Ritterschaft und Reformation 3515122583, 9783515122580

Ritterschaft und Niederadel des Spätmittelalters und der Frühneuzeit rückten in den zurückliegenden Jahrzehnten immer me

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German Pages 372 [378] Year 2019

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Table of contents :
INHALT
VORWORT
(Steffen Krieb)
Jenseitsvorsorge, Herrschaftsrepräsentation und Familiengedächtnis.
Zur Memorialpraxis des Niederadels im Pfälzer Raum zwischen
Spätmittelalter und Reformation
(Joachim Schneider)
Gesellschaften – Einungen – Ganerbschaften – Netzwerke.
Franz von Sickingen und die föderativen Gruppenbildungen in der
südwestdeutschen Ritterschaft um 1500
(Christine Reinle)
Fehdepraxis in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Die Sickingen-Fehden im Vergleich mit anderen Fehden
(Matthias Schnettger)
Kaiser, Reich und Ritterschaft am Beginn der Frühen Neuzeit
(Matthieu Arnold)
Die Ritter in Luthers Briefwechsel (1520–1523)
(Wolfgang Breul)
Ritterschaft und Reformation bei Franz von Sickingen
(Mathias Müller)
Hartmuth von Cronberg.
Frühreformatorischer Flugschriftenautor und Bundesgenosse Sickingens
(Kurt Andermann)
Verbum Domini manet in aeternum.
Ritterschaft und Reformation im Umkreis des Kraichgaus
(Marc Lienhard)
Die elsässische Ritterschaft und die Reformation
(Berthold Jäger) Die Ritterschaft in der Rhön und die Reformation
(Uwe Schirmer)
Der obersächsisch-thüringische Niederadel in der Frühzeit der
Reformation (1520–1525)
(Mikkel Leth Jespersen)
Die Reformation in Dänemark und Schleswig-Holstein und
ihre Bedeutung für den Adel
(Maciej Ptaszyński)
Toleranzedikt, Wahlkapitulationen oder Religionsfrieden?
Der polnische Adel und die Warschauer Konföderation
(Václav Bůžek)
Die Reformation und der niedere Adel in den böhmischen Ländern
(András Korányi)
Zwischen Aufstieg und Überdauern.
Der Adel in der Reformationsgeschichte in Ungarn
(Arndt Schreiber)
Adel und Reformation in den habsburgischen Erbterritorien
(Lothar Vogel)
Ortsadel und Landesherr in ihrem Verhältnis zu den Waldenserpräsenzen
im westlichen Alpenbogen, im Luberon und in Kalabrien im 15. und
16. Jahrhundert
(Philip Benedict)
The Lesser Nobility and the French Reformation
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Ritterschaft und Reformation
 3515122583, 9783515122580

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Ritterschaft und Reformation Herausgegeben von Wolfgang Breul und Kurt Andermann

geschichtliche landeskunde 75 Landesgeschichte Franz Steiner Verlag

Wolfgang Breul / Kurt Andermann (Hg.) Ritterschaft und Reformation

Geschichtliche Landeskunde

Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz Begründet von Ludwig Petry und Johannes Bärmann Weitergeführt von Alois Gerlich und Franz J. Felten Herausgegeben von Michael Matheus

Band 75Ebernburg-Hefte  

Zugleich Sonderband der Ebernburg-Hefte

  

Sonderband

Ritterschaft und Reformation Herausgegeben von Wolfgang Breul und Kurt Andermann

Franz Steiner Verlag

Die Drucklegung wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (Öffentlichkeitsarbeit) und der Ebernburg-Stiftung.

Umschlagbild:

Ansicht der Ebernburg von Nordwesten.

Titus Livius: Römische Historien, Mainz: Johann Schöffer 1523, f. XCI. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.

© Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019

Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza

Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany.

ISBN 978-3-515-12258-0 (Print)

ISBN 978-3-515-12260-3 (E-Book)

INHALT Vorwort.....................................................................................................................7 Steffen Krieb Jenseitsvorsorge, Herrschaftsrepräsentation und Familiengedächtnis. Zur Memorialpraxis des Niederadels im Pfälzer Raum zwischen Spätmittelalter und Reformation ............................................................................11 Joachim Schneider Gesellschaften – Einungen – Ganerbschaften – Netzwerke. Franz von Sickingen und die föderativen Gruppenbildungen in der südwestdeutschen Ritterschaft um 1500 ................................................................27 Christine Reinle Fehdepraxis in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Sickingen-Fehden im Vergleich mit anderen Fehden .....................................51 Matthias Schnettger Kaiser, Reich und Ritterschaft am Beginn der Frühen Neuzeit .............................81 Matthieu Arnold Die Ritter in Luthers Briefwechsel (1520–1523)...................................................97 Wolfgang Breul Ritterschaft und Reformation bei Franz von Sickingen .......................................107 Mathias Müller Hartmuth von Cronberg. Frühreformatorischer Flugschriftenautor und Bundesgenosse Sickingens..........123 Kurt Andermann Verbum Domini manet in aeternum. Ritterschaft und Reformation im Umkreis des Kraichgaus .................................149 Marc Lienhard Die elsässische Ritterschaft und die Reformation ...............................................163 Berthold Jäger Die Ritterschaft in der Rhön und die Reformation ..............................................173

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Inhalt

Uwe Schirmer Der obersächsisch-thüringische Niederadel in der Frühzeit der Reformation (1520–1525)....................................................................................201 Mikkel Leth Jespersen Die Reformation in Dänemark und Schleswig-Holstein und ihre Bedeutung für den Adel ................................................................................241 Maciej Ptaszyński Toleranzedikt, Wahlkapitulationen oder Religionsfrieden? Der polnische Adel und die Warschauer Konföderation ......................................255 Václav Bůžek Die Reformation und der niedere Adel in den böhmischen Ländern...................271 András Korányi Zwischen Aufstieg und Überdauern. Der Adel in der Reformationsgeschichte in Ungarn ............................................293 Arndt Schreiber Adel und Reformation in den habsburgischen Erbterritorien ..............................301 Lothar Vogel Ortsadel und Landesherr in ihrem Verhältnis zu den Waldenserpräsenzen im westlichen Alpenbogen, im Luberon und in Kalabrien im 15. und 16. Jahrhundert.....................................................................................................317 Philip Benedict The Lesser Nobility and the French Reformation................................................333 Personenregister ...................................................................................................355 Ortsregister...........................................................................................................367

VORWORT Im Rahmen der sogenannten Reformationsdekade zeigte von Mai bis Oktober 2015 das Landesmuseum Mainz eine Ausstellung unter dem Titel „Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation“.1 Ausgehend von dem hierzuland besonders populären Franz von Sickingen und seiner durch Ulrich von Hutten im Kontext der frühen Reformation als „Herberge der Gerechtigkeit“ gerühmten Ebernburg über der Nahe wurde in dieser Schau die Rolle des Nieder- beziehungsweise Ritteradels und des Humanismus bei der Ausbreitung von Martin Luthers Lehren in den Landschaften um den nördlichen Oberrhein thematisiert und das Nachwirken des damaligen Geschehens bis in die jüngere Vergangenheit anschaulich gemacht. Ein Seitenblick galt schon dabei auch den reformatorischen Bestrebungen des Adels in Polen. Mit ihrer noch vor der Eröffnung der Ausstellung ebenfalls in Mainz veranstalteten Tagung „Ritterschaft und Reformation“ (19.–21. März 2015) erweiterten die Herausgeber dieses Bandes, die beide dem Ausstellungsbeirat angehörten, die Perspektive und fragten in vergleichend landesgeschichtlicher Manier nach der Bedeutung des regionalen Adels für die Durchsetzung der Reformation in verschiedenen Landschaften des römisch-deutschen Reiches sowie in ausgewählten europäischen Regionen von Dänemark über Böhmen bis nach Ungarn sowie von Polen bis in den Westalpenraum und nach Frankreich. Der Ertrag der Tagung wird mit diesem Band vorgelegt. Die Entwicklung der Territorien des Heiligen Römischen Reiches im ausgehenden Mittelalter war geprägt von einer zunehmenden herrschaftlichen Verdichtung, das Reich selbst stand um 1500 im Zeichen der sogenannten Reichsreform.2 Die erstarkten Reichsstände forderten mit Nachdruck mehr Teilhabe an den Belangen des Ganzen und setzten zu diesem Zweck auf dem Wormser Reichstag von 1495 einen ewigen Landfrieden durch, die Errichtung eines unter maßgeblicher ständischer Beteiligung organisierten Reichskammergerichts und eines mit Exekutivfunktionen ausgestatteten Reichsregiments. Mochten auch hernach diese Neuerungen sich nur zum Teil durchsetzen, so brachten sie mit der Delegitimierung der bewaffneten Selbsthilfe (Fehde) und der Erhebung einer allgemeinen Reichssteuer (Gemeiner Pfennig) den Ritteradel doch in arge Bedrängnis.3 Sofern es eine Krise des Adels am Ende des Mittelalters gab, war diese nicht wirtschaftlicher, sondern politischer Natur, die Folge eines epochalen Verfassungswandels. Indes hatte die 1 2 3

Wolfgang Breul/Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland Pfalz (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, Ausstellungskatalog. Regensburg 2015. Peter Moraw: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490. Frankfurt a. M. und Berlin 1985; Dietmar Willoweit: Reich und Staat. Eine kleine deutsche Verfassungsgeschichte (Beck Wissen 2776). München 2013. Kurt Andermann: Das alte Herkommen bewahren. Zur Situation des Ritteradels in Südwestdeutschland am Ende des Mittelalters. In: Ebernburghefte 49 (2015), S. 15–33.

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Vorwort

Expansion und Konsolidierung der Landesherrschaft sich in den verschiedenen Regionen des Reiches schon im Mittelalter nicht überall in gleicher Weise vollzogen. Im Norden und Osten, wo die Strukturen der alten Herzogtümer fortwirkten, wurde der Ritteradel frühzeitig in die sich ausbildenden fürstlichen Territorien eingebunden und deren Landesherrschaft unterworfen. Im Südwesten hingegen, in Schwaben, Franken und am Rhein, wo die Herzogsgewalt spätestens mit dem Ende der Staufer ausgefallen war, hatten sich die Ritter auf einstigem Reichsgut und in den Schütterzonen zwischen den größeren Territorien eine weitgehende Eigenständigkeit bewahren können, die in dem mit der Reichsreform institutionalisierten Dualismus zwischen Kaiser und Reich drohte zerrieben zu werden, schließlich aber in Gestalt der kaiserunmittelbaren freien Reichsritterschaft doch im wesentlichen zu überdauern vermochte.4 Als noch erheblich vielfältiger erweist sich die Situation des Adels um 1500, wenn man den Blick auch auf die dem Reich benachbarten Herrschaftsräume wirft, denn Stellung und Handlungsspielräume des Adels hängen selbstverständlich immer von den unterschiedlichen, aus spezifischen historischen Prozessen erwachsenen Herrschaftsstrukturen ab, in denen sie sich mehr oder minder entfalten konnten. Exemplarisch zeigt sich dieses in den deutschen Erblanden der Habsburger, in denen unter derselben Dynastie sowohl Gebiete mit einer schwachen (Tirol) als auch mit einer starken Position des Adels (Kärnten, Steiermark) vereint waren. Desweiteren bleibt bei einem Vergleich im europäischen Rahmen zu berücksichtigen, dass es eine Unterscheidung zwischen Hoch- und Niederadel, wie sie sich im Reich im Lauf des späten Mittelalters herausbildete und wie sie infolge der Reichsreform ihren für die Neuzeit maßgeblichen Abschluss fand, in den allermeisten europäischen Ländern in dieser Weise nicht gab, wiederum weil Adel sich in seiner sozialen und rechtlichen Ausprägung stets regional definiert, entsprechend den jeweils bestehenden Verfassungsstrukturen.5 Die Reformation fügte dieser ohnehin schon großen Vielfalt adliger Herrschaft noch ein weiteres Differenzierungsmoment hinzu. Eine einheitliche Haltung schon allein des Ritteradels im römisch-deutschen Reich,6 geschweige denn des Adels in den anderen von der Reformation erfassten Räumen Europas gab es zu keiner Zeit. 4 5

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Volker Press: Kaiser Karl V., König Ferdinand und die Entstehung der Reichsritterschaft (Institut für Europäische Geschichte Mainz, Vorträge 60). Wiesbaden 21980. Volker Press: Adel im Alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze (Frühneuzeitforschungen 4). Hg. von Franz Brendle/Anton Schindling in Verbindung mit Manfred Rudersdorf/Georg Schmidt. Tübingen 1998; Ronald G. Asch: Europäischer Adel in der frühen Neuzeit. Köln u. a. 2008. Erwin Riedenauer: Reichsritterschaft und Konfession. Ein Diskussionsbeitrag zum Thema „Adel und Konfession“. In: Hellmuth Rössler (Hg.), Deutscher Adel 1555 bis 1740. Büdinger Vorträge 1964 (Schriften zur Problematik der deutschen Führungsschichten in der Neuzeit 2). Darmstadt 1965, S. 1–63; Kurt Andermann: Ritterschaft und Konfession. Beobachtungen zu einem alten Thema. In: Ders./Sönke Lorenz (Hg.): Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert (Schriften zur Südwestdeutschen Landeskunde 56). Ostfildern 2005, S. 93–104; Stefan Birkle: Reichsritterschaft, Reformation und Konfessionalisierung in Oberschwaben (Oberschwaben – Geschichte und Kultur 19). Epfendorf a. N. 2015.

Vorwort

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Aber überall verbanden sich mit dem religiösen Anliegen der Reformation auch standespolitische Interessen des Adels und Bestrebungen, diese für die adlige Autonomie nutzbar zu machen; so scheint zumindest für den Ritteradel Südwestdeutschlands das Streben nach politischer Eigenständigkeit in Luthers Rechtfertigungslehre eine sehr willkommene theologische Entsprechung gefunden haben. Unter habsburgischem Einfluss blieben die Mehrzahl der schwäbischen Ritterkantone und die Ritterschaft im Oberelsass der alten Kirche treu, während der Kraichgau sich von Anfang an und auf Dauer mit aller Entschiedenheit zur Reformation bekannte. Die Ritterschaft in Franken und im späteren Kanton Rhön-Werra zeigt hingegen ein differenziertes Bild, desgleichen die Ritterschaften in den Kantonen der ober-, mittel- und niederrheinischen Reichsritterschaft. Und noch vielfältiger waren die Verhältnisse in den „Adelsrepubliken“ Ostmitteleuropas, in denen sich seit den 1540er Jahren unter dem Schutz adliger Patrone neben dem Festhalten an der römischen Kirche vielerlei Reformationen lutherischer, calvinistischer, täuferischer, antitrinitarischer und hussitischer Provenienz (Polnische Brüder) entwickelten und damit unweigerlich die Frage nach den Möglichkeiten der Koexistenz einerseits und nach dem Verhältnis zur jeweiligen Zentralgewalt andererseits aufwarfen. Anliegen der Tagung war es, unter Berücksichtigung grundlegender jüngerer Einsichten in die Strukturen und Mechanismen adliger Kooperation, Korporation und Konfliktbewältigung7 die Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen und den Verlauf der ritterschaftlichen Reformation im Reich anhand ausgewählter Gestalten und Räume näher zu beleuchten und mit der Untersuchung adelsbestimmter Reformationen in europäischen Territorien und Herrschaftsräumen zu einer informativen Gesamtschau zusammenführen. Entsprechend dieser Zielsetzung gliederte sich die Tagung und gliedert sich dieser Band in zwei größere Themenbereiche. Zum einen geht es um die Ritterschaft im Reich und ihre Beteiligung an der frühen Reformation und zum anderen um Adel und Reformation vor einem europäischen Horizont. Dabei musste – in der Hoffnung auf künftige weiterführende Untersuchungen – eine repräsentative Auswahl genügen, hätte doch eine auch nur halbwegs vollständige Behandlung aller wichtigen Sachaspekte und Regionen den realisierbaren Rahmen von Tagung und Buch gesprengt. Mit Blick auf das Reich ging es so zunächst um die Voraussetzungen und Erscheinungsformen ritteradliger Herrschaft um 1500, in einem zweiten Schritt um die Protagonisten der frühen ritterschaftlichen Reformation und um Luthers Verhältnis zu Vertretern der Ritterschaft sowie schließlich um für exemplarisch erachtete Regionen des Reiches im Horizont unserer Fragestellung, um Thüringen und Obersachsen, um das Gebiet um Rhön und Werra, um den Kraichgau, das Elsass und die habsburgischen Erblande. Der europäischen Perspektive tragen Beiträge über Polen und Litauen, Böhmen und Mäh7

Andreas Ranft: Adelsgesellschaften. Gruppenbildung und Genossenschaft im spätmittelalterlichen Reich (Kieler historische Studien 38). Sigmaringen 1994; Joachim Schneider: Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel. Ein landschaftlicher Vergleich (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 52). Stuttgart 2003; Julia Eulenstein/Christine Reinle/Michael Rothmann (Hg.): Fehdeführung im spätmittelalterlichen Reich. Zwischen adliger Handlungslogik und territorialer Verdichtung (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 7). Affalterbach 2013.

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Vorwort

ren, Siebenbürgen, Frankreich, die italienisch-französischen Westalpen sowie Schleswig-Holstein und Dänemark Rechnung. Da in vielen Regionen die vom Adel betriebene Reformation sich erst seit den 1540er Jahren durchzusetzen begann, reicht das zeitliche Spektrum in diesen Fällen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Damit dürfte eine Grundlage geschaffen sein, auf der künftige Forschungen ergänzend und differenzierend weiterarbeiten können. Dafür dass – mit nur einer bedauerlichen Ausnahme – alle Referentinnen und Referenten der Tagung ihre Beiträge für den Druck ausgearbeitet haben, wissen wir, die Initiatoren und Herausgeber, uns sehr zu Dank verpflichtet, umso mehr, als damit die angestrebte Gesamtschau sich mit den unvermeidlichen Einschränkungen tatsächlich hat realisieren lassen. Zu danken ist insbesondere der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Johannes Gutenberg-Universität, ohne deren entscheidende finanzielle und organisatorische Unterstützung weder die Tagung noch dieses Buch hätten zustande kommen können. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau und die Ebernburg-Stiftung gewährten dankenswerterweise namhafte Druckbeihilfen. Dafür, dass die Tagung im Frühjahr 2015 in den Räumen des Landesmuseums Mainz stattfinden konnte, gebührt unser Dank dessen damaliger Direktorin, Frau Dr. Andrea Stockhammer. Der entsagungsvollen Redaktionsarbeit im Detail unterzog sich mit großer Sorgfalt stud. theol. Janina Serfas. Und dass schließlich dieses Buch in der ebenso traditionsreichen wie renommierten Reihe des Instituts für geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz erscheinen kann, ist dessen engagiertem Direktor Professor Dr. Michael Matheus zu verdanken. Die Drucklegung betreute mit großer Professionalität und Hilfsbereitschaft Frau Carolin Schäfer vom Institut für geschichtliche Landeskunde. Mainz und Stutensee, im August 2018

Wolfgang Breul und Kurt Andermann

JENSEITSVORSORGE, HERRSCHAFTSREPRÄSENTATION UND FAMILIENGEDÄCHTNIS Zur Memorialpraxis des Niederadels im Pfälzer Raum zwischen Spätmittelalter und Reformation Steffen Krieb EINLEITUNG Die Memoria-Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten eine erstaunliche Karriere gemacht.1 Beschäftigten sich zunächst nur Spezialisten für die quellenarme Zeit des Frühmittelalters mit den zumeist aus dürren Namenslisten bestehenden Zeugnissen liturgischen Totengedenkens in Klöstern, erfuhr das Forschungsfeld eine kontinuierliche Ausweitung, die schließlich darin gipfelte, dass der wohl profilierteste Mittelalterhistoriker auf diesem Gebiet, Otto Gerhard Oexle, Memoria zum Inbegriff der Kultur des Mittelalters erklären konnte.2 Mit der thematischen Ausweitung des Gedächtnis-Paradigmas auf immer weitere Themen von der Geschichtsschreibung über Rituale bis hin zur Kunst ging eine zeitliche Erweiterung des Forschungsfelds auf die gesamte Vormoderne einher. In sozialer Hinsicht lag der Fokus der Memorialforschung zunächst auf den monastischen Gemeinschaften der benediktinischen Reichsabteien und der mit ihnen vielfach verbundenen Königs- und Fürstendynastien. Erst mit der zunehmenden Verlagerung der Mittelalterforschung auf das Spätmittelalter erfolgte eine sozialgeschichtliche Erweiterung des Memoria-Konzepts. Diese erfasste vornehmlich städtisch-patrizische und bürgerliche Geschlechter, deren Gedenküberlieferung früher einsetzt und deutlich umfangreicher ist als bei niederadligen Geschlechtern, deren Memorialpraxis ganz im 1

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Zur Entwicklung der Memoria-Forschung vgl. Michael Borgolte: Sozialgeschichte des Mittelalters. Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit (Historische Zeitschrift. Beihefte N.F. 22). München 1996, S. 394–403; Ders.: Memoria. Zwischenbilanz eines Mittelalterprojekts. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 46 (1998), S. 197–210; jüngst auch Rainer Hugener: Buchführung für die Ewigkeit. Totengedenken, Verschriftlichung und Traditionsbildung im Spätmittelalter. Zürich 2014, S. 16–28. Zur Rezeption des maßgeblich vom Freiburger Mittelalterhistoriker Karl Schmid geprägten Forschungsfelds vgl. Dieter Mertens, Thomas Zotz: Einleitung der Herausgeber. In: Karl Schmid: Geblüt, Herrschaft, Geschlechterbewusstsein. Grundfragen zum Verständnis des Adels im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 44). Sigmaringen 1998, S. XVIII–XXVIII. Otto Gerhard Oexle: Memoria in der Gesellschaft und Kultur des Mittelalters. In: Joachim Heinzle (Hg.): Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche. Frankfurt a.M. 1994, S. 297–323; Ders.: Memoria als Kultur. In: Ders. (Hg.): Memoria als Kultur (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 121). Göttingen 1995, S. 9–78. Vgl. auch die Einordnung in den Forschungskontext durch Hans-Werner Goetz: Moderne Mediaevistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung. Darmstadt 1999, S. 365–370.

