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German Pages 473 [476] Year 2023
Johannes Wienand
Der politische Tod Gefallenenbestattung und Epitaphios Logos im demokratischen Athen
Franz Steiner Verlag
Historia | Einzelschrift 272
Historia
historia
Zeitschrift für Alte Geschichte | Revue d’histoire ancienne |
Journal of Ancient History | Rivista di storia antica
einzelschriften
Herausgegeben von Kai Brodersen (federführend)
Christelle Fischer-Bovet | Mischa Meier | Sabine Panzram | Henriette van der Blom | Hans van Wees Band 272
Der politische Tod Gefallenenbestattung und Epitaphios Logos im demokratischen Athen Johannes Wienand
Franz Steiner Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023 www.steiner-verlag.de Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13389-0 (Print) ISBN 978-3-515-13390-6 (E-Book)
für Christiane
ὀλίγοι ἀπὸ πολλω˜ ν ἐπ’ οἴκου ἀπενόστησαν wenige von vielen kehrten nach Hause zurück Thuk. 7.87
Umzeichnung der Darstellung eines Redners und zweier Hopliten an einer Gefallenen grabstele auf einer weißgrundigen Lekythos (dat. 425–420 v. Chr.), entdeckt bei Grabungen der 2. Ephorie für Prähistorische und Klassische Altertümer im Juni 1984 in einem Schacht grab bei Οδός Θηβών 16 in Piräus (Grabungsbericht in ADelt 39, 1984 [1989], B’1 Chron., 30), heute im Magazin des Archäologischen Museums Piräus (inv. ΜΠ 15602; vgl. M. XagorariGleissner, Επιτάφιος λόγος, Αρχαιολογικά ανάλεκτα εξ Αθηνών 29–31, 1996–1998 [2000], 157–161). Umzeichnung des Originals: J. Wienand.
Dank Die Entstehung dieses Buches ist mit einer Reihe an Orten verbunden – mit ihren je weils eigenen Forschungsbedingungen und mit besonderen Menschen, die für meine Arbeit, aber auch für mich persönlich, wichtig geworden sind. Düsseldorf. Die Arbeit ist zu großen Teilen in der Zeit meiner Tätigkeit als Akade mischer Rat am Institut für Geschichtswissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf entstanden und wurde dort im Jahr 2018 in einer früheren Fassung von der Philosophischen Fakultät als Habilitationsschrift angenommen. Ohne die akade mische Freiheit, die ich am Lehrstuhl für Alte Geschichte genießen durfte, wäre dies kaum möglich gewesen. Mein besonderer Dank hierfür gebührt in erster Linie Bruno Bleckmann, der meine Arbeit stets unterstützt und gefördert hat. Sein erfolgreicher Einsatz für die Entfristung meiner damaligen Stelle war die entscheidende Vorausset zung dafür, dass ich mich der Themenfindung und Ausarbeitung ohne den im aka demischen Mittelbau sonst so verbreiteten Zeitdruck widmen konnte. Eine wichtige Inspirationsquelle in meiner Düsseldorfer Zeit waren die ungezählten fachlichen (und weniger fachlichen) Gespräche im Kreis der Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Mein Dank gilt auch Julius Leonhard, damals Fachreferent für Geschichte an der Univer sitäts- und Landesbibliothek, für Unterstützung bei der Literaturbeschaffung sowie Rita Kröll und Anne Friedrich für Unterstützung bei organisatorischen Belangen. In Düsseldorf fand auch das Habilitationsverfahren statt: Für die Mitwirkung danke ich den Kommissionsmitgliedern Bruno Bleckmann, Eva Schlotheuber und Markus Stein sowie als externen Referenten Kai Trampedach und Hartmut Leppin. Frankfurt. Im Sommersemester 2017 hatte ich die Ehre und das Vergnügen, für die Dauer von sechs Monaten einen Forschungsaufenthalt in der Abteilung für Alte Ge schichte am Historischen Seminar der Goethe-Universität Frankfurt am Main absol vieren zu dürfen. Für die großzügige Bereitschaft, mich akademisch zu beherbergen, sowie für wertvolle inhaltliche Hinweise danke ich herzlich Hartmut Leppin. Auch in Frankfurt – wie überhaupt an allen hier angeführten Orten – habe ich wichtige Inspi rationen aus den Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen vor Ort sowie mit Gast wissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftlern gewinnen können. Die hervorragend ausgestatteten Bibliotheken für Alte Geschichte, Archäologie und Klassische Philolo gie im IG-Farben-Haus habe ich gerne genutzt.
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Dank
München. Die Arbeit am Manuskript hat von den idealen Bedingungen profitiert, die mir 2017/2018 ein Förderstipendium in Form einer Wissenschaftsklausur in der wun derbaren Kaulbach-Villa des Historisches Kollegs am Englischen Garten in München geboten hat – unter rundum idealen Bedingungen, zumal im Herzen einer einmaligen Bibliothekslandschaft. Die exzellenten Forschungsbedingungen wären ohne das Team des Historischen Kollegs nicht denkbar; namentlich danken möchte ich Karl-Ulrich Gelberg, Elisabeth Hüls, Jörn Retterath, Anita Frosch und Regina Schlicht. Wertvolle Unterstützung bei der Literaturrecherche und -beschaffung hat Janina Gilg geleistet. In besonderer Weise konnte ich auch davon profitieren, dass mir wiederholt (zuletzt im Sommer 2021) die Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik in München beste Arbeitsbedingungen und unbeschränkten Zugang zu den hervorragenden Lite raturbeständen ihrer Bibliothek geboten hat. Danken möchte ich dafür Christof Schu ler und Rudolf Haensch sowie Regina Gruber und Ina Timmermann. Darüber hinaus konnte ich mit großem Gewinn auch in der Bayerischen Staatsbibliothek sowie in den ebenfalls exzellent ausgestatteten Fachbibliotheken der Ludwig-Maximilians-Univer sität, insbesondere der Fachbibliothek Historicum sowie den Bibliotheken der Klassi schen Archäologie, der Klassischen Philologie, der Antiken Rechtsgeschichte und der Theologie/Philosophie arbeiten. Zu den optimalen Arbeitsbedingungen in München hat im Sommer 2021 auch ein Residenzstipendium der Congregatio Jesu Nymphen burg beigetragen, danken möchte ich insbesondere Britta Müller-Schauenburg. Bei Ursula Vedder, die ganz unerwartet und viel zu früh aus dem Leben geschieden ist, kann ich mich leider nicht mehr für ihre Unterstützung bedanken. Berlin. Im Archiv der Forschungsstelle der Inscriptiones Graecae an der Berlin-Bran denburgischen Akademie der Wissenschaften konnte ich im Rahmen zweier Aufent halte die für mein Projekt relevanten Inschriften anhand der bestens dokumentierten Abklatsche studieren. Für die freundliche Aufnahme und Unterstützung möchte ich Klaus Hallof und Daniela Summa herzlich danken: In der Bibliothek der BBAW und vor allem im Versammlungssaal hatte ich mit viel Platz und idealen Lichtverhältnissen hervorragende Arbeitsbedingungen. Die Möglichkeit, für die Zeit der Forschungsauf enthalte im Lepsius-Kolleg unterzukommen und auch die exzellente Bibliothek der Zentrale des Deutschen Archäologischen Instituts zu nutzen, verdanke ich Philipp von Rummel. Dass mich zeitweise mein Sohn begleiten konnte, haben Alexander und Katharina ermöglicht. In Berlin liegen in gewisser Weise auch die Anfänge dieses Bu ches: Für das Sommersemester 2010 hat mir Aloys Winterling einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt im Bereich Alte Geschichte des Instituts für Geschichtswissen schaften der Humboldt-Universität zu Berlin ermöglicht, der für die Themenfindung und die Entwicklung der Fragestellung entscheidend war. Das damals gerade neu er öffnete Jacob- und Wilhelm-Grimm-Zentrum, die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin und die Staatsbibliothek zu Berlin (allerdings mit Einschränkungen durch die Asbestsanierung) haben mir mit ihren hervorragenden Literaturbeständen den Einstieg in das neue Themenfeld erleichtert.
Dank
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Athen. Der erste Teil dieser Arbeit hätte ohne das Studium der Originale vor al lem in Athen kaum entstehen können, und das Studium der Originale wäre ohne die wertvolle Unterstützung einer ganzen Reihe an Institutionen und Personen nicht möglich gewesen. Herzlich danken möchte ich für exzellente Arbeitsbedingungen beim Studium von Inschriftenfragmenten, Reliefs, Architekturelementen und Vasen: Eleni Zavvou und Athanassios Themos (Epigraphisches Museum | Museum und Ma gazin), Sylvie Dumont und Pia Kvarnström (Agora | Museum und Magazin), Leoni das Bournias (Kerameikos | Museum und Magazin), Dimitris Sourlas (Hadriansbib liothek | Magazin), Voula Bardani (Platon-Akademie | Magazin), Georgos Kavvadias und Christina Avronidaki (Archäologisches Nationalmuseum) sowie Alexandra Sy rogianni, Tatiana Panagopoulou und Giannis Asbestas (Archäologisches Museum Pi räus | Magazin). Besonders möchte ich Georgios Spyropoulos dafür danken, dass ich die in der Villa des Herodes Atticus entdeckte Stele des Monuments für die bei Mara thon gefallenen Athener im Magazin des Archäologischen Museums in Astros studie ren konnte. Ein spezieller Dank gebührt auch dem administrativen und technischen Personal in den Museen, Archiven und Depots: Ohne sie wäre die Arbeit mit schwe ren Steinen und fragiler Keramik nicht möglich. Für die Forschungs- und Publikati onsgenehmigungen danke ich Sophia Moskonisioti (Ephorie Athen), Andromache Kapetanopoulou (Ephorie Piräus) und Susanne Metaxa (Ephorie Arkadien). Dem Deutschen Archäologischen Institut, Abteilung Athen, speziell Katja Sporn sowie Irini Marathaki und Dimitris Grigoropoulos, möchte ich für die überaus hilfreiche Unterstützung meiner Forschungsaufenthalte in Athen danken. Besonders dankbar bin ich für die Gelegenheit, meine Thesen im Hauskolloquium des DAI vorstellen zu können, und für die wiederholte Möglichkeit, als Gast im Institut unterzukommen. Wertvolle Einblicke in die neuesten Entwicklungen der Kerameikosgrabung haben Jutta Stroszeck und Melanie Spiegelhalter ermöglicht; bei Joachim Heiden konnte ich mir für die Fotokampagnen ein Stativ ausleihen. In hohem Maße profitiert habe ich zudem von der Möglichkeit, in der Bibliothek des DAI und in der Blegen Library der American School of Classical Studies at Athens arbeiten zu können. Danken möchte ich auch Martin Schäfer (Archäologische Gesellschaft Athen) für wertvolle bibliogra fische Hinweise. Braunschweig. Die Möglichkeiten, die sich mir seit April 2018 auf der Professur für Alte Geschichte in Braunschweig bieten, haben die Überarbeitung des Buches erheb lich befördert. So konnte ich insbesondere Forschungs- und Archivreisen nach Astros, Athen, Berlin, Korinth, London und Paris unternehmen, die für die abschließende Re cherche wichtig waren. Im Louvre hat mir Laura Favreau das Studium zweier Gefalle nenlisten ermöglicht, und für die Unterstützung beim Studium des Papyrus 98 (P.Lit. Lond 133) mit dem Epitaphios des Hypereides danke ich Peter Toth vom Manuscript Reading Room der British Library. Meiner damaligen Sekretärin Jennifer Liebold bin ich dankbar für die organisatorische Unterstützung meiner Tätigkeit, und Anna Haake danke ich für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts.
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Dank
Heidelberg. Über die Jahre meiner Arbeit an der vorliegenden Studie hinweg war Heidelberg stets als Lebensmittelpunkt meiner Familie entscheidend, über einen langjährigen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort sowie mit der Bi bliothek des Seminars für Alte Geschichte und Epigraphik auch als besonderes aka demisches Refugium – auch hier habe ich von einem unbeschränkten Zugang zu den hervorragenden Literaturbeständen profitiert, wofür ich Kai Trampedach und Christi an Witschel herzlich danke. Die Bibliotheken des Instituts für Klassische Archäologie, des Instituts für Klassische Philologie, des Historischen Seminars sowie die Universi tätsbibliothek habe ich mit Gewinn genutzt. Vom Austausch mit einer Reihe an Personen, die teilweise auch einzelne Passagen oder das gesamte Manuskript gelesen und kommentiert haben, hat meine Arbeit be sonders profitiert: Wichtige Hinweise und Anregungen verdanke ich speziell Nathan Arrington, Birgit Bergmann, Thomas Blank, Bruno Bleckmann, Leonhard Burckhardt, Judson Herrman, Peter Hunt, Christian Jaser, Anja Klöckner, Hartmut Leppin, Nino Luraghi, Christian Mann, Marion Meyer, Benjamin Nagel, David Pritchard, Kurt Raaflaub, Viktoria Räuchle, Corinna Reinhardt, Sebastian Schmidt-Hofner, Tim Shea, Timo Stickler, Cornelius Stöhr, Jutta Stroszeck und Kai Trampedach. Wertvolle An regungen konnte ich zudem den Rückmeldungen zu Einzelaspekten meiner Arbeit entnehmen, die ich bei Vorträgen in Amsterdam, Athen, Augsburg, Bamberg, Berlin, Bielefeld, Bonn, Braunschweig, Coimbra (virtuell), Düsseldorf, Frankfurt, Göttingen, Jena, Lyon, Konstanz, Mainz, München und Strasbourg erhalten habe. Besonders dankbar bin ich für die Möglichkeit, in Druckvorbereitung befindliche Manuskripte einzusehen. Birgit Bergmann hat mir dankenswerterweise Einsicht in Auszüge aus dem Manuskript ihrer Habilitationsschrift Jenseits von Sieg und Niederlage. Zur Kommemoration militärischer Konflikte durch griechische Poleis in archaischer und klassischer Zeit gewährt. Nicolai Futás hat mir freundlicherweise das Manuskript seiner Dissertation Von der Liturgie zur Euergesie. Die Transformation der athenischen Demokratie im 4. Jahrhundert v. Chr. zur Verfügung gestellt. Christoph Lundgreen danke ich für die Möglichkeit, das noch unveröffentlichte Manuskript seiner Habilitationsschrift Staatlichkeit in der frühen griechischen Antike zu lesen. Cornelius Stöhr danke ich da für, dass ich das damals noch unveröffentlichte Manuskript seiner Dissertation zum Thema Tod für die patris. Das Gefallenengedenken in den griechischen poleis klassischer und hellenistischer Zeit (publiziert unter dem Titel Schöner Sterben) einsehen konnte. Ebenfalls einsehen konnte ich dankenswerterweise eine Reihe an Manuskripten zu David M. Pritchards Tagungs- und Publikationsprojekt The Athenian Funeral Oration. Hierfür möchte ich Nathan Arrington, Ryan K. Balot, Thomas Blank, Alastair J. L. Blanshard, Leonhard Burckhardt, Johanna Hanink, Judson Herrman, Sophie Mills, Neville Morley, David M. Pritchard, Bernd Steinbock und Bernhard Zimmermann herzlich danken. Kai Brodersen danke ich für die freundliche Aufnahme der Arbeit in die Historia Einzelschriften, den beiden anonymen Gutachtern danke ich für wertvolle Hinweise.
Dank
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Katharina Stüdemann und ihrem Team vom Steiner Verlag danke ich für die gute Zu sammenarbeit. Ganz besonders möchte ich meinen Eltern danken für stete Förderung und meinen Brüdern und ihren Familien für ihren Zuspruch. Last but foremost: Ohne das Ver ständnis und die großartige Unterstützung meiner Frau Christiane, der dieses Buch gewidmet ist, und unseres Sohnes Florian wäre die Arbeit nie entstanden. Johannes Wienand 22. Dezember 2022
Inhaltsverzeichnis Einleitung Ausgangslagen Fragestellung, Quellen und Forschungsstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Erster Teil Die materielle Textur des politischen Todes Erstes Kapitel Der isonome Tod Genese eines politischen Rituals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Zweites Kapitel Patrios Nomos Die Inventarisierung des Todes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Drittes Kapitel Gleichheit und Differenz Die Grenzen der Isonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Viertes Kapitel Krise und Wandel Die langen Schatten des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Zweiter Teil Die literarische Textur des politischen Todes Fünftes Kapitel Gorgias und Thukydides Sterben für das Imperium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
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Inhaltsverzeichnis
Sechstes Kapitel Archinos und Lysias Sterben für den Frieden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Siebtes Kapitel Platon und Isokrates Sterben für den Ruhm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Achtes Kapitel Demosthenes und Hypereides Sterben für die Freiheit?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Bilanz Die Politisierung des Todes Texte und Kontexte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Anlagen Nachweise Bibliografische Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Literarische Hauptquellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Epigrafische Hauptquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Literaturnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Register Allgemeiner Index. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Orte und Regionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Literarische Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Epigrafische Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Materialien Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Topografische Übersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Chronologische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472
Einleitung
Ausgangslagen Fragestellung, Quellen und Forschungsstand Der soldatische Tod als historisches Problem Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit dem Tod umgeht, lässt zentrale Aspekte ihrer sozialen, kulturellen und politischen Konstitution erkennen. Für die Geschichts wissenschaft stellt der Problemkomplex ein entsprechend ergiebiges Forschungs feld dar, das nicht erst seit den aufsehenerregenden Studien der École des Annales mit hoher Intensität bearbeitet wird. Speziell der soldatische Tod hat die historische Forschung stets in besonderem Maße bewegt. Im Angesicht der im Felde gefallenen Bürgersoldaten (weniger im Falle von Söldnern) ist die Gemeinschaft mit dem genu in politischen Ausmaß des Todes konfrontiert: Mit ihrem Verfügungsanspruch über das Individuum greift sie tief in persönliche Freiheiten, familiäre Bindungen und so zioökonomische Zusammenhänge ein, setzt das Kollektivinteresse gegen individuelle und partikulare Belange durch und nimmt Handlungspotenziale Einzelner funktio nalistisch in Dienst: Die Körper der ins Feld gestellten Bürger werden so zu einem Risikoareal der militärischen Interaktion, das sich gegen den Bereich des Zivilen nie vollständig abschirmen lässt. Ein Hieb oder Schuss genügt, und ein meist männliches erwachsenes Glied der Gemeinschaft wird unwiderruflich aus dem Leben gerissen: In aller Regel geht damit zugleich gesellschaftliche Ordnungskraft verloren, werden so ziale Bande durchtrennt und etablierte Hierarchiegefüge erschüttert. Der soldatische Tod birgt soziale Sprengkraft und kann sich leicht zum Ausgangs- und Bezugspunkt gesellschaftlicher Konflikte entwickeln. Die ultimative Selbstaufgabe eines Bürgers für das Kollektiv muss daher nicht nur rechtlich, administrativ und ordnungspolitisch bewältigt werden, sie erlegt der Gesell schaft auch die Bürde der Sinnstiftung auf, ohne die sich das desintegrative Potenzial des soldatischen Todes nicht wirksam einhegen lässt (auch durch rigide Informati onskontrolle nicht): Die selbstaufopferische Hingabe wird mit Konzepten von Ruhm, Ehre und Pflicht erklärt, der tragische Kampf in Erzählungen von Heldenmut und Vor sehung gefasst und das Sterben auf ein höheres gemeinschaftliches Gut bezogen; das Verdienst des Einzelnen um die Gemeinschaft wird in Relation gesetzt zu mythischen oder historischen Paradigmata und gewürdigt mit diversen Formen der Ritualisie
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Einleitung
rung, Monumentalisierung und Memorialisierung. Die Monopolisierung des Gefal lenengedenkens durch das Kollektiv gelingt aber meist nur partiell. Der Leichnam des Bürgersoldaten kann rasch zum Gegenstand eines Ringens um Deutungsmacht wer den: Unterschiedlichste Interessen diverser gesellschaftlicher Akteure setzen hier an, um die individuelle Bedeutung des Verstorbenen im privaten oder familiären Kontext zu betonen, um Forderungen gegen das Gemeinwesen geltend zu machen, Anklage zu erheben oder gar den Bruch mit der Gemeinschaft zu markieren. Für die Geschichts wissenschaft ist dieses Ringen um das ideelle Vermächtnis der Gefallenen nicht zuletzt deshalb so interessant, weil sich hier fundamentale gesellschaftliche Wertkonflikte ab zeichnen, soziale Spannungsfelder offenbaren und entscheidende desintegrative wie (re)integrative Potenziale manifestieren.1 Die vorliegende Studie ergründet den Tod des Bürgers im Krieg aus altertumswis senschaftlicher Perspektive. Im Zentrum des Interesses steht der soldatische Tod athe nischer Bürger in einer Zeit, die traditionell als die „klassische“ bezeichnet wird – im fünften und vierten vorchristlichen Jahrhundert also, wenn uns Athen als demokra tisch verfasster autonomer Stadtstaat mit unzweifelhaften, indes mit hohem Blutzoll verbundenen und nicht durchgängig von Erfolg gekrönten imperialen Ambitionen entgegentritt. In dieser Epoche hat die athenische Bürgergemeinschaft spezifische Strategien entwickelt, ihr Selbstverständnis als Militärmacht öffentlich zu inszenieren, ohne durch asymmetrische Zuschreibungen von Verdienst soziale Unwuchten zu er zeugen, die ihre politisch egalitäre Konstitution in Gefahr gebracht hätten: Anders als in den hellenistischen Königtümern und in Rom waren im klassischen Athen die ein drücklichsten militärischen Festivitäten mit breitester Anteilnahme der Bevölkerung nicht der Feier des Sieges oder gar der Ehrung der für den Erfolg verantwortlichen Akteure vorbehalten, sondern der Würdigung derer, die im Kampf für die Polis ihr Leben verloren hatten – und dies (zumindest zeitweise) auch weitgehend unabhängig davon, welcher gesellschaftliche Status den einzelnen Gefallenen zukam und ob ihr
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Für die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Verarbeitung des Todes waren die Impulse entscheidend, die in den 1960er und 1970er Jahren von Publikationen und Kolloquia der École des Annales ausgegangen sind; von besonderer Bedeutung sind die Pub likationen von Philippe Ariès (insbes. Ariès 1975; Ariès 1977) sowie das Themenheft Autour de la mort der Zeitschrift Annales (1976; zur Geschichte der École des Annales: Burguière 2006, insbes. 201–238 über die Arbeit der École des Annales an einer histoire totale de la mort). Im deutschspra chigen Raum war parallel das Marburger Personalschriften-Kolloquium von besonderer Relevanz, das erstmals 1974 stattfand und sich mit Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften befasste (Tagungsbericht in der Zeitschrift Annales: Vogler 1976). Aus dem Projekt sind unter der Regie des Marburger Historikers Rudolf Lenz fünf einflussreiche Bände hervorgegangen: Lenz 1975 (mit einem Beitrag zu antiken Grabreden als Geschichtsquelle: Flach 1975), 1979, 1984, 2004 und Dickhaut 2014. Die Forschung der zurückliegenden vier Jahrzehnte kann hier nicht im Ein zelnen gewürdigt werden; wichtige Anregungen sind etwa von Mosse 1990 (mit dt. Übersetzung Stuttgart 1993); Koselleck/Jeismann 1994; Füssel 2012; Hettling/Echternkamp 2013; Großheim 2017 ausgegangen.
Ausgangslagen. Fragestellung, Quellen und Forschungsstand
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Einsatz zum kriegerischen Erfolg der Polis beigetragen hatte oder eine Niederlage des heimischen Bürgerheeres nicht hatte verhindern können. Der Bergung und würdigen Bestattung gefallener Mitbürger sowie dem regelmäßi gen Vollzug von Totenkultritualen an ihren Gräbern kam in der antiken griechischen Poliswelt insgesamt eine außerordentlich hohe Bedeutung zu.2 Eine Vielzahl literari scher und materieller Zeugnisse erlaubt es, die hohe gesellschaftliche Relevanz der Gefallenenbestattung und des Gefallenengedenkens bis in die archaische Zeit hinein zurückzuverfolgen. Schon in den frühen Epen weisen die Bergung und die Bestattung im Krieg gefallener Einzelfiguren ein besonderes Gewicht auf: Zentrale Passagen der homerischen Dichtung beziehen sich auf den Kampf um die Leichname gefallener Krieger und um die Bestattungen exponierter Personen – in der Ilias werden detail reich die Bestattungsfeierlichkeiten für herausragende Akteure wie Patroklos (Il. 23) und Hektor (Il. 24) geschildert, in der Odyssee das Begräbnis Achills (Od. 24): Cha rakteristisch für die epischen Darstellungen sind die rituelle Verbrennung des Leich nams auf einem Scheiterhaufen, die sorgfältige Bettung der Asche in einer Urne, die feierliche Bestattung mit Darbringung von Grabbeigaben sowie die Durchführung von Wettkämpfen zu Ehren des jeweils Verstorbenen.3 Mit Bestattungsriten dieser Art würdigen Kampfgenossen, Weggefährten und Ver wandte des Verstorbenen die jeweils gefallenen Individuen und gewinnen aus deren Andenken ein symbolisches Kapital, mit dem sich Einfluss, Autorität und Prestige innerhalb der Gemeinschaft von Hinterbliebenen profilieren lassen.4 Im archäologi schen Befund lassen sich Bestattungen dieser Art weit über die Zeit der Verschriftli chung der homerischen Epen hinaus bis ins frühe 10. Jahrhundert zurückverfolgen, auch wenn sich meist kaum sicher nachweisen lässt, woran die Bestatteten im Einzel nen verstorben sind. Ab Mitte des 8. Jahrhunderts sind solche „homerischen“ Begräb nisse auf Zypern bezeugt, später auch für die ägäischen Inseln und das griechische Festland; analoge Entwicklungen bestimmten in der Archaik auch den Grabkult für mythische Figuren.5 Zwei Polyandria aus Paros zeigen, dass bereits im ausgehenden
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Der unbestattete Gefallene fungierte dagegen als topisches Signum eines zerrütteten Gemeinwe sens; siehe hierzu die entsprechenden Überlegungen im fünften Kapitel. Zum Gefallenentod in den homerischen Epen: Sourvinou-Inwood 1995, 10–140; Kucewicz 2020, 13–42; zum literarischen Umfeld: Kimmel-Clauzet 2013. Siehe dazu auch die Diskussion der komplexen Beziehung von Heroenkult und Grabkult in der Archaik bei Whitley 1994. Zu frühklassischen Rückgriffen auf archaische Herosierungskonzepte siehe Boedeker 2001 a und 2001 b sowie Bremmer 2006. Allgemein zur vorklassischen Bestattung: Garland 1985; Morris 1987, 1992, 1995; Sourvinou-In wood 1995; Bergmann 2019; Dimitriadou 2019; Doronzio 2020; Kucewicz 2020; Bergmann (in Druckvorbereitung); Shea (in Druckvorbereitung). Zu Zypern: Dikaios 1963; Karagiō rgēs 1967; Karagiō rgēs 1973/1974. Athen, Pithekussai und Euboia: Blome 1984, 15; Guggisberg 2008; Bestat tung mythologischer Figuren: Roller 1981 a; Roller 1981 b. Von besonderem Interesse für die Frage nach „heroischen“ Bestattungen der Frühzeit ist das Fürstengrab in Lefkandi; siehe hierzu etwa Blome 1984; Lemos 2007.
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Einleitung
achten Jahrhundert auch Gemeinschaftsgräber für Kriegsgefallene angelegt werden konnten.6 Von diesen Ursprüngen her entwickelten sich im Athen des ausgehenden sechsten Jahrhunderts – im Zuge eines großflächigen Wandels von der archaischen Adels- zur klassischen Polisgesellschaft und unter dem Einfluss der spezifischen his torischen Entwicklungstendenzen in Attika – neue Formen der Gefallenenbestattung, die den aristokratisch geformten Symbolbestand der archaischen Bestattungsprakti ken an die Erfordernisse einer zur Isonomie tendierenden Bürgerschaft adaptierten.7 In klassischer Zeit erweist sich die Gefallenenbestattung in Athen als hochgradig faszinierendes Feld der Aushandlung politischer Ideologie, das sich im fünften Jahr hundert über mehrere Jahrzehnte hinweg so deutlich von den in anderen griechischen Städten praktizierten Formen der Gefallenenkommemoration unterscheiden sollte, dass sich von einem regelrechten Sonderweg innerhalb der antiken griechischen Ge fallenenbestattung sprechen lässt: Speziell für die Zeit von den frühen 450er Jahren bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges (die zeitliche Eingrenzung wird noch einge hend begründet) lassen sich in Athen hochgradig idiosynkratische Bestattungsriten und Memorialpraktiken ausmachen, die gerne mit dem Begriff des Patrios Nomos um schrieben werden – einem forschungsgeschichtlich überaus einflussreichen Konzept aus dem Geschichtswerk des Thukydides8 –, bevor sich im vierten Jahrhundert über weite Gebiete des griechischen Sprach- und Kulturraums hinweg die Bestattungsprak tiken in Athen und anderen Poleis wieder stärker angenähert haben. Innerhalb des genannten Zeitraums wurden in Athen Gefallenenbestattungen mit einem historisch singulären Ritualvollzug durchgeführt: Regelmäßig (wenn auch nicht ausnahmslos) wurden die Leichen der athenischen Kriegsgefallenen unabhängig vom Ausgang des entsprechenden Konflikts nach Abschluss der Kampfhandlungen soweit möglich noch vor Ort geborgen, registriert und verbrannt, um die sorgfältig aus dem Brandbett gehobenen kremierten Gebeine (auch über weite Distanzen hinweg unter entsprechend hohem logistischem Aufwand) in Urnen nach Athen zu überfüh ren; die sterblichen Überreste wurden dann in der Heimatpolis nicht unmittelbar in einem öffentlichen Begräbnis einzeln oder gemeinsam bestattet oder gar den Familien der Verstorbenen zum privaten Begräbnis übergeben, sondern zunächst unter Obhut der Stadt verwahrt, bis schließlich in gewisser Regelmäßigkeit sämtliche gefallenen Bürgersoldaten mit großer allgemeiner Anteilnahme erst nach Abschluss der Kriegs saison (im Spätherbst/Winter) im Rahmen einer öffentlichen Bestattungszeremonie vor den Toren Athens gemeinsam beigesetzt wurden.9 6 7 8 9
Zaphiropoulou 1999. An neueren Arbeiten hierzu siehe insbesondere Doronzio 2020; Meister 2020; Shea 2021; Berg mann (in Druckvorbereitung); Lundgreen (in Druckvorbereitung); Shea (in Druckvorberei tung). Thuk. 2.34. Die Charakteristika und die historische Entwicklung der klassischen athenischen Gefallenenbe stattung werden im ersten Teil dieser Arbeit diskutiert.
Ausgangslagen. Fragestellung, Quellen und Forschungsstand
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Der Ablauf dieses periodischen Gemeinschaftsbegräbnisses der für Athen Gefal lenen lässt sich in einiger Detailgenauigkeit rekonstruieren: Die in der materiellen wie literarischen Evidenz greifbaren Ritualhandlungen reichen von einer öffentlichen Aufbahrung der Urnen (der Prothesis) über die festliche Überführung der Gefallenen im Rahmen einer Prozession (Ekphora) zum Ort der Bestattung bis hin zum Vollzug der Beisetzung mit feierlicher Ansprache durch einen von der Bürgerversammlung gewählten Redner; an den Folgetagen fanden Wettkämpfe zu Ehren der Gefallenen statt, und alljährlich wurde im Weiteren dann an den Gräbern auch der allgemein üb liche Totenkult abgehalten: Das zeitweise in hoher Regelmäßigkeit mit breiter Betei ligung der Öffentlichkeit veranstaltete athenische Begräbnisritual hat das Gebiet der Gemeinschaftsbestattungen im nordwestlichen Vorstadtbereich Athens zu einer ent sprechenden Repräsentations- und Erinnerungslandschaft geformt – der Bereich des äußeren Kerameikos vor den Toren der Stadt wurde in zunehmendem Maße von den monumentalen Strukturen der Polyandria mit ihren charakteristischen, in Stein ge hauenen Namenslisten geprägt, die mit Epigrammen den aufopferungsvollen Einsatz der Gefallenen preisen. Für die Zeit nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges bis zur Auflösung der athenischen Autonomie gegen Ende des vierten Jahrhunderts ist die Evidenz für Jahresbestattungen der skizzierten Form (also jahrweise durchgeführte gemeinsame Gefallenenbestattungen) dann wieder äußerst dünn. Ich werde im ersten Teil dieser Arbeit die Annahme begründen, dass das Ritual im vierten Jahrhundert mit hoher Wahrscheinlichkeit nur noch ein einziges Mal überhaupt noch in seiner „klassischen“ Form als Jahresbegräbnis durchgeführt wurde, während der Normalfall wieder (wie auch in anderen Städten) in Gemeinschaftsbestattungen bestanden zu haben scheint, mit denen zeitnah nach dem Abschluss einer militärischen Operation die entsprechen den Gefallenen beigesetzt wurden. Nur im Falle exzeptioneller militärischer Ereignis se oder außergewöhnlicher innenpolitischer Konstellationen konnten Bestattungen dieser Art noch eine höhere Relevanz für das Gemeinwesen insgesamt erlangen. Diese Deutung ist nicht selbsterklärend: Die Forschung geht bislang weitgehend einhellig von einer Kontinuität der jahrweise durchgeführten Gemeinschaftsbestattung im vier ten Jahrhundert aus. Die im ersten Teil der Arbeit entwickelte Rekonstruktion der athenischen Gefalle nenbestattung schärft den Blick dafür, dass sich aus dem dramatischen Niedergang des athenischen Imperiums im Peloponnesischen Krieg offenbar im Verein mit einer Krise der Polis und einer Krise der Demokratie auch eine Krise des athenischen Gefalle nenbegräbnisses ergeben hatte und die Bestattungspraxis des vierten Jahrhunderts in diesem Setting einen entsprechend anderen gesellschaftlichen Stellenwert einnahm, als ihr bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges zugekommen war. Damit lässt sich auch die Blütezeit der literarisch konzipierten „Gefallenenreden“ (Epitaphioi Logoi) im vierten Jahrhundert nicht mehr ohne Weiteres unmittelbar auf die athenische Son derform der Jahresbestattung zurückführen: Die jahrweise durchgeführte athenische
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Gefallenenbestattung einerseits und das Genre literarischer „Gefallenenreden“ ande rerseits waren unter verschiedenen historischen Voraussetzungen wirksam.10 Während sich die historische Dynamik des athenischen Gefallenenbegräbnisses im vierten Jahrhundert bisher nicht überzeugend rekonstruieren ließ, wurde vielfach be handelt, welchen Beitrag die Institution der athenischen Jahresbestattung dazu geleis tet hat, die verstorbenen Bürgersoldaten – ganz dezidiert auf Kosten ihrer individuel len sozialen Verortungen – als ideale und ideell gleichrangige Mitglieder der politisch egalitär verfassten Bürgergemeinschaft auszuweisen: Besondere Aufmerksamkeit wur de dem Umstand gewidmet, dass die Namenseinträge der Gefallenenlisten auf den Grabmonumenten nur in seltenen Fällen Statusindikatoren bzw. Funktionsbezeich nungen enthalten – individuelle Angaben zu Herkunft, Geburt und Alter, Familienzu gehörigkeit, besonderen Verdiensten oder sonstigen Charakteristika der Gefallenen sucht man vergebens. Die Listeneinträge sind typischerweise nach Phylen und teils auch nach den Einsatzorten gegliedert und nennen in aller Regel nicht mehr als den Rufnamen der Verstorbenen. Die Namen der Gefallenen auf den steinernen Listen sind damit als Signa der demokratisch und egalitär repräsentierten athenischen Bür gergemeinschaft konzipiert. Ebenso wie die zahlreichen bekannten Fragmente der inschriftlichen Gefallenenlis ten lassen auch neuere archäologische Befunde zu Polyandria der 420er Jahre (disku tiert im dritten Kapitel) erkennen, wie die Monumente den ideellen Zusammenhalt der demokratisch konstituierten Bürger- und Wehrgemeinschaft zur Schau stellten, zugleich aber auch als Medium einer scharfen Konkurrenz fungierten zwischen den Ansprüchen der athenischen Bürgergemeinschaft einerseits, die das Gefallenenge denken in Athen stets zu monopolisieren suchte, und den individuellen sozialen Ver ortungen der Verstorbenen andererseits (vor allem innerhalb ihrer jeweiligen Famili enverbände, aber auch in ihren Demen, Vereinen und Betrieben), die sich angesichts der dominanten Sinnstiftungen durch die Polis nur sehr begrenzt Geltung verschaffen konnten. Im offiziellen Gedenken bildeten die im Felde gebliebenen Bürger ein Kol lektiv aus sozial wie politisch weitgehend gleichwertigen Streitern im Dienste Athens, die ihr Leben für den Bestand von Polis und Archē gegeben hatten. Der Oikos als so zialer Referenzrahmen der Verstorbenen wird im Vollzug des Patrios Nomos fast voll ständig verdrängt. Die vorliegende Arbeit zeigt allerdings auch, dass sich die Kohärenz des Rituals bereits im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts deutlich aufzulösen be gann und der isonome Grundkonsens nach dem katastrophalen Scheitern Athens auf Sizilien weitgehend zerbrach (drittes Kapitel). Entlang der bemerkenswerten Praxis der gemeinschaftlichen Gefallenenbestattung in Athen hat die Forschung ihre Bemühungen verdichtet, über den Tod athenischer 10
Grob gesagt: Die im jährlichen Rhythmus vollzogene Gefallenenbestattung war vor allem ein Phä nomen der Zeit vor der Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg, die literarischen Epitaphioi Logoi primär ein Phänomen der Zeit danach (insbesondere der beiden Dekaden von 400 bis 380).
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Bürgersoldaten und seiner innergesellschaftlichen Folgekosten die ideologischen Axiome der spezifisch athenischen Liaison von demokratischer Verfassung und hege monialem Führungsanspruch zu ergründen: Um die kulturelle Praxis daraufhin aus zuleuchten, wurden die Riten der Gefallenenbestattung geschichtswissenschaftlich rekonstruiert, die in der schriftlichen Überlieferung greifbaren Narrative literatur- und kulturhistorisch untersucht, die Gräber und Monumente der Kriegsgefallenen archäo logisch erforscht, Bildprogramme des familiären und öffentlichen Gedenkens ikono grafisch analysiert und die in Stein gehauenen Gefallenenlisten epigrafisch untersucht.11 Mit der literarischen Gattung des Epitaphios Logos („Gefallenenrede“) wurde die vielleicht wichtigste Evidenz zur politischen Dimension des Todes von Bürgersoldaten im demokratischen Athen indes nie umfassend, systematisch und detailliert in ihrer so ziokulturellen und diskursiven Eigenlogik historisch aufgearbeitet. Angesichts der fast uferlosen und in vielerlei Hinsicht auch überaus wertvollen Literatur zu diesen schrift lich konzipierten Epitaphioi Logoi – deren grundsätzliche Vergleichbarkeit mit den im Rahmen des Bestattungszeremoniells mündlich präsentierten Gefallenenreden die Forschung in der Regel (etwas voreilig) voraussetzt – mag die Behauptung, hier liege ein Desiderat vor, zunächst paradox erscheinen. Wie sich aber zeigen wird, haben die bisherigen Ansätze zur Erforschung der klassischen Epitaphioi Logoi zwar wichtige Er kenntnisse zur Textgestalt und Überlieferungslage, zur Frage der Authentizität und zu den topischen Sinnstrukturen der einzelnen Texte gewinnen können, daraus ist aller dings bislang kein hinreichendes Verständnis der Textgruppe insgesamt als Serie lite rarisch konzipierter Beiträge zur intellektuellen Auseinandersetzung ihrer Autoren mit der demokratischen Verfassung Athens, mit dem Machtanspruch der Polis im östlichen Mittelmeerraum, mit der Problematik des innergriechischen Zusammenhalts und mit der Gefahr des Verlusts der Unabhängigkeit gegenüber konkurrierenden Machtblöcken hervorgegangen.12 Solange aber ein umfassendes und eigenständiges historisches Ver ständnis der literarischen Gattung aussteht, lässt sich auch die historische Dynamik der athenischen Gefallenenbestattung nicht in Gänze ergründen.
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Zu den wichtigsten Beiträgen zählen Jacoby 1944; Stupperich 1977; Loraux 1981 und 1982; Clair mont 1983; Pritchett 1985; Pritchard 1991; Bergemann 1997; Oakley 2004; Low 2010; Osborne 2010; Pritchard 2010; Masek 2011; Low 2012; Arrington 2015; Proietti 2015 b; Marchiandi/Mari 2016; Stöhr 2020; Bergmann (in Druckvorbereitung); Pritchard (in Druckvorbereitung); Shea (in Druckvorbereitung). Die Spezialliteratur zu den literarisch überlieferten Epitaphioi Logoi der klassischen Zeit wird in der vorliegenden Studie insbesondere in den Kapiteln des zweiten Teils berücksichtigt; an dieser Stel le soll der Verweis auf den Umstand genügen, dass die Auseinandersetzung mit den literarischen Epitaphioi Logoi bis heute von den methodischen Prämissen der Arbeit Nicole Lorauxs geprägt ist (Loraux 1981). Loraux hat die schriftlichen Texte als Reflexe der mündlichen Reden gelesen; Voraus setzungen und Implikationen des Deutungsmodells werden unten in der Einleitung diskutiert. Die für die Arbeit an den jeweiligen Kapiteln konsultierten Textausgaben, Kommentare, Übersetzungen und Deutungen zu den einzelnen Epitaphioi Logoi sind unter der Rubrik Literarische Hauptquellen im Anhang dieser Arbeit aufgeführt. Der Begriff ἐπιτάφιος taucht erstmals bei Plat. Men. 263 b3 auf.
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Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, dieses doppelte Versäumnis aufzuholen. Zent raler Gegenstand der Arbeit sind damit einerseits die literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi der klassischen Zeit (zweiter Teil der Arbeit), andererseits zugleich die materiellen Evidenzen für die Geschichte des athenischen Gefallenenbegräbnisses (erster Teil), das den steten Bezugspunkt der Epitaphioi Logoi darstellt, aber nicht (wie oft vorausgesetzt) ihren Wirkungshorizont bildet. Beide Phänomene sollen unter der Perspektive ihrer teils spannungsreichen, teils nur losen Beziehung auf ihre kulturelle Bedeutung hin – und damit auf ihre gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, kommunikativen Funktionen und historischen Dynamiken – befragt werden. Damit dies gelingen kann, sind zunächst einige konzeptionelle und methodische Klärungen erforderlich. Die literarischen Epitaphioi Logoi Wir haben es bei den klassischen Epitaphioi Logoi mit Kunstprodukten aus der Fe der einiger der prominentesten Autoren ihrer Epoche zu tun, die sich in schriftlicher Form mit der Praxis der athenischen Gefallenenbestattung, speziell mit der Institution der im Rahmen des Bestattungszeremoniells mündlich vorgetragenen Gefallenenre de, auseinandergesetzt haben – und dabei eine zwar überschaubare, aber historisch doch bedeutende Gruppe an Texten schufen. Ab den 420er Jahren lassen sich verstärkt entsprechende Ansätze der literarischen Auseinandersetzung mit der athenischen Ge fallenenbestattung erkennen; in dieser Zeit (oder etwas später) lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auch die früheste eigenständige Publikation verorten, die in litera rischer Form das Genre der athenischen Gefallenengrabreden verarbeitet. Eine ganze Gruppe solcher literarischen Epitaphioi Logoi, die auch durchgängig gut datierbar sind, ist dann im Zeitraum vom Ende des Peloponnesischen Krieges bis zur Gründung des Zweiten Attischen Seebunds entstanden (ca. 400–380), eine weitere Gruppe an Texten dieser Art im Zeitraum von der Schlacht von Chaironeia bis zum Lamischen Krieg (Anfang der 330er bis Ende der 320er Jahre). Von einem geschlossenen literarischen Genre kann hier trotz aller individuellen Charakteristika der Texte insofern gesprochen werden, als ihnen der gemeinsame Bezug zum athenischen Gefallenenbegräbnis und speziell zur mündlichen Gefalle nenrede zu Grunde liegt. Das Genre umfasst als eigenständige Schriften konzipierte Epitaphioi Logoi ebenso wie literarische Verarbeitungen der Gefallenenreden in der Historiografie, in der epideiktischen und dikanischen Literatur sowie in der philoso phischen Dialogliteratur. Als erste grobe Bestandsaufnahme soll im Folgenden der knappe Überblick über die fraglichen Texte dienen; die Aufstellung orientiert sich am argumentativen Aufbau der vorliegenden Arbeit und folgt nur teilweise der Chrono logie (zur zeitlichen Stellung der Texte siehe daher auch die chronologische Übersicht im Anhang dieser Arbeit sowie die entsprechenden Hinweise in den einzelnen Kapi teln):
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– Die literaturgeschichtlich bedeutendste Auseinandersetzung mit der atheni schen Gefallenenrede bietet Thukydides in seinem Geschichtswerk über den Peloponnesischen Krieg; hier wird die zweite Grabrede des Perikles nachemp funden – der Ereignishorizont, von dem Thukydides berichtet, liegt im Jahr 431/430 (am Ende des ersten Kriegsjahres), in Umlauf kam das Geschichtswerk allerdings erst nach der endgültigen Niederlage Athens und dem Ende des Ers ten Attischen Seebundes: Der Text steht am Beginn einer zwanzigjährigen Phase intensiver literarischer Auseinandersetzung mit der athenischen Gefallenenre de, zu der neben den thukydideischen Historien auch Texte von Archinos, Lysi as, Platon und Isokrates zählen. Nach wie vor wird in der Forschung kontrovers diskutiert, wann, unter welchen Eindrücken und mit welchen Aussageintentio nen Thukydides die fragliche Passage (Thuk. 2.34–46) ausgearbeitet hat und in welchem Grade der von Thukydides verfasste Text inhaltlich der von Perikles gehaltenen Rede entspricht. Für die Zeit vor dem Bekanntwerden des unferti gen thukydideischen Werks lassen sich keine Spuren einer literarischen Verar beitung der fraglichen Grabrede des Perikles greifen (im Gegensatz zur ersten perikleischen Grabrede aus dem Jahr 439; siehe unten). Eine wie auch immer geartete schriftliche Version der zweiten Grabrede des Perikles (ein Redemanu skript, eine Mitschrift oder eine literarische Nachempfindung) scheint vor Thu kydides nicht existiert zu haben. – Mit Blick auf Thukydides’ einflussreiche Auseinandersetzung mit der Gefallenen rede des Perikles stellt sich die Frage, welche literarischen Einflüsse in den Historien verarbeitet werden. Eine wichtige Rolle scheint Gorgias’ Epitaphios gespielt zu haben. Auch wenn sich der fragmentarisch erhaltene Text nicht sicher datieren lässt (die Vorschläge reichen von den späten 420ern bis in die 380er Jahre), ist eine Entstehung vor den Historien des Thukydides wahrscheinlich. Die wenigen erhaltenen Passagen der gorgianischen Schrift zeigen, dass der Text als eigenstän dige Publikation konzipiert war, die eine fiktive Gefallenenrede in Form litera rischer Mündlichkeit präsentiert. Ein direktes Verhältnis zu einer bestimmten, tatsächlich gehaltenen Grabrede lässt sich nicht erkennen. Die Fragmente deuten darauf hin, dass die Schrift nicht als Musterrede, sondern als literarischer Debat tenbeitrag mit politischer Stoßrichtung gedacht war. Gorgias war möglicherweise der früheste Autor, der in Form einer eigenständigen Schrift die athenische Gefal lenenrede literarisch nachempfunden hat. – In den 420er Jahren scheint auch eine Nachempfindung der ersten Gefallenen rede des Perikles in Umlauf gekommen sein, die dieser im Jahr 439 auf die im Samischen Krieg gefallenen Athener gehalten hatte. Perikles selbst hat mit hin reichender Sicherheit nicht selbst eine schriftliche Fassung der Rede publiziert; da die Rede aber erstmals greifbar in den 420er Jahren sowie später im vierten Jahrhundert und darüber hinaus rezipiert wurde, ist denkbar, dass ein heute nicht mehr identifizierbarer Autor im ersten Jahrzehnt des Peloponnesischen Krieges
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einen Text verfasst hat (als eigenständige Schrift oder Teil eines größeren Wer kes), der als die Samische Rede des Perikles rezipiert wurde. – Im Umfeld dieser frühesten Spuren einer literarischen Exploration der athenischen Gefallenenreden lassen sich auch formal freier gestaltete Verarbeitungen der cha rakteristischen Topik des Genres greifen. So hat Herodot in zwei kürzeren Passa gen im siebten und im neunten Buch der Historien (Hdt. 7.161 bzw. 9.27) die Topik der athenischen Gefallenenrede literarisch verarbeitet, ohne sich allerdings explizit auf die athenische Gefallenenrede zu beziehen (ein impliziter literarischer Bezugs punkt ist möglicherweise die zuvor genannte, heute verlorene Nachempfindung der Samischen Rede des Perikles); und ab den 420er Jahren lässt sich – offenbar un ter dem Eindruck des Peloponnesischen Krieges – auch eine Auseinandersetzung mit der öffentlichen Gefallenenbestattung in der Tragödie und Komödie greifen. – Für die Zeit ab Thukydides ist die literarische Auseinandersetzung klassischer Autoren mit der athenischen Gefallenenrede grundsätzlich gut greifbar, doch er gibt sich aus einer umfassenden Bestandsaufnahme ein in Teilen durchaus neues Bild. Dies zeigt sich am deutlichsten am zeitlich nächsten literarischen Epitaphios Logos nach Thukydides, der aus der Feder des Atheners Archinos stammt. Hier von hat sich nur ein kurzes Fragment erhalten, dessen Bedeutung bisher nicht nä her ergründet wurde; der Text lässt sich kaum sicher datieren, gewisse Indizien sprechen aber dafür, dass Archinos in der Frühphase des Korinthischen Krieges (395–387) eine Gefallenenrede gehalten und einen wohl als eigenständige Schrift konzipierten Epitaphios Logos in literarischer Form in Umlauf gebracht hat; damit wäre hier (nach allem, was sich sagen lässt) erstmals ein Redner einer Gefallenen rede auch als Autor eines literarischen Epitaphios Logos in Erscheinung getreten.13 – Gegen Ende der 390er Jahre hat der als Metöke in Athen ansässige Logograf Lysias einen Epitaphios Logos, der sich auf den Korinthischen Krieg bezieht, als eigen ständige Schrift verfasst; wie der gorgianische Epitaphios, so steht auch der Epitaphios des Lysias in keiner direkten Verbindung zu einer tatsächlichen Gefallenen rede. Der lysianische Epitaphios weist eine bislang verkannte Beziehung zu dem kurz zuvor entstandenen Epitaphios des Archinos auf und kann so als Reaktion auf das Werk eines bedeutenden innenpolitischen Gegners des Lysias gelesen werden. – In seinem um 386/385 verfassten Dialog Menexenos hat Platon dem literarischen Sokrates eine Grabrede in den Mund gelegt, die dieser von Aspasia, der Gefährtin des Perikles, gehört haben will. Die Deutung des platonischen Epitaphios Logos
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Ob es auch einen Epitaphios aus der Feder des Dion (PA 4490) gab, wie aus Plat. Men. 234 b ge schlossen werden könnte (wo von ihm als möglichem Gefallenenredner gesprochen wird), ist un klar. Dionysios von Halikarnassos scheint davon auszugehen, dass ein Epitaphios aus der Feder des Dion existierte (Dion. Hal. Dēm. 23: κράτιστος δὴ πάντων τω˜ ν πολιτικω˜ ν λόγων ὁ Μενέξενος, ἐν ᾧ τὸν ἐπιτάφιον διεξέρχεται λόγον, ὡς μὲν ἐμοὶ δοκει˜, Θουκυδίδην παραμιμούμενος, ὡς δὲ αὐτός φησιν, Ἀρχίνῳ καὶ Δίωνι); stichhaltigere Indizien gibt es nicht.
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wird kontrovers diskutiert; klar ist, dass auch dieser Text keinen direkten Bezug zu einer tatsächlichen Grabrede aufweist. Aus einer konzeptionell anspruchsvollen Dekonstruktion der athenischen Gefallenenrede heraus gewinnt Platon ein litera risches Medium der Kritik an den Abwegen des athenischen Suprematiestrebens. Der politische Publizist Isokrates hat eine längere Passage (§§ 21–99) seiner Pro grammschrift Panegyrikos aus dem Jahr 380 an den Gattungskonventionen der atti schen Grabrede (speziell am Tatenkatalog) ausgerichtet – die entsprechenden Pas sagen sind eingebettet in eine Schrift, die sich als panhellenische Festrede ausgibt; auch hier handelt es sich um eine rein literarische Auseinandersetzung mit dem Genre. Der Text war nicht für den mündlichen Vortrag im Rahmen einer Festver sammlung oder einer Begräbnisfeier, sondern primär für die Rezeption durch eine intellektuelle Leserschaft konzipiert, und der Panegyrikos weist ebenfalls eine kriti sche Spitze gegen das athenische Streben nach Dominanz in der griechischen Po liswelt auf. Mit Isokrates endet die erste und eigentliche Hochzeit der literarischen Epitaphioi Logoi, die sich grob über den Zeitraum von der Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg bis zur Gründung des Zweiten Seebunds erstreckt. Während sich die Frühphase des Genres in der Zeit vor 400 nur vage bestimmen lässt, ist die weitere Entwicklung für die Zeit nach 380 gut greifbar: In der Phase des Zweiten Seebunds ist zunächst keine literarische Auseinandersetzung mit der athenischen Gefallenenrede bezeugt. Offenbar ist erst mehr als vierzig Jahre nach dem isokratischen Panegyrikos wieder ein als eigenständige Schrift veröffentlich ter Epitaphios Logos entstanden. Der Text, der sich auf die Ereignisse des Jahres 338 (Schlacht von Chaironeia) bezieht, wurde vom Rhetor Demosthenes verfasst, der zuvor auch eine Gefallenenrede gehalten hatte; nach Archinos ist hier offen bar erstmals wieder ein Redner einer tatsächlichen Gefallenenrede auch als Autor eines literarisch ausgearbeiteten Epitaphios Logos in Erscheinung getreten. Aus dem Jahr 330 stammt Lykurgs Anklagerede Gegen Leokrates, die eine Passage (Leō k. 44–51) mit eindeutiger Anlehnung an die Gattung der athenischen Gefal lenenreden enthält, ohne sich aber offenbar auf eine konkrete Rede zu beziehen. Ein als eigenständige Schrift publizierter Epitaphios Logos aus der Feder des po litischen Redners Hypereides stammt aus dem Jahr 322 und bezieht sich auf den Lamischen Krieg; wie Archinos und Demosthenes war auch Hypereides zuvor als Redner einer Gefallenenrede aufgetreten. Der Epitaphios des Hypereides ist die letzte literarische „Gefallenenrede“, die aus der klassischen Zeit bekannt ist.
Von den hier genannten Werken (die in den Kapiteln fünf bis acht dieser Arbeit disku tiert werden) werden zur Gattung der Epitaphioi Logoi im engeren Sinne üblicherwei se nur die Texte aus der Feder von Gorgias, Thukydides, Lysias, Platon, Demosthenes und Hypereides gezählt. Literarische Auseinandersetzungen mit der Ideologie des athenischen Gefallenebegräbnisses sind indes auch in den übrigen genannten Fällen klar greifbar. Darüber hinaus lassen sich Reflexe einer Rezeption der athenischen Ge
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fallenenreden wie der literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi in weiteren (literari schen wie materiellen) Zeugnissen greifen, etwa in der Historiografie, in der Tragödie und in der Komödie, aber auch in Epigrammen und Vasenbildern; die entsprechenden Bezüge werden in den einzelnen Kapiteln dieser Arbeit näher diskutiert. Eine umfassende historische Aufarbeitung dieser (an den Rändern nur unscharf ab grenzbaren) Textgruppe muss darauf abzielen, die literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi in ihren je eigenen kulturellen Biotopen aufzuarbeiten, die Texte also literatur-, sozial- und diskurshistorisch einzuordnen und in ihren jeweiligen kulturgeschichtli chen Wirkungszusammenhängen zu verstehen. Nur so lässt sich auch das Verhältnis der literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi zur athenischen Gefallenenbestattung mit den dort situierten Grabreden in hinreichender Genauigkeit erfassen, um die Aussa gekraft der fraglichen Texte für die Rekonstruktion des Rituals verlässlich taxieren zu können. Da sich ein überzeugendes Verständnis der Texte als Medien der politischen Diskurse ihrer Zeit einerseits und der kulturellen Praktiken, auf die sie sich beziehen, andererseits gegenseitig bedingen, muss zunächst das Verhältnis der literarischen Epi taphioi Logoi zu den mündlich präsentierten Gefallenenreden näher bestimmt werden. Von besonderem Interesse für die Frage nach der kulturgeschichtlichen Bedeutung des athenischen Gefallenenbegräbnisses war in der modernen Forschungsgeschichte schon früh der Umstand, dass die Zeremonien Schauplatz einer festlichen Bestattungs rede waren, die ein vom Dēmos bestimmter Redner vor der versammelten Festgemeinde auf seine gefallenen Mitbürger zu halten hatte.14 Zwar lässt sich für die gesamte klassische Zeit nur eine Handvoll vom Volk bestimmter Redner namentlich benennen;15 es scheint sich aber in der Regel um herausragende Persönlichkeiten gehandelt zu haben, die in hohem Ansehen standen und die nach einem Probuleuma durch den Rat in der Bür gerversammlung formell als Redner für das Gefallenenbegräbnis gewählt worden sind.16 Die im Rahmen des athenischen Gefallenenbegräbnisses mündlich vorgetragenen Reden werden (trotz signifikanter Differenzen zu den schriftlichen „Gefallenenreden“, dazu unten mehr) in ihrer Grundanlage dem inhaltlich-formalen Kerngerüst geäh nelt haben, das uns in den literarischen Epitaphioi Logoi begegnet – sonst wäre die Bezugnahme der Texte auf die Reden nicht erkennbar gewesen. Nach allem, was wir demnach über die tatsächlichen Reden wissen, dienten sie nicht nur dazu, den tugend haften Einsatz der Gefallenen für die Stadt zu würdigen, sie scheinen vor allem auch 14
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In der Forschung werden die mündlich gehaltenen Gefallenenreden und die literarisch konzipier ten Texte, deren Stilistik sich an den mündlichen Gefallenenreden orientiert, meist gleicherma ßen als epitaphios logos (oder epitaphios) bezeichnet (zum Begriff des epitaphios [logos] siehe Prinz 1997, 86–87). Um der Verwechslung vorzubeugen, werden in der vorliegenden Arbeit als „Gefalle nenreden“ die mündlichen Reden bezeichnet, als Epitaphioi Logoi die literarischen Texte. Zweimal Perikles (439 und erneut 430), ferner Archinos (wahrscheinlich in der Frühphase des Korinthischen Krieges), vielleicht auch Dion (siehe oben Anm. 13) sowie gesichert Demosthenes (338) und Hypereides (322). Dem. 18.320; vgl. auch Plat. Men. 236 b; Lys. 2.1 und Dem. 60.1.
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dazu genutzt worden zu sein, die Stadt selbst zu verherrlichen: die Erfolgsgeschichte ihrer demokratischen Konstitution, ihrer militärischen Leistungen und ihrer kultu rellen Errungenschaften. Die Gefallenenreden bildeten damit in gewisser Weise den ideologischen Katalysator im Zeremoniell des athenischen Gefallenenbegräbnisses: Hier konnten die Redner die demokratische Ideologie und das hegemoniale Selbst verständnis Athens verdichten und verstärken.17 Vor diesem Hintergrund haben die literarisch überlieferten Epitaphioi Logoi die Aufmerksamkeit der modernen Forschung vor allem deshalb auf sich gezogen, weil sie sich scheinbar problemlos als weitgehend authentische Reflexe der tatsächlich im Rah men des Gefallenenbegräbnisses gehaltenen Reden verstehen ließen: In der Analyse der Texte sah und sieht man einen vielversprechenden Ansatzpunkt, die Bedeutung der eigentlichen Gefallenenreden erschließen und damit ins Zentrum der kulturspezi fischen Strukturen, Funktionen und Dynamiken von Macht, politischer Ordnung und sozialer Integration im klassischen Athen vorstoßen zu können. Auch wenn freilich die Forschung über die zurückliegenden vier Jahrzehnte hinweg in der Ergründung die ser Zusammenhänge erkennbar vorangeschritten ist, so bestimmt doch bis heute wie kein anderes Werk ein in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre entstandenes Interpretati onsmodell die methodischen Prämissen des historischen Zugriffs auf die Gattung des klassischen Epitaphios Logos: Die Rede ist von Nicole Lorauxs L’invention d’Athènes: histoire de l’oraison funèbre dans la ‚cité classique‘.18 Lorauxs Verdienst um das Verständnis der Gefallenenrede als Brennpunkt dessen, was sie als imaginaire der demokratischen Bürgergemeinschaft Athens bezeichnete, ist unbestritten.19 Zugleich ist ihr Werk für eine folgenreiche Vereinnahmung der litera
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Zu den Beiträgen, in denen die enkomiastische Logik der Gefallenenreden ergründet wird, zählen unter anderem Flashar 1969; Loraux 1981; Bosworth 2000; Grethlein 2005; Low 2010; Yoshitake 2010; Shear 2013; Alexiou 2020, 21–26; Barbato 2020, bes. 58–66; Steinbock (in Druckvorberei tung); Wienand (in Druckvorbereitung). Loraux 1981, veröffentlicht von der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Das Buch geht auf eine thèse de doctorat d’État zurück, die unter dem Titel Athènes imaginaire. Histoire de l’oraison funèbre et de sa fonction dans la ‚cité classique‘ eingereicht und im Jahr 1977 an der Université de Paris 1 Panthéon-Sorbonne verteidigt wurde. Eine gekürzte, ansonsten nur leicht überarbeitete Fassung erschien 1986 auch in einer englischen Übersetzung des britischen Literaturübersetzers Alan Sheri dan bei Harvard University Press unter dem Titel The Invention of Athens: The Funeral Oration in the Classical City. Neuauflagen der englischen Übersetzung erschienen 2005 und 2006 bei Zone Books in New York. Die Arbeit wurde von Beginn an international rezipiert und zählt heute zweifellos zu den Klassikern der altertumswissenschaftlichen Forschungsliteratur. Clairmont 1983 war die erste große Studie zum athenischen Gefallenenbegräbnis, in der Lorauxs Arbeit rezipiert wurde, und zugleich die letzte, die noch nicht maßgeblich von Lorauxs Ansätzen geprägt war. Inzwischen blickt die Forschung auf vier Jahrzehnte Wirkungsgeschichte des Loraux’schen Paradigmas zurück. Eine umfassende aktuelle Auseinandersetzung mit dem Loraux’schen Interpretationsmodell bieten die Beiträge in Pritchard (in Druckvorbereitung). Für eine umfassende Würdigung von Lorauxs Konzept eines „imaginaire athénien“ siehe Pritchard 1991, bes. 2–12.
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rischen Epitaphioi Logoi verantwortlich, aus der die Forschung die Texte bis heute nicht wieder gänzlich befreien konnte; denn ihren umfassenden Einblick in die Ins titution der mündlichen Gefallenenrede konnte Loraux nur dadurch gewinnen, dass sie die in literarischer Form verfassten Epitaphioi Logoi als authentische Reflexe der oralen Gattung las. Diese Annahme ist trotz des hohen Grads an topischer Gestaltung der Texte voraussetzungsreich, denn die überlieferten Epitaphioi Logoi sind erstens ziemlich heterogen: Uns liegen Epitaphioi Logoi aus der Feder eines zeitweise aus Athen verbannten Historiografen (Thukydides), eines Metöken (Lysias), eines Philo sophen (Platon) und eines nicht-athenischen Sophisten (Gorgias) vor – erst reichlich spät dagegen sind politische Akteure Athens, die überhaupt als Redner einer Gefalle nenrede infrage kommen, als Autoren eines Epitaphios Logos in Erscheinung getreten (nämlich Archinos, Demosthenes und Hypereides). Auch inhaltlich lassen sich in den überlieferten Texten dann zweitens entsprechen de Divergenzen ausmachen, zumal die Schriften schon in der Antike ihre jeweils eige nen Rezeptionskontexte aufwiesen. Darüber hinaus aber bieten die wenigen überlie ferten Epitaphioi Logoi dann drittens – sollen sie trotz allem als authentische Reflexe der eigentlichen Reden verstanden werden – nur einen äußerst lückenhaften Einblick in die Institution der oralen Gefallenenreden, die (zeitweise mit einer gewissen Regel mäßigkeit) über die gesamte klassische Geschichte Athens hinweg gehalten wurden. Um von den wenigen erhaltenen Epitaphioi Logoi auf die vergleichsweise vielen nicht erhaltenen Reden schließen zu können, musste Loraux von einem hohen Grad an Be ständigkeit der formalen und inhaltlichen Charakteristika zunächst der Reden, in der Konsequenz dann auch der Texte ausgehen – nur so ließen sich die Epitaphioi Logoi als Abbild eines Modells der gesprochenen Rede verstehen.20
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Loraux 1981, 11 formulierte diese Voraussetzung selbst explizit: „… nous entendons tout au contraire nous attacher à l’oraison funèbre comme à un modèle de parole. Modèle largement perdu, nous objec tera-t-on ; l’affirmer serait méconnaître les lois qui président à toute tradition orale et, en l’occurrence, à toute paideia civique, lois en vertu desquelles chaque orateur, réel ou fictif, compose son discours à l’imitation de tous les discours antérieurs, perdus pour nous mais gravés dans la mémoire collective des Athéniens et dans le souvenir individuel de chaque auditeur. Modèle assez puissant pour que la contrefaçon d’épitaphios se distingue mal du tout-venant des harangues débitées au Céramique, à sup poser d’ailleurs qu’en un genre institutionnel et codifié la question même de l’authenticité ait encore un sens: assimiler d’avance toute déviation, sans doute est-ce là le propre d’une institution et l’on peut bien y apporter avec soi les restrictions de pensée les plus diverses, on n’en est pas moins dedans; ainsi, quelles que soient les raisons qui ont amené Thucydide, Platon ou Gorgias à écrire un épitaphios, c’est bien un épitaphios qu’ils ont écrit, et, de toutes parts, le modèle déborde la rigueur abrupte de l’histo rien, l’intention parodique du philosophe ou l’exhibition de virtuosité du sophiste. Aussi, pour étudier le genre, faut-il accepter d’abord d’en jouer provisoirement le jeu: pour peu que l’on suspende l’espace d’un moment tout jugement sur la singularité de chaque discours, pour peu que l’on admettre que dans un épitaphios la personnalité de l’orateur s’accommode de l’impersonnalité du genre, alors l’unité de l’oraison funèbre apparaît, fût-ce à travers le corpus lacunaire dont nous disposons.“
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Das methodische Programm, dem Loraux damit folgt, hat weitreichende Konsequen zen. Denn wenn die Epitaphioi Logoi verlässliche Reflexe der Reden darstellen und diese wiederum ein weitgehend stabiles und invariantes Genre bilden, lassen sich eini germaßen problemlos Rückschlüsse etwa von literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi des vierten Jahrhunderts auf oral präsentierte Gefallenenreden des fünften Jahrhunderts ziehen. Loraux selbst beispielsweise schloss vom lysianischen Epitaphios aus – also vom literarischen Produkt eines Metöken aus den späten 390er Jahren – auf die inhaltliche Konzeption einer Gefallenenrede, die der Athener Perikles ein halbes Jahrhundert zuvor (im Jahr 439, nach dem Sieg Athens über Samos) im Rahmen der feierlichen Gefalle nenbestattung gehalten hat und von der sich nur Spurenelemente in Form kurzer Para phrasen bei Herodot und späteren Autoren erhalten konnten: Es handelt sich bei dieser sogenannten Samischen Leichenrede überhaupt um die früheste athenische Gefallenen rede, deren Existenz in den Quellen bezeugt ist.21 Neben der Annahme einer inhaltlichen Konvergenz von Erzeugnissen der fiktiven literarischen Oralität einerseits und faktischer Mündlichkeit andererseits wird bei Loraux auch die (nicht weniger problematische) Prä misse eines bereits früh etablierten stabilen Modells der oralen Gattung wirksam.22 Wie problematisch diese Annahme ist, ergibt sich nicht erst daraus, dass die wenigen bekann ten Paraphrasen der Samischen Rede möglicherweise nicht einmal direkt auf Perikles zu rückgehen, sondern vielleicht auf eine in den 420er Jahren entstandene, heute verlorene literarische Nachempfindung aus der Feder eines für uns nicht mehr greifbaren Autors.23 Lorauxs Deutung wirkt deshalb so attraktiv, weil Loraux mit ihrer Lesart der Epi taphioi Logoi die dichte Beschreibung einer Institution bieten kann, die wie keine andere der kulturellen Selbstvergewisserung Athens und der ideellen Fundierung der Polisgemeinschaft gedient hat. Freilich lassen sich sowohl für die (mündlichen) Re den wie für die (schriftlichen) Texte Deutungen gewinnen, die einen höheren Grad an Validität beanspruchen können, wenn beide Phänomene – die athenische Gefal lenenrede und die literarischen Epitaphioi Logoi – analytisch getrennt werden, wenn
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Im sogenannten post-aliquanto-Gesetz, auf das Cicero (Leg. 2.64 f.) verweist und das üblicherweise in die kleisthenische Zeit datiert wird, wird bereits auf öffentliche Grabreden verwiesen (nec de mortui laude nisi in publicis sepulturis, nec ab alio nisi qui publice ad eam rem constitutus esset dici licebat), Cicero bietet hier allerdings nur ein indirektes Zitat, und die entsprechende Regelung könnte auch später ergänzt worden sein, so dass der Quellenwert dieser Angabe unklar bleibt. Das heuristische Fundament ihrer Arbeit und ihre Zielsetzung zwingen Loraux regelrecht dazu, das skizzierte Vorgehen gegen methodisches Unbehagen zu verteidigen; vgl. Loraux 1981, 64 f.: „l’historien se voit-il contraint de reconstruire les premiers discours en s’aidant d’épitaphioi large ment postérieurs, entreprise archéologique fort inconfortable et dont les risques ne nous échap pent pas. Mais, à moins de repousser l’institution de l’oraison funèbre à l’an 440, il faut bien s’ac commoder de cet inconfort. L’opération n’est d’ailleurs pas si périlleuse qu’il y paraît au premier abord: loin d’innover, les épitaphioi du IVème siècle se contentent souvent de répéter et sans doute reproduisent-ils fidèlement des développements constitués depuis fort longtemps et que les audi teurs de Périclès étaient déjà consés connaître jusqu’à la satiété“. Diese Möglichkeit wird im fünften Kapitel diskutiert.
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das Verhältnis von Rede und Text überzeugend bestimmt wird, wenn die Reden wie die Texte in ihren je eigenen Wirkkontexten historisch erfasst werden und wenn die Textgruppe als Ganze in den Blick genommen wird. Die entscheidende Voraussetzung ist, das Verhältnis von Rede und Text möglichst präzise zu bestimmen. Mündlichkeit und Schriftlichkeit Die literarischen Epitaphioi Logoi verarbeiten die Ideologie des athenischen Gefal lenenbegräbnisses – und zweifelsohne orientieren sie sich auch in gewissem Maße an den formalen und inhaltlichen Charakteristika der Gefallenenreden, sonst wären sie nicht als ihr literarisches Pendant erkennbar gewesen. Die Forschung hat in den Texten übereinstimmende Erzählstrukturen und einen Kernbestand charakteristi scher Topik festgestellt: Beides ist sicherlich von den eigentlichen Reden adaptiert. Dennoch dürfen die in schriftlicher Form konzipierten Epitaphioi Logoi nicht mit den Reden gleichgesetzt werden, die faktisch im Rahmen des Gefallenenbegräbnisses ge halten wurden – und zwar aus mehreren Gründen.24 Zunächst einmal gilt ganz grundsätzlich über alle Redegattungen hinweg, dass wir bei den aus der Antike als Reden überlieferten Texten stets im Detail der Ausführungen mit Divergenzen gegenüber den faktisch gehaltenen Reden zu rechnen haben: Mündli che Reden wurden frei gehalten, und sie ließen sich selbst auf Basis eines gegebenenfalls zum Einstudieren verfassten Manuskripts auch mit ausgeklügelten mnemotechnischen Verfahren nicht wortwörtlich memorieren bzw. wiedergeben. Die Redner hatten sich im Moment ihres Auftritts nicht nur auf die Rekonstruktion einer vorab mehr oder weni ger detailliert festgelegten Sinn-, Satz- und/oder Wortfolge zu konzentrieren, es musste ihnen stets auch um die Entfaltung der Stimmkraft, die Modulierung der Stimmlage, die Phrasierung und Aussprache, die Wirkung des Ausdrucks und gegebenenfalls auch um ein situatives Eingehen auf Stimmungen und Äußerungen im Publikum gehen. Welche Bedeutung performativen Aspekten dieser Art zukam, lassen exemplarisch die Auftritte des Aischines erkennen, der auf der Rednerbühne nicht nur eine offenbar bemerkenswerte Stimmgewalt zur Geltung bringen konnte, sondern auch seine Erfah rungen als Schauspieler einfließen ließ und dadurch mit seinen Auftritten nachhaltigen Eindruck beim Publikum erzeugen konnte.25 Da das Auditorium dagegen im Moment 24 Aus der umfangreichen Forschungsdiskussion zum Verhältnis zwischen schriftlicher Überliefe rung und mündlichen Reden seien mit Blick auf die hier folgenden Ausführungen nur exempla risch genannt: Hudson-Williams 1951; Hansen 1984 b; Worthington 1991; Thomas 1992; Trevett 1996; Worthington 1996; Buckler 2000, bes. 148–154; Edwards 2000; Milns 2000, bes. 207–209; Scodel 2014. 25 Stimmgewalt des Aischines: Dem. 19.126, 199, 206, 337; 18.127, 259; schauspielerische Einlagen: Dem. 19.251 f.; zu beiden Aspekten: Carey 2000, 10; vgl. die bei Plut. Dēm. 7 überlieferte Anekdote der Unterweisung des Demosthenes durch den Schauspieler Satyros, der dem Redner verdeut
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der Rede nachweislich nur bedingt in der Lage war, die vorgebrachten Argumente und Belege inhaltlich detailliert zu bewerten,26 spielten die argumentativen Details der Ausführungen mitunter eine geringere Rolle für die Wirkung des Gesprochenen als die genannten Strategien der Authentifizierung und Emotionalisierung. Für die Funktionsweise literarisch ausgearbeiteter Texte, deren Rezeption auf zirkulierenden Schriftfassungen basierte, gelten ganz andere Voraussetzungen, denn die rhetorischen Feinheiten und argumentativen Details fallen hier argumentativ stärker ins Gewicht. Zudem stellt sich ganz grundsätzlich die Frage nach dem kommunikativen Mehrwert einer schriftlichen Veröffentlichung und damit auch die Frage nach den Adressaten, den Rezipienten, den Rezeptionskontexten und den Wirkungen, die eine Publikation in schriftlicher Form entfalten konnte. In schriftlicher Form publizierte Texte weisen, selbst wenn sie einen direkten Bezug zu einer echten mündlichen Rede aufweisen, stets eine kommunikative Eigenlogik auf. Für die klassische Zeit lässt sich dies besonders gut im Falle der Gerichtsreden re konstruieren: Wir kennen eine ganze Reihe an schriftlich überlieferten Gerichtsreden, die von ihren Autoren publiziert wurden, obgleich es sich um Auftragswerke handelt, die von diversen, teils nicht einmal namentlich bekannten Litiganten für die Anklage oder Verteidigung bestellt und bezahlt worden sind. Die Veröffentlichung scheint in der Regel von den Logografen ausgegangen zu sein, die mit den Texten für ihre Kunst fertigkeiten werben und sie für die Ausbildung ihrer Studenten als rhetorische Muster reden einsetzen konnten. Speziell bei Zivilprozessen lässt sich teilweise aber erkennen, dass die Publikation mitunter auch dazu gedient hat, eine öffentliche Schmutzkam pagne gegen den (oder die) Prozessgegner zu unterstützen. Anhand der publizierten Reden des Demosthenes lässt sich nachvollziehen, dass eine Neigung zur Publikati on insbesondere auch dann bestehen konnte, wenn der fragliche Fall gerade nicht im intendierten Sinne ausgegangen ist.27 Bei politisch aufgeladenen Prozessen scheinen die Autoren entsprechende Wirkungen auf die öffentliche Meinungsbildung im Blick gehabt zu haben; die Texte nehmen hier Eigenschaften politischer Programm- oder Flugschriften an. Diverse Subgenres solcher Pamphlete lassen sich beginnend mit dem letzten Drittel des fünften Jahrhunderts greifen, die Texte konnten dabei auch die Form von Reden annehmen, ohne jemals im literarisch fingierten Setting tatsächlich als Rede gehalten worden zu sein. Das Paradebeispiel sind die „Reden“ des Isokrates,
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licht habe, welche Rolle der Vortragsweise und dem Stimmungsgehalt zukomme: πεισθέντα δ’ ὅσον ἐκ τη˜ ς ὑποκρίσεως τῳ˜ λόγῳ κόσμου καὶ χάριτος πρόσεστι, μικρὸν ἡγήσασθαι καὶ τὸ μηδὲν ει῏ναι τὴν ἄσκησιν ἀμελου˜ ντι τη˜ ς προφορα˜ ς καὶ διαθέσεως τω˜ ν λεγομένων. Der Umstand, dass Aischines möglicherweise überhaupt nur die drei heute noch bekannten Reden publiziert hat, bringt seine Zurückhaltung gegenüber der performativ defizitären Schriftlichkeit zum Ausdruck. Buckler 2000, 152. Gründe für die schriftliche Publikation von „Reden“ werden diskutiert u. a. bei Trevett 1996; Buck ler 2000; Milns 2000. Siehe dazu auch oben die Anm. 24.
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der selbst nie als Redner in Erscheinung getreten ist;28 aber auch ein Metöke wie Lysi as, der nicht selbst in der Bürgerversammlung auftreten konnte, hat mit seiner Oratio 34 eine Rede vor der Ekklesia nachempfunden – offenbar wollte er so die Aussageab sicht eines literarischen Diskursbeitrags mit dem Geltungsanspruch einer Rede eines Atheners vor dem Dēmos unterfüttern.29 Für die Frage nach der Funktionalität solcher Kommunikationsstrategien muss grundsätzlich in Rechnung gestellt werden, dass die Gruppe potenzieller Rezipienten anspruchsvoller Literatur dieser Art zwar nicht zu vernachlässigen ist, aber auch nicht besonders groß war – jedenfalls dann nicht, wenn der Blick auf die Kreise potenzieller Rezipienten in Athen beschränkt bleibt. Im Falle des Rhetorikunterrichts wissen wir allerdings auch, dass die Wirkung weit über die athenische Bürgerschaft hinausreichen konnte, und für politische Akteure wie Demosthenes lässt sich zudem in Erwägung ziehen, dass die schriftliche Ausarbeitung einer Rede durchaus mit Blick auf eine Re zeption in den Bürgergemeinschaften anderer Poleis erfolgt sein könnte – etwa dann, wenn es inhaltlich um Fragen der Bündnispolitik ging und der Autor zugleich mit ei ner entsprechenden diplomatischen Mission betraut war.30 Grundsätzlich lässt sich jedenfalls anhand der überlieferten Texte zeigen, dass sie für die Publikation in schriftlicher Form teils mit Blick auf die spezifischen Rezepti onsbedingungen eines Lesepublikums hin überarbeitet bzw. teilweise auch regelrecht modifiziert wurden.31 Um das Verhältnis der in schriftlicher Form überlieferten Texte zu den mündlichen Reden beurteilen zu können, die sie zu repräsentieren vorgeben, muss daher stets auch berücksichtigt werden, dass die klassische Literatur in hohem Grade rhetorische Konzepte der Mündlichkeit verarbeitet (neben der Rede vor allem auch in Form des Dialogs) und dabei die Grenzen zur fiktionalen Oralität fließend sind: Speziell für das klassische Athen hat Michael J. Edwards mit Blick auf dieses Phä nomen von einer Athenian Literary Oratory gesprochen.32 Echte Redemanuskripte oder verlässliche Mitschriften sind dagegen aus der Antike – abgesehen von wenigen Ausnahmen – nicht überliefert.33 Die uns heute vorliegenden „Reden“ stellen als lite rarische Kunstprodukte in aller Regel zwar aufschlussreiche Reflexe ihrer oralen Aus gangskonstellationen dar, sie repräsentieren und bewahren diese aber nicht direkt.34
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Zur politischen Publizistik des Isokrates siehe die entsprechenden Bemerkungen im siebten Kapitel. Ein weiteres Beispiel wäre Gorgias, der als Nichtathener λόγοι δημηγορικοί verfasst hat. Siehe hierzu auch die entsprechenden Überlegungen im achten Kapitel. Beispiele bei Buckler 2000, 148–154. Edwards 2000. Trevett 1996 hat nachzuweisen versucht, dass die überlieferten symbuleutischen Reden des De mosthenes auf Manuskripte seiner Reden zurückgehen, die postum in unveränderter Form in Um lauf gelangt sind; zur Kritik an dieser Rekonstruktion siehe Milns 2000, 207–209. Vgl. Buckler 2000, 149: „none of these published works can be taken as documents that preseve verbatim reports of the events that they discuss.“
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Wird speziell nach dem Verhältnis der literarisch überlieferten Epitaphioi Logoi zu den athenischen Gefallenenreden gefragt, erweist sich das Problem noch als weitaus tiefgreifender. Im direkten Vergleich mit den anderen großen Redegattungen lassen sich Besonderheiten erkennen: Auch im Bereich der symbuleutischen und dika nischen Rhetorik können wir zwar nicht damit rechnen, dass die überlieferten Tex te identisch sind mit den Reden, die faktisch vor der Bürgerversammlung bzw. vor Gericht gehalten wurden. Die uns heute noch erhaltenen schriftlichen Fassungen der Volks- und Gerichtsreden wurden aber doch zum weitaus größten Teil just von den jenigen Autoren verfasst, die auch tatsächlich vor der Bürgerversammlung als Redner aufgetreten sind bzw. als Logografen auf unterschiedliche Weise an Gerichtsverfahren beteiligt waren:35 durch Unterstützung unmittelbar Prozessbeteiligter oder in einigen Fällen auch durch eigene Reden als Ankläger oder Verteidiger.36 Im Falle der Epitaphi oi Logoi gilt nur in drei Fällen (nämlich bei den Texten von Archinos, Demosthenes und Hypereides), dass die fraglichen Autoren zugleich als Redner einer Gefallenen rede in Erscheinung getreten sind. Für die Frage nach der kommunikativen Funktion der literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi ist dieser Umstand von Bedeutung: Die Textgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Entstehung und Entwicklung gerade nicht maßgeblich von den eigentlichen Rednern ausging. Aufschlussreich sind auch die strukturellen Differenzen der Gefallenenrede zur Volks- und Gerichtsrede: Für das vierte Jahrhundert gibt uns die verfügbare Evidenz einigermaßen verlässlich darüber Auskunft, dass jährlich an etwa 175 bis 225 Tagen Ge richte tagten,37 wobei mehrere Gerichtshöfe parallel tagen konnten und im Falle von Privatprozessen ein Gerichtshof mehrere Fälle am Tag bearbeiten konnte.38 Zugleich wurden jährlich etwa 40 Bürgerversammlungen in Athen abgehalten, und bei jedem einzelnen dieser Anlässe konnte eine ganze Reihe an Rednern auftreten.39 Mogens Herman Hansen hat mehr als 350 Personen namentlich ausmachen können, die allei ne in den Jahren von 403 bis 322 einmal oder mehrmals in der athenischen Bürgerver sammlung als Redner aufgetreten sind.40
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Abgesehen freilich von fingierten Reden, die in andere Gattungen (etwa die Historiografie) einge legt sind. Für einen Überblick zu den sogenannten „attischen Rhetoren“ siehe Worthington 2013, 4923 f.; eine Quellensammlung (in englischer Übersetzung von Robin Waterfield) bieten Roisman/Wort hington 2015 b; zu den historisch greifbaren Rhetoren in der athenischen Ekklesia siehe Finley 1962; Rhodes 1986; Hansen 1989 b (mit einem hilfreichen „Inventory: ῥήτορες καὶ στρατηγοί, 403– 322 B. C.“ auf den Seiten 158–172) und Ober 1989; grundlegend zur athenischen Bürgerversamm lung: Hansen 1984 a. Hansen 1979 hat eine Zahl von 150 bis 200 ermittelt, Hansen 1991, 186–188 argumentiert für 175 bis 225. Ath. Pol. 67.1. Ath. Pol. 43.3; siehe Hansen 1991, 133 f.; Hansen 1991, 136 f. (zur Dauer der Versammlungen) und 141–149 (zum Verlauf der Debatten). Hansen 1989 a, 25–69.
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Bei der athenischen Gefallenenrede haben wir es grundsätzlich mit einer signifikant geringeren Zahl einst insgesamt gehaltener Reden und mit einem ganz anderen Ver hältnis zwischen den Rednern der Gefallenenreden und den Autoren der Epitaphioi Logoi zu tun. Zunächst zur Anzahl der Reden: In der Phase der Jahresbestattungen (von den frühen 450er Jahren bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges) wurde näherungsweise eine Bestattung im Jahr durchgeführt, sofern Athen im fraglichen Jahr Gefallene zu beklagen hatte.41 Insgesamt können wir für diesen Zeitraum vielleicht von 40 bis 50 Gefallenenbestattungen und – sofern die festliche Rede bereits ab den frühen 450er Jahren ein fester Bestandteil des Rituals war – von einer entsprechenden Anzahl an Reden ausgehen.42 Für die Zeit nach dem Peloponnesischen Krieg werden öffentli che Gefallenenreden dann im Zuge situativ durchgeführter Gemeinschaftsbestattun gen zeitweise vielleicht auch in höherer Zahl gehalten worden sein, bis zum endgülti gen Verlust der athenischen Autonomie können wir vielleicht von insgesamt 40 bis 60 Gemeinschaftsbestattungen gefallener Athener ausgehen. Ohne die Zeit vor Ende der 460er Jahre zu berücksichtigen, für die sich kaum sicher sagen lässt, welche Bedeutung der athenischen Gefallenenrede zukam, summiert sich dies auf insgesamt vielleicht 80 bis 110 athenische Gefallenenreden, die in klassischer Zeit gehalten wurden.43 Auch wenn sich die genaue Zahl in klassischer Zeit gehaltener Gefallenenreden nie abschließend bestimmen lässt, so ist die grundsätzliche Differenz zur Zahl der vor der Bürgerversammlung oder vor Gericht gehaltenen Reden doch offenkundig. Die ser Unterschied spiegelt sich auch in der Zahl der in schriftlicher Form zirkulierenden Reden wider: Beginnend mit dem ausgehenden fünften, vor allem aber im vierten
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Über die gesamte klassische Zeit hinweg muss damit gerechnet werden, dass Athen durchschnitt lich in mindestens zwei von drei Jahren Gefallene zu beklagen hatte; siehe dazu Sage 1996, xi; Prit chard 2010, 6 und 2013, 190. Während des Peloponnesischen Krieges, des Korinthischen Krieges und des Boiotischen Krieges ist von Verlusten in annähernd jedem Kriegsjahr auszugehen. Wie im dritten Kapitel gezeigt wird, wurden indes nicht alle Bestattungen im genannten Zeitraum als Jahresbestattungen durchgeführt, es fanden also möglicherweise vereinzelt auch mehrere Bestat tungen in einem Jahr statt. Vorausgesetzt ist hier, dass bereits zu Beginn der Phase der Jahresbestattungen die Grabreden fes ter Bestandteil der Gefallenenbestattungen in Athen waren. Die erste konkrete Gefallenenrede, von der wir aus der literarischen Überlieferung wissen, wurde 439 von Perikles auf die im Krieg gegen Samos gefallenen Athener gehalten; hierzu sowie zum Quellenwert von Cic. Leg. 2.64 f. sie he oben bei Anm. 21. Da situativ durchgeführte Bestattungen nach militärischen Konflikten begrenzteren Umfangs kei ne vergleichbar hohe Bedeutung zugekommen sein kann, wie sie uns für die Jahresbestattungen des fünften Jahrhunderts einigermaßen durchgängig begegnet, wird nur ein Teil der Gefallenen bestattungen des vierten Jahrhunderts (vielleicht in zehn bis maximal zwanzig Fällen) von einer erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit begleitet worden sein, die der entsprechenden Gefalle nenrede ein über das Ereignis selbst hinausweisendes politisches Gewicht verleihen konnte; dies würde auch erklären, weshalb sich athenische Gefallenenbestattungen für das vierte Jahrhundert lediglich bei größeren Konflikten – Korinthischer Krieg, Schlacht von Mantineia, Zweiter Olyn thischer Krieg, Schlacht von Chaironeia, Lamischer Krieg – im literarischen und archäologischen Befund dingfest machen lassen (die Details werden im vierten Kapitel diskutiert).
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Jahrhundert wurde eine hohe Zahl speziell an Gerichtsreden in schriftlicher Form in Umlauf gebracht und in den intellektuellen Milieus der griechischen Welt rezipiert.44 Erst die Kanonisierungsprozesse vor allem der hellenistischen und römischen Zeit haben daraus das überschaubare Corpus an Texten einiger weniger attischer Rheto ren geformt, das uns heute noch vorliegt.45 Bei den als eigenständigen Schriften konzi pierten Epitaphioi Logoi bestehen dagegen keine Hinweise darauf, dass in klassischer Zeit eine signifikant höhere Zahl an Texten in Umlauf war, als uns heute noch bekannt sind (hierauf komme ich unten nochmals zurück). Zudem sind uns die Redner der öffentlichen Gefallenenreden im Gegensatz zu den Rednern der Bürgerversammlung fast vollständig unbekannt: Wie bereits ausgeführt, lassen sich die Redner athenischer Gefallenenreden für die gesamte klassische Zeit nur in fünf bis höchstens sechs Fäl len sicher benennen, obgleich sie stets von der Bürgerversammlung bestimmt wurden (ganz im Gegensatz zu den Personen, die vor der Bürgerversammlung oder vor Ge richt aufgetreten sind) und daher in der Regel politisch aktiv, rhetorisch gewandt und weithin beliebt gewesen sein dürften.46 Zudem besteht nur in drei Fällen – bei Archinos, Demosthenes und Hypereides – eine direkte Beziehung zwischen einer tatsächlich gehaltenen Rede einerseits und einem in schriftlicher Form publizierten Epitaphios Logos andererseits. Die Sami sche Leichenrede des Perikles aus dem Jahr 439 dagegen scheint zwar einen gewis sen schriftlichen Niederschlag gefunden zu haben (dazu mehr im fünften Kapitel), doch lässt sich die Rezeption der Rede nur bis zur Mitte der 420er Jahre zurückverfol gen: Entweder es wurden also ohnehin bloß einige wenige Wendungen aus der Rede tradiert, oder in dieser Zeit ist ein Text in Umlauf gekommen, der die Rede (mög licherweise in weitestgehend freier Form) nachempfunden hat. Wir könnten es hier mit einem ähnlichen Fall zu tun haben wie später bei der zweiten Gefallenenrede des Perikles, die im Geschichtswerk des Thukydides nachempfunden wurde – ein echtes Manuskript oder eine verlässliche Mitschrift scheint in beiden Fällen nicht im Umlauf gewesen zu sein, und der Redner trat auch nicht selbst als Autor eines literarischen Epitaphios Logos in Erscheinung. Zwei der drei Epitaphioi Logoi, für die prima vista ein gewisses Nahverhältnis zwi schen literarischem Text und mündlicher Rede nahezuliegen scheint – nämlich die
44 Die Zahl der schriftlich publizierten „Volksreden“ ist signifikant geringer, auch weil dort die Aus arbeitung von Manuskripten zur Vorbereitung der Reden lange nicht salonfähig war; so sah sich noch Demosthenes dem Vorwurf ausgesetzt, seine Reden vor der Bürgerversammlung röchen nach der Lampe: Plut. Dēm. 8.4. Siehe dazu auch die entsprechenden Hinweise im achten Kapitel. 45 Zu den Kanonisierungsprozessen, in denen sich die „zehn attischen Redner“ herauskristallisiert haben, siehe den Überblick bei Roisman/Worthington 2015 a, 6–10 sowie vertiefend Smith 1995 und O’Sullivan 1997. 46 Zu den bekannten Rednern siehe oben Anm. 15 (sowie Anm. 13). Sämtliche Hinweise auf die Redner sind literarisch überliefert, während bei den Reden vor der Bürgerversammlung auch die epigrafische Evidenz eine nicht unerhebliche Rolle spielt.
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Texte von Demosthenes und Hypereides (achtes Kapitel) – sind ebenfalls auf die li terarische Rezeption in Kreisen der intellektuellen Elite hin konzipiert, so dass sich nicht ausschließen lässt, dass sie bloß vage Reflexe der von den Autoren jeweils zuvor im Rahmen des athenischen Begräbniszeremoniells vor einem gänzlich andersgear teten Publikum gehaltenen Gefallenenreden bewahren. Vom Epitaphios des Archinos (sechstes Kapitel) hat sich zu wenig erhalten, um die Frage verlässlich beantworten zu können. Die übrigen literarischen Epitaphioi Logoi, die wir kennen, sind ohnehin keine direkten Übernahmen tatsächlich gehaltener Gefallenenreden – auch die Grab rede des Perikles im thukydideischen Geschichtswerk nicht (fünftes Kapitel). Darüber hinaus liegen keine Hinweise auf eine Tradierung athenischer Gefallenenreden vor.47 Der zweifellos hohen Bedeutung der athenischen Gefallenenrede zum Trotz scheint es also nur in einem sehr eingeschränkten Maße eine schriftliche Überlieferung der Reden gegeben zu haben, die so nah an die orale Ausgangskonstellation heranreicht, wie wir dies bei den literarischen Fassungen der Reden vermuten dürfen, die vor der Bürgerversammlung oder vor Gericht gehalten wurden – und interessanterweise wur de auch der doch eigentlich so naheliegende Weg vom Grabredner zum Autor eines literarischen Epitaphios Logos erstmals erst gegen Ende der 390er Jahre beschritten, als der Patrios Nomos schon nicht mehr in seiner „klassischen“ Form einer Jahresbe stattung durchgeführt wurde (viertes Kapitel). Im Falle der Epitaphioi Logoi stellt sich das Verhältnis von Rede und Text also ganz anders dar als im Falle der symbuleutischen und dikanischen Rhetorik – und zwar sowohl mit Blick auf die Beziehung von Redner zu Autor als auch mit Blick auf die Überlieferungslage. Vor dem Hintergrund der skizzierten Befunde ist ein eingehende rer Blick auf das Corpus der literarischen Epitaphioi Logoi unausweichlich. Das Corpusculum klassischer Epitaphioi Logoi Die Gruppe heute bekannter Schriften der klassischen Zeit, die das Genre atheni scher Gefallenenreden literarisch verarbeiten, ist insgesamt ziemlich überschaubar: Die fraglichen Texte stammen – wie bereits ausgeführt – aus der Feder von Gorgias, Thukydides, Archinos, Lysias, Platon, Isokrates, Demosthenes, Lykurg und Hyperei des, und speziell die als eigenständige Schriften verfassten Epitaphioi Logoi liegen uns heute möglicherweise sogar vollständig vor: Literarisch konzipierte „Grabreden“, die nicht in andere Werke eingebettet sind, sind lediglich von Gorgias, Archinos, Lysias, Demosthenes und Hypereides bekannt, wobei zwei dieser Autoren – nämlich Gorgias und Lysias – in Ermangelung des athenischen Bürgerstatus nicht als potenzielle Red ner einer offiziellen Gefallenenrede infrage kommen. Nur bei Archinos, Demosthenes
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Höchstens Dion könnte noch genannt werden; siehe oben Anm. 13.
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und Hypereides ist überhaupt denkbar, dass ihre in literarischer Form publizierten Epitaphioi Logoi letztlich in irgendeiner Form auf Entwürfe oder Manuskripte oraler Gefallenenreden zurückgehen. In welchem Verhältnis die (verlorene) Rede und der (erhaltene) Text jeweils stehen, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern muss im Ein zelfall geprüft werden.48 Die entlang der Gattungskonventionen der athenischen Gefallenenrede literarisch verfassten Epitaphioi Logoi stammen jedenfalls aus der Feder bedeutender und ein flussreicher Autoren ihrer Zeit und waren damit in den literarischen Kreisen Athens (und wohl auch über die Stadt hinaus) nicht nur hochgradig präsent, sie gingen zu gleich aus den unterschiedlichsten Richtungen innerhalb der intellektuellen Elite her vor: der Historiografie, Logografie, Philosophie, Sophistik und politischen Rhetorik bzw. politischen Publizistik, reflektieren also auch ganz unterschiedliche Erwartungen ihrer Rezipienten – und sie wurden gleichermaßen von Athenern, Fremden und Me töken verfasst, transzendierten also zugleich bedeutende gesellschaftliche Demarka tionslinien. Der Epitaphios Logos der klassischen Zeit ist damit ganz eindeutig ein Phänomen der literarischen, nicht der oralen Rhetorik und verfügt über entsprechend eigene Sinnstrukturen sowie über eigenständige Vermittlungs- und Rezeptionskon texte, die bisher nicht unabhängig von der im athenischen Gefallenenbegräbnis oral präsentierten Grabrede historisch geklärt worden sind. Wir haben es hier mit einem erstaunlichen Versäumnis der modernen Forschung zu tun, denn bereits die antiken Literaturtheoretiker haben in hinreichender analyti scher Klarheit die nötige Unterscheidung zwischen (oraler) Rede und (literarischem) Epitaphios Logos gezogen. Die Liste heute bekannter Epitaphioi Logoi aus klassischer Zeit entspricht grosso modo dem, was bereits in hellenistisch-römischer Zeit zu die ser Gattung gezählt wurde (mit Ausnahme der genannten Passagen im isokratischen Panegyrikos und in Lykurgs Gegen Leokrates, die erst in der modernen Forschung mit dem Epitaphios Logos in Verbindung gebracht wurden): Als Verfasser klassischer Epi taphioi Logoi nennt Ailios Theon in seinen Progymnasmata Platon, Thukydides, Hy pereides und Lysias;49 Ps.-Dionysios führt in der Technē Rhētorikē Thukydides, Platon, Hypereides und Demosthenes an;50 Gorgias wurde unter anderem von Philostratos, Athanasius Alexandrinus und Ps.-Dionysios als Verfasser eines Epitaphios Logos dis kutiert, und Archinos wird als Autor eines Epitaphios Logos bei Photios erwähnt und von Klemens Alexandrinos zitiert.51
48 Vom Epitaphios des Archinos ist zu wenig erhalten, um dieser Frage auf einer hinreichend soliden Grundlage nachgehen zu können; für die Epitaphioi Logoi von Demosthenes und Hypereides wird die Frage im achten Kapitel diskutiert. 49 Theon Progymnasmata 2 (68.24–28 ed. Spengel). 50 Ps.-Dion. Hal. Rhēt. 6.1 (II, S. 278.4–7 ed. Usener/Radermacher). 51 Phot. Bibl. 487 b 34; Klem. Al. Strō m. 6.2.22.4 f.; vgl. Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 832 e.
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Bemerkenswert ist, dass die antiken Grammatiker die Frage der Autorschaft unab hängig davon behandelt haben, ob die Autoren überhaupt als Redner einer tatsäch lichen Grabrede infrage kamen: Die Nichtathener Lysias und Gorgias werden eben so als Autoren von Epitaphioi Logoi genannt wie Thukydides und Platon, die zwar Athener waren, von denen aber bekannt war, dass sie selbst keine Grabreden gehalten hatten, während beispielsweise Dionysios den demosthenischen Epitaphios für unecht befunden hat, obgleich von Demosthenes bekannt war, dass er tatsächlich eine Grab rede gehalten hatte.52 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass von Theon, Ps.-Dionysios und Photios Thukydides und nicht Perikles als Urheber der Grabrede des thukydideischen Perikles genannt wird – offenbar wusste man im Gegensatz zu manch moderner Forschungsliteratur mit Thukydides den tatsächlichen Autor der perikleischen „Grabrede“ korrekt zu identifizieren. Das Verhältnis der literarisch kon zipierten Epitaphioi Logoi zur oralen Gattung der athenischen Gefallenenreden muss also dringend neu überdacht werden. Einen ersten, in seiner Überzeugungskraft und Reichweite allerdings begrenzten Versuch, eine analytisch klare Scheidung von oraler Gefallenenrede und literarischem Epitaphios Logos vorzunehmen und die entsprechenden Implikationen auszuloten, hat Luciano Canfora in einer kleinen Serie an Aufsätzen aus den Jahren 2011/2012 ge wagt:53 Dort wird überhaupt erstmals die Frage gestellt nach den Gründen für die Dis krepanz zwischen der vollständig verlorenen Gattung der Reden einerseits und der vergleichsweise gut überlieferten Gattung literarischer Epitaphioi Logoi andererseits.54 Weshalb sich das orale Genre nicht erhalten hat, erklärt Canfora damit, dass die Ge fallenenrede als rhetorische Gattung für die Redner selbst nicht hinreichend interes sant gewesen sein kann, um die Verbreitung der Reden in schriftlicher Form zu recht fertigen: Die Gefallenenrede habe auf Grund ihrer einfachen Struktur und ihres hohen Grads an Konventionalität nicht als Ausweis rhetorischer Brillanz fungieren können.55 Das Argument lässt sich weiterentwickeln. Die unterschiedlichen kommunikativen
52 Dion. Hal. Dēm. 44.3. Auch Theon scheint Vorbehalte gegen die Echtheit des demosthenischen Textes gehabt zu haben, jedenfalls nennt er den Redner nicht als Autor eines Epitaphios Logos. 53 Canfora 2011 a, 2011 b und 2012. Eine deutsche Übersetzung von 2011 a wurde als Canfora 2014, 81–92 publiziert (dort folgt auf den Seiten 91–94 ein Abschnitt zu Hypereides, der die wichtigsten Erkenntnisse und Argumente aus Canfora 2011 b und 2012 zusammenfasst). 54 Das Corpusculum der literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi hält Canfora für vollständig über liefert (vgl. Canfora 2011 a, 70: „… non più che questa fosse la ‚biblioteca‘ degli epitafi ateniesi“), während er davon ausgeht, dass sich von den zahlreicheren oral präsentierten Gefallenenreden, die in klassischer Zeit gehalten wurden, keine einzige Rede in literarisch überarbeiteter Form erhalten hat. Damit weicht Canfora signifikant ab von der Rekonstruktion Lorauxs, die – ohne Differenzierung zwischen eigentlichen Reden und den literarischen Epitaphioi Logoi – das Genre für „largement perdu“ hält (1981, 10). Die Epitaphioi Logoi von Demosthenes und Hypereides erachtet Canfora für nicht authentisch, Archinos bleibt bei ihm (wie im Großteil der Forschung) unberücksichtigt. 55 Canfora 2011 a, 70.
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Rahmenbedingungen, speziell die divergente soziale Zusammensetzung der jeweili gen Rezipienten, könnten eine Rolle gespielt haben: Die Rede musste von einem in großer Masse anwesenden, sozial heterogenen Publikum bei einmaligem Hören unter den Bedingungen einer unverstärkten Akustik unter freiem Himmel verständlich sein, während ein schriftlich zirkulierender Text primär in gebildeten Schichten mit ganz anderen Ansprüchen an rhetorische Komposition und literarische Gestaltung unter wesentlich vorteilhafteren Voraussetzungen rezipiert werden konnte. Zudem hat sich in Athen die literarische Mündlichkeit erst im vierten Jahrhundert voll entfaltet, und in dieser Zeit wurde das Gefallenenbegräbnis offenbar in aller Regel schon nicht mehr in seiner „klassischen“ Form als Jahresbegräbnis durchgeführt. Auch Canforas Argument einer vollständigen Überlieferung der literarischen Epi taphioi Logoi bedarf der Differenzierung: Angesichts unserer lückenhaften Kenntnis der griechischen Prosa lässt sich kaum ausschließen, dass etwa in den nicht überlie ferten bzw. nur fragmentarisch erhaltenen Werken von Theopomp, Anaximenes oder anderen Historikern literarisch stilisierte Gefallenenreden eingelegt waren, etwa im Zusammenhang mit den militärischen Aktivitäten Athens im vierten Jahrhundert, oder dass – vergleichbar dem isokratischen Panegyrikos oder Lykurgs Gegen Leokrates – nicht erhaltene politische Programmschriften sich wenigstens streckenweise an den Gattungskonventionen der athenischen Grabrede orientiert haben. Wird Can foras These aber begrenzt auf diejenigen Epitaphioi Logoi, die in klassischer Zeit als eigenständige Schriften in Umlauf gebracht worden sind und eigens zu diesem Zwe cke literarisch konzipiert oder wenigstens überarbeitet wurden, so könnten wir heute mit den bekannten Epitaphioi Logoi tatsächlich über den Kern einer insgesamt über schaubaren literarischen Produktion des Genres verfügen. Immerhin kannten auch die antiken Literaturhistoriker keine weiteren literarisch konzipierten Epitaphioi Lo goi – nur für die Samische Rede des Perikles lässt sich aus den vagen Reflexen ihres Nachlebens noch auf die verlorene schriftliche Tradition einer Gefallenenrede schlie ßen, von deren literarischem Pendant schon den hellenistischen Rhetorikern nichts mehr bekannt gewesen zu sein scheint.56
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Auch hier sei nochmals auf die Möglichkeit eines verlorenen Epitaphios Logos aus der Feder des Dion verwiesen (siehe oben Anm. 13). Indizien dafür, dass darüber hinaus noch weitere eigenstän dige Epitaphioi Logoi existiert haben könnten, gibt es nicht.
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Einleitung
Implikationen Wird die skizzierte Quellenlage ernst genommen, so scheinen die mündlichen Gefal lenenreden einen ganz anderen gesellschaftlichen Stellenwert eingenommen zu haben als die literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi. Um die Konsequenzen für unser Ver ständnis der überlieferten Texte ermessen zu können, muss das Verhältnis zwischen den literarischen Epitaphioi Logoi und der Entwicklung des athenischen Gefallenen bestattungsrituals neu bestimmt werden: Nur so wird es möglich sein, die Texte als Medien des politischen Diskurses zu verstehen und sie von ihrer unfreiwilligen Zeu genschaft für das politische imaginaire eines Patrios Nomos zu entbinden, dessen po litische Semantik bisher stets von den literarischen Epitaphioi Logoi her (und damit reichlich zirkulär) erschlossen wurde. Eine Notwendigkeit, die literarische Topik der einzelnen Texte nochmals in Gänze aufzuarbeiten, ergibt sich daraus nicht – hierzu liegt (abgesehen nur von Gorgias und Archinos) bereits eine Reihe wertvoller Analysen vor.57 Zielsetzung und Methode der vorliegenden Arbeit weisen in eine andere Richtung. Die Studie strebt an, die kulturelle Bedeutung des athenischen Gefallenenbegräbnisses und die kommunikative Eigenlo gik der literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi in ihren je eigenen Wirkungs- und Re zeptionskontexten zu ergründen. Um dies erreichen zu können, muss auch das Verhält nis der literarischen Epitaphioi Logoi zum athenischen Gefallenenbegräbnis über die hier skizzierten Ansätze hinaus im Detail neu konzeptionalisiert werden. Rückschlüsse von den heterogenen, literarisch überformten Schriften auf die Reden sind nur in engen Grenzen möglich. Eine detaillierte Rekonstruktion der Institution der Gefallenenrede auf der Basis der Epitaphioi Logoi vermag jedenfalls so, wie sie von Loraux vorgenom men wurde, nicht mehr zu überzeugen. Die Auseinandersetzung mit dem Epitaphios Logos als literarischer Gattung (und in der Konsequenz auch mit dem athenischen Ge fallenenbegräbnis insgesamt) steht damit im Grunde noch immer (beziehungsweise erneut) am Anfang – jedenfalls mit Blick auf eine Reihe nicht unwesentlicher Faktoren. *** Auf der skizzierten Grundlage möchte die vorliegende Arbeit zeigen, wie der soldati sche Tod in der athenischen Gefallenenbestattung einerseits und im Epitaphios Logos andererseits auf je eigene Weise zum historischen Problem wird – zunächst für die Ak teure der Gefallenenbestattung und für die Autoren und Rezipienten der literarischen Epitaphioi Logoi, in der Konsequenz dann auch für die kulturwissenschaftliche Erfor schung des klassischen Athens. Hierzu soll zunächst eine grundlegende Neubewer 57
Nicht zuletzt in Form von Kommentaren und Interpretationen zu einzelnen Epitaphioi Logoi; sie he hierzu die entsprechenden Angaben unter der Rubrik „Literarische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
Ausgangslagen. Fragestellung, Quellen und Forschungsstand
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tung von Genese und Entwicklung der athenischen Gefallenenbestattung in klassi scher Zeit vorgenommen werden, die dann wiederum als Ausgangs- und Bezugspunkt für das Verständnis der literarischen Epitaphioi Logoi dienen kann. Der erste Teil der vorliegenden Studie (mit den Kapiteln eins bis vier) widmet sich folgerichtig zunächst einer Aufarbeitung der Strukturen, Funktionen und Dynamiken des athenischen Ge fallenenbegräbnisses, die von der Scheinevidenz der literarisch konzipierten Epitaphi oi Logoi so weit als möglich abstrahiert: Im Zentrum der Analyse steht der materielle Befund; insbesondere die in hoher Zahl greifbaren Fragmente der Grabmonumente mit ihren Gefallenenlisten, Epigrammen und Reliefs werden einer eingehenden Un tersuchung unterzogen (die fraglichen Befunde zu den Monumenten sind unter Anga be der relevanten Details und der entsprechenden Forschungsliteratur unter der Ru brik „Epigrafische Hauptzeugnisse“ im Anhang dieser Studie zusammengestellt). Im zweiten Teil der Arbeit werden dann von diesen Voraussetzungen her die literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi in ihren eigenen Entstehungs- und Wirkungskontexten in den Blick genommen (auch die literarischen Hauptquellen werden in einer entspre chen Rubrik im Anhang dieser Arbeit mit Hinweisen zu den konsultierten Textausga ben, Kommentaren, Übersetzungen und Deutungen verzeichnet). Eine Bilanz führt die Ergebnisse zusammen. Der besseren Nachvollziehbarkeit dienen Abbildungen ausgewählter materieller Zeugnisse sowie eine chronologische Übersicht und eine to pografische Übersicht im Anhang.
Erster Teil Die materielle Textur des politischen Todes
Erstes Kapitel Der isonome Tod Genese eines politischen Rituals Gemeinschaftliche Gefallenenbestattungen lassen sich für das klassische Athen bis in die kleisthenische Zeit zurückverfolgen; die Evidenz einer regelmäßigen Errichtung vom Dēmos finanzierter, im Gebiet zwischen Dipylon und Akademie jahrweise an gelegter Grabanlagen für die gemeinsame Bestattung der kremierten Gebeine von Gefallenen einer ganzen Kriegssaison (kurz: Jahresbestattungen) beschränkt sich allerdings, wie sich zeigen wird, auf den Zeitraum von den frühen 450er Jahren bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges, mit einer weiteren Bestattung dieses Typs im Jahr 394. Im vorliegenden Kapitel wird zunächst die historische Entwicklung der athenischen Gefallenenbestattung von der ausgehenden archaischen Zeit bis Mitte der 460er Jahre in den Blick genommen: In diesem Zeitraum bildeten sich innovative Bestattungsformen aus, mit denen die Gefallenen als gleichwertige Streiter für die Po lis gewürdigt und somit dem Grundgedanken der Isonomie entsprechend beigesetzt wurden. Im Zuge der Perserkriege gewann das griechische Gefallenengedenken dann eine polisübergreifende Dimension hinzu, während sich zugleich eine verstärkte Auf ladung mit Ideologemen von Sieghaftigkeit greifen lässt und über die Errichtung von Kenotaphen wie über entsprechende rituelle Vollzüge ideelle Verbindungen zwischen den Siedlungszentren der beteiligten Gemeinwesen und den bei den Schlachtfeldern errichteten Monumenten hergestellt wurden. Für den weiteren Verlauf bis Mitte der 460er Jahre lässt sich zwar eine gewisse Tendenz feststellen, athenische Gefallenen bestattungen nun verstärkt auch im Gebiet des Kerameikos durchzuführen, der ma terielle Befund legt aber nahe, auch dies zeigt das erste Kapitel, dass in dieser Zeit noch keine gemeinsamen Bestattungen von Gefallenen unterschiedlicher Einsatzorte durchgeführt wurden. Vor diesem Hintergrund untersucht das zweite Kapitel, unter welchen historischen Umständen in der zweiten Hälfte der 460er Jahre erstmals eine gemeinsame Bestat tung von Gefallenen unterschiedlicher Einsatzorte durchgeführt wurde, was sich über die erste sicher als Jahresbestattung identifizierbare Beisetzung athenischer Gefallener in den frühen 450er Jahren sagen lässt und welche allgemeinen Charakteristika die
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Erstes Kapitel
athenischen Gefallenenbestattungen in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts aufweisen. Im dritten Kapitel werden dann die Tendenzen zur Auflösung der isono men Grundlage des athenischen Gefallenenbegräbnisses im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts in den Blick genommen, während sich das vierte Kapitel schließlich mit der weiteren Entwicklung der athenischen Gefallenenbestattung im vierten Jahrhun dert befasst. Gemeinsam zielen die vier Kapitel des ersten Teils darauf ab, ein präzises Verständnis der historischen Entwicklung des athenischen Gefallenenbegräbnisses in klassischer Zeit zu gewinnen, das dann im zweiten Teil dieser Arbeit als Kontrastfolie für die Aufarbeitung der literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi dienen kann. Die Ursprünge des isonomen Todes Die Vorstellung, bereits im Umfeld der Perserkriege sei die Genese der athenischen Jahresbestattung weitgehend abgeschlossen gewesen, hat sich in der Forschung vor allem deshalb halten können, weil die späteren literarischen Quellen – insbesondere Thukydides und Pausanias – ein solches Bild zu zeichnen scheinen: Thukydides’ Rede vom Patrios Nomos sowie seine Aussage, die Bestattung der Gefallenen von Marathon außerhalb Athens sei eine Ausnahme gewesen, inspirieren nach wie vor Rekonstrukti onen einer frühen Entwicklung des Rituals, die der materielle Befund nicht bestätigen kann.1 Auch Pausanias suggeriert eine Entwicklung, die in die Zeit vor den Perserkrie gen zurückzureichen scheint.2 Eine vermeintliche Bestätigung der These von einer frü hen Entstehung der Jahresbestattung wurde auch in der (unzutreffenden) Vorstellung gesehen, das Gebiet der gemeinschaftsfinanzierten Gräber vor den Toren Athens sei ein Dēmosion Sēma im Sinne eines modernen „Staatsfriedhofs“ gewesen, der mit den frühesten Polyandria bereits als solcher angelegt gewesen sein müsse.3 Die wissenschaftliche Literatur ist von entsprechenden Entwicklungsszenarien durchzogen, die auf der Suggestivkraft der genannten antiken und modernen Projek
1 Der locus classicus für das athenische Gefallenenbegräbnis als Patrios Nomos ist Thuk. 2.34; zur Deutung des Begriffs siehe auch die entsprechenden Überlegungen im fünften Kapitel. 2 Insbesondere erwähnt Pausanias (1.29.7) im Rahmen seiner Beschreibung der Gefallenendenk mäler vor den Toren Athens (siehe dazu inbes. Pritchett 1998 b) ein Grabmal der Athener, die „vor dem Perserkrieg“ im Kampf gegen die Aigineten zu Tode gekommen seien (siehe hierzu unten in diesem Kapitel bei Anm. 14 f.). Tabellarische Übersichten wie etwa bei Pritchett 1985, Bd. 4, 148 Table 3 (später übernommen u. a. von Ruggeri et al. 2013, 184 f.) verstärken die Vorstellung einer weit zurückreichenden Kontinuität, die aus der Angabe des Pausanias herausgelesen wurde; ins besondere die von Clairmont 1983 vorgelegte und selbst wiederum forschungsgeschichtlich wir kungsreiche Rekonstruktion ist stark von Pausanias beeinflusst; siehe hierzu auch unten in diesem Kapitel bei Anm. 4. 3 Die Vorstellung, das Dēmosion Sēma lasse sich als geschlossener „Staatsfriedhof “ konzeptionali sieren, war in der Forschung lange ubiquitär und wird erst in den Publikationen jüngeren Datums grundsätzlich infrage gestellt; siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen im zweiten Kapitel.
Der isonome Tod. Genese eines politischen Rituals
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tionen beruhen. Bemerkenswerterweise haben bisher auch die systematischen Zu sammenstellungen der materiellen Evidenz nicht zu einer grundsätzlichen Korrektur geführt. Forschungsgeschichtlich besonders einflussreich ist etwa der Katalog der Gefallenenmonumente, den Christoph W. Clairmont in seiner Studie Patrios Nomos aus dem Jahr 1983 publiziert hat: Bereits für die Phase von den kleisthenischen Refor men bis zur Schlacht am Eurymedon verzeichnet die Aufstellung nicht weniger als 17 Einträge, für die 46 Einzelbelege angeführt und als Evidenz für eine frühe und ge radlinige Entwicklung hin zur Jahresbestattung gedeutet werden.4 Kein einziges der von Clairmont angeführten frühen Zeugnisse erweist sich allerdings als Beleg einer gemeinsamen Grablege der nach Athen zurückgeführten Gefallenen einer gesamten Kriegssaison. Nun hat sich die charakteristische Form der öffentlichen Gefallenenbestattung Athens freilich nicht in der ersten Jahresbestattung ex nihilo formiert: Gewisse Ele mente dieser besonderen Bestattungsform sind aus den Rahmenbedingungen der griechischen Polisentwicklung in spätarchaisch-frühklassischer Zeit hervorgegangen, und auch die Perserkriege sowie die innergriechische Bündnispolitik der 470 er und 460er Jahre haben dazu beigetragen, dass sich die Voraussetzungen für die spätere Ent stehung der Jahresbestattung ausbilden konnten. So gehen die frühesten Belege für öffentliche Gemeinschaftsbestattungen athenischer Gefallener tatsächlich in die Zeit vor der Schlacht bei Marathon zurück – ohne dass es allerdings bereits zu einer konse quenten Rückführung der Gebeine nach Athen, zu einer gemeinsamen Bestattung von Gefallenen unterschiedlicher Einsatzorte oder gar zu einer jahrweise durchgeführten Kollektivbestattung gekommen wäre.5 Die materiellen Zeugnisse zeigen zunächst, dass athenische Gefallene schon in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Ende der peisistratidischen Tyrannis in gemein samen öffentlichen Gefallenengräbern bestattet wurden und dass die Art und Weise ihrer im Medium des Grabmonuments manifesten Kommemoration auch das verän derte Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in innovativer Form zum Aus druck brachte: Spätestens in den frühen 490er Jahren lassen sich im epigrafischen Be fund der erste Fall einer Monumentalisierung eines Gemeinschaftsgrabes für gefallene Athener sowie die listenförmige Nennung der Bestatteten greifen. Schon der früheste bekannte Fall dieser Art gruppiert die Namen der Verstorbenen entsprechend ihrer 4
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Eine Übersicht findet sich bei Clairmont 1983, xvi–xix (dort Verweise auf die entsprechenden Sei tenzahlen des Katalogs). In jüngerer Zeit folgt insbesondere Nathan Arrington den Grundzügen von Clairmonts Rekonstruktion der frühen Genese des Rituals. Die einflussreichsten Beiträge zur Debatte um die Entstehung des klassischen athenischen Gefallenenbegräbnisses sind Jacoby 1944; Gomme 1956, 94–103; Supperich 1977, 201–224; Clairmont 1983, 7–15; Pritchett 1985, Bd. 4, 112–124; Hornblower 1991, 292–294; Arrington 2010 b, 502–506; Arrington 2015, 39–49; Stöhr 2020, 20–26; Kucewicz 2020, bes. 119–134; Bergmann (in Druckvorbereitung). Zum möglicherweise frühesten archäologischen Zeugnis einer öffentlichen Gefallenenbestattung vor den Toren Athens siehe unten in diesem Kapitel bei Anm. 13.
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Erstes Kapitel
jeweiligen Zugehörigkeit zu einer der zehn kleisthenischen Phylen und verzichtet zu gleich auf soziale Zuordnungen etwa über die Nennung von Statusindikatoren oder von Patronymika oder Demotika. Es bietet sich an, hier von einer isonomen Gefallenenbestattung zu sprechen – die aber nach allem, was sich sagen lässt, in zeitlicher Nähe zu einem entsprechenden individuellen Konflikt wohl in der Regel noch am Ort des Schlachtgeschehens durchgeführt wurde. Eine Sammelbestattung über unterschiedli che militärische Schauplätze hinweg hat hier noch nicht stattgefunden. Es lohnt sich, diese frühen isonomen Gefallenenbestattungen näher in den Blick zu nehmen. Der früheste weitgehend sichere Beleg einer isonomen Gefallenenbe stattung entsprechend der kleisthenischen Phylenordnung stammt von einem (heute verlorenen) Inschriftenpfeiler aus Hephaistia, der plausibel als Segment eines Grab monuments für gefallene Teilnehmer der Expedition des Miltiades nach Lemnos im Jahr 498 gedeutet wurde.6 Auf dem in attischer Schrift dreiseitig beschriebenen Stein sind Teile einer nach Phylen geordneten Liste mit Namen athenischer Bürger zu er kennen; der Phylenname Hippothontis im Nominativ hat sich auf dem Stein als Zwi schenüberschrift erhalten, die Namen der Gefallenen werden darunter ohne Patrony mika, ohne Demotika, ohne Funktionsbezeichnungen oder sonstige Hinweise auf die soziale Stellung angeführt.7 Da die Reihung der Namen kein anderes Ordnungsprin zip erkennen lässt, wurden die Gefallenen wohl entsprechend der Reihenfolge ihrer Einträge in den Konskriptionslisten oder in einem gesonderten Gefallenenregister auf dem Monument genannt.8 Die Grundkonzeption der Liste lässt keinerlei Raum für die Repräsentation individueller Statusdifferenzen und nicht einmal für die Würdigung besonderer individueller Verdienste im Kampf. Der Stein aus Hephaistia ist damit ein bemerkenswertes Zeugnis dafür, dass die Polisgemeinschaft unter dem Einfluss der kleisthenischen Politik innovative Formen der kollektiven Repräsentation ihrer im Kampf für das Gemeinwesen gefallenen Mitglieder entwickelt hat, um die gesell schaftlichen Unterschiede der Bürger in Funktion, Verdienst und Ansehen auch im Gefallenenbegräbnis symbolisch zu nivellieren. Hinweise auf Epigramme haben sich auf dem Inschriftenpfeiler von Hephaistia nicht erhalten. Das früheste sicher datierbare inschriftlich erhaltene Epigramm auf 6
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IG XII Suppl. 337 = IG I3 1477; für Details und Literaturhinweise siehe den entsprechenden Ein trag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Über den Konflikt mit Lemnos berichtet Hdt. 6.140. Hier und im Folgenden gilt: Insbesondere für die erste Hälfte des fünften Jahrhunderts sind die Datierungen cum grano salis zu verstehen. Front: Ε]ὐθύμαχο[ς] | hιπποθοντίς· | Ἀνπυκίδ̣ες | [Δό?]ρκον | [Καλλι?]κράτες | [Καλλίνο?]μος | [- - - - - -]; linke Schmalseite: [..]ν̣[- - -] | Μ̣ αλό[κιμος?] | Φαίν[ιππος] | Ξσεν[ίας?] | Λυκ[ι˜νος?] | Φι[λίσκος?] | Λ[- - - - -] | [- - - - - -]. Auf der rechten Schmalseite haben sich nur wenige Buchsta ben erhalten, eine verlässliche Rekonstruktion ist hier kaum möglich. Zu Konskriptions- und Sterberegistern, die den Namenslisten der Gefallenenmonumente zugrun de gelegen haben müssen, siehe Bakewell 2007 sowie die entsprechenden Bemerkungen unten in diesem Kapitel auf S. 59. Allgemein zur Konskription von Hopliten im klassischen Athen siehe auch Christ 2001.
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e inem Gemeinschaftsgrab gefallener Athener stammt vom Grabmonument für die im Jahr 490 bei Marathon Gefallenen (hierzu unten mehr) – allerdings deutet die Evi denz in diesem Fall darauf hin, dass das Monument erst nach 480/479 um Epigramme ergänzt wurde.9 Dennoch ist grundsätzlich denkbar, dass das Monument in Hephais tia mit einem Grabgedicht auf die im Kampf gestorbenen Bürger Athens versehen war. Dass möglicherweise schon in den ersten Jahren nach den kleisthenischen Re formen gefallene Bürger mit Epigrammen gewürdigt werden konnten, legt jedenfalls ein (allerdings nur in der Anthologia Planudea literarisch überliefertes) Epigramm nahe, das Simonides zugeschrieben wird, sich möglicherweise auf die im Jahr 507/506 beim Euripos gefallenen Athener bezieht und auf ein entsprechendes Grabmonument zurückgehen könnte.10 Das Gedicht verweist darauf, dass auf gemeinschaftlichen Be schluss (und somit auch auf Basis einer gemeinschaftlichen Finanzierung) am Ort des Kampfgeschehens ein Grabdenkmal für die Gefallenen errichtet wurde (ση˜ μα δ’ ἐφ ἡμι˜ν | ἐγγύθεν Εὐρίπου δημοσίᾳ κέχυται). Trifft die historische Kontextualisierung des Epigramms zu, so zeigt sich hier auch, wie die kleisthenische Polis im Bereich der Ge fallenenbestattung vormals aristokratische Repräsentationsformen vereinnahmt und für die Inszenierung des isonomen Kollektivs in Anspruch genommen hat: Der Fokus verschiebt sich hin zur Leistung einer Gemeinschaft gleichwertiger Streiter für den Bestand und die Größe der Polis, während der gesellschaftliche Status und der indi viduelle Beitrag des Einzelnen in den Hintergrund tritt. Zugleich ist aufschlussreich, dass die menschlichen Opfer der Expedition etwa 70 Kilometer vor Athen außerhalb Attikas geehrt wurden, während sich die Erinnerungskultur im Siedlungszentrum der athenischen Bürgerschaft eher auf die militärischen Erfolge des Unternehmens bezo gen zu haben scheint.11 Der Inschriftenpfeiler von Hephaistia und die Hinweise auf eine Bestattung beim Euripos sind erste Zeugnisse dafür, wie im ausgehenden sechsten, frühen fünften Jahr hundert die isonome Polisgemeinschaft aristokratische Ausdrucksformen absorbiert 9
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SEG 56.430 [Abb. 1]; siehe hierzu auch unten in diesem Kapitel bei Anm. 28. Zur späteren Ergän zung der Epigramme siehe unten in diesem Kapitel bei Anm. 30. In der Forschungsliteratur wird ein im Jahr 1933 im Bereich der Agora entdecktes Fragment mit Epigramm (IG I3 1142 = CEG 1) verschiedentlich in die Zeit vor 490 datiert; Tentori Montalto 2017, 90 f. mit Anm. 3 hat jüngst ar gumentiert, dass die Schrift eine Datierung in die Zeit von 490 bis 470 wahrscheinlich macht. Zu dieser Inschrift siehe auch unten in diesem Kapitel bei Anm. 28–32. Anth. Plan. 26: Δίρφυος ἐδμήθημεν ὑπὸ πτυχί· ση˜ μα δ’ ἐφ ἡμι˜ν | ἐγγύθεν Εὐρίπου δημοσίᾳ κέχυ ται, | Οὐκ ἀδίκως· ἐρατὴν γὰρ ἀπωλέσαμεν νεότητα | τρηχείαν πολέμου δεξάμενοι νεφέλην; zu diesem Epigramm siehe Pritchett 1985, Bd. 4, 164 f., dort mit der Feststellung „The epigram, if it refers to the events of 507/506 B. C., may still be a candidate for an Athenian monument“. Zur Überlie ferung der Anthologia Planudea und ihrem Verhältnis zur Anthologia Palatina siehe Aubreton/ Buffière 1980, 1–59 und Al. Cameron 1993. Zur Bestattung der am Euripos Gefallenen siehe Rausch 1999 a, 226 f. Auf der Akropolis wurden zwei Votivinschriften gefunden, die zur Basis einer Quadriga gehören (zum mutmaßlichen Kontext: Hdt. 5.77.4): IG I3 501 A und IG I3 501 B (Wiederaufzeichnung). Zu den Inschriften siehe ML Nr. 15; Clairmont 1983, 91 f.
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und für das Bürgerkollektiv umgedeutet hat. Parallel hierzu lassen sich im archäologi schen Befund Veränderungen der privaten Bestattungspraktiken beobachten, für die ein signifikanter Rückgang aufwendiger Grabausstattung zu verzeichnen ist – eine bis Ende der 490 er (spätestens frühe 480 er) Jahre kulminierende Entwicklung, die in der Regel mit Hinweisen bei Cicero auf eine (von ihm nicht näher datierte) nachsoloni sche Grabluxusgesetzgebung (das sogenannte post-aliquanto-Gesetz) in Verbindung gebracht wird:12 Im Zuge jener politischen Veränderungen, die auch die isonome Ge fallenenbestattung hervorgebracht haben, reduzierten sich offenbar auch die Mög lichkeiten, private Bestattungen als Bühne sozialer Distinktion zu nutzen. Die Polisge meinschaft lässt damit schon in den ersten anderthalb Jahrzehnten nach dem Ende der Tyrannis klar den Anspruch erkennen, das Gedenken an die Leistung des Einzelnen mit der isonomen Verfassung des Bürgerkollektivs zu koppeln und dabei auch die Aus drucksmöglichkeiten gesellschaftlich exponierter Einzelpersonen und einflussreicher Familien einzuschränken. Während sich in Hephaistia und am Euripos (sowie später in Marathon, dazu un ten mehr) Gefallenenbestattungen deutlich außerhalb des Siedlungszentrums der athenischen Bürgerschaft fassen lassen, könnten erste öffentliche Gefallenengräber mit den Merkmalen der isonomen Bestattung bereits in den 490 er und 480er Jahren (vielleicht schon früher) auch im Kerameikos durchgeführt worden sein. Über die ma terielle Evidenz lässt sich allerdings kaum ein eindeutiges Bild gewinnen, die Befunde sind zu isoliert und zu fragmentarisch (möglicherweise bedingt durch die Zerstörun gen von 480). Als vielleicht frühestes archäologisches Zeugnis für eine gemeinschaftliche Gefal lenenbestattung im Kerameikos wird das Fragment einer in mindestens zwei Kolum nen gegliederten Namensliste aus Athen diskutiert, das von einem um 500 errichteten Polyandrion stammen könnte.13 Die Liste weist dieselben Charakteristika auf wie die Liste von Hephaistia; da sich jenseits der Namen aber keine weiteren Textelemente erhalten haben (z. B. ein Epigramm oder eine Phylenbezeichnung), ist die Deutung als Gefallenenliste unsicher. Darüber hinaus lassen sich keine belastbaren Belege für athenische Gefallenenbestattungen sicher in die Zeit vor 490 datieren. Neben dieser (unsicheren) materiellen Evidenz ist für die Zeit bis Ende der 490er Jahre vor allem der Umstand von Interesse, dass Pausanias in seiner Beschreibung des 12
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Zu den Möglichkeiten der Datierung anhand der archäologischen Evidenz siehe Stewart 2008, bes. 585 f. Cic. Leg. 2. 64 f.: Sed post aliquanto propter has amplitudines sepulcrorum, quas in Ceramico videmus, lege sanctum est, ‚ne quis sepulcrum faceret operosius quam quod decem homines effecerint triduo‘, [65] neque id opere tectorio exornari, nec ‚hermas‘ hos quos vocant licebat imponi, nec de mortui laude nisi in publicis sepulturis, nec ab alio nisi qui publice ad eam rem constitutus esset dici licebat. Sublata etiam erat celebritas virorum ac mulierum, quo lamentatio minueretur; auget enim luctum concursus hominum; allgemein zur antiken Grabluxusgesetzgebung: Engels 1998, dort 97–106 zum post-aliquanto-Gesetz. EM 420; vgl. SEG 21.95 = Clairmont 1983, Nr. 1; siehe Peek 1942, 13 Nr. 11.
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Gebiets ein Grab für Gefallene eines Kampfes gegen die Aigineten erwähnt, den er in die Zeit „vor dem Perserkrieg“ datiert.14 Fraglich ist, welchen Perserkrieg Pausanias hier meint, zumal die Chronologie des bei Herodot überlieferten Konflikts zwischen Athen und Aigina unsicher ist.15 Das Monument hat Pausanias im Bereich der öffent lichen Gefallenengräber zwischen Dipylon und Akademie gesehen. Dass es dort die Spoliierungen für den athenischen Mauerbau vor dem Persereinfall und die anschlie ßenden Zerstörungen durch die feindlichen Besatzer intakt überstanden haben könn te, wenn es vor 480 errichtet worden wäre, ist fraglich. Denkbar wäre allerdings (analog zu anderen bekannten Fällen dieser Art) die spätere Errichtung einer Replik. Pausani as erwähnt zudem im Zusammenhang mit dem Grab der auf Aigina gefallenen Athe ner auch eine Bestattung athenischer Sklaven im Kerameikos – da Pausanias hier eine vom Dēmos errichtete Stele mit Namensliste und Epigramm für die Sklaven anführt, könnten die Sklaven eine eigene Bestattung erhalten haben.16 Dass gefallene Sklaven von den Athenern öffentlich bestattet wurden, ist jedenfalls nicht grundsätzlich un plausibel: Eine Bestattung von Sklaven nach der Schlacht von Marathon ist literarisch belegt,17 und Mitte der 460er Jahre lässt sich die Berücksichtigung gefallener Sklaven in einem athenischen Gefallenengrabmonument zweifelsfrei epigrafisch greifen.18 Möglicherweise wurden die im Konflikt um Aigina auf athenischer Seite Gefallenen erstmals von einem Ort des Kampfgeschehens außerhalb Attikas zur isonomen Ge meinschaftsbestattung nach Athen zurückgeholt.19 Vielleicht sollte durch die Rückfüh rung in erster Linie vermieden werden, ein Grab der Mitbürger in feindlichem Gebiet anzulegen. Dass der Kerameikos als Ort für das öffentliche Gefallenengrab gewählt wurde, lässt sich aus der früheren Nutzung des Gebiets erklären: Im nordwestlichen Vorstadtbereich Athens lassen sich für die archaische Zeit exzeptionelle aristokrati sche Bestattungen nachweisen.20 Wenn hier nun eine isonome Gefallenenbestattung durchgeführt wurde, lässt sich die Betonung des Kollektivs gesellschaftlich gleichwer tiger Bürger (und in gewisser Abstufung der auf ihrer Seite kämpfenden Nichtbürger) als selbstbewusste politische Inszenierung einer neuen Verfasstheit der athenischen Polis deuten. Ob die Gefallenenbestattung dadurch nun zugleich auch stärker mit 14 15 16 17 18 19 20
Paus. 1.29.7: καὶ Ἀθηναίων δ’ ἔστι τάφος, οἳ πρὶν ἢ στρατευ˜ σαι τὸν Μη˜ δον ἐπολέμησαν πρὸς Αἰγινήτας. Hdt. 6.87–93. Für eine Datierung um 491/490 spricht sich Pritchett 1985, Bd. 4, 165 f. aus, auf 488/487 datieren u. a. Welwei 1974, 36–41; Stupperich 1977, 208; Clairmont 1983, 101 f. Nr. 7 a; Czech-Schneider 1994, 10, 27 f., 36. Paus. 1.29.7: ἦν δὲ ἄρα καὶ δήμου δίκαιον βούλευμα, εἰ δὴ καὶ Ἀθηναι˜οι μετέδοσαν δούλοις δημοσίᾳ ταφη˜ ναι καὶ τὰ ὀνόματα ἐγγραφη˜ ναι στήλῃ· δηλοι˜ δὲ ἀγαθοὺς σφα˜ ς ἐν τω˜ ι πολέμωι γενέσθαι περὶ τοὺς δεσπότας. Paus. 1.32.3 (siehe unten in diesem Kapitel die Anm. 23). IG I3 1144 fr. e, col. I, l. 139: [θ]εράπον̣τ ̣ες. Vgl. Clairmont 1983, 101. Für das oben in diesem Kapitel bei Anm. 13 erwähnte Fragment (falls es sich überhaupt um ein Fragment eines frühen isonomen Gefallenengrabs im Kerameikos handeln sollte) ist unklar, ob die Bestatteten in Attika oder außerhalb Attikas gestorben sind. Siehe hierzu insbesondere Shea (in Druckvorbereitung).
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Konzepten der Sieghaftigkeit aufgeladen wurde, lässt sich auf Basis der verfügbaren Evidenz für die Zeit vor den Perserkriegen nicht erkennen. Vorerst scheint es sich bei Bestattungen dieser Art im Kerameikos um Einzelfälle ge handelt zu haben, die zwar möglicherweise eine besondere Symbolkraft entfalten konn ten, wie sie den bei den Schlachtfeldern errichteten Monumenten nicht zukam, die den Charakter des Gebiets vor den Mauern Athens aber auch nicht grundlegend transfor miert haben können. Erst die Zerstörungen rund um den Persereinfall von 480 haben den Athenern offenbar die Möglichkeit geboten, den nordwestlichen Vorstadtbereich neu zu konzipieren. Ob die sterblichen Überreste der gefallenen Bürger nun typischer weise auch dann nach Athen zurückgeführt wurden, wenn das Schlachtfeld nicht im Feindesland lag, ist unklar. Der Gedanke der Autochthonie war in dieser Phase mög licherweise noch immer nicht ausschlaggebend. Für die Zeit der Perserkriege bezeugt die archäologische Evidenz jedenfalls noch zweifelsfrei, dass die Bestattung am Ort des Kampfgeschehens und nicht vor den Toren der Heimatpolis die Norm war. Entschei dend für die Athener war in dieser Phase zunächst nicht das symbolische Potenzial einer Bestattung im Kerameikos, sondern die mit dem Sieg über die Perser einhergehende Möglichkeit einer über die eigene Polis hinausweisenden Inszenierung des aufopfe rungsvollen Einsatzes athenischer Bürger für die Freiheit von ganz Griechenland. Die Inszenierung polisübergreifender Allianzen Mit der verlustreichen Verteidigung gegen die persischen Eroberungsversuche gin gen bei den betroffenen griechischen Poleis signifikante Veränderungen der Gefalle nenkommemoration einher, in deren Kontext auch charakteristische Entwicklungen der athenischen Bestattungspraktiken zu sehen sind. Insgesamt lässt sich erkennen, dass das Gefallenengedenken eine stärkere Bedeutung für das politische Selbstbe wusstsein der griechischen Poleis gewann und zugleich eine polisübergreifende Di mension annahm; auch wurde das Gefallenengedenken nun erkennbar intensiver mit Ideologemen militärischer Sieghaftigkeit verknüpft. Speziell für Athen kann eine weitere Bedeutungszunahme des isonomen Gefallenengedenkens für die politische Selbstdarstellung der athenischen Bürgerschaft beobachtet werden; und für die Zeit nach 480/479 zeichnen sich nun deutlicher als zuvor die Auswirkungen der gemein schaftlichen Gefallenenbestattung auf die Memorialtopografie im Kerameikos ab. Die Entwicklungen, die sich für Athen ausmachen lassen, sind jedenfalls im Kontext deut licher Veränderungen der griechischen Gefallenenbestattung insgesamt zu sehen, die im Zusammenhang mit den Perserkriegen stehen. Wie diese Tendenzen in der atheni schen Gefallenenbestattung zusammenfinden, zeigt sich erstmals im erinnerungskul turellen Umfeld der Schlacht von Marathon. Als distinkten Bestandteil eines breiten Spektrums an Erinnerungspraktiken, mit denen der Erfolg verarbeitet wurde, verwandelten die Sieger die Ebene von Marathon
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nach der erfolgreichen Abwehr der Perser in einen regelrechten lieu de mémoire.21 Ne ben dem Tropaion22 sowie den Bestattungen der gefallenen Plataier und der gefallenen athenischen Sklaven23 ist hier die Grabanlage für die gefallenen Athener selbst von be sonderem Interesse:24 Mit der Errichtung eines weithin sichtbaren Tumulus hat sich die isonome Bürgergemeinschaft ein zentrales Element der aristokratischen Grabkul tur früherer Zeiten einverleibt25 und damit den Anspruch zum Ausdruck gebracht, in ebenbürtiger Weise an die epischen Krieger und Heroen anzuschließen.26 Unser Verständnis des athenischen Grabmals für die Marathonomachoi hat sich er heblich verfeinert, seit im Jahr 1999 im Zuge archäologischer Grabungen in der Villa des Herodes Atticus in Loukou (Eua Kynourias) drei Fragmente eines zugehörigen Grab monuments geborgen werden konnten, das offenbar erst im zweiten Jahrhundert n. Chr. dorthin verbracht worden war, kurz nachdem Pausanias (1.32.3) es noch an seinem ur sprünglichen Aufstellungsort auf dem Soros von Marathon gesehen hatte.27 Das größte
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Dazu Valavanis 2010; Zahrnt 2010; Zahrnt 2013. Raubitschek 1940 b; Vanderpool 1966; Beschi 2002. Zur Entwicklung und Bedeutung griechischer Tropaia: Stroszeck 2004; Rabe 2008; Trundle 2013; Kinnee 2018; Roy 2019; Havener 2020; Ha shem 2021. 23 Das Grab für die Athener wird bei Thuk. 2.34.5 und Paus. 1.29.4 erwähnt; ein „Grab für die Plataier und die (athenischen) Sklaven“ (τάφος … Πλαταιευ˜ σι Βοιωτω˜ ν καὶ δούλοις) erwähnt Paus. 1.32.3; ob damit zwei eigenständige Grabmäler gemeint sind und die Bestattung der Plataier identisch ist mit dem im Jahr 1970 von Spyridon Marinatos ergrabenen Tumulus im Vranatal, wurde mitun ter bezweifelt (z. B. Welwei 1979 mit Verweisen auf die Grabungsberichte und weitere Literatur). Paus. 1.29.7 erwähnt eine Bestattung athenischer Sklaven (mit eigenständigem Grabmal?) im Kera meikos, die grob in die 490 er/480er Jahre zu datieren ist; dort wurden die Sklaven mit Namens liste und offenbar auch mit einem Epigramm geehrt, wie die Beschreibung des Pausanias mit den Worten δηλοι˜ δὲ ἀγαθοὺς σφα˜ ς ἐν τῳ˜ πολέμῳ γενέσθαι περὶ τοὺς δεσπότας nahelegt. Paus. 1.32.4 (καὶ ἀνδρός ἐστιν ἰδίᾳ μνη˜ μα Μιλτιάδου του˜ Κίμωνος) erwähnt im Zusammenhang mit den Grabanlagen in der Ebene von Marathon ferner ein Monument für Miltiades. 24 Der Grabhügel mit Brandbestattung wurde bereits in den 1880er Jahren erstmals erforscht und war seither immer wieder Gegenstand der Diskussion über die athenische Erinnerungskultur nach Marathon. Die früheste Grabung wurde von Heinrich Schliemann im Jahr 1884 durchgeführt (Schliemann 1884, 85–88), der allerdings keine Gebeine fand und daher zum Schluss kam, es han dele sich um ein Kenotaph; P. Kavvadias konnte wenige Jahre später nachweisen, dass es sich doch um einen regelrechten Grabkomplex handelt (Kavvadias et al. 1890, 65–67). Ob es das Grab der Marathonomachoi ist, wurde hin und wieder bezweifelt (etwa von Mersch 1995). 25 Siehe Whitley 1994 (allerdings noch ohne Kenntnis der im Folgenden diskutierten Fragmente des Gefallenenmonuments von Marathon). 26 Sofern Marinatos tatsächlich die Bestattung der in der Schlacht von Marathon gefallenen Plataier zutage befördert hat (siehe oben in diesem Kapitel Anm. 23), hebt der archäologische Befund die Besonderheit der athenischen Bestattungspraxis hervor: Denn in den von Marinatos entdeckten Gräbern sind die Bestatteten auf sozial differenzierte Weise inhumiert und nicht wie die gefallenen Athener kremiert und dem Prinzip der Isonomie entsprechend bestattet worden; für weitere De tails siehe Hammond 1973, 197 f.; Steuben 1974, 52. 27 Paus. 1.32.3: τάφος δὲ ἐν τω˜ ι πεδίωι Ἀθηναίων ἐστίν, ἐπὶ δὲ αὐτω˜ ι στη˜ λαι τὰ ὀνόματα τω˜ ν ἀποθανόντων κατὰ φυλὰς ἑκάστων ἔχουσαι. Herodes Atticus besaß auch ein ausgedehntes Landgut in der Ebene von Marathon und ließ das Monument (neben zahlreichen weiteren Objekten) zur sekundären Verwendung in seine Villa auf die Peloponnes verbringen. Tentori Montalto 2013 a, 49 (so auch id.
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Fragment – eine weitgehend vollständig erhaltene Inschriftenstele – stellt ein Block aus pentelischem Marmor mit einer Höhe von 0,68 m, einer Breite von 0,56–0,57 m und einer Tiefe von 0,29 m dar [Abb. 1].28 Unter der Überschrift Ἐρεχθε̄ ΐς – der Phylenname im Nominativ – lässt sich ein vierzeiliges Epigramm mit Bezug zur Schlacht von Mara thon lesen, darunter findet sich eine Liste mit 22 Namen, bei denen es sich offenbar um die im Kampf gegen die Perser gefallenen Mitglieder der Phyle Erechtheis handelt.29 Es ist anzunehmen, dass mit dem Monument neben den Mitgliedern der Phyle Er echtheis die im Kampf gegen die Perser gestorbenen Mitglieder der übrigen Phylen ebenfalls mit entsprechenden Epigrammen und Gefallenenlisten auf analogen Blö cken gewürdigt wurden. Zwar wurde der erhaltene Block sekundär zu stark bearbeitet, um verlässliche Aussagen über die Gestalt des Gesamtmonuments treffen zu können (lediglich der linke Rand ist unbearbeitet, hier hat sich ein lesbisches Kymation er halten): Aber aller Wahrscheinlichkeit nach waren zehn miteinander verbundene oder nebeneinander freistehende Inschriftenblöcke – je einer für jede Phyle – in ei ner gemeinsamen Basis eingelassen. Eine ursprüngliche Aufstellung des Monuments auf dem Grabtumulus der in der Schlacht von Marathon gefallenen Athener ist (auch aufgrund der Beschreibung des Pausanias) wahrscheinlich. Inzwischen besteht weitgehend Konsens darüber, dass das Monument nach dem Erfolg von 490 errichtet wurde, auf den Stelen aber zunächst nur die Phylenrubriken und die Namenslisten verzeichnet waren, während die Epigramme erst später (nach 480/479?) hinzugekommen zu sein scheinen.30 Die erhaltenen Fragmente des Mo numents würden, wenn diese Rekonstruktion zutrifft, Auskunft geben sowohl über die athenischen Kommemorationspraktiken nach 490, als das Monument erstmals er richtet wurde, wie über die Erinnerungskultur nach der endgültigen Abwehr des per sischen Invasionsversuchs 480/479, als das Grabmal für die Marathonomachoi wohl nochmals modifiziert wurde.
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2017, 102) sieht die Dislozierung im Kontext des Aufenthalts von Lucius Verus in Griechenland im Jahr 162 n. Chr. Selbst ein so bedeutendes Grabmonument lässt sich allerdings nicht ohne Weiteres als regulärer Bestandteil einer repräsentativen Skulpturensammlung verstehen. Georgios Spyro poulos hat argumentiert, dass die Überführung des Monuments und seine sekundäre Verwendung im Zusammenhang der Umgestaltung der Villa in das Mausoleum des Herodes Atticus zu sehen sind. Zur Villa des Herodes Atticus und ihrer Ausstattung: Spyropoulos/Spyropoulos 2001; Spy ropoulos 2001; Spyropoulos 2006. Galli 2002, bes. 178 deutet die repräsentative Logik der Auf- und Ausstellung griechischer Denkmäler in der Villa des Herodes Atticus; Ameling 2013 untersucht speziell den Umgang des Herodes Atticus mit der Erinnerung an Marathon. SEG 56.430 (heute im Magazin des Museums von Astros, inv. 535); für Details und Literaturhin weise siehe den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Die Anzahl der Gefallenen der Phyle Erechtheis lässt sich mit der von Herodot (6.117) überliefer ten Gesamtzahl an 192 Gefallenen über alle Phylen hinweg gut in Einklang bringen. Proietti 2020 a.
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Die Namensnennungen auf dem Gefallenenmonument von Marathon weisen die selben formalen Charakteristika auf, die bereits die Liste auf dem Inschriftenpfeiler von Hephaistia prägen: Keine Patronymika, keine Demotika, keine Statusindikatoren oder Funktionsbezeichnungen – und eine Reihung der Namen, die sich wohl glei chermaßen auf das Ordnungsprinzip von Konskriptionslisten oder eines gesonder ten Gefallenenregisters zurückführen lässt. Dabei war das Monument für die gefalle nen Marathonomachoi nun offenbar (dies im Gegensatz zum Inschriftenpfeiler von Hephaistia) als Serie an Stelen konzipiert und wahrscheinlich auf eine gemeinsame Schauseite hin ausgerichtet: Das Monument folgt damit einem Gestaltungsprinzip (oder begründet dies), das sich als eine der Standardoptionen für die späteren Gefalle nenmonumente im Kerameikos identifizieren lässt und hier erstmals historisch greif bar ist. Die beschriebene Schauseite des Marathon-Monuments wies ursprünglich, wenn die Rekonstruktion als Inschriftenwand zutrifft, eine Breite von knapp sechs Metern auf; mit seiner Basis und einem entsprechenden Unterbau wird das Gesamt monument räumlich noch weiter ausgegriffen haben. Neben dem Epigramm (das unten im Zusammenhang mit den Entwicklungen nach 480/479 näher besprochen wird) verdient das visuelle Arrangement der Namen der Gefallenen besondere Aufmerksamkeit: Die grafisch außergewöhnliche Buchstaben stellung der Liste, die unter den athenischen Gefallenenmonumenten nur hier zu fas sen ist, wurde von Patricia A. Butz als „hybrid of both rectified and offset stoichedon styles“ beschrieben:31 Die Buchstaben sind in versetztem Stoichedon so angeordnet, dass sich aus den horizontalen Namensnennungen ein schachbrettartiges diagonales Kreuzmuster ergibt, durch das die Inschrift einen hohen Grad an Kompaktheit, Sym metrie und Ordnung visualisiert. In stärkerem Maße noch, als dies mit regulärem Stoi chedon gelingen könnte, bildet eine letztlich überschaubare Anzahl an Namen atheni scher Bürgersoldaten, die ihr Leben im Dienst der Gemeinschaft verloren hatten, die grafisch geschlossene Formation einer Einheit an Gefallenen (möglicherweise sollte hier die Formation einer Phalanx nachempfunden werden). Walter Ameling versteht mit Blick auf das monumentale Arrangement der zehn Stelen „die durch die Form des Monuments vermittelte Geschlossenheit der Bürgerschaft“ als Kernbotschaft des Ge fallenengrabes – eine Aussageintention, die mit der außergewöhnlichen Anordnung der Namen der Verstorbenen noch unterstrichen worden zu sein scheint: Während sich die Körper der gefallenen Bürger durch ihren Tod, durch die Verbrennung ih rer Leichname und durch die Bestattung ihrer kremierten Gebeine quasi historisch aufgelöst haben, bildeten ihre Namen als Glied einer in Stein verewigten Formation aufopferungsvoller Krieger ein bleibendes Signum ihrer Tapferkeit.
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Butz 2015, 83; Pitt 2015, 51 spricht unter Verweis auf Butz von „an unusual stoichedon manner with alternate lines offset giving a pleasing chequerboard effect“.
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Das Gefallenenmonument der Marathonomachoi ist nicht nur isoliert betrachtet, sondern auch im erweiterten Kontext signifikant: Mit den Denkmälern für gefallene Athener in Hephaistia und in Marathon lassen sich öffentliche Grabmonumente grei fen, die im Zusammenhang stehen mit dem territorialen Ausgreifen Athens über die Grenzen der eigenen Chō ra hinweg und mit der erfolgreichen Verteidigung des ei genen Hoheitsgebietes. In beiden Fällen fanden Bestattung und Monumentalisierung der Gräber außerhalb des Siedlungszentrums statt. Den Monumenten ist gemeinsam, dass sie die politische Verfassung der isonomen Bürger- und Wehrgemeinschaft konse quent in eine neue Form der gemeinschaftlichen Ehrung von Gliedern der politischen Gemeinschaft überführen, die nicht als Individuen mit je besonderer gesellschaftli cher Stellung, sondern als Elemente eines egalitär verfassten Kollektivs an Streitern für das Gemeinwohl gewürdigt werden.32 In der Ebene von Marathon wurde von die sen Voraussetzungen her zudem erstmals eine Bühne geschaffen, auf der eine parallele und aufeinander bezogene Bestattung gefallener Athener und gefallener Nichtathener (nämlich der Plataier und Sklaven) politischen Sinn ergab und über die Grenzen Atti kas hinaus ausstrahlen konnte. Der soldatische Tod im panhellenischen Kontext In der Schlacht von Marathon hatten die Athener den Großteil des griechischen Kontingents gestellt, und die Gefallenenbestattungen waren anschließend auch auf attischem Territorium durchgeführt worden. In den Jahren 480/479 waren die Schau plätze der militärischen Zusammenstöße zwischen Griechen und Persern geografisch weiter verteilt – von den Thermopylen und Artemision über Salamis/Psyttaleia bis Plataiaii –, und deutlich mehr Kämpfer unterschiedlichster Herkunft waren in den Ab wehrkampf gegen die persische Invasion eingebunden. Die erfolgreiche Verteidigung ließ sich als Gemeinschaftsleistung verstehen, damit konnten auch die Orte der mili tärischen Zusammenstöße nach der erfolgreichen Abwehr der persischen Invasions versuche zu polisübergreifenden lieux de mémoire ausgebaut werden. Für die griechi sche Gefallenenbestattung mit ihrer traditionell engen Bindung an die Schlachtfelder hatte dies weitreichende Konsequenzen, wobei zwar Ansätze zur Entwicklung eines parallelen Gefallenengedenkens verschiedener Poleis am selben Ort bereits bestan den (speziell in Form der in der Ebene von Marathon entstandenen Erinnerungstopo grafie). Nach 480/479 nutzten die siegreichen griechischen Städte aber doch deutlich konsequenter und intensiver dieselben Räume für das Gedenken an ihre gefallenen Mitbürger – nämlich die Orte ihres gemeinsamen militärischen Widerstands gegen
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Grundsätzliche Überlegungen zur Bürgergemeinschaft als Wehrgemeinschaft bei Rohde 2019, 122–149, sowie zur athenischen Bürgeridentität bei Lape 2010.
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die Perser –, und sie verknüpften dabei eine neu entstandene, über verschiedene Standorte hinweg ausgreifende Memoriallandschaft des Gefallenengedenkens mit dem polisübergreifenden Diskurs über die menschlichen Opfer, die sie für die Freiheit Griechenlands erbracht hatten. Bei den Thermopylen war wegen der griechischen Niederlage eine geordnete Be stattung der Gefallenen nicht möglich, die spätere Memorialkultur an den Orten des Geschehens musste auf diesen Umstand Rücksicht nehmen; etwaige Bestattungen am Kap Artemision können mangels stichhaltiger Evidenz ausgeklammert werden.33 Bei den Thermopylen wurden Monumente mit Epigrammen für die Gefallenen des Hellenenbundes, für die Spartaner und für den Seher Megistias angelegt; ein geson dertes Grabmal wurde (evtl. erst später) für Leonidas eingerichtet.34 Dass hier (mög licherweise erstmals) ein gemeinsames Kollektivgrab für Gefallene mehrerer griechi scher Städte angelegt wurde, lässt sich durch die Umstände erklären: Die griechischen Bündnispartner hatten zunächst keinen Zugang zu den Leichnamen (die nach dem Sieg der Perser zudem geschändet worden zu sein scheinen),35 sodass die Bestattungen erst für die Zeit nach dem Sieg der Griechen bei Plataiaii anzusetzen und unter ihren spezifischen Voraussetzungen zu erklären sind. Eine gemeinsame Bestattung von Ge fallenen verschiedener Poleis findet sich später vereinzelt in den athenischen Jahresbe stattungen wieder, wird dort allerdings nicht vergleichbar programmatisch im quasipanhellenischen Sinne konzipiert wie bei den Thermopylen, wo das Epigramm die Peloponnesier als Kollektiv für ihren Kampf gegen die Übermacht der Perser rühmt.36 Mit der Berücksichtigung von Nichtathenern wurde in der Phase der athenischen Jah resbestattungen eher die Größe der athenischen Archē repräsentiert; dazu mehr im zweiten und dritten Kapitel. Die athenischen Gefallenenmonumente, die nach den Schlachten von Salamis und Psyttaleia errichtet wurden, lassen sich archäologisch nicht greifen. Hinsichtlich der Kopplung von Tropaion und Grabmonument und in ihrer Errichtung an den Orten der Gefechte könnten sie analog zur Bestattung der gefallenen Marathonomachoi an gelegt worden sein: In einer augusteischen Inschrift klingt möglicherweise an, dass die athenischen Gefallenen von Salamis in einem Polyandrion in der Nähe des grie chischen Tropaions bestattet wurden, das (möglicherweise erst in späteren Zeiten) für den Seesieg errichtet wurde und sich auf der Landzunge Kynosura lokalisieren lässt; als Analogie zur Bestattung der Marathonomachoi wäre die räumliche Nähe zwi 33 34 35 36
Hdt. 8.18 zufolge konnten die Griechen ihre Gefallenen am Kap Artemision bergen; Plut. Them. 8.3 berichtet von einem Ort an der Küste, an dem die Kremation stattgefunden haben soll. Ein regelrechtes Grabdenkmal ist für die Gefallenen von Artemision nicht bezeugt. Hdt. 7.228; Paus. 3.14. Herodot erwähnt das Grabmal des Leonidas nicht. Zum spartanischen Ge fallenengedenken siehe Low 2011; Cassio 2012; Franchi 2020. Hdt. 7.238, 8.24 f. Wenn Xerxes, wie Paus. 9.32.9 schreibt, die griechischen Gefallenen bestatten ließ, so wird dabei wohl an ein einfaches Massengrab zu denken sein. Hdt. 7.228.1: μυριάσιν ποτὲ τῃ˜ δε τριηκοσίαις ἐμάχοντο ἐκ Πελοποννάσου χιλιάδες τέτορες.
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Erstes Kapitel
schen Tropaion und Gefallenenbestattung durchaus plausibel.37 Eine weitere Analo gie ergibt sich dadurch, dass auf Salamis neben den Athenern auch die Korinther ein Grab für die eigenen Gefallenen errichtet haben – vergleichbar dem Grab der Plataier nahe dem der Athener in der Ebene von Marathon.38 Zwar war Salamis anders als die Ebene von Marathon kein förmlicher Bestandteil Attikas, die Insel wurde aber direkt von Athen kontrolliert und als Teil des eigenen Hoheitsgebiets betrachtet: Sowohl in Marathon als auch möglicherweise auf Salamis wurden also unter der Autorität der Athener in Kombination mit entsprechenden Siegesmonumenten polisübergreifende Bestattungskomplexe für Griechen angelegt, die ihr Leben im Kampf gegen die Perser verloren hatten. Die in den Kämpfen auf Psyttaleia Gefallenen wurden möglicherwei se gemeinsam mit den übrigen rund um die Seeschlacht von Salamis gefallenen Athe nern bestattet (soweit sich diese überhaupt bergen ließen). Allerdings ist für Psyttaleia literarisch ein eigenes Tropaion bezeugt, möglicherweise gab es dort auch eine eigene Gefallenenbestattung.39 Für Plataiaii berichtet Herodot, dass von den Spartanern drei Gräber errichtet wur den (eines für die Eirenen, eines für die übrigen Spartaner und eines für die Heloten) sowie jeweils eines von den Tegeaten, den Athenern, den Megarern und den Phleia siern.40 Die athenischen Gefallenen der Schlacht von Plataiaii wurden neben den üb rigen dort Gefallenen am Ort des Geschehens bestattet – physische Spuren des Tro paions von Plataiaii sind nicht bekannt, Platon erwähnt das Denkmal aber in einem Atemzug mit den entsprechenden Monumenten aus Marathon und Salamis.41 Durch den von den Plataiern in Vertretung der betroffenen Poleis durchgeführten Grabkult wurde das neu entstandene Konglomerat griechischer Gefallenendenkmäler beim Schlachtfeld klar als polisübergreifende Einheit konzipiert. Auch wenn die im Zuge der persischen Eroberungsversuche gefallenen Athener bei den Schlachtfeldern und nicht vor den Toren Athens bestattet wurden, so lassen sich für die Zeit nach der endgültigen Abwehr der persischen Invasion doch erstmals an
37 IG II/III2 1035 ll. 33 f.; hierzu grundlegend Culley 1975; siehe Stupperich 1977, 212; Clairmont 1983, 102 f.; zur Erinnerungsgeschichte der Schlacht von Salamis siehe Bélyácz 2021. Die Belege zum Tropaion auf Salamis sind zusammengestellt bei Wallace 1969, 299–302 und Kinnee 2018. 38 Das Grab der Korinther mit Epigramm bezeugen Plut. Hērod. 870 d–e und Dion Chrys. 37.18; ein entsprechender Inschriftenblock mit Teilen des Epigramms auf die Gefallenen wurde im Jahr 1895 nahe Ambelaki entdeckt: IG I3 1143 mit Kommentar bei Petrovic 2007, 145–157. 39 Zu Psyttaleia: Hdt. 8.76; Plut. Arist. 9. Zu weiteren Quellen sowie zur Frage der Identifikation der Insel (die zwischenzeitlich den Namen Leipsokoutala bzw. Leipsokoutali trug): Wallace 1969. Ludwig Ross (Aufzeichnungen zum 21. Juli 1839) hat auf Psyttaleia ein antikes Fundament identi fiziert und mit dem literarisch bezeugten Tropaion in Verbindung gebracht. 40 Hdt. 9.85. Paus. 9.2.5 spricht von separaten Gräbern für die Spartaner und die Athener und einem gemeinsamen Grab für die übrigen Griechen, bietet damit aber wohl kaum eine verlässliche Be schreibung der tatsächlichen Situation in klassischer Zeit. 41 Paus. 9.2.5; Diod. 11.33.1; Strab. 9.4.2; vgl. Hdt. 9.69 f. und 85 sowie Plut. Arist. 19.5–7; das Tropaion erwähnt Plat. Men. 245 a.
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hand bedeutsamer (wenn auch schwer zu deutender) materieller Befunde konkrete Auswirkungen auf die Gefallenenkommemoration im Kerameikos greifen. Vier Frag mente von Basisblöcken, die in den Inscriptiones Graecae unter der Nummer IG I3 503/504 erfasst werden [Abb. 2, 3, 4], lassen eine Entwicklung erkennen, die erstmals einen gemeinsamen, auf die Gefallenen mehrerer entscheidender Gefechte im Ab wehrkampf gegen die Perser bezogenen Erinnerungsraum vor den Toren Athens her vorgebracht hat. Die Veränderungen, die am Grabmonument auf dem Soros der Mara thonomachoi vorgenommen wurden, stehen möglicherweise im Zusammenhang mit diesen Entwicklungen. Die vier genannten Fragmente entstammen einem oder zwei athenischen Denkmä lern der 470er Jahre. Bedingt durch die vielen Unklarheiten des materiellen Befundes bleibt weiterhin jeder Rekonstruktionsversuch auch mit Blick auf ganz elementare Fragen (schon beispielsweise zur Anzahl der Monumente) hypothetisch. Ein Konsens in der Deutung der Evidenz ist damit nach wie vor nicht in Sicht, dennoch stellen ins besondere die eingehenden Analysen von Angelos Matthaiou, Andrej Petrovic, Gior gia Proietti und Marco Tentori Montalto wichtige Fortschritte gegenüber der älteren Forschung dar. Die Forschungsgeschichte kann hier nicht im Einzelnen rekonstruiert werden, für die Grundlagen der im Folgenden angesetzten Deutung verweise ich auf die entsprechenden Hinweise in den Einträgen zu IG I3 503/504 A u. C sowie zum „Peek-Fragment“ (IG I3 503/504 B) unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Da das unter IG I3 503/504 B angeführte Fragment Ag I 6963, wie Giorgia Proietti gezeigt hat, nicht zu dem zwischen den beiden Blöcken A und C zu postulierenden Block B desselben Monuments gehört haben kann,42 bezeichne ich es hier (mit Blick auf die Erstpublikation durch Werner Peek) als Peek-Fragment.43 Block C wurde 1973 bei Rettungsgrabungen in der heutigen Plataionstraße in situ in einer antiken Rückhaltemauer entlang der antiken Kerameikosstraße entdeckt (Nr. 2 in der topografischen Übersicht im Anhang dieser Arbeit).44 Da sich die Denkmäler, sofern die erhaltenen Fragmente mehr als ein Monument reflektieren, aufeinander be zogen zu haben scheinen, läge damit für beide Monumente ein ursprünglicher Aufstel lungsort in einem Bereich des Kerameikos nahe, in dem später auch jene Polyandria der 420er Jahre errichtet wurden, die 1997 nur wenige Meter weiter östlich, im Bereich Salaminosstraße 35, freigelegt werden konnten (Nr. 3 in der topografischen Übersicht; siehe auch die entsprechenden Ausführungen im zweiten Kapitel). Das Denkmal wur de (oder die Denkmäler wurden) also in einem Gebiet errichtet, das sich im Laufe des fünften Jahrhunderts zum topografischen Gravitationszentrum der Gefallenenkom memoration im klassischen Athen entwickeln sollte. 42 43 44
Proietti 2011 hat damit eine schon von Peek 1953, 308 auf Basis philologischer Überlegungen vorge nommene Trennung der Epigramme epigrafisch bestätigt. Peek 1953, 305–312; Proietti 2011. ADelt 29 1973–1974[1979] B’ 1, 91 f. (= Alexandri 1973–1974[1979], 91 f.); Matthaiou 2003, 198 f.
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Wahrscheinlich ist, dass die drei Fragmente von IG I3 503/504 A u. C einerseits sowie das Peek-Fragment andererseits auf zwei (möglicherweise ähnlich gestaltete) Monumente zurückgehen, die in den 470er Jahren in Athen zur Erinnerung an die Abwehr der persischen Invasionsversuche errichtet wurden.45 Mit dieser chronologi schen Einordnung zählen die Fragmente zu den frühesten epigrafischen Zeugnissen zur erinnerungskulturellen Verarbeitung der Perserabwehr von 480/479. Alle vier Fragmente stammen von mit Epigrammen beschriebenen Basisblöcken. Als naheliegender Vergleichspunkt für die Deutung der für ein Stelenmonument cha rakteristischen Einlassungen an der Oberseite der Basisblöcke bietet sich IG I3 1163 fr. d–f an (drei miteinander verbundene, mit Epigrammen beschriebene Basisblöcke eines Gefallenenmonuments, heute im Epigraphischen Museum in Athen [Abb. 13 und 14]). Für IG I3 503/504 A u. C lässt sich damit ein ursprüngliches Inschriftenmo nument rekonstruieren, das aus mindestens drei Stelen auf einer mit Epigrammen beschriebenen Basis bestand, die aus mindestens vier Blöcken zusammengesetzt war und sich über eine Breite von mindestens fünf Metern erstreckt haben muss. Das Arrangement der Epigramme auf den Fragmenten zeigt, dass ursprünglich jeder Block mit zwei aus jeweils zwei Distichen bestehenden Epigrammen beschrieben war. Die Epigramme sind in zwei Ebenen übereinander angeordnet, wobei die Epigramme des unteren Bandes offenbar in einer zweiten Bearbeitungsphase nachgetragen wur den (hierzu wurde die Gestaltung der erforderlichen Fläche nochmals geändert; die Paläografie deutet darauf hin, dass die Nachträge nicht allzu lange nach der ursprüng lichen Gestaltung des Monuments vorgenommen wurden). Auf den Blöcken A und C lassen sich sechs Distichen jeweils zumindest teilweise rekonstruieren, ursprünglich scheinen die vier Blöcke, aus denen die Basis des Monuments mindestens bestand, acht Epigramme beziehungsweise 16 Distichen verzeichnet zu haben. Ein Bezug des Monuments auf ein Ereignis oder auf mehrere Ereignisse aus den Perserkriegen ist durch die Wendung βίαι Περσõν (lap. A II v. 2) gesichert. Auch die Analyse der Wendung πανθαλε̄΄ς ὄλβος durch Giorgia Proietti (2020 c) unterstützt die Deutung als Denkmal zu Ehren von Gefallenen. In der Deutung der Epigramme folge ich Marco Tentori Montalto, der die auf den Blöcken A und C rekonstruierbaren Verse nicht auf mehrere Konflikte bezieht, sondern von einer Bezugnahme speziell auf die Abwehr der Perser rund um die Schlacht von Marathon ausgeht.46 Zugleich erscheint mir für das Peek-Fragment ein Bezug zu Salamis/Psyttaleia wahrscheinlich: Die erhal 45
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Bereits Peek 1953, 308 ging von zwei aufeinander bezogenen Monumenten aus („Wir haben also ein Denkmal für die Schlachten von Salamis und Plataiaii gewonnen, das offensichtlich in Anleh nung an das für die Schlacht von Marathon und als Gegenstück zu diesem geschaffen worden ist“; für das Peek-Fragment wird unten in diesem Kapitel bei Anm. 46 f. eine andere Deutung vorge schlagen). Für Details und Literaturhinweise siehe auch den Eintrag zum Peek-Fragment (IG I3 503/504 B) unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Tentori Montalto 2013 b; ibid. 2017, 105–108. Die Konjektur ἔσχον γὰρ πεζοί τε [καὶ o�̄ κυπόρō ν ἐπὶ νεõ]ν, die noch von Proietti 2021, 148 zur Rekonstruktion des Epigramms (Lapis A I v. 2) angesetzt
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tenen Teile des ersten Distichons deuten mit der Wendung - - - πε]ζοί τε καὶ ḥ [ιππε�ς - - - auf eine Landschlacht unter Einsatz von Infanterie und Kavallerie hin, während das zweite Distichons mit - - -]ο νε̄΄σō ι [- - - auf eine Insel verweist.47 Mögliche Hinweise auf die Funktion des Denkmals (oder der Denkmäler) erge ben sich aus zwei hellenistischen Inschriften, in denen im Zusammenhang mit dem Grab der Marathonomachoi auf ein städtisches „Polyandreion“ verwiesen wird.48 Dass sich diese Angabe auf das in Form der Fragmente von IG I3 503/504 A u. C greifbare Monument bezieht (und sich damit als ein im Kerameikos errichtetes Kenotaph für die Marathonomachoi deuten lässt), ist denkbar, muss aber letztlich offenbleiben. An gesichts der in den Epigrammen enthaltenen deiktischen Pronomina (ἀνδρõν τõνδ’ und ε᾽�ν ἄρα τοι˜σζ’) ist immerhin die Annahme plausibel, dass es sich bei IG I3 503/504 A u. C um ein Monument mit Listen gefallener Kämpfer gehandelt hat. Ausgehend von einem möglichen Bezug des Monuments zum Gefallenengrabmonument der Ma rathonomachoi in der Ebene von Marathon könnten auf den ursprünglich in die Basis von IG I3 503/504 A u. C eingelassenen Stelen die Namen der in der Schlacht von Ma rathon gefallenen Athener verzeichnet gewesen sein.49 Diese Deutung würde folglich ein nach 480/479 im Kerameikos errichtetes Konotaph für die Marathonomachoi rekonstruieren. Analog reflektiert das mit dem Peek-Fragment greifbare Monument
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wird, geht auf die inzwischen hinfällige Identifikation mit Ag I 4256 zurück und ist daher nicht zwingend. Proietti 2021, 153 und 158–166 hat sich (zwar mit Blick auf IG I3 503/504 A u. C, aber das Argument lässt sich auf das Peek-Fragment übertragen) dafür ausgesprochen, für die 470er Jahre in Athen die Erinnerung an eine amphibische Schlacht auf Salamis und Psyttaleia und nicht auf Salamis und Plataiai zu beziehen. Ihr Vorschlag, das Peek-Fragment von Lapides A u. C zu trennen, schließt diese Deutung für das Peek-Fragment nicht aus (auch wenn Proietti diese Möglichkeit für das Peek-Fragment nicht weiter verfolgt); für Details und Literaturhinweise siehe auch die entspre chenden Einträge unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. IG II/III/III2 1006 (ein Ehrendekret für Epheben und deren Kosmeten aus dem Jahr 122/121 v. Chr., gefunden bei der Kirche Panagia Pyrgiotissa in der Agora), l. 22: … ἐποιήσαντο δὲ καὶ τοι˜ς Ἐπιταφίοις δρό[μο]ν ἐν ὅπλοις τόν τε ἀπο του˜ πολυανδρείου … In der Regel wird das πολυανδρει˜ον als Kenotaph für die bei Marathon Gefallenen gedeutet (dass damit der „Staatsfriedhof “ insge samt gemeint sei, findet Pritchett 1985, Bd. 4, 108). Auf dasselbe πολυανδρει˜ον könnte auch ein Ehrendekret für die Epheben des Jahres 176/175 v. Chr. mit der Wendung [πρὸ του˜ ] πρὸς τω˜ ι ἄστει πολυανδρεíου verweisen (Ag I 7529; Matthaiou 2003, 197; vgl. SEG 51.44). Der ephebische Heroenkult für die Marathonomachoi war wohl eine hellenistische Invention (so Whitley 1994, 213–230; Jung 2006, 64 f.); es spricht aber wenig dagegen, die Errichtung des erwähnten städti schen πολυανδρει˜ον bereits in den Jahren nach der erfolgreichen Abwehr der persischen Invasi onsversuche zu verorten. Dass das πολυανδρει˜ον mit einem Kenotaph identifiziert werden kann und sich dieses mit den Fragmenten von IG I3 503/504 A u. C in Verbindung bringen lässt, nimmt ein Großteil der Forschung an, gesichert ist dies aber nach wie vor nicht. Ein analoger Bezug zwi schen den Gräbern und einem Denkmal im Kerameikos könnte für die Gefallenen von Salamis/ Psyttaleia bestanden haben. Aristot. Rhēt. 3.10 (1411 a) bezieht sich auf einen τάφος τω˜ ν ἐν Σαλαμι˜νι τελευτησάντων (allerdings bezieht sich die Stelle klar auf Lys. 2.60, während der lysianische Epitaphios kein Grab oder Kenotaph der bei Salamis Gefallenen im Kerameikos verortet). Tentori Montalto 2013 a, 48 f.
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(sofern das Fragment einem gesonderten Monument entstammt) möglicherweise ein Kenotaph für die bei Salamis/Psyttaleia Gefallenen. Über die späteren epigrafischen Hinweise auf ein städtisches „Polyandreion“ lässt sich, sofern der Bezug zu IG I3 503/504 A u. C tatsächlich besteht, auch schemenhaft ein ritueller Kontext gewinnen: Demnach waren auf das städtische Polyandreion Waf fenläufe bezogen, die anlässlich der Epitaphia in der Nähe der Gefallenengräber in der Ebene von Marathon durchgeführt wurden. Auch wenn diese Riten ihren eigenen hel lenistischen Kontext aufweisen, so liegt es auf Basis dieser Evidenz doch nahe, auch für die klassische Zeit schon wie auch immer geartete Praktiken anzunehmen, mit denen eine ideelle (oder auch eine konkrete) Verbindung zwischen dem Kerameikos und dem Grab der Marathonomachoi hergestellt wurde.50 Wann und in welcher Form ent sprechende Vollzüge in Athen eingeführt wurden, lässt sich allerdings nicht sicher sa gen. Im Umfeld der Perserabwehr von 480/479 lassen sich aber immerhin für Korinth und Plataiaii Entwicklungen erkennen, in deren Kontext sich vergleichbare Praktiken der rituellen Bezugnahme zwischen der Stadt und den Gefallenengräbern entwickelt haben könnten: In Korinth wurde – ergänzend zu dem bereits erwähnten korinthi schen Gefallenengrab auf Salamis – ein Kenotaph eingerichtet, für das Plutarch und Aristides ein Epigramm überliefern, das mit der Wendung ὀστέα δ’ ἄμμιν ἔχει Σαλαμίς· πατρὶς δὲ Κόρινθος | ἀντ’ εὐεργεσίης μνη˜ μ’ ἐπέθηκε τόδε („Unsere Gebeine hält Salamis; die Heimat aber, Korinth, | hat zu Ehren unserer Verdienste dieses Denkmal gesetzt“) den direkten Bezug zum eigentlichen Grabmal herstellt: Konzeptionell haben wir es hier also mit einer möglichen Analogie zu den Befunden aus Athen zu tun.51 Für Pla taiaii sind Praktiken bezeugt, mit denen eine rituelle Verbindung zwischen der Stadt und den am Ort der Schlacht von Plataiaii errichteten Gefallenengräbern hergestellt wurde: Wie Plutarch berichtet, haben die Plataier die Aufgabe übernommen, regelmä ßig in offizieller Vertretung der betroffenen Städte die beim Ort der Schlacht einge richteten griechischen Gefallenengräber zu ehren; hierzu zogen sie in einer festlichen Prozession von ihrer Stadt aus zum Ort der Gräber und führten dort den Grabkult durch.52
50 Die Identifizierung des πολυανδρει˜ον aus IG II/III/III2 1006 mit dem Denkmal IG I3 503/504 A u. C würde damit auch die auf philologischer Analyse der Epigramme basierende Deutung von Tentori Montalto 2013 b stützen, es habe sich um ein Monument mit Bezug speziell zur Schlacht von Marathon gehandelt. 51 Die ersten zwei Strophen des Epigramms werden von Plut. Hērod. 870 e–f zitiert (τὸ δ’ ἐν Ἰσθμῳ˜ κενοτάφιον ἐπιγραφὴν ἔχει ταύτην· ἀκμα˜ ς ἑστακυι˜αν ἐπὶ ξυρου˜ Ἑλλάδα πα˜ σαν | ται˜ς αὐτω˜ ν ψυχαι˜ς κείμεθα ῥυσάμενοι), vier weitere Strophen, die seit Boeghold 1965 als authentisch gelten dür fen, überliefert Aristides (49.66 ed. Dindorf p. 512 [δουλοσύνας· Πέρσαις δὲ περὶ φρεσὶ πήματα πάντα | ἥψαμεν, ἀργαλέης μνήματα ναυμαχίας. | ὀστέα δ’ ἄμμιν ἔχει Σαλαμίς· πατρὶς δὲ Κόρινθος | ἀντ’ εὐεργεσίης μνη˜ μ’ ἐπέθηκε τόδε]). 52 Plut. Arist. 21.2–5.
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In das Umfeld der skizzierten Entwicklungen, die sich anhand der Fragmente von IG I3 503/504 A u. C und des Peek-Fragments schemenhaft greifen lassen, fügen sich Hinweise auf eine Überarbeitung des Gefallenenmonuments in der Ebene von Marathon ein. Das vierzeilige Epigramm, das auf der erhaltenen Stele zwischen der Phylenrubrik und der Gefallenenliste steht, wurde – dies wurde oben bereits thema tisiert – wahrscheinlich erst nach 480/479 nachgetragen; entsprechende Nachträge neun weiterer Epigramme können für die Stelen der übrigen Phylen postuliert wer den. Da sich das Grabgedicht nicht auf die Gesamtheit der gefallenen Bürger bezieht, sondern speziell auf die Phyle Erechtheis, ist eine analoge Konzeption auch für die übrigen, nicht erhaltenen Epigramme anzunehmen. Die Grabgedichte werden da mit wahrscheinlich auch von den Phylen in Auftrag gegeben worden sein und konn ten – neben der Wirkung auf dem Monument – möglicherweise auch bei passenden Gedenkanlässen deklamiert werden. Das erhaltene Epigramm für die Gefallenen der Phyle Erechtheis preist den weithin ausstrahlenden Ruhm der Aretē der gefallenen Phylenmitglieder, die sich der Überzahl der Feinde entgegengestellt haben, um Athen zum Sieg zu führen:53 Φε̄ μí∙ καὶ hόσστις ναίε̄ ι hυφ’ Ἄō ς hέσσχατα γαίε̄ ς, | τõνδ’ ἀνδρõν ἀρετε̄`ν πεύσεται, hō ς ἔθανον | β̣αρνάμενοι Με̄´δοισι καὶ ἐσστεφάνō σαν Ἀθε̄´νας, | παυρότεροι πολλõν δεχσάμενοι πόλεμον. Ich sage: Auch wer unter der Aurora die entferntesten Regionen des Erdkreises bewohnt, wird von der Tapferkeit dieser Männer erfahren; wie sie kämpfend gegen die Meder ge fallen sind und Athen bekränzt haben, als sie in kleiner Zahl gegen viele sich dem Angriff stellten.
Die Aretē der Gefallenen wird hier erstmals als Konzept der isonomen Gefallenenbe stattung greifbar.54 Wie schon 2011 Walter Ameling vermerkte, tauchen dagegen die spä ter so bedeutsamen Themen Freiheit/Knechtschaft und die Vorkämpferschaft Athens für ganz Hellas noch nicht auf: „Hier scheint die Schlacht auf die Polis beschränkt – auch wenn der Ruhm der Sieger weithin zu finden sein und strahlen sollte“.55
53
54 55
Text nach Tentori Montalto 2017, 92. Seit der Entdeckung des Textes wurden zahlreiche Rekon struktionsvorschläge gemacht (vgl. Pitt 2015, 51: „New readings, emendations and translations of the epigram have become an industry in printed form as well as in the blogosphere“). Den von Tentori Montalto rekonstruierten Text (der gewisse Abweichungen gegenüber den Lesarten bei Spyropoulos 2009, Steinhauer 2004/2009, Ameling 2011, Janko 2014 und anderen aufweist) konn te ich an der Forschungsstelle der Inscriptiones Graecae in Berlin anhand des von Tentori Montal to 07/2013 angefertigten Abklatsches sowie am Stein selbst verifizieren. Spätere Vergleichspunkte: IG I3 503/504, 1162, 1167, 1173, 1179 sowie Anth. Pal. 7.258(?) und 7.253(?). Ameling 2011, 16. Zur Bedeutung des Freiheitskonzepts: Raaflaub 1985.
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Erstes Kapitel
Nur scheinbar selbstverständlich ist, wie hier die Tapferkeit der Gefallenen in eine direkte Beziehung gesetzt wird zum Sieg für Athen (ἐσστεφάνō αν Ἀθε̄´νας), den die in der Liste genannten Phylenmitglieder durch ihren aufopferungsvollen Einsatz errun gen haben: Das einzige ältere athenische Gefallenenmonument, das sich epigrafisch greifen und für einen Vergleich hinreichend umfassend rekonstruieren lässt (nämlich der bereits diskutierte Inschriftenpfeiler von Lemnos), stellt diese Verbindung nicht her: Damals scheint, wie oben herausgearbeitet, die Erinnerung an die beim Schlacht feld bestatteten Gefallenen noch nicht auf die im Siedlungszentrum situierte Erinne rung an den Erfolg bezogen gewesen zu sein. Für ein Gefallenenmonument ist die Verbindung von Tapferkeit und Sieghaftigkeit auch konzeptionell alles andere als selbsterklärend. Im Monument für die bei Mara thon Gefallenen konnte die Verbindung zwischen diesen beiden Polen auch nur des halb so problemlos gelingen, weil die Athener in diesem Konflikt tatsächlich einen Sieg errungen hatten. Diese Voraussetzung ist keineswegs trivial. Die Gefallenenkom memoration an das Konzept der Sieghaftigkeit zu koppeln, geht mit erheblichen erin nerungskulturellen Folgekosten einher. Insbesondere wird damit die Würdigung von Kriegern deutlich erschwert, die zwar tapfer gekämpft, ihr Leben aber bei einer Nie derlage verloren haben. Diese potenzielle Reibung zwischen der Würdigung der Tap ferkeit der Gefallenen einerseits und der Erinnerung an den Erfolg oder Misserfolg ei nes militärischen Engagements andererseits scheint dann später, wie sich noch zeigen wird, eine Rolle bei der Entstehung der athenischen Jahresbestattungen gespielt zu ha ben: Der direkte Konnex zwischen Gefallenenbestattung und militärischem Erfolg – der so deutlich die Gefallenenbestattungen im Umfeld der Perserkriege prägt – wurde dort weitgehend aufgegeben, die Tapferkeit also von der Sieghaftigkeit entkoppelt. An die Stelle der Sieghaftigkeit konnten dann in den athenischen Jahresbestattungen Konzepte wie Schicksal und früher Tod, Schutz der Heimat und der Freiheit sowie die Dankbarkeit der Stadt treten: Die entsprechenden Monumente begegnen uns in der Regel nicht mehr als Denkmäler militärischen Erfolgs, sondern als monumentale Inventare der menschlichen Opfer, die Athen für den Bestand der Polis jährlich zu erbringen hatte.56 Auch wenn sich für Athen nicht mehr rekonstruieren lässt, welche rituellen Vollzü ge in klassischer Zeit die im Kerameikos situierten Kenotaphe (sofern sich über IG I3 503/504 A u. C und das Peek-Fragment tatsächlich zwei Monumente dieser Art rekon struieren lassen) mit den eigentlichen Gräbern der Marathonomachoi in Beziehung gesetzt haben (und ob vergleichbare kultische Bezüge auch im Falle der athenischen Gräber von Salamis/Psyttaleia bestanden), so zeigen die genannten Befunde doch, 56
Für die Zeit bis Ende des Peloponnesischen Krieges lassen sich mit Bezug zur athenischen Gefal lenenbestattung nur zwei Epigramme (eines epigrafisch, eines literarisch bezeugt) identifizieren, in denen der Aspekt der Sieghaftigkeit reflektiert wird; siehe hierzu die entsprechenden Ausfüh rungen im dritten Kapitel.
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dass die erfolgreiche Abwehr der Perser 480/479 die Form des athenischen Gefalle nengedenkens wie auch die Memorialtopografie Athens beeinflusst haben, dass sich bereits zuvor angelegte Entwicklungstendenzen der Gefallenenkommemoration bün deln konnten und dass mit der Zusammenführung des Gedenkens an Marathon und Salamis/Psyttaleia auch die weitere Entwicklung der athenischen Gefallenenbestat tung vorgeprägt worden sein könnte: Denn ein entscheidendes Charakteristikum der späteren Jahresbestattungen war die in Athen verortete gemeinsame Würdigung von Opfern unterschiedlicher Kriegsschauplätze, und dieses Prinzip scheint in den 470er Jahren eine gewisse Präfiguration erfahren zu haben – und zwar unabhängig davon, ob das Peek-Fragment (mit einem wahrscheinlichen Bezug zu Salamis/Psyttaleia) ein gesondertes (wenn auch analog gestaltetes) Denkmal bezeugt oder demselben Mo nument entstammt wie die drei Fragmente der Blöcke A und C (mit ihrem Bezug zur Schlacht von Marathon): Entscheidend ist, dass zwei militärische Zusammenstöße, die sich zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten ereignet haben, in aufeinander bezogener Weise gemeinsam erinnert wurden. Ob der Kerngedanke einer erinnerungskulturellen Engführung des kollektiven Ge denkens an Gefallene unterschiedlicher Kriegsschauplätze in Athen oder andernorts entwickelt wurde, lässt sich nicht sicher sagen. Vielleicht wurde das Konzept in Mega ra entwickelt: Pausanias jedenfalls berichtet von einem Grab für diejenigen Megarer, die im Kampf gegen die Perser gefallen sind.57 Kontext und Wortlaut legen nahe, dass es sich hier um ein Kenotaph gehandelt haben könnte, mit dem die Gefallenen unab hängig vom jeweiligen Ort ihres Todes und ihrer Grablege gewürdigt wurden.58 Wenn die Deutung zutrifft und das Monument zeitnah nach der erfolgreichen Abwehr des persischen Eroberungsversuchs errichtet wurde, hätten wir es hier möglicherweise mit dem frühesten griechischen Monument für Gefallene von verschiedenen Schauplät zen zu tun. Für Athen legt der materielle Befund nahe, dass die Entwicklungsimpulse, die sich insbesondere mit der Perserabwehr von 480/479 ergaben, nun zu einer Bedeutungs zunahme des Kerameikos-Gebietes als privilegiertem Ort des athenischen Gefal lenengedenkens in den 470 er und 460er Jahren führten. Einzelne (allerdings kaum präzise kontextualisierbare) Fragmente von Monumenten mit Namenslisten, für die ein ursprünglicher Aufstellungsort im Kerameikos wahrscheinlich ist, sind aus diesem Zeitraum ebenso erhalten wie Preisvasen, die auf eine zunehmende Bedeutung von Wettkämpfen zu Ehren der Gefallenen hindeuten. Zwei Lebetes aus Bronze mit der gleichlautenden Inschrift Ἀθεναι˜οι· α῏ θλα ἐπὶ τοι˜ς ἐν τõι πολέμō ι – „die Athener (gaben 57 58
Paus. 1.43.3: εἰσὶ δὲ τάφοι Μεγαρευ˜ σιν ἐν τη˜ ι πόλει· καὶ τὸν μὲν τοι˜ς ἀποθανου˜ σιν ἐποίησαν κατὰ τὴν ἐπιστρατείαν του˜ Μήδου … Hdt. 9.85.2 bezeugt, dass die bei Plataiaii gefallenen Megarer am Ort des Geschehens bestattet wurden. Bereits Wade-Gery 1933, 95–97 hat daher wohl zu Recht vermutet, dass Pausanias ein Kenotaph beschreibt, kein eigentliches Grabmal.
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Erstes Kapitel
dies) als Kampfpreis für die im Krieg (Gefallenen)“ – sind bekannt, die sich ungefähr in die 470er Jahre datieren lassen und für diese Zeit von der Existenz des Epitaphios Agō n zeugen, der uns dann später auch in literarischen Quellen begegnet.59 Erst ab Mitte der 460er Jahre ist die Evidenz allerdings belastbar genug, um nun von einer exklusiven Konzentration der athenischen Gefallenenbestattungen auf das Gebiet des Kerameikos ausgehen zu können: Möglicherweise hat erst die Rückführung der am Eurymedon Gefallenen den entscheidenden Impuls gegeben, fortan die kremierten Gebeine der Gefallenen konsequent für ihre Beisetzung nach Athen zurückzuholen. Die entsprechenden Indizien werden im nächsten Kapitel diskutiert. *** Vor dem Hintergrund der frühklassischen isonomen Gefallenenbestattungen entstan den im Zuge der Perserkriege auf von Athen kontrolliertem Territorium zwei Bestat tungskomplexe für Kriegsgefallene, denen in ihrer Gesamtwirkung ein polisübergrei fender Charakter zugeschrieben werden kann: In Marathon mit der räumlichen Nähe der Gräber der Athener, der Plataier und der athenischen Sklaven – und auf Salamis mit dem Nebeneinander der Gräber der Athener und der Korinther.60 Vor den Toren Athens lässt sich mit den Fragmenten von IG I3 503/504 A u. C und dem Peek-Frag ment die Monumentalisierung einer auf die Gefallenen bezogenen Erinnerung an die Schlachten von Marathon und Salamis/Psyttaleia und damit der Nukleus eines gemeinsamen Gedenkens an die Opfer unterschiedlicher Konflikte sowie eine signi fikante Bedeutungszunahme des Kerameikos für das athenische Gefallenengedenken greifen. Mit der Perserabwehr von 480/479 haben sich dabei ganz neue Möglichkeiten er geben, die Bestattung griechischer Gefallener zu einem Feld der polisübergreifenden politischen Kommunikation auszubauen: Im Umfeld der Perserkriege wurden erst mals griechische Symmachien und deren Gemeinschaftsleistungen im Feld der Ge fallenenbestattung sichtbar, wodurch die Bestattungen in gewisser Weise eine panhel lenische Dimension erlangen konnten. Gerade dadurch, dass die Monumente nicht nur gemeinsam, sondern in nächster Nähe zueinander auch jeweils einzeln wirkten, wurden Gemeinsamkeiten wie Differenzen deutlich: Isonome Bestattungen bildeten einen Gegenpol zu sozial differenzierenden Grabmonumenten, die Epigramme konn 59
60
Preisvasen: IG I3 523–525; dazu de Ridder 1913/1915 II, Nr. 2590; Vanderpool 1969; Amandry 1971, 605–625; Vanderpool 1969, 1–3; relevante literarische Quellen: Plat. Men. 249 b3–6; Lys. 2.80 f.; Ath. Pol. 58.1; Dem. 60.13; Diod. 11.33.3; zum Epitaphios Agō n vgl. auch Rausch 1999 a, 243–245. IG I3 1142 geht möglicherweise auf ein zwischen 490 und 470 im Kerameikos errichtetes Gefalle nengrabmonument zurück. Ab den 470er Jahren lässt sich auch in der Vasenmalerei eine Zunahme an Darstellungen athenischer Gräber beobachten: Breder 2013, 23–31. Salamis gehörte zwar nicht zu Attika, wurde im fünften Jahrhundert aber von Athen direkt kont rolliert.
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ten die jeweils besonderen Verdienste und Werte einer einzelnen Polis zum Ausdruck bringen. Die entstehenden Strukturen monumentaler Gefallenenkommemoration verdeutlichten also die politischen Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den beteiligten Städten. Die Gräber wurden dabei zu wichtigen Knotenpunkten in der polisübergreifenden Repräsentation von Sieghaftigkeit.61 Zugleich wurden die Grä ber symbolisch eng an die betroffenen Poleis gebunden: Einzelne Städte (greifbar für Athen, Korinth und Megara) haben zusätzlich zu den entfernt liegenden Gräbern Ke notaphe im jeweiligen Siedlungszentrum anlegen lassen, auch wurden nun verstärkt rituelle Bezüge zwischen der Stadt und den Gefallenengräbern hergestellt (greifbar für Athen, Korinth, Megara und Plataiaii). Ein Weiteres geht aus der bisherigen Analyse hervor: Was Thukydides als Patrios Nomos im Sinne einer Jahresbestattung der athenischen Gefallenen beschreibt, lässt sich für den bisher untersuchten Zeitraum nicht greifen. Einzelne Elemente, die auch die spätere athenische Bestattungspraxis noch geprägt haben, mögen sich bereits im Umfeld der kleisthenischen Reformen, der Perserkriege und der griechischen Bünd nisbildung entwickelt haben, doch die Jahresbestattung konnte sich, wie noch zu zei gen ist (zweites Kapitel), nur in dezidierter Abgrenzung von entscheidenden Elemen ten dessen ausbilden, was sich zuvor über mehrere Jahrzehnte hinweg an Praktiken der athenischen Gefallenenbestattung entwickelt und etabliert hatte. Wie das nächste Kapitel zeigt, deutet vor diesem Hintergrund alles darauf hin, dass wir erst in IG I3 1144 [Abb. 5 und 6] aus dem Jahr 464(?) die erste athenische Bestattung greifen können, in der Gefallene unterschiedlicher Einsatzorte gemeinsam beigesetzt wurden, und dass erst IG I3 1147 [Abb. 7] von 459/458 (oder 460/459) das früheste erhaltene Grabmonument für gefallene Athener darstellt, die im Zuge einer Jahresbestattung, wie sie Thukydides beschreibt, bestattet wurden. Erst zwei Jahr zehnte nach der erfolgreichen Abwehr des persischen Invasionsversuchs wurde damit in Athen erstmals eine Jahresbestattung gemäß dem von Thukydides beschriebenen Reglement durchgeführt – und die Entwicklung dorthin verlief keineswegs geradlinig: Die Ausbildung dieser außergewöhnlichen Praxis vollzog sich – wie das nächste Kapi tel zeigt – geradezu in markanter Abkehr von den Prämissen jener Bestattungsprakti ken, die sich im Zuge der Perserkriege entwickelt hatten.
61
Wie umfassend die militärischen Erfolge in der erinnerungskulturellen Praxis der griechischen Poliswelt verwertet wurden, muss hier nicht im Einzelnen rekapituliert werden.
Zweites Kapitel Patrios Nomos Die Inventarisierung des Todes Thukydides beschreibt die athenische Gefallenenbestattung im Gebiet des Keramei kos als jahrweise durchgeführte öffentliche Kollektivbestattung der rückgeführten Gebeine sämtlicher Gefallener einer ganzen Kriegssaison.1 Das erste Kapitel zeigt, dass die athenische Gefallenenbestattung bis Mitte der 460er Jahre faktisch einen ganz anderen Charakter aufwies. Zwar wurden ab dem ausgehenden sechsten Jahrhun dert isonome Gemeinschaftsbestattungen athenischer Gefallener durchgeführt, bis in die Zeit nach der Perserabwehr von 480/479 hinein lässt sich die von Thukydides beschriebene Form der Bestattung indes nicht greifen: Wie die Gefallenen anderer Städte, so wurden auch die gefallenen Athener in der Regel zeitnah nach dem Ende der jeweiligen Kampfhandlungen in der Nähe der Schlachtfelder beigesetzt. Auch für die Folgezeit ändern die Belege für die Durchführung einzelner Gefallenenbestattungen im Kerameikos erst einmal nichts an der grundsätzlichen Feststellung, dass IG I3 1144 aus dem Jahr 464(?) – mit der erstmaligen Nennung unterschiedlicher Einsatzorte auf einem athenischen Gefallenengrabmonument – das früheste Zeugnis darstellt, das aufgrund seiner formalen Eigenschaften überhaupt als potenzielle Jahresbestattung infrage kommt. Ich möchte im vorliegenden Kapitel die Annahme begründen, dass dieses Monument noch immer keine regelrechte Jahresbestattung reflektiert: Erst in IG I3 1147 aus dem Jahr 459/458 (oder 460/459), so wird sich zeigen, lässt sich im ma teriellen Befund ein Grabmonument für gefallene Athener greifen, die im Zuge einer Jahresbestattung, wie sie Thukydides beschreibt, beigesetzt wurden. Es wird leicht unterschätzt, wie radikal und erklärungsbedürftig die Neuerungen sind, die der Übergang zu einer gemeinsamen Beisetzung von Gefallenen unterschied licher Operationsgebiete und insbesondere die Einführung einer jahrweise durchge führten Kollektivbestattung der Gefallenen einer ganzen Kriegssaison darstellen. Die Ausbildung dieser Praktiken, mit denen sich die gesellschaftliche Bedeutung der
1
Thuk. 2.34.
Patrios Nomos. Die Inventarisierung des Todes
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athenischen Gefallenenbestattung tiefgreifend verändern sollte, hat sich bei weitem nicht so linear vollzogen, wie oft angenommen wird. Es lohnt sich also, die Monumen te IG I3 1144 und IG I3 1147 mit ihren jeweiligen historischen Kontexten näher in den Blick zu nehmen. Ein genaueres Verständnis davon, welche Faktoren die Entwicklung von Kollektivbestattungen über unterschiedliche Einsatzorte hinweg sowie speziell die Genese der Jahresbestattung befördert haben, bietet die Grundlage dafür, dass sich anschließend auch die Bedeutung erfassen lässt, die der im Jahresrhythmus vollzoge nen athenischen Gefallenenbestattung im weiteren Verlauf des fünften Jahrhunderts zukommen sollte. Angesichts der erheblichen Datierungsproblematik, mit der speziell die Kimonische Ära belastet ist, sind die hierbei angesetzten Eckdaten unter einem entsprechenden Vorbehalt zu verstehen – insbesondere mit Blick auf die Schlacht am Eurymedon, die ich Matteo Zaccarini folgend ins Jahr 465 datiere, sowie mit Blick auf den Zeitpunkt der Niederlage bei Drabeskos, für die hier (gegen Ernst Badian) die Frühdatierung in den Zeitraum 465/464–463/462 angenommen wird.2 Die Enteignung der Strategen Die fünf (evtl. sechs oder sieben) Fragmente, die sich IG I3 1144 [Abb. 5 und 6] (evtl. mit IG I3 1145 und IG I3 1146) zuordnen lassen, stellen die frühesten materiellen Zeug nisse dar, die eine gemeinsame Kollektivbestattung athenischer Gefallener von unter schiedlichen Einsatzorten belegen.3 Keines der erhaltenen Fragmente des Monuments wurde in situ gefunden, die Fundorte von IG I3 1144 fr. a (Tripodenstraße) und fr. e (Agora) sowie IG I3 1145 (Agora) sind indes so charakteristisch für die Zweitverwen dung von Fragmenten der athenischen Grabmonumente aus dem Gebiet der öffentli
2
3
Wo im Folgenden zu Daten der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts nicht ausdrücklich ande re Literatur angegeben ist, orientiere ich mich am Stand der Diskussion, angefangen bei Badian 1988 = Badian 1993, 73–107 (ausgenommen allerdings die dort vertretene Umdatierung der Nie derlage bei Drabeskos) über die Analysen von Parker 1993; Kahn 2008; Rhodes 2009 bis zu den jüngeren Beiträgen von Zaccarini 2017 und Meyer 2020. Grundsätzlich zur Problematik der bei Diodor überlieferten Daten: Rhodes 2009, 355 f. Für Details und Literaturhinweise siehe auch die Einträge zu IG I3 1144 und 1147 unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. IG I3 1144 (fr. a–e). Eventuell gehören auch IG I3 1145 (siehe Agora 17, 6) und IG I3 1146 (so Me ritt 1956, 375–377) zu diesem Denkmal; Buchstabenform und -größe sowie Zeilenabstand würden jedenfalls zu IG I3 1144 passen. Die Zusammengehörigkeit wird im Folgenden angenommen, ist für die historische Interpretation des Monuments aber nicht ausschlaggebend. Für Details und Literaturhinweise siehe auch den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafische Haupt quellen“ im Anhang dieser Arbeit. Zur Frage nach dem Verhältnis zwischen IG I3 1144 und dem bei Paus. 1.29.4 erwähnten Grab der Gefallenen von Drabeskos siehe auch unten in diesem Kapitel die Hinweise in Anm. 35.
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Zweites Kapitel
chen Gefallenengräber, dass ein ursprünglicher Aufstellungsort im Kerameikos ange nommen werden kann.4 Das größte erhaltene Fragment des Monuments (im Epigraphischen Museum in Athen) weist eine Höhe von 0,73 m, eine Breite von 0,26 m und eine Tiefe von 0,09 m auf (fr. a = EM 10232 [Abb. 5]). Die Höhe der beschrifteten Schauseiten entspricht in etwa der Höhe von SEG 56.430 – das Monument der Marathonomachoi mit einer Höhe der (allerdings an der Unterseite abgearbeiteten) Stele von 0,68 m, wobei im Fall von IG I3 1144 den Namenslisten kein Epigramm, sondern die jeweilige Phylenrubrik vorausging: Stela B verzeichnet als Rubriktitel den Phylennamen Oineis (Οἰ[νε̄ ]ΐς), der sich auf der Frontseite des Steins über zwei darunterliegende Kolumnen hinweg erstreckt. Die beiden entsprechenden Fragmente des Monuments (fr. b und d) sind zwar verschollen, von fr. d bewahrt die Forschungsstelle der Inscriptiones Graecae an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften aber einen Abklatsch, der einen Teil der Überschrift erkennen lässt [Abb. 6]. Die erhaltenen Fragmente ent stammen mindestens drei verschiedenen Stelen mit Gefallenenlisten. Das Monument umfasste ursprünglich wohl insgesamt zehn aufeinander bezogene, aber klar als eigen ständige Segmente des Monuments erkennbare Stelen mit Listen der Gefallenen einer jeden Phyle. Die einzelnen Inschriftenblöcke waren (soweit sich dies anhand der er haltenen Fragmente erkennen lässt) jeweils auf der Vorderseite in zwei Kolumnen und auf der rechten Seitenfläche in einer Kolumne beschrieben – das architektonische Ge samtkonzept unterschied sich also offenbar vom Monument der Marathonomachoi, das auf nur eine Schauseite hin ausgerichtet war. Eine Wendung wie hοίδε ἐν τõι πολέμō ι ἀπέθανον – „diese sind im Krieg gefallen“, wie später beispielsweise bei IG I3 1147 (siehe unten) – hat sich auf den bekannten Fragmenten nicht erhalten. Auch Epigramme, die durchaus etwa auf einer zugehöri gen Basis verzeichnet gewesen sein könnten, sind nicht bezeugt (auch keines der in schriftlich oder literarisch erhaltenen Epigramme lässt sich sicher diesem spezifischen Denkmal zuordnen). Die Liste der Gefallenen weist (wie bei den früheren isonomen Gefallenenmonumenten) keine Patronymika, keine Demotika und keine Funktions bezeichnungen der genannten Personen auf, lediglich die Rufnamen der Gefallenen werden angeführt. Neben athenischen Bürgern wurden auch Verbündete verzeichnet, die erkennbar abgestuft im Anschluss an die Bürger angeführt sind: Auf Stela A werden Madytier (fr. a, col. II, l. 34: [Μαδ]ύτιοι) genannt, auf Stela B Byzantier (fr. c, col. II, l. 118: [Βυζά]ντιο[ι]).5 Die Buchstabenhöhe der Namen der Verbündeten (ca. 0,015) unterscheidet sich nicht von jener der athenischen Bürger, auch die entsprechenden Rubriküberschriften waren mit einer Buchstabenhöhe von ca. 0,025 gut sichtbar. Be 4 5
Weniger typisch ist, dass drei Fragmente (IG I3 1144 fr. b, c, d) in der Ortschaft Spata ca. 20 km östlich von Athen sekundär verbaut waren. Wie die Steine dorthin gelangt sind, ist unklar. Der Fundort von IG I3 1146 ist unbekannt. Sofern die Konjekturen zutreffen: Zaccarini 2017, 171 betont die Unsicherheiten der Rekonstruktion.
Patrios Nomos. Die Inventarisierung des Todes
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merkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Rubrik „Sklaven“ (fr. e, col. I, l. 139: [θ]εράπον̣τ ε̣ ς):6 Auf den bisher bekannt gewordenen Fragmenten athenischer Gefallenenlisten ist dies der einzige Hinweis auf die Würdigung des Kriegseinsatzes von Unfreien.7 Offenbar wurden die genannten Verbündeten und Sklaven gemeinsam mit den Athenern bestattet, also ebenfalls erst, nachdem die Gebeine der Gefallenen von den verschiedenen Kriegsschauplätzen nach Athen überführt worden waren. Über alle sieben Fragmente hinweg lassen sich insgesamt 201 Namen rekonstru ieren. Etwa 60–80 % der ursprünglich auf dem Monument insgesamt verzeichneten Gefallenen entfallen auf eine oder mehrere in den Fragmenten nicht greifbare Orts rubriken. Von den erhaltenen Fragmenten aus lässt sich damit auch die Gesamtzahl der gelisteten Personen, die auf dem Monument ursprünglich genannt wurden, nä herungsweise ermitteln, sie scheint für jede der zehn Phylen in etwa zwischen 60 und 100 gelegen zu haben – das Grabmonument hat damit etwa drei- bis fünfmal so viele Opfer verzeichnet wie das Gefallenenmonument der Marathonomachoi.8 Soweit dies erkennbar ist, handelt es sich bei den in den erhaltenen Segmenten der Listen genann ten Personen um 189 Athener, elf Verbündete und einen Sklaven. Sofern das Verhält nis repräsentativ für das Gesamtmonument ist, waren etwa 6 % der ursprünglich ins gesamt genannten Personen Nichtathener. Es ist anzunehmen, dass die gemeinsame Bestattung eine besondere Würdigung der Verdienste der Verbündeten seitens der Athener zum Ausdruck bringen sollte (zur Berücksichtigung von Nichtathenern in der attischen Gefallenenbestattung siehe auch die entsprechenden Überlegungen im dritten Kapitel). Bemerkenswert an der formalen Gestaltung des Monuments ist nun insbesondere die innovative Gliederung der Listen: Die Namen der gefallenen Bürger Athens sind zwar nach wie vor der jeweiligen Phyle zugeordnet und wohl auch weiterhin gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung in den Konskriptionslisten oder einem gesonderten Gefallenenregister angeführt, allerdings sind den Phylenrubriken nun erstmals Orts rubriken untergeordnet, die auf unterschiedliche Gefechtsorte verweisen, an denen die Kämpfer ums Leben gekommen sind.9 An Einsatzorten haben sich auf den Frag 6 7 8
9
Die Zwischenüberschrift ist durch einen Abstand von ca. 0,050 gegenüber der vorausgehenden Namensliste abgesetzt, der Name eines Sklaven – [h]ύλας – ist in derselben Schriftgröße gesetzt wie die Namen der athenischen Gefallenen. Welwei 1974, 36 f. und 42 nimmt an, dass es sich um Waffen- oder Trossknechte handelt. Zur Be stattung von Sklaven bei Marathon und im Kerameikos siehe auch die entsprechenden Ausführun gen im ersten und dritten Kapitel. In der Schlacht von Marathon sind 192 Athener gefallen. Die Zahl, die Hdt. 6.117 nennt, wurde verschiedentlich in Zweifel gezogen, die Größenordnung wird aber durch die Fragmente der Ge fallenenliste von Marathon epigrafisch bestätigt; siehe dazu auch die entsprechenden Hinweise im ersten Kapitel. Ob diese Darstellungsweise zuvor bereits auf dem nur literarisch (Paus. 1.43.3) bezeugten Keno taph in Megara (siehe dazu auch die entsprechenden Hinweise im ersten Kapitel) zum Einsatz kam, ist unklar. In formaler Hinsicht auffällig ist auch, dass die Liste einige Nachträge von Namen
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menten Sigeion, Kardia, Thasos und Eion erhalten. Die Nennung der Ortsrubriken wiederholt sich über die Stelen hinweg: So sind die Angaben „in Sigeion“ (ἐπὶ Σιγείοι) und „auf Thasos“ (ἐν Θάσοι) auf Stela A ebenso erhalten wie auf Stela B, und die An gabe „in Eion“ (ἐν ᾿Ēϊo΄̄ νι) findet sich auf Stela A ebenso wie auf Stela C.10 Das Inschrif tenformular von IG I3 1144 begründet damit eine neue Gattung öffentlicher Listen in Athen – nach Phylen geordnete Listen von typischerweise in mehreren Kolumnen verzeichneten Gefallenen, die (teils wie hier durch entsprechende Zwischenüber schriften) mehreren Operationsgebieten zugeordnet werden.11 Die in IG I3 1144 genannten geografischen Bezugspunkte sind (neben der Erwäh nung der Madytioi und Byzantioi sowie neben Aspekten der Paläografie) die stich haltigsten Indizien zur historischen Verortung des Monuments. Die Orte Sigeion und Kardia einerseits sowie Thasos andererseits deuten auf zwei von Kimon geleitete, unmittelbar aufeinander folgende militärische Operationen erst am Hellespont und dann auf Thasos und dem der Insel gegenüberliegenden Küstenstreifen des thraki schen Festlands hin: Kimon ist nach der Schlacht am Eurymedon zunächst dazu übergegangen, mit überschaubaren Kontingenten (Plutarch spricht von vier Schiffen) militärische Stellungen der Perser im Gebiet der Troas und der Chersones (Halbinsel Gallipoli) zu bekämpfen.12 In diesem Zusammenhang sind die auf dem Monument angeführten Kampfhandlungen in Sigeion und in Kardia zu sehen.13 Als die Operatio nen am Hellenspont bereits weitgehend entschieden oder sogar schon abgeschlossen waren, fiel Thasos von Athen ab, und Kimon ging mit verstärkten Kräften gegen die abtrünnige Insel vor.14 Der Konflikt drehte sich um die Kontrolle der von Thasos bean spruchten Emporien auf dem Festland und um die Nutzung der dortigen Ressourcen, insbesondere um die Ausbeutung von Goldvorkommen in den Lekani-Bergen.15 Ki
enthält, die senkrecht neben den Kolumnen platziert sind (fr. a, col. II, ll. 39 f., fr. c, col. II, I. 126– 129). 10 Sigeion: IG I3 1144 Stela A, col. II, l. 32 und Stela B, col. II, l. 119; Kardia: IG I3 1144 Stela A, col. II, l. 35; Thasos: IG I3 1144 Stela A, col. III, l. 43 und Stela B, col. III, l. 130; Eion: IG I3 1144 Stela A, col. II, l. 37 und Stela C, l. 141. 11 Die Entwicklung in Kolumnen arrangierter Listen im frühklassischen Athen untersucht Meyer 2017 (auch mit Bezug zu IG I3 1144). 12 Plut. Kim. 14.1. Zaccarini 2017, 149–153. Kimon hat diese Kampagne wohl auch wegen seiner famili ären Verbindungen und Netzwerke im thrakischen Raum übernommen. Die Fragmente von IG I3 1144 (die unter den Gefallenen eine vergleichsweise hohe Quote an Nichtathenern bezeugen) deu ten darauf hin, dass Kimon erfolgreich Verbündete anwerben konnte. 13 Speziell zur Nennung von Sigeion, das zwar nicht auf der von Plutarch (Kim. 14.1) genannten Chersones, sondern in der Troas liegt, aber sich wohl ebenfalls auf die Kampagne des Kimon be zieht, siehe Zaccarini 2017, 152 f. 14 Thuk. 1.100.2; Plut. Kim. 14.2; Zaccarini 2017, 155–159. 15 Zur Identifikation der bei Thuk. 1.100.2 und Diod. 11.70.1 (vgl. Strab. 7.34) genannten Mine(n) mit Skaptēsylē (Hdt. 6.46) siehe Archibald 1998, 115; zur Lokalisierung der fraglichen Goldvorkom men in den Lekani-Bergen siehe Vavelidis et al. 1996. Neben dem Edelmetall war die Gegend auch wegen reicher Holzvorkommen attraktiv.
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mon konnte früh einen Seesieg gegen Thasos erringen und ging zur Belagerung über, die bis zur endgültigen Unterdrückung des Aufstands zwar über zwei Jahre hinweg aufrecht erhalten werden musste, aber Kimon gewann doch offenbar rasch den nöti gen Handlungsspielraum, um freie Kräfte auch gegen Orte auf dem Festland einsetzen zu können. Die Handelsplätze, um die der Konflikt geführt wurde, lagen insbesonde re in der Bucht von Kavala (mit den thasischen Apoikiai Oisyme und Galepsos so wie weiteren Handelsplätzen), letztlich war aber die gesamte Küstenregion von der Lisos-Mündung im Osten bis zum Strymon-Delta im Westen betroffen.16 Die Aussicht darauf, die regionale Vormachtstellung von Thasos brechen und die rohstoffreiche Region direkt ausbeuten zu können (insbesondere auch die Edelme tallvorkommen rund um das Pangaion), hat parallel zum Vorgehen Kimons eine groß angelegte Kolonisierungskampagne der Athener mit Schwerpunkt im unteren Stry mon-Tal befeuert – es ist dies jene Kampagne, die später das Debakel bei Drabeskos erleben sollte.17 Thukydides nennt die Zahl von 10 000 athenischen Bürgern und ihren Verbündeten, die (offenbar direkt nach dem Sieg über die thasische Flotte) in den Nordägäisraum aufbrachen – mit Blick auf diese Zahl hat Zosia Archibald die Unter nehmung zu den „largest and most ambitious overseas ventures of the century“ ge zählt.18 Über die organisatorische Führung dieser Kolonisierungskampagne ist wenig bekannt, allerdings wissen wir, dass Sophanes und Leagros als Strategen eingebunden waren, die gemeinsam mit Ephialtes und Perikles zu den innenpolitischen Rivalen des Kimon gezählt werden können.19 Nahe der Strymon-Mündung, etwa fünf Kilometer südöstlich von Enneahodoi (einem frühen Hauptziel der Kolonisten), ist auch Eion gelegen – neben Sigeion, Kardia und Thasos ist dies der vierte Ort, dessen Name sich auf den Fragmenten von IG I3 1144 erhalten hat. Matteo Zaccarini hat die Erwähnung von Eion auf dem Gefallenenmonument als „the single most puzzling element of the list“ bezeichnet:20 Welche historische Bedeu tung sich IG I3 1144 zusprechen lässt, hängt insbesondere davon ab, ob die Kämpfe in Eion als Teil der Kampagne des Kimon erfolgten oder zur parallel durchgeführten, aber operativ unabhängigen Expedition athenischer Kolonisten gehören – dies geht 16 17 18 19
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Archibald 1998, 115; Zaccarini 2017, 156 mit Anm. 11. Zu Drabeskos siehe unten in diesem Kapitel die Hinweise bei Anm. 47 (Datierung) und Anm. 48 (Kontext). Thuk. 1.100.3 und 4.102. Archibald 1998, 115. Bei der Bewertung der von Thukydides genannten Zahl muss ihre Funktion als literarischer Topos in Rechnung gestellt werden: Zaccarini 2017, 166 f. Zu Kimon und der Opposition gegen ihn siehe Humphreys 1999, 133 f.; Zaccarini 2017, bes. 199– 203. Perikles war damals „apparently an influential member“ von Kimons ἐχθροί (Zaccarini 2017, 174). Nach Hdt. 9.75 (vgl. Paus. 1.29.5) ist Sophanes zu einem späteren Zeitpunkt der Kampagne gefallen, möglicherweise in der Schlacht bei Drabeskos (Badian 1993, 84; Zaccarini 2017, 160). Zu Leagros siehe Culasso Gastaldi 1990, 115. Zaccarini 2017, 172. Dabei trieb ihn vor allem die Frage um, weshalb es überhaupt zu (literarisch auch nirgends bezeugten) Kampfhandlungen in Eion gekommen ist, da der Ort bereits Mitte der 470er Jahre von Kimon eingenommen worden war.
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auch aus den literarischen Quellen nicht direkt hervor.21 Im Falle der erstgenannten Möglichkeit (Kämpfe in Eion unter der Zuständigkeit des Kimon) könnte sich die gesamte Bestattung exklusiv auf Gefallene bezogen haben, die unter Kimon gedient hatten. Die andere Möglichkeit würde dagegen auf eine Kollektivbestattung hindeu ten, mit der Gefallene von unabhängig voneinander durchgeführten Expeditionen gemeinsam beigesetzt wurden. Die Unterscheidung ist nicht rein formaler Natur: In Kimon begegnen wir einem politisch besonders ambitionierten Akteur der 470 er und 460er Jahre, dem sich mit den Erfolgen am Hellespont und auf Thasos eine Gelegen heit geboten haben könnte, mit einer öffentlichkeitswirksamen Beisetzung derjenigen, die sich für die von ihm verantworteten Erfolge geopfert hatten, seine eigene Bedeu tung zu untermauern. Dass Kimon den Symbolgehalt einer Gefallenenbestattung für eine Inszenierung seiner Verdienste zu nutzen wusste, hatte er jedenfalls schon kurz zuvor nach seinem Sieg am Eurymedon eindrücklich unter Beweis gestellt (dazu un ten mehr). Grundsätzlich könnten natürlich auch in diesem Szenario für die Entscheidung, die Gefallenen mehrerer Einsatzorte für eine gemeinsame Kollektivbestattung zusam menzuführen, pragmatische Gründe eine Rolle gespielt haben (etwa bezüglich logis tischer Fragen oder mit Blick auf den Zeitpunkt der Rückkehr größerer Kontingente an der Expedition beteiligter Bürger).22 Gegenüber der noch kurz zuvor gängigen Pra xis von Bestattungen nahe den Schlachtfeldern erfordert eine vor den Toren Athens 21
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Nepos (Cim. 2.2) zufolge hat Kimon die Kolonisierungskampagne geleitet und Amphipolis (En neahodoi) erobert, diese Angabe ist aber kaum belastbar. Mit der Kampagne der Kolonisten hatte Kimon offenbar nichts zu tun; vgl. Zaccarini 2017, 167 („it is clear that the tradition has never as sociated Cimon to the operations on the Thracian inland, in which he probably had no role at all. If anything, the enterprise was led by other stratēgoi, among whom were the eminent Leagros and Sophanes“). Ein Blick auf den Bericht Xenophons über die von Alkibiades geleiteten Operationen des Jahres 409/408 kann dazu beitragen, die Logik einer Kollektivbestattung von Gefallenen unterschiedli cher Einsatzorte genauer zu verstehen. Xenophon berichtet über die Ereignisse nach der Schlacht von Ephesos, wie die Athener die Leichname der Gefallenen bargen, sie nach Notion überführten und dort kremierten (Xen. Hell. 1.2.11: θάψαντες ist hier sicherlich nicht als eigentliche Bestattung zu verstehen), um dann nach Lesbos und zum Hellespont weiterzusegeln. Die kremierten Ge beine wurden vermutlich bei nächster Gelegenheit nach Athen überführt und dort zunächst ver wahrt, während die Truppenkontingente die Kampagne fortsetzten. Aus dieser Situation heraus wird verständlich, dass es sich anbieten konnte, die Gefallenenbestattung nicht direkt nach der Ankunft der Gebeine in Athen durchzuführen, wenn nicht auch ein Großteil der Truppen be reits zurückgekehrt war: Die Gefallenenbestattung wird maßgeblich von der Wehrgemeinschaft getragen, von der sich in der bei Xenophon geschilderten Situation gerade diejenigen, die Seite an Seite mit den Gefallenen gekämpft hatten, weiterhin fernab von der Heimat im Einsatz befanden. Zu vergleichbaren Konstellationen kam es in Athen immer wieder, und in einer solchen Situation wird es sich angeboten haben, die Bestattung zurückzuhalten, bis ein Großteil der Bürger und des militärischen Führungspersonals aus dem Einsatz zurückgekehrt war. Dass es damit zu einer gemeinsamen Bestattung von Gefallenen unterschiedlicher Einsatzorte kommen konnte, ist eine durchaus folgerichtige Konsequenz – vor allem dann, wenn es um Gefallene von koordinierten Einsätzen oder von einer Abfolge an Einsätzen an unterschiedlichen Schauplätzen ging.
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durchgeführte gemeinsame Kollektivbestattung von Gefallenen, die an unterschiedli chen, zumal weit entfernten Schauplätzen umgekommen waren, allerdings ohnehin ei nen erheblich höheren logistischen Aufwand, so dass rein pragmatische Gründe kaum ausschlaggebend gewesen sein können: Dass bereits vor Mitte der 460er Jahre damit begonnen wurde, die gefallenen Athener grundsätzlich und konsequent in die Heimat zurückzuführen, wird durch den epigrafischen Befund gerade nicht bestätigt (erstes Kapitel) – der entscheidende Impuls scheint von der (von Kimon verantworteten) Rückführung der am Eurymedon Gefallenen ausgegangen zu sein, und der Gedanke der Autochthonie trat verstärkend hinzu.23 Sollte Kimon nun erstmals Gefallene un terschiedlicher Einsatzorte einer (gemäß der erstgenannten Möglichkeit) maßgeblich nur von ihm geleiteten, räumlich weit ausgreifenden Expedition im Nordägäisraum gemeinsam bestattet haben, so würde er damit die Option gewonnen haben, zum ei nen die schieren geografischen Ausmaße seiner militärischen Einsätze zu betonen, zum anderen die Tatsache zu unterstreichen, dass ihm der dreifache Erfolg gelungen ist, am Hellespont die Perser zurückzudrängen, mit der Unterdrückung des Abfalls von Thasos den athenischen Seebund zu konsolidieren und Athen die Kontrolle über eine rohstoffreiche Region zu sichern. Im Umkehrschluss dürfte eine gemeinsame Kollektivbestattung von Gefallenen operativ unabhängig voneinander durchgeführter Kampagnen eine so klare Profilie rung eines einzelnen Strategen signifikant erschwert haben. IG I3 1144 reflektiert wahr scheinlich eine solche gemeinsame Kollektivbestattung von Gefallenen unterschiedli cher Expeditionen, die es Kimon weitgehend verwehrt haben muss, das symbolische Kapital einer athenischen Gefallenenbestattung exklusiv für die Inszenierung seiner eigenen politisch-militärischen Bedeutung zu verwerten. Zum einen gehören die Kämpfe um Eion mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Strymon-Expedition der athe nischen Kolonisten als zu Kimons Vorgehen rund um Thasos: Eion liegt nur wenige Kilometer vor Enneahodoi (dem späteren Amphipolis), auf das sich die Kolonisten im ersten Schritt ihrer Kampagne konzentriert haben.24 Auch die hohen Opferzahlen, die auf dem Monument verzeichnet waren – etwa 600 bis 1 000 Gefallene über alle Phylen hinweg – deutet eher darauf hin, dass hier bereits die ersten Opfer der Kolonisierungs kampagne Berücksichtigung fanden. Das Monument reflektiert damit wahrscheinlich eine öffentliche Bestattung vor den Toren Athens, mit der nicht nur erstmals die Ge fallenen unterschiedlicher Einsatzorte, sondern auch erstmals die Gefallenen operativ unabhängiger Expeditionen gemeinsam beigesetzt wurden. Der Umstand, dass hier offenbar rivalisierende Strategen eine gemeinsame Gefal lenenbestattung durchgeführt haben, lässt sich am plausibelsten deuten als Element 23 Zur Autochthonie: Clay 2010; Walter 2013; James 2014. 24 Thuk. 4.102; Diod. 11.70.5 und 12.68.2. Isaac 1986, 23–25; Archibald 1998, 115; Zaccarini 2017, 158 sowie 173 („at the time IG I3 1144 was inscribed the inland expedition and the disaster were yet to come, and the Athenians had suffered casualties during a preliminary engagement at Eion“).
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politischer Taktiken mit dem Ziel, die Handlungsspielräume Kimons einzugrenzen. Denn dass Kimon bereit war, grade auch die athenische Gefallenenbestattung zu ei ner Plattform seiner eigenen Profilierung umzugestalten, zeigt sich mit aller Deutlich keit in der Art und Weise, wie er nur kurz vor seinen Erfolgen am Hellespont und auf Thasos die Bestattung der am Eurymedon gefallenen Athener für sich zu nutzen wuss te. Materielle Zeugnisse eines entsprechenden Grabmonuments sind zwar nicht erhal ten, doch Pausanias erwähnt das entsprechende Denkmal in seiner Beschreibung des Kerameikos. Die Passage bewahrt Deutungsschichten der kimonischen Zeit: Über das Monument berichtet der Perieget, dort lägen diejenigen bestattet, denen mit Kimon das große Werk (τὸ μέγα ἔργον) gelungen sei, an ein und demselben Tag (αὐθημερόν) in einer Land- und in einer Seeschlacht (ἐπὶ τῃ˜ πεζῃ˜ καὶ ναυσίν) siegreich zu sein.25 Die Formulierungen könnten auf ein Epigramm zurückgehen, jedenfalls scheinen sie einer metrisierten Vorlage entnommen zu sein,26 und in ihnen spiegeln sich Konzepte, die zeitgenössische Athener auf die Erfolge in der Perserabwehr bezogen haben werden.27 Auch die Anthologia Palatina (7.258) bewahrt ein Epigramm, das auf das Monu ment für die am Eurymedon Gefallenen zurückgehen könnte:28 Dort ist in einem vergleichbar konzipierten formelhaften Verweis auf den siegreichen amphibischen Kampf – αἰχμηταὶ πεζοί τε καὶ ὠκυπόρων ἐπὶ νηω˜ ν („Krieger zu Fuß und auf schnellse gelnden Schiffen“) – ebenfalls eine Bezugnahme auf die Erinnerung an den erfolgrei chen Kampf gegen die Perser 480/479 angelegt, die sich im Sinne einer Ebenbürtigkeit des Erfolgs am Eurymedon mit der Abwehr des persischen Invasionsversuchs lesen ließ.29 Die Bestattung der am Eurymedon Gefallenen war also deutlich von jenem Ne xus zwischen Gefallenenbestattung und Sieghaftigkeit geprägt, der sich im Umfeld der Perserkriege polisübergreifend intensiviert und stabilisiert hatte (erstes Kapitel), nur 25 26 27
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Paus. 1.29.14: κει˜νται δὲ καὶ οἱ σὺν Κίμωνι τὸ μέγα ἔργον {ἐπὶ τῃ˜ } πεζῃ˜ καὶ ναυσὶν αὐθημερὸν κρατή σαντες. Im Gegensatz etwa zur eher sperrigen Formulierung in Thuk. 1.100: ἡ … πεζομαχία καὶ ναυμαχία Ἀθηναίων καὶ τω˜ ν ξυμμάχων πρὸς Μήδους. Das im ersten Kapitel diskutierte Peek-Fragment (IG I3 503/504 B) überliefert Teile zweier Disti chen, die mit den Wendungen - - - πε]ζοί τε καὶ ḥ [ιππες� - - - sowie - - -]ο νε̄΄σō ι [- - - bei wahrschein lichem Bezug zu Salamis/Psyttaleia auf eine kombinierte Land- und Seeschlacht verweisen und damit eine ganz ähnliche Semantik für ein Denkmal zur Erinnerung an die Abwehr des persischen Invasionsversuchs bezeugen. Anth. Pal. 7.258 (= FGE 46): Οἵδε παρ’ Εὐρυμέδοντά ποτ’ ἀγλαὸν ὤλεσαν ἥβην | μαρνάμενοι Μήδων τοξοφόρων προμάχοις | αἰχμηταί, πεζοί τε καὶ ὠκυπόρων ἐπὶ νηω˜ ν· | κάλλιστον δ’ ἀρετη˜ ς μνη˜ μ’ ἔλιπον φθίμενοι („Diese Männer verloren am Eurymedon einst ihre herrliche Jugend im Ringen mit den Vorkämpfern der bogentragenden Meder, Krieger zu Fuß wie auf schnellsegelnden Schiffen, und ein herrliches Denkmal ihrer Tapferkeit hinterließen sie, als sie starben.“); siehe Peek 1955, 5 Nr. 13; FGE Nr. 46 (= Page 1981, 268–272); Clairmont 1983, 125–127 Nr. 17; Pritchett 1985, Bd. 4, 177 f. Nr. 22. Das Epigramm wurde fälschlich Simonides zugeschrieben. Das oben diskutierte Peek-Fragment (IG I3 503/504 B) mit wahrscheinlichem Bezug zu Salamis/ Psyttaleia verweist mit - - - πε]ζοί τε καὶ ḥ [ιππες� - - - einerseits und - - -]ο νε̄΄σō ι [- - - andererseits in vergleichbarer Weise auf eine amphibische Schlacht (siehe oben in diesem Kapitel die Anm. 27 sowie die entsprechenden Ausführungen im ersten Kapitel).
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dass mit der Rückführung der Gefallenen in die Heimat diese Bezüge nun gänzlich auf die Polis und die Leistung des Entscheidungs- und Verantwortungsträgers zugeschnit ten wurden. Die Quellen lassen hier eine triadische Beziehung erkennen zwischen der Bestattung im Kerameikos, dem militärischen Erfolg der Polis und dem Ruhm des verantwortlichen Strategen.30 In Athen selbst scheint die Bestattung einen starken Eindruck erzeugt zu haben, und offenbar konnte die Beisetzung der am Eurymedon gefallenen Athener im Kerameikos auch weit über die Polis hinaus ausstrahlen.31 IG I3 1144 reflektiert nun kurz darauf erneut eine Kollektivbestattung gefallener Athener, deren kremierte Gebeine eigens für die Bestattung in die Heimat zurückge führt wurden, und auch hier scheint (im Gegensatz zu den späteren Jahresbestattun gen, siehe unten) ein unmittelbarer Bezug zwischen der Gefallenenbestattung einer seits und der Inszenierung militärischer Erfolge andererseits noch immer maßgeblich gewesen zu sein. Jedenfalls ließen sich trotz der anhaltenden Belagerung von Thasos die von Kimon geleiteten Kampagnen bereits als Erfolge verbuchen, und mit der Ein nahme von Enneahodoi, die zum Zeitpunkt der Bestattung wahrscheinlich schon er folgt war, galt dies auch für die Kolonisierungskampagne im unteren Strymon-Tal.32 Die Niederlage bei Drabeskos lag offenbar noch in der Zukunft.33 Dass mit der Kollektivbestattung der in Sigeion, Kardia, Thasos und Eion Gefal lenen bereits eine neue Tradition begründet werden sollte oder gar die Institution einer Jahresbestattung etabliert gewesen sein könnte, halte ich damit für eher unwahr scheinlich: Die außergewöhnlichen Charakteristika dieser Bestattung – speziell dass die Bestattung von Gefallenen operativ unabhängiger Kampagnen über rivalisieren de politische Lager hinweg zusammengeführt wurde – lassen sich überzeugender als Resultat situativ vorgenommener Anpassungen deuten, mit denen (zunächst nur in diesem spezifischen Einzelfall) ein Stratege, der das Feld des Politischen zunehmend zu dominieren drohte, quasi domestiziert werden sollte. Wie auch immer diese be merkenswerte Konstellation zustande gekommen ist, einer politisch ambitionierten Einzelfigur blieb damit die Monopolisierung des Gefallenengedenkens verwehrt.34
30 31
32 33 34
Ob Kimon anlässlich der Bestattung auch eine Gefallenenrede gehalten hat (was durchaus denk bar wäre), ist nicht bekannt. Zur Heroisierung der am Eurymedon Gefallenen: Bosworth 2000, 1 f. Die Reflexe dieses Ereignisses und der zeitgenössischen Deutungsmuster auch in außeratheni schen und späteren Quellen untersucht Zaccarini 2017, 119–143. Zur Rückführung der Gebeine des Theseus nach Athen, die Kimon offenbar als Blaupause für die Bestattung der am Eurymedon Gefallenen gedient hat, siehe Fell 2004; Zaccarini 2015. Zu den anfänglichen Erfolgen der Kolonisten: Thuk. 1.100.3; Paus. 1.29.4. Die hohe Anzahl an Op fern, die auf dem Monument verzeichnet waren, deutet darauf hin, dass der Kampf um Enneaho doi bereits stattgefunden hatte. Zu Datierung und Kontext der Niederlage von Drabeskos siehe unten in diesem Kapitel bei Anm. 47 und 48. Wenig später wurde Kimon im Zuge der Reformen von 462/461 gestürzt. Im Jahr 439 wurde Pe rikles interessanterweise aus dem Clan des Kimon heraus gerade dann attackiert, als er seinerseits versuchte, nach der von ihm verantworteten Rückeroberung von Samos aus der Gefallenenbe
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Statt den Erfolg einer einzelnen Kampagne ins Zentrum zu rücken – und damit den Ruhm eines verantwortlichen Strategen zu unterstreichen –, visualisierten die in IG I3 1144 zusammengeführten Listen der Gefallenen einer ganzen Serie militäri scher Operationen im nördlichen Ägäisraum den Einsatz der Bürger für eine ebenso riskante wie verheißungsvolle Machtpolitik Athens – die schiere Zahl der Gefallenen verdeutlichte dabei die enormen Kosten, die die Bürger hierfür zu tragen bereit wa ren. Da sich ein vergleichbarer Umgang mit Gefallenen bis dahin nicht greifen lässt, sind die Neuerungen, für die IG I3 1144 steht, bemerkenswert und erklärungsbedürf tig genug, auch wenn damit, wie hier argumentiert, noch keine regelrechte Jahresbe stattung begründet werden sollte. Im verfügbaren Quellenbestand steht dieser Fall zunächst auch isoliert da: Erst etwa ein halbes Jahrzehnt später lässt sich mit IG I3 1147 wieder eine Gefallenenbestattung greifen, für die uns die erhaltenen Fragmente des entsprechenden Grabmonuments die Berücksichtigung unterschiedlicher Gefechts orte bezeugen. Die Annahme, dass zwischenzeitlich weitere Kollektivbestattungen über mehrere Einsatzorte oder gar über mehrere operativ unabhängige Kampagnen hinweg stattgefunden haben, ist keineswegs zwingend und nicht einmal unbedingt naheliegend. Vom Grabmonument zum Opferinventar IG I3 1147 [Abb. 7] knüpft in formaler Hinsicht grundsätzlich an IG I3 1144 an, be schreitet aber zugleich in bestimmten Aspekten der Gestaltung auch neue Wege und stellt nun vor allem im materiellen Befund die früheste Evidenz für eine Jahresbe stattung dar:35 Ein fast vollständig erhaltener Inschriftenblock von 1,49 m Höhe und 0,57–0,63 m Breite (heute im Louvre) verzeichnet gefallene Mitglieder der Phyle Er echtheis; das Fragment einer anderen Stele (im Epigraphischen Museum) mit weite ren Namen lässt sich aufgrund formaler Übereinstimmungen demselben Monument sicher zuordnen.36 Die Fragmente wurden disloziert aufgefunden, der ursprüngliche Aufstellungsort (sehr wahrscheinlich ebenfalls im nordwestlichen Vorstadtgebiet
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stattung politisches Kapital zu schlagen; zu diesen Zusammenhängen siehe die entsprechenden Ausführungen im dritten und fünften Kapitel. Der Hinweis des Pausanias, im Kerameikos seien „als erste“ oder „zuerst“ diejenigen bestattet wor den (πρω˜ τοι δὲ ἐτάφησαν οὓς …), die in Thrakien von den Edonen getötet wurden (Paus. 1.29.4), wird teils als Hinweis darauf gelesen, dass das entsprechende Monument für die in der Schlacht bei Drabeskos Gefallenen die früheste Jahresbestattung reflektiert; die Information ist allerdings kaum hinreichend belastbar. Zur Datierung der Schlacht von Drabeskos und der entsprechenden Gefallenenbestattung siehe unten in diesem Kapitel bei Anm. 47 sowie die entsprechenden Hin weise im Eintrag zu IG I3 1144 unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. IG I3 1147 (+ 1147 bis [?]); für Details und Literaturhinweise siehe den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
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Athens) lässt sich nicht genauer bestimmen. Das Monument scheint ursprünglich aus insgesamt zehn nebeneinander angeordneten freistehenden Stelen mit den Listen der Gefallenen je einer Phyle bestanden zu haben, wobei die einzelnen Inschriftenblöcke offenbar in einer gemeinsamen Basis verankert und auf eine gemeinsame Schauseite hin ausgerichtet waren. Auf der Stele der Phyle Erechtheis haben sich die Namen von insgesamt 177 Personen in drei Kolumnen erhalten (darunter vier Nichtathener), das kleinere Fragment (welches ungefähr ein Viertel der originalen Stelenhöhe abdeckt) bewahrt die Namen von 49 Personen. Die Gesamtzahl über alle Phylen hinweg lag somit wohl zwischen 1 500 und 2 000 Gefallenen – bei damals insgesamt nur etwa drei ßig- bis vierzigtausend Bürgern:37 Die Fragmente reflektieren eine der umfangreichs ten Kollektivbestattungen des klassischen Athens. Grundsätzlich werden die Namen der Gefallenen auch hier wieder als Elemente einer isonomen Bürgergemeinschaft präsentiert, indem sie lediglich mit ihren jewei ligen Rufnamen angeführt werden. Die Nennung von vier (nichtathenischen) Bogen schützen (τοχσόται) widerspricht dem nicht (ll. 67–70), allerdings werden in den er haltenen Teilen der Listen nun zwei Strategen als solche kenntlich gemacht (ll. 5 f. und 62 f.), und auch ein Seher (Mantis) lässt sich über die Angabe seiner Funktion identifi zieren (ll. 128 f.). Das Prinzip der Isonomie wird also (für die Gefallenenlisten erstmals nachweisbar) punktuell aufgehoben, dies hat sich hier aber noch auf die Inhaber der militärischen Führungsämter und herausgehobene religiöse Spezialisten beschränkt.38 Dass eine einzige Phyle alleine zwei Strategen verloren hat, ist neben dem schieren Umfang der Listen zudem ein weiteres Indiz für die besondere Schwere der Verluste, auf die sich die fragliche Bestattung bezieht. Nun weist die Stele der Phyle Erechtheis den folgenden, bemerkenswerten vier zeiligen Kopfbereich auf, der wichtige Hinweise auf die historischen Umstände der Bestattung bewahrt (IG I3 1147 ll. 1–4): Ἐ ρ ε χ θ ε̄ ΐ δ ο ς ḥ οίδε ⁝ ἐν τõι ⁝ πολέμō ι ⁝ ἀπέθανον ⁝ ἐν Κύπρō ι ⁝ ἐν Αἰγ[ύ]π̣τō ι ⁝ ἐν Φοινίκε̄ ι ⁝ ἐν Ἁλιευ˜ σιν ⁝ ἐν Αἰγίνε̄ ι ⁝ Μεγαρõ[ι] τõ αὐτõ ἐνιαυτõ. (Aus der Phyle) Erechtheis sind diese (Männer) im Krieg gefallen in Zypern, in Ägypten, in Phönikien, bei Halieis, bei Aigina und bei Megara innerhalb ein und desselben Jahres
37 38
Akrigg 2019, bes. 38–88, ermittelt für die Zeit der Perserkriege eine Zahl von etwa 30 000 atheni schen Bürgern, die Zahl steigt bis zum Ende der Pentekontaëtie auf etwa 60 000 oder mehr Bürger an. Siehe auch Hansen 1985 a, 1985 b und 1988. Weitere Einschränkungen der Isonomie in der Repräsentation der gefallenen Bürger Athens lassen sich erst wieder ab den 430er Jahren ausmachen (drittes Kapitel).
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Der Inschrift lässt sich hier entnehmen, dass auch dieses Monument (wie erstmals greifbar in IG I3 1144) eine im Kerameikos durchgeführte gemeinsame Kollektivbe stattung an unterschiedlichen Orten gefallener Athener und ihrer Mitstreiter reflek tiert – sowie erneut eine gemeinsame Kollektivbestattung von Gefallenen operativ getrennt durchgeführter Kampagnen. Zu Schauplätzen in der Ägäis treten nun Kon flikte im gesamten östlichen Mittelmeerraum hinzu, so dass sich die Matrix geogra fischer Bezugspunkte gegenüber früheren Bestattungen erheblich erweitert: Aus der Nennung von Zypern, Ägypten, Phönikien, Halieis, Aigina und Megara lässt sich ab leiten, dass das Monument aus der Anfangszeit des Ersten Peloponnesischen Krieges beziehungsweise konkreter aus der Schlussphase des Krieges in Ägypten stammt und wohl ins Jahr 459/458 (oder 460/459) datiert.39 Den historischen Kontext der Bestat tung bilden damit innenpolitisch die Konsolidierung der demokratischen Reformen nach dem Sturz des Kimon und außenpolitisch einerseits die sich rasch dynamisieren den Bündnisbildungen mit dem entsprechenden Ringen um Dominanz in der grie chischen Poliswelt sowie andererseits die Bemühungen des Seebunds unter Führung Athens, die militärische Präsenz der Perser entlang den Mittelmeerküsten so weit als möglich zurückzudrängen.40 Der ausdrückliche Hinweis im Kopfbereich von IG I3 1147, die in der Liste erfassten Personen seien „innerhalb ein und desselben Jahres“ ums Leben gekommen, belegt darüber hinaus nun erstmals sicher eine Jahresbestattung in der von Thukydides be schriebenen Form.41 Zwar ist im Kerameikos bereits zuvor mindestens eine Kollek tivbestattung durchgeführt worden, in der Gefallene unterschiedlicher Kampagnen gemeinsam beigesetzt wurden, doch mit dem Übergang zu einer regelrechten Jahres bestattung ergibt sich eine Konzeption des athenischen Gefallenenbegräbnisses, die eigene Voraussetzungen aufweist und andere Implikationen birgt. Zunächst einmal lag der gemeinsamen Bestattung all jener, die über eine gesamte Kriegssaison hinweg im militärischen Einsatz für Athen gestorben sind, mit einiger Wahrscheinlichkeit eine entsprechende Gesetzesinitiative und ein Beschluss der Bür gerversammlung zugrunde,42 und da an der neuen Praxis in der Folgezeit auch festge 39 40 41
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Zur Frage der Datierung siehe die entsprechenden Ausführungen im Eintrag zu IG I3 1147 unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Zur Ereignisgeschichte des Ersten Peloponnesischen Krieges: Kagan 1969. Dass die Institution der Jahresbestattung schon früher eingeführt wurde, lässt sich nicht gänzlich ausschließen; da sich die Voraussetzungen für die Einführung dieser spezifischen Praxis aber erst mit den Reformen der späten 460er Jahre ergeben zu haben scheinen, wird IG I3 1147 mit hoher Sicherheit für die erste oder jedenfalls eine der ersten Jahresbestattungen stehen. Zur Frage, ob das von Paus. 1.29.4 erwähnte Grab der in Drabeskos Gefallenen die früheste Jahresbestattung reflek tieren könnte, siehe oben in diesem Kapitel bei Anm. 35 sowie unten bei Anm. 47. So schon Jacoby 1944, 49 f. mit Anm. 63, gefolgt u. a. von Shear 2013, 535 und Arrington 2015, 49. Direkt erhalten hat sich ein entsprechender Beschluss der athenischen Bürgerschaft nicht – im Gegensatz zu einem Psēphisma, mit dem um 360/359–356/355 in Thasos die Gefallenenbestattung geregelt wurde: I.Thasos III Nr. 5 fr. a, b, c (= Hamon 2019). Drei Fragmente sind bekannt gewor
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halten wurde, könnte (im Gegensatz zu den offenbar situativ vorgenommenen und zunächst auf den Einzelfall beschränkten Anpassungen, von denen IG I3 1144 zeugt) auch durchaus intendiert gewesen sein, eine neue Tradition zu begründen, das athe nische Gefallenengedenken also nachhaltig auf eine neue Grundlage zu stellen. Eine ganze Reihe an Besonderheiten, die charakteristisch für die Jahresbestattungen sind, könnte hier ihren Ursprung haben. Dass nun etwa der Polemarch (und nicht mehr, wie dies zuvor der Fall gewesen zu sein scheint, der Stratege) für die Durchführung der Be stattungen zuständig war, mag im Zusammenhang mit der Neuausrichtung des Rituals festgelegt worden sein.43 Sofern die Gefallenenrede bereits ein typischer Bestandteil des Bestattungsrituals war, wurde nun möglicherweise auch die Entscheidungshoheit über die Ernennung des Redners dem Rat (für das Probuleuma) und der Bürgerver sammlung übertragen.44 Die Wahl des Redners scheint bei den Jahresbestattungen üb licherweise nicht lange vor der Beisetzung durchgeführt worden zu sein – der Dēmos konnte sich damit bis zuletzt die Hoheit über die Entscheidung vorbehalten.45 Auch die Gestaltungsmöglichkeiten der Phylen wurden offenbar angepasst: Das Monument der Marathonomachoi (SEG 56.430 [Abb. 1]) sah noch für jede Phyle ein eigenes Epigramm vor (erstes Kapitel), während sich später die Epigramme der Jahresbestattungen, soweit die verfügbare Evidenz dies erkennen lässt, jeweils auf die Gesamtheit der Bestatteten bezogen.46 Solange die Epigramme von den Phylen indivi duell in Auftrag gegeben und im Ritual wie auf den Monumenten exklusiv auf die ei genen Mitglieder bezogen werden konnten, ermöglichten die Gedichte eine differen zierte Würdigung der von den Phylen gestellten Kampfeinheiten und ihrer Verdienste. Neben der repräsentativen Wirkung auf den Denkmälern kam dies möglicherweise auch zur Geltung, wenn die Epigramme im Bestattungszeremoniell und bei anderen
43 44 45 46
den, die Editio princeps (noch ohne Kenntnis des dritten Fragments) haben Fournier/Hamon 2007 vorgelegt (vgl. SEG 57.820); den aktuellen Stand der Diskussion bilden Giannotti/Proietti 2021 ab. Zur Thematik siehe auch Chaniotis 2012, bes. 51 f. Die spätere Zuständigkeit des Polemarchen jedenfalls lässt sich erschließen aus Ath. Pol. 58.1: ὁ δὲ πολέμαρχος … διατίθησι δ’ ἀγω˜ να τὸν ἐπιτάφιον; zur Rolle des Polemarchen siehe auch Stupperich 1977, 54–56. Da uns für die Zeit vor 439 keine direkten Hinweise auf die Gefallenenreden vorliegen, bleibt diese Überlegung hypothetisch. Dies jedenfalls legen Hinweise bei Lysias und Platon sowie der Fall des Demosthenes nahe; siehe dazu die entsprechenden Überlegungen im fünften, sechsten und achten Kapitel. Epigramme aus der Zeit der Jahresbestattungen, die sich auf die Gesamtheit der jeweils genannten Gefallenen beziehen, lassen sich rekonstruieren für IG I3 1167 (das Epigramm befindet sich hier auf der Basis), IG I3 1170 (Basis), IG I3 1173 (Basis), IG I3 1179 (Basis), IG I3 1163 fr. d+e+f (Basis), IG I3 1162 (das Epigramm befindet sich auf der Inschriftenstele unterhalb einer alle zehn Phylen umfas senden Liste); siehe zu den genannten Monumenten auch die entsprechenden Einträge unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Den gefallenen Reitern wurden ab den 430er Jahren teilweise eigene Monumente gesetzt, aber auch hier bezogen sich die Epigram me dann jeweils auf alle betroffenen Phylen; dies betrifft für das fünfte Jahrhundert IG I3 1181 und SEG 48.83 (speziell zu den Reitermonumenten siehe auch die entsprechenden Ausführungen im dritten Kapitel).
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Gedenkanlässen deklamiert wurden. Indem die Grabgedichte nun auf die Gesamtheit der jeweils gefallenen Kämpfer und nicht mehr auf die Verluste einzelner Phylen aus gelegt waren, wurde das Potenzial einer Erinnerungskonkurrenz innerhalb der Bürger gemeinschaft reduziert. Jenseits der Zuständigkeiten und Verfahrensabläufe, die mit dem Übergang zu den Jahresbestattungen offenbar stärker reguliert wurden als in der älteren Bestattungspra xis, lag eine entscheidende Zielsetzung der Neuerungen wohl darin, das Gefallenen gedenken der Verantwortung ambitionierter Einzelpersonen nachhaltig zu entziehen und endgültig in die Hände der Gemeinschaft zu legen. Dies wurde einerseits durch eine zeitliche Trennung von militärischer Aktion und Ritualvollzug angestrebt, vor al lem aber dadurch, dass eine Gefallenenbestattung nun nicht mehr exklusiv auf eine bestimmte militärische Kampagne bezogen wurde und damit auch nicht mehr direkt an die Instanz des entsprechenden Strategen gekoppelt war. In dieser Hinsicht knüpft IG I3 1147 nur vordergründig an IG I3 1144 an: Zwar hat sich auch IG I3 1144 bereits als Monument für eine gemeinsame Kollektivbestattung der Gefallenen verschiedener Kampagnen erwiesen, es ergeben sich aber deutlich weitreichendere Konsequenzen für den Symbolgehalt des Rituals, wenn die Trennung von militärischer Führung und Gefallenengedenken zum Prinzip erhoben und auf Dauer gestellt wird. Denn dies er fordert zugleich, die Gefallenenbestattung konsequent von der Frage nach Erfolg oder Misserfolg der entsprechenden Kampagnen zu entkoppeln. Mit dem Übergang zu einer jahrweise vollzogenen Beisetzung der Gefallenen konn te das athenische Gefallenengedenken also grundsätzlich nicht mehr als jene Projekti onsfläche militärischer Erfolge dienen, zu der es sich im Umfeld der Perserkriege ent wickelt hatte – auch die Bestattungen im Kerameikos waren, wie gezeigt, bis Mitte der 460er Jahre (konkreter: bis einschließlich IG I3 1144) noch eng mit der Repräsentation militärischen Erfolgs verwoben. Für die Zeit von Beginn der 450er Jahre bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges lässt sich dagegen eine Verflechtung von Gefallenenge denken und Siegesideologie nur dort noch erkennen, wo in Einzelfällen gerade keine Jahresbestattung, sondern eine gesonderte Beisetzung von Gefallenen eines bestimm ten militärischen Konflikts erfolgte (drittes Kapitel). In der Jahresbestattung wurde typischerweise der tugendhafte Einsatz der Gefallenen unabhängig vom Ausgang der jeweiligen Gefechte gewürdigt. Als konzeptioneller Wegbereiter für die Neutralisierung der Erfolgsideologie im athenischen Gefallenenbegräbnis hat wahrscheinlich die Bestattung der bei Drabes kos Gefallenen gewirkt, die sich in die Jahre 465/464 bis 463/462 datieren lässt.47 Sie
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Zur relativen und absoluten Datierung der Niederlage von Drabeskos (und damit auch der ent sprechenden Gefallenenbestattung) siehe die entsprechenden Bemerkungen und Literaturver weise im Eintrag zu IG I3 1144 unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Ar beit. Von Interesse für die vorliegende Argumentation ist insbesondere die Frage, wie der Hinweis des Pausanias (1.29.4) zu bewerten ist, im Kerameikos seien „als erste“ oder „zuerst“ diejenigen
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stellt den Präzedenzfall einer öffentlichen Gefallenenbestattung im Kerameikos dar, die auf das Debakel einer verlorenen Schlacht mit schwersten eigenen Verlusten folgte. Mit dieser Bestattung (über die wir jenseits der Erwähnung des Grabmals durch Paus anias nicht viel wissen) könnte sich erstmals ein prägnanter Modus für die Würdigung athenischer Bürger ausgebildet haben, die ihr Leben zwar geopfert, der Polis damit aber keinen Vorteil verschafft hatten.48 Unter den älteren öffentlichen Kollektivbe stattungen gibt es jedenfalls, soweit sich dies erkennen lässt, keinen analog gelagerten Fall für die Würdigung einer so großen Schar an Kriegern, die ihr Leben beim ver geblichen Versuch verloren hatten, eine Niederlage abzuwenden.49 Damit muss diese Bestattung einen durchaus erstaunlichen neuen Akzent gesetzt haben, für den erneut die innenpolitischen Rivalen des Kimon verantwortlich gewesen zu sein scheinen.50 In Konzept der Jahresbestattung – angefangen mit IG I3 1147 – wird die Trennung von Gefallenengedenken und Sieghaftigkeit dann (offenbar aus demselben politischen La ger heraus) konsequent zu Ende gedacht: Von nur wenigen Ausnahmen abgesehen, die im nächsten Kapitel diskutiert werden, wurde die herkömmliche Verflechtung der Gefallenenbestattung mit Ideologemen militärischen Erfolges nun gänzlich aufgege ben. An der Rückführung der Gefallenen in die Heimat und ihrer würdigen Bestattung im Kerameikos wurde im Zuge der Jahresbestattungen aber festgehalten (soweit sich die Gefallenen bergen ließen), selbst wenn es um schmachvolle Niederlagen ging: Der Kerameikos war spätestens in der zweiten Hälfte der 460er Jahre zum alternativlosen Ort der athenischen Gefallenenbestattung geworden. Die Monumente der Jahresbe stattung müssen in diesem Erinnerungsraum indes markante Kontrapunkte zu den älteren Denkmälern gebildet haben.
bestattet worden (πρω˜ τοι δὲ ἐτάφησαν οὓς …), die in Thrakien von den Edonen getötet wurden (siehe dazu auch oben Anm. 35), sowie insbesondere die Frage nach dem Verhältnis des von Pau sanias in diesem Zusammenhang erwähnten Grabmonuments für die bei Drabeskos Gefallenen einerseits zu IG I3 1144 andererseits (siehe dazu auch oben die ereignisgeschichtliche Rekonstruk tion im Abschnitt „Die Enteignung der Strategen“). 48 Die relevantesten Quellen: Thuk. 1.100.3 und 4.102.2; Isok. 8.86 [dazu Zaccarini 2017, 166]; Diod. 11.70.5 und 12.68.2; Paus. 1.29.4. Zum Kontext siehe Isaac 1986, 23–25; Badian 1993, 73–107; Archiba ld 1998, 115; Zaccarini 2017, 155–179. 49 Die Grabdenkmäler für die griechischen Verbündeten nach der Schlacht bei den Thermopylen, die als Exemplum für die Bestattung von Gefallenen der unterlegenen Partei am ehesten in Be tracht kämen, wurden nicht von den Athenern, sondern von den Amphiktyonen finanziert; sie wurden zudem nicht in Athen, sondern auf dem Schlachtfeld errichtet; und vor allem wurden sie wohl erst gebaut, nachdem die Griechen den persischen Invasionsversuch weitestgehend abge wehrt und die Kontrolle über Mittelgriechenland zurückerlangt hatten. Im Verein mit den Bestat tungen der Gefallenen von Marathon, Salamis/Psyttaleia und Plataiaii standen die griechischen Grabmonumente bei den Thermopylen folglich für den großartigen Einsatz der Griechen im letzt lich erfolgreichen Abwehrkampf gegen die Perser. 50 Zaccarini 2017, 160–168, bes. 167 („It is clear that the tradition has never associated Cimon to the operations on the Thracian inland, in which he probably had no role at all. If anything, the enter prise was led by other stratēgoi, among whom were the eminent Leagros and Sophanes.“).
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In den Jahren 465/464 bis 459/458 wurde die athenische Tradition der Beisetzung gefallener Bürger also auf ein konzeptionell ganz neues Fundament gestellt – und Ki mons Gegner scheinen dabei eine entscheidende Rolle gespielt zu haben.51 Das Ritual entzog sich mit der grundlegenden Neuausrichtung nicht nur dem privilegierten Zu griff einzelner Strategen, es wurde hier erst eigentlich zu einem nachgerade imperialen Ritual, mit dem sich der isonom verfasste Dēmos intern auf die Archē hin konsolidie ren und als durchsetzungsbereite Hegemonialmacht nach außen präsentieren konnte: Der hohe Grad an Öffentlichkeit der athenischen Gefallenenbestattung gegenüber der griechischen Poliswelt insgesamt gewährleistete zugleich, verbündeten wie kon kurrierenden Städten im Vollzug der Gefallenenbestattung ebenso konkret wie ein drücklich darlegen zu können, welche Ressourcen Athen für die Funktionsfähigkeit und den Erfolg des Bündnisses aufzubringen bereit war. Über die Jahre und Jahrzehnte hinweg sollten die im Kerameikos errichteten Gefallenenmonumente eine sich immer weiter ausdifferenzierende und verdichtende Matrix an Einsatzorten repräsentieren, an denen sich die Kämpfer für Polis und Archē aufgeopfert hatten, zudem ergab sich ein zunehmend vielfältiges Netz an Verweisen auf Nichtathener, die Seite an Seite mit den athenischen Bürgern gekämpft hatten und gefallen sind, so dass die Monumente vor den Toren Athens die Reichweite des athenischen Imperiums sowie die Schlag kraft und den inneren Zusammenhalt des Bündnissystems formal prägnant in Szene setzten.52 Die athenische Gefallenenbestattung erlangte so eine Signifikanz als Ort der poliadischen und imperialen Selbstvergewisserung, die weit über die athenische Bür gerschaft hinaus ausstrahlen konnte. Insbesondere nach den Erfolgen der 460er Jahre in der Zurückdrängung der Per ser – als sich den Bündnispartnern die Frage aufdrängen musste, ob eine mit Auto nomieverlust und ökonomischen Nachteilen verbundene Mitgliedschaft im Seebund überhaupt noch nötig und sinnvoll war – konnte die athenische Gefallenenbestattung eine neue Funktion als Nachweis der unerreichten Einsatzbereitschaft Athens für ganz Hellas erlangen. Die neue Tradition einer gemeinsamen Bestattung sämtlicher Gefal lener am Ende einer jeden Kriegssaison inszenierte auf markante Weise die langfristige Einsatz- und Opferbereitschaft der Bürgerschaft insgesamt. Die athenischen Gefalle nenmonumente wurden damit nicht nur ideell, sondern ganz konkret auf die im Jah resrhythmus fortschreitende Dokumentation der eigenen Verluste ausgelegt: Anfang der 450er Jahre wurde mit IG I3 1147 im Kerameikos das wohl erste eigentliche atheni 51
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Ob sich entscheidende Veränderungen der athenischen Gefallenenbestattung auf innenpolitische Dynamiken um 460 zurückführen lassen, hat sich schon Sarah C. Humphreys gefragt (Humphreys 1999, bes. 133 f.). Der Grundgedanke trifft sicherlich zu, auch wenn sich die Entwicklung im Detail doch etwas anders darstellt als von Humphreys angenommen. Mit der Berücksichtigung von Verbündeten in der Jahresbestattung werden in gewisser Weise die Ansätze eines polisübergreifenden Gefallenengedenkens weiterentwickelt, die sich im Umfeld der Perserkriege ausgebildet hatten – nun allerdings unter dem Dach des athenischen Deutungsmo nopols.
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sche Opferinventar einer gesamten Kriegssaison errichtet. Aus dieser Perspektive be trachtet stellen die ab 454/453 auf der Akropolis errichteten Tributquotenlisten quasi die konzeptionellen Gegenstücke zu den Gefallenenlisten dar: Die Tributquotenlisten inszenieren die Gegenleistungen, die von den Bündnispartnern erbracht wurden, um an den Vorzügen partizipieren zu können, die sich aus der exzeptionellen Opferbereit schaft der Athener ergaben.53 Die Monumentalisierung des Todes Die Rekonstruktion der athenischen Gefallenenbestattung für die Zeit von den frühen 450er Jahren bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges kann sich auf einen umfang reichen materiellen Befund stützen. Zwar wurden nur wenige Fragmente der Inschrif tenmonumente in situ oder wenigstens in mutmaßlicher Nähe ihres ursprünglichen Aufstellungsortes gefunden, so dass sich die genaue Lage und Anordnung der Denk mäler nur näherungsweise bestimmen lässt,54 die erhaltenen Fragmente lassen sich aber immerhin noch etwa vierzig verschiedenen Gefallenenmonumenten zuweisen, die im genannten Zeitraum – insgesamt eine Spanne von etwa 55 Jahren – errichtet wurden.55 Die meisten athenischen Gefallenengrabmonumente aus dieser Phase wurden aus repräsentativem Material (meist pentelischem Marmor) sorgfältig ausgearbeitet. Bei Monumenten mit mehreren Stelen scheinen über den Basen die einzelnen Inschrif tenblöcke typischerweise entweder durch Anathyrose zu einer regelrechten Inschrif tenwand verbunden gewesen zu sein, wie sich dies etwa für SEG 52.60 feststellen lässt, oder die Inschriftenblöcke standen frei nebeneinander – den Eindruck eines solchen Arrangements bietet die Darstellung einer Reihe von Gefallenengrabstelen auf einer rotfigurigen Loutrophoros, von der sich zwei Fragmente erhalten haben, die sich heute im Allard Pierson Museum in Amsterdam befinden [Abb. 34].56
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Zu den Tributquotenlisten: Meritt/Wade-Gery/McGregor. 1939–1953; Paarmann 2007. Zur be sonderen Bedeutung der Tributquotenlisten in der Entwicklung der athenischen Inschriftenkultur siehe Trampedach 2022. Ein Großteil der antiken Denkmäler aus dem Gebiet des Kerameikos wurde erst im 19. Jahrhun dert disloziert, die meisten Fragmente wurden im Bereich der antiken Agora in sekundärer Ver bauung in modernen Häusern entdeckt. Einen Überblick über diejenigen Denkmäler, die hier besonders relevant sind, bietet die Aufstel lung unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Allard Pierson Museum Amsterdam, inv. 2455 = Beazley Archive Database Nr. 42150; siehe auch Bradeen 1967, 324 f. mit Pl. 70 d; Neeft 1989, 11 Abb. 14; Immerwahr 1990, 100 Nr. 674 mit Rekon struktionszeichnung Tf. 32 Abb. 130; Matthaiou 2003, 195 (unter Nr. 2); Hannah 2010, 273 f. mit Abb 11.1. Auf den dargestellten Stelen sind Ortsrubriktitel zu erkennen: Auf der dritten Stele [ἐ]χ̣ς Ἐλευ⟨θερõν⟩, auf der vierten ἐν Βυζαν⟨τίοι⟩, auf der fünften ἐπ’ Ἐ̣[…] | τ[…]; weitere Buchstaben, die nicht sicher identifiziert werden können, befinden sich im Bereich der oberen Bruchkante auf der zweiten und vierten Stele.
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Die Anzahl der gemeinsam Bestatteten wirkte sich auf die Monumentalität der Denkmäler aus, und bei Konflikten (bzw. Konfliktserien) mit zahlreichen Gefallenen konnten die Grabmäler bemerkenswerte Dimensionen annehmen:57 Während IG I3 1162 [Abb. 22] auf einer einzigen Stele von ca. 1,70 m Höhe und ca. 0,45 m Breite die 59 Gefallenen aller zehn Phylen auflistet,58 dürfte bei IG I3 1147 [Abb. 7] (das Grabmal der ersten sicher greifbaren Jahresbestattung aus den frühen 450er Jahren) mit seinen ursprünglich zehn Inschriftenblöcken, auf denen 1 500 bis 2 000 Gefallene verzeichnet waren, alleine die mit Text versehene Fläche des Monuments über sechs Meter breit und etwa anderthalb Meter hoch gewesen sein.59 Auch bei IG I3 1163 (424/423[?]) erstreckte sich die in drei Blöcken (fr. d, e, f) erhaltene oberste Lage der Stelenbasis über eine Breite von etwa 6 m [Abb. 13 und 14].60 Durch die Basis und die Krepis wur de die Breite der Monumente noch erweitert, wobei die Krepis mit den Ausmaßen der darunterliegenden Grabkammern korrespondiert zu haben scheint, für die sich Längen von über 10 m nachweisen lassen.61 Auch bemerkenswerte Höhen konnten die Monumente erreichen: Der Inschriftenblock SEG 52.60, der in ganzer Höhe erhalten ist, misst 1,54 m – mit Krepis und Basis wird das Monument mehr als zwei Meter hoch gewesen sein [Abb. 16]. Die sogenannte Palaiologou-Stele (SEG 48.83 [Abb. 12]) – ein Grabmal für athenische Reiter aus dem ersten Jahrzehnt des Peloponnesischen Krie ges (siehe hierzu auch die entsprechenden Hinweise im dritten Kapitel) – weist eine
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Die meisten Fragmente lassen keine gesicherten Schlüsse auf die Gesamtzahl an Stelen der Mo numente zu, zu denen sie ursprünglich gehörten. Wahrscheinlich aus nur einer Stele bestand IG I3 1162; aus mehreren Stelen: IG I3 1180, 1190, 1192; drei Stelen: IG I3 1191; evtl. fünf Stelen: IG I3 1163 (siehe Bradeen 1964, 23–29), IG I3 1186 und SEG 52.60 (siehe Tsirigoti-Drakotou 2000 und ead. 2007, 471–478); evtl. zehn Stelen: IG I3 1144 (evtl. mit 1145 und 1146) und 1147 (evtl. mit 1147 bis). Einschließlich einer Person Namens Σεμιχίδες (LGPN II s. v. Σημιχίδης) aus Eleutherai, das zwar auf attischem Territorium lag, aber nicht in die Phylenordnung integriert war. Zur Datierung des Monuments: Ferrandini Troisi/Cagnazzi 2013, 45–57; für Details und Literaturhinweise siehe auch den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Ar beit. IG I3 1147 + 1147 bis; siehe zu diesem Monument oben in diesem Kapitel den Abschnitt „Vom Grabmonument zum Opferinventar“. IG I3 1163 d+e+f; Detailangaben zu den Maßen finden sich bei Bradeen 1964, 25–27 (mit Fig. 1); die Verbindung mit SEG 52.60 (vorgeschlagen von Tsirigoti-Drakotou 2000) wurde von Arrington 2012, 66 f. zurückgewiesen. Für die Zuweisung zu 424 (dem Jahr der Schlacht von Delion) hat Mattingly 1963, 261 f. argumentiert (tentativ gefolgt von Papazarkadas 2009, 83 Anm. 61); für De tails und Literaturhinweise siehe auch den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Hinweise auf das Verhältnis von Grabkammer zu Krepis ergeben sich möglicherweise aus Poly andrion E des Grabkomplexes im Bereich Salaminosstraße 35: Teil einer Krepis könnte die Mauer aus Kalksteinblöcken gewesen sein, mit der Polyandrion E nach Norden hin abschließt (innerhalb des Grabungsareals konnte die Mauer bisher allerdings nur über eine Länge von 2,85 m freigelegt werden. In der Grabung wurden unterirdische gemauerte Gefallenengrabanlagen mit einer Länge von mindestens 9,85 m (Grab A) bzw. 10,30 m (Grab B) freigelegt; siehe ADelt 52 1997[2002] B’ 1, 52–56 = Stoupa 1997[2002] sowie zu den Details die Ausführungen im weiteren Verlauf dieses Kapitels.
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Höhe von 2,10 m auf, darüber befand sich ursprünglich noch eine Stelendekoration, und der Stein ruhte wohl ebenfalls auf einer Basis mit darunterliegender Krepis.62 Die Listen mit den Namen der Gefallenen waren regelmäßig überschrieben mit einer Wendung wie „diese Athener starben im Krieg“ oder ähnlichen Formulierun gen63 – speziell für Reiter auch „diese Reiter starben in …“64 –, offenbar regelmäßig gefolgt von einer Präzisierung der Orte, an denen die Gefallenen zu Tode gekommen sind, wie etwa „… in Korinth und in Boiotien“.65 Die Inschriften waren so gestaltet, dass die Überschriften sowie die Kolumnen- und Rubriktitel (zumal in ihrer ursprünglich farbigen Fassung) in der Regel auch aus einiger Distanz gut erkennbar gewesen sein dürften. Auf der oben erwähnten Stele der Phyle Erechtheis aus den frühen 450er Jah ren etwa erstreckt sich alleine der als Rubriktitel gesetzte Schriftzug ΕΡΕΧΘΕΙΔΟΣ bei einer Buchstabenhöhe von 0,025 und Sperrsatz über eine Weite von mehr als einen halben Meter [Abb. 7].66 Über das in den Überschriften regelmäßig erscheinende De monstrativpronomen (hοίδε bzw. οἵδε), das meist an erster oder zweiter Stelle steht, wird bei entsprechend hoher Sichtbarkeit ein direkt auf die darunter gelisteten Namen der Gefallenen verweisender optischer Marker gesetzt. Die Gliederung der Listen variiert: Die Namen der athenischen Bürger waren of fenbar durchgängig der jeweiligen Phyle zugeordnet, teilweise treten noch (über- oder untergeordnet) geografische Rubriken hinzu, um zudem die Einsatzorte, an denen die Bestatteten ums Leben gekommen waren, jeweils einzeln auszuweisen.67 In aller Re gel besetzt dann jeder gelistete Name eine eigene Zeile innerhalb der entsprechenden Spalte, meist sind die Namen je Stele auf zwei oder mehr Spalten verteilt. Die Buch stabenhöhe der Listeneinträge bewegt sich typischerweise im Bereich zwischen 0,015 und 0,023, die Namen der Gefallenen waren damit (insbesondere bei farbiger Fassung des Textes)68 aus näherer bis mittlerer Distanz gut zu erkennen (zum Vergleich: bei der Vietnam Veterans Memorial Wall in Washington D. C. liegt die Buchstabenhöhe der Namen bei ca. 0,0135). 62 63
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SEG 48.83 = Ephorie Athen M 4551; für Details und Literaturhinweise siehe den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. ℎ̣οίδε ἐν τõι πολέμō ι ἀπέθανον (IG I3 1147); ℎοί]δε ἐν τõι πο[λέμō ι ἀπέθανον (IG I3 1166); ℎ]ο̣ίδ[ε ἐν τõι πολέμō ι ἀπέθανον (IG I3 1183); ℎοίδ’ ἐν τõι πολέμ[ō ι ἀπέθανον (SEG 52.60); ℎοίδε] Ἀθ[εν] αι˜ |̣ [οι ἀπ]έ[θανον ἐν - - - (IG I3 1191); ἀπέθα]νον οἵδε̣[ (Agora 17 Nr. 24); Ἀθηναίων οἵδε ἀπέθα]νον ἐν Κορίνθωι καὶ ἐμ Βοιωτοι˜[ς (IG II/III2 5221). IG II/III2 5222: οἵδε ἱππέης ἀπέθανον ἐν Κορίνθωι· … ἐν Κορωνείαι· …; vgl. SEG 48.83: hοίδε Ἀθεναίō ν hιππες� ἀπέθανο[ν] | ἐν Τανάγραι καὶ ἐ Σπαρτόλō [ι]. IG II/III2 5221 (siehe oben Anm. 63). IG I3 1147. Teils sind die Phylenrubriken den geografischen Rubriken übergeordnet, teils umgekehrt. Die farbige Ausgestaltung der Ornamente und Inschriften öffentlicher Grabstelen der klassischen Zeit wird auch von entsprechenden Darstellungen auf antiken Loutrophoroi und Lekythoi nahe gelegt, vgl. etwa Metropolitan Museum, New York, inv. 1989.281.72, 08.258.16, 10.210.12, 35.11.5, 06.1021.294. Zu Darstellungen von Gräbern auf klassischen Vasen siehe insbes. Arrington 2014; siehe ferner Kurtz 1975; Nakayama 1982; Oakley 2014.
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Die Variation der Buchstabenhöhe lässt über die Jahrzehnte hinweg keine ein heitliche Tendenz erkennen: Von Monument zu Monument schwanken in gewis sen Korridoren die jeweils angesetzten Buchstabenhöhen und Zeilenabstände bei den Überschriften, Rubriktiteln, Gefallenennamen, Funktionsbezeichnungen und Epigrammen. Bei Listen mit einer hohen Zahl an Gefallenen wurden Schriftgröße und Zeilenabstand in der Regel reduziert, das Schriftbild mithin verdichtet.69 Im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts tritt dieses Phänomen vor allem wegen der regelmä ßig hohen Opferzahlen im Peloponnesischen Krieg verstärkt auf. Asche und Boden Die regelmäßige Errichtung monumentaler Inventare athenischer Gefallener und ihrer Unterstützer sowie die konsequente räumliche Bündelung der Bestattungen in einem – nicht nur von Straßen und Wegen, sondern auch von unterschiedlichen profanen und sakralen Bauten durchzogenen – prominenten Vorstadtbereich Athens hat insbeson dere in den Jahren und Jahrzehnten ab den frühen 450er Jahren im Gebiet des äußeren Kerameikos nach und nach eine sich zunehmend verdichtende Memoriallandschaft hervorgebracht, in der sich die ideelle Kohäsion der Bürgergemeinschaft und ihr im perialer Machtanspruch kristallisieren konnten. Die sichtbaren Inschriftenmonumen te korrespondieren im topografischen Setting mit den unsichtbaren Grabanlagen, über deren Strukturen sie sich erheben. Seit der Entdeckung eines Konglomerats solcher Anlagen im Jahr 1997 lassen sich das athenische Gefallenenbestattungsritual und seine gesellschaftliche Bedeutung in wichtigen Facetten noch deutlich besser verstehen. In der Auseinandersetzung mit diesem Befund gewinnt die athenische Jahresbestattung eine Tiefendimension im eigentlichen Sinne des Wortes. Die wenigen bisher bekannt gewordenen Details (die Fachwelt erwartet substanzielle Publikationen seitens der Ausgräber) lassen erahnen, wie wertvoll die Entdeckung für unser Verständnis des athenischen Gefallenenbegräbnisses in klassischer Zeit ist. Unter der Leitung von Charis Stoupa wurde im Jahr 1997 eine Rettungsgrabung im Bereich Salaminosstraße 35 im Stadtteil Metaxourgio durchgeführt, nachdem Bau arbeiter auf archäologische Schichten gestoßen waren.70 Das Grabungsareal liegt im 69 70
Besonders eindrücklich: IG I3 1191 (409 v. Chr.) mit einer Buchstabenhöhe von nur 0,008 und sehr engem Zeilenabstand. Über die Grabungskampagnen hat die leitende Archäologin knapp berichtet: ADelt 52 1997[2002] B’ 1, 52–56 = Stoupa 1997[2002]; ADelt 61 2006[2014] B’ 1, 102–104 = Stoupa 2006[2014]; ADelt 62 2007[2014] B’ 1, 112–113 = Stoupa 2007[2014]; ADelt 63 2008[2014] B’ 1, 125–126 = Stoupa 2008[2014]. Siehe auch Blackman 1998, 8–11; Touchais et al. 1998, 721 f. und 725 mit Fig. 19. Über die Entdeckung informierten zeitnah auch die griechischen Zeitungen (etwa Athens News 7. Au gust 1997, 1 und 8 f. sowie 11. September 1997, 2 und Kathimerini 7. August 1997, 10 f.). Populärwis senschaftliche Kurzdarstellungen und Berichte in überregionalen Zeitungen finden sich bei Stav
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Bereich der antiken Kerameikosstraße, die vom Dipylon71 zur Akademie führte und an der die athenischen Gefallenengräber der klassischen Zeit errichtet wurden. Bei den Grabungen kam bisher eine Grabanlage mit fünf Polyandria (Grabbauten Α, Β, Γ, Δ und Ε) zutage, die sich zweifelsfrei als Komplex athenischer Gefallenengräber iden tifizieren und über die Keramik sicher in die frühe Phase des Peloponnesischen Krie ges datieren lassen (Nr. 3 in der topografischen Übersicht).72 Es handelt sich um die erste und bislang einzige Entdeckung der materiellen Überreste von Grabkammern klassischer athenischer Gefallenengräber. Zwar sind die Grabbauten Α, Γ, Δ und Ε in römischer Zeit geplündert worden, wobei die Grabbeigaben entwendet oder zer stört, die kremierten Überreste der Bestatteten zerstreut und einzelne Bauelemente entnommen wurden. In Grabmal Β konnte sich aber eine größere Menge verbrannter Skelettreste nebst Grabinventar unter kollabierten Deckenplatten in situ erhalten (spe ziell zu den Gebeinen siehe unten die entsprechenden Bemerkungen im Abschnitt „Ritualkontexte und Handlungslogiken“). Bereits der in der ersten Kampagne ergra bene Fundkomplex bewahrt damit genügend Detailinformationen, um faszinierende
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rakakis 1997, 24; Rose 2000 a, 42–45; Fischler 2000, 4 (Section 14LI); Wilford 2000, 19 (Section A). Rose 2000 b bietet ein „Interactive Lab: Fallen Heroes“ (inhaltlich weitgehend identisch mit Rose 2000 a). Von besonderem Interesse sind die Publikationen von Anagnostis Agelarakis, der als forensischer Archäologe mit der Analyse der kremierten Überreste der Bestatteten befasst war und detaillierte Auswertungen vorgelegt hat (Agelarakis 2013 und Lohne/Agelarakis 2014, hierzu unten mehr). Aus dem Spektrum der Forschungsliteratur, die die wenigen Informationen zum archäologischen Befund, die bisher bekannt geworden sind, zu verwerten sucht, seien hier ange führt: Pritchett 1998 b, bes. 7; Oakley 2004, 215 f.; Schmidt 2005; Arrington 2010 b, 517 f.; Low 2010; Hannah 2010; Ruggeri et al. 2013, 131; Marchiandi 2014 a, 1457–1459; Arrington 2015; Stöhr 2020. Mit Gruben/Müller 2018 wird in der vorliegenden Arbeit als Dipylon die im Grabungsareal des Kerameikos östlich gelegene Toranlage bezeichnet (das kleinere, westlich gelegene Tor dagegen als Heiliges Tor); zur Benennung (und zu den ebenfalls gebräuchlichen Bezeichnungen Thriasi sches Tor bzw. Kerameikostor) siehe ibid. 6–8; zur Namengebung des Dipylon siehe auch Rup penstein 1997. Das Tor wurde im Jahr 479/478 v. Chr. angelegt, nachdem die Stadt zuvor von den Persern verwüstet worden ist. Neben dem wenige Meter südwestlich gelegenen Heiligen Tor stell te das Dipylon das wichtigste nordwestlich gelegene Stadttor Athens des unter Themistokles neu errichteten Peribolos dar. Zur ersten Phase des Tores: Stroszeck 2014, 77–79. Zur Kerameikosstra ße siehe unten in diesem Kapitel die Anm. 77. Die Identifikation der Strukturen als Gefallenengräber beruht auf einer Reihe im Folgenden dis kutierter Indizien, die hier der Übersichtlichkeit halber nochmals knapp zusammengefasst seien: (a) Die Lokalisierung der Gräber im Bereich der öffentlichen Gefallenengräber, (b) die Struktur der Gräber mit interner Untergliederung, die auf eine Bestattung nach Phylen hindeuten könnte, (c) die Tatsache, dass es sich ausweislich der erhaltenen Überreste der Bestattungen um Gemein schaftsgräber handelt, die ferner (d) ausschließlich kremierte Leichname männlicher Verstorbe ner enthalten, welche zudem (e) in Alter, Physiognomie und physiologischen Besonderheiten (darunter kriegstypische Verletzungen) den erwartbaren Merkmalen athenischer Bürgersolda ten entsprechen, sowie schließlich (f) die Keramikfunde, darunter rotfigurige Loutrophoroi und weißgrundige Lekythoi, die mit für Kriegerbestattungen typischen Szenen gestaltet sind und sich bekannten Malern zuweisen lassen (siehe hierzu unten in diesem Kapitel bei Anm. 75). Zu den Punkten im Einzelnen siehe insbesondere ADelt 52 1997[2002] B’ 1, 52–56 = Stoupa 1997[2002] und Agelarakis 2013. Die Keramik wurde von John Oakley untersucht; die Ergebnisse sind bislang nicht publiziert.
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Einblicke in die Beschaffenheit der Memoriallandschaft des klassischen Kerameikos und die athenische Gefallenenbestattung des fünften Jahrhunderts zu ermöglichen. Inzwischen wurden weitere Kampagnen durchgeführt, und das Grabungsareal soll sukzessive erweitert werden, so dass auch in Zukunft noch wertvolle Erkenntnisse zu erwarten sind.73 Bei den bislang freigelegten Gräbern handelt es sich um unterirdische gemauerte Anlagen des Theke-Typus, für deren Errichtung im Bereich bestehender älterer Gräber (aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts) mehrere Gruben von 1,70 m bis 2,90 m Tiefe ausgehoben wurden. Von besonderem Interesse sind die in der ersten Grube ent deckten Reste der Grabbauten Α und Β: Sie sind bis zur Höhe zweier Quaderschichten erhalten und weisen bei einer inneren Breite von 0,90 m bis 1,10 m und einer Höhe von 1,10 m bis 1,25 m eine schmale, längsrechteckige Grundstruktur mit einer bemerkens werten Länge von mindestens 9,85 m bzw. 10,30 m auf.74 Beide Bauten verfügen über in terne Untergliederungen, die auf eine (in den literarischen und epigrafischen Quellen gut bezeugte) Bestattung nach Phylen hindeuten könnten. Die materiellen Strukturen der neu entdeckten Grabkammern unterstreichen die pietät- und würdevolle Umsicht, mit der die athenische Gesellschaft ihren Gefallenen in der „schönsten Vorstadt“ Athens (Thuk. 2.34) die letzte Ehre erwiesen hat: Denn obgleich die Bauwerke durch ihre unterirdische Anlage nicht sichtbar waren, wurde mit hochwertigem Material und höchster Präzision gearbeitet; die Böden der Gruben wur den gepflastert, die Wände der Polyandria wurden mit Kalksteinblöcken in sorgsam bearbeiteten isodomischen Quaderschichten ausgelegt, und ein hoher Grad an Pass genauigkeit der Blöcke wurde durch Anathyrose sichergestellt [siehe Abb. 37]. Von der hohen gesellschaftlichen Bedeutung, die der Gefallenenbestattung zukam, zeugen zu dem die Grabbeigaben, die sich vor allem in Form zahlreicher Keramikfragmente grei fen lassen: Im Grabinventar zeigt sich eine hohe Präsenz rotfiguriger Loutrophoroi mit Kampfszenen sowie ebenso zahlreich vertretenen weißgrundigen Lekythoi.75 Über den unterirdischen Anlagen, in denen die sterblichen Überreste der im Kampf für die Polis gestorbenen Bürgersoldaten sorgsam bewahrt wurden, standen einst – weithin sichtbar – die Grabmonumente, auf denen ihre Namen verzeichnet waren und auf denen mit Epigrammen ihr aufopferungsvoller Eifer für das Gemeinwohl geehrt
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Enteignungsverfahren für die umliegenden Gebäude wurden bereits 1997 eingeleitet. Von den Bauten Δ und Ε, die in der zweiten Grube errichtet worden sind, haben sich, da sie in römischer Zeit komplett abgetragen wurden, nur Spuren im Pflaster erhalten; die Länge des Bau werks Δ lässt sich nicht genau bestimmen, und Bauwerk Ε konnte bislang nur über eine Länge von 3,10 m ergraben werden. Auch Bau Γ in Grube 3 konnte wegen eines angrenzenden modernen Gebäudes vorerst nur über eine Länge von 1,75 m freigelegt werden. Die Vasen lassen sich einer ganzen Reihe bekannter Maler zuweisen; vertreten sind etwa der Bow doin-Maler, der Zanoni-Maler, der Aischines-Maler, der Sabouroff-Maler, der Achilles-Maler, der Tymbos-Maler und der Kleophon-Maler: ADelt 52 1997[2002] B’ 1, 52–56 = Stoupa 1997[2002]; Whitley 2002/2003, 7; Oakley 2004, 215 f.
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wurde: Hiervon hat sich im bisher ergrabenen Areal zwar nichts in situ erhalten, die Monumente werden aber zweifelsohne mit denselben Charakteristika gestaltet gewe sen sein, wie sie für die Gefallenendenkmäler der zweiten Hälfte des fünften Jahrhun derts durchgängig festgestellt werden konnten.76 Als archäologischer Befund steht das Konglomerat an Grabanlagen im Bereich Sa laminosstraße 35 bislang noch isoliert da. Wir müssen aber annehmen, dass sich die meisten öffentlichen Gefallenenmonumente, die in der Phase der Jahresbestattungen im Kermeikos errichtet wurden, auf eine Anlage vergleichbarer Grundstruktur bezo gen haben. Aus der regelmäßigen Setzung solcher Strukturen heraus bildete sich im Gebiet des Kerameikos eine sich zunehmend verdichtende Matrix monumentaler Memorialmarker aus, die jeweils von einer unsichtbaren Grabanlage mit sichtbaren Monumentalaufbauten gebildet wurden. Die Bedeutung des sich auf diese Weise über die Jahre hinweg allmählich kristallisierenden Gräberfeldes lässt sich nur umfassend bewerten, wenn nun auch der nordwestliche Vorstadtbereich in seiner topografischen Gesamtkonstellation noch näher in den Blick genommen wird. Die poröse Topografie des Todes Innerhalb des weiten Gebiets entlang der Kerameikosstraße, einer platzartig breiten Weganlage, die sich über etwa 1,5 km zwischen dem Dipylon und der Akademie er streckt hat (siehe hierzu auch die topografische Übersicht im Anhang dieser Arbeit),77 wurden vereinzelt Fragmente klassischer Gefallenenlisten entdeckt (die weitaus meis ten Fragmente waren allerdings disloziert und wurden größtenteils in neuzeitlicher Bebauung entdeckt, vor allem auf dem Gebiet der Agora); im Bereich der Salaminos straße 35 kamen zudem die oben diskutierten archäologischen Strukturen zutage, die sich unzweifelhaft als Grabkammern athenischer Polyandria der klassischen Zeit be stimmen lassen. Jeder materielle Einzelbefund trägt zum Verständnis der historischen Bedeutung des athenischen Gefallenenbegräbnisses bei, auf Basis der archäologischen Spuren alleine lässt sich bis heute der topografische Charakter des öffentlichen Grä
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Möglicherweise gehören zu den Polyandria der Salaminosstraße 35 bereits bekannte Fragmente jener athenischen Gefallenenmonumente, die sich in denselben Zeithorizont datieren lassen und deren ursprünglicher Aufstellungsort sich nicht anderweitig bestimmen lässt. Hier kommen IG I3 1180, 1179, 1183, 1184 und 1185 infrage sowie möglicherweise auch IG I3 1165, 1188, 1189 und 1193; auch die Monumente IG I3 1181 und SEG 48.83 für gefallene Reiter sind evtl. denkbar. Für Details und Literaturhinweise zu den genannten Denkmälern siehe die entsprechenden Einträge unter der Ru brik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Eine sichere Zuordnung ist auf Basis der bisher bekannt gewordenen archäologischen Befunde nicht möglich. Paus. 1.29.4 bezeichnet den Weg vom Dipylon zur Akademie schlicht als ὁδός. In der Forschungsli teratur wird der Weg als Kerameikosstraße, als Akademiestraße (vgl. Philostr. Bioi Soph. 2.22) oder als Dromos (hierzu kritisch Clairmont 1983, 30 mit Anm. 10) bezeichnet.
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berfeldes vor den Toren Athens aber nicht in hinreichender Klarheit erfassen. Um ein Gesamtbild zu gewinnen, ist die Forschung weiterhin auch auf verstreute literarische Hinweise sowie speziell auf die knappe, nicht unproblematische Beschreibung des Ge biets bei Pausanias (1.29.3–16) angewiesen.78 Um den Gesamtcharakter des Areals zu erfassen, wird gerne auf Thukydides ver wiesen: Das historisch gewachsene Konglomerat an öffentlich finanzierten Gefalle nengräbern vor den Toren Athens beschreibt der Historiograf als Dēmosion Sēma, also eine von der Bürgergemeinschaft eingerichtete Grabanlage, wobei Sēma auch Konnotationen in Richtung Signum oder auch Ehrenmal aufweist.79 Die Bezeichnung Dēmosion Sēma ist von allen greifbaren Bezeichnungen forschungsgeschichtlich am bedeutendsten, Thukydides ist allerdings der einzige antike Autor, der die athenischen Gefallenengräber im Kerameikos so nennt. Platon und Pausanias sprechen von einem Mnēma, also einem Denkmal,80 Demosthenes verwendet die Pluralbildungen Sēmata oder Dēmosia Mnēmata.81 Isokrates wählt die recht technische Bezeichnung Dēmosioi Taphoi,82 also öffentliche (bzw. von öffentlicher Hand finanzierte) Gräber – eine Wen dung, die, wie sich herausstellt, das Phänomen am besten beschreibt. Die moderne Forschung wollte die genannten Bezeichnungen schon früh im Sinne eines regelrechten „Staatsfriedhofs“ verstehen. Inzwischen besteht weitgehend Einig keit darüber, dass das Gebiet, in dem sich in klassischer Zeit das athenische Gefalle nenbegräbnis vollzog, mit einem neuzeitlichen Konzept dieser Art nicht adäquat zu fassen ist.83 Die Monumente lagen selbst dort, wo sie kumuliert auftraten, meist noch
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Die wichtigste literarische Beschreibung der δημόσιοι τάφοι zwischen Dipylon und Akademie ist Paus. 1.2.3 f. und 1.29.2–1.30.4. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit Pausanias’ Beschreibung des Gebiets öffentlicher Gräber bietet Pritchett 1998 b, 1–60. Wertvolle Informationen zu Pausanias’ Be sichtigungsroute bieten auch Domenico Mustis und Luigi Beschis Pausanias-Kommentar (Musti/ Beschi 1982) sowie Maddoli/Musti 2007 und Broeck-Parant 2015; siehe ferner Pritchett 1985, 145–153. Hilfreiches Kartenmaterial zu Pausanias’ Bericht findet sich bei Musti/Beschi 1982, CV–CXXVI. Wie Pausanias Inschriftenmonumente als historische Zeugnisse behandelt, hat umfassend Zizza 2006 un tersucht. Die Frage, wie verlässlich der Bericht des Pausanias ist, wird noch immer ganz unterschied lich beantwortet; vgl. nur Pritchett 1998 b, 1 („Pausanias speaks as an eyewittness and can be trusted, despite imperfections and gaps“) und Knoepfler 1996, 280 („le commentaire de Pausanias, fondé sur une tradition apparemment orale [φασὶ δὲ Ἀθηναι˜οι], est si vague qu’on peut douter qu’il ait vu ce[s] monument[s], dont l’existence même est dès lors sujette à caution“). Das Dipylon wird in 1.2.3 f. von Pausanias zwar nicht explizit genannt, durch die Erwähnung des Pompeions ist die Verortung aber gesichert (vgl. Musti/Beschi 1982, 262). Einen konzisen Überblick über den antiken Weg zwischen Dipylon und Akademie bietet Ficuciello 2008, bes. 150–151, dort mit weiterführenden Literaturanga ben in Anm. 801, sowie S. 153 (Nota bibliografica, speziell die Literaturangaben im Abschnitt Tratto suburbano ed extraurbano); siehe auch Di Cesare 2015, 217–246. 79 LSJ s. v. ση˜ μα; zum Begriff siehe auch Stroszeck 2013 b, 10 f. 80 Plat. Men. 242 b–c; Paus. 1.29.4; zum Begriff μνη˜ μα siehe Eichler 1914; Stroszeck 2013 b, 11 f. 81 Dem. 18.208; 57.37. 82 Isok. 8.88. 83 Vgl. Patterson 2006, 55 f.: „it seems best to keep demosion sema just what it is – Thucydides’ own idiosyncratic term.“
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immer nicht unmittelbar nebeneinander, sondern eher versprengt und ungeordnet, bis in kleine Seitenwege hinein, und waren immer wieder von anderen Strukturen (öffentliche Einzelgräber, aber auch private Einzel- oder Familiengräber, kultische Funktionsbauten und dergleichen) durchzogen.84 Der Ausgang der mit den Gräbern kommemorierten Konflikte – ob es sich also um eine erfolgreiche oder weniger erfolg reiche Kriegssaison gehandelt hat – spielte für die Frage der räumlichen Organisation der Gräber offenbar keine Rolle; eine irgendwie geartete chronologische oder thema tische Anordnung lässt sich ebenfalls nicht erkennen. Eine Gesamtschau des archäologischen und literarischen Befundes deutet demnach darauf hin, dass sich über die Zeit hinweg im Gebiet des äußeren Kerameikos in relativ ungeregelter Weise topografisch nur lose zusammenhängende Cluster öffentlich finan zierter Gefallenengräber ausbilden konnten und das athenische Gefallenenbegräbnis damit zwar in zunehmender Intensität eine aber doch grundsätzlich heterogene Re präsentationslandschaft geprägt hat. Mit seiner schlichten Beschreibung des Konglo merats an öffentlichen Gefallenengräbern als „öffentliche Gräber“ (δημόσιοι τάφοι) kommt Isokrates der Sache also formal am nächsten, denn es gibt im klassischen Athen keinen einheitlichen, abgeschlossenen Raum, in dem ein „Staatsfriedhof “ als solcher sich geordnet entwickelt haben könnte. Nathan Arrington (2015, 74) hat von einer „porous periphery“ gesprochen, und in der Tat haben wir es hier offenbar mit einer gewissermaßen porösen Topografie politischer Ideologie zu tun, die sich dem Betrachter nie als geschlossene Einheit dargestellt haben kann.85 Ritualkontexte und Handlungslogiken Von der Bergung auf dem Schlachtfeld bis zu ihrer Bettung im Kerameikos bildeten die Körper der im kriegerischen Einsatz für die Polis getöteten Bürger den steten Be zugspunkt einer Serie ritueller Handlungen. Die kulturelle Bedeutung dieser Sequenz symbolischer Vollzüge lässt sich am besten von den kremierten Gebeinen her rekon 84 Archäologisch besonders gut erschlossen ist die Situation im Kerameikos-Grabungsbereich des Deutschen Archäologischen Instituts; hier zeigt sich, wie der Bereich der Gräber auch von Heiligtümern (Stroszeck 2014, 99–110), Privatbauten (ibid., 111–123) sowie Töpferbetrieben und Werkstätten (ibid., 124–131) durchzogen ist. Archäologisch lässt sich die unmittelbare Nähe von Gefallenengräbern und Brennöfen auch im Bereich Salaminosstraße 35 gut nachweisen (ADelt 61 2006[2014] B’ 1, 102–104 = Stoupa 2006[2014]). 85 Low 2012, 32 spricht in diesem Sinne von einem „dispersed space“ (bzw. Low 2010, 344 f.: „diffu sed space“); vgl. auch Walter-Karydi 2015, 7 („Die Griechen kannten keinen Friedhof “). Dass die Gefallenengräber keinen geschlossenen Raum gebildet haben, deutet sich auch in einigen literari schen Quellen an: Aristoph. Orn. 395–399; Cic. Fin. 5.2.5; Suda κ 1354 s. v. Κεραμεικός. Im Gebiet des Kerameikos manifestiert sich eindrücklich die transformative Wirkung der athenischen De mokratie auf die Topografie der Stadt; siehe dazu die grundlegenden Überlegungen bei Osborne 2007.
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struieren. Wertvolle Erkenntnisse lassen sich speziell aus den menschlichen Überres ten gewinnen, die sich in Grabbau Β der im Bereich Salaminosstraße 35 ergrabenen Polyandria erhalten haben. Anagnostis Agelarakis hat die Gebeine im Auftrag der Ephorie forensisch analysiert. Die Erkenntnisse, die sich dem (wegen der vergleichs weise niedrigen Brandtemperatur noch recht gut erhaltenen) Material dabei entlocken ließen, sind aufschlussreich.86 Agelarakis fand heraus, dass mindestens 41 Personen in Grabbau Β bestattet wurden; es handelt sich um kremierte Leichname ausschließ lich männlicher Verstorbener, die in Alter, Physiognomie und physiologischen Be sonderheiten (darunter kriegstypische Verletzungen) den erwartbaren Merkmalen athenischer Bürgersoldaten entsprechen. Konkret bedeutet dies: Die Personen, die hier bestattet wurden, waren Männer, weisen in aller Regel (aber nicht ausnahmslos) eine robuste Physiognomie auf, verfügen über Altersmerkmale, die eine gleichmäßige Verteilung über das wehrfähige Alter nahelegen, und lassen auch kriegstypische Ver letzungen erkennen. Agelarakis war sogar in der Lage, ältere Verletzungen zu identi fizieren, die teilweise wieder verheilt waren und in einigen Fällen Spuren ärztlicher Behandlung aufwiesen. Von Bedeutung für die Frage nach der rituellen Begleitung der Verstorbenen vom Schlachtfeld zu ihrer letzten Ruhestätte ist, dass sich mit den Methoden der forensi schen Archäologie auch Rückschlüsse nicht nur auf die physikalischen Bedingungen der Kremation, sondern auch auf die krematorische und postkrematorische Handha bung der Leichname ziehen lassen. So bewahren die Gebeine Hinweise auf einen ho hen Grad an Sorgfalt im Umgang mit den Verstorbenen. Agelarakis weist speziell darauf hin, dass im organischen Material, das in Grabbau Β geborgen werden konnte, sämtli che skelettalen Elemente des Kranial-, Dental- und Infrakranialbereichs vertreten sind und dass sich selbst kleinste Handwurzel- und Phalangealknochen erhalten haben: Dies sind eindrucksvolle Hinweise auf den hohen Grad an Sorgfalt, mit dem die Entnahme der kremierten Überreste aus dem Brandbett und die Aufbereitung der Gebeine für die Rückführung und für das Bestattungsprozedere vorgenommen wurden.87 Aufschlussreich sind auch die forensischen Hinweise darauf, dass die Gefallenen nicht einzeln, sondern gruppenweise kremiert wurden. Da die Konskriptionslisten 86 87
Agelarakis 2013. Agelarakis 2013, 379 zieht aus seinen Beobachtungen die folgenden Schlussfolgerungen: „the re trieval and collection of the cremated human materials from the pyre bed … was carried out by the ancients with considerable care and thoughtfulness. This was reflected through the assembled cremains representing all skeletal elements of cranial, dental (dentin tissue), infracranial and ap pendicular upper and lower components, including miniscule fragments of small, irregular bones from the carpals or short tubular phalangeal fragments. Such clues indicate the careful observati on, cognizance, and attention paid during the collection of the cremains for post-pyre mortuary handling. Further, it may be suggested that an apparent range of adequate time frame must have been available, indicative of a lack of distress or looming time limitations, which allowed such cautious if not discreet processes to take place“. Zum Komplex des Umgangs mit den Leichnamen der Gefallenen siehe auch Reese 2018 und id. 2022, 106–113.
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phylenweise geführt wurden und die Bestattung ebenfalls phylenweise durchge führt wurde, legt der archäologische Befund die Annahme nahe, dass nach Ende der Schlacht zunächst die Toten phylenweise registriert und dass anschließend die Gefal lenen auch phylenweise gemeinsam kremiert und ihre Gebeine dann gemeinsam für den Rücktransport in die Heimatpolis in geeignete Behältnisse umgebettet wurden. Die Erkenntnisse zum postmortalen Umgang mit den Körpern der athenischen Bür gersoldaten, die sich anhand der bemerkenswerten Funde aus Grabbau Β gewinnen lassen, sind von hoher Relevanz für unser Verständnis des athenischen Gefallenenbe gräbnisses insgesamt. Der Befund bietet wertvolle Einblicke in Phasen des Umgangs mit den Gebeinen der Gefallenen, zu denen die literarische Überlieferung schweigt. Die forensische Analyse der kremierten Gebeine bestätigt zudem den Grundtenor des Berichts über den zeremoniellen Charakter der Bestattungsfeierlichkeiten, mit dem Thukydides in der Rahmenhandlung der perikleischen Gefallenenrede die noch intak te Ordnung der athenischen Wertewelt am bedächtigen Umgang der Athener mit den Leichnamen der gefallenen Bürgersoldaten exemplifiziert. Werden die archäologische und die literarische Evidenz zusammengenommen, lassen sich die Handlungsabläufe rund um die Bestattung der Gefallenen in den wesentlichen Elementen rekonstruie ren – auch wenn weiterhin gewisse Unklarheiten zu einzelnen Details bestehen. So ist etwa nirgends überliefert, wo wir uns die zweitägige Prothesis vorzustellen haben, von der Thukydides spricht. Die Aufbahrung der Gebeine könnte auf der Ago ra stattgefunden haben, etwa nahe dem Phylenheroenmonument.88 Da sich mit dem Tod allerdings auch kultische Unreinheit verbindet, die innerhalb der Stadt in höhe rem Maße als außerhalb für problematisch erachtet wurde, ist ein Ort vor den Mauern ebenfalls gut denkbar, etwa in der Nähe des Dipylon oder des Heiligen Tores.89 Für die Zeit vor ihrer öffentlichen Aufbahrung ist gänzlich unklar, wo die kremierten Gebeine der Gefallenen (teilweise offenbar über Monate hinweg) unter der Obhut der Polis gelagert wurden und welche Möglichkeiten des privaten Umgangs mit den Verstor benen in dieser Zeit bestanden. Die literarische Überlieferung lässt uns hier im Stich, der Bericht des Thukydides legt aber immerhin nahe, dass die kremierten Gebeine der Gefallenen dann von der Polis für die Prothesis in einer temporären Konstruktion,90 88
Zur Agora als Ort der Prothesis: Arrington 2015, 36. Arrington (ibid. Anm. 71) referiert eine in privater Kommunikation geäußerte Hypothese von Nikolaos Papazarkadas, die Prothesis könnte beim Prytaneion stattgefunden haben. Die Nähe zum Phylenheroenmonument könnte sich in be sonderem Maße geeignet haben: Die Ordnung der Leichname nach Phylen ist konstitutiv für die Gefallenenbestattung, das Denkmal auf der Agora als zentraler Ort der Repräsentation der Phylen in Athen könnte den entsprechenden Bezugspunkt gebildet haben. Nicht abschließend geklärt ist allerdings die Entstehungszeit des Monuments, und es bleibt die Frage der kultischen Unreinheit innerhalb der Stadt. 89 Plut. Per. 30.3. 90 Unter der σκηνή ist eher ein Schattendach für den Witterungsschutz denn eine Bühne oder ein nach außen geschlossenes Zelt zu verstehen (vgl. die Begriffserklärung bei Frickenhaus 1927, 470). Nach Jacoby 1944, 62 Anm. 117 repräsentiert das Zeltdach das Privathaus der Trauernden, doch ist
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wohl bereits geordnet nach ihrer jeweiligen Zugehörigkeit zu einer der zehn kleisthe nischen Phylen, für Akte des Familiengedenkens bereitgestellt wurden. Wie genau sich die Würdigung eines einzelnen Gefallenen in diesem Rahmen dargestellt haben kann, wenn die Gebeine phylenweise zusammengefasst waren, ist unklar. Ob Art und Um fang der Würdigung gefallener Familienmitglieder im Rahmen der Prothesis reguliert wurden, etwa um Zurschaustellung gesellschaftlichen Prestiges durch einzelne Famili en einzuschränken, ist ebenfalls nicht bekannt. Für die eigentlichen Bestattungszeremonien wurde die Asche der gefallenen Sol daten schließlich vom Ort der Prothesis in einer festlichen Prozession, der Ekphora, mit großer öffentlicher Anteilnahme in den Bereich des Kerameikos überführt; Thu kydides spricht von Särgen aus Zypressenholz, in denen die Gebeine nach Phylen geordnet – und möglicherweise von Repräsentanten der jeweiligen Phyle geleitet – zur Grabstätte transportiert wurden.91 Die Beisetzung der kremierten Gebeine samt Grabbeigaben fand dann im Bereich zwischen dem Dipylon und der Akademie in jeweils neu angelegten Polyandria entlang der Kerameikosstraße statt. Vielleicht wur den im Rahmen dieser Vollzüge auch die Epigramme deklamiert, die typischerweise die Grabmonumente zierten, und die Listen der Gefallenen verlesen. Nach der feierli chen Schließung der Gräber hielt der vom Dēmos bestimmte Redner von einer eigens errichteten Tribüne aus eine festliche Rede.92 Nach dem Ende der eigentlichen Be stattung wurde wohl an den Folgetagen der Epitaphios Agō n durchgeführt, worunter musische, hippische und gymnische Wettkämpfe kultischen Charakters zu Ehren der Verstorbenen zu verstehen sind.93 *** Zu Beginn der 450er Jahre haben die Athener unter ganz spezifischen historischen Um ständen die außergewöhnliche Praxis einer jahrweise durchgeführten Gemeinschafts
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kaum davon auszugehen, dass die Konstruktion eine größere Menschenmenge, mit der nicht nur bei einer höheren Zahl an Gefallenen gerechnet werden muss, aufnehmen konnte. Wenn jede Phyle Gefallene zu beklagen hatte, wurden folglich bis zu zehn Särge mitgeführt. Thuk. 2.34 berichtet, dass ein weiterer leerer Sarg im Bedarfsfall für diejenigen Gefallenen mitgeführt wurde, die nicht geborgen werden konnten; siehe dazu Hoffmann 2011. Die Tribüne erwähnt Thukydides (2.34: προελθὼν ἀπὸ του˜ σήματος ἐπὶ βη˜ μα ὑψηλὸν πεποιημένον, ὅπως ἀκούοιτο ὡς ἐπὶ πλει˜στον του˜ ὁμίλου, ἔλεγε τοιάδε). Vor dem Dipylon wurden Pfostenlöcher entdeckt, die teilweise mit der Tribüne in Verbindung gebracht wurden, aber wohl eher eine ande re Funktion hatten; siehe Gruben/Müller 2018, 152. Den ἐπιτάφιος ἀγών erwähnt Lys. 2.80 (καὶ ἀγω˜ νες τίθενται ἐπ’ αὐτοι˜ς ῥώμης καὶ σοφίας καὶ πλούτου, ὡς ἀξίους ὄντας τοὺς ἐν τῳ˜ τετελευτηκότας ται˜ς αὐται˜ς τιμαι˜ς καὶ τοὺς ἀθανάτους τιμα˜ σθαι); vgl. Ath. Pol. 58.1 (ὁ δὲ πολέμαρχος θύει μὲν θυσίας τῃ˜ τε Ἀρτέμιδι τῃ˜ ἀγροτέρᾳ καὶ τῳ˜ Ἐνυαλίῳ, διατίθησι δ’ ἀγω˜ να τὸν ἐπιτάφιον, καὶ τοι˜ς τετελευτηκόσιν ἐν τῳ˜ πολέμῳ καὶ Ἁρμοδίῳ καὶ Ἀριστογείτονι ἐναγίσματα ποιει˜); siehe dazu insbes. Stupperich 1977, 54–56 und Clairmont 1983, 22–28. Unklar ist, ob die Wettkämpfe jährlich abgehalten wurden oder nur, wenn auch ein Gefallenenbegräbnis stattfand.
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bestattung sämtlicher über eine ganze Saison hinweg gefallener Athener eingeführt. Wie das vorliegende Kapitel zeigt, lässt sich diese Innovation aus der historischen Entwicklungsdynamik zwischen der Schlacht am Eurymedon und der Schlussphase des Krieges in Ägypten erklären. Die Neuerungen, die sich mit der Einführung der Jahresbestattung ergaben, sollten das athenische Gefallenenbegräbnis über Jahrzehnte hinweg tiefgreifend prägen. Bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges wurde die (erstmals in IG I3 1144 greifbare) Kollektivbestattung über mehrere Einsatzorte hin weg zur vorrangigen Form der Gefallenenbestattung, die ab IG I3 1147 (aus dem Jahr 459/458 [oder 460/459]) wohl auch meistens in Form einer regelrechten Jahresbe stattung durchgeführt wurde. Die Begründung einer neuen Tradition der athenischen Gefallenenbestattung hat das Ritual auf eine andere Grundlage gestellt: Die Gefalle nenbestattung wurde dem privilegierten Zugriff einzelner Strategen entzogen und lag nun in der Verantwortung des Dēmos insgesamt; die Verflechtung der Gefallenenbe stattung mit Ideologemen von Sieghaftigkeit wurde weitgehend aufgelöst, das Ritual entwickelte sich zu einer Inventarisierung der Opfer, die Athen für die innere Integri tät und äußere Stärke des eigenen Bündnissystems zu erbringen bereit war –, und ge wann damit zugleich an Bedeutung für die Legitimierung der athenischen Dominanz in der östlichen Mittelmeerwelt. Während das erste Kapitel dieser Arbeit die athenische Gefallenenbestattung vor der Einführung dieses besonderen Brauchs untersucht, rückt das vorliegende zweite Kapitel die Genese und den Charakter dessen in den Blick, was Thukydides als Patrios Nomos im Sinne einer jahrweise vollzogenen Gemeinschaftsbestattung der Gefalle nen einer ganzen Kriegssaison beschrieben hat. Das nächste Kapitel knüpft daran mit der Frage an, wie sich diese außerordentlichen Vollzüge speziell im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts historisch entwickelt haben. Es zeigt sich dabei, dass der Ein druck eines im Wesentlichen statischen Rituals trügt. Die isonome Grundlage der athenischen Gefallenenbestattung geriet zunehmend unter Druck: Noch bevor die thukydideischen Historien mit der berühmten Beschreibung der athenischen Gefal lenenbestattung in Umlauf kamen, sollte mit der Jahresbestattung das außergewöhn lichste und voraussetzungsreichste politische Ritual des klassischen Athens kollabie ren.
Drittes Kapitel Gleichheit und Differenz Die Grenzen der Isonomie Von Beginn der 450er Jahre an bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges lässt sich die öffentliche Bestattung athenischer Gefallener anhand einer hohen Zahl erhalte ner Fragmente athenischer Gefallenenmonumente, über archäologische Befunde und über Hinweise in der literarischen Überlieferung detailliert nachvollziehen – in dieser Phase wird die Bestattung athenischer Kriegsgefallener (wie das zweite Kapitel zeigt) vorrangig durchgeführt als Kollektivbestattung von Gefallenen unterschiedlicher Ein satzorte, und zwar regelmäßig in Form der gemeinsamen Bestattung des gesamten In ventars an Gefallenen einer ganzen Kriegssaison. Die verfügbare Evidenz weist auf ein in der Grundanlage weitgehend stabiles Ritual der öffentlichen Gefallenenbestattung in Athen hin; innerhalb dieses Rahmens lassen sich allerdings auch signifikante Ent wicklungstendenzen und Sonderfälle erkennen, die in der Forschung bislang nicht in hinreichender Genauigkeit untersucht wurden und nun in diesem Kapitel auf Hinwei se zur historischen Dynamik und zur politischen Bedeutung der athenischen Gefalle nenbestattung in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts hin befragt werden sol len. Als Ausgangspunkt bietet sich die Frage an, wer im Zuge des athenischen Patrios Nomos überhaupt bestattet wurde. Die Frage ist nur scheinbar trivial. Alliiert bis in den Tod Die meisten Gefallenenmonumente, die in klassischer Zeit vor den Toren Athens er richtet wurden, waren ausschließlich oder vorrangig athenischen Bürgern gewidmet. Doch ab den 460er Jahren lässt sich nachweisen, dass auch auswärtige Verbündete ge meinsam mit den gefallenen Athenern im Kerameikos bestattet werden konnten. Für IG I3 1144 [Abb. 5 und 6] wird dies im zweiten Kapitel thematisiert: Entsprechende Rubriken in der Gefallenenliste verweisen darauf, dass gemeinsam mit den Athenern auch Verbündete von der thrakischen Chersones und aus Byzantion sowie Sklaven bestattet wurden. Dass dann auch im weiteren Verlauf Nichtathener berücksichtigt
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werden konnten, bezeugt bereits wenige Jahre später IG I3 1147 von 459/458 (oder 460/459) v. Chr. [Abb. 7] als vermutlich frühestes bekanntes Grabmonument einer für die gesamte Kriegssaison gemeinsam durchgeführten kollektiven Gefallenenbe stattung (siehe ebenfalls das zweite Kapitel): In einer gesonderten Rubrik werden hier jedenfalls Bogenschützen (τοχσόται) und damit wohl ebenfalls Nichtathener ge würdigt, die offenbar gemeinsam mit den gefallenen athenischen Bürgern beigesetzt wurden. Bis zum Ende des fünften Jahrhunderts finden sich in den Fragmenten der Monumente athenischer Gefallenenbestattungen immer wieder Namen auswärtiger Verbündeter in Ergänzung der ansonsten nach Phylen geordneten Listen gefallener Athener. Epigrafisch bezeugt sind die folgenden Fälle:1 – IG I3 1144 [vgl. Abb. 5 und 6] col. II., ll. 34 ff.: [Μαδ]ύτιοι / 2 Namen, ll. 118 ff.: [Βυζά]ντιο[ι] mind. 8 Namen, col. I., ll. 139 f.: [θ]εράπον̣τ ε̣ ς / 1 Name – 464(?) v. Chr. – IG I3 1147 [vgl. Abb. 7] l. 67: τοχσόται / 1 Name – 459/458 (od. 460/459) v. Chr. – IG I3 1172 fr. e, l. 35: [τοχσόται βάρβ]αροι / 2 Namen – nach Mitte 5. Jh. v. Chr. – IG I3 1165 l. 2: λήμνιοι / 4 Namen – 2. Hälfte 5. Jh. v. Chr. – IG I3 1180 fr. e+a, l. 5: χσέ̣νοι / 3 Namen sowie fr. d, ll. 26 f.: [β]ά̣ρβαροι | [τ]οχσόται / 2 Namen – 439–435 v. Chr. – SEG 48.83 [vgl. Abb. 12] ll. 53 f.: [hι]πποτοχσότης / 1 Name – 424/423(?) od. 430/429(?) v. Chr. – IG I3 1184 col. II., l. 76: ἔνγρ̣ α̣̣ [φοι] / 2 Namen (evtl. Metöken), col. II., l. 79: τοχσόται / 9 Namen sowie col. II., l. 89: χσένοι / 6 Namen – 424/423 v. Chr. – IG I3 1190 [vgl. Abb. 18] col. II., ll. 136 f.: τ̣ο[χσ]όται | [β]άρβ̣αροι / 4 Namen – 411(?) v. Chr. – IG I3 1192 [vgl. Abb. 23] col. II., ll. 152 ff.: τοχ[σόται] | βάρβα[ροι] / 4 Namen sowie col. II., ll. 158 f.: hιππο[τοχσότε̄ ς] / 1 Name – Ende 5. Jh. v. Chr.
Die erhaltenen Fragmente der genannten Monumente zeigen, dass hier die gefalle nen Nichtathener gemeinsam mit den gefallenen Athenern beigesetzt und in den Gefallenenlisten an der Seite der Athener genannt wurden; zugleich aber wurden sie als Nichtathener kenntlich gemacht (und damit von den athenischen Bürgern abge grenzt) sowie in einigen Fällen auch bestimmten Einheiten – wie etwa den Bogen schützen (τοχσόται) oder den berittenen Bogenschützen (hιπποτοχσόται) – zugeord net. Ansonsten aber wurden auch bei ihnen grundsätzlich keine militärischen Ränge, besondere Verdienste oder sonstige Statusindikatoren angeführt, und die Verbünde ten wurden wie die athenischen Bürger lediglich mit ihren Rufnamen ohne Patrony mika gelistet.
1
Für Details und Literaturhinweise zu den hier genannten Monumenten siehe die entsprechenden Einträge unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
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Drittes Kapitel
Schon die genannten Fälle zeigen, dass im Kerameikos spätestens ab Mitte der 460er Jahre nicht ausschließlich nur athenische Bürger für ihren Einsatz im Dienste Athens geehrt werden konnten, sondern zunächst einmal ganz offenbar alle Kämpfer (allerdings ausschließlich männlichen Geschlechts), die ihre Bereitschaft zur ultima tiven Selbstaufgabe für den Bestand der athenischen Archē durch ihren Einsatz im Krieg unter Beweis gestellt hatten – auch wenn die Monumente freilich stets auch die formale Priorisierung athenischer Bürger inszenierten. Neben der gemeinsamen Bestattung mit athenischen Bürgern konnten Verbündete der Athener in einigen Fällen auch eine gesonderte Bestattung im Kerameikos – und damit eigene Grabmonumente – erhalten. Die folgenden Fälle sind aus dem fünften Jahrhundert bekannt:2 – IG I3 1149 [Abb. 8 und 9] (= Paus. 1.29.8 f.): Grabmonument der 458/457 v. Chr. bei Tanagra gefallenen Argiver;3 – IG I3 1158: evtl. Grabmonument für die 458/457 v. Chr. bei Tanagra gefallenen Kleo naier (= Paus. 1.29.7);4 – IG I3 1182: evtl. Grabmonument für die 458/457 v. Chr. bei Tanagra gefallenen Ionier;5 – IG I3 1159: evtl. Grabmonument für gefallene Ionier aus der Zeit vor Mitte 5. Jh. v. Chr.;6 – IG I3 1164: Monument für gefallene Lemnier aus Myrina; zweite Hälfte 5. Jh. v. Chr.; – Paus. 1.29.6: Grabmonument der 431 v. Chr. in der Schlacht von Phrygioi gefallenen thessalischen Reiter; – IG II/III2 11678 [Abb. 24, 25 und 26]: „Lakedaimoniergrab“, 403 v. Chr.
Das hier zuletzt genannte Lakedaimoniergrab, das im Jahr 403 unweit vor dem Di pylon für diejenigen Spartaner errichtet wurde, die im athenischen Bürgerkrieg im Kampf gegen die Piräus-Partei gefallen waren, stellt einen Sonderfall dar, der (im vier ten Kapitel) noch eigens behandelt wird. IG I3 1164 (zweite Hälfte 5. Jh.) für Lemnier aus Myrina wiederum reflektiert möglicherweise kein Monument für gefallene Alli ierte Athens, sondern für athenische Kleruchen.7 Von den übrigen fünf eigenständigen 2 3 4 5 6 7
Für Details und Literaturhinweise zu den hier genannten Monumenten siehe die entsprechenden Einträge unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Die maßgebliche Publikation: Papazarkadas/Sourlas 2012. Papazarkadas/Sourlas 2012, 602 f.; zu den Kleonaiern in der Schlacht bei Tanagra siehe Perlman 2000, 138–141. Matthaiou 2009 b, 210 Anm. 21 akzeptiert die Zuweisung zu alliierten Ioniern. Ebenfalls akzeptiert von Matthaiou (ibid.). So Stupperich 1977, 10. Auch IG I3 1165 wird in der Forschung hin und wieder als Fragment eines eigenständigen Monuments für Lemnier gedeutet, doch ist in diesem Fall die Rubrik Λήμνιοι (l. 2) der Phylenrubrik hιπποθοντίδος untergeordnet, und Matthaiou 2009 b hat überzeugend nachge wiesen, dass das ionische Alphabet in den 420er Jahren auch in offiziellen athenischen Inschriften auftauchen konnte.
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Grabmonumenten für gefallene Verbündete sind vier in der Zeit des sogenannten Ers ten Peloponnesischen Krieges (460–445) verortet, möglicherweise beziehen sich die drei erstgenannten Monumente gleichermaßen auf die Schlacht von Tanagra (für IG I3 1149 ist die Zuordnung gesichert, für IG I3 1158 wahrscheinlich, für IG I3 1182 möglich). Das Monument für die bei Tanagra gefallenen Argiver lässt am deutlichsten erken nen, wie sich ein im Kerameikos situiertes Gedenken auswärtiger Verbündeter an ihre Gefallenen in gewissen Aspekten der Logik der athenischen Gefallenenbestattungen angepasst hat. Auch wenn die Form des Monuments mit einem Ziergiebel klar von den athenischen Gefallenenmonumenten abweicht und die Inschrift im argivischen Alphabet gesetzt ist,8 so weist die Liste der gefallenen Argiver doch formal denselben Aufbau auf wie die athenischen Jahresinventare: Unter der Phylenrubrik (erhalten hat sich in col. I., l. 3 der argivische Phylenname hυλλε̄ ε�ς)9 werden die Namen der Gefalle nen formal auf dieselbe Weise dargestellt wie in den Listen der athenischen Gefallenen. Auch die Gefallenenlisten in IG I3 1158, IG I3 1182 und IG I3 1159 folgen demselben Sche ma.10 Das auf den Fragmenten des Monuments für die gefallenen Argiver zumindest teilweise erhaltene Epigramm zeigt zudem, soweit sich dies rekonstruieren lässt, dass auch hier die Bewertung des selbstaufopferischen Einsatzes der Kämpfer unabhängig von Konzepten der Sieghaftigkeit erfolgte – es greift also offenbar dieselbe Logik einer Würdigung der Gefallenen unabhängig vom Ausgang des Konflikts, wie sie im zweiten Kapitel dieser Arbeit für die athenischen Kollektivbestattungen von Gefallenen unter schiedlicher Einsatzorte herausgearbeitet wird.11 Soweit sich dies sagen lässt, wurden die Bestattungen auswärtiger Verbündeter (im Gegensatz zu den Bestattungen athenischer Gefallener) allerdings nicht über unter schiedliche Einsatzorte hinweg oder gar als regelrechte Jahresbestattungen durchge führt. Die Verbündeten wurden offenbar vielmehr in Gemeinschaftsbestattungen bei gesetzt, die in zeitlicher Nähe zur jeweiligen militärischen Auseinandersetzung und damit wohl auch gesondert vom Bestattungszeremoniell für die gefallenen Athener durchgeführt wurden. Dies liegt jedenfalls dadurch nahe, dass die fraglichen Listen, soweit sich dies erkennen lässt, keine Ortsrubriken aufweisen, wie sie auf den Listen athenischer Gefallener erstmals bei IG I3 1144 erscheinen und auf dieser wie auf späte ren Listen deutlich anzeigen, dass in den entsprechenden Bestattungen Gefallene von unterschiedlichen Einsatzorten zusammengefasst wurden. 8 9 10 11
Teile des Giebels und der darunterliegenden Faszie haben sich erhalten auf den Fragmenten f, n und d [Abb. 8 und 9]. Zu den Charakteristika des in IG I3 1149 verwendeten Alphabets siehe Papa zarkadas/Sourlas 2012, 589. Zur Gliederung dieser Inschrift nach Phylen siehe Papazarkadas/Sourlas 2012, 597–599. Der Phy lenname wird hier im Nominativ Plural (Ὑλληει˜ς) angegeben; siehe dazu Tentori Montalto 2017, 124. IG I3 1164 sei hier wegen der unsicheren Zugehörigkeit zur Gruppe eigenständiger Gefallenengrab monumente von Alliierten Athens ausgeklammert. Im zweiten Vers läss sich der Begriff „Leid“ – πένθο[ς – sicher rekonstruieren.
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Drittes Kapitel
Auch das Epigramm von IG I3 1149 [Abb. 8 und 9] auf die gefallenen Argiver deu tet durch die explizite Nennung nur eines bestimmten militärischen Konflikts darauf hin, dass die kremierten Gebeine der Gefallenen direkt nach der Schlacht bei Tanagra 457 v. Chr. nach Athen verbracht und dort ohne besondere Verzögerung bestattet wur den:12 Ἀργε[ίō ν]
[τοί]δ’ ἔθ̣[ανον Ταν]άγραι Λακ[εδαιμο|νίō ν hυπὸ χερσ]ί, πένθο[ς (⏑) – ⏔ – | – πέ]ρ̣ι μαρναμ ̣[εν –].
Zwar ist die Rekonstruktion des Epigramms insgesamt schwierig;13 klar ist aber, dass sich der erste Vers („Von den Argivern starben diese in Tanagra durch die Hände der Lakedaimonier“) ausdrücklich nur auf diesen einen Konflikt bezieht. Auch wenn die Bestattungen von Verbündeten vor den Toren Athens eine gewis se Eigenständigkeit gegenüber der athenischen Tradition erkennen lassen, so sind die Beisetzung der Verbündeten im Kerameikos und die formale Anlehnung der Gefalle nenlisten an das athenische Modell doch signifikant. Hier lässt sich erstens ein Schul terschluss der besonderen Art zwischen Athen und seinen Symmachoi greifen: Durch die Bestattung im Kerameikos haben sich die Alliierten im anhaltenden Konflikt zwi schen Athen und Sparta offenbar demonstrativ auf die Seite der Athener gestellt und wurden hierfür von diesen mit der hohen Ehre einer Bestattung Seite an Seite mit ih ren eigenen Gefallenen gewürdigt. In den ersten eigenständigen Bestattungen von Al liierten vor den Toren Athens zeigt sich zweitens nochmals deutlicher als zuvor in IG I3 1144 und IG I3 1147 (mit der Berücksichtigung gefallener Verbündeter in den atheni schen Gefallenenbestattungen), dass das Gebiet der öffentlichen Gefallenengräber im Kerameikos schon wenige Jahre nach der ersten eigentlichen Jahresbestattung weit über Athen hinaus als zentraler ideologischer Bezugspunkt des Seebundes wahrge nommen wurde. Gerade in den Monumenten für die auswärtigen Verbündeten wird damit drittens deutlich, dass es den Athenern gelungen war, die Gefallenenbestattung im Kerameikos von einer Frage der Polis zu einer Frage der Archē zu machen. Als die athenische Macht dann später erhebliche Risse zu zeigen begann, konnten sich die Verbündeten im Umkehrschluss auch von Athen distanzieren, indem sie nach einer gemeinsamen Operation ihre Gefallenen gerade nicht zusammen mit den Athe nern im Kerameikos, sondern in ihrer Heimatpolis bestatteten – die Argiver etwa, die ihre bei Tanagra Gefallenen noch in Athen bestattet hatten, haben nach dem Debakel in Sizilien die Gebeine ihrer gefallenen Mitbürger in der Heimatpolis beigesetzt.14 Mit einer Bestattung gefallener Reiter im Kerameikos konnten die thessalischen Verbün
12 13 14
Das Epigramm: CEG 135. Sogar Papazarkadas/Sourlas 2012, 599 Anm. 82 schreiben in ihrer eingehenden Analyse des Monu ments: „the epigram needs to be reexamined“. Paus. 2.22.9: πεποίηται δὲ οὐ πόρρω του˜ γυμνασίου πολυάνδριον τοι˜ς μετὰ Ἀθηναίων πλεύσασιν Ἀρ γείοις ἐπὶ καταδουλώσει Συρακουσω˜ ν τε καὶ Σικελίας.
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deten im Jahr 431 dagegen noch zum Ausdruck bringen, dass sie in der sich verschär fenden Konfliktlage vor dem Ausbruch des Peloponnesischen Krieges an der Seite Athens standen.15 Dass dann für das vierte Jahrhundert keine besondere Würdigung gefallener Nichtathener im Umfeld des athenischen Gefallenenbegräbnisses mehr bezeugt ist, unterstreicht, wie eng die Einbeziehung der Alliierten in die athenische Gefallenenbestattung mit der Archē Athens verwoben war. Die Gräber auswärtiger Verbündeter im Kerameikos scheinen in gewissem Maße auch auf die athenische Tradition zurückgewirkt zu haben: Zwar fällt es nach wie vor schwer, die Entwicklung hin zu einer dekorativeren Ausgestaltung der (anfangs offenbar bewusst schlicht gehaltenen) athenischen Gefallenenmonumente präzise zu rekonstruieren, eine tendenzielle Zunahme an Gestaltungselementen wie Zierleisten, Stelenbekrönungen und teilweise auch Reliefs scheint sich aber doch mit zunehmen der Dynamik im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts abzuzeichnen.16 Möglicher weise ist diese Entwicklung nicht nur durch die Konkurrenz mit den in dieser Zeit zunehmend üppiger gestalteten athenischen Privatgrabmonumenten zu sehen, son dern auch von den im Kerameikos errichteten Gräbern für auswärtige Verbündete mitgeprägt worden. Für IG I3 1149 – das Grabmal der bei Tanagra gefallenen Argiver – lässt sich jeden falls schon für das Jahr 458/457 eine dekorative Gestaltung der Stele rekonstruieren, wie sie in dieser Zeit bei den öffentlichen Monumenten für gefallene Athener, die in unmittelbarer Nähe standen, noch nicht existierte. Auch der Umstand, dass Verbünde te offenbar mehrfach Bestattungen vor den Toren Athens durchgeführt haben, die sich nicht auf unterschiedliche Einsatzorte und eine gesamte Kriegssaison, sondern auf ei nen bestimmten militärischen Konflikt bezogen, könnte zumindest punktuell die athe nische Praxis beeinflusst haben. Wie im ersten und zweiten Kapitel herausgearbeitet, ließen sich mit einer Kollektivbestattung über mehrere Einsatzorte hinweg jedenfalls die spezifischen Umstände der einzelnen Operationen in weitaus geringerem Maße individuell würdigen, als dies im Rahmen von Bestattungen für die Opfer einzelner militärischer Unternehmungen möglich war. Auch ließ sich eine Kollektivbestattung 15 16
Thuk. 2.22; das Grabmal erwähnt Paus. 1.29.6. In diesem Zusammenhang wurde das Zeugnis der Lekythos aus dem Piräus-Museum (ΜΠ 15602; vgl. Abb. 35 und 36) bisher nicht berücksichtigt, die sich in die 420er Jahre datieren lässt und zwei felsohne ein athenisches Gefallenengrab mit Palmettenbekrönung darstellt; dieser Befund lässt möglicherweise Rückschlüsse auch auf weitere Vasenbilder der zweiten Hälfte des 5. Jahrhun derts zu. Die Darstellung mehrerer Stelen eines athenischen Gefallenengrabmonuments auf dem Fragment einer Loutrophoros im Allard Pierson Museum (inv. 2455 = Beazley Archive Database Nr. 42150) reflektiert wohl jedenfalls noch die frühere, einfacher gehaltene Form der athenischen Gefallenenlisten ohne krönendes Element. Der einzige Fall einer tatsächlich erhaltenen Stelenbe krönung ist IG II/III2 5222 [Abb. 28 und 29] aus dem ersten Jahr des Korinthischen Krieges. IG I3 1164 (2. Hälfte 5. Jh.) weist noch eine abgeflachte Stelenoberseite auf, während sich bei SEG 43.83 (424?) und IG I3 1186 (411?) ursprüngliche Stelenbekrönungen über entsprechende Einlassungen nachweisen lassen. Weitere Hinweise zur Entwicklung diskutiert Arrington 2010 a, 62–65.
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über unterschiedliche Kampagnen hinweg weniger leicht von einzelnen Strategen für die eigene Profilierung instrumentalisieren, als dies beispielsweise Kimon nach der Schlacht am Eurymedon möglich war. Allerdings war das athenische Gefallenenbe gräbnis auch nach der Einführung der Jahresbestattungen weitaus weniger statisch, als zumeist angenommen. Es lohnt sich, die Hinweise auf Abweichungen von der Norm näher in den Blick zu nehmen. Sie deuten darauf hin, dass ab den 430er Jahren die iso nome Grundlage des athenischen Gefallenengedenkens brüchig zu werden begann. Norm und Divergenz Die Diskussion von IG I3 1144 und 1147 im zweiten Kapitel zeigt, dass eine Kollektiv bestattung von Gefallenen unterschiedlicher Einsatzorte (und selbst eine gemeinsame Beisetzung der Gefallenen unterschiedlicher Kampagnen) noch keine Jahresbestat tung gewesen sein muss, wie sie Thukydides beschreibt. Auch wenn im epigrafischen Befund meist eindeutige Angaben fehlen, aus denen – wie bei IG I3 1147 – eindeutig hervorgeht, dass die Bestatteten „innerhalb ein und desselben Jahres“ gefallen sind (IG I3 1147 l. 4: τõ αὐτõ ἐνιαυτõ), so ist doch zu erwarten, dass das athenische Gefalle nenbegräbnis zwischen den frühen 450er Jahren und dem Ende des Peloponnesischen Krieges regelmäßig in Form einer solchen Jahresbestattung durchgeführt wurde. Aller dings lassen sich auch innerhalb dieses Zeitraums Gefallenenbestattungen identifizie ren, die von der etablierten Norm abweichen. Für unser Verständnis der historischen Entwicklung des athenischen Gefallenengedenkens sind diese Fälle von besonderem Interesse. Die frühesten nachweisbaren Fälle dieser Art stammen aus den 430er Jahren. Drei Bestattung zeigen für diesen Zeithorizont in besonderer Deutlichkeit, wie sich die isonome Grundlage der athenischen Gefallenenbestattung aufzulösen begann. Es handelt sich um die athenischen Gefallenenbestattungen nach dem Sieg über Samos 439 und nach der Schlacht von Potidaia 432 sowie die in IG I3 1181 greifbare Bestattung athenischer Reiter (möglicherweise Gefallene des Einsatzes gegen Boioter im Jahr 431/430). Bei den Bestattungen nach dem Sieg über Samos und nach der Schlacht von Potidaia scheinen die Beisetzungen der gefallenen Athener nicht als Jahresbestattung, sondern jeweils in Form gesonderter Begräbnisse für die Gefallenen der individuellen Konflikte durchgeführt worden zu sein. Zunächst zu Potidaia. Unter den epigrafischen Zeugnissen, die sich zur athenischen Gefallenenbestat tung des fünften Jahrhunderts erhalten konnten, finden sich zwei Fragmente einer mit Epigrammen beschriebenen Basis (IG I3 1179 [Abb. 10 und 11]).17 Drei Epigramme lassen sich hier rekonstruieren, die sich interessanterweise auf nur einen einzigen mi
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Für Details und Literaturhinweise siehe den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafi sche Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
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litärischen Konflikt beziehen, nämlich auf eine Auseinandersetzung zwischen Athen und Potidaia. Wir haben es hier offenbar mit Bruchstücken eines Monuments zu tun, das im Jahr 432 zu Ehren jener etwa 150 Athener errichtet wurde, die im Jahr 432 in der Schlacht von Potidaia gefallen sind.18 Unter den materiellen Zeugnissen zur atheni schen Gefallenenbestattung ist der Befund präzedenzlos: Die Nennung nur einer ein zigen Schlacht widerspricht dem, was prima vista in der Phase der Jahresbestattungen zu erwarten wäre. Das ist im vorliegenden Fall auch deshalb bemerkenswert, da die Schlacht bereits im Frühsommer stattfand,19 der Konflikt mit dem athenischen Erfolg aber nicht beige legt war, sondern Potidaia daraufhin noch etwa zwei Jahre lang belagert werden muss te; damit waren auch nach dem erfolgreichen Gefecht noch weiterhin erhebliche Kräf te gebunden – selbst im Moment des Erfolgs waren auf beiden Seiten folglich noch weitere Opfer erwartbar. Zudem war Athen im Jahr der Schlacht von Potidaia auch an anderen Einsatzorten militärisch aktiv: Therme wurde erobert, Pydna wurde belagert, und gegen eine Reihe weiterer abtrünniger Städte wie Strepsa ging Athen gewaltsam vor.20 Nichtsdestoweniger deutet die epigrafische Evidenz darauf hin, dass die Athener die Bestattung der vor Potidaia Gefallenen nicht bis zum Winter aufgeschoben und in eine Jahresbestattung integriert, sondern ihnen ein gesondertes Begräbnis bewilligt haben. Der historische Kontext bietet Anhaltspunkte, wie es zu einer solchen Abwei chung von der etablierten Tradition der Jahresbestattung gekommen sein könnte. Nach der Niederschlagung des Samischen Aufstands haben die Athener den Druck auf die Bündnispartner merklich erhöht – eine entsprechende Anhebung der Tribute fand für Potidaia wahrscheinlich 434/433 statt; in etwa zeitgleich forcierten die Athe ner ihre Bemühungen, einen weiteren Machtzuwachs der thrakischen Stämme und des makedonischen Königreichs zu verhindern. Als sie den makedonischen König Perdikkas II. fallen ließen, organisierte dieser allerdings in Abstimmung mit Sparta und Korinth sowie gemeinsam mit Städten der thrakischen Chalkidike und mit den Bottiaiern eine breite Erhebung gegen Athen, an der auch Potidaia beteiligt war und die für Athen eine ernsthafte Bedrohung darstellte. Als im Frühjahr 432 bereits eine von Archestratos geleitete Operation mit etwa 30 Schiffen und 1 000 Hopliten in Makedonien gegen Perdikkas aktiv war, wurde Perik les von der Rebellion gegen Athen offenbar überrascht.21 Er konnte diplomatisch und militärisch zunächst nur reagieren und musste das Vorgehen immer wieder an die 18 19
20 21
Thuk. 1.62.1–1.63.3; Diod. 12.34.2–4, 12.37.1 Den Konflikt um Potidaia rekonstruieren Alexander 1962; Kagan 1969, 273–285. Die Chronologie des Konflikts wurde eingehend untersucht von Kolbe 1930, 5–49 (mit Zeittafel auf S. 34); siehe dazu auch RE Suppl. X, 621 (= Meyer 1965), gefolgt unter anderem von Gomme (Bd. I, 425) und Kagan (1969, 284). Der Abfall von Potidaia fand wohl im April/Mai 432 statt, die Schlacht von Potidaia Mitte Juni 432. Speziell zu Strepsa: Alexander 1962. Zu Archestratos: PA 211225 (evtl. identisch mit 211080, 211085, 211160, 211230, 211235).
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sich rasch verändernde Lage anpassen. Weitere 40 Schiffe mit 2 000 Hopliten unter Leitung des Strategen Kallias wurden schließlich entsandt, die nötige Truppenstärke konnte aber nur durch eine Kehrtwende im Umgang mit Perdikkas erreicht werden. Dennoch sollten letztlich 150 Athener, darunter der Stratege Kallias, ihr Leben vor den Toren Potidaias verlieren.22 Auch wenn es also die Athener waren, die das Tropaion errichteten (Thuk. 1.63.3), so handelte es sich doch um eine innenpolitisch heikle Situ ation, in der Perikles’ strategischer Weitblick fraglich erscheinen musste. Zwar war mit dem Sieg bei Potidaia die akute Gefahr vorerst gebannt, allerdings waren auf absehbare Zeit erhebliche Kräfte für die Belagerung der weiterhin rebellischen Polis gebunden. Gerade auch mit Blick auf die zunehmenden Spannungen zwischen Athen und Sparta hielt nicht erst Donald Kagan den langfristigen Einsatz von 4 600 Hopliten zur Be lagerung einer einzigen abtrünnigen Stadt für nachgerade irrwitzig.23 Eine gesonder te Bestattung der vor Potidaia Gefallenen ließe sich vor diesem Hintergrund als Akt der Legitimation lesen – angesichts einer misslungenen Planung, einer verfahrenen Situation mit vielen Toten und einer riskanten Strategie für die Positionierung Athens gegenüber den rivalisierenden Mächten. Die Überlegungen zur Bestattung nach der Schlacht von Potidaia ermöglichen es, auch die Bestattung der Gefallenen nach dem Sieg über Samos 439 neu zu bewerten. Epigrafische Zeugnisse lassen sich zu den entsprechenden Gefallenenbestattungen zwar nicht identifizieren, doch legen die literarischen Quellen und der historische Kontext den Schluss nahe, dass schon die im Kampf gegen Samos Gefallenen zeit nah nach der Rückkehr der Truppen im Rahmen einer eigenen Bestattungszeremonie vor den Toren Athens gesondert beigesetzt wurden. Die Quellen hierzu werden im fünften Kapitel näher in den Blick genommen, wo auch der literarische Nachhall der Samischen Rede des Perikles einer genaueren Untersuchung unterzogen wird. Wie sich dort zeigt, waren die athenischen Gefallenenbestattungen nach dem Sieg über Samos wohl exklusiv auf diesen einen militärischen Erfolg ausgerichtet, die entspre chende Zeremonie scheint weit jenseits der Grenzen Attikas als Signal der Stärke und Entschiedenheit Athens wahrgenommen worden zu sein, und Perikles wusste die Ge legenheit offenbar auch zu nutzen, um seine eigene Bedeutung in Athen zu konsoli dieren. Wenn diese Deutung zutrifft, lässt sich die Bestattung nach der Schlacht von Potidaia möglicherweise als Versuch des Perikles lesen, symbolisch an seine damalige erfolgreiche Inszenierung als grandioser Stratege anzuschließen. Während im Falle von Samos der militärische und politische Erfolg außer Frage stand und sich entsprechend vermarkten ließ, war im Falle Potidaias ein sensiblerer Umgang mit dem ambivalenten Zwischenergebnis des Konflikts erforderlich. Bemer kenswert ist vor diesem Hintergrund speziell, wie die Epigramme mit den Implika 22 23
Thuk. 1.63.3. Kallias: PAA 553860 (evtl. identisch mit PAA 553855, 553865, 553870). Kagan 1969, 285: „If Pericles expected war with the Spartans to come in the near future, if, indeed, he was already trying to bring it on, his actions at Potidaea were mad.“
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tionen der Schlacht von Potidaia umgehen. Im ersten, nicht vollständig rekonstruier baren Epigramm nimmt das Denkmal selbst die Rolle des literarischen Ich ein und führt aus, es sei den Verstorbenen zu unsterblichem Gedenken gesetzt, um von ihrer Tapferkeit zu künden.24 Das zweite Epigramm berichtet vom Tod bei den Toren Po tidaias und davon, dass der Aither die Seelen der Gefallenen, die Erde aber ihre Körper aufgenommen habe. Von den Feinden seien einige ebenfalls gestorben, die übrigen in Hoffnung auf Rettung hinter die Mauern geflohen.25 Das dritte Epigramm betont die Trauer des Dēmos um jene, die in vorderster Front vor Potidaia gefallen sind, und hebt ihre Aretē sowie den Ruhm hervor, den sie der Patris erworben haben.26 Von besonderem Interesse ist der vierte Vers des ersten Epigramms. In der Wen dung νίκε̄ ν εὐπόλεμομ μνε�μ’ ἔλαβον φθ̣[ίμενοι] klingt das Konzept der Sieghaftigkeit an:27 Das Denkmal sei den Gefallenen eine Erinnerung an ihren herrlichen Sieg. Wie nirgends sonst in den Gefallenenmonumenten aus der Phase der athenischen Jahres bestattungen wird hier die Tapferkeit (l. 3: σε̄ μαίνε̄ ν ἀρετ[ε̄΄ν) ganz unmittelbar mit der Sieghaftigkeit verknüpft.28 Dass dies konzeptionell überhaupt funktioniert hat, scheint damit zu tun zu haben, dass wir es nach der Schlacht von Potidaia wohl gerade nicht mit einer Sammelbestattung über unterschiedliche Konflikte und Orte hinweg zu tun haben (und folglich auch nicht mit einer Jahresbestattung), sondern mit einem Monu ment, das den Gefallenen einer einzigen Konfrontation gewidmet war.29 Mit Blick auf die zunehmende Korrosion der Isonomie in den 430er Jahren ist eine dritte Bestattung von Interesse, mit der möglicherweise zugleich das früheste Monu ment der klassischen Zeit speziell für gefallene athenische Reiter in Verbindung steht.
IG I3 1179 ll. 2–5: ἀθάνατόμ μεθ̣α[– ⏔ – ⏔ – ⏑ ⏑ – ⏒ |] σε̄ μαίνε̄ ν ἀρετ[ε΄ν – ̄ ⏔ – ⏔ – |] καὶ προγόνō ς θέ‹ν›τες [⏔ – ⏔ – ⏑ ⏑ – ⏒ |] νίκε̄ ν εὐπόλεμομ μνε�μ’ ἔλαβον φθ̣[ίμενοι. |]. 25 IG I3 1179 ll. 6–9: αἰθε̄ ̀ ρ μὲμ φσυχὰς ὑπεδέχσατο, σo΄̄ μ̣[ατα δὲ χθō ̀ ν |] τõνδε· Ποτειδαίας δ’ ἀμφὶ πύλας ἐλ[ύθε̄ ν· |] ἐχθρõν δ’ οἱ μὲν ἔχō σι τάφō μέρος, hο̣[ι δὲ φυγόντες |] τει˜χος πιστοτάτε̄ ν hελπίδ’ ἔθεντο [βίō . ] 26 IG I3 1179 ll. 10–13: ἄνδρας μὲμ πόλις hε΄̄ δε ποθει˜ καὶ δε�[μος Ἀθε̄ νõν, |] πρόσθε Ποτειδαίας hοὶ θάνον ἐμ πρ[ο]μάχοις | παι˜δες Ἀθε̄ ναίō ν· φσυχὰς δ’ ἀντίρρο[π]α θέντες | ἐ[λλ]άχσαντ’ ἀρετε̄ ̀ ν καὶ πατρ̣[ίδ’] ε̣ὐκλ[έ]ϊσα̣ν ̣. 27 Siehe dazu Tentori Montalto 2017, 132: „Il tema degli Ateniesi che morendo hanno ottenuto un monumento del valore ricorre nell’epigramma per i caduti dell’Ellesponto [gemeint ist hier IG I3 1162 = CEG 6]. Tuttavia il nostro epigramma sottolinea piuttosto la vittoria in battaglia tramite l’espres sione νίκην εὐπόλεμον“. 28 Ob das von Plut. Nik. 17.4 genannte Epigramm Οἴδε Συρακοσίους ὀκτὼ νίκας ἐκράτησαν | ἄνδρες, ὅτ’ η᾽� ν τὰ θεω˜ ν ἐξ ἴσου ἀμφοτέροις – womit auf die tragische Wendung von wiederholter Sieghaftig keit zu dramatischer Niederlage angespielt wird – authentisch ist (es könnte von dem von Paus. 1.29.11 f. erwähnten Grab für die 414/413 auf Sizilien Gefallenen stammen), ist unklar. 29 Zum Verhältnis von Jahresbestattung und Sieghaftigkeit siehe auch die entsprechenden Aus führungen im ersten und zweiten Kapitel. Vielleicht hat die damit verbundene Aufwertung des Konflikts auch dazu beigetragen, dass ambitionierte Athener, die vor Potidaia gekämpft haben, ihre dort unter Beweis gestellte Tapferkeit besonders erfolgreich zur eigenen Profilierung nutzen konnten. Die Verdienste, die sich Alkibiades in diesem Konflikt erworben hat, werden jedenfalls noch sehr viel später in Platons Symposion reflektiert (Symp. 219 e–220 a). 24
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Drittes Kapitel
Das Denkmal lässt sich nur in Form eines heute verlorenen Fragments greifen, auf dem sich wenige Buchstaben eines vierzeiligen Epigramms erhalten haben (IG I3 1181).30 Da das Epigramm aber auch in literarischer Form in der Anthologia Palatina (7.254) überliefert ist (dort mit Zuschreibung zu Simonides), lassen sich für die Inschrift das Epigramm rekonstruieren und für das Epigramm der historische Kontext (zumindest näherungsweise) eingrenzen. Das Epigramm preist den Kriegsruhm gefallener Reiter, die sich kämpfend einer Übermacht feindlicher Griechen entgegengestellt haben:31 [χαίρετε ἀριστε�ες πολέμō μέγα] κ̣υ˜ δο[ς ἔχοντες |] [κõροι Ἀθε̄ ναίō ν, ἔχσοχοι hιππ]οσύνα[ι |] [hοί ποτε καλλιχόρō περὶ πατ]ρίδος o’̄ [λέσαθ’ hε̄΄βε̄ ν |] [πλείστοις hελλάνō ν ἀντία μ]αρνάμε[νοι]. Seid gegrüßt, ihr edlen Männer, die ihr großen Ruhm im Krieg genießt, ihr Jünglinge der Athener, ausgezeichnete Reiter, die ihr eure Jugend einst hingabt für die an schönen Orten reiche Heimat,32 kämpfend gegen eine Übermacht an Griechen.
Über die Beschaffenheit des Monuments und den ursprünglichen Aufstellungsort (möglicherweise in der Nähe der übrigen Gefallenengräber zwischen Dipylon und Akademie) lässt sich kaum etwas sicher sagen. Das Epigramm scheint sich auf nur eine bestimmte militärische Auseinandersetzung zu beziehen, fraglich ist also, ob das Monument im Zusammenhang mit einer Jahresbestattung errichtet wurde oder mög licherweise eine Bestattung mit direktem Bezug zu einer bestimmten militärischen Operation reflektiert – falls es sich um das Monument für Gefallene des Einsatzes ge gen Boioter im Jahr 431/430 handelt, könnte dieses etwa parallel zur Bestattung der gefallenen thessalischen Reiter entstanden sein, deren Grab Pausanias (1.29.6) bei den übrigen Gefallenengräbern vor den Toren Athens gesehen hat. Die Wendung μέγα κυ˜ δος birgt jedenfalls Konnotationen militärischen Erfolges, wie sie in einer Jahres bestattung eher nicht zu erwarten wären – auch wenn dies hier nur angedeutet und nicht ganz so deutlich ausformuliert wird wie in IG I3 1179.33 Eine gewisse Nähe zum Monument für die Gefallenen der Schlacht von Potidaia kommt auch darin zum Aus druck, dass hier erneut das Monument als Akteur in Erscheinung tritt, indem es die gefallenen Reiter mit der Formel χαίρετε begrüßt.34
30 31 32 33 34
Für Details und Literaturhinweise siehe den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafi sche Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Text nach Tentori Montalto 2017, 134. Alternative Übersetzung für καλλιχόρō περὶ πατ]ρίδος: die für mit schönen Chören gesegnete Hei mat; vgl. dazu Petrovic 2007, 188 (Peek 1960 Nr. 9 übersetzt „für die tanzfrohe Heimat“). Zur Semantik der Formel μέγα κυ˜ δος siehe Nagy 1979, 63 f. Siehe vergleichend zu IG I3 1179 die Bemerkungen oben in diesem Kapitel bei Anm. 24. Zur Gruß formel χαίρετε in epitymbischen Versinschriften siehe Petrovic 2007, 186.
Gleichheit und Differenz. Die Grenzen der Isonomie
113
Sofern die hier präsentierte Rekonstruktion wenigstens in groben Zügen stimmt, liegen uns für die 430er Jahre mehrere bemerkenswerte Indizien dafür vor, dass die Tradition der athenischen Jahresbestattung in einer Phase verschärfter Spannungen innerhalb des Seebunds unter Druck geraten ist und punktuell sogar aufbrechen konn te. Das Monument IG I3 1181 (das Denkmal der gefallenen Reiter) bezeugt dabei, dass diese Dynamik zwei unterschiedliche Richtungen gleichzeitig aufwies: Einerseits wurde damit die Option zurückgewonnen, die Gefallenen nur eines bestimmten Kon flikts gesondert zu würdigen, zum anderen ließen sich nun die Verdienste der Reiter als Mitglieder einer gesellschaftlich exponierten und privilegierten Zensusklasse auch in der Gefallenenbestattung differenzierter ansprechen. Interessant ist auch, dass die frühen Entwicklungstendenzen einer Auflösung der isonomen Grundlage der athe nischen Gefallenenbestattung just in den Jahren 432 bis 430 einen ersten Höhepunkt erreicht zu haben scheinen: In den Jahren um den Beginn des Peloponnesischen Krie ges wurde nicht nur mit der Durchführung konkurrierender Gefallenenbestattungen im Jahr 432 die Logik des Patrios Nomos im Sinne der Jahresbestattung (erneut) un terlaufen, im ersten Jahr des Peloponnesischen Krieges wurde zudem mit der geson derten Würdigung der Reiter als privilegierter Zensusklasse auch offenbar erstmals im offenen Bruch mit den Anforderungen der Isonomie ein entscheidendes Konstituens der athenischen Gefallenenbestattung ausgehebelt. Im Rückblick auf genau diesen Zeithorizont blendet Thukydides in seiner Auseinandersetzung mit der athenischen Gefallenenbestattung diese desintegrativen Entwicklungstendenzen aus und bietet ein offenbar stark geglättetes Bild des Rituals und seiner politischen Bedeutung. Welche Konsequenzen sich für unser Verständnis des thukydideischen Berichts über die Be stattung und die literarische Nachempfindung der Gefallenenrede des Perikles erge ben, wird im fünften Kapitel diskutiert. Diese Beobachtungen legen nahe, die vermeintliche Persistenz der Jahresbestat tung für die Zeit des Peloponnesischen Krieges grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen, denn im Grunde ist es nur das Vertrauen in den Bericht des Thukydides, das die Forschung bislang davon abgehalten hat, in Erwägung zu ziehen, dass die Athener in ein und demselben Jahr auch mehrere Gefallenenbestattungen durchgeführt haben könnten: Gleichermaßen ins Jahr 424/423 datieren unter Umständen die Monumen te SEG 48.83, IG I3 1163 und IG I3 1184; ins Jahr 412/411 möglicherweise SEG 52.60, IG I3 1186 und IG I3 1190; ins Jahr 409/408 IG I3 1191 und IG I3 1162 (zu den Details siehe die entsprechenden Einträge unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit). Die vermeintlichen Schwierigkeiten in der Datierung dieser Monumente ergeben sich nur unter der Prämisse einer konsequenten Beibehaltung der Jahresbestattung, die bisher nicht systematisch überprüft wurde und mit den hier vorgestellten Überlegungen zumindest fraglich erscheint.
114
Drittes Kapitel
Der privilegierte Tod Im Kontext der isonomen Bestattung athenischer Gefallener erzeugt die Errichtung eines gesonderten Grabmonuments für Reiter eine besondere Unwucht, auch wenn mit den Bestattungen der Gefallenen von Samos sowie der vor den Toren Potidaias Gefallenen möglicherweise schon zuvor bestimmte Gruppen von Kriegstoten geson dert gewürdigt wurden. Die Entstehung eigener Grabmonumente (und entsprechend auch die Durchführung gesonderter Bestattungsfeierlichkeiten) für die Mitglieder einer bestimmten Zensusklasse tritt als neues Element hinzu – auch in den früheren Gefallenenlisten wurden (soweit sich dies sagen lässt) die Reiter jedenfalls nicht ge sondert ausgewiesen. Dass im athenischen Gefallenengedenken eine Zensusklasse als solche sichtbar wird, ist vor dem Hintergrund des sich verschärfenden gesellschaftli chen Klimas der 430 er/420er Jahre und einer sich in dieser Zeit stark wandelnden Be deutung der athenischen Reiterei zu sehen.35 Um die Sonderstellung der athenischen Reiter innerhalb der athenischen Gefallenenbestattung rekonstruieren zu können, kommen im Wesentlichen die folgenden materiellen Zeugnisse in Betracht:36 Tab. 1 Öffentliche Gefallenenmonumente speziell für athenische Reiter Monument
Datierung
Bemerkungen
IG I 1181
431/430 (?)
Möglicher Bezug zu Thuk. 2.22.2; Paus. 1.29.6
SEG 48.83
424/423 (?) od. 430/429 (?)
Möglicher Bezug zu Thuk. 4.66–74, 93–101, 109–116, 120–123 oder zu Thuk. 2.79
IG II/III2 5222
394
Anthemion mit Liste gefallener athenischer Reiter; eindeutiger Bezug zum ersten Jahr des Korinthischen Krieges
M 2347
338
Reiterkampfrelief; nach Kaempf-Dimitriadou 1986 Bestandteil des Denkmälerprogramms für die Gefallenen der Schlacht von Chaironeia
3
35
36
Zu den Entwicklungen der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts, insbesondere zu den Auswir kungen der Anhebung der Sollstärke der athenischen Kavallerie auf insgesamt 1 000 Reiter und 200 berittene Bogenschützen, siehe Bugh 1988, 39–78; Spence 1993, 9–17 sowie bes. 97–102. Nach Spence (1993, 15) fand die Reform im Zeitraum ca. 445 bis 438 statt. Weitere Überlegungen zur Entwicklung der athenischen Kavallerie im Zeitraum von etwa 430 bis etwa 410 unten in diesem Kapitel bei Anm. 43. In Aristophanes’ Rittern (aufgeführt 424) tritt Paphlagos mit der Aussage in Erscheinung, er wolle die Errichtung eines Monuments für die Tapferkeit der Reiter beantragen (Hipp. 266–268), diese Aussage kann, wie Davies 2014, 288 f. Anm. 20 richtig bemerkt, nicht „out of thin air“ entstanden sein. Für Details und Literaturhinweise zu den hier genannten Monumenten siehe die entsprechenden Einträge unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Weitere Frag mente, deren Zuordnung zu öffentlichen Gefallenenmonumenten für athenische Reiter allerdings unsicher ist und die hier daher ausgeklammert werden, diskutiert Goette 2009 (darunter Oxford, Ashmolean Museum, Michaelis Nr. 85; New York, Metropolitan Museum of Art Nr. 29.47; Rom, Villa Albani Nr. 985).
Gleichheit und Differenz. Die Grenzen der Isonomie
115
Für die Frage nach der Entwicklung der athenischen Gefallenenbestattung im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts sind insbesondere IG I3 1181 und SEG 48.83 von In teresse – die beiden anderen genannten Monumente werden, da sie aus dem vierten Jahrhundert stammen, im nächsten Kapitel besprochen. IG I3 1181, das möglicherweise parallel zu einem von Pausanias erwähnten Monu ment für gefallene thessalische Reiter37 errichtet wurde, wurde bereits thematisiert. Ein zweites Monument, das im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts speziell für athenische Reiter errichtet wurde, ist 1995 bei Grabungen im Zusammenhang mit dem Ausbau der Athener Metro zutage getreten. Es handelt sich um eine weitgehend un versehrt erhaltene Stele von 2,10 m Höhe und 0,82–0,89 m Breite, die im oberen Drittel der Schauseite ein Relief mit Kampfszene zwischen Reitern und Fußsoldaten aufweist, darunter zwei nach Phylen geordnete Listen mit den Namen von insgesamt 31 gefalle nen athenischen Reitern sowie eine gesonderte Rubrik für einen gefallenen berittenen Bogenschützen (ein Nichtathener), wobei der oberen (in ionischer Schrift verfassten) Liste ein vierzeiliges Epigramm mit Verweis auf ein Gefecht in Megara vorausgeht und der unteren Liste (in attischer Schrift) eine zweizeilige Zwischenüberschrift der Form hοίδε Ἀθεναίō ν hιππε�ς ἀπέθανο[ν] | ἐν Τανάγραι καὶ ἐ Σπαρτόλō [ι]· „diese Reiter der Athener starben in Tanagra und in Spartolos“ (SEG 48.83 [Abb. 12]).38 Geglättete Sei tenflächen sowie Einarbeitungen an Ober- und Unterseite legen nahe, dass das Monu ment aus dieser einen, wohl freistehenden Stele bestand, die in eine (verlorene) Basis eingelassen war und eine (ebenfalls verlorene) Stelenbekrönung aufwies. Eine Reihe an formalen Besonderheiten der Inschrift sowie der Umstand, dass noch keine Editio princeps vorliegt, haben zu teils kuriosen Rekonstruktionsversu chen geführt, wobei die auffälligste Besonderheit, nämlich die bemerkenswerte Her vorhebung der Phyle Oineis, bislang nicht gedeutet, sondern allenfalls wegdiskutiert wurde.39 Es könnte sich durchaus um ein Jahresinventar mit Gefallenen von insgesamt drei Einsatzorten handeln. Die Datierung lässt sich einigermaßen gut auf das erste Jahrzehnt des Peloponnesischen Krieges eingrenzen, möglicherweise ist das Monu ment im Jahr 424 entstanden. Der historische Kontext ist selbst ohne eine solche prä zise Datierung hinreichend genau bestimmt, um das Denkmal auf die Entwicklung der athenischen Gefallenenbestattung im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts hin be fragen zu können (für die Details meiner Einschätzungen zur Funktion und Datierung des Monuments sei auf die entsprechenden Überlegungen unter der Rubrik „Epigra fische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit verwiesen, dort findet sich auch eine 37 38 39
Paus. 1.29.6. SEG 48.83 (die sogenannte Palaiologou-Stele). Soweit ich sehe, hat bisher einzig Marco Tentori Montalto die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass die Hervorhebung der Oineis in der oberen Liste intendiert gewesen sein könnte (2017, 139 und bes. 141: „I quattro nomi incisi sotto i caduti della tribù Oineis nella prima lista potrebbero esser stati separati volontariamente in considerazione del diverso numero di caduti oppure riferirsi a due diverse fasi della battaglia di Megara“).
116
Drittes Kapitel
gegenüber früheren Rekonstruktionen verbesserte Lesart der Inschrift; vgl. zudem die Rekonstruktionszeichnung in Abb. 12). Das Monument inszeniert auf vielfältige Weise gesellschaftliche Statusdifferenzen: Zunächst und vor allem natürlich dadurch, dass mit den 31 Athenern, die in der In schrift verzeichnet sind, ausschließlich Reiter und damit erneut – wie offenbar zuvor schon in IG I3 1181 – die Angehörigen nur einer bestimmten Zensusklasse geehrt wer den. Neben den genannten Athenern wird (in ll. 53 f.) unter dem Rubriktitel [hι]πποτοχσότης („berittener Bogenschütze“) zudem ein Nichtathener angeführt, der op tisch (durch die Positionierung unterhalb der zweiten Liste, durch einen vorausgehen den Absatz und ein engeres Stoichedon-Raster) aus der nach Phylen geordneten Sys tematik der darüberliegenden Namensliste exkludiert ist. Die Berücksichtigung von Nichtathenern, deren geringerer Status auf eine solche oder andere Weise kenntlich gemacht wird, ist (das wurde bereits thematisiert) nicht neu. Erklärungsbedürftiger sind zwei andere Besonderheiten: Erstens wird die Auseinandersetzung mit Megara offenbar höher gewichtet als die Konflikte mit Tanagra und Spartolos, denn die Inschrift führt nicht sämtliche Gefal lenen der drei Gefechtsorte in einer gemeinsamen Liste zusammen, sondern differen ziert zwischen den bei Megara Gefallenen einerseits und den bei Tanagra und Sparto los Gefallenen andererseits – und zwar nicht nur dadurch, dass das Monument zwei gesonderte Listen für die entsprechenden Gefallenen präsentiert, sondern auch durch die Rahmung der beiden Listen: Während die untere Liste mit einer weitgehend stan dardisierten Wendung der Form hοίδε … ἀπέθανο[ν] eingeleitet wird, wie sie auch auf anderen athenischen Gefallenenmonumenten zu finden ist, geht der oberen Liste das folgende vierzeilige Epigramm voraus: οἵδ’ ἀρετη˜ ς ἐθέλοντες ἔχε̄ λ λόγον ἔξοχον ἀνδρω˜ ν | π̣εζω˜ ν ἱππη˜ ες στεσ � αν ἔναντα μάχην, | μ̣εν� αν δ’ Ἀλκαθόō παρά τείχεσιν, ἀντίον Ἄρη | τ̣ολμήσαντες ὁρα˜ ν λαμπρόν ἐγειρόμενον. Diese, die einen herausragenden Ruf für ihre Tapferkeit erlangen wollten40 unter den Män nern, zogen als Reiter gegen Infanteristen ins Gefecht und hielten die Stellung bei den Mauern des Alkathoos, da sie den Mut hatten, Ares ins Angesicht zu blicken, angespornt von wütender (Schlacht).
Das Epigramm setzt mit dem Demonstrativpronomen οἵδε ein, das charakteristisch ist für das Inschriftenformular der athenischen Gefallenenmonumente und das auch die Kopfzeile der zweiten Liste auf demselben Monument einführt. Die beiden elegischen Distichen des Epigramms konzentrieren sich dann auf die wesentlichen Elemente
40
Wörtlich „wollen“.
Gleichheit und Differenz. Die Grenzen der Isonomie
117
e ines tödlichen Kampfes um Ruhm in erbitterter Schlacht, als sich die Reiter bei den Mauern des Alkathoos (d. h. bei Megara) den feindlichen Fußsoldaten entgegenge stellt haben. Weder der Ausgang des Konflikts noch die Trauer der Hinterbliebenen werden direkt thematisiert. Die deutliche Betonung des Konflikts um Megara durch das Epigramm – es könnte sich durchaus um den bei Thukydides (4.66–74) beschrie benen Konflikt von 424 handeln, bei dem die athenische Kavallerie möglicherweise sogar in ihrer damals vollen Stärke von etwa 600 Mann zum Einsatz kam41 – hebt die zwölf in der oberen Liste genannten Gefallenen deutlich gegenüber den bei Tanag ra und Spartolos Gefallenen hervor – eine Ungleichgewichtung, die möglicherweise durch das Relief verstärkt wurde, falls dieses ebenfalls speziell den Konflikt um Megara betonen sollte: Auffällig ist jedenfalls, dass (anders als in den übrigen Reliefs, die auf athenische Gefallenengräber zurückgehen oder von diesen beeinflusst worden sein könnten) durch die charakteristische Felsformation in der rechten Bildhälfte eine sehr spezifische Landschaft angedeutet wird – vielleicht ein Hinweis auf eine besondere Si tuation im Kampf an einem spezifischen Ort, an dem sich die Verluste möglicherweise in einem für Reiter ungünstigen Terrain ereignet hatten. Dass auch im athenischen Gefallenenbegräbnis ein einzelner Konflikt gegenüber anderen hervorgehoben werden konnte, wurde mit Blick auf die Bestattungen von 439 (Samos) und 432 (Potidaia) bereits herausgearbeitet. Neu scheint beim Monument für die bei Megara, Tanagra und Spartolos gefallenen Reiter zu sein, dass diese Ge wichtung auf einem einzigen Monument vorgenommen wird. Ein weiteres Ungleich gewicht ist allerdings noch deutlich bemerkenswerter: Die obere Liste hebt die acht Gefallenen der Phyle Oineis gegenüber den weiteren vier Gefallenen der Phylen Er echtheis, Aigeis, Pandionis und Kekropis hervor: Die längst etablierte offizielle Rei henfolge in der Nennung der attischen Phylen wird hier offenbar gezielt aufgebrochen, um die Mitglieder der Oineis an erster Stelle nennen und damit auch die Phylenrubrik zentral oberhalb der beiden Listenspalten in deutlich erweiterter Buchstabengröße (ca. 0,023 statt ca. 0,018) anführen zu können. Unterhalb der Einträge für die Mitglie der der Oineis folgen erst nach einem leicht erhöhten Abstand die Einträge für die Mitglieder der übrigen Phylen. Eine solche Priorisierung einer bestimmten Phyle innerhalb einer offiziellen, meh rere Phylen umfassenden Liste ist exzeptionell.42 Der Grund für die Asymmetrie liegt möglicherweise darin, dass sich die Reiter der Phyle Oineis in der Schlacht solche 41 42
Zu den Zahlen siehe in diesem Kapitel die Anm. 35 und 43. Der entsprechend naheliegende Reflex der bisherigen Forschung, die Asymmetrie als unbeabsich tigtes Ergebnis einer sukzessiven Entstehung des Monuments zu erklären, führt allerdings nicht weiter (die Annahme einer späteren Ergänzung setzt im Grunde voraus, es sei nicht absehbar ge wesen, dass durch Nachträge die Reihenfolge durcheinandergeraten und ein sichtbares Ungleich gewicht entstehen würde). Zur bisherigen Deutungsgeschichte des Monuments und zu den Prä missen der hier vorgestellten Interpretation siehe den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
118
Drittes Kapitel
besonderen Verdienste erworben hatten, dass dies zur Entstehungszeit des Monu ments phylenübergreifend als hinreichendes Argument dafür anerkannt wurde, sie in der Bestattung auf besondere Weise zu ehren – die überproportional hohen Opfer zahlen der Oineis sind in der Liste jedenfalls klar dokumentiert. Mit den acht toten Reitern dürfte die Oineis (bei einer wohl bereits deutlich unterschrittenen Sollstärke von eigentlich 100 Mann) etwa 10–15 % ihrer gesamten Kavallerie verloren haben.43 Als Repräsentanten des schmalen Segments wohlhabender athenischer Familien ist ein solcher Verlust – mit all seinen sozialen und speziell ökonomischen Implikationen, zumal in einer Phase einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformation – kaum zu überschätzen.44 Die Inszenierung von Ungleichheit Ein weiteres Indiz dafür, dass die isonome Repräsentation der gefallenen Athener ge gen Ende des fünften Jahrhunderts zunehmend auseinanderbrechen sollte, stellt die Verwendung von Rangbezeichnungen in den Gefallenenlisten dar. Denn während die athenischen Gefallenenmonumente vor Mitte der 460er Jahre auf Nennungen mili tärischer Funktionen grundsätzlich verzichtet zu haben scheinen, finden sich später durchaus Statusindikatoren, die sich auf den Rang eines Gefallenen beziehen – und solche Statusindikatoren treten im letzten Jahrzehnt des Peloponnesischen Krieges in signifikanter Häufung auf. Insbesondere nach dem Scheitern der Sizilienexpediti on lässt sich eine Repräsentation der Gefallenen entlang einer zunehmend deutlich ausgeprägten sozialen Distinktion in den athenischen Gefallenenmonumenten grei fen. Schon früh – bis zur Sizilienexpedition aber auf niedrigem Niveau und ohne klare Tendenz – tauchen in den erhaltenen Fragmenten vereinzelt militärische Funktions
43
Wenn die Inschrift, wie ich mit Davies 2014 und Tentori Montalto 2017 für wahrscheinlich halte, ins Jahr 424 datiert, hat die Phyle wenige Jahre zuvor bereits um die 30 % ihrer Reiter durch die Epidemie verloren (Thuk. 3.87.3). Spence 1993, 98 (siehe auch Spence 1987) geht davon aus, dass die faktische Gesamtstärke der athenischen Kavallerie 431 die Sollstärke noch erreicht hat, zwei Jahrzehnte später indes bei nur noch 650 Mann lag. Die 600 Reiter, die nach Thuk. 4.68.5 bei den Aktionen in der Megaris beteiligt waren, könnten die gesamte damals verfügbare athenische Ka vallerie gewesen sein. 44 Zur Zuordnung der Hippeis zu den „Athenian propertied families“: Spence 1993, 182 f. (vgl. Da vies 1981, vi; id. 2010; id. 2014, bes. 294 f.). Die starke Diskontinuität zwischen den einflussreichen Familien der Zeit bis zum ausgehenden fünften Jahrhundert einerseits und den einflussreichen Familien der Zeit danach kommt deutlich in den fehlenden Verbindungen zwischen Tafel 1 und Tafel 2 in Davies 1971 zum Ausdruck; die Grundlagen der Entwicklung hat Connor 1971 unter sucht. Davies 2014 weist überzeugend nach, dass uns in SEG 48.83 ein Monument vorliegt, das wie kein anderes den Übergang von der „propertied/liturgical class“ des fünften zu der des vierten Jahrhunderts reflektiert.
Gleichheit und Differenz. Die Grenzen der Isonomie
119
bezeichnungen auf. Dies betrifft für die Zeit vor 413 allerdings nur zwei Jahresinventare gefallener Athener: In IG I3 1147 (+ 1147 bis) aus dem Jahr 459/458 (oder 460/459) [Abb. 7] werden zwei Strategen und ein Seher genannt; in IG I3 1166 aus der Zeit nach Mitte des 5. Jh. findet ein Trierarch Erwähnung. Weitere Nennungen militärischer Funktionsbezeichnungen haben sich in den Fragmenten der Zeit vor 413 nicht erhal ten. Nach der Sizilienexpedition schlägt sich dann im erhaltenen Material eine tiefgrei fende Veränderung des athenischen Gefallenengedenkens nieder: In den insgesamt sieben Monumenten mit Gefallenenlisten, die sich für die Zeit zwischen dem Ende der Sizilienexpedition und dem Ende des Peloponnesischen Krieges rekonstruieren lassen, finden sich nicht weniger als 26 Nennungen militärischer Rangtitel. Neben Strategen und Trierarchen erscheint nun eine regelrechte Vielzahl unterschiedlicher Funktionen – konkret στρατε̄ γός (Stratege), ταχσίαρχος (Hoplitenkommandant), τριε̄΄ραρχος (Kapitän), τόχσαρχος (Kommandant der Bogenschützen), περιπόλαρχος (Kommandant der Grenztruppen), φύλαρχος (Kavalleriekommandant), φρόραρχος (Kommandant) und ἄρχō ν τõ ναυτικõ (Marinekommandant [der Titel ist ansonsten unbekannt]). In IG I3 1191 aus dem Jahr 409/408 [Abb. 19, 20 und 21] werden mögli cherweise sogar die Hopliten als eigene Gruppe ausgewiesen.45 Die beiden folgenden Übersichten verdeutlichen die signifikante Veränderung, die nach dem Ende der Sizilienexpedition in den Gefallenenmonumenten greifbar wird. Aufgeführt werden in der folgenden Tabelle epigrafisch bezeugte Register gefallener Athener und Nichtathener, die in der Phase der Jahresbestattungen bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges im Kerameikos bestattet wurden und deren Gefallenen monumente sich chronologisch einigermaßen gut einordnen lassen. Wenn eine Liste keine Funktionsbezeichnungen aufweist, kann dies freilich auch am fragmentarischen Erhaltungszustand liegen, es sind daher alle potenziell relevanten Listen angeführt:46 Tab. 2 Indikatoren gesellschaftlichen Ranges in den athenischen Gefalleneninventaren des 5. Jhs. Beleg
Datierung
genannte Funktionen
IG I3 1144 (+ 1145 + 1146)
464(?)
Stela A col. II., ll. 34 ff.: [Μαδ]ύτιοι / 2 Namen Stela B col. II., ll. 118 ff.: [Βυζά]ντιο[ι] / mind. 8 Namen Stela C col. I., ll. 139 ff.: [θ]εράποντες / 1 Name
45 46
IG I3 1191 col. III., l. 60. Zur Stellung der Seeleute/Ruderer in Athen siehe Pritchard 2018. Für Details und Literaturhinweise zu den hier genannten Monumenten siehe die entsprechenden Einträge unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
120
Drittes Kapitel
Beleg
Datierung
IG I 1147 (+ 1147 bis)
459/458 (od. 460/459)
genannte Funktionen col. I., ll. 5 f.: στ[ρα]τε̄ γõν | Φ[ρύν]ιχος col. I., ll. 62 f.: στρατε̄ γὸς | hιπποδάμας col. II., ll. 64 f.: Τελένικος | μάντις col. I., l. 67: τοχσόται 1 Name / 3 Namen
IG I3 1149
458/457
– [Monument für gefallene Argiver, Tanagra]
3
IG I 1158
– [evtl. Monument für gefallene Kleonaier, Tanagra]
IG I 1182
– [evtl. Monument für gefallene Ionier, Tanagra]
3 3
IG I 1150 + 1151 + 1152
2. Hälfte 450 er (?) –
IG I3 1153
vor Mitte 5. Jh.
3
IG I 1159 IG I 1155 3
– – [evtl. Monument für gefallene Ionier]
3
Mitte 5. Jh.
–
IG I3 1156
–
IG I3 1157
–
IG I 1160 3
IG I3 1161 IG I3 1166
nach Mitte 5. Jh.
– – l. 2: --αντος τριε΄̄ ραρχος
3
IG I 1168
–
IG I 1169
–
IG I3 1172
fr. e, l. 35: [τοχσόται βάρβ]αροι / 2 Namen
3
IG I 1175
–
IG I 1176
–
3
3
IG I 1177
–
3
IG I3 1164
2. Hälfte 5. Jh.
– [Monument für gefallene Lemnier aus Myrina]
IG I 1165
l. 2: λήμνιοι / 4 Namen
3
IG I 1188
–
IG I3 1189
–
IG I 1193
–
3
3
IG I 1180
439–435
fr. e+a, l. 5: χσένοι / 3 Namen fr. d, ll. 26 f.: [β]άρβαροι | [τ]οχσόται / 2 Namen
IG I3 1181
431/430(?)
[Monument für gefallene athenische Reiter] l. 2: ἔχσοχοι hιππ]οσύνα[ι]
Paus. 1.29.6
431/430
– [Monument für gefallene thessalische Reiter]
IG I 1183
430–425
–
SEG 48.83
424/423(?) od. 430/429(?)
[Monument für gefallene athenische Reiter] l. 2: ἱππη˜ ες l. 53: [hι]πποτοχσότης
3
3
Gleichheit und Differenz. Die Grenzen der Isonomie
Beleg
Datierung
IG I 1163
424/423(?)
–
IG I3 1184
424/423
col. II., l. 76: ἔνγρα[φοι] / 2 Namen (evtl. Metöken) col. II., l. 79: τοχσόται / 9 Namen col. II., l. 89: χσένοι / 6 Namen
IG I3 1185
422/421(?)
–
SEG 52.60
412/411(?)
3
IG I 1186
411(?)
IG I3 1190
411(?)
– col. XV., l. 75: [- - -τρι]ε΄̄ ραρχος col. XV., l. 77: [--περι]πόλαρχος col. XVII., l. 79: Εὐκλείδες ταχσίαρχος col. XVII., l. 79: Ἰσόδικος τόχσαρχος col. XVII., l. 108: Δαισίας τριε΄̄ ραρχος col. I., l. 3: Φοκίον τριε΄̄ (ραρχος) col. I., l. 42: Λυκέας τριε΄̄ (ραρχος) col. I., l. 65: [χ]σένοι / 7 Namen col. II., l. 73: φρό[ραρχος] (unsicher) col. II., ll. 136 f.: τ̣ο[χσ]όται | [β]άρβ̣αροι / 4 Namen col. III., l. 152: φυσικός Διοκλ[ε�ς] col. III., l. 179: Πυθόδορος φύλαρχ(ος)
IG I3 1191
409/408(?)
IG I3 1162
409/408(?)
3
genannte Funktionen
Stela A col. II., ll. 32 f.: [.......ο]ν̣ | [τριε΄̄ ραρ]χος col. II., ll. 34 f.: [......]μ̣ος | [τριε΄̄ ρ]αρχος col. II., ll. 36 f.: [.....]εμος | [τριε΄̄ ρ]αρχος col. II., ll. 38 f.: [.....]πος | [τριε΄̄ ρ]αρχος col. II., ll. 40 f.: [.....]μένες | [τριε΄̄ ρ]αρχος col. II., ll. 42 f.: [.....]κλες� | [τριε΄̄ ρα]ρχος col. III., ll. 56 ff.: τριε΄̄ ρ[αρχοι] / 3 Namen col. III., ll. 60 ff.: hοπλ[ι˜ται] / Namensliste col. IV., ll. 104 ff.: Θέορος | ἄρχō ν | τõ ναυτικõ col. IV., ll. 107 ff.: Πασιφõν | ἄρχō ν | τõ ναυτικõ col. IV., ll. 110 f.: Ἀμ̣φίλοχος | ταχσίαρχος ̣ col. IV., ll. 112 f.: Πύθō ν | ταχσίαρχος col. IV., ll. 114 f.: Νικ̣όμαχος | τριε΄̄ ραρχος col. IV., ll. 116 f.: Κεφισοφõν | τριε΄̄ ραρχος col. IV., ll. 118 f.: Λυσανίας | τριε΄̄ ραρχος col. IV., ll. 120 f.: Σόφιλος | τριε΄̄ ραρχος Stela B col. VI., ll. 197 f.: [.......]ς | [τριε΄̄ ραρ]χος col. VI., ll. 199 f.: [.......]μ̣ος | [τριε΄̄ ραρ]χ̣ος col. VI., ll. 201 f.: [.......]ος | [τριε΄̄ ραρ]χ̣ος col. VI., ll. 203 f.: [- - -.]vv | [τριε΄̄ ραρχ]ος col. I., l. 4: Ἐπιτέλες : στρατε̄ γός
121
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Drittes Kapitel
Beleg
Datierung
genannte Funktionen
IG I 1192
Ende 5. Jh.
Stela A col. I., l. 8: Μένον τριε΄̄ ραρχ(ος) col. I., l. 34: Ναύτες τριε΄̄ [ρ]αρχ(ος) Stela C col. II., ll. 152 ff.: τοχ[σόται] | βάρβα[ροι] / 4 Namen col. II., ll. 158 f.: hιππο[τοχσότες] | Ἀλεχς- - -
3
IG I3 1187
–
Aus dieser Übersicht über die Verteilung von Indikatoren gesellschaftlichen Ranges in den athenischen Gefalleneninventaren des 5. Jahrhunderts lässt sich eine Übersicht über die Anzahl der Nennung militärischer Funktionen in den Listen destillieren, in der die Situation bis zur Sizilienexpedition mit der Situation danach kontrastiert wird: Tab. 3 Anzahl der Nennung militärischer Funktionen in den athenischen Gefalleneninventaren des 5. Jhs. Funktion στρατε̄ γός τριε΄̄ ραρχος ταχσίαρχος τόχσαρχος περιπόλαρχος φύλαρχος φρό[ραρχος] (unsicher) ἄρχō ν τõ ναυτικõ
vor 413 2 1
413–404 1 23 3 1 1 1 1 2
In den beiden tabellarischen Übersichten wird ersichtlich, dass sich nach der Sizilien expedition nicht nur wesentlich häufiger Nennungen militärischer Funktionen in den athenischen Gefalleneninventaren finden, es wird insgesamt ein deutlich breiteres Spektrum unterschiedlicher Rangbezeichnungen auf den Inschriften angeführt. Bei der Nennung von Strategen ist dieses Phänomen schon früher zu beobachten, dort ist dies wohl darauf zurückzuführen, dass sie nicht selbst in den Konskriptionslisten aufgeführt waren, aus denen sich die Reihung der Namen aller übrigen Bürgersoldaten ergeben zu haben scheint. Mit der Nennung militärischer Rangbezeichnungen und der privilegierten Darstellung militärischer Ämter auch unterhalb der Strategen- und Trierarchenämter wurde nun eine Bandbreite an Funktionsträgern gegenüber den ge fallenen Mitbürgern hervorgehoben, die keine vergleichbare Stellung innehatten und weiterhin nur mit ihren Rufnamen verzeichnet waren. Offenbar hatten sich die ent sprechenden Ränge erfolgreich eine herausgehobene Würdigung ihrer gesellschaftli chen Stellung im Rahmen des Gefallenenbegräbnisses erstritten.
Gleichheit und Differenz. Die Grenzen der Isonomie
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Die genannten Fälle zeigen, dass sich nach dem Scheitern der Sizilienexpedition eine isonome Repräsentation der Gefallenen nicht mehr in der ursprünglichen Strenge auf recht erhalten ließ; hier scheinen sich ambitionierte Akteure und sozial privilegierte Gruppen mit ihrem Streben nach individuellen Zuschreibungen gesellschaftlichen Pres tiges durchgesetzt zu haben: Mit hoher Dynamik wurde das Ideal der gesellschaftlichen Gleichheit aller Gefallenen nach 413 unterlaufen. In der letzten Kriegsphase inszenieren die athenischen Gefallenenmonumente nicht länger vorrangig die politische Gleichheit aller Gefallenen, sondern die militärische Hierarchie. Auch wenn also auf den ersten Blick die formale Gestaltung der athenischen Gefallenenmonumente von Mitte der 460er Jah re bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges keine hohe Varianz aufzuweisen scheint, so zeigen sich bei genauer Betrachtung doch eine Reihe an Indizien, die insbesondere für das letzte Drittel des fünften Jahrhunderts eine signifikante Veränderung der gesell schaftlichen Bedeutung bezeugen, die der athenischen Gefallenenbestattung zukam. Die Transformation des Kerameikos Einer friktionsfreien Konvergenz von Gefallenenbestattung und demokratischem Selbstverständnis stand also entgegen, dass der Geltungsanspruch der Isonomie seit den 430er Jahren zunehmend unter Druck geraten ist: Dies manifestiert sich – wie oben gezeigt – in punktuellen Abweichungen von der etablierten Norm einer Jahres bestattung, in gesonderten Bestattungen gefallener Reiter sowie nach der Sizilienexpe dition in der deutlichen Zunahme der Nennung von militärischen Rangtiteln in den Gefallenenlisten. Auch die historische Entwicklung des öffentlichen Gräberfeldes vor den Toren der Stadt war weder ein eindimensionaler noch ein geradliniger Prozess: Wie nun im letzten Argumentationsschritt dieses Kapitels gezeigt wird, haben sich über die letzten drei Jahrzehnte des 5. Jahrhunderts hinweg in der Topografie des nord westlichen Vorstadtgebiets Veränderungen vollzogen, die sich auf die Bedeutung des Ortes als Bühne der isonomen Selbstvergewisserung der athenischen Bürgergemein schaft ausgewirkt haben: Die Epidemie der 420er Jahre hat das Gebiet ebenso geprägt wie die wiederholte Flucht der Landbevölkerung hinter die Mauern der Stadt, und auf die materiellen Strukturen des Areals haben sich auch die militärischen Auseinander setzungen des Peloponnesischen Krieges ausgewirkt. Die Evakuierung der Landbevölkerung hinter die Mauern Athens und die epidemieund kriegsbedingte Dezimierung der Bevölkerung haben deutliche Spuren in den bau lichen Strukturen auf der Agora und an dem zum Dipylon hin gelegenen Abschnitt des Panathenäenweges hinterlassen:47 Im archäologischen Befund lässt sich nachvollziehen, 47 Dass der zum Dipylon hin gelegene Abschnitt des Panathenäenweges bereits zum Gebiet des Kerameikos zählt, geht aus den Grenzsteinen hervor. Sieben Grenzsteine mit der Inschrift ὅρος Κεραμεικου˜ sind bekannt, darunter auch ein Stein aus der Zeit um 400, der 1939 unmittelbar au
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Drittes Kapitel
dass hier in den 420er Jahren innerhalb kurzer Zeit eine ganze Reihe neuer Strukturen unregelmäßiger Form und Größe errichtet wurde, wohl um einen Teil der zahlreich hinter die schützenden Mauern der Stadt geflüchteten Bewohner Attikas beherbergen zu können. Schon wenig später aber wurden dann in diesem Bereich – offenbar infolge der epidemie- und kriegsbedingt sinkenden Bevölkerungszahl – zahlreiche Brunnen aufgegeben: auch dies ein Indiz der Transformation des öffentlichen Raumes zwischen Agora und Dipylon im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts.48 Auch unabhängig von der Frage, ob die Ekphora hier verlief, weist dieser Bereich für die Bestattungsfeierlich keiten eine nicht unerhebliche Bedeutung auf als wichtigste Achse zwischen der Stadt und dem Kerameikos bzw. spezifischer als topografisches Bindeglied zwischen der Agora als einem der wichtigen Repräsentationsräume der demokratischen und hege monialen Größe Athens einerseits und dem Gebiet der öffentlichen Grabmonumente für die Verteidiger des athenischen Dēmos und seiner Archē andererseits. Auch an den Mauern und Toren der Stadt hatten die langjährigen Kriegshandlungen offenbar ihre Spuren hinterlassen: Das Gebiet außerhalb des Mauerrings, speziell der äußere Kerameikos, muss von den feindlichen Angriffen und den athenischen Abwehr maßnahmen gezeichnet gewesen sein: Zur Kontrolle des Gebiets um das Diplyon haben die Spartaner ab 405 sogar ein eigenes Militärlager im Bereich der Akademie eingerichtet und konnten so die Kerameikosstraße – und damit den Bereich der öffentlichen Gefalle nengräber – militärisch direkt kontrollieren.49 Literarische und archäologische Indizien für kriegsbedingte Zerstörungen betreffen Schäden an den Verteidigungsanlagen, das Schleifen der Mauern sowie entsprechende spätere Restaurierungen insbesondere un ter Konon, Beschädigungen und Reparaturen der Toranlagen sowie die städtebauliche Umgestaltung des äußeren Kerameikos nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges.50 ßerhalb der Nordwest-Ecke der Agora in situ gefunden wurde, ausgerichtet auf den Abschnitt des Panathenäenweges, der von dort zum Dipylon führte (zur Lage des Grenzsteins: Travlos 1971, 80 Abb. 102 Nr. 62). Die Inschriften sind zusammengestellt bei Stroszeck 2003 (vgl. SEG 55.267), es handelt sich um IG II/III2 2617 [in situ, Ende 4. Jh.] (= Stroszeck 2003, Nr. 1); IG II/III2 2618 [in situ, Ende 4. Jh.] (= Stroszeck 2003, Nr. 2); IG II/III2 2619 [in situ, Ende 4. Jh.] (= Stroszeck 2003, Nr. 3); SEG 41.122 [disloziert, Ende 4. Jh.] (= Stroszeck 2003, Nr. 4; Ersterwähnung von Vander pool 1956, 267; vgl. SEG 55.268); Agora 19 H30 [in situ, frühes 4. Jh.] (= Stroszeck 2003, 55; ed. pr. Shear 1940, 267 mit Foto: Fig. 4); Agora 19 H31 [disloziert, Ende 4. Jh.] (= Stroszeck 2003, Nr. 5; ed. pr. Agora 19, 28); Stroszeck 2003 Nr. 1 a (ed. pr.). Insgesamt zu Lage und Grenzen des Keramei kos siehe Siewert 1999; Steffelbauer 2013; allgemein zu den öffentlichen Grenzsteinen in Athen siehe Ritchie 1986. 48 Thompson/Wycherley 1972, 21 (Überblick), 57 (Bauten), 197 (Brunnen). 49 Xen. Hell. 2.2.8. 50 Literarische und archäologische Belege zur Zerstörung und zur Restaurierung der athenischen Verteidigungsanlagen werden diskutiert bei Conwell 2002 und Theocharaki 2011, 116 f.; speziell zum Dipylon: Gruben/Müller 2018 (bes. 53–57; siehe auch die tabellarische Übersicht des Bauge schehens am Dipylon ibid., 240 f.); einen Überblick über die Umbaumaßnahmen nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges bietet Stroszeck 2014. Wie die athenischen Redner die Zerstörung der Mauern und ihren Wiederaufbau im Korinthischen Krieg verarbeiten, untersucht Kostopou los 2019, 267–278.
Gleichheit und Differenz. Die Grenzen der Isonomie
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Für gezielte Zerstörungen der athenischen Polyandria selbst gibt es allerdings keine In dizien.51 Darüber hinaus wurden bereits in den ersten Jahren des Krieges in der Nähe der so sorgsam errichteten Gefallenengräber öffentliche Massengräber angelegt, in denen zahlreiche Opfer der Epidemie mehr verscharrt als bestattet wurden. Zwei Anlagen dieser Art wurden bei Rettungsgrabungen entdeckt, die im Zuge der Planungen und Baumaßnahmen für die neuen Metrostationen in den 1980 er und 1990er Jahren nötig geworden sind [siehe Abb. 38 für die Befundzeichnung eines entsprechenden Massen grabes mit mindestens 89 Bestattungen im Grabungsbereich der Kerameikosstation]. Beide Massengräber lassen sich über Keramikfunde relativ sicher in die frühen 420er Jahre datieren. Sie sind im Bereich eines größeren Gräberfeldes situiert, dessen Nuk leus nur wenige Meter südwestlich des stadtnahen Bereichs der Kerameikosstraße liegt. Hier hat sich bei der Kreuzung von Heiliger Straße und Gräberstraße vom frühen siebten Jahrhundert an eine Nekropole gebildet, die vornehmlich private Gräber um fasst und damit in gewisser Weise ein Komplement zu den aus öffentlicher Hand finan zierten Grabanlagen entlang der Kerameikosstraße darstellt. Die Privatgrabnekropole verfügt vor allem in unmittelbarer Stadtnähe zu den Schauseiten der Straßen hin über zahlreiche repräsentative Grabmonumente; mit steigender Distanz zu den Mauern nimmt die Grabausstattung dann ab, bis die Nekropole in etwa 200 m Entfernung zum Heiligen Tor an einer Umfassungsmauer endet. Die beiden Massengräber wurden bei der Erforschung eines 0,15 ha großen Gebiets entlang der Peiraiosstraße entdeckt; im Grabungsareal ist mit der Umfassungsmauer der westliche Abschluss des Gräberfeldes situiert (siehe hierzu auch die topografische Übersicht im Anhang dieser Arbeit).52
51
52
Dass die Polyandria im Peloponnesischen Krieg nicht systematisch zerstört worden sind, lässt sich am Bestand der erhaltenen Gefallenenlisten und ihren Fundkontexten feststellen; auch die im Be reich Salaminosstraße 35 gefundenen Gräber wurden erst in römischer Zeit zerstört. Vereinzelt könnte es zu selektiven Beschädigungen einzelner Monumente gekommen sein, dies lässt sich für die athenischen Gefallenenmonumente aber nicht feststellen. Die Athener ließen später das La kedaimoniergrab unangetastet; dies könnte ein Indiz dafür sein, dass zuvor auch ihre Gräber res pektiert wurden. Zerstörungen athenischer Gefallenengräber lassen sich erst für das späte vierte Jahrhundert (Aischin. 3.236; Lykurg. Leō k. 44; dazu Aliferi 1992/1998), für die Belagerung Athens unter Philipp und die Einnahme Athens durch Sulla (Liv. 31.24; Diod. 28.7; Plut. Sull. 14.1–6; Prit chett 1998 b, 23 f.) sowie beim Bau der Valerianischen Mauer im dritten Jahrhundert (dabei wurden unter anderem die Basisblöcke IG I3 1163 disloziert und verbaut) feststellen. Die Befunde der beiden Massengräber werden vorgestellt und diskutiert von Baziotopoulou-Vala vani 1994, 45–54; Baziotopoulou-Valavani/Tsirigoti-Drakotou 1994, 34–36; Baziotopoulou-Valava ni/Tsirigoti-Drakotou 2000, 265–275, bes. 271–273 (mit Abb. 8–10); Baziotopoulou-Valavani 2002, 187–201 (mit einem Übersichtsplan über die Lage der Massengräber [Fig. 1], einem Detailplan des Grabungsbereichs [Fig. 2] und einem Detailplan des nordwestlichen Massengrabs [Fig. 3]) sowie Marchiandi 2014 b, 1379–1385. Weitere Berichte über die Metro-Grabungen im Bereich Keramei kos: Parlama 1990–1991, 231–245; Parlama 1992–1998, 521–544; Petrakos 1998, 119–207. Einen guten Gesamtüberblick über das Gebiet und die Lokalisierung der Massengräber bieten die Karten G4 und H4 im Atlas des Lexicon Topographicum Urbis Athenarum (= Greco et al. 2015).
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Drittes Kapitel
Für das kleinere Massengrab (Nr. 8 in der topografischen Übersicht) wurde eine rechteckige Grube von 2,80 × 1,50 m ausgehoben, in der 29 Erwachsene in vier überei nanderliegenden Schichten bestattet wurden. Die unterste Schicht an Bestatteten wur de mit einer ca. 0,30 m hohen Erdfüllung bedeckt, in der auch Grabbeigaben gefun den wurden. Auch wenn die darüberliegenden Ebenen nicht mehr mit Füllschichten getrennt wurden, weist die Bestattung noch eine gewisse Sorgfalt auf.53 Die Keramik bietet einen Terminus post quem von ca. 430, der historische Kontext ist damit eini germaßen verlässlich in der Frühphase des Peloponnesischen Krieges zu sehen.54 Das größere Massengrab (Nr. 7 in der topografischen Übersicht) befindet sich nur wenige Meter weiter nördlich in einer unregelmäßig geformten Grube mit einem Durchmesser von 6,50 m, die mit einer Tiefe von 1,60 m im Bereich bestehender äl terer Gräber angelegt wurde. Insgesamt 89 sukzessive Bestattungen unkremierter Leichname konnten identifiziert werden, da die Anlage aber durch mehrere spä tere Eingriffe partiell zerstört wurde, muss insgesamt von ursprünglich wohl mehr als 150 Bestattungen in diesem Massengrab ausgegangen werden.55 Die Toten wur den ohne dazwischenliegende Füllungen in fünf oder mehr übereinanderliegenden Schichten und in weitgehend unachtsamer Weise bestattet, wobei die Leichen in den unteren Schichten in größeren Abständen voneinander bestattet wurden als in den darüberliegenden späteren Schichten.56 Bei den meisten Bestattungen handelt es sich um Erwachsene, aber auch einige Kinder finden sich unter den Toten, sie wur den mit erkennbar größerer Sorgfalt bestattet. Die Zahl der Grabbeigaben ist mit insgesamt dreißig Vasen auffällig gering, zumal es sich ausschließlich um attische Keramik (vor allem Lekythoi) handelt, die mehrheitlich in der untersten Schicht zu finden war – sonstige Objekte (etwa Schmuck) waren nicht enthalten.57 Die Kera mik erlaubt eine Datierung der Anlage in die 420er Jahre. Durch DNA-Analysen an der Zahnpulpa dreier Verstorbener konnte als Todesursache eine Infektion durch Salmonellen (konkret durch einen Vorläuferstamm der Salmonella enterica sero var Typhi) wahrscheinlich gemacht werden, die eine Typhuserkrankung auslösen;58
53 Baziotopoulou-Valavani/Tsirigoti-Drakotou 2000, 273 konstatiert „some kind of order“. 54 Ibid. 55 Baziotopoulou-Valavani 2002, 190. 56 Papagrigorakis et al. 2006, 207. 57 Einen Katalog der Keramikfunde (beschränkt auf die besser erhaltenen Objekte und solche Funde, die Rückschlüsse auf die Chronologie ermöglichen) bietet Baziotopoulou-Valavani 2002, 192–198. 58 Papagrigorakis et al. 2006, 206–214, mit Verweisen auf die ältere Literatur zur Frage nach den Er regern der sogenannten Pest der Jahre 430–426. Über die Durchführung und die Ergebnisse der forensischen Analysen wurde in griechischen Zeitungen berichtet: Kathimerini (21. Januar 2006), Ta Nea (23. Januar 2006), Kathimerini und Eleftherotypia (24. Mai 2006) sowie Ethnos und To Vima (13. September 2006); kurze Berichte finden sich auch in den Archaeological Reports (Whit ley et al. 2006, 10; Whitley et al. 2007, 7).
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es handelt sich bei den Bestatteten offenbar um Opfer der Epidemie der Jahre 430– 426.59 Wie viele Massengräber dieser Art im Laufe der Epidemie insgesamt vor den Toren Athens angelegt wurden, ist unklar.60 Für die Frage nach der Transformation des Kera meikos in den letzten drei Jahrzehnten des fünften Jahrhunderts bieten aber bereits die beiden Massengräber am westlichen Ende der Privatgrabnekropole genügend Hin weise: Der Bereich war durch zwei Wege unmittelbar mit der Kerameikosstraße ver bunden, die Distanz beträgt nur ca. 50 bis 75 m, und der gesamte Bereich muss wegen seiner Lage unmittelbar vor dem Dipylon und dem Heiligen Tor – zwei der wichtigs ten Stadttore Athens – in hohem Maße frequentiert gewesen sein: Etwa 150 m vor den Toren verläuft parallel zu den Mauern ein Abschnitt der bedeutenden Straße zwischen Athen und Piräus,61 in etwa halbem Abstand zu den Toren werden parallel dazu die Kerameikosstraße und die Heilige Straße nochmals gesondert durch den „Querweg“ verbunden.62 Dieser Weg wurde nach dem Ende des Krieges im Zuge einer weitrei chenden Neugestaltung des zerstörten Vorstadtgebiets angelegt und verband die bei den wichtigen Achsen, die im Nordwesten aus der Stadt herausführten, auf der Höhe
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Dass die Leichname nicht kremiert wurden, spricht nicht gegen diese Annahme: Thukydides, der die Epidemie als Zeitzeuge erlebt hat und vorübergehend auch selbst erkrankt ist, beschreibt zwar Brandbestattungen der Seuchenopfer, betont aber auch, dass die athenischen Bestattungsbräuche unter den widrigen Umständen erschüttert wurden: Jeder habe die Toten begraben, wie er konn te: νόμοι τε πάντες ξυνεταράχθησαν οι῟ς ἐχρω˜ ντο πρότερον περὶ τὰς ταφάς, ἔθαπτον δὲ ὡς ἕκαστος ἐδύνατο. καὶ πολλοὶ ἐς ἀναισχύντους θήκας ἐτράποντο σπάνει τω˜ ν ἐπιτηδείων διὰ τὸ συχνοὺς ἤδη προτεθνάναι σφίσιν (Thuk. 2.52.4). Sicher mit den Ereignissen des Peloponnesischen Krieges in Verbindung gebracht werden konn ten bisher nur die beiden genannten Bestattungskomplexe. Allerdings sind die Möglichkeiten, die infrage kommenden Gebiete archäologisch zu erforschen, begrenzt, zumal die zeitgenössischen Kontexte durch antike wie neuzeitliche Eingriffe erheblich gestört oder auch gänzlich zerstört worden sein können. Nach aktueller Befundlage (die sich freilich durch weitere Entdeckungen je derzeit ändern kann) kommt allenfalls noch ein Massengrab infrage, das Mitte des 19. Jahrhunderts von der Archäologischen Gesellschaft ergraben wurde: Die Anlage wurde südlich der alten Kirche Agia Triada entdeckt, die Bestatteten wurden als Opfer der Einnahme Athens durch Sulla gedeu tet; in Ermangelung einer belastbaren Dokumentation lässt sich heute nicht mehr überprüfen, ob das Grab nicht möglicherweise ebenfalls aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges stammen könnte (dazu Baziotopoulou-Valavani/Tsirigoti-Drakotou 2000, 275 Anm. 16). Abgesehen von den Massengräbern ist bislang auch unklar, in welchem Maße die Grabbezirke vor den Mauern Athens durch private Bestattungen von Kriegsopfern geprägt wurden, die zwar in der Stadt oder der Umgebung gelebt haben, nicht aber das athenische Bürgerrecht besaßen. Der Straßenabschnitt vor den Mauern Athens wird im Lexicon Topographicum Urbis Athenarum (= Nr. 63) und entsprechend bei Ficuciello 2008, 154 als „Asse suburbano per il Pireo“ bezeichnet; grundlegend zum Verlauf und zur Bedeutung dieser Straße siehe Judeich 2. Aufl. 1931, 152–157, spe ziell zu den archäologischen Befunden im Bereich der Kreuzung von Peiraiosstraße und Salami nosstraße siehe Chatzipouliou 1988, 34–36 mit Abb. 4 und Taf. 34 β. Knigge 1988, 40; Stroszeck 2014, 49–50; Ficuciello 2008, 132 (= Nr. [59]).
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Drittes Kapitel
des sogenannten Lakedaimoniergrabs – eine Grabanlage, die ebenfalls als Symptom der tiefgreifenden Veränderungen zu lesen ist, die sich für das Gebiet aus dem Pelo ponnesischen Krieg ergaben.63 Auch dieses Gemeinschaftsgrab (das im vierten Kapitel ausführlicher diskutiert wird) hat den Charakter des Kerameikos entscheidend mit geprägt, bevor in den Jahren nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges das Ge schichtswerk des Thukydides in Umlauf kam und seine Leser zur Reflexion über die „schönste Vorstadt“ Athens animierte (fünftes Kapitel). Auch die Massengräber für die Epidemietoten und das Lakedaimoniergrab für die Gegner der athenischen Demokratie stellen in gewisser Weise „öffentliche Gräber“ (δημόσιοι τάφοι in der Diktion des Isokrates) dar, und sie besetzten denselben vor städtischen Raum, den zuvor über Jahrzehnte hinweg die Monumente und Riten für die gefallenen Bürgersoldaten zu einem der wichtigsten Memorialorte des demokra tischen Athen geformt hatten. Zugleich aber invertieren sie die Logik der athenischen Gefallenenbestattung: Die Leichen an der Epidemie gestorbener athenischer Bürger wurden hastig und anonym verscharrt, während auswärtige Gegner der athenischen Demokratie direkt vor den Mauern der Stadt ein festliches Begräbnis erfuhren und mit einer Bestattung geehrt wurden, die ihre individuellen Verdienste im Kampf gegen die demokratisch fundierte Archē Athens unterstrich. In den letzten drei Jahrzehnten des fünften Jahrhunderts veränderte das nordwestli che Vorstadtgebiet Athens seinen Charakter also ganz erheblich. Durch den Umstand, dass die öffentlichen Gefallenengräber kein räumlich geschlossenes Konglomerat bildeten, sondern Teil einer porösen suburbanen Topografie waren, ließen sich die Gefallenenmonumente gegen die epidemie- und kriegsbedingten Veränderungen des Areals nicht abschirmen. So hermetisch, wie uns die Gefallenenlisten und Epigramme das isonome Kollektiv der für Athen Gefallenen präsentieren, stellten sich gegen Ende des fünften Jahrhunderts also weder das Dēmosion Sēma noch die in den öffentlichen Gefallenenmonumenten reflektierte politische Ideologie Athens dar. Wie die Ritualhandlungen rund um die athenische Gefallenenbestattung auf die Ver änderungen reagierten, deren Umrisse sich speziell für das letzte Drittel des fünften Jahrhunderts in einer verstärkten sozialen Differenzierung und in einer Transformati on der Topografie des nordwestlichen Vorstadtgebiets greifen lassen, bleibt im Detail unklar. Dass die Bündnispartner bald nicht mehr angestrebt haben, Seite an Seite mit den athenischen Bürgern im Kerameikos bestattet zu werden, wird den Athenern wohl aufgefallen sein; parallel hierzu hat sich die zunehmend öffentlichkeitswirksame Insze nierung der sozialen Hierarchie in der Gefallenenbestattung bemerkbar gemacht: Die Errichtung eigener Monumente speziell für Reiter stellt eine gesonderte Würdigung
63
Zu den archäologischen Befunden siehe Stroszeck 2014, 49; einen Überblick bietet die Karte G4 im Atlas des Lexicon Topographicum Urbis Athenarum (= Greco et al. 2015).
Gleichheit und Differenz. Die Grenzen der Isonomie
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dieser Gruppe in der Bestattungszeremonie dar, und die zunehmende Bedeutung der Repräsentation militärischer Funktionen deutet darauf hin, dass nach der Sizilienex pedition in steigendem Maße gesellschaftlich exponierte Gruppen zunehmend erfolg reich ihre eigene soziale Bedeutung im Rahmen der öffentlichen Bestattung zur Schau stellen konnten; die epidemie- und kriegsbedingte Transformation des Vorstadtge biets hat sich zugleich auf die Prozessionswege, auf die Auswahl der für die Bestattung genutzten Parzellen und auf den Gesamteindruck des Areals ausgewirkt; und mit fort schreitender Verhärtung der Fronten im Peloponnesischen Krieg haben möglicher weise auch immer weniger auswärtige Besucher der athenischen Gefallenenbestattung beigewohnt. Im Patrios Nomos suchte die athenische Bürgerschaft ihre Vorstellung von einer Einheit von Demokratie und Macht auf historisch singuläre Weise zum Ausdruck zu bringen. Gemeinsam mit der Demokratie und gemeinsam mit der athenischen Im perialmacht geriet daher auch die Bestattung der im Kampf für Athen Gefallenen im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts unter immer stärkeren inneren und äußeren Druck – und sie konnte sich letztlich den Verwerfungen, die sich aus der fortschreiten den Desintegration der inneren Ordnung und der machtpolitischen Stellung Athens ergaben, nicht entziehen. *** Die Forschung geht bislang weitgehend einhellig davon aus, dass das athenische Ge fallenenbestattungsritual grosso modo in der Form, die wir aus der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts kennen, bis zum Ende des vierten Jahrhunderts fortbestand. Wie aus den ersten drei Kapiteln hervorgeht, müssen wir allerdings von einer nicht unerheblichen historischen Dynamik des vermeintlich so stabilen Patrios Nomos ausgehen. Als dann einige Jahre nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges die Beschreibung des Thukydides in seinen unvollendet gebliebenen Historien in Umlauf kam, befand sich nicht nur die athenische Demokratie, sondern auch das athenische Gefallenenbegräbnis in einer tiefen Krise: Wie das nächste Kapitel zeigt, wurde nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges über annähernd ein Jahrzehnt hinweg keine kollektive Gefallenenbestattung in Athen mehr durchgeführt – und bis zum Ende der klassischen Zeit fand das Ritual möglicherweise nur noch ein einziges Mal in der von Thukydides beschriebenen Form als Jahresbestattung statt. Vor dem Hintergrund die ser Einsicht, die im nächsten Kapitel entwickelt und begründet wird, tritt die kulturel le Bedeutung, die dem Ritual im Zeitraum von den frühen 450er Jahren bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges zukam, nochmals deutlicher zutage. Daraus ergibt sich zugleich die Frage, wie sich die literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi in Beziehung setzen lassen zum athenischen Gefallenenbestattungsritual – denn ihre eigentliche Hochphase erlebten die literarischen „Gefallenenreden“ ausgerechnet in jener 25-jäh rigen Phase nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges, in der sich zeigen sollte,
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Drittes Kapitel
dass sich die exzeptionelle Praxis der athenischen Jahresbestattung nicht wieder aufle ben lassen würde: in der Phase einer tiefgreifenden Krise und Umgestaltung der athe nischen Gefallenenbestattung.
Viertes Kapitel Krise und Wandel Die langen Schatten des Krieges Die Forschung geht bislang weitgehend einhellig davon aus, dass die athenische Ge fallenenbestattung grosso modo in derjenigen Form, die Thukydides als jahrweise durchgeführte Kollektivbestattung sämtlicher Gefallener einer ganzen Kriegssaison beschreibt, bis zum Ende der demokratischen Ära im letzten Drittel des vierten Jahr hunderts fortbestand. Mit der Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg bricht die archäologische und epigrafische Evidenz nun allerdings signifikant ein. Die empiri sche Basis, auf die sich die Annahme einer ungebrochenen Kontinuität des athenischen Sonderwegs in der Gefallenenbestattung stützten könnte, ist für das vierte Jahrhundert ziemlich dünn. Eine Handvoll athenischer Gefallenenbestattungen lässt sich für das vierte Jahrhundert über die literarische Überlieferung und anhand des materiellen Be funds sicher identifizieren: Sie sind situiert im ersten Jahr des Korinthischen Krieges (394), nach der Schlacht von Mantineia (362), im Zweiten Olynthischen Krieg (349), nach der Schlacht von Chaironeia (338) sowie im Lamischen Krieg (322). Der athe nische Dēmos scheint im vierten Jahrhundert nach wie vor konsequent an der Rück führung der Gefallenen nach Athen festgehalten zu haben (jedenfalls sind weiterhin keine athenischen Gefallenenbestattungen außerhalb Athens bekannt), doch lediglich für das erste Jahr des Korinthischen Krieges deutet die Evidenz zweifelsfrei auf eine Jahresbestattung hin. Dieser Befund macht eine Neubewertung der athenischen Gefal lenenbestattung im vierten Jahrhundert erforderlich – insbesondere auch mit Blick auf den Umstand, dass die literarische Auseinandersetzung mit dem Genre der athenischen Gefallenenreden ein Phänomen primär des vierten Jahrhunderts darstellt. Kontinuitäten und Brüche Es besteht kein Zweifel daran, dass auch im vierten Jahrhundert in aller Regel weiterhin jeder ehrenhaft im Kampf für Athen gefallene Bürger, dessen Leichnam geborgen wer den konnte, eine würdige Gefallenenbestattung erfahren hat und dass die Beisetzun
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Viertes Kapitel
gen auch in aller Regel weiterhin in Form öffentlicher Gemeinschaftsbegräbnisse vor den Toren Athens durchgeführt wurden: Nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg war Athen spätestens ab 394 wieder regelmäßig an unterschiedlichen Schauplät zen im östlichen Mittelmeerraum militärisch aktiv und wird den Opfern der jewei ligen Konflikte auch eine entsprechende Würdigung in Form öffentlich vollzogener feierlicher Bestattungszeremonien erwiesen haben. Dabei wurden sicherlich im Regel fall auch im vierten Jahrhundert noch entsprechende Gefallenengrabmonumente er richtet. Dies legt in gewissem Maße durchaus auch die materielle Evidenz nahe, denn über die genannten Anlässe hinaus ist eine (wenn auch überschaubare) Reihe an Frag menten von Inschriftenmonumenten bezeugt, die sich zwar nicht präzise zuordnen lassen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach auf athenische Gefallenenmonumente des vierten Jahrhunderts zurückgehen.1 Das Gesamtbild einer scharfen Diskrepanz in der Überlieferungslage zwischen dem fünften und dem vierten Jahrhundert ändert sich hierdurch nicht – zumal für das Verständnis ihrer kulturellen Bedeutung im vierten Jahrhundert weniger die Quantität der Gefallenenbestattungen entscheidend ist als vielmehr ihr Charakter: Der signifikante Rückgang der Belege, die Konzentration der Befunde (der materiellen wie der literarischen) auf wenige bedeutende militärische Konfrontationen sowie die fehlenden Hinweise auf eine konsequente Fortführung der Jahresbestattungen sind wichtige Indizien dafür, dass sich die Praxis des Ritualvollzugs und die kulturelle Bedeutung des Zeremoniells entscheidend geändert haben könnten und dass damit auch ein anderer Zugang zum athenischen Gefallenenbegräbnis des vierten Jahrhunderts erforderlich wäre als für das des fünften. Die veränderte Befundlage für das vierte Jahrhundert ist seit Langem bekannt, wur de aber nie überzeugend gedeutet. Christoph Clairmont hat die Argumentationsrich tung vorgegeben, als er seine präzise Problembeschreibung („we lack the continuity which characterized the erection of public memorials in the 5th century”) mit der Bemerkung ad acta legte, vergleichbare Monumente aus dem vierten Jahrhundert – „which no doubt existed“ – seien bedauerlicherweise nicht erhalten.2 Auch David M. Lewis hielt es grundsätzlich für undenkbar, dass sich das athenische Gefallenenbe gräbnis zwischen dem fünften und vierten Jahrhundert grundlegend gewandelt haben könnte („it is simply not credible that the institution of the public funeral ever went into disuse in the fourth century or that there was a gap in its record on stone. Our pre 1
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Vgl. Bradeen 1964, 55–58; SEG 21.825; Agora 17, 33 Nr. 24 und 33 f. Nr. 25. Die Zeugnisse sind aller dings zu unsicher, um sie sinnvoll in ein Gesamtbild der Entwicklung des athenischen Gefallenen begräbnisses integrieren zu können. Pausanias trifft für seine Beschreibung der Gefallenenmonu mente im Kerameikos nur eine Auswahl, wie er selbst vermerkt (1.29.7: ἔστι δὲ καὶ ἀνδρω˜ ν ὀνόματα ἄλλων, διάφορα δέ σφισι τὰ χωρία τω˜ ν ἀγώνων), und nennt dabei für das vierte Jahrhundert nur drei Gefallenenmonumente, namentlich für Olynth (349), Korinth (394) und Chaironeia (338); siehe Paus. 1.29.7, 11 und 13. Zu IG II/III2 5225 und einem möglichen Bezug zur Seeschlacht bei den Echinaden siehe unten in diesem Kapitel bei Anm. 59–61. Clairmont 1983, 209.
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sent situation ought to be, at least partly, misleading“).3 Nathan Arrington nimmt an, dass die Monumente im vierten Jahrhundert anders gestaltet wurden und sich daher nicht leicht identifizieren lassen – und dass sich das Übergewicht an Befunden zum fünften Jahrhundert auch auf eine ungleiche räumliche Verteilung der archäologischen Grabungsareale zurückführen lassen könnte.4 In diesem Sinne hält die Forschung trotz weitgehend fehlender Quellengrundlage bis heute an der Vorstellung fest, das atheni sche Gefallenenbegräbnis habe das gesamte vierte Jahrhundert hindurch in weitge hend unveränderter Form fortbestanden.5 Die Frage, weshalb selbst ein klares Bewusstsein des Ungleichgewichts in der Be fundlage bisher nicht dazu geführt hat, das Bild eines über das Ende des Pelopon nesischen Krieges hinweg unverändert fortlaufenden Gefallenenbegräbnisses zu verwerfen und den scharfen Bruch, den wir im Quellenbestand sehen, historisch zu deuten, führt uns zurück zum Versäumnis der bisherigen Forschung, die literarischen Epitaphioi Logoi sauber von den eigentlichen Gefallenenreden zu scheiden: Denn unter der Voraussetzung einer interpretativen Engführung von Text und Rede taucht die Vorstellung, die Hochphase der literarischen Produktion von „Gefallenenreden“ könnte in die Zeit nach dem Ende des Patrios Nomos fallen (wie ihn Thukydides im Sinne der Jahresbestattung beschreibt), im Horizont der Möglichkeiten bisher nicht auf. Ein valides Verständnis der athenischen Gefallenenbestattung des vierten Jahr hunderts lässt sich unter den skizzierten Voraussetzungen nicht erlangen, wenn die fraglichen Befunde schlicht mit den Deutungsmodellen beschrieben werden, die an der Gestalt des Rituals aus der Zeit des Ersten Seebunds entwickelt wurden. Soll hier Klarheit geschaffen werden, wäre insbesondere zu klären, welche Anhaltspunkte sich aus der geänderten Befundlage des vierten Jahrhunderts für eine Rekonstruktion der Entwicklung des Rituals ergeben und was die Quellen über den Charakter der Voll züge aussagen – insbesondere mit Blick auf die Frage, ob wir es im vierten Jahrhun dert (jenseits der Beisetzung von 394) überhaupt noch mit Jahresbestattungen zu tun haben, wie sie uns aus der Zeit von den frühen 450er Jahren bis zum Ende des Pelo ponnesischen Krieges bekannt sind. Ein getreues Bild vom Charakter der athenischen Gefallenenbestattung nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges ergibt sich nur, wenn die entsprechende Evidenz ohne Vorfestlegungen geprüft wird. Da eine solche Untersuchung für das athenische Gefallenenbegräbnis speziell des vierten Jahrhun derts bisher nicht unternommen wurde, sollen die entsprechenden Zeugnisse im Fol 3 4 5
Lewis 2000–2003, 15. Arrington 2011, 186: „perhaps sometime in the fourth century the names began to be inscribed on the lists in a different manner than before, which has made them more difficult to identify“; „there may be some hope that future excavations will uncover more of the fourth century casualty lists“. Eine Reihe weiterführender Überlegungen hierzu bietet die Arbeit von Cornelius Stöhr (Stöhr 2020, bes. 378–381), die mit Blick auf die „Rückkehr zur anlassbezogenen Bestattung“ an Überle gungen einer früheren Fassung des Manuskripts meiner Arbeit anknüpft.
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genden entsprechend ihrer chronologischen Abfolge gesichtet werden. Die Ergebnis se werden sich als wichtige Grundlage für die Arbeit an den literarischen Epitaphioi Logoi erweisen, die größtenteils parallel zu den hier besprochenen Entwicklungen des vierten Jahrhunderts entstanden sind und im zweiten Teil dieser Studie näher unter sucht werden. Krise und Transformation Der athenische Bürgerkrieg und die frühe Nachkriegszeit Bis heute beruft sich die Forschung auf die thukydideische Charakterisierung der athenischen Gefallenenbestattung als Patrios Nomos, um eine Kontinuität der Jah resbestattungen über 404/403 hinaus zu behaupten. Da das Geschichtswerk auf ei nen Rezeptionshorizont in der Nachkriegszeit ausgelegt ist, scheint es prima vista tatsächlich nahezuliegen, die prägnante Bestimmung der Institution in den Historien als Hinweis auf eine vermeintliche Kontinuität des Bestattungsrituals zu lesen. Der Eindruck relativiert sich aber schon, wenn nur Lysias in die Betrachtung einbezogen wird, der in seinem Epitaphios aus den späten 390er Jahren für die Nachkriegszeit auf nur drei einzelne Gefallenenbestattungen zurückblickt: auf das sogenannte Lakedai moniergrab; auf eine nur vage angedeutete Bestattung der im Kampf gegen das von Sparta unterstützte oligarchische Regime gefallenen Mitglieder der Piräus-Partei (bei de Bestattungen sind im Kontext des athenischen Bürgerkriegs von 403 zu verorten); und auf ein Grab für Gefallene des Korinthischen Krieges, das von Lysias nicht näher benannt wird, aber mit der Entstehungszeit des Epitaphios wohl in der Zeit von 394 bis 391 anzusetzen wäre.6 Mit keinem der drei Fälle scheint Lysias die Praxis der Jahresbe stattung zu verbinden: Zwar wird die von Lysias angedeutete Beisetzung von Gefalle nen des Korinthischen Krieges gerne mit der öffentlichen Gefallenenbestattung des ersten Kriegsjahres (394) und den entsprechenden, fragmentarisch erhaltenen Gefal lenenmonumenten identifiziert; tatsächlich erwähnt Lysias aber nur einen Konflikt in Korinth, könnte also durchaus eine Bestattung von Gefallenen nur eines einzelnen mi litärischen Zusammenstoßes im Blick gehabt haben. Die athenische Gefallenenbestat tung von 394 wurde dagegen zweifelsfrei als Jahresbestattung durchgeführt. Die bei den fraglichen Monumente – eines für die gefallenen Reiter (IG II/III2 5222 [Abb. 28 und 29]) und eines für die übrigen Gefallenen (IG II/III2 5221 [Abb. 27]) – verweisen in den fragmentarisch erhaltenen Inschriften jeweils auf mehrere Gefechtsorte: „Von den Athenern starben diese in Korinth und in Boiotien“ (Ἀθηναίων οἵδε ἀπέθα]νον ἐν
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Lys. 2.63 und 2.66.; siehe hierzu auch die entsprechenden Bemerkungen im sechsten Kapitel.
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Κορίνθωι καὶ ἐμ Βοιωτοι˜[ς) bzw. „Diese Reiter starben in Korinth: … in Koroneia: …“ (οἵδε ἱππέης ἀπέθανον ἐν Κορίνθωι· … ἐν Κορωνείαι· …).7 Auch für die von Lysias erwähnten Bestattungen von 403 zeigt sich deutlich, wie grundlegend sich das ideelle Fundament der athenischen Gefallenenbestattung schon unmittelbar nach dem Ende des Krieges geändert hatte: Am Lakedaimoniergrab wird sichtbar, wie die Spartaner, die aufseiten der Oligarchen im Kampf gegen die Piräus-Partei gefallen waren, unweit vor dem Dipylon, wo das (zu dieser Zeit wohl noch vom Krieg gezeichnete) Gebiet der athenischen Gefallenengräber begann, nach spartanischer Sitte und offenbar auch unter protokollarischer Hoheit der Spartaner in einem monumentalen Grabkomplex bestattet wurden.8 Die neue Hegemonialmacht besetzte also umgehend einen der für die politische Selbstvergewisserung der athe nischen Bürgerschaft bedeutendsten Memorialorte Athens und schuf damit einen starken Akzent mit gegenläufiger Symbolkraft:9 Es handelt sich zweifelsfrei um eine Bestattung, die unmittelbar nach dem Tod der Gefallenen durchgeführt worden ist und auf mehrfache Weise die Prinzipien und die Ideologie der athenischen Jahresbe stattungen invertiert. Das Lakedaimoniergrab wurde im Sommer 403 nur wenige Meter vor dem Dipylon als Grabmal für spartanische Krieger errichtet, die in den vorausgegangenen Bürger kriegswirren auf der Seite der Dreißig im Kampf gegen die athenischen Demokraten gefallen waren (Nr. 10 auf der topografischen Übersicht). Von diesem Grab haben sich vier (von ursprünglich wohl fünf) Quaderschichten mit einer Höhe von 1,80 m erhal ten. Der Bau war mit einer anfänglichen Länge von 8,25 m zunächst für neun Gefalle ne konzipiert und einheitlich auf eine Breite von 3,77 m angelegt, wurde dann aber in nord-südlicher Richtung sukzessive erweitert, bis er schließlich 23 Bestattungen fasste und sich über eine beachtliche Länge von 24 m erstreckte.10 Die Abdeckung und etwa
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Für Details und Literaturhinweise zu den beiden Monumenten siehe die entsprechenden Einträge unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Zum Lakedaimoniergrab siehe unten in diesem Kapitel bei Anm. 10 sowie die entsprechenden Ausführungen im sechsten Kapitel; die Indizien für eine kriegsbedingte Transformation des Ge biets um das Dipylon werden im dritten Kapitel diskutiert. Die Bestattung der gefallenen Mitglie der der Piräus-Partei setzt Lys. 2.61–66 voraus. Ain. Takt. 17.5 zufolge nutzten die Chier bereits in der letzten Kriegsphase – die Spartaner hatten zu dieser Zeit ein Militärlager im Bereich der Akademie errichtet (Xen. Hell. 2.2.8) – die breite Kerameikosstraße vor dem Dipylon unter schwerer militärischer Absicherung für ihre eigenen Festivitäten. Das Lakedaimoniergrab wird erwähnt bei Xen. Hell. 2.4.31–33 und Lys. 2.63. Die zugehörigen In schriftenfragmente: IG II/III2 11678 (für Details und Literaturhinweise siehe den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit). Das Grabmal wurde 1914 von Alfred Brueckner entdeckt: Brueckner 1915, 118–119 mit Abb. 6; weitere archäo logische Berichte bieten Brueckner 1916, 58–61; Brueckner 1930, 89–95 mit Abb. 3–5; van Hook 1932, 290–292; Gebauer/Johannes 1937, 200–203 mit Abb. 13–15; Gebauer 1938, 607–616 mit Abb. 1; Knigge/von Feytag gen. Löringhoff 1974, 181–198; Willemsen 1977, 117–157 mit Taf. 51–70, Bei lage 4; einen Überblick bietet Marchiandi 2014 c, 1327–1331. Die Identifikation ist über die in situ
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ige Aufbauten haben sich nicht erhalten, abgesehen von einer beidseitig reliefierten Grabstele mit Darstellung eines Löwen bzw. einer Löwin.11 Am Grabbau befand sich ein Inschriftenblock (IG I3 11678 [Abb. 24, 25 und 26]), auf dem sich in spartanischem Alphabet, von rechts nach links geschrieben, die Buchstaben Λ Α für „Lakedaimonier“ (Λα[κεδαιμόνιοι] oder Λα[κεδαιμονίων] im Nominativ oder Genitiv Plural) sowie die Namen dreier gefallener Spartaner erhalten haben, die uns auch aus der literarischen Überlieferung bekannt sind: die beiden Polemarchen Thribrachos und Chairon sowie der Olympiasieger Lakrates.12 Auch beim Lakedaimoniergrab handelt es sich um ein Polyandrion, die politische Semantik des Baus ist der Logik der athenischen Kriegsgefallenengräber aber diame tral entgegengesetzt, was sich insbesondere dadurch im Detail nachvollziehen lässt, dass auch hier die Bestattungen und das Grabinventar noch in situ erhalten waren, als der Bau im Frühjahr 1914 von Alfred Brueckner entdeckt wurde. Schon die Inschrift zeigt, dass die gefallenen Lakedaimonier (anders als die Athener) eine ihrem sozialen Status entsprechend differenzierte Ehrung erfahren haben: An erster Stelle werden die beiden Polemarchen aufgeführt, anschließend ein Olympiasieger, dem im spartani schen Heer die Funktion eines königlichen Leibgardisten zukam; im verlorenen Teil der Inschrift wurden dann vermutlich die übrigen Gefallenen, eventuell ebenfalls mit Verweis auf ihren sozialen Status, namentlich genannt. Just die drei besonders exponierten Personen, von deren Verdiensten uns auch Xenophon berichtet, lassen sich unter den 23 Bestattungen des Lakedaimoniergrabs präzise identifizieren. Denn anders als in den athenischen Polyandria wurden die spartanischen Gefallenen nicht kremiert, sondern in Körperbestattung beigesetzt, woraus sich Spielräume für die Differenzierung der verschiedenen Gefallenen in nerhalb des Grabkomplexes ergaben, die zur Repräsentation ihres jeweiligen gesell schaftlichen Status auch tatsächlich genutzt wurden. Drei Gefallene – die Skelette 7, 8 und 9 [Abb. 39] – wurden in besonderer Weise hervorgehoben:13 Zwar waren auch diese drei Bestatteten wie alle anderen in Rückenlage mit zur Straße gewendetem,
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erhaltenen Bestattungen, die Grabbeigaben und eine Inschrift gesichert. Diskussionen der Be funde bieten von Kienlin 2003, 113–122; Stroszeck 2008, 110–124; Stroszeck 2013 a, 381–402; Stros zeck 2014, 254–259, dort jeweils auch mit Verweisen auf weitere Literatur. Speziell mit den im Lakedaimoniergrab gefundenen Waffen befasst sich Baitinger 1999, 117–126, die Keramik wird von Stroszeck 2006 diskutiert. Jutta Stroszeck bereitet derzeit auch die maßgebliche monografische Publikation des Lakedaimoniergrabs vor. Allgemein zur Gefallenenbestattung bei den Spartanern siehe Low 2006. Athen, Nationalmuseum inv. 3709. IG II/III2 11678: Λα[κεδαιμόνιοι] / col. I.1 Θίβρακος | πολέμαρχος / col. II.1 Χαίρον | πολέμαρχος / col. III.1 Μ̣ [- - -. Die Namen nennt Xen. Hell. 2.4.33: ἐνταυ˜ θα καὶ ἀποθνῄσκει Χαίρων τε καὶ Θίβρα χος, ἄμφω πολεμάρχω, καὶ Λακράτης ὁ Ὀλυμπιονίκης καὶ ἄλλοι οἱ τεθαμμένοι Λακεδαιμονίων πρὸ τω˜ ν πυλω˜ ν ἐν Κεραμεικῳ˜ . Zu den im Folgenden genannten Details der Bestattungen siehe Stroszeck/Pitsios 2008, 110–124; Stroszeck 2013 a, 381–402; Stroszeck 2014, 257–259.
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von einem Bruchstein gestütztem Kopf nebeneinander beigesetzt, ihre Bestattung weist aber Besonderheiten auf. Auffällig ist vor allem, dass diese drei Personen in einer eigenen, durch einen (wenn auch flachen) Grabhügel markierten Grabgrube bestattet waren, während das Grab der übrigen sechs Gefallenen, die bereits in der ersten Bestattungsphase beigesetzt wurden, mit Lehmziegeln überbaut worden ist; ferner ist die Stützung des Kopfes im fraglichen Grabsegment aufwendiger durch geführt, und mit einem zusätzlichen Bruchstein wurde eine weitere Differenzierung zwischen dem Gefallenen 7 (wohl der Olympiasieger Lakrates) und den Gefallenen 8 und 9 (die beiden Polemarchen) markiert. „Dass es sich um die drei besonderen Krieger, die auch Xenophon nennt, handelt, kann kaum ernsthaft bezweifelt werden“, vermerkt Jutta Stroszeck.14 Eine weitgehend sichere Identifikation individueller Ge fallener, wie sie hier im spartanischen Begräbnis möglich wurde, war für die isonome Gefallenenbestattung von Athenern, die zuvor jahrzehntelang im selben Vorstadtge biet erfolgte, ausgeschlossen. Auch weitere Details der Bestattung der gefallenen Spartaner lassen deutliche Di vergenzen zur Repräsentation der athenischen Kriegsgefallenen erkennen. So wurden die gefallenen Lakedaimonier in ihren Kriegsgewändern beigesetzt, und als sichtba re Zeichen ihrer individuellen Tapferkeit dienten nicht nur ihre Kriegsverletzungen, sondern bei einigen Gefallenen darüber hinaus auch Teile gegnerischer Waffen, die sich noch in den Körpern der Bestatteten fanden, wo sie offenbar intendiert belas sen worden waren: So fand sich im Skelett 3 auf der linken Seite des Brustkorbs ein eiserner Lanzenschuh, ferner eine kupferne Pfeilspitze im rechten Fuß des Skeletts 10, zwei kupferne Pfeilspitzen im rechten Fuß und auf der rechten Seite des Beckens von Skelett 12, eine kupferne Pfeilspitze im Schädel des Skeletts 15 und eine kupferne Pfeilspitze auf der linken Seite des Brustkorbs von Skelett 16.15 Ein reichhaltiges Grab inventar mit gegnerischen Waffen, aber auch lakonisch-rotfiguriger Keramik, die teils speziell für das Begräbnis in Athen hergestellt, teils aber auch importiert worden zu sein scheint, zeugt ebenfalls von aufwendigen und auf das individuelle Verdienst der Gefallenen bezogenen Bestattungszeremonien.16 W. Kendrick Pritchett meinte zwar, „the area of the Tomb of the Lakedaimonians was not in the State Burial ground“.17 Da es aber, wie im zweiten Kapitel dargelegt, einen fest umrissenen Staatsfriedhof nie gab, da wir eher im Sinne Nathan Arringtons von der porösen Topografie eines weiten Gebietes öffentlicher Gefallenengräber aus zugehen haben, in dem sich die Grabmonumente an mehreren Stellen kumuliert ha ben, spricht letztlich wenig dagegen, in der Positionierung des Lakedaimoniergrabs wenige Meter vor dem Dipylon eine gewisse Brisanz zu erkennen: Das Lakedaimo 14 15 16 17
Stroszeck 2014, 258. Siehe hierzu Stroszeck/Pitsios 2008. Zur Keramik aus dem Lakedaimoniergrab siehe Stroszeck 2006. Pritchett 1998 b, 3.
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niergrab musste passieren, wer von der Stadt kommend die athenischen Gefallenen gräber besuchen oder sich von dort in die Stadt begeben wollte – abgesehen von der Alltagsgeschäftigkeit in einem frequentierten Vorstadtbereich war dies etwa bei der jährlichen Durchführung des Grabkultes relevant –, und es muss dem zeitgenössi schen Beobachter auch klar gewesen sein, dass die Ekphora bei einer Wiederaufnah me des Gefallenenbegräbnisses am Grab für die gefallenen Gegner der athenischen Demokratie vorüberzuziehen hatte. Dass die Nähe des Lakedaimoniergrabs zu den Polyandria für die athenischen Kriegsgefallenen die zeitgenössische Wahrnehmung des Gebiets geprägt hat, wird im lysianischen Epitaphios explizit thematisiert.18 Lysias bemüht sich dort, das spar tanische Monumentalgrab im Sinne eines Tropaions als Zeichen der Stärke der Pirä us-Partei zu deuten. Bei den Bestattungen der gefallenen Mitglieder der Piräus-Partei bleibt Lysias dagegen auffällig vage: Dies waren Kämpfer, die im Einsatz gegen die neue Hegemonialmacht gefallen waren, und es ist durchaus denkbar, dass ihnen ob dieses Umstands ein öffentliches Andenken, das sich mit der Gefallenenkommemora tion aus der Zeit des Seebunds vergleichen ließe, verwehrt geblieben war (im materi ellen Befund lässt sich diese Bestattung nicht greifen, sie kann daher auch nicht näher charakterisiert werden). Darüber hinaus ist aufschlussreich, dass Lysias für die Zeit zwischen dem atheni schen Bürgerkrieg von 403 und dem Beginn des Korinthischen Krieges keine weite ren Bestattungen anführt. Im Sinne einer Auswahl geeigneter Exempla ließe sich dies auf die Anforderungen literarischer Gestaltung zurückführen, doch in dem knappen Jahrzehnt vor dem offenen Bruch mit der spartanischen Hegemonialmacht hat sich Athen auch tatsächlich nur in überschaubarem Maße militärisch betätigt: Im Jahr 401 haben die „Demokraten“ die „Oligarchen“ von Eleusis besiegt,19 und 399 haben sich Athener an der Strafexpedition der Peloponnesier gegen Elis beteiligt, zudem wurden in diesem Jahr auch 300 Reiter zur Unterstützung der spartanischen Armee nach Asien entsandt.20 Sofern es im Zusammenhang mit diesen Ereignissen überhaupt zu Gefal lenenbestattungen in Athen kam, wäre angesichts mutmaßlich geringer Opferzahlen nicht zu erwarten, dass deren Bedeutung an die athenischen Gefallenenbestattungen vom letzten Drittel des fünften Jahrhunderts herangereicht haben könnte, zumal nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges die athenischen Gefallenen ihr Leben auch nicht für eine vollständig autonome Polis gelassen hätten:21 Vor dem Hintergrund des epochalen Scheiterns der athenischen Imperialmacht und unter der Hegemonie 18 Lys. 2.63: ἐγγὺς ὄντας του˜ δε του˜ μνη˜ ματος τοὺς Λακεδαιμονίων τάφους. 19 Ath. Pol. 40.4; Xen. Hell. 2.4.43. 20 Xen. Hell. 3.1.4, 2.25; Diod. 14.17.1 und 4. 21 Die genannten Aktionen der Jahre 401 und 399 wurden unter der Hegemonie Spartas durchge führt. Die athenische Bürgerversammlung stimmte erst im Sommer 395 einstimmig für ein Bünd nis mit Theben (Xen. Hell. 3.5.16.), brach so mit Sparta und zog zur Unterstützung der Boioti schen Kontingente nach Haliartos, wo sich mit dem Kampf der Thebaner gegen das von Lysander
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Spartas wäre es dem athenischen Dēmos kaum möglich gewesen, im Zeremoniell der Gefallenenbestattung bruchlos an die früheren Ideologeme anzuschließen, und falls im ersten Jahrzehnt nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges athenische Gefal lenengrabreden gehalten wurden, so werden sie kaum das politische Gewicht früherer Zeiten erlangt haben können.22 Die besondere gesellschaftliche Bedeutung, wie sie den athenischen Jahresbestattungen vor 404/403 zukam, konnte unter den veränder ten politischen Bedingungen der Nachkriegszeit nicht erreicht werden. Mit dem vorläufigen Kontinuitätsbruch, der sich durch die Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg aus dem temporären Verlust von Autonomie und militäri scher Handlungsfähigkeit der Polis ergab, veränderten sich die Voraussetzungen, unter denen das Gefallenenbegräbnis überhaupt noch als Ort der athenischen Selbstverge wisserung dienen konnte. Als das thukydideische Geschichtswerk mit der prägnan ten Formulierung vom Patrios Nomos wohl in den Jahren nach dem Ende des Pelo ponnesischen Krieges in Umlauf kam, muss die Ritualkontinuität bereits über einige Zeit hinweg gänzlich abgerissen gewesen sein (ich komme hierauf im fünften Kapitel zurück). Und wenn Lysias zu Beginn des Epitaphios im Plural von „den hier [d. h. am Gefallenengrabmal] Redenden“ (τω˜ ν ἐνθάδε λεγόντων) schreibt und damit eine lange Folge an Rednern suggeriert, mit denen er durch seine literarische „Rede“ in Konkur renz trete,23 wird dies kaum als Beleg für eine Kontinuität des Rituals über die Nieder lage Athenes hinweg herhalten können: Die Aussage ist eher im Kontext eines dichten Netzes an intertextuellen Referenzen zum Proöm der perikleischen Grabrede im Ge schichtswerk des Thukydides zu sehen. Die innen- wie außenpolitischen Rahmenbe dingungen haben erst ab Sommer 395 die Voraussetzungen für eine Wiederbelebung des Patrios Nomos in seiner vormaligen Gestalt geschaffen, und nach dem Bruch mit Sparta war Athen erstmals bei der Schlacht von Nemea ( Juni 394) direkt in einen grö ßeren militärischen Konflikt verwickelt.
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kommandierte peloponnesische Kontingent der Auftakt zum Korinthischen Krieg vollzog (Dem. 18.118; Polyb. 30.18; Strab. 9.30). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Prinz 1994, 231 f.: „Athen konnte sich aus innenpolitischen Gründen bis 400 v. Chr. nicht an den politischen Auseinandersetzungen in Griechenland beteili gen, und bis zum Jahr 394 v. Chr. hatte man nicht einmal in die spartanischen Hegemonialkriege eingegriffen. Dieser [sic] Rede [gemeint ist der lysianische Epitaphios] dürfte also eine der ersten Bestattungsreden sein, die im 4. Jahrhundert gehalten wurden, sofern sie echt ist“. Natürlich ist der lysianische Epitaphios nicht „echt“ in dem von Prinz gemeinten Sinne, und die „Rede“ wurde auch nicht im Rahmen einer Gefallenenbestattung gehalten (siehe dazu das sechste Kapitel); aber es ist schon richtig, dass es vor 394 nur wenig Anlass für öffentliche Gefallenenbestattungen gegeben ha ben wird. Zur Ereignisgeschichte der Jahre von 403 bis 394 siehe Funke 1980; Strauss 1986, 89–120. Lys. 2.2.
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Der Korinthische Krieg Erst ein knappes Jahrzehnt nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges also lässt sich für das erste Jahr des Korinthischen Krieges (394–387), in dessen Zuge Athen wieder in die Liga der Global Player zurückkehren konnte, eine Gemeinschaftsbestat tung gefallener Athener im Kerameikos sicher greifen. Zwei Monumente aus dem ent sprechenden Bestattungskomplex haben sich fragmentarisch erhalten: Bekannt sind ein Teil einer Stele mit nach Phylen geordneter Gefallenenliste und Reiterkampfrelief sowie ein Anthemion mit einer Liste gefallener Reiter.24 Das erhaltene Fragment der Stele mit Gefallenenliste (IG II/III2 5221 [Abb. 27]) weist das Polyandrion durch die Überschrift „Von den Athenern starben diese in Korinth und in Boiotien“ explizit als Denkmal für die Gefallenen verschiedener Schlachten aus, und auch das mit einer In schrift für die gefallenen Reiter versehene Anthemion (IG II/III2 5222 [Abb. 28 und 29]) verweist auf Opfer von Konflikten sowohl in Korinth wie in Koroneia. Wir haben es hier mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Jahresbestattung athenischer Gefal lener zu tun, man wird entsprechend davon auszugehen haben, dass die athenische Bürgerversammlung zeitnah nach dem Bruch mit Sparta (vielleicht noch gegen Ende des Jahres 395) den entsprechenden Beschluss gefasst hat, im Zuge des sich abzeich nenden Krieges das alte Ritual wieder aufleben zu lassen.25 Anders als die meisten athenischen Gefallenengräber des fünften Jahrhunderts wa ren die Monumente von 394 mit Reliefs und Stelenbekrönung reich verziert. Die for male Gestaltung der Namenslisten von 394 schließt aber offenbar gezielt an die älteren Denkmäler an. Die Listeneinträge sind grundsätzlich nach Phylen geordnet und wei sen lediglich die Rufnamen der Verstorbenen aus; Patronymika und Demotika werden nicht geboten. Allerdings ist das Prinzip der isonomen Repräsentation der Gefalle nen durch ein gesondertes Monument für die Reiter und durch die Nennung hoher militärischer Ränge (zwei Strategen und ein Phylarch werden durch entsprechende Angaben als solche hervorgehoben) aufgeweicht: Die Sonderrolle der Reiter, die ab den 430er Jahren in der Gefallenenbestattung zu greifen ist, sowie die Tendenz zur Repräsentation der militärischen Hierarchie, wie sie sich nach der Sizilienexpedition in der athenischen Gefallenenbestattung durchsetzen konnte (beide Aspekte werden im dritten Kapitel behandelt), prägen auch die öffentliche Gefallenenbestattung von 394.26 24 25 26
IG II/III2 5221 sowie für Kavallerie aus demselben Jahr IG II/III2 5222; für Details und Literatur hinweise siehe die entsprechenden Einträge unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im An hang dieser Arbeit. Der Beschluss dürfte spätestens zu Beginn der Kriegssaison von 394 gefasst worden sein. Dass die Frage nach dem gesellschaftlichen Status der Gefallenen in der Nachkriegszeit weiter an Bedeutung gewinnen konnte, lässt sich im Umfeld der öffentlichen Gefallenenbestattung von 394 auch in einem bemerkenswerten Privatmonument greifen, das in einer gewissen Beziehung zu IG II/III2 5222 steht: Dem Ritter Dexileos – einem der Gefallenen, die im öffentlichen Monument
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Den beiden Fragmenten der öffentlichen Gefallenenmonumente von 394 kommt damit eine besondere historische Bedeutung zu: Es handelt sich nach dem Pelopon nesischen Krieg um die einzigen und damit zugleich insgesamt um die letzten eindeu tigen materiellen Hinweise auf ein athenisches Gefallenenbegräbnis vom Typus der Jahresbestattung. Zugleich handelt es sich – um auf eine analytische Differenzierung aus dem zweiten Kapitel zurückzugreifen – um die einzigen materiellen Indizien aus dem vierten Jahrhundert für eine Kollektivbestattung von Gefallenen unterschiedli cher Einsatzorte. Die fehlende Evidenz für weitere Bestattungen dieser Art im vierten Jahrhundert legt den Schluss nahe, dass der Versuch der athenischen Bürgerschaft, im ersten Jahr des Korinthischen Krieges die Tradition der Jahresbestattung wiederaufle ben zu lassen, nicht sonderlich nachhaltig war. Zwar ist noch eine geringe Zahl einzel ner Fragmente von Namenslisten bekannt, die paläografisch ins vierte Jahrhundert da tieren und die Charakteristika von Gefallenenlisten erkennen lassen: Es wurden also mit einiger Sicherheit auch nach 394 noch Grabmonumente für athenische Gefallene mit entsprechenden Namenslisten errichtet, doch es finden sich keine hinreichend belastbaren Belege dafür, dass weiterhin gemeinsame Bestattungen sämtlicher Gefal lener einer ganzen Kriegssaison oder auch nur Kollektivbestattungen von Gefallenen unterschiedlicher Einsatzorte durchgeführt wurden. Die geänderte Befundlage deutet darauf hin, dass sich (jenseits des Falls von 394) die Gefallenenmonumente in Form, Charakter und Bedeutung gewandelt haben könnten – eine Veränderung, die mit ei nem entsprechenden Wandel in der Bestattungspraxis und ihrer gesellschaftlichen Be deutung korrelieren dürfte. An diesem Bild vermag auch Platons Menexenos (entstanden um 386/385) nichts zu ändern: Platon lässt in der kühn konzipierten anachronistischen Komposition des Dialogs den literarischen Sokrates eine mit Inkonsistenzen gespickte, von Parodie durchzogene und mit diversen Bezügen zur Nachkriegszeit versehene Gefallenenrede vortragen, die dieser zuvor von Aspasia gehört haben will und in der sich die Formulie rung findet, die Polis versäume es nie, die Verstorbenen zu ehren, indem sie alljährlich die althergebrachten Riten öffentlich für alle durchführe, wie sie im Privaten für jeden einzelnen vollzogen werden.27 Historisch belastbar ist diese Passage kaum, da hier ab für die gefallenen Reiter genannt werden – hat dessen Familie an der sogenannten „Gräberstra ße“ (nahe Südweg und Heiliger Straße) ein eigenes Kenotaph mit Reiterkampfrelief und Inschrift gesetzt; siehe Abb. 30 sowie Nr. 9 in der topografischen Übersicht im Anhang dieser Arbeit; zur Inschrift IG II/III2 6217 siehe auch den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Das Privatmonument zeugt eindrücklich davon, wie be güterte athenische Familien die erweiterten Spielräume, die sich mit der schwindenden Bedeu tung der Isonomie und mit zunehmenden Freiräumen im Bereich privater Bestattungen ergaben, nutzen konnten, um die individuellen Verdienste ihrer gefallenen Familienmitglieder herauszu streichen. 27 Plat. Men. 249 b: αὐτοὺς δὲ τοὺς τελευτήσαντας τιμω˜ σα οὐδέποτε ἐκλείπει, καθ’ ἕκαστον ἐνιαυτὸν αὐτὴ τὰ νομιζόμενα ποιου˜ σα κοινῃ˜ πα˜ σιν ἅπερ ἑκάστῳ ἰδίᾳ γίγνεται. Auch die dialogische Rahmen handlung bedient das Bild einer regelmäßigen Durchführung des jahrweise vollzogenen Ge
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gesehen von der anachronistischen Grundanlage des Textes einerseits die Regeln lite rarischer Subversion greifen und andererseits auch eine intertextuelle Auseinander setzung mit Lysias und Thukydides in Rechnung gestellt werden muss (der Menexenos wird im siebten Kapitel dieser Arbeit untersucht). In diesem Zusammenhang lässt sich auch Isokrates noch anführen, der in seiner Rede Über den Frieden (verfasst nach dem Bundesgenossenkrieg 355 v. Chr.) davon spricht, „dass es jedes Jahr dieses eine immer wiederkehrende Ereignis“ gegeben habe, „nämlich die Veranstaltung öffentlicher Leichenfeiern“:28 Isokrates spricht hier aller dings über die Zeit des Peloponnesischen Krieges; für das vierte Jahrhundert lässt sich daraus nichts gewinnen – außer vielleicht, dass die Verwendung des Imperfectum historicum nahelegen könnte, dass Isokrates von einer vergangenen Besonderheit des Ritualvollzugs berichtet, die zu seiner eigenen Zeit in dieser Form gerade nicht mehr bestand. Der Verdacht, die athenische Jahresbestattung könnte im letzten Drittel der 390er Jahre endgültig abgebrochen sein, lässt sich mit einem genaueren Blick auf die Evidenz zur weiteren Entwicklung der athenischen Gefallenenbestattung bis in die frühhelle nistische Zeit hinein erhärten. Die Analyse erfolgt entlang den wenigen Kontexten, die sich für athenische Gefallenenbestattungen im vierten Jahrhundert greifen lassen. Die Schlacht von Mantineia Ein Fragment einer Inschriftenbasis aus dem vierten Jahrhundert wurde von Chris toph Clairmont als Indiz für ein Polyandrion in Athen gedeutet, das sich auf ein Gefal lenenbegräbnis für die Schlacht von Mantineia im Jahr 362 beziehen könnte, mit der die thebanische Hegemonie beendet wurde (SEG 28.240 [Abb. 31]).29 Auf der Basis war ein Epigramm verzeichnet, von dem sich die Wendung - - - πατρ]ίδος Ἑλλάδι πάσηι vac. σώζοντες [- - - erhalten hat. Die Rede ist hier von der Rettung von ganz Hellas. Die Zuweisung zu Mantineia ist allerdings so unsicher, dass die Evidenz keine weiterfüh renden Schlussfolgerungen zulässt.
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meinschaftsbegräbnisses der athenischen Gefallenen, wenn Sokrates seinem Gesprächspartner berichtet, er habe beim Begräbnis „immer Gäste von außerhalb dabei, die mich begleiten und sich gemeinsam mit mir die Rede anhören“ (καὶ οι῟α δὴ τὰ πολλὰ ἀεὶ μετ’ ἐμου˜ ξένοι τινὲς ἕπονται καὶ συνακροω˜ νται; Plat. Men. 235 b). Isok. 8.87: πλήν ἓν ἦν του˜ το τω˜ ν ἐγκυκλίων, ταφὰς ποιει˜ν καθ’ ἕκαστον τὸν ἐνιαυτόν … Für Details und Literaturhinweise siehe den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafi sche Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
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Der Zweite Olynthische Krieg Von einem Gemeinschaftsgrab für die athenischen Gefallenen, die 349/348 ausgezo gen waren, um Olynth gegen Philipp II. zu verteidigen, berichtet Pausanias; Details nennt er nicht, materielle Zeugnisse für das Denkmal sind nicht bekannt.30 Auf dieser Grundlage den Charakter der Bestattung zu deuten, fällt schwer. Die knappe Formu lierung bei Pausanias („hier liegen die Angesehensten derer, die gegen Olynth gezogen sind“) legt prima vista nahe, dass das Begräbnis speziell für die im Kampf um Olynth Gefallenen durchgeführt wurde. Der Perieget stellt hier nur den Bezug zu dieser ei nen militärischen Konfrontation her, allerdings lässt sich daraus kaum etwas ableiten, denn er nennt (von zwei Ausnahmen abgesehen) auch bei den übrigen Gefallenen monumenten, die er im Bereich des Kerameikos beschreibt, stets nur den historisch bedeutendsten Schlachtort.31 Für die Frage nach der Entwicklung des Charakters der athenischen Gefallenenbestattung lässt sich hieraus also nichts gewinnen. Die Anga be, es seien speziell die „Angesehensten“ (δοκιμώτατοι) bestattet worden, ist ein offen kundiges Missverständnis, das seinen Ursprung in einer eigenwilligen Deutung eines entsprechenden Epigramms haben könnte. Die Schlacht von Chaironeia Eine deutlich aussagekräftigere Gruppe an epigrafischen und literarischen Zeugnissen bezieht sich auf die Gefallenenbestattung nach der Schlacht von Chaironeia im Jahr 338, mit der sich die Makedonen endgültig im Ägäisraum durchsetzen konnten.32 In fragmentarischer Form hat sich inschriftlich ein Epigramm erhalten, das auch in der Anthologia Palatina (7.245) überliefert ist [Abb. 32]. Das Grabgedicht preist Krieger, die ihren Einsatz für die Rettung von Hellas mit dem Tod auf boiotischen Feldern
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Paus. 1.29.7: καὶ γὰρ τω˜ ν ἐπ’ Ὄλυνθον ἐλθόντων οἱ δοκιμώτατοι. Kommentare: Frazer 1965 b, 382; Musti/Beschi 1982, 167; Über den athenischen Kriegseinsatz (mit 2 000 Hopliten und 300 Reitern) berichtet Philochoros in seiner Atthis (fragmentarisch erhalten bei Dion. Hal. Amm. 9): FGrH/ BNJ 328 F 49–50 (dazu die Kommentare von Costa 2. Aufl. 2007, 319–338; Jones 2016, F 49–50); weitere Hinweise bei Dem. 21.197. Rekonstruktion der Ereignisgeschichte: Cawkwell 1978, 82–90; Hammond/Griffith 1979, 296–328; Sealey 1993, 137–143; Worthington 2008, 74–83; Worthington 2013, 132–144. Die beiden Ausnahmen: ein Denkmal für diejenigen, „die in Thrakien und in Megara kämpften“ (Paus. 1.29.13) sowie „das Grab derjenigen, die auf Euboia und Chios starben, es nennt auch die, die an den äußersten Grenzen des asiatischen Landes umkamen und in Sizilien“ (Paus. 1.29.11; die Deutung der Stelle ist umstritten). IG II/III2 5226 (= Anth. Pal. 7.245) + Agora 17 Nr. 25 + Anth. Pal. 7.253 + Dem. 18.289. Das Grab mal erwähnt auch Paus. 1.29.13. Über die historischen Ereigniszusammenhänge berichten Dem. 18.285–287; Aischin. 3.152–159; Diod. 16.84 und Plut. Dēm. 21.
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bezahlten.33 Eine in stark fragmentarischer Form erhaltene Inschrift mit Phylenrubrik und Nennung eines Strategen könnte zu dieser Basis passen,34 so dass sich für 338 ein Gefallenenmonument rekonstruieren ließe, das (soweit sich dies sagen lässt) zumin dest in einigen Gestaltungsmerkmalen an die älteren Monumente anschließt. Zwei weitere Epigramme, deren möglicher Bezug zu Chaironeia unterschiedlich bewertet wird, haben sich in literarischer Form erhalten: Ein ebenfalls in der Anthologia Palati na (7.253) enthaltenes Epigramm rühmt die Aretē von Kämpfern, die dafür gestritten haben, Hellas mit der Freiheit zu bekränzen, und die nun hier begraben liegen, bedacht mit zeitlosem Lobpreis“;35 und von einem in der Kranzrede des Demosthenes (log. 18) interpolierten zehnzeiligen Epigramm könnte immerhin der Vers „in nichts zu fehlen und stets erfolgreich zu sein, ist Sache der Götter“ (μηδὲν ἁμαρτει˜ν ἐστι θεω˜ ν καὶ πάντα κατορθου˜ ν) tatsächlich auf das Grabmonument für die bei Chaironeia Gefallenen zu rückzugehen.36 Des Weiteren könnte ein 1979 nordwestlich des Dipylon gefundenes Relieffragment aus pentelischem Marmor mit Darstellung eines Reiterkampfes zu ei nem entsprechenden Gefallenendenkmal gehört haben [Abb. 33].37 Die genannten Epigramme beziehen sich, soweit sie das überhaupt zu erkennen geben, auf nur einen einzigen militärischen Konflikt, und auch im demosthenischen Epitaphios finden sich keine Hinweise darauf, dass die Gefallenenbestattung nach Chaironeia als Jahresbestattung durchgeführt worden wäre. Der Schwerpunkt der für uns historisch greifbaren militärischen Aktivitäten Athens in diesem Jahr lag auch tatsächlich auf dieser einen Konfrontation mit den Makedonen, allerdings war der
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IG II/III2 5226: [ω῏ Χρόν]ε, παντοίων θνητο[ι˜ς πανεπίσκοπε δαίμων], | [ἄγγελο]ς ἡμετέρων πα˜ σ[ι γενου˜ παθέων]· | [ὡς ἱερὰν σώιζειν πειρώμενοι Ἑλλάδα χώραν] | [Βοιωτω˜ ν κλεινοι˜ς θνήισκομεν ἐν δαπέδοις] – „Zeit, den Sterblichen bei jeglichem Ereignis allgegenwärtige Gottheit, | werde du allen Menschen Künderin unseres Leides: | wie wir versuchten, die heilige griechische Erde zu schützen, | und nun tot liegen auf der Böoter ruhmvollem Brachfeld“ (Übers. Peek 1960). Agora 17 Nr. 25: [O]ἰ ̣νε̄ [ΐδος] | [στρ]ατη̣γός | . . .6. . . τ - - -. Die Verbindung mit IG II/III2 5226 hat Bradeen 1964, 56–58 gesehen. Anth. Pal. 7.253: Εἰ τὸ καλω˜ ς θνήισκειν ἀρετη˜ ς μέρος ἐστὶ μέγιστον, | ἡμι˜ν ἐκ πάντων του˜ τ’ ἀπένειμε Τύχη· | Ἑλλάδι γὰρ σπεύδοντες ἐλευθερίην περιθει˜ναι | κείμεθ’ ἀγηράτωι χρώμενοι εὐλογίηι („Wenn das schöne Sterben der Tapferkeit größter Teil ist, | so hat uns diesen vor allen anderen Tyche zu geteilt. | Denn wir haben dafür gestritten, Hellas mit der Freiheit zu bekränzen, | und liegen [hier begraben], bedacht mit zeitlosem Lobpreis“). Dem. 18.289 v. 9. Das gesamte zehnzeilige Epigramm ist enthalten in den Codizes F (Biblioteca Nazionale Marciana, Venedig, Cod. gr. 416 [10. Jh.]) und Y (Bibliothèque nationale, Paris, Cod. gr. 2935 [10. Jh.]), aber nicht in S (Bibliothèque nationale, Paris, Cod. gr. 2934 [frühes 10. Jh.]) und A (Bayerische Staatsbibliothek, München, Cod. gr. 485 [10. Jh.]); nur v. 9 wird dann in Dem. 18.290 nochmals aufgegriffen und scheint damit auch ursprünglich in der Rede enthalten gewesen zu sein. Eine knappe Zusammenfassung der Argumente für die Echtheit von v. 9 und für die Interpo lation der übrigen Verse bietet Yunis 2001, 270 f. Für eine Verbindung des Reliefs zur Schlacht von Chaironeia argumentiert Kaempf-Dimitriadou 1986. Für Details und Literaturhinweise siehe den Eintrag zu IG II/III2 5226 unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
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Friedensvertrag mit Philipp II. bereits um 440/43938 aufgekündigt worden, und Ende November 339 schloss Athen das Bündnis gegen Philipp mit Theben und verlegte ei gene Kontingente nach Boiotien, um dort gemeinsam mit thebanischen Einheiten den Grenzschutz zu leisten.39 Dass es dabei im Frühjahr 338 auch zu zwei intensiveren mi litärischen Auseinandersetzungen zwischen Theben/Athen einerseits und den Make donen andererseits gekommen ist, bezeugt Demosthenes (18.216).40 Im Frühjahr 33841 unterlag zudem ein thebanisch-athenisches Heer unter den Feldherren Proxenos und Chares, das Amphissa verteidigen sollte, dem Vorstoß Philipps.42 Auch im Vorfeld der Schlacht von Chaironeia, als makedonische Truppen durch Boiotien streiften, könnte es kleinere Zusammenstöße mit entsprechenden Verlusten gegeben haben.43 Da sich das Epigramm Anth. Pal. 7.245 (das sich epigrafisch auf dem Fragment IG II/III2 5226 erhalten hat), nun allerdings exklusiv auf Gefallene „auf den boiotischen Feldern“ bezieht, während bei der Niederlage in Amphissa sicherlich auch Athener außerhalb Boiotiens gefallen sind, ist wohl von mehreren jeweils getrennt durchgeführten Bestat tungen für die einzelnen Konflikte auszugehen.44 Dass die Gefallenen von Chaironeia eine eigene Gemeinschaftsbestattung erfuhren und sich damit auch die Begräbniszeremonien, in deren Rahmen Demosthenes die Gefallenenrede hielt, nur auf diesen Konflikt bezogen haben dürften, geht auch aus den Abläufen hervor, die sich für die Zeit nach der Niederlage Athens rekonstruie ren lassen. Die Schlacht fand, wie Plutarch (Kam. 19.5) bezeugt, am 7. Metageitnion (= 2. August) statt.45 Die Gefallenenrede wird in der Regel in den folgenden Winter datiert – also mindestens drei oder vier Monate später –, dies basiert aber stets auf der Annahme, die von Thukydides beschriebene Regel einer Bestattung am Ende der Kriegssaison habe auch 338 noch Bestand gehabt. Wird diese Prämisse aufgegeben, was auf Basis der hier vorgestellten Rekonstruktion des athenischen Gefallenenbe
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Zur Diskussion um die Chronologie siehe Hammond/Griffith 1979, 574–578; Sealey 1993, 187–190; Harding 2008, 161–164; Jones 2016, F 53–56. 39 Aischin. 3.140; Paus. 10.3.8, 10.33.4; Polyain. 4.2.8.14; siehe Wüst 1938, 158. 40 Dem. 18.216: δίς τε συμπαραταξάμενοι τὰς πρώτας μάχας, τήν τ’ ἐπὶ του˜ ποταμου˜ καὶ τὴν χειμερινήν, οὐκ ἀμέμπτους μόνον ὑμα˜ ς αὐτοὺς ἀλλὰ καὶ θαυμαστοὺς ἐδείξατε τῳ˜ κόσμῳ, ται˜ς παρασκευαι˜ς, τῃ˜ προθυμίᾳ. ἐφ’ οι῟ς παρὰ μὲν τω˜ ν ἄλλων ὑμι˜ν ἐγίγνοντ’ ἔπαινοι, παρὰ δ’ ὑμω˜ ν θυσίαι καὶ πομπαὶ τοι˜ς θεοι˜ς. 41 Nach Wüst 1938, 165 „etwa im April“. 42 Aischin. 3.146; Polyain. 4.2.8. Bei Plut. Dēm. 18 ist von den Ereignissen in falschem Zusammenhang die Rede. 43 Polyain. 4.2.14. 44 Das Epigramm wird im achten Kapitel zitiert; für Details und Literaturhinweise siehe auch den Eintrag zu IG II/III2 5226 unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. 45 Plut. Kam. 19.5: ἀνάπαλιν δ’ ὁ Μεταγειτνιών, ὃν Βοιωτοὶ Πάνεμον καλου˜ σιν, τοι˜ς Ἕλλησιν οὐκ εὐμενὴς γέγονε. τούτου γὰρ του˜ μηνὸς ἑβδόμῃ καὶ τήν ἐν Κρανω˜ νι μάχην ἡττηθέντες ὑπ’ Ἀντιπάτρου τελέως ἀπώλοντο, καὶ πρότερον ἐν Χαιρωνείᾳ μαχόμενοι πρὸς Φίλιππον ἠτύχησαν. Der 7. Metageitnion könnte 338 auch auf den 1. September gefallen sein (unklar ist, ob zuvor ein Schaltmonat gesetzt wurde oder nicht). Ich folge Wüst 1938, 166 mit Anm. 3 in der Entscheidung für den 2. August.
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gräbnisses im vierten Jahrhundert durchaus zulässig wäre, erscheint eine größere zeit liche Nähe zur Niederlage deutlich wahrscheinlicher. Polybios (5.10.4) und Iustinus (9.4.4) zählen die Freigabe der Leichname durch Philipp zu den Maßnahmen athen freundlicher Symbolpolitik im unmittelbaren Anschluss an die Schlacht – die Körper der Gefallenen konnten also offenbar zeitnah vor Ort kremiert werden –,46 und Plut arch (Dēm. 21) schreibt, dass Demosthenes die Ehre übertragen wurde, die Gefalle nenrede zu halten, „als die Gebeine aus Chaironeia zur Bestattung zurückgebracht wurden“.47 Dass die Bestattung bald nach der Schlacht („noch unter dem Eindruck der Ereignisse“) stattfand, legt Demosthenes in seiner Rekapitulation der Geschehnisse in log. 18.285 selbst nahe.48 Daneben beziehen sich erneut Demosthenes (60.1 und 20.141) sowie Aischines (3.152–158) auf die Geschehnisse, auch dort findet sich kein Hinweis auf einen besonderen zeitlichen Abstand zwischen Niederlage und Bestattung.49 Zwischen der Schlacht und der Bestattung muss freilich genügend Zeit für die Rückkehr der Bürger (insbesondere derer, die zunächst in Gefangenschaft geraten wa ren), für die Aushandlung des Friedensschlusses zwischen Athen und Philipp sowie für die diplomatische Mission veranschlagt werden, mit der sich Demosthenes (wohl primär aus Gründen des Selbstschutzes)50 hat betrauen lassen – hierfür könnten aber drei bis fünf Wochen ausgereicht haben: Die Freigabe der Gefangenen wird mögli cherweise zeitgleich mit der Freigabe der Leichname erfolgt sein, der Friedensvertrag wurde im Wesentlichen von Philipp dekretiert, musste also nicht langwierig ausge handelt werden, und Demosthenes scheint sich bald nach dem Friedensschluss wie der nach Athen begeben zu haben. Auch die Gesamtkonzeption des demosthenischen Epitaphios würde gut in die früheste Phase nach der Schlacht von Chaironeia passen: Die Art und Weise, wie Demosthenes die Bedeutung seiner Gefallenenrede taxiert, lässt darauf schließen, dass sie für ihn die wichtige Funktion erfüllt hat, seine eigene Rolle in der politisch veränderten Umwelt nach der athenischen Niederlage zeitnah neu zu definieren (hierzu mehr im achten Kapitel). Damit hätte Demosthenes dem 46
Wenn Philipp die Herausgabe der Leichen hinausgezögert hätte, wüssten wir davon: Mit den bio logischen Zerfallsprozessen (besonders im Sommer) setzen stets rasch auch entsprechend zerset zende Diskurse ein (siehe Delion). 47 Plut. Dēm. 21.2: ὥστε καὶ τω˜ ν ὀστέων ἐκ Χαιρωνείας κομισθέντων καὶ θαπτομένων τὸν ἐπὶ τοι˜ς ἀνδράσιν ἔπαινον εἰπει˜ν ἀπέδωκεν. 48 Dem. 18.285: χειροτονω˜ ν γὰρ ὁ δη˜ μος τὸν ἐρου˜ ντ’ ἐπὶ τοι˜ς τετελευτηκόσιν παρ’ αὐτὰ τὰ συμβάντα, οὐ σὲ ἐχειροτόνησε προβληθέντα, καίπερ εὔφωνον ὄντα, οὐδὲ Δημάδην, ἄρτι πεποιηκότα τὴν εἰρήνην, οὐδ’ Ἡγήμονα, οὐδ’ ἄλλον ὑμω˜ ν οὐδένα, ἀλλ’ ἐμέ. Siehe zu Dem. 18.285–287 die Kommentare bei Wankel 1976, 1214–1228 und Yunis 2001, 268 f. Mit dem Begriff ἄρτι in der oben zitierten Passage deutet Demosthenes zudem an, dass die Aushandlung des Friedensvertrags mit den Makedonen nicht lange zurücklag. 49 Die Konstituierung des Korinthischen Bundes ist in jedem Fall nach der Gefallenenbestattung an zusetzen (auch von Aischin. 3.159 wird das Bemühen des Demosthenes, Mitglied im συνέδριον des Bundes zu werden – so muss nach der plausiblen Rekonstruktion von Ryder 1976 sein Antrag auf Ernennung zum εἰρηνοφύλαξ verstanden werden –, zeitlich nach der Gefallenenrede eingeordnet). 50 Siehe hierzu die entsprechenden Hinweise im achten Kapitel.
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athenischen Gefallenenbegräbnis als Bühne der politischen Profilierung der führen den Männer zugleich eine neue Bedeutung verleihen können, wäre der Anlass nicht der Verlust der athenischen Autonomie gewesen. Der Lamische Krieg Den letzten hier relevanten Kontext, für den sich eine öffentliche Gefallenenbestat tung in Athen greifen lässt, stellt der Lamische Krieg dar.51 Nach dem Abschluss einer ersten zusammenhängenden Expedition in Mittelgriechenland mit mehreren erfolg reichen militärischen Operationen gegen die Makedonen wurde ungefähr im Mai 322 (die Datierung wird im achten Kapitel etabliert) eine literarisch belegte öffentliche Ge meinschaftsbestattung in Athen durchgeführt, in der neben anderen Gefallenen auch der gefeierte Stratege Leosthenes beigesetzt wurde; auf eine weitere Bestattung nach einer Seeschlacht des Lamischen Krieges im Sommer 322 lässt sich möglicherweise ein (heute im Original verlorenes) inschriftlich bezeugtes Epigramm beziehen. In beiden Fällen spricht die Evidenz für Gemeinschaftsbestattungen, die jeweils zeitnah zu den entsprechenden Geschehnissen durchgeführt wurden. Hinweise auf Jahresbegräbnis se gibt es für die Zeit des Lamischen Krieges nicht; zunächst zur erstgenannten Gefal lenenbestattung im Frühling 322. In der Erzählung Diodors folgt ein knapper Verweis auf die Bestattung des Leosthe nes unmittelbar auf den Bericht von dessen Tod, der sich ungefähr in den Januar oder in die erste Hälfte des Februars 322 datieren lässt.52 Diodor führt dabei aus, dass der Stratege wegen seines im Krieg erlangten Ruhmes mit heroischen Ehren bestattet wur de.53 Dass es sich dabei nicht um ein Einzelbegräbnis, sondern um ein gemeinschaft liches öffentliches Gefallenenbegräbnis im Kerameikos gehandelt hat, legt Pausanias nahe, wenn er in seiner Beschreibung des Kerameikos das Grab derer erwähnt, die Leosthenes nach Thessalien geführt hat;54 materielle Zeugnisse hierzu sind nicht be kannt. Wie wir von Diodor wissen, wurde die Gefallenenrede von Hypereides gehal ten,55 aus dessen Feder uns auch ein Epitaphios (= log. 6) vorliegt, der in schriftlicher
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Einen kompakten historischen Überblick über den Lamischen Krieg bieten Hammond/Walbank 1988, Bd. 3, 107–117; zu den antiken Bezeichnungen des Krieges als Λαμιακὸς πόλεμος (bzw. bellum Lamiacum) und Ἑλληνικὸς πόλεμος siehe Ashton 1984, 152–157. Zur Datierung siehe die entsprechenden Ausführungen im achten Kapitel. Diod. 18.13.5: … τῃ˜ τρίτῃ δ’ ἡμέρᾳ τελευτήσαντος αὐτου˜ καὶ ταφέντος ἡρωικω˜ ς διὰ τὴν ἐν τῳ˜ πολέμῳ δόξαν … Paus. 1.29.13: ἐτάφησαν δὲ … αὶ ὅσους ἐς Θεσσαλίαν Λεωσθένης ἤγαγε. Diod. 18.13.5: ὁ μὲν δη˜ μος τω˜ ν Ἀθηναίων τὸν ἐπιτάφιον ἔπαινον εἰπει˜ν προσέταξεν Ὑπερείδῃ τῳ˜ πρω τεύοντι τω˜ ν ῥητόρων τῃ˜ του˜ λόγου δεινότητι καὶ τῃ˜ κατὰ τω˜ ν Μακεδόνων ἀλλοτριότητι.
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Form in Umlauf gekommen ist.56 Die Schrift liefert nähere Hinweise zur Datierung der Bestattung, die im achten Kapitel dieser Arbeit diskutiert werden: Demnach wurde Leosthenes im Rahmen einer gemeinschaftlichen Bestattung von etwa 200 Gefallenen beigesetzt,57 die nach dem Sieg der Athener über Leonnatos ungefähr im Mai 322 statt gefunden haben muss – und damit etwa vier Monate nach dem Tod des Leosthenes. Der Zeitpunkt der Bestattung scheint maßgeblich dadurch bestimmt gewesen zu sein, dass eine Serie unmittelbar aufeinander folgender militärischer Operationen zu einem vorläufigen Abschluss gekommen ist: Antipatros zog sich nach Norden zurück, und der athenische Stratege Antiphilos begnügte sich einstweilen damit, die gegnerischen Truppenbewegungen zu observieren.58 Einem Großteil der athenischen Bürgersol daten wird es in dieser Situation möglich gewesen sein, nach Attika zurückzukehren und dort die kremierten Gebeine der Gefallenen beizusetzen. Die verfügbare Evidenz zeigt, dass der gefallene Stratege gegenüber den übrigen Gefallenen in einem Maße hervorgehoben wurde, das im klassischen Athen ohne Vorbild war: Der Lamische Krieg markiert damit das endgültige Ende der Ära isonomer Gemeinschaftsbestattun gen in Athen. Auch für den weiteren Verlauf des Lamischen Krieges dürfen wir Gemeinschaftsbe stattungen annehmen, die jeweils nach einem bestimmten Konflikt (und damit nicht als Jahresbestattung) durchgeführt wurden: Ein (heute verschollenes) Fragment eines öffentlichen Gefallenengrabmonuments aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhun derts bewahrt in den Versen eines in den Stein gemeißelten Epigramms den ausdrück lichen Hinweis auf eine Auseinandersetzung zur See – [ν]α[υ]μαχίας ἐν ἀγω˜ ν[ι59 –, die mit der Seeschlacht bei Amorgos ( Juni 322)60 identifiziert wurde, sich aber plausibler auf die von Diodor erwähnte Seeschlacht „bei den Echinaden“ (ca. August/September 322) beziehen lässt:61 Die Stelle bei Diodor ist notorisch ambig. Waldemar Heckel hat überzeugend herausgearbeitet, dass Diodor hier nur von zwei (nicht von drei) See schlachten spricht, von der Schlacht bei Amorgos und einer Schlacht im Malischen 56
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Wie bei Demosthenes, so ist auch bei Hypereides zumindest denkbar, dass der Epitaphios formal und inhaltlich von seiner mündlich gehaltenen Gefallenenrede abweicht; zur Frage der Beziehung von literarischem Text und oraler Rede bei Hypereides siehe die entsprechenden Überlegungen im achten Kapitel dieser Arbeit. Die Angabe zur Zahl der vor Lamia Gefallenen findet sich bei Paus. 7.10.5; zu den Deutungsschwie rigkeiten siehe die entsprechenden Überlegungen im achten Kapitel. Diod. 18.15.5–7. IG II/III2 5225 (= IG II/III 1679 [ed. U. Koehler] = Peek 1955, Nr. 26 = Clairmont 1983, 219 Nr. 78 = Pritchett 1985, 4.227 f. Nr. 94 = CEG 466): ο[ὐ]δὲν ἐλευθερίας κρει˜ττ[ον ⏔ – ⏑⏑ – –], | [ἧς] ο[ἵ] δε ἱέ[μ]ενοι θ̣νη˜ ι [̣ σκον ⏔ – ⏑⏑ – –] | ναυμαχίας ἐν ἀγω˜ νι, τάφ[ος δ(ὲ) ⏔ – ⏑⏑ – –] | φράζει κ[αὶ] πατρίδα [.]ϲ[⏔ – ⏔ – ⏑⏑ – –]. Für Details und Literaturhinweise siehe den entsprechenden Ein trag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Die Seeschlacht bei Amorgos fand nach Ashton 1977, 10 f. Ende Juni 322 statt (bestätigt von Heckel 1992, 373–377, bes. 376 mit Anm. 17). Diod. 18.15.9: ου῟ τος [i. e. Κλει˜τος] δὲ ναυμαχήσας πρὸς Ἠετίωνα τὸν Ἀθηναίων ναύαρχον ἐνίκησε δυσὶν ναυμαχίαις καὶ συχνὰς τω˜ ν πολεμίων νεω˜ ν διέφθειρε περὶ τὰς καλουμένας Ἐχινάδας νήσους.
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Golf (vor der Küste des antiken Ortes Echinos).62 Wie John S. Morrison gezeigt hat, geht aus Plutarch (Dēmētr. 11.3 und Tych. 338 a) hervor, dass die Schlacht bei Amor gos den Athenern keine gravierenden Verluste bereitet hat; als „decisive sea-battle of the Lamian war“ ist vielmehr die Seeschlacht bei den Echinaden zu verstehen, die in den Spätsommer 322 datiert werden muss.63 Da das Epigramm nur eine Seeschlacht erwähnt und keine Bezüge zu anderen Konflikten erkennen lässt (etwa zur Niederlage der Athener in der Schlacht von Krannon, die sich kurz zuvor im August 322 ereignet hat),64 kann es sich auch hier nicht um ein Jahresbegräbnis gehandelt haben. Zwischenbilanz Der Patrios Nomos zählt in der Form, wie er von Thukydides als Jahresbestattung athe nischer Kriegsgefallener beschrieben wurde, zu den bemerkenswertesten Ritualen des klassischen Athens und wird – nicht zu Unrecht – in einem Atemzug etwa mit den Panathenäen genannt.65 Die Bedeutung, die dem athenischen Gefallenenbegräbnis speziell in der Ära von den frühen 450er Jahren bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges zukam, liegt ganz wesentlich in der spezifischen Art und Weise begründet, in der das Gedenken der gefallenen Bürgersoldaten von der Gemeinschaft vereinnahmt wurde und so zum Bezugspunkt einer Selbstvergewisserung ihrer demokratischen Verfassung und ihres hegemonialen Führungsanspruchs werden konnte. Die bis ins Detail regulierte öffentliche Inanspruchnahme des Andenkens an die im Felde getöte ten Bürger hat dabei private und familiäre Deutungen wirkungsvoll eingehegt: Inner halb der Bestattungszeremonie wurde individuellem Gedenken nur ein eng umgrenz ter, klar definierter Raum zugestanden, davon abgesehen hat sich die Gemeinschaft ihre gefallenen Mitglieder fast vollständig entindividualisiert als ideale Streiter für Po lis und Archē präsentiert. Über die voraussetzungsreiche Praxis der Jahresbestattung ist es dem athenischen Dēmos ab den frühen 450er Jahren zudem gelungen, die Bestattung der im Kampf für Athen getöteten Bürger dem privilegierten Zugriff einzelner Strategen zu entziehen, um politischen Instrumentalisierungen des Gefallenengedenkens durch erfolgreiche Einzelpersonen vorzugreifen. Der Preis hierfür war ein Verzicht darauf, die Bestattung weiterhin mit Konzepten der Sieghaftigkeit zu unterlegen, wie dies insbesondere in der athenischen Gefallenenkommemoration aus dem Umfeld der Perserkriege an
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Heckel 1992, 373–377. Morrison 1987, 93 f.; siehe auch Heckel 1992, 377. Aus der Perspektive der Kykladen hat Bonnin 2015, 314–316 den Lamischen Krieg in den Blick genommen, die Rekonstruktion des Konflikts ist allerdings ungenau. Zur Datierung: Beloch 2. Aufl. 1925, Bd. 4/1, 74. So etwa bei Loraux 1981, 146.
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Viertes Kapitel
gelegt war und bei der Bestattung der am Eurymedon Gefallenen nochmals bestärkt wurde: Die Aretē der Gefallenen zeigte sich in der Logik der Jahresbestattung dagegen in ihrem kriegerischen Tod für die Polis – ganz unabhängig vom Ort, Zeitpunkt und Verlauf des jeweiligen Konflikts. Während das dritte Kapitel zeigt, dass sich die isonome Grundlage der athenischen Jahresbestattung schon im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts aufzulösen begann, legt der im vierten Kapitel analysierte materielle und literarische Befund nahe, die bisherige Vorstellung einer Kontinuität dieser singulären athenischen Praxis bis zum Ende des vierten Jahrhunderts aufzugeben und von einer großflächigen historischen Veränderung der athenischen Gefallenenbestattung nach dem Ende des Peloponnesi schen Krieges auszugehen. Lediglich für das erste Jahr des Korinthischen Krieges lässt sich noch eine Jahresbestattung in Athen klar nachweisen. Hier scheint es den letztlich erfolglosen Versuch gegeben zu haben, an das traditionsreiche Ritual aus der Zeit des ersten attischen Seebundes anzuschließen: Der Patrios Nomos ließ sich aber offen bar in der Form, die Thukydides als Jahresbestattung beschreibt, nicht wiederbeleben. Auch lässt sich eine Kollektivbestattung von Gefallenen unterschiedlicher Einsatzorte für das vierte Jahrhundert sonst nicht belegen. Angesichts der eindeutigen Befundlage führt also kein Weg an der Feststellung vorbei, dass sich der Charakter der athenischen Gefallenenbestattung im vierten Jahrhundert in entscheidenden Punkten verändert hat: Der Versuch einer Wieder belebung der Jahresbestattung nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges blieb nach allem, was sich sagen lässt, auf das Jahr 394 beschränkt. Vielleicht ist es kein Zu fall, dass Lysias mit Blick auf die Praxis der athenischen Gefallenenbestattung schon kurz nach diesem Datum den Patrios Nomos auch begrifflich mit dem „hellenischen Brauch“ (Ἑλληνικὸς νόμος) in Bezug setzt:66 Wenn es nach 394 noch einen signifi kanten Unterschied zwischen der Praxis der Gefallenenbestattung in Athen und den entsprechenden Vollzügen in anderen griechischen Städten gab, so scheint dieser in der konsequenten Rückführung der Gefallenen in die Heimatstadt bestanden zu ha ben; Kollektivbestattungen von Gefallenen einzelner Konflikte jedenfalls finden sich auch andernorts.67 Ob die Tradition einer öffentlichen Gedenkrede auf die Gefallenen weiterhin (oder überhaupt je) ein historisch singuläres Charakteristikum Athens war, lässt sich auf Basis der verfügbaren Quellen kaum sicher bestimmen: Vergleichbare Reden könnte es durchaus auch in anderen Städten des fünften und vierten Jahrhun derts gegeben haben.68 Die Besonderheit einer öffentlichen Gefallenenrede lag im 66 67 68
Lys. 2.9; auf den πάτριος νόμος verweist weiterhin Lys. 2.81. Hierzu Stöhr 2020. So berichtet Paus. 3.14.1 (του˜ θεάτρου δὲ ἀπαντικρὺ Παυσανίου του˜ Πλαταια˜ σιν ἡγησαμένου μνη˜ μά ἐστι, τὸ δὲ ἕτερον Λεωνίδου – καὶ λόγους κατὰ ἔτος ἕκαστον ἐπ’ αὐτοι˜ς λέγουσι καὶ τιθέασιν ἀγω˜ να …) von jährlichen Reden an den Gräbern der Spartaner Pausanias und Leonidas; dazu Vannicelli/ Corcella 2017, 578 f. Die Annahme, nur Athener seien auf die Idee gekommen, zur Bestattung ihrer Gefallenen deren Verdienste in einer festlichen Rede zu preisen, erscheint auch grundsätzlich un
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Falle Athens vielleicht ohnehin weniger in ihrer kaum je zu beweisenden Exklusivität als eher in der besonderen Bedeutung der Stadt, deren Ideologie einer Einheit von Macht und Demokratie kaum einen zeitgenössischen Beobachter in der östlichen Mit telmeerwelt kaltgelassen hat. Wie dem auch sei: Die Ära der Jahresbestattungen jedenfalls war mit der Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg weitgehend passé. Für das gesamte vierte Jahrhun dert lässt sich mit der Gefallenenbestattung des Jahres 394 nur ein einziges Begräb nis dieses Typus sicher nachweisen. Ansonsten scheinen sich sämtliche öffentlichen Gemeinschaftsbestattungen, die wir für die athenischen Gefallenen greifen können, jeweils auf bestimmte militärische Auseinandersetzungen bezogen zu haben und nach deren Abschluss und der Rückkehr der in den Kampf gezogenen Bürger durchgeführt worden zu sein. In der Regel wird bei einer solchen Bestattung – zumal bei einem ins gesamt reduzierten Wirkkreis des athenischen Militärs und einer zunehmenden Ein bindung von Söldnern – von einer durchschnittlich geringeren Anzahl an gefallenen Bürgern auszugehen sein. Die politische Bedeutung, die den Begräbnisfeierlichkeiten vonseiten der athenischen Bürgergemeinschaft zugeschrieben wurde, scheint damit im vierten Jahrhundert zumeist auch nicht mehr mit den Bestattungen der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts vergleichbar gewesen zu sein. Nur bei einer Handvoll militärischer Konfrontationen, denen eine besondere innen- wie außenpolitische Be deutung zukam oder die mit einer besonders hohen Zahl an Gefallenen einhergingen, wurden offenbar noch öffentliche Gemeinschaftsbestattungen in Athen durchgeführt, die eine vergleichbar hohe Wirkung entfalten konnten: Für die Zeit nach dem Korin thischen Krieg lässt sich dies auf Basis der verfügbaren Evidenz aber im Wesentlichen nur erkennen für die Schlacht von Mantineia, für den Zweiten Olynthischen Krieg, für die Schlacht von Chaironeia und für den Lamischen Krieg. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie sich die histori sche Dynamik verstehen lässt, durch die der Patrios Nomos in den späten 390er Jahren zu einem Auslaufmodell werden konnte – oder anders formuliert: Was wurde durch die Rückkehr zu einer auf einzelne Konflikte bezogenen Gefallenenbestattung eigent lich gewonnen? Die Vermutung liegt nahe, dass die Polis im vierten Jahrhundert nicht mehr im selben Maße wie noch in der Zeit des Ersten Seebunds in der Lage war, die Monopolisierung des Gefallenengedenkens gegen die mit zunehmendem Nachdruck formulierten Ambitionen insbesondere der reichen und einflussreichen Familien durchzusetzen, ihren Mitgliedern ein individualisiertes Gedenken zu bereiten. Doch die Gefallenen wurden nach wie vor im Kollektiv bestattet, und es lassen sich keine Indizien dafür finden, dass die Änderung der Bestattungspraxis mit einem erweiterten Handlungsspielraum der Familien einherging, das Andenken an ihre gefallenen Oi plausibel. Die Evidenz für die tatsächlich gehaltenen Reden ist auch im Falle Athens nicht beson ders umfangreich (siehe die entsprechenden Ausführungen in der Einleitung), den eigentlichen Unterschied macht der literarische Diskurs.
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kos-Mitglieder zu individualisieren (immerhin lässt sich mit dem Dexileos-Kenotaph [Abb. 30] die eindrücklichste private Würdigung eines gefallenen Bürgers just für den jenigen Zeitpunkt im vierten Jahrhundert greifen, an dem nachweislich noch eine Jah resbestattung durchgeführt wurde):69 Die Gefallenenbestattung blieb ein militärisches Ritual, das vom (jedenfalls ideell) geschlossenen Kollektiv der Bürger- und Wehrge meinschaft getragen wurde – innerhalb dieses Kollektivs lässt sich eine Differenzie rung nach Wertigkeit der Gefallenen, die deutlich über eine Nennung der bekleideten Funktionen hinausgehen würde, wie sie bereits im ausgehenden fünften Jahrhundert zu greifen ist, erst im Lamischen Krieg nachweisen (achtes Kapitel).70 Eine kollektive Gefallenenbestattung, die sich auf einen einzelnen Konflikt bezieht, zeichnet sich nicht dadurch gegenüber einer Jahresbestattung aus, dass sich die Ver dienste der gefallenen Individuen innerhalb der Wehrgemeinschaft präziser würdigen ließen, sondern dadurch, dass die konkreten Umstände des Anlasses, in dem sich das Kollektiv bewiesen hatte, differenzierter angesprochen werden konnten: Die Abkehr von der Jahresbestattung machte es also möglich, die jeweils individuelle Kampagne wieder stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, auf die sich die Bestattung ganz unmittelbar bezog. Damit konnten die spezifischen Verdienste einer bestimmten Gruppe an Bürgersoldaten für die Polis wieder stärker ins Blickfeld der Aufmerksam keit rücken – eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich im Gefallenenbegräbnis nun die Rolle der Verantwortungs- und Entscheidungsträger wieder stärker profilieren ließ. In gewisser Weise ist das athenische Gefallenenbegräbnis damit nach 394 wieder ungefähr dort angelangt, wo es bis in die 460er Jahre hinein schon einmal war: Bei einem zwar im Kern isonomen Gemeinschaftsbegräbnis, das sich nun aber grundsätz lich wieder stärker als Basis der Inszenierung einflussreicher Entscheidungsträger und Führungsfiguren nutzen ließ. Welche Konsequenzen die im ersten Teil dieser Arbeit entwickelte Rekonstruktion der athenischen Gefallenenbestattung für unser Verständnis der schriftlich konzipier ten Epitaphioi Logoi aufweist, soll vor diesem Hintergrund nun im zweiten Teil der Arbeit geklärt werden. Die Analyse setzt bei der bekanntesten und einflussreichsten „Gefallenenrede“ ein, die uns in literarischer Form vorliegt: Bei der Grabrede des Pe rikles im Geschichtswerk des Thukydides.
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Zum Kenotaph für Dexileos siehe oben in diesem Kapitel die Anm. 26 sowie für Details und Li teraturhinweise auch den Eintrag zu IG II/III2 6217 unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Einen Sonderfall stellt höchstens noch SEG 48.83 dar, das Reitermonument von 424/423(?) mit privilegierter Nennung der Gefallenen der Phyle Oineis; siehe hierzu die entsprechenden Über legungen im dritten Kapitel sowie für Details und Literaturhinweise auch den entsprechenden Eintrag unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
Zweiter Teil Die literarische Textur des politischen Todes
Fünftes Kapitel Gorgias und Thukydides Sterben für das Imperium? Der erste Teil dieser Arbeit etabliert ein neues Modell der historischen Entwicklung der Gefallenenbestattung im demokratischen Athen. Der zweite Teil nimmt nun vor diesem Hintergrund die Entwicklung der literarischen Gattung klassischer Epitaphioi Logoi in den Blick. Dabei werden im vorliegenden Kapitel mit den von Gorgias und Thukydides verfassten „Gefallenenreden“ die Anfänge des literarischen Genres be leuchtet, um dann in den folgenden Kapiteln die weiteren Entwicklungsphasen – mit Archinos und Lysias Ende der 390er Jahre (sechstes Kapitel), Platon und Isokrates in der zweiten Hälfte der 380er Jahre (siebtes Kapitel) sowie Demosthenes und Hyperei des gegen Ende der „klassischen“ Ära (achtes Kapitel) – in den Blick zu nehmen. Beginnen möchte ich im vorliegenden Kapitel bei der Grabrede des Perikles in den thukydideischen Historien. Der Text ist so gut bekannt und erforscht, dass ich darauf verzichten kann, hier den formalen und inhaltlichen Aufbau nochmals eigens darzu legen.1 Ich möchte auch die Frage ausklammern, ob und inwiefern der thukydideische Text dem entspricht, was der historische Perikles in seiner Rede tatsächlich gesagt hat:2 Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Thukydides ein weitgehend verlässliches Bild der feierlichen Ansprache bietet, mit der sich Perikles im Winter 431/430 an seine Zuhörer und Zuhörerinnen gewandt hatte – unter ihnen wahrscheinlich auch Thuky dides selbst. Wie weit die Verlässlichkeit in Details der Formulierungen reicht, wird in der Thukydidesforschung auch weiterhin eine Glaubensfrage bleiben, die sich ange
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Eine Auswahl der wichtigsten für die Arbeit an diesem Kapitel konsultierten Textausgaben, Kom mentare, Übersetzungen und Deutungen zur perikleischen Gefallenenrede im Geschichtswerk des Thukydides wird im Anhang unter der Rubrik „Literarische Hauptquellen“ angeführt. Siehe dazu exemplarisch die unterschiedlichen Positionen von Kakridis 1937 (vgl. Kakridis 1961); Romilly 1947, 128–130; Adcock 1963, 37; Flashar 1969, 33; Loraux 1981, 193 f.; Rusten 1989, 16; Si cking 1995; Bosworth 2000. Eine aktuelle Auseinandersetzung mit dieser Frage bietet Steinbock (in Druckvorbereitung).
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Fünftes Kapitel
sichts des Umstands, dass Thukydides nicht auf ein Manuskript oder eine Mitschrift zurückgreifen konnte, nie wird abschließend klären lassen.3 Wie genau der Text, den uns Thukydides bietet, mit der Rede korreliert, die Perik les gehalten hat, trägt allerdings nur bedingt zu einem Verständnis der literarischen Bedeutung von Thuk. 2.34–46 bei: Und damit meine ich nicht die schriftstellerische Qualität dieser Passage, sondern die Fragen nach ihrer Verankerung in der erzähleri schen Gesamtanlage der Historien, nach den literarischen Einflüssen, die Thukydides hier verarbeitet hat, nach den Bedingungen der Rezeption des Textes und nach der Wirkung, die er auf die weitere Entwicklung des Genres literarisch konzipierter Epi taphioi Logoi entfalten konnte. Die Ergebnisse des ersten Teils dieser Arbeit bieten eine neue Grundlage, diese Fragen zu erörtern und Thukydides’ Grabrede des Perikles in ihren eigenen literarischen Sinn-, Rezeptions- und Wirkungszusammenhängen zu lesen. Auch wenn der von Thukydides verfasste Text weitgehend dem entsprechen sollte, was Perikles tatsächlich gesagt hat, so ist die Passage doch zweifelsohne zugleich in ein historiografisches Werk eingepasst und auf eine literarische Rezeption hin ausgelegt: Während der historische Perikles seine Rede zu Beginn des Peloponnesischen Krieges vor einem höchst heterogenen Publikum als mündliche Ansprache gehalten hat, kam die von Thukydides verfasste literarische Nachempfindung (unabhängig davon, wann genau die entsprechende Passage in der überlieferten Form schriftlich abgefasst bzw. abschließend überarbeitet wurde) erst nach der dramatischen Niederlage Athens in Umlauf – und sie wurde vorrangig in intellektuellen Kreisen aufgenommen.4 Ich kon zentriere mich im Folgenden darauf, den Text in diesen ihm eigenen Wirkungs- und Rezeptionskontexten zu untersuchen. Damit soll ein Ansatz gewonnen werden, seine Stellung innerhalb der Gattung literarischer Epitaphioi Logoi bewerten zu können. Um dies zu erreichen, möchte ich dort einsetzen, wo die thukydideische Erzählung die athenischen Kriegstoten verortet – und im Falle der perikleischen Gefallenenrede ist dies: die schönste Vorstadt Athens.
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Dass die Grabrede des thukydideischen Perikles als Teil der Historien zu lesen ist, selbst wenn sie als weitgehend verlässliche Wiedergabe der tatsächlichen Rede des Perikles verstanden wird, sehen beispielsweise auch Loraux 1981, 293; Bosworth 2000, 1 und Steinbock (in Druckvorberei tung) so. Speziell zur Haltung Lorauxs in dieser Frage siehe Hornblower 1987, 62 und 1991, 295. Die Forschungsliteratur zur Bedeutung und Authentizität der Reden in Thukydides’ Historien – und damit verbunden zum Methodenkapitel und zum Redensatz (Thuk. 1.22.1) – ist uferlos; die Forschungsgeschichte rekapituliert Morley (in Druckvorbereitung), dort mit weiteren Verweisen. Siehe zu dieser Frage auch Marincola 1989 und 2007 b, Scardino 2007 und Schütrumpf 2011. Thukydides selbst hat die Historien nicht veröffentlicht, auch wenn wir davon ausgehen können, dass er während des langen Arbeitsprozesses ausgewählten Gesprächspartnern Auszüge zugäng lich gemacht hat; in Umlauf gelangt ist das Werk erst nach seinem Tod (der wahrscheinlich in die Zeit nach 399 fällt). Eine Fassung wurde möglicherweise von Xenophon ediert (davon ist Diog. 2.57 ausgegangen, der die Information von Demetrios von Magnesia übernommen haben könnte); siehe zu diesen Fragen Canfora 2006.
Gorgias und Thukydides. Sterben für das Imperium?
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Die schönste Vorstadt? Thukydides führt die Rezipienten seines Werkes mit der Rahmenhandlung der peri kleischen Grabrede zum konkreten Ort des Geschehens, den er „in der schönsten Vorstadt der Polis“ (ἐπὶ του˜ καλλίστου προαστείου τη˜ ς πόλεως) lokalisiert.5 Thukydides verweist seine Rezipienten mit dieser Wendung auf das topografische Setting des Ge schehens und regt dazu an, die Bedeutung des Ortes für die historische Erzählung zu reflektieren. Dies ist nicht selbstverständlich: Nur ausnahmsweise und unter jeweils besonderen Bedingungen arbeiten die literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi mit Bezügen zum konkreten Ort der Grablege.6 Die Historien sind das früheste erhaltene Werk, das die Topografie als bedeutsames Konstituens des athenischen Gefallenenbe gräbnisses thematisiert, und einzig in der Einleitung zur Grabrede des Perikles wird der Ort mit dem Adjektiv κάλλιστος beschrieben, das im Superlativ ein ethisch-ästhe tisches Ideal des Schönen, Edlen, Erhabenen kennzeichnet.7 Der Begriff evoziert die materielle Schönheit der Anlagen ebenso wie die sich in der Würdigung der Gefallenen manifestierende Integrität der gesellschaftlichen Werteordnung. Beide Ebenen (die materiellen und die immateriellen Zeichen der intakten Wertewelt) werden von Thu kydides im Prolog zur perikleischen Gefallenenrede explizit thematisiert, und zwar in auffallender Symmetrie für alle vier von Thukydides genannten konsekutiven Phasen der Gefallenenbestattung: für die Prothesis, die Ekphora, die Grablege und die Ge fallenenrede. An materiellen Bezugspunkten nennt Thukydides die für die Prothesis errichtete temporäre Überdachung (σκηνή), die in der Ekphora mitgeführten Zypres senholzsärge (λάρνακες κυπαρισσίναι), die für die eigentliche Bestattung vorgesehene Grabanlage (δημόσιον ση˜ μα) und die für die Festansprache konstruierte Rednerbühne (βη˜ μα). Für die vier genannten Abschnitte der Gefallenenbestattung beschreibt Thu kydides zugleich die entsprechenden Ritualhandlungen, die mit einem Höchstmaß an Sorgfalt gemäß „vorväterlichem Brauch“ (πάτριος νόμος) durchgeführt werden und so als immaterielles Pendant zu den materiellen Markern der intakten Wertewelt erschei nen. Die „schönste Vorstadt der Polis“ und das überkommene Reglement korrelieren also bei Thukydides und bilden gemeinsam den Kosmos, in dem sich die athenische Polisideologie, wie sie dann in der Gefallenenrede des Perikles nachgezeichnet wird, entfalten kann. Thukydides berichtet von einer Zeit, in der die Athener tatsächlich durch eine be sonders aufwendige Gestaltung der öffentlichen Grabanlagen und einen äußerst sorg samen Umgang mit den Gebeinen der Gefallenen ein Höchstmaß gemeinschaftlicher Anteilnahme und inneren Zusammenhalts zum Ausdruck gebracht haben – auch 5 6 7
Thuk. 2.34. Dies wird in der vorliegenden Arbeit diskutiert für Lysias im sechsten Kapitel, für Platon im sieb ten Kapitel sowie für Demosthenes und Hypereides im achten Kapitel. Vgl. LSJ s. v. καλός; siehe auch unten in diesem Kapitel bei Anm. 12.
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Fünftes Kapitel
wenn Thukydides die Erosion der isonomen Grundlage des athenischen Gefallenen bestattungsrituals (offenbar intentional) übergeht, die sich im Ereignishorizont seiner Erzählung bereits manifestieren konnte (drittes Kapitel) und klare Tendenzen hin zum gänzlichen Auseinanderbrechen des Rituals (viertes Kapitel) aufwies. Wie für keine andere Polis dieser Zeit bezeugt der archäologische und epigrafische Befund im Falle Athens aber zugleich auf eindrucksvolle Weise, dass die Gefallenenbestattung zu Beginn des Peloponnesischen Krieges noch ein bedeutendes Gravitationszentrum der politisch-kulturellen Selbstvergewisserung der demokratischen Bürgergemeinschaft war: Die außergewöhnliche Gestaltung der Grabmonumente, die Belege für den be merkenswert hohen Grad an Präzision, mit denen selbst unterirdische Bereiche der Grabanlagen konstruiert wurden, und die Indizien für einen besonders sorgsamen Umgang mit den kremierten Gebeinen der getöteten Bürger werden im zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit diskutiert, dies muss hier nicht im Einzelnen wiederholt werden. Der materielle Befund bestätigt in dieser Hinsicht tatsächlich den Grund tenor von Thukydides’ Bericht darüber, wie das athenische Gefallenenbegräbnis am Ende des ersten Kriegsjahres durchgeführt worden war.8 Eine gewisse Vertrautheit seiner Rezipienten mit dem Gebiet der Gefallenengräber konnte Thukydides voraussetzen, und dies nicht nur für seine athenischen Rezipienten: Immerhin liegen die athenischen Gefallenengräber vor einem der wichtigsten Tore der Stadt in einer hochfrequentierten Gegend, die auch bei den auswärtigen Lesern und Hö rern des thukydideischen Werkes (die größtenteils in den gut informierten und mobilen intellektuellen Milieus des griechischen Kulturraums zu suchen sind) zu den bekann testen Gebieten in unmittelbarer Umgebung Athens gezählt haben muss.9 Wenn Thu kydides auf den topografischen Ort der athenischen Gefallenenbestattung verweist, so evoziert er folglich beim Leser ein konkretes Bewusstsein von den materiellen Struk turen und rituellen Vollzügen, die im Kerameikos den Umgang der Athener mit ihren Gefallenen bestimmt hatten. Die „schönste Vorstadt“ Athens, wo sich die athenische Gefallenenbestattung vollzogen hatte, fungiert als prägnanter und eben auch authenti scher Marker einer intakten Wertewelt, in der die Ideale von Polis und Archē zu einem verheißungvollen Einklang finden konnten. Zugleich aber – und hier erweist er sich als 8
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Es bestehen durchaus signifikante Übereinstimmungen zwischen der thukydideischen Erzählung und dem materiellen Befund, etwa hinsichtlich der Durchführung als Jahresbestattung, der Be deutung der Phylenzugehörigkeit oder der besonderen Sorgfalt im Umgang mit den Gebeinen der Verstorbenen. Thukydides gewinnt damit für seine Schilderung einen hohen Grad an Glaubwür digkeit – auch wenn er (sicherlich nicht unbewusst) ausblendet, dass der isonome Grundkonsens der athenischen Gefallenenbestattung bereits Ende der 430er Jahre brüchig geworden war (drittes Kapitel). Weitere Divergenzen sind bemerkenswert, etwa die Aussage des Thukydides, es sei eine Ausnahme gewesen, dass die in der Schlacht von Marathon Gefallenen nicht im Kerameikos be stattet wurden (erstes Kapitel). Dass sich das thukydideische Geschichtswerk nicht nur an die besten Kenner Athens richtet, zei gen allerdings Stellen wie 2.93.1: Hier erklärt Thukydides seinen Rezipienten, dass der Piräus der Hafen Athens ist.
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Meister erzählerischer Ambivalenz – führt Thukydides seine Rezipienten damit an einen Ort, der wie kein anderer geeignet ist, diese Verheißungen zur Implosion zu bringen. Denn von den Kriegshandlungen im Peloponnesischen Krieg war das Gebiet vor dem Dipylon nach der Niederlage Athens noch deutlich gezeichnet. Die „schönste Vorstadt“, die das Gebiet im Winter 431/430 noch gewesen war, hatte ihren Charakter im dreißigjährigen Ringen der Mächte (insbesondere durch Belagerungen und wie derholte Angriffe auf Athen, aber auch im Zuge der Epidemie) verändert. Am Ende des Peloponnesischen Krieges hatte sich „die schönste Vorstadt“ in einen von Krieg und Epidemie gezeichneten Ort verwandelt (siehe hierzu auch die entsprechenden Überlegungen im dritten und vierten Kapitel): Vor den Toren der Stadt waren schon in den frühen 420er Jahren in unmittelbarer Nähe zu den öffentlichen Gefallenen monumenten Massengräber für Opfer der Epidemie angelegt worden; im Laufe des Krieges waren dann auch rund um das Dipylon Gebäude, Mauern und Türme in Mit leidenschaft gezogen und nach der Niederlage Athens teilweise abgetragen worden; die athenischen Gefallenenmonumente des fünften Jahrhunderts – die offenbar un angetastet geblieben waren – standen nach dem Krieg in einem ansonsten ruinösen Vorstadtareal und zeugten vom Kontrast zwischen dem vergangenen Machtanspruch Athens einerseits und dessen epochalem Scheitern andererseits.10 Als das Geschichtswerk des Thukydides in Umlauf kam, hatte sich aber nicht nur der ästhetische Charakter des Vorstadtareals vor dem Dipylon verändert, auch die Funk tion des Gebiets als Ort der isonomen athenischen Gefallenenbestattung war fraglich geworden: Der Grundgedanke einer politischen Gleichwertigkeit aller gefallenen Bürger hatte schon zu Beginn des Krieges erkennbare Risse bekommen, als mit den Reitern erstmals die Mitglieder einer privilegierten Zensusklasse gesondert bestattet wurden; nach dem desaströsen Ausgang der Sizilienexpedition verstärkte sich in den Gefallenenlisten dann mit der Repräsentation einer ganzen Bandbreite militärischer Rangtitel der Trend zu einer deutlicheren sozialen Differenzierung der Kriegstoten: Das athenische Gefallenenbegräbnis hatte sich unter innerem und äußerem Druck zu einem umkämpften Feld der Statusrepräsentation gewandelt (drittes Kapitel). Mit der Niederlage Athens und dem Verlust des Imperiums ist die traditionsreiche Institution des athenischen Gefallenenbegräbnisses dann offenbar zunächst komplett kollabiert. Die wohl letzte öffentliche Gefallenenbestattung, auf die Thukydides nach dem Ende des Krieges zurückblicken konnte, war keine isonome Bestattung atheni scher Gefallener (die Grundlagen hierfür waren im letzten Drittel des fünften Jahr hunderts ohnehin stark erodiert, siehe drittes Kapitel), sondern ein Begräbnis spar tanischer Soldaten, die im Kampf gegen die Piräuspartei gefallen waren: Für Sie war unweit vor dem zerstörten Dipylon-Tor ein Grabmonument errichtet worden, das 10
Das nordwestliche Vorstadtgebiet wurde in den Jahren nach Kriegsende deutlich umgestaltet, wo bei unter anderem gänzlich neue Wege angelegt wurden; einen Überblick bietet Stroszeck 2014, bes. Kap. 8, 11–14, 74–78.
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durch seine räumlichen Ausmaße sämtliche bestehenden athenischen Gefallenenmo numente sprichwörtlich in den Schatten gestellt hat (das sogenannte Lakedaimonier grab; siehe viertes Kapitel). Weitere athenische Gefallenenbestattungen hat es in den ersten Jahren nach Ende des Krieges im Kerameikos offenbar nicht gegeben: Als die thukydideischen Historien in Umlauf kamen, blickten ihre Rezipienten auf eine Insti tution der athenischen Gefallenenbestattung zurück, die mit dem athenischen Impe rium untergegangen und deren Tradition abgerissen war. Das Vorstadtgebiet der athenischen Gefallenengräber war nach dem Ende des Pelo ponnesischen Krieges also nicht mehr dasselbe: Es hatte sich schneller, tiefgreifender und offensichtlicher gewandelt als andere Memorialorte Athens. Auch wenn das Gebiet in der Zeit nach der Wiederherstellung der Demokratie sukzessive neu gestaltet und die beschädigten Bauwerke repariert wurden: Für unser Verständnis der thukydideischen Auseinandersetzung mit dem Gefallenenbegräbnis sind die Auswirkungen des Krieges auf den nordwestlichen Vorstadtbereich von Bedeutung. In der frühen Nachkriegszeit – und damit vor dem gemeinsamen Erfahrungshorizont der Rezipienten – muss der vor dergründig unbeschwerte Verweis auf die „schönste Vorstadt“ irritierend gewirkt ha ben. Dies gilt umso mehr, als es die Athener gewohnt waren, vom Krieg transformierte urbane Topografien als Mahnmale zu lesen. Der bemerkenswerteste Beleg hierfür ist im Umstand zu finden, dass die Akropolis nach den Verwüstungen durch die Perser bis in die 460er Jahre hinein als Ort der sichtbaren Erinnerung an den Frevel des barbarischen Einfalls im ruinösen Zustand belassen wurde.11 Thukydides scheint die Bereitschaft seiner Rezipienten zur Semantisierung der sie umgebenden Topografie in Rechnung gestellt zu haben, er nutzte den Verweis auf die „schönste Vorstadt“ aber in umgekehr ter Logik: Der Verweis auf einen Ort, an dem der Niedergang von Polis und Archē so überaus manifest geworden war, überblendet die von Perikles in der „Gefallenenrede“ präsentierten Ideale mit Schemen des Untergangs der athenischen Macht. Der einst so würdige Ort, wo sich die Athener im alljährlichen Bestattungszeremoniell für ihre gefal lenen Bürgersoldaten über Jahrzehnte hinweg ihrer demokratischen Konstitution und ihrer imperialen Stärke vergewissern konnten, war zur Dystopie geworden.12 11 12
Ferrari 2002, 25 (mit weiteren Literaturverweisen) spricht von „an extensive choreography of ru ins“; siehe zum Thema auch Martin-Mcauliffe/Papadopoulos 2012. Zum Umgang der attischen Redner mit den sichtbaren Zeichen der Zerstörung Athens siehe Kostopoulos 2019, 98–111. In der Wendung von der „schönsten Vorstadt der Polis“ schwingt auch die Idee des „schönen To des“ (καλός θάνατος) mit (siehe bspw. Soph. Ant. 72: καλόν μοι του˜ το ποιούσῃ θανει˜ν; dazu Derde rian 2001, 136–160). Die Spannung, die das Prädikat καλός im Zusammenhang mit der Bestattung im Krieg getöteter Bürger aufweist, wird im Menexenos von Sokrates ins Visier genommen, der regelrecht auf dem Begriff herumreitet (Plat. Men. 234 c: καλὸν ει῏ναι τὸ ἐν πολέμῳ ἀποθνῄσκειν, ibid.: ταφη˜ ς καλη˜ ς, ibid.: οἳ οὕτως καλω˜ ς ἐπαινου˜ σιν, 235 a: κάλλιστά πως τοι˜ς ὀνόμασι ποικίλλοντες, 235 b: ἡγούμενος ἐν τῳ˜ παραχρη˜ μα μείζων καὶ γενναιότερος καὶ καλλίων γεγονέναι); dies bezieht Platon offenbar auch auf Lys. 2.79, wo es heißt, man müsse diejenigen für die glückseligsten Men schen halten, die im Einsatz für die größten und schönsten Ziele ihr Leben ließen (ὥστε προσήκει τούτους εὐδαιμονεστάτους ἡγει˜σθαι, οἵτινες ὑπὲρ μεγίστων καὶ καλλίστων κινδυνεύσαντες οὕτω τὸν
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Auf die Möglichkeiten, die perikleische Gefallenenrede zu deuten, musste sich dies ausgewirkt haben – zumal der thukydidische Perikles nicht nur über weite Strecken sei ner Rede den Charakter und die Bedeutung Athens von der Machtvollkommenheit der Bürgergemeinschaft herleitet und damit das Bild einer statischen Größe der Polis insinu iert, er leitet auch aus einer an die männlichen Angehörigen gerichteten, hortativ konno tierten Würdigung der Verdiente der Gefallenen eine hoffnungsfrohe Vision für die Zu kunft der Stadt ab,13 wenn er in 2.43 die Athener zu Zuversicht (εὔψυχον) aufruft und sie ermutigt, nicht auf die Gefahren des Krieges zu achten (μὴ περιορα˜ σθε τοὺς πολεμικοὺς κινδύνους). Thukydides’ Leser – denen mit dem vom Krieg transformierten Vorstadtbe reich ein topografischer Marker vor Augen stand, der auf die schlimmen Konsequenzen dieser Haltung verwies – werden aus der von Perikles subtil apostrophierten Zukunft Athens mit ernüchtertem Blick auf die Verheißung zurückgeblickt haben. Die knappe erzählerische Einführung des Thukydides in 2.34 aktiviert also das Vorwissen der Leser über die weitere historische Entwicklung bis in ihre eigene Zeit hinein – noch bevor Thukydides seinen Rezipienten mit der Epidemiebeschreibung dann auch vor Augen führt, wie es bereits zu Kriegsbeginn um die Wertewelt der Athe ner bestellt war, aus der sich doch eigentlich die Tragfähigkeit ihrer Vormachtstellung ergeben sollte. Denn auch die Kopplung von Gefallenenrede und Epidemiebeschrei bung exponiert die Friktionen, die zwischen dem von Perikles propagierten Ideal und den Realitäten bestanden, auf die Thukydides’ Rezipienten zurückblicken konnten. Das Verhältnis von Gefallenenrede und Epidemiebeschreibung muss daher ebenfalls in den Blick genommen werden, wenn die Stellung der perikleischen Gefallenenrede im Geschichtswerk des Thukydides bewertet werden soll. Das schamlose Begräbnis Die thukydideische Grabrede des Perikles lässt sich gemeinsam mit der unmittelbar folgenden Schilderung der Epidemie („Pestbeschreibung“) als antithetisch konzipier te Einheit lesen.14 Thukydides konfrontiert seine Rezipienten hier aus entgegengesetz
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βίον ἐτελεύτησαν). Der Hinweis des Sokrates in Plat. Men. 234 c, dies gelte auch für Nichtsnut ze (καὶ ἐὰν φαυ˜ λος ᾖ), ist wohl als Seitenhieb auf Thuk. 2.42.3 zu verstehen, dort formuliert der thukydideische Perikles, dass auch solche, die ansonsten für Übel und schädliches Verhalten ver antwortlich seien, ihren Wert für die Gesellschaft durch den Tod im Kampf für Athen erwiesen hätten. Die Passage in Plat. Men. 234 c – καὶ μήν, ω῏ Μενέξενε, πολλαχῃ˜ κινδυνεύει καλὸν ει῏ναι τὸ ἐν πολέμῳ ἀποθνῄσκειν. καὶ γὰρ ταφη˜ ς καλη˜ ς τε καὶ μεγαλοπρεπου˜ ς τυγχάνει, καὶ ἐὰν πένης τις ὢν τελευτήσῃ, καὶ ἐπαίνου αυ῏ ἔτυχεν, καὶ ἐὰν φαυ˜ λος ᾖ – kommt einer Persiflage des Thukydides am nächs ten. Zu Platons Umgang mit der athenischen Gefallenenrede siehe die entsprechenden Ausfüh rungen im siebten Kapitel. Relevant sind hier insbesondere die Passagen Thuk. 2.43.1–6. Die vielfältigen Bezüge zwischen den beiden Passagen sind Gegenstand zahlreicher Analysen; hier sei nur auf die Standardkommentare bei Gomme 1956, 94–162 und Hornblower 1991, 292–327
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ten Richtungen mit der Frage nach den gesellschaftlichen und politischen Folgen des massenhaften Todes athenischer Bürger und den entsprechenden Bewältigungsstrate gien. Das Problem wird von Thukydides gleichermaßen für die drei entscheidenden Ebenen der sozialen Ordnungsbildung formuliert: für den Oikos, für die Polis und für die Archē. In der vordergründig als Enkomion auf die athenische Thalassokratie kon zipierten Grabrede des Perikles etabliert Thukydides dabei zunächst das Ideal einer In tegration des Gemeinwesens ausgehend vom machtpolitischen und wirtschaftlichen Potenzial der athenischen Archē. Durch die Kopplung mit der Epidemiebeschreibung wird dieses Ideal dann mit präzise justierten Antithesen kritisch reflektiert. Denn wäh rend bei Thukydides die Gefallenenrede des Perikles auf den Nachweis ausgerichtet ist, dass Stabilität und Integrität des Gemeinwesens primär vom Bestand der Archē abhängen, legt Thukydides in der Epidemiebeschreibung offen, dass es sich hierbei nur um eine Illusion handeln kann: dass nämlich trotz ungebrochener Machtfülle der athenischen Hegemonie die Gemeinschaft von innen heraus zerbricht, wenn der Tod athenischer Bürger das gesellschaftliche Ordnungsgefüge von Oikos und Polis her zer setzt; selbst die uneingeschränkt funktionstüchtige Archē ist in einer solchen Kons tellation nicht mehr in der Lage, die gesellschaftliche Wertewelt zusammenzuhalten. Gefallenenrede und Epidemiebeschreibung werden in der thukydideischen Erzäh lung klar aufeinander bezogen – bei den zeitgenössischen Rezipienten könnte auch diese Engführung topografische Assoziationen geweckt und die unmittelbare räumli che Nähe von öffentlichen Gefallenengräbern und Massengräbern der Epidemieopfer evoziert haben (siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen im dritten Kapitel): Die beiden Passagen folgen unmittelbar aufeinander und behandeln für einen Zeit horizont, in dem die athenische Suprematie noch ungebrochen war, das Problem des regellosen unnatürlichen Sterbens von Bürgern und den Umgang der Hinterbliebenen mit den Toten; beide Passagen stellen einen Bezug her zwischen der Form der Bestat tung und dem inneren Zusammenhalt der Gesellschaft; und beide Passagen reflek tieren das Verhältnis von Oikos, Polis und Archē.15 An diesem letztgenannten Punkt möchte ich ansetzen. Die Unfähigkeit der Polisgemeinschaft, eine basale Regelhaftigkeit der gesellschaft lichen Vollzüge aufrecht zu erhalten, erscheint in der Epidemiebeschreibung als Symp tom für einen Verfall des inneren Zusammenhalts der Gemeinschaft, der am Oikos an setzt und von dort aus die gesamte Polis erfasst. In der thukydideischen Erzählung wird die gesellschaftszersetzende Wirkung offenbar, die mit einem durch massenhaften Tod hervorgerufenen Verlust an gesellschaftlicher Kohäsion einhergeht. Obgleich die Kern
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verwiesen. Bleckmann 1998, 330 sieht in der Epidemiebeschreibung sogar das Potenzial zu einer Gesamtdeutung des Krieges. Dass speziell die Beschreibung der regellosen Bestattungen von Epidemieopfern (Thuk. 2.52.4) als Kontrapunkt zur Gefallenenrede des Perikles konzipiert ist, zeigt auch die auffällig parallele Verwendung von ἄπειμι in den Schlussformeln der beiden Passagen.
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forderung des thukydideischen Perikles, den Bestand der Archē zu sichern, weiterhin erfüllt ist, versinkt Athen durch die Epidemie im inneren Chaos. Bemerkenswerterwei se zeigt sich dies bei Thukydides speziell an den wirtschaftlichen Auswirkungen der epidemiebedingten Desintegration der athenischen Oikoi. Thukydides exemplifiziert die Problematik also just an derjenigen gesellschaftlichen Kerneinheit, die die struktu rellen Rahmenbedingungen für familiären und generationellen Zusammenhalt ebenso bereitstellt wie für produktive Wertschöpfung und geregelte Besitzübertragung.16 Nun hatte der thukydideische Perikles bezeichnenderweise dem Oikos als wirt schaftlichem Bezugsrahmen noch unmittelbar zuvor jegliche Bedeutung für die Sta bilität des Gemeinwesens abgesprochen: Der Wert des einzelnen Bürgers für die Po lis manifestiert sich für den thukydideischen Perikles vorrangig in seinem heldenhaft kämpferischen Einsatz für den Erhalt der Archē, und im Umkehrschluss zeugt der Tod im Krieg nicht notwendigerweise zugleich davon, dass das Individuum auch jenseits seiner durch die Tat ultimativ manifestierten Bereitschaft zur Selbstaufopferung im Dienste der Archē von irgendeiner Bedeutung für den Zusammenhalt der Polis ge wesen wäre. Der thukydideische Perikles bringt dies in der Grabrede mit deutlichen Worten zum Ausdruck: Ihr im Krieg bezeugter heldenhafter Einsatz für das Vaterland, so führt dieser aus, müsse bei jenen, die zu sonst nichts taugten, höher gewertet wer den: „denn durch Agathē machten sie ihre schlimmen Taten ungeschehen und nutzten so der Gemeinschaft mehr, als sie ihr im Privaten geschadet hatten“.17 Perikles unter scheidet bei Thukydides also zwischen dem Verdienst eines Atheners um die Archē ei nerseits – einem Verdienst, das mit dem Tod im Krieg seine höchstmögliche Verbind lichkeit erlangt –, und der zivilen Bedeutung des Bürgers für die Polis andererseits. Der thukydideische Perikles lässt damit ganz bewusst und explizit die Möglichkeit zu, dass sich die gefallenen Bürger erst und ausschließlich durch ihren soldatischen Tod um die Gemeinschaft verdient gemacht haben könnten: Ihr heroischer Einsatz ist für den thukydideischen Perikles in letzter Konsequenz keine Manifestation bürgerlicher Güte, sondern Kompensation zivilgesellschaftlichen Versagens. Drei aufeinander bezogene Folgerungen ergeben sich aus dieser Konstruktion: Ers tens kommt den gesellschaftlichen Organisationsebenen der Polis und des Oikos für den thukydideischen Perikles nur eine sekundäre Bedeutung zu: Das Wirken eines idealen Mitglieds der Gemeinschaft ist zunächst und vor allem auf den Erhalt der Archē ausge richtet. Zweitens wird ausgehend von der Archē die Integrität des Gemeinwesens kon zipiert, nicht vom Oikos her: Für den thukydideischen Perikles sind nicht die Familien die Pfeiler der Bürgerschaft, sondern die Polis schafft sich die Basis für ihren inneren Zu sammenhalt über das Imperium. Drittens geht der Tod im Krieg demnach nicht notwen 16 17
Das Verhältnis von ökonomischem und politischem Diskurs bei Thukydides beleuchtet Kal let-Marx 1993 und Kallet 2001. Thuk. 2.42.3: καὶ γὰρ τοι˜ς τα῏ λλα χείροσι δίκαιον τὴν ἐς τοὺς πολέμους ὑπὲρ τη˜ ς πατρίδος ἀνδραγαθίαν προτίθεσθαι· ἀγαθῳ˜ γὰρ κακὸν ἀφανίσαντες κοινω˜ ς μα˜ λλον ὠφέλησαν ἢ ἐκ τω˜ ν ἰδίων ἔβλαψαν.
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digerweise mit dem Verlust gesellschaftsstabilisierenden Ordnungspotenzials einher: Mag das kriegsbedingte Sterben von Bürgern einzelne Oikoi treffen – ernstzunehmende Schocks für die Polis ergeben sich daraus in der Sicht des thukydideischen Perikles nicht. Die perikleische Grabrede in den Historien unterscheidet sich in den genannten Konsequenzen von allen übrigen literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi, die in der im Krieg manifestierten Tugendhaftigkeit der Gefallenen durchgehend eine integra tive Funktion sehen, die unabhängig von der Archē auch den Oikos und die Polis im Innersten zusammenhält.18 Im Genre der Epitaphioi Logoi handelt es sich also um ein Alleinstellungsmerkmal des thukydideischen Perikles, wenn Integrität und Stabilität des politischen Gemeinwesens auf dem Einsatz einer Gruppe an Personen beruhen, die zwar bereit sind, ihr Leben für die athenische Archē zu opfern, die damit aber nicht zugleich auch einen direkt auf den Oikos (als der basalen Ebene der Gesellschafts organisation) bezogenen Beitrag zum Bestand der Gemeinschaft leisten. Die Gefal lenenrede des thukydideischen Perikles etabliert also nicht nur einen Antagonismus von Oikos auf der einen und Archē auf der anderen Seite, sondern auch einen poli tisch-wirtschaftlichen Primat der Archē gegenüber dem Oikos. Wird nach den Gründen für den Primat der Archē in der Gefallenenrede des thukydideischen Perikles gefragt, muss die politische Haltung des Protagonisten ins gesamt in den Blick genommen werden. Perikles bietet bei Thukydides im Grunde zwei wesentliche Argumente: Erstens beruhe die wirtschaftliche Autarkie Athens auf der Archē und damit auf den Tributen, der Territorialkontrolle und den Handelsbe ziehungen, die mit der Seemacht einhergingen – und nicht auf dem zwar traditionell bedeutenden, für Athen wirtschaftlich in der Zeit der Archē aber deutlich weniger re levanten Oikos. Zweitens ergibt sich für den thukydideischen Perikles der politische Primat der Archē zwingend bereits aus dem Umstand, dass sie eine existenzielle Be deutung für Athen angenommen habe, dass es zur Aufrechterhaltung der Seemacht also keine Alternative mehr jenseits des Untergangs der Polis gebe.19 Thukydides zeichnet Perikles im ständigen Kampf um die politische Durchsetzung der Konsequenzen, die sich aus diesen beiden Einsichten ergeben: In der Bürgerver sammlung setzt sich der thukydideische Perikles bedingungslos dafür ein, die mili tärischen Kräfte auf die Sicherung der Seemacht zu konzentrieren; und in der (teils etwas unglücklich als „Trostrede“ bezeichneten) Ansprache nach dem zweiten Einfall der Peloponnesier spricht er sich dafür aus, den athenischen Landbesitz in Attika im 18
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Vgl. insbesondere Lys. 2.71–76 sowie Dem. 60.23–27 und 36–37; für den Epitaphios des Gorgias wird dieser Aspekt unten im vorliegenden Kapitel diskutiert. In Plat. Men. 246 d–247 c persifliert Sokrates den Ansatz des thukydideischen Perikles; siehe hierzu oben in diesem Kapitel in Anm. 12 die Hinweise zur Verwendung des Adjektivs καλός in der Grabrede des Perikles und im Menexenos sowie die entsprechenden Bemerkungen im siebten Kapitel. Besonders eingehend begründet werden diese Voraussetzungen in der Rede des Perikles vor der Bürgerversammlung in Thuk. 1.140–144 im Rahmen einer Gegenüberstellung der spartanischen und der athenischen Machtpositionen.
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Dienste einer defensiven Strategie notfalls gänzlich zu opfern.20 Die Priorisierung der Archē kommt bei Thukydides in der politischen Agitation des Perikles gegen die In teressen der athenischen Großgrundbesitzer besonders deutlich zum Ausdruck: Zu deren Oikoi zählen die Ländereien in Attika, die im Sinne der perikleischen Verteidi gungsstrategie ohne wesentliche Gegenwehr dem Feind überlassen werden sollen, um die verfügbaren Kräfte auf die Flotte konzentrieren zu können, die in der entsprechen den Argumentationslogik alleine den Erhalt des Seereichs zu garantieren vermag.21 Thukydides konturiert hier unter anderem die politischen Grabenkämpfe um die Ausrichtung der athenischen Politik, die die frühe Phase des Peloponnesischen Krie ges dominiert hatten. Diese Grabenkämpfe klingen sogar im Proöm der Gefallenen rede an.22 Auch in seiner letzten Rede (Thuk. 2.60–64) stellt sich der thukydideische Perikles in der Frage Oikos vs. Archē konfrontativ gegen seine innenpolitischen Kon trahenten. Die Angriffe auf die politischen Gegner kulminieren dabei in einer drasti schen Abwertung von Oikos und Landbesitz:23 Der Verlust der Oikoi und ihrer Län dereien werde zu unrecht beklagt, ihr Wert stehe in keinem Verhältnis zur Bedeutung der athenischen Imperialmacht (δύναμις); anstatt sich mit diesen Dingen zu belasten, sollten die Ländereien als „Ziergärtchen“ (κηπίον) und „Prunkstück“ (ἐγκαλλώπισμα) reicher Leute verachtet werden, so führt Perikles bei Thukydides aus.24 Die Ländereien der Bauern und Großgrundbesitzer als überflüssiges Zierwerk zu bezeichnen – ganz so, als würde der Wert dieser Nutzflächen nur in ihrer Funktion als repräsentative Büh ne eines gehobenen Lebensstils bestehen –, ist als veritable Kampfansage an das land besitzende Segment der Bürgerschaft zu verstehen, das seine gesellschaftliche Stellung auf konventionelle Wertschöpfungsprozesse und die damit einhergehenden Formen des Erwerbs von Sozialprestige zurückführt – eine gesellschaftliche Gruppe, die sich nie gänzlich friktionsfrei in die demokratische Verfassung Athens integrieren ließ und für die sich mit der zunehmenden Desintegration des athenischen Imperiums neue Möglichkeiten ergaben, ihren eigenen Interessen Geltung zu verschaffen.25
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Thuk. 1.140–144; 2.60–64. Thukydides scheint die Darstellung der perikleischen Kriegsstrategie intentional überspitzt zu ha ben; siehe hierzu Knight 1970; Ober 1985; Spence 1990; Schubert/Laspe 2009. Bei Thukydides attackiert Perikles im Proöm der Gefallenenrede die ἄπειροι (2.35.2: ὅ τε ἄπειρος ἔστιν ἃ καὶ πλεονάζεσθαι, διὰ φθόνον, εἴ τι ὑπὲρ τὴν αὑτου˜ φύσιν ἀκούοι) und verwendet in diesem Zusammenhang zweimal den Begriff φθόνος. Zur Aussage χαλεπὸν γὰρ τὸ μετρίως εἰπει˜ν ἐν ᾧ μόλις καὶ ἡ δόκησις τη˜ ς ἀληθείας βεβαιου˜ ται (ibid.) vermerkt Fantasia (2003, 368), das μετρίως „esprime il giusto mezzo fra le opposte esigenze …, da cui è mosso l’oratore in relazione ai due atteggiamenti estremi dell’uditorio richiamati subito dopo“. Thuk. 2.62.3. Thuk. 2.62.3: ὥστε οὐ κατὰ τὴν τω˜ ν οἰκιω˜ ν καὶ τη˜ ς γη˜ ς χρείαν, ω῟ ν μεγάλων νομίζετε ἐστερη˜ σθαι, αὕτη ἡ δύναμις φαίνεται· οὐδ’ εἰκὸς χαλεπω˜ ς φέρειν αὐτω˜ ν μα˜ λλον ἢ οὐ κηπίον καὶ ἐγκαλλώπισμα πλούτου πρὸς ταύτην νομίσαντας ὀλιγωρη˜ σαι. Diese Entwicklung ist Teil eines großflächigen Wandels von einem politischen System der Liturgie hin zu einem System der Euergesie in Athen; zu diesen weiteren Kontexten siehe Futás 2022.
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In der Epidemiebeschreibung zeigt Thukydides dann, dass Perikles die Bedeutung des Oikos als ökonomische Kerneinheit der Polis und damit zugleich als elementa ren gesellschaftlichen Stabilitätsfaktor unterschätzt. Denn mit dem regellosen Tod der Bürger durch die Seuche geht gesellschaftliche Ordnung in einem Maße verloren, deren Dramatik Thukydides nicht nur mit Blick auf den Sittenverfall beschreibt, wie er in der würdelosen Entsorgung der Leichen zum Ausdruck kommt.26 Thukydides verdeutlicht die gesellschaftlichen Verwerfungen ausführlich auch für das ökonomi sche Feld, wenn er die quasi aleatorische Redistribution von Vermögen beschreibt:27 Die Reichen seien plötzlich gestorben, die zuvor Mittellosen ebenso unversehens in den Besitz der Reichtümer gelangt, ohne diese zum Wohle der Gemeinschaft einset zen zu können: In der Folge habe sich das gesellschaftliche Wertgefüge verschoben: Als schön (καλός) und nützlich (χρήσιμος) sei nicht mehr das gesamtgesellschaftlich Gute, sondern der individuelle Genuss des Augenblicks erachtet worden. In seiner Regellosigkeit ist der epidemische Tod bei Thukydides strukturell analog zum kriegsbedingten Tod zu lesen. Die Epidemieschilderung bietet also nicht nur ei nen dramaturgischen Kontrapunkt zum perikleischen Enkomion auf Athen. Vielmehr entlarvt die erzählerische Logik der antagonistischen Kopplung von Epitaphios Logos und Epidemiebeschreibung den politisch-wirtschaftlichen Primat der athenischen Ar chē als folgenreiche Illusion einer Politik der Macht, die Athen zwar zweifelsohne zu nächst zur Hegemonie, in der Konsequenz dann aber auch in den Ruin geführt hatte. In der erzählerischen Perspektive der Historien insgesamt ist die Archē freilich zu nächst noch stabil genug, die Gemeinschaft gegen alle Widrigkeiten zusammenzuhal ten und die Kontrolle Athens über den Seebund zu sichern. Dies entspricht den Tatsa chen. Die Polis konnte tatsächlich eine Stabilität aus der Archē ziehen, die angesichts der extremen Zerfallserscheinungen im Innern nicht mehr von den Oikoi alleine hätte ausgehen können. Die Epidemiebeschreibung deutet aber auch die Konsequenzen an, die sich dann im weiteren Verlauf des Peloponnesischen Krieges aus dem massenhaf ten kriegsbedingten Sterben der athenischen Bürger ergeben sollten:28 Die besonders verlustreiche Endphase des Peloponnesischen Krieges (speziell mit der Schlacht bei Aigospotamoi und den Wirren um die Herrschaft der Dreißig) ist zwar nicht mehr Teil 26
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Thuk. 2.52.4: νόμοι τε πάντες ξυνεταράχθησαν οι῟ς ἐχρω˜ ντο πρότερον περὶ τὰς ταφάς, ἔθαπτον δὲ ὡς ἕκαστος ἐδύνατο. καὶ πολλοὶ ἐς ἀναισχύντους θήκας ἐτράποντο σπάνει τω˜ ν ἐπιτηδείων διὰ τὸ συχνοὺς ἤδη προτεθνάναι σφίσιν· ἐπὶ πυρὰς γὰρ ἀλλοτρίας φθάσαντες τοὺς νήσαντας οἱ μὲν ἐπιθέντες τὸν ἑαυτω˜ ν νεκρὸν ὑφη˜ πτον, οἱ δὲ καιομένου ἄλλου ἐπιβαλόντες ἄνωθεν ὃν φέροιεν ἀπῃ˜ σαν. Thuk. 2.53.1–3: ῥᾷον γὰρ ἐτόλμα τις ἃ πρότερον ἀπεκρύπτετο μὴ καθ’ ἡδονὴν ποιει˜ν, ἀγχίστροφον τὴν μεταβολὴν ὁρω˜ ντες τω˜ ν τε εὐδαιμόνων καὶ αἰφνιδίως θνῃσκόντων καὶ τω˜ ν οὐδὲν πρότερον κεκτημένων, εὐθὺς δὲ τἀκείνων ἐχόντων. [2] ὥστε ταχείας τὰς ἐπαυρέσεις καὶ πρὸς τὸ τερπνὸν ἠξίουν ποιει˜σθαι, ἐφήμερα τά τε σώματα καὶ τὰ χρήματα ὁμοίως ἡγούμενοι. [3] καὶ τὸ μὲν προσταλαιπωρει˜ν τῳ˜ δόξαντι καλῳ˜ οὐδεὶς πρόθυμος ἦν, ἄδηλον νομίζων εἰ πρὶν ἐπ’ αὐτὸ ἐλθει˜ν διαφθαρήσεται: ὅτι δὲ ἤδη τε ἡδὺ πανταχόθεν τε ἐς αὐτὸ κερδαλέον, του˜ το καὶ καλὸν καὶ χρήσιμον κατέστη. Die Auswirkungen des Krieges auf die Demografie Athens wurden eingehend von Hansen 1985 a, 1985 b, 1988 sowie Akrigg 2019, bes. 160–168 untersucht.
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der unvollendet gebliebenen Historien. In den in Umlauf gelangten Büchern zeigt sich aber doch an mehreren Stellen recht deutlich, dass Thukydides im Umgang der athe nischen Bürger mit ihren eigenen Verstorbenen einen literarischen Bezugspunkt ge funden hat, um die Frage nach den Friktionen zwischen der athenischen Machtpolitik einerseits und dem Wert- und Normgefüge der griechischen Poliswelt andererseits zu diskutieren. Der Historiograf hat hier eine erzählerische Ebene in sein Geschichtswerk eingezogen, die eine Tendenz in Richtung des Niedergangs Athens erkennen lässt. Die entsprechende Deutungsmatrix wird in der Passage Grabrede/Epidemiebeschreibung etabliert. Für den weiteren Verlauf der Ereignisschilderung hat Thukydides damit ein erzähle risches Instrument gewonnen, mit dem sich entlang der innergriechischen Kriege die zunehmende Auflösung der athenischen Polisgemeinschaft in ihrer Wechselwirkung mit dem Niedergang der athenischen Archē beschreiben lässt – und zwar aus dem schleichenden Verlust der Bindewirkung elementarer menschlicher und kultureller Normen und Werte heraus. Der Kulminationspunkt des Sittenverfalls ist bei Thukydi des erreicht, als die durch das Ausmaß des Desasters paralysierten Athener nach dem dramatischen Ausgang der Sizilienexpedition sogar gänzlich darauf verzichten, ihre Gegner um Herausgabe der Leichen ihrer eigenen gefallenen Mitbürger zu ersuchen.29 Im Umgang der Athener mit ihren Gefallenen zeigt sich bei Thukydides, wie sich die athenische Archē von einer Hegemonie zu einem Machtinstrument entwickelt, dessen Selbsterhaltungsmechanismen mit hoher Folgerichtigkeit eine letztlich nicht mehr zu steuernde Dynamik hervorbringt, die im Endeffekt das Norm- und Wertefundament der Polisgesellschaft zersetzt. Die Körper auf unnatürliche Weise gestorbener Athener stellen für Thukydides eines der effektivsten Mittel dar, um die innere Logik des Zer falls der athenischen Macht zu diskutieren.30 Vor diesem Hintergrund offenbart schließlich auch die thukydideische Wendung vom Patrios Nomos ihre ganze Brisanz: Thukydides verweist mit diesem Konzept auf die besondere integrierende Bindewirkung des überkommenen Reglements,31 das dem athenischen Gefallenenbegräbnis zu Grunde lag, er formuliert aber das Konzept aus einer Zeit heraus, die auf eine tiefgreifende Krise des athenischen Gefallenenbe
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Thuk. 7.72.2: οἱ δ’ Ἀθηναι˜οι ὑπὸ μεγέθους τω˜ ν παρόντων κακω˜ ν νεκρω˜ ν μὲν πέρι ἢ ναυαγίων οὐδὲ ἐπενόουν αἰτη˜ σαι ἀναίρεσιν. Lateiner 1977, 104 hat diesen Grundgedanken so formuliert: „the pathos of the Athenian disas ter … is emphasized by the Athenians’ rapidly changing attitude towards their own dead“. Wenn Thukydides die genuin athenische Form des jahrweise durchgeführten öffentlichen Gefal lenenbegräbnisses im Kerameikos als Patrios Nomos charakterisiert, so scheint darin auch ein Be wusstsein darüber zum Ausdruck zu kommen, dass sich der spezifische Ritualvollzug, der damit in Rede steht, nicht schleichend historisch entwickelt hat, sondern in einem Akt der Rechtssetzung von der Bürgerversammlung geschaffen wurde – so ließe sich die Wendung bei Thukydides (über ihre primäre Bedeutung als „vorväterlichen Brauch“ hinaus) auch im Sinne von „nach herkömmli chem / überkommenem Reglement“ verstehen.
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gräbnisses zurückzublicken hatte – eine Krise, deren Lösung sich noch lange nicht ab zuzeichnen begann: Als das thukydideische Geschichtswerk in Umlauf kam, war das kulturelle Fundament des Rituals unterspült worden vom Untergang des athenischen Imperiums, von der Zerrüttung der Polisgemeinschaft und von der Krise ihrer demo kratischen Ideologie. Im Peloponnesischen Krieg hatten sich die Athener im Jahres rhythmus der feierlichen Beisetzung ihrer Gefallenen über drei Jahrzehnte hinweg die dramatische Dezimierung ihrer Polisgemeinschaft zu vergegenwärtigen gehabt. Kein Oikos in Athen dürfte von den Folgen des massenhaften Sterbens im Krieg verschont geblieben sein. Die athenische Archē aber hatte sich trotz des hohen Blutzolls, den die Bevölkerung Attikas zu entrichten hatte, nicht bewahren lassen: Das thukydidei sche Konzept des Patrios Nomos reflektiert vor diesem Hintergrund die Bedingungen einer Zeit, in der nicht nur die Zukunft der athenischen Bürgerschaft höchst unge wiss war, sondern auch die weitere Entwicklung ihres singulären Umgangs mit den eigenen Opfern ihrer ambitionierten Machtpolitik. Die Leser der Historien werden die Reibung gespürt haben, die Thukydides’ Bericht vor dem Hintergrund dieses Kon tinuitätsbruchs erzeugt, denn im Begriff des Patrios Nomos klingt ein Anspruch auf Bewahrung des Rituals an, von dem sich in den Jahren nach der Niederlage im Pelo ponnesischen Krieg kaum sagen ließ, ob der athenische Dēmos je wieder in der Lage sein würde, ihn einzulösen. Thukydides hat durch seine höchst anspruchsvolle literarische Nachempfindung der perikleischen Gefallenenrede Maßstäbe für die weitere Entwicklung der Gattung insgesamt gesetzt: Alle späteren, in literarischer Form konzipierten Epitaphioi Logoi sind deutlich von Thukydides geprägt und nehmen vielfach auch direkt Bezug auf die entsprechende Passage in den Historien.32 Thukydides war indes nicht der erste Autor, der mit literarischen Mitteln den Zusammenhalt der Gesellschaft an ihrer Fähigkeit aufzuzeigen suchte, ihre Toten den Anforderungen der Sitte entsprechend zu bestat ten. Auch die Grundidee, diese Problematik mit einer literarisch nachempfundenen Gefallenenrede zu ergründen, geht wohl nicht auf Thukydides zurück. Das Verdienst, erstmals den Raum der Möglichkeiten erkannt und sondiert zu haben, der sich aus einer literarischen Verarbeitung der oralen Gattung athenischer Gefallenenreden er gab, scheint nicht Thukydides, sondern einem Nichtathener zu gebühren: Gorgias von Leontinoi. Dessen Epitaphios soll nun einer genaueren Untersuchung unterzogen wer den, wobei auch die Frage nach der Entstehung der Gattung literarischer Epitaphioi Logoi insgesamt in den Blick gerät. Der nur fragmentarisch erhaltene Epitaphios des Gorgias ist weit weniger bekannt und wurde nicht annähernd so intensiv erforscht wie die Gefallenenrede des Perikles bei Thukydides und soll daher im Folgenden mit Blick
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Eine Ausnahme ist nur der Epitaphios des Hypereides, der in dieser Hinsicht eigene Wege geht; siehe achtes Kapitel.
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auf Überlieferung, Datierung, literarische Konzeption, Aussageabsicht und Wirkung untersucht werden.33 Geier, beseelte Gräber Gorgias’ Epitaphios hat die antiken wie neuzeitlichen Interpreten gleichermaßen ir ritiert. Abgesehen davon, dass für Gorgias als Nichtathener keineswegs selbsterklä rend ist, weshalb er überhaupt eine „Gefallenenrede“ verfasst hat,34 begegnet schon die antike Rezeption den stilistischen Eigenheiten des Textes mit einem gewissen Unverständnis. Eine Wendung im Besonderen hat die Gemüter bereits der antiken Gelehrten erhitzt, wenn nämlich Gorgias in seinem Epitaphios Geier als beseelte (oder lebende) Gräber bezeichnet, als ἔμψυχοι (oder ζω˜ ντες) τάφοι: Die hellenistischen und römischen Literaturtheoretiker haben diesen Ausdruck als vermeintlichen Beleg dafür angeführt, dass sich die gorgianische Prosa durch übertriebene Tropen und verfehlte bis lächerliche Ausdrücke auszeichne.35 Die Metapher von Geiern als beseelten Gräbern stellt in der Tat einen denkbar scharfen Kontrast zur andächtigen Feierlichkeit einer Grabrede dar, die den gefallenen Bürgersoldaten zur Ehre gereichen sollte: Das drastische Bild evoziert die Vorstellung ungeborgener Leichname von Gefallenen, die zum Aas wilder Tiere verkommen. Bis heute wurden, soweit ich sehen kann, keine Deutungen entwickelt, die es ermögli chen würden, den stilistischen Tunnelblick der antiken Grammatiker grundsätzlich zu überwinden und ein inhaltlich stimmiges Verständnis dieser verstörenden Metapher zu entwickeln. Freilich wird sich noch zeigen, wie sich jenseits der Diagnose eines ei gentümlichen Sprachverständnisses und stilistischer Unzulänglichkeiten alternative Erklärungen finden lassen, in deren Logik ein so drastischer Topos Sinn ergeben kann. Um diese Perspektive aber gewinnen zu können, muss zunächst geklärt werden, was sich auf Basis der fragmentarischen Überlieferung über den Text sagen lässt, welche Intention(en) Gorgias mit der Schrift verbunden haben könnte und weshalb er über haupt einen Epitaphios Logos verfasst hat. Gorgias’s Epitaphios war nicht nur der literarischen Elite des vierten Jahrhunderts bekannt,36 sondern auch noch den hellenistischen und römischen Gelehrten – wo 33 34 35 36
Die folgende Analyse des gorgianischen Epitaphios bildet auch die Grundlage meines in Druck vorbereitung befindlichen Beitrags „Gorgias’s Funeral Oration“, der auf David Pritchards Projekt The Athenian Funeral Oration zurückgeht. Zur entsprechenden Diskussion siehe exemplarisch Buchheim 1989, 190. Die entsprechenden Quellenangaben finden sich unten in diesem Kapitel in Anm. 40 und 45. Isokrates hat den gorgianischen Epitaphios in 4.158 und möglicherweise an weiteren Stellen zitiert (siehe dazu unten in diesem Kapitel bei Anm. 43); das vorliegende Kapitel zeigt, dass Thukydides den Text wahrscheinlich ebenfalls kannte. Im Menexenos spielt Platon mit der Wendung πολλοὶ μὲν ἀμφὶ Σικελίαν πλει˜στα τρόπαια στήσαντες ὑπὲρ τη˜ ς Λεοντίνων ἐλευθερίας – „viele (der Gefallenen)
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bei unklar ist, wie lange der Text in Gänze zirkulierte.37 Erhalten haben sich letztlich nur zwei prägnante Wendungen, ein isolierter Satz und ein zusammenhängendes Textsegment von gut 200 Wörtern.38 Zum Vergleich: Die perikleische Grabrede bei Thukydides ist mit knapp 2 000 Wörtern der kürzeste komplett erhaltene literarische Epitaphios Logos, der lysianische Epitaphios mit knapp 4 100 Wörtern der längste.39 Wir kennen von Gorgias’ Epitaphios also vermutlich etwa fünf bis zehn Prozent des ursprünglichen Textes. Eine der beiden prägnanten Wendungen, die sich aus dem gorgianischen Epitaphios erhalten haben, wurde bereits angeführt: Ps.-Longinos, Hermogenes und Athanasios
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errichteten auf Sizilien zahlreiche Trophäen im Kampf für die Freiheit der Leute von Leontinoi“ (Men. 242 e–243 a) – möglicherweise auf Gorgias an (unter Umständen ist im Menexenos die As pasia als „Chiffre für Gorgias“ konzipiert, wie Schollmeyer 2021, 74 Anm. 365 überlegt), auch Pla ton kannte also offenbar den Epitaphios (dafür spricht letztlich auch die Beziehung zwischen dem Menexenos und Platons Gorgias). Diese (wenn auch wenigen und teils vagen) Anhaltspunkte für eine Rezeption des gorgianischen Epitaphios im vierten Jahrhundert legen nahe (was bei einem prominenten Autor wie Gorgias ohnehin zu erwarten wäre), dass die Schrift von der intellektuel len Elite Athens wahrgenommen wurde. Der byzantinische Mönch und Gelehrte Maximos Planudes (ca. 1255–1330) ist der letzte vorneu zeitliche Autor, bei dem sich eine Rezeption des gorgianischen Epitaphios greifen lässt: In seinem Kommentar zu Hermogenes’ Peri Ideō n (Über die Ideen) zitiert er wörtlich eine längere Passage aus dem Epitaphios (Planud. Hermog. Peri Ideō n 549.1–551.1 ed. Walz = DK 82 B 6). Planudes hat diesen Textabschnitt in einem Hermogenes-Kommentar des Neuplatonikers Syrianos vorgefun den (die Handschrift, die Planudes vorlag, enthielt ein umfangreicheres Gorgias-Zitat, als sich in den beiden in Rabes Ausgabe berücksichtigten Manuskripten greifen lässt: Syrian. Hermog. Peri Ideō n 91.16–19 ed. Rabe). Syrianus wiederum hatte die Passage aus einem verlorenen Teil der Schriften des Dionysios übernommen (laut Planud. Hermog. Peri Ideō n 548.8 f. ed. Walz = DK 82 B 6 aus dem zweiten Buch von Peri Charaktērō n [Über Formen des Stils]). Weder Planudes noch Syrianos scheinen den Epitaphios in Gänze gekannt zu haben, und auch für die kaiserzeitlichen und spätantiken Autoren, die sich auf den Text beziehen (Ps.-Longinos, Hermogenes, Athana sios Alexandrinos), ist gut denkbar, dass sie Exzerpte verwendet haben. Philostratos allerdings lag der gorgianische Epitaphios offenbar noch vollständig vor. Zu Planudes: Manafis 2020, 181– 213; Montanari 2020, 483–490. Zu Syrianos siehe Praechter 1932, 1728–1775 sowie die Beiträge in Longo 2009 und die Einleitung in Patillon 2021, vii–xxvi; speziell zur Bedeutung von Syrianos’ λόγος-Konzept in den Hermogenes-Kommentaren siehe auch Lautner 2009, 373–390. Zu Hermo genes siehe Radermacher 1912, 865–877; Lindberg 1977; Wooten 1989, 576–588; Rutherford 1992, 355–378; Greschat 2000. Als Standardedition der Fragmente und Testimonien zu Gorgias dient bis heute die Zusammen stellung in der 1951/1952 von Walther Kranz herausgegebenen sechsten, verbesserten Auflage von Hermann Diels’ Edition der Fragmente der Vorsokratiker: Diels 6. Aufl. 1952 Bd. 2, 284–286; eine erweitere Sammlung (mit Fragmenten, die in DK unberücksichtigt bleiben) bietet Buchheim 1989 bzw. id. 2. Aufl. 2012. Die für die Arbeit an diesem Kapitel konsultierten Textausgaben, Überset zungen und Deutungen des gorgianischen Epitaphios werden im Anhang unter der Rubrik „Litera rische Hauptquellen“ angeführt. Die Tendenzen der Forschungsgeschichte zu Gorgias behandelt Giombini 2012, 21–45. Wortanzahl nach TLG in Klammern: Lysias (4.079); die Rede der Aspasia im Menexenos (3.959); Demosthenes (2.545); Hypereides (2.067); die Gefallenenrede des Perikles bei Thukydides (1.935). Zum Verhältnis der Textlängen siehe auch Frangeskou 1999, 317 (mit abweichenden Zahlen).
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Alexandrinos überliefern gleichermaßen (mit leicht unterschiedlichem Wortlaut), Gorgias habe Geier als beseelte (oder lebende) Gräber bezeichnet.40 Die andere Wendung, überliefert bei Ps.-Longinos, bezeichnet Xerxes als Zeus der Perser.41 Ein bei Philostratos überlieferter vollständiger Satz besagt, dass über Barbaren errichtete Trophäen nach Hymnen verlangen, jene über Griechen dagegen nach Klageliedern.42 Diesen Satz hat Isokrates fast wörtlich im Panegyrikos übernommen (siehe dazu auch die entsprechenden Hinweise im siebten Kapitel).43 Das längere zusammenhängende Textsegment aus Gorgias’ Epitaphios hat sich im Kommentar des Planudes zu Hermo genes’ Peri Ideō n erhalten;44 es stammt – soweit der Vergleich mit den übrigen Epita phioi Logoi trägt – aus den Schlussabschnitten des Hauptteils des Epitaphios: Die Pas sage preist die Gefallenen für ihre umfassende Aretē im zivilen wie im militärischen Bereich und stellt ihre Bedeutung für die Gemeinschaft heraus. Neben den genannten Fragmenten liegen uns noch ergänzende Informationen zum gorgianischen Epitaphios aus Schriften des Ps.-Longinos, Philostratos, Athanasios Alexandrinos, Syrianos und Planudes vor.45 Philostratos bietet die historisch wertvollsten Hinweise zur Kontextualisierung des Epitaphios: Unter anderem stellt er einen direk ten Zusammenhang mit der Olympischen Rede des Gorgias her und verdeutlicht das Ziel beider Schriften, die Griechen zu einen und für ein gemeinsames Vorgehen ge gen die Perser zu gewinnen.46 Die übrigen genannten Autoren konzentrieren sich in ihrer Auseinandersetzung mit dem gorgianischen Epitaphios auf Fragen der Stilkritik. Weitere konkrete Bezugnahmen auf Gorgias’ „Gefallenenrede“ lassen sich in der klas sischen Literatur nicht mit hinreichender Gewissheit benennen. In seinem ausführli chen Kommentar des Planudes-Fragments diskutiert Carl Wilhelm Vollgraff zwar ein weites Spektrum an Textstellen bei anderen Autoren, in denen er Bezüge zum gorgi
40 Ps.-Longin. Peri Hypsous 3.2 (4.5 ed. Russell): γυ˜ πες ἔμψυχοι τάφοι; Hermog. Peri Ideō n (249.2 ed. Rabe): τάφους ἐμψύχους γυ˜ πας; Athan. Alex. Hermog. Peri Staseō n (180.18 ed. Rabe): γυ˜ πας ζω˜ ντας τάφους. Die Stellen entsprechen DK 82 B 5 a, die Hermogenes-Stelle fehlt dort allerdings. 41 Ps.-Longin. Peri Hypsous 3.2 (4.4 f. ed. Russell) = DK 82 B 5 a: Ξέρξης ὁ τω˜ ν Περσω˜ ν Ζεύς. 42 Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 B 5 b: τὰ μὲν κατὰ τω˜ ν βαρβάρων τρόπαια ὕμνους ἀπαιτει˜ τὰ δὲ κατὰ τω˜ ν Ἑλλήνων θρήνους. 43 Isok. 4.158: … ἐκ μὲν του˜ πολέμου του˜ πρὸς τοὺς βαρβάρους ὕμνους πεποιημένους, ἐκ δὲ του˜ πρὸς τοὺς Ἕλληνας θρήνους ἡμι˜ν γεγενημένους … (vgl. Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 B 5 b, zitiert in der vorausgehenden Anm.). Die Isokrates-Stelle fehlt in DK, wird in der Forschung aber weithin als Gorgias-Zitat akzeptiert und von Buchheim 1989 berechtigterweise DK 82 B 5 b zugeordnet. Weitere mögliche Anspielungen an den gorgianischen Epitaphios in Isokrates’ Panegyrikos hat Nestle 1911, 15 identifiziert (in Isok. 4.53 und 4.151). 44 Planud. Hermog. Peri Ideō n (548.8–551.1 ed. Walz) = DK 82 B 6. 45 Die fraglichen Passagen rahmen teilweise die oben in diesem Kapitel in Anm. 40 bis 42 angeführ ten Fragmente: Ps.-Longin. Peri Hypsous 3.2 (4.3–5 ed. Russell) = DK 82 B 5 a; Philostr. Bioi Soph. 1.9.1–6 = DK 82 A 1 und B 5 b; Athan. Alex. Hermog. Peri Staseō n 180.9–18 ed. Rabe = DK 82 B 5 a; Syrian. Hermog. Peri Ideō n 91.16–19 ed. Rabe; Planud. Hermog. Peri Ideō n 548.8–549.1 und 551.1–5 ed. Walz = DK 82 B 6. 46 Philostr. Bioi Soph. 1.9.4–5 = DK 82 A 1.
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anischen Epitaphios zu erkennen meint.47 Nicole Loraux hat den assoziativen Zugang indes zu Recht als „une série de rapprochements fantaisistes entre le texte de Gorgias et l’ensemble de la littérature grecque“ bezeichnet.48 Die „Gefallenenrede“ des Gorgias war offenbar eine eigenständige literarische Publikation,49 bekannt unter dem Titel Epitaphios (Logos).50 Der Text zirkulierte in schriftlicher Form51 und wurde Gorgias als Autor zugeschrieben.52 In Form und Inhalt scheint der Epitaphios grosso modo dem entsprochen zu haben, was die Leser als athe nische Gefallenenrede erkennen konnten.53 Der Text imitierte die Form einer Rede und fällt damit – wie auch die übrigen als eigenständige Schriften publizierten litera rischen Epitaphioi Logoi – in die Kategorie der literarischen Mündlichkeit: Es han delt sich um einen schriftlichen Text, der für die Rezeption durch ein Lesepublikum konzipiert wurde, aber gemäß den formalen Konventionen einer Gattung mündlicher Rede komponiert war.54 Die Schrift ist dem Planudes-Fragment zufolge in attischem Dialekt verfasst und demonstriert damit in Hinsicht auf den Bezugsrahmen des athe nischen Gefallenenbegräbnisses auch die formale Passgenauigkeit.55 Da der Großteil des Textes verloren ist, die erhaltenen Fragmente keinen direkten Hinweis auf einen spezifischen Kontext bieten und in dieser Frage auch die Testimonien nicht weiterhel fen, bleibt offen, ob die Schrift ursprünglich Bezug genommen hat auf eine bestimmte Gefallenenbestattung in einer bestimmten historischen Situation. Der Text könnte – vergleichbar dem lysianischen Epitaphios (sechstes Kapitel) – auf einen konkreten Konflikt verwiesen oder aber (etwa um die Kernbotschaft als Aussage von überzeit licher Bedeutung zu qualifizieren) eine konkrete Verortung in der Ereignisgeschichte vermieden haben.56
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Vollgraff 1952. Loraux 1981, 437 Anm. 38. Dies kann abgeleitet werden aus Philostratos (Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 A 1) und Dionysios (zitiert bei Planudes in dessen Kommentar zu Hermogenes’ Peri Ideō n 548.8–549.1 ed. Walz = DK 82 B 6). Dionysios zählte Gorgias’ Epitaphios zu dessen Logoi Epideiktikoi. 50 Der Titel wird genannt in Athan. Alex. Hermog. Peri Staseō n 180.17 ed. Rabe = DK 82 B 5 a und Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 A 1. 51 Wie sonst sollte sich die Überlieferung erklären lassen? 52 Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 A 1; Ath. Alex. Hermog. Peri Staseō n 180.16 f. ed. Rabe = DK 82 B 5 a. 53 Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 A 1 zufolge wurde Gorgias’ Epitaphios auf Gefallene gehalten, die von den Athenern öffentlich bestattet und mit Lobreden bedacht wurden (ὁ δὲ Ἐπιτάφιος, ὃν διη˜ λθεν Ἀθήνησιν, εἴρηται μὲν ἐπὶ τοι˜ς ἐκ τω˜ ν πολέμων πεσου˜ σι οὓς Ἀθηναι˜οι δημοσίᾳ ξὺν ἐπαίνοις ἔθαψαν). 54 Zum Verhältnis von Literatur, Oralität und Rhetorik siehe die entsprechenden Überlegungen in der Einleitung. 55 Gorgias’ Heimatstadt Leontinoi war eine ionische Kolonie. Zur Bedeutung des attischen Dialekts bei Gorgias siehe Willi 2008, 302 und Schollmeyer 2021, 128–131. 56 Davon in gewisser Weise unabhängig ist die Frage der Datierung des gorgianischen Epitaphios; siehe hierzu unten in diesem Kapitel bei Anm. 85–103.
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Im gorgianischen Epitaphios nimmt ein literarisches Ich die Rolle des Redners ein.57 Die erhaltenen Segmente des Epitaphios beinhalten keine Hinweise darauf, wer als fik tives Auditorium der Rede angenommen wird. Philostratos identifiziert „die Athener“ als Adressaten, und da er wohl noch den gesamten Text kannte, erscheint die Annah me plausibel, dass das literarische Ich in den verlorenen Textpassagen (etwa im Pro öm) explizit die athenischen Bürger adressiert hat.58 Andere Epitaphioi Logoi unter scheiden teilweise zwischen verschiedenen Subgruppen innerhalb der imaginierten Zuhörerschaft. So deutet Lysias eine Unterscheidung zwischen athenischen Bürgern und Metöken an,59 während die perikleische Gefallenenrede bei Thukydides und auch der demosthenische Epitaphios auf politisch konkurrierende Gruppen innerhalb der athenischen Bürgerschaft hinweisen.60 Das literarische Ich des gorgianischen Textes scheint nicht in vergleichbarer Weise zwischen unterschiedlichen Subgruppen des Au ditoriums unterschieden zu haben, und die erhaltenen Fragmente deuten auch nicht darauf hin, dass innere Konflikte innerhalb der adressierten Gemeinschaft themati siert wurden. Allerdings fällt auf, dass sich das literarische Ich in den erhaltenen Textabschnitten nicht selbst als Mitglied der Gruppe seiner Adressaten versteht: In den anderen Epi taphioi Logoi spricht das literarische Ich die Adressaten in der ersten Person Plural an und betont damit seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der athenischen Bürger.61 In den erhaltenen Fragmenten des gorgianischen Textes dagegen bezieht sich das litera rische Ich auf sich selbst in der ersten Person Singular, während es über die Gefalle nen in der dritten Person Plural spricht.62 Signifikant ist, dass der Sprecher dort, wo er die Beziehung zwischen den Gefallenen und ihren Mitbürgern thematisiert, sorgsam vermeidet, sich selbst mit „ihren Mitbürgern“ zu identifizieren.63 Gorgias hat hier das
Die erhaltenen Fragmente enthalten keine Indizien zum Geschlecht des literarischen Ich. Der Menexenos zeigt, dass die Vorstellung, eine Frau könnte eine Gefallenenrede verfasst haben, nicht gänzlich unvorstellbar war (siebtes Kapitel), aber Gorgias’ Epitaphios scheint nicht darauf ausge legt gewesen zu sein, die Geschlechterstereotype seiner Rezipienten zu testen. 58 Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 A 1. Zwar haben nicht nur athenische Bürger das attische Gefalle nenbegräbnis besucht, aber in den Epitaphioi Logoi werden sie typischerweise (wenn auch nicht ausnahmslos) privilegiert adressiert. 59 Lysias 2.66; siehe hierzu die entsprechenden Hinweise im sechsten Kapitel. 60 Zu Thukydides siehe die entsprechenden Hinweise oben in diesem Kapitel, zu Demosthenes die Bemerkungen im achten Kapitel. 61 Ein Beispiel für jeden der übrigen Epitaphioi Logoi: Thuk. 2.36.2: καὶ ἐκει˜νοί τε ἄξιοι ἐπαίνου καὶ ἔτι μα˜ λλον οἱ πατέρες ἡμω˜ ν; Lys. 2.6: τὴν τω˜ ν ἡμετέρων προγόνων ἀρετήν; Plat. Men. 236 d: ἔργῳ μὲν ἡμι˜ν οἵδε ἔχουσιν τὰ προσήκοντα σφίσιν αὐτοι˜ς; Dem. 60.5: δοκει˜ δέ μοι καὶ τὸ τοὺς καρπούς, οι῟ς ζω˜ σιν ἅνθρωποι, παρ’ ἡμι˜ν πρώτοις φανη˜ ναι; Hyp. 6.(2)3: ἄξιον δέ | [ἐσ]τ̣ιν ἐπαινει˜ν ‹τ›ὴν μὲν | [πό]λ̣‹ι›ν ἡμω˜ ν. 62 Erste Person Singular: εἰπει˜ν δυναίμην ἃ βούλομαι, βουλοίμην δ’ ἃ δει˜ (Planud. Hermog. Peri Ideō n 549.3 f. ed. Walz); dritte Person Plural: ου῟ τοι γὰρ ἐκέκτηντο … etc. (Planud. Hermog. Peri Ideō n 549.5 ed. Walz); beide Stellen entsprechen DK 82 B 6. 63 Planud. Hermog. Peri Ideō n 550.12 ed. Walz = DK 82 B 6: δίκαιοι δὲ πρὸς τοὺς ἀστοὺς τω˜ ι ἴσωι. 57
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literarische Ich mit einem subtilen grammatischen Kniff vom adressierten Publikum geschieden. Aus Philostratos geht hervor, dass die Leser des Epitaphios tatsächlich eine kritische Distanz zwischen Sprecher und Publikum erkannt haben – und so in der Schrift eine kritische Haltung des Gorgias gegenüber der athenischen Machtpolitik identifizieren konnten.64 Die bei Ps.-Longinos erhaltene Wendung (Xerxes als Zeus der Perser) zeigt, dass der Text die Macht und den Status des persischen Großkönigs thematisiert hat. Mit einiger Sicherheit ist hier Xerxes I. gemeint, was zugleich bedeutet, dass sich der Epitaphios (wahrscheinlich zu Beginn der Narratio) mit dem Perserkrieg von 480/479 befasst hat. Aus Philostratos lässt sich ableiten, dass es Gorgias dabei nicht um eine rein antiquarische Rückschau ging: Gorgias habe die Athener gegen die Meder und Perser aufbringen wollen, und er habe zu diesem Zweck ausgiebig die Siege über die Barbaren gepriesen.65 Der erweiterte Kontext bei Philostratos zeigt, dass hier spezi ell die gemeinsam errungenen Siege der Griechen über ihren gemeinsamen äußeren Feind gemeint sind.66 Die von Philostratos direkt aus dem Epitaphios zitierte Aussage, dass über Barbaren errichtete Trophäen nach Hymnen verlangen, jene über Griechen dagegen nach Klageliedern, kondensiert die Kernbotschaft der gorgianischen Schrift zu einer kraftvollen Formel. Vergleichbar dem isokratischen Panegyrikos (siebtes Kapitel) scheint Gorgias dabei vom Grundgedanken ausgegangen zu sein, dass sich die Stärke der Griechen in ihrem gemeinsamen Abwehrkampf gegen die Perser manifestiert habe, dass die innergriechi schen Konflikte der Folgezeit die griechische Welt dann aber in einen dramatischen Niedergang geführt haben.67 Philostratos zeigt, dass Gorgias hier speziell die Implika tionen des athenischen Suprematiestrebens für den innergriechischen Zusammenhalt problematisiert.68 Der Epitaphios bleibt allerdings nicht bei einer kritischen Diagnose stehen, Gorgias wollte seinen Text offenbar als Plädoyer für eine innergriechische Ei nigung verstanden wissen. Dieselbe Aussageintention hat Philostratos zufolge auch die Olympische Rede verfolgt.69 Den zu dieser Schrift erhaltenen Fragmenten und Tes timonien entsprechend ist diese Angabe plausibel.70
64 Siehe dazu insbesondere Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 A 1. 65 Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 A 1: πvαροξύνων τε γὰρ τοὺς Ἀθηναίους ἐπὶ Μήδους τε καὶ Πέρσας … ἐνδιέτριψε δὲ τοι˜ς τω˜ ν Μηδικω˜ ν τροπαίων ἐπαίνοις. 66 Siehe zum „panellenismo gorgiano“ im Epitaphios auch Di Lanzo 2019, 115–122. 67 Zu Isokrates siehe die entsprechenden Ausführungen im siebten Kapitel. 68 Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 A 1: ἐπειδὴ πρὸς Ἀθηναίους ἦν ἀρχη˜ ς ἐρω˜ ντας, ἣν οὐκ ἦν κτήσασθαι μὴ τὸ δραστήριον αἱρουμένους. 69 Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 A 1: παροξύνων τε γὰρ τοὺς Ἀθηναίους ἐπὶ Μήδους τε καὶ Πέρσας καὶ τὸν αὐτὸν νου˜ ν τῳ˜ Ὀλυμπικῳ˜ ἀγωνιζόμενος. 70 DK 82 B 7, B 8, B 8 a; siehe zudem T4, T5 und T6 in Schollmeyers „Supplementum Testimoni orum“ (2021, 349–360). Gorgias’ Olympische Rede lässt sich allerdings nicht sicher datieren, das genaue Verhältnis zum Epitaphios bleibt damit unklar.
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Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Intention des Epitaphios ergibt auch der vermeintliche stilistische Missgriff des Gorgias Sinn. Indem er von Geiern als beseel ten Gräbern spricht (oder je nach Überlieferung auch von lebendigen Gräbern), wählt er sicherlich nicht aus Unvermögen ein Bild, mit dem er die Gräuel des Krieges in einer Drastik einfängt, die kaum zu überbieten ist und die mit entsprechender Eindring lichkeit dann auch nach ethisch-moralischen Konsequenzen verlangt: Die Metapher verweist auf die von Aasfressern zerfledderten Kadaver im Krieg getöteter, unbestat teter Bürgersoldaten. Hier klingen die Eingangsverse der Ilias an (Il. 1.1–7): Welche dramatischen Folgen der Zorn des Achill für die Griechen hatte, kommt dort gerade darin zum Ausdruck, dass sich wilde Tiere an den Kadavern jener griechischen Krie ger zu schaffen machen, die in Folge des ungelösten Konflikts zwischen Achill und Agamemnon ihr Leben im Kampf verloren hatten.71 In der Ilias verweist der Topos unbestatteter Kriegstoter mithin auf die dramatischen Folgen von Dissens unter den Griechen. Dass die Metapher als Gegenbild zur homerischen Idealvorstellung einer würdigen Bestattung zu lesen ist, geht aus zwei Parallelstellen in den Büchern 11 und 22 hervor: Hier wird das würdelose Ende unbestattet verwesender Körper gefallener griechischer Krieger unmittelbar mit regelkonform durchgeführten feierlichen Beiset zungen kontrastiert.72 In der Form von οἰωνοὶ ὠμησταί (aasfressende Vögel) führte das homerische Epos ein eindringliches literarisches Mittel ein, um die Folgen innerer Uneinigkeit zu dra matisieren und zu emotionalisieren.73 In der posthomerischen griechischen Literatur erscheint der unbestattete Gefallene dann als fest etablierter Topos, der auf die intern zerrüttete Gemeinschaft verweist. Die Metapher konnte in der griechischen Litera tur mit einer gewissen Variationsbreite eingesetzt werden. In Aischylos’ Sieben gegen Theben beispielsweise (aufgeführt 467) erhält Eteokles eine würdevolle Bestattung,74 während der Leichnam des Polyneikes unehrenhaft vor die Tore der Stadt geworfen und den Hunden zum Fraß überlassen wird.75 In den Troerinnen (aufgeführt 415) setzt 71 Hom. Il. 1.1–7: μη˜ νιν ἄειδε θεὰ Πηληϊάδεω Ἀχιλη˜ ος | οὐλομένην, ἣ μυρί’ Ἀχαιοι˜ς ἄλγε’ ἔθηκε, | πολλὰς δ’ ἰφθίμους ψυχὰς Ἄϊδι προΐαψεν | ἡρώων, αὐτοὺς δὲ ἑλώρια τευ˜ χε κύνεσσιν | οἰωνοι˜σί τε πα˜ σι, Διὸς δ’ ἐτελείετο βουλή, | ἐξ ου῟ δὴ τὰ πρω˜ τα διαστήτην ἐρίσαντε | Ἀτρεΐδης τε ἄναξ ἀνδρω˜ ν καὶ δι˜ος Ἀχιλλεύς. 72 Hom. Il. 11.450–455: ω῏ Σω˜ χ’ Ἱππάσου υἱὲ δαΐφρονος ἱπποδάμοιο | φθη˜ σε τέλος θανάτοιο κιχήμενον, οὐδ’ ὑπάλυξας. | α῏ δείλ’ οὐ μὲν σοί γε πατὴρ καὶ πότνια μήτηρ | ὄσσε καθαιρήσουσι θανόντι περ, ἀλλ’ οἰωνοὶ | ὠμησταὶ ἐρύουσι, περὶ πτερὰ πυκνὰ βαλόντες | αὐτὰρ ἔμ’, εἴ κε θάνω, κτεριου˜ σί γε δι˜οι Ἀχαιοί. Hom. Il. 22.331–336: Ἕκτορ ἀτάρ που ἔφης Πατροκλη˜ ’ ἐξεναρίζων | σω˜ ς ἔσσεσθ’, ἐμὲ δ’ οὐδὲν ὀπίζεο νόσφιν ἐόντα | νήπιε· τοι˜ο δ’ ἄνευθεν ἀοσσητὴρ μέγ’ ἀμείνων | νηυσὶν ἔπι γλαφυρῃ˜ σιν ἐγὼ μετόπισθε λελείμμην, | ὅς τοι γούνατ’ ἔλυσα· σὲ μὲν κύνες ἠδ’ οἰωνοὶ | ἑλκήσουσ’ ἀϊκω˜ ς, τὸν δὲ κτεριου˜ σιν Ἀχαιοί. 73 Hom. Il. 11.453 f. In Il. 1.5 ist von einem Fest für Vögel die Rede: οἰωνοι˜σί τε δαι˜τα; siehe auch Kuce wicz 2020, 37 f. 74 Aischyl. Hept. 1013–1017: Ἐτεοκλέα μὲν τόνδ’ ἐπ’ εὐνοίᾳ χθονὸς | θάπτειν ἔδοξε γη˜ ς φίλαις κατασκαφαι˜ς: | στυγω˜ ν γὰρ ἐχθροὺς θάνατον εἵλετ’ ἐν πόλει | ἱερω˜ ν πατρῴων δ’ ὅσιος ὢν μομφη˜ ς ἄτερ | τέθνηκεν ου῟ περ τοι˜ς νέοις θνῄσκειν καλόν. 75 Aischyl. Hept. 1019–1025: τούτου δ’ ἀδελφὸν τόνδε Πολυνείκους νεκρὸν | ἔξω βαλει˜ν ἄθαπτον, ἁρπαγὴν κυσίν, | ὡς ὄντ’ ἀναστατη˜ ρα Καδμείων χθονός, | εἰ μὴ θεω˜ ν τις ἐμποδὼν ἔστη δορὶ | τῳ˜ του˜ δ’:
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Euripides das Bild unbestatteter Gefallener ein, um die dramatische Zerschlagung der troianischen Gesellschaft literarisch zu inszenieren; Andromache betrauert hier die den Geiern zum Fraß dahingestreckten blutigen Leiber der im Kampf Getöteten.76 Im Epitaphios hat Gorgias die Bedeutung des Topos weiterentwickelt. Das drasti sche Bild von wilden Tieren zerfledderter Leichen griechischer Krieger bezieht sich hier auf die militärischen Auseinandersetzungen zwischen griechischen Poleis. Diese Konflikte gingen vielfach auch mit innenpolitischen Verwerfungen bis hin zum Bür gerkrieg einher und wurden als deutlich ernstere Bedrohung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und des sittlichen Miteinanders innerhalb der griechischen Welt ver standen als Kriege gegen Nichtgriechen: Mit den Leichnamen griechischer Bürgersol daten, die von den Geiern zerpflückt werden, versinnbildlicht Gorgias folglich die von den innergriechischen Konflikten ausgehende Auflösung der Polis-Gesellschaften.77 Die charakteristische Wendung von Geiern als beseelten Gräbern könnte dabei durchaus mit Blick auf ein spezifisches Ereignis verfasst worden sein, etwa mit Blick auf die Behandlung der athenischen Gefallenen nach der Schlacht von Delion im Jahr 424: Die Leichname waren von den Boiotern über zwanzig Tage hinweg zurückge halten und erst in halb verwestem Zustand herausgegeben worden.78 Die Anstößig keit der Vorgänge hat um 423/421 auch Euripides in den Hiketiden verarbeitet.79 Auch andere Bezugspunkte für die Metapher sind möglich, etwa die Melos-Episode oder die Sizilienexpedition. Das Problem der unbestatteten Gefallenen war jedenfalls in der politischen Kultur des klassischen Griechenland ein hochsensibles Feld, und wenn hier dem Leser ganz plastisch vor Augen geführt wird, dass die Körper der getöteten Bürger ungeborgen, unbestattet und ungeehrt auf den Feldern verwesen und zum Fraß
ἄγος δὲ καὶ θανὼν κεκτήσεται | θεω˜ ν πατρῴων, οὓς ἀτιμάσας ὅδε | στράτευμ’ ἐπακτὸν ἐμβαλὼν ᾕρει πόλιν. 76 Eur. Trō ad. 599 f. (zitiert in der nächsten Anmerkung). 77 In der griechischen Literatur trifft dies auch dann zu, wenn sich die Erzählung auf Nichtgriechen bezieht. In den Troerinnen beispielsweise benutzt Euripides den Topos, um den gänzlichen inne ren Zusammenbruch der troianischen Gesellschaft darzustellen (Eur. Trō ad. 599 f.: αἱματόεντα δὲ θεᾷ παρὰ Παλλάδι σώματα νεκρω˜ ν | γυψὶ φέρειν τέταται· ζυγὰ δ’ ἤνυσε δούλια Τροίᾳ). Im Jahr 415, als die Tragödie zur Aufführung kam, wird das athenische Publikum dies als Hinweis auf das drasti sche Vorgehen der Athener gegen die Bevölkerung der benachbarten griechischen Insel Melos im vorangegangenen Herbst verstanden haben – und als eindringliche Warnung vor den Gefahren, denen sie selbst im Gefolge der bevorstehenden Sizilienexpedition ausgesetzt waren. Zur atheni schen Operation gegen Melos, zum Melierdialog und zur Sizilienexpedition siehe Seaman 1997; Will 2006; Greenwood 2017; Taylor 2019. Zur Stasis in der griechischen Welt siehe Lintott 1982; Gehrke 1985; Figueira 1991; Nippel 1997; Price 2001; Wolpert 2002; Gray 2015; Börm/Mattheis/ Wienand 2016; Chrubasik 2016; Börm 2019. 78 Thuk. 4.97.2–101.1; dazu Lateiner 1977, 101–102. 79 Zur Datierung der Hiketiden: Zuntz 1955, 55–94; Morwood 2007, 26–30; Storey 2008, 23–28. Zur euripideischen Verarbeitung der Schlacht von Delion vgl. auch Eur. Bakch. 1280.
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der Vögel werden, so ist dies sicherlich als gezielter Tabubruch, als kalkulierter Affront und nicht als rhetorisches Missgeschick zu verstehen.80 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Bedeutung des Planudes-Fragments für die Aussageintention des gorgianischen Epitaphios besser verstehen. Es handelt sich um das längste überlieferte Fragment und um die einzige als direktes Zitat überlie ferte längere Passage der Schrift.81 Auffällig ist hier, dass Gorgias sich nicht darauf be schränkt, die Leistung der Gefallenen im Krieg zu feiern, sondern dass er gleicherma ßen die Eigenschaften der Bürger im Bereich des Zivilen in den Blick nimmt. So lobt Gorgias nicht nur den „angeborenen Kampfgeist“ der Gefallenen (ἐμφύτου Ἄρεος), er führt zudem aus, sie seien „ehrfürchtig gegenüber den Göttern durch ihre Gerech tigkeit, pietätvoll gegenüber den Eltern durch ihre Fürsorge, gerecht gegenüber den Mitbürgern durch ihre Gleichheit, rechtschaffen gegenüber den Freunden durch ihre Treue“.82 Besonders deutlich kommt die Intention, das paradigmatische Wirken der Bürger in Krieg wie Frieden gleichermaßen zu berücksichtigen, auch in der Wendung οὔτε ἐνοπλίου ἔριδος, οὔτε φιλοκάλου εἰρήνης („weder im waffenstarrenden Konflikt noch im noblen Frieden“) zum Ausdruck.83 Die genannten Textstellen sind aufschlussreich. Gorgias stellt die Krieger hier als rundum ideale Bürger dar, die durch ihr tugendhaftes Wirken im Kleinen einen ent scheidenden Beitrag zum inneren Zusammenhalt der Gesellschaft leisten. Hierzu führt er eine bedeutsame Reihung sozialer Verortungen ein, die die Stellung des Bürgers in der Gemeinschaft definieren, und zwar (a) im Bereich des Religiösen (Beziehung zu den Göttern), (b) innerhalb der Hausgemeinschaft (Beziehung zu den Eltern), (c) in Bezug zur Polisgemeinschaft (Beziehung zu den Mitbürgern) sowie (d) in exklusiven sozialen Verbünden (Beziehung zu den Freunden). Mit dem jeweiligen Bezugspunkt innerhalb der Interaktionskategorie und der entsprechenden Beziehungsfunktion kor reliert eine gesellschaftsstabilisierende Disposition des Bürgers. Wie Gorgias die sozi alen Verortungen des Bürgers demnach konstruiert, lässt sich wie folgt schematisch visualisieren:
Offenbar überschreitet also der gorgianische Epitaphios (wenigstens punktuell) die Grenzen des im Rahmen des athenischen Gefallenenbegräbnisses Sagbaren; auch darüber hinaus sprechen die besonderen stilistischen Finessen (dazu unten in diesem Kapitel bei Anm. 93) dagegen, die Schrift als verlässlichen Spiegel einer tatsächlichen Gefallenenrede zu lesen. Prinz 1997, insbes. 193–195 argumentiert zirkulär, wenn er voraussetzt, dass der gorgianische Epitaphios eine Rede spiegelt, die im Rahmen des athenischen Gefallenbegräbnisses gehalten wurde, daraus ableitet, dass der Epitaphios vom Rahmen der Zeremonie und den Konventionen der oralen Gattung geprägt sei, und so zum Ergebnis kommt, die Schrift sei genretypisch. 81 Zu diesem Fragment siehe auch die Hinweise oben in diesem Kapitel in Anm. 37. 82 Planud. Hermog. Peri Ideō n 550.10–13 ed. Walz = DK 82 B 6: σεμνοὶ μὲν πρὸς τοὺς θεοὺς τω˜ ι δικαίωι, ὅσιοι δὲ πρὸς τοὺς τοκέας τη˜ ι θεραπείαι, δίκαιοι δὲ πρὸς τοὺς ἀστοὺς τω˜ ι ἴσωι, εὐσεβει˜ς δὲ πρὸς τοὺς φίλους τη˜ ι πίστει. 83 Planud. Hermog. Peri Ideō n 550.9 f. ed. Walz = DK 82 B 6. Zum Bedeutungsspektrum von φιλόκαλος in der voraristotelischen Literatur siehe Moore 2020, 74 Anm. 24. 80
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Fünftes Kapitel
Referenz
Disposition
Relation
Götter (θεοὺς)
Gerechtigkeit (δικαίωι)
ehrfürchtig (σεμνοὶ)
Eltern (τοκέας)
Fürsorge (θεραπείαι)
pietätvoll (ὅσιοι)
Mitbürger (ἀστοὺς)
Gleichheit (ἴσωι)
gerecht (δίκαιοι)
Freunde (φίλους)
Treue (πίστει)
rechtschaffen (εὐσεβει˜ς)
Die Übersicht zeigt: Die Gefallenen werden bei Gorgias als Idealbürger konzipiert, deren wertegebundenes Handeln in den Bereichen Religion, Familie, Bürgergemein schaft und Freundesbande auf sämtlichen relevanten Ebenen innerhalb der Polis die entscheidenden Kohäsionskräfte der sozialen Gemeinschaft bildet. Während das krie gerische Verdienst der Gefallenen den Bestand der Gemeinschaft nach außen sichert, richten sich die von Gorgias für den Raum des Zivilen angeführten Verortungen auf die Festigung der Gemeinschaft im Innern: Ganz wesentlich beziehen sich die ange führten Dispositionen auf Oikos und Polis als den beiden sozioökonomisch, soziokul turell und politisch elementaren Organisationseinheiten bzw. Ordnungsebenen der klassischen Bürgergemeinschaft. Während sich der Verweis auf die Eltern klar auf den Oikos und der Verweis auf die Mitbürger klar auf die Polis bezieht, spielen Götter und Freunde jeweils in beide Bereiche hinein. Wenn folglich Gorgias die hohe Bedeutung betont, die den Gefallenen für das Gemeinwesen zukommt, konzipiert er den Tod des Bürgers im Krieg als gravierenden Verlust gesellschaftlichen Ordnungspotenzials: Mit dem soldatischen Tod eines Bürgers geht in der Logik des gorgianischen Epitaphios also immer auch ein Stück sozialer Ordnung verloren. Dass ein solches Verständnis der Bedeutung der gefallenen Bürgersoldaten für die Gemeinschaft nicht selbsterklärend ist, zeigt ein vergleichender Blick auf die Gefalle nenrede des thukydideischen Perikles. Dort zeichnen sich, wie oben in diesem Kapitel gezeigt, die Verstorbenen vor allem durch ihren heldenhaften Tod im Krieg als ehr würdige Mitglieder der Gemeinschaft aus – mögen sie der Polis in anderen Feldern des gesellschaftlichen Lebens auch weniger Freude bereitet haben.84 Im Gegensatz hierzu wertet Gorgias den soldatischen Tod eines Bürgers in jedem Einzelfall als schwerwie genden Verlust gesellschaftlichen Ordnungspotenzials und so zugleich auch immer schon als Gefahr für die soziale Integrität der Polis insgesamt. Gorgias unterstützt da mit also nochmals ganz grundsätzlich sein Plädoyer, die griechische Poliswelt nach innen zu stabilisieren, die militärischen Kräfte auf die Abwehr der äußeren Gefahren zu konzentrieren, die verheerenden, desintegrativen und gesellschaftszersetzenden Konsequenzen der inneren Konflikte in Hellas zu fürchten und den Tod im Kampf gegen Griechen als Grund zur Klage, nicht als Anlass für Hymnen zu verstehen.
84
Die entscheidende Textstelle: Thuk. 2.42.3 (zitiert oben in diesem Kapitel in Anm. 17; siehe dazu auch die Anm. 12).
Gorgias und Thukydides. Sterben für das Imperium?
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Datierung des gorgianischen Epitaphios Um vor dem skizzierten Hintergrund den gorgianischen Epitaphios in seinen litera rischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen verorten zu können, soll nun die Frage der Datierung diskutiert werden. Ein klarer Ankerpunkt für die historische Ein ordnung des gorgianischen Epitaphios lässt sich weder in den Fragmenten und Testi monien noch in der sonstigen antiken Literatur gewinnen.85 Sofern überhaupt eine Möglichkeit zur näheren Eingrenzung des Entstehungszeitraums gesehen wird,86 rei chen die Vorschläge von den 420ern bis zu den 380ern – ein Konsens zeichnet sich bislang nicht ab.87 Die Fragmente und Testimonien bieten bei genauer Betrachtung allerdings durchaus gewisse Anhaltspunkte, die Datierung der Schrift einzugrenzen. Der Text wird kaum vor Gorgias’ erstem Aufenthalt in Athen entstanden sein, da sich der Epitaphios direkt auf die öffentliche Gefallenenbestattung in ihrer spezifisch athenischen Erscheinungsform bezieht. Als sich Gorgias erstmals 427 als diplomati scher Emissär seiner Heimatstadt und im Weiteren dann wiederholt in Athen aufhielt, könnte er durchaus durch persönliche Teilnahme an einem Gefallenenbegräbnis die Tradition der athenischen Gefallenenrede kennengelernt haben.88 Aus den (teils kon fligierenden) Angaben, die uns die antike Literatur zu Geburts- und Sterbedatum des Gorgias bietet, lässt sich eine Lebensspanne von Mitte der 470 er bis Mitte der 370 er wahrscheinlich machen.89 Als Gorgias erstmals in Athen war, muss er demnach um die 50 Jahre alt gewesen sein. Zum Zeitpunkt seiner Gesandtschaft hatte er bereits ei nen gewissen Ruhm als Rhetor erlangt und seine Schrift Peri tou mē ontos (Über das Nichtseiende) veröffentlicht. Die Gesandtschaft nach Athen sollte für Gorgias dann einen biografischen Wendepunkt darstellen: Mit den vielbeachteten öffentlichen Auf tritten in Athen gelang es ihm, sich endgültig den Ruf eines Lehrmeisters der Rhetorik
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Insbesondere bietet das einzige längere direkte Zitat aus dem gorgianischen Epitaphios – das Pla nudes-Fragment – keine konkreten Anhaltspunkte zur Frage der Datierung. Vgl. Spatharas 2001, 272: „the Epitaphios cannot be dated“. Eine Auswahl an Vorschlägen: Blass 2. Aufl. 1887, 62: 420; Pohlenz 1913: 297 f. mit Anm. 1: 421 bis 414; Mathieu 1925, 24: nach 382; Aly 1929, 84 Anm. 91: zwischen 421 und 416 oder ab 395; Loraux 1981 (vgl. Loraux 1986, 431 Anm. 32): zweite Hälfte der 390er Jahre; Flower 2000, 93: 408 bis 405; Scholten 2003, 112 und 114: 395 bis 392 bzw. alternativ: nach 398/97; Schollmeyer 2021, 73 f.: 421 bis 414. Zu Gorgias’ diplomatischer Mission siehe Diod. 12.53.1–3 = DK 82 A 4 und Paus. 6.17.7 = DK 82 A 7 (die Datierung geht aus Thuk. 3.86 hervor); zur historischen Einordnung: Schollmeyer 2021, 22–27. Dass Gorgias persönlich ein athenisches Gefallenenbegräbnis verfolgt hat, ist zwar nirgends belegt, wäre aber eine durchaus plausible Annahme, die sein Interesse an und seine Vertrautheit mit der athenischen Grabrede erklären würde. Eine rein literarische Rezeption der athenischen Gefallenenreden würde für die vorthukydideische Zeit voraussetzen, dass Manuskripte der Reden zirkulierten, was (abgesehen vielleicht von einer Mitschrift oder Nachempfindung der sogenann ten Samischen Leichenrede des Perikles; hierzu unten bei Anm. 116–123), nicht der Fall gewesen zu sein scheint. Die ausführlichste Auseinandersetzung mit Gorgias’ Biografie bietet Schollmeyer 2021, 6–50.
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Fünftes Kapitel
und der Argumentationskunst zu erwerben – später wurde er in diesem Sinne von Phi lostratos als Vater der Sophisten (πατὴρ σοφιστω˜ ν) tituliert.90 Auch der Schwerpunkt seiner literarischen Produktion scheint in die Jahre ab 427 zu fallen. Nun muss Gorgias freilich nicht selbst in Athen gewesen sein, als er den Epitaphios schrieb, und er muss den Text auch nicht bei seinem ersten Aufenthalt und auch nicht zeitnah nach seiner Ankunft in Athen verfasst haben. Grundsätzlich spricht nichts ge gen die Möglichkeit, dass der gorgianische Epitaphios erst nach erheblicher Zeit ent standen ist, und letztlich könnte Gorgias auch erst durch die literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi der 390 er und 380er Jahre inspiriert worden sein. Über biografische Plausibilitäten lässt sich der Entstehungszeitraum nicht weiter eingrenzen, entschei dend ist vielmehr, welche Anhaltspunkte sich aus den Fragmenten und Testimonien ergeben. Inhaltlich bieten die erhaltenen Fragmente und Testimonien eine Reihe vager An haltspunkte zum historischen Kontext des Epitaphios: Als die Schrift entstand, war die athenische Außenpolitik vom Streben nach Archē geprägt (Philostratos); strebten die Athener mit teils drastischen Mitteln die Vorherrschaft über die griechische Welt an (Philostratos); führte die athenische Außenpolitik zu Verwerfungen innerhalb der griechischen Welt (Philostratos); forderten innergriechische militärische Konflikte Opfer (Athanasios, Ps.-Longinos, Hermogenes, Philostratos); wurden die gefallenen griechischen Soldaten nicht durchgängig würdevoll bestattet (Athanasios, Ps.-Longi nos, Hermogenes); und es wurden Siege über Griechen (statt über Barbaren) gefeiert (Philostratos). In dieser Zeit hielt es Gorgias für geboten, öffentlich zu betonen, dass die Polis durch ihren Einsatz für die falsche Sache Bürger verloren habe, die auch in Friedenszeiten von unschätzbarer Bedeutung für ihre Gemeinden gewesen seien (Pla nudes), und dass die Griechen gemeinsam Eintracht anstreben und sich auf die Perser als ihren gemeinsamen äußeren Feind konzentrieren sollten (Philostratos). Diese Bedingungen passen am besten zu den folgenden drei Zeiträumen: (A) Von 427 bis 413. Die Zeit von Gorgias’ Ankunft in Athen bis zum Ende der Sizilienexpedi tion war durch den anhaltenden Machtanspruch Athens im östlichen Mittelmeerraum und die daraus resultierenden innergriechischen Spannungen gekennzeichnet. (B) Von 413 bis 404. Mit der Niederlage der athenischen Flotte vor Syrakus begann die letzte und gewalttätigste Phase des Peloponnesischen Krieges mit ihren gravierenden Auswirkungen auch auf die inneren Verhältnisse der betroffenen Poleis. (C) Von Mitte der 390er Jahre bis 380 (bzw. bis zum Tod des Gorgias). Im Rahmen des Korinthischen Krieges lebten Athens außenpolitische Ambitionen wieder auf, und in dieser Situation lässt sich der Versuch der athenischen Bürgergemeinschaft erkennen, die Tradition der öffentlichen Bestattung ihrer Gefallenen zu reaktivieren (viertes Kapitel). Im Jahr 380 hat Isokrates aus Gorgias’ Epitaphios zitiert, damit verfügen wir über einen sicheren
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Gorgias als πάτερ σοφιστω˜ ν: Philostr. Bioi Soph. 1.9.1 = DK 82 A 1.
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Terminus ante quem.91 Gorgias starb vielleicht schon vor 380, möglicherweise aber erst Mitte der 370er Jahre.92 Die dritte Option (C) würde bedeuten, dass Gorgias den Epitaphios erst verfass te, als die thukydidischen Historien bereits bekannt waren. Dies scheint mir unwahr scheinlich zu sein. Gegenüber der perikleischen Gefallenenrede im Geschichtswerk des Thukydides weist Gorgias’ Epitaphios eine relativ schlichte Kernbotschaft auf, und Gorgias scheint beinahe mehr an der Wirkung seiner rhetorischen Stilmittel interes siert gewesen zu sein als an der politischen Wirkung des Textes: Gorgias verwendet Metaphern, Paranomasien, Alliterationen und Reime, und in den Satzstrukturen fin den wir Parallelismen und Antithesen.93 Wir wissen, dass Gorgias die Athener anfangs mit seiner rhetorischen Kunstfertigkeit beeindrucken konnte,94 aber wir wissen auch, dass die Wirkung mit der Zeit nachgelassen hat.95 Eine Datierung des gorgianischen Epitaphios in die Zeit nach Thukydides müsste voraussetzen, dass Gorgias die litera risch höchst anspruchsvolle Grabrede der thukydideischen Historien kannte, seine ei gene rhetorische Kunstfertigkeit in Athen längst hinlänglich zur Schau gestellt hatte und die athenische Politik über drei Jahrzehnte hinweg auch aus eigener Anschauung studieren konnte, bevor er seinen eigenen Epitaphios mit einer gegenüber Thukydides vergleichsweise einfachen Botschaft und einem Schwerpunkt auf rhetorischen Effek ten verfasste. Dies erscheint mir weit weniger plausibel als die Annahme, dass die gor gianische Schrift vor Thukydides’ Historien in Umlauf gekommen ist. Die zweite Option (B) kann ebenfalls nicht überzeugen: Nach der verheerenden Niederlage auf Sizilien bestand keine realistische Aussicht mehr darauf, die Griechen im gemeinsamen Kampf gegen die Perser zu einen; und der Vorwurf, den Gorgias im Epitaphios erhebt, dass nämlich die Athener danach strebten, ihre Archē auf Kosten des innergriechischen Zusammenhalts durchzusetzen, passt ebenfalls nicht so recht in die Zeit nach 413.96 91 92 93 94
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Zu den entsprechenden Zitaten im isokratischen Panegyrikos siehe oben bei Anm. 43. Schollmeyer 2021, 9–17, 49 f. Untersteiner (2. Aufl. 1961, 79) vermerkt „una frequenza ossessionante di ‚figure gorgiane‘ …, un fuoco di fila di concetti“. Zum gorgianischen Stil siehe insbes. Zucker 1956; Noël 1999; Schiappa 2001, 86–95; Giombini 2012, 47–62. Vgl. Philostr. Bioi Soph. 1.9.3 = DK 82 A 1: ὡς μὲν ου῏ ν καὶ ῥᾷστα ἀπεσχεδίαζεν, εἴρηταί μοι κατὰ ἀρχὰς του˜ λόγου, διαλεχθεὶς δὲ Ἀθήνησιν ἤδη γηράσκων εἰ μὲν ὑπὸ τω˜ ν πολλω˜ ν ἐθαυμάσθη, οὔπω θαυ˜ μα, ὁ δέ, οι῏μαι, καὶ τοὺς ἐλλογιμωτάτους ἀνηρτήσατο, Κριτίαν μὲν καὶ Ἀλκιβιάδην νέω ὄντε, Θουκυδίδην δὲ καὶ Περικλέα ἤδη γηράσκοντε; Diod. 12.53.3 = DK 82 A 4: ου῟ τος ου῏ ν καταντήσας εἰς τὰς Ἀθήνας καὶ παραχθεὶς εἰς τὸν δη˜ μον διελέχθη τοι˜ς Ἀθηναίοις περὶ τη˜ ς συμμαχίας, καὶ τῳ˜ ξενίζοντι τη˜ ς λέξεως ἐξέπληξε τοὺς Ἀθηναίους ὄντας εὐφυει˜ς καὶ φιλολόγους. Diod. 12.53.4 = DK 82 A 4: πρω˜ τος γὰρ ἐχρήσατο τοι˜ς τη˜ ς λέξεως σχηματισμοι˜ς περιττοτέροις καὶ τῃ˜ φιλοτεχνίᾳ διαφέρουσιν, ἀντιθέτοις καὶ ἰσοκώλοις καὶ παρίσοις καὶ ὁμοιοτελεύτοις καί τισιν ἑτέροις τοιούτοις, ἃ τότε μὲν διὰ τὸ ξένον τη˜ ς κατασκευη˜ ς ἀποδοχη˜ ς ἠξιου˜ το, νυ˜ ν δὲ περιεργίαν ἔχειν δοκει˜ καὶ φαίνεται καταγέλαστα πλεονάκις καὶ κατακόρως τιθέμενα. In diese Richtung haben schon Pohlenz 1913, 297 f. mit Anm. 1 und Aly 1929, 84 Anm. 91 argumen tiert.
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Eine Datierung zwischen 427 und 413 (Option A) ist am wahrscheinlichsten. Inner halb dieses Zeitraums könnte der Text um 416/415 entstanden sein, also im Zusam menhang mit der Zerstörung von Melos und dem Beginn der Sizilienexpedition, als die Athener erneut aggressive Maßnahmen gegen ihre (tatsächlichen oder vermeint lichen) Feinde ergriffen und die Spannungen unter den Griechen einen neuen Höhe punkt erreichten, sich die Aussicht auf eine Einigung der Griechen aber noch nicht gänzlich zerschlagen hatte. Gorgias’ Helena, die sich als Gegenstück zum Epitaphios le sen lässt,97 könnte im selben Zeithorizont entstanden sein.98 Ein Datum in den späten 420er Jahren ist indes wahrscheinlicher. Die historischen Parameter, die aus den Frag menten und Testimonien destilliert werden können, passen gut zu den entsprechen den historischen Umständen. Insbesondere die Verbindung der politischen Kernaussage mit den rhetorischen Charakteristika des Epitaphios würde gut zu den Jahren ab Gorgias’ ersten Auftritten in Athen passen, als seine Aktivitäten zwischen seiner politischen Rolle und seiner persönlichen Agenda als gefeierter Redner und Rheto riklehrer oszillierten. Eine ausgiebige Zurschaustellung seiner rhetorischen Fähigkei ten, wie er sie in seinem Epitaphios unter Beweis stellt, muss sein (mündliches wie literarisches) Publikum in dieser Phase besonders beeindruckt haben. Zur Abfassung einer literarischen „Gefallenenrede“ könnte Gorgias bereits kurz nach seiner Ankunft in Athen inspiriert worden sein, als sich ihm möglicherweise die Gelegenheit bot, per sönlich ein öffentliches Begräbnis für die Kriegstoten im Kerameikos zu besuchen. Die Metapher der Geier als beseelte Gräber könnte sich implizit auf die Behandlung der athenischen Opfer nach der Schlacht von Delion im Jahr 424 beziehen – und damit auf höchst dramatische Ereignisse, die auch in Euripides’ Hiketiden um 423/21 ihren Niederschlag fanden.99
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Während der Epitaphios die Frage reflektiert, wofür Enkomien stehen und welche Wirkung sie auf eine von Krieg, Tod und Machtstreben geprägte Bürgergesellschaft haben, nähert sich das Enkomion der Helena dem Problem von der scheinbar komischen Seite eines Paignions in Gestalt einer Lobrede auf eine Person, die wie kaum eine andere für die dramatischen Folgen des Krieges steht; eine ebenso detaillierte wie umfassende Untersuchung zur Helena bietet Schollmeyer 2021. Die Verteidigung der Helena in Euripides’ Troerinnen (aufgeführt 415) thematisiert ebenfalls die Verwerfungen, die sich aus einer kompromisslosen Machtpolitik ergeben (Eur. Trō ad. 895–1059). Buchheim (2012, 159–160 Anm. 11.2) argumentiert, dass Euripides auf Gorgias’ Helena folgt; Schollmeyer 2021, 94–105 datiert die Helena „mit aller gebotenen Vorsicht“ (104) ins Jahr 412. Gorgias’ Olympische Rede, die inhaltlich mit dem Epitaphios verwandt ist, lässt sich nicht sicher datieren (siehe dazu auch oben in diesem Kapitel die Anm. 70). Die Datierung ist nicht gesichert und muss erschlossen werden (siehe oben in diesem Kapitel die Anm. 79). Für einen möglichen Bezug der Hiketiden zu Delion siehe Collard 1975, Bd. 1, 13. Die Gefallenenreden haben für Euripides offenbar einen wichtigen Bezugspunkt dargestellt, so scheint etwa die Lobrede des Adrastos in den Hiketiden (857–917) vor dem Hintergrund dieses Genres modelliert zu sein. Zum Verhältnis von Tragödie und Gefallenenrede siehe unten in diesem Kapi tel bei Anm. 105. Zum Kontext von Delion siehe auch die Einträge zu IG I3 1163, IG I3 1184 und SEG 48.83 unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
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Wenn diese Annahme zutrifft, könnte Gorgias – trotz der vergleichsweise einfachen Kernbotschaft des Epitaphios – die Ausbildung und frühe Entwicklung der gesamten (literarischen) Gattung maßgeblich beeinflusst haben. Die Schrift wäre damit insofern innovativ, als Gorgias mit seinem Epitaphios im Grundsatz demonstrieren konnte, welche gestalterischen Möglichkeiten eine freie Rekonstruktion der athenischen Ge fallenenreden im Medium der literarischen Kunstprosa bot. Thukydides könnte dann von Gorgias dazu inspiriert worden sein, das Feld des neu geschaffenen Genres noch deutlich umfassender zu ergründen. Gehen wir von dieser Abfolge aus, lässt sich eine Reihe an Besonderheiten der perikleischen Gefallenenrede im Geschichtswerk des Thukydides in Beziehung zum gorgianischen Epitaphios setzen, denn der thukydidei sche Text ist in mehrfacher Hinsicht komplementär zu Gorgias’ Epitaphios konzipiert: (a) Gorgias nutzt den Epitaphios, um seine rhetorische Kunstfertigkeit unter Beweis zu stellen; Thukydides vermeidet stilistische Zurschaustellung. (b) Gorgias entwickelt im Epitaphios ein panhellenisches Programm, bei Thukydides stellt Perikles die Polis ins Zentrum.100 (c) Gorgias konzentriert sich auf die außenpolitischen Beziehungen (insbesondere auf die Uneinigkeit unter den griechischen Poleis und auf das gemeinsame Ziel, die Perser zu bekämpfen); bei Thukydides fokussiert Perikles dagegen primär auf die innere Verfas sung der athenischen Bürgerschaft. (d) Im gorgianischen Epitaphios stellt der historische Erfolg der Griechen im gemeinsamen Abwehrkampf gegen die Invasion der Perser die ideale Leistung griechischer Staatlich keit dar; der thukydideische Perikles preist das Athen seiner eigenen Zeit als die größte politische, militärische und kulturelle Errungenschaft der griechischen Welt. (e) Gorgias betont die besonders drastischen und gewaltsamen Aspekte der innergriechi schen Kriegsführung; Thukydides entschied sich für die Rekonstruktion einer Gefalle nenrede aus einer noch vergleichsweise harmlosen Kriegsphase.101 (f) Gorgias stellt die Gefallenen als ideale Bürger in Krieg und Frieden dar; bei Thukydi des betont Perikles, dass die Gefallenen erst im todesmutigen Einsatz für Athen ihren staatsbürgerlichen Wert offenbaren.102
100 Siehe dazu Scholten 2003, 122 f. 101 Dies ist schon Dionysios (Thuk. 18) aufgefallen: ἐν ταύτῃ μὲν γὰρ [gemeint ist das zweite Buch der Historien] οἱ κατὰ τὴν πρώτην τω˜ ν Πελοποννησίων εἰσβολὴν πεσόντες Ἀθηναι˜οι κομιδῃ˜ τινες ἦσαν ὀλίγοι, καὶ οὐδ’ ου῟ τοι λαμπρόν τι πράξαντες ἔργον, ὡς αὐτὸς ὁ Θουκυδίδης γράφει (siehe dazu Jacoby 1944, 57 Anm. 92 sowie den Kommentar bei Pritchett 1975, 69 f.). Zur geringen Zahl an Gefallenen im ersten Kriegsjahr siehe auch Thuk. 1.22.2; dazu Cataldi 2005, 165. 102 Es ließen sich weitere Differenzen ergänzen, beispielsweise verwendet Gorgias den Begriff der Missgunst (φθόνος), um die Beziehung zwischen der imaginierten Zuhörerschaft und den Gefal lenen zu charakterisieren, während Thukydides denselben Begriff einsetzt, um ein Spannungsfeld zwischen konkurrierenden Subgruppen innerhalb der von Perikles adressierten Zuhörerschaft an zudeuten (siehe dazu auch oben in diesem Kapitel die Anm. 22).
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Ob diese Antagonismen intentional gesetzt wurden, lässt sich nicht feststellen, denn nirgends ist eine direkte Bezugnahme des Thukydides auf Gorgias’ Epitaphios zu iden tifizieren. Dennoch führen die beiden Texte über ihre gegenläufige Komposition in gewisser Weise einen literarischen Dialog miteinander, was aufmerksamen zeitgenös sischen Lesern nicht entgangen sein wird. In den genannten Punkten ist die „Gefalle nenrede“ als literarisches Kunstgebilde letztlich bei Thukydides interessanter konzi piert und konnte damit auf die übrigen Epitaphioi Logoi auch eine stärkere Wirkung entfalten als Gorgias’ Schrift. Auch wenn Thukydides den gorgianischen Epitaphios nicht gänzlich überstrahlt hat – davon zeugt schon die Rezeption bei Platon und Iso krates – so war den Autoren der späteren Epitaphioi Logoi doch zweifelsohne be wusst, wie hoch gerade Thukydides die Messlatte für die Abfassung einer literarischen „Gefallenenrede“ gesetzt hatte.103 Literarisches Umfeld Nun ist auch Gorgias’ Epitaphios nicht in einem kulturellen Vakuum entstanden: Mit der hier entwickelten Frühdatierung in die späten 420er Jahre stellt sich die Frage nach dem Umfeld, in dem eine literarische „Gefallenenrede“ als eigenständige Schrift ent stehen konnte. Wie im dritten Kapitel gezeigt, zeugt der materielle Befund von groß flächigen Veränderungen des gesellschaftlichen Stellenwertes, der dem athenischen Gefallenenbegräbnis im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts zukam: Das Ritual wurde immer stärker auf den Suprematieanspruch Athens in der griechischen Polis welt ausgerichtet, während zugleich der isonome Grundkonsens brüchig zu werden begann, auf dem die Würdigung der Aufopferungsbereitschaft athenischer Bürger seit der kleisthenischen Zeit beruhte. Dass die Gefallenenbestattung im Zuge dieser Ent wicklungen zu einem zunehmend bedeutenden Bezugspunkt für die Auseinanderset zung mit dem athenischen Machtanspruch wurde, ließ sich für einen aufmerksamen Beobachter wie Gorgias auch im Feld des Literarischen greifen. In der griechischen Literatur reicht die Beschäftigung mit den Themenfeldern Tod im Kampf, Bergung und Bestattung der Gefallenen sowie Wahrung ihres Andenkens freilich bis zu den Anfängen zurück.104 Im ersten Jahrzehnt des Peloponnesischen Krieges – und damit in der Zeit von Gorgias’ erstem Aufenthalt in Athen – hat sich die literarische Auseinan dersetzung speziell mit der athenischen Gefallenenrede aber doch nochmals deutlich intensiviert. Dass gerade die euripideische Dramatisierung des epitaphischen Taten
103 Abgesehen vom Epitaphios des Hypereides lässt sich bei allen nachthukydideischen Epitaphioi Logoi eine intensive Auseinandersetzung mit der perikleischen Gefallenenrede bei Thukydides greifen; siehe dazu die entsprechenden Hinweise in den jeweiligen Kapiteln dieser Arbeit. 104 Das Phänomen der Totenklage allgemein wird in ganzer Breite bis in die homerische Zeit zurück untersucht von Palmisciano 2017.
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katalogs in den Herakliden, den Hiketiden und im Erechtheus – und damit in Werken der 420er Jahre – einen erheblichen Einfluss selbst auf die Epitaphioi Logoi noch des vierten Jahrhunderts ausüben konnte, arbeitet Johanna Hanink in einem aktuellen Beitrag nochmals überzeugend heraus.105 Analog lässt sich zeigen, wie Aristophanes in den (nur fragmentarisch erhaltenen) Babyloniern (426) sowie in den Acharnern (425), den Rittern (424) und den Wespen (422) über eine subversive (wenn auch implizi te) Auseinandersetzung mit topischen Elementen der athenischen Gefallenenreden Ideologiekritik im Medium der Komödie betreibt.106 In diesem Umfeld möchte ich zwei weitere mögliche Bezugspunkte des gorgianischen Epitaphios genauer in den Blick nehmen: Herodots Geschichtswerk einerseits und die sogenannte „Samische Leichenrede“ des Perikles andererseits. Zunächst zu Herodot, dessen Historien als Ge samtwerk in den 420er Jahren in Umlauf gekommen sind.107 An keiner Stelle seines Werkes bezieht sich Herodot explizit auf das athenische Ge fallenenbegräbnis. Zwei kürzere Passagen im siebten und im neunten Buch der Historien (Hdt. 7.161 f. bzw. 9.27) – in denen die Athener jeweils gegenüber anderen Grie chen ihren Anspruch auf eine bestimmte Vorrangstellung im Kampf gegen die Perser begründen – stehen dennoch im Verdacht, die athenische Gefallenenrede literarisch zu verarbeiten.108 Im neunten Buch treten die Parallelen besonders deutlich hervor: Das historiografische Narrativ führt hier ein Rededuell zwischen den Athenern und den Tegeaten ein, die sich vor der Schlacht von Plataiai gegen das persische Heer des Mardonios über einen Ehrenplatz in der Schlachtformation streiten.109 Die Athener
105 Hanink (in Druckvorbereitung; aufbauend auf Hanink 2013), mit entsprechenden Verweisen. 106 Hierzu Zimmermann (in Druckvorbereitung) mit weiteren Literaturangaben; speziell zu den Rittern siehe auch Lech 2019; zum Verhältnis von Tragödie und Gefallenenrede siehe auch Mills (in Druckvorbereitung). 107 Wann die Arbeit an den Historien abgeschlossen wurde und das Gesamtwerk in Umlauf kam, muss erschlossen werden; für den Zeitraum 430–424 hat erstmals umfassend Jacoby 1913, 205–520, ins bes. 226–247 argumentiert, der Argumentation ist bis heute ein Großteil der Forschung gefolgt. Fornara 1971, insbes. 32–34 konnte mit seinem Vorschlag, die Veröffentlichung um 414 zu datieren, keine neue Communis Opinio begründen. Zur Datierung der Historien siehe auch Fornara 1981; Sansone 1985; Evans 1987; Johnson 1994; Hornblower 1996, 19–38, 122–145; Dewald 1998, x–xi; Pel ling 2000, 154 f.; Munson 2001, insbes. 206–231; Moles 2002; Fowler 2003; Blösel 2004, 21–30. Zu auszugsweisen Präsentationen vor Abschluss des Gesamtwerks siehe unten in diesem Kapitel die Anm. 119. 108 Die Anspielungen an die athenische Gefallenenrede – insbesondere im neunten Buch in Form des Tatenkatalogs – wurden schon früh erkannt und werden bis heute als aussagekräftig gewertet (zu einer nötigen Einschränkung siehe unten in diesem Kapitel die Anm. 110); dazu: Meyer 1899, 219– 222; Schroeder 1914, 2 f.; Jacoby 1956, 464; Flower/Marincola 2002, 152 f.; Grethlein 2010, 168 f., 177–179 (ibid., 178: „there can be little doubt that the Athenians’ speech would have reminded Herodotus’ readers of this institution“ [gemeint ist die Institution der athenischen Gefallenenre de]). 109 Allgemein zur Plataiai-Episode bei Herodot siehe Myres 1966, 283–295 und Flower/Marincola 2002, 20–35; speziell zum Rededuell siehe auch die Kommentare von Flower/Marincola 2002, 147–158 und Asheri 2006, 208–217.
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argumentieren bei Herodot in einer Weise mit ihren historischen Verdiensten, die Übereinstimmungen mit den Katalogen historischer Ruhmestaten der Stadt erkennen lässt, wie sie aus den überlieferten Epitaphioi Logoi hinlänglich geläufig sind und wie sie wohl auch das orale Genre der athenischen Gefallenenrede bestimmt haben:110 Sie haben die Herakliden gegen Eurystheus in Schutz genommen und diesen besiegt; sie haben die Leichname der im Kampf gegen Theben gefallenen Argiver geborgen und diese in Eleusis bestattet; sie haben erfolgreich gegen die Amazonen gekämpft; und sie haben sich im Kampf um Troia Ruhm erworben. Jonas Grethlein hat gezeigt, dass Herodot die politische Instrumentalisierung ver gangener Leistungen und Erfolge literarisch unterwandert,111 indem er die Athener fast wörtlich das zentrale historiografische Axiom des Proöms („denn Städte, die in frü heren Zeiten mächtig waren, sind mehrheitlich unbedeutend geworden; und die zu meiner eigenen Zeit mächtig waren, waren zuvor unbedeutend“) wiederholen lässt.112 Im Statement der Athener vor der Schlacht bei Plataiai wird aus dieser Mahnung (die von Herodot wohl auch vor dem Hintergrund der von hegemonialem Selbstbewusst sein geprägten Außenpolitik Athens in seiner eigenen Zeit formuliert wurde) der auf den Ruhm vergangener Taten bezogene Ausruf: „Aber es bringt ja nichts, sich an die se Dinge zu erinnern: Denn wer damals etwas taugte, könnte heute von geringerer Bedeutung sein, und wer damals unbedeutend war, ist heute vielleicht stärker.“113 Es scheint, als wolle Herodot hier historische Begründungsmuster für hegemoniale Gel tungsansprüche dekonstruieren, wie sie typischerweise in der athenischen Gefalle nenrede zum Einsatz gebracht wurden. Die Stelle im siebten Buch (7.161 f.) zeigt, dass es Herodot nicht bei bloß unspezi fischen Anspielungen an das Genre der athenischen Gefallenenreden belässt – denn in dieser Passage fließt (in anderen erzählerischen Zusammenhängen verortet) eine offenbar weithin bekannte Metapher aus jener Rede ein, die Perikles im Jahr 439 auf die im Krieg gegen Samos gefallenen Athener gehalten hatte: Zunächst weist hier ein Gesandter Athens die Forderung des syrakusanischen Königs Gelon zurück, das Flot tenkommando der gesamtgriechischen Streitmächte zu übernehmen. Die Spartaner hatten zuvor verdeutlicht, dass die Führung des Gesamtunternehmens bei ihnen liege,
110 Städtelob kommt freilich auch in anderen Gattungen vor, insofern kann durchaus von einem brei teren Spektrum an oralen und literarischen Einflüssen affirmativer Diskurse über die Rolle Athens in der östlichen Mittelmeerwelt ausgegangen werden (Flower/Marincola 2002, 153), für die Hörer und Leser der Historien muss der Bezug speziell zur athenischen Gefallenenrede aber besonders naheliegend gewesen sein. Zur Frage, welche Rückschlüsse die literarische Überlieferung auf die mündlichen Reden zulässt, siehe die entsprechenden Ausführungen in der Einleitung. 111 Grethlein 2010, 149–187 und 2011. 112 Hdt. 1.5.4: τὰ γὰρ τὸ πάλαι μεγάλα ἦν, τὰ πολλὰ σμικρὰ αὐτω˜ ν γέγονε· τὰ δὲ ἐπ’ ἐμευ˜ ἦν μεγάλα, πρότερον ἦν σμικρά. 113 Hdt. 9.27.4: ἀλλ’ οὐ γάρ τι προέχει τούτων ἐπιμεμνη˜ σθαι· καὶ γὰρ ἂν χρηστοὶ τότε ἐόντες ὡυτοὶ νυ˜ ν ἂν ει῏εν φλαυρότεροι καὶ τότε ἐόντες φλαυ˜ ροι νυ˜ ν ἂν ει῏εν ἀμείνονες.
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sie aber nicht zugleich auch den Befehl über die Flotte beanspruchten. Der athenische Gesandte argumentiert dann, dass die Athener wegen des besonderen Alters ihres Eth nos, wegen ihrer Autochthonie und wegen ihrer besonderen historischen Verdienste auf dem Vorrang gegenüber Syrakus bestehen müssten. Gelon führt daraufhin den Topos eines Jahres ohne Frühling an, der in ganz ähnli cher Form auch von Aristoteles an zwei Stellen der Rhetorik (1365 a31–3 und 1411 a2–4) erscheint und dort als Zitat aus einer perikleischen Grabrede ausgewiesen ist: In seiner Rede soll Perikles Aristoteles zufolge über den Verlust der gefallenen jungen athenischen Krieger formuliert haben, die Jugend sei der Stadt genommen, wie wenn man dem Jahr den Frühling nähme.114 Herodot scheint dieselbe Metapher im Sinn gehabt zu haben, wenn er bezogen auf die athenische Forderung, er möge die syrakusanischen Flotten kontingente athenischem Kommando unterstellen, Gelons Absage wie folgt formulier te: „Mein athenischer Freund, es scheint ihr habt viele, die führen, aber keinen, der folgt. Da ihr also auf nichts verzichtet und alles haben wollt, so ist es höchste Zeit für euch nach Hause zu eilen und Hellas zu melden, dass das Jahr für sie keinen Frühling mehr hat.“115 Auch wenn Aristoteles nicht präzisiert, welche der beiden perikleischen Grabreden er meint, so kann es sich doch nur um jene Rede handeln, die Perikles nach dem athe nischen Sieg über Samos im Jahr 439 gehalten hat,116 und auf diese hat sich offenbar 114 Aristot. Rhēt. 1.7 (1365 a31–33): οι῟ον Περικλη˜ ς τὸν ἐπιτάφιον λέγων, τὴν νεότητα ἐκ τη˜ ς πόλεως ἀνῃρη˜ σθαι ὥσπερ τὸ ἔαρ ἐκ του˜ ἐνιαυτου˜ εἰ ἐξαιρεθείη („So sagt Perikles in seiner Gefallenenrede, die Jugend sei der Stadt genommen, wie wenn man aus dem Jahr den Frühling entnähme“) sowie 3.10 [1411 a2–4]: ὥσπερ Περικλη˜ ς ἔφη τὴν νεότητα τὴν ἀπολομένην ἐν τῳ˜ πολέμῳ οὕτως ἠφανίσθαι ἐκ τη˜ ς πόλεως ὥσπερ εἴ τις τὸ ἔαρ ἐκ του˜ ἐνιαυτου˜ ἐξέλοι („wie Perikles über die im Krieg gefallene Jugend sagt, sie sei aus der Stadt verschwunden, als ob jemand den Frühling aus dem Jahr entnäh me“). Zu ähnlichen Formulierungen bei Eur. Hik. 447–449 und Dem. 60.24 meint Grethlein 2010, 169 Anm. 68, „these are not real parallels, but rather similar images“. 115 Hdt. 7.162.1: ‚ξει˜νε Ἀθηναι˜ε, ὑμει˜ς οἴκατε τοὺς μὲν ἄρχοντας ἔχειν, τοὺς δὲ ἀρξομένους οὐκ ἕξειν. ἐπεὶ τοίνυν οὐδὲν ὑπιέντες ἔχειν τὸ πα˜ ν ἐθέλετε, οὐκ ἂν φθάνοιτε τὴν ταχίστην ὀπίσω ἀπαλλασσόμενοι καὶ ἀγγέλλοντες τῃ˜ Ἑλλάδι, ὅτι ἐκ του˜ ἐνιαυτου˜ τὸ ἔαρ αὐτῃ˜ ἐξαραίρηται.‘ Da die Metapher offen bar aus dem Zusammenhang genommen und in abgewandelter Form wiedergegeben ist, wird sie von Herodot eigens erläutert (Hdt. 7.162.2: ου῟ τος δὲ ὁ νόος του˜ ῥήματος, τὸ ἐθέλει λέγειν· δη˜ λα γὰρ, ὡς ἐν τῳ˜ ἐνιαυτῳ˜ ἐστὶ τὸ ἔαρ δοκιμώτατον, τη˜ ς δὲ τω˜ ν Ἑλλήνων στρατιη˜ ς τὴν ἑωυτου˜ στρατιήν. στερισκομένην ω῏ ν τὴν Ἑλλάδα τη˜ ς ἑωυτου˜ συμμαχίης εἴκαζε, ὡς εἰ τὸ ἔαρ ἐκ του˜ ἐνιαυτου˜ ἐξαραιρημένον εἴη – „die Bedeutung dieser Aussage war, dass so wie der Frühling der beste Teil des Jahres ist, so war Gelons Heer der bedeutendste Teil des griechischen Heeres. Wenn Hellas ihn als Mitkämpfer verlöre, so wäre der Verlust vergleichbar mit einem Jahr, dem der Frühling genommen ist.“). Da der Vergleich nicht ganz passt und das Bild noch eigens erläutert wird, wurde die Stelle hin und wieder für eine Interpolation gehalten (exemplarisch Cataldi 2005, 164–169). Die vordergründigen Unstimmigkeiten könnten aber gerade auch darauf hindeuten (so hat schon Weber 1922, 375 argumentiert), dass die Erzählung hier um ein aus dem Zusammenhang genom menes Zitat herum konstruiert wird; ebenfalls für authentisch und damit aussagekräftig erachten die Passage Treves 1941, 327 und Loraux 1975, 10. Die Frage wird offengelassen bei Grethlein 2010, 168 Anm. 65 und Vannicelli/Corcella 2017, 500. 116 Abgesehen davon, dass die prägnante Wendung vom Verlust des Frühlings nicht in Thuk. 2.35–46 anklingt, setzt die Metapher einen gravierenden Konflikt mit zahlreichen Gefallenen auf atheni scher Seite voraus – was auf den Samischen Krieg, nicht aber auf das erste Jahr des Peloponnesi
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auch Herodot bezogen.117 Um den Rückbezug in den Historien zu erklären, wird in der Forschung teils angenommen, dass Herodot die Rede selbst gehört hat.118 Das mag stimmen (oder auch nicht), würde aber weder die späteren Verweise erklären, noch wäre damit den Rezipienten der Historien geholfen, wenn sie die Versatzstücke, die ih nen in Herodots Geschichtswerk begegnen, präzise auf eine bestimmte Grabrede zu rückbeziehen sollen: Die Passagen sind bei Herodot dekontextualisiert und kommen ohne explizite Herkunftsangabe daher, zudem sind die Historien als Gesamtwerk (ab gesehen von auszugsweisen Präsentationen, von denen wir wohl auszugehen haben)119 erst etwa anderthalb Jahrzehnte nach Perikles’ erster Grabrede fertiggestellt worden und in Umlauf gekommen – inzwischen hatte Perikles sogar schon seine zweite Rede gehalten. Nun hat Perikles selbst mit hoher Sicherheit keine schriftliche Fassung der Rede publiziert.120 Da sich selbst bei einer solch prägnanten Formel die Bekanntheit aber nicht alleine unter Rekurs auf eine mündliche Tradition erklären lässt,121 müssen wir wohl davon ausgehen, dass zumindest einige eingängige Wendungen auch schriftlich tradiert wurden.122 Ebenfalls denkbar wäre, dass noch Aristoteles eine heute verlorene
schen Krieges zutrifft. Erstmals hat Wilamowitz-Moellendorff 1877, 365 f. mit Anm. 51 die Stellen auf die Samische Rede des Perikles bezogen. 117 Eduard Meyer hat (auf eine Anregung Georg Wissowas hin) bereits Ende des 19. Jahrhunderts ver mutet, dass sich Herodot auch in 7.161 f. und 9.27 speziell an der ersten Gefallenenrede des Perikles orientiert hat (Meyer 1899, 219–222). Leo Weber hat Meyers Deutung später untermauert (Weber 1922, 375–395); die Übernahme gilt heute zwar nicht als gesichert, aber als möglich und durch aus nicht unwahrscheinlich. Einen Rückbezug auf die Samische Rede nimmt die Forschung heute weitgehend durchgängig an (Vorbehalte etwa bei Walters 1980, 1 Anm. 3 oder Todd 2007, 152 f. mit Anm. 19). Grethlein 2006, 500 (vgl. id. 2010, 169) stellt zu Recht fest: „It is difficult to imagine that the recipients of the Histories would have missed the allusion“. 118 Davon geht bereits Meyer 1899, 222 aus. 119 Für auszugsweise Präsentationen vor der Veröffentlichung des Gesamtwerkes argumentieren Murray 1987, 93–115; Evans 1991, 90; Thomas 1992, 125; Hornblower 1996, 26 f. Allgemein zu Hero dots Publikum siehe Flory 1980, 12–28. 120 Plut. Per. 8 bezeugt glaubhaft, dass Perikles (abgesehen von den von ihm beantragten Volksbe schlüssen) nichts Schriftliches veröffentlicht hat; vgl. Plat. Phaidr. 257 d; Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 832 d. Allerdings scheint Perikles der erste oder einer der ersten Redner gewesen zu sein, der in Vorberei tung seiner öffentlichen Auftritte schriftliche Manuskripte seiner Reden erarbeitet und diese dann auswendig gelernt hat: Plat. Men. 236 b4–6; Plut. Per. 8; Suda π 1180 s. v. Περικλη˜ ς (ὅστις πρω˜ τος γραπτὸν λόγον ἐν δικαστηρίῳ ει῏πε, τω˜ ν πρὸ αὐτου˜ σχεδιαζόντων); dazu Erler 1987, 28, 73 (mit Ver weis auch auf Plat. Prot. 329 a). 121 Die Annahme, die späteren Bezugnahmen auf die Samische Rede ließen sich unter Rekurs auf mündliche Tradition erklären, ist allerdings verbreitet; so geht etwa Canfora 2011 a, 70 Anm. 2 da von aus, es müsste sich um bekannte Aussprüche des Perikles gehandelt haben („si tratterà di ‚det ti‘ rimasti celebri“). Zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Formierung der griechischen Historiografie siehe Vansina 1985; Thomas 1989; Thomas 1992; Harding 1994; Shrimpton 1997; Sickinger 1999; Luraghi 2001. 122 Die selektive Überlieferung bestimmter Bonmots aus den Reden des Perikles diskutiert Edwards 2000, 228 f.
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Nachempfindung der perikleischen Rede vorlag, etwa in eigenständiger literarischer Form oder eingelegt in ein umfangreicheres (möglicherweise biografisch oder lokal historisch ausgerichtetes) Werk.123 Spätestens Mitte der 420er Jahre – das zeigt die Übernahme bei Herodot – scheint die Formel jedenfalls bekannt gewesen zu sein. Damit stellt sich dann allerdings auch die Frage, weshalb von all den Grabreden, die in der Zeit des Seebundes in Athen gehalten wurden, gerade die Samische Rede eine solche Prominenz erlangen konnte. Aus der breiten Wirkung der Rede lässt sich im merhin eine „geradezu epochemachende Bedeutung“, ersehen, „die Perikles’ samische Rede für die Entwicklung der attischen Beredsamkeit gehabt haben muss“.124 Ohne in die Nähe eines Zirkelschlusses zu geraten, lässt sich daraus aber nicht ableiten, weshalb die Rede überhaupt so breit rezipiert wurde. Die Fragmente bei Herodot und Aris toteles helfen hier nicht weiter, in einem Bericht aus der Feder Plutarchs (Per. 8 und 28) haben sich aber doch einige aufschlussreiche Anhaltspunkte erhalten, mit denen die Bedeutung der Samischen Rede etwas genauer erfasst werden kann.125 Ich möchte hier speziell auf drei Aspekte der Erzählung verweisen, mit denen sich die innen- und außenpolitische Dimension der feierlichen Bestattung jener im Kampf gegen Samos gefallenen Athener näher bestimmen lässt.126 Erstens beschreibt Plutarch unter Rückgriff auf Quellen aus dem fünften und vier ten Jahrhundert eine Bestattungszeremonie, die exklusiv auf den militärischen Erfolg gegen Samos ausgerichtet war, in deren Umfeld speziell die Rolle des Perikles zur Gel
123 Indizien für eine literarische Überlieferung von Beschlüssen, Reden und Aussprüchen des Perikles stellt Schubert 2013, 255 mit Anm. 13 zusammen. Insbesondere könnte die Existenz einer litera risch kontextualisierten Nachempfindung von Perikles’ Samischer Rede Plutarchs Kenntnis der Rahmenbedingungen erklären (Plut. Per. 8 und 28). Die Atthidografie reicht allerdings nicht in die Zeit der Samischen Rede selbst zurück, und auch Vorformen der attischen Lokalgeschichte lassen sich für die frühen 430er Jahre nicht zweifelsfrei identifizieren. Grundsätzlich zur Atthidografie: Wilamowitz-Moellendorff 1893; Jacoby 1949; Harding 2007; 180–188; Harding 2008, insbes. 1–12; Schubert 2010, 259–275. Eine etwaige literarische Nachempfindung durch einen uns unbekannten Autor wäre also am ehesten um 430/425 zu verorten. Zu möglichen Quellen Plutarchs für die auf die Samische Rede bezogenen Passagen in Per. 8 und 28 siehe Carawan 1989. 124 Weber 1922, 382. 125 Auch wenn Plutarch gut ein halbes Jahrtausend nach den Ereignissen gewirkt hat, so bietet er doch die ausführlichste Auseinandersetzung mit der Samischen Rede, die sich aus der Antike erhalten konnte, und geht dabei auch auf die Rückkehr des Perikles nach Athen, die Gefallenenbestattung, die Grabrede und die anschließenden Ehrungen des Redners ein. Seine Informationen bezog Plut arch von Autoren des fünften und vierten Jahrhunderts: Stesimbrotos von Thasos, Ion von Chios, Thukydides, Ephoros, Aristoteles und Duris von Samos führt er namentlich an. 126 Ein weiterer Aspekt muss hier nicht nochmals eigens vertieft werden: Schubert 2013 hat – ausge hend von einem Fragment des Stesimbrotos von Thasos, das sich in Plutarchs Erzählung erhalten hat – die naturphilosophische Epistemologie der Rede herausgearbeitet, auf deren Basis Perikles (sofern hier die spätere Tradition den Inhalt der Samischen Rede verlässlich wiedergibt) die im Krieg gegen Samos gefallenen Athener zu göttergleichen Helden erklärte.
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tung gebracht wurde und die weit jenseits der Grenzen Attikas als Signal der Stärke und Entschiedenheit Athens wahrgenommen wurde.127 Perikles hatte die Flottenope ration unter Einsatz von 60 Schiffen persönlich geleitet, mit der Rückführung von Sa mos in den Seebund das Imperium konsolidiert und seine eigene außerordentliche Stellung in Athen zementiert. Wie im dritten Kapitel thematisiert, lassen Kontext und Quellenlage vermuten, dass die Bestattung der im Kampf gegen Samos Gefallenen nicht bis zum Anbruch des Winters aufgeschoben, sondern zeitnah nach der Rück kehr der Truppen vor den Toren Athens durchgeführt wurde: Die Kapitulation der Sa mier fällt ins Frühjahr (wahrscheinlich in den April) des Jahres 439,128 eine regelrechte Jahresbestattung wäre erst etwa ein halbes Jahr später zu erwarten gewesen und hät te – wegen des größeren zeitlichen Abstands und weil die individuellen Einsätze und damit auch die Bedeutung einzelner Strategen durch die Berücksichtigung weiterer Konflikte desselben Jahres ausbalanciert worden wären – wohl kaum jene Symbolkraft entfalten können, die für das Ereignis in den Quellen zu greifen ist (siehe dazu auch die entsprechenden Überlegungen im dritten Kapitel).129 Zweitens lässt sich dem Bericht Plutarchs entnehmen, dass Perikles vor dem Hin tergrund seines militärischen Erfolges und mit dem entsprechenden symbolischen Kapital, das er im Rahmen der Gefallenenbestattung zu nutzen wusste, auch die Stel lung seines Clans der Alkmaionidai gegenüber der Familie der Philaïden auszubauen suchte.130 Die innenpolitische Konkurrenz ist in Plutarchs Erzählung verknüpft mit einem gegenläufigen Anspruch, die Legitimität des Führungsanspruchs aus der Sieg haftigkeit im Kampf gegen äußere Feinde (wie bei Miltiades und Kimon) oder (wie bei Perikles) gegen Seebundmitglieder abzuleiten.131 Wenn die Anekdote einen wah 127 Dass die Bestattungszeremonie im gesamten Ägäisraum als Inszenierung des athenischen Macht anspruchs verstanden wurde, liegt durch die Rezeption bei Stesimbrotos von Thasos und Ion von Chios nahe. 128 Gomme 1945, 356 und 390. 129 Gegen eine Beisetzung der gefallenen Athener erst Ende des Jahres spricht auch, dass die lite rarische Tradition die athenische Gefallenenbestattung mit der Hinrichtung von aufständischen Samiern kontrastiert (Plut. Per. 28.1–3, mit Rekurs auf Duris von Samos). Auch von Gefallenen anderer Konflikte ist nirgends die Rede, obgleich Athen parallel zum Konflikt mit Samos noch eine militärische Auseinandersetzung mit Byzantion ausgefochten hat, über die zwar nicht viel bekannt ist, deren finanzielle Kosten sich aber immerhin auf etwa 10 % der Aufwendungen für den Samischen Krieg belaufen und die sicherlich ebenfalls eine gewisse Zahl an athenischen Bürgern das Leben gekostet hat: Thuk. 1.117; Gomme 1945, 357. Die Kosten gehen aus IG I3 363 hervor. 130 Bei Plutarch kommt Elpinike – als Tochter des Miltiades und Halbschwester Kimons repräsentiert sie die Familie der Philaïden – die Rolle einer Gegenspielerin des Perikles zu; siehe Carawan 1989, 150–152 und Bosworth 2000, 3 (skeptisch ist allerdings Tsakmakis 1995, 135 f.); vgl. auch Plut. Kim. 14.5 mit Zaccarini 2017, 174 f. 131 Kagan 1969, 177 weist darauf hin, dass wir es hier mit einer Zuspitzung zu tun haben. Das perikles kritische Narrativ wird bei Plutarch noch verstärkt durch die von Ion von Chios übernommene Anekdote, Perikles habe in der raschen Niederwerfung von Samos einen Beweis seiner Überle genheit über Agamemnon gesehen. Testimonia und Fragmente zu Ion von Chios: FGrH/BNJ 392 sowie Blumenthal 1939 und Leurini 1992; zu seiner Biografie siehe West 1985; zu Plutarchs Ver
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ren Kern besitzen sollte, so könnte sich das Konfliktpotenzial zwischen den beiden Familien, auf das hier angespielt wird, daran kristallisiert haben, dass sich Perikles 439 nun seinerseits – analog zu Kimon, gegen den er nach dessen Erfolg am Eurymedon agitiert zu haben scheint (zweites Kapitel) – allzu energisch darum bemühte, ausge rechnet aus einem Gefallenenbegräbnis politisches Kapital zu schlagen. Drittens hat Plutarch im Werk des frühhellenistischen Historikers Duris von Sa mos einen Bericht über Gewaltexzesse nach der Rückeroberung von Samos durch die Athener vorgefunden:132 So habe Perikles die samischen Trierarchen und Marinesol daten grausam foltern und hinrichten lassen und ihnen schließlich sogar eine reguläre Bestattung verwehrt.133 Das athenkritische Narrativ kontrastiert die Misshandlung der Samier unmittelbar mit der athenischen Gefallenenbestattung – eine effektvolle Eng führung, die Plutarch durchaus im Werk des Duris vorgefunden haben könnte und deren delegitimatorisches Potenzial möglicherweise auf anti-athenische Diskurse aus der Zeit des Samischen Krieges selbst zurückgeht.134 In Plutarchs Bericht zeigt sich also, dass die Erinnerung an die Samische Rede mit Traditionssträngen verbunden war, in denen nicht so sehr der Abfall des Seebundmit glieds Samos als vielmehr die militärische Reaktion Athens – und nicht zuletzt auch die Art, wie der Erfolg gefeiert wurde – problematisch erscheint. Die wesentlichen Elemente der entsprechenden Erzählungen, wie sie offenbar schon in den Werken von Ion von Chios und Stesimbrotos von Thasos enthalten waren (beide sind in den spä ten 420er Jahren gestorben),135 werden bereits etabliert gewesen sein, als Herodot die Arbeit an den Historien abschloss – die Samische Rede selbst lag damals immerhin schon etwa zehn bis fünfzehn Jahre zurück. Damit erscheint denkbar, dass Herodot mit der Wendung vom Jahr ohne Frühling eine prägnante Metapher nicht bloß wegen ihres literarischen Reizes übernommen hat: Die Art und Weise, wie Herodot das Bild für eine Auseinandersetzung mit der Samischen Rede nutzt, deutet vielmehr darauf hin, dass es ihm nicht zuletzt auch um wendung der Epidēmíai: Stadter 1989, lxi–lxii. Eine umfassende Bibliografie zu Ion bietet Katsaros 2009. 132 Das Werk des Duris (in zwei oder mehr Büchern; vgl. FGrH/BNJ 76 F 22 und 23) umspannte die Zeit vom siebten bis zum ausgehenden fünften Jahrhundert und konzentrierte sich offenbar auf den Samischen Krieg und auf den Peloponnesischen Krieg (hierzu Kebric 1977, 79). Mehr geht aus den 17 Fragmenten, die sich der „Samischen Chronik“ sicher zuschreiben lassen, über den Aufbau des Werkes nicht hervor. Die erhaltenen Fragmente: FGrH/BNJ 76 F 22–26, 60–71; siehe dazu auch Kebric 1977, 79–80 und Landucci Gattinoni 1997, 205–258. Zur Biografie des Duris siehe grundlegend Dalby 1991, 539–541; zum literarischen Umfeld: Knoepfler 2016 und Cozzoli 2016 (je weils mit weiteren Literaturverweisen); grundsätzlich zu Duris siehe auch Barron 1962; Pownall 2009; Pownall 2013 und die Beiträge in Naas/Simon 2016. 133 Plut. Per. 28.1–3. 134 Zur Glaubwürdigkeit von Duris: „Douris may have exaggerated, but the substance of the story rings true“ (Meiggs 1972, 192). 135 Die erhaltenen Fragmente des Stesimbrotos von Thasos: FgrH/BNJ 107; zur Biografie: Dmitriev 2012.
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eine kritische Reflexion der athenischen Archē ging. Auffällig ist jedenfalls, dass bei Herodot die von den Athenern gegenüber Gelon und gegenüber den Tegeaten ange führten Verdienste zum Großteil Errungenschaften reflektieren, die Athen in Ausein andersetzungen zu verzeichnen hatte, die sich gegen andere Griechen und nicht etwa in gemeingriechischem Interesse gegen nichtgriechische Gegner richteten. Dass der Wahl der Beispiele durchaus eine bedeutungstragende Funktion zugekommen sein kann, zeigt der Vergleich mit dem isokratischen Panegyrikos, dessen Tatenkatalog (§§ 21–99) auf einer ganz anderen Auswahl an historischen Referenzpunkten basiert: Dort werden vorrangig die integrativen Errungenschaften der Athener im Dienste aller Griechen als Exempla angeführt (siebtes Kapitel). Diese Erkenntnisse beeinflussen auch unser Verständnis des gorgianischen Epitaphios. Denn wenn sich Gorgias in seiner Auseinandersetzung mit dem Genre der athe nischen Gefallenenreden vom literarischen Umfeld seiner Zeit inspirieren ließ, darf durchaus davon ausgegangen werden, dass in seinen Epitaphios auch Reflexe der hier skizzierten Wirkung eingeflossen sind, die das athenische Gefallenenbegräbnis der 430 er und 420er Jahre – und nicht zuletzt die Erinnerung an die Samische Rede – auf das Feld des Literarischen ausgeübt hat. Genre und Adressaten des gorgianischen Epitaphios Mit Blick auf Gorgias’ Epitaphios wäre noch zu klären, zu welchem Genre die Schrift zählt und wen wir uns als Rezipienten vorzustellen haben. Ein Teil der Forschung liest Gorgias’ Epitaphios als Manuskript einer öffentlichen Gefallenenrede, die von Gor gias selbst im Rahmen einer athenischen Gefallenenbestattung vorgetragen worden sei.136 Zur Untermauerung dieser Ansicht kann auf Philostratos verwiesen werden, der berichtet, Gorgias habe in Athen eine Gefallenenrede gehalten.137 Nun verfügte Gor gias allerdings nicht über das athenische Bürgerrecht, dem in der athenischen Gefal lenenbestattung eine erhebliche Bedeutung zukam. Philostratos lag also sicher falsch, Gorgias kann den Epitaphios nicht selbst im Rahmen einer öffentlichen Bestattungsze remonie für gefallene Athener gehalten haben.138 Es ist auch kaum denkbar, dass er die Schrift im Auftrag eines Atheners für die öffentliche Präsentation in diesem Rahmen 136 Beispielsweise Aly 1929, 84 Anm. 91: „Weshalb soll nicht das souveräne Volk einmal diesen Mann mit dem Lobe der Gefallenen beauftragt haben?“; Untersteiner 2. Aufl. 1961, 78: „un discorso effet tivamente tenuto“; siehe auch Buchheim 1989 (2. Aufl. 2012), 190 Anm. 2 und Prinz 1997, 29 sowie 193 Anm. 217. Regelmäßig wird zur Untermauerung auf den Umstand verwiesen, dass in Thuk. 2.34.6 und Plat. Men. 234 b die Wahl eines Nichtbürgers nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. 137 Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 A 1: ὁ δὲ Ἐπιτάφιος, ὃν διη˜ λθεν Ἀθήνησιν, εἴρηται μὲν ἐπὶ τοι˜ς ἐκ τω˜ ν πολέμων πεσου˜ σι οὓς Ἀθηναι˜οι δημοσίᾳ ξὺν ἐπαίνοις ἔθαψαν, … 138 Das sieht so auch schon Blass 2. Aufl. 1887, Bd. 1, 59 f. Siehe hierzu auch die entsprechenden Hin weise in der Einleitung.
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verfasst hat: Der athenische Dēmos hat sicherlich keinen Redner gewählt, der sich eine Rede hätte schreiben lassen müssen – Thukydides jedenfalls berichtet (und das ist durchaus plausibel), als Redner sei stets eine hochangesehene Persönlichkeit gewählt worden, die über Urteilskraft (γνώμη) und Ansehen (δόξα) verfügte.139 Wir müssen also davon ausgehen, dass der Epitaphios gar nicht im Rahmen des athenischen Gefal lenenbegräbnisses situiert und von seinem Autor auch nicht für eine solche Konstella tion konzipiert war – zumal gewisse Aspekte des Textes ja auch eindeutig im Konflikt stehen mit den Anforderungen an das mündliche Genre: Gorgias könnte den Epitaphios in einem anderen Rahmen selbst öffentlich vorgetragen haben, der Text war aber offenkundig nicht zuletzt auch für die Publikation als eigenständige Schrift konzipiert und damit auf eine literarische Rezeption hin ausgelegt. Die Rezeptionskontexte und die Wirkung, die wir für den gorgianischen Epitaphios annehmen müssen, unterscheiden sich damit signifikant von denen der Reden, die im Rahmen der athenischen Gefallenenbestattung gehalten wurden. Die eigentlichen Gefallenenreden waren an die breite Masse der versammelten Festgemeinde gerich tet – an athenische Bürger aus allen gesellschaftlichen Schichten also, sekundär auch an athenische Frauen und Kinder, sogar an Metöken, Nichtathener und Sklaven, die mit welcher Motivation auch immer von nah und fern im Kerameikos zusammenge strömt waren, um der feierlichen Beisetzung der Gefallenen beizuwohnen. Der Rede konnte die bunte Menge an Beobachtern im Vollzug der oralen Präsentation unter den widrigen Bedingungen einer unverstärkten Akustik unter freiem Himmel folgen; spä ter konnte man sich mit anderen über das Gehörte austauschen – nachlesen konnte man die Reden aber ganz offenbar nicht (siehe hierzu auch die entsprechenden Über legungen in der Einleitung). Als künstlerisches Produkt eines intellektuellen Rhetors und Literaturschaffenden ist der gorgianische Epitaphios auf eine gänzlich andersartige Rezeptionssituation zu geschnitten. Sofern nicht davon ausgegangen wird, dass Gorgias selbst eine eigentliche Gefallenenrede gehalten oder eine solche für einen athenischen Redner verfasst hat, nimmt die Forschung in der Regel an, mit dem Epitaphios habe Gorgias eine „Mus terrede“ verfasst, die seinem Schülerkreis Einblicke in die Kompositionstechnik und Stilistik einer eigentlichen athenischen Gefallenengrabrede bieten sollte.140 Diese Deu tung, die in der Forschung weit verbreitet ist,141 lässt sich bis zu Dionysios zurückver folgen, der mit Blick auf die Gattung der Dēmēgorikoi Logoi die Möglichkeit ins Spiel bringt, dass es sich bei Gorgias’ schriftlichen „Reden“ um Modellreden gehandelt ha
139 Thuk. 2.34.6; siehe hierzu auch die entsprechenden Ausführungen in der Einleitung. 140 Vgl. Spatharas 2001, 272; siehe auch Herrman 2004, 23: „The speech was probably written as a de monstration speech for [Gorgias’] students, as an example of what a funeral oration should look like“ sowie S. 27: „This funeral oration should be regarded as a similar product to the speech of Gorgias, designed as a model for use in a school setting“. 141 Exemplarisch Spatharas 2001, 272: „all the characteristics of a model-speech“.
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be.142 Auch diese Deutung würde allerdings voraussetzen, dass der fragliche Text mus tergültig verfasst war, was aber für den Epitaphios, wie gezeigt, nicht zutrifft. Es lässt sich eine plausiblere Deutung gewinnen. Der Text bedient sich zwar bei den Gattungskonventionen der athenischen Grabrede, weicht an entscheidenden Punk ten aber auch intentional vom Modell der mündlichen Rede ab. Erst diese Devian zen haben es Gorgias ermöglicht, das Genre der athenischen Gefallenenreden einer doppelten Rekonfiguration zu unterziehen: Gorgias konnte in seine „Gefallenenrede“ eine politische Botschaft einarbeiten, die in bestimmten Aspekten von den Ideologe men der athenischen Gefallenenbestattung abweicht, und er konnte rhetorische Fi nessen in den Text einweben, die auf ein ganz eigenes, von der Gefallenenbestattung unabhängiges Ziel hin ausgelegt waren. Beide Aspekte lassen sich nur als Teil eines Diskurses unter Mitgliedern einer intellektuellen Elite verstehen, die ein Interesse an Rhetorik ebenso verbindet wie die Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit der athenischen Machtpolitik.143 Die Adressaten der schriftlichen Fassung des gorgi anischen Epitaphios müssen also primär in Kreisen der griechischen intellektuellen Elite verortet werden, die in einer gewissen (nicht notwendigerweise affirmativen) Beziehung zu Athen standen. Der gorgianische Epitaphios ist also keine Gefallenenrede im eigentlichen Sinne, und er ist primär mit Blick auf eine literarische Rezeption konzipiert. Zugleich ist keines wegs ausgeschlossen, dass Gorgias seinen Epitaphios auch öffentlich vorgetragen hat. Als Auditorium wäre dabei ebenfalls an eine eher überschaubare und vergleichsweise homogene Gruppe an Zuhörern zu denken, die weitgehend der typischen Hörerschaft des Gorgias entsprochen haben wird: Schüler, Weggefährten, sonstige intellektuelle Gesprächspartner und weitere Interessierte.144 Schon im Zuge der oralen Präsentation müssen die Zuhörer zu einer mehrdimensionalen Übertragungsleistung in der Lage gewesen sein: So dürfen wir wohl davon ausgehen, dass die Hörer mit den Gattungs konventionen der Gefallenenrede vertraut waren, dass sie also in der Lage waren, die Eigenheiten des gorgianischen Epitaphios in ihrem Verhältnis zu den Spezifika einer „Rhetorik des Kerameikos“ zu bewerten – konkret würde das etwa bedeuten, dass das Auditorium Übereinstimmungen mit dem Patrios Nomos bzw. Devianzen vom Er wartbaren zu erkennen und zu deuten wusste: Indem sich das kunstvolle rhetorische Erzeugnis des Gorgias gängiger Topoi bediente, die üblicherweise (wenn wir der Ar gumentation Canforas folgen wollen, siehe Einleitung) in der rhetorisch wesentlich 142 Planud. Hermog. Peri Ideō n 548.9 mit Anm. 2 ed. Walz = DK 82 B 6: δικανικοι˜ς μὲν ου῏ ν οὐ περιέτυχον αὐτου˜ λόγοις, δημηγορικοι˜ς δὲ ὀλίγοις καί τισι καὶ τέχναις, … 143 Die Kombination dieser beiden Aspekte zeichnet den gorgianischen Epitaphios in besonderer Weise als literarische Komposition aus. Den Charakter der Schrift auf das Rhetorische, das von Gorgias adressierte Publikum auf den Kreis seiner Schüler und seine Motivation als Autor auf das Streben nach Ruhm und Einnahmen zu reduzieren, greift also zu kurz. Einen umfassenden for schungsgeschichtlichen Überblick über die „riabilitazione di Gorgia“ bietet Giombini 2012, 21–45. 144 Grundlegend zum Publikum der Sophisten: Kerferd 1981; Buchheim 1986.
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einfacher gestrickten Gefallenenrede beheimatet waren, wurde die gorgianische Fas sung überhaupt erst inhaltlich als „Gefallenenrede“ erkennbar; die Auswahl und die konkrete rhetorische Umsetzung der Topik kann aber auch durchaus bedeutungsvolle Abweichungen von den etablierten Mustern der athenischen Gefallenenrede markie ren, deren Deutung indes der Zuhörerschaft überlassen blieb. Den Rezipienten der Schriftfassung wurde schließlich noch eine weitere Übertra gungsleistung abverlangt, nämlich das Schriftliche (des gorgianischen Epitaphios) auf das Mündliche (der oralen Gattung) zurückzubeziehen und beides in ein intellektuell fruchtbares Spannungsverhältnis zu setzen: Immerhin wurde erst durch die Schrift fassung möglich, den Text endgültig von bestimmten Kontexten der oralen Präsen tation zu lösen und damit in gewisser Weise das panhellenische intellektuelle Milieu insgesamt zu adressieren (auch wenn das Genre – über seinen konstitutiven Bezug zum athenischen Gefallenenbegräbnis – selbst in der Schriftfassung freilich weiterhin auf die Polis Athen bezogen blieb). Nicht unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass Gorgias seinen Rezipienten mit der Publikation des Epitaphios überhaupt erst die Möglichkeit gab, den Text im Detail zu studieren: mit der Verschriftlichung einer Grabrede unterwarf er sich selbst dem Zwang, das Resultat seiner Auseinanderset zung mit der oralen Gattung in einer Weise rhetorisch zu überformen, wie dies für die mündlich vor einem heterogenen Publikum im Begräbniszeremoniell präsentierten Gefallenenreden selbst nie nötig gewesen zu sein scheint.145 Die Metapher von den Geiern als beseelten Gräbern wird damit für die intellektuel len Rezipienten des gorgianischen Epitaphios auch tatsächlich als gezielte Abweichung von der Topik der echten Gefallenenreden erkannt worden sein. Wir dürfen dem gor gianischen Publikum jedenfalls die Fähigkeit unterstellen, in seiner Interpretation des Gehörten bzw. Gelesenen einen Bezug nicht nur zu den Gattungskonventionen der Gefallenenrede, sondern auch zum zeremoniellen Kontext der athenischen Gefal lenenbestattung herzustellen. Das Auditorium des Gorgias wird also auch den Um stand in Rechnung zu stellen gewusst haben, dass sich hier ein Fremder eines genuin athenischen Genres bemächtigte, das konventionell auf ein Argumentationsziel hin ausgerichtet war, das sich Gorgias als Nichtathener schlechterdings zu eigen machen konnte: nämlich auf die bedingungslose ideelle Überhöhung der Kultur, Geschichte und Politik Athens. *** Gorgias von Leontinoi hat möglicherweise die literarische Gattung klassischer Epita phioi Logoi entwickelt. Seinen Epitaphios schrieb er in einer Zeit (höchstwahrschein
145 Zur Frage, wie Schriftlichkeit den intellektuellen Diskurs beeinflusst, siehe etwa Usener 1994; Too 1998; Usener 2003; Pratt 2006.
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lich in den späten 420er Jahren), für die sich eine zunehmende Bereitschaft der litera rischen Elite ausmachen lässt, die menschlichen Opfer des athenischen Strebens nach Suprematie in der griechischen Welt kritisch zu reflektieren. Die formale Gestalt, die er seinem literarischen Diskursbeitrag gab, war möglicherweise erstmals die eines ei genständigen literarischen Epitaphios Logos. Vor allem aber verlieh Gorgias der neu entwickelten literarischen Gattung einen doppelten Twist, der sich nachhaltig auf alle späteren Epitaphioi Logoi ausgewirkt hat: Denn Gorgias hat unter Beweis gestellt, dass die „Gefallenenrede“ in ihrer sekundären (d. h. schriftlichen) Erscheinungsform zu einer elaborierten literarischen Komposition werden konnte; und er hat gezeigt, dass es auf diese Weise möglich war, Elemente eines kritischen Diskurses in die an sonsten hermetische Ideologie der athenischen Gefallenenreden einzuschleusen. Bei Thukydides – in der Gefallenenrede des Perikles – wird das literarische Erbe des gor gianischen Epitaphios dann quasi im dreifachen Hegel’schen Sinne „aufgehoben“: Es wird bewahrt, überhöht und überwunden. In den folgenden Kapiteln soll vor diesem Hintergrund nun herausgearbeitet werden, wie sich die Gattung nach Gorgias und Thukydides weiterentwickelt hat.
Sechstes Kapitel Archinos und Lysias Sterben für den Frieden? Der lysianische Epitaphios (= log. 2) wird meist als ideal und damit konventionell kon zipierter Epitaphios Logos angesehen, als Muster einer athenischen Gefallenenrede. In der Tat ist der Text in weiten Teilen mustergültig gestaltet. Die Deutung als rheto risches Schaustück greift dennoch zu kurz: Die Schrift lässt eine besondere Aussage absicht ihres Autors erkennen und nahm unmittelbar Bezug auf die gesellschaftlichen Problemlagen ihrer Zeit. Die weitgehend idealtypische Konzeption des Textes stellt dabei eine wichtige Voraussetzung dafür dar, dass der Text seine politische Schlag kraft entfalten konnte. Um dies zu sehen, muss die Schrift zunächst in ihrer formalen und inhaltlichen Gestaltung untersucht werden. Auf der Grundlage eines genauen Verständnisses von Struktur und Inhalt des Textes kann dann eine Bewertung auch der politischen Intention erfolgen. Dabei zeigt sich, dass der lysianische Epitaphios in enger Beziehung zu einem bislang kaum berücksichtigten Epitaphios des Archinos steht. Archinos hat offenbar in der Frühphase des Korinthischen Krieges zunächst eine tatsächliche Gefallenenrede im Rahmen der öffentlichen Gefallenenbestattung gehal ten und auch eine (allerdings nur fragmentarisch erhaltene) literarische Fassung seiner Rede veröffentlicht. Beide literarischen Epitaphioi Logoi – aus der Feder des Archi nos und des Lysias – sind in der zweiten Hälfte der 390er Jahre entstanden, als sich erstmals nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg für Athen wieder konkrete machtpolitische Perspektiven ergaben. Wie das vorliegende Kapitel zeigt, haben beide Autoren das Genre genutzt, um sich in dieser spannungsreichen Situation (auf je eige ne, aber doch aufeinander bezogene Weise) in den Diskurs über die außenpolitischen Ambitionen Athens einzuschalten und die Opferbereitschaft der Athener und ihrer Verbündeten zu thematisieren.
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Ein Bürgerkrieg für die Demokratie Der lysianische Epitaphios ist – mit 81 Abschnitten bei insgesamt über 4 000 Wörtern – der umfangreichste Epitaphios Logos, der sich aus der klassischen Antike erhalten hat.1 Der Text ist etwa doppelt so lang wie die thukydideische Gefallenenrede des Perikles oder der Epitaphios des Hypereides.2 Der Text ist als eigenständige Schrift konzipiert und in Gänze erhalten. Archinos und Lysias scheinen die ersten Autoren gewesen zu sein, die sich nach Thukydides wieder in literarischer Form mit der Gefallenenrede befasst haben. Mit den literarischen Vorläufern seines eigenen Epitaphios hat sich Ly sias erkennbar auseinandergesetzt, auch wenn der Text in entscheidenden Punkten inhaltlich ganz eigene Wege geht. Nach einem knappen Proöm zu Beginn des Textes (§§ 1–2) weist der lysianische Epitaphios eine umfangreiche Narratio (§§ 3–76) auf, die sich grob in vier Teile glie dern lässt: Der erste Teil (§§ 3–16) ist der mythischen Frühgeschichte Athens ge widmet; hier werden die ruhmreiche Abwehr der Amazonen und ihrer Verbünde ten gefeiert, die Rolle Athens im Kampf der Sieben gegen Theben gepriesen und die Standhaftigkeit der Athener in der Auseinandersetzung mit Eurystheus gelobt. Der zweite Teil der Narratio (§§ 17–57) kreist im Wesentlichen um die Verdienste Athens im Abwehrkampf gegen die Perser, gelobt werden in diesem Zusammenhang aber auch die Autochthonie der athenischen Bürgergemeinschaft, der erfolgreiche Einsatz für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit sowie Athens Rolle im Seebund. Darauf folgt dann in einem dritten Teil (§§ 58–66) eine Gesamtwürdigung des verdienstvol len Einsatzes Athens für die Belange von Hellas insgesamt; im Zuge dieser Würdigung schafft Lysias eine gedankliche Brücke, die von Athens Rolle im Seebund über die Nie derlage Athens in der Schlacht von Aigospotamoi in die Nachkriegszeit hineinführt: Es handelt sich um die konzeptionell anspruchsvollste Passage des Epitaphios, denn Lysias bemüht sich hier, nicht nur die Erfolgsgeschichte Athens, sondern auch den desaströsen Ausgang des Peloponnesischen Krieges als Bezugspunkt einer Legitimie rung des Hegemonialanspruchs Athens zu etablieren. Dabei werden die Verteidiger der Demokratie gewürdigt, die das Regime der Dreißig gestürzt haben, dann geht Ly sias auf die Bedeutung der Amnestie ein, mit der eine Reintegration des zerrütteten Gemeinwesens möglich wurde, und lobt – wohl durchaus mit Blick auf seine eigenen biografischen Hintergründe – auch die mit den Demokraten verbündeten auswärtigen Unterstützer, die ihr Leben im Dienste Athens gelassen hatten. Von dort aus geht Lysi as zur Würdigung von im Korinthischen Krieg gefallenen Athenern und zu einer Klage über den Verlust dieser Männer über (§§ 67–76). Den Abschluss des Epitaphios bildet 1 2
Die für die Arbeit an diesem Kapitel konsultierten Textausgaben, Übersetzungen und Deutungen zum lysianischen Epitaphios werden im Anhang unter der Rubrik „Literarische Hauptquellen“ an geführt. Zu den Textlängen der Epitaphioi Logoi siehe die entsprechenden Angaben im fünften Kapitel.
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eine Peroratio (§§ 77–81), die der Ermahnung an die Hinterbliebenen und die Bürger gemeinschaft insgesamt gewidmet ist, die Toten in Ehren zu halten, ihre Verdienste zu würdigen und ihre Tugendhaftigkeit als Maßstab zu werten. Der Text weist eine ganze Reihe an Charakteristika auf, die ihn als echte Gefalle nenrede erscheinen lassen: (a) Ganz allgemein orientiert sich der Text mit Blick auf Genus, Aufbau und Topik, soweit sich dies sagen lässt, hinreichend glaubwürdig an den Genrekonventionen der athenischen Gefallenenreden: Der Text ist unter Ein satz entsprechender Authentifizierungsstrategien als epideiktische Rede eines litera rischen Ich komponiert, die sich auf die Gefallenen eines bestimmten militärischen Konflikts bezieht. (b) Das literarische Ich nimmt dabei überzeugend die Rolle des Redners einer athenischen Gefallenenrede ein: Es verweist darauf, dass er nach der Wahl des Redners durch die Polis für die Abfassung der Rede nur wenige Tage Zeit gehabt habe,3 und spricht wiederholt von „unseren“ Vorfahren (§§ 6, 17, 23, 32), prä sentiert sich damit also als athenischer Bürger. (c) Das imaginierte Publikum der Rede wird vom literarischen Ich mehrmals direkt angesprochen: Bereits in § 1 wird das Au ditorium mit der Wendung „ihr an diesem Grab hier Anwesenden“ (ω῏ παρόντες ἐπὶ τῳ˜ δε τῳ˜ τάφῳ) direkt adressiert, vergleichbar konzipierte Wendungen durchziehen den gesamten Text. (d) Das literarische Ich thematisiert zudem auf authentische Wei se die situativen Rahmenbedingungen des imaginierten Gefallenenbegräbnisses und der Rede: Der Topos, die Zeit habe nicht ausgereicht, eine angemessene Gedenkan sprache zu konzipieren, wurde bereits genannt, zudem begibt sich das literarische Ich in eine fiktive Konkurrenz mit den älteren Rednern und drückt die Hoffnung aus, den Anspruch des Genres nicht zu verfehlen (§ 2). (e) Der Text verortet sich über eine Rei he an Bezügen zum zeitgenössischen Ereignishorizont auf plausible Weise in einem spezifischen historischen Setting: Der Epitaphios ist literarisch im Rahmen eines öf fentlichen Gefallenenbegräbnisses situiert, dessen Kontext in §§ 67 f. geschildert wird. Zwar bleibt der Bezug zu der militärischen Kampagne, in der die Kämpfer, auf die sich die Gefallenenrede bezieht, ums Leben kamen, ähnlich vage wie in der Gefallenenrede des thukydideischen Perikles, dennoch bezieht sich auch der lysianische Epitaphios, soweit erkennbar, auf eine konkrete historische Situation. (f) Das literarische Ich nimmt schließlich auch unter Einsatz entsprechender Lokaladverbien (insbesondere ἐνθάδε = hier/dort) mehrmals Bezug zu konkreten topografischen Referenzpunkten. Hierin ist zum einen ein weiterer Aspekt der Authentifizierungsstrategien zu sehen, die den Text als echte Gefallenenrede erscheinen lassen, zum anderen wird damit eine Serie an Referenzen zu spezifischen Monumenten (Grab- und Siegesmonumente) ge setzt, die innerhalb des Texts als Bedeutungsträger fungieren und daher noch näher in den Blick zu nehmen sind. 3
Lys. 2.1: ἐμεμψάμην ἂν τοι˜ς ἐπαγγείλασιν ἐπ’ αὐτοι˜ς ἐξ ὀλίγων ἡμερω˜ ν λέγειν. … διὰ του˜ το καὶ ἡ πόλις μοι δοκει˜, προνοουμένη τω˜ ν ἐνθάδε λεγόντων, ἐξ ὀλίγου τὴν πρόσταξιν ποιει˜σθαι, ἡγουμένη οὕτως ἂν μάλιστα συγγνώμης αὐτοὺς παρὰ τω˜ ν ἀκουσάντων τυγχάνειν.
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Abgesehen von seinem idealtypischen Aufbau und den genannten rhetorischen Charakteristika konnte sich der Eindruck einer mustergültigen Gefallenenrede auch durch die auffällig affirmative Bewertung der athenischen Archē festigen. Die Nie derlage Athens im Peloponnesischen Krieg deutet Lysias nicht nur als Unglück – als δυστυχία – für diejenigen, die die Niederlage erlitten hatten, sondern als größtes Un glück auch für die übrigen Griechen, da nämlich bald allen klargeworden sei, dass das Wohlergehen von Hellas insgesamt ganz unmittelbar von der Stärke Athens abhänge (§ 58). Für Lysias ist dies der Fall, weil durch das Ende der athenischen Hegemonie ein Machtvakuum entstanden sei, in das nun erstmals seit 70 Jahren die Perser wie der effektiv vorstoßen konnten (§§ 58 f.): Denn nach der verlustreichen Schlacht bei Aigospotamoi, die den Niedergang der athenischen Thalassokratie besiegelte – und die im lysianischen Epitaphios „nicht nur für uns, die wir unmittelbar davon betroffen waren, sondern auch für die übrigen Griechen ein großes Unglück bedeutete“ –, zeigte sich, „dass die Rettung von Hellas auf der Macht unserer Polis beruhte“: Denn als an dere die Hegemonie übernahmen, seien die Griechen von den Persern und damit von einer Macht geschlagen worden, die sich zuvor nie aufs Meer gewagt habe. Nun aber seien sie nach Europa gesegelt, um griechische Städte zu versklaven und Tyrannen zu installieren.4 Lysias deutet die Niederlage Athens aber nicht nur als katastrophale Entwicklung für die gesamte griechische Poliswelt. Er sieht darin auch Auswirkungen auf die sym bolische Bedeutung des athenischen Gefallenenbegräbnisses: Denn – so nun die ent sprechende Bewertung des Lysias – so sei es damals für Hellas (und damit ausdrück lich nicht nur für die Athener) angebracht gewesen, „an diesem Grab“ die Gefallenen zu beklagen, da gemeinsam mit deren Tapferkeit auch die Freiheit der Griechen zu Grabe getragen worden sei.5 Lysias sieht in der Bestattung der athenischen Gefallenen einen Grund zur exzessi ven Trauer – die Formulierung bei Lysias steht in einer gewissen Analogie zur Aussage im Epitaphios des Gorgias, für Siege über Griechen seien Klagelieder zu singen, nicht Hymnen. In beiden Fällen – bei Lysias wie bei Gorgias – werden die Körper der Ge fallenen zum Referenzpunkt einer Klage über die politischen Umstände, denen die be statteten (oder bei Gorgias auch: die unbestatteten) Athener zum Opfer gefallen sind. Beide Autoren konstruieren daraus gleichermaßen ein Fanal zur politischen Einigung aller Griechen und zum gemeinsamen Abwehrkampf gegen die Perser. Doch ein sig 4
5
Lys. 2.58 f.: ἀπολομένων γὰρ τω˜ ν νεω˜ ν ἐν Ἑλλησπόντῳ εἴτε ἡγεμόνος κακίᾳ εἴτε θεω˜ ν διανοίᾳ, καὶ συμφορα˜ ς ἐκείνης μεγίστης γενομένης καὶ ἡμι˜ν τοι˜ς δυστυχήσασι καὶ τοι˜ς ἄλλοις Ἕλλησιν, ἐδήλωσεν οὐ πολλῳ˜ χρόνῳ ὕστερον ὅτι ἡ τη˜ ς πόλεως δύναμις τη˜ ς Ἑλλάδος ἦν σωτηρία. [59] ἑτέρων γὰρ ἡγεμόνων γενομένων ἐνίκησαν μὲν ναυμαχου˜ ντες τοὺς Ἕλληνας οἱ πρότερον εἰς τὴν θάλατταν οὐκ ἐμβαίνοντες, ἔπλευσαν δ’ εἰς τὴν Εὐρώπην, δουλεύουσι δὲ πόλεις τω˜ ν Ἑλλήνων, τύραννοι δ’ ἐγκαθεστα˜ σιν … Lys. 2.60: ὥστ’ ἄξιον ἦν ἐπὶ τῳ˜ δε τῳ˜ τάφῳ τότε κείρασθαι τῃ˜ Ἑλλάδι καὶ πενθη˜ σαι τοὺς ἐνθάδε κειμένους, ὡς συγκαταθαπτομένης τη˜ ς αὑτω˜ ν ἐλευθερίας τῃ˜ τούτων ἀρετῃ˜ .
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nifikanter Unterschied besteht: Gorgias versteht die innergriechischen Bruderkämpfe und die aus ihnen resultierende Schwäche gegenüber den Persern als Konsequenz der athenischen Machtpolitik und lässt folglich auch kein Interesse an einer besonderen Machtfülle Athens erkennen.6 Lysias versteht die innergriechischen Konflikte und das Wiedererstarken der Perser dagegen als Konsequenz der Schwächung der athenischen Machtstellung – und plädiert so folgerichtig für eine Rückkehr zu einer auf einer gefes tigten Demokratie basierenden athenischen Hegemonialstellung innerhalb der grie chischen Poliswelt. Mit Blick auf die Beschaffenheit und die Tendenz der Schrift tut sich die Forschung bis heute erkennbar schwer, den lysianischen Epitaphios einer überzeugenden Deu tung zuzuführen: Weshalb ausgerechnet eine Gefallenenrede, die so unbedingt die athenische Hegemonie preist, von einem Nichtathener verfasst wurde, möchte nicht so recht einleuchten. Im Angesicht dieses vermeintlichen Paradoxons bestand die ers te Reflexhandlung der neuzeitlichen Forschung darin, den Epitaphios für „unecht“ zu erklären. Großen Einfluss hatte die Deutung von Friedrich Blass, der in diesem Sinne von einer fingierten Rede sophistischer Herkunft ausging7 – eine Deutung, die eine vermeintliche Bestätigung in stilistischen Unterschieden zu den übrigen lysianischen Schriften fand.8 Allerdings wurde die Autorschaft des Lysias in der Antike nie ange zweifelt; zudem beziehen sich Platons Menexenos und die Rhetorik des Aristoteles auf den lysianischen Epitaphios,9 während die sprachlichen Differenzen auch auf die unterschiedlichen Gattungscharakteristika epideiktischer und forensischer Schriften zurückgeführt werden können.10 So ging man dann doch dazu über, Lysias als Autor anzuerkennen, womit sich im Wesentlichen die drei folgenden Deutungsoptionen er gaben, innerhalb derer sich bis heute die Forschung bewegt: Der Epitaphios wurde als Gefallenenrede angesehen, die Lysias selbst gehalten habe (wie er dazu als Metöke in der Lage gewesen sein könnte, wurde unter Verweis auf seinen Status als Isoteles 6 7 8 9 10
Siehe die entsprechenden Ausführungen im fünften Kapitel. Blass 2. Aufl. 1887, 442 und 447. Siehe etwa Pohlenz 1948. Allerdings war auch die Authentizität des Menexenos nicht über alle Zweifel erhaben, und die Bezü ge ließen sich auch unter der Annahme erklären, der lysianische Epitaphios sei ein späteres Konst rukt gewesen, das sich an den Menexenos (und die Rhetorik) anlehnt; so etwa Grossmann 1908, 36. Dass zwischen epideiktischer und dikanischer Literatur grundsätzlich unterschiedliche Anforde rungen hinsichtlich Form, Inhalt und Stilistik bestehen, hat schon Isokrates vermerkt (mit Blick auf die Differenzen zwischen dikanischer und epideiktischer Rhetorik meinte auch Dover 1968, 70 zu Recht, „argument is different from adornment“). Dennoch konnte bereits Walz 1936 auf Basis stilistischer Untersuchungen zum Ergebnis gelangen, dass der Epitaphios signifikante Über einstimmungen mit den übrigen Schriften des Lysias aufweist. Mit Blick auf die Frage nach der Autorschaft führt Dovers ausführliche komparatistische Analyse auf den Seiten 59–69 allerdings in die Aporie: „given the limitations of the evidence, we can hardly hope to discover by technical criteria whether XII, the Epitaphios and the Olympikos are the work of one, two or three writers“. Zu den Autoren, die sich schon früh für eine Autorschaft des Lysias ausgesprochen haben, zählen Walz 1936; Buchner 1958; Schiassi 1959; Kierdorf 1966; Lesky 3. Aufl. 1971.
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begründet); oder der Text sei von Lysias für einen anderen Redner verfasst worden; oder der lysianische Epitaphios sei nicht als Manuskript einer tatsächlichen Gefalle nenrede verfasst worden, sondern als Musterrede für den rhetorischen Unterricht.11 Ein plausibles Verständnis des Textes lässt sich auf Basis keiner dieser Deutungsansät ze gewinnen. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass der Text tatsächlich von Lysias verfasst und in Umlauf gebracht wurde und in diesem Sinne authentisch ist.12 Anhaltspunkte im Text weisen auf eine Entstehung um das Jahr 391 hin.13 Grundsätz lich ausgeschlossen werden kann zugleich, dass der lysianische Epitaphios auf eine tatsächliche Gefallenenrede zurückgeht: Als Nichtbürger hat Lysias keine öffentliche Rede auf die athenischen Kriegsgefallenen gehalten.14 Auch musste sich sicherlich kein Athener, dem der Dēmos die Ehre der öffentlichen Gefallenenrede übertragen hatte, ein Redemanuskript für diesen Anlass verfassen lassen.15 Es bleibt also nur, den Text als literarisches Konstrukt aus der Feder des Lysias zu verstehen – als eine Schrift, die der Logograf für eine literarische Verbreitung und Re zeption konzipiert und die er zugleich mit den Merkmalen einer mündlich präsentier ten Gefallenenrede ausgestattet hat. Die kommunikative Funktion des Textes muss damit in ihrer Beziehung zu einem überschaubaren Kreis intellektueller Leser gesucht werden, sie lässt sich jedenfalls nicht als bloßes Epiphänomen einer oralen Präsen tation im Setting der athenischen Gefallenenbestattung verstehen. Der Epitaphios ist in dieser Hinsicht vergleichbar mit dem lysianischen log. 34 – einer fingierten Rede
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Vgl. Todd 2007, 153: „it is perhaps dangerous to speak of the ‚typical‘ funeral speech, but if any of them deserve this designation, it is arguably those of Lysias – which is one of the things that gives the text its particular interest – and (in a more complex way) of Plato“. Als „rhetorisches Mus ter- oder Übungsstück“ wird der lysianische Epitaphios von Huber 2004/2005, Bd. 1, xxi gesehen. Einschätzungen dieser Art sind in der Forschungsliteratur ubiquitär. Stichhaltige Indizien für die in der älteren Forschung verbreitete Ansicht, der Epitaphios sei gar nicht von Lysias verfasst worden, existieren nicht. Lys. 2.59 erwähnt die Fahrt der griechischen Flotte unter Konon nach Griechenland; 2.63 bezieht sich auf den Aufbau der Langen Mauern, der 391 abgeschlossen war; der Feldzug gegen Korinth scheint zum Abfassungszeitpunkt des Epitaphios noch nicht abgebrochen worden zu sein; zur Fra ge der Datierung siehe auch Walz 1936, 51 f.; Prinz 1997, 234. Der Fall wird mit gutem Grund anders bewertet als bei Gorgias, weil Lysias vom athenischen Bürgerrechtsstandpunkt aus betrachtet nicht lediglich Bürger einer anderen Stadt war, sondern Metöke, der zudem über das Privileg der Isotelie verfügte. Es besteht dennoch kein Grund zur Annahme, dass eine Person ohne volle Bürgerrechte eine athenische Gefallenenrede gehalten hat. Verschiedentlich wird versucht, aus der Angabe bei Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 836 b, Lysias habe Dēmē gorien für athenische Bürger verfasst, abzuleiten, dass er auch eine Grabrede auf die gefallenen Athener verfasst haben könnte. Die Analogie hinkt: In der Bürgerversammlung konnten alle Bür ger auftreten, mithin auch rhetorisch unbegabte. Die Redner für das Gefallenenbegräbnis wur den dagegen nach einem Probuleuma von der Bürgerversammlung per Wahl bestimmt: Nur die angesehensten und rhetorisch begabtesten Mitglieder der athenischen Polisgemeinschaft werden damit als Redner infrage gekommen sein; siehe dazu auch die entsprechenden Überlegungen in der Einleitung sowie zum gorgianischen Epitaphios im fünften Kapitel.
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vor der athenischen Bürgerversammlung, die ebenfalls nie im imaginierten Setting der „Rede“ gehalten wurde.16 Da sich der lysianische Epitaphios nun allerdings unzweifelhaft im genrespezifi schen Gewand einer tatsächlichen Gefallenenrede präsentiert, ist die Frage zu klären, welche Intention Lysias verfolgt hat, als er für die literarische Rezeption eine Schrift konzipierte, die sich den Lesern vordergründig als eine tatsächlich im Rahmen des athenischen Gefallenenbegräbnisses gehaltene Rede darstellen sollte. Denn auffällig ist durchaus, dass Lysias seinen Rezipienten kaum Anhaltspunkte bot, den Epitaphios als fiktive Rede zu lesen – der Text scheint im Gegenteil auf einen möglichst authenti schen Eindruck hin komponiert worden zu sein. Aufschlussreich ist auch hier wieder der Vergleich mit Gorgias, der ganz anders vorgegangen ist: Sein drastisches Bild von den Geiern als lebenden Gräbern wäre in dieser Form in einer echten Gefallenenrede nicht zu erwarten gewesen (fünftes Kapitel).17 Ähnliche rhetorische Strategien einer subtilen (oder auch nicht so subtilen) Dekonstruktion der vordergründigen Ideo logeme sind auch bei Platon und Isokrates auszumachen. Bei Lysias dagegen finden sich solche überdeutlichen Devianzen von der Norm der Gefallenenrede nicht. Der lysianische Epitaphios weist zwar ebenfalls Aspekte auf, die in einer tatsächlichen Ge fallenenrede nicht erwartbar wären, doch geht es Lysias keinesfalls darum, die legiti matorische Stoßrichtung der Gefallenenrede im Dienste einer politischen Kritik zu invertieren – im Gegenteil: Der Epitaphios des Lysias ist eine affirmative Schrift, die unzweifelhaft auf die Legitimation der innen- wie außenpolitischen Ziele Athens hin ausgelegt ist. Zugleich ist der lysianische Epitaphios ein Paradebeispiel für das Phänomen der „Athenian Literary Oratory“: Die Schrift kommt so überzeugend im Gewand einer oralen Rede daher, dass ein nicht zu vernachlässigender Teil der Forschung bis heu te dazu neigt, sie als Text einer authentischen Grabrede zu verstehen. Die Deutung als Musterrede für den rhetorischen Unterricht liegt nahe, führt aber in die Irre. Dass Lysias den rhetorischen Schulbetrieb längst hinter sich gelassen hatte, als er in den spä ten 390er Jahren den Epitaphios schrieb, wäre noch das geringste Problem.18 Die Form 16
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Zur Auffassung, dass dieser Text nie vor der Volksversammlung gehalten wurde, sondern in litera rischer Form zirkulierte, siehe Todd 2000, 338 und Roisman/Worthington 2015 b, 133. Die Ansicht, dass Lysias auch den Epitaphios auf vergleichbare Weise für die literarische Rezeption verfasst hat, wurde bereits u. a. von Frangeskou 1999, 317 und Todd 2007, 157–164 vertreten. Gleiches gilt für die Formulierung im gorgianischen Epitaphios, für einen Sieg über andere Grie chen seien Klagelieder, nicht Hymnen zu singen: Der Einsatz einer gezielt überzogenen Topik, die explizite Problematisierung der athenischen Machtpolitik sowie die außergewöhnliche Stilistik von Gorgias’ Epitaphios werden im fünften Kapitel diskutiert. Lysias hat zwar in der frühen Phase noch selbst unterrichtet, wie Aristoteles überliefert (belegt bei Cic. Brut. 49), später hat er sich aber auf seine Tätigkeit als Autor konzentriert. Auch die für Lysias bezeugte Verfassung rhetorischer Lehrschriften (laut Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 386 b hat Lysias τέχναι ῥητορικαί verfasst; Markell. Hermog. 352 ed. Walz spricht von παρασκευαί) wird daher in der Regel in die frühe Phase gesetzt (so schon Plöbst 1927, 2534). Seine Tätigkeit als Logograf begann
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einer idealen Gefallenenrede ist für Lysias vielmehr das Instrument der Wahl, um ei nen hochspezifischen Beitrag zum politischen Diskurs seiner Zeit zu leisten. Dies lässt sich erkennen, wenn die Aufmerksamkeit weniger auf die vermeintlich mustergültigen Eigenschaften des Textes gelenkt wird, sondern auf die untypischen Aspekte, die der Text ebenfalls ganz unzweifelhaft aufweist. Die Spezifika der lysianischen Schrift werden insbesondere im Umgang des Autors mit der Monumentalisierung der Kriegserinnerung offenbar – speziell im Umgang mit den Gefallenengräbern aus der Zeit des athenischen Bürgerkriegs: Im lysianischen Epitaphios begegnen dem Leser auffällig oft Verweise auf unterschiedliche Gefalle nengräber (τάφοι) sowie auf verschiedene Siegesdenkmäler (τρόπαια). Hinter diesen Verweisen verbirgt sich mehr als die bloße Authentifizierungsstrategie eines Textes, der im möglichst überzeugenden Gewand einer echten Gefallenenrede daherkommen will. In einer entscheidenden Stelle seiner Schrift hat Lysias die Auseinandersetzung mit den Gräbern zudem genutzt, um den aufopferungsvollen Einsatz speziell von Nichtathenern für die Belange der Stadt zu würdigen – auch diese Stelle ist außerge wöhnlich. Beide Phänomene wurden bislang nicht hinreichend genau verstanden – sie sind aber, wie mir scheint, für die Interpretation des Epitaphios insgesamt von hoher Bedeutung. Zunächst zu Lysias’ wiederholter Bezugnahme auf die Gräber. In keinem anderen Epitaphios Logos finden sich so zahlreiche Verweise auf die kon kreten Orte der Gräber wie bei Lysias: Der Epitaphios bezieht sich wiederholt auf Ge fallene, „die hier liegen“, bzw. auf Gräber, die sich „hier“ befinden. Bezugnahmen dieser Art könnten als Teil der literarischen Strategie des Lysias verstanden werden, seinen Epitaphios in das möglichst authentische Gewand einer mündlichen Rede zu kleiden. In diesem Sinne hat Stephen C. Todd in seinem Kommentar zu den lysianischen Re den die entsprechenden Wendungen bisher am genauesten untersucht. Speziell im wiederholten Einsatz der Wendung οἱ ἐνθάδε κείμενοι – „die hier Liegenden“ – meint Todd, das Bemühen des Autors erkennen zu können, dem Epitaphios einen realisti schen Anstrich zu verleihen.19 Für die meisten Vorkommnisse der Wendung οἱ ἐνθάδε κείμενοι meint Todd ganz allgemein, dass sich Lysias stets primär auf die jüngste Grup pe an Gefallenen bezieht (d. h. auf diejenigen Gefallenen, denen die fingierte Gefalle nenrede gewidmet ist), dass über den Großteil der Narratio hinweg (mit Ausnahme der Passage in § 54) indes unterschwellig zugleich die Gefallenen der vorausgehenden Jahre einbezogen werden: „the effect is to emphasise the location of the current ho norands within a larger tradition“.20 Es steckt aber mehr dahinter. Das Verständnis des
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Lysias nach dem Verlust des Familienvermögens im Zuge der Herrschaft der Dreißig und damit annähernd anderthalb Jahrzehnte vor der Abfassung des Epitaphios. Todd 2007, 210. Todd 2007, 210; vgl. ibid. 254: „it is particularly the recent dead who are being assimilated together, reflecting a narrative structure in which history stops in the early pentēkontaëtia, and restarts only at the Civil War“.
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Textes profitiert, wenn die fraglichen Bezüge noch präziser erfasst werden. Dies setzt eine neuerliche Bestandsaufnahme der entsprechenden Textstellen voraus. Das griechische Lokaladverb ἐνθάδε („hier“, „dort“), mit dem der räumliche Bezug hergestellt wird, taucht im lysianischen Epitaphios an insgesamt 12 Stellen auf – meist in der Wendung οἱ ἐνθάδε κείμενοι („die hier Liegenden“). Der intensive Einsatz der adverbialen Ortsbezüge ist außergewöhnlich: Nur bei Platon (Men. 242 d6, 242 e6, 243 c7 und 246 a5) wird – möglicherweise in direkter (und persiflierender) Reaktion auf Lysias – mit vier Stellen ebenfalls verstärkt mit dem Lokaladverb operiert.21 Thu kydides dagegen nahm die topografische Verortung der perikleischen Gefallenenrede primär über die Rahmenhandlung vor, während in der nachempfundenen Grabrede des Perikles (Thuk. 2.35–46) ein Ortsbezug nur einmal über eine mit κει˜νται (liegen) konstruierte Wendung angedeutet wird (2.43).22 Bei Demosthenes und Hypereides kommt das Lokaladverb in den Epitaphioi Logoi nicht vor. Die Stellen bei Lysias im Einzelnen: An drei Stellen bezieht sich der lysianische Text mit der Verwendung des Adverbs ἐνθάδε nicht auf einen bestimmten Ort in Athen oder gar noch spezifischer im Kera meikos, sondern auf Athen/Attika insgesamt. Es geht hier jeweils darum, dass die Per ser „hier“ angekommen sind oder „hier“ ihr Leben gelassen haben.23 Diese Stellen sind für die Frage nach dem lysianischen Umgang mit konkreten topografischen Bezugs punkten unerheblich. An einer Stelle wird mit ἐνθάδε auf den gesamten Bereich der öffentlichen Gefallenengräber vor den Toren Athens verwiesen.24 Auch diese Stelle ist nicht weiter von Interesse. Die im Folgenden genannten Passagen indes sind bedeu tungsvoll, da hier jeweils der Verweis auf ein bestimmtes, klar identifiziertes Monu ment oder Konglomerat an Monumenten mit einer bestimmten Entwicklungsstufe der athenischen Archē korreliert.
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Dreimal ἐνθάδε κει˜νται (bzw. κει˜νται ἐνθάδε) sowie einmal τω˜ ν ἀνδρω˜ ν τω˜ ν ἐνθάδε κειμένων. Für einen möglichen Rückbezug Platons auf Lysias im Einsatz der Wendung siehe Todd 2007, 210. Thuk. 2.43: … τὸν τάφον ἐπισημότατον, οὐκ ἐν ᾧ κει˜νται μα˜ λλον … (1) Lys. 2.6: αὐτου˜ γὰρ ἀποθανου˜ σαι, καὶ δου˜ σαι δίκην τη˜ ς ἀνοίας, τη˜ σδε μὲν τη˜ ς πόλεως διὰ τὴν ἀρετὴν ἀθάνατον μνήμην ἐποίησαν2, τὴν δὲ ἑαυτω˜ ν πατρίδα διὰ τὴν ἐνθάδε συμφορὰν ἀνώνυμον κατέστησαν: Kein Bezug zu athenischen Gefallenengräbern (die Perser haben hier – also in Athen – ihr Leben gelassen). (2) Lys. 2.22: εἰ δ’ ἐνθάδε πρω˜ τον ἀφίξονται, οὐδένας ἄλλους τω˜ ν Ἑλλήνων τολμήσειν ἑτέρους σῴζοντας φανερὰν ἔχθραν πρὸς ἐκείνους ὑπὲρ αὐτω˜ ν καταθέσθαι: Kein Bezug zu athenischen Gefallenengräbern (die Perser kommen hierher). (3) Lys. 2.26: {παρὰ τοὺς ὅρους τη˜ ς χώρας}, οὕτω δὲ διὰ ταχέων τὸν κίνδυνον ἐποιήσαντο, ὥστε οἱ αὐτοὶ τοι˜ς ἄλλοις ἀπήγγειλαν τήν τ’ ἐνθάδε ἄφιξιν τω˜ ν βαρβάρων καὶ τὴν νίκην τω˜ ν προγόνων: Kein Bezug zu athenischen Gefallenen gräbern (die Ankunft der Barbaren hier). Lys. 2.1: ἐπειδὴ δὲ πα˜ σιν ἀνθρώποις ὁ πα˜ ς χρόνος οὐχ ἱκανὸς λόγον ἴσον παρασκευάσαι τοι˜ς τούτων ἔργοις, διὰ του˜ το καὶ ἡ πόλις μοι δοκει˜, προνοουμένη τω˜ ν ἐνθάδε λεγόντων, ἐξ ὀλίγου τὴν πρόσταξιν ποιει˜σθαι, ἡγουμένη οὕτως ἂν μάλιστα συγγνώμης αὐτοὺς παρὰ τω˜ ν ἀκουσάντων τυγχάνειν: Hier ist wohl mit ἐνθάδε der gesamte Bereich der öffentlichen Gefallenengräber vor den Toren der Stadt gemeint, denn die vom demos bestimmten Redner sprechen jeweils an einem anderen (dem je weils jüngsten) Grab im Kerameikos.
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(a) An zwei Stellen bezieht sich das literariche Ich des lysianischen Epitaphios mit der Wendung οἱ ἐνθάδε κείμενοι (ἄνδρες) – „die hier Liegenden“ / „die hier liegenden Män ner“ – allgemein auf die älteren athenischen Gefallenengräber der Zeit des Ersten See bunds.25 (b) An einer weiteren Stelle bezieht sich der Text mit der Wendung οἱ ἐνθάδε κείμενοι auf das Grab für die Gefallenen von Aipospotamoi.26 (c) An einer Stelle bezieht sich der Epitaphios mit der Wendung οἱ ἐνθάδε κείμενοι auf das Grab für die im athenischen Bürgerkrieg gefallenen Xenoi der Demokraten.27 (d) An vier Stellen bezieht sich das literarische Ich mit der Wendung οἱ ἐνθάδε κείμενοι (ἄνδρες) auf das jüngste Gefallenengrab – und damit auf das Grab, in dem die Gefalle nen bestattet werden, auf die sich die fiktive Gefallenenrede zu beziehen vorgibt.28
(1) Lys. 2.54 f.: τίς γὰρ ἂν ἢ λόγος ἢ χρόνος ἢ ῥήτωρ ἱκανὸς γένοιτο μηνυ˜ σαι τὴν τω˜ ν ἐνθάδε κειμένων ἀνδρω˜ ν ἀρετήν; [55] μετὰ πλείστων γὰρ πόνων καὶ φανερωτάτων ἀγώνων καὶ καλλίστων κινδύνων ἐλευθέραν μὲν ἐποίησαν τὴν Ἑλλάδα, μεγίστην δ’ ἀπέδειξαν τὴν ἑαυτω˜ ν πατρίδα, ἑβδομήκοντα μὲν ἔτη τη˜ ς θαλάττης ἄρξαντες, ἀστασιάστους δὲ παρασχόντες τοὺς συμμάχους, …: Gemeint sind hier alle älteren athenischen Gefallenengräber, wie sich aus dem Folgesatz erschließen lässt: Dort ist explizit von 70 Jahren die Rede, in denen die Athener die Seemacht besaßen (d. h. vom Beginn des Delisch-Attischen Seebunds bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges), und dieser Zeit raum wird direkt auf die Gefallenengräber bezogen, auf die Lysias verweist. (2) Lys. 2.64: οἱ δὲ κατελθόντες αὐτω˜ ν, ἀδελφὰ τὰ βουλεύματα τοι˜ς ἔργοις τω˜ ν ἐνθάδε κειμένων ἐπιδεικνύντες, οὐκ ἐπὶ τιμωρίαν τω˜ ν ἐχθρω˜ ν ἀλλ’ ἐπὶ σωτηρίαν τη˜ ς πόλεως ἐτράποντο, καὶ οὔτε ἐλαττου˜ σθαι δυνάμενοι οὔτ’ αὐτοὶ πλέον ἔχειν δεόμενοι τη˜ ς μὲν αὑτω˜ ν ἐλευθερίας καὶ τοι˜ς βουλομένοις δουλεύειν μετέδοσαν, τη˜ ς δ’ ἐκείνων δουλείας αὐτοὶ μετέχειν οὐκ ἠξίωσαν: Auch hier sind die älteren Gefallenengräber gemeint. 26 Lys. 2.60: ὥστ’ ἄξιον ἦν ἐπὶ τῳ˜ δε τῳ˜ τάφῳ τότε κείρασθαι τῃ˜ Ἑλλάδι καὶ πενθη˜ σαι τοὺς ἐνθάδε κειμένους, ὡς συγκαταθαπτομένης τη˜ ς αὑτω˜ ν ἐλευθερίας τῃ˜ τούτων ἀρετῃ˜ („daher wäre es damals an jenem Grabe angemessen, sich aus Trauer um Hellas das Haupthaar zu scheren und die dort Liegenden zu beklagen, denn zugleich mit ihrer Tapferkeit wurde auch die Freiheit zu Grabe getra gen …“): Gemeint ist hier das Grab, das nach der Niederlage bei Aigospotamoi angelegt wurde. 27 Lys. 2.66: ἄξιον δὲ καὶ τοὺς ξένους τοὺς ἐνθάδε κειμένους ἐπαινέσαι, οἳ τῳ˜ πλήθει βοηθήσαντες καὶ περὶ τη˜ ς ἡμετέρας σωτηρίας μαχόμενοι, πατρίδα τὴν ἀρετὴν ἡγησάμενοι, τοιαύτην του˜ βίου τελευτὴν ἐποιήσαντο: Gemeint ist speziell ein Gefallenengrab für die auswärtigen Unterstützer der Pirä us-Partei. 28 (1) Lys. 2.1: εἰ μὲν ἡγούμην οι῟όν τε ει῏ναι, ω῏ παρόντες ἐπὶ τῳ˜ δε τῳ˜ τάφῳ, λόγῳ δηλω˜ σαι τὴν τω˜ ν ἐνθάδε κειμένων ἀνδρω˜ ν ἀρετήν, ἐμεμψάμην ἂν τοι˜ς ἐπαγγείλασιν ἐπ’ αὐτοι˜ς ἐξ ὀλίγων ἡμερω˜ ν λέγειν: Hier ist explizit von einem Gefallenengrab die Rede, und zwar vom jüngsten, auf das sich das literari sche Ich des lysianischen Epitaphios bezieht. (2) Lys. 2.20: καὶ γάρ τοι καὶ φύντες καλω˜ ς καὶ γνόντες ὅμοια, πολλὰ μὲν καλὰ καὶ θαυμαστὰ οἱ πρόγονοι τω˜ ν ἐνθάδε κειμένων ἠργάσαντο, ἀείμνηστα δὲ καὶ μεγάλα καὶ πανταχου˜ οἱ ἐξ ἐκείνων γεγονότες τρόπαια διὰ τὴν αὑτω˜ ν ἀρετὴν κατέλιπον: Gemeint ist hier und im Folgenden wieder jeweils klar erkennbar das jüngste Gefallenengrab. (3) Lys. 2.75: μόνην δ’ ἄν μοι δοκου˜ μεν ταύτην τοι˜ς ἐνθάδε κειμένοις ἀποδου˜ ναι χάριν, εἰ τοὺς μὲν τοκέας αὐτω˜ ν ὁμοίως ὥσπερ ἐκει˜νοι περὶ πολλου˜ ποιοίμεθα, τοὺς δὲ παι˜δας οὕτως ἀσπαζοίμεθα ὥσπερ αὐτοὶ πατέρες ὄντες, ται˜ς δὲ γυναιξὶν εἰ τοιούτους βοηθοὺς ἡμα˜ ς αὐτοὺς παρέχοιμεν, οι῟οίπερ ἐκει˜νοι ζω˜ ντες ἦσαν. (4) Lys. 2.76: τίνας γὰρ ἂν εἰκότως μα˜ λλον τιμῳ˜ μεν τω˜ ν ἐνθάδε κειμένων. Ob das hier genannte Grab historisch ist, ist unklar; da sich Lysias bei der Konzeption des Epitaphios aber deutlich erkennbar an den Gegebenheiten eines bestimmten historischen Konflikts orientiert hat, liegt die Annahme nahe, dass er auch die topografische Situation nicht frei erfunden hat; möglicherweise hat sich Lysias auch hier auf die Gefallenenrede und den Epitaphios des Archinos bezogen – hierzu unten mehr. 25
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Mit den präzisen Ortsbezügen auf die unterschiedlichen Grabanlagen im Bereich der öffentlichen Gefallenengräber ruft die Schrift ihren Lesern das konkrete topografische Setting des Kerameikos ins Bewusstsein. Da der lysianische Epitaphios eine eigenstän dige Schrift darstellt, die nicht in ein übergeordnetes Narrativ eingebettet ist wie bei Thukydides, muss Lysias mit anderen Strategien operieren, um diesen Effekt zu erzie len: Was Thukydides über die Rahmenhandlung der perikleischen Grabrede gelingt, erreicht Lysias mit einer bemerkenswert vielschichtigen Verwendung des Ortsad verbiums innerhalb seiner „Gefallenenrede“: Oberflächlich betrachtet ist das Ergeb nis vergleichbar: Lysias lenkt die Aufmerksamkeit ebenfalls auf das Konglomerat an Monumenten des athenischen Gefallenengedenkens vor den Toren Athens.29 Dieser konkrete Vorstadtbereich nun ist aber bei Lysias ganz anders konzipiert, als Thuydides den Kerameikos für die Grabrede des thukydideischen Perikles gezeichnet hat (siehe hierzu die entsprechenden Überlegungen im fünften Kapitel): Thukydides ging es mit dem Verweis auf den konkreten Ort der Bestattung offenbar darum, die Aufmerksam keit der Leser auf die Veränderungen zu lenken, die sich im fraglichen Vorstadtgebiet zwischen der Anfangsphase des Peloponnesischen Krieges (historische Schicht des nacherzählten Geschehens) und der Nachkriegszeit (Beginn der Rezeption des Ge schichtswerks) ergeben hatten. Lysias dagegen etabliert mit den Verweisen auf die Ge fallenengräber die topografische Matrix des aufopferungsvollen Einsatzes athenischer Bürger und ihrer Verbündeten im Dienste der athenischen Archē über verschiedene Phasen der athenischen Geschichte hinweg: Die älteren Grabmonumente stehen für die ruhmreiche Phase der athenischen Hegemonie im Ersten Seebund, das Grab für die bei Aigospotamoi Gefallenen verweist auf den Verlust der Freiheit Athens, die Grabmäler für auswärtige Unterstützer Athens rufen den athenischen Bürgerkrieg in Erinnerung, und der Verweis auf das jüngste Grab (im Zeithorizont des Epitaphios selbst) steht für die Verheißung einer Rückkehr Athens zur hegemonialen Größe. Subtil ergänzt Lysias diese Zeit-Raum-Ordnung durch eine zweite Sinnebene, die er – ganz analog zu den Verweisen auf die Gefallenenmonumente – ebenfalls über Verweise auf eine bestimmte Serie materieller Bezugspunkte gewinnt, nämlich kon kret über Verweise auf drei spezifische Siegesmonumente: Von entsprechenden Tro paia ist im Epitaphios in den folgenden drei Passagen mit annähernd gleichlautenden Wendungen („sie errichteten ein Tropaion“) die Rede:
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Vgl. auch Todd 2007, 254. Der topografische Bezug gelingt Lysias auch dadurch, dass er Wendun gen mit κει˜μαι (Zustand des Bestattetseins) gegenüber Formulierungen mit θάπτω (Vorgang des Bestattens) präferiert (§§ 7, 67, 71, 80, 81) und damit die Aufmerksamkeit der Leser zusätzlich auf den Ort der Bestattung, weniger auf das Bestattungsritual lenkt.
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Sechstes Kapitel
Lys. 2.25 Lys. 2.53 Lys. 2.63
… ἔστησαν μὲν τρόπαιον … … τρόπαιον δὲ στήσαντες … … τρόπαιον μὲν … ἔστησαν …
Signifikant ist, welche Tropaia hier konkret gemeint sind: Der Kontext der ersten Stelle ist der Abwehrkampf der Athener gegen die Perser; die zweite Passage steht im Zusam menhang eines Sieges der Athener über die Korinther;30 die dritte Passage bezieht sich auf den innerathenischen Sieg von „Demokraten“ über „Oligarchen“. Es scheint kein Zufall zu sein, dass die drei Tropaia, die Lysias hier anführt, sich präzise drei elementa ren Konflikttypen zuweisen lassen: (a) ein Sieg von Athenern über einen nichtgriechi schen Feind; (b) ein Sieg von Athenern über einen griechischen Feind; (c) ein Sieg von Athenern über einen athenischen Feind. Wie die Verweise auf die Gefallenengräber, so stehen auch die Verweise auf die Tropaia für die phasenweise Entwicklung der atheni schen Archē. In der Argumentationslogik des Epitaphios werden dabei die großartigen Siegesmonumente (μεγάλα τρόπαια), die überall (πανταχου˜ ) von den Abkömmlingen der Vorfahren (πρόγονοι) errichtet wurden, zu unmittelbaren semantischen Komple menten der Gefallenengräber:31 Die Tropaia stehen für die Erfolge, für die die Athener menschliche Opfer zu erbringen bereit waren: Dass dieser erhebliche Einsatz, der in Form der Grabmonumente greifbar wird, nicht zu einer progressiven, sondern zu einer degenerativen Entwicklung der athenischen Archē geführt hat, kommt in der Abfolge der genannten Tropaia deutlich zum Ausdruck. Eine hoffnungsfrohe Zukunftsperspek tive gewinnt der lysianische Epitaphios hieraus nur dadurch, dass das vierte Tropaion noch nicht gesetzt ist: Den jüngsten Gefallenengräbern, auf die Lysias verweist, korres pondiert im Epitaphios (noch) kein Siegesmonument. Damit weist die von Lysias subtil angelegte Entwicklungsperspektive eine gewisse Offenheit auf. Die im Epitaphios klar formulierte Forderung nach einer Rückkehr zu hegemonialer Größe deutet die mögli che Tendenz der noch ungeschriebenen Geschichte an. Allerdings formuliert der Epitaphios unterschwellig auch Vorbehalte und Bedingun gen, dies zeigt sich insbesondere in der Behandlung des athenischen Bürgerkriegs und der Art und Weise, wie in der entsprechenden Passage die Gefallenenmonumente, das Tropaion und die Konfliktparteien geschildert werden. Auch hier lohnt ein näherer Blick. Die §§ 61–66 bilden das argumentative Herzstück des lysianischen Epitaphios. Lysi as preist hier diejenigen Athener und ihre auswärtigen Verbündeten, die auf Basis ihrer Naturanlagen (§ 61: ὑπὸ τη˜ ς φύσεως πεισθέντες) und ihres Strebens nach Gerechtigkeit (§ 61: περὶ του˜ δικαίου μαχόμενοι) den Bürgerkrieg für die Demokratie gewagt haben (§ 61: ὑπὲρ τη˜ ς δημοκρατίας στασιάσαντες) – wobei sie auch ihre eigenen Mitbürger
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Von der Auseinandersetzung berichtet Thuk. 1.105 f. Lys. 2.20.
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zu Feinden hatten (§ 62: πολεμίους δὲ … καὶ τοὺς πολίτας τοὺς ἑαυτω˜ ν): Unter Einsatz ihres Lebens haben sie die Stadt befreit, ein Siegesdenkmal errichtet, die Stadt wieder zur Größe erhoben, die innere Einigkeit der Gemeinschaft wiederhergestellt und die Stadt zu alter militärischer Stärke zurückgeführt. Wegen ihrer Bedeutung für das Ver ständnis der Schrift insgesamt soll die Passage in ihren wesentlichen Auszügen hier wörtlich zitiert werden:32 [61] … ἐκείνων δὲ τω˜ ν ἀνδρω˜ ν ἄξιον καὶ ἰδίᾳ καὶ δημοσίᾳ μεμνη˜ σθαι, οἳ φεύγοντες τὴν δου λείαν καὶ περὶ του˜ δικαίου μαχόμενοι καὶ ὑπὲρ τη˜ ς δημοκρατίας στασιάσαντες πάντας πολεμί ους κεκτημένοι εἰς τὸν Πειραια˜ κατη˜ λθον, οὐχ ὑπὸ νόμου ἀναγκασθέντες, ἀλλ’ ὑπὸ τη˜ ς φύσε ως πεισθέντες, καινοι˜ς κινδύνοις τὴν παλαιὰν ἀρετὴν τω˜ ν προγόνων μιμησάμενοι, [62] ται˜ς αὑτω˜ ν ψυχαι˜ς κοινὴν τὴν πόλιν καὶ τοι˜ς ἄλλοις κτησόμενοι, θάνατον μετ’ ἐλευθερίας αἱρούμε νοι ἢ βίον μετὰ δουλείας, οὐχ ἧττον ται˜ς συμφοραι˜ς αἰσχυνόμενοι ἢ τοι˜ς ἐχθροι˜ς ὀργιζόμενοι, μα˜ λλον βουληθέντες ἐν τῃ˜ αὑτω˜ ν ἀποθνῄσκειν ἢ ζη˜ ν τὴν ἀλλοτρίαν οἰκου˜ ντες, συμμάχους μὲν ὅρκους καὶ συνθήκας ἔχοντες, πολεμίους δὲ τοὺς πρότερον ὑπάρχοντας καὶ τοὺς πολίτας τοὺς ἑαυτω˜ ν. [63] ἀλλ’ ὅμως οὐ τὸ πλη˜ θος τω˜ ν ἐναντίων φοβηθέντες, ἀλλ’ ἐν τοι˜ς σώμασι τοι˜ς ἑαυτω˜ ν κινδυνεύσαντες, τρόπαιον μὲν τω˜ ν πολεμίων ἔστησαν, μάρτυρας δὲ τη˜ ς αὑτω˜ ν ἀρετη˜ ς ἐγγὺς ὄντας του˜ δε του˜ μνήματος τοὺς Λακεδαιμονίων τάφους παρέχονται. καὶ γάρ τοι μεγάλην μὲν ἀντὶ μικρα˜ ς ἀπέδειξαν τὴν πόλιν, ὁμονοου˜ σαν δὲ ἀντὶ στασιαζούσης ἀπέφηναν, τείχη δὲ ἀντὶ τω˜ ν καθῃρημένων ἀνέστησαν. [64] … [66] ἐκει˜νοι μὲν ου῏ ν διὰ τοὺς ἐν Πειραιει˜ κινδύνους ὑπὸ πάντων ἀνθρώπων ζηλου˜ νται· ἄξιον δὲ καὶ τοὺς ξένους τοὺς ἐνθάδε κειμένους ἐπαινέσαι, οἳ τῳ˜ πλήθει βοηθήσαντες καὶ περὶ τη˜ ς ἡμετέρας σωτηρίας μαχόμενοι, πατρίδα τὴν ἀρετὴν ἡγησάμενοι, τοιαύτην του˜ βίου τελευτὴν ἐποιήσαντο· ἀνθ’ ω῟ ν ἡ πόλις αὐτοὺς καὶ ἐπέν θησε καὶ ἔθαψε δημοσίᾳ, καὶ ἔδωκεν ἔχειν αὐτοι˜ς τὸν ἅπαντα χρόνον τὰς αὐτὰς τιμὰς τοι˜ς ἀστοι˜ς. [61] … Es ist unsere Aufgabe, jener Männer sowohl privat als auch öffentlich zu gedenken. Sie flohen die Knechtschaft, kämpften für das Recht, machten sich alle zu Feinden, weil sie einen Bürgerkrieg für die Demokratie wagten, und kamen schließlich in den Piräus zurück. Sie wurden nicht vom Gesetz gezwungen, sondern von ihrer Natur getrieben. In neuen Kämpfen ahmten sie die alte Tapferkeit ihrer Vorfahren nach. [62] Durch Einsatz ihres Lebens wollten sie die Stadt wieder zum Gemeingut für alle machen. Sie wählten den Tod eines freien Mannes statt eines Lebens in Knechtschaft. Sie schämten sich wegen ihres Unglücks nicht weniger, als sie den Feinden zürnten, und wollten lieber in ihrem ei genen Land sterben als in der Fremde leben. Als Bundesgenossen hatten sie nur ihre Eide und Verträge, als Feinde zusätzlich zu den vorherigen auch noch ihre eigenen Mitbürger. [63] Dennoch erschraken sie nicht vor der Menge ihrer Gegner. Sie setzten ihr Leben aufs Spiel und errichteten ein Siegesdenkmal über ihre Feinde. Zeugen ihrer Tapferkeit sind für sie die nahe diesem Denkmal liegenden Gräber der Spartaner. Aus der Erniedrigung
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Lys. 2.61–66 (Auszüge); Übers. Huber.
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erhoben sie unsere Stadt wieder zur Größe, aus den Parteienkämpfen ließen sie Einig keit entstehen, und die niedergerissenen Mauern bauten sie wieder auf. [64]
… [66] Jene Männer werden also wegen ihrer Kämpfe im Piräus von allen Menschen gepriesen. Es ist aber angebracht, auch der hier liegenden Fremden rühmend zu gedenken, die unserem Volk zu Hilfe kamen und für unsere Rettung kämpften. Für sie war die Tapferkeit ihr Va terland, und sie beendeten ihr Leben auf diese edle Weise. Dafür hat sie die Stadt betrauert und öffentlich bestattet und gab ihnen für alle Zeit die gleichen Ehren wie ihren Bürgern.
Die Aretē der Athener, die hier gegen andere Athener eine Stasis für die Demokratie durchkämpft haben, wird von Lysias als Mimēsis der vorväterlichen Aretē gedeutet (τὴν παλαιὰν ἀρετὴν τω˜ ν προγόνων μιμησάμενοι) – der Sieg im Bürgerkrieg wird also auf einer Ebene mit dem Sieg über die Perser verortet. Lysias bringt deutlich zum Aus druck, dass das Tropaion, das diesen Sieg markiert, aus dem Kampf gegen Feinde innerhalb der athenischen Bürgergemeinschaft heraus gesetzt wurde: Das Monument verweist also auch darauf, dass Athener auf beiden Seiten zu Tode gekommen sind. Lysias erwähnt allerdings kein Grab, mit dem die gefallenen Athener der einen und/ oder der anderen Seite gewürdigt worden wären: Er weicht stattdessen zunächst in § 63 auf das Grab der Lakedaimonier aus und erwähnt dann komplementär hierzu in § 66 auch das Grab der Xenoi, die aufseiten der Piräus-Partei gekämpft hatten: Für beide innerathenischen Konfliktparteien werden hier also nicht die Gräber der athenischen Bürger, sondern die Gräber ihrer jeweiligen auswärtigen Unterstützer angeführt. Hier entfaltet der Epitaphios eine weitere Sinnebene, denn Lysias selbst war einer dieser auswärtigen Xenoi – er war der wohl prominenteste nichtathenische Unterstüt zer der Piräus-Partei. Lysias sah hier offenbar die Möglichkeit, seine eigene Biografie in den Epitaphios einzuschreiben (wenn auch implizit) und damit zugleich auf erin nerungskulturelle und gesellschaftspolitische Defizite der athenischen Nachkriegsge sellschaft hinzuweisen. Dass Lysias hier tatsächlich ein Problem sah, zeigt sich in den literarischen Spannungen, die diese Stelle erzeugt. Denn das Vorgehen des Lysias ist ambivalent: Das literarische Ich, das hier aus der Sicht eines Atheners (als der sich das literarische Ich ausgibt) jene Xenoi für ihren Einsatz im Dienste Athens preist, wurde just von einem dieser Xenoi literarisch konzipiert: Die nachgerade idealtypische Kon struktion des Epitaphios erzeugt von hier aus betrachtet einen normativen Geltungs anspruch, den die Realität nicht einzulösen scheint. Die Analogie zwischen dem Lakedaimoniergrab und dem Grab für die Xenoi der Piräus-Partei ist ebenfalls nicht unproblematisch. Auch wenn sich im archäologischen Befund das von Lysias für die auswärtigen Xenoi der Piräus-Partei erwähnte Gefal lenengrab nicht greifen lässt, so ist doch grundsätzlich denkbar, dass es ein solches Grab gegeben hat: Auch der kriegerische Einsatz von Nichtathenern für Athen konnte ja nachweislich von der athenischen Bürgergemeinschaft dadurch gewürdigt werden, dass ihnen eine entsprechend ehrenvolle Bestattung im Kerameikos ermöglicht wurde (drittes Kapitel). Welche symbolische Bedeutung einer solchen Bestattung zukommt,
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formuliert Lysias in der oben zitierten Passage mit den Worten, den Xenoi seien „für alle Zeit die gleichen Ehren“ wie den athenischen Bürgern zugesprochen worden – mit dem Begriff „Ehre“ wird hier das griechische Konzept der Timē übersetzt, das Assozia tionen auch in Richtung Würde und Erhabenheit aufweist und in diesem Verständnis von der antiken Literatur etwa auch herausragenden irdischen Akteuren wie Königen und sogar Göttern beigemessen wird. Dass diese Timē den gefallenen Nichtathenern nun auf alle Ewigkeit zugesprochen wird, bezieht Lysias offenbar auf die Monumenta lisierung des Gefallenengedenkens durch ein entsprechendes Polyandrion. Gerade die direkte Gegenüberstellung eines solchen Polyandrion für die Xenoi der Piräus-Partei einerseits mit dem Lakedaimoniergrab andererseits muss die skizzierte Deutung für einen antiken Rezipienten allerdings deutlich erkennbar unterminiert ha ben: Denn das Lakedaimoniergrab ist, wie sich im archäologischen Befund gut greifen lässt (viertes Kapitel), das monumentalste öffentliche Gefallenengrab des klassischen Athens. Ein vergleichbar raumgreifendes Grabmonument, wie es hier für die gefal lenen auswärtigen Unterstützer der Oligarchen errichtet wurde, hat es für gefallene athenische Bürger nie gegeben und wird es auch für die gefallenen auswärtigen Un terstützer der Piräus-Partei nicht gegeben haben. Mit der literarischen Parallelisierung der beiden Gräber lenkt Lysias die Aufmerksamkeit der Leser also auf die faktische Diskrepanz in der Monumentalisierung des Gedenkens an die jeweiligen auswärtigen Unterstützer der beiden innerathenischen Konfliktparteien. Die Parallelisierung der beiden Grabkomplexe im lysianischen Epitaphios wirft da mit die Frage auf, ob die Verdienste der auswärtigen Xenoi um das Wohl der Polis durch entsprechende gesellschaftspolitische Maßnahmen vonseiten der athenischen Bürgergemeinschaft angemessen gewürdigt wurden. Die Dringlichkeit dieser Frage wird von Lysias noch dadurch unterstrichen, dass nur im Falle des Grabmals für die auswärtigen Unterstützer der Piräus-Partei auch sprachlich explizit darauf verwiesen wird, dass hier Menschen im Kampf für Athen ganz konkret gestorben sind: Während es Lysias ansonsten bei Formulierungen wie οἱ ἐνθάδε κείμενοι („die hier Liegenden“) belässt, wird hier mit dem Verb τελευτᾷν auch direkt auf ihr Sterben für Athen hinge wiesen: Indem sie die Aretē als ihre Patris ansahen, ging ihr Leben auf würdige Weise zu Ende.33 Mit der Wendung, die Aretē sei ihre Patris (πατρίδα τὴν ἀρετὴν ἡγησάμενοι), werden hier gleichermaßen ihre menschliche Güte wie ihr defizitärer Gesellschaftssta tus betont. Dies verweist implizit auch darauf, dass ihre Anerkennung vom Wohlwol len der athenischen Bürgergemeinschaft abhängig war. Die Parallelisierung der beiden Grabkomplexe ist damit als Analogon zum Versäumnis der athenischen Bürgerge meinschaft konzipiert, die Verdienste der auswärtigen Xenoi um das Wohl der Polis durch entsprechende gesellschaftspolitische Maßnahmen angemessen zu würdigen. 33
Die Wendung im Zusammenhang: ἄξιον δὲ καὶ τοὺς ξένους τοὺς ἐνθάδε κειμένους ἐπαινέσαι, οἳ τῳ˜ πλήθει βοηθήσαντες καὶ περὶ τη˜ ς ἡμετέρας σωτηρίας μαχόμενοι, πατρίδα τὴν ἀρετὴν ἡγησάμενοι, τοιαύτην του˜ βίου τελευτὴν ἐποιήσαντο (Lys. 2.66).
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So jedenfalls müssen dies die zeitgenössischen Rezipienten verstanden haben, die mit den Hintergründen der Schrift und der Biografie des Autors vertraut waren. Um diese Zusammenhänge, die sich im lysianischen Epitaphios nur schemenhaft greifen lassen, noch präziser rekonstruieren und besser bewerten zu können, lohnt der Blick auf einen Epitaphios Logos, den die Forschung bislang weitestgehend übersehen hat: Eine fast vollständig verlorene Schrift aus der Feder des Archinos, die in der Früh phase des Korinthischen Krieges in Umlauf gekommen und breit rezipiert worden zu sein scheint. Über Archinos wissen wir nicht viel, und aus seinem Epitaphios ist nur ein einziger, wenig aussagekräftiger Satz bekannt, der bei Klemens Alexandrinos zi tiert wird. Und doch geben diese wenigen Indizien den Blick frei auf einzelne Facetten eines literarischen und politischen Beziehungsgeflechts, das sich bei genauer Betrach tung zu einem regelrechten Panorama an Sinnbezügen verdichtet, in dem auch die lysianische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen der athenischen Bürger gemeinschaft und ihren auswärtigen Xenoi noch genauer verständlich wird. Was also wissen wir über den Epitaphios des Archinos? Bürger und Nichtbürger In den Strō mata zitiert Klemens Alexandrinos mit den folgenden Worten einen gewis sen Archinos: ὅ τε Ἀρχι˜νος λέγει· ‚πα˜ σι μὲν ἀνθρώποις ὀφείλεται ἀποθανει˜ν ἢ πρότερον ἢ εἰς ὕστερον‘ („Archinos sagt: ‚früher oder später muss jeder Mensch sterben‘“).34 Um welchen Archinos es sich handelt (im Gesamtwerk des Kirchenschriftstellers taucht der Name nur an dieser Stelle überhaupt einmal auf) wird ebenso wenig spezifiziert wie das Werk, aus dem Klemens zitiert. Die aus dem Werk des Archinos zitierte Aus sage ist inhaltlich zu unspezifisch, um alleine hieraus valide Erkenntnisse über den Charakter des Textes oder gar eine mögliche inhaltliche Akzentsetzung der Schrift zu gewinnen. Auch für die Frage nach der Datierung gibt das Fragment nichts her. An gesichts dieser unbefriedigenden Überlieferungslage hat die Forschung den Hinweis bisher weitgehend ausgeklammert und sich höchstens am Rande und nie sonderlich intensiv um eine nähere Kontextualisierung bemüht.35 Aus dem vagen Reflex eines ansonsten vollständig verlorenen Textes lassen sich aber bei genauer Betrachtung doch wertvolle Erkenntnisse zur athenischen Gefalle nenbestattung und zur Gattung literarischer Epitaphioi Logoi gewinnen. Den Ansatz punkt zu einer Kontextualisierung bietet Photios, der in seiner Bibliothek Isokrates
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Klem. Al. Strō m. 6.2.22.4 f. Ein Großteil der Forschungsliteratur zum Epitaphios Logos übersieht Archinos. Loraux 1981 hat zwar an einigen wenigen Stellen ihrer Analyse auf Archinos hingewiesen, meint mit Blick auf eine mögliche Gefallenenrede des Archinos aber, „il s’agit peut-être d’un faux souvenir, ou plus exacte ment d’une mauvaise lecture du préambule du Ménexène“ (S. 8).
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dafür tadelt, dass dieser in seinem Panegyrikos vieles von den Leichenreden des Archi nos, des Thukydides und des Lysias entlehnt habe.36 Archinos wird hier als Verfasser eines Epitaphios Logos angeführt, aus dem der bei Klemens zitierte Satz gut stammen könnte, und aus zwei weiteren Nennungen des Archinos in Photios’ Lexikon und der Bibliothek geht auch eindeutig hervor, dass es sich bei diesem Archinos um den aus weiteren Quellen greifbaren Athener handelt, der uns aus der Zeit vom ausgehenden Peloponnesischen Krieg bis in den Korinthischen Krieg hinein zumindest in einigen wesentlichen Facetten seines politischen Handelns ganz gut bekannt ist.37 Der Umstand, dass es einem Verfasser der hohen Kaiserzeit möglich war, aus dem Epitaphios des Archinos zu zitieren, ist ein erster Hinweis darauf, dass eine schriftliche Fassung existiert haben muss, aus der zumindest Auszüge tradiert wurden. Dies setzt auch Photios (bzw. seine Quelle und damit evtl. Kaikilios oder Dionysios) voraus, wenn er eine Rezeption durch Isokrates annimmt (wobei diesem die Schrift vermut lich noch in Gänze bekannt war). Vor diesem Hintergrund lässt sich auch der Verweis auf Archinos in der Rahmenhandlung des platonischen Menexenos (der Dialogpart ner des Sokrates berichtet hier, Archinos sei für die Wahl zum Gefallenenredner vor geschlagen worden) am sinnvollsten unter der Annahme einer Auseinandersetzung Platons mit einem in schriftlicher Form vorliegenden Epitaphios Logos aus der Feder des Archinos verstehen.38 Wie sich noch zeigen wird, lässt sich schließlich auch die Annahme gut begründen, dass Lysias mit seinem Epitaphios ebenfalls auf die Schrift des Archinos reagiert hat. Offenbar existierte also ein in literarischer Form zirkulierender Epitaphios Logos aus der Feder des Archinos, der spätestens 380 (als der isokratische Panegyrikos in Um lauf kam) – vermutlich aber schon vor 386/385 (Platons Menexenos) bzw. vor ca. 391 (Lysias’ Epitaphios) – bekannt gewesen sein muss und offenbar von drei der wichtigs ten Autoren ihrer Zeit rezipiert wurde. Als Autor ist Archinos auch anderweitig zu greifen: Ps.-Plutarch nennt ihn in einem Atemzug mit Antiphon, Alkibiades, Kritias und Lysias unter den frühesten Verfassern forensicher Logoi,39 zudem ist er als Autor einer erfolgreichen Graphē paranomon in Erscheinung getreten (hierauf komme ich noch zurück),40 und Archinos könnte sogar Lehrer des Isokrates gewesen sein (dies beruht allerdings auf einer unsicheren Konjektur einer Passage in der Suda).41
36 Phot. Bibl. 487 b32–35: Τάχα δ’ ἄν τις αὐτὸν αἰτιάσαιτο κλοπη˜ ς, ἐξ ω῟ ν ἐν τῳ˜ πανηγυρικῳ˜ λόγῳ αὐτου˜ πολλὰ τω˜ ν κατὰ τοὺς ἐπιταφίους λόγους εἰρημένων Ἀρχίνῳ τε καὶ Θουκυδίδῃ καὶ Λυσίᾳ ὑπεβάλετο. Schamp 2000, 183 lässt die Frage offen, woher Photios diese Information bezieht; die Angabe könnte auf Kaikilios oder Dionysios zurückgehen oder von Photios selbst stammen. 37 Archinos: PA 2526 + Add; PAA 213880; D’Angour 1999; Anastasiadēs 2020. 38 Da vom Epitaphios des Archinos fast nichts erhalten ist, lässt sich nicht einschätzen, ob und ggf. welche Passagen des Menexenos auf den Text Bezug nehmen. 39 Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 832 c–e. 40 Die Quellen sind zusammengestellt bei Baiter/Sauppe 1845–1850, 166 f. 41 Suda ι 652 s. v. Ἰσοκράτης (Ἐργι˜νον codd. Ἀρχι˜νον Ruhnken 1768 b, 42, prob. Blass 2. Aufl. 1892, 13).
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Archinos gehörte offenbar zur literarischen Avantgarde seiner Zeit. Wie bei Lysi as und Gorgias, so stellt sich damit auch im Falle des Archinos die Frage, ob es sich bei seinem Epitaphios um ein rein literarisches Unterfangen gehandelt hat oder ob der Text mit einer echten Gefallenenrede korrelierte. Im Gegensatz zu Gorgias und Lysias war Archinos jedenfalls Athener, zumal eine politisch überaus aktive Figur: So wissen wir, dass Archinos aus dem Demos Koilē stammte und vermutlich der Sohn des Stra tegen Myronides war;42 bei der Wiederherstellung der Demokratie 403 hatte er eine entscheidende Rolle gespielt,43 in der frühen Nachkriegszeit lässt er sich mehrfach im Zusammenhang mit politischen Reformen und Beschlüssen greifen, und in der Früh phase des Korinthischen Krieges zählt er zu den wenigen Personen, über deren politi sches Wirken wir näher informiert sind.44 Aus den verfügbaren Zeugnissen ergibt sich, dass er in der Bürgerversammlung als Redner ebenso aktiv war wie vor Gericht. Dass er einen Epitaphios Logos verfasst hat, ohne auch eine tatsächliche Gefallenenrede ge halten zu haben, ist zwar möglich, aber vor diesem Hintergrund wenig wahrscheinlich. In der Konsequenz wäre Archinos der erste Athener, bei dem wir mit einiger Plausibi lität davon ausgehen können, dass er sowohl eine tatsächliche Gefallenenrede gehalten als auch einen Epitaphios Logos in literarischer Form in Umlauf gebracht hat. Bei Archinos bieten sich für die Datierung von Gefallenenrede und Epitaphios zwei Optionen an (analog zu Demosthenes und Hypereides – achtes Kapitel – gehe ich von einer zeitlichen Nähe zwischen Rede und Publikation aus; gegenteilige Indizien gibt es nicht): Da Archinos einer der prominentesten politischen Akteure war, die sich für die Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse nach dem athenischen Bürger krieg eingesetzt haben, könnte er eine Gefallenenrede im Rahmen der Bestattungen gehalten haben, die nach dem Bürgerkrieg 403 durchgeführt wurden; dass es solche Bestattungen auch für die gefallenen Mitglieder der Piräus-Partei gegeben hat, legt ja, wie wir gesehen haben, der Epitaphios des Lysias nahe.45 Die zweite Möglichkeit wäre, dass Archinos im Rahmen des Korinthischen Krieges als Redner einer Gefallenenrede gewählt wurde; die Rezeption seines Epitaphios bei Lysias, Platon und Isokrates würde in diesem Fall für einen Zeitraum von 394 bis spätestens 391 sprechen. Die zweite Option ist wahrscheinlicher. Zwar geht aus der bereits angeführten Stelle bei Ps.-Plutarch hervor, dass Archinos wohl schon gegen Ende des fünften Jahrhunderts als Autor bekannt war,46 und 403 war er zweifellos auch von politischer
42 Zur möglichen Abstammung von Myronides: Dem. 24.135. 43 Aristeid. log. 12.49; Ath. Pol. 40.1 f.; Isok. 18.2 f. und 23 f.; Aischin. 2.176, 3.187 f. und 195 mit Schol.; Dem. 18.219; 24.135; Dein. 1.76; Plut. Athēn. 350 b. 44 Vgl. Funke 1980, 111 mit Anm. 25. Zu den Details des politischen Wirkens des Archinos siehe unten in diesem Kapitel ab Anm. 72. 45 Lys. 2.61–66; der Verweis auf die entsprechende Bestattung ist, wie oben bereits vermerkt, auffällig vage. 46 Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 832 c–e.
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Bedeutung.47 Eine wirkungsvolle Gefallenenrede erscheint mir für das Jahr 403 aber eher unwahrscheinlich: Wie sich gezeigt hat (viertes Kapitel), können die öffentlichen Bestattungen gefallener Athener, die im Anschluss an den Bürgerkrieg stattgefunden haben mögen, nicht in einem regulären Vollzug des Patrios Nomos bestanden haben. Die athenische Macht war gebrochen, und die Stadt stand unter der Kuratel der Spar taner; die Voraussetzungen für einen Redner, sich über die Schriftfassung einer Rede zu profilieren, in der es kaum möglich gewesen wäre, die athenische Kultur, Geschich te und Politik vorbehaltlos zu preisen, müssen 403 denkbar ungünstig gewesen sein.48 Zudem müssten wir bei dieser Datierung davon ausgehen, dass Thukydides mit seiner perikleischen Gefallenenrede auf den Epitaphios des Archinos reagiert hat; wenn dies aber so gewesen wäre, hätte sich dies vermutlich in irgendeiner Form in der antiken Überlieferung niedergeschlagen (so wie wir ja beispielsweise auch wissen, dass Gorgi as, Thukydides, Archinos und Lysias von Isokrates rezipiert wurden).49 Auch der Umstand, dass sich Isokrates mit dem Epitaphios des Archinos auseinan dergesetzt hat, spricht eher gegen eine Datierung ins Jahr 403: Der Panegyrikos betreibt eine kritische Analyse der Ideologie athenischer Macht und setzt sich insbesondere mit den Tendenzen einer Rückkehr zur hegemonialen Größe Athens auseinander – vor die sem Hintergrund liegt es nahe, Archinos zu denjenigen Autoren zu zählen, die an einer neuen ideologischen Unterfütterung des athenischen Machtanspruchs gearbeitet ha ben, und dies würde besser zur Frühphase des Korinthischen Krieges passen als zu 403. Ein weiteres Indiz für die Spätdatierung von Archinos’ Epitaphios liefert möglicher weise auch der Menexenos: Adolf Trendelenburg hat für den bei Platon neben Archi nos erwähnten Dion, der laut Menexenos ebenfalls im Rat als möglicher Gefallenen redner behandelt wurde, die Identifikation mit demjenigen Dion ins Spiel gebracht, gegen den Lysias eine nur dem Titel nach bekannte Anklageschrift verfasst hat.50 Da wir wissen, dass Lysias auch eine Rede gegen Archinos geschrieben hat,51 wären Ar chinos und Dion gleichermaßen in gewissem Sinne innenpolitische Kontrahenten des Lysias, so dass sich der Verweis auf die beiden Akteure in Platons Menexenos als Referenz auf das innenpolitische und literarische Beziehungsgeflecht zwischen Lysias, Archinos und Dion lesen ließe. Da für Dion (der ansonsten weitgehend unbekannt ist
47 Nach Ath. Pol. 34.3 gehörte Archinos bereits damals zu den führenden Männern Athens. 48 Zwar hat Demosthenes nach der Schlacht von Chaironeia in einer vergleichbar schwierigen Kon stellation eine Gefallenenrede gehalten und einen Epitaphios publiziert, doch lässt sich in diesem Fall die Veröffentlichung gut aus der apologetischen Zielsetzung der Schrift erklären (achtes Kapi tel) – vergleichbare Probleme wie Demosthenes 338 hatte Archinos 403 nicht. 49 Dass Archinos, Thukydides und Lysias bei Photios (487 b32–35) in dieser Reihenfolge genannt werden, ist sicherlich nicht von Bedeutung. Indizien für eine Reaktion des Thukydides auf Gorgias werden im achten Kapitel besprochen. 50 Trendelenburg 1905, 11. Lys. 44 fr. 100 ed. Carey = Harp. φ 8 Φάσκωλον ed. Keaney: Λυσίας ἐν τῳ˜ πρὸς Δίωνα. 51 Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 836 a–b; hierzu unten mehr.
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und von dem wir auch nicht wissen, ob er je eine Gefallenenrede gehalten und/oder einen Epitaphios Logos verfasst hat) eine gewisse politische Aktivität ebenfalls in der Frühphase des Korinthischen Krieges gesichert ist (392 hat er an einer Gesandtschaft zu Tiribazos teilgenommen: Xen. Hell. 4.8.13), könnte auch dieser Zusammenhang für die Spätdatierung sprechen. Insgesamt spricht also einiges dafür, die Gefallenenrede des Archinos und die Ver öffentlichung seines Epitaphios eher in der Frühphase des Korinthischen Krieges zu verorten.52 Das stärkste Argument für die Spätdatierung aber ist die bislang verkannte, doch offenbar überaus enge Beziehung des lysianischen Epitaphios zum Epitaphios des Archinos. Die Verbindung der beiden Texte zu erweisen, erfordert eine stringente his torische Verortung von Archinos’ Gefallenenrede/Epitaphios und eine überzeugende Antwort auf die Frage nach dem konkreten Anlass für den lysianischen Epitaphios. Aus dem Gesamtbild ergibt sich zugleich ein besseres Verständnis nicht nur der beiden fraglichen Epitaphioi Logoi, sondern auch der Entwicklung des athenischen Gefalle nenbegräbnisses in der Zeit des Korinthischen Krieges. Das Verhältnis zwischen Lysias und Archinos wird erhellt durch eine nur dem Titel nach bekannte, ansonsten vollständig verlorene Schrift des Lysias, die von Ps.-Plut arch in der Lysias-Vita mit dem Hinweis erwähnt wird, sie habe sich gegen Archinos gerichtet.53 Ps.-Plutarch zählt den fraglichen Text zu den von ihm identifizierten 233 authentischen Logoi aus der Feder des Lysias, wobei er davon auszugehen scheint, dass die Schrift eine tatsächliche Rede des Lysias reflektiert, mit der der Logograf öf fentlich aufgetreten ist. Dies darf freilich bezweifelt werden, da Lysias in Athen in sei ner Eigenschaft als Nichtbürger weder vor der Bürgerversammlung noch vor Gericht ohne Weiteres sprechen konnte. Lysias scheint eher eine für die schriftliche Rezeption konzipierte „Rede“ im Sinne einer Flugschrift in Umlauf gebracht zu haben, um das politische Klima in seinem Sinne zu beeinflussen. Der politische Gegner, den er mit der Schrift ins Visier nahm, war Archinos, dessen politischer Einsatz im Dienste ei ner Erneuerung der athenischen Bürgerschaft nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges sich klar zuungunsten des Lysias ausgewirkt hat. Die Wurzeln der Beziehung zwischen Lysias und Archinos gehen damit in den athenischen Bürgerkrieg der Jahre 404/403 zurück. Wie aus der Athenaion Politeia hervorgeht, hat Thrasybulos direkt nach der erfolg reichen Beendigung des oligarchischen Regimes vor der Bürgerversammlung den Antrag gestellt (vermutlich Ende 404/403 oder Anfang 403/402),54 all diejenigen aus wärtigen Unterstützer der demokratischen Gegenrevolution, die mit ihm vom Piräus
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Zu dieser Datierung gelangen (mit je eigenen Argumenten) auch Lehmann 1976, 279 Anm. 36 und Funke 1980, 111 Anm. 25. Jacoby 1944, 57 Anm. 92 hat sich dagegen für 403 ausgesprochen. 53 Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 836 a–b: ἔστι δ’ αὐτου˜ καὶ ὁ ὑπὲρ του˜ ψηφίσματος ὃ ἐγράψατο Ἀρχι˜νος, τὴν πολιτείαν αὐτου˜ περιελών; vgl. Todd 2007, 6 Anm. 18. 54 Zum Datum: Osborne 1982, 2.31.
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in die Stadt gezogen waren, mit der Verleihung des athenischen Bürgerrechts auszu zeichnen.55 Der Antrag wurde offenbar unmittelbar mit einer von Archinos verfassten Graphē paranomon, die sich auf Verfahrensfehler der beanstandeten Beschlussfassung bezog, zu Fall gebracht.56 Lysias war der prominenteste Betroffene der gescheiterten Bürgerrechtsverleihung, und mit der von Ps.-Plutarch erwähnten Schrift gegen den von Archinos initiierten Beschluss hat er sich offenbar darum bemüht, in die nun vom Dēmos geführte Debatte darüber zu intervenieren, wie das Engagement derjenigen Unterstützer der Gegenrevolution, die nicht über das athenische Bürgerrecht verfüg ten, angemessen zu würdigen sei. Dieses Thema, das Lysias auch im Epitaphios noch beschäftigt hat, hat hier also seinen Ursprung. Gut denkbar ist, dass Lysias in seiner Schrift gegen die von Archinos verfasste Graphē paranomon mit den ihm zur Verfü gung stehenden (d. h. rhetorischen) Mitteln auch die gesellschaftliche Reputation des Archinos unter Beschuss genommen hat. Die politische Dimension des Konflikts und seine Bedeutung für unser Verständnis der Epitaphioi Logoi von Archinos und Lysias lassen sich jedenfalls nur präzise erfassen, wenn die Details der skizzierten Vorgänge näher in den Blick genommen werden. Lysias zählte zweifelsohne nicht nur zu den prominentesten, sondern auch zu den einflussreichsten Nichtathenern, die sich für den Kampf gegen das oligarchische Re gime eingesetzt hatten. Lysias war zwar nicht unter den 70 bis 100 Männern gewesen, die mit Thrasybulos die Grenzfestung Phyle besetzt und damit die Perspektive einer Rückeroberung Athens überhaupt erst eröffnet hatten, aber als er sich dem Verbund dann wenig später im Piräus anschloss, stellte seine Unterstützung einen nicht uner heblichen Faktor dar: Aus Gegen Hippotherses,57 Ps.-Plutarch und Photios geht hervor, dass Lysias aus eigener Tasche 2 000 Drachmen beisteuerte und 200 Schilde finan zierte, dass er gemeinsam mit einem gewissen Hermas oder Hermon (möglicherwei se einer der Verschwörer von 411 gegen den Oligarchen Phrynichos)58 den Auftrag übernahm, 300 Söldner anzuheuern, und dass er seinen Xenos Thrasydaios von Elis dazu bewegen konnte, eine finanzielle Unterstützung in Höhe von zwei Talenten
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Ath. Pol. 40.2: καὶ δοκει˜ του˜ τό τε πολιτεύσασθαι καλω˜ ς Ἀρχι˜νος, καὶ μετὰ ταυ˜ τα γραψάμενος τὸ ψήφισμα τὸ Θρασυβούλου παρανόμων, ἐν ᾧ μετεδίδου τη˜ ς πολιτείας πα˜ σι τοι˜ς ἐκ Πειραιέως συγκατε λθου˜ σι, ω῟ ν ἔνιοι φανερω˜ ς ἦσαν δου˜ λοι. Auf diese Vorgänge beziehen sich auch Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 385 f–386 a; Aischin. 3.195 mit Schol. Ath. Pol. 40.2; Aischin. 3.195 mit Schol.; Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 835 f–836 a. Gegen Hippotherses ist eine der wichtigsten Quellen für Lysias’ Unterstützung der Exilanten; Tei le der Schrift haben sich auf einem stark beschädigten Papryrus erhalten: P.Oxy 1606 (ed. Carey 2007, 400–412 = Nr. LXX fgg. 164–173). Die Rede (geschrieben aus der Perspektive eines nament lich unbekannten Vertreters des Angeklagten) wurde von Lysias für die Verteidigung in einem Rechtsstreit über Teile seines Eigentums verfasst, die unter den Dreißig konfisziert worden waren. An dieser Schrift hat sich die spätere biografische Tradition orientiert, wie sie etwa in Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 835 e–836 a und Phot. Bibl. 489 b–490 a greifbar ist. Zu Hermon: Thuk. 8.92.2–5; Plut. Alk. 25.10; die Konjektur (Ἕρμωνι statt Ἑρμα˜ νι) wurde von Wes termann vorgeschlagen; die Verbindung zum Verschwörer von 411 sieht Fowler 1927, 364 Anm. 2.
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bereitzustellen.59 Ps.-Plutarch zufolge gab es niemanden, der Thrasybulos stärker un terstützt hat als Lysias.60 Offenbar war es Lysias gelungen, trotz der Konfiskationen noch beträchtliche finanzielle Mittel aus seinem Privatbesitz ins Exil zu retten, wo er sie bereitwillig für den Kampf gegen das oligarchische Regime einsetzte.61 Bereits die Kerngruppe von etwa 100 Personen, mit denen Thrasybulos im Win ter 404/403 die Besetzung von Phyle gelungen ist, umfasste etwa 40 Nichtathener.62 In mehreren Mobilisierungsphasen ist die Zahl der Unterstützer, die nicht über das athenische Bürgerrecht verfügten, dann bis zum Zug in die Stadt auf etwa 1 000 Per sonen angewachsen: Die ungefähre Gesamtzahl der Nichtathener ergibt sich aus der Namensliste im Bürgerrechtsdekret von 401/400, das in fragmentarischer Form inschriftlich überliefert ist.63 Die Liste erfasst mit einiger Sicherheit die auswärtigen Unterstützer des Thrasybulos; die Rekonstruktionen von Peter Krentz und Robin Os borne haben gezeigt, dass in der Inschrift um die 1 000 Personen genannt wurden.64 Da die Namensliste von den weitaus meisten genannten Personen auch die entsprechen den Professionen anführt, lässt sich die gesellschaftliche Stellung jeweils relativ klar bestimmen: In den meisten Fällen handelt es sich um eher einfache bäuerliche oder handwerkliche Tätigkeiten (z. B. γναφεύς = Walker, γεωργός = Farmarbeiter, μισθωτός = Leiharbeiter, ὀρεωκόμος = Maultiertreiber, τέκτων = Tischler etc.).65 Dies lässt sich mit den literarischen Zeugnissen gut vereinbaren: Xenophon legt nahe, dass sich Thra sybulos zahlreiche Nichtathener angeschlossen haben, die den Kampfverbund als Leichtbewaffnete und Plänkler verstärkten;66 und die Athenaion Politeia nennt (zwar
P.Oxy 1606 fg. 6 col. 1 und fg. 6 col. ii = Carey 2007, fg. 170 vv. 163–171: [ἐπει δὲ φεύ]γων ὤι χ̣ ετο, | [ἐπικούρους] τριακοσί|[ους ἐπέμψεν] εἰς τὴν κά|[θοδον καὶ π]α̣ρέσχετ̣ο | [χρήματά τε δ]ραχμὰς | pe rierunt vii lin. | [Ἠ]λε̣ι�ο̣ ̣ν ξ[ένο]ν ὄντα ἑ|αυ̣τω˜ ι ̣ ἔπει [̣ σεν] αὐτὸν δ̣ύ[|ο τάλαν̣τα π[αρ]ασχει˜ν ‹ἀ› τ[έ|λη{ι}; die hiervon abhängigen Parallelstellen: Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 835 e–836 a und Phot. Bibl. 489 b–490 a. Teilweise andere Zahlen werden genannt bei Oros. 2.17.9 (500 Söldner); Schol. Aris toph. Plout. 1146 (800 Schilde); Schol. Aischin. 3.195 (300 Söldner aus Aigina und 500 Schilde). Den Auftrag zum Anwerben von Söldnern hatten Lysias und Hermas/Hermon vermutlich von Thrasybulos erhalten: Buck 1998, 73 f. 60 Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 835 f (ἐπεὶ χρησιμώτατος ἁπάντων ὤφθη); vgl. Phot. Bibl. 489 b. 61 Vor der Verfolgung durch die Dreißig zählte Lysias zweifelsohne zu den finanziell potentesten Metöken Athens; vgl. P.Oxy 1606 fg. 170 (Carey) vv. 153–155: πλου|[σίωτατος ἦ]ν̣ τω˜ ν μετοί|[κων. 62 Wie Raubitschek 1941, bes. 294 unter Rekurs auf Aischin. 3.187 zeigen konnte, umfasste die Kern gruppe derer, die Phyle besetzt haben, insgesamt etwa 100 Kämpfer, darunter ca. 40 Nichtathener; von 60 oder 70 Kämpfern, mit denen Thrasybulos von Theben aus aufgebrochen ist, gehen Paus. 1.29.3 und Xen. Hell. 2.4.2 aus. 63 Die Referenzen zu den Fragmenten finden sich unten in diesem Kapitel in Anm. 78; die Anga ben bei Xenophon lassen sich mit der epigrafischen Evidenz grosso modo vereinbaren: Xen. Hell. 2.4.10 zufolge verfügte Thrasybulos über eine Gruppe von um die 1 000 Personen, als er den Piräus besetzte (τοὺς ἀπὸ Φυλη˜ ς περὶ χιλίους ἤδη συνειλεγμένους), die Zahl ist vor und nach der Schlacht bei Munichia weiter angewachsen (Hell. 2.4.12 und 25). 64 Krentz 1980, 298–306; Osborne 1982, Bd. 2, 26–43. 65 Zu den im Dekret genannten Berufen siehe Tod 1950, bes. 18–22. 66 Xen. Hell. 2.4.10, 12 und 25. 59
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in politisch tendenziöser Weise) nur die Douloi, die wohl tatsächlich stark vertreten waren,67 hinzu kamen aber offenbar auch Metöken und Fremde, zumeist aus niedrige ren gesellschaftlichen Schichten. Diesem bunten Haufen an nichtathenischen Mitkämpfern hat Thrasybulos nach der Schlacht bei Munichia offenbar zur Steigerung der Motivation als prospektiven Dank für die Mitwirkung an der Rückeroberung der Stadt die Verleihung der Isotelie in Aussicht gestellt.68 Unmittelbar nach dem erfolgreichen Einzug in Athen hat Thra sybulos dann (vermutlich Ende 404/403 oder Anfang 403/402)69 vor der Bürgerver sammlung den (deutlich über sein Versprechen hinausgehenden) Antrag gestellt, all diejenigen auswärtigen Unterstützer der demokratischen Gegenrevolution, die mit ihm vom Piräus in die Stadt gezogen waren, mit der Verleihung des athenischen Bür gerrechts auszuzeichnen.70 Dagegen ist, wie bereits erwähnt, unmittelbar Archinos mit einer Graphē paranomon vorgegangen, die auf dem Argument basierte, der Antrag sei ἀπροβούλευτον, d. h. nicht zuvor in die Boulē eingebracht worden.71 Der Einwand war sachlich begründet, denn als Thrasybulos den Antrag stellte, hatte sich die Boulē noch nicht wieder konstituiert. Nun war Archinos nicht gerade als politischer Gegner des Thrasybulos bekannt. Die Athenaion politeia (34.3, 40.1 f.) sieht ihn als wichtigen Unterstützer der wiedererrichte ten Demokratie, und Demosthenes versteht ihn sogar als den eigentlichen Restaurator der demokratischen Ordnung in Athen.72 Zwei fragmentarisch erhaltene Inschriften monumente im Besonderen zeigen, dass der Widerstand des Archinos gegen die un terschiedslose Verleihung des Bürgerrechts an sämtliche auswärtigen Unterstützer der Gegenrevolution nicht in einer grundsätzlichen Opposition gegen Thrasybulos wur zelte, sondern offenbar eher dem Bemühen geschuldet war, eine tragfähige Basis für einen gesellschaftlichen Ausgleich zwischen den „Demokraten“ und den „Oligarchen“ zu gewinnen. Beide Zeugnisse datieren ins Jahr 401/400:73 Es handelt sich um ein Eh rendekret und eine Bürgerrechts- und Isotelieverleihung. Zunächst zum Ehrendekret.
67 Ath. Pol. 40.2. 68 Xen. Hell. 2.4.25: πρὶν δὲ ἡμέρας δέκα γενέσθαι, πιστὰ δόντες, οἵτινες συμπολεμήσειαν, καὶ εἰ ξένοι ει῏εν, ἰσοτέλειαν ἔσεσθαι. 69 Zum Datum: Osborne 1982, Bd. 2, 31. 70 Zu den Quellen siehe oben in diesem Kapitel die Anm. 55. 71 Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 835 f–836 a: ἐφ’ οι῟ς γράψαντος αὐτῳ˜ Θρασυβούλου πολιτείαν μετὰ τὴν κάθοδον ἐπ’ ἀναρχίας τη˜ ς πρὸ Εὐκλείδου, ὁ μὲν δη˜ μος ἐκύρωσε τὴν δωρεάν, ἀπενεγκαμένου δ’ Ἀρχίνου γραφὴν παρανόμων διὰ τὸ ἀπροβούλευτον εἰσαχθη˜ ναι, ἑάλω τὸ ψήφισμα· καὶ οὕτως ἀπελαθεὶς τη˜ ς πολιτείας τὸν. λοιπὸν ᾤκησε χρόνον ἰσοτελὴς ὤν … Vgl. Schol. Aischin. 3.195. Es gibt keine stichhaltigen Indi zien dafür, dass die von Thrasybulos beantragte Bürgerrechtsverleihung jemals umgesetzt worden wäre, Archinos scheint also schnell reagiert zu haben. Kolbe 1921, 247: „es braucht nicht besonders betont zu werden, dass dieser Umstand [gemeint ist der Formfehler im Antrag des Thrasybulos] für Archinos nur den Vorwand abgab“. 72 Dem. 24.135: Ἀρχίνου … του˜ καταλαβόντος Φυλὴν καὶ … αἰτιωτάτου ὄντος τη˜ ς καθόδου τῳ˜ δήμῳ. 73 Zur Frage der Datierung siehe unten in diesem Kapitel bei Anm. 79–81.
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Eine Reihe zusammengehöriger Inschriftenfragmente74 ermöglicht die Rekonst ruktion eines ursprünglich im Metroon errichteten Statuenmonuments, dessen Basis (mit einer Höhe von etwa anderthalb Metern)75 die Skulptur einer personifizierten Demokratia oder des personifizierten Demos trug.76 Auf der Basis war ein Epigramm aufgebracht, von dem sich Teile erhalten haben und das auch bei Aischines (3.190) im Zusammenhang mit dem Bericht über eine von Archinos initiierte Ehrung zitiert wird.77 Wie Aischines (3.187) berichtet, erhielten all diejenigen, die Thrasybulos bereits in Phyle unterstützt hatten, auf Antrag des Archinos (nach einer eingehenden Prü fung, deren Durchführung in der Zuständigkeit des Rats lag) eine Ehrung, nämlich konkret eine Zahlung von knapp 10 Drachmen pro Person (mit Verwendungszweck εἰς θυσίαν καὶ ἀναθήματα) sowie eine Bekränzung mit einem Kranz aus Olivenzweigen. Bürger und Fremde wurden hier gleichermaßen geehrt, insgesamt handelte es sich um ungefähr 100 Begünstigte – die Kerngruppe der Unterstützer des Thrasybulos. Offenbar im Zusammenhang mit dieser Ehrung steht ein fragmentarisch erhalte nes Inschriftenmonument aus demselben Jahr 401/400, das die Verleihung des athe nischen Bürgerrechtsstatus an eine Gruppe von knapp 100 namentlich genannten Personen sowie die Verleihung des Isoteliestatus an zwei Gruppen von insgesamt ca. 800 namentlich genannten Personen reflektiert.78 Zwei Jahre nach dem ursprüng lichen Antrag des Thrasybulos, der am Widerstand des Archinos gescheitert war, hat der athenische Dēmos offenbar im Zusammenhang mit einer Initiative des Archinos beschlossen, die auswärtigen Unterstützer des Thrasybulos mit weitreichenden Pri vilegien zu versehen – die Bürgerrechtsverleihung spielt hier eine nicht unerhebliche Rolle, die 401/400 beschlossene Regelung ist allerdings weitaus differenzierter und
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75 76 77 78
Ag I 16 a + I 17 + 18 (= Meritt 1933, fr. a, b, c) + Ag I 16 b + I 93 (= Raubitschek 1941, fr. d, e) + EM 2756 (= Malouchou 2010–2013, fr. f; vgl. SEG 52.86); eine wichtige Korrektur (συνεμαχέσαντο τὴμ μάχην τὴμ Μονιχίασιν statt συνεμάχησαν δὲ etc. in l. 7) bietet Matthaiou 2012, 13 f. Fotos aller Frag mente sowie drei Rekonstruktionszeichnungen finden sich bei Malouchou 2010–2013, 140–144; zur historischen Bewertung: Malouchou 2010–2013, 125–138. Malouchou 2010–2013, 135 unter Verweis auf eine von M. Korre angestellte Berechnung. So eine von A. Matthaiou geäußerte Hypothese, die von Malouchou 2015, 95 referiert wird. Ag I 18 + EM 2756 (= Meritt 1933, fr. a ll. 73–76 + Malouchou 2010–2013, fr. f ll. 44–47): Τού[σδ’ ἀρετη˜ ς ἕ]νεκα στεφά[νοις ἐγέραιρε παλαίχθων] | δη˜ μ̣[ος Ἀθηναί]ων, οἵ ποτε το[ὺς ἀδίκοις] | θε[σμοι˜ς ἄρξα]ντας πόλεως π̣[ρω˜ τοι καταπαύειν] | ἦρ̣[ξαν, κίνδυνο]ν σώμα̣σιν ἀρ̣[άμενοι]; vgl. Aischin. 3.190. Die Fragmente des Dekrets: IG II/III2 10 (= EM 8147) + 2403 [Piräus-Museum, heute verschol len(?)] + IG IV2 2.1076 (= EM 13103 α und β) + Ag I 6106 (Walbank 1994, 169–171 [Nr. 2] = SEG 44.34). Zur historischen Bewertung des Dekrets siehe insbes. Osborne 1982, 26–43; Zusammen stellungen der wichtigsten Literatur bei Tod2, Bd. 2, 8 (Nr. 100); Krentz 1980, 298 Anm. 1; Osborne 1982, Bd. 2, 26 Anm. 66. Dass die in der Liste genannten Personen mit den auswärtigen Unterstüt zern des Thrasybulos identifiziert werden können, lässt sich an den Überschriften der Rubriken er kennen: (1) [οἵδε συγκατη˜ λθον ἀπὸ Φυλη˜ ς], (2) [οἵδε συνεμάχησαν τὴμ] | [μάχην τὴμ Μονιχίαασιν] und (3) οἵδε [π]αρέμ[ενον τω˜ ι] ἐμ Περαιει˜ δ[ήμωι]; zur Grundlage der Rekonstruktionen siehe Osborne 1982, Bd. 2, 27 sowie Rhodes/Osborne 2003, 20–25 (Nr. 4).
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beschränkt die Verleihung des Bürgerrechts auf die Gruppe an Unterstützern, die be reits bei der Besetzung von Phyle mitgewirkt hatten. Beide Zeugnisse datieren in das Archontat des Xenainetos und damit ins Jahr 401/400. Für die Bürgerrechts- und Isotelieverleihung ist dies seit Längerem bekannt,79 das Ehrendekret wurde dagegen bis vor einigen Jahren noch in die Zeit des Archon tats von Eukleides (403/402) datiert.80 Nachdem Georgia Malouchou nun allerdings nachweisen konnte, dass beide Beschlüsse in denselben Zeithorizont gehören,81 zeich net sich das Gesamtbild mit höherer Detailschärfe ab: Demnach hat Archinos zunächst erfolgreich verhindern können, dass sich Thrasybulos mit seinem Antrag zu einem quasi-Patron einer erheblichen Gruppe an Neubürgern machen und so die politische Szene im Athen der unmittelbaren Nachkriegszeit potenziell dominieren konnte: Peter Funke hat im Antrag des Thrasybulos so auch zu Recht das Potenzial gesehen, „eine der beiden Bürgerkriegsparteien im Hinblick auf die Frage der Zusammensetzung der Politengemeinschaft, die die zukünftige Politik bestimmen sollte, in überstarkem Maße zu begünstigen und auf diese Weise zu unüberwindlichen Hindernissen auf dem Weg zur angestrebten inneren Eintracht (ὁμόνοια) der Polis zu werden“.82 Schon die Athenaion Politeia (40.2) sah im Gegensteuern des Archinos folglich eine politisch kluge Maßnahme:83 Archinos’ Ziel scheint nicht darin bestanden zu haben, Thrasybulos (der ja in gewisser Weise auch ein politischer Weggefährte war) politisch zu neutralisieren, sondern die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine Reintegra tion der athenischen Bürgergemeinschaft zu wahren.84 Dass sich Archinos zwei Jahre später für eine zurückhaltendere Ehrung und differenziertere Privilegierung der aus
79 Im Falle von IG II/III2 10 ergibt sich die Datierung in das Archontat des [Ξεναίνετ]ος (d. h. 401/400) aus l. 1. Eine detaillierte Begründung bieten Osborne 1982, 30 f. mit Anm. 81 und Malou chou 2010–2013, 137 f. 80 So Raubitschek 1941, 286; vgl. Osborne 1982, 30: „Archinos’ measure belongs early in the archon-year 403/2 after the restoration of democracy“. 81 Malouchou 2010–2013, 137 f. kann überzeugend nachweisen, dass fr. f l. 49 nur die Rekonstruktion [Ξεναίνετ]ος ἦρ̣χε und damit die Datierung 401/400 zulässt (eine kurzgefasste englischsprachige Version des Aufsatzes bietet Malouchou 2015, mit Behandlung der Datierungsfrage auf S. 94). 82 Funke 1980, 19. 83 Ath. Pol. 40.2: καὶ δοκει˜ του˜ τό τε πολιτεύσασθαι καλω˜ ς Ἀρχι˜νος. 84 Lehmann 1976, 278 weist darauf hin, „dass Archinos sich in der kritischen Phase unmittelbar nach dem 12. Boedromion 403 v. Chr. besondere Verdienste um die Wahrung der Amnestie und die Reintegration der Angehörigen der oligarchischen Bürgerkriegspartei (ἀστει˜οι) in den athenischen Bürgerverband erworben hat … Gleichwohl kann kein Zweifel bestehen, dass er von Anfang an zu den Anführern der demokratischen Widerstandsbewegung gehört hat und bis weit in die Zeit des Korinthischen Krieges neben Thrasybulos und Anytos der prominenteste Politiker der restau rierten Demokratie war“; vgl. Funke 1980, 17 f.: „Besonders Archinos verstand es, die Politik der restaurierten, attischen Demokratie durch eine geschickte, an den realen tagespolitischen Mög lichkeiten ausgerichtete Leitung von Anfang an in die eben skizzierten Bahnen zu lenken und stets von neuem die schon bald nach der Aussöhnung von 403 v. Chr. aufbrechenden Richtungskämpfe im Hinblick auf eine Politik auszugleichen, deren Ziel es war, einerseits den demokratischen Cha rakter der Neugestaltung des attischen Staatswesens mit allen Mitteln zu wahren, andererseits aber
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wärtigen Unterstützer der Piräus-Partei engagiert hat, passt durchaus in dieses Bild: Eine soziale Unwucht konnte aus den Beschlüssen von 401/400 nicht entstehen, und auf dem Weg des gesellschaftlichen Ausgleichs zwischen den Konfliktparteien war die athenische Bürgergemeinschaft inzwischen vorangeschritten. Im skizzierten Prozess der gesellschaftlichen Reintegration ist Lysias mit Archinos also nicht aus einer grundsätzlich konträren politischen Zielsetzung heraus in Konflikt geraten, sondern weil der Interessenausgleich zwischen den Bürgerkriegsparteien nur durch die Exklusion der Nichtbürger eine realistische Perspektive auf die erfolgreiche Ausbildung einer stabilen politischen Nachkriegsordnung gewinnen konnte: Dass Ly sias das Bürgerrecht verwehrt blieb, war damit ein Nebeneffekt der Reintegration des athenischen Dēmos. Soweit sich erkennen lässt, haben sich Lysias und Archinos zwar gleichermaßen für die Wahrung des demokratischen Charakters der politischen Ord nung in Athen eingesetzt, an einer Verständigung mit den Vertretern der moderaten olig archischen Richtung war Lysias allerdings (im Gegensatz zu Archinos) nicht interessiert: Insbesondere aus seinen frühen Schriften geht deutlich hervor, dass er die ihm zur Ver fügung stehenden rhetorischen Mittel immer wieder auch für eine Abrechnung mit dem oligarchischen Regime genutzt hat. Nicht unwahrscheinlich ist, dass der Widerstand ge gen Oligarchen und der Einsatz für eine Aufwertung des gesellschaftlichen Status von Nichtbürgern für Lysias in gewisser Weise zusammengehört haben: So jedenfalls könnte auch seine Schrift gegen die Graphē paranomon des Archinos zu verstehen sein. Der lysianische Epitaphios greift dies alles nun in den späten 390er Jahren wieder auf. Es stellt sich hier die Frage, weshalb die damit thematisierte Problematik im Zuge des athenischen Wiedererstarkens zu Beginn des Korinthischen Krieges über haupt wieder virulent geworden ist. Wenn die athenische Bürgergemeinschaft in die ser Zeit tatsächlich mit Archinos einem herausragenden Helden der demokratischen Restauration von 403 ff. die Ehre übertragen hat, die öffentliche Gefallenenrede zu halten, brachte sie damit wohl ihre Anerkennung dafür zum Ausdruck, dass dessen Engagement für eine Überwindung der Bürgerkriegskonstellation die Grundlagen für das Wiedererstarken Athens gelegt hatte. Als der athenische Dēmos nun erneut von seinen Bürgern wie von seinen Xenoi die Bereitschaft zur Selbstaufopferung für die imperialistischen Ziele der Polis einzufordern begann, musste sich die Frage, welche persönlichen Vorteile aus einem potenziell tödlichen Einsatz für Athen zu gewinnen wären, speziell den ansässigen Nichtbürgern mit besonderer Dringlichkeit stellen: Der prominenteste und rhetorisch brillanteste von ihnen war Lysias.
niemals die Notwendigkeit einer steten Öffnung für die Integration auch der οἱ ἐξ ἄστεως in die attische Polis außer Acht zu lassen und dabei Sparta möglichst keinen Anlass zu geben, erneut in Athen direkt einzugreifen und die sich anbahnende Entwicklung zu stören“.
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*** Dass der lysianische Epitaphios auch tatsächlich von Athenern rezipiert wurde, zeigt sich nicht zuletzt im Werk des Isokrates, der sich ein gutes Jahrzehnt nach dem lysia nischen Epitaphios ebenfalls in literarischer Form mit der Institution der athenischen Gefallenenrede auseinandergesetzt und dabei auf Lysias Bezug genommen hat. Bereits um 386/385 aber – unmittelbar nach dem Antalkidas-Frieden – hat sich in den Diskurs ein, wenn man so will, intellektueller Saboteur eingeklinkt: Sein Name: Platon; sein Instrument: der sokratische Dialog. Das folgende Kapitel geht zunächst dieser enig matischsten aller Gefallenenreden auf den Grund, die sich in literarischer Form aus dem demokratischen Athen erhalten haben.
Siebtes Kapitel Platon und Isokrates Sterben für den Ruhm? Im Zentrum des platonischen Menexenos steht eine Gefallenenrede, die der literarische Sokrates seinem Gesprächspartner Menexenos vorträgt. Gerahmt wird die von Sokra tes wiedergegebene Rede von einer Unterhaltung zwischen den beiden Protagonisten, mit der die Deklamation szenisch kontextualisiert wird. Das Setting führt in die Thema tik der Rhetorikkritik ein und bereitet parallel den Vortrag der Gefallenenrede vor. Die Rahmenhandlung erfüllt aber vor allem die Funktion, die etablierte Deutungsmatrix zu sprengen, in der eine athenische Gefallenenrede ihren politischen Sinn erzeugen konnte. Platon gewinnt so die Voraussetzung für eine eindrucksvolle Dekonstruktion des Gen res: Aus den literarischen Trümmern der Ideologie des Kerameikos, die er durch seinen eigenwilligen Umgang mit dem Epitaphios Logos erzeugt, formt er eine scharfkantige Kritik am Streben Athens nach Suprematie. Im Panegyrikos nutzt auch Isokrates die li terarische Auseinandersetzung mit der athenischen Gefallenenrede – wenn auch auf wesentlich subtilere Weise und mit einer letztlich affirmativen Stoßrichtung – für eine kritische Auseinandersetzung mit den historischen Irrwegen der athenischen Machtpo litik. Zugleich setzen sich beide Autoren auch eingehend mit der Frage nach der erziehe rischen Bedeutung der öffentlichen Rhetorik in Athen auseinander. Das vorliegende Ka pitel geht diesen Diskursfeldern nach und arbeitet dabei heraus, wie sich das literarische Genre der Epitaphioi Logoi in der zweiten Hälfte der 380er Jahre weiterentwickelt und rekonfiguriert hat, bevor es über vier Jahrzehnte hinweg vorläufig verstummen sollte. Todernste Ironie: Die sokratische Leichenrede Platon konfrontiert die Leser und Hörer des Menexenos mit einer komplexen Bre chung:1 Sie rezipieren den Text eines Autors (nämlich Platons), der eine Gefallenenre
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Die für die Arbeit an diesem Kapitel konsultierten Textausgaben, Kommentare, Übersetzungen
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de verfasst hat, über die er die literarische Kunstfigur, die im Rahmen des Dialogs die Rede wiedergibt (nämlich Sokrates), gegenüber einer anderen literarischen Kunstfi gur (Menexenos) aussagen lässt, sie rezitiere hier aus dem Gedächtnis die zuvor von einer Nichtathenerin (Aspasia) in einer anderen privaten Begegnung vorgetragene Rede, von welcher wiederum der literarische Sokrates sagt, sie sei teils so, wie eine solche Rede beschaffen sein solle (οι῟α δέοι λέγειν), aus dem Stegreif gehalten worden, teils habe Aspasia – wie ihm scheine (μοι δοκει˜) – aus dem Gedächtnis Textpassagen aus Entwürfen für eine ältere Rede verwertet, die sie einst für einen offiziellen Anlass (nämlich die Gefallenenrede des Perikles) verfasst habe, wobei Platon via Sokrates via Aspasia das literarische Ich der Gefallenenrede noch eine an die fiktiven Hinterbliebe nen gerichtete wörtliche Ansprache zitieren lässt, die ursprünglich von den Gefalle nen, auf die sich die von Sokrates rezitierte Rede bezieht, gehalten worden sei, als diese noch lebten (246 d1–247 c4): In dieser Wiedergabe der Ansprache der Gefallenen an ihre Hinterbliebenen erreicht der Menexenos den Höhepunkt paradoxaler Verdichtung und Verschachtelung – der ehrenvolle Tod im Krieg wird hier als Bezugspunkt einer Unterweisung in platonischer Tugendlehre mit Reminiszenzen an die sokratische Deutung des tugendhaften Todes überblendet, wie sie etwa im Laches, in der Apologie und im Phaidon verhandelt werden; die Rede, die in der erzählerischen Vorgeschichte auf Aspasia (alias Perikles’ Ghostwriter / Sokrates’ Lehrerin) zurückgeht, richtet sich wörtlich von den Vätern an die Söhne und wird dialogisch nun von Sokrates gegen über einer Figur wiedergegeben, die Platon wohl nicht zufällig mit einem Namen aus gestattet hat, den neben Menexenos als Spross eines bedeutenden Aristokratenclans (dazu unten mehr) auch der leibliche Sohn des historischen Sokrates trug:2 Die beiden Menexenoi scheinen dabei die Funktion von (sozial unterschiedlich positionierten) Stellvertretern einer zukünftigen Generation an Athenern einzunehmen, an die sich die in die Ansprache der Gefallenen eingearbeitete ethisch-moralische Reflexion als Ermahnung zu einem guten Leben in der Gesellschaft richtet. Die platonische Gefallenenrede erweist sich damit als hochgradig verschachteltes li terarisches Gebilde. Die Möglichkeiten eines gelingenden Textverständnisses werden über die bloße Komplexität der literarischen Struktur hinaus noch narrativ dadurch unterlaufen, dass Menexenos bezweifelt, Sokrates könne die Rede aus dem Gedächt nis verlässlich wiedergeben,3 worauf sich Sokrates in einen Widerspruch verstrickt (er setzt zu einer Beschwichtigung an, eröffnet aber zugleich, er habe beinahe Schläge von Aspasia bekommen, weil er die Worte nicht recht behalten konnte)4 und Menexenos und Deutungen zu Platons Menexenos werden im Anhang unter der Rubrik „Literarische Haupt quellen“ angeführt. Eine umfangreichere Bibliografie der wichtigsten Forschungsbeiträge zum Menexenos bieten Parker/Robitzsch 2018, 197–202. 2 Zu Sokrates’ Sohn Menexenos (PAA 644865): Dean-Jones 1995. 3 Plat. Men. 236 b: ἦ καὶ μνημονεύσαις ἂν ἃ ἔλεγεν ἡ Ἀσπασία; 4 Plat. Men. 236 b–c: εἰ μὴ ἀδικω˜ γε: ἐμάνθανόν γέ τοι παρ’ αὐτη˜ ς, καὶ ὀλίγου πληγὰς ἔλαβον ὅτ’ ἐπελανθανόμην.
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dann den Anspruch auf getreue Wiedergabe mit den Worten aufgibt, Sokrates solle nur sprechen, er tue ihm einen großen Gefallen damit, möge das, was er sagen wolle, von Aspasia stammen oder von wem auch immer.5 Sokrates bezeichnet das Unterfan gen, eine Gefallenenrede zu deklamieren, dann noch als eine für ihn als alten Mann unangemessene Spielerei (ein παίζειν), die er mit dem öffentlichen Tanz eines Nack ten vergleicht,6 und leitet den Vortrag schließlich mit der relativierenden Wendung ὡς ἐγᾦμαι ein – er glaube, Aspasia habe wie folgt damit begonnen, über die Toten zu sprechen.7 Dass dann in einer privaten Begegnung Sokrates als Jedermannsbürger ei nem politisch ambitionierten Athener eine Rede vorträgt, die in ihrer regulären Form als Ansprache eines herausragenden Vertreters der Bürgergemeinschaft an die Allge meinheit ein Höchstmaß an Öffentlichkeit erfordert, verkehrt die übliche Kommuni kationssituation einer Gefallenengrabrede gleich in mehrfacher Hinsicht ins Paradoxe. Der Menexenos lässt die Leser und Hörer damit durchweg und offenbar intentio nal hinsichtlich einer ganzen Reihe elementarer Voraussetzungen dafür im Unklaren, wie die von Sokrates deklamierte Gefallenenrede zu verstehen ist: Innerhalb der Rede bleibt formal weitestgehend offen, wer sich nun bei einer gegebenen Textstelle jeweils genau hinter dem literarischen Ich verbirgt und welcher Status zwischen Stegreifim provisation, Gedächtniszitat oder literarischem Versatzstück dem gesprochenen Wort im Einzelnen zukommt. So bleibt strukturell unklar, in welchen gesellschaftlichen Be zügen die Aussagen zu verstehen sind: Adressiert hier ein Bürger die Festgemeinde ei nes Gefallenenbegräbnisses, eine Nichtbürgerin ihren Rhetorikschüler, ein Philosoph seinen aristokratischen Gesprächspartner, die Gefallenen ihre Hinterbliebenen oder gar der Geist eines von Gerichts wegen Exekutierten seinen eigenen Sohn? Je nach dem, wie man diese Frage jeweils beantwortet, ändert sich der Deutungshorizont des Gesagten teils ganz erheblich. Die vielfachen Brechungen, die die Gefallenenrede durchziehen, werden noch verstärkt durch eine auffällig anachronistische Konzeption der Gesamtszenerie: Das jüngste Ereignis, auf das sich der Text bezieht, ist der sogenannte Königsfrieden (Frühling 386)8 – der echte Sokrates war zu diesem Zeitpunkt schon fast anderthalb Jahrzehn te tot, was Platon aber nicht davon abhielt, ihn als literarische Figur in ein Gespräch mit dem Spross einer Aristokratenfamilie zu verwickeln, der Mitte der 380er Jahre erst etwa 20 Jahre alt gewesen sein dürfte.9 Zum Alter des Menexenos scheinen auch die Verweise auf Archinos und Dion (Men. 234 b10) nicht so recht zu passen, wenn 5 Plat. Men. 236 c: ἀλλ’ εἰπέ, καὶ πάνυ μοι χαριει˜, εἴτε Ἀσπασίας βούλει λέγειν εἴτε ὁτουου˜ ν. 6 Plat. Men. 236 c–d: ἀλλ’ ἴσως μου καταγελάσῃ, ἄν σοι δόξω πρεσβύτης ὢν ἔτι παίζειν … ὥστε κἂν ὀλίγου εἴ με κελεύοις ἀποδύντα ὀρχήσασθαι. 7 Plat. Men. 236 d: ἔλεγε γάρ, ὡς ἐγᾦμαι, ἀρξαμένη λέγειν ἀπ’ αὐτω˜ ν τω˜ ν τεθνεώτων οὑτωσί. 8 Plat. Men. 245 e; den Verweis hat bereits Krüger 1836, 226 f. erkannt. Zum Königsfrieden: Funke 1980; Urban 1991; Jehne 1994. 9 Dies geht aus Plat. Men. 234 a4–b1 hervor: Menexenos tritt gerade ins politisch aktive Mannesalter ein; im Lysis (211 b8) wird er noch als ἐριστικός bezeichnet und damit etwas jünger dargestellt; zum
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Archinos tatsächlich, wie im vorausgegangenen Kapitel argumentiert, seine Gefalle nenrede bereits in der Frühphase des Korinthischen Krieges und damit mindestens ein halbes Jahrzehnt vor der Entstehung des Menexenos gehalten hat.10 Wenn Sokrates dann dem Menexenos erzählt, er habe am Vortag eine Rede der Aspasia gehört, wer den die Anachronismen nochmals deutlich verschärft: Das Todesdatum der Aspasia ist zwar nicht bekannt, es gibt aber keine Hinweise darauf, dass sie nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges noch gelebt hat. Wenn Platon Sokrates berichten lässt, er glaube, Aspasia habe für ihre Rede auf Überreste (περιλείμματα) ihrer Entwürfe für die Grabrede des Perikles zurückgegriffen, werden die Anachronismen auf die Spitze getrieben: Denn damit ist entweder die Samische Rede von 439 oder die zweite Gefal lenenrede des Perikles aus dem Jahr 431/430 gemeint; Perikles selbst ist jedenfalls im Jahr 429 gestorben. Der Menexenos weist also gar keinen klar identifizierbaren fiktiven Zeitpunkt des Gesprächs auf, vielmehr verschwimmen verschiedene Zeithorizonte miteinander, wobei die frühesten Ereignisschichten in die Zeit vor 430 zurückgehen und die jüngste Schicht im Jahr 386 liegt. Die Deutungsschwierigkeiten nehmen noch dadurch zu, dass der Menexenos ge schickt verschleiert, ob die in der Rahmenhandlung genannten Figuren (außer Sokra tes werden in der Reihenfolge ihrer namentlichen Nennungen angeführt: Menexenos, Archinos, Dion, Perikles, Aspasia, Konnos, Lampros, Antiphon) auf die jeweiligen his torischen Personen zu beziehen sind oder ob Platon hier ein Netz an intertextuellen Referenzen zur Literatur seiner Zeit etabliert. Die Schwierigkeiten beginnen schon bei Sokrates’ Gesprächspartner Menexenos (und zwar ganz unabhängig von der phasen weisen Überlagerung mit Sokrates’ gleichnamigem Sohn): In der Rahmenhandlung wird Menexenos von Sokrates charakterisiert als junger Mann vornehmer und vermö gender Herkunft mit politischen Ambitionen.11 Aus dem Lysis geht hervor, dass der hier gemeinte Menexenos ein Sohn des Demophon war,12 der Pierre Vidal-Naquet zu folge wiederum identisch ist mit jenem Demophon, den wir als Sohn des Hippokrates, eines Sohnes des Ariphron, Bruder des Perikles kennen.13 Der Verweis des Sokrates im Menexenos, sein Gesprächspartner strebe an, über die Alten zu herrschen (ἄρχειν), „damit uns euer Haus ohne Unterbrechung immer jemanden stellt, der sich um uns kümmert“,14 ordnet Menexenos also in einer Sippe ein, die wie kaum eine andere für
Alter des Menexenos im Menexenos siehe auch Vidal-Naquet 1984, 280. Die historische Person: PA 9973. 10 Die Frage der Datierung der Rede des Archinos wird im sechsten Kapitel behandelt. 11 Plat. Men. 234 a–b: ἢ δη˜ λα δὴ ὅτι παιδεύσεως καὶ φιλοσοφίας ἐπὶ τέλει ἡγῃ˜ ει῏ναι, καὶ ὡς ἱκανω˜ ς ἤδη ἔχων ἐπὶ τὰ μείζω ἐπινοει˜ς τρέπεσθαι, καὶ ἄρχειν ἡμω˜ ν, ω῏ θαυμάσιε, ἐπιχειρει˜ς τω˜ ν πρεσβυτέρων τηλικου˜ τος ὤν, ἵνα μὴ ἐκλίπῃ ὑμω˜ ν ἡ οἰκία ἀεί τινα ἡμω˜ ν ἐπιμελητὴν παρεχομένη; 12 Plat. Lys. 207 b8. 13 Vidal-Naquet 1984, 280. Demophon: PA 3701 = PAA 321750; Hippokrates: PA 7640 = PAA 538615; Ariphron: PA 2204 = PAA 202330. 14 Plat. Men. 234 a–b (zitiert oben in diesem Kapitel in Anm. 11).
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die Machtpolitik des Ersten Seebunds stand. Wenn sich das Gespräch wenig später dann explizit der Gefallenenrede just dieses Perikles zuwendet, beginnt der Dialog, zwischen historischen und literarischen Sinnbezügen zu changieren: Perikles, wie er von Platon im Gorgias als Archeget einer folgenschweren Ideologie athenischer Macht intellektuell seziert wird, erscheint hier als Ahn des Protagonisten, vor dessen Augen sich die sokratische Dekonstruktion der athenischen Gefallenenrede vollzieht. Dass hier eine Auseinandersetzung mit der Leichenrede des thukydideischen Perikles un terstellt werden darf, haben schon die antiken Beobachter so gesehen,15 und davon geht auch die heutige Forschung mit gutem Grund noch aus. Auch die Figur der Aspasia nutzt Platon, um den Menexenos gezielt in der Schwebe zwischen Realität und Fiktion zu halten. Aspasia tritt im Menexenos zwar nicht als dramatis persona in Erscheinung, die von Sokrates deklamierten Worte werden aber (mit den erwähnten Unschärfen) auf die Urheberschaft dieser Frau zurückgeführt, sie er klingt im Dialog also durch das Stimmorgan des Sokrates – der damit im eigentlichen Wortsinne zu ihrer persona bzw. zu ihrem πρόσωπον wird. Dass sie als Nichtathene rin im Medium der Gefallenenrede die ideologische Untermauerung des athenischen Machtanspruchs vorgenommen haben soll, unterwandert die perikleische und die so kratische Leichenrede gleichermaßen und parallelisiert zugleich den thukydideischen mit dem platonischen Epitaphios Logos. Aspasia ist hier historische Person und litera rische Kunstfigur zugleich. Inspirationsquelle war für Platon offenbar das literarische Nachleben der Aspasia, speziell die Stilisierungen der Aspasia und ihrer Beziehung zu Perikles bzw. Sokrates in der Literatur des frühen vierten Jahrhunderts: Insbesonde re in der Komödie trat Aspasia gerne als Erzieherin des Perikles auf – „ein typisches κωμῳδικόν“, wie es Joachim Schwarze formulierte, das „mehr oder weniger Gemeingut“ bereits der Alten Komödie war und Platon die Basis bot, Aspasia für einen kritischen Diskurs über die Erinnerung an das perikleische Athen zu nutzen.16 Den unmittelbaren Ansatzpunkt, um über die Figur der Aspasia die beiden Kernanliegen des Menexenos zusammenzuführen – nämlich eine Kritik an der perikleischen Ideologie athenischer Macht und die Formulierung eines alternativen Konzepts der Aretē – hat Platon aber primär, wie Charles H. Kahn gezeigt hat, im Dialog Aspasia des Sokratikers Aischines vorgefunden,17 dem ein gleichnamiges Werk ebenfalls philosophischen Anspruchs des
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Dion. Hal. Dēm. 23: κράτιστος δὴ πάντων τω˜ ν πολιτικω˜ ν λόγων ὁ Μενέξενος, ἐν ᾧ τὸν ἐπιτάφιον διεξέρχεται λόγον, ὡς μὲν ἐμοὶ δοκει˜, Θουκυδίδην παραμιμούμενος, ὡς δὲ αὐτός φησιν, Ἀρχίνῳ καὶ Δίωνι. Schwarze 1971, 92. Zur Person: RE Aischines Nr. 14; die Fragmente sind zusammengestellt bei Dittmar 1912. Eine detaillierte Untersuchung zum Dialog Aspasia des Sokratikers Aischines bietet Ehlers 1966, dort S. 26–34 zum literarischen Bild der Aspasia vor dem aischineischen Dialog und S. 101–137 zu den Reflexen der aischineischen Aspasia in der zeitgenössischen sokratischen Literatur (insbes. S. 123– 131 zum platonischen Menexenos). Zur literarischen Stellung des Aischines siehe auch Taylor 1934 b und Kahn 1994. Dass die Aspasia kurz vor dem Menexenos entstanden sein muss, hat Kahn 1994,
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Antisthenes vorausgegangen ist:18 Das Kernthema der aischineischen Aspasia, dies hat Barbara Ehlers klar herausgearbeitet, war die Kraft des Eros und ihre Beziehung zum Streben nach Aretē.19 Platon hat „die Gestalt der historischen Aspasia“ im Menexenos zwar regelrecht „aufgelöst“,20 doch offenbar mit dem Anspruch, hierdurch eine litera rische Projektionsfläche für einen Beitrag zum zeitgenössischen Diskurs über Macht, Gesellschaft und Tugend zu gewinnen. Auch bei Archinos und Dion bietet Platon den Rezipienten des Menexenos offenbar gleichermaßen Hinweise auf Bezüge zur historischen Realität wie auf den literarischen Diskursraum: Da Archinos ziemlich sicher tatsächlich als Gefallenenredner aufgetre ten ist (sechstes Kapitel), könnte es das Probuleuma, auf das sich Menexenos in der Rahmenhandlung bezieht, in den späten 390er Jahren tatsächlich gegeben haben. Zu gleich scheint Platon mit dem Verweis auf Archinos und Dion aber eine literarische Referenz im Blick zu haben: Wir wissen (wie im vorausgehenden Kapitel dargelegt) von der Existenz eines wahrscheinlich in der Frühphase des Korinthischen Krieges entstandenen Epitaphios aus der Feder des Archinos; auf diese Schrift hat mit einiger Sicherheit bereits vor Platons Menexenos auch der lysianische Epitaphios reagiert. Der Verweis auf Archinos bietet für Platon somit wohl auch einen Ansatzpunkt, um eine implizite Auseinandersetzung mit Lysias zu führen, dessen Epitaphios als Gegenmodell zum Epitaphios des Archinos konzipiert gewesen zu sein scheint. Starke Indizien für eine literarische Verarbeitung der lysianischen Schrift finden sich jedenfalls im Menexenos auch an anderen Stellen.21 Auch im Falle der übrigen im Dialog genannten Personen lassen sich literarische Referenzen erkennen, die hier nicht im Einzelnen ausgeführt werden müssen,22 nur auf Antiphon möchte ich noch kurz eingehen: In der Rahmenhandlung kritisiert So krates die athenischen Leichenreden mit dem Argument, es sei keine Herausforde rung, Athener vor Athenern zu preisen; in diesem Zusammenhang führt er aus, er selbst könne eine solche Rede halten, denn er habe in Aspasia ja eine hervorragende Lehrerin der Rhetorik gehabt (auf die Frage nach der Stichhaltigkeit der Begründung möchte ich hier gar nicht näher eingehen) – doch selbst wer bei einem schlechteren Lehrer Rhetorikunterricht genossen habe, sei vermutlich trotzdem in der Lage, mit einem Lob der Athener Zustimmung bei einem athenischen Publikum zu finden: Als Beispiel für einen solchen schlechten Redelehrer nennt Sokrates Antiphon aus Rham
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103–106 gezeigt. Zur Beziehung des Menexenos zur Aspasia siehe auch Harpokration s. v. Ἀσπασία (A 248) ed. Keaney 1991 sowie Schol. Plat. Men. 235 e. Susemihl 1900 a und 1900 b; Dittmar 1912, 10–17; Giannantoni 1985, 3.295–297; Meijer 2017. Ehlers 1966. Ehlers 1966, 128. Die intertextuellen Bezüge zu Lysias diskutiert Kahn 1963, 231. So liegt dem Verweis auf Konnos als Sokrates’ Lehrer der μουσική (235 e9) eine Referenz auf die Komödie des Ameipsias zu Grunde, wo der lernbegierige, indes schon greise Sokrates verspottet wurde; siehe Loewenclau 1961, 32 mit Anm. 88.
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nus,23 der freilich nicht nur bereits in der Antike ein hohes Ansehen als Rhetoriker genoss, sondern bei Markellinos just als Rhetoriklehrer des Thukydides vorgestellt wird,24 was als historisches Faktum dadurch auch durchaus plausibel erscheint, dass Thukydides selbst in einer auffallend ausführlichen Passage Antiphon überaus positiv hervorhebt.25 Da Sokrates in der Rahmenhandlung die Güte des Rhetorikunterrichts nun ausgerechnet daran misst, ob der Unterricht den Adepten in die Lage versetzt, eine einmal gehörte Rede sicher zu memorieren und fehlerfrei wiederzugeben, haben wir es hier offenbar mit einem Seitenhieb auf die historiografische Heuristik des Thu kydides zu tun, der die in seinem Geschichtswerk eingebetteten Reden seiner eigenen Auskunft zufolge nach der Maßgabe nachempfunden habe, das Gesprochene so zu re konstruieren, „wie meiner Meinung nach jeder in seiner Lage etwa sprechen musste“:26 ὡς δ’ ἂν ἐδόκουν ἐμοὶ ἕκαστοι περὶ τω˜ ν αἰεὶ παρόντων τὰ δέοντα μάλιστ’ εἰπει˜ν – denn „hier den genauen Wortlaut dessen, was gesagt worden war, aus dem Gedächtnis ab zurufen (διαμνημονευ˜ σαι), war unmöglich“.27 Die vordergründig unschuldige Frage des Menexenos, ob Sokrates denn habe im Gedächtnis bewahren können, was Aspasia ge sagt hatte (236 b: ἦ καὶ μνημονεύσαις ἂν ἃ ἔλεγεν ἡ Ἀσπασία;), bezieht sich gerade in ihrer Kopplung mit der Aussage des Sokrates, die Leichenrede sei teils so formuliert worden, wie eine solche Rede beschaffen sein solle (236 b: οι῟α δέοι λέγειν), in spötti scher Weise auf das thukydideische Methodenkapitel. In der Gesamtschau zeigt die bisherige Analyse, wie Platon die Gattung der atheni schen Leichenrede regelrecht zerkrümelt, die so entstandenen περιλείμματα (Überres te) zu einer abstrakten, dekontextualisierten Collage wieder zusammenflickt und mit Rahmung durch die dialogische Szenerie ein Epitaphien-Patchwork gewinnt, das er als Projektionsfläche für eine ebenso vielfältige wie intensive Auseinandersetzung mit dem literarischen Diskursraum seiner Zeit zu nutzen versteht: Damit bleibt den Rezi
23 Plat. Men. 263 a. 24 Markell. Thuk. 22.1–7: Ἤκουσε δὲ διδασκάλων Ἀναξαγόρου μὲν ἐν φιλοσόφοις …, Ἀντιφω˜ ντος δὲ ῥήτορος, δεινου˜ τὴν ῥητορικὴν ἀνδρός, ου῟ καὶ μέμνηται ἐν τῃ˜ ὀγδόῃ ὡς αἰτίου τη˜ ς καταλύσεως τη˜ ς δημοκρατίας καὶ τη˜ ς τω˜ ν τετρακοσίων καταστάσεως. 25 Thuk. 8.68: ὁ μέντοι ἅπαν τὸ πρα˜ γμα ξυνθεὶς ὅτῳ τρόπῳ κατέστη ἐς του˜ το καὶ ἐκ πλείστου ἐπιμεληθεὶς Ἀντιφω˜ ν ἦν ἀνὴρ Ἀθηναίων τω˜ ν καθ’ ἑαυτὸν ἀρετῃ˜ τε οὐδενὸς ὕστερος καὶ κράτιστος ἐνθυμηθη˜ ναι γενόμενος καὶ ἃ γνοίη εἰπει˜ν, καὶ ἐς μὲν δη˜ μον οὐ παριὼν οὐδ’ ἐς ἄλλον ἀγω˜ να ἑκούσιος οὐδένα, ἀλλ’ ὑπόπτως τῳ˜ πλήθει διὰ δόξαν δεινότητος διακείμενος, τοὺς μέντοι ἀγωνιζομένους καὶ ἐν δικαστηρίῳ καὶ ἐν δήμῳ πλει˜στα ει῟ς ἀνήρ, ὅστις ξυμβουλεύσαιτό τι, δυνάμενος ὠφελει˜ν. [2] καὶ αὐτός τε, ἐπειδὴ † μετέστη ἡ δημοκρατία καὶ ἐς ἀγω˜ νας κατέστη † τὰ τω˜ ν τετρακοσίων ἐν ὑστέρῳ μεταπεσόντα ὑπὸ του˜ δήμου ἐκακου˜ το †, ἄριστα φαίνεται τω˜ ν μέχρι ἐμου˜ ὑπὲρ αὐτω˜ ν τούτων αἰτιαθείς, ὡς ξυγκατέστησε, θανάτου δίκην ἀπολογησάμενος. 26 Thuk. 1.22; Übers. Landmann. Der Gesamtkontext: καὶ ὅσα μὲν λόγῳ ει῏πον ἕκαστοι ἢ μέλλοντες πολεμήσειν ἢ ἐν αὐτῳ˜ ἤδη ὄντες, χαλεπὸν τὴν ἀκρίβειαν αὐτὴν τω˜ ν λεχθέντων διαμνημονευ˜ σαι ἦν ἐμοί τε ω῟ ν αὐτὸς ἤκουσα καὶ τοι˜ς ἄλλοθέν ποθεν ἐμοὶ ἀπαγγέλλουσιν· ὡς δ’ ἂν ἐδόκουν ἐμοὶ ἕκαστοι περὶ τω˜ ν αἰεὶ παρόντων τὰ δέοντα μάλιστ’ εἰπει˜ν, ἐχομένῳ ὅτι ἐγγύτατα τη˜ ς ξυμπάσης γνώμης τω˜ ν ἀληθω˜ ς λεχθέντων, οὕτως εἴρηται. 27 Stelle wie oben; Übers. Weißenberger.
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pienten des Menexenos die Möglichkeit verwehrt, die von Sokrates deklamierte Gefal lenenrede sinnhaft wie eine echte Gefallenenrede zu lesen und so zu einer schlüssigen Gesamtdeutung zu gelangen, die es wiederum ermöglichen würde, die Aussageinten tion der einzelnen Argumentationseinheiten verlässlich zu entschlüsseln. Platon hat das Problem, das er durch die Konzeption der fiktiven Rede selbst erzeugt hat, noch durch eine eigenwillige Stilistik und auffällige Inkonsistenzen verschärft.28 So zwingt die Textstruktur die Leser/Hörer regelrecht dazu, die zu einem wackeligen Pastiche montierten Ideologeme konsequent zu hinterfragen. Zwei Beispiele sollen dies anhand offenkundiger Ungereimtheiten verdeutlichen: Im Übergang vom Lob der athenischen Verfassung (238 b–239 a) zum Tatenbericht (239 a–246 a) werden aus gehend von der Autochthonie aus der gleichen Abstammung (ἰσογονία) der Athener ihre gleichen Rechte (ἰσονομία) und aus diesen wiederum ihre Freiheit (ἐλευθερία) abgeleitet,29 die ihrerseits als Grundlage dafür vorgestellt wird, dass die Athener viele edle Taten vollbringen konnten, die allen Menschen zugute gekommen seien.30 Schon hier erscheint der argumentative Übergang von der Freiheit der Athener (die ja an die Autochthonie gekoppelt und damit exklusiv konzipiert ist) zum angeblichen Nutzen dieser Eigenschaft für die gesamte Menschheit durchaus gewagt – und im unmittelbar folgenden Satz lässt Platon das labile Behauptungsgebilde dann auch sogleich kollabie ren. Denn die Männer, um die es hier geht, „sahen es als ihre Pflicht an, im Namen der Freiheit für Griechen gegen Griechen und für alle Griechen gegen Barbaren zu kämpfen“:31 Der behauptete Nutzen für alle Menschen entpuppt sich damit als ein auf bloßem Dafürhalten (οἴομαι δει˜ν) begründeter Kampf der Athener gegen Griechen wie gegen Barbaren gleichermaßen – und damit just gegen die direkt zuvor eingeführte Ge samtheit aller Menschen, die doch vom Wirken der Athener vermeintlich profitieren soll.32 Damit auch niemand die Pointe verpasst oder das Problem für irrelevant erachtet, fügt Platon ein (wenn auch mythisches) Beispiel zur konkreten Inkonsistenz der milita ristischen Außenwirkung Athens an: Mit der Wendung „wir halfen den Argivern gegen die Thebaner und den Herakliden gegen die Argiver“ bringt er die zunächst nur abs trakt formulierte Behauptung in die Nähe einer historischen Beweisführung und deutet
An den stilistischen Eigenheiten des Menexenos hat sich schon Dionysios von Halikarnassos ab gearbeitet (Dēm. 23–30 bietet eine ausgedehnte Diskussion des Menexenos, in der sich Dionysios zunehmend frustriert über die sonderbare Stilistik der Gefallenenrede äußert) – die moderne For schung tut gut daran, die Argumente nicht vorschnell beiseitezuschieben. 29 Plat. Men. 239 a. 30 Plat. Men. 239 a: ὅθεν δὴ ἐν πάσῃ ἐλευθερίᾳ τεθραμμένοι οἱ τω˜ νδέ τε πατέρες καὶ ἡμέτεροι καὶ αὐτοὶ ου῟ τοι, καὶ καλω˜ ς φύντες, πολλὰ δὴ καὶ καλὰ ἔργα ἀπεφήναντο εἰς πάντας ἀνθρώπους. Zum Topos der athenischen Vorkämpferschaft, der hier verarbeitet wird, siehe Tsitsiridis 1998, 242. 31 Plat. Men. 239 b: οἰόμενοι δει˜ν ὑπὲρ τη˜ ς ἐλευθερίας καὶ Ἕλλησιν ὑπὲρ Ἑλλήνων μάχεσθαι καὶ βαρβά ροις ὑπὲρ ἁπάντων τω˜ ν Ἑλλήνων. 32 Zur verallgemeinernden Bedeutung der Wendung Ἓλληνες καὶ βάρβαροι im Sinne von „die gesam te Menschheit“ siehe Tsitsiridis 1998, 243 f. 28
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damit die problematische Beziehungsgeschichte des fünften und vierten Jahrhunderts zwischen Athen und dem Rest der griechischen Welt durchaus wirkungsvoll an.33 Das zweite Beispiel betrifft mit der Charakterisierung der athenischen Verfassung eine Stelle im Menexenos, die sich erkennbar mit einer berühmten Passage im thuky dideischen Nachruf auf Perikles auseinandersetzt, in der die politische Verfassung der athenischen Bürgergemeinschaft mit Blick auf das perikleische Athen als „dem Namen nach eine Demokratie, tatsächlich aber die Herrschaft des ersten Mannes“ charakteri siert wird.34 Dass diese Aussage in einem Spannungsverhältnis zu dem Bild steht, das der thukydideische Perikles in seiner Gefallenenrede von der politischen Verfassung Athens zeichnet, ist Platon nicht entgangen. Im Menexenos spießt er den (von Thuky dides freilich intentional gesetzten) Widerspruch mit einer üblen Verballhornung auf, die er direkt in die Gefallenenrede des Menexenos einpflanzt, wo sie nicht nur wie ein Fremdkörper wirkt, sondern auch in sich kaum sinnvoll zu deuten ist. Es lohnt sich, die Passage in Gänze zu zitieren:35 ἡ γὰρ αὐτὴ πολιτεία καὶ τότε ἦν καὶ νυ˜ ν, ἀριστοκρατία, ἐν ᾗ νυ˜ ν τε πολιτευόμεθα καὶ τὸν ἀεὶ χρόνον ἐξ ἐκείνου ὡς τὰ πολλά. καλει˜ δὲ ὁ μὲν αὐτὴν δημοκρατίαν, ὁ δὲ ἄλλο, ὃ ἂν χαίρῃ, ἔστι δὲ τῃ˜ ἀληθείᾳ μετ’ εὐδοξίας πλήθους ἀριστοκρατία. βασιλη˜ ς μὲν γὰρ ἀεὶ ἡμι˜ν εἰσιν· ου῟ τοι δὲ τοτὲ μὲν ἐκ γένους, τοτὲ δὲ αἱρετοί· ἐγκρατὲς δὲ τη˜ ς πόλεως τὰ πολλὰ τὸ πλη˜ θος, τὰς δὲ ἀρχὰς δίδωσι καὶ κράτος τοι˜ς ἀεὶ δόξασιν ἀρίστοις ει῏ναι, καὶ οὔτε ἀσθενείᾳ οὔτε πενίᾳ οὔτ’ ἀγνωσίᾳ πατέρων ἀπελήλαται οὐδεὶς οὐδὲ τοι˜ς ἐναντίοις τετίμηται, ὥσπερ ἐν ἄλλαις πόλεσιν, ἀλλὰ ει῟ς ὅρος, ὁ δόξας σοφὸς ἢ ἀγαθὸς ει῏ναι κρατει˜ καὶ ἄρχει. „Es ist dieselbe Verfassung, die damals bestand und heute besteht, die Aristokratie, unter der wir jetzt leben und immer schon meistens gelebt haben. Der eine nennt sie Demokra tie, der andere nennt sie nach Belieben anders; es ist aber in Wahrheit eine Aristokratie mit Zustimmung der Masse. Könige haben wir immer, ob sie diese Stellung nun erben oder ob sie gewählt werden. Während die Macht in der Stadt größtenteils bei der breiten Masse liegt, vergibt sie die Ämter und Befugnisse denen, die sie jeweils für die Besten hält. Und keiner wird ausgeschlossen, nur weil er hilfsbedürftig, arm oder unbedeutender Herkunft ist, noch wird er aus gegenteiligen Gründen bevorzugt, wie in anderen Städten. Es gibt nur ein Kriterium: Wer als weise oder gut angesehen wird, hat Macht und Amt.“
Wie widersinnig und inkonsistent diese Passage in sich selbst ist, muss nicht erst auf wendig gezeigt werden. Die Forschung gerät allerdings immer wieder in Versuchung, solche Spannungen innerhalb der Gefallenenrede im platonischen Menexenos, wie sie
Anders als später im Panegyrikos (§§ 54–60, 64–65), wird hier im Menexenos offengelassen, wie sich Athens Vorgehen einmal für und einmal gegen Argos positiv deuten ließe. 34 Thuk. 2.65.9: ἐγίγνετό τε λόγῳ μὲν δημοκρατία, ἔργῳ δὲ ὑπὸ του˜ πρώτου ἀνδρὸς ἀρχή. 35 Plat. Men. 238 c–d. 33
Platon und Isokrates. Sterben für den Ruhm?
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hier besonders deutlich zutage treten, wegzuerklären.36 Sinnvoller lässt sich die Text konzeption meines Erachtens als intentionale Strategie der literarischen Zersetzung verstehen: Die genannten Beispiele zeigen, dass Platon im Menexenos inhaltliche Wi dersprüche und Devianzen vom Erwartbaren (selbst innerhalb eines isolierten, in sich geschlossenen Gedankenschritts) gezielt einsetzt, um jeden Versuch, über eine genre adäquate Lesart zu einem schlüssigen Textverständnis zu gelangen, zu stören. Dass eine geschlossene Interpretation der Schrift bis heute so schwerfällt, ist folglich kaum verwunderlich: Selbst wenn der Text als satirisch, polemisch, parodistisch oder der gleichen gelesen wurde, konnte bisher auf keiner Charakterisierung dieser Art eine überzeugende Gesamtdeutung begründet werden. Angesichts einer Textkonzeption des Menexenos, mit der die Semantik der atheni schen Leichenrede systematisch zersetzt wird, möchte ich einen alternativen Zugang zu diesem Dialog vorschlagen. Denn in der platonischen Gefallenenrede sprengt die Form den Inhalt: Die Rede, die Sokrates rezitiert, zerbricht die Gesamtkomposition genretypischer Ideologeme in eine Kette dekontextualisierter Sinneinheiten, bei de ren Deutung die Leser immer wieder auf Paradoxien und Ungereimtheiten stoßen, wenn der Textsinn mit dem Deutungsinstrumentarium gewonnen werden soll, das re gulär eine echte Gefallenenrede als plausible Kommunikation erscheinen lässt. Platon scheint genau diesen Effekt intendiert zu haben: Er zwingt die Leser regelrecht dazu, die Sinnhaftigkeit der Argumentationseinheiten einzeln und unabhängig von ihren regulären gesellschaftlichen Rahmungen zu prüfen. Um eine isolierte Aussage der Ge fallenenrede im Rezeptionsprozess mit neuem Sinn anzureichern, muss der Leser re flexiv den Ursachen für die Schwierigkeiten der Bedeutungserzeugung auf den Grund gehen und die im Menexenos durch die genannten literarischen Strategien zerstörten Bezüge gedanklich neu setzen. Dies alles widerspricht grundsätzlich der Funktions weise einer regulären Gefallenenrede, denn dort sind die Parameter der Textsinnge nerierung stets klar definiert und allgemein bekannt: Die Gefallenenrede ist in ihrer eigentlichen (oralen) Form ein semantisch geradliniges Genre – genau dies wird auch im Rahmengespräch zwischen Sokrates und Menexenos vorausgesetzt, wo die Gefal lenenreden im Wesentlichen als hübsche Lobreden charakterisiert werden.37 Der Menexenos entfaltet seine Aussagekraft nun allerdings auch nicht durch eine bloße Demontage des Genres athenischer Gefallenenreden, und er überlässt es auch nicht gänzlich dem Leser, den Text mit Sinn zu versehen. Platon bietet den Rezipien ten des Menexenos durchaus Anhaltspunkte, wie sich das sonderbare Konglomerat zu sammengeleimter Epitaphien-Überreste, das Sokrates vorträgt, als kritischer Metatext zur Ideologie des Kerameikos lesen lässt. Entscheidend ist das historische Narrativ, das Platon in den Textabschnitten entfaltet, die den Erga (Taten) der Athener gewid So beispielsweise Stavros Tsitsiridis in seinem ebenso umfangreichen wie einflussreichen Menexenos-Kommentar (Tsitsiridis 1998). 37 Plat. Men. 234 c: ἐκ πολλου˜ χρόνου λόγους παρεσκευασμένων, οἳ οὕτως καλω˜ ς ἐπαινου˜ σιν etc. 36
234
Siebtes Kapitel
met sind (dies sind konkret die Abschnitte 239 c bis 246 a). Der Tatenbericht ist in klar definierte Zeithorizonte der athenischen Geschichte gegliedert, die literarisch differenziert behandelt werden: Als einen ersten Ansatzpunkt, die Logik des platoni schen Pastiche zu entschlüsseln, bietet der Text dem Leser die Relation zwischen den menschlichen Opfern an, die Athen aufzubringen bereit war, und dem Zugewinn an Sicherheit, der sich daraus jeweils für die griechische Poliswelt insgesamt ergab.38 Die erste Untereinheit des Tatenberichts (239 c–242 a) ist der Serie an Abwehrkrie gen gegen die Perser in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts gewidmet: Athen hat hier die Führungsrolle übernommen und im Dienste der gesamten griechischen Poliswelt den äußeren Feind in einer Reihe bemerkenswerter Erfolge zurückgedrängt: Der Bericht setzt bei der Schlacht von Marathon ein, nennt dann die Schlachten bei Salamis, Artemision und Plataiaii und läuft mit den kriegerischen Auseinandersetzun gen am Eurymedon, in Zypern und Ägypten aus. Zwar deuten sich mit dem Verweis auf Ägypten bereits erste Risse in der enkomiastischen Oberfläche der Textpassage an, doch mit der bilanzierenden Rückschau, die den Abschnitt über die Perserabwehr be schließt, steht dies noch nicht im Konflikt.39 Die Erzählung fällt auffallend ausführlich aus, über den gesamten Textabschnitt hinweg findet sich aber – ganz im Gegensatz zu den Berichten über die weitere Entwicklung der athenischen Macht – kein einziger Verweis darauf, dass hier auch menschliche Opfer aufseiten der Athener zu beklagen waren: Platon verzichtet darauf, dem Nutzen der Perserabwehr eine Kostenaufstellung athenischer Bürgerleben gegenüberzustellen. Wenn er stattdessen wiederholt die Vor bildfunktion der tugendhaften athenischen Kämpfer für die übrigen Griechen betont (was dann für die späteren Zeithorizonte entfällt),40 so wirkt dies insgesamt wie der Ansatz zu einer inhaltlich stimmigen Übernahme des epideiktischen Konzepts athe nischer Gefallenenreden, auch wenn mehrfach wie beiläufig Stilistik und Topik der Gattung durch den Kakao gezogen werden. Dieser Phase des Krieges stellt die Gefallenenrede nun im unmittelbaren Anschluss eine Phase gegenüber, die mit der Wendung εἰρήνης δὲ γενομένης eingeleitet wird – „als aber Frieden eingekehrt war, … “.41 Dass dies nur als bittere Ironie zu verstehen ist, wird rasch klar, wenn das literarische Ich dann fortfährt, dass sich nun innerhalb der griechischen Welt aus der Ehre (τιμή) Athens bald Rivalität (ζη˜ λος) und dann Miss
38 In Men. 237 b hat Platon die Funktion des fraglichen Abschnitts wie folgt definiert: ἐπὶ δὲ τούτοις τὴν τω˜ ν ἔργων πρα˜ ξιν ἐπιδείξωμεν, ὡς καλὴν καὶ ἀξίαν τούτων ἀπεφήναντο. 39 Plat. Men. 241 e–242 a: καὶ ου῟ τος μὲν δὴ πάσῃ τῃ˜ πόλει διηντλήθη ὁ πόλεμος ὑπὲρ ἑαυτω˜ ν τε καὶ τω˜ ν ἄλλων ὁμοφώνων πρὸς τοὺς βαρβάρους („und diesen Krieg hat die ganze Stadt gegen die Barbaren ausgefochten – für sich selbst wie für die übrigen Gleichsprachigen“). 40 Die entsprechenden Passagen konzipieren etwa die Athener als „Führer und Lehrer der anderen“ (240 d: ἡγεμόνες καὶ διδάσκαλοι τοι˜ς ἄλλοις) und diese als „Schüler der Kämpfer von Marathon“ (240 e: μαθηταὶ τω˜ ν Μαραθω˜ νι), die von den Athenern erzogen wurden (241 c: παιδευθη˜ ναι τοὺς ἄλλους Ἕλληνας). 41 Plat. Men. 242 a.
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gunst (φθόνος) ergab und sich die Stadt unversehens in einem Krieg gegen die Grie chen (ἐν πολέμῳ τοι˜ς Ἕλλησι) wiederfand:42 Von tatsächlichem Frieden ist im Wei teren keine Rede mehr, der Gang durch die Außen- und Innenpolitik Athens bringt vielmehr eine Dynamik zum Vorschein, die von der Schlacht von Tanagra bis in die Zeit des Autors hinein immer wieder aufs Neue ihre unheilvolle Wirkung zum Nach teil aller Griechen (einschließlich der Athener) entfaltet hat: Wieder und wieder stößt der Text den Leser darauf, dass es sich durchgängig um innergriechische Konflikte ge handelt hat, und ab jetzt wird in der Gefallenenrede mit konsequenter Unerbittlichkeit auch (mit nur zwei Ausnahmen) stets auf die menschlichen Opfer aufseiten Athens verwiesen – bei einer eindrucksvoll umfangreichen Serie militärischer Konflikte, die fast durchgehend durch mehr oder weniger implizite Textsignale als Symptome einer fehlgeleiteten athenischen Politik gekennzeichnet werden.43 Die folgende Übersicht verdeutlicht das Phänomen: Stelle
Historischer Kontext
Kriegsphase
Nennung Gefallener
240 a4–e6
Schlacht von Marathon
Kriege gegen Perser
Keine
Kriege gegen Griechen
Verweis auf Grabmal
240 e6–241 c6 Salamis, Artemision, Plataiaii 241 c6–e5
Eurymedon, Zypern, Ägypten
242 a6–c2
Tanagra/Oinophyta
242 c2–e4
Erste Phase des Pelop. Krieges
Verweis auf Grabmal
242 e4–243 a7 Sizilische Expedition
„viele tüchtige Männer ließen ihr Leben“
243 a7–b1
Seeschlachten am Hellespont
keine
243 b1–c7
Arginusen
„Leichen konnten nicht geborgen werden“
243 c7–d7
Niederlage im Pelop. Krieg
243 e1–244 a6
Krieg gegen Eleusis
245 a4–b2
Konflikt um Paros
245 e6–e8
Schlacht bei Korinth
245 e6–e8
Schlacht bei Lechaion
Bürgerkrieg
Verweis auf „diejenigen, die in diesem Krieg gegeneinander ihr Leben ließen“
Korinthischer Krieg
Keine „Verlust tüchtiger Männer“ „Verlust tüchtiger Männer“
42 Plat. Men. 242 a: εἰρήνης δὲ γενομένης καὶ τη˜ ς πόλεως τιμωμένης ἦλθεν ἐπ’ αὐτήν, ὃ δὴ φιλει˜ ἐκ τω˜ ν ἀνθρώπων τοι˜ς ευ῏ πράττουσι προσπίπτειν, πρω˜ τον μὲν ζη˜ λος, ἀπὸ ζήλου δὲ φθόνος· ὃ καὶ τήνδε τὴν πόλιν ἄκουσαν ἐν πολέμῳ τοι˜ς Ἕλλησι κατέστησεν. 43 Wendungen, mit denen darauf hingewiesen wird, dass es sich um innergriechische Konflikte handelt: Men. 242 a: ἐν πολέμῳ τοι˜ς Ἕλλησι κατέστησεν; 242 b: ου῟ τοι δὴ πρω˜ τοι μετὰ τὸν Περσικὸν πόλεμον, Ἕλλησιν ἤδη ὑπὲρ τη˜ ς ἐλευθερίας βοηθου˜ ντες πρὸς Ἕλληνας; 242 c: μετὰ δὲ ταυ˜ τα πολλου˜ πολέμου γενομένου, καὶ πάντων τω˜ ν Ἑλλήνων ἐπιστρατευσάντων καὶ τεμόντων τὴν χώραν καὶ ἀναξίαν χάριν ἐκτινόντων τῃ˜ πόλει; 242 e: στασιασάσης τη˜ ς Ἑλλάδος; 243 b: καὶ συναθροι˜σαι ἐπὶ τὴν πόλιν πάντας Ἕλληνάς τε καὶ βαρβάρους
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Siebtes Kapitel
Während die platonische Gefallenenrede für die Phase der Perserabwehr die Vorbild funktion der Athener rühmt, wird für die Phase der innergriechischen und innerathe nischen Konflikte der Tod tüchtiger Männer beklagt, und zwar mit Formulierungen, in denen die Dramatik des menschlichen Verlusts deutlich zum Ausdruck kommt. Die Differenz zu den früheren Epitaphioi Logoi ist augenfällig: In der Gefallenenrede des thukydideischen Perikles wird auf die Toten nur zweimal über die Wendung κει˜μαι (liegen) dezent verwiesen, und der lysianische Epitaphios weiß mit Wendungen wie οἱ ἐνθάδε κείμενοι (die hier Liegenden) ebenfalls Anklänge an die Tragik des mensch lichen Todes zu vermeiden; von τελευτᾷν mit der Bedeutung „sterben“ ist im lysiani schen Epitaphios nur an einer Stelle die Rede, bei Thukydides nur an zwei Stellen; sig nifikant ist dabei, dass in der perikleischen Gefallenenrede das τελευτᾷν nicht mit der Konnotation von Verlust semantisiert, sondern auf höhere gemeinschaftliche Ziele bezogen wird, und dass Lysias nur dort das Sterben direkt anspricht, wo es die auswär tigen Unterstützer der Athener betrifft.44 In der Gefallenenrede des Menexenos entfal len vergleichbare Formen der Zurückhaltung: Hier ist die Rede vom „Verlust tüchtiger Männer“ und davon, dass „viele tüchtiger Männer ihr Leben ließen“, dass sie „im Krieg gegeneinander ihr Leben ließen“ oder gar, dass sie „nicht geborgen werden konnten“.45 Dabei werden bei Platon wiederholt (an insgesamt zehn Stellen) Formen des Verbs τελευτᾷν eingesetzt – eine wohl intentionale Betonung der Dramatik menschlichen Sterbens im Krieg. Über die permanente Kontrastierung von Kosten und Nutzen zeigt die Gefallenen rede im Menexenos auch, wie widersinnig sich das Sterben eigentlich aus der Perspek tive Athens darstellt. So heißt es beispielsweise mit Blick auf die Sizilienexpedition, es sei „unerwartet und mit voller Wucht ein dritter Krieg ausgebrochen, in dem viele tüchtige Männer ihr Leben ließen, die jetzt hier bestattet liegen. Viele kämpften auf Sizilien für die Freiheit der Leute von Leontinoi“.46 Inwiefern „die Freiheit der Leute von Leontinoi“ das Sterben vieler tüchtiger Athener rechtfertigt, wird freilich nicht sinnvoll begründet. Wenn die in der platonischen Gefallenenrede als Ruhm der Taten angekündigte Tour de force durch eine Auflistung sinnlosen Sterbens ihren Abschluss in der Jetztzeit des Autors erreicht hat, beschließt das literarische Ich die Ausführun gen mit dem Hinweis darauf, dass dies nur eine kleine Selektion dessen gewesen sei, was hier insgesamt genannt werden könne: Zahlreich und edel seien die Taten, von denen er gesprochen habe, noch viel zahlreicher und edler aber die, die er unerwähnt 44 Thuk. 2.42 und 44; Lys. 2.66. 45 Plat. Men. 242 e: ἐν ᾧ πολλοὶ καὶ ἀγαθοὶ τελευτήσαντες ἐνθάδε κει˜νται (Sizilienexpedition); 243 c: οὐκ ἀναιρεθέντες ἐκ τη˜ ς θαλάττης κει˜νται ἐνθάδε (Arginusen); 244 a: χρὴ δὲ καὶ τω˜ ν ἐν τούτῳ τῳ˜ πολέμῳ τελευτησάντων ὑπ’ ἀλλήλων μνείαν ἔχειν (Bürgerkrieg); 245 e: ἀνδρω˜ ν μέντοι ἀγαθω˜ ν καὶ ἐν τούτῳ τῳ˜ πολέμῳ ἐστερήθημεν (Schlachten bei Korinth). 46 Plat. Men. 242 e–243 a: τρίτος δὲ πόλεμος μετὰ ταύτην τὴν εἰρήνην ἀνέλπιστός τε καὶ δεινὸς ἐγένετο, ἐν ᾧ πολλοὶ καὶ ἀγαθοὶ τελευτήσαντες ἐνθάδε κει˜νται, πολλοὶ μὲν ἀμφὶ Σικελίαν πλει˜στα τρόπαια στή σαντες ὑπὲρ τη˜ ς Λεοντίνων ἐλευθερίας.
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gelassen habe; viele Tage und Nächte würden dem nicht genügen, der von ihnen allen berichten wollte.47 Wer von hier aus auf das Rahmengespräch zurückblickt, wo Sokra tes sagt, es lohne sich, für die Bestattung zu sterben (weil man dann auch als armer Mann ein hübsches Begräbnis bekomme),48 stellt fest, dass schon hier mit brutalem Sarkasmus die Argumentationslogik der athenischen Grabreden unterlaufen wird, in denen die Redner ihr Bemühen akzentuieren, mit der Bestattung eine Tat (ἔργον) zu vollbringen, die sich als angemessene Würdigung der großartigen Taten der Gefalle nen verstehen lässt.49 Damit stellt sich nur noch die Frage, weshalb Platon im Menexenos zu einer so scharfen intellektuellen Kritik am thukydideischen Geschichtswerk ausholt und mit Perikles einen Akteur ins Visier nimmt, der in seiner eigenen Zeit keinen direkten Ein fluss mehr auf die Geschicke der athenischen Polis ausüben konnte. Das Problem sah Platon offenbar in der Normativität von Erinnerung bzw. in der Wirkmacht von Ge schichtsbildern. Im athenischen Gefallenenbegräbnis konnte sich die Erinnerung an die Machtvollkommenheit des perikleischen Athen normativ auskristallisieren, und in der Gefallenenrede des thukydideischen Perikles – die einer breiteren Leserschaft ja auch erst wenige Jahre vor Beginn des Korinthischen Krieges bekannt wurde, als die unvollendeten Historien in Umlauf gelangten – kommt das Ideal einer Suprema
47 Plat. Men. 246 a–b: καὶ τὰ μὲν δὴ ἔργα ταυ˜ τα τω˜ ν ἀνδρω˜ ν τω˜ ν ἐνθάδε κειμένων καὶ τω˜ ν ἄλλων ὅσοι ὑπὲρ τη˜ ς πόλεως τετελευτήκασι, πολλὰ μὲν τὰ εἰρημένα καὶ καλά, πολὺ δ’ ἔτι πλείω καὶ καλλίω τὰ ὑπολειπόμενα· πολλαὶ γὰρ ἂν ἡμέραι καὶ νύκτες οὐχ ἱκαναὶ γένοιντο τῳ˜ τὰ πάντα μέλλοντι περαίνειν. Mit der Wendung καὶ τω˜ ν ἄλλων ὅσοι ὑπὲρ τη˜ ς πόλεως τετελευτήκασι verweist Platon auf die unbe statteten Gefallenen; siehe dazu Tsitsiridis 1998, 368. 48 Die Passage bezieht sich klar erkennbar auf den lysianischen Epitaphios, dort heißt es in 2.79, man müsse diejenigen für die glückseligsten Menschen halten, die im Einsatz für die größten und schönsten Ziele ihr Leben ließen (ὥστε προσήκει τούτους εὐδαιμονεστάτους ἡγει˜σθαι, οἵτινες ὑπὲρ μεγίστων καὶ καλλίστων κινδυνεύσαντες οὕτω τὸν βίον ἐτελεύτησαν). Der Hinweis des Sokrates in Men. 234 c, dies gelte auch für Nichtsnutze (καὶ ἐὰν φαυ˜ λος ᾖ), bezieht sich wohl auf Thuk. 2.42.3, dort formuliert der thukydideische Perikles, dass auch solche, die ansonsten für Übel und schädli ches Verhalten verantwortlich seien, ihren Wert für die Gesellschaft durch den Tod im Kampf für Athen erwiesen hätten (siehe hierzu auch die entsprechenden Überlegungen im fünften Kapitel). 49 Schon Dionysios (Dēm. 24) hat die Spannung, die der Menexenos hier in der Bewertung des Ver hältnisses zwischen Polis und Gefallenen erzeugt, klar erkannt: ἠλίθιος ἄρα τις ἦν, εἰ του˜ τον ἐδόκει τοι˜ς τελευτήσασι λαμπρότατον ει῏ναι τω˜ ν κόσμων, οι῟ς ἡ πόλις αὐτοὺς ἐκόσμει. ἵνα γὰρ ἀφω˜ πάντα τὰ ἄλλα, τὸ δημοσίᾳ γηροτροφει˜σθαι τοὺς πατέρας αὐτω˜ ν ἄχρι θανάτου καὶ παιδεύεσθαι τοὺς υἱει˜ς ἕως ἥβης πόσῳ κρει˜ττον ἦν του˜ προπέμπεσθαι τὰ σώματα δημοσίᾳ; ἐμοὶ μὲν δοκει˜ μακρῳ˜ („Nur ein Schwachkopf würde meinen, die Prozession sei die glänzendste Ehrbezeugung, die den Gefalle nen von der Stadt entgegengebracht wurde. Um alles Übrige beiseitezulassen: Sollte man nicht schon die lebenslange Verpflegung der Väter und die Übernahme der Sorge für die Kinder bis zum Jünglingsalter für wichtiger halten müssen als den öffentlichen Festzug der Gebeine? Mir jedenfalls erscheint das wichtiger!“). Dionysios bezieht sich hier auf den Beginn der von Sokrates deklamierten Gefallenenrede, die Kritik bezieht sich aber durchaus auch auf die entsprechende Passage der Rahmenhandlung. Platon würde wohl entgegnen, dass auch die von Dionysios ge nannten Maßnahmen keine angemessene Kompensation für ein athenisches Leben sein können, wenn es für die Freiheit „der Leute von Leontinoi“ ausgelöscht wurde.
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tie Athens besonders eindrücklich zur Geltung (fünftes Kapitel). Die materielle Evi denz für die Gefallenenbestattungen im ersten Jahr des Korinthischen Krieges (viertes Kapitel) sowie die Wahl des Archinos zum Gefallenenredner (sechstes Kapitel) sind im Zusammenhang zu sehen mit dem Wiedererstarken der imperialen Ambitionen Athens. Dass in diesem Umfeld die thukydideische Nachempfindung der periklei schen Gefallenenrede tatsächlich eine starke Wirkung entfalten konnte, zeigt der Epitaphios des Lysias (ebenfalls sechstes Kapitel). In der Frühphase des Korinthischen Krieges zeichnete sich also ab, dass die Gefallenenbestattung erneut zu einem für die athenische Bürgerschaft wichtigen Ritual der Selbstvergewisserung werden konnte, mit dem die außenpolitischen Ambitionen der Bürgerschaft ideologisch unterfüttert wurden. Dem stellte Platon nun Mitte der 380er Jahre – als sich unter dem zuneh mend brüchig werdenden Königsfrieden die innergriechischen Spannungen weiter verschärften – den Menexenos mit seinem merkwürdigen Pastiche einer Gefallenen rede entgegen. Die eigenwillige Rede, die Sokrates hier deklamiert, sollte gerade nicht als ideologischer Kompressor die Renaissance eines bedingungslosen athenischen Machtstrebens forcieren, sondern als Medium der kritischen Reflexion darüber wir ken, ob das Aretē-Konzept, das die athenische Bürgerschaft ihrer politischen Verfasst heit zugrunde legte, die tragfähige Basis für eine Politeia bieten konnte, in der sich das machtpolitische Wiedererstarken Athens nicht erneut zu einer Bedrohung des übrigen Hellas auswachsen würde. Polisideologie und Panhellenismus Mit der von Sokrates im Menexenos deklamierten Rede hat Platon die Form und den Inhalt eines Epitaphios Logos regelrecht gesprengt und aus den fragmentierten Sin neinheiten ein merklich instabiles literarisches Konstrukt geformt, das einem auf merksamen Leser nur als Farce einer athenischen Gefallenenrede erscheinen konnte. Das sonderbare rhetorische Gebilde, das Sokrates da vorträgt, regt dazu an, die von ihren originären Bezügen gespaltenen Ideologeme der Suprematie Athens isoliert zu betrachten und kritisch zu hinterfragen. Isokrates hat im Panegyrikos wenige Jahre spä ter ein formal ganz anderes (aber in gewissen Aspekten auf ähnliche Aussageabsichten ausgerichtetes) Verfahren entwickelt, den vordergründigen Textsinn einer Gefallenen rede literarisch so zu montieren, dass die Abwege des athenischen Suprematiestrebens in den Blick geraten. Da zum Panegyrikos bereits wertvolle Untersuchungen vorliegen, ist eine vollständige Detailanalyse hier nicht erforderlich;50 ich möchte mich vielmehr 50
Die für die Arbeit an diesem Kapitel konsultierten Textausgaben, Übersetzungen und Deutungen zu Isokrates’ Panegyrikos werden im Anhang unter der Rubrik „Literarische Hauptquellen“ an geführt. Im Urteil der neuzeitlichen Forschung wurde Isokrates wegen seiner vermeintlich ober flächlichen und inkonsequenten Haltung lange nur eingeschränkt ernst genommen (das Urteil
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auf jene Aspekte konzentrieren, die für das Verständnis des isokratischen Umgangs mit dem Epitaphios Logos von besonderer Relevanz sind. Der isokratische Panegyrikos ist eine eigenständige literarische Schrift, die im for malen Gewand einer mündlichen Rede vor einer panhellenischen Festversammlung daherkommt: Ein literarisches Ich in der ersten Person Singular adressiert ein Pu blikum, das teils in der zweiten Person Plural angesprochen wird, teils in der ersten Person Plural als eine Identifikationsgruppe erscheint (nämlich als die Gesamtheit an Bürgern griechischer Poleis), der sich das literarische Ich auch selbst zurechnet.51 Das dramatische Setting der Rede impliziert, dass sich das (fiktionale) Publikum aus Bürgern Athens und Spartas sowie weiterer Städte in den Einflusssphären der beiden Mächte zusammensetzt, die aus der gesamten griechischen Poliswelt friedlich zusam mengekommen sind.52 An dieses Auditorium wendet sich das literarische Ich mit dem an alle Hellenen gerichteten Aufruf, die innergriechischen Konflikte durch die Kon zentration auf einen gemeinsamen Perserkrieg zu überwinden (insbesondere ist hier eine Aussöhnung von Athen und Sparta gemeint) und auf diese Weise Sicherheit und Wohlstand zu erzielen. Wie sich zeigen wird, entwickelt Isokrates unter der Oberflä che dieser Kernaussage eine differenzierte Kritik an der athenischen Machtpolitik, die er subtil auch auf die athenische Gefallenenbestattung bezieht. Die vordergründige Zielsetzung der „Rede“ wird im Proöm (§§ 1–14) eingeführt und in der Expositio (§§ 15–20) mit der Behauptung verbunden, die Hegemonie kön ne bei einem künftigen Feldzug gegen die Perser nur aufseiten Athens liegen. Es folgt der erste Hauptteil (§§ 21–99), der in formaler Hinsicht weitgehend getreu nach den Genrekonventionen eines Epitaphios Logos gestaltet ist – hier wird in Form eines auf die Erga Athens bezogenen Epainos speziell der Tatenkatalog imitiert,53 der sich aller
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Platons – siehe Erbse 1976 – hat erheblichen Einfluss auf die Rezeption des isokratischen Werkes gehabt), und speziell der Panegyrikos wurde meist als reine „Propagandaschrift für den Seebund“ (so Buchner 1958, 6) gedeutet. Insbesondere Eucken 1983 und Too 1995 haben eine Neubewertung von Isokrates als kritischem politischem Autor eingeleitet und die Frage nach der inneren Kohä renz des isokratischen Werkes reformuliert. Seit Davidson 1990, 20–36 und Urban 1991, 143–168 – vgl. auch Pownall 2004, 24 f. und insbesondere Blank 2014 – wird auch Isokrates’ Kritik an den Auswüchsen der athenischen Machtpolitik verstärkt in den Blick genommen. Blank (in Druck vorbereitung) zeigt überzeugend auf, dass Isokrates’ Schriften auch von einer kritischen Haltung gegenüber der athenischen Gefallenenbestattung geprägt sind. Neuere Perspektiven auf das Werk des Isokrates bietet auch die unten in Anm. 56 genannte Literatur. In der ersten Person Singular wird das literarische Ich direkt im ersten Satz (§ 1) erkennbar. Die Ansprache in der zweiten Person Plural erscheint erstmals in § 3, die erste Person Plural in § 6. Teils rechnet sich das literarische Ich mit der ersten Person Plural auch speziell der athenischen Bürgerschaft zu wie beispielsweise in § 18. Zum dramatischen Setting des Panegyrikos: Buchner 1958, 53; Tuplin 1983, 180–182; Papillon 2004, 23; Haskins 2005, 26, 34. Loraux 1981, 91 bezeichnet die entsprechenden Passagen im isokratischen Panegyrikos als „Plagiat“ einer athenischen Gefallenenrede; vgl. auch ibid., 89: „la première partie du Panégyrique se réduit aisément à une sorte d’épitaphios“. Buchner 1958, 7 spricht von der „Umarbeitung eines Epita phios“. Die intertextuellen Bezüge des Panegyrikos zu den früheren Epitaphioi Logoi werden u. a.
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dings auf die Zeit bis zu den Perserkriegen beschränkt, um zunächst die kulturellen Errungenschaften Athens (§§ 21–50), dann das militärische Wirken Athens in der Zeit vor den Perserkriegen (§§ 51–70) sowie schließlich die Leistungen der Perserkrieger und deren Vätergeneration (§§ 71–99) sowie den jeweiligen Mehrwert ihrer Taten für ganz Griechenland zu preisen. Daran schließt sich eine auf die Zeit nach den Perser kriegen bezogene Gegenüberstellung der athenischen (§§ 100–109) und der spartani schen Archē (§§ 110–128) an, die vordergründig auf den Nachweis der Überlegenheit Athens ausgerichtet ist. Nach einer Transitio (§§ 129–132) folgt der zweite Hauptteil (§§ 133–169), der wie eine Olympische Rede gestaltet ist: Dieser Teil ist inhaltlich auf den Nachweis ausgelegt, dass die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Perser feldzug unter der gemeinsamen Führung von Athen und Sparta kaum günstiger sein könnten. Die „Rede“ wird schließlich von einer Peroratio (§§ 170–189) beschlossen, die nochmals den Aufruf zur inneren Geschlossenheit und zum gemeinsamen Vorge hen gegen die Perser verstärkt. Mit dem Panegyrikos schafft Isokrates also den Rahmen für eine literarische Ausein andersetzung mit dem Genre der athenischen Gefallenenrede innerhalb einer Schrift, die als panhellenische Festrede gestaltet ist. Nun hat Isokrates, wie vor ihm schon Gorgi as, Thukydides, Lysias und Platon, nie selbst eine Gefallenenrede (und auch keine pan hellenische Festrede) gehalten, auch wenn er zu Beginn seiner Karriere noch selbst als Redner aufgetreten ist.54 Um die Zeit der Gründung seiner Rhetorikschule um 393/390 ist er dazu übergegangen, seine literarischen „Reden“ geradezu als Gegenmodell zur oralen Rhetorik anzulegen – und hat sie doch scheinbar paradoxerweise zugleich in Form fiktiver Mündlichkeit gestaltet. Auch der Panegyrikos ist in diesem Sinne ein Phä nomen der literarischen Oralität bzw. konkreter der „literary oratory“. In seinen Schrif
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diskutiert von Buchner 1958, 10–13; ibid., 45–108 kommentiert ausführlich, wie im Panegyrikos die Genrekonventionen der athenischen Gefallenenrede verarbeitet werden; siehe auch Eucken 1983, 151 f.; Nicolaï 2004, 58–63; Eucken 2010, 134–139; Atack 2018 a, 178. Speziell zu Bezügen zum Menexenos siehe Kahn 1963, 225–230; Blank 2014, 244–250; Robitzsch 2018, 167 f.; Blank (in Druckvor bereitung). Rückgriffe auf den lysianischen Epitaphios diskutieren Todd 2007, 155–157; Blank (in Druckvorbereitung); Blanshard (in Druckvorbereitung). Für Bezüge zum gorgianischen Epitaphios siehe Wienand (in Druckvorbereitung). Die wichtigsten biografischen Darstellungen zu Isokrates, die sich aus der Antike erhalten haben: Hermipp. FGrH/BNJ 1026 F 45 a–54; Dion. Hal. Isok.; Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 836 e–839 d; Philostr. Bioi Soph. 1.17; Anon. Isok. (Dindorf 1852, 101–106). Sämtliche Quellen zur Biografie und zum Werk des Isokrates hat Mandilaras 2003, Bd. 1, 187–422 zusammengestellt; den Quellenwert der biografischen Tradition bespricht Blank 2014, 29–35. Zu den Schülern des Isokrates werden unter anderem And rotion, Ephoros, Hypereides, Isaios, Lykurgos, Nikokles, Theopompos und Timotheos gezählt, allerdings gehen die in der biografischen Tradition erhaltenen Informationen zu Isokrates’ Schü lern vielfach auf Hermippos zurück (FGrH/BNJ 1026 F 46 c), der die Bedeutung der Schule wohl überzeichnet hat (dazu Livingstone 1998, 264 f.). Eine Einordnung der frühen forensischen Reden in die rhetorische Entwicklung des Isokrates bietet Whitehead 2022 – siehe dazu auch unten die Diskussion zum Peri Parakatathēkēs-Schrifttum). Als der Panegyrikos um 380 in Umlauf kam, war Isokrates als Rhetoriklehrer etabliert, die Schrift hat seine Bedeutung auch als politischer Philosoph endgültig zementiert. Zu Isokrates’ Begriff der Philosophie: Papillon 1995 und Timmerman 1998.
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ten begründet Isokrates gegenüber den Zeitgenossen explizit, weshalb er nicht selbst die Rednerbühne betreten und seine Reden persönlich in den öffentlichen Podien des rhetorischen Schlagabtauschs vorgetragen hat. Dass es ihm an der nötigen Stimmgewalt und am selbstsicheren Auftreten mangele, wie er selbst formuliert,55 hat die Forschung lange wörtlich verstanden. Inzwischen ist aber klar, dass wir es hier mit einem gezielten Framing zu tun haben – und zwar weniger mit der Selbstdarstellung des Isokrates als Person, sondern vielmehr mit der Inszenierung seines literarischen Werkes.56 Als Kernaspekt der Inszenierung seiner politischen Publizistik muss der Umstand verstanden werden, dass Isokrates (jedenfalls ab der Schulgründung) vergleichsweise wenig publiziert hat, überaus lange an seinen Texten gefeilt haben soll (auch im Pane gyrikos deutet das literarische Ich eine lange Abfassungszeit an)57 und seine Schriften auch in der Tat sorgfältig ausgearbeitet sind. Tatsächlich ist auffällig, dass Isokrates trotz seiner langen Tätigkeit als Schuloberhaupt (immerhin wurde er fast 100 Jahre alt und hat in seiner Schule mehr als vier Jahrzehnte hinweg als Rhetoriklehrer gewirkt) 55 56
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Isok. 5.25–29, 81–82, 12.10, 15.190 f., ep. 1.9 f., ep. 8.7; dazu Too 1995, 74–112. Ein überzeugendes Verständnis der isokratischen Strategien der politischen Publizistik bieten v. a. Too 1995, 74–112; Livingstone 1998, 270; Haskins 2004; Blank 2014, 35–74; Noël 2017; Blank (in Druckvorbereitung). Einen Überblick über die Forschungsliteratur, in der die entsprechenden Aussagen des Isokrates wörtlich verstanden werden, bietet Blank 2014, 32 f. Anm. 23. Die Aussage, seine Stimme sei nicht stark genug gewesen, um auf den Rednerbühnen der Stadt zu bestehen, ist strukturell analog zu sehen zur Aussage des Sokrates in der platonischen Apologie, ihm fehle das nötige Wissen um die rhetorischen Tricks, mit denen vor einem Gremium athenischer Dikasten ein Prozess zu überstehen wäre (Plat. Apol. 17 a–18 a): Sokrates hat sich darauf berufen, stets nur die Wahrheit zu sagen, und dennoch hat er – als Konsequenz seiner Weigerung, sich an die etablierten Diskursregeln zu halten – vor Gericht verloren. Den Märtyrertod für die Wahrheit hat Isokrates nicht gesucht (die wohl kaum zutreffende Darstellung, er habe nach der athenischen Niederlage in der Schlacht von Chaironeia Selbstmord begangen [Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 837 f], zeichnet Isokrates auf topische Weise als politischen Philosophen, der für seine Überzeugungen in den Tod gegangen ist): Mit dem Argument, seine physische Konstitution erlaube ihm nicht, sich auf das Spiel der Demagogie einzulassen, hat er gegenüber den Zeitgenossen aber doch deutlich gemacht, dass die sorgfältige Wahrheitssuche, die er betreiben möchte, nicht zu den Entscheidungsfindungsprozes sen der athenischen Polisöffentlichkeit passt. Isok. 4.14. In der antiken Literatur ist teils von einer zehnjährigen oder gar längeren Abfassungszeit die Rede: Quint. 10.4.4; Plut. Athēn. 350 e; Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 837 f.; Phot. Bibl. 487A13–14; Tim. FGrH/BJN 566 F 139.1–4. Die Angabe – die bis in die jüngere Forschung hinein teils unkritisch übernommen wurde (z. B. Lombard 1990, 57; Schiappa 1999, 21 Anm. 7; Usher 1999, 298) – könnte aus dem Umfeld des Isokrates stammen oder gar von diesem selbst lanciert worden sein. Den ar gumentativen Mehrwert der „radikalen Umkehr des Argumentes der knappen Vorbereitungszeit“ arbeitet Blank 2014, 172 f. heraus. Der isokratische Verweis auf den ausgedehnten Entstehungspro zess bezieht sich wohl nicht zuletzt auch als intertextuelle Referenz auf den lysianischen Epitaphios, in dessen Proöm das literarische Ich auf den knapp bemessenen Zeitraum verweist, der ihm nach der Wahl zum Redner für die Ausarbeitung der Rede geblieben sei (Lys. 2.1), und auf den platonischen Menexenos (Plat. Men. 234 c und 235 c–d), wo Sokrates zunächst meint, die Reden sei en über eine lange Zeit hinweg ausgearbeitet, um dann in ironischer Verdrehung anzuführen, es sei auch nicht schwierig, sie zu improvisieren. Ein zehnjähriger Entstehungsprozess des Panegyrikos ist auch insofern unwahrscheinlich, als die Schrift klare Bezüge zu spezifischen Problemlagen der späten 380er Jahre aufweist.
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letztlich nur eine überschaubare Zahl an Schriften hervorgebracht hat: Im Schnitt sind weniger als vier Texte für jedes Jahrzehnt erhalten, in dem Isokrates schriftstellerisch tätig war.58 Dies ist nicht in erster Linie Ausdruck einer lückenhaften Überlieferung: Isokrates hat bewusst wenig publiziert und wollte dies als Zeichen seiner Bedächtig keit verstanden wissen.59 Denn mit seiner Tätigkeit hat er nicht darauf abgezielt, di rekt auf die wichtigsten Foren der öffentlichen Diskussionskultur des demokratischen Athen einzuwirken: Er richtet sich nicht an das heterogene Auditorium einer Bürger versammlung oder eines Gerichtsverfahrens und auch nicht an die Publika öffentli cher Festveranstaltungen oder privater Symposien. Als Rezipienten seiner Texte hat Isokrates ein intellektuelles Lesepublikum in Athen (und darüber hinaus) im Blick, für das er seine Schriften als anspruchsvolle Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Problemlagen seiner Zeit konzipiert.60 Durch die Absage an eine di rekte Interaktion mit der athenischen Bürgerschaft auf dem rhetorischen Niveau der öffentlichen Debatten birgt der publizistische Ansatz des Isokrates im Kern stets eine latente Kritik an der spezifischen Ausprägung der athenischen Demokratie.61 Im Panegyrikos werden nun also charakteristische Elemente des Epitaphios Logos und der panhellenischen Festrede zusammengeführt. „Epitaphios und panhelleni sche Rede sind aber ihrem Wesen nach eigentlich unvereinbar“, wie Edmund Buchner schon 1958 festgestellt hat, und dies war auch den Lesern des Panegyrikos bewusst: Träger des Gefallenenbegräbnisses ist die Wehrgemeinschaft einer spezifischen Po lis – in diesem Falle Athens –, die in einem Ritual zusammenfindet, das sich auf die 58
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Von den 60 „Reden“, die unter seinem Namen zirkulierten, haben Dionysios von Halikarnassos und Kaikilios gerade einmal 25 bzw. 28 für echt befunden (Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 838 d; Phot. Bibl. 486 b). Zum Vergleich: Lysias wurden etwa 400 schriftliche publizierte Reden zugeschrieben, da von hielten die antiken Beobachter mindestens 200 für authentisch (Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 836 a). Heute sind 21 „Reden“ des Isokrates erhalten. Siehe hierzu auch Isokrates’ eigene Angaben in der Antidosis. Die Schüler des Isokrates zählen sicherlich zu den wichtigsten Lesern, die isokratischen Schriften wurden aber weit über diesen Kreis hinaus rezipiert; auch das literarische Beziehungsgeflecht (mit Bezügen unter anderem auch zu Gorgias, Lysias und Aristoteles) weist letztlich über Athen hinaus. Zu den Adressaten der isokratischen Schriften bzw. zur Rezeption durch ein Lesepublikum: Use ner 1994; Usener 2003; Blank 2014, 57–68 sowie 615–618. Isokrates übt also einerseits Kritik an der oralen Rhetorik, konzipiert seine Schriften aber doch zugleich entlang den formalen Gattungscharakteristika mündlicher Reden. Im Panegyrikos verar beitet er diesen Widerspruch auch dadurch, dass er mit der athenischen Gefallenenrede eine rhe torische Gattung in die Schrift integriert, für die (im Gegensatz etwa zur Gerichts- und Volksrede) gerade keine Gegenrede vorgesehen war. Indem Isokrates trotz seiner ausdrücklichen Kritik an der oralen Rhetorik für seine Schriften just die Form der Rede wählt – und mit Isok. 1 bis 3 nur eine kleine Zahl traktatähnlicher Texte verfasst hat –, stellt er zudem ganz grundsätzlich den dialekti schen Charakter der politischen Kultur Athens in Rechnung, auch wenn er zugleich die konkrete Ausprägung der athenischen Politeia kritisiert und sich von der Rhetorik der Bürgerversammlung distanziert. Die politische Entscheidungsfindung des demokratischen Athen vollzog sich in einem gesellschaftlichen Raum, der sich als Welt der Widerworte bezeichnen lässt, dies hat das literari sche Wirken selbst derjenigen Akteure bestimmt, die wie Isokrates auf die politische Ordnung des demokratischen Nachkriegs-Athens mit einer gewissen Skepsis blickten.
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Überhöhung des gemeinsamen Kampfes für die Heimatpolis bezieht, während eine panhellenische Festversammlung von der Gesamtheit der Bürger griechischer Poleis getragen wird, die friedlich (und unter dem Schutz einer sakralen Waffenruhe) zu sammengekommen sind. Zwar ist auch das Publikum einer athenischen Gefallenen rede heterogen und umfasst nicht nur Athener,62 aber der Blick der Teilnehmer auf das Ritual ist doch zweifellos davon geprägt, dass im Gefallenenbegräbnis primär die athenische Bürgergemeinschaft ihren eigenen inneren Zusammenhalt bekräftigt, die Verdienste derer würdigt, die ihr Leben für den Bestand und die Interessen Athens geopfert haben, und jene Errungenschaften der Polis hervorhebt, die auf der Aufopfe rungsbereitschaft ihrer Bürger beruhen. Mit dem Vortrag einer Gefallenenrede lobt also in der Tat, wie der platonische Sokra tes im Menexenos sarkastisch vermerkt, ein Athener die Athener vor Athenern.63 Dass die anwesenden Nichtathener, wie Isokrates später in der Rede über den Frieden schrieb, an den Begräbnisfeierlichkeiten teilnahmen, „nicht um mit uns die Toten zu beklagen, son dern um sich gemeinsam an unserem Unglück zu erfreuen“, ist zwar bewusst überspitzt formuliert, verdeutlicht aber zugleich die in der athenischen Gefallenenbestattung tat sächlich wirksame Grenzziehung zwischen den Athenern einerseits, deren Sonderstel lung das Ritual unterstreicht, und den Nichtathenern andererseits, die den Festivitäten in ihrer Rolle als tributpflichtige Bündnispartner oder gar als Feinde Athens beigewohnt haben.64 Eine Rede vor einer panhellenischen Festgemeinde dagegen richtet sich an ein Publikum ideell gleichwertiger Bürger unterschiedlicher griechischer Poleis, die auf Ba sis ihrer gemeinsamen Werte und Interessen zusammengekommen sind. Bereits aus dem bloßen Nebeneinander von Epitaphios Logos und Olympiakos Lo gos innerhalb des Panegyrikos ergibt sich also eine inhaltliche Reibung.65 Nun schafft Isokrates allerdings kein reines Nebeneinander von Epitaphios Logos (erster Haupt teil [§§ 21–99]) und Olympiakos Logos (zweiter Hauptteil [§§ 133–169] sowie Proöm [§§ 1–20] und Peroratio [§§ 170–189]). Der Panegyrikos stellt nicht eigentlich zwei unterschiedliche literarische Gattungen nebeneinander, wie bisweilen angenommen wird.66 Vielmehr überblendet Isokrates die Gefallenenrede mit der Deutungsmatrix einer panhellenischen Rede und leuchtet damit die Polisideologie, wie sie typischer
62 Thuk. 2.34; Plat. Men. 235 b; Isok. 8.87. 63 Plat. Men. 235 d. 64 Isok. 8.87: πλήν ἓν ἦν του˜ το τω˜ ν ἐγκυκλίων, ταφὰς ποιει˜ν καθ’ ἕκαστον τὸν ἐνιαυτόν, εἰς ἃς πολλοὶ καὶ τω˜ ν ἀστυγειτόνων καὶ τω˜ ν ἄλλων Ἑλλήνων ἐφοίτων, οὐ συμπενθήσοντες τοὺς τεθνεω˜ τας ἀλλὰ συνησθησόμενοι ται˜ς ἡμετέραις συμφοραι˜ς. Dass entgegen der von Isokrates vorgenommenen Ver einfachung auch Nichtathener in athenischen Gefallenenbestattungen berücksichtigt werden oder eigene Gefallenenbestattungen im Kerameikos durchführen konnten, wird im zweiten Kapi tel diskutiert. 65 Buchner 1958, 7. 66 Exemplarisch Papillon 2004, 25: „This speech combines the epideictic function of praise with the deliberative function of advice, which Isocrates presents in two major subsections“.
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weise in der athenischen Gefallenenbestattung zur Geltung gebracht wird, aus einer gesamtgriechischen Perspektive aus. Dies gelingt Isokrates im Panegyrikos dadurch, dass mit dem Tatenkatalog das Kernelement einer Gefallenenrede formal in den um fassenderen Rahmen einer panhellenischen Festrede eingebettet wird. Die panhelleni sche Dimension wird durch diese Konstellation zur übergeordneten Deutungsebene, die den Blick der Leser auf den Tatenkatalog bestimmt und das Spektrum an Deu tungsmöglichkeiten definiert. Indem er im Panegyrikos eine panhellenische Perspektive auf den epitaphischen Ta tenkatalog eröffnet, nimmt Isokrates eine intellektuelle Herausforderung an, die im Menexenos eingeführt wurde: Denn – so führt Sokrates dort mit Blick auf die athe nische Gefallenenrede aus – nicht Athener vor Athenern zu loben sei die eigentliche Kunst; nur einem wirklich herausragenden Redner könne es auf glaubwürdige Wei se gelingen, Athener vor einem peloponnesischen Publikum zu loben.67 Just dieser Weg wird im Panegyrikos gewählt: Die Einbettung eines epitaphischen Tatenkatalogs in den Rahmen einer panhellenischen Festrede schafft die im Menexenos imaginier te Konstellation für eine athenische Gefallenenrede vor einer nichtathenischen Zu hörerschaft – konkreter vor einem fiktionalen Publikum aus Bürgern von Poleis, die entweder gegenüber Athen tributpflichtig waren oder Athen feindlich gegenüber standen. Und beinahe spiegelbildlich zum Menexenos – wo Sokrates den Epainos ei ner Nichtathenerin auf Athen in einer Weise deklamiert, mit der das Lob selbst vor Athenern an Plausibilität verliert –, bringt im dramatischen Setting des Panegyrikos ein Athener vor Nichtathenern das Lob auf Athen in einer Weise vor, die Plausibilität bei allen Griechen für sich in Anspruch nimmt. Eine derartig gegen die übliche Lesart gerichtete Semantisierung des Tatenkata logs lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage, ob und inwiefern die Leistungen Athens ganz Griechenland – und eben nicht in erster Linie nur Athen selbst – zugute kamen. Und tatsächlich ist der Tatenkatalog im Panegyrikos gerade nicht darauf ausgelegt, die Inkompatibilität, sondern die grundsätzliche Kompatibilität von Polisideologie und Panhellenismus zu erweisen und den Nutzen der athenischen Taten für die gesamte griechische Poliswelt überzeugend aufzuzeigen:68 Für sämtliche Verdienste, die das li terarische Ich in diesem Textteil Athen zuschreibt, wird ein Mehrwert formuliert, der über den Referenzrahmen der athenischen Bürgergemeinschaft hinausweist und mit dem Anspruch einhergeht, auch vor Nichtathenern Anerkennung finden zu können. So werden beispielsweise für eine kulturelle Leistung wie die Entwicklung der Agrikul tur (§§ 28–33) der Nutzen für ganz Hellas sowie die Wertschätzung Athens durch die griechischen Poleis (wie sie in den Erstlingsabgaben an Eleusis zum Ausdruck kom 67 Plat. Men. 235 d: εἰ μὲν γὰρ δέοι Ἀθηναίους ἐν Πελοποννησίοις ευ῏ λέγειν ἢ Πελοποννησίους ἐν Ἀθηναίοις, ἀγαθου˜ ἂν ῥήτορος δέοι του˜ πείσοντος καὶ εὐδοκιμήσοντος. Vgl. Blank 2014, 244–250. 68 Der auf das gesamtgriechische Gemeinwohl ausgerichtete „Nutzen“ (im Sinne von τὸ συμφέρον, ἡ ὠφέλεια und τὰ κοινά) ist in gewisser Weise der argumentative Basso continuo des Panegyrikos.
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men) betont;69 für die Kolonisation (§§ 34–37) werden die Vertreibung der Barbaren und die Linderung innergriechischer Spannungen angeführt; bei der Einführung von Gesetzen und einer Polisverfassung (§§ 38–42) werden die Vorbildfunktion und die positiven Wirkungen auf innergesellschaftlichen Ausgleich und einen florierenden Handel hervorgehoben; zudem habe Athen die panhellenischen Festversammlungen begründet (§§ 43–46) und auch mit Philosophie, Redekunst und Bildung (§§ 47–50) das friedliche Miteinander befördert. Auch die militärischen Leistungen Athens werden im panhellenischen Deutungs rahmen präsentiert. Zunächst wird für die vorperserkriegszeitliche Phase (§§ 51–70) mit Blick auf die innergriechische Sphäre betont, das militärische Engagement Athens habe in Not geratene Poleis gerettet, wobei sich Athen teils auch gegen die eigenen Interessen für Schwächere eingesetzt und durch korrektives Eingreifen die Freiheit verteidigt habe.70 In Kämpfen gegen barbarische Völker (Skythen, Amazonen, Thra ker) habe Athen zudem die gemeinsamen Gegner besiegt, als alle griechischen Städte bedroht waren.71 Auch von Athens Leistungen in den Perserkriegen (§§ 71–99), die von allen Erga am ausführlichsten thematisiert werden und den abschließenden Argu mentationsschritt im Tatenkatalog bilden, habe ganz Griechenland profitiert. Der Tatenkatalog, wie er hier präsentiert wird, erweist sich zum idealtypischen Ta tenkatalog einer Gefallenenrede als Gegenstück in dreifacher Hinsicht: Erstens liegt dem Tatenkatalog des Panegyrikos eine Auswahl nur solcher Erga zu Grunde, deren Nutzen für ganz Hellas ersichtlich ist und auch weitgehend unkontro vers erscheint. Für die Leser ist damit leicht zu erkennen, dass der Tatenkatalog kei ne Verherrlichung von Errungenschaften Athens vornimmt, mit denen Nachteile für die Entwicklung Griechenlands verbunden wären. Dies gilt selbst für Passagen, die Athens Vorgehen gegen andere griechische Städte betreffen – etwa wenn in §§ 54–65 die Mythen des Adrastos und der Herakliden angeführt werden, um zu zeigen, wie Athen durch militärische Unterstützung anderer Griechen jeweils korrigierend einge griffen hat, um für die Freiheit griechischer Poleis zu kämpfen, in Not geratene Grie chen zu schützen und die griechischen Sitten und Bräuche zu bewahren.72 Athen geht
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Isok. 4.29: καὶ τὰ μὲν ἔτι καὶ νυ˜ ν καθ’ ἕκαστον ἐνιαυτὸν δείκνυμεν, τω˜ ν δὲ συλλήβδην τάς τε χρείας καὶ τὰς ἐργασίας καὶ τὰς ὠφελίας τὰς ἀπ’ αὐτω˜ ν γιγνομένας ἐδίδαξεν. Isok. 4.31: αἱ μὲν γὰρ πλει˜σται τω˜ ν πόλεων ὑπόμνημα τη˜ ς παλαια˜ ς εὐεργεσίας ἀπαρχὰς του˜ σίτου καθ’ ἕκαστον ἐνιαυτὸν ὡς ἡμα˜ ς ἀποπέμπουσι, ται˜ς δ’ ἐκλειπούσαις πολλάκις ἡ Πυθία προσέταξεν ἀποφέρειν τὰ μέρη τω˜ ν καρπω˜ ν καὶ ποιει˜ν πρὸς τὴν πόλιν τὴν ἡμετέραν τὰ πάτρια. Isok. 4.52–65. Isok. 4.66–70. Dass alle Poleis in Gefahr waren, wird in 4.67 ausdrücklich hervorgehoben: τυγ χάνουσι δ’ ου῟ τοι μὲν ἅπαντες ἡμι˜ν ἐπιβουλεύσαντες, ἡ δὲ πόλις πρὸς ἅπαντας τούτους διακινδυνεύσασα. Speziell zu Isokrates’ Umgang mit dem Mythos der Sieben gegen Theben siehe Steinbock 2013, bes. 155–210. Zu Isok 4.55 siehe auch Buchner 1958, 67–71.
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hier jeweils gegen eklatantes Unrecht vor und stellt das Gleichgewicht der Mächte wieder her. Zweitens bezieht der Tatenkatalog auch ausdrücklich die Leistungen der Spartaner mit ein. Wenn etwa das literarische Ich in § 75 darauf hinweist, dass gerade die Väter generation der Perserkrieger besonders zu loben sei, so zeigt die Satzkonstruktion mit dem Dual τοι˜ν πολέοιν (beide Städte) an, dass dies gleichermaßen auf Athen wie auf Sparta zu beziehen ist:73 In beiden Poleis war es die Vätergeneration der Perserkrieger, die ihre Nachkommen zur Tugend erzogen und sie damit in die Lage versetzt habe, den Angriff der Barbaren erfolgreich abzuwehren.74 Drittens wird die Zeitspanne, auf die sich das Lob Athens bezieht, markant auf die Zeit bis zu den Perserkriegen eingeschränkt. Zwar wird das Narrativ im Anschluss auch auf die siebzigjährige Phase der Archē Athens bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges (§§ 100–109) sowie auf die Archē Spartas nach der Niederlage Athens (§§ 110– 128) erweitert.75 Diese Abschnitte sind allerdings nicht, wie zuvor der Tatenkatalog, als Epainos konstruiert, sondern als Gegenüberstellung der athenischen und der sparta nischen Archē, wobei die Darstellung der athenischen Archē als Apologia (Verteidi gung) und die Darstellung der spartanischen Archē als Katēgoria (Anklage) gestaltet sind. Im direkten Kontrast zum vorausgehenden Epainos wird in diesen Abschnitten die Konflikthaftigkeit des athenisch-spartanischen Ringens um Suprematie expo niert.76 In § 100 inszeniert der Panegyrikos sogar regelrecht das Scheitern des Versuchs, das zuvor etablierte Modell eines auf ein panhellenisches Publikum zugeschnittenen
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Isok 4.75: οὐ μὴν οὐδὲ τω˜ ν πρὸ του˜ πολέμου τούτου γενομένων καὶ δυναστευσάντων ἐν ἑκατέρᾳ τοι˜ν πολέοιν δίκαιον ἀμνημονει˜ν· ἐκει˜νοι γὰρ ἦσαν οἱ προασκήσαντες τοὺς ἐπιγιγνομένους καὶ τὰ πλήθη προτρέψαντες ἐπ’ ἀρετὴν καὶ χαλεποὺς ἀνταγωνιστὰς τοι˜ς βαρβάροις ποιήσαντες. Während der thukydideische Perikles von der athenischen Perspektive aus von „unseren Vorfah ren“ bzw. „unseren Vätern“ spricht und damit weiterhin nur die Athener meint (Thuk. 2.35.1 f.: οἱ πρόγονοι / οἱ πατέρες), konstruiert Isokrates die fragliche Stelle in umgekehrter Logik, geht von der in beiden Poleis beheimateten Vätergeneration der Perserkrieger aus und leitet von dort zu „ihren Nachfahren“ (§ 75: οἱ ἐπιγιγνόμενοι) über. So wird hier geschickt der exklusive Bezug auf die Athener vermieden, der für eine athenische Gefallenenrede ansonsten konstitutiv ist. Auch jenseits dieser Stelle ist die Behandlung der Vorfahren im Panegyrikos aufschlussreich: In §§ 28, 51, 58, 64, 69, 85, 87 und 91 haben sie sich für das Wohl von ganz Hellas eingesetzt bzw. eine konstruk tive Konkurrenz mit Sparta gepflegt; in § 61 haben die Vorfahren der Spartaner von den Athenern profitiert; in § 137 ist von den Vorfahren beider Städte die Rede, in § 159 von den Vorfahren aller Griechen. Nur § 119 widmet sich exklusiv den Leistungen der Vorfahren der Athener, dies aber ist eingebettet in ein Fehlargument im Rahmen der Behandlung der athenischen Archē. Generell zum Aufruf im Panegyrikos, den Vorvätern nachzueifern, siehe Shear 2013, 515–523; Steinbock 2013, 50 f.; Hourcade 2017, 250. Von siebzig Jahren spricht Isok. 4.106; vgl. Lys. 2.55–57 und Plat. ep. 7 (332 b7–c6); dazu: Popp 1968, 435 f. und Lehmann 1978, 124. Auch wenn in §§ 100–109 vordergründig Athen verteidigt wird, so musste „auf ein lesendes Pub likum, das auch Isokrates’ ältere Schriften lesend rezipieren konnte“, wie Blank 2014, 246 betont, „die Darstellung des Vergleiches zwischen Athen und Sparta in weiten Teilen nicht als Lob der pólis Athen, sondern als Kritik an Sparta und Athen wirken.“
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athenischen Tatenkatalogs nun auch auf die folgenden Phasen der athenisch-sparta nischen Machtpolitik zu übertragen: Bis zu den Perserkriegen sei die Güte der Taten Athens unstrittig, so führt das literarische Ich an dieser Stelle aus, für die Folgezeit aber seien die Leistungen Athens umstritten. Der Gattungswechsel vom Epainos zur Apologia zeigt, dass der Übergang zur athenischen Archē eine Zäsur bedeutet, mit der sich (aus der Perspektive des Panegyrikos) der Charakter des politisch-militärischen Wirkens Athens innerhalb der griechischen Poliswelt so grundsätzlich geändert hat, dass sich die entsprechenden Taten vor dem fiktiven panhellenischen Publikum nicht mehr einfach preisen ließen, sondern verteidigt werden mussten.77 Insgesamt präsentiert Isokrates in §§ 21–99 also einen regelrechten Anti-Epita phios – und zwar in jenem sehr spezifischen Sinne, dass hier der vorrangige Polisbezug der athenischen Gefallenenrede gezielt ausgehebelt wird, um die Würdigung derer, die sich für das Gemeinwohl geopfert haben (und künftig noch opfern werden), aus einer panhellenischen Perspektive zu konzeptionalisieren. Dies stellt nicht nur einen innovativen Umgang mit der literarischen Gattung des Epitaphios Logos dar, sondern geht auch mit einer differenzierenden Würdigung der Gefallenen selbst einher. Wäh rend eine typische Gefallenenrede speziell diejenigen rühmt, die im Kampf für Athen ums Leben gekommen sind, werden im Tatenkatalog des Panegyrikos all jene mit dem höchsten Lob bedacht, „die ihr Leben für Hellas aufs Spiel gesetzt haben“.78 Gemeint sind hier die Perserkrieger – und zwar ganz unabhängig davon, welcher griechischen Polis sie angehörten. Das literarische Ich würdigt sogar ausdrücklich, dass sie „nicht nur ihre eigenen Heimatstädte gerettet, sondern ganz Hellas befreit haben“.79 Die Mü hen und Gefahren nahmen diese griechischen Krieger auf sich und ihr Leben riskier
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Mit Blick auf diese Zäsur beschreibt Blank 2014, 233 den Wechsel der argumentativen Strategie im Panegyrikos wie folgt: „hinter dem Lob der athenischen arche ̄́ [wird man] eine absichtlich kon struierte Fehlargumentation sehen müssen, die das Ziel verfolgt, die Fehler und Vergehen der athenischen arche ̄́ zu präsentieren und zugleich die gängigen Argumente der Vertreter athenischer Seemachtsansprüche, die die Restaurierung des Delisch-Attischen Seebunds im Sinn hatten, als lógoi pseudeĩs zu entlarven. Es ergibt sich so ein Kontrast zwischen dem – als lógos politikós durch geführten – Lob der Frühzeit (§ 21–74, 75–99) und dem lógos pseudes̄́ eines Lobes der athenischen arche ̄́ des Delisch-Attischen Seebundes. Diese Methode der Gegenüberstellung von politischer und paradoxer Rede dient im Panegyrikos ebenso wie in Helena/Busiris der Exemplifizierung der isokratischen Kritik an den zeitgenössischen ‚Sophisten‘ und der Standortbestimmung des isokra tischen lógos im intellektuellen agṓn der politischen paideía“. Isok. 4.75: πλείστων μὲν ου῏ ν ἀγαθω˜ ν αἰτίους καὶ μεγίστων ἐπαίνων ἀξίους ἡγου˜ μαι γεγενη˜ σθαι τοὺς τοι˜ς σώμασιν ὑπὲρ τη˜ ς Ἑλλάδος προκινδυνεύσαντας (meine Hervorhebung im Haupttext). Direkt vor dieser Passage ruft das literarische Ich die Gefallenenbestattung in Erinnerung, dennoch wer den hier nicht die Athener gelobt, die ihr Leben für Athen geopfert haben, sondern die Griechen, die sich für Griechenland eingesetzt haben. Isok. 4.83: οὐ μόνον δὲ τὰς αὑτω˜ ν πατρίδας διέσωσαν, ἀλλὰ καὶ τὴν Ἑλλάδα σύμπασαν ἠλευθέρωσαν.
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ten sie für einen Ruhm (Doxa), den sie durch ihren Tod erwarben und der sie auf eine Stufe mit den Halbgöttern stellte.80 Durch ihre ruhmreichen Taten haben die Perserkrieger das Andenken (Mnēmē) an ihre Tugend unsterblich gemacht, so betont das literarische Ich in § 84.81 Diese Aussage ist aufschlussreich. Die von Isokrates hier gewählte Wendung τη˜ ς δ’ ἀρετη˜ ς ἀθάνατον τὴν μνήμην ἐποίησαν greift Konzepte des Gefallenengedenkens auf, die noch im Pe loponnesischen Krieg wirksam waren – wenn also Athener vor allem ihre im Kampf gegen andere Griechen gefallenen Mitbürger zu bestatten hatten. Bemerkenswert ist insbesondere die Nähe der isokratischen Formulierung zum Vers αὐτοι˜ς δ’ ἀθάνατον μνε˜μ’ ἀρετε˜ς ἔθεσαν – „sich selbst aber setzten sie ein unsterbliches Denkmal (Mnēma) ihrer Tapferkeit“ – aus dem Epigramm von IG I3 1162, einem um 409/408(?) errichte ten athenischen Gefallenenmonument [Abb. 22].82 Auch wenn es sich nicht um einen direkten Verweis auf dieses spezifische Denkmal handeln muss, so ruft Isokrates mit der Formulierung im Panegyrikos doch offenbar geläufige Konzepte des Gefallenenge denkens aus der Phase der innergriechischen Konflikte auf, projiziert den normativen Anspruch auf ein unsterbliches Gedenken aber zurück in die Zeit der Perserkriege und zeigt damit, welchen Gefallenen aus seiner Sicht tatsächlich jenes ewige Gedenken ge bührt, das im athenischen Gefallenenbegräbnis vornehmlich den in innergriechischen Konflikten getöteten Bürgern Athens zugesprochen wurde.83 Die Gefallenenbestattung der Zeit der athenischen Archē wird im Panegyrikos dage gen ganz anders semantisiert – insbesondere bietet die Schrift für die Phase der athe nischen Suprematie keine Ansätze für ein positiv konnotiertes Gefallenengedenken. Denn dort, wo das literarische Ich vom Epainos der athenischen Erga zur Apologia der athenischen Archē übergeht (§ 100), ändert sich auch die Bewertung derjenigen, 80
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Isok. 4.83 f.: ποίων δ’ ἂν ἔργων ἢ πόνων ἢ κινδύνων ἀπέστησαν ὥστε ζω˜ ντες εὐδοκιμει˜ν, οἵτινες ὑπὲρ τη˜ ς δόξης, ἧς ἤμελλον τελευτήσαντες ἕξειν, οὕτως ἑτοίμως ἤθελον ἀποθνήσκειν; [84] οι῏μαι δὲ καὶ τὸν πόλεμον θεω˜ ν τινα συναγαγει˜ν ἀγασθέντα τὴν ἀρετὴν αὐτω˜ ν, ἵνα μὴ τοιου˜ τοι γενόμενοι τὴν φύσιν διαλάθοιεν μηδ’ ἀκλεω˜ ς τὸν βίον τελευτήσαιεν, ἀλλὰ τω˜ ν αὐτω˜ ν τοι˜ς ἐκ τω˜ ν θεω˜ ν γεγονόσι καὶ καλουμένοις ἡμιθέοις ἀξιωθει˜εν· … Isok. 4.84: … καὶ γὰρ ἐκείνων τὰ μὲν σώματα ται˜ς τη˜ ς φύσεως ἀνάγκαις ἀπέδοσαν, τη˜ ς δ’ ἀρετη˜ ς ἀθά νατον τὴν μνήμην ἐποίησαν. Das gesamte Epigramm in IG I3 1162 ll. 45–48: hοίδε παρ’ hελλε΄̄ σποντον ἀπo΄̄ λεσαν ἀγλαὸν hε΄̄ βε̄ ν | βαρνάμενοι, σφετέραν δ’ εὐκλέϊσαμ πατρίδα, | ho΄̄ στ’ ἐχθρō ̀ ς στενάχε̄ μ πολέμō θέρος ἐκκομίσαν τας, | αὐτοι˜ς δ’ ἀθάνατον μνε�μ’ ἀρετε�ς ἔθεσαν. Eine gewisse Nähe besteht auch zum vierten Vers im ersten Epigramm von IG I3 1179 l. 5: νίκε̄ ν εὐπόλεμομ μνε�μ’ ἔλαβον φθ̣[ίμενοι] (vom Monument für die in der Schlacht von Potidaia Gefallenen [Abb. 10 und 11]). Für Details und Literaturhinweise siehe auch die Einträge zu IG I3 1162 und IG I3 1179 unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit. Isokrates stellt in gewisser Weise die Logik der Gefallenenrede des thukydideischen Perikles auf den Kopf, wenn er im Panegyrikos einerseits die Gefallenen aus der Zeit der Perserkriege glorifi ziert und andererseits den Ruhm der Gefallenen aus der Zeit der athenischen (und der sparta nischen) Archē infrage stellt: In den Historien (insbesondere in Thuk. 2.36) blendet Perikles die Perserkriege gänzlich aus und erachtet letztlich als relevant für das Lob der Gefallenen nur die Leistungen, die zum Auf- und Ausbau der Archē Athens beigetragen haben.
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die im Kriegseinsatz aufseiten Athens ums Leben gekommen sind. Entscheidend ist hier die grundsätzlich unterschiedliche Bewertung von einerseits Freiheitskriegen und Rachefeldzügen gegen Barbaren und andererseits innergriechischen Kriegen, die zur Durchsetzung von Suprematieansprüchen geführt werden. In der Bewertung der innergriechischen Konflikte folgt der Panegyrikos dem gorgianischen Epitaphios, auf den Isokrates auch direkt zurückgreift, wenn er das literarische Ich (in einer der Vor lage auffallend ähnelnden Wendung) ausführen lässt, für den Krieg gegen Barbaren seien Hymnen verfasst worden, der Krieg gegen Griechen dagegen sei Gegenstand von Klageliedern.84 Das gewaltsame innergriechische Ringen um Suprematie bietet im Panegyrikos keine Aussicht auf Ruhm und so auch keinen Anlass für ein würdiges Ge denken jener, die für das verfehlte Ziel der Dominanz einer griechischen Polis über die anderen in den Krieg gezogen sind. Als „größtes Übel“ (μέγιστον δὲ τω˜ ν κακω˜ ν) bezeichnet es das literarische Ich in §§ 124 f., wenn Griechen für die Unterdrückung (δουλεία) anderer Griechen ins Feld ziehen und gegen Männer kämpfen, die ihr Recht auf Freiheit fordern. Vordergrün dig wird dies auf Spartas Machtpolitik zur Zeit des Königsfriedens bezogen (die Stelle ist Teil der Katēgoria der spartanischen Archē), die Klage lässt sich von den Lesern aber gleichermaßen auf die athenische Suprematie beziehen, deren Abwege noch kurz zuvor (in § 100) mit Verweisen auf die Versklavung der Melier und die Vernichtung der Skionier direkt thematisiert wurden. Die rhetorische Frage, wen sonst man für die innergriechischen Unterdrückungskriege verantwortlich halten solle als die Lakedai monier, wird hier gezielt offen gelassen.85 In der Peroratio wird die Problematisierung der innergriechischen Kriegführung unter der Suprematie zunächst Athens und dann Spartas nochmals verstärkt: Wer nicht auf Machtzuwachs (πλεονεξία) aus sei, sondern nach dem Gerechten (δίκαιον) strebe, die göttliche Ordnung achte und auf das Nützli che abziele, müsse gegen die Perser in den Krieg ziehen.86 Besorgniserregend sei dage gen, wenn Soldaten mobilisiert werden, um sie gegen andere Griechen in den Kampf zu schicken.87 Indem hier Kriege, die zur Ausweitung des eigenen Machtbereichs einer Polis auf Kosten anderer griechischer Städte geführt werden, als illegitim gelten, so sind auch die in diesen Konflikten Gefallenen für ein illegitimes Ziel ins Feld gezogen und gestorben.
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Isok. 4.158: … ἐκ μὲν του˜ πολέμου του˜ πρὸς τοὺς βαρβάρους ὕμνους πεποιημένους, ἐκ δὲ του˜ πρὸς τοὺς Ἕλληνας θρήνους ἡμι˜ν γεγενημένους … Diese Formulierung ist aus dem gorgianischen Epitaphios entnommen, die Wendung lautet dort: τὰ μὲν κατὰ τω˜ ν βαρβάρων τρόπαια ὕμνους ἀπαιτει˜ τὰ δὲ κατὰ τω˜ ν Ἑλλήνων θρήνους (Philostr. Bioi Soph. 1.9.5 = DK 82 B 5 b); siehe hierzu die entspre chenden Ausführungen im fünften Kapitel sowie Wienand (in Druckvorbereitung). Isok. 4.125: ω῟ ν τίνας ἄλλους αἰτίους χρὴ νομίζειν ἢ Λακεδαιμονίους … Auf die Funktion dieser rhe torischen Frage hat Blank 2014, 229 f. aufmerksam gemacht. Isok. 4.183 f. Isok. 4.185: καὶ μὴν οὐδὲ τὰς πόλεις λυπήσομεν στρατιώτας ἐξ αὐτω˜ ν καταλέγοντες, ὃ νυ˜ ν ἐν τῳ˜ πολέ μῳ τῳ˜ πρὸς ἀλλήλους ὀχληρότατόν ἐστιν αὐται˜ς.
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Neben der Deutungsachse Freiheit/Unterdrückung wird im Panegyrikos die Be wertung der Gefallenen auch im Spannungsfeld von Gemeinwohlorientierung ver sus Partikularinteressen bearbeitet: Das erste Argument, mit dem das literarische Ich in der Apologia der athenischen Archē einen vorgeblichen Nutzen der athenischen Seebundpolitik anführt, bezieht sich in § 103 darauf, dass „unter unserer Hegemonie die Privathaushalte ihren Wohlstand am stärksten mehren konnten“.88 Die Stelle ist durch die argumentative Gesamtanlage des Panegyrikos inhaltlich so gerahmt, dass der Verweis auf private Gewinne als vorgeblicher Beleg für die Vorzüge der militärischen Dominanz Athens nur als bewusst konstruiertes Fehlargument erscheinen kann:89 Das literarische Ich plädiert nicht nur im Proöm und in der Peroratio konsequent für die weitaus umfassenderen Werte der gesamtgriechischen Freiheit und Sicherheit sowie für einen allgemeinen Wohlstand, der sich aus dem zu plündernden Besitz der Perser speisen soll – und gerade nicht (wie dies in der auf den Wohlstand der Privathaus halte bezogenen Stelle impliziert wird) aus Tributen von Griechenstädten, für deren Unterdrückung zudem athenische Bürger ihr Leben opfern mussten. Im Panegyrikos wird also klar erkennbar unterschieden zwischen den gefallenen Perserkriegern, de nen für ihren Einsatz für ganz Hellas heroische Ehren und unsterbliches Gedenken zukommen – und zwar unabhängig davon, welcher Polis sie angehörten –, und jenen athenischen Bürgersoldaten, die ihr Leben verloren haben im Kampf für das verfehlte Ziel der Dominanz über andere griechische Poleis. Neben den gefallenen Perserkriegern einerseits (die ausdrücklich gerühmt werden) und den in der Zeit der innergriechischen Konflikte gefallenen Griechen andererseits (deren Tod Anlass für Klagelieder bietet und gerade keinen ewigen Ruhm begründet), wird im Panegyrikos noch eine dritte Gruppe an Gefallenen thematisiert – nämlich die künftig zu erwartenden Gefallenen jenes gemeinsam von Athen und Sparta an zuführenden Krieges gegen die Perser, für den der Panegyrikos wirbt.90 In Bezug auf die zu erwartenden menschlichen Opfer dieses künftigen Kriegszuges gibt sich das literarische Ich des Panegyrikos reichlich unsentimental: Im Innern der griechischen Poliswelt werde Frieden herrschen – die Problematik griechischer Bürger, die ihr Le ben im kriegerischen Einsatz für ein illegitimes Ziel verlieren, wird also nicht mehr bestehen –, und wer kriegsbegeistert sei, könne sich an einem Beutezug gegen die Perser beteiligen und damit den Wohlstand Griechenlands mehren, ohne anderen Griechen zu schaden.91 Während das soldatische Sterben im Dienste der athenischen 88 89 90 91
Isok. 4.103: ἐπὶ τοίνυν τη˜ ς ἡμετέρας ἡγεμονίας εὑρήσομεν καὶ τοὺς οἴκους τοὺς ἰδίους πρὸς εὐδαιμονίαν πλει˜στον ἐπιδόντας … Blank 2014, 246 spricht von einer gezielt konstruierten „argumentativen Schwäche“ speziell der Gegenüberstellung von Athen und Sparta in §§ 100–128. Grundsätzlich zur Bedeutung intentional eingesetzter Fehlargumente im Panegyrikos siehe auch id. (in Druckvorbereitung). Blank (in Druckvorbereitung) spricht mit Blick auf das im Panegyrikos propagierte Verhältnis zwi schen Athen und Sparta von einem „programme of shared hegemony“ (vgl. Uccello 2014, 223 f.). Isok. 4.182–185.
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und spartanischen Archē erkennbar problematisiert wird, besteht im Panegyrikos kein grundsätzliches Problem darin, dass der propagierte Kriegszug gegen die Perser auch menschliche Opfer aufseiten der Griechen fordern wird: Das Unternehmen steht im Einklang mit den gemeinsamen griechischen Werten von Freiheit und Sicherheit und verspricht Wohlstand für alle griechischen Poleis, ohne dass eine einzelne dominante Polis diesen Wohlstand von den schwächeren griechischen Städten abschöpfen würde. Wer das Wagnis einer Beteiligung an diesem künftigen Kriegszug mit dem Leben bezahlt, dem ist ein Höchstmaß an Ansehen (φήμη), Andenken (μνήμη) und Ruhm (δόξα) gewiss, so heißt es in der Peroratio des Panegyrikos, und der Tugend der gefal lenen Kämpfer werden die Dichter und Redner ein Denkmal für alle Zeiten hinterlas sen.92 In der hier gewählten Formulierung τη˜ ς ἐκείνων ἀρετη˜ ς μνημει˜ον εἰς ἅπαντα τὸν χρόνον καταλιπει˜ν („für ihre Tugend ein Denkmal [Mnēmeion] für alle Zeiten hin terlassen“) klingt nicht zufällig die oben diskutierte Wendung τη˜ ς δ’ ἀρετη˜ ς ἀθάνατον τὴν μνήμην ἐποίησαν aus § 84 an („das Andenken [Mnēmē] an ihre Tugend haben sie unsterblich gemacht“): Der zu erwartende Ruhm der künftigen Perserkrieger wird im Panegyrikos auf einer Stufe mit dem Ruhm der einstigen Perserkrieger verortet, auf die sich diese Wendung bezieht. Mit dem Mnēmeion, das für alle Zeiten die Tugend der künftigen Gefallenen ehren werde, ist hier vordergründig ein rhetorisches Denkmal gemeint. Für die Leser des Panegyrikos lag zugleich nahe, hier auch ein konkretes Grabmonument zu imaginieren: Die Assoziation wird speziell dadurch aufgerufen, dass sich der Panegyrikos erkennbar mit dem Genre der Gefallenenrede auseinandersetzt und mit den genannten Formu lierungen auch eine spezifische Nähe zu den Epigrammen der athenischen Grabmonu mente aufweist. Obwohl ein Mnēmeion aber ausdrücklich genannt wird, so verweist das literarische Ich des Panegyrikos doch an keiner Stelle auf einen spezifischen Ort der griechischen Gefallenenbestattung – wie dies beispielsweise im lysianischen Epitaphios und im Menexenos über die adverbiale Ortsbestimmung ἐνθάδε = „hier/dort“ oder in der Gefallenenrede des thukydideischen Perikles über die Wendung κει˜νται (liegen) erfolgt.93 Eine Wendung wie οἱ ἐνθάδε κείμενοι – „die hier Liegenden“ – taucht im Panegyrikos nicht auf. Dies ist zum einen dem dramatischen Setting des Panegyrikos geschuldet, denn die „Rede“ ist ja gerade nicht (wie andere Epitaphioi Logoi) fiktiv im Kerameikos situiert, sondern in einer panhellenischen Festveranstaltung. Zum anderen wird es damit aber auch (möglicherweise gezielt) den Lesern überlassen, das unbestimmte Mnēmeion gedanklich zu konkretisieren. Da der Krieg, für den der Panegyrikos wirbt, ein gesamt
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Isok. 4.186: φήμην δὲ καὶ μνήμην καὶ δόξαν πόσην τινὰ χρὴ νομίζειν ἢ ζω˜ ντας ἕξειν ἢ τελευτήσαντας καταλείψειν τοὺς ἐν τοι˜ς τοιούτοις ἔργοις ἀριστεύσαντας; … τίς γὰρ ἢ τω˜ ν ποιει˜ν δυναμένων ἢ τω˜ ν λέγειν ἐπισταμένων οὐ πονήσει καὶ φιλοσοφήσει βουλόμενος ἅμα τη˜ ς θ’ αὑτου˜ διανοίας καὶ τη˜ ς ἐκείνων ἀρετη˜ ς μνημει˜ον εἰς ἅπαντα τὸν χρόνον καταλιπει˜ν; Siehe hierzu die entsprechenden Überlegungen im sechsten Kapitel.
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griechisches Unternehmen ist – und sich damit auch ein panhellenischer Kontext für die Würdigung des Einsatzes jener griechischen Bürger ergibt, die sich dem Kriegszug anschließen – wird implizit auch die entsprechende Gefallenenbestattung (und das zu setzende Denkmal) zu einer gesamtgriechischen Angelegenheit. Was der Panegyrikos hier implizit nahelegt, ist also gerade nicht eine Bestattung, wie sie in der Zeit der athe nischen Archē im Gebiet des Kerameikos in Form der Jahresbegräbnisse durchgeführt wurde (zweites und drittes Kapitel): Denn mit einer solchen Bestattung wurden der Logik des Panegyrikos zufolge Bürger beigesetzt, die dem verfehlten Streben Athens nach Dominanz über andere Griechen zum Opfer gefallen sind. Der Panegyrikos regt vielmehr dazu an, einen polisübergreifenden Komplex an Gefallenenbestattungen zu imaginieren, wie sie aus der Zeit der Perserkriege bekannt sind (erstes Kapitel): Be stattungskomplexe, in denen unterschiedliche griechische Poleis ihre gefallenen Mit bürger ehren, die in der Gesamtschau für die gemeinsame Leistung der griechischen Poleis insgesamt stehen. Der Panegyrikos dekonstruiert die Ideologie des athenischen Gefallenenbegräb nisses also in einer Weise, die sich am besten mit einem vergleichenden Seitenblick einerseits auf die monumentalen Inventare an Gefallenen verstehen lässt, die auf den öffentlichen Grabdenkmälern im Kerameikos verzeichnet waren, andererseits auf die polisübergreifenden Bestattungskomplexe der Perserkriege an den Orten des heroi schen Einsatzes von Griechen unterschiedlicher Poleis im gemeinsamen Abwehr kampf gegen die barbarischen Invasoren: Denn für die Zeit von den ausgehenden 460er Jahren bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges (und punktuell auch darü ber hinaus) wurden im Kerameikos die Namen von abertausenden toten athenischen Bürgern verzeichnet, die ihr Leben nicht zuletzt auch in den innergriechischen Macht kämpfen verloren hatten: Dass sie ihr Leben für ein höheres Gut geopfert haben und damit als nacheiferungswürdige Paradigmata eines tugendhaften Lebens und Sterbens im Dienste Athens anzusehen seien, wurde in zahlreichen Epigrammen verewigt und in festlichen Bestattungsreden verkündet – aus Sicht des Panegyrikos aber starben sie für das illegitime Ziel der Unterdrückung griechischer Städte.94 Gerade die Gefallenen der Perserkriege dagegen, die sich nicht für die Dominanz einer einzelnen Polis, son dern gemeinsam mit den Bürgern anderer Städte für die Freiheit von ganz Griechen land eingesetzt hatten, waren im Kerameikos nur indirekt präsent (über Kenotaphe und rituelle Bezüge, aber nicht durch ihre Gräber): Ihre Grabmonumente bildeten panhellenische Erinnerungslandschaften in der Ebene von Marathon, bei den Ther mopylen, auf Salamis und bei Plataiai, wo die Gemeinschaftsleistung der Griechen im Kampf gegen die äußere Bedrohung greifbar wurde. Wie diese gemeingriechischen lieux de mémoire, so erweist sich bei Isokrates auch das panhellenische Mnēmeion 94
Loraux 1981, 63 hat herausgearbeitet, dass Isokrates die Einführung der Gefallenenrede in der Zeit des Perikles und damit auf dem Höhepunkt des kritisierten athenischen Suprematiestrebens ver ortet.
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des Panegyrikos geradezu als Gegenentwurf zu dem vor den Toren Athens gelegenen Dēmosion Sēma.95 Die vordergründige Hauptbotschaft des Panegyrikos ist ein an alle Griechen gerichte ter Aufruf, die innergriechischen Konflikte durch die Konzentration auf ein gemeinsa mes militärisches Vorgehen gegen die Perser zu überwinden.96 Dieser Aufruf wird un terfüttert mit einer subtil gestalteten Kritik der athenischen Machtpolitik, die implizit auf das Wiedererstarken Athens im Kontext der zunehmenden Spannungen innerhalb der griechischen Poliswelt der ausgehenden 380er Jahre gemünzt ist. Als Isokrates den Text um 380 publizierte, lag die Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg mehr als zwei Jahrzehnte zurück, eine klare Hegemonialstellung hatte die Stadt aber bis dato nicht wiedererlangen können.97 Allerdings war Sparta nach dem Korinthischen Krieg angeschlagen: Die Kontrolle über die kleinasiatische Westküste und die Ägäis hatte Sparta verloren. Athen bemühte sich nun darum, die eigene Machtposition wei ter auszubauen, und engagierte sich seit Mitte der 380er Jahre verstärkt um strategi sche Bündnisschlüsse. Der latente Konflikt zwischen Athen und Sparta gewann damit deutlich an Schärfe, der Königsfrieden von 387/386, den Persien als Schutzmacht de kretiert hatte, erodierte merklich. Dass sich die bündnisfreien und spartafeindlichen Poleis nun wieder stärker an Athen orientierten, sollte 378/377 zur Gründung des Zweiten Attischen Seebundes unter der Führung Athens führen.98 Die Schatten der athenischen Niederlage im Peloponnesischen Krieg waren lang: Wie der Menexenos, so verarbeitet auch der Panegyrikos die Sorge, das Suprematiestreben Athens könnte erneut in einem destruktiven Ringen zwischen Athen und Sparta münden und damit Freiheit, Frieden und Wohlstand der griechischen Poleis und ihrer Bürger bedrohen. Der Panegyrikos ist eine politische Streitschrift, die vor diesem Hintergrund einen Konsens innerhalb der Elite über die Notwendigkeit einer auf innergriechische Ein heit ausgelegten Außenpolitik zu formen suchte. Der Wert der Treue Die Schlusspassage des Panegyrikos weist eine Pointe auf, der bisher keine besondere Bedeutung beigemessen wurde, die mir aber eine wichtige Ergänzung zu den bisheri gen Überlegungen zu offerieren scheint. Isokrates bietet hier mit einem Seitenhieb auf
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Zur Bezeichnung des Gebiets öffentlicher Gräber im Kerameikos als Dēmosion Sēma siehe die entsprechenden Bemerkungen im zweiten Kapitel. 96 Der Panegyrikos folgt hier inhaltlich dem Epitaphios und dem Olympiakos des Gorgias sowie dem Olympiakos des Lysias. 97 Zu den zeithistorischen Kontexten des Panegyrikos siehe Blank 2014, 158 f. 98 Zum Zweiten Seebund: Cargill 1980; Cargill 1981; Dreher 1995.
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ein bestimmtes Genre an Gerichtsreden den Schlüssel zu einem erweiterten Gesamt verständnis seiner Auseinandersetzung mit der athenischen Gefallenenrede. Mit einer Aufforderung, die das Schlusswort der „Rede“ bilden könnte, mahnt in § 187 das lite rarische Ich des Panegyrikos seine fiktiven Zuhörer, zu erkennen, welche Vorteile die Griechen gewinnen könnten, würde der Krieg nicht im Innern, sondern gegen die Per ser geführt. Dass die Rede damit eigentlich am Ende angelangt ist, markiert Isokrates unmittelbar im Anschluss durch eine Formulierung, die erkennbar auf die jeweiligen Schlusssätze der perikleischen Gefallenenrede bei Thukydides und der sokratischen Gefallenenrede im Menexenos rekurriert. Während die „Reden“ dort mit der Wendung νυ˜ ν δὲ … ἄπιτε („nun aber geht fort“) schließen, mahnt das literarische Ich im Panegyrikos seine fiktiven Zuhörer, sie sollen nach dem Hören nicht einfach fortgehen.99 Diese Aufforderung leitet eine kurze abschließende Passage (§§ 188–189) ein, in der sich das literarische Ich zunächst mit einem Appell an die Einflussreichen (δυνάμενοι) wendet und sie dazu aufruft, sich (im Geiste der Vorväter) für die Aussöhnung von Athen und Sparta einzusetzen;100 daran schließt sich ein weiterer Appell an, der nun direkt die Redner beziehungsweise Verfasser von Reden adressiert, sie dazu ermahnt, nicht län ger „über das anvertraute Geld“ zu schreiben, sondern ihren Ehrgeiz darauf zu richten, mit möglichst überzeugenden politischen Reden zu großen und ruhmreichen Taten aufzurufen.101 Erklärungsbedürftig ist in dieser Passage der auffällig konkrete Verweis auf Reden „über das anvertraute Geld“: Nicht nur innerhalb des Schlussabschnitts, sondern im Verhältnis zur literarischen Komposition des gesamten Panegyrikos wirkt dies in seiner Spezifität wie ein gezielt platzierter Störfaktor mit dem Potenzial, die Aufmerksamkeit der Leser auf sich zu ziehen. Hierzu trägt bei, dass es sich innerhalb des Panegyrikos um das einzige konkrete Gegenbild handelt, mit dem Isokrates sei ne Konzeption von Rhetorik kontrastiert.102 Die Frage wäre dann nur, worauf er hier eigentlich hinweisen möchte.103
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Thuk. 2.46.2: νυ˜ ν δὲ ἀπολοφυράμενοι ὃν προσήκει ἑκάστῳ ἄπιτε. Plat. Men. 249 c: νυ˜ ν δὲ ἤδη ὑμει˜ς τε καὶ οἱ ἄλλοι πάντες κοινῃ˜ κατὰ τὸν νόμον τοὺς τετελευτηκότας ἀπολοφυράμενοι ἄπιτε. Isok. 4.188: μὴ μόνον ἀκροατὰς γενομένους ἀπελθει˜ν. Isok. 4.188: ἀλλὰ τοὺς μὲν πράττειν δυναμένους παρακαλου˜ ντας ἀλλήλους πειρα˜ σθαι διαλλάττειν τήν τε πόλιν τὴν ἡμετέραν καὶ τὴν Λακεδαιμονίων, … Isok. 4.188 f.: … τοὺς δὲ τω˜ ν λόγων ἀμφισβητου˜ ντας πρὸς μὲν τὴν παρακαταθήκην καὶ περὶ τω˜ ν ἄλλων ω῟ ν νυ˜ ν φλυαρου˜ σι παύεσθαι γράφοντας, πρὸς δὲ του˜ τον τὸν λόγον ποιει˜σθαι τὴν ἅμιλλαν καὶ σκοπει˜ν ὅπως ἄμεινον ἐμου˜ περὶ τω˜ ν αὐτω˜ ν πραγμάτων ἐρου˜ σιν, [189] ἐνθυμουμένους ὅτι τοι˜ς μεγάλ’ ὑπισχνουμένοις οὐ πρέπει περὶ μικρὰ διατρίβειν, οὐδὲ τοιαυ˜ τα λέγειν ἐξ ω῟ ν ὁ βίος μηδὲν ἐπιδώσει τω˜ ν πεισθέντων, ἀλλ’ ω῟ ν ἐπιτελεσθέντων αὐτοί τ’ ἀπαλλαγήσονται τη˜ ς παρούσης ἀπορίας καὶ τοι˜ς ἄλλοις μεγάλων ἀγαθω˜ ν αἴτιοι δόξουσιν ει῏ναι. Die Stelle greift einen Verweis im Proöm (§ 11) wieder auf, dort wird die von Isokrates angestreb te Rhetorik allerdings nur allgemein von Gerichtsreden für Privatprozesse abgegrenzt, ohne dass dabei ein bestimmter Verfahrenstyp angeführt wird. Auch in § 78 findet sich eine entsprechende Andeutung. Nicht nur Buchners umfangreicher Kommentar zum Panegyrikos übersieht diese Stelle.
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Isokrates verwendet in der entsprechenden Formulierung einen generischen Arti kel und bezieht sich somit, wie Robert J. Bonner überzeugend argumentiert hat, nicht auf eine bestimmte Geldeinlage, sondern verweist ganz allgemein auf das Genre Über das anvertraute Geld – und damit auf jene Gerichtsreden, die unter dem Gattungsbe griff Pros tēn Parakatathēkēn oder auch Peri Parakatathēkēs firmieren.104 Isokrates lenkt die Aufmerksamkeit hier auf die Prozessform der Dikē Parakatathēkēs und damit auf Verfahren, die sich auf Vergehen der Veruntreuung von Depositen beziehen. Insbe sondere im Bereich privat hinterlegter Deposite kam es immer wieder zu Konflikten zwischen dem Besitzer (oder dessen Vertretern oder Erben) und dem Verwahrer. Das Phänomen war deshalb weit verbreitet, weil private Deposite regelmäßig vor privaten oder geschäftlichen Reisen oder vor kriegsbedingter Abwesenheit angelegt wurden und es dann immer wieder zu Verlust oder Veruntreuung oder auch zu Streitigkeiten über die Honorierung oder über die Modalitäten der Rückgabe kam.105 Die Dikē Parakatathēkēs stellte ein geordnetes öffentliches Verfahren bereit, mit dem sich in solchen Fällen Besitzverhältnisse klären und entsprechende Konfliktpo tenziale entschärfen ließen. Der Prozessform kam damit eine wichtige gesellschaftssta bilisierende Funktion zu. Isokrates war sich dessen zweifelsohne bewusst: Auch wenn er dies später anders darstellen sollte (etwa im Panathenaikos § 11 oder in der Antidosis § 36), so hat er doch in der Frühphase seiner rhetorischen Tätigkeit selbst mindestens eine Peri Parakatathēkēs-Rede verfasst und sich damit just auf jene Weise rhetorisch betätigt, die er im Schlussabschnitt des Panegyrikos so offen diskreditiert: Zumindest in Teilen erhalten konnte sich unter dem Titel Pros Euthynoun (log. 21; ca. 403) eine fo rensische Rede, die Isokrates in der Zeit seiner Arbeit als Logograf für ein Gerichtsver fahren anlässlich einer veruntreuten Geldeinlage verfasst hat. Auch in der Paragraphē pros Kallimachon (log. 18; ca. 402–399?) und im Trapezitikos (log. 17; ca. 393) hat sich Isokrates mit Fragen von Depositen befasst. Die zeitgenössischen Leser des Isokrates, die mit seinem Werdegang und seinen Schriften vertraut waren, werden die autobio grafischen und werkimmanenten Bezüge nicht übersehen haben. Um zu verstehen, weshalb Isokrates im Panegyrikos auf das Peri ParakatathēkēsSchrifttum Bezug nimmt, muss ein näherer Blick darauf geworfen werden, wie die fraglichen Texte gestaltet sind und wie sie die gesellschaftliche Tragweite der Verun treuung privater Deposite konzeptionalisieren. Hier bietet sich ein Blick auf Lysias’ Rede Gegen Diogeiton an (fragmentarisch bei Dionysios von Halikarnassos überlie fert), die um ein Deposit in Höhe von fünf Talenten Silber kreist, das ein gewisser Diodotos vor seiner Einberufung zum Kriegsdienst bei seinem Bruder Diogeiton mit der Maßgabe hinterlegt hatte, das Geld im Falle seines Todes seinen Kindern bei deren
104 Bonner 1920, 387. 105 Grundsätzlich zur Parakatathēkē siehe Hellebrand 1949; Erhardt 1958; id. 1959.
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Vollmündigkeit zu übergeben.106 Diodotos starb dann tatsächlich im Krieg, und der älteste Sohn musste später gegen den Onkel um Herausgabe des Geldes klagen.107 Isokrates’ eigene Rede in einer Dikē Parakatathēkēs geht von einer strukturell vergleichba ren Konstellation aus. Es handelt sich um eine Auftragsrede für einen gewissen Nikias gegen dessen Cousin Euthynos, bei dem Nikias in einer für ihn innenpolitisch schwie rigen Situation (unter den Dreißig) ohne Zeugen drei Silbertalente privat hinterlegt hatte.108 Als er davon nur zwei Talente zurückbekam und direkte Verständigungs- und Vermittlungsversuche scheiterten, strengte er ein Gerichtsverfahren an, in dem die von Isokrates verfasste Rede situiert ist. Lysias und Isokrates heben gleichermaßen auf die gesellschaftszersetzende Wirkung ab, die von der Veruntreuung privat hinterlegter Gelder ausgeht. In der lysianischen Rede gegen Diogeiton wirft der Kläger dem Beklagten vor, er habe keine Scham gegen über Menschen und keine Ehrfurcht vor den Göttern.109 In § 20 ist entsprechend von der Schamlosigkeit (ἀναισχυντία) des Beklagten die Rede. In § 18 wird Diogeiton als Unwürdiger (ἀνάξιος) bezeichnet. Durch sein Handeln entsteht ein großes Unglück für die Geschädigten (der Kläger spricht in § 19 von τὸ μέγεθος τω˜ ν συμφορω˜ ν), die das Mitgefühl der Richter und den Zorn aller Bürger verdient haben: Denn das Handeln des Beklagten säe ein solches Misstrauen in der Gesellschaft, dass selbst den engsten Verwandten nicht mehr Vertrauen geschenkt werde als den ärgsten Feinden.110 Die Vorhaltungen sind teils so unspezifisch und als topische Versatzstücke in Klage schriften jeglicher Prozessform zu finden, dass hieraus kaum etwas für die Frage nach dem Sinn des isokratischen Verweises auf die Dikē Parakatathēkēs zu gewinnen ist. Lysias und Isokrates stimmen aber in einem entscheidenden Punkt überein, nämlich in der Bedeutung der Treue (πίστις) für den innergesellschaftlichen Zusammenhalt. Um das Problem zu fokussieren – dass nämlich die fraglichen Vergehen die Bindekräf te innerhalb der Gesellschaft so stark zersetzen können, dass das elementare Vertrauen (in die Verlässlichkeit eines gegebenen Wortes und in die Geltung des Rechts) seine Funktionalität einbüßt – setzen beide Texte dieselbe Konstruktion ein: Die eigentli chen Feinde erscheinen nun vertrauenswürdiger als selbst die engsten Verwandten.111 106 Der Begriff der παρακαταθήκη erscheint in §§ 5, 13, 16. Diodotos: PAA 328395; Diogeiton: PAA 325580. 107 Die von Lysias verfasste Rede wurde, wie es bei Dionysios von Halikarnassos heißt, „gehalten vom Ehemann der Enkelin des Diogeiton, die zugleich die Schwester der jungen Männer ist“. 108 Nikias: PAA 711680; Euthynos: PAA 433975. 109 Lys. 32.13: ‚… καὶ εἰ μηδένα ἀνθρώπων ᾐσχύνου, τοὺς θεοὺς ἐχρῆν σε‘ φησί ‚δεδιέναι …‘; vgl. 32.17: καὶ ἐπὶ τοιούτοις ἔργοις οὔτε τοὺς θεοὺς φοβει˜, οὔτε ἐμὲ τὴν συνειδυι˜αν αἰσχύνῃ …, ἀλλὰ πάντας ἡμα˜ ς περὶ ἐλάττονος ποιῃ˜ χρημάτων. 110 Lys. 32.19: εἰς τοσαύτην γὰρ ὑποψίαν Διογείτων πάντας ἀνθρώπους πρὸς ἀλλήλους καθίστησιν, ὥστε μήτε ζω˜ ντας μήτε ἀποθνῄσκοντας μηδὲν μα˜ λλον τοι˜ς οἰκειοτάτοις ἢ τοι˜ς ἐχθίστοις πιστεύειν. 111 Lys. 32.20 (zitiert in der vorausgehenden Fußnote); Isok. 21.12: ἐφ’ οι῟ς γὰρ ἦν ἡ πόλις, οὐ τοὺς ἁμαρτάνοντας ἐτιμωρου˜ ντο, ἀλλὰ τοὺς ἔχοντας ἀφῃρου˜ ντο, καὶ ἡγου˜ ντο τοὺς μὲν ἀδικου˜ ντας πιστούς, τοὺς δὲ πλουτου˜ ντας ἐχθρούς.
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Das gestörte Treueverhältnis steht bei Lysias und Isokrates daher auch nicht zufällig im Bezug zu den Wirren innergriechischer Kriege (Lysias) bzw. zum athenischen Bür gerkrieg (Isokrates): Das Problem wird zu einer gesamtgesellschaftlichen Angelegen heit, das Versäumnis seiner Lösung zum Signum eines zerrütteten Gemeinwesens. Seinen Sinn als Kontrastbild erlangt der Verweis auf die Dikē Parakatathēkēs im isokratischen Panegyrikos nun konkret dadurch, dass der Epitaphien-Teil (§§ 21–99) den Idealzustand einer Bürgergemeinschaft präzise bestimmt, die einen derartigen in nergesellschaftlichen Konfliktaustrag nicht kannte: Es ist die Gesellschaft derer, die vor den Perserkriegen lebten,112 denn hier verortet Isokrates, wie gezeigt, das Paradig ma einer auf allen Ebenen intakten griechischen Poliswelt. Die Beweisführung folgt einer einfachen Ratio: Die Erfolge gegen die Perser wären nicht möglich gewesen, wenn nicht die vorausgegangene Generation ihre Nachfahren erzogen und ausgebil det und die Bevölkerung zur Tugend angeleitet hätte:113 Die ethisch-moralische Güte der Damaligen wird bei Isokrates in einem vornormativen Gesellschaftsraum gedacht, dessen Ordnung sich aus der Wertewelt und Haltung ihrer Akteure ergab, während die Gesetzgebung sekundär und nur dazu gedacht war, die täglichen gesellschaftlichen Abläufe zu regeln.114 Vor diesem Hintergrund ist signifikant, dass bereits die ersten Angaben, mit denen diese Idealgesellschaft im Panegyrikos näher charakterisiert wird, unmittelbar die Kla ge im Schlussteil des Panegyrikos über einen Gesellschaftszustand spiegeln, in dem die Rhetoren sich mit ihren Fertigkeiten in Prozessen über veruntreute Deposite veraus gaben, anstatt auf die Stabilisierung der innergriechischen Verhältnisse hinzuwirken: Denn an erster Stelle preist Isokrates die Generation der Väter der Persersieger dafür, dass sie Verantwortung für das Gemeinwesen übernahmen, ohne aber danach zu stre ben, die öffentlichen Ressourcen für ihren eigenen Profit zu missbrauchen. Die öffent lichen Güter habe diese Generation gehütet, als seien sie ihr eigener Besitz, zugleich aber hielten sie sich von ihnen fern, wie man es mit Dingen tun müsse, die einem nicht gehören; ihr Glück sahen die Väter der Persersieger nicht im Besitz von Reich tümern, sondern in einem tadellosen Ruf.115 Die Treue (πίστις) schließt in diesem Zu sammenhang den argumentativen Kreis: Das einfache Wort sei damals verlässlicher (πιστότερος) gewesen als heutzutage Eide.116
112 Isok. 4.75 (τω˜ ν πρὸ του˜ πολέμου τούτου γενομένων). 113 Isok. 4.75: ἐκει˜νοι γὰρ ἦσαν οἱ προασκήσαντες τοὺς ἐπιγιγνομένους καὶ τὰ πλήθη προτρέψαντες ἐπ’ ἀρετὴν καὶ χαλεποὺς ἀνταγωνιστὰς τοι˜ς βαρβάροις ποιήσαντες. 114 Isok. 4.78 (περὶ τω˜ ν καθ’ ἑκάστην τὴν ἡμέραν ἐπιτηδευμάτων). 115 Isok. 4.76: οὐ γὰρ ὠλιγώρουν τω˜ ν κοινω˜ ν, οὐδ’ ἀπέλαυον μὲν ὡς ἰδίων, ἠμέλουν δ’ ὡς ἀλλοτρίων, ἀλλ’ ἐκήδοντο μὲν ὡς οἰκείων, ἀπείχοντο δ’ ὥσπερ χρὴ τω˜ ν μηδὲν προσηκόντων· οὐδὲ πρὸς ἀργύριον τὴν εὐδαιμονίαν ἔκρινον, ἀλλ’ ου῟ τος ἐδόκει πλου˜ τον ἀσφαλέστατον κεκτη˜ σθαι καὶ κάλλιστον, ὅστις αὐτὰ τυγχάνοι πράττων, ἐξ ω῟ ν αὐτός τε μέλλοι μάλιστ’ εὐδοκιμήσειν καὶ τοι˜ς παισὶ μεγίστην δόξαν καταλείψειν. 116 Isok. 4.81: πιστοτέροις μὲν τοι˜ς λόγοις ἢ νυ˜ ν τοι˜ς ὅρκοις χρώμενοι.
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Indem Isokrates das Peri Parakatathēkēs-Schrifttum diskreditiert, geht es ihm also gerade nicht um eine Marginalisierung, sondern um eine spezifische Semantisierung der Prozessform als Symptom der gesellschaftlichen Desintegration einer Bürgerge meinschaft, deren Mitgliedern es an der nötigen ethisch-moralischen Haltung ge mangelt habe, die idealiter die soziale Kohäsion hervorbringt, aus der sich ein Wie dererstarken der griechischen Poliswelt insgesamt ergeben könnte. Zugleich ist der Seitenhieb auf die Dikē Parakatathēkēs als Angriff auf eine Rhetorik konzipiert, die das Problem verschärft, anstatt die Fähigkeiten im Umgang mit dem Logos erziehe risch für das Ziel einzusetzen, die Griechen zur inneren Geschlossenheit und äußeren Schlagkraft zurückzuführen: Just in einem solchen erzieherischen Sinne will Isokrates den Panegyrikos verstanden wissen, und die geschickte Verkoppelung der Gattungs charakteristika eines Epitaphios Logos mit denen eines Olympiakos Logos boten ihm die Möglichkeit, sein Anliegen mit Nachdruck, Ernsthaftigkeit und Feierlichkeit zu formulieren. Der didaktische Tod Die erzieherische Stoßrichtung des isokratischen Panegyrikos, die sich im Seitenhieb auf das Peri Parakatathēkēs-Schrifttum im Schlussabschnitt des Textes offenbart, weist einen breiteren Kontext im literarischen Beziehungsgeflecht der Epitaphioi Logoi auf. Auch die platonische Gefallenenrede im Menexenos ist ein Text mit erzieheri scher Zielsetzung insofern, als er seine Rezipienten zur kritischen Reflexion über die ethisch-moralischen Grundlagen der politischen Verfassung der athenischen Bürger gemeinschaft anregt. Seine erzieherische Wirkung entfaltet der Menexenos nicht über die Verstärkung etablierter Ideologeme, sondern über deren analytische Dekonstruk tion. Gegenüber Gorgias, der im Epitaphios eine ähnliche Zielsetzung verfolgt (fünftes Kapitel), war Platon in der Wahl der literarischen Mittel erkennbar weniger zurückhal tend und hat sich im Menexenos weiter von den Genrekonventionen der athenischen Gefallenenrede entfernt.117 Eine metatheoretische Auseinandersetzung mit dem Pro blemfeld der gesellschaftlichen Bedeutung von Erziehung bietet der Menexenos dabei aber nicht, obwohl das Thema spätestens mit dem lysianischen Epitaphios etabliert ist und wenige Jahre nach dem Menexenos auch im isokratischen Panegyrikos anklingt – nochmals vier Jahrzehnte später prägen entsprechende Überlegungen dann auch den 117 Zugleich hebt sich der Menexenos damit von den übrigen Epitaphioi Logoi, auf die Platon zurück blicken konnte, deutlich ab: Thukydides hatte das in der perikleischen Grabrede propagierte Ver ständnis von Macht primär über inhaltliche Spannungen im narrativen Gesamtkontext kritisch ausgeleuchtet, nicht durch die Argumentationslogik der Gefallenenrede selbst (fünftes Kapitel); Lysias hat seinen Epitaphios als weitgehend affirmative Schrift verfasst (sechstes Kapitel); und für den fast vollständig verlorenen Epitaphios des Archinos ist kein kritischer Ansatz zu erwarten (ebenfalls sechstes Kapitel).
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demosthenischen Epitaphios (achtes Kapitel). Isokrates jedenfalls hat den Menexenos genau studiert und sich offenbar auch dazu anregen lassen, den Beitrag der platoni schen Schrift zur Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Erziehung zu re flektieren. Dies zeigt sich in einem geschickt konstruierten Bezug zum Menexenos. Um diesen Bezug zu rekonstruieren, muss etwas weiter ausgeholt werden. In der Rahmenhandlung des Menexenos beschreibt Sokrates die gesellschaftliche Wirkung, die von einer athenischen Gefallenenrede ausgeht, als „Verzauberung der Seelen“,118 die in ihm ein erhabenes Gefühl hervorrufe, das ihm drei Tage lang erhal ten bleibe: „So anhaltend klingen die Worte und die Stimme des Redners in meinen Ohren, dass ich erst am vierten oder fünften Tag wieder zu mir komme und merke, wo auf Erden ich bin, während ich mir bis dahin fast einbildete, auf den Inseln der Se ligen zu leben – so geschickt sind unsere Redner“.119 Die sokratische Ironie ist beißend: Über die kurzfristige Verzauberung der Seelen hinaus, die von Sokrates ja auch nur behauptet wird, ist in der Rahmenhandlung keine nachhaltige Wirkung der Gefalle nenrede auf die Zuhörer zu erkennen, und Menexenos zeigt sich in der knappen ab schließenden Unterhaltung mit Sokrates, die auf die Deklamation der Rede folgt, auch nicht ansatzweise ergriffen – ganz im Gegenteil: Nun wendet er selbst den Topos der Glückseligkeit (μακαρία), den zuvor Sokrates gegen die Redner allgemein gebraucht hatte, in ironischer Verdrehung just gegen Aspasia, und er zeigt auch kein Interesse da ran, dass Sokrates mit der Deklamation ihrer Reden fortfährt.120 Durch diese narrative Rahmung kommt dem Schlusssatz der von Sokrates wiedergegebenen Gefallenenrede ein besonderes Gewicht zu: Denn die dort formulierte Aufforderung des literarischen Ich, nun dem Brauch gemäß die Totenklage anzustimmen und dann fortzugehen,121 lenkt die Aufmerksamkeit auf den Übergang vom Hören der Rede zurück in die All tagswelten der Hörenden: Die Schlussformel importiert die Frage nach dem gesell schaftlichen Mehrwert des Hörens einer Leichenrede also direkt in die Leichenrede selbst. Dies ist insofern signifikant, als Platon die Schlussformel νυ˜ ν δὲ … ἄπιτε („nun aber geht fort“) eins zu eins aus der Gefallenenrede des thukydideischen Perikles ent lehnt hat.122 Dort gehen die Hörer in eine Alltagswelt zurück, die ganz und gar nicht dem Athen entsprach, das Thukydides seinen Lesern mit seiner (Re-)Konstruktion der Grabrede des Perikles in Erinnerung gerufen hat: Eine Diskrepanz, die sich unmit telbar im Anschluss an die perikleische Gefallenenrede schon in der Schilderung der
118 Plat. Men. 235 a: γοητεύουσιν ἡμω˜ ν τὰς ψυχάς. 119 Plat. Men. 235 b–c: οὕτως ἔναυλος ὁ λόγος τε καὶ ὁ φθόγγος παρὰ του˜ λέγοντος ἐνδύεται εἰς τὰ ω῏ τα, ὥστε μόγις τετάρτῃ ἢ πέμπτῃ ἡμέρᾳ ἀναμιμνῄσκομαι ἐμαυτου˜ καὶ αἰσθάνομαι ου῟ γη˜ ς εἰμι, τέως δὲ οι῏μαι μόνον οὐκ ἐν μακάρων νήσοις οἰκει˜ν· οὕτως ἡμι˜ν οἱ ῥήτορες δεξιοί εἰσιν. 120 Plat. Men. 249 d. 121 Plat. Men. 249 c: νυ˜ ν δὲ ἤδη ὑμει˜ς τε καὶ οἱ ἄλλοι πάντες κοινῃ˜ κατὰ τὸν νόμον τοὺς τετελευτηκότας ἀπολοφυράμενοι ἄπιτε. 122 Thuk. 2.46.2: νυ˜ ν δὲ ἀπολοφυράμενοι ὃν προσήκει ἑκάστῳ ἄπιτε.
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Epidemie erweist und im weiteren Verlauf des Peloponnesischen Krieges noch deut lich an Schärfe gewinnt (fünftes Kapitel). Auch Isokrates hat das Problem, das von Thukydides und Platon hier identifiziert wurde, ernst genommen: Im Schlussteil des Panegyrikos hat er die Aufforderung an die imaginierten Adressaten der „Rede“ platziert, aus dem Gesagten nachhaltige Kon sequenzen zu ziehen und nach dem Hören nicht einfach wegzugehen. Dem thukydide ischen und platonischen νυ˜ ν δὲ … ἄπιτε stellt das literarische Ich des isokratischen Panegyrikos die Forderung entgegen, seine Hörer dürften jetzt nicht einfach wegge hen und sich damit begnügen, zugehört zu haben.123 Die Wirkung der Rede (bzw. der Schrift) darf sich also auch bei Isokrates nicht in einer kurzfristigen Verzauberung der Seelen erschöpfen, der isokratische Anspruch an gute Rhetorik geht vielmehr expli zit einher mit der Forderung nach einer nachhaltigen Wirkung der Rhetorik auf die Gesellschaft, und diese Wirkung vermitteln nicht schöne Worte, sondern die richtigen – allerdings auch nicht aus sich heraus, sondern nur in einem gesellschaftlichen Gesamt system, das den Geltungsanspruch ihrer Wertewelt durch die richtige Erziehung ein zulösen vermag.124 Die Frage nach dem erzieherischen Konzept bietet folglich eine ergänzende Pers pektive auf den isokratischen Panegyrikos und seine Auseinandersetzung mit der athe nischen Gefallenenrede. Indem Isokrates die Gefallenenrede auf das Problemfeld der gesellschaftlichen Bedeutung von Erziehung projizierte, agierte er allerdings in einem Diskursraum, der bereits von Lysias und Platon vorstrukturiert war. Der lysianische Epitaphios leuchtet die Gefallenenrede erstmals systematisch mit Fragen nach der rich tigen Erziehung aus, weshalb ich auf diese Schrift hier nochmals zurückkomme. Wenn Lysias das Gesamtprogramm des Epitaphios in § 19 in höchstmöglicher Verdichtung präsentiert, tritt die Bedeutung der Erziehung nämlich deutlich zum Vorschein: Den Menschen komme es zu (im Gegensatz zum Tier), das Gerechte (τὸ δίκαιον) durch das Gesetz (νόμος) zu definieren, durch das Wort (λόγος) zu überzeugen (πει˜σαι) und beidem (d. h. Gesetz und Wort) durch die Tat (ἔργον) zu dienen – mit dem Gesetz als Herrscher (ὑπὸ νόμου μὲν βασιλευομένους) und dem Wort als Lehrmeister (ὑπὸ λόγου δὲ διδασκομένους).125 Die argumentative Architektur dieser Aussage ruht auf der Komplementarität von Gesetz (νόμος) und Wort (λόγος), welche die Tat (ἔργον) begründet. Mit dem Ergon ist hier ganz unzweifelhaft der Einsatz der Bürger für ihre Polis gemeint. Interessant ist nun, dass das Gesetz analog zur Königsherrschaft (βασιλεύειν) konzipiert wird und
123 Isok. 4.188: μὴ μόνον ἀκροατὰς γενομένους ἀπελθει˜ν. Die diskutierten Vergleichsstellen (Thuk. 2.46 und Plat. Men. 249 c) werden in den beiden vorausgehenden Anmerkungen zitiert. 124 Grundsätzliche Überlegungen zum isokratischen Bildungskonzept bei Walker 2011; Wareh 2012. 125 Lys. 2.19: … ἡγησάμενοι θηρίων μὲν ἔργον ει῏ναι ὑπ’ ἀλλήλων βίᾳ κρατει˜σθαι, ἀνθρώποις δὲ προσήκειν νόμῳ μὲν ὁρίσαι τὸ δίκαιον, λόγῳ δὲ πει˜σαι, ἔργῳ δὲ τούτοις ὑπηρετει˜ν, ὑπὸ νόμου μὲν βασιλευομένους, ὑπὸ λόγου δὲ διδασκομένους.
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das Wort analog zur Unterweisung (διδάσκειν): Die Königsherrschaft einer auf regel haften Normen basierenden Gerechtigkeit auf der einen Seite wird der erzieherischen Kraft der sprachlichen Vermittlung von Einsicht in das Wahre auf der anderen Seite ge genübergestellt: König und Lehrmeister – Normativität und Unterweisung – wirken zusammen und schaffen das Fundament einer gerechten Ordnung. Die Unterweisung wird dabei verstanden als eine über den Logos vollzogene Erkenntnisvermittlung, wo bei dem Logos die Funktion der Verbreitung von Wahrheit zukommt (dies kommt in der Wendung λόγῳ δὲ πει˜σαι zum Ausdruck). Ohne die didaktische Funktion des Lo gos kann Normativität folglich keine Bindewirkung entfalten – und damit auch ihren Geltungsanspruch nicht einlösen. Die Rolle, die Lysias hier dem Logos zuschreibt, ist aus der Perspektive der späten 390er Jahre nicht selbsterklärend: In den weitaus meisten gesellschaftlich relevanten Bereichen des klassischen Athens, in denen die öffentliche Rede von Bedeutung war (besonders deutlich bei Gerichts- und Volksreden zu sehen), wurde sie zur argumen tativen Auseinandersetzung und nicht zur blanken Erkenntnisvermittlung eingesetzt. Das elementare Prinzip, auf dem die argumentative Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Parteien im demokratischen Athen beruhte, war die entsprechende Mög lichkeit zur Widerrede: Jede Partei hatte grundsätzlich das Recht, gehört zu werden. Unter regulären Bedingungen hatte ein politischer Akteur innerhalb des politischen Systems keine Möglichkeit, seine Sicht der Dinge schlicht zu dekretieren: Auf den öffentlichen Podien der athenischen Demokratie vollzog sich über argumentativen Schlagabtausch ganz konkret politische Entscheidungs- und juristische Urteilsfin dung. In diesem kulturellen Setting konnte ein Phänomen entstehen, das sich mit dem Label „Redekunst“ nur unzureichend beschreiben lässt.126 Die dialektische Konzeption des Logos (im rhetorischen, nicht philosophischen Sinne) war in gewisser Weise das Schmiermittel für die Mechanik der antiken direk ten Demokratie und ihrer unterschiedlichen Institutionen. Lysias selbst hat sich in seiner Tätigkeit als Logograf ganz selbstverständlich entsprechender Methoden einer dialektischen Rhetorik bedient, um die Anklage- und Verteidigungsreden, die er für seine zahlenden Kunden verfasste, zu Erfolgsgaranten in den juristischen Auseinan dersetzungen zu machen, auf die sie gemünzt waren. Für alle übrigen Logografen gilt die hohe Bedeutung der Dialektik ebenso wie für die weitaus meisten Rhetoren, die sich in der Bürgerversammlung Gehör verschaffen wollten. Lysias wusste um die Be deutung der argumentativen Relativität von Rhetorik. Wenn er sich des Wortes – des Logos – als kommunikativen Mediums bediente, dann in aller Regel in einer Weise, die man im Sinne einer dialektischen Rhetorik durchaus als sophistisch bezeichnen 126 Zu Rhetorik und Sophistik als kulturellem Phänomen des fünften und vierten Jahrhunderts siehe die entsprechenden Anmerkungen und Literaturverweise im fünften Kapitel. Die Kritik von Iso krates, Platon und anderen an der athenischen Demokratie stellt allerdings auch die Wirksamkeit politischer Rhetorik infrage.
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könnte (ohne den pejorativen Beigeschmack, den der Begriff der Sophistik im Sinne einer eristischen Rhetorik auch bei sich führt). Wenn Lysias nun aber im Epitaphios dem Logos eine didaktische Funktion zu schreibt, so will er dies offenbar ganz anders verstanden wissen: Denn hier erscheint das Wort – der Logos – als Analogon zum Gesetz – dem Nomos. Dies ist nur sinnvoll denkbar, wenn das Wort nicht verhandelbar ist, wenn es dem Ringen um die Gunst des Publikums entzogen und vielmehr als Vehikel gesicherter Erkenntnis konstruiert wird: In den politischen Arenen des klassischen Athens steht jedem Wort ein poten zielles Widerwort entgegen: Redner und Gegenredner begegnen sich ebenbürtig auf ein und demselben Podium. Ein Wort des Lehrmeisters dagegen – des Didaskalos – ist dem Ringen um die Zustimmung der Adressaten entzogen. Der Lehrmeister steht über, nicht neben seinen Adepten: Was der Lehrmeister sagt, ist unhintergehbar. In der Analogie des Lysias gesprochen: Das Wort des Lehrmeisters ist ebenso unverhandel bar wie die Geltung eines Gesetzes, das wie ein König herrscht. Das Gesetz als König und das Wort als Lehrmeister greifen damit unmittelbar ineinander – und sie hebeln gemeinsam ein Grundprinzip der athenischen Demokratie aus, demzufolge sich das Handeln der Bürgergemeinschaft nach dem Argument richtet, das sich im Wettbe werb der Redner um die Gunst der Hörer durchzusetzen vermag. Das Handeln der Bürger – das Ergon – soll sich in der Logik des lysianischen Epitaphios dagegen nicht nach dem Ratschlag des überzeugendsten Redners richten, sondern den Vorgaben des Nomos folgen, dessen Geltung durch einen erzieherischen Logos vermittelt wird. Dieses Raisonnement ist metareflexiv insofern, als der Epitaphios selbst als der er zieherische Logos konzipiert ist und Lysias damit die Rolle des Didaskalos einnimmt. Daraus ergibt sich auch (über den konkreten Anlass einer Reaktion auf Archinos hi naus) die Sinnhaftigkeit von Lysias’ Entscheidung, sich ausgerechnet an der Gattung der athenischen Gefallenenrede zu orientieren, um ein erzieherisches Programm für die athenische Gesellschaft zu formulieren: Denn die Gefallenenrede war im klassi schen Athen die wichtigste und weithin einzige Form einer klar politisch ausgerichte ten öffentlichen Rede, der keine Gegenrede entgegengestellt wurde. Der Redner einer Gefallenenrede sprach ideell für alle Athener, und er buchstabierte ihre gemeinsamen Ziele aus. Die unterschwellige Parallelisierung des Autors mit der Figur des Didaskalos passt zur kommunikativen Grundkonzeption einer Gefallenenrede folglich deutlich besser als etwa zu einer Gerichts- oder Volksrede. Indem Lysias seinen Epitaphios da mit als didaktisches Projekt versteht, gewinnt der Text eine weitere politische Dimen sion: Er dient der Vermittlung der Erkenntnis dessen, worauf sich das Ergon zu richten habe – nämlich im Falle des lysianischen Epitaphios auf den Wiederaufbau der hege monialen Größe Athens, in der für Lysias die Normativität der gerechten Ordnung Athens längst besteht und immer schon bestand. Die Differenz zur thukydideischen Grabrede des Perikles ist offenkundig: Thukydides ist ein Analytiker der Macht, der seine Leser verstehen lassen möchte, welche kulturellen, gesellschaftlichen und poli tischen Dynamiken Athen in den Untergang gezogen haben; Lysias dagegen möchte
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seinen Lesern ein Argument bieten, sich erneut bedingungslos für die Macht Athens einzusetzen – notfalls bis hin zur soldatischen Selbstaufopferung. Kritisch ist der lysia nische Epitaphios von hier aus betrachtet nur insofern, als er subtil die rechtliche Aus grenzung von Nichtbürgern beanstandet, die sich für diese Zielsetzung starkmachen und dafür sogar bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen (sechstes Kapitel). Auch Platon hat die erzieherische Dimension der athenischen Gefallenenrede er kannt und diese Funktion wenige Jahre nach dem lysianischen Epitaphios ebenfalls thematisiert, auch ihm war also das (in seinen Augen gefährliche) Wirkungspotenzi al der entsprechenden Rhetorik als ideologischer Kompressor der offiziös-offiziellen Poliswerte bewusst. Platon hat diese Erkenntnis indes ganz anders verarbeitet: Er hat Lysias’ Hinweis auf die erzieherische Qualität des Epitaphios Logos aufgegriffen, die Logik der Gefallenenrede aber gegen diese selbst gewendet und den Epitaphios Logos zum Werkzeug seiner eigenen Dekonstruktion umgeformt. Isokrates sah die atheni sche Gefallenenrede ebenfalls als Ort einer potenziell schädlichen Ideologie atheni scher Suprematie, brachte seine Vorbehalte aber subtiler zum Ausdruck als Platon: Im Panegyrikos gewann er aus spezifischen Facetten der Geschichte, Kultur und Politik Athens einen Maßstab erzieherischer Ideale – und mit diesem Maßstab konnte er die Entwicklungen seiner eigenen Zeit bewerten, zur Besinnung auf die entscheidenden gesellschaftlichen Werte mahnen und zur innergriechischen Einheit aufrufen. *** Nach Gorgias, Thukydides und Lysias haben sich in der zweiten Hälfte der 380er Jah re auch Platon und Isokrates in ihren Zugängen zur athenischen Gefallenenrede mit der Problematik des athenischen Machtstrebens und den Konsequenzen für die grie chische Poliswelt befasst. Bei den beiden Autoren gewinnt die Frage an Bedeutung – Lysias hat sich hier als Vorläufer erwiesen –, welche Rolle der Erziehung zukommt, wenn es darum gehen soll, die politischen Entscheidungsprozesse des demokratisch verfassten Gemeinwesens so einzuhegen, dass das Streben der Polis nach Hegemo nie keine destruktive Dynamik mehr entfalten kann. Die literarische Anlehnung an die athenische Gefallenenrede ermöglichte es Platon wie Isokrates gleichermaßen – trotz ihrer unterschiedlichen Zugänge zu diesem Genre –, die Dringlichkeit der Frage zu unterstreichen: Für eine Bürgerschaft, die ideell (aber auch faktisch) weitgehend identisch war mit der Wehrgemeinschaft, war die Machtpolitik Athens eine Frage von Leben und Tod. Als in den frühen 330er Jahren der athenische Redner Demosthenes wieder einen Epitaphios in literarischer Form verfasste, stand auch für ihn die Reflexi on über das ethisch-moralische Wertefundament der Polisgemeinschaft im Zentrum des Interesses – nun aber an einem Punkt der Geschichte Athens, als eine Rückkehr zur früheren Größe ganz unwahrscheinlich geworden war.
Achtes Kapitel Demosthenes und Hypereides Sterben für die Freiheit? Über die athenische Gefallenenbestattung nach der Schlacht von Chaironeia sind wir vor allem deshalb so umfassend informiert, weil die Frage, wem nach der Niederlage die Ehre zufallen sollte, die Gefallenenrede zu halten, zum Gegenstand der politischen Aus einandersetzung zwischen Demosthenes und Aischines geworden ist, an deren präziser Dokumentation zum Zwecke der Diskurskontrolle beide Seiten in hohem Maße interes siert waren. Demosthenes war es dann, der die öffentliche Gefallenenrede halten durfte; sein Epitaphios (= log. 60) scheint als literarisch ausgefeilte und auf die Rezeption durch ein gebildetes Lesepublikum hin konzipierte Schrift ihren Ausgang bei dieser mündlich präsentierten Rede genommen zu haben. Erstmals seit Archinos lässt sich hier wieder ein Epitaphios Logos in literarischer Form aus der Feder eines Autors greifen, der selbst als Redner einer Gefallenenrede in Erscheinung getreten ist. Der demosthenische Epitaphios läutet zugleich die letzte Phase der literarischen Auseinandersetzung mit der Ins titution der im Rahmen der athenischen Gefallenenbestattung gehaltenen öffentlichen Festrede ein. Unter dem Eindruck des athenischen Autonomieverlusts im Kontext der aufstrebenden hellenistischen Monarchien hat sich zwischen den frühen 330 er und den späten 320er Jahren mit Demosthenes, Lykurg und Hypereides eine Gruppe an Autoren letztmalig in literarischer Form mit der athenischen Gefallenenrede auseinandergesetzt. Hellas im Unglück Der demosthenische Epitaphios lässt sich nur vor dem Hintergrund der Schlacht von Chaironeia verstehen.1 Mehr als tausend Athener sind damals beim vergeblichen Ver such gestorben, die Autonomie ihrer Heimatstadt gegen das expandierende Reich der
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Die für die Arbeit an diesem Kapitel konsultierten Textausgaben, Kommentare, Übersetzungen und Deutungen zum demosthenischen Epitaphios werden im Anhang unter der Rubrik „Literari
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Makedonen zu verteidigen, und nicht weniger als zweitausend sind vorübergehend in Gefangenschaft geraten.2 Dass es ausgerechnet Demosthenes war, der nach der Nie derlage Athens gegen die Makedonen im Jahr 338 zum Festredner gewählt und mit der Aufgabe betraut wurde, am Grab seiner getöteten Mitbürger eine Gefallenenrede zu halten, ist bemerkenswert: Demosthenes hatte sich ebenso ausdauernd wie eindring lich für die militärische Lösung des Konflikts ausgesprochen und durch sein politi sches Handeln entscheidend dazu beigetragen, dass es überhaupt zu einer Schlacht von Chaironeia gekommen ist – damit konnte er zugleich für das Scheitern Athens mitverantwortlich gemacht werden. Als Athen die Suprematie Philipps offiziell aner kennen musste, sind er und seine Unterstützer, die sich für die Unabhängigkeit Athens eingesetzt hatten, erkennbar in die Defensive geraten.3 Die Gefallenenrede hat De mosthenes dann auch genutzt, um die eigene gesellschaftliche und politische Stellung in seiner nun unter makedonischer Hegemonie stehenden Heimatpolis gegenüber einer von den Ereignissen gezeichneten und tief gespaltenen Bürgerschaft neu zu de finieren: Die Gelegenheit, die Gefallenenrede zu halten, war für Demosthenes in der frühen Nachkriegsphase der vielleicht wichtigste Baustein im Prozess der Neubestim mung seiner eigenen Rolle in Athen. Dass die Geschichte Athens einen tragischen Scheidepunkt erreicht hatte, hat De mosthenes selbst gleich zu Beginn der Schrift in ihrem ersten Absatz deutlich gemacht: Die Männer, auf die sich sein von der Polis bestellter Lobpreis (ἔπαινος) beziehe, seien lieber tugendhaft gestorben, als lebend Hellas im Unglück ertragen zu müssen.4 Mit eindrücklichen Bildern wird dieser Gedanke im weiteren Verlauf noch verstärkt: Die Tapferkeit der Gefallenen sei die Seele (ψυχή) Griechenlands gewesen: Indem ihre Körper das Leben aushauchten, sei die Ehre (ἀξίωμα) Griechenlands verloren gegan gen, und mit der Vernichtung der Männer sei Hellas’ einstiger Stolz (ζη˜ λος) gänzlich in Düsternis und Schande versunken.5 Auch insgesamt erscheint der demosthenische Epitaphios zutiefst resignativ: Die Schrift erhebt an keiner Stelle die Forderung, gegen die neue Realität, die in den ge nannten Passagen so eindringlich evoziert wird, aufzubegehren und auf eine Verände rung des Status quo hinzuwirken: Die Zukunft Athens wird in der Schrift nicht einmal ansatzweise angedeutet. In der impliziten Logik des Textes verharrt Hellas im Stadium
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sche Hauptquellen“ angeführt. Zu den historischen Ereignissen rund um die Schlacht von Chairo neia: Diod. 16.85.5–86.6; Plut. Alex. 9; Hammond/Griffith 1979, 596–603. Die Zahlen liefert Diod. 16.86.5. Über die historischen Ereigniszusammenhänge berichten Dem. 18.285–287; Aischin. 3.152–159; Diod. 16.84 und Plut. Dēm. 21. Dem. 60.1: τελευτη˜ σαι καλω˜ ς μα˜ λλον ἠβουλήθησαν ἢ ζω˜ ντες τὴν Ἑλλάδ’ ἰδει˜ν ἀτυχου˜ σαν. Dem. 60.23: ἡ τω˜ νδε τω˜ ν ἀνδρω˜ ν ἀρετὴ τη˜ ς Ἑλλάδος ἦν ψυχὴ; Dem. 60.24: ἅμα γὰρ τά τε τούτων πνεύματα ἀπηλλάγη τω˜ ν οἰκείων σωμάτων, καὶ τὸ τη˜ ς Ἑλλάδος ἀξίωμ’ ἀνῄρηται … οὕτω τω˜ νδε τω˜ ν ἀνδρω˜ ν ἀναιρεθέντων ἐν σκότει καὶ πολλῃ˜ δυσκλείᾳ πα˜ ς ὁ πρὸ του˜ ζη˜ λος τω˜ ν Ἑλλήνων γέγονεν.
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des Unglücks, die Möglichkeit einer Rückkehr zur Größe vergangener Zeiten wird nir gends auch nur impliziert. Dennoch ist die Schrift nicht resignativ konzipiert, sie ist vielmehr darauf ausgelegt, das Modell einer athenischen Gesellschaftsverfassung zu zeichnen, die mit der stol zen Geschichte der Stadt ebenso im Einklang steht wie mit der neuen Weltordnung: Ausgehend von einer grundsätzlichen Anerkennung der neuen machtpolitischen Konstellation, die sich mit dem Sieg der Makedonen ergeben hatte, entwickelt der demosthenische Epitaphios die Vorstellung einer einigen, geschlossenen athenischen Gemeinschaft, die auch unter den Bedingungen eines im Unglück stehenden Hellas vom Ruhm ihrer historischen Errungenschaften und ihrer besonderen politischen Verfasstheit getragen wird. Der demosthenische Epitaphios weist damit eine integra tive Stoßrichtung auf, in der ihre gesellschaftspolitische Dimension zu sehen ist. Den Kontext bilden die innergesellschaftlichen Verwerfungen, die sich im Zuge der Nie derlage Athens zur Konstellation einer latenten Stasis verschärft hatten. Bei genauem Hinsehen erweist sich der demosthenische Epitaphios so als verkanntes Meisterwerk epideiktischer Literatur:6 Im betont einfach gehaltenen Gewand einer fingierten Rede vor der heterogenen Festgemeinde einer öffentlichen Gefallenenbestattung lässt sich die Schrift als ingeniös konzipierte Reaktion auf eine hochkomplexe gesellschaftliche Problemlage lesen. Um eine historisch überzeugende Interpretation des Epitaphios gewinnen zu kön nen, soll die Bedeutung der Schrift von einer inhaltlichen Analyse ausgehend in dem historischen Setting rekonstruiert werden, aus dem sich jene innergesellschaftliche Spannungslage ergab, auf die Demosthenes (nicht zuletzt in seiner Rolle als einer der Hauptakteure und als notorischer Verfechter eines antimakedonischen Kurses) zu reagieren hatte. Die Frage, ob der Text Ansatzpunkte bietet, um auch die Gefalle nenrede zu rekonstruieren, die Demosthenes nach der Schlacht von Chaironeia im Rahmen der öffentlichen Bestattungszeremonie gehalten hat, soll dabei zunächst noch zurückgestellt werden: Wie in der Einleitung der vorliegenden Arbeit im Einzelnen diskutiert, können wir nicht ohne nähere Prüfung von den überlieferten Texten auf die mündlich im Rahmen des Gefallenenbegräbnisses gehaltenen Reden schließen – dies gilt zunächst einmal ganz grundsätzlich auch für Demosthenes, auch wenn uns hier (wie später noch bei Hypereides) der Text eines Autors vorliegt, der selbst als Red ner einer tatsächlichen Gefallenenrede in Erscheinung getreten ist. Wie sich letztlich zeigen wird, bietet der demosthenische Epitaphios aber gewisse Anhaltspunkte, die es ermöglichen, sein Verhältnis zur Rede näher zu bestimmen.
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Die Negativcharakterisierungen sind zu zahlreich, um hier einzeln angeführt zu werden; beispiel haft sei auf das Verdikt von George Kennedy verwiesen: „The funeral oration preserved as the six tieth speech of Demosthenes is a very inferior product which one hopes he did not write“ (Kenne dy 1963, 164). Speziell die gesellschaftspolitische Dimension hat sich Kennedy nicht erschlossen: „no clear moral picture emerges“ (ibid., 165).
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Einen geeigneten Ansatzpunkt zum Verständnis des demosthenischen Epitaphios bieten drei vordergründig unauffällige Passagen, in denen das Verhältnis zwischen der Rolle des literarischen Ich (als Festredner des öffentlichen Gefallenenbegräbnisses) und dem von ihm adressierten Auditorium charakterisiert wird. Erstens leitet in § 6 die Narratio vom Thema der Autochthonie über zur mythischen Frühgeschichte Athens. Dabei formuliert das literarische Ich das Ziel, mit der Rede die einander entgegengesetzten Ansprüche einer Zuhörerschaft einfangen zu wollen, die aus einer Gruppe der „Wissenden“ (οἳ εἰδότες) und einer Gruppe der „Unwissenden“ (οἳ ἄπειροι) bestehe:7 Den Wissenden sollen die Ausführungen nützlich (χρήσιμον) sein, für die Unwissenden immerhin schön anzuhören (κάλλιστ’ ἀκου˜ σαι).8 Zweitens lenkt der Text in § 23 erneut die Aufmerksamkeit des Lesers auf das Ver hältnis zwischen Redner und Zuhörerschaft, wenn Demosthenes das literarische Ich ausrufen lässt: φθόνος μὲν ἀπείη του˜ λόγου – „Missgunst bleibe meiner Rede fern!“ Hier wird die Gefahr für den Redner thematisiert, sich mit einem Lob auf die Gefalle nen vor dem Gremium der Überlebenden zu äußern, von denen keiner mehr Wider stand geleistet habe, als „diese“ [gemeint sind die Bestatteten] gefallen waren.9 Bereits in diesen beiden Passagen kommt eine spannungsreiche Beziehung zwischen Redner und Zuhörerschaft zum Ausdruck (ein Verhältnis potenzieller Missgunst), zu der eine Spaltung innerhalb des Auditoriums in zwei unterschiedliche Faktionen hin zutritt (die Wissenden und die Unwissenden). Aufschlussreich ist, dass Demosthenes zur Charakterisierung der entsprechenden Konfliktpotenziale Konzepte übernimmt, die er offenbar in der Gefallenenrede des thukydideischen Perikles vorgefunden hat, wo dieselben Konfliktverhältnisse (zwischen Redner und Zuhörerschaft einerseits sowie innerhalb der Zuhörerschaft andererseits) an prominenter Stelle (namentlich im Proöm) mit identischem begrifflichem Instrumentarium offengelegt werden: Das Konzept der Missgunst (φθόνος), das in § 23 des demosthenischen Epitaphios so deut lich exponiert wird, steht bei Thukydides in unmittelbarem Bezug zu den Unwissen den (ἄπειροι),10 und der in der perikleischen Grabrede ausbuchstabierte Dualismus vom „wissenden und wohlwollenden Zuhörer“ einerseits (ὅ τε γὰρ ξυνειδὼς καὶ εὔνους ἀκροατὴς) und dem „Unwissenden“ andererseits (ὅ τε ἄπειρος ἔστιν) wird bei De
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Dem. 60.6: τὰ δ’ εἰς ἀνδρείαν καὶ τὴν ἄλλην ἀρετὴν πάντα μὲν κατοκνω˜ λέγειν, φυλαττόμενος μὴ μη˜ κος ἄκαιρον ἐγγένηται τῳ˜ λόγῳ· ἃ δὲ καὶ τοι˜ς εἰδόσιν χρήσιμ’ ἀναμνησθη˜ ναι καὶ τοι˜ς ἀπείροις κάλλιστ’ ἀκου˜ σαι, καὶ ζη˜ λον ἔχει πολὺν καὶ μη˜ κος λόγου ἄλυπον {ἕχοντα}, ταυ˜ τα ἐπὶ κεφαλαίων εἰπει˜ν πειράσομαι. Eine mit κάλλιστ’ ἀκου˜ σαι vergleichbare Wendung findet sich in Dem. 2.11 (ὅπως τις λέγει κάλλιστα), wo die Idee der sophistischen Überredung anklingt. Darüber hinaus weist κάλλιστα bei De mosthenes in Richtung des Bedeutungsfeldes von „schmeichelnd“ / „angenehm“ / „gefällig“, oft auch ohne pejorativen Beiklang (vgl. Dem. 9.70; 18.95, 215, 261; 20.72; 24.28; 25.34 f.). Dem. 60.23: ἐπειδὴ oυ῏ ν ἡ πεπρωμένη τούτους ἀνει˜λεν, οὐδεὶς ἀντέστη τω˜ ν λοιπω˜ ν. Thuk. 2.35.2: ὅ τε ἄπειρος ἔστιν ἃ καὶ πλεονάζεσθαι, διὰ φθόνον, εἴ τι ὑπὲρ τὴν αὑτου˜ φύσιν ἀκούοι.
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mosthenes durch den Gegensatz von den „Wissenden“ (οἳ εἰδότες) und den „Unwis senden“ (οἳ ἄπειροι) direkt gespiegelt.11 Eine dritte Passage des demosthenischen Epitaphios ist in diesem Zusammenhang von Interesse: In §§ 13 f. wird ein konzeptionell erweiterter Kontext für das Verhältnis potenzieller Missgunst zwischen Auditorium und Redner geboten, indem das literari sche Ich eine zusätzliche soziale Differenzierung innerhalb der Festgemeinde einführt, wenn es nämlich (§ 13) zunächst speziell diejenigen anspricht, die nicht den Familien der Gefallenen angehören (οἳ ἔξω του˜ γένους) – also wohl Metöken und/oder Fremde, die den Feierlichkeiten beiwohnen konnten (vgl. Thuk. 2.34.4) –, und diese zu Wohl wollen (εὔνοια) aufruft, da der Redner sonst in Gefahr gerate, mit seiner Inbrunst (τῃ˜ προθυμίᾳ) den gegenteiligen Effekt des von ihm Beabsichtigten zu erzielen. Im nächs ten Schritt (§ 14) weitet das literarische Ich die Überlegungen zu einem instabilen Ver hältnis von Wohlwollen zwischen Auditorium und Redner dann ins Grundsätzliche aus, hier scheint auch die Beschränkung auf die Nichtbürger aufgehoben zu sein: Auf Basis des Wohlwollens könne dem Redner nämlich Ruhm (δόξα) und Gunst (χάρις) erwachsen, ohne dieses Wohlwollen aber könne er Anstoß bei den Zuhörern erregen (προσέστη τοι˜ς ἀκούουσιν) – eine Formulierung, in der der Topos von der Missgunst bereits präfiguriert ist. Der begriffliche Kreis schließt sich auch hier über subtile Re ferenzen zur Gefallenenrede des thukydideischen Perikles, wo an zwei Stellen von Wohlwollen (εὔνοια) die Rede ist: In Thuk. 2.40 dient Wohlwollen als stabilisierendes Element sozialer Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft; in 2.45 wiederum wird das Wohlwollen der Hinterbliebenen gegenüber den Verstorbenen kontrastiert mit der Missgunst zwischen den Lebenden und ihren Rivalen (φθόνος … τοι˜ς ζω˜ σι πρὸς τὸ ἀντίπαλον), die sich in einem „großen Wettstreit“ (μέγας ἀγών) untereinander be finden, der über die Kopplung mit dem Begriff der Missgunst als potenziell abträglich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt markiert wird. 11
Prinz 1997, 258 hat die ἄπειροι im demosthenischen Epitaphios schlicht mit den „Fremden“ über setzt („zur Erinnerung der Bürger und zur Belehrung der Fremden“) und das Problem dadurch übersehen. Eine semantische Analyse des Wortfeldes um ἀπειρία und ἄπειρος im Werk des De mosthenes zeigt jedoch, dass ἀπειρία durchgängig die Bedeutung von Unerfahrenheit aufweist (Dem. 19.20; 24.66; 36.1; 38.6; 41.2; 58.2; 59.81) und als ἄπειροι stets Personen beschrieben wer den, die über eine mangelnde Vertrautheit mit einer Sache oder einer Fertigkeit verfügen (Dem. 18.149, 262; 24.112; 25.41; 27.2; 34.2; 53.13; 55.7; 59.72). Die Charakterisierung kann dabei durchaus auch eine gewisse pejorative Färbung gewinnen, z. B. bei Dem. 24.112: ἄνθρωπος πένης καὶ ἰδιώτης καὶ πολλω˜ ν ἄπειρος. Aufschlussreich ist die Passage Dem. 18.149 (διεξελθὼν ἀνθρώπους ἀπείρους λόγων), denn hier zeigt sich, dass bei Demosthenes die ἄπειροι anfällig sind für demagogische Ma nipulation (in diesem Fall durch Aischines). In Dem. 25.41 (οὐχὶ μὰ Δία τοὺς λέγοντας … ἀλλὰ τοὺς ἰδιώτας καὶ τοὺς ἀπείρους) kommt zudem klar zum Ausdruck, dass Demosthenes unter den ἄπειροι (wie die ἰδιω˜ ται) eine Gruppe von in der politischen Arena Unerfahrenen versteht, die hier explizit den λέγοντες, d. h. den Rhetoren, gegenübergestellt werden (zur zeitgenössischen Sicht auf die ἰδιω˜ ται siehe Rubinstein 1998). In § 33 des Epitaphios setzt Demosthenes interessanterweise das Adjektiv ἄπειρος ein, um die Gefallenen selbst zu charakterisieren, deren „Seelen keinen Schmerz kennen“: λυπω˜ ν ἄπειροι τὰς ψυχάς.
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Auch wenn Demosthenes im Epitaphios ansonsten das Modell eines harmonisch austarierten Gemeinwesens zeichnet, so legt er mit den angeführten Passagen und den dort verankerten Referenzen zur Gefallenenrede des thukydideischen Perikles doch unmissverständlich offen, dass sich der Festredner angesichts der bei Chaironeia getöteten Mitbürger im Schnittpunkt eines doppelten innergesellschaftlichen Kon fliktverhältnisses befand und dass der Epitaphios mit der einträchtigen Gemeinschaft, die er jenseits der genannten Textabschnitte zeichnet, nicht den Istzustand beschreibt, sondern ein Ideal formuliert – im Sinne einer mit normativem Geltungsanspruch un terfütterten Zielvorstellung. Das doppelte Konfliktverhältnis, das in den genannten Passagen zum Ausdruck kommt, war für den Autor des Epitaphios keine literarische Fiktion, sondern potenziell tödlicher Ernst. Um dies zu verstehen, muss etwas weiter ausgeholt werden. Die Konfliktgemeinschaft der Überlebenden Die Schlacht von Chaironeia stellte den Kulminationspunkt einer langen und span nungsreichen Auseinandersetzung von Athen (und anderen griechischen Poleis) mit dem expandierenden makedonischen Königreich dar. Mit der fortschreitenden Aus weitung der Einflusszone Makedoniens und der entsprechend steigenden Bedrohungs lage hatte sich die innenpolitische Auseinandersetzung in Athen um die Ausrichtung des außenpolitischen Kurses sukzessive verschärft. Demosthenes trat als einer der einflussreichsten Vertreter einer Gruppe an Befürwortern eines scharfen antimakedo nischen Kurses in Erscheinung, während sich andere prominente Akteure vehement für einen diplomatischen Ausgleich einsetzten. Dass Athen letztlich gemeinsam vor allem mit Theben (mit Unterstützung weiter Städte, u. a. Korinth, Achaia, Megara und Kerkyra)12 ein militärisches Bündnis gegen die Makedonen schmiedete, geht nicht zu letzt auch auf den energischen Einsatz des Demosthenes zurück.13 Demosthenes wird daher auch nicht ganz zu Unrecht als einer der Hauptverantwortlichen dafür identifi ziert, dass es überhaupt zu einer Schlacht von Chaironeia gekommen ist. Demosthenes stand bereits vor dem Krieg gegen Makedonien und dem nachteiligen Ausgang des Konflikts unter Dauerbeschuss seiner politischen Gegner. Die Situation hat sich mit der Niederlage Athens nochmals deutlich verschärft – und zwar in mehrfa cher Hinsicht. Weil er direkt nach der Niederlage noch befürchten musste, dass Philipp versuchen würde, seiner habhaft zu werden, ließ er sich eilig mit einer diplomatischen Mission betrauen, die es ihm ermöglichte, sich außer Landes zu begeben. Dies war ris kant, denn wer in einer Gefahrensituation Attika verließ, zog den Verdacht von Feigheit
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Quellen bei Schaefer 1886, Bd. 2, 557 f. Diod. 16.84.3–85.4.
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(δειλία) auf sich, den die Bürgerversammlung auf Basis entsprechender Präzedenzfälle gerne als Hochverrat auslegte,14 was durchaus gravierende rechtliche Konsequenzen ha ben konnte.15 Lykurg verweist auf eine Reihe an Hochverratsprozessen gegen Bürger, die nach der Niederlage von Chaironeia Athen verlassen hatten und daraufhin teils zum Tode verurteilt wurden.16 So hat Lykurg selbst eine Eisangelia-Klage gegen Autolykos17 eingebracht, ein Mitglied des Areopag,18 der des Hochverrats angeklagt wurde,19 weil er nach der Niederlage von Chaironeia seine Frau und seine Kinder außer Landes ge bracht hatte. Autolykos wurde für schuldig befunden und vermutlich zum Tode verur teilt.20 Ebenfalls von Lykurg wurde eine Eisangelia-Klage gegen Leokrates21 eingebracht, verhandelt vermutlich im Jahr 330. Leokrates hatte nach der Niederlage von Chaironeia mit seiner Familie und seinem Barvermögen per Schiff Attika verlassen. Als er im Jahr 331 aus dem Exil zurückkehrte, wurde er unmittelbar von Lykurg wegen Hochverrats angeklagt:22 Lykurg hat Todesstrafe und Bestattungsverbot in Attika beantragt.23 Leo krates kam bei Stimmengleichheit nur knapp mit dem Leben davon.24 Da Demosthenes offenbar darauf geachtet hatte, dass seine Abwesenheit aus Atti ka auf einer formal korrekten Rechtsgrundlage stand, liefen die Versuche seiner Geg ner, ihn über eine Anklage wegen Hochverrats zu Fall zu bringen, ins Leere. Parallel versuchten seine Gegner, Demosthenes für die Niederlage politisch verantwortlich zu machen und ihm Fahnenflucht vorzuwerfen. Auch diese beiden Ansätze hätten durchaus Erfolg haben können: Die athenische Bürgergemeinschaft zog für den Miss erfolg einer Kampagne gerne diejenigen politischen Akteure zur Verantwortung, die sich für die entsprechende Maßnahme eingesetzt hatten oder mit ihrer Leitung be traut gewesen waren.25 So erklärt sich auch das Eisangelia- oder Euthynai-Verfahren 14 Lykurg. Leō k. 53: ἔτι δὲ ὁ δη˜ μος δεινὸν ἡγησάμενος ει῏ναι τὸ γιγνόμενον ἐψηφίσατο ἐνόχους ει῏ναι τῃ˜ προδοσίᾳ τοὺς φεύγοντας τὸν ὑπὲρ τη˜ ς πατρίδος κίνδυνον, ἀξίους ει῏ναι νομίζων τη˜ ς ἐσχάτης τιμωρίας. 15 Lys. 10.12: ἐὰν δέ τις εἴπῃ ἀποβεβληκέναι τὴν ἀσπίδα, πεντακοσίας δραχμὰς ὀφείλειν κελεύει; Lys. 14.5: τολμω˜ σι γάρ τινες λέγειν ὡς οὐδεὶς ἔνοχός ἐστι λιποταξίου οὐδὲ δειλίας· μάχην γὰρ οὐδεμίαν γεγονέναι, τὸν δὲ νόμον κελεύειν, ἐάν τις λίπῃ τὴν τάξιν εἰς τοὐπίσω δειλίας ἕνεκα, μαχομένων τω˜ ν ἄλλων, περὶ τούτου τοὺς στρατιώτας δικάζειν. ὁ δὲ νόμους οὐ περὶ τούτων κελεύει μόνον, ἀλλὰ καὶ ὁπόσοι ἂν μὴ παρω˜ σιν ἐν τῃ˜ πεζῃ˜ στρατιᾷ; vgl. Aischin. 3.175 (Zitat siehe unten in Anm. 34). 16 Lykurg. Leō k. 52: ἡ μὲν γὰρ ἐν Ἀρείῳ πάγῳ βουλή … τοὺς φυγόντας τὴν πατρίδα καὶ ἐγκαταλιπόντας τότε τοι˜ς πολεμίοις λαβου˜ σα ἀπέκτεινε („Denn der Areopagrat … ließ alle, die aus der Heimat ge flohen sind und sie den Feinden überlassen hatten, festnehmen und hinrichten). 17 PA 2746. 18 Lykurg. fr. 13; Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 843 d; vgl. Aischin. 1.81 f. 19 Lykurg. Leō k. 52–54. 20 Lykurg. Leō k. 53; Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 843 d; zu dem Fall: Hansen 1975, Kat.-Nr. 113. 21 PA 9083. 22 Die Details führt Lykurg in der Rede gegen Leokrates aus. 23 Lykurg. Leō k. 27, 45, 78, 91, 121, 131, 150; Aischin. 3.252. 24 Aischin. 3.252. Der Fall: Hansen 1975, Kat.-Nr. 121. 25 Todd 1993, 306 hat das zugrundeliegende Problem wie folgt beschrieben: „Athenian public dis course rests on a success-oriented model of politics in which incompetence is criminal. … Atheni ans did not distinguish as we perhaps might between political error and legal offence“.
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(angestrengt von Lykurg) gegen Lysikles,26 Stratege bei Chaironeia,27 der für die Nie derlage verantwortlich gemacht und zum Tode verurteilt wurde.28 Auch hier konnte sich die athenische Bürgerschaft an berühmten Präzedenzfällen orientieren. So hatte man etwa den Strategen Timotheos, Iphikrates und Menestheus wegen Erfolglosigkeit im Bundesgenossenkrieg 356/355 Hochverrat vorgeworfen.29 In Erinnerung geblieben ist natürlich auch die Eisangelia-Klage gegen jene acht Strategen, die die Bergung der Schiffbrüchigen nach der Schlacht bei den Arginusen unterlassen hatten:30 Trotz ihres militärischen Erfolgs wurden sie zum Tode verurteilt, sechs Todesurteile konnten voll streckt werden.31 Auch der Vorwurf der Fahnenflucht war potenziell gefährlich. Dass für einen Rhe tor auch minderschwere Fälle von Desertion einschneidende Konsequenzen haben konnten, zeigt Lysias unter Verweis auf den Fall des Theomnestos, der von Lysitheos (vermutlich mit einer Epangelia-Klage)32 wegen Fahnenflucht mit dem Ziel angeklagt wurde, seine Auftritte als Redner in der Bürgerversammlung zu unterbinden. Theo mnestos selbst ist in diesem Verfahren zwar freigesprochen worden,33 für Demosthenes hätte der Vorwurf der Fahnenflucht aber durchaus auch weniger glimpflich ausgehen könnten; seine „Feigheit“ wurde immerhin in der Bürgerversammlung diskutiert.34 All dies war für Demosthenes hochgefährlich, denn die spezifische Konfiguration des athenischen Rechtssystems – mit seiner eigenwilligen Mischung aus Amateurwe sen und Agonistik35 bei hochgradiger Politisierung,36 persönlicher Haftung und uner bittlicher Härte37 – bot Möglichkeiten, auf legalem Wege existenzvernichtende Angrif
26 PA 9422. 27 Lykurg. fr. 75; Diod. 16.88; Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 843 d. 28 Lykurg. fr. 75; Diod. 16.88; zu dem Fall: Hansen 1975, Kat.-Nr. 112. 29 Isok. 15.129; Polyain. 3.9.29; Diod. 16.21.4; Corn. Nep. Tim. 3.4 f.; Hansen 1975, Kat.-Nr. 100–102. 30 Xen. Hell. 1.7.1–35; Hansen 1975, Kat.-Nr. 66. 31 Xen. Hell. 1.7.35; Diod. 13.102; Philoch. fr. 142; Plat. Axioch. 363 e.; historischer Kontext: Bleckmann 1998, 509–571. 32 Gernet/Bizos 1955, Bd. 1, 144. 33 Lys. 10.1. 34 Aischin. 3.175: πρὸς δὲ ἀνδρείαν βραχύς μοι λείπεται λόγος. εἰ μὲν γὰρ ἠρνει˜το μὴ δειλὸς ει῏ναι, ἢ ὑμει˜ς μὴ συνῄδετε, διατριβὴν ὁ λόγος ἄν μοι παρει˜χεν· ἐπειδὴ δὲ καὶ αὐτὸς ὁμολογει˜ ἐν ται˜ς ἐκκλησίαις, καὶ ὑμει˜ς σύνιστε, … 35 Siehe insbesondere Rhodes 1998 b; vgl. Todd 1993, 291: „The most important underlying character istic of Athenian democracy is that it was and remained an amateur system“. 36 Todd 1993, 154–163. 37 Wichtige Beiträge zum Verständnis der Grundlagen einer athenischen Rechtskultur, die kaum den heutigen Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit entspricht (vgl. bes. Rhodes 1998 b), wurden insbesondere von Osborne 1985; Todd 1993, bes. 258–315; Rhodes 1998 b (mit ergänzenden Über legungen von Todd 1998) vorgelegt. Todd 2000, 36 Anm. 21 weist zudem auf die Bedeutung des Umstands hin, dass die athenische Elite nicht (wie dies in Gemeinwesen mit stärker ausgeprägten Patronagestrukturen üblicherweise der Fall ist) über die Möglichkeit verfügte, Begnadigungen zu erwirken: „Where we hear of Athenians escaping the death-penalty, it is usually members of the élite who have withdrawn into exile in order not to stand trial“.
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fe gegen politische Gegner auszuführen.38 Gravierende Strafen wie insbesondere die Exilierung oder die Todesstrafe konnten auf eine breite Palette an Vergehen angewen det werden,39 und die athenischen Gerichtsgremien entschieden sich häufig dazu, von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Gegen exponierte Vertreter der politisch aktiven Elite (insbesondere Rhetoren und Strategen) wurden besonders gerne Klagen der Form Graphē paranomon, Eisangelia oder Euthynai bzw. Dokima sia angestrengt.40 Wie verbreitet das Phänomen war, zeigt sich darin, dass Aristophon von Azenia damit kokettiert haben soll, dass er in 75 Graphē paranomon-Verfahren freigesprochen wurde, und Kephalos soll sich umgekehrt mit der offenbar bemerkens werten Eigenschaft gebrüstet haben, dass gegen ihn keine einzige Graphē paranomon eingebracht worden sei.41 Die Anzahl der Verfahren, in denen politisch aktive Bürger Athens angeklagt, verurteilt oder hingerichtet wurden, lässt sich kaum präzise kalku lieren:42 Wenn es den Litiganten um die politische oder existenzielle Vernichtung ihrer Gegner ging, konnten sich die Verfahren bei entsprechend hohem Grad am Komple xität unterschiedlicher Angriffe und Gegenangriffe deutlich in die Länge ziehen, in im mer neue Rechtsbereiche ausgreifen und sich zu einer Bühne öffentlicher Schlamm schlachten zwischen den Kontrahenten entfalten.43 38
Keine Trennung zwischen privater und politischer Feindschaft in Athen: Rhodes 1998 b; zur Be deutung und Rhetorik von Feindschaft bei den attischen Rednern: Todd 1998; Kurihara 2003. Zur Todesstrafe im klassischen Athen: Barkan 1936 (mit dem Versuch, eine Liste der Kapitalverbre chen zusammenzustellen, auf S. 5–40); Kucharski 2015. 39 Vgl. die Übersicht bei Barkan 1936, 5–40. 40 Grundsätzlich zur Graphē paranomon: Hansen 1974 (mit einem Katalog der 39 aus klassischer Zeit bekannten Verfahren auf S. 28–43); zur Eisangelia: Hansen 1975 (Katalog der 144 bekannten Verfahren auf S. 66–120). Kondensiert: Hansen 1991, 203–224, speziell 210–212 zur politischen Di mension der Graphē paranomon und 215–218 zur politischen Dimension der Eisangelia. Auffällig an der Graphē paranomon ist, dass sie häufig gegen Ehrendekrete gerichtet war, wobei zweifels ohne gilt, dass „the real purpose of the prosecution was not to overturn the decree but to get at the person who had proposed the honours or at the person whom it was proposed to honour … the real purpose was a stab at the reputation of the political leader the decree was intended to honour“ (Hansen 1991, 211); typisch waren hohe Geldstrafen. Der bedeutendste Fall dieser Art ist Aischines’ Graphē paranomon gegen den Antrag des Ktesiphon, Demosthenes mit einem golde nen Kranz zu ehren. Ein noch schärferes Schwert stellte die Eisangelia-Klage dar, die im Erfolgsfall typischerweise mit Todesstrafe, Besitzkonfiskation und Bestattungsverbot gegen den Beklagten einherging (Hansen 1975, 34 und Kat.-Nr. 109, 111, 112, 113, 125; vgl. Lykurg. Leō k. 27, 45, 78, 91, 121, 131, 150); in zahlreichen Fällen mussten sich die Verurteilten der Strafe durch Flucht ins Exil ent ziehen: Hansen 1975, 35 mit Kat.-Nr. 3, 4, 10, 12, 13–60, 64, 66, 69–72, 77, 87–89, 91, 94, 109. 41 Auf beide Fälle geht Aischin. 3.194 ein. 42 Todd 1993, 305: „Such trials were frequent, and … a death sentence upon conviction was the norm even if this was in effect frequently commuted to exile by the failure of the accused to appear for trial“. Todd spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „judicial savagery“, ist aber auch berechtigterweise skeptisch gegenüber entsprechenden Kalkulationsversuchen von Knox 1985, 138–143 und Hansen 1975, 58–65. 43 Dies zeigt sich beispielsweise bei Lys. 10; dazu Todd 1993, 258–262, bes. 261: „The Theomnestos indeed offers perhaps our clearest example of such an extended dispute at Athens, in which the litigants seem concerned less to resolve than to perpetuate conflict“. Siehe auch Blanshard 2010.
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Demosthenes war sich der grundlegenden Gefahr bewusst, die mit der athenischen Rechtskultur für politisch aktive Bürger bestand. In der ersten Philippischen Rede spricht er das Problem direkt an: „Unser gegenwärtiges System ist so skandalös, dass jeder Stratege zwei- oder dreimal vor euren Gerichten um sein Leben kämpfen muss, nicht einer von ihnen aber wagt es, auch nur ein einziges Mal den Tod im Kampf gegen den Feind zu riskieren“.44 Demosthenes hat das Phänomen aber nicht nur theoretisch reflektiert, er verfügte auch über eigene praktische Anschauung: Er selbst stand schon vor 338 mehrfach im Kreuzfeuer politisch motivierter Angriffe, die über das athenische Rechtssystem ausgeführt wurden, und er hatte selbst mit eigenen Anklagen mehr als einmal erfolgreich darauf hingewirkt, politische Gegner gerichtlich ins Exil zu drän gen oder sie zum Tode zu verurteilen. Besonders aufschlussreich ist, wie der Konflikt mit Aischines verlief, der wenige Jahre vor der Schlacht von Chaironeia bereits einen ersten Höhepunkt erreichte: Im Jahr 343 hatte Aischines dazu angesetzt, eine Eisange lia-Klage gegen Demosthenes einzubringen,45 die dieser dadurch abzublocken wusste, dass er seinerseits einen Eisangelia-Prozess gegen den Emissär Anaxinos aus Oreos in Gang setzte, den er als makedonischen Agenten darzustellen und mit Aischines in Ver bindung zu bringen verstand,46 woraufhin Aischines seinen Angriff gegen Demosthe nes aufgab.47 Anaxinos wurde im Zuge des Verfahrens von Demosthenes persönlich gefoltert48 und von der Bürgerversammlung, die mit diesem Fall befasst war,49 zum Tode verurteilt und hingerichtet.50 Nun kam Demosthenes trotz der massiven Angriffe, die gegen ihn nach Chairo neia ausgeführt wurden, straflos davon. Die Mehrheit der politisch aktiven Mitglieder der Bürgergemeinschaft hat ihn offenbar nicht für den militärischen Misserfolg oder auf Basis eines wohl nur gering substanziierten Vorwurfs der Fahnenflucht abstrafen wollen. Dies hatte vielleicht auch damit zu tun, dass sich auch eine Reihe struktureller Faktoren zur Begründung der athenischen Niederlage anführen ließen, die durchaus bekannt gewesen zu sein scheinen. So war das antimakedonische Bündnis Diodor zufolge militärisch nicht in hinreichendem Maße vorbereitet gewesen,51 die Ausrüs tung scheint suboptimal gewesen zu sein,52 Truppenstärke und Kampfmoral ließen zu wünschen übrig,53 und Philipp hat den Mangel an operativer Planung und taktischen 44 Dem. 4.47: νυ˜ ν δ’ εἰς του˜ θ’ ἥκει τὰ πράγματ’ αἰσχύνης ὥστε τω˜ ν στρατηγω˜ ν ἕκαστος δὶς καὶ τρὶς κρίνεται παρ’ ὑμι˜ν περὶ θανάτου, πρὸς δὲ τοὺς ἐχθροὺς οὐδεὶς οὐδ’ ἅπαξ αὐτω˜ ν ἀγωνίσασθαι περὶ θανάτου τολμᾷ … 45 Aischin. 3.223 f. 46 Dem. 18.137. 47 Aischin. 3.224. 48 Aischin. 3.224. 49 Hansen 1975, 103 Kat.-Nr. 111 mit Anm. 1. 50 Aischin. 3.224. 51 Diod. 16.84.2: ἀπαρασκεύων δ’ ὄντων αὐτω˜ ν. 52 Dem. 9.52. 53 Diod. 16.85.5 f.; Paus. 9.40.10; Iustin. 9.3.9 f.
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Fähigkeiten bei seinen Gegnern offenbar auszunutzen gewusst.54 Demosthenes selbst weist in seinem Epitaphios auf den Umstand hin, dass den Gegnern der Durchbruch gegen die Elitetruppe der Thebaner gelungen sei, nicht gegen die Athener – das Ar gument scheint beim Publikum in Athen gut angekommen zu sein.55 Die konkrete persönliche Schuld für die Fehler sah man eher bei den für die Operationsplanung zu ständigen Verantwortungsträgern: Der Stratege Lysikles wurde, wie gesagt, zum Tode verurteilt, und auch der Stratege Chares ist zumindest in der öffentlichen Bewertung nicht gut weggekommen.56 Dennoch zeigten die massiven Angriffe gegen Demosthenes Wirkung – wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie von einer breiten Schmähkampagne flankiert waren, mit der die Glaubwürdigkeit und Autorität des Redners diskreditiert werden sollte. Noch bei Plutarch finden sich Residuen der entsprechenden Beschuldigungen; über die Kampf moral des Demosthenes weiß der Biograf nichts Gutes zu berichten:57 Demosthenes’ Verhalten sei unehrenhaft gewesen, seine Taten haben nicht im Einklang mit seinen Worten gestanden, er habe seinen Posten verlassen, seine Waffen weggeworfen und sei höchst schändlich geflohen; dabei habe er die auf seinem Schild in goldenen Let tern angebrachte Inschrift Ἀγαθῃ˜ τύχῃ (Gut Glück!) entehrt.58 Als Gewährsmann für diese Angaben zitiert Plutarch den Rhetor Pytheas, der zwar anfänglich die Politik des Demosthenes unterstützt,59 später jedoch die Seite gewechselt hatte und in der Harpa los-Affäre schließlich als Ankläger des Demosthenes aufgetreten war. Aus diesem Zu sammenhang könnten die bei Plutarch zitierten Angaben stammen.60 Aischines hatte wohl dieselben Anschuldigungen im Blick, als er seine Angriffe gegen Demosthenes auf die griffige Formel δεινὸς λέγειν, κακὸς βιω˜ ναι („mächtig reden, mies leben“) brachte.61 Mit welcher Schärfe speziell der Vorwurf der Fahnenflucht im unmittelbaren Zu sammenhang mit der Gefallenenbestattung eingesetzt worden sein muss, geht aus Aischines’ Rede gegen Ktesiphon hervor, die zwar erst aus dem Jahr 330 stammt, aber klar erkennbar Diskursmuster aus dem unmittelbaren Umfeld der athenischen Nie derlage verarbeitet (Aischines’ Opposition gegen die Kranzverleihung geht immerhin ins Jahr 336 zurück). Gegen Demosthenes wird hier angeführt, er habe, um seine Ge fallenenrede auf die Toten von Chaironeia halten zu können, das Grab mit denselben Diod. 16.86.2; Frontin. Strat. 2.1.9; Polyain. 4.2.7. Siehe auch Diod. 16.86.3 f.; Plut. Alex. 9.2. Daraufhin schlug Philipp die Athener in die Flucht: Diod. 16.86.4; Polyain. 4.2.2. 56 Diod. 16.85.7: τω˜ ν δ’ ὑπολελειμμένων Χάρης πρωτεύων οὐδὲν διέφερε τω˜ ν τυχόντων ἰδιωτω˜ ν κατὰ τὴν ἐν τῳ˜ στρατηγει˜ν ἐνέργειαν καὶ βουλήν; vgl. auch Diod. 15.95.3. Zu Lysikles siehe oben bei Anm. 26. 57 Plut. Dēm. 20. 58 Plut. Dēm. 20.2: ἐν δὲ τῃ˜ μάχῃ καλὸν οὐδὲν οὐδ’ ὁμολογούμενον ἔργον οι῟ς ει῏πεν ἀποδειξάμενος ᾤχετο λιπὼν τὴν τάξιν, ἀποδρὰς αἴσχιστα καὶ τὰ ὅπλα ῥίψας, οὐδὲ τὴν ἐπιγραφὴν τη˜ ς ἀσπίδος, ὡς ἔλεγε Πυθέας, αἰσχυνθείς, ἐπιγεγραμμένης γράμμασι χρυσοι˜ς, ἀγαθῃ˜ τύχῃ. 59 Dem. ep. 3.29. 60 Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 846 c; Phot. Bibl. 494 a36–40. 61 Aischin. 3.174; und kurz darauf im selben Paragraf: οἱ μὲν λόγοι καλοί, τὰ δ’ ἔργα φαυ˜ λα.
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Füßen betreten müssen, mit denen er zuvor seinen Posten verlassen habe und wegge rannt sei.62 Zwar hatte der Vorwurf offenbar nicht genügend Substanz, um Demosthe nes wegen Desertion auch nur formal anzuklagen, doch durch die breit ventilierte Schmähkritik an seiner Person scheint Demosthenes bei einem Teil der Bürgerschaft an Rückhalt eingebüßt zu haben. Denn obgleich es ihm gelang, die Niederlage poli tisch zu überleben, so hatte er doch offenbar über längere Zeit hinweg keinen einfa chen Stand in Athen: Aischines lässt erkennen, dass Demosthenes noch eine ganze Weile mit einem gewissen Autoritätsverlust in der Bürgerversammlung zu kämpfen hatte; auch der Umstand, dass Demosthenes’ Antrag auf Ernennung zum Mitglied im Synedrion abgelehnt wurde, hängt wohl damit zusammen.63 Dass es Demosthenes unter diesen Bedingungen gelungen ist, sich nicht nur poli tisch über Wasser zu halten, sondern auch die außergewöhnliche Ehre übertragen zu bekommen, die Gefallenenrede halten zu dürfen, ist bemerkenswert, lässt sich aber erklären. Entscheidend ist, dass die von seinen Gegnern propagierten Alternativen zur Politik des Demosthenes auch retrospektiv nicht durchgängig positiver bewertet wur den als vor der Niederlage. Demosthenes hatte schon früh konsequent vor der Bedro hung Griechenlands durch Makedonien gewarnt, und dass sich die Prophezeiung nun bewahrheitet hatte, ließ auch die Zauderer und Besänftiger nicht unbedingt in rosige rem Licht erscheinen. Die Vertreter eines pragmatischen Ausgleichs mit Makedonien waren ja in der Vergangenheit immer wieder dadurch in argumentative Schwierigkei ten geraten, dass Philipp nie bereit gewesen ist, hinreichend überzeugende Konzes sionen an die athenische Seite zu machen – dass sich dies nun ändern könnte, war unwahrscheinlich. Insbesondere die Ausdehnung des makedonischen Machtbereichs in der Phase des sogenannten Friedens des Philokrates hat die pragmatische Position nachhaltig diskreditiert. Die Schlacht von Chaironeia war so zwar verlorengegangen, dies hatte ein positives Bild der politischen Haltung des Demosthenes in den Augen eines großen Teils der athenischen Bürgerschaft aber offenbar nicht wesentlich be schädigt, zumal die athenische Bürgergemeinschaft in der Breite die Verantwortung für die Niederlage auch nicht bei Demosthenes gesehen hat.64
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Aischin. 3.152: ἔνθα δὴ καὶ τω˜ ν ἀνδρω˜ ν τω˜ ν ἀγαθω˜ ν ἄξιόν ἐστιν ἐπιμνησθη˜ ναι, οὓς ου῟ τος ἀθύτων καὶ ἀκαλλιερήτων ὄντων τω˜ ν ἱερω˜ ν ἐκπέμψας ἐπὶ τὸν πρόδηλον κίνδυνον, ἐτόλμησε τοι˜ς δραπέταις ποσὶ καὶ λελοιπόσι τὴν τάξιν ἀναβὰς ἐπὶ τὸν τάφον τὸν τω˜ ν τελευτησάντων, ἐγκωμιάζειν τὴν ἐκείνων ἀρετήν. Aischin. 3.159. Ryder 1976 hat gezeigt, dass Demosthenes’ Antrag auf Ernennung zum εἰρηνοφύλαξ im genannten Sinne zu verstehen ist. Auch um den Friedensschluss zwischen Athen und Philipp zu schließen, wurde nicht Demosthenes entsandt, den Auftrag erhielten Demades, Aischines und möglicherweise Phokion. Carey 2000, 14: „popular opinion in the end preferred the activism of Demosthenes, and even the defeat at Chaeronea was felt to be a piece worth paying in the attempt to retain autonomy and influence“.
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Zudem scheint es Demosthenes verstanden zu haben, seinen Gegnern nach der Niederlage keine allzu großen Angriffsflächen zu bieten. Zeitweise scheint er sogar davon Abstand genommen zu haben, unter eigenem Namen Anträge einzubringen. Dies jedenfalls berichten übereinstimmend Aischines und Plutarch,65 wobei Edward M. Harris darauf aufmerksam gemacht hat, dass hier die Deutung Plutarchs vorteilhaf ter erscheint als diejenige des Aischines:66 Während Aischines suggeriert, die Bürger versammlung habe Demosthenes das Recht verwehrt, Anträge unter seinem Namen einzubringen, legt Plutarch eine Inszenierung des Demosthenes nahe, der sich ange sichts des unheilvollen Schicksals aus religiöser Scheu (auch im Epitaphios und in der Kranzrede ist wie hier bei Plutarch von einem Daimon und der Tychē die Rede) öffent liche Zurückhaltung auferlegt habe. Da Aischines auch in dieser Passage sicherlich al les dafür getan hat, Demosthenes in möglichst schlechtem Licht erscheinen zu lassen, erscheint die Version bei Plutarch verlässlicher. Demosthenes hat also möglicherweise freiwillig darauf verzichtet, in eigenem Namen Anträge einzubringen, und konnte sich so nicht nur dem makedonischen Radar entziehen, sondern auch die Angriffsflächen reduzieren, die er seinen innenpolitischen Gegnern bot. Aischines und Plutarch le gen gleichermaßen nahe, dass Demosthenes diese Form der Zurückhaltung erst mit dem Tod Philipps wieder aufgegeben hat. Auch unterhalb der Ebene der formalisier ten politischen Prozeduren hat Demosthenes daran gearbeitet, sein Ansehen in der Bürgerschaft wieder zu festigen. Aufschlussreich ist der Hinweis in der Kranzrede, er habe für die Angehörigen der Opfer der Schlacht von Chaironeia das Begräbnismahl (περίδειπνον) bei sich ausgerichtet.67 Dass Demosthenes damit eine informelle Pat ronagefunktion einnahm, formuliert er selbst: „Jeder einzelne [Gefallene] hatte einen Verwandten, der ihm durch die Blutsbande näher stand, aber der ganzen Gemein schaft [an Gefallenen] war keiner enger verbunden als ich“68 Im Kontext dieser spannungsgeladenen gesellschaftlichen Konstellation, in der sich die innere Ordnung der athenischen Bürgergemeinschaft erst wieder neu formieren musste, situiert Demosthenes seinen Epitaphios. Die Schrift hat ihrem Autor nicht nur die Möglichkeit geboten, die Konfliktlage subtil zu thematisieren, sie hat ihm auch dazu gedient, die eigene Rolle neu zu definieren. Mit den impliziten Referenzen zur Gefallenenrede des thukydideischen Perikles thematisiert Demosthenes das innerge sellschaftliche Konfliktpotenzial in Athen nach Chaironeia, im Gegensatz zum thuky dideischen Perikles aber wirkt er mit seinem Epitaphios nicht darauf hin, die Position einer bestimmten gesellschaftlichen Faktion durchzufechten, sondern er entwirft ganz 65 66 67 68
Aischin. 3.159: ὑμει˜ς δὲ οὐδ’ ἐπὶ τὰ ψηφίσματα εἰα˜ τε τὸ Δημοσθένους ἐπιγράφειν ὄνομα; Plut. Dēm. 21.3: τοι˜ς δὲ ψηφίσμασιν οὐχ ἑαυτόν, ἀλλ’ ἐν μέρει τω˜ ν φίλων ἕκαστον ἐπέγραφεν, ἐξοιωνιζόμενος τὸν ἴδιον δαίμονα καὶ τὴν τύχην, ἕως αυ῏ θις ἀνεθάρρησε Φιλίππου τελευτήσαντος. Harris 1994, 380. Dem. 18.288: ἀλλὰ δέον ποιει˜ν αὐτοὺς τὸ περίδειπνον ὡς παρ’ οἰκειοτάτῳ τω˜ ν τετελευτηκότων, ὥσπερ τἄλλ’ εἴωθε γίγνεσθαι, του˜ τ’ ἐποίησαν παρ’ ἐμοί. Dem. 18.288: γένει μὲν γὰρ ἕκαστος ἑκάστῳ μα˜ λλον οἰκει˜ος ἦν ἐμου˜ , κοινῃ˜ δὲ πα˜ σιν οὐδεὶς ἐγγυτέρω.
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im Gegenteil das Modell einer reintegrierten athenischen Bürgergemeinschaft, die sich mit der veränderten weltpolitischen Umwelt arrangiert. Das Modell, das er dabei entwirft, ist in doppelter Hinsicht innovativ: Von einem zunächst herkömmlich erscheinenden Einstieg in die Narratio ausgehend entwickelt Demosthenes erstens das Bild einer epistemischen Gemeinschaft, deren innerer Zu sammenhalt nicht von der Tat, sondern von der Erkenntnis her konstruiert wird; und zweitens ist die stabilisierende Grundstruktur dieser Gemeinschaft nicht auf der Ebene der Polis verankert, sondern auf der Ebene von Familie und Haushalt – die Argumenta tionslogik der älteren Epitaphioi Logoi wird hierbei invertiert: Die Leistungsfähigkeit des Oikos sichert im demosthenischen Epitaphios den Zusammenhalt der Polis, nicht umgekehrt. Beide Aspekte sind innovativ und verdienen einen näheren Blick. Die epistemische Gemeinschaft der Hinterbliebenen Der demosthenische Epitaphios setzt – recht unverdächtig – beim Thema der Autoch thonie ein. Demosthenes führt die Argumentation von diesem klassischen Ausgangs punkt her allerdings nicht zur Polis hin, wie dies erwartbar gewesen wäre, sondern zum Oikos. Dies ist nicht nur ein Novum, sondern auch ein subtiler Clou der literarischen Gestaltung: Die gedankliche Konzeption, mit der dieser Übergang gelingt, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Nach außen hin wirkt die athenische Bürgergemeinschaft über ihre Gerechtigkeit (δίκαιον), die bei Demosthenes in gewisser Weise die Tat (ἔργον) ablöst. Dem Ergon war in den früheren Epitaphioi Logoi stets eine zentrale Stellung zugekommen, aber das Ergon lässt sich eben nicht unabhängig von der Frage nach seinem Erfolg bewerten, was nach Chaironeia freilich ein gewisses Problem war. Die Gerechtigkeit setzt im demosthenischen Epitaphios nun wiederum die edle Ab stammung (εὐγένεια) voraus, die sich von der Autochthonie herleitet. Was in den frü heren Epitaphioi Logoi die auf ihre Taten bezogene Tapferkeit (bzw. ganz allgemein die Tugendhaftigkeit) der athenischen Bürger war, ist hier nun also die Gerechtigkeit als ihr Substitut – auch diese beschreibt das Wirken der Athener nach außen, ihre Be deutung wird von Demosthenes aber ganz ausdrücklich von der Frage entkoppelt, ob der Einsatz für Gerechtigkeit auch zum Erfolg führt (oder eben nicht). Auch wenn das Agens der Gerechtigkeit bei Demosthenes die Bürgergemeinschaft der gesamten Polis ist, so bietet sich dem Autor mit der Substitution des Ergon durch das Dikaion doch die Möglichkeit, das Verhältnis von Polis und Oikos neu zu fassen: Denn aus der Eugeneia lässt sich nur mittels eines epistemischen Vermögens Gerech tigkeit erzielen, und dieses epistemische Vermögen kann nur im Oikos von Generati on zu Generation weitergegeben werden – und zwar durch Paideia.69 Der Begriff lässt
69
Dem. 60.16: οἵδε γὰρ ἐξ ἀρχη˜ ς ἐν πα˜ σιν τοι˜ς παιδεύμασιν ἦσαν ἐπιφανει˜ς; vgl. Dem. 60.27.
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sich mit den deutschen Termini Erziehung, Sozialisierung, Bildung nur ungenügend beschreiben; gemeint ist bei Demosthenes das im Familien- und Freundeskreis ge meinschaftlich begleitete und gelenkte Hineinwachsen der Kinder in die basale Wer tewelt der Gemeinschaft.70 Die im Oikos erworbene Paideia fungiert in der Argumentationslogik des de mosthenischen Epitaphios als Keimling der individuellen Beziehung zur politischen Wertewelt und steht daher auch am Anfang des zentralen Abschnitts, den das litera rische Ich als Darlegung der Erga ankündigt, dann aber als Modell der epistemischen Gemeinschaft entwickelt (der Ergon-Begriff taucht in § 15 auch letztmalig auf und spielt dann im Rest des Epitaphios keine Rolle mehr). Die im Oikos erworbene Paideia ist dabei vorpolitisch gedacht: Zu Bürgern (πολι˜ται) werden die Männer erst im nächs ten Schritt, wenn sie das Mannesalter erreicht haben71 – dann sind sie in der Lage, ihre durch Paideia vorgeprägte Natur in die politische Umwelt einzubringen. Dass diese Reihenfolge signifikant ist, hat Demosthenes unmittelbar zuvor (§ 15) mit dem aus drücklichen Hinweis darauf verdeutlicht, dass er die entsprechenden Ausführungen an der Abfolge der biografischen Entwicklungsschritte der Gefallenen ausrichten wer de.72 Was die Kohäsionskraft der Bürgergemeinschaft nach innen hin und den Einsatz für Gerechtigkeit nach außen sichert, ist somit der Oikos: Im demosthenischen Epitaphios beruht das Funktionieren der Polis auf dem Oikos, nicht umgekehrt (dass dies alles andere als selbstverständlich ist, zeigt der vergleichende Blick auf die perikleische Grabrede in den Historien des Thukydides, siehe fünftes Kapitel). Auf der Grundlage dieses Modells erklärt sich auch der lange Abschnitt über die einzelnen Phylenheroen (§§ 27–31), dem die Forschung bisher stets einigermaßen ratlos begegnet. Für jede Phyle formuliert Demosthenes hier eine individuelle Bezie hung zum jeweiligen Phylenheros. Mit Blick auf die Frage nach der Konzeption der Gesellschaft fällt auf, dass die im demosthenischen Epitaphios konstruierte Relation zwischen Phyle und Phylenheros stets als epistemische Relation gekennzeichnet ist. Die folgende Übersicht verdeutlicht das Phänomen: (1) Alle Erechthiden wussten (2) Den Aigiden war nicht unbekannt (3) Die Pandioniden hatten Kenntnis erlangt (4) Die Leontiden hatten erfahren (5) Die Akamantiden erinnerten sich (6) Den Oiniden blieb nicht verborgen
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ᾔδεσαν πάντες Ἐρεχθει˜δαι οὐκ ἠγνόουν Αἰγει˜δαι παρειλήφεσαν Πανδιονίδαι ἠκηκόεσαν Λεωντίδαι ἐμέμνηντ’ Ἀκαμαντίδαι οὐκ ἐλάνθανεν Οἰνείδας
Wer in diesem Sinne im demosthenischen Epitaphios Paideia vermittelt, zeigt sich in § 16 daran, dass die entsprechende Dankbarkeit den γονει˜ς, φιλοι˜ und οἰκει˜οι zukommt. Dem. 60.17: ἐπειδὴ δὲ εἰς ἄνδρας ἀφίκοντο, οὐ μόνον τοι˜ς πολίταις γνώριμον τὴν αὑτω˜ ν φύσιν ἀλλὰ καὶ πα˜ σιν ἀνθρώποις κατέστησαν. Dem. 60.15: οὐ μὴν ἀλλὰ πειράσομαι τὴν αὐτὴν ποιήσασθαι του˜ λόγου τάξιν ἥπερ ὑπη˜ ρξεν του˜ βίου τούτοις.
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(7) Die Kekropiden wussten ᾔδεσαν Κεκροπίδαι (8) Die Hippothontiden erinnerten sich ἐμέμνηνθ’ Ἱπποθωντίδαι (9) Den Aiantiden blieb nicht verborgen οὐκ ἐλάνθανεν Αἰαντίδας (10) Die Antiochiden vergaßen nicht οὐκ ἠμνημόνουν Ἀντιοχίδαι
Die Phylen sind damit für Demosthenes Einheiten der Wissensbewahrung und Wis sensvermittlung. Sie üben in der politischen Ordnung Athens auf einer den Oikoi übergeordneten Ebene die gesellschaftsintegrierende Funktion der Traditions- und Identitätsbewahrung aus und tragen damit ganz wesentlich dazu bei, dass sich das von Demosthenes mit Blick auf den Bürger entworfene Schema einer Entwicklung ausge hend von der Eugeneia über die im Oikos wirksame Paideia hin zum Dikaion letztlich auch überzeugend auf die Ebene der Polis beziehen lässt. Die elementare ordnungsbil dende Funktion wird damit von der Familie ausgeübt, der Bezugsrahmen bleibt aber die Bürgergemeinschaft insgesamt. Gegenüber allen früheren Epitaphien ist diese Konzeption innovativ, sie reflektiert eine signifikante Veränderung in der Bewertung des Politischen, die sich aus dem Ver lust der Autonomie Athens ergeben hat. Als die Athener diejenigen zu Grabe trugen, die ihr Leben dem unerreichten Ziel geopfert hatten, die Autonomie zu wahren, blieb den Hinterbliebenen nur die Erinnerung – die Erinnerung an die Toten und die Er innerung daran, dass sie stets auf der Seite der Gerechtigkeit standen. Demosthenes sicherte diese Gewissheit die politische und wohl auch die physische Existenz. Paradoxien von Authentizität Es bleibt zu prüfen, ob der demosthenische Epitaphios „authentisch“ ist, wobei auch zu klären wäre, was Authentizität im Falle antiker Epideiktik überhaupt bedeuten kann. Bis heute wirkt nach, dass Dionysios von Halikarnassos von stilistischen Überlegungen aus gehend den Epitaphios als φορτικὸς καὶ κενὸς καὶ παιδαριώδης (in der Übersetzung von Friedrich Blass: „plump, leer und kindisch“) bezeichnete und ihm die demosthenische Autorschaft abstritt.73 In der Folge wurde der Text bereits von der antiken Literaturwis senschaft weitgehend einhellig als Fälschung angesehen,74 und die moderne Forschung ist dieser Einschätzung zunächst auch geschlossen und bis heute immerhin noch in Tei len gefolgt.75 Den ersten umfassenden Versuch, den Konsens aufzubrechen, hat im Jahr 73 Dion. Hal. Dēm. 44; Übersetzung: Blass 2. Aufl. 1893, 404. 74 Harp. α 47 Αἰγει˜δαι und κ 36 Κεκροπίς ed. Keaney; Lib. Hyp. Dēm. praef. 20; Phot. Bibl. 494 a (vgl. 492 a). Weniger eindeutig: Syrian. Hermog. Peri Staseō n 9.6–14 ed. Rabe. 75 Eine nachhaltige Wirkung entfaltet hat die negative Bewertung von Blass 2. Aufl. 1893, 404–406. Weitere prominente Beispiele aus dem Verlauf der Diskussion: Westermann 1831, 49–70; Lentz 1880–1881; Thalheim 1905, 188; Schneider 1912; Treves 1936; Jaeger 1939; Mathieu 1948; Kennedy 1963, 164 f.; Worthington 2000 b, 109; Dobson/Hornblower 2015 („not genuinely demosthenic“).
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1928 Johannes Sykutris unternommen, flankiert von ergänzenden Bemerkungen aus der Feder von Paul Maas: Sykutris argumentierte, dass sich die sprachlichen Eigenheiten der Schrift als gattungsspezifische Stilistik deuten ließen und der Text auch historisch stim mig kontextualisiert werden könne;76 Maas ergänzte, dass auch die Rezeption des Epitaphios in Lykurgs Rede gegen Leokrates als Argument für die Autorschaft des Demosthenes angeführt werden kann.77 Hieraus konnte sich eine zunehmend an Einfluss und Bedeu tung gewinnende Deutungslinie entwickeln, die den Epitaphios in seiner überlieferten Form Demosthenes als Autor zuschreibt.78 Eine neue Communis Opinio hat sich daraus bisher noch nicht ergeben: In jüngster Zeit hat zwar beispielsweise Judson Herrman um fassend für die Authentizität argumentiert, Ian Worthington lässt die Frage aber weiter offen, und Luciano Canfora stellt die Authentizität sogar wieder infrage.79 Dabei kann durchaus mit guten Gründen davon ausgegangen werden, dass der Epitaphios tatsächlich von Demosthenes verfasst wurde. Diese Einschätzung basiert im Wesentlichen auf den folgenden sechs Erkenntnissen: (1) Die Manuskripttraditi on weist für den Epitaphios keinerlei Anomalien auf, mit denen sich die These einer Fälschung erhärten ließe;80 (2) statistisch-vergleichende Textanalysen zeigen, dass die stilistischen Charakteristika der Schrift mit den in der Autorschaft unumstrittenen symbuleutischen und dikanischen Schriften des Demosthenes in Einklang stehen;81 (3) die Schrift lässt dabei zwar gewisse Besonderheiten und Abweichungen erkennen, die aber auf die Gattungskonventionen epideiktischer Literatur zurückgehen – ver gleichbare Abweichungen gegenüber Texten anderer literarischer Genera lassen sich beispielsweise auch für die Epitaphioi Logoi von Lysias und Hypereides nachweisen;82 (4) auch die historischen Bezüge des Textes sind durchgängig unverdächtig;83 (5) dass ferner der Text kein klares Programm aufweise, wie gerne behauptet wird (George Kennedy etwa sah „no clear moral picture“),84 meine ich mit der oben dargelegten
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Sykutris 1928. Maas 1928. Weitere einflussreiche Stimmen in dieser Linie: Colin 1938, 368–386; Pohlenz 1948, bes. 67; Schias si 1959, xlvii und xlix; Kierdorf 1966, 83; Lesky 3. Aufl. 1971, 678; Clavaud 1974, 20–35; Wankel 1976, 1215; Bengtson 5. Aufl. 1977, 303; Engels 1993, 375; Weissenberger/Engels 1997. Herrman 2008; Worthington 2000 b, bes. 109; id. 2003; id. 2006, 25; Canfora 2011; id. 2014. Hierzu ausführlich Herrman 2008, 172 f. McCabe 1981, bes. 156–161. McCabe 1981, bes. 147–149, 161 f. Insbesondere kommen der Tribrachys und die Hiatvermeidung im Epitaphios häufiger vor als in anderen demosthenischen Schriften. Dies könnte dem Umstand geschuldet sein, dass eine „Rhetorik des Kerameikos“ stets auch auf Adressatenkreise Rücksicht zu nehmen hatte, die nicht wie das Auditorium der Bürgerversammlung oder das Gremium der Dikasten (oder auch das Publikum der Tragödie oder der Komödie) in der auditiven Rezeption elaborierter Stilistik geübt waren. Dass sich vergleichbare Divergenzen auch bei Lysias zwischen dem Epitaphios und den forensischen Schriften ausmachen lassen, hat Dover 1968, 65–67 gezeigt; zu den sprachlichen Besonderheiten von Hypereides’ Epitaphios siehe Herrman 2008, 175 f. So schon Sykutris 1928; siehe dazu auch die oben entwickelte Analyse des Epitaphios. Kennedy 1963, 165.
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Argumentation stichhaltig entkräftet zu haben; (6) und schließlich vermag das gerne vorgebrachte Argument, die außergewöhnliche Passage mit Verweisen auf die zehn Phylenheroen spreche für eine Fälschung, nicht zu überzeugen – im Gegenteil, die Konzeption dieses Teils fügt sich, wie gezeigt, inhaltlich und stilistisch konsistent in den Gesamttext ein.85 Wenn Demosthenes der Autor des Epitaphios ist, so stellt sich erstens die Frage, wann und unter welchen Umständen der Text in Umlauf gelangt ist, zweitens die Frage nach der Beziehung zwischen dem schriftlichen Epitaphios und der faktischen Rede, die der Text zu repräsentieren vorgibt, und drittens die Frage nach den Gründen dafür, dass der Verfasser es nicht bei einer mündlichen Präsentation der Rede beließ, son dern zudem einen (wie auch immer im Einzelnen mit der Rede in Beziehung stehen den) schriftlichen Epitaphios Logos verfasste. Datierung des demosthenischen Epitaphios Zur ersten Frage, wann und unter welchen Umständen nämlich der Text in Umlauf gelangt ist: Aus Plutarch geht hervor, dass die Reden des Demosthenes bereits zu Leb zeiten des Rhetors zirkulierten;86 und wie Paul Maas erstmals umfassend nachweisen konnte, hat Lykurg in seiner Rede gegen Leokrates aus dem Jahr 330 den demosthe nischen Epitaphios umfassend verwertet,87 die Schrift muss also, wenn Lykurg mit den intertextuellen Referenzen einen Effekt erzielen wollte, nicht nur ihm, sondern auch seinen Lesern (und, falls die fraglichen Passagen auch in der tatsächlich gehaltenen Rede des Lykurg enthalten waren: seinen Hörern) bekannt gewesen sein. Der de mosthenische Epitaphios war also bereits zu Lebzeiten des Demosthenes in Umlauf. Er wird kaum vor dem Begräbnis der Gefallenen von Chaironeia an die Öffentlich keit gelangt sein: Dass die Gefallenenbestattung wohl nicht erst im Winter stattfand, 85 So schon Pohlenz 1948, 63 f., allerdings mit anderen als den hier vorgestellten Argumenten. 86 Plut. Dēm. 11.4 (= FGrHist 1026 F 52) hat dem peripatetischen Biograf Hermippos von Smyrna (siehe Bollansée 1999 a; Bollansée 1999 b [= FGrHist 1026]) die Information entnommen, dass Ai sion, ein Zeitgenosse des Demosthenes (vgl. Arist. Rhēt. 3.10 [1411 a]; Suda δ 454 s. v. Δημοσθένης; siehe Thalheim 1893), die Schriften des Demosthenes gelesen habe (Αἰσίωνα δέ φησιν Ἕρμιππος ἐπερωτηθέντα περὶ τω˜ ν πάλαι ῥητόρων καὶ τω˜ ν καθ’ αὑτὸν εἰπει˜ν, ὡς ἀκούων μὲν ἄν τις ἐθαύμασεν ἐκείνους εὐκόσμως καὶ μεγαλοπρεπω˜ ς τῳ˜ δήμῳ διαλεγομένους, ἀναγινωκόμενοι δ’ οἱ Δημοσθένους λόγοι πολὺ τῃ˜ κατασκευῃ˜ καὶ δυνάμει διαφέρουσιν); im Folgenden ist auch explizit von den „aufge schriebenen Reden“ (ibid: οἱ μὲν ου῏ ν γεγραμμένοι τω˜ ν λόγων) die Rede. Trevett 1996 hat versucht zu zeigen, dass die Schriften des Demosthenes erst nach dem Tod des Rhetors in Umlauf gekom men sind, und hat daher (S. 426) die Hilfshypothese eingeführt, dass Demosthenes Aision einen Einblick in seine unveröffentlichten Manuskripte gewährt haben könnte; dies wirkt allerdings konstruiert. 87 Maas 1928. Von Maas identifizierte Parallelstellen: Lykurg. Leō k. 48 (= Dem. 60.4), 49 (= 60.19), 50 (= 60.10, 23, 24). Zu Lykurg und der Rede gegen Leokrates siehe auch Harris 2001 sowie die Einleitungen in Engels 2008 und Roisman/Edwards 2019.
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wie gemeinhin angenommen, sondern mit einiger Wahrscheinlichkeit bereits einige Wochen nach der Schlacht noch im Spätsommer 338, wird im vierten Kapitel aus führlich begründet. Und da der Korinthische Bund, der im Winter 338/337 gegründet wurde, noch keine Erwähnung findet, scheint der Text zeitnah nach dem Auftritt des Demosthenes als Grabredner vielleicht noch im Spätsommer oder Herbst 338 publi ziert worden zu sein. Der mit statistisch-komparativer Methodik nachweisbare Grad stilistischer Übereinstimmung mit anderen demosthenischen Schriften deutet darauf hin, dass es sich nicht um die Nachempfindung aus der Feder eines anderen Autors handelt,88 der Text scheint also von Demosthenes selbst in Umlauf gebracht worden zu sein.89 Die Rezeption bei Lykurg zeigt zudem, dass die literarische Elite Athens den Text kannte. Dass der Epitaphios noch acht Jahre nach seiner Veröffentlichung als Be zugspunkt literarischer Verweise fungieren konnte, belegt, dass ihm eine gewisse Be deutung beigemessen worden sein muss. Grad der Übereinstimmung von Schrift und Rede Die zweite Frage, nämlich die Frage nach der Beziehung zwischen dem schriftlichen Epitaphios und der faktischen Rede, die der Text zu repräsentieren vorgibt, ist an spruchsvoller, als sie zunächst erscheinen mag. Demosthenes hat zweifelsohne im Rahmen der Bestattungszeremonien für die bei Chaironeia gefallenen Bürger Athens die öffentliche Gefallenenrede gehalten.90 Dass Demosthenes, wie gezeigt, kurz darauf auch einen Epitaphios in schriftlicher Form in Umlauf gebracht hat, sagt per se nun allerdings nichts darüber aus, ob bzw. in welchem Grade die uns vorliegende schriftli che Fassung inhaltlich der mündlichen Rede entspricht. Da kein unabhängiger histori scher Zugang zu der von Demosthenes im Rahmen der Gefallenenbestattung gehalte nen Rede besteht, muss die Frage über Plausibilitäten geklärt werden.91
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Zum stilistischen Vergleich der demosthenischen Schriften sei hier nochmals auf McCabe 1981 verwiesen. Für die Frage, was eine Publikation durch Demosthenes konkret bedeuten soll, schließe ich mich der „minimum definition“ von Milns 2000, 207 an: „copies of a speech were made at Demosthenes’ instruction and distributed to such people as the orator wished, whether in Athens or in other Greek cities“. Während bei anderen schriftlich publizierten „Reden“ mitunter der Verdacht besteht, dass sie nie in mündlicher Form gehalten wurden (so bezweifelt beispielsweise Plutarch [Dēm. 15.5; vgl. Ps.Plut. Bioi Rhēt. 840 c], dass Demosthenes die Oratio 19 tatsächlich gehalten habe), steht die Histo rizität der demosthenischen Gefallenenrede immerhin außer Zweifel. Insofern greift auch die Argumentation von Herrman 2008 zu kurz, der zwar die demosthenische Autorschaft des Epitaphios schlüssig nachweist, daraus aber ohne weitere Begründung ableitet, dass uns mit der Schrift zugleich der Text der Rede vorliegt, die Demosthenes im Rahmen des Gefallenenbegräbnisses gehalten hat.
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Die Forschungsdiskussion zur Frage nach dem Verhältnis von publizierter Rede zu mündlichem Pendant im klassischen Athen bezieht sich zumeist auf Erzeugnisse der dikanischen und symbuleutischen Rhetorik. Im Falle der dikanischen Rhetorik lässt sich an zahlreichen Beispielen beginnend vom ausgehenden fünften Jahrhundert bis ins letzte Drittel des vierten Jahrhunderts hinein nachvollziehen, dass von den publi zierten Texten aus nur mit begrenzter Verlässlichkeit auf die entsprechenden münd lichen Reden geschlossen werden kann:92 Die bestehenden Manuskripte wurden of fenbar für die (manchmal erst mit großem zeitlichem Abstand erfolgte) Publikation teils umfassend überarbeitet, wobei Textmaterial in kaum sicher zu bestimmendem Maße ergänzt oder gestrichen werden konnte.93 Von Demosthenes ist immerhin be kannt, dass er große Sorgfalt auf die Vorbereitung seiner Reden verwendete und of fenbar regelmäßig (bzw. oft bis meistens) auch im Vorfeld seiner Auftritte vor Gericht bzw. in der Bürgerversammlung Manuskripte angefertigt hat,94 die ihm später als Aus gangspunkt für die Publikation in schriftlicher Form dienen konnten. Dies gilt bei De mosthenes nicht nur im Bereich der dikanischen Rhetorik, wo es üblich war, Reden im Vorfeld mehr oder weniger detailliert schriftlich zu skizzieren, sondern auch im Bereich der symbuleutischen Rhetorik, wo dies weniger üblich war und wo sich De mosthenes dem Vorwurf ausgesetzt sah, seine Reden röchen nach der Lampe.95 Vor diesem Hintergrund lässt sich der Grad an Übereinstimmung zwischen dem literarischen Erzeugnis und der mündlichen Gefallenenrede nur näherungsweise ein grenzen. Der häufige Einsatz tribrachischer Formen, der auffällige Grad der Hiatver meidung sowie insgesamt die Tendenz zu Serien kurzer Silben zeigt, dass der Text stilistisch bewusst einfacher gehalten ist als die forensischen und symbuleutischen Schriften des Demosthenes.96 Allerdings ist der Text in seiner politisch-moralischen Konzeption inhaltlich äußerst anspruchsvoll (wie oben gezeigt), auch wenn sich der bisherigen Forschung immer wieder der gegenteilige Eindruck aufgedrängt haben mag: Schon die subtile Auseinandersetzung mit der perikleischen Rede des Thuky dides zeigt, dass Demosthenes dem Lesepublikum seiner Schriftfassung Sinnstruk turen präsentierte, die vom Auditorium einer mündlich gehaltenen Gefallenenrede kaum erfasst worden sein können.97 Wenn Demosthenes für die schriftliche Fassung 92 93
Auf der Basis überzeugender Belege besonders skeptisch: Buckler 2000, 148–154. Vgl. Buckler 2000, 149: „the extent of revision itself can never be known“. Dies gilt beispielsweise auch für die Kranzrede. 94 Plut. Dēm. 8.4 berichtet, Demosthenes selbst habe eingestanden, er schreibe zwar nicht alles, was er sage, vorher auf, rede aber nie ohne schriftliche Vorbereitung (πρὸς δὲ τοὺς ἄλλους οὐ παντάπασιν ἦν ἔξαρνος, ἀλλ’ οὔτε γράψας οὔτ’ ἄγραφα κομιδῃ˜ λέγειν ὡμολόγει). 95 Plut. Dēm. 8.3: Πυθέας ἐπισκώπτων ἐλλυχνίων ἔφησεν ὄζειν αὐτου˜ τὰ ἐνθυμήματα. 96 Herrman 2008, 176 hat eine „slightly high … incidence of series of short syllables in the Funeral Oration“ konstatiert. 97 Buckler 2000, 152 weist zu Recht darauf hin, dass schon die Verwertung der vordergründigen Infor mationsflut bei einer normalen Volks- und Gerichtsrede eine gewisse Herausforderung dargestellt haben muss – und dies bei einem Auditorium, das es in wesentlich höherem Grade als das Fest
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die Grundstruktur, die wichtigsten Kerngedanken und vielleicht über weite Strecken hinweg auch ganze Formulierungen seiner mündlichen Rede übernommen haben könnte, so erscheint es doch plausibel anzunehmen, dass er das Manuskript nochmals gesondert für die Rezeption durch ein literarisch anspruchsvolles Lesepublikum über arbeitet, dabei stilistisch aber bewusst den Grundduktus einer Rede beibehalten hat, die vor einer Festgemeinde zu halten gewesen war, welche den Worten im Vollzug der mündlichen Präsentation nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit folgen konnte wie ein Lesepublikum – und der es sicherlich in Teilen auch an Vertrautheit mit der Rezep tion rhetorisch anspruchsvoll formulierter Ausführungen mangelte. Dass der literarische Epitaphios im Kern um Deutungsmuster kreist, die sich über die epigrafische Evidenz und damit unabhängig auch für die Gefallenenbestattung nachweisen lassen, zeigt dabei, dass die Schrift in den wesentlichen inhaltlichen Merk malen nicht allzu weit von der für das Bestattungsritual greifbaren Semantik abweicht: Ein in fragmentarischer Form inschriftlich erhaltenes Epigramm, das auch in der An thologia Palatina (7.245) überliefert ist, zeigt eine gewisse Übereinstimmung mit dem resignativen Grundduktus des Epitaphios. Das Grabgedicht preist Krieger, die ihren Einsatz für die Rettung von Hellas mit dem Tod auf boiotischen Feldern bezahlten:98 [Ὦ Χρόν]ε, παντοίων θνητο[ι˜ς πανεπίσκοπε δαίμων], | [ἄγγελο]ς ἡμετέρων πα˜ σ[ι γενου˜ παθέων]· | [ὡς ἱερὰν σώιζειν πειρώμενοι Ἑλλάδα χώραν] | [Βοιωτω˜ ν κλεινοι˜ς θνήισκομεν ἐν δαπέδοις]. „Zeit, den Sterblichen bei jeglichem Ereignis allgegenwärtige Gottheit, | werde du allen Menschen Künderin unseres Leides: | wie wir versuchten, die heilige griechische Erde zu schützen, | und nun tot liegen auf der Boioter ruhmvollem Brachfeld“.
Zwei weitere Epigramme, deren möglicher Bezug zu Chaironeia unterschiedlich be wertet wird, haben sich in literarischer Form erhalten: Von einem in der Kranzrede des Demosthenes (log. 18) interpolierten zehnzeiligen Epigramm könnte immerhin der Vers μηδὲν ἁμαρτει˜ν ἐστι θεω˜ ν καὶ πάντα κατορθου˜ ν („in nichts zu fehlen und stets erfolgreich zu sein, ist Sache der Götter“) tatsächlich auf das Grabmonument für die bei Chaironeia Gefallenen zurückzugehen:99 Das Schicksalsmotiv klingt hier
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publikum einer Gefallenenrede gewohnt war, sprachlich komplexen Sachverhalten in stilistisch anspruchsvoller Form zu folgen. IG II/III2 5226; Übers. Peek 1960. Für Details und Literaturhinweise zu diesem Epigramm siehe auch den Eintrag zu IG II/III2 5226 unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang die ser Arbeit. Dem. 18.289 v. 9. Das gesamte zehnzeilige Epigramm ist enthalten in den Codizes F (Biblioteca Nazionale Marciana, Venedig, Cod. gr. 416 [10. Jh.]) und Y (Bibliothèque nationale, Paris, Cod. gr. 2935 [10. Jh.]), aber nicht in S (Bibliothèque nationale, Paris, Cod. gr. 2934 [frühes 10. Jh.]) und A (Bayerische Staatsbibliothek, München, Cod. gr. 485 [10. Jh.]); nur v. 9 wird dann in § 290 von
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an und unterstützt die auch im Epitaphios greifbare Haltung, sich mit dem Ausgang der Schlacht zu arrangieren. Ein weiteres in der Anthologia Palatina (7.253) enthal tenes und möglicherweise mit der Bestattung nach Chaironeia zusammenhängendes Epigramm rühmt die Aretē von Kämpfern, die eilten, „um Hellas mit dem Kranz der Freiheit zu schmücken, | und hier nun liegen, nie alternden Preisens teilhaftig“:100 Die Grundidee, dass von der Aretē letztlich vor allem die Erinnerung bleibt, ist hier ebenso zentral wie im demosthenischen Epitaphios. Über diese letztlich doch einigermaßen unspezifischen Analogien hinaus lässt sich der Grad der Übereinstimmung zwischen dem demosthenischen Epitaphios und den Semantiken, die sich unabhängig für das Gefallenenbegräbnis identifizieren lassen, nicht bestimmen. Gründe für die Publikation des demosthenischen Epitaphios Kommen wir zur dritten Frage, weshalb nämlich Demosthenes überhaupt einen Epi taphios Logos in literarischer Form veröffentlicht hat. Grundsätzlich scheinen athe nische Rhetoren unterschiedliche Motive gehabt zu haben, in Redeform konzipierte Schriften in Umlauf zu bringen – und auch Gründe dafür, auf eine solche Publikation zu verzichten.101 Während Friedrich Blass in der zweiten Auflage seiner Attischen Beredsamkeit aus dem Jahr 1893 noch den bis dahin gültigen Konsens ausbuchstabierte, die überlieferten Texte ließen sich inhaltlich im Wesentlichen als (je nach Neigung des Verfassers, politischer Bedeutung des Textes und situativen Rahmenbedingungen) mehr oder weniger intensiv überarbeitete Fassungen der von ihren Autoren zuvor für einen entsprechenden mündlichen Vortrag entwickelten Manuskripte verstehen,102 schlugen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff und Eduard Schwartz im selben Jahr erstmals vor, publizierte „Reden“ wie die erste oder die vierte Philippika als „politische Flugschriften“ bzw. „Pamphlete“ zu werten.103 Dieser Ansicht haben sich später auch Eduard Meyer und Paul Wendland angeschlossen,104 die Konsequenzen des Modells hat im Einzelnen allerdings erst Charles Darwin Adams 1912 durchdekliniert.105 Seither
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Demosthenes nochmals aufgegriffen und scheint damit auch ursprünglich in der Rede enthalten gewesen zu sein. Eine knappe Zusammenfassung der Argumente für die Echtheit von v. 9 und für die Interpolation der übrigen Verse bietet Yunis 2001, 270 f. Anth. Pal. 7.253: Εἰ τὸ καλω˜ ς θνήισκειν ἀρετη˜ ς μέρος ἐστὶ μέγιστον, | ἡμι˜ν ἐκ πάντων του˜ τ’ ἀπένειμε Τύχη· | Ἑλλάδι γὰρ σπεύδοντες ἐλευθερίην περιθει˜ναι | κείμεθ’ ἀγηράτωι χρώμενοι εὐλογίηι („Wenn wirklich ein schöner Tod der Tapferkeit größter Teil ist, | so hat uns vor allen anderen Tyche dies Los zugeteilt. | Denn wir eilten, Hellas mit dem Kranz der Freiheit zu schmücken, | und liegen nun hier, nie alternden Preisens teilhaftig“); Übers. Peek 1960. Siehe etwa Trevett 1996; Buckler 2000; Milns 2000. Blass 2. Aufl. 1893, 74–80. Wilamowitz-Moellendorff 1893, Bd. 2, 215 Anm. 5; Schwartz 1893, bes. 40–44. Meyer 1909, 384; Wendland 1910, 292 f. Adams 1912.
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ist die Diskussion darüber, in welchem Verhältnis die literarisch überlieferten „Reden“ zu den tatsächlichen Reden stehen, auf die sie sich beziehen bzw. die sie schriftlich zu repräsentieren vorgeben, welche historische Aussagekraft ihnen damit zukommt und welche gesellschaftliche Funktion sie erfüllten, in vollem Gange.106 Ich möchte hier gar nicht versuchen, eine grundsätzliche Antwort auf die Frage zu geben, wie sich Demosthenes ganz generell in diesem Feld verorten lässt,107 mir geht es nur um die Stellung des Epitaphios und den kommunikativen Mehrwert der Veröffent lichung dieses speziellen Textes in literarischer Form. Abgesehen vom Allgemeinplatz, dass hier ein spezifisches Publikum adressiert wird, von dem eine ernsthafte Ausei nandersetzung auch mit anspruchsvoller Argumentation zu erwarten war, fällt auf, dass aus der Feder des Demosthenes für die Zeit nach der Schlacht von Chaironeia ansonsten keine Erzeugnisse der deliberativen Rhetorik mehr erhalten sind: Die Er gebnisse der obigen Analyse des demosthenischen Epitaphios legen vor dem Hinter grund dieser Beobachtung nahe, dass der Rhetor nach der Niederlage Athens auf das Feld der Epideiktik auch ausgewichen ist, um unter den Bedingungen der verlorenen Autonomie und des damit einhergehenden Bedeutungsverlusts der Bürgerversamm lung seinem Anspruch auf politische Deutungsmacht weiterhin Geltung verschaffen zu können – in einem Feld des Politischen, das sich nun noch stärker als zuvor aus der Ekklesia und den Dikasterien zurückzog. Insgesamt zeigt die Auseinandersetzung mit der literarischen Konzeption und dem historischen Kontext des demosthenischen Epitaphios, dass im Sommer 338 die Frage, wer die Rede auf die Gefallenen von Chaironeia halten durfte, hochgradig politisiert war – vielleicht in einem Maße, wie sich dies ansonsten nur noch für die Situation erkennen lässt, als Kimon das Gefallenenbegräbnis nach den Erfolgen am Euryme don für seine eigene Profilierung genutzt zu haben scheint und damit offenbar eine Gegenreaktion provozierte, aus der der Patrios Nomos im Sinne der Jahresbestattung überhaupt erst hervorgegangen ist (zweites Kapitel). Im Gegensatz zur Situation der 460er Jahre ist aber die Zukunft, auf die der demosthenische Epitaphios blickt, keine Zukunft des politischen Selbstbewusstseins einer aufstrebenden Hegemonialmacht, sondern die Zukunft einer Bürgergemeinschaft, der nur die Erinnerung an den Ruhm vergangener Zeiten bleibt. Und so wäre auch der demosthenische Epitaphios ein Epi taphios Logos ohne Zukunft geblieben, wenn nicht Athen für einen kurzen Moment seine Autonomie zurückerlangt und die klassische Rhetorik noch einen letzten (lite rarischen) Epitaphios Logos hervorgebracht hätte.
106 Siehe hierzu in der Einleitung die Literaturhinweise in Anm. 24. 107 Dazu wichtige Überlegungen bei Milns 2000, 207–209.
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Der letzte Epitaphios Logos Der Schlüssel zum Verständnis von Hypereides’ Epitaphios liegt in seiner Datierung, und die entscheidende Voraussetzung für seine Datierung ist ein präzises Verständnis der Abfolge der jüngsten Ereignisse, auf die sich der Text bezieht: Denn nur durch eine genaue historische Kontextualisierung lässt sich klären, welche Bedeutung der Schrift als literarisch konzipiertem Kommunikationsangebot in ihren originären Vermitt lungs- und Rezeptionszusammenhängen zukam. Was lässt sich über die historische Stellung von Hypereides’ Epitaphios sagen? Der auf einem Londoner Papyrus erhal tene Text [Abb. 40] gibt sich als diejenige Rede aus, die im Rahmen der feierlichen Bestattung des Leosthenes und der Athener, die mit ihm im Zuge des Lamischen Krie ges im Winter 323/322 gefallen sind, gehalten wurde:108 Bereits zu Beginn des Textes (§§ 1–3) führt sich das literarische Ich in der ersten Person Singular ein, thematisiert den Text als Rede (λόγων, λ̣όγον), adressiert die Hörer in der zweiten Person Plural (ὑμει˜‹ς› οἱ ἀ̣|κούοντες) und spricht von „unserer Stadt“ (ἄξιον δέ | [ἐσ]τ̣ιν ἐπαινει˜ν ‹τ›ὴν μὲν | [πό]λ̣‹ι›ν ἡμω˜ ν);109 in diesem Zusammenhang wird bereits der Akt der ora len Vermittlung zwischen den Anwesenden in unmittelbarer Präsenz der Grabanlage betont (τω˜ ν μὲν λόγων τ[ω˜ ν μελ]|λ̣όντων ῥηθήσεσ[θαι ἐπὶ] | τω˜ ιδε τω˜ ι τάφω[ι …), und auch im weiteren Verlauf finden sich im Text immer wieder literarische Marker der Mündlichkeit.110 Nun wissen wir von Diodor, dass im Rahmen der Bestattung des Leosthenes der athenische Redner Hypereides die Gefallenenrede gehalten hat, der wohl vom Dēmos nicht nur wegen seiner Eloquenz, sondern auch wegen seiner antimakedonischen Hal tung zum Redner gewählt wurde.111 Wie bereits bei Demosthenes, so liegt uns also auch 108 P. Lit. Lond. 133; die für die Arbeit an diesem Kapitel konsultierten Textausgaben, Kommentare, Übersetzungen und Deutungen zum Epitaphios des Hypereides werden im Anhang unter der Rub rik „Literarische Hauptquellen“ angeführt. Bei Verweisen auf den Epitaphios des Hypereides folgt in der vorliegenden Arbeit die Kolumnenzählung der Ausgabe von Herrman 2009 (abweichende Nummerierung bei Petruzziello 2009). 109 Die zentrale Passage im Kontext: Hyp. 6.(1)2: διὸ] | καὶ μάλιστα [νυ˜ ν φοβου˜ ]|μαι, μή μοι συμ[βη˜ ι τὸν] | λ̣όγον ἐλάττ[ω φαί]ν̣εσθαι τω˜ ν ἔρ[γων] | τ̣ω˜ ν γεγενη[μέ]|νων. πλὴν κατ’ [ἐκει˜]νό γε πάλι‹ν› θα[ρρω˜ , ὅ]|τι τὰ ὑπ’ ἐμου˜ ‹ἐ›κ[λει]|πόμενα ὑμει˜‹ς› οἱ ἀ̣|κούοντες προ̣σθή|σετε. 110 Hyp. 6.(1)1 (im erweiterten Zusammenhang zitiert unten in Anm. 127); vgl. Hyp. 6.(1)2–6.(2)3: οὐ γὰρ̣ ἐ‹ν› τοι˜ς τυ|χου˜ σιν οἱ λόγοι ῥηθή|σονται, ἀλλ’ ἐν αὐτοι˜ς | τοι˜‹ς› μάρτυσι τω˜ ν ‹ἐκ›είνοις || π] ε̣πραγμένων; 6.(2)3: ἄξιον δέ | [ἐσ]τ̣ιν ἐπαινει˜ν ‹τ›ὴν μὲν | [πό]λ̣‹ι›ν ἡμω˜ ν; 6.(2)4: ἐπὶ κεφαλαί|[ου δ]ὲ̣ οὐκ ὀκνήσω εἰπει˜ν | [περ]ὶ αὐτη˜ ς; 6.(3)6: φρά]σ̣αι ‹παρ›αλ‹ε›ί|‹ψ›ω, περ̣[ὶ δὲ Λεωσθέ]ν̣ους καὶ | τω˜ ν ἄ[λλων τοὺς λόγ]ους ποι|ήσομ̣[αι etc. 111 Vgl. Diod. 18.13.5: ὁ μὲν δη˜ μος τω˜ ν Ἀθηναίων τὸν ἐπιτάφιον ἔπαινον εἰπει˜ν προσέταξεν Ὑπερείδῃ τῳ˜ πρωτεύοντι τω˜ ν ῥητόρων τῃ˜ του˜ λόγου δεινότητι καὶ τῃ˜ κατὰ τω˜ ν Μακεδόνων ἀλλοτριότητι. Dass Demosthenes bereits die Rede nach der Schlacht von Chaironeia gehalten hatte, wäre wohl kein Hinderungsgrund für seine erneute Wahl gewesen (auch Perikles hatte ja zwei Reden gehalten), er hatte aber wegen seiner Verstrickung in die Harpalos-Affäre und der Flucht aus Attika die ent scheidenden Weichenstellungen im September 323 (hierzu: Diod. 18.9.4–18.10.3) nicht mitgestal ten können. Auch andere bedeutende Rhetoren kamen nicht infrage: Demades war ebenfalls in
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hier ein literarischer Epitaphios Logos aus der Feder eines Autors vor, der als Redner just in demjenigen Gefallenenbegräbnis aufgetreten ist, auf den sich der überlieferte Epitaphios ausdrücklich bezieht.112 Wie bei Demosthenes, so kann aber auch hier nicht ohne Weiteres von dem uns vorliegenden Text auf die mündliche Rede rückgeschlos sen werden. Die Frage nach dem Verhältnis von Schrift und Rede soll zunächst noch zurückgestellt werden, es geht im Folgenden erst einmal um das literarische Werk und seine historische Stellung. Welche Indizien also bietet der Text für seine Datierung? Der Epitaphios des Hypereides blickt zurück auf eine der Bestattung unmittelbar vorausgehende Ereigniskette, die als zusammenhängende Expedition (διὰ μια˜ ς στρα τ[εία]ς)̣ dargestellt wird; von dieser Expedition berichtet der Text als einer Serie von vier erfolgreichen militärischen Einzeloperationen (μάχαι) der Athener und ihrer Ver bündeten gegen die Makedonen und deren Bündnispartner:113 (1) Die Kämpfe gegen den Boiotischen Bund und den Euboiischen Bund in Boiotien (ca. Oktober 323);114 (2) die Schlacht gegen Antipatros bei den Thermopylen (ca. November 323);115 (3) die Belagerung von Lamia (Beginn der Belagerung ca. Ende November / Anfang Dezem ber 323) mit dem Tod des Leosthenes (ca. Januar / Anfang Februar 322)116; sowie (4)
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die Harpalos-Affäre verwickelt gewesen, während sich Phokion immer wieder für einen Ausgleich mit Makedonien ausgesprochen hatte. Hypereides bot sich auch deshalb an, weil er im Vorfeld des Lamischen Krieges eng mit Leosthenes zusammengearbeitet hatte, um die Bevölkerung auf den Krieg einzustimmen. Auch bei Archinos haben wir uns die Konstellation so vorzustellen. Für die weiteren Überlegun gen ist dieser Fall aber nicht relevant, da sich vom Epitaphios des Archinos nicht viel erhalten hat; näheres hierzu im sechsten Kapitel. Die gesamte Wendung: πλείους δὲ μάχας ἠγωνίσ|θαι διὰ μια˜ ς στρατ[εία]ς ̣ ἢ τοὺς || ἄλλους πάντας πληγὰς λαμ|βάνειν ἐν τω˜ ι παρεληλυ|θότι χρόνωι (Hyp. 6.[8]23–6.[9]23). Herrman 2009 übersetzt διὰ μια˜ ς στρατ[εία]ς ̣ mit der Fomulierung „in one season“. Dahinter steckt offenbar die (allerdings dort nicht gesondert begründete) Annahme, dass es die athenische Jahresbestattung auch zur Zeit des Lamischen Krieges noch gegeben habe. Von einer στρατεία im Sinne eines zusammenhän genden Feldzugs mit mehreren Einzelkämpfen (μάχαι) ist im Epitaphios des Hypereides die Rede auch noch in § 3 (τη˜ ς στρατείας ἡ|γεμὼν τοι˜ς πολίταις), § 14 (καὶ τω˜ ν [ἄλλων ἀγ]α̣θω˜ ν τω˜ ν | ἐν τη˜ ι στ̣[ρατείαι τ]αύτηι συμ|βάντων̣ [τ]ο̣[˜ις Ἕλ]λησιν), erneut in § 23 (οὐδεμία γὰρ | στρατεία τὴν ‹τω˜ ν› στρατευομένων ἀρε|τὴν ἐνεφάνισεν μα˜ λλον τη˜ ς νυ˜ ν | γεγενημένης) sowie (in schlecht erhaltenem Zustand) in § 33 (στρα]|τείας ἐγ[κωμι.....). Dass mit den μάχαι die vier im Folgenden genannten, unmittelbar aufeinander folgenden Einzelereignisse gemeint sind, geht aus der Ereignisschilde rung in §§ 11–14 und 16–18 hervor. Nach der Entscheidung zum Krieg (siehe dazu unten in diesem Kapitel die Anm. 116) war dies die erste militärische Konfrontation. Hyp. 6.(7)18: τήν γε π[ερὶ] Π̣ ύλας καὶ Λαμί|αν μάχην γεν̣[ομέν]ην. Gemeinsam mit dem unmit telbar vorausgehenden Verweis auf die Schlacht in Boiotien hebt Hypereides hier nochmals die beiden ersten Auseinandersetzungen der στρατεία als besonders bedeutsame Siege hervor. Zur Datierung siehe unten in diesem Kapitel die Anm. 116. Die Entscheidung zum Krieg gegen Antipatros wurde in Athen Anfang September 323 gefällt, wie sich aus IG II/III2 367 erschließen lässt (siehe Oikonomides 1982, 123–127): Das Ehrendekret wur de Ende Oktober von der Bürgerversammlung für einen athenischen Gesandten erlassen, der die Unterstützung von Phokis eingeholt hatte. Antipatros war in dieser Zeit offenbar noch mit der Sammlung seiner Truppen befasst (Heckel 1992, 375), so dass die Schlacht bei den Thermopylen
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eine (im Epitaphios mit bestimmtem Artikel angesprochene) „Schlacht, die sich nach dem Tod des Leosthenes zugetragen hat“ (Hyp. 6.[6]14: τη˜ ς | ὕστερον [γενομέ]ν̣ης μάχης | μετὰ τὸ̣[ν ἐκείνο]υ θάνατον), womit nur die Schlacht gegen Leonnatos gemeint sein kann, die ungefähr im Mai 322 stattfand.117 Als terminus post quem für die Datierung der Schrift liegt demnach der Sieg der athe nischen Allianz über Leonnatos nahe. Allerdings ist die Sachlage nicht unproblema tisch, denn auf dieses (aus der Perspektive des Epitaphios) jüngste Ereignis wird nur sehr knapp, nur an einer einzigen Stelle im Text und ohne Nennung näherer Details hingewiesen, so dass hier auch die Überarbeitung einer älteren Textfassung bzw. eine spätere Interpolation möglich wären. Die Deutung wird dadurch erschwert, dass die verfügbaren Quellen in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen hin sichtlich der Frage, wann genau die Bestattung durchgeführt wurde, in deren Rahmen der Epitaphios literarisch situiert ist: In der Erzählung Diodors folgt ein knapper Ver weis auf die Bestattung des Leosthenes unmittelbar auf den Bericht von dessen Tod: Die Bestattung fällt damit scheinbar in den Zeitraum vor dem Sieg der Athener über Leonnatos. Der Epitaphios dagegen impliziert prima vista, dass die Bestattung erst nach dem Sieg und damit etwa vier Monate nach dem Tod des Leosthenes stattfand.118 Die Forschung ist Diodor gefolgt und nahm eine Bestattung unmittelbar nach dem Tod des Leosthenes an, auch weil es so möglich schien, die Vorstellung von einer Jahresbe stattung am Ende der Kriegssaison noch irgendwie aufrecht zu erhalten (wenngleich sie in diesem Fall erst ziemlich spät durchgeführt worden wäre).119 Verlässlicher ist aber frühestens in den November 323 datiert werden kann. Die Belagerung von Lamia, die sich über ei nen längeren Zeitraum hinzog, hat offenbar im Spätherbst 323, vielleicht Ende November / Anfang Dezember begonnen (vgl. Walek 1924, 27: „le siège de Lamia commencé vers la fin de l’automne 323 a duré longtemps“). Hyp. 6.(8)23–6.(9)23 beschreibt die Schwierigkeiten der Belagerung im Winter. Als Leosthenes starb, scheint sich der Aufbau der Belagerungsanlagen bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befunden zu haben, so dass Januar bzw. Anfang Februar 322 für seinen Tod plausibel erscheint. 117 Hyp. 6.(6)14; zur Datierung in den Mai 322: Walek 1924, 28 (bestätigt von Heckel 1992, 375). 118 Die Rückführung des Leichnams nach Athen und die Bestattung des Strategen gemeinsam mit den übrigen athenischen Gefallenen scheint zeitnah nach dem Sieg über Leonnatos erfolgt zu sein, jedenfalls deutet nichts auf weitere Verzögerungen hin. 119 Aber selbst eine Bestattung im Januar oder Februar 322 (so deutlich nach Ende der Seefahrtsaison) ließe sich kaum mit der Vorstellung einer Jahresbestattung in Einklang bringen: Wenn die Athe ner 323/322 noch an der Jahresbestattung, wie sie von Thukydides beschrieben wird, festgehalten hätten, wäre für eine Gemeinschaftsbestattung der vorausgegangenen Saison ein Termin nach den Konflikten in Boiotien (Herbst 323) deutlich naheliegender gewesen; die vor Lamia Gefallenen (einschließlich des Strategen Leosthenes) hätten dann erst im Herbst 322 bestattet werden kön nen. Prinz 1997, 273 fragt daher im Grunde zu Recht: „warum fand die Bestattung … nicht am Ende des nächsten Kriegsjahres statt?“, seine Schlussfolgerung (hier zum Nachlesen: „Nach Dio dor war der Tod des Strategen Leosthenes der Grund für diesen ungewöhnlichen Zeitpunkt der Bestattungszeremonie. Er wurde laut Diodor mit heroischen Ehren bestattet, weil er den Aufstand organisiert hatte [Diod., XVII,13,5]. War dies tatsächlich der Fall, dann hätte man in Athen die kollektive Ehrung der Gefallenen aufgegeben, die bislang eine wesentliche Bestimmung dieser Gattung war“) ist allerdings verquer: Wir haben es nach wie vor mit einer kollektiven Bestattung
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zweifellos Hypereides, denn die öffentliche Gefallenenbestattung in Athen wird schon deshalb nicht vor dem Sieg über Leonnatos durchgeführt worden sein, weil bis dahin ein Großteil der athenischen Bürger im Alter bis 40 Jahre durch die Belagerung Lamias und die Flottenoperationen in der Ägäis gebunden war120 – und die Bürgerschaft als Wehrgemeinschaft war nun einmal der elementare Träger des Gefallenenbestattungs rituals. Daran würde auch die Hypothese nichts ändern, dass der Verweis auf den Sieg über Leonnatos erst bei der Überarbeitung für die Publikation eingefügt oder im Lau fe des Überlieferungsprozesses interpoliert wurde – eine Annahme, die aus anderen Gründen ohnehin nicht überzeugend ist, wie unten noch näher diskutiert wird. Die Bestattung der Gefallenen des Lamischen Krieges wurde also offenbar nach dem vorläufigen Abschluss einer Serie aufeinander folgender militärischer Operatio nen durchgeführt. Antipatros zog sich zurück, und Antiphilos beschränkte sich seiner seits auf die Beobachtung der feindlichen Truppenbewegungen.121 Einem Großteil der athenischen Bürgersoldaten wird es damit möglich gewesen sein, nach Attika zurück zukehren und dort die sterblichen Überreste ihrer gefallenen Mitbürger beizusetzen. Welchen Charakter hatte nun diese Bestattung? Pausanias beziffert die vor Lamia Gefallenen auf 200:122 Unklar ist dabei, ob es sich hier um die Gesamtzahl derjenigen handelt, die über den ganzen Feldzug hinweg (also auch in Boiotien, bei den Thermo pylen und im Kampf gegen Leonnatos) gefallen waren oder speziell um die im Zuge der Belagerung vor Lamia Getöteten, und ob hier auch die Gefallenen der Verbün deten oder ausschließlich die getöteten athenischen Bürger gemeint sind: Die Zahl ist also nur bedingt belastbar – klar ist nichtsdestoweniger, dass die Anzahl der nach Ende der Belagerung in Athen Bestatteten deutlich geringer ausgefallen sein muss als nach der Schlacht von Chaironeia 16 Jahre zuvor (die letzte öffentliche Gefallenenbe stattung in Athen vor dem Lamischen Krieg), denn die griechische Allianz ist bis zum Sieg über Leonnatos zweifelsohne erfolgreich gewesen: Eine höhere Zahl an Toten scheint es aufseiten der griechischen Allianz weder bei den Kämpfen in Boiotien noch im Rahmen der Konfrontation mit Antipatros bei den Thermopylen noch im Zuge der Belagerung von Lamia noch im Kampf gegen Leonnatos gegeben zu haben.123 Ihre Bedeutung hat die athenische Gemeinschaftsbestattung im Frühling 322 also nicht aus einer besonders hohen Zahl an Gefallenen gewonnen, und auch der Zeit
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zu tun, nur mit der Besonderheit, dass der gefallene Stratege auf herausragende Art und Weise gewürdigt wurde – was vorher (bis zurück in die kleisthenische Zeit) in dieser Qualität nie der Fall gewesen ist; und zweitens scheint die athenische Jahresbestattung letztmalig 394 durchgeführt worden zu sein (viertes Kapitel), wir haben es hier also nicht mit einer Neuerung zu tun, insofern wird der Termin auch kein Problem dargestellt haben. Die Altersvorgabe der Mobilmachung überliefert Diod. 18.10.2 (στρατεύσασθαι δὲ πάντας Ἀθηναίους τοὺς μέχρι ἐτω˜ ν τεσσαράκοντα). Diod. 18.15.5–7. Paus. 7.10.5: ἐν Λαμίᾳ δὲ περὶ διακοσίους πεσόντων καὶ οὐ πλέον τι. Jedenfalls finden sich in den Quellen keine gegenteiligen Indizien.
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punkt der Bestattung ist nicht per se bemerkenswert: Angesichts der Tatsache, dass sich für die Zeit nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges ohnehin nur noch eine einzige Jahresbestattung greifen lässt (nämlich, wie im vierten Kapitel gezeigt, für das Jahr 394), begegnen wir hier offenbar zunächst einmal schlicht einer weiteren Gemeinschaftsbestattung, die nicht erst am Ende der Kriegssaison, sondern nach dem Abschluss einer Expedition und der Rückkehr der Bürger durchgeführt wurde. Be merkenswert wäre am Zeitpunkt der Bestattung allenfalls, dass er den Abschluss einer der für die klassische Zeit so seltenen Kriegszüge markiert, die sich über die Winter monate hinweg erstreckt haben. Aufsehenerregend ist allerdings, dass mit Leosthenes einer der Gefallenen beson dere Ehren erhielt – denn die herausgehobene Stellung einer Einzelperson war für ein öffentliches athenisches Gefallenenbegräbnis der klassischen Zeit – nach allem, was wir wissen – ein Novum. Die Hinweise auf eine besondere Stellung des Leosthenes im Rahmen der Bestattung sind dabei grundsätzlich glaubwürdig: Dass Pausanias in seiner Beschreibung des Gefallenendenkmals Leosthenes erwähnt (viertes Kapitel), ist zwar nicht signifikant,124 auch sein Hinweis auf ein Bildnis des Leosthenes, das der Perieget im Piräus gesehen hat, muss nichts bedeuten.125 Aufschlussreich sind aber die Berichte von Diodor und vor allem von Hypereides: Diodor geht nicht einmal in einem Nebensatz auf die übrigen Gefallenen ein, wenn er schreibt, dass Leosthenes wegen seines im Krieg erworbenen Ruhmes mit heroischen Ehren bestattet wurde.126 Der Epitaphios des Hypereides geht mit dem Gedenken der gefallenen Bürgersoldaten zwar sensibler um, aber im Kern bestätigt der Text den Tenor der Aussage Diodors: Erstmals in der Gattung literarischer Epitaphioi Logoi stellt die Schrift des Hyperei des die besonderen Verdienste eines Individuums ins Zentrum der Würdigung des Kollektivs athenischer Gefallener und bietet damit wichtige Indizien dafür, wie hier
124 Paus. 1.29.13. 125 Denn es ist unklar, ob das Bildnis des Leosthenes im Temenos der Athene und des Zeus, das Pau sanias im Piräus gesehen hat, in zeitlicher Nähe zur Rückführung der Gebeine und zur Bestattung entstanden ist und damit als Indiz für die Bedeutung zu verstehen sein könnte, die dem Strategen vom athenischen Dēmos zugesprochen wurde (Paus. 1.1.3: ἐνταυ˜ θα Λεωσθένην, ὃς Ἀθηναίοις καὶ τοι˜ς πα˜ σιν Ἕλλησιν ἡγούμενος Μακεδόνας ἔν τε Βοιωτοι˜ς ἐκράτησε μάχῃ καὶ αυ῏ θις ἔξω Θερμοπυλω˜ ν καὶ βιασάμενος ἐς Λάμιαν κατέκλεισε τὴν ἀπαντικρὺ τη˜ ς Οἴτης, του˜ τον τὸν Λεωσθένην καὶ τοὺς παι˜δας ἔγραψεν Ἀρκεσίλαος. ἔστι δὲ τη˜ ς στοα˜ ς τη˜ ς μακρα˜ ς …). Pausanias sagt zwar nichts darüber, wie genau das Bildnis gestaltet war, da er es aber unmittelbar auf die Geschehnisse im Lamischen Krieg bezieht, liegt die Vermutung nahe, dass über entsprechende Gestaltungselemente auf diese Ereigniszusammenhänge verwiesen wurde. Möglicherweise ist der bei Pausanias genannte Maler Arkesilaos mit dem bei Plinius genannten Arkesilas, Sohn des Teisikrates, zu identifizieren (Ross bach 1895, 1169), dann wäre das Bildnis des Leosthenes ein Gemälde des dritten Jahrhunderts. 126 Diod. 18.13.5: … τῃ˜ τρίτῃ δ’ ἡμέρᾳ τελευτήσαντος αὐτου˜ καὶ ταφέντος ἡρωικω˜ ς διὰ τὴν ἐν τῳ˜ πολέμῳ δόξαν …
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die Ehrung einer herausragenden Einzelperson in den Traditionsrahmen der Gemein schaftsbestattung eingepasst wurde.127 Im Epitaphios des Hypereides kommt Leosthenes eine besondere Stellung zu. Luisa Petruzziello hat herausgearbeitet, wie Hypereides in einer „struttura ad anello“ die drei Bezugspunkte seines Lobes definiert: die Stadt (ἡ πόλις), die Gefallenen (οἱ τετελευτηκότες) und den Strategen Leosthenes (ὁ στρατηγὸς Λεωσθένης).128 Schon in der Eingangspassage des Textes wird der Logos nicht, wie dies mit Blick auf die älteren Epitaphioi Logoi zu erwarten gewesen wäre, auf „die in diesem Grab Liegenden“ (τοὺς ἐν τῳ˜ δε τῳ˜ τάφῳ κειμένους) oder schlicht auf „die hier Liegenden“ (οἱ ἐνθάδε κείμενοι) bezogen, sondern auf ein Grab (τάφος), das der Text auf „den Strategen Leosthenes und die anderen mit ihm im Krieg Gefallenen“ bezieht.129 Auf Leosthenes richtet sich dann auch ein besonderer Lobpreis: Er sei der εἰσηγητής gewesen, der Urheber der Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, und er habe die Expedition als Anführer (ἡγεμών) geleitet:130 Als Hellas wegen der Abhängigkeit von Makedonien am Boden lag, habe er erkannt, dass die Stadt eines tapferen Mannes als Führer und ganz Hellas analog hierzu einer Stadt bedürfe, um die innere Zerrüttung überwinden und zur Frei heit zurückkehren zu können.131 Zwischen der Leistung des Strategen und der Leistung „der anderen Bürger“ – τω˜ ν ἄλ]λων πολιτω˜ ν (§ 15) – wird klar differenziert: Dem Stra tegen komme die planerische Weitsicht (das βουλεύεσθαι | καλ̣[ω˜ ς [§ 15]) zu, die übri gen Bürger führen im Kampf den Sieg herbei.132 Mit dem individualisierten Lobpreis im Epitaphios des Hypereides zeigt sich in aller Deutlichkeit, in welche Richtung sich die griechische Gefallenenbestattung in hellenistischer Zeit entwickeln sollte: Zum festlichen Rahmen einer Glorifizierung gesellschaftlich exponierter Führungsfiguren. Während der Stratege heroisiert wird, wird im Epitaphios des Hypereides das Poli tische sakralisiert. Für jeden der drei entscheidenden Agenten – die Stadt, die Gefalle nen und Leosthenes – bietet der Epitaphios einen prägnanten Faktor der religiös-kulti schen Überhöhung: Athen wird mit Helios und dessen segensreicher Wirkung auf die
127 Dass sich der Epitaphios auf eine Gemeinschaftsbestattung bezieht, in der Leosthenes eine zentrale Rolle einnahm, geht schon aus Hyp. 6.(1)1 hervor: τω˜ ν μὲν λόγων τ[ω˜ ν μελ]|λ̣όντων ῥηθήσεσ[θαι ἐπὶ] | τω˜ ιδε τω˜ ι τάφω[ι περί τε] | Λεωσθένους του˜ στ[ρατη]|γου˜ καὶ περὶ τω˜ ν ἄλ̣[ λων] | τω˜ ν μετ’ ἐκείνου [τετε]λ̣ευτηκότων ἐν τ[ω˜ ι πο|λ]έμωι. 128 Petruzziello 2009, 87–92. 129 Hyp. 6.(1)1 (zitiert oben in Anm. 127). 130 Hyp. 6.(2)3: τὸν δὲ στρατηγὸν Λεωσ|θένη διὰ ἀμφότερα· τη˜ ς | τε γὰρ προαιρέσεως εἰσ|ηγητὴς τη˜ ι πόλ‹ε›ι ἐγένε|το, καὶ τη˜ ς στρατείας ἡ|γεμὼν τοι˜ς πολίταις | κατέστη. 131 Besonders eindrücklich formuliert in Hyp. 6.(4)10–6.(5)10: Λεωσθένης γὰρ ὁρω˜ ν | τὴν Ἑλλάδα πα˜ [σ]α̣ν τεταπει|νωμένην καὶ [ὥσπερ] ἐπτη||[χ]υ̣˜ιαν, κατεφθαρμένην ὑπὸ | [τω˜ ν] δωροδο‹κ›ούντων παρὰ Φι|[λίπ]που καὶ Ἀλεξάνδρου κατὰ | [τω˜ ν] πατρίδων τω˜ ν αὑτω˜ ν, | [καὶ τ]ὴ̣ν μὲν πόλιν ἡμω˜ ν | [δεομέ]νην ἀνδρός, τὴν δ’ ‹Ἑ›λλά|δα πα˜ ]σαν πόλεως, ἥτις προστη˜ |[ναι δυ]ν̣ήσεται τη˜ ς ἡγεμονίας, | [ἐπέ]δ̣ωκεν ἑαυτὸν μὲν τη˜ ι | [πατρί]δι, τὴν δὲ πόλιν τοι˜ς Ἕλλη|σ̣[ιν] εἰς τὴν ἐλευθερίαν. 132 Hyp 6.(6)15: το[υ˜ μὲν] γ̣ὰρ βουλεύεσθαι | καλ̣[ω˜ ς ὁ στρα]τηγὸς αἴτιος, του˜ | δὲ νι [̣ κα˜ ν μαχ]ομένους οἱ κιν|δυν[εύειν ἐθ]έ̣λοντες τοι˜ς σώ|μασι [̣ ν.
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gesamte Oikumenē in Analogie gesetzt (§ 5); die Leistungen der Bürger im Kampf ge gen die Makedonen werden im halbjährlichen Gedenken von der amphiktyonischen Versammlung gewürdigt (§ 18); und Leosthenes schließlich erfährt einen Empfang im Hades, durch den er gegenüber den Heroen des Troischen Krieges, Miltiades und Themistokles sowie den Tyrannenmördern Harmodios und Aristogeiton weit überle gen erscheint (§§ 35–40). Die drei Ebenen der Ringkomposition werden hier mit drei Ebenen der religiös-kosmischen Weltordnung gekoppelt: Mit der Sphäre der olym pischen Götter, mit der menschlichen Kultpraxis und mit der Unterwelt. Innerhalb dieses heilsgeschichtlich strukturierten Sinnganzen zeigt sich die segensreiche Wir kung der athenischen Aretē konkret darin, dass Hellas aus einem Stadium der inneren Zerrüttung (die der Epitaphios auf die Abhängigkeit von Makedonien zurückführt), zu einem Stadium der Freiheit geführt wird:133 Das Konzept der Freiheit (ἐλευθερία) von ganz Hellas erscheint als Zielpunkt des athenischen Strebens im Epitaphios des Hypereides an nicht weniger als zehn Stellen134 – zum Vergleich: Im demosthenischen Epitaphios finden sich nur zwei Entsprechungen.135 Die Eigenheiten von Hypereides’ Epitaphios lassen sich verstehen, wenn der Text in Bezug gesetzt wird zu den machtpolitischen Entwicklungen seiner Zeit. Einen ge eigneten Ansatzpunkt bietet § 14: Hier bezieht sich der Text ausdrücklich auf einen militärischen Erfolg der Athener in einer Schlacht, die nach dem Tod des Leosthenes stattfand.136 Wie bereits dargelegt, kommt hier nur der Sieg über Leonnatos infrage, der ungefähr in den Mai 322 zu datieren ist. Dieser (aus der Perspektive des Epitaphios) jüngste militärische Erfolg der griechischen Allianz wird in der Schrift allerdings nur auffällig vage angeschnitten, obgleich hier ein bedeutender makedonischer General zu Tode gekommen ist und die Expedition damit ihren vorläufigen Abschluss gefunden und einem Großteil der athenischen Bürger die Rückkehr nach Attika ermöglicht hat. Dass Hypereides den Sieg der Athener über Leonnatos nur in einer sonderbar knap pen Form anschneidet, wurde oben bereits vermerkt. Eine Erklärung hierfür steht al lerdings noch aus. Die zunächst eigenartig erscheinende Passage stellt einen Schlüssel dar für das Verständnis der politischen Stoßrichtung des Epitaphios. Um den merk würdig zurückhaltenden Umgang des Epitaphios mit dem Sieg der Athener über Le onnatos zu verstehen, muss näher in den Blick genommen werden, in welcher macht politischen Konstellation sich dieses Ereignis vollzog und welche Bedeutung ihm für 133 Wie sich die innere Uneinigkeit der griechischen Welt aus der makedonischen Hegemonie ergibt, wird am prägnantesten in § 10 formuliert. 134 Hyp. 6.(5)10 (ll. 11 und 16), 6.(6)16 (ll. 35 und 39), 6.(7)19 (ll. 39 f.), 6.(9)24 (ll. 20 f.), 6.(9)25 (l. 26), 6.(11)34 (l. 39), 6.(13)37 (l. 2), 6.(13)40 (l. 43). 135 Dem. 60.23 und 27. 136 Hyp. 6.(6)14: δίκαιον δ’ ἐσ|τὶν μὴ μ[όνον] ω῟ ν ἔπραξεν | Λεωσθέν[ης ἀε]ὶ ̣ χάριν ἔχειν | αὐτω˜ ι πρ̣[ώτωι ἀ]λ̣λὰ καὶ τη˜ ς | ὕστερον [γενομέ]ν̣ης μάχης | μετὰ τὸ̣[ν ἐκείνο]υ θάνατον | καὶ τω˜ ν [ἄλλων ἀγ]α̣θω˜ ν τω˜ ν | ἐν τη˜ ι στ̣[ρατείαι τ]αύτηι συμ|βάντων̣ [τ]ο̣[˜ις Ἕλ]λησιν· ἐπὶ | γὰρ ̣ τοι˜ς ὑπὸ [Λε]ωσθένους | ‹τε›θει˜σιν θεμελίοις οἰκοδο|μου˜ σιν οἱ νυ˜ ν τὰς ὕστερον | πράξεις.
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die Aussichten auf die weitere Entwicklung zukam. Hierzu müssen die Entwicklungen nochmals genauer in den Blick genommen werden, die zu dem Ereignis führten. Antipatros hatte die Unterstützung des Leonnatos angefordert, als er sich nach seinem Misserfolg bei den Thermopylen (ca. November 323)137 mit den verbliebenen Infanteristen in die Bergfestung Lamia an den südlichen Othrys-Abhängen zurück ziehen musste und dort von der griechischen Allianz unter Führung des Leosthenes belagert wurde (ab ca. Ende November / Anfang Dezember).138 Für Antipatros sah es in dieser Situation nicht gut aus: Bei der Konfrontation an den Thermopylen war die thessalische Kavallerie zu den Athenern übergelaufen, die makedonische Reiterei scheint darauf zerschlagen worden zu sein.139 Zwar scheiterten die anfänglichen Versu che der Griechen, Lamia im Sturm zu erobern, doch als sich die Griechen auf eine län gere Belagerung einstellten und damit begannen, die Versorgungswege der Belagerten abzuschneiden, schien das Schicksal des Antipatros besiegelt zu sein: Leonnatos be fand sich zu diesem Zeitpunkt noch in Kleinasien, und die Athener hatten eine Flotte in Richtung Hellespont entsandt, um seinen Übertritt nach Europa zu unterbinden. Hypereides schildert zwar die Schwierigkeiten einer Belagerung in den Wintermona ten,140 doch wie aus Diodor hervorgeht, war die Situation für die Belagerten noch deut lich ungünstiger: Leosthenes ließ einen Belagerungsring um die Bergfestung legen und arbeitete darauf hin, die Nachschubwege abzuschneiden; den Belagerten machte die Aussicht auf Versorgungsengpässe zu schaffen, während die Lage für die griechi sche Allianz so aussichtsreich erschien, dass Leosthenes den Aitolern die Heimkehr gestatten konnte.141 In dieser Konstellation hat ein einziges Geschoss den Lauf der Dinge entscheidend verändert: Bei einem Ausfall der Belagerten, mit dem die Arbeiten an den Belage rungswällen gestört werden sollte, rückte Leosthenes zur Unterstützung seiner Trup pen vor und wurde von einem telum (in der Formulierung des Iustinus) getroffen. Der Stratege wurde dabei so schwer verletzt, dass er wenig später verstarb.142 Der Tod des
137 Zur Datierung siehe oben bei Anm. 116: Antipatros war im Herbst noch mit der Sammlung seiner Truppen befasst, und Ende Oktober wurden in Athen noch Gesandte geehrt, die sich erfolgreich für den Aufbau des antimakedonischen Bündnisses bemüht hatten; die Schlacht an den Thermo pylen lässt sich damit am sinnvollsten in den November datieren, der Rückzug nach Lamia und der Beginn der Belagerung wird Ende November / Anfang Dezember anzusetzen sein. 138 Plut. Eum. 3.3–5; Diod. 18.12.1–4; 18.14.4 f.; Iustin. 13.5. 139 Hammond/Walbank 1988, Bd. 3, 109 f. 140 Hyp. 6.(8)23–6.(9)24. 141 Diod. 18.13.3 f. 142 Iustin. 13.5.12: Interim in obsidione Antipatri Leosthenes, dux Atheniensium, telo a muris in transeuntem iacto occiditur; zur Semantik des Begriffs telum siehe L&S s. v. telum sowie TLL s. v. telum. Diodor spricht von einem Stein (18.13.5: του˜ γὰρ Ἀντιπάτρου τοι˜ς τὰς τάφρους ὀρύττουσιν ἐπιθεμένου καὶ συμπλοκη˜ ς γενομένης ὁ μὲν Λεωσθένης παραβοηθω˜ ν τοι˜ς ἰδίοις καὶ πληγεὶς εἰς τὴν κεφαλὴν λίθῳ παραχρη˜ μα μὲν ἔπεσεν καὶ λιποψυχήσας εἰς τὴν παρεμβολὴν ἀπεκομίσθη, τῃ˜ τρίτῃ δ’ ἡμέρᾳ τελευτήσαντος αὐτου˜ ).
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Leosthenes scheint der entscheidende Zwischenfall gewesen zu sein, der Antipatros genügend Freiraum verschaffte, die Belagerung zu überstehen. Die Belagerer waren gezwungen, sich zu reorganisieren: Leosthenes wurde durch den athenischen Strate gen Antiphilos ersetzt, und offenbar hat der Erfolg auch für ein gewisses Kräftegleich gewicht zwischen Belagerten und Belagerern gesorgt, wozu wahrscheinlich auch die speziell für die Belagerer ungünstige Jahreszeit beigetragen hat. Einige Wochen nach dem Tod des Leosthenes zeichnete sich dann bereits ab, dass die Strategie der Belagerten, auf Zeit zu spielen, durchaus Erfolg würde haben kön nen: Denn in der Seeschlacht bei Abydos, die ungefähr im März 322 anzusetzen ist,143 gelang es der Flotte des Antipatros (nicht der des Kleitos, wie teilweise angenommen wird),144 die athenische Flotte so entscheidend zu schwächen, dass diese den Über tritt des Leonnatos nach Europa nicht mehr verhindern konnte.145 Der makedonische General überquerte den Hellespont mit den Truppen seiner Satrapie, deren Zahl zu nächst noch überschaubar gewesen sein muss,146 verstärkte die Einheiten durch eine Aushebung in Makedonien und rückte schließlich mit etwa 20 000 Infanteristen und 1 500 Kavalleristen nach Süden in Richtung Lamia vor.147 In der Belagerung Lamias hatte bis dahin keine Seite einen Durchbruch erzielen können, nun waren die Athener allerdings gezwungen, Leonnatos entgegenzuziehen, um verhindern zu können, dass sich seine Truppen mit denen des Antipatros vereinen konnten. In der Entfernung von etwa einem Tagesmarsch nördlich von Lamia (der Ort lässt sich nicht näher bestimmen)148 kam es zur Konfrontation. Die athenische Kaval lerie konnte ihre zahlenmäßige Überlegenheit ausspielen und die makedonischen Ein heiten zurückdrängen. Leonnatos entkam dem Getümmel nicht mehr lebend,149 und dem Großteil der makedonischen Truppen gelang die Rettung nur durch den Rück zug in gebirgiges Terrain.150 Die Griechen errichteten ein Tropaion, bargen die Gefal lenen und zogen sich zurück. Es ist dieser Erfolg – mit einem getöteten gegnerischen General und einer erfolgreich zurückgedrängten feindlichen Armee –, auf den der Epitaphios des Hypereides nur knapp und in merkwürdiger Zurückhaltung eingeht. Der sonderbare Umgang des Textes mit dem Erfolg wird verständlich, wenn die machtpolitischen Implikationen der Ereignisse in Rechnung gestellt werden. Denn um die Truppen des Leonnatos abzufangen, hatten die Griechen die Belagerung Lami
143 Zur Datierung: Walek 1924, 28 (gefolgt von Heckel 1992, 374 f.). 144 So gesehen bereits von Ferguson 1911, 17; siehe hierzu auch: Heckel 1992, 374 f. 145 Auf die Seeschlacht bei Abydos beziehen sich IG II/III2 398 a + 438 (dazu Walbank 1987, 10–12) und IG II/III2 493 (dazu Heckel 1992, 374 f.); zu beiden Inschriften siehe auch Ashton 1977, 7; Goukowsky 1978, 126; Morrison 1987, 94. 146 Heckel 1992, 105. 147 Diese Zahlen nennt jedenfalls Diod. 18.14.5; siehe auch Heckel 1992, 105 f.; Heckel 2006, 150. 148 Diod. 18.15.5 gibt die Entfernung an; siehe auch Heckel 1992, 106. 149 Diod. 18.15.3; Iust. 13.5.14; siehe auch Plut. Phō k. 25.5; Strab. 9.5.10. 150 Diod. 18.15.4.
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as aufgeben müssen: Diodor berichtet glaubwürdig, dass die Griechen ihr Lager zer störten, und verdeutlich damit die Unumkehrbarkeit der operativen Entscheidung.151 Um einen mittel- bis langfristigen Vorteil erringen zu können, hätten die Griechen die Truppen des Leonnatos nicht nur zurückdrängen, sondern regelrecht zerschlagen müssen. Die Tatsache, dass es den Athenern im Wesentlichen nur gelungen ist, den gegnerischen General zu töten, war im Grunde sogar ein entscheidender Nachteil für die nominellen Sieger: Denn Leonnatos war zweifelsohne auch deshalb so bereitwillig nach Griechenland gezogen, um dort Antipatros entmachten und das Gebiet unter seine eigene Kontrolle bringen zu können. Durch den Tod des Leonnatos konnte An tipatros (der sich mit seinen Einheiten bereits am Tag nach den Ereignissen am Ort des Geschehens einfand)152 nun gänzlich konfliktfrei die Truppen seines verstorbenen Rivalen übernehmen und verfügte damit über eine Machtposition, die ihn als ernst zunehmende Größe im Ringen um das Erbe Alexanders und zugleich als akute Bedro hung der antimakedonischen Allianz erscheinen lassen musste: In Analogie zum Kon zept des Pyrrhossieges könnte hier von einem Antiphilossieg gesprochen werden – im Sinne eines Sieges, der die unterlegene Partei effektiv stärkt. Da die griechische Allianz in den zurückliegenden Monaten mehrfach ihre Schlag kraft unter Beweis gestellt hatte, war Antipatros vorausschauend genug, nicht un mittelbar eine direkte Entscheidung zu suchen, sondern zunächst noch weitere Un terstützung anzufordern. Zugleich verzichtete auch Antiphilos auf einen direkten Angriff, was ihm in der Forschung teils als mangelnde Entscheidungskraft ausgelegt wird: Der Stratege und seine Soldaten werden aber erkannt haben, dass eine direkte Konfrontation angesichts der frisch vereinten makedonischen Truppen keine sicheren Erfolgsaussichten bot. Antipatros konzentrierte sich also auf den geordneten Rückzug und Antiphilos auf die Observierung der feindlichen Truppenbewegungen. Durch parallele Entwicklungen weiter östlich verschob sich das Machtverhältnis in dieser Konstellation noch weiter zu Gunsten der Makedonen: Denn der überzeugenden Er eignisrekonstruktion von Waldemar Heckel zufolge hatte Antipatros nach dem Tod des Leonnatos den makedonischen Feldherrn Krateros um Beistand gebeten, und die Flotte des Kleitos scheint speziell aus der Levante in Richtung Westen aufgebrochen zu sein, um den Zug des Krateros nach Europa zu decken.153 In Mittelgriechenland trat damit Ende Mai / Anfang Juni 322 zunächst eine Phase der militärischen Deeskalation ein, es muss aber allen Beteiligten klar gewesen sein, dass dies nur als Ruhe vor dem eigentlichen Sturm zu verstehen war: Es zeichnete 151 Diod. 18.15.1: οἱ δὲ Ἕλληνες λύσαντες τὴν πολιορκίαν καὶ τὴν στρατοπεδείαν ἐμπρήσαντες … 152 Diod. 18.15.5. 153 Cary 2. Aufl. 1951, 383 hat festgestellt, dass Kleitos nicht vor April 322 in der Levante aufgebrochen sein kann. Heckel 1992, 375 zieht daraus den Schluss, dass Kleitos nicht nach Westen gezogen ist, um die Hellespont-Querung des Leonnatos zu ermöglichen, sondern um das Übersetzen des Kra teros zu ermöglichen, der von Antipatros offenbar erst nach der Niederlage des Leonnatos zu Hilfe gerufen worden ist.
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sich eine militärische Konfrontation ab, in der Makedonien nun deutlich besser daste hen würde als in allen vorausgegangenen Zusammenstößen seit Alexanders Tod. Den Athenern war die drohende Gefahr nur zu deutlich bewusst – dies zeigt sich schon darin, dass sie nach dem Sieg über Leonnatos einen großen Teil der Schiffe, über die sie nach der Niederlage bei Abydos noch verfügten, mit dem (letztlich nicht zu errei chenden) Ziel in die Ägäis entsandten, Kleitos zu stoppen. Es waren diese Vorzeichen, unter denen im Frühling 322 ein Großteil der athenischen Bürger, die nun eine etwa sechs Monate lange Militäroperation hinter sich hatten, nach Attika zurückkehrten und ihre Gefallenen – unter ihnen Leosthenes – bestatteten. Vor diesem Hintergrund lässt sich die eigentliche Stoßrichtung des Epitaphios erfassen: Die Vermutung, dass Hypereides den Sieg über Leonnatos deshalb so zu rückhaltend behandelt hat, weil dieser Sieg paradoxerweise die Erfolgsaussichten des antimakedonischen Bündnisses signifikant reduziert hat, habe ich bereits formuliert: Ausgehend von der düsteren Zukunftsperspektive, die sich Athen im Frühling 322 ge boten haben muss, verweisen nun auch die Heroisierung des verstorbenen Strategen und die Sakralisierung des athenischen Freiheitskampfes über die rein literarische Topik hinaus in den Raum des Politischen: Sie dienten Hypereides dazu, die antima kedonische Politik Athens zu konsolidieren, die Geschlossenheit der Bürgerschaft zu befördern und den ideologischen Boden der Kampfbereitschaft zu festigen – oder an ders formuliert: Der Epitaphios des Hypereides zielte ganz unmittelbar darauf ab, die Mitbürger auf den Entscheidungskampf einzuschwören. So ist auch folgerichtig, dass sich der Epitaphios kaum mit den vergangenen Errun genschaften Athens befasst (ausgenommen nur die jüngsten Erfolge im Lamischen Krieg): Der Text konzentriert sich vielmehr darauf, die Ratio einer Haltung zu entwi ckeln, die aus der Pflicht zum Freiheitskampf das Prinzip einer heroischen Todesver achtung deduziert. Aufschlussreich ist insbesondere § 20: Hypereides geht hier von der im perfektiven Verbalaspekt des Aorist formulierten rhetorischen Frage aus, wel che Folgen mangelndes Pflichtbewusstsein der unter Leosthenes kämpfenden Athe ner gezeitigt hätte, und konstruiert dann sprachlich geschickt die Überleitung in eine präsentische Satzstruktur, aus der die Gräuel einer makedonischen Willkürherrschaft hervorgehen.154 So gelingt die gedankliche Übertragung auf die akut-aktuelle Problem lage – und damit kein Leser die Implikationen des unmittelbaren Zeitbezugs verpasst, wird der Verweis auf die gegenwärtige Lage dann nochmals gesondert expliziert:155 Aus
154 Hyp. 6.(7)20–6.(8)20: ἄξιον || τοίνυν συλλογίσασθαι καὶ τί ἂν | συμβη˜ ναι νομίζοιμεν μὴ κα|τὰ τρόπον τούτων ἀγωνισα|μένων. α῏ ρ’ οὐκ ἂν ἑνὸς μὲν δεσ|πότου τὴν οἰκουμένην ὑπήκο|ον ἅπασαν ει῏ναι, νόμωι δὲ τω˜ ι | τούτ‹ου› τρόπωι ἐξ ἀνάγκης χρη˜ σ|θαι τὴν Ἑλλάδα; συνελόντα | δ’ εἰπει˜ν τὴν Μακεδόνων ὑ|περφανί α̣ ν καὶ μὴ τὴν του˜ | δικαίου δύναμιν ἰσχύειν | παρ’ ἑκάστοις, ὥστε μήτε | γυνα‹ι›κω˜ ν μήτε παρθένων | μηδὲ παίδων ὕβρ‹ε›ις ἂν ἐκ|λείπτους ἑκάστοις καθεστά|ναι. 155 Hyp. 6.(8)21: φανερὸν δ’ ἐξ ω῟ ν ἀναγ|καζόμεθα καὶ νυ˜ ν ἔ̣[στ]ι („Das zeigt sich an dem, was wir auch jetzt gezwungenermaßen zulassen müssen“).
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dem Istzustand ergibt sich die Dringlichkeit und Dramatik des zum Appell umfunk tionierten Lobes. Hypereides hat den Epitaphios im Kern als Aufruf an die Opferbereitschaft der athenischen Bürgerschaft konzipiert: Die Adressaten seines Textes waren Mitglieder der Wehrgemeinschaft, die von Hypereides’ militaristischem Plädoyer zugleich exis tenziell betroffen waren. Dass die Forderung, der Konfrontation nicht auszuweichen, sondern den Kampf zu suchen, seine Leser mit der Aussicht auf den möglichen Tod im Felde konfrontierte, war Hypereides bewusst – auffallend intensiv arbeitete er sich an der Entwicklung literarischer Strategien ab, mit denen sich das Sterben im Krieg hero isch konzeptionalisieren ließ: Die zu Tode gekommen Bürgersoldaten, auf die sich sein Lob bezieht, als ἀπολωλότες – die Getöteten – zu bezeichnen, weist Hypereides in § 27 ausdrücklich zurück; in § 28 wird analog auch die Wendung ἐκλελοιπέναι | τὸν βίον ab gelehnt. Stattdessen wählt Hypereides Formulierungen, die eine freiwillige Selbstauf opferung für die hehren Ziele unterstellt, die mit dem Kampf verbunden waren: Die Gefallenen „gaben ihr Leben auf “ (§ 26: τὸ | ζη˜ ν ἀνήλωσαν) oder „sie haben das Leben gegen eine unsterbliche Stellung eingetauscht“ (§ 27: ἀλλὰ̣ τω˜ ν τὸ ζη˜ ν | ‹ε›ἰς αἰώ[ν]ι ̣ον τάξιν με|τηλλα[χό]των ἕξουσιν). Die Aussicht auf die Freiheit von ganz Hellas, die Sicherheit der athenischen Bürgerschaft und der ewige Ruhm werden dieser Logik untergeordnet: Der Epitaphios des Hypereides ruft auf zur ultimativen Selbstaufgabe. Von besonderem historischem Interesse ist, dass ihm dies im Jahr 322 nicht mehr auf der Basis der demokratischen Ideologie alleine gelingen konnte, die ihre gesellschaft liche Bindewirkung bereits erkennbar eingebüßt hatte und im Epitaphios fast keine Rolle mehr spielt: Die Pflicht zum todesmutigen Einsatz für die Freiheit von Hellas wird nicht über die traditionellen Axiome der Polisideologie abgeleitet, sondern sie wird aus einer heroischen Überhöhung der Führungsfigur, einer Sakralisierung des Politischen und einer entsprechenden Rekonzeptionalisierung des soldatischen Bür gertodes gewonnen. Die hier entwickelte Interpretation bezieht sich zunächst auf den literarischen Text. Wie verhält sich dieser Epitaphios nun zu jener Rede, die Hypereides im Rahmen der öffentlichen Gefallenenbestattung im Frühling 322 in Athen gehalten hat? Eine heuris tisch tragfähige Basis, auf der sich diese Frage detailliert und zweifelsfrei beantworten ließe, lässt sich kaum gewinnen. Auch hier gilt grundsätzlich, dass sich das Lesepub likum vom Auditorium der Gefallenenrede unterscheidet und ein literarisches Werk grundsätzlich andere Rezeptionsbedingungen aufweist als das im Rahmen einer öf fentlichen Zeremonie gesprochene Wort (siehe dazu die entsprechenden Überlegun gen in der Einleitung). Auch Hypereides’ Epitaphios ist mit Blick auf ein Lesepubli kum konzipiert: Die Aufforderung zur selbstlosen Aufopferungsbereitschaft für die Freiheit der Polis wollte Hypereides offenbar speziell in den Kreisen der literarischen Elite verstärken. Zugleich spricht nichts gegen die Annahme, dass Text und Rede im Grundtenor, in den Topoi und in den Argumentationslinien auf vergleichbare oder gar auf gleiche Weise konzipiert waren: Besonders diffizile Argumentationsmuster oder
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eine subtile Auseinandersetzung mit der Tradition der klassischen Epitaphioi Logoi lässt sich nicht in einem Maße erkennen, das beispielsweise mit dem demosthenischen Epitaphios vergleichbar wäre. Da sich der Text nicht auf historische Ereignisse bezieht, die in die Zeit nach der Bestattung fallen, liegt die Annahme nahe, dass die Schrift in zeitlicher Nähe zur Grablege der Gefallenen in Umlauf gelangt ist. Mehr lässt sich über das Verhältnis von Schrift und Rede nicht mit Sicherheit sagen. *** Demosthenes und Hypereides hatten – auf je eigene Weise – ihre Worte und ihre Schriften wirkungsvoll eingesetzt, um die Ideologie der athenischen Autonomie und gesamtgriechischen Freiheit gegenüber dem ausgreifenden makedonischen Machtge bilde zu konsolidieren. Nach allem, was sich sagen lässt, haben beide Akteure auch ihre Gefallenenreden genutzt, um die Rolle Athens in der veränderten weltpolitischen Gesamtkonstellation nicht nur zu reflektieren, sondern auch zu profilieren. Die hierauf in schriftlicher Form in Umlauf gelangten Epitaphioi Logoi verstärkten in den Kreisen der literarischen Elite die Impulse, die ihre Autoren zuvor in zeremoniellem Setting mit dezidiertem Rückhalt der Bürgergemeinschaft setzen konnten: In beiden Fällen haben wir es mit Texten zu tun, die als prägnante Beiträge zum politischen Diskurs ihrer Zeit konzipiert waren: Die Entwicklung einer Perspektive für Athen jenseits der Abhängigkeit von Makedonien ist das eigentliche Ziel beider Texte. Es war also kein Zufall, dass ausgerechnet die Namen der beiden letzten Gefalle nengrabredner und Epitaphienschreiber der klassischen Ära ganz weit oben standen auf Antipatros’ Todesliste: Demosthenes konnte sich selbst im Exil dem Zugriff der makedonischen Kopfgeldjäger nur durch den Biss in ein zu Zwecken der Selbsttötung mit Gift präpariertes Schreibgerät entziehen;156 und bei Hypereides genügte den Häs chern nicht die bloße Ermordung des Redners, man schnitt ihm angeblich auch die Zunge heraus:157 Demosthenes’ Griffel und Hypereides’ Zunge sind eindrückliche Si gna dafür, dass die Geschichte des klassischen Epitaphios Logos nicht nur gemeinsam mit der athenischen Autonomie endet, sondern zugleich mit der klassischen Demo kratie und der ihr eigenen Rhetorik.
156 Ps.-Plut. Bioi Rhēt. 847 a–b: αὐτὸν Φιλόχορος μέν φησι φάρμακον πιόντα Σάτυρος δ’ ὁ συγγραφεὺς τὸν κάλαμον πεφαρμάχθαι, ᾧ γράφειν ἤρξατο τὴν ἐπιστολήν, ου῟ γευσάμενον ἀποθανει˜ν· Ἐρατοσθένης δ’ ἐκ πολλου˜ δεδοικότα Μακεδόνας περὶ τῳ˜ βραχίονι κρίκον περικει˜σθαι πεφαρμαγμένον. 157 Plut. Dēm. 28.4: Ὑπερείδου δὲ καὶ τὴν γλω˜ τταν ἐκτμηθη˜ ναι λέγουσι. Für die Berichte über die Todesumstände von Demosthenes und Hypereides gilt: Se non è vero, è ben trovato …
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Bilanz Die Politisierung des Todes Texte und Kontexte Über alle Epochen und Kulturen hinweg stellt der soldatische Tod eines Bürgers im Einsatz für die Gemeinschaft ein erschütterndes Ereignis dar. Zu den Folgekosten eines (mitunter massenhaften) unnatürlichen Sterbens am Krieg beteiligter Bürger zählt ein gesellschaftliches Konfliktpotenzial, das sich auch durch aufwendige Seman tisierungen meist nur partiell einhegen lässt. Für den kulturellen Horizont der anti ken Geschichte lässt sich dieser Problemkomplex besonders eindrücklich im Athen der sogenannten „klassischen“ Zeit beobachten: Das athenische Gefallenenbegräbnis des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts offenbart, mit welchen Ideolo gemen die Bürgergemeinschaft eines mächtigen autonomen Stadtstaates in einer von wechselhaftem militärischem Geschick geprägten Phase innergriechischer Konflikte operiert hat, um im Angesicht ihrer im Einsatz für Polis und Archē Gefallenen die spe zifisch athenische Liaison von demokratischer Verfassung und hegemonialem Füh rungsanspruch zu legitimieren. Das Corpus erhaltener Epitaphioi Logoi („Grabreden“) diente der Forschung stets als wichtigstes Zeugnis für die Rekonstruktion der Ideologie einer Einheit von Macht und Demokratie in Athen. Der historische Quellenwert der überlieferten Texte wurde und wird darin gesehen, dass sie ein getreues Abbild jener Reden zu bieten scheinen, die im Rahmen des athenischen Gefallenenbegräbnisses gehalten wurden. Die vorlie gende Arbeit stellt den etablierten Zugang zu dieser Textgruppe grundsätzlich infrage: Im Zuge einer umfassenden Neubestimmung der Struktur, Funktion und Dynamik des klassischen athenischen Gefallenenbegräbnisses einerseits (erster Teil der Arbeit) und der literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi andererseits (zweiter Teil) zeigt sich, dass die Texte nur bedingt als verlässliche Reflexe der tatsächlich im Rahmen des athenischen Gefallenenbegräbnisses gehaltenen Reden zu verstehen sind – sie stellen vielmehr literarisch überformte intellektuelle Auseinandersetzungen mit der Ideolo gie des Kerameikos dar. Auf je eigene Weise heben sich die Texte von den oral prä sentierten Grabreden und den dort virulenten Deutungsmustern ab: Sie erzeugen im politischen Diskurs ihrer Zeit (teils mit affirmativen Narrativen, teils subtil kritisch bis
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offen polemisch) fein kalibrierte Spannungsfelder, die als solche bislang kaum erfasst und historisch eingeordnet wurden. Eine umfassende Neubewertung der Gattung – im Wechselverhältnis mit einer Neubestimmung des Gefallenenbegräbnisses selbst – führt ins Zentrum der Auseinandersetzung griechischer Autoren mit der prekären Machtpolitik Athens und ihren innen- wie außenpolitischen Effekten. Die Notwendigkeit, die eigentlichen Gefallenenreden einerseits und die literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi andererseits analytisch sauber voneinander zu schei den, ergibt sich aus einer Reihe simpler Beobachtungen und einer ergänzenden Über legung: Die Beobachtungen beziehen sich auf den Umstand, dass uns grundsätzlich andere Evidenzen für die Reden vorliegen als für die literarische Auseinandersetzung mit den Reden: Spätestens für das Jahr 439 können wir – mit der Rede des Perikles nach dem Sieg Athens über Samos – die Institution der Gefallenenrede als besonde ren Bestandteil des athenischen Gefallenenbegräbnisses historisch greifen, vermut lich gehen die Reden als Bestandteil des öffentlichen Bestattungszeremoniells aber noch deutlich weiter zurück – vielleicht in die 460er Jahre, vielleicht in die Zeit der Perserkriege, vielleicht sogar in die kleisthenische Zeit. Doch obgleich im demokrati schen Athen die öffentliche Festansprache eines von der Bürgerversammlung gewähl ten Redners zu einem wichtigen Bestandteil der zeitweise mit hoher Regelmäßigkeit durchgeführten Gefallenenbestattung wurde, können wir von sämtlichen Reden die ser Art, die in klassischer Zeit gehalten wurden, in gerade einmal fünf (oder höchstens sechs) Fällen den Redner benennen: Zweimal Perikles (439 und erneut 430), ferner Archinos und vielleicht auch Dion in der Frühphase des Korinthischen Krieges sowie Demosthenes (338) und Hypereides (322). Noch bemerkenswerter ist, dass von al len Rednern einer Gefallenenrede nur drei auch einen schriftlichen Epitaphios Logos in Umlauf gebracht haben (Archinos, Demosthenes und Hypereides) – und dass der doch scheinbar so naheliegende Weg vom Redner zum Autor eines Epitaphios Logos erst Ende der 390er Jahre erstmals beschritten wurde – in einer Zeit, in der das athe nische Gefallenenbegräbnis bereits letztmalig in der von Thukydides beschriebenen Form des Patrios Nomos als jahrweise durchgeführte Kollektivbestattung sämtlicher Gefallener einer ganzen Kriegssaison durchgeführt wurde. Die Evidenz für die literarische Verarbeitung der Gefallenenrede stellt sich ganz anders dar: Die frühesten Indizien für eine literarische Auseinandersetzung mit der athenischen Gefallenenrede reichen nicht weiter als zu den 420er Jahren zurück: Der erste Epitaphios Logos, der für die Rezeption durch eine intellektuelle Leserschaft konzipiert und als eigenständige Schrift in Umlauf gebracht wurde, stammt mit einiger Wahrscheinlichkeit aus der Feder des Rhetors Gorgias von Leontinoi. Die nur frag mentarisch erhaltene Schrift datiert wahrscheinlich in die späten 420er Jahre und ist vor dem Hintergrund einer breiteren Auseinandersetzung griechischer Autoren mit den innergriechischen militärischen Konflikten im letzten Drittel des fünften Jahrhun derts zu sehen. So deuten etwa vage Spuren in der späteren Überlieferung darauf hin, dass in der Zeit des Archidamischen Krieges wenigstens einige Wendungen aus der
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Samischen Rede des Perikles in literarischer Form verarbeitet wurden (möglicherwei se existierte in dieser Zeit eine Nachempfindung der Rede aus der Feder eines uns un bekannten Autors); Versatzstücke des Genres – speziell der Tatenkatalog – lassen sich auch in Herodots Historien greifen. Insgesamt kann für diese Phase eine zunehmende Sensibilität griechischer Autoren für die gesellschaftliche Tragweite des soldatischen Todes im Kontext innergriechischer Konflikte konstatiert werden – bei Euripides und Gorgias auch gekoppelt mit dem eindrücklichen Topos des unbestatteten Gefallenen. Wir können hier in der ersten Phase des Peloponnesischen Krieges ein Interesse griechischer Autoren an der literarischen Auseinandersetzung mit der Ideologie der athenischen Gefallenenbestattung nachvollziehen. Den historischen Kontext bilden die erheblichen Verwerfungen innerhalb der griechischen Poliswelt, die maßgeblich von der athenischen Machtpolitik hervorgerufen wurden und schließlich gegen Ende des fünften Jahrhunderts im vorläufigen Untergang der athenischen Vormachtstellung münden sollten. Die literarischen Konzepte, die dabei entwickelt wurden, erweisen sich als intellektuelle Reaktion auf die folgenreiche demokratisch fundierte Machtpo litik Athens, die ihren prägnantesten Ausdruck in der athenischen Gefallenenbestat tung fand. Das literarische Milieu, das damit in den Blick gerät, unterscheidet sich grundsätzlich von den Entstehungs- und Wirkungskontexten der Reden, die im Rahmen der Gefal lenenbestattung in Form mündlicher Ansprachen an die versammelte Festgemeinde gehalten wurden: Während die Reden ihre integrative Funktion der Selbstvergewis serung der athenischen Bürgergemeinschaft in der Hochphase einer ungebrochenen athenischen Machtvollkommenheit entfaltet haben, vollzog sich die Entwicklung des literarischen Genres in einer spannungsgeladenen Konstellation der griechischen Po liswelt, in der sich die Desintegrationspotenziale der athenischen Hegemonialpolitik zu einem offenen Konfliktfeld verschärfen sollten. Während also in den 420er Jahren diejenigen Athener, denen der Dēmos die Ehre übertragen hatte, die öffentliche Ge fallenenrede zu halten, in den Strukturen eines etablierten Modells oraler Rede die Legitimation der athenischen Machtpolitik betrieben, entwickelten die ersten Auto ren literarische Verarbeitungen einzelner Aspekte der athenischen Gefallenenreden oder – wie im Falle des Gorgias – auch ihrer gesamten Form und trugen damit zur Genese eines neuen literarischen Genres bei, mit dem sich die Folgekosten der atheni schen Machtpolitik taxieren ließen. Von diesen Anfängen ausgehend wird der Epitaphios Logos als literarisches Kon zept dann bis ins Jahr 380 hinein von Autoren dominiert, die nie selbst als Redner ei ner Gefallenenrede aufgetreten sind: Nach den genannten Anfängen setzt sich die Rei he fort mit Thukydides (dessen Historien erst nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges in Umlauf gelangt sind), Lysias, Platon und Isokrates. Die Liste der Autoren zeigt, dass der Diskurs- und Resonanzraum des literarischen Epitaphios Logos über Athen hinausweist: Mit Gorgias und Lysias zählten zu den Autoren ausgerechnet zwei prominente Nichtathener – während Thukydides, Platon und Isokrates zwar Athener
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waren, aber eine über Athen hinausreichende Leserschaft im Blick hatten und eine auf je eigene Weise kritische Haltung zur athenischen Machtpolitik und demokratischen Verfassung Athens einnahmen. Dass sich gegen Ende der 390er Jahre mit Archinos erstmals auch ein Redner einer tatsächlichen Gefallenenrede als Autor eines Epita phios Logos versucht hat, erscheint vor diesem Hintergrund geradezu als erklärungs bedürftige Ausnahme. Bemerkenswert ist auch, dass die Hochphase der literarischen Auseinandersetzung mit der athenischen Gefallenenrede in die Zeit von 400 bis 380 und damit speziell in die Phase einer tiefgreifenden Krise des athenischen Hegemonialstrebens, der athenischen Demokratie und des athenischen Gefallenenbegräbnisses fällt: In diesem Zeitraum wurde die athenische Gefallenenbestattung nach allem, was wir wissen, nur noch ein einziges und zugleich letztes Mal überhaupt noch in der von Thukydides beschriebenen Form als Jahresbestattung durchgeführt. An diese Beobachtungen schließt sich eine ergänzende Überlegung an: Es scheint zunächst nicht mehr als ein Allgemeinplatz zu sein, dass Reden kommunikativ an ders funktionieren als Schriften und entsprechend anders zu untersuchen und anders zu verstehen sind, doch im Fall der klassischen Epitaphioi Logoi ist die Problematik nochmals deutlich verschärft: Wir müssen für die Reden einerseits und die Texte an dererseits nicht nur die auch in anderen Genera greifbaren Differenzen in Vermittlung und Rezeption in Rechnung stellen, sondern wir haben es mit weitgehend distinkten gesellschaftlichen und diskursiven Kontexten zu tun, aus denen die Gefallenenrede ei nerseits und der literarische Epitaphios Logos andererseits hervorgegangen sind und kulturell wirksam wurden. Unter dieser Voraussetzung die Texte als historische Con tainer ideologischer Versatzstücke der eigentlichen Reden zu behandeln und auf die Analyse dieser vermeintlichen Diskursrelikte die Hoffnung auf ein besseres Verständnis des athenischen Gefallenenbegräbnisses zu gründen, führt in die Irre: Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab, die historische Wirkmacht der Texte zunächst in ihren je eigenen Kontexten aufzuweisen und in einem methodisch getrennten Verfahren die historische Dynamik der athenischen Gefallenenbestattung aufzuarbeiten – und erst von dieser doppelten Grundlage aus die beiden Phänomene miteinander in Beziehung zu setzen. Auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexte der Reden einerseits und der Texte andererseits weisen auch die starken Divergenzen in der Überlieferungslage hin: Während uns keine Mitschriften oder authentische Manuskripte der Reden vorliegen und nur drei Redner (von insgesamt vielleicht 80 bis 110 Reden dieser Art, die im fünf ten und vierten Jahrhundert gehalten wurden) auch einen literarischen Epitaphios Lo gos in Umlauf gebracht haben, gibt es – von den vagen Hinweisen auf eine mögliche Nachempfindung der Samischen Rede des Perikles abgesehen – keine Indizien dafür, dass in klassischer Zeit über die uns heute bekannten Texte hinaus noch weitere, in Form eigenständiger Schriften konzipierte Epitaphioi Logoi in Umlauf waren. Anders formuliert: Während sich das Corpus der Reden dem direkten historischen Zugriff weitestgehend vollständig entzieht, verfügen wir über ein wohl weitgehend vollstän dig erhaltenes Corpus an literarischen Epitaphioi Logoi.
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Diese Texte lassen sich freilich nur in ihrer Beziehung zum athenischen Gefalle nenbegräbnis verstehen, auch wenn diese Beziehung gerade nicht darin besteht, dass uns die literarischen Epitaphioi Logoi einen Spiegel der mündlichen Reden bieten würden, die im Rahmen der Begräbnisse gehalten wurden: Wie die vorliegende Un tersuchung zeigt, arbeiten sich die Autoren der literarischen Epitaphioi Logoi analy tisch sezierend an der Ideologie des Kerameikos ab – selbst dort, wo (wie bei Lysias) eine grundsätzlich affirmative Einstellung gegenüber der athenischen Demokratie zu Grunde liegt. Die Texte lassen sich damit sinnvoll nur auf der Basis eines genauen Ver ständnisses der historischen Dynamik der athenischen Gefallenenbestattung unter suchen, die den gesellschaftlichen Träger der Ideologeme darstellt, deren literarischer Verarbeitung wir im Epitaphios Logos begegnen. Bisher basiert die historische Re konstruktion des Rituals allerdings in entscheidenden Punkten auf der Scheinevidenz der literarischen Epitaphioi Logoi – einer Scheinevidenz, die sich ergibt, wenn die Texte als bloße Epiphänomene des Rituals gelesen werden: So konnte sich die eta blierte Meistererzählung vom athenischen Gefallenenbegräbnis der klassischen Zeit auf einem Zirkelschluss entfalten, von dessen selbstbezüglicher Interpretationslogik die vorliegende Studie das Gefallenenbegräbnis und den Epitaphios Logos gleicher maßen zu befreien sucht. Nicole Loraux hat viel für das Verständnis des politischen imaginaire im klassischen Athen geleistet und wichtige Impulse speziell für das Verständnis der Ideologie des Kerameikos gesetzt. Ihr Ansatz hat allerdings auch die Tendenz begünstigt, auf eine methodisch strikte Trennung zwischen der Analyse der überlieferten Texte einerseits und der im Gefallenenbegräbnis mündlich vorgetragenen Reden andererseits zu ver zichten. Loraux begründet ihr Vorgehen mit der Abhängigkeit der literarischen von der mündlichen Tradition, ihr Werk zeugt aber auch davon, dass sie sich der beson deren Suggestivkraft, die Thukydides’ Rede vom Patrios Nomos (2.34) entfaltet hat, letztlich nicht gänzlich entziehen konnte: Die Vorstellung, dass das Ritual in der in den Historien als Jahresbestattung beschriebenen Form in die frühklassische Zeit zurück geht und über den Peloponnesischen Krieg hinaus bis zum Ende der athenischen Au tonomie fortbestand, ist nicht zuletzt auch wegen Lorauxs Deutung der literarischen Zeugnisse so omnipräsent. Gerade mit Blick auf die Frage, wie wir uns die Genese dessen vorzustellen haben, was Thukydides als Patrios Nomos im Sinne der Jahresbestattung beschreibt, zeigt sich besonders deutlich, dass sich die erzählerische Logik der Texte nur vor dem Hinter grund eines unabhängigen Zugriffs auf die Entwicklung des Bestattungsrituals über zeugend erfassen lässt. Vermeintlich suggeriert Thukydides mit dem Konzept des Pa trios Nomos das besondere Alter des Rituals, was eine Bestätigung darin zu finden scheint, dass er die Bestattung der Marathonomachoi außerhalb Athens zur Ausnah me von der Regel erklärt. Der Umstand, dass Pausanias in seiner Beschreibung der Monumente im Kerameikos auf ein Grabmal derjenigen Athener verweist, die „vor dem Perserkrieg“ im Kampf gegen die Aigineten zu Tode gekommen seien (1.29.7),
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scheint das außergewöhnliche Alter der von Thukydides beschriebenen Bestattungs praxis zu bestätigen. Das Deutungsmodell prägt bis heute den Blick der Forschung auf die Frühphase des athenischen Gefallenenbegräbnisses, die materielle Evidenz wird hier gerne eingepasst: Jedes Fragment einer Gefallenenliste, die sich grob in die ers ten drei bis vier Jahrzehnte nach dem Ende der athenischen Tyrannis datieren lässt, lässt sich auf diese Weise tendenziell als Bestätigung des Gesamtbildes werten; die Communis Opinio geht entsprechend von einer allmählichen Konkretisierung der von Thukydides beschriebenen Besonderheiten der athenischen Bestattungspraxis im Zeitraum von den kleisthenischen Reformen bis in die Frühphase des Seebunds aus. Tatsächlich zeigen sich im epigrafischen Befund bereits unmittelbar nach den kleis thenischen Reformen signifikante Neuerungen in der Praxis der athenischen Gefal lenenbestattung (erstes Kapitel): Zur Norm wird nun eine isonome Gefallenenbe stattung, in der sämtliche Gefallenen einer militärischen Operation unabhängig von ihrem jeweiligen sozialen Status als gleichrangige Streiter für das gemeinsame Unter fangen gewürdigt werden: Abgesehen von den gefallenen Strategen, die in den Listen als solche ausgewiesen werden konnten, werden die im Kampf ums Leben gekomme nen Bürger lediglich mit ihren Rufnamen gelistet. Statusindikatoren (etwa Patronymi ka, Demotika oder Rangbezeichnungen) werden nicht angeführt. Ein entscheidender Aspekt dessen, was Thukydides als konstitutiv für den Patrios Nomos gewertet hat, scheint für die Zeit vor Mitte der 460er Jahre im materiellen Befund indes noch nicht auf: Die gemeinsame Bestattung von Gefallenen, die an unterschiedlichen Einsatzor ten ums Leben gekommen waren. Im materiellen Befund lässt sich eine Kollektivbestattung von Gefallenen mehrerer Einsatzorte erstmals in den Fragmenten eines im Kerameikos vor den Toren Athens errichteten öffentlichen Grabmonuments mit einer nach Phylen und Einsatzorten ge gliederten Liste der Gefallenen greifen (zweites Kapitel); die Fragmente sind in den Inscriptiones Graecae unter der Nummer IG I3 1144 (evtl. mit IG I3 1145 und IG I3 1146) [Abb. 5 und 6] verzeichnet, das Monument datiert um 464(?), in der Frühphase der athenischen Operationen in Thrakien, vermutlich noch vor der Niederlage bei Dra beskos. Auch wenn hier in einer öffentlichen Bestattung (offenbar erstmals) Gefallene von unterschiedlichen Einsatzorten – und wahrscheinlich auch von verschiedenen Kampagnen – zusammengeführt wurden, so ist mit Blick auf den historischen Kon text zugleich unwahrscheinlich, dass hier bereits die Institution der Jahresbestattung begründet werden sollte, wie sie von Thukydides beschrieben wird – also eine Kollek tivbestattung sämtlicher über eine gesamte Kriegssaison hinweg im Kampf für Athen Gefallenen: Die außergewöhnliche Konstellation einer gemeinsamen Kollektivbestat tung über operativ getrennt durchgeführte Kampagnen politisch rivalisierender Stra tegen hinweg scheint hier situativ mit Blick auf den Einzelfall konzipiert worden zu sein, um es speziell Kimon (der kurz zuvor die Bestattung der am Eurymedon Gefal lenen für seine eigene Profilierung zu nutzen gewusst hatte) zu erschweren, das sym bolische Kapital einer öffentlichen Gefallenenbestattung in Athen zu monopolisieren.
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Die Institution der eigentlichen Jahresbestattungen, wie sie Thukydides beschreibt, scheint erst in den frühen 450er Jahren begründet worden zu sein – den historischen Kontext bilden innenpolitisch die demokratischen Reformen nach dem Sturz Kimons sowie außenpolitisch die Konsolidierung der athenischen Archē. Wie das zweite Ka pitel zeigt, lässt sich die erste Bestattung dieser Art mit einiger Sicherheit in IG I3 1147 (+ IG I3 1147 bis[?]) [Abb. 7] aus dem Jahr 459/458 (oder 460/459) greifen. Die be merkenswerte Innovation im Gefallenengedenken, die sich hier spiegelt, wurde wahr scheinlich per Beschluss der Bürgerversammlung eingeführt; gewisse Indizien deuten darauf hin, dass in diesem Zuge auch organisatorische Fragen und Zuständigkeiten rund um das Bestattungsritual neu geregelt wurden (möglicherweise wurde in diesem Zusammenhang auch festgelegt, dass die Bürgerversammlung nach einem Probuleu ma durch den Rat den Festredner bestimmt). Dass in der Jahresbestattung ältere Formelemente der isonomen Gefallenenbestat tung integriert, weitergeführt und verdichtet wurden, bedeutet also keineswegs, dass die athenische Jahresbestattung aus selbstläufigen und folgerichtigen Entwicklungs tendenzen hervorgegangen wäre. Die hauptsächlich intendierte Konsequenz der neu en Praxis scheint gewesen zu sein, dass ein einzelner Stratege nun kaum mehr die Mög lichkeit haben konnte, das Gefallenenbegräbnis exklusiv auf die von ihm geleiteten Operationen zu beziehen und so als Bühne der Inszenierung seines Erfolges zu nutzen. Wir sehen daher auch in den Jahresbestattungen eine ganz andere Semantisierung des Gefallenengedenkens: Während sich zuvor starke Tendenzen einer Aufladung der Ge fallenenbegräbnisse mit Konzepten von Sieghaftigkeit greifen lassen, begegnen wir in den Jahresinventaren athenischer Gefallener den menschlichen Opfern, die die Polis für den Bestand der Archē zu erbringen hatte – und zwar unabhängig davon, ob der Tod der Bürger zu einem militärischen Erfolg beitragen oder die Niederlage des athe nischen Aufgebots nicht verhindern konnte. Die neue Bestattungsform hat regelrechte Jahresinventare der menschlichen Opfer hervorgebracht, die die athenischen Bürger für den Erhalt ihrer Polis und ihrer Archē zu erbringen bereit waren. Auch wenn an den Jahresbestattungen über Jahrzehnte hinweg mit bemerkenswer ter Konsequenz festgehalten wurde, so stellte die neue Institution doch zugleich eine äußerst voraussetzungsreiche Praxis dar, die in den Jahrzehnten bis zum Ende des Pe loponnesischen Krieges offenbar erheblichen Belastungsproben ausgesetzt war: Im dritten Kapitel wird näher in Augenschein genommen, wie im letzten Drittel des fünf ten Jahrhunderts der isonome Grundkonsens zunächst mehrfach punktuell aufbrach, um sich nach dem verheerenden Ausgang der Sizilienexpedition dann weitgehend auf zulösen: So scheint es Perikles nach dem Sieg Athens über Samos im Jahr 439 gelun gen zu sein, eine gesonderte Bestattung der in diesem Konflikt gefallenen Mitbürger durchzusetzen und damit (vergleichbar mit Kimon nach dessen Sieg am Eurymedon) eine Bühne für die Inszenierung seiner eigenen Leistung als Stratege zu gewinnen. Auch die Bestattung der Gefallenen nach der Schlacht von Potidaia im Jahr 432 (zwei Fragmente eines entsprechenden Monuments haben sich erhalten: IG I3 1179 [Abb. 10
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und 11]) scheint außerhalb der Logik der Jahresbestattungen durchgeführt worden zu sein – auch hier war Perikles der maßgebliche Akteur. Dass der isonome Grundkonsens der Gefallenenbestattung in den 430er Jahren auseinanderzubrechen begann, kommt auch darin zum Ausdruck, dass spätestens ab 431/430(?) gesonderte Bestattungen für gefallene Reiter bezeugt sind (erstmals in IG I3 1181) und damit eine privilegierte Zensusklasse als solche in besonderer Weise ge genüber den übrigen Gefallenen hervorgehoben wurde. Einen deutlichen Einschnitt markiert dann insbesondere das Scheitern der Sizilienexpedition: Die Fragmente der athenischen Gefallenenlisten, die sich sicher in die darauf folgende letzte Phase des Peloponnesischen Krieges datieren lassen, zeugen durch eine Vielzahl an Nennungen unterschiedlicher militärischer Rang- und Funktionsbezeichnungen davon, dass die Inszenierung der Isonomie der athenischen Bürger von einer sozial differenzierenden Repräsentation abgelöst wurde. Vor dem Hintergrund dieser Neubewertung der außergewöhnlichen athenischen Praxis einer jahrweise vollzogenen Bestattung der Gefallenen im fünften Jahrhundert lassen sich auch die bisherigen Zugänge zur athenischen Gefallenenbestattung für die Zeit vom Ende des Peloponnesischen Krieges bis in die frühhellenistische Zeit hinein grundsätzlich revidieren (viertes Kapitel). Die Forschung geht bisher weitgehend ein hellig davon aus, dass die Jahresbestattung grosso modo unverändert bis zum Ende der athenischen Autonomie im letzten Drittel des vierten Jahrhunderts fortbestand. Be merkenswerterweise wurde diese Annahme nie systematisch überprüft. Eine kritische Sichtung der materiellen und literarischen Quellen für diese Phase zeigt nun aller dings, dass nach 404/403 zwar konsequent an der Rückführung der kremierten Gebei ne der Gefallenen nach Athen festgehalten wurde, die Jahresbestattung scheint aller dings nur noch ein einziges Mal durchgeführt worden zu sein: im Jahr 394 (IG II/III2 5221 [Abb. 27] und 5222 [Abb. 28 und 29]). Alle anderen athenischen Gefallenenbe stattungen im vierten Jahrhundert waren, soweit sich dies sagen lässt, als Kollektivbe stattungen konzipiert, mit denen (wie in der Zeit bis Mitte der 460er Jahre) nach dem Ende einer militärischen Unternehmung bzw. einer Kampagne zeitnah die Gefallenen des entsprechenden Konflikts beigesetzt wurden. Das Jahr 394, das erste Jahr des Korinthischen Krieges, stellt sich damit als ein ganz besonderes Datum dar: Erstmals nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges hat ten die Athener nun wieder Gefallene eines vom eigenen Dēmos autonom getroffenen Kriegsbeschlusses zu beklagen. Dabei hatte die athenische Bürgerschaft offenbar zu gleich beschlossen, die Gefallenen nun wieder gemäß dem Reglement der Jahresbe stattung erst am Ende der Kriegssaison gemeinsam zu bestatten. Da wir für die Zeit nach 394 keine stichhaltigen Indizien mehr für die Beibehaltung dieser vorausset zungsreichen Praxis haben, liegt die Annahme nahe, dass sich das Ritual – wohl wegen entsprechender gesellschaftlicher Widerstände – nicht nachhaltig wiederbeleben ließ. Als Profiteure der Rückkehr zur Praxis einer jeweils im Anschluss an eine militärische Kampagne durchgeführten Kollektivbestattung der Gefallenen kommen vor allem die
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politischen Entscheidungsträger und die Strategen infrage, die nun die Gefallenen bestattung wieder stärker zur Inszenierung ihrer eigenen Erfolge nutzen konnten: Es scheint kein Zufall zu sein, dass erst unter diesen Voraussetzungen Athener, die als Ge fallenenredner auftraten, auch dazu übergegangen sind, schriftliche Fassungen ihrer Reden zu veröffentlichen. Die vorliegende Untersuchung arbeitet vor diesem Hintergrund auf ein möglichst präzises Verständnis der literarischen Epitaphioi Logoi als je eigenständige Beiträge zum politischen Diskurs ihrer Zeit hin: Es stellt sich hier insbesondere die Frage, wes halb sich überhaupt eine ganze Reihe der prominentesten Autoren ihrer Zeit an den Gattungscharakteristika der athenischen Gefallenenrede orientiert hat, um literarisch ausgefeilte Beiträge zu den zeitgenössischen politischen Diskursen zu formulieren. Die Frage lässt sich nur sinnvoll beantworten, wenn die einzelnen Texte argumentationslo gisch präzise seziert und historisch stichhaltig kontextualisiert werden. Die literarische Nachempfindung der perikleischen Grabrede in Thukydides’ Historien bietet einen ge eigneten Einstieg, um die Konsequenzen des neuen Modells für unser Verständnis der literarischen Gattung zu eruieren (fünftes Kapitel). Die thukydideische Grabrede des Perikles wird in ihren Wirk- und Rezeptionshori zonten nach dem dramatischen Kollaps der athenischen Macht im Peloponnesischen Krieg verständlich – die konsequente Differenzierung zwischen dem Ereignishorizont der nacherzählten Rede einerseits und der literaturgeschichtlichen Stellung des Werks andererseits eröffnet dabei neue Perspektiven auf den Text. Als das thukydideische Geschichtswerk in Umlauf kam, hatte die transformative Kraft des Krieges die einst „schönste Vorstadt der Polis“ in das topografische Signum des Niedergangs der atheni schen Macht verwandelt, und die Tradition des jahrweise durchgeführten öffentlichen Gefallenenbegräbnisses – von Thukydides als Patrios Nomos evoziert – war abgeris sen: Mit der Krise der Polis und der Krise der Demokratie, die sich für die griechische Städtekultur der östlichen Mittelmeerwelt durch die Niederlage Athens ergeben hat ten, war auch das athenische Gefallenenbegräbnis in eine Krise geraten. Thukydides scheint das Wissen seiner Rezipienten um den Kontinuitätsbruch vorausgesetzt zu haben, um über die (Re-)Konstruktion der perikleischen Gefallenenrede ein Schlag licht auf die Differenz zwischen dem Potenzial der athenischen Macht zu Beginn des Krieges und ihren faktischen Konsequenzen zu werfen. Zugleich hat Thukydides der athenischen Gefallenenrede ein so eindrückliches literarisches Denkmal gesetzt, dass sich aus der von ihm historiografisch verarbeiteten Krise heraus das Genre der literari schen Epitaphioi Logoi weiter konkretisieren und festigen konnte. Thukydides war indes nicht der erste Autor, der die Möglichkeiten einer literarischen Verarbeitung der Gefallenenreden sondiert hat. Gorgias von Leontinoi hat möglicher weise schon in den späten 420er Jahren – und damit lange bevor die thukydideischen Historien in Umlauf kamen – einen Epitaphios verfasst (ebenfalls diskutiert im fünften Kapitel). Die historische und literaturgeschichtliche Bedeutung des Textes lässt sich nicht leicht erfassen, da die Schrift nur fragmentarisch erhalten ist. Der gorgianische
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Epitaphios wird regelmäßig als rhetorische Musterrede gelesen, der Text weist aber eine klare politische Aussageabsicht auf und lässt sich insgesamt sinnvoller als stilistisch wie formal innovativ gestaltete Programmschrift verstehen, mit der die adressierten Leser kreise für die desintegrative Dynamik der innergriechischen Konflikte sensibilisiert und für die Idee einer Neufassung der außenpolitischen Beziehungen gewonnen werden soll ten. Mit der hier tentativ vertretenen Frühdatierung würde dem Text eine erhebliche literaturgeschichtliche Bedeutung zukommen – als Grundstein einer gänzlich neuen literarischen Gattung (der Gattung literarisch konzipierter Epitaphioi Logoi) sowie als Vorläufer der thukydideischen Auseinandersetzung mit der athenischen Gefallenenrede. Das vorthukydideische Milieu der literarischen Auseinandersetzung mit der Ideo logie der athenischen Gefallenenbestattung – und hierzu zählt wohl auch der gorgia nische Epitaphios – lässt sich über eine Reihe verstreuter Indizien insbesondere zur in tellektuellen Kultur der 420er Jahren noch weiter konturieren. Ebenfalls in den späten 420er Jahren scheint der Text eines uns unbekannten Autors in Umlauf gelangt zu sein, der (als eigenständige Schrift oder Teil eines umfangreicheren Werkes) die „Samische Rede“ des Perikles literarisch nachempfunden hat. Der Text hat nur vage Spuren in der späteren Überlieferung hinterlassen, es lässt sich aber immerhin wahrscheinlich ma chen, dass ein solcher Text Mitte der 420er Jahre bekannt war. Schemenhaft zeichnet sich ab, dass eine literarische Nachempfindung der Samischen Rede auf die Proble matik militärischer Konflikte innerhalb des von Athen dominierten maritimen Bünd nissystems Bezug nahm. Herodot könnte sich mit einer solchen Vorlage auseinander gesetzt haben, als er zwei Passagen im siebten und neunten Buch der Historien an den Genrekonventionen der athenischen Gefallenenrede ausrichtete – auch hier lässt sich eine subtile Auseinandersetzung mit der Problematik der innergriechischen Konflikte greifen, die aus der athenischen Machtpolitik resultierten. Von diesen Spuren ausgehend arbeitet die vorliegende Studie dann heraus, von wel chen literarischen Tendenzen her die Epitaphioi Logoi der ersten beiden Jahrzehnte des vierten Jahrhunderts entstanden sind. Die Arbeit nimmt dabei zunächst die litera risch konzipierten Epitaphioi Logoi in den Blick, in denen sich die intellektuelle Aus einandersetzung mit der weiterhin konfliktuösen Rolle Athens im Machtgefüge des östlichen Mittelmeerraums durch das vierte Jahrhundert hindurch greifen lässt: Im Brennpunkt des Interesses stehen für die 390 er und 380er Jahre der fast vollständig verlorene (und von der Forschung bisher weitestgehend übersehene), für die weitere Entwicklung der Gattung aber zweifellos bedeutende Epitaphios des Archinos sowie der Epitaphios des Lysias (beide werden im sechsten Kapitel behandelt) und der pla tonische Menexenos sowie Isokrates’ Panegyrikos (siebtes Kapitel). Den historischen Hintergrund für das Verständnis dieser Textgruppe bilden einerseits die zunehmende Konfliktdynamik der innergriechischen Bündnisbildung sowie andererseits die eben so vielfältigen wie wirkungslosen Bemühungen um eine panhellenische Aussöhnung. In Archinos begegnen wir offenbar dem ersten Redner einer Gefallenenrede, der auch als Autor eines literarischen Epitaphios Logos in Erscheinung getreten ist. Die Schrift,
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von der sich nur ein einziger, wenig aussagekräftiger Satz erhalten hat, lässt sich in der Frühphase des Korinthischen Krieges lokalisieren. Als einer der wichtigsten politischen Akteure seiner Zeit hatte sich Archinos nach dem Ende des athenischen Bürgerkriegs mit weitsichtigem Blick für eine Reintegration der athenischen Bürgergemeinschaft ein gesetzt und so dazu beigetragen, dass sich Athen überhaupt wieder eine neue machtpo litische Perspektive im Ägäisraum eröffnen konnte. Für seine Verdienste scheint Archi nos in den ersten Jahren des Korinthischen Krieges vom Dēmos mit der Ehre bedacht worden zu sein, eine Gefallenenrede zu halten. Die schriftliche Fassung, die er darauf in Umlauf brachte, ist literaturgeschichtlich nicht unbedeutend: Stichhaltige Indizien deuten darauf hin, dass der Text von Lysias, Platon und Isokrates rezipiert wurde – auch wenn sich alle drei Autoren zugleich auf je eigene Weise von Archinos abgegrenzt haben. Der lysianische Epitaphios scheint kurz nach Archinos’ Epitaphios in Umlauf ge kommen zu sein: Lysias’ Text wurde meist als eine ideal konzipierte Musterrede ver standen, die Schrift verfügt allerdings, wie hier gezeigt wird, über einen spezifischen politischen Kontext und eine konkrete politische Zielsetzung. Verständlich wird der lysianische Epitaphios nicht zuletzt über seine bislang übersehene Beziehung zum Epitaphios des Archinos: Denn mit Blick auf das Ziel einer Reintegration des athenischen Dēmos hatte sich Archinos in der Folge des athenischen Bürgerkriegs für eine klare Beschränkung der Bürgerrechtsverleihungen eingesetzt – zum deutlichen Nachteil der nichtathenischen Unterstützer der Piräus-Partei, als deren prominentester Vertre ter Lysias hierdurch in direkten Konflikt mit Archinos geraten ist. An argumentativ zentraler Stelle in seinem Epitaphios greift Lysias die Zusammenhänge subtil wieder auf und skizziert die Umrisse eines gegenüber den nichtathenischen Unterstützern of feneren Modells der gesellschaftlichen Integration Athens. Die lysianische Schrift lässt sich damit als eine Art Gegenmodell zum Epitaphios des Archinos verstehen. Aus der Feder Platons stammt der enigmatischste aller literarischen Epitaphioi Logoi: Im Menexenos deklamiert Sokrates eine Gefallenenrede, die Platon durch An wendung eines ganzen Portfolios innovativer literarischer Strategien systematisch mit Paradoxien durchzogen hat. Die vorliegende Studie zeigt, auf welche Weise Platon die Leser des Menexenos zu einer kritischen Reflexion der Ideologeme athenischer Ge fallenenreden anzuregen suchte: Der sokratische Gegen-Epitaphios enthält Hinweise darauf, wie sich der Text als kritische Auseinandersetzung mit den abträglichen Fol gen der athenischen Machtpolitik entschlüsseln lässt. Auch Isokrates gewinnt über die literarische Verarbeitung der athenischen Gefallenenrede im Panegyrikos (der erste Hauptteil der Schrift orientiert sich an den Gattungscharakteristika der öffentlichen Grabrede und imitiert speziell den Tatenkatalog) ein Medium der kritischen Reflexi on der folgenreichen Fehlentwicklungen des athenischen Hegemonialstrebens: Subtil dekonstruiert Isokrates die vordergründig affirmativ angelegten Passagen, die sich am Genre der Epitaphioi Logoi orientieren, um so das literarische Medium für eine Ana lyse der konfliktuösen Entwicklungsdynamik des athenischen Hegemonialstrebens zu gewinnen, an die er die Formulierung seiner Problemlösungsansätze anschließt.
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Lysias, Platon und Isokrates haben sich gleichermaßen mit den Voraussetzungen, Bedingungen und Konfliktpotenzialen einer Rückkehr Athens auf die Bühne der grie chischen Machtpolitik auseinandergesetzt, und zwar mit dezidiertem Blick auch auf die Frage nach den Konsequenzen für den inneren Zusammenhalt der athenischen Gesellschaft. Die Notwendigkeit, das außenpolitische Auftreten und die politische Kultur der Bürgerschaft sorgfältig aufeinander abzustimmen, haben alle drei Autoren gesehen, auch wenn sie jeweils eigene Schlussfolgerungen gezogen haben. Einig sind sie sich dabei allerdings darin, dass sich ein solider gesellschaftlicher Zusammenhalt der Bürgergemeinschaft nur über ein gelungenes Zusammenspiel einer sinnvoll kali brierten Normativität und einer wertegebundenen Erziehung zurückgewinnen lässt – die Auseinandersetzung mit der athenischen Gefallenenrede haben Lysias, Platon und Isokrates daher auch dazu genutzt, je eigene Modelle des erzieherischen Mehrwerts von Rhetorik zu diskutieren. In der Hochphase des Genres literarischer Epitaphioi Logoi – in den beiden Jahr zehnten von 400 bis 380 – ist der isokratische Panegyrikos die letzte Schrift, in der die athenische Gefallenenrede umfassend literarisch verarbeitet wurde. Über mehr als vier Jahrzehnte hinweg lässt sich dann im Anschluss keine annähernd vergleichbar intensive Auseinandersetzung klassischer Autoren mit der Institution der feierlichen Rede auf die Gefallenen mehr greifen. Erst im Jahr 338 reagierte der athenische Rhe tor Demosthenes auf den prekären Ausgang der Schlacht von Chaironeia (und die nachteiligen Folgen für sein eigenes innenpolitisches Standing) durch eine mündlich vorgetragene Gefallenenrede, auf die er einen in schriftlicher Form publizierten Epi taphios Logos folgen ließ (achtes Kapitel). Der Text erscheint in der hier entwickelten Lesart als elaborierter literarischer Versuch der Recodierung des politischen Diskurses über Tapferkeit und Erinnerung, um für eine nun unter makedonischer Hegemonie stehende, intern zerrüttete Bürgergemeinschaft das Fundament eines neuen Selbst verständnisses zu gewinnen, in dem sich die vergangene Größe Athens würdigen ließ, ohne dass sich daraus bereits die Prämissen einer revisionistischen Außenpolitik erge ben würden. Als letzter klassischer Epitaphios Logos lässt sich anderthalb Jahrzehnte nach der demosthenischen Schrift der Epitaphios des Rhetors Hypereides verstehen, der (wie vor ihm bereits Archinos und Demosthenes) ebenfalls zunächst als Redner einer tat sächlichen Gefallenenrede in Erscheinung getreten war (achtes Kapitel). Ausgehend von einer Neudatierung des Textes in die Zeit nach dem athenischen Sieg über Le onnatos (um Mai 322) lässt sich die politische Stoßrichtung der Schrift erfassen: Die Spezifika des Textes – insbesondere die Heroisierung des Strategen, die Sakralisierung des Politischen und die Überhöhung des soldatischen Sterbens – werden als Aspek te einer Kommunikationsstrategie verständlich, mit der Hypereides seine Mitbürger auf eine militärische Konfrontation mit den Makedonen einzuschwören suchte, de ren Aussichtslosigkeit sich zum Zeitpunkt der Publikation des Textes bereits deutlich abzuzeichnen begann. Die Epitaphioi Logoi von Demosthenes und Hypereides sind
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damit gleichermaßen im Spannungsfeld eines sich zugunsten Makedoniens verschie benden Kräfteverhältnisses situiert und arbeiten auf unterschiedliche Weise Perspek tiven der Bürgeridentität in einem sich global verändernden Feld der Mächte heraus. Als Kernproblematiken über die verschiedenen Entwicklungsphasen der literari schen Gattung hinweg erweisen sich im Rückblick auf die gesamte Textgruppe klassi scher Epitaphioi Logoi die athenische Ideologie einer Einheit von Macht und Demo kratie, die desintegrative Dynamik des athenischen Machtstrebens, das Spannungsfeld innerer Konflikte der Bürgergemeinschaft, das Streben nach einer Überwindung der Konfliktdynamiken griechischer Bündnisbildung und die Problematik der Unabhän gigkeit gegenüber dem konkurrierenden Machtblock des makedonischen Reiches. Es zeigt sich, dass die literarisch konzipierten Epitaphioi Logoi ein bislang unterschätztes Medium des politischen Diskurses darstellen, mit dem die jeweiligen zeitgenössischen politisch-militärischen Kernproblematiken der griechischen Poliswelt in ihren Wech selwirkungen mit der athenischen Machtpolitik intellektuell reflektiert wurden. Ich hoffe, mit diesen Erkenntnissen zur Gefallenenbestattung und zum Epitaphios Logos im demokratischen Athen unser Verständnis der klassischen athenischen Gesellschaft und ihrer politischen Kultur zu erweitern und zu vertiefen.
Nachweise
Bibliografische Abkürzungen In dieser Arbeit werden die folgenden bibliografischen Abkürzungen verwendet: ADelt Ag Agora 17
Archaiologikon Deltion Archäologisches Museum der antiken Agora, Athen The Athenian Agora; Bd. 17 (= Bradeen 1974) Agora 19 The Athenian Agora; Bd. 19 (= Lalonde 1991) Anth. Pal. Anthologia Palatina Anthologia Planudea Anth. Plan. BL British Library BM British Museum BNJ Brill’s New Jacocy CEG Carmina Epigraphica Graeca (= Hansen 1983) DK Diels/Kranz (= Diels 6. Aufl. 1952) EG Epigrafia greca (= Guarducci 1967–1978 [4 Bde.]) EM Epigraphisches Museum, Athen FGE Further Greek Epigrams (= Page 1981) FGrH Fragmente Griechischer Historiker GHI Greek Historical Inscriptions (= Rhodes/Osborne 2003) IG Inscriptiones Graecae LGPN Lexicon of Greek Personal Names L&S Lewis & Short LSAG Local Scripts of Archaic Greece (= Jeffery 2. Aufl. 1990)
320 LSJ ML Mus. Ceram. PA PAA RE Rhet. Gr. SEG TLL TLG Tod2
Nachweise
A Greek-English Lexicon (= Liddell/Scott 1940) A Selection of Greek Historical Inscriptions (= Meiggs/Lewis 2. Aufl. 1988) Kerameikos-Museum, Athen Prosopographia Attica (= Kirchner 1901/1903) Persons of Ancient Athens Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Rhetores Graeci Supplementum Epigraphicum Graecum Thesaurus Linguae Latinae Thesaurus Linguae Graecae A Selection of Greek Historical Inscriptions (= Tod 2. Aufl. 1946/1948)
Literarische Hauptquellen Für die historisch-philologische Arbeit an den literarischen Hauptquellen dieser Stu die wurden primär die im Folgenden genannten Editionen, Kommentare, Überset zungen und Deutungen konsultiert (ohne Anspruch auf Vollständigkeit: weitere Ver weise im Fußnotenapparat); für die übrigen literarischen Quellen sei auf die gängigen Standardeditionen verwiesen. Wo sich in dieser Arbeit Übertragungen antiker Texte ins Deutsche finden, handelt es sich, soweit nicht anders angegeben, um eigene Über setzungen. Demosthenes, Log. 60 (Epitaphios) Maßgebliche Edition
Demosthenis Orationes; Bd. 4, ed. M. R. Dilts, Oxford 2009 [Ox ford Classical Texts], 339–350
Textgestalt/Überlieferung
Pack 2. Aufl. 1965, Nr. 256–337; Clavaud 1974, 41–50; Hausmann 1978–1981; Stephens 1985, Nr. 101 f.
Übersetzungen
DeWitt/DeWitt 1949, 6–37 (gr./engl.); Herrman 2004, 64–75 (engl.); Worthington 2006, 21–37 (engl.); Binder/Korenjak/ Noack 2007, 206–243 (gr./dt.)
Deutungen
Schäfer 1858; Schäfer 2. Aufl. 1885–1887; Blass 2. Aufl. 1893; Sykut ris 1928; Maas 1928; Jaeger 1939; Luccioni 1961; Clavaud 1974, 9–35; Ryder 1976; Sealey 1993; Witte 1995; Prinz 1997, 252–271; Herrman 1999; Buckler 2000; Milns 2000; Worthington 2000 a; Wort hington 2000 b; Yunis 2000; Worthington 2003; Lehmann 2004; Herrman 2008; MacDowall 2009; Worthington 2010; Worthing ton 2013; Canfora 2014; Brun 2015; Alexiou 2020, 195–197; Woj ciech 2022, 244–290; Burckhardt (in Druckvorbereitung)
Gorgias, Epitaphios Maßgebliche Editionen
Gorgias von Leontinoi: Reden, Fragmente und Testimonien [Philo sophische Bibliothek], ed. T. Buchheim, Hamburg 1989 (2. Aufl. 2012), 68–73; Die Fragmente der Vorsokratiker, eds. H. Diels – W. Kranz, 6. Aufl. 1952, Bd. 2, 271–307
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Nachweise
Weitere Ausgaben und Übersetzungen
Müller 1858, 218–219; Caffiaux 1888, 329 f. (franz.) [repr. in: Giombini 2012, 234 f.]; Bianchi 1912; Untersteiner 1949; Untersteiner 2. Aufl. 1961, 78–85 (gr./ital.) [repr. 1967]; Buchheim 1989, 68–73 (gr./dt.); Hunink 1996, 63–65 (niederl.); Spatharas 2001, 75 f. (gr.); Schirren/Zinsmaier 2003 b, 74–77 (gr./dt.); Herrman 2004, 23–25 (engl.); Binder/Korenjak/Noack 2007, 142–150 (gr./dt.); Buch heim 2. Aufl. 2012, 68–73 (gr./dt.); Giombini 2012, 242 f. (gr./ital.); Ioli 2013 [repr. in: Di Lanzo 2019, 67 f.]; Laks/Most 2016
Deutungen
Caffiaux 1860, 28–41; Caffiaux 1888; Bianchi 1912; Vollgraff 1952; Kerferd 1981; Romilly 1991; Kerferd/Flashar 1998; Flower 2000, bes. 92 f.; Spatharas 2001, bes. 271–284; Schirren/Zinsmaier 2003 b; Scholten 2003, 107–128; Canfora 2011 a; Buchheim 2. Aufl. 2012, 189–192; Giombini 2012, 231–250; Di Lanzo 2019; Scholl meyer 2021, 73–75; Wienand (in Druckvorbereitung)
Herodot, Historien (speziell Hdt. 7.161 und 9.27) Maßgebliche Edition
Herodoti Historiae (2 Bde.), ed. H. B. Rosén, Stuttgart 1987/1997 [Bibliotheca Teubneriana]
Kommentare
van Groningen 1955; How/Wells 2. Aufl. 1928; Müller 1987; Mül ler 1997; Asheri/Lloyd/Corcella 2007; Vannicelli/Corcella/Nen ci 2017
Übersetzungen
Godley 1925 (gr./engl.); Legrand 1963 (gr./frz.); Legrand 1968 (gr./frz.); Feix 2001 (gr./dt.); Asheri/Vannicelli/Corcella 2006 (gr./ital.); Ley-Hutton 2016, 166–169 (gr./dt.)
Deutungen
Strasburger 1955 (repr. 1962, 1982, Engl. trans. 2013); Momiglia no 1958 (repr. 1966 b, 2013); Myres 1966; Hart 1982; Hunter 1982; Raaflaub 1987; Lateiner 1989; Stadter 1992; Blösel 2001; Boedeker 2001 a; Luraghi 2001; Flower/Marincola 2002, bes. 147–158; Mo les 2002; Derow/Parker 2003; Fowler 2003; Blösel 2004; Dewald/ Marincola 2006; Evans 2006; Bleckmann 2007; Strassler/Purvis 2008; Raaflaub 2010; Foster/Lateiner 2012; Dunsch/Ruffing 2013; Fowler 2013; Geus/Irwin/Poiss 2013; Stadter 2013; Wilson 2015, bes. 143 (zu 7.161) und 178 (zu 9.27)
Hypereides, Log. 6 (Epitaphios) Überlieferte Fragmente
(fr. 1 a und 1 b) P. Lit. Lond. 133 = BL inv. 98 (Pack 2. Aufl. 1965, Nr. 1236) [ed. pr. Babington 1858]; (fr. 2) Stob. 4.56.36
Maßgebliche Editionen
Hyperides: Funeral Oration / Epitaphios. Edited with Introduction, Translation, and Commentary, ed. J. Herrman, Oxford 2009 [Ame rican Classical Studies], 36–55; Iperide: Epitafio per i caduti del primo anno della guerra lamiaca (PLit. Lond. 133V). Introduzione, testo critico, traduzione e commento, ed. L. Petruzziello, Pisa 2009 [Testi e Commenti]; Hyperidis orationes sex cum ceterarum fragmentis,
Literarische Hauptquellen
323
ed. Ch. Jensen, Leipzig 1917, repr. 1963, [Bibliotheca Teubneria na], 90–114
Textgestalt/Überlieferung
Babington 1858, ix–xiv; Blass 3. Aufl. 1894; Herrman 2009, 27–34; Petruzziello 2009, 11–24
Textkritik
Babington 1858, 1–26; Babington 2. Aufl. 1859, 17–48; Blass 3. Aufl. 1894, 78–94; Herrman 2009, 36–55; Petruzziello 2009, 118–141
Kommentare
Herrman 2009, 57–109; Petruzziello 2009, 143–203
Übersetzungen
Colin 1946, 291–305 (gr./frz.); Burtt 1954, 536–559 (gr./engl.); Rolando 1969 (ital.); Marzi 1977; Coppola 1996, 44–59 (gr./ ital.); Worthington 1999 (engl.); Cooper 2001, 128–136 (engl.); Herrman 2004, 78–86 (engl.); Binder/Korenjak/Noack 2007, 248–263 (gr./dt.); Herrman 2009, 36–55 (gr./engl.); Petruzziello 2009 (gr./ital.)
Deutungen
Levi 1892; Colin 1938; Colin 1946, 273–290; Bartolini 1977, bes. 88–101; Engels 2. Aufl. 1993; Braccesi 1996; Habicht 1997; Prinz 1997, 272–289; Herrman 1999; Whitehead 2000; Herrman 2009, 3–34; Petruzziello 2009, 65–92; Bayliss 2011; Canfora 2011 b; Can fora 2014; Alexiou 2020, 270–273; Herrman (in Druckvorberei tung)
Isokrates, Log. 4 (Panegyrikos) Maßgebliche Edition
Isocrates: Opera Omnia (3 Bde.), ed. B. G. Mandilaras, München 2003 [Bibliotheca Teubneriana], Bd. 2, 65–112
Übersetzungen
Norlin 1928, 120–241 (gr./engl.); Mathieu/Brémond 1961, 15–64 (gr./frz.); Usher 1990, 24–115 (gr./engl.); Ley-Hutton/Brodersen 1993, Bd. 1, 44–82 (dt.); Papillon 2004, 23–73 (engl.); Binder/Ko renjak/Noack 2007, 46–89 (gr./dt. [nur §§ 15–100])
Deutungen
Mesk 1903; Mathieu 1925; Buchner 1958; Kehl 1962; Cloché 1963; Bringmann 1965; Gillis 1971; Seck 1976 a; Kleinow 1981; Moysey 1982; Eucken 1983, bes. 141–171; Davidson 1990; Lombard 1990; Müller 1991; Urban 1991; Usener 1994; Too 1995; Livingstone 1998; Timmerman 1998; Schiappa 1999, bes. 162–185; Mandilaras 2003, Bd. 1; Morgan 2003 b; Orth 2003; Usener 2003; Balot 2004; Morg an 2004; Nicolaï 2004; Pownall 2004; Haskins 2005; Pratt 2006; Too 2006; Schenkeveld 2007; Classen 2010; Eucken 2010; Tim merman/Schiappa 2010, bes. 43–67; Janik 2012; Wareh 2012; Hesk 2013; Steinbock 2013, bes. 155–210; Balot 2014, bes. 149–176; Blank 2014, 157–250; Cuniberti 2015; Canevaro 2017; Noël 2017; Zingg 2017; Atack 2018 a und 2018 b; Alexiou 2020, 129–133; Whitehead 2022; Blank (in Druckvorbereitung)
324
Nachweise
Lysias, Log. 2 (Epitaphios) Maßgebliche Edition
Lysiae orationes cum fragmentis, ed. C. Carey, Oxford 2007, 14–35 [Oxford Classical Texts]
Übersetzungen
Todd 2000, 25–41 (engl.); Herrman 2004, 28–43 (engl.); Huber 2004, Bd. 1, 20–47 (gr./dt.) [Übers. repr. als Huber 2013, 41–53]; Binder/Korenjak/Noack 2007, 158–201 (gr./dt.); Todd 2007, 166–209 (gr./engl.)
Deutungen
Walz 1936; Schiassi 1962, 1–41 (Introduzione) und 43–116 (Text mit Kommentar); Dover 1968; Prinz 1997, 231–252; Kleinow 1981; Ferrante 2000, 5–9 (Introduzione) und 11–42 (Testo e commenta rio); Kartes 2000; Carey 2007, v–xxxii (Preface); Todd 2007, 1–42 (General Introduction), 149–164 (Introduction) und 210–274 (Commentary); Grethlein 2010, 105–125; Blanshard (in Druck vorbereitung)
Pausanias (speziell Paus. 1.29.2–16) Maßgebliche Edition
Pausaniae Graeciae Descriptio (3 Bde.), ed. M. H. Rocha-Pereira, Leipzig 2. Aufl. 1989/1990/1989 [Bibliotheca Teubneriana], Bd. 1
Übersetzungen
Jones 1918, 154–165 (gr./engl.); Frazer 1965 a, 44–47 (engl.); Mus ti/Beschi 1982, 156–167 (gr./ital.); Casevitz/Pouilloux/Chamoux 1992 (gr./frz.)
Deutungen
Hitzig/Blümner 1896, 319–324; Jones 1918; Vanderpool 1949; Wy cherley 1959; Frazer 1965 b, 378–387; Vanderpool 1974; Musti/ Beschi 1982, 372–379; Knoepfler 1996; Musti/Bingen 1996; Case vitz/Pouilloux/Chamoux 1992; Champion-Smith 1998; Pritchett 1998 b
Platon, Menexenos Maßgebliche Edition
Platons Menexenos. Einleitung, Text und Kommentar, ed. S. Tsitsiri dis, Stuttgart 1998 [Beiträge zur Altertumskunde], 105–125
Kommentare
Trendelenburg 1905, 9–30; Tsitsiridis 1998, 127–419; Sansone 2020, 59–180
Übersetzungen
Bury 1929, 332–381 (gr./engl.); Méridier 1931, 83–105 (gr./frz.) Herrman 2004, 46–62 (engl.); Binder/Korenjak/Noack 2007, 98–139 (gr./dt.); Helmer 2019, 17–71 (gr./frz.)
Deutungen
Kahn 1963 [repr. in Parker/Robitzsch 2018, 9–27]; Coventry 1989; Carter 1991; Labarbe 1991; Loraux 1991; Müller 1991; Sal kever 1993; Rosenstock 1994; Prinz 1997, 304–328; Monoson 1998; Tsitsiridis 1998, 21–102 (Einleitung) und 127–419 (Kom mentar); Collins/Stauffer 1999; Wickkiser 1999; Eucken 2003; Morgan 2003 b; Morgan 2004; Haskins 2005; Vössing 2007;
Literarische Hauptquellen
325
Heitsch 2008; Kerch 2008; Faber 2009; Petre 2009; Trivigno 2009; Eucken 2010; Engels 2012; Pappas 2015; Petrucci 2017; Avgousti 2018; Parker/Robitzsch 2018 (darin insbes. Zelcer 2018; Turner 2018; Robinson 2018); Helmer 2019, 73–174; Sansone 2020, 11–39, 59–180; Balot (in Druckvorbereitung)
Thukydides, Historien (speziell Thuk. 2.34–46) Maßgebliche Editionen
Thucydidis Historiae (2 Bde.), ed. H. J. Jones & J. E. Powell, Oxford 1942 [Oxford Classical Texts]
Thucydidis Historiae (3 Bde.), ed. J. B. Alberti, Rom 1972/1992/2000 [Scriptores graeci et latini]
Kommentare
Gomme 1956; Rhodes 1988; Rusten 1989; Hornblower 1991; Fan tasia 2003; Konishi 2008
Übersetzungen
Rhodes 1988 (gr./engl.); Landmann 1993, 232–249 (gr./dt.); Vretska/Rinner 2000, 136–145 (dt.); Fantasia 2003 (gr./ital.); Herrman 2004, 12–21 (engl.); Binder/Korenjak/Noack 2007, 270–287 (gr./dt.); Horneffer/Strasburger/Strasburger 2010 (dt.); Weißenberger 2017, 348–367 (gr./dt.)
Deutungen
Romilly 1951; Gomme 1956, 94–144; Strasburger 1958; Adcock 1963; Romilly 1963; Woodhead 1970; Landmann 1974; Gaiser 1975; Krischer 1977; Rawlings 1981; Ziolkowski 1981; Allison 1989; Hornblower 1991, 292–316; Harris 1992; Hardwick 1993; Kal let-Marx 1993; Sicking 1995; Strassler 1996; Cawkwell 1997; Prinz 1997, 94–147; Monoson/Loriaux 1998; Rood 1998; Leppin 1999; Longo 2000; Kallet 2001; Price 2001; Will 2003; Dewald 2005; Grethlein 2005; Canfora 2006; Raaflaub 2006; Faber 2009; Kagan 2009; Rusten 2009; Foster 2010; Grethlein 2010, 220–240; Tay lor 2010; Winton 2010; Grethlein 2011, 157–165; Hornblower 2011; Luginbill 2011; Hesk 2013; Samons 2016; Bruzzone 2018; Debnar 2018; Faber 2019; Pritchard 2022; Steinbock (in Druckvorberei tung)
Epigrafische Hauptquellen Für die in der vorliegenden Studie behandelten Gefallenenmonumente werden hier die relevanten Informationen und entsprechenden Nachweise zusammengestellt. Der Katalog erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern konzentriert sich auf diejenigen Monumente, die für das historische Argument der vorliegenden Studie von Bedeutung sind und sich einigermaßen verlässlich historisch einordnen lassen. Die jeweiligen Literaturangaben beschränken sich auf Beiträge, die insbesondere für die Argumentation im ersten Teil dieser Arbeit von Relevanz sind. Für eine systemati sche Zusammenstellung der materiellen und literarischen Zeugnisse zu griechischen Gefallenenmonumenten der archaischen und klassischen Zeit (bis Ende des fünften Jahrhunderts) sei neben den entsprechenden Einträgen in IG I3 und IG II/III2 sowie den früheren Systematiken bei Jacoby 1944, Bradeen 1964, Stupperich 1977, Clairmont 1983 und Pritchett 1985 jetzt auch auf die Habilitationsschrift von Birgit Bergmann ver wiesen. Die Einträge im vorliegenden Katalog folgen, soweit die Evidenz dies zulässt, einer chronologischen Ordnung (Fragen zur Datierung werden, soweit erforderlich, in den jeweiligen Einträgen diskutiert; siehe dazu auch die entsprechenden Ausführun gen in den Kapiteln des ersten Teils). Für epigrafische Zeugnisse, die hier nicht erfasst sind, in der vorliegenden Arbeit aber besprochen werden, finden sich die Nachweise an Ort und Stelle. Soweit nicht anders vermerkt, ist ein ursprünglicher Aufstellungsort der hier an geführten Monumente im Gebiet der öffentlichen Gefallenengräber im nordwestli chen Vorstadtbereich Athens wahrscheinlich (allerdings lässt sich aufgrund antiker oder nachantiker Dislozierung der Fragmente für kaum ein Monument präzise der ursprüngliche Aufstellungsort identifizieren; zu den im Kerameikos gefundenen Frag menten siehe die topografische Übersicht im Anhang der Arbeit). Wo sich Teile der Namenslisten erhalten haben, deutet der Verzicht auf die Nennung von Patronymika, Demotika und militärischen Funktionsbezeichnungen auf einen isonomen Charak ter der Bestattung hin (soweit die meist nur fragmentarische Überlieferung der In schriften diesen Schluss zulässt). Von einer isonomen Bestattung wird hier nicht mehr gesprochen, wenn neben dem Strategenamt weitere militärische Funktionen genannt werden oder sich eine getrennte Bestattung von Infanteristen und Reitern nachweisen lässt.
Epigrafische Hauptquellen
327
Ob in der Bestattung die Gefallenen unterschiedlicher Gefechtsorte (oder gar un terschiedlicher Kampagnen) gemeinsam beigesetzt wurden, verraten entsprechende Überschriften, Epigramme oder Ortsrubriken, sofern sie sich erhalten haben. Nur in wenigen Fällen lässt sich zweifelsfrei belegen, ob eine solche Bestattung eine Jahresbe stattung der von Thukydides beschriebenen Art war (also eine gemeinsame Bestattung sämtlicher über eine gesamte Kriegssaison hinweg im Kampf für Athen Gefallener); siehe hierzu auch die entsprechenden Ausführungen in der Einleitung sowie im ers ten Teil dieser Arbeit. In der folgenden Dokumentation wird jeweils angeführt, wenn es sich gesichert oder wahrscheinlich um eine isonome Bestattung, um eine Gemein schaftsbestattung über unterschiedliche Einsatzorte hinweg oder um ein Jahresinventar an Gefallenen handelt. Gesichert ist dies jeweils nur, wenn sich auf den Fragmenten ent sprechende Angaben in den Überschriften, Epigrammen oder Ortsrubriken erhalten haben. Für die Zeit von den frühen 450er Jahren bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges wird insgesamt die Mehrzahl athenischer Gefallenenbestattungen in Form von Jahresbestattungen durchgeführt worden sein, allerdings gab es offenbar (verstärkt ab den 430er Jahren) auch immer wieder Ausnahmen und Sonderfälle; siehe hierzu insbe sondere die entsprechenden Ausführungen im dritten Kapitel dieser Arbeit. Von den unten im Katalog angeführten Monumenten habe ich die folgenden Inschriften bzw. Inschriftenfragmente sowie Relief- und Architekturelemente am Original studiert: Astros, Archäologisches Museum: SEG 56.430 inv. 535 Athen, Agora (Museum und Depot): IG I3 503/504 A u. C (lap. A fr. a) Ag I 303 a (lap. A fr. b) Ag I 303 b; Peek-Fragment (IG I3 503/504 B) Ag I 6963; IG I3 1144 (fr. e) Ag I 7009; IG I3 1153 (fr. a, b, e) Ag I 953 a,b,e; IG I3 1159 Ag I 2608; IG I3 1160 Ag I 7098; IG I3 1161 (fr. b) Ag I 5901; IG I3 1172 (fr. a) Ag I 3694 (fr. b) Ag I 2378 a (fr. c) Ag I 2378 b (fr. d) Ag I 2124; IG I3 1175 (fr. b) Ag I 3333 (fr. c) Ag I 4193 (fr. d) Ag I 6514; IG I3 1179 (fr. b) Ag I 2277; IG I3 1180 (fr. b) Ag I 3181 a + Ag I 3181 b (fr. d) Ag I 6523; IG I3 1182 (fr. a) Ag I 895 b (fr. b) Ag I 895 a (fr. d) Ag I 6992; IG I3 1183 (fr. a) Ag I 4168 (fr. b) Ag I 6964; IG I3 1185 (fr. b) Ag I 888 [zwei Fragmente]; IG I3 1187 (fr. a) Ag I 4127; IG I3 1189 Ag I 7061; IG I3 1191 (fr. b) Ag I 6959 b (fr. c) Ag I 6959 a (fr. d) Ag I 1008 b (fr. g) Ag I 2149 (fr. h) Ag I 1008 a (fr. k) Ag I 1008 c (fr. m) Ag I 1539; IG II/III2 5226 Ag I 6953; Athen, Epigraphisches Museum (Museum und Depot): IG I3 1144 (fr. a) EM 10232; IG I3 1149 (fr. a) EM 10276 (fr. b) EM 10274 (fr. d) EM 10275 (fr. f) EM 13312 (fr. g) EM 13306 (fr. h) EM 13305 (fr. i) EM 13310 (fr. j) EM 13308 (fr. k) EM 13309 (fr. l) EM 13307 (fr. m) EM 13313 (fr. n) EM 13311; IG I3 1150 (fr. a) EM 10233 (fr. b) EM 10273 (fr. c) EM 10262 (fr. d) EM 10271; IG I3 1157 EM 10272; IG I3 1158 (fr. a) EM 10235 (fr. b) EM 13377; IG I3 1162 EM 10618; IG I3 1163 (fr. a) EM 13344 (fr. b) EM 12883 (fr. c) EM 10279 (fr. d) EM 12745 (fr. e) EM 12746 (fr. f) EM 12747; IG I3 1164 EM 10270; IG I3 1168 (fr. a) EM 10267 (fr. b) EM 10265; IG I3 1169 EM 5578; IG I3 1175 (fr. a) EM 10277; IG I3 1185 (fr. a) EM 10268; IG I3 1186 (Stela A) EM 10617 (Stela B) EM 13190; IG I3 1187 (fr. b) EM 10258 (fr. c) EM 10264 (fr. d) EM 1837; IG I3 1191 (fr. a) EM 10257 (fr. e) EM 10256 (fr. f) EM 10259 (fr. i) EM 10266; IG I3 1192 (fr. a) EM 10231 (fr. b) EM 13376 (fr. c) EM 13378 (fr. d) EM 10230 (fr. e) EM 13375; IG II/III2 5226 EM 8829; SEG 52.60 EM 13527 Athen, Hadriansbibliothek (Depot): IG I3 1149 (fr. o) ΠΛ 2338; IG I3 1191 (fr. j) R. A. 1965.20 (= R. A. 2273)
328
Nachweise
Athen, Kerameikos (Museum und Depot): IG I3 1180 (fr. e) Mus. Ceram. I 66; IG II/III2 11678 Mus. Ceram. I 170; IG II/III2 6217 Mus. Ceram. P 1130 / I 220; Kaempf-Dimitriadou 1986 M 2347 Athen, Nationalmuseum: IG II/III2 5221 inv. 1744; IG II/III2 5222 inv. 754 Athen, Platon-Akademie (Depot): SEG 28.240 M 797 Paris, Louvre: IG I3 1147 Ma 863; IG I3 1190 Ma 864
Die im Folgenden genannten Inschriften bzw. Inschriftenfragmente habe ich zudem anhand der Abklatsche der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften studiert: Berlin, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Inscriptiones Graecae (Archiv): Ag I 4256 (ad IG I3 503/504 A); IG I3 503/504 A fr. a; IG I3 503/504 A fr. b; IG I3 503/504 B; Peek-Fragment IG I3 503/504 C; IG I3 1142; IG I3 1143; IG I3 1144 fr. a, d, e; IG I3 1145; IG I3 1147; IG I3 1148; IG I3 1149 fr. a, b, c, d, e, f, h, i, j, k, l, m, n; IG I3 1150 fr. a, b, c, d, e; IG I3 1153 fr. a, b, c, d, e, f; IG I3 1154 A u. B; IG I3 1155; IG I3 1156; IG I3 1157; IG I3 1158 fr. a; IG I3 1159; IG I3 1160; IG I3 1161 fr. a, b; IG I3 1162; IG I3 1163 fr. a, c, d+e+f; IG I3 1164; IG I3 1167; IG I3 1168 fr. a, b; IG I3 1169; IG I3 1170; IG I3 1171 fr. a, b, c, d; IG I3 1172 fr. a, c, d, e; IG I3 1173; IG I3 1175 fr. a, b, c, d; IG I3 1176; IG I3 1177; IG I3 1178; IG I3 1179 fr. a, b; IG I3 1180 fr. a, b1, b2, c, d; IG I3 1182 fr. a, b, c, d, e; IG I3 1183 fr. a, b; IG I3 1184; IG I3 1185 fr. a, b1, b2; IG I3 1186 fr. a, b; IG I3 1187 fr. a, b, c, d; IG I3 1188; IG I3 1189; IG I3 1190; IG I3 1191 fr. a, c, d, e, f, g, h, i, k, m; IG I3 1192 fr. a, b, c, d, e; IG II/III2 5221; IG II/III2 5222; SEG 56.430 IG I3 1477 = IG XII Suppl. 337
Gefallenengrabmonument bei Hephaistia, 498 v. Chr. Wahrscheinlicher Bezug zur Expedition nach Lemnos Isonome Gemeinschaftsbestattung
verschollen [Fundort Hephaistia] Abb.: BCH 36, 1912, 329–338 Abb. 15–17 Lit.: (ed. pr.) BCH 36, 1912, 329–338; Graham 1964, 177 f.; Meiggs 1972, 424 f.; Stupperich 1977, Bd. 1, 207; Clairmont 1983, 89 f. Nr. 3; Pritchett 1985, Bd. 4, 165; LSAG, 299 f.; Rausch 1999 a, 224 f.; Rausch 1999 b, 8 f.; Culasso Gastaldi 2010(2012), 140–142; Arrington 2015, 42 f.; Schröder 2020, 100 In attischer Schrift dreiseitig beschriebener Inschriftenpfeiler aus Kalkstein, auf dem sich Teile einer nach Phylen geordneten Liste mit Namen athenischer Bürger erhalten haben; der Phylen name hιπποθοντίς im Nominativ ist als Zwischenüberschrift zu erkennen, die Namen der Gefal lenen werden darunter ohne Patronymika, ohne Demotika, ohne Funktionsbezeichnungen oder sonstige Hinweise auf die soziale Stellung angeführt. Die rechte Seite ist in Stoichedon geschrie ben. Der Stein wurde plausibel als Segment eines Grabmonuments für gefallene Teilnehmer der Expedition des Miltiades nach Lemnos gedeutet und wäre damit die früheste bezeugte isonome Bestattung gefallener Athener. a. 0,18 l. 0,23 cr. 0,13 litt. a. 0,015 (Front, rechte Seite) 0,019 (linke Seite)
Epigrafische Hauptquellen
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SEG 56.430 Gefallenengrabmonument in der Ebene von Marathon, nach 490 = SEG 51.425 v. Chr. (errichtet), nach 480/479 v. Chr. (modifiziert) [Grabmal der = Paus. 1.32.3 Marathonomachoi] Bezug zur Schlacht von Marathon Isonome Gemeinschaftsbestattung [Abb. 1] (fr. a) Astros, Archäologisches Museum inv. 535 (fr. b) Astros, Archäologisches Museum inv. 586 (fr. c) Astros, Archäologisches Museum inv. 587 [Fundort der drei Fragmente: Villa des Herodes Atticus in Loukou (Eua Kynourias)] Abb: (fr. a) Spyropoulos 2009, 42–44 Εικ. 2–6; Proietti 2021, 68 Fig. 2 a und 2B (fr. b) Spyropoulos 2009, 45 Εικ. 7; Proietti 2021, 69 Fig. 3 a (fr. c) Spyropoulos 2009, 45 Εικ. 8; Proietti 2021, 69 Fig. 3 b. Lit.: Spyropoulos 2009; Steinhauer 2004/2009; Culasso Gastaldi 2010, 140–142; Steinhauer 2010; Arrington 2010 a, 61 f.; Ameling 2011; Keesling 2012; Petrovic 2013; Proietti 2013; Tentori Montalto 2013 a; Janko 2014; Proietti 2014; Richard 2014; Tentori Montalto 2014; Butz 2015; Proietti 2015 a, 66–68; Olson 2016; Tentori Montalto 2017, 92–102; Tentori Montalto 2018; Proietti 2020 a; Proi etti 2021, 65–73, 292–296 Drei Fragmente aus pentelischem Marmor. Der größte Block ist die weitgehend intakte Stele für jene athenischen Bürger der Phyle Erechtheis, die in der Schlacht bei Marathon ums Leben gekommen sind. Unter der Überschrift Ἐρεχθε̄ ΐς steht ein vierzeiliges Epigramm mit Bezug zur Schlacht von Marathon, darunter eine Liste mit 22 Namen (offenbar die im Kampf gegen die Per ser gefallenen Phylenmitglieder), verzeichnet in schachbrettartig versetztem Stoichedon. Inzwi schen besteht weitgehend Konsens darüber, dass das Monument nach dem Erfolg von 490 errich tet wurde, auf den Stelen aber zunächst nur die Phylenrubriken und die Namenslisten verzeichnet waren, während die Epigramme erst später (nach 480/479?) hinzugekommen zu sein scheinen; zur Datierung siehe Proietti 2020 a; siehe ferner Culasso Gastaldi 2010, 140–142; Petrovic 2013, 58; Tentori Montalto 2013 a, 48 Anm. 127; Tentori Montalto 2017, 96. Sekundär wurde das Monument in der Villa des Herodes Atticus in Loukou (Eua Kynourias) aufgestellt, endeckt wurden die drei heute bekannten Fragmente dort im Jahr 1999. (fr. a) a. 0,68 l. 0,57 cr. 0,285 litt. a. 0,022 (Phylenrubrik) 0,015 (Epigramm) 0,018 (Namensliste) IG I3 503/504 A u. C Kenotaph (?), 470er Jahre v. Chr. = CEG 2 Möglicher Bezug zur Schlacht von Marathon Evtl. Kenotaph für gefallene Athener [Abb. 2 und 3; siehe topografische Übersicht Nr. 2 (Fundort Lapis C)] (lap. A fr. a) Ag I 303 a [Fundort Hadrianstraße östl. d. Tripodenstraße] (lap. A fr. b) Ag I 303 b [Fundort Agora] (lap. C) Ephorie Athen M 3258 [Fundort in situ in der Plataionstraße] Abb.: Proietti 2011, 42 fig. 1 (lap. A fr. a) fig. 2 (lap. A fr. b) fig. 3 (lap. C) Tentori Montalto 2013 a, 48 fig. 4 (lap. A) Lit.: Oliver 1933, 487 f. (= ed. pr. Ag I 303 a und b); ADelt 29 (1973–1974[1979]) B’ 1, 91 f. = Alex andri 1973–1974[1979], 91 f.; Stupperich 1977, Bd. 1, 209–213; Matthaiou 1988; ML Nr. 26; Bar-
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Nachweise
ron 1990; Rausch 1999 a, 234–242; Matthaiou 2000–2003, 148–150; Matthaiou 2003, 194–201, bes. 198 f.; Petrovic 2007, 158–177; Fantuzzi 2010, 290 f.; Arrington 2010 a, 71; Proietti 2011; Petrovic 2013; Ruggeri et al. 2013, 148–150 L31; Tentori Montalto 2013 a; Tentori Montalto 2013 b; Proietti 2014, 175–179; Arrington 2015, 43–48; Proietti 2015 a, 62–66; Tentori Montalto 2017, 102–108; Pro ietti 2020 b; Proietti 2021, 144–152, 287–292 Die Deutungsgeschichte zu IG I3 503/504 A u. C ist zu umfangreich, um hier einen auch nur an satzweise vollständigen Überblick bieten zu können. Mit den folgenden knappen Ausführungen sollen lediglich die Eckpunkte skizziert werden, die für die Auseinandersetzung mit den Frag menten im ersten Kapitel dieser Arbeit relevant sind. Das Monument lässt sich rekonstruieren über drei Fragmente einer Basis aus pentelischem Marmor. Erhalten sind zwei unverbundene Fragmente von Block A sowie ein Fragment von Block C (zur Zusammengehörigkeit siehe ins besondere Matthaiou 1988). Dass zwischen A und C ein weiterer Block gelegen haben muss, lässt sich daraus erkennen, dass sich auf Block C der Schluss des zweiten Distichons von Block A erhal ten hat (dies ist auch das wichtigste Argument für die Zusammengehörigkeit der drei Fragmente, die auch in der formalen Gestaltung der Schauseite und der Inschrift übereinstimmen). Dass die Fragmente Ag I 303 a und 303 b dem ersten Block der Basis zugehören, zeigt die entsprechend bearbeitete linke Seitenfläche von Ag I 303 b. Die Beschaffenheit der rechten Seitenfläche von M 3258 deutet darauf hin, dass rechts ein weiterer Block anschloss (dem sich bisher keine Frag mente zuordnen lassen), die Basis bestand also ursprünglich aus mindestens vier Blöcken (die sich zusammen wohl über mehr als 5 m erstreckt haben). Mit Block B wurde das im Jahr 1953 von Werner Peek publizierte Fragment Ag I 6963 in Verbindung gebracht, das hier als Peek-Fragment bezeichnet wird; die Zuordnung ist problematisch, wie Proietti 2011 gezeigt hat (siehe hierzu den nächsten Eintrag). Von den Epigrammen, die auf der Basis verzeichnet waren, haben sich auf den drei Fragmenten Teile von insgesamt sechs elegischen Distichen erhalten, die in zeitlicher Nähe zueinander von zwei unterschiedlichen Steinmetzen eingearbeitet wurden; das Arrangement lässt erkennen, dass ursprünglich weitere Verse existiert haben müssen. Zwei deiktische Pronomina (ἀνδρõν τõνδ’ und ἦν ἄρα το˜ι σζ’) lassen sich als Verweis auf entsprechende Namenslisten deuten (mögliche Erklärungen für das außergewöhnliche Auftreten zweier entsprechender Pronomina diskutiert Petrovic 2013, 50 f.). Die Struktur der Oberseiten der erhaltenen Fragmente deutet (analog etwa zu IG I3 1163 fr. d–f; siehe hierzu unten den entsprechenden Eintrag) auf ursprünglich mindestens drei oder vier in die Basis eingelassene Stelen hin, über deren Funktion sich allerdings nichts sicher sagen lässt – ob es sich etwa um Stelen mit Gefallenenlisten gehandelt haben könnte (dies ist die in der Forschung favorisierte Deutung; so auch Proietti 2021, 144 f.), bleibt letztlich hypo thetisch (dagegen erscheint eine Ausstattung mit Hermen [so Meritt 1956, 274–276] nicht mehr plausibel). Selbst die Frage, ob sich die Epigramme exklusiv, vorrangig oder überhaupt auf Ge fallene beziehen, wird ganz unterschiedlich beantwortet (siehe beispielsweise Bowie 2010 gegen Matthaiou). Das in IG II/III/III2 1006 genannte πολυανδρει˜ον wurde verschiedentlich als Hinweis auf die Existenz eines Kenotaphs für die Marathonomachoi in Athen gedeutet und mit dem vorliegen den Monument in Verbindung gebracht (Matthaiou 2000–2003, 197 f.; Tentori Montalto 2013 b, 141 mit Anm. 3), über eine gewisse Plausibilität hinaus lässt sich der Bezug aber nicht erhärten (skeptisch ist beispielsweise Proietti 2021, 147 Anm. 87). Die Epigramme werden weitgehend ein hellig auf die Perserkriege bezogen, allerdings gehen die Meinungen im Detail deutlich ausein ander. Insbesondere ist umstritten, ob die Epigramme auf mehrere Konflikte zu beziehen sind
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oder nur auf einen; so wird etwa ein möglicher Bezug zu Salamis/Psyttaleia diskutiert (Gomme 1956, 99; Pritchett 1960, 167–168; Meiggs/Lewis 1969, 56 f.; Proietti 2021, 153–158), während andere Beiträge von einem vorrangigen Bezug zu Marathon ausgehen (Matthaiou 2000–2003; Tento ri Montalto 2013 b; Arrington 2015, 43–48; Olson 2016, 52–56; Tentori Montalto 2017, 104–108). Seit die von Meritt 1956 publizierte Inschrift Ag I 4256 als vermeintliche Kopie des Monuments entfallen ist (dazu: Pritchett 1960, 160, Nr. 163; Immerwahr 1990, 94; Tracy 2000–2003; Matthai ou 2000–2003; Petrovic 2007, 160–61; Petrovic 2013, 48; Bowie 2010, 209–10; Proietti 2021, 150), ist es schwieriger, an der Konjektur ἔσχον γὰρ πεζοί τε [καὶ o’̄ κυπόρō ν ἐπὶ νεõ]ν festzuhalten und von einer Schlacht zu Land und zu Wasser auszugehen (so allerdings Proietti 2021, 148). Tentori Montalto 2013 b (und id. 2017, 104–108) bietet eine Deutung, der zufolge sich die Epigramme auf die Abwehr der Perser rund um die Schlacht von Marathon konzentrieren, mit Verweisen auch auf den darauffolgenden Versuch der Perser, Sunion zu umrunden und Athen vom Meer aus an zugreifen. Einer der an der Erstellung der Inschrift beteiligten Steinmetze hat wohl auch den Text von IG I3 4 umgesetzt (das Monument lässt sich präzise ins Jahr 485/484 datieren), paläografisch wird IG I3 503/504 A u. C aber weitgehend einhellig in die 470er Jahre eingeordnet (weniger ge nau möchte sich beispielsweise Olson 2016, 53 festlegen). lap. A fr. a a. 0,21 l. 0,46 cr. 0,18; litt. a. 0,010–0,017 lap. A fr. b a. 0,22 l. 0,28 cr. 0,18; litt. a. 0,010–0,017 lap. C a. 0,175–0,18 l. 1,313 cr. 0,478; litt. a. 0,014–0,02 Peek-Fragment IG I3 503/504 B = CEG 3
Kenotaph (?), 470er Jahre v. Chr. Möglicher Bezug zu Salamis/Psyttaleia Form und Funktion evtl. analog zu IG I3 503/504 A u. C
[Abb. 4] Ag I 6963 [Fundort röm. Agora nahe dem Turm der Winde] Abb.: Peek 1953, Pl. 69 c und 70 a; Proietti 2011, 45 fig. 4 Lit.: Peek 1953, 305–312; Stupperich 1977, Bd. 1, 209; Matthaiou 1988; Proietti 2011; Tentori Mont alto 2017, 108–110; Proietti 2021, 144 Anm. 78 [siehe zudem die oben zu IG I3 503/504 A u. C an geführte Literatur] Basisfragment aus pentelischem Marmor mit Teil eines Epigramms. Das Stück wurde 1953 von Werner Peek publiziert und wird hier als Peek-Fragment bezeichnet. Für die Zuordnung zu Block B von IG I3 503/504 A u. C (siehe hierzu den Eintrag oben) hat Matthaiou 2000–2003 argumentiert, Proietti 2011 (darin Peek 1953, 306 folgend) hat diese Verbindung wieder infrage gestellt (Tentori Montalto 2017, 104 und 108–110 akzeptiert dies zwar, hält die bisher vorgebrach ten Argumente für eine Unterscheidung in zwei Monumente aber nicht für zwingend). Sofern das vorliegende Fragment tatsächlich ein eigenständiges Monument bezeugt, weist die Inschrift jedenfalls formale Ähnlichkeiten mit IG I3 503/504 A u. C auf. Die auf dem Peek-Fragment erhal tenen Teile zweier Verse eines Epigramms beziehen sich auf Fußsoldaten und Reiter sowie auf eine Insel. Die auf der Annahme einer Unabhängigkeit von IG I3 503/504 A u. C entwickelten Deutungen des Fragments kreisen bisher um die Möglichkeiten eines Bezugs zu dem von Paus. 1.29.7 erwähnten Monument für die Gefallenen des Krieges gegen Aigina (so Stupperich 1977, Bd. 1, 209–212; Clairmont 1983, 106–111 Nr. 6 a), zu Salamis und Plataiaii (Peek 1953, 306, gefolgt von Tentori Montalto 2017, 109 f.) oder zu nicht näher bestimmten athenischen Gefallenenbestat-
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Nachweise
tungen der 470er Jahre (Proietti 2021, 144 Anm. 78); die erst- und letztgenannten Möglichkeiten erscheinen mir wegen der Nähe des Peek-Fragments zu IG I3 503/504 A u. C unwahrscheinlich; zugleich hat Proietti 2021, 153 und 158–166 (zwar mit Blick auf Lapides A u. C, das Argument lässt sich aber auf das Peek-Fragment übertragen) gegen die Identifikation mit Plataiaii argumentiert. Die von Proietti 2011, 46 vorgebrachten Argumente gegen die Zugehörigkeit des vorliegenden Fragments zum selben Denkmal wie A u. C schließen eine Bezugnahme des Epigramms zu Sa lamis/Psyttaleia nicht aus (insbesondere vor dem Hintergrund der Argumente von Tentori Montalto 2013 b, der IG I3 503/504 A u. C ausschließlich auf Marathon bezieht): Das vorliegende Fragment könnte also einem vergleichbar gestalteten Monument mit Bezug zu Salamis/Psyttaleia entstammen, oder das Fragment könnte auf einen Block zurückgehen, der zu demselben Monu ment wie IG I3 503/504 A u. C gehörte, aber nicht an den Block A oder den Block C anschloss. Falls es sich um ein anderes Monument gehandelt haben sollte, so würde das Peek-Fragment über dessen genaue Form und dessen ursprünglichen Aufstellungsort nur insoweit Auskunft geben, als es gegenüber IG I3 503/504 A u. C so klare formale Ähnlichkeiten aufweist, dass hier schwerlich ein Zufall vorliegen wird. a. 0,11 l. 0,18 cr. 0,24 litt. a. 0,013 IG I3 1142 = CEG 1
Gefallenengrabmonument (?), ca. 490–470 v. Chr. Kontext unbestimmt Evtl. isonome Gemeinschaftsbestattung
Athen, Agora-Museum I 555 [Fundort Agora (sekundär)] Abb.: Oliver 1935, 53 Nr. 15 Lit.: Oliver 1935, 53 f.; Peek 1940, 166 f.; Stupperich 1977, Bd. 1, 207 und Bd. 2, 115; Clairmont 1983, 90 f. Nr. 4; Ruggeri et al. 2013, 151 L32; Tentori Montalto 2017, 90 f. Basisfragment aus pentelischem Marmor eines Monuments mit ursprünglich mindestens zwei Basisblöcken. Auf dem Fragment haben sich Teile eines zweizeiligen Epigramms erhalten, lesen lässt sich [- - -]ε̣δέχσατο γα[˜ι α- - -] | [- - -]τ̣ε σιδάρεον α[- - -] (… nahm die Erde auf … | … eiser ne …). Ob ein Bezug zur Gefallenenbestattung besteht, wird unterschiedlich bewertet, das Frag ment scheint aber doch auf ein öffentliches Gefallenenmonument zurückzugehen (die Argumen te hat Tentori Montalto 2017, 90 f. nochmals zusammenstellt). Historisch näher kontextualisieren lässt sich das Fragment allerdings nicht. a. 0,16 l. 0,24 cr. 0,22 litt. a. 0,02 IG I3 1144 + IG I3 1145 + IG I3 1146
Gefallenengrabmonument, 464(?) v. Chr. Bezug zu Einsätzen in Sigeion, Kardia, Thasos, Eion Isonome Gemeinschaftsbestattung Unterschiedliche Einsatzorte, vermutlich kein Jahresinventar
[Abb. 5 und 6] IG I3 1144 (fr. a) EM 10232 [Fundort Tripodenstraße] (fr. b–d) verschollen [Fundort Spata] (fr. e) Ag I 7009 [Fundort Agora]
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IG I3 1145 Ag I 6882 [Fundort Agora] IG I3 1146 verschollen [Fundort unbekannt] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 15 und 16 Lit.: IG I2 928; Bradeen 1964, 16 f., Nr. 1; Bradeen 1967, 321–328; Loraux 1981, 34; Clairmont 1983, 127–130 Nr. 18; Pritchett 1985, Bd. 4, 178 f. Nr. 23; Badian 1993, 206 Anm. 21; Arrington 2010 a, 29, 62; Low 2010, 341 Anm. 3; Low 2012, 28; Ruggeri et al. 2013, 151 f. L33, L34 und L35; Zaccarini 2017, 168–173; Barbato 2020, 59; Stöhr 2020, 65–73 Fünf (mit IG I3 1145 und 1146 sieben) Stelenfragmente aus pentelischem Marmor von einem Mo nument aus mehreren (zehn?) Stelen auf einer (nicht erhaltenen) gemeinsamen Basis. Erhalten haben sich Teile einer nach Phylen und Ortsrubriken gegliederten Gefallenenliste (in Stoiche don); auf Stela B lässt sich die Phylenrubrik Οἰ[νε]ίς lesen. Evtl. gehören IG I3 1145 (siehe Ago ra 17, 6) und IG I3 1146 (so Meritt 1956, 375–377) zum selben Monument. Erstmals werden hier auf einem athenischen Gefallenengrabmonument unterschiedliche Einsatzorte genannt. Die Ortsrubriken Sigeion, Kardia, Thasos und Eion bringen das Monument mit den Ereignissen von 465/464 in Verbindung, als Kimon militärische Operationen auf der thrakischen Chersones so wie auf Thasos und dem der Insel gegenüberliegenden Festland leitete (Thuk. 1.100.2; Plut. Kim. 14.1 f.; dazu Sears 2013, 69–74) und parallel dazu eine Operation zur Kolonisierung des unteren Strymon-Tals durchgeführt wurde, in die Leagros und Sophanes, innenpolitische Rivalen des Kimon, involviert waren (Thuk. 1.100.3; Hdt. 9.75; Archibald 1998, 115; Humphreys 1999, 132 f.). Möglicherweise wurden hier also Gefallene von zwei operativ unabhängig voneinander durchge führten Kampagnen gemeinsam bestattet. Ob sich das Monument zugleich auf die Niederlage bei Drabeskos (Thuk. 1.100.3, 4.102) beziehen lässt (ein entsprechendes Monument erwähnt Paus. 1.29.4), ist unklar: Die entsprechende Orts rubrik ist auf den Fragmenten nicht erhalten, und die Einordnung von Drabeskos in die Abfolge der athenischen Operationen in Thrakien bleibt ungewiss – selbst wenn (mit guten Gründen) die Frühdatierung akzeptiert wird, die zwischenzeitlich (v. a. auf Basis von Schol. Aischin. 2.31 durch Badian 1988; Badian 1993, 81–86; Parker 1993, 139 f. mit Anm. 49; Parker 1994; gefolgt u. a. von Krumeich 1997, 64 f.) abgelehnt wurde (für die neue Communis Opinio siehe aber exemplarisch Hornblower 1991, 155; Rhodes 1998 a; Rhodes 2009, 354 f.; Zaccarini 2017, 155–168; Rahe 2019, 264 Anm. 28; Meyer 2020, 23–25). Die Einnahme von Enneahodoi wäre jedenfalls früher anzusetzen als die Niederlage bei Drabeskos, entsprechend wäre Enneahodoi auch unter den nicht erhal tenen Ortsrubriken von IG I3 1144 zu vermuten; da für den Kampf um diesen Ort eine gewisse Zahl an Opfern angenommen werden muss, würden die Stelen kaum genügend Platz lassen, da rüber hinaus noch eine annähernd plausible Zahl an Gefallenen der Schlacht bei Drabeskos zu verzeichnen – selbst wenn die Angabe von 10 000 Gefallenen (Thuk. 1.100.3 und 4.102.2; Isok. 8.86 [dazu Zaccarini 2017, 166]; Diod. 11.70.5 und 12.68.2) deutlich übertrieben sein sollte. Die von IG I3 1144 reflektierte Bestattung wäre demnach früher anzusetzen als diejenige der Gefalle nen von Drabeskos. Mit einer entsprechenden Verortung des Monuments in der Frühphase der athenischen Kolonisierungskampagne in Thrakien folge ich also (allerdings mit teilweise anderen Argumenten) Zaccarini 2017, 168–173. Die Erwähnung des Grabmals für die Gefallenen von Drabeskos bei Pausanias ist versehen mit dem mehrdeutig formulierten Vermerk, hier seien „als erste“ oder „zuerst“ diejenigen bestattet worden (πρω˜ τοι δὲ ἐτάφησαν οὓς …), die in Thrakien von den Edonen getötet wurden (Paus.
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Nachweise
1.29.4: πρω˜ τοι δὲ ἐτάφησαν οὓς ἐν Θρᾴκῃ ποτὲ ἐπικρατου˜ ντας μέχρι Δραβησκου˜ τη˜ ς χώρας Ἠδωνοὶ φονεύουσιν ἀνέλπιστοι ἐπιθέμενοι). Sofern diese Angabe überhaupt temporal zu verstehen ist (und nicht etwa räumlich bezogen auf die Verortung der Monumente im Kerameikos oder die Besichtigungsroute des Pausanias), handelt es sich möglicherweise um eine Fehlinformation. Im zweiten Kapitel dieser Arbeit wird herausgearbeitet, dass es sich wahrscheinlich weder bei IG I3 1144 noch bei der Bestattung für die bei Drabeskos Gefallenen um Jahresbegräbnisse der von Thu kydides beschriebenen Art gehandelt hat. IG I3 1144 (fr. a) a. 0,73 l. 0,26 cr. 0,09 (fr. b und c) Maße nicht bezeugt (fr. d) a. 0,37 l. 0,14 (fr. e) a. 0,33 l. 0,235 cr. 0,163; litt. a. 0,017–0,018 (Phylenrubrik) 0,013–0,016 (Namensliste) IG I3 1145 a. 0,26 l. 0,27 cr. 0,135 litt. a. 0,012–0,016 IG I3 1146 Maße nicht bezeugt IG I3 1147 Gefallenengrabmonument, 459/458 (od. 460/459) v. Chr. + IG I3 1147 bis(?) Bezug zu Einsätzen in Zypern, Ägypten, Phönikien, Halieis, Aigina, Megara Isonome Gemeinschaftsbestattung Unterschiedliche Einsatzorte, Jahresinventar [Abb. 7] IG I3 1147 Paris, Louvre Ma 863 [Fundort Kirche Agios Stavromenos] IG I3 1147 bis Ephorie Athen inv. 1001 [Fundort Epimenidosstraße 6] Abb.: Low 2012, Fig. 2.6 Lit.: IG I2 929; Loraux 1981, 34; Clairmont 1983, 130–135 Nr. 20 a; Pritchett 1985, Bd. 4, 179 f. Nr. 24; ML Nr. 33; Lewis 2000–2003, 13; Matthaiou 2003, 195; Kahn 2008, 426 f., 434, 439; Rhodes 2009, 355–358; Arrington 2010 a, 60–67; Arrington 2011, 183–186, 190 f., 196; Low 2012, 26 f.; Ruggeri et al. 2013, 153 L36 und L37; Arrington 2015, 100; Zaccarini 2017, 211–213; Goušchin 2019, 49; Barbato 2020, 59 f.; Stöhr 2020, 65–73 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefallenenliste der Phyle Erechtheis (in Stoichedon) sowie ein möglicherweise zugehöriges Fragment einer weiteren Stele von einem Mo nument aus ursprünglich wohl zehn (unverbundenen) Stelen auf einer (nicht erhaltenen) gemeinsa men Basis. Ein Zusammenhang mit den militärischen Operationen der Jahre 460–458 im östlichen Mittelmeerraum ist durch die Nennung der Einsatzorte in ll. 2 f. gesichert, das Problem der Feinda tierung lässt sich auflösen, wenn (mit Kahn 2008, 434) das Monument auf eine Phase im Verlauf (nicht zu Beginn) der athenischen Operationen in Ägypten bezogen oder (mit Rhodes 2009, 355– 358) der Beginn der Operationen in Ägypten im selben Jahr wie die Schlacht von Halieis angesetzt wird (das konfligiert allerdings mit der bei Badian 1993, 73–197 etablierten relativen Chronologie). Die vorliegende Studie (zweites Kapitel) argumentiert, dass es sich bei IG I3 1147 wahrscheinlich um die erste regelrechte Jahresbestattung in der von Thukydides beschriebenen Form gehandelt hat. IG I3 1147 a. 1,49 l. 0,57–0,63 cr. 0,08 litt. a. 0,022 (Überschrift) 0,016–0,018 (Liste)
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IG I3 1147 bis a. 0,395 l. 0,594 cr. 0,167 litt. a. 0,010–0,014 bzw. 0,014–0,016 (ll. 50 f.) IG I3 1149 = Paus. 1.29.8 f.
Gefallenengrabmonument der Argiver, 458/457 v. Chr. Bezug zur Schlacht von Tanagra Isonome Gemeinschaftsbestattung
[Abb. 8 und 9] (fr. a) EM 10276 [Fundort Akropolis] (fr. b) EM 10274 [Fundort Akropolis] (fr. c) BM 1923.1017.1 [Fundort Hadriansbibliothek] (fr. d) EM 10275 (fr. e) verschollen? [siehe Papazarkadas/Sourlas 2012, 608 Nr. e] (fr. f) EM 13312 [Fundort Agora] (fr. g) EM 13306 [Fundort Agora] (fr. h) EM 13305 [Fundort Agora] (fr. i) EM 13310 [Fundort Agora] (fr. j) EM 13308 [Fundort Agora] (fr. k) EM 13309 [Fundort Agora] (fr. l) EM 13307 [Fundort Agora] (fr. m) EM 13313 [Fundort Keramei kos] (fr. n) EM 13311 [Fundort Agora] (fr. o) Ephorie Athen ΠΛ 2338 (Depot Hadriansbibliothek) [Fundort Kladoustraße] Abb.: Papazarkadas/Sourlas 2012, fig. 5 (fr. a); fig. 11 (fr. b); fig. 9 (fr. c); fig. 12 (fr. d); Peek 1941, Tf. 11 Abb. 2 (fr. e); Papazarkadas/Sourlas 2012, fig. 8 (fr. f); fig. 13 (fr. h); fig. 14 (fr. i); fig. 15 (fr. j); fig. 3 (fr. k); fig. 10 (fr. l); fig. 4 (fr. m); fig. 7 (fr. n); fig. 1 (fr. o) Lit.: IG I2 931/2; Peek 1941, 34–40; Meritt 1945, 134–147; Meritt 1952, 351–355; Peek 1955, 6 Nr. 15; Bradeen 1964, 21 Nr. 4; Agora 17 Nr. 4; Peek 1978, 18 f. (vgl. SEG 28.30); Loraux 1981, 33; CEG 135; Clairmont 1983, 136–138 Nr. 21 a; Pritchett 1985, Bd. 4, 181 f. Nr. 25.2; ML Nr. 35; LSAG, 164 f. und 169; Arrington 2010 a, 61 f., 70; Low 2012, 17–19; Papazarkadas/Sourlas 2012; Ruggeri et al. 2013, 154 f. L40; Tentori Montalto 2017, 119–126; Stöhr 2020, 65–73, 210 f. 15 Fragmente einer von einem Pediment bekrönten Stele aus pentelischem Marmor, die im argivi schen Alphabet vier Kolumnen mit den in Stoichedon notierten, nach Phylen geordneten Rufna men gefallener Argiver unter einem zweizeiligen Epigramm anführt. Das Epigramm bezieht sich ausschließlich auf die Schlacht von Tanagra; obgleich die Namensliste die formalen Grundcha rakteristika der isonomen, nach Phylen gegliederten athenischen Bestattungspraxis übernimmt, so handelt es sich doch offenbar um eine direkt im Anschluss an die Rückkehr von der Schlacht (und damit nicht als Jahresbestattung) durchgeführte Beisetzung der Gefallenen, die wohl ent sprechend im Rahmen eines gesonderten Zeremoniells vorgenommen wurde. Das Monument ist auch deutlich aufwendiger verziert als die zeitgleichen athenischen Monumente. Zur Frage, wie eine Bestattung gefallener Verbündeter vor den Toren Athens zu bewerten ist, siehe die entspre chenden Ausführungen im dritten Kapitel. Für das ursprüngliche Gesamtmonuments lässt sich eine Breite von ca. 1,20 und eine Höhe von wohl mindestens 2,20 rekonstruieren (Papazarkadas/ Sourlas 2012, 601). (fr. a) a. 0,28 l. 0,31 cr. 0,16 (fr. b) a. 0,26 l. 0,26 cr. 0,15 (fr. c) a. 0,325 l. 0,34 cr. 0,082 (fr. d) a. 0,31 l. 0,25 cr. 0,107 (fr. e) a. 0,16 l. 0,19 cr. 0,055 (fr. f) a. 0,24 l. 0,295 cr. 0,16 (fr. g) a. 0,17 l. 0,11 cr. 0,12 (fr. h) a. 0,072 l. 0,075 cr. 0,06 (fr. i) a. 0,29 l. 0,26 cr. 0,22 (fr. j) a. 0,215 l. 0,19 cr. 0,06 (fr. k) a. 0,15 l. 0,175 cr. 0,08 (fr. l) a. 0,21 l. 0,17 cr. 0,07 (fr. m) a. 0,27 l. 0,41 cr. 0,26 (fr. n) a. 0,345 l. 0,36 cr. 0,155 (fr. o) a. 0,271 l. 0,20 cr. 0,11 litt. a. 0,025–0,03 (Überschrift) 0,015–0,016 (Namen)
336 IG I3 1158 = Paus. 1.29.7 (?)
Nachweise
Gefallenengrabmonument, Mitte 5. Jh. v. Chr. Möglicher Bezug zur Schlacht von Tanagra Isonome Gemeinschaftsbestattung Evtl. Monument für gefallene Kleonaier
(fr. a) EM 10235 [Fundort Akropolis] (fr. b) EM 13377 [Fundort Agora] Abb.: Bradeen 1964, Taf. 2 Nr. 3 Lit.: IG I2 851+; Bradeen 1964, 20 f. Nr. 3 (SEG 21.121); Agora 17 Nr. 8; Clairmont 1983, 146 Nr. 26; Pritchett 1985, Bd. 4, 182 Nr. 25.3; Papazarkadas/Sourlas 2012, 602 f.; Ruggeri et al. 2013, 156 L48 Zwei (zusammengehörige) Stelenfragmente aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Namens liste (in Stoichedon). Die Deutung als Gefallenenliste ist grundsätzlich plausibel. Die Namen [Δι]δύμαρχ - - -, ḥαλ[ ̣]οβάδ̣[ες] und Ὀρνεονι – – könnten nichtattisch sein. Für die Identifikation mit dem von Pausanias erwähnten Grab der Gefallenen aus Kleonai hat Pritchett argumentiert, dies bleibt allerdings unsicher. Die erhaltenen Fragmente weisen keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. (fr. a und b) a. 0,39 l. 0,20 cr. 0,185 litt. a. 0,012–0,015 IG I3 1182 + IG II/III/III2 2376
Gefallenengrabmonument, Mitte 5. Jh. v. Chr. Möglicher Bezug zur Schlacht von Tanagra Isonome Gemeinschaftsbestattung Evtl. Monument für gefallene Ionier
(fr. a) Ag I 895 b [Fundort Agora] (fr. b) Ag I 895 a [Fundort Agora] (fr. c) EM 5164 [Fundort unbekannt] (fr. d) Ag I 6992 [Fundort Agora] (fr. e) = IG II/III2 2376 Abb.: Hesperia 15, 170 f. (fr. a–c); Agora 17 Pl. 4 (fr. b–d); Clairmont 1983, Pl. 27–29 (fr. a–d) Lit.: IG II/III/III2 2376 + SEG 10.416; IG I3 Addendum p. 970; Pococke 1752, 53 Nr. 44; CIG 296; Meritt 1946, 169–171 Nr. 19; Bradeen 1964, 35–38 Nr. 9; Agora 17 Nr. 9 (fr. a–d); Lewis/Bradeen 1979, 244; Clairmont 1983, 139 Nr. 21 d; Pritchett 1985, Bd. 4, 182 Nr. 25.3; Papazarkadas/Sourlas 2012, 603 Anm. 107; Ruggeri et al. 2013, 166 L71 Fünf Stelenfragmente aus pentelischem Marmor mit Gefallenenliste (in Stoichedon) in zwei Ko lumnen, verfasst im ionischen Alphabet. Möglich, aber nicht gesichert, ist die Deutung als Monu ment der in der Schlacht bei Tanagra gefallenen Ionier. Die erhaltenen Fragmente weisen keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. (fr. a) a. 0,22 l. 0,15 cr. 0,125 (fr. b) a. 0,295 l. 0,11 cr. 0,16 (fr. c) a. 0,16 l. 0,14 cr. 0,10 (fr. d) a. 0,175 l. 0,068 cr. 0,10 litt. a. 0,018
Epigrafische Hauptquellen
337
SEG 51.52 Gefallenengrabmonument, 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Unpubliziert [siehe topografische Übersicht Nr. 4 (Fundort)] unpubl.; ADelt 34 (1979[1987]) B’ 1, 22 f. [Fundort Keramikou 93 (sekundär)] Lit.: ADelt 34 (1979[1987]) B’ 1, 22 f. = Karagiō rga-Stathakopoulou 1979[1987], 22 f.; Matthaiou 2003, 199 Nr. 4; SEG 51.52; Arrington 2010 a, 29, 136; Arrington 2010 b, 515; Arrington 2015, 61 Unpubliziertes Fragment einer Stele mit Gefallenenliste des 5. Jahrhunderts. IG I3 1150 + IG I3 1151 (?) + IG I3 1152 (?)
Gefallenengrabmonument, 2. Hälfte 450 er (?) Jahre v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
(fr. a) EM 10233 [Fundort bei Kirche Ypapanti] (fr. b) EM 10273 [Fundort bei Monastiraki] (fr. c) EM 10262 [Fundort unsicher] (fr. d) EM 10271 [Fundort bei Monastiraki] (fr. e) M 1213 [Fundort nahe Monastiraki]; IG I3 1151 (Fundort Kirche Agioi Apostoloi; verschollen); IG I3 1152 (Fundort bei Kirche Ypapanti; verschollen) Lit.: (zu IG I3 1150) IG I2 933+; Lewis/Bradeen 1979, 240 f.; Clairmont 1983, 145 f. Nr. 25; Matthai ou 1987; SEG 37.50; Ruggeri et al. 2013, 155 L41 (zu IG I3 1151) IG I2 937; Lewis/Bradeen 1979, 241; Clairmont 1983, 170 f. Nr. 35 a; Ruggeri et al. 2013, 155 L42 (zu IG I3 1152) IG I 438; IG I2 938; Pittakis 1852; Lewis/Bradeen 1979, 241; Clairmont 1983, 170 f. Nr. 35 b; Ruggeri et al. 2013, 155 L43 Fünf (mit IG I3 1151 und 1152 sieben) Fragmente aus pentelischem Marmor, die möglicherweise zu einem aus mehreren verbundenen Stelen bestehenden Grabmonument mit umfangreicher Liste an Gefallenen gehören. Nach Matthaiou 1987, 25–29 ist die Zusammengehörigkeit der fünf unter IG I3 1150 gelisteten Fragmente unsicher; da IG I3 1151 und IG I3 1152 verloren sind, lässt sich die Zugehörig keit nicht mehr überprüfen. Die erhaltenen Fragmente weisen keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. IG I3 1150 (fr. a) a. 0,59 l. 0,21 cr. 0,12 (fr. b)a. 0,35 l. 0,185 cr. 0,13 (fr. c)a. 0,21 l. 0,29 cr. 0,10 (fr. d) a. 0,195 l. 0,15 cr. 0,07 (fr. e) a. 0,35 l. 0,26 cr. 0,205 IG I3 1151 Maße nicht bezeugt IG I3 1152 a. ca. 0,35 l. ca. 0,255 cr. ca. 0,05 litt. a. 0,010–0,014 IG I3 1153
Gefallenengrabmonument, vor Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
(fr. a) Ag I 953 a [Fundort bei Süd-Stoa II] (fr. b) Ag I 953 b [Fundort südl. d. Agora] (fr. c–f) Ag I 953 c–f [Fundort südl. d. Süd-Stoa II] Abb.: Bradeen 1964, Taf. 1 Nr. 2 a–e Lit.: Bradeen 1964, 17–20 Nr. 2 (SEG 21.120); Agora 17 Nr. 6; Clairmont 1983, 144 f. Nr. 24; Ruggeri et al. 2013, 156 L44
338
Nachweise
Sechs Stelenfragmente aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefalleneniste (in Stoiche don) in zwei Kolumnen. Die Fragmente c, d, f passen zusammen, möglicherweise auch b und c. Aus wie vielen Stelen das Monument ursprünglich bestand, ist unklar. Die erhaltenen Fragmente weisen keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. (fr. a) a. 0,315 l. 0,15 cr. 0,185 (fr. b)a. 0,412 l. 0,156 cr. 0,183 (fr. c)a. 0,30 l. 0,24 cr. 0,18 (fr. d) a. 0,10 l. 0,08 cr. 0,05 (fr. e) a. 0,45 l. 0,15 cr. 0,19 (fr. f) a. 0,32 l. 0,26 cr. 0,185 litt. a. 0,014–0,015 IG I3 1159
Gefallenengrabmonument, vor Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung Evtl. Monument für gefallene Ionier
Ag I 2608 [Fundort Agora] Abb.: Meritt 1960, Taf. 21.114; Clairmont 1983, Pl. 37 Lit.: Meritt 1960, 65 f. Nr. 114 (SEG 19.40); Agora 17 Nr. 7; Clairmont 1983, 147 Nr. 28; Papazarka das/Sourlas 2012, 603 Anm. 107; Ruggeri et al. 2013, 157 L49 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer in ionischer Schrift verfassten Gefal lenenliste (in Stoichedon). Das Fragment wurde als Grabmonument für gefallene Verbündete der Athener gedeutet, so etwa für die Ionier, die die Athener in der Schlacht am Eurymedon, in Zypern oder in Ägypten unterstützt haben. Papazarkadas/Sourlas 2012 haben allerdings unter Rekurs auf Matthaiou 2009 b darauf hingewiesen, dass die ionische Schrift Mitte des fünften Jahr hunderts auch in offiziellen athenischen Inschriften bereits vorkommt. Das Fragment weist keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. a. 0,385 l. 0,325 cr. 0,158 litt. a. 0,013 IG I3 1155
Gefallenengrabmonument (?), Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Evtl. isonome Gemeinschaftsbestattung
EM 13356 [Fundort röm. Agora] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 41(d) Lit.: Agora 17 Nr. 5; Lewis/Bradeen 1979, 241; Clairmont 1983, 158 f. Nr. 31 a(d); Ruggeri et al. 2013, 156 L45 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Namensliste (in Stoichedon). Ob das Fragment einem Gefallenengrabmonument entstammt, ist unklar. Das Fragment weist keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. a. 0,15 l. 0,11 cr. 0,10 litt. a. 0,014
Epigrafische Hauptquellen
IG I3 1156
339
Gefallenengrabmonument (?), Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Evtl. isonome Gemeinschaftsbestattung
EM 10260 [Fundort Akropolis] Lit.: IG I2 853 a; Lewis/Bradeen 1979, 241; Clairmont 1983, 244 Nr. 82; Ruggeri et al. 2013, 156 L46 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Namensliste (in Stoichedon) in zwei Kolumnen. Ob das Fragment einem Gefallenengrabmonument entstammt, ist unklar. Das Frag ment weist keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. a. 0,24 l. 0,44 cr. 0,11 litt. a. 0,012–0,017 IG I3 1157
Gefallenengrabmonument, Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
EM 10272 [Fundort bei Kirche Agias Paraskeues] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 36 Lit.: IG I2 939; Lewis/Bradeen 1979, 241; Clairmont 1983, 146 f. Nr. 27; Ruggeri et al. 2013, 156 L47 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Gefallenenliste (in Stoichedon) in ursprünglich mindestens zwei Kolumnen. Die Deutung als Gefallenenmonument ist weitgehend gesichert. Das erhaltene Fragment weist keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. a. 0,58 l. 0,30 cr. 0,11 litt. a. 0,010–0,012 IG I3 1160
Gefallenengrabmonument, Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
Ag I 7098 [Fundort Agora] Abb.: Agora 17 Pl. 4.10 Lit.: Agora 17 Nr. 10; Clairmont 1983, 147 f. Nr. 29; Ruggeri et al. 2013, 157 L50 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefallenenliste (in Stoichedon). Re konstruieren lässt sich möglicherweise eine Phylenrubrik [Ἐρεχ]θ[είδος] oder [hιππο]θ[οντίδος]. Das Fragment weist keine Ortsrubriken auf. a. 0,38 l. 0,095 cr. 0,183 litt. a. 0,014–0,017
340 IG I3 1161
Nachweise
Gefallenengrabmonument, nach Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
(fr. a) EM 10269 [Fundort bei Monastiraki] (fr. b) Ag I 5901 [Fundort bei Kirche Ypapanti] Abb.: Meritt 1948, Taf. 18 (fr. a); Bradeen 1964, Taf. 2 (fr. a, b); Clairmont 1983, Pl. 38 f. (fr. a, b) Lit.: IG I2 959 (fr. a) + IG I2 941 (fr. b); Meritt 1948, 45 fl. Nr. 37 (SEG 10.412); Bradeen 1964, 21 Nr. 4 (SEG 21.122); Agora 17 Nr. 11; Clairmont 1983, 148 Nr. 30; Ruggeri et al. 2013, 157 L51 Zwei Stelenfragmente aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefallenenliste (in Stoiche don). Rekonstruieren lässt sich möglicherweise die Überschrift ἐ]ν τ[õι πολέμοι] sowie eine Phy lenrubrik [--ίδ]ος. Die Fragmente weisen keine Ortsrubriken auf. (fr. a) a. 0,32 l. 0,16 cr. 0,125 (fr. b) a. 0,39 l. 0,13 cr. 0,185 litt. a. 0,02 (Überschrift) 0,015 (Namen) IG I3 1166 Gefallenengrabmonument, nach Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Gemeinschaftsbestattung Nennung eines gefallenen Trierarchen verschollen [Fundort bei Kirche Ypapanti] Lit.: IG I2 953; Pritchett 1942, 238 (SEG 10.423); Lewis/Bradeen 1979, 242; Clairmont 1983, 207 Nr. 65; Low 2012, 26; Ruggeri et al. 2013, 161 L56; Arrington 2015, 97; Barbato 2020, 59 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefallenenliste (in Stoichedon). Re konstruieren lässt sich die Überschrift [hοί]δε ἐν τõι πο[λέμō ι ἀπέθανον] sowie die Phylenrubrik [Ἐρ]εχθ̣είδ̣[ος]. Gennant wird ein gefallener Trierarch. Das Fragment weist keine Ortsrubriken auf. a. ca. 0,34 l. ca. 0,21 cr. ca. 0,08 litt. a. Maße nicht bezeugt IG I3 1168
Gefallenengrabmonument, nach Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
(fr. a) EM 10267 [Fundort bei kl. Metropolis-Kirche] (fr. b) EM 10265 [Fundort bei kl. Metropo lis-Kriche] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 48 f. Lit.: IG I2 940; Lewis/Bradeen 1979, 243; Clairmont 1983, 170 Nr. 34; Ruggeri et al. 2013, 161 L58; Arrington 2015, 95 Zwei Stelenfragmente aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefallenenliste (in Stoiche don). Rekonstruieren lassen sich die Phylenrubriken Πα [̣ νδιονίδος] und [Κεκρ]οπίδος. Die Frag mente weisen keine Ortsrubriken auf.
Epigrafische Hauptquellen
341
(fr. a) a. 0,42 l. 0,15 cr. 0,25 (fr. b) a. 0,34 l. 0,23 cr. 0,25 litt. a. 0,015 (Phylenrubrik) 0,012 (Namen) IG I3 1169
Gefallenengrabmonument, nach Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
EM 5578 [Fundort unbekannt] Abb.: Bradeen 1964, Taf. 4.6; Clairmont 1983, Pl. 83 Lit.: Bradeen 1964, 29 f. Nr. 6 (SEG 21.133); Clairmont 1983, 207 Nr. 64; Ruggeri et al. 2013, 162 L59 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefallenenliste (in Stoichedon). Re konstruieren lässt sich die Phylenrubrik Ἀντιοχ[ίδος]. Das Fragment weist keine Ortsrubriken auf. a. 0,42 l. 0,26 cr. 0,15 litt. a. 0,015 (Phylenrubrik) 0,011–0,013 (Namen) IG I3 1172
Gefallenengrabmonument, nach Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
(fr. a) Ag I 3694 [Fundort Agora] (fr. b) Ag I 2378 a [Fundort Agora] (fr. c) Ag I 2378 b [Fundort Agora; zwei verbundene Fragmente] (fr. d) Ag I 2124 [Fundort Agora] (fr. e) Ag I 2427 [Fundort Agora] [Fragmente (b), (c) und (d) zusammengesetzt] Abb.: Bradeen 1964, Taf. 5; Clairmont 1983, Pl. 53 f. Lit.: Bradeen 1964, 35–38 Nr. 9 (SEG 21.135); Agora 17 Nr. 14; Loraux 1981, 33, 37; Clairmont 1983, 173 Nr. 40; Ruggeri et al. 2013, 162 f. L62 Sechs (teilweise verbundene) Stelenfragmente aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefalle nenliste (in Stoichedon). Die erhaltenen Fragmente weisen keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. (fr. a) a. 0,132 l. 0,135 cr. 0,063 (fr. b) a. 0,24 l. 0,11 cr. 0,165 (fr. c)a. 0,514 l. 0,083 cr. 0,102 (fr. d) a. 0,15 l. 0,085 cr. 0,09 (fr. e) a. 0,295 l. 0,11 cr. 0,105 litt. a. 0,013–0,016 IG I3 1175
Gefallenengrabmonument, nach Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung Wahrscheinlich Jahresinventar
(fr. a) EM 10277 [Fundort unbekannt] (fr. b) Ag I 3333 [Fundort Agora] (fr. c) Ag I 4193 [Fundort Agora] (fr. d) Ag I 6514 [Fundort Agora] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 52–54 Lit.: IG I2 958+; Bradeen 1964, 31–34; Agora 17 Nr. 15; Clairmont 1983, 171 f. Nr. 37; Ruggeri et al. 2013, 163 L65
342
Nachweise
Vier Fragmente, die möglicherweise demselben Gefallenenmonument aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefallenenliste (in Stoichedon) entstammen; die Namen sind nach Phylen ge gliedert. Die erhaltenen Fragmente weisen keine Ortsrubriken auf. Allerdings ist eine ursprüng liche Gliederung nach Einsatzorten wahrscheinlich, denn Gefallene der Phylen 8 bis 10 werden in der ersten der drei erhaltenen Spalten genannt, die Untergliederung nach Phylen scheint sich in den folgenden Spalten wiederholt zu haben, was auf eine übergeordnete Gliederung nach Ein satzorten hindeutet. (fr. a) a. 0,37 l. 0,27 cr. 0,105 (fr. b) a. 0,065 l. 0,09 cr. 0,062 (fr. c) a. 0,085 l. 0,092 cr. 0,105 (fr. d) a. 0,195 l. 0165 cr. 0,143 litt. a. 0,018 (Überschrift) 0,015 (Namen) IG I3 1176
Gefallenengrabmonument, nach Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
EM 10234 [Fundort Akropolis] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 51 Lit.: IG I2 966; Bradeen 1964, 31–34; Agora 17 Nr. 19; Lewis/Bradeen 1979, 243; Clairmont 1983, 173 Nr. 39; Ruggeri et al. 2013, 164 L66 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer nach Phylen geordneten Gefallenen liste (in Stoichedon). Das erhaltene Fragment weist keine Ortsrubriken auf. a. 0,29 l. 0,30 cr. 0,138 litt. a. 0,017–0,02 IG I3 1177
Gefallenengrabmonument, nach Mitte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
EM 10278 [Fundort unbekannt] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 53 Lit.: IG I2 965; Bradeen 1964, 31–34; Clairmont 1983, 172 Nr. 38; Ruggeri et al. 2013, 164 L67 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer (möglicherweise nach Phylen geord neten) Gefallenenliste (in Stoichedon). Das erhaltene Fragment weist keine Ortsrubriken auf. a. 0,24 l. 0,16 cr. 0,08 litt. a. 0,017 (Rubriken) 0,012 (Namen)
Epigrafische Hauptquellen
IG I3 1164
343
Gefallenengrabmonument, zweite Hälfte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung Monument für gefallene Lemnier aus Myrina
EM 10270 [Fundort bei Areopag] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 60 Lit.: IG I2 947; Meiggs 1972, 424 f.; Lewis/Bradeen 1979, 242; Clairmont 1983, 184 f. Nr. 46; Mat thaiou 2009 b, 204; Ruggeri et al. 2013, 160 L54 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer nach attischen Phylen gegliederten Namensliste (in Stoichedon). Die Gefallenen waren Lemnier aus Myrina (entweder Kleruchen oder Verbündete). Das erhaltene Fragment weist keine Ortsrubriken auf. a. 0,49 l. 0,242 cr. 0,135 litt. a. 0,02 (Überschrift) 0,015 (Namen) IG I3 1165
Gefallenengrabmonument, 2. Hälfte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
verschollen [Fundort bei Areopag] Lit.: IG I2 948; Lewis/Bradeen 1979, 242; Clairmont 1983, 185 f. Nr. 47; Matthaiou 2009 b, 204; Ruggeri et al. 2013, 161 L55 Stelenfragment mit Teilen einer nach Phylen gegliederten Gefallenenliste. Unter der Phylenru brik Hippothontis werden Lemnier (offenbar Kleruchen) genannt. Das erhaltene Fragment weist keine Ortsrubriken auf. Maße nicht bezeugt IG I3 1167 = CEG 8
Gefallenengrabmonument, 2. Hälfte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Evtl. isonome Gemeinschaftsbestattung
Athen, Epigrafisches Museum EM 10261 [Fundort unbekannt] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 47; Tentori Montalto 2017, Fig. 19 Lit.: IG I Suppl. 110 n. 462A; IG I2 935; Lewis/Bradeen 1979, 243; Clairmont 1983, 169 f. Nr. 33; Ruggeri et al. 2013, 161 L57; Tentori Montalto 2017, 142 f. Fragment einer Basis aus pentelischem Marmor. Auf dem Stein haben sich Teile von drei Zeilen eines ursprünglich wohl aus vier Versen bestehenden Epigramms sowie offenbar auch Teile einer Namensliste erhalten, die sich durch die im ersten Vers des Epigramms erhaltene Wendung οἵδ’ ἀρετ ΄ε̄ ν̣ – „diese (haben) die Tugend“ – als Gefallenenliste deuten lässt. Paläografisch kann die Inschrift in die zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts datiert werden, der historische Kontext lässt sich nicht näher bestimmen.
344
Nachweise
a. 0,235 l. 0,34 cr. 0,165 litt. a. 0,013–0,017 IG I3 1188
Gefallenengrabmonument, 2. Hälfte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
EM 10263 [Fundort in der Plaka] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 79 Lit.: IG I2 961; Bradeen 1964, 40 f.; Lewis/Bradeen 1979, 245; Clairmont 1983, 205 f. Nr. 61; Ruggeri et al. 2013, 169 L78 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefallenenliste (in Stoichedon). Mög licherweise ursprünglich Teil desselben Monuments wie IG I3 1189. Das erhaltene Fragment weist keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. a. 0,24 l. 0,14 cr. 0,13 litt. a. 0,011 IG I3 1189
Gefallenengrabmonument, 2. Hälfte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
Ag I 7061 [Fundort Agora] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 80 Lit.: Agora 17 Nr. 20; Lewis/Bradeen 1979, 245; Clairmont 1983, 206 Nr. 62; Ruggeri et al. 2013, 169 L79 Stelenfragment aus pentelischem Marmor mit Teilen einer in zwei Kolumnen gegliederten Ge fallenenliste (in Stoichedon). Möglicherweise ursprünglich Teil desselben Monuments wie IG I3 1188. Das erhaltene Fragment weist keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. a. 0,183 l. 0,285 cr. 0,15 litt. a. 0,012 IG I3 1193
Gefallenengrabmonument, 2. Hälfte 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
verschollen [Fundort unklar] Abb.: Raubitschek 1943, 44, 47 [Abb. der Abschrift von 1675] Lit.: Raubitschek 1943, 43–48; Bradeen 1964, 45; Lewis/Bradeen 1979, 245 f.; Clairmont 1983, 201 f. Nr. 58 c; Ruggeri et al. 2013, 173 L84 Stelenfragment mit Teilen einer nach Phylen gegliederten Gefallenenliste (in Stoichedon). Hin weise zur Abschrift der Inschrift durch G. Wheeler bietet Raubitschek 1943, 43–47 mit Anm. 100. Der überlieferte Text der Inschrift weist keine Hinweise auf Ortsrubriken auf. Maße nicht bezeugt
Epigrafische Hauptquellen
IG I3 1180
345
Gefallenengrabmonument, 439–435 v. Chr. Bezug zu Einsätzen in Sinope und Thrakien Isonome Gegemeinschaftsbestattung Wahrscheinlich Jahresinventar
(fr. a) EM 2651 (fr. b) Ag I 3181 a + Ag I 3181 b [zwei verbundene Fragmente] (fr. c) EM 2492 (fr. d) Ag I 6523 (fr. e) Mus. Ceram. I 66 Abb.: Clairmont 1983, Pl. 56 f. und 63 Lit.: IG I2 944+; Raubitschek 1943, 25–27; Meritt 1952, 340 f.; Bradeen 1964, 34 f.; Agora 17 Nr. 17; Lor aux 1981, 33; Clairmont 1983, 178–180 Nr. 43; Pritchett 1985, Bd. 4, 155 f., 187; Ruggeri et al. 2013, 165 L69 Sechs Stelenfragmente aus pentelischem Marmor mit Teilen einer Gefallenenliste (in Stoiche don); das Monument bestand ursprünglich aus mehreren Stelen. In der Inschrift werden auch Verbündete sowie nichtgriechische Bogenschützen gesondert ausgewiesen. Den Ortsrubriken waren möglicherweise Phylenrubriken übergeordnet, davon hat sich auf den bekannten Frag menten allerdings nichts erhalten. (fr. a) a. 0,21 l. 0,26 cr. 0,14 (fr. b) a. 0,495 l. 0,112 cr. 0,25 (fr. c) a. 0,08 l. 0,08 cr. 0,07 (fr. d) a. 0,27 l. 0,275 cr. 0,13–0,062 (fr. e) a. 0,147 l. 0,073 cr. 0,098 litt. a. 0,016–0,017 IG I3 1179 Gefallenengrabmonument, 432 v. Chr. = CEG 10 Bezug zur Schlacht von Potidaia Gemeinschaftsbestattung Vermutlich kein Jahresinventar [Abb. 10 und 11] (fr. a) BM 1816,0610.348 (fr. b) Ag I 2277 Abb.: Raubitschek 1943, 21 (fr. a), 22 (fr. b [ect.]); Clairmont 1983, Pl. 55 (fr. a und b) Lit.: IG I2 945+; Peek 1955, 8 f. Nr. 20; Agora 17 Nr. 16; Clairmont 1983, 174–177 Nr. 41; Pritchett 1985, Bd. 4, 186 Nr. 31; Arrington 2010 a, 63 mit Anm. 74, 68–70, 82; Obryk 2012, 14–17; Low 2010, 347 f.; Arrington 2011, 183–186; Ruggeri et al. 2013, 164 L68; Arrington 2015, 116; Tentori Montalto 2017, 130–134; Barbato 2020, 61 Zwei Fragmente aus pentelischem Marmor der Basis eines Monuments für die Gefallenen von Potidaia; drei Epigramme lassen sich rekonstruieren, die sich ausdrücklich auf die Schlacht von Potidaia beziehen, so dass wir es hier vermutlich nicht mit einer Jahresbestattung zu tun haben (siehe dazu auch die entsprechenden Ausführungen im dritten Kapitel). (fr. a) a. 0,31 l. 0,88 cr. 0,15–0,18 (fr. b) a. 0,11 l. 0,44 cr. 0,14 litt. a. 0,015
346 IG I3 1181 = CEG 4
Nachweise
Monument für gefallene Reiter, 431/430(?) v. Chr. Möglicher Bezug zum gemeinsamen Einsatz athenischer und thessalischer Reiter gegen Boioter Gemeinschaftsbestattung gefallener Reiter
verschollen [IG I2 946; Fundort bei Kirche Agia Irini (sekundär)] Lit.: IG I2 946(=930); IG II/III 1677; Wilhelm 1899, 221–227; Peek 1955, 6 Nr. 14; Clairmont 1983, 138 f. Nr. 21 c; Pritchett 1985, Bd. 4, 180 f. Nr. 25.1; Bugh 1988, 44 f.; Sourvinou-Inwood 1995, 191– 216; Petrovic 2007, 178–193; Arrington 2010 a, 66 mit Anm. 91; Ruggeri et al. 2013, 165 f. L70; Ar rington 2015, 116 f.; Tentori Montalto 2017, 134 f. Heute verlorenes Inschriftenfragment (eine von A. Postolakkas erstellte Abschrift wurde von U. Koehler in IG II/III 1677 veröffentlicht) aus weißem Marmor mit Teilen eines in Stoichedon ge schriebenen Epigramms, das literarisch in Anth. Pal. 7.254 erhalten ist und sich daher vollstän dig lesen lässt. Aus dem Epigramm – bes. l. 2: ἔχσοχοι hιππ]οσύνα[ι – ergibt sich die Deutung als Grabmonument für gefallene Reiter. Die Datierung ist unsicher. In Betracht gezogen werden vor allem die Konflikte um Tanagra/Oinophyta oder der gemeinsame Einsatz athenischer und thes salischer Reiter gegen Boioter 431/430. Ein Grab für die gefallenen thessalischen Reiter hat Pau sanias (1.29.6) im Kerameikos gesehen. Tentori Montalto 2017, 135 bringt auch die Möglichkeit einer Datierung ins Jahr 424 ins Spiel. Der Bezug zu 431/430 erscheint mir am plausibelsten: Für eine Verortung vor dem Hintergrund der veränderten Bedeutung der athenischen Reiterei und unter Berücksichtigung einer gewissen Nähe zu IG I3 1179 (das Monument für die Gefallenen der Schlacht von Potidaia) siehe die entsprechenden Ausführungen im dritten Kapitel. Fuchs 2008, 44 hat diesem Monument das sogenannte „Reiterrelief Albani“ (Villa Albani) zugewiesen, bei dem es sich aber wahrscheinlicher um ein privates Monument handelt (Arrington 2015, 229 f.). Maße nicht bezeugt IG I3 1183
Gefallenengrabmonument, ca. 430–425 v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung Wahrscheinlich Jahresinventar
(fr. a) Ag I 4168 [Fundort Agora] (fr. b) Ag I 6964 [Fundort beim Turm der Winde] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 58 Lit.: Bradeen 1964, 38 f. Nr. 10; Agora 17 Nr. 18; Clairmont 1983, 182–184 Nr. 44; Ruggeri et al. 2013, 166 L72; Barbato 2020, 59 Zwei Fragmente eines Gefallenenmonuments aus pentelischem Marmor mit Teilen einer nach Einsatzorten und Phylen gegliederten Namensliste (in Stoichedon). Die Formulierung [περὶ] | [τε̄̀ ν Πελ]οπόνν[ε̄ σον] in ll. 2 f. legt eine Verortung des Monuments im Archidamischen Krieg nahe. (fr. a) a. 0,25 l. 0,20 cr. 0,205 (fr. b) a. 0,32 l. 0,285 cr. 0,22 litt. a. 0,017 (Überschrift) 0,015 (Ortsrubrik) 0,017 (Phylenrubrik) 0,012 (Namen)
Epigrafische Hauptquellen
347
SEG 48.83 Monument für gefallene Reiter, 424/423(?) od. 430/429(?) v. Chr. Bezug zu Einsätzen in Megara, Tanagra, Spartolos Gemeinschaftsbestattung Unterschiedliche Einsatzorte, evtl. Jahresinventar der gefallenen Reiter [Abb. 12] Ephorie Athen M 4551 [Fundort bei Station Larissa (sekundär)] Abb.: Parlama 2000, 396–398; Walter-Karydi 2015, 180 Abb. 99 Lit.: Parlama 1992–1998, 536 (SEG 46.29); BCH 122 (1998), 726; Parlama 2000, 396–399 Nr. 452 (SEG 48.83); Matthaiou 2009 b, 203–204 (SEG 59.15 und 59.77); Papazarkadas 2009 (SEG 59.77); Arrington 2010 a, 60 f., 63; Arrington 2010 b, 521 und 530 mit Anm. 170 (SEG 60.11 und 60.118); Matthaiou 2010, 14–16; Arrington 2011, 183–186, 196–198; Matthaiou 2011 b (SEG 61.80); Low 2012, 19; Papazarkadas/Sourlas 2012, 603 mit Anm. 107; Ruggeri et al. 2013, 174 L86; Walter-Karydi 2015, 181 f.; Davies 2014, 285–298 (SEG 64.50); Marchiandi 2014 a, bes. 1443, 1445, 1448, 1451, 1454 f.; Arrington 2015, 101 Anm. 41; Tentori Montalto 2017, 135–142; Arrington (in Druckvorbereitung) Weitgehend intakte Stele aus pentelischem Marmor mit Relief (Kampfszene zwischen Reitern und Fußsoldaten), einem vierzeiligen Epigramm, zwei in unterschiedlichen Alphabeten (ll. 1–21: ionisch; ll. 22–52: attisch) verzeichnete, nach Phylen geordnete Gefallenenlisten sowie darunter einem weiteren Namen unter dem Rubriktitel [hι]πποτοχσότης. Die Stele wurde 1995 bei Grabun gen in der Nähe der Metrostation Larissa entdeckt, die maßgebliche Edition steht noch aus; die bisherige Forschung basiert im Wesentlichen auf Parlama 2000 mit einer knappen Beschreibung und ersten Einordnung des Monuments sowie den dort publizierten Fotos (ein weiteres, aussage kräftigeres Foto bietet Walter-Karydi 2015, 180 Abb. 99). Die Inschrift weist formale Besonderheiten auf, die zu teils kuriosen Erklärungsversuchen geführt haben. Nach Matthaiou 2009 b spricht allerdings nichts grundsätzlich dagegen, dass das ionische und das attische Alphabet im selben Zeithorizont zum Einsatz kamen; dass sich ferner die vermeint lichen Anachronismen, die verschiedentlich in den Ortsangaben gesehen wurden, auflösen lassen, hat Tentori Montalto 2017, bes. 141 f. gezeigt: Die in der Inschrift genannten Einsatzorte (Megara, Tanagra, Spartolos) sprechen demnach nicht grundsätzlich dagegen, beide Listen auf dasselbe Jahr zu beziehen. Formale Unstimmigkeiten lassen sich bei anderen athenischen Gefallenenmonumen ten ebenfalls ausmachen, daher ist auch die Hypothese einer Initiative durch die Reiter (anstatt durch die Polis) keineswegs zwingend. Erklärungsbedürftig wäre dann primär, dass das Gefecht bei Megara gegenüber den beiden anderen Konflikten besonders gewürdigt wird und von den dort Gefallenen die Mitglieder der Phyle Oineis erkennbar hervorgehoben werden. Unter der fast ein hellig vertretenen Prämisse, dass das so nicht ursprünglich geplant gewesen sein kann, wurden un terschiedlichste Hypothesen einer vermeintlich sukzessiven Entstehung der Inschrift vorgebracht. Die Annahme einer Entstehung in mehreren, möglicherweise über Jahre hinweg erfolgten Schritten bringt aber ganz eigene Schwierigkeiten mit sich und würde an der höheren Gewichtung der in der obersten Liste genannten Gefallenen und dort speziell der acht Mitglieder der Phyle Oineis auch nichts ändern; zudem ist die Inschrift so, wie wir das auch von anderen Monumenten kennen (z. B. IG I3 1147 [Abb. 7]; SEG 52.60 [Abb. 16]; IG I3 1186 [Abb. 17]; IG I3 1190 [Abb. 18]; IG I3 1162 [Abb. 22]; IG I3 1192 [Abb. 23]), weitgehend stimmig auf die verfügbare Fläche der Schauseite ange passt, zumal sie fast durchgängig auf einem einheitlichen Stoichedon-Raster basiert (zu den weni gen Abweichungen: Tentori Montalto 2017, 137). Auch wenn in der oberen Liste die Gefallenen der
348
Nachweise
Erechtheis, Aigeis, Pandionis und Kekropis etwas enger gesetzt und gegenüber den acht Gefallenen der Oineis leicht abgesetzt erscheinen, so wurden das Epigramm und die 12 Namen doch von einer einzigen Hand in den Stein übertragen. An der Erstellung der Inschrift insgesamt waren mindestens zwei Steinmetze beteiligt, wahrscheinlich erfolgte die Ausarbeitung damit auch in getrennten Ar beitsschritten, für die aber kein großer zeitlicher Abstand angenommen werden muss. Das eigentliche Problem liegt also möglicherweise in der Annahme, eine Gewichtung der betei ligten Einheiten und ihrer Einsätze nach Verdienst bzw. Bedeutung könne in einem athenischen Gefallenenmonument nicht intendiert gewesen sein. Wird diese Prämisse zurückgestellt, fällt eine Deutung der Inschrift leichter: Es könnte sich um das inschriftliche Inventar von insgesamt 31 athenischen Reitern und einem berittenen Bogenschützen (offenbar ein Nichtathener, da er keiner Phyle zugeordnet wird) handeln, die im Laufe einer Kriegssaison an drei unterschiedli chen Einsatzorten gefallen sind. Aus nicht näher bekanntem Grund hebt das Monument einen Konflikt Athens mit Megara besonders hervor (Matthaiou 2011 b hat die Wendung Ἀλκαθόō παρά τείχεσιν auf Spartolos bezogen, siehe aber Tentori Montalto 2017, 140); die Phyle Oineis hat in diesem Kampf den mit Abstand höchsten Blutzoll erbracht (und sich vermutlich auch unabhängig davon spezielle Verdienste im Kampf erworben), so dass es den Hinterbliebenen offenbar geboten erschien, ihren Einsatz im Rahmen der Bestattung auf besondere Weise zu würdigen und dafür sogar bei der Nennung der Phylen punktuell die offizielle Reihenfolge aufzubrechen (zum kom plexen Verhältnis zwischen Phylen und Polis und den teils konkurrierenden Deutungsmustern siehe Steinbock 2017; dass die Schwere der Verluste einer Phyle durchaus zum Argument werden konnte, bezeugt Lys. 16.15; die sozialgeschichtlichen Implikationen arbeitet Davies 2014 heraus). Tendenzen einer zunehmenden Gewichtung nach Status und Verdienst lassen sich für die atheni sche Gefallenenbestattung ab den 430er Jahren über eine ganze Reihe an Indizien nachvollziehen (siehe dazu beispielsweise Futás 2022), die hier vertretene Deutung des Monuments fügt sich weit gehend zwanglos in diese breiteren Entwicklungstendenzen ein (siehe dazu auch die entsprechen den Ausführungen im dritten Kapitel; dort werden auch Hinweise darauf diskutiert, dass bereits im Zusammenhang mit dem Sieg über Samos 439 sowie nach der Schlacht von Potidaia 432 die Gefallenen einer bestimmten Schlacht gegenüber anderen Gefallenen hervorgehoben wurden). Die bislang plausibelsten Vorschläge zur Datierung des Monuments bieten Davies 2014, 289 f. mit Anm. 26 und Tentori Montalto 2017, bes. 141 f., demnach könnten alle drei Konflikte zu den von Thuk. 4.66–74, 93–101, 109–116, 120–123 berichteten Ereignissen von 424 passen (ein wei teres mögliches Indiz: Aristoph. Hipp. 266–268 thematisiert einen Antrag auf Errichtung eines μνημει˜ον für die Tapferkeit der Reiter, die Komödie wurde 424 aufgeführt), alternativ wären bei Thukydides nicht angeführte Konflikte mit Megara und Tanagra 430/429 denkbar, für 429 be zeugt Thuk. 2.79 die Auseinandersetzung mit Spartolos. Die auf der Stele verzeichneten Namen sind inzwischen in PAA Bd. 11–16 und 19 (Addenda and Cor rigenda) nachgewiesen, prosopografisch wurde die Inschrift von Angelos Matthaiou (2011 b) und John Davies (2014) untersucht. Von Marco Tentori Montalto (2017, 135–142) stammt die bislang ge naueste Rekonstruktion des Epigramms. Auf der Basis der aktuell zugänglichen Informationen kann mit der unten vorgestellten Transkription eine gegenüber den bisherigen Vorschlägen verbesserte und ergänzte Lesart der Inschrift geboten werden. Da die Angabe [hι]πποτοχσότης | [.3.]αν in den beiden letzten Zeilen offensichtlich nicht zur vorausgehenden Liste athenischer Phylenmitglieder gehört, habe ich ab l. 41 die Zeilenzählung gegenüber den bisherigen Transkriptionen angepasst.
Epigrafische Hauptquellen
349
a. 2,10 l. 0,82–0,83 cr. 0,26–0,27 litt. a. 0,012 (ll. 1–4) 0,022–0,024 (l. 5), 0,016–0,019 (ll. 6–21) 0,013–0,015 (ll. 22–52) 0,012–0,013 (ll. 53 f.) 1 οἵδ’ ἀρετη˜ ς ἐθέλοντες ἔχε̄ λ λόγον ἔξοχον ἀνδρω˜ ν | π̣εζω˜ ν ἱππη˜ ες στε�σαν ἔναντα μάχην, | μ̣εν� αν δ’ Ἀλκαθόō παρά τείχεσιν, ἀντίον Ἄρη | τ̣ολμήσαντες ὁρα˜ ν λαμπρόν ἐγειρόμενον. 5
Οἰνηΐδος·
[Ἄ]σ̣ τειος Ἠλει˜ος [Τι]μησίθεος Οἴναρχος [Στ?]ησαγόρας 15 Βαθυκλη˜ ς ̣ [Δ]ιογείτων 10 Ἀριστογείτων Αἰγηΐδος Εὐρυκλείδης Ἐρεχθηΐδος· Πανδιονίδος· Εὐφίλητος Μενέξενος 20 Κεκροπίδος· Μενέδημος 22
hοίδε Ἀθεναίō ν hιππε�ς ἀπέθανο[ν] | ἐν Τανάγραι καὶ ἐ Σπαρτόλō [ι]·
Ἐρεχθε̄ ΐδος· Οἰνε̄ ΐδος· 25 Δε̄ μοσõν Ἐπικλε�ς [Δ]ε̄ μοφάνε̄ ς Κεκροπίδος· [Π]ύθō ν Κλέϊππο[ς] Ạ ἰγε̄ ΐδος· 45 Ἀρίστυ[λ]λος [Ἐ]τέανδρος hιπποθō ντίδος· 30 [Ε]ὐαγόρας Χσενοφõν [Π]ανδιονίδος· Αἰαντίδος· [Ἁ]γνόθεος hιπποκλείδ[ε̄ ς] [Π]ολύστρατος 50 Ἀντιοχίδος· Αὐτίας Τιμόμαχος 35 Λεοντίδος· Λυσίβιος Λυσίμαχος Διοκλε̄ ς Ἀκαμαντίδος· Χσάντιππος 40 [Λ]υσίστρατος 53 [hι]πποτοχσότης 54 [.3.]ον
350 IG I3 1163 = CEG 5 = Paus. 1.29.13 (?)
Nachweise
Gefallenengrabmonument, 424/423(?) v. Chr. Möglicher Bezug zur Schlacht von Delion Isonome Gemeinschaftsbestattung Wahrscheinlich kein Jahresinventar
[Abb. 13 und 14; siehe topografische Übersicht Nr. 12 (Fundort)] (fr. a) EM 13344 (fr. b) EM 12883 (fr. c) EM 10279 (fr. d) EM 12745 (fr. e) EM 12746 (fr. f) EM 12747 [fr. d–f Fundort bei Kreuzung Leokoriou und Dipilou (sekundär)] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 42 f. (fr. d, e, f) Lit.: IG I2 942 + SEG 21.123; Peek 1955, 7 f. Nr. 17; Mattingly 1963, 261 f.; Bradeen 1964, 21–29 Nr. 5; Clairmont 1983, 158–165 Nr. 31 a–b; Pritchett 1985, Bd. 4, 184 Nr. 28; SEG 40.37; Tsirigoti-Drako tou 2000; Papazarkadas 2009; Arrington 2010 a, 60 f., 64 f., 70, 81 f. (mit Umzeichnung von fr. d–f [Aufsicht] S. 252 Abb. 22); Arrington 2010 b, 510; Arrington 2011, 183–186, 194 f.; Arrington 2012 (SEG 62.37); Low 2012, 26, 30 f.; Ruggeri et al. 2013, 159 f. L53; Arrington 2015, 95 f., 105–107; Ten tori Montalto 2017, 143–151; Barbato 2020, 61 Vier Fragmente aus pentelischem Marmor einer Stele mit einer in Stoichedon verfassten Gefal lenenliste (IG I3 1163 fr. a–c [fr. a besteht aus zwei verbundenen Fragmenten]) sowie drei Frag mente einer Basis mit Epigramm (fr. d–f). Erhalten hat sich im Bereich der Stelenüberschrift die Phylenrubrik [hιπ]ποθοντίς. Die Basis hat ursprünglich wohl fünf Stelen getragen. Ob die Ba sisblöcke zuden unter IG I3 1163 angeführten Stelenfragmenten gehören, lässt sich bislang nicht abschließend klären (siehe dazu insbes. Arrington 2012, 65: „lists fragments IG I3 1163 a–c may belong with base IG I3 1163 d–e, but this attribution is not secure“). Auch keine anderen bekann ten Stelenfragmente lassen sich sicher den Basisblöcken zuweisen: Koumanoudis 1964 und Papa giannopoulos-Palaios 1965, 19 f. haben das Stelenfragment IG I3 1186 b mit der Basis in Verbindung gebracht, die Maße des Steins passen allerdings nicht zu den Vertiefungen auf den Oberseiten der Basisblöcke (Arrington 2012, 65); der Inschriftenblock SEG 52.60, den Tsirigoti-Drakotou 2000 (zunächst gefolgt von Papazarkadas 2009, 76, s. a. SEG 59.78) mit den Stelenfragmenten und Basisblöcken von IG I3 1163 in Verbindung gebracht hat, gehört nicht dazu (Arrington 2012, 66 f.). Die Zuweisung der Basisblöcke zur Schlacht von Delion 424 erscheint plausibel; siehe dazu Mattingly 1963, 261 f., tentativ gefolgt von Papazarkadas 2009, 83 Anm. 61 und gestützt durch die detaillierte Analyse bei Arrington 2012 (SEG 62.37), der gezeigt hat, dass die ursprünglich in die Basis eingelassenen Stelen über 1 100 Gefallene verzeichnet haben könnten und dass Spuren einer Umarbeitung des Monuments zu den historischen Umständen von 424/423 passen (Arrington bringt die Möglichkeit ins Spiel, dass bei der Umarbeitung eine weitere Basis mit der Inschriften stele IG I3 1184 ergänzt wurde). Tentori Montalto 2017, 146 f. schließt aus paläografischen Grün den die Möglichkeit aus, die Basis in die Zeit der Sizilienexpedition zu datieren; zugleich zeigt er (ibid., 147–151) anhand einer inhaltlichen Analyse des Epigramms (insbesondere mit Blick auf das in vv. 3 f. erwähnte Eingreifen eines Halbgottes in den Kampf), dass die ebenfalls diskutierte Mög lichkeit eines Zusammenhangs mit der Schlacht von Koroneia weniger wahrscheinlich ist als ein Bezug zur Schlacht von Delion. Auf den Fragmenten der Gefallenenliste haben sich keine Ortsru briken erhalten; das auf den Basisfragmenten erhaltene Epigramm scheint sich (insbesondere mit den Formulierungen in l. 34: τλε̄΄μονες hοι˜ον ἀγõνα μάχε̄ ς τελέσαντες ἀέλπ[τō ] sowie ll. 36 f. ἀλλά τις hυμα˜ ς | hε̄ μιθέō ν, θείαν [ε̄᾿΄σοδο]ν ἀντιάσας) inhaltlich auf eine spezifische Konfrontation, nicht auf mehrere Einsatzorte zu beziehen.
Epigrafische Hauptquellen
351
fr. a a. 0,43 l. 0,34 cr. 0,185; a. litt. 0,020–0.025 (Überschrift) 0,015–0,017 (Namen) fr. b a. 0,31 l. 0,21 cr. 0,185; a. litt. 0,020–0.025 (Überschrift) 0,015–0,017 (Namen) fr. c a. 0,36 l. 0,34 cr. 0,185; a. litt. 0,015–0,017 fr. d (= Basisblock I) a. 0,205 l. 2,08 cr. 0,433; a. litt. 0,018 fr. e (= Basisblock II) a. 0,205 l. 1,47 cr. 0,433; a. litt. 0,018 fr. f (= Basisblock III) a. 0,205 l. 1,932 cr. 0,433; a. litt. 0,018 IG I3 1184
Gefallenengrabmonument, 424/423 v. Chr. Bezug zu Einsätzen in Potidaia, Amphipolis, Thrakien, Pylos, Sermylia, Singos Isonome Gemeinschaftsbestattung Unterschiedliche Einsatzorte; wahrscheinlich Jahresinventar
[Abb. 15] BM 1816,0610.173 Abb.: Clairmont 1983, Pl. 61 Lit.: IG I2 949; Bradeen 1969, 155 f.; Lewis/Bradeen 1979, 244; Loraux 1981, 33 f.; Clairmont 1983, 186–188 Nr. 49; Pritchett 1985, Bd. 4, 194 Nr. 47; Arrington 2012, bes. 69 f. (SEG 62.38); Ruggeri et al. 2013, 167 L73; Arrington 2015 Weitgehend intakt erhaltene Stele aus pentelischem Marmor mit Gefallenenliste (in Stoichedon) in zwei Kolumnen, die in Gliederung nach Phylen mehreren Schlachtorten (Potidaia, Amphipo lis, Thrakien, Pylos, Sermylia, Singos) zugeordnet sind; nicht alle Ortsnamen, die in der Liste ver zeichnet waren, haben sich auf dem Fragment erhalten. Wenn die historische Einordnung zutrifft, sind als weitere Einsatzorte Argilos, Galepsos, Lekythos, Oisyme und Torone denkbar. Arrington 2012, 69 f. deutet die Stele als Teil einer im Winter 424/423 vorgenommenen Ergänzung zu jenem Gefallenenmonument, dem die Basisblöcke IG I3 1163 d–f entstammen (siehe hierzu oben den entsprechenden Eintrag zu IG I3 1163). a. 0,92 l. 0,54 cr. 0,09 a. litt. 0,01–0,02 IG I3 1185 + IG I3 240(k) (?) = Paus. 1.29.13 (?)
Gefallenengrabmonument, 422/421(?) v. Chr. Möglicher Bezug zur Schlacht von Amphipolis Isonome Gemeinschaftsbestattung
IG I3 1185 (fr. a) EM 10268 [Fundort bei Kirche Agia Thekla] (fr. b) Ag I 888 a [Fundort Agora] (fr. c) Ag I 888 b [Fundort Agora] [Fragmente (b) und (c) passen zusammen]; IG I3 240(k) Ag I 590 Abb.: Clairmont 1983, Pl. 62 f. Lit.: IG I2 956+; Agora 17 Nr. 19; Clairmont 1983, 188 f. Nr. 50 a; Lambert 2002 (SEG 52.61); Rug geri et al. 2013, 168 L74
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Nachweise
Drei (oder mit IG I3 240[k] vier) Stelenfragmente aus pentelischem Marmor mit Teilen einer umfangreichen Gefallenenliste (in Stoichedon). Die erhaltenen Fragmente weisen keine Phylenoder Ortsrubriken auf; allerdings deutet eine Lücke zwischen l. 35 und l. 36 auf eine Unterglie derung hin. Ein möglicher Bezug zur Schlacht von Amphipolis wird in der Forschung diskutiert, bleibt aber unsicher. IG I3 1185 (fr. a) a. 0,21 l. 0,34 cr. 0,245 (fr. b+c) a. 0,50 l. 0,55 cr. 0,245 IG I3 240(k) a. 0,073 l. 0,077 cr. 0,047 litt. a. 0,011 SEG 52.60
Gefallenengrabmonument, 412/411(?) v. Chr. Möglicher Bezug zur Sizilienexpedition Isonome Gemeinschaftsbestattung
[Abb. 16; siehe topografische Übersicht Nr. 11 (Fundort)] EM 13527 [Fundort Asomaton 22 (sekundär)] Abb.: Tsirigoti-Drakotou 2000, 95; Tsirigoti-Drakotou 2007, 477 Lit.: (ed. pr.) Tsirigoti-Drakotou 2000, 87–110; Tsirigoti-Drakotou 2007, 471–478; Matthaiou 2009 a, 211–216; Papazarkadas 2009 (SEG 59.78); Arrington 2010 a, 29, 60–65, 184; Arrington 2011, 183–186; Arrington 2012, bes. 66 f. (SEG 62.37); Ruggeri et al. 2013, 169 L76; Arrington 2015 Weitgehend intakt erhaltene Stele eines Grabmonuments mit einer in Stoichedon verfassten Gefallenenliste (zu weiteren, bisher nicht publizierten Fragmenten des Monuments: Tsirigo tou-Drakotou 2000[2004], 87 Anm. 2, 111). Der Name der Phyle Erechtheis hat sich erhalten, auf der Stele wurden vermutlich die Gefallenen von zwei Phylen (Erechtheis und Aigeis) genannt, das zugehörige Monument hat damit ursprünglich wohl fünf Stelen umfasst. Die zunächst ver mutete Zugehörigkeit zu den Stelenfragmenten IG I3 1163 a–c (eine Stele der Phylen Kekropis und Hippothontis) ist denkbar, aber nicht wahrscheinlich, die Verbindung mit den Basisblöcken IG I3 1163 d–f hat sich nicht bestätigt (Arrington 2012, 66 f.; siehe hierzu auch oben den Eintrag zu IG I3 1163). Das Fragment weist keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. a. 1,54 l. 0,545–0,525 cr. 0,195 litt. a. 0,027–0,030 (Phylenname) 0,015–0,018 (obere Liste) 0,012–0,015 (untere Liste) IG I3 1186
Gefallenengrabmonument, 411(?) v. Chr. Möglicher Bezug zur Sizilienexpedition Gemeinschaftsbestattung; Nennung militärischer Ämter
[Abb. 17] (Stela A) EM 10617 [Fundort unbekannt] (Stela B) EM 13190 [Fundort in Peristeri] Abb.: Mastrokostas 1955, Πιν. 1 und 2 Lit.: IG I2 955 + SEG 19.42; Mastrokostas 1955; Bradeen 1969, 156–159; Lewis/Bradeen 1979, 245; Clairmont 1983, 193–195 Nr. 55 b; Tsirigoti-Drakotou 2000, 100 f.; Arrington 2010 a, 64 mit Anm. 78; Ruggeri et al. 2013, 168 L75; Barbato 2020, 59
Epigrafische Hauptquellen
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Zwei Stelen aus pentelischem Marmor von einem aus fünf Stelen bestehenden Grabmonument mit umfangreicher, nach Phylen geordneter Gefallenenliste (in Stoichedon). Mastrokostas 1955 hat das Monument mit der Sizilienexpedition in Verbindung gebracht. Die von Koumanoudis 1964 und Papagiannopoulos-Palaois 1965, 19 f. vorgeschlagene Verbindung von IG I3 1186 b mit den Basisfragmenten IG I3 1163 d–f lässt sich nicht aufrechterhalten (siehe hierzu auch oben den entsprechenden Eintrag). In der Liste werden mehrere genannte Personen mit ihren militäri schen Ämtern angeführt (siehe hierzu auch die entsprechenden Ausführungen im dritten Kapi tel). Die erhaltenen Fragmente weisen keine Ortsrubriken auf. EM 10617 a. 1,556 l. 1,034 cr. 0,155 EM 13190 a. 1,55 l. 1,024 cr. 0,205 litt. a. 0,012 (Namen) 0,021 (Phylenrubriken) IG I3 1190 Gefallenengrabmonument, 411(?) v. Chr. Gemeinschaftsbestattung Nennung militärischer Ämter [Abb. 18] Paris, Louvre Ma 864 [Fundort Kirche Agios Stavromenos] Lit.: IG I2 950; Bradeen 1964, 41 f. Nr. 13; Bradeen 1969, 147 f., 153; Lewis/Bradeen 1979, 245; Lor aux 1981, 33, 37; Clairmont 1983, 195–197 Nr. 56; Arrington 2010 a, 60–62; Low 2012, 21; Ruggeri et al. 2013, 170 L80; Arrington 2015, 192, 221; Stöhr 2020, 65–73 Weitgehend intakt erhaltene Stele aus pentelischem Marmor mit umfangreicher Gefallenenlis te (in Stoichedon) in drei Kolumnen. Die Namen sind Phylenrubriken untergeordnet. In den erhaltenen Teilen der Liste werden zwei Personen als τριε̄΄(ραρχος) (ll. 3 und 42) ausgewiesen, zudem werden ein φύλαρχ(ος) (l. 179) und (allerdings unsicher) auch ein φρό[ραρχος] (l. 73) an geführt; siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen im dritten Kapitel. Die Liste führt zudem mindestens sieben Verbündete sowie mindestens vier nichtgriechische Bogenschützen an. Die Liste weist keine Ortsrubriken auf, dennoch ist möglich, dass sie ursprünglich nach Einsatzorten gegliedert war, denn das Monument bestand offenbar aus mehreren Stelen. Die erhaltene Stele bildete wahrscheinlich den rechten Abschluss eines Inschriftenmonuments mit einer aus mehre ren Stelen gebildeten Inschriftenwand; darauf deutet jedenfalls hin, dass die linke Seitenfläche der Stele Anathyrose aufweist und die rechte geglättet ist. a. 1,55 l. 0,81 cr. 0,08–0,087 litt. a. 0,01 IG I3 1191 Gefallenengrabmonument, 409/408(?) v. Chr. = Paus. 1.29.13 (?) Möglicher Bezug zu Einsätzen in Ionien und in der Megaris Gemeinschaftsbestattung Unterschiedliche Einsatzorte, wahrscheinlich kein Jahresinventar [Abb. 19, 20 und 21] (fr. a) EM 10257 [Fundort bei Attalos-Stoa] (fr. b) Ag I 6959 b [Fundort Hadrian-Str.] (fr. c) Ag I 6959 a [Fundort Agora] (fr. d) Ag I 1008 b [Fundort nördl. d. Eleusinion] (fr. e) EM 10256 [Fund-
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Nachweise
ort bei Attalos-Stoa] (fr. f) EM 10259 [Fundort bei Attalos-Stoa] (fr. g) Ag I 2149 [Fundort Ago ra] (fr. h) Ag I 1008 a [Fundort bei Zwölfgötteraltar] (fr. i) EM 10266 (fr. j) R. A. 1965.20 (= R. A. 2273) [röm. Agora] (fr. k) Ag I 1008 c [Fundort Agora] (fr. l) Mus. Eremitage o. Inv. [Fundort nahe röm. Agora] (fr. m) Ag I 1539 [Fundort Agora] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 71–78; Low 2012, 22 Fig. 2.3 Lit.: IG I2 954+957+964+; Bradeen 1964, 43–55 Nr. 15; Agora 17 Nr. 23; Clairmont 1983, 199–201 Nr. 58 a und 58 b; Pritchett 1985, Bd. 4, 202–204 Nr. 59; Arrington 2010 a, 60–64, 70; Low 2012, 21 f.; Ruggeri et al. 2013, 170–172 L81; Arrington 2015, 222; Barbato 2020, 59; Stöhr 2020, 67 f. 13 Stelenfragmente aus pentelischem Marmor, die einem athenischen Grabmonument mit ei ner aus drei verbundenen Stelen bestehenden Inschriftenwand entstammt, welche in vier Ko lumnen je Stele mit einer umfangreichen Gefallenenliste beschrieben war. Fortlaufend über alle drei Stelen hinweg lässt sich die Überschrift [hοίδε] Ἀθ[εν]αι˜ ̣–[οι ἀπ]έ[θανον ἐν – „diese Athe ner starben in …“ – rekonstruieren, darunter sind die Namen der Gefallenen in zwei Gruppen (möglicherweise korrespondierend mit zwei unterschiedlichen Einsatzorten) ihrer jeweiligen Zugehörigkeit zu einer der zehn attischen Phylen entsprechend geordnet. Die beiden auf dem vorliegenden Monument verzeichneten Listen sind damit vergleichbar konzipiert wie die drei Listen von IG I3 1162 (siehe hierzu auch den folgenden Eintrag). Während sich in IG I3 1162 al lerdings nur bei einer in der Liste genannten Person eine militärische Funktionsbezeichnung findet (ein Stratege wird als solcher bezeichnet), wird in IG I3 1191 eine Vielzahl unterschiedli cher Amtsbezeichnungen angeführt (siehe dazu die entsprechenden Ausführungen im dritten Kapitel mit dem entsprechenden Eintrag in Tabelle 2). Die ursprünglichen Bezeichnungen der Einsatzorte, auf die sich die beiden Listen von IG I3 1191 beziehen, haben sich nicht erhalten; das Monument wird plausibel mit den athenischen Operationen von 409/408 in Ionien und in der Megaris in Verbindung gebracht (Xen. Hell. 1.2.1–13; Diod. 13.64 f.), möglicherweise handelt es sich um das von Pausanias (1.29.13) erwähnte Grabmal (dazu Clairmont 1983, 198–201 Nr. 58 a und 58 b). Das Monument wäre damit möglicherweise im selben Jahr errichtet worden wie IG I3 1162 (siehe hierzu den nächsten Eintrag sowie die entsprechenden Ausführungen im dritten Kapitel). (fr. a) a. 0,45 l. 0,28 cr. 0,15 (fr. b) a. 0,195 l. 0,24 cr. 0,08 (fr. c) a. 0,37 l. 0,30 cr. 0,15 (fr. d) a. 0,36 l. 0,28 cr. 0,15 (fr. e) a. 0,31 l. 0,18 cr. 0,15 (fr. f) a. 0,40 l. 0,33 cr. 0,15 (fr. g) a. 0,185 l. 0,11 cr. 0,08 (fr. h) a. 0,30 l. 0,33 cr. 0,15 (fr. i) a. 0,28 l. 0,24 cr. 0,15 (fr. j) a. 0,30 l. 0,265 cr. 0,145 (fr. k) a. 0,30 l. 0,24 cr. 0,145 (fr. l) a. 0,275 l. 0,325 cr. 0,04 (fr. m) a. 0,29 l. 0,18 cr. 0,15 litt. a. 0,024 (Überschrift), 0,014–0,015 (Phylenrubrik), 0,010–0,015 (Namen) IG I3 1162 = CEG 6
Gefallenengrabmonument, 409/408(?) v. Chr. Bezug zu Einsätzen auf der thrakischen Chersones, in Byzantion und in „anderen Kriegen“ Isonome Gemeinschaftsbestattung Unterschiedliche Einsatzorte, vermutlich kein Jahresinventar
[Abb. 22] EM 10618 [Fundort Plataionstraße] Abb.: EG 2, 165–167 fig. 40 a–c; Clairmont 1983, Pl. 45 f.; Low 2012, 20 Fig. 2.2; Walter-Karydi 2015, 177 Abb. 96
Epigrafische Hauptquellen
355
Lit.: IG I2 943; Kirchhoff 1882; Peek 1955, 8 Nr. 18; Bradeen 1969, 146 f.; EG 2, 166 f.; Clairmont 1983, 165–169 Nr. 32 b; Pritchett 1985, Bd. 4, 183 f. Nr. 27; ML Nr. 48; Matthaiou 2003, 198 f. mit Anm. 30; Arrington 2011, 183–186; Garulli 2012, 110–116; Low 2012, 25; Ferrandini Troisi/Cagnazzi 2013, 45–57; Ruggeri et al. 2013, 157–159 L52; Arrington 2015, 61, 78, 99; Tentori Montalto 2017, 151–155; Barbato 2020, 59, 61; Stöhr 2020, 59 f. Anm. 196 Weitgehend intakt erhaltene Stele aus pentelischem Marmor mit drei Listen, die insgesamt 59 Gefallene verzeichnen, deren Namen nach drei Hauptrubriken (die Einsatzgebiete: Chersones sowie Byzantion und „andere Kriege“) sowie untergeordnet nach den attischen Phylen gegliedert sind. In den ersten beiden Listen wurden einzelne Namen nachträglich ergänzt, ebenso scheint die gesamte dritte Liste nachgetragen worden zu sein. Unter den Listen ist in vier Zeilen ein aus zwei elegischen Distichen bestehendes Epigramm verzeichnet. Das ursprüngliche Monument scheint keine weiteren Stelen umfasst zu haben, es lässt sich anhand des vorliegenden Steins also weitgehend vollständig rekonstruieren. Die Schrift ist archaisierend, was zu Vorschlägen ge führt hat, die Inschrift in die Mitte des 5. Jahrhunderts zu datieren. Gegen die Communis Opinio verteidigen Ferrandini Troisi/Cagnazzi 2013, 55 f. und Tentori Montalto 2017, 151–155 die bereits von Kirchhoff 1882, 628 vorgeschlagene Datierung ins Jahr 409/408, die Argumente halte ich für weitgehend überzeugend (auffällig ist allerdings, dass IG I3 1162 im Gegensatz zu IG I3 1191 ne ben der Nennung eines Strategen keine weiteren militärischen Funktionen anführt). Das Monu ment wäre damit möglicherweise im selben Jahr errichtet worden wie IG I3 1191 (ein Monument mit drei Inschriftenstelen und einer vergleichbaren Gliederung der Listen), wobei die formalen Unterschiede darauf hindeuten, dass die beiden Monumente zwei unterschiedliche Kollektivbe stattungen reflektiert haben müssen (siehe hierzu auch den vorausgehenden Eintrag sowie die entsprechenden Ausführungen im dritten Kapitel). Bei IG I3 1162 wurden einzelne Namen von einer zweiten Hand ergänzt, das Epigramm scheint allerdings vom selben Steinmetz ausgearbeitet worden zu sein, der auch die ursprüngliche Fassung der drei Listen angelegt hat (dazu: Tentori Montalto 2017, 153 mit Anm. 4); das Monument reflektiert damit wohl eine über die unterschied lichen Einsatzorte hinweg durchgeführte Kollektivbestattung, wobei unterschiedliche Szenarien denkbar sind, wie es zu den Nachträgen gekommen sein könnte. Zum Fundort des Fragments: Matthaiou 2003, 198 f. mit Anm. 30. a. 1,68 l. 0,45–0,47 cr. 0,155–0,165 litt. a. 0,017–0,020 (Phylenrubriken) 0,013–0,015 (Namen); Abweichungen: 0,010–0,013 (ll. 19, 36, 43–48, 67, 74–97) 0,015–0,018 (l. 15), 0,02 (l. 69) IG I3 1192 Gefallenengrabmonument, Ende 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Gemeinschaftsbestattung Nennung militärischer Ämter [Abb. 23] (fr. a) EM 10231 [Fundort bei Kirche Ypapanti] (fr. b) EM 13376 [Fundort Agora] (fr. c) EM 13378 [Fundort Agora] (fr. d) EM 10230 [Fundort bei Kirche Agias Paraskeues] (fr. e) EM 13375 [Fund ort südl. d. Agora] Lit.: IG I2 952+951+; Meritt 1952, 341 f.; Meritt 1960, 67 Anm. 116; Bradeen 1964, 42 f.; Agora 17 Nr. 22; Loraux 1981, 33, 37; Clairmont 1983, 197 f. Nr. 57; Ruggeri et al. 2013, 172 L82; Arrington 2015, 218
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Nachweise
Fünf Stelenfragmente aus pentelischem Marmor mit Teilen einer umfangreichen Gefallenen liste (in Stoichedon). Das Monument bestand ursprünglich aus mehreren (mindestens drei) zu einer Inschriftenwand verbundenen Stelen. In den erhaltenen Segmenten der Liste werden zwei Namen mit dem Zusatz τρι΄ε̄ ραρχ(ος) (ll. 8 und 34) versehen, zudem werden nichtgriechi sche Bogenschützen – τοχ[σόται] | βάρβα[ροι] (ll. 152 f.) – und ein berittener Bogenschütze – hιππο[τοχσότε̄ ς] (l. 158) – angeführt (siehe hierzu auch die Ausführungen im dritten Kapitel). Die erhaltenen Fragmente weisen keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. (fr. a) a. 0,72 l. 0,49 cr. 0,10 (fr. b) a. 0,187 l. 0,183 cr. 0,103 (fr. c) a. 0,25 l. 0,215 cr. 0,105 (fr. d) a. 0,56 l. 0,51 cr. 0,108 (fr. e) a. 0,38 l. 0,34 cr. 0,108 litt. a. 0,01 IG I3 1187
Gefallenengrabmonument, Ende 5. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Isonome Gemeinschaftsbestattung
(fr. a) Ag I 4127 [Fundort Agora] (fr. b) EM 10258 [Fundort röm. Agora] (fr. c) EM 10264 [Fund ort bei der Metropolis] (fr. d) EM 1837 [Fundort Akropolis] Abb. Clairmont 1983, Pl. 81 f. Lit.: IG I2 963+960+968+; Bradeen 1964, 39–41; Agora 17 Nr. 21; Clairmont 1983, 206 f. Nr. 63; Ruggeri et al. 2013, 169 L77 Vier Stelenfragmente aus pentelischem Marmor mit Teilen einer umfangreichen Gefallenenliste (in Stoichedon). Die Fragmente gehörten ursprünglich wohl zu einer einzigen Stele. Die erhalte nen Fragmente weisen keine Phylen- oder Ortsrubriken auf. (fr. a) a. 0,251 l. 0,144 cr. 0,186 (fr. b) a. 0,36 l. 0,16 cr. 0,195 (fr. c) a. 0,48 l. 0,22 cr. 0,19 (fr. d) a. 0,28 l. 0,12 cr. 0,135 litt. a. 0,012 IG II/III2 11678 Grabmal der gefallenen Lakedaimonier, 403 v. Chr. Bezug zum athenischen Bürgerkrieg Gemeinschaftsbestattung [Abb. 24, 25 und 26; siehe topografische Übersicht Nr. 10] Mus. Ceram. I 170 fr. a und b [Fundort in situ; Areal der Kerameikos-Grabung] Abb.: Brueckner 1915, Abb. 6; Brueckner 1930, Abb. 3–5; Gebauer/Johannes 1937, Abb. 13–15; Wil lemsen 1977, Taf. 51–70; Stroszeck 2006, Abb. 2 Lit.: Brueckner 1915, 118 f. mit Abb. 6; Brueckner 1916, 58–61; Brueckner 1930, 89–95 mit Abb. 3–5; van Hook 1932, 290–292; Gebauer/Johannes 1937, 200–203 mit Abb. 13–15; Gebauer 1938, 607–616 mit Abb. 1; SEG 23.153; Knigge/von Feytag gen. Löringhoff 1974, 181–198; Willemsen 1977, 117–157 mit Taf. 51–70, Beilage 4; Pritchett 1985, Bd. 4, 133 f. (SEG 33.210); Baitinger 1999, 117–126; von Kienlin 2003, 113–122; Low 2006, 98 f. (SEG 56.298); Stroszeck 2006, 101–120; Stroszeck 2008, 110– 124; Arrington 2010 b, 512–514; Breder 2013, 194 f.; Ruggeri et al. 2013, 183 L105; Stroszeck 2013 a, 381–402; Marchiandi 2014 c, 1327–1331; Stroszeck 2014, 254–259; Arrington 2015
Epigrafische Hauptquellen
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Zwei Fragmente einer Inschrift mit namentlicher Nennung der Gefallenen vom Polyandrion der Spartaner, die 403 im Kampf gegen die Piräus-Partei gestorben sind (sogenanntes Lakedaimonier grab). Das Grabmal, 1914 von Alfred Brueckner entdeckt, wird erwähnt bei Xen. Hell. 2.4.31–33 und Lys. 2.63. Die Identifikation ist über die in situ erhaltenen Bestattungen, die Grabbeigaben und eine Inschrift gesichert. Jutta Stroszeck bereitet derzeit die maßgebliche monografische Publikation des Lakedaimoniergrabs vor. Zur Bedeutung des Lakedaimoniergrabs im Kontext der athenischen Ge fallenenbestattung siehe die entsprechenden Ausführungen im vierten, fünften und sechsten Kapitel. fr. a a. 0,175 l. 0,145 cr. 0,405 fr. b a. 0,175 l. 0,810 cr. 0,400 litt. a. 0,025 IG II/III2 5221 Gefallenengrabmonument, 394 v. Chr. = Paus. 1.29.11 Bezug zu Einsätzen in Korinth und Boiotien (Korinthischer Krieg) Gemeinschaftsbestattung Unterschiedliche Einsatzorte, möglicherweise Jahresinventar der gefallenen Infanteristen [Abb. 27; siehe topografische Übersicht Nr. 13 (Fundort)] Athen, Archäologisches Nationalmuseum inv. 2744 [Fundort bei Kreuzung Samouil Kalogirou und Psaromiligkou] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 2; Ruggeri et al. 2013, 175 L90 Lit.: EG II, 168; Hölscher 1973, 105 f.; Stupperich 1977, Bd. 1, 17 f.; Clairmont 1983, 209–212 Nr. 68 a; Pritchett 1985, Bd. 4, 212–214 Nr. 71; Arrington 2010 a, 57–59, 63 f.; Low 2010, 345 Anm. 19; Arring ton 2011, 183–186; Low 2012, 28; Ruggeri et al. 2013, 175 L90; Arrington 2015, 60; Barbato 2020, 59 Fragment eines Grabmonuments mit Gefallenenliste und Reiterkampfrelief. Die Einsatzorte werden in der Überschrift genannt, darunter werden in einer Zeile die Phylennamen hintereinander angeführt, darunter die Listen der Namen der Gefallenen. Im erhaltenen Teil der Listen werden zwei Strategen genannt. Durch die Überschrift [Ἀθηναίων οἵδε ἀπέθα]νον ἐν Κορίνθωι καὶ ἐμ Βοιωτοι˜[ς]· ist die Zuordnung zum Korinthischen Krieg gesichert. Das Monument stammt wahrscheinlich aus demselben Jahr wie IG II/III2 5222; siehe hierzu auch unten den entsprechen den Eintrag. a. 0,59 l. 0,68 cr. 0,19 litt. a. 0,023 (Überschrift) 0,015 (Phylenrubriken) 0,008 (Namen) IG II/III2 5222 Monument für gefallene Reiter, 394 v. Chr. Bezug zu Einsätzen in Korinth und Boiotien (Korinthischer Krieg) Gemeinschaftsbestattung Unterschiedliche Einsatzorte, möglicherweise Jahresinventar der gefallenen Reiter [Abb. 28 und 29] Athen, Archäologisches Nationalmuseum inv. 754 [Fundort Plataion/Keramikou] Abb.: Clairmont 1983, Pl. 3 a
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Nachweise
Lit.: Tod2 Bd. 2, 18–20 Nr. 104; Loraux 1981, 32; Clairmont 1983, 212–214 Nr. 68 b; Pritchett 1985, Bd. 4, 212–214 Nr. 71; Bugh 1988; GHI Nr. 7; Arrington 2010 a, 57–59; Arrington 2010 b, 515; Ar rington 2011, 183–186; Low 2012, 19; Ruggeri et al. 2013, 176 L91; Arrington 2015, 61, 103, 229; Bar bato 2020, 59 Anthemion-Friesband mit Liste gefallener Reiter. Durch die Überschrift οἵδε ἱππέης ἀπέθανον ἐν Κορίνθωι· (col. I) sowie ἐν Κορωνείαι· (col. VII) ist die Zuordnung zum Korinthischen Krieg gesi chert. Das Monument stammt wahrscheinlich aus demselben Jahr wie IG II/III2 5221; siehe hier zu auch oben den entsprechenden Eintrag. Unter den Gefallenen wird ein Dexileos angeführt, für den ein privates Kenotaph bezeugt ist (siehe hierzu auch unten den Eintrag zu IG II/III2 6217). a. 0,41 l. 0,96 cr. 0,05 litt. a. 0,016 (Überschrift) 0,013 (Name des Phylarchen) 0,01 (übrige Namen) IG II/III2 6217 Kenotaph für den Reiter Dexileos, 394 v. Chr. Bezug zum Korinthischen Krieg Privatmonument [Abb. 30; siehe topografische Übersicht Nr. 9] Athen, Kerameikos P 1130 / I 220 [Fundort in situ; Areal der Kerameikos-Grabung] Abb.: Walter-Karydi 2015, 185 Abb. 102 Lit.: Loraux 1981, 32; Bugh 1988, 137 f.; Clairmont 1993, 143–145 Nr. 209; Németh 1994; Osborne 1998, 14–16; GHI Nr. 7; Breder 2013, 171 f. [A1]; Ruggeri et al. 2013, 163 L65; Arrington 2015, 233; Walter-Karydi 2015, 182 f.; Marchiandi 2014 d, bes. 1404–1406 Privates Kenotaph für den im Korinthischen Krieg gefallenen Reiter Dexileos, errichtet in ei nem Privatbezirk seiner Familie. Es handelt sich mit hoher Sicherheit bei Dexileos um dieselbe Person, die auch in IG II/III2 5222 als Gefallener genannt wird und damit offenbar im ersten Jahr des Korinthischen Krieges im Rahmen einer öffentlichen Gemeinschaftsbestattung der gefalle nen Kavalleristen beigesetzt wurde. In klarer Abgrenzung von der isonomen Repräsentation der Gefallenen im öffentlichen Gefallenenbegräbnis wird Dexileos in der Inschrift (Δεξίλεως Λυσανίο Θορίκιος | ἐγένετο ἐπὶ Τεισάνδρο ἄρχοντος | ἀπέθανε ἐπ’ Εὐβολίδο | ἐγ Κορίνθωι τω˜ ν πέντε ἱππέων) mit Patronymikon und Demotikon genannt; sogar sein Geburts- und Todesjahr werden ange führt. Das großformatige Relief zeigt einen Reiter im Kampf gegen einen Infanteristen. a. 1,75 l. 1,35 cr. 0,11–0,14 (gesamtes Monument) litt. a. 0,04 Agora 17 Nr. 24 Gefallenengrabmonument, 4. Jh. v. Chr. Kontext unbestimmt Gemeinschaftsbestattung Athen, Ag I 986 [Fundort westl. der Bibliothek des Pantainos] Abb.: Agora 17, Pl. 5 Lit.: Agora 17 Nr. 24; Ruggeri et al. 2013, 175 L89
Epigrafische Hauptquellen
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Fragment einer Basis aus pentelischem Marmor mit Teil einer Inschrift, die auf ein Gefallenen monument hindeutet: [ἀπέθανο]ν̣ οἵδε̣[– – – – – –] | [ἀπέθα]νον οἵδε̣[– – – – – –]. Aus paläogra fischen Gründen wird das Monument ins vierte Jahrhundert datiert, der Kontext lässt sich nicht näher bestimmen. a. 0,175 l. 0,40 cr. 0,265 litt. a. 0,021 SEG 28.240 Gefallenengrabmonument, 362(?) v. Chr. Möglicher Bezug zur Schlacht von Mantineia Gemeinschaftsbestattung Wahrscheinlich kein Jahresinventar [Abb. 31; siehe topografische Übersicht Nr. 1 (Fundort)] Ephorie Athen M 797 (Depot, Akademie Platons) [Fundort Sfaktirias 23 (sekundär)] Abb.: ADelt 23 (1968[1969]) B’ 1, Pin. 53 α Lit.: (ed. pr.) ADelt 23 (1968[1969]) B’ 1, 95 (= Alexandri 1968[1969], 95); Stupperich 1977, Bd. 1, 213 und 1977, Bd. 2, 119 f.; SEG 28.240; Peek 1980, 69 f. Nr. 90 (SEG 30.191); Clairmont 1983, 215 Nr. 75 (SEG 33.209); Arrington 2010 a, 29, 139; Arrington 2010 b, 519; Ruggeri et al. 2013, 177 L93; Arrington 2015, 62 Fragment einer Basis aus pentelischem Marmor mit Teil eines Epigramms. [– – – περὶ πατρ]ίδος Ἑλλάδι πάσηι vac. | σώιζοντες [– – –] Das Fragment wurde in situ im Bereich der öffentlichen Ge fallenengräber vor den Toren der Stadt (Sfakteriasstraße 23) entdeckt; die Zuweisung zum Jahr 362 (vorgeschlagen von Clairmont 1983, 215) ist unsicher. a. 0,15 l. 0,78 cr. 0,15 litt. a. 0,023 IG II/III2 5226 Gefallenengrabmonument, 338 v. Chr. + Agora 17 Nr. 25 (?) Bezug zur Schlacht von Chaironeia + M 2347 (?) Gemeinschaftsbestattung + Anth. Pal. 7.245 Wahrscheinlich kein Jahresinventar + Anth. Pal. 7.253 (?) + Dem. 18.289 (?) = Paus. 1.29.13 [Abb. 32 und 33; siehe topografische Übersicht Nr. 5 (Fundort Relief)] IG II/III2 5226: EM 8829; Agora 17 Nr. 25: Ag I 6953 [Fundort südöstl. der Kirche Agioi Apostoloi]; Kaempf-Dimitriadou 1986: Kerameikos-Museum M 2347 [Fundort Keramikou 93 (sekundär)] Abb.: Bradeen 1964, Pl. 6 Lit.: Peek 1955, 11 Nr. 17; Bradeen 1964, 55–58 (SEG 21.825); Clairmont 1979, 129 f. (SEG 29.201); Clairmont 1983, 216–219 Nr. 77 a und c; Pritchett 1985, Bd. 4, 223 f.; Ruggeri et al. 013, 177 f. L95 und L96; Arrington 2015. Lit. zu M 2347: ADelt 34 1979[1987] B’ 1, 22 f. = Karagiō rga-Stathakopoulou 1979[1987]; Kaempf-Dimitriadou 1986
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Nachweise
Mehrere Fragmente, die möglicherweise einem oder mehreren Monumenten für die Gefallenen der Schlacht von Chaironeia entstammen. Das Relief M 2347 könnte zum Denkmal gehört haben (für eine Verbindung zur Schlacht von Chaironeia argumentiert Kaempf-Dimitriadou 1986; sie argumen tiert für eine stilistische Datierung des Reliefs in die 330er Jahre und weist auf Übereinstimmungen in der Materialbeschaffenheit des Reliefs und der Inschrift IG II/III2 5226 = EM 8829 hin; S. 35). Auf dem Fragment EM 8829 haben sich inschriftlich Teile eines Epigramms erhalten, das auch in der Anthologia Palatina (7.245) überliefert ist (siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen im vierten Kapitel). Agora 17 Nr. 25 ist ein Fragment aus pentelischem Marmor einer Stele, auf der die Namen von Gefallenen der Phyle Oineis verzeichnet waren. Direkt unterhalb der entspre chenden Phylenrubrik [Ο]ἰ ̣νε[ΐδος] lässt sich die Bezeichnung [στρ]ατ̣η̣γός lesen. Bradeen 1964, 56–58 rekonstruiert ein aus ursprünglich vier verbundenen Stelen mit jeweils fünf Kolumnen einer umfangreichen Namensliste bestehendes Gefallenenmonument („the monument under discussion could hold a thousand names“). Die Buchstabenform deutet Bradeen (1964, 57) als Imitation der Monumente des fünften Jahrhunderts. Bradeen (ibid.) weist auch auf Ähnlichkei ten mit der Buchstabenform von IG II/III2 5226 hin. Agora 17 Nr. 25: a. 0,25 l. 0,33 cr. 0,16 litt. a. 0,030 (Phylenname) 0,024 (Namen) IG II/III2 5225 Gefallenengrabmonument, 322(?) v. Chr. = CEG 466 Möglicher Bezug zur Seeschlacht bei den Echinaden Gemeinschaftsbestattung Wahrscheinlich kein Jahresinventar verschollen [Fundort östl. d. Propyläen] Lit.: Rankabes 1837, 16 n. 3; Rankabes 1855, Nr. 2204; Koumanoudes 1871, Nr. 3480; Kaibel 1878, Nr. 28; Herwerden 1882, Nr. 28; Clairmont 1983, 219 Nr. 78; Pritchett 1985, Bd. 4, 227–228 Nr. 94; Ruggeri et al. 2013, 177 L94; Barbato 2020, 59 Der inzwischen verschollene Block aus pentelischem Marmor wurde 1937 östlich der Propyläen ent deckt und von Rankabes 1837, 16 Nr. 3 erstmals beschrieben. Die Textrekonstruktion wurde sukzes sive verbessert durch die Arbeiten von Rankabes 1855, Nr. 2204; Koumanoudes 1871, 395 Nr. 3480; Kaibel 1878, Nr. 28; Herwerden 1882, 386 Nr. 28. Schon Rankabes 1837, 16 („Ἡ ὅλη ἐπιγραφή ει῏ναι ἐπιτάφιος πεσόντος ἢ πεσόντων εἰς ναυμαχίαν“) hat das Monument als Denkmal für einen oder mehrere athenische Kriegsgefallene mit möglichem Bezug zu einer Seeschlacht gedeutet. Koehler (IG II/III 1679) hat die Inschrift in die Mitte des vierten Jahrhunderts oder kurz danach datiert („Ti tulus circa medium saeculum quartum vel paullo post lapidi incisus est“). Den erstmals von Hiller von Gaertringen 1926, 33 vorgeschlagenen Bezug zur Schlacht bei Amorgos sehen auch Clairmont 1983, 219 und Pritchett 1985, Bd. 4, 227 f. Hansen 1983/1989, Bd. 2, 1 (= CEG 466) geht davon aus, dass das Epigramm ursprünglich im Zusammenhang mit einer Gefallenenliste stand („Titulus nomina praebens periisse videtur“). Da Autopsie heute nicht mehr möglich ist, haben sich die auf der Form der Schrift basierenden Einschätzungen zur Datierung auf die frühen Umzeichnungen der Inschrift zu beziehen, wie sie etwa Rankabes 1855, Nr. 2204 präsentiert. Im vierten Kapitel dieser Arbeit wird die Einschätzung begründet, dass das Fragment auf ein Gefallenenmonument zurückgeht, das nach der Seeschlacht bei den Echinaden (ca. August/September 322) errichtet wurde. Maße nicht bezeugt
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Allgemeiner Index Aasfresser s. Tiere, wilde Abgaben s. Tribute Abstammung (εὐγένεια, ἰσογονία) [s. a. Vor fahren] 214, 231, 277 Adressaten [s. a. Leser, Publikum, Rezipien ten, Zuhörer] 35, 173, 192, 194, 242, 260, 262, 280, 298 Agora 53, 65, 73, 89, 91, 95, 99, 123 f., 132, 143 f., 319, 327, 329, 331–333, 335–342, 344– 346, 351, 353–356, 358–360 Aigineten 50, 55, 307 Aitoler 294 Akademie 49, 55, 74, 93, 95 f., 100, 112, 124, 135, 328, 359 Akropolis 53, 89, 160, 335 f., 339, 342, 356 Allianzen s. Bündnisse Alliierte 61, 74–77, 83, 87–89, 102–107, 109, 116, 128, 142, 177, 190 f., 197 f., 207–209, 243, 271, 288, 290, 335, 338, 343, 345, 353 Alphabete – argivisches 105, 335 – attisches 52, 115, 172, 328, 347 – ionisches 104, 115, 336, 347 – spartanisches 136 Amazonen 186, 198, 245 Amnestie 198, 221 Anathyrose 89, 94, 353 Andenken – Erinnerung – Gedenken (μνήμη) – Gefallenengedenken allgemein 20 f., 23–25, 49, 53 f., 56–58, 60–65, 67–71, 80 f., 85–88, 105, 108, 111, 114, 119, 138, 149–151, 160, 184, 186, 191 f., 199, 207, 209–211, 228, 237, 247–252, 259, 268, 271, 278 f., 285 f., 291, 293, 309, 314 – Mnēmē (μνήμη) 21, 66, 138, 205, 209, 248, 251
Antalkidas-Frieden 223 Anthemion 114, 140, 358 Apologia 35, 56, 60, 182, 215, 217, 225, 241, 246–248, 250, 261 Archaik 21 f., 49, 55, 319, 326, 355 Archäologie 21, 24 f., 38, 51, 54, 56 f., 61, 92 f., 95, 97–99, 102, 123 f., 127 f., 131, 133, 135, 158, 210 f., 319, 327, 329, 357 Archē [s. a. Hegemonie, Macht, Suprematie, Thalassokratie] 24, 61, 88, 104, 106 f., 124, 128, 149, 158, 160, 162–168, 180 f., 192, 200, 205, 207 f., 240, 246–252, 303, 309 Areopag 270, 343 Aretē (ἀρετή) 30, 59, 67 f., 80, 111, 114, 116, 137, 144, 150, 164, 171, 173, 177, 199 f., 205 f., 209–211, 220, 225, 228–230, 234, 238, 246, 248, 251 f., 257, 265, 267, 275, 277, 285, 292 f., 314, 343, 348 f. Argiver 104–107, 120, 186, 231, 335 Aristokratie 22, 53, 55, 57, 225 f., 232 Asche 21, 92, 100 Athener passim Athenian Literary Oratory [s. a. Oralität, literarische] 36, 203, 240 Attischer Seebund s. Bündnisse Auditorium s. Publikum Aufbahrung s. Prothesis Authentizität 25, 31 f., 35, 42, 66, 111, 156, 158, 187, 199, 201–204, 216, 242, 279 f., 306 Autochthonie 56, 79, 187, 198, 231, 267, 277 Autonomie 20, 23, 38, 88, 138 f., 147, 264, 275, 279, 286, 299, 303, 307, 310 Autoren 25 f., 32 f., 35, 37 f., 40–42, 44, 170 f., 184, 189, 197 f., 200–202, 204, 212 f., 215, 224, 235 f., 254, 262–264, 266, 279–282, 285, 288, 299, 304 f., 307, 311–314
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Index
Barbaren 160, 171, 174, 180, 205, 231, 234, 245 f., 249, 252 Basen 34, 44, 53, 56, 58 f., 63–66, 74, 83, 85, 89–91, 95, 108, 115, 125, 131, 142, 144 f., 150– 152, 163, 169, 189, 201 f., 208, 219 f., 228, 238, 243, 268, 270, 273, 283, 298, 307, 330–334, 343, 345, 348, 350–353, 359 Begräbnisse s. Gefallenenbestattungen Belagerungen (allgemein) [s. a. Kriege – Schlachten – Gefechte] 159, 289, 294 f. Bergung (von Leichen) 21 f., 57, 97 f., 100, 131, 169, 176, 184, 186, 235 f., 271 Bestattungen s. Gefallenenbestattungen Bevölkerungszahlen s. Demografie Bogenschützen (τοχσόται) 83, 103, 119–122, 345, 353, 356 Bogenschützen, berittene (hιπποτοχσόται) 103, 114–116, 120, 122, 347–349, 356 Boioter 108, 112, 138, 140, 176, 284, 288, 346 Boiotischer Bund s. Bündnisse Bottiaier 109 Boulē 30, 85, 215, 219 f., 309 Buchstabenhöhe 74, 91 f., 117 Bundesgenossen s. Alliierte, Bündnisse Byzantier 74, 76, 103, 119 Bündnisse [s. a. Alliierte] – allgemein 36, 51, 71, 84, 101, 138, 250, 253, 312, 315 – Erster Attischer Seebund 27, 79, 84, 88, 106, 113, 133, 138, 150 f., 166, 189–191, 198, 206 f., 228, 239, 247, 250, 308, 312 – Zweiter Attischer Seebund 26, 29, 253 – Boiotischer Bund 288 – Euboiischer Bund 288 – Korinthischer Bund 146, 282 – Sonstiges 138, 145, 269, 273, 294, 297 Bürger [s. a. Dēmos] 19–22, 24, 30 f., 36, 52–57, 59 f., 67, 74 f., 77 f., 82–84, 86–88, 91 f., 96 f., 102–104, 106, 122 f., 128 f., 131, 135, 141, 146, 149, 151 f., 158–168, 173, 176–178, 180, 183 f., 190, 193, 198 f., 202, 207–212, 216, 220–222, 226, 232, 234, 238 f., 242–244, 248, 250, 252 f., 256–258, 260, 262 f., 265, 268–273, 275–279, 282, 286, 290–293, 297–299, 303, 305, 308–310, 313–315, 328 f.
Bürgerbeschlüsse 23, 30, 39, 53, 84 f., 138, 140, 167, 188 f., 202, 214, 217, 220 f., 222, 270, 273, 288, 304, 309 f. Bürgergemeinschaft s. Bürger, Dēmos Bürgerkriege (στάσεις) [s. a. Kriege – Schlach ten – Gefechte] 104, 134 f., 138, 176, 198, 204, 206–210, 214–217, 221 f., 235 f., 257, 266, 313, 356 Bürgerrecht 217, 127, 192, 202, 217–222, 313 Bürgersoldaten 19 f., 22, 24 f., 59, 93 f., 98 f., 122, 128, 148 f., 152, 160, 169, 175 f., 178, 250, 290 f., 298 Bürgerversammlungen 23, 30, 36–40, 84 f., 138, 140, 164, 167, 202 f., 214, 216, 219, 242, 261, 270 f., 273, 275 f., 280, 283, 286, 288, 304, 309 Chaironeia, Schlacht von s. Kriege – Schlach ten – Gefechte Chier 135 Chronologie, chronologisch 26, 45, 55, 64, 97, 109, 119, 126, 234, 145, 326, 334 Chō ra [s. a. Attika] 60, 70, 90 Deklamation 67, 85 f., 100, 224, 226, 228, 231, 237 f., 244, 259, 313 Delisch-Attischer Seebund s. Bündnisse Demagogie 241, 268 Demografie 83, 116, 124 Demokratia (Personifikation) 220 Demonstrativpronomina s. Pronomina, deik tische Demos (Personifikation) 205, 214, 220 Demotika 52, 59, 74, 140, 308, 326, 328, 358 Denkmäler s. Monumente Deposite 255, 257 Desertion s. Fahnenflucht Dialekte [s. a. Alphabet] 172 Dialog, dialogisch 26, 28, 36, 141, 184, 213, 223, 225, 228–230, 233 Dichtung s. Epigramme Didaskalos s. Lehrmeister Dikanik 26, 37, 40, 201, 280, 283 Dikasten 241, 256, 280 Dikasterien 286 Dikē Parakatathēkēs 254–258 Diplomatie 36, 109, 146, 179, 269 Dipylon s. Tore Dreißig 83, 126, 135, 166, 198, 204, 217 f., 256
Index
Dēmos [s. a. Bürger] 30, 36, 49, 55, 85, 88, 100 f., 111, 124, 131, 139, 149, 168, 193, 202, 217, 220, 222, 287, 291, 305, 310, 313 Dēmosia Mnēmata 96 Dēmosioi Taphoi 96 f., 128 Dēmosion Sēma [s. a. Kerameikos] 50, 53, 96, 128, 157, 253 Dēmēgoria 37–40, 164, 202 f., 214, 216, 219, 242, 261, 271, 276, 280, 283 Edonen 82, 87, 333 Ehre / Ehrung (ἀξίωμα, τιμή) 19–21, 23, 60, 64–66, 69, 94, 100, 106, 109, 118, 131, 136, 141, 146 f., 169, 185, 189, 199, 202, 206, 210 f., 219–222, 234 f., 250–252, 256, 264 f., 272, 275, 288 f., 291 f., 305, 313 Eide 209, 257 Eisangelia 270–273 Ekklesia s. Bürgerversammlungen Ekphora 23, 100, 124, 138, 157 Elite 40 f., 169 f., 194, 196, 253, 271 f., 274, 282, 298 f. Eltern 177 f., 206 Enkomion [s. a. Epainos, Städtelob] 162, 166, 182, 234, 275 Epainos [s. a. Enkomion, Städtelob] 161, 172–174, 192, 247 Epangelia 271 Epideiktik 172, 201, 266, 279 f., 286 Epidemie 118, 123–129, 159, 161, 163, 166, 260 Epigrafik 25, 39, 45, 52, 55, 58, 63–65, 68, 73, 75, 82, 84–86, 89–91, 95, 103 f., 108–110, 112–115, 117, 119, 131, 135, 140–142, 144 f., 148, 152, 158, 182, 248, 284, 319, 326 f., 329, 331, 333, 335, 337, 339, 341, 343, 345, 347, 349, 351, 353, 355, 357, 359 Epigramme 52–55, 57–59, 61–64, 66–68, 70, 74, 80, 85 f., 100, 105 f., 108, 110–112, 115–117, 128, 142–145, 147–149, 220, 248, 284 f., 327, 329–332, 335, 343, 345–348, 350, 355, 359 f. Epitaphia 66 Epitaphios Agō n [s. a. Wettkämpfe] 70, 100 Epitaphios Logos (literarisch) [s. a. Gefalle nenrede] – Gorgias, Epitaphios Logos s. fünftes Kapitel – Grabrede des Perikles bei Thukydides s. fünftes Kapitel
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– Archinos, Epitaphios Logos s. sechstes Kapitel – Lysias, Epitaphios Logos s. sechstes Kapitel – in Platons Menexenos s. siebtes Kapitel – Isokrates, Panegyrikos s. siebtes Kapitel – Demosthenes, Epitaphios Logos s. achtes Kapitel – Hypereides, Epitaphios Logos s. achtes Kapitel Erde 111, 144, 284, 332 Erinnerung s. Andenken – Erinnerung – Ge denken (μνήμη) Erster Attischer Seebund s. Bündnisse Euboiischer Bund s. Bündnisse Euergesie (εὐεργεσία) 66, 165, 245 Eurymedon, Schlacht am s. Kriege – Schlach ten – Gefechte Euthynai 270, 272 Exil 218, 270–272, 299 Expeditionen s. Kriege – Schlachten – Ge fechte Fahnenflucht [s. a. Feigheit] 111, 123, 270– 275, 287 Feigheit (δειλία) [s. a. Fahnenflucht] 269– 271 Feldzüge s. Kriege – Schlachten – Gefechte Flotten [s. a. Schiffe] 77, 165, 180, 186 f., 190, 202, 290, 294–296 Flugschriften s. Programmschriften Flüsse – Eurymedon 51, 70, 73, 76, 78–81, 101, 108, 150, 191, 234 f., 286, 308 f., 338 – Lisos 77 – Strymon 77, 79, 81, 333 Folter 190 f., 270, 273 Frauen [s. a. Aspasia] 28, 141, 170, 173, 193, 225–230, 244, 259, 270 Freiheit (ἐλευθερία) 56, 61, 67 f., 144, 169 f., 198, 200, 206 f., 209, 231, 235–237, 245, 248– 253, 264 f., 267, 269, 271, 273, 275, 277, 279, 281, 283, 285, 287, 289, 291–293, 295, 297– 299 Fremde s. Nichtathener – Fremde (ξένοι) Freunde (φίλοι) 177 f., 187, 278 Frieden des Philokrates 275
400
Index
Fundorte – Agia Irini 346 – Agia Thekla 351 – Agias Paraskeues 339, 355 – Agioi Apostoloi 337, 359 – Agios Stavromenos 334, 353 – Agora 65, 73, 329, 332 f., 335–339, 341 f., 344, 346, 351, 353–356 – Akropolis 335 f., 339, 356 – Areopag 343 – Asomaton 352 – Attalos-Stoa 353 f. – Bibliothek des Pantainos 358 – Dipilou 350 – Eleusinion 353 – Epimenidosstraße 334 – Hadriansbibliothek 335 – Hadrianstraße 329, 353 – Hephaisteia 328 – Kerameikos 335, 356 f. – Keramikoustraße 337, 357, 359 – Kladoustraße 335 – Leokoriou 350 – Loukou (Eua Kynourias) 57, 329 – Metropolis 340, 356 – Monastiraki 337, 340 – Panagia Pyrgiotissa 65 – Peristeri 352 – Plaka 344 – Plataionstraße 329, 354, 357 – Propyläen 360 – Psaromiligkou 357 – römische Agora 331, 338, 354, 356 – Samouil Kalogirou 357 – Sfaktiriasstraße 359 – Spata 332 – Station Larissa 347 – Süd-Stoa 337 – Tripodenstraße 73, 329, 332 – Turm der Winde 346 – Ypapanti 337, 340, 355 – Zwölfgötteraltar 354 – unbekannt/unsicher 333, 336 f., 341–344, 352 Fußsoldaten s. Hopliten Gebeine 22, 49, 51, 57, 59, 66, 70, 72, 75, 78, 81, 93, 97–100, 106, 146, 148, 157 f., 237, 291, 310
Gedenken s. Andenken – Erinnerung – Ge denken (μνήμη) Gefallene passim Gefallenenbestattungen – allgemein 21–26, 28, 30 f., 33 f., 38, 41, 43–45, 49–56, 60, 62, 67–73, 75, 78–82, 84, 86–89, 92, 94–97, 99–103, 105–110, 113–115, 117, 122 f., 128–144, 146 f., 149–152, 155, 157– 160, 167, 172 f., 177, 179, 184 f., 189–195, 197, 199 f., 202 f., 212, 216, 226, 237–239, 242–244, 247 f., 251 f., 264, 266 f., 274, 281 f., 284–286, 288, 290–292, 298, 303–312, 315, 327, 332, 348, 357 f. – Gemeinschaftsbestattungen 21, 23 f., 38, 50–52, 54 f., 61, 63, 65 f., 72 f., 78 f., 81–84, 86 f., 90, 93–95, 98, 100–102, 105, 107 f., 111, 125, 131, 136, 138, 140–142, 145, 147 f., 150–152, 211, 289–292, 304, 308, 310, 327–330, 332, 334–347, 350–360 – Jahresbestattungen 23 f., 38, 40, 43, 49–51, 61, 68 f., 71–73, 81 f., 84–88, 90, 92, 95, 100 f., 105 f., 108 f., 111–113, 115, 119, 123, 129–135, 139–142, 144, 147–152, 158, 160, 167 f., 190, 252, 286, 288–291, 304, 306–311, 327, 332, 334 f., 341, 345–347, 350 f., 353 f., 357, 359 f. Gefallenengedenken s. Andenken – Erinne rung – Gedenken (μνήμη) Gefallenenlisten [s. a. Grabstelen, Inschriften pfeiler] – allgemein 23–25, 45, 51 f., 54 f., 57–59, 65, 67, 69, 74 f., 82 f., 89, 91, 95, 100, 102 f., 105– 107, 114, 116, 118 f., 121, 123, 125, 128, 140 f., 159, 218, 308, 310, 326, 328–330, 333–347, 350–354, 356 f., 360 – Gliederung 24, 54, 75 f., 91, 93 f., 105, 234, 308, 333, 335, 342–344, 346, 351–353, 355 – Nachträge 64, 67, 75, 117, 355 – Nennung von Sklaven 74 f., 55, 75 – Nennung von Strategen 83, 83, 119, 122, 140, 144, 308, 326, 354 f., 357 – Nennung von Verbündeten [s. a. Alliierte] 74 f., 83, 116, 219, 244, 313 – Opferinventare [s. a. Jahresbestattungen] 102, 105, 115, 119, 309, 327, 332, 334, 341, 345–347, 350 f., 353 f., 357, 359 f.
Index
– Rubriken 58, 67, 74–76, 89, 91, 104 f., 117, 144, 152, 327, 329, 333 f., 336–346, 348, 350, 352 f., 355–357, 360 – Statusindikatoren 20, 24, 52 f., 59, 72, 74, 92, 103, 116, 118 f., 122, 136, 140, 144, 159, 174, 201, 222, 226, 265, 308, 310, 326, 328, 348, 352–355 – Überschriften 52, 58, 74–76, 84, 91 f., 115, 140, 220, 327–329, 334 f., 340, 342 f., 346, 350 f., 354, 357 f. Gefallenenmonumente s. Monumente Gefallenenrede (mündlich) [s. a. Epitaphios Logos] 20, 23–34, 37–44, 81, 85, 99, 113, 129, 131, 133, 139, 141, 145–148, 150, 152, 155–157, 160–165, 167–173, 177–179, 181–189, 192–207, 212–216, 222–240, 242–248, 251 f., 254, 258–260, 262–269, 274–276, 278, 282– 284, 287, 298 f., 303–306, 311–314 Gefallenenredner s. Redner Gefallenenregister 52, 59, 75 Gefechte s. Kriege – Schlachten – Gefechte Geier s. Tiere, wilde Gemeinschaft, epistemische 277 f. Gemeinschaftsbestattungen s. Gefallenenbe stattungen Gerechtigkeit (δίκαιον) 177–178, 198, 208, 249, 261, 277–279 Gerichtsrede s. Apologia, Katēgoria Gerichtswesen 35, 37–40, 214, 216, 226, 241 f., 254–256, 261 f., 272 f., 283 Geschoss (telum) 19, 294 Gesetze (νόμοι) 33, 54, 127, 157, 166, 209, 254, 259 f., 262, 270 Gleichheit [s. a. Isonomie] 102 f., 105, 107, 109, 111, 113, 115, 117–119, 121, 123, 125, 127, 129, 159, 177 f. Glückseligkeit (μακαρία) 160, 237, 259 Gottheiten 144 f., 177 f., 189, 211, 256, 284, 293 Grabbeigaben [s. a. Grabinventar] 21, 93 f., 100, 126, 136, 357 Grabgedichte s. Epigramme Grabhügel 57 f., 63, 137 Grabinventar [s. a. Grabbeigaben] 93 f., 136 f. Grabkammern 90, 93–95 Grabkult s. Kult Grabluxusgesetze 54 Grabmonumente s. Monumente
401
Grabrede s. Gefallenenrede Grabstelen [s. a. Gefallenenlisten, Opferin ventare] 55, 58 f., 64 f., 67, 74, 76, 82 f., 85, 89–91, 107, 115, 140, 329 f., 333–345, 347 f., 350–356, 360 Graphē paranomon 213, 217, 219, 222, 272 Grenzsteine 123 f. Gräber (τάφοι) [s. a. Gefallenenbestattungen, Massengräber] 21, 23, 25, 50, 55, 57, 60, 62, 65 f., 68–71, 73, 84, 90 f., 93 f., 96 f., 100, 107, 111 f., 125–128, 134 f., 137 f., 142 f., 147, 150, 169, 171, 175 f., 182, 195, 199 f., 203–207, 209–211, 243, 252 f., 265, 274, 292, 336, 346 Gräber, lebende s. Geier Hades 293 Halbgötter s. Heroen Harpalos-Affäre 274, 287 f. Hegemonie [s. a. Archē, Macht, Suprematie, Thalassokratie] 25, 31, 88, 124, 135, 138 f., 142, 149, 162, 166 f., 186, 198, 200 f., 207 f., 215, 239, 250, 253, 262 f., 265, 286, 293, 303, 305 f., 313 f. Heiliges Tor s. Tore Heimat 22, 56, 66, 68, 78 f., 81, 87, 99, 106, 111 f., 150, 172, 179, 211, 243, 247, 264 f., 270 Hellenismus, hellenistisch 20, 39, 41, 43, 65 f., 150, 169, 264, 292 Herakliden 185 f., 231, 245 Heroen 21, 57, 81, 93, 147, 163, 248, 250, 252, 289, 291, 293, 297 f., 314, 350 Heroenkult s. Kult hier/dort (ἐνθάδε) 199, 205–207, 251 Hinterbliebene 21, 117, 162, 199, 225 f., 267– 269, 275, 277, 279 Historiografie 26, 30, 32, 37, 41, 96, 156, 167, 185 f., 188, 230, 311 Hochverrat 270 f. Hopliten 52, 65, 109 f., 115–117, 119, 143, 294 f., 326, 331, 347, 357 f. Horoi s. Grenzsteine Hunde s. Tiere, wilde Hymnen (ὕμνοι) 171, 174, 178, 200, 203, 249 Hörer s. Zuhörer Ideologie 22, 25, 29, 31, 34, 49, 56, 87, 97, 101, 106, 128, 135, 139, 151, 168, 185, 194, 196, 203, 215, 224, 228, 231, 233, 238, 252, 258, 263, 297–299, 303, 305–307, 312 f., 315
402
Index
Imperialismus 20, 23, 88, 92, 129, 139, 155, 157, 159–161, 163, 165, 167–169, 171, 173, 175, 177, 179, 181, 183, 185, 187, 189–191, 193, 195, 238 Infanterie s. Hopliten Inhumation 57, 125 f., 128, 136 Inschriften [s. a. Monumente] 24, 52 f., 58 f., 62, 65, 68, 74, 76, 82 f., 89–92, 96, 104, 116, 122, 124, 132, 134–136, 142 f., 147, 218 f., 284, 295, 326–328, 338, 346, 348, 350, 353 f., 356, 360 Inschriftenpfeiler [s. a. Gefallenenlisten, Grab stelen, Monumente, Opferinventare] 52 f., 59, 68, 328 Intellektuelle, intellektuell 25, 29, 39–41, 156, 158, 170, 193–195, 202, 223, 228, 237, 242, 244, 247, 303–305, 312, 315 Inventare s. Grabinventar, Opferinventare Ionier 104, 120, 336, 338 Ironie 224, 234, 241, 259 Isonomie [s. a. Gleichheit] 20, 22, 24, 49, 51, 50, 52–55, 57, 59–61, 63, 65, 67, 69–72, 74, 83, 88, 101–103, 108, 111, 113 f., 118, 123, 128, 137, 140 f., 148, 150, 152, 158 f., 184, 308–310, 326–329, 332, 334–336, 338 f., 343, 350–352, 354, 356, 358 Isotelie 201, 219–221 Jahr ohne Frühling 187 Jahresbestattungen s. Gefallenenbestattungen Jahresinventare s. Opferinventare Kadaver 21, 100, 175 f., 200, 235–237, 305 Kampagnen s. Kriege – Schlachten – Gefech te Kämpfe s. Kriege – Schlachten – Gefechte Katēgoria (Anklage) 20, 35, 246, 249, 256, 261, 270–273 Kavallerie s. Reiter Kenotaphe 49, 57, 65 f., 68 f., 71, 75, 141, 152, 252, 329–331, 358 Kerameikos [s. a. Dēmosion Sēma] 23, 49, 54–57, 59, 63, 65 f., 68–70, 72, 74 f., 80–82, 84, 86–89, 92–97, 100, 102, 104–107, 119, 123–125, 127 f., 132, 140, 143, 147, 158, 160, 167, 182, 193 f., 205, 207, 210, 224, 233, 243, 251–253, 280, 303, 307 f., 320, 326, 328, 334 f., 346, 356, 358 f. Kerameikostor s. Dipylon Keramik 93, 126, 136 f.
Kimonische Ära [s. a. Kimon] 73, 80 Kinder [s. a. Nachfahren, Söhne] 126, 193, 237, 270, 278 Klagelieder (θρη˜ νοι) 171, 174, 200, 203, 249–250 Klassik, klassisch 20, 22 f., 25 f., 28–32, 35 f., 38–45, 49–52, 62 f., 66, 68, 83, 91–97, 101 f., 111, 129, 148 f., 155, 171, 176, 178, 195, 198, 211, 261 f., 272, 277, 283, 286, 291, 299, 303 f., 306 f., 314 f., 326 Kleonaier 104, 120, 336 Kleruchen 104, 343 Kolonisierung 77–79, 81, 245, 333 Komödien 28, 30, 182, 185, 228 f., 280, 348 Konskriptionslisten 52, 59, 75, 98, 122 Korinther, korinthisch 28, 30, 38, 62, 66, 70, 107, 114, 124, 131, 134, 138, 140 f., 146, 150 f., 180, 197 f., 208, 212–216, 221 f., 227, 229, 235, 237 f., 253, 282, 304, 310, 313, 357 f. Korinthischer Bund s. Bündnisse Korinthischer Krieg s. Kriege – Schlachten – Gefechte Kremation 21 f., 49, 56 f., 59, 61, 70, 78, 81, 93 f., 97–100, 106, 127, 136, 146, 148, 158, 290, 310 Kränze, bekränzen 67, 170, 220, 272, 274, 285, 319, 321 Kult, kultisch [s. a. Religion, Rituale, Sakra lisierung] 21, 23, 62, 65 f., 68, 97, 99, 138, 292 f. Könige, Königtümer 20, 109, 186, 211, 232, 261 f. Königsfrieden 226, 238, 249, 253 Königsherrschaft 260 f. Körperbestattung s. Inhumation Kriege – Schlachten – Gefechte (Auswahl) – Troischer Krieg 186, 293 – Schlacht am Euripos (ca. 507/506) 53 f. – Lemnosexpedition (ca. 498) 52, 68, 328 – Kampf gegen die Aigineten (dat. un klar) 50, 55, 307 – Perserkriege (allgemein) 49–51 55 f., 64, 68, 70 f., 80, 83, 86, 88, 149 f., 234, 239 f., 245–248, 250–252, 257, 304, 307, 330 – Schlacht von Marathon (490) 50 f., 53, 55–58, 60, 64–66, 69, 75, 158, 234 f., 329, 331 – Seeschlacht am Kap Artemision (480) 60 f., 234 f.
Index
– Schlacht bei den Thermopylen (480) 60 f., 87, 252 – Seeschlacht von Salamis (480) 60–70, 80, 87, 234 f., 252, 331 f. – Kämpfe auf Psyttaleia (480) 60–70, 80, 87, 331 f. – Schlacht von Plataiai (479) 60–66, 69–71, 87, 185 f., 234 f., 252, 331 f. – Schlacht am Eurymedon (465?) 51, 70, 73, 76, 78–81, 101, 108, 150, 191, 234 f., 286, 308 f., 338 – Kämpfe am Hellespont und auf Thasos (465/464?) 76–81, 332 f. – Kolonisierungskampagne im Strymon-Tal (ab 465/464?) 77–81, 332 f. – Schlacht bei Drabeskos (465/464– 463/462) 73, 77, 81 f., 84, 86 f., 308, 333 f. – Erster Peloponnesischer Krieg allge mein 84, 105 – Operationen in Zypern, Ägypten, Phöniki en, Halieis, Aigina und Megara (459/458 [od. 460/459?]) 83 f., 101, 234 f., 334, 338 – Konflikt mit Korinth (460/459) 208 – Schlacht von Tanagra (458/547) 104– 107, 120, 235, 335 f. – Schlacht von Koroneia (447) 350 – Krieg gegen Samos (440/439) 27, 33, 38, 81, 108–110, 114, 117, 186–192, 304, 309, 312, 348 – Einsatz in Boiotien (431/430) 346 – Einsätze in Sinope und Thrakien (439– 435) 345 – Operationen in Makedonien (432) 109 f. – Schlacht von Potidaia (432) 108–112, 114, 117, 248, 309, 345 f., 348 – Konflikte um Tanagra/Oinophyta (431/430) 235, 348 – Konflikt mit Megara (430/429) 348 – Kampf gegen Boioter (431/430) 108 – Gefechte bei Megara, Tanagra, Spartolos (424) 115–117, 347–349 – Schlacht von Delion (424) 90, 146, 176, 182, 350 – Einsätze in Potidaia, Amphipolis, Thrakien, Pylos, Sermylia, Singos (424/423) 103, 121, 351 – Schlacht von Amphipolis (422/421) 351 f.
403
– Krieg gegen Melos (416) 176, 182 – Sizilienexpedition 24, 106, 118 f., 122 f., 129, 140, 143, 159, 167, 170, 176, 180–182, 235 f., 309 f., 350, 352 f. – Belagerung von Syrakus (414/413) 180 – Einsätze in Ionien und in der Megaris (409/408) – Einsätze auf der thrakischen Chersones, in Byzantion und andernorts (409/408) – Schlacht bei den Arginusen (406) 235 f., 271 – Schlacht bei Aigospotamoi (405) 166, 198, 200, 206 f. – Athenischer Bürgerkrieg (404/403) 104, 134 f., 138, 204, 206–210, 214–216, 218–222, 235 f., 257, 313, 356 – Schlacht bei Munichia (403) 218 f. – Krieg gegen Eleusis (401) 138, 235 – Expedition gegen Elis (399) 138 – Korinthischer Krieg allgemein 28, 30, 38, 107, 114, 124, 131, 134, 138, 140 f., 150 f., 180, 197 f., 212–216, 221 f., 227, 229, 237 f., 253, 304, 310, 313, 357 f. – Schlacht von Haliartos (394) 138 – Schlacht von Nemea (394) 139 – Einsätze in Korinth und Boiotien (394) 91, 134 f., 140, 350, 357 f. – Boiotischer Krieg (379–371) 38 – Schlacht von Mantineia (362) 38, 131, 142, 151, 359 – Bundesgenossenkrieg (356/355) 142, 271 – Zweiter Olynthischer Krieg (349/348) 38, 131 f., 143, 151 – Schlacht von Amphissa (338) 145 – Konflikte in Boiotien (338) 145 – Schlacht von Chaironeia (338) 26, 29, 38, 114, 131, 143–146, 151, 215, 241, 264–266, 269 f., 273–276, 281, 286 f., 290, 314, 359 f. – Lamischer Krieg allgemein (323/322) 26, 29, 38, 131, 147–149, 151 f., 287 f., 290 f., 297 – Kämpfe in Boiotien (323) 288–290 – Schlacht bei den Thermopylen (323) 288–290, 294 – Belagerung von Lamia (323/322) 147– 149, 288–290, 294 f. – Seeschlacht bei Abydos (322) 295, 297
404
Index
– Seeschlacht bei Amorgos (322) 148 f., 360 – Schlacht von Krannon (322) 149 – Seeschlacht bei den Echinaden (322) 132, 147–149, 360 Lakedaimonier s. Spartaner Lakedaimoniergrab 104, 125, 128, 134–138, 160, 209–211, 356 f. Lamischer Krieg s. Kriege – Schlachten – Ge fechte Lange Mauern s. Mauern Lebetes s. Vasen Lehrmeister (διδάσκαλος) [s. a. Rhetorikleh rer] 179, 234, 260–262 Leichenrede s. Epitaphios Logos (literarisch), Gefallenenrede (mündlich) Leichenschändung 61, 125, 159 Leid [s. a. Trauer] 105, 144, 284 Lekythoi s. Vasen Lemnier 103 Leser [s. a. Adressaten, Publikum, Rezipien ten] 29, 36, 128, 158, 161, 168, 172, 174, 176, 184, 186, 202–204, 207, 211, 224, 226, 231, 233–235, 237 f., 242, 244 f., 249, 251, 254 f., 259, 262– 264, 281, 283 f., 297 f., 304, 306, 312 f. Liegende (κείμενοι) 71, 200, 204–206, 209– 211, 236 f., 251, 292 Listen s. Gefallenenlisten, Konskriptionslis ten, Tributquotenlisten literarisches Ich 111, 173, 199, 206, 210, 225 f., 234, 236, 239, 241, 244, 246–251, 254, 259 f., 267 f., 278, 287 Literatur, literarisch 21, 23–45, 50, 53, 55, 57, 62, 68, 70, 73–75, 77 f., 94, 96 f., 99, 102, 110–113, 124, 126, 129, 131–134, 136, 138 f., 141–144, 147 f., 150–153, 155–157, 164, 167–177, 179–186, 189–199, 201–204, 206, 210–215, 218, 220, 223–230, 233 f., 236, 238– 244, 246–251, 254, 258–260, 263 f., 266–269, 277 f., 280, 282–289, 291, 297–299, 303–307, 310–315, 321, 323, 325 f., 331, 346 Litiganten 20, 35, 37, 236, 246, 249, 256, 261, 270–274 Liturgie 12, 118, 165 Lobrede s. Enkomion, Epainos, Städtelob
Logografen, Logografie 28, 35, 37, 41, 202 f., 216, 255, 261 Loutrophoroi s. Vasen Macht [s. a. Archē, Hegemonie, Suprematie, Thalassokratie] 25, 31, 53, 82, 92, 106, 129, 131, 151, 159 f., 166–168, 174, 180, 182, 184, 190, 194, 200 f., 203, 215, 224, 228 f., 232, 234, 238 f., 247, 249, 253, 258, 262 f., 296, 299, 303–306, 311–315 Madytier 103, 119 Makedonen 109, 145, 265, 269, 273, 275 f. 288, 292–297, 299, 314 f. Mantineia, Schlacht von s. Kriege – Schlach ten – Gefechte Manuskripte 27, 34, 36, 39, 41, 133, 156, 170, 179, 188, 192, 202, 280 f., 283–285, 306 Marathon, Schlacht von s. Kriege – Schlach ten – Gefechte Marathonomachoi 57–61, 63, 65 f., 68, 74 f., 85, 307, 329 f. Marinesoldaten s. Ruderer Marmor 58, 89, 144, 329–347, 350–356, 359 f. Massengräber [s. a. Gemeinschaftsbestattun gen] 61, 125–128, 159, 162 Mauern – Lange Mauern 202 – Stadtmauer Athen 55 f., 99, 111, 123–125, 127 f., 159, 210 – Stadtmauer Megara 116 f. – Valerianische Mauer 125 – Sonstiges 63, 90, 125 Meder (s. a. Perser) 67, 80, 174 Megarer, megarisch 62, 69 Methodenkapitel 156, 230 Metöken 28, 32 f., 36, 41, 103, 121, 173, 193, 201 f., 218 f., 268 Missgunst (φθόνος) 165, 183, 234 f., 267 f. Mitbürger s. Bürger Mitschriften 27, 36, 39, 156, 179, 306 Mnēma (μνη˜ μα) 57, 66, 80, 96, 138, 248 Mnēmē s. Andenken – Erinnerung – Geden ken (μνήμη) Monarchie s. Königsherrschaft Monumentalisierung, monumental 20, 23, 51, 60, 70 f., 89, 92, 95, 135, 204, 211, 252 Monumente – Denkmäler
Index
– allgemein 24 f., 45, 49, 52 f., 55–70, 72–76, 79–90, 92, 95 f., 99, 103–107, 109, 111–120, 125, 128, 132–135, 140, 143 f., 199, 205, 207, 209 f., 248, 251 f., 307–309, 311, 326 f., 329– 336, 338, 343–348, 350, 352–360 – Gefallenenmonumente [s. a. die Einträge in der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit] 24, 45, 50–53, 55, 57–63, 65, 68, 70–75, 77, 80, 82, 87, 89 f., 94 f., 100, 103–105, 111, 114, 116, 118 f., 124 f., 128, 132, 134, 137, 141, 143 f., 158 f., 207 f., 211, 248, 251 f., 284, 291, 308, 326, 328 f., 332–348, 350–360 – Inschriftenmonumente [s. a. Gefallenenlis ten] 64, 89, 92, 96, 219 f., 353 – Phylenheroenmonument 99 – Privatgrabmonumente 107, 125, 140 f., 358 – Reitermonumente 85, 90 f., 95, 104, 106, 108, 111–118, 120, 123, 128, 134 f., 138, 140 f., 143, 159, 185, 294 f., 310, 326, 331, 346–349, 357 f. – Siegesmonumente [s. a. Tropaia] 62, 68, 80, 199, 204, 207–209 – Tropaia (τρόπαια) [s. a. Siegesmonumente] 57, 61 f., 110, 138, 169–171, 174, 206–210, 236, 249, 295 Musterrede 27, 35,193 f.,197,200,202–204,312 f. Mythen, mythisch 19, 21, 198, 231, 245, 267 Mündlichkeit 25–27, 29 f., 32–36, 40–44, 96, 148, 156, 168, 172, 177, 186, 188, 193–195, 202–204, 233, 239 f., 242, 264, 266, 281–285, 287 f., 303, 305, 307, 314 Nachfahren [s. a. Kinder, Söhne] 246, 257 Nachleben s. Rezeption Narrativ 25, 185, 190 f., 204, 207, 225, 233, 246, 258 f., 303 Nekropolen 125, 127 Nichtathener – Fremde (ξένοι) 36, 41 f., 55, 60 f., 75 f., 83, 88, 102 f., 107, 115 f., 119–121, 142, 168 f., 193, 195, 201 f., 204, 206, 209–212, 216–220, 222, 225, 228, 243 f., 263, 268, 305, 348 Nichtsnutze 160 f., 237 Niederlagen [s. a. Kriege – Schlachten – Ge fechte] 21, 24, 27, 29, 61, 68, 73, 77, 81 f., 84, 86 f., 106, 111, 131 f., 139, 145 f., 149, 151, 156, 159, 168, 180 f., 197 f., 200, 206, 235, 241,
405
246, 253, 264–266, 269–271, 273–276, 286, 296–297, 308 f., 311, 333 f. Oikoi 24, 162–166, 168, 178, 250, 277–279 Oikoumenē 293 Oligarchen 134 f., 138, 208, 211, 216–219, 221 f. Olympiasieger 136 f. Olynthischer Krieg s. Zweiter Olynthischer Krieg Opferinventare s. Gefallenenlisten [s. a. Jah resbestattungen] Oralität s. Mündlichkeit Oralität, literarische [s. a. Athenian Literary Oratory] 33, 36, 172, 240 Ortsbestimmung, adverbiale s. hier/dort (ἐνθάδε) Paideia (παιδεία) 32, 224, 245, 258–263, 277–279, 314 Paläografie 64, 76, 141, 331, 343, 350, 359 Pamphlete s. Programmschriften Panhellenismus 29, 60 f., 70, 183, 195, 238– 240, 242–247, 251 f., 312 Patrios Nomos [s. a. Jahresbestattungen] 22, 24, 40, 44, 50 f., 71–73, 75, 77, 79, 81, 83, 85, 87, 89, 91, 93, 95, 97, 99, 101 f., 113, 129, 133 f., 139, 149–151, 157, 167 f., 194, 215, 286, 304, 307 f., 311 Patronymika 52, 59, 74, 103, 140, 308, 326, 328, 358 Peloponnesier 61, 138, 164 Peloponnesischer Krieg s. Kriege – Schlach ten – Gefechte Peri Parakatathēkēs 240, 254–258 Perser, persisch [s. a. Meder] 56–58, 60–66, 69, 71, 76, 79 f., 84, 87 f., 93, 160, 171, 174, 180 f., 183, 185, 198, 200 f., 205, 208, 210, 234 f., 239 f., 249–251, 253 f., 257, 329, 331 Perserkriege s. Kriege – Schlachten – Gefech te Philosophie, philosophisch 26, 32, 41, 226, 228, 240 f., 245, 261, 321 Phleiasier 62 Phylarchen 140, 358 Phylen (allgemein) 24, 52, 54, 58, 67 f., 74–76, 79, 82 f., 85 f., 90 f., 93 f., 99 f., 103, 105, 115–118, 140, 152, 217 f., 220 f., 278 f., 308,
406
Index
328 f., 333–339, 341–344, 346–348, 351–356, 360 Phylen, argivische 105 Phylen, attische – Aiantis 279, 349 – Aigeis 117, 278 f., 348 f., 352 – Akamantis 278, 349 – Antiochis 279, 341, 349 – Erechtheis 58, 67, 82 f., 91, 117, 278, 329, 334, 339 f., 348 f., 352 – Hippothontis 52, 104, 279, 328, 339, 343, 349 f., 352 – Kekropis 117, 279, 340, 348 f., 352 – Leontis 278, 349 – Oineis 74, 115, 117 f., 144, 152, 278, 333, 347–349, 360 – Pandionis 117, 278, 340, 348 f. Phylenheroen 278, 281 Phylenheroenmonument s. Monumente Piräus-Partei 104, 134 f., 138, 206, 210 f., 214, 222, 313, 357 Plataiai, Schlacht von s. Kriege – Schlachten – Gefechte Plataier 57, 60, 62, 66, 70 Poleis 20–25, 36, 49, 53, 55 f., 60–62, 67 f., 71, 81, 87 f., 94, 97, 99, 106, 110, 138 f., 141, 149–152, 157 f., 160–164, 166, 176, 178, 180, 183, 195, 199 f., 211, 221 f., 237, 239, 242–247, 249–253, 260, 263, 265, 269, 277–279, 298, 303, 309, 311, 347 f. Polemarchen 85, 100, 136 f. Politeia 25, 54, 60, 149, 165, 183, 203, 216, 218 f., 221, 231 f., 238, 242, 245, 258, 266, 303, 306 Polyandria s. Gemeinschaftsbestattungen, Gräber Privatgrabmonumente s. Monumente post-aliquanto-Gesetz 33, 54 Probuleuma 30, 85, 202, 229, 309 Programmschriften 29, 35, 43, 216, 253, 285, 312 Pronomina, deiktische 65, 91, 116, 330 Prothesis 23, 99 f., 157 Publikum [s. a. Adressaten, Leser, Rezipien ten, Zuhörer] 34, 40, 43, 156, 173 f., 176, 182, 188, 194 f., 199, 229, 239, 242–244, 246 f., 267 f., 274, 280, 283 f., 286, 298
Rat s. Boulē Rebellion 77, 79, 109 f., 191, 289 Rededuell 185 Redegattungen s. Apologia, Dēmēgoria, En komion, Epainos, Epitaphios Logos, Ge fallenenrede, Katēgoria, Musterrede, Peri Parakatathēkēs Redekunst s. Rhetorik Redemanuskripte s. Manuskripte Reden (allgemein) 25, 27–44, 50, 100, 110, 133, 139, 142, 144 f., 148, 150 f., 155 f., 161, 164 f., 167, 170–175, 177, 179, 182, 186–194, 197, 199, 201–204, 206 f., 214–217, 224–227, 229–231, 233, 235 f., 238–243, 246 f., 251, 254–256, 259–262, 264, 266–268, 270, 273 f., 276, 280–288, 298 f., 303–307, 311 f., 314, 321 Redensatz 156 Redner [s. a. Rhetoren] 23, 28–32, 34, 36–42, 85, 100, 124, 139, 160, 173, 182, 188 f., 193, 199, 202, 205, 213–215, 229, 237 f., 240 f., 244, 251, 254, 259, 262–269, 271 f., 274, 282, 287 f., 299, 304–306, 309, 311 f., 314 Rednerbühne (βη˜ μα) 34, 100, 157, 241 Reformen – kleisthenische 51, 53, 71, 308 – der späten 460er Jahre 81, 84, 309 – Reform der Kavallerie 114 – nach dem Peloponnesischen Krieg 214 Reiter (ἱππη˜ ες) 65, 80, 85, 90 f., 95, 104, 106, 108, 111–118, 120, 123, 128, 134 f., 138, 140 f., 143, 159, 185, 294 f., 310, 326, 331, 346–349, 357 f. Reiterkampf 114, 140 f., 144, 357 Religion, religiös [s. a. Kult, Rituale, Sakrali sierung] 83, 178, 276, 292 f. Rezeption 27–29, 31 f., 35 f., 39–41, 43 f., 134, 156, 169 f., 172, 179, 184, 189 f., 193–194, 202 f., 207, 212–216, 223 f., 228, 233, 239, 242, 246, 264, 280, 282, 284, 287, 298, 304, 306, 311, 313 Rezipienten [s. a. Adressaten, Leser, Publi kum, Zuhörer] 35 f., 41, 43 f., 157–162, 173, 188, 192, 195, 203, 211 f., 229, 233, 242, 258, 311 Rhetoren [s. a. Redner] 29, 37, 39, 43, 179, 230, 257, 261, 268, 271 f., 274, 285–287, 314, 320 Rhetorik, rhetorisch 35–37, 39–43, 172, 177, 179, 181–183, 187, 194 f., 197, 200–203,
Index
217, 222, 224, 229, 238, 240–242, 249, 251, 254–255, 258, 260–263, 272, 280, 283 f., 286, 297, 299, 312, 314 Rhetoriklehrer [s. a. Lehrmeister] 179, 182, 213, 225, 229–230, 234, 240 f., 260–262 Rhetorikschüler 193–194, 226, 234, 240–242 Rhetorikunterricht 36, 229 f., 240 Richter s. Dikasten Riten s. Rituale Rituale, rituell [s. a. Kult, Religion, Sakralisie rung] 19, 21–25, 30, 38, 49–51, 53, 55, 57, 59, 61, 63, 65–69, 71, 85 f., 88, 92 f., 97 f., 100–102, 113, 128 f., 132–134, 139–142, 149 f., 152, 157 f., 162, 167 f., 184, 207, 238, 242–243, 252, 284, 307, 309 f. Rom, römisch 39, 41, 93 f., 125, 169 Ruderer 119, 191 Ruhm 19, 67, 81 f., 111 f., 117, 179, 186, 194, 224 f., 227, 229, 231, 233, 235–237, 239, 241, 243, 245, 247–251, 253, 255, 257, 259, 261, 263, 266, 268, 286, 298 Sakralisierung, sakral [s. a. Kult, Religion, Rituale] 92, 243, 292, 297 f., 314 Salamis, Seeschlacht von s. Kriege – Schlach ten – Gefechte Scham 256 Schamlosigkeit (ἀναισχυντία) 127, 161, 166, 256 Schiffe [s. a. Flotten] 110, 270, 297 Schlachten s. Kriege – Schlachten – Gefechte Schlachtfelder 49, 56, 60, 62, 68, 72, 78, 87, 97 f. Schrift, schriftlich [s. a. Alphabet] 25–30, 33–40, 42 f., 52 f., 115, 147 f., 152, 156, 169 f., 172, 174, 177, 179–181, 183 f., 188, 192–198, 201–204, 207, 209, 212 f., 215–217, 222, 229, 233, 239–242, 248, 258–260, 264–266, 276, 280–284, 286–289, 291, 293, 299, 304, 311–314, 328, 338, 355, 360 Seeherrschaft s. Thalassokratie Seele (ψυχή) 66, 111, 175, 209, 259 f., 265, 268 Seemacht s. Thalassokratie Seeschlachten s. Kriege – Schlachten – Ge fechte Seher (μάντις) 61, 83, 119 f. Sieben gegen Theben 175, 198, 245 Siege 20, 33, 49, 56, 60 f., 67 f., 71, 77 f., 80, 87, 101, 105, 108, 110 f., 148 f., 174, 180, 187, 190,
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200, 203, 208, 210, 266, 288 f., 292 f., 296 f., 304, 309, 314, 348 Siegesmonumente s. Monumente Sizilienexpedition s. Kriege – Schlachten – Gefechte Skionier 249 Sklaven (δου˜ λοι, θεράποντες) 55, 57, 75, 60, 70, 75, 102 f., 119, 193, 200, 217, 219, 249 Sklaverei – Unterdrückung (δουλεία) 66, 77, 79, 106, 176, 200, 206, 209, 249 f., 252 Skythen 245 Soldaten, soldatisch 19 f., 22, 24 f., 44, 59 f., 93 f., 98–100, 122, 128, 148 f., 152, 159 f., 163, 169, 175 f., 178, 180, 249 f., 263, 290 f., 296, 298, 303, 305, 314 Sophisten, sophistisch 32, 41, 180, 194, 201, 247, 261 f., 267 Soros s. Grabhügel Spartaner 61 f., 104, 106, 110, 124, 135–139, 150, 159, 164, 186, 209 f., 215, 240, 246–249, 249, 251, 356 f. Städtelob [s. a. Enkomion, Epainos] 186, 198, 229, 243 f., 246 Stasis s. Bürgerkriege Statusindikatoren s. Gefallenenlisten Stelen s. Grabstelen Stoichedon 59, 116, 328 f., 333–336, 338–347, 350–353, 356 Strategen (στρατηγοί) 37, 73, 77, 79, 81–83, 86–88, 101, 108, 110, 119–122, 140, 144, 147– 149, 190, 214, 271–274, 289–292, 294–297, 308 f., 311, 314, 326, 354 f., 357 Streitschriften s. Programmschriften Symbuleutik 36 f., 40, 280, 283 Symmachoi s. Alliierte, Bündnisse Synedrion 275 Särge (λάρνακες) 100, 157 schön (καλός) 80, 94, 112, 128, 144, 156–160, 164, 166, 177, 206, 237, 257, 260, 267, 285, 311 schöner Tod (καλὸς θάνατος) 144, 160, 164, 285 schönste Vorstadt (τò καλλίστον προάστειον τω˜ ν πóλεως) 94, 128, 156–160, 311 Söhne [s. a. Nachfahren] 214, 225–227, 256, 291 Söldner 19, 151, 217 f. Straßen (antike)
408 – – – –
Index
Akademiestraße s. Kerameikosstraße Gräberstraße 125, 141 Heilige Straße 125, 127, 141 Kerameikosstraße 63, 93, 95, 100, 124 f., 127, 135 – Panathenäenweg 123 f. – Querweg 127 – Straße zum Piräus 127 – Südweg 141 Straßen (moderne) – Asomaton 352 – Dipilou 350 – Epimenidosstraße 334 – Hadrianstraße 329 – Keramikou 337, 357, 359 – Kladoustraße 335 – Leokoriou 350 – Peiraiosstraße 125, 127 – Peristeri 352 – Plataionstraße 63, 329, 354 – Psaromiligkou 357 – Salaminosstraße 63, 90, 92, 95, 97 f., 125, 127 – Samouil Kalogirou 357 – Sfaktiriasstraße 359 – Tripodenstraße 73, 329, 332 Tanagra, Schlacht von s. Kriege – Schlachten – Gefechte Tapferkeit s. Aretē Taten (ἔργα) 80, 97, 163, 169, 173, 183, 186, 197, 205 f., 231–234, 236 f., 239–241, 243–245, 247 f., 251, 254, 256, 260, 262, 274, 277 f. Tatenbericht, Tatenkatalog 29, 192, 231, 234, 239, 244–247, 305, 313 Tegeaten 62, 185, 192 Thalassokratie [s. a. Archē, Hegemonie, Macht, Suprematie] 162, 164, 180, 200, 206, 247 Thebaner 138, 142, 145, 231, 274 Thermopylen, Schlacht bei den s. Kriege – Schlachten – Gefechte Thessalier 104, 106 f., 112, 115, 120, 294, 346 Thraker 76, 102, 109, 245, 333, 354 Thriasisches Tor s. Dipylon Tiere, wilde – allgemein 169, 171, 175–177, 182, 195, 203, 260 – Aasfresser 169, 175,
– Geier (γυ˜ πας) 169, 171, 175 f., 182, 195, 203 – Hunde 175 – Vögel 175, 177 Todesstrafe 190 f., 270–273 Topik 21, 25, 28, 32, 34, 44, 185, 195, 199, 203, 234, 241, 256, 297 Topografie (allgemein) 45, 63, 92 f., 95, 97, 123–126, 128, 135, 137, 141, 157 f., 160–162, 199, 205–207, 311, 326, 329, 337, 350, 352, 356–359 Topografie, poröse 95, 97, 128, 137 Tore – allgemein 22 f., 50 f., 56, 62 f., 70, 78 f., 88, 93, 96, 102, 106 f., 110–112, 114, 123–125, 127, 132, 159, 190, 205, 207, 253, 308, 335, 359 – Dipylon 49, 55, 93, 95 f., 99 f., 104, 112, 123 f., 127, 135, 137, 144, 159 – Heiliges Tor 93, 99, 125, 127 Totenkult s. Kult Tragödien 19, 28, 30, 111, 176, 182, 185, 265, 280 Trauer [s. a. Leid] 99, 111, 117, 176, 200, 206, 210 Treue (πίστις) 177 f., 253, 256 f. Tribute 109, 164, 243 f., 250 Tributquotenlisten 89 Trierarchen 119–122, 191, 340, 353, 356 Troischer Krieg s. Kriege – Schlachten – Ge fechte Tropaia (τρόπαια) s. Monumente Trossknechte 75 Trostrede 164 Tugend s. Aretē Tumulus s. Grabhügel Tyrannis 51, 54, 200, 293, 308 Überdachung (σκηνή) 42, 99, 157 Überlebende s. Hinterbliebene unbestattet s. Kadaver Unterdrückung s. Sklaverei – Unterdrückung (δουλεία) Unterwelt s. Hades Unwissende (ἄπειροι) 165, 267 f. Urnen 21–23 Vasen 30, 69 f., 89, 91, 93 f., 107, 126, 351 Vasenmaler 94 Vasenmalerei 70, 91, 93 Verbündete s. Alliierte Verdienst 19 f., 31, 52, 137, 163, 168, 178, 348
Index
Verletzungen 93, 98, 137, 294 Verschwörer 217 Verteidiger (vor Gericht) 35, 37, 217, 216 Veruntreuung 255–257 Verwüstungen s. Zerstörungen Volksbeschlüsse s. Bürgerbeschlüsse Volksrede s. Dēmēgoria Volksversammlungen s. Bürgerversammlun gen Vorfahren, Vorväter 199, 208 f., 237, 246, 254, 257 Vögel s. Tiere, wilde Waffen 75, 136 f., 274 Waffenknechte 75 Waffenläufe 66 Waffenruhe 243 Wahrheit 232, 241, 261
409
Wehrgemeinschaft 24, 60, 78, 152, 242, 263, 290, 298 Wettkämpfe [s. a. Epitaphios Agō n] 21, 23, 69 f., 100, 247, 271 Wissende (εἰδότες) 267 f. Wohlstand 239, 250 f., 253 Wohlwollen 211, 268 Wort, Rede (λόγος) 225 f., 230, 242, 256–262 Zensusklassen 113 f., 116, 159, 310 Zerstörungen 54–56, 93, 124–127, 159 f., 182, 233, 296 Ziergärtchen 165 Zuhörer [s. a. Adressaten, Publikum, Rezi pienten] 155, 158, 173, 183, 186, 194 f., 224, 226, 231, 244, 254, 259 f., 262, 267 f., 281, 287 Zweiter Attischer Seebund s. Bündnisse Zweiter Olynthischer Krieg s. Kriege – Schlachten – Gefechte
Personen Achill 21, 175 Adrastos 182, 245 Agamemnon 175, 190 Aischines 34 f., 94, 146, 220, 264, 268, 272–276 Aischines (Sokratiker) 228 f. Aischylos 175 Aision 281 Alexander 109 Alkathoos Alkibiades 78, 111, 213 Ameipsias 229 Anaximenes 43 Anaxinos aus Oreos 273 Andromache 176 Androtion 240 Antalkidas 223 Antipatros 148, 288, 290, 294–296, 299 Antiphilos 148, 290, 295 f. Antiphon 213, 227, 229 f. Antisthenes 229 Anytos 221 Archestratos 109 Archinos 27–30, 32, 37, 39–42, 44, 155, 197– 199, 201, 203, 205, 207, 209, 211–217, 219–223, 226 f., 229, 238, 258, 262, 264, 288, 304, 306, 312–314 Ares 116, 349 Ariphron 227 Aristides 66 Aristogeiton 293 Aristophanes 114, 185, 348 Aristophon von Azenia 272 Aristoteles 187–189, 201, 203, 242 Arkesilaos 291 Arkesilas 291
Aspasia 28, 141, 170, 225–230, 259 Athanasios Alexandrinos 170 f., 180 Athena 291 Autolykos 270 Chairon 136 Chares 145, 274 Cicero 33, 54 Demades 275, 287 Demetrios von Magnesia 156 Demophon 227 Demosthenes 29 f., 32, 34–37, 39–42, 85, 96, 144–146, 148, 155, 157, 170, 173, 205, 214 f., 219, 263–289, 291, 293, 295, 297, 299, 304, 314, 321 Dexileos 140, 152, 358 Diodor 73, 147 f., 273, 287, 289, 291, 294, 296 Diodotos 255 f. Diogeiton 255 f. Dion 28, 30, 40–43, 62, 143, 215, 226–229, 240, 279, 304 Dionysios von Halikarnassos 28, 42, 170, 172, 183, 193, 213, 231, 242, 255 f., 279 Duris von Samos 189–191 Elpinike 190 Ephialtes 77 Ephoros 189, 240 Eteokles 175 Eukleides 221 Euripides 176, 182, 184, 305 Eurystheus 186, 198 Euthynos 256 Gelon 186 f., 192 Gorgias 27, 29, 32, 36, 40–42, 44, 155, 157, 159, 161, 163–165, 167–185, 187, 189, 191–196, 200–203, 214 f., 228, 240, 242, 253, 258, 263, 304 f., 311, 321
Index
Harmodios 293 Harpalos 274, 287 f. Hektor 21 Helios 292 Hermas 54, 217 f. Hermippos von Smyrna 240, 281 Hermogenes 170–172, 180 Hermon 217 f. Herodes Atticus 57 f., 329 Herodot 28, 33, 55, 58, 61 f., 185–189, 191 f., 305, 312, 322 Hippokrates 227 Homer 21, 175, 184 Hypereides 29 f., 32, 37, 39–42, 147 f., 155, 157, 168, 170, 184, 198, 205, 214, 240, 264–267, 269, 271, 273, 275, 277, 279–281, 283, 285, 287–295, 297–299, 304, 314, 322 Ion von Chios 189–191 Iphikrates 271 Isaios 240 Isokrates 27, 29, 35 f., 40 f., 43, 96 f., 128, 142, 155, 169, 171, 174, 180 f., 184, 192, 201, 203, 212–215, 223–225, 227, 229, 231, 233, 235, 237–249, 251–261, 263, 305, 312–314, 323 Iustinus 146, 294 Kaikilios 213, 242 Kallias 110 Kephalos 272 Kimon 76–81, 84, 87, 108, 190 f., 286, 308 f., 333 Kleisthenes 51–53, 71, 100, 184, 308 Kleitos 148, 295–297 Klemens Alexandrinos 42, 212 Konnos 227, 229 Konon 124, 202 Krateros 296 Kritias 213 Ktesiphon 272, 274 Lakrates 136 f. Lampros 227 Leagros 77 f., 87, 333 Leokrates 270 Leonidas 61, 150 Leonnatos 148, 289 f., 293–297, 314 Leosthenes 147 f., 287–289, 291–295, 297 Lucius Verus 58 Lykurg 29, 40 f., 43, 125, 240, 264, 270–272, 280–282
411
Lysander 138 Lysias 27–29, 32, 36, 40–42, 85, 134 f., 138 f., 142, 150, 155, 157, 170, 173, 197–211, 213–219, 221–223, 229, 236, 238, 240, 242, 253, 255– 258, 260–263, 271, 280, 305, 307, 312–314, 324 Lysikles 271, 274 Lysitheos 271 Mardonios 185 Markellinos 230 Megistias 61 Menestheus 271 Menexenos (platonische Dialogfigur) 215, 224–227, 229 f., 233, 259 Menexenos (Sohn des Demophon) 227 f. Menexenos (Sohn des Sokrates) 225–227 Miltiades 52, 57, 190, 293, 328 Myronides 214 Nepos 78 Nikias (Cousin des Euthynos) 256 Nikokles 240 Paphlagos 114 Patroklos 21 Pausanias (Perieget) 50, 54 f., 57 f., 69, 80, 82, 86 f., 96, 112, 115, 132, 143, 147, 290 f., 324, 333 f., 336, 346, 354 Pausanias (Spartaner) 150 Perdikkas II. 109 f. Perikles 27 f., 30, 33, 38–40, 42 f., 77, 81, 109 f., 113, 152, 155–157, 160–166, 168, 170, 178 f., 183, 185–191, 196, 198 f., 205, 207, 225, 227 f., 232, 236 f., 246, 248, 251 f., 259, 262, 267–269, 276, 287, 304–306, 309–312 Philipp II. 125, 143, 145 f., 269, 273–275 Philochoros 143 Philokrates 275 Philostratos 41, 170–174, 180, 192 Phokion 275, 288 Photios 42, 212 f., 215, 217 Phrynichos 217 Planudes 170–172, 177, 179 f. Platon 27–29, 32, 40–42, 62, 85, 96, 111, 141, 155, 157, 160 f., 169 f., 184, 201, 203, 205, 213– 215, 223–241, 243, 245, 247, 249, 251, 253, 255, 257–261, 263, 305, 309, 313 f., 324, 328, 359 Plutarch 66, 76, 145 f., 149, 189–191, 213 f., 216–218, 274, 276, 281 f., 307
412 Polybios 146 Polyneikes 175 Proxenos 145 Ps.-Dionysios 41 f. Ps.-Longinos 170 f., 174, 180 Ps.-Plutarch 213 f., 216–218 Pytheas 274 Satyros 34 Simonides 53, 80, 112 Sokrates 28, 141, 160 f., 164, 213, 224–231, 233, 237 f., 241, 243 f., 259, 313 Sophanes 77 f., 87, 333 Stesimbrotos von Thasos 189–191 Sulla 125, 127 Syrianos 170 f. Teisandros 358 Teisikrates 291 Themistokles 93, 293 Theomnestos 271 f.
Index
Theon 41 f. Theopomp 43, 240 Theseus 81 Thrasybulos 216–221 Thrasydaios von Elis 217 Thribrachos 136 Thukydides 27–29, 32, 39–42, 50, 71 f., 77, 84, 96, 99–101, 108, 113, 117, 127–129, 131, 133, 139, 142, 145, 149 f., 152, 155–171, 173, 175, 177, 179, 181, 183–185, 187, 189, 191, 193, 195 f., 198, 205, 207, 213, 215, 230, 232, 236, 240, 254, 258–260, 262 f., 267, 278, 283, 289, 304–309, 311, 325, 327, 334, 348 Timotheos 240, 271 Tiribazos 216 Xenainetos 221 Xenophon 78, 136 f., 156, 218 Xerxes 61, 171, 174 Zeus 171, 174, 291
Orte und Regionen Abydos 295, 297 Achaia 269 Ägäis 21, 77, 79, 82, 84, 143, 190, 253, 290, 297, 313 Ägypten 83 f., 101, 234 f., 334, 338 Aigina 55, 83 f., 218, 331, 334 Aigospotamoi 166, 198, 200, 206 f. Ambelaki 62 Amorgos 148 f., 360 Amphipolis (s. a. Enneahodoi) 78 f., 351 f. Amphissa 145 Argilos 351 Arginusen 235 f., 271 Argos 232 Artemision 60 f., 234 f. Asien 138, 143 Astros 58, 327, 329 Athen passim Attika 22, 53, 55, 60, 62, 70, 110, 124, 148, 164 f., 168, 190, 205, 269 f., 287, 290, 293, 297 Boiotien 91, 134, 140, 145, 288 f., 357 Byzantion 89, 102, 190, 354 f. Chaironeia 26, 29, 38, 114, 131 f., 143–146, 151, 215, 241, 264–266, 269–271, 273–277, 281 f., 284–287, 290, 314, 359 f. Chalkidike 109 Chersones 76, 102, 333, 354 f. Chios 143 Delion 90, 146, 176, 182, 350 Drabeskos 73, 77, 81 f., 84, 86 f., 308, 333 f. Echinaden 132, 148 f., 360 Echinos 149 Eion 76–79, 81, 332 f. Eleusis 138, 186, 235, 244 Eleutherai 89 f. Elis 138, 217
Enneahodoi (s. a. Amphipolis) 77–79, 81, 333 Ephesos 78 Euboia 143 Europa 200, 294–296 Galepsos 77, 351 Haliartos 138 Halieis 83 f., 334 Hellespont 76, 78–80, 111, 235, 294–296 Hephaisteia 52–54, 59 f., 328 Isthmos 66 Kardia 76 f., 81, 332 f. Kavala 77 Kerkyra 269 Kleinasien 253, 294 Koilē 214 Korinth 66, 71, 91, 109, 132, 134 f., 140, 202, 235–236, 269, 357 f. Koroneia 135, 140, 350, 357 Krannon 149 Kykladen 149 Kynosura 61 Lamia 148, 288–290, 294 f. Lechaion 235 Lefkandi 21 Leipsokoutala (Leipsokoutali) s. Psyttaleia Lekani 76 Lemnos 52, 68, 328 Leontinoi 169, 172, 236 f. Lesbos 78 Levante 296 Loukou (Eua Kynourias) 57, 329, Marathon 50 f., 53–60, 62, 64–70, 75, 87, 158, 234 f., 252, 329, 331 f. Megara 69, 71, 75, 83 f., 115–117, 143, 269, 334, 347 f.
414
Index
Megaris 118, 353 f. Melos 176, 182 Munichia 218 f. Myrina 104, 120, 343 Notion 78 Oinophyta 235, 346 Oisyme 77, 351 Olynth 132, 143 Paros 21, 235 Peloponnes 57 Phokis 288 Phyle 217 f. Phönikien 83 f., 334 Piräus 127, 158, 209 f., 216–219, 291 Pithekussai 21 Plataiai 60–62, 64, 66, 69, 71, 87, 234 f., 331 f. Potidaia 108–112, 117, 248, 309, 345 f., 348, 351 Psyttaleia 60–62, 64–66, 68–70, 80, 87, 331 f. Pydna 109 Pylos 351 Rom 20 Salamis 60–62, 64–66, 68–70, 80, 87, 234 f., 252, 331 f. Samos 33, 38, 81, 108, 110, 114, 117, 186 f., 189–191, 304, 309, 348 Sermylia 351
Sigeion 76 f., 81, 332 f. Singos 351 Sinope 345 Sizilien (s. a. Sizilienexpedition) 24, 106, 111, 143, 169 f., 181, 236 Spartolos 115–117, 347 f. Spata 74, 332 Strepsa 109 Sunion 331 Syrakus 111, 180, 187 Tanagra 104–107, 115–117, 120, 235, 335 f., 346–349 Thasos 76–81, 84, 189–191, 332 f. Theben 138, 145, 175, 186, 198, 218, 245, 269 Therme 109 Thermopylen 60 f., 87, 252, 288, 290, 294 Thessalien 147 Thorikos 358 Thrakien 76, 82, 87, 102, 109, 143, 308, 333, 345, 351, 354 Torone 351 Troas 76 Troia 186 Vranatal 57 Zypern 21, 83 f., 234 f., 334, 338
Literarische Quellen Aineias Taktikos (Ain. Takt.)
Anthologia Palatina (Anth. Pal.)
17.5: 135
Aischines (Aischin.)
1.81 f.: 270 2.176: 214 3.140: 145 3.146: 145 3.152: 275 3.152–158: 146 3.152–159: 143, 265 3.159: 146, 275, 276 3.174: 274 3.175: 270, 271 3.187: 218, 220 3.187 f.: 214 3.190: 220 3.194: 272 3.195: 214, 217 3.223 f.: 273 3.224: 273 3.236: 125 3.252: 270
Aischylos (Aischyl.) Hepta epi Thēbas (Hept.) 1013–1017: 175 1019–1025: 175 Anonymus (Anon.) Bios Isokratous (Isok.) ed. Dindorf 101–106: 240
7.245: 143, 145, 284, 359, 260 7.253: 67, 143, 144, 285, 359 7.254: 112, 346 7.258: 67, 80
Anthologia Planudea (Anth. Plan.) 26: 53 Aristeides (Aristeid.) Logoi 12.49: 214 49.66: 66 Aristoteles (Aristot.) Rhētorikē technē (Rhēt.) 1.7 [1365 a31–33]: 187 3.10 [1411 a]: 65, 187, 281 Aristophanes (Aristoph.) Hippēs (Hipp.) 266–268: 114, 348 Ornithes (Orn.) 395–399: 97 Athanasios Alexandrinos (Athan. Alex.) Scholia eis Staseō n (Hermog. Peri Stas.) ed. Rabe 180.9–18 = DK 82 B 5 a: 171 180.17 = DK 82 B 5 a: 172 180.18: 171
416 Athēnaiō n Politeia (Ath. Pol.)
34.3: 215, 219 40.1 f.: 214, 219 40.2. 68: 219, 217, 221 40.4: 138 43.3: 37 58.1: 70, 85, 100 67.1: 37
Cicero (Cic.) Brutus (Brut.) 49: 203 De legibus (Leg.) 2.64 f.: 33, 38, 54 De finibus bonorum et malorum (Fin.) 5.2.5: 97 Cornelius Nepos (Corn. Nep.) Timotheus (Tim.) 3.4 f.: 271 Cimon (Cim.) 2.2: 78 Demosthenes (Dem.) Logoi 2.11: 267 4.47: 273 9.52: 273 9.70: 267 15.5: 282 18: 144, 284 18.95: 267 18.118: 138 18.127: 34 18.137: 273 18.149: 268 18.208: 96 18.215: 267 18.216: 145 18.219: 214 18.259: 34 18.261: 267 18.262: 268 18.285: 146
Literarische Quellen
18.285–287: 143, 146, 265 18.288: 276 18.289: 143, 144, 284, 359 18.290: 144, 284 18.320: 30 19: 282 19.20: 268 19.126: 34 19.199: 34 19.206: 34 19.251 f.: 34 19.337: 34 20.72: 267 20.141: 146 21.197: 143 24.28: 267 24.66: 268 24.112: 268 24.135: 214, 219 25.34 f.: 267 25.41: 268 27.2: 268 27.136: 293 34.2: 268 36.1: 268 38.6: 268 41.2: 268 53.13: 268 55.7: 268 57.37.82: 96 58.2: 268 59.8: 268 59.72: 268 60: 264, 321 60.1: 30, 146, 265 60.4: 281 60.5: 173 60.6: 267 60.10: 281 60.13: 70, 268 60.13 f.: 268 60.14: 268 60.15: 278 60.16: 277, 278 60.17: 278 60.19: 281 60.23: 265, 267, 293
Literarische Quellen
60.23–24: 281 60.23–27: 164 60.24: 187, 265 60.27: 277 60.27–31: 278 60.33: 268 60.36–37: 164
Epistolai (ep.) 3.29: 274 Deinarchos (Dein.) 1.76:214 Diodoros (Diod.)
11.33: 62, 70 11.70: 76, 79, 87, 333 12.34: 109 12.37: 109 12.53: 179, 181 12.68: 79, 87, 333 13.64 f.: 354 13.102: 271 14.17: 138 15.95: 274 16.21: 271 16.84: 143, 265, 269, 273 16.85: 265, 269, 273 f. 16.86: 265, 274 16.88: 271 17.13: 289 18.9: 287 18.10: 287, 290 18.12: 294 18.13: 147, 147, 287, 291, 294 18.14: 294 f. 18.15: 148, 290, 295 f. 28.7: 125
Dionysios von Halikarnassos (Dion. Hal.) Peri tēs Dēmosthenou lexeō s (Dēm.) 23: 28, 228 23–30: 231 24:237 44: 42, 279 Peri Thukydidou (Thuk.) 18: 183 Isokratēs Athēnaios (Isok.) 240 Pseudo-Dionysios von Halikarnassos (Ps.-Dion. Hal.) Technē Rhētorikē (Rhēt.) ed. Usener/Rader macher 6.1 (II, 278.4–7): 41 Euripides (Eur.) Bakchai (Bakch.) 1280: 176 Hiketides (Hik.) 447–449: 187 Trō ades (Trō ad.) 599 f.: 176 895–1059: 182 Harpokration (Harpokr.) Lexikon tō n deka rhētorō n ed. Keaney α 47 Αἰγει˜δαι: 279 κ 36 Κεκροπίς: 279 φ 8 Φάσκωλον: 215 Hermogenes (Hermog.) Peri Ideō n ed. Rabe 249: 171
Diogenes Laertios (Diog.)
Herodot (Hdt.)
2.57: 156
Dion Chrysostomos (Dion Chrys.) 37.18: 62, 187
417
1.5: 186 5.77: 53 6.46: 76 6.87–93: 55 6.117: 58, 75 6.140: 52
418
7.161: 28, 185 f., 188, 322 7.162: 185–188 7.228: 61 7.238: 61 8.18: 61 8.24 f.: 61 8.76: 62 9.85: 62 9.27: 28, 185 f., 188, 322 9.69 f.: 62 9.75: 77, 333 9.85: 62, 69
Homer (Hom.) Ilias (Il.) 1.1–7: 175 1.5: 175 11.450–455: 175 22.331–336: 175 23: 21 24: 21 Odyssee (Od.) 24: 21 Hypereides (Hyp.)
6: 147, 322 6.(1)1: 287, 292 6.(1–2)1–3: 287 6.(1)2: 287 6.(1–2)2–3: 287 6.(2)3: 173, 288, 292 6.(3)5: 293 6.(4–5)10: 292, 293 6.(5)10: 293 6.(5)11–14: 288 6.(6)14: 288, 289, 293 6.(6)15: 292 6.(6)16: 293 6.(6–7)16–18: 288 6.(7)18: 288, 293 6.(7)19: 293 6.(7–8)20: 297 6.(8)21: 297 6.(8–9)23: 288, 289 6.(8–9)23–24: 294 6.(9)24: 293
Literarische Quellen
6.(9)25: 293 6.(9)26: 298 6.(9–10)27: 298 6.(10)28: 298 6.(11)33: 288 6.(11)34: 293 6.(12–13)35–40: 293 6.(13)37: 293 6.(13)40: 293
Isokrates (Isok.) Logoi 1–3: 242 4: 323 4.1: 239 4.1–14: 239 4.1–20: 243 4.3: 239 4.6: 239 4.11: 254 4.14: 241 4.15–10: 323 4.15–20: 239 4.18: 239 4.21–50: 240 4.21–74: 247 4.21–99: 29, 192, 239, 243, 247, 257 4.28: 246 4.28–33: 244 4.29: 245 4.31: 245 4.34–37: 245 4.38–42: 245 4.43–46: 245 4.47–50: 245 4.51: 246 4.51–70: 240, 245 4.52–65: 245 4.53: 171 4.54–60: 232 4.54–65: 245 4.58: 246 4.61: 246 4.64: 246 4.64 f.: 232 4.66–70: 245
Literarische Quellen
4.69: 246 4.71–99: 240, 245 4.75: 246, 247, 257 4.75–99: 247 4.76: 257 4.78: 254, 257 4.81: 257 4.83: 247 f. 4.84: 248, 251 4.85: 246 4.87: 246 4.91: 246 4.100: 246, 248 f. 4.100–109: 240, 246 4.100–128: 250 4.103: 250 4.106: 246 4.110–128: 240, 246 4.119: 246 4.124: 249 4.125: 249 4.129–132: 240 4.133–169: 240, 243 4.137: 246 4.151: 171 4.158: 169, 171, 249 4.159: 246 4.170–189: 240, 243 4.182–185: 250 4.183: 249 4.184: 249 4.185: 249 4.186: 251 4.187: 254 4.188: 254, 260 4.189: 254 5.25–29: 241 5.81 f.: 241 8.86: 87, 333 8.87: 142, 243 8.88: 96 12.10: 241 12.11: 255 15.36: 255 15.129: 271 15.190 f.: 241 17: 255
18: 255 18.2 f.: 214 18.23 f.: 214 21: 255 21.12: 256
Epistolai (ep.) 1.9 f.: 241 8.7: 241 Iustinus (Iustin.) 9.3: 273 9.4: 146 13.5: 294 Klemens Alexandrinos (Klem. Al.) Strō mateis (Strō m.) 6.2.22: 42, 212 Libanios (Lib.) Hypotheseis tō n logō n Dēmosthenous (Hyp. Dēm.) praef. 20: 279 Livius (Liv.) 31.24: 125 Pseudo-Longinos (Ps.-Longin.) Peri Hypsous ed. Russell 3.2 (4.3–5) = DK 82 B 5 a: 171 Lykurgos (Lykurg.) Kata Leō kratous (Leō k.) 27: 270, 272 44: 125 45: 270, 272 48–50: 281 52–54: 270 78: 270, 272 91: 270, 272 121: 270, 272 131: 270, 272 150: 270, 272
419
420 Fragmenta (fr.) 13: 270 75: 271 Lysias (Lys.)
2: 324 2.1: 30, 198 f., 205, 206, 241 2.2: 139, 198 f. 2.3–16: 198 2.3–76: 198 2.6: 173 2.6: 199, 205 2.7: 207 2.9: 150 2.17: 199 2.17–57: 198 2.19: 260 2.20: 206, 208 2.22: 205 2.23: 199 2.25: 208 2.26: 205 2.32: 199 2.53: 208 2.54: 204 2.54 f.: 206 2.55–57: 246 2.58: 200 2.58–66: 198 2.59: 200, 202 2.60: 65, 200, 206 2.61: 208 2.61–66: 135, 208, 209, 214 2.62: 208 2.63: 134, 135, 138, 202, 208, 210, 357 2.64: 206 2.66: 134, 173, 206, 210, 211, 236 2.67: 207 2.67 f.: 199 2.67–76: 198 2.71: 207 2.71–76: 164 2.75: 206 2.76: 206 2.77–81: 199 2.79: 160 2.80: 100,207
Literarische Quellen
2.80 f.: 70 2.81: 150, 207 10: 272 10.1: 271 10.12: 270 14.5: 270 16.15: 348 32.5: 256 32.13: 256 32.16: 256 32.18: 256 32.19: 256 32.20: 256 44 fr. 100 ed. Carey: 215
Markellinos (Markell.) Peri tou biou Thukydidou (Thuk.) 22.1–7: 230 Markellinos Rhetor (Markell. Rhet.) Eis Staseis tou Hermogenous (Hermog.) ed. Walz 352: 203 Orosius (Oros.) 2.17.9: 218 Pausanias (Paus.)
1.1.3: 96, 291 1.2.4: 96 1.29.2–16: 324 1.29.2–1.30.4: 96 1.29.3: 218 1.29.3–16: 96 1.29.4: 57, 73, 81, 82, 84, 86, 87, 95,96, 333 1.29.5: 77 1.29.6: 104, 107, 112, 114, 115, 120, 346 1.29.7: 50, 55, 57, 104, 132, 143, 132, 331, 336 1.29.8 f.: 104, 335 1.29.11: 111, 143, 357 1.29.12: 111 1.29.13: 143, 147, 291, 350 f., 353, 354, 359 1.29.14: 80 1.32.3: 55, 57, 329 1.32.4: 57 1.43.3: 69, 75
Literarische Quellen
2.22.9: 106 3.14: 61 3.14.1: 150 6.17.7: 179 7.10.5: 148, 290 9.2.5: 62 9.32.9: 61 9.40.10: 273 10.3.8: 145 10.33.4: 145
Philochoros (Philoch.) Fragmenta (fr.) 142: 271 Philostratos (Philostr.) Bioi Sophistō n (Bioi Soph.) 1.9.: 174 1.9.1: 180 1.9.1–6: 171 1.9.3: 181 1.9.4: 171 1.9.5: 171–174, 192, 249 1.17: 240 2.22: 95 Photios (Phot.) Bibliothēkē (Bibl.) 486b: 242 487a: 241 487b: 42, 213, 215 489b: 218 489b–490a: 217, 218 494a: 274, 279 Planudes (Planud.) Scholia eis Ideō n (Hermog. Peri Ideō n) ed. Walz 548.8 f.: 170 548.8–549.1: 171 548.8–551.1: 171 548.9: 194 549.1–551.1:170 549.3–5: 173 550.9 f.: 177 550.10–13: 177
550.12: 173 551.1–5: 171 Platon (Plat.), Dialogoi Apologia (Apol.) 17a–18a: 241 Axiochos (Axioch.) 363e: 271 Lysis (Lys.) 207b8: 227 Menexenos (Men.) 234a–b: 226 f. 234b: 28, 192, 226 234c: 160 f., 233, 237, 241 235: 142 235a: 259 235b: 243 235b–c: 259 235c–d: 241 235d: 244 236b: 30, 188, 225, 230 236b–c: 225 236c: 226 236c–d:226 236d: 173, 226 237b: 234 238b–239a: 231 238c–d: 232 239a: 231 239a–246a: 231 239b: 231 241e–242a: 234 242a: 234, 235 242b–c: 96 242d–e: 205 242e: 236 242e–243a: 170, 236 245a: 62 245e: 226 246a–b: 237 246d–247c: 164, 225 249b: 70, 141 249c: 254, 259 f. 249d: 259 263a: 230 263b: 25
421
422
Literarische Quellen
Phaidros (Phaidr.) 257d: 188
Nikias (Nik.) 17: 111
Protagoras (Prot.) 329a: 188
Periklēs (Per.) 8: 188 f. 28: 190 f. 28: 189 30: 99
Symposion (Symp) 219e–220a: 111 Platon (Plat.), Epistolai Epistolai (ep.) 7 (332b–c): 246 Polybios (Polyb.) 5.10: 146 30.18: 138 Plutarch (Plut.), Bioi Parallēloi (Vitae parallelae) Alexandros (Alex.) 9: 265, 274 Alkibiadēs (Alk.) 25: 217 Aristeidēs (Arist.) 9: 62 19: 62 21: 66 Dēmosthenēs (Dēm.) 7: 34 8: 39, 283 11: 281 15: 282 18: 145 20: 274 21: 143, 146, 265, 276 28: 299 Dēmētrios (Dēmētr.) 11: 149 Eumenēs (Eum.) 3: 294 Kamillos (Kam.) 19: 145 Kimō n (Kim.) 14: 76, 190, 333
Phō kion (Phō k.) 25: 295 Sulla (Sull.) 14: 125 Themistoklēs (Them.) 8: 61 Plutarch (Plut.), Ēthika / Moralia Poteron Athēnaioi kata polemon ē kata sofian endoksoteroi / De gloria Atheniensium (Athēn.) 350b: 214 350e: 241 Peri tēs Hērodotou kakoētheias / De malignitate Herodoti (Hērod.) 870d–e: 62 870e–f: 66 Peri tēs Alexandrou tychēs ē aretēs / De Alexandri magni fortuna aut virtute (Tych.) 338a: 149 Pseudo-Plutarch (Ps.-Plut.) Bioi tō n deka rhētorō n / Vitae decem oratorum (Bioi Rhēt.) 385f–386a: 217 386b: 203 832c–e: 213 f. 832d: 188 832e: 42 835e–836a: 217 f. 835f: 218 835f–836a: 217, 219 836a: 242 836a–b: 215 f. 836b: 202 836e–839d: 240 837f: 241
Literarische Quellen
838d: 242 840c: 282 843d: 270 f. 846c: 274 847a–b: 299
Polyainos (Polyain.)
4.2.8: 145 4.2.14: 145 3.9.29: 271 4.2.2: 274 4.2.7: 274
Suda
δ 454 s. v. Δημοσθένης: 281 ι 652 s. v. Ἰσοκράτης: 213 κ 1354 s. v. Κεραμεικός: 97 π 1180 s. v. Περικλη˜ ς: 188
Syrianos (Syrian.) Scholia eis Ideō n (Hermog. Peri Ideō n) ed. Rabe 91.16–19: 170 f. Theon
Quintilian (Quint.)
Progymnasmata ed. Spengel 2 (68.24–28): 41
10.4.4: 241
Thukydides (Thuk.)
Scholia eis Aischinēn (Schol. Aischin.)
2.31: 333 2.176: 214 3.187 f.: 214 3.195: 214, 217–219
Scholia eis Aristophēn (Schol. Aristoph.) Ploutos (Plout.) 1146: 218 Scholia eis Platō nos (Schol. Plat.) Menexenos (Men.) 235e: 229 Sophokles (Soph.) Antigonē (Ant.) 72: 160 Stobaios (Stob.) 4.56.36: 322 Strabon (Strab.)
7.34: 76 9.4.2: 62 9.5.10: 295 9.30: 138
423
1.100: 76 f., 80 f., 87, 333 1.105 f.: 208 1.117: 190 1.140–144: 164 f. 1.22: 156, 183, 230 1.62: 109 1.63: 109 f. 1.100: 76 f., 80 f., 87, 333 1.105 f.: 208 1.117: 190 1.140–144: 164 f. 2.22: 107, 114 2.34: 50, 57, 72, 94, 100, 157, 161, 192 f., 243, 268, 307 2.34–46: 27, 156, 325 2.35: 165, 246, 267 2.35–46: 187, 205 2.36: 173, 248 2.40: 268 2.42: 161, 163, 178, 236 f. 2.43: 205 2.43.1–6: 161 2.44: 236 2.46: 254, 259 f. 2.52.4: 127, 162, 166 2.53: 166 2.60–64: 165 2.62: 165 2.65: 232 2.79: 114, 348
424
2.93: 158 3.86: 179 3.87: 118 4.66–74: 114, 117, 348 4.68: 118 4.93–101: 114, 348 4.97–101: 176 4.102: 77, 79, 87, 333 4.109–116: 114, 348 4.120–123: 114, 348 7.72: 167 8.68: 230 8.92: 217
Literarische Quellen
Xenophon (Xen.) Hellēnika (Hell.) 1.2: 78, 354 1.7: 271 2.2: 124, 135 2.4: 135 f., 138, 218 f., 357 3.1: 138 3.2: 138 3.5: 138 4.8: 216
Epigrafische Quellen Ag I 16a: 220 16b: 220 17: 220 18: 220 93: 220 303a: 327, 329 f. 303b: 327, 329 f. 590: 351 888: 327 888a: 351 895a: 327, 336 895b: 327, 336 953a: 327, 337 953b: 327, 337 953c: 337 953d: 337 953e: 327, 337 953f: 337 986: 358 1008a: 327, 354 1008b: 327, 353 1008c: 327, 354 1539: 327, 354 2124: 327 2124: 341 2149: 327, 354 2277: 327, 345 2378a: 327, 341 2378b: 327, 341 2427: 341 2608: 327, 338 3181a: 327, 345 3181b: 327, 345 3333: 327, 341
3694: 327, 341 4127: 327, 356 4168: 327, 346 4193: 327, 341 4256: 328, 331 4256: 65 5901: 327, 340 6106: 220 6514: 327, 341 6523: 327, 345 6882: 333 6953: 327, 359 6959a: 327, 353 6959b: 327, 353 6963: 63, 327, 330 f. 6964: 327, 346 6992: 327, 336 7009: 327 7009: 332 7061: 327, 344 7098: 327, 339 7529: 65 Agora 17 4: 335 5: 338 6: 73, 337 7: 338 8: 336 9: 336 10: 339 11: 340 14: 341 15: 341 16: 345
426 17: 345 18: 346 19: 342, 351 20: 344 21: 356 22: 355 23: 354 24: 91, 132, 358 25: 132, 143 f., 359 f. Agora 19 H30: 124 H31: 124 CEG 1: 35, 332 2: 329 3: 331 4: 346 5: 350 6: 111, 354 8: 343 10: 345 135: 106, 335 466: 148, 360 EM 420: 54 1837: 327, 356 2492: 345 2651: 345 2756: 220 5164: 336 5578: 327, 341 8147: 220 8829: 327 8829: 359, 360 10230: 327, 355 10231: 327, 355 10232: 74, 327, 332 10233: 327, 337 10234: 342 10235: 327, 336 10256: 327, 353 10257: 327, 353 10258: 327, 356
Epigrafische Quellen
10259: 327, 354 10260: 339 10261: 343 10262: 327, 337 10263: 344 10264: 327, 356 10265: 327, 340 10266: 327, 354 10267: 327, 340 10268: 327, 351 10269: 340 10270: 327, 343 10271: 327, 337 10272: 327, 339 10273: 327, 337 10274: 327, 335 10275: 327, 335 10276: 327, 335 10277: 327, 341 10278: 342 10279: 327, 350 10617: 327, 352 f. 10618: 327, 354 12745: 327, 350 12746: 327, 350 12747: 327, 350 12883: 327, 350 13103: 220 13190: 327, 352 f. 13305: 327, 335 13306: 327, 335 13307: 327, 335 13308: 327, 335 13309: 327, 335 13310: 327, 335 13311: 327, 335 13312: 335 13313: 327, 335 13344: 327, 350 13356: 338 13375: 327, 355 13376: 327, 355 13377: 327, 336 13378: 327, 355 13527: 327, 352
Epigrafische Quellen
IG I 438: 337 Suppl. 110 n. 462A: 343 IG I2 851: 336 853: 339 928: 333 929: 334 930: 346 931: 335 932: 335 933: 337 935: 343 937: 337 938: 337 939: 339 940: 340 941: 340 942: 350 943: 355 944: 345 945: 345 946: 346 946: 346 947: 343 948: 343 949: 351 950: 353 951: 355 952: 355 953: 340 954: 354 955: 352 956: 351 957: 354 958: 341 959: 340 960: 356 961: 344 963: 356 964: 354 965: 342 966: 342 968: 356
427
IG I3 4: 331 240: 351 f. 363: 190 501: 53 503/504 A u. C: 63–68, 70, 327–332 503/504 B s. Peek-Fragment 1142: 53, 70, 328, 332 1143: 62,328 1144: 55, 73 f., 76 f., 79, 81 f., 84–87, 90, 101– 103, 105 f., 108, 119, 308, 327 f., 332–334 1145: 73, 90, 119, 308, 328, 332–334 1146: 73 f., 90, 119, 308, 332–334 1147: 71–74, 82–84, 86–88, 90 f., 101, 103, 106, 108, 119 f., 309, 328, 334 f., 347 1147 bis: 82, 90, 119 f., 309, 334 1148: 328 1149: 104–107, 120, 327 f., 335 1150: 120, 327 f., 337 1151: 120, 337 1152: 120, 337 1153: 120, 327 f., 337 1154: 328 1155: 120, 328, 338 1156: 120, 328, 339 1157: 120, 327 f., 339 1158: 104 f., 120, 327 f., 336 1159: 104 f., 120, 327 f., 338 1160: 120, 328, 339 1161: 120, 327 f., 340 1162: 67, 85, 90, 111, 113, 121, 248, 327 f., 347, 354 f. 1163: 64, 85, 90, 113, 121, 125, 182, 327 f., 330, 350–353 1164: 104 f., 107, 120, 327 f., 343 1165: 95, 103 f., 120, 343 1166: 91, 119 f., 340 1167: 67, 85, 328, 343 1168: 120, 327 f., 340 1169: 120, 327 f., 341 1170: 85, 328 1171: 328 1172: 103, 120, 327 f., 341 1173 : 67, 85, 328 1175: 120, 327 f., 341 1176: 120, 328, 342
428
Epigrafische Quellen
1177: 120, 328, 342 1178: 328 1179: 67, 85, 95, 108, 111 f. 248, 309, 327 f., 345 f. 1180: 90, 95, 103, 120, 327 f., 345 1181: 85, 95, 108, 112–116, 120, 310, 346 1182: 104 f., 120, 327 f., 336 1183: 91, 95, 120, 327 f., 346 1184: 95, 103, 113, 121, 182, 328, 350 f. 1185: 95, 121, 327 f., 351 f. 1186: 90, 107, 113, 121, 327 f., 347, 350, 352 f. 1187: 122, 327 f., 356 1188: 95, 120, 328, 344 1189: 95, 120, 327 f., 344 1190: 90, 103, 113, 121, 328, 347, 353 1191: 90–92, 113, 119, 121, 327 f., 353–355 1192: 90, 103, 122, 327 f., 347, 355 1193: 95, 120, 344 1477: 52, 328 IG II 1677: 346 1679: 148, 360 IG II/III2 10: 220 f. 367: 288 398: 295 438: 295 493: 295 1006: 65 f., 330, 336 1035: 62 2376: 336 2617: 124 2618: 124 2619: 124 5221: 91, 134, 140, 310, 328, 357 f. 5222: 91, 107, 114, 134, 140, 328, 357 f. 5225: 132, 148, 360 5226: 143–145, 284, 327, 359 f. 6217: 141, 152, 328, 358 11678: 104, 135 f., 328, 356 IG XII Suppl. 337: 52, 328
I.Thasos (III) 5: 84 Peek-Fragment Peek-Fragment: 63–65, 67–70, 80, 327 f., 330–332 SEG 10.412: 340 10.416: 336 10.423: 340 19.40: 338 19.42: 352 21.95: 54 21.120: 337 21.121: 336 21.122: 340 21.123: 350 21.133: 341 21.135: 341 21.825: 132 21.825: 359 23.153: 356 28.30: 335 28.240: 142, 328, 359 29.201: 359 30.191: 359 33.209: 359 33.210: 356 37.50: 337 40.37: 350 41.122: 124 43.83: 107 44.34: 220 46.29: 347 48.83: 85, 90 f., 95, 103, 113–115, 118, 120, 152, 182, 347 51.44: 65 51.52: 337 51.425: 329 52.60: 89–91, 113, 121, 327, 347, 350, 352 52.61: 351 52.86: 220 55.267: 124 55.268: 124 56.298: 356
Epigrafische Quellen
56.430: 53, 58, 74, 85, 327–329 57.820: 85 59.15: 347 59.77: 347 59.78: 350, 352 60.11: 347 Papyri P. Lit. Lond. 133: 287, 322 P.Oxy 1606: 217 f.
60.118: 347 61.80: 347 62.37: 350, 352 62.38: 351 64.50: 347
429
Materialien
Abbildungen
Abbildungen
Abb. 1 SEG 56.430, Monument der Marathonomachoi, nach 490 v. Chr. (errichtet), nach 480/479 v. Chr. (modifiziert). Archäologisches Museum, Astros, inv. 535. Foto: J. Wienand
433
Abb. 2 IG I3 503/504 A (fr. a und b), evtl. Kenotaph für gefallene Athener, 470er Jahre v. Chr. Agora-Museum, Athen, Ag I 303 a und b. Foto: J. Wienand
434 Materialien
Abb. 3 IG I3 503/504 C, evtl. Kenotaph für gefallene Athener, 470er Jahre v. Chr. Kerameikos-Museum, Athen, M 3258. Foto: J. Wienand
Abbildungen
435
436
Materialien
Abb. 4 Peek-Fragment (IG I3 503/504 B), evtl. Kenotaph für Opfer einer See- und Landschlacht, 470er Jahre v. Chr. Agora-Museum, Athen, Ag I 6963. Foto: J. Wienand
Abbildungen
Abb. 5 IG I3 1144 (fr. a), Gefallenenmonument, 464(?) v. Chr. Epigraphisches Museum, Athen, EM 10232. Foto: J. Wienand
437
438
Materialien
Abb. 6 IG I3 1144 (fr. d [Abklatsch]), Gefallenenmonument, 464(?) v. Chr. Inscriptiones Graecae, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Foto: J. Wienand
Abbildungen
Abb. 7 IG I3 1147, Gefallenenmonument, 459/458 (od. 460/459) v. Chr. Louvre, Paris, Ma 863. Foto: J. Wienand
439
440
Materialien
Abb. 8 IG I3 1149 (fr. d), Gefallenenmonument der Argiver, 458/457 v. Chr. Epigraphisches Museum, Athen, EM 13312. Foto: J. Wienand
Abbildungen
Abb. 9 IG I3 1149 (fr. f), Gefallenenmonument der Argiver, 458/457 v. Chr. Epigraphisches Museum, Athen, EM 10275. Foto: J. Wienand
441
Abb. 10 IG I3 1179 (fr. a), Gefallenenmonument der vor Potidaia gefallenen Athener, 432 v. Chr. British Museum, London, inv. 1816,0610.348
442 Materialien
Abb. 11 IG I3 1179 (fr. b), Gefallenenmonument der vor Potidaia gefallenen Athener, 432 v. Chr. Agora-Museum, Athen, inv. Ag I 2277. Foto: J. Wienand
Abbildungen
443
444
Materialien
Abb. 12 SEG 48.83, Monument für gefallene Reiter, 424/423(?) od. 430/429(?) v. Chr. Ephorie, Athen, M 4551. Umzeichnung nach den Fotos in Parlama 2003, 396–399 Nr. 452 und Walter-Karydi 2015, 180 Abb. 99 unter Berücksichtigung der prosopografischen Analysen von Matthaiou 2011 b und Davies 2014, der in PAA Bd. 11–16 und 19 verfügbaren Informationen zu den in den Namenslisten genannten Informationen sowie der Tran skription des Epigramms von Tentori Montalto 2017, 135–142. Umzeichnung: J. Wienand.
Abb. 14 IG I3 1163 (fr. d, e und f) [vgl. Abb. 13]. Umzeichnung: J. Wienand
Abb. 13 IG I3 1163 (fr. d, e und f [= drei Basisblöcke]), Gefallenenmonument, 424(?) v. Chr. Epigraphisches Museum, Athen, EM 12745, 12746, 12747. Foto: J. Wienand
Abbildungen
445
446
Materialien
Abb. 15 IG I3 1184, Gefallenenmonument, 424/423 v. Chr. British Museum, London, inv. 1816,0610.173
Abbildungen
Abb. 16 SEG 52.60, Gefallenenmonument, 412/411(?) v. Chr. Epigraphisches Museum, Athen, EM 13527. Foto: J. Wienand
447
Abb. 17 IG I3 1186 Stela B (Detail), Gefallenenmonument, 411(?) v. Chr. Epigraphisches Museum, Athen, EM 13190. Foto: J. Wienand
448 Materialien
Abbildungen
Abb. 18 IG I3 1190, Gefallenenmonument, 411(?) v. Chr. Louvre, Paris, Ma 864. Foto: J. Wienand
449
450
Materialien
Abb. 19 IG I3 1191 (fr. a), Gefallenenmonument, 409/408(?) v. Chr. Epigraphisches Museum, Athen, EM 10257. Foto: J. Wienand
Abbildungen
Abb. 20 IG I3 1191 (fr. b), Gefallenenmonument, 409/408(?) v. Chr. Agora-Museum, Athen, Ag I 6959 b. Foto: J. Wienand
Abb. 21 IG I3 1191 (fr. j), Gefallenenmonument, 409/408(?) v. Chr. Römische Agora, Athen, R. A. 2273. Foto: J. Wienand
451
452
Materialien
Abb. 22 IG I3 1162 (Detail), Gefallenenmonument, 409/408(?) v. Chr. Epigraphisches Museum, Athen, EM 10618. Foto: J. Wienand
Abbildungen
Abb. 23 IG I3 1192 (fr. a, b, c), Gefallenenmonument, Ende 5. Jh. v. Chr. Epigraphisches Museum, Athen, EM 10231, EM 13376, EM 13378. Foto: J. Wienand
453
Abb. 26 IG II/III2 11678 (fr. a und b) [vgl. Abb. 24 und 25]. Umzeichnung: J. Wienand
Abb. 25 IG II/III2 11678 (fr. b), Lakedaimoniergrab, 403 v. Chr. Kerameikos-Museum, Athen, I 170 b. Foto: J. Wienand.
Abb. 24 IG II/III2 11678 (fr. a), akedaimoniergrab, 403 v. Chr. Kerameikos-Museum, Athen, I 170 a. Foto: J. Wienand
454 Materialien
Abbildungen
455
Abb. 27 IG II/III2 5221, Grabmonument mit Gefallenenliste und Reiterkampfrelief, 394 v. Chr. Archäologisches Nationalmuseum, Athen, inv. 2744. Foto: J. Wienand
Abb. 28 IG II/III2 5222, Anthemion mit Gefallenenliste, 394 v. Chr. Archäologisches Nationalmuseum, Athen, inv. 754. Foto: J. Wienand
456 Materialien
Abb. 29 IG II/III2 5222 [vgl. Abb. 28]. Umzeichnung: J. Wienand
Abbildungen
457
458
Materialien
Abb. 30 IG II/III2 6217, Kenotaph des Ritters Dexileos. Kerameikos-Museum, Athen, inv. P 1130 / I 220. Foto: J. Wienand
Abb. 31 SEG 28.240, evtl. Gefallenenmonument der Schlacht von Mantineia, 362(?) v. Chr. Akademie Platons, Athen, M 797. Foto: J. Wienand
Abbildungen
459
460
Materialien
Abb. 32 IG II/III2 5226, Gefallenenmonument, 338 v. Chr. Epigraphisches Museum, Athen, EM 8829. Foto: J. Wienand
Abbildungen
461
Abb. 33 Kaempf-Dimitriadou 1986, Reiterkampfrelief, evtl. Teil eines Gefallenenmonu ments der Schlacht von Chaironeia, 338(?) v. Chr. Kerameikos-Museum, Athen, M 2347. Foto: J. Wienand
462
Materialien
Abb. 34 Fragment einer rotfigurigen Loutrophoros mit Darstellung eines athenischen Gefallenengrabmals; Allard Pierson Museum Amsterdam, inv. 2455 = Beazley Archive Database Nr. 42150
Abbildungen
Abb. 35 Weißgrundige Lekythos (dat. 425–420 v. Chr.) mit Darstellung eines Redners und zweier Hopliten an einer Gefallenengrabstele. Archäologisches Museum, Piräus, ΜΠ 15602. Foto: J. Wienand
463
Abb. 36 ΜΠ 15602 [vgl. Abb. 35]. Umzeichnung: J. Wienand
464 Materialien
Abbildungen
Abb. 37 Grabkammer der 1997 entdeckten Gefallenengrabanlage im Bereich der Salaminosstraße 35, ca. 420er Jahre v. Chr. Rose 200 b; Foto: Osisseas Kapsalis
465
466
Materialien
Abb. 38 Befundzeichnung eines Massengrabes mit mind. 89 Bestattungen im Grabungs bereich der Kerameikosstation, ca. 430–426 v. Chr. Baziotopoulos-Valavani/ Tsirigotou-Drakotou 2000, 272 Abb. 8 (vgl. ADelt 49, 1994, B’ 1, p. 36 Sched. 4)
Abbildungen
467
Abb. 39 Skelette gefallener Spartaner aus dem Lakedaimoniergrab. Deutsches Archäo logisches Institut, Athen, Archiv der Kerameikosgrabung D-DAI-ATH-Kerameikos 1993 (Stroszeck 2013 a, 399 Abb. 4)
468
Materialien
Abb. 40 Papyrus mit Epitaphios des Hypereides. British Library, London, P. Lit. Lond. 133 = Papyrus 98
Abbildungen
469
470
Topografische Übersicht
Topografische Übersicht
Athen, nordwestliche Tore und Vorstadtgebiet, topografische Übersicht. Karte: J. Wienand (auf Basis von Arrington 2010 b, fig. 2, 3, 4; Greco 2015 Bd. 5 [Atlante]; Stroszeck 2014, Gesamtplan [Umschlaginnenseite])
Topografische Übersicht
471
Legende 1
Fundort von SEG 28.240 – evtl. Gefallenenmonument der Schlacht von Mantineia, 362(?) v. Chr. [vgl. Abb. 31] 2 Fundort von IG I3 503/504 C – evtl. Kenotaph für gefallene Athener, 470er Jahre v. Chr. [vgl. Abb. 3] 3 Polyandria im Bereich Salaminostraße 35, ca. 420er Jahre v. Chr. [vgl. Abb. 37] 4 Gefallenenmonument, 5. Jh. v. Chr. (SEG 51.52) 5 Reiterkampfrelief, evtl. Teil eines Gefallenenmonuments der Schlacht von Chaironeia (Kaempf-Dimitriadou 1986) [vgl. Abb. 33] 6 Anthemion mit Gefallenenliste, Monument für gefallene Reiter aus dem Korinthischen Krieg, 394 v. Chr. (IG II/III2 5222) [vgl. Abb. 28 und 29] 7 Massengrab mit mind. 89 Bestattungen, ca. 430–426 v. Chr. (Baziotopoulou-Valavani 2002) [vgl. Abb. 38] 8 Massengrab mit 29 Bestattungen, ca. 430–426 v. Chr. (Baziotopoulou-Valavani/Tsirigo tou-Drakotou 2000, 272 f.) 9 Grabbezirk mit Kenotaph für Dexileos [Privatmonument], erstes Jahr des Korinthischen Krieges, 394 v. Chr. (Kerameikos P 1130 / I 220) [vgl. Abb. 30] 10 Grabmal der gefallenen Lakedaimonier, 403 v. Chr. (IG II/III2 11678) [vgl. Abb. 24, 25 und 26] 11 Gefallenenmonument [ Jahresinventar], 412/411(?) v. Chr. (SEG 52.60) [vgl. Abb. 16] 12 Basis eines Gefallenenmonuments [ Jahresinventar], Jahr der Schlacht von Delion, 424 v. Chr. (IG I3 1163 d–f ) [vgl. Abb. 13 und 14] 13 Gefallenenmonument [ Jahresinventar] mit Reiterkampfrelief, erstes Jahr des Korinthi schen Krieges, 394 v. Chr. (IG II/III2 5221) [vgl. Abb. 27]
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Chronologische Übersicht
Chronologischer Chronologische Übersicht Überblick Ereignisse 508/507: Kleisthenische Reformen 490 Perserkriege 480 480–431: Pentekontaëtie
Entwicklung des athenischen Gefallenenbegräbnisses vor 490: Früheste isonome Gefallenenbestattungen; Grabluxusgesetze 490: Bestattungen in der Ebene von Marathon 480: Bestattungen an diversen Einsatzorten nach 480/479: evtl. Errichtung von Kenotaphen für Gefallene in Athen
441–439: Samischer Krieg
439: gesonderte Bestattung der Gefallenen von Samos / (erste) Gefallenenrede des Perikles 432: gesonderte Bestattung der vor Potidaia Gefallenen
432: Schlacht vor Potidaia 431–404: Peloponnesischer Krieg 431–421: Archidamischer Krieg 430/429/427: Epidemie 424: Schlacht von Delion 422: Schlacht von Amphipolis 421-413: Nikiasfrieden 415–413: Sizilienexpedition 413–404: Dekeleisch-Ionischer Krieg 404/403: Niederlage Athens / Bürgerkrieg
nach 413: Zunahme an Statusindikatoren in den Gefallenenlisten 404/403: Bestattungen gefallener Spartaner im Kerameikos, dann mehrjährige Unterbrechung der Gefallenenbestattung in Athen 394: letzte „klassische“ Jahresbestattung von Gefallenen in Athen / gesonderte Bestattung gefallener Reiter / Gefallenenreden des Archinos / des Dion (?)
378: Gründung des Zweiten Seebunds 362: Schlacht von Mantineia 348: Zweiter Olynthischer Krieg 338: Schlacht von Chaironeia
338: Gefallenenrede des Demosthenes
323/322: Lamischer Krieg
322: Gefallenenrede des Hypereides
394–387: Korinthischer Krieg
431: (zweite) Gefallenenrede des Perikles / gesonderte Bestattung gefallener Reiter 430–426: Massengräber für Epidemieopfer im Kerameikos 424/423(?): gesonderte Bestattung gefallener Reiter
< - - Zunehmende Erosion der Isonomie - - >
465(?): Bestattung der am Eurymedon Gefallenen im Kerameikos 464(?): erste Kollektivbestattung über mehrere Einsatzorte hinweg 465/464–463/462: Bestattung der Gefallenen von Drabeskos in Kerameikos 459/58 (od. 460/59): erste Jahresbestattung 458/457: evtl. erste eigenständige Bestattung gefallener Verbündeter in Athen
< - - Phase der Jahresbestattungen - - - - - - - - - - - - - - - >
465(?): Schlacht am Eurymedon 464(?): Kampagne in Thrakien 465/464–463/462: Schlacht von Drabeskos 459/458: Schlussphase des Krieges in Ägypten 458/457: Schlacht von Tanagra
473
Chronologische Übersicht * Erfasst werden hier nur Denkmäler von Gemeinschaftsbestattungen gefallener Athener und ihrer Verbündeten, deren Datierung und Kontext weitgehend gesichert ist. Zu Fragen der Datierung siehe die entsprechenden Einträge unter der Rubrik „Epigrafische Hauptquellen“ im Anhang dieser Arbeit.
Athenische Gefallenenmonumente*
Literarische Hauptquellen
Mitte 5. Jh.: diverse isonome Gefallenenbestattungen (evtl. Jahresbestattungen): IG I3 1158, 1182, SEG 51.52, IG I3 1150, 1153, 1159, 1155, 1156, 1157, 1160, 1161, 1166, 1168, 1169, 1172, 1167 439: keine materielle Evidenz 432: IG I3 1179 (Potidaia) 431/430(?): IG I3 1181 (Bestattung gefallener Reiter) ca. 420er: Polyandria im Bereich Salaminosstraße 35 424/423(?): SEG 48.83 (Bestattung gefallener Reiter) 424(?): IG I3 1163; Paus. 1.29.13 (Delion) 424/423: IG I3 1184 422/421(?): IG I3 1185 (Amphipolis) 418: Paus. 1.29.13 413/11: SEG 52.60; IG I3 1186, 1190; Paus. 1.29.6 und 11–13; Plut. Nik. 17.4 409/408(?): IG I3 1191, 1162 403: IG II/III2 11678 (Lakedaimoniergrab); Lys. 2.63
ca. 394/390: Archinos Epitaphios ca. 393/1: Lysias Epitaphios ca. 386/5: Platon Menexenos 380: Isokrates Panegyrikos
338: Demosthenes Epitaphios ca. 330: Lykurg Gegen Leokrates 322 Hypereides Epitaphios
Gefallenenredner
322: Paus. 1.29.13; IG II2 5225
Ende 420er (?): Gorgias Epitaphios
als Autoren
362: SEG 28.240 (unsicher) 348: Paus. 1.29.7 338: IG II/III2 5226; Ag 17 Nr. 25; Dem. 18.289; Paus. 1.29.13; Anth. Pal. 7.253
420er: Phase intensiver literarischer Auseinandersetzung mit der athenischen Gefallenenrede (Herodot; Tragödie, Komödie)
nach Kriegsende: Thukydides Historien
394: IG II/III2 5221, 5222, 6217; Paus. 1.29.11
< - - Phase der Jahresbestattungen - - - - - - - - - - - - - - - >
498: IG XII Suppl. 337 = IG I3 1477 (Hephaistia) ca. 490: Paus. 1.29.7 (Aigina) 480er/470er: SEG 56.430 (Marathon) 480er/70er: IG I3 503/504 A u. C (evtl. Kenotaph für Gefallene von Marathon) und IG I3 503/504 B (evtl. Kenotaph für Gefallene von Salamis/Psyttaleia) 465(?): Paus. 1.29.14; Anth. Pal. 7.258 (Eurymedon) 464(?): IG I3 1144 + 1145 + 1146 (Thrakien, verschiedene Einsatzorte) 465/464–463/462: Paus. 1.29.4 (Drabeskos) 459/458 (od. 460/459): IG I3 1147 + 1147bis (Ägypten) 458/457: IG I3 1149 (Argiver); Paus. 1.29.8f.
Der Tod eines Bürgers auf dem Schlachtfeld birgt soziale Sprengkraft: Das Sterben im Krieg muss nicht nur praktisch bewältigt werden, es erlegt den Hinterbliebenen auch die Bürde der Sinnstiftung auf und kann leicht zum Bezugspunkt gesellschaftlicher Konflikte werden. Die Selbstaufgabe für das Kollektiv konfrontiert die Ge meinschaft mit der genuin politischen Dimension des Todes. Johannes Wienand untersucht diesen Problemkomplex für die antike Demo kratie des klassischen Athens. Im ersten Teil der Studie wird die historische Entwicklung und politische Bedeutung
ISBN 978-3-515-13389-0
9 783515 133890
des athenischen Gefallenengedenkens grundlegend neu bewertet. Der zweite Teil ergründet vor diesem Hintergrund das Genre literarischer „Gefallenen reden“ (Epitaphioi Logoi): Auf je eigene Weise erzeugen die Schriften (aus der Feder u. a. von Gorgias, Thukydides, Lysias, Platon und Demosthenes) fein kalibrierte Spannungsfelder im politi schen Diskurs ihrer Zeit, die erstmals für die gesamte Gattung detailliert nachvollzogen und historisch eingeord net werden. Die Untersuchung führt ins Zentrum der Auseinandersetzungen um die prekäre Machtpolitik Athens und ihre innen- wie außenpolitischen Folgekosten.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag