Niederländische Exulanten im England des 16. und frühen 17. Jahrhunderts [1 ed.] 9783428486670, 9783428086672

Die Integration von Immigranten und Minderheiten gehört zu den wichtigsten sozialen und politischen Aufgaben der westlic

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German Pages 272 Year 1996

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Niederländische Exulanten im England des 16. und frühen 17. Jahrhunderts [1 ed.]
 9783428486670, 9783428086672

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RAINGARD ESSER

Niederländische Exulanten im England des 16. und frühen 17. Jahrhunderts

Historische Forschungen Band 55

Niederländische Exulanten im England des 16. und frühen 17. Jahrhunderts

Von

Raingard Eßer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Esser, Raingard: Niederländische Exulanten im England des 16. und frühen 17. Jahrhunderts I von Raingard Esser. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Historische Forschungen ; Bd. 55) Zug\.: Köln, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08667-8 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 3-428-08667-8

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @l

Vorwort Freiwillige oder unfreiwillige Wanderungsbewegungen gehören zu den prägendsten Eindrücken dieses Jahrhunderts. Wie die Menschen der frühen Neuzeit auf das Phänomen der Migration reagiert haben, ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Auf die Fährte der niederländischen Exulanten in East Anglia haben mich Prof. Dr. Norbert Finzsch und Dr. Guido Lammers gesetzt. Prof. Dr. Erich Angermann hat die Betreuung meiner Arbeit übernommen, deren Abschluß er leider nicht mehr erlebt hat. Nach seinem Tod hat Prof. Dr. Jürgen Heideking meine Forschungen weiter begleitet. Ihm gilt mein herzlicher Dank. Im Wintersemester 1993/94 wurde die Studie von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen und mit dem Rigorosum am 5.2.1994 abgeschlossen. Forschungsaufenthalte in England ermöglichten ein Stipendium des Deutschen Historischen Instituts London und ein Erasmus-Stipendium am King's College, Cambridge. In England wurde die Arbeit betreut von Dr. Alistair Duke von der University of Southampton, der mir nicht nur wichtige Hinweise und Anregungen gegeben, sondern auch den für den wissenschaftlichen Prozeß so notwendigen Austausch mit anderen Historikern vermittelt hat. Für seine Unterstützung vor allem in der Endphase meiner Arbeit möchte ich ihm ganz besonders danken. Mein Dank gilt auch Glynis Fell und Douglas Rickwood, der mir seine Studien zum "Dutch and Walloon Strangers' Book" zur Verfügung gestellt hat. Dr. Marcel Backhouse und Mary Backhouse. Jean Tsushima, Dr. Andrew Spicer, Dr. William J. Woods und Lien Bich Luu waren interessierte und anregende Diskussionspartner . Den Archivaren und Archivarinnen der von mir besuchten Archive in London, Cambridge, Oxford, Maidstone und Norfolk sowie den Mitarbeitern des Centre of East Anglian Studies der University of East Anglia danke ich für ihre Hilfsbereitschaft und für zahlreiche interessante Gespräche.

6

Vorwort

Schließlich danke ich Stefan Leonards und Gisela Esser für die Durchsicht des Manuskripts und meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Johannes Kunisch, der sich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe "Historische Forschungen" eingesetzt hat. Köln, im August 1995

Raingard Eßer

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ................................................................................................................................... 9 B. Motive der Emigration ........................................................................................................... 21 I. Die spanischen Niederlande ........................................................................................... 21 11. Die englische Außenpolitik ............................................................................................ 30

C. Norwich .................................................................................................................................... 35 D. " Strangers within the Gates ". Das Norwicher Ansiedlungsexperiment ........................... 43 E. Die Norwicher Fremdenkirchen ........ .. ....... .............. ..................................... .. ...... .. .............. 52 I. Entstehung und Organisation ......................................................................................... 52 11. Die kirchlichen Amtsträger: Älteste. Diakone und Politijcke Mannen ........... .. .............. 72 111. Die Exulantenkirchen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ........... ................ 84 IV. Nationale Kontakte ......................................................................................................... 95 V. Internationale Kontakte ................................................................................................ 103

F. Erziehung, Bildung und kulturelle Aktivitäten innerhalb der Fremdengemeinden ........ 117 G. ,,strangers within the Gates". Die geographische Verteilung der Exulanten in der Stadt ............................................................................................................................ 137 H. Die rechtliche Position der Exulanten in der Stadt ............................................................ 151 I. Die Norwicher Fremdenmilizen .................................................................................... 169

I. Die wirtschaftlichen Aktivitäten der Niederländer ......... ........ .. ..... .... .... ........ .. ................... 174 I. Die Norwicher Textilgewerbe ....................................................................................... J74 11. Bordüren und Strümpfe ................................... .. ...... ...................................... .. ............. 202 111. Englische und niederländische Bäcker ...................... ...... .. ...... ................ .. ..... .. ............ 216

J. Kontakte zum Kontinent .................................................................................... ................... 224 I. Die Norwicher Fremdenkirchen und der niederländische Aufstand ............................. 238

K. Schlußbetrachtung ....... ......................... .................... .. ...... .. .................................................. 244 L. Quellen- und Literaturverzeichnis ....................................................................................... 249 Index ........................................................................................................................................... 270

A. Einleitung Die großen konfessionellen Bewegungen des 16. und 17. Jahrhunderts führten in Europa zu politischen und sozialen Umwälzungen, die nicht nur Einfluß auf die staatlichen Neuordnungen hatten, sondern auch das Leben ihrer Bürger und Bauern, Handwerker und Kaufleute in entscheidender Weise veränderten. Diese Untersuchung beschäftigt sich mit einem Teilaspekt der großen Flüchtlingsbewegungen, die durch Reformation und Gegenreformation vor allem in Südwest- und Westeuropa ausgelöst wurden und die in den von den Refugianten aufgesuchten Gastländern Mittel- und Nordwesteuropas das Wirtschafts- und Sozialgefüge in entscheidender Weise beeinflußten. Neben der Einwanderung französischer Hugenotten nach Deutschland und England nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes war die Emigration aus den spanischen Niederlanden das wichtigste Phänomen dieser Bewegung. Während die französischen Auswanderer des 17. Jahrhunderts in ihren Refugien auf eine gesellschaftlich, religiös und politisch bereits gefestigte Ordnung stießen, trafen die Niederländer, die etwa 120 Jahre früher ihre Heimat verließen, in ihren Gastländern auf eine Situation des Wandels von mittelalterlichen zu neuzeitlichen Wirtschafts formen und Sozialstrukturen. In dieser Umbruchsphase konnten die Refugianten vielfach neue Impulse setzen, wodurch sich allerdings auch nicht selten ein Faktor potentieller Spannung mit der jeweiligen Gastgesellschaft ergab. Welchen Einfluß die Niederländerimmigration im deutschsprachigen Raum ausübte, ist in den letzten Jahren besonders in Auseinandersetzung mit der sogenannten Modernisierungstheorie diskutiert worden. Hier hat vor allem Heinz Schilling durch die Synthese lokalgeschichtlicher Einzelergebnisse in bezug auf allgemeine Bewegungsabläufe erhellende Studien vorgelegt. I I Siehe vor allem Heinz Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, Gütersloh 1972 und ders., "Innovation through Migration: The Settlements of Calvinistic Netherlanders in Sixteenth- and Seventeenth-Century Central and Western Europe", Histoire Sociale 16, 1983, S.7-

33.

A. Einleitung

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Für Schilling ist ein typisches Kennzeichen der durch die niederländischen Flüchtlinge transportierten Modernisierungen im ökonomischen und sozialen Bereich die Entwicklung eines frühneuzeitlichen Wirtschaftsbürgertums als neuer sozialer Gruppe außerhalb des traditionellen städtischen, politischen Lebens in Deutschland. Gerade der besondere Minderheitenstatus, der die Exulanten von der politischen Partizipation, aber auch von den wirtschaftlichen Restriktionen und gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien ihrer Gastgesellschaft ausschloß, war entscheidend für die Entwicklung moderner Sozial- und Wirtschaftsformen. 2 Für Schilling spielt hierbei der Umstand, daß die meisten der Refugianten Anhänger der protestantischen Bewegungen waren, nur eine untergeordnete Rolle. Die von den Niederländern in ihre Gastländer transferierten Innovationen Waren nicht eine Konsequenz ihrer protestantischen Arbeitsethik, wie Max Weber formulierte. Bedeutung hatte der Calvinismus für diesen Transfer nur insofern, als die religiösen Überzeugungen der Refugianten eine Ursache für die Flucht aus ihrem Heimatland war. 3 Auch im Bereich der englischen Historiographie ist die Frage nach den Bevölkerungsbewegungen in der frühen Neuzeit in den letzten Jahren verstärkt ins Blickfeld geraten. In hervorragenden lokalen Einzelstudien wurde hier bereits vor einigen Jahren die Vorstellung einer statischen sozialen und demographischen Ordnung revidiert. An ihre Stelle trat und tritt nun das Bild großer gesellschaftlicher wie geographischer Mobilität vor allem für die Tudor- und frühe Stuartzeit. 4 Englische Historiker und Historikerinnen haben sich in ihren Untersuchungen allerdings fast ausschließlich mit der Binnenmigration, in den letzten Jahren verstärkt auch mit der Auswanderung in die Neue Welt beschäftigt. Die Einwanderung von Flüchtlingen vom Kontinent wird in den meisten Arbeiten, wenn überhaupt, dann nur lapidar am Rande erwähnt. 5 Hier ist man bislang kaum über das Referieren der bereits seit der Jahrhundertwende bekannten Fakten und Vorstellungen hinausgekommen, die sich hauptsächlich um den innovativen Einfluß der Exulanten auf die heimische

2 Einen kurzen ForschungsübeIblick zur Begrifflichkeit "Modemisierungstheorie" gibt Schilling in "Die Geschichte der nördlichen Niederlande und die Modemisierungstheorie" in: Geschichte und Gesellschaft 8,1982, S.475-517.

J

Siehe dazu Schilling. "Innovation through Migration", S.30-33.

4 Vergleiche dazu vor allem Peter Clark. David Souden (Hg.), Migration and Society in Early Modem England, London 1987 und die dort angegebene Literatur.

~ Vergleiche Clark/Souden (Hg.), Migration and Society, S.22, 36, 275.

A. Einleitung

Il

Textilindustrie gruppieren. 6 Den Grund für dieses Desinteresse sieht Schilling in der Unvereinbarkeit des Phänomens mit den bisherigen Ordnungskriterien von betterment und subsistence-migration, deren konstitutives Element der Wunsch nach oder die Notwendigkeit zur Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen ist. 7 Schilling schlägt in Ergänzung hierzu einen weiteren Migrationstypus vor und definiert die Auswanderungsbewegung des späteren 16. und frühen 17. Jahrhunderts als "Konfessionsmigration".8 Dieser Begriff bezieht sich dabei weniger auf die religiösen Motive für die Emigration als vielmehr auf den besonderen Minderheitenstatus und die damit verbundene Siedlungssituation, in der sich die Exulanten in ihren jeweiligen Gastländern befanden. Diese ist, wie wir sehen werden, in England weitaus weniger komplex und abgegrenzt als es Schilling für die Exulantenstädte in Deutschland herausgearbeitet hat. Sucht man nach näheren Informationen über die Exulanten in England, so ist man in weiten Teilen noch immer angewiesen auf die ältere, stark kirchengeschichtlich orientierte Forschung, die vor allem von Historikern und Historikerinnen aus den Niederlanden und aus Belgien betrieben wurde. 9 Allerdings ist man im Bereich lokaler Einzelstudien, einem Forschungsgebiet, das ja in der englischen Geschichtsschreibung seine ausgereiftesten Früchte getragen hat, hinsichtlich der Niederländerimmigration gerade in den letzten Jahren einen großen Schritt vorangegangen. Hier wurde versucht, angeregt durch die community studies der 70er Jahre - zu erwähnen wären hier vor allem die Arbeiten Margaret Spuffords und Alan MacFarlanes lo - ein "totales" Panorama der Immigranten und ihrer Interaktion mit der Gastgesellschaft zu entwerfen. Für London, die größte und einflußreichste der Exulantengemeinden (und auch diejenige mit dem umfangreichsten und am besten aufgearbeiteten Quellenbestand ), legten Andrew Pettegree und OIe Peter Grell 1986 bzw. 1989 umfang-

fi Vergleiche dazu vor allem William Cunningham, Alien Imrnigrants to England, London 1897 und Frederick Norwood. The Refonnation Refugees as an Economic Force. Chicago 1942.

7

Vergleiche ClarklSouden (Hg.), Migration and Society, S.I 1-48.

Heinz Schi\ling, "Die niederländischen Exulanten des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zum Typus der frühneuzeitlichen Konfessionsmigration", Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43, 8

1992, S.67-79. 9 Zu nennen ist hier beispielsweise Auguste A. van Schelven, De Nederduitsche Vluchtelingenkerken Der XVIe Eeuw In Engeland En Duitsland, Den Haag 1909. \Cl Margaret Spufford. Conlrasting Communities, Cambridge 1974; Alan Macfarlane, Reconstructing Historical Communities, Cambridge 1977.

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A. Einleitung

reiche Einzeluntersuchungen vor. I I Pettegrees Arbeit stellt die Exulantenkirchen, zu denen sich die Flüchtlinge mehr oder weniger freiwillig zusammenschlossen, in den Vordergrund seiner Untersuchung. Hier geht es hauptsächlich um den sozialen Zusammenhalt, die Interaktion zwischen Refugiantengemeinden, Gastgesellschaft und Cruiskerken (die reformierten Kirchen auf dem Kontinent ). Zusammen mit Grells Studien über die Niederländergemeinde im jakobitischen London ist hiermit eine umfassende Analyse zur Einwanderung in die englische Metropole vorhanden, die die älteren Arbeiten, vor allem Jan Lindebooms Festschrift anläßlich des 400jährigen Bestehens der Niederländergemeinde 1950 und Fernand de Schicklers "Les eglises du refuge en Angleterre", ablösen. 12 Was die übrigen Flüchtlingsgemeinden auf der Insel angeht - es gab am Ende des 16. Jahrhunderts neben den Londoner Gemeinden Exulantenkirchen in Maidstone, Canterbury, Co1chester, Southampton und Norwich und eine Reihe von kleineren, zum Teil recht kurzlebigen Enklaven in Rye, Dover, Thetford, Yarmouth, Lynn, Winchelsea und Halstead -, so gibt es bislang nur eine umfassende neuere Einzelstudie über die Wallonengemeinde in Canterbury von Beate Magen. 13 Die Studien von Andrew Spicer und Marcel Backhouse zu den Fremdengemeinden in Southampton und in Sandwich liegen zur Zeit noch nicht im Druck VOr. 14 Wie in London gab es in Norwich sowohl eine wallonische als auch eine flämische Kirche, in denen sich die Flüchtlinge zusammenschlossen. Gemessen an ihrer damaligen Bedeutung - immerhin waren in den 1580er Jahren ein Drittel aller Einwohner der Stadt Niederländer - und dem erhaltenen Quellenmaterial, herrscht hier in der Geschichtswissenschaft bislang ein erstaunliches Desinteresse vor. Nach wie vor dominieren in diesem Zusammenhang die umfangreichen Arbeiten William John Charles Moens'. Sein zweibändiges Werk "The Walloons and their Church at Norwich, their history and registers, 156511 Andrew Pettegree, Foreign Protestant Communities in Sixteenth Century London, Oxford 1986; OIe Peter Grell, Dutch Calvinism in Early Stuart London, Leiden 1989. 12 Jan Lindeboom. Austin Friars. History ofthe Dutch Reformed Church in London 1550-1950, Den Haag 1950; Fernand de Schi ekler, Les egli ses du refuge en Angleterre, 3 Bände, Paris 1892. 13 Beate Magen, Die Wallonengemeinde in Canterbury von ihrer Griindung bis zum Jahre 1635, Frankfurt 1973. 14 Andrew Spicer, The French-speaking Reformed community and their Church in Southampton. 1567 -c. I 620, University of Southampton, unveröffentlichte Dissertation 1994; Marcel F. Backhouse, The F1emish and Walloon Communities at Sandwich During the Reign of Elizabeth I (1561-1603), 3 Bände, University of Southampton, unveröffentlichte Dissertation 1992.

A. Einleitung

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1832" wurde 1887-88 als erster Band von der gerade gegründeten Huguenot Society of London herausgegeben und atmet ganz den Geist dieser ehrwürdigen Gesellschaft. Im ersten Teil wird die Geschichte der Wallonen gemeinde von ihrer Gründung bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1832 erzählt. Der zweite Teil ist ein bemerkenswert umfangreiches Quellenkompendium, in dem sich jedoch, bei genauerer Durchsicht, eine Reihe von Ungenauigkeiten finden. So werden Dokumente beispielsweise in selbstbewußter Selektivität präsentiert, ohne die Auswahlkriterien dem Leser und der Leserin transparent zu machen. Obwohl Moens immer noch, vor allem wegen der unvergleichlichen Fülle an publizierten Dokumenten als Grundlage der historischen Forschung in neueren Arbeiten zitiert wird, wirft das Werk auch im narrativen Teil erhebliche Probleme auf. Dazu gehört die unkritische, episodenhafte Darstellung des Geschehens, die eher den Eindruck eines historischen Pot-pourries denn einer wissenschaftlichen Arbeit vermittelt. Ein Grund hierfür ist sicher wiederum die editorische Absicht der Huguenot Society, deren Hauptaugenmerk - damals wie heute - auf die genealogische Forschung gerichtet ist. Dementsprechend lag Moens zunächst daran, eine möglichst große Anzahl identifizierter Flüchtlinge mitsamt ihrem Herkunftsort und allen weiteren bekannten familiären Verbindungen zu präsentieren. Ein weiteres, bereits erwähntes Defizit ist seine starke "Wallonenlastigkeit", die dem zahlen- und bedeutungsmäßig weitaus größeren flämischen Teil der Flüchtlingsgruppen in keiner Weise gerecht wird, ihn vielmehr nur am Rande streift. Im wissenschaftlichen Fahrwasser der neueren englischen population studies, die vor allem durch die Cambridge Group for Population Research und die Local Population Studies Society betrieben werden und zu denen ja auch die bereits oben erwähnten Vertreter der Migrationsforschung gehören, sind in den letzten Jahren eine Reihe von kleineren Einzelstudien entstanden, die sich mit Teilaspekten der Niederländeransiedlung in Norwich beschäftigen. Dazu gehören vor allem historische Forschungen von Mitarbeitern des Centre of East Anglian Studies der University of East Anglia wie Glynis Fells B.A. Dissertation zur stadtgeographischen Verteilung der Fremden in Norwich, Christi ne Vanes Untersuchung über die Wallonengesellschaft während der ersten 100 Jahre ihres Bestehens und Douglas Rickwoods Versuch, die Integration und Assimilation der Einwanderer mit den Einheimischen anhand der noch überlieferten Pfarregister aufzuzeigen. 15 Rickwood hat sich in den letzten Jahren inten15 Glynis Fell, The Spatial Impact of the Immigration of the Strangers of Norwich in the late 16th and early 17th centuries, Cambridge University, unveröffentlichte B.A. Dissertation 1975; Christine Vane, "The Walloon Community in Norwich, The first hundred years", Proceedings of

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A. Einleitung

siv mit der Geschichte der Niederländergemeinden auseinandergesetzt und durch die Transkription des Dutch and Walloon Strangers' Book, eines der wichtigsten Quellenwerke, die über die Geschichte der Exulantengemeinden vorliegen, der historischen Forschung einen großen Dienst erwiesen. 16 Sein Interesse galt bislang hauptsächlich der Erforschung der Interaktion zwischen der Norwicher Stadtverwaltung und den verantwortlichen Gremien innerhalb der Fremdenkirchen. Die vorliegende Arbeit möchte über die von Rickwood aufgeworfene Fragestellung hinausgehen und den Versuch unternehmen, die Fremdengemeinden in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Es soll gezeigt werden, wie sich die Exulanten im Kontext ihrer Gastgesellschaft konstituierten, etablierten und welche Wandlungsprozesse innerhalb dieser sozialen Gemeinschaft über einen weiter unten definierten Zeitraum zu beobachten sind. Für die Untersuchung ergeben sich daraus verschiedene Bezugssysteme zwischen Refugianten und Gastgesellschaft, die unter verschiedenen Fragestellungen analysiert werden sollen. Da sind zunächst die Gemeinden selbst. Hier ist nach Mitgliederzahlen und deren Zusammensetzung zu fragen, ihr Aufbau zu untersuchen und seine rechtlichen, religiösen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Elemente herauszuarbeiten. Auf weIche Einflüsse läßt sich beispielsweise das religiöse Selbstverständnis der Gemeindemitglieder zurückführen und wie wird dieses durch die Ereignisse auf dem Kontinent und in England verändert? Gemeindeaufbau und gesellschaftliche Aktivität ist aber auch immer zu sehen im Bezugsfeld der Gastgesellschaft. Interaktion ist ein bestimmendes Element im Gemeindeverhalten. Toleranz auf der einen ( der einladenden) Seite mußte ein gewisser Grad der Anpassung auf der anderen Seite entsprechen, sollte ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Ruhe und Ordnung innerhalb der aufnehmenden Gesellschaft gewährleistet bleiben. Ein zweiter zu untersuchender Bezugskreis wird also das Spannungsfeld Einheimische - Einwanderer sein. Hierbei wird versucht werden, die innerhalb des ersten Themenskreises aufgeführten Gesichtspunkte religiöser, sozialer, rechtlicher, kultureller und wirtthe Huguenot Society of London 24. 1984, S.129-140; Douglas Rickwood. "The Norwich Strangers 1565-1643, a problem of control". Proceedings of the Huguenot Society of London 24, 1984, S.119-128 und ders., The Origin and Decline of the Stranger Community of Norwich (with special reference to the Dutch congregation) 1565-1700, University of East Anglia, unveröffentlichte M.A. Dissertation 1967. 16 Douglas Rickwood, The Norwich Book of Orders for Strangers, its origin, compilation and purpose, University ofEast Anglia. M.Phil. Dissertation, 2 Bände, 1989.

A. Einleitung

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schaftlicher Art nicht nur auf einer "oberen", also einer Verwaltungsebene zu untersuchen, sondern auch den englischen, bzw. niederländischen Nachbarn, Geschäftspartner und Lehrling zu Wort kommen zu lassen. Daß sich das Zusammenleben der Fremden innerhalb der sie aufnehmenden Gesellschaft auch im Zusammenspiel städtischer und staatlicher Initiativen und Interessen abspielte, wird gerade bei der Beschäftigung mit Norwich deutlich. Hier wird aufzuzeigen sein, wie sich die Exulanten in die Beziehungen zwischen der Stadtverwaltung und der Zentralregierung einschalteten und zum Teil die Parteien und ihre Interessen gegeneinander auszuspielen verstanden. Daß Emigration nicht als einmaliger, unwiderruflicher Vorgang ohne Rückbindungen an das Heimatland verstanden werden kann, ist in der englischen Forschung der letzten Jahre besonders für die Auswanderung in die Neue Welt deutlich gemacht worden. 17 Diese Verbindungslinien sind für die mehr oder weniger unfreiwillig ausgewanderten Niederländer ebenso deutlich festzustellen. Viele Flüchtlinge verstanden sich auch nach langen Jahren im Exil noch als Bürger und Bürgerinnen der Generalstaaten und ließen sich bei Rechtsstreitigkeiten von diesen vertreten. 18 Daneben gab es ein weitverzweigtes Netz von Kontakten und Kommunikationswegen, dessen Umfang und Auswirkungen sowohl auf die Exulanten in England als auch auf die zurückgebliebenen Familienmitglieder, Geschäftspartner und Heimatgemeinden im einzelnen zu rekonstruieren sind. 19 Aber auch die Kommunikation unter den verschiedenen Refugiantengemeinden auf der Insel bedarf einer genaueren Untersuchung. Hier ist nach Umfang und Auswirkungen der Kontakte untereinander und vor allem mit der Londoner Gemeinde zu fragen, die für die Schwestergemeinden auf der Insel eine Art Vorbildrolle in religiösen und politischen Fragen beanspruchte und wegen ihrer Nähe zum englischen Hof als Sprachrohr für die Belange der übrigen Kirchen fungierte.

17 Vergleiche dazu beispielsweise David Cressy, Coming Over, Cambridge 1987 und Roger Thompson, Mobility and Migration: East Anglian Founders of New England 1629-40, Amherst 1994.

18 Vergleiche dazu Johann H. Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae Archivum, Band 3, Cambridge 1889, Nr.1688, 1689. 19 Verzichtet werden muß hier allerdings auf eine vertiefende Studie zur Rückwanderung der Exulanten und deren Kinder auf den Kontinent. Wünschenswert wären hier weitergehende Untersuchungen auf der Basis einzelner Gemeinden in den Niederlanden und dem heutigen Belgien.

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A. Einleitung

Diese fünf angesprochenen Themenkreise müssen notwendigerweise In eInem begrenzten zeitlichen Rahmen diskutiert werden. Als Ausgangspunkt der Untersuchung bietet sich das Jahr 1565 als Gründungsdatum der Norwicher Exulantengemeinden an. Am 5. November 1565 erhielt die Stadt das königliche Privileg, "Therty Douchemen" und ihre Familien in ihren Mauern aufzunehmen?O ( Die Tatsache, daß bereits vor 1565 Niederländer in Norwich lebten, sei hier zunächst nur am Rande erwähnt. ) Die freie, wenn auch, wie im Weiteren zu zeigen sein wird, sowohl von niederländischen als auch von englischen kirchlichen wie weltlichen Amtsträgern genauestens überwachte Religionsausübung, die den Exulanten in Norwich (wie auch in den anderen Gastgesellschaften auf der Insel) zugestanden worden war, erfuhr eine empfindliche Bedrohung durch die kirchenpolitischen Maßnahmen von Erzbischof Laud. Die Angriffe auf die Fremdenkirchen beendeten eine Phase religiöser Ungestörtheit sowohl für die Exulanten als auch für die anderen in Norwich recht zahlreich vertretenen Nonkonformisten, die letztendlich in Aufruhr und Bürgerkrieg mündeten. Damit stellen sich neue Fragen und ergeben sich neue Betrachtungsmöglichkeiten. Deshalb erscheint es sinnvoll, die vorliegende Untersuchung zeitlich in der Mitte der 1630er Jahre zu beenden. Natürlich muß diese Zeitgrenze für viele der zu untersuchenden Aspekte eine künstliche Konstruktion bleiben. Sie wird in Bezug auf sozialgeschichtliche Fragen an manchen Stellen übersprungen werden. Der Untersuchungszeitraum erscheint dennoch groß genug, um die Entwicklungslinien in den wesentlichen Problemfeldern von der turbulenten Gründungsphase über das Heranwachsen der zweiten Generation von Exulanten bis zu einem Zeitraum, in dem sich die Fremden mehr oder weniger spannungsfrei in die Norwicher Stadtgesellschaft eingegliedert hatten, genau nachzeichnen zu können. Aus den gewählten Themenkreisen ergibt sich ein eher systematisches Vorgehen, das sich am chronologischen Gerüst orientieren wird. Auch vom vorliegenden Quellenmaterial her bietet sich der gewählte Untersuchungszeitraum an. Das bereits erwähnte Dutch and Walloon Strangers' Book ist ein von der Norwicher Stadtverwaltung zusammengestelltes Kompendium aller für das Zusammenleben der Einheimischen mit den Fremden für wichtig erachteten Dokumente (Besteuerungslisten, Handelsregulierungen etc. ). Zudem wird hier zunächst aus der Retrospektive die Geschichte der Niederländeransiedlung von 1564 bis 1643 erzählt, wobei sowohl im Dokumenten20 Norfolk Record Office (im folgenden NRO), 17/d, Dutch and Wal/rum Strangers' Book 1564-1643, fol.16, 16v.

A. Einleitung

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als auch im narrativen Teil der Schwerpunkt auf der formativen Phase der Exulantengemeinde liegt. 2\ Zwei Bücher, die von den Exulanten selbst geführt wurden, können genauere Auskunft über das soziale Miteinander innerhalb der Exulantengemeinden aber auch im Beziehungsgeflecht der Gastgesellschaft geben. Das Nmwich Strangers Book wurde als Register für die mit der Betreuung der Waisen der Gemeinden beauftragten Politijcke Mannen von April 1583 bis Juni 1590 geführt. Es enthält darüber hinaus Ergänzungen und Anmerkungen bis 1600. 22 Das Book ofthe Norwich Dutch Church, 1605-1615 enthält die wöchentlichen Sitzungsprotokolle desselben Gremiums und gibt damit Einblicke in die alltäglichen Belange und Probleme der Gemeinden. 23 Daneben konnten mehr als 300 Testamente und Inventare von Exulanten in Norwich ausgewertet werden, die ebenfalls Aussagen über die soziale Situation und Interaktion sowohl innerhalb der Norwicher Stadtgesellschaft als auch in Rückbindung an den Kontinent erlauben. Aufschlußreich waren in diesem Zusammenhang auch zwei Sammlungen von zeitgenössischen Briefen, die von Norwicher Exulanten an ihre Verwandten und Freunde auf dem Kontinent geschrieben wurden. 24 Konsistorienbücher, wie sie beispielsweise für die Londoner Gemeinden vorliegen, stehen für die Norwicher Exulanten nur noch fragmentarisch zur Verfügung. Die Aufzeichnungen der flämischen Gemeinde scheinen vollkommen abhanden gekommen zu sein, für die Wallonengemeinde existiert ein Konsistoriumsbuch erst ab 1628?5 Was das weitere Umfeld, also die Kooperation und Kommunikation der Fremdenkirchen untereinander und mit den städtischen und staatlichen Behör21

Vergleiche dazu ausführlich Rickwood, The Norwich Book of Orders, S.150-180.

22

NRO, MS 22043, Norwich Strangers' Book 1583~1600.

2) British Museum (im folgenden BM), Add.MS 43,862, Book of the Norwich Dutch Church 1605-1615.

24 Hendrick Q. Janssen (Hg.), "Oe Hervormde Vlugtelingen van Ypem in Engeland", Bijdragen tot de Oudheidskunde en Geschiedenis inzonderheiden van Zeeuwsch-Vlaanderen 11, Middelburg 1857, S.211-304; ALE. Verheyden (Hg.), "Une correspondence inedite addressee par des familles protestantes des Pays-bas aleurs Coreligionaires d'Angleterre, 11 novembre 1569 - 25 fevrier 1570", Bulletin de la Commision Royale d'Histoire 120, 1955, S.95-257. 25 NRO, MF31/g, Actes du Consistoire de L'Eglise Wallonne de Norwiche commen~ant depuis le 25 de·Mars 1628.

2 EBer

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A. Einleitung

den angeht, kann man auf eine erfreuliche Reihe umfangreicher Quellenpublikationen zurückgreifen. Zu nennen ist hier vor allen Dingen die dreibändige Edition der Korrespondenz der Niederländerkirchen. Johann Hendrick Hessels hat das überlieferte Material der Londoner Niederländergemeinde in Austin Friars gesichtet und 1889 in seinem Ecclesiae Londino-Batavae Archivum herausgegeben. Daneben stehen die Akten der in England von den niederländischen Flüchtlingsgemeinden abgehaltenen Kolloquien und die Akten der internationalen Synoden zur Verfügung?6 Darüber hinaus kann auf die zahlreichen Publikationen der bereits erwähnten Huguenot Society 0/ London zurückgegriffen werden, die zwar außer den Moens-Bänden keine weiteren Veröffentlichungen zu den Norwicher Fremdenkirchen vorgelegt hat, deren Quelleneditionen zu den übrigen Exulantenkirchen allerdings auch ein erhellendes Licht auf Norwichs Fremde werfen. Die Vielzahl kleinerer Studien, die in den vierteljährlich erscheinenden Proceedings vorgelegt wurden und werden, bieten zudem eine Fülle von Informationen zu den verschiedensten Teilaspekten der Niederländerimmigration in England. Von besonderem Vorteil für die Untersuchung ist der Umstand, daß Norwich selbst in den letzten Jahren in der Person John F. Pounds "ihren" Historiker für die Tudor- und Stuartzeit gefunden hat. Seit seiner Studentenzeit hat sich Pound mit der Geschichte der Stadt beschäftigt und in fast 30 Jahren eine Reihe hervorragender Studien hauptsächlich zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte vorgelegt?? Vor allem seine Auswertungen zur Zusammensetzung und zur Arbeit der Norwicher Stadtverwaltung, die auf den noch erhaltenen Stadtbüchern beruhen, sind von großer Hilfe für das Verständnis des Funktionierens einer frühneuzeitlichen städtischen Ordnung. Auch Pound jedoch interessiert sich kaum für die Exulantengemeinden. Die von ihm durchgesehenen Quellen mußten deshalb noch einmal unter veränderter Fragestellung aufgearbeitet werden. Dasselbe gilt auch für die Studie von John Evans, der das Verhältnis von Politik, Religion und Regierung in der Stadt für die spätere Stuartzeit beleuchtet. 28 Was die Kontakte der Exulanten mit der staatlichen Ebene angeht, so wurden 26 J.1. van Toorenenbergen (Hg.), Acten Van de Colloquia Der Nederlandsche Gemeenten in Engeland 1575-1609, Utrecht 1872 (Mamix Society Series 2, T.I); Hendrick Q. Janssen (Hg.), Acten van de Nederlandsche Synoden der zestiende eeuw, Utrecht 1889 (Mamix Society Series 2, T.3).

27 Siehe vor allem John F. Pound, Tudor and Stuart Norwich, Old Woking 1988 und die dort angegebene Literatur. 2K John Evans, Seventeenth-Century Norwich. Politics, Religion and Govemment 1620-1690, Oxford 1979.

A. Einleitung

19

hier vor allem die Acts 0/ the Privy Council und die State Papers für den entsprechenden Zeitraum ausgewertet. 29 Bei der Bearbeitung des vorgestellten Materials war zu beachten, daß die Terminologie für Städte- und Ländernamen im 16. und 17. Jahrhundert vom heutigen Gebrauch zum Teil stark abweicht. Im allgemeinen machten die Engländer keinen Unterschied zwischen den heutigen flämisch-, niederländisch-, und deutschsprachigen Regionen. "Dutch" war hier die gängigste Bezeichnung sowohl für die nordwestlichen Teile des Deutschen Reiches als auch für die niederländischen Provinzen und ihre Bewohner. Die späteren 17 Provinzen galten außerdem als "The Low Countries" und "The Netherlands". Daneben waren aber auch die Bezeichnungen nach den bekanntesten und reichsten Provinzen "F1anders" und "Holland" gängig. Auch Antwerpener konnten demnach als Bewohner von "Holland" gelten, obwohl die Stadt in Brabant liegt. Einwohner der französischsprachigen Niederlande wurden häufig pauschal als "French" bezeichnet. Daneben existierte der Begriff "Walloon". Wo in der vorliegenden Arbeit die Rede von den Niederländern ist, sind Vertreter beider Sprachgemeinschaften, also der flämischsprachigen und der französischsprachigen Bewohner der Niederlande und des heutigen Belgien gemeint. Ist nur eine Sprachgruppe gemeint, so wird die Bezeichnung Flamen oder Wallonen gewählt. Bei der Bezeichnung der Städte- und Ländernamen wurde, wo eine anerkannte deutsche Form existiert, diese verwendet. In allen übrigen Fällen habe ich zur besseren Orientierung die moderne örtliche Schreibweise gewählt. Davon ausgenommen sind Erwähnungen in Zitaten, in denen die vorliegende Orthographie beibehalten wurde. Die Schreibweise der flämischen und der wallonischen Vor- und Familiennamen variiert vor allem in den englischen Quellen sehr stark. Zudem gab es die Sitte, ausländische Namen zu anglizisieren, was die Arbeit der Historiker nicht unbedingt erleichtert. Aus Peter Vertegans wurde so Peter Rottengoose, Daniel Douvert wurde Daniel Dover usw. Wo verschiedene Schreibweisen häufiger vorkommen, habe ich sie im Text kenntlich gemacht. 29 John R. Dasent (Hg.), Acts of the Privy Council of England (im folgenden: APC). 32 Bände, London 1890-1907; John Stevenson et al.(Hg.), Calendar of State Papers Foreign, Elizabeth I.. 23 Bände, London 1863-1950; Mary Anne Everett-Green (Hg.), Calendar of State Papers, Domestic Series, of the Reign ofElizabeth, Addenda, 1566-1579, London 1871; dies (Hg.), Calendar of State Papers, Domestic Series, of the Reign ofElizabeth 1595-1597, London 1869; dies (Hg.), Calendar of State Papers, Domestic Series of the Reign of Elizabeth and James I., Addenda, 1580-1625, London 1872; Rober! Lemon (Hg.), Calendar of State Papers, Domestic Series, of the Reign of Edward VI., Mary, Elizabeth, 1547-1580, London 1856; ders (Hg.), Calendar of State Papers, Domestic Series, ofthe Reign ofE1izabeth, 1581-1590, London 1865.

20

A. Einleitung

Die Kalenderreform Papst Gregors XIII. wurde im Gebiet der heutigen Niederlande und Belgiens zu unterschiedlichen Zeiten eingeführt. Die Generalstaaten wechselten vom 14. zum 2. Dezember 1582 ihre Zeitrechnung. Die Provinz Holland stellte ihren Kalender am 1. Januar 1583 um. In den spanischen Niederlanden folgte auf den 11. Februar 1583 der 22. In England wurde der Gregorianische Kalender bekanntermaßen erst 1752 eingeführt. Zum besseren Verständnis habe ich die im Text angeführten Daten der modernen Zeitrechnung angepaßt und den Jahresanfang durchgängig auf den 1. Januar verlegt.

B. Motive der Emigration J. Die spanischen Niederlande Am Ausgangspunkt der geplanten Untersuchung gilt es, einen Blick auf das Herkunftsland der Exulanten zu werfen. Im 16. Jahrhundert waren die Niederlande ein wesentlicher Bestandteil des Habsburgerreiches. Die bis 1543 eingegliederten insgesamt 17 Provinzen umfaßten ein Gebiet von etwa 90.000 Quadratkilometern. Das Kernland dieses politisch locker zusammengefügten Verbandes bildeten die wohlhabenden und bevölkerungsreichen Provinzen Flandern, Brabant, der Hennegau und Artois. Nördlich von diesem Kerngebiet lagen, geographisch durch ein System von Deichanlagen, Flüssen und Seen abgetrennt, die Provinzen Friesland, Seeland, Holland und Utrecht. Im Osten und Nordosten schlossen sich die dünn besiedelten Provinzen Overijssel, Limburg, Gelderland, Namur, Luxemburg und Groningen an, während das Terrain im Süden durch die alten Habsburger Besitzungen der Franche-Comte und Lothringens begrenzt wurden. Hinzu kamen die Stadtstaaten Tournai und Mechelen. In der Mitte des 16. Jahrhunderts wohnten etwa 3 Millionen Menschen in diesem Gebiet, wovon die Mehrheit in Holland, Seeland, Flandern, dem Hennegau und in Brabant lebte. Mit einer durchschnittlichen Bevölkerungsdichte von 30 bis 35 Menschen pro Quadratkilometer und mehr als 200 Städten, von denen 19 mehr als 10.000 Einwohner zählten, gehörte die Region zu den bevölkerungsreichsten Europas. I Politisch waren die Generalstaaten ein lockerer, unterschiedlich organisierter Verband mit starken partikularistischen Traditionen und Interessen. Diese Konstruktion funktionierte bis etwa zur Mitte des 16. Jahrhunderts ohne sonderliche Schwierigkeiten. Zwar wurde wiederholt Kritik laut an den inquisitorischen Maßnahmen, die Karl V. I Im Vergleich dazu gab es auf den Britischen Inseln lediglich vier Städte mit mehr als 10.000 Bewohnern. 1549 war Antwerpel'l mit ca. 80.000 Einwohnern die größte Stadt der Niederlande. Gent, Brüssel, Lilie, Valenciennes und Amsterdam hatten zum selben Zeitpunkt jeweils über 30.000 Einwohner. Zu den Zahlen vergleiche Geoffrey Parker, The Dutch Revolt, überarb. Ausg., Bungay 1988, S.23. Siehe auch Hugo de Schepper, 'Belgium Nostrum' 1500-1650, Over integratie en desintegratie van het Nederland, Antwerpen 1987.

22

B. Motive der Emigration

seit 1522 verfolgte. Da sich bis in die 1560er Jahre keine nennenswerte protestantische Oppositions gruppe formiert hatte, kam es hier allerdings nur vereinzelt zu Widerstand. 2 Erst mit der stärker auf eine zentralistische Organisation des Territoriums abzielenden Politik Philipps 11. und hier besonders durch die Reorganisation der Bistümer über die traditionellen Provinzgrenzen hinweg und durch die nun verschärft durchgeführte Inquisition formierte sich in größerem Umfang Opposition gegen die spanische Herrschaft. 3 Neben die mehr oder weniger offen ausgetragenen Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Machthabern trat zudem vor allem ab den 1560er und verstärkt in den 1570er Jahren die Möglichkeit, in vielen Fällen auch die Notwendigkeit, das Heimatland zu verlassen und für einen begrenzten Zeitraum Zuflucht in den benachbarten Staaten zu suchen. Zwischen 1540 und 1630 können vier große AuswanderungsweIlen festgestellt werden. Ein erster Emigrationsschub, der eine vergleichsweise geringe Anzahl Niederländer außer Landes trieb, fand zwischen 1540 und 1560 statt. Ein zweiter Schwerpunkt läßt sich auf die Zeit von 1567 bis 1573 datieren. Eine dritte Auswanderungsperiode umfaßt die Jahre 1577 bis 1589. Die Zeit zwischen 1590 und 1621130 kann als Endphase der Emigration angesehen werden. Während in den ersten beiden Flüchtlingswellen die Zufluchtsorte der Exulanten hauptsächlich in England und im Deutschen Reich lagen, verlagerte sich der Schwerpunkt der Emigration in den letzten Jahren des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts verstärkt in die nördlichen Niederlande. 4 Was den zahlenmäßigen Umfang der Emigration angeht, so ist hier wenig Gesichertes zu sagen. Der Zeitgenosse Emmanuel van Meteren spricht in seiner "Historie der Nederlandscher ende haerer Naburen Oorlogen" von 100.000 geflohenen Familien. 5 Rechnet man auf jede Familie im Durchschnitt 5 Mitglieder, so ergibt sich daraus die nahezu astronomische Zahl von 500.000 Flücht2 Die anabaptistische Bewegung fand zwischen 1533 und 1535 starke Unterstützung in Holland und konnte vor allem in den holländischen Küstengegenden an Einfluß gewinnen. Die einflußreicheren politischen Eliten des Landes zeigten allerdings wenig Interesse für ihre Ideen und Ziele.

) Einen sehr guten Überblick über den niederländischen Widerstand bietet Geoffrey Parker, The Dutch Revolt, passim. 4 Eine gute Zusammenfassung zu Umfang und Zielriehtung der Emigrationswellen bietet E.M. Braekmann, Problemes concemant I'emigration protestantes beIge aux XYle et XYlle siede, Geistige und religiöse Probleme des Zeitalters der Glaubenskämpfe in den Niederlanden und am Niederrhein, Schleiden 1963.

5 Emmanuel van Meteren, Historie der Nederlandseher ende haerer Naburen Oorlogen ete., 'sGravenhagen 1614, fo1.63r.

I. Die spanischen Niederlande

23

lingen. Die neuere Forschung veranschlagt die Anzahl derjenigen, die zwischen 1525 und 1650 ihr Heimatland verließen, allerdings wesentlich geringer. A. de Burbure schätzt die Zahl der Exulanten auf 300.000, während Braekman etwa 50.000 Auswanderer annimmt. 6 Weitere spekulative Zahlen ließen sich hier anschließen. Da sich die Quellenlage in den noch vorhandenen Verbannungsurteilen, die von den spanischen Offiziellen gegen politisch und/oder religiös widerständische Bürger und Bürgerinnen der Generalstaaten ausgesprochen wurden, erschöpft, läßt sich die Frage nach dem Umfang der Auswanderung nicht einmal mit annähernder Sicherheit beantworten.? Hinzu kommt der unter den Flüchtlingen festzustellende hohe Grad an Mobilität. Viele der Exulanten hielten sich nur für kurze Zeit im Exil auf und kehrten, so bald es ihnen möglich erschien, in ihre Heimat zurück oder ließen sich, vor allem nach 1572, in den nördlichen Provinzen der Niederlande nieder. Auf die Frage nach den Ursachen und Motiven der Emigration bietet die historische Forschung ein mindestens ebenso breites Spektrum an Interpretationsvorschlägen. In den offiziellen niederländischen Quellen ist hier hauptsächlich die Rede von der Flucht um des Glaubens Willen. So schrieben die Prediger und Ältesten der Londoner Fremdengemeinde an Königin Elisabeth am 29. Januar 1560 mit einer Bitte um Aufnahme, sie seien om de waere Religie ende of het vertrouwen van haere [Elisabeths, R.E.] godvruchticheit, alhier als tot een vry ende seker plaetse t'samen gecomen.

Selbst 40 Jahre nach der ersten Einwanderungswelle wird dieses Argument von den Exulanten in einer Petition an die Königin bemüht. 8 Diese und ähnliche Aussagen wurde vor allem in der älteren, stark kirchengeschichtlich orientierten 6 A. de Burbure, De pioniers f1amands seconderent nos Wallons dans la fondation de New York, Btiissel 1954, S.238; E.M. Braekman, Problemes concernant ('emigration protestantes, S.5253.

1 Nach den Untersuchungen von A.L.E. Verheyden wurden allein zwischen 1567 und 1573 von den Mitgliedern des Conseil des Troubles insgesamt 12.203 Verbannungs- und Todesurteile ausgesprochen. Siehe dazu A.L.E. Verheyden, Le Conseil des Troubles. Liste des condamnes 1567-1573, Btiissels 1961. Vergleiche auch Johan Oecavele, Oe Dageraad van de reformatie in Vlaanderen, Brüssel 1975.

R Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.40, "SuppIication of the Ministers, Elders &c. of the Community of Strangers in London to Her Majesty Queen EIizabeth." Siehe auch ebd., Nr.263, "Petition of Strangers belonging to the Dutch and French Congregations of London, to Her Majesty Queen Elizabeth, London, 29. April 1599."

24

B. Motive der Emigration

historischen Forschung übernommen. 9 Die Auswanderung wurde größtenteils unter religiösem Aspekt gesehen und als Flucht überzeugter Protestanten vor den inquisitorischen Mal3nahmen ihrer Landesherren betrachtet. Dieser besonders von niederländischen Historikern verfolgte Ansatz wurde auch von englischen Geschichtswissenschaftlern aufgegriffen. So formulierte William Cunningham in seiner Arbeit über ausländische Einwanderer in England 1897: "Their [the industrial population in Germany, the Low Countries and France] prime reason for migration was religious. ,,10 Eine genauere Analyse der Auswanderungsmotive versuchte Auguste A. van Schelven, wenngleich auch er den Hauptakzent auf die religionspolitischen Auseinandersetzungen zwischen der spanischen Regierung und den nach seinem Verständnis protestantischen Niederländern setzt. I I So weist van Schelven auf den wachsenden spanischen Einfluß auf das politische System der Niederlande hin und führt als ein Motiv für die Auswanderung den sich verschärfenden Gegensatz zwischen den zentralistischen Maßnahmen Karls und den partikularistischen Tendenzen der bis dahin nur lose einem königlichen Generalstatthalter bzw. einer -statthalterin unterstellten niederländischen Provinzen an. Mit dem Beginn der I 540er Jahre verschärfte sich das antiprotestantische Klima in den Niederlanden. 1542 setzte sich der Jesuitenorden in Leuven fest und organisierte von dort aus massive katholische Propaganda. Die Universität der Stadt, ihre Professoren und Mitarbeiter avancierten zu Vorreitern der Gegenreformation. 1543 wurde hier ein großangeiegter Schauprozeß gegen 23 mutmaßliche Ketzer geführt, 1546 gab die Universität den "Index Librorum", eine Liste aller verbotenen sogenannten Ketzerbücher heraus, der 1550 in einer erweiterten Neuauflage erschien. I2 Die jungen protestantischen Kirchengemeinden in Tournai und Valenciennes wurden 1544 bzw. 1545 von den spanischen Behörden verboten. Dementsprechend versteht van Schelven die erste Emigrationswelle als ein "zeer logisch gevolg uit der tijdomstandigheden". U

9 Vergleiche dazu Ludovicus J. Rogier. "Over karakter en omvang van de Nederlandse emigratie in de zestiende eeuw", Historisch Tijdschrift 16, 1937. S.325·367. 10

William Cunningham, Alien Immigrants to England, London, 2. Auflage, 1969, S.138.

11 Auguste A. van Schelven. Oe Nederduitsche Vluchtelingenkerken der XVle eeuw in Engeland en Ouitsland. Den Haag 1909. S.I-38.

12 Vergleiche hierzu A.F. Mellink, Prerefonnatie en vroege reformatie 1517-1568 in: O.P. Block. W. Prevenier et al. (Hg.). Nieuwe Aigemeene Geschiedenis der Nederlanden (im folgenden abgekürzt: AGN). Bd.6. Haarlem 1979. S.146-166.

1.1

van Schelven. Oe Nederduitsche Vluchtelingenkerken. S.II.

I. Die spanischen Niederlande

25

Den einseitig religionspolitisch argumentierenden Interpretationsansätzen ist entgegenzuhalten, daß zumindest während der Regierungszeit Karls V. der Protestantismus in den Niederlanden eine noch wenig gefestigte Bewegung war, die von einem kleinen, intellektuellen Kreis von Anhängern erasmianischen Gedankengutes getragen wurde und eher durch eine Negativhaltung der katholischen Kirche gegenüber als durch ein neues Programm gekennzeichnet war. Der Begriff "Calvinismus" festigte sich erst in der zweiten Hälfte der 1560er Jahre, begleitet von heftigen Flügelkämpfen. 14 Seine Anhänger organisierten ein den einzelnen Kirchengemeinden übergeordnetes Synodal system, das für den kirchlichen Zusammenhalt sowohl in den Niederlanden als auch mit den Fremdenkirchen von großer Bedeutung wurde. ls Demgegenüber verblaßten die älteren reformatorischen Bewegungen in den Niederlanden und bezüglich ihres Anteils an den Flüchtlingswellen. Lutheraner spielen nur für den Antwerpener Raum und die Emigration aus diesem Gebiet eine Rolle. Der Anteil der Anabaptisten an der Auswanderung blieb zwar während des gesamten 16. Jahrhunderts beträchtlich, einen bestimmenden Einfluß übte diese Bewegung allerdings in England nicht aus, zumal ihre Anwesenheit dort ausdrücklich unerwünscht war. 16 Von großer Bedeutung für die Emigration erscheint meines Erachtens die ökonomische Situation in den Niederlanden während des untersuchten Zeitraums, worüber allerdings ebenfalls in der historischen Forschung bislang die unterschiedlichsten Theorien entworfen worden sind. Die ältere Geschichtsschreibung des späten 19. Jahrhunderts vermittelte größtenteils das Bild einer prosperierenden, blühenden Städtelandschaft. 17 Der Aufstand wurde als Ausdruck protestantischen Glaubenseifers interpretiert. Erst seit den Studien Ernst Marx' von 1902 wird die wirtschaftliche und soziale Lage der Niederlande in

14 Vergleiche dazu die entsprechenden Artikel von Johan Decavele in Band 6 der Nieuwe AGN. Haarlem 1979. S.166f und Phyllis MacCrew. Calvinist Preaching and Iconoclasm in the Netherlands 1545-1569. Cambridge 1978. 15 Bereits zwischen 1563 und 1565 wurden acht Provinzialsynoden in Antwerpen. Armentiers. Toumai und Tours abgehalten. Siehe dazu genauer MacCrew. Calvinist Preaching and Jconoclasm 1545-1569. S.64.

10 Vergleiche dazu A.L.E. Verheyden. Geschiedenis der doopsgezinden in de zuidelijke Nederlanden in de 16e eeuw. Brüssel 1959 und John Strype. Annals of the Reformation and Establishment of Religion. 4 Bände, London 1709-1731 und Oxford 1820-1840. Neudruck Bände 1-4, New York 1966, Bd.l. 2. S.277. 17 Beispielsweise in WJ.F. Nuygens. Geschiedenis der nederlandse beroerten. Bd.l. Amsterdam 1865.

B. Motive der Emigration

26

einem kritischeren Licht gesehen. 18 H. Brugmans schreibt über die Situation im 16. Jahrhundert: "Nooit is de materieeIe toestand des lands zoo ellendig geweest ( beha1ve in de Franschen tijd ). ,,19 Die Niederlande, und hier vor allem die weiter oben bereits erwähnte Städtelandschaft in Flandern und Brabant, waren seit dem 13. Jahrhundert neben Oberitalien das wirtschaftlich am weitesten entwickelte Gebiet Europas. Nach dem Niedergang der seit dem Mittelalter in den heimischen Gewerbezentren um Gent, Brügge und Ypern dominierenden Textilherstellung ging man im 16. Jahrhundert zu Spezialisierungsgewerben innerhalb der Textilindustrie über. Importierte Halbfertigwaren - Handelspartner war hier vor allem England wurden in den nun entstehenden Fertigungsbetrieben, die sich durch einen hohen Qualitätsstandard auszeichneten, weiterverarbeitet und verfeinert, wobei ein Hauptakzent auf die Appretur und Färbung der Materialien gelegt wurde. 2o In den alten städtischen Zentren der Textilherstellung entwickelte sich daneben die Produktion hochqualifizierter Luxuswaren. Spitzenklöppelei, Teppichweberei sowie Hut- und Handschuhmacherei wurden neue, blühende Gewerbezweige. Darüber hinaus entstanden neue Handwerke. In Antwerpen wurden nicht zuletzt begünstigt durch die weltpolitische Bedeutung des Hafens - Salzund Seifensiedereien, Druckereien, Diamantenschleifereien, Zuckerraffinerien und Glasbläsereien gegründet. Auf dem Lande kam es zur Entwicklung neuer, absatzfreudiger Mischstoffgewebe. In den sogenannten "nieuwe draperijen" oder "draperie It~gere" wurden leichte Kammgarne produziert, die die im Mittelalter gebräuchlichen Wollstoffe allmählich verdrängten. 21 Die neuen Industrien entwickelten sich größtenteils außerhalb des Zunftwesens, wodurch die Einführung moderner Produktionsmethoden und Betriebsformen ermöglicht wurde. Es entstanden gegen den Willen der alten Handwerkszünfte Großbetriebe, die oft die verschiedenen, bisher nach Zünften getrennten Arbeitsgänge zusammenfaßten und über eine große Zahl ungelernter Arbeiter verfügten. Gleichzeitig vertiefte sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts die Kluft zwischen Handwerksmeistern und Gesellen. Mußte man in Antwerpen

18

Ernst Marx, Studien zur Geschichte des niederländischen Aufstandes, Leipzig 1902.

19

H. Brugmans, Het belang de economische geschiedenis, Leiden 1904, S.2If.

20 Vergleiche dazu Herrnan van der Wee, The Growth of the Antwerp Market and the European Economy, 2 Bände, Den Haag 1963, Bd.2, S.189. 21 Vergleiche dazu die umfassende Arbeit von Emile Coornaert, Une centre industriel d'autrefois, la draperie-sayetterie d'Hondschoote (16e-18e siecIes), Paris 1930.

I. Die spanischen Niederlande

27

1520 noch ein Aufnahmegeld von 20 Gulden bezahlen, um Meister der Färberzunft werden zu können, so wurden 1563 bereits mehr als 30 Gulden verlangt. Ein Geselle der Tucherzunft mußte 1536 150 Tagelöhne für die Aufnahme als Meister investieren. Meistersöhne brauchten demgegenüber nur die Hälfte der verlangten Summe zu bezahlen und waren darüber hinaus von verschiedenen weiteren Verpflichtungen befreit. 22 Als Folge davon schloß sich die Schicht der Bessergestellten immer stärker nach unten ab. Im Sozialgefüge entstand so allmählich eine Polarisierung von Handwerksmeistern und ihren durch die anhaltende Teuerungsrate bei vergleichsweise niedrigen Löhnen von der Verarmung bedrohten Gesellen einerseits und Unternehmern mit ihren oft ungelernten Arbeitern andererseits. 23 Van der Wee hebt allerdings zu Recht hervor, daß dieser neuartige Typ großgewerblicher Konzentration keineswegs als charakteristisch für die niederländische Textilproduktion insgesamt angesehen werden kann. Hier waren vielmehr traditioneIle Elemente nach wie vor stark vertreten?4 Die aufgezeigte Entwicklung ist für die Frage der Emigration von großer Bedeutung, da eine auf Import angewiesene Industrie, wie die hier vorgestellten Spezialgewerbe, naturgemäß stark krisenanfällig ist. Für die Auswanderungsbewegung entscheidend war die Konjunkturabflachung der frühen 60er und der Niedergang in den 70er und 80er Jahren. Das Handelsembargo zwischen den Niederlanden und England vom 28. November 1563 bis zum 29. Dezember 1564 hatte in den Niederlanden verheerende Auswirkungen besonders auf die Situation der vom Einfuhrstop englischer Rohwaren betroffenen Textilarbeiter. Die Zahl der Arbeitslosen stieg, während die Löhne sanken. Gleichzeitig führte der dänisch-schwedische Konflikt dazu, daß der zur Versorgung der niederländischen Stadtbevölkerung notwendige Import von Korn aus dem Baltikum in eine schwere Krise geriet. Der extrem strenge Winter 1564/65 schließlich brachte das Land an den Rand einer Hungersnot. Die Folge davon waren soziale Unruhen und eine verstärkte Emigration. 25 Bezeichnenderweise fand gerade zu dieser Zeit die calvinistische Bewegung zahlreiche Anhänger besonders im von der Verarmung bedrohten Mittelstand. 1565 ergriff Philipp 11. im sogenannten 22 Vergleiche dazu Etienne Scholliers, "Vrije en onvrije arbeiders voornamelijk te Antwerpen in de 16e eeuw", Bijdragen voor de geschiedenis der Nederlanden 11, 1956, S.288. 23 Gleichzeitig entstanden Konflikte zwischen den ungelernten Arbeitern, den sogenannten "onvrijen" und den in den Zünften organisierten, gelernten Arbeitern, die die Ersteren für die niedrigen Löhne in der Textilindustrie verantwortlich machten. 24

van der Wee, The Growth of the Antwerp Market, Bd.2, S.380.

25

van der Wee, The Growth of the Antwerp Market, Bd.2, S.228-232.

28

B. Motive der Emigration

"Segovia-Brief' Maßnahmen gegen die Ketzer und bestand auf einer verschärften Durchführung der Inquisition. Der im Sommer 1566 in Steenvoorde ( Westflandern ) einsetzende Bildersturm führte zu einem weiteren Stillstand von Handel und Gewerbe. Es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Calvinisten und den Truppen der Statthalterin Margarete von Parma, die im Frühjahr 1567 die protestantische Armee entscheidend schlugen. Erneut emigrierten zahlreiche Kaufleute und Handwerker. Im August 1567 zog Herzog Alva mit spanischen Truppen in die Niederlande. Die geflohenen Protestanten wurden vor Gericht geladen. Wenn sie nicht erschienen, wurden ihre Güter konfisziert. Die Auswanderung und deren Unterstützung wurden unter hohe Strafen gestellt. Die Zerschlagung der calvinistischen Unruhen durch den "eisernen Herzog" führte zunächst zu einer Beruhigung der Situation. Dennoch blieb das wirtschaftliche Leben in den Niederlanden durch den Terror der spanischen Besatzung und die erneut einsetzenden Kampfhandlungen - ab 1568 begannen die militärischen Kampagnen Wilhe1ms von Oranien - stark geschwächt. Um das Regime Alvas aufrecht zu erhalten, versuchte man, der Bevölkerung neue, schwere Besteuerungen zuzumuten: ab 1569 plante Alva die Erhebung des sogenannten "ti ende penning", einer lO%igen Abgabe auf alle Handeistransaktionen in den Niederlanden. Durch den erbitterten Widerstand des niederländischen Adels und seiner Anhänger, der mit der Abspaltung Hollands und Seelands im Sommer 1572 einen ersten Höhepunkt fand, konnten diese fiskalischen Maßnahmen abgewendet werden?6 Die calvinistischen Seabeggars behinderten in den nächsten Jahren von ihren Stützpunkten an der Küste den niederländischen Schiffsverkehr mit Frankreich und Spanien. Insgesamt ist die Zeit der Herrschaft Alvas durch eine weitere, starke Auswanderungswelle gekennzeichnet. 27 Die chaotischen Zustände nach dem Tode von Alvas Nachfolger Requesens 1576 führten erneut zu ernsten Versorgungskrisen, da die marodierenden spanischen Truppen der Landwirtschaft schwere Schäden zufügten. Erst durch die Ankunft des neuen spanischen Oberbefehlshabers Alexander Farnese 1578 26 Allerdings trug schon allein die Planung dieser Sondersteuer sehr dazu bei, das Klima zwischen den Landesherren und den Niederländern deutlich zu verschlechtern. Siehe dazu F.H.M. Grapperhaus, Alva en der tiende penning, Zutphen 1982. 27 Zur Periodisierung der Auswanderungswellen siehe auch Braekman, Problemes concernant I'emigration protestantes, 5.49-50.

I. Die spanischen Niederlande

29

konnte den meuternden Soldaten Einhalt geboten werden. Dennoch lagen weite Teile der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche brach, zumal die Kampfhandlungen während der schrittweisen Wiedereroberung der südlichen Niederlande durch Farnese erneut zunahmen und besonders in Brabant, später auch in Flandern großen Schaden anrichteten. Neben diese vor allem durch die kriegerischen Auseinandersetzungen bedingten Probleme tritt ein weiterer permanenter Krisenfaktor in Form der allgemeinen Inflationsanfälligkeit des 16. Jahrhunderts. Aus verschiedenen Gründen kam es zu einem Rückgang des Geldwertes in ganz Europa. Besonders in den Niederlanden wurde der einheimische Geldmarkt mit den auf dem Kontinent als Handelsmünze gebräuchlichen spanischen Realen überschwemmt. Zudem wurde durch die spanische Regierung der niederländische Goldgulden um 8% abgewertet, um ihn dem Reichsdukaten gleichzustellen. Diese Politik verstärkte den weiteren Niedergang der niederländischen Wirtschaft, besonders wiederum in den von den ausländischen Gütern abhängigen Gewerbezweigen und traf vor allem die Arbeiter in der Textilbranche. Es liegt daher nahe - stellt man die obengenannten Punkte in Rechnung - in ihnen die Hauptgruppe der Emigranten zu sehen. Tatsächlich herrschte hier das handwerkliche Element bis in die 1570er Jahre VOr. 28 Besonders nach der Eroberung Antwerpens 1585 findet man jedoch verstärkt Kaufleute und Unternehmer unter den Emigranten. Ihnen gelang es nicht selten, ihr Kapital in das Gastland zu transferieren und gewinnbringend anzulegen. Geschäftliche Verbindungen mit dem Heimatland konnten häufig aufrecht erhalten werden. Ein weiterer die Auswanderung begünstigender Faktor ist die notorische Überbevölkerung der Niederlande, in der Jan A. van Houtte ein zusätzliches, permanentes Emigrationsmotiv sieht. Er stellt die These auf, "daß es in jeden Fall eine Auswanderung gegeben hätte". Für van Houtte spielen die wirtschaftlichen Faktoren die entscheidende Rolle, während er die Reformation nur als ein "sekundäres Element" der Auswanderung gelten lassen möchte. 29

28 Vergleiche dazu Braekman. Problemes concemant I'emigration protestantes. S.54-55 und Schilling. Niederländische Exulanten. S.45-46.

B. Motive der Emigration

30

11. Die englische Außenpolitik Die Auswanderung aus den spanischen Niederlanden in ein anderes Land war allerdings nur möglich und sinnvoll, wenn das Gastland den Neuankömmlingen ein Mindestmaß an politischer und sozialer Sicherheit bieten konnte. Wie die englische Regierung nach innen und nach außen auf den eben geschilderten Einwanderungsstrom reagierte, ist Gegenstand der folgenden Untersuchung. Seit der Eheschließung Prinz Arthurs mit Katharina von Aragon im Jahre 1501 war das anglo-spanische Bündnis fester Bestandteil der englischen Außenpolitik. Begründet im wirtschaftlichen Vorteil, den beide Seiten besonders aus den Handelsbeziehungen Englands zu den spanischen Niederlanden und hier vor allem aus dem Tuchhandel ziehen konnten, überdauerte die Allianz selbst die Scheidung Heinrichs VIII. von Katharina. Während der Regierung Mary Tudors wurde England jedoch durch die Heirat der Königin mit Philipp II. in die spanisch-französischen Auseinandersetzungen hineingezogen, in deren Verlauf Calais als letzte englische Festlandsbesitzung aufgegeben werden mußte. Durch den kostspieligen Krieg geriet das Land in eine wirtschaftliche Krise. Die innenpolitischen Maßnahmen Marys, die sich zweifellos stärker zu ihrem spanischen Mutterland als zu England hingezogen fühlte, taten ein Übriges, um die Beziehungen zu Spanien in der Bevölkerung in Mißkredit zu bringen. Die Politik von Marys Nachfolgerin Elisabeth richtete sich demgemäß seit ihrem Thronantritt auf die Lösung aus dem spanischen Bündnis. Hier sah sich die englische Regierung politisch und wirtschaftlich außerstande und auch nicht gewillt, einen aggressiven Konfrontationskurs einzuschlagen. Stattdessen bediente man sich der Politik der kleinen Schritte, der Nadelstiche. Besonders in den 1560er Jahren spitzte sich das Verhältnis durch eine Reihe von ZwischenfalIen, an denen beide Parteien beteiligt waren, zu. In den 70er Jahren kam es zu einer kurzlebigen, vorsichtigen Annäherung; nach der Aufdeckung der Throckmorton-Verschwörung von 1583 und dem englisch-niederländischen Beistandsabkommen von 1585 verhärteten die Fronten allerdings wieder.

29

van Houtte in Braekman, Problemes concemant I'emigration proteslanIes, S.S2-S3.

11. Die englische Außenpolitik

31

Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse muß auch das Verhalten der englischen Regierung gegenüber den Aufständischen in den Niederlanden gesehen werden. Für eine gezielte finanzielle Unterstützung der Protestanten fehlen während der ersten Regierungsjahre Elisabeths jegliche Belege. Zunächst scheinen sich die Reaktionen der englischen Regierung auf offizielle Proteste gegen das Verhalten Spaniens beschränkt zu haben. Auffallend ist allerdings, daß dem ständigen Zustrom niederländischer Flüchtlinge nach England keine nennenswerten Schwierigkeiten in den Weg gelegt wurden, obwohl allgemein bekannt war, daß die Flucht aus den habsburgischen Provinzen von den spanischen Behörden schwer bestraft wurde. Die Auswanderungen nahmen offenbar in den Augen der Spanier ein solches Ausmaß an, daß sich Philipp 11. 1559 vor seiner Abreise nach Madrid gezwungen sah, ein Patent zu erlassen, worin die Flucht über den Kanal und in die östlichen Nachbarländer ausdrücklich unter Strafe gestellt wurde. 3o Diese Maßnahmen hatten augenscheinlich jedoch nicht den gewünschten Erfolg. Der spanischen Gesandte am englischen Hof, Alonso de Quadra, Bischof von Aquila, berichtete bereits am 17. Januar 1560 aus London von der Ankunft neuer Flüchtlinge. 31 Im August 1561 unterrichtete er Margarete von Parma über den englischen Plan einer offiziellen Zählung der Fremden und bezifferte die Zahl der aus den Niederlanden Eingewanderten im April 1562 auf 30.000. 32 Die Aufnahme der Fremden in England wurde von spanischer Seite mehr als einmal kritisiert. Jeder Verdacht, daß die in England ansässigen Niederländer als Instrumente der englischen Politik gegen Spanien verwendet würden, wurde sofort und detailliert an den Hof Philipps gemeldet. So teilte der Gesandte Don Gureau de Spes dem Herzog von Alva im Juni 1569 mit, die flämischen Refugianten würden sich bewaffnen, um ihren aufständischen Glaubensbrüdern und -schwestern auf dem Kontinent zur Hilfe zu kommen. 33 Daß solche Aktionen tatsächlich stattfanden, ist in der umfangreichen Korrespondenz des niederländischen Gesandten Jehan van Spenckhousen mit den Refugiantengemeinden in England eindeutig belegt. Im Auftrag Wilhelms von Oranien reiste Spenckhousen 1568 durch England und forderte die Exulanten zu Geld- und Sachspenden und zur Rekrutierung von Soldaten auf, die

JO Joseph Kervyn de Lettenhove, L. Gilliodts van Severen (Hg.), Relations Politiques de Pays Bas et L'Angleterre sous la Regne de Phillippe 11.,11 Bände, Brüssel 1892-1900, Bd.I, S.553. 31

Kervyn de Lettenhove/Gilliodts van Severen (Hg.), Relations Politiques, Bd.2, S.188f.

32

Kervyn de LettenhovelGilliodts van Severen (Hg.), Relations Politiques, Bd.2, S.616f; Bd.3,

S.16. J3

Kervyn de Lettenhove/Gilliodts van Severen (Hg.), Relations Politiques, Bd.5, S.404f.

32

B. Motive der Emigration

der Befreiung des Vaterlandes von der spanischen Herrschaft dienen sollten. 34 Daß diese Unternehmen auf offizieller englischer Seite bekannt waren und sogar unterstützt wurden, beweist eine Anfrage über die Rechtmäßigkeit solcher Spenden, die die Vertreter der niederländischen Gemeinden über den Earl of Bedford an William Cecil richteten und die dieser positiv beantwortete?5 Unklar bleibt allerdings, ob solche Aktionen von der englischen Regierung mitfinanziert worden sind. Im Juni 1568 wurde die Behauptung, Refugianten begäben sich als Hilfstruppen in die Niederlande, als unwahr zurückgewiesen. 36 Was allerdings von englischer Seite niemals bestritten wurde, war die Tatsache, daß die Einwanderung ausländischer Flüchtlinge geduldet wurde, wenn man auch auf offizieller Basis bis 1585 von einem Eingreifen auf dem Kontinent absah. 37 Es lag Elisabeth und ihren Beratern offensichtlich mehr daran, die niederländischen Protestanten in England als in ihrem Heimatland zu unterstützen, wobei sie auch hier auf die jeweilige außenpolitische Situation Rücksicht zu nehmen hatte. So forderte sie die Niederländer 1574, in einer Zeit relativer Annäherung an Spanien, auf, nicht mehr nach London, sondern in kleinere Städte des Landes zu ziehen, wo sie den Augen des spanischen Gesandten eher verborgen blieben und so keinen Anlaß zu Mißtönen in der gerade halbwegs ruhigen Beziehung zum Habsburgerreich hervorrufen konnten. 38 Diese Maßnahmen waren zudem aus englischer Sicht weniger mit dem Risiko eines Krieges verbunden und stellten eine einfache und zugleich effektive Art dar, Spanien zu schädigen. 39 Daneben muß aber auch das tiefe Mißtrauen der im Grunde konservativen Elisabeth in Betracht gezogen werden, die jeden gegen eine bestehende königliche Macht gerichteten Aufstand ablehnte. Zweifellos sah Elisabeth in der Erhebung zunächst einen unrechtmäßigen Akt, zumal die niederländische Opposition in der Anfangsphase der Auseinandersetzungen vom niederen Adel und 34

Siehe beispielsweise Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.87.

35

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.87. Vergleiche auch ebd., Bd.3, Nr.933.

36 Siehe dazu Charles Wilson, Queen Elizabeth and the Revolt of the Netherlands, London 1970, S.66. 37 Die Petitionen der Pastoren der reformierten Gemeinde Antwerpens an Cecil vom Anfang des Jahres 1567 mit der Bitte, sich bei Elisabeth für eine Intervention beim spanischen König zu verwenden, findet in den Quellen keine Antwort. Siehe dazu Kervyn de LettenhoveiGilliodt van Severen (Hg.), Relation Politiques, Bd.4, S.404f; Bd.5, S.719.

38

Vergleiche dazu Strype, Annals of the Reformation, Bd.2, S.574, 540.

39

Kervyn de Lettenhove/Gilliodts van Severen (Hg.), Relation Politiques, Bd.2, S.98f.

11. Die englische Außenpolitik

33

der Bürgerschaft ausging, die für die Königin als Koalitionspartner indiskutabel waren. Zudem kann bis zum Ende der J560er Jahre kaum von einem organisierten Aufstand gesprochen werden, so daß eine Unterstützung aus englischer Perspektive wenig Aussicht auf Erfolg hatte. Erst nachdem Wilhelm von Oranien eine starke Oppositionspartei aufgebaut hatte, konnten die Niederländer mit englischer Hilfe rechnen. 4o Es ist jedoch kaum anzunehmen, daß die englische Königin einer so großen Zahl Flüchtlinge Zuflucht gewährt hätte, ohne dabei an den Vorteil zu denken, den die Niederländer durch den Transfer von wirtschaftlichem know-how ihrem Gastland bieten konnten. Ihr Nachfolger James I. führte Elisabeths Politik der Gastfreundschaft fort. Nach einer Anfrage der reformierten Gemeinden bestätigte er deren Vertretern in einem Schreiben vom 21. Mai 1603 das Privileg der Religionsfreiheit und stellte sie unter seinen Schutz. 41 Sein Sohn schloß sich am 30. April 1625 der Politik seines Vaters an und versicherte den Delegierten der Fremden: I will Continue unto you the same favour weh the Kinge my father did throwe unto yoU. 42

Zusammenfassend scheint es wichtig, festzuhalten, daß für viele Flüchtlinge neben den religiösen auch wirtschaftliche Gründe für die Emigration eine Rolle spielten und daß letztere für einen Teil der Exulanten sicherlich ausschlaggebend waren. Heinz Schilling sieht eine "auffallende Konkordanz zwischen den Konjunkturschwankungen der niederländischen Wirtschaft und den Phasen der Auswanderungsbewegung.,,43 Über die relative Gewichtung beider Motive läßt sich kaum etwas Gesichertes sagen. Wünschenswert wären hier vertiefende Forschungen auf der Basis einzelner Gemeinden in den Niederlanden. Für das Verständnis der niederländischen Flüchtlingsgemeinden in den englischen Wirtsstädten ist es jedoch wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß zwar sicherlich viele der Niederländer aus materiellen Gründen ihren Wohnsitz wechselten, daß man aber andererseits versuchte, als religiös Verfolgte die Sympathie der englischen Königin und ihrer Berater zu erwecken. Tatsächlich ist von der 40

Wilson, Queen Elisabeth and the Revolt of the Netherlands, 5.26.

41 PRO, State Papers Domestic, Charles 1.161182121. "Fundamentals for the Subsistence ofthe Foreign Churches." Hierbei handelt es sich um ein von den Predigern der reformierten Gemeinden in England im Jahr 1631 zusammengestelltes Kompendium aller ihnen seit 1550 gewährten königlichen Privilegien. 42

Ebd.

4)

Schilling, Niederländische Exulanten, 5.21.

3 EBer

34

B. Motive der Emigration

Mehrzahl der Geflohenen über ihren Glauben nichts bekannt. Problematisch ist auch die Dauer der Emigration. Den Quellen kann beispielsweise nicht entnommen werden, ob die Flüchtlinge endgültig ihr Heimatland verließen oder ob sie zu einem späteren Zeitpunkt nach Flandern oder in die nördlichen Niederlande zurückkehrten. So ist nach dem Beginn des niederländischen Widerstandes in Holland und Seeland 1572 und nach der Unterzeichnung der Pazifikation von Gent am 8. November 1576 mit einer starken Rückwanderung zu rechnen, die sich allerdings nicht in befriedigender Weise in den Quellen wiederfinden läßt. Es hat sich zudem herausgestellt, daß es nicht die eigentliche Anzahl der Neuankömlinge war, die bei der Gastbevölkerung Aufsehen erregte. Hier war es vielmehr der Grad der Anpassungsbereitschaft in die Gastgesellschaft, der kritisiert oder lobend erwähnt wurde. So wurden beispielsweise aus London sehr viele Klagen über Auseinandersetzungen mit den Einheimischen bekannt, obwohl hier der Anteil der Niederländer an der Gesamtbevölkerung mit maximal 5% weitaus niedriger lag als beispielsweise in Canterbury, wo nennenswerte Schwierigkeiten mit den Fremden erst gegen Ende des Jahrhunderts auftraten. 44

44 Generell muß man allerdings für die I 590er Jahre als einer Krisenzeit in den Beziehungen zwischen der englischen Gastgesellschaft und ihren niederländischen Mitbewohnern sprechen. Gründe hierfür sind sicherlich auch in der allgemeinen schlechten Konjunkturlage, ausgelöst durch den anhaltenden, kostspieligen Krieg mit Spanien und einer Reihe von Mißernten in der Mitte des Jahrzehnts in England selbst zu suchen. Vergleiche dazu beispielsweise lan W. Archer, The Pursuit of Stability, Cambridge 1991, S.9-14.

C. Norwich Zufluchtsort für die Exulanten in England war zunächst London, wo sich bereits 1550 eine erste offiziell anerkannte und formalrechtlich abgesicherte Fremdengemeinde konstituierte. Sie fand allerdings schon wenige Jahre später nach dem Tod Edwards VI. und der darauffolgenden Thronbesteigung Mary Tudors ihr erzwungenes Ende. Erst 1558 machten sich erneut niederländische Flüchtlinge auf den Weg über den Kanal. Beliebte Refugien waren nun neben der englischen Hauptstadt die nahe gelegenen Hafenstädte Dover, Yarmouth und vor allem Sandwich. Von hier aus reiste 1565 wiederum eine Gruppe von 24 flämischen und sechs wallonischen Handwerksmeistern mit ihren Mitarbeitern und Familien nach Norwich. Bevor nun im folgenden die erste stürmische Phase niederländischer Besiedlung in Norwich genauer untersucht wird, sollen zunächst die Geschichte der Stadt selbst und ihre wirtschaftlichen und politischen Besonderheiten unmittelbar vor und während der Zeit der Niederländeransiedlung kurz beleuchtet werden. Norwich hatte bereits eine etwa tausendjährige Geschichte, bevor der erste Tudorkönig den englischen Thron bestieg. Angelsächsische Siedler hatten im 6. Jahrhundert, angezogen durch die günstige Lage an den Flußläufen des Yare und des Wensum, vielleicht auch durch die Nähe zu der früheren Römerstadt Venta Icenorum, auf dem heutigen Stadtgebiet von Norwich gesiedelt. Ihnen folgten dänische und normannische Eroberer, die der äußeren Erscheinung der Stadt einen dauerhafteren Stempel aufdrückten als die Strohhütten ihrer Vorgänger. Sie erbauten im 11. Jahrhundert die mächtige Burganlage, welche noch heute das Stadtbild beherrscht, und errichteten, als 1096 der Bischofssitz vom nahegelegenen Thetford nach Norwich verlegt wurde auf den Überresten eines alten sächsischen Heiligtums die Kathedrale, an die sich ein umfangreiches Terrain mit Werkstätten und Wohnhäusern für die Bediensteten des Bischofs anschloß. 1297 begann man mit dem Bau der Stadtmauer, die 1334 vollendet wurde und einen Raum von etwa sechs Meilen umschloß. In diesem Gebiet befanden sich im 16. Jahrhundert neben der Kathedrale und der Burg 58 Kir-

C. Norwieh

36

chen, 22 religiöse Häuser und Hospitäler sowie die Häuser der reichen und weniger reichen Norwicher Bürger. Deren Zahl war bis 1525 auf etwa 8.500 Personen angewachsen. Diese Zahl stieg in den darauffolgenden Jahren, nicht zuletzt durch die massive Einwanderung von Flamen und Wallonen ab 1565 auf ca. 14.000-15.000 Einwohner zum Ende der 1570er Jahre. I Gebremst wurde der Bevölkerungsanstieg in den 80er Jahren vor allem durch zahlreiche Pestepedemien, die die Stadt heimsuchten. Dem ersten massiven Ausbruch der Seuche fielen 1579/80 4.193 Personen zum Opfer. Mehr als 2.000 davon waren Immigranten. 2 Die Pestwellen führten dazu, daß von 1579 an wöchentliche Listen über Todesfälle, ab 1582 auch Listen über Taufen der Norwicher geführt wurden, wodurch statistische Erhebungen über den Bevölkerungszuwachs oder schwund in der Stadt enorm erleichtert werden. (Die Listen wurde bis 1646 durch einen Stadtbediensteten geführt und einmal pro Woche dem Mayors's Court vorgelegt.) Demnach fiel die Bevölkerungszahl von Norwich bis 159911600 auf ca. 11.000 Personen. Von da ab stieg die Zahl allmählich wieder an. 1610 wohnten bereits wieder über 14.000 Menschen in der Stadt. Bis 1620 waren es sogar 22.467 und 1630 etwa 25.086 ..~ Auskünfte darüber, wie die Stadt mit diesem Bevölkerungswachstum fertig wurde, sind relativ spärlich erhalten. Zeitgenössische Beschreibungen der Stadtansicht sind ausgesprochen selten. Leland verliert einen Satz über die Anlage der Stadtmauern. William Camden lobt die Sauberkeit und Ordnung der Gebäude und die Schönheit der Kirchen. 4 Bessere Auskunft geben zwei Karten aus dem 16. Jahrhundert. Die sogenannte "Sanctuary Map" von 1541 ist ein besonders eindeutiges Beispiel für das Phänomen, was John Pound als "housing revo1ution,,5 bezeichnet: Fast alle abgebildeten Häuser im Stadtzentrum sind zweigeschossig und wahrscheinlich jüngeren Datums. Die zweite erhaltene Karte von 1558 - "Cunningham's map" - macht deutlich, daß sich die Ausdehnung der Stadt seit Errichtung der Stadtmauern im 14. Jahrhundert kaum verändert hat. Um trotzdem mit der steigenden Bevölkerungszahl Schritt zu halten, 1 Pound,

Tudor and Stuart Norwich, S.28.

2

NRO, 16/d, The Book of the Proceedings in the Mayor's Court Nr.l 0, 1576-1581, fol.24.

3

Pound, Tudor and Stuart Norwieh, S.28.

Luey Toulmin-Smith (Hg.), The Itinerary of John Leland in or about the years 1535-1543, London 1909-10, Bd.4, S.33; Edmund Oibson (Hg.), William Camden. Britannia; or a Chronographieal Deseription of Oreat Britain and Ireland together with adjaeent lands, London, 2. Auflage 1722, Bd.l, S.46 I. 4

5

Pound, Tudor and Stuart Norwieh. S.20.

C. Norwich

37

mußte sie in die Höhe wachsen. Auch Cunninghams Karte zeigt deshalb eine besonders große Anzahl zweigeschossiger Gebäude. Daß etwa 700 Häuser in der Stadt durch einen Großbrand 1507 zerstört worden waren, scheint dieser neuen Entwicklung eher zuträglich gewesen zu sein. Stadtarchäologische Untersuchungen haben ergeben, daß sich das Stadtbild in den von weniger wohlhabenden Norwichern bewohnten Stadtteilen, besonders auf der nördlichen Seite des Flüßchens Wensum, der die Stadt geographisch in zwei Hälften unterteilt, im 16. Jahrhundert stark verändert hat. Da dieses Gebiet vom attraktiveren Stadtzentrum weiter entfernt war, hatte es hier zunächst genügend Wohnraum gegeben. Überbevölkerung war eher die Ausnahme als die Regel gewesen. Diese Situation änderte sich im Verlauf der 70er Jahre ganz massiv, und hier ist als Ursache vor allem der Zuzug von Fremden zu nennen. 6 Interessanterweise hat die Stadtverwaltung nicht ordnend eingegriffen und die zahlreichen ungenutzten Flächen innerhalb der Stadtmauern den Zuwanderern als Wohnraum zugewiesen, sondern diesen in der Wahl ihrer Wohnung keine Grenzen gesetzt. Hinzu kam als weiteres geographisches und politisches Zentrum der Stadt die Residenz des Herzogs von Norfolk in der Pfarre St. John Maddermarket. An dem Stadtbild scheint sich nach der Tudorzeit zunächst wenig verändert zu haben. Fuller schrieb 1662 über Norwich, die Stadt sei pleasant and populous ... either a city in an orchard or an orchard in a city, so equally are houses and trees blended in it so that the pleasures of the country and the populousness of the city meet here together ...

Celia Finnes lobte den guten Zustand der Stadtmauern und John Evelyn ging in seinem Lob sogar so weit, die Stadt als one of the noblest of England. for its venerable cathedral, number of stately churches, c1eanness of the streets and buildings of flint so exquisitely headed and squared ...

zu beschreiben. 7 Auch der Besucher und die Besucherin des ausgehenden 20. Jahrhunderts kann sich dieses Eindrucks nicht erwehren.

6 East Anglian Archaeology Nr.26. Excavations in Norwich, 1971-78, part 11, Norwich Survey 1985.

7 J. Nichols (Hg.), Thomas Fuller, The History of the Worthies of England, 0.0. 1811, S.154; Geoffrey C. Morris (Hg.), The Joumeys of Celia Finnes, 0.0. 1947, S.148; E.S. de Beer (Hg.). The Diary of John Evelyn, London 1959, S .562-69.

38

C.

Norwich

Politisch und administrativ war die Stadt organisiert nach einer Charta Heinrichs 11., der 1194 der Stadtverwaltung ein gewisses Maß an Selbständigkeit erteilte. Es durften lokale Gerichtstage abgehalten und bestimmte lokale Beamte, darunter der Coroner, der sogenannte Aletaster und die Constables, von der Stadt selbst ernannt werden. Seit 1240 war Norwich in vier große Verwaltungseinheiten, die sogenannten Wards eingeteilt, denen ebenfalls lokale Polizeibehörden vorstanden. Diese Wards unterteilten sich wiederum in jeweils drei

Petty Wards. Politik machten in Norwich zwei Gremien, nämlich das sogenannte Common Council, in dem 60 gewählte Bürgerschaftsvertreter saßen, und der Mayor's Court, in dem sich die Aldermen unter dem Vorsitz des Bürgermeisters versammelten. Mitspracherecht für die Beschickung beider Gremien hatten die Freemen der Stadt. Montags, mittwochs und samstags trat die Assembly der Common Councillors zusammen. Hier wurden die Amtsträger in der Stadt nominiert und die allgemeinen Regeln und Anordnungen für die Bürger und Bürgerinnen sowie für die einzelnen Handwerkerorganisationen und andere Berufszweige in der Stadt verhandelt und beschlossen. Darüber hinaus war die Assembly verantwortlich für Notstandsmaßnahmen etwa bei Ausbruch der Pest, bei Brand- und Naturkatastrophen und bei der Sicherung der Lebensmittelversorgung in der Stadt. Dienstags und donnerstags tagte der Mayor's Court, der sich hauptsächlich mit der Durchsetzung der öffentlichen Ruhe und Ordnung beschäftigte. Allerdings nahm man es in Norwich mit der Abgrenzung der Kompetenzen nicht sonderlich genau, sondern entschied die anstehenden Fragen durch das gerade tagende Gremium. Die Beschreibung eines unbekannten Zeitgenossen gegen Ende des 17. Jahrhunderts faßt die politische Situation der Stadt treffend zusammen: The Govemment of the City consists of 24 Aldermen, out of wh ich is yearly chosen on the first of May and swom the Tuesday before St lohn the Baptist ( if it happens not to fall on a Wednesday ) a Mayor who is a lustice of the Peace and quorum during the year of his Mayoralty and after a lustice of the Peace during his life. It also hath two Sheriffs chosen the last day in August and swom on Michaelmas Day. The Mayor and Aldermen keep Court twice in the week to hear complaints and order such things a concem the peace and weil goveming of the city on Wednesday and Saturday, The Sheriffs also keep Court on Wednesdays and Fridays to try actions of debts and tresspass between man and man, they have also Assistant to them two leamed Lawyers in Commission of the Peace and quorum whereof one is Recorder and the other Steward. The Recorder assisteth the Court of the Mayor and Aldermen and the Steward in the Sheriffs Court is a Chief Judge, although the Sheriffs and Steward are called into the Mayor's Court as often as occasion serveth. The Corpo-

C. Norwich

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ration consisteth of the Mayor, Sheriffs and Aldermen with the Commonalty which are of the number of 60 chosen out of the Commons to be of the Assembly with the Mayor to consult and enact, pass and determine anything wh ich concems the state of the city. The stated days of the Assembly are four, St Matthew, St Matthias, May 3'd and the day before swearing of the new Mayor. and they are summoned by the Mayor to meet at other times and upon any emergent occasion. 8

Diese Unterteilung der städtischen Gewalt in ein einflußreiches "Oberhaus" und ein weniger einflußreiches "Unterhaus" war typisch für die administrative Organisation einer ganzen Reihe frühneuzeitlicher englischer Städte ( beispielsweise Bristol, York und Exeter). Beide Gremien haben in Norwich ausführliche Unterlagen hinterlassen. Die Books 0/ the Proceedings 0/ the Mayor's Court und die Books 0/ the Proceedings 0/ the Municipal Assembly umspannen jeweils die Jahre des gewählten Untersuchungszeitraums. 9 Das 16. Jahrhundert und die Anfänge des 17. Jahrhunderts bis in die 1620er Jahre waren für die Norwicher Bürger eine Phase relativer Ruhe und politischer Stabilität. Eine dramatische Ausnahme bildete allerdings "KeU's Rebellion" im Juli und August 1549, die die Stadt schlagartig ins Rampenlicht nationaler Politik katapultierte. Die Geschichte des Aufstandes ist in anderem Zusammenhang bereits oft genug erzählt worden lO • Zu dem Zeitpunkt der Niederländereinwanderung hatten sich die Wogen der Ereignisse wieder geglättet. Was die wirtschaftliche Situation der Stadt am Vorabend der Niederländereinwanderung angeht, so vermittelt Thomas Sotherton, Bürgermeister von Norwich im Jahre 1564 in einem Brief an die englische Königin einen eher trüben Eindruck by reason that the comodities of woorsted makyinge is greately decayed, by the whiche manye cittyzens bothe marchauntes and artizans that befor that tyme hadd ( of the geyne thereof) their whoale Iyvinges, and greate nombre of poore of the cyttye were sette on worke by spinninge, weavinge, dyenge, callendringe and shearinge theseyde chlothes which nowe were owte of estimation and vente, that the makers and woorkers therof in all the exercises aforeseyde were fayne to geve themsel8 William Hudson, lohn C. Tingey (Hg.), The Records of the City of Norwich, 2 Bände, Norwich, 1910, Bd.l, S.CXXIX-CXXX. Vergleiche außerdem zur Stadtverwaltung Pound, Tudor and Stuart Norwich, Kap.6. 9

NRO, 16/d.

Siehe beispielsweise Anthony Fleteher, Tudor Rebellions, 3. Auflage London 1983, S.54-68; Paul Slack, Rebellion, Popular Protest and the Social Order in Early Modem England, Cambridge 1984. \0

C. Norwich

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ves to other exercises and trades to maynteyne their families wh ich was nothinge so proffytable, wherebye people became poore, manye lefte ther howses and dweIte in the countrye, that howses decayed for lacke of fearmes, and that they were letten at small prises, and the citye Iyke to decaye yf prudente polici did not assyste the same."

Dieses düstere Bild einer durch den Rückgang der bis zu Beginn des 16. Jahrhundert dominierenden Kammgarnindustrie betroffenen Stadt wurde durch die umfassenden Studien zur Sozial- und Handelsstruktur in Norwich von John F. Pound allerdings etwas abgeschwächt. Pound weist in seinen Arbeiten besonders auf die Bedeutung der Stadt als regionales Handels- und Kulturzentrum hin. Aus den Aufnahmelisten für Lehrlinge und zur Zulassung als Freemen von Norwich, die Pound für das 16. Jahrhundert durchgesehen hat, ergibt sich für ihn eine wachsende Nachfrage nach Berufen, die der Luxusgüterindustrie zuarbeiten. Während beispielsweise in den Jahren 1501-25 31 Lebensmittelhändler als Freemen zugelassen wurden, waren es 25 Jahre später bereits 53. Zwischen 1551 und 1575 wurden sogar 121 Grocers als Freemen registriert. Einen ähnlichen Boom erlebten die Schneider. 7 von 10 Freemen waren in Gewerben beschäftigt, die nichts mit der Textilherstellung zu tun haUen. 12 Von diesen war der distributive Sektor sowohl der größte als auch der gewinnbringendste, gefolgt von Gewerben der Lebensmittelherstellung, in denen mehr als 12% aller Freemen der Stadt arbeiteten. Hierbei waren die Metzger, Bäcker und Fischhändler führend vertreten. 1523 waren mehr als 85% aller höher besteuerten Bürger in diesen Branchen tätig.'3 Was die religionspolitische Situation in der Stadt angeht, so war Norwich bereits in vorreformatorischer Zeit als Zentrum religiöser Bewegungen bekannt. Die Kirche St. Julian beherbergt den Schrein der gleichnamigen Heiligen, die hier im 14. Jahrhundert in einer kleinen Anchoritengemeinde ihren Visionen in den "Revelation of Divine Love" Ausdruck verlieh. In der Mitte des 15. Jahrhunderts hatte sich im Stadtzentrum eine kleine Frauengemeinschaft, ähnlich den Beginen auf dem Kontinent, gebildet - ein in England einzigartiges Phäno-

11

Hudsonffingey (Hg.), The Records of the City of Norwich, Bd.2, S.332.

12 Pound, Tudor and Stuart Norwich, S.56-57, vergl. auch: ders., "The Social and Trade Structure ofNorwich 1525-1675", in: Past & Present 34,1966, S.49-69.

13

Pound, Tudor and Stuart Norwich, S .51.

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men, das möglicherweise von den im 13. Jahrhundert ins Land geholten Flamen initiiert worden war. 14 Den Kirchenreformen Heinrichs VIII. scheint die Mehrzahl der Norwicher Bürger eher aufgeschlossen gegenüber gestanden zu haben. 15 Daneben galt Norwich auch als Zentrum für unorthodoxes Gedankengut. Thomas Bilney wurde 1531 in der Stadt verhaftet und unweit der Stadtmauern hingerichtet. Robert Browne und seine separatistischen Anhänger lebten hier, bevor ein Teil von ihnen 1581 nach Middelburg und später nach Neuengland auswanderte. Möglicherweise spielt auch die geographische und personelle Nähe zur Universität von Cambridge eine Rolle. ( so war bespielsweise der Master des Gonville und Caius Colleges seit 1464 gleichzeitig Rektor der Pfarrei St. Michael Coslany. ) Die Pfarre St. Andrews gehörte zu den wenigen, denen das Privileg zustand, über die Besetzung ihrer Predigerstellen entscheiden zu dürfen, da ihnen selbst das Zehnteneinkommen zufiel. Für 20 Jahre, bis zu seinem Tod 1593 wurde St. Andrews dominiert von einem der wortgewaltigsten und populärsten Prediger seiner Zeit: John More, der auch den Beinamen "the apostle of Norwich" trug. Seine Nachfolger waren unter anderen der spätere Pastor der Pilgrim Fathers John Robinson und der Suffolker Prediger und Schreiber Nicholas Bownd. 16 Als Erzbischof Parker 1574 Verordnungen herausgab, die puritanische Prediger verfolgen und bestrafen sollte, wurde er inoffiziell von Königin Elisabeth instruiert, in Norwich zu beginnen. Solche Bemühungen wurden allerdings von der Stadtverwaltung, die den Nonkonformisten eher freundlich gegenüberstanden, heftig bekämpft. Muriel McClendon hat vor allem seit den 1560er Jahren eine deutliche Hinwendung zum Protestantismus unter den Norwicher Ratsmitgliedern festgestellt. 17 Insgesamt zeichnet sich die Politik der Stadtverwaltung 14 E1aine Sheppard, "The Refonnation and the Citizens of Norwich", Norfo1k Archaeo1ogy 38, 1983, S.44-58.

15 Eine Untersuchung von 556 Testamenten, die in den Jahren 1530-1559 verfaßt wurden, ergab, daß die Mehrzahl der Norwicher Bürger die neuen religiösen Vorstellungen aufgenommen hatte. Siehe Anmerkung 14. 16 Patrick Collinson, The Religion of Protestants. The Church in English Society, 1559-1625, Oxford 1982, S.141-145.

17 Muriel McClendon, The Quiet Refonnation: Norwich Magistrates and the Coming of Protestantism, 1520-1575, Stanford University, unveröffentlichte Dissertation, 1990, S.270-27l. Teilweise war diese Kursverschiebung auf Neubesetzungen des Court of Aldelmen zurückzuführen. Allein 1556 waren zehn Ratsherren an einer Grippeepidemie gestorben. Alle zehn waren Katholiken gewesen, die nun von protestantisch orientierten Ratsherren ersetzt wurden.

C. Norwich

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während der religionspolitischen Kurswechsel in den Regierungsjahren Heinrichs VIII., Edwards VI., Mary Tudors und Elisabeths I. durch eine ausgesprochen tolerante Vorgehensweise gegenüber den jeweils Andersdenkenden aus. Man verzichtete darauf, Dissenters allzu hartnäckig zu verfolgen und betrieb eine Politik der Verzögerung und Verschleppung von anhängigen Fällen. 18 Ein Motiv hierfür war auch, soweit wie möglich Einmischungen "von oben", also vom Privy Council und dem Erzbischof von Canterbury als oberster Kircheninstanz des Landes, zu vermeiden. Alles in allem kann man, zumindest was den Aspekt gegenseitiger religiöser Toleranz betrifft, von einer friedlichen Koexistenz nonkonformistischer Gruppen in der Stadt bis etwa 1620 sprechen. 19

18

Siehe McClendon, The Quiet Reformation, S.276f.

19

Evans, Seventeenth Century Norwich, S.84.

D. "Strangers within the Gates" Das Norwicher Ansiedlungsexperiment Im Zentrum des folgenden Kapitels steht die formative Phase der Niederländeransiedlung in Norwich. Läßt sich in den ersten Jahren der Immigration eine bestimmte Einwanderungsgruppe identifizieren, die Rilckschlüsse auf die religiösen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten der Neuansiedler zuläßt? Die einzelnen Schritte, die zur Ansiedlung der ersten Fremden in Norwich unternommen wurden, sind bereits von William J.e. Moens in seiner umfangreichen Monographie zur Norwicher Wallonengemeinde dargestellt worden. I Hierbei wurde das Bild eines mehr oder weniger reibungslosen, den Bedürfnissen der Gastgesellschaft und der glaubenseifrigen Exulanten angepaßten Einwanderungsprozesses entworfen. Diese optimistische DarsteIlung bedarf aIlerdings einiger Korrekturen und Ergänzungen. Die Initiative, ausländische Facharbeiter in der Stadt anzusiedeln, ging von der Norwicher Stadtverwaltung unter dem Bürgermeister Thomas Sotherton aus. Die Idee war recht ungewöhnlich, aber ebenso ungewöhnlich war die Lage der Stadt Norwich in den I 560er Jahren. Auf die Krise, in der sich die Textilbranche zu diesem Zeitpunkt befand, ist bereits hingewiesen worden. Bis in die Mitte der 1560er Jahre waren auf dem örtlichen Arbeitsmarkt die Gewerbezweige der Textilherstellung und -weiterverarbeitung dominierend. Für einen Großteil der in ihnen Beschäftigten bedeutete der Niedergang des Marktes eine ernsthafte Bedrohung ihres Lebensunterhalts. Trotz der von Pound überzeugend herausgestellten neuen Rolle der Stadt als Lieferantin von Luxusgütern für die im Umland lebenden Kleinadeligen, macht auch er auf die große Anzahl verarmter Bürger und Bürgerinnen in der Stadt aufmerksam. 2 In den Jahren 1564 und 1565 verschärfte sich die Krise durch einen ungewöhnlich harten Winter I

Siehe dazu Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.l, Kap.3.

2 Siehe vor allem John F. Pound, The Norwich Census of the Poor 1570, Norwich 1971 (Norfolk Record Society Bd.40).

44

D. "Strangers within the Gates"

und eine darauffolgende Mißernte, welche einen Teil der Bevölkerung an den Rand des Hungertodes brachte. Eine Einladung an die Fremden, in Norwich zu leben, wurde als Maßnahme der Stadtregierung verstanden, die niedergehende Industrie wiederzubeleben und dadurch den Lebensunterhalt für die beschäftigungs- und mittellosen Einwohner und Einwohnerinnen zu sichern. Zu diesem Zeitpunkt war in Norwich bereits bekannt, daß es königlich sanktionierte Ansiedlungen von niederländischen Textilfacharbeitern in Sandwich und in London gab, die dort erfolgreich ihrem Handwerk nachgingen und so zu einem wirtschaftlichen Aufschwung der von ihnen bewohnten Wirtsstädte beitrugen. Mit Hilfe des Herzogs von Norfolk wurde Königin Elisabeth um eine Ansiedlungserlaubnis für Exulanten in Norwich gebeten. Tatsächlich fand dieser Vorschlag, nicht zuletzt wegen des Unmuts der spanischen Gesandten in London, die die englische Gastfreundschaft als Affront gegen die habsburgische Politik verstanden,3 bei der Königin ein offenes Ohr. Um gute Beziehungen mit den Spaniern zu bewahren, erschien die Anfrage aus Norwich als willkommene Gelegenheit, die Anwesenheit der widerständischen spanischen Untertanen in England weniger augenfallig zu machen, indem einige von ihnen kurzerhand mit ihren Familien nach East Anglia umgesiedelt werden sollten. Das Patent, das am 5. November 1565 in Westminster ausgestellt wurde, erlaubte den Norwicher Stadtvätern die Aufnahme von "Therty Douchemen of the Lowe Countrys of Flaunders Alyens borne ( not denizens ) & being alle householders or master workemen", ihren Mitarbeitern und Familien mit einer Gesamtzahl von 300 Personen. Daß diese Idee nicht von allen Norwicher Bürgern und Bürgerinnen mit Zustimmung aufgenommen wurde, macht ein Eintrag im Dutch and Walloon Strangers' Book deutlich. Hierin waren die Vorstellungen und Pläne des Bürgermeisters und seiner Ratskollegen, die daraufhin angeordnete Petition an die Königin und das Patent ausführlich dokumentiert worden. 4 Folgt man dem Chronisten, so scheint die Norwicher Bürgerversammlung sich geweigert zu haben, die Ansiedlungserlaubnis durch Besiegelung zu ratifizieren. Ohne deren Zustimmung wurden dann offenbar vom Mayor's Court die Erlaubnisschreiben für die Exulanten ausgestellt. Die ökonomischen Aktivitäten der Immigranten wurden im Patent genauestens festgelegt. 5 Darüber hinaus waren sie von anderen wirtschaftlichen Bestimmungen und Regeln wie etwa der für die Engländer geltenden siebenjährigen Lehrzeit freigestellt. J Kervijn de LettenhovelGilliodts van Severen (Hg.), Relations Politiques, Bd.2, S.188f, 616f; Bd.3, S.16. 4

NRO, 17/d, Dutch and Walloon Strangers' Book (im folgenden: DWSB), foI.l6-18.

5

DWSB, fol.16v, 17. Siehe dazu ausführlich Kapitel I der vorliegenden Arbeit.

D. "Strangers within the Gates"

45

Wie aus dem Dutch and Walloon Strangers' Book hervorgeht, handelte es sich bei den 30 Handwerksmeistern, die nach Norwich kommen sollten, um 24 Flamen und sechs Wallonen. 6 Ihre Namen sind zum Teil ausdrücklich im Patent erwähnt. Auf die Auswahl der Neuankömmlinge scheinen die Norwicher selbst keinen Einfluß gehabt zu haben. Es ist auch nichts darüber bekannt, ob und wenn ja, nach welchen Kriterien die Königin und ihre Ratgeber die 30 Meister ausgewählt haben. Moens weist in diesem Zusammenhang auf den Einfluß Jan Utenhoves hin, der zur dieser Zeit Prediger in der Londoner Niederländergemeinde war und der offenbar gute Beziehungen zum Hof unterhielt. Er soll die Mitglieder der Sandwicher Gemeinde, aus denen sich ein Teil der Norwicher Neuansiedler und -ansiedlerinnen rekrutierte, zu einem Umzug nach Norfolk überedet haben. 7 Welche Motive wiederum trieben diese 30 Meister mit ihren Familien und Mitarbeitern in das von den anderen zu diesem Zeitpunkt in England existierenden Exulantengemeinden relativ weit entfernte Norfolk? Um gemeinsame Erfahrungen oder Vorstellungen dieser Gruppe herauszufinden, ist versucht worden, ihre individuelle Geschichte so genau wie möglich zu rekonstruieren. Die Mehrheit der 30 Neuankömmlinge in Norwich hatte bereits seit einiger Zeit in England gelebt. 17 von ihnen konnten bislang genauer identifiziert werden. Davon waren 12 seit über zwei Jahren auf der Insel ansässig gewesen. Zehn von ihnen hatten in Sandwich oder in London gelebt, bevor sie nach East Anglia kamen. Sie konnten in verschiedenen Sandwicher Steuerlisten, die für die Jahre 1563, 1570, 1571 und 1572 vorhanden sind, und in anderen Dokumenten zur Sandwicher Stadtgeschichte wiedergefunden werden. 8 So war beispielsweise George van Ixem, ein Wollkämmer aus Brabant, 1561 zunächst nach London, von da aus nach Sandwich gezogen, wo er als Master Baize-maker registriert fi Johannes Powelle, Wylliam Steune, Henry Clercke, Peter van Brughen und Barthollomewe Jansson sind im Patent wörtlich erwähnt. Die Namen der anderen 25 Handwerksmeister sind im Dutch and Walloon Stranger.v' Book zusammengestellt worden. Hierbei handelt es sich um George van Exham, John Carrett, Peter Janson, John de Rhode, John Mychelles, Christian Vrinde, Gilberde Vijscheers, John Bruninge, George Vramboute, Romaine Debecre, Frauncis Trion, Frauncis Mysedome, John Looten, Adrian van Dorte. Pascall Clarebote, Thomas Bateman, Jherom Pottelberghe, Fraunces Dedecre, Mychel Desanytte, John Goose und Lewis Spillbote. Die Namen der 6 wallonischen Exulanten sind Robert Goddarte, Ipolite Barbe, John Carsye, Noe le Turcke, John Duminie und Pieter Waells.

7

Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.l, S.18.

8 Es existiert eine vollständige Liste der männlichen Fremden, die 1571 in der Stadt lebten, und eine unvollständige Liste für das Jahr 1574. Eine detaillierte Diskussion der demographischen Quellen, die über die Exulanten in Sandwich erhalten sind, lieferte Backhouse, The Aemish and Walloon Communities at Sandwich, Kap.!, S.23-60.

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D. "Strangers within the Gates"

wurde. John de Rhode, verließ 1561 Flandern und ist 1563 und 1571 in den Sandwicher Steuerlisten aufgeführt. Er scheint demnach nicht lange in Norwich gelebt zu haben und zwischen 1565 und 1571 nach Kent zurückgekehrt zu sein. In Norwicher Quellen ist nichts über ihn erhalten. Bei sechs Männern aus der identifizierten Gruppe lassen sich protestantische Aktivitäten in Flandern nachweisen. Pieter Wae\s und George Vramboute waren hier besonders aufgefallen. Waels, ein Bauer aus Houtkerke, war bereits 1561 aus Flandern verbannt worden. Vramboute, ein Wollkämmer aus St JansCappel, der in Steenvoorde gelebt hatte, war dort 1559/60 als Prediger aktiv geworden und mußte 1561 nach England fliehen, wo er als Mitglied der Londoner Flüchtlingskirche registriert ist. Er wurde 1562 offiziell aus Flandern verbannt und tauchte 1563 auf einer Sandwicher Steuerliste mit seiner Frau und einem Sohn auf. Wie er seinen Lebensunterhalt in England verdiente, ist nicht klar erwiesen. In der Steuerliste gibt er als Beruf Magister an. Möglicherweise arbeitete er in Sandwich als Erzieher oder Lehrer. Auch Pascall alias Paschier Clarebote, ein Wollkämmer aus Winnezeele in Flandern, war mehrfach zu Geldbußen wegen sektiererischer Aktivitäten in Flandern verurteilt worden ( 1558 und 1566). 1561 hatte er das Land verlassen und sich der Londoner Flüchtlingskirche angeschlossen. 1563 finden wir ihn auf einer Steuerliste von Sandwich. Verglichen mit diesen erfahrenen Reisenden waren Francois Trion, Robert Goddarde und Peter Fremin erst seit kurzer Zeit in England. Sie waren 1564 auf der Insel angekommen. Ausgesprochene Neulinge waren WyJliam Steune alias Steene und Noe le Turcke, die als Einreisedatum das Jahr 1565 angaben. Aus diesem Überblick entsteht der Eindruck, daß wir es bei einem größeren Teil der Neuankömmlinge in Norwich mit Leuten zu tun haben, die bereits ihre Erfahrungen mit dem Leben in England gemacht hatten. Ein großer Teil hatte sowohl das Leben in der Hauptstadt als auch in der bedeutend kleineren englischen Hafenstadt Sandwich kennengelernt. Aus den Listen wird allerdings Weder klar, was die Gruppe außer dieser Erfahrung in der Fremde verband, noch lassen sich Motive erkennen, warum gerade diese 30 Exulanten nach Norwich kamen. Es wurden unterschiedliche Herkunftsorte, Familienzusammenhänge und Berufe angegeben. Neben Wollkämmern und Webern findet man auch Kaufleute und Mediziner.

D. ,,strangers within the Gates"

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Auskunft kann hier möglicherweise ein Schriftstück geben, das im Kent Archives Office in Maidstone aufbewahrt wird. 9 Hierbei handelt es sich um eine eidesstattliche Aussage, die am 27. Januar 1571 vor dem damaligen Bürgermeister Thomas Parker und verschiedenen anderen städtischen Persönlichkeiten festgehalten wurde. Sieben Mitglieder der Sandwicher Niederländergemeinde waren vorgeladen worden, um über einen Vorfall Auskunft zu geben, der sich etwa fünf Jahre früher in ihrer Gemeinde abgespielt hatte. Mathew Johnson alias Janss, ein Silberschmied in Sandwich und Mitglied der Exulantengemeinde, machte Aussagen über die Unruhen, die 1565/66 wegen der zur gleichen Zeit auf dem Kontinent stattfindenden bilderstürmerischen Aktivitäten unter seinen Mitbrüdern und -schwestern ausgebrochen waren. Nach Janss' Aussagen war die Gemeinde über die Frage in Streit geraten, ob man die Kirchenverwüstungen in Flandern unterstützen oder als Gewaltakte gegen anerkannte Autoritäten verurteilen sollte. Hierbei hatte sich ein William Stone besonders lautstark für eine Unterstützung der Unruhen ausgesprochen. Er hatte sich zudem mit einem John Pawle aus Nieuwpoort in Verbindung gesetzt, der nach Janss' Aussagen durch einen Brief an Stone die Auseinandersetzungen noch verschärft hatte. Einer Vorladung vor das Konsistorium in Sandwich kam Pawle zwar nach, verließ aber bereits während der Verhandlungen die Stadt. William Stone versuchte weiterhin, die Gemeinde zu einer Unterstützung des Aufstandes in den Niederlanden zu bewegen, sah sich aber hierin einer Mehrheit des Konsistoriums gegenüber, die gegen die gewalttätigen Auseinandersetzungen stimmte. Daraufhin entschloß sich Stone offenbar dazu, mit seinen Anhängern die Stadt zu verlassen. Wer mit ihm aus Sandwich auswanderte, ist nicht festgehalten. Weitere Aussagen von George Keyke während derselben Anhörung legen die Vermutung nahe, daß Pawle und Stone einen Kreis Gleichgesinnter um sich geschart hatten und daß sich in deren Reihen vermutlich diejenigen befanden, die letztendlich einen Umzug nach Norwich in Angriff genommen haben. Sowohl der Name William Stone ( hier in seiner ursprünglichen niederländischen Form Steene) als auch der Name John Powelles, hinter dem man Pawle vermuten kann, werden im Patent namentlich erwähnt. 10 Aus den Anfangen der Geschichte der Norwicher Gemeinde ist außerdem bekannt, daß sich eine Partei um einen John Paulus bildete, die hier ebenfalls für Unruhe sorgte. Auch hier handelt es sich wahrscheinlich um den bereits bekannten John Pawle alias Powelles. Insgesamt ergibt sich hieraus das Bild einer eher radikal 9

Maidstone, Kent Archives Office, Sa/Ac5, fo1.69.

DWSB, fol.17. Zu Steene und Pauwels alias Pawle vergleiche auch Oecavele, Oe Dageraad van de Refonnatie, S.433, 544, 572. 10

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eingestellten Gruppe von Exulanten, die versuchten, ihre Vorstellungen von religiöser und politischer Freiheit durch aktive Unterstützung des niederländischen Aufstandes zu verwirklichen. Sicherlich waren die Sandwicher Stadtväter und das Konsistorium der dortigen Fremdengemeinde froh, sich von den Unruhestiftern in ihren Reihen durch deren Umzug nach Norwich trennen zu können. Ob die Auseinandersetzungen, die sich in Sandwich abgespielt hatten, der Norwicher Magistratur bekannt waren, ist nicht erwiesen. Ob wiederum die 30 Neuankömmlinge ihre Vorstellungen in Norwich verwirklichen konnten, hing eng mit dem Aufbau einer Exulantengemeinde in der Stadt zusammen und ist Gegenstand des folgenden Kapitels. Die im Patent festgelegte Anzahl von 30 Exulantenfamilien wurde schon recht bald überschritten, worüber einige gesicherte Zahlen vorliegen: 1568 wurde auf Geheiß des Erzbischofs von Canterbury eine Zählung aller Fremden in Norwich durchgeführt. Der Bischof von Norwich wurde am 16. Mai angewiesen: to make speciall and particular visitacion and inquisition of euerie parrishe within your dioces ... to cause perfecte regesters to be made to continewe and to be certifiede, and yf ye shall finde eny parsons suspected of the foresaide crimes or otherwise that shall not be conformeable to suche order of religion as is agreable to the lawes of the realme or as is permitted to sutche places speciallie appointed for the resorte of straungers .. to geue aduertisemente to the Quen's[sic] Justices and Ministers of laye power to proceade speadelie to the triaull of the saide crimes. 11 Die daraufhin durchgeführte Visitation hielt Kirchenmitgliedschaft, Herkunftsort, Familienstand und Einreisedatum der Fremden fest. In der niederländischen Gemeinde wurden 314 Familien gezählt sowie 193 unverheiratete junge Männer und Frauen, die älter als 17 Jahre waren. 461 Personen waren unter 17 Jahre alt, 112 davon waren in England geborene Kinder. Hinzu kamen 52 Witwer und Witwen. In der wallonischen Kirche wurden 64 Familien, 19 Witwen, 19 junge Männer und Frauen über 17,95 Jungen und Mädchen unter 17,40 Kinder, die in England geboren waren, neun Diener über 17 und drei Diener unter 17 Jahren gezählt. Der weitaus größte Teil der niederländischen Familien, nämlich 313, gab als Herkunftsort Flandern an, 44 sagten aus, aus Brabant zu stammen, 26 kamen aus Seeland. Jeweils fünf Familien kamen aus Nordbrabant und Holland, zwei Familien waren aus Friesland, eine Familie aus der Picardie. Ein Mann gab als Herkunftsort England an und Anna Gomerspach, eine Witwe,

11

Zitiert nach Moens. The Walloons and their Church at Norwich, Bd.l, S.25.

D. ,,Strangers within the Gates"

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kam aus Köln nach Norwich. Der Großteil der Neuankömmlinge gab als Einreisedatum 1567 an. 54 Familien waren ab 1566 in Norwich, davon gehörten 14 zu den ursprünglich per Patent Zugelassenen. 23 machten keine Angaben zu ihrem Herkunfsort. Auch bei den Wallonen überwogen diejenigen Exulanten, die aus Flandern kamen. Hier wurden 23 Haushaltsvorstände gezählt. 22 Personen gaben an, aus Lilie zu stammen, fünf waren aus Ostflandern, acht aus Artois, sechs aus dem Hennegau, fünf aus Armentiers, zwei aus Brabant. Eine Familie stammte aus Cambrai, zwei aus Antwerpen, eine aus Lothringen, zwei aus Utrecht, zwei aus Lüttich, vier aus Valenciennes, zwei aus Namur, eine aus St. Pol. Ein Befragter gab allgemein Frankreich als Herkunftsort an, neun Personen machten keine Angaben. Der weitaus größte Teil von ihnen, nämlich 60 Haushaltsvorstände, war ebenfalls im Verlauf des letzten Jahres nach England gereist. 18 Haushalte gaben an, bis zu zwei Jahren im Lande gewesen zu sein. Insgesamt wurden 1568 1.132 flämische und 339 wa110nische Flüchtlinge gezählt. Ihre Anzahl erhöhte sich in den darauffolgenden Jahren. 1569 waren 2.825 Flüchtlinge in der Stadt, 1571 wurden 3.900 gezählt, 1582 waren es schon 4.678, was zu diesem Zeitpunkt etwa ein Drittel der Gesamteinwohnerzahl von Norwich ausmachte. 12 Möglicherweise war die Anzahl der Fremden zwischen 1571 und 1582 allerdings noch höher - Fell schätzt bis zu 6.000 Immigranten -, die durch die Pestwellen in diesem Zeitraum heftig dezimiert wurden. Allein dem Ausbruch von 1578/79 fielen 2.482 Fremde zum Opfer. 13 An den wöchentlich angeordneten Aufstellungen über die Toten der Stadt, die durch einen städtischen Beamten durchgeführt wurden, kann man ablesen, daß die Todesrate der Fremden etwa doppelt so hoch lag wie bei den Einheimischen. Diese hohe Sterberate konnte durch verstärkte Einwanderung wieder aufgefangen werden. 14 Ab dem 17. Jahrhundert nahm die Zahl der Neueinwanderer allerdings wieder ab. Aus den noch vorhandenen Tauflisten läßt sich für 1620 noch eine Anzahl von schätzungsweise 4.000 Niederländern ablesen. 15 1650 sind ungefahr 1.500 Fremde in den beiden Gemeinden registriert. 16

12

Zahlen nach Fell, The Spatiallmpact, S.6.

1)

Ebd.

14 Zum Zusammenhang zwischen den Pestwellen in der Stadt und der Niederländereinwanderung vergleiche Kapitel G der vorliegenden Arbeit.

4 EBer

D. ,,strangers within the Gates"

50

Art und Umfang der Neuzuwanderungen sind für den Zeitraum von 1605 bis 1615 im Book 0/ the Norwich Dutch Church der Politijcke Mannen auf den letzten 13 Seiten dokumentiert. 17 Dort werden die Namen der Neuankömmlinge, ihr Herkunftsort, ihr Beruf, sowie zwei Bürgen aus der Norwicher Gemeinde benannt, die über ihre Rechtschaffenheit Auskunft geben konnten. Die Eintragungen sind recht sporadisch und nicht immer vollständig. So meldeten sich 1605 zwischen dem 23. April und dem 29. Juli sieben Männer zum Teil mit ihren Familien, die um Aufnahme in der Stadt baten. Am 23. April stand Jasper Boudewijn mit seiner Frau und sechs Kindern vor dem Gremium versouchende consent om hier te woonen, belovende hem eerlicke te dragen ghelijck een christen betaemt & is op dese conditie toeghelaeten met syn huysvrauwe & kinderen. IR Am 8. Mai bat Samuel Cores, ein Junggeselle von 19 Jahren aus Leiden um Aufnahme. Bürge für ihn war Abraham Verkin. Am selben Tag wurden auch Henricus Costenobel aus Steenvoorde, Mahien te Brunnen mit seiner Familie, Joos van Lesvelt sowie Jacob Hendrickson aus Harderwijk in die Gemeinde aufgenommen. 1607 baten Jacob de Mol aus Westerbork, Dirick Soots und Joos Bool mit seiner Familie aus Verspoe um Aufnahme. 1607 verzeichnet das Buch lediglich drei Neuzugänge, nämlich Jan Buen aus Sandwich, Guilliamus Maynaert und Charel Dierics, für deren Aufnahme sich Remens von Rokeghems einsetzte. 1608 waren neun Männer daran interessiert, in Norwich Wohnrecht zu erhalten. Für 1609 liegen keine Angaben vor. Unter den vier Personen, die 1610 um Aufnahme baten, war erstmals eine alleinreisende Frau, Janneken Ghereits, Jonghe Dochter. Mit Jan Wecsteen, Edward Boy und Frederick de Cerf kamen in diesem Jahr Verwandte von bereits in Norwich ansässigen Familien in die Stadt. 19 15 Männer baten 1611 um Aufnahme, 1612 waren es vier, 1613 neun, 1614 fünf und 1615 sieben Personen. Auffallend ist, daß es sich in jedem Fall nur um alleinreisende Personen handelte, von denen ein Großteil 15 Ein Taufregister der wallonischen Gemeinde vom 22. Juni 1595 bis zum 21. Juni 1752 wird im Public Record Office aufbewahrt (RG4/4649), ein Taufregister der flämischen Gemeinde von 1598 bis 1619 liegt im Britischen Museum (Add.Ms.43/861). 16 Zahlen nach Fell, The Spatiallmpact, S.7. Siehe auch Keith 1. Allison, "The Norfolk Worsted Industry in the 16th and 17th Centuries", Yorkshire Bulletin ofEconomic and Social Research 13, 1961, S.61-77, hier S.62.

17

BM, Add.MS 48,862, Book of the Norwich Dutch Church 1605-1615, foI.l70-183.

IR

Book of the Norwich Dutch Church, 1605-1615, fo1.l73.

19

Zur Familie Wecsteen vergleiche Oecavele, Oe Dageraad, S.545.

D. ,,strangers within the Gates"

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wohl noch recht jung und ungebunden war. Möglicherweise kamen sie in die Stadt, um ein Handwerk zu lernen. Familienverbände kamen nur noch vereinzelt an, nach 1607 überhaupt nicht mehr. Im Gegensatz zum königlichen Patent, das mit der Nennung der 30 Handwerksmeister und der von ihnen auszuübenden Berufe in der Stadt das Bild einer homogenen Ansiedlergruppe suggeriert, macht bereits die Zählung der Fremden drei Jahre später die Unterschiedlichkeit der Neuankömmlinge deutlich. Sowohl die verschiedenen Herkunftsorte der Exulanten als auch die unterschiedlichen Reiserouten, die die Niederländer teilweise auf Umwegen über London und Sandwich nach Norwich führten, weisen auf die Heterogenität der Fremdengemeinden. Neben religiös Radikalen, die hier ihre Vorstellungen eines gottgefälligen Lebens verwirklichen wollten, kamen Handwerkerfamilien mit dem Wunsch nach der Verbesserung ihres Lebensstandards in die Stadt. Gegen Endes des Jahrhundert nahm das Interesse, in Norwich zu siedeln, stark ab. Gründe hierfür liegen hauptsächlich in der wachsenden Prosperität und Attraktivität der jungen niederländischen Republik.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen In diesem Kapitel soll die Kirchenorganisation der Norwicher Exulantengemeinden vorgestellt werden. Hierbei wird zunächst eine Chronologie der Ereignisse entworfen, da, wie herauszuarbeiten sein wird, der Gemeindeaufbau der Niederländer stark von Aktionen und Reaktionen in der Gastgesellschaft abhängig war. Nach der Darstellung und Interpretation der Gründungsphase wird in einem zweiten Teil systematisch auf die einzelnen Ämter, ihre Funktionen und ihre Aufgaben innerhalb der Fremdengemeinden eingegangen werden. Schließlich sol1 die Formation von nationalen Zusammenschlüssen der Exulantenkirchen in England, ihre Verbindungen zu den reformierten Kirchen des Heimatlandes und die Rol1e der Norwicher Gemeinden in diesem Zusammenhang erörtert werden. Ein Schwerpunkt wird hierbei auf der Untersuchung der größeren und für die Entwicklung der Fremdenkirchen einflußreicheren flämischen Gemeinde liegen.

I. Entstehung und Organisation Für die Refugianten, die - nach eigenen Angaben - um des Glaubens Willen ihre Heimat verlassen hatten, mußte der Aufbau einer reformierten Gemeinde im Exil wichtigstes Prinzip einer geordneten Neuansiedlung sein. Diese richtete sich in den Fremdengemeinden auf der Insel nach dem Londoner Vorbild. Die Thronbesteigung Edwards VI. eröffnete der reformatorisch orientierten englischen Geistlichkeit die Möglichkeit, ihren Überzeugungen stärkeren Ausdruck zu geben, als ihnen das unter den erstarrten Reformen Heinrichs VIII. möglich gewesen war. Die Regierung von Edwards Onkel, dem Herzog von Somerset, bezog sehr bald pro-reformatorische Positionen. Vor allem der Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer, suchte durch Kontakte mit Reformatoren vom europäischen Festland Anschluß an die protestantischen Bewegungen in Nord- und Mitte!europa. Zwischen 1547 und 1549 waren Peter Martyr, Bernardino Ochino, Francis Dryander, Martin Bucer und Paul Fagius in Lambeth Palace zu Gast. 1548 lud Cranmer den Polen Johannes a Lasco nach England ein. Diese Begegnung erwies sich als äußerst produktiv für den Aufbau einer

I. Entstehung und Organisation

53

Fremdenkirche in England. a Lasco hatte sich bereits seit 1540 offiziell zum Protestantismus bekannt und war für mehrere Jahre Superintendent der reformierten Gemeinde in Emden gewesen, die er durch seine theologischen und kirchenorganisatorischen Vorstellungen in entscheidender Weise prägte. In London trat er sehr bald in Verhandlungen mit dem König und seinen Beratern, um für die ständig steigende Anzahl protestantischer Flüchtlinge eine offizielle rechtliche und religiöse Absicherung in der englischen Hauptstadt zu erwirken. Im Juni 1550 erhielt die Flüchtlingsgemeinde in London eine königliche Charter, die ihr freie Religionsausübung und einen ihren Vorstellungen entsprechenden Gemeindeautbau garantierte. Mit der Formulierung "corpus corporatum et politicum" wurde hier eine Rechtsbasis geschaffen, die den Exulanten weitgehende politische und religiöse Autonomie zugestand.' An der Spitze der Kirche, die Vorbildcharakter für die von Edward VI. und seinen geistlichen Beratern geplanten Reformen der englischen Kirche haben soHte, stand als Superintendent Johannes a Lasco selbst, dem zudem von der englischen Regierung das beträchtliche Jahresgehalt von flOO gezahlt wurde. Der Gemeinde wurde die seit 1538 leerstehende Kirche der Augustinermönche, Austin Friars, in der Londoner City als Gotteshaus überlassen, wo ihre Prediger die Sakramente spenden und ihrem Glauben entsprechend das Wort Gottes verkünden durften. Diese Lösung erwies sich jedoch bald als unpraktisch, da sich die Exulanten bereits unmittelbar nach ihrem Eintreffen in der englischen Hauptstadt in eine flämischsprachige und eine französischsprachige Gemeinde mit eigenen Gottesdiensten und eigenen Predigern aufgeteilt hatten. Rechtlich wurde die kleinere wallonische Gemeinde ebenfalls von a Lasco vertreten, so daß in der Korrespondenz mit der englischen Regierung nur von einer "stranger church" die Rede ist. Austin Friars erwies sich recht bald als zu klein, um beide Gemeinden mit ihren separaten religiösen Zusammenkünften zu beherbergen. Für die Bedürfnisse der wallonischen Kirche wurde deshalb am 16. Oktober desselben Jahres das leerstehende Antoniushospital in der Threadneedle Street in unmittelbarer Nachbarschaft zur Augustinerabtei gemietet. Der organisatorische Autbau beider Kirchen orientierte sich an der Disziplin der seine Gedanken christlicher Gemeindeführung in verschiedenen Schriften, vor allem aber in der 1555 in Frankfurt veröffentlichten "Forma ac Ratio tota ecclesiastici Ministerii in peregrinorum, potissimum vero Germanorum Ecclesia, instituta in Londini in Anglia ... etc." zusammengestellt

a Lascos,

I Der lateinische Text und eine modeme niederländische Übersetzung sind abgedruckt in Lindeboom, Austin Friars, Appendix I, 8.193-198.

54

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

hatte. 2 Hierbei verarbeitete er sowohl Elemente des Züricher Modells von Zwingli und Bullinger als auch die Vorstellungen Martin Bucers aus Straßburg und seine eigenen Erfahrungen in Emden. 3 Das Schwergewicht seiner Tätigkeit lag in der Gründungsphase der Londoner Gemeinde auf organisatorischen Fragen der Kirchenordnung, was auch a Lascos intellektuellen Neigungen und Fähigkeiten entsprach. Auf diesem Gebiet leistete er nicht nur eine gelungene, den Umständen der Gastgesellschaft angepaßte Synthese der vorliegenden Modelle, sondern experimentierte auch mit Mut und Originalität vor allem auf dem Feld laizistischer Mitarbeit und Mitbestimmung. Auf weniger festem Boden bewegte er sich in theologischen Fragen. Hier ließ er sich vermutlich stärker von den Vorstellungen seines Mitarbeiters und ersten Predigers der Londoner Gemeinde Marten Micron leiten. Diese Phase religiöser Freiheit fand mit dem Tod Edwards VI. und der Thronbesteigung Mary Tudors ein jähes Ende. Die Londoner Exulanten mußten das Land verlassen, der Reformprozess innerhalb der englischen Kirche wurde durch die "von oben" verordnete Rückkehr zum Katholizismus zumindest für die Regierungszeit Mary Tudors unterbrochen. Anschluß an die Tendenzen dieser ersten Flüchtlingsgemeinden, die Laienpartizipation zu fördern, wurde nach dem Regierungsantritt Elisabeths I. drei Jahre später nur mit Einschränkungen gefunden. Schon während der ersten Regierungsmonate der jungen Königin waren reformierte Exulanten aus ihren Fluchtorten auf dem Kontinent nach London zurückgekehrt. Im März 1559 hatte sich die Emdener Gemeinde bereit erklärt, zwei ihrer führenden Mitglieder, Anthonius van Asshe und Jean Dumas in die englische Hauptstadt zu schicken, um dort mit der Regierung über die Erneuerung der Charter Edwards VI. zu verhandeln. Das Ergebnis dieser Verhandlungen brachte zwar eine rechtliche Anerkennung und Absicherung für die neugegründete flämische und wallonische Fremdengemeinde, erlaubte den Exulanten allerdings nicht mehr die Freiheiten eines "corpus corporaturn et politicum" und setzte an die Spitze der Exulantenkirchen in der Person des Bischofs von London einen englischen Würdenträger, der letzte Entscheidungsgewalt in allen die Gemeindeführung betreffenden Fragen haue. 4 Den Freihei2

A. Kuyper (Hg.), Johannes a Lasco Opera, Bd.2, Amsterdam 1866, S.I-238.

Vergleiche dazu Pettegree, Foreign Protestant Communities, S.68-71. Pettegree weist darauf hin, daß a Lasco seine Disziplin bewußt so gestaltete, daß sie in ihrer Auslegung auch Raum für Variationen ließ, wie sie in den Londoner Gemeinden vor allem in der Bedeutung und Ausübung der Prophetie auftraten. 3

4 Über die Verhandlungen am englischen Hof vergl. den Brief van Asshes an den Emdener Kirchenrat vom 11. Juni 1559, abgedr. in Auguste A. van Schelven, Oe Nederlandse Vluchtelingenkerken, S.344-345.

I. Entstehung und Organisation

55

ten, die die erste Gemeinde als Vorbild für die Entwicklung eines englischen Protestantismus genossen hatte, waren nun durch den gemäßigteren, kompromißbereiteren Kurs, den Elisabeth in Fragen der Kirchenpolitik einschlug, Grenzen gesetzt. Von einer "Model Church" war nicht mehr die Rede. Trotz dieser Einschränkungen bewahrte sich die Londoner Kirche ihre kongregationale Selbstbestimmung und genoß mit den mittlerweile etablierten Laieninstitutionen der Ältesten und der Diakone größere kirchenrechtliche Freiheiten als etwa die Anhänger der puritanischen Bewegungen in England. 5 Mehr noch als a Lascos "Forma ac ratio" wurde deren niederländische Version "De Christelicke Ordinancien der Nederlandtscher Ghemeinten te London" von Marten Micron zum Vorbild gottgefälliger Gemeindeführung in den Exulantenkirchen. Die "Ordinancien" waren 1554 in Emden gedruckt worden und galten bis 1609 als Kirchenordnung für die flämischen Gemeinden in England. Getragen sind sie von einem Geist religiösen Optimismus' und Enthusiasmus', während der,nachfolgende "Corpus Disciplinae" stärker am praktisch Machbaren orientiert war. Microns Vorstellungen einer christlichen Gemeinde sind durchdrungen von dem Grundgedanken der Patizipation aller Gläubigen an den Gemeindenführung und von dem Glauben an persönliche spirituelle Erfahrungen des einzelnen Kirchenmitglieds. Einen Niederschlag fanden diese Ideen vor allem in den Wahlmodalitäten der kirchlichen Würdenträger, in die alle ordentlichen und rechtschaffenden Gemeindemitglieder eingebunden waren. Die Gemeinde schlug jedes Jahr selbständig die Kandidaten vor und stimmte nach einem Fast- und Bettag über sie ab. Die Kandidaten, die die Mehrheit der Stimmen erhalten hatten, wurden dann noch einmal im Konsistorium diskutiert, bevor eine endgültige Wahl stattfand. Gerade in diesem vergleichsweise demokratischen Vorgehen wird der Einfluß Martin Bucers deutlich. Anders als in den "Ecclesiastical Ordinances" von 1541, die die Grundlage der Genfer Ausrichtung bildeten, gab es für Micron keine vier, sondern nur zwei notwendige kirchliche Ämter: das der Ältesten und das der Diakone. Zu den Ältesten zählten für ihn auch die Prediger, deren Aufgabe, zusammen mit den Laienältesten in der Aufrechterhaltung christlicher Gemeindeführung und der Durchsetzung der Disziplin bestand. Sie unterschieden sich nur dadurch, daß den Predigern das Recht und die Pflicht zu predigen und die Kommunion auszuteilen zukam, waren aber davon abgesehen "ganschelick een".6 Auch das Amt des Superin5 Vergleiche dazu Patrick Collinson, Archbishop Grindal. The Struggle for a Reforrned Church 1519-1583. London 1979, besonders S.129.

~ Wilhelm F. Dankbaar (Hg.), Marlen Micronius. Christe\icke Ordinancien der Nederlantscher Ghemeinten te London 1554, s'Gravenhage 1956, S.4I-44.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

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tendenten sollte von einem der Ältesten übernommen werden, dessen Hauptaufgabe darin bestand, in der Gemeinde für Ordnung und Eintracht zu sorgen. 7 Die Diakone waren für die Versorgung der Gemeindearmen zuständig. Sie waren verantwortlich für die Kollekte und das Austeilen der Spenden an die Bedürftigen. 8 Mit der Einrichtung der wöchentlich abzuhaltenden "Prophetie" wird einmal mehr die Anlehnung an das Züricher Modell deutlich. Jeden Donnerstag sollten Fragen, die Gemeindemitglieder bei der Auslegung der Heiligen Schrift hatten, von den Predigern erläutert und geklärt werden. 9 Festgelegt wurden außerdem Regeln zur religiösen Unterweisung, auf die von der Gemeindeführung sehr großer Wert gelegt wurde. Gelehrt werden sollte der sogenannte kleine Katechismus oder die "kinder-leere" für Kinder ab fünf Jahren, die zweimal pro Jahr im Katechismusdienst abgefragt werden sollte, und der große Katechismus, in dem Kinder vom elften bis zum vierzehnten Lebensjahr jeden Sonntag unterwiesen wurden. JO In den Kapiteln 14 bis 18 beschäftigte sich Micron mit der Vorbereitung und Durchführung der Abendmahlsfeier, die alle zwei Monate in der Gemeinde abgehalten werden sollte. Jedes Gemeindemitglied mußte seine oder ihre Teilnahme an der Feier zwei Wochen vorher bei den Ältesten ankündigen. Er oder sie mußte sich bemühen, bis zu dem festgesetzten Termin alle Auseinandersetzungen und Schwierigkeiten mit seinen oder ihren Mitbrüdern und -schwestern auszuräumen und seine oder ihre eigenen Handlungen und Haltungen kritisch nach Rechtschaffenheit und Gottesfürchtigkeit hinterfragen. Vor der erstmaligen Teilnahme am Abendmahl mußte der Kandidat oder die Kandidatin einen Katalog von 41 Glaubensfragen beantworten, die ihm oder ihr von den Ältesten vorgelegt wurden. In den Kapiteln 19 bis 26 wurden Fragen der Disziplin und der Kirchenzucht geklärt. Hierbei wurden eine Reihe von Disziplinarmaßnahmen entworfen, die bei Fehlverhalten der Gemeindemitglieder angewendet werden konnten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen reichten von der Ermahnung der "gefallenen" Mitglieder durch ihre Mitbrüder und -schwestern über mehrmalige öffentliche oder private Anhörungen vor dem Konsistorium bis hin zur Exkommunikation, die öffentlich von den Ältesten ausgesprochen werden konnte. Weitere ausführliche Kapitel beschäftigen sich mit den Modalitäten der Taufe, der Trauung und der Beerdigung von 7

Ebd., S.44-45.

R Ebd., 9

S.45-46.

Ebd., S.68-71.

10

Ebd .• S.41-42.

I. Entstehung und Organisation

57

Gemeindemitgliedern und mit Fragen der Überwachung der Prediger, deren vorbildliche christliche Lebensführung vierteljährlich durch das Konsistorium überprüft werden sollte. Erst im "Corpus Disciplinae" wurde in Fragen der Kirchenführung von Calvins Ordnung der vier Gemeindeämter ausgegangen: man unterschied nun zwischen Predigern, sogenannten Doktoren, Ältesten und Diakonen. Der "Corpus Disciplinae ofte Forme Van Kerckordeninge, getrocken uit alIe de Neerlandsche Nationale Synoden, als oock ut de ColIoquien der Neerlandscher Gemeenten in Engelant, ten dienste van de voorseyde Ghemeenten" wurde am 12. Juli 1609 auf der Synode der niederländischen Kirchen in London verfaßt und einstimmig angenommen. 11 Er berief sich vor allem in Bezug auf die Wahlen und Pflichten der Prediger auf die Entscheidungen der kontinentalen Schwestergemeinden, die auf den nationalen Synoden in Emden ( 1571 ), Dordrecht ( 1578 ) und Middelburg ( \581 ) sowie auf den KolIoquien der Exulantenkirchen in London 1575 und 1576 gefalIt worden waren. Die hier festgelegten Anordnungen tragen deutliche Spuren einer im Vergleich zu Microns Betonung der individuelIen Spiritualität "säkularisierten" Gemeindeordnung. Während sich in der Wahl der Kirchenführer bei Micron die Gnade Gottes durch einen Fast- und Bettag offenbarte, verlangte der "Corpus" von den zur Wahl stehenden Kandidaten für das Ältestenamt "nur noch" festen Glauben und untadeligen Lebenswande1. 12 Die freie Wahl der Amtsträger wurde radikal eingeschränkt. Das Konsistorium übernahm nun, unterstützt von den Diakonen, die Nominierung und Wahl des Kirchenpersonals. An die Stelle der regelmäßigen Wahl trat eine lebenslange Amtsperiode für die Ältesten und Diakone. 13 Besonders deutlich wird diese Tendenz zu stärkerer Institutionalisierung in der Forderung, daß Prediger sich vor Amtsantritt mit einem Zeugnis entweder ihrer Gemeinde oder einer Universität über ihre Qualifikationen ausweisen mußten. 14 Der Forderung nach einer stärkeren theologischen Fundierung der Gemeindearbeit entspricht auch die Einrichtung des Amtes der Doktoren. Hier heißt es im "Corpus":

11 1.1. van Toorenenbergen (Hg.), Acten Van De Colloquia Der Nederlandsche Gemeenten in Engeland, 1575-1609, Utrecht 1872 (Mamix Society Series 2, T.\), S.135-152. 12

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S. \38-139.

IJ

Ebd .. S.139-140.

14

Ebd., S.135-136.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

58

De kercken sullen doen te besorghen datter in de universiteyt bequame Doctoren in Theologie moghen sijn, ende inde bijsondere Gemeinte godvruchtige ende bequame Schoolmeesters. 15 Sowohl von den Niederländern selbst als auch von der englischen kirchlichen und weltlichen Obrigkeit scheint die Kirchendisziplin in London nicht nur als beispielhaft sondern auch als rechtsgültig für die religiöse und weltliche Ordnung der anderen Fremdenkirchen auf der Insel angesehen worden zu sein. Dies gilt auch für die Norwicher Gemeinden. Ein Dekret des Erzbischof von Canterbury vom 26. September 1571, das verfaßt wurde, um Auseinandersetzungen innerhalb der flämischen Gemeinde zu schlichten, beruft sich ausdrücklich auf das Londoner Vorbild. Hier heißt es in Bezug auf die Wahl vorgänge für die Kirchendiener: And that the persons elected, do [Wort unlesbar] * contynue * in suche sorte as was used in the dayes of Kynge Edwarde, by the prescription of Master Alasco, and was practized at the fyrste. 16 Die Anordnungen sowohl der "Ordinancien" als auch des "Corpus Disciplinae" erfuhren allerdings in den Norwicher Fremdengemeinden ihre spezielle, den Umständen der Gastgesellschaft angepaßte Ausformulierung. Anders als es beispielsweise das Patent für Sandwich vorsah, das die Ansiedlung in der Stadt nur den Mitgliedern "belonginge to the Church of strangers" erlaubte,17 waren im Freibrief für die Norwicher Niederländeransiedlung keine Angaben über eine notwendige Kirchenzugehörigkeit der 30 Handwerksmeister, ihrer Mitarbeiter und ihrer Familien gemacht worden. Daß die Norwicher Stadtväter dennoch sehr daran interessiert waren, sich die Kirchenorganisation der Neuankömmlinge zunutze zu machen, wird durch einen Eintrag im bereits erwähnten Dutch and Wal/oon Strangers' Book deutlich. Hier heißt es unter den "Artic\es agreed upon at the Strangers fyrst cominge hether",18 einer Zusammenstellung von Anordnungen, die offenbar mit Zustimmung der Exulanten 1568 von der Magistratur formuliert worden war, unter Artikel 2, daß sich jeder Neuankömmling dem Bürgermeister und zwei eigens mit Fremden1~ Ebd., S.138. 16

NRO I7/d DWSB, fol.47v.

11 Richard Tawney, Eileen Powers (Hg.), Tudor Economic Documents, 3 Bände, London 1924, Bd.l, S.297. 18

NRO 17/d, DWSB, fol.l8v.

I. Entstehung und Organisation

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angelegenheiten beauftragten Aldermen vorzustellen und ihnen ein Zertifikat der Ältesten seiner oder ihrer Gemeinde vorzulegen hatte, worin ihm oder ihr Rechtschaffenheit und ein untadeliger Lebenswandel attestiert wurden. Es ist charakteristisch für die Belange der Stadtverwaltung, die ja auch die Abfassung des Dutch and Walloon Strangers' Book in Auftrag gegeben hatte,19 daß hier in der Hauptsache Angelegenheiten festgehalten wurden, die das Zusammenleben der Fremden mit der englischen Gastgesellschaft regelten. Daß die Refugiantenkirchen die soziale Absicherung der Fremden garantierte, wurde hier praktisch umgesetzt und für die Belange der Norwicher ebenso nutzbar gemacht wie die ökonomischen Vorteile, die man sich von der Niederländeransiedlung erhoffte. 2o Ähnlich wie in London wurden den flämischen und den wallonischen Exulanten in der Stadt jeweils eigene Gebäude für ihre Gottesdienste und religiösen Zusammenkünfte übergeben. Die Flamen wurden in der New Hall oder Blackfriars Hall, dem Chor des ehemaligen Dominikanerklosters, untergebracht. Den Wallonen wurde zunächst die bischöfliche Kapelle zur Verfügung gestellt, ab 1637 mußten sie nach Auseinandersetzungen mit dem Bischof der Stadt in die Kirche St. Mary the Less umziehen, die ihnen vorher als Tuchhalle zugewiesen worden war. 21 Wie in London, so wurde auch die kleinere wallonische Gemeinde in Norwich rechtlich zunächst von der größeren flämischen Schwestergemeinde vertreten. Bis 1589 folgten die Wallonen der niederländischen Disziplin. 22 In der Korrespondenz der Norwicher Stadtverwaltung waren demgemäß auch hauptsächlich die Vertreter der niederländischen Gemeinde die Ansprechpartner des Bürgermeisters und seiner Ratskollegen. Wie der Prozeß der Gemeindeformation aus der Sicht der Exulanten abgelaufen ist, ist nicht zu rekonstruieren, da weder Konsistoriumsakten noch andere 19 Für eine genauere Analyse von Absicht, Ursprung und Zusammenstellung des Dokuments vergleiche Rickwood, The Norwich Book of Orders for Strangers. 20 Bezeichnenderweise wurden in den erwähnten Artikeln neben den Forderungen nach sozialer Konformität, die sich beispielsweise in der Erhebung des auch von den englischen Mitbürgern in gleicher Höhe erhobenen Kirchengeldes und des sogenannten Wachgeldes (Artikel 4 und 5) äußert, Regeln zum wirtschaftlichen Verhalten der Fremden aufgestellt.

21

DWSB, fol.l8.

22 Siehe dazu Adrian C. Chamier (Hg.), Les Actes des Colloques des Eglises Franr;:aises et des Synodes des Eglises Estrangeres refugiees en Angleterre, 1581-1654, Lymington 1890 (Publications of the Huguenot Society of London Bd.2).

60

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

Dokumente, die von den Neuankömmlingen in der Stadt in diesem Zusammenhang verfaßt wurden, aus der Gründungsphase der Gemeinden überliefert sind. Hier ist man auf die Dokumentation von städtischer Seite angewiesen. Tatsächlich wurden bereits kurze Zeit nach der Ansiedlung der Fremden unter dem Bürgermeister Thomas Whalle und seinem Nachfolger Thomas Parker 1568 weitere Gesetze erlassen, die das Zusammenleben der Exulanten untereinander und mit den Engländern regelten. Anscheinend war es während der Amtszeit Whalles zu Klagen englischer Handwerker gegen die Fremden gekommen, denen der Bürgermeister, der offenbar gegen den Zuzug der Fremden gewesen war, nur allzu bereitwillig ein offenes Ohr lieh. Im Dutch and Walloon Strangers' Book wurde festgehalten, Whalle habe versucht, während seiner Amtszeit die Fremden aus der Stadt zu entfernen. Da er mit dieser Forderung bei seinen Ratskollegen auf Widerstand stieß, mußte er sich damit begnügen, lediglich keine weiteren Neuzugänge zu akzeptieren. Dennoch stieg die Anzahl der Exulanten bis 1568 erheblich an, was im Dutch and Walloon Strangers' Book wiederum als ein Grund für weitere Klagen der Einheimischen interpretiert wird. 23 Als Reaktion auf diese Beschwerden richtete Whalle ein Gremium ein, das sich aus acht flämischen und vier wallonischen Gemeindemitgliedern zusammensetzte und dessen Aufgabe darin bestand, Streitigkeiten unter den Fremden und mit den Engländern zu schlichten. Im Dutch and Wal/oon Strangers' Book wurde ihre Aufgabe folgendermaßen formuliert: Item that owte of your whoale companye, ye shalle electe & name to the maior for the tyme beinge, eight parsons for the Dutche congregation, and fower for the Wallownes, that shalbe govemoures to the whoale companye: and shalle take upon them the chardge and answeringe, for suche as shalbe fownde remysse and nec\ygente in parfourminge the articles afore ( for Straungers ) specifyed, or anye artic\e or order hereafter thought meete and necessary to be kepte and observe. 24 Mit den "eight and four" sollte eine Institution geschaffen werden, die als Bindeglied zwischen den städtischen Autoritäten und der Gemeinde fungierte. Ihre Vertreter sollten jährlich gewählt werden und mußten dem amtierenden Bürgermeister innerhalb von sieben Tagen nach seinem Amtsantritt vorgestellt werden. Wiederum schlossen sich an diese Verordnungen Bestimmungen über die ökonomischen Aktivitäten der Fremden in der Stadt.

23

DWSB, fol.l8v.

24

DWSB, fol.l9v.

I. Entstehung und Organisation

61

Die Anordnungen wurden im darauffolgenden Jahr im Zusammenhang mit der gegen die Fremden gerichteten Verschwörung von John Throckmorton und seinen Anhängern noch einmal formuliert und am 30. November 1570 erneut bestätigt. Angelegenheiten, die religiöse Fragen betrafen, "and also alle other petye quarrelIes temporalle, which shall chaunce to arise [emonges] emonges themselves" wurden den Predigern der Exulantengemeinden unterstellt. 25 Die letzte Entscheidungsgewalt blieb, wie in London, dem Bischof von Norwich als dem Superintendenten der Fremdenkirchen vorbehalten. Mit der Präsentation von 24 Artikeln, die nach Angaben des Durch and Wallooll Strangers' Book den Exulantengemeinden am 7. Mai 1570 vom Konsistorium zur Abstimmung vorgeschlagen worden waren,26 liegen uns erstmals, wenn auch in Transkription und Übersetzung durch die englische Stadtverwaltung, eigene Vorstellungen der Exulanten über den Aufbau ihrer Gemeinde in der Stadt vor. Am 24. Februar 1569 waren Vertreter der niederländischen Kirche, nämlich die "mynysters of the Duche churche" in Übereinkunft mit den Diakonen und "men of commincacion" zusammengekommen und hatten Bestimmungen ausgearbeitet, die das friedliche Miteinander der Gemeindemitglieder regeln sollten. 27 Oberstes Gebot für die Kirche war das Wort Gottes mit dem Ziel, Ruhe und Ordnung in den eigenen Reihen aufrecht zu erhalten, wie es im ersten Artikel heißt. In offensichtlicher Anspielung auf religiösen Dispute und Uneinigkeiten in wesentlichen Fragen gottgefälliger Gemeindeführung sollte hier nicht in erster Linie das Vorbild anderer Kirchen sondern die Heilige Schrift als Maßstab für Entscheidungen innerhalb der Gemeinde dienen. 28 Deutlich wird in diesem Zusammenhang das Entgegenkommen an die Engländer, deren Anliegen bei der Zulassung von Exulantengemeinden ja auch ein Eindämmen ungeordneter sektiererischer und hier vor allem anabaptistischer Aktivitäten in England gewesen war. 29 25

DWSB, fol.23v.

26

DWSB, fo1.41.

27

DWSB, fol.39.

28

Hier wurde offenbar auf die Schwierigkeiten innerhalb der Londoner Gemeinde angespielt.

29 Zu den Befürchtungen des Pr;vy CO/Illeil, zugleich mit den Fremden auch Sektierern - hier wurde vor allem an Anabaptisten gedacht - ein Unterkommen in England zu verschaffen, vergl. einen Brief von seinen Vertretern an das Konsistorium der Londoner Flamengemeinde vom

62

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

Bibellesungen und Exegese sollten, wie es in den "Ordinancien" vorgeschlagen worden war, alle acht oder 14 Tage jeweils an einem Dienstag um zwei Uhr durchgeführt werden. Allerdings behielt sich das Konsistorium ein Zensurrecht über das vor, was verbreitet werden durfte. Für die Führung der Gemeinde sollten jährlich Älteste gewählt werden. Details über den Wahlvorgang wurden genau festgelegt: zu den Kandidaten des Vorjahres wurden von denselben nochmals 24 weitere Personen vorgeschlagen. Aus diesen 36 Kandidaten sollten von der Gemeinde auf Mehrheitsbasis die 12 Ältesten gewählt werden. Den Gemeindemitgliedern wurde zudem die Freiheit eingeräumt, nach besten Gewissen eigene Kandidaten vorzuschlagen. 3o Die Aufgaben der Ältesten wurden in Artikel fünf genauer festgehalten: hier heißt es, möglicherweise wiederum in Anlehnung an Auseinandersetzungen in den Niederländergemeinden, sie sollten "unyte and stylle alle stryfe and contencion, avoyde alle uncomelynes, have a regarde to the fawltes of the congregation".31 Die Ältesten wurden angehalten, zu kontrollieren, ob ihre Gemeindemitglieder sich gottesfürchtig benahmen und ob sie an den Predigten und Gottesdiensten teilnahmen. Sie sollten die Kranken der Gemeinde betreuen und bei Fehlverhalten ihrer Mitbrüder und -schwestern eingreifen. Vor der Predigt sollten sie an Sonntagen die zehn Gebote und die Bibel öffentlich lesen. Man scheint hier stark an einer Kontinuität der Amtsträger interessiert gewesen zu sein. In Artikel 6 wurde festgelegt, daß, wer nach seinem Amtsjahr ausscheiden wollte, darüber öffentlich in der Gemeinde Bericht erstatten mußte. Das zweite wichtige Amt in der Gemeindeführung war das der Diakone. Diese sollten ebenfalls jährlich in einem ähnlichen Wahlvorgang wie bei der Ältestenwahl bestimmt werden: zu den bereits amtierenden Diakonen sollten Prediger, Älteste und die Amtierenden 24 weitere bestellen. Aus den insgesamt 36 Kandidaten sollte dann die Gemeinde 12 wählen. Wie in den "Ordinancien" vorgeschlagen, war ihre Aufgabe die Versorgung der Gemeindearmen. Sie waren zuständig für die Sammlung und Verteilung der Almosen, unterstanden 22. Oktober 1573, in dem die Kirche angehalten wird, auf die Konformität der eigenen Mitglieder zu achten. Am 7 .6. 1575 erließ eine vom Privy COUIlCi! zusammengestellte Kommission ein Rundschreiben an die Fremdenkirchen. in dem ihre Mitglieder aufgefordert wurden, einen theologischen "Acht-Punkte-Plan" zu unterschreiben. Dieser richtete sich hauptsächlich gegen die religiösen Vorstellungen der Anabaptisten. Folgt man den Eintragungen des DWSB, so stimmten die Norwicher Exulanten dem Programm widerspruchslos zu. Siehe DWSB, foI.8Iv-82. Über die Reaktion der Sandwicher Gemeinde vergl. Backhouse, The Flemish and Walloon Communities, Bd.l, S.DO. 30

DWSB, fol.39v.

3\

DWSB, fol.39v.

I. Entstehung und Organisation

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hier allerdings der Aufsicht der Prediger. Sie mußten über ihre Tätigkeit vor dem Konsistorium in regelmäßigen Abständen Bericht erstatten. Auch in diesem Amt scheint man um Kontinuität der Amtsträger bemüht gewesen zu sein. Wollten Diakone von ihren Pflichten entbunden werden, mußten sie darüber, ebenso wie die Ältesten, Rechenschaft ablegen. Die Gemeinde bestimmte, ob sie die Gründe für einen Rücktritt anerkannten. Mit diesem offensichtlichen Interesse der Gemeindeführung an langen Amtszeiten der Verantwortlichen ging man in Norwich schon sehr früh von den Grundgedanken der "Christelicke Ordinancien" ab und orientierte sich stärker an den später im "Corpus" formulierten pragmatischen Vorstellungen. In Artikel 12 wurden die Aufgaben der Politijcke Mannen, also der acht flämischen und vier waIlonischen Gemeindevertreter, die für Ruhe und Ordnung innerhalb der Gemeinden und mit den Engländern zuständig waren, noch einmal genau festgelegt. Hier ist die Gemeinde in Norwich weder den "Ordinancien", in denen das Amt nicht erwähnt wird, noch dem Beispiel einer anderen Fremdenkirche gefolgt. Politijcke Mannen sind zu diesem Zeitpunkt in keiner der anderen bestehenden Gemeinden bekannt. In Anlehnung an die Verordnungen der vorangegangenen Jahre wurden die Artikel 12 bis 15 formuliert. Wiederum wurde der Wahlvorgang für das Gremium ähnlich festgelegt, wie für Älteste and Diakone. Die Politijcke Mannen waren verantwortlich to mayntayne the ordenaunces appartayninge to the draperye and cangeauntrye. And all those politicalle matters whiche shalle come before them shalbe united uprightely by them. 32 Artikel 14 legte fest, That the seyde eight men, wherar they know, or are geven to understaunde, of any fighters, dronckardes, whooremongers, streetwalkers by nighte, contencious or rebellious parsons, whether they be of the Congregacion or no, they shalle cawse them to be ponnyshed accordinge to their faulte, that alle evel maye be rooted owte amongste us, Iyke as they ae thereunto ordeyned by the mayestrates. 33 Sie hatten also eine Art Polizeifunktion zu erfüllen, die sich sowohl auf Kirchenmitglieder als auch auf Nichtmitglieder erstreckte. Auch sie mußten ihr Ausscheiden aus dem Amt öffentlich begründen. 32

DWSB, fo1.40.

33

DWSB, fol.40.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

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Ein weiteres Amt, dessen Aufgaben in den 24 Artikeln festgelegt wurde, war das des Overseers "Iyke as it is used in a\le reformed churches and cityes.,,34 In Konsultation mit den Ältesten und den Politijcke Mannen wurden aus 12 Kandidaten vier Amtsträger gewählt. Ihre Aufgabe bestand in der Versorgung der Witwen und Waisen der Gemeinde. Zu deren finanzieller Unterstützung wurde von jedem Kirchenmitglied eine vierteljährliche Spende erwartet, für deren Ko\lekte die Overseers verantwortlich waren. Kirchenmitglieder mußten vierteljährlich Rechenschaft über ihre Spendenfreudigkeit ablegen. Es wurden zwar keine Strafen für ein Nichtbezahlen festgesetzt, das entsprechende Mitglied mußte a\lerdings mit gese\lschaftlichen Sanktionen rechnen. Artikel J 8 bis 24 regelten genauer den Ablauf eines geordneten Gemeindelebens: Personen, die wiederholt gegen die Gemeindeordnung verstießen, sollten ausgeschlossen werden, wenn sie sich auch nach einer Anhörung hartnäckig weigerten, den hier aufgestellten Regeln zu gehorchen. Zur Überwachung des Gemeindefriedens wurden von den Ältesten und Predigern für jedes Viertel Aufseher eingesetzt. Vierteljährlich sollte das Abendmahl gefeiert werden. Ein gewünschter Kircheneintritt sollte 14 Tage vorher von der Kanzel verkündet werden, so daß den Gemeindemitgliedern genügend Zeit blieb, über den Kandidaten oder die Kandidatin Auskunft einzuholen und über seine oder ihre Mitgliedschaft zu beraten. Auch Ehen mußten aus denselben Gründen vorher von der Kanzel verkündet werden. Die Wahl der Gemeindegremien hatte in geheimer Abstimmung "by bi\l" zu erfolgen. Die Gesetze der Kirchenorganisation sollten nicht verändert werden, außer mit Zustimmung der Kongregation. Viermal im Jahr mußten die Artikel vorgelesen werden. Die Mitglieder sollten dann darüber abstimmen, ob sie diese Gesetze noch für gut und gültig hielten. 35 Aus diesen im Dutch and Walloon Strangers' Book in englischer Abschrift vorliegenden Artikeln wurde möglicherweise eine lateinische Fassung der Norwicher Kirchendisziplin formuliert. Die in der Gonville und Caius College Library in Cambridge aufbewahrten "Constitutiones Ecclesiae Belgi-Germanica Norwici est" konnten allerdings bislang weder in Bezug auf ihren Verfasser noch auf das Entstehungsdatum genauer identifiziert werden. 36 Aus einer Bemerkung über die Amtszeit des Norwicher Bürgermeisters John Aldrich wird

34

DWSB, fol.40v.

35

DWSB, fo1.40-41.

36

Gonville & Caius MS 389/689. fo1.61-81.

I. Entstehung und Organisation

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allerdings deutlich, daß sie nicht vor 1570 verfaßt worden sein können. 37 Der Text gliedert sich in neun Haupt- und 18 Unterabschnitte, in denen die Kirchenämter, die Sakramente und die Kirchendisziplin vorgestellt werden. Hierbei ging man offenbar nach der in den "Ordinancien" vorgeschlagenen Reihenfolge vor. Allerdings scheinen sich die "Constitutiones" bereits stärker an Calvins Auslegung der Kirchenämter zu orientieren als an den "Ordinancien". Bereits in der Einleitung werden ausdrücklich die vier kirchlichen Ämter der Prediger, der Doktoren, der Ältesten und der Diakone erwähnt. In den Ausführungen werden dann neben den Ämtern der Ältesten und der Diakone auch die Aufgaben und die Wahl der Prediger diskutiert. Hinzu kommt die Erwähnung der "Octumviris", der Politijcke Mannen, und ihrer Aufgaben. Diese decken sich mit denen, die in den Artikel im Dutch and Wal/oon Strangers' Book formuliert worden waren. Die neuen Verordnungen von 1571 stießen zumindest bei einem Teil der Gemeinde auf heftige Kritik. Im Durch and Wal/oon Strangers' Book wird von Unruhe unter den Exulanten nach der offiziellen Anerkennung der Artikel durch die Norwicher Stadtväter berichtet. 38 Unter Führung der Ältesten Johannes Paulus alias Pawle, dem bereits bei der Ansiedlung der ersten Exulanten in der Stadt als Unruhestifter aufgefallenen Radikalen,39 und Peter Obrijs, eines Mitglieds der Politijcke Mannen, versammelte sich am 13. Juni 1570 eine Gruppe von 22 Gegnern der Artikel vor dem Mayor's Court. Ihre Argumente, die sie dem Bürgermeister und den anwesenden Ratsherren vortrugen, wurden leider nicht festgehalten. Sie scheinen dort jedoch kein Gehör gefunden zu haben, denn die Gruppe wurde vom Magistrat als Unruhestifter kritisiert und aufgefordert, ihren Widerstand einzustellen, ihr Fehlverhalten zu bereuen und sich wieder in die Reihen der Gemeinde einzuordnen. Andernfalls wurde ihnen der Entzug ihrer Ämter, im Falle weiteren Widerstandes der Ausschluß aus der Gemeinde angedroht. Die Norwicher Ratsherren erklärten die 24 Artikel in Übereinkunft mit dem Bischof von Norwich als rechtsgültig und verabschiedeten in diesem Zusammenhang ihrerseits weitere Artikel über die Versorgung der niederländischen Waisenkinder. 40

37

Siehe "Constitutiones", fo1.62.

38

DWSB, fo1.41, 41v.

39

Siehe dazu Kapitel D der vorliegenden Arbeit.

40

DWSB, fol.4lv, 42.

5 EBer

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

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Damit waren allerdings die Auseinandersetzungen innerhalb der Exulantengemeinde nicht beendet. Das Dutch and Walloon Strangers' Book verzeichnet vielmehr im Juni 1571, im unmittelbaren Anschluß an die Schwierigkeiten mit Johannes Paulus folgenden Eintrag: by reason of a newe [contencion] grudge conceyved ernonges the Duche rnynisters, who had gathered unto thern of the congregacon of bot he parties, by reason dyverse of the colledge (in puplyque preachinge) were detected for receyvinge & harbrowenge dyverse ireligiouse persons, which under the [Auslassung] pretence of sauffe conduycte of the Prince of Orange to take his enemies by sea, dyd corne on lande, and becarne robers and spoylers of the cornon wealthe: and in this place wher the Ghospelle is protested, the same people to be fostered, is directlye agaynste the Ghospelle of God, and therfor alle suche supporters to be culpable of their robberies: whiche doctryne was protested by Isibrandus Balke the head rnynister, ageynst whorne stoode up the towched persons, and with thern the other two rnynisters viz: Theophilus Rickaert, and Anthonius Algoode, who inveyinge on the contrary parte agaynst hyrn, with the reste fell to such partes, as the whoale people were on a broyle. 41 Die erwähnten "robers and spoylers of the comon wealthe" waren eine Gruppe von schiffbrüchigen niederländischen Freibeutern unter der Führung von Captain Robert Balliot "Lord Skovena and of Elke by Ypre in F1anders", die sich seit November 1569 in Norwich aufhielten. 42 Offensichtlich kam es unter den Predigern der niederländischen Gemeinden zu einer ähnlichen Kontroverse, wie sie bereits wenige Jahre zuvor in Sandwich stattgefunden hatte. Angesprochen wurde hierbei die Frage, wie man der Gewaltanwendung während des Aufstandes in den Niederlanden begegnen sollte. Diese Frage hatte bereits 1561/62 und noch einmal 1566/67 in London zu heftigen Auseinandersetzungen geführt, wobei sich die Partei der Diakone, die sich für eine bewaffnete Einmischung aussprach, der gemäßigteren Gruppe um die Ältesten und Prediger der Gemeinde, die grundsätzlich gegen Gewaltanwendung waren, gegenübergestellt hatte. Die Position der Gewaltgegner konnte sich in London durchsetzen, was dazu führte, daß einige der Londoner Diakone nach Norwich reisten, wo sie ihre Vorstellungen offenbar besser vertreten fanden. 43

41

DWSB, fo1.42.

42 DWSB, foI.22-22v. Möglicherweise verbirgt sich hinter der Person Robert Balliot der bekannte Seabeggar Robert de Belle oder de Bailleul. Vergleiche hierzu J.c.A. de Meij, Oe watergeuzen en de Nederlanden 1568-1572, Amsterdam 1972.

43

Vergleiche hierzu ausführlich Pettegree, Foreign Protestant Communities, S.248f.

I. Entstehung und Organisation

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Sowohl der Prediger Rickaert alias Theophilus als auch sein Amtskollege Algoet waren aktive Teilnehmer an den Auseinandersetzungen in den Niederlanden in den 1560er Jahren gewesen. Antonius de Zwarte alias Algoet war in die gewalttätigen Auseinandersetzungen während und nach den sogenannten Heckenpredigten, protestantischen Predigten, die heimlich im Freien stattfanden, im flandrischen Westkwartier im Sommer 1566 verwickelt gewesen. CharIes Rickaert alias Theophilus aus Nieuwkerke war im seI ben Jahr als Prediger in dieser Gegend aktiv gewesen. 1567 wurde er offiziell für 50 Jahre aus Flandern verbannt. Folgt man den Eintragungen des Dutch and Wal/oon Strangers' Book, so war offenbar die AlgoetlRickaert-Partei die einflußreichere in der Fremdengemeinde. Eine Anhörung vor dem Mayor's Court am 10. Juli 1571, bei der die streitenden Gruppen vorgeladen wurden, ergab, daß Algoet und Rickaert bereits ein Predigtverbot gegen Balke alias Ba1ckius ausgesprochen hatten, was die Angelegenheit nicht unbedingt erleichterte. Der Bürgermeister seinerseits unterstützte die Ba1ckius-Partei und verurteilte die Aktivitäten seiner Widersacher auf das Schärfste. Die ganze Angelegenheit wurde dem Bischof von Norwich als dem Superintendenten der Gemeinde übergeben. Es ist nicht die Aufgabe dieses Kapitels, die Einzelheiten der Auseinandersetzungen, die einschneidende Folgen für das Verhältnis zwischen den Fremden, der Stadtverwaltung und den offiziellen nationalen Behörden bis hin zum königlichen Hof hatte, zu beschreiben. Hierzu haben sowohl Moens als auch Rickwood umfangreiche Forschungen vorgelegt. 44 Das Endergebnis der Auseinandersetzungen war die Dispensierung aller drei beteiligten Prediger. Zusammen mit ihnen wurde auch der bereits auffällig gewordene Johannes Paulus, alias Pawle, der im Dutch and Walloon Strangers' Book als "aucthor of the trowbles and contencions" bezeichnet wird,45 angewiesen, die Stadt umgehend zu verlassen. Er war offenbar bereits vorher mehrfach dazu aufgefordert worden, hatte jedoch diesen Anweisungen nicht Folge geleistet. Jegliche Unterstützung für ihn und seine Anhänger sollte nun mit einer Geldstrafe von HO geahndet werden. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung wurden vom Bürgermeister unter Zustimmung des Bischof von Norwich elf weitere Artikel zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung innerhalb der Fremdengemeinde erlassen. In diesen Artikeln wird noch einmal das Verlangen nach dem Wohlverhalten der Niederländer betont. Exulanten, die sich in den Augen der Magistratur nicht gehörig 44 Siehe Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.I, S.30-36; Rickwood, The Norwich Dutch and Walloon Strangers' Book, S.79-80. 45

DWSB, fo1.43.

68

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

benahmen, sollten ausdrücklich ausgewiesen werden. Die Ansiedlung ohne Erlaubnisschein der Magistratur wurde verboten. Alle Unruhestifter hatten gemeldet zu werden. Sektiererische Aktivitäten wurden ebenfalls verboten. 46 Die Kontroverse wurde allerdings auch nach dem Eingreifen der Stadtväter fortgeführt. Daraufhin wurden am 27. November 1571 vom Magistrat der Stadt zehn Mitglieder der Exulantengemeinde bestimmt, die sich ausdrücklich um die wirtschaftlichen und religionspolitischen Angelegenheiten ihrer Landsleute kümmern sollten. 47 Da diese Amtsträger bislang von den Fremden selbst nominiert worden waren, was ihnen nach Artikel 12 der bereits erwähnten 24 Artikel auch rechtlich zugesichert worden war, kam es hier erneut zu Schwierigkeiten. Das aus ihrer Sicht unrechtmäßige Vorgehen der Norwicher Magistratur wurde von den Exulanten auf das Schärfste kritisiert. Was folgte, war ein Austausch von Petitionen, Klagen und Beschuldigungen von den sogenannnten vier Governors als den Vertretern der oppositionellen Exulanten einerseits und von den zehn vom Norwicher Bürgermeister bestellten Amtsträgern andererseits, weicher im Durch and Walloon Strangers' Book ausführlich dokumentiert ist. 48 Im Zentrum der hier aufgeworfenen Kontroverse scheint demnach immer noch die Auseinandersetzung zwischen den drei verfeindeten Predigern gestanden zu haben. Die vier Governors Anthonius Passcheson, lacob de Vos, Anthonius Pawells und lohn Gherraerte kritisierten in einem Schreiben an den Bürgermeister die Nominierung ihrer zehn Landsleute als Versöhnungs geste gegenüber Balckius und forderten eine Gemeindeführung gemäß der ihnen in den 24 Artikeln garantierten Privilegien. 49 Die Kandidaten der Magistratur ihrerseits lobten die Rückkehr von Frieden und Ordnung in ihre Gemeinde, die durch die Maßnahmen der Norwicher Stadtväter erreicht worden waren: the tavems were fownde emptye, the dronckards ceassed, the debates and other faccions dyminisshed, and the holye sermons and servis was so muche hawnted and frequented as it was never sene before in suche wyse that yt seemyd as thoughe yt weare a newe worlde ... By the whiche is to be noted, that the sworde and aucthorite of YOUT woorshippe, had in suche shorte tyme more efficacie towarde suche tuppes and scurvie sheepe then the predication of the Ghospelle have done, in fower yeris and more. 50 46

DWSB, fol.47v, 48.

47

DWSB. fol.47v.

48

DWSB, foI.70v-75v.

49

DWSB. fo1.73.

50

DWSB. fol.73v.

I. Entstehung und Organisation

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Allerdings scheinen ihnen die hier getroffenen Maßnahmen noch nicht weit genug gegangen zu sein, um den Unruhestiftern in der Gemeinde Herr zu werden. Im seI ben Schreiben heißt es weiter: Verbannte seien unbehelligt zurückgekehrt und würden nun in der Öffentlichkeit verbreiten, die Stadtväter seien unfähig, ihre eigenen Anordnungen durchzusetzen. Um mit diesen Widerständlern fertig zu werden, wurde die Stadtverwaltung aufgefordert, mit härteren Maßnahmen gegen sie vorzugehen: For even as the sword is geven unto the maiestrats so is it necessarye that ( contynuallye ) yt be putt in execution for to correcte the wicked men, that wille not be instructed by the worde of GodY Diese Forderung, die von einigen der einflußreichsten Gemeindemitglieder unterschrieben worden war,52 muß auch im Zusammenhang mit der Kontroverse um eine aktive Beteiligung an den gewalttätigen Auseinandersetzungen in den Niederlanden interpretiert werden. Zugleich wird eine ablehnende Tendenz zumindest eines Teils der Norwicher Gemeindemitglieder in Bezug auf Widerstand gegen staatliche oder in diesem Fall städtische Autorität deutlich. Hier war man offensichtlich stärker an einem hierarchisch strukturierten Gemeindeleben interessiert. Die ganze Angelegenheit konnte schließlich durch einen Komprorniß, den die Norwicher Stadtväter den streitenden Parteien vorschlugen, beigelegt werden. Ein neues Gremium, das für die Belange der Fremdengemeinden zuständig sein sollte, wurde aus vier Mitgliedern der Magistratspartei und vier Kandidaten der Governors zusammengesteIIt. Am 4. Dezember 1571 wurde das Komitee vor dem Bürgermeister vereidigt. Folgt man den Eintragungen des Dutch and Walloon Strangers' Book, so war damit die Kontroverse in Norwich aus der Welt geschafft. Diskussionen über die Kirchenhierarchie und die damit verbundenen Kompetenzen wurden nicht mehr geführt. Einige der Unruhestifter wurden in den 1570er Jahren respektierte und engagierte Kirchenmitglieder. 53 Zumindestens an der Oberfläche schien nun tatsächlich Ruhe und Ordnung in die Exulantengemeinde eingekehrt zu sein. 51

DWSB, fol.73v.

52 Zu nennen sind hier beispielsweise John Ruyttink. der Schulmeister der Gemeinde, der zu dem Zeitpunkt der Auseinandersetzung als Ältester tätig war. Henric Gheerearts, ein wohlhabender Kaufmann, der in den I580er Jahren mehrfach als PolitiJcke Man aktiv war und Walter de Gruttier, ebenfalls ein wohlhabender Kaufmann, der 1572 das Diakonsamt innehatte. 53 Francis Trion beispielsweise, ein enger Freund William Steenes, amtierte von 1576 bis 1583 als PolitiJcke Man in der Gemeinde.

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E. Die Norwicher Fremdenkirchen

Die hier beschriebene Kontroverse macht zwei für den Aufbau der Gemeinden in Norwich charakteristische Aspekte deutlich: Erstens war die Organisation der Exulantengemeinden ganz stark von äußeren Umständen geprägt. Die Refugianten mußten ihre Vorstellungen von religiösem und gesellschaftlichem Miteinander den Wünschen der Norwicher Stadtverwaltung nach Ruhe und sozialer Selbstversorgung der Fremdenkirchen unterordnen und sich dementsprechend anpassen. Daß sich in der geschilderten Kontroverse innerhalb der flämischen Gemeinde die Partei derjenigen, die sich den Magistratsbeschlüssen unterordneten, durchsetzen konnte, liegt natürlich an der Rückendeckung, die sie von der Stadtverwaltung erfuhr. Querulanten waren wiederholt aus der Gemeinde und damit aus dem Leben in Norwich ausgeschlossen worden. Daß gegen die von der Stadtverwaltung und dem Bischof von Norwich aufgestellten Statuten nicht widersprochen werden konnte und sollte, lag auch zweitens am Charakter der Exulantengemeinde selbst. Zu diesem Zeitpunkt war die religionspolitische Debatte auf dem Kontinent noch stark im Fluß. Fragen der Disziplin und der Stellung zu Dogmen und Riten wurden diskutiert und verschiedene Entwürfe ausprobiert. Wie bereits erwähnt, orientierten sich die Londoner Gemeinde und damit auch ihre Schwestergemeinden in England stärker an Züricher und Straßburger Vorbildern. Das hatte verschiedene Gründe. Einerseits war Johannes a Lasco selbst stark beeinflußt von Zwinglis Vorstellungen eines gottgefälligen Gemeindelebens. Andererseits kam dessen Auffassung von der Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche den Exulanten insofern entgegen, als Rücksicht auf die religionspolitischen Vorstellungen des Gastlandes genommen werden mußte. Entsprechend der Züricher Auffassung waren Fragen der Disziplin und der Ritus "a diaphora", das heißt sie waren nach Zeit und Ortsumständen variabel und nicht, wie in der doktrinäreren calvinistischen Auslegung, einmal für alles festgelegt. Nach Zwinglis Vorstellungen waren geistliche und weltliche Obrigkeit nicht auswechselbar oder gleichwertig, sondern jede der beiden Institutionen hatte seinen Platz in der Verwaltung gottgefälliger Gemeinden. Bestrafung ungehöriger Mitglieder und Überwachung eines gottgefalligen Lebens waren zwar ureigene Aufgaben der Kirche, konnten aber der weltlichen Macht übergeben werden, solange diese nach Gottes Maßgaben regierte. Dieses religiöse Selbstverständnis wurde von der englischen Geistlichkeit, die sich vor allem in Elisabeths ersten Regierungsjahren aus vielen mit dem Protestantismus sympathisierenden Bischöfen zusammensetzte, akzeptiert. 54 Konzessionen an die

I. Entstehung und Organisation

71

religionspolitischen Vorstellungen der Gastgesellschaft wurden darüber hinaus durch die Übernahme des Amtes des Superintendenten gemacht. Das Amt hatte der Bischof von Norwich, also der unmittelbar höchste englische kirchliche Würdenträger der Umgebung, inne. Dieser scheute sich auch nicht, schlichtend und ordnend einzugreifen, und zwar sowohl gegenüber den Engländern als auch gegenüber den Niederländern. Die Disziplin, die am 5. April 1589 von der wallonischen Fremdengemeinde verabschiedet wurde, orientierte sich am Vorbild der Londoner wallonischen Kirchenordnung von 1556 und deren spezieller Ausformulierung durch den Londoner Prediger Nicholas des Gallars. Die von des Gallars formulierte "Forme de police ecclesiastique" war im Großen und Ganzen eine gekürzte Version von a Lascos "Forma ac Ratio".55 Abweichungen hiervon betrafen vor allem die Prophetie, die in der wallonischen Kirche eine deutlich geringere Rolle spielte als in der flämischen Schwestergemeinde und deren Ausübung von des Gallars auf wenige Festtage reduziert wurde, während die bei a Lasco dafür vorgesehenen wöchentlichen Sitzungen für Ermahnungen und Predigten verwendet werden sollten. Obwohl zunächst die Wahl des Konsistoriums allen Gemeindemitgliedern offenstand, wird jedoch bereits hier die Tendenz zu einer stärkeren Hierarchie und Kontrolle der Gemeindemitglieder deutlich, die sich in der Neuordnung der Londoner Wallonengemeinde von 1578 niederschlug. Die Wahl der Ältesten wurde nun eingeschränkt und nahm bereits die Bestimmungen vorweg, die für die niederländischen Kirchen erst 1609 im "Corpus Disciplinae" formuliert wurden. Generell versuchten des Gallars und seine Glaubensgenossen, mit der wallonischen Disziplin stärker an das Genfer Vorbild anzuschließen als ihre flämischen Schwestergemeinden. Dieses Modell wurde in den 1580er Jahren wiederholt auf den Kolloquien der wallonischen Exulantengemeinden in England diskutiert.

54 Hierzu gehörten Thomas Bentham von Coventry und Lichfield, Edmund Grindal in London, Robert Horne in Winchester. John Parkhurst in Norwich. James Pilkington in Durharn und Edmund Scambler in Peterborough. Vergleiche Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2. Nr.127, Brief des Privy Council an die Londoner Gemeinde vom 22.10.1573.

ss Gleichzeitig wurden in der "Fonne de Police" Vorschläge von Erzbischof Parker verarbeitet. Vergleiche dazu Lucy Toulmin-Smith, "The Walloon Church at Norwich, 1589", The Norfolk Antiquarian Miscellany 2,1883, S.91-149.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

72

Am 15. und 16. September 1587 beschlossen die Vertreter der wallonischen Kirchen in Rye die Einführung einer für alle Gemeinden verbindlichen eigenen Disziplin. Im darauffolgenden Jahr wurden in London die Artikel des Gallars diskutiert, soweit es notwendig erschien, aktualisiert und ein weiteres Jahr später in den einzelnen Fremdengemeinden eingeführt. 56 Für die Norwicher Wallonengemeinde blieben die hier formulierten Regeln bis zur Auflösung der Gemeinde 1832 gültig.

11. Die kirchlichen Amtsträger: Älteste, Diakone und Politijcke Mannen Die Aufgaben und Funktionen, die die Ältesten und die Diakone der Exulantengemeinden ausführen sollten, sind bereits vorgestellt worden. Hierin unterschieden sich die Norwicher Fremdengemeinden nicht von ihren Schwestergemeinden auf der Insel und auf dem Kontinent. Auffallend ist in diesem Zusammenhang der Wunsch, unter den Gemeindemitarbeitern ein gewisses Maß an Kontinuität zu gewährleisten. Ein Blick auf die Liste der bekannten Amtsträger verdeutlicht sowohl diese Tendenz zu langen Amtszeiten als auch die Durchlässigkeit der jeweiligen Ämter. Anders als etwa für die Gemeinden in London sind keine ausführlichen Listen über die Amtsträger und ihre Wahl erhalten. 57 Informationen über die in der Gemeinde aktiven Mitglieder mußten aus verschiedenen Dokumenten zusammengestellt und miteinander verglichen werden. 58 Die so entstandenen Listen der bekannten Amtsinhaber müssen jedoch unvollständig bleiben und weisen zum Teil große Lücken auf. Für die Politijcke Mannen konnten 179 Personen, die zwischen 1569 und 1631 in diesem Amt tätig waren, identifiziert werden. Aus der Bruchstückhaftigkeit der überlieferten Dokumente lassen sich allerdings keine absoluten Zahlen über die Amtsdauer der Gewählten herausarbeiten. Es fallt jedoch auf, daß von der Mehrzahl, nämlich von 106, eine Amtszeit von mehr als einem Jahr bezeugt ist.

56

Siehe dazu Adrian C. Chamier (Hg.), Les Actes des Colloques, passim.

57 Hier sind die erhalteneil Konsistoriumsbücher bei der Identifikation der Amtsinhaber von großer Hilfe.

58 Hierzu wurde hauptsächlich die bereits vorgestellte Briefsammlung der Londoner Gemeinde, sowie die beiden Protokollbücher der Politijcke Mannen, die noch vorhandenen Actes du Consistoires, die Protokollakten der niederländischen Kolloquien und das DWSB bearbeitet und durch Hinweise in anderen Quellen, etwa der Briefsammlungen an die Verwandten der Refugianten auf dem Kontinent, ergänzt. Für ausführliche Quellennachweise vergl. das Literaturverzeichnis der vorliegenden Arbeit.

11. Die kirchlichen Amtsträger: Älteste, Diakone und Politijcke Mannen

73

Die Listen für die Ältesten und die Diakone sind demgegenüber noch unvollständiger erhalten. Auch hier ist jedoch die Tendenz zu längeren Amtszeiten deutlich. Interessant ist außerdem die Fluktuation der Personen innerhalb der Ämter. Zahlreiche Mitglieder der Politijcke Mannen finden sich beispielsweise in späteren Jahren unter den Ältesten und Diakonen. Der Tuchfarber Thomas Bonnell war von 1586 bis 1594 als Politijcke Man tätig. Im folgenden Jahr ist er auf der Liste der Ältesten zu finden. Jan Heudelen, der von 1584 bis 1590 als Politijcke Man tätig war, wurde 1596 zum Ältesten gewählt. Francois Desmariet ist für das Jahr 1594 als Politijcke Man bezeugt und wurde ein Jahr später Diakon. Victor Declerk, der 1594 und 1595 Politijcke Man war, wurde \603 Diakon. Demgegenüber übernahmen allerdings auch ehemalige Älteste und Diakone das Amt eines Politijcke Man. Jan Fremault war 1608 Ältester und arbeitete ein Jahr später als Politijcke Man. In der Regel wurde die Tätigkeit als Politijcke Man allerdings eher als Sprungbrett für eine weitere Arbeit als Gemeindeältester oder als Diakon angesehen. 59 Typisch ist zudem, daß es immer wieder dieselben Familien waren, deren Mitglieder die jeweiligen Ämter innehatten. Ähnlich wie in London waren es einige wenige einflußreiche Kaufmannsfamilien - wie die Desbonnets, die Walleweins und die Bonnels -, deren Namen wiederholt unter den Amtsträgern auftauchen. Diese Tendenz bestätigen auch Untersuchungen über die finanzielle Lage der um 1600 amtierenden Politijcke Mannen. Hier hat die Auswertung der vorhandenen Steuerlisten ergeben, daß 49 der 112 um die Jahrhundertwende tätigen Politijcke Mannen mit mehr als dem Minimum von vier bzw. acht Pence eingeschrieben waren. Herausragend sind davon Joos de Ram, der in der Steuerliste von 1576 :E8 zu versteuerndes Gut angibt, und dessen Sohn Peter Ramus zu Ostern 1577 als Peter Raus im Corpus Christi College in Cambridge als Student eingeschrieben wurde. Joores de Vos, der als Strickwarenhändler in der Stadt eine respektable Karriere machte, gab in der Steuerliste von 1599 BO zu besteurendes Gut an. 60 In seinem Testament, das er am 12. April 1625 aufsetzte, hinterließ er unter anderem seiner Frau Sarah fSO, John Hendrick, dem Sohn seiner Frau aus erster Ehe weitere f50 und seinem Sohn Peter de Vos :EI 00. Darüber hinaus verfügte er über wertvolle Einrichtungsgegenstände wie "one silver cup ... a longe Broadclothe ... 12 napkins". Jeweils einen goldenen

59 Vergleiche dazu OIe P. Grell, Dutch Calvinism in Early Stuart London, The Dutch Church in Austin Friars 1603-1642, LeidenlNew YorklKopenhagen 1989, S.86f. 60

PRO, 153/511 Lay Subsidy Roll 1599.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

74

Ring hinterließ er seinen Söhnen Peter und David. 6 \ Jan Billet stand 1581 mit f6 aufgelistet, und Jan Watelier gab 1576 f7 zu versteuerndes Gut an. 62 Die Polizei- und Ordnungsfunktionen, die dem Gremium in der Verordnung von 1569 übertragen worden waren, wurden in den folgenden Jahren mehrfach um weitere wichtige Aufgabenbereiche ergänzt. Auf Anordnung des Bürgermeisters wurden die Politijcke Mannen am 11. Juli 1573 dazu aufgefordert, die Neuzugänge in die Gemeinde zu inspizieren. Jeder Neuankömmling sollte zwei Bürgen benennen, die ihn oder sie als ordentliche( n ) und gottesfürchtige( n ) Mitbürger oder Mitbürgerin ausweisen konnten. Erst wenn die Politijcke Mannen mit dem Neuzugang einverstanden waren, sollte er oder sie dem Bürgermeister zu endgültigen Zustimmung vorgestellt werden. 63

Politijcke Mannen wurden häufig als Zeugen in Testamenten benannt. Sie wurden gebeten, Testamente aus dem niederländischen oder französischen Original ins Englische zu übersetzen. In einigen Fällen fungierten sie als Aufsteiler von Inventaren. 64 Interessanterweise wurden die Politijcke Mannen auch mit Angelegenheiten betraut, die in anderen Gemeinden von den Ältesten erledigt wurden wie die Ahndung der ;,klassischen" calvinistischen Verfehlungen: Trunkenheit, Glücksspiel und Tanzvergnügen. Im Book of the Norwich Dutch Church wurden wiederholt Fälle festgehalten, in denen gegen Mitglieder vorgegangen wurde, die sich "schändlicher Rede" strafbar gemacht hatten. Ein weitverbreiteter Fehltritt war das "oonbehoorlick wandelen binnen de predicatie", das Fernbleiben von der sonntäglichen Predigt oder der Besuch von Wirtshäusern und Kabaretts. Die Dörfchen Cringleford und Helsden, vor den Toren der Stadt gelegen, scheinen beliebte Ausflugsorte für derlei Vergnügungen gewesen zu sein. So wurden beispielsweise am 19. Juli 1608 David de Poorter und Cornelis Jansen zu einer Geldstrafe von 6 Shilling verurteilt, da man sie zu Predigtzeiten zechend in einem Wirtshaus namens "The Bull" aufgefunden hatte. 65 Darüber hinaus wurde 6\

PRO, Prerogative Court of Canterbury Court Will (im folgenden: PCC), 135 Clarke.

62

PRO, 152/423, Lay Subsidy Roll 1581; NRO, 7/i, Lay Subsidy Roll 1976.

63

DWSB, fol.77v.

Interessanterweise wurde das Inventar von Jacob Somerman, der zu diesem Zeitpunkt Mitglied dieses Gremiums war, im Norwich Strangers Book, dem zweiten, älteren Arbeitsbuch der Politijcke Mannen (NRO, MS 22043, Norwich Strangers' Book 1583-1600) seIbst unter dem Datum des 3.4. 1585 festgehalten. 64

6~ Book ofthe Norwich Dutch Church 1605-1615, fo1.42.

11. Die kirchlichen Amtsträger: Älteste, Diakone und Politijcke Mannen

75

an die Politijcke Mannen auch die Rechtsprechung über Verbrechen weitergegeben, die üblicherweise in die Kompetenz der Stadtverwaltung fielen. So mußten sie am 27. April 1613 über einen Fall von Gewaltanwendung zu Gericht sitzen. Zwei Männer und drei Frauen wurden zu einer Geldstrafe von je 6 Shilling, 4 Pence für ihr aggressives, gewalttätiges Verhalten verurteilt. 66 In den wöchentlichen Sitzungen wurden außerdem Vertragsabschlüsse und Finanzgeschäfte zwischen einzelnen Mitgliedern der Fremdengemeinden festgehalten. Hier wurden zivile Klagen zweier oder mehrerer Parteien verhandelt, wobei häufig unbezahlte Rechnungen und unerledigte Aufgaben Gegenstand der Auseinandersetzungen waren. 67 Interessanterweise wurden die Politijcke Mannen auch zu Rate gezogen, um Streitigkeiten zwischen Handwerksmeistern und ihren Gesellen oder ihren Lehrlingen zu schlichten. 68 Ähnlich wie bei den eben erwähnten Geschäftsangelegenheiten scheint man auch Arbeitsverträge ausdrücklich vor dem Gremium und unter Zeugenschaft der Politijcke Mannen abgeschlossen zu haben. Diese Praktik wird besonders deutlich in einem Eintrag vom 4. Juni 1611. Hier wurde von einem Simon Doen ein Bußgeld von 5 Shilling gefordert, da er einen "knecht" angestellt hatte, ohne den Vertragsabschluß vorher bei den Politijcke Mannen registrieren zu lassen. 69 Eine wesentliche Aufgabe der Politijcke Mannen war die Betreuung der Waisen der Gemeinden. Mit dem bereits erwähnten Norwich Strangers Book, einem Protokoll buch zu den Sitzungen des Gremiums, das von 1583 bis 1590 geführt und mit Eintragungen und Randbemerkungen von 1590 bis 1600 ergänzt wurde,7o liegt uns zu diesem Komplex ein Dokument vor, das Aufschluß

~~ Book of the Norwich Dutch Church 1605-1615, fo1.l24.

~7 So forderte beispielsweise Noe Hauet am 22. September 1607 von Jacques Hugebert 11 Shilling für den Kauf eines Mantels. Der Beklagte leugnete die Schuld und verwies auf einen Vertrag, den er mit Hauet über die Tilgung seiner Schulden abgeschlossen haben wollte. Die daraufhin von den Politijcke Mannen aufgerufenen Zeugen konnten Hugeberts Angaben jedoch nicht bestätigen. Dieser wurde zur Zahlung der geforderten Summe und der Gerichtskosten verurteilt. Siehe dazu Book of the Norwich Dutch Church 1605-1615, fol. 29, 29v, 43v, 48v, 49, 61. ~R Book ofthe Norwich Dutch Church 1605-1615, fo1.26, 28v, 30v, 81, 87v, 90v. ~q Book ofthe Norwich Dutch Church 1605-1615, fol.90v.Zur Arbeit der Politijcke Mannen in

wirtschaftlichen Angelegenheiten vergleiche Kapitell der vorliegenden Arbeit. 70

Norwich Strangers Book, NRO, MC 181, MS 22043.

76

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

über den Umgang der Exulanten mit den schwächeren Gliedern ihrer Gemeinde geben kann. Festgehalten wurden hier die jährlichen Endabrechnungen, die die Vormunde der betroffenen Kinder über die Ausgaben und Einnahmen, die sie für ihre Schutzbefohlenen getätigt hatten, vorlegen mußten. Statuten über die Behandlung von Waisenkindern sind für die Norwicher Gemeinden nicht überliefert. Aufschluß kann hier möglicherweise ein Dokument geben, das für die Waisenversorgung in Sandwich 1566 aufgestellt worden ist. "The statutes and decres for the Dutche Churche in Sandwyche concernynge the government of their orphants etc. on the 7 of June 1566" enthält 31 Statuten, die die weitere Versorgung der verwaisten Kinder der Gemeinde regelten. 71 Hierin wurde unter anderem festgelegt, daß nach dem Tod eines Elternteils die Witwe bzw. der Witwer höchstens acht Tage später Vormunde über die Kinder bestellen mußten. In der Regel waren das, wie auch in der englischen Praxis üblich,72 die nächsten Blutsverwandten väterlicher- oder mütterlicherseits. Sollten keine Verwandten zur Verfügung stehen, was bei den Exulanten verständlicherweise relativ häufig vorkam, wurden von der Gemeinde selbst Tutoren über die Kinder bestimmt, deren möglicher Widerspruch mit der sanften Ermahnung, daß die gemeinsame Gotteskindschaft ein engeres Band darstellte als die Blutsverwandtschaft, entkräftet wurde. Die Tutoren wiederum wählten zwei Vormunde, die für die Erziehung und den Lebensunterhalt der Waisen und Halbwaisen verantwortlich waren. Die Hälfte des Erbes der Kinder, wenn ein solches vorlag, mußte dann in einem Waisenbuch registriert werden. Zugriff auf diese Rücklagen hatten die Tutoren nur, wenn Geld für die Kinder gewinnbringend angelegt werden sollte. Auf die Erziehung der Waisen wurde offenbar großer Wert gelegt. Hierzu heißt es in Artikel vier, sie sollten "learne to reade and to wrytte".73 Wenn sie nicht begabt oder finanziell abgesichert genug waren, um eine höhere Schulbildung genießen zu können, sollten sie in einem Handwerk ausgebildet werden, daß es ihnen ermöglichte, für sich selbst zu sorgen. "Honesty" und "godlynes" 71 BM, Add.MS 33,511. Marcel F. Backhouse (Hg.), Documenten betreffende de geschiedenis van de Vlaamse en Waalse vluchtelingen in Sandwich tijdens de tweede helft van de 16de eeuw. Deell., Srüssels 1989, S.203-215. Die Statuten sind in englischer Sprache abgefaßt worden, was darauf schließen läßt, daß sie in Auseinandersetzung mit der englischen Gastgesellschaft entstanden sind. 72

Vergleiche dazu beispielsweise Ralph Houlbrooke, The English Family, New YorklLondon

1984, S.219. 73 Vergleiche Sackhouse, Documenten betreffende de geschiedenis van de Vlaamse en Waalse vluchtelingen, Deell, S.205.

11. Die kirchlichen Amtsträger: Älteste, Diakone und Polilijcke Mannen

77

waren Tugenden, in denen die Kinder geschult werden sollten. Einmal im Jahr sollten sie den Ältesten und Predigern der Gemeinde vorgeführt werden, um ihre religiöse Ausbildung unter Beweis zu stellen. Es wurde geprüft Whethere they can perfectlye [answere] to the cathecyme now commonly taughte in the churche and whethere theye can reade and wryte and whethere they leame so to doo, how theye have profyted in Gods syncere relygyon. 74 Es liegt nahe, diese Regeln auch als Grundlage für die Norwicher Waisenversorgung zu betrachten. 1570171 wurden im Dutch and Wal/oon Strangers' Book Regeln für die Versorgung der Waisen aus der Fremdengemeinde erlassen. Hier heißt es: Item that the goodes of suche as departe this Iyffe withowte any wylle havinge ch[i1d]ren not of ripe yeris, shalle remayne in the custodye and dysposicion of the nexte in kynne, beinge of fulle age. And layenge in suffyciante bonde to the concistorye or senate of the seyde churche to the use and behoofe ( notwithstandinge ) of the chyldren or kynesfolk, co me to the fulle yeris of dyscretion: at what tyme, the seyde parties to whome such goodes were (as aforeseyde) comytted, shalle forthwithe restore the same. and make therof fulle and lawefulle accoumpte. to be alowed by the senate aforeseyde. 75 Wie sehr man sich darüber hinaus am Sandwicher Vorbild orientiert hat, verdeutlicht die im Norwich Strangers Book dokumentierte Praxis. Die Eintragungen über die jährlichen Endabrechnungen über den Unterhalt der Kinder, die je nach der Muttersprache der Betroffenen in niederländisch oder in französisch vorgenommen wurden, umfassen jeweils eine Autlistung der anwesenden Politijcke Mannen, der betroffenen Waisen, ihrer Eltern, der jeweiligen Tutoren, der Vormunde und der zur Disposition stehenden Summe. In einigen Fällen scheinen die Vormunde jährlich gewechselt zu haben. Sarah der Brune, die am 9. November 1585 von ihrem Vater Gilles de Brune und ihrem Onkel Zacharias {IO geerbt hatte, hatte bis 1592 nicht weniger als sieben verschiedene Sachverwalter. Die bis dahin in ihrem Besitz verbliebenen BO, 30 Shilling und 10 Pence wurden am 5. März desselben Jahres Jan Ebert, damals Mitglied der Politijcke Mannen, zur Verwaltung übergeben. Gelegentlich wurde das Erbe auch im Besitz des verbliebenen Elternteils belassen. Am 16. Oktober 1583 wurden Anthoinette du Frene, Mutter des Halbwaisen Pierre Leniell, {) 2 über-

74

Ebd .• S.212.

75

DWSB. fo1.42.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

78

stellt "pour la noucriture et I'education de l'enfant,,?6 Ein gutes Beispiel für die Art der Eintragungen bietet der Fall des Waisenjungen Jeremias Galant. Am 2. November 1584 gaben Francois van Dijcke und Jacques Galant, hochangesehene Mitglieder der Exulantengemeinde, einen Bericht über die Ausgaben, die sie in den vorangegangenen Monaten zugunsten ihres Mündels getätigt hatten. Im Sommer desselben Jahres waren sie nach dem Tod von Jeremias' Eltern, die dem Jungen eine Erbschaft von f19 und 10 Shilling hinterlassen hatten, als Vormunde nominiert worden. 1584 gaben sie davon f:2, 10 Shilling und 6 Pence für Kleidung, Unterkunft und Versorgung des Jungen aus: Jeremias bekam einen neuen Mantel im Wert von 27 Shilling, zwei "wombaissen"Jacken - für 5 Pence, zwei paar Strümpfe für 2 Shilling. Weitere 6 Pence und 12 Shilling wurden für die Ausstattung seines Zimmers ausgegeben. Die restliche Summe wurde für administrative Zwecke verwendet: 8 Pence wurden einem Schreiber für die Ausstellung einer Quittung gegeben, 3 Shilling, 4 Pence wurden benötigt, um verschiedene Rechnungen zu bezahlen. 2 Shilling wurden ausgegeben "om te reizen", möglicherweise um den Jungen in sein neues Zuhause zu bringen oder um Arrangements für seine weitere Versorgung und Erziehung zu treffen. Über das weitere Schicksal von Jeremias Galant ist nichts bekannt. Weder über sein Alter, noch darüber, ob er Geschwister hatte, ist etwas Gesichertes zu sagen. Am 12. November 1584 bekam er von seinen Vormunden die Summe von 7 Shilling zu seiner eigenen Verwendung ausgehändigt. Am 30. März 1585 wurden die Vormunde aus ihren Pflichten entlassen, was darauf schließen läßt, daß Jeremias zu diesem Zeitpunkt volljährig wurde und den verbliebenen Rest seines Erbes selbst verwaltete. 77 Besonders günstig scheinen die Vormunde von Thomas de la Tombe für ihren Schutzbefohlenen gewirtschaftet zu haben. Am 18. Juni 1590 gaben Hughe Herber, Arnould le Maistre und Gilles le Febure, drei Mitglieder der Norwicher Wallonen gemeinde, einen detaillierten Bericht über die Ausgaben, die sie für Thomas getätigt hatten. Sie waren nach dem Tod seiner Eltern 1588 zu seinen Vormunden bestellt worden. Die de la Tombes, eine alteingesessene und hochangesehene Exulantenfamilie in der Stadt (Thomas' gleichnamiger Vater hatte 1578 als Diakon gearbeitet und war selbst in verschiedenen Fällen als Tutor tätig gewesen), hatten ihrem Sohn das beträchtliche Vermögen von f160, 17 Shilling und 10 Pence hinterlassen. Zu dieser Summe, die offenbar gewinn7~ Norwich Strangers Book, fol.21. In der Regel wurde im Fall der Wiederverheiratung der Mutter die Verantwortung an andere Tutoren übergeben. 77

Norwich Strangers Book, fol.l8v, 20.

11. Die kirchlichen Amtsträger: Älteste, Diakone und Politijcke Mannen

79

bringend investiert worden war, konnten die Vormunde noch weitere ;[24 zugunsten ihres Mündels hinzufügen. Zwischen 1588 und Weihnachten 1590 gaben sie für seine Versorgung und Erziehung ;[14 aus. Thomas scheint in diesem Zeitraum ein Handwerk gelernt zu haben, denn ;[8, 2 Shilling und 3 Pence wurden einem nicht genauer benannten Meister übergeben. Verwaltungsausgaben, das Ausstellen von Rechnungen und Quittungen scheinen weitere 6 Shilling, 10 Pence gekostet zu haben. Hughe Herber selbst erhielt für Unterkunft und Versorgung des Jungen aus der Erbmasse noch einmal 1:4, 11 Shilling und 9 Pence. Auch über Thomas' weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Die Tatsache, daß er als Lehrling beschäftigt war, läßt darauf schließen, daß er zu dem Zeitpunkt des Todes seiner Eltern wenigstens 10 Jahre alt gewesen sein muß. 1594 stand er immer noch unter Aufsicht seiner Vormunde. 78 Die Sitzungen der Politijcke Mannen scheinen in unregelmäßigen Abständen stattgefunden zu haben. Sie variierten zwischen fast täglichen Eintragungen im Jahr 1583 und Abständen von mehreren Monaten, wie beispielsweise zwischen dem 28. September und dem 31. Dezember 1588. Diese Praxis wurde zu einem späteren Zeitpunkt durch eine striktere Handhabung ersetzt. Das bereits erwähnte Book 0/ the Norwich Dutch Church 1605- 1615 ist ein Protokollbuch zu den wöchentlichen Sitzungen der Politijcke Mannen. Das Buch vermittelt einen guten Einblick in die Arbeit des Gremiums. "Ordinancien ghemaecht bij de onderschreven tot onderlinghe eenichheit en vreede", sechs Artikel, die ihre Aufgaben und Pflichten festsetzten, wurden jährlich nach der Wahl der Mitglieder, die in der Regel kurz nach der Wahl des Norwicher Bürgermeisters stattfanden, bestätigt. 79 Wiederum war die Aufsicht über die Waisenversorgung ein wesentlicher Bestandteil ihres Aufgabenfeldes. Im Gegensatz zu der früheren Handhabung, wie sie im Norwich Strangers Book beschrieben wird, wonach die Anwesenheit von mindestens zwei Mitgliedern ausreichend war, wurde nun festgelegt, daß das Gremium nur mit Zustimmung und in Anwesenheit aller gewählten Vertreter beschlußfähig war. Abwesenheit eines Mitgliedes ohne guten Grund wurde bestraft. Ein Grund zur Unzufriedenheit war offenbar auch die Tendenz der Anwesenden, während der Sitzungen, die in der Regel um zwei Uhr nachmittags abgehalten wurden, in Schlaf zu fallen. Auch diese Verfehlung wurde mit einer Geldstrafe von 2 Pence geahndet. Geschäfte, die innerhalb des Sitzungsaales getätigt wurden, unterlagen zudem der strikten Diskretion.

78

Norwich Strangers Book, fo1.48.

79

Book of the Norwich Dutch Church 1605-1615, fo1.l4, 25v, 39, 56, 91 v.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

80

Daß die Versorgung der Waisen nicht immer reibungslos verlief und daß nicht alle Tutoren von der geschwisterlichen Nächstenliebe gemeinsamer Gotteskindschaft überzeugt waren, macht ein Brief der Politijcke Mannen an Bürgermeister Robert Suckling vom 17. Februar 1582 deutlich. Hierin beklagen sich die "eight & fower politicke Elders of this Cittye", daß ihre Anordnungen bezüglich der regelmäßigen Vorlage der Rechnungen nicht befolgt würden. Suckling wurde gebeten, die folgenden Verordnungen für rechtsverbindlich zu erklären: Item yt everie executor or any testator ... shall wthin fourtene dayes after publicacion therof, come before the politicke men, or shall enter ( to remeyne in herede ) what portions are given or leste by ther parents to be devided and to whome the same is devided and shall putt in suretye for ( before them ) for the cause suretye & payement therof to save such person yt part & portion therof accordinge to the orders therfor made ... Item that all wh ich consent executors (being present or absente ) shalbe bound to brynginge before the sayde politique men, the accompte and herding of every suche monye so payde & dyscharged to be entred according to the sayde orders. 80 Verstöße gegen diese Regeln sollten mit hohen Geldstrafen geahndet werden, wobei der Schuldige 10 Shilling zu bezahlen hatte, die zu gleichen Teilen an den Bürgermeister und die Armen der Gemeinde abzugeben waren. Suckling bestätigte die Verordnungen und fügte dem vorgeschlagenen Strafkatalog eine weitere Sanktion hinzu, wonach Beschuldigte bei dreimaliger Wiederholung mit Inhaftierung zu rechnen hatten. Dennoch kam es auch nach dieser offiziellen Ermahnung zu Fällen von Mißbrauch des in die Vormunde gesetzten Vertrauens. 1607 beschuldigte Michiel Colens Remens van Rockeghems junior, Vormund über seine Tochter Lydia, unrechtmäßig mit dem ihm als Lydias Erbe anvertrauten Geld umgegangen zu sein. Van Rockeghems weigerte sich, seine Rechnungen vor den Politijcke Mannen offenzulegen. Die Angelegenheit wurde über mehr als acht Jahre verhandelt, denn van Rockeghems zeigte sich äußerst einfallsreich im Erfinden immer neuer Vorwände und Entschuldigungen. Mehrmals sagte er aus, der Fall sei bereits vor dem Hof des Bischofs von Norwich verhandelt worden. Als die Politijcke Mannen dennoch darauf bestanden, seine Abrechnungen zu kontrollieren, forderte er Colens auf, nach Flandern zu reisen und dort seine Rechnungen zu überprüfen. Am 4. April 1615 wurde er schließlich für sein verstocktes Verhalten zu einer Geldstrafe von 20 Shilling verurteilt. Van Rockeghems wei80

NRO, 101b, Letter to the Mayor (Suckling) about orders for Aliens & answer (1582).

11. Die kirchlichen Amtsträger: Älteste, Diakone und Politijcke Mannen

81

gerte sich allerdings weiterhin, den Forderungen der Politijcke Mannen nachzukommen, so daß das Verfahren schließlich vor den Mayor's Court gezogen wurde. Dort wurde die gegen den Angeklagten verhängte Strafe noch einmal bestätigt und eine weitere Bußgeldzahlung von 12 Shilling von van Rockeghems gefordert. Die ganze Affäre fand schließlich dadurch ein Ende, daß der Beschuldigte am 18. Juli, drei Tage nach dem Urteilsspruch des Mayor's Court, das geforderte Bußgeld bezahlte. Ob er auch auf die Forderung nach Offenlegung seiner Finanztransaktionen einging, geht aus den Quellen allerdings nicht hervor. Der Fall taucht nicht wieder in den Akten auf, was darauf schließen läßt, daß man sich hier letztendlich einigen konnte. 81 Die hier geschilderte Auseinandersetzung gibt zugleich ein gutes Beispiel für die Art und Weise, in der die Politijcke Mannen mit den englischen Behörden kooperierten. Zunächst wurde in jedem Fall versucht, die inneren Angelegenheit zwischen Gemeindemitgliedern untereinander zu regeln. Hier bewiesen die Politijcke Mannen einen recht langen Atem. Erst wenn alle eigenen Mittel der Sanktionierung ausgeschöpft erschienen und keine Erfolge erzielt worden waren, wurden die englischen Obrigkeiten eingeschaltet. Was die Hierarchie der Ämter innerhalb der Norwicher Gemeinde angeht, so geben mehrere Eintragungen in den Actes du Consistoire de L'Eglise Wallonne de Norwiche,82 das einzige für die Norwicher Exulantengemeinden vorhandene Konsistoriumsbuch der wallonischen Kirche aus dem Jahre 1630, Auskunft darüber, daß das Amt des Politijcke Man als dem Amt der Ältesten untergeordnet betrachtet wurde. Die Politijcke Mannen mußten demnach ihre Arbeitsbücher nicht nur, wie erwähnt, dem Bürgermeister vorlegen, sondern auch einmal im Jahr dem Konsistorium Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen. Daß es dabei zu Unregelmäßigkeiten kommen konnte, verdeutlicht ein Eintrag vom 3. März 1630. Hierin fordern die Ältesten die Politijcke Mannen auf, ihre Bücher zu reformieren, da sie von der Magistratur bemängelt worden waren. Worin die Unordnung im einzelnen bestand, geht aus dem Eintrag allerdings nicht he( vor. 83

81 Book of the Norwich Dutch Church, fo1.23, 23v, 116, 160, 165v; Mayor's Cour' Book (im folgendem: MCB) Nr.II, fol.470v, 473.

82 NRO, 32/g Actes du Consistoire du L'Eglise Wallonne du Norwiche commen~ant depuis le 25 de Mars 1628.

83

NRO, Actes, fol.44-47.

6 EBer

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

82

Dennoch scheinen die Politijcke Mannen von den übrigen Gemeindevertretern als vollwertige Mitglieder der Kirchen- und Gemeindeverwaltung akzeptiert worden zu sein. Im Schriftverkehr, der zwischen den verschiedenen niederländischen Kirchen auf der Insel unterhalten wurde, wurde das Gremium als gleichwertiger Gesprächspartner in Fragen der Kirchenführung und der Disziplin angesehen. Einige Briefe aus London beispielsweise sind ausdrücklich adressiert an die 3 collegien, also an die Ältesten, die Diakone und die Politijcke Mannen. 84 Interessanterweise wurden sie auch bei Problemen aus dem theologischen Bereich zu Rate gezogen, so beispielsweise in der Frage, ob Norwich das Kolloquium der flämischen Kirchen in London 1584 besuchen sollte. 85 Schwieriger zu beurteilen ist die Wertschätzung, die die Stadtverwaltung selbst diesem von ihnen als Bindeglied zu den Exulanten eingesetzten Gremium entgegenbrachte. Der Bürgermeister beorderte für denselben Tatbestand häufig sowohl die Ältesten als auch die Politijcke Mannen. Am 7. März 1584, zum Beispiel, wurden die Politijcke Mannen dazu angehalten, eine Liste aller aus der Gemeinde verbannten Niederländer vor dem Mayor's Court zu präsentieren. Ein Jahr später am 4. August 1585 wurden die Ältesten mit derselben Angelegenheit betraut. 86 Die offizielle Einrichtung dieser Institution, wie sie hier skizziert wurde, ist einmalig für die englischen Exulantengemeinden. In der Londoner Refugiantenkirche waren es die Konsistorien, die zuständig waren für die Angelegenheiten, die in Norwich von den Politijcke Mannen übernommen wurden: Geschäftsprobleme, Schuldenfragen, Streitigkeiten zwischen Meistern und Gesellen oder Lehrlingen fielen in ihren Aufgabenbereich. Daneben gab es die Praxis, Fälle an Schlichter, sogenannte Arbitrators, weiterzugeben, die zwischen den gegnerischen Parteien zu vermitteln hatten. Sie wurden je nach Bedarf zusammengerufen und handelten ausdrücklich als Stellvertreter der Ältesten. 87 Die Idee, ein permanentes, säkulares Gremium einzusetzen, das in inneren Angelegenheiten 84

Vergleiche Hessels (Hg.), EccIesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.304.

85 Hessels (Hg.), EccIesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.904, Brief an die Londoner Gemeinde vom 14.4.1584. 86

MCB Nr.II, fol.407v, 473.

87 Interessanterweise gelang es auch der Londoner Gemeinde zumindest in einigen Fällen, Kapitalverbrechen von der Londoner Magistatur femzuhalten und selbst zu entscheiden. In drei bekannten Hillen behandelte die französische Kirche Auseinandersetzungen, bei denen es zu Blutvergießen gekommen war. 1561 saß man über einen Fall zu Gericht, bei dem ein Kirchenmitglied seine Frau so brutal geschlagen hatte, daß sie eine Fehlgeburt erlitt. Vergleiche dazu Pettegree, Foreign Protestant Communities, S.181-214.

11.

Die kirchlichen Amtsträger: Älteste, Diakone und Politijcke Mannen

83

der Exulanten zu vermitteln hatte, wurde von den anderen Refugiantengemeinden mit Interesse verfolgt. Das Konsistorium der wallonischen Kirche in Canterbury erklärte am 25. Juli 1576 beispielsweise, daß es sich nicht zuständig fühle, über zivile und politische Angelegenheiten zu Gericht zu sitzen: Le consistoire ne se mesleroit des choses pureme[njt politiques pour ne con[njfondre les choses ecclesiastiques avec les politiques desquelles I' administration est differe[njte. RR In Canterbury wurden daraufhin zivile Angelegenheiten zunächst Arbitrators übertragen. Von 1582 an richtete die Kirche selbst das Amt der Politijcke Mannen oder Rommes Politiques ein "pour ayder au consistoire contre pluis[ieur]s difficultes et desbauchements auxquelles il ne pouvait saisfaire", wie es zur Begündung in den Konsistoriumsakten heißt. 89 Die Aufgaben dieses Gremiums waren denen des Norwicher sehr ähnlich: Überwachung der Neuankömmlinge und Bestrafung der zivilen Fehltritte. 90 Das Kolloquium der wallonischen Kirchen in England schrieb auf dem Treffen 1582 formell den Unterschied zwischen zivilen und religiösen Angelegenheiten fest. Hier heißt es: que ceux qui ne peuvent etre governes par le mini stere de I'Eglise soient reprimes par I' autorites du dit Magistrat, que Dieu ordonne acette fin. 91 In den Londoner Niederländergemeinden finden sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts ebenfalls Spuren der Politijcke Manl1nen in der Gemeindeverwaltung. Auch hier diente wohl das Norwicher Beispiel als Vorbild. Interessanterweise waren auch in London acht Flamen und vier Wallonen für das zivile Wohlverhalten ihrer Mitbrüder und -schwestern verantwortlich. 92

RR

Canterbury Cathedral Archive (im folgenden: CCA). U47 A2/7 Actes du Consistoire, O.S.

89

CCA U47 A2/7, Actes du Consistoire. 1581-1584, S.14r.

90 Über die Exulantengemeinde in Canterbury vergleiche ausführlich Magen. Die Wallonengemeinde in Canterbury, passim. 9\ Bemard Cottret, Terre d'exil. L'Angleterre et ses refugies fran~ais et wallons, de la Reform a la Revocation de I'Edit de Nantes, 1550-1700, Paris 1985, S.268. 92

Vergleiche dazu Grell, Dutch Calvinism in Early Stuarl London, S.86.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

84

Auf die Tätigkeit von Politijcke Mannen in Thetford weist ein Brief der Gemeinde nach London am 13. April 1580 hin. Hier wurde ein Gemeindemitglied, Paschier Clareboute, der sich übrigens kurze Zeit später in Norwich aufhielt, angeklagt, gegen den Willen und hinter dem Rücken des Konsistoriums den Bürgermeister der Stadt zu Neuwahlen für das Gremium angehalten zu haben, obwohl das eigentlich Angelegenheit der Kirchen gewesen wäre. 93

IU. Die Exulantenkirchen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts An der Rolle, die die Norwicher Stadtväter den Exulantenkirchen bereits seit dem Beginn der Niederländeransiedlung zur sozialen, religiösen und politischen Überwachung der Einwanderer zugeschrieben hatten, scheint sich auch im Verlauf der folgenden Jahre wenig geändert zu haben. Bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts, in einer Zeit also, in der eine zweite und dritte Generation von Nachkommen der ersten Einwanderer herangewachsen war, galten die Fremdenkirchen nicht nur als Prüfungsinstanzen für Neueinwanderer, deren Zahl zu diesem Zeitpunkt auf ein Minimum zurückgegangen war. In ihren Händen lag vielmehr auch immer noch die Überwachung des sozialen und wirtschaftlichen Wohlverhaltens der Fremden. 1642 wurden im Dutch and Walloon Strangers' Book noch einmal die Aufgaben, die die Exulantenkirchen für ihre Landsleute in der Stadt zu erfüllen hatten, folgendermaßen definiert: To prevent scandels, misdemenors & also unnecessary charge ocasioned by such as come *in* to this cittye, as weil from beyond the seas as from other places within this realme, it is ordered that all such Strangers before they have their ticket of [Wort unlesbarJ *ad*mision into the cittye from Master Maior shall enter bonds to the politiques of ther congregation that theye shalbe no waye chargable to the common purse of the sayd churc[heJ untill such time as by their admission unto the Lordes Supper theye shalbe acknowledged members of the sayd congregationes. And all so that the sayd politiques shall draw a sufficient premise to ther content, from those that receive or sett to woork any Strangers, that they will informe the seyd politiques of the badd & scandelous carriage of suche foresayd Strangers to the end that such further order may be taken for ther reformation, or for the disbandening of the cittye of suche unprofiable & scandelous persons. 94

93

Hessels (Hg.), Ecc\esiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.640.

94

DWSB, fol.l15v.

111. Die Exulantenkirchen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts

85

Fraglich ist allerdings, ob die Niederländer und Niederländerinnen, von denen die Mehrzahl zu diesem Zeitpunkt bereits in England selbst geboren war, dem Anspruch, sich der Disziplin der Fremdenkirchen zu unterwerfen, nachkam. Die Klagen der Kirchenvorsteher über den Niedergang der Gemeinden reichen zurück bis in die 1580er Jahre. Hierbei wurde in einer Reihe von Briefen, die die Norwicher zu verschiedenen Anlässen an ihre Glaubensbrüder in London geschrieben haben, der wirtschaftliche Niedergang des Woll- und Tuchgewerbes, in dem ein Großteil der Gemeindemitglieder tätig war, beklagt. Viele der ohnehin armen Exulanten seien nun auf die Hilfe der gemeindlichen Armenversorgung angewiesen, die dadurch an die Grenzen ihrer Kapazitäten gestoßen sei. 95 Besonders dramatisch klingt in diesem Zusammenhang ein Brief des Predigers Samuel van Asshe, der am 4. Januar 1590 im Namen des Konsistoriums an die Londoner über die desolate Situation seiner Gemeinde berichtet. Hier heißt es: Want so een yeghelick wel merken kan, wat hulpe ende assistentie kan men van die gemeynte verwachten, in weIcke de neeringhe gantschelick vervallen is, in weIcke de ghetale der ghener, die contribueren konnen seer eleyn is, in weIcke de menichte der armen daghelixs was set ende toeneemt, weIcke heeft extraordinarie kosten ghehadt door de peste die hier gheweest iso ende waervan onse eyghen armen wel ten achter syn, iae, die ten sye dat het den goeden god believen dal, daer in te versien, mochte selve haest bedwonghen werden, asisstentie aen andere gemeynte te versoeken. 96 Im Verlauf der 1590er Jahre mußte die Norwicher Niederländergemeinde mehr als einmal die Hilfe ihrer wohlhabenderen Schwestergemeinde in London in Auspruch nehmen. So bedankte sich beispielsweise das Konsistorium am 27. Juni 1597 in einem Brief an den Londoner Ältesten Gheleyn de Beste für die Kollekte, die in London für die Norwicher abgehalten worden war. Die beträchtliche Summe von ;(54 und 6 Shilling konnte damit den notleidenden Mitbrüdern und -schwestern zur Verfügung gestellt werden. 97 Ursache für die' hier beklagte finanzielle Krise, in der sich die Kirchen befanden, war nicht nur die desolate Lage der Textilindustrie und anderer Gewerbezweige, von der die

95

Siehe beispielsweise Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr. 818, 844,1124.

96 Van Asshes Brief nahm Bezug auf einen Spendenaufruf der Londoner für die Genfer Gemeinde. Siehe Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1171. 97

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.l386.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

86

englischen Mitbürger und Mitbürgerinnen gleichermaßen betroffen waren, sondern auch der massive Mitgliederrückgang in den Fremdenkirchen selbst. Während beispielsweise das Taufregister der flämischen Kirche von 1598 bis 1619 für das Jahr 1599 noch Eintragungen von Täuflingen auf drei Seiten festhält, schrumpfen die Vermerke in den letzten Eintragungsjahren auf eine Seite pro Jahr zusammen. Zwischen Mai und Oktober 1619 wurde überhaupt kein Täufling in der flämischen Gemeinde verzeichnet. 98 Gründe hierfür waren einerseits der Rückgang der Einwanderungen, wie die Eintragungen im Book 0/ rhe Norwich Dutch Church beweisen. 99 Andererseits bemühten sich zahlreiche Niederländer vor allem in der zweiten Hälfte der I 590er Jahre um Anschluß an die englischen Pfarrgemeinden. Durch einen Beschluß des Common Council vom 24. April 1598 wurde den Exulanten von den Norwicher Stadtvätern offiziell erlaubt, das Norwicher Bürgerrecht unter denselben Bedingungen zu erwerben, wie ihre englischen Mitbewohner und -bewohnerinnen. 1oo Damit wurde ihnen gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, das soziale Netzwerk der Fremdengemeinden zu verlassen und sich stärker in ihrer englischen Heimatpfarre zu engagieren, von der sie im Falle von Not und Verarmung als Norwicher Bürger und Bürgerinnen Unterstützung erwarten konnten. Da die Exulanten ohnehin zu ihren Abgaben für die jeweilige Fremdenkirche Beiträge in die Kassen der englischen Pfarreien, in deren Einzugsbereich sie wohnten, zahlen mußten, sahen viele Niederländer hier eine Möglichkeit, einen Teil ihrer Ausgaben zu kürzen. Dieses Problem des Mitgliederschwunds, dem sich auch die anderen Exulantengemeinden in England ausgesetzt sahen,101 versuchten die Vorsteher der Fremdengemeinden zunächst durch Ermahnungen an ihre Mitbrüder und schwestern, dann auch durch Petitionen an die Norwicher Obrigkeit, die ihren Forderungen stärkeren Nachdruck verleihen sollten, zu unterbinden. 102 Wo diese Ermahnungen nicht fruchteten, wurde als oberste Entscheidungsinstanz in Kirchenfragen der Bischof von Norwich angerufen. Ein Schreiben der Prediger und Ältesten der Wallonengemeinde von 1601 macht sowohl die Befürchtungen als auch das Vorgehen der Gemeindevertreter im Fall "abtrünniger" Mitglieder 98

BM, Add.MS 43,861.

99

Book ofthe Norwich Dutch Church 1605-1615, fo1.l70-183.

100

NRO, The Assembly Minute Book Nr.5, 1585-1613, fo1.186, 188v.

101

Vergleich dazu Schilling, Niederländischen Exulanten, S.156.

102 Bereits vor 1598 waren in den Refugiantengemeinden Fälle aufgetreten, in denen sich einzelne Exulanten weigerten, die von ihnen geforderten Armenabgabe zu entrichten. Auch hier hatten sich die Gemeindevorsteher an die Engländer gewandt, um ihren Zahlungsforderungen "von höherer Stelle" Nachdruck zu verleihen. Siehe beispielsweise MCB Nr.13, 1595-1603, fo1.127.

III. Die Exulantenkirchen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts

87

deutlich. IOJ Hier wurde das Verhalten von Peter Truye und Nicholas de Corte "both Allien Strangers, and not free Deneisons" beklagt. Sie hatten sich geweigert, die von ihnen erwarteten Beiträge für die Gemeindekasse der wallonischen Kirche zu entrichten. Stattdessen hatten sie sich den englischen Pfarrgemeinden St. Lawrence bzw. St. Paul angeschlossen. Der Bischof wurde gebeten, sich für die Rückkehr der Exulanten in ihre Heimatgemeinde einzusetzen: that it would please your Honor ( so farre as you may ) to help us, in the bringing horne of these strayed sheep unto their owne Shepefold: as also not to suffer anie other to go away from us, upon such sinister occasions. Considering it would open a windowe to all inordinate and refractarie persons, and that if but a fewe of our ablest men for contribution, should happen to followe yr example, the rest would not be able to bear yr burden. 104 Der hier befürchtete "Schneeballeffekt" blieb zunächst aus. Erst zu Beginn der 1620er Jahre wurde das Thema der Kirchenaustritte wohlhabender Gemeindemitglieder durch eine Reihe spektakulärer Fälle wieder aktuell. Ab 1621 weigerten sich einige Norwicher Bürger wallonischer Herkunft, weiterhin Abgaben für ihre ehemalige Heimatgemeinde auf dem Kontinent zu entrichten. Abraham CasteIl junior und senior, Dennis L'Hermyte, Samuel Cambye und Joell Desormeaux fühlten sich offenbar den Fremdenkirchen nicht mehr zugehörig, was der Tuchfärber Cambye in einer Erklärung an den Mayor's Court am 11. August 1621 besonders pointiert formulierte: I Samuell Camby in regard that I am borne here in this Citty of Norwich and the kinge his Maties subject by birth am fully & firmly resolved to frequent as a Pa-

rishioner my pshe church and contynue duringe my Iife in the pforrnance of all the dutyes belonginge to a parishioner as by lawes of this Realme of England. I am commanded & bound. And I will have nothinge to doe wth the ffrench Church at all. 105 In ihren Bemühungen, die Zahlungsunwilligen wieder in ihre Reihen aufzunehmen, konnten die Gemeindevorsteher der wallonischen Kirche mit der Unterstützung der Norwicher Magistratur rechnen. Diese scheute sich auch nicht, nachdem die Aufforderungen an die Genannten, den Forderungen der wallonischen Kirche zu folgen, auf Widerstand stießen, den Privy Council über die 103 BM, Landsdowne MS, vo1.841, No.24, fo1.53, "Appeal to the Bishop of Norwich by the consistory of tbe Walloon Church for help (1601)". 104

ebd.

105

MCB Nr.15, fol. 360v.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

88

ganze Angelegenheit zu informieren. Die Korrespondenz, die sich aus dem Fall entwickelte, ist im sogenannten Liber Albus, einem von der Stadtverwaltung angelegten Sammelband, in dem die für die Belange der Bürgerschaft wichtigsten Unterlagen kopiert festgehalten wurden, dokumentiert. 106 Aus den Briefen und aus den Eintragungen im Mayor's Court Book wird deutlich, wie sehr die Norwicher Magistratur daran interessiert war, die Exulanten in ihren jeweiligen Fremdenkirchen zu halten, um die Kosten zu vermeiden, die den englischen Pfarrgemeinden entstehen konnten, wenn neben reicheren Gemeindemitgliedern auch weniger wohlhabende Exulanten ihre Heimatpfarre verließen und so zu einem finanziellen Risiko für die englischen Kirchen werden konnten. Der Fall J oell Desormeaux beleuchtet die hier verfolgte Taktik. Am 10. Januar 1621 verzeichnet das Mayor's Court Book folgende Eintragung: Joell Desonneaux beinge lately depted out from the ffrench congregacon doth now refuse to contynue wth them, but doth withdraw hirnselfe to the evill example of others, and utterly refuseth to be of that Congregacon and refuseth to pay any mony at all to the minister of ye ffrench congregacon. 107 Zunächst versuchte man in der wallonischen Kirche, sich durch die Vermittlung der Schwestergemeinden in London und in Canterbury mit Desormeaux zu einigen und ihn wieder zum Eintritt in die wallonische Kirche zu bewegen. Diese Versuche scheinen jedoch gescheitert zu sein, denn am 31. Juli 1621 stand der wallonische Pastor Pierre de Laune erneut vor dem Norwicher Ma-

yor's Court:

Dennys Lennytt, Joe\1 Desonneaux & Samuell Cambye beinge nowe there psent were earnestly requested and psuaded to resort unto their congregacon and not to make a rent and division from the same. 108 Desormeaux war offenbar während der Anhörung de Launes selbst anwesend und nahm umgehend zu der Aufforderung des Court Stellung. Er wies darauf hin, that he ys a freeman of the ciUy, that he ys an Englishman borne though of Walloon parents, And therefore he ys resolved to hold hirnselfe to the Englisshe Church and not to goe back to the Wall on Congregacon, howsoever yt ys alledged against hirn

106

NRO, 17/b Liber Albus.

\07

MCB Nr.l5, fo1.329.

108

MCB Nr.15, fol.358v.

III. Die Exulantenkirchen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts

89

that he was baptized and hath borne office in the Wall on Church, wch he confesseth. 109 Um der Argumentation Desormeaux' und seiner Gesinnungsgenossen die Grundlage zu entziehen, wurde noch am selben Tag von den Norwicher Ratsherren folgende Verordnung erlassen: All psons wch have bene heretofore accompted to be of the Straungers Congregacon though borne in this kingdom, and such as shall hereafter be borne of those parents weh came as Strangers shalbe accompted to be of the Strangers Churches respectively.110 Auch diese Anordnungen scheinen Desormeaux nicht beeindruckt zu haben, so daß sich die Norwicher Ratsherren am 25. September 1621 zu einer Petition an den Privy Council in London genötigt sahen, in der sie versuchten, den Councillors die Dimensionen des Falles und den befürchteten Effekt auf die übrigen Gemeindemitglieder darzustellen: By reason of which their [Joell Desormeaux, Samuel Cambye und Dennis

L' Hermyte, R.E.] departure many of the other wealthier sort of the said congregation

being likewise English born and denizens and freemen of the said city do threaten the like departure, which, if it should be permitted, the congregation will in short time be utterly dissolved, the employment of their poor who are profitably exercised in mechanical manufactures will be neglected, the charge of maintenance of their ministers and of their aged and impotent people will be left upon a few indigent and unable persons, by means wherof many great and unavoidable inconveniences will befall this city and the government therof. III

Sollten sich die Genannten weiterhin weigern, den Anordnungen der Magistratur Folge zu leisten, so bitten der Bürgermeister und seine Ratsherren, diesen durch Vorladungen vor den Privy Council stärkeren Nachdruck zu verleihen "to answer such their contempt and disobedience. ,,112 Gleichzeitig wurde der Norwicher Alderman Francis Cocke als Vermittler zwischen den streitenden 109 MCB Nr.15, fol.358v. Desonneaux hatte am 24. Februar 1616 das Norwicher Bürgerrecht mit dem Beruf des Seidenwebers erworben. Bereits 1596 war er als Diakon für die Wallonengemeinde tätig gewesen. Siehe dazu Percy Millican (Hg.), The Register of the Freemen of Norwich, 1548-1713, Norwich 1934, S.121, 150. 110

MCB Nr.15, fo1.359.

111 PRO, SP 141122, nO.144. 25. September 1621. Zitiert nach Joan Thirsk, J.P. Cooper (Hg.), Seventeenth Century Economic Documents, Oxford 1972, S.715.

112

ThirsklCooper (Hg.), Seventeenth Century Economic Documents, S.716.

90

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

Parteien vor Ort eingeschaltet. 113 Die ganze Angelegenheit wurde im Sommer 1622 noch einmal vor dem Norwicher Bischof Harsnet verhandelt, doch auch die hier aufgestellten Richtlinien, die eine Wiedereingliederung der Genannten in die wallonische Kirche forderten, wurden von ihnen zunächst ignoriert. Im Frühling des folgenden Jahres wurde noch einmal der Versuch, einen von Camby, Desormeaux und den anderen Ausgetretenen zu bestimmenden Vermittlungsauschuß zu wählen und mit der Angelegenheit zu betrauen, unternommen, aber erfolglos abgebrochen: Joel Desormeaux "absolutely denyeth to submytt to be of that Church or to pay any Dutyes to the minister there.,,114 Erst als Desormeaux ein Verfahren vor dem Privy Council in London angedroht wurde, lenkte er ein. Am 28. Juni 1623 verzeichnete der Schreiber des Mayor's Court Book Desormeaux' Zustimmung, die Summe von 107 Shilling als mehrjährige Nachzahlung an die Armenkasse der Wallonengemeinde beim Sheriff von Norwich zu hinterlegen. 1I5 Wenige Monate später, am 8. November 1623 schloß sich Dennis L'Hermyte an und erklärte sich bereit, seine Schulden in monatlichen Raten an die Armenkasse der Wallonen abzuzahlen. In den 1630er Jahren verschlechterte sich in England das Klima religiöser Toleranz hin zu einer stärkeren Zentralisierung und Uniformierung der anglikanischen Kirche. Für die Fremdenkirchen bedeutete die Ernennung von William Laud zum Erzbischof von Canterbury 1633 eine ernsthafte Bedrohung ihres Status als vergleichsweise unabhängige religiöse Körperschaft. Bereits in seiner Funkti0n als Bischof von London hatte Laud unmißverständlich erkennen lassen, daß er für die Existenz separater Kirchen in England keine Notwendigkeit sah. In einer Petition an den Privy Council argumentierte er, daß es aufgrund der politischen Lage auf dem Kontinent keinen Grund gäbe, Exulantenkirchen weiterhin in England zu dulden. 116 Bereits kurz nach seinem Amtsantritt als Erzbischof von Canterbury begann Laud, seine Vorstellungen über Uniformität und Zentralisierung der anglikanischen Kirche in die Tat umzusetzen. Am 22. Februar 1634 schickte er zunächst kirchliche Kommissare zu den drei Frem113

MCB Nr.15, fo1.392v.

114

MCB Nr.15, fo1.464.

115

MCB Nr.15, fo1.482v.

116 "Report and Remedy conceming the French and Dutch churches as they now stand in many parts of this Kingdom first the danger, then the public remedy." Eine französische Version ist abgedruckt in: de Schickler, Les egli ses du refuge, Bd.2, S.21-23. Siehe dazu auch Andrew Pettegree, "The French and Walloon Communities in London 1550-1688" in: OIe P. Grell, Jonathan Israel, Nicholas Tyacke (Hg.), From Persecution to Toleration. The Glorious Revolution and Religion in England, Oxford 1991, S.77-96, bes. S.89.

III. Die Exulantenkirchen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts

91

denkirchen in Kent ( Canterbury, Maidstone und Sandwich ). Ihnen wurde ein Fragenkatalog vorgelegt, in dem die Gemeindevorsteher angeben mußten, nach welchem Ritus der Gottesdienst in ihren Kirchen abgehalten wurde, wie hoch der Anteil derjenigen Gemeindemitglieder war, die in England geboren waren und ob diese dem Ritus der anglikanischen Kirche folgen würden. Damit wurde eine der empfindlichsten Stellen der Exulantenkirchen getroffen. Mit dem zwangsweise verordneten Austritt von etwa einem Drittel der Kirchenmitglieder, die sich als in England Geborene der anglikanischen Staatskirche anschließen sollten, wurde die Überlebensfahigkeit der Fremdenkirchen ernsthaft in Frage gestellt. l17 Es waren gerade die Mitglieder der zweiten und dritten Generation, die als Kaufleute und Handwerksmeister die finanzielle Unterstützung der ärmeren Gemeindemitglieder sicherten. Auf der Synode der niederländischen Kirchen in London im Februar 1635 wurde das Problem besprochen. Allen Versammelten war klar, daß sich Lauds Maßnahmen nicht auf die drei genannten Gemeinden beschränken würden, sondern daß von allen in England geborenen Mitgliedern der Refugiantenkirchen die Einordnung in die englische Pfarre ihres Wohnortes erwartet wurde. 1I8 Mit einer Petition an den Hof versuchte man, den drohenden Kollaps der Refugiantenkirchen aufzuhalten und zumindest abgeschwächte Maßnahmen durchsetzen zu können. Diese Bemühungen schienen allerdings zunächst keinen Erfolg zu haben. Im April 1635 ließ Laud die Verordnung veröffentlichen, daß sich alle in England geborenen Mitglieder der Fremdenkirchen den englischen Pfarreien, in denen sie lebten, anschließen sollten. Nur im Ausland Geborenen wurde die Mitgliedschaft in den Fremdenkirchen gestattet. Die niederländischen Gemeindevorsteher wurden aufgefordert, bis zum März desselben Jahres entweder die anglikanische Liturgie in englischer Sprache in ihren Kirchen zu verwenden oder niederländische bzw. französische Übersetzungen für ihre Gottesdienste zur Vefügung zu steilen. Bereits zwei Monate später wurden die Verordnungen allerdings noch einmal modifiziert. Kindern von Einwanderern wurde nun gestattet, Mitglieder der Fremdenkirchen zu bleiben, auch wenn sie selbst in England geboren waren. Damit hatten die von den Kirchen vorgebrachten Petitionen zumindestens· teilweise Erfolg und konnten das Bestehen der Fremdengemeinden sichern. I 19 1I7 Hierin sieht Pettegree das eigentliche Motiv hinter Lauds Maßnahmen. Siehe Pettegree, "The French and Walloon Communities in London, 1550-1688", S.89.

IIR

Chamier (Hg.), Les Actes des Colloques, S.68-71.

119 Eine zeitgenössische Darstellung der Auseinandersetzungen mit Laud bietet Jean BulteeI, A Relation of the Troubles of the three forraign Churches in Kent. Caused by the Injunctions of William Laud, Archbishop of Canterbury, London 1645. Bulteel war während des Streits Prediger der Wallonengemeinde in Canterbury.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

92

Auch die Norwicher Kirchengemeinden konnten sich den von Laud ausgesprochenen Forderungen trotz zahlreicher Schreiben an den Bischof von Norwich, den englischen König und den Norwicher Stadtrat nicht entziehen. 12o Am 6. September 1636 wurden die Verordnungen auf Initiative des Norwicher Bischofs Matthew Wren, eines überzeugten Parteigängers Lauds, offiziell in den Fremdenkirchen verkündet. Über die Effizienz der Maßnahmen liegen keine gesicherten Angaben vor. Wiederholte Klagen Lauds, daß seine Anordnungen von den Fremdenkirchen nicht befolgt würden, lassen allerdings darauf schließen, daß es weder die Exulantenkirchen selbst noch die Verantwortlichen in den jeweiligen englischen Pfarreien mit der Durchführung und Einhaltung der bischöflichen Verordnungen sonderlich genau nahmen. l2l Vielmehr scheinen die jeweiligen Konsistorien den durch Lauds Beschlüsse aus der Gemeinde Ausgeschlossenen stillschweigend die Möglichkeit eingeräumt zu haben, als sogenannte Passanten an den Gottesdiensten und den Sakramenten teilzunehmen. 122 Passanten durften sich am religiösen Leben der Gemeinden beteiligen, ohne sich durch ein Zeugnis als Kirchenmitglieder ausweisen zu müssen. Sie waren damit von der sozialen Fürsorge der Fremdenkirchen ausgeschlossen, konnten aber den Gottesdienst besuchen und die Sakramente empfangen, während die Kirchenältesten offiziell ihre Existenz innerhalb der Fremdenkirchen leugnen konnten. Die Situation in Norwich wurde zudem dadurch kompliziert, daß neben den niederländischen Kirchen auch die puritanische Bewegung in der Stadt durch Lauds Uniformierungsmaßnahmen angegriffen wurde. 123 Vor allem in den 1620er und 1630er Jahren hatte sich in den führenden Kreisen der Norwicher Stadtverwaltung, das heißt unter den Aldermen und vor allem unter den Common Councillors eine starke pro-puritanische Fraktion gebildet, die ihren Einfluß bei der Vergabe von Pfründen und Predigterlaubnissen geltend machte.

120 Siehe William L. Sachse (Hg.), Minutes of the Norwich Court of Mayoralty 1632-1635, Norwich 1937 (Norfolk Record Society Bd.36), S.222. Eine Diskussion über die von Pierre de Laune und lohn Elison als Vertreter der wallonischen und der flämischen Kirche am 16. März 1635 vor den Mayor's Court gebrachte Petition, sich beim König für die Aüchtlingskirchen einzusetzen, wurde von den Norwicher Ratsherren bis auf weiteres verschoben. 121 Den oben erwähnten Petitionen hatten sich auch einige Magistrate der englischen Gaststädte angeschlossen, die durch den Niedergang der Fremdenkirchen stärkere finanzielle Belastungen für die Stadtkasse befürchteten. Möglicherweise ließ sich CharIes I. von diesen Argumenten stärker beeinflussen als von den Bitten der Fremden. 122

Siehe Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.2449.

111. Die Exulantenkirchen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts

93

Hierzu gehörte die Besetzung des Predigtstuhls der schon unter Elizabeth 1. als notorisch nonkonformistisch geltenden Pfarrgemeinde St. Andrews, die direkt der Norwicher Bürgerschaft unterstand und die von ihr regelmäßig mit puritanisch orientierten Kandidaten besetzt wurde. 1630, noch am Vorabend der Ernennung Wrens zum Bischof von Norwich, lud die Bürgerschaft den puritanischen Prediger William Bridge aus London ein, in der Pfarre St. Peter Hungate zu amtieren. Diesem wiederum gelang es durch geschicktes Taktieren auch für die Predigerstel1e in der Nachbarpfarre St. George Tombland, in nahezu provokativer Nähe zur bischöflichen Kathedrahle, kombinierte Predigterlaubnisse durchzusetzen, die es einer ganzen Reihe seiner Glaubensgenossen ermöglichten, in regelmäßigen Abständen in Norwich zu predigen. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt 1635 lancierte Bischof Wren eine Kampagne gegen die nonkonformistischen Prediger in der Stadt. William Bridge und sieben seiner Glaubensgenossen wurden vom Dienst suspendiert, den Norwicher Ratsherren wurde aufgetragen, sich jeden Sonntag zum Gottesdienst in der Kathedrale einzufinden. Wrens resolutes Vorgehen führte zum Exodus von schätzungsweise 500 überzeugten Nonkonformisten allein aus Norwich. Ein Großteil der unter den bischöflichen Maßnahmen Leidenden scheint in die Niederlande gezogen zu sein, wo sich in Rotterdam eine puritanische Gemeinde bildete. Interessanterweise argumentierte Wren in diesem Zusammenhang, der Exodus seiner Landsleute sei nur aufgrund der vergleichsweise höheren Löhne in Holland zustande gekommen, da die Niederländer bereit wären, für das know-how der Norwicher Textilarbeiter tiefer in die Tasche zu greifen. Die Argumentation ähnelt in erstaunlichem Maße der Situation, wie sie in den 1560er Jahren für den Zuzug von Niederländern nach Norwich entworfen worden ist.

123 Siehe hierzu Pound, Tudor and Stuart Norwich, S.88-90 und ausführlich Evans, Seventeenth Century Norwich, S.63-104. Sowohl Pound als auch Evans diskutieren ausführlich die Auseinandersetzungen von Laud und Wren mit der puritanischen Opposition in Norwich. In keiner der beiden Darstellungen werden die Exulantenkirchen erwähnt. Demgegenüber versucht OIe P. Grell Lauds Kritik an den Fremdenkirchen aus deren ideologischer und personeller Nähe zu der puritanischen Bewegung in East Anglia zu erklären. Siehe dazu OIe P. Grell, "A Friendship tumed sour: Puritans and Dutch Calvinists in East Anglia, 1603-1660" in: Elizabeth S. Leedham-Green (Hg.), Religious Dissent in East Anglia, Cambridge 1991, S.45-67.

94

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

Wrens Maßnahmen trafen bei einem Teil der Norwicher Bürgerschaft auf heftigen Widerstand, der sich in Petitionen einiger der Aldermen zunächst an den Bischof selbst, dann an den königlichen Hof äußerte, ohne hier allerdings Gehör zu finden. Obwohl Laud den König 1639 davon in Kenntnis setzen konnte, die Diözese von Norwich sei "as quiet, uniform, and conformable as any in the kingdom, if not more",124 blieb die Norwicher Magistratur gespalten. Wenn es auch den Gegnern Wrens nicht gelungen war, ihre Position gegenüber dem Bischof zu behaupten, versuchten sie, soweit es ihnen möglich war, weiterhin puritanisch orientierte Prediger zu unterstützen. Die Tatsache, daß die Mitglieder der Exulantenkirchen, denen es nach Lauds Vorstellungen nicht mehr erlaubt war, den niederländischen oder französischen Gottesdienst zu hören, weiterhin stillschweigend daran teilnehmen konnten, und daß auch offenbar auf die geforderte Einführung der englischen Liturgie kein sonderliches Augenmerk gerichtet wurde, ist sicherlich auf die Sympathie, die den nonkonformistischen Kirchen in Norwich entgegengebracht wurde, zurückzuführen. Daß die Mitglieder und Mitläufer in der puritanischen Bewegung in Norwich dabei nicht unbedingt eine sozial und religiös radikal eingestellte Gruppe bildete, hat John Evans in einer Analyse der Aldermen und Common Councillors für die Jahre 1633 bis 1640 herausgearbeitet. Bereits seit den 1570er Jahre war es den nonkonformistisch orientierten Predigern und Ratsherren in der Stadt gelungen, vorbei an der bischöflichen Überwachung in St. Andrews eine lokale "puritanische" Kirche zu unterhalten. Spätestens seit den 1620er Jahren wurde die puritanische Bewegung in der Stadt von Teilen der bürgerlichen Oberschicht mitgetragen. Aus dieser Perspektive können die Bemühungen ihrer Anhänger in Auseinandersetzung mit Laud und Wren dahingehend verstanden werden, daß man sich hier hauptsächlich darum bemühte, bereits angestammte Rechte und lokale Traditionen religiöser Autonomie zu sichern. 125

124 James Bliss, William Scott (Hg.), The Works of William Laud, 7 Bände, Oxford 1847-60, Bd.5, S.364.

m Siehe dazu Evans, Seventeenth Century Norwich, S.63-1 04.

IV. Nationale Kontakte

95

Von diesem, sich nicht grundsätzlich gegen die Politik von Lambeth Palace richteten den Vorgehen, konnten auch die Fremdenkirchen profitieren. Valerie Morants Kommentar, "The final dispersal of the alien communities in England was brought about by Archbishop Laud's Act of Uniformity",126 trifft mit Sicherheit nicht auf die Fremdengemeinden in Norwich zu. Auch was den Anteil der Norwicher niederländischer Herkunft an den erwähnten Auswanderern angeht, so weisen die erhaltenen Passagierlisten für den Fährverkehr zum Kontinent einen erstaunlich geringen Anteil an Exulanten oder deren Nachkommen auf. Von den 850 Personen, die in drei Fahrgastlisten von Reisenden zwischen Yarmouth und Holland und Neuengland zwischen 1637 und 1639 erhalten sind, hatten nur 10 Personen Verbindungen zu den Exulantengemeinden. 127 Bedenkenswert erscheint in diesem Zusammenhang die These OIe Grells, für den die Maßnahmen Lauds und Wrens den Fremdenkirchen eher genutzt als geschadet haben. Das Bewußtsein einer "model community" sei durch die Verfolgungen geschärft worden und habe, so argumentiert Grell, zu einer Wiederbelebung der spezifisch niederländisch - calvinistischen Elemente innerhalb der Fremdenkirchen geführt. 128 Nach dem Sturz Lauds 1640 konnten sich die in ihrer Mitgliederzahl erheblich zusammengeschrumpften Gemeinden konsolidieren und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts ein funktionierendes Gemeindeleben aufrechterhalten. 129

IV. Nationale Kontakte Mit dem Aufbau der kirchlichen Organisation der Exulantengemeinden ist auch die Frage nach nationalen Zusammenschlüssen innerhalb der Flüchtlingskirchen in England und nach übernationalen Zusammenschlüssen mit den Kirchen in den Niederlanden und in Deutschland verbunden. Für beide Bewegungen scheint die Initiative von den kontinentalen Gemeinden ausgegangen zu sein. 130 Die nationale Synode der reformierten niederländischen Kirchen, die 126 Valerie Morant, "The settlement of Protestant refugees in Maidstone during the sixteenth century", The Economic History Review, Second Series, 4, 1951-52, S.21O-214, S.214.

127 Charles B. Jewson (Hg.), Transcript of the Three Registers of Passengers form Great Yarmouth to Holland and New England, 1637-1639, Norwich 1954 (Norfolk Record Society Bd.25). 128 Grell, "A Friendship tumed sour", S.45-67, bes. S.60. Allerdings bleibt Grells These Spekulation. Beispiele und Indizien für das neue, geschärfte calvinistische Bewußtsein werden nicht gegeben. 129

Siehe dazu Moens, The Walloon and their Church at Norwich, Bd.I, S.86-111.

130 Vergleiche hierzu F.L. Rutgers (Hg.), Acta van Nederlandsche Synoden der zestiende eeuw, Utrecht 1889 (Mamix Society Series, Ser.2, T.3), S.61, 104.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

96

vom 4. bis zum 13. Oktober 1571 in Emden stattfand, hatte vorgeschlagen, die Flüchtlingsgemeinden in England und Deutschland und die Cruiskerken in den Niederlanden in drei große Provinzen aufzuteilen. Die Provinzen sollten wiederum in Classis unterteilt werden. 13I Dieser Vorschlag wurde in England erst allmählich und in stark modifizierter Form aufgegriffen. Initiatoren für die einzelnen Schritte scheinen wiederum die Kirchen auf dem Kontinent gewesen zu sein. Die Classis von Walcheren schrieb am 7. Dezember 1574 an die flämische Kirche in London, daß eine Beteiligung der Exulantenkirchen an den kontinentalen Synoden sehr begrüßt würde. 132 Hier hatten allerdings die Niederländer ihren Glaubensbrüdern in Holland und Seeland bereits mehrfach eine Absage erteilen müssen, da sie die Mißbilligung der Engländer fürchteten. Daneben wurde den Exulanten im selben Schreiben vorgeschlagen, sich, wie die Gemeinden auf dem Kontinent, in Classis zu organisieren. Unter Classis verstand man den Zusammenschluß benachbarter Kirchengemeinden, deren Hauptaufgabe darin bestand, die Predigerausbildung zu überwachen und sich gegenseitig gegen Sektierer und Andersdenkende zu unterstützen. 133 Diesen Vorschlägen stand die Londoner Kirche zunächst skeptisch gegenüber, da sie Kritik aus den Reihen der englischen Obrigkeit an einem nationalen Zusammenschluß befürchtete. Tatsächlich wurde die Organisation von Classis nach dem Emdener Vorbild von den Engländern verboten. 134 Die Londoner schlugen stattdessen eine informellere Zusammenkunft der niederländischen Kirchen in England vor. 135 Dieser Vorschlag fand bei den übrigen Gemeinden in Sandwich, Colchester, Yarmouth und Dover begeisterte Zustimmung. 136 Auch die Gemeinde in Norwich stimmte den Londoner Plänen zunächst zu. Michiel PanneeI, von 1571 bis 1577 Prediger der Gemeinde, schrieb am 15. Februar 1575 nach London: Eerweerde ... medebroders inden Heere, wij hebben ten laetsten gheraedtslaeght op het inhoudt vanden Brief vande Broederen tot Vlissynghe: ende v Lieder aduys in dese zake verstaen hebbende, en connen niet dan tselve approberen, ende de Heere bidden, dat doch syn kercke in onse vaderlant vpcommen, ende in goede ordene 131 Rober! van Roosbroeck. Emigranten. Nederlandse vluchtelingen in Duitsland (1550-1600), Leuven 1968, S.78.

m Hessels (Hg.), EccIesiae Londino-Batavae. Bd.2, Nr.136. D3

S.240,

Siehe dazu Alastair Duke, Refonnation and Revolt in the Low Countries, London 1990, 251, 286-87.

134

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.117.

135

Hessels (Hg.). Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.135.

IJ6

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3.1, Nr.314, 316, 318, 320. 322.

IV. Nationale Kontakte

97

mach gheregiert worden, waer toe wij met allen vlijdt behooren, ende oock van herten begheeren onse hulpe ende bijstant naer on se vermoghen te emploeijeren, vp sulcker wijse, als inde tsamencompste van alle kercken van onser nacie binnen dit Conincrijcke gheraetsaem zal ghevonden worden. 137

Am 15. März 1575 kam es zu einem ersten Treffen der niederländischen Flüchtlingskirchen in London. Anwesend waren Gesandte aus London, Sandwich, Co\chester, Maidstone und Yarmouth. Als Vertreter der Norwicher Gemeinde waren Michiel Panneel und der Älteste Philippus Andries in die englische Hauptstadt gereist. Sie waren von den Ältesten der Gemeinde hierzu mit einem Begleitschreiben ausgestattet worden, in dem der Handlungsspielraum für die Delegierten genau abgesteckt worden war. Die zu erwartenden Beschlüsse sollten einerseits nur unter Zustimmung der "Bisschoppen deses Conijncrijcx" gültig sein, andererseits durften die Norwicher Abgesandten keinen Anordnungen zustimmen, die das bisherige Kirchenregiment grundsätzlich in Frage stellten oder ihm widersprachen. 138 Auf der Gründungsversammlung, der der Londoner Prediger Gottfried Winghen vorsaß, wurden die Formalitäten für die weitere Organisation der niederländischen Fremdenkirchen festgelegt. Hierbei orientierte man sich allerdings nur teilweise am niederländischen Vorbild und nahm anstelledessen verstärkt Elemente der französischen reformierten Kirchen auf. An die Stelle der niederländischen Classis traten die Kolloquien, die, im Gegensatz zu den mehrmals stattfindenden Classis, nur einmal im Jahr zusammentraten. In diesen Versammlungen sollten besondere Fragen und Probleme, die innerhalb der einzelnen Gemeinden aufgetreten waren, mit ihren Glaubensbrüdern beraten und diskutiert werden. Möglicherweise fürchtete man bei zu häufigen Treffen sowohl die dadurch entstehenden Kosten als auch die Kritik der englischen Obrigkeit. Daß diese die Aktivitäten der Niederländerkirchen in England sehr genau beobachteten, wird aus dem Protokolltext der zweiten nationalen Zusammenkunft am 22. Mai 1576 in London deutlich. Während der Text von 1575 noch ausdrücklich von der "Vrijheit" der versammelten Kirche sprach, wurde diese Formulierung im Text von 1576 eingeschränkt. Die hier definierte "Vrijheit" sollte nicht "de autoriteyt der Eerw. Bisschopen en Superintendenten ... moghen in eenighen deelen preiudicieren." Sie umfaßte nur "al Su\cke gunstighe toelatinghe, als ons hier in den Landen ut ghenade der K.Mt. in de sake der Religie ghegeven is.,,139 137

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, BdJ.I, Nr.317.

138

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3.1, Nr.32 I , Nr.325.

139 van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.13. Vergleiche dazu auch Schilling, Niederländische Ellulanten, S.141, Anm.255. 7 EBer

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

98

Nach Schillings Vermutungen war diese Korrektur von der englischen Obrigkeit veranlaßt worden. 140 Sie entsprach aber zumindestens auch den Vorstellungen und Wünschen der Norwicher Exulantengemeinde, die sich nach den innerkirchlichen Auseinandersetzungen der Jahre 1570171 eine weitere FrontsteIlung gegen den Bischof von Norwich sicherlich nicht leisten konnte. Die Zusammenkunft von 1576 legte noch einmal genauer die Aufgaben fest, die sich das Gremium gestellt hatte. Es ging um das onderhouden der kercken in eenicheyt der leere, in eendrachtighe beleydinghe der discipline, ceremonien ende kerckenregieringhe soo veel het moghelick is, ende op dat sij ma\canderen ghemeynen raedt ende hulpe bewijsen in occasie van tweedracht ende andere reeden. 141 Jede Gemeinde sollte in Angelegenheiten der Kirchen gleiches Stimmrecht haben, aber auch die Freiheit, sich den gefaßten Entschlüssen zu entziehen. Besonders enge Verbindungen sollten die nördlichen Gemeinden Norwich, Co\chester, Yarmouth und Thetford unterhalten, sowie die südlichen Gemeinden London, Sandwich, Dover und Maidstone. Zunächst war beschlossen worden, die Versammlungen jedes Jahr abzuhalten. Ab 1578 traf man sich nur noch alle drei Jahre. Insgesamt fanden zwischen 1575 und 1609 13 Kolloquien statt. Während man in Norwich zunächst den jährlichen Treffen zustimmte, scheint sich die Stimmung in der Gemeinde bereits 1577 verändert zu haben. Auf der Versammlung in Co\chester am 18. Mai 1577 war sie nicht mehr vertreten. Gründe für ihr Fernbleiben hatte Michiel Panneel am 15. April in einem Schreiben an die ausrichtende Gemeinde in Colchester ausgeführt. Zum einen wurde die Entscheidung des letzten Kolloquiums kritisiert, die den Deputierten oberste Gewalt in Gemeindeangelegenheiten auch auf finanziellem Sektor zugestanden hatte. Zum anderen hielten die Norwicher die jährlichen Treffen für zu kostspielig. In einem letzten Punkt wurde die Notwendigkeit dieser Übereinkünfte grundsätzlich in Frage gestellt, wenn sie nicht schwerwiegende Auseinandersetzungen bezüglich der theologischen Lehre schlichten sollten. Da nach Ansicht der Norwicher diese Fragen für das geplante Kolloquium nicht anstünden, hatte sich die Mehrheit der Verantwortlichen gegen eine Teilnahme ausgesprochen. Für spezielle Frage wollte man aber weiterhin zur Verfügung stehen. 142 In ei140

Schilling, Niederländische Exulanten, S.141, Anm.255.

141

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.14.

142

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.457.

IV. Nationale Kontakte

99

nem Antwortschreiben auf das Fernbleiben der Norwicher wurde diese Haltung von den anwesenden Kirchen heftig kritisiert. Die Gründe, die die Norwicher angeführt hatten, sollten in einem nachfolgenden Kolloquium diskutiert werden. Auch zu diesem, das im Mai 1578 stattfand, sandte Norwich keine Abgeordneten. Herman Moded, zur Zeit Prediger in der Gemeinde, schrieb dazu am 21. April 1578 nach London, daß man in Norwich an der Meinung festhielte, die bereits im Vorjahr formuliert worden war. Gleichzeitig wurde das Angebot erneuert, bei Schwierigkeiten der einzelnen Flüchtlingsgemeinden untereinander als Schlichter zu fungieren, wenn das gewünscht würde. 143 Wiederum traf die Absage bei den Versammelten in London auf Unverständnis. Die angeführten Gründe für das Fernbleiben der Norwicher wurden als "ongrondich ... ende impertinent" kritisiert,l44 was aber die Norwicher Gemeindevertreter nicht von ihrem Standpunkt abbrachte. Bis 1586 erschienen sie auf keinem Kolloquium mehr und lehnten auch die Einladungen zu internationalen Synoden ab. Für Schilling liegt das Hauptmotiv der Norwicher Absagen in der Furcht vor dem Mißtrauen der englischen Geistlichkeit. 145 Tatsächlich ist aber weder in der offiziellen Korrespondenz mit den Norwicher Stadtvätern oder dem Bischof noch an anderer Stelle eine Ermahnung gegen eine solche Teilnahme zu finden. Der Briefwechsel der Norwicher Gemeindevertreter mit ihren Glaubensbrüdern macht vielmehr deutlich, daß die bereits 1577 geäußerte Kritik an den Vollmachten, die sich die Deputierten auf der Versammlung selbst zugeschrieben hatten, Kernpunkt der Norwicher Haltung war. In einem Brief an die Exulantengemeinde in Maidstone von 3. April 1583 wurde dieses Argument noch einmal formuliert und besonders die Finanzhoheit, die die Delegierten erhalten hatten, kritisiert. 146 Naheliegend erscheint auch die Vermutung, daß sich die Norwicher durch die Dominanz der Londoner Gemeinde auf den Kolloquien an die Wand gedrängt fühlten und durch ihr Fernbleiben die Autonomie ihrer Kirche manifestieren wollten. Darüber hinaus spielten sicherlich auch die persönlichen Animositäten der Norwicher Prediger und Ältesten gegenüber den Londonern eine Rolle. Herman Modet, der 1567 und 1576 bis 1578 in Norwich tätig war, beispielsweise, war bereits in den 1560er Jahren über die Frage nach der Unterstützung des bewaffneten Widerstandes in den Niederlanden mit den Londonern aneinandergeraten und war sicherlich nicht gewillt, sich den von London 141

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.546.

144

van Toorenbergen (Hg.), Acten, S.39.

145

Schilling, Niederländische Exulanten, S.141, Anm.255.

146

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, BdJ, Nr. 844.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

100

dominierten Beschlüssen der Ko\1oquien zu beugen. 147 Diese Sorge um die Unabhängigkeit von London wird in einem anderen Zusammenhang in einem Brief der Norwicher Gemeinde an die Londoner vom 19. Juli 1601 noch einmal ganz deutlich. Vorangegangen war ein Schreiben der Londoner, die den Norwichern einen gemeinsamen Fasttag vorschlugen. Dieser Plan wurde von den Norwichern jedoch unter anderem mit dem Argument abgelehnt ome dat wy weeten dat Duytlandische Kerken in Londen nyet meer preeminentie om eenen biddach te beschriven en hebben als andere kerken. 14R Erst am 30. Mai 1586 nahmen der Prediger Salomon de Smet und der Älteste Gillis Dregge wieder an einer Versammlung der niederländischen Kirchen in London teil. Aber, wie es ausdrücklich heißt, niet om in den Colloquio te sitten, dan alleen om te helpen verhandelen de artikelen van onzen Heere Walsingham Secretaris ende raet van haere Ma. geproponeerd. 149 Bei dem Schreiben des Privy Councillors Sir Francis Walsingham handelte es sich um eine Anweisung an die Fremdenkirchen, in der die Niederländer aufgefordert wurden, sich für Kornimporte von den Niederlanden nach England einzusetzen, Soldaten für den Krieg in Frankreich und in den Niederlanden zur Verfügung zu ste\1en, verstärkt englische Arbeiter einzustellen und sich im allgemeinen nicht zu deutlich in den Gastorten sehen zu lassen. Hintergrund dieser Anweisungen waren offenbar Unruhen in London gewesen, von denen Walsingham befürchtete, daß sie zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen eskalieren könnten. Auf dem Kolloqium wurde beschlossen, sich soweit wie möglich den Aufforderungen Walsinghams anzuschließen, um weitere Spannungen zu vermeiden. 150 Nach diesem Treffen ist über nationale Zusammenschlüsse der Exulantenkirchen bis 1599 nichts mehr verzeichnet. Die Fremdenkirchen hielten zwar weiterhin regen Briefkontakt, verzichteten aber auf Treffen in größerem Rahmen. Möglicherweise fürchtete man, daß eine Versammlung in England vor allem angesichts der in den folgenden Jahren aufgedeckten Verschwörungen gegen

147

Siehe Peltegree, Foreign Prostestant Communities, S.241 f.

148

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.ISOI.

149

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.86/87.

150 Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.220 und van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.86/87.

IV. Nationale Kontakte

101

die englische Königin und der prekären außenpolitischen Lage von den Engländern mißverstanden oder als Anlaß für fremdenfeindliche Ausschreitungen mißbraucht werden könnte. Erst am 28. August 1599 kamen die niederländischen Gemeinden erneut zu einem Kolloquium in London zusammen. Für die Norwicher Gemeinde waren der Prediger Samuel van Asshe und der Älteste Franchois Michiels "met volle macht", wie es im Eingangsprotokoll ausdrücklich heißt, anwesend. 151 Der Anlaß dieser Versammlung machte die Teilnahme der Norwicher Vertreter ausdrücklich notwendig. Philipp Andries, der bis 1594 als Ältester aktiv gewesen war, hatte die Vertreter der Schwestergemeinden zu einer Zusammenkunft aufgerufen, um vor ihnen seine Streitigkeiten mit dem Norwicher Konsistorium zu schlichten. Aus der Korrespondenz der Exulantenkirchen läßt sich sein Fall rekonstruieren und bietet ein gutes Beispiel für die Art und Weise, wie im Kolloquium versucht wurde, Schwierigkeiten einzelner Gemeindemitglieder mit ihren Kirchenältesten beizulegen. Im Oktober 1594 hatte der Älteste Jacques vande Sande seinen Kollegen Andries im Konsistorium beschuldigt, zu einem nicht genauer erwähnten Vorfall absichtlich Lügen verbreitet zu haben. Aus diesem Grunde sei er nicht mehr würdig, im Konsistorium zu sitzen. Andries hatte offenbar versucht, sich zu rechtfertigen, wobei es zwischen den Kontrahenten zu einem Handgemenge gekommen war. Vande Sande verbreitete daraufhin in der Gemeinde das Gerücht, Andries habe ihn angegriffen und verletzt. Der Beklagte reagierte mit seinem Rückzug aus der Gemeindearbeit. Er wolle erst wieder sein Amt ausüben, wenn seine Reputation wiederhergestellt sei. Das Konsistorium zeigte sich seinen Klagen gegenüber offensichtlich uneinsichtig, denn Andries wurde nun seinerseits von der drei Monate nach dem Vorfall stattfindenden Abendmahlsfeier ausgeschlossen, da er nach den Vorhaltungen seiner Mitbrüder seine Pflichten als Ältester vernachlässigt hatte. 152 Die Angelegenheit konnte offenbar auch in den folgenden vier Jahren nicht gütlich beigelegt werden. Andries verteidigte seine Sache vor dem Bischof von Norwich, der die Mitglieder des Konsistoriums am 25. November 1598 aufforderte, folgende Eintragung in ihrem Protokollbuch festzuhalten: that Philipp Andrees aforesaid what tyme James vande Sande dyd call hirn the said Phillypp Iyer, hee the said Phillypp not geven tot Iying, but one that would speak the trueth. 153 151 van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.88; Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1456. 152

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1312, 17.10.1594.

m Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1427.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

102

Dieser Aufforderung scheinen die Ältesten nachgekommen zu sein. Nach den bischöflichen Anordnungen sollten Andries' Pflichtvergehen noch einmal geprüft und mit der Disziplin verglichen werden. Wenn er sich bereit erklärte, öffentlich die ihm möglicherweise durch dieses Verfahren nachgewiesenen Versäumnisse zu bekennen, sollte er wieder in die Gemeinde aufgenommen werden. Zu diesem Zweck war nun das Kolloquium in London einberufen worden. Die Ältesten in Norwich hatten offenbar versucht, das Verfahren in die Länge zu ziehen, indem Entschuldigungen angeführt wurden, warum man nicht an dem zunächst vorgeschlagenen Termin im Juni 1599 erscheinen konnte. Andries setzte sich daraufhin selbst dafür ein, die Norwicher an den Verhandlungstisch zu bringen. 154 In den folgenden Verhandlungen, die in den Versammlungsakten festgehalten wurden, wird der Kern der gegen Andries gerichteten Beschuldigungen noch einmal deutlich. Man habe ihn nicht, so wurde in London argumentiert, vom Abendmahl ausgeschlossen, weil man die gegen ihn gerichteten Verleumdungen für gerechtfertigt hielt, sondern weil er sich eigenmächtig von seinem Dienst als Ältester zurückgezogen hatte. Dem Norwicher Konsistorium wurde wiederum vorgeworfen dat sij niet neerstelick ghenoech ghehandelt hebben met den lasteraer, ende te Iichtelick gheprocedeert teghen hem Philips, int suspenderen van den H.Avontm. 155 Letzten Endes scheint die Angelegenheit allerdings zu beiderseitiger Zufriedenheit beigelegt worden zu sein. Die streitenden Parteien entschuldigten sich gegenseitig für ihr hartnäckiges Verhalten ende sijn also met eenen alle particuliere questien gheeyndigt met hantghevinghe van Mr. Samuel van Asse ende Francoys Michiels; met bekentenisse dat haer leet was dat sij haer oock menschelick vergrepen hadden. 156

154

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1452.

155

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.91.

156 van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.93. Andries scheint jedoch auch weiterhin in der Gemeinde für Unruhe gesorgt zu haben. Am 16.10.1605 schrieb der derzeitige Prediger der Norwieher Niederländergemeinde an die Londoner Gemeinde mit der Frage, ob man wegen schwerwiegender Differenzen zwischen Andries und dem Prediger Christianus Anthonius ein Kolloquium einberufen sollte. Siehe Hessels (Hg.). Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1454. Die Londoner stimmten am 11.5. diesem Vorschlag zu und schlugen vor, das Treffen am "Tatort" abzuhalten. Ob sich die niederländischen Kirchen tatsächlich in den folgenden Monaten in Norwich trafen, ist nicht bekannt. Konsistoriumsakten liegen darüber nicht vor. Daß Klagen gegen den Ausschluß vom Abendmahl häufig auf den Kolloquien verhandelt wurden, macht auch der Fall Jeroon Schipman deutlich, der ebenfalls 1599 verhandelt wurde. Siehe dazu van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.95/96.

V. Internationale Kontakte

103

Auf diesem Treffen wurde nochmals betont, daß man sich nur nach genauer Prüfung der vorliegenden Gravamina zu Kolloquien treffen sollte. Tatsächlich kamen die Vertreter der niederländischen Exulantenkirchen erst wieder 1609 zur Ausarbeitung einer gemeinsamen Kirchenordnung zusammen. 157 Zu dieser Zusammenkunft sandten auch die Norwicher zwei Vertreter, nämlich ihren Prediger Johannes Elison und den Ältesten Peter Walwyn.

V. Internationale Kontakte Was eine übernationale Organisation zusammen mit den Kirchen auf dem Kontinent angeht, so kam diese in England nur sehr zaghaft zustande. Die Vorschläge, die auf der nationale Synode in Emden 1571 gemacht worden waren, wurden nicht aufgegriffen. Tatsächlich hatte die englische Regierung den Exulanten die Teilnahme an der Emdener Synode ausdrücklich verboten. 15S Die Anerkennung von Verordnungen, die außerhalb der englischen Kirche getroffen wurden, mußte für die Engländer unakzeptabel sein, da sie damit einer anderen Institution ihnen übergeordnete Autorität zugestanden. Daß sie auf diese Vorstellung äußerst empfindlich reagierten, ist angesichts der Tatsache, daß man sich erst vor knapp 40 Jahren von der Autorität des Papstes befreit hatte und selbst noch auf der Suche nach eigener religionspolitischer Identität war, durchaus verständlich. Daß die Exulantengemeinden damit zu einem äußerst vorsichtigen Drahtseilakt gezwungen waren, bei dem sie im Zweifelsfall immer die Partei ihrer Gastgeber ergreifen mußten, mußten auch die kontinentalen Schwestergemeinden einsehen. Die nationale Synode von Dort von 1578 akzeptierte offiziell, daß die englischen Flüchtlingskirchen nur einem Teil ihrer religionspolitischen Vorschläge zustimmen konnten. 159 Zwar konnten die Exulanten zu den kontinentalen Synoden Vertreter schicken, diese betonten allerdings, daß sie ausdrücklich nur Beobachterstatus hatten und nicht an den Abstimmungen teilnehmen durften. Die dort ge faßten Beschlüsse waren für die Niederländergemeinden in England nicht verbindlich. IM Während der englischen Kolloquien 1~7 Siehe Abschnitt I des vorliegenden Kapitels. Danach traf man sich erst wieder 1615, 1618, 1624 und 1627, Siehe van Toorenenbergen (Hg.), Acten, passim. 158

Hessels (Hg.), Ecc1esiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.llO.

Hessels (Hg.), Ecc1esiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.562. Siehe auch Rutgers (Hg.), Acta, S.281, 304-306, 360, 362-63. 159

160 Auf der Generalsynode von Middelburg 1581 erklärte ein Abgesandter der wallonischen Kirche von London, die Mitgliedschaft sei für seine Gemeinde nicht möglich "sans l'authorite publique." Man müsse auf die Meinung des Superintendenten, also des Bischofs von London, Rücksicht nehmen, wolle man nicht in ernstliche Schwierigkeiten mit der englischen Obrigkeit

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

104

wurden allerdings die auf dem Kontinent verfaßten Beschlüsse und Entscheidungen genauestens diskutiert. Wo sie sinnvoll und vereinbar mit der englischen Obrigkeit erschienen, versuchte man, sie zu übernehmen. Auch an dieser Entwicklung nahmen die Norwicher Kirchenvertreter nur widerstrebend teil. Die wiederholten Absagen an die Kolloquien mit ihren englischen Schwestergemeinden wurden von den Anwesenden besonders deshalb kritisiert, weil die Treffen sowohl 1577 als auch 1578 gerade auf Wunsch der "Classis Over See" abgehalten worden waren. 161 Welche Vorbehalte die Norwicher gegen die internationalen Verbindungen mit den kontinentalen Schwestergemeinden hatte, hat der Prediger Salomon de Smet in einem Schreiben an die Niederländergemeinde in London am 7. August 1581 besonders deutlich formuliert. Anlaß zu diesem Schreiben war die Einladung gewesen, Vertreter zu der Synode von Middelburg zu schicken. Dieser Vorschlag, sowie auch die Teilnahme an den englischen Kolloquien, wurde von den Norwichern mit dem Hinweis auf die Erfahrung aus den frühkirchlichen Zusammenschlüssen abgelehnt. De Smet führte an dat alle innovatien ende veranderinghen eenighen stants maer inzonderlinghe des regiments ende order der Kercken, ghemeentelick meer twist, tweedracht ende oorsake der verschueringhe met haer bringht dan eendrachticheit, stichtinghe ende onderlinghe liefde. 162 Auch der Hinweis der Londoner in ihrem Antwortschreiben vom 31. August 1581, daß die Sorgen, in ihrer Freiheit von den kontinentalen Synoden und deren Beschlüssen eingeschränkt zu werden, völlig unbegründet seien, konnte die Norwicher nicht überzeugen. 163 Man blieb bei der vorläufigen Absage solange die politischen Angelegenheiten in den Niederlanden nicht geklärt worden seien: Dan zoo ... den troubelen staet on ses Vaderlandt ghestillet zijnde, een yeghelick wederomme totten zijnen mochte wederkeeren, ende aldaer met ghoeder conscientie den Heere dienen, zoo zijn de broederen ghewillich, ende bereyt alzulck een regie-

geraten. Ähnlich äußerte sich auch sein flämischer Mitbruder. Siehe dazu Chamier (Hg.), Actes, S.3ff und Hessels (Hg.), EccIesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.554, 562. Auf der Synode von Den Haag 1586 waren keine Vertreter der Fremdenkirchen anwesend. \6\

Hessels (Hg.), EccIesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.468, 553.

162

Hessels (Hg.), EccIesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.731.

\63

Hessels (Hg.), EccIesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.739.

V. Internationale Kontakte

105

ringhe ende orderinghe der Kercken taccepteren ende hemlieden daeronder te submitteren. 164

Auch während der Regierungszeit James' I. waren die Exulantengemeinden zu einem vorsichtigen Kurs in Fragen internationaler Zusammenarbeit gezwungen. So wurde beispielsweise die von den Niederländern auf dem Kolloquium von 1618 zusammengestellte Delegation für die nationale Synode von Dort von drei gewählten Vertretern auf einen Repräsentanten gekürzt, der zudem nur Beobachterstatus hatte. 165 Auch die auf der Synode verabschiedeten 39 Beschlüsse wurden von den Exulantenkirchen nicht mitgetragen. Die französischsprachigen Kirchen in England scheinen sich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu einem nationalen Verband zusammengefunden zu haben. Das erste erhaltene Protokoll einer Versammlung aller wallonischen Kirchen in England datiert von 1581. 166 Vermutlich hatte vor diesem Zeitpunkt eine beratende Versammlung stattgefunden, auf der die regelmäßigen Zusammenkünfte der Kirchen besprochen worden waren. Anzeichen für eine frühere Gründung liegen nicht vor. Bis 1584 wurden diese Kolloquien regelmäßig einmal pro Jahr an unterschiedlichen Versammlungsorten abgehalten. 167 Danach einigte man sich aus Kostengründen auf größere Abstände zwischen den jeweiligen Versammlungen und legte zu Beginn des 17. Jahrhunderts London als Versammlungsort fest. Die Aufgaben, die sich die Kolloquien gegeben hatten, waren mit denen der niederländischen Kirchen identisch: Behandlung kirchendisziplinarischer Fragen und Schlichtung in Streitfällen zwischen Gemeindemitgliedern, Predigern und den jeweiligen Konsistorien. Die französischsprechenden Refugiantenkirchen bemühten sich sehr bald um eine Ablösung sowohl von den niederländischen als auch von den französischen Kirchen auf dem Kontinent. Man schickte zwar Vertreter zu den Synoden von Dort und Middelburg "pour temoigner de I'amitie et union",168 fühlte sich den dort getroffenen Entschlüssen 164

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.731.

165 Dieses Vorgehen war von den Organisatoren selbst initiiert worden, da man fürchtete, die Präsens von Vertretern der Exulantenkirchen könnte die ebenfalls anwesenden Abgesandten des englischen Königs brüskieren. 166

Chamier (Hg.), Actes, S.3ff.

167 1581 und 1582 traf man sich in London, 1583 in Norwich, 1584 in Canterbury. Dann versammelten sich die Kirchenvertreter erst wieder 1586 in Southampton, 1587 in Rye und 1588 und 1589 in London. 1590 richtete die Wallonengemeinde in Canterbury das Kolloquium aus, 1593 und 1594 traf man sich in Norwich, 1595 wiederum in Canterbury, 1596 in London und 1598 in Southampton. Siehe dazu Chamier (Hg.), Actes, passim. 168

Chamier (Hg.), Actes, S.3.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

106

allerdings nicht verpflichtet. Gemeinsame Kolloquien mit den niederländischen Exulantenkirchen, wie sie beispielsweise von den Vertretern der französischen Kirchen auf dem Londoner Kolloquium am 16. März 1603 aus Anlaß der Thronbesteigung James' I. und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit für die Fremdenkirchen vorgeschlagen wurden, kamen nicht zustande. 169 Auch hier waren die Vertreter der Norwicher Niederländergemeinde eher skeptisch, wie ein Brief an das Londoner Konsistorium vom 27. April 1604 deutlich macht. Sie argumentieren, daß erstens kaum einer der Betroffenen bei der Sprachen mächtig sei und daß man zweitens auch bislang ohne gemeinsame Treffen ausgekommen sei. l7o Maer en vynden niet geraeden datter een ander vergaederynge (twelck door de nieuwheyt groot opsprake mogelyck mocht causeren ) soude gehouden worden. 171 Auch aus dieser Argumentation wird die Besorgnis, bei den englischen Gastgebern Aufsehen zu erregen, deutlich. Die Absage der Norwicher an eine Kooperation mit den französischsprachigen Glaubensbrüdern scheint um so verwunderlicher, als Norwich neben London die einzige Refugiantenstadt war, die über einen längeren Zeitraum sowohl eine wallonische als auch ein flämische Gemeinde beherbergte. 172 Eine gemeinsame Absprache in Angelegenheiten, die beide Kirchen betrafen, wäre hier ohne großen organisatorischen Aufwand möglich gewesen. Die wiederholten Klagen, die die Wallonen an die Norwicher Magistratur über das Verhalten ihrer flämischen Glaubensgenossen richteten, lassen allerdings darauf schließen, das das Verhältnis zwischen den Mitgliedern der jeweiligen Gemeinden zumindest zeitweise sehr gespannt war. 173 Mit dem Argument der Sprachschwierigkeiten wurde auch auf dem Kolloquium der niederländischen Kirchen in Lon-

169

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.100-101.

Sich der englischen Sprache als Amtssprache zu bedienen, von der man erwarten konnte, daß sie die meisten der Versammelten beherrschen würden, wurde interessanterweise offenbar nicht in Betracht gezogen. 170

171

Hessels (Hg.), Ecc1esiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1611.

172 Eine kleine Wallonengemeinde hielt sich in Sandwich nur kurze Zeit. Ihre Mitglieder emigrierten 1575 nach Canterbury. Vergl. Backhouse, The Aemish and Walloon Communities at Sandwich, Bd.l, S.55.

173 Siehe dazu beispielsweise DWSB, fol.llOaf. Im Vordergrund der Klagen stand hier häufig der Mißbrauch oder die Übertretung der für das niederländische Textilgewerbe aufgestellten Regeln.

V. Internationale Kontakte

107

don 1615 der Versuch der Kooperation mit den französischsprachigen Nachbargemeinden abgeschmettert: overmits door de verscheydenlheyl der laelen le vreesen sijn vele inconvenienlen, 'I sij in 'I proponeren, debaleren ende resolveren der saecken, oft in't couch eren can de Resolulien ( milsdien vele onder de Colloquenten de Fran~oysche ofte Latijnsche tale niet en verslaen ) waerut soude volghen een merckelijcke vertraginghe in den voortganck der affairen l74 Neben diesen durch regelmäßige Zusammenkünfte formalisierten Kontakten zwischen den Exulantenkirchen in England und auf dem Kontinent gab es vor allem im Bereich der Prediger und deren Ausbildung zahlreiche Verbindungen zwischen den Norwichern und ihren Schwestergemeinden. Der Prediger Pieter Hazaert beispielsweise war, bevor er 1567 nach Norwich kam, in London, Emden, Paris, Antwerpen, Sandwich und in verschiedenen Gemeinden in Flandern tätig gewesen. Von East Anglia ging er 1569 nach Köln und blieb bis zu seinem Tod auf dem Kontinent aktiv. 175 Charles Ryckwaert, Anthonius Algoet und Isbrand Ba\ck arbeiteten sowohl vor als auch nach ihrem Dienst in Norwich in verschiedenen Gemeinden auf dem Kontinent. Nach ihrer Verbannung aus der Stadt blieben alle drei zunächst in England. Ba\ck und Ryckwaert arbeiteten einige Jahre in den Gemeinden von Thetford, Stamford und Sandwich. 1577 ging Ryckwaert nach Leiden, ein Jahr später nach Ypern. Ba\ck war zwischen 1580 und 1598 in Antwerpen, Leiden und verschiedenen kleineren Gemeinden in Friesland aktiv. Michiel PanneeI, der der Norwicher Gemeinde ab 1571 vorstand, ging 1577 als Prediger nach Middelburg und war entscheidend an den seeländischen Synoden von 1581 und 1597 beteiligt. 176 Herman Modet, sein Mitarbeiter und Nachfolger, war bereits seit 1545 als protestantischer Prediger in Flandern aktiv. 1560 war er Prediger in Breda. Zwischen 1562 und 1568 war er in Antwerpen und Gent tätig. Auch er pendelte wiederholt zwischen dem Kontinent und England. 1568 war er als Prediger in Norwich tätig und vertrat 114

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.l98.

115 Siehe dazu Backhouse, The Aemish and Walloon Cornrnunities at Sandwich, Bd.2, S.124125. Diese und die folgenden biographischen Daten über die Prediger der Norwicher Niederländergemeinde sind entnommen aus P.c. Molhuysen, Fr.K.H. Kossman (Hg.), Nieuw Nederlandsch Biografisch Woordenboek, Leiden 1911-1937; Jakob A. van der Aa, Biographisch Woordenboek der Nederlanden, Haarlems van Brederoe 1852-1878; Oecavele, Oe Dageraad, passim. 116 Siehe Moens, The Walloons and their Church, Bd.2, S.315. PanneeIs Sohn Johannes studierte 1591 in Heidelberg und zwei Jahre später in Leiden. 1595 wurde er Prediger in Grijpskerke, ab 1603 war er in Calais tätig. 1610 war er in Ellewoutsdijk in Oudelande, 1617 bis 1633 war er in Axel aktiv. Siehe dazu: D. Nautra et al. (Hg.), Biografisch Lexicon voor de Geschiedenis van het Nederlandse Protestantisme, 3 Bände, Kampen 1988-89.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

108

die flämische Gemeinde auf dem Kolloquium von 22. Mai 1576 in London. 177 Bereits zwei Jahre später war er vermutlich der erste Prediger der neugegründeten Gemeinde in Zierikzee. Ab 1576 war er in Norwich tätig. Wie lange Modet in der Gemeinde blieb, ist unklar. Ab 1580 ist er als Prediger in Utrecht bezeugt. 1584 war er Prediger in der reformierten Kirche von Tergonde, nach 1588 ging er nach Emden, 1603 ist er in Middelburg bezeugt. 178 Über seinen Norwicher Nachfolger Salomon de Smet ist nichts bekannt. Ab 1581 korrespondierte de Smet mit der Londoner Flamengemeinde als Prediger der Norwicher Kirche. 179 Zumindest in den späteren Jahren seiner Tätigkeit scheint es allerdings zu Spannungen zwischen ihm und seiner Gemeinde gekommen zu sein. Das Konsistorium der Norwicher Kirche berichtete den Londonern am 10. Juli 1587, daß de Smet eine "beneficie indt landt ghecreghen hadde" und am 29. des vorangegangenen Monats seinen Dienst in der niederländischen Gemeinde quittiert hatte. Am 30. hatten sich die Gemeindevertreter der "drie Colleges", also der Ältesten, der Diakone und der Politijcke Mannen getroffen und über das weitere Vorgehen beraten. Sie heb ben om deser [der Übernahme einer anderen, englischen Pfarrei durch de Smet, R.E.] ende anderer oorsaken willen eendraghtelick het opgheven Mr.Smidts anghenomen doch met deser conditie dat men eerst den ghemeynen Broederen saude andienen hun afvraghende oft sy daer inne bewillichden ofte niet. IRO Am 2. Juli hatte die Gemeinde dem Abschied de Smets zugestimmt. Dieser hatte sich zwar bereit erklärt, noch so lange für sie zu arbeiten, bis ein neuer Prediger gefunden war, das Konsistorium beschloß aber, man sollte sich lieber sofort von seiner Mitarbeit trennen. Die Londoner konnten ihren Glaubensbrüdern in dieser Hinsicht offenbar aushelfen, denn bereits am 17 . Juli bedankten sich die Norwicher für die vorübergehende Bereitstellung eines Predigers in ihrer Gemeinde und sandten Adrian Wallewein und Jacques van Berten nach London, um ihn abzuholen. 181 Schon einen Monat später allerdings forderte die Londoner Gemeinde ihren Prediger Jacob Regius zurück, da sie selbst in Personalmangel geraten war. Sie schlugen den Norwichern stattdessen vor, Samuel 177

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.12.

178

Über Modet siehe ausführlich: Nautra et al.(Hg.), Biografisch Lexicon, S.269.

179 Moens datiert den Beginn seiner Tätigkeit in der Stadt irrtümlich auf 1586. Siehe Moens, The Walloons and their Church, Bd.2, S.315; Hessels (Hg.), Ecc1esiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.759.

180

Hessels (Hg.), Ecc1esiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1 086.

181

Hessels (Hg.), Ecc1esiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.IOS7.

v. Internationale Kontakte

109

van Asshe, einen jungen Theologiestudenten aus Gent, kommen zu lassen, der tatsächlich drei Wochen später in Norwich eintraf. 182 Samuel, der Sohn Anthonius van Asshes, der sich 1558 für den Wiederaufbau der Londoner Exulantengemeinde eingesetzt hatte, hatte ab 1581 auf Kosten der Londoner Gemeinde in Leiden studiert und war von da aus offenbar zunächst nach Genf gegangen. 183 Nach seinem Eintreffen in Norwich hielt er zwei öffentliche Predigten, die den Gemeindemitgliedern sehr gut gefielen. In einem Brief an die Londoner vom 10. Oktober 1587 entschieden sie sich für van Asshe als Prediger und baten die Londoner ihm absolutelick zendinghe te gheuen om also de sakramenten wt te richten ende te bedienen alst een dienaere toecompt. 184 Trotz der im Vorangegangenen geschilderten Versuche, sich dem Einfluß aus London zu entziehen, war man offenbar, sowohl was die Rekrutierung von Predigern anging als auch in Bezug auf die Anerkennung ihrer theologischen Qualifikationen, auf das Urteil und die Hilfe der größeren Schwestergemeinde angewiesen. Diese war schon durch ihre finanzielle Überlegenheit eher in der Lage, ihren jungen Mitgliedern eine fundierte, theologische Ausbildung an einer der prestigereichen Universitäten auf dem Kontinent oder an der Genfer Akademie zukommen zu lassen. 185 Van Asshe selbst scheint weniger begeistert über seine Wahl in Norwich gewesen zu sein. Er versuchte offenbar, die Londoner dazu zu überreden, ihn in ihrer Gemeinde zu beschäftigen, zumal er, wie er in einem Brief vom 12. April 1588 argumentierte, von dort aus unterstützt und ausgebildet worden war: 86 Da die Londoner aber zur Zeit keine Vakanzen hatten, nahm van Asshe seine Wahl in Norwich am zweiten Ostertag desselben Jahres an. Hiervon wurden auch die Londoner in einem Brief von Philippus Andries vom 15. April informiert. Er schrieb über den Neuankömmling: Hy leert hier met stichtinghe ende wordt seer gheerne vanden vo\cke ghehoort, sauden ook niet weynich bedouft syn indien sy hem ontbeeren moesten. 187

182

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae. Bd.3, Nr.1090. 1093.

183

Siehe dazu Grell, Dutch Calvinism in Early Stuart London, 5.124-125.

184

Hessels (Hg.). Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3. Nr.1095.

185 Über die von den Londonern finanzierte Predigerausbildung vergleiche Grell, Dutch Calvinism in Early Stuart London, 5.123-140. 18fi

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae. Bd.3. Nr.11 08.

187

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.II09.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

\10

Van Asshe selbst scheint sich recht bald in diese neue Situation eingefunden zu haben. Bis 1599 stand er der Norwicher Gemeinde als Prediger vor und vertrat sie wiederholt auf Kolloquien. 1606 machte er noch einmal von sich reden. Wie die Norwicher ihren Londoner Glaubensbrüdern berichteten, hatte van Asshe heimlich Arrangements mit einer englischen Pfarre in Colchester getroffen und war dort als Prediger engagiert worden. Wegen seiner nicht genauer umschriebenen Erkrankung fürchtete man in Norwich allerdings, daß sich seine Arbeit nachteilig auf den Ruf der Exulantengemeinden in England auswirken würde. Da die finanziellen Mittel, die man ihm in Colchester zur Verfügung stellen konnte, nicht ausreichten, ihn und seine Familie zu ernähren, vermutete man jedoch, daß van Asshe den Dienst in Colchester sehr bald quittieren würde. Man schlug deshalb und weil er sich außer "enckele swackheyt" während seines Dienstes in Norwich nichts hatte zuschulden kommen lassen, vor, ihm eine Rente auszusetzen. ISS Möglicherweise erhofften sich die Norwicher von dem Schreiben nach London einen Zuschuß zu der geplanten Rente. Ob diese tatsächlich gewährt wurde, ist nicht bekannt. Die Lebenswege von de Smet und van Asshe machen deutlich, daß es auch zwischen den Fremdenkirchen und den englischen Pfarreien Verbindungslinien gab, die über die Heirat von Niederländern oder Niederländerinnen mit englischen Pfarrkindern hinaus gingen. Niederländischen Predigern war es offenbar möglich, ohne von ihren theologischen Überzeugungen abweichen zu müssen, von den anglikanischen Pfarrkirchen beschäftigt zu werden. Wie bereits eingangs erwähnt, lag dieser Möglichkeit das Konzept zugrunde, daß sich die Theologie der Exulantenkirchen nicht wesentlich von anglikanischen religiösen Vorstellungen unterschied, sondern daß man sich von Seiten der niederländischen Reformer notwendigerweise so weit wie es ihnen vertretbar erschien, den Gegebenheiten des Gastlandes angepaßt hatte. Ob es sich bei den englischen Pfarreien, die die niederländischen Prediger angeworben hatten, zudem um Gemeinden mit stärkeren protestantischen Neigungen handelte, ist nicht bekannt, erscheint aber durchaus möglich. Schwerer taten sich die Refugianten offenbar im umgekehrten Fall. So fragten beispielsweise die Norwicher Gemeindevertreter ihre Londoner Kollegen in einem Schreiben vom 14. Dezember 1604, ob in ihrer Gemeinde eine Predigerstelle frei sei. Viele englische Kleriker könnten nicht mit den von James I. erlassenen Beschlüssen übereinstimmen. So auch Johannes van Peene, Sohn nieder-

188

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1661.

V. Internationale Kontakte

111

ländischer Einwanderer. der deshalb bei den Norwichern um eine Stelle nachgefragt hatte. Da man selbst mit Predigern ausgelastet sei, wollte man ihn der Londoner Gemeinde vermitteln. Hier stieß der Vorschlag allerdings auf Ablehnung. Am 23. Dezember antwortete Johannes Regius, daß man weder in London selbst zu besetzende Vakanzen hätte, noch etwas über freie Stellen in den Niederlanden wüßte. Außerdem fürchtete man die Mißbilligung der Engländer, wenn man allzu offensichtlich zugunsten englischer Dissenters aktiv würde. 189 Aus denselben Gründen schlugen die Londoner auch die Vermittlung eines nonkonfonnistischen Predigers an die englische Kaufmannskirche in Amsterdam aus. l90 Die Zurückhaltung der Exulantengemeinden in Bezug auf die Unterstützung der puritanischen Opposition ging auf eindeutige Anweisungen der englischen Obrigkeit zurück. Bereits am 22. Oktober 1573 hatte der Privy Council die Niederländergemeinden ausdrücklich vor jeglicher Hilfe für englische Dissenters gewarnt und bei einer eventuellen Unterstützung der Puritaner mit der Ausweisung gedroht. 191 Die Aufforderung zum Ausschluß englischer Nonkonformisten aus ihren Kirchen und der Verzicht auf jegliche Einflußnahme zugunsten einer protestantisch orientierten Gottesdienstordnung innerhalb der zu diesem Zeitpunkt in der englischen Kirche noch recht flüssigen Diskussion wurde in einem Antwortschreiben von den Exulanten garantiert. l92 Die Aufnahme von Engländern in die Refugiantenkirchen wurde auf verschiedenen Kolloquien diskutiert und an die Bedingung geknüpft, daß die Interessenten ein Schreiben ihres Heimatpfarrers mitbringen mußten, in dem ihnen ein frommer Lebenswandel attestiert wurde. Daneben mußte auch ein Zeugnisschreiben eines niederländischen kirchlichen Amtsträgers oder einer Respektsperson in der Fremdengemeinde vorgelegt werden. 193 Daß man sich auf den Kolloquien, deren Beschlüsse, wie bereits angeführt, von den Engländern beobachtet wurden, auf derart drastische Regeln einigte, ist verständlich. Ob man in der Praxis im einzelnen daran festhielt, ist weniger leicht zu rekonstruieren und hing möglicherweise auch von der religionspolitischen Atmosphäre der Gastgesellschaft ab. Sicherlich war es für die von der religiösen Entwicklung der anglikanischen Kirche enttäuschten Engländer in East Anglia verlockend, stattdessen das Wort Gottes in den niederländischen Kirchen ihrer Heimatorte zu 189

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1637, 1638.

190

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.1663, 1667.

191

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.127.

192

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.130, 6.11.1973.

193

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.112, Kolloquium am 12.7.1609.

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

112

hören. 194 Daß ihnen dazu von den Exulantengemeinden die Möglichkeit gegeben wurde, beweist ein Schreiben der Fremdengemeinde in Co1chester an die Londoner Glaubensbrüder. Man wollte wissen, ob man englische Partner aus gemischten Ehen und junge Engländer, die bei niederländischen Meistern in die Lehre gingen, als Mitglieder in die Kirche aufnehmen dürfe. Die Londoner antworteten, daß man die Genannten als Passanten zulassen könne, allerdings nicht gegen den ausdrücklichen Willen der englischen Pfarrer ihrer Heimatgemeinden. 195 Eine gleichlautende Antwort hatten die Norwicher Vertreter bereits auf dem Kolloquium von 1609 von ihren Glaubensbrüdern erhalten. 196 Da, wie bereits im Zusammenhang mit der Opposition gegen Erzbischof Laud aufgezeigt, in Norwich eine starke nonkonformistische Bewegung aktiv war, ist zu vermuten, daß man hier die Verbindungen, die möglicherweise zwischen Puritanern und den Refugiantenkirchen bestanden, zumindest stillschweigend duldete. 197 Mit Johannes Elison, Carolus Libaert und Johannes' Sohn Theophilus waren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts drei Prediger in der Norwicher Flamengemeinde beschäftigt, die eine theologische Ausbildung in Cambridge und an der Universität von Leiden genossen hatten. Johannes Elison, der 1581 vermutlich in Norwich geboren wurde, immatrikulierte sich 1598 in Leiden. Dort studierte er zwar nicht an der theologische Fakultät, scheint sich aber auf anderem Wege ein fundiertes theologisches Wissen angeeignet zu haben, was ihn befähigte, ab 1603 als Prediger in der Norwicher Gemeinde tätig zu sein. Diese Amt vertrat er bis 1639 und erwarb sich einen hervorragenden Ruf nicht nur in der Gemeinde selbst, sondern auch bei den übrigen Fremdenkirchen auf der Insel. 1621 und 1638 versuchte die Londoner Gemeinde erfolglos, Elison abzuwerben. 198 Carolus Libaert hatte 1607 ein Theologiestudium an der Universität Leiden aufgenommen. Libaert, der ursprünglich aus Sandwich stammte, war 1606 nach London gezogen. Nach Abschluß seines Studium war er zunächst Proponent, also Prediger in Ausbildung in Norwich und wurde von 194

Grell, "A Friendship tumed sour", S.45-67, bes. S.54-55.

195

GL MS 7411/2, fol.7v.

196

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.112.

197

Daß über diese Verbindungen keine Quellen vorliegen, ist naheliegend.

198 Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.3, Nr.179 I. 1792, 2505, 2506. Zu seinem Gedenken errichtet die niederländische Gemeinde 1639 eine Bronzetafel in der Blackfriars Hall, auf der sein Verdienst für die Kirche in einem mehrstrophigen niederländischen Gedicht gerühmt wurde.

V. Internationale Kontakte

113

Elison betreut. 1615 wurde er von der Londoner Gemeinde als voll ausgebildeter Prediger anerkannt, blieb aber bis 1631 ohne entsprechende Anstellung. l99 Erst 1631 wurde er offiziell zweiter Prediger der Norwicher Gemeinde. 2°O 1639 folgte Theophilus, der älteste Sohn John Elisons seinem Vater im Predigeramt. Er hatte bis 1629 am Gonville and Caius College Cambridge studiert und war im folgenden Jahr nach Leiden gegangen. Wie Libaert studierte er dort Theologie. Das Studium sowohl in Cambridge als auch an der renommierten Leidener Universität vermittelte den Norwicher Predigern die Grundlagen einer calvinistisch orientierten Ausbildung, die den von einem Teil der Norwicher Magistraten vertretenen puritanischen Vorstellungen entsprachen?Ol Die Wahl und die Karriere der hier vorgestellten Exulantenprediger macht noch einmal die Tendenz zu einer stärkeren Professionalisierung der Kirchendiener deutlich, wie sie im Corpus gefordert worden war. Ein Theologiestudium oder ein adäquates Zeugnis gehörte demnach zu den Einstellungsvoraussetzungen für den Dienst in der Kirche. 202 Die Prediger und ihr jeweiliger beruflicher Werdegang verdeutlichen außerdem eine Entwicklung, die bereits für die Londoner Exulantengemeinde von Oie P. Grell nachgewiesen worden ist. 203 In den ersten Jahrzehnten nach ihrer Gründung versuchten die Exulantenkirchen in England, und hier vor allem die Londoner Gemeinde, die jungen Kirchen auf dem Kontinent finanziell zu unterstützen und mit Predigern auszustatten. Londoner, aber, wie oben erwähnt, auch Norwicher Prediger wurden in die Niederlande geschickt, um dort den Autbau der jungen Gemeinden durch ihre Erfahrungen im Exil zu unterstützen. Diese Bewegung änderte sich am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Mit der Etablierung der niederländischen Republik gab es für Niederländer protestantischen Glaubens die Möglichkeit, diesen auch in ihrem Heimatland zu leben, oder, wenn sie aus den südlichen Provinzen stammten, nach Seeland oder Holland umzuziehen, wo sie engere Kontakte zu ihren Heimatorten pflegen konnten. Durch die Eröffnung der Leidener Universität am 8. Februar 1575 wurde es zudem möglich, sich auch dort 199 van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.2\3, Siehe auch Guildhall Library, MS 3586, Register of the Dutch Church in London, fol.8v. 200 In der Zwischenzeit scheint Libaert bei seinem wohlhabenden Bruder John in London gelebt zu haben. Siehe dazu Grell, Dutch Calvinism in Early Stuart London, S.123-140. 201 Zum Einfluß des Calvinismus auf die Lehre in der Cambridger Universität siehe Nicholas Tyacke. Anti-Calvinists, The Rise of English Arminianism c.1590-1640, Oxford 1987, S.45-57.

202

Vergleiche van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S. \35.

203

Siehe Grell, Dutch Calvinism in Early Stuart London, bes. S.26-33 und S.53-71.

8 EBer

114

E. Die Norwicher Fremdenkirehen

durch eine fundierte Ausbildung für gut bezahlte Arbeitsplätze zu qualifizieren. Angesichts der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation in England mußte die Aussicht auf eine Anstellung in den Niederlanden vor allem in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts an Attraktivität gewinnen. Zudem bemühte sich die junge Republik verstärkt um den Zuzug qualifizierter Facharbeiter aus dem Exil. Der Einfluß, den die Exulantenkirchen auf die Entwicklung ihrer Schwestergemeinden in den Niederlanden ausgeübt hatten, ging dementsprechend zurück. Viele der in den Niederlanden oder in Genf ausgebildeten Theologen zogen es vor, auf dem Kontinent zu bleiben. Die für die Londoner Gemeinde aufgezeigte Entwicklung, nun umgekehrt Theologen aus den Niederlanden zur Besetzung von Vakanzen nach London zu ziehen,204 ist zwar in dieser Schärfe nicht für die Norwicher Schwestergemeinde festzustellen; dennoch konnten man es sich aber offenbar auch hier nicht mehr leisten, Prediger ohne weiteres auf den Kontinent abwandern zu lassen. Auf eine Anfrage auf dem Kolloquium von 1615, wie sich ein Prediger verhalten sollte, wenn ihm ein lukratives Angebot von "over Zee" gemacht würde, antwortete man, er habe zunächst die Erlaubnis seiner Gemeinde einzuholen. Dazu habe er die Einladung und die darin vorgeschlagenen Konditionen dem Konsistorium genau zur Kenntnis zu bringen. Die Gemeinde selbst sollte zusammen mit den nächsten Nachbargemeinden nach verschiedenen Gesichtspunkten über das Angebot beraten. Es sei beispielweise abzuwägen, ob die mögliche neue Gemeinde ihres Predigers größer sei als seine Heimatpfarre und ob die Versorgung der Letztgenannten trotz seines Weggangs gewährleistet bleiben könnte. Sollte man dem Weggang des Predigers zustimmen, so brauchte dieser neben einem Zeugnis auch ein ausdrückliches Erlaubnisschreiben seiner Gemeinde, daß er diese nach Abwägung aller Gründe verlassen durfte. 205 Eine ähnliche Entwicklung, wie sie für die flämischen Prediger aufgezeigt wurde, läßt sich auch in Bezug auf Prediger der Wallonengemeinde feststellen. Auch hier ist die Tendenz zur Professionalisierung des Amtes deutlich erkennbar. Während die ersten Diener der Gemeinde, Jan Hehnich und Jean Marie, ohne formalisierte theologische Ausbildung 1568 und 1583 ihren Dienst in Norwich antraten, hatten ihre Nachfolger Aaron Cappel ( 1597 bis 1598) und Jacques Polyander ( 1598 bis 1599) in Genf bzw. in Leiden Theologie studiert, bevor sie nach Norwich kamen. Beide verließen die Gemeinde nach kurzer Zeit zugunsten von attraktiveren Anstellungen in London und in Emden. Polyanders 204

Siehe Grell, Duteh Calvinism in Early Stuart London, S.30ff.

205

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.213.

V. Internationale Kontakte

115

Sohn Johannes wurde in Emden, Bremen und Heidelberg erzogen und am 8. Oktober 1611 zum Professor der Theologie an der Universität von Leiden ernannt. Vom 9. Februar 1617 bis zum 21. Januar 1619 stand er der Universität als Rektor vor. Auch Nicholas Basnage, der der Wallonengemeinde von 1585 bis 1597 als Prediger diente, bemühte sich um eine fundierte akademische Ausbildung für seine Söhne. Daniel Basnage besuchte zunächst die Norwich Grammar School und wurde am 12. Oktober 1592 als Student am Gonville und Caius College in Cambridge aufgenommen. Sein Bruder Benjamin wurde am 11. Februar 1600 für das Theologiestudium in Leiden eingeschrieben. Er folgte seinem Vater als Prediger in der Gemeinde von Carentan, wo Basnage nach Streitigkeiten mit seiner Heimatgemeinde ab 1597 als Prediger tätig war. Auch Nicholas' jüngster Sohn wurde im Gonville und Caius College am 16. November 1610 eingeschrieben. Wie sein Bruder war auch er vorher Schüler in der Nonvich Grammar School. Über die Ausbildung Pierre De Launes, der vom 160 I bis 1656 in Norwich tätig war, ist nichts bekannt. In seiner Berufswahl folgte er dem Vorbild seines Vaters WilIiam, der als Prediger und Arzt in der Normandie gearbeitet hatte. 1635 erhielt Pierre einen Ehrendoktortitel der Universität Cambridge. Sein Nachfolger Philippe Delme ( 1616 bis 1619 ) studierte ab 1608 Theologie an der Universität von Leiden. 206 Die Gemeindeorganisation der beiden Fremdenkirchen in der Stadt war das konstitutive Element der Niederländeransiedlung in Norwich. An der Kirchenorganisation orientierten sich sowohl die Neuankömmlinge mit ihren religiösen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen als auch die Norwicher Stadtverwaltung. Durch den Gemeindeaufbau erhofften sich die Stadtväter soziale Sicherheit innerhalb der Gruppe der Fremden und im Zusammenleben mit den englischen Nachbarn. Diesen Anforderungen wurden die Gemeindevorstehersieht man von einigen Ausnahmen, wie beispielsweise der Auseinandersetzung der Prediger Ba\ck, Rickaert und Algoet, ab - im Großen und Ganzen gerecht. Die Kooperation mit den eigenen Gemeindemitgliedern und mit den Norwicher Ratsherren gelang vor allem durch gegenseitiges Entgegenkommen und ist auf beiden Seiten gekennzeichnet durch Pragmatismus und Flexibilität. Was die Kontakte zu den Schwestergemeinden in England und auf dem Kontinent angeht, so hielten sich die Norwicher Kirchenvorsteher von gemeinsamen Beschlüssen zurück. Aus einer Reihe von Motiven war man einer allzu engen 2()fi Die biographischen Daten der wallonischen Prediger sind entnommen: Moens. The Walloons and their Church. Bd.2, S.227-231 ; Magen, Die Wallonengemeinde in Canterbury, S.77-78 und John Venn, Biographical History of Gonville & Caius College, 1349-1897,3 Bände, Cambridge 1897-1901, Bd.1. S.92ff.

116

E. Die Norwicher Fremdenkirchen

Kooperation und formalisierten Kontakten gegenüber abgeneigt. Informelle Verbindungen - etwa durch Predigeraustausch, Universitätsstipendien und Briefwechsel - wurden allerdings gepflegt. Insgesamt konnten die Fremdenkirchen ihre bestimmende Position bis in das 17. Jahrhundert und auch gegen die durch Erzbischof Laud und seine Politik ausgelöste Krise in den 1630er Jahren behaupten.

F. Erziehung, Bildung und kulturelle Aktivitäten innerhalb der Fremdengemeinden Wie die Vorschriften über die Versorgung der Waisen der Fremdengemeinden verdeutlichten, war Bildung und Ausbildung ein wesentliches Element der Erziehung junger Niederländer und Niederländerinnen. Hier wurden Ideen und Vorstellungen der Exulanten aus Flandern aufgegriffen und den speziellen Bedingungen des Refugiums angepaßt. Daß die Erziehung und Bildung in Flandern eine groBe Rolle spielte und sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene gefördert wurde, zeigt der Bericht des Spaniers Vincent Alvarez. Während einer Besuchsreise Philips 11. in Westflandern 1549 notierte sein Begleiter Alvarez in sein Tagebuch, daß fast jeder Einwohner dieses Gebietes, selbst die Frauen, lesen könnte. I Ähnliche Beobachtungen machte auch der Florentiner Ludovico Guiccardini in seiner 1567 verfaBten und 1612 ins Niederländische übersetzten Reisebeschreibung "van alle de Neder-Ianden anderssins ghenoemt Nederduytslandt". Hierin bemerkt er über die Lesefähigkeit der Niederländer und Niederländerinnen: De ghemeyne Iieden hebben meestendeels wat beginsels in Grammatica: ende konnen schier al t'samen! jae oock de boeren ende landtlieden! ten aller minsten lesen ende schryven. Hebben daer en boven de conste ende wetenschap van ghemeyne spraecken soo ghemeynsaeml dattet te verwonderen is. 2 Im Jahr der königlichen Tour gab es allein in Antwerpen 150 Schulen, deren Mitarbeiter seit den 1560er Jahren in einer eigenen Schulmeistergilde organisiert waren. 1576 unterrichteten 88 Schulmeister und 70 Lehrerinnen in der Stadt. 3 40 Schulen waren zur sei ben Zeit in Gent in Betrieb, zwölf davon als

I Vergleiche Germain Schoonaert, "Onderwijsstructuren in de 16e eeuw te Poperinge": in: Aan de Schreve 24, 1984, S.29.

2 Ludovico Guiccardini, Beschryvinghe van alle de Neder-Ianden anderssins ghenoemt NederDyutslandt, Amsterdam 1612, Neudr.1979, S.27.

118

F. Erziehung. Bildung und kulturelle Aktivitäten innerhalb der Fremdengemeinden

Lateinschulen. Selbst die kleine seeländische Hafenstadt VIissingen unterhielt sechs Schulen und das nahegelegene Veere hatte immerhin für die insgesamt ca. 2.000 Einwohner drei Schulen. Auch auf dem Lande bemühte man sich in den Niederlanden um einen bemerkenswert hohen Bildungsstandard. 1569 waren von den 141 Pfarreien in Tournai nur drei ohne irgendeine Art von offizieller Erziehungsinstitution. Acht Lateinschulen wurden in der Region unterhalten, und diejenigen Schüler und Schülerinnen, denen es nicht möglich war, eine dieser Schulen zu besuchen, konnten an einer der zwei Sonntagsschulen teilnehmen. 4 Angeregt von den Betrachtungen des Humanisten und Pädagogen Juan Luis Vives, der 1526 im Auftrag der Stadt Brügge in seinem Traktat "Oe subventione Pauperum" zur Unterstützung und Bildung der Armen aufrief, erließ Kaiser Karl V. am 7. Oktober 1531 ein Edikt, durch das die Armenversorgung in Flandern zentralisiert wurde. Alle Städte und Dörfer wurden aufgefordert, ihre karitativen Einrichtungen und Unterstützungsfonds einer zentralen Börse zu unterstellen, die von der jeweiligen Magistratur beaufsichtigt wurde. Darüber hinaus wurde ihnen die Verpflichtung auferlegt, "Oe kinderen van den aermen ... ter schole te stellen, ofte tot een ambacht.,,5 Wie die Erziehungspraxis in Westflandern aussah, hat Germain Schoonaert minutiös und erhellend für das Städtchen Poperinge in Westflandern herausgearbeitet. 6 Bis 1560 wurden in Poperinge vier verschiedene Schulen unterhalten. Neben der sogenannten hooghere schoole, an der die wohlhabenderen Bürgerssöhne über elf Jahren vornehmlich in Latein und in den klassischen Fächern unterrichtet wurden, standen die beiden cleene scholen der Bildung der Jungen und Mädchen aus weniger vermögenden Familien zur Verfügung. Der Fächerkanon dieser Schulen konzentrierte sich auf die Vermittlung von Schreib- und

J Siehe dazu Ouido Marnef, Antwerpen in reformatietijd. Ondergronds protestantisme in een internationale handelsmetropool, 1550-1577, I Tekst, Universität Leuven unveröffentlichte Dissertation 1991, S.94. 4 Siehe dazu Parker. The Dutch Revolt, S.21. Vergleiche auch ausführlich Block et al. (Hg.), AON. Bd.7, Haarlem 1980, S.255-277 und über die Erziehungspraxis im Westkwartier Decavele, De Dageraad. S.I 06-1 09.

5 Vergleiche Germain Schoonaert,"Onderwijsstructuren te Poperinge in de 16e eeuw", Aan de Schreve, 15, 1985, S.12. fi Schoonaert, "Onderwijsstructuren te Poperinge in de 16e Eeuw". Aan de Schreve, 14, 2. 1984, S.4-9; 15, I, 1985, S.12-17; 15,2, 1985, S.28-36; 15,4.1985, S.6-15; 16.3,1986, S.18-31, 17,2, 1987. S.7-17; 17.3.1987. S.20.28.

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Leserahigkeiten und religiöse Unterweisung. Es wurde allerdings auch Arithmetik und die Grundregeln dessen, was man für gutes Benehmen hielt, gelehrt. In der aerme schoole, die nach dem Karolinischen Edikt gegründet wurde, wurde den Kindern von Bettlern und Vagranten neben Lesen, Schreiben und der Katechismuserziehung auch ein Handwerk beigebracht. Bereits 1568 wurde dieses System in Poperinge, wahrscheinlich aber auch in anderen Städten Westflanderns durch die Einführung der ghemeene schoole van de stede reformiert. In diesem neuen Typ von Gemeindeschule, auch volksschool genannt, war es allen Kindern der keursbroederen, das heißt der Gildenbrüder, erlaubt, am Unterricht teilzunehmen. Lateinerziehung wurde nur denjenigen erteilt, die zur Universität gehen sollten. Auch die Trennung von deene schoole und aerme schoole scheint in dieser Schulform aufgehoben. Sie tauchen in den Quellen nicht mehr auf. Über die Vorstellungen, die wohlhabendere Flamen von einer fundierten Bildung und Ausbildung hatten, gibt ein Brief des Yperner Kaufmanns Adrian Wallewein Auskunft. Er schrieb am 7. Januar 1567/68 aus Norwich, wohin er wegen einer Ketzeranklage durch den Conseil des Troubles geflohen war, an seinen Cousin Gelein Everaert, wie die Erziehung seines jüngsten Bruders Copkin aussehen sollte.? Offensichtlich hatte er bis zu seiner Verbannung aus der Stadt die Verantwortung dafür getragen, die aber nun per Gerichtsurteil an Everaert und seinen Onkel Adriaen de B10c übergeben worden war. Everaert wurden im vorliegenden Schreiben von seinem Cousin Vorschläge für die weitere Ausbildung Copkins vorgelegt. Er wurde aufgefordert, den jungen Mann bei einem Kaufmann in Rijssel ( Lilie) in die Lehre zu schicken, der in weet, mede und laken handelte. Anscheinend hatte Copkin bereits Erfahrungen in diesem Metier gesammelt, da er mehr als ein Jahr in Antwerpen gelebt und in der dortigen Nieuwkersche Halle als Textilkaufmann gearbeitet hatte. Dort wurde er offenbar auch in die Grundlagen des Rechnungswesens eingeführt: er konnte "ghelt ontfanghe, rekenen en cijfferen. ,,8 Latein hatte er von Wallewein selbst gelernt, was ihm offenbar die Möglichkeit eröffnete, auch außerhalb Flanderns Berufserfahrungen zu sammeln. Nun wäre es aber an der Zeit, so Wallewein, daß er in die französische Sprache eingeführt würde. Allerdings schien man diese zu der Zeit nicht in Ypern lernen zu können. Deshalb schlug Wallewein vor, die weitere Ausbildung Copkins einem Pontus va de Quellerie anzuvertrauen, der offenbar einen guten Ruf als Englisch- und Französisch7 Siehe

Janssen (Hg.), "Oe Hervormde Vlugtelingen", S.252-256.

8 Janssen

(Hg.), "Oe Hervormde Vlugtelingen", S.253.

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lehrer erworben hatte. Wallewein selbst hatte wohl angefangen, bei ihm zu lernen, mußte aber dann das Land verlassen. 9 In einem etwas bitteren Nebensatz kommentierte er seine eigene Situation im Exil. Er hätte es vorgezogen, sich selbst um die Erziehung seines jüngeren Bruders zu kümmern, befürchtete aber, durch seinen schlechten Ruf als Verbannter und Flüchtling Copkins Karriere mehr zu schaden als nutzen zu können: Maer volghen dien, datmen ons al die hier in Inghelant [zijn] nompt ketters en uproermakers, en wil ic [hem] hier niet hebben, up dat hy gheen zuIcke name crijghe. IO Es liegt nahe, anzunehmen, daß dieses Bildungsinteresse, was ja auch dem calvinistischen Ideal des individuellen Bibelstudiums entsprach, von den Exulanten nach England transferiert wurde. Indikator hierfür ist der vergleichsweise hohe Anteil von Exulanten, die in der ersten Zählung der Fremden in der Stadt von 1568 ihren Beruf mit Schoolmaster angaben. Unter den 85 bzw. 325 berufstätigen Wallonen und Flamen waren immerhin zwei bzw. vier Lehrer. 11 Wie die Berufspraxis für diese sechs in der Stadt aussah, ist leider nicht mehr zu rekonstruieren. Informationen über Schulbesuch, Schülerzahlen, Lehrinhalte und Qualifikationen sind nicht vorhanden. Aufschlußreich ist allerdings in diesem Zusammenhang das Schreiben Jan Ruijttincks an das Konsistorium der niederländischen Kirche in London vom 10. Juli 1577. 12 Nach diesem Schreiben hatten die Londoner Ruijttinck offenbar ein Stipendium für ein Studium in den Niederlanden angeboten, was dieser im vorliegenden Brief dankend ablehnte. Neben dem wohl eher höflichen Argument, daß er doch nicht begabt genug sei für solch eine Aufgabe, entschuldigte sich Ruijttinck mit der Tatsache, daß er der einzige Französischlehrer in der Stadt sei, der sowohl niederländische als auch englische Kinder unterrichten könne. Zu diesem Zwecke scheint 9 Walleweins Vorstellungen über eine solide Ausbildung waren typisch für den Werdegang junger Kaufmannssöhne in Flandern. Siehe dazu Block et al. (Hg.), AGN. Bd.7, S.286-287. Wert wurde hier vor allem auf Sprachausbildung - und hier besonders auf das Beherrschen der französichen Sprache - sowie auf Rechnen und Buchführung gelegt.

JO

Janssen (Hg.), "Oe Hervormde Vlugtelingen", S.254.

11 Siehe Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.151-157 und 207-216. Adriaen Claess aus Antwerpen kam mit seiner Frau, zwei Söhnen und zwei Dienern 1567 nach England. Pierre du Rieu war Lehrer in Lilie. Er kam ebenfalls 1567 mit seiner Frau und vier Kindern nach England. Die niederländischen Schulmeister waren Johannes Fyntyncke, der 1567 aus Flandern mit seiner Frau anreiste, Egidius Honnenagel, der 1566 mit seiner Frau aus Flandern nach Norwich kam, Jodosorus van der Slaet aus Flandern und Mr. Richard van der Varent aus Seeland, die beide ebenfalls 1567 mit ihren Familien einreisten. 12

Hessels (Hg.), Ecclesiae Londino-Batavae, Bd.2, Nr.161.

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er nicht nur Schüler bei sich aufgenommen, sondern auch eine eigene, gut besuchte Schule geleitet zu haben. Eine Eintragung im Mayor's Court Book vom 7. September 1590 weist ebenfalls auf die Existenz einer niederländischen Schule in der Stadt hin. 13 Hierin wurde einem Ffraunces van Water vorgeworfen, gegen die Anweisungen der Stadtverwaltung Schulunterricht abgehalten zu haben. Offenbar hatte er auf bisherige Verwarnungen nicht reagiert, wofür er mit einer Disziplinarstrafe belegt wurde. Zudem hatte er am folgenden Mittwoch mit dem Prediger der niederländischen Kirche vor dem Mayor zu erscheinen, um über seinen Ruf und seine Reputation Rechenschaft abzulegen. Möglicherweise griff die Stadtverwaltung zu solch drastischen Maßnahmen, weil Norwich im Sommer desselben Jahres von einer Pestwelle heimgesucht worden war. Nach einer Eintragung vom 22. August 1590 waren alle Schulen der Stadt aufgefordert worden, wegen der Ansteckungsgefahr bis zum 29. September keinen Unterricht abzuhalten. 14 Ob van Water der Nachfolger Ruijuincks war, der sich schließlich zu einem Umzug nach London entschloß, oder ob er eine eigene Schule aufgemacht hat, ist nicht bekannt. Informationen über das Bildungs wesen der Exulanten nach 1600 sind nur noch sporadisch vorhanden. In der auf Geheiß James' I. 1622 aufgestellten Liste aller Exulanten in der Stadt und den von ihnen ausgeübten Berufen gibt nur noch ein Niederländer, Francis Boey, Schulmeister als seinen Beruf an. 15 Wo und wie Boey arbeitete, ist nicht bekannt. Zwischen 1586 und 1616 war er Mitglied der Politijcke Mannen und fungierte bei der Abfassung zahlreicher Testamente seiner Mitbrüder und schwestern als Zeuge oder Testamentsvollstrecker. 16 Am 11. August 1629 findet sich im Konsistoriumsbuch der wallonischen Kirche noch ein Hinweis auf die Lehrertätigkeit eines Pierre du Rue, dem vom Konsistorium in dem vorliegenden Eintrag die offizielle Erlaubnis erteilt wird "dencencer les enfans a Iyre et ecrire. ,,17 Auch über du Ru ist außer diesem Eintrag nichts weiter bekannt.

13

MCB Nr.12, fo1.473.

14

MCB Nr.12, fo1.378.

15

Siehe Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.l91.

16 Zum Beispiel für lohn Bouckenolle, Norwich Consistory Court Will (im folgenden: NCC) Norfforthe 106, für Malliard Browne alias de Brune, NCC Mason 228, für Salomon Fresne, Norwich Ardeaconry Court Will (im folgenden: ADe) 1625,442 und für lohn de Wilde, NCC Cockes 175. 17 NRO, 311g Actes du Consistoire de L'Eglises Wallonne de Norwiche commenl;ant depuis le 25 de Mars 1628, fo1.26.

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Wie sehr man auch in den anderen Refugiantengemeinden an einer fundierten Schulausbildung für die jüngeren Gemeindemitglieder interessiert war, beweist die Diskussion über die Lehrerausbildung und -qualifikation, die auf dem nationalen Kolloquium der niederländischen Kirchen 1576 in London geführt wurde. Hier wurde ausführlich darüber gesprochen, welche Kenntnisse und Fähigkeiten ein Schulmeister vorweisen mußte, um als Lehrer in den jeweiligen Fremdengemeinden arbeiten zu dürfen. Die wichtigsten Einstellungskriterien waren hier zunächst eine den Vorstellungen der Gemeinde entsprechende solide religiöse GrundeinsteIlung sowie ein untadeliger Lebenswandel. 18 Die Schulmeister unterstanden zudem der Aufsicht und regelmäßigen Kontrolle der jeweiligen Ältesten und Prediger. Diese überwachten und kontrollierten sowohl die Lehrinhalte als auch die gewählten Lehrbücher. Darüber hinaus nahmen die Versammelten im Namen ihrer jeweiligen Gemeinden das Recht für sich in Anspruch, über alles, was in den einzelnen Refugiantengemeinden gedruckt und verbreitet wurde, entscheiden zu können. Hiermit sollte vor allem vermieden werden, daß Bücher, die nicht den religiösen Vorstellungen der Gemeindevorsteher entsprachen, in Umlauf kamen und möglicherweise zu Schwierigkeiten sowohl mit den eigenen Gemeindemitgliedern als auch mit der englischen Obrigkeit führten. Im Corpus Disciplinae von 1609 wurde das Thema der Bildung und Ausbildung der Gemeindemitglieder noch einmal aufgegriffen. Auch in diesem Bereich wird die Tendenz zur Professionalisierung deutlich, die bereits bei der Einstellung von Predigern aufgezeigt wurde. Neben die Diakone und Ältesten treten nun als wesentliche Ämter innerhalb der Gemeindestruktur die Prediger und die sogenannten Doktoren, denen die religiöse Unterweisung und Lehre der Gemeindemitglieder unterstand. Im Kapitel 11 des Corpus, "Van de Doctoren ende Scholen", wird von den Doktoren als Voraussetzung für ihre Lehrtätigkeit ein Universitätsstudium und für die Schulmeister eine nicht näher beschriebene "bequame", also entsprechende, Ausbildung verlangt. Persönliches Engagement und Gottesfurcht treten als Qualifikationskriterien hinter wissenschaftliches Studium zurück. In Norwich scheint es keine Doktoren gegeben zu haben. Ihre Aufgaben wurden von den Schulmeistern wahrgenommen, welche den Katechismus und die Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen lehren sollten. 19 Das Konsistorium besuchte mindestens viermal im Jahr die ausgewählten Schulmeister, um, wie 1576 vereinbart, die von ihnen benutzten Lehr18

van Toorenenbergen (Hg.), Acten, S.23.

19

Siehe Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.I, S.50.

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bücher zu überprüfen, Lehren durften nur Mitglieder der Gemeinde, die durch die Kongregation dazu berufen waren. Ihre Aufgabe bestand darin, wahre Demut und Frömmigkeit zu vermitteln und die Kinder auf die Katechismusprüfung vorzubereiten. Diese Prüfungen scheinen regelmäßig abgehalten worden zu sein. Im einzigen überlieferten Protokollbuch des Konsistoriums der wallonischen Gemeinde wurde am 14. Oktober 1630 folgende Eintragung festgehalten: Publication sera faite demanche prochain que les parens aportrent au prochain consistoire,les noms de leurs enfans de respondre au catechisme. 20 Religiöse Unterweisung wurde darüber hinaus offenbar auch in Form von Sonntagsschulen durch die Ältesten erteilt. Im Artikel 8 der 1570/71 abgefaßten 24 Regeln der Exulantengemeinden heißt es: Hem that the elders whiche reade upon the Sondayes befor the sennons, after that they have ceased from readinge in the Byble, shalle ( befor the sennon) reade the tenne comandementes and the beleve [das Glaubensbekenntnis, R.E.]; wherbye that they whiche can [kennen, R.E.] them not, maye leame them by the often contynuance of bearinge them. 21 Insgesamt bleibt das Bild, das über das Schulwesen in der Exulantengemeinden in Norwich gewonnen werden kann, eher schemenhaft. Genauere Informationen über Lehrinhalte und Ausbildungsdauer konnten nicht gewonnen werden. Vor allem für die Zeit nach 1600 fehlen Daten über die Bildungsmöglichkeiten für die Kinder der Einwanderer. Viele der reicheren Flamen und Wallonen scheinen ihre Kinder auf die englische Lateinschule in der Stadt geschickt zu haben. Wie bereits erwähnt, unterhielt Norwich besondere Beziehungen zum Gonville und Caius College in Cambridge. 22 In den Immatrikulationsregistern finden sich hier seit den 1570er Jahren eine Reihe von Studenten niederländischer Herkunft, die offenbar durch den Besuch und erfolgreichen Abschluß der Norwich Grammar School zum Eintritt in das College qualifiziert waren. 23 20 NRO, 311g, Actes du Consistoire de L'Eglise Wallonne de Norwiche commen~ant depuis le 25 de Mars 1628, fo1.37. 2\

DWSB, fol.39v.

22

Siehe Kapitel C der vorliegenden Arbeit.

Zu den Studenten gehörten John alias Janus Gruyter oder Gruter, der sich mit 19 Jahren 1577 immatrikulierte, Daniel, der Sohn des wallonischen Predigers Nicholas Basnage, der 1592 mit zwölf Jahren in das College eintrat, David Basnage, sein Bruder, der 1610 mit 18 Jahren aufgenommen wurde, Thomas Shoquetu, der sich 1608 mit 15 Jahren immatrikulierte, Aquila Cruso, der 23

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Zudem statteten die Norwicher jährlich einen ihrer jungen Mitbürger mit einem Stipendium aus, was ihm ein Studium am Corpus Christi College in Cambridge ermöglichte. Es spricht für die guten Beziehungen, die die Exulanten der zweiten Generation zu ihrer Gastgesellschaft unterhielten, daß 1618 Nathanaell De Lawne, der Sohn des damaligen wallonischen Predigers, für diese Auszeichnung nominiert wurde. Im Mayor's Court Book wurde am 13. Mai 1618 folgende Eintragung festgehaIten: Nathanaell de Lawne ys thought fitt to be admitted AScholler of Bennett College in Cambridge. And that a letter be drowne accordingly?4 Zehn Tage später heißt es: A Letter ys this day written to the Maister & fellowes of Corpus Christi Colledge in Cambridge for admittance of Nathaniell De Lawne to the Schollershipp in that house. 25 Neben de Lawne studierten im College Peter Ramus alias Weynoot, der 1577 eingeschrieben wurde, Peter Walwen und John Cruso, die 1623 bzw. 1631/32 zum Besuch des College zugelassen wurden. 26 Unterlagen liegen außerdem über den Eintritt von Norwicher Studenten in die Universität von Leiden vor,27 die ein beliebter Studienort für die Söhne der 1614 mit 15 lahren dem College beitrat. Henry de Laune wurde 1610 mit 18 lahren Student, Samuel Andrews immatrikulierte sich 1611 mit 15 lahren. lohn Lescaillet ging 1625 mit 15 lahren nach Cambridge.lames Feahure alias le Febure trat 1635 mit 16 Jahren ins College ein. Außerdem können genannt weren: Theophilus Elison, der Sohn des niederländischen Predigers John Elison, der 1624/25 zugelassen wlirde. Vergleiche hierzu lohn Venn, Biographical History of Gonville & Caius College, 1349-1897,3 Bde., Cambridge 1897-1901, Bd.I, Admissions, 1349-1713. 24

MCB Nr.15, fo1.l86.

25

MCB Nr.IS, fol.l87v.

26

Vergleiche dazu 1. Peile, Biographical Register of Christ's College, Cambridge 1910, Bd.1.

Die Geschwister lohannes und Gerson Panelius wurden am 9.10.1593 bzw. am 16.10.1596 als Studenten in Leiden registriert. Über Gersons Fachrichtung ist nichts bekannt, lohannes widmete sich der Theologie. Abraham Langebilck schrieb sich am 15.1.1603 in der Universität ein. Tobias de Hem kam am 17.6.1605 nach Leiden um dort an der Artistenfakultät zu studieren. Ebenfalls eingeschrieben waren Pieter van den Broucke und Anthonius Verbeure. Siehe dazu lohanna W. Tammel, The Pilgrims and other People from the British Isles in Leiden. 1576-1640, Peel 1989. Die Stadt scheint für einige ihrer Studenten so attraktiv gewesen ZU sein, daß sie es vorzogen, nach dem Studium in Leiden zu bleiben, wie Abraham Langebilck, der 1614 in der Stadt als Arzt arbeitete. Siehe Tammel. S.168. Neben den Studenten lebten in der Stadt zudem zahlreiche Niederländer. die nach der Einrichtung der niederländischen Republik von England nach Holland zurückgekehrt waren. Siehe dazu ebenfalls Tammel, S.25-296. 27

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bessergestellten Exulanten war. Hierzu gehörten auch, wie bereits erwähnt,28 eine Reihe von späteren Predigern der Fremdengemeinden wie Johannes und Theophilus Elison, Carolus Libaert und Samuel van Asshe, die dort häufig Kontakte zu ihren zukünftigen Kollegen in den anderen Flüchtlingsgemeinden aufbauen konnten. Die Tendenz, die Kandidaten auf der prestigereichen, calvinistisch orientierten Universität von Leiden und an der Genfer Akademie ausbilden zu lassen, trifft, wie bereits angeführt, auch auf die Kandidaten der Norwicher Gemeinde ZU. 29 Daneben war die Cambridger Universität durch ihre räumliche aber auch ideologische Nähe zu den Norwicher Exulanten ein beliebter Ausbildungsort für die Söhne der bessergestellten Refugianten. An einen Studienabschluß in Cambridge schloß sich hier häufig ein weiterführendes Studium in Leiden an. 30 Ob die Refugiantengemeinde selbst Stipendien für ihre Kandidaten zur Verfügung stellten, ist nicht bekannt. Die Vermittlung protestantischen Gedankengutes oblag in Norwich al1erdings nicht nur den Bildungs- und Erziehungseinrichtungen der Fremdenkirchen, sondern konnte auch durch die Verbreitung von Druckerzeugnissen erfolgen. In seiner Untersuchung zur Rolle Emdens während des niederländischen Aufstands konnte Andrew Pettegree überzeugend herausarbeiten, daß die Existenz einer Druckerpresse und die dadurch ermöglichte massenhafte Herstellung religiöser Schriften und Pamphlete Emdens entscheidenden Beitrag zur Formierung eines besonderen niederländischen Protestantismus darstel1te. 31 Nimmt man die Verbreitung oder auch die Produktion von Büchern als Indikator für Interesse an literarischer Bildung, so spielte auch Norwich hier eine wichtige Rol1e. In der Liste der in die Stadt eingereisten Fremden von 1568 wird ein "Anthonius de la Solemme typographus cum uxore et duobus pueris ex Brabantia,,32 aufgeführt. De Solempne, wie er in anderen Quellen heißt, war im vorangegangenen Jahr nach England gekommen. Bis 1567 hatte er in Antwerpen als Gewürzhändler gearbeitet. Ob er auch dort bereits als Drucker tätig gewesen 28

Siehe Kapitel E der vorliegenden Arbeit.

29 Siehe dazu Grell, Dutch Calvinism in Early Stuart London, S.I 06-148 und das vorangegangene Kapitel.

30

Siehe dazu das Kapitel E der vorliegenden Arbeit.

3\ Andrew Pettegree, Emden and the Dutch Revolt, Exile and the Development of a Reformed Protestantism, Oxford 1992.

32

Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.214.

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war, ist unbekannt. Oe Solempne scheint nicht unvermögend gewesen zu sein, denn bereits 1570 konnte er seine Freiheit als Bürger der Stadt für 40 Shilling einkaufen. Im Notwich Assembly Book heißt es am 11. Dezember 1570: Anthony de Solen, prynter not apprenticed, is admitted ci ti zen under the condicion that he shall not occupye eny trade of marchandise eyther from the partes beyond the Seaes or from London but only his arte of prynting and selling of Rhenyshewine and for thos'he have agreid to paye XLS. 33 Zu diesem Zeitpunkt lebte de Solempne in der Gemeinde St. Andrews, recht nahe im Stadtzentrum, zog aber zwei Jahre später um in ein Haus namens "The Dove" in der Gemeinde St. John Maddermarket, in unmittelbarer Nähe zum Marktplatz und zum Rathaus der Stadt. Dort hat er zumindest bis 1584 gewohnt und gearbeitet. 34 Sein Name taucht in der Steuerliste von 1581 für diese Pfarre auf und weist ihn als einen der vermögendsten Männer der Refugiantengemeinde aus. 35 1578 war er als Diakon für die niederländische Kirche tätig. 36 Bemerkenswert an seiner Arbeit ist, daß er offenbar mit offizieller Duldung in Norwich gearbeitet hat, ohne in der London Stationers Company gemeldet zu sein. Seit 1557 hatte diese Gesellschaft ein königliches Patent, nach dem nur ihren Mitgliedern erlaubt war, in England eine Presse zu unterhalten. Ausgenommen waren je eine Presse in den Universitäten von Oxford und Cambridge. 3? Oe Solempne ist dort nicht verzeichnet. Es existieren auch keine Norwicher Schriftstücke, die seine Druckertätigkeit offiziell erlauben, außer der Aufnahme als Freeman 1570. Dennoch scheint de Solempne unter anderem für die Norwicher Stadtverwaltung gearbeitet zu haben. Am 21. Mai 1570 wurde im Notwich Clavor's Book folgende Eintragung gemacht: Payed to Anthony de Solempne Prynter for Pryntyng the Lawes for Passage Boates for Redid howses and for scavyngers XVS. 3R 33

Assembly Minute Book Nr.3. fo1.180 .

.'4

Norfolk and NOIwich Notes and Queries, I sI. series 1888, S.34.

35

Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.166.

3fi

MCB Nr.IO, fol.298, 30.8.1578.

37 Daß die Stationer in London ihre Interessen durchsetzen konnten. verdeutlicht der Fall des niederländischen Druckers Richard Schilders. 1578 hatte er ohne Genehmigung in London gedruckt und war daraufhin von der Company gezwungen worden, die Arbeit an den englischen Drucker Thomas Dawson abzutreten. Siehe dazu W. Greg, E. Boswell (Hg.), Records of the Court of the Stationer's Company 1576 to 1602 from Register B, London 1930,3,4-5, LVI-LVII. 3R

NRO 18d, Norwich Clavor's Book Nr.2, 1556-1646, fo1.20.

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William K. Sessions und David Stoker haben in den letzten Jahren versucht, eine Liste aller von de Solempne in Norwich gedruckten Bücher zusammen zustellen. 39 Durch einen Vergleich der benutzten Drucktypen konnten sie von den ursprünglich 13 Titeln, die ihm zugeschrieben wurden, lediglich sieben als tatsächliche Originaldrucke aus Norwich identifizieren. Die älteste von ihnen de Solempne zugeschriebene Arbeit sind die "De C.L.Psalmen Dauids.1568." Bei den hier zusammen mit einem Katechismus abgedruckten 150 Psalmen handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Französischen von Peter Dathenus. 4o Diese Version war 1556 erstmals in Flandern veröffentlicht worden, wo sie sehr bald zum Standardwerk für die Exulantenkirchen avancierte. Die Londoner Kirche, welche zunächst mit einer anderen Version aus dem Jahr 1566 gearbeitet hatte, übernahm 1571, drei Jahre nachdem sie in Norwich erschienen war, Dathenus' Übersetzung. Die vorhandenen Ausgaben sind ausgezeichnet durch starken Detailreichtum und Ornamentik sowie eine große Bandbreite verschiedener Schrifttypen, wonach zu vermuten ist, daß in de Solempnes Druckerei zumindest ein erfahrener Fachmann tätig gewesen sein muß, dem umfangreiches und ausgezeichnetes Werkzeug zur Verfügung gestanden hat. Im selben Jahr druckte de Solempne die "Belijdenisse ende eenvoudige wtlegghinge des waerachtigen gheloofs ende der algemeynen articulen van de suyvere Christelicke religie ... ", eine Ausgabe der populären sogenannten "Helvetische Confession".41 Beide Ausgaben konnten außerdem durch Eintragungen auf dem Titelblatt identifiziert werden, welche de Solempne als den Drucker und Norwich als den Druckort ausweisen. Etwas schwieriger ist die Identifikation der folgenden Arbeit, die ebenfalls de Solempne zugeschrieben wird. Auf dem "Tableau de loeuvre de Dieu" von 1569 sind keine Angaben zum Erscheinungsort und dem verantwortlichen Drucker gemacht worden. Das Werk besteht aus einer einzigen Folioseite, die mit Extrakten aus Bibelversen bedruckt worden ist. Der Autor dieses Schriftstückes war ein gewisser Antonio deI Corro, ein Prediger aus der spanischen Refugiantengemeinde in London. Hinweise darauf, daß der 39 William K. Sessions, David Stoker, The First Printers in Norwich from 1567 - Anthony de Solempne, Albert Christiansz & Joannes Paetz, York 1987. Siehe auch William J. Woods, "Publications connected with the Dutch Church in Norwich", in: Norma Virgo, Tom Williamson (Hg.), Religious Dissent in East Anglia, Norwich 1993, S.29-36. 40 Von dem Werk sind fünf Kopien erhalten, von denen zwei in der Bibliothek des Trinity College, Dublin, eine in der Bodleian Library, Oxford und je eine in der Ryland's Bibliothek in der Universität von Manchester und der Meermanno-Westrenianum Bibliothek in Den Haag aufbewahrt werden.

41 Kopien werden aufbewahrt in der British Library, der Cambridger Universitätsbibliothek und Ryland's in Manchester. Eine gute Kopie ist in der Norwich County Library einzusehen.

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Druck des in London umstrittenen Werkes in Norwich in Auftrag gegeben worden ist, finden sich in John Strypes Biographie Edmund Grindals. Hier heißt es: Corranus of late hath cause a Table, entitled De Operibus Dei, wrote by hirn in French, to be Printed in Norwich, not offering the same to be Examined here before it was printed, But the Minister and Seniors of the Italian Church, had misliked certain Doctrines contained in the said Table, wavering, as it seems, somewhat from the opinion of Calvin. 42 De Solempne kam demnach offenbar in Schwierigkeiten mit dem Prediger der wallonischen Kirche in Norwich, den er um Korrekturen seiner französischen Vorlagen gebeten hatte. Michael de la Forest brachte etwa 25 Verbesserungsvorschläge an, in denen er allerdings stärker den Inhalt des Schriftstückes als seine sprachliche Ausformulierung kritisierte, da das "Tableau" nach seiner Anschauung orthodoxe Vorstellungen von Christologie und Prädestination in Frage stellte. Dessenungeachtet druckte de Solempne Corros Version, weIche diesem letztendlich ein Predigtverbot von Bischof Grindal einbrachte, der offenbar die Meinung de la Forests teilte. Gefragt, warum das Werk in Norwich gedruckt worden war, gab Corro an, de Solempne hätte einen niedrigeren Preis gefordert als seine Londoner Berufsgenossen. Ob auch de Solempne für den Druck und die Verbreitung des Pamphlets bestraft wurde, ist unbekannt. Bemerkenswert ist allerdings die Tatsache, daß er trotz der Kritik des wallonischen Predigers mit seiner Arbeit fortfuhr. Er scheint sich auch nicht um eine Lizenz der englischen Kirche, die in der Regel von den englischen Druckern als Druckerlaubnis eingeholt werden mußte, gekümmert zu haben. Ein Jahr später, 1570, wurde in seiner Werkstatt "Eenen Calendier historiaell eewelick ghedurenden.1570", ein sogenannter immerwährender Kalender, gedruckt. 43 Der Kalender besteht aus einem 16-seitigen Büchlein in niederländischer Sprache, in den die Zeiten des Sonnenaufgangs und -untergangs, Ebbeund Flutzeiten der großen westeuropäischen Häfen und die Daten der jährlichen großen europäischen Messen eingetragen sind. Die Monatsnamen sind in latein, niederländisch und ihren hebräischen Equivalenten angegeben. Hinzu kommen Hinweise auf Datum und Ursprung großer Festtage, von denen einige, wie Lichtmess, Allerheiligen und Mariä Empfängnis eindeutig aus dem katholischen Festkreis und aus dem Alten Testament stammen. Angemerkt wurden außerdem wichtige Ereignisse aus der jüngsten englischen und niederländischen Ge42

John Strype, Biography of Edmund Grindal, London 1710, S.125.

43

Das Original befindet sich in der Bodleian Library. Oxford.

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schichte, wie die Enthauptung des Herzogs von Somerset, der Brand im Tower von London, der Tod König Edwards VI. oder der Abzug des Prinzen von Oranien aus Antwerpen. Die Ankunft des Herzogs von Alva in den Niederlanden am 25. Oktober 1566 wird ebenso erwähnt wie die Krönung Königin E1isabeths am 17. November 1558. Als Ereignis von lokaler Bedeutung wird außerdem die Eröffnung der niederländischen Kirche in Norwich angegeben, die hier irrtümlicherweise auf den 24. Dezember 1565 verlegt wurde. 44 Interessanterweise hat eine genauere Analyse der angeführten Tagesheiligen ergeben, daß ein Großteil der hier Aufgeführten auf dem Kontinent im Utrechter Raum verehrt wurde. So verzeichnet der Kalender beispiel weise für den 11. Mai den Namenstag des Heiligen Amandus, womit Bezug genommen wird auf ein lokales Patronatsfest, weIches zu Ehren des Utrechter Bischofs St. Amand gefeiert wurde. Am 3. März wird an Celidonius erinnert, einen Heiligen, der nur in Utrecht gefeiert wird. 45 Diese Tendenz ist umso erstaunlicher, als in der Zählung von 1568 nur eine Familie Utrecht als Herkunftsort angibt. 46 Festzuhalten bleibt jedenfalls die starke Ausrichtung des Kalenders auf den Kontinent. De Solempne druckte offensichtlich für ein niederländisches Publikum oder für Leser und Leserinnen mit großem Interesse an den Ereignissen in den Niederlanden. Daß er dies mit Zustimmung der Norwicher Obrigkeit tat, macht der Aufdruck des königlichen Siegels auf der ersten Seite und das königliche Motto auf derselben Seite deutlich. Hier heißt es unmißverständlich in niederländisch: "Godt bewaer de Coninginne Elizabeth". Im selben Jahr, was offenbar für de Solempnes Karriere von großer Bedeutung war, erschien aus seiner Werkstatt eine englische Schrift, nämlich die Certayne versis writtene b Thomas Brooke Getleman in the tyme of his imprisoment the daye before his deathe who sufferyd at Norwich the 30. of August 1570. Imprynted at Norwich on the Pariyshe of Sayncte Andrews by Anthony de SoIemne. 1570. 47 Thomas Brooke war einer der Anführer des mißglückten Aufstandes vom Mai/Juni 1570 gewesen, der sich unter anderem gegen die Anwesenheit der 44 Zur Datierung siehe Rickwood, The Norwich Dutch and Walloon Strangers' Book, Bd. I, S.\03-\04. 45 Andere Beispiele für Namenstage, die nur im Utrechter Raum gefeiert wurden, sind Cyrus, der Konfessor (17.5.), David, der Konfessor (30.10.), der Heilige Gangolf (9.5.), Helena (I 5.4.). 46

Siehe Moens, The Walloons and their Church, Bd.2, S.151-157, 207-216.

47

Von diesem Werk existiert nur noch ein Kopie in der Bodleian Library in Oxford.

9 EBer

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Fremden in der Stadt gerichtet hatte. Da es sich bei der Schrift um eine scharfe Polemik gegen Brooke und seine Gefolgsleute handelt, verwundert es nicht, daß sich de Solempne besonders nach den Schwierigkeiten mit der Veröffentlichung des "Tableau" im vorangegangenen Jahr gegen etwaige Animositäten absichern wollte, indem er unter den Titel der Schrift die kleine Notiz "Seane and allowyd accordynge to the Queenes Maiestyes Inictions. God save the Quene" hinzufügte. Im folgenden Jahr beschäftigte sich de Solempne offenbar mehr mit dem Weinhandel als mit der Druckerei. Erst 1572 erschien ein weiteres Werk aus seiner Presse in Form einer englischen Flugschrift mit dem Titel: A prayer to be sayd in theend of momyng prayer daily (through the diocese of Norwich ) during the tyme of this hard and sharp wether! of frost and snow! to craue mercy for our synnes ! and release of this sore punishment at the rnercifull handes of our good and graciouse God. 1572. irnprinted at Norwich in ye parish of St.Andrewe by Antho: de Solempne. Offensichtlich war das Werk von der englischen Kirche in Auftrag gegeben worden. Hiermit endete die Druckertätigkeit de Solempnes in Norwich. 48 Im folgenden Jahr zog er in die Pfarre St. John Maddermarket um und scheint sich nur noch dem Weingeschäft gewidmet zu haben. Mit Ausnahme des "Tableau" waren die von de Solempne gedruckten Werke erstaunlich unumstritten. Die Mehrzahl der niederländischen Drucke war religiösen Inhalts und behandelte Elemente des niederländischen Gottesdienstes, der von den Engländern offiziell toleriert wurde. Was die übrigen Werke angeht, so hätten sie auch in jeder beliebigen englischen Presse gedruckt werden können. Es waren vielmehr die Werke, die falschlich de Solempne zugeordnet wurden, in denen extreme protestantische Positionen verbreitet wurden. Die Historie der Nederlandtscher oorlogen! Troublen en oproeren oorspronckl anvanck en eynde/ Itern den Standt der Religien! tot desen Jare 1580. Gedruckt tot Noortwitz na de Copie van Basel. Anno 1579., eine Geschichte des Ursprungs, Verlaufs und ( vorläufigen) Endes des niederländischen Aufstandes konnte von Sessions und Stoker als Druck aus Antwer-

4R

Oe Solempnes Ausscheiden beendete jegliche Oruckertäligkeil in der Stadt bis 170 I.

F. Erziehung, Bildung und kulturelle Aktivitäten innerhalb der Fremdengemeinden

131

pen identifiziert werden. 49 Die Chronik beschreibt die Einzelheiten des Krieges aus einem protestantischen Blickwinkel mit besonderer Betonung der Leiden, die den Bewohnern der Niederlande durch die katholischen Verfolgungen zugefügt wurden. Die Tatsache, daß Norwich als Druckort angegeben wurde, konnte den eigentlichen Herausgebern ein gewisses Maß an Sicherheit und Schutz vor den spanischen Landesherren geben. Dieselbe Verschleierungsmethode wurde beim Druck von Het tweede boeck, Vande sermoenen des wel vermaerden Predicants B.Comelis Adrianssen vna Dordrechtl Minrebroeder tot Brugge. 1578. Nu eestmael in Druck vuytgegeven, buyten Noirdwitz. 5o angewendet. Der Titel weist das Werk eindeutig als in Norwich gedruckt aus. Ein Vergleich der hier benutzten Drucktypen mit denen aus de Solempnes Presse ergaben allerdings keine Übereinstimmungen. Der im Titel erwähnte Adriaenssen war ein radikaler katholischer Prediger, dessen Reden im vorliegenden Werk parodiert wurden. Daß Norwich hier als Erscheinungsort angegeben werden konnte, um die eigentlichen Drucker zu schützen, kann als Beweis für die Popularität von de Solempnes Presse auf dem Kontinent gewertet werden. Ob es sich beim Aufstellen der Druckerpresse gerade in Norwich um einen Zufall oder um eine gezielte Ansiedlung zur Verbreitung protestantischen Gedankengutes handelte, bleibt dahingestellt. Vermutlich hatte de Solempne einen Mitarbeiter namens Albert Christiani alias Christiansz oder Corstenz, der in der Liste von 1567 als "tipographus ex Hollandia" verzeichnet iSt. 51 Über seinen Aufenthalt in der Stadt ist weiter nichts bekannt. Er war ein Mitglied der radikalen Druckergruppe von Vianen, die unter der Protektion Heinrich von Brederodes bis zum Fall der Stadt am 3. Mai 1567 protestantisches Material zur Unterstützung des niederländischen Aufstandes verbreitete. Verbindungen zwischen Emden, dem Zentrum protestantischer Druckertätigkeit und de So-

49

Stoker/Sessions, The First Printers, S.50-51.

William Alexander Jackson, Frederick Sutherland Ferguson, Katherine Pantzer (Hg), A Short-Title Catalogue of Books Printed in England, Scotland & Ireland. And of English Books Printed Abroad 1475-1640,2 Bände, 2. überarbeitete Auflage, London 1986, Bd.l, Nr.151. 50

51

Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.208.

132

F. Erziehung, Bildung und kulturelle Aktivitäten innerhalb der Fremdengemeinden

lempnes Norwicher Presse sind nicht bekannt. Kontakte zwischen Norwich und Emden waren selten und verliefen zumeist über die Londoner Gemeinde. 52 Bemerkenswert ist auch die Tatsache, daß vergleichsweise viele Exulanten im Buchgewerbe tätig waren. Hierzu gehörte der Leidener Buchhändler Johannes Paetz, der 1567 in Norwich eintraf und 1572 mit seiner Familie wieder zurück nach Leiden ging, sowie der Buchhändler und -binder Anthonius Rabat, der mit seiner Frau und ihrem Kind ebenfalls 1567 nach Norwich einreiste, Cornelius van HiIle, ebenfalls Buchhändler und -binder, und Petrus Jass oder Jason, der als Buchhändler und -binder 1567 mit seiner Frau und seiner Tochter nach Norwich zog. 53 Das Geschäft scheint zumindest bei den drei Genannten so gut gegangen zu sein, daß ein Lehrling eingestellt werden konnte. Am 13. September 1569 berichtete Gilles Navegeer seiner Großmutter in Ypern, daß er für eineinhalb Jahre als Buchbinder ausgebildet worden war, "sodattet my te cJeene profyte comt."S4 Ob von ihnen hauptsächlich englische oder niederländische Bücher - möglicherweise aus de Solempnes Presse - verarbeitet oder verkauft wurden, ist nicht bekannt. Ebensowenig zu beantworten ist die Frage, ob die Drucktätigkeit Anthony de Solempnes und seiner Mitarbeiter und der verhältnismäßig hohe Anteil von Buchhändlern und -bindern unter den Exulanten dem Interesse der Fremden an literarischer Bildung entsprach. Wie stark die Verbreitung von Büchern und anderen Druckwerken unter den Exulanten war, ist nicht im einzelnen nachzuweisen. Trotz dieser guten Produktions- und Verbreitungsmöglichkeiten scheint sich in Norwich, anders als etwa in London, kein Zirkel literarisch gebildeter und interessierter Exulanten gebildet zu haben. Von Werken, die während der Druckertätigkeit de Solempnes von Norwicher Exulanten verfaßt worden wären, gibt es keine Spuren. Man scheint die zeitgenössischen Arbeiten niederländischer Autoren gelesen zu haben, wie das Testament von Beniamin Bernard aus dem Jahr 1618 beweist. Hierin vererbte er seinem Schwiegervater Nicholas Priem "a book written by Immanuel van Meteren called 'The Low Countries and their Neighbours actions,,,.55 Van Meteren gehörte zu dem Kreis literarisch interessierter Merchant-Ministers in London, 52 Vergleiche dazu Heinz Schilling, Klaus-Dieter Schreiber (Hg.), Die Emdener Kirchenratsprotokolle der Reformierten Gemeinde Emden, 1557-1620, Bd.I, 1557-1574, KölnlWien 1989. 53 Zwischen 1550 und 1572 lebte außerdem der Buchbinder Leonard Delyson in der Pfarrgemeinde St. Peter Mancroft. Delyson war niederländischer Herkunft, hatte sich aber bereits 1550 naturalisieren lassen und unterhielt keine erkennbaren Kontakte zu den Exulantengemeinden. 54

lanssen (Hg.), "Oe Hervormde Vlugtelingen", S.273.

55

NRO, ADe 1618, Barker 36.

F. Erziehung, Bildung und kulturelle Aktivitäten innerhalb der Fremdengemeinden

133

der sich um den Prediger Simon Ruijttink gebildet hatte. Besonderes Interesse hatte diese Gruppe an der Geschichte der Exulantengemeinden, in der sie das Wirken Gottes offenbart sahen. 56 Ob darüber allerdings. gemeinsam diskutiert wurde, ist nicht bekannt. Die ersten niederländischen Arbeiten, die von einem Exulanten aus Norwich verfaßt wurden, stammten aus der Feder von Jan Cruso. Seine Familie kam ursprünglich aus Hondschoote, lebte aber bereits seit mehreren Generationen in Norwich und gehörte dort zu den wohlhabenderen und einflußreicheren Exulanten. Cruso war in den 1620er Jahren Ältester der Niederländergemeinde und bis 1647 Hauptmann der niederländischen Miliz. Neben Gedichten und Psalmenauslegungen in niederländischer Sprache verfaßte er in seiner militärischen Funktion mehrere englischen Militärhandbücher, die sich in der englischen Miliz großer Beliebtheit erfreuten. Keines der Werke wurde allerdings in Norwich gedruckt. 57 Inwieweit es möglich ist, durch die systematische Auswertung von Inventaren Hinweise auf den Grad der Alphabetisierung der Engländer und Engländerinnen des 16. Jahrhunderts zu gewinnen, hat David Cressy in seiner Studie "Literacy and the Social Order" herauszuarbeiten versucht. 58 Hierbei schränkte er ein, daß der Besitz von Büchern grundsätzlich kein Kriterium für die Schreib- und Lesefähigkeit des Besitzers oder der Besitzerin ist. Darüber hinaus ist die quantitative Auswertung von Inventaren problematisch, da einerseits in den seltensten Fällen eine repräsentative Auswahl vorliegt und andererseits bei der Inventarisierung häufig sehr impressionistisch und unsystematisch verfahren wurde, so daß nicht immer sicher ist, ob Bücher als Einzelgegenstände überhaupt aufgenommen wurden. 59 Diese Kritikpunkte müssen auch bei der Auswertung der 60 Inventare, die zwischen 1565 und 1639 von Exulanten in Nor56 Vergleiche dazu Oie P. Grell, "Merchants and Ministers: the Dutch in Elizabethan and Stuart England and their role in international Calvinism",in: Alastair Duke, Gillian Lewis, Andrew Pettegree (Hg.), Calvinism in Europe, 1540-1620, Cambridge 1994, S.254-273. 57 Zu Crusos literarischer Tätigkeit vergleiche 1. C. Arens, Spiegel der Letteren, 8st Jaargang, 1964-65, Nederlandse Gedichten van Jan Cruso uit Norwich; William 1. Woods "Poetry of the Dutch refugees in Norwich", Dutch Crossing, A Journal of Students of Dutch in Britain 8, University of London 1979, S.71-73; ders., "Publications connected with the Dutch Church in Norwich", in: S.21-28. Zu den von Cruso verfaßten Militärstudien gehören: "Militarie Instructions for the Cavallrie", Cambridge 1632; "A Short Method for the Easie Resolving of Militarie Questions propounded", Cambridge 1639. Zu seinen religiösen Betrachtungen gehören die "Uytbreydinge over den Achsten Psalm Davids", Amsterdam 1642. 5R David Cressy, Literacy and the Social Order. Reading and Writing in Tudor and Stuart England. Cambridge 1980.

59

Cressy, Literacy and the Social Order, S.42-53.

134

F. Erziehung, Bildung und kulturelle Aktivitäten innerhalb der Fremdengemeinden

wich erhalten sind, beachtet werden. 60 Ihre geringe Anzahl entzieht sich selbst schon einer statistischen Analyse. Hier können deshalb nur einige qualitative Aussagen gemacht werden. Von den 60 aufgelisteten Inventaren verzeichnen 34 ausdrücklich den Besitz von Büchern. Hierbei schwankt die Anzahl von einem bis zu acht ausdrücklich erwähnten Exemplaren. Acht Einträge verzeichnen eine ungenannte Anzahl Bücher. 26 mal werden Bibeln genannt, wovon eine englische Bibel ausdrücklich erwähnt wird. 18 mal werden Alte oder Neue Testamente erwähnt. Calvins "Institutiones" wurden viermal inventarisiert. Des weiteren werden genannt Psalmen, Kommentare zum Katechismus, das "Book of Martyrs" von John Fox, die "Summa christelicker Religion" von Bullinger, Psalter und ein nicht genauer genanntes Predigtbuch. Unter den Buchbesitzern befinden sich sowohl wohlhabendere als auch - zumindest nach den Aufstellungen der Inventare - weniger wohlhabende Exulanten. So gehörte zum Besitz von John Hochede, "Iate of ye Citie of Norwch, deceased", neben einem Mantel, zwei paar Hosen, einem paar gestrickter Socken, einem Hut, zwei Hemden und zwei paar Schuhen auch eine Bibel. 61 Die am 23. September 1613 inventarisierten Güter der Witwe Elisabeth van der Sande beliefen sich auf einen Wert von f6, acht Shilling und elf Pence. Ihr wertvollster Besitz war demnach ihr Bett, das von den Inventarisierenden auf 15 Shilling geschätzt wurde. Auch sie besaß eine Bibel im Wert von einem Shilling und vier Pence. Demgegenüber recht gut ausgestattet waren der Posamentenweber Gyles de Kower und seine Frau. John Hubbert und George Smith inventarisierten am 31. Oktober 1603 aus dem Besitz des Paares Kleidungsstücke, Haushaltsgegenstände, Silberwaren, Stoffe und Textilwerkzeuge und sechs Webrahmen. Zu dem Gesamtwert der Hinterlassenschaft von ;(39, zehn Shilling und neun Pence gehörten auch Calvins "Institution es", die auf zwei Shilling geschätzt worden waren, und ein Predigtbuch im Wert von zwei Shilling und sechs Pence. Hinzu kamen weitere, im Einzelnen nicht genau aufgeführte Bücher im Wert von 12 Pence und eine Karte von Paris, die auf zwei Shilling und sechs Pence geschätzt worden war. 62 William Powells hinterließ in seinem Inventar vom 15. Januar 1603 Wertgegenständen von insgesamt f113, zehn Shilling und sieben Pence. Er besaß Goldund Silberwaren im Wert von über;(10 und Stoffe für mehr als ;(70. Die mit der Inventarisierung Beauftragten verzeichneten außerdem "one picture of Adam and Eve" im Wert von f6, eine Weltkarte, die sie auf zehn Shilling schätzten,

t;()

NRO, Probate Inventories of the NCC.

61

NRO, Probate Inventory 12, 138,21.10.1595.

62

NRO, Probate Inventory 19, 158b, 31.10.1603.

F. Erziehung, Bildung und kulturelle Aktivitäten innerhalb der Fremdengemeinden

135

ein Fernglas im Wert von neun Shilling, ein Blumenstilleben für einen Shilling, eine große Bibel für drei Shilling, ein Testament mit den Psalmen und ein Testament ohne Psalmen für insgesamt einen Shilling. 63 Ein ebenso impressionistisches Bild ergab die Durchsicht der vorhandenen Testamente in Bezug auf das Vererben von Büchern. Lowysken van Rockeghems vermacht am 26. Oktober 1603 dem jungen Isaak Gheraert ein Testament und David Hienson "a booke of songes & 2 sacraments".64 Johannes Elison vennachte in seinem umfangreichen Testament vom 4. Juni 1634 seinem Sohn Theophilus, "the scholar", "all my bookes and all my paper". Sein "faithfull fellow minister" Charles Libaert wurde mit einem "book in folio" bedacht. John Cruso, Hauptmann der niederländischen Miliz in Norwich, erhielt ebenfalls ein Buch. 65 Um Theophilus' Ausbildung bemühte sich auch die Witwe Cicilie van Torre, die dem Studenten in ihrem Testament vom 27. Oktober 1626 10 Shilling vermachte, wofür er ein Buch kaufen sollte. 66 Wie Elison, so übergab auch Philip Andries seinem Sohn Samuel alle seine Bücher "if he gave hirnself to the profession of a scholler.,,67 Salomon de Wagenheere vererbte am 12. Oktober 1625 seinen Kinder John und Judith ein Buch "named Calvins Inscriptions". Jonathan Godtschalk erhielt von ihm "a Book of the Synod of Dordrecht".68 Joos de Raam, einer der reichsten und einflußreichsten Exulanten der ersten Stunde,69 bemühte sich offenbar sehr um die literarische Bildung seiner Kinder. Er vermachte 1577 seinem Sohn Peter Ramus alias Weynoot all rny bookes, aswell Lattyn as Dutch and to the advancernent and furtheringe of his study regardynge hirn therewithall dilligently to study and exercise hirnselfe to the feare of God to his etemal salvation. 7o

63

NRO, Probate Inventory 20, 47,15.1.1603.

64

NRO, NCC 141 Norfforthe.

65

NRO, NCC 194 Green.

M

NRO, NCC 62 Mittings.

67

PRO, PCC Wills 106,54 Hayes.

68

NRO, Archdeaconry Court Wills, 408, MFIRO 314.

69 De Raam kam urspriinglich von London nach Norwich, 1571 und 1572 war er Mitglied der Politijcke Mannen. 1574 vertrat er die Interessen der Exulanten in einem gemeinsamen Ausschuß für Angelegenheiten des Textilgewerbes in der Stadt. 1581 wurde seine Witwe in der Lay Subsidy Roll für dieses Jahr für Güter im Wert von 60 Shilling besteuert. Siehe Moens, The Walloons and their Church, Bd.2, S.167. 70

NRO, NCC 80 Cawston.

136

F. Erziehung, Bildung und kulturelle Aktivitäten innerhalb der Fremdengemeinden

Mary de Pre vermachte ihrer Tochter Mary eine kleine Bibel, ihrem Sohn John eine große Bibel, ihrer Tochter Elisabeth ein Testament und ihrer Tochter Suzanne ein Testament "weh came from her grandfather".71 Francis Boei, möglicherweise ein Sohn des oben erwähnten Schulmeisters, hinterließ in seinem Testament vom 19. April 1649 den Politijcke Mannen no, die für die Predigerausbildung von "two young and honest beginners of ye sd congegacon weh shalbe no Alehouse hunters" verwendet werden sollten. 72 Insgesamt ergibt sich hier für die Exulantengemeinden das Bild einer Gesellschaft, die anders als die Londoner Gemeinde, nicht über eine starke, intellektuell interessierte Oberschicht verfügte. Kulturelles Leben zentrierte sich um das Bibelstudium und die Glaubensunterweisung. Man legte zwar großen Wert auf die fundierte Ausbildung der Prediger der Gemeinde und versuchte auch, den eigenen Kindern, soweit es in den Mitteln der Familie stand, eine in England anerkannte akademische Ausbildung zukommen zu lassen. Diese scheint aber hauptsächlich der kaufmännischen Karriere der Exulanten zugute gekommen zu sein. Auffällig innerhalb der Berufsstruktur der Fremdengemeinden ist das Fehlen von den in anderen Gemeinden für die Schulausbildung zuständigen Doktoren, von Rechtsanwälten und Notaren und ähnlichen Berufszweigen. 73 Diejenigen Exulanten, die eine Universitätsausbildung durchlaufen hatten, kehrten entweder als Prediger in ihre Heimatgemeinden zurück oder übernahmen, wie Tobias de Hem, Peter Walwen und John Cruso, das Handelsgeschäft ihrer Väter.

71 NRO, NCC 81 Mason, 20.9.1619. Daß der Besitz von Büchern auch unter den englischen Einwohnern der Stadt in allen Berufssparten erstaunlich weit verbreitet war, hat John Pound herausgearbeitet. Siehe ders., The Social and Trade Structure of Norwich 1525-1575, University of Leicester, unveröffentlichte Dissertation 1974, S.246ff. Die Tatsache daß bereits 1608 in der Stadt die erste öffentliche Bücherei eingerichtet wurde, spricht ebenfalls für das Interesse der Norwicher an literarischer Bildung.

72

NRO, NCC 63 Houchin.

7~ Vergleiche über die Berufsstruktur der Exulanten Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.152-157, S.189-193, S.207-216.

G. "Strangers within the Gates" Die geographische Verteilung der Exulanten in der Stadt Nachdem im Vorangegangenen die Exulantengemeinden selbst mit ihrem religiösen und kulturellen Aufbau und dessen Wandel im Verlauf von etwa 80 Jahren untersucht worden sind, steht das Zusammenleben der Niederländer mit ihren englischen Nachbarn in der Stadt im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen. Hier ist zu fragen, inwieweit sich die Exulanten in den rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Kontext der sie aufnehmenden Gesellschaft integrieren konnten und wollten. Sind hier gegenseitige Beeinflussungen durch die jeweils andere Gesellschaft festzustellen und inwieweit waren Gastgesellschaft und Neuankömlinge bereit, das jeweils Andere mit den eigenen Entwürfen und Bedürfnissen zu verbinden? Am Anfang der Untersuchung steht zunächst die Frage nach dem Zusammenleben von Fremden und Norwichern. Kam es hier, wie in anderen Wirtsstädten, zu dem Phänomen der Ghetto-Bildung oder gelang es den Exulanten, sich in die sozialen und stadtgeographischen Gegebenheiten der Stadt einzufügen? Zur Beantwortung dieser Frage müssen zunächst die Exulanten in der Stadt ausfindig gemacht werden. Hier erweist sich die Quellenlage allerdings als äußerst problematisch. Die Norwicher Stadtverwaltung führte nur in unregelmäßigen Abständen, häufig auf Anfrage vom Privy Council oder dem Bischof von Norwich, Zählungen der Fremden in der Stadt durch. 1568 wurde eine namentliche Auflistung aller Exulanten mit ihren Familien, ihrem Herkunftsort und der Dauer ihres Aufenthalts in England durchgeführt. I 1571 wurde auf Veranlassung des Privy Council eine weitere Zählung der Fremden in der Stadt vorgenommen. Diesmal wurde allerdings nur die Anzahl der Männer, Frauen und Kinder in den jeweiligen Wards angegeben. 2 Danach kam es erst wieder 1622 zu einer von König James angeordneten Autlistung der Fremden in der I

Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.151-157, 207-216.

2

DWSB, fo!. 69-69v.

138

G. Die geographische Veneilung der Exulanten in der Stadt

Stadt. Hierbei wurden sowohl ihr Wohnort als auch ihr Beruf festgehalten. Zudem mußten sie darüber Auskunft geben, ob sie in den Niederlanden oder bereits in England geboren waren. 3 Darüber hinaus wurden die Exulanten in Norwich in den ebenfalls in unregelmäßigen Abständen eingeforderten königlichen Steuern und Sonderabgaben erfaßt. Für die Stadt liegen die Lay Subidy RoUs von 1566, 1576, 1581, 1594, 1595, 1598, 1599 und ein Hearth Tax Return von 1624 vor. 4 Demographische Quellen von den Exulanten selbst liegen nur noch fragmentarisch vor. Ein Heiratsregister der wallonischen Kirche von 1599 bis 161 I wird im Public Record Office aufbewahrt. 5 Daneben existiert ein Trauregister von 1595 bis 1752.6 Von der flämischen Kirche sind keine Heiratsregister überliefert. Hier ist lediglich ein Taufbuch von 1598 bis 1619 vorhanden.? Die Identifikation der Fremden wird außerdem erschwert durch die große t1neinheitlichkeit der Schreibweise niederländischer und französischer Namen. In den englischen Quellen tauchen sie oft in bis zur Unkenntlichkeit anglizisierter Weise auf. So wurde beispielsweise aus Malliard de Brune im Norwich Consistory Court kurzerhand M. Brown, ein Name, hinter dem nicht unbedingt ein niederländischer Posamenten weber zu vermuten ist. 8 Ebenso problematisch ist die Auswertung der in den Lay Subsidy RoUs erfaßten Personen. Hier wurde der Begriff Alien, der in der Regel hinter dem Namen der entsprechenden Person in den Listen vermerkt wurde, auf alle NichtNorwicher angewandt, ohne zu unterscheiden, ob sie aus Thetford, Schottland oder den Spanischen Niederlanden stammten. Douglas Rickwood versuchte, die niederländischen Refugianten in den englischen Pfarregistern anhand ihrer Vornamen zu identifizieren. 9 Nach seiner These bevorzugten die Fremden Namen aus dem Alten Testament, wie Abraham, 3

Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.189-193.

4

PRO, 152/406; NRO, 7/i; PRO, 152/423, 1521471, 1521474, 152/497, 152/511, 153/583.

5

PRO, RG4/4649; Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.l14-123.

~ PRO, RG4/4649; Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.I-113. 7

BM, Add.MS 43,861; East Anglian Notes and Queries, 1907, T.XII und 1908, T.XIII.

8

NRO, NCC Mason 228.

9 Rickwood, The Origin and Dec\ine of the Stranger Community of Norwich, passim. Rickwoods Ziel war es, Auskünfte über das Integrationsverhalten der Exulanten anhand ihrer Heiratsverbindungen mit Engländern bzw. Engländerinnen zu erhalten.

G. Die geographische Verteilung der Exulanten in der Stadt

139

Johannes, Jacob, Peter, Isaak und Daniel während bei den Norwichern englische bzw. normannische Namen wie Robert, John, William, Henry, Richard und Thomas vorherrschten. Um diese These zu erhärten, untersuchte Rickwood exemplarisch die Geburts-, Trau- und Totenregister eines Wards, nämlich Ultra Aquam. Eine von ihm durchgeführte Sample-Analyse konnte jedoch seine These nicht stützen. Eine Stichprobe von 382 niederländischen und 152 wallonischen Männern, die in Norwich vor 1625 getauft wurden, ergab, daß mehr als 64% der Aufgeführten insgesamt sechs biblische Namen erhielten. Demgegenüber ergab eine Stichprobe von 200 englischen Bürgern, deren Namen im Census 0/ the Poor von 1570, einer Zählung aller unterstützungsbedürftigen Engländer und Engländerinnen in der Stadt, auftauchten, daß nur zwei der als typisch englisch bezeichneten Namen verwendet wurden, die insgesamt 26% der Untersuchten ausmachten. lO Diese Ergebnisse machen eine eindeutige Identifikation in den vorhandenen englischen Pfarregistern unmöglich. Eine systematische Analyse der niederländischen Familienverbände unternahm Glynis Fel1. 11 Beispielhaft versuchte sie, die in der Lay Subsidy Roll von 1581 auf Pfarrebene aufgeführten Aliens über einen Zeitraum Von 60 Jahren mit Hilfe anderer Quellen weiter zu identifizieren. Von den insgesamt 847 aufgeführten Fremden konnten nur 49 als mit Sicherheit aus den Spanischen Niederlanden, 395 als wahrscheinliche und 403 als mögliche Refugianten klassifiziert werden. Der Großteil der im Dokument als Fremde bezeichneten konnte nicht in anderen Quellen wiedergefunden werden. In einer weiteren Analyse wurden die 49 mit Sicherheit als Exulanten Erkannten zusammen mit einer willkürlichen Auswahl von 51 aus den möglicherweise als Fremde klassifizierten in anderen Quellen, beispielsweise in einer offiziellen Zählung von 1622, gesucht. Von nur 34 dieser insgesamt 100 Personen existierte demnach mehr als eine Eintragung in dem bearbeiteten Quellenmaterial. Was den Wohnort innerhalb der Stadt anging, waren hier den Fremden von der Stadtverwaltung grundsätzlich keine Grenzen gesetzt worden. Das Patent hielt lediglich fest, that theseyde maior, citizens and comonaltye, and their successors and evrye partycular parson of them, maye graunte sett, or lett to farme for tearme of seven yeeris or under, to anye or everye, of the foreseyde thirtye Duchemen of the Lowe Countryes of Flaunders (alynes) for to dweile and inhabite in everye or anye dwellinge housse, messwage or tenemente wthe thappotenaunces within the seyde cytye of 10

Pound (Hg.), The Norwich Census of the Poor, passim.

11

Fell, The Spatiallmpact, passim.

140

G. Die geographische Verteilung der Exulanten in der Stadt NOTwiche, as in ample manneT as they maye do unto anye of ower lieges or subiectes naturally borne within this ower realme of Englaunde. 12

Die von Fell vorgenommene statistische Auswertung des Zahlenmaterials, der Zählung der Fremden von 1571, der Lay Subsidy RoUs von 1581 und 1598 und der Hearth Tax Returns von 1624, macht eine Tendenz der Exulanten deutlich, sich vor allem in den Gebieten in unmittelbarer Nähe beiderseits des Flusses Wensum niederzulassen. So wohnten 1571 in den Wards Ultra Aquam und Wymer mit insgesamt 3.035 gezählten Personen mehr als zwei Drittel aller in der Stadt registrierten Fremden. Diese Präferenz wird auch durch die Auswertung der Lay Subsidy Rolls der folgenden Jahre bestätigt. 1581 waren über 81 % der beitragspflichtigen Exulanten in den beiden genannten Wards ansässig. Dieser hohe Prozentsatz blieb auch zum Ende des 16. und in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts stabil. 13 Das Gebiet jenseits des Flusses galt in der englischen Stadtbevölkerung als vergleichsweise unattraktive Wohnlage, in der sich hauptsächlich die ärmeren Norwicher Bürger und Bürgerinnen niederließen. John Pounds Auswertung des Census of the Poor hat ergeben, daß von den insgesamt 525 Männern, 860 Frauen und etwa 1000 Kindern, die in diesem Jahr als unterstützungsbedürftig kategorisiert wurden, mehr als die Hälfte in dem Stadtgebiet zwischen St. Giles im Westen, in den Pfarrgemeinden in West Wymer, in den Petty Wards Coslany, Colegate und Fyebridge und in Conesford lebten. Allein in Coslany, Colegate und Fyebridge lag der Anteil derjenigen Norwicher, die nicht ohne finanzielle oder materielle Hilfe leben konnten, bei 31 % bzw. 40%.14 Zugleich war dieses Gebiet wegen seiner Nähe zum Fluß ein beliebter Standort für das Norwicher Textilgewerbe; Zwischen der Mitte des 16. und der Mitte des 17. Jahrhunderts waren etwa 55-60% der hier Ansässigen in der Textilbranche beschäftigt. Daß sich die eingangs beschriebene Krise in diesem Gewerbezweig ganz besonders deutlich auswirkte, liegt auf der Hand. Von den aufgeführten unterstützungsbedürftigen Männern waren 23,4% im Textilhandwerk beschäftigt. Bei den armen Frauen lag dieser Anteil mit 563 Spinnerinnen, die nicht ohne Hilfe von anderen leben konnten, sogar noch dramatisch höher. Zu diesen 67,2% aller 12

DWSB, fol.l6v.

13

Fell, The Spaciallmpact, passim.

Dieser Prozentsatz wurde 1510 nur in SI. Giles überschritten. Hier lag der Anteil der Armen bei 54%. Ähnlich hohe Zahlen mit 45% und 40% lagen für die Gebiele North und South Conesford vor. Siehe dazu ausführlich Pound (Hg.), The Norwich Census of the Poor, und ders., Tudor and Stuart Norwich, S.125-150. 14

G. Die geographische Verteilung der Exulanten in der Stadt

141

Hilfsbedürftigen kamen zudem noch weitere 4,9%, die in anderen Gewerbezweigen der Textilbranche, etwa als Weberinnen oder Strickerinnen, tätig waren. 15 Es ist anzunehmen, daß die im Dutch and Wal/oon Strangers' Book in der Erklärung zur Einladung der Fremden in die Stadt beklagten "howses decayed for lacke of fearmes and ... letten at smalle prises,,16 in dieser Region zu suchen sind, was wiederum ein Grund mehr für die Exulanten war, sich dort niederzulassen. Außerdem scheint, nach der Auswertung der erwähnten Steuerlisten, die Mehrzahl der Neuankömmlinge zumindest in der frühen Einwanderungsphase zu den eher ärmeren Bevölkerungsgruppen gehört zu haben, so daß eine Ansiedlung in den wohlhabenderen Stadtteilen im Zentrum für viele der Einwanderer nicht in Frage kam. Diese Vermutung bestätigen auch die Lay Subsidy RoUs, in denen in den Jahren 1576, 1581 und 1589 nur zwischen 9% und 14% der besteuerten ausländischen Einwohner dieses Stadtteils mit mehr als der obligatorischen Mindestabgabe von 4 bzw. 8 Pence veranschlagt wurden. I? Wie man in dem Gebiet am Fluß mit dem massiven Zustrom von Zuwanderern fertig wurde, haben die in den letzten Jahren unter der Leitung von Dr. Alan Carter durchgeführten stadtarchäologischen Untersuchungen in diesem Besiedlungsraum gezeigt. Auffallend ist hier, daß vor allem im Laufe der 1570er Jahre an die Stelle der größeren Gebäude mit Innenhöfen und ausgedehnten Gartenanlagen, aber auch auf nach der Brandkatastrophe von 1507 brachliegenden Grundstücken kleinere Wohneinheiten entstanden, in denen sich die Exulanten mit ihren Familien oft unter sehr beengten Bedingungen niederlassen konnten. Dennoch wurde die allmählich anwachsende Übervölkerung dieser Stadteile zu einem ständigen Streitpunkt zwischen Exulanten und Einheimischen, die den Fremden unhygienisches und krankheitsförderndes Wohnverhalten vorwarfen. 18 Typisch hierfür ist folgender Eintrag vom 31. März 1579 im Assembly Minute Book. Hierin wird Kritik an den Fremden geübt,

15

Vergleiche dazu Pound, Tudor and Stuart Norwich, S.132-133.

16

DWSB, fo1.16.

17 1576 hatten 54 von insgesamt 570 besteuerten Fremden mehr als die obligatorischen 4 Pence zu bezahlen, 1581 hatten 56 der insgesamt 407 aufgeführten Fremden zu besteuerndes Gut von mehr als 4 Pence. 1589 mußten 56 von insgesamt 377 Aufgeführten mehr als die für die Abgabe geforderten 8 Pence bezahlen. IR Vergleiche dazu auch die Ausgrabungen und ihre Ergebnisse in St. Botolph Street und St. George Street, beide in St. Augustine, Colegate in: East Anglian Archaeology, Nr. 26, Excavations in Norwich, 1971-78, part 11, Norwich Survey 1985.

142

O. Die geographische Verteilung der Exulanten in der Stadt for the corrupte kepinge of their howses and necessaries and also for the great annoyande of the ryver by skowringe their bayes and wasshinge themall alongest the ryver to the great infeccoion of the same. And also for keaminge of woole in open shoppes and carrienge chambrewashe throughe the City in the day tyme and for pouringe out wasshe in their gutters and breadeth great infeccions and of many other enormities Iyke thereunto. 19

Der Vorwurf, die Neuankömmlinge wären mitverantwortlich für den Ausbruch der Pest, die die Stadt im selben Jahr heimsuchte, scheint nicht unbegründet. Wie bereits erwähnt, fielen der Seuche im genannten Jahr mehr als 2.000 Exulanten zum Opfer. Insgesamt starben in Mayoratsjahr 1579/80 4.193 Menschen in Norwich an der Epidemie. 20 Zwar wird aus den im Mayor's Court wöchentlich abgegebenen Listen der verstorbenen Stadtbewohner nicht deutlich, welche Pfarrgemeinden am stärksten von der Krankheit betroffen waren, es liegt allerdings nahe, sie in den Regionen am Fluß zu suchen. Diese waren in absoluten Zahlen dünner besiedelt als die reicheren Wards im Stadtzentrum, die Zahl der Bewohner pro Gebäude scheint hier jedoch deutlich höher gewesen zu sein. 21 Nach Angaben der Stadtverwaltung hatten die Exulanten vor allem in den bis dahin leerstehenden und verfallenden Häusern eine Unterkunft gefunden. Daß diese Gebäude einem Mindestmaß an Hygiene und Sauberkeit nicht entsprechen konnten, ist naheliegend. Hinzu kam die berufsbedingte Beschäftigung der Fremden mit Wolle und Tuchen, die ebenfalls ideale Niststätten für Flöhe waren, in denen sich Pestbazillen einnisten konnten, und die Nähe zum Fluß mit den die Bazillen übertragenden Rauen. 22 Was das Interesse der Fremden, sich in Wymer und hier vor allem in West und Middle Wymer anzusiedeln angeht, so sind hier die Motive nicht ganz eindeutig auszumachen. Vor allem Middle Wymer war mit einem im Census mit nur 9% errechneten Anteil an Armen die wohlhabendste Gegend in der Stadt und beherbergte einen Großteil der reichsten und einflußreichsten Norwicher Bürger und Bürgerinnen. Hier waren vor allem Großkaufleute, Textilien19

Hudsonffingey (Hg.), The Records of the City of Norwich. Bd.2, S.335.

20

MCB Nr.1 0, fo1.24.

21 Vergleiche hierzu East Anglian Archaeology Nr. 26 und Paul Slack, The Impact of the Plague in Tudor and Stuart England, London 1985, S.137-139. 22 Slack vermutet außerdem, daß in vielen Fällen der Bazillus von den Aüchtlingen vom Kontinent mitgebracht wurde. Hinweise dafür sieht er in der Tatsache, daß in Oreat Yarmouth, dem Nordseehafen von Norwich, jeweils ein Jahr vor den Epidemien von 1589 und 1603 die ersten Pestfalle auftauchten. Von dort aus wurde die Epidemie dann möglicherweise von den Neuankömmlingen in die Stadt verschleppt. Siehe dazu Slack, The Impact of the Plague, S.140.

G. Die geographische Verteilung der Exulanten in der Stadt

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und Lebensmittelhändler sowie die Beschäftigten im Transport- und MetalIgewerbe ansässig. 23 1525 befand sich fast ein Viertel des Gesamtbesitzes der Stadtbewohner in diesem Gebiet, woran sich auch in den folgenden Jahren nicht viel änderte. Zu dieser Norwicher Oberschicht fühlte sich offenbar auch ein Großteil der Exulanten hingezogen. In den Pfarrgemeinden St. Andrews, St. John Maddermarket und St. Michael at Plea waren nach der Zählung von 1571 59% der Einwohner Exulanten. 24 Neben der bereits erwähnten Nähe zum Fluß ist hier vor allem die Nähe zu den für die Einheimischen wichtigen ökonomischen und politischen Knotenpunkten der Stadt von Bedeutung. Middle Wymer liegt in unmittelbarer Nähe sowohl zur Burganlage, weIche die Verwaltung der Grafschaft Norfolk beherbergte, als auch zum Palast des Herzogs von Norfolk, zum Marktplatz und zur Guildhall, in der die Stadtverwaltung untergebracht war. Auffällig ist auch, daß sich hier, im Zentrum der Stadt, die wichtigsten politischen und kulturellen Treffpunkte der Exulanten befanden. Blackfriars Hall, der seit 1565 der niederländischen Gemeinde als Kirche zur Verfügung stehende Chor der ehemaligen Dominikanerabtei, liegt in unmittelbarer Nähe zu den reichen und einflußreichen Pfarreien St. Andrews, St. John Maddermarket und St. Michael at Plea. In diesem Gebiet befindet sich auch die sogenannte Strangers Hall, ein Gebäude, das sich ursprünglich im Besitz der hochangesehenen Sotherton-Familie befand und von dieser unter nicht genauer geklärten Umständen zumindestens teilweise der Niederländerfamilie Degryn überlassen worden war. Der ansehnliche Bau, der sich in unmittelbarer Nähe zum Shearing oder Charing Cross, dem Marktplatz für Wolle und Wollwaren in der Stadt befindet, wurde möglicherweise sowohl als Gasthaus für durchreisende wohlhabendere Exulanten als auch als Treffpunkt für die niederländischen und wallonischen Kaufleute in der Stadt genutzt. 25 An der Grenze zwischen Middle und East Wymer befindet sich zudem St. Mary the Less, die Kirche, die den Wallonen zunächst als Tuchhalle, ab 1637 auch als kirchlicher Versammlungsraum zur Verfügung gestellt worden war.

23 Siehe dazu ausführlich Pound. "The Social and Trade Structure of Norwich", S.49-69 und ders., Tudor and Stuart Norwich, S.46-67.

24 Damit war Middle Wymer das am dichtesten von Fremden mitbewohnte Petty Ward. In West Wymer lebten zu diesem Zeitpunkt 58% Fremde, der Anteil der Fremden an der Bevölkerung lag in Coslany, Colegate und Fyebridge bei 39%, 59% und 37%. Siehe dazu ausführlich Fell, The Spatiallmpact, S.14-16. 25 Siehe hierzu C.H. Evelyn White, "The 'Strangers Hall' at Norwich", East Anglian Notes and Queries 12, 1905/06. S.245-247.

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G. Die geographische Verteilung der Exulanten in der Stadt

Ob und wie die Präferenz dieses Wohngebietes bei den wohlhabenderen und einflußreichen Engländern auch von den bessergestellten Exulanten übernommen wurde, ist Gegenstand der folgenden Untersuchung. Um einen einigermaßen repräsentativen Überblick über das Wohn verhalten der Exulanten zu gewinnen, wurde die Gruppe der politisch und administrativ einflußreichen Palitijcke Mannen einer genaueren Analyse unterzogen. Diese Gruppe bietet sich hierfür aus verschiedenen Gründen an. Zum einen liegt hinsichtlich Mitgliederzahl und Amtsdauer über keine andere Exulantengruppe umfangreicheres und detaillierteres Zahlenmaterial vor. Zum anderen sind in dieser Gruppe sowohl Wallonen als auch Flamen erfaßt, so daß eine sprachliche oder kulturelle Präferenz als Determinante bei der Wahl des Wohnortes weitgehend ausgeschaltet werden kann. Die Mitgliedschaft in diesem Gremium war zudem durch seine besondere Stellung sowohl im Sozial- und Wirtschaftsgefüge der Exulantengemeinde selbst als auch in Verbindung zu den politischen Handlungsträgern unter den Norwichern ein prestigereicher und begehrter Posten, der vielen der Amtsinhaber die Möglichkeit bot, auf offiziellem Weg Kontakte zu den einflußreichen Norwicher Bürgern und Bürgerinnen aufzubauen. Um einem Element der Kontinuität gerecht zu werden, wurden von den 179 für den Zeitraum 1570 bis 1618 eindeutig als Mitglieder Identifizierten die 104 ausgewählt, deren Mitgliedschaft für mehr als ein Amtsjahr bezeugt ist. Von diesen Männern konnten lediglich 35 in den Lay Subsidy RaUs der Jahre 1576, 1581, 1594, 1598, 1599, einer von James I. veranlaßten Zählung aller Fremden in der Stadt aus dem Jahr 1622 und einem Hearth Tax Return von 1624 identifiziert werden. 26 Wo die Quellenlage es ermöglichte, wurden ergänzende Informationen, etwa aus Testamenten und Inventaren, hinzugezogen. Im untersuchten Zeitraum, also bis 1618, lebten demnach 23 der identifizierten Politijcke Mannen zumindest eine Zeitlang im Wymer Ward. Hierbei waren bevorzugte Gegenden die Pfarrgemeinden St. Gregory's, St. Lawrence, St. Butolph & Saviour, St. Margaret und St. Peter Hungate in West Wymer mit 10 Eintragungen. 27 Fast ebenso attraktiv war für die einflußreicheren Exulanten offenbar das Ward Middle Wymer, wo acht Politijcke Mannen wohnten. Beliebt war hier vor allem die Pfarrgemeinde St. Andrews, in der fünf Männer aus der genannten Gruppe lebten. 28 East Wymer, und hier vor allem die Pfarrgemeinden St. Peter 26 Siehe dazu NRO, 7/i, 1576, 18 El.c.23; PRO 152/461, 1594 35 El.c.l3; Moens, The Walloons and theirChurch at Norwich, Bd.2, S.160-161, 173-181, 181-189, 190-193. 27

Die Zählung von 1622 gibt jeweils nur das Petty Ward an.

28 Interessanterweise galt diese Pfarrei als eine der Hochburgen der nonkonformistischen Bewegung in der Stadt. Ob die Exulanten Kontakte zu Mitgliedern dieser Gruppe unterhielten, ist

G. Die geographische Verteilung der Exulanten in der Stadt

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Hungate und St. Martin at the Palace, gehörten mit sechs identifizierten Eintragungen ebenfalls zu den beliebteren Wohngegenden. Zehn Politijcke Mannen lebten zu einem Zeitpunkt in Ultra Aquam. In diesem Ward waren vor allem die in unmittelbarer Flußnähe gelegenen Pfarrgemeinden St. Mary und St. Michael of Coslany, St. Clement und St. George in Colegate besonders beliebt. Hier wohnten acht Politijcke Mannen. Vier Politijcke Mannen wohnten im Conesford Ward und drei lebten zu einem Zeitpunkt in Mancroft. Von 19 Männern aus der Gruppe liegt mehr als eine Eintragung über ihren Wohnort vor. Hier ist eine besondere Kontinuität ihrer häuslichen Lebenssituation festzustellen. Die meisten der Untersuchten, nämlich 14, verblieben in den von ihnen zunächst aufgesuchten Stadtteilen. Wohnungswechsel über die Ward-Ebene hinaus waren selten. Interessanterweise läßt sich hierbei ein Trend von den weniger beliebten und ärmeren zu den wohlhabenderen Wards feststellen. Der Kaufmann Thomas Bonnel beispielsweise wurde in der Lay Subsidy Roll von 1576 in der Pfarrgemeinde St. John Timberhill in Conesford registriert. 18 Jahre später taucht sein Name in der Steuerliste für die Pfarre St. Martin at the Palace in East Wymer auf, wo er auch in der Liste von 1601 zu finden ist. Peter Boudrij lebte 1576 in St. Mary of Coslany. 1594 ist er in St. Lawrence in West Wymer zu finden und 1601 taucht er in der Steuerliste für St. Margaret, ebenfalls in West Wymer wieder auf. Victor de Clerk lebte 1581 in St. Peter Parmountergate in Conesford und ist 1598 und 1601 in SI. Peter Mancroft zu finden. Nur einer der untersuchten Politijcke Mannen, nämlich Jean Lescluse, wechselte zwischen 1594 und 1598 seinen Wohnort von St. Martin at the Palace nach St. Edmund in Ultra Aquam?9 Tatsächlich war der Wohnungswechsel für die meisten der Untersuchten mit wirtschaftlichem und sozialem Aufstieg verbunden. Während beispielsweise von Thomas Bonnel 1576 in Conesford noch drei Shilling und vier Pence als Abgabe gefordert wurden, wurde er in St. Martin at the Palace bereits mit 20 Shilling und acht Pence, bzw. 21 Shilling und vier Pence besteuert. Victor de Clerk wurde in der Steuerliste von 1581 für SI. Peter Parmountergate in Conesford noch mit drei Shilling, vier Pence besteuert, in St. Peter Mancroft mußte er 1598 bereits zehn Shilling, acht Pence bezahlen. Daß Wymer auch für andere wohlhabende und einflußreiche Exulanten und ihre Familien, die nicht unmittelbar in die Belange der Fremdennicht bekannt. Siehe dazu Patlick Collinson, The Religion of Protestants, The Church in English Society, 1559-1625, üxford 1982, S.141-145. 29 Dieser Wohnungswechsel scheint für seine Karriere jedoch recht erfolgreich gewesen zu sein, da sich die von ihm geforderte Steuersumme von acht Pence auf fünf Shilling und vier Pence erhöhte. Siehe Moens, The Walloons and their Church at Norwich, Bd.2, S.183.

10 Eßer

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G. Die geographische Verteilung der Exulanten in der Stadt

kirchen involviert waren, eine ebenso attraktive Wohn gegend war, konnte durch die Analyse des Wohnverhaltens der führenden flämischen und wallonischen Kaufleute nachgewiesen werden. Zu diesem Zweck wurden die im Abgabenverzeichnis für von Nicht-Norwichern zwischen 1582 und 1610 geforderten Sonderzölle für Importwaren aufgeführten Großhändler, so weit es möglich war, nach ihrem Wohnort in der Stadt abgefragt. 3o Von den insgesamt 60 niederländischen und wallonischen Kaufleuten, die aus dieser Liste identifiziert werden konnten, wurden zunächst die fünf Männer ausgeklammert, die bereits in der Liste der nach ihrem Wohnort identifizierten Politijcke Mannen aufgeführt worden waren: Philippus Andries und Thomas Bonnel gehörten zu denjenigen, die zumindestens eine Zeitlang in Wymer gewohnt hatten. Charles Pauwels alias Powell scheint zwischen 1594 und 1601 in St. Peter Hungate in East Wymer gelebt zu haben. Adrian Wallewein alias Wallwynne, der zwischen 1572 und 1590 das Amt eines Politijcke Man über mehrere Jahre innehatte, war in der Lay Subsidy Roll von 1601 als Einwohner von St. Peter Mancroft registriert worden und hatte dort die nicht unbeträchtliche Abgabe von 20 Shilling und 8 Pence zu bezahlen gehabt. Paschier Hubert war im seI ben Jahr in St. Clement in Ultra Aquam registriert worden. Von den verbleibenden 55 in der Abgabenliste aufgeführten Kaufleuten konnten 15 mit Hilfe der bereits vorgestellten Steuerund Zählungslisten bezüglich ihres Wohnortes identifiziert werden. In dieser Gruppe ist die Tendenz, in einer der Pfarreien des Wymer- Wards zu wohnen, noch deutlicher. Zwölf der 15 Männer lebten zumindest eine Zeitlang in den Pfarreien St. Gregory, St. Saviour, St. Margaret, St. lohn Maddermarket, St. Andrews, St. Michael at Plea, St. Peter Hungate und St. Martin at the Palace. John Watlier gab 1581, 1594 und 1598 St. Michael of Coslany als seine englische Heimatpfarre an. Peter Peters wurde 1581 in St. Mary Coslany registriert, wo auch lacob Buskyn 1576 lebte. Oliver Dacket gab 1594 ebenfalls St. Mary in Ultra Aquam als seine Heimatgemeinde an. 1598 und 160 I wurde er in St. Gregory in West Wymer registriert und besteuert. Ähnlich wie Thomas Bonnel und Victor de Clerk ist hier die offenbar als typisch zu bezeichnende "Aufsteigermigration" von einem weniger angesehenen in einen wohlhabenderen Teil der Stadt festzustellen. 30 Dieses spezielle Abgabenverzeichnis befindet sich auf der Rückseite des Measurers Book 0/ AlI[llage ACCOIlIltS. /580-/649, NRO. 17/d. Von der Norfolk Record Society wurde 1970 eine von

Douglas L. Rickwood transkribierte lind mit einem kurzen Kommentar versehene Fassung herausgegeben. Rickwood (Hg.), The Norwich Accounts For The Customs On Strangers' Goods And Merchandise 1582-1610. Norwich 1970