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Steffen Krieb

Widerspruch zur deutlich verbesserten Quellenlage im Einzelnen noch immer wenig erforscht ist.3 Für die Erinnerungskultur des nicht-fürstlichen Adels leistete Karl-Heinz Spieß wichtige Pionierarbeit.4 Er formulierte die These, dass es keine ständischen Unterschiede zwischen der Memorialkultur fürstlicher Dynastien und der von Grafen und Herren gab, sondern die Differenzen offenbar auf die unterschiedliche Kapitalkraft zurückzuführen sind. Zudem stellte er fest, dass das Konzept des Hausklosters und der damit verbundenen generationenübergreifenden Grablege für das Spätmittelalter nicht tragfähig war, da viele gräfliche und freiherrliche Familien ihre Grablege von abgelegenen Klöstern in städtische Stiftskirchen verlegten.5 Sigrid Schmitt (nunc: Hirbodian) machte am Beispiel der Herren von Hirschhorn die Beobachtung, dass der Niederadel im 15. Jahrhundert sich an fürstlichen Vorbildern orientierte und dessen Praxis in zumeist etwas bescheidenerem Rahmen imitierte.6 Andreas Zajic hat ausgehend von der Erfassung der Inschriften Niederösterreichs die große Bedeutung der Grabdenkmäler für die niederadlige Erinnerungskultur im 15. und 16. Jahrhundert hervorgehoben. Vielfach waren die Inschriften der Grabdenkmäler die am weitesten zurückreichenden Quellen für die Genealogie eines Geschlechts. Insbesondere für die seit dem 16. Jahrhundert für Aufschwörungen immer häufiger verlangte Ahnenprobe waren sie somit eine unverzichtbare Ressource und dienten geradezu als Ausweis eines altadligen Herkommens.7 Auf Grundlage der bisher vorliegenden Arbeiten zeichnet sich ab, dass es offenbar keine spezifisch niederadlige Form der Memoria gab, sondern diese Bestandteil einer alle gesellschaftlichen Eliten – Fürsten, Adel, wohlhabende Stadtbürger und Kleriker – umfassenden Kultur des Totengedenkens war. Die je spezifische Ausformung des Gedenkens hing dabei offenbar weniger von der sozialen 3

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Die Memorialkultur von Niederadelsgeschlechtern hat erst in jüngster Zeit Beachtung in der Adelsforschung gefunden. Zu den fränkischen Geschlechtern von Eyb und von Ehenheim vgl. Joachim Schneider: Memorialkultur im Spätmittelalter. Formen und Funktionen. In: Jürgen Lensen (Hg.): Tilman Riemenschneider – Werke seiner Glaubenswelt. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum am Dom, Würzburg, 24. März bis 13. Juni 2004. Regensburg 2004, S. 107–130; Ders.: Dynastische Historiographie und Totenmemoria beim Niederadel in sozialgeschichtlicher Sicht: Der Fall Ehenheim. In: Hans-Peter Baum, Rainer Leng, Joachim Schneider (Hg.): Wirtschaft – Gesellschaft – Mentalitäten im Mittelalter. Festschrift zum 75. Geburtstag von Rolf Sprandel. Stuttgart 2006, S. 307–334; zu den Berlichingen vgl. Maria Magdalena Rückert: Zur Memoria der Herren von Berlichingen im Kloster Schöntal. In: Württembergisch Franken 86 (2002), S. 71–93. Karl-Heinz Spieß: Liturgische Memoria und Herrschaftsrepräsentation im nichtfürstlichen Hochadel des Spätmittelalters. In: Werner Rösener (Hg.): Adelige und bürgerliche Erinnerungskulturen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (Formen der Erinnerung 8). Göttingen 2000, S. 97–123. Zur Problematik des Forschungskonstrukts „Hauskloster“ vgl. auch Jürgen Dendorfer: Gescheiterte Memoria? Anmerkungen zu den „Hausklöstern“ des hochmittelalterlichen Adels. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 73 (2014), S. 17–38. Sigrid Schmitt: Zwischen frommer Stiftung, adliger Selbstdarstellung und standesgemäßer Versorgung. Sakralkultur im Umfeld von Rittersitzen. In: Kurt Andermann (Hg.): Rittersitze. Facetten adligen Lebens im alten Reich (Kraichtaler Kolloquien 3). Tübingen 2002, S. 11–43. Andreas Zajic: „Zu ewiger gedächtnis aufgericht“. Grabdenkmäler als Quelle für Memoria und

Jenseitsvorsorge, Herrschaftsrepräsentation und Familiengedächtnis

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Stellung als vielmehr von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab, da die dauerhafte Sicherung des Gebetsgedenkens durch geistliche Gemeinschaften und die das Gedenken dauerhaft stabilisierenden Monumente erheblichen materiellen Aufwand erforderten. Wie für andere soziale Gruppen auch kommen daher als Überlieferungszeugnisse niederadliger Memorialpraxis vor allem Stiftungsurkunden und Testamente sowie Grabdenkmäler in Frage. Ausgeklammert werden in der vorliegenden Studie all jene literarischen und künstlerischen Zeugnisse, die vor allem von Otto Gerhard Oexle für eine äußerst weite Auffassung von „Memoria als Kultur“ als „totalem sozialen Phänomen“ herangezogen wurden.8 Im Folgenden soll das Totengedenken niederadliger Familien um 1500 im Kontext dieser von der Forschung für andere soziale Gruppen erhobenen Befunde analysiert werden. Dabei geht es zunächst um die Orte des Gedenkens und die mit einer Individualisierung des Erinnerns einhergehende Intensivierung der Gedenkpraxis. Zudem soll nach den Veränderungen für die Memoria des Niederadels in der Folge der Reformation gefragt werden, wobei der Blick auf Familien gerichtet wird, die sich früh für das lutherische Bekenntnis entschieden. Bei den vorgestellten Fallbeispielen handelt es sich um Geschlechter aus dem Pfälzer Ritteradel, die durch Konnubium und Verwandtschaft sowie durch ihre Orientierung am kurpfälzischen Hof in Heidelberg eng miteinander verbunden waren. ORTE DES TOTENGEDENKENS Die Memorialkultur des spätmittelalterlichen Niederadels ist geprägt von Ortswechseln. Die ältesten Begräbnisse und Denkmäler befanden sich in der Regel in Klöstern, deren Gründer nicht Angehörige der Niederadelsfamilien selbst, sondern ihre wichtigsten fürstlichen Lehnsherren oder Patrone waren. Die im 14. Jahrhundert zu beobachtende Tendenz bei fürstlichen Dynastien zur Verlagerung ihrer Grablegen in neu errichtete Stiftskirchen in Städten, die mit einer Intensivierung des Gebetsgedenkens und der Einbeziehung einer größeren Öffentlichkeit einhergingen, wurde von den zu ihrer Klientel gehörenden Niederadelsgeschlechtern nachvollzogen. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts konnten es sich Familien vom oberen ökonomischen Rand des Niederadels leisten, selbst kleinere Stiftskirchen zu gründen oder die Pfarrkirche ihres Herrschaftssitzes zu einer stiftsähnlichen Institution auszubauen, die ausschließlich der Memoria des eigenen Geschlechts verpflichtet war. Dieses für den spätmittelalterlichen Adel charakteristische Muster sei am Beispiel der Landschad von Steinach veranschaulicht.9 Die Familie der Landschaden von Steinach gehörte seit dem 14. Jahrhundert zur niederadligen Klientel der Pfalz-

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Repräsentation von Adel und Bürgertum im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit; das Beispiel Niederösterreichs (MIÖG Ergänzungsband 45). Wien 2004. Zur Erinnerungskultur des nicht-fürstlichen Adels im späten Mittelalter vgl. künftig meine Freiburger Habilitationsschrift „Anfang, Ursprung und Herkommen. Studien zu den Erinnerungskulturen des Adels im späten Mittelalter“. Zu den Landschaden von Steinach vgl. allgemein Friedhelm Langendörfer: Die Landschaden

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Steffen Krieb

grafen bei Rhein, denen sie durch vielfältige Lehens-, Dienst- und Kreditbeziehungen verbunden war. Ihrer politischen Orientierung folgend, finden sich die ältesten Begräbnisse der Herren von Steinach, deren dem Niederadel zugehörige Nebenlinie mit dem Beinamen Landschad seit der Mitte des 13. Jahrhunderts belegt ist, im Zisterzienserkloster Schönau im Odenwald, das seit dem 12. Jahrhundert unter pfalzgräflicher Schutzherrschaft stand und den wittelsbachischen Pfalzgrafen seit dem 13. Jahrhundert als Grablege diente.10 Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts wurden die Landschaden von Steinach in Schönau beigesetzt, danach fungierten zunächst das Liebfrauenstift in Neustadt an der Weinstraße und schließlich die Pfarrkirche am Stammsitz Neckarsteinach als Grablegen. Pfalzgraf Rudolf II. hatte testamentarisch die Pfarrkirche in Neustadt als Ort seines Begräbnisses bestimmt und zudem deren Umwandlung in ein Kollegiatstift verfügt. Konrad IX. Landschad, der unter anderem das Amt des pfälzischen Vitztums in Neustadt innehatte, ließ sich ebenso in der dortigen Stiftskirche bestatten wie sein Sohn Konrad X. Ulrich V. Landschad und sein Vetter mit dem für die Familie charakteristischen Namen Blicker XI. wählten hingegen die unterhalb der vier Landschaden-Burgen in Steinach am Neckar gelegene Pfarrkirche als Grablege, die Dieter II. in der darauffolgenden Generation durch eine Vermehrung der Pfründen für angemessene Memorialleistungen herrichten wollte, damit aber am Widerstand des Pfarrers scheiterte.11 Erst Blicker XIV. Landschad, der als pfalzgräflicher Hofmeister in Heidelberg amtierte und eine Chronik seiner Familie schrieb, gelang es, die Steinacher Pfarrkirche zum zentralen Memorialort der Dynastie auszubauen, nachdem er das Patronat erworben hatte. Blicker ließ von 1481 bis 1483 ein neues Kirchengebäude errichten, in das ältere Grabdenkmäler von Angehörigen des Geschlechts integriert wurden. Durch zahlreiche Wappendarstellungen und Bauinschriften sowie die kostspielige und künstlerisch hochwertige Verglasung des spätgotischen Chors sorgte Blicker dafür, dass er und seine Ehefrau Mia von Helmstatt als Erbauer des neuen Kirchengebäudes nicht in Vergessenheit gerieten.12 Weniger an der Praxis ihrer pfalzgräflichen Lehns- und Dienstherren als an den Verlagerungen ihrer eigenen Herrschaftsschwerpunkte orientierte sich die Ortswahl

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von Steinach. Zur Geschichte einer Familie des niederen Adels in Mittelalter und der frühen Neuzeit (Geschichtsblätter für den Landkreis Bergstraße, Einzelschriften Bd. 1). Heppenheim/ Bergstraße 1971; zur Erinnerungskultur des Geschlecht vgl. Steffen Krieb: Vergangenheitskonstruktion zwischen Überlieferungsmangel und mündlicher Tradition: Die Familienchroniken der Landschaden von Steinach. In: Horst Carl, Sönke Lorenz (Hg.): Gelungene Anpassung? Adelige Antworten auf gesellschaftliche Wandlungsvorgänge vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Zweites Symposion „Adel, Ritter, Reichsritterschaft vom Hochmittelalter bis zum modernen Verfassungsstaat‟ (24./25. Mai 2001, Schloß Weitenburg). Ostfildern 2005, S. 83–101. Zu den Grablegen der Pfalzgrafen vgl. Thorsten Huthwelker: Tod und Grablege der Pfalzgrafen bei Rhein im Spätmittelalter, 1327–1508 (Heidelberger Veröffentlichungen zur Landesgeschichte und Landeskunde 14). Heidelberg 2009; Ders.: Die Grablegen der Wittelsbacher in Heidelberg – Tod und Gedächtnis im späten Mittelalter. In: Frieder Hepp, Jörg Peltzer (Hg.): Die Grablegen der Wittelsbacher in Heidelberg. Tod und Gedächtnis im späten Mittelalter. Heidelberg 2013, S. 17–26. Darüber berichtet die von Blicker XIV. Landschad verfasste Familienchronik. Vgl. Langendörfer, Landschaden (wie Anm. 9), S. 186. Zum Ausbau der Neckarsteinacher Kirche vgl. Die Inschriften des Landkreises Bergstraße,

Jenseitsvorsorge, Herrschaftsrepräsentation und Familiengedächtnis

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für die Begräbnisse der Familie von Sickingen.13 Die Nachkommen Swickers VI., die die sogenannte Swickerische Linie der Sickingen bildeten, erwarben durch vorteilhafte Heiraten westlich des Rheins und deutlich vom Stammsitz im Kraichgau entfernt gelegene Besitzungen westlich des Rheins, vor allem im Nahe-HunsrückGebiet mit dem Zentrum Ebernburg, im Wasgau und Unterelsass aus dem Erbe der Hohenburger, zu dem auch ein Teil der Herrschaft Landstuhl und die Burg Nanstein gehörten. Bereits Franz von Sickingens Großvater Reinhard VIII. hatte sich in der Pfarrkirche des unterhalb der Ebernburg gelegenen gleichnamigen Orts bestatten lassen.14 Seine Ehefrau Schonett von Sien, Franzens Mutter Margarethe Puller von Hohenburg sowie seine Ehefrau Hedwig von Flersheim fanden ihre letzte Ruhestätte in dem 1481 durch die Pfalzgrafen bei Rhein und Pfalz-Simmern gestifteten Franziskanerkloster in Kreuznach.15 Die Stadt war zudem Sitz eines pfälzischen Amtmanns, dessen Funktion Swicker VIII. von 1474 bis 1478 und Franz von Sickingen von 1505 bis 1513 innehatten. Auch wenn es nicht zu einer Verlagerung der Grablege und des damit verbundenen Totengedenkens an eine städtische Kirche am Herrschaftsmittelpunkt des Geschlechts beziehungsweise einer seiner Linien kam, lässt sich beim Pfälzer Niederadel im 15. Jahrhundert eine verstärkte Aufmerksamkeit für die Gestaltung von Grablegen und der Memoria erkennen, wie ein Blick auf zwei sowohl mit den Sickingern als auch den Landschaden von Steinach durch Konnubium, Verwandtschaft und die Bindungen an die Kurfürsten von der Pfalz eng verbundene Familien belegt. Martin von Adelsheim ließ 1489 den wohl schon seit dem 13. Jahrhundert bestehenden romanischen Vorgängerbau der Jakobskirche an seinem Herrschaftssitz durch einen Neubau ersetzen, zu dem eine an der Südseite des Chors errichtete Grabkapelle mit einer Gruft als künftige Grablege des Geschlechts gehörte.16 Dabei blieben die mit geritzten Wappen und Gedenkinschriften versehenen Grabsteine der seit Mitte des 14. Jahrhunderts im Kirchenraum begrabenen Angehörigen des Ge-

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gesammelt und bearbeitet von Sebastian Scholz (Die Deutschen Inschriften 38). Wiesbaden 1994, S. XIX–XXI. Zu den Sickingern vgl. Harold Henry Kehrer: Die Familie von Sickingen und die deutschen Fürsten 1262–1523. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 127/129 (1979/1981), S. 71–188; 82–188. Die Inschriften des Landkreises Bad Kreuznach, gesammelt und bearbeitet von Eberhard J. Nikitsch (Die Deutschen Inschriften 34). Wiesbaden 1993, Nr. 143† (Online-Ausgabe: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di034mz03k0014308). Nikitsch, Inschriften (wie Anm. 14), Nr. 143† (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0238di034mz03k0014308), 159† (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0238-di034mz03k0015905), 238 (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0238-di034mz03k0023807). Zur Adelsheimer Jakobskirche vgl. Volker Himmelein: Adliges Selbstverständnis im Wandel der Zeit. Die Jakobskirche zu Adelsheim und ihre Grabsteine. In: Der Wartturm 31 (1991), S. 10–20. Zur Familie vgl. Kurt Andermann: Die Urkunden des Freiherrlich von Adelsheim‘schen Archivs zu Adelsheim (Regesten) 1291–1875. Buchen 1995, 9–16. Die Adelsheimer gingen aus der Ministerialität der Edelherren von Dürn bzw. des Klosters Amorbach hervor. Die Gründung von Burg und Stadt Adelsheim geht auf Boppo von Dürn und seine beiden Söhne Beringer († 1357) und Boppo von Adelsheim († 1367) zurück. Der Großteil der Besitzungen des Geschlechts befand sich im südlichen Odenwald, im Bauland sowie im Raum zwi-

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schlechts erhalten. Erst für den Bauherrn und seine Familie ging man von der einfachen im Boden liegenden Grabplatte zu aufwendig gestalteten, mit Skulpturen der Verstorbenen versehenen Wanddenkmälern über.17 In der Adelsheimer Jakobskirche forderten nicht nur die Bildnisse Martins, seiner Ehefrau Anna von Stetten sowie ihres 1494 verstorbenen Sohns Christoph auf den Wandgrabmälern zur Fürbitte auf, sondern auch die knienden Figuren des Paares und ihrer beiden Söhne Christoph und Sebastian in dem ebenfalls von Martin von Adelsheim gestifteten Sakramentshäuschen.18 Die Präsenz der Verstorbenen in Form der Skulpturen lässt sich als Aufforderung um Gebetsgedenken verstehen, die sich allgemein an die Glieder der Pfarrgemeinde richtete, insbesondere aber an die Mitglieder der 1402 auf Initiative der Adelsfamilie gegründeten und 1446 wieder errichteten geistlichen Bruderschaft mit Sitz in der Adelsheimer Kirche. Aufgaben der Bruderschaft waren die Fürbitte für die lebenden und das Gebetsgedenken für die verstorbenen Mitglieder. Zu diesem Zweck sollte die zu zwei Dritteln aus Geistlichen und zu einem Drittel aus Laien bestehende Vereinigung an zwei Tagen im Jahr zu besonderen Gottesdiensten und zum gemeinsam Mahl in Adelsheim zusammenkommen.19 Die sogenannte Totenkirche in Neckarbischofsheim zeigt, dass die Funktion als Grabkirche einer Linie eines Niederadelsgeschlechts sogar den ursprünglichen Zweck vollkommen verdrängen konnte.20 Die Kirche mit dem Patrozinium Johannes des Täufers diente bis zum Ende des 16. Jahrhunderts als Pfarrkirche von Neckarbischofsheim. Bereits seit der Mitte des 14. Jahrhunderts ließen sich hier die Angehörigen der von Raban (II.) von Helmstatt (†1343) begründeten Bischofsheimer Linie des Hauses begraben, wovon die noch erhaltenen Grabplatten zeugen.21

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schen Kocher und Jagst. Ähnlich wie die Landschaden von Steinach hatten Vertreter des Geschlechts Hof- und Verwaltungsämter bei den Pfalzgrafen bei Rhein und Kurfürsten von der Pfalz inne. Erst im 19. Jahrhundert wurden die Grabplatten aus konservatorischen Gründen aus dem Kirchenboden entfernt und an den Wänden aufgestellt. Vgl. Himmelein, Selbstverständnis (wie Anm. 16), S. 10. Zu den Grabdenkmälern vgl. Die Inschriften der Landkreise Mosbach, Buchen und Miltenberg, gesammelt und bearbeitet von Ernst Cucuel, Heinrich Köllenberger (Die Deutschen Inschriften 8). Stuttgart 1964, Nr. 177, 178 (Christoph), 183, 184 (Martin), 197 (Sebastian), 213 (Martin d.J.). Himmelein, Selbstverständnis (wie Anm. 16), S. 12f. Während der 1494 verstorbene Christoph als Ritter in vollem Harnisch dargestellt ist, ließ sich sein Vater Martin in einem pelzverbrämten, faltenreichen Mantel abbilden, der seine Stellung als fürstlicher Diener und kurmainzischer Amtmann in Miltenberg, Amorbach und Krautheim herausstellte. Auf dem ebenfalls von Martin von Adelsheim gestifteten Sakramentshäuschen sind die vier Familienmitglieder als kniende Figuren präsent und zudem namentlich bezeichnet. Vgl. Cucuel / Köllenberg, Inschriften (wie Anm. 17), Nr. 27. Vgl. Andermann, Adelsheim (wie Anm. 16), Nr. 97 (1446 Oktober 18). Zu den Herren von Helmstatt vgl. Gerhard Fouquet: Reichskirche und Adel. Ursachen und Mechanismen des Aufstiegs der Kraichgauer Niederadelsfamilie v. Helmstatt im Speyerer Domkapitel zu Beginn des 15. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 129 (1981), S. 189–233; Ders.: Das Speyerer Domkapitel im späten Mittelalter (ca. 1350–1540). Adlige Freundschaft, fürstliche Patronage und päpstliche Klientel, 2 Bde. (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 57). Mainz 1987, S. 123–125, 563–565. Vgl. Die Inschriften des Rhein-Neckar Kreises (II). Ehemaliger Landkreis Mannheim, ehemaliger Landkreis Sinsheim (nördlicher Teil), gesammelt und bearbeitet von Renate Neumüllers-

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Nach der Einführung der Reformation durch Philipp von Helmstatt (†1563) wurden die Gräber nicht mehr nur durch im Boden der Kirche eingelassene Grabplatten, sondern auch durch figürliche Wanddenkmäler mit zunehmend ausführlichen Inschriften ausgezeichnet.22 Bereits im späten 15. Jahrhundert war der Chor gotisch umgebaut worden, 1593 bis 1595 wurde das Langhaus neu errichtet. Eine zum Abschluss des Neubaus in einen Deckenbalken geschnitzte Inschrift verweist bereits auf den Charakter des Baus als Friedhofskirche, obwohl die Funktion der Pfarrkirche wohl erst nach dem 1612 abgeschlossenen Erweiterungsbau auf die Stadtkirche St. Salvator überging.23 INTENSIVIERUNG DES GEDENKENS Die Verlagerung des Totengedenkens in städtische Kirchen oder Pfarrkirchen, über deren Patronat die Adligen verfügten, ermöglichte neben der Konzentration der Memoria auf die eigene Familie auch deren Intensivierung durch eine Erhöhung der Anzahl von Pfründen und die Einbeziehung der Gläubigen. Ein erhöhter materieller Aufwand ist auch bei der Gestaltung der Grabdenkmäler und der Gedenkriten zu beobachten. Franz von Sickingen war seit 1498/99 mit der aus einem in der linksrheinischen Pfalz begüterten Niederadelsgeschlecht stammenden Hedwig von Flersheim verheiratet, mit der er drei Söhne und drei Töchter hatte. Hedwigs Bruder Philipp von Flersheim, von 1529 bis 1552 Bischof von Speyer, widmete dem Schicksal seines Schwagers und seiner Nachkommen gut ein Viertel seiner Familienchronik.24 Aus-

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Klauser unter Mitarbeit von Anneliese Seeliger-Zeiss (Die Deutschen Inschriften 16). München 1977, Nr. 208–211, 213, 214, 217, 219, 223–226, 229, 240, 276, 277, 280, 281, 292, 294–297, 303, 306. Vgl. ebd., Nr. 280 (Grabstein), 281 (Wanddenkmal) für Philipp von Helmstatt, dessen Verdienste um die Förderung der lutherischen Lehre und als kurpfälzischer Rat in der Inschrift des Grabsteins gepriesen werden. Vgl. ebd., Nr. 308: „ANNO 1595 BE DENCK DIE STVNTT WENN DV AVFF DISSEN GOTTES ACKER KUMEST SO GE DENCK NIT DAS / DUWIRST GE WIS HINNAB KOMEST DAN ES STET ALLES IN GOTTES WILLEN DAN GOTTES WORT BLEIT EWIG STEHN MK IH.“ Zur Flersheimer Chronik vgl. Steffen Krieb: „Unnd maihne, das das kheinem ritter nie wiederfahren sey, als mir.“ Die Briefe Friedrichs von Flersheim als Selbstzeugnisse. In: Heinz-Dieter Heimann, Pierre Monnet (Hg.): Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts (Europa in der Geschichte 7). Bochum 2004, S. 135–146; Ders.: Orte, Namen und Kleinodien. Erinnerungsmedien in der Flersheimer Chronik. In: Susanne Rau, Birgit Studt (Hg.): Geschichte schreiben. Ein Quellenund Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350–1750). Berlin 2010, S. 347–358; vgl. künftig auch Krieb, Anfang (wie Anm. 8). Zu Franz von Sickingen vgl. Heinrich Ulmann: Franz von Sickingen. Leipzig 1872; Volker Press: Ein Ritter zwischen Rebellion und Reformation – Franz von Sickingen (1481–1523). In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 50 (1983), S. 151–177; Ders.: Franz von Sickingen – Wortführer des Adels, Vorkämpfer der Reformation und Freund Huttens. In: Ders.: Adel im alten Reich. Tübingen 1998, S. 319– 332; zuerst in: Ulrich von Hutten. Ritter Humanist und Publizist, 1488–1523. Katalog zur Ausstellung des Landes Hessen anläßlich des 500. Geburtstages, bearb. v. Peter Laub. Kassel 1988,

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führlich schildert er darin den Tod Hedwigs, ihre Bestattung sowie das ausgesprochen feierlich ausgestaltete Begängnis. Die Schilderungen belegen die hohe Bedeutung, die Franz der Pflege des Totengedenkens für seine Frau zumaß. Hedwig starb am 9. Januar 1515 im Kindbett, nachdem sie von einem weiteren Sohn entbunden war, der aber nur wenige Tage lebte. Franz ließ seine verstorbene Ehefrau von der Ebernburg in das Franziskanerkloster nach Kreuznach bringen, wo sie bestattet wurde. Am Begräbnis nahm dem Bericht der Flersheimer Chronik zufolge eine große Zahl armer Leute teil, die den Tod Hedwigs beweinten, weil diese ihnen zu ihren Lebzeiten viel Gutes getan hatte. Ihren Tod und den darauf folgenden Siebten habe man, wie der Speyrer Bischof betont, nach christlicher Ordnung ehrenvoll begangen; die Gedenkfeier am Dreißigsten aber so aufwendig zelebriert, wie man es nicht einmal von einem hochadligen Herren oder einem Grafen jemals gehört habe. Franz von Sickingen habe mehr als zweihundert Priester zum Dreißigsten bestellt, die „mit singen unnd lesen gott vor die abgeganngene seel andechtigclichen gebetten“ hätten.25 Den damit verbundenen materiellen Aufwand deutet der Chronist mit der Bemerkung an, man habe all diesen Priestern Essen und Präsenzgelder gegeben. Die Einbeziehung von mehr als zweihundert Priestern verweist darauf, dass Franz von Sickingen offenbar Wert darauf legte, dass für seine Frau eine große Zahl von Seelmessen gelesen wurde. Die Steigerung des materiellen Aufwands und die Intensivierung der Fürbitte durch eine große Zahl von Priestern ist Ausdruck des mentalitätsgeschichtlichen Phänomens der Auffassung von Gabe und Gegengabe in der mittelalterlichen Frömmigkeit, wonach die Größe der Gabe im Diesseits entsprechenden Lohn im Jenseits bewirke. Dies zeigte sich insbesondere in der Auffassung von der Messe als Opfer der Kirche, das als wirkungsvolles Mittel zur Rettung der Seele Verstorbener aus dem Fegefeuer galt.26 Im Chor der Kreuznacher Franziskanerkirche ließ Franz ein – heute leider verlorenes – aufwendig gestaltetes Grabdenkmal für Hedwig errichten, das als Nachweis ihres adligen Standes die vier Wappen der Eltern der Eheleute – Puller von Hohenburg, Sickingen, Flersheim und Kranich von Kirchheim – zeigte. Die Verstorbene selbst war stehend als lebensgroße Figur mit einem Rosenkranz als Zeichen ihrer persönlichen Frömmigkeit dargestellt. Die Wahl des im Vergleich zum üblicherweise verwendeten Stein besonders kostbaren Materials Bronze für das Bildnis kann sowohl als Zeugnis der hohen Wertschätzung Hedwigs durch ihren Gatten Franz als auch für dessen Wohlstand gelesen werden. In der Franziskanerkirche waren bereits die beiden für den Aufstieg der Sickingen im 15. Jahrhundert so wichtigen Erbtöchter Schonett von Sien und Margarethe Puller von Hohenburg, Großmutter und Mutter Franzens, bestattet und mit Grabdenkmälern bedacht worden.27

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S. 293–306; Reinhard Scholzen: Franz von Sickingen. Ein adeliges Leben im Spannungsfeld zwischen Städten und Territorien (Beiträge zur Pfälzischen Geschichte 9). Kaiserslautern 1996. Otto Waltz (Hg.): Die Flersheimer Chronik zur Geschichte des XV. und XVI. Jahrhunderts. Leipzig 1874, S. 53. Vgl. Arnold Angenendt: Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Darmstadt 1997, S. 375–378; Ders.: Offertorium. Das mittelalterliche Messopfer, 3. Aufl. Münster 2014, insbes. S. 453–460. Nikitsch, Inschriften (wie Anm. 14), Nr. 159† (urn:nbn:de:0238-di034mz03k0015905), 238

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Als Vorsorge für das Jenseits hatten Franz von Sickingen und seine Gattin Hedwig bereits 1510 eine umfangreiche Stiftung für die unterhalb der Ebernburg gelegene Klause Trombach getätigt. Erbaut worden war die mit nach der Franziskanerregel lebenden Beginen besetzte Klause bereits 1490 durch Franzens Eltern. Anfang des 16. Jahrhunderts zerstörte jedoch ein Feuer den Bau so gründlich, dass Franz und Hedwig die zweiten Gründer der Klause wurden. Als Gegenleistung für die materielle Ausstattung wurden die Schwestern zum Gebetsgedenken für die Eltern, Freunde und Verwandten der Stifter sowie für alle Wohltäter des Hauses verpflichtet. Zusätzlich richteten sie eine wöchentliche Messe zu Ehren der Jungfrau Maria ein, bei der ebenfalls besonders für die Stifter und ihre Eltern sowie alle, die zur Erneuerung der Klause beigetragen hatten, gebetet werden sollte.28 Gleichsam als Außenstelle des Kreuznacher Franziskanerkonvents ergänzten die nach der Franziskanerregel lebenden Schwestern das dort gepflegte liturgische Gedenken in unmittelbarer Nähe des wichtigen Herrschaftssitzes. Der bereits geschilderte Ausbau der Neckarsteinacher Pfarrkirche zum zentralen Memorialort durch Blicker XIV. Landschad ging einher mit einer Erweiterung der Pfründen, die eine Intensivierung des Gebetsgedenkens ermöglichten. Im Zuge des Neubaus von 1481/82 erhielt die Kirche zusätzlich zu dem der Kirchenpatronin Cäcilia geweihten Hochaltar vier weitere Altäre, die der Jungfrau Maria, den heiligen Peter und Paul, Georg und Maria Magdalena geweiht waren. Für den Gottesdienst an diesen Altären richtete Blicker vier Pfründen ein, für den Pastor und einen weiteren Pfarrer, für das Lesen einer Frühmesse und für den Kaplan des der Jungfrau Maria geweihten Altars.29 Für sein eigenes Totengedenken traf Blicker Landschad in seinem Testament Vorsorge.30 Er verfügte darin über die Feier seines Leichenbegängnisses sowie des besonderen Gedenkens am Dreißigsten und am Vierzigsten seines Todes. Seine Söhne verpflichtete er dazu, ihm im ersten Jahr nach seinem Tod jeden Freitag eine Seelenmesse lesen zu lassen. Außerdem enthält das Dokument die Bitte an seine „herztliebe hausfrauw“, sie möge ihm nach Ablauf dieses Jahres – oder wenn sie es vermöge – gleich ab dem ersten Jahr an jedem Samstag eine Seelenmesse in der Steinacher Kirche singen lassen. Bei den im Testament verfügten Stiftungen wurde zwar vornehmlich die von Blicker neu errichtete Pfarrkirche bedacht, doch zeigt sich darin auch das Bemühen, das Totengedenken auf verschiedene Institutionen und Orte zu verteilen. So

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(urn:nbn:de:0238-di034mz03k0023807), 245† (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0238-di03 4mz03k0024500). Zur Translation der drei Grabdenkmäler im Jahr 1584 durch Johann Schweikhard d.Ä. von Sickingen vgl. ebd., Nr. 355† (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0238di034mz03k0024500). Ernst von Münch: Franz von Sickingens Thaten, Pläne, Freunde und Ausgang, 3 Bde. Stuttgart 1827–1829, Bd. 2, S. 2–4 (Nr. 2). Vgl. die weiteren Urkunden zur Klause ebd., S. 4–10 (Urkunden Nr. 3–6). Heinrich Eduard Scriba: Bekenntniss des Ritter’s Hans Landschaden zu Steinach, wie und aus was für Ursachen er vom katholischen zum lutherischen Glauben übergetreten sei, sowie dessen Stiftung des evang. Predigtamtes und gemeinen Kastens zu (Neckar-)Steinach, vom Jahr 1527. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde 6 (1850), S. 339–354, hier S. 344. Staatsarchiv Ludwigsburg, B 583 Bü 820.

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vermachte er seine aus Samt gefertigte Schaube, einen glockenförmigen Überrock, der Pfarrkirche zu Neckarsteinach, um damit ein Messgedenken für ihn zu errichten. Das seidene Futter sollte verkauft und der Erlös der Stiftung hinzugefügt werden. Die Bruderschaften, denen der Verstorbene angehörte, wurden teils durch Geldzuwendungen, teils durch die Bewirtung der Brüder eingebunden. Dem Kloster Schönau, in dem seine frühesten bekannten Vorfahren bestattet waren und dessen Bruderschaft er ebenfalls angehörte, vermachte er eine Silberstiftung. Sein Tod und somit die Aufforderung zum Gebetsgedenken sollte zudem in der Heiliggeistkirche in Heidelberg, in der Wimpfener Stiftskirche, einem in der Heidelberger Vorstadt gelegenen Kloster sowie im Zisterzienserkloster Maulbronn, dessen Sebastiansbruderschaft Blicker angehörte, verkündet werden. Mit der Einbeziehung der Heidelberger Heiliggeistkirche verknüpfte Blicker seine eigene Memoria erneut mit dem pfalzgräflichen Totengedenken und nutzte zudem seine Mitgliedschaft in der Eselsgesellschaft, deren Kapitelort die Heiliggeistkirche war. Zwar war die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments nicht mehr aktiv, doch konnte sich Blicker eines Erinnerungsmediums bedienen, das noch heute an seinem ursprünglichen Ort zu sehen ist. An der Westwand des südlichen Chorseitenschiffes befindet sich ein Fries mit den Namen und Wappen von 35 (von ursprünglich 41) Eselsgesellen. Das Fresko zeigt zudem die Jungfrau Maria und einen knienden St. Georg, der gleichsam stellvertretend für die durch Namen und Wappen identifizierten Ritter steht. Das Fresko, das als Indiz für die Intensivierung des Gesellschaftslebens im früheren 15. Jahrhundert gilt, trat an die Stelle der sonst üblichen Totenschilde, die anlässlich der Begängnisse auf den Altar gelegt und im Anschluss aufgehängt wurden.31 Durch die Verfügung, dass sein Tod auch in der Heidelberger Heiliggeistkirche verkündet werden sollte, nutzte Blicker die dauerhafte Präsenz der Eselsgesellschaft im Kirchenraum auch nach ihrer Auflösung, um sein Totengedenken an einem prominenten Ort in der kurfürstlichen Residenz zu sichern. LUTHERISCHES BEKENNTNIS UND ADLIGE MEMORIALKULTUR Mit der Entscheidung zur Einführung des lutherischen Bekenntnisses und der Berufung evangelischer Prediger fanden die hergebrachten Riten des Totengedenkens ihr Ende. Für die Kirchen als Grablegen und Memorialzentren der Adelsgeschlechter war der Bruch jedoch nicht so radikal. Die seit dem 15. Jahrhundert zu dynastischen Grablegen ausgebauten Stifts- und Pfarrkirchen behielten ihre Funktion bei und wurden in ihrer Zentralität sogar noch gestärkt, indem Grabdenkmäler aus altgläubigen oder säkularisierten Klöstern und Stiften dorthin transferiert wurden.

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Vgl. Andreas Ranft: Adelsgesellschaften. Gruppenbildung und Genossenschaft im spätmittelalterlichen Reich (Kieler historische Studien 38). Sigmaringen 1994, S. 122f., Abb. 1 nach S. 8. Das Landschadsche Harfenwappen mit dem bekrönten Heidenkopf als Helmzier befindet sich in der ersten Zeile an der sechsten Stelle von links.

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Hans III. Landschad gehörte zu den ersten Ritteradligen im Pfälzer Raum, die sich zur lutherischen Lehre bekannten.32 1522 verfasste und veröffentlichte er ein Sendschreiben an Pfalzgraf Ludwig V., in dem er ihn aufforderte, Martin Luther weiterhin zu schützen und dessen Lehre zu fördern.33 1524 berief er den Prediger Jakob Otter nach Neckarsteinach, nachdem dieser auf Betreiben König Ferdinands wegen einer aufrührerischen Predigt aus Kenzingen im Breisgau vertrieben worden war. Dennoch änderte sich zunächst nichts an der Funktion der Neckarsteinacher Kirche als Grablege der Landschaden. Abgeschafft wurde hingegen die Liturgie des Totengedenkens am Grab, da Luther die Vorstellung verworfen hatte, man könne durch Gebete und religiöse Zeremonien auf das Schicksal der Verstorbenen im Jenseits Einfluss nehmen. Die Memorialstiftungen seines Vaters Blicker und die damit verbundenen Pfründen überführte Hans III. Landschad daher in den gemeinen Kasten, aus dem die Armenfürsorge des Städtchens bestritten wurde.34 Auch nach der Einführung der Reformation in Neckarsteinach ließen sich die männlichen Angehörigen des Geschlechts und ihre Ehefrauen weiterhin in der Kirche – oder wie bereits Blicker XIV. und seine Gattin Mia von Helmstatt – auf dem zugehörigen Kirchhof bestatten. Eine gewisse Unsicherheit bestand aber offenbar hinsichtlich der angemessenen Gestaltung der Grabdenkmäler. Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts fanden in Weiterführung der spätmittelalterlichen Tradition figürliche Grabdenkmäler Verwendung, die durch die entsprechenden ritteradligen Attribute der dargestellten Verstorbenen und das Anbringen von Ahnenwappen gekennzeichnet waren. Erst nach der Etablierung und institutionellen Verfestigung der neuen Lehre lassen sich auch Auswirkungen auf die niederadlige Sepulkralkultur erkennen, die in der Neckarsteinacher Kirche zur Errichtung von Epitaphien für die im neuen Glauben verstorbenen Angehörigen des Geschlechts führten. Hier wurde auf die bildliche beziehungsweise plastische Darstellung der Verstorbenen verzichtet und diese nur noch durch Namen und Wappen repräsentiert. Deutlich größeren Raum nahmen hingegen die Inschriften ein, auf die im letzten Abschnitt noch eingegangen wird.35 Auftraggeber der Epitaphien seines Vaters und Großvaters war Hans Ulrich Landschad, der die Funktion der Kirche als Memorialort der Familie noch auf andere Weise stärkte. Für seine familiengeschichtlichen Aufzeichnungen, mit denen er die Chronik seines Urgroßvaters Blicker XIV. fortsetzte, hatte er die verschiedenen Grablegen seiner Vorfahren besucht, um die Inschriften der Grabdenkmäler für genealogische Informationen auszuwerten.36 Pfalzgraf Ottheinrich ließ die Zisterze 32

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Zur reformatorischen Bewegung im Kraichgau vgl. Klaus Gaßner: „So ist das creutz das recht panier“. Die Anfänge der Reformation im Kraichgau. Ubstadt-Weiher 1994; Gerhard Kiesow: Von Rittern und Predigern. Die Herren von Gemmingen und die Reformation im Kraichgau. Ubstadt-Weiher 1997. Gustav Adolf Benrath: Zwei Flugschriften des Reichsritters Hans Landschad von Steinach von 1522 und 1524. In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte u. religiöse Volkskunde 40 (1973), S. 257–287. Vgl. Thomas Hohenberger: Lutherische Rechtfertigungslehre in den reformatorischen Flugschriften der Jahre 1521–22 (Mittelalter und Reformation, N.R. 6). Tübingen 1996. Vgl. hierzu künftig mit ausführlichen Belegen Krieb, Anfang (wie Anm. 8). Robert Irschlinger: Die Aufzeichnungen des Hans Ulrich Landschad von Steinach über sein

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Schönau im Jahr 1558 auflösen, und ab 1562 wurden dort hugenottische Flüchtlinge aus der Wallonie angesiedelt. Um die Grabdenkmäler seiner Ahnen vor der Zerstörung durch „die Welschen“ zu schützen, ließ Hans Ulrich Landschad die beiden Monumente, die unbeschädigt geblieben waren, nach Neckarsteinach bringen und in der dortigen Kirche aufstellen. Ein vergleichbarer Vorgang fand gut zwei Jahrzehnte später auch bei den auf der Ebernburg ansässigen Sickingen statt. Ottheinrich von der Pfalz hatte ebenfalls 1558 das Kreuznacher Franziskanerkloster säkularisieren lassen und richtete dort ein Hospital ein. Johann Schweikard von Sickingen ließ im Jahr 1584 die dortigen Grabdenkmäler seiner drei Ahnfrauen Schonett von Sien, Margarethe Puller von Hohenburg und Hedwig von Flersheim abbauen und in die Ebernburger Pfarrkirche bringen, die somit als Pendant der als Herrschaftszentrum dienenden Burg zum Memorialzentrum des Geschlechts wurde. Die Erinnerung an den Begräbnisplatz wurde durch eine nach 1700 zerstörte Memorialinschrift für die drei Verstorbenen markiert, da deren Gebeine vermutlich am ursprünglichen Ort verblieben. 37 Auch in der formalen Gestaltung der Grabdenkmäler ist der reformatorische Bruch weniger stark ausgeprägt als erwartet. Zwar zeigte sich im Formular der Inschriften die reformatorische Abkehr von der Werkgerechtigkeit und dem Glauben, der verstorbenen Seele im Fegefeuer helfen zu können, doch blieb das Bildprogramm erstaunlich konstant. Dominante Elemente der Grabdenkmäler blieben die Darstellungen der Verstorbenen mit den hergebrachten Attributen adliger beziehungsweise ritterlicher Standesqualität sowie Wappen in Gestalt von Ahnenproben. Die quantitative Erweiterung der Grabinschriften und die zunehmende Errichtung von Epitaphien stärkten zudem die innerweltlichen Aspekte des Gedenkens, die nicht auf die Seele des Verstorbenen gerichtet waren, sondern auf das Herkommen des Adelsgeschlechts und die Tugenden der Verstorbenen, die weniger dem Gedenken als der Sicherung des Nachruhms in der Welt dienten.38 Für sein eigenes Totengedächtnis hatte Franz von Sickingen, als er während der Belagerung der Burg Nanstein am 7. Mai 1523 verstarb, noch keine Vorsorge getroffen. Nach den Worten seines Kaplans hatte er keine spezielle Grablege bestimmt, sondern am Ort seines Todes beerdigt werden wollen. Da er sich zum Zeitpunkt seines Todes in der Reichsacht befand, wurde er in einer einfachen Erdbestattung in der Marienkapelle in Landstuhl begraben. Seine Gebeine befanden sich offenbar zu keiner Zeit in den später angelegten sogenannten Sickingengrüften. In den folgenden beiden Jahrzehnten, die von Bemühungen der Söhne Franzens um 37

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Geschlecht. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 86 / NF 47 (1934), S. 205–258. Das Franziskanerkloster St. Wolfgang wurde 1558/69 von den Kurfürsten Ottheinrich und Friedrich III. säkularisiert und in ein Bürgerhospital umgewandelt. Vgl. Nikitsch, Bad Kreuznach (wie Anm. 14), Nr. 355†: „Anno 1584 · 13 · Nouembris Ließ der Edel vnnd Vest Johan Schweikart von Sickingen den higedachten Edlen seinen lieben ahn, Vhran vnnd Ober Vhran Frauwen) begrabenen ihre Epitaphia außheben vnnd in der pfar Kirchen zu Ebernburgk auffrichten. Welchen gott ein froliche aufferstehung verleihe Amen.“ Zu den Kontinuitäten adliger Sepulkralkultur vor und nach der Reformation vgl. Inga Brinkmann: Grabdenkmäler, Grablegen und Begräbniswesen des lutherischen Adels. Adelige Funeralrepräsentation im Spannungsfeld von Kontinuität und Wandel im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert. Berlin [u.a.] 2010, insbes. S. 74–80.

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die Restitution des väterlichen Erbes geprägt waren, schien es zunächst so, dass kein Denkmal die Erinnerung lebendig halten würde. Erst die 1542 erfolgte Einigung mit den fürstlichen Gegnern Sickingens, dem Erzbischof von Trier, dem Pfalzgrafen bei Rhein und dem Landgrafen von Hessen, über die Rückgabe der Besitzungen an die Nachkommen unter Anerkennung der pfälzischen Lehnshoheit ermöglichte die Errichtung eines Grabdenkmals in Landstuhl. Schweikard, Hans und Franz Konrad von Sickingen ließen in der Marienkapelle zu Landstuhl nach 1543 ein 3,20 Meter hohes und 1,50 Meter breites steinernes Epitaph mit einer überlebensgroßen Figur ihres mit allen ritterlichen Attributen ausgestatteten Vaters errichten. Das Denkmal stand ursprünglich in der an einen Turm der Landstuhler Stadtbefestigung angebauten Marienkapelle, wurde in den Revolutionskriegen teilweise zerstört, nach 1860 stark restauriert und 1871 in die neu errichtete St. Andreaskirche überführt.39 In der formalen Gestaltung weist es zahlreiche Gemeinsamkeiten mit dem Grabdenkmal für den 1547 verstorbenen Hans von Sickingen in der Magdalenenkirche zu Sickingen im Kraichgau auf, das einen guten Eindruck von der ursprünglichen Fassung des Landstuhler Epitaphs gibt.40 Sowohl die nach oben gerichteten betenden Hände als auch Dolch und Schwert waren im Originalzustand beim Denkmal für Franz von Sickingen in gleicher Weise gestaltet. Die Inschrift des Epitaphs folgt im Wesentlichen dem seit dem 14. Jahrhundert gebräuchlichen Anno-DominiFormular, das die wichtigsten Informationen über den Verstorbenen (Name und Stand, Sterbejahr und -tag) enthält, die traditionell der korrekten Durchführung des liturgischen Gedenkens dienten, das aber in der zum Zeitpunkt der Errichtung des Epitaphs evangelischen Kirche nicht mehr vorgesehen war. Umso bedeutender sind die zusätzlichen Informationen der Inschrift. Zunächst diente das Epitaph der Markierung des Begräbnisorts, der bis dahin ohne jegliche Kennzeichnung geblieben war. Außerdem werden die besonderen Umstände des Todes beim Beschuss der Burg Landstuhl benannt, die zugleich die Erinnerung an die Feindschaft der drei Fürsten gegen Franz von Sickingen und seine Nachkommen aufriefen.41 Der Hinweis auf das Dienstverhältnis zu Kaiser Karl V. als Rat und Hauptmann war für die Auftraggeber des Denkmals ebenfalls wichtig, da sie sich angesichts der schlechten 39

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Zum Begräbnis Franz von Sickingens vgl. Helmut Budenbender: Waren Franz von Sickingens Gebeine in der Gruft zu Landstuhl? In: Jahrbuch für die Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern 1 (1961/62), S. 41–65, hier S. 41–43; Wolfgang Medding: Die Grabstätte Franz von Sickingens in Landstuhl und sein Grabepitaph von dem Bildhauer Jost Neipeck. In: Jahrbuch für die Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern 4 (1966), S. 63–77; Wilhelm Weber: Bildnisse und Denkmäler Franz von Sickingens im Wandel der Zeit. In: Jahrbuch für die Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern 8/9 (1970), S. 147–181; zur Identifizierung der Marienkapelle als Begräbnisort vgl. Theodor Knocke: Die Marienkapelle in Landstuhl. Franz von Sickingens Begräbniskirche. In: Jahrbuch für die Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern 10/11 (1973), S. 125–137. Abbildung: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 498–1 Nr. 718 Bild 1. Permalink: http//:landesarchiv-bw.de.plink/?f=4-1078463-1. Das stark beschädigte Epitaph steht heute in der Andreaskirche zu Landstuhl. Inschrift und Abbildung in: Die Kunstdenkmäler der Pfalz, Bd. IX: Stadt und Landkreis Kaiserslautern, bearb. v. Anton Eckardt, Torsten Gebhard. München 1942, ND 1975, S. 279. Der Text der In-

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Erfahrungen mit den Fürsten verstärkt im Dienst des Kaisers sowie in der 1542 konstituierten Reichsritterschaft engagierten.42 An dem von Hans Ulrich Landschad für seinen Großvater Hans III. (†1531) im Jahr 1572 errichteten Epitaph ist noch deutlicher zu erkennen, wie durch den Wegfall des liturgischen Totengedenkens der Raum für das Rühmen eines tugendhaften Lebens des Verstorbenen erweitert wurde, ohne dass damit notwendigerweise eine Säkularisierung des Gedenkens verbunden war. Die Inschrift beginnt mit einer Rechtfertigung des Totengedenkens, das durch die Reformation seine Selbstverständlichkeit verloren hatte: „Rhümlich Christlich Auch Trostlich ist / Das man Zu Keiner Zeit Vergist / Der alten lieben Vorfahrn / Die Vor Vns Zu Dem leben Wahrn / Dern Werck Vnd thaten Zeugen Sein / Eins Rechten Christens Glaubens fein / Die auch im heren hie Zeitlich / Entschlaffen Seyen Seligklich / Nimer Wirdt Ir Vergessen Nicht / Wie GotteS Wort VnS DeS bericht. / Also Wird Hie Löblich Gedacht / DeS Edlen RitterS hochgeacht / HanS Landschaden Von Steinach gut / Der Mit Christlichem Dapffern mut / Sein RiterSchafft bewiSen hat / Wie NachuolgenD Geschriben Stat“.43

Die Werke und Taten der Vorfahren werden nicht vergegenwärtigt, um für deren Seelenheil zu bitten, sondern um den Nachfahren als Zeugnisse des wahren Christenglaubens zu dienen. Die dabei angeführten Werte und Tugenden stehen dabei in der Tradition des Leitbildes eines miles christianus, das vom reformatorischen Umbruch nahezu unberührt erscheint. Der anschließende Tugendkatalog zählt neben Weisheit, Verstand und Beredsamkeit zunächst die Leistungen des Verstorbenen als ritterlicher Krieger in kaiserlichen und pfälzischen Diensten auf: „WaS Dan fernerS Anlangen thut / Manch lobwirdige thugent Gut / mit welchen DiSer Ritter wert / Von Gott Vor Ändern hoch Verehrt / Ward an Im Globt Insonderheit / Weisheit VerstanD Wolredenheit / Zu Sampt Manlicher tapferkeit / Zu schimpf Vnd Ernst alZeit bereit / Die Zeit SeinS lebens braucht er sich / In kriegSleiffen Ser Ritterlich / König MATHIASN Zu Hungern / leyst er Sein Denste wilig Gern / Wider Den türcken Etlich lahr / Nicht mit Geringer leibS gefahr / Dem Keiser MAXIMILIAN / Hat er Drei Schlachten helffen thun / Zu bayrischer KriegS VheD war er / Churfürstlicher PfalZ Obrister / Vber Den ganZen Hauffen GroS / beideS Zu FueS VnD auch Zu RoS / Sein Ritterschafft holt Vber Meer / Zum heilgen LanD Vnd grab mit ehr.“44

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schrift lautet: „HIE LIGT DER EDEL VND ERENVEST FRANCISCVS / VON SICKINGĒ DER IN ZEIT SEINS LEBENS KAYSER / KAROLEN DES FVNFTEN RATHE CAMERER VND / HAVPTMAN EC GEWESEN. VND IN BELEGERVNG / SEINES SCHLOSS NANNSTAIN DVRCH DAS GESCHITZ / TODTLICH VERWVNDET VOLGENDS VFF DONERSTAG / DEN SIEBENDEN MAY ANO M. D. XXIII. VMB MITAG / IN GOTT CHRISTLICH VON DIESER WELT SELIGLICH / VERSCHIDTEN † R I P †“. Vgl. Michael Benz: Sickingen-Bildnisse. München 1985, S. 19f. Alle drei Brüder wurden von Kaiser, Fürsten und Standesgenossen mit zahlreichen Ämtern betraut. Franz Conrad amtierte 1547 als Ritterhauptmann links des Rheins, seit 1565 war die Burg Landstuhl Aufbewahrungsort für die Kaiserlichen Privilegien der rheinischen Reichsritterschaft, 1562 erfolgte die Wahl von Franz Conrad zum Hauptmann des Ritterkantons Kraichgau, die er jedoch wegen Überlastung ablehnte. Dennoch war er 1566 gemeinsam mit seinem Sohn Hans Schweikhard auf dem Augsburger Reichstag präsent. Scholz, Inschriften (wie Anm. 12), Nr. 160 (urn:nbn:de:0238-di038mz04k0016009). Scholz, ebd.

Jenseitsvorsorge, Herrschaftsrepräsentation und Familiengedächtnis

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Dabei wird auffällig oft die Ritterlichkeit und männliche Tapferkeit Hans III. Landschad hervorgehoben, die er in den Kämpfen bewiesen habe. Die Inschrift nimmt das spätmittelalterliche Ritterideal auf, dessen Verwirklichung im fürstlichen Kriegsdienst, besonders aber im Heidenkampf in Form des Krieges gegen die Türken gesehen wurde. Auch der Erwerb der Ritterschaft vom Heiligen Grab, von der die Inschrift berichtet, zeigt die auch im 16. Jahrhundert fortbestehende Wirksamkeit der Gestalt des christlichen Ritters in der Erinnerungskultur des Adels an. In dieser Perspektive wird sogar eine Erkrankung mit Lähmungserscheinungen an Händen und Füßen, die als Podagra (Gicht) angesprochen wird, zur Gelegenheit, ritterliche Tapferkeit zu erweisen: „In Seinem besten alter hin / Zu beth am Podagra ZwenZig Iar / an HenD VnD Füssn erlahmet gahr / Drumb Must er sich FürbaS entschlahn / Der Weltlich Sachen Müssig Gahn / Noch hat er in Seim Grösten schmerZ / Er erSt beweist Sein Manlich herZ / Mit Ritterlicher Dapffer keyt / Dem Teüffel Vnd Der Welt Zu LeyDt // AIS Nemblich im achZehenden iar / DeS LutherS Lehr ward Offenbar / Hat Er in ANNO Zwentzig Zwey / Wider Der Welt Vnd BapstS Geschrey / Der Erst in Diser LandSart Gleich / Durch GotteS Geist Vnd Eifer Reich / Sambt Seiner Gmahlin von Fleckenstein / Solch Lehr Vor Christlich Vnd Vor Rein / Erkant Vnd also Bald Mitt Crafft / allhie DaS bapstumb AbgeSchafft.“45

Zwar erlitt Hans III. Landschad aufgrund seines frühzeitigen Bekenntnisses zur Lehre Luthers kein Martyrium, doch streicht der Text die Bedrängnisse und Leiden des Verstorbenen infolge der Einführung der lutherischen Predigt in der Neckarsteinacher Pfarrkirche heraus, die es ihm erlaubten, trotz seiner Krankheit sein „männliches Herz“ und seine „ritterliche Tapferkeit“ durch die „Abschaffung des Papsttums“ in Neckarsteinach unter Beweis zu stellen. FAZIT Das bereits bei der Memoria hochmittelalterlicher Adelsgeschlechter beobachtete Phänomen fehlender örtlicher Konstanz und Kontinuität über mehrere Generationen lässt sich grundsätzlich auch auf die Praxis der Grablegen und des Totengedenkens spätmittelalterlicher Niederadelsgeschlechter übertragen. Bedingende Faktoren dafür waren neben dem Bemühen um eine Intensivierung des Gebetsgedenkens durch die Beteiligung einer größeren Anzahl Geistlicher und die Einbeziehung einer größeren Gemeindeöffentlichkeit vor allem Verlagerungen von Herrschaftsschwerpunkten, aber auch das Vertrauen auf eine größere Wirksamkeit der Fürbitte von bestimmten geistlichen Gemeinschaften, etwa der Franziskaner. Diese Verlagerungen fügen sich in die allgemeine Entwicklung der Praxis des Totengedenkens bei Fürsten und Hochadel, aber auch bei städtisch-patrizischen Geschlechtern ein. Bei den liturgischen Formen des Totengedenkens nahm die Messe eine besondere Stellung ein. Von der feierlichen Ausgestaltung von Begräbnis und Begängnis unter Beteiligung einer großen Zahl von Priestern sowie von regelmäßig gesungenen Seelmessen zugunsten einzelner Verstorbener versprach man sich um 1500 die 45

Scholz, ebd.

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größte Hilfe im Jenseits. Hinzu traten die Fürbitte durch geistliche Gemeinschaften oder religiöse Bruderschaften, die sowohl geistliche als auch laikale Mitglieder hatten. In Ansätzen bereits im 15., deutlich jedoch seit dem 16. Jahrhundert zeigt sich in der Memorialpraxis des Niederadels eine Tendenz zur Zentralisierung des Totengedenkens und der Grablege an einem Ort beziehungsweise an einer geistlichen Institution. In der Grablege repräsentierte sich das Herkommen des adligen Geschlechts durch die Abfolge der Grabdenkmäler und der darauf befindlichen Wappen, die gleichsam eine steingewordene Ahnenprobe bildeten. Beim Bemühen um die Schaffung zentraler Memorialorte wurden Grabdenkmäler sogar aus anderen Kirchen transferiert oder durch Epitaphien ersetzt. Mit dem Funktionsverlust als Stätten liturgischen Gedenkens wurden die Grabdenkmäler Niederadliger, die sich der Reformation angeschlossen hatten, zu Medien der Verbreitung von Heilsgewissheit und zugleich des weltlichen Ruhms der Verstorbenen. Ritterlich-tugendhaftes Verhalten in der Welt wurde somit zum Garanten der Gewissheit der Auferstehung.

GESELLSCHAFTEN – EINUNGEN – GANERBSCHAFTEN – NETZWERKE Franz von Sickingen und die föderativen Gruppenbildungen in der südwestdeutschen Ritterschaft um 1500 Joachim Schneider Das römisch-deutsche Reich des 15. und 16. Jahrhunderts war aufgrund seiner räumlichen Ausdehnung und seiner dezentralen politischen Organisation durch regional unterschiedliche politische Machtverhältnisse und soziale Konstellationen geprägt. Königsnahe Regionen standen neben königsfernen. Diese dezentralen Traditionen blieben weiterhin bestimmend, auch wenn das Reich an der Wende zum 16. Jahrhundert, unter anderem mit der Institutionalisierung des Reichstags und der Einrichtung des Reichskammergerichts in einigen Bereichen neue Elemente zentraler Staatlichkeit entwickelte. Zudem entstand damals mit dem gedanklichen Entwurf einer deutschen Nation auch erstmals ein ideologischer Überbau, der zur politischen Mobilisierung breiterer Bevölkerungskreise des Reiches genutzt werden konnte. Zu Recht hat man also für diesen Zeitabschnitt von einer Verdichtung des Reiches gesprochen.1 Jenseits der zentralen Institutionen waren und blieben jedoch im Reich die Fürstentümer Träger politischer und staatlicher Ordnung.2 So war auch für die Lebensverhältnisse und für den Spielraum des kleineren Adels, der Grafen, der Herren, vor allem aber der Ritterschaft, um die es im Folgenden gehen soll, seit jeher die Frage entscheidend, welche Binde- und Anziehungskraft die Fürsten der jeweiligen Region für den jeweiligen Adel entfalteten und mit welchen Mitteln sie dies taten. Dabei war es von großer Bedeutung, ob mehrere Fürstenhöfe zur Auswahl standen, die sich mit ihren Herrschaftsansprüchen überschnitten und dabei nicht zuletzt auch um den Niederadel miteinander konkurrierten, oder ob die Ritter allein einem einzigen hegemonialen Fürsten in der Region gegenüber standen.3 Dort, wo sich diese Für1

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Zwei in den letzten Jahrzehnten einflussreiche Entwürfe eines modernen Bildes der Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches im 15. und 16. Jahrhundert, verfasst von einem Spätmittelalter-, beziehungsweise von einem Frühneuzeitforscher: Peter Moraw: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter (Propyläen Geschichte Deutschlands 3). Frankfurt 1985; Georg Schmidt: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806. München 1999; siehe auch den Beitrag von Matthias Schnettger in diesem Band. Ernst Schubert: Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 35). München 1996; Joachim Bahlcke: Landesherrschaft, Territorien und Staat in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 31). München 2012; zum Verhältnis von Fürstenstaat und Reich seit dem 16. Jahrhundert Schmidt, Geschichte (wie Anm. 1), S. 40–44 (Abschnitt „Der komplementäre Reichs-Staat“). Siehe dazu insbesondere die Zusammenfassung bei Joachim Schneider: Spätmittelalterlicher

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stentümer noch nicht zu einigermaßen gleichmäßig verdichteten und voneinander abgegrenzten Fürstenstaaten entwickelt hatten, in Schwaben, in Franken und am Rhein, nutzte der kleinere Adel den Spielraum, überterritoriale Adelsgesellschaften und Einungen einzugehen.4 Diese dienten gleichzeitig der ständischen Interessenwahrung gegenüber den Fürsten wie auch der engeren Vernetzung untereinander und der ständischen Repräsentation. Ohne dass jene Entwicklung im 15. Jahrhundert schon vorgezeichnet gewesen wäre, entstand dann um die Mitte des 16. Jahrhunderts in den Regionen, in denen das Einungswesen ältere Wurzeln besaß und die zugleich als königsnahe Regionen des Reiches galten, aus Ansätzen der Selbstorganisation wie auch aus neuen Anstößen zur politischen Formierung die Reichsritterschaft als eine reichsrechtlich verankerte Korporation.5 Regional gegliedert erfasste diese schließlich den gesamten Niederadel in Franken, Schwaben und am Rhein. Die Unabhängigkeit der Ritter gegenüber den Fürstenstaaten wurde seither durch die Schutzmacht des Kaisers garantiert. Voraussetzung dafür war, dass sich die Ritter bereit erklärt hatten, sich an der Verteidigung des Reiches durch Zahlungen direkt an den Kaiser zu beteiligen. Ohne im Reichstag vertreten zu sein, war die Reichsritterschaft seither zu einem Bestandteil der Verfassung des Reiches geworden. Diese Entwicklung war zu Zeiten Franz von Sickingens allerdings noch nicht abzusehen. Sickingen, seine Helfer und Sympathisanten bedienten sich vielmehr um und nach 1500 selbstverständlich der eingespielten konföderativen Muster zwischenadliger Vernetzung, gegebenenfalls auch in Auseinandersetzung mit den Fürsten und mit dem Ziel, eine einseitige Abhängigkeit oder gar Unterwerfung zu vermeiden. Zugleich waren sie hineingeboren in die herkömmlichen hierarchischen Klientelbeziehungen ihrer Vorfahren zu den Fürsten der Region und suchten diese zu ihrem Vorteil zu gestalten und zu entwickeln. Konflikte mit den Fürsten und Dienste für die Fürsten waren zwei Facetten des Systems der sozialen Beziehungen auf regionaler Ebene. Beide Facetten schlossen sich nicht aus, sondern bestanden in der Regel nebeneinander.

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deutscher Niederadel. Ein landschaftlicher Vergleich (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 52). Stuttgart 2003, S. 537–547. Eine Übersicht der spätmittelalterlichen Adelsgesellschaften, soweit diese einen Namen trugen, in dem Repertorium von Holger Kruse, Werner Paravicini, Andreas Ranft (Hg.): Ritterorden und Adelsgesellschaften im spätmittelalterlichen Deutschland (Kieler Werkstücke Reihe D: Beiträge zur europäischen Geschichte des späten Mittelalters 1). Frankfurt a.M., Bern, New York, Paris 1991; zu den politischen Einungen besonders in Franken siehe Anm. 15. Eine übergreifende Monographie zur Reichsritterschaft im Ganzen wie auch eine solche zur rheinischen Reichsritterschaft fehlt bis heute. Einflussreich für das Verständnis der Entstehung dieser verfassungsrechtlichen Institution wurde ein Vortrag von Volker Press: Kaiser Karl V., König Ferdinand und die Entstehung der Reichsritterschaft (Institut für Europäische Geschichte Mainz. Vorträge Nr. 60). Wiesbaden 21976; eine Monographie zum Odenwalder Kanton der fränkischen Reichsritterschaft aus jüngerer Zeit: Helmut Neumaier: „Daß wir kein anderes Haupt oder von Gott eingesetzte zeitliche Obrigkeit haben“. Ort Odenwald der fränkischen Reichsritterschaft von den Anfängen bis zum Dreißigjährigen Krieg (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen 161). Stuttgart, Berlin, Köln 2005.

Gesellschaften – Einungen – Ganerbschaften – Netzwerke

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TYPOLOGIE DER FÖDERATIVEN BEZIEHUNGEN IM NIEDERADEL Im Rahmen einer Typologie der sozialen Beziehungen im Niederadel6 lassen sich zunächst Einungen, die durch einen Eid ihrer Mitglieder begründet wurden, von informellen Netzwerken unterscheiden, die allein durch Freundschaft, Verwandtschaft und gemeinsame Interessen charakterisiert waren. Diese Netzwerke des Adels sind im Gegensatz zu den Schwurgemeinschaften schwerer zu greifen. Sie treten in typischen Alltagsbeziehungen hervor wie beim Konnubium, bei der Übernahme von Zeugen- und Bürgschaftsfunktionen sowie in Geschäftsbeziehungen im Rahmen des materiellen Ressourcenkreislaufs bei Grundherrschaften, Immobilien oder Geldanleihen.7 Sie wirkten in die im Folgenden zu charakterisierenden Schwurgenossenschaften hinein und wurden ihrerseits durch die gemeinsame Mitgliedschaft in jenen Einungen beeinflusst und erweitert. Unter den fester organisierten Schwurgemeinschaften des Adels können vier Typen unterschieden werden, die in unserem Zeitraum von Bedeutung waren: Gewissermaßen auf unterster Ebene standen Schwurverbände gemeinschaftlicher Eigentümer von Burgen, die so genannten Ganerbengemeinschaften. Auf sie wird an späterer Stelle in diesem Aufsatz näher eingegangen.8 Weiterhin gab es, ein zweiter Typ, Adelsgesellschaften, deren Statuten einen Schwerpunkt im gesellschaftlichen Leben und hier insbesondere im Turnierwesen und bei der gemeinsamen religiösen Memoria für die Mitglieder aufwiesen. Bei diesen Adelsgesellschaften handelte es sich meist um Einungen von rechtlich Gleichberechtigten, im Rahmen des europäischen Adels eine Besonderheit adliger Gruppenbildung im spätmittelalterlichen Reich.9 Auch Mitglieder der Familie Franz von Sickingens waren Mitglieder in derartigen Einungen ihres Herkunftsraums gewesen, so insbesondere in der Esel-Gesellschaft mit Sitz in Heidelberg,10 unter deren Banner sie an den großen Turnieren der Vierlande Ende des 15. Jahrhunderts teilgenommen hatten.11 Verwandt mit diesen Adelsgesellschaften waren, ein dritter Typ adliger Gesellschaftsbildung, die Hof- oder Ritterorden, die vor allem aus den großen westeuropäischen 6 7

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Zu den diversen Formen des föderativen Geflechts im kleineren Adel am Beispiel Frankens Rolf Sprandel: Die Ritterschaft und das Hochstift Würzburg im Spätmittelalter. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 36 (1976), S. 117–143, hier S. 121–137. Vgl. zu solchen Netzwerken beim Niederadel jüngst Kurt Andermann: Zur Zirkulation von Adelsgütern als Indikator für gruppeninterne und -externe Kommunikation. In: Joachim Schneider (Hg.): Kommunikationsnetze des Ritteradels im Reich um 1500 (Geschichtliche Landeskunde 69). Stuttgart 2012, S. 111–120 sowie Sven Rabeler: Gruppenbildung und Kommunikation. Beobachtungen zur Regelung des innerfamiliären Konfliktaustrags im fränkischen Niederadel. In: ebd., S. 161–176. Siehe unten im Abschnitt Ganerbenburgen im Spätmittelalter. Siehe oben bei Anm. 4 sowie die Monographie von Andreas Ranft: Adelsgesellschaften. Gruppenbildung und Genossenschaft im spätmittelalterlichen Reich. Sigmaringen 1994. Ranft, Adelsgesellschaften (wie Anm. 9), Anlage C: Namenliste der Esel (unter Sickingen); siehe die eingehende Untersuchung dieser Gesellschaft ebd., S. 117–182. Ludwig Albert Frhr. von Gumppenberg (Hg.): Nachrichten über die Turniere zu Würzburg und Bamberg in den Jahren 1479 und 1486. In: Archiv für Unterfranken und Aschaffenburg 19,2 (1868), S. 164–210, hier S. 189 (Würzburger Turnier 1479); Heide Stamm (Hg.): Ludwig von Eyb d.J.: Turnierbuch (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 166). Stuttgart 1986, S. 157 (Heidelberger Turnier 1481).

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Monarchien bekannt sind (z.B. Orden vom Goldenen Vlies, Hosenbandorden). Einige solcher Hofgesellschaften gab es aber auch im Reich und hier insbesondere in den weltlichen Kurfürstentümern. Sie hatten zum Teil ähnliche Ziele wie die föderativ strukturierten Gesellschaften, doch fungierte hier ein Herr als Gründer und Oberherr.12 Die Vitalität der Gesellschaften und zum Teil auch der Hoforden als Forum der Praktizierung adligen beziehungsweise höfischen Lebens ließ allerdings bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts nach. Vielmehr wurden diese Vereinigungen mehr und mehr zum Teil der Erinnerungskultur und einer kollektiven historischen Identität des Adels. Die Gründe hierfür werden in ihrem sozialen Exklusivitätsanspruch gesehen, der für eine maximale politische Aktivierung der Standesgenossen, wie sie nach 1500 wichtiger wurde, eher hinderlich war, sowie in ihrer prononcierten vorreformatorischen Religiosität, bei der die Werke für das Seelenheil der Verstorbenen eine große Rolle spielten.13 Anders verhielt es sich in dieser Hinsicht beim vierten Typ adliger Gesellschaftsbildung, den Adelseinungen. Bei Überschneidungen mit dem zweiten beziehungsweise dritten Typ hinsichtlich der Formen gesellschaftlichen Lebens (regelmäßige Versammlungen, religiöse Memoria) standen bei den Schwurbündnissen dieses Typs vornehmlich die Wahrung des Rechts und ein eigenständiger Rechtsaustrag sowie die Verteidigung der politischen Autonomie im Vordergrund. Derartige Einungen hatten seit Beginn des 15. Jahrhunderts mit der Gesellschaft von St. Jörgen-Schild einen regionalen Schwerpunkt in Schwaben,14 daneben, lockerer und kurzfristiger organisiert als dort, in Franken vor allem im Einzugsgebiet des Hochstifts Würzburg.15 Zum Teil hatten diese Bündnisse einen vornehmlich deklaratorischen Charakter, da die Bestimmungen über Bündnisfall und gegenseitige Hilfe zuweilen so diffizil ausformuliert waren, dass sie im Rückblick kaum praxistauglich scheinen und es zweifelhaft ist, inwieweit sie tatsächlich zur Anwendung kamen.16 12 13 14 15

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Tanja Storn-Jaschkowitz: Gesellschaftsverträge adliger Schwureinungen im Spätmittelalter. Typologie und Edition. Berlin 2007 sowie die Hinweise bei Ranft, Adelsgesellschaften (wie Anm. 9), S. 30–34. Ranft, Adelsgesellschaften (wie Anm. 9), S. 255; die Frage nach der Auflösung der Gesellschaften verdient weitere Erforschung. Herbert Obenaus: Recht und Verfassung der Gesellschaften mit St. Jörgenschild in Schwaben (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 7). Göttingen 1971. Ernst Schubert: Die Landstände des Hochstifts Würzburg (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe IX. Darstellungen aus der fränkischen Geschichte 22). Würzburg 1967, bes. S. 63–93; Cord Ulrichs: Vom Lehnhof zur Reichsritterschaft. Strukturen des fränkischen Niederadels am Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beiheft 134). Stuttgart 1997, hier S. 153–173; Constance Proksch: Die Auseinandersetzung um den Austrag des Rechts zwischen Fürsten und Ritterschaft in Franken vom Ende des 14. bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts. In: Dieter Rödel, Joachim Schneider (Hg.): Strukturen der Gesellschaft im Mittelalter. Interdisziplinäre Mediävistik in Würzburg. Wiesbaden 1996, S. 168–195; zum Phänomen der Einungen in übergreifender Sicht Peter Moraw: Die Funktion von Einungen und Bünden im spätmittelalterlichen Reich. In: Volker Press, Dieter Stievermann (Hg.): Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit? (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 23). München 1995, S. 1–21. Siehe unten den Fall der Schweinfurter Einung von 1523 im Abschnitt: Die Einungstradition in Franken.

Gesellschaften – Einungen – Ganerbschaften – Netzwerke

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In der Abwehr des auf dem Wormser Reichstag von 1495 beschlossenen Gemeinen Pfennigs sowie des fürstlich dominierten Reichskammergerichts erlebten diese regionalen Adelseinungen um die Wende zum 16. Jahrhundert einen neuen Aufschwung. Bei in dichter Folge stattfindenden Versammlungen des Ritteradels lehnte der Adel den Gemeinen Pfennig unter Verweis darauf, seit jeher dem Reich mit eigener Person im Krieg zu dienen, entschieden ab.17 Gegenüber den Beschlüssen über das Reichskammergericht und den Ewigen Landfrieden mit einem allgemeinen Fehdeverbot wurde wieder mit Nachdruck die Forderung nach einem eigenen Rechtsaustrag abseits fürstlich dominierter Gerichte vorgebracht. In Franken entwickelten sich damals, ohne dass damit schon der Weg zur späteren Reichsritterschaft vorgezeichnet gewesen wäre, die Versammlungen und Einungen des Adels in den Jahren nach 1495 über das Würzburger Stiftsgebiet hinaus erstmals zu einer gesamtfränkischen politischen Bewegung der regionalen Ritterschaft.18 Eine Gefahr für diese Bestrebungen des kleineren Adels waren allerdings jene Bündnisse, die durch Fürsten gegründet wurden und vornehmlich der Durchsetzung der Politik ihrer Gründer und deren Standesgenossen dienen sollten. In der Sickingen-Zeit ist hier insbesondere der Schwäbische Bund zu nennen, vornehmlich ein Instrument der kaiserlich-habsburgischen Politik in Süddeutschland.19 Zu Anfang wirkte dieser Bund auch für die Einungen des mindermächtigen Adels aus Schwaben anziehend, bis sich dieser später mehrheitlich wieder aus dem Bund zurückzog, weil dessen Ausrichtung nicht den Interessen des kleineren Adels entsprach, falls er nicht der engeren habsburgischen Klientel angehörte.20 Der Schwäbische Bund sollte am Ende zum gefährlichsten Gegner für Franz von Sickingen und seine politisch-militärischen Bestrebungen werden. Im Weiteren soll es nun um die Frage gehen, ob und wie sich Franz von Sickingen politische Adelseinungen beziehungsweise Ganerbschaften für seine Ziele zu17

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Peter Schmid: Der Gemeine Pfennig von 1495 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 34). Göttingen 1989, S. 399–407 zur Reaktion des Adels auf die Forderung des Gemeinen Pfennigs in den verschiedenen Adelsregionen Süddeutschlands. Mit reichem Material, aber in der Perspektive veraltet: Robert Fellner: Die fränkische Ritterschaft von 1495–1524 (Historische Studien Heft 50). Berlin 1905; zur Phase der politischen Bewegung seit 1495 und den Einungen bis ca. 1520 in jüngerer Zeit Klaus Rupprecht: Ritterschaftliche Herrschaftswahrung in Franken (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe IX. Darstellungen aus der fränkischen Geschichte 42). Neustadt/Aisch 1994, S. 383–398; neuerdings Cord Ulrichs: Die Entstehung der fränkischen Reichsritterschaft. Entwicklungslinien von 1370 bis 1590 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte Bd. 31). Köln/Weimar/Wien 2016, hier S. 245–356; Proksch, Auseinandersetzung (wie Anm. 15), S. 184–190. Horst Carl: Der Schwäbische Bund 1488–1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 24), Leinfelden-Echterdingen 2000. Horst Carl: Der lange Weg zur Reichsritterschaft. Adelige Einungspolitik am Neckar und Schwarzwald vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. In: Ders., Sönke Lorenz (Hg.): Gelungene Anpassung? Adelige Antworten auf gesellschaftliche Wandlungsvorgänge vom 14. bis zum 16. Jahrhundert (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 53). Ostfildern 2005, S. 27–66, hier S. 58–65.

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nutze machte. Weiter wird zu fragen sein, an welche regionalen Vorbilder er dabei anschließen konnte. Erstmals werden dabei auch prosopographische Beobachtungen einbezogen, um der Frage nachzugehen, wie sich die Einungen und Ganerbschaften zusammensetzten und ob hier Überschneidungen mit Sickingens Fehdehelfern und seinen anderen Netzwerken von Freundschaft und Verwandtschaft sowie mit reformatorischen Bestrebungen im Ritteradel zum Vorschein kommen. DIE LANDAUER EINUNG VON 1522 Am 13. August 1522 schien sich zu Landau unter Sickingens Führung eine Einungsbewegung der Ritterschaft zu formieren, wie es diese am Rhein bis dato noch nicht gegeben hatte. Angeblich sollten sich hier 600 Adlige „mit Francisco voreidet und vorbunden“ haben, wie ein Gesandter am 16. September 1522 vom Reichstag aus Nürnberg an seinen Herrn, den sächsischen Kurfürsten, berichtete. Eine Abschrift der Einungsurkunde liege in Nürnberg vor, doch habe der Gesandte dieses Exemplar, das sich in der Hand des Pfalzgrafen befinde, noch nicht einsehen können.21 Die Landauer Schwureinung wurde in ihrer Gründungsurkunde, die durch mehrere Drucke aus dem Jahre 1522 überliefert ist, als „ein brüderlich freuntlich vereynigung, gesellschafft und verstentnusz“ bezeichnet, als deren „gemeyner, verstendiger, geschickter hauptman“ der „Edle[n] ernveste[n] Franciscus von Sickingen“ gewählt wurde.22 Wie üblich bei derartigen Einungsurkunden enthält der Text die Regularien des auf sechs Jahre geschlossenen Bündnisses. So folgen auf eine ethisch-religiös geprägte Einleitung, in der man Lob und Ehre Gottes zum höchsten 21 22

Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Dritter Band, bearb. von Adolf Wrede. Gotha 1901, S. 805. Flugschriften zur Ritterschaftsbewegung des Jahres 1523, hg. von Karl Schottenloher (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Heft 53). Münster in Westfalen 1929, S. 31–37, Zitate hier S. 35 Zeile 33 (Bezeichnung der Gesellschaft; ähnlich zu Beginn ebd., S. 30 Zeile 13: „früntlich verstentnuß, geselschafft oder vereynigung“) beziehungsweise S. 34 Zeile 24 und 27f. (Sickingen als Hauptmann); neben dem von Schottenloher zugrunde gelegten Druck von Peter Schöffer d.J. (Worms 1522) = VD16 R 2545 (von Schottenloher noch dem Drucker Johann Schöffer in Mainz zugeschrieben, siehe das veraltete Verzeichnis ebd., S. 19/21, Nr. 2a–c) sind ein weiterer Wormser Druck Peter Schöffers d.J. von 1522 (= VD16 R 2546) sowie zwei Augsburger (VD16 R 2543, 2544) und ein Nürnberger Druck (VD16 ZV 13286) von 1522 nachweisbar; siehe das Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (VD 16): https://www.bsb-muenchen.de/sammlungen/historische-drucke/ recherche/vd-16/ (02.09.2018); älterer Druck: Ernst Münch: Franz von Sickingens Thaten, Plane, Freunde und Ausgang, 2. Band: Codex Diplomaticus. Stuttgart 1828, Nr. CXIV, S. 188– 193; ein Original oder eine Abschrift der Einungsurkunde, die von den Drucken unabhängig wäre, konnte bisher weder im Entstehungsgebiet noch anderwärts nachgewiesen werden; vgl. die Angaben dazu bei Reinhard Scholzen: Franz von Sickingen. Ein adeliges Leben im Spannungsfeld zwischen Städten und Territorien (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 9). Kaiserslautern 1996, S. 478, Anm. 12, der im Generallandesarchiv Karlsruhe (Bestand 77 Nr. 5432) vier Abschriften der zeitgenössischen gedruckten Texte sowie ein gedrucktes Exemplar im Stadtarchiv Landau (Bestand LI/9) nachweist.

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Ziel erklärte und einander versprach, gotteslästerliche Schwüre und überflüssiges Zutrinken zu unterlassen sowie andere davon abzuhalten, die rechtlich relevanten Abschnitte: – Absolutes Fehdeverbot zwischen den Mitgliedern. – Keine Unterstützung für eine Partei hohen oder niederen Standes, die einem Gesellschaftsmitglied das Recht verweigert; vielmehr Hilfe für den Genossen im Falle der Schädigung gegen jene Partei, die ihm das Recht abbricht. – Friedliche Konfliktbeilegung zwischen Genossen durch Schiedsgerichte, die mit vier Verordneten zu besetzen sind; notfalls Berufung eines fünften Obmanns; Hilfe mit Rat und Tat für einen Genossen, falls dessen Gegner sich dem Spruch des Schiedsgerichts nicht beugen will. – Aufrechterhaltung der herkömmlichen Lehensgerichte hinsichtlich der Lehen von Einungsmitgliedern. – Keine Pflichtverletzung liegt vor, wenn die Einungsverwandten im Dienst für Fürsten, Grafen, Herren und Städte in einem Konflikt auf unterschiedlichen Seiten stehen; doch sollen sie sich möglichst gegenseitig schonen. – Keine Leute sollen beherbergt und geschützt werden, die bekanntermaßen und nachweislich unehrenhaft gehandelt haben. Wenn einem Mitglied der Gesellschaft „etwas lasts, beschwerde oder widerwertigs“ widerfahre, war vorgesehen, dass man sich an den Hauptmann oder an einen der Beigeordneten wandte. Der Hauptmann sollte dann seine Beigeordneten und etliche weitere Mitglieder nach Bedarf zu Beratungen einberufen und mit diesen dort Entscheidungen treffen, damit der Betreffende nicht „rathlosz gelassen wird“.23 Eine Zusammenkunft der Gesamtgesellschaft sollte jährlich durch den Hauptmann an einen passenden Ort einberufen werden, der den Mitgliedern von den regionalen Verordneten mitgeteilt werden sollte. Die dort getroffenen Beschlüsse sollten auch für die abwesenden Genossen gelten. Alle Mitglieder der Gesellschaft leisteten mit ihrem Beitritt einen Schwur („... haben wir obbenanten alle bei gutten waren trewen einander gelopt und versprochen“24), die Vereinbarungen, wie sie in der Urkunde niedergelegt waren, zu halten, und beglaubigten ihre Zustimmung durch ihre Siegel. Damit liegt hier das klassische Modell einer urkundlich verbrieften Schwureinung von gleichberechtigen Vertragsschließenden vor. Im Mittelpunkt des Regulariums stand gegenseitige gewaltsame Hilfe gegen Dritte, die Mitgliedern ihr Recht verweigerten, sowie die Beilegung von Konflikten zwischen den Mitgliedern. Letzteres ist zeitgenössisch insofern bedeutsam, da man mit Hilfe solcher interner Austragsgerichte vermeiden konnte, bei Streitigkeiten die fürstlichen Gerichte aufsuchen zu müssen.25 Auf die materiellen Interessen sowie die persönlichen Bindungen der Mitglieder an die Klientel der Fürstenhöfe wurde andererseits dadurch Rücksicht genommen, dass die Anrufung der herkömmlichen Lehensgerichte sowie die Tätigkeit zugunsten Dritter im Rahmen von Dienstverhältnissen durch die Mitgliedschaft in der Einung nicht tangiert sein sollte. 23 24 25

Flugschriften, hg. Schottenloher (wie Anm. 22), S. 35 Zeile 4f. und 14. Ebd., S. 35 Zeile 32f. Proksch, Auseinandersetzung (wie Anm. 15), passim.

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Die Hilfe für Bündnisgesellen gegen Dritte im Fall der Rechtsverweigerung oder auch gegen solche Mitglieder aus der Einung selbst, die sich einem Schiedsspruch nicht fügen wollten, wurde allerdings nicht von allen Mitgliedern in jedem Einzelfall gefordert, sondern die Einungsmitglieder hatten lediglich das Recht („die macht“), eine solche Fehdehilfe zu leisten.26 Auch ein konkretes Verfahren, wie das Eintreten eines Beistandsfalles festgestellt werden sollte, wurde nicht beschrieben. Wegen der scheinbar recht offenen Bestimmungen an dieser Stelle hat die ältere und jüngere Forschung meist betont, dass das Bündnis wohl eher ein Kompromisspapier, keinesfalls aber ein geeignetes Instrument für Sickingen gewesen sei, seine unmittelbar darauf geführte Trierer Fehde zu eröffnen, die zudem eine viel längere Vorbereitungszeit erfordert habe.27 Das ist sicher richtig. Dennoch scheint mir die Offenheit der Formulierungen über die gegenseitige Fehdehilfe an dieser Stelle aufschlussreich. Die Initiative lag hier nämlich an zentraler Stelle, bei dem gewählten Hauptmann Franz von Sickingen, der freie Hand dabei hatte, wen er für eventuelle Beratungen über eine mögliche Bündnishilfe heranziehen wollte. Der Hauptmann konnte, beraten durch die Beigeordneten, die über die lokalen Konfliktlagen informiert waren, jeweils jene Mitglieder einberufen, die vermutlich auch bereit sein würden, in eine Fehde zugunsten des Einungsverwandten einzutreten. Das Ziel solcher Beratungen war im Text der Urkunde sehr offen formuliert: „… was nütz unnd gut, zu beratschlagen und den selbigen iren ratschlag und gutbedungken dem bescherten oder belestigiten mitteylen, das derselbig nit ratlosz gelassen werd.“28 Damit hätte die beabsichtigte große Einung zu einem sehr flexibel zu handhabenden Instrument in der Hand ihres Hauptmanns werden können, da dieser bei Auftreten von Konflikten nach Gutdünken eine kleinere oder größere Gruppe von Gefolgsleuten für eine Fehde unter seiner Führung zusammenstellen konnte. Allzu komplizierte Regularien zur militärischen Mobilisierung, wie sie der Schweinfurter Bund von Januar 1523 vorsah,29 konnten da nur stören. Im Urkundentext gab es auffallender Weise nur an einer Stelle einmal eine zusammenfassende ständische Bezeichnung der Mitglieder als „ettlich vom adel“. Lediglich auf dem Titelblatt der verschiedenen Ausgaben der Flugschrift wird die 26

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Flugschriften, hg. Schottenloher (wie Anm. 22), S. 31 Zeile 22f.: „soll ein ieder diser verstenntnus dem berdrangten oder beschedigten hilflich zu sein gut macht haben“; ebd., S. 33 Zeile 8–11: „so soll ein ieder in dieser unser eynigung unnd verstentnusz macht haben, dem, für den der spruch ergangen, zu helffen mit rat und that, wie ime das fügt, auff das dem spruch gelebt werde und volstreckung beschech…“ Kurt Andermann: Das alte Herkommen bewahren. Zur Situation des Ritteradels in Südwestdeutschland am Ende des Mittelalters. In: Ebernburg-Hefte 49 (2015), S. 15–33, zum Landauer Bund ebd., S. 15–19; ders.: Dem Evangelium eine Öffnung? Überlegungen zu Franz von Sickingens Trierer Fehde. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 109 (2011), S. 65– 86, S. 78f.; Scholzen, Franz von Sickingen (wie Anm. 22), S. 202f.; Manfred Meyer: Sickingen, Hutten und die reichsritterschaftlichen Bewegungen in der deutschen frühbürgerlichen Revolution. In: Jahrbücher für Geschichte des Feudalismus 7 (1983), S. 214–245, hier S. 219f. mit weiteren Literaturhinweisen; H. Ulmann: Franz von Sickingen. Nach meistens ungedruckten Quellen. Leipzig 1872, S. 250–259. Flugschriften, hg. Schottenloher (wie Anm. 22), S. 35 Zeile 12–14. Siehe den Abschnitt: Die Einungstradition in Franken.

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„Ritterschafft“, ohne nähere regionale Zuordnung, als soziale Trägergruppe genannt.30 Der Grund für diese Zurückhaltung im eigentlichen Urkundentext war wohl, dass der Beitritt auch für weltliche Fürsten und für Städte ausdrücklich offen gelassen wurde unter der Voraussetzung, dass sich diese ebenfalls auf den Text der Einungsurkunde verpflichten würden.31 Damit wurde der Eindruck vermieden, dass die Einung gegen diese gerichtet war, wenngleich man sicher sein konnte, dass sich kaum je ein Fürst auf eine kollegiale Schiedsgerichtsbarkeit aller Einungsmitglieder einlassen würde, wie es hier vorgesehen war. Ein Fragezeichen steht hinter dem Grad der Zustimmung seitens der Ritterschaft zu den hier ausformulierten Regularien.32 Denn die Namen der Einungsmitglieder, die sich zu Beginn des Urkundentextes eigentlich als Aussteller nennen sollten und auf deren namentliche Einführung sich der Text auch im Folgenden mehrfach bezieht,33 sind in den allein vorliegenden gedruckten Fassungen durch ein dreifaches „N.“ ersetzt worden. Ebenso wenig weiß man, ob und wie viele Adlige später noch beigetreten sind. Vielleicht lag es an Bedenken gegenüber der starken Stellung Sickingens, der ja als professioneller, offensiv agierender Fehdeführer inzwischen hinlänglich bekannt war, wenn den Teilnehmern der Landauer Einung zwei Monate Zeit gegeben wurde, ihre Siegel an den Landauer Schultheißen zu schicken, der die Haupturkunde verwahren sollte.34 Dieses Original des Hauptbriefs aber liegt ebenso wenig vor wie Nachrichten über nach Landau eingesandte Siegel oder nachträgliche Beitrittsurkunden von in Landau nicht Anwesenden, die laut Urkundentext bei Heinrich von Schwarzenberg auf dessen Burg Wartenstein (Landkreis Bad Kreuznach)35 oder zu Steinkallenfels36 zu hinterlegen waren.37 So hat Harold H. Kehrer sogar die These geäußert, man habe die „Brüderliche Vereinigung“ „doch zum größten Teil von dem Erfolg der Trierer Unternehmung Sickingens abhängig“ gemacht. Erst nach einem Erfolg der Trierer Fehde habe die Einung wirklich in Kraft treten sollen. Sickingens Vorbereitungen für die Trierer Fehde jedenfalls konnten den Teilnehmern in Landau kaum verborgen geblieben sein. Die Ansicht Kehrers erscheint mir daher durchaus wahrscheinlich und realitätsnah, der Landauer Bund vom August 1522 sei „aller Wahrscheinlichkeit nach in einem unentwirrbaren Knäuel informeller Bindungen und Kontaktierungen mit Sickingens kurz darauf eröffneter Fehde verbunden“ gewesen.38 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Ebd., S. 34 Zeile 5: „Und alsz ettlich vom adel diese unser vereynigung aus beweglichen ursachen ietzt gegenwertiger zeit nit haben künden annemen…“; ebd., S. 31 Zeile 4–7 (Titel). Ebd., S. 35 Zeile 25–29. Siehe dazu Anm. 21 die durch den sächsischen Rat genannte Zahl von 600 Einungsmitgliedern beziehungsweise Versammlungsteilnehmern. Flugschriften, hg. Schottenloher (wie Anm. 22), S. 34 Zeile 14, S. 35 Zeile 30. Ebd., S. 34 Zeile 14–21. Siehe unten Anm. 91. Siehe zu dieser Ganerbenburg unten Anm. 74. Flugschriften, hg. Schottenloher (wie Anm. 22), S. 34 Zeile 5–13 sowie das Formular für die nachträgliche Beitrittskurkunde, das ebenfalls in den Drucken überliefert ist: ebd., S. 36f.; zur Überlieferung und den zeitgenössischen Drucken siehe Anm. 22. Harold H. Kehrer: Die Familie von Sickingen und die deutschen Fürsten 1262–1523. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 127 (1979), S. 71–158 (Teil I) und 129 (1981), S. 82–

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Eine geistige Nähe des Landauer Bundes zu reformatorischen Bestrebungen ist im Text der Urkunde höchstens in minimalen Spuren auszumachen. So könnte immerhin, worauf Thomas Kaufmann hingewiesen hat, die spezifische sprachliche Form des Adjektivs „unzertheylt“ in der Anrufung der „heiligen unzertheylten Dreifaltigkeyt“ auf eine reformatorische Terminologie verweisen, wie sie zum Teil auch im ‚Neu-Karsthans‘ oder den ‚XV Bundesgenossen‘, virtuelle Projekte von Bündnissen,39 für die in zeitgenössischen Flugschriften ein überständisches ritterlich-bäuerliches und prononciert reformatorisches Programm propagiert wurde.40 Die übrigen religiösen Elemente der Einungsurkunde sowie die Verpflichtung der Mitglieder zu einer moralisch einwandfreien Lebensführung (Verbot des gotteslästerlichen Fluchens und Zutrinkens) dagegen können nicht als Argument in dieser Richtung herangezogen werden, da solche Formulierungen auch schon in vorreformatorischen Bündnisurkunden erscheinen und ein Reflex entsprechender Reichstagsbeschlüsse der Zeit waren, die hier von ritterschaftlicher Seite aufgegriffen wurden.41 DIE EINUNGSTRADITION IM VERBREITUNGSRAUM DER LANDAUER EINUNG Auch wenn offen bleibt, wer und wie viele Ritter in Landau dem Bund wirklich beigetreten sind, so werden doch aufgrund der Nennung der Beigeordneten und ihrer jeweiligen regionalen Zuordnung42 der Einzugsbereich der Einung und dessen zeitgenössische räumliche Gliederung deutlich. So wurden Obleute rechtsrheinisch für den Kraichgau und die Ortenau, linksrheinisch für den Westrich (die heutige nördliche Westpfalz und angrenzende Gebiete), den Wasgau (die südliche Westpfalz und angrenzende Gebiete), den Rheingau (Vorderpfalz und Südpfalz) sowie den Hunsrück samt Nahetal bestimmt. Auf der politisch-herrschaftlichen Mikroebene waren diese Gebiete heterogen-kleinteilig organisiert. Allesamt hatten sie allerdings

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188 (Teil II), hier Teil II, S. 153, S. 152 (Zitate); vgl. demgegenüber die unten bei Anm. 60 zitierten Äußerungen Philipps von Flersheim, die erkennbar einer Entpolitisierung und Verharmlosung des Landauer Bundes zum Zwecke einer Entlastung Franz von Sickingens und der teilnehmenden Einungsmitglieder dienten. Zur theologischen Ausweitung und sozialrevolutionären Aufladung des Begriffs des Bundes in der Reformationszeit vgl. Reinhart Koselleck: Bund. In: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1. Stuttgart 1972, S. 582–671, hier S. 601–609. Zu den genannten Texten Thomas Kaufmann: Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation 67). Tübingen 2012, S. 140–150, 394–432; ebd., S. 144 mit Anm. 137 und S. 418 zum Landauer Bund und dessen möglichen Interferenzen mit den erwähnten Texten; Andermann, Das alte Herkommen bewahren (wie Anm. 27), S. 18f. hingegen plädiert, ohne Bezugnahme auf die These Kaufmanns, entschieden gegen ein irgendwie geartetes Aufscheinen reformatorischen Gedankenguts im Urkundentext, so namentlich auch in der Bezugnahme auf Gott und die Dreifaltigkeit. Ulrichs, Lehnhof (wie Anm. 15), S. 184 mit Verweis auf Reichstagsbeschlüsse von 1512. Flugschriften, hg. Schottenloher (wie Anm. 22), S. 34f.

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gemeinsam, dass die Kurpfalz im Verein mit den Nebenlinien Pfalz-Simmern und Pfalz-Zweibrücken dort die Rolle einer informellen Hegemonialmacht spielte und daher auch über eine zahlenstarke Klientel aus dem Adel verfügte.43 Von einer vollen Territorialisierung und Unterwerfung des Niederadels durch die Kurpfalz sowie die anderen beiden Linien kann für diese Region jedoch nicht die Rede sein. Konnten die Führungsfiguren der großen rheinischen Einung von 1522 auf Vorbilder in ihrem Umfeld zurückgreifen? Im Ganzen war die Einungstradition in den sechs Adelslandschaften des Landauer Bundes, verglichen etwa mit Schwaben oder Franken, schwach entwickelt. Allein in den rechtsrheinischen Landschaften, im Kraichgau und der Ortenau, hatte sich der regionale Niederadel bereits früher organisiert. So waren Vertreter des Kraichgauer Adels erstmals 1431 bei einer Versammlung von Rittern aus verschiedenen deutschen Regionen hervorgetreten, bei der über eine reichsweite Organisation des Adels für einen Krieg gegen die Hussiten beraten wurde.44 Während zu „Normal-Zeiten“ die in Heidelberg ansässige Esel-Gesellschaft einen offenbar ausreichenden Rahmen für das gesellige Miteinander des Kraichgauer Niederadels bot, verdichten sich erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts, zumindest vorübergehend, die Nachrichten über politische Versammlungen und Zusammenschlüsse des dortigen Adels, als ab 1488 Kaiser Friedrich III. die Ritter dort als reichsunmittelbare Schwaben zum Eintritt in den Schwäbischen Bund aufforderte. Die Kurpfalz, die die informelle Vormacht im Kraichgau war und daher auch Anspruch auf den dortigen Adel erhob, suchte dies zu verhindern. Die Kraichgauer betonten in dieser Situation ihre Unabhängigkeit von der einen wie auch von der anderen Seite und versuchten, beide gegeneinander auszuspielen. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen schlossen sie 1490 eine zehnjährige „bruderschaft und gesellschaft“ unter einem gewählten Hauptmann, um ihre Interessen zwischen Pfalz, Habsburg und auch Württemberg zu wahren. Der Bezug zur Schutzmacht Kurpfalz wurde zwar betont, doch nahm der Kraichgauer Adel hier 43

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Zur Kurpfalz im territorialen Gefüge Joachim Schneider: Entfaltung regionaler Ordnungen im späten Mittelalter. In: Lukas Clemens, Franz J. Felten, Matthias Schnettger (Hg.): Kreuz – Rad – Löwe. Rheinland-Pfalz. Ein Land und seine Geschichte, Bd. 1: Von den Anfängen der Erdgeschichte bis zum Ende des Alten Reiches. Mainz 2012, S. 305–338 (mit einer Kartendarstellung der kurpfälzischen Territorien S. 313); zur niederadligen Klientel der Kurpfalz die Übersichten von Kurt Andermann: Die adlige Klientel der Pfälzer Kurfürsten im späten Mittelalter. In: Der Griff nach der Krone. Die Pfalzgrafschaft bei Rhein im Mittelalter. Begleitpublikation zur Ausstellung der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg und des Generallandesarchivs Karlsruhe. Regensburg 2000, S. 117–126 sowie ders.: Die Integration des Ritteradels in den Pfälzer Hof. In: Jörg Peltzer, Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter, Alfried Wieczorek (Hg.): Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?. Regensburg 2013, S. 231–244; weiterhin die Skizze von Gerhard Fouquet: Pfälzer Niederadel am Königshof und an Fürstenhöfen im späten Mittelalter. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 108 (2010), S. 399–413. Deutsche Reichstagsakten unter König Sigmund, 3. Abteilung: 1427–1431, bearb. von Dieter Kerler (Deutsche Reichstagsakten. Ältere Reiche Bd. IX). Gotha 1887, Neudruck Göttingen 1956, Nr. 462–465; dazu Schneider, Niederadel (wie Anm. 3), S. 451f. und ausführlicher ders.: Überregionale Integrationstendenzen im deutschen Niederadel. Zwei Briefzeitungen und die Adelseinungen der Hussitenzeit. In Rödel, ders. (Hg.), Strukturen der Gesellschaft (wie Anm. 15), S. 115–140, hier S. 134–136 mit Anm. 102.

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andererseits auch einen eigenständigen Rechtsaustrag für sich in Anspruch. Nach diesem kurzzeitigen Aufschwung ritterlicher Einungspolitik herrschte anschließend bis zur Gründung des reichsritterschaftlichen Kantons Kraichgau im schwäbischen Reichskreis im Jahr 1542 im Vergleich etwa zum übrigen Schwaben oder zu Franken eine weitgehende „Windstille“ hinsichtlich gemeinsamer politischer Bestrebungen des dortigen Ritteradels.45 Einen ähnlichen Verlauf wie bei den Kraichgauern nahmen die politischen Aktivitäten bei den Rittern der Ortenau. Auch sie organisierten sich nach einem ersten Zusammenschluss von 1474, der noch unter dem Schirm des Markgrafen von Baden erfolgt war, im Jahr 1490 in einer Einung, um den Forderungen Habsburgs zum Eintritt in den Schwäbischen Bund entgegen zu treten, bevor auch sie sich später dem schwäbischen Kreis der Reichsritterschaft anschlossen.46 In den vier linksrheinischen Adelslandschaften des Landauer Bundes von 1522 war die Tradition, größere regionale Schwurbündnisse einzugehen und sich auf diese Weise zur Wahrnehmung gemeinsamer Standesinteressen zu organisieren, noch deutlich schwächer ausgeprägt als in der rechtsrheinischen Ortenau und im Kraichgau. Einige Gemeinsamkeiten mit der Landauer Einung weist allerdings die im Jahr 1463 gegründete Heiligen-Geist-Gesellschaft auf.47 Abgesehen von einigen Bestimmungen zum geistlichen und geselligen gemeinsamen Leben, die der Einung von 1522 fehlten, stehen ähnlich wie bei dieser Bestimmungen zu Schutz und Hilfe für die Mitglieder bei Streitigkeiten mit Dritten sowie zum Rechtsaustrag bei Konflikten innerhalb des Bündnisses im Mittelpunkt. Mit 25 Mitgliedern, die vor allem im Wasgau und im Unterelsass ansässig waren und unter denen die Grafen von Zweibrücken-Bitsch sowie die Herren von Lichtenberg und Ochsenstein die Führung innehatten, blieb der Einzugsbereich begrenzt. Doch gibt es unter anderem mit den Grafen von Zweibrücken-Bitsch sowie den Eckbrechten von Dürkheim als den Lehensherren beziehungsweise Lehensträgern der Ganerbenburg Drachenfels 45

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Grundlegend und materialreich: Alfons Gustav Kolb: Die Kraichgauer Ritterschaft unter der Regierung des Kurfürsten Philipp von der Pfalz. In: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte. Neue Folge 19 (1910), S. 1–154; dort S. 58–65 zur Speyerer Einung der Kraichgauer Ritter von 1488, deren Sprecher gegenüber Pfalzgraf Philipp, Hans VI. von Sickingen, der hansischen Linie des Geschlechts entstammte; vgl. Kehrer, Familie von Sickingen (wie Anm. 38), hier Teil I, Tafel 3, S. 96 und ebd., S. 102; Volker Press: Die Ritterschaft im Kraichgau. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 122 (1974), S. 35–98, hier S. 40– 47, spricht S. 44 für die Zeit zwischen 1490 und 1542 von einer „scheinbare[n] Windstille“ einungspolitischer Bestrebungen des Kraichgauer Adels; Klaus Graf: Der Kraichgau. Bemerkungen zur historischen Identität einer Region. In: Stefan Rhein (Hg.): Die Kraichgauer Ritterschaft in der frühen Neuzeit (Melanchthon Schriften der Stadt Bretten 3). Sigmaringen 1993, S. 9–46, hier S. 25–31; Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 19), S. 112–115; jüngst Heinz Krieg: Ritter zwischen Höfen: Kraichgauer Niederadel im späten Mittelalter. In: Kurt Andermann (Hg.): Der Kraichgau: Facetten der Geschichte einer Landschaft (Kraichtaler Kolloquien 6). Epfendorf 2008, S. 75–101. Eugen Hillenbrand: Die Ortenauer Ritterschaft auf dem Weg zur Reichsritterschaft. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 137 (1989), S. 241–257; Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 19), S. 112. Kruse, Paravicini, Ranft (Hg.), Ritterorden (wie Anm. 4), Nr. 76, S. 397–399; der Bundbrief ist gedruckt in: Chronicon Alsatiae, hg. von Bernhart Hertzog. Straßburg 1592, Buch 2, S. 76–82.

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eine auffällige personelle Überschneidung mit den führenden Angehörigen der betreffenden Ganerbschaft, der dann später auch Franz von Sickingen angehörte.48 Weitere Traditionslinien zugleich königsnaher und bündischer Aktivitäten des linksrheinischen Adels reichen nachweislich bis in das frühere 15. Jahrhundert zurück und sind dabei interessanterweise dem familiären Nahraum Franz von Sickingens zuzuordnen. So hatte König Sigmund im Sommer 1429 im Zusammenhang seiner damaligen Bemühungen, kurfürstliche Bestrebungen einer überständischen Einungspolitik am Rhein zu durchkreuzen,49 Grafen, Herren, Ritter und Knechte „uf dem Gaue50 unnd Westerreich“ aufgefordert, zu ihrem Schutz und angesichts dessen, dass der König fern sei, ein Bündnis nach dem Vorbild der Ritterschaft von St. Jörgen-Schild in Schwaben zu schließen.51 Die Initiative des Königs an dieser Stelle wurzelte wohl in der Erinnerung an Reichsrechte links des Rheins, von denen allerdings durch Verpfändung an die Kurpfalz beziehungsweise aufgrund von Usurpation durch dieselbe kaum mehr etwas geblieben war.52 Mit der Vermittlung der königlichen Botschaft an den regionalen Adel war damals Friedrich von Flersheim (†1473) beauftragt worden, den Sigmund am selben Tag auch als seinen Diener in Sold genommen hatte.53 Anscheinend ist es aber zu keiner solchen Einungsgründung gekommen, da nähere Zeugnisse dazu fehlen. Immerhin wurde in den Aufzeichnungen über die bereits erwähnte Versammlung von Rittern aus dem ganzen Reich im fränkischen Windsheim im Jahre 1431 auch der Westrich als eine Adelsregion genannt, deren Vertreter man erwartete.54 Interessant für unseren Zusammenhang der bündischen Traditionslinien des Ritteradels ist die Tatsache, dass sich eine beglaubigte Abschrift des königlichen Briefes an die Ritterschaft von 1429 in der Flersheimer Hausüberlieferung erhalten haben dürfte. Ist doch der Text derselben in die Chronik des Speyrer Bischofs 48 49

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Siehe unten bei Anm. 78. Zum aktuellen Kontext Sabine Wefers: Das politische System Kaiser Sigmunds (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte 138). Stuttgart 1989, S. 162f.; im weiteren Rahmen ordnet sich die Ermunterung Sigmunds an den regionalen Adel, sich zu Bündnissen zusammen zu schließen, in dessen längerfristige Strategie ein, Städte und Adel in Süddeutschland in einer königsnahen Klientel zusammen zu führen; vgl. dazu die ältere, heute nur noch eingeschränkt benutzbare Monographie von Hermann Mau: Die Ritterschaft mit St. Jörgenschild in Schwaben, Bd. 1: Politische Geschichte 1406–1437 (Darstellungen aus der württembergischen Geschichte 33). Stuttgart 1941. Gemeint war wohl das Rheingau im Bereich der heutigen Vorderpfalz. Die Urkunden Kaiser Sigmunds (1410–1437), bearb. von Wilhelm Altmann (Regesta Imperii Bd. 11). Innsbruck 1896/1900, Nr. 7428 vom 14.9.1429. Meinrad Schaab: Geschichte der Kurpfalz, Bd. 1. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 21999, S. 104– 107, 136f. Urkunden Kaiser Sigmunds, bearb. Altmann (wie Anm. 51), Nr. 7425; vgl. zu Friedrich von Flersheim Steffen Krieb: „Unnd maihne, das das kheinem ritter nie wiederfahren sey, als mir.“ Die Briefe Friedrichs von Flersheim als Selbstzeugnisse. In: Heinz-Dieter Heimann, Pierre Monnet (Hg.): Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts. Bochum 2004, S. 135–146; im weiteren Rahmen zu den Flersheimern im 15. Jahrhundert auch Fouquet, Pfälzer Niederadel (wie Anm. 43), S. 407–413. Belege siehe Anm. 44; die Vertreter des Westrichs wurden allerdings im Protokoll als fehlend verbucht.

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Philipp von Flersheim (†1552) eingegangen,55 die zusammen mit der Geschichte des Flersheimer Geschlechtes auch ausführliche Berichte über den Schwager des Verfassers, Franz von Sickingen, enthält.56 Die Ernennung Friedrichs zum königlichen Diener von 1429 hat sogar bis heute im Nachfolgearchiv der Flersheimer überdauert.57 Der Bruder Philipps,58 gleichnamiger Enkel jenes älteren Friedrich von Flersheim, des Dieners König Sigmunds, war unter dem Hauptmann Franz von Sikkingen, seinem Schwager, einer der beiden Verordneten des Rheingaus in der Einung des rheinischen Adels von 1522.59 Die Wirksamkeit solcher Traditionslinien für das Selbstverständnis der langfristig führenden Kräfte in der Region als königlich-reichsunmittelbarer Adel wie auch für die Rechtfertigung einer eigenständigen regionalen Einungspolitik ist hier mit Händen zu greifen. Dementsprechend sah auch der Chronikautor Philipp von Flersheim den eigentlichen Zweck des großen Landauer Adelsbündnisses von 1522 darin, dass es damals um die Standesinteressen der Ritterschaft gegangen sei. Mit dem Anschluss an herkömmliche, quasi unverdächtige Ziele der Ritterschaft suchte er seinen Schwager und das Landauer Bundesprojekt in Schutz zu nehmen. So sei Franz von Sickingen von seinen Standesgenossen gebeten worden, zur Versammlung in Landau einzuladen. Erst später sei das dort Besprochene dann im Blick auf die Rolle Sickingens dabei durch Kurfürsten und Fürsten falsch gedeutet worden, was wohl heißen sollte, dass man in der Landauer Versammlung – von einem Bund spricht der Autor nicht – eine Unterstützung der Vorhaben Franz von Sickingens und hier insbesondere der Trierer Fehde sah.60 DIE EINUNGSTRADITION IN FRANKEN UND DAS SCHWEINFURTER BÜNDNIS VON 1523 Abgesehen von den im Ganzen recht dünnen Traditionslinien regionaler Rittereinungen und politischer Versammlungen des Adels am Rhein vor 1520 kannten die Führungskräfte der Bewegung um Sickingen zeitgenössische Vorbilder für derartige Schwurgemeinschaften selbstverständlich auch aus anderen Regionen, so aus dem benachbarten Schwaben und wohl noch stärker aus Franken, woher insbesondere aus dem nahen Odenwald nicht wenige Freunde und Unterstützer Sickingens stammten. Seit mehr als einem Jahrhundert hatten Grafen, Herren und vor allem Ritter in der Auseinandersetzung mit dem Würzburger Bischof Einungen zum Er55 56 57 58 59 60

Die Flersheimer Chronik, hg. von Otto Waltz. Leipzig 1874, hier S. 15; zu Friedrichs Eintritt an den Hof Sigmunds auch ebd., S. 6f. Joachim Schneider: Die Familie Flersheim: Ritterliche Memoria im Sickingen-Umfeld. In: Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation (Ausstellung im Landesmuseum Mainz 2015). Regensburg 2015, Kat.-Nr. 1.12, S. 113f. Kurt Andermann: Drei unbekannte Urkunden zur Geschichte der Familie von Flersheim. In: Pfälzer Heimat 30 (1979), S. 16–20, hier S. 11 und S. 17 Nr. I. Zu diesem vgl. Flersheimer Chronik, hg. Waltz (wie Anm. 55), S. 103–105. Flugschriften, hg. Schottenloher (wie Anm. 22), S. 35 Zeile 1: Friderichen vonn Flerszheym. Flersheimer Chronik, hg. Waltz (wie Anm. 55), S. 69: „Also seindt viel von der ritterschafft erschienen, von wegen unnd mass, wie einer beim anndern bleiben khönndte, geredt, auch haubtleuth geordnet und abscheidt gemacht“; vgl. auch oben bei Anm. 38.

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halt ihrer herkömmlichen Privilegien und Rechte geschlossen.61 1516 und 1517 bis 1519 waren dort in den Regionen Baunach und Rhön-Werra erneut derartige regionale Adelseinungen gegründet worden, die, ohne dass wörtliche Übernahmen erkennbar würden, mit ihrer Berufung auf die göttliche Dreifaltigkeit, mit ihren moralischen Zielsetzungen zur Disziplinierung der Mitglieder wie dem Verbot des Zutrinkens, des Fluchens und der Gotteslästerei, aber auch mit dem standesinternen Austrag und der gegenseitigen Hilfe inhaltliche Gemeinsamkeiten mit dem Landauer Bund von 1522 aufwiesen.62 Ende Oktober 1522, also bereits nach dem Scheitern der Belagerung von Trier, nahm Franz von Sickingen direkten Kontakt zur fränkischen Ritterschaft auf. In einem Schreiben, das er an eine Reihe ihm bekannter fränkischer Adliger vornehmlich aus dem Odenwald versandte,63 forderte er diese dringend dazu auf, eine Versammlung der fränkischen Ritterschaft abzuhalten und dort ein möglichst umfassendes, auch militärisch wirkungsvolles, offensives Bündnis zu schließen. Er warnte nachdrücklich vor der Fürstenmacht, die bereits seinen Freund Hartmut von Cronberg64 und andere hart getroffen habe, nur weil sie ihn unterstützt hätten. Gern wolle er auch selbst zu der Versammlung kommen oder einen Vertreter schicken.65 Die Einung kam im Januar 1523 im zweiten Anlauf anlässlich einer stark besuchten Versammlung des fränkischen Adels in Schweinfurt schließlich ohne erkennbaren Einfluss Sickingens zustande.66 Gleichzeitig korrespondierte die Versammlung mit dem Nürnberger Reichstag beziehungsweise dem dortigen Reichsregiment und versuchte unter anderem, ihre Mitglieder gegenüber Vorwürfen wegen der Teilnahme 61 62

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Siehe oben bei Anm. 15. Ulrichs, Entstehung (wie Anm. 18), S. 307–314; Proksch, Auseinandersetzung (wie Anm. 15), S. 190f.; die Einung von 1517 gedruckt bei Johann Christian Lünig: Des Teutschen Reichsarchivs Partis Specialis Continuatio III, 2. Absatz: Von der Freyen Reichs-Ritterschafft in Francken. Leipzig 1713, Nr. I; die Erweiterung der Einung von 1519 ebd., Nr. CXXXVI; zur Überlieferung der Mitglieder Ulrichs, Lehnhof (wie Anm. 18), S. 184 Anm. 668. Die Adressaten entstammten unter anderem den Familien Rosenberg und Berlichingen und damit Geschlechtern, aus denen wichtige Unterstützer Sickingens bei seinen Fehden kamen; vgl. nur Scholzen, Franz von Sickingen (wie Anm. 22), S. 125, 217, 267, 272f. (Berlichingen) beziehungsweise S. 217, 242 (Rosenberg); zu diesen Neumaier, „Daß wir kein anderes Haupt…“ (wie Anm. 5), S. 25f. Mathias Müller: Hartmuth von Cronberg. Frühreformatorischer Flugschriftenautor und Bundesgenosse Sickingens. In: Ebernburg-Hefte 49 (2015), S. 97–123, hier S. 107f. Ernst Münch: Franz von Sickingens Thaten, Plane, Freunde und Ausgang, 3. Band: Codex Diplomaticus. Zweite Abtheilung. Stuttgart 1829, Nr. XXII, S. 33f.; Scholzen, Franz von Sickingen (wie Anm. 22), S. 246; Fellner, Fränkische Ritterschaft (wie Anm. 18), S. 235. Text: Flugschriften, hg. Schottenloher (wie Anm. 22), Nr. 2, S. 38–48; zur Überlieferung ebd., S. 20, Nr. 3 = VD16 F 2294 im Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (VD 16): https://www.bsb-muenchen.de/literatursuche/spezialbestaende/alte-und-seltene-drucke/16-jahrhundert-vd-16/ (15.07.2016); dazu Fellner, Fränkische Ritterschaft (wie Anm. 18), S. 247–256; Ulrichs, Lehnhof (wie Anm. 15), S. 186–188 u.a. zur verhältnismäßig hohen quantitativen Mobilisierung des Niederadels anlässlich der Schweinfurter Versammlung; Scholzen, Franz von Sickingen (wie Anm. 22), S. 256 zur Frage der Instrumentalisierbarkeit der Einung für die Interessen Sickingens; siehe auch Neumaier, „Daß wir kein anderes Haupt…“ (wie Anm. 5), S. 25f.

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an der Trierer Sickingen-Fehde in Schutz zu nehmen.67 Die schließlich verbriefte Bündnisurkunde enthielt neben Passagen zur Austragsgerichtsbarkeit im Gegensatz zum Landauer Bund auch konkrete Regularien zu den Mobilisierungsmechanismen, wie sie für eine militärische Aktivierung erforderlich waren. Die Einung scheint also auf den ersten Blick wesentlich stärker auf den Kriegsfall ausgelegt als der Landauer Bund. Da die erwähnten Mechanismen jedoch erst nach einer längeren Prozedur, zu der auch die Anrufung des Kaisers beziehungsweise seines Statthalters gehörte, in Gang gesetzt werden konnten, muss von einer im Ganzen defensiven Ausrichtung der Einung gesprochen werden. Auch gab es hier anders als bei dem Landauer Bund keinen Oberhauptmann, sondern lediglich regionale Hauptleute und Beigeordnete. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Einung Franz von Sickingen kurzfristig militärisch zu Hilfe kommen würde, war damit sehr gering. Gegenüber der anschließenden Strafexpedition des Schwäbischen Bundes in Franken und der Zerstörung zahlreicher Adelsburgen im Juni 1523 blieb die Einung machtlos.68 GANERBENBURGEN IM SPÄTMITTELALTER Während regionale Adelseinungen der allgemeinen Wahrung von Privilegien und Einfluss sowie der gegenseitigen Hilfe der Mitglieder in Konfliktfällen dienten, waren Ganerbengemeinschaften, auf die nun näher einzugehen ist, immer eng mit einem gemeinsamen Besitzsubstrat, in der Regel einer Burg verbunden. Rechte und Pflichten der Ganerben wurden in Burgfriedensurkunden niedergelegt und beschworen. Wie bei den größeren politischen Einungen und den Adelsgesellschaften handelte es sich also auch hier um Schwurgemeinschaften. Die Burgfriedenstexte lassen jeweils unterschiedliche Motive in den Vordergrund treten und charakterisieren damit zugleich die jeweilige Eigentümergemeinschaft.69 Im Falle der Zugehörigkeit der Mitglieder zu ein und demselben Geschlecht im Mannesstamm erhielten die betreffenden Burgen als Stammburgen eine identitätsstiftende Bedeutung. Die Burgfrieden zielten hier vor allem darauf ab, Kontinuität und Zusammenhalt der Besitzergemeinschaft zu sichern und das Eindringen anderer, nicht zum eigenen 67

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Deutsche Reichstagsakten, bearb. Wrede (wie Anm. 21), S. 689–735, hier bes. Nr. 116 A (S. 727–733): Schreiben der Ritterschaft aus Schweinfurt vom 30.1.1523 mit der zitierten Rechtfertigung wegen der Fehdeteilnahme einzelner fränkischer Ritter (S. 731); weiterhin Nr. 244, 245 (S. 914–917), Nr. 248 (S. 922), Nr. 252 (S. 925–927). Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 19), S. 472–482. Die folgende dreifache Typologie erstmals bei Joachim Schneider: Ganerbschaften und Burgfrieden in der Frühen Neuzeit – Relikte oder funktionale Adaptionen?. In: Eckart Conze, Alexander Jendorff, Heide Wunder (Hg.): Adel in Hessen. Herrschaft, Selbstverständnis und Lebensführung vom 15. bis ins 20. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 70). Marburg 2010, S. 129–148, hier S. 133f.; zu typischen Bestandteilen von Burgfriedensverträgen Volker Rödel: Die Burg als Gemeinschaft. Burgmannen und Ganerben. In: Lukas Clemens, Sigrid Schmitt (Hg.): Zur Sozial- und Kulturgeschichte der mittelalterlichen Burg (Interdisziplinärer Dialog zwischen Archäologie und Geschichte 1). Trier 2009, S. 109–139, im Anhang S. 127–139 mit einer Zusammenstellung von exemplarischen südwestdeutschen Burgfriedensverträgen des 14. und 15. Jahrhunderts.

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Geschlecht gehöriger Standesgenossen auszuschließen. Anderen Burgfrieden fehlte diese identifikatorische Komponente. Sie zielten vornehmlich auf den Interessenausgleich der Besitzer ab. Die Definition der gegenseitigen Rechtsbeziehungen diente hier vor allem dazu, Konflikte, die sich aus dem engen Zusammenleben beziehungsweise der gemeinsamen Nutzung der Burg und des dazu gehörigen Herrschaftsbereichs ergeben konnten, zu vermeiden beziehungsweise zu befrieden. Die Mitglieder konnten durch Verwandtschaft, Erbschaft oder Kauf zu Anteilseignern geworden sein. Ganerbschaften des ersten Typs konnten in solche des zweiten übergehen, aber auch umgekehrt. In der Praxis fließend war auch der Übergang zu einem dritten Typ, bei dem oft zehn oder mehr Mitglieder der Ganerbschaft angehörten, bei oft stark fluktuierender Zusammensetzung und Gesamtzahl. Das ökonomische Interesse an der Burg selbst beziehungsweise an der Herrschaft war hier sehr begrenzt, da wegen der großen Zahl von Anteilseignern nur geringe Einnahmen mit dem Burgbesitz verbunden waren. Der Anreiz lag vielmehr darin, Anschluss an eine größere Gruppe von Standesgenossen zu gewinnen. Je nachdem konnte das Interesse eher standespolitisch-sozialer Natur sein. Dann lag der aus dem Beitritt resultierende Gewinn vor allem im symbolischen Bereich und die Mitgliedschaft diente der Integration in die Adelsgesellschaft durch gemeinsame Feiern, durch Anbahnung des Konnubiums etc. Die Reichsburg Friedberg und mit Abstrichen auch einige andere große Wetterauer Ganerbengemeinschaften sind Beispiele für diesen Typ.70 Oder das Ziel der Gemeinschaft war eher machtpolitischer Natur und man versprach sich durch Eintritt im Verein mit den anderen Ganerben eine größere politische Unabhängigkeit von Fürsten und Herren, indem man nicht zuletzt die Option gewann, von der Burg aus gemeinsame Fehden zu führen. Bei den meisten der zwischen dem 14. bis zum 16. Jahrhundert durch kopfstarke Ganerbenverbände gehaltenen Burgen gelang es den Fürsten früher oder später, für diese mindestens ein Öffnungsrecht zu gewinnen, selbst Anteile daran zu erwerben, die Burgen zu unterwerfen oder sie zu brechen. Manche ehemalige Ganerbenburgen bestanden auch als Stammsitze kleinerer, dann vornehmlich familiär geprägter Verbände weiter.71

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Joachim Schneider: Die Wetterauer Ganerbenverbände im Zusammenhang landschaftlicher Adelseinungen und Hoforden. Zu einer vergleichenden Landesgeschichte des Reiches im späten Mittelalter. In: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 529–549. So das Resümee bei Karl-Heinz Spieß: Burgfrieden als Quellen für die politische und soziale Lage des spätmittelalterlichen Adels. In: Hermann Ehmer (Hg.): Burgen im Spiegel der historischen Überlieferung (Oberrheinische Studien 13). Sigmaringen 1998, S. 183–201, hier S. 186, 198f. beziehungsweise ders.: Burg und Herrschaft im 15. und 16. Jahrhundert. In: Winfried Dotzauer, Wolfgang Kleiber, Michael Matheus, ders. (Hg.): Landesgeschichte und Reichsgeschichte. Festschrift für Alois Gerlich zum 70. Geburtstag (Geschichtliche Landeskunde 42). Stuttgart 1995, S. 195–212, hier S. 210f.

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DIE MITGLIEDER DER GANERBSCHAFTEN DRACHENFELS UND STEINKALLENFELS IM KONTEXT DER FEHDEN SICKINGENS UND DER REFORMATORISCHEN BESTREBUNGEN IN DER RITTERSCHAFT Der Vorteil der Ganerbenburgen für die Anteilseigentümer war die Möglichkeit, dass sich ein einzelner Adliger mit seinem Eintritt in mehrere Verbände den Zugriff auf eine viel größere Zahl von Burgen sichern konnte, als er jemals als alleiniger Inhaber dazu in der Lage war. Von diesem Effekt profitierte auch Franz von Sickingen, der neben Burgen wie der Ebernburg, die er als Kernburg einer Adelsherrschaft mitsamt einer vorgelagerten kleinen Stadt weitgehend exklusiv besaß, auch Anteile an mehreren Ganerbengemeinschaften hielt. Sie waren vornehmlich aus der Erbschaft seiner Mutter Margareta Puller von Hohenburg an seinen Vater Schweikard VIII. (†1505) gelangt.72 Werfen wir exemplarisch einen Blick auf Drachenfels (Dahner Felsenland im Wasgau, Landkreis Südwestpfalz)73 und (Stein)Kallenfels (Gem. Kirn, Landkreis Bad Kreuznach).74 Beide Ganerbenburgen waren um 1500 im Rahmen der oben entwickelten Typologie den zahlenstarken Adelsgemeinschaften zuzurechnen, bei denen der standespolitische beziehungsweise militärische Aspekt im Vordergrund stand. In lockerer Verbindung mit dieser Ganerbengemeinschaft mag die oben schon angesprochene Heilig-Geist-Gesellschaft von 1463 gestanden haben,75 wobei offen bleibt, wie lange diese existierte. Sickingen nutzte die Burg Drachenfels nachweislich für seine Wormser Fehde.76 Die Burg wurde im Rahmen der Militäraktion der 72

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Der ältere Ansatz von Winfried Dotzauer: Das ‚Burgenterritorium‘ des Franz von Sickingen. In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte 42 (1975), S. 166–192 ist überholt durch die systematische Analyse und Zusammenstellung von Kehrer, Familie von Sickingen (wie Anm. 38), hier Teil II: Ebernburg (Nr. 21) exklusiv sowie Hohenburg (Nr. 22) und Löwenstein (Nr. 23) gemeinsam lediglich mit einem oder zwei Miteigentümern; bis 1523 brachte Franz von Sickingen auch die Stadt Landstuhl mit Burg Nanstein und zugehörigen Dörfern weitgehend in seinen exklusiven Besitz (Nr. 31); daneben standen Anteile als Gemeiner an den zahlenstarken Ganerbenburgen Lützelburg (Nr. 29), Steinkallenfels (Nr. 41) und Wartenberg (Nr. 43) aus der Erbschaft seines Vaters sowie von Drachenfels (Nr. 58) aufgrund eigenen Erwerbs. Matthias Fröhlich: Drachenfels bei Bad Dürkheim. In: Jürgen Keddigkeit u.a. (Hg.): Pfälzisches Burgenlexikon, Bd. 1. Kaiserslautern 22003, S. 407–425; Emil Heuser: Das Ganerbenschloß Drachenfels. Kaiserslautern 1911, Edition der Burgfriedensurkunde von 1510 mit Nennung der aktuellen Ganerben als Aussteller derselben ebd., S. 45–56; siehe auch jüngst Joachim Schneider: Ganerbenburg Drachenfels: eine ritterschaftliche Fehde- und Eigentümergemeinschaft. In: Ritter! Tod! Teufel? (wie Anm. 56), Kat.-Nr. 2.3, S. 125–127; Wolfgang Schultz: Der Drachenfels bei Busenberg. Burg und Herrschaft: Regesten und ausgewählte Quellentexte (Stiftung zur Förderung der Pfälzischen Geschichtsforschung. Reihe A Pfälzische Geschichtsquellen 14). Neustadt / Weinstraße vorauss. 2017. Martin Ohlmann: Die Ganerbenburg Steinkallenfels (Beiträge zur Geschichte des Nahegaus 2). Kirn 1930, hier S. 22f.; ders.: Die Ganerben von Steinkallenfels und der Zug Franz von Sickingens nach Trier im Jahre 1522. In: Heimatblatt für Nahe und Hunsrück 9 (1929), S. 35f. Siehe oben bei Anm. 47; die Verbindung zwischen der Gesellschaft (die von Fröhlich sogar mit dem späteren Landauer Bund identifiziert wurde) und der Drachenfelser Ganerbschaft wurde in der Literatur überschätzt; vgl. Heuser, Ganerbenschloss (wie Anm. 73), S. 8f. und danach auch Fröhlich, Drachenfels (wie Anm. 73), S. 411. Politische Correspondenz der Stadt Strassburg im Zeitalter der Reformation. Erster Band

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Fürsten im Frühjahr 1523 in Abwesenheit der Gemeiner erobert und zerstört. Die Ganerbschaft Drachenfels löste sich damit auf, während die Reste der Burg mitsamt daran hängenden Rechten bei den eigentlichen Lehensnehmern, den Eckbrechten von Dürkheim verblieb und sich Drachenfels damit zu einer Burg des ersten Typs, das heißt einer Stammburg des ortsgesessenen Geschlechts zurückentwickelte. Ein anderer Verlauf ist hingegen im Fall von Steinkallenfels zu konstatieren. Hier schlossen die Ganerben nach einer Belagerung im Gefolge der Trierer Fehde Sickingens und nach seinem Tod eine Sühne mit den drei Fürsten von Trier, Kurpfalz und Hessen, die die künftige Öffnung für diese vorsah, aber auch ein Austragsverfahren für den Fall, dass zwischen einem der Ganerben und einem Fürsten ein Konflikt entstehen sollte. Im Folgenden blieb diese Burg bis Ende des 17. Jahrhunderts in Gemeinschaftsbesitz einer größeren Gruppe von Ritteradligen.77 Im Drachenfelser Burgfrieden von 1510, dem auch Franz von Sickingen angehörte, präsentierte sich diese Ganerbschaft als eine exklusive adlige Standesgemeinschaft, da die Zugehörigkeit ausschließlich durch Vererbung an Söhne oder Töchter weiter gegeben werden sollte und auch nur in dem Fall, dass sich diese mit adligen Wappengenossen vermählten. Weitere Standesgenossen durften auf Vorschlag eines der Ganerben und mit Zustimmung der anderen Gemeiner die Burg für eine Fehde gegen Entgelt nutzen. Im Jahr 1510 bestand die Ganerbschaft aus 25 Mitgliedern. Darunter waren der Lehensherr der Burg, der Graf von ZweibrückenBitsch, sowie drei Angehörige der Eckbrechte von Dürkheim, die die eigentlichen Lehensnehmer der Burg waren. Diese hatten im 15. Jahrhundert, offenbar mit Zustimmung ihres Lehensherrn, weitere Standesgenossen als Miteigentümer der Burg aufgenommen, so dass die zahlenstarke Ganerbengemeinschaft entstanden war.78 Neben den Eckbrechten gehörten der Ganerbschaft 1510 noch eine Reihe von anderen Rittern an, die man als regional verankerten Niederadel aus der näheren Umgebung der Burg bezeichnen kann, so ein Marschall von Wolfsberg und zwei Gebrüder von Ramberg.79 Andererseits waren aber auch teilweise sehr prominente, überregional bekannte Personen unter den Ganerben. Eher zweifelhaft war dabei der Ruf des Konrad von Heideck, der einer aus ihrer Stammherrschaft in Franken vertriebenen Familie

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1517–1530, bearb. von Hans Virck (Urkunden und Akten der Stadt Strassburg. 2. Abteilung). Strassburg 1882, Nr. 39, 42 (beide Juli 1517), wonach Sickingen Beutegut im Rahmen seiner Fehde nach Drachenfels bringen ließ. Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 53C046 Reichsherrschaft Steinkallenfels, Urkunde 131 vom 5.6.1523: http://www.archivdatenbank.lha-rlp.de/ (24.02.2018); siehe auch Ohlmann, Ganerbenburg (wie Anm. 74), S. 36. Heuser, Ganerbenschloß (wie Anm. 73), S. 5. Philipp Marschall zu Wolfsburg: Stammsitz Wolfsburg bei Neustadt/Weinstraße; Hans und Jörg von Ramberg: Stammsitz Ramburg Landkreis Südliche Weinstraße, jeweils unweit von Drachenfels; zum Wirkungskreis der Ramberg, die mit Georg und Hans im männlichen Stamm ausstarben, jetzt Martin Armgart: Von Colmar bis Alzey, von Zweibrücken bis Württemberg – spätmittelalterliches Netzwerken der südpfälzischen Reichsministerialen von Ramberg (Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein e.V.; 553. Protokoll über die Arbeitssitzung am 24. April 2015) http://www.ag-landeskunde-oberrhein.de/index.php?id= p553v (24.02.2018).

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entstammte,80 sowie des seit langem mit Württemberg verfeindeten Hans von Massenbach genannt Talacker81 – beide notorische Fehdeführer, die auch den Drachenfels in ihre Unternehmungen verwickelten. Den wichtigsten pfälzischen Familien82 aus dem rechtsrheinischen Kraichgau entstammten hingegen der Ritter Hans (III.) Landschad von Steinach (†1531), der von 1499 bis 1508 auch Burggraf von Alzey war, und sein Bruder Blicker (XV.) (†1519),83 weiter Ludwig von Venningen (†1530)84 und Alexander von Helmstatt (†1534).85 Auch das Geschlecht des Drachenfelser Ganerben Rudolf von Zeiskam gehörte zu den traditionell eng mit der Kurpfalz verbundenen Familien, war allerdings mit dem Stammsitz in Böchingen im Speyergau links des Rheins beheimatet.86 Hinsichtlich des Ritters Hans Landschad von Steinach ist in unserem Kontext 80

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Detlev Schwennicke: Bayern und Franken (Europäische Stammtafeln. Neue Folge Bd. XVIII). Marburg 1998, Tafel 116 (Die Herren von Heideck II): Konrad III. 1500/1508, zu Nussdorf (bei Landau), †1.9.1524; Konrad entstammte der ersten Ehe seines Vaters Johann III., die dieser mit einer Rosenberg geschlossen hatte; seine Brüder dagegen entstammten der zweiten Ehe seines Vaters mit einer edelfreien Schenkin von Limpurg und hatten dadurch bessere Chancen der gesellschaftlichen Etablierung, wie es auch die Angaben bei Schwennicke zum Verlauf ihrer jeweiligen Ämterkarrieren bestätigen; zum Geschlecht siehe Dietrich Deeg: Die Herrschaft der Herren von Heideck. Eine Studie zu hochadliger Familien- und Besitzgeschichte (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken 18). Neustadt/Aisch 1968; zu einer Fehde Konrads III., in die auch die Burg Drachenfels einbezogen wurde, vgl. die Archivalien aus dem betreffenden Reichskammergerichtsprozess im Landesarchiv Speyer, Bestand E6 Reichskammergericht, RKG Prozess 578 (1511) (hier Konrad zu Drachenfels und Lauda gesessen) sowie ebd., RKG Prozess 3319 (hier zu Nussdorf gesessen): http://www.archivdatenbank. lha-rlp.de/ (24.02.2018). Zu diesem Karl Klunzinger: Thaten und Schicksale des Hans von Massenbach, gen. Thalacker. In: Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde 1 (1855), S. 158–175; vgl. ein Schreiben vom 7.8.1495, in dem König Maximilian die Ganerben zu Drachenfels aufforderte, Hans von Massenbach und weitere Helfer nicht bei sich aufzunehmen: RI XIV,1 n. 2250. In: Regesta Imperii Online, URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1495–08–07_3_0_14_1_0_ 2254_2250 (24.02.2018); die Schlichtung der Fehde Hans von Massenbachs im Verein mit den Drachenfelser Ganerben gegen den Grafen von Württemberg durch König Maximilian vom 16.4.1505 gedruckt bei Heuser, Ganerbenschloß (wie Anm. 73), S. 40–44. Andermann, Adlige Klientel (wie Anm. 43), S. 118. Walther Möller: Stamm-Tafeln westdeutscher Adels-Geschlechter im Mittelalter. Darmstadt 1922, S. 105 mit Tafel XXXVI; Friedhelm Langendörfer: Die Landschaden von Steinach. Zur Geschichte einer Familie des niederen Adels im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Diss. masch. Heidelberg 1971, S. 10–12. Zu diesem Geschlecht die vorwiegend besitzgeschichtliche Studie von Meinhold Lurz: Die Freiherren von Venningen (Heimatverein Kraichgau e.V. Sonderveröffentlichung 17). Sinsheim 1997; Ludwig von Venningen muss 1530 verstorben sein, siehe die Erbteilung: Generallandesarchiv Karlsruhe 72 Nr. 8587 https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/suche/ (24.02.2018). Verlorenes Epitaph zu Bensheim, Katholische Kirche St. Georg: DI 38, Bergstraße, Nr. 121† (Sebastian Scholz). In: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di038mz04k0012109 (24.02.2018). Kurt Andermann: Die Herren von Zeiskam. Porträt einer Familie des pfälzischen Niederadels. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 98 (2000), S. 97–117 (mit Stammtafel zwischen S. 116/117); es handelte sich hier um den 1546 verstorbenen Rudolf VII. von Zeiskam; siehe auch ders.: Studien zur Geschichte des pfälzischen Niederadels im späten Mittelalter. Eine vergleichende Untersuchung an ausgewählten Beispielen (Schriftenreihe der Bezirksgruppe Neustadt im Historischen Verein der Pfalz 10), Speyer 1982.

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bemerkenswert, dass er ein früher Anhänger und persönlich aktiver Förderer reformatorischen Gedankenguts war. Ähnliches gilt, wenn auch nicht persönlich für die hier genannten Ganerben nachweisbar, so doch im Grundsatz für die meisten der führenden Kraichgauer Adelsfamilien wie auch für das Geschlecht der Zeiskam.87 Kein Vertreter der prominenten Pfälzer Ganerbenfamilien von Drachenfels allerdings zählte zu den aktiven Fehdehelfern Sickingens. Wenn man nach den Gründen für deren Eintritt in die Ganerbschaft fragt, ist wohl eher daran zu denken, dass es für dieses Adelsmilieu das Zeichen eines gehobenen adligen Status war, nach der Mitgliedschaft möglichst vieler prestigeträchtiger Adelsvereinigungen zu streben. Vertreter der meisten dieser Familien gehörten zum Beispiel auch der traditionsreichen, ehedem unmittelbar dem Reich zugehörigen Oppenheimer Burgmannschaft an.88 So dürften es vielleicht auch hier die hervorgehobenen Beziehungen der Burg Drachenfels zum Reich gewesen sein, die das Interesse dieser vorwiegend Kraichgauer Ritter an einer Mitgliedschaft in der Ganerbengemeinschaft weckten. Denn sogar König Maximilian persönlich, der 1495 die Ganerbenburg schon einmal als „Reichsschloss“ bezeichnet hatte,89 war ab 1505 in seiner Eigenschaft als Landvogt des Elsass zeitweise Mitglied derselben geworden.90 Doch gehörten auch aktive Fehdehelfer Sickingens zur Drachenfelser Gemeinschaft. So war dies der Fall bei Heinrich von Schwarzenberg (†1531), einem engen Gefährten Sickingens, der an dessen Trierer Fehde teilnahm, woraufhin im Gegenzug seine Burg Wartenstein zerstört wurde.91 Er war mit einem anderen Ganerben, 87

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Hermann Ehmer: Die Kraichgauer Ritterschaft und die Reformation. In: Stefan Rhein (Hg.): Die Kraichgauer Ritterschaft in der frühen Neuzeit (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 3). Sigmaringen 1993, S. 173–198, S. 177f., 180–183, 191f. zu Hans Landschad von Steinach; Andermann, Dem Evangelium eine Öffnung? (wie Anm. 27), S. 85; zur frühen ritterschaftlichen Reformation im Kraichgau siehe auch den Beitrag von Kurt Andermann in diesem Band; zur Rolle der Zeiskam als Förderer der Reformation im Fürstentum Pfalz-Zweibrücken Paul Warmbrunn: Zwischen Gewissensentscheidung, dynastischem Denken und Machtpolitik. Facetten konfessioneller Stellungnahme des Pfälzer Adels in der Frühen Neuzeit. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 108 (2010), S. 475–490, hier S. 480f. Vgl. die Stichprobe bei Wilhelm Franck: Burgmannsverzeichniß vom Jahr 1471 zu Alzey, Oppenheim, Schwabsburg, Pfeddersheim, Otzberg, Lindenfels, Starkenburg. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde 13 (1874), S. 141–145, hier S. 142f.; siehe auch Volker Rödel: Die Oppenheimer Reichsburgmannschaft. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde Neue Folge 35 (1977), S. 9–48, hier S. 43–46 zur Durchdringung der Burgmannschaft durch pfalzgräfliche Klientel nach der Verpfändung an die Kurpfalz 1375 schon vor 1400. Siehe das in Anm. 81 zitierte Schreiben König Maximilians; vgl. auch schon den Aufruf Kaiser Friedrichs III. von 1470 gegen den Pfalzgrafen Friedrich den Siegreichen, den der Kaiser neben einer Anzahl weiterer bekannter südwestdeutscher Ganerbenburgen auch an die Gemeiner von Drachenfels und Steinkallenfels richtete: [RI XIII] H. 4 n. 504, in: Regesta Imperii Online, URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1470–06–12_1_0_13_4_0_10076_504 (24.02.2018). Heuser, Ganerbenschloß (wie Anm. 73), S. 23f.; Schultz, Drachenfels (wie Anm. 73), Regest Nr. 373 (1505, nach April 16) mit Archivaliennachweisen; ich danke Herrn Schultz für die Einsichtnahme in die noch nicht veröffentlichte Arbeit. Erhaltenes Epitaph in der Evang. Pfarrkirche zu Hennweiler (Verbandsgemeinde Kirn-Land, Landkreis Bad Kreuznach): DI 34, Bad Kreuznach, Nr. 272 (Eberhard J. Nikitsch). In: www.inschriften. net, urn:nbn:de:0238-di034mz03k0027207; ebd. auch zur Biographie (24.02.2018); Scