im Konzil der Götter porträtiert, wo sie sich mit dem auf dem Thron sitzenden (die Züge Heinrichs IV. tragenden) Jupiter in würdiger Gebärde berät. Durch die Interaktion mit den

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Olympischen empfängt die Person der Königin, die zuweilen ohne höfisches Dekor kreatürlich-nackt auftritt, eine überirdische Dimension. Der Körper Marias verknüpft auf harmonische Weise die Zeichen der (kulturell überformten) Natur und der Macht, indem er seine menschlichen Züge im Zusammenwirken mit den Göttern verfeinert und entgrenzt. Der Leib der Herrscherin trägt die Attribute der durch Schönheit herausragenden Sterblichen, gehört aber zugleich zur Welt des Olymps; der Besitz der Krone verschafft ihrer Physis jene Persistenz, die sich bei Rubens durch die vertrauten Symbole der mythologischen Tradition vergegenständlicht findet. Der Zyklus erzeugt damit den durch die zeitgenössische Rechtswirklichkeit nicht gedeckten Eindruck, als berge der Körper der Königin das Institut des Königtums. Die Interaktion mit den Göttern schafft die Fiktion der unsterblichen ‚persona‘ (im Sinne der Rolle) und illustriert die Bedeutung der Dauer, die dem Gesetz des Verfalls entzogen bleibt. Wenn die Biographie der Königin von ihrer Geburt bis zur Rückkehr nach Frankreich als mythische Erzählung Kontur gewinnt, so erhält sie den Charakter einer Legende, die keinem diesseitigen Gesetz mehr untersteht. Dabei entspricht es dem zeitgenössischen Stil, daß der Zyklus nicht auf den christlichen Mythos, sondern auf pagane Traditionen zurückgreift. Die Botschaft einer auf den Körper der Königin transferierten politischen Theologie vermittelt sich im Gewand des griechisch-römischen Mythos, der hier – wie es Edgar Wind für die Malerei der Renaissance formuliert hat – seine poetischen Potenzen entfaltet.139 Mit seiner Hilfe gelingt die gleichsam erzählerische Vergegenwärtigung einer Idee der Repräsentation, die sinnliche Leibnatur und abstrakte Ordnungskonstruktion – die Auffassung von der Dauer der herrscherlichen Dignität – zu einer anschaubaren Einheit verbindet. Ergänzt werden die narrativen Formen der antikisierenden Überhöhung bei Rubens durch allegorische Inszenierungen, die die Königin als Personifikation der militärischen Stärke, der glücklichen Regierung und des Friedens ausweisen – eine Technik, die man auch bei Thomas de Leu antrifft, wenn er Maria von Medici als Sinnbild der irdischen Gerechtigkeit darstellt.140 Die Monarchin ist hier kein menschliches Individuum, sondern ein Monument, das die Idee der klugen Herrschaft exemplarisch zur Anschauung bringt. Läßt man sich von der in der neueren Gender-Forschung verbreiteten These leiten, daß der Körper und die ihm zugeordnete Geschlechtsidentität 139 Edgar Wind, Heidnische Mysterien in der Renaissance, S. 28 ff. 140 Vgl. zum gesamten Medici-Zyklus und zu verwandten Darstellungen der Königin (mit zahlreichen Bilddokumenten) die umfassende Arbeit von Ronald Forsyth Millen u. Robert Erich Wolf, Heroic Deeds and Mystic Figures. A new Reading Of Rubens’ Life of Maria de Medici, Princeton, New Jersey 1989.

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das Produkt einer kulturellen Einschreibung repräsentiere, dann könnte man zu dem irrigen Schluß gelangen, die Hofkunst zeige hier das sozial maßgebliche Bild der Herrscherin: den mit den Attributen der Schönheit und Üppigkeit ausgestatteten Leib der Macht, dessen menschliche Gestalt ein komplettes Register göttlicher Eigenschaften einschließt.141 Wer das Feld der kulturellen Modellierung herrscherlicher imagines in seiner Gesamtheit betrachtet, stellt jedoch fest, daß hinter solchen ästhetischen Inszenierungen eine eigene Ambivalenz steht.142 „Verhüllung“, so hat Edgar Wind im Blick auf die Mythenrezeption der Renaissancekunst erklärt, sei „eine der großen Kräfte der Offenbarung“.143 Für den Sektor der Hofmalerei gilt die Umkehrung dieser Formulierung: ihre ‚Offenbarung‘ erschließt sich dem genaueren Blick als Modus der ‚Verhüllung‘, insofern sie die Fragilität der Macht verbirgt. Auch die panegyrische Malerei des 17. Jahrhunderts verfügt zudem über Techniken, mit deren Hilfe Momente der Ambivalenz inmitten der Herrschaftsinszenierung aufgezeigt werden. Für Rubens’ Medici-Zyklus hat Martin Warnke nachgewiesen, daß die Königin bisweilen durch ihren Bezug zu allegorischen Figuren als Bildgestalt aus dem Zentrum gedrängt und derart in ihrer Rolle relativiert wird. So führt das Gemälde, das die Übergabe der Regierung an Ludwig XIII. darstellt, neben Maria und dem Thronfolger im eigentlichen Mittelpunkt der Szene die Personifikation des französischen Staates ein, die Reichsapfel und Zepter trägt. Bedeutsamer als der Mensch, lautet die Quintessenz dieses Arrangements, ist die Institution, die ihre Dignität unabhängig von ihren Repräsentanten behaupten kann. Hinter der glorifizierenden Feier des Souveräns verbirgt sich damit der Hinweis auf die strukturelle Bedeutung der Staatsgewalt, von deren Priorität Rubens als Vertreter der durch Lipsius formulierten neostoischen Politikkonzeption überzeugt war.144

141 Vgl. nur Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter. Aus dem Amerikanischen von Katharina Menke, Frankfurt/M. 1991 (= Gender Trouble, 1990), S. 192 ff. (kritisch zur Frage der Priorität des Körpers, von der Michel Foucault in Histoire de la sexualité ausgeht). 142 Gewiß ist der Körper niemals das der sozialen Semantik vorgeordnete Proprium, sondern das Produkt der kulturellen Differenzierung. Wenn man aber davon spricht, daß das gesellschaftliche System ihm Bedeutungen einschreibe, so besagt das nicht, daß diese Bedeutungen kohärent sind. Vgl. Bettine Menke, Verstellt – der Ort der ‚Frau‘. in: Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika, hg. v. Barbara Vinken, Frankfurt/M. 1992, S. 436–476. 143 Edgar Wind, Heidnische Mysterien in der Renaissance, S. 27. 144 Marin Warnke, Kommentare zu Rubens, S. 57 f., Reinhard Brandt, Philosophie in Bildern, S. 240 ff.

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Das barocke Herrscherbildnis schließt Formen der Korrektur heroisierender Tendenzen ein, die durch mythologische Zitate, Rauminszenierung, Figurenanordnung und Gebärdensprache ermöglicht werden. Im Fall von Rubens’ Zyklus läßt sich zeigen, daß die auf den ersten Blick geradezu aufdringliche Demonstration weiblicher Macht durch Verschiebungen und Relativierungen ihre Eindeutigkeit verliert. In Rubens’ Bildsprache sind es jedoch nur subtile – von den königlichen Auftraggebern vermutlich übersehene – Zeichensignale, die derartige Wirkungen der Einschränkung erzielen. Deutlicher wird die strategische Dimension dieses Verfahrens, wenn man es mit den Darstellungstechniken der Literatur vergleicht. Während die panegyrische Malerei ihre Bilder der Verklärung nur in Ausnahmefällen durch korrigierende Raumarrangements und allegorische Kontrastfiguren ergänzt, präsentiert das frühneuzeitliche Drama die Gestalt einer fragilen, mit den Merkmalen der Ambivalenz versehenen Herrscherin, deren Handeln die Rückseite der barocken Hofporträts offenbart: die performative Dimension eines zerbrechlichen Rollenentwurfs.145 Wo die Bildkunst mit den Mitteln der Panegyrik verhüllt, enthüllt das Theater mit den Mitteln der Historisierung; an den Platz des Mythos tritt die Geschichte als Modell, an dem sich die Anatomie politischer Macht als stets gefährdetes Ordnungsmuster ausweisen läßt. Es ist auffällig, daß sich das Drama des 17. Jahrhunderts immer wieder für die provisorisch herrschende Königin interessiert hat. Insbesondere das Trauerspiel mit seiner Vorliebe für breit angelegte Haupt- und Staatsaktionen präsentiert ein Bild der Regentin, an dem sich die Bruchlinien einer gefährlichen und zugleich gefährdeten Machtordnung abzeichnen. Weibliche Herrschaft ist hier bestrittene, erschütterte oder beschädigte Herrschaft. Aus der Perspektive des Trauerspiels erscheint sie als spannungsreiches Interregnum, das innerhalb der Geschichte dynastischer Abfolgen den Charakter des Ausnahmezustands trägt. Nicht die Machtausübung der Monarchin, sondern deren Ende bildet daher den Brennpunkt der dramatischen Darstellung. Die Macht selbst gerät in den Prozeß einer Grenzüberschreitung, der mit theatralischen Mitteln am Rand der Markierung vorgeführt wird, welche das Leben vom Tod trennt. Die sterbende Königin ist die Allegorie für das instabile Zentrum politischer Herrschaft, das die Hofmaler des 17. Jahrhun-

145 Im Anschluß an Wolfgang Iser ließe sich sagen: das Imaginäre wird durch jeweils unterschiedliche Fingierungsstrategien in Form gebracht. In der Malerei erscheint es als (zuweilen durch das Figurenarrangement relativiertes) Spiel der Präsenz, im Drama als Spiel der Absenz von Macht (Wolfgang Iser, Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt/M. 1991, S. 377 ff.).

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derts zumeist hinter einem Netzwerk mythologischer Figuren zu verbergen suchten.146 Der ostentativen Sichtbarkeit der Macht, die in der barocken Repräsentationskunst zur Schau gestellt wird, steht die Inszenierung der Ohnmacht im Trauerspiel entgegen.147 Nicht zuletzt dürfte diese Opposition der Modelle durch die Differenz der Medien begründet sein: die im Raum des Gemäldes zusammentretenden Bildzeichen suggerieren eine Fülle, welche die im Kontinuum des Textes verteilten Sprachzeichen nicht beglaubigen können, weil sie unter dem Gesetz der Konsekution zerstreuen, was die ikonische Veranschaulichung im Bann der Koexistenz verdichtet.148 In Thomas Kydds Drama Soliman and Perseda (1599) erklärt der Tod, den das Präludium mit Liebe und Glück streiten läßt, apodiktisch: „And what are Tragedies but acts of death?“149 Das Sterben der Herrscherin ist im Trauerspiel der angemessene Ausdruck für eine als provisorisch begriffene Regentschaft. „A kingdom for a stage, princes to act | And monarchs to behold the swelling scene“, heißt es im Chorus-Prolog von Shakespeares Henry V (1600) („Ein Reich zur Bühne, Prinzen drauf zu spielen, | Monarchen, um der Szene Pomp zu schaun!“).150 Fällt den Prinzen die Rolle der Akteure und den Monarchen jene der Betrachter zu, so der Königin – ließe sich ergänzen – der Part der Sterbenden. Lohensteins afrikanische Herrscherin Sophonisbe

146 Beispiele bei Bettina Baumgärtel, Zum Bilderstreit um die Frau im 17. Jahrhundert. Inszenierungen französischer Regentinnen, in: Die europäische Querelle des Femmes. Geschlechterdebatten seit dem 15. Jahrhundert, hg. v. Gisela Bock und Margarete Zimmermann, Stuttgart, Weimar 1997 (= Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung, Bd. II), S. 147–182, S. 152 f. Grundlegend Martin Warnke, Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1985, S. 270 ff. 147 Damit rückt die Königin des barocken Trauerspiels in eine seit der Antike vertraute Tradition ein. Schon die attische Tragödie kennt das Motiv der sterbenden Frau, die im Tod das Sittengesetz der Gesellschaft bekräftigt; vgl. Nicole Loraux, Tragische Weisen, eine Frau zu töten. Aus dem Französischen v. Eva Moldenhauer. Mit einem Nachwort v. Peter Krumme, Frankfurt/M., New York 1993 (= Façons tragiques de tuer une femme, 1985), S. 47 ff. 148 Diese Unterscheidung entspricht der von Lessing im Laokoon (1766) entwickelten Differenzierung zwischen Bildkunst und Dichtung (Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon: oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie, Werke, hg. v. Herbert G. Göpfert u. a., München 1970 ff., Bd. VI, S. 7–187, bes. S. 109 ff.). 149 Thomas Kydd, The Tragedie of Soliman and Perseda (1599), in: The Works of Thomas Kydd, ed. by Fredrick S. Boas, Oxford 1901. Neudruck 1955, S. 161–229, S. 164 (I,1, v.7). 150 William Shakespeare, The Life of Henry the Fift (1600), Complete Works, Vol. VII, Prolog, v.3 f. – Die deutsche Übersetzung folgt jeweils, sofern nicht anders angegeben, der Fassung von Schlegel/Tieck. Sie wird hier angeführt, weil sie die körperschaftlich-politische Dimension von Shakespeares Texten zuweilen kongenial erfaßt, in einzelnen Fällen aber gänzlich unterschlägt; beides ist buchenswert als Zeugnis einer selbst wieder ambivalenten Rezeption des politischen Denkens der Frühen Neuzeit.

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weiß in diesem Sinne, „daß für Purper uns ein Sterbekittel kleidet“.151 Der Tod erst nobilitiert die Monarchin, wie es die Titelheldin in August Adolph von Haugwitz’ Trauerspiel Maria Stuarda (1683) mit Blick auf die wahre Würde einer nicht nur geliehenen Rolle erklärt: „Ziert das verdammte Haupt mit dieser Schleyer Tracht / | So uns auff unsern Thron der schwartzen Trauer=Bühnen | Statt einer Crone soll und Königs=Crantze dienen; | Dieß Buch und Crucifix von weissen Elffenbein | Soll mir stadt Königs=Stabs und goeldnen Scepters seyn / | Und daß der schwache Hals sich unters Beil kan wagen / | Soll er diß goldne Creutz zu seiner Stärckung tragen.“152 In Gryphius’ Märtyrerdrama Catharina von Georgien (1657) bittet der russische Gesandte, dessen Intervention zu spät kommt, angesichts des abgeschlagenen Kopfes der Königin den allmächtigen Gott im Himmel um Gnade und Gerechtigkeit für die Tote: „Du nunmehr heil’ge Seel! Die du nun ander Reiche | Mit hoeher Macht beherrsch’st! du Haupt der heil’gen Leiche! | Du selbst der du diß Haupt mit Ehren-Cronen schmueckst / | Vnd den erfreuten Geist auf deinem Thron erquickst; | Entdeckt wer hieran schuld.“153 Die dauerhafte Krone empfängt die Königin im Jenseits, nach dem Überstehen aller irdischen Herausforderungen. So wie ihr Körper in seiner Stellvertretung des abwesenden Herrschers eine imaginäre Bedeutung aufweist, bleibt die politische Macht, die sie ausübt, letzthin auf den – aus der Sicht des Lebens – imaginären Ort des Todes bezogen, an dem sie transformiert und neu bestimmt wird.154 Daß auch dieser Ort freilich eine soziale Dimension besitzt, erschließen, wie sich nachfolgend zeigen wird, zahlreiche Trauerspiele in großer Konsequenz. Die Leistung des Dramas besteht darin, daß es die Macht der Königin auf jene Zonen der kulturellen Modellierung zurückführt, die im 17. Jahrhundert eigenes historisches Gewicht gewinnen. Die theatralische Darstellung der Herrscherin erfaßt folglich po-

151 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, hg. v. Klaus Günther Just, Stuttgart 1957, S. 344 (V, v.394). 152 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland (1683), in: Prodromus Poeticus, Oder: Poetischer Vortrab (1684), FaksimileNeudruck, hg. v. Pierre Béhar, Tübingen 1984, S. 63 (V, v.80 ff.). 153 Andreas Gryphius, Catharina von Georgien oder Bewehrete Bestaendikeit, Dramen, hg. v. Eberhard Mannack, Frankfurt/M. 1991, S. 215 (V, v.225 ff.). 154 In diesem Sinne läßt sich sagen, daß der Leichnam der Königin auf der Bühne „nicht nur für sich selbst“, sondern „auch für etwas anderes“ steht (Elisabeth Bronfen, Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik. Deutsch v. Thomas Lindquist, München 1994, S. 10). Das ‚Andere‘ ist im 17. Jahrhundert die Ordnung der Macht, die im Fall weiblicher Herrschaft ihre spezifische kulturelle Repräsentation durch eine eigene Bildästhetik erfährt, welche das Trauerspiel programmatisch auflöst.

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litische Konstellationen, die von der Geschichtsschreibung zumeist als sekundäre Bereiche der Repräsentation souveräner Macht (oder ihres Verlusts) betrachtet, dabei jedoch in ihrer Bedeutung unterschätzt werden. Sämtliche ästhetischen Formen der Inszenierung der Herrscherin besitzen einen Scheincharakter, der auf luzide Weise die Ordnung des frühneuzeitlichen Hofs und die ihr eingeschriebene Logik des Rollenspiels spiegelt. Sowohl die Malerei als auch das Theater entwerfen Versionen eines Bildes der Königin, dem der Aspekt der Täuschung eingezeichnet ist. Suggeriert die ikonische Repräsentation der Macht eine weibliche Herrschaft, der die rechtliche und politische Realität im 17. Jahrhundert fehlte, so demonstriert das Drama eine weibliche Ohnmacht, die der Person der Monarchin allein die Rolle der Schattenfigur im höfischen Spiel der Interessen zuweist. Daß beide Modelle konkurrenzlos nebeneinander gelten dürfen, bleibt bezeichnend für die Rolle der Kunst in der Frühen Neuzeit, die als Form der „Realitätsverdoppelung“ die Paradoxien der sozialen Ordnungen fortzeugt.155 Was die ästhetische Praxis vorführt, ist kein Anderes der Wirklichkeit, sondern die Produktion eines Scheins, der auch das gesellschaftliche Leben – zumindest der höfischen Oberschichten – massiv bestimmt. Zu solchen paradoxen Formen des Scheins gehören die Vorstellung der Repräsentation des Schöpfers durch den Herrscher, die der Annahme widerspricht, daß die Welt aus Teilen besteht, deren Summe nur Gott überschaut; die Konstruktion des Menschen als Person, die eine Rolle spielt, so daß die traditionelle ontologische Unterscheidung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit aufgehoben wird (was unsichtbar ist, ist das eigentlich Seiende); die Vermutung, daß Gott die Welt beobachte, die Welt aber nicht ihn; die Überzeugung, daß die Macht des Souveräns eine gleichsam naturhafte Gewalt über Leben und Tod einschließe, zugleich aber durch Vertragsverhältnisse zum Zweck des Schutzes der Untertanen gebunden werden könne.156 Unter dem Diktat solcher Paradoxien gewinnt die Logik des Scheins im frühneuzeitlichen System der Gesellschaft seine eigene Evidenz. Insbesondere der Hof, wo die Idee der Repräsentation, das Modell des Rollenspiels und die Lehre von der Politik gleichermaßen Gewicht besitzen, bildet ein Reich der Täuschungen aus, in deren irisierenden Lichtbrechungen Einheit und Vielheit, Wahrheit und Betrug kaum zu unterscheiden sind.157 An den Platz von zuverlässigen Differenzierungen tritt die Paradoxie und mit ihr die 155 Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997 (zuerst 1995), S. 430. 156 Dazu Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. II, S. 912 ff. 157 Für die literaturgeschichtliche Bedeutung der Darstellung des Hofs in der Frühen Neuzeit vgl. die Arbeit von Helmuth Kiesel, ‚Bei Hof, bei Höll‘. Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller, Tübingen 1979.

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Ordnung des Imaginären, die die Opposition zwischen Wirklichkeit und Schein aufhebt. Dieser höfischen Welt entspricht das Bild der Königin, das Malerei und Literatur entwerfen. Seine Aufgabe liegt darin, eine Wirklichkeit, in der bereits die Fiktion als gesellschaftliches Gesetz herrscht, durch die Sprache des Imaginären in ihren Spannungen und Paradoxien im Modell zu wiederholen. Damit reproduziert es nicht nur die äußeren Merkmale einer ambivalenten Rollengestaltung, sondern auch die Entdifferenzierung von Sein und Schein, die sie ursächlich bewirkt.158 Das Bild der Königin, das Malerei und Theater in konträrer Tendenz vermitteln, kann weder wahr noch falsch sein, da es die Macht der Täuschung bezeichnet, die das höfische System der Interaktion konstituiert. Es ist, mit Cornelius Castoriadis zu sprechen, die gesellschaftliche Bedeutung des Imaginären, die hier als Element der frühneuzeitlichen Ausgestaltung politischer Rollenzuschreibungen zu Gesicht kommt.159 Sie manifestiert sich in der dekonstruierenden Bewegung, die es dem Trauerspiel erlaubt, die Agonie der Herrscherin im Prozeß einer gleitenden Verschiebung der Rollenwahrnehmung zu beleuchten. Die der Regentschaft beraubte Königin wird als Interpretin ihrer selbst zur externen Beobachterin der Souveränität: zu einer Figur der Verdoppelung, an deren permanenten Transformationen und Spiegelungen die paradoxe Beschaffenheit aller Versionen personaler Herrschaft zutage tritt.160 Das Trauerspiel inszeniert auf

158 Diesen Doppelsinn des Scheins belegt, um ein prominentes Beispiel anzuführen, die Hexenliteratur der Frühen Neuzeit. Die Dämonen sind einerseits objektive Manifestationen des Bösen, andererseits Produkt der Täuschung innerhalb einer unzuverlässigen Realität, deren Zeichen niemals zu trauen ist. Vgl. Heinrich Kramer (Institoris), Der Hexenhammer. Malleus Maleficarum (1487). Neu aus dem Lateinischen übertragen v. Wolfgang Behringer, Günter Jerouschek u. Werner H. Tschacher, hg. u. eingel. v. Günter Jerouschek u. Wolfgang Behringer, München 2001 (2. Aufl., zuerst 2000), bes. S. 245 ff. 159 Vgl. Cornelius Castoriadis, Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie. Übers. v. Horst Brühmann, Frankfurt/M. 1984 (= L’ institution imaginaire de la societé, 1975), bes. S. 200 ff. Vgl. Ders., Durchs Labyrinth. Seele, Vernunft, Gesellschaft. Aus dem Französischen übers. v. Horst Brühmann, Frankfurt/M. 1981 (= Les carrefours du labyrinthe, 1978), S. 69 f. Castoriadis’ Imaginationsbegriff beleuchtet, wie Wolfgang Iser beobachtet hat, eine Ursprungskonzeption: nicht die Spiegelung der Welt im Bild, sondern eine der sozialen Erfahrung stets vorgängige, gleichsam mythische Produktivität, die den universellen Ausgangspunkt emergenter gesellschaftlicher Ordnungsmodelle markiert (Wolfgang Iser, Das Fiktive und das Imaginäre, S. 350ff.). 160 Der Begriff des Imaginären wird in dieser Arbeit als Kategorie benutzt, die eine selbstinduzierte Erzeugung von Realitätsversionen auf der Grundlage kulturell konditionierter Vorstellungsbilder bezeichnet. Das zentrale Interesse gilt nicht den damit verbundenen Kategorien der ‚Einbildungskraft‘ oder der ‚Phantasie‘, sondern den Aufgaben, die das Imaginäre bei der Konstitution von Modellen weiblicher Herrschaft im 17. Jahrhundert versieht. Vgl. hier Wolfgang Iser, Das Fiktive und das Imaginäre, S. 20 f. (Anm.4).

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diese Weise einen dynamischen Vorgang der Umwälzung sozialer Energien, der das Imaginäre in den Ordnungen der Macht aufdeckt.161 Dekonstruktion als Offenlegung des Machtinneren durch Neukombination seiner strukturellen Elemente: so erscheint das agonale Drama der Königin wie ein Kaleidoskop, in dem sich die Farben des politischen Geschehens ständig neu bündeln und gegenseitig erhellen.162

6. Typologie des Opfers Die spezifische Struktur, in die das barocke Trauerspiel die Darstellung der sterbenden Monarchin einbettet, läßt sich durch den Begriff des Opfers beschreiben, sofern man mit ihm keine ursprünglich religiöse Kategorie, sondern einen Vertauschungsmechanismus mit rituellem Sinn bezeichnet. ‚Opfer‘ ist hier der Tod der Herrscherin, weil er eine transzendente Dimension einschließt, die in der Agonie das Leben, in der Zeit die unaufhörliche Dauer und im Raum die Entgrenzung offenbart; einer säkularisierten Bedeutung aber gehorcht er dort, wo er mit der Welt der Macht und deren auf Repräsentation drängenden Kräften verknüpft bleibt. Das Trauerspiel bindet den Tod der Königin an eine Form des Opfers, dessen letzter Sinn durch die Prinzipien der politischen Theologie determiniert ist. Die Königin bekräftigt 161 Zum Verhältnis von Macht und Imaginärem am Beispiel Ludwigs XIV. Louis Marin, Le portrait du roi, Paris 1981,S. 40 ff.; zum Begriff der ‚Zirkulation sozialer Energien‘ Stephen Greenblatt, Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance. Aus dem Amerikanischen v. Robert Cackett, Frankfurt/M. 1993 (= Shakespearean Negotiations, 1988), S. 24 ff. 162 Der Terminus der Dekonstruktion wird im folgenden auf einen im Text selbst sich vollziehenden Vorgang bezogen, der sich über eine externe Beobachterposition erfassen läßt. Eine solche Position erlaubt es, zur prozessualen Erkenntnis des Dekonstruktionsvorgangs zu gelangen, ohne in ihn selbst einbezogen zu werden. Dieses von Niklas Luhmann übernommene Verfahren bietet den Vorteil daß es den – in der Schule Paul de Mans und Jacques Derridas auftretenden – „Affekt, der sich gegen die Seinsannahme der ontologischen Metaphysik richtet“, nicht reproduziert, sondern das Scheitern der Repräsentation als im Text vollzogene Bewegung der Dekonstruktion zuallererst beschreibbar macht (Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 160). Dekonstruktion bildet in diesem Fall das Objekt der Beobachtung von diskursiven Prozessen im literarischen Medium, nicht aber zugleich die (sie reproduzierende) Form der Lektüre. Der Vorzug eines solchen Ansatzes liegt darin, daß er das Pathos einer ahistorischen Kritik der Metaphysik des Werkbegriffs vermeidet und die geschichtliche Situierung von Texten mit der Erschließung ihrer im Raum des Imaginären vollzogenen Bedeutungsoperationen verbinden kann. Zur Dekonstruktion als Lektüreverfahren vgl. dagegen Paul de Man, Allegorien des Lesens (= Allegories of Reading, 1979). Aus dem Amerikanischen v. Werner Hamacher u. Peter Krumme, Frankfurt/M. 1988, bes. S. 31 ff., 48 f.; Jacques Derrida, Die Schrift und die Differenz, übers. v. Rodolphe Gasché, Frankfurt/M. 1976, S. 422 ff.

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die ewige Ordnung der Krone, indem sie als Mutter und Stellvertreterin deren Sukzession ermöglicht. Ihr Tod beleuchtet auf symbolische Weise ihre Rolle als Übergangsfigur zwischen männlichen Herrschern; stirbt die Königin, so schließt sich die Lücke zwischen dem König, der ihr vorausging, und dem, der ihr folgen wird. Ihr Ende bedeutet daher keine Gefährdung, sondern eine Stabilisierung der dynastischen Kontinuität im Verschwinden der nur dienenden – gebärenden oder vertretenden – Macht, die sie ausübte. Weil die Regentschaft der Monarchin in der Frühen Neuzeit einzig Interregnum sein kann, erscheint ihr Sterben im Trauerspiel als Signum, das ein ihr Äußerliches – die männlich determinierte Staatssouveränität – bezeichnet. Während der Körper des Königs die Einschließung der unteilbaren Herrschaft in der natürlichen Hülle darstellt, zeigt sich jener der Königin als Form eines transzendierenden Sinns, der über sich selbst hinausdeutet. Im Tod verläßt die Institution den Körper des Königs und wandert in den Leib des Nachfolgers. Die sterbende Königin hingegen verweist mit ihrem Körper, gemäß der Logik des Opfers, auf ein Höheres, das unsterblich ist: auf die überzeitlich gültige Autorität des Königtums. Walter Burkert hat das Opfer als Medium einer symbolischen Erfahrung bezeichnet, die auf paradoxe Weise die Kräfte des Lebens zugänglich und in gesteigerter Potenz wahrnehmbar macht. Dieser Mechanismus läßt sich als Akt des Übergangs, der Transformation und Erhöhung auffassen: „Eine Ordnung wird errichtet, die eben im Kontrast zum Vorangehenden gilt. Im Erleben des Tötens wird die Heiligkeit des Lebens erfahren, das durch den Tod seine Nahrung findet und eben damit seinen Fortbestand. Dieses Paradox wird im Ritual fixiert, ausgespielt und verallgemeinert: was bestehen und gelten soll, muß durchs Opfer hindurchgegangen sein, das den Abgrund des Nichts aufreißt und wieder schließt.“163 Setzt im Ritus die „Apotheose den Tod voraus“, so bezeichnet wiederum das Opfer das Prinzip eines zeitlosen Lebenssinns, der durch den gesteigerten Moment der Preisgabe des ‚bios‘ zur Anschauung gebracht und bekräftigt wird.164 Die rituell manifeste (mithin durch Wiederholung begründete) religiöse Praxis erweist sich folgerichtig als „Strategie des Lebens auf dem Hintergrund des Todes“.165 Die erschütternde und verunsichernde Konfrontation mit der Agonie verwandelt sich im Opfer in die Verklärung einer höheren Ordnung der Existenz, deren symbolischer Sinn die Extraversion des Lebens im Moment seiner Auslö163 Walter Burkert, Homo Necans, S. 49, ähnlich S. 20. 164 Walter Burkert, Homo Necans, S. 50. 165 Walter Burkert, Kulte des Altertums, S. 47. Zum Menschenopfer in der Antike Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Der Glaube der Hellenen. Bd.I, Darmstadt 1994 (zuerst 1931), S. 291 ff.

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schung offenbart.166 Die Auffassung, daß das Opfer die Einsicht in die permanente Nähe des Todes und die daran geknüpfte Präsenz des Sterbens inmitten der diesseitigen Existenz ermögliche, ist daher erst eine nachträgliche, gegenmythische Interpretation der stoischen Philosophie, wie sie Seneca in De providentia vertritt.167 Die Erfahrung der ‚Heiligkeit des Lebens‘, die Burkert als paradoxen Sinn des Opfers charakterisiert, hat Giorgio Agamben ausschließlich für die Tötung des homo sacer geltend gemacht, der in der römischen Antike den Typus des Sklaven bzw. des Entehrten verkörpert. Die Tatsache, daß dieser angesichts der gänzlichen Rechtlosigkeit seines jenseits der sozialen Ordnung liegenden Status ohne näheren Grund umgebracht, aber niemals – wie der gesellschaftlich integrierte Mensch – geopfert werden durfte, wertet Agamben in seiner eigenwilligen Interpretation als Indiz dafür, daß das ihm innewohnende Leben ‚heilig‘ in einem immanenten Sinn vor und außerhalb jeder Transzendenz sei. Für Agamben fällt die Symbolisierung solcher Transzendenz allein dem Opfer zu, während der homo sacer als derjenige, dessen Körper den Göttern nicht überantwortet werden kann, die Repräsentation der Sakralität des ‚bios‘ ist. Er bleibt daher „der Gottheit in Form des Nichtopferbaren übereignet und in Form des Tötbaren in der Gemeinschaft eingeschlossen. Das Leben, das nicht geopfert werden kann und dennoch getötet werden darf, ist das heilige Leben.“168 Burkert stellt dagegen, gestützt auf reiches Quellenmaterial, überzeugend dar, daß auch im Opfer die Kategorie des ‚bios‘ eine zentrale Rolle spielt, insofern es Leben preisgibt, um Leben zu verlängern. Es gehört zu den entscheidenden Wirkungen des Opfers, in paradoxer Weise das, was es auslöscht, gleichzeitig zu reinigen, festzuhalten und zu erhöhen. Wenn den Göttern das Geschenk des Lebens überlassen wird, so knüpft sich daran die Hoffnung, daß sie fortan zerstörerische Mächte bannen, Abwehrkräfte stärken und die im Ritus verschworene Gemeinschaft schützen. Florens Christian Rang bemerkt über solche Aufwertung des ‚bios‘ im Zeichen des Sterbens: „Die Gemeinde anerkennt das Opfer, den Tod, aber dekretiert zugleich 166 Es gehört zur symbolischen Form des Opfers, daß es diese Tendenz zur extravertierten Darstellung des in ihm bezeichneten Objekts aufweist. Im Blick auf die moderne Zivilisation von einer „Geschichte der Introversion des Opfers“ zu sprechen, impliziert vor diesem Hintergrund eine paradoxe Umwertung des Begriffs (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Amsterdam 1968 [zuerst 1944], S. 71). Ein verinnerlichtes Opfer kann es so wenig geben wie einen internalisierten Ritus. 167 L. Annaeus Seneca, De otio/Über die Muße; De providentia/Über die Vorsehung. Lateinisch-Deutsch, übers. u. hg. v. Gerhard Krüger, Stuttgart 1996, 6,9 (S. 64 f.). 168 Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 92.

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den Sieg, so dem Menschen wie dem Gott.“169 Durch den Akt der Vernichtung steigt der Wert des Vernichteten, indem es den Charakter eines Symbols gewinnt, das seinen überpersönlichen Sinn erst nach dem Untergang der Sache empfängt, die es verkörperte. Die durch das Opfer offenbarte Tauschlogik bleibt folglich an die Vorstellung eines Lebens zurückgebunden, das im Moment der Agonie eine letzte Stufe der Sakralisierung erfährt.170 Heilig ist dieser Denkform niemals das, was im Tod auf sich selbst zurückweist – Agambens homo sacer –, sondern einzig das, was unter Schmerzen preisgegeben und damit erhöht wird.171 Die Lebenserfahrung, die das Opfer anbietet, läßt sich als Erfahrung der Einheit im Verlust, der Heilung in der Entzweiung kennzeichnen.172 Transferiert man diese Bestimmung auf die Ebene der politischen Theologie, dann enthüllt sich die Zeitlogik, deren Gesetz die Agonie der Königin als symbolisches Ereignis unterliegt. Der Tod der Regentin sichert den ‚Fortbestand‘ der Dynastie, weil er die Kontinuität herrscherlicher Macht ermöglicht. Verweist das Leben der Monarchin auf den Akt der Stellvertretung, den ihr Amt repräsentiert, so ihr Sterben auf den Übergang von König zu König. Der Tod der Königin erzeugt, anders formuliert, die Präsenz der dynastischen Ordnung, indem er eine ‚passage‘ zwischen männlichen Regenten herbeiführt. Er bedeutet einen Akt des Zurücktretens aus der physischen Wirklichkeit, der es gestattet, daß die Kette der Dynastie sich schließt. Damit aber bezeichnet das Sterben der Königin kein Verschwinden im Dunkel der Nachwelt, sondern einen Prozeß der Markierung, der die Herrscherfolge in ihrer geschichtlichen Evidenz hervorhebt und bekräftigt. Vermittelt ist die Logik dieses Prozesses durch die Kategorie der Gewalt, die im Tod auf para-

169 Unveröffentlichtes Ms., abgedruckt in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 891. 170 Dazu paßt die Beobachtung von Florens Christian Rang, für den das Opfer dadurch, daß es am Altar dem Ritus gemäß entlaufen darf (um danach wieder eingefangen zu werden), den Wert des preisgegebenen Lebens verdeutlicht (Unveröffentlichtes Ms., abgedruckt in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 891). 171 Walter Burkert, Homo necans, S. 20 ff. Die Tatsache, daß Agamben Burkerts gewichtige Arbeit ebenso wenig rezipiert hat wie maßgebliche Studien französischer Ethnologen (Gernet, Girard), sorgt dafür, daß der enge Zusammenhang von ‚bios‘ und Opfer in der antiken Gesellschaft nicht erfaßt wird. Angesichts des bei Burkert ausgebreiteten Materials wird zumindest die kulturhistorische Fundierung der Kategorie des homo sacer in Frage gestellt, insofern der sie determinierende Leitbegriff – die ‚Heiligkeit des Lebens‘ – als Signum gerade des Opferkults hervortritt, den Agamben systematisch vom ‚Leben‘ abgrenzt. – Über die Bedeutung, die Agambens Theorie als Beitrag zur Geschichte der politischen Gewalt in der Moderne besitzt, ist damit nicht befunden. 172 Zur historischen Typologie solcher Denkmuster im Hochmittelalter Ernst Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1936 (zuerst 1927/31), S. 557 f.

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doxe Weise als Gesetz des ‚bios‘ zu Gesicht kommt.173 Die politische Dimension des Opfers besteht darin, daß sie die Gegenwart der Macht in ähnlicher Weise symbolisch erfahrbar werden läßt wie der Vorgang des rituellen Tötens die heilige Gewalt des Lebens.174 Im Opfer offenbart sich jedoch neben dem ‚Erlebnis des Todes‘ zugleich die reinigende Kraft eines Ritus, der Burkert zufolge durch „Wiederholung und theatralische Übertreibung“ als Akt der „Dramatisierung bestehender Ordnung“ gekennzeichnet ist.175 An diesem Punkt verknüpft sich das Geschehen der Bühne mit dem Gesetz der rituellen Handlung, indem es wie diese „ein Interpretationskontinuum“ erzeugt, das „das Bild des Opfers im Negativ“ zeigt.176 Die pathetische Inszenierung der sterbenden Königin entfaltet im Trauerspiel eine symbolische Gewalt, deren Aufgabe darin besteht, die Institution des Königtums zu stabilisieren. In der Phänomenologie des Geistes (1807) betont Hegel, das Opfer verweise auf die Realpräsenz des Göttlichen, insofern es ein „Zeichen“ der höheren Mächte bilde, denen es im Vorgang der persönlichen „Verzichtleistung“ (als Subjekt) oder in der heiligen Handlung (als Objekt) anheimfalle.177 Überträgt man diese religiöse Deutung, die die Differenz von Freiwilligkeit und Zwang in einer übergreifenden Auffassung des Opfers als Offenbarung reinigender Kräfte nivelliert, auf die politische Theologie des barocken Trauerspiels, so ist eine vergleichbare Logik zu erkennen. Das Opfer der Königin signifiziert nicht das unmittelbar Göttliche, sondern die Kontinuität der von Gott gesegneten Instititution des Königtums. Aus der ‚heiligen‘ wird damit eine politische Handlung, die dem Tod der Regentin seinen höheren Sinn verleiht. 173 Vgl. René Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 18 f. Girard vertritt die These, daß im Opfer die soziale Gemeinschaft ebenso wie die Gewalt zur symbolischen Anschauung kommen, wobei für ihn, anders als für Burkert, die Kategorie des Lebens keine zentrale Rolle spielt. Vgl. Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft, S. 37 ff. 174 Analog sind in diesem Fall auch die ‚naturalen‘ Bedeutungen der repräsentierten Ordnungen: dem biologischen Fundament des im Opfer veranschaulichten Lebens entspricht der Körper im System politischer Macht. Zum Konnex von Biologie und Ritual vgl. Walter Burkert, Kulte des Altertums, S. 56 ff. 175 Walter Burkert, Homo Necans, S. 32, 34; zur Wiederholungsstruktur Wolfgang Braungart, Literatur und Ruitual, S. 74 ff. 176 René Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 447. – Der ‚Ausnahmefall‘ ist hier jedoch durch die Struktur des Opfers, nicht durch die Rolle des Souveräns begründet, wie Susanne Lüdemanns Agamben-Lektüre nahelegt (S.L., Biopolitik und die Logik der Ausnahme. Zu Giorgio Agambens Konstruktion des „bloßen Lebens“, in: Das Politische. Figurenlehren des sozialen Körpers nach der Romantik, hg. v. Uwe Hebekus u. a., München 2003, S. 230–247). 177 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werke, Bd. III, S. 523. René Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 134 ff. interpretiert das Göttliche, von dem Hegel hier spricht, als Produkt menschlicher Selbstreflexion im Kulturprozeß.

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Die herrschende Königin repräsentiert nach den Normen des spätmittelalterlichen, bis zur Epoche des Absolutismus gültigen Rechts als Verkörperung des Interregnums eine Ausnahme in der dynastischen Sukzession; das Opfer wiederum bedeutet als rituelle Preisgabe des besonderen Lebens zum Zweck der Auszeichnung und Rettung des allgemeinen Gesetzes eine Unterbrechung im Strom der Zeit. Ausnahme und Unterbrechung weisen jeweils dialektisch auf ihr Anderes, die Regel und das Kontinuum. Sobald die Ausnahme als Akt der „Ausschließung“ erfaßt wird, wie es Agamben erläutert, gewinnt sie eine Beziehung zur Regel, weil sie das Ausgeschlossene mit Hilfe einer Markierung hervorhebt178; indem die irdische Existenz durch das Opfer hindurchgeht, findet sie ihre Aufbewahrung im Moment der rituellen Typisierung des Lebens als gefährdetes und flüchtiges Gut. Diese höhere Einheit erschließt zugleich die Verbindung der beiden Kategorien auf korrespondierenden Ebenen. Das Opfer nämlich ist, wie sich zeigen läßt, die eschatologische Fortführung des in der Figur der Königin zur Anschauung gelangenden Ausnahmezustands, der zum Zweck der Bestätigung des geltenden Rechts aufgehoben und überwunden werden muß. Im Opfer reflektiert die Frühe Neuzeit nicht nur die Problematik weiblicher Herrschaft, sondern die Fragilität aller sozialen Machtkonstruktionen, auch jener der männlich besetzten Souveränität. Der literarische Ort, an dem die Beziehung zwischen weiblicher Herrschaft und Opfer zu Gesicht kommt, ist das Trauerspiel. Im 17. Jahrhundert repräsentiert es, nach einem berühmten Wort aus Georg Philipp Harsdörffers Poetischem Trichter (1647–53), die „Schul der Könige“.179 Zu dieser Vorgabe paßt, daß das Trauerspiel nicht auf die Katharsis, vielmehr auf die Tröstung des Publikums zielt; im Schicksal seiner Protagonisten manifestiert sich kein Zusammenstoß zwischen Mensch und Götterwelt – wie es der attischen Tragödie und ihrer aristotelischen Theorie entspricht –, sondern die Spiegelung der Geschichte im konkreten Modell des charakteristischen historischen Falls.180 Damit verbinden die (kaum sonderlich komplex argumentierenden) Dichtungstheoretiker des 17. Jahrhunderts den Anspruch der 178 So Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 237. 179 Georg Philipp Harsdörffer, Poetischer Trichter (…), Nürnberg 1647–53. Faksimile-Neudruck. Darmstadt 1969. Zweyter Theil, S. 80. 180 Vgl. Aristoteles, Poetik. Griechisch-Deutsch, übers. u. hg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982 (Kap. 6–18; 1449b – 1456a) sowie für die Rezeption im 17. Jahrhundert [Daniel Heinsius], Aristoteles, De Poetica liber Daniel Heinsius recensuit, ordini suo restituit, latine vertit, notas addidit. Accedit Daniel Heinsius De Tragoediae constitutione. Nachdruck der Ausgabe Leiden 1611. Hildesheim, New York 1976 (lateinische Übersetzung der Poetik mit Kommentierung und einem eigenen tragödientheoretischen Traktat im Anhang, vgl. dort Kap. 5–9, S. 53–109).

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Gattung, ein konsolatorisches Welttheater aufzuführen, das die Zuschauer in die Lage versetzt, sich gegen künftige Katastrophen und Schicksalsschläge durch Betrachtung des Unglücks der Mächtigen dieser Erde zu wappnen. Indem wir, so führt Opitz 1625 aus, „grosser Leute / gantzer Staette vnd Laender eussersten Untergang zum offtern schawen“, lernen wir das Übel, „welches vns begegnen moechte / weniger fuerchten vnnd besser erdulden.“181 Johann Rist erklärt 1666, die „eigentliche Politica“ bilde das zentrale Objekt des Trauerspiels, wobei die Haupt- und Staatsaktion das notwendige Anschauungsmaterial für die Zwänge biete, denen der Herrscher bei der Ausübung seines Amtes unterliege („da muß der Poete wissen / wie einem Koenige oder Fuersten zu muthe sey“182); ähnlich argumentiert – mit Blick auf das theatralische Lehrstück der Tyrannenregierung – Sigmund von Birken in seiner Teutschen Rede- bind und Dicht-Kunst (1679).183 Scheitern, Leid und Tod einer „Durchlauchtigten Person“, erläutert Albrecht Christian Rotth in seiner Vollstaendigen Deutschen Poesie (1688), erwecke „bey den Zuschauern leicht eine Bewegung“, die „gemeiner Leuthe ungluecklicher Fall“ vergleichbar nicht erzeuge.184 Magnus Daniel Omeis umreißt das Wirkungsideal der Gattung 1704 mit der knappsten aller möglichen Formeln, wenn er betont, das Publikum solle angesichts der auf der Bühne gezeigten Haupt- und Staatsaktionen ‚Klugheit‘ gewinnen.185 Zumal historisch-politische Stoffe bieten die Möglichkeit, die hier skizzierte Affektdramaturgie des Trauerspiels umzusetzen. Schon in Julius Cäsar Scaligers Poetices libri septem (1561), die nicht nur für Opitz und Harsdörffer äußerste Verbindlichkeit besaßen, war zu lesen, daß die Gattung sich im In-

181 Martin Opitz, L. Annaei Senecae Trojannerinnen. An den Leser (1625), in: Weltliche Poemata. Erster Teil. Franckfurt am Mayn 1644. Faksimile-Neudruck, unter Mitwirkung v. Christine Eichner hg. v. Erich Trunz. Tübingen 1967, S. 315. 182 Johann Rist, Die AllerEdelste Belustigung Kunst= vnd Tugendliebender Gemüther / Vermittelst eines anmuethigen vnd erbaulichen Gespräches (…) (1666), in: Sämtliche Werke, unter Mitwirkung von Helga Mannack u. Klaus Reichelt hg. v. Eberhard Mannack. Bd.V, Berlin, New York 1974, S. 378. 183 Sigmund von Birken, Teutsche Rede- bind und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy (…), Nürnberg 1679. Faksimile-Neudruck, Hildesheim, New York 1973, S. 322 ff. 184 Albrecht Christian Rotth, Vollstaendige Deutsche Poesie in drey Theilen (…), Leipzig 1688, Bd. III [I = unpaginiert], S. 211. – Ausführlich zum Transfer der Katharsis in eine Dramaturgie der (neostoizistischen) Idee der Tröstung angesichts der vanitas mundi HansJürgen Schings, Consolatio Tragoediae. Zur Theorie des barocken Trauerspiels, in: Deutsche Dramentheorien, hg. v. Reinhold Grimm, Wiesbaden 1980 (3. Aufl., zuerst 1971), S. 19–56. 185 Magnus Daniel Omeis, Gruendliche Anleitung zur Teutschen accuraten Reim- und DichtKunst (…), Altdorf 1704. S. 226 ff.

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teresse der Glaubwürdigkeit ihrer katastrophischen Arrangements auf Sujets aus der Geschichte stützen müsse.186 Es ist der historische Gehalt, durch dessen exemplarischen Sinn sich die Leiden der Könige im barocken Theater manifestieren. Der Ritus des Opfers, der seine spezifische Dramaturgie am Sterben der Herrschergestalten entfaltet, offenbart anstelle der kathartischen Wirkung, die für die griechische Tragödie konstitutiv ist, die abhärtende Einsicht in die providentielle Logik des geschichtlichen Verlaufs selbst.187 Die metaphysische Bedeutung des historischen Prozesses wandert so in typisierter Form – als Allegorie der Vorsehung – ins Bühnengeschehen ein. In der Inszenierung des Opfertodes, die den Höhepunkt des barocken Trauerspiels markiert, enthüllt sich als inneres Gesetz der Geschichte die Zerbrechlichkeit aller politischen Ordnungsentwürfe, die der Mensch ersonnen hat. Harsdörffers ‚Schule der Könige‘ bleibt nicht gebunden an die Exempel männlicher Herrschaft. In der literarischen Praxis des 17. Jahrhunderts schließt die politische Didaktik des Dramas auch den Blick auf die Königin und deren komplizierten Rollenstatus ein, an dem die gleichsam archetypischen Risiken souveräner Machtausübung ebenso wie die Problematik der dynastischen Thronfolge demonstriert werden können. Geschichte, die nach dem Verständnis der Frühen Neuzeit einem spirituellen Diktat gehorcht, findet sich in den historischen Stoffen des Trauerspiels als katastrophischer Prozeß reflektiert, der die Ordnung der Macht immer wieder neu bedroht. Der Opfertod der Königin, dessen theatralische Veranschaulichung auf die dramaturgische Potenz des Rituals zurückgreift, beleuchtet die massiven Herausforderungen, denen die Institution des Königtums im Spannungsfeld von Natur und Dauer, Zeit und Ewigkeit unterworfen bleibt. In seinen pathetischen Fallstudien entfaltet das Trauerspiel eine Typologie des säkularisierten Opfers, die daran erinnert, daß politische Macht in der Frühen Neuzeit an widerspruchsvolle Sinnzuschreibungen und ambivalente Rechtsstrukturen geknüpft bleibt. Die Inszenierung der sterbenden Königin liefert die theatralischen Bilder für eine Idee der herrscherlichen Souveränität, die sich als permanent gefährdete, letzthin paradoxe Ordnungskonstruktion offenbart. Der Jesuit Franciscus Lang beschreibt 1727 die Allegorie der

186 Julius Caesar Scaliger, Poetices libri septem. Faksimile-Nachdruck der Ausgabe Lyon 1561 mit einer Einleitung v. August Buck, Stuttgart-Bad Cannstatt 1964, lib.III, cap.xcvii, S. 145; vgl. auch lib.I, cap.V, S. 11. 187 Zum Konnex von Tragödie und Opfer Walter Burkert, Wilder Ursprung. Opferritual und Mythos bei den Griechen, Berlin 1990, S. 13–39. Bei Erwin Rohde stößt man sogar auf die uneingeschränkte Gleichsetzung von ‚Opfer‘ und ‚kathartischem Opfer‘ (Erwin Rohde, Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen, Darmstadt 1980 (Nachdruck der zweiten Aufl. v. 1898, zuerst 1894), S. 325.

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Tragödie im Bildregister seiner Abhandlung über die Schauspielkunst (Dissertatio de actione scenica) als Frau, die in der Rechten ein blutiges Schwert schwingt, während sie auf die königlichen Kleider und Kronen blickt, die neben ihr wie wertlos auf dem Boden liegen.188 Die persona ficta ist hier das Zeichen für die Gattung des Trauerspiels und dessen ideale Protagonistin gleichermaßen: eine Form der allegorischen Repräsentation der Einheit, die Tod und weibliche Herrschaft im Theater des 17. Jahrhunderts zusammenschließt.

188 Franciscus Lang, Dissertatio de actione scenica (1727). Abhandlung über die Schauspielkunst, hg. u. übers. v. Alexander Rudin, Bern, München 1975, S. 150.

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Die Königin als Märtyrerin (Gryphius, Hallmann)

II Die Königin als Märtyrerin (Gryphius, Hallmann) Wir haben von der Cron nur Dornen zu Gewin!1

1. Das Leiden der Catharina von Georgien Andreas Gryphius’ Trauerspiel Catharina von Georgien (1657) verarbeitet eine historische Episode, die zur Zeit seiner Entstehung um 1647 nur drei Jahrzehnte zurücklag. 1616 wurde die georgisch-armenische Königin Catharina in Schiras, wo sie mit dem Schah Abbas nach jahrzehntelangen militärischen Konflikten diplomatische Verhandlungen über ein Friedensabkommen führen wollte, willkürlich festgesetzt. Der persische Herrscher, der seit 1587 regierte, überantwortete die georgische Krone widerrechtlich einem Günstling des Hofs und trug der Gefangenen seinerseits die Heirat an. 1624 ließ er sie, weil sie die Eheschließung und den Übertritt zum Islam beharrlich verweigerte, nach schwerer Folter auf dem Scheiterhaufen hinrichten. Erasmus Francisci berichtet 1665 in seinem Kompendium Der Hohe Traur=Saal oder Steigen und Fallen grosser Herren, das anhand von 58 Episoden aus der neueren Geschichte die Vergänglichkeit der politischen Macht beschreibt, über die Marter Catharinas: „Denn wahrlich / hie werden wir schauen einen Kampf=platz / darauf die allerabscheulichste Grausamkeit / mit der zartesten weiblichen Schwachheit / das harte Donnerwort eines barbarischen Königs mit einem fraeulichen Hertzen / die Henckers=Buben mit einer Koeniginnen / Stahl / gluehendes Eisen / Feuer / Marter / Schande / Schmach / und das allerschrecklichste unter zeitlichen Schrecknissen / der bitterste Tod / mit menschlichem Fleisch und Blut / in den Streit treten (…)“2 Gryphius gestaltet das Martyrium der Catharina von Georgien als eine imitatio Christi mit politischem Hintergrund. Seine Heldin erfüllt ihr König-

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Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 200 (IV, v.356). Erasmus Francisci, Der Hohe Traur=Saal oder Steigen und Fallen grosser Herren: Fürstellend / Aus allen vier Welt=Theilen / unterschiedlicher hoher Stands= Staats und Gluecks=Personen wunderbare und traurige Verändrungen / so in den nechsten anderthalb hundert Jahren / und zum Theil bey heutigen unsren Laeufften / sich gefueget (…), Nürnberg 1665, S. 611–650, S. 639.

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tum nach den exemplarischen Grundsätzen einer Stellvertretungsidee. Vorrangig begreift sie sich, wie schon ihr Lebensmonolog in der ersten Abhandlung belegt, als Mutter von Königssöhnen: „Wer jauchtzte nicht als ich den Tamaras geboren | Der zu des Reiches Schirm und Hoffnung schin erkoren?“3 Nach dem Tod ihres Gemahls, der von seinem Bruder ermordet wurde, übernahm Catharina, so berichtet sie, für den noch minderjährigen Sohn die Herrschaft in Georgien. Es war mithin nicht eigener Ehrgeiz, sondern der Widerstand gegen die Konsequenz des usurpatorischen Aktes, der sie in die Rolle der Regentin nötigte. Catharina figuriert als klassische Stellvertreterin des toten Monarchen, die ein geliehenes Imperium verwaltet, bis es auf den Sohn übergehen kann. „Wir haben diß volbracht | Was eine Fuerstin sol / was eine Frau in Macht / Vnd Mutter hat in Trew erboetig noch zu wagen: | (Da euch diß helfen mag) die Glider die wir tragen / | Die Seele / die sich noch in disen Bruesten regt / | Das Blut das in uns wall’t und durch die Adern schlaegt.“4 Was Catharina nach ihren eigenen Worten ‚wagt‘, das ist die Opferung ihres Körpers für den Sohn, der sie beerbt. Kaum zufällig bezeichnet ihre Rede den Leib als Einsatz, mit dem die Mutter ihren Sohn im Machtkampf unterstützt. Indem sie ihre Physis rein erhält und das Leben preigibt, erfüllt Catharina die ihr zugedachte Rolle der Zwischenregentin auf mustergültige Weise. Wie eng die Zeichensprache des Körpers und die Welt der Politik in Gryphius’ Drama zusammenwirken, wird sich später noch zeigen. Über die vom Trauerspiel vorausgesetzte Konstellation der Herrschaftsvertretung durch die Königin bemerkt Veit Ludwig von Seckendorff in seiner großen Abhandlung Deutscher Fürstenstaat (1656), daß sie einen geregelten Ausnahmefall innerhalb dynastischer Ordnungen darstelle. Entscheidend sei die rechtliche Konstruktion dieses Ausnahmefalls, mit deren Hilfe eine stabile, aber dennoch als provisorisch zu begreifende Bindung der Interimsherrscherin an die Macht gewährleistet werde. Seckendorff betont, daß der Fürstin, die „in vormundschafft ihrer kinder zu einer landes=regierung gelangen kan“, die Souveränität gleichsam „zum leib=geding eingeräumet werden“ müsse.5 Die Verkörperung der Macht erfolgt hier nur im Weg der ‚Einräumung‘, denn sie bleibt provisorisch, insofern sie dem Diktat des Widerrufs gehorcht. Solche Formen der Revokation sind im Fall des Mo-

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Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 134 (I, v.245 ff.). Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 140 (I, v.447 ff.). Veit Ludwig von Seckendorff, Deutscher Fürstenstaat (zuerst 1656). Samt des Autors Zugabe sonderbarer und wichtiger Materialien. Mit Anmerkungen und Register vers. v. Andreas Simon von Biechling. Neudruck der Ausgabe Jena 1737, Aalen 1972, S. 173.

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narchen, dem laut Hobbes der Vorgang der ‚Einsetzung‘ mit dem Krönungsakt die Regierungsgewalt verschafft, gänzlich undenkbar.6 Während der König seine institutionelle Herrschaft allein durch den Tod des natürlichen Leibes verliert, stirbt die Macht der Königin nach dem Heranwachsen ihres erbberechtigten Sohnes (sofern dessen Handlungsfähigkeit nicht, wie im Fall Katharinas von Medici, erheblich eingeschränkt ist). Die oftmals mit üppigem Bildmaterial ausgestatteten Trauerschriften, die im 17. Jahrhundert aus Anlaß des Todes regierender Fürsten und Monarchen angefertigt werden, können den spannungsvollen Status der Königin von einer anderen Seite beleuchten. Nachdem Georg II., Landgraf von Hessen-Darmstadt, 1661 gestorben war, ließ seine Ehefrau Sophia Eleonora zu seinem Gedächtnis unter dem Titel Mausolœum ein aufwendig illustriertes Trostwerk drucken, das Epicedien, Leichenpredigten und allegorische Bildillustrationen enthielt. Einer der Kupferstiche zeigt die Witwe als Königin Artemisia, von der überliefert wird, daß sie die Asche ihres verstorbenen Gatten Mausolos (377–353 v. Chr.) mit Wein vermischt getrunken habe, um seinen sterblichen Überresten eine Grabstätte in ihrem Leib zu bereiten. Die Landgräfin Sophia Eleonora ist am Seitenrand des Bildes in Trauerkleidung dargestellt; sie bedeckt eine Hälfte ihres Gesichts mit einem Taschentuch und hält einen Kelch in der Hand, der auf die Artemisia-Episode verweist. Bereits das Widmungsgedicht des Bandes bringt den Antike-Bezug ins Spiel, wenn es über den verstorbenen Landgrafen heißt: „Schauet Lorbern so hier stehn zu Lob dem Fürsten unsrer Hessen | Fürst Georgen, der nun lebet in der grauen Ewigkeit | Und bey seiner Artemisen auch nie stirbet in der Zeit (…)“7 Im Kontext des Trostgedichts bedeutet die Einverleibung der Asche des Gemahls den gleichsam physiologischen Reflex der Trauerarbeit. Die Witwe stiftet dem Verstorbenen ein Gedächtnis, indem sie das, was von ihm geblieben ist, in ihren Körper aufnimmt. Auf der Ebene der politischen Rechtsstruktur (die in Hessen-Darmstadt freilich eine weibliche Erbfolge ausschloß) birgt der Artemisia-Mythos noch eine weitere Bedeutung, insofern er die Trauer bezeichnet, die über der Herrschaft der Interimsregentin liegt. Die Königin amtiert im Regelfall als Witwe, dem Zeichen der Asche

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Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 136 ff. (Teil II, Kap. 18). Den Hinweis auf das Mausolœum sowie den hier zitierten Textauszug entnehme ich dem instruktiven Aufsatz von Jill Bepler, Birgit Kümmel u. Helga Meise, Weibliche Selbstdarstellung im 17. Jahrhundert. Das Funeralwerk der Landgräfin Sophia Eleonora von HessenDarmstadt, in: Geschlechterperspektiven. Forschungen zur Frühen Neuzeit, hg. v. Heide Wunder u. Gisela Engel, Königstein/Ts. 1998, S. 441–468, hier S. 456 ff.

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zugeordnet, die von ihrem Gemahl geblieben ist.8 Gryphius’ Catharina ist in solchem Sinne eine Artemisia, deren Machtausübung unter dem Gesetz der Trauer über den Tod ihres Gatten und der Furcht vor der drohenden Okkupation des Landes steht. Kaum zufällig durchzieht ihren Lebensbericht das Metaphernfeld von Feuer und Asche, das die Gefährdung bezeichnet, welche von der fragilen Rechtskonstruktion des Interregnums ausgeht.9 Auch während der persischen Gefangenschaft sieht sich Catharina als Repräsentantin einer Dynastie, die durch ihren in Georgien gegen die Fremdherrschaft kämpfenden Sohn fortgeführt werden soll.10 Ihr Rollenverständnis schließt eigene Machtansprüche gänzlich aus, weil sie sich als Königin mit geliehener Souveränität begreift: „Es ist schon genung daß wir von euch vernommen | Daß unser Reich in Ruh; und der ins Reich einkommen | Den dieser Leib gebahr. Dem wündtschten wir Verstand / | Vnd besser Glück als uns / und Heil dem Vaterland.“11 Catharina ist eine Herrscherin, die, wie sie erklärt, ihr „Sorgenvolle(s) Leben“ für „Reich und Sohn“ bereitwillig abtreten würde, weil sie ihre physische Existenz als geliehenes Gut betrachtet, das der Dynastie geopfert werden darf.12 Bereits hier deutet sich an, daß das im Trauerspiel dargestellte Martyrium der Heldin eine dezidiert politische Komponente aufweist. Sie tritt jedoch nicht über die Spiegelung konfessioneller Verhältnisse – als Widerschein von Gryphius’ Luthertum –, sondern in der Konstruktion einer Repräsentationslogik zutage, die den Leib zum Schauplatz herrscherlicher Macht und Ohnmacht werden läßt.13

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Hier bildet erneut das Haus der Tudors die große Ausnahme innerhalb der europäischen Geschichte von Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 135 (I, v.278 ff.). Diese Logik der Stellvertretung erlaubt es ihr, das eigene Schicksal nahezu mechanisch an die Unternehmungen des Thronfolgers zu binden: „Mein Sohn! nu du regirst nun bin ich nicht gefangen!“ (Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 138 [I, v.370]). Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 141 (I, v.461 ff.). Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 139 (I, v.407 f.). Hans-Jürgen Schings, „Catharina von Georgien. Oder Bewehrete Beständigkeit“, in: Die Dramen des Andreas Gryphius. Eine Sammlung von Einzelinterpretationen, hg. v. Gerhard Kaiser, Stuttgart 1968, S. 35–72, hat zu Recht erklärt, daß das Drama nicht als Widerschein konfessionspolitischer Konflikte zu lesen sei (S. 68, Anm.72). Die lutherische theologia crucis, auf deren Bedeutung (im Anschluß an Schings) zuletzt Ferdinand van Ingen aufmerksam gemacht hat, bleibt jedoch, wie sich zeigen wird, nicht der einzige symbolische Bezug der an Catharina vorgeführten Leidensgeschichte; es ist die Sprache des Körpers, die durch ihre Zeichenlogik zusätzlich die Welt der Politik ins Spiel bringt (Ferdinand van Ingen, Andreas Gryphius’ Catharina von Georgien. Märtyrertheologie und Luthertum, in: Studien zur Literatur des 17. Jahrhunderts. Gedenkschrift für Gerhard Spellerberg [1937–1996], hg. v. Hans Feger, Amsterdam u. a. 1997, S. 45–71).

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5. Johann Schweizer: Sophia Eleonora von Hessen-Darmstadt als Artemisia (1665), Kupferstich, Blatt 79, Mausolæum, Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel.

2. Stellvertretungen Gryphius hat die historisch ambivalente Figur des Chach Abbas, der despotische Tendenzen mit klugem Reformwillen verband, aus dramaturgischen Gründen einseitig mit den Zügen des rücksichtslosen Tyrannen ausgestattet, dessen Handeln primär von sexuellen Impulsen gesteuert wird. Lohenstein

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betont dagegen in einer Anmerkung zum Trauerspiel Ibrahim Sultan unter Bezug auf die Reiseberichte (Viaggi, 1650–1663) seines Quellenautors, des polyglotten Asienkenners Pietro della Valle, daß der Schah „den Christen nicht unhold“ gewesen sei, ihnen Kirchenbauten in Persien erlaubt, den Augustinern freie Religionsausübung gestattet und der Missionstätigkeit der Karmelitermönche keinen Widerstand entgegengesetzt habe.14 Abbas erscheint nach diesem Porträt als kluger Reformpolitiker, der sich aktiv um eine Versöhnung der Konfessionen bemühte. Gryphius’ Trauerspiel ignoriert solche Züge im Interesse eines überschaubaren Konfliktaufbaus und betont gerade die antichristliche Haltung des Chach; sie gerät zur entscheidenden Bedingung für seine Verführungsversuche, die im Trauerspiel der Folterung Catharinas vorausgehen. Die Ebene des Körpers wird in Gryphius’ Märtyrerspiel zunächst über die erotische Bedeutung eingeführt. Gemeinsam mit seinem Vertrauten Seinel Can, der dem aus dem Jesuitendrama vertrauten Typus des intriganten Ratgebers entspricht, erörtert Chach Abbas, auf welche Weise er die tugendhafte Catharina für den Beischlaf gewinnen könne. Es gehört zum rhetorischen Repertoire des Ohrenbläsers, daß er den Herrscher, der eine sich ihm verweigernde Frau begehrt, an die Verfügungskraft seines Amtes erinnert: „Wehm hat des Himmels Schluß so grosse Macht verlihn?“15 Das Motiv der Überredung zum Verbrechen, das Lohenstein in seinen türkischen und römischen Trauerspielen zu einem eigenen Diskurs des Bösen ausbauen wird, schließt bei Gryphius den zynischen Versuch ein, die weibliche Keuschheit als Maske zu entlarven, wenn Seinel Can auf Abbas’ Einwand „Die Liebe laeßt sich nicht durch Zwang zu wegen bringen“ erklärt: „Wie manche wuendschet ihr daß man sie moechte zwingen!“16 Damit ist der Topos der Gewalt ins Spiel gekommen, der Politik und Sexualität verknüpft. Der Tyrann Abbas operiert als Herrscher wie als Liebender mit einem Reservefonds aus Zwang und Brutalität, auf den er zurückgreift, sobald äußere Widerstände sein Handeln hemmen. Am Ende ist es die souveräne Macht des Regenten, die dazu mißbraucht wird, die Spuren des Verbrechens zu verbergen: „Gesetzt auch! Daß wir etwan uns beflecken! | Der Purpur muß es decken.“17

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Daniel Casper von Lohenstein, Türkische Trauerspiele, S. 229; Pietro della Valle, Viaggi […] con minuto raguaglio di tutte le cose notabili osservati in essi. 3 Tle. in 4 Bänden, Rom 1650–63. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 157 (II, v.47). Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 159 (II, v.105 f.). Die Formulierung „Wie manche wuendschet ihr“ ist hier reflexiv gemeint im Sinne von: ‚manche wünscht sich‘. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 139 (III, v.437 f.).

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Daß Abbas’ Werbung eine sexuelle und zugleich politische Dimension besitzt, demonstriert ein 1655 von Gregor Bieber und Johann Using nach italienischen Mustern gefertigter Kupferstich für eine am Hof Christians von Wohlau geplante Theateraufführung, der zwei Jahre später auch die Titelseite des Erstdrucks schmückte. Der Schah offeriert hier der aller Ehrenzeichen ledigen Königin die persische Krone, indes aus dem Himmel eine geflügelte Gestalt herabschwebt, die mit der corona aeternitatis lockt (eine Anspielung auf den allegorischen Prolog des Dramas, der die Ewigkeit als Mahnrednerin in Szene setzt).18 Auffallend ist die Körperhaltung der Königin, die schützend eine Rose vor ihren unter dem durchsichtigen Kleid nackt sich abzeichnenden Leib hält. Daß das Blumensinnbild die Vergänglichkeit der Schönheit ebenso wie – gemäß den Mustern der zeitgenössischen Emblematik (etwa Guillaumes de La Perrière) – die Dornenkrone des Heilands bezeichnet, verrät Catharinas eigenes Diktum aus dem ersten Aufzug: „Die wirft die welcke Tracht | Der bleichen Blätter hin / die edlen Rosen leben | So kurtze Zeit / und sind mit Dornen doch umgeben.“19 Auf spannungsvolle Weise wird die Gebärde der Abwehr in Usings und Biebers Kupfertafel jedoch um einen erotischen Effekt ergänzt, den Catharinas fast laszive Körperhaltung durch den leicht geneigten Kopf und die Haltung der freien Hand erzielt.20 So scheint es, als müsse der Betrachter die Königin zwangsläufig mit den Augen des Chach ansehen, der Catharina in obsessiver erotischer Gier begehrt. Neben die Figuration der Tugend tritt die Zeichenwelt der Sexualität, die das Titelkupfer durch die ambivalente Sprache der Gebärden umspielt. Die gedoppelte Perspektive verdeutlicht, daß Catharinas natürlicher Körper zwei einander widerstreitende Ansichten aufweist: den keuschen Leib der christlichen Königin, den sie selbst modelliert, 18

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Eine wichtige Funktion der Illustration liegt darin, im Gegenzug zur Theateraufführung, die nach den Konventionen der Zeit Catharinas Rolle nur durch einen Knaben darzustellen gestattete, die vom Text entfalteten Geschlechterverhältnisse anschaulich in Erinnerung zu rufen. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 135 (I, v.304 f.). Vgl. Arthur Henkel u. Albrecht Schöne (Hg.), Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart 1978 (zuerst 1967), Sp.296 f. Zwar entsteht die Neigung des Kopfes durch den Umstand, daß Catharina auf die Figur der Ewigkeit blickt, jedoch generiert gerade diese Gebärde einen mehrdeutigen Effekt. Die Polyvalenz der Körpersprache, die sich in der Darstellung des Titelkupfers spiegelt, ist ungewöhnlich, mißt man das Bild an den ästhetischen Standards des 17. Jahrhunderts. Erst die Aufklärung tendiert verstärkt dazu, den Körper „als Potential für Gesten“ zu nutzen, was sich auch in den differenzierten Zeichenformen der Malerei manifestiert, insofern diese die Sprachen des Leibes jenseits allegorischer Funktionen zu organisieren und zu veranschaulichen suchen (Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt/M. 1999 [7. Aufl., zuerst 1984], S. 334).

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6. Gregor Bieber, Johann Using: Catharina von Georgien (1655), Titelkupfer.

und den verführerischen Leib der anziehenden Frau, den der wollüstige Blick des persischen Despoten erzeugt.21 Das Titelbild verweist auf die tragende Bedeutung, die das Moment des Physischen in Gryphius’ Text besitzt. Der natürliche Leib der Königin, der durch divergierende Formen der Selbst- und Fremdwahrnehmung produ-

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Jan-Dirk Müller, Das Gedächtnis des gemarterten Körpers im spätmittelalterlichen Passionsspiel, in: Körper – Gedächtnis – Schrift, hg. v. Claudia Öhlschläger u. Birgit Wiens, Berlin 1997, S. 75–92, verdeutlicht anhand einleuchtender Textbelege, daß der Leib des leidenden Christus sich in der literarischen Darstellung des Spätmittelalters an zwei Punkten vom Leib des ihm nachsterbenden menschlichen Märtyrers unterscheidet: durch die physische Unzerstörbarkeit und die Abwesenheit der Sexualität (S. 90). Beide Motive spielen in Gryphius’ Drama eine wesentliche Rolle, denn Catharinas Körper verliert auch in seiner martyrologischen Modellierung weder die sexuelle Prägung noch die Verletzbarkeit.

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ziert wird, ist der Schauplatz, auf dem sich das politische Drama zuträgt. Diesen Zusammenhang beglaubigt bereits der Angsttraum, von dem Catharina im ersten Aufzug ihrer Dienerin Salome berichtet (Gryphius’ Vorlage ist hier ein Traum Marias von Medici, den Pieter Corneliszoon Hooft 1626 in einer Biographie Heinrichs IV. schildert): „Der Purpur riß entzwey / der Zepter brach als Glaß / | Jn dem ich leider selbst auff schaerffsten Dornen saß / Vil suchten mir umbsonst mitleidend beyzuspringen; | Noch mehr hergegen mich in höchste Qual zu bringen; | Biß mich ein frembder Mann nicht ohne Pein anliff / Vnd mehr denn raw umb beyde Bruest’ ergriff.“22 Der Traum stellt eine doppelte Attacke dar, die sich gegen das Königtum der Catharina und gegen ihre Tugend gleichermaßen richtet; dem Zerbrechen des Zepters entspricht die derbe Berührung der Brüste, dem Verlust der politischen Macht die Gefährdung der virtus Reginae. Wenn sich Catharina vor den erotischen Übergriffen des Chach Abbas zu schützen sucht, so birgt das folglich eine politische Dimension. Die sexuelle Verletzung ihres Körpers wäre ein Mißbrauch des ihr durch den verstorbenen König verliehenen Königtums, mit dem sie symbolisch vermählt ist. Zwar wohnt die Institution der Königsmacht nicht im Leib der Königin, doch ist sie mit ihr als Stellvertreterin des toten Monarchen mittelbar verbunden. Die Tugend, die Catharina behauptet, bildet die Chiffre für die Unverletzlichkeit des Königtums, das sie als Witwe des Herrschers verteidigt.23

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Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 136 f. (I, v.339 ff.); zur Quelle (Hoofts Biographie Heinrichs IV.) vgl. Gryphius’ Kommentar, Dramen, S. 224. Die im Zeichengefüge der Körpersprache verbildlichte politische Denklogik des Trauerspiels ist bisher nicht wahrgenommen worden. Mehrere Versuche einer dezidiert politischen Lektüre blieben unergiebig, weil sie diesen Bereich ausblendeten oder sich von modernen Perspektiven leiten ließen. Elida Maria Szarota, Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, Bern, München 1976, S. 132 ff. liest die Konstellation des Textes als Spiegelung des Konflikts zwischen Habsburg und Schlesien, wobei Chach Abbas die Einverleibungsgelüste des katholischen Großreichs, Catharina den Behauptungswillen der Protestanten personifiziere; die komplexe dynastische Vorgeschichte und die Semiotik weiblicher Herrschaft, die Gryphius kunstvoll entfaltet, werden auf diese Weise jedoch ignoriert. Wenig ertragreich (und die Denkhorizonte des 17. Jahrhunderts verfehlend) ist auch der Versuch, an Catharinas Widerstand die Manifestation einer (hier gleichsam präfigurierten) neuzeitlichen Individualität hervorzuheben, die sich vermeintlich gegen die in der Figur des Schah repräsentierte Idee der politischen Souveränität wende (so Peter J. Brenner, Der Tod des Märtyrers. „Macht“ und „Moral“ in den Trauerspielen von Andreas Gryphius, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62 [1988], S. 246–265, bes. S. 258 ff.). Vgl. zuletzt die (insgesamt stimmige) Analyse von Thomas Borgstedt, Andreas Gryphius: Catharina von Georgien, in: Dramen vom Barock bis zur Aufklärung, Stuttgart 2000, S. 37–67, der dem Trauerspiel zwar einen politischen Gehalt attestiert (S. 39), diesen jedoch primär in der aus lutherischer Perspektive vollzogenen „Entwertung der Politik“ (S. 58) durch das Martyrium der

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Einem verbreiteten Rechtsgrundsatz des 16. Jahrhunderts entsprechend vermählt sich der Monarch am Tag seiner Krönung mit dem ihm unterstehenden Reich. Der Historiker Théodore Godefroy, später Herausgeber des Codex Theodosianus, berichtet 1619 in Le cérémonial de France, daß anläßlich der Regierungsübernahme Heinrichs II. im Jahr 1547 erstmals eine Formel verwendet wurde, die diesen Vorgang genau reflektierte: „le roy espousa solemnellement le royaume“.24 Die Konstruktion der mystischen Verschmelzung des Königs mit seinem Imperium beruht auf einer Ökonomie der Zuordnungsbeziehungen, nach welcher der Herrscher sich den Untertanen inkorporiert und diese wiederum in seinem Leib repräsentiert werden. Die vor allem für die französische Monarchie maßgebliche Vorstellung der Inkorporation erfährt bei Gryphius freilich eine signifikante Abwandlung. Das politische Identitätsprofil der Heldin wird in jener Sequenz sichtbar, in der Abbas sie als „Princessin“25 anspricht, um zu verdeutlichen, daß er allein ihr den Status der Herrscherin zuerkennen dürfe. Gegen diese männliche Hybris setzt Catharina den Hinweis auf ihre Witwenschaft und das daraus abgeleitete Regentinnenamt: „Man nent’ uns Koenigin. Das sind wir ja vorhin!“26 In ähnlichem Wortlaut läßt der aus dem Jahr 1665 stammende historische Bericht Franciscis die Herrscherin erklären: „Ja da ich gleich seine einige und rechtmäessige Braut waere: koente ich doch nichts anders seyn / als Koenigin; welches ich allbereit so schon bin / und zwar mit reinem Gewissen / ohne Schwaech= und Brechung meines Christlichen Glaubens.“27 Während Abbas im Gestus des Souveräns Catharinas Rang negiert („Pflegt nicht das heilge Recht ans Koenigs Hand zu gehen“28), bewahrt sich Gryphius’ Protagonistin ihre Identität als Monarchin, welche die Herrschaft ihres Sohnes symbolisch sichert, indem sie die Integrität ihres Körpers verteidigt. In Catharinas Physis ist nicht das Reich, sondern die Stellvertretung der Macht repräsentiert.29

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Entsagung verwirklicht sieht. Die Tatsache, daß Catharina ihren bevorstehenden Tod nicht ausschließlich christologisch, sondern zugleich politisch – im Blick auf ihre Stellvertretungsfunktion für Reich und Krone – deutet, wird auf diese Weise ausgeblendet. Vgl. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 232. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 150 (I, v.751). Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 193 (IV, v.148). Das Wort ‚Prinzessin‘ kann zwar nach dem Sprachgebrauch des 17. Jahrhunderts auch auf die Regentin angewendet werden, jedoch zeigt sich an Catharinas Antwort deutlich, daß Chach Abbas den Begriff in herabsetzender Weise benutzt, um seine Gefangene zur bloßen Thronanwärterin zu degradieren. Erasmus Francisci, Der Hohe Traur=Saal, S. 640. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 185 (III, v.435). Die politische Bedeutung dieses aus der dynastischen Ordnung abgeleiteten Rollenbewußtseins hat bisher nur, soweit ich sehe, Lothar Bornscheuer, Diskurs-Synkretismus im

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3. Eschatologie des Fleisches Kaum zufällig avanciert der Leib der Königin bei Gryphius zum Medium der dem Trauerspiel eigenen katastrophischen Dynamik, die unter dem Gesetz der Allegorie, wie Walter Benjamin formuliert hat, in „Gottes Welt“30 führt. Aus dem erotisch begehrten und gefangenen Körper der Königin wird am Ende der in der Folter mißhandelte, erlöste und allegorisch die PrologFigur der Ewigkeit bezeichnende Leib der Märtyrerin. Die mit äußerster Brutalität vollzogene Hinrichtung Catharinas erscheint zunächst als Folge der zerstörerischen Leidenschaft des abgewiesenen Schah, der hier zum letzten Mittel einer despotischen Machtausübung greift. Die Dienerin Serena berichtet in der eindrucksvollsten Passage des Dramas von der Entblößung, Folterung und Tötung der Heldin, deren Nacktheit die Voraussetzung für die Exekution bildet. Gemäß den Vorgaben, die Martin Opitz 1625 im Rahmen der Vorrede zu seiner Übersetzung von Senecas Trojanerinnen formuliert hatte, ermöglicht das Trauerspiel die „Besichtigung so vielen Creutzes und Vbels“31, um dem Zuschauer Einblick in die Gesetze des Lebens als Leidensgeschichte zu bieten: „Man riß die Kleider hin. Die unbefleckten Glider | Sind offentlich entbloest / sie schlug die Wangen nider / Die Schamroeth ueberzog und hilt fuer hoechste Pein | Vnkeuscher AugenZweck’ und FrevelSpil zu seyn.“32 Die Entkleidung soll Catharina die Dignität rauben, die sich an die von ihr ausgeübte Funktion der Herrscherin bindet. Der Akt der Devestitur galt seit dem Spätmittelalter als juristisch verbindlicher Vorgang, in dessen Verlauf der Würdenträger seine Machtinsignien abtreten mußte. In ihm symbo-

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Zerfall der politischen Theologie. Zur Tragödienpoetik der Gryphschen Trauerspiele, in: Studien zur Literatur des 17. Jahrhunderts, S. 489–529, hier S. 505 f. wahrgenommen. Bornscheuer verzichtet allerdings darauf, die Semantik der politischen Körperschaft genauer zu untersuchen. Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 406. Zum Verhältnis von Eschatologie und Allegorie vgl. Peter-André Alt, Begriffsbilder. Studien zur literarischen Allegorie zwischen Opitz und Schiller, Tübingen 1995, S. 251 f. Martin Opitz, L. Annaei Senecae Trojannerinnen. An den Leser (1625), in: Weltliche Poemata. Erster Teil, S. 315. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 208 (V, v.61 ff.). Zum neostoischen Hintergrund der – auch in Gryphius’ Dissertationes funebres (1666) verbreiteten – Foltermotivik Hans-Jürgen Schings, „Catharina von Georgien. Oder Bewehrete Beständigkeit“, in: Die Dramen des Andreas Gryphius, S. 47 ff.; jetzt auch (unter primär dramentechnisch-theatralischen Aspekten) Arnd Beise, Verbrecherische und heilige Gewalt im deutschsprachigen Trauerspiel des 17. Jahrhunderts, in: Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, hg. v. Markus Meumann u. Dirk Niefanger, Göttingen 1997, S. 105–124.

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lisierte sich die degradatio actualis, welche die Vertreibung aus dem Amt als öffentliches Ereignis sichtbar machte.33 Das ursprünglich aus dem Kirchenrecht stammende und auf klerikale Ämter bezogene Verfahren der Devestitur übertrug man im 15. Jahrhundert auch auf den politischen Bereich; ein typisches Beispiel bietet die Degradierung des spanischen Königs Heinrich IV., den 1465 eine Ständeversammlung der Granden abzusetzen suchte, indem sie eine ihn verkörpernde Puppe entkleidete und seinen erst elfjährigen Bruder Alfons zum Herrscher proklamierte.34 Die programmatische Entwürdigung, die sich in der Devestitur der Königin vollzieht, führt bei Gryphius jedoch keineswegs dazu, daß Catharina als Figuration des ‚nackten Lebens‘ – gemäß der Terminologie Agambens – erscheint.35 Während der Körper des rechtlosen homo sacer im antiken Rom bzw. des – durch Aristophanes in den Fröschen (405 v. Chr.) so bezeichneten – pharmakos36 in der athenischen Gesellschaft ohne Ritus entwürdigt und getötet werden konnte, ist der Leib der Märtyrerin durch einen symbolischen Sinn erfüllt, der sich aus der zeichenhaften Funktion ihres Leidens als Verweis auf die Idee der Erlösung ableitet. Dieser Sinn wird sichtbar, wenn die Königin in der Schlußszene als Stellvertreterin der Ewigkeit aus dem Reich des Todes aufersteht und sich ihrem Peiniger im strahlenden Glanz einer himmlischen Herrscherin präsentiert. Signifikant ist, daß Catharina hier nicht nur ihre im Folterakt zerstörte Schönheit neuerlich erhalten hat, sondern zugleich ihre Blößen bedecken darf: „Sie prangt“, so erkennt der von der überirdischen Erscheinung überwältigte Schah, „in Kleidern / darfuer Schnee kein Schnee.“37 Der Akt der Investitur macht jetzt die Entkleidungsszene rückgängig und stattet Catharina symbolisch mit der Würde einer spirituellen virtus triumphans aus, die durch ihre christliche Keuschheit alle dies33

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Den symbolisch geregelten Konnex von Kleidung und Macht beleuchtet Thomas Frank u. a., Des Kaisers neue Kleider. Über das Imaginäre politischer Herrschaft. Texte, Bilder, Lektüren, Frankfurt/M. 2002, bes. S. 218 ff. („Investitur, Devestitur“). Wolfgang Brückner, Artikel „Devestierung“, in: Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte, hg. v. Adalbert Erler u. Ekkehard Kaufmann. 3. Lieferung, Berlin 1966, Sp.724–726, hier Sp.726. – Vgl. auch Walter Pater, Appreciations. With an Essay on Style, London 1904, S. 198 (Hinweis auf die Tatsache, daß symbolische Formen der Devestitur seit dem Mittelalter zwar nicht für das Pontifikat, jedoch durchaus für das Priesteramt eingeführt waren). Giorgio Agamben, Homo sacer, bes. S. 97 ff. Aristophanes, Die Frösche, in: Komödien. Nach der Übersetzung v. Luwig Seeger hg. u. mit einer Einleitung vers. v. Hans-Joachim Newiger, München 1990, S. 495 (v.733). Der pharmakos ist der Typus des ‚Sündenbocks‘, der in Krisenzeiten getötet werden durfte; das Los traf zumeist Aussätzige oder Mißgestaltete, die man vor die Stadt führte und sodann erschlug. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 221 (V, v.399).

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seitigen Anfechtungen bezwingt. Nicht das nackte Leben als die auf das Fleisch reduzierte Kreatürlichkeit, in der Agamben die sozial ausgegrenzte Figur des homo sacer bezeichnet findet, sondern der wiederhergestellte Leib der Märtyrerin wird am Ende auf der Bühne sichtbar.38 Bei Francisci heißt es in Übereinstimmung damit, der durch die Folter „ungestalt und abscheulich“ gewordene Torso Catharinas erscheine „schoen und wolgestalt / vor den Augen Gottes und der heyligen Engel“.39 Am Ende des Trauerspiels verwirklicht sich ein Selbstbild, das Catharina zur mystischen Braut Christi erhebt: „Es ist nicht winselns Zeit / glaubt es ist jauchtzens wehrt / | Daß unser Braeutigam uns die Marter-Cron beschert.“40 An den Platz der politischen Aufgabe der Stellvertreterin des Königs tritt jetzt eine spirituelle Identität, die „Gottes Bund“ im Jenseits erfüllt.41 Die Rolle der Herrscherin wird auf die Repräsentation vollkommener Tugend zurückgeführt, deren Vollendung und Belohnung ein mit den zeichenhaften Mitteln des Theaters vorgeführtes eschatologisches Ereignis ist. Gryphius überbietet so die Virtus-Thematik im Königinnen-Bild des 17. Jahrhunderts, wie sie exemplarisch bei Simon Vouets Darstellung Annas von Österreich als Minerva oder in Laurent de La Hyres Allegorie auf den Westfälischen Frieden begegnet.42 „Wer mit der Grufft verwechselt Stat und Thron“, darf Catharina erklären, „Derselb erlangt die herrlichst Ehren-Cron.“43 Tugend bildet hier keine Qualität der weltlichen Herrscherin, sondern eine Eigenschaft, die es erlaubt, deren Erdenlasten auf einer spirituellen Ebene jenseits des Lebens abzuwerfen. Betrachtet man diesen Transformationsprozeß genauer, so stellt man jedoch fest, daß auch die Verwandlung des natürlichen 38

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Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 91 ff. Zum Gegensatz von Märtyrer und homo sacer vgl. Friedrich Balke, Wie man einen König tötet oder: Majesty in Misery, S. 657–679, bes. S. 460 ff. Balke erläutert einleuchtend, daß die politische Martyrologie, wie sie Gryphius’ Carolus Stuardus (1657/63) in durchaus zeittypischer Weise für den englischen König Karl I. beansprucht, eine Wiederherstellung des Königtums im Leiden bedeutete, während die Exekution Ludwigs XVI. (1793) von Vertretern der Jakobiner-Fraktion – etwa St. Just – als Tötung des natürlichen wie des institutionellen Leibes inszeniert worden sei. Indem der natürliche Leib zum Fleisch des nackten Lebens degradiert werde, könne er auch nicht mehr als Leib eines Märtyrers erscheinen, so daß zugleich die institutionelle Rechtsform des zweiten Körpers erlöschen müsse. Mißlich an Balkes anregendem Beitrag ist, daß er keine nähere Differenzierung zwischen literarischem und historiographischem Diskurs vornimmt und auf diese Weise die Leistung unterschiedlicher Fiktionskonzepte (in den Kontexten von Theater und politischer Rede) außer acht läßt. Erasmus Francisci, Der Hohe Traur=Saal, S. 645. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 200 (IV, v.335 f.). Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 192 (IV, v.166). Beide Darstellungen finden sich dokumentiert bei Bettina Baumgärtel, Zum Bilderstreit um die Frau im 17. Jahrhundert, S. 178 f. (Abb. 20 u.21). Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 206 (IV, v.535 f.).

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7. Laurent de La Hyre: Allegorie auf den Westfälischen Frieden (1648), Kreidezeichnung.

Körpers in den imaginären Leib der Himmelskönigin bei Gryphius eine politische Dimension besitzt. Erst nach ihrem Tod ist Catharina, in Abwandlung der auf den König gemünzten Grundformel des spätmittelalterlichen Staatsrechts, „Regina qui nunquam moritur“. Catharina opfert ihren natürlichen Körper für das Königtum, das in ihrem Sohn fortlebt.44 Während die Rechtslogik der genannten Formel die Fortdauer des dynastischen Prinzips meint, das den Leib des

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Wenn Catharina für die Rettung der Monarchie stirbt, so modifiziert ihr Fall das Opfer der Römerin Lucretia (508. v. Chr.), die sich tötet, damit die Königsherrschaft der Tarquinier untergeht. Vgl. zum Frauenopfer als Gründungslegende Marie Theres Fögen, Römische Rechtsgeschichten. Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems, Göttingen 2002, S. 21 ff.

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Gestorbenen verläßt und in einem neuen natürlichen Körper Platz nimmt, tritt der Spiritualleib der Märtyrerin an die Stelle des body natural, so wie der Sohn als Regent an die Stelle der Mutter tritt. Der Sinn ihres Martyriums bekundet sich in dieser doppelten Ersetzungsoperation, die das Herrschaftskonzept der politischen Theologie auf sehr eigenwillige Weise variiert. Mit dem natürlichen Leib, den sie gegen die Übergriffe des Chach Abbas schützt, verteidigt die Heldin ihre Mutterrolle, die wiederum dynastische Kontinuität gewährleistet. Catharina erscheint so als Königin im Zeichen eines corpus mysticum; seine imaginäre Repräsentation ermöglicht der weiß gekleidete Leib, in dessen Gestalt sie zum Schluß aus dem Theaterhimmel hervortritt. Die Ausdruckssprache des Körpers verbindet die Rollen der Jungfrau und Mutter ebenso wie jene der Herrscherin und des Passionsopfers.45 Bereits der Prolog betonte die Zusammengehörigkeit von Martyrium und Politik, indem er darauf verwies, daß die Heldin „fuer Kirch und Thron und Herd“ gerungen habe.46 Die im Text auftretende Doppelformel vom Streiten und Leiden („Die stritt und lid“, v.84) bezeichnet die dialektische Verknüpfung des politischen Kampfes mit dem Motiv des christlichen Opfers: als Königin ist Catharina immer schon Passionsfigur, als Märtyrerin stets auch dynastisch denkende Regentin. Diese Einheit von Martyrium und Politik bildet das besondere Signum des von Gryphius mit typologischer Konsequenz ausgearbeiteten Schlußaktes. Sie entspricht dem Selbstbild Catharinas, die sich durchgehend in der Doppelrolle der Königin und der Leidenden wahrnimmt. Dieses Rollenmuster grenzt sie von einer Gestalt wie Racines Phèdre (1677) ab, die aus moralischer Konsequenz den Freitod wählt, ohne aber als sich opfernde Königin Anspruch auf eine spirituelle Identität im Gedächtnis einer eschatologischen Geschichte zu erheben. Phèdre stirbt, anders als Catharina, nicht in der Erwartung des Weiterlebens im Jenseits, sondern betrachtet ihren Suizid als Akt der Reinigung. Der Tod ist kein Tauschwert für die Erlösung, vielmehr ein kathartischer Vorgang, in dem sich bei Racine die Wirkungsästhetik der Tragödie spiegelt: „Et la mort, à mes yeux dérobant la clarté, | Rend au jour, qu’ils souillaient, toute sa pureté.“ („Und der Tod, der meinen Augen das

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Christopher J. Wild, Fleischgewordener Sinn: Inkarnation und Performanz im barocken Märtyrerdrama, in: Theatralität und die Krisen der Repräsentation, hg. v. Erika FischerLichte, S. 125–154 übersieht bei seiner dekonstruierenden Lektüre des Textes, die ganz auf den Zusammenhang von Folter, Schriftmetaphorik und Christologie abstellt (vgl. S. 148 ff.), die entscheidende politische Dimension des Körperbildes, das Gryphius entwirft. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 128 (I, v.84).

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Licht raubt, | Erstattet dem Tag, den sie beschmutzten, seine Reinheit zurück.“)47 Während Phèdre in der Geste der Entsagenden ohne konkrete Jenseitserwartung stirbt, empfängt Gryphius’ Heldin durch ihren Tod eine neue Identität, die auf der Bühne physische Gestalt annimmt. Als Stellvertreterin irdischer Macht verwandelt sich Catharina am Ende des Trauerspiels in die Personifikation der Ewigkeit, deren Aufgabe darin besteht, dem Schah die paränetische Strafrede zu halten. Die königliche Märtyrerin hat ihren Naturleib verloren und einen imaginären himmlischen Körper gewonnen. An ihr vollzieht sich eine Inkorporation des Opfers, hinter der theologische und politische Bedeutungen gleichermaßen aufscheinen. Der spirituelle Leib, der gemäß augustinischem Denken auf die Verheißung und Erfüllung der Seligkeit durch die civitas Dei verweist, bildet die Ersetzungsform, die an den Platz des weltlichen Körpers der Königin tritt.48 Diese Logik der Vertauschung korrespondiert dem Verhältnis von irdischem Verfall und geistlicher Dauer, wie es die Allegorie der Fortuna in der letzten Szene von Jakob Bidermanns Trauerspiel Belisarius (1607) beleuchtet: „Is abijt | Hodie per praeceps; exemplum alius crastinae | Erit ruinae; hac omnes sistunt in rota; | Hanc verso in horas, & momenta; qui stetit | In summo felix, & securus vertice, | Agitur deorsum ad nutum Providentiae | Extemplo, subitque ad suprema infimus, | Aeterna lege.“49 Gryphius’ Märtyrerin verkörpert am Ende, was Bidermanns Schlußrednerin Fortuna das ‚Gesetz der Ewigkeit‘ nennt. Ihre Würde als Himmelsherrscherin kann jedoch nicht darüber täuschen, daß sie ihre geschichtliche Funktion allein durch das Modell der Substitution empfängt. Das Prinzip, das die Königin vertritt, beschränkt sich auf eine vermittelnde und dienende Rolle, deren Funktion darin liegt, dem Sohn den Weg zur Krone freizugeben. Catharina verfügt nicht über den zweiten Leib der institutionellen Macht, sondern einzig über einen Körper, der das Medium dynastischer Kontinuität darstellt. Anders verhält es sich beim englischen König Karl I., dessen Hinrichtungstod Gryphius in seinem 1649/50 verfaßten Trauerspiel

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Jean Racine, Phèdre (1677), Œuvres complètes I. Présentation, notes et commentaires par Raymond Picard, Paris 1950, S. 802 (V, v.1642 f.). Über die Erfüllung der Seligkeit im Gottesstaat nach dem Jüngsten Gericht Augustinus, De civitate Dei, PL 41, Sp.703 (XX,27). Zu Gryphius’ Augustinus-Rezeption (am Beispiel der Adler-Allegorese) Hans-Jürgen Schings, Die patristische und stoische Tradition bei Andreas Gryphius. Untersuchungen zu den Dissertationes funebres und Trauerspielen, Köln, Graz 1966, S. 44 ff. Jakob Bidermann, Belisarius (1607), in: Ludi theatrales (1666), hg. v. Rolf Tarot, Tübingen 1967, S. 1–77, hier S. 77.

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als imitatio Christi inszeniert. Sehr genau wird die Differenz zwischen männlichem und weiblichem Herrscherbild anhand der Schlußszene des Dramas sichtbar. Der gestürzte König verhört seinen Scharfrichter, erkundigt sich nach der Festigkeit des Blocks, auf den er seinen Kopf zu legen hat, und gibt dem Henker selbst das Zeichen für die Exekution: „Wenn ich die Hand’ ausbreit / Verrichte deinen Streich!“50 Karl demonstriert auf diese Weise, daß er auch auf dem Schafott seine Souveränität nicht preizusgeben bereit ist; er agiert als Vertreter der Institution der Krone, welcher noch im Moment absoluter Ohnmacht über das performative Repertoire der herrscherlichen Zeichensprache verfügt. Der König besitzt auch als entkleideter Monarch ohne Machtinsignien einen zweiten Körper, der ihn vom normalen Sterblichen trennt. Seine Hinrichtung ist bei Gryphius gerade keine Inversion des Inthronisationsrituals, sondern ein Akt der Bekräftigung des unzerstörbaren politischen Körpers, der so lange im gemordeten Leib des Königs fortdauern wird, bis ein Nachfolger sein Herrscheramt erbt (im Fall Karls I. übernimmt diese Rolle sein eigener Sohn, der 1660, nach dem Zusammenbruch von Cromwells Lordprotektorat, den Thron besteigt). Während der Hinrichtungstod des Königs bei Gryphius – anders als in Shakespeares Richard II – die ‚Sempiternität‘ der Krone in der Fortexistenz des politischen Körpers bestätigt51, kann Catharinas Martyrium dynastische Kontinuität nur durch den – mit Schmerz verbundenen – Vorgang der Ersetzung gewährleisten. Die leidende Königin empfängt im Tausch gegen die natürliche Hülle, die im Akt der Folter vernichtet wird, einen spirituellen Leib, dem die Qualitäten des body politic entsprechen, insofern auch er jenseits der Zeit besteht. Der Körper der Monarchin sichert die Macht des Sohnes, indem er sich zum Opfer für die Dynastie anbietet. Er bildet ein Medium der passionalen Erfahrung, deren Qualen in der allegorischen Schlußszene des Trauerspiels im Reich der Eschatologie aufgehoben werden. Es ist daher kein Zufall, daß das Drama Catharinas irdische Hülle am Ende substituiert und in den Leib der Himmelskönigin überführt. Durch die Operation der Ersetzung, die Natur in Institution und Zeitlichkeit in Dauer verwandelt, findet sich das Rollenbild der Königin als Medium der Macht, das selbst keine Macht besitzt, bekräftigt. 50 51

Zitat nach der Fassung von 1663: Andreas Gryphius, Ermordete Majestaet. Oder Carolus Stuardus / Koenig von Gros Britanien, Dramen, S. 546 (V, v.471). Die politische Dimension der Märtyrerrolle liegt gerade darin, daß Gryphius mit ihrer Hilfe den Sturz Karls I. revoziert. Im Trauerspiel ist er nicht, wie Shakespeares Richard II., ein abgesetzter Monarch, dessen zwei Körper „gewaltsam“ getrennt werden (Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 63), sondern ein Herrscher, dessen Macht symbolisch fortleben darf.

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Der Vorgang der Substitution vollendet in der Schlußszene die Lehre des Trauerspiels, indem er die politische Körperschaft des Martyriums und die martyrologische Verkörperung der Politik offenbart. Der Sinn dieses Transferprozesses verweist auf ein eindrucksvolles mythisches Bildfeld, das seit der Patristik unter christlichen Vorzeichen reinterpretiert wurde: das aus dem alten Orient vertraute Motiv des Vogels Phönix. Gemäß der ägyptischen Legende ließ sich der – ursprünglich Arabien entstammende – Phönix nach fünfhundertjährigem Leben in einem auf dem Altar des Sonnengottes in Heliopolis aus wohlriechenden Kräutern bereiteten Nest verbrennen, mutierte aus der Asche zu einem Wurm und gewann am dritten Tag seine ursprüngliche Gestalt zurück. Durch die Fähigkeit, sich selbst ohne fremde Hilfe fortzuzeugen, dokumentiert der mythische Vogel nach den Vorstellungen des Spätmittelalters die in der dynastischen Kontinuität des Königtums manifestierte Einheit von Vater und Sohn. Le petit Phénix war seit dem 16. Jahrhundert ein gängiger Titel für den Thronfolger; als Phönix wurde Carl Stuart nach seiner Hinrichtung (1649) von seinen Anhängern heraldisch dargestellt – ein Sinnbild, dessen Botschaft man durch die 1660 erfolgende Krönung seines Sohnes auf dem Schauplatz der Geschichte bekräftigt fand.52 Kurz nach dem Tod Ludwigs XIII. in Saint-Germain-en-Laye (1643) entwarfen Hofkünstler für den noch unmündigen Thronfolger in Paris eine Gedenkmedaille, die einen Phönix zeigte, den die Strahlen der Sonne zum Leben erwecken.53 Als Motto, das die pictura umrandete, wurde ein Zitat aus Vergils vierter Ekloge gewählt („Caelo demittitur alto“), dessen französische Übersetzung man an der Stelle der subscriptio plazierte: „Il est envoyé du ciel.“ (‚Er ist vom Himmel gesandt.‘)54 Der ursprünglich orientalische Mythos vom sich selbst nach 500 Jahren Lebensdauer regenerierenden Vogel markierte ein festes Element der antiken Naturlehre, wie Herodots Historiae (II,73), Plinius’ Historia naturalis (cap. XXXIX) und Ovids Metamorphosen (XV, v.392f.) demonstrieren. Über den in Alexandrien entstandenen Physiologus (ca. 150 n. Chr.) und die Kirchenväter war die christologische Deutung des Phönix-Bildes eingeführt, die

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Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 391, 411. Vgl. Ralph E. Giesey, The Royal Funeral Ceremony in Renaissance France, S. 191 f. (Abbildung der Medaille im Anhang, Nr.18). Dazu auch Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 115. Das Bildnis für Ludwig XIV. zeigt eine signifikante Modifikation des Mythos, insofern es die Kraft, die den Vogel zum erneuerten Leben bringt, nicht mehr auf eine innere körperliche Energie, sondern auf den Einfluß der Sonne zurückführt, die ihn bestrahlt. Vergil, Bucolica, IV,7. Das französische Zitat nach Ralph E. Giesey, The Royal Funeral Ceremony in Renaissance France, S. 192 (Text in Paris, Bib. Mazarine, ms. 4395); vgl. auch Richard A. Jackson, Vivat rex, S. 170 f.

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auf der Annahme beruht, daß sich durch den Leib des mythischen Vogels Verfall und Auferstehung, Zeitlichkeit wie Ewigkeit gleichermaßen bezeichnet finden.55 Daß bereits die Patristik den politischen Bezug des Mythos bemerkt, beweist eine Formulierung des Eusebius von Caesarea (263–339 n. Chr.), der den Phönix als Modell für die Tradierung von Herrschaft und die Geburt der Vielheit aus der Einheit betrachtet: „Ad hunc modum beatissismus princeps per successionem librorum multiplex factus est ex uno (…)“56 Der Veroneser Bischof Zeno (310–371 n. Chr.) notiert in seinen Tractatus über die selbsterzeugte, nicht durch den Geschlechtsakt geschaffene Lebenskraft des legendären Vogels: „(…) non ex coitu nascitur, nec officio alieno nutritur: non invita, non imprudens moritur, sed cum maturum lethi tempus advenerit, a semetipsa invitatis sacris ignibus libentissime concrematur.“57 Wenn der Phönix nach der Erneuerung aus der Flamme gemäß einer Formel Tertullians ‚derselbe und doch ein anderer‘ ist („iterum ipse, qui non iam; alius idem“58), so spiegelt er die Doppelidentität des Herrscherkörpers, der konkrete und abstrakte Natur (Institution) vereinigt. Jean Marin benennt den im Phönix-Mythos angelegten Dualismus von Kohärenz und Pluralität mit der eingängigen Formel „mortel comme individu bien qu’immortel comme espèce.“59 Dem Modus der physischen Selbstregeneration entsprechend, ist auch Gryphius’ Catharina ein Phönix, der im Prozeß der Vernichtung des alten einen neuen Körper gewinnt. Die Logik des Trauerspielgeschehens folgt aufs genaueste dem Phönix-Mythos, wenn die Protagonistin zunächst von den Flammen der Folterknechte verbrannt wird, wenig später aber aus der Asche zu ewigem Leben im Himmel erwacht. Diesen Verlauf unterstreicht die Schlußszene, die der auferstandenen Königin, deren Leib jetzt „mit schoenerm Fleisch vmgeben“ ist, voraussagt: „Jhr wird ein Thron gesetzt in der besternten Hoeh.“60 Eine aus der Feder Georg Neumarks stammende Leichabdankung auf Wilhelmine Eleonore Herzogin von Sachsen formuliert 1653

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Vgl. Physiologus. Griechisch/Deutsch, übers. u. hg. v. Otto Schönberger, Stuttgart 2001, S. 14 ff. (Nr. 7). Eusebius, Libri quatuor de vita Constantini, PL 8, Sp.9–92, hier Sp.91 f. („De Phœnice ave“). Zeno, Tractatus, PL 11, Sp.253–530, hier Sp.381 (Lib. II, XVI). Tertulllian, De resurrectione carnis, PL 2, Sp.791–886, hier Sp.811 (cap.XIII). Über den Phönix heißt es im Zusammenhang: „qui semetipsum lubenter funerans renovat, natali fine decedens atque succedens; iterum phœnix, ubi iam nemo; iterum ipse, qui non iam; alius idem.“ Jean Marin, Le portrait du roi, S. 124. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 221 (V, v.395, v.400).

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mit einer von Gryphius bemerkenswert abweichenden Wendung, die Verstorbene werde durch ihren Tod zur „Himmelsbuergerin“.61 Während das Jenseits in Neumarks Trauerschrift als Ort der sozialen Egalisierung erscheint, darf Gryphius’ Märtyrerin einen dauerhaften Thron besteigen und ihr unter irdischen Bedingungen nur provisorisches Herrscheramt in ein ewiges Königtum überführen. Die Rolle der Stellvertreterin verwandelt sich, vermittelt über die Funktion des Opfers, zu einem spirituellen Amt: Geschichte schlägt in Eschatologie um. Allegorisch tritt dieser Transfer im Prozeß der physischen Verwandlung der Heldin zutage. Catharinas Strafrede bekräftigt am Ende die doppelte Bedeutung, die der Akt des Körpertauschs bereithält, indem sie als Märtyrerin auf Gott, als Königin aber auf die politische Geschichte Bezug nimmt. Ihre Prophezeiung, daß das von Chach Abbas despotisch regierte Persien dereinst „in Kriges Flammen stehn“62 werde, macht sichtbar, wie stark das dynastischimperiale Deutungsmuster in die spirituelle Dimension des Dramas hineinwirkt. „Die Geisterwelt ist geschichtslos“, hat Benjamin mit Blick auf die allegorischen Gespenstererscheinungen des barocken Trauerspiels behauptet.63 Gryphius’ Schlußszene widerlegt diese Diagnose, indem sie christliche Eschatologie und historische Zukunftsschau in der Figuration der gestorbenen Märtyrerin zusammenführt.64 Auch als Repräsentantin der passio Christi bleibt Catharina eine Königin, die durch politische Denkmodelle bestimmt wird. Die Schwächung des persischen Reichs, die sie voraussagt, impliziert die Stabilisierung der Herrschaft ihres Sohnes und der von ihm vertretenen georgischen Dynastie (tatsächlich wird Abbas in den folgenden Jahren die Thronansprüche des Tamaras nicht dauerhaft antasten können; nachdem der Schah im Januar 1629 gestorben ist, zerfällt Persien, wie es Catharinas Rede prophezeit, unter den Machtkämpfen der zerstrittenen Fürstenfamilien). Die Ordnung des Königtums findet sich durch den spirituellen Leib der Märtyrerin beglaubigt, insofern dieser für die Idee des christlichen Opfers wie für die Fortexistenz der institutionellen Macht gleichermaßen einsteht. Das Medium, das diese beiden Bedeutungen zusammenhält, ist das

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Georg Neumark, Poetische Leichrede von der Sterblichkeit (1653), in: Trauerreden des Barock, hg. v. Maria Fürstenwald, Wiesbaden 1973, S. 85–115, S. 93. Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, Dramen, S. 222 (V, v.436). Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 314. Gemeinsame Basis dieser beiden Aspekte ist die kämpferische Dimension des Märtyrertums, von der Jacob Burckhardt sprach (J.B., Weltgeschichtliche Betrachtungen, München 1978 (zuerst 1905), S. 39.

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Theater, auf dem der Tod der Märtyrerin in seinem geistlich-politischen Doppelsinn als geschichtliches und eschatologisches Ereignis sichtbar werden soll.65 Aus anderem Blickwinkel beleuchtet Gryphius’ erstes Trauerspiel Leo Armenius oder Fuersten-Mord (1650) die Frage der Einheit von Körper und dignitas. Nach dem blutigen Tod des byzantinischen Kaisers Leo, der von den Verschwörern um den revoltierenden Feldhauptmann Michael Balbus in der vorweihnachtlichen Frühmesse vor dem Kreuz Christi erstochen wird, verwandelt sich seine Gemahlin Theodosia zur Anklägerin, die die politische Würde ihres (seinerzeit gleichfalls durch Usurpation an die Macht gelangten) Ehemanns verteidigt. Die Kaiserin rechtfertigt die Idee der institutionellen Herrschaft, deren juristische Unantastbarkeit sie im Streitgespräch mit Michael Balbus über alle anderen Kriterien der Bewertung fürstlicher Autorität stellt.66 Theodosias apologetische Argumente erweisen sich jedoch als politisch wirkungslos, weil das, was sie schützen möchten, bereits durch den Strom der Ereignisse überspült worden ist.67 Wenn sich Michael am Ende von den Verschwörern zum Kaiser krönen läßt, bleibt der trauernden Witwe nur die Leiche ihres Gemahls, die als Symbol die ideell unzerstörbare, faktisch jedoch verletzbare Herrschaft verkörpert. Während der neue Machthaber die Insignien der fürstlichen potestas empfängt, bricht Theodosia über dem toten Leib zusammen: „Wir wündschen (last uns hir) wir wündschen zu entschlaffen | Auff dem erblasten Mund / auff der gelibten Brust.“68 Dem rasenden Wechselspiel von Gewalt und Gegengewalt, das die Geschichte ausbildet, ist die ‚Sempiternität‘ (Kantorowicz)69 der Institution kontrastiert, die hier freilich nur paradox, an der Leiche des Leo Armenius, zur Anschauung gelangen kann.

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Vgl. zum kulturstiftenden Sinn der Martyrologie Peter Burschel, Selig sind die, die heute Unrecht erleiden. Sterben, nicht töten: Der Sinn des christlichen Martyriums, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17. 2. 2003 (Nr. 40), S. 42. Andreas Gryphius, Leo Armenius, Oder Fuersten-Mord, Dramen, S. 107 (V,3, v.354 ff.). Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob das Ende des Trauerspiels die Idee des Gottesgnadentums widerlege, ist daher sekundär. Einerseits hebt die Reflexion über das geschichtliche Opfer das, was überwunden wurde, in den Status ewiger Dauer; andererseits verläuft die Geschichte mit einer eigenen providentiellen Logik, die dem Menschen in ihrer naturähnlich anmutenden Gewaltsamkeit schwer durchschaubar ist. Interpretationen, die darin eine Kritik der Providenz erblicken, verfehlen das Problemniveau, auf dem Gryphius sein Drama ansiedelt; symptomatisch hier Harald Steinhagen, Wirklichkeit und Handeln im barocken Drama. Historisch-ästhetische Studien zum Trauerspiel des Andreas Gryphius, Tübingen 1977, S. 132 ff. Andreas Gryphius, Leo Armenius, Oder Fuersten-Mord, Dramen, S. 111 (V,3, v.434 f.). Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 285.

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Sieht die Witwe am Ende in einer entrückten Vision die Mörder „erwuergt“70 und den Kaiser gerächt, so verweist das zwar auf die eschatologische Dimension des historischen Prozesses, in der Natur und Dauer, Person und Ewigkeit versöhnt sind; jedoch bleibt der prophetische Gehalt dieser imaginären Bestrafungsszene im Zwielicht, weil sie nicht durch ein allegorisches Schlußtableau beglaubigt und objektiviert wird, wie es im (für Gryphius vorbildhaften) jesuitischen Schuldrama üblich gewesen wäre. Ob die Geschichte den Tod des Kaisers vergelten kann, bleibt offen, da die heilige Institution des Herrscheramtes bereits durch Leos usurpatorischen Eingriff in die dynastische Ordnung zerstört worden ist. Das Amt, dessen Würde Theodosia im Disput mit Michael verzweifelt verteidigt, hat schon in der Vergangenheit seine Entweihung erfahren. Diese bei Gryphius nur angedeutete Perspektive trat in seiner Dramenvorlage, dem 1645 in Rom verfaßten (1656 gedruckten) Leo Armenius Seu Impietas Punita des englischen Jesuitenpaters Joseph Simon, deutlicher hervor; hier starb der Kaiser, wie es der Titel signalisierte, zur Strafe für seine häretische Kirchenpolitik, die ihn im byzantinischen Bilderstreit zum Vertreter eines radikalen Ikonoklasmus werden ließ.71 Während der tote Körper im Leo Armenius das Sinnbild einer anfechtbaren Herrschaft darstellt, deren Fragilität auf die fehlende Legitimität des Usurpators zurückweist, repräsentiert er in der Catharina von Georgien die Dauer einer durch das Leid erworbenen Würde. „Dignitas non moritur“, lautet eine Formel der Kanonisten, die ursprünglich – von Papst Alexander II. (1061–73) inauguriert – auf das geistliche Amt zugeschnitten war, im Kontext der spätmittelalterlichen Theokratie aber auch für die Institution des Königtums galt. „Le roi ne meurt jamais“: diese Konsequenz aus der Lehre von der Unvergänglichkeit der Krone transferiert Gryphius’ Catharina von Georgien in eine politische Ästhetik des Martyriums, die den Körper der Leidenserfahrung zum Medium für die Dauer der Monarchie werden läßt.72 Die paradoxe

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Andreas Gryphius, Leo Armenius, Oder Fuersten-Mord, Dramen, S. 111 (V,3, v.445). Für den jesuitischen Autor Simon war die ikonoklastische Politik Leos (775–820) eine frevelhafte Handlung, die historische Schuld begründete und die Bestrafung durch den Tod rechtfertigte. Es scheint bezeichnend, daß der Protestant Gryphius das Thema des Ikonoklasmus in seinem Drama nicht vertieft. Zu Joseph Simons Adaption vgl. auch den Kommentar von Eberhard Mannack in: Andreas Gryphius, Dramen, S. 886 ff. Zur Tradition der hier angeführten Formeln Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 404 f.; Hinweise auf die Verknüpfung von Politik und Märtyrertum bietet Lothar Bornscheuer, Diskurs-Synkretismus im Zerfall der politischen Theologie. Zur Tragödienpoetik der Gryphschen Trauerspiele, in: Studien zur Literatur des 17. Jahrhunderts, S. 489–529, S. 507 ff. Im Gegensatz zur Analyse Bornscheuers wäre jedoch die dialektische Einheit der in Catharina repräsentierten Rollenbilder zu betonen, die sich nur im Bezug auf den (von ihm vernachlässigten) Komplex der politischen Körperschaft erschließt.

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Logik der hier anschaubaren Einheit von Tod und Leben beleuchtet den widerspruchsvollen Status der Königin auf höchst kunstvolle Weise. Was hinter der theatralischen Inszenierung einer Passionsgeschichte zutage tritt, ist die Dekonstruktion weiblicher Herrschaft durch die Spiritualisierung des Interregnums und die dynastische Funktionalisierung des Opfers.73 Catharina stirbt für ihren Sohn wie Christus für den Menschen; theologia crucis und politisches Denken verschwören sich zu einem Schlußbild, an dem zu erkennen ist, daß Frauen im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts vollkommene Königinnen nur als Märtyrerinnen sein können.74 Das Finale des Trauerspiels entfaltet eine gedoppelte Perspektive, die die Aufhebung der Natur in der ‚Sempiternität‘ des Amtes als eschatologisches Ereignis sichtbar machen soll. Mit den Mitteln des Theaters läßt sich diese Aufhebung freilich nur im Sinne einer Ersetzung darstellen, in deren Verlauf die Bedeutung des Körpers der Königin vom Zeichen der Zeitlichkeit in ein Zeichen der Dauer umgewertet wird. Die eschatologische Dimension findet auf der Bühne eine semiotische Veranschaulichung, die auf das Repertoire der Repräsentation zurückgreift, dabei aber im Bann der Widerholung steht. Unter formalen Aspekten betrachtet, bietet Gryphius’ Schlußszene damit ein signifikantes Exempel für die Paradoxien, in denen sich die Literatur der Frühen Neuzeit bewegt, wenn sie die Metaphysik als Bezugs- und Erklärungssystem für die Sphäre der Politik heranzieht. Indem die Bühne, die nach dem Verständnis des 17. Jahrhunderts eine Welt repräsentiert (wie diese wiederum eine Bühne)75, das Jenseits in ihren Demonstrationsraum einbezieht, gewinnt sie die Funktion eines Mediums, das auch die ‚letzten Dinge‘ nach dem Tod zu visualisieren sucht. Die theatralische Inszenierung stellt, Gryphius’ Drama gemäß, eine Form dar, in der Transzendenz als Erfahrung illustriert werden soll. Die Eschatologie, die Gryphius mit den Mitteln der Allegorie veranschaulichen möchte, empfängt freilich nur den Status eines Lehrstücks für die Überlebenden: unter den Gesetzen des Theaters ist sie ein 73

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Während das Opfer in der antiken Tragödie, gemäß der Katharsis-Konzeption des Aristoteles, der purgierenden Zuschauerwirkung und damit einem rituell vermittelten Gemeinschaftserlebnis dient (vgl. René Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 428 ff.), ist es für das barocke Trauerspiel Element einer eschatolologisch verstandenen Geschichte, mithin eingebunden in eine konsolatorische Dramaturgie, die dem Theater Trostfunktionen angesichts der vanitas mundi zuschreibt. Dazu Hans-Jürgen Schings, Consolatio Tragoediae. S. 19–56, bes. S. 38 ff. Angesichts dessen klingt es merkwürdig verhalten, wenn Benjamin formuliert: „Daher behauptet die keusche Fürstin im Märtyrerdrama den ersten Platz.“ (Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 253). Vgl. dazu umfassend Wilfried Barner, Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen, Tübingen 1970, S. 86 ff.

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Teil der Welt, die sie doch eigentlich überschreitet. Indem Catharinas Rede in der Schlußszene die Konstellation des Prologs aufgreift, zeigt sie, daß man Transzendenz weder denken noch visualisieren kann: das Andere der Welt ist hier einzig die Reproduktion des Anfangs. Nicht die Gradationslogik des Passionsweges, der vom Tod zur Erlösung führt, sondern die Grundfigur der Wiederholung muß daher am Ende die theatralische Konstruktion bestimmen.76 Der Übertritt ins Reich Gottes, den die Märtyrerin vollzieht, repräsentiert einen Prozeß, den die Literatur nur als Variation des schon Bekannten zeigen kann, weil sie ihn nicht zu beobachten vermag.77 So bleibt das Drama vom Sterben und Auferstehen der Königin eingebunden in die Zeichenökonomie der Kunst: ein Spiel, das, indem es endet, doch wieder neu beginnt.

4. Herodes und Mariamne Johann Christian Hallmanns Trauerspiel Mariamne, das 1670 im Druck erschien, führt einen zweiten Fall vor, der die Monarchin in der Rolle der Märtyrerin zeigt: die Geschichte der Jüdin Mariamne (60–29 v. Chr.), die von ihrem Ehemann, dem König Herodes (73–4 v. Chr.), aufgrund einer Intrige seiner eifersüchtigen Schwester Salome unter der falschen Anschuldigung des Ehebruchs angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet wird, obgleich sie vor ihren Richtern, den Rabbinern, mit Überzeugungskraft und Würde ihre Unschuld beweist. Hallmanns Quellen sind die Antiquitates Iudaicae und De bello Judaico des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus (37/38–100 n. Chr.), die in Rom niedergeschrieben wurden, wo der Autor zunächst als Kriegsgefangener (67 n. Chr.), später als Freigelassener (69 n. Chr.) Kaiser Vespasians auf der Basis einer Stiftung lebte, welche man ihm für die Arbeit an seinen (in griechischer Sprache verfaßten) Geschichtswerken aussetzte. Wichtige Informationen über das politische Spannungsfeld im Palästina der Zeit des Kaisers Augustus vermittelte Hallmann

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Die paradoxen Strukturen, die eine literarische Darstellung eschatologischer Bedeutungen bestimmen, beleuchtet am Beispiel von Gryphius’ Leichabdankungen die Arbeit von Nicola Kaminski, Andreas Gryphius, Stuttgart 1998, S. 202 ff. Eine dialektische Lesart dieser Aporie könnte mit Hegel besagen, daß die Wiederholung des Anfangs, wie sie die formale Koinzidenz von Prolog und Epilog bei Gryphius bezeichnet, ein Indiz für die Unvertrautheit des Vertrauten sei. Die Nichtdarstellbarkeit der Eschatologie erweist in der Figur einer Reproduktion des Beginns zugleich, daß das „Bekannte“ noch nicht „erkannt“ ist (Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Werke, Bd. III, S. 35).

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zudem ein zwölfbändiger Roman über die Tochter Cleopatras, den Gautier de Costes de La Calprenède zwischen 1647 und 1658 veröffentlicht hatte; die älteren dramatischen Bearbeitungen des Stoffs, die sich von Hans Sachs’ Herodes-Tragödie (1552) über Adaptionen von Lodovico Dolce (1565) und Alexandre Hardy (1625) bis zu Fassungen so berühmter Autoren wie Tirso de Molina (1636) und Calderón (1637) erstreckten, sind Hallmann hingegen nicht zu Gesicht gekommen.78 Der im Trauerspiel dargestellte Konflikt, der am Ende zu einer Serie von Hinrichtungen führt, wurde – historisch verbürgt – durch den Kampf um die Macht in Palästina ausgelöst, wobei die divergierenden Interessen des römischen und ägyptischen Imperiums den eskalierenden Streit ihrerseits verschärften. Mariamne entstammte der makkabäisch-hasmonäischen Priesterfamilie, deren Regierung mit der Herrschaft ihres Großvaters Hyrkanus im Jahr 67 v. Chr. begonnen hatte, aber unter dem Einfluß innenpolitischer Konflikte nach kriegerischen Interventionen der Römer (64 v. Chr.) und der Parther (40 v. Chr.) zerbrochen war. Herodes eroberte 37 v. Chr. Jerusalem mit Hilfe der Römer zurück, vertrieb die iranischen Okkupanten und erklärte sich, unterstützt von Marc Antonius, zum König in Palästina. Weil er die Loyalität der hasmonäischen Familie zu gewinnen suchte, vermählte er sich mit Mariamne, der Enkelin Hyrkans. Sein Kalkül ging jedoch nicht auf, denn Mariamnes Mutter Alexandra und der politisch isolierte Hyrkan blieben auch weiterhin erbitterte Gegner von Herodes’ Regierungskurs. Die nach Auffassung der Historiker außerordentlich machtgierige – bei Hallmann freundlicher gezeichnete – Alexandra verbündete sich mit der Ägypterkönigin Cleopatra und suchte durch eine energisch betriebene Geheimdiplomatie ihren Vater wieder an die Macht zu bringen; gleichzeitig sorgte sie dafür, daß ihr erst 17jähriger Sohn Aristobulus das politisch einflußreiche Amt des Hohenpriesters erlangte, das einen Zugang zum inneren Zentrum der Regierungsgewalt eröffnete. Aus Furcht vor Usurpation und Umsturz ließ Herodes Aristobolus, wenig später auch Hyrkan umbringen, worauf der Haß zwischen den Parteien ins Unversöhnliche wuchs. Der durch die hasmonäische Familie alarmierte Antonius, der die unheilvollen Konsequenzen seiner Protektion erkannte, rief Herodes zu sich nach Laodicea, um ihn we-

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Zumindest vermißt man neben den Hinweisen auf die beiden genannten Romane und die historischen Quellen Informationen über dramatische Adaptionen des Sujets in den Periochen Hallmanns; vgl. Johann Christian Hallmann, Mariamne. Trauer=Spiel (1670), hg. v. Gerhard Spellerberg, Stuttgart 1973, S. 136 (zu IV, v.468) (Calpenèdre), S. 138 (zu V, v.717 ff. (Scudéry). Zur offenkundig fehlenden Kenntnis früherer Dramenfassungen vgl. das instruktive Nachwort des Herausgebers, S. 189.

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gen seines Verbrechens zu verhören. Herodes verlangte vor Antritt der Reise von seinem Onkel Joseph, der zugleich der Ehemann seiner Schwester Salome war, daß man Mariamne töten solle, falls er selbst von der heiklen Mission nicht lebend zurückkehren werde. Denselben Befehl wiederholte er, als er zu Octavian nach Rhodos aufbrach, um mit ihm über die Möglichkeiten eines Bündnisses gegen Ägypten zu beraten. Mariamne wurde im Zusammenhang der zweiten Reise vom geschwätzigen Joseph über den befremdlichen Auftrag des Herodes informiert, was sie in Empörung versetzte; nachdem sie den zurückgekehrten Ehemann unter Hinweis auf ihre Quelle zur Rede gestellt hatte, ließ dieser den illoyalen Onkel und Schwager köpfen. Den Befehl zur Ermordung Mariamnes erteilte er ein Jahr später, unter dem Einfluß einer Intrige seiner Schwester Salome, die in der Schwägerin die Vertreterin der feindlichen Dynastie erblickte, welche ihren eigenen Status untergrub, indem sie insgeheim politische Verhandlungen mit Cleopatra führte.79 Salome flößte – nach der von Hallmann adaptierten Version des Flavius Josephus – dem König den Verdacht ein, Mariamne habe ihn mit Hilfe des Mundschenks zu vergiften gesucht und zudem wiederholt Ehebruch mit dem Partherfürsten Tyridates getrieben. Die Rabbiner, die Herodes darauf zusammenrief, verhängten gegen sie das Todesurteil, das, nach kurzer Befragung der Königin, ohne Aufschub vollstreckt wurde. Auf diese Serie von Bluturteilen, hinter denen machtpolitisches Kalkül, Betrug und Verrat stehen, bezieht sich bereits das Präludium von Hallmanns Drama, das den Berg Sion (Zion) – für das frühe Christentum ein Sinnbild der Allgegenwart Gottes und Mittelpunkt der Erde (axis mundi) – als Ankläger auftreten läßt. Wenn der Berg erklärt, seine Ansprache sei „gantz wider die Natur“80, so enthüllt das einen Doppelsinn, der einerseits die anthropomorphe Erscheinung und die menschliche Reflexionsfähigkeit eines göttlich geprägten Naturphänomens, andererseits aber auch die Pervertierung der Schöpfungsordnung bezeichnet, die Herodes herbeiführt, indem er im Verlauf des historischen Prozesses seinen Onkel und Schwager, seine Frau und schließlich auch seine Söhne töten läßt. Das Aufbegehren einer spirituell gefaßten Natur wiederholt sich am Ende des vierten Akts, da der Reyen dem Bach Kidron und den Waldnymphen Gelegenheit bietet, über die Entweihung zu klagen, der „Fluesse / Berge / Thal und Tempel“ durch die Verbre-

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Dazu die auch von Hallmann genutzte Quelle: Flavius Josephus, De Bello Judaico/ Der Jüdische Krieg. Zweisprachige Ausgabe der sieben Bücher, hg. u. mit einer Einleitung sowie mit Anmerkungen vers. v. Otto Michel u. Otto Bauernfeind. Bd.I, Darmstadt 1959, S. 116 f. Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 19 (I, v.4).

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chen des Tyrannen ausgesetzt seien.81 Anders als in der allegorischen Bukolik des 17. Jahrhunderts, wie sie Texte von Opitz, Harsdörffer, Birken und Klaj repräsentieren82, bildet die Sprachfähigkeit der Natur keinen Ausdruck ihrer idyllischen Nähe zum Menschen, sondern das Resultat einer Ordnungsstörung, deren Ursprung im Bereich der politischen Macht liegt. Die Naturelemente beginnen bei Hallmann zu reden, weil die Welt aus den Fugen geraten und die schöpfungstheologisch gegebene Balance der Kräfte unter dem Einfluß der Tyrannei zerstört scheint. Im Drama tritt Herodes gegenüber Mariamne zunächst als unbedingt Liebender auf, der seine Zuneigung jedoch in einer Weise darstellt, die die Grenze zur Blasphemie überschreitet: „Laßt unsern Abgott uns / den Engelschönen Schatz / | Mit Opfern jetzt verehr’n!“ Ähnlich hatte er bereits zuvor erklärt: „Hier opffer ich mein Hertz: Die Brust ist das Altar.“83 Die Umwertung des Opferbegriffs, die bald dafür sorgt, daß Mariamne der Rache des tyrannisch-eifersüchtigen Ehemanns preisgegeben wird, deutet sich schon in der bedrohlich wirkenden Beschwörung der Leidenschaften an, mit der Herodes seine grenzenlosen Besitzansprüche formuliert. Über die innere Verbindung von Liebe und Gewalt, wie sie die Neigung der Despoten auszeichnet, sagt die Königin später pointiert: „Offt kehrt sich jhr Altar in eine Folter-Hoele.“84 Als Liebhaber seiner Frau ist der Herrscher immer schon jener blutrünstige Herodes iratus, den die mittelalterlichen Weihnachts- und Dreikönigsspiele bevorzugt in der Rolle des bethlehemitischen Kinderschlächters gezeigt hatten. Mariamne wird zu Beginn der zweiten Abhandlung als melancholische Königin eingeführt, deren Nacht unter dem Diktat eines Angsttraums stand: „Jn einem Augen-Blicke | Sprang Thron und Kron entzwey in vielmal hundert Stuecke; | Mein Zimmer wurde mir in eine Grufft verkehrt / | Jn eine düstre Gruft / da nichts als Glut und Schwerdt / | Und Strick und Beil und 81

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Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 97 (IV, v.610.). Als richtende Instanz tritt die Natur tendenziell bereits an die Stelle der christlichen Vorsehung, wie sie bei Gryphius dominiert; auch wenn Hallmann seinerseits vom ‚Verhängnis‘ spricht, steht für ihn die selbstregulierende Kraft der naturhaft verstandenen Geschichte im Vordergrund. Vgl. hier Gerhard Spellerberg, Ratio Status und Tragoedia. Bemerkungen zur Wandlung des barokken Trauerspiels bei Hallmann, in: Virtus et Fortuna. Festschrift für Hans-Gert Roloff, hg. v. Joseph Strelka u. Jörg Jungmayer, Bern, Frankfurt/M., New York 1983, S. 496–517, bes. S. 508 f. Martin Opitz, Die Schaefferey von der Nimpfen Hercinie. Faksimile-Druck der Ausgabe v. 1630, hg. u. eingel. v. Karl F. Otto, Bern, Frankfurt/M. 1976; Georg Philipp Harsdörffer, Sigmund von Birken, Johann Klaj, Pegnesisches Schäfergedicht (1644–45). Faksimile-Neudruck, hg. v. Klaus Garber, Tübingen 1966. Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 33 (I, v.362 f.); S. 31 (I, v.317). Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 79 (IV, v.148).

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Dolch / und Folter-Bäncke stunden.“85 Während die Dienerinnen, denen Mariamne von den Schreckbildern des Schlafs berichtet, im Traum nur einen Spiegel der Seele erblicken, der das reproduziert, was den Menschen innerlich bewegt, sieht die Protagonistin in ihm ein Zeichen, das in die Zukunft weist: „Hat nicht der Schoepffer selbst (wie uns auß seinen Schaetzen | Deß heil’gen Bund’s bekannt) / offt durch verborgne Traeum’ | Bald diesem Gifft entdeckt / dem suesses Honigseim?“86 Das Wechselspiel der Deutungsperspektiven übernimmt Hallmann aus Gryphius’ Leo Armenius, wo der Kaiser und sein Ratgeber nach demselben Rollenmuster über die Priorität der Interpretationen streiten: während der Vertraute den Traum als bloßes Medium der Wiederholung psychischer Prozesse auslegt, um den beunruhigten Herrscher zu beschwichtigen, betont dieser die prophetische Dimension der nächtlichen Bilder.87 Hallmanns Drama entscheidet den Konflikt durch seinen Fortgang, indem es die Evidenz beider Deutungen bestätigt; der Traum zeigt Mariamne als „Printzessin sonder Thron“, wie sie ihre Mutter nach der Gefangennahme im vierten Akt charakterisiert, zugleich aber als von Angst Beherrschte, die angesichts der durch ihren Ehemann bereits verhängten Bluturteile aus guten Gründen um die Sicherheit von Thron und Leben fürchtet.88 Wenn Walter Benjamin erklärt, das barocke Trauerspiel habe durch die „Wahrträume“, die „den Tyrannen das Ende“ verkünden, „die griechischen Orakel“ ins „deutsche Theater einzuführen“ gesucht, so muß man das zumindest im Blick auf Hallmanns Szene modifizieren: was wie eine Prophezeiung erscheint, ist hier zugleich ein Spiegel der Seele der Träumerin, die ahnt, daß sie eine bedrohliche Zukunft erwartet.89

5. Entheiligung der Ehe Durch ihre Intrige, die darauf abzielt, Mariamne mit dem falschen Verdacht des geplanten Gattenmordes und des mehrfachen Ehebruchs zu überziehen, greift Salome als Vertreterin der unumschränkten Machtgier ins Geschehen

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Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 40 (II, v.47 ff.). Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 42 (II, v.132 ff.). „Der Himmel“, so Leo, „hat durch Traeum’ offt grosse Ding entdeckt.“ Der Ratgeber Exabolius verweist dagegen auf die affektpsychologische Sinndimension des Traums: „Der Wahn hat offt durch Traeum’ ein muedes Hertz erschreckt.“ Andreas Gryphius, Leo Armenius, Oder Fuersten-Mord, Dramen, S. 73 (III,v.281 f.). Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 93 (IV, v.503). Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 313.

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ein. Der Erfolg der häßlichen Verleumdung wird durch eine Schlüsselsituation befördert, in der die Königin Herodes den Beischlaf verweigert, weil sie ihm seine zahllosen Grausamkeiten gegenüber ihrer Familie nicht verzeihen kann: „Ein traurig Hertz laeßt sich zur Liebe nicht bewegen.“90 Auch Flavius Josephus berichtet in den Antiquitates Iudaicae über diese Szene; in der von Hallmann konsultierten Übersetzung, die der Straßburger Humanist Conrad Lautenbach 1574 im Rahmen einer kommentierten Gesamtausgabe von Josephus’ historischen Schriften veröffentlichte, lautet der betreffende Passus: „Endlich ist der vnmut / welchen Herodes lang bey sich getragen / auff solche weiß außgebrochen: Als Herodes vmb den Mittag sich in sein Schlaffkammer zu ruhe begeben / Mariamnen auß lieb / so er gegen jhr hett / zu sich beruffen / ist sie wol hinein gangen / aber nicht bey jhm ligen woellen / sondern jhn / wie sehr er sie auch darumb bate / verachtet / vnd jhm jres Vatters und Bruders Tod verwiesen.“91 Josephus’ Bericht gestaltet die Szene wie eine Wiederholung der im Buch Esther des Alten Testaments geschilderten Demütigung des Königs Ahasveros durch seine Gemahlin Vasthi, die sich den Wünschen ihres Ehemanns verweigert, als er sie „mit der königlichen Krone“ seinen fürstlichen Gästen vorführen möchte, um ihnen stolz ihre Attraktivität („denn sie war schön“) zu demonstrieren.92 Bei Adam Schubart heißt es 1564 aus misogyner Sicht über diese Urszene weiblichen Protests gegen männliche Verfügungsgewalt: „Die Königin Vasti hat nicht allein an dem Koenig ubel gethan / sondern auch an allen Fuersten / und allen Voelckern / in allen Laendern des Koenigs Ahasveros / denn es wird solches stueck der Koenigin auskomen zu allen Weibern / das sie ihre Menner verachten / vor ihren augen (…)“93 Angesichts der Empörung des Herodes, der sich durch seine Frau beleidigt fühlt (sie habe ihm „Auß hart-verweg’nem Trotz den Beyschlaf abgeschlagen“94) gelingt es Salome bei Hallmann ohne Mühe, ihren Bruder davon zu überzeugen, Mariamne sei mit ihrem Bediensteten Sohemus und dem Partherfürsten Tyridates, der, wie auch Josephus berichtet, lange Zeit um sie warb, ehebrüchig geworden.95 Das anschließende Geschehen zeigt, wie der despotische Regent die konstitutive Verbindung von Gewalt und

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Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 79 (IV, v.136). Flavij Josephi / des Hochberuehmten Juedischen Geschichtsschreibers / Historien vnd Buecher (…), o.O, o. J. [Straßburg 1574], S. 455 (Buch XV der „Antiquitates Iudaicae“). Das Buch Esther 1, 11. Adam Schubart, Der Sieman / Das ist wider den Hausteufell (…) (1564), in: Teufelbücher in Auswahl, hg. v. Ria Stambaugh. Bd. II, Berlin, New York 1972, S. 239–307, S. 245. Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 83 (IV, v.260 ff.). Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 86 (IV, v.330 ff.).

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Souveränität, die nach Hobbes’ Leviathan für jede Staatsform charakteristisch ist, zu destruktiven Zwecken zu nutzen sucht.96 Herodes demonstriert auf pointierte Weise, daß die Zeit des Herrschers permanent beschleunigte Entscheidungszeit ist, indem er Sohemus unter der Folter vernehmen läßt, den Rabbinern die Anklagepunkte gegen seine Ehefrau mitteilt, das Todesurteil durch eindeutige Bewertungen präjudiziert und nach kurzem Verhör Mariamnes deren Hinrichtung anberaumt. Die Regularien eines förmlichen Gerichtsverfahrens werden hier durch den Eilzwang des despotischen Vollzugs souveräner Gewalt ad absurdum geführt. Auch wenn die Gefolterten das Geständnis verweigern, triftige Beweise fehlen und die Beschuldigte sich überzeugend zu verteidigen versteht, kann der fatale Lauf des Prozesses nicht aufgehalten werden. Peinliche Zeugenvernehmung, Anklage und Befragung der vermeintlichen Delinquentin bilden die juristisch sinnentleerten Elemente eines Rituals, an dem sich einzig die Macht des Herrschers als despotische Verfügung über Leben und Tod erweist. Mit dem Beginn des Verhörs durch die Rabbiner gewinnt Mariamne, während sie bereits die weltliche Krone zu verlieren im Begriff ist, die Dignität der Märtyrerin. Die Verteidungsargumente, die Hallmann ihr in den Mund legt, stammen aus Madeleine de Scudérys Sammlung von heroischen Reden berühmter Frauen (Les Femmes illustres ou les Harangues hérioques) (1642), die 1654 in einer durch Paris von dem Werder verfaßten deutschen Übersetzung erschienen war.97 Weil der Vorwurf des Ehebruchs zugleich einen Verstoß gegen die Autorität des himmlischen Herrschers impliziert, der die matrimonialen Rechte verleiht, muß die Königin ihre Apologie auch an die höchste – spirituelle – Instanz adressieren: „Es weiß der grosse Gott / der alles weiß und kennet | Daß Mariamne nicht den Liebes-Bund getrennet / | Daß Mariamne nicht den Gott und Glueck gekroent / | Und zum Gemahl jhr gab hoffaertig hat verhoehnt!“98 Wenn Hallmann das – angesichts des historischen Stoffs anachronistische – Denkmodell der gratia Dei in Mariamnes Argumentation integriert, so belegt das die Bedeutung, die das Problem des Ehebruchs einer Königin für die politische Theologie der Frühen Neuzeit besitzt. Durch ihre Untreue würde die Monarchin eine doppelte

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Monarchie, Aristokratie und Demokratie unterscheiden sich laut Hobbes nicht durch den Einsatz von politischer Gewalt, sondern in den Zielen, denen dieser Einsatz unterworfen bleibt, und den Formen, nach denen sie verteilt wird; Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 145 f. (Teil II, Kap. 19). – Die Despotie lehnt Hobbes nur deshalb ab, weil sie häufig ungefestigte innenpolitische Verhältnisse mit sich führt; vgl. S. 249 f. (Teil II, Kap. 29). Vgl. Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 138, Anmerkung zu V, v.717 ff. Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 107 (V, v.291 ff.).

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Rechtsverletzung begehen, insofern sie einerseits das von Gott besiegelte Bündnis mit ihrem Gemahl in Frage stellte, andererseits dessen gleichfalls durch den Himmel gesegnete Herrscherwürde beschmutzte. Indem Hallmann dem spätantiken Sujet das Motiv des Gottesgnadentums einschreibt, verdeutlicht er aber auch die Tyrannei des Herodes, der sich am Willen der Vorsehung vergeht, indem er die ihm stellvertretend überantwortete Macht mißbraucht. Nicht die zu Unrecht angeschuldigte Mariamne, sondern der König ist derjenige, der die Idee der gratia Dei beleidigt. Im Gespräch mit Priestern und Jungfrauen zeigt sich die Protagonistin nach ihrem letzten Gebet an Jehova als gefaßt Leidende: „Wir ziehn in jenes Reich / | Wo Königinnen nicht empfinden Stahl und Streich.“99 Der Aufstieg aus dem weltlichen ins himmlische Imperium wird begleitet durch die Klage der entsetzten Natur, deren gute Mächte erneut ihren Abscheu über die durch Herodes verkörperte Perversion der Herrscherrolle bekunden: „Schaut / wie das Sternen-Schloß sein Threnen-Quell entdeckt / | Und mit entflammtem Blitz die grausen Hencker schreckt.“100 Daß sich Mariamne ebenso wie Catharina von Georgien für ihre Leidensgeschichte durch das transmundane Amt der Himmelskönigin belohnt findet, demonstriert Herodes’ Vision, die verblüffend an die Schlußszene von Gryphius’ Trauerspiel erinnert: „Wie wird mir! lebt sie nicht? Ja ja! die Fuerstin lebet! | schaut / wie jhr reiner Geist umb unsre Glieder schwebet! | Wie Perlen und Rubin jhr Gueldnes Haar bekraentzt! | Wie jhr schnee-weisses Kleid mit Diamanten glaentzt!“101 Catharina von Georgien vergleichbar, verdammt die tote Mariamne aus dem Bühnenhimmel ihren Peiniger, indem sie ihn mit einer Flut von Verwünschungen überzieht: „Gantz Palæstina selbst fuehlt Gottes schwere Rach’ | Der ob unschuld’gem Blut sich ueber dich entruestet / | Und dir durch grause Pest so Stadt als Land verwuestet.“102 Nach Flavius Josephus blieb der Tyrann Herodes in lähmender Trauer über den von ihm selbst verschuldeten Tod seiner Ehefrau zurück, deren Verlust bei ihm eine Neigung zu jenen Einbildungen und Tagesphantasien erzeugt, wie sie Hallmann durch die Erscheinung von Mariamnes Geist in Szene setzt: „Dann er nicht ein schlechte geringe lieb zu ihr getragen / sonder offt / als wann er von sinnen kommen / dieser begird nachgehenget / vnd wie frech vnnd mutwillig sie sich gehalten / er sie doch von tag zu tag je lenger je lieber gewonnen / derhalben er meinet / er seye sonderlich also von Gott gestrafft worden / das

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Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 117 (V, v.605 f.). Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 120 (V, v.689 f.). Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 121 (V, v.735 ff.). Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 123 (V, v.786 ff.).

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er Mariamnen hab tödten lassen / rieff jhr offt mit Namen / fieng offt jhrenthalben Kindisch zu weinen / Erdachte allerley kurtzweil mit Essen und Trincken / vnd was er nur konnte / es wolt aber alles nichts helfen. Derhalben er auch das Regiment fahren ließ / vnd bekümmert sich so hefftig vmb sie / das er offt seinen Dienern befohlen / jhr gleich als wann sie noch bey leben were / zu ruffen.“103 In der Geschichte des jüdischen Kriegs (De bello Judaico) heißt es, wiederum nach Lautenbachs Übersetzung, mit derselben Tendenz, Mariamnes Tod habe den König nicht nur in „eyn schwere Trawrigkeyt vnd groß hertzenleyd“ gestürzt, sondern auch „den wahnwitz“ phantastischer Gesichte in ihm geweckt.104 Josephus’ Antiquitates Iudaicae beleuchten einerseits die Motive des Herodes unvoreingenommer, als es bei Hallmann der Fall ist, lassen aber andererseits keinen Zweifel am gänzlich fiktiven Charakter der Anschuldigungen, die Mariamnes Tod herbeiführen. Weder die Mutter Alexandra noch Mariamne selbst sind freilich in Josephus’ Schilderung makellose Märtyrerinnen, vielmehr gemischte Charaktere, die mit eigenen Interessen ins politische Geschehen verstrickt bleiben. Alexandra hält, weil sie ihre Haut retten und sich vor der Rache des Herodes schützen möchte, der zum Tode verurteilten Tochter vor, sie sei „ein boeß buebisch vnd gegen jren Eheman vndanckbar Weib“, dessen schlimmes Ende „wol verdienet“ genannt werden müsse105; von der Königin selbst vermerkt Josephus nüchtern, sie habe sich am Ende ihres Lebens Schwägerin und Mutter gleichermaßen „feind“ gemacht, und fügt dem das ambivalente Epitaph hinzu: „Auff solche weiß ist Mariamne / welche ein bescheyden / keusch vnd zuechtig Weib / und doch etwas zu viel muerrisch vn zaenckisch gewesen / vmbkomen. Mit schoenheit aber / zierlicher Red / vn besonderer Herrligkeit / davon nit gnug zu sagen / hat sie alle Weiber zur selbige zeit uebertroffen / welches denn die groeste vrsach gegeben / das sie wenig friedlich mit dem Koenig lebete. Dan er auß Liebe jhr gehorsam war / darumb sie sich fuer keiner gefahr zubesorgen gewust / sich etwas frecher denn wol billich / gehalten / auch an der jhren vnfall / wie sie es selbs gegen jhm bekennet / grossen verdruß getragen.“106 Hallmann korrigiert Josephus’ misogyn wirkendes Porträt durch eine unbedingt positive Modellierung sei-

103 Flavij Josephi / des Hochberuehmten Buecher (…), S. 456. 104 Flavij Josephi / des Hochberuehmten Buecher (…), S. 660. 105 Flavij Josephi / des Hochberuehmten Buecher (…), S. 455. 106 Flavij Josephi / des Hochberuehmten Buecher (…), S. 456.

Juedischen Geschichtsschreibers / Historien vnd Juedischen Geschichtsschreibers / Historien vnd Juedischen Geschichtsschreibers / Historien vnd Juedischen Geschichtsschreibers / Historien vnd

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ner Heldin, mit deren Hilfe er sie als „Frauen-Cron“ und „Seraphin Braut“ verklärt.107 Während der Historiker Mariamne zumindest verdeckt die fehlende Bereitschaft zur Erfüllung ihrer ehelichen Pflicht vorwirft, zeigt sie der Dramatiker in der Rolle des wehrlosen Opfers, das wie Catharina von Georgien der unumschränkten Gewalt eines Tyrannen anheimgefallen ist. Trotz der Tendenz zur Glorifizierung des weiblichen Märtyrertums tritt allerdings eine Differenz gegenüber Gryphius zutage, die man nicht unterschätzen darf. Mariamnes Tod entspringt einer despotischen Unrechtshandlung, ohne dabei eine dezidiert politische Idee zu beleuchten, wie dieses durch die Stellvertretungsfunktion Catharinas gegeben ist. Weder der Glaube noch die Dynastie stehen auf dem Spiel, wenn Hallmanns Königin stirbt. Das Drama operiert aus einer Perspektive, die Mariamne am Ende zwar als himmlisch Erlöste, zugleich aber als weltlichen Wertmaßstäben unterworfene Gestalt vorführt. Die Rolle der Märtyrerin, welche die Königin im letzten Akt bereitwillig annimmt, ergänzt Hallmann um ein erotisches Moment, das in der Ankündigung des Hauptmanns anklingt, der Mariamne aus dem Gefängnis zum Henker geleitet: „So wird das Paradieß | Mit ewig suesser Lust ersetzen Fall und Rieß.“108 Bereits im Präludium erklärte der Berg Sion prophetisch, daß die Königin sich fortan nicht mit Despoten, sondern mit himmlischen Mächten verbinde: „‚Aber schoenste MARJAMNE zeuch getrost von dieser Erden | ‚Vor Tyrannen werden kuenfftig Engel deine Buhlen werden.“109 Die auf erotische Hintergründe deutende Formulierung des Prologs signalisiert ebenso wie das Stichwort ‚ewig suesse Lust‘, daß Mariamne als liebende Gemahlin gestorben sei, die sich Herodes nicht in der Rolle der keusch Entsagenden, sondern allein aus Widerwillen gegen seine blutgierige Machtpolitik verweigert habe. Als Hallmann das Trauerspiel 1684 im Rahmen einer Sammelausgabe seiner dramatischen Werke neu edierte, verlieh er ihm einen zeittypischen Doppeltitel, der diese Bedeutungsebene sehr genau erfaßte: Die beleidigte Liebe oder die großmuethige Mariamne.110 Die erweiterte Formulierung macht sichtbar, daß Mariamne, anders als das christliche Passionsopfer Catharina von Georgien, eine Märtyrerin der Ehe ist, deren Herz der Tyrann beleidigt, indem er sie der Untreue bezichtigt. Eine politi-

107 Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 119 f. (V, v.682, v.698). 108 Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 113 (V, v.481 f.). ‚Rieß‘ meint hier: ‚Reise‘. 109 Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 22. (V, v.79f). ‚Vor‘ bedeutet hier ‚für‘, ‚anstelle von‘. 110 Vgl. zur Struktur solcher Doppeltitel Albrecht Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, München 1993 (3. Aufl. mit Anmerkungen v. 1993, zuerst 1964), S. 194 ff. – Zur Deutung von Hallmanns Titelrevision vgl. das Nachwort des Herausgebers: Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 207.

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sche Dimension ihres Leidens kommt nur über Umwege durch das Motiv der gratia Dei zur Anschauung, die Herodes frevelhaft verletzt, indem er das von Gott gestiftete Bündnis ohne triftige Gründe aufkündigt. Die Hinrichtung der Königin entwürdigt das heilige Institut der Ehe, das durch den Himmel gesegnet ist; sie stellt eine Unrechtshandlung dar, in der sich die übrigen Vergehen des Tyrannen wie in einem Brennspiegel bündeln. Wenn die Geister der von Herodes Getöteten am Ende den Despoten verklagen, so mischt sich ein Moment der Prophezeiung in den Reigen; der Herrscher werde, heißt es, nach Schwager, Onkel, Schwiegermutter und Ehefrau auch seine Söhne Aristobul, Alexander und Antipater exekutieren lassen. Diese düstere Serie zeigt an, daß Mariamnes Tod das Opfer für eine Geschichte ist, die unter dem Gesetz der schwer durchschaubaren Providenz die Schuldigen ihre Verbrechen vollenden läßt, ehe sie korrigierend eingreift. Die finale Formel „Allein es wird sich ändern dieses Spiel“111, die sich auf die Herrschaft der Habsburger als Schlußpunkt eines von der Despotie zur Staatsvernunft führenden historischen Prozesses bezieht, soll das Programm der Überwindung des Übels durch die Mächte der Vorsehung prägnant umreißen. Herodes ist der Tyrann, dessen Gerichtstag noch bevorsteht, Mariamne aber das Opfer, das ihm vorauszugehen hat. Das Senecas De tranquillitate animi entnommene Zitat, das Hallmann dem 1670 veröffentlichten Druck als Motto voranstellte, verdeutlicht die geschichtlich verbürgte Instabilität der Macht, wie sie der Schlußreyen illustriert: „QUod Regnum est, cui non parata sit ruina, & proculatio, & Dominus, & Carnifex? Nec Magnis ista intervallis divisa, sed horæ momentum interest inter Solium & aliena Genua.“ („Wo gibt es eine Königsherrschaft, die nicht Sturz und Zertrümmerung, ein Gewaltherrscher und der Henker bedrohen? Nicht durch lange Zeiträume sind sie getrennt, sondern der Augenblick einer Stunde liegt zwischen Thron und Kniefall vor einem anderen.“)112 In diese von Seneca beschriebene Logik des historischen Prozesses ist nach dem Verständnis des 17. Jahrhunderts die zum Opfer bestimmte Königin eingeschlossen, insofern ihre Ohnmacht das Zeichen einer doppelten Unterlegenheit ist: der gegenüber dem Herrscher, der sie tötet, und jener gegenüber der Vorsehung, die ihn zu spät vernichtet. Die Königin muß sterben, damit die männliche Souveränität und die Providenz ihre Gewalt auf jeweils unterschiedlichen Stufen einer grausamen Geschichte ausüben dürfen.

111 Johann Christian Hallmann, Mariamne, S. 128 (V, v.931). 112 Nach der Wiedergabe Hallmanns (Mariamne, S. 6). Übersetzung nach: L. Annaeus Seneca, De tranquillitate animi/Über die Ausgeglichenheit der Seele. Lateinisch-Deutsch, übers. u. hg. v. Heinz Gunermann, Stuttgart 1995, 11,10 (S. 54 f.).

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Die Königin im Krieg (Lohenstein)

III Die Königin im Krieg (Lohenstein) Das schönste Weib der Welt ist keines Zepters wehrt.1

1. Der Sold der Sünde Der Leichnam des französischen Königs Ludwig XII. wurde im Jahr 1515 in St. Denis unter einem Grabmal bestattet, dessen Fresko ihn gemeinsam mit der Königin in doppelter Gestalt veranschaulichte: stehend als Lebenden (gisant), im Schmuck des Machthabers, in der zugleich demütigen und würdevollen Geste des Beters, und, weiter unten, liegend im Stadium des Todes (transi), als nackter Mensch, in seiner kreatürlichen Armut und Dürftigkeit.2 Solche Doppelbilder gehörten im Zeitalter der Renaissance zu den vertrauten Requisiten des Herrschergrabs, das auf diese Weise zu einem Ort aufsteigt, an dem „die Zeit des Todes neu erfunden wird.“3 Zumeist stellten sie den Monarchen mit Ornat und Insignien in der höheren Deckenregion eines tempelähnlichen Portikus dar, während man den nackten Leib auf Fresken in Bodennähe zeigte.4 Der Effekt der Verdoppelung bezog sich nicht nur auf den Körper des Herrschers, der sich bekleidet und zugleich nackt

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Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra. Text der Erstfassung von 1661, besorgt v. Ilse-Marie Barth, mit einem Nachwort v. Willi Flemming, Stuttgart 1985, S. 41 (I, v.625). – Ähnlich wie manche Aussage Scipios in der Sophonisbe (1680) ist auch diese Bemerkung, die von Marc Antons Feldhauptmann Sosius stammt, nicht als Ausdruck der Misogynie des Autors mißzuverstehen. Gerade die literarische Konstruktion selbständig-tatkräftiger Frauenfiguren in den Trauerspielen bezeugt, daß Lohenstein sehr genau zwischen soziokulturellen Normzuschreibungen und objektiven Beobachtungen unterschied. Dazu konzis Hans Belting, Repräsentation und Anti-Repräsentation, S. 49 f. Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001, S. 156; zur seit dem 13. Jahrhundert eingeführten, erst im 16. Jahrhundert jedoch weiter verbreiteten Konstruktion eines doppelten Grabbildes (‚Doppeldeckergrab‘) in der englischen Funeraltradition Nigel Llewellyn, The Art of Death, S. 60 ff.; zum französischen Brauch Philippe Ariès, Geschichte des Todes, S. 321 ff.; zu den herrschaftstechnischen Hintergründen Horst Bredekamp, Politische Zeit. Die zwei Körper von Thomas Hobbes’ Leviathan, in: Geschichtskörper. Zur Aktualität von Ernst H. Kantorowicz, S. 105–118, hier S. 105 ff. Vgl. als typisches Beispiel das 1509 erbaute Grabmal des hessischen Landgrafen Wilhem II. in der Marburger Elisabethkirche; Abb. bei Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 98.

Der Sold der Sünde

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präsentierte, sondern auch auf die Figuration des Todes. Die Gestalt des toten Königs, die durch die Visualisierung des kreatürlichen Leibes bezeichnet wurde, erzeugte ein Double des tatsächlich bestatteten Körpers: „la double mort“, wie Gaston Bachelard in anderem Zusammenhang formuliert hat.5 Die neue Zeit des Todes, die sich in der Epoche der Renaissance an den Grabmälern der Könige ablesen läßt, ist eine Zeit der kulturellen Brechung und Spiegelung. Sie zerstreut das Absolutum des Sterbens, das in der imaginären Verdoppelung des Königskörpers gemildert und abgeschwächt zutage tritt.6 Der Endzeit des natürlichen Leibes, die sich in der Auflösung seiner physischen Form manifestiert, steht die Dauer der institutionellen Herrscherexistenz gegenüber, so daß der Tod als Intermezzo erscheint, das durch seine zerstörerischen Züge erschrecken, nicht aber die dynastische Ordnung gefährden kann. Freilich stieß die Darstellung des verfallenen Herrscherleibes auf feste Grenzen, die durch den Selbstinszenierungswillen der Könige gezogen wurde. Besaßen die Körperansichten des entkleideten Monarchen eine eigene Drastik, die vom Zerfall der Schönheit und der Endlichkeit aller irdischen Macht zeugte, so kam es zu Konflikten mit symptomatischem Charakter. Girolamo della Robbia legte Katharina von Medici im Jahr 1562 einen Entwurf für ihr späteres Grabmal in der Chapelle des Valois der zum Familienmausoleum erkorenen Basilika von St. Denis vor, der dieses Prinzip des Zerfalls mit äußerster Unbarmherzigkeit veranschaulichte, indem er den nackten Körper mit durchschimmernden Knochen unter entblößtem Fleisch im Stadium der Verwesung zeigte. Die Königin wies diese Konzeption, die sie als Verletzung der ihrem Leib einbeschriebenen Amtswürde betrachtete7, empört zurück und gab statt dessen bei Germain Pilon die Figur einer Venus pudica in Auftrag8; Erasmus von Rotterdam kommentierte solche exakte Planung des Begräbnisprunks zu Lebzeiten der Herrscher in seinem Encomium Moriae (1511), dem Muster der Kritik Senecas folgend, mit schar5 6

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Gaston Bachelard, L’espace littéraire, Paris 1955, S. 126. Eine andere Form dieser ‚Zerstreuung‘ bilden in der Frühen Neuzeit die schon genannten Rituale vor der Beerdigung, die auf symbolische Weise die Fortdauer des Königtumssichern, ehe der Nachfolger (oder die Nachfolgerin) gekrönt wird; vgl. Georg Braungart, Hofberedsamkeit, S. 206 ff. Zu solchen in der Bildkunst der Renaissance anzutreffenden Formen der Widerlegung der Dignität durch den natürlichen Körper Hans Belting, Repräsentation und Anti-Repräsentation, S. 31. Erwin Panofsky, Grabplastik. Vier Vorlesungen über ihren Bedeutungswandel von AltÄgypten bis Bernini, hg. v. Horst W. Janson, mit einer Vorbemerkung v. Martin Warnke, Köln 1993 (zuerst 1964), S. 88; vgl. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 426.

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fem Spott.9 Die von Pilon nach den Plänen der Königin gestaltete Liebesgöttin, die eine delikate Mischung aus Keuschheit und Genußfreude bezeichnet, hat die Augen geschlossen und berührt mit einer Hand ihre unbekleidete Brust – ein Bildmotiv, das, wie Erwin Panofsky in leicht ironischer Dezenz formuliert, „eher heroischen als frommen Geist“ veranschaulicht.10 Nicht der im Tod zerfallende, sondern der durch den Schlaf regenerierte, den Menschen zur ebenso lustvollen wie stolzen Selbstwahrnehmung befähigende Leib scheint bei Pilon als Grabfigur dargestellt.11 An die Stelle der Dynamik der Vergänglichkeit tritt die Ökonomie des Genusses als Spielart jener Beschwörung des Moments, die in den Huldigungsbildern der Hofkunst die physische Anwesenheit des „zeitlosen Königs“ und damit die unumschränkte Präsenz der Herrschaft zur Anschauung bringt.12 Im Entwurf Pilons manifestiert sich eine „Revolte des Lebens gegen den Tod“, die im Namen des Diesseits die Logik des Verfalls und im Namen der Macht die Gefahr einer Erosion politischer Souveränität zu bannen sucht.13 Die französische Herrscherin wählte für die ikonische Repräsentation ihres Körpers ein erotisch besetztes, die christlichen Konventionen der zeitgenössischen Grabplastik mißachtendes Rollenmodell. Sie entzog sich der aufdringlichen Zeichensprache des von della Robbia unterbreiteten Vorschlags, indem sie die Liebesgöttin an den Platz der didaktischen ars moriendi treten ließ.14 Die Literatur kennt freilich Beispiele, die andeuten, daß derartige Substitutionen unter dem Vorzeichen genußvollerer Selbstinszenierung nicht risikolos bleiben. Die Königin, die den Leib zum Erprobungsfeld des Eros werden läßt, droht das ihr zugeordnete Identitätsmuster der die Dynastie sichernden Mutterschaft, welche die Kräfte der Natur in den Dienst der

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Erasmus von Rotterdam, Das Lob der Torheit. Encomium Moriae, übers. u. hg. v. Anton J. Gail, Stuttgart 1999, S. 53 f.: „Zu der Gesellschaft der Verrückten gehören auch alle, die schon zu Lebzeiten ihren Begräbnisprunk so peinlich genau anordnen, daß sie die Zahl der Fackeln, Trauergäste, Sänger und Klageweiber vorschreiben, als ob sie noch im Tode das Schauspiel verspürten und sich schämen könnten, wenn ihr Leichnam nicht prunkvoll bestattet würde.“ Vgl. L. Annaeus Seneca, De brevitate vitae/Von der Kürze des Lebens. Lateinisch-Deutsch, übers. u. hg. v. Josef Feix, Stuttgart 1994, 20,5 (S. 62 f.). Erwin Panofsky, Grabplastik, S. 88. Kurz vor ihrem Tod (1589) veranlaßte die knapp siebzigjährige Königin jedoch, daß auch Pilons Entwurf nicht für die Basilika verwendet wurde, da er ihr jetzt allzu frivol erschien. Thomas Lersch, Die Grabkapelle der Valois in Saint Denis, München 1995, S. 169 ff. Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch, S. 99. Georg Braungart, Hofberedsamkeit, S. 203. Über den Komplex der ars moriendi in der Renaissance informiert Johann Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, hg. v. Kurt Köster, Stuttgart 1961 (zuerst 1919, dt. 1924), S. 190 ff.

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8. Germain Pilon: Heinrich II. und Katharina von Medici en transi (1563–1570), Abteikirche, St. Denis.

Institution stellt, zu beschädigen.15 Solche Sexualisierung gilt dem normbewußten 17. Jahrhundert als gefährliche Form der Regelverletzung: im Wappen der Venus, die Katharina von Medici zur Symbolfigur für ihren irdischen Leib erkor, lauert daher, wie zumal das Trauerspiel zeigt, der frühe Tod als Sold der Sünde. Das prototypische Exempel für die Gestalt der rollenwidrig handelnden Königin ist Gertrud aus Shakespeares Hamlet (1603). Gertrud verrät die Würde der Königin an Betrug, Täuschung und Verbrechen, die ihrerseits durch das Regiment des Triebs gesteuert werden. Statt sich nach der Erfüllung ihrer Mutterpflicht auf die ihr verordnete Rolle der Gemahlin zu beschränken, unterwirft sie sich den Impulsen der sexuellen Lust, die sie ins Bett ihres Schwagers führen. Gertrud trägt nicht nur die persönliche Schuld an der Tötung ihres Ehemanns, sondern gefährdet auch das Königtum durch die nach zeitgenössischen Vorstellungen inzestuöse Verbindung mit dessen politisch skrupellosem Bruder („Let not the Royall Bed of Denmarke be | A

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Wie wirksam die normative Zuschreibung der Mutterschaft in diesem Punkt ist, erweist das berühmte Beispiel der pornographischen Kampagne gegen Marie Antoinette am Beginn der 1790er Jahre, die vor allem das Ziel verfolgt, die abgesetzte Herrscherin als schlechte, nämlich promiskuös (bzw. im Inzest) lebende Mutter zu entlarven. Vgl. Lynn Hunt, The Many Bodies of Marie Antoinette: Political Pornography and the Problem of the Feminine in the French Revolution, in: Eroticism and the Body Politic, ed. by Lynn Hunt, Baltimore, London 1991, S. 108–131.

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Couch for Luxury and damned Incest.“).16 Anders als die Königin Isabella in Marlowes Edward II. (1594), die ihren Gemahl absetzen und töten läßt, nachdem er in seinem Herrscheramt versagte17, beseitigt Gertrud einen klug regierenden Souverän, der seine Rolle angemessen ausfüllte. Mit dem von ihr verübten Gattenmord hat sie, wie es Hamlet formuliert, die „innre Seele“ aus „dem Körper des Vertrages“ gerissen, welcher sie im Sinne des Eherechts an den Regenten band: „Oh such a deed, | As from the body of Contraction pluckes | The very soule (…)“18 Ihr Verbrechen bildet nicht das Zeichen einer privaten Verfehlung, sondern besitzt juristische und politische Dimensionen. Es bedroht die Institution des Königtums, weil es die Wollust an den Platz der vernünftigen Herrschaft rückt und auf diese Weise das Reich einer ungewissen Zukunft preisgibt. Das unterscheidet Gertruds Tat nicht zuletzt von der ihrer mythischen Vorläuferin Klytämnestra, die ihren Gatten Agamemnon im Namen eines matriarchalischen Rechtsanspruchs ermordete, da sie ihm nicht verzeihen konnte, daß er bereit war, seine Tochter Iphigenie zu schlachten, um Artemis’ Unterstützung für die Fahrt der Kriegsflotte nach Troja zu gewinnen (ein Opfer, das mithin, wie Euripides Klytämnestra sagen läßt, keinem höheren Ziel, sondern allein der Rettung der moralisch zweifelhaften Helena dienen und der „schlimmen Gattin Preis bezahlen“ soll19). Während Klytämnestra die Verletzung des Mutterrechts durch ihren Mann rächt, besteht im Hamlet kein moralisch vertretbarer, juristisch valider Grund für die Tötung des Königs. Daß am Schluß das dänische Imperium in die Hände des Usurpators Fortinbras fällt, der den archaischen Gewaltherrscher schlechthin verkörpert, besiegelt auf folgerichtige Weise die politische Verfallsgeschichte, die Gertruds Verbrechen ausgelöst hat.20

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William Shakespeare, The Tragedie of Hamlet, Prince of Denmarke, Complete Works, Vol. XI, I, 4, v.767 f. Marlowe läßt seine Königin jedoch aus vorwiegend privaten Motiven handeln; der wesentliche Grund für ihr Vorgehen ist die Kränkung durch Edward und ihre Liebe zu Mortimer. Vgl. Christopher Marlowe, The Troublesome Raign and Lamentable Death of Edward the Second, King of England/Die unruhige Regierungszeit und der jammervolle Tod König Eduards II. von England (1594), hg. v. Dieter Hamblock, S. 43 (I,4), S. 133 f. (IV,4). William Shakespeare, The Tragedie of Hamlet, Prince of Denmarke, Complete Works, Vol. XI, III,4, v.88 ff. Euripides, Iphigenie in Aulis. Tragödien, übers. v. Hans v. Arnim. Mit einer Einführung und Erläuterungen v. Bernhard Zimmermann, München 1990, S. 586 (v. 1169). – Nach René Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 86 ff. manifestiert sich in der attischen Tragödie eine Krise des Opfers, die die im Ritus offenbarte Gewalt als Ausdruck eines Bösen auffaßt, das die Kategorie der Heiligkeit in Frage stellt. Über das Finale des Dramas unter diesem Gesichtspunkt auch Klaus Reichert, Der fremde Shakespeare, München 1998, S. 52 f.

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Wenn die Königin am Ende als Stellvertreterin ihres Sohnes an dem Gift, das ihm durch Claudius zugedacht war, sterben muß, so ist das, anders als im Fall von Gryphius’ Catharina, kein Märtyrertod, sondern ein unglückliches Versehen: eine hochironische Travestie des tragischen Opfers unter den Gesetzen der Kontingenz als Prinzip der theatralischen Inszenierung. Im Hamlet erscheint ein Frauentypus, der das Drama des 17. Jahrhunderts verstärkt bestimmt: die skrupellos agierende Königin, die ihren natürlichen Körper zum Zweck der Lust benutzt, ihren durch das Eherecht gebundenen juristischen Leib (‚the body of Contraction‘) vorsätzlich verletzt, ihre Nachkommen verrät, die Interessen der Dynastie schädigt und schließlich ihre Intrigen mit dem Tod bezahlen muß. Eine archaisch anmutende Vorläuferin dieses Rollencharakters stellt bereits die lasterhafte Gotenkönigin Tamora aus dem Titus Andronicus (ca. 1590) dar, die den römischen Kaiser Saturninus heiratet, um ihre maßlose Machtlust befriedigen zu können, und am Ende die Mitverantwortung für ein entsetzliches Blutbad trägt, wie es in vergleichbarer Brutalität niemals auf einer europäischen Bühne inszeniert wurde.21 Christian Weises Regnerus (1684) demonstriert, daß das Sujet der rollenwidrig handelnden Königin auch in die Komödie einwandern konnte. Weise, der seine Texte für die Bühne des von ihm seit 1678 geleiteten Gymnasiums in Zittau schrieb, führt hier die Geschichte der verwitweten schwedischen Königin Torilda vor, die ihre noch unmündigen Stiefsöhne Regnerus und Toraldus in die Verbannung schickt, weil sie Geschmack an der Macht gefunden hat und die Krone nicht an den juristisch vorbestimmten Nachfolger ihres verstorbenen Gemahls weitergeben möchte. Weise transponiert den mythischen Stoff – Torilda war die Gemahlin des sagenumwobenen Königs Hunding – in die Hofwelt des 17. Jahrhunderts, wo detailliert ausgestaltete Rechtsverhältnisse die Herrschaftsstrukturen genau fixieren. In ihrem Sinn fällt Torilda allein der Anspruch auf ein Interregnum zu, mit dem sie sich jedoch nicht begnügen möchte. Die Klage über den provisorischen Charakter der eigenen Rolle („Ach eine schlechte Monarchin, welche in Betrachtung ihrer StiffKinder auf Rechnung sitzen mus“22) mündet rasch in den verbrecherischen Plan, die Söhne auszuschalten und in eine Einöde

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Zum Typus der schlechten Königin und der Rolle des Spiegels, der im Märchen an die Stelle der hier skizzierten verklärenden Bildästhetik treten kann, vgl. mit Blick auf spätere Epochen Elisabeth Bronfen, Nur über ihre Leiche, S. 155 ff.; zu Tamora vgl. Martin Windisch, Metapher, Allegorie und Materialität des Körpers als Medien des nationalen Gedächtnisses in der Frühen Neuzeit, S. 94 f. Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 1–199, S. 11 (I,3). Der fragmentarisch, im Manuskript eines Schreibers überlieferte Text bricht kurz vor dem Schluß (in Szene V,14) ab.

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zu entführen, wo sie, wie der Hofminister Fengo zynisch bemerkt, „sich selbst unbekandt werden“.23 Torilda verkehrt damit den ihr de iure zugewiesenen Part der Stellvertreterin, welche die Throngewalt nur für die Dauer der Unmündigkeit des männlichen Erben ausüben darf. „Die Kinder müßen freylich unserer Hoheit aufgeopffert werden“24 – dieses Diktum verrät eine förmliche Perversion der Rolle der Königinwitwe, wie sie Gryphius’ Catharina nach dem Verständnis des 17. Jahrhunderts mustergültig ausübte. Die veränderte Zuschreibung der Begriffe offenbart ein signifikantes Selbstbild, das die geltenden Rechtsnormen verkehrt: nicht der Königin, sondern den Erben fällt hier die Aufgabe der ‚Aufopferung‘ zu; nicht der Thronfolger, sondern die Herrscherin beansprucht ‚Hoheit‘. Hinter Torildas Einschätzung lauert eine Hybris, die auch die Komödie – darin dem Automatismus des Trauerspiels folgend – zu sühnen hat. Weises Königin findet am Ende, nachdem Regnerus, der ältere der Stiefsöhne, durch die tatkräftige Dänenprinzessin Svanhvita aus der einsamen Wildnis befreit worden ist, die verdiente Strafe: Regnerus landet mit einer Flotte in Schweden, das Volk läuft zu ihm über, man verhaftet die von ihren Beratern verlassene Torilda, setzt sie ab und wirft sie ins Gefängnis. Die Logik der Komödie sorgt dafür, daß zum Schluß geregelte Verhältnisse eintreten dürfen; während die hybride Herrscherin als „Feindin des Königreichs“ eingekerkert wird, unterwirft Svanhvita, die an der Seite des Regnerus den Thron besteigt, ihre künftige Amtsauffassung dem „Gesetze der Liebe“.25 Der Sieg des Rechts, der dem legitimen Thronerben das Zepter verschafft, impliziert damit auch eine juristisch akzeptable Ausfüllung der Rolle der Königin. Sie liegt – in der Komödie wie im Trauerspiel – auf einer Ebene jenseits der politischen Souveränität, wo Selbstbeschränkung und Opferbereitschaft die einzig verbindlichen Insignien weiblicher Hoheit sind. Der Schulactus vermittelt hier eine misogyne Perspektive, die sich durch das Erbrecht und die Idee der Dynastie gesichert weiß. Das Drama Weises dokumentiert – darin dem Hamlet folgend – ein auffallendes Interesse an der Figur der strafbaren Königin. Es läßt jedoch keinen Zweifel, daß die Gründe für dieses Interesse jenseits psychologischer Motive – die für das 17. Jahrhundert kaum in Rechung kommen – auf juristischem Terrain liegen. Die normwidrig handelnde Regentin wird zur Bedro23 24 25

Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 12 (I,3). Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 12 (I,3). Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 182 (V,7), S. 188 (V,10).

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hung des dynastischen Ordnungsmodells, das die politische Souveränität in der Frühen Neuzeit fundiert, weil sie nicht die Kontinuität der Krone sichert, sondern die Lust an der Macht praktiziert. Bereits Francis Bacon bezeichnet daher den Typus der selbstvergessenen Herrscherin in seinen Essays als größte Gefährdung der Monarchie, wobei ihm nicht die Literatur, sondern die Geschichte mit ihren zahlreichen Exempeln von der römischen Kaiserin Agrippina bis zu Katharina von Medici als Bezugsfeld vor Augen steht.26

2. Die inszenierte Cleopatra In Lohensteins afrikanischen Trauerspielen begegnet man der Figur der aus zweifelhaften Motiven handelnden Königin wieder. Im Gegensatz zu Shakespeares Gertrud und Weises Torilda verfügen Lohensteins Herrscherinnen Cleopatra und Sophonisbe jedoch über eigene politische Wertvorstellungen, die ihnen eine spezifische Würde auch in den Momenten der Rollenverfehlung zueignen.27 Das Ausweichen in die Distrikte der spätantiken Geschichte kann zudem nicht verdecken, daß bei Lohenstein aktuelle Fragen der Herrschaftsorganisation auf der Tagesordnung stehen. Insbesondere für Cleopatra und ihren letzthin erfolglosen Kampf gegen das römische Imperium hatte sich bereits die französische Dramatik des 16. und frühen 17. Jahrhunderts verstärkt interessiert. Es handelte sich um einen historischen Musterfall, an dem die Logik strategischen Verhaltens, die Idee der Staatsklugheit, aber auch die Gesetze politischen Scheiterns ablesbar schienen. Als Lohenstein 1661 seine erste Version eines Cleopatra-Trauerspiels verfaßte, 26 27

Francis Bacon, Essays or Counsels civil and moral, Works, Vol. VI, S. 421. Angesichts dieser Wertvorstellungen sind die Einschätzungen der älteren Forschung, die in Lohensteins Frauenfiguren abschreckende Beispiele einseitiger Affektsteuerung sieht, gänzlich verfehlt. Die Arbeit von Cornelia Plume, Heroinen in der Geschlechterordnung. Weiblichkeitsprojektionen bei Daniel Casper von Lohenstein und die Querelle des Femmes, Stuttgart, Weimar 1996, bes. S. 210 ff. (zu den Trauerspielen) korrigiert solche Fehlurteile mit wünschenswerter Deutlichkeit, bietet aber keine überzeugenden Werkanalysen, weil sie die Möglichkeiten einer kulturwissenschaftlich breiter angelegten Verfahrensweise ignoriert, wie sie der New Historicism am Gegenstand des Frauenbildes in Texten des elisabethanischen Zeitalters vor Augen geführt hat (vgl. hier Margaret W. Ferguson, Maureen Qulligan, Nancy J. Vickers [Hg.], Rewriting the Renaissance. The Discourses of Sexual Difference in Early Modern Europe, Chicago, London 1986; Lynn Hunt [Hg.], The New Cultural History, Berkeley, Los Angeles, London 1989). So vermißt man bei Plume jenseits reiner Deskription Hinweise auf die Ikonographie weiblicher Rollenbilder, auf die Beziehung zwischen Herrschaft und Imaginärem, auf den Rechtsdiskurs und auf die Funktion der Körpersprache im dramatischen Kontext.

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lagen in Europa schon 28 dramatische Bearbeitungen des Stoffs vor. Neben Isaac de Benserades Tragödie La Cléopâtre (1636) lieferte La Calprenèdes schon genannter Cléopâtre-Roman (1647–58) Anregungen, die sich primär auf die – hier in der Rückblende – erzählten Liebesaffairen der Ägypterkönigin bezogen. Genauere Kenntnisse der spätantiken Quellenautoren, die über Cleopatras Schicksal berichten (zumal Plutarchs Antonius-Biographie und Cassius Dios fragmentarisch überlieferte, ursprünglich aus 80 Büchern bestehende römische Geschichte), eignete er sich erst für die Bearbeitung der Zweitfassung von 1680 an.28 Die englischen Adaptionen des Stoffs – neben Shakespeares Antony and Cleopatra (1606/1623) zumal Samuel Daniels The Tragedy of Cleopatra (1593) und Thomas Mays Cleopatra, Queene of Aegypt (1626) – kannte Lohenstein lediglich durch die freien Adaptionen der Wandertruppen, die jedoch von ihren Vorlagen kaum mehr als das äußere Handlungsgerüst übernahmen. Eine intensive Beschäftigung mit dem elisabethanischen Drama, die sich nicht nur auf dem Niveau der bricolage bewegt, beginnt in Deutschland erst ein halbes Jahrhundert später.29 Lohensteins Cleopatra ist schon am Beginn des Trauerspiels eine Geschlagene und Gescheiterte. Die entscheidenden Weichen sind gestellt: die Schlacht bei Actium (31 v. Chr.), die für Marc Anton mit einem Desaster endete, ist vorüber, Octavian belagert Alexandrien, die Kapitulation scheint unmittelbar bevorzustehen. Antonius und Cleopatra ahnen angesichts der aussichtslosen strategischen Konstellation, daß ihnen nur noch wenig Zeit zum Handeln bleibt. In dieser Situation sucht Octavian mit Antonius in diplomatische Verhandlungen einzutreten; er bietet ihm für den Fall, daß er Cleopatra ausliefere, die ihm aus dem erloschenen Triumvirat ursprünglich zustehende Herrschaft über ein Drittel des römischen Reichs an: „Es mag Anton behalten / | Wieviel das Bündniß ihm verlihe zuverwalten / | Es bleib’ ihm Sirien und Colchos unterthan / | Es steck’ Arabien ihm süssen Wey-

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Bernhard Asmuth, Daniel Casper von Lohenstein, Stuttgart 1971, S. 28. Die folgende Analyse stützt sich auf die erste Fassung von 1661, die bis zum Erscheinen der Zweitausgabe von 1680 auf den zeitgenössischen schlesischen Bühnen von Schule und Hof gespielt wurde, folglich die für das 17. Jahrhundert einflußreichere Textversion darstellt. Die zweite Fassung (in: Daniel Casper von Lohenstein, Afrikanische Trauerspiele, S. 13–207) erweitert die Zahl der Verse von 3090 auf 4236, bietet insbesondere in den Expositionsszenen eine breitere Ausgestaltung des historischen Horizionts und beleuchtet auch kultisch-rituelle Aspekte des Stoffs (insbesondere im ausgedehnteren Anmerkungsapparat) genauer. Ein Vergleich findet sich bei Bernhard Asmuth, Lohenstein und Tacitus. Eine quellenkritische Interpretation der Nero-Tragödien und des Arminius-Romans, Stuttgart 1971, S. 151 ff. Zur Cleopatra-Darstellung in der elisabethanischen und nachelisabethanischen Tragödie Uwe Baumann, Vorausdeutung und Tod im englischen Römerdrama der Renaissance (1564–1642), Tübingen, Basel 1996, S. 173 ff.

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rauch an / | Es mögen Grich’ und Pont / gantz Asien ihn ehren; | Es wolle nur Anton auch in der That itzt lehren: | Daß sein Gemütte nicht zu sehr Egyptisch sei.“30 Der von blinder Liebe zu Cleopatra gefesselte Antonius scheint, trotz anderslautender Empfehlungen seiner Berater, vorerst entschlossen, das Angebot Octavians auszuschlagen. Jedoch möchte die Königin, die ihn im Gespräch mit seinen Getreuen belauscht hat, auf seine allein durch erotische Leidenschaft gegründete Loyalität nicht vertrauen: „Anton ist zwar nunmehr durch unser Hold besig’t / | Und durch der Schönheit-Reitz als schlaffend eingewigt.| Kan aber nicht ein West auch bald ein Sturmwind werden? | Ein flatternd Hertze gleicht mit Wanckel-muth den Pferden / | Di ein geschwancker Zaum bald recht- bald linckwerts lenckt.“31 Dieser Befund, dessen bildhafte Illustration aus Platons Phaidros stammt32, verweist auf die Modellkonstruktion des Trauerspiels, die den männlichen Akteuren genau umrissene Positionen auf dem Schachbrett der politischen Verhaltensmuster zuweist. Auffallend ist dabei, daß der Autor seinen historischen Stoff mit aktuellen Sinnpotenzen auflädt, um das Drama der römischen Eroberung Ägyptens als Lehrstück der Staatsklugheit inszenieren zu können. Während der strategisch denkende Octavian jenen affektkontrollierten Prudentismus vertritt, den Balthasar Graciáns Oraculo manual (1647) eindringlich als Schule der politischen Vernunft und exakt durchgeplantes Situationsmanagement für höfische Karrieristen beschrieben hatte, repräsentiert Marc Anton eine changierende Leidenschaft, die auf gefährliche Weise die Motive seines Tuns regiert.33 Die römischen Geschichtshelden demonstrieren damit die unterschiedlichen Optionen im Geflecht des militärischen Machtspiels: Octavian die prudentistische ‚Verhaltenslehre der Kälte‘ (Helmut Lethen), deren Ziel die Verbergung der Emotionen zum Zweck der Interessensicherung bleibt, Marc Anton die Launen der ‚passio‘, die, wie Hobbes Leviathan vermerkt, in ihrer Extremform den Wahnsinn zum Prinzip des Handelns zu verwandeln drohen.34 Während Cleopatra schon in der spätantiken Geschichtsschreibung bevorzugt als von Sexualgier getriebene Heroine dargestellt wird – „Dann sie 30 31 32 33

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Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 36 (I, v.531 ff.). Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 61 (II, v.287 ff.). Platon, Phaidros 253d-254e, in: Sämtliche Werke, Bd. IV, S. 34 f. Daß Octavian gegen Cleopatra einen Eroberungskrieg führt, wie Cornelia Plume, Heroinen der Geschlechterordnung, S. 224, vermerkt, ist zwar zutreffend, fällt aber bei seiner Bewertung als Feldherr und Politiker in Lohensteins Trauerspiel nicht ins Gewicht, da hier weder moralische noch juristische Kriterien Bedeutung besitzen. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 56 f. (Teil I, Kap. 8). – Helmut Lethen, Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt/M. 1994, S. 52 f.

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von Natur sehr vnkeusch / vnd zu solchen luesten sehr begirig gewesen“, heißt es in Lautenbachs Übersetzung von Flavius Josephus’ Antiquitates Iudaicae35 –, zeichnet sie Lohensteins Trauerspiel als kühl kalkulierende, ihre physische Attraktivität zu strategischen Zwecken einsetzende Herrscherin. Weil sie Verrat und Auslieferung befürchtet, beschließt Cleopatra, den unzuverlässigen Antonius auf elegante Weise zu beseitigen. Sie täuscht einen Selbstmord vor, um den Geliebten seinerseits dazu zu bewegen, sich das Leben zu nehmen – ein Manöver, das sich ähnlich auch schon in den von Lohenstein konsultierten historischen Quellen (so in Plutarchs Vita Antonii) beschrieben findet. Ihren Plan, in den sie einzig ihre Vertraute Charmium einweiht, verwirklicht die Königin mit der Lust an der ästhetischen Inszenierung. Raffiniert drapiert sie ihren Körper als Artefakt mit morbidem Reiz, um sich der eigenen Dienerschaft und Antonius’ Vasall Eteocles als in Schönheit Sterbende zu präsentieren: „Last meinen nackten Hals di Muschel-Töchter küssen / | Den Armen legt Smaragd den Achseln Purpur an / | Beblümt den hohen Sarch mit Klee und Tulipan / | Hüll’t auf das Leichentuch von Karmesinen Sammet (…)“36 Das perfekte Arrangement, das sich dem erschütterten Eteocles darbietet, unterstützt die Überzeugungskraft des Illusionsprinzips. Cleopatras Kalkül geht auf, denn der wankelmütige Verbündete Antonius ersticht sich seinerseits aus Trauer, nachdem er durch den Diener vom vermeintlichen Tod der Geliebten erfahren hat: „Stoß ein! wer rühmlich stirbt der hat genung gelebt.“37 Lohensteins Königin verfügt über einen zweiten Körper der theatralischen Täuschung, an dem sich erkennen läßt, daß die Simulation zu den Geschäftsgrundlagen ihres politischen Handelns gehört. In der Suggestion des Suizids vollzieht sich eine scheinhafte Ersetzung, die den vermeintlich toten Leib an die Stelle des lebenden rückt, dabei aber ihrerseits dem Diktat des Betrugs untersteht. Ehe Cleopatra am Ende des Trauerspiels tatsächlich Selbstmord begeht, um sich der Siegerwillkür Octavians zu entziehen, der sie im Triumph nach Rom entführen möchte, stirbt sie im Rahmen einer ästhetischen Darbietung, die ein Spiegel jener Theaterwelt ist, welche Lohensteins Drama repräsentiert.38 Die sich selbst inszenierende Königin wird zur

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Flavij Josephi / des Hochberuehmten Juedischen Geschichtsschreibers / Historien vnd Buecher (…), S. 446. – Vgl. Joannes Franciscus Buddeus, Allgemeines Historisches Lexicon (…), Leipzig 1709. Erster Theil, S. 676: Cleopatra sei „ueber alle maßen wollüstig und verschwenderisch“ gewesen. Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 77 (III, v.142 ff.). Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 88 (II, v.436 ff.). Für die antike Tragödie ist der Selbstmord die spezifisch weibliche Todesform; vgl. Nicole Loraux, Tragische Weisen, eine Frau zu töten, S. 26 ff.

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Kunstfigur, deren proteische Gestalt in dem irisierenden Licht erstrahlt, das ihren Bühnenkörper überzieht. Auf diese Weise kommt es zu einer eigentümlichen Form der Verdoppelung, die das Theater im Theater wiederholt. Die Kategorien der Täuschung und des Spiels geraten so in den Sog einer ästhetischen Dekonstruktion, die durch die im 17. Jahrhundert verbreitete Denkfigur des Rollenhandelns auf einem Theatrum mundi vorgezeichnet ist. Lohenstein hat das an den Freiherrn Franz von Nesselrode adressierte Widmungsgedicht zur 1680 veröffentlichten Sophonisbe dazu genutzt, den Begriff des Spiels als Kategorie mit weitreichenden sozialen und anthropologischen Bedeutungsimplikationen zu profilieren, wobei der Hof gleichsam den gesellschaftlichen Brennpunkt bildet, der die Bühnendimensionen des Handelns als „Repräsentation der Welt in der Welt“ markant sichtbar macht.39 Thomas Hobbes spricht 1642 in De Cive vom „fingierten Menschen“40, der im Einflußbereich des öffentlichen Lebens seine ursprünglichen Anlagen unter der Maske der ‚persona‘ verstecke. Diese ‚persona‘ ist das Resultat einer präzisen Feinabstimmung zwischen Selbstbehauptung und Fremdsteuerung im Raum der sozialen Ordnung, wie sie auch bei Hobbes für die Hofwelt charakteristisch bleibt.41 „Divide with reason between self-love and society“, rät Bacon mit Blick auf die Trennung zwischen Innen und Außen, welche die gedoppelte Struktur des politischen Handelns konditioniert.42 Die Täuschungsleistung des gesellschaftlichen Rollenakteurs besteht darin, daß er seine natürlichen Bedürfnisse und Absichten verbirgt, indem er die Grenze zwischen Sein und Schein zum Verschwinden bringt; was immer er tut, kann gleichermaßen Sein oder Schein bezeichnen. Auch Cleopatra operiert auf einer Ebene, die keine klare Trennung von Einbildung und Realität, Imaginärem und Faktischem, Betrug und Wahrheit mehr zuläßt. Lohensteins Drama zeigt die Selbstdarstellung der Königin als gezieltes Spiel mit den Verdoppelungseffekten des Scheins, das seine eigene ästhetische Dynamik entfaltet. Die Instrumentalisierung der Täuschung bedeutet im Kodex der politischen Verhaltenslehre, wie sie Graciáns Oraculo manual pointiert und

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Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 244 ff.; Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. II, S. 949. Thomas Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger, S. 53 ff. Vgl. zur ‚persona‘ auch Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 123 [Teil I, Kap. 16]). Aus Sicht der Beobachtungslehre der Systemtheorie dazu Niklas Luhmann, Die Form „Person“, in: Soziologische Aufklärung 6 (Die Soziologie und der Mensch), S. 142–154. Francis Bacon, Of Counsel, in: Essays or Counsels civil and moral, Works, Vol. VI, S. 432.

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scharfsinnig beschreibt, die Funktionsbasis effektorientierten Handelns.43 Im Vordergrund steht die Frage, auf welche Weise „man in einer undurchschaubaren, Schein erzeugenden und vom Schein lebenden Welt zu Wirkungen kommt“.44 Das Programm, das Gracián dabei offeriert, zielt auf die Aufteilung des Menschen in zwei getrennte Referenzfelder. Leitend bleibt die Intention, Absichten und Zwecke des eigenen Handelns zu verbergen, um sicherer zum Erfolg zu gelangen. Was in der sozialen Verständigung durch Blicke, Gebärden und Sprache zutage tritt, korrespondiert nicht den in der Seele fest verschlossenen Wünschen und Zielen des Homo politicus. Die Person verdoppelt sich auf diese Weise, indem sie ihre Innenseite (Selbstbezug) von der Außenseite (Kommunikation) spaltet. Das Verhaltensrepertoire der Täuschung erzeugt, so könnte man mit Hegel vermerken, jenen Schein, der „unmittelbar an ihm selbst ein Nichtsein ist“, also: „Sein für Andere“45. Von den großen Spielern auf der Bühne des Welttheaters, die die Doppelung der Person habitualisiert haben, grenzt sich Lohensteins Cleopatra nun durch ihre Fähigkeit ab, das Spiel nochmals zum Objekt der Täuschung zu verwandeln. Das Verhältnis von Selbstreferenz und Umweltbezug, das die Intentionen des höfischen Rollenträgers – des ‚fingierten Menschen‘ – bestimmt, ist hier nicht mehr balanciert, weil die externe Seite der PersonaStruktur aufgebrochen und vervielfältigt wird.46 Wo der politische Akteur gemäß den Verhaltenslehren des 17. Jahrhunderts eine funktionale Harmonie zwischen Selbstreferenz (Durchsetzung eigener Ansprüche zum Zweck der Befriedigung des Glücksstrebens) und Außenkontakt (Programmierung von

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Balthasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647), mit einem Nachwort hg. v. Arthur Hübscher, Stuttgart 1990. Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997 (zuerst 1995), S. 158. Zur Differenz zwischen den höfischen Klugheitslehren des 17. Jahrhunderts und jenen einer bürgerlichen Aufklärung, welche das Programm der Täuschung in die Strategie der tugendhaften Umsicht übersetzt, vgl. Georg Stanitzek, Blödigkeit. Beschreibungen des Individuums im 18. Jahrhundert, Tübingen 1989, S. 21 f. (bürgerliche Klugheit entspringt dem Zwang zur Selbsterhaltung, während Karrierismus ein Antrieb für den Höfling im 17. Jahrhundert ist). Grundlegend hier Ursula Geitner, Die Sprache der Verstellung. Studien zum rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 1992. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Werke, Bd. III, S. 116. Die sehr freie Paraphrase ‚Sein für Andere‘ bei Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 416 (bei Hegel ist diese Formel auf den Begriff des Dings bezogen, Werke, Bd. III, S. 318). Niklas Luhmann, Frühneuzeitliche Anthropologie: Theorietechnische Lösungen für ein Evolutionsproblem der Gesellschaft, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd.I, Frankfurt/M. 1980, S. 162–234, hier S. 188 ff.

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Wirkung im sozialen Kommunikationsprozeß) herzustellen sucht, findet bei Cleopatra eine Öffnung des Handlungssystems statt: dem Selbstbezug steht eine polyvalente, wie in einem Kaleidoskop vielfarbig gespiegelte, durch verschiedene Körper hervortretende Persona-Struktur entgegen. Als ‚fingierter Mensch‘ ist Lohensteins Heldin ein Proteus, dessen Theaterleib keine Einheit besitzt: mehrfach gebrochener Schein. Damit hebt sich Lohensteins Protagonistin auch von der Täuschungskünstlerin ab, die Shakespeares Adaption des Stoffs präsentiert. In Antony and Cleopatra tritt die ägyptische Königin in der Rolle der stolzen Herrscherin auf, die ihre Würde angesichts der politischen Niederlage im Freitod rettet. Anders als Lohenstein beschränkt Shakespeare die ihm durch Thomas North’ Plutarch-Übersetzung (1579) vertraute Intrige darauf, daß Cleopatra Antonius über eine Dienerin die falsche Nachricht von ihrem Tod zukommen läßt (was auch hier zum Suizid des Römers führt). Im Drama des Elisabethaners fehlt so das szenische Arrangement eines Bühnenselbstmordes, das die Unterscheidung von Wahrheit und Betrug auf der Ebene der Fiktion vollends kollabieren läßt. Ähnlich verhält es sich mit den Bearbeitungen Daniels (1593) und Mays (1626), die Cleopatras Täuschungsmanöver nicht als Theaterereignis, sondern nur im Medium des Botenberichts darstellen.47 Indem Lohenstein dagegen die Intrige der ägyptischen Herrscherin zu einer öffentlichen Inszenierung ausbaut, demonstriert er, daß die Macht, über die sie verfügt, primär durch die ästhetische Wirkung ihres Körpers begründet wird. Hier läßt sich der Betrug nicht nur abstrakt als Form des taktischen Verhaltens, vielmehr sinnlich-konkret als Monumentalisierung des Scheins erfassen.48

3. Erinnerung und Imagination Lohensteins Cleopatra zeigt die Selbstdarstellung der Königin als Spiel mit den Verdoppelungseffekten des Imaginären. Zu ihnen gehört neben der Inszenierung des Suizids auch die vorgetäuschte Leidenschaft, mit der sie sich im vierten Akt Octavian gegenüber als Verliebte präsentiert. „Ich brenn’! ich brenn’! August! denn durch des Keisers Glider / | Zeugt sich mein Julius mein Julius sich wider. | Di Flamme / di mit ihm schon in der Asche lag / | 47

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Samuel Daniel, The Tragedie of Cleopatra (1593). Nach dem Drucke von 1611 hg. v. Max Lederer, Neudruck Nendeln 1969 (zuerst 1911); Thomas May, The Tragoedy of Cleopatra, Queene of Aegypt (1626), ed. by Denzel S. Smith, New York, London 1979. Michael Neill, Issues of Death – Mortality and Identity in English Renaissance Tragedy, Oxford 1997, S. 325 (spricht von Cleopatras „self-monumentalization“).

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Bekommet frisches Oel. Dreimal-beglückter Tag!“49 Cleopatras Aufforderung, Octavian solle „der käftgen Jahre Lust“ gebrauchen, bezeichnet das Programm der „Selbstausarbeitung“ im Zeichen der Leidenschaft, wie es Foucault unter der Formel „l’usage des plaisirs“ als Ökonomie der sexuellen Praxis beschrieben hat: jene Nutzung des eigenen Körpers zum Zweck der Passion, die Pilons Venus pudica für Katharina von Medici so sinnfällig zum Ausdruck brachte.50 Auch als lockende Verführerin ist Cleopatra freilich eine Täuschungskünstlerin, die Leidenschaft vorschützt, ohne sie zu empfinden. Erst nachdem die im Fall Cäsars und Marc Antons erfolgreich erprobte Strategie an der kalten prudentia des römischen Staatsmanns gescheitert ist, wagt die Königin den Schritt zu einer Tat, die sich jenseits des Scheins ansiedelt: sie nimmt sich das Leben, um nicht von Octavian als Symbol seines Triumphes nach Rom verschleppt zu werden. Die pathetische Dimension dieses aus Stolz vollzogenen Freitods hatte bereits das elisabethanische Drama wirkungssicher zur Geltung gebracht. Bei Samuel Daniel stirbt Cleopatra im Namen der Selbstbehauptung als Königin, deren Unabhängigkeit unveräußerlich bleibt: „So shall / act the last of life vvith glory, / | Die like a Queen, & rest vvithout controule.“51 Während Daniels Text mit Cleopatras Abschiedsmonolog schließt („And Egypt now the Theater wher / | Haue acted this, witness / die vnforc’d“52), blickt Lohenstein über den Tod seiner Königin hinweg auf den künftigen Verlauf der Geschichte. Der Ausgang seines Trauerspiels demonstriert, daß auch der faktische Selbstmord der Herrscherin ein Ereignis mit jenem ästhetischen Bedeutungshorizont bleibt, der Cleopatras Rolle durchgehend konditioniert. Gemäß der Überlieferung Plutarchs beschließt Octavian bei Lohenstein unter dem Eindruck des Todes seiner Widersacherin, ihr ein Denkmal zu errichten, das nach Rom transportiert werden und dort die Erinnerung an eine große Herrscherin wachhalten soll: „Lasst uns gleich aus Metall ihr güldnesBild auf-führen (…)“53 In der generösen, zugleich aber politisch folgenlosen Geste Octavians, die letzthin die Überlegenheit des Siegers bekundet, wiederholt sich das Gesetz der ästhetischen Duplikation des Körpers der Köni-

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Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 114 (IV, v.409 ff.). Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 115 (IV, v.452 ff.); Michel Foucault, Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2. Übers. v. Ulrich Raulff u. Walter Seitter, Frankfurt/M. 1989 (= Histoire de la sexualité, 2: L’usage des plaisirs, 1984), S. 44 f. Samuel Daniel, The Tragedie of Cleopatra, hg. v. Max Lederer, S. 52 (IV,2, v.1384 f.). Samuel Daniel, The Tragedie of Cleopatra, hg. v. Max Lederer, S. 63 (V,2, v.1737 ff.). Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 131 (V, v.300). – Zum Bezug auf Plutarchs Antonius-Biographie (Kap. 76–86) Lohensteins eigene Anmerkung, S. 168 (zu V, v.320).

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gin.54 Von der Monarchin bleibt ein ‚fake‘, in dessen illusionärer Logik sich spiegeln darf, was Cleopatras Strategiespiele bestimmte: die Kunst der Verdoppelung und das Gesetz der Täuschung. Der Tod der Königin bezeichnet bei Lohenstein die „Dekonstruktion der Unterscheidung von Sein und Schein“, die Niklas Luhmann unter Anlehnung an Hobbes als besonderes Merkmal der Selbstdarstellung des höfischen Menschen im 17. Jahrhundert beschrieben hat.55 Als Bühnentod, der die Grenze zwischen Wahrheit und Betrug verschwimmen läßt, verweist er auf die Anatomie einer sozialen Ordnung, deren Akteure mit der Technik des Fingierens operieren, um ihre wahren Absichten zu verbergen. Cleopatras doppeltes Sterben spiegelt die verwirrenden Strategiespiele der höfischen Politik, zugleich aber, wie zu zeigen bleibt, die inneren Widersprüche einer weiblichen Herrschaft, die im 17. Jahrhundert durch symbolische Ersatzinszenierungen suggestiv zur Schau gestellt wird. Das Denkmal, das Octavian zu errichten plant, soll die Form der ästhetischen Repräsentation der Herrscherin in Elfenbein festhalten: „Di todten Bilder sind kein überwunden Feind / | Di nur der Rache Lust umbsonst zuschimpffen meint. | Jedoch / was sinnen wir auf Schimpf der edlen Frauen / | Di wir auch itzt schon todt verwundernd müssen schauen? | Es zeuget ihr Magnet der Schönheit itzt noch an (…)“56 Octavians Hinweis auf die Verklärung der Königin im Raum der kulturellen Gedächtnisbildung, mit dem die Haupt- und Staatsaktion ausklingt (Hallmann wird das Motiv in der Liberata [1700] wiederholen57), besitzt für Lohensteins Zeit eine eigene Evidenz. Insbesondere in den Niederlanden und Frankreich, wo im 17. Jahrhundert ein förmlicher Kult um Cleopatra getrieben wurde, waren, wie erinnerlich, Darstellungen europäischer Monarchinnen auf der Basis mythologischer Glorifizierung verbreitet. Rubens malte Maria von Medici parallel zu seinem großen Auftragszyklus als Kriegsgöttin Bellona (1622), Simon Vouet zeigte Anna von Österreich als Minerva (nach 1643), Grégoire Huret präsentierte 54

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Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 131 (V,v.313 ff.). Auch in Shakespeares Antony and Cleopatra taucht das Motiv der Erinnerung an die besiegte Königin auf, wenn Octavian am Ende ankündigt, er werde ihr ein prächtiges Grabmal stiften (V,2). Niklas Luhmann, Kultur als historischer Begriff, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. IV, Frankfurt/M. 1995, S. 31–54, hier S. 40. Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 131 (V, v.300). – Zu den Materialien des geplanten Denkmals (Erz, Stein, Elfenbein) vgl. S. 131 (V, v.313). Johann Christian Hallmann, Die unüberwindliche Keuschheit oder Die groszmuethige Prinzeszin Liberata (1700), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 364 (V,10). Der portugiesische König Alphonsus stiftet seiner Tochter Liberata, nachdem er sie wegen ihres christlichen Glaubens hat hinrichten lassen, ein goldenes Erinnerungsgrabmal und konvertiert in einem Akt überraschender Wandlung selbst zum Christentum.

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Blanca von Kastilien in derselben Rolle (1644). Gerade solche Arrangements zeigten jedoch hinter der bildästhetischen Heroisierung Spuren der Relativierung, die das suggestive Bildnis der Macht in Frage stellten. Auch im mythischen Modell der wehrhaften Göttin blieb die Königin vornehmlich Ehefrau und Mutter, letzthin beschränkt auf ihren familiären Wirkungskreis jenseits des politisch-militärischen Schauplatzes. Bezeichnend ist hier Vouets Porträt, das Anna von Österreich zu einer Minerva im Zeichen der Friedfertigkeit macht, die ihren Helm zur Seite gelegt hat und in entspannter Haltung auf den Betrachter blickt.58 So treten die traditionellen Identitätszuschreibungen hervor, die wie ein Palimpsest unter den malerischen Inszenierungen der vermeintlich souveränen, mit männlicher Attitüde handelnden Herrscherin ruhen. Lohensteins Trauerspiel treibt solche Ambivalenz auf die Spitze: im Bild verklärt der aggressive Eroberer Octavian einzig die verstorbene Regentin, deren politische Ohnmacht durch die Mittel der Kunst hinter der sinnlichen Macht ihrer Schönheit versteckt wird. Die ästhetische Erhöhung der toten Widersacherin, die das Imaginäre an den Platz der faktischen Herrschaft rückt, ist die Schauseite jener imperialen Kontrolle, welche der römische Triumphator fortan ausübt. Der berühmte Heroldsruf „Le roi est mort! Vive le roi!“, mit dem man in England und Frankreich seit dem Spätmittelalter die Fortdauer der Monarchie im prekären Moment des Machtwechsels verkündete, besitzt, wie Kantorowicz vermerkt hat, den Charakter einer „dramatischen Szene“.59 In Lohensteins Text muß diese Szene unterbleiben, weil der Tod der Herrscherin jegliche Kontinuität unterbindet und dazu führt, daß der fremde Eroberer das Institut des Königtums im Standbild der Erinnerung einfriert. Octavian durchkreuzt die Aussicht auf eine Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse mit der Konzessionslosigkeit des Usurpators: die minderjährigen Erben Ptolemaeus und Alexander unterwirft er einer strengen Bewachung, damit die Truppen keinen Kontakt zu ihnen herstellen können; Caesarion, Cleopatras Sohn aus der Verbindung mit Julius Cäsar, läßt er als gefährlichen Nebenbuhler und möglichen Thronfolger kaltblütig ermorden („Sein Todt verleih’t uns Ruh / sein Leben Ungemach.“); die aufkeimenden Volksunruhen, die sich in Akten der Lynchjustiz äußern, unterdrückt er mit konsequenter Härte.60 Die ptolemäische Dynastie ist zerbrochen, denn fortan wird Ägypten römische Provinz sein. Die politische Klugheit des künftigen 58 59 60

Vgl. dazu Bettina Baumgärtel, Zum Bilderstreit um die Frau im 17. Jahrhundert, S. 153 ff. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 409. Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 133 (V, v.373 ff.). Elida Maria Szarota, Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, erkennt in solchen Strategien die Haltung „eines kalten Politikers, der seinem Herrschwillen alles opfert.“ (S. 164).

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Kaisers, der sich Augustus nennt, hat sich den verzweifelten Manövern Cleopatras überlegen gezeigt. Gerade deshalb darf er ihr im Tausch gegen das Imperium ein Denkmal stiften: eine Substitution, deren Ökonomie dem prudentistischen Doppelprogramm der permanenten Vorteilssicherung und effizienten Selbstdarstellung sehr genau entspricht. Die Arbeit am kulturellen Gedächtnis ist Sache des männlichen Siegers, dessen großzügige Geste freilich nicht verbergen kann, daß er eine Blutspur durch die Geschichte zieht.

4. Afrikas Penthesilea Auch Lohensteins Numiderkönigin Sophonisbe sucht ihre Position als Herrscherin bis zur Selbstzerstörung zu sichern. Wie Cleopatra stirbt sie den Gifttod, weil sie den Römern nicht lebend in die Hände fallen möchte. Dem 30. Buch von Livius’ Ab urbe condita und der Historia Romana des Velleius Paterculus hatte Lohenstein den Stoff des Trauerspiels – eine Begebenheit aus dem vorletzten Jahr des Zweiten Punischen Kriegs (218–201 v. Chr.) – entnommen; die Bearbeitungen von Trissino (1515), Montchrestien (1596), Mairet (1635) und Corneille (1663) bezeugten die Theaterwirksamkeit des Sujets.61 Die Karthagerin Sophoniba, die auf Veranlassung ihres Vaters Hasdrubal mit dem Numiderkönig Syphax verheiratet worden war, suchte in der letzten Kriegsphase das alte Reich gegen den römischen Feldherrn Scipio und dessen Verbündeten, den Überläufer Masinissa, zu schützen, scheiterte jedoch im Kampf gegen die Truppenübermacht der Gegner und starb schließlich den Freitod durch Gift. Bei Livius ist Sophonisbe eine mit antirömischem Furor streitende Herrscherin, die aus Liebe zum Vaterland Ehen schließt, Kinder zu opfern und sich selbst zu töten fähig ist.62 Wenn Neumark der afrikanischen Königin in einer 1653 verfaßten Dissertatio funebris „Anmuth“63 bescheinigt, so verdeckt diese euphemistische Wendung den Charakterzug des Stolzes, den die meisten literarischen Porträts der Königin, hier Livius folgend, ins Zentrum rücken. In Lohensteins Trauerspiel, das zwischen 1663 und 1666 entstand, entwickelt sich aus dem historischen Figurenporträt des Livius ein politisches Psychogramm mit den Zügen der Übersteuerung und Auflösung eines kohä61

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Livius, Ab urbe condita, lib.XXX, cap.12–16. Vgl. zur Stoffgeschichte Bernhard Asmuth, Daniel Casper von Lohenstein, S. 36 f., neuerdings auch Helmut Loos, Daniel Casper von Lohenstein: Sophonisbe, Dramen vom Barock bis zur Aufklärung, S. 134–153, hier S. 135 f. Livius, Ab urbe condita, lib.XXX, cap.15. Georg Neumark, Poetische Leichrede von der Sterblichkeit (1653), in: Trauerreden des Barock, S. 85–115, S. 96.

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renten Persona-Entwurfs. Sophonisbe verteidigt nicht die Institution des Königtums, das Gryphius’ Catharina als Märtyrerin um jeden Preis zu sichern wußte. Im Zentrum ihres Denkens steht vielmehr die Idee der dynastischen, sozialen und kulturellen Unabhängigkeit des numidischen Reichs, das sie vor den Eroberungsplänen des römischen Feldherren Scipio bewahren möchte. Als „Afrikens Penthasilea“ und „Schutz-Göttin“64 des Imperiums verfolgt sie das patriotische Programm der unbedingten Selbstverteidigung gegen Fremdherrschaft, das auch die Bereitschaft zur Preisgabe des eigenen Lebens einschließt. Dem mit den Römern verbündeten Masinissa erklärt sie daher apodiktisch: „Das Vaterland geht für / dem alles weichen muß.“65 Durch solchen Patriotismus unterscheidet sich Sophonisbe von der machtgierigen Syrerkönigin Cléopâtre, die Corneille 1644 in seiner Tragödie Rodogune porträtiert hat. Mag ihr Handeln auch von Täuschungsmanövern, offener Brutalität und ungebremster Leidenschaft konditioniert werden, so bleibt doch zweifellos, daß es einer übergeordneten politischen Vision untersteht, die Corneilles Heldin gänzlich fehlt.66 Lohenstein führt Sophonisbe, gemäß den Angaben seines Quellenautors Livius, als scheiternde Herrscherin vor, ohne jedoch eine geschlossene kausale Begründung für ihren Untergang zu liefern. Zu differenzieren sind die psychologische und die geschichtsmetaphysische Bezugsebene, die das Handeln der Protagonistin gleichermaßen bestimmen. Bereits die allegorische Inszenierung des ersten Zwischenspiels führt den Zuschauer in den Gefühlshaushalt der Heldin ein. Zwietracht, Haß, Rache, Begierde, Schrecken, Neid, Furcht, Freude und Liebe erscheinen hier als Leidenschaften, die die Seele der Sophonisbe beherrschen („Ja! alle die beherbergt meine Brust“).67 Die Magie der Affekte bleibt ein inkalkulabler Faktor, der die Aktionen der

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Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 271 (I, v.365 f.). Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 289 (II, v.406). Pierre Corneille, Rodogune. Princesse des Parthes (1644/1647), in: Œuvres complètes. Tome II. Textes établies, présentés et annotés par Georges Couton, Paris 1984, S. 193–266. Vgl. insbsondere den Monolog der Cléopâtre in II,1 (v.395 ff.), der rücksichtslose Entschlußkraft, aber keine politische Vision verrät: „Digne vertu des Roi, noble de Cour, | Éclatez, il est temps, et voici notre jour.“ (S. 218). Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 277 (I, v.577). Vgl. dazu Gerhard Spellerberg, Verhängnis und Geschichte. Untersuchungen zu den Trauerspielen und dem Arminius-Roman Daniel Caspers von Lohenstein, Bad Homburg v.d.H., Berlin, Zürich 1970, S. 62 ff. Zu Recht verweist Spellerberg aber auch darauf, daß der Begriff des ‚Psychologischen‘ einzig als Terminus zur Beschreibung der allegorisch vorgenommenen Affektanalyse zu nutzen wäre; eine Kategorie der Kausalität bezeichnet er nicht, da Sophonisbe als Bühnenfigur außerhalb von rationalen Wirkungszusammenhängen agiert (S. 71 ff.).

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Heldin durchgehend steuert.68 Ihren formalen Ausdruck findet sie nicht nur in den großangelegten Reyen, die Rotth schon 1688 als spezifisches Stilmerkmal von Lohensteins Texten bezeichnet69, sondern auch in den permanenten Umschwüngen, Glückswechseln und Machtverschiebungen, die das Bühnengeschehen als tragende Strukturmomente durchziehen. Lohensteins Drama präsentiert eine Welt der Leidenschaften, die, unter dem äußeren Druck der Politik, aus den Fugen geraten ist. Signifikant für die Verwirrung der Emotionen bleibt das Leitmotiv der strategisch begründeten Verkleidung, die feste Rollenmuster verwischt und die vertrauten Markierungen zwischen den Geschlechtern aufhebt.70 Männer und Frauen agieren bei Lohenstein, ähnlich wie in den Komödien Shakespeares, unter dem Gesetz einer Verwechslungsökonomie, welche die Androgynie als gleichsam natürliches Geschlecht des Menschen auszuweisen scheint. Anders als Shakespeare verknüpft Lohenstein mit diesem Effekt jedoch keine spielerische Poetik der Grenzüberschreitung, vielmehr das düstere Szenario der entfesselten Affekte, in dem die Entdifferenzierung der Rollen den Indikator des Betrugs und der Verwirrung darstellt. Nicht die Rückkehr zum erotischen Mythos des platonischen Symposion, der von der ursprünglichen Einheit der Geschlechter kündet, sondern die Deformation der politischen Verhaltensmuster bildet die Quintessenz der Verkleidungsszenen. Wo Schein und Täuschung die wahre Identität der Person verdekken, läßt sich, so ahnt Sophonisbe, nicht mehr nach klaren Vorgaben handeln: „Mein Kopf ist gantz verwirrt! die Augen gantz umbnebelt!“71 Wie Cleopatra ist Sophonisbe eine Herrscherin, die den unumschränkten Stolz zur Maxime ihres politischen Agierens erhebt: „Der sterbe nur / der nicht unschimpflich leben kan!“72 Die Protagonistin steigert sich am Ende, unter dem Eindruck dramatisch verengter Entscheidungsspielräume, in rauschhaft vorgetragene Selbsttötungsphantasien, deren rhetorischer Fu-

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Grundlegend zu Lohensteins Auffassung von den Leidenschaften im politischen und rechtsphilosophischen Kontext Reinhart Meyer-Kalkus, Wollust und Grausamkeit. Affektenlehre und Affektdarstellung in Lohensteins Dramatik am Beispiel von Agrippina, Göttingen 1986, S. 38 ff. Albrecht Christian Rotth, Vollstaendige Deutsche Poesie, III [I = unpaginiert], S. 217 Vgl. Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 279 (II, v.36), S. 285 (II, v.26 f.), S. 305 III, v.340 ff.). Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 268 (I, v.291). Der Kleidertausch gehorcht keiner modernen Bedeutung im Sinne einer spielerischen Überschreitung sexueller Grenzmarkierungen (vgl. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 202), sondern spiegelt die Zerstörung der personalen Identität der Akteure, die ihrerseits aus dem Zusammentreten von Leidenschaft und Politik resultiert. Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 346 (V, v.464).

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ror auf bezeichnende Weise den politischen Kontext, in dem sie stehen, zudeckt. Symptomatisch wirkt hier das gurgelnde Pathos der Rede, mit der Sophonisbe nach der Untergangsprophezeiung der Dido ihren Selbstmord ankündigt: „Steckt Burg und Tempel an. Mehr als beglückte Baare! | Wo Reich und Königin den Staub zusammen mischt / | Und ihr verspritztes Blutt auf frischen Brände zischt!“73 An den Platz des politischen Behauptungswillens tritt die destruktive Feier der Selbstauslöschung, die auf bedenkliche Weise gegen das – für Lohenstein verbindliche – neostoizistische Gebot der Affektbeherrschung verstößt. Geradezu blasphemisch muß es zudem aus christlicher Perspektive anmuten, wenn die Königin ankündigt, sie werde ihren Körper verbrennen: „Die Flammen, die uns fassen / | Muß jeder Mensch verehrn / der Gott ein Opfer bringt. | Sie sind die Flügel auch / durch die die Seele schwingt | Sich zum Gestirn empor.“74 Augustinus hatte in De civitate Dei den Selbstmord entschieden verworfen und als schweren Verstoß gegen die göttliche Vorsehungsautorität bezeichnet, der unter keinen Umständen gerechtfertigt werden könne.75 Am Fall der Römerin Lucretia (6. Jh. v. Chr.), die von Sextus Tarquin, dem jüngeren Sohn des Königs Tarquinius Superbus, vergewaltigt worden war und sich darauf das Leben genommen hatte, führt Augustinus aus, daß auch extreme äußere Notlagen – wie das hier gegebene Delikt der Notzucht – einer Frau nicht die Lizenz gäben, sich selbst zu töten.76 Noch dort, wo das augustinische Verdikt im Rahmen der frühneuzeitlichen Staatsrechtslehre gelokkert wurde, blieb die argumentative Generallinie gewahrt. Der Jurist Hugo Grotius akzeptiert zwar in seiner großen Abhandlung De iure belli ac pacis (1625) unter Rekurs auf Positionen der spätantiken Stoa (etwa Senecas) den Selbstmord als letztes Mittel der Sicherung religiös-geistiger Freiheit, verbindet dieses jedoch mit einem anthropologischen Programm strengster Askese und Gefühlsbeschränkung. Vertretbar ist für Grotius der Suizid nur dort, wo ein Christ unter den Bedingungen der Tyrannei zum Widerruf seines Glaubensbekenntnisses gezwungen wird, so daß er auf keine andere Weise als durch Selbstauslöschung der ihm abverlangten Gottesleugnung zuvorkommen kann.77 Die zum Suizid entschlossene Sophonisbe begeht hingegen ein

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Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 339f. (V, v.238ff.). Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 339 (V, v.226ff.). Augustinus, De civitate Dei I, 19–23 (PL 41, Sp.32 ff.). Augustinus, De civitate Dei I, 19 (PL 41, Sp.32 f.). „Sed et in Christiana historia exempla legimus similia eorum qui mortem sibi intulerunt, ne tormentis adacti Christi religionem eiurarent, et virginium quae ne pudicitiam amitterent in flumen se iecerunt, quas et in martyrum censum Ecclesia retulit.“ (Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri tres [1625]. Editionis anni 1939. Photomechanischer Neudruck,

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9. Freitod der Königin Sophonisbe, Anonym (1553), Archiv des Autors.

Fest der Zerstörungslust, das sich moralischen Bewertungsmaßstäben gänzlich entzieht. Der Tod bildet keinen Fluchtpunkt der letzten Freiheit, sondern einen erotisch aufgeladenen Bereich, der mit einschlägigen Kostbarkeitsmetaphern als Zone der sinnlichen Erfüllung ausgewiesen wird. Durch die dithyrambische Rhetorik der Sterbeszene ist der ethische Sinn der stoischen Leidenschaftskontrolle außer Kraft gesetzt: „Wir finden in der Gruft die schönsten Edelsteine.“78 Die blumige Sprache der Sterbeszene läßt keinen Zweifel daran, daß Sophonisbe für sich selbst, nicht aber für das Königtum stirbt. Lohensteins Heldin unterscheidet sich hier deutlich von den Opferfiguren des griechischen Dramas der Antike. In der attischen Tragödie werden Frauen, wie

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Aalen 1993, lib.2, cap.19,5). – Zur Selbstmorddiskussion weiteres Material bei Adalbert Wichert, Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jahrhundert. Daniel Casper von Lohenstein und sein Werk. Eine exemplarische Studie, Tübingen 1991, S. 436 ff. Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 343 (V, v.362). – Zwar hat der Tod der Heldin in der Tat „etwas Erhabenes, etwas Strahlendes“ (Elida Maria Szarota, Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, S. 172), doch läßt sich nicht übersehen, daß Lohenstein die Szene ins Licht der Ambivalenz taucht, indem er Sophonisbe als selbstvergessene, von Zerstörungslust berauschte Königin vorführt.

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Nicole Loraux hervorgehoben hat, für die Ehe und deren Ethos geopfert.79 Erst im Tod steigen sie zu wirklichen Gattinnen im Sinne des griechischen Rechts auf.80 In exemplarischer Weise repräsentiert eine solche Rolle Alkestis, die Tochter des Königs Pelias von Iolkos, die für ihren Mann Admetos stirbt, damit diesem das ihm ursprünglich von den Schicksalsgöttinnen zugedachte Los eines frühen Todes erspart bleibt (wobei die Intervention des Herakles sie am Ende zum Lohn für ihren Großmut aus dem Totenreich rettet und in die Arme ihres Gatten zurückführt). In Euripides’ Alkestis-Tragödie (438 v. Chr.) erklärt die sterbende Titelheldin im Kreis ihrer Verwandten: „Lebt wohl! Freut euch des Lebens! Rühme dich, | Admet, daß du ein gutes Weib besessen! | Ihr Kinder, seid auf eure Mutter stolz.“81 Solche Formen der Opferung tragen bekanntlich im Mythos, abweichend vom Fall der Alkestis, bisweilen gewaltsamen Charakter. Nicht freiwillig, sondern unter Zwang sterben die Frauen für die Ordnung des Staates: Kreon verurteilt Antigone zum Tode, weil sie seine herrscherliche Autorität und mit ihr die von den Göttern erlassenen Gesetze in Frage stellt82, Hekabes Tochter Polyxena wird von den Griechen am Grab des ‚göttlichen Helden‘83 Achill geschlachtet, Iphigenie von Agamemnon in Aulis auf Rat des Sehers Kalchas zum Geschenk für die ihm zürnende Göttin Artemis auserkoren, die seine Flotte im Hafen festhält.84 Unabhängig von der Frage des persönlichen Willens fällt hier der Frau – in der Rolle der Ehegattin oder Tochter – die Funktion zu, durch die Preisgabe des Lebens die Versöhnung der Götter herbeizuführen, deren Autorität über das Geschick der Männer in Politik und Krieg entscheidet. Der höhere Zweck dieser Selbstopferung ist damit die Stabilisierung des Staates über den Umweg der Beeinflussung der ihn lenkenden himmlischen Mächte, die vom Menschen verlangen, daß er ihnen Lebendiges schenkt, damit sie seine politischen und militärischen Vorhaben beschirmen.85

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Daß bereits das Ritual der Defloration in der griechischen Gesellschaft dem Mechanismus des Opfers gehorcht, betont Walter Burkert, Homo Necans, S. 74 f. Nicole Loraux, Tragische Weisen, eine Frau zu töten, S. 47 ff. Euripides, Alkestis. Tragödien, S. 34 (v. 323 ff.). Sophokles, Antigone. Tragödien, übers. v. Wilhelm Willige, überarbeitet v. Karl Bayer. Mit einer Einführung und Erläuterungen v. Bernhard Zimmermann, München 1990, S. 137 ff. (v.444 ff.). So die Charakteristik in Schillers Nänie (1799). Friedrich Schiller, Werke. Nationalausgabe, begr. v. Julius Petersen, fortgeführt v. Lieselotte Blumenthal u. Benno v.Wiese, hg. im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik und des Schiller-Nationalmuseums Marbach v. Norbert Oellers, Weimar 1943 ff., Bd. 2/I, S. 326 (v.7). Euripides, Hekabe, v.221 ff. (Tragödien, S. 163); Ders., Iphigenie in Aulis, v.90 ff. (Tragödien, S. 553). Vgl. Walter Burkert, Homo Necans, S. 70 ff. (zum Jungfrauen-Opfer).

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Anders als im griechischen Mythos und in der attischen Tragödie vollzieht dagegen Sophonisbe das Opfer des Lebens aus einer Haltung der Verzweiflung, die den numidischen Staat letzthin an den Punkt seiner Auflösung führt. Zwar inszeniert Lohenstein die todessüchtige Sophonisbe als bewundernswerte Heldin, der es gelingt, im politischen Entscheidungsstreit eine kohärente Persona-Struktur zu bewahren, doch demonstriert er zugleich, daß ihr unbedingter Stolz heikle Folgen für das Reich zeitigt. Die fatalste Konsequenz dieses Stolzes liegt darin, daß die Herrscherin das numidische Königtum opfert, indem sie, ehe sie Gift trinkt, ihre Söhne Adherbal und Hierba wie eine zweite Medea ermordet. Sophonisbe begründet ihr Handeln mit dem Hinweis auf das Verhängnis, das die Kinder „umbs Erbgutt“ gebracht habe: „Thron / Purper / Kron und Reich ist in des Feindes Händen.“86 Der Ausruf der Dienerin Agathe signalisiert jedoch deutlich, daß mit dem Tod der Söhne eine dynastische Ordnung beseitigt wird, die allein göttlicher Wille, nicht aber der Mensch zerstören darf: „Sie falln; ach Himmel hilf! itzt falln des Reiches Seulen.“87 Nach den prudentistischen Vorstellungen des 17. Jahrhunderts verstößt Sophonisbe durch die Tötung ihrer Kinder nicht nur gegen ein moralisches Prinzip, sondern zumal gegen das politische Gebot der Machtsicherung. Das Herrschaftsvakuum, das aufgrund des Todes der Thronfolger entsteht, birgt notwendig das Risiko schwerer Volksunruhen. Hobbes bemerkt im Leviathan mit Blick auf die bedrohliche Situation, die nach dem Zerreißen der dynastischen Kontinuität eintritt: „Denn der Tod des Eigentümers der souveränen Gewalt läßt die Menge ohne Souverän zurück, das heißt ohne Vertretung, durch die sie vereint und überhaupt handlungsfähig wird, und deshalb ist sie unfähig, einen neuen Monarchen zu wählen, da jedermann das gleiche Recht hat, sich dem zu unterwerfen, von dem er annimmt, er könne ihn am besten schützen, oder sich selbst mit dem eigenen Schwert zu schützen, wenn er dazu in der Lage ist. Dies bedeutet einen Rückfall in die Wirren und den Zustand eines Krieges eines jeden gegen jeden, entgegen dem Zweck, zu dem die Monarchie zuerst eingesetzt worden war.“88 Im Sinn Agambens wird der Aufbau des souveränen Staates bei Hobbes nicht dadurch gestützt, daß das Volk sein Naturrecht auf physische Selbstbehauptung und Interessenwahrung aufgibt, sondern durch die Legitimation des Souveräns, allein das Naturrecht auszuüben (was wiederum die Unabhängigkeit von externen Gesetzen bedeutete:

86 87 88

Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 345 (V, v.447ff.). Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 347 (V, v.505). Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 152 [Teil II, Kap. 19]).

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den Status ‚legibus solutus‘).89 Mit dem Moment des Erlöschens der Dynastie fällt diese Freiheit an das Volk zurück, das, solange es ohne Souverän ist, den zuvor im Staat eingefrorenen Naturzustand in der Entfaltung bürgerkriegsähnlicher Gewaltverhältnisse reaktiviert; an den Platz der durch die Krone kontrollierten Staatsordnung, welche die kollektiven Kräfte gebunden und geformt hatte, tritt jetzt das Chaos sich wechelseitig überrollender Einzelmächte. Die mythisch-afrikanische Welt, die das Trauerpiel zeigt, hat Lohenstein mit politischen Elementen mitteleuropäischer Provenienz ausgestattet. Daß Sophonisbes Opfer keine „kathartische Funktion“ (Girard)90 erfüllt, indem es die im Ritus verschworene Gemeinschaft mit einem symbolischen Todesbann stärkt, beweist die Reaktion, welche die Dienerschaft nach der Ermordung der Söhne an den Tag legt. Die Opferung der Thronfolger lähmt die Kräfte der Überlebenden, statt ihren Widerstandsgeist zu befeuern. Der Zerfall des numidischen Königtums kündigt sich an, wenn Agathe die übrigen Dienerinnen zum kollektiven Selbstmord aufruft: „Laßt Schwestern uns nun auch zu der Erlösung eilen / | Der Brüste reine Milch bepurpern durch dis Schwerdt.“91 Der Suizid, der hier beschlossen wird, ist ein Vorzeichen der Erosion, die das numidische Reich nach dem Tod von Königin und Thronfolgern erfassen wird. In ihrem unbedingten Stolz, der die Selbstvalidierung als höchstes Ziel politischen Handelns vorgibt, erweist sich Sophonisbe folglich als unkluge Regentin, die, indem sie das Band der Erbfolge durchtrennt, die künftige Ordnung des Imperiums gefährdet. Die Behauptung der internen Persona-Struktur führt zur Destruktion der Einheit von Selbstreferenz und Nutzen, die im Programm klugen strategischen Verhaltens funktional aufeinander einwirken müssen. Der Suizid vollendet einen Vorgang der Inklusion, bei dem die Würde der Königin als innerer Wert geschützt wird, ohne daß jedoch die externe Funktion politischen Handelns – Gewinnung und Sicherung von Macht durch situationsangepaßte Entscheidungen – zur Geltung kommt. Die Entkoppelung von Selbstreferenz und Nutzen offenbart die verhaltenstechnische Ursache, die den Untergang der Herrscherin veranlaßt. Lohenstein leitet sie systematisch aus der Konzeption des – insbesondere durch Justus Lipsius in den Politicorum sive civilis doctrinae libri sex (1589) vertretenen – neostoizistisch-funktionalistischen Politikverständnisses ab, dem er mit 89 90

91

Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 116 ff. René Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 139; vgl. Walter Burkert, Wilder Ursprung, S. 13 ff., Erwin Rohde, Psyche, S. 325; dazu auch meine Ausführungen zur „Typologie des Opfers“ in Kap. I,6. Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 347 (V, v.506 f.).

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großer Konsequenz folgt.92 Sophonisbe scheitert, weil sie ihren Willen zum Widerstand gegen die Usurpatoren in monumentalem Stolz aufzehrt, ohne ihre Affekte in einem zielorientierten Verhaltensprogramm kontrollieren zu können. Die neostoizistische Lehre des Lipsius, dessen Anthropologie auf die intensive Auseinandersetzung mit Seneca zurückgeht, und der aus den Quellen der romanischen Hofschulen der Renaissance gespeiste Prudentismus Graciáns heben übereinstimmend die Bedeutung hervor, die der durchgreifenden Beherrschung der Leidenschaften im Bereich politischen Agierens zufällt; virtus und prudentia sind bei Lipsius die Wegweiser des Herrschers, der sich stets bewußt bleiben muß, daß er unter dem Auge des Himmels handelt: „Persona enim Principis non solum animis, sed etiam occulis servire debet orbium.“93 Vor diesem Hintergrund wird sichtbar, daß Lohenstein seine Protagonistin nicht als Opfer der römischen Machtgier, sondern als Gescheiterte ausweist, die gerade dort, wo sie die Würde der Person verteidigt, politisch unklug operiert. Da Sophonisbe die Behauptung der inneren Persona-Struktur über das leitende Ziel der Schadensbegrenzung durch situationskonforme Anpassung stellt, destruiert sie die dynastische Ordnung des Reichs.

6. Mythische Denkformen Das zweite Begründungsfeld für die Agonie der Königin ist das geschichtsmetaphysisch-finalistische. Wo immer Sophonisbe bei Lohenstein agiert, erweist sie sich als Repräsentantin eines – aus der Geschichtsperspektive des Dramas – überlebten kulturellen Denkkreises. Dieser Befund führt zurück zur mythischen Dimension, die ihr Sprechen und Handeln kennzeichnet. Geisterbeschwörungen, Totengespräche, Kulthandlungen und magische Praktiken bilden zentrale Elemente in der vom Ritus bestimmten Welt der Numider. Die Dominanz mythischer Denkformen zeigt sich daran, daß so92

93

Justus Lipsius, Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, Leiden 1604 (zuerst 1589; deutsche Ausgabe von Melchior Haganaeus, Amberg 1599: „Von Unterweisung zum Weltlichen Regiment“), bes. lib.I, cap.VII (S. 66 f.). Vgl. Ders., Von der Bestendigkeit (De constantia). Faksimile-Neudruck der deutschen Übersetzung des Andreas Viritius nach der zweiten Auflage von c. 1601 mit den wichtigsten Lesarten der ersten Auflage von 1599, hg. v. Leonard Forster, Stuttgart 1965, bes. S. 51 ff. Justus Lipsius, Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, lib.I, cap.VII, S. 66 ff., lib.II, cap.XV, S. 127. Vgl. Balthasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647), S. 18 (Nr.29). Grundlegend dazu Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547–1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung, hg. u. eingel. v. Nicolette Mout, Göttingen 1989; ferner die Überlegungen bei Wolfgang Weber, Prudentia gubernatoria, S. 104 ff.

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wohl die erotische Aura, die Sophonisbe ausstrahlt, als auch die Souveränität ihrer herrscherlichen Tatkraft von den Untertanen auf übersinnliche Mächte zurückgeführt wird. Symptomatisch scheint, daß selbst ihr Ehemann Syphax sie als Hexe apostrophiert, die ihn mit den Mitteln der Zauberei gefesselt habe.94 Die Heldin entstammt einer paganen Welt, in der nicht das planende prudentistische Kalkül, sondern die Tauschlogik der Opferrituale regiert. Charakteristisch bleibt hier Sophonisbes Bereitschaft, einen ihrer Söhne zu töten, um die Götter zur Verteidigung des numidischen Reichs zu bewegen: „Errette Kabar uns / du Schutzstern dieser Stadt! | Baaltis höre mich / weil man dir allzeit hat | Hochedles Menschen-Blutt und Kinder-Fleisch gewehret: | Daß es dein glüend Bild verbrennt hat und verzehret.“95 Baaltis, die Adressatin des hier angekündigten Opfers, ist nach syrisch-phönizischem Brauch die Ehefrau des Saturn und damit die ranghöchste Göttin. Wenn Sophonisbe Baaltis durch ‚Kinder-Fleisch‘ milde zu stimmen sucht, so entspricht das einer rituellen Tradition, die bis in die Zeit der Punischen Kriege fortdauerte. Im karthagischen Reich waren an Kindern vollzogene Menschenopfer insbesondere in Kriegszeiten zum Zweck der Bannung äußerer Gefahren mit Hilfe der Götter üblich. Lohenstein verweist im Anmerkungsapparat zum besseren Verständnis der Gebetsszene auf den Geschichtsschreiber Diodorus Siculus, dessen Bibliothecae historicae libri XV (1. Jh. v. Chr.) er in der Buchausgabe von 1559 benutzte, und auf Athanasius Kirchers Oedipus Aegyptiacus (1652–54), der ausführlich über die Kindstötungen im Rahmen des Baaltis-Kultes berichtet. „Von diesen grausamen Menschen-Opfern“, heißt es, „sind alle Bücher voll.“96 Während Sophonisbe das mythische Denken der archaischen Kultur Nordafrikas repräsentiert, steht der Feldherr Scipio – Seneca nennt ihn eine ‚gefeierte Gestalt‘97 – für das Vernunftkalkül neuzeitlicher Zivilisation. Rom bildet bei Lohenstein das Modell einer weitgehend säkularisierten Welt, die sich von den Ritualen und Opferbräuchen des Altertums gelöst hat, indem sie an den Platz religiöser Praktiken einen nüchternen Funktionalismus treten ließ, der den Glauben zum subordinierten Element des sozialen Systems degradierte. Aus historischer Sicht ist freilich anzumerken, daß sich solche Tendenzen verstärkt erst unter dem Einfluß der sukzessive vordringenden 94 95 96 97

Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 317 (IV, v.140). Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 271 (I, v.381 ff.). Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 359. Zum historischen Hintergrund Walter Burkert, Kulte des Altertums, S. 71. L. Annaeus Seneca, De tranquillitate animi/Über die Ausgeglichenheit der Seele, 17,4 (S. 74): „Scipio triumphale illud ac militare“.

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hellenischen Kultur, insbesondere der Philosophie der Stoa, im zweiten vorchristlichen Jahrhundert entfalteten. Symptomatisch scheint hier die Kritik am Ritus des Tieropfers, wie sie, angeregt durch Theophrasts fragmentarische Abhandlung Über die Frömmigkeit, Marcus Terentius Varro sowie Seneca vorbrachten.98 Schon bei Theophrast findet sich ein Lob der Pflanzenopfer des alten Ägypten, während die Syrer aufgrund ihres Brauches, Tiere zu töten, entschieden getadelt werden.99 „Das Leben aber“, so formuliert Theophrast, „ist ein um vieles wertvolleres [Gut] als die [Gewächse], die aus der Erde hervorsprießen; dieses [ihnen] zu rauben – indem man die Tiere opfert – wäre nicht erlaubt.“100 Der afrikanischen Tradition des Opfers, das in der Schlachtung animalischen Lebens die Erfahrung des Todes symbolisch bannt, steht der hellenische Geist, den auch Lohensteins Scipio – verbunden mit einer stoischen Haltung – in sich aufgenommen hat, voller Befremden und Widerwillen gegenüber. Daß die Kulte des Altertums – trotz punktueller Entsprechungen in der Heiligen Schrift – aus christlicher Sicht als Zeichen barbarischer Praxis gelten, belegt Ludwig Milichius’ Zauber Teuffel (1563), der die seit dem Mittelalter kurrenten Argumente gegen die antike Opfertradition zusammenfaßt. Im Tier- und Menschenopfer erblickt der Verfasser einzig die Spuren einer höllischen Verblendung, durch die der Mensch in den Wahn gerät, er könne aufgrund der Tötung des geschöpflichen Lebens die Gnade seiner Götter erringen.101 Wenn Sebastian Münsters Cosmographia (1628) das alte Numidien der Epoche Sophonisbes einen „Theil der Barbarey“102 nennt, so nimmt das jene typologische Differenzierung vorweg, die in Lohensteins Trauerspiel die afrikanische Welt von der römischen Zivilisation trennt. Die bei Münster anklingende Abwertung des ‚barbarischen‘ Geschichtskreises (zu dem Ägypten ausdrücklich nicht gehört103) wird freilich bei Lohenstein durch einen elegischen Ton abgelöst. Der Untergang des alten Numidien bildet die Prämisse für den Siegeszug der neuen römischen Weltmacht, ist aber zugleich der Ge98 Walter Burkert, Homo Necans, S. 15. 99 Theophrast, Über die Frömmigkeit. Griechisch und Deutsch, hg. v. Walter Pötscher, Leiden 1964, S. 146 ff. (Fragment 2), S. 151 ff. (Fragment 3). 100 Theophrast, Über die Frömmigkeit, S. 157 (Fragment 7). 101 Ludwig Milichius, Der Zauber Teuffel. Das ist / Von Zauberei Warsagung / Beschwehren / Gegen / Aberglauben / Hexerei / vnd mancherley Wercken des Teufels (1563), in: Teufelbücher in Auswahl, hg. v. Ria Stambaugh. Bd.I, Berlin 1970, S. 3–185, S. 104 ff. 102 Sebastian Münster, Cosmographia, Das ist: Beschreibung der gantzen Welt / Darinnen Aller Monarchien Keyserthumben / Königreichen / Fuerstenthumben / Graf= vnd Herrschafften (…), Basel 1628. Bd. II, S. 1660. 103 Sebastian Münster, Cosmographia, Bd. II, S. 1658 f. Über die Ägypter heißt es: „Dann wie wol sie Heyden sind gewesen habe sie doch sich geflissen erbarlich zu leben (…)“ (S. 1658).

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genstand einer melancholischen Bilanz historischen Scheiterns. Mit ihr verknüpft Lohenstein eine archäologisch anmutende Erkundung des mythischen Denkens, von dem sich Sophonisbe beherrscht zeigt. Sie erschließt nicht nur die symbolischen Elemente einer fremden Kultur, sondern auch die Formen, die diese bei der Erzeugung religiösen Sinns einsetzt. Die Berufungsinstanz des Mythos, die das Drama immer wieder berührt, kennt noch, im Sinne der Kategorien Ernst Cassirers, die Einheit von Ding und Zeichen, die in der planvoll gegliederten Vernunftwelt des Römers Scipio bereits verloren gegangen und durch die Reflexion ihrer Differenz substituiert worden ist.104 Der kulturelle Eroberungsanspruch der Römer drohe, so erklärt Sophonisbe, die alten Rituale und Glaubensartikel der Numider zu zerstören: „Rom / das an einen Stein / nicht unsre Götter glaubt / | Das Gadens Heyligthum des Oel-Baums hat beraubt / | Der Früchte von Smaragd auf güldnen Aesten brachte / Das den Pygmalion / Alcidens Bein’ auslachte / | Wird dieses Tempels auch nicht schonen / und ihn weihn | Dem Mörder Romulus und einer Wölfin ein.“105 Cassirer hat den pragmatischen – nämlich intentionalen und zu Handlungsstrukturen führenden – Grundzug des mythischen Denkens hervorgehoben, der nicht die „ruhige Betrachtung der Dinge“ anstrebe, sondern „von einem Akt der Stellungnahme, von einem Akt des Affekts und des Willens“ ausgehe.106 Lohensteins Königin repräsentiert eine Geisteswelt, die von solchen Impulsen der Tätigkeit und produktiven Unruhe getragen wird. Glaube und Wissen, Ritus und Magie verbindet hier die Gemeinsamkeit, daß sie unmittelbar auf die in Symbolen geordnete Natur einzuwirken suchen. Sophonisbes Selbsttötung bedeutet vor diesem Hintergrund nicht nur die Verweigerung der kulturellen Subordination unter das imperiale Gesetz Roms, sondern auch die unbedingte Konsequenz des mythischen Denkens, das – nach Cassirer – auf permanente Tätigkeit zielt. In ihm steckt die Erwartung, daß die Zeichen der Natur den Menschen zu einer unaufhörlichen Aktivität nötigen, durch die er erst zur 104 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Drei Teile, Darmstadt 1964 (Nachdruck der zweiten Auflage von 1953–54, zuerst 1923–1929), Bd.I, S. 18 ff. 105 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 340 (V, v.247ff.). Die Verse beziehen sich auf einen wenig verbreiteten kleinasischen Mythos, nach dem an heiligen Ölbäumen in Gades (Südspanien) Smaragde wuchsen. Im Tempel Pygmaleons sollen sich die Gebeine des tyrischen (phönizischen) Herkules befunden haben (vgl. auch Lohensteins Anmerkung, S. 406). In beiden Fällen handelt es sich um Überlieferungen, deren religiösen Gehalt die römischen Eroberer nicht achteten, weil sie in ihrem kulturellen Denkkreis keine Rolle spielten. 106 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. II, S. 89. Den pragmatischen Grundzug des mythischen Denkens betont Cassirer auch später mit großem Nachdruck (E.C., Vom Mythus des Staates, S. 34 ff.).

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wahren Erkenntnis der Götter gelangt. Im rituellen Selbstopfer der Königin ist dieser Glaube gleichsam symbolisch überboten und zu einer dramaturgisch kalkulierten Glorifizierung des Mythos verfestigt worden. Stellt Cleopatras Tod ein ästhetisches Ereignis dar, das die Indifferenz von Sein und Schein beglaubigt, so bezeichnet das Sterben Sophonisbes eine Selbstverklärung des mythischen Denkens, die Lohensteins Trauerspiel als Element einer versinkenden Geistessphäre präsentiert. Die Protagonistin muß nach den providentiellen Regeln einer historischen Teleologie scheitern, weil auch das von ihr verkörperte Königtum nicht mehr lebensfähig scheint. Die Idee der translatio imperii, die der allegorische Schlußreyen unter der Regie des Verhängnisses zu einer Apotheose der Habsburger Monarchie verwandelt, bezeichnet den Eindruck historischen Verfalls mit signifikanter Konsequenz. Gemäß der aus der Spätantike stammenden Lehre von der Abfolge der Weltreiche, wie sie Velleius Paterculus in den 1520 gedruckten Historiae Romanae duo volumina (29/30 n. Chr.) entfaltet hat, treten hier die Personifizierungen Asyriens, Persiens, Griechenlands und Roms auf, um ihre Vormachtposition argumentativ zu begründen. Die Quintessenz, zu der diese allegorische Revue führt, verdeutlicht jedoch nicht die Dauer, sondern den Verfall historischer Größe. Im dynamischen Verlauf der Geschichtszeit, den das Prinzip des Wechsels prägt, sind die Reiche der Vergangenheit untergegangen. Während Augustinus diesen grundsätzlichen Mechanismus in De civitate Dei auf die inneren Zerfallskräfte des mundanen Staates zurückführte, leitet ihn Lohenstein aus dem Prinzip der Providenz ab.107 Die exponierende Formel, die das Verhängnis spricht, bezeugt, daß die Imperien nur noch Gegenstände kultureller Erinnerung darstellen: „Ihr grossen Reiche dieser Welt / | Die ihr verblüht seyd / und solt blühen.“108 Mit vergleichbarer Konsequenz hat Lohenstein die Geschichtskonstruktion seines ArminiusRomans (1689/90) einer Translatio-Vorstellung unterworfen, in der sich der bei Lipsius begegnende Finalismus als leitendes Strukturprinzip abbildet. Das Widmungsgedicht zur postum edierten Erstausgabe, das Hans Aßmann von Abschatz verfaßt hat, verweist darauf, daß von Arminius ein direkter Weg zur vernünftigen Politik der Habsburger führe; die Logik des historischen Verlaufs gehorcht dem Gesetz der Emergenz, unter dessen Einfluß die politische Macht aus den Restbeständen verfallender Herrschaft neu erschaffen und aufgebaut wird.109 107 Augustinus, De civitate Dei, PL 41, Sp.117 ff. (IV,7). 108 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 351 (V, v.619 f.). 109 Daniel Casper von Lohenstein, Großmuethiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Faksimile-Neudruck der Ausgabe Leipzig 1689, hg. v. Elida Maria Szarota. 2 Bde., Hildesheim 1973, Ehren=Getichte, Bl. e2.

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So steht das von Lohenstein aktualisierte Modell der translatio imperii im Zeichen des Vergessens. Seiner intellektuellen Anlage gemäß lebt es aus der Dynamik der Auslöschung von Vergangenheit zugunsten dessen, was ‚blühen soll‘. Die Ordnung der Literatur dient zwar der Gedächtnisbildung, welche die Erinnerung an die versunkenen Weltreiche gewährt. Jedoch gerät die durch den allegorischen Schlußreyen des Trauerspiels gestiftete memoria in letzter Instanz zum Element einer dynamischen Denkformation, die den historischen Prozeß unter das Diktat der linearen Teleologie von Zeit und Ereignissen zu stellen sucht. Einerseits hält die Allegorie das Monument der vergangenen Weltreiche fest, andererseits nährt sie sich aus der Verwandlungslogik des Translatio-Gedankens, der Vergangenheit in Gegenwart umarbeitet, indem er sie, einem Palimpsest gleich, überschreibt. Erinnerungsleistungen sind innerhalb dieses Modells einzig Paradoxien, die durch die binäre Struktur von Tradition und Auslöschung erzeugt werden, wie sie der Prozeß der historischen Emergenz konstituiert: Effekte einer Aufschichtungsbewegung, die das Vergangene mitführt, um seine Zeichen in Funktionselemente der Jetzt-Zeit zu transferieren. Die übergeordnete Logik einer dynamischen Abfolge von Imperien spiegelt sich auch in Sophonisbes Sturz wider, der unter dem Gesichtspunkt der providentiellen Gesetzmäßigkeit nur das nachvollzieht, was durch das geschichtliche Verhängnis selbst beschlossen worden ist. Während hinter den strategisch konditionierten Zurüstungen des Römers Scipio die Konturen jener prudentistischen Politik hervortreten, die für Lohenstein mustergültig durch das Haus der Habsburger repräsentiert wurde, verkörpert die Numiderkönigin eine Welt des Mythos, die, weil sie historisch überlebt ist, einzig noch zum Arsenal einer opulenten Theaterinszenierung taugt. Die rituelle Ordnung des mythischen Denkens besitzt keine Bedeutung mehr für das späte 17. Jahrhundert, das sich anschickt, politische Macht funktional zu organisieren.110 Das Trauerspiel dekonstruiert eine Form der weiblichen Herrschaft, deren symbolischer Fundus erschöpft scheint, da er nicht mehr zeitgemäß ist. Sophonisbes Königtum erweist sich, ähnlich wie die Herrschaft Cleopatras, als Wirkungsfeld des Imaginären, das durch die Verdoppelungen, Spiegelungen und Verschiebungen seiner magischen Requisiten permanent 110 Zum komplexen Verhältnis von Ritual und Fiktion, die einander wechselseitig ergänzen, kontrollieren und einschränken können, vgl. am Beispiel der Passionsspiele des Spätmittelalters Jan-Dirk Müller, Kulturwissenschaft historisch. Zum Verhältnis von Ritual und Theater im späten Mittelalter, in: Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie, hg. v. Gerhard Neumann u. Sigrid Weigel, München 2000, S. 53–77.

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transformiert und zum Objekt der ästhetischen Beobachtung verwandelt wird. Das Sterben der Königin steht schließlich für eine durch den Mythos nicht mehr verbindlich kontrollierbare Welt, welche sich die an prudentistischen Machttechniken geschulten römischen Usurpatoren als Vertreter der neuen Epoche mühelos einverleiben.111 Im griechischen Drama bezeichnete das tragische Opfer nach einer (von Florens Christian Rang inspirierten) Bestimmung Benjamins „ein erstes und letztes zugleich“112: die Wiederholung des alten Rechts, durch die Versöhnung der Götter in eine zyklisch gedachte Geschichte einzutreten, und den Ursprung einer Tathandlung, die eine paradoxe Form der Freiheit des Menschen sub specie mortis begründet. Sophonisbes Selbstopfer beschreibt dagegen einen Akt der Annihilation, der die Gesetze einer machtlos gewordenen Religion beschwört, deren eschatologische Botschaft durch die Inszenierungen des Theaters verdrängt wird. Ihr Sterben ist nicht der Ausdruck der Dialektik einer tragischen Idee, in der sich Ende und Anfang zusammenschließen, sondern das Zeichen für eine erstarrte Endzeit des Mythos, welche im Wirbelsturm der neuen Welt zugrunde geht. Während die antike Tragödie ihre Verwandtschaft mit dem Opferritus, dessen religiösem Grund sie entsteigt, dadurch demonstriert, daß sie die „menschliche Existenz im Angesicht des Todes“113 vorführt, erweist Lohensteins Trauerspiel in der Darstellung des Sterbens die Logik einer Geschichte, die des Opfers bedarf, damit sie ihre teleologische Dynamik erhalten und konzentrieren kann. Sophonisbes Selbstopfer deutet nicht mehr auf eine göttliche Sphäre, deren Kräfte im Akt der Preisgabe des Lebens mit der menschlichen Wirklichkeit versöhnt werden können. Anders als in der griechischen Tragödie bezieht sich das Opfer auf eine innerweltliche Zone, insofern es das Zeichen für den Untergang einer historisch überwundenen religiösen Kultur repräsentiert. Damit bildet die dem Drama eingeschriebene Dynamik des Verfalls ihrerseits ein Signum der von Lohenstein teleologisch interpretierten Geschichte aus.114 Georg Philipp Harsdörffer betont 1648 mit Formulierungen, die sich ähnlich schon in Scaligers Poetices libri septem (1561) und Opitz’ Poeterey (1624) finden, unter Bezug auf die politische evidentia der

111 In diesem Sinne formuliert der Geist der Dido: „Kurtz: Africa / Carthago sind verstorben. | Auf / Sophonisb’! am besten ists gestorben.“ (Daniel Casper von Lohenstein, Afrikanische Trauerspiele, S. 338 [V, v.187 f.]). 112 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 285. Zum Einfluß der Opferlehre Rangs: W.B., Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 891. 113 Walter Burkert, Wilder Ursprung, S. 30, vgl. S. 26. 114 Vgl. zum Geschichtsbild Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 245 ff.

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Haupt- und Staatsaktionen, das Trauerspiel handele idealiter „von der Koenige / Fuersten und Herren Verzweifflung / Mordthaten / Verfolgung / Meineid / Betrug (…)“115 Johann Rist bemerkt 1666: „Wer Tragoedien schreiben will / muß in Historien oder Geschicht=Buechern so wol der Alten / als Neuen / treflich beschlagen / er muß die Welt- und Staats-Händel / als worin die eigentliche Politica bestehet / gründlich wissen / nicht aber allein wissen / sondern auch verstehen (…)“116 Daß sich im Trauerspiel Idee und Konstruktion der Geschichte modellhaft abbilden können, wie es bereits Scaliger bemerkt hatte, bestätigt Lohensteins Text durch den Zusammenhang von Opfer und Teleologie. Der Freitod Sophonisbes ist aus der Perspektive des Dramas keine religiöse Handlung, die auf die Endlichkeit der menschlichen Existenz verweist, sondern eine Station auf der Bahn der dynamisch ablaufenden historischen Ereignisfolge. Das Sterben der Königin stellt ein dramaturgisches Element der translatio imperii dar, nämlich das Zurücktreten des Alten, das der Dynamik des Neuen weicht. Hinter „brande, blutschanden, kriege und auffruhr“ als den – im Sinn von Opitz – zentralen Gegenständen des Trauerspiels offenbart sich so eine vernunftkonforme Vorsicht, die den Schritt der Geschichte lenkt.117 Der Preis freilich, den Lohensteins Providenz für ihre teleologische Begradigung der Weltverhältnisse einfordert, ist die Vernichtung dessen, was sich gegen das innere Gesetz der historischen Dynamik stellt: die Subordination des Mythos unter die prudentia. In Sophonisbes Selbstopfer bekundet sich am Ende aber auch die emotionale Dimension der mythischen Denkform, wie sie Cassirer beschrieben hat. Die Königin stirbt in der Haltung des Stolzes, erhitzt durch das Feuer ihrer Überzeugungen, getragen vom düsteren Pathos der Todesfeier. An den Platz des tragischen Sinns des Opfers tritt folgerichtig die Sprache der Affekte, die Lohensteins Drama von Beginn an wie ein unaufhörlicher Wasserstrom durchrauscht. Über einen poetischen Umweg dringt so die mythische Denkform in Gestalt der zyklischen Repetition wieder in den Theatertext 115 Georg Philipp Harsdörffer, Poetischer Trichter. Zweyter Theil, S. 80. Vgl. dazu die Definition bei Julius Caesar Scaliger, Poetices libri septem, lib.III, cap.xcvii, S. 144 f., ferner Martin Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Nach der Edition von Wilhelm Braune neu hg. v. Richard Alewyn, Tübingen 1963, S. 20. 116 Johann Rist, Die AllerEdelste Belustigung Kunst= vnd Tugendliebender Gemüther / Vermittelst eines anmuethigen vnd erbaulichen Gespräches (…), Sämtliche Werke, Bd.V, S. 378. 117 Martin Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey (1624), S. 20. Nahezu wörtliche Übernahme des bei Scaliger (Poetices, lib.III, cap.xcvii, S. 144) anzutreffenden Passus über die zentralen Themen des Trauerspiels, den Harsdörffer (Poetischer Trichter. Zweyter Theil, S. 80) 1648 nochmals adaptiert.

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ein. Ihr zentrales Medium sind die Allegorien der Zwischenspiele, an denen das Spektrum der Emotionen zwischen Zwietracht, Neid, Haß, Narrheit, Einbildung und Verzweiflung ausgeleuchtet wird.118 Die Personifizierungen der Reyen stiften das literarische Gedächtnis für eine Königin der Leidenschaften, die durch die Kräfte der Politik zerrieben wird.119 Sie bilden das Relais der rituellen Wiederholung und markieren damit den Gegenpol zur historischen Teleologie: die Ordnung einer melancholischen memoria, die durch die Magie der allegorischen Choreographie das, was die Geschichte längst ausgeschieden hat, bewahren hilft.

118 Insbesondere die Reyen nach der ersten und dritten Abhandlung bieten eine dichte Phänomenologie der Leidenschaften, die in kunstvoller Spiegelung auf den Affekthaushalt der Protagonistin verweisen. 119 Vgl. Wilfried Barner, Disponible Festlichkeit. Zu Lohensteins Sophonisbe, in: Das Fest, hg. v. Walter Haug u. Rainer Warning, München 1989 (= Poetik und Hermeneutik XIV), S. 247–275, S. 263 f.

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Die Königin unter dem Gesetz der Natur (Weise, Lohenstein, Hallmann)

IV Die Königin unter dem Gesetz der Natur (Weise, Lohenstein, Hallmann) Mit Lilgen zier’n des Grabmahls Pyramiden!1

1. Maria von Medici oder: Der Courtisan mit der Krone Das Alte Testament berichtet von der Königin Athalja, die, nachdem ihr Sohn gestorben ist, die Herrschaft an sich reißt, indem sie sämtliche der entfernteren männlichen Erben des Herrschergeschlechts tötet. Athaljas Schwester Joscheba gelingt es jedoch, den Königssohn Joas vor dem furchtbaren Morden zu retten. Als er erwachsen geworden ist, läßt sich Joas von den Truppen der Leibgarde heimlich krönen und organisiert einen Feldzug gegen die seit sieben Jahren illegitim regierende Königin, um sie zu stürzen. Das Volk läuft rasch zu Joas über, so daß Athalja ahnt, was die Stunde geschlagen hat. Sie zerreißt ihre Kleider, bricht in Klagegeschrei aus und gerät schließlich in die Gewalt ihrer Feinde. „Vnd sie legten die hende an sie / vnd sie gieng hin ein / des weges da die Ros zum Hause des Königs gehen / vnd ward daselbs getödtet.“2 Die entblößte Herrscherin, die ihre Kleidung abgeworfen hat, ist das Sinnbild für den Verlust der Macht, deren archaisch-dämonischer Grundzug hier allegorisiert scheint. Athalja repräsentiert kein legitimiertes Königtum, sondern die nackte Gewalt des Umsturzes; der strafbare Charakter der Usurpation wiegt im Fall der biblischen Königin besonders schwer, weil sie die Ermordung potentieller männlicher Thronfolger und damit die Pervertierung des ihr inkorpierten Prinzips der Mutterschaft einschließt.3 1

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Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Catharina Königin in Engelland. In: Johann Christian Hallmanns Trauer- Freuden- und Schaeffer-Spiele / Nebst einer Beschreibung Aller Obristen Hertzoge ueber das gantze Land Schlesien, Breslau 1684, S. 34 (Reyen nach IV,6) (alle Texte mit jeweils neu einsetzender Paginierung). Textkritischer Druck der Catharina : Johann Christian Hallmann, Sämtliche Werke, hg. v. Gerhard Spellerberg. Bd. II., Berlin, New York 1980, S. 175–234. 2. Kön, 11,16. – Für den Hinweis auf die Athalja-Episode danke ich Stefan Keppler (Würzburg). Vgl. generell zur Gender-Modellierung der biblischen Erzählung (am Beispiel des Schöpfungsmythos) Adrienne Munich: Bekannt, allzubekannt: Feministische Kritik und literarische Tradition, in: Dekonstruktiver Feminismus, hg. v. Barbara Vinken, S. 360–385.

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Damit übertrifft Athaljas Schuld noch jene, die Isebel, die Frau des Königs Ahab, auf sich häufte, als sie ihren Gemahl zum Raub eines Weinbergs anstachelte – ein Verbrechen, das sie mit dem Tod büßt (1 Kö 21). Athalja vergeht sich an den Privilegien des Sohnes und bezeichnet so einen Phänotyp der weiblichen Macht ohne Rechtsanspruch. Die alttestamentarische Erzählung beschreibt eine Urszene der politischen Geschichte, in deren künftigem Verlauf die Königin, die gewaltsam die Macht an sich reißt und mit unlauteren Mitteln naturwidrig herrscht, durch Königssöhne gerichtet wird.4 Jean Racine hat den Athalja-Stoff in einem Spätwerk (Athalie, 1691) aufgegriffen, ohne jedoch seine politischen Potenzen konsequent zu entfalten.5 Einen der biblischen Episode vergleichbaren Fall aus dem 17. Jahrhundert, an dem das extreme Spannungsverhältnis von Mutterschaft, Natur und Politik ablesbar ist, beleuchtet dagegen Christian Weise in seinem Trauerspiel Der gestuerzte Marggraff von Ancre (1681). Es behandelt die letzten Tage der Regierung Marias von Medici, die nach der Ermordung Heinrichs IV. durch den religiösen Fanatiker François Ravaillac (14. Mai 1610) als Vertreterin ihres minderjährigen Sohnes Ludwig in Paris die Alleinherrschaft übernommen hatte. Marias Amtsführung, die zunächst von Machtbewußtsein und außenpolitischem Geschick zeugte, stand unter dem wachsenden Einfluß ihres Beraters Concino Concini, der, im Rang des Marquis d’Ancre, seit 1613 auch als Marschall von Frankreich, die Richtlinien der Politik bestimmte. Die zunehmende äußere Schwächung der Rolle Marias von Medici wurde durch die Tatsache bedingt, daß ihre einseitige Bevorzugung Concinis den Widerstand katholischer und hugenottischer Kreise gleichermaßen provozierte. Im Frühjahr 1617 gelang es der – in sich stark zerstrittenen – höfischen Opposition, den damals 16jährigen Thronfolger Ludwig zum rücksichtslosen Vorgehen gegen seine Mutter zu bewegen. Der junge König, in dem, wie Leopold von Ranke vermerkt, ein bisher unentdeckter Machtwille aufstieg6, veranlaßte am 24. April 1617 Concinis Ermordung, verbannte Maria von Medici nach Blois und übernahm die Alleinherrschaft.

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Eines der berühmtesten Beispiele hat Christopher Marlowe in seinem Drama Edward II (1594) dargestellt: das Schicksal des seit 1307 regierenden englischen Königs Edward II., der 1327 abgesetzt und im selben Jahr auf Anstiftung seiner Frau, der Königin Isabella, ermordet wurde. Sein Sohn, Edward III., rächte den Vater, indem er seine Mutter in den Tower verbannte. Jean Racine, Athalie (1691), Œuvres complètes I, S. 863–943. Leopold v. Ranke, Französische Geschichte. Vornehmlich im XVI. und XVII. Jahrhundert. Ausgabe in zwei Bänden mit einer Einleitung von Otto Vossler, Stuttgart 1954, Bd.I, S. 618 ff.

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Weises Trauerspiel stellt die letzten Tage vor dem entscheidenden Umschwung am französischen Hof dar. Die Zuneigung des Autors gilt der Königin, die – punktuell gegen die historischen Quellen und deren zweideutigeres Bild – als unglückliche Regentin in der Rolle des Opfers politischer Intrigen vorgeführt wird. Wie stark Weises Maria von den Entscheidungen des machtbewußten Marquis abhängig ist, verrät bereits der Vorredner des Dramas, wenn er erklärt, „daß ihm zu der Koeniglichen Wuerde nichts mehr mangelte als der Titul, das Recht und die Krone.“7 Die Beziehungen, welche die Königin zu ihrem Berater unterhält, sind offenbar nicht allein politischer Art. Weise zeigt in einer der Schultheater-Tradition keineswegs selbstverständlichen Freizügigkeit, daß das Verhältnis zwischen der Königin und ihrem Vertrauten durch erotische Intimität geprägt wird (die Zittauer Aufführung entschärfte dieses Moment nur geringfügig, indem sie die Frauenrolle, wie damals üblich, von einem Knaben versehen ließ). Auf zweideutige Weise kokettiert Maria mit ihrem Status der gesalbten Herrscherin, die von Gott eingesetzt ist, indem sie dem Marquis erklärt: „So wuerde mein Kuß euern sterblichen Leib der Ewigkeit wuerdig machen.“8 Wenn sie am Ende über den Tod ihres Beraters klagt, dann verbindet sich das bezeichnenderweise mit der Vision, seinem Schatten zur „Beywohnung biß in jene Welt“9 zu folgen. Die höfische Sprache der Galanterie durchsetzt den politischen Diskurs des Dramas und demonstriert, daß die Königin ihre Herrschaft nur demjenigen anzuvertrauen vermag, dem sie auch ihre erotische Gunst schenken kann. Die schillernde Formulierung, Concini sei der „Courtisan“10 Marias, bezeichnet diese Verknüpfung von privater und amtlicher Sphäre zur Genüge: Kabinettstisch und Boudoir, Politik und Bett gehören hier zusammen.11 In Gestalt des Triebs dringt die Natur ins Zentrum der Regierung vor – eine Konstellation, die, wie noch zu zeigen ist, unter abgewandelter Beleuchtung auch bei Lohenstein und Hallmann auftreten wird. In dem zwölf Jahre nach dem Ancre aufgeführten Drama Der Fall des frantzoesischen Marschalls von Biron (1693) porträtiert Weise die jüngere Maria 7 8 9 10 11

Christian Weise, Der gestuerzte Marggraff von Ancre (1681), Sämtliche Werke, Bd.I (Historische Dramen I), S. 3–151, S. 9. Christian Weise, Der gestuerzte Marggraff von Ancre (1681), Sämtliche Werke, Bd.I, S. 122 (V,2). Christian Weise, Der gestuerzte Marggraff von Ancre (1681), Sämtliche Werke, Bd.I, S. 143 (V,14). Christian Weise, Der gestuerzte Marggraff von Ancre (1681), Sämtliche Werke, Bd.I, S. 52 (II,9). Vgl. zum Komplex des galanten Diskurses unter dem Aspekt seiner sozialen Programmierung zuletzt Ingo Stöckmann, Vor der Literatur. Eine Evolutionstheorie der Poetik Alteuropas, Tübingen 2001, S. 312 ff.

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von Medici als mit höfischer Glätte und Routine agierende Gattin Heinrichs IV. Hier versieht sie ausschließlich die Rolle der galanten Königin, die sich auf den Part der passiven Stichwortgeberin beschränkt: „Die Gemahlin ist wie der Mond: Sie kann nicht mehr Stralen von sich geben / als sie von der Sonne bekommen hat.“12 Diese bemerkenswerte Auffassung wird wenig später nochmals überboten durch die Vorstellung, daß die Königin über die Teilhabe am politischen Körper des Regenten von der Fürsorge und Vorsicht des Schöpfers profitiere. Auf Heinrichs Erklärung: „Gott / der die Koenigliche Majestat eingefuehret hat / der weiß auch seinen Ruhm mit derselbigen zu beschuetzen“ antwortet Maria: „Und der meine Seele verbunden hat / wird mich darunter lassen sicher seyn.“13 Die Königin gewinnt ihren privilegierten Status einzig durch die Partizipation am Gottesgnadentum ihres Gemahls. Mit dessen Tod fällt auch ihre politische Sekurität dahin; die katastrophalen Konsequenzen dieser Konstellation führt Weises älteres Trauerspiel über das Schicksal des Marquis von Ancre vor Augen, wenn es die Medici als passive Herrscherin zwischen Günstlingswirtschaft und erotischer Libertinage in Szene setzt. Wie ein permanent mitschwingender Grundton durchzieht Weises Text die Klage über die Fragilität der durch Maria vertretenen Macht. Das Zentrum des Königtums scheint leer, weil sich der jugendliche Thronfolger, der bereits gekrönt, aber noch ohne Einfluß ist, bevorzugt mit der Jagd beschäftigt und die Königin ihre Interessen in blindem Vertrauen durch den Marquis verwalten läßt. Politische Herrschaft wird hier nur auf der strukturellen (äußerlich unsichtbaren), nicht auf der institutionellen Ebene ausgeübt – eine mit dem Interregnum verbundene Konsequenz, die Hobbes’ Leviathan als spezifischen Risikofall der Monarchie bezeichnet.14 Der Kanzler Mangot, ein notorischer Misogyn und Opportunist, leitet aus der Konstellation der Machtverschiebung sein kurzschlüssiges Urteil über die Folgen weiblicher Regentschaft ab: „Wehe dem Lande / dessen Koenig ein Kind ist: ich wollte sagen / wehe dem Lande / dessen Beherrscherinn ein Weib ist.“15 Angesichts solcher Befunde ist zu erkennen, daß die Opposition gegen Maria nicht allein auf die Entmachtung ihres einflußreichen Beraters, sondern auch auf

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Christian Weise, Der Fall des frantzoesischen Marschalls von Biron (1693), Sämtliche Werke, Bd. III, S. 179–411, S. 187 (I,1). Christian Weise, Der Fall des frantzoesischen Marschalls von Biron, (1693), Sämtliche Werke, Bd. III, S. 179–411, S. 258 (II,8). Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 148 (Teil II, Kap. 19). Christian Weise, Der gestuerzte Marggraff von Ancre (1681), Sämtliche Werke, Bd.I, S. 43 (II,4).

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die Beseitigung der Königin zielt. Gemeinsam mit Charles de Luynes, dem (im Drama als ‚Carolus‘ auftretenden) Erzieher des Thronfolgers, entfaltet der Prinz von Condé – Ranke bezeichnet ihn als maßlos ehrgeizig und machthungrig16 – das Netzwerk einer tückischen Intrige, die zur Entladung des Volkszorns und zur Ausschaltung des verhaßten Günstlings Concini führt. Ihr Funktionsprinzip ist wieder, wie im Fall von Lohensteins Cleopatra, die Dekonstruktion der Differenz zwischen Sein und Schein: auf vermeintlichen Befehl des Markgrafen läßt sich Condé, der bei den Untertanen der Krone höchstes Ansehen genießt, festnehmen und inhaftieren, so daß die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen muß, der Italiener suche seinen ärgsten Widersacher unschädlich zu machen. Dieses Verfahren entspricht einer Maxime, die Balthasar Gracián in seinem Oraculo manual unter dem Motto „Von den Feinden Nutzen ziehn“ formuliert: „Man muß alle Sachen anzufassen verstehn, nicht bei der Scheide, wo sie verletzen, sondern beim Griff, wo sie beschützen (…)“17 Condé operiert als gelehriger Schüler Graciáns, insofern er seine Motive verbirgt und die eigene Persona-Rolle allein auf ihre Außenwirkung abstellt. Der politische Akteur weiß, daß er ständig observiert wird, und paßt diesem Faktum sein Vorgehen an. Der Hof ist das prägnante Modell für eine permanent wachsame Öffentlichkeit, die den Handelnden zum „beobachteten Beobachter“ werden läßt.18 Der Intrigant Condé, der „die Inschriften des menschlichen Herzens“ (Hobbes) zu lesen versteht19, rechnet mit dieser topischen Konstellation und nutzt sie – ähnlich wie Lohensteins Cleopatra – für die Inszenierung eines politischen Effekts – aus.

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Leopold v. Ranke, Französische Geschichte, Bd.I, S. 572 („sein Ehrgeiz war geradezu auf persönlichen und regelmäßigen Anteil an der Regierungsgewalt gerichtet“). Balthasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647), S. 44 (Nr. 84). So die Formulierung bei Ingo Stöckmann, Vor der Literatur, S. 319. Vgl. auch Niklas Luhmann, Individuum, Individualität, Individualismus, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. III, S. 149–259, S. 178 f. Der beobachtende Beobachter agiert im 17. Jahrhundert noch innerhalb eines funktional ungegliederten Systemgefüges der Gesellschaft, handelt mithin entweder in Verhältnissen der Symmetrie (was zur Selbstblockierung im wechselseitigen Sich-Observieren führt) oder aber auf der Ebene der durchgestuften Hierarchie. Das klassische Beispiel für den zweiten Fall ist der Herrscher, der seine Höflinge beobachtet; ein signifikantes Exempel, das die Fortdauer dieses Handlungsmusters im 18. Jahrhundert bezeugt, liefern Friedrich Schillers Berichte über die Gemütserkrankung seines Kommilitonen Grammont (1780) (NA 22, S. 19–30), die unter dem kontrollierenden Blick des Herzogs geschrieben werden: Formen der Beobachtung des Beobachters im stratifikatorisch geordneten Raum. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 6 (Einleitung).

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Unter dem Eindruck der fingierten Verhaftung gelingt es dem Erzieher Carolus, der als Vertreter einer machiavellistischen Intrigenkunst operiert, den jungen König von der Notwendigkeit zu überzeugen, seine Mutter zu entmachten.20 Am Ende steht die Ermordung des Markgrafen, die Zerstükkelung seines Leichnams unter dem Galgen und die Verbannung Marias durch Ludwig. In der Zweideutigkeit der Höflingssprache erläutert Vitry, der Hauptmann der königlichen Garde, der abgesetzten Monarchin den Befehl des neuen Alleinherrschers: „Ihre Koenigliche Majestaet dero Herr Sohn lassen sich nochmals wegen dero Gesundheit erkundigen / und weil kein Zweiffel ist / es moechte bey denen traurigen Spectacul ein Schrecken entstanden seyn / wird Ihr. Majestaet freygestellet / ob sie den Hoff verlassen / und in einem Lusthause die Zeit ihres Lebens bey frischer Lufft zubringen wollen.“21 Die entmachtete Maria von Medici beklagt am Ende des Trauerspiels ausdrücklich ihre Mutterschaft, die im Licht des politischen Scheiterns eine zweifelhafte Schattierung gewinnt: „Ich heisse Koenigliche Mutter / ach duerffte ich Koenigliche Wittibe heissen / so wuerde ich nur von Fremden geplaget / und duerffte nicht denselben unter der Zahl meiner Tyrannen anschauen / welcher von meinen Leibe gebohren.“22 In Marias umsichtiger Deutung ist es nicht das dynastische Prinzip, das sie aus dem Mittelpunkt der Macht vertreibt, sondern eine Pervertierung der Natur, die es dem eigenen Sohn erlaubt, ihr die politische Verantwortung zu rauben. Die Natur des Sexus, die Marias herrscherliche Rolle okkupierte, wird jetzt durch die Natur der Erbfolge ersetzt, die Ludwig unmißverständlich zur Geltung bringt. Die Schuld, die Maria auf sich geladen haben könnte, deutet Weise nur knapp an. Ihr Vergehen liegt aus seiner – mit ihr sympathisierenden – Sicht in der unangemessenen Ausfüllung der Stellvertreterinnen-Rolle begründet. „Eine Liebste“, so erklärt die Medici-Königin im Fall des frantzoesischen Marschalls von Biron, „muß sich nach ihrem Courtisan richten / der wird’s schon

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Vgl. zum Verfahren der Täuschung als Mittel einer Politik im Zeichen des Erkennens der rechten Gelegenheit (‚occasione‘) zum Zweck der Optimierung innerweltlicher Handlungsoptionen (gegen die Operationen der ‚fortuna‘): Niccolò Machiavelli, Der Fürst (= Il principe, 1532). Übers. v. Rudolf Zorn, Stuttgart 1978, bes. S. 71 ff. (Kap. XVIII). Christian Weise, Der gestuerzte Marggraff von Ancre (1681), Sämtliche Werke, Bd.I, S. 139 f. (V,13). Zu Weises säkularisierter Herrschaftslehre, die das Modell des Gottesgnadentums um den Aspekt politischer Tugend ergänzt, vgl. Klaus Reichelt, Barockdrama und Absolutismus. Studien zum deutschen Drama zwischen 1650 und 1700, Frankfurt/M., Bern 1981, S. 128 ff. Christian Weise, Der gestuerzte Marggraff von Ancre (1681), Sämtliche Werke, Bd.I, S. 143 (V,14).

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machen.“23 Diese hier auf den intimen Bereich beschränkte Rollenauffassung zeitigt im Ancre fatale Konsequenzen. Indem Maria ihrem Favoriten Concini die Regierungsgewalt überträgt, verrät sie die Idee der institutionellen Herrschaft, die sie als Repräsentantin ihres Sohnes zu verkörpern hatte. Anders als Lohensteins Königinnen, die im Zeichen eines politisch unklugen Stolzes scheitern, verliert Weises Protagonistin ihr Amt, weil sie die ihm eingeschriebene Macht zerstreut. Die Demontage der Herrscherin entspringt nicht der Überforderung der Selbstrefrenz, sondern deren Auflösung in der Delegation der ihr zugestandenen Rolle. Das Interregnum darf allein die Königin ausfüllen; fällt es faktisch an einen Günstling, der keinen Rechtsanspruch auf die Rolle des Souveräns besitzt, so gewinnt es illegitimen Charakter. Indem sie Concini hinter den Kulissen der höfischen Politik an den Platz des Thronfolgers rücken ließ, gefährdete Maria von Medici, so Weises Urteil, die Institution des Königtums: einen ‚sterblichen Gott‘, wie Hobbes den Souverän nannte, kann lediglich dessen Witwe oder Mutter vertreten.24 Weises Trauerspiel endet zwar nicht mit dem leiblichen, jedoch mit dem politischen Tod der Königin. Dem Wirkungsanspruch des Gymnasialrektors entspricht es, daß sein Drama der Macht von einer bürgerlich gefärbten Botschaft beschlossen wird, die angesichts des Sturzes des höfischen Karrieristen zur Selbstbeschränkung im Handeln mahnt: „(…) also wird man doch an den betruebten Außgange die Rechnung machen / daß die hoechste Glueckseeligkeit nicht in der hoechsten Ehren=Stuffe / sondern in kluger und Tugendhaffter Sicherheit bestehe.“25 Die Dynamik des Falls, der aus den Höhen des weltlichen Glücks in den Tod führt, ist für Weise kein Exempel der Vergänglichkeit oder ein Beleg für die Kontingenz irdischer Verhältnisse. Vielmehr läßt sich durch ihn die Einsicht in die Unzuverlässigkeit der Macht vermitteln, aus der direkte Konsequenzen für das Handeln der politischen Akteure abzuleiten sind. Daß Weise das Staatstrauerspiel nur als Lehrstück inszeniert, um an ihm die Notwendigkeit bürgerlicher Selbstdisziplinierung einzuschärfen, erweisen auch die komischen Intermezzi, die 23 24

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Christian Weise, Der Fall des frantzoesischen Marschalls von Biron (1693), Sämtliche Werke, Bd. III, S. 179–411, S. 259 (II,8). Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 134 (Teil II, Kap. 17). – Daß sich mit dem Sturz des Marquis von Ancre bei Weise auch die Vorstellung einer politisch selbständigen Aristokratie verbindet, hat Klaus Reichelt, Barockdrama und Absolutismus, S. 133 behauptet; kaum zu übersehen ist jedoch die Kritik des Machiavellismus, die sich im Trauerspiel gegen die Strategien der Verschwörer richtet. Christian Weise, Der gestuerzte Marggraff von Ancre (1681), Sämtliche Werke, Bd.I, S. 150 (V,18). Zu Weises bürgerlichem Verständnis sozialer Ordnungsmodelle Wilfried Barner, Barockrhetorik, S. 167 ff., Gotthart Frühsorge, Der politische Körper, S. 124 ff.

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das Drama der Herrscherin Maria von Medici durchziehen.26 Dessen Quintessenz bleibt, jenseits handfester Verhaltensanweisungen für höfische Beamte, eingebunden in die Rechtslogik der Epoche, die der Königin ein genau begrenztes Rollenprofil zuordnet. Der Fall Marias demonstriert, daß die dynastisch gegründete Stellvertretung des Königssohns nicht die Abordnung der Herrschaft an einen männlichen Günstling und Courtisan bedeuten darf. Verstöße gegen dieses Gesetz ahndet die Geschichte mit der Vertreibung der Königin in ein trauriges Exil, wo sie sich, ihrer symbolischen und faktischen Autorität ledig, bestrahlt von einem verblassenden fürstlichen Glanz, auf den Tod vorzubereiten hat.27 Auch Weises Tragikomödie Koenig Wentzel (1686) präsentiert eine Königinmutter, die sich aus eigenem Machtinteresse über die Regularien des Interregnums hinwegsetzt. Cunigunda, die Witwe des böhmischen Königs Ottokar (1233–1278), beschließt, ihren Sohn, den Thronfolger Wentzel, beseitigen zu lassen, um allein herrschen zu können. Getrieben wird sie dabei durch ihren Liebhaber, den Höfling Zabisch, der sich selbst krönen und Nachfolger des charismatischen Ottokar werden möchte. Die Kräfte der Sexualität bilden hier – ähnlich wie im Fall des Marggrafen von Ancre, aber anders als im bereits erörterten Regnerus – die entscheidende Triebfeder für die Pflichtvergessenheit der Königinmutter. Die politische Konstellation des Dramas beleuchtet ein Streitgespräch zwischen der Königin und ihrem Liebhaber, das um die Frage kreist, ob ein Verbrechen wie die geplante Ermordung des Thronfolgers prinzipiell zu rechtfertigen sei. Cunigundas Einwand speist sich aus den Gefühlen der Mutter, die gegen die böse Tat rebellieren muß: „Es ist zu viel / daß ein Kind sterben soll.“ Dagegen setzt Zabisch den Hinweis auf die Bindung der Herrscherin an die Institution der Macht: „Es ist zu viel / daß eine Koenigin der Krone gaentzlich absterben soll.“28 26

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Trotz solcher moralistischen Tendenzen (und der Neigung, historische Stoffe außerhalb der eigenen Geschichte zu suchen), ist es unzutreffend, wenn Heinz Schlaffer pauschal über die deutsche Dramatik des 17. Jahrhunderts äußert: „Die Stücke spielen in der weltgeschichtlichen Atmosphäre einer unbestimmten Hofwelt (…)“ (Heinz Schlaffer, Die kurze Geschichte der deutschen Literatur, München 2002, S. 43). Nicht nur Weises Trauerspiel belegt, daß die politische Wirklichkeit im Drama der Epoche präzis ausgeleuchtet und keineswegs auf die Funktion eines Exempels für die conditio humana reduziert wird. Im Fall der Maria von Medici dauerte dieses Exil ein Vierteljahrhundert: sie starb, nachdem sie 1622 vorübergehend an die Spitze des Staatsrates zurückgekehrt, zwei Jahre später aber von Richelieu endgültig entmachtet worden war, erst 1642 in Köln. Von der Eleganz, die Ranke (Französische Geschichte, Bd.I, S. 625) an ihrer Hofhaltung in Blois hervorhebt, blieb am Ende, nach einer Odyssee durch Europa, nur noch wenig übrig. Christian Weise, Eine Misculance von der alsogenannten Tragoedie und Comoedie, In der Vorstellung einer Historie oder einer Fabel vom König Wentzel (1686), Sämtliche Werke, Bd. III, S. 1–177, S. 25 (I,4).

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10. Peter Paul Rubens: Die Flucht aus Blois (Ausschnitt), aus dem Maria-von-Medici-Zyklus (1622–1625), Musée du Louvre, Paris.

Beide Formulierungen verfehlen in bezeichnender Manier die normsetzende Rechtsordnung, die die Rollen der Königinmutter und des Thronfolgers fixiert. Während Cunigunda den Tod des Sohnes nur als Verlöschen des natürlichen Leibes begreift, mit dessen Existenz die Mutter auf spezifische Weise verknüpft ist, und damit ignoriert, daß der Thronfolger bereits einen virtuellen body politic besitzt, dessen Vernichtung die Dynastie zerstören würde, suggeriert die Wendung des Liebhabers die Vorstellung eines politischen Körpers der Königin, über den diese de iure – als bloße Statthalterin für

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die künftige Regentschaft ihres Sohnes – nicht verfügt. Die Umwertung der eigentlichen Rechtsverhältnisse erzeugt einen Interessenkonflikt, den Cunigunda deshalb durchleiden muß, weil sie die normative Determination ihrer beiden Rollen mißachtet: „Du unbarmhertziges Gluecke! So ist es unmoeglich / daß ich zugleich eine Mutter und eine Koenigin verbleiben soll?“29 Der hier bezeichnete Gegensatz existiert bloß zum Schein, da die Königin nach den juristischen Vorstellungen des 17. Jahrhunderts nicht primär Herrscherin, sondern Wegbereiterin ihres Sohnes, also: Mutter zu sein hat. Der anmaßende Anspruch auf eine Alleinherrschaft, die ihr aus rechtlichen Gründen nicht zusteht, treibt sie notwendig in Widerspruch zu den Pflichten, die ihr aus der Mutterschaft erwachsen. Der Konflikt Cunigundas ist das schlagende Indiz für das Versagen in jeder einzelnen der beiden von ihr auszufüllenden Rollen. Gegenüber dem eigenen Sohn agiert die Königin fortan in ostentativer Kälte30; den zynischen Bemerkungen über das ihm zugedachte Todeslos ist der Austausch höfischer Galanterien kontrastiert, den Cunigunda und ihr Liebhaber in einer auf das 17. Jahrhundert, kaum aber auf die mittelalterliche Welt des Stoffs verweisenden Rhetorik praktizieren.31 Die Perversion der Mutterschaft wird dort flagrant, wo die Königin die geplante Ermordung Wentzels aus rein machttechnischen Motiven ableitet: „Ottocari sein Nachfolger kann die Stelle nicht vertreten / wenn Ottocarus seinen Sohn nicht in jene Welt nachgeholet hat.“32 Der Thronerbe muß sterben, damit das dynastische Kontinuum zerbricht und der Günstling Zabisch die Krone erobern darf. Aber das Kalkül des Bösen geht nicht auf, da die Providenz sich übersinnlicher Kräfte bedient, die der Dynastie zum Sieg verhelfen. Die gegen Wentzel geführten Anschläge scheitern, weil sich der verstorbene König aus himmlischer Höhe seines bedrohten Sohnes annimmt. Als Geist verflucht Ottokar seine Gemahlin und ihren Liebhaber, während diese sich auf dem

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Christian Weise, Eine Misculance von der alsogenannten Tragoedie und Comoedie, In der Vorstellung einer Historie oder einer Fabel vom König Wentzel (1686), Sämtliche Werke, Bd. III, S. 26 (I,4). Über ihren Sohn erklärt die Königin ad spectatores : „Tantze weil du kannst / in der Begraebniß-Capelle solstu die Capreolen ungeschnitten lassen.“ Christian Weise, Eine Misculance von der alsogenannten Tragoedie und Comoedie, In der Vorstellung einer Historie oder einer Fabel vom König Wentzel (1686), Sämtliche Werke, Bd. III, S. 37 (I,7). Christian Weise, Eine Misculance von der alsogenannten Tragoedie und Comoedie, In der Vorstellung einer Historie oder einer Fabel vom König Wentzel (1686), Sämtliche Werke, Bd. III, S. 65 ff.(II,8). Christian Weise, Eine Misculance von der alsogenannten Tragoedie und Comoedie, In der Vorstellung einer Historie oder einer Fabel vom König Wentzel (1686), Sämtliche Werke, Bd. III, S. 155 f. (IV,23).

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nächtlichen Beilager wälzen: „Ha du Schandfleck meines Hauses / du Unkraut des gantzen Koenigreichs / bistu mir in ein Königliches Bette geleget worden / daß mir ein Unterthan auch nach meinem Tode den Purpur besudeln soll?“33 Ottokar schützt seinen Sohn, indem er den Landständen, die ihren künftigen Herrscher vor weiteren Attentaten zu bewahren suchen, den Weg nach Zittau, ins sächsische Exil weist (eine Reverenz Weises an den Ort seines pädagogischen Wirkens). Im Schlußakt wird die Königin mit ihrem Liebhaber vertrieben, Wentzel nach Prag geführt und dort feierlich gekrönt. Der Autor vermeidet allerdings die Inszenierung eines bühnenwirksamen Strafgerichts für die verbrecherische Herrscherin und ihren Courtisan. Das Trauerspiel findet sich durch die Komödie verdrängt, die mit der Inthronisation des neuen Regenten und einem Dank an die Bürger Zittaus schließt.34 Der moralisch-politische Skandal der ihren Sohn ermordenden Königin unterbleibt, weil die Dynastie, allegorisch arrangiert durch die Gestalt des verstorbenen Monarchen, für die notwendige Selbstbewahrung ihrer institutionellen Dauer sorgt. Die machtgierige Cunigunda aber erfährt im König Wentzel ein Schicksal, das schlimmer ist als das elende Exil der Maria von Medici: das Drama vergißt sie am Ende, als habe sie niemals existiert.

2. Inzest und Dämonisierung Lohensteins Agrippina (1665) illuminiert einen anderen Konflikt zwischen den Herrschergenerationen: den Fall, in dem der Sohn die Mutter ausschaltet, um seinerseits die ungeteilte Macht genießen zu dürfen. Die historische Agrippina, die Tochter der Germanicus und Urenkelin des Augustus, hatte ihrem Sohn Nero mit List und Gewalt den Weg zum Thron geebnet, indem sie ihr Stiefkind Britannicus kaltstellen und ihren Ehemann, den Kaiser Claudius, ermorden ließ. Agrippina tauschte nur den Partner, nicht die Rolle: im Anschluß an Neros Machtübernahme entwickelte sich rasch eine inzestuöse Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Im März 59 n. Chr., fünf Jahre nach seiner Krönung, ordnete Nero jedoch die Tötung Agrippinas an, weil er fürchtete, sie könnte seine Alleinherrschaft gefährden und mit Hilfe

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Christian Weise, Eine Misculance von der alsogenannten Tragoedie und Comoedie, In der Vorstellung einer Historie oder einer Fabel vom König Wentzel (1686), Sämtliche Werke, Bd. III, S. 157 (IV, 23). Christian Weise, Eine Misculance von der alsogenannten Tragoedie und Comoedie, In der Vorstellung einer Historie oder einer Fabel vom König Wentzel (1686), Sämtliche Werke, Bd. III, S. 174 (V, 8).

Inzest und Dämonisierung

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von Erpressungen eigene politische Ansprüche durchsetzen. Lohensteins Trauerspiel präsentiert die Protagonistin als Opfer, dem die Züge der Ambivalenz eingegraben sind. Das sexuelle Verhältnis zu ihrem Sohn, das sie aufzufrischen sucht, um ihrer drohenden Vertreibung aus dem Zentrum der Macht zu entgehen, wird mit provokanter Offenheit zur Schau gestellt; ihre früheren Verbrechen stehen außer Frage und bieten keinen Anlaß zur moralischen Rechtfertigung der Figur. In diesem Sinne zeigt auch Racines Tragödie Britannicus (1669) die Mutter des Kaisers als zweideutige Gestalt, die selbst dort, wo sie mäßigend auf ihren Sohn einzuwirken sucht, aus egoistischen Motiven im Zeichen der Machtgier handelt.35 Racines Agrippina verkörpert das Muster einer schlechten Herrscherin, deren unaustilgbare Schuld wie ein Schatten über dem Schauplatz der Politik liegt. Zwar kommt sie im Britannicus mit dem Leben davon, jedoch besteht kein Zweifel, daß sie vor dem Gericht der Geschichte schuldig zu sprechen ist.36 Anders als Racine betont Lohenstein freilich nicht die Laster, sondern die Leidensgeschichte und damit den Opferstatus der Agrippina.37 Die Dramaturgie folgt dem Schnittmuster einer Intrige ohne größeres Raffinement: die Kaiserin gerät unter falschen Hochverratsverdacht, wird vom Ohrenbläser Paris bei Nero mit erfundenen Vorwürfen denunziert und schließlich von den Häschern des Despoten grausam umgebracht. Lohenstein läßt keinen Zweifel daran, daß die gegen Agrippina erhobenen Anklagepunkte ohne sachliche Substanz sind, vielmehr strategische Elemente im politischen Machtkampf repräsentieren. Wenn der Kaiser und seine Vertrauten, zu denen auch der als dubioser Opportunist agierende Philosoph Seneca gehört38, der Mutter Rebellionspläne unterstellen („Denn halb Rom / hängt Agrippi-

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Jean Racine, Britanncus (1669), Œuvres complètes I, S. 371–453. In der zweiten Vorrede erklärt Racine, daß er den Charakter Agrippinas nicht näher beschreiben könne – ein Unsagbarkeitstopos, der sich auf die Lasterhaftigkeit der Kaiserin bezieht (Jean Racine, Britannicus [1669], Œuvres complètes I, S. 390). Diese zentrale Ebene des Trauerspiels gibt die auf oberflächliche Provokation setzende Bearbeitung von Hubert Fichte mit ihrer Dramaturgie des Perversen gänzlich preis (H.F., Lohensteins Agrippina. Mit einem Vorwort v. Bernhard Asmuth, Köln 1978). Mit einer derartigen Charakterisierung der Figur weicht Lohenstein von der im 17. Jahrhundert verbreiteten Tradition ab, den Philosophen als – christlich gefärbten – Märtyrer darzustellen, der per typologiam auf Christus verweist. Vgl. hier Günter Hess, Der Tod des Seneca. Ikonographie – Biographie – Tragödientheorie, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 25 (1981), S. 196–228, ferner (zur Nachwirkung des spätrömischen Stoizismus im 17. Jahrhundert) Hans-Jürgen Schings, Seneca-Rezeption und Theorie der Tragödie. Martin Opitz’ Vorrede zu den Trojanerinnen, in: Historizität in Sprach- und Literaturwissenschaft. Vorträge und Berichte der Stuttgarter Germanistentagung 1972. In Verbindung mit Hans Fromm u. Karl Richter hg. v. Walter Müller-Seidel, München 1974, S. 521–537.

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nen an.“39), so enthüllt sich das als Scheinargument, mit dessen Hilfe der Tyrann eine lästige Mitwisserin beseitigen möchte, die für ihn gefährlich ist, weil sie die Verbrechen kennt, die seinen Weg zur Macht pflasterten. Zugleich aber bekundet sich im Mordplan Neros die Perversion der politischen Theologie und ihrer Doktrin vom institutionellen Leib des Herrschers; der spätantike Stoff wandelt sich im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts zum Medium eines Lehrstücks über das Verhältnis von Natur und Souveränität.40 Agrippina erscheint bei Lohenstein als Opfer ihrer früheren Untaten, deren zerstörerische Gewalt einem Pendel gleich gegen sie zurückschlägt. Das providentielle Naturgesetz, das sich hier auswirkt, ist, wie Walter Benjamin es formuliert hat, „die Entelechie des Geschehens auf dem Felde der Schuld.“41 Die Kaiserin, die dem Sohn die Bahn zur Regentschaft mit unlauteren Mitteln ebnet, wird am Ende durch ihren Sprößling zu Tode gebracht, weil sie die Erinnerung an das geschichtliche Unrecht wachhält, das Neros Herrschaft erst ermöglichte.42 Senecas Behauptung, daß Agrippina gestorben sei, weil sie sich „bemüht“ habe, „Deß Kaysers Haupt zu seyn“, ist vor diesem Hintergrund ein taktisches Argument, das das Verbrechen Neros als Akt der Selbstverteidigung des Souveräns rechtfertigen soll.43 Der Kaiser beseitigt mit seiner Mutter nicht die politische Konkurrentin, die seine Regierungsautorität bedroht; vielmehr löscht er den Körper aus, der ihn wie ein dunkles Bild auf seine Ursprünge und seine Schuld verweist: auf die Geburt und den Inzest. Beide Motive faßt Agrippina in der großen Verführungsszene der dritten Abhandlung zusammen, wenn sie Nero erklärt: „Die Sonne rennet stets der Morgen-röthe nach / | Und ihrer Mutter Schoos ist auch ihr Schlaf-Gemach. | Warumb sol denn diß Thun als Unthat seyn verfluchet / | Wenn ein holdreicher Sohn die Schoos der Mutter suchet? | Den Brunnen der Geburth? Das er der Liebe Frucht | Und die Erneuerung des matten Lebens sucht.“44 Im Inzest konvergieren Geburt und Sexualität, Ur-

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Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, hg. v. Klaus Günther Just, Stuttgart 1955, S. 77 (IV, v.144). ‚Natur‘ bedeutet in diesem Fall immer schon eine kulturelle Konstruktion innerhalb, nicht außerhalb der sozialen Ordnung. Auch als das bedrohliche Andere der geregelten Herrschaftsverhältnisse ist sie kein Proprium des politischen Systems, sondern dessen Teil. Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 308. Daß Lohensteins Agrippina im Stadium des dramatischen Geschehens (jenseits ihrer historisch verbürgten Schuld) ein Opfer, keine lasterhafte Heldin ist, betont erst die neuere Forschung; Ansätze dazu bereits bei Gerhard Spellerberg, Verhängnis und Geschichte, S. 170f; grundlegend zur Rezeptionsgeschichte Cornelia Plume, Heroinen in der Geschlechterordnung, S. 232 f. Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 93 (V, v.215 f.). Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 62 (III, v.187 ff.).

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sprung und Schuld. Der Körper der Mutter gemahnt Nero an die Verbrechen, in deren Schatten er regiert: an die pervertierte und dadurch dämonische Natur im Inneren der Macht.45 Zugleich aber konfrontiert er ihn, wie erst am Schluß deutlich wird, mit seiner eigenen Zeitunterworfenheit und der Beschränkung seiner Herrschaft, die wie alles Irdische dem Gesetz von Anfang und Ende untersteht.46 Agrippina repräsentiert das Zeichen dafür, daß Neros Regierungsgewalt nicht absolut, sondern naturabhängig und folglich begrenzt bleibt. Die dunkle Seite des Machtinneren offenbart sich bei Lohenstein als das Böse, das im Abgrund des Triebes haust. Seine naturhafte Gewalt begründet die Herrschaft des Nero und erzeugt eine unaufhebbare Struktur der Wiederholung, deren Diktat die politische Aktion preisgegeben ist.47 Die früheren Verbrechen der Mutter, die im Inzest jeweils neu vergegenwärtigt werden, kehren in den Taten des Sohnes zurück. Das Böse erweist sich hier nicht als Produkt der Differenz, das aus seinem Gegensatz zum Guten entspringt, sondern als Erbfolge der Schuld, die in den strafbaren Handlungen der Protagonisten aufscheint.48 Bezeichnend bleibt, daß in Lohensteins Drama

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Zum Inzestmotiv vgl. auch die anregende Studie von Christopher J. Wild, Neros Kaiserschnitt. Das Phantasma der Selbstgeburt absoluter Macht in Lohensteins Agrippina, in: Kunst – Zeugung – Geburt: Theorien und Metaphern ästhetischer Produktion in der Neuzeit, hg. v. Christian Begemann u. David E. Wellbery, Freiburg i.Br. 2002, S. 111–149, bes. S. 117 ff. Wild analysiert den Inzest als Versuch Neros, seine eigene Macht als absoluten Anfang ohne externe Konditionierung zu inszenieren; dieser Versuch scheitere am Ende und führe zur Selbstvernichtung. Im Gegensatz zu Wild möchte die hier vorgelegte Deutung jedoch die politischen Implikationen des Inzestmotivs deutlicher bestimmen. Anders gewichtete Schiller in seinem zwischen 1797 und 1800 entstandenen Agrippina-Entwurf, wenn er notiert, daß Nero, ehe er seine Mutter beseitigen läßt, die „Naturstimme“ der Sohnesliebe zu unterdrücken habe. Für Schiller, der Lohensteins Drama nicht kannte, ist weniger der moralische als der „physische“ Gehalt des Sujets attraktiv (NA 12, S. 152): der Wettstreit zwischen Machtgier und Gefühlsbindung. Die für die Nero-Figur bedeutsame Beziehung zwischen Natur und Gewalt übersieht der Aufsatz von Arnd Beise, Verbrecherische und heilige Gewalt im deutschsprachigen Trauerspiel des 17. Jahrhunderts, in: Ein Schauplatz herber Angst, hg. v. Markus Meumann u. Dirk Niefanger, S. 105–124, S. 118 f. Diese Struktur scheint charakteristisch für eine bestimmte Form der Darstellung des Bösen in der Literatur der Frühen Neuzeit – man denke nur an Shakespeares Richard III. In der Forschung läßt man die Geschichte der literarischen Ästhetik des Bösen zumeist erst mit der Romantik beginnen, was zur Begründung ganz andersartiger Modelle führt (Imagination der Freiheit im Bösen, Semantik des Erhabenen, Künstlertum und Immoralismus). Vgl. Karl Heinz Bohrer: Das Böse – eine ästhetische Kategorie? In: K.H. Bohrer: Nach der Natur. Über Politik und Ästhetik, München, Wien 1988, S. 110–132; Bernd Witte: Sechs Sätze über die Literatur und das Böse. In: Elf Reden über das Böse. Ringvorlesung der Philosophischen Fakultät der RWTH Aachen im Wintersemester 1990/91, hg. v. Helmut Siepmann u. Kaspar Spinner, Bonn 1992, S. 91–105. Grundlegend zur ersten Orientierung:

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keine moralisch integre Macht gegen die Entfesselung der Naturmächte antritt. Auch der Philosoph Seneca agiert in der Rolle des zweideutigen Beraters, der die Sicherung des eigenen Vorteils über die Imperative des Gewissens stellt, weil ihn die Furcht vor den Launen des Herrschers zum Opportunismus anhält. Paris wiederum, der Vertraute des Kaisers, erfüllt – ähnlich wie Rusthan im Ibrahim Bassa – als Aufwiegler und Anstifter das Rollenprogramm der Intriganten, die im Trauerspiel nach einem Wort Benjamins „den bösen Geist ihres Despoten“ verkörpern.49 Paris ist zwar, anders als Shakespeares Iago, kein Heuchler, der auf eigene Rechnung handelt, doch bahnt er, indem er den Tyrannen von seinen aufkeimenden Gewissenszweifeln befreit, den Weg des Verbrechens.50 Die lasterhaften Begierden des Herrschers, die der Intrigant seinerseits unterstützt, verweisen auf die triebgebundene Entelechie des Bösen, das bei Lohenstein in der naturhaften Dämonisierung der Macht auf anschauliche Weise hervortritt. Die Eigendynamik dieser ‚dämonischen‘ Macht wird im Trauerspiel als Sinnbild einer phasenweise katastrophischen Geschichte vorgeführt, die das innerweltliche Übel von Generation zu Generation durch die Fortzeugung persönlicher Schuld permanent verstärkt und steigert. Die Implosion des Schuldprinzips stellt Lohenstein über das Leitmotiv der Zirkularität dar, das sich an die – den Dramentext durchziehenden – Sinnbilder der Schlange und des Wurms knüpft.51 Die Ermordung Agrippinas wiederholt damit die Struktur des Verbrechens, die im Inzest bezeichnet ist. Sie führt nicht zur Aufhebung der Gewaltverhältnisse, sondern treibt deren zerstörerische Dynamik in einem permanenten Kreislauf fort. Agrippina bringt diese selbstreferentielle Konstellation explizit zur Sprache, wenn sie erklärt: „Wir müssen die Natur der Dinge Zirckel nennen. | Denn würde nicht ihr Lauff zu seinem Uhrprung rennen / | So würd ihr Uhrwerck bald verwirrt und stille stehn.“52 Sie wiederholt diese Diagnose im Moment ihres Todes, da sie den von Nero gedungenen Schergen zuruft: „Stoß / Mörder /

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Odo Marquard, Artikel „Malum“ (Einführung und Überblick), in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter u. Karlfried Gründer. Bd. 5, Darmstadt 1980, S. 652–656. – Wichtige Voraussetzungen für eine problemorientierte Darstellung der Ästhetik des Bösen in der Frühen Neuzeit schafft die Arbeit von Ernst Osterkamp, Lucifer. Stationen eines Motivs, Berlin, New York 1979, bes. S. 8 ff., 49 ff. Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 277. Vgl. auch Pasquale Memmolo, Strategien der Subjektivität. Intriganten in Dramen der Neuzeit, Würzburg 1995, S. 73 ff. Zum Othello als Drama über das Böse Klaus Reichert, Der fremde Shakespeare, S. 298–311. Vgl. Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 87 (V, v.15 f.), S. 91 (V, v.141 f., 154 f.), S. 92 (V, v.189). Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 62 (III, v.181 ff.).

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durch das Glied / das es verschuldet hat / | Stoß durch der Brüste Milch! Die solch ein Kind gesäuget / | Stoß durch den nackten Bauch / der einen Wurm gezeuget / | Der grimmer als ein Drach und giftger als ein Molch!“53 Der Tod der Kaiserin wird zu einem Akt der destruktiven Wiederholung des Inzests, insofern er dessen zirkuläre Dynamik reproduziert; wenn Agrippina auf Veranlassung Neros sterben muß, dann entspricht das den Impulsen einer Zerstörungskraft, die ihre eigenen Ursprünge vertilgt. Daß die dämonischen Züge des Triebs die Welt der Macht konditionieren können, beleuchtet aus ähnlicher Perspektive Hallmanns Trauerspiel Liberata (1700), das zeigt, wie der verwitwete portugiesische König Alphonsus seiner jungen Tochter mit maßloser sexueller Gier nachstellt. In einem aufschlußreichen Monolog rechtfertigt der Herrscher sein Begehren, indem er über die zwei Seiten der Natur reflektiert, die ihn determinieren: die Natur als Gesetz, das den Inzest verbietet, und die Natur als Trieb, der ihn verlokkend macht.54 Als das Geschehen zu kulminieren droht, weil Alphonsus seine Tochter mit Gewalt zum Beischlaf zu zwingen im Begriff ist, schaltet sich die Geisterwelt ein. Isabella, die verstorbene Ehefrau des Königs, interveniert als Gespenst, das den wollüstigen Herrscher zur Vernuft zu bringen sucht: „Laß ab von dieser Sach! | Laß die Begierde nicht beherrschen dein Gemüthe! | Denn dieser Libes=Schluß | und schnöde Geilheits=Kuß | Laufft wider die Natur und kämpft mit dem Geblüthe!“55 Das Skandalon des Inzests, mit dem der „Schoß“ der „Mutter und des Kinds“ gleichermaßen unsittlich „berühret“ werden, liegt bei Hallmann wie in Lohensteins Agrippina nicht allein auf einer moralischen, sondern ebenso auf einer politischen Ebene.56 Der Herrscher, der sich an inzestuöse Wünsche verliert, droht auch sein Amt zu mißbrauchen, weil er die Natur zu einem Raum der Perversion verwandelt und damit die in ihr schlummernden Zerstörungskräfte entfesselt. Isabellas Rat, Alphonsus solle wieder „die Vernunft“ das „Zepter“ führen lassen, bezieht sich daher auf die sexuellen Triebe, aber zugleich auf die Regierungsausübung, die unter dem Diktat dämonischer Leidenschaften vom Imperativ der nackten Gewalt gesteuert wird.57

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Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 91 (V, v.152 ff.). Johann Christian Hallmann, Die unüberwindliche Keuschheit oder Die groszmuethige Prinzeszin Liberata (1700), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 302 (III,2). Johann Christian Hallmann, Die unüberwindliche Keuschheit oder Die groszmuethige Prinzeszin Liberata (1700), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 301 (III,1). Johann Christian Hallmann, Die unüberwindliche Keuschheit oder Die groszmuethige Prinzeszin Liberata (1700), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 302 (III,2). Johann Christian Hallmann, Die unüberwindliche Keuschheit oder Die groszmuethige Prinzeszin Liberata (1700), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 302 (III,2).

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Wo die im Inzestwunsch mobilisierten Triebenergien ins Zentrum der Macht eindringen, wird die stets virulente Gefahr des Despotismus manifest. Lohensteins Agrippina enthüllt an Neros Tyrannei eine Form der Perversion der von Hobbes vertretenen Souveränitätslehre, deren Ziel darin bestand, Alleinherrschaft als Mittel zur Kontrolle des – eo ipso ‚bösen‘ – Naturzustands aufzubieten.58 Indem die politische Macht ihrerseits vom Bösen der Natur besetzt wird, verliert sie ihre Funktion, dem Chaos wirksam entgegenzutreten und die in sich zerrüttete Welt zum spannungsfreien sozialen Gefüge zu ordnen. In Lohensteins zweitem römischen Trauerspiel Epicharis (1665) äußert Seneca über die Herrschaft des Nero: „Man muß die Tyranney wie Hagel / Mißwachs dulden.“59 Das bezeichnende Bildfeld verdeutlicht, daß die Despotie, der Seneca als Stoiker keinen aktiven Widerstand entgegenstellen möchte, den Charakter einer Naturgewalt trägt, die sich im Inneren des Kaisertums aufgebaut hat. Neros tyrannische Regentschaft demonstriert die verheerenden Folgen, welche sich aus der Freisetzung der chaotischen Kräfte im Kontinuum politischer Entscheidungsabläufe ergeben. Gleichzeitig aber konfrontiert die Naturhaftigkeit der eigenen Macht den Herrscher mit dem Umstand, daß seine Souveränität begrenzt bleibt, weil sie unkontrollierbaren Steuerungsimpulsen preisgegeben ist. Im Trieb, der den Kaiser inzestuös an die Mutter bindet, bekundet sich die Erosion seiner politischen Autorität: „Denn die Begierde düncket | Die Flutt / in welcher nur ihr Todes-Feind ertrincket / | Ein süsser Thau zu seyn / wenn schon sie selbst zugleich / | Mit in den Abgrund fällt.“60 Die Ermordung Agrippinas findet ihre eigentliche Motivation daher im Versuch Neros, den Prozeß der Okkupation der souveränen Herrschaft durch die Kräfte des Triebs zu unterbrechen und stillzulegen. Wenn der Sohn die Mutter töten läßt, so glaubt er damit die Spuren der pervertierten, dämonisch gewordenen Natur zu tilgen, die sich in den dunklen Raum der Macht eingezeichnet haben. Während Weises Maria von Medici als Verräterin, die das Erbe ihres Sohnes zu verspielen droht, aus dem Zentrum der Souveränität entfernt wird, verliert Lohensteins Agrippina am Ende ihr Leben, weil sie dem Herrscher zu nahe getreten ist. Das Skandalon des Inzests, den das Drama auf offener Bühne zeigt, trägt eine politische Färbung. Indem der Körper der Mutter sich im sexuellen Akt mit dem des Sohnes vereinigt, verbindet er sich auch mit der Macht, die diesem einbeschrieben ist. Seine Austilgung im Mord bedeutet für

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Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 94 ff. (Teil I, Kap. 13). Daniel Casper von Lohenstein, Epicharis, Römische Trauerspiele, S. 175 (I, v.531). Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 65 (III, v.301 ff.).

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Lohensteins Nero die Aufhebung der sexuellen Nähe, von der eine stetige Bedrohung seiner Souveränität ausgeht. Im imaginären Raum der politischen Körperschaften verdeutlicht der Inzest die Allianz zwischen pervertierter Natur und Institution, die der Tyrann durch die Tötung der Mutter zu löschen sucht. Die Ermordung Agrippinas soll den politischen Körper Neros vom Diktat einer weiblichen Macht befreien, die nach dem Verständnis des 17. Jahrhunderts als Prinzip des Gebärens an den Rand der souveränen Herrschaft vordringen, niemals aber deren innere Grenzmarkierungen überschreiten darf. Die Naturkraft, die Nero in Agrippina zu töten meint, wird jedoch durch seine eigenen Verbrechen fortgezeugt: die dämonische Seite der von ihm usurpierten Regierungsgewalt bleibt erhalten, weil die Entelechie des Lasters das System der Despotie als vernichtendes Gesetz bestimmt. Die Ermordung der Mutter bezeichnet folglich die äußerste Dynamisierung einer in sich zirkulierenden Bewegung der Schuld, die in der Perversion des Triebs ihr spezifisches Symptom findet. Zugleich enthüllt diese Form des Kreislaufs, die durch die Bildsprache des Trauerspiels vielfarbig beschworen wird, ein zweites Motiv für Neros Verbrechen. Mit der Tötung Agrippinas sucht der Tyrann die Erinnerung an seinen eigenen Ursprung und damit die Zeitbindung seiner Herrschaft zu tilgen. Wenn Nero nach vollendeter Tat in Übereinstimmung mit der historischen Überlieferung den Leichnam der Mutter sezieren läßt, so entspricht das dem Wunsch, den Leib, der ihn gebar, zu zerlegen, um ihm seine letzte Macht zu rauben. „Ich hette nicht gemeint“, so erklärt er angesichts ihres toten Körpers, „Daß solche Glieder mich | Solch Schnee-gebirgter Leib in sich getragen haben (…)“61 Agrippina repräsentiert als Mutter ein Prinzip des Anfangs, das durch den Inzest permanent gegenwärtig gehalten wurde. Mit ihrer Ermordung sucht Nero seine Rolle als unumschränkter Souveräns zu befestigen, dessen Regierungsgewalt weder Beginn noch Ende kennt.62 Die Mutter muß sterben, weil sie die Konstruktion der absoluten Macht gefährdet, indem sie an deren Zeitabhängigkeit und Naturbindung gemahnt. Natur ist damit in Lohensteins Trauerspiel doppelt besetzt: als Prinzip der Gewalt, das die politische Ordnung in Tyrannei umschlagen läßt, und als subversive Kraft, welche die Dauer der Souveränität in Frage stellt. 61 62

Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 92 (V, v.180 f.). Vgl. zu diesem Komplex mit signifikanten Hinweisen auf die ältere Tradition der NeroDarstellung Christopher J. Wild, Neros Kaiserschnitt, S. 120 ff. Wenn Wild jedoch die Ermordung der Mutter als „Inszenierung einer Geburt durch postmortalen Kaiserschnitt“ (S. 131) auslegt, blendet er die gewichtigere Tatsache aus, daß Nero versucht, in der Gestalt Agrippinas seinen eigenen Ursprung als Symbol für die Zeitunterworfenheit der Macht zu vernichten.

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Eine Kontrastfigur zu Agrippina verkörpert die Kaiserin Julia in Gryphius’ Trauerspiel Grossmuettiger Rechts-Gelehrter / Oder Sterbender Æmilius Papinianus (1660). Julia Domna (170–217 n. Chr.), die Witwe des Kaisers Septimius Severus, eine Syrerin aus altem Priestergeschlecht in Emesa, verband nach Auskunft der Geschichtsquellen dynastischen Ehrgeiz mit Kunstsinn, Geschmack und einem ausgeprägten Repräsentationswillen. Gryphius, der seine Einschätzung ihrer Persönlichkeit vor allem auf Herodians in griechischer Sprache verfaßte Historiarum libri VIII (ca. 230–238 n. Chr.) nach Angelus Politianus lateinischer Übersetzung (1493) stützte, stellt die Kaiserin als kluge Politikerin dar, die hinter den Kulissen der Regierungsgewalt mit Geschick ihren Einfluß zur Geltung bringt. Die Handlung des Trauerspiels beginnt im Jahr nach dem Tod des Septimius Severus (211), der seine Söhne Bassianus (Caracalla) und Geta zu gleichberechtigten Nachfolgern auf dem Thron bestimmt hatte. Da Julia eine Reichsteilung, wie sie beide anstrebten, nicht akzeptieren mochte, entbrannte rasch ein unversöhnlicher Streit um die Macht, dessen tödliche Eskalation das Drama in Szene setzt. Daß das Schicksal Agrippinas in Gryphius’ Trauerspiel als Modellfall gegenwärtig ist, demonstriert der Beratungsdialog zwischen Bassianus und seinem intriganten Vertrauten Laetus. Während Bassian zögert, den eigenen Bruder zu töten, verweist Laetus mit Nachdruck auf die Verfügungsgewalt des Souveräns, die keine Grenzen kenne („Ein Fuerst ist von dem Recht und allen Banden frey“63), und erinnert ihn an das Exempel des Muttermords, mit dem Nero sich den Weg zur ungeteilten Herrschaft gebahnt habe. Im Rahmen der (seit dem humanistischen Schulactus üblichen) Zusammenfassung der einzelnen Aufzüge beschreibt Gryphius – anstelle einer Regieanweisung, die das barocke Theater nicht kennt – die entscheidende Situation des Trauerspiels: „Julia suchet vergebens beyde Fuersten zu versoehnen / und wird in Jhrer Gegenwart und Schoß Geta von Bassiano mit einem Dolch erstossen.“64 Spricht die kürzere Inhaltsangabe zu Beginn noch davon, daß Geta „in den Armen der Mutter“65 niedergestochen worden sei, so ist hier (in Übereinstimmung mit der historischen Überlieferung) vom ‚Schoß‘ die Rede – ein Hinweis auf den Konnex zwischen Geburt und Tod,

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Andreas Gryphius, Grossmuettiger Rechts-Gelehrter / Oder Sterbender Æmilius Papinianus, Dramen, S. 337 (II, v.69). Vgl. dazu Pasquale Memmolo, Strategien der Subjektivität, S. 84 ff. Andreas Gryphius, Grossmuettiger Rechts-Gelehrter / Oder Sterbender Æmilius Papinianus (1660), Dramen, S. 313. Andreas Gryphius, Grossmuettiger Rechts-Gelehrter / Oder Sterbender Æmilius Papinianus (1660), Dramen, S. 312.

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den die Ermordungsszene beleuchtet. Während in Lohensteins Agrippina der Schoß die Einheit von Ursprung und Zeitabhängigkeit der Macht bezeichnet, die wiederum das Sinnbild für die Fragilität der Nero-Herrschaft darstellt, verweist er bei Gryphius auf den Gewaltakt des durch Bassianus begangenen Brudermords, den einzig Themis, die himmlische Gerechtigkeit, strafen kann („Blitze! verhere! zustoere! verbrenne!“66). Wenn Geta im Schoß seiner Mutter sterben und damit in die Natur, die ihn einstmals entlassen hat, zurücktreten muß, dann spiegelt sich darin der frevelhafte Eingriff in die Schöpfung, durch den Bassianus die Rechte der Götter usurpiert. Anders als Lohensteins Agrippina ist Gryphius’ Kaiserin Julia jedoch keine Verkörperung des begehrenden Naturprinzips, sondern die Figuration eines Ursprungs, den der Sohn nicht im Inzest, sondern allein sterbend – am Ende seiner irdischen Herrschaft – wiederfindet. Auf spezifische Weise markiert damit auch im Papinian die Koinzidenz von Geburt und Tod die Spur der Verbrechen, die sich durch die römische Geschichte zieht. Lohenstein zeigt in der Schlußszene seines Trauerspiels, wie der von Schuldgefühlen gepeinigte Nero versucht, den Geist der toten Agrippina zu beschwören, um sich mit ihr jenseits des Grabes zu versöhnen. Er bedient sich dabei der Hilfe des Zauberers Zoroaster, jenes sagenumwobenen altpersischen Religionsphilosophen Zarathustra, den das Drama hier der römischen Kaiserzeit eingemeindet, obgleich er ein Mensch des ersten vorchristlichen Jahrtausends war. Der magische Ritus demonstriert den Versuch der Umkehrung des Opfers, das mit der Ermordung Agrippinas zugunsten von Neros Herrschaft vollzogen wurde. Zugleich erweist er, daß die pervertierte Natur, welche die Mutter des Kaisers repräsentierte, auch nach deren Tod im Zentrum der Macht haust. Agrippina hatte den Inzest in der Verführungsszene gegenüber Nero durch ein charakteristisches Sinnbild zu rechtfertigen gesucht: „Der Frühling muß zum Lentz / der Fluß zum Kwälle kommen.“67 Dieses Motiv kehrt jetzt wieder, wenn sich Zoroaster rühmt, er könne in die organischen Prozesse der Schöpfung manipulativ eingreifen: „Die Zeichen meiner Schrifft | Sind von so grosser Krafft (…) Daß Ström als Eiß erstarrn / die Bach in Kwäll verseugt (…)“68 Der Ritus, der die tote Agrippina zur Erscheinung bringen soll, spiegelt damit die gefährlichen Kräfte einer entstell66 67

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Andreas Gryphius, Grossmuettiger Rechts-Gelehrter / Oder Sterbender Æmilius Papinianus (1660), Dramen, S. 347 (II, v.317). Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 62 (III, v.186). Vgl. dazu Friedrich A. Kittler, Rhetorik der Macht und Macht der Rhetorik – Lohensteins Agrippina, in: Johann Christian Günther (mit einem Beitrag zu Lohensteins Agrippina), hg. v. Hans-Georg Pott, Paderborn u. a. 1988, S. 39–52, bes. S. 44 f. Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 104 (V, v.605 ff.).

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ten Natur wider, in der – metaphorisch für den Beischlaf der Mutter mit dem Sohn – die Bäche zu den Quellen zurückfließen. Ähnlich wie im Fall Sophonisbes verweist die Welt des Mythos, der Magie und der Opferrituale auf eine Zeit, in der das Denken noch im Bann des Analogiezaubers steht.69 Zoroaster sammelt Ingredienzen ein, mit deren Hilfe der Geist der Verstorbenen beschworen wird: ihre Knochen, ihren mit einem frischen Gehirn gefüllten Schädel, das Mark aus dem Leib ungeborener Kinder, Innereien geopferter Tiere, Öle und Myrrhe, nicht zuletzt Zutaten, die auf den den Bereich des antiken Wiedergeburtsmythos zurückdeuten, wie ihn seit Herodots Historiae zahlreiche naturkundliche Schriften bis zum Physiologus in den Blick nehmen: „Itzt misch ich Phoenix-Asch in Pelickanens Blutt / Nebst eines Seiden-Wurms niemals entseelter Leichen.“70 Am Ende ist freilich die magische Zurüstung vergeblich: anstelle Agrippinas erscheinen die Geister antiker Helden, um den ohnmächtig hingesunkenen Nero zu verfluchen. Die pervertierte Natur, die der Kaiser zu bannen suchte, indem er seine Mutter tötete, erweist sich als Bestandteil seiner despotischen Herrschaft, deren böse Kräfte ihn folgerichtig in die Selbstzerstörung treiben. Ob auch diese Natur untergeht, wenn der Tyrann zum Schluß von einem „Abgrund“71 verschlungen wird, dürfte jedoch zweifelhaft sein. Daß die Agrippina, anders als die afrikanischen Trauerspiele, nicht mit der Verheißung einer besseren politischen Zukunft ausklingt, mutet symptomatisch an. Der Tyrann und seine frühere Helferin sind tot, aber die römische Geschichte wird ihre blutige Bahn fortsetzen. Der ‚Abgrund‘, der Nero aufnimmt, ist nur die katastrophische Seite des Ursprungs, der ihn gebar; sobald er sich geschlossen hat, kann alles wieder neu beginnen.72 Mit welchen Mitteln die politische Willkür einer despotischen Gewalt, die sich im naturhaften Rhythmus der Zirkularität abbildet, aufgehoben werden könnte, bleibt in Lohensteins düsterem Finale offen.

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Die Affinität zwischen diesem Denken in Analogien und dem epistemischen System der Frühen Neuzeit hat Foucault aufgezeigt. Was im Mythos Realpräsenz beansprucht, besitzt jedoch in den Wissenschaften des 16. und 17. Jahrhunderts bereits den Charakter eines Hilfsmittels, das über die scheinbare Einheit von Bild und Bedeutung Beziehungen sichtbar machen soll; Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 56 ff. Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 107 (V, v.694 f.). Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 109 (V, v.781). Wild sieht in der Schlußszene das Indiz für die Ohnmacht der absolutistischen Macht, die sich nicht selbst setzen könne (Christopher J. Wild, Neros Kaiserschnitt. Das Phantasma der Selbstgeburt absoluter Macht in Lohensteins Agrippina, S. 149); bedeutsamer als diese Quintessenz ist jedoch die Einsicht in die Zirkularität der Geschichte, die auf fundamentale Weise dem Translatio-Modell widerspricht, wie es Lohenstein in den afrikanischen Trauerspielen vertritt.

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3. Die Mutter des Sultans Eine mit der ehrgeizigen Agrippina vergleichbare Gestalt ist Kiosem (historisch: Kösem) in Lohensteins letztem Trauerspiel Ibrahim Sultan (1673). Die Mutter des türkischen Herrschers Ibrahim (er regierte 1640–48) offenbart in ihrem zwischen Fürsorge und Grausamkeit, Vernunft und Machtgier schwankenden Charakter eine Ambivalenz, wie man sie als Signum weiblicher Königinnen sonst nur in den Dramen Shakespeares antrifft. Kiosem hat geschichtliche Schuld auf sich geladen, als sie das Testament des verstorbenen Sultans Amurath IV. (1611–1640), ihres ältesten Sohnes, verletzte, seine Nachfolgeregelung (die einen tatarischen Fürsten begünstigte) ignorierte und statt dessen mit Hilfe der von ihr bestochenen Fürsten des türkischen Reichs den seit Jahren wegen seiner ungezügelten Machtgier inhaftierten Ibrahim befreite, um ihn auf den Thron zu führen („Drauf opferte sie ihm des Bruders warme Leiche / | Brach seinen Kerker auf / gebahr ihn so zum Reiche / Noch einst, der vor von ihr zur Welt gebohren war.“73). Äußerlich wird diese Intervention durch den Umstand gerechtfertigt, daß Amurath die Ermordung seines Bruders befohlen hatte, die Mutter mithin dem Sohn das Leben rettete. Amuraths Plan schien freilich so abwegig nicht, ging er doch auf eine Einschätzung der pathologischen Persönlichkeit Ibrahims zurück, die sich im Verlauf des Trauerspiels unheilvoll bestätigt. In der Rolle des Sultans erweist dieser sich als gewalttätiger Despot, der, von einem unersättlichen Sexualtrieb gesteuert, die Staatsgeschäfte vernachlässigt, weil er seine erotische Gier nicht kontrollieren kann. Die Anmaßung der machthungrigen Mutter, die um jeden Preis die Fortdauer der eigenen Dynastie zu garantieren bestrebt war, besteht aus Lohensteins Sicht darin, daß sie das Privileg der Nachfolgeregelung verletzte, das die frühneuzeitliche Souveränitätstheorie – exemplarisch wiederum Hobbes’ Leviathan – ausdrücklich dem Herrscher einzuräumen pflegt.74 Diese politische Schuld verdeutlicht die Geistererscheinung des toten Amurath, der Kiosem die Mißachtung seiner testamentarischen Bestimmungen vorhält: „Doch du hast selbst dir’s Leichenbrett gefällt / | Die Natter dir in Busem [!] selbst gesetzet / | Als du gewannst der Baßen Gunst durch Geld; | Daß sie an mir meineydig sich verletzet; | Als wider ihren Schwur / für den bestimmten Cham | Der Tartern / Ibrahim des Oßmanns Stul einnam.“75 73 74 75

Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 159 (III, v.55 ff.). Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 151 f. (Teil II, Kap. 19). Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 184 (IV, v.287 ff.). Zum historischen Hintergrund vgl. Lohensteins Anmerkung, S. 244 (zu III, v.46 ff.).

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Kiosem selbst betrachtet die schwerwiegenden Verfehlungen ihres Sohnes nicht aus moralischer, sondern primär aus biologischer Perspektive. Die von Ibrahim praktizierte Unzucht stört das natürliche Gleichgewicht der Macht, da sie den Herrscher schwächt: „Dein Ambra / dein Zibeth / der täglich deine Speise | Mit Uberflusse würtzt / ist zwar ein Saltz der Brunst / | Nicht aber Lebens-Oel / auß welchen du umbsonst | Verschwelgte Kräfte suchst.“76 Bereits Augustinus betont in De civitate Dei, daß der Despot an der Tyrannei seiner Leidenschaften zerbreche, weil sie seine Seele verwüste: „(…) malorum vero regnum magis regnantibus nocet, qui suos animos vastant scelerum majore licentia, his autem qui eis serviendo subduntur, non nocet nisi inquietas propria.“77 Lakonisch erklärt Seneca in De providentia (ca. 62 n. Chr.), Gott strafe diejenigen, deren Begierden er befriedige.78 Der Hinweis auf Ibrahims ausschweifendes Sexualleben, das ihn, wie es Boethius in Consolatio philosophiae (524 n. Chr.) formuliert, zum Sklaven des Körpers werden läßt79, ist vor dem Hintergrund der für Lohenstein verbindlichen stoischen Affektenlehre ein Zeichen seines bevorstehenden Sturzes, an dem sich die Logik einer Vorsehung dokumentieren wird, die langfristig beim Herrscher den ökonomischen Umgang mit den eigenen Kräften, nicht aber deren Vergeudung belohnt. Die Vertreter der Souveränität operieren in Lohensteins Drama wiederholt mit biopolitischen Argumenten und Denkmotiven, deren praktische Umsetzung zumeist fatale Konsequenzen zeitigt. Kiosems Entscheidung, Ibrahim zu unterstützen und die Thronanwärterschaft des Tatarenfürsten zu durchkreuzen, folgte der Stimme der Natur, über die der Bassa Mehemet sagt: „Thun Mütter uns einst weh; | So ists ein Leffel Schmertz / der ihrer Wohlthat See | Doch nicht erschöpffen kan. Wie sollen die uns hassen / | Die ewig uns ins Hertz / in Leib neun Mohnden fassen? | Die uns zur Speis’ ihr Blutt / ihr Leben in Gefahr | Des Todes setzen auf?“80 Umgekehrt offenbart der Despot Ibrahim ein pervertiertes Verständnis des Naturrechts, wenn er seine Söhne zu töten sucht, da deren Existenz ihm dabei im Wege steht, Ambre, die Tochter des Mufti, zu verführen: „Ich leide Seelen-Pein umb ih-

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Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 119 (I, v.196 ff.). Augustinus, De civitate Dei, PL 41, Sp.114 (IV,4). L. Annaeus Seneca, De otio/Über die Muße; De providentia/Über die Vorsehung, 5,3 (S. 54 f.). Anicius Manlius Torquatus Severinus Boethius, Trost der Philosophie/Philosophiae Consolationis libri V. Übers. u. hg. v. Karl Büchner, mit einer Einleitung v. Friedrich Klingner, Stuttgart 1992, S. 96 (lib.III). Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 159 (III, v.39 ff.).

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res Lebens wegen | Weil Ambre sich nicht will in unser Bette legen / | Nicht lieben / der sie liebt / umb: daß er Kinder hat.“81 Durch die Opferung seiner Nachkommen will Ibrahim die Suggestion einer noch offenen Erbfolge schaffen, in die dann der mit Ambre zu zeugende Sohn eintreten könnte. Der Sultan nutzt auf diese Weise die ihm zufallende politische Macht, deren vornehmste Aufgabe nach Hobbes in der Beruhigung der Naturverhältnisse liegt, zu einem Werkzeug seiner Triebbefriedigung.82 Im Namen des Lebens wird hier Leben vernichtet, im Namen der Souveränität die biologische Gewalt des Sexus zur Geltung gebracht. Der Kommentar Kiosems verweist auf den Frevel, den der Despot unter dem Diktat eines deformierten Naturbegriffs an Staat und Amtswürde begeht: „Verteufelt-böser Schluß! verdammte Missethat!“83 Stärker noch als in Lohensteins sonstigen Texten bestimmt im Ibrahim Sultan der Adressat die historische Perspektive: das Trauerspiel ist aus Anlaß der 1673 in Graz erfolgten Eheschließung des (erst wenige Monate zuvor verwitweten) Kaisers Leopold I. mit der zwanzigjährigen österreichischen Erzherzogin Claudia Felicitas verfaßt und dem Paar in einer Prachtausgabe zum Hochzeitstag überreicht worden. Das Greuelbild aus Mord und Schrecken, welches das Drama als Grundmuster der Sultansherrschaft vermittelt, soll das negative Gegenstück zum vernünftig regierten Imperium der Habsburger darstellen. Kaum zufällig hebt sich von der Sphäre der politischen Klugheit die zerstörerisch-chaotisierende Macht der Natur ab, die im Fall der türkischen Geschichte permanent Gewaltverhältnisse fortzeugt. Daß sich in Ibrahims Perversionen letzthin die moralischen Aberrationen der Vergangenheit spiegeln, verrät bereits der Hinweis Ambres, die den Mufti an die Verbrechen des Tatarenherrschers Mahumed III. erinnert: „Er selbst / | Herr Vater / wird sich unschwer noch entsinnen / | Aufs dritten Machmets Grimm und grause Mörderthat; | Der mit dem ältsten Sohn auch dessen Mutter hat | Aus

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Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 166f. (III, v.303ff.). Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 152 ff. (Teil II, Kap. 19). Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 167 (III, v.306). Vgl. zur Überbietung der Rolle des Souveräns durch jene des Tyrannen Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 249 f. In die Irre führt die (am Leo Armenius entfaltete) Auffassung von Harald Steinhagen, nach der die Darstellung politischer Gewaltverhältnisse als Kritik an der Idee des Gottesgandentums zu werten wäre (Wirklichkeit und Handeln im barocken Drama, S. 140 ff.). Solche Kritik ist weder bei Gryphius noch bei Lohenstein intendiert, geht es beiden Autoren doch um den Nachweis eines durchgreifenden metaphysischen Prinzips, das die Geschichte auch in Momenten der Krise lenkt (Gryphius) bzw. derartige Momente nutzt, um neue Ordnungsverhältnisse zu stiften (Lohenstein).

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schlüpfrichem Verdacht recht-henckrisch aufgerieben; | So süsse Früchte trägt der Groß-Herrn grosses Lieben!“84 Die Schatten der Schuld fallen unmittelbar auf das Geschlecht Ibrahims: Kiosem ließ Amuraths Brüder Bajazet und Orcan, die aus der Verbindung mit einer der Nebenfrauen seines Vaters stammten, erdolchen, da sie ihre dynastischen Pläne gefährdeten („Die Mutter hat sie ihm aufs Siegsfest abgeschlachtet.“85); Amurath tötete seine eigenen Söhne, weil sie ihm nicht den erforderlichen Gehorsam erwiesen hatten; später sorgte wiederum Kiosem in rasender „Eyversucht“ für die Ermordung der armenischen Geliebten Ibrahims, indem sie diese zu einem Gastmahl lud und dort „erwürgen hieß.“86 Die Herrscherfolge, deren blutige Spur Lohensteins Anmerkungen unter Bezug auf die nicht immer zuverlässigen Reisebeschreibungen des Comte Majolino Bisaccioni nachzeichnen87, wirkt wie ein Kontinuum von Verbrechen und Usurpation, in dem sich unkontrollierte, aus der frei wuchernden Natur hervorgehende Gewaltstrukturen ausbilden. Daß diese Strukturen hier nicht, wie es Hobbes vorschlägt, durch einen Herrschaftsvertrag funktionalisiert und in einer stabilen sozialen Ordnung beruhigt werden, macht das Signum der Despotie aus, das den türkischen Sultansstaat in Lohensteins Drama bestimmt.88

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Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 139 (II, v.116 ff.). – Der Tatar Machmed (bzw. Mahumed) herrschte am Beginn des 16. Jahrhunderts. Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 150 (II, v.492). Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 121 (I, v.274). Vgl. S. 243 f. (Anmerkung zu II, v.490 ff. (Tötung der Brüder), S. 243 (Anmerkung zu II, v.478) (Tötung der Söhne), S. 121 (I, v.269 ff.) (Tötung der Geliebten). So ist die Behauptung, Amurath habe seine Söhne ermorden lassen (Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 243), historisch nicht mit letzter Evidenz verifizierbar. Neben Comte Majolino Bisaccionis (1582–1663) Geschichte der osmanischen Sultane war ein Bericht des englischen Diplomaten Paul Ricaut über die Türkei des 17. Jahrhunderts, den er in der französischen Übersetzung las, die wichtigste Quelle für Lohenstein (Histoire de l’état présent de l’empire Ottoman, contenant les maximes politiques des Turcs, les principaux points de la religion mahométane, ses sectes, ses hérésies & diverses sortes de religieux, Paris 1670). Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 155 ff. (Teil II, Kap. 20). Laut Hobbes stützen sich souveräner und despotischer Staat auf dasselbe Gewaltpotential des Herrschers; jedoch operationalisiert der Souverän dieses Potential zum Zweck der inneren Beruhigung der Gesellschaft, während es der Despot willkürlich zur Befriedigung seiner Interessen nutzt.

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4. Gewalt als Fluch Kiosem mißachtet die Gesetze der politischen Klugheit, weil sie die Dynastie als Naturprinzip der Herrscherfolge über das Urteil der Vernunft stellt. Begünstigt durch die Leidenschaft der ehrgeizigen Mutter dringen so, dem Fall Agrippinas vergleichbar, die gewaltsamen Energien einer dämonischen Natur in den Raum der Macht ein. Wo der Trieb als Lebensgrund zum Movens der Politik gerät, verwandelt er die monarchische Ordnung in das Chaos der Despotie, wie es Augustinus in De civitate Dei beschrieben hatte. Lohenstein führt jedoch auch vor Augen, daß dieser Prozeß, der am Ende in die Selbstzerstörung des Herrschers mündet, ohne die Figur der weiblichen Intrigantin kaum ablaufen könnte. Agrippina und Kiosem repräsentieren die Mechanismen einer pervertierten Natur, die in der Liebe zum eigenen Geschöpf das dämonische Chaos des Bösen gebiert und dessen destruktive Kraft fortzeugen hilft. Erst unter dem Eindruck der bedrohlich anschwellenden Volksunruhen zieht Kiosem die Konsequenz aus ihren Fehlentscheidungen, indem sie sich an der Entmachtung Ibrahims beteiligt und ihren noch minderjährigen Enkel Machmet an seinen Platz rücken läßt. Daß sie jetzt die Person der Institution zu opfern bereit ist, betont sie ausdrücklich, wenn sie dem Ziel der Erhaltung des Imperiums unbedingten Vorrang in sämtlichen politischen Fragen einräumt: „Jedoch euch darzuthun: daß Liebe / Blutt und Sohn / | So viel als Reich und Recht bei Kiosem nicht gelte / | Daß an den Kindern sie die Laster straf und schelte / | Will eurem Schlusse sie so ferne stimmen ein: | Daß Ibrahim entsetzt vom Throne möge sein“.89 Vernunft und Mutterliebe konkurrieren freilich gerade dort, wo sich die Souveränität an das natürliche Gesetz des Lebens zurückbindet: „Verwirrtes Trauerspiel! verkehrte MitterNacht! | Da ich den Sohn vergehn / den Enkel wachsen schaue.“90 Damit enthüllt sich die Emergenz als Strukturprinzip despotischer Herrscherfolge: auf dem ‚Vergehn‘ des aktuellen gründet die Macht des neuen Regenten, so wie sich die Natur mit Hilfe ihrer absterbenden Elemente vital regeneriert. Die nackte Gewalt gerät zum zentralen Impuls einer nicht mehr durch die Vernunft zu ordnenden Politik des Naturzustands, den Hobbes Leviathan – Lohensteins Bild osmanischer Despotie korrespondierend – als Krieg in Permanenz beschrieben hat.91

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Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 189 (IV, v.452 ff.). Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 212 (V, v. 690 f.). Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 107 f. (Teil I, Kap. 14).

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Auch Kiosem wird am Ende ein Opfer der von ihr befestigten Gewaltstrukturen, ohne daß Lohenstein dieses freilich noch auf der Bühne zeigt. Das Trauerspiel begnügt sich mit einer Andeutung in der (deutlich an die große Geisterszene aus Gryphius’ Leo Armenius angelehnten) Rede des toten Amurath, der seiner Mutter prophezeit, daß sie durch die Zurüstungen der Ehefrau ihres Enkels den Tod finde: „Denn deinen Lebens-Drat wird ein frech Weib zerschneiden; | Ob schon ihr Sohn durch dich zum Käyser wird erhöht.“92 Aus der Perspektive der Zukunftsschau erscheint, was zunächst wie eine Erfüllung von Naturgesetzen im Bann der politischen Despotie anmutet, als Konsequenz einer höheren Vernunft, die dadurch wirkt, daß sie das Böse sich selbst vernichten läßt: „Allein itzt blüht dir schon dein Grab / | Denn’s Reich / das dir hat Ibrahim zu dancken / | Reicht über der Vergeltung enge Schranken.“93 Die Entelechie des Bösen besteht, so zeigt Kiosems Schicksal, in der mechanischen Abfolge von Mordtaten, durch welche die Vertreter des Übels einander ausschalten und zerstören. Sehr detailliert beschreibt eine Anmerkung Lohensteins unter Bezug auf die Histoire de l’état présent de l’empire Ottoman (1670) des englischen Gesandtschaftssekretärs Paul Ricaut Sturz und Tod der Mutter Ibrahims. Kiosem drängt sich nach der Entmachtung ihres Sohnes und der Inthronisation ihres Enkels Machmet, mit deren Darstellung das Trauerspiel schließt, als Schattenherrscherin ins Zentrum der Macht, provoziert den Widerstand der Ehefrau des Sultans und fällt schließlich einer von dieser organisierten Palastintrige zum Opfer. Die grausame Ermordung der Achtzigjährigen schildert Lohenstein, angeregt durch den Bericht Ricauts, mit akribischer Genauigkeit: „Ali Bostangi riß ihr ihre Ohrgehäncke / welches zwey einer Nuß groß Diamanten mit einem untersetzten Rubin / ein Geschencke Sultan Achmets und eines jährlichen Einkommens von Alcayr werth geschätzt waren / von Ohren, welcher sie aber für 16 Ducaten dem Solyman Aga einhändigte. Die andern beraubten sie / zerrissen ihre Zobel in tausend Stücke und schleppten sie nackend biß zur Vogel-Pforte / daselbst hielt sie Dogangi / daß die andern ihr den Strick umbschlingeten / welche / ob sie zwar als ein über achtzig Jahr altes Weib keinen Zahn mehr hatte / ihn mit den Gläven [hier: Kinnlade] in seinen lincken Daumen so lange hefftig bieß / biß er ihr mit dem Dolche einen Stich übers Auge versetzte. Viele andere würgten an ihr; wie sie aber schon geruffen hatten: Sie wäre todt / reckte sie noch erst den 92

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Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 185 (IV, v.311 f.) Vgl. Andreas Gryphius, Leo Armenius, Oder Fuersten-Mord, Dramen, S. 64 f. (III,1, v.49 ff.): „Auff Fürst! gestuertzter Fuerst! auff! auff! was schlummerst du?“ Bei Lohenstein heißt es: „Auf! Mutter / auf! es ist nicht schlaffens Zeit“ (S. 183, v.249). Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 185 (IV, v.318 ff.).

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Kopff empor; worauf sie denn sie endlich mühsam erstreckten / die verschnittenen Mohren aber ihren Leib mit grosser Ehrerbietung in die Königliche Moschee trugen.“94 Diese Szene zeigt, daß der Fall der Kiosem Stoff für ein eigenes Trauerspiel geboten hätte. Die Großmutter des Herrschers stirbt, ihrer weltlichen Würdenzeichen ledig, als Figuration des nackten Lebens. Weder macht man ihr einen Prozeß, noch wird sie im Rahmen eines rechtsförmigen Aktes hingerichtet. An der Kombination der Tötungsarten, die Lohensteins und Ricauts Bericht festhalten, tritt ein Grundmuster hervor, das der Tyrannenmord in der Geschichte ausbildet: die Schändung des Leibes im Akt der Lynchjustiz ist das sichtbare Zeichen für die Vergeltung, die das Volk in einem Moment des unumschränkten Herrschaftsvollzugs am Despoten übt.95 Die ihrer Machtinsignien beraubte, entblößte und verstümmelte Kiosem stirbt nicht als Märtyrerin für Staat und Sultan, sondern als homo sacer, dem gegenüber jeder in der Rolle des über Leben und Tod entscheidenden Souveräns auftreten kann.96 Daß die Kastraten am Ende ihre Leiche ‚mit grosser Ehrerbietung‘ in die Moschee tragen, bedeutet keine Negation, vielmehr eine Bekräftigung dieses Zusammenhangs, sind es doch ihrerseits rechtlose Sklaven (und nicht die Untertanen), die der Ermordeten die Reverenz erweisen. Anders als im Fall der Catharina von Georgien ist die Wiederherstellung der Dignität nach dem Tod in Wahrheit ein weiterer Schritt auf dem Weg der Entwürdigung. Wenn Kiosems Ermordung durch eine Intrige der Ehefrau ihres Enkels vorbereitet wird, dann demonstriert das eine hämische Ironie der Geschichte, in der das bedrückende Gesetz der wechselseitigen Vernichtung herrscht. Wie in einem Spiegel hält Amurath seiner Mutter mit der Prophezeiung des historischen Ablaufs die Schuld vor Augen, die sie auf sich häufte, als sie Ibrahims Geliebte töten ließ. Die Gewalt, die ihre Spur durch die Geschichte zieht, erreicht am Ende auch jene, von denen sie ausging; in der Abschlachtung Kiosems ist der Ursprung des Bösen wiederholt, die Natur als gleichförmiges Prinzip der Zerstörung bekräftigt. Das Reich aber, so deutet der orakelnde Geist des selbst keineswegs makellosen Amurath an,

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Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 249 (zu IV, v.311 ff.). – Dort auch der Hinweis auf Ricauts Histoire, wo sich die Beschreibung der Ermordungsszene im vierten Kapitel des ersten Buchs befindet. Vgl. zu Tyrannemord und Schändung durch die Devestitur Thomas Frank u. a., Des Kaisers neue Kleider, S. 218 ff. Friedrich Balke, Wie man einen König tötet oder: Majesty in Misery, S. 674; vgl. Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 109 ff. (wobei Agamben nicht zwischen dem Souverän und der Volkssouveränität im Akt der Lynchjustiz unterscheidet).

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währt länger als das Intermezzo des Lasters, das durch den Tod Kiosems zu einem vorläufigen Ende gekommen sein dürfte. Wenn es in der Prophetie heißt, das türkische Imperium überschreite ‚der Vergeltung enge Schrancken‘, so signalisiert das, daß die Institution des Sultanats die es vertretenden Personen überleben und unter günstigeren geschichtlichen Bedingungen dereinst durch klügere Herrscher repräsentiert werde. Auch im Zusammenhang der osmanischen Geschichte gilt für Lohenstein der erstmals vom Kanoniker Damasus in De ordine judicario (ca. 1215) formulierte, seit dem Spätmittelalter auf Thron und Krone übertragene Grundsatz „Dignitas nunquam perit“.97 Das Amt des Sultans ist als officium regis durch despotischen Mißbrauch nicht zu zerstören; vielmehr bewahrt es im Strom der historischen Ereignisse die ihm eingeschriebene Würde selbst dort, wo eine Generation von Gewaltherrschern es würdelos verwaltete. Lohenstein transferiert hier die aus der christlichen Tradition des Kirchenrechts stammende Auffassung von der zeitlosen Dauer des Amtes in die pagane Welt des türkischen Imperiums. Diese Zuschreibung besitzt eine suggestive Komponente, insofern sie die Erwartung ausdrückt, daß das osmanische Reich aus der Finsternis der Tyrannei ins Licht der klugen Herrschaft treten werde. Bereits in seiner Widmungsvorrede für Kaiser Leopold deutet Lohenstein eine derartige Perspektive an, wenn er schreibt, das Drama entwerfe „die Gemüths-Flecken und die zu unserer Zeit sichtbare Verfinsterung eines Oßmanischen Mohnden“98. Kiosem ist, so betrachtet, nur die Zwischenakteurin auf einem Welttheater, das letzthin unter dem providentiellen Gesetz der prudentia steht. Dem abschreckenden Exempel der schlechten Mutter, welche ihrer Machtgier zum Opfer fällt, wird die junge Kaiserin Claudia Felicitas kontrastiert, die, wie Lohenstein betont, „mit ihrem Namen die Geheimnisse auffschleust / die das Verhängniß für so vielen Jahren in sein Geheimbuch von dieser Heyrath aufgeschrieben“.99 Das ist eine Anspielung auf die künftige Rolle der Monarchin, deren Name ‚Felicitas‘ nicht nur die Göttin des Glücks, sondern auch die Fruchtbarkeit bezeichnet. Das Buch der Vorsehung, so die Pointe, verkünde eine große Zahl von Nachkommen, an denen sich das kaiserliche Paar erfreuen werde. Diese Bedeutung greift der Schlußreyen auf, in dessen allegorische Revue von Liebe, Geilheit, Höllengeistern und Totenerscheinungen sich am Ende Felicitas selbst mischen darf: „Die Fruchtbarkeit kehrt reichlich ein / | Und holde Sternen wolln selbst Hochzeit-Fackeln

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Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 382 ff., bes. S. 384 Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 102 (Zuschrifft). Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 100 (Zuschrifft).

Die Absetzung der Katharina von Aragon

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seyn.“100 Der Jesuit Nicolaus Caussinus – bis zu seiner Kaltstellung durch Richelieu Beichtvater Ludwigs XIII. – hat in seinem Märtyrerdrama Felicitas (1621), das Gryphius 1657 ins Deutsche übersetzte, die standhaft für ihren christlichen Glauben leidende Titelheldin als ideale Mutter dargestellt, die ihre Söhne zum Trost in der Stunde der äußeren Bedrohung erklärt: „O Kinder / meine Wonn’ in diesen grimmen Plagen!“101 Man konnte davon ausgehen, daß Lohensteins Namensanspielung als Hinweis auf Fruchtbarkeit und Fürsorglichkeit vor solchem Hintergrund verstanden wurde. In ihrer künftigen Rolle, die sie zur Mutter kluger Thronprätendenten macht, steht Claudia Felicitas für eine prudentistische Ordnung der Geschichte, die das Haus der Habsburger Lohenstein gemäß repräsentiert. Der Rekurs auf die Schrift der Providenz (‚Verhängniß‘), die sich ins ‚Geheimbuch‘ der Eheschließung eingetragen hat, besagt, daß die Kraft der Vorsehung die durch Leopold und seine Gemahlin vertretenen Kräfte der prudentia befördern werde. Die junge Kaiserin Claudia Felicitas verdrängt damit die historischen Mächte des Bösen, die Kiosem – als Prinzip von Zerstörung und Selbstzerstörung – verkörperte. Ehe das Spiel begonnen hat, rückt Lohensteins Zueignung seinen Text bereits ins feste Koordinatensystem einer providentiellen Geschichtslogik, aus der eine klare Deutungsanweisung abzuleiten ist. Die naturhaft anmutende Gewalt, deren Opfer Kiosem und Ibrahim selbstverschuldet werden, läßt sich – gemäß der von Hobbes entwickelten Vertragsidee – nur dort zähmen, wo sie in den Dienst einer zum wechselseitigen Nutzen von Souverän und Untertanen hergestellten Interessenbalance tritt.102

5. Die Absetzung der Katharina von Aragon In der Frühen Neuzeit kann der Sturz der Königin auf unterschiedliche Ursachen zurückgehen. Die Vertreibung Marias von Medici bildete die Konsequenz einer innenpolitischen Konfliktlage, die der Herrscherin selbst außer

100 Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Sultan, Türkische Trauerspiele, S. 219 (V, v.917 f.). Die Prophetie des Reyens erfüllte sich nicht, denn die junge Kaiserin starb bereits dreiundzwanzigjährig am 8. April 1676 (vgl. Türkische Trauerspiele, XXIV). 101 Andreas Gryphius, Bestaendige Mutter Oder Die heilige Felicitas. Aus dem Lateinischen Nicolai Causini (1657), in: A.G., Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, hg. v. Marian Szyrocki u. Hugh Powell, Tübingen 1963 ff., Bd. VI (Trauerspiele III), S. 1–70, hier S. 19 (II, v.76 f.). 102 Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 137 f. (Teil II, Kap. 18).

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Kontrolle geraten war. Im Fall der Maria Stuart (1542–87) führte eine mit unklugen Mitteln ausgeübte Regentschaft zum Widerstand der Aristokratie, der schließlich die Entmachtung und Einkerkerung der Monarchin erzwang (1568). Häufiger trat jedoch eine biopolitisch bedingte Spannungskonstellation auf, die zur Absetzung einer Königin aus dynastischen Rücksichten veranlassen konnte.103 Exemplarischen Charakter beansprucht hier das Schicksal Katharinas von Aragon (1485–1536), der Tochter Isabellas von Kastilien und Ferdinands V. Katharina wurde zunächst 1501 mit Arthur, Prince of Wales, verheiratet, ohne mit dem kränkelnden Thronfolger je die Ehe zu vollziehen. Arthur starb bereits 1502; nach langwierigen Verhandlungen zwischen dem französischen und dem englischen Herrscherhaus vermählte sich Katharina im Januar 1509 mit Arthurs jüngerem Bruder, dem seit April 1507 regierenden Heinrich VIII. Im Januar 1511 gebar sie einen Sohn, der jedoch nach 52 Tagen starb. Es folgte eine Serie von anormal verlaufenden Schwangerschaften; lediglich die Tochter Mary, die 1516 geboren wurde, überlebte (sie regierte zwischen 1553 und 1558, versehen mit dem zweifelhaften Ehrentitel Bloody Mary). Daß die Königin ihre Rolle durchaus selbständig definierte, zeigt sich an der politischen Entschlußkraft, die sie an den Tag legte. Im September 1513 verteidigte sie das Land als Stellvertreterin ihres Ehemanns, der mit seinen Truppen vor Frankreich stand, gegen die Schotten, deren kriegslüsterner König James IV. bei der Schlacht von Flodden Field getötet wurde. Nach übereinstimmendem Urteil der Historiker war es die Königin, die durch ihre strategische Weitsicht die Stabilität der Monarchie gewährleistet hatte.104 Heinrich VIII. wartete vergebens auf männliche Nachkommen mit legitimem Herrscheranspruch. 1519 hatte er mit Bessie Blount, einer seiner zahlreichen Mätressen, einen Sohn gezeugt, jedoch leiteten sich daraus nach englischem Gesetz keine dynastischen Rechte ab. Im Mai 1533 ließ sich der König gegen den Willen des Papstes von Katharina scheiden, um sich mit der Hofdame Anne Boleyn vermählen zu können. Die juristische Begründung für den Trennungsakt lautete, daß Katharina die Fortdauer der TudorDynastie gefährde, weil sie keine lebensfähigen Thronfolger gebäre. Die kirchenpolitischen Begleiteffekte des Scheidungsverfahrens sind bekannt; 103 Die eigentliche Wende zur Biopolitik beginnt für Foucault zwar erst mit dem 19. Jahrhundert, das sich anschickt, die Disziplinierung des Körpers in der Überwachung des Anormalen voranzutreiben; jedoch sind Vorformen in der Frühen Neuzeit – gerade unter den Bedingungen dynastischer Instabilität – im Kontext der Herrschaftssicherung durch den Krieg zu beobachten (Michel Foucault, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, S. 161 ff.; vgl. Ders., In Verteidigung der Gesellschaft, S. 81 ff.). 104 Ursula Machoczek, Die regierende Königin – Elizabeth I. von England, S. 139 f.

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nachdem die Verhandlungen zwischen den englischen Juristen und Papst Clemens VII. über die Aufhebung der Ehe mit Katharina gescheitert waren, riskierte Heinrich VIII. das Schisma, das ihn von der römischen Kurie unabhängig machen sollte, und ließ 1534 durch das Parlament die ‚Suprematsakte‘ verabschieden, die den König zum Oberhaupt einer anglikanischen Staatskirche erklärte („justly and rightfully is and ought to be Supreme Head of the Church of England“). Der Bischof Stephen Gardiner unterstützte diesen Akt ein Jahr später in seiner Streitschrift De Vera Obedientia, indem er mit antipapistischer Tendenz behauptete, daß der König der Kopf nicht nur des Staates, sondern auch der Kirche sei.105 Die Gegenstimme führte Reginald Pole, der Cousin Heinrichs VIII., der 1539 eine Apologia ad Carolum Quintum Caesarem verfaßte, in der er Karl V. seine kritische Beurteilung der zum Schisma führenden Kirchenpolitik des englischen Königs erläuterte und dessen Berater Thomas Cromwell für die gegen die Kurie gerichteten Entscheidungen des Herrschers verantwortlich machte. Als Quelle des gesamten Unheils benannte Pole Niccolò Machiavellis Il principe (1513/32) – ein Buch, das durch seine Lehre von der im Zeichen rücksichtsloser Durchsetzungskraft stehenden Herrschaftskunst das politische Denken so unheilvoll beeinflusse, daß man vermuten müsse, es sei vom Teufel selbst geschrieben: „Liber enim, etsi hominis nomen, et stylum praeseferat, tamen, vix coepi legere, quin Stanae digito scriptum agnoscerem.“106 Die Geschichte der Entmachtung Katharinas, die drei Jahre nach der Scheidung in der Verbannung starb, hat die Literatur der Zeit außerordentlich stark in den Bann gezogen, wie die Bearbeitungen von Samuel Rowley (When You See Me You Know, 1603) und Shakespeare (King Henry VIII, 1613/1623) exemplarisch zeigen. Shakespeares – vermutlich unter Mitarbeit von John Fletcher entstandenes – Drama spannt einen panegyrisch gefärbten Szenenreigen aus, der die Präsentation der „heimlichen Tragödie von Katherine of Aragon“107 mit den Funktionen des Fürstenspiegels zu verbinden sucht. Bezeichnend für Shakespeares versöhnliche Tendenz ist es, daß er 105 Stephen Gardiner, De Vera Obedientia, Bl. XIX [r]. Zu Gardiner vgl. David George Hale, The Body Politic, S. 53 f. 106 Heinrich Lutz, Ragione di stato und christliche Staatsethik im 16. Jahrhundert. Mit einem Textanhang: Die Machiavelli-Kapitel aus Kardinal Reginald Pole’s Apologia ad Carolum Quintum Caesarem, Münster 1961, S. 48–62, hier S. 55. Poles Schrift ist das erste Zeugnis für jene bald zum Topos werdende ‚Verteufelung‘ Machiavellis, die bis in die Epoche der Aufklärung fortdauerte (man denke hier nur an den 1740 veröfffentlichten Anti Machiavel Friedrichs II.). – Für den Hinweis auf Pole danke ich Mirko Wenzel (Bochum). 107 So Ina Habermann und Bernhard Klein in: Shakespeare-Handbuch, hg. v. Ina Schabert, Stuttgart 2000 (4. Aufl., zuerst 1972), S. 379; dort auch knappe Diskussion der Verfasserfrage.

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11. Michael Sittow: Katharina von Aragon als junge Frau (1502), Kunsthistorisches Museum, Wien.

nicht nur Verstoßung, Einsamkeit und Krankheit einer tugendhaft-empfindsamen Königin (III,1, IV,2), sondern auch die glanzvolle Vermählung Heinrichs mit Anne sowie die Geburt der späteren Regentin Elisabeth ins Blickfeld rückt (IV,1, V,1).108 Wenn Katharina im Traum mit einem Reigen der Tugenden konfrontiert wird, dessen weiß gekleidete Gestalten Lorbeerkränze auf dem Haupt, goldene Gesichtsmasken und in den Händen Pal108 Elida Maria Szarota, Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, hält Anne für die heimliche Hauptfigur des Trauerspiels, unterschätzt aber in ihrer abbreviatorischen Würdigung dessen politische Ikonographie (S. 97).

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menzweige tragen, so vollendet diese Szene das rühmende Porträt der vertriebenen Monarchin. Ihr Königtum läßt sich durch die politische Absetzung nicht in Frage stellen, weil es auf juristischer Superiorität gründet. Im Bewußtsein ihres ursprünglichen Rechtsstatus spricht Katharina selbst die Erwartung aus, man werde sie dereinst als Königin und eines Königs Tochter bestatten, wenngleich sie die Krone nicht mehr trage: „Embalme me, | Then lay me forth (although vnqueen’d) yet like | A Queene, and Daughter to a King enterre me.“ („Ihr sollt mich balsamieren, dann zur Schau | Ausstellen: zwar nicht Kön’gin, doch begrabt mich | Als Königin und eines Königs Tochter.“)109 Weitaus deutlicher als Shakespeare, der sich um ein diplomatisch abgewogenes Bild Heinrichs VIII. bemüht, hat Hallmann in seinem Trauerspiel Catharina (1684) zugunsten der in Ungnade gefallenen Königin Partei ergriffen. Heinrich erscheint als lüsterner Tyrann, dessen rücksichtslose Sexualgier sich hinter den fein ausgeschliffenen Metaphern der Galanterie versteckt, mit denen er um Anne Boleyn wirbt.110 Der dem ersten Akt folgende allegorische Reyen illuminiert die triebhafte Disposition des Königs, indem er zeigt, wie der Jüngling Hymen, der in der Antike die Ehe personifiziert, von der Wollust in Ketten geschlagen und abgeführt wird. Die Motivation, die Hallmann den Scheidungsabsichten Heinrichs zuschreibt, ist jedoch nicht ausschließlich aus der Triebenergie des Erotomanen abgeleitet, der weiß, daß er Anne Boleyn, anders als seine zahllosen Mätressen, nur dann physisch besitzen darf, wenn er sie heiratet. Ebenso entscheidend wie die sexuelle ist im Trauerspiel die biopolitische Begründung, die sich auf Catharinas vermeintliches Versagen in der Rolle der Garantin dynastischer Kontinuität bezieht. „Recht, Himmel und Natur“ führt Heinrich als Parameter an, mit deren Hilfe er zum Entschluß kommt, die Ehe mit ihr aufzukündigen.111 Weil die Königin keine Söhne gebiert, besitzt sie für den Monarchen auch keinen Anspruch auf das Königtum: „Ein Printzen leerer Thron ist eine Todten=Bühne.“112 Hier erweist sich der Begriff der Natur als zentrale Kategorie, durch die sich die Idee des göttlichen Willens („Himmel“) vorrangig

109 William Shakespeare, The Famous History of Complete Works, Vol. VIII, IV,2, v.217 ff. 110 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Catharina Königin in Engelland, S. 7 f. (I,6) 111 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Catharina Königin in Engelland, S. 4 (I,3). 112 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Catharina Königin in Engelland, S. 4 (I,3).

the Life of King Henry the Eight (1623), Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste

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manifestiert.113 Bereits Bracton erklärte mit dogmatischem Anspruch in De legibus et consuetudinibus Angliae, daß die Erbschaft ein Produkt natürlicher, geblütsrechtlich determinierter Abfolge sei („Item descendit ius vero heredi ubicumque fuerit natus“), deren Logik in letzter Instanz der Schöpfer steuere: „Nec potest aliquis sibi facere heredem, quia solus deus heredem facit.“114 Wenn es Gott allein zufällt, Erben zu machen, wie diese Formel besagt, dann untersteht der Körper der Königin, der die Geburt von Prinzen ermöglicht, den Gesetzen der politischen Theologie. Das naturhafte Vermögen des Gebärens bildet nach Bractons Konzeption ebenso wie die Institution des Königtums ein Zeichen des göttlichen Willens. Da Catharinas Leib keine Söhne hervorbringt, kann es, so argumentiert Hallmanns Herrscher, nicht Gottes Absicht gewesen sein, sie mit der Rolle der Königin zu betrauen, deren vollkommene Ausfüllung für die Fortdauer der Monarchie unbedingt notwendig ist. Shakespeare deutet eine solche Auffassung nur an, wenn er Heinrich VIII. im Kreis seiner Berater erklären läßt, daß das Ausbleiben männlicher Nachkommen eine Strafe des Himmels sei: „First, me thought: I stood not in the smile of Heaven, who had | Commanded Nature, that my Ladies wombe | If it conceiv’d a male-child by me, should | Doe no more Offices of life too’t; then | The Grave does to th’ dead: For her Male Issue, | Or di’de where they were made, or shortly after | This world had ayr’d them.“ („Erst, dacht ich, | Ich sei nicht in des Himmels Gnade; welcher | Natur befahl, daß meiner Frauen Leib, | Wenn er ein männliches Kind mir trug, nicht mehr | Ihm Dienste sollte tun, als wie das Grab | Dem Toten tut: denn alle Knaben starben | Wo sie erschaffen, oder bald nachdem | Sie hier im Licht erschienen […])“115 Hallmann überschreitet nun den von Shakespeare umrissenen Horizont, indem er Heinrich als Catharinas direkten Ankläger auftreten läßt, der mit den Argumenten der Biopolitik die theologische Rechtfertigung ihres Status als Ehefrau in Frage stellt. Gegen die von der römischen Kurie und dem Lordkanzler Thomas Morus geltend gemachte Auffassung, daß die Salbung der Königin einen irreversiblen Akt darstelle, der die gött-

113 Vorerst bedarf es hier der metaphysischen Absicherung des Naturbegriffs; die biopolitische Argumentation Heinrichs stützt sich noch nicht auf die Kategorie des ‚bloßen Lebens‘, sondern bedient sich einer christlich-spirituellen Überbaukonstruktion. Zum Eintritt des Begriffs des natürlichen Lebens in die Souveränitätstheorie des 17. Jahrhunderts vgl. Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 131 ff. 114 Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 184. 115 William Shakespeare, The Famous History of the Life of King Henry the Eight, Complete Works, Vol. VIII, II,4, v.222 ff.

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liche Bekräftigung ihres Amtes dauerhaft bezeichne, setzt Heinrich ein naturrechtliches Denkmodell, das auf die biologischen Funktionen der Regentin zielt. Catharinas Einwand: „Hat nicht der Papst Julius besiegelt unser Band?“ beantwortet er lapidar mit der Formel: „Es lässt sich die Natur durch keine Bulle zwingen.“116 Die Absetzung der Königin ist aus Heinrichs Sicht statthaft, weil sie sich auf die Verfehlung ihrer dynastischen Aufgabe und ein darin besiegeltes juristisches Defizit ihrer Rollenausübung bezieht. Im Kontext der naturrechtlich modifizierten politischen Theologie, die hier zutage tritt, bleibt die Legitimität der Königin an eine als Ausdruck himmlischen Willens bewertete biologische Produktivität gebunden. Nur in der Funktion der Mutter gesunder Söhne ist die Monarchin auch als göttlich bestätigte Regentin zu betrachten – eine Position, die Bractons Ausführungen über die spirituelle Steuerung der Nachkommenschaft modifiziert, indem sie das Prinzip der Natur ins Zentrum der juristischen Konstruktion der Dynastie rückt.117 Stärker als Shakespeare motiviert Hallmann Heinrichs Abwendung von Catharina durch seine auf den Wechsel erotischer Reize drängende Wollust. So steht die biopolitische Begründung des Scheidungsaktes, die sich mit juristischer Kasuistik wappnet, im Schatten der Triebökonomie. Unter der Flagge des Naturbegriffs segelt der männliche Sexus: die Natur, die der Rechtsdiskurs des Textes bezeichnet, verweist nicht auf den – vermeintlich defizitären – Körper der Königin, sondern auf die Begierde des Herrschers. Eine ähnliche Konstellation erscheint bereits in Lohensteins Agrippina, wo Kaiser Nero seine Ehefrau Octavia unter dem Vorwand verstößt, sie gebäre keine Kinder, obgleich allein die erotische Gier, die ihn zur verführerischen Sabina Poppäa zieht, sein Handeln motiviert. Der intrigante Diener Paris liefert seinem Herren das entscheidende Argument für die Absetzung der Kaiserin: „Was hat für Fug und Recht | Der nicht / der Zepter trägt? Welch Recht wird auch geschwächt / | Wenn er Octavien / weil sie unfruchtbar / trennet / Und die nimmt / die man schon als fruchtbar hat erkennet?“118 Die Tatsache, daß die Gemahlin keine Kinder gebiert, bietet die öffentliche Begründung für die allein aus der Leidenschaft für Sabina Poppäa abgeleitete Verstoßung Octavias. Was einzig der Ausfluß sexueller Lüste bleibt, gewinnt eine juristisch-politische Dimension, da offiziell nicht die reizlos gewordene Gattin durch die attraktive neue Favoritin, sondern die unfruchtbare durch die 116 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Catharina Königin in Engelland, S. 4 (I,3). 117 Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 187 (über das Verhältnis von ehelichen und nicht-ehelichen Söhnen). 118 Daniel Casper von Lohenstein, Agrippina, Römische Trauerspiele, S. 45 (II, v.197 ff.).

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fruchtbare Frau ersetzt wird.119 Die biologische Argumentation eignet sich zur demonstrativen Rechtfertigung dieser Substitution gegenüber dem Volk (dessen Gunst auch der Tyrann nicht verspielen möchte), insofern sie auf die Kontinuität der Monarchie und die Sicherung imperialer Stabilität abstellt. Der Begriff der Natur empfängt damit zwei Bedeutungen, die das Spannungsverhältnis von Politik und Sexualität widerspiegeln: die politische Natur ordnet sich der Kaiserin zu, deren Körper unfruchtbar bleibt, die sexuelle Natur ist durch den Kaiser bezeichnet, der eine andere Frau begehrt.120 Bei Hallmann gehört es zu den Konsequenzen der im Namen einer biopolitischen Machtlogik vollzogenen Absetzung der Königin, daß sie symbolisch durch den Akt der Devestitur unterstützt wird. Nach ihrer Verbannung vom Thron muß Catharina die königlichen Kleider ablegen und in das ärmliche Kostüm einer Fischerin schlüpfen.121 Ehe ihr jedoch am Ende des Trauerspiels, das in gedrängter Form den Rechtsstreit um die Scheidung und Heinrichs Eheschließung mit Anne Boleyn darstellt, die Ehrenkrone der Märtyrerin zufällt122, durchläuft die um ihren weltlichen Titel gebrachte Heldin einen Weg der Wandlung.123 Bevor sie zur Rolle der tugendhaft Entsagenden findet, tritt sie zunächst als rachedurstige Mänade auf, die ihre Ne-

119 Wenn Adalbert Wichert, Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jahrhundert, S. 115, betont, daß die Agrippina ein Drama der Ehe und des Eherechts sei, so unterläuft diese Einschätzung die dissimulatorische Dimension des juristischen Diskurses, mit dessen Hilfe Nero eine öffentlichkeitswirksame Apologie seines Scheidungsverfahrens inszeniert. 120 Beiden Naturbegriffen gemeinsam ist, daß die Frau keine Sexualität besitzt – zumindest keine, die jenseits der männlichen Bedeutung des Sexus beschreibbar wäre. Das Weibliche wird als Produkt einer Differenz erkennbar, die in der männlichen Rede selbst angelegt ist. Vgl. dazu Bettine Menke, Verstellt – der Ort der ‚Frau‘. in: Dekonstruktiver Feminismus, hg. v. Barbara Vinken, S. 436–476. 121 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Catharina Königin in Engelland, S. 13 (II,3). 122 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Catharina Königin in Engelland, S. 35 (Reyen nach IV,6). – Aus der konzentrierten Darstellung des Rechtsdisputs ragt bei Hallmann die Handlung um den ehemaligen Lordkanzler Thomas Morus hervor, der sich geweigert hatte, die Suprematie-Akte durch einen Eid anzuerkennen, und daher von Heinrich zum Tode verurteilt wurde. Hallmann betont bei Morus’ Intervention neben den juristischen Argumenten, die auf die Unverletzlichkeit der gesalbten Herrscherin verweisen, auch das Motiv der Sympathie für Catharina (vgl. III,5–6, S. 22 ff.). 123 Zu Recht verweist Gerhard Spellerberg darauf, daß solche Prozesse keiner individuellen psychologischen Entwicklungslogik gehorchen, sondern der deiktischen Demonstrationsökonomie einer strukturell dichten Affektenlehre unterliegen (G.S., Ratio Status und Tragoedia, S. 496–517, S. 509 f.). Anders noch Wilhelm Emrich, Deutsche Literatur der Barockzeit, Kronberg/Ts. 1981, S. 199 ff., der Hallmann zum Vertreter einer vormodernen Individualpsychologie erklärt und damit verfälscht.

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benbuhlerin mit einem Dolch zu töten versucht.124 Die „‚patience in adversity‘“, die man Shakespeares Heldin bescheinigte, entwickelt Hallmanns Catharina erst, nachdem sie die Stadien des Furor und der Entrükkung durchmessen hat.125 In einer gedrängten Szene changiert Catharina von der eifersüchtigen Raserei der abgesetzten Königin zum Wahnsinn, dessen bedrohliche Zeichen sich als Allusion des Todes lesen lassen, der die Heldin zum Schluß ereilt. Foucault verweist auf die „tragische Erfahrung“, welche der Wahn des Narren in der Frühen Neuzeit vermittelt. Die Entgrenzung des Geistes erzeugt den Vorschein des Todes, denn in ihm ist das normale Denken zum Erliegen gekommen: „Der Kopf, der zum Schädel werden soll, ist bereits leer.“126 Wenn Hallmanns Heldin in ihrer von Haß geprägten Leidenschaft wahnsinnig zu werden droht, so weist das Trauerspiel hier schon auf ihr Sterben hin, das am Ende der Ereignisse steht. Die Zerstörung des Kopfes läßt jene des Leibes ahnen.

6. Das Imaginäre und die performance Die Darstellung des Irrsinns bildet in Hallmanns Trauerspiel freilich nur ein Intermezzo mit vorausdeutenden Zügen: eine letzthin allegorische Studie, deren Psychologie auf die Zeichensprache der Affekte und die Funktionsleistung der dramatischen Allusion konzentriert bleibt. Die in einer traumähnlichen Szene erfolgende Konfrontation mit den Geistern des Bischofs Rochester (John Fisher) und des ehemaligen Lordkanzlers Thomas Morus, die Heinrich als Repräsentanten der päpstlichen Rechtsauffassung im Scheidungsstreit (und als Gegner der Suprematie-Akte) hatte hinrichten lassen, führt Catharina schließlich zur erforderlichen Gemütsruhe der ihr Schicksal gefaßt ertragenden Königin der Tugend, wie sie auch die Geschichtsschreiber an ihr hervorheben (Francisci spricht 1665 von ihrer „Gedult“127). Mit sinnbildlicher Prägnanz zeichnet der vierte Akt die letzten Stationen der sterbenden Heldin: nachdem der Vertreter der Kurie ihr mitgeteilt hat, daß jegliche Hoffnung auf die Wiederherstellung ihres früheren Rangs vergeb-

124 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Catharina Königin in Engelland, S. 15 (II,5). 125 Ina Schabert (Hg.), Shakespeare-Handbuch, S. 379. 126 Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Aus dem Französischen v. Ulrich Köppen, Frankfurt/M. 1973 (= Histoire de la folie, 1961), S. 34. 127 Erasmus Francisci, Der Hohe Traur=Saal, S. 141.

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lich sei, fällt Catharina vor ihrer Tochter Maria, den Abgesandten Spaniens, Frankreichs und Roms in Ohnmacht. Sie erwacht kurz aus ihrem Trancezustand, um angesichts ihres nahen Endes anzukündigen: „Ich fahr’ auß Engelland zur wahren Engel=Buehne!“128 Das anschließende Zwischenspiel zeigt sie bereits aufgebahrt, „auf einem erhobenen Grabmahle“, umgeben von sechs „KlosterJungfrauen“, die Lilien ausstreuen und Fackeln entzünden.129 Der physischen Ohnmacht, die man als zeichenhaften Ausdruck ihrer politischen Entmächtigung lesen kann, folgt damit der Aufstieg der Toten in die Zone der himmlischen Erlösung, wobei die allegorisch-bildhafte Figuration der Szene kaum zufällig an die Grablegung französischer Königinnen der Medici-Ära erinnert. Dieser Eindruck wird gestützt durch den Hinweis auf die pyramidale Form des Grabes selbst, von der man weiß, daß sie in der Sepulkralarchitektur Frankreichs und Italiens seit dem frühen 16. Jahrhundert – zumeist in Verbindung mit über dem Sarkophag ausladend emporragenden Reliefs für heraldische Freskenmotive und Epitaphe – außerordentlich verbreitet war.130 Die abgesetzte Königin ist, so signalisiert die Begräbnisszene des Zwischenspiels, aus der Fremde des Lebens in eine doppelt codierte Heimat eingegangen: in ihr französisches Vaterland und das Reich Gottes. Anders als Shakespeare präsentiert Hallmann den König als Tyrann, der dem Bild entspricht, das Etienne de La Boétie in seinem bis zu Montesquieu maßgeblichen Discours de la servitude volontaire (1548) unter Bezug auf die grundlegenden Bestimmungen der aristotelischen Politika vom despotischen Herrscher gezeichnet hat.131 Nach Francis Bacon, der in den 1597 entstandenen Essays (1625) auch über die juristischen Grundlagen der Monarchie spricht, muß der Souverän zwei Maximen beachten: „memento quod es homo“ und „memento quod es Deus“. Das erste Prinzip begrenze, so Bacon, die Macht, das zweite limitiere den Willen der Könige: „the one bridleth

128 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Catharina Königin in Engelland, S. 32 (IV,6). 129 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Catharina Königin in Engelland, S. 33 ff. (Reyen nach IV,6). 130 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Catharina Königin in Engelland, S. 34: „Mit Lilgen zier’n des Grabmahls Pyramiden!“ (Reyen nach IV,6). Zur Pyramidenstruktur vgl. die Abbildungen bei Erwin Panofsky, Grabplastik, Nr.419–422, Nr.431 (Entwürfe Michelangelos und Berninis), zur näheren Gestaltung S. 98 ff. 131 Etienne de La Boétie, Über die freiwillige Knechtschaft des Menschen (1548). Aus dem Französischen übers. v. Walter Koneffke, hg. u. eingel. v. Hans-Joachim Heydorn, Frankfurt/M., Wien 1968, S. 56 f.; Aristoteles, Politik, 1310b-1315b.

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their power and the other their will.“132 Hallmanns Heinrich VIII. verstößt gegen beide Indikatoren gleichermaßen, insofern er seine persönlichen Interessen und Wünsche zum Begründungsrahmen einer letzthin tyrannischen Herrscherpraxis erklärt. Im kirchenpolitischen Konflikt vertritt Hallmann, der Mitte der 80er Jahre zum Katholizismus konvertiert sein soll133, die Auffassung der Kurie und läßt dem englischen König keinen Raum zur Rechtfertigung seines Suprematiegedankens. Am Ende des Trauerspiels wird der Despot, dessen literarische Modellierung an die Tyrannenfiguren Lohensteins erinnert, folgerichtig einer rituellen Belehrung unterzogen. Das Finale hebt den Zeitbezug des Dramas und mit ihm die historische Geschlossenheit des Bühnengeschehens zugunsten einer allegorischen Zukunftsschau auf. Unter der Regie der zum Geist verwandelten Catharina – ein an Gryphius ausgerichtetes Stilmittel, das Hallmann später in der Liberata wiederholt134 – sieht sich Heinrich mit zwölf Szenen konfrontiert, die ihm seine künftige Schuld und deren Konsequenzen für die wechselvolle Geschichte Englands bis zum Jahr 1649 vorführen. Das traurige Schicksal der Catharina nachfolgenden fünf Ehefrauen findet sich ebenso dargestellt wie das frühe (hier als Resultat eines Giftmordes gedeutete) Hinscheiden seines Sohnes Edward135, der Tod Marias I., der Machtkampf zwischen Elisabeth und Maria Stuart, schließlich die Hinrichtung Carls I. durch die Henker Oliver Cromwells. Angesichts des Reigens seiner privaten Verfehlungen, die ihrerseits politische Auswirkungen zeitigen, erkennt Heinrich sein wahres Gesicht: „Ach ja! Prinzes / Ach ja! Ich bin der Straffen werth (…)“136 Die Vertreibung Catharinas wird im Rückblick zum mythischen Akt der Schuld, aus dem sich die späteren Katastrophen der britischen Geschichte ableiten. Die Zukunftsrevue, mit der Hallmanns Drama schließt, bedeutet jedoch zugleich eine

132 Francis Bacon, Of Empire, in: Essays or Counsels civil and moral, Works, Vol. VI, S. 419–423, hier S. 423; vgl. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 487. 133 So die Angaben seines Biographen Gottlieb Stolle, Historie der Gelahrheit (…), Jena 1727, S. 27. Zur Konversion vgl. auch Gerhard Spellerberg, Johannn Christian Hallmann, in: Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren, hg. v. Gunter E. Grimm u. Frank Rainer Max. Bd. 2 (Reformation, Renaissance und Barock), Stuttgart 1989, S. 364–376, S. 367. 134 Johann Christian Hallmann, Die unüberwindliche Keuschheit oder Die groszmuethige Prinzeszin Liberata (1700), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 362 (V,9). 135 Daß der seit 1547 regierende Edward VI. (1537–1553) das Opfer eines Verbrechens wurde, vermutete man immer wieder. Vgl. auch die Anspielung bei Andreas Gryphius, Ermordete Majestaet. Oder Carolus Stuardus / Koenig von Gros Britanien (1663), Dramen, S. 473 (II, v.208) sowie die Anmerkung des Autors (S. 562). 136 Johann Christian Hallmann, Die Sterbende Unschuld / Oder Die Durchlauchtigste Catharina Königin in Engelland, S. 42 (V,6).

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Form der Restitution von Catharinas Herrschaft auf dem Feld des Imaginären. In einer anderen Ebene hat die geopferte Königin die Macht, die sie verlor, weil sie das Kontinuum der Dynastie nicht sichern konnte, neuerlich erlangt, insofern sie den späteren Verlauf der Geschichte aufzeigen und deuten darf. Die Einbuße der Krone läßt Catharina, ebenso wie Gryphius’ Märtyrerin, als literarische Figur in die externe Zone der kulturellen Beobachtung eintreten, wo sie beschreibt, was geschieht, ohne selbst zum Handeln befugt zu sein. Anders als Lohensteins Cleopatra ist sie nicht das Objekt eines übergreifenden geschichtlichen Wissens, sondern eine Interpretin, die markante Stationen des historischen Prozesses auf der Bühne vorführt und kommentiert. Damit vollzieht sich auch ein Rollenwechsel, der das Opfer zum Lohn für sein Leiden erhöht: zwar ist Hallmanns Heldin am Ende nicht, wie Gryphius’ Märtyrerin, zur Himmelskönigin verwandelt, doch gewinnt sie ein Wissen über die Zukunft, das im Weltbild des 17. Jahrhunderts nur Gott oder die ihn vertretende Providenz besitzt. Der Königin fällt, nachdem sie Krone und Leben verloren hat, die Aufgabe der externen Wahrnehmung und mit ihr das Privileg der Deutung zu: das Vorrecht des interpretatorischen Aktes, der sich als performativer Vorgang auf dem Schauplatz des Theaters abspielt. Der literarische Text dekonstruiert die weibliche Herrschaft, indem er sie auf eine mediale Funktion – im Raum der Bühne und im Ordnungsgefüge der Beobachtung – zurückführt. Gebunden an diese Funktion, soll Hallmanns Protagonistin, wie wir es von Gryphius kennen, Transzendenz in paradoxer Weise als diesseitige Erfahrung veranschaulichen. Die Geistererscheinung bildet, der Allegorie vergleichbar, das Movens einer metaphysischen Geschichtsdeutung unter den Bedingungen des Theaters und damit unter weltlichem Gesetz. Faktisch ist, was als Prophetie erscheint, ein Rückblick aus der Perspektive der Gegenwart. Das Schicksal der Häuser Tudor und Stuart gewinnt eine teleologische Evidenz, die ihm nur das Wissen der Zeitgenossen des späten 17. Jahrhunderts zuschreiben kann. Die theatralische Revue der politischen Geschehnisse trägt daher nicht den Charakter der Antizipation, sondern das Signum der Reproduktion, denn sie faßt zusammen, was sich im geschichtlichen Prozeß bereits vollzogen hat. Sie entleert die bereits erfüllte Form der schon abgelaufenen historischen Zeit und reichert sie mit den neu arrangierten alten Fakten an.137 So tritt auch bei Hallmann die Grundfigur der Wiederholung

137 Vgl. dazu Walter Benjamin, Trauerspiel und Tragödie, Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 134, der – in Analogie zu dieser Bobachtung – die künftige Geschichtszeit als unerfüllte Form bezeichnet. Das Drama inszeniert solche ‚unerfüllte Form‘ als Revue noch ausstehender (faktisch aber schon geschehener) Ereignisse.

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in die Vorstellung der Transzendenz ein. Die historische Eschatologie, welche die tote Königin interpretiert, ist ein rituelles Ereignis im Raum der Bühne. Von der Macht der Monarchin aber bleibt einzig die Lizenz, das Paradoxon der bildgewordenen Endzeit innerhalb einer Theaterszene zu präsentieren und mit Worten auszulegen: das Imaginäre und die performance.

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Die Königin im Reich des Scheins (Riemer, Haugwitz)

V Die Königin im Reich des Scheins (Riemer, Haugwitz) Und den eitlen Thron verlassen.1

1. Elisabeth I.: Virginität und Mythos Die literarische Dekonstruktion der Rolle der Königin erschließt die Bedeutung, die das Imaginäre für die Organisation politischer Herrschaft besitzt.2 Nur in den Welten des Imaginären jenseits des geltenden Kronrechts gewinnt die Monarchin den zweiten Körper der Macht, der nach den Gedankenmodellen der politischen Theologie dazu diente, die Kontinuität dynastischer Thronfolgen juristisch zu begründen. Erst als erlöste Märtyrerin, Denkmalsfigur oder Interpretin einer eschatologischen Geschichte empfängt sie jenen body politic, den ihr die Souveränitätstheorien des 17. Jahrhunderts vorenthalten. Die Grenzsituationen, in denen das Drama die um ihre Krone gebrachte oder vom Machtverlust bedrohte Königin präsentiert, eröffnen aber auch den Blick auf eine gefährdete Ordnung der politischen Herrschaft, deren innere Paradoxien im Spannungsfeld von Natur und Institution unüberwindbar scheinen. Zu erkennen ist dabei, daß hinter den zusammenstürzenden Bildern symbolisch inszenierter Macht bisher unbekannte Organisationsmodelle hervortreten, die ein frühmodernes Konzept der strukturellen Umgestaltung politischen Handelns enthüllen. Dort, wo die Königin als Inbegriff der geliehenen, stets provisorischen und daher fragilen Herrschaft erscheint, zeichnen sich am Ende des 17. Jahrhunderts die Konturen einer neuen Form der Machtverteilung ab. Der Blick auf das Theater der Epoche erschloß uns Königinnen im Zeichen des Machtverlusts, den sie stoisch zu ertragen (Catharina von Georgien, Mariamne, Katharina von Aragon) oder verzweifelt zu überwinden 1

2

August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland (1683), in: August Adolph von Haugwitz, Prodromus Poeticus, Oder: Poetischer Vortrab (1684), Faksimile-Neudruck, S. 17 (Prolog, v.107). Diesen Zusammenhang von Dekonstruktion und Politik beleuchtet auf der Ebene der Gender-Strukturierung die einschlägige Arbeit von Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, bes. S. 123 ff.

Elisabeth I.: Virginität und Mythos

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suchten (Cleopatra, Sophonisbe, Agrippina). Am Ende dieser Serie soll nun Elisabeth I. stehen, jene Monarchin, die, obwohl sie ihre Regierung durch eindrucksvolle militärische Erfolge krönte, der Literatur seit der Mitte des 17. Jahrhunderts als das herausragende Beispiel für den provisorischen Charakter weiblicher Herrschaft galt. Schon zu Lebzeiten wurde sie zur Personifikation einer Machtkunst, deren Wappen die politische und kulturelle Ambivalenz spannungsreicher Rollenmuster eingezeichnet schien. Einerseits war Elisabeth eine glanzvolle Monarchin, die Stifterin eines Zeitalters kultureller und wirtschaftlicher Blüte: „our gracious Empresse“3, wie Shakespeare sie in Henry V (1600) nennt. Andererseits blieb sie eine durch die unklare Erbfolgeregelung und die fehlende Anerkennung des Papstes eingeschränkt legitimierte Regentin ohne männnlichen Nachkommen, die mit ihrem beharrlichen Eheverzicht die Fortdauer der seit der Thronbesteigung Heinrichs VII. (1485) bestehenden Dynastie gefährdete. „Die ursache / warum diese Königin unverheyrathet geblieben / ist schwer zu errathen“, bemerkt lakonisch ein 1709 gedrucktes Lexikon.4 In einem 1680 veröffentlichten Epigramm Hoffmannswaldaus erklärt die letzte Tudor-Herrscherin: „Ich habe Cron und schwerd doch keinen Mann getragen / | Es mag mein Königreich von meinen Thaten sagen.“5 Hoffmannswaldau nimmt die gängige Formel von Elisabeths ‚Jungfräulichkeit‘ allzu wörtlich, indem er sie als Hinweis auf ‚Virginität‘ deutet, obgleich sie nur ‚Ehelosigkeit‘ meint. In einer Parlamentsrede vom 10. Februar 1559 beschrieb die junge Königin, die zu diesem Zeitpunkt erst wenige Monate regierte, den Grabstein, den man ihr dereinst setzen solle: „And in the end, this shalbe for me sufficient, that a marble stone shall declare that a Queene, having raigned such a tyme, lived and dyed a virgin.“6 Diese Wendung, die Schiller in der Maria Stuart fast wörtlich zitieren wird („‚Hier ruht die jungfräuliche Königin‘“7), bezeichnet den Verdruß angesichts der öffentlichen Erwartung, daß die Königin für Thronfolger zu sorgen habe, kaum aber das Selbstbild der sexuell enthaltsamen Frau. Hoffmanswaldaus Epigramm trifft freilich, trotz seiner Fehldeutung von Elisabeths Virginität, ein entscheidendes Moment, wenn es auf das Faktum anspielt, daß eine Herrscherin, die am Ende einer Dynastie steht, nur durch ihre politische Leistung 3 4 5 6 7

William Shakespeare, The Life of King Henry the Fift, Complete Works, Vol. VII, V, Prolog, v.32. Joannes Franciscus Buddeus, Allgemeines Historisches Lexicon (…). Anderer Theil, S. 27. Volker Meid u. Ulrich Maché (Hg.), Gedichte des Barock, Stuttgart 1992, S. 281. Thomas E. Hartley (Hg.), Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. Vol. I (1558–1581), S. 45. Friedrich Schiller, Maria Stuart (1801), NA 9, S. 45 (II,2, v.1160).

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in die Arsenale des historischen Gedächtnisses eingehen könne. Weil die Erblinie mit Elisabeth unterbrochen ist, muß das ‚Königreich‘ durch die ‚Thaten‘ der Monarchin so stark gefestigt werden, daß der Wechsel der Krone nach ihrem Tod keine Gefährdung der Institution – und damit eine Staatskrise – provoziert. Francis Bacon, in den 1590er Jahren neben dem später entmachteten Earl of Essex der wichtigste Berater der Krone, sieht dagegen – anders als Hoffmannswaldau – gerade den ehelosen Status der Königin als Prämisse ihrer ruhmreichen Herrschaft: „Again, the reigns of women are commonly obscured by marriage; their praises and actions passing to the credit of their husbands; whereas those that continue unmarried have their glory entire and proper to themselves.“8 Daß diese Charakteristik – die Bacon selbst durch Hinweise auf die vermeintlich lüsterne Eitelkeit der Königin eintrübt9 – von euphemistischen Zügen bestimmt war, zeigt der Blick auf das spannungsvolle Bild, das die Regentschaft Elisabeths in den politischen und kulturellen Diskursen der Epoche vermittelt. Im Gegensatz zu den Medici-Königinnen und ihrer Vorgängerin Mary I. konnte Elisabeth sich durch keine familiäre Rollenidentität als Regentin definieren, da sie weder Ehefrau noch Witwe oder Mutter war. Ihr Amt blieb gerade deshalb ungesichert, weil es nicht vom verstorbenen Ehemann geliehen, aber ebensowenig für einen unmündigen Sohn treuhänderisch ausgeübt wurde. Die Ersatzfunktion, welche die Königin zur Bewahrung vergangener und zur Vorbereitung künftiger Macht in die Doppelrolle der Stellvertreterin des alten wie des neuen Herrschers zwang, galt für Elisabeth offenkundig nicht. Als Monarchin war sie eine in der Geschichte weiblicher Herrschaft ungewöhnliche Erscheinung, insofern sie keine geborgte, sondern eine auf Präsenz bezogene (freilich juristisch zweifelhafe) Souveränität verkörperte. Bezeichnend für Elisabeths Status blieb es, daß er politische Begründungszwänge aufwarf, die sich aus seiner fehlenden Übereinstimmung mit traditionellen Erklärungsmustern ergaben. Bacon hat Elisabeths Position in seinen apologetischen Gutachten durch den Hinweis auf ihre letzthin charismatisch gestützte Würde gerechtfertigt, ohne jedoch juristisch eindeutige Argumente für die Begründung ihrer Herrschaft zu liefern.10 Im

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Francis Bacon, On the Fortunate Memory of Elizabeth Queene of England, Works, Vol. VI, S. 310. „She allowed herself to be wooed and courted, and even to have love made to her; and liked it (…)“ (Francis Bacon, On the Fortunate Memory of Elizabeth Queene of England, Works, Vol. VI, S. 310). Bezeichnend für dieses Ausweichen in die Gleise der Panegyrik sind die Wendungen, mit denen das sechs Jahre nach Elisabeths Tod verfaßte Porträt der Herrscherin aufwartet (Francis Bacon, Works, Vol. VI, S. 310 ff.).

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Disput der Parteien spielten zugleich, wie Marie Axton zeigte, Vorbehalte gegenüber der anglikanischen Kirchenpolitik der Königin eine Rolle. So war der scharfsinnige Jurist Edmund Plowden, der herausragende Vordenker in der britischen Staatsrechtsdiskussion, Verfasser einer (von der Forschung lange Zeit ignorierten) Verteidigungsschrift für Maria Stuart.11 Es dürften folglich auch konfessionelle, nicht nur juristische Ursachen gewesen sein, die dazu führten, daß Kronanwälte und Parlamentarier die spezifische Problematik von Elisabeths Herrschaft – die zweideutige Erbregelung und das Fehlen eines Sohnes – im Rahmen von Expertisen und Memoranden auf überraschend offene Weise behandelten.12 Den Gegenentwurf zu den skeptischen Einschätzungen der Kronjuristen lieferte die Monarchin selbst, die – anders als Heinrich VIII. und Mary I. – keine Scheu zeigte, im Parlament in der Rolle der Rednerin aufzutreten.13 In den 45 Jahren ihrer Regierung sprach sie zwölf Mal vor den Vertretern des House of Lords, wobei sie die Erörterung politischer Fragen dafür nutzte, den ihr zugefallenen Herrschaftsraum mit ebenso effektvollen wie einprägsamen Formeln zu beschreiben.14 Bacon erläutert rückblickend, es sei Elisabeths vorrangige Absicht gewesen, ihre Amtsausübung vom Verdacht des Provisorischen zu befreien („it was clear, that her office would not be vacant for an instant.“).15 Schon in ihrer Antrittsrede, die sie am 20. November 1558 vor den Ratgebern der verstorbenen Königin Mary hielt, zog die junge Monarchin wirkungssicher sämtliche Register einer politischen Rhetorik, die das Selbstbild der machtbewußten Regentin vermittelte: „My Lordes, the lawe of nature moveth mee to sorrowe for my Sister, the burthen that is fallen uppon me maketh me amazed, and yet, considering I am God’s creature,

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Marie Axton, The Queen’s Two Bodies, S. 18 f. Vgl. dazu das Material bei Ursula Machoczek, Die regierende Königin – Elizabeth I. von England, S. 95 ff. – Allzu umstandslos behauptet Regina Schulte, die sich hier vorwiegend auf die Arbeit von Axton stützt, die Kronjuristen hätten Elisabeth einen politischen Körper zugesprochen (Der Körper der Königin – konzeptionelle Annäherungen, in: Der Körper der Königin, hg. v. Regina Schulte, S. 11–23, S. 12). Die mit äußerster Kasuistik und Subtilität geführte Debatte der Berater zeigt jedoch die hier herrschenden argumentativen Notstände auf, die einzig mit den Mitteln der kulturellen Repräsentation von Elisabeths ‚männlicher‘ Macht zugedeckt werden konnten. Heinrich VIII. ließ seine Reden durch den Lord Chancellor oder den Lord Keeper vortragen, erschien aber selbst nicht vor den Lords; vgl. Ursula Machoczek, Die regierende Königin – Elizabeth I. von England, S. 175 f. Die Reden der Königin fanden statt am: 12. November 1558, 6. Februar 1559, 28. Januar 1563, 5. November 1566, 2. Januar 1567, 15. März 1576, 29. März 1585, 12. November 1586, 24. November 1586, 10. April 1593, 30. November 1601, 19. Dezember 1601. Francis Bacon, On the Fortunate Memory of Elizabeth Queene of England, Works, Vol. VI, S. 305–318, S. 313.

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ordained to obey his appointment, I will thereto yield, requiring from the bottom of my heart, that I may have assistance of his grace, to be the minister of his heavenly will in this office now committed to me. And as I am but one bodye naturally considered, though by his permission, a bodye politique to governe, so I shall desyre yow all my Lordes (cheifly yow of the nobylyty, every one in his degree and power) to bee assistant to me, that I with my Rulinge and yow with your service may make a good accoumpt to Almighty God, and leave some comforte to our posteritye in earth.“16 Mit seiner kunstvollen Rhetorik dokumentiert dieser Passus eine Form der ‚Paradoxierung‘ der souveränen Macht als Dienst und göttlich verliehene Regierungsgewalt, die, wie Luhmann betont hat, für das Herrscherselbstbild des 16. und 17. Jahrhunderts charakteristisch ist.17 Nochmals treten hier sämtliche Elemente der politischen Theologie des Spätmittelalters auf, die das Institut des Königtums fundieren: die Vorstellung der geschöpflichen Abhängigkeit von Gott (‚God’s creature‘), die Konzeption des vicarius Dei (‚minister of his heavenly will‘), das Modell des Gottesgnadentums (‚assistance of his grace‘) und die Konstruktion der doppelten Körperschaft (‚bodye naturally‘, ‚bodye politique‘). Die Königin überträgt dabei Denkmuster, die zum Zweck der rechtlichen Absicherung eines männlichen Herrschers ausgearbeitet worden waren, auf ihren Status als Monarchin. Räte und Staatsjuristen übernahmen diese Transposition zwar in ihren Expertisen und Reden, zweifelten jedoch Elisabeths Selbstdeutung an einem neuralgischen Punkt an: die Auffassung von den zwei Körpern der Königin fand sich allein von ihr formuliert, ohne daß die Diener der Krone sie sich zu eigen machten.18 Es ist signifikant, daß auch die Monarchin in ihren späteren Ansprachen Hinweise auf das korporative Rechtsmodell vermeidet. Die Chiffre des politischen Körpers, die sie in ihrer Rede vom November 1558 selbstbewußt ins Spiel bringt, verwandelt sich unter dem Einfluß einer vorsichtigeren Rhetorik in modifizierte Bildformeln ohne letzte juristische Verbindlichkeit. Sie dokumentieren die Idee einer Repräsentation von Staat, Nation und Tradition, die zwar die Autorität der Herrscherin, nicht aber deren Verhältnis zur Insti-

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Das Manuskript der Rede findet sich im Public Record Office, London (SP 12/7). Abdruck (in modernisierter Orthographie) bei: Maria Perry, The Word of a Prince. A Life of Elizabeth I from Contemporary Documents, Woodbridge (Suffolk) 1990, S. 129 f. Niklas Luhmann, Frühneuzeitliche Anthropologie: Theorietechnische Lösungen für ein Evolutionsproblem der Gesellschaft, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd.I, S. 162–234, hier S. 229 f. Typisch hier Francis Bacon, On the Fortunate Memory of Elizabeth Queene of England, Works, Vol. VI, S. 305–318; Ders., Case of the Post-Nati of Scotland, Works, Vol. VII, S. 637–681.

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tution beleuchtet. Ob Elisabeth einen eigenen politischen Körper besitzt oder den eines potentiellen Sohnes und Nachfolgers nur vertritt, bleibt auf diese Weise offen. Die Königin wiederholt den selbstbewußten Rollenentwurf der ersten Proklamation in späteren Reden nur eingeschränkt. Im Vordergrund steht fortan das Ziel, den eigenen Status als Erscheinungsform unhintergehbarer Herrschergewalt auszuweisen, die nicht den Charakter des Interregnums, sondern die Kraft der Persistenz und Kontinuität besitzt. In diesem Sinne spricht Elisabeth seit den 1560er Jahren von sich selbst vorwiegend in maskuliner Form („Many wiser Princes than my selfe you have had“)19; zwar kenne sie die Grenzen ihrer irdischen Existenz („I know now aswell as I did before that I am mortall“), ihr Mut aber trage männliche Kontur und bilde ebenso wie ihre Standfestigkeit ein Erbe ihres Vaters Heinrich, dessen politischem Credo gemäß sie als Herrscherin handle („I have as good a corage awnswerable to my place as evere my fathere hade“).20 Zugleich erklärt sie – nach der Überlieferung von Camdens Annales (1615/1625) –, sie sei mit dem Königtum verheiratet und könne daher keine eheliche Bindung eingehen („I am already bound unto an Husband, which is the Kingdome of England“)21; ihre Untertanen betrachte sie folglich als Kinder, denen sie wärmste Muttergefühle entgegenbringe („yet shall you never have any a more naturall mother then I meane to be unto you all“).22 James I. wird Elisabeths Familienmetaphorik aufgreifen, wenn er am 19. März 1604 in einer Parlamentsrede bemerkt, er sei der Ehemann Englands, die Insel seine Gemahlin: „I am the Husband, and all the whole Isle is my lawfull wife (…)“23 Weil sich der politische Körper der Königin in seinem Rechtsstatus nicht genau definieren ließ, wurde er durch Formen einer topischen Selbstdarstellung – ‚Ehefrau Englands und der Krone‘ – substituiert. Zu derartigen Techniken der Kompensation eines erbrechtlich-dynastischen Defizits gehörten auch kulturelle Surrogate. Symbolische Ersatzinszenierungen und imaginäre 19 20 21

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Thomas E. Hartley (Hg.), Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. Vol. III (1593–1601), London, New York 1995, S. 28. Thomas E. Hartley (Hg.), Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. Vol. I (1558–1581), S. 95, 148. Nach der englischen Übersetzung des Werks: William Camden, Annales: The True and Royall History of Elizabethan Queen of England, translated by Abraham Darcey and Thomas Browne, London 1625, S. 28; vgl. Marie Axton, The Queen’s Two Bodies, S. 38 f. Thomas E. Hartley (Hg.), Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. Vol. I (1558–1581), S. 95. – Zur Selbstdarstellung der Königin im Rahmen ihrer Parlamentsreden vgl. David George Hale, The Body Politic, S. 111 f., Marie Axton, The Queen’s Two Bodies, S. 38 f., Ursula Machoczek, Die regierende Königin – Elizabeth I. von England, S. 175 ff. [King James VI and I] Political Writings, S. 132–146, S. 136.

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12. Nicholas Hilliard (?): Elisabeth I., Pelican Portrait (1574/75), Walker Art Gallery, Liverpool.

Identitätsentwürfe sehr heterogener Prägung unterstützten Elisabeths Verfahren des ‚Self-Fashioning‘, in dessen Bildern sich das Paradoxon dienender Herrschaft auf der Basis eines weiblichen Rollenmusters verdichtete. Neben das Moment der erotischen Selbstmodellierung, das die Herrscherin zur liebenden Gemahlin ihrer Nation machte, trat nahezu zur selben Zeit die ostentative Demonstration von Elisabeths Mütterlichkeit. Ein Nicholas Hilliard zugeschriebenes Gemälde, das um 1575 entstand, zeigte die Königin mit einer Kette, an der das Bild eines Pelikans befestigt ist, der seine Jungen nährt, indem er sich die Brust aufreißt und sie sein Blut trinken läßt. Der niederländische Künstler Crispin de Passe d.Ä. entwarf um 1595 einen Kupferstich, der Elisabeth mit Reichsapfel und Lilienzepter neben zwei Säulen darstellte, auf deren Abakus links ein seine vier Jungen nährender Pelikan zu

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13. Crispin de Passe d.Ä.: Elisabeth I. (1594), Kupferstich.

sehen ist. Der Sinn dieses mythischen Motivs, das in der Emblematik des 16. Jahrhunderts (wie schon im Physiologus) als Christus-Allegorie gedeutet wurde, liegt darin, die Fürsorglichkeit und Opferbereitschaft der Königin gegenüber ihren Untertanen hervorzuheben.24 Die Rolle der Mutter schafft hier nur das Medium für eine politische Aussage; sie existiert einzig im Raum des Imaginären, den die Kunst Hilliards benutzt, um ihre Huldigungsbotschaft zu vermitteln. Die im Gemälde vorgeführte Identität ist eine Chiffre für den Rang der Herrscherin: ein uneigentliches Zeichen, das den faktischen Mangel – Elisabeths ‚Virginität‘ – in den fiktiven Entwurf der ‚persona‘ transferiert. Über solche Spielarten der „elisabethanischen Bildpanegyrik“ schreibt Horst Bredekamp: „Keinem der Nachfolger, weder James I. noch Charles I. sind vergleichbare erratische Bildformeln 24

Physiologus, S. 11 (Nr.4). Zur emblematischen Tradition des Pelikan-Motivs Arthur Henkel u. Albrecht Schöne (Hg.), Emblemata, Sp.811 ff.

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gewidmet worden, und auch die kontinentale politische Ikonographie hob Herrscher und Staatsrepräsentanten nur unter der Voraussetzung in den Himmel, daß sie von der Götterwelt assimiliert und in dieser auf olympischem Niveau eingebunden wurden.“25 Gerade durch solche Idealisierung aber sprechen die Bilder vom mythischen Körper der Königin eine ambivalente Sprache, denn ihr ‚erratischer‘ Charakter ist die in die Geste der Feier verwandelte Form eines Mangels. Die Herrscherin, die der Krone keinen Erben schenkt, repräsentiert eine isolierte Gestalt, die wie ein Monument im reißenden Strom der Geschichte steht. Es ist der Leib der einsamen Monarchin, der sich mit seinem Land vermählt; hinter dithyrambischer Huldigungsrhetorik und glorifizierenden Bildnissen lauert die Angst vor dem Tod, der den natürlichen Körper und die Dynastie gleichermaßen auszulöschen droht.

2. Der englische Phönix Die panegyrische Inszenierung der weiblichen Monarchin ergänzten unterschiedliche Experimente mit Formen des Rollenwechsels und der Androgynie. Zahlreiche Liebeselogen des späten 16. Jahrhunderts, zu deren Verfassern Michael Drayton und John Donne gehörten, beschrieben Elisabeth als knabenhafte Jungfrau, Jüngling oder König.26 Maler und Kupferstecher wie John Bettes, Marcus Gheeraerts d.J., Nicholas Hilliard, Isaac Oliver, Crispin de Passe d.Ä. und William Rogers charakterisierten sie betont geschlechtsneutral, zuweilen auch im Typus der Amazone, die sich mit maskuliner Gebärdensprache in Szene setzt.27 Zur „Amazonian Queene“ avancierte Elisabeth in einer pathetischen Ode, die 1588 nach dem Sieg über die Armada entstand.28 Unter Bezug auf Ovids Metamorphosen (I, 149 f.), Vergils Eklogen (IV, v.6) und eine freiere – christlich gefärbte – Adaption in Dantes Comedia (Purgatorio XXII, v.67 ff.) wurde sie vor allem in ihren späteren Regierungs25 26

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Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 75. Vgl. Christian Andreas Gertsch, „O my America! My new-found Land!“ Eros und Sprache im England der Renaissance, Neue Zürcher Zeitung v. 7. 4. 2001 (Nr. 82), S. 83 f. Grundlegend Penry Williams, The Tudor Regime, Oxford 1979, S. 368 ff. Über Androgynie im Kontext des medizinischen Diskurses der Frühen Neuzeit und der ihn fundierenden Galen-Rezeption informiert Stephen Greenblatt, Verhandlungen mit Shakespeare, S. 104 ff. – Das Porträt der Erzherzogin Harriet in Virginia Woolfs Orlando entspricht deutlich dem Vorbild der amazonenhaften Elisabeth (V. Woolf, Orlando. Eine Biographie [1928], hg. u. kommentiert v. Klaus Reichert. Übers. v. Brigitte Walitzek, Frankfurt/M. 1992, S. 81). John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. II, S. 571.

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jahren als jungfräuliche Sternengöttin Astraia, als Trägerin des Firmaments und Erneuerin eines Goldenen (saturnischen) Zeitalters dargestellt.29 Widmungsgedichte, die man aus Anlaß ihrer jährlichen Reisen (Progresses) in den von ihr besuchten Adelspalästen vor versammeltem Hofstaat rezitierte, präsentierten sie als Feenkönigin, die über die gesamte irdische Natur und den Kosmos zu gebieten weiß30; dieselbe Metapher benutzt Ben Jonson in seinem Lustspiel Euery Man out of Humour (1600), wenn er Elisabeth als Herrscherin über einen mythischen Feenstaat beschreibt („And turtle-footed peace dance fayrie rings about her court“).31 Edmud Spensers Epos The Fairie Queene (1590–96) läßt sich vor diesem Hintergrund als allegorische „Entfaltung des Körpers der Königin“, als märchenhafte Spiegelung eines imperialen Hegemonieanspruchs lesen, welcher sich auf das gesamte kontinentale Europa erstreckte.32 Giordano Bruno, der 1583 in Oxford während der Arbeit an De la causa, principio et uno Gastvorlesungen hielt, nannte Elisabeth „questa diva“ und „unica Diana“, wobei er das Moment der Androgynie betonte, das der Königin anhafte: „non son femine, non son donne“.33 Opulente Maskenzüge und Ballette – so Christopher Saxtons Survey of England (1579), Thomas Hughes’ The Misfortunes of Arthur (1588) und Richard Barnfields Cynthia (1595) – personifizierten die Regentin durch strenge Göttinnen wie Artemis, Pallas Athene, Bellona und Minerva.34 Ein Huldigungsgedicht über die junge Elisabeth betont deren Tugendhaftigkeit, die sie mit der Herrin der Jagd verbinde: „May Diana live the care of Heaven; The delight of mortals; The security of those that belong to her.“35 Die ältere Monarchin erschien dagegen in der Rolle der Bezwingerin der antiken Heroen, 29 30

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Francis A. Yates, Queen Elizabeth as Astraea, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes. Vol. 10 (1947), S. 27–81, bes. S. 56 ff.; Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 73 f. Vgl. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. II, S. 160 f., Vol. III, S. 54 f. Aus Anlaß der Progresses fanden auch gelehrte Disputationen in lateinischer Sprache statt. Nicht zuletzt boten Elisabeths Reisen den Grafschaften Gelegenheit, der Königin kostbare Geschenke zu machen, über deren oft horrende Kosten exakt Buch geführt wurde; vgl. dazu das Material bei Nichols. Ben Jonson [Collected Works], Vol. III, S. 600. Martin Windisch, Metapher, Allegorie und Materialität des Körpers als Medien des nationalen Gedächtnisses in der Frühen Neuzeit, S. 97. Giordano Bruno, De la causa, principio et uno (1584), Opere italiane. Testi critici e notafilologica di Giovanni Aquilecchia, Torino 2002, Vol. I, S. 609–746, hier S. 643; Ders., De gli eroici furori (1585), Opere italiane, Vol. II, S. 483–753, hier S. 499. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. II, S. 579 f. Über die allegorisch-mythologische Disposition der höfischen Spiele Francis A. Yates, Queen Elizabeth as Astraea, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes. Vol. 10 (1947), S. 27–81, S. 59 ff. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. I, S. 86; vgl. auch S. 504 f.

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als „Elisabetha Triumphans“, wie es in einem Text aus dem Jahr 1588 heißt36, oder – so in Thomas Dekkers Pleasant Comedy of Old Fortunatus (1599) – als mächtige „Queen of chance“, welche, gestützt auf die Kraft der Virtus, die römische Allegorie des Glücks in Ketten legen darf („That Fortune fall downe at thy conqu’ring feete.“37). In einem selbstverfaßten Epigramm nennt die Königin, dazu passend, die Tugend das Werkzeug, das ein schwankendes Schicksal zu bezwingen vermöge: „Never think you fortune can bear the sway | Wher virtue’s force can cause her to obey.“38 Elisabeths triadische Rollenidentität der „mother, mistress, and monarch“ (Louis A. Montrose)39 schloß eine androgyne Rollenzuschreibung ein, die sich von der Literatur reflektiert fand – man denke an die Feenkönigin Gloriana in Spensers Faerie Queene und die Amazone Hippolyta in Shakespeares A Midsummer Night’s Dream (1600). Elisabeths mehrgeschlechtliches Profil wird in einem 1594 am Hof aufgeführten Maskenspiel kunstvoll dargestellt. Als Regisseur tritt die Figur des Paradox auf, die sich selbst als Vertreter von Witz und Erfindungsgeist bezeichnet. Sie trägt drei Köpfe, die für die drei Ordnungen „Masculine, Femine, and Neuter“ stehen.40 In knappen Porträts umreißt das Paradox die spezifischen Qualitäten der beiden natürlichen Geschlechter, die am Ende im Neutrum aufgehoben und überboten werden. Das Prinzip der Mitte erscheint als eigentliches Ziel aller Liebenden, die sich – ein Topos aus dem platonischen Symposion – vereinen möchten, um ihre Neigung zu erfüllen: „Every lover’s ayme is vertous; for virtus est in medio.“41 Im Neutrum vollendet sich das Gesetz des Paradoxons als höfische Norm des Scheins, das alle Grenzen verschwimmen läßt: „’Tis better to seeme than to be honest; for the jay is more bewtifull than the dove.“42

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Vgl. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. II, S. 160, 187, 373, 548 ff. Thomas Dekker, The Dramatic Works, ed. by Fredron Bowers. Vol. I, Cambridge 1953, S. 196. Vgl. Klaus Reichert, Fortuna oder die Beständigkeit des Wechsels, Frankfurt/M. 1985, S. 40 ff. [Elizabeth I] The poems of Queen Elizabeth I, edited by Leicester Bradner, Providence (Rhode Island) 1964, S. 5. Louis A. Montrose, A Midsummer Night’s Dream and the Shaping Fantasies of Elizabethan Culture: Gender, Power, Form, in: Margaret W. Ferguson, Maureen Qulligan, Nancy J. Vickers [Hg.], Rewriting the Renaissance, S. 65–87, S. 66. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. III, S. 337. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. III, S. 340. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. III, S. 340.

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Der aufschlußreiche Text des Spiels reflektiert maßgebliche Elemente der frühneuzeitlichen Hofgesellschaft, ohne daß dieser Bezug explizit hervortritt. Die Dissimulation und die Täuschung, die Kasuistik und das Paradox verkörpern, wie erinnerlich, für das 16. und frühe 17. Jahrhundert generative Prinzipien der politischen Verhaltenstechnik, die jetzt in der androgynen Gestalt Eisabeths exemplarisch vergegenwärtigt werden. Die Königin ist als Amazone mit männlich-weiblichen Zügen die Figuration des zentralen Prinzips des Scheins, das die Ordnung der Macht erzeugen hilft. Die Dekonstruktion der Grenzen, die Wahrheit und Betrug trennen, bildet die operative Bedingung für das Funktionieren der höfischen Hierarchien, mit deren Hilfe wiederum das Königtum strukturell stabilisiert wird.43 Das kulturell vermittelte Rollenmodell und die soziale Organisation der Macht treten an diesem Punkt zusammen. Die Androgynie der Monarchin spiegelt ein leitendes Gesetz der politischen Herrschaftsstrukturen wider, indem sie den Schein repräsentiert, der ihre Rolle zuallererst ermöglicht. In ihr findet die für die Frühe Neuzeit kennzeichnende paradoxe Konstruktion politischer Macht, die Natur und Ordnung, Dienst und Souveränität, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit zur Einheit fügen möchte, ihren angemessen polyvalenten Ausdruck. Gegenüber dem Antiquitätenhändler und späteren Hofchronisten William Lambarde soll Elisabeth erklärt haben: „I am Richard the Second. Know ye not that?“44 Vermutlich stand diese Bemerkung in einem dezidiert politischen Kontext, der jedoch allein ihren Adressatenbezug, nicht aber die Modellfunktion eines auf das Imaginäre gestützten Selbstentwurfs betrifft. Die Anhänger des seit Herbst 1599 unter Verratsverdacht stehenden und vorübergehend inhaftierten Earl of Essex hatten sich Mitte Februar 1601 im Rahmen einer von ihnen finanzierten Privatvorstellung durch die Lord Chamberlains Men Shakespeares Richard II (1597) vorführen lassen, weil sie hofften, daß sie die Tragödie des schwachen Herrschers, der am Ende widerstandslos, in einem Akt der „agonizing ceremony“ die Krone niederlegt, zur lange erwogenen Rebellion gegen die Königin anstacheln würde.45 Als Elisabeth von diesem Hintergrund erfuhr, soll sie voller lakonischer Ironie ihren

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Vgl. dazu Niklas Luhmann, Interaktion in Oberschichten: Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd.I, Frankfurt/M. 1980, S. 72–161, bes. S. 119 ff. Marie Axton, The Queen’s Two Bodies, S. 2. Den politischen Hintergrund der Essex-Verschwörung beleuchten Francis Bacons Additions and Corrrections zu Camdens Annales (Works, Vol. VI, S. 359). Die Formel ‚agonizing ceremony‘ bei Walter Pater, Appreciations, S. 198.

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ominösen Satz geäußert haben.46 Der Zusammenhang mit dem Motiv der Abdankung bezeichnet nicht nur die gelassene Haltung der vermeintlich ihr Schicksal ergeben duldenden Herrscherin, sondern wiederum einen kulturellen Code, der die sprachliche Form der Selbstdarstellung regelt. Wenn Richard II. zur Bezugsgestalt für das Schicksal der Königin wird, leiht er ihr neben der Identität des Opfers auch die männliche Kontur.47 Wieder zeigt sich hier, daß der imaginäre Ich-Entwurf mit Duplikationen arbeitet, die sämtlich das Fehlen der entscheidenden Doppelung verbergen sollen: die Absenz des institutionellen Leibes.48 Wie bedeutsam im Zeitalter der Tudor-Herrscher eine angemessene körperliche Repräsentation politischer Machtfülle war, belegt eine Bemerkung von Elisabeths Biographen Sir John Clapham, der in einer Erinnerungsschrift aus Anlaß ihres Todes über die eindrucksvolle physische Statur Heinrichs VIII. erklärte: „The greatness of his personage seem[ed] to carry a kind of proportion with the greatness of his state. And surely among other outward gifts of nature, the stature and lineaments of body are not least to be respected, specially in such princes as appear themselves in person at solemn interviews and public assemblies, as the king ofttimes did.“49 Von Elisabeth wird berichtet, daß sie sich in ihrem Empfangszimmer in Whitehall Palace bei Beratungen mit Diplomaten und Parlamentariern bevorzugt vor dem großen Wandbild der Tudor-Herrscher präsentierte, das Hans Holbein der Jüngere 1537 entworfen hatte.50 Es zeigte Heinrich VIII. schräg vor seinem Vater in einer dominanten Pose, die männliche Potenz und königliche Macht gleichermaßen demonstrierte: das in seiner sexuellen Aufdringlichkeit obszöne

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Vgl. Andreas Höfele, Majestätsbespiegelung. Königsbilder in Shakespeares Theater, in: König und Königin. Kursbuch 150 (2002), S. 119–137, S. 127 f. Über die Formen dieses Gender Crossing, wie sie sich auch in der Gebärdensprache der Auftragsporträts niederschlagen, informiert Susan Frye, Elisabeth als Prinzessin: Frühe Selbstdarstellung in Portrait und Brief, in: Der Körper der Königin, hg. v. Regina Schulte, S. 49–66. In Shakespeares King John (entstanden ca. 1596) spiegelt sich das Legitimitätsproblem auf signifikante Weise, wenn der sterbende Herrscher in der Schlußszene erklärt, sein geschwächter Leib bezeichne das ‚zerstörte‘ Königtum. Diese gegen die Denkmuster der politischen Theologie gerichtete Formel betont eine Diskontinuität der Macht, wie sie in Shakespeares eigener Zeit durch die kinderlose Königin Elisabeth symbolisiert wird. John Clapham, Elizabeth of England: Certain Observations Concerning the Life and Reign of Queen Elizabeth, hg. v. Evelyn Plummer Read u. Conyers Read, Oxford, Philadelphia 1951, S. 49. Zum Körperbild in der Ikonographie von Herrscher und Herrscherin der Tudor-Zeit vgl. Louis A. Montrose, Elisabeth hinter dem Spiegel: Die Ein-Bildung der zwei Körper der Königin, S. 67–98.

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14. Hans Holbein d.J.: Heinrich VIII. und Heinrich VII. (1537), linke Hälfte eines Kartons zum Wandbild.

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Muster einer maskulinen Rollenauffassung, deren Zeichensprache die Repräsentationsbilder Elisabeths in der selbstbewußten Haltung der Amazone zu reproduzieren suchen.51 Solche Inszenierungsformen zielten zwar darauf ab, die juristischen Schwachpunkte von Elisabeths Herrschaft zu verbergen, spiegelten jedoch in ihrem androgynen Grundzug eine Spannung, die das öffentliche Auftreten der Regentin durchgängig bestimmte. Weil der politische Körper der Königin ambivalent blieb, mußte auch der natürliche Leib in die Zone einer – bewußt zur Schau gestellten – Zweideutigkeit rücken. In Shakespeares Henry VIII (1612/13) prophezeit der Erzbischof am Ende, nachdem man die Geburt Elisabeths verkündet hat, sie werde dereinst zu einer großen Friedensbringerin aufsteigen, die als ‚Jungfrauen-Phönix‘ regiere: „But as when | The Bird of Wonder dyes, the Mayden Phoenix, | Her Ashes new create another Heyre (…)“ („Nein, wie | Der Wundervogel stirbt, der Jungfraun-Phönix, | Erzeugt aus ihrer Asche sich der Erbe […])“.52 Die uns bereits vertraute Metapher bezeichnet jetzt nicht mehr den Status des männlichen Thronfolgers, der die Kontinuität des Königtums verkörpert. Sie mythisiert und glorifiziert vielmehr den prekären Rang Elisabeths, die ihren Erben ohne vorherige Zeugung gebiert, so wie sich der Phönix aus den Flammen selbst regeneriert. In einem Porträt, das zwischen 1572 und 1576 entstand, stellte Nicholas Hilliard die noch jugendlich wirkende Königin mit einer Halskette dar, deren Edelstein einen Phönix zeigt, welcher aus seinem brennenden Nest emporsteigt.53 Der schon genannte Kupferstich des Niederländers Crispin de Passe präsentierte 1595 die herrisch blickende, ihre Machtinsignien tragende Monarchin, neben der rechts eine Säule steht, auf deren Abakus – analog zum Bildnis des Pelikan – ein Phönix mit ausgebreiteten Schwingen zu erkennen

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Dieser Vorgang gehorcht keinen sexuellen Impulsen wie das melancholische Maskenspiel der Frau in der Moderne, das Freud, Lacan und die feministische Gender-Theorie mit jeweils unterschiedlichen Begründungen beobachten (vgl. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 81 ff.), sondern den Erfordernissen der Repräsentation von Macht im politischen Diskurs. William Shakespeare, The Famous History of the Life of King Henry the Eight, Complete Works, Vol. VIII, V,4, v.58 ff. Vgl. zur Verwendung der Phönix-Allegorie im panegyrischen Kontext Mary Axton, The Queen’s Two Bodies, S. 116 ff. Axton setzt jedoch fälschlich die kulturellen Formen der Darstellung von Elisabeths Herrschaft mit den Normen des juristischen Diskurses gleich, obwohl die Vorstellung von den zwei Körpern der Königin eine ästhetische Konstruktion jenseits politischer bzw. rechtlicher Wirksamkeit bleibt. Zur Auslegung vgl. Louis A. Montrose, Elisabeth hinter dem Spiegel: Die Ein-Bildung der zwei Körper der Königin, S. 80 ff. Anders gewichtet hier die Deutung von Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 114 ff., der das Phönix-Bild für ein Motiv hält, das die ursprüngliche Funktion der Effigies ablöst.

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ist.54 Die allegorische Zeichensprache, die Hilliard und de Passe jeweils einsetzten, interpretiert Elisabeth als Repräsentantin eines autonomen Königtums, das keiner externen Begründung und Ableitung bedarf. Der Phönix ist das heraldische Sinnbild für eine weibliche Regentschaft, die sich vermeintlich selbständig – ohne männliche Hilfe – fortzeugt. Die Vorstellung der von externen Kräften unabhängigen renovatio findet sich 1578 in einem Widmungsgedicht, das aus Anlaß eines Besuchs der Königin in Audley End vorgetragen wurde, unter dem Motto „Semper una“ beschworen: „Vna quod es semper, quod semper es Optima Princeps, | Quam bene conveniunt hae duo verba tibi: | Quod pia, quod prudens, quod casta, quod innuba Virgo | Semper es, hoc etiam Semper es vna modo.“55 Die Königin repräsentiert das Prinzip der Unteilbarkeit der Herrschaft und damit, wie der Text suggeriert, auch das Gesetz der Ewigkeit. Einen politischen Körper, der den Kräften der Zeit enthoben ist, gewinnt Elisabeth nicht zuletzt, weil sie ihre Untertanen schützt: „Vna te nobis semper, Eliza, frui.“56 Es ist mithin die stabilisierende Funktion der klugen Herrschaft, die die Königin mit jener ‚Sempiternität‘ ausstattet, welche sie aufgrund ihres ursprünglichen Rechtsstatus nicht besaß. Im Gegensatz zum König muß die Monarchin sich ihren ‚body politic‘ durch die Gabe der prudentia konsequent erarbeiten, da er ihr aufgrund der geltenden juristischen Normen nicht zusteht. Die Königin der höfischen Maskenspiele und Ballette lebt aus den Ressourcen ihrer eigenen Macht, die sie unaufhörlich erneuert und verstetigt.57 Der Phönix-Vergleich erweckt den Eindruck, als verfüge die Regentin über jenen zweiten Körper, ohne den die souveräne Herrschaft nicht denkbar ist; er hebt sie aus der Rolle der Stellvertreterin männlicher Könige in den Status der wahren Machthaberin, deren Leib die Majestät des ewig dauernden Amtes beherbergt. Wie widersprüchlich diese allegorische Konstruktion jedoch blieb, demonstriert die eigenwillige Deutung, die sie in einer – jüngst von

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Somit ergänzen sich der links stehende Pelikan, auf den oben bereits verwiesen wurde, und der Phönix zur Doppelaussage über Elisabeths Mütterlichkeit und ihre Fähigkeit zur Selbstregeneration (vgl. Abb. 13). Nähere Deutung von de Passes Kupferstich bei Francis A. Yates, Queen Elizabeth as Astraea, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes. Vol. 10 (1947), S. 27–81, S. 55 f. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. II, S. 112. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. II, S. 112. John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth. New Edition, Vol. II, S. 112; Francis A. Yates, Queen Elizabeth as Astraea, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes. Vol. 10 (1947), S. 27–81, S. 62.

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Louis A. Montrose wiederentdeckten – Elegie auf Elisabeths Tod und die Thronbesteigung James I. erfuhr: „See how our Phoenix mounts above the skies, | And from the neast another Phoenix flyes. | How happily before the change did bring | A Mayden – Queene; and now a manly King.“58 Das ist eine ironische Pointe der vertrauten Huldigungsallegorie: der Phönix hat sein Nest verlassen und seinen Platz einem Nachfolger übergeben, der – als männlicher König anstelle einer jungfräulichen Königin – eine neue Dynastie begründet. Nicht die geschlechtslose Fortzeugung der Herrschaft wird hier beschworen (wie noch 1593 im Titel von John Jacksons berühmter Lyrik-Anthologie The Phoenix Nest59), sondern der Wechsel der Erbfolgelinie, der fortan die Phönix-Allegorie überflüssig macht, weil er wieder zu einem männlichen Königtum führt.60 In Shakespeares The Tempest (1611) heißt es acht Jahre nach Elisabeths Tod mit leicht melancholischem Unterton, als handele es sich um eine entrückte Form früherer Dithyramben: „(…) in Arabia | There is one tree, the Phoenix’ throne; one Phoenix | At this houre reigning there.“ („[…] daß in Arabien | Ein Baum der Phönix Thron ist | und ein Phönix zur Stunde dort regiert.“)61

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Louis A. Montrose, Elisabeth hinter dem Spiegel: Die Ein-Bildung der zwei Körper der Königin, in: Der Körper der Königin, hg. v. Regina Schulte, S. 67–98, hier S. 82 f. (Anm.24). [John Jackson] The Phoenix Nest (1593), ed. by Edward Rollins, Cambridge (Mass.) 1931. Auch in deutschsprachigen Grabreden des 17. Jahrhunderts wird der Körper der Königin unter einem sozialen Vorzeichen betrachtet; Schönheitslob und Tugendpreis besitzen hier eine politische Bedeutung, insofern sie öffentliche Dimensionen bezeichnen. Gerade die Trauerreden vollziehen in der pathetischen Stilisierung des Leibes eine Annäherung an einen Idealkörper, der unter allegorisch-mythologischem Aufwand glorifiziert wird. Jedoch wäre es falsch, daraus die These abzuleiten, daß mit dieser Stilisierung ein politischer Körper hervortrete. Die Lobrede erzeugt keinen zweiten Leib, sondern supplementiert den natürlichen. Auch die laudative Rhetorik der Funeralwerke bewegt sich damit auf der Ebene einer politisch unverbindlichen Beschreibung, die der Königin Schönheit als Sinnbild der Klugheit bescheinigt, ohne ihre Aufwertung zur Herrscherin zu vollziehen. Vgl. das Material in: Maria Fürstenwald (Hg.), Trauerreden des Barock, bes. S. 364–379 (Benjamin Neukirchs Totenrede auf Sophie Charlotte von Preußen). Problematisch die Folgerungen bei Jill Bepler, Die Fürstin im Spiegel der protestantischen Funeralwerke der Frühen Neuzeit, in: Der Körper der Königin, hg. v. Regina Schulte, S. 135–161. Der Aufsatz übersieht die Supplementierungsfunktion der Körpermetaphorik, die keine Rechtslogik erzeugt, sondern topischen Charakter im (zumeist) deliberativen Redekontext trägt. Die Feindifferenzierung zwischen sprachlichem Diskurs und sozialer Norm vermißt man auch bei Luhmanns perspektivenreicher Auseinandersetzung mit Formen der frühneuzeitlichen Anthropologie (N.L., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd.I, S. 162–234). Zu den deutschsprachigen Trauerreden aus Anlaß der Beerdigung Sophie Charlottes im Jahr 1705 Uwe Steiner, Poetische Theodizee. Philosophie und Poesie in der lehrhaften Dichtung im achtzehnten Jahrhundert, München 2000, S. 15 ff. William Shakespeare, The Tempest (1611), Complete Works, Vol. I, III,3, v.32 ff.

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Die Phönix-Allegorie sucht den dynastischen und den biologischen Makel der Königin zu verbergen, indem sie das Problem der Erbfolgeregelung auf die Person der Herrscherin selbst zurückführt. Sie transformiert damit die Denkfigur der Kontinuität in jene der Zirkularität: die Kategorie der Zukunft verwandelt sich mit Hilfe des Mythos zu einer Form der ergänzungsfähigen (nicht mehr geschlossenen) Gegenwart. Der Phönix, der den Gesetzen der Natur zu trotzen vermag, indem er sich selbst reproduziert, ist die Figuration einer solchen Gegenwart, die sich unaufhörlich in den Horizontraum einer offenen Zukunft erweitert. Diese Erweiterung begründet auf einer Ebene jenseits von Recht und Biologie die Stabilität der nicht mehr traditional, sondern charismatisch fundierten Herrschaft der jungfräulichen Königin. Deren mythische Glorifizierung gerät zum Versuch, den natürlichen durch den institutionellen Körper zu ergänzen und dem Leib eine Dauer zu implantieren, die ihn gegen juristische wie biologische Anfechtungen gleichermaßen immunisiert. So erweist sich der Phönix-Mythos auch als Sinnbild, das die grundsätzlichste aller Gefährdungen der politischen Macht und ihrer institutionellen Verstetigung zu bannen sucht: die des Todes. Im Epilog von Ben Jonsons Komödie Euery Man out of Humour (1600), der an die während der Uraufführung im Londoner Curtain Theatre anwesende Königin gerichtet ist, heißt es, der Tod möge Elisabeth selbst bewundern und ihr seinerseits die Reverenz bezeugen: „(…) death himselfe admire her: | And may her virtues make him to forget | The vse of his ineuitable hand. | Flie from her age; Sleepe time before her throne, | Our strongest wall falls downe, when shee is gone.“62 Die Zeit soll am Thron schlafen, weil die kinderlose Königin dem Land keinen Erben schenken kann. In dieser Funktion, die ihre ursprüngliche Dynamik aufhebt, rückt sie an die Stelle des Kontinuums der Herrschaft, das durch die ‚Virgin Queene‘ gefährdet ist. Da die Institution des Königtums in keinen neuen Leib eintritt, muß der Tod vertrieben werden, der die goldene Epoche Elisabeths zu beenden droht. Das ist eine Umkehrung der Konstellationen des Totentanzes spätmittelalterlicher Prägung, der auch die Königin als den Gesetzen der Zeitlichkeit unterworfenes Wesen vorzuführen pflegt.63 Die höfische Huldigungsrhetorik sucht solche Befunde, die den Machthaber unter das Diktat der Vergänglichkeit stellen, zurückzunehmen. Phönix-Allegorie und Figuration der Zeit gehorchen derselben semiotischen Funktion, indem sie eine Präsenz der Herrscherin suggerieren, die gegen die Bedrohun62 63

Ben Jonson [Collected Works], Vol. III, S. 600. Vgl. das Material bei Hans Ferdinand Maßmann (Hg.), Die Basler Totentänze, Stuttgart 1847.

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gen einer dynamisch fortschreitenden Geschichte immun ist, weil sie die Zukunft in sich einschließt. Die im Glanz ihres gegenwärtigen Potentatentums erstrahlende Regentin verschluckt gleichsam die Zeit und nimmt sie in den eigenen Körper auf, um ihre zerstörerische Dynamik stillzulegen.

3. Maria Stuarts Passionsgeschichte Gegen die verklärenden Formen der mythischen Modellierung eines juristisch und biologisch instabilen Königtums stellt das Trauerspiel ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, im Zeichen gewachsener Distanz zur Regentschaft Elisabeths, ein deutlich dunkler gefärbtes Bild. Ins Zentrum rückte dabei der Musterfall der Auseinandersetzung mit Maria Stuart, deren Hinrichtung am 8. Februar 1587 nach knapp zwei Jahrzehnten englischer Gefangenschaft aufgrund des Todesurteils der Lords und mit mutmaßlicher Billigung der Herrscherin geschah, ohne daß ihre Rolle dabei zweifelsfrei geklärt worden wäre.64 Zunächst waren es die Ordensdramatiker, die sich des Sujets annahmen; 1593 machten die Benediktiner im nordfranzösischen Douai mit einer Maria-Stuart-Tragödie den Anfang, 1594 folgte eine Aufführung am Ingolstädter Jesuitengymnasium, 1644 präsentierte man den Stoff in einer Inszenierung an der Prager Universität, 1651 am Jesuitengymnasium in Krems.65 Die Schulautoren führten Schottlands Königin als Ikone katholischen Märtyrertums vor, an dem der Frevel eines illegitimen Angriffs gegen ein göttlich sanktioniertes Herrscheramt demonstriert wurde. Die Exekution Marias – die erste Hinrichtung einer gesalbten Königin in Europa – geriet in den literarischen Adaptionen der Ordensdramatik zu einem Archetyp des schuldhaften Mißbrauchs menschlicher Regierungsgewalt. Indem Elisabeth ein gekröntes Haupt zum Tod verurteilen ließ, hatte sie nach Überzeugung der meisten Autoren die Grenze überschritten, die dem Herrscher auch als Stellvertreter Gottes auf Erden gezogen war. Angesichts der verbreiteten Glorifizierung Maria Stuarts bildet Shakespeares Hamlet mit seinem verschatteten Porträt der Königin eine ungewöhnliche Ausnahme. Die Tragödie, die vermutlich im Juli 1602, nur wenige Mo64 65

Chronologische (mit der englischen Königin sympathisierende) Darstellung bei William Camden, Rerum Anglicarum et Hibernicarum Annales, Regnante Elisabetha, S. 466 ff. Die Stoffgeschichte von den Jesuitendramen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts rekonstruiert das Nachwort, das Pierre Béhar zur Faksimile-Edition des Prodromus Poeticus beigesteuert hat (hier S. 68*ff.). Vgl. bereits Karl Kipka, Maria Stuart im Drama der Weltliteratur vornehmlich des 17. und 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur vergleichenden Literaturgeschichte, Leipzig 1907, S. 26 ff.

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nate vor dem Tod Elisabeths I., uraufgeführt wurde, weist in der Figur der Königin Gertrud einen bemerkenswerten Bezug zu Maria Stuart auf, stehen doch beide unter dem Verdacht, an der Ermordung ihres Ehemanns beteiligt gewesen zu sein. Gertruds Verstrickung in das Verbrechen des Claudius erinnert an Maria Stuarts Jugendschuld – die Anstiftung zur Tötung ihres zweiten Gemahls Darnley – und den damit verbundenen Makel eines verwerflichen Vorlebens. Das Publikum des elisabethanischen Zeitalters, das daran gewohnt war, verdeckte Anspielungen zu entziffern, wird die hier hervortretende Parallele deutlich wahrgenommen haben. Liest man den Hamlet vor solchem Hintergrund auch als Kommentar zur Vorgeschichte des 1587 abgeschlossenen Gerichtsverfahrens, wie es Carl Schmitt – mit allerdings bedenklichen Simplifizierungen – unternahm, dann enthüllt sich eine zeithistorische Quintessenz des Dramas.66 Deutet die Gewalt, der Gertrud am Ende aufgrund eines ironisch anmutenden Fehlgriffs zum Opfer fällt, auf das Unrecht zurück, das sie selbst beging, so ist die Stuart Gefangene einer Situation, in die sie durch eigene Verantwortung geriet.67 Shakespeares Tragödie verteidigt damit die spätere Verurteilung Marias durch die Lords, indem sie deren vergangene Schuld über die Parallele zum Schicksal Gertruds beleuchtet. Eine solche Auslegung, die im Hamlet zumindest angedeutet wird, blieb freilich ein singulärer Fall inmitten einer Serie von literarischen Verklärungen der leidenden Königin.68 Während Maria auch bei protestantischen Dramatikern zumeist zur Passionsfigur emporsteigt – so in Jost van den Vondels Trauerspiel Maria Stuart of gemartelde Majesteit (1646)69 –, präsentiert man Elisabeth durchgängig als schwache, politisch unzuverlässige und vom Spiel der öffentlichen Meinungen gesteuerte Regentin. Gegen die Lichtgestalt der ohne juristische Basis verurteilten Stuart grenzt sich eine eitle und zugleich ängstliche Königin ab, die mit dem Makel einer aus innenpolitischer Schwäche resultierenden Schuld leben muß. So erscheint sie als Unrechtsherrscherin, deren frühzeitig ausgebildeter – durch die Geschichtsquellen belegter – Thronehrgeiz im Ver66 67 68

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Carl Schmitt, Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel, Düsseldorf, Köln 1956, S. 19 ff. William Shakespeare, The Tragedie of Hamlet, Prince of Denmarke, Complete Works, Vol. XI, V,2, v.319. Anders als die Überlegungen von Schmitt betrachtet sich der hier versuchte Kommentar nicht als Schlüssel zum Textsinn. Er verweist nur auf die Möglichkeit, daß Shakespeare mit seiner Gertrud-Figur einen naheliegenden politischen Deutungshorizont berührt haben könnte. Jost van den Vondel, Maria Stuart of gemartelde Majesteit (1646), in: De volledige Werken van Joost an den Vondel, bezorgd en toegelicht door Hendrik C. Diferee. 7 Bde., Utrecht 1929–34. Bd. IV, S. 18–85.

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15. Nicholas Hilliard: Mary, Queen of Scots (1578), Victoria and Albert Museum, London.

brechen an Maria Stuart seinen extremsten Ausdruck findet. Noch Leibniz schreibt 1710 unter deutlicher Anspielung auf Elisabeth: „On n’approuvera point qu’ une reine prétende sauver l’ Etate en commetant ni même en permettant un crime.“70 Typisch für die überkonfessionell verbreitete Bewertung des politischen Konflikts ist der Umstand, daß Jost van den Vondel, bei dem Elisabeth selbst niemals auftritt, Maria Stuarts Thronansprüche bereits im Personenverzeich-

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Gottfried Wilhelm Leibniz, Essais de théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal (1710). Philosophische Schriften. Bd. II, hg. u. übers. v. Herbert Herring, Darmstadt 1985, hier Bd. II/1, S. 246 f. („Man wird es durchaus nicht billigen, daß eine Königin unter dem Vorwand, den Staat zu retten, ein Verbrechen begehe oder auch nur zulasse.“).

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nis bekräftigt, indem er sie als „Monarche van Groot Britanje“ ausweist.71 Die älteren deutschsprachigen Versionen des Stoffs, die von Christoph Kormart (1673) und Johannes Riemer (1681) stammen, übernehmen das schon im Jesuitentheater auftretende Schema, das Maria zur Personifikation der Tugend, Elisabeth zur schwachen Herrscherin ohne Amtsgewalt bestimmt. Vor diesem Hintergrund faßt Riemer seine dramatische Bearbeitung als Beitrag zur zeitgenössischen Fürstenerziehung, indem er Marias Geschichte zum historischen Exemplum für die unheilvolle Verquickung politischer Fehler und fataler äußerer Umstände werden läßt. Unter dem Titel Der Regenten Bester Hofmeister, der bereits programmatisch auf die didaktische Wirkungsabsicht des Autors verweist, versammelt Riemer vier kürzere Dramen, von denen zwei – Von hohen Vermaehlungen, Von Staats-Eifer – das Schicksal der schottischen Königin behandeln.72 Die Ausrichtung an einem chronikalischen Prinzip ermöglicht dabei ein tendenziell narratives Darstellungsverfahren, das zunächst die Jugend Marias, ihre Zeit als schottische Königin, danach ihre englische Gefangenschaft, Anklage und Hinrichtung zu zeigen gestattet. Wie es im Schuldrama am Ende des 17. Jahrhunderts üblich ist, durchsetzt Riemer die auf ein trauriges Finale zusteuernde Haupt- und Staatsaktion zudem mit komischen Exkursen, in denen ein törichter Advokat sein Unwesen treibt. Auf befremdliche Weise unterstreichen jedoch die Intermezzi in ihrer mißglückt burlesken Tonlage die düstere Stimmung, die über dem politischen Geschehen liegt. Ähnlich wie bei Vondel tritt Maria im zweiten Teil von Riemers Drama als gefaßt Leidende in Märtyrerhaltung auf, die, dem Rat ihres Hoffräuleins Orletta gemäß, im Gefängnis zu Fotheringay „gedultig“ ihr künftiges Schicksal erwartet.73 Der evangelische Theologe Riemer, der als Pastor primarius in Osterwieck und Hamburg wirkte, folgt dem Muster der jesuitischen Ordensdichter, wenn er die schottische Königin zum wehrlosen Opfer ihrer protestantischen Gegenspielerin stilisiert. Maria hegt keinen anderen Wunsch als den nach Frieden und Ruhe; in elegischer Tonlage erinnert sie sich an ihre 71 72

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Joost van den Vondel, Maria Stuart of gemartelde Majesteit (1646), in: De volledige Werken van Joost an den Vondel, Bd. IV, S. 18–85, S. 21. Johannes Riemer, Der Regenten bester Hoff=Meister oder Lustiger Hoff=Parnassus (…) (1681), in: Werke, hg. v. Helmut Krause. Bd. II, Berlin, New York 1984, S. 223–519. Darin: Von hohen Vermaehlungen (S. 407–470); Von Staats=Eiffer (S. 471–519). Die beiden anderen Texte schildern einen Ehekonflikt des von seiner zweiten Frau zur Opferung der eigenen Tochter gezwungenen thessalischen Königs Harrant (Vom geqvälten Liebes-Siege; S. 232–323) bzw. – im Rahmen eines allegorischen Spiels – die Gefährdung des Friedens und die europäische Bündnispolitik in den ersten drei Dekaden nach dem Dreißigjährigen Krieg (Von der erlösten Germania; S. 329–403). Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 477.

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Zeit in Frankreich: „O wie vergnuegt koennten wir ietzo leben / wann wir daselbst bey dem berühmten Valois-Geschlechte in stiller Witben Einsamkeit lebten und unsers Gelibten Gemahlen Francisci Grabmahl mit unverstoerten Thraenen netzen sollten.“74 Zur Demut gesellt sich bei Maria der Stolz der – aufgrund zweifelhafter Anklagepunkte – eingekerkerten Königin, die sich weigert, englisches Recht als einzig geltende Grundlage von Prozeß und Gerichtsurteil zu akzeptieren. Der Vorwurf der Befangenheit der Lords, die über ihr Los befinden („weil wir nicht gesinnet / diejenigen zu Richtern anzunehmen / welcher Macht allzusehr umschrencket“) verknüpft sich mit dem berechtigten Verdacht, daß Elisabeth den längst gefaßten Vorsatz verfolge, die lästige Antipodin so rasch und geräuschlos wie möglich auszuschalten.75 Wäre dieser Eindruck zutreffend, so bedeutete das einen massiven Mißbrauch der dem Herrscher zugeordneten Einheit von iudikativer und exekutiver Gewalt, über die Bracton prägnant bemerkt: „In rege qui recte regit necessaria sunt duo haec, arma videlicet et lege (…)“76 Wenn die Rechtsprechung zu einem Instrument der Machtsicherung gerät, droht die Despotie. Deren besonderes Merkmal liegt darin, daß sie die Zusammenführung der Gewalten nicht allein zum Zweck der Konzentration von Herrschaftsbefugnissen nutzt, sondern zudem die Grenzen verwischt, die Iudikative und Exekutive trennen. Das Anklageverfahren erscheint vor diesem Hintergrund als Farce, die allein zum Zweck der Täuschung der Öffentlichkeit inszeniert wird. Wie gewichtig für die historische Elisabeth das Urteil der Öffentlichkeit war, erhellen gerade jene Parlamentsreden, die sie in der Periode der Beratung über das weitere Vorgehen im Fall Maria Stuarts Ende des Jahres 1586 hielt. Ausdrücklich erklärt sie hier, daß sie vor einem härteren Vorgehen zurückschrecke, weil sie an die Öffentlichkeit und die Meinungen des Auslands denken müsse; die einschlägige Metapher vom König, der auf einem Welttheater agiert, wird zum Zeichen der Warnung vor politischer Rücksichtslosigkeit: „Prynces you knowe stand apon stages so that theyre accyons are vewed and beheld of all men, and I am sure mye doynges wyll cum to the sannynge of mayne fyne wytes, not onelye wythein the realme but in forren contreys, and wee must loke to persons as well abrode as at home.“77 Während Maria bei Riemer am Ende ohne Schuld zur Exekution auf den Richtplatz tritt – weder mit dem Mord an ihrem zweiten Ehemann 74 75 76 77

Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 477. Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 481. Henry of Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, Vol. II, S. 19. Thomas E. Hartley (Hg.), Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. Vol. II (1584–1589), London, New York 1995, S. 380.

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Darnley noch mit den Anschlägen auf die englische Herrscherin wird sie in Verbindung gebracht –, gewinnt Elisabeth die zweideutigen Züge einer Regentin, die ihre Macht stabilisieren möchte, ohne die erforderliche Konsequenz (und Legitimität) der souverän handelnden Monarchin zu besitzen. Ihr politisches Credo formuliert sie bereits im ersten Beratungsgespräch zu Beginn des als ‚anderer Discurs‘ gekennzeichneten zweiten Akts: „Wir an Fuerstlicher Hoheit sind in dieser Welt allzu offenbar aller Menschen Augen vorgestellet. Wir scheuen uns Schwesterliches Blut zu vergiessen. Wir wollen nicht gerne den Ruhm bey der Nach=Welt verlieren / daß wir unsern Thron mit so theuren Blute begruendet.“78 Die Königin strebt ein heikles Ziel an, wenn sie einerseits höchste politische Sekurität gewinnen, andererseits die Gunst der Öffentlichkeit nicht verlieren möchte. Hinter dem Hinweis auf die Augen der Welt, die den Monarchen beim Regieren zusehen, steht nicht das Bewußtsein moralischer Selbstverpflichtung, sondern, wie Riemers Text durchscheinen läßt, die Eitelkeit einer Herrscherin, die der Liebe ihres Volkes bedarf, weil sie selbst schwach ist. Solche Schwäche, die aus der erbrechtlich uneindeutigen Herleitung der eigenen Regierungsgewalt resultiert, äußert sich in schwankenden Handlungsrichtlinien und mangelnder Entscheidungsfähigkeit. Riemers Elisabeth ist eine moralisch und politisch sinister agierende Königin ohne wahre Amtswürde. Symptomatisch für diese Ambivalenz scheint der Schluß des Dramas. Zwar unterzeichnet Elisabeth das Todesurteil vor den Augen ihres Staatssekretärs Burghthey (hinter dem sich der authentische Principal Secretary Burleigh verbirgt), doch geschieht dieses nur, um „das Volck zustillen.“79 Folgerichtig verzichtet sie darauf, das „Koenigliche Insiegel“80 unter das Dokument zu setzen, da sie die Entscheidung über Leben und Tod noch nicht endgültig vollziehen möchte. Am Schluß befiehlt sie – gemäß der verbreiteten historischen Überlieferung – einen Aufschub der Exekution, weil sie die fatalen politischen Konsequenzen des Urteils fürchtet, das sie in den Augen der Öffentlichkeit moralisch zu desavouieren droht.81 Riemer stützt seine Version des Geschehens bis zu diesem Punkt auf literarische und geschichtliche Quellen gleichermaßen; die Dramen Vondels und Kormarts nennt die Vorrede ebenso wie den Quellenautor Camden („nach dem vortrefflichen Historico, Cambdeno“), dessen spröde Annales (1615) auch Schiller noch bei

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Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 495. Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 501. Zum Bild Elisabeths auch Klaus Reichelt, Barockdrama und Absolutismus, S. 192 ff. Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 501. Vgl. Exemplarisch Paul Johnson, Elizabeth I. A study in power and intellect, S. 293 ff.

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der Arbeit an seiner Maria Stuart (1801) heranziehen wird (ohne sich jedoch deren proelisabethanische Position zu eigen zu machen).82 Erst der coup de théâtre, mit dem Riemers Drama im letzten Akt aufwartet, weicht von den historischen Quellen ab. Er schließt eine Quintessenz ein, die Elisabeth punktuell entlastet, indem er sie zum Opfer einer politischen Intrige werden läßt. Die Königin vermag ihren Willen, die Hinrichtung aufzuhalten, nicht zu verwirklichen, da ihr die Räte vorgaukeln, die Exekution sei bereits erfolgt, obgleich die Gefangene zu diesem Zeitpunkt noch lebt. „Ich achte davor“, erklärt Burghtey wahrheitswidrig, „daß Maria schon den Beil=Schlag außgestanden“, was Elisabeth zu der resignierten Einsicht führt, man habe ihre „hohe Gewalt also gemißbrauchet“.83 Der Beratungssequenz folgt unmittelbar eine Szene, welche die Vorbereitungen auf dem Schafott darstellt, die der Henker und sein Gehilfe treffen (wobei ein an Shakespeare erinnernder schwarzer Humor den Ton des Dialogs grundiert). Die Regieanweisung lenkt den Blick des Betrachters auf den „Enthaubtungs Apparat“, der hinter einem sich öffnenden Vorhang sichtbar wird.84 Die Exekution, die Elisabeth – von ihrem Staatssekretär getäuscht – bereits für vollzogen hält, gerät anschließend zu einem theatralischen Akt auf offener Bühne. Die Ablauflogik, der die gesamte Sequenz gehorcht, ist das Produkt einer tragisch-ironischen Regie, die das Kontinuum von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchgreifend manipuliert. Was unter dem irreführenden Diktat von Burtheys Intrige als Vergangenheit und daher bereits abgeschlossen erscheint, ist in Wahrheit eine Zukunft, auf die der ‚Enthaubtungs Apparat‘ stumm-bedrohlich verweist. Erst der blutige Moment der Hinrichtung – „Hiermit geschieht der Streich“85 – verwandelt diese Zukunft in eine nicht mehr aufzuhaltende Präsenz des Todes, mit deren Veranschaulichung sich die Idee des barocken Trauerspiels im Sinne Walter Benjamins über die „Allegorisierung der Physis“ vollendet.86 Nachdem Marias Kopf gefallen ist, versammeln sich gemäß Riemers Szenenbeschreibung ihr Beichtvater und die trauernden Bediensteten um die Tote, tragen den Leichnam an die Bühnenrampe und legen ihn wie ein Ausstellungsstück in einen kastenartigen Sarg, der von einer als Flammenschrift gekennzeichneten inscriptio geziert wird. Die – durch das dramatische Geschehen kaum gedeckte – Botschaft des emblematischen Epitaphs lautet, 82 83 84 85 86

Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 474. Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 513. Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 515. Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 519. Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 391.

Maria Stuarts Passionsgeschichte

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daß die schottische Königin einem fanatischen Glaubenseifer preisgegeben worden sei: „Maria Stuarta, Galliae & Scotiae Regina, Propter Zelum Religionis / Lapsa Securi.“87 Die Schlußszene zitiert explizit die Form des für das 17. Jahrhundert typischen ‚Trauergerüsts‘ (castrum doloris), wobei sie sich offenkundig eine von Isaac Briot stammende Darstellung des 1610 ermordeten Heinrich IV. zum Modell erkoren hat, die den toten Monarchen in Christushaltung mit königlichem Ornat auf einem prunkvollen Sterbebett liegend, umgeben von zahlreichen Grabinschriften, zeigt.88 Riemers imaginäres castrum doloris verwandelt den Körper der hingerichteten Maria in eine Effigies, deren Erinnerungsleistung darin besteht, daß sie auf ihre Rolle als Opfer und Märtyrerin verweist. Im Sinne der Begräbniskultur der Tudor-Periode ist der Scheinleib der Königin kein Zeichen für die Einheit von Institution und Natur, sondern ein Bild der memoria, das die Reminiszenz an die äußeren Umrisse des Körpers wachhält. Auch Maria Stuart besaß ihren body politic nur stellvertretend, ohne eigene Machtbefugnisse; mit voller Geltung wird er in der sterblichen Hülle ihres Sohnes James fortleben, der 16 Jahre nach ihrem Tod in Westminster Abbey einziehen darf, um sich dort zum König Englands krönen zu lassen. Wie in einem System der gestörten Balance tritt bei Riemer neben das Opfer Maria die verantwortungslos regierende Elisabeth. Als Prototyp der schwachen Monarchin, die keine klaren Entscheidungen zu fällen wagt, wird sie von ihrem obersten Staatssekretär vorsätzlich in die Irre geführt. Die eigentliche Souveränität liegt am Ende beim Berater, nicht bei der Monarchin. Riemers Drama porträtiert eine mit beschränkter Legitimität handelnde Königin, deren Beraterstab sich auf bedrohliche Weise über ihre Amtsautorität hinwegsetzt. Die Herrscherin ist eine Gefangene der Politik, die verdeutlicht, daß Macht und Ohnmacht, Aufstieg und Fall unmittelbar zusammengehören. In Gryphius’ Carolus Stuardus (1657/1663) erklärt der Geist der Maria Stuart über die englische Monarchin: „Wie offt war diese schon dem Richt-Beil zugeschriben. | Die endlich wider uns den harten Schluß aussprach.“89 Als sie Ende 1554 nach mehrwöchiger Tower-Haft auf Befehl von Königin Maria unter dem Verdacht einer Beteiligung an den Verschwörungsplänen Thomas Wyatts in Woodstock (Oxfordshire) arretiert 87 88

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Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 519. Vom „castro doloris“ ist ausdrücklich im Hinblick auf das Schlußtableau die Rede; Johannes Riemer, Von Staats=Eiffer (1681), Werke, Bd. II, S. 519. – Wiedergabe des Stichs von Briot bei: Julius v. Schlosser, Tote Blicke, S. 38. Vgl. Georg Braungart, Der Tod des Körpers des Herrschers, S. 36. Andreas Gryphius, Ermordete Majestaet. Oder Carolus Stuardus / Koenig von Gros Britanien, Dramen, S. 473 (II, v.210 f.).

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war, schnitt die 21jährige Elisabeth mit einem Diamanten in das Glas ihres Fensters die folgenden Verse: „Much suspected by me, | Nothing proved can be, | Quoth Elizabeth prisoner.“90 Diese hellsichtige Selbstdarstellung erweist ihre Evidenz nicht nur im Moment der höchsten Schmach, sondern auch in den späteren Perioden größten Ruhms. Das Bild der Inhaftierten, der man mit Verdachtsmomenten begegnet, obgleich ihr nichts zu beweisen ist, wird Elisabeth noch als glanzvolle Regentin mit beeindruckenden außenpolitischen Erfolgen begleiten. Auf einer metaphorischen Ebene bezeichnet es die Spannungen eines Rollenentwurfs, dem die Züge des Apologetischen eingegraben waren. ‚Elizabeth prisoner‘: das blieb ein geheimes Motto auch für die bewunderte Herrscherin, die Englands Ruhm mehrte, sich aber im Netzwerk mythischer Selbststilisierung wie in einem Kokon einspinnen mußte, um ihre stets gefährdete Autorität behaupten zu können.

4. Administration und Macht August Adolph von Haugwitz greift Riemers Porträt der ambivalenten Königin in seiner Maria Stuarda (1683) auf, indem er den Rollenkonflikt Elisabeths im Spannungsfeld zwischen Staatsvernunft und Herrschaftswillen illuminiert. Zugleich verknüpft er seine Darstellung jedoch mit grundsätzlichen Erkenntnissen über die Anatomie der Macht, die sich von der geschichtlichen Konstellation des Stoffs lösen und aktuelle politische Tendenzen des späten 17. Jahrhunderts beleuchten. Schon die erste Szene zeigt Elisabeth „auff dem Throne“, umgeben von einem dichten Kordon der Berater, Höflinge und Diplomaten, die, ergänzt um den Lord Chancellor, den Lord Treasurer und den Lord Chamberlain, den traditionellen Privy Council bilden, welcher seit dem Spätmittelalter als Kollegiensystem mit Beratungsaufgaben (consilium private) für den Herrscher bestand.91 Nach den historischen Zeugnissen darf es als erwiesen gelten, daß Elisabeth diesen Rat in seiner Wirkung erheblich beschränkte, die Zahl seiner Mitglieder auf ein knappes 90 91

[Elizabeth I] The poems of Queen Elizabeth I, S. 3. August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 17. Haugwitz kannte die Szenerie seines Trauerspiels aus eigener Anschauung; er hatte England im Jahr 1669 bereist und sich dabei auch in London aufgehalten, wie das siebente seiner Weltlichen Sonette verrät (Aus den Weltlichen Sonnetten, in: Prodromus Poeticus, S. 14). Über Haugwitz’ Quellen – Buchanans Rerum Scotticarum historia (1582) und seine Detectio Mariae (1568), de Thous Geschichte der neueren Zeiten (1612), Camdens Annales der englischen Geschichte (1615), Franciscis Traur-Saal (1665) – vgl. Pierre Béhar, Nachwort, hier: S. 50*ff.; zum Privy Council vgl. die Listen bei Penry Williams, The Tudor Regime, S. 455.

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Dutzend reduzierte und in klarer hierarchischer Abgrenzung ihr Vertrauen nur wenigen Auserwählten, insbesondere dem seit 1558 als Principal Secretary amtierenden Lord Burleigh sowie Sir Francis Walsingham, schenkte.92 Wenn Haugwitz einen solchen Quellenbefund mißachtet und Elisabeth statt dessen wie eine Gefangene im dichten Geflecht ihres Ratsgefüges präsentiert, so impliziert das politische (und kulturelle) Bewertungen, die das historisch überlieferte Bild der Königin erheblich eintrüben. Bei Haugwitz symbolisiert die äußere Konfiguration eine Herrschaftspraxis, der die wahre Souveränität fehlt. Wie die Erörterung des geeigneten Vorgehens gegen die gefangene Widersacherin Maria demonstriert, vermag die Königin keinen klaren Kurs zu steuern. Während die Räte – unter ihnen Bacon und Burleigh – einhellig Marias Hinrichtung empfehlen, um ihre Thronansprüche endgültig zu ersticken („Ein Todter beißt nicht mehr“93), operiert Elisabeth mit kasuistisch anmutenden Argumenten, die das gesamte Spektrum möglicher Einwände gegen eine Exekution durchmessen. Dabei spielt das Problem der ungeklärten Schuld der Widersacherin, deren Beteiligung an der Ermordung Darnleys nicht erwiesen ist, ebenso eine Rolle wie die allgemeine Rechtsdimension des Falls: „Ein hoechstgekroentes Haupt“, so weiß Elisabeth, „darff keine Straffe leiden.“94 Wenig später taucht der juristische Hinweis, daß auch Könige gesalbte Könige nicht töten dürften, erneut auf, jetzt als Warnung des für Maria eintretenden französischen Gesandten: „(…) wer kan sie denn verdammen / | Sie / die sich Koenigin und zwar gebohren nenn’t / | Und niemand ausser Gott vor ihren Obern kenn’t?“95 Solche (fiktiven) Sätze entsprechen den historisch überlieferten Wendungen, mit denen Elisabeth selbst Ende des Jahres 1586 vor dem Parlament auf die juristische Zweifelhaftigkeit des Anklageverfahrens verwiesen hatte: „I knewe verye well the same to be suffycyent, for God forbyd that the auntyent lawe shold be defectyve to ponyshe a person whyche shold offend in so hyghe a degree.“96 In ihrer Auseinandersetzung mit den Räten arbeitet Haugwitz’ Elisabeths das gesamte Repertoire staatsrechtlicher Argumente durch, das auch 92 93 94 95 96

Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, S. 174. August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 24 (v.281). August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 19 (v.171). August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 28 (v.443 ff.). Thomas E. Hartley (Hg.), Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. Vol. II (1584–1589), S. 379.

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ihre Parlamentsreden vom Herbst und Winter 1586/87 nutzen, um die juristische Problematik der Anklage zu untersuchen. Im Trauerspiel spiegeln jedoch ihre Einwände gegen ein Todesurteil ausschließlich die Furcht vor der Außenwirkung eines Hinrichtungsbefehls, weniger dessen moralische Bedenklichkeit wider. Unter dem Eindruck der scharfsinnigen Ausführungen der Räte bricht Elisabeths Protest rasch zusammen; die Entourage, so wird sichtbar, steuert das politische Geschehen, weil die Herrscherin ihre Verantwortung an das Kollektiv delegiert und auf diese Weise in einem Funktionssystem jenseits persönlicher Haftbarkeit zerstreut. Der Reyen der englischen Hofjunker verteidigt zwar die Würde der Königin gegen die Argumente der Misogynie und nennt sie „Brittens Pallas“, die „gefürcht bey ihren Feinden / | Beliebt bey Unterthan und Freunden“97 sei, doch vermag diese mythische Verklärung das Bild der schwachen Regentin, welches das Drama entwirft, nicht zu relativieren. Hinter der Figur der Pallas Athene, die in den höfischen Maskenzügen der sinkenden Tudor-Ära die vertraute Personifikation der ‚Virgin Queene‘ verkörperte, erscheint bei Haugwitz die unerfreuliche Ansicht einer verunsicherten und eitlen Herrscherin. Jean Bodin erklärt 1583 in seiner großen staatstheoretischen Abhandlung unter Bezug auf den französischen Conseil de gouvernement, daß der wahre Souverän niemals von fremden Urteilen beeinflußt werden könne; vielmehr besitze er die unumschränkte Entschlußgewalt, die es ihm erlaube, Entscheidungen zu fällen, ohne sich zuvor mit Ministern oder Räten abzustimmen.98 Francis Bacon betont in seinen Essays, daß der echte Herrscher keine Fremdunterstützung benötige, wenn er Beschlüsse fasse, weil die eigentliche Macht niemals teilbar sei.99 Foucault hat, auf solche Normierungen bezogen, sehr pauschal – mit einer an Carl Schmitt angelehnten Formulierung – davon gesprochen, „im Abendland“ sei das Recht „ein königliches Befehlsrecht“.100 Selbst Hobbes, der bereits illusionslos einräumt, daß die politische Macht des Souveräns vornehmlich in die Erhaltung eben dieser Macht investiert werden müsse, betont ausdrücklich die durchgreifende Ge-

97 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 30 (v.368 ff.). 98 Jean Bodin, Six livres de la république, Lib.I, cap.8, S. 141 ff. – Der Begriff des ‚Ministers‘ ist im späten 16. Jahrhundert von dem des ‚Rats‘ noch nicht zureichend abgegrenzt. Eine nähere Differenzierung erfolgt erst im Zusammenhang der Ausbildung von Funktionshierarchien, also zur Zeit des europäischen Absolutismus (zuerst in Frankreich unter Ludwig XIV.); vgl. Wolfgang Weber, Prudentia gubernatoria, S. 210 ff. 99 Francis Bacon, Of Counsel, in: Essays or Counsels civil and moral, Works, Vol. VI, S. 425. 100 Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft, S. 33. Zur Befehlsgewalt des Souveräns in der Frühen Neuzeit Carl Schmitt, Politische Theologie, S. 14 f.

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waltenkonzentration, der der ideale Herrscher auf sich zu vereinigen habe.101 Unbedingtheit, Unteilbarkeit und Kontinuität bilden die Indikatoren einer politischen potestas, welche die Einheit und Dauer der mythischen Natur selbst repräsentieren soll. Von solcher Form unbedingter Souveränität grenzt sich Haugwitz’ Porträt der schwankenden Regentin, die Furcht vor verbindlichen Festlegungen hegt, signifikant ab („O grausames entschliessen!“102). Kurz nach ihrer Thronbesteigung hatte Elisabeth die noch von Mary I. ernannten Mitglieder des Privy Council tatsächlich um ihre Kooperation ersucht, ohne dabei jedoch ihr Selbstbild als Vertreterin Gottes auf Erden in Frage zu stellen. Der entscheidende – in anderem Kontext bereits angeführte – Passus ihrer Antrittsrede lautete: „(…) so I shall desyre yow all my Lordes (cheifley yow of the nobilyty, every one in his degree and power) to be assistant to me, that I with my Rulinge and yow with your service may make a good accoumpt to Almighty God, and leave some comforte to our posteritye in earth.“103 Im Verlauf von Haugwitz’ Trauerspiel wird dieses Konzept, das ‚service‘ und ‚Rulinge‘ in eine klare hierarchische Ordnungsbeziehung einbettet, auf bemerkenswerte Weise modifiziert. Der Stab der Räte ist jetzt durch seine funktionale Integration in das politische Entscheidungsverfahren nicht mehr ‚assistant‘, sondern ‚sovereign‘, wie die ausgedehnten Rechtsdispute und stichomythischen Rededuelle des Textes auf markante Weise vor Augen führen. Sie weisen Elisabeth einzig die Rolle der Stichwortgeberin zu, die Bedenken und Einwände formuliert, ohne der Debatte eigene Impulse zu verleihen. Das Gewicht der Berater bekundet sich dagegen in den differenzierten Argumenten, die sie jeweils ins Spiel bringen, um die Notwendigkeit einer Verurteilung und Hinrichtung Marias näher zu begründen. Ihre Ausführungen verraten, daß sie im administrativen System genau umrissene, auf fundiertes Fachwissen gestützte Aufgaben versehen. So profiliert sich Bacon als loyaler Berater mit Übersicht, Warwick als Kenner der konfessionellen Spannungsfelder, Burleigh (‚Burghley‘) als Anwalt der innerstaatlichen Sicherheit, Leicester (‚Leycester‘) als historischer Chronist, Beal als scharf-

101 Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 75 f. (Teil I, Kap. 11). 102 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 24 (v.288). Der Kontext zeigt die Pointe dieses Diktums: ist das Todesurteil gegen Maria im besonderen Sinn ‚grausam‘ („Hat wohl die grosse Welt was grausamers geschaut“, v.286), so der Zwang zur Entscheidung in der allgemeinen Bedeutung des Wortes. 103 Quellenabdruck bei Maria Perry, The Word of a Prince, S. 129 f. – Zum Verhältnis von Dienst und Souveränität in der Antrittsrede vgl. Marie Axton, The Queen’s Two Bodies, S. 38 f., Ursula Machoczek, Die regierende Königin – Elizabeth I. von England, S. 180 f.

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sinniger Jurist der Krone.104 Diese Zuschreibung korrespondiert der am Ende der Tudor-Dynastie bereits anlaufenden, jedoch erst im Zeitalter des Absolutismus vollendeten Umstrukturierung des seit dem Spätmittelalter bestehenden Ratsgefüges, das sich vom Patronagesystem – mit der Möglichkeit des Ämterkaufs – zur Organisation einer professionellen, berufsständisch geschichteten Funktionselite verwandelt.105 Haugwitz deutet damit die Epoche Elisabeths aus dem Blickwinkel des frühabsolutistischen Zeitalters als Periode des Umbruchs und Neubeginns im Zeichen der Konstitution einer politischen Ordnung, die die souveräne Macht des Fürsten auf ein administratives Funktionsgefüge stützt. Die Räte, bemerkt Gundacker Fürst von Liechtenstein um 1650, seien das „Medium“ der erfolgreichen Herrschaftspraxis.106 In Johann Sebastian Mitternachts bereits kurz erwähntem Schuldrama Die Edle Regiments=Kunst (1667) erklärt die Allegorie der Politik, daß der Souverän in sämtlichen seiner Amtsgeschäfte angewiesen sei auf die Hilfe „vortreflicher in Goett= und Weltlichen Rechten wohlgeuebter und erfahrner Leute / die Raethe genennet werden“.107 Veit Ludwig von Seckendorff, der die Arbeit der politischen Verwaltung aus eigener Anschauung bestens kannte, beschreibt in seinem schon erwähnten Deutschen Fürstenstaat (1656) Profil und Aufgabenbereich des königlich-fürstlichen Beraters. Der ideale Vertreter dieses Typus entstammt dem Adel oder dem gehobenen Bürgertum, hat eine juristische Ausbildung erhalten, ist weit gereist, besitzt Welterfahrung, Urteilsvermögen, argumentative Fähigkeiten und eine geschliffene Rhetorik.108 Er muß über einen scharfen, rasch arbeitenden Verstand verfügen, der es ihm erlaubt, die einzelnen Entscheidungsvorgänge „nach wichtigkeit“ zu differenzieren und „gründliche relationibus“ zwischen den Gliedern der amtlichen Beschlußwege herzustellen.109 Von großer Bedeutung bleibe es, wie Seckendorff ausführt, daß die Räte sich an geltende Kontrakte und Abmachungen erinnern, um den Herrscher auf bestehende Verpflichtungen aufmerksam machen zu 104 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 18 ff. (v.143 ff.). Auf die Entmachtung der Königin durch die Räte (das „Interessanteste an diesem Stück“) verweist ohne weitere Analyse bereits Elida Maria Szarota, Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, S. 83. 105 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 189 ff. 106 Gundacker Fürst von Liechtenstein, Guettachten wegen Education eines Jungen Fürsten und wegen guetter geheimben Raths-Bestellung (…) (nach 1648), in: Staatslehre der Frühen Neuzeit, hg. v. Notker Hammerstein, Frankfurt/M. 1995, S. 541–566, S. 549. 107 Johann Sebastian Mitternacht, Politica Dramatica. Das ist Die Edle Regiments=Kunst (…) (1667), in: Johann Sebastian Mitternacht, Dramen, S. 258 (IV,1). 108 Veit Ludwig von Seckendorff, Deutscher Fürstenstaat, S. 92 f. 109 Veit Ludwig von Seckendorff, Deutscher Fürstenstaat, S. 201.

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können. Sie müssen das, „was vertraege, testamenten, begnadigungen, privilegien, constitutionen und ordnungen des landes=herrn und dessen vorfahren loebliche hergebrachte gewohnheiten“110 festgesetzt haben, jederzeit memorieren und abrufen. Erasmus Francisci erklärt 1665, eines „fuernehmen Hofmanns Gehirn und Zustand“ gleiche einer „Kunst=Uhr / darinn ein Gedanck und Anschlag den andren / wie ein Raedlein das andere treibt“.111 Hobbes hebt hervor, der Rat habe mit „Berichten und Schriftstücken vertraut zu sein, sowie mit allen Protokollen der Verträge und anderer Verhandlungen zwischen den Staaten.“112 Der hessische Landgraf Georg II. verweist 1660 den eigenen Sohn in seinem Testament nicht nur auf die „Nachrichtung“ des „Archivs“, in dem sich „Correspondentzen“ und „Rescripten“, Verordnungen und Finanzkalkulationen befänden, sondern auch auf den „Rhat der geheimbden Rhäte“, der dem Nachfolger aus dem Magazin seines administrativen Wissens gewichtige Empfehlungen zu vermitteln vermöge.113 Die Räte bilden das Gedächtnis des Staates, von dem der Herrscher, wie schon Lipsius’ Politik konzediert, bei der Beschlußfindung ‚abhängt‘.114 Als der bayerische Kurfürst Maximilian I. im Jahr 1639 seinem Beichtvater, dem Jesuiten Johann Vervaux, die Monita paterna (‚Väterliche Ermahnungen‘) für einen künftigen Nachfolger – den damals erst dreijährigen Ferdinand Maria – diktierte, widmete er der Darstellung des Ratssystems besondere Aufmerksamkeit. Über die Auswahl geeigneter Personen heißt es in der ebenso derben wie verschrobenen Sprache des Herrschers: „Die Rhätte sollen sein reiffen verstandts, höflich, ernsthaft, von langer erfahrenheit wohl probieret, von keiner ungerechten handt, oder vom geiz eingenohmen, ein ieder für seinen standt ehrlich begiettet, aber gar keine schmerschneider oder nüssenpfennig, sondern bstandthaffte, guettherzige, eines reinen gewissen sein, mit ihren standt vergniegte Leith seint, weith von zwaytracht und zanckhereyen gegen ihre mitRäth (…)“115 Die intellektuelle Unabhängigkeit 110 Veit Ludwig von Seckendorff, Deutscher Fürstenstaat, S. 94. 111 Erasmus Francisci, Der Hohe Traur=Saal, Vorrede, Bl. 3 (r). 112 Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 200 (Teil II, Kap. 25). 113 Georg II. von Hessen Darmstadt, Politisches Testament (1660), in: Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der Frühen Neuzeit, hg. v. Helmut Duchhardt, Darmstadt 1987, S. 43–76, hier S. 75 f. 114 Justus Lipsius, Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, lib.III, cap.IIX, S. 157: „Princeps aptet se ad consilia.“ 115 Maximilian I. von Bayern, Vätterliche Ermahnung (1639), in: Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der Frühen Neuzeit, hg. v. Helmut Duchhardt, S. 119–131, hier S. 130. Für die lateinische Fassung, die vermutlich aus der Feder des Beichtvaters stammt, vgl. [Maximilian I. von Bayern] Väterliche Ermahnungen an seinen Sohn Ferdinand Maria (= Monita paterna) (1639), hg. v. Johann Georg Oettl, München 1827,

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der Ratgeber wird durch deren konsolidierte Lebenssituation gewährleistet, weil allein Zufriedenheit mit dem eigenen Status die erforderliche Freiheit des Urteils garantiert. Der bayerische Kurfürst rückt daher das Kriterium der materiellen Sicherheit ins Zentrum seiner Überlegungen; zum Rat soll nur berufen werden, wer nicht auf den finanziellen Gewinn angewiesen ist, den ihm das Amt verschaffen könnte.116 Die Spezialaufgaben der Berater legen, so betont Seckendorffs Fürstenstaat, die Kanzleiordnungen fest. Wichtig bleibt die im administrativen System selbst herzustellende Balance, die sich aus Grundsätzen der internen Organisation ableitet. Die Hierarchie der Positionen entsteht aufgrund der amtlichen Erfahrung; besonderes Gewicht fällt daher dem Rat zu, der die längste Dienstzeit absolviert hat, wobei sich, wie der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm I. 1667 in seinem politischen Testament vermerkt, für den Herrscher eine Befragung nach aufsteigender Rangfolge empfiehlt, weil nur so die jüngeren Beamten unbefangen urteilen können, ohne die Auffassungen ihrer älteren Kollegen zu kennen.117 Gleichzeitig entscheidet nach Seckendorff das Merkmal der fachlichen Kompetenz über den Einfluß, den ein Berater gewinnt. Neben die hierarchische Schichtung des Verwaltungsstabs tritt hier die Ausbildung von Funktionseliten, die sich Autorität durch Detailwissen verschaffen.118 Das wiederum stärkt die Bedeutung der Administration, weil deren Apparat als die Summe von Fähigkeiten und Kenntnissen erscheint, die den Horizont des Individuums überschreiten. Samuel Pufendorf vermerkt 1667, der einzelne Berater müsse sich stets dem Rat als Institution unterwerfen und seine Interessen dem System subordinieren.119 Niklas Luhmann hat an den Merkmalen der fachlichen Spezialisierung, die seit dem beginnenden 17. Jahrhundert zuerst in England und Frankreich

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S. 23 (§ 10): „Consilarios portet esse maturos, urbanos, graves, non exercitatos, et bene probatos à manu et aviritia incorruptos domi pro sua sparta decentur locupletes, minimè petaces et sordidos, sed constantes, benignos, suae sortis amantes alienos à simultatibus as dissidiis contra collegas (…)“. Die Warnung vor der Gewinnsucht des Rats wird in der politischen Literatur durchgängig formuliert; vgl. dazu Wolfgang Weber, Prudentia gubernatoria, S. 203 f. Kurfürst Friedrich Wilhelm I., Politisches Testament (1667), in: Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der Frühen Neuzeit, hg. v. Helmut Duchhardt, S. 165–186, hier S. 172. Zu den kognitiven und rhetorischen Anforderungen der Beraterrolle im Kontext des höfischen Systems Wilhelm Kühlmann, Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters, München 1982, S. 235 ff. Samuel Pufendorf, Severini Monzambano eines Veronesers ungescheuter offenherziger Discurs oder gruendlicher Bericht von der wahren Beschaffenheit und Zustand des Teutschen Reichs (1669, lat. Fass. 1667), in: Staatslehre der Frühen Neuzeit, S. 567–933, S. 815.

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aufzutreten beginnen, den Prozeß der funktionalen Ausdifferenzierung des Staates und die Entwicklung erster „Ansätze zu einer Ministerialbürokratie“ nachzuweisen gesucht.120 Das administrative System repräsentiert hier nicht mehr die Gesamtheit aller Berater, die innerhalb einer nach Amtserfahrung gestuften Hierarchie aufgrund jeweils vergleichbarer Sachkenntnisse das Geschäft der politischen Information des Herrschers versehen, sondern – als Frühform staatlicher Institutionalisierung – ein nach Aufgabenbereichen gegliedertes Gefüge, dessen Angehörige unter Maßgabe ihrer unterschiedlichen Fachkompetenzen eingesetzt werden. Die Leistung der Räte besteht weniger in der Information des Herrschers als in der Administration der ihm zufallenden Gewalt. Historisch betrachtet ist diese Neudefinition eine der wesentlichen Bedingungen für die Modernisierung des frühneuzeitlichen Staates im Übergang von der, wie Hans-Ulrich Wehler schreibt, „geblütsrechtlich legitimierten Personenverbandsherrschaft der Stammestradition zur institutionalisierten Gebietsherrschaft“.121 Ausbau und Funktionsumstellung der politischen Administration fördern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen langsam anlaufenden ‚inneren Staatsbildungsprozeß‘, der, auf der Grundlage fortschreitender Ausdifferenzierung von Rechts- und Verwaltungssystemen, die Voraussetzungen für die Architektur des modernen Flächenstaates schafft.122 Durch die interne Verschiebung der Aufgaben des Rats kommt es aber auch zu einer Neubestimmung der politischen Macht, die über eine Veränderung der ihr zugeschriebenen Wirkungsräume erfolgt. An den Platz der stratifikatorisch aufgebauten Ordnung der traditionellen Verwaltung tritt eine in sich verzweigte Struktur, die bereits horizontale Vernetzungen kennt. Die Konsequenz dieses Prozesses, der, wie Luhmann bemerkt, um 1700 den

120 Niklas Luhmann, Staat und Staatsräson im Übergang von traditionaler Herrschaft zu moderner Politik, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. III, Frankfurt/M. 1989, S. 65–148, S. 117. Vgl. zur Ausbildung solcher Funktionselemente auch Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft, Frankfurt/M. 1983 (zuerst 1969), S. 238 ff., ferner Michael Stolleis, Grundzüge der Beamtenethik (1550–1650), in: Ders., Staat und Staatsräson in der Frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frankfurt/M. 1990, S. 197–232. 121 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Erster Band. Vom Feudalismus des Alten Reichs bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815, München 1987, S. 220; grundlegend Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 141 ff., ferner (mit Blick auf den Neustoizismus) Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547–1606), S. 113 ff. 122 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd.I, S. 219.

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Vorgang der gesellschaftlichen Modernisierung antreibt123, bildet das Zurücktreten der Macht in die Nischenräume der Administration. In dem Maße, in dem das Ratssystem arbeitsteilig auf die fachliche Kompetenz seiner Mitglieder gestützt wird, beschleunigt es die Inklusion und damit zugleich die Abstraktion der politischen Herrschaft: eine Hierarchie läßt sich visuell, funktionale Ausdifferenzierung dagegen nur noch deskriptiv darstellen.124 Es ist das Signum der neuzeitlichen Gesellschaftsentwürfe, daß sie die staatliche Ordnung – vertreten durch den prunkvoll inszenierten Souverän – ostentativ sichtbar halten, die Macht selbst jedoch in einer Zone des Unsichtbaren ansiedeln.125 Im Zuge der Modernisierung vollzieht sich ein Prozeß der Einhegung und Verdunkelung politischer Entscheidungszentren, der durch die Ausbildung von bürokratischen Leistungseliten flankiert wird. Die frühmoderne Staatsautorität ist unbeobachtbar; sie bildet eine Form der Einschließung, die sich auch für die Literatur nur als Paradoxon erfassen läßt: als Dispersion von Regierungsgewalt in einem abgeschatteten Raum der Funktionalität und Operationalisierbarkeit der Macht.

5. Die Zerstreuung der Souveränität Mit dem Umbau des Kollegiensystems zum Verwaltungsnetz verknüpft sich notwendig die Neudefinition der souveränen Herrschaft. Wenn diese nicht mehr beraten, sondern administriert wird, bedeutet das zwangsläufig, daß sie auf verschiedene Leistungselemente verlagert und damit distribuiert werden kann. Die Ausübung von Macht setzt jetzt formal die Rolle des Souveräns, faktisch aber das fachliche Wissen seiner Räte und Minister voraus. Dieser Umstellungsprozeß verändert zwar de iure nicht den Status des unmittelbar zu Gott gedachten absoluten Herrschers, sichert seinen Rang jedoch durch 123 Die Arbeitsteilung, die die politische Verwaltung vorexerziert, findet einstweilen in der „Umwelt des Systems“ keine „Entsprechung“, stellt jedoch die Weichen für die im 18. Jahrhundert weiträumig anlaufende funktionale Ausdifferenzierung der sozialen Ordnung (Niklas Luhmann, Staat und Staatsräson im Übergang von traditionaler Herrschaft zu moderner Politik, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. III, Frankfurt/M. 1989, S. 65–148, S. 117). 124 Gerade diese Abstraktionstendenz führt im Gegenzug zu einem Visualisierungsschub, der für die öffentliche Machtdarstellung des europäischen Absolutismus im Zeitalter Ludwigs XIV. charakteristisch ist. 125 Herfried Münkler, Die Visibilität der Macht und die Strategien der Machtvisualisierung, in: Macht der Öffentlichkeit – Öffentlichkeit der Macht, hg. v. Gerhard Goehler, BadenBaden 1995, S. 213–230, S. 214. Der seit der Antike vertraute Dualismus von unsichtbarer Macht (Despotie) und sichtbarer Herrschaft (Demokratie) wird damit zugunsten einer Dichotomie von unsichtbarer Herrschermacht und sichtbarer Ordnungsmacht aufgehoben.

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ein Funktionssystem, das die spätmittelalterliche Ordnung des Königtums noch nicht kannte. Luhmann erinnert daran, daß die Ausbildung eines administrativen Bedingungsgefüges der Macht im 17. Jahrhundert auch durch das Anschwellen der politischen Literatur gespiegelt wird, die der angemessenen Ausfüllung der Ratgeberrolle gewidmet ist.126 Besonders einflußreiche Texte des Genres repräsentieren Justus Lipsius’ Politik (1589), Bartholomaeus Keckermanns Systema Politicae disciplinae (1607), Johann Heinrich Alsteds Systema Politicae (1620), Francis Bacons Essays (1625), die einen eigenen Abschnitt zum Stichwort „Of Counsel“ enthalten, Hobbes Leviathan (mit einem detaillierten Kapitel über die Rolle der öffentlichen Bediensteten) und der oben angeführte Deutsche Fürstenstaat Seckendorffs.127 „Den Ämtern den Puls gefühlt haben“ – das nennt Balthasar Gracián im Oraculo manual eine wesentliche Voraussetzung für die politische Karriere in einem modernisierten Absolutismus. „Ihre mannigfaltige Verschiedenheit zu kennen ist eine meisterliche Kunde, die Aufmerksamkeit verlangt.“128 Wenn Gracián auf das Kriterium der Diversifizierung verweist, so besitzt das nachvollziehbare Gründe, markiert doch die ‚Verschiedenheit‘ der Ämter den wesentlichen Indikator der modernen politischen Verwaltung. Zugleich steht zu bedenken, daß sich mit dieser Diversifizierung von Funktionsgruppen innerhalb der Ämterhierarchie auch eine Verselbständigung des Apparates verbindet, die das politische Entscheidungsgeschehen am Ende des 17. Jahrhunderts zu bestimmen beginnt; deutliche Anzeichen für einen solchen Prozeß zeigen sich erstmals am Versailler Hof Ludwigs XIV., der die Zahl der Kanzlisten auf über 500 ausweitet.129 Die Position der Räte bezeichnet zunächst die Ordnung eines Dritten zwischen Untertan und Souverän. In dieser Stellung ist der Rat eine Figur, die den Ereignisparcours der Politik beobachtet, um daraus Folgerungen für das Entscheidungsprogramm des Herrschers abzuleiten. Unter handlungstechnischen Aspekten kann man ihn als Mittler betrachten, denn er agiert weder als Untertan – dem solche Beobachtungstätigkeit in der Frühen Neuzeit fremd wäre – noch in der – erst vom modernen Staat ausgestalteten – Rolle des mit offiziellen 126 Niklas Luhmann, Staat und Staatsräson im Übergang von traditionaler Herrschaft zu moderner Politik, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. III, Frankfurt/M. 1989, S. 65–148, S. 125 f. 127 Systematische Analyse der politischen Literatur des 17. Jahrhunderts nach Textsorten und Gliederungsaspekten bei Wolfgang Weber, Prudentia gubernatoria, S. 42 ff., 72 ff. 128 Balthasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647), S. 52 (Nr.104). 129 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 155. Der Aspekt der administrativen ‚Aufrüstung‘, die das System des ‚Sonnenkönigs‘ begleitet, kommt in einer kulturgeschichtlichen Optik zu kurz: Peter Burke, The Fabrication of Louis XIV, New Haven, London 1992, bes. S. 87 ff.

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Machtlizenzen versehenen Diplomaten oder Ministers (da Macht im Absolutismus juristisch unteilbar ist, läßt sich ein derartiges Amtsverständnis nicht denken). Innerhalb der politischen Topographie ist ihm ein Platz vor dem Zentrum zugewiesen, der ihn vom Inneren der Regierungsgewalt ausschließt, aber zugleich zu einer Figur der Vermittlung werden läßt. Der Ratgeber agiert in der Korridorzone, die Carl Schmitt als Antichambre der Souveränität beschrieben hat: „Vor jedem Raum direkter Macht bildet sich ein Vorraum indirekter Einflüsse und Gewalten, ein Zugang zum Ohr, ein Korridor zur Seele des Machthabers.“130 Luhmann spricht in einer leicht mißverständlichen Wendung davon, daß der Typus des Rats einen Modus der „Notwendigkeit der Selbsterkenntnis“ im politischen System repräsentiere.131 Diese Formel enthüllt ihre tiefere Evidenz, wenn man berücksichtigt, daß das Kollegium aus Gründen, die das politische Ordnungsgefüge vorschreibt, zur gleichsam verdeckten Arbeit genötigt wird. Der Ratgeber darf als Figur offiziell nicht in Erscheinung treten, weil seine Existenz die Unteilbarkeit der souveränen Herrschaft in Frage stellen könnte. Seine Tätigkeit ist eine äußerlich unsichtbare Systemleistung, die der Stabilisierung der Macht zugute kommt und in diesem Sinne ihre – rein funktional zu verstehende – ‚Selbsterkenntnis‘ fördert. Das Kollegium scheint, betrachtet man es von außen, mit der Person des Herrschers identisch. Es bildet ein Element des politischen Körpers, so daß die Urteilsprozesse, die es herbeiführt, nicht als eigenständige Vorgänge, sondern als Effekt der unumschränkten Entscheidungsbefugnisse des Souveräns aufgefaßt werden können. Hobbes’ De Cive unterstreicht diese Idealvorstellung von der in den Königsleib eingewanderten Administration mit dem Hinweis, der Herrscher werde durch das Wirken des Consiliums nicht in seiner Souveränität eingeschränkt, da er es auf freiwilliger Basis befrage: „Endlich gilt das Recht des Ratgebers nur so weit, als es dem, dem er den Rat erteilt, beliebt (…)“132 Untersucht man die internen Konsequenzen der Ausweitung des Kollegiensystems genauer, so lassen sich freilich Schlußfolgerungen ziehen, die zu

130 Carl Schmitt, Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber/Gespräch über den Neuen Raum, Berlin 1994 (zuerst 1954), S. 18. 131 Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1998 (3. Aufl., zuerst 1990), S. 96. Die epistemischen Prämissen, die Luhmann dazu veranlassen, den Rat als Beobachter zweiter Ordnung zu betrachten, sind für die nachstehenden Überlegungen nur zweitrangig (Abstraktion des Beobachtungsbegriffs und Theorie ‚rekursiver‘ Beobachtungsverhältnisse als Möglichkeit, die Konstellation einer Beobachtung der Beobachtung zu plausibilisieren). 132 Thomas Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger, S. 217.

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einer weitreichenden Umwertung des Begriffs der ‚Souveränität‘ in seinem ursprünglichen Sinn führen. Der Prozeß, der sich durch die Ausdifferenzierung des Ratssystems vollzieht, treibt faktisch auf die Installation des Entscheidungszentrums im Apparat der Verwaltung zu. Durch die Diversifizierung von Zuständigkeiten aufgrund unterschiedlicher Kenntnisse und Erfahrungen der Räte erfolgt eine Distributionsbewegung innerhalb des Raums der politischen Beschlußfassung, die Souveränität nicht im rechtlichen, jedoch im strukturellen Sinne zersetzt und neu verteilt. Mit diesem Vorgang verbindet sich das Eintreten der Macht in eine Zone der Unsichtbarkeit, wo sie funktional ausgeübt, aber nicht symbolisch vergegenständlicht werden kann. Der Ratgeber ist fortan keine Mittlerfigur mehr, weil er an der Praxis der Herrschaftsausübung direkt partizipiert. Man könnte diesen Vorgang als Prozeß der Reorganisation beschreiben, der dazu führt, daß die Administration ihr Ordnungsgefüge in die Welt der Macht kopiert und damit auf einer Ebene jenseits der äußeren Sichtbarkeit umbaut. In beiden Fällen ist ein identisches Resultat zu erkennen: Verwaltungspraxis wandelt sich zu struktureller Herrschaftspraxis, indem sie Entscheidungsabläufe neu gliedert, distribuiert und von der Person des Souveräns abzieht. Der Monarch übernimmt unter dem Einfluß dieser Umschichtung lediglich die Funktion einer öffentlich wahrnehmbaren Symbolisierung staatlicher Herrschaft, ohne die Macht generell nicht existieren kann, will sie Ordnung stiften.133 Seine Rolle bezeichnet eine Form der strategischen Visualisierung, die, anders als im Mittelalter, nicht die Identität von Regierungshandeln und symbolischer Präsenz der Regierungsgewalt, sondern die Stellvertretung der potestas durch ein Bild zum Ausdruck bringt.134 Der Invisibilisierung der in die Gehäuse der Administration zurücktretenden Macht wirkt so die demonstrativ-prunkvolle Veranschaulichung der Autorität des Souveräns entgegen, wie sie für die Inszenierung des Monarchen im Zeitalter des Absolutismus charakteristisch sein wird. In der Spätphase der Tudor-Dynastie läßt sich dieser von dialektischen Zügen getragene Prozeß erstmals punktuell erkennen: die Repräsentation der Königin Elisabeth als Diana, Minerva oder Phönix ersetzt die für das Mittelalter gültige Symbolik des Herrscherkörpers durch die artifizielle Vergegenwärtigung eines mythischen Scheinleibs. Der Verbindlichkeitsverlust der für die politische Theologie konstitutiven Rollenmuster, die eine Identität von Innen und Außen vorga133 Macht, die nur unsichtbar bleibt, kann keine Strukturen ausbilden, bleibt folglich wirkungslos; sie bedarf daher eines externen Bildes, durch das sie sich vermittelt (Herfried Münkler, Die Visibilität der Macht und die Strategien der Machtvisualisierung, S. 213). 134 Vgl. Herfried Münkler, Die Visibilität der Macht und die Strategien der Machtvisualisierung, S. 223.

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ben, äußert sich gerade durch die permanente öffentliche Schaustellung der Herrscherin. Deren opulente Zeichensprache verbirgt den Umschichtungsprozeß, der mit der wachsenden Ausdifferenzierung der Macht verbunden ist, indem sie die Fortdauer einer einheitlichen politischen Körperschaft suggeriert, die das Anwachsen administrativer Entscheidungselemente im System der Regierung bereits geschwächt hat.135 Haugwitz’ Trauerspiel führt ein Machtgeschehen vor, das sich, mit dem oben formulierten Befund vergleichbar, durch einen funktional begründeten Differenzierungsvorgang aufbaut und gliedert. Indem sich politische Herrschaft über die Verteilung von Zuständigkeiten im inneren System des Kollegiums organisiert, gewinnt sie eine neue Form, die nicht durch Konzentration (in der Person des Souveräns), sondern durch Distribution (in den Verästelungen eines Arbeitsgefüges) hervortritt. Das Ganze des elisabethanischen Herrschaftsraums erscheint als Summe verschiedener bürokratischer Funktionsgruppen, die ihre Kompetenzen auf der Basis der Aufgabenteilung wahrnehmen.136 Mit diesem Bild der politischen Verwaltung verbindet sich bei Haugwitz die Diagnose, daß das Ratsgefüge seine Regelungskompetenzen mißbrauche und als Staat im Staat auftrete. Über den höfischen Intriganten hat Walter Benjamin bemerkt, er verkörpere „die infernalischen Züge“ des Ratgebers.137 Haugwitz’ Trauerspiel zeigt dagegen keine an Personen gebundene Macht, sondern die Verselbständigung des kollektiven politischen Apparates. Diese Verschiebung führt zu einer historisch zweifelhaften Bewertung von Elisabeths Privy Council, die jedoch programmatischen Charakter trägt. Die Herrscherin wird absichtsvoll als Gefangene ihrer Höf-

135 Zu kurz greift hier Peter Burke, The Fabrication of Louis XIV, S. 130 ff., der mit Blick auf das späte 17. Jahrhundert von einer Krise der Selbstdarstellung der Macht spricht und diese allein auf das Aufkommen eines mechanistischen Weltbildes im Zuge der kopernikanischen Wende zurückführt. Burkes ideengeschichtliche Betrachtungsweise übersieht, daß wissenschaftliche Neudeutungen der Realität stets auch auf Funktionsumstellungen im sozialen System antworten. So ist die moderne Astronomie selbst eine Reaktion auf die Destabilisierung des Denkens in Ähnlichkeiten, die sich im Bereich der Herrscher-Inszenierung zunächst durch eine Akkumulation von symbolischen Veranschaulichungsformen äußert, welche der drohenden Invisibilisierung der Macht entgegenwirken. 136 Das mag den realen historischen Verhältnissen der Epoche (noch) nicht entsprechen. Bei Ulrich Suerbaum (Das Elisabethanische Zeitalter, Stuttgart 1989) liest man: „Fast alles hängt von Personen ab, nur wenig von Institutionen.“ (S. 132) Literarische Texte zeigen bekanntlich nicht Wirklichkeit, sondern mögliche Welten. In diesem Sinne ist Haugwitz’ Porträt eines sich selbst organisierenden administrativen Machtgefüges das Resultat der Fiktion – freilich mit klarem Bezug auf die späteren Realitäten des absolutistischen Zeitalters. 137 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 276.

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linge dargestellt und auf solche Weise diffamiert; der dramatische Text weicht von den Quellen der Überlieferung ab, um das negative Image der Königin zum Indiz für einen verdeckt ablaufenden Prozeß der politischen Funktionsumschichtung zu verwandeln. Es läßt sich dabei zeigen, daß die mit theatralischen Mitteln vorgeführte Dezentrierung weiblicher Herrschaft eine exakt umrissene Aufgabe innerhalb der Geschichtsinszenierung des Trauerspiels versieht, die das Phänomen der Macht dekonstruiert, indem sie es in neue Organisationsstrukturen überführt.138 Was im 17. Jahrhundert als generelles Signum einer Transformation politischer Souveränität auf dem Weg zur Konstitution staatlicher Zentralmacht auftritt, wird hier als negativer Indikator der von der Frau ausgeübten Herrschaft zur Schau gestellt und damit einer männlich präokkupierten Geschichtsperspektive unterworfen. Modernisierung, wie sie mit dem Aufbau der Funktionseliten des Beratungssystems verbunden ist, spiegelt sich im Machtverfall der Königin.139 Will man diese Tendenz des Textes erfassen, so bedarf es zunächst eines Blicks auf die Titelheldin. Nach dem Vorbild des Jesuitendramas beleuchtet auch der protestantische Autor Haugwitz Maria Stuart als Märtyrerin, deren theatralische Darstellung sich auf vertraute Elemente stützt. An Gryphius’ Catharina von Georgien, die bereits den recht monotonen Prolog (mit der Ewigkeit als Vorrednerin) beeinflußt, erinnert Marias ausführlicher Lebensbericht im zweiten Aufzug, dessen Selbstbild vom Rapport des französischen Diplomaten ergänzt wird.140 Haugwitz zitiert hier die zur Formelhaftigkeit geronnene Leidensmetaphorik, mit der auch Joost van den Vondel aufwartet, wenn er an das Ende seines Trauerspiels ein Epitaph auf Maria setzt, in dem ihr bescheinigt wird, daß sie „geduldigh“ und „getroost“ ihr Schicksal ertragen habe.141 Entsagungswille, Frömmigkeit und Vorfreude auf 138 Der Begriff des ‚Neuen‘ bezieht sich hier nicht auf eine antizipierende und damit kritische Leistung der Literatur, die ihr von nachidealistischen Ästhetiken (man denke an Adorno) gern bescheinigt wird, sondern auf die Darstellung einer Machtstruktur im imaginären Raum des Textes, die sich anders als bisher verteilt und vermittelt. 139 Vgl. zu diesem Modernisierungsprozeß, der seinerseits die umfassende Konstruktion und Absicherung einer staatlichen Zentralmacht ermöglicht, Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 141 ff. – Die durch das Vordringen der Administration beschleunigte Invisibilisierung der Macht ist grundsätzlich zu unterscheiden von jenem Prozeß der Ausbildung einer strukturellen ‚Disziplinarmacht‘ (des Rechts, der Sexualität oder des Wissens), wie ihn Foucault als Signum der neuzeitlichen Gesellschaft beschrieben hat. Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen, S. 229 ff., 259 ff., Ders., Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, S. 72 ff. 140 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 32 f. (v.1 ff.), 42 f. (v.29 ff.). 141 Joost van den Vondel, Maria Stuart of gemartelde Majesteit (1646), in: De volledige Werken van Joost an den Vondel, Bd. IV, S. 18–85, S. 85.

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das Jenseits, die Marias Passionsgeschichte in den traditionell ausgeleuchteten christologischen Kontext rücken, finden sich bei Haugwitz jedoch um eine politische Dimension ergänzt. Das durch den englischen Rat beschlossene Urteil bedeutet hier einen Angriff auf die Institution des Königtums. Als die aristokratischen Empörer Maria vom schottischen Thron vertrieben, besiegelten sie, so heißt es, ihre Aktion, indem sie die Machthaberin entkleideten und „mit einem Rock aus alten Lumpen zierten“.142 Diesem – nach einem Wort Walter Paters – ‚invertierten Ritus‘143, der die Stuart in der Umkehrung der Investitur als abgesetzte Monarchin ausweist, folgt nun, wie der Gesandte erklärt, ein zweiter Schlag: „Vor war Maria todt; | Jetzt stirbt der Kön’ge Macht.“144 Wenn Maria, die Gesalbte, exekutiert wird, dann bedeutet das aus der Sicht des französischen Diplomaten auch eine massive Attacke gegen die institutionelle Würde des Königtums, die sie für ihn weiterhin verkörpert, obwohl sie ihre politische Autorität längst verloren hat. Zu prüfen steht freilich, welche Stoßrichtung die eben angeführten Verse aufweisen. Nach mittelalterlichem Recht ist die Tötung des Königs die Bestrafung für die mangelhafte Ausfüllung der Amtswürde (‚dignitas‘), die sich in einer politisch unklugen Herrschaft manifestiert. Da sie nicht den institutionellen, sondern nur den natürlichen Körper betrifft, muß der König vor der Exekution seine Krone ablegen, sich entkleiden und nackt unter den Richtblock treten, wie es Kantorowicz in seiner scharfsinnigen Analyse von Shakespeares Richard II (1597) gezeigt hat.145 Vor solchem Hintergrund scheint es evident, daß die Aussage des Gesandten sich nicht auf das dem König inkorporierte Institut der dynastisch vererbten Herrschaft beziehen kann, die durch die Hinrichtung seines natürlichen Leibes niemals gefährdet wird. Die Macht, die stirbt, wenn man Maria Stuart enthauptet, ist die Macht Elisabeths, welche durch den strafbaren Akt der Exekution ins Zwielicht rückt. So kommt es zu einer Umwertung der im mittelalterlichen Recht verankerten Vorstellungen; würdelos ist nicht die hingerichtete Monarchin, sondern die, welche sie, obgleich gesalbt, töten läßt. Diese Verschiebung ist auch deshalb bemerkenswert, weil das Ritual der Hinrichtung seit dem Mittelalter als Akt der Wiederherstellung der durch das Verbrechen verletzten

142 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 43 (v.54). 143 Walter Pater, Appreciations, S. 198. Die Formel „inverted rite“ bezieht sich im Rahmen des Aufsatzes Shakespeares English Kings auf die Entmachtung Richards II. 144 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 43 (v.80 f.). 145 Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 48 ff. Zur Körpersprache des Machtverlusts in Richard II Stephen Greenblatt, Verhandlungen mit Shakespeare, S. 73 f.

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Souveränität betrachtet wird.146 Im Fall Elisabeths ist der Souverän jedoch nicht der virtuelle Beobachter der Exekution, sondern seinerseits Angeklagter, der unter der Aufsicht Gottes steht. In seiner dem Dramentext vorangestellten Inhaltsangabe spricht Haugwitz pointiert von einem „unerhörten und allen gekroehnten Haeuptern sehr nachtheiligen Exempel“, das der Willkürakt der Königin statuiert habe.147 Elisabeth hat zwar den Exekutionsbefehl bestätigt, möchte jedoch seinen Vollzug zunächst aussetzen („Ich will / man soll das Urtheil was verschieben.“148). Nicht unumschränkte Befehlsgewalt (als Form der von Foucault hervorgehobenen Souveränität), sondern eine lavierende Verantwortungsfurcht bestimmt das politische Handeln der Königin. Indem sie sich dem Einfluß ihrer Räte unterwirft, beschädigt sie jene monarchische Dignität, die die Inszenierung ihrer Person im Rahmen von Theateraufführungen, Festspielen und Porträtdarstellungen als Merkmal einer glanzvollen Regentschaft hervorzuheben sucht. Die Märtyrer-Imago Marias, die in einer allegorischen Sequenz durch den Geist des für seine gescheiterte Rettungsaktion hingerichteten Herzogs von Norfolk bekräftigt wird, bestätigt aus anderer Sicht die funktionale Insuffizienz der Elisabeth übertragenen Herrschergewalt: „Drumb laß Elisabeth! nur Cronen Ehre geben / | Dich wird ein tapffer Tod / Maria! mehr erheben.“149 Zur Verklärung der Märtyrergestalt gesellt sich komplementär die Abwertung der weltlichen Macht, die Elisabeth repräsentiert. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob die englische Königin im strukturellen Gefüge des Trauerspiels an den Platz jener Tyrannenfiguren trete, die bei Gry146 Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen, S. 63 ff. 147 August Adolph von Haugwitz, Inhalt Deß Trauer=Spiels, A 4 (v). 148 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 47 (v.174). 149 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 58 (v.207 f.). Hier klingt ein Motiv an, mit dem Gryphius im Carolus Stuardus operierte: Maria tauscht die weltliche Krone gegen die Dornenkrone der Märtyrerin, die ihr himmlische Ehren gewährt (vgl. Andreas Gryphius, Dramen, S. 575). Dazu die einschlägige (wenngleich umstrittene) Deutung der Kronen-Symbolik bei Albrecht Schöne, „Ermordete Majestät. Oder Carolus Stuardus König von Groß-Britannien“, in: Die Dramen des Andreas Gryphius, S. 117–169, S. 128 ff., 135 f.; während Schöne das Bild auf eine triadische Struktur zurückführte, hat die neuere Forschung an ihm zumal die Opposition von weltlicher und spiritueller Herrschaft hervorgehoben (Günter Berghaus, Die Quellen zu Andreas Gryphius’ Trauerspiel Carolus Stuardus. Studien zur Entstehung eines historisch-politischen Märtyrerdramas der Barockzeit, Tübingen 1984, S. 255 f.). Zu kurz greift Lothar Bornscheuer, Diskurs-Synkretismus im Zerfall der politischen Theologie. Zur Tragödienpoetik der Gryphschen Trauerspiele, in: Studien zur Literatur des 17. Jahrhunderts, S. 489–529, hier S. 515, der den politischen Gehalt des Trauerspiels in einer rein weltlichen Bedeutung der Kronentrias verankern möchte.

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phius, Lohenstein und Hallmann die nackte Gewalt der Despotie zu verkörpern pflegen. Betrachtet man die Herrschaftsverhältnisse, die das Trauerspiel beleuchtet, genauer, so erkennt man jedoch, daß Elisabeth in der Rolle der schwachen Königin agiert, die zum Opfer eines tiefgreifenden Umbruchs im Ordnungssystem der souveränen Macht wird. Die politische Theologie des Mittelalters hat bei Haugwitz ihre funktionale Evidenz als krisenresistentes Erklärungsmuster für die Garantie monarchischer Würde eingebüßt. In Gryphius’ Carolus Stuardus (1663) erscheint der Geist Marias dem auf seinem Gefängnisbett sitzenden König und erinnert an eine bedrückende Serie historischer Verbrechen, die sich seit dem Mittelalter in der wiederholten Absetzung oder Ermordung englischer Monarchen abzeichnet: „Was ist den Britten mehr umb eines Koenigs Haubt? | Es ist der Jnsel Art!“150 Von den düsteren Exempeln der Vergangenheit unterscheidet sich der Fall Maria Stuarts aus der Perspektive des Haugwitzschen Textes durch die fatalen Folgen, die er für die Herrschaft der historischen Siegerin zeitigt. Während die katholische Märtyrerin Maria würdig in das Gedächtnis der Geschichte eingeht, bleibt die Monarchin mit dem Makel der politischen Illegitimität auf dem Schauplatz des Geschehens zurück. Diese Illegitimität erweist sich nun in letzter Instanz als Zeichen für einen verdeckt ablaufenden Prozeß der Umorganisation der Macht. Die Hinrichtung der Widersacherin treibt Elisabeth in eine Lage, die ihr geschichtliche Schuld zuschreibt; solche schuldhafte Verstrickung betont noch William Robertsons 1759 erstmals erschienene, 1762 auch ins Deutsche übersetzte Geschichte Schottlands, wenn sie hervorhebt, die oftmals bewundernswürdige Königin habe im Fall Maria Stuarts das Spiel „einer unnöthigen Verstellung“ mit letzthin mitleidlosem Herrschaftskalkül verbunden.151 Zugleich aber zeigt Haugwitz’ Drama in der Massierung der Beratungsszenen, daß im Schatten dieser dissimulatio eine Umschichtung und Neuorganisation politischer Macht gemäß dem oben beschriebenen Administrationsmodell stattgefunden hat.152 In recht eigenwillig wertender Auslegung der historischen Quellenzeugnisse charakterisiert Haugwitz Elisabeth als Königin, die im Kerker ihres netzwerkartigen Beratersystems sitzt, ohne über

150 Andreas Gryphius, Ermordete Majestaet. Oder Carolus Stuardus / Koenig von Gros Britanien, Dramen, S. 471 ff. (II, v.161 ff.), hier S. 472 (II, v.195 f.). 151 William Robertson, Geschichte von Schottland unter den Regierungen der Königin Maria und des Königs Jacobs VI bis auf die Zeit, da der letztere den englischen Thron bestieg. Nebst einem Abrisse der schottischen Historie vor diesem Zeitabschnitt. Aus dem Englischen übersetzt [v. Georg Friedrich Seiler]. Zwey Theile, Ulm, Leipzig 1762, S. 434. 152 Vgl. zu den historischen Hintergründen dieser Umstellung zusammenfassend Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. II, S. 707 ff.

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selbständige Entschlußkraft und aktiven Entscheidungswillen zu verfügen. Das Bild, das der Text von der Monarchin entwirft, läßt sich durch die Briefe, die Elisabeth unter dem Eindruck der Exekution diktierte, nur sehr bedingt stützen, weil deren Sprache von einer befremdlichen Ambiguität bestimmt bleibt. Marias Sohn, seit 1567 als James VI. König von Schottland, hatte Elisabeth am 26. Januar 1587 ein bittendes und zugleich warnendes Schreiben gesendet, in dem er betonte, daß die Königin ihre Reputation als Herrscherin preizugeben drohe, wenn sie das Urteil gegen seine Mutter nicht aussetze: „(…) and the universall (almost) mislyking of you may dangerouslie perril both in honoure and utilitie youre personne and estate.“153 Das eigentliche Skandalon des Falls besteht aus der Sicht des schottischen Regenten jedoch in der Entwürdigung des Amtes, die hier droht; eine Königin, welche gegen das geltende Recht verstößt, indem sie eine gesalbte Herrscherin hinrichten läßt, beschädigt sich nicht nur als Person, sondern entweiht zugleich das Institut des Königtums. Die Formel „youre generall reputation“154 verweist auf diese Dimension einer Gefährdung des Amtes, die im Moment des Fehlverhaltens seiner Repräsentantin unabdingbar gegeben ist. Ihre Antwort auf James’ Petition formuliert Elisabeth erst am 14. Februar 1587, eine knappe Woche nach der Hinrichtung in Fotheringay. Mit genau gewogenen Worten erklärt sie, sie sei unschuldig an den traurigen Ereignissen: „I beseech you that as God and many more know, how inncocent I am in this case: so you will believe me, that if I had bid aught I would have bid by it.“155 Die argumentative Strategie der Monarchin dient der Verschleierung ihrer wahren Verantwortung für die Hinrichtung Marias. Die Möglichkeit der Intervention, die Elisabeth aufgrund ihres Amtes besessen hätte, wird mit einer geschliffenen Formulierung als fiktiv ausgewiesen: ‚if I had bid aught I would have bid by it‘. Die Grenze zwischen rhetorischem Vorwand und Wahrhaftigkeit ist an diesem Punkt schwer zu ziehen. Die grammatische Form des Konditionalsatzes läßt die Souveränität, die sich in unumschränkter Entscheidungsfreiheit manifestiert, zu einer hypothetisch, nicht aber faktisch gegebenen Amtsgewalt werden. Sein und Schein spielen hier kaum entwirrbar ineinander. Der aufgeklärte Historiker William Robertson spricht 1759 in seiner Geschichte Schottlands mit Blick auf die Briefäuße153 John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. II, S. 502. 154 John Nichols (Hg.), The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth, Vol. II, S. 502. 155 [Elizabeth I] The letters of Queen Elizabeth I, edited by G.B. Harrison, London 1968, S. 188.

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rungen der Königin von „offenbaren Proben der Verstellung und Fußtapfen hinterlistiger Kunstgriffe“, die ein „Possenspiel“ der politischen Dissimulation in Szene setzten.156 Schiller schließt sich dieser Auffassung an, wenn er Elisabeth in einem Brief an Goethe vom 30. Juli 1799 als ‚königliche Heuchlerin‘ bezeichnet.157 Eine Sonderstellung nimmt dagegen Camden ein, der der Herrscherin in seinen Annales echtes Mitgefühl bescheinigt („Elisabetha dolet“) und ihren Brief an James I. als Ausdruck wahrhaftiger Anteilnahme („Scotoru Regi se excusat“) auslegt.158 Wenn man Camdens Position als wenig überzeugende Apologie des Geschehens auf sich beruhen läßt, bleiben zwei ernstzunehmende Möglichkeiten, Elisabeths Verhalten zu deuten. Operiert die Monarchin als kühl rechnende Machivaellistin, die sich auf das Instrumentarium der Täuschung stützt, so diente das Schreiben an den schottischen König in der Tat der strategischen Verschleierung ihres herrscherlichen Willens. Ist ihre Macht jedoch durch das System der Räte derart eingeengt, daß sie jeglichen Einfluß auf die zentralen Entscheidungsprozesse verloren hat, dann dokumentierte ihre Argumentation einen außerordentlich weit fortgeschrittenen Souveränitätsverlust, der die politische Autorität der Königin entschieden beschränkte. Wer diese Interpretationsvarianten näher betrachtet, kann in der Widersprüchlichkeit von Elisabeths Rolle ihr gemeinsames, übergreifendes Merkmal erkennen. In beiden Fällen besteht ein fundamentaler Gegensatz zwischen Außen und Innen, Zeichen und Sinn. Die geschliffene Kasuistik des Briefs markiert diesen Gegensatz zwar auf beredte Weise, hebt ihn jedoch nicht auf, sondern operiert mit ihm wie mit einer argumentativen Strategie. Das Changieren der Sprache offenbart im Panorama der Auslegungsmöglichkeiten die Zweideutigkeit, welche die politische Welt der Epoche überzieht. Die paradoxe Form der Selbstdarstellung bleibt das Produkt einer Rhetorik, die zwar das Ausmaß der Macht, über die Elisabeth verfügt, im Dunkeln läßt, aber gerade deshalb der Polyvalenz ihrer Rolle sehr genau korrespondiert. „Prynces“, so hatte die Königin am 11. November 1586 vor ihren Parlamentariern erklärt, „stand apon stages“; das helle Licht der Bühne aber bestrahlt eine Spielerin, deren Aktionen Sein und Schein gleichermaßen bedeuten können.159

156 William Robertson, Geschichte von Schottland, S. 374 f. 157 Friedrich Schiller, NA 30, S. 75. 158 William Camden, Rerum Anglicarum et Hibernicarum Annales, Regnante Elisabetha, S. 496. 159 Thomas E. Hartley (Hg.), Proceedings in the Parliaments of Elizabeth I. Vol. II (1584–1589), S. 380.

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6. Schlafende Regenten Haugwitz kannte die Schreiben der Königin nicht durch eigene Anschauung, sondern bezog seine Informationen über die Ereignisse im Umfeld von Marias Hinrichtung zumal aus Buchanans Rerum Scotticarum historia (1582), Franciscis Traur-Saal (1665) und Camdens Annales.160 Während das Selbstbild, das Elisabeths Briefe entwerfen, das Signum der Zweideutigkeit aufweist, erscheint die Monarchin bei Haugwitz als Figur, die sich faktisch aus dem Zentrum der Macht entfernt hat (Camdens Rechtfertigungsversuch wird damit stillschweigend verworfen). Ihre Regentschaft läßt sich nicht mehr nach den Gesetzen der mittelalterlichen Herrschertheologie definieren, weil sie einem neuen Ordnungsprogramm untersteht. Der politische Körper der Königin, den die Panegyrik der ausklingenden Tudor-Ära als Phönix-Leib verklärte, wird vom System der Räte erzeugt. Haugwitz’ Trauerspiel führt damit die doppelte Erosion vor Augen, der die Herrschaft der Monarchin ausgesetzt ist: zum einen deren juristische Destabilisierung durch die Vollstreckung eines rechtlich fragwürdigen Todesurteils, zum anderen ihre innere Schwächung, die in der Substitution des body politic durch das Kommunikationsnetz der Räte besiegelt wird. Maria Stuart stirbt als Opfer der Administration, die Elisabeths Beschlüsse auf arkane Weise lenkt. In seinem schon erwähnten politischen Testament vom 4. Juni 1660 hielt der hessische Landgraf Georg II. die Normen fest, denen nach seinen Vorstellungen ein idealer Souverän im Umgang mit seinen Beraterstäben zu folgen hatte. Betrachtet man sie näher, so erkennt man, daß die Verselbständigung der Administration bei Haugwitz nicht zuletzt die Konsequenz des problematischen Verhaltens bildet, das die Königin in der Auseinandersetzung mit ihren Ministern an den Tag legt. „Nechst fleißiger Anbefehlung aller Sachen in Gottes Hände brauche er“, so empfiehlt Georg II. dem Herrscher, „die von Gott verordnete[n] Mittel, daß er nemlich (…) seiner geheimen und anderer Rhäte consilia vernehme, die Rhäte nicht nur collegialiter, sondern auch etwa einen nach dem andern allein befrage, seine rationibus dubitandi [Erwägungen] ihnen communicire, gute Rhatschläge nicht nur höre, sondern auch denselben folge, über deme, so mit gutem Bedacht beschlossen ist, standhafftig halte, keinem, der seinem besten Verstand und Befinden nach seine Mainung angezeigt, würisch [verwirrend, schlimm]

160 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, Nachwort S. 50*.

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begegne, damit sie nicht fortan schew gemacht und abgeschreckt werden, libere zu votiren [freimütig zu raten] und vor des Fürsten Schaden zu warnen.“161 Im Gegenlicht dieser Aufstellung werden die Verfehlungen sichtbar, die sich Elisabeth bei Haugwitz zuschulden kommen läßt. Sie verzichtet auf eine Unterredung mit einzelnen Räten, wartet lauernd auf Empfehlungen (statt eigene Vorstellungen anzubieten) und verwirft mehrfach schon getroffene Entscheidungen, da sie sich nicht auf einen verbindlichen Beschluß festzulegen vermag. Die politische Klugheit, die einen gelassenen Umgang mit den Beamten verlangt, wird hier von einer hektischen Unruhe verdrängt, welche permanente Meinungswechsel erzwingt. Administrative Ratschläge, so heißt es 1639 in den Monita paterna des bayerischen Kurfürsten Maximilian I., sollten mit Vorsicht und reifer Überlegung gefaßt, dann aber ohne „unnöthige verlängerung“, die eine „Muetter dess schadens“ sei, vollzogen werden.162 In Christian Weises Trauerspiel Masaniello (1683) formuliert der neapolitanische Herzog Matelone am Schluß nach einem mühsam niedergeschlagenen Volksaufstand die Erwartung, daß der Herrscher künftig vergleichbare Unruhen verhindern könne, wenn er „bessere Consilia fasse“.163 Allein der ist ein wahrer Souverän, der die Hilfe der Ratgeber dazu nutzt, seine Macht im Inneren zu stabilisieren, gleichzeitig aber die Zerstreuung seiner Autorität kraft der ihm verliehenen Amtswürde verhindern kann. Am Modellfall des Ratssystems erweist sich wiederum die Paradoxie der frühneuzeitlichen Herrschaftsskonstruktion, welche eine strukturelle Einheit in der organisatorischen Vielheit zu erhalten und zu behaupten sucht. Der politische Körper des Machthabers gewinnt seine Gestalt durch Teile, die er, indem er sie in sich aufnimmt, zugleich zum Verschwinden bringen muß; er soll eine institutionelle Gewalt repräsentieren, deren Form und

161 Georg II. von Hessen-Darmstadt, Politisches Testament (1660), in: Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der Frühen Neuzeit, hg. v. Helmut Duchhardt, S. 43–76, hier S. 52. 162 Maximilian I. von Bayern, Vätterliche Ermahnung (1639), in: Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der Frühen Neuzeit, hg. v. Helmut Duchhardt, S. 119–131, hier S. 131; [Maximilian I.] Väterliche Ermahnungen an seinen Sohn Ferdinand Maria, S. 24 (§ 20): „Consilia sint provida, bene expensa, consiliorum executio cante et festinata.“ 163 Christian Weise, Trauer=Spiel von dem neapolitanischen Haupt=Rebellen Masaniello (1683), Sämtliche Werke, Bd.I, S. 367 (V,24). Zur Bedeutung der Volksrebellion in der Frühen Neuzeit Stephen Greenblatt, Murdering Peasants: Status, Genre, and the Representation of Rebellion, in: Representing the English Renaissance, ed. by Stephen Greenblatt, Berkeley, Los Angeles 1988, S. 1–30.

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Rechtsanspruch mehr als die Summe der ihn konstituierenden Elemente ausbildet. Die Vielheit der Ratgeber gewinnt allein dann ordnungsstiftende Wirkung, wenn sie operativ in der monolithischen Geschlossenheit der souveränen Macht aufgehoben wird. In diesem System dürfen keine Unterbrechungen und Aberrationen auftreten; die Zeit des autoritären Herrschaftsvollzugs ist Entscheidungszeit in Permanenz, die sich als unaufhörliches Kontinuum darbietet. Maximilian I. bemerkt mit einer Wendung, wie sie ähnlich in zahlreichen Texten der politischen Literatur des 17. Jahrhunderts auftritt: „wan eine sach nothwendig vorgenommen werden mues, soll man solches ohne verschub berathschlagen“, da „lung besunnen (…) dem andern den Vorthaill in die handt“ spiele.164 Das System der herrscherlichen Entscheidungsfindung kennt keinen Bruch zwischen Ursache und Wirkung; Reflexion und Aktion bilden in ihm eine strukturelle Einheit, denn gerade die unhintergehbare Kohärenz von Rat und Tat zeichnet die Politik des absoluten Machthabers aus. Im Zentrum der Souveränitätslehren kauert daher die Angst vor der Dispersion der Macht. Hobbes’ De Cive beschreibt den Fall, in dem der Monarch, ehe er einschläft, die Verantwortung für die Regierungsgeschäfte einem seiner Räte anvertraut, am Morgen aber nicht mehr erwachen darf, weil dieser es ihm, gestützt auf die geliehene Macht, verbietet.165 Sämtliche Formen der Herrschaftsdistribution münden nach den Regeln der politischen Theologie in die faktische Absetzung des Souveräns, da dessen Amt nicht teilbar ist. Der König, der seine Kronrechte vertreten läßt, fällt dem ewigen Schlaf des Todes anheim. Daß im juristischen Sinn nur der wache Monarch die potestas zur Geltung bringt, resultiert aus der inneren Logik einer Machtkonstruktion, die auf unaufhörliche Kontinuität abgestellt ist. Die Tatsache, daß die Herrschaftsausübung während des Schlafs unterbrochen wird, bietet freilich auch Anknüpfungspunkte für politischen Mißbrauch im Zeichen des Despotismus. In Lohensteins erstem Trauerspiel, dem Ibrahim Bassa (1653), versucht der vom blutgierigen Höfling Rusthan angestachelte Mufti den zaudernden Sultan Soliman zu überreden, den unter falschem Verratsverdacht stehenden Ibrahim hinrichten zu lassen, obgleich er sich zuvor durch einen Eid verpflichtete, dessen Leben aus eigener

164 Maximilian I. von Bayern, Vätterliche Ermahnung (1639), in: Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der Frühen Neuzeit, hg. v. Helmut Duchhardt, S. 119–131, hier S. 131. [Maximilian I.] Väterliche Ermahnungen an seinen Sohn Ferdinand Maria, S. 25 (§ 23): „Si quid agendum, id impestive deliberandum est. Cunctationes inutiles, apendi tempora deliberando consumunt.“ 165 Thomas Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger, S. 159.

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Kraft zu sichern und zu schützen. Der durchtriebene Mufti rät dem von Gewissensbissen heimgesuchten Sultan, das Todesurteil vollstrecken zu lassen, während er schlafe, weil er in diesem Zustand nicht zurechnungsfähig und ohne eigentliche Herrschermacht sei. „Die Fuersten sind so wol als die geringen Schaäffer / | So wol die Haar und Stroh als Purpur tragen / Schläffer. | Der Schlaff fällt Kron und Stab so wol als Infel an | Die die so wol dem Glükk als Vnglükk unterthan.“166 Im Stadium des Schlafs ist der Herrscher ohne Regierungsgewalt, folglich auch befreit von der Verantwortung für das, was auf dem Schauplatz der Exekutive in seinem Namen geschieht: „So schließ ich kurtz so viel: So bald den matten Geist | Des grossen Solimanns und die entsinnten Sinnen | Die Schlaff-Sucht wird umbhülln; Wird Er am Ibrahm können | Gar wol den Muth abkühln / und seinen Spruch vollzihn | Durch den verdihnten Strang / wiewol der Meineid Ihn | Mit nichts besudeln wird.“167 Das Motiv des Schlafs erscheint hier nicht als Zeichen für die Ohnmacht des Herrschers, sondern als Rechtfertigungsfonds des Tyrannen, über den er mit kasuistischer Gelenkigkeit verfügt, um seine politischen Verbrechen zu verdecken. Jenseits solcher Formen der Manipulation offenbart sich jedoch das Stadium des Schlafs als Herausforderung für die Konstruktion der Souveränität, die keine Unterbrechung der Herrschaftsausübung gestattet. Um seine Autorität in jedem Moment neu bekräftigen und behaupten zu können, muß der Regent einen mystischen Leib besitzen, der keines Schlafes bedarf. Die gratia Dei erweist sich daran, daß der institutionelle Körper, der niemals ruht, die Bedürfnisse des natürlichen Körpers unterdrückt – eine Konstellation, die nicht selten dadurch inszeniert wurde, daß man vor das Schlafgemach des Königs eine mit seinen Insignien ausgestattete Wachspuppe stellte, die während der Nacht die Ubiquität der Herrschaft repräsentierte.168 „Er wacht fuer uns! und der wacht ueber uns“, heißt es, mit Blick auf den von Gott beschirmten Monarchen, in Gryphius’ Leo Armenius (1650).169 „So lange | der König schläft, ist er um seine Krone“, formuliert Philipp II. bei Schiller.170 Schlaf und Tod bilden die fundamentalen Gefährdungen der politischen

166 Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Bassa (1653), Türkische Trauerspiele, S. 65 (IV, v.301 f.). „Infel“ (Inful) ist die weiße Stirnbinde, die im antiken Rom Priester und kaiserliche Statthalter auszeichnete; hier als Synekdoche für Würdenträger. 167 Daniel Casper v. Lohenstein, Ibrahim Bassa (1653), Türkische Trauerspiele, S. 65 (IV, v.308 ff.). 168 Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch, S. 101.; vgl. auch Richard A. Jackson, Vivat rex, S. 123 ff. („Le roi dormant“). 169 Andreas Gryphius, Leo Armenius, Oder Fuersten-Mord, Dramen, S. 64 (III,1, v.49). 170 Friedrich Schiller, Don Karlos. Infant von Spanien (1787), NA 7/I, S. 94 (III,2, v. 2975 f.).

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Souveränität, weil sie die Omnipräsenz des Herrschers als Zeichen seiner institutionellen Würde aufheben. In der Figur des selbständigen Ratgebers, der den Monarchen vertritt, findet diese Bedrohung ihre symptomatische Verkörperung, denn er personifiziert eine Machtteilung, die das System der absoluten Regentschaft untergräbt. Der mit erweiterten Befugnissen handelnde Vertraute repräsentiert jene Kräfte der Zerstreuung und Erosion souveräner Autorität, die im Schlaf des Königs vorübergehend, im Moment seines Todes dauerhaft wirksam werden können. Wie in einem gestörten Balancesystem gesellt sich bei Haugwitz zur Schwäche der Königin die anwachsende Stärke der Kollegien. Hobbes hatte im Leviathan betont, daß die als Statthalter, Vizekönige und Gouverneure mit eigenen politischen Entscheidungsfunktionen betrauten Staatsbeamten „den Sehnen und Flechten“ glichen, „die die verschiedenen Glieder eines natürlichen Körpers in Bewegung setzen.“171 Bei Haugwitz überschreitet der heimliche Spielraum des Rates die Grenzen, die diese metaphorische Zuschreibung absteckt. Es ist die vom administrativen System funktional gedeckte (wenngleich der Souveränitätskonzeption zuwiderlaufende) Eigenmächtigkeit des Privy Council, die am Ende die Exekution Marias veranlaßt: „Was ihre Majestaet bißhero abgeschreckt / | Schloß der gesammte Rath (…)“172 Die Hinrichtung findet zwar nicht gegen Elisabeths Willen, jedoch, veranlaßt durch den Staatssekretär Davidson, ohne ihr Wissen statt. Der politische Körper und das Denkzentrum der Macht werden gleichermaßen in der massiven Omnipräsenz der Verwaltung aufgehoben. Deren Leistungsstärke bleibt gebunden an eine kollektive Ordnung, welche die sie tragenden Elemente depersonalisiert, insofern sie in ihrer Wirkungstotalität von physischen Zwängen unabhängig ist. Kennzeichnend scheint es, wenn der Höfling Hattan erklärt: „Schläfft gleich Elisabeth | so wacht doch derer Rath.“173 Der Apparat der Administration verrichtet seine Arbeit mit einer Effizienz, die durch die ununterbrochene Kontinuität seiner Operationen garantiert wird. Der mystische Leib der Monarchie, der nach den Regeln der politischen Theologie keinen Schlaf kennt, weil er die Dauer der Macht zu vergegenwärtigen hat, wohnt nicht mehr im natürlichen Körper der Königin, son-

171 Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 186 (Teil II, Kap. 23). 172 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 75 (v.417 f.). 173 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 48 (v.204). Hier wird sehr deutlich der Übergang von der dienenden Funktion der politischen Administration zu ihrer funktionalen Verselbständigung sichtbar: der Rat, der wacht, bewacht nicht nur die Königin, sondern überwacht auch das Königtum.

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dern in den Kanzleien der Verwaltung. Die Einheit von body natural und body politic ist aufgekündigt; an ihre Stelle tritt die Differenz zwischen dem Schlaf Elisabeths und dem Wachen der Administration als Zeichen für die Verschiebung des Herrschaftszentrums. Das Titelbild von John Cases Abhandlung Sphaera ciuitatis (1588) zeigt die Königin Elisabeth in der Rolle der Sternengöttin Astraia als Allegorie des Staates in kosmologisch-universeller Dimension. Ihr Leib ist von sieben Planetenkreisen verdeckt, deren Mittelpunkt die Zone der ‚unbeweglichen Gerechtigkeit‘ („Iustitia Immobilis“) bildet. Die sich verengenden Kreise bezeichnen in fallender Linie Majestät, Klugheit, Tapferkeit, Gläubigkeit, Milde, Beredsamkeit und Überfluß aller Dinge – Qualitäten, die zu den Voraussetzungen der guten Herrschaftskunst gehören.174 Solche Darstellungen eines königlichen Körpers, der durch die von ihm repräsentierte Macht kosmische Ausmaße gewinnt, gehören zum festen Repertoire der elisabethanischen Huldigungskunst, wie exemplarisch die Porträts von John Gower (1588/89) und Marcus Gheeraerts d.J. (1602) demonstrieren.175 Der Leib der Königin gewinnt auf diese Weise eine übermenschliche Dimension, die vergleichbar auch in den mythologischen Allegorien der Progresses hervortrat. Ein niederländischer Stich aus dem Jahr 1598 zeigt Elisabeth – in keineswegs panegyrischer, sondern ironisch-polemischer Weise – als Körper Europas, dessen (mit der tatsächlichen Topographie des Kontinents kaum übereinstimmende) Teile einzelnen Ländern entsprechen: ein Sinnbild für den massiven imperialen Ehrgeiz der Königin und die Bedrohung, welche die Nachbarstaaten von ihm ausgehen sahen.176 Die Case-Illustration und ihre Imitationen verweisen schon auf Abraham Bosses berühmtes Frontispiz für Hobbes’ Leviathan, das zu Beginn des Jahres 1651 unter den Augen des Autors in Paris entstand.177 Auch hier ist bekanntlich der Körper des Monarchen ein Totum, das aus ursprünglich selbständigen Einzelgliedern besteht. Der Leib des Regenten schließt in Bosses Bildnis mehr als 300 Staatsbürger ein und zwingt sie aufgrund seiner

174 Abbildung bei Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 75 (Abb.37). Nähere Analyse im Kontext der Panegyrik: Francis A. Yates, Queen Elizabeth as Astraea, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes. Vol. 10 (1947), S. 27–81, S. 61 f.; zur Staatsverkörperung Reinhard Brandt, Philosophie in Bildern, S. 313f . 175 Vgl. Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 36 ff. 176 Dazu Martin Windisch, Metapher, Allegorie und Materialität des Körpers als Medien des nationalen Gedächtnisses in der Frühen Neuzeit, S. 97 f. 177 Zu den staatstheoretischen Hintergründen des berühmten Titelkupfers Reinhard Brandt, Philosophie in Bildern, S. 312 ff., zur Diskussion über die Zuschreibung des Bildes Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 31 ff. (mit überzeugendem Votum für Bosse).

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16. Frontispiz zu John Case: Sphaera Civitatis (1588), Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin.

äußeren Form innnerhalb einer festen Ordnung zur kohärenten Masse zusammen.178 Die Untertanen erzeugen die „Substanz“ des Herrscherkörpers, 178 Der Zwang zur kollektiven Einordnung, den das Bild darstellt, gilt für den Rechtsstatus der Untertanen, nicht aber für die private Personalität. Diese Differenz muß man berücksichtigen, ehe man die Gesichtslosigkeit der Untertanen als Zeichen ihrer fehlenden ‚Indivi-

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empfangen aber ihrerseits von der physischen Existenz des Regenten den Sicherheitsrahmen, der sie gegen die externe Welt abgrenzt.179 Die souveräne Macht wird hier, nach der Interpretation Agambens, als Macht der Verinnerlichung und Einverleibung eines Außen, das die Bürger repräsentieren, sichtbar.180 Der Monarch, der auf dem Haupt die Krone, in den Händen Schwert und Bischofsstab trägt, bezeichnet nicht zuletzt durch seine exponierte Position im Kopf des Bildes die Schutzfunktion, die er als princeps für die civitas versieht. Bosses Titelkupfer ist ein maßgeblicher Beitrag zur Erneuerung der Idee herrscherlicher Repräsentation, die vor dem Hintergrund der seit Beginn des 17. Jahrhunderts offenkundig gewordenen Krise der Lehre von den zwei Körpern des Königs einer neuen Form der Symbolisierung von Regierungsgewalt – als Manifestation der Souveränität – bedurfte. Eine frühe (und eingeschränkte) Version der von Bosses Kupfer vermittelten Konstruktion liefert James I. in einer Parlamentsrede vom 9. November 1605, wenn er über den englischen Staat erklärt: „As for the thing it selfe, It is composed of a Head and a Body: The Head is the King, the Body are the Members of the Parliament.“181 Vergleicht man die Visualisierungen bei Case und Hobbes mit der Inszenierung Elisabeths in Haugwitz’ Drama, so wird die Verschiebung, welche sich im inneren Zentrum der Souveränität vollzieht, vollends deutlich. An den Platz der Astraia, deren kosmische Funktion als Erhalterin des Firmaments im Titelkupfer zur Sphaera ciuitatis für die imperiale renovatio steht, welche die Königin bewirkte, tritt im Trauerspiel eine zaghafte Taktikerin ohne Würde; den imposanten Übermenschen, der die eindrucksvollste Form der Staatsverkörperung repräsentierte, die man sich im 17. Jahrhundert denken konnte, ersetzt ein administrativer Apparat, dessen Spezifikum gerade darin besteht, daß seine Tätigkeit visuell nicht darstellbar ist. Der politische Körper der Herrscherin hat bei Haugwitz seine Einheit eingebüßt, weil er die ihn konstituierenden Elemente nicht mehr zu einer geschlossenen Form zu fügen vermag. Der Leviathan verliert die genau umrissene Gestalt und gibt, während er sich in einer unüberschaubaren Pluralität von Funktionsbezügen zerstreut, die ihm zugeschriebene Ordnungskraft einem neuen Gefüge der Machtverteilung preis.

dualität‘ (hier ohnehin eine fragwürdige Kategorie) deutet (vgl. Ethel Matala de Mazza, Der verfaßte Körper, S. 77). Zu Recht spricht Bredekamp (Thomas Hobbes, S. 113) davon, daß die Untertanen im Körper des Herrschers „geschützt und gefangen“ seien. 179 Reinhard Brandt, Philosophie in Bildern, S. 317. 180 Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 28. 181 [King James VI and I] Political Writings, S. 147–158, S. 155; vgl. auch S. 132 f., 136.

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17. Abraham Bosse: Titelkupfer zu Thomas Hobbes’ „Leviathan“ (1651), British Library, London.

7. Der Vorhang fällt Elisabeth handelt im Schlußakt nicht wie eine Königin, sondern wie eine Bühnenfigur, die königliche Würde durch performative Akte demonstrieren möchte. Ihre an Davidson gerichteten Vorwürfe, die der vermeintlich unautorisierten Vollstreckung der Exekution gelten, bedeuten keine Verurteilung politischer Insubordination, sondern letzthin das objektive Einbekenntnis

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ihres Machtverlusts, der sich in der Verselbständigung der politischen Administration vollzieht: „Du hast ja mir den Eyd und nicht dem Rath geschwohren.“182 Der Tyrann Herodes verflucht zwar in Hallmanns Mariamne nach der von ihm anbefohlenen Hinrichtung der Ehefrau die Organe seiner Macht auf noch drastischere Weise („Eilt! bringt den Hencker umb / der jhr den Hals zerschnitten!“), findet jedoch schließlich zur Einsicht in die eigene Verantwortung: „Wer hat mein Paradieß verkehrt in Grauß und Stein? | Wer hat mein Licht verlescht? Jch leider nur allein!“183 Wenn sich Haugwitz’ Königin zu solchen Erkenntnissen nicht fähig zeigt, so liefert das keinen psychologischen Befund, sondern erweist – mit nur eingeschränktem historischen Recht – den Fiktionscharakter ihrer politischen Macht. Charakteristisch bleibt, daß Elisabeths Ankündigung, sie werde Davidson wegen seines eigenmächtigen Handelns vor Gericht stellen und bestrafen lassen, nach ihrem Abgang von einem der Staatsbeamten mit dem Hinweis auf ein taktisches Manöver kommentiert wird. Die Königin, so deutet er an, müsse gegenüber Frankreich, dem Verbündeten der Stuarts, ihr Gesicht wahren und sich nach außen als Opfer einer höfischen Intrige präsentieren. Die Entlassung Davidsons ist folglich ein Vorwand, der die Politik zum Medium der theaterähnlichen Selbstmodellierung einer Regentin degradiert, deren Souveränität in den Vorkehrungen der Verstellungstechnik aufgehoben wird. „Sie thut es nur zum Schein“184 – dieser Satz, mit dem Haugwitz’ Drama bezeichnenderweise schließt, signalisiert, daß die Königin unter dem Diktat der Täuschung in eine Kunstwelt eingetreten ist, wo sie einzig noch als Platzhalterin ohne Macht agiert. Das Imaginäre, das der Selbstinszenierung der historischen Elisabeth eingezeichnet war, hat sich hier von seinem politischen Zweck gelöst und eine eigene Dynamik gewonnen. Es ist nicht mehr das schöne Bild, das die Gefahr der Ohnmacht verschleiert, sondern die Ohnmacht selbst, die in Haugwitz’ Text mit dem Imaginären zusammentritt. Bei Robertson heißt es über die Demonstration scheinbarer Gerechtigkeit, mit der die Regentin ihren politischen Sieg über Maria Stuart zu vollenden glaubt: „(…) so trieb sie dem ohngeachtet

182 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 76 (v.423). Unklar ist, wie man angesichts des negativen Bildes einer schwachen Herrscherin ohne Autorität und objektive Macht davon sprechen kann, daß Haugwitz die Figur der Elisabeth als Vertreterin ‚politischer Klugheit‘ in Szene setze (Vgl. Robert Alexander, Das deutsche Barockdrama, Stuttgart 1984, S. 105, ihm folgend Dirk Niefanger, Barock, Stuttgart, Weimar 2000, S. 155). 183 Johann Christian Hallmann, Mariamne, V, v.723 ff. (S. 121). 184 August Adolph von Haugwitz, Schuldige Unschuld / Oder Maria Stuarda. Königin von Schottland, S. 76 (v.437).

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ihre Verstellung so weit, daß sie die meisten ihrer Räthe unter allen möglichen Zeichen des Zorns und des Mißfallens von ihrem Angesicht verbannte.“185 In Schillers Maria Stuart (1801) dagegen deutet der königliche Ratgeber Burleigh, bekanntlich die maßgebliche Stütze des Privy Council, mit unverhohlener Misogynie an, daß die Verstellungskunst fruchtlos bleibe, weil das Volk Elisabeths Motive ohnehin durchschaue: „Die Welt | Glaubt nicht an die Gerechtigkeit des Weibes, | Sobald ein Weib das Opfer wird.“186 Die politische Verhaltenslehre der Frühen Neuzeit gesteht dem Herrscher abweichend von mittelalterlichen Politikkonzepten zu, daß er zur Sicherung seiner Entscheidungsfreiheit die Unwahrheit sagen dürfe.187 Schon Machiavellis Il principe (1513/32), den Ernst Cassirer ein „technisches Buch“ über die Regierungskunst nannte188, betont die dissimulatio als tragendes Element der Handlungsökonomie des Fürsten.189 Selbst Martin Luther räumt dem politischen Akteur angesichts der Vermutung, daß in der Welt nichts vollständig nach dem Willen des Menschen geschehe, die Option auf ein primär taktisches, abwartendes und, wo notwendig, auch mit Täuschungselementen durchsetztes Verhalten ein. Der Mensch müsse sich bewußt sein, daß er in dem Moment, da er sich ins Treiben der Welt einmische, ungerecht handle, und folglich die Wahl seiner Mittel illusionslos treffen: „Si vis vivere in politica, oportet te multa dissimulare, multa ferre, multa ignorare, ut saltem aliquid iusticiae conserves. Intuere te ipsum et videbis, quam saepe ipse iniuste facias et hoc agas, quod merito multis displiceat.“190 Bacons Essays nennen als Ziel der Verstellungskunst die Beruhigung und anschließende Überraschung politischer Widersacher: „First to lay asleep opposition, and to surprise.“191 Gerade die höfische Welt gerät vor diesem Hintergrund zu einem Theaterraum der ständigen Spiegelungen und Verdoppelungen, in dem ‚fingierte Menschen‘ (Hobbes) als Maskenträger und

185 William Robertson, Geschichte von Schottland, S. 375. 186 Friedrich Schiller, Maria Stuart (1801), NA 9, S. 39 (I,8, v.1019 f.). 187 Vgl. zur Neubestimmung herrscherlicher Tugend als Handlungskompetenz in der Frühen Neuzeit den vorzüglichen Aufsatz von Andreas Kablitz, Der Fürst als Figur der Selbstinszenierung – Machiavellis Principe und der Verfall mittelalterlicher Legitimation der Macht, in: ‚Aufführung‘ und ‚Schrift‘ in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Jan-Dirk Müller, Stuttgart, Weimar 1996, S. 530–561. 188 Ernst Cassirer, Vom Mythus des Staates, S. 201. 189 Niccolò Machiavelli, Der Fürst, S. 71 ff. (Kap. XVIII). 190 Martin Luther, Annotationes in Ecclesiasten (1532), in: Werke. Kritische Gesamtausgabe (= Weimarer Ausgabe), Weimar 1883 ff. Abt. 1, Bd. 20, S. 7–203, S. 146. 191 Francis Bacon, Essays or Counsels civil and moral, Works, Vol. VI, S. 389.

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Rollenakteure handeln.192 „Kein Leben aber stellt mehr Spiel und Schauplatz dar“, formuliert Lohenstein im Widmungsgedicht zur Sophonisbe, „Als derer / die den Hof fürs Element erkohren.“193 Haugwitz’ Elisabeth jedoch überschreitet die hier bezeichneten Zuschreibungen, indem sie das Spiel und die Rolle, die es gebiert, zum Objekt der Dekonstruktion werden läßt. Sie ist eine Herrscherin, die unter dem Gesetz der Täuschung ihrerseits als Persona der Ambivalenz des Scheins anheimfällt. Was immer sie beschließt und tut, bleibt vom Makel der Zweideutigkeit überzogen, weil es auf den Effekt berechnet ist, der sie als starke Regentin ins Licht öffentlicher Bewunderung rücken soll. Die Täuschungskunst, die nach den prudentistischen Regeln als Mittel zum Zweck der Umsetzung einer politischen Absicht fungieren darf, beschädigt die PersonaStruktur der Herrscherin, insofern sie zur Verbergung eines Mangels, nicht aber im ursprünglichen Sinn der Vertretungsidee genutzt wird.194 Ein elisabethanisches Zeitalter glanzvoller Regentschaft unter Führung der ‚gracious Empresse‘ kennt Haugwitz’ Trauerspiel nicht. Hatte Shakespeare in der Schlußszene von Henry VIII (1612/13) noch das Loblied auf die Friedenskönigin und gesegnete Monarchin Elisabeth anstimmen lassen, so entwirft man am Ende des 17. Jahrhunderts ein skeptisches Bild ihrer Regentschaft, dem die Symptome des Verfalls frühneuzeitlicher Souveränität an der Schwelle zum Übergang in moderne Machtstrukturen eingezeichnet scheinen. Bei Haugwitz erblickt der Zuschauer eine handlungsunfähige Herrscherin, die von den Vertretern ihrer Ratsbürokratie zur Rollenfigur auf einer imaginären Theaterbühne degradiert wird. Das Gedankenmodell der politischen Theologie verschwindet in den feinen Verzweigungen des administrativen Systems, das vorrangig der Selbstorganisation seiner eigenen Macht dient. Der Sieg der Verwaltung bedeutet zugleich den Ursprung einer neuen Herrschaftstechnologie, in deren Schatten die Regentin die Rolle der Schauspielerin versieht, die durch ritualisierte Handlungen Souveränität suggeriert, ohne sie jenseits der Fiktion beanspruchen zu dürfen. Die Autorität der

192 An diesem Punkt berührt sich das höfische Rollenspiel mit einem grundlegenden Modus der Fiktion, wird der Mensch doch in beiden Fällen als Doppel seiner selbst vorgeführt. Vgl. Wolfgang Iser, Das Fiktive und das Imaginäre, S. 148 f. 193 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 249 (v.169 f.). Über die höfisch-politischen Implikationen des Theatrum mundi-Topos Wilfried Barner, Barockrhetorik, S. 117 f., ferner Stephen Greenblatt, Verhandlungen mit Shakespeare, S. 24 ff. (Welttheater als Raum für die ‚Zirkulation sozialer Energien‘). 194 Zum Autoritätsverlust der Lehre von den zwei Körpern des Königs, der sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts generell vollzieht, vgl. die knappen Hinweise bei Niklas Luhmann, Soziale Systeme, S. 270 f.

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Monarchin stirbt für den Apparat: auch Haugwitz’ Elisabeth ist damit ein Opfer im Raum jener Phänomenologie der Politik, die auf dem Theater als paradoxe Ordnung der Macht zutage tritt. Sie repräsentiert den Tod eines Rollenbildes, nach dessen Ende allein die Institution überlebt. Erneut zeigt das Trauerspiel hier die Erosion der Herrschaft; sie verknüpft sich jedoch, anders als bei Gryphius und Hallmann, nicht mit einer Eschatologie des Politischen, sondern mit dem Anlaufen eines Modernisierungsprozesses. Fast klingt es nach düsterer Ahnung, wenn Shakespeare im Jahr 1601 in einem für eine Anthologie Robert Chesters verfaßten Gelegenheitsgedicht (Let the bird of loudest lay) die Königin mit der uns vertrauten Metapher als Phönix bezeichnet, der, in seine eigene Asche gehüllt, entschwunden sei: „Death is now the Phœnix nest (…)“195 Das unter seinem (späteren) Titel The Phœnix and the Turtle bekanntgewordene Gedicht bezieht seine kryptische Leitmetaphorik vermutlich auf das Verhältnis der Herrscherin zu ihrem 1599 entmachteten Günstling Essex: der ‚Phönix‘ Elisabeth muß seine Liebe zur ‚Turteltaube‘ Essex am Ende mit einem inneren Exil im Zeichen der Einsamkeit und Trauer bezahlen. Wenn der Tod im Nest des legendären Vogels haust, so hat die traditionelle Allegorie freilich ihren Sinn verloren. Wie ein Firnis aus Melancholie zieht sich hier über das mythische Emblem, das die ewige Regenerationsfähigkeit der weiblichen Herrschaft zu beschwören pflegte, die Einsicht in die Agonie einer Königin, deren Macht ihre opulente Präsenz aus den geliehenen Bildern der Kunst empfing. Zeigt das Trauerspiel eine Regentin, die solche Bilder nur noch mechanisch reproduziert, dann erweist es damit, daß ihre Souveränität so flüchtig war wie der Schein, der dem Schönen anhaftet. An der Schwelle zur Moderne tritt die politische Macht in die unbeobachtbare Zone der Abstraktion ein; sie hat sich vom Imaginären getrennt und ihm die Topographie des Theaters überlassen, wo die Monarchin als Kunstfigur im täuschenden Glanz fiktiver Autorität agiert. Während auf der Bühne das Gesetz der Wiederholung herrscht, unter dessen Diktat die Regentin beharrlich ihre Rolle versieht, gewinnt die Verwaltung die Funktion einer strukturellen Ordnungskraft, welche künftig die politische Welt hinter den Kulissen des höfischen Spiels determinieren wird.

195 William Shakespeare, Complete Works, Vol. XIII, Sonnets, S. 121 (v.57 ff.). Zur Rezeption des schwierigen Textes und zur Forschung Ina Schabert (Hg.), Shakespeare-Handbuch, S. 607 f.

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Epilog: Requiem für die Königin

Epilog: Requiem für die Königin Die Literatur des 17. Jahrhunderts operiert als Medium, das soziale Paradoxien durch die Mittel der Fiktion in eigene Formen überführt und derart mit neuem Sinn versieht. An der Darstellung der sterbenden Königin, die zum Opfer für die Institution des Königtums (oder seiner frühmodernen Administration) wird, ließ sich ein solches Verständnis poetischer Fiktionsbildung exemplarisch nachzeichnen. Die Ambivalenz der Macht, die Institutionalisierung der Natur, die Verdoppelung des Körpers, die Fingierung der Person, die Beobachtung von Beobachtern, die Reorganisation des Rituals, die Ästhetisierung des Opfers, die Schönheit des Sterbens: das sind Muster der Vergegenwärtigung jener paradoxen Bedeutungsordnungen, welche die soziale Wirklichkeit des 17. Jahrhunderts durchgehend beherrschen. Foucault hat in Les mots et les choses über die Vexierspiele des ‚barocken‘ Weltmodells bemerkt: „Es ist die Zeit der Sinnestäuschungen, die Zeit, in der die Metaphern, die Vergleiche und die Allegorien den poetischen Raum der Sprache definieren.“1 In solchen ‚Räumen‘ der Sprache spiegelt sich das Grundgesetz der Paradoxie, von dem das Bild der Realität beeinflußt bleibt. Ihre für den Menschen immer nur erahnbare Einheit empfängt die Welt durch die Widersprüche, die sie organisiert.2 Sein und Schein werden nicht erst in der Literatur, sondern bereits in den Wirklichkeitskonstruktionen des Hofes und der Politik wechselseitig ineinander gebrochen. Daß auch die Wissenschaften in der Frühen Neuzeit unter dem Diktat des Denkens in Ähnlichkeiten zwischen dem äußeren und dem inneren ‚Wert‘ eines Phänomens einen engen, die Differenz von Geistigem und Physischem nivellierenden Konnex schaffen, hat wiederum Foucaults Analyse der epistemischen Ordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts gezeigt.3 Über die Allegorie als Manifestation solchen Denkens in Ähnlichkeiten, das Materialität und Spiritualität zu einer spannungsvollen Einheit fügt, schrieb Walter Benjamin: „Jede Person, jedwedes Ding, 1 2

3

Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 83 f. Die Entität dieses Prinzips des Widerspruchs kann nach den Vorstellungen des 17. Jahrhunderts letzthin nur Gott als externer Beobachter der Welt erfassen. Vgl. dazu die Analyse bei Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. II, S. 912 ff. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 46 ff.

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jedes Verhältnis kann ein beliebiges anders bedeuten. Diese Möglichkeit spricht der profanen Welt ein vernichtendes doch gerechtes Urteil; sie wird gekennzeichnet als eine Welt, in der es aufs Detail so streng nicht ankommt.“4 Benjamin gemäß könnte man die Figur der Königin im Trauerspiel als Allegorie einer politischen Macht bezeichnen, deren innere Paradoxien durch die Bilder des Theaters hervortreten dürfen. Auf der Bühne vollzieht sich eine „Realitätsverdoppelung“5, die Täuschung und Wirklichkeit, Betrug und Wahrheit, Fiktion und Authentizität interferieren läßt. Mochten auch die dramatischen Inszenierungen der sterbenden Königin im Detail voneinander abweichen, so stimmten sie doch darin überein, daß sie die Widersprüche einer Rollenkonstruktion aufzeigten, die das Koexistieren von Macht und Ohnmacht als Signum der weiblichen Majestät auswiesen. Wenn die Monarchin erst im Tod jenen zweiten Leib empfängt, den ihr die Staatslehren der Frühen Neuzeit vorenthalten, dann bekräftigt das die Paradoxie eines Amtsentwurfs, der die Herrschaft der Frau einzig als Interregnum vorsieht. Die aus spätmittelalterlichen Denkmustern abgeleitete theologische Rechtfertigung der Staatsgewalt, wie sie für das 17. Jahrhundert letztmals Geltung besitzt, findet hier eine düstere Auslegung. Das Bedeutungsfeld, das die Macht der Königin begründet, liegt in einem extramundanen Bereich: der politische Körper der Monarchin ist der tote Leib als Zeichen einer Majestät, deren Souveränitätspotential allein unter den Bedingungen der Eschatologie entfaltet wird. Das Drama beleuchtet damit die innere Grundspannung eines Rechtsmodells, das weibliche Herrschaft nur im Sinne einer ‚passage‘ zwischen männlichen Königen zuläßt. Die Form, in der diese ‚passage‘ zur Anschauung kommt, ist die des Opfers, das der Dauer der Krone dient. Der König stirbt nie; die Königin aber stirbt unaufhörlich.6 Erst im Schatten des Todes wird der Körper der Königin ein Signum, das auf die Evidenz der Institution deutet. Dieser Mechanismus entspricht dem von Benjamin beschriebenen Modus der Allegorie, die sich von der profanen Welt löst, um ihre Requisiten zu Trägern eines höheren eschatologischen Sinns zu erheben.7 Der Leib der Monarchin erscheint als Zeichen, das

4 5 6

7

Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 350. Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 430. Dieses unaufhörliche Sterben macht Ernst H. Kantorowicz (Die zwei Körper des Königs, S. 53) auch für Shakespeares Richard II. geltend, den abgesetzten und gedemütigten Herrscher par excellence. Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 405 f.

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nicht sich selbst, sondern einen letzten Grund aller Phänomene offenbart, der sich im Moment des Todes erschließt. Die Botschaft der Erlösung von den Zwängen der mundanen Realität, die Benjamin als Quintessenz der barocken Allegorie an der Sakralisierung des in Bruchstücke zerfallenden Diesseits ablas, korrespondiert der Bedeutung, die das Sterben der Herrscherin gewinnt. In beiden Fällen erhebt sich aus der körperlichen Welt ein Ganzes, das einzig im Augenblick des Übergangs und der Verwandlung sichtbar wird. Das Opfer der Königin, das die Institution der Krone heiligt, indem es die Dynastie stärkt, empfängt so eine zweite Wirklichkeit, die das geheime Gesetz des inneren Zusammenhangs zwischen Natur und Amt, Zeit und Dauer unter Beweis stellt. Als Medium der ‚Realitätsverdoppelung‘ ist das Trauerspiel beherrscht von den Impulsen einer dekonstruierenden Bewegung, welche die Grenzen zwischen Sein und Schein auflöst. Verständlich wird diese Bewegung unter Bezug auf den Topos des Welttheaters, der im 17. Jahrhundert „europäische Gültigkeit“8 besitzt. Das Modell des Theatrum mundi erschließt die eigentümliche Denkfigur, die den Vorgang der literarischen Duplikation der sozialen Wirklichkeit fundiert. Es bezeichnet drei Ebenen, deren Gemeinsamkeit die jeweils für sie bestimmende Einheit von Sein und Schein bildet: die Welt ist Bühne (1), die Bühne ist Welt (2), das Welttheater ist die Tilgung der Differenz, die seine konstituierenden Elemente ursprünglich trennt (3). Die Demonstration der Idee einer Priorität des ‚Seins‘ (der Seele) gegenüber dem ‚Schein‘ (dem Körper) führt damit zur Aufhebung jener Unterscheidung, die das Modell des Theatrum mundi gerade bekräftigen sollte.9 Im Sinnbild der Weltbühne wandelt sich die Deixis in Performanz, die Zeichensprache der didaktischen Unterweisung in die ästhetische Repräsentation jener Macht der Täuschung, welche ihrerseits die politische und soziale Ordnung der höfischen Welt beherrscht. Das Welttheater führt den Vorrang der Transzendenz gegenüber der mundanen Realität einzig paradox, im Medium des Scheins, vor Augen. Da-

8 9

Wilfried Barner, Barockrhetorik, S. 87. Insofern ist das Welttheater-Modell gerade nicht von der strengen Trennung zwischen Sein und Schein bestimmt, wie eine konventionelle Lesart besagt, sondern von deren Suspension; vgl. dazu neuerdings Erika Fischer-Lichte, Grenzgänge und Tauschhandel. Auf dem Wege zu einer performativen Kultur, in: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, hg. v. Uwe Wirth, Frankfurt/M. 2002, S. 277–300, S. 292 f. Zur ‚Theatralisierung‘ als Signum frühneuzeitlicher Politikkonzepte Andreas Kablitz, Der Fürst als Figur der Selbstinszenierung – Machiavellis Principe und der Verfall mittelalterlicher Legitimation der Macht, in: ‚Aufführung‘ und ‚Schrift‘ in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Jan-Dirk Müller, S. 530–561, S. 531 f.

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mit setzt es keine Hierarchie, sondern die Einheit der Antithesen in Szene, die das Weltbild des 17. Jahrhunderts bestimmen. Wenn das Trauerspiel die Rolle der Königin durch das Zusammenwirken struktureller Paradoxien beherrscht zeigt, so bekräftigt es das Modell einer durchgreifenden Interdependenz der Gegensätze, wie es im Topos des Theatrum mundi seinen repräsentativen Ausdruck findet. Auf der Weltbühne der Literatur stirbt die Königin als Vertreterin einer Ordnungsidee, die die Differenz von Körper und Institution zum Verlöschen bringt. Die Lehre von der dynastischen Sicherung der politischen Souveränität, wie sie Hobbes vermittelt, spiegelt sich damit in den theatralischen Inszenierungsformen eines Dramentyps, der den Anspruch erhebt, ein Modell diesseitiger und transzendenter Verhältnisse gleichermaßen zu sein. Die Dekonstruktion der Grenze zwischen Sein und Schein, die das geheime Prinzip der höfischen Gesellschaft bildet, wird von der Kunst – als Ort der Reflexion des Welttheaters – mit ästhetischen Mitteln wiederholt. Die dialektische Quintessenz, die der Tod der Königin im Trauerspiel freisetzt, besteht in der Offenbarung der inneren Einheit von Körper und Institution. Der Leib der sterbenden Herrscherin ist nur das Zeichen für die Dauer der Krone; das Opfer, das sie bringt, indem sie ihre Söhne vertritt, heiligt die Natur, die ihr Körper repräsentiert. Am Moment des Übergangs vom Leben zum Tod bestätigt sich damit die Interdependenz von Sein und Schein als Grundgesetz der höfischen Politik. Das Trauerspiel entfaltet auf diese Weise ein Formprinzip, das dem der sozialen Ordnung entspricht, insofern es die in ihr verborgene Entität von Wahrheit und Täuschung, Offenheit und Verstellung, Verfall und Beständigkeit demonstriert. Die Korrespondenz zwischen Gesellschaft und Kunst weist aber zugleich auf eine zirkuläre Logik hin, die den Geschichtsbildern des Trauerspiels ihre undurchdringliche Melancholie zueignet. Die Paradoxie, die der Rolle der Königin anhaftet, spiegelt sich nämlich in den Konstruktionen eines literarischen Darstellungsprinzips, dessen wesentliche Aufgabe die Doppelung der Realität ist. Auch dort, wo die widerspruchsvollen Formationen der politischen Theologie in einer metaphysischen Ebene aufgelöst werden sollen, regiert letzthin das Gesetz der diesseitigen Ambivalenz. Führt das Trauerspiel am Ende mit den Techniken der Allegorie in „Gottes Welt“10, so bleibt es doch auf einen Blickwinkel beschränkt, der Transzendenz lediglich als Wiederholung der Wirklichkeit mit anderen Mitteln begreifbar macht. Die Idee des Opfers für die Kontinuität der Macht spiegelt sich in der 10

Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 406.

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zirkulären Ordnung des Dramas, die das Profane als Transzendentes, den Leib als Ewigkeit ausgibt.11 Es gehört zu den Paradoxien des barocken Trauerspiels, daß es die Logik der Gradation, die seinen dramaturgischen Aufbau steuert, nur über die Struktur der Wiederholung veranschaulichen kann. Die literarische Fiktion vermag die Eschatologie des Politischen, wie sie sich mit dem Sterben der Monarchin verbindet, einzig im Raum des Theaters zu illustrieren: als Ästhetisierung des Opfers, das dafür sorgt, daß die Institution des Königtums überlebt. Die Geschichtsinszenierungen des Trauerspiels kennen daher weder Anfang noch Ende. Sie sind Versuche über einen Ursprung, der unbeobachtbar bleibt, und über ein Letztes, an dem alles wieder anfängt. In ihnen findet sich kein Platz für das Beginnen und kein Platz für das Schließen, sondern einzig die zyklische Logik eines Imaginären, dessen geheimes Gesetz die Wiederholung darstellt. Die Königin ist nicht tot. Sie erhebt sich, wenn der Vorhang gefallen ist.

11

Vgl. zum Konnex von Opfer und Kontinuität Walter Burkert, Homo Necans, S. 49 f.

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Vinken, Barbara (Hg.): Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika, Frankfurt/M. 1992 Wagner, Bernd Herbert: Kaiserwahl und Krönung im Frankfurt des 17. Jahrhunderts. Darstellung anhand der zeitgenössischen Bild- und Schriftquellen und unter besonderer Berücksichtigung der Erhebung des Jahres 1612, Frankfurt/M. 1994 Warnke, Martin: Kommentare zu Rubens, Berlin 1965 Warnke, Martin: Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1985 Weber, Wolfgang: Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1992 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Erster Band. Vom Feudalismus des Alten Reichs bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815, München 1987 Weitzel, Jürgen: Artikel „Primogenitur“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. v. Adalbert Erler u. Ekkehard Kaufmann, Berlin 1984, Bd. 3, Sp.1950–1955 Wichert, Adalbert: Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jahrhundert. Daniel Casper von Lohenstein und sein Werk. Eine exemplarische Studie, Tübingen 1991 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Der Glaube der Hellenen. Bd.I, Darmstadt 1994 (zuerst 1931) Wild, Christopher J.: Fleischgewordener Sinn: Inkarnation und Performanz im barocken Märtyrerdrama, in: Theatralität und die Krisen der Repräsentation, hg. v. Erika Fischer-Lichte, Stuttgart, Weimar 2001, S. 125–154 Wild, Christopher J.: Neros Kaiserschnitt. Das Phantasma der Selbstgeburt absoluter Macht in Lohensteins Agrippina, in: Kunst – Zeugung – Geburt: Theorien und Metaphern ästhetischer Produktion in der Neuzeit, hg. v. Christian Begemann u. David E. Wellbery, Freiburg i.Br. 2002, S. 111–149 Williams, Penry: The Tudor Regime, Oxford 1979 Wind, Edgar: Heidnische Mysterien in der Renaissance. Mit einem Nachwort von Bernhard Buschendorf. Übers. v. Christa Münstermann unter Mitarbeit v. Bernhard Buschendorf u. Gisela Heinrichs, Frankfurt/M. 1987 (= Pagan Mysteries in the Renaissance, 1958) Windisch, Martin: Metapher, Allegorie und Materialität des Körpers als Medien des nationalen Gedächtnisses in der Frühen Neuzeit, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 72 (1998). Sonderheft Medien des Gedächtnisses, hg. v. Aleida Assmann u. a., S. 90–115.

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Witte, Bernd: Sechs Sätze über die Literatur und das Böse. In: Elf Reden über das Böse. Ringvorlesung der Philosophischen Fakultät der RWTH Aachen im Wintersemester 1990/91, hg. von Helmut Siepmann u. Kaspar Spinner, Bonn 1992, S. 91–105 Woodward, Jennifer: The Theatre of Death. The Ritual Management of Royal Funerals in Renaissance England 1570–1625, Woodbridge (Suffolk) 1997 Wunder, Heide: Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, hg. v. Ute Gerhard, München 1997, S. 27–54 Yates, Francis A.: Queen Elizabeth as Astraea, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes. Vol. 10 (1947), S. 27–81

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Verzeichnis der Abbildungen 1. Maximilian Colt, Jan de Gritz: Grabmal Elisabeths I. (1533–1603) in der Lady Chapel der Westminster Abbey, London. 2. Pietro Torrigiano: Totenbüste von Heinrich VII. (1509), Westminster Abbey, London. 3. François Clouet (Werkstatt): Katharina von Medici und ihre Kinder (1561), Privatbesitz. 4. Peter Paul Rubens: Der Rat der Götter (Ausschnitt), aus dem Maria-vonMedici-Zyklus (1622–1625), Musée du Louvre, Paris. 5. Johann Schweizer: Sophia Eleonora von Hessen-Darmstadt als Artemisia (1665), Kupferstich, Blatt 79, Mausolæum, Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel. 6. Gregor Bieber, Johann Using: Catharina von Georgien (1655), Titelkupfer. 7. Laurent de La Hyre: Allegorie auf den Westfälischen Frieden (1648), Kreidezeichnung. 8. Germain Pilon: Heinrich II. und Katharina von Medici en transi (1563–1570), Abteikirche, St. Denis. 9. Freitod der Königin Sophonisbe, Anonym (1553), Archiv des Autors. 10. Peter Paul Rubens: Die Flucht aus Blois (Ausschnitt), aus dem Mariavon-Medici-Zyklus (1622–1625), Musée du Louvre, Paris. 11. Michael Sittow: Katharina von Aragon als junge Frau (1502), Kunsthistorisches Museum, Wien. 12. Nicholas Hilliard (?): Elisabeth I., Pelican Portrait (1574/75), Walker Art Gallery, Liverpool. 13. Crispin de Passe d.Ä.: Elisabeth I. (1594), Kupferstich. 14. Hans Holbein d.J.: Heinrich VIII. und Heinrich VII. (1537), linke Hälfte eines Kartons zum Wandbild. 15. Nicholas Hilliard: Mary, Queen of Scots (1578), Victoria and Albert Museum, London. 16. Titelkupfer zu John Case: Sphaera Civitatis (1588), Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin. 17. Abraham Bosse: Titelkupfer zu Thomas Hobbes’ „Leviathan“ (1651), British Library, London.

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Verzeichnis der Abbildungen

Personenregister

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Personenregister Abschatz, Hans Aßmann von 123 Adorno, Theodor W. 53, 209 Agamben, Giorgio 10 f., 20, 26, 53–56, 71 f., 117 f., 155, 162, 222 Agrippina d.J. 101, 138 f. Alewyn, Richard 126 Alexander II., Papst 81 Alexander, Robert 224 Alphons von Trastámara 71 Alsted, Johann Heinrich 205 Alt, Peter-André 70 Althoff, Gerd 8 Amurath IV., türkischer Sultan 149 Anna I., russische Zarin 34 Anna von Österreich, Königin von Frankreich 32, 34, 109 f. Antonius, Marcus 84, 102, 108 Aquilecchia, Giovanni 179 Ariès, Philippe 1, 94 Aristophanes 71 Aristoteles 12 f., 21, 56, 82, 166 Arnim, Hans von 98 Arthur, Prinz von Wales 158 Asmuth, Bernhard 102, 111, 139 Assmann, Aleida 25 Augustinus 13, 75, 114, 123, 150, 153 Augustus, Gaius Octavianus, römischer Kaiser 83, 102 Axton, Marie 30, 173, 175, 181, 184, 199 Bachelard, Gaston 95 Bacon, Francis 2, 10, 29, 38, 101, 166 f., 171 f., 174, 181, 198, 205, 225 Balke, Friedrich 4, 72, 155 Barner, Wilfried 82, 127, 134, 226, 230 Barnfield, Richard 179 Barth, Ilse-Marie 94 Bassianus, Marcus Aurelius Antoninus 146 Bauernfeind, Otto 85 Baumann, Uwe 102 Baumgärtel, Bettina 47, 72, 110 Bayer, Karl 116

Begemann, Christian 141 Béhar, Pierre 48, 188, 196 Behringer, Wolfgang 50 Beise, Arnd 70, 141 Belting, Hans 17, 27, 94 f. Benjamin, Walter 30, 54, 70, 82, 87, 125, 140, 142, 151, 168, 194, 208, 228–231 Benserade, Isaac de 102 Bepler, Jill 5, 62, 186 Berghaus, Günter 211 Berns, Jörg Jochen 5, 21 Bettes, John 178 Bidermann, Jakob 75 Bieber, Gregor 66 f. Biechling, Andreas Simon von 61 Birke, Joachim 33 Birken, Sigmund von 57, 86 Bisaccioni, Majolino, Comte 152 Blackwood, Adam 19 Blanca von Kastilien 110 Bloch, Marc 4 Blühm, Elger 21 Blumenthal, Lieselotte 116 Boas, Fredrick 47 Bock, Gisela 47 Bodin, Jean 8, 31, 198 Boethius, Anicius Manlius Torquatus Severinus 150 Bohrer, Karl Heinz 141 Boleyn, Anne 36, 158 Borgstedt, Thomas 68 Bornscheuer, Lothar 70, 81, 211 Bosse, Abraham 220, 222f. Bowers, Fredron 180 Bracton, Henry of 11 f., 14, 16, 35 f., 162 f., 192 Bradner, Leicester 180 Brandt, Reinhard 42, 220, 222 Braune, Wilhelm 126 Braungart, Georg 5–8, 95f., 295 Braungart, Wolfgang 4, 8 Bredekamp, Horst 7, 20, 27, 77, 94, 177–179, 184, 220, 222

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Personenregister

Brenner, Peter J. 68 Briot, Isaac 195 Bronfen, Elisabeth 48, 99 Browne, Thomas 175 Brückner, Wolfgang 1, 4, 7–9, 26–28, 40, 71, 96, 218 Brühmann, Horst 50 Bruno, Giordano 179 Buchanan, George 196, 215 Büchner, Karl 150 Buck, August 58 Buddeus, Joannes Franciscus 104, 171 Burckhardt, Jacob 79 Burke, Peter 205, 208 Burkert, Walter 4, 6, 8, 15, 20, 52–55, 58, 116, 118, 120 f., 125, 232 Burleigh, William Cecil, Lord 193, 197 Burschel, Peter 80 Buschendorf, Bernhard 39 Butler, Judith 45, 113, 170, 184 Cackett, Robert 51 Calderón de la Barca, Pedro 84 Camden, William 3, 175, 181, 188, 193, 196, 214 f. Case, John 220–222 Cassirer, Ernst 122, 126, 225 Cassius Dio Cocceianus 102 Castoriadis, Cornelius 50 Catharina, Königin von Georgien 60 Caussinus, Nicolaus 157 Céard, Jean 40 Christian, Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau 66 Clapham, John 182 Clarke, Helen Archibald 1 Claude von Valois 40 Claudia Felicitas, Erzherzogin von Österreich 151, 156 f. Cleopatra, Königin in Ägypten 84, 102, 107 Clouet, François 40 f. Colt, Maximilian 2, 26 Concini, Concino, Marquis d’Ancre 33, 129–131 Conring, Hermann 32 Corneille, Pierre 111 f. Cromwell, Oliver 76 Damasus Ungarus 156 Daniel, Samuel 102, 108 Dante 178

Darcey, Abraham 175 Darnley, Henry Stuart, Lord 37 Dekker, Thomas 180 Derrida, Jacques 51 Diferee, Hendrik C. 189 Diodorus Siculus 120 Dolce, Lodovico 84 Donne, John 178 Drayton, Michael 178 Duchhardt, Helmut 201 f., 216 f. Edward I. König von England 20 Edward II. König von England 26 Edward VI., König von England 10 Eichner, Christine 57 Elias, Norbert 203 Elisabeth I., Königin von England 1, 3, 10, 18 f., 20, 26, 30, 36–38, 171–182, 184–193, 196, 207, 213–215, 220, 226 f. Elisabeth von Valois 40 Elisabeth von York, Königin von England 17 Emrich, Wilhelm 164 Engel, Gisela 62 Erasmus von Rotterdam 95f. Erler, Adalbert 27, 32, 71 Ernst, Wolfgang 4, 9 Essex, Earl of (Robert Devereux) 172, 181 Euchner, Walter 14 Euripides 98, 115 Eusebius von Caesarea 15, 78 Feger, Hans 63 Feix, Josef 96 Ferdinand Maria, Kurfürst von Bayern 201 Ferdinand V., König von Kastilien und Léon 158 Ferguson, Margaret W. 101, 189 Fetscher, Iring 14 Fichte, Hubert 139 Fischer-Lichte, Erika 6, 74, 230 Fisher, John 165 Flemming, Willi 94 Fletcher, John 159 Fögen, Marie Theres 73 Fößel, Amalie 20 f., 32 Forster, Leonard 119 Foucault, Michel 8, 10, 12, 20, 108, 148, 158, 165, 198, 209, 211, 228 Francisci, Erasmus 60, 69, 72, 165, 196, 201, 215 Frank, Thomas 71, 155

Personenregister Franz I., König von Frankreich 4 Freud, Sigmund 184 Friedrich Wilhelm I., Kurfürst von Brandenburg 202 Fromm, Hans 139 Frühsorge, Gotthart 15, 134 Frye, Susan 182 Fürstenwald, Maria 79, 186 Fuhrmann, Manfred 56 Gail, Anton J. 96 Garber, Jörn 21 Garber, Klaus 21, 86 Gardiner, Stephen 15, 159 Gasché, Rodolphe 51 Gawlick, Günter 24 Gennep, Arnold van 7 Georg II., Landgraf von Hessen 62, 201, 215 f. Gerhard, Ute 21, 32 Gernet, Louis 54 Gertsch, Christian Andreas 178 Geta, Lucius Septimius 146 Gheeraerts, Marcus d.J. 178, 220 Giesey, Ralph E. 4, 12, 17, 29, 77 Girard, René 7, 54 f., 82, 98, 118 Godefroy, Théodore 69 Göbel, Johann Wilhelm 32 Göpfert, Herbert G. 47 Goethe, Johann Wolfgang von 214 Gottsched, Johann Christoph 33 Gower, John 220 Gracián, Balthasar 103, 105 f., 132, 205 Grassi, Ernesto 9 Greenblatt, Stephen 51, 178, 210, 216 Grimm, Gunter E. 167 Grimm, Reinhold 57 Gritz, Jan de 2 Grotius, Hugo 114 Gründer, Karlfried 142 Gryphius, Andreas 48, 60 f., 63–65, 67–71, 73–76, 78–83, 87, 99, 112, 146 f., 151, 154, 157, 167 f., 195, 209, 211 f., 218 Gunermann, Heinz 93 Habermann, Ina 159 Haldar, Piyel 9 Hale, David George 2, 159, 175 Hallmann, Johann Christian 83–93, 109, 130, 143, 161–169, 212, 224 Hamacher, Werner 51 Hamblock, Dieter 13, 22, 98

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Hammerstein, Notker 200 Hardy, Alexandre 84 Harrison, G.B. 213 Harsdörffer, Georg Philipp 56–58, 86, 125 Hartley, Thomas E. 37, 171, 175, 192, 197, 214 Haug, Walter 127 Haugwitz, August Adolph von 48, 170, 196–200, 208–212, 215, 219, 222, 224, 226f. Hebekus, Uwe 55 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 16, 55, 83, 106 Heinrich II., König von Frankreich 69, 97 Heinrich III., König von Frankreich 33, 40 Heinrich IV., König von Navarra und Frankreich 5, 33, 42 f., 68, 129, 195 Heinrich IV, König von Spanien 71 Heinrich VII., König von England 1, 4, 27 f., 29, 183 Heinrich VIII., König von England 36, 158 f., 173, 182 f. Heinrichs, Gisela 39 Heinsius, Daniel 56 Henkel, Arthur 66, 177 Henschen, Hans-Horst 1 Hercule-François von Valois 40 Herford, Charles H. 39 Herodes, König in Judäa 83–85 Herodian 146 Herodot 77, 148 Herring, Herbert 190 Hess, Günter 139 Heydorn, Hans-Joachim 166 Hilliard, Nicholas 39, 176–178, 184, 190 Hobbes, Thomas 14 f., 19, 24, 31, 89, 103, 105, 109, 117, 132, 134, 144, 149, 151–153, 157, 184, 198 f., 201, 205 f., 217, 219 f., 222 f., 225, 231 Höfele, Andreas 182 Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von 171 f. Holbein, Hans d.J. 182 f. Holmes, George 3 Hooft, Pieter Corneliszoon 68 Horkheimer, Max 53 Hübscher, Arthur 106 Hughes, Thomas 179 Huizinga, Johann 96 Hunt, Lynn 97, 101 Huret, Grégoire 39, 109 Hyrkanus 84

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Personenregister

Ingen, Fedinand van 63 Isabella von Kastilien 158 Iser, Wolfgang 46, 50, 226 Jackson, John 186 Jackson, Richard A. 16, 77 James IV., König von Schottland 158 James VI./I., König von Schottland und England 1, 3, 11, 34, 39, 175 f., 214, 222 Janson, Horst W. 95 Jerouschek, Günter 50 Johnson, Paul 1, 193 Jonson, Ben 39, 179, 187 Jorzick, Regine 16 f. Joseph 85 Josephus, Flavius 83–85, 88, 91, 104 Julia Domna 146 Jungmayer, Jörg 86 Just, Klaus Günther 15, 48, 140 Kablitz, Andreas 225, 230 Kaiser, Marianne 31 Kaminski, Nicola 83 Kamper, Dietmar 17, 27 Kantorowicz, Ernst H. 4, 9 f., 15–19, 22 f., 26, 29 f., 54, 69, 76 f., 80 f., 95, 110, 156, 167, 210, 229 Karl I., Stuart, König von England 72, 75–77, 177 Karl IV., deutscher König und Kaiser 32 Karl V., König von Spanien 17, 159 Karl VI., König von Frankreich 27 Karl IX., König von Frankreich 33, 40 Katharina I., russische Zarin 34 f. Katharina II., russische Zarin 34 f. Katharina von Aragon 36, 158–160 Kaufmann, Ekkehard 27, 32, 71 Keckermann, Bartholomaeus 205 Keppler, Stefan 128 Kiesel, Helmuth 49 Kipka, Karl 188 Kircher, Athanasius 120 Kittler, Friedrich A. 147 Klaj, Johann 86 Klein, Bernhard 159 Klingner, Friedrich 150 Köppen, Ulrich 8, 165 Köster, Kurt 96 Koneffke, Walter 166 Konstantin I., römischer Kaiser 15

Kormart, Christoph 191 Kramer (Institoris), Heinrich 50 Krause, Helmut 191 Krüger, Gerhard 54 Krumme, Peter 47, 51 Kühlmann, Wilhelm 202 Kümmel, Birgit 62 Kydd, Thomas 47 La Boétie, Etienne de 166 La Calprenède, Gautier de Costes de 84, 102 Lacan, Jacques 184 La Hyre, Laurent de 39, 72 f. Lambarde, William 181 Lang, Franciscus 58 f. La Perrière, Guillaume de 66 Lautenbach, Conrad 88, 104 Lederer, Max 107 f. Leibniz, Gottfried Wilhelm 190 Leo X., Papst 3 Leopold I., König von Böhmen und Ungarn, Kaiser 151, 156 Lersch, Thomas 96 Lessing, Gotthold Ephraim 47 Lethen, Helmut 103 Leu, Thomas de 39, 44 Liechtenstein, Gundacker Fürst von und zu 200 Lindberg, John D. 6 Lindquist, Thomas 48 Lipsius, Justus 45, 118 f., 201, 205 Livius 111 f. Llewellyn, Nigel 28, 94 Lohenstein, Daniel Casper von 15, 25 f., 47 f., 64 f., 94, 101 f., 104–115, 117–126, 130, 132, 134, 138–145, 147–157, 163, 167, 212, 217 f., 226 Loos, Helmut 111 Loraux, Nicole 47, 104, 115 f. Ludwig XII., König von Frankreich 94 Ludwig XIII., König von Frankreich 34, 42, 45, 77, 129, 157 Ludwig XIV., König von Frankreich 34, 51, 77, 204 f. Lüdemann, Susanne 55 Luhmann, Niklas 14, 24, 38, 49, 51, 66, 105 f., 109, 132, 174, 181, 186, 202–206, 212, 226, 228 f. Luther, Martin 225 Lutz, Heinrich 159

Personenregister Maché, Ulrich 171 Machiavelli, Niccolò 133, 159, 225 Machoczek, Ursula 20, 30, 37, 158, 173, 175, 199 Macrobius, Ambrosius Theodosius 27 Mainberger-Ruh, Elisabeth 7 Mairet, Jean 111 Man, Paul de 51 Mann, Heinrich 5 Mannack, Eberhard 48, 57, 81 Mannack, Helga 57 Marguerite von Valois 40 Maria I., Königin von England 36, 158, 172 f., 199 Maria Stuart, Königin von Schottland 1, 19, 37, 158, 188–192, 195, 212–215, 224 Mariamne, Königin in Judäa 83–85, 92 Marie Antoinette, Königin von Frankreich 97 Marin, Louis 51, 78 Marlowe, Christopher 12 f., 22, 33, 98, 129 Marquard, Odo 142 Maßmann, Hans Ferdinand 187 Matala de Mazza, Ethel 12, 222 Max, Frank Rainer 167 Maximilian I., Kurfürst von Bayern 201, 216 f. May, Thomas 102, 107 Mazarin, Jules, Cardinal 34 Medici, Katharina von, Königin von Frankreich 17, 32 f., 40–42, 62, 95, 97, 101, 108, 166, 172 Medici, Maria von, Königin von Frankreich 17, 32–34, 42–45, 68, 109, 129–131, 135 f., 157, 166, 172 Medicus, Thomas 6, 27 Meid, Volker 171 Meise, Helga 62 Memmolo, Pasquale 142, 146 Ménager, Daniel 40 Menke, Bettine 45, 164 Menke, Katharina 45 Meumann, Markus 70, 141 Meyer-Kalkus, Reinhart 113 Michel, Karl Markus 16 Michel, Otto 85 Migne, Jacques-Paul 9 Milichius, Ludwig 31, 121 Millen, Ronald Forsyth 44 Mitternacht, Johann Sebastian 31, 200 Moldenhauer, Eva 16, 47 Mommsen, Theodor 4 Montchrestien, Antoine de 111

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Montrose, Louis A. 3, 180, 182, 184, 186 Morus, Thomas 164 f. Mout, Nicolette 119 Müller, Heiner 14 Müller, Jan-Dirk 8, 67, 225, 230 Müller-Seidel, Walter 139 Münkler, Herfried 204, 207 Münster, Sebastian, 121 Munich, Adrienne 128 Neill, Michael 107 Nero, Claudius Cäsar, römischer Kaiser 138 f. Neubauer, Helmut 35 Neukirch, Benjamin 186 Neumann, Gerhard 124 Neumark, Georg 78, 111 Newiger, Hans-Joachim 71 Nichols, John 1, 5, 11, 178–180, 185, 213 Niefanger, Dirk 70, 141, 224 North, Thomas 107 Öhlschläger, Claudia 67 Oellers, Norbert 116 Oestreich, Gerhard 203 Oettl, Johann Georg 201 Oliver, Isaac 178 Omeis, Magnus Daniel 57, 107 Opitz, Martin 57, 70, 86, 125 f. Ott, Michaela 10 Otto, Karl F. 86 Otto, Walter F. 9 Ovid 77, 178 Panofsky, Erwin 95 f. Passe, Crispin de d.Ä. 176–178, 184 f. Pater, Walter 22 f., 71, 181, 210 Perry, Maria 174, 199 Peter I., russischer Zar 34 f. Petersen, Julius 116 Pfau, Una 1 Picard, Raymond 75 Pilon, Germain 95–97, 108 Philipp II., König von Spanien 17 Plamböck, Gert 9 Platon 9, 12, 103 Plinius 77 Plowden, Edmund 10, 18, 173 Plume, Cornelia 101, 103, 140 Plutarch 102, 104, 107 f. Pötscher, Walter 121 Pole, Reginald 159

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Personenregister

Politianus, Angelus 146 Porter, Charlotte 1 Pott, Hans-Georg 147 Powell, Hugh 157 Pufendorf, Samuel 202 Qulligan, Maureen 101, 150 Racine, Jean 74 f., 129, 139 Rahn, Thomas 5 Rang, Florens Christian 53f., 125 Ranke, Leopold von 129, 132, 135 Raulff, Ulrich 20, 108 Read, Conyers 182 Read, Evelyn 182 Reichelt, Klaus 57, 133 f., 193 Reichert, Klaus 98, 142, 178, 180 Reinhard, Wolfgang 197, 200, 203, 205, 209 Ricaut, Paul 152, 154 f. Richelieu, Armand-Jean du Plessis Herzog von, Cardinal de 34, 135 Richter, Karl 139 Riemer, Johannes 191–196 Rist, Johann 57, 126 Ritter, Joachim 142 Robbia, Girolama della 95f. Robertson, William 212–214, 224 f. Rogers, William 178 Rohde, Erwin 58, 118 Rollins, Edward 186 Ronsard, Pierre de 40 Rotth, Albrecht Christian 57, 113 Rowley, Samuel 159 Rubens, Peter Paul 39, 42–46, 109, 136 Rudin, Alexander 59 Salome 85 Saxton, Christopher 179 Scaliger, Julius Cäsar 57, 125 f. Schabert, Ina 159, 165, 227 Schiller, Friedrich 132, 141, 171, 193, 214, 218, 225 Schings, Hans-Jürgen 57, 63, 70, 75, 82, 139 Schlaffer, Heinz 135 Schlegel, August Wilhelm 24 f. Schlosser, Julius von 6, 26f., 195 Schmitt, Carl 13 f., 189, 198, 206 Schneider, Peter-Paul 5 Schönberger, Otto 78 Schöne, Albrecht 66, 92, 177, 211 Schomburg, Klaus 7

Schomburg-Scherff, Sylvia M. 7 Schramm, Percy Ernst 3, 20 Schubart, Adam 88 Schulte, Regina 3, 30, 173, 182, 186 Schulz, Martin 17, 27 Schulze, Ulrich 17 Schwarz, Franz F. 13 Schweizer, Johann 64 Schweppenhäuser, Hermann 30 Scudéry, Madeleine de 89 Seckendorff, Veit Ludwig von 61, 200–202 Seiler, Georg Friedrich 212 Seitter, Walter 12, 20, 108 Seneca, Lucius Annaeus d.J. 53, 70, 93, 95, 114, 119–121, 150 Septimus Severus 146 Sextus Tarquinius 114 Shakespeare, William 1, 22, 24 f., 47, 76, 97 f., 101 f., 107, 109, 113, 159, 161–163, 165 f., 171, 180–182, 184, 186, 188 f., 210, 226 f., 229 Siepmann, Helmut 141 Simon, Joseph 81 Simon von Tournai 9 Simonin, Michel 40 Simpson, Percy 39 Sittow, Michael 160 Smith, Denzel 107 Sommerville, Johann P. 11 Sophia Eleonora von Hessen-Darmstadt 62, 64 Sophie Charlotte, Königin in Preußen 186 Sophokles 116 Spedding, James 2 Spellerberg, Gerhard 84, 86, 112, 128, 140, 164 Spenser, Edmund 179 f. Spinner, Kaspar 141 Stambaugh, Ria 31, 88, 121 Stanitzek, Georg 106 Steiner, Uwe 186 Steinhagen, Harald 80, 151 Stöckmann, Ingo 130, 132 Stoessl, Franz 13 Stolle, Gottlieb 167 Stolleis, Michael 203 Strelka, Joseph 86 Suerbaum, Ulrich 208 Szarota, Elida Maria 68, 110, 115, 123, 160, 200 Szyrocki, Marian 157

Personenregister Tarot, Rolf 75 Tarquinius Superbus 114 Terentius Varro, Marcus 121 Tertullian, Quintus Septimus Florens 9, 78 Tiedemann, Rolf 30 Theimer, Walter 4 Theophrast 121 Thomas von Aquin 13 Thorne, Samuel E. 11 Thüring, Herbert 11 Tirso de Molina (d.i. Fray Gabriel Téllez) 84 Torrigiano, Pietro 27 f. Trissino, Gian Giorgio 111 Trunz, Erich 57 Tschacher, Werner 50 Using, Johann 66 f. Valle, Pietro della 65 Velleius Paterculus 111, 123 Vergil 77, 178 Vervaux, Johann 201 Vespasianus, Titus Flavius Sabinus, römischer Kaiser 83 Vickers, Nancy J. 101, 150 Vinken, Barbara 45, 128, 164 Vismann, Cornelia 4, 9 Vondel, Jost van den 189–191, 209 Vossler, Otto 129 Vouet, Simon 39, 72, 109 f.

Warnke, Martin 40, 42, 45, 47, 95 Weber, Wolfgang 32, 119, 198, 202, 205 Wehler, Hans-Ulrich 203 Weigel, Sigrid 124 Weise, Christian 6, 33, 99f., 101, 129–131, 133–135, 137 f., 144, 216 Weitzel, Jürgen 32 Wellbery, David E. 141 Wenzel, Horst 31 Wenzel, Mirko 159 Wichert, Adalbert 115, 164 Wiens, Brigit 67 Wiese, Benno von 116 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 52 Wild, Christopher J. 74, 141, 145, 148 Wilhelm II., Landgraf von Hessen 94 Wilhelmine Eleonore, Herzogin von Sachsen 78 Williams, Penry 178, 196 Willige, Wilhelm 116 Wind, Edgar 39, 44 f. Windisch, Martin 25, 27, 99, 179, 220 Wirth, Uwe 230 Witte, Bernd 141 Wolf, Robert Erich 44 Woodbine, George E. 11 Woodward, Jennifer 1 Woolf, Virginia 178 Wunder, Heide 21, 32, 62 Wyatt, Thomas 195 Yates, Francis A. 179, 185, 220

Wagner, Bernd Herbert 21 Walitzek, Brigitte 178 Walsingham, Francis 197 Warichez, Joseph 9 Warning, Rainer 127

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Zeno von Verona 78 Zimmermann, Bernhard 98, 116 Zimmermann, Margarete 47 Zorn, Rudolf 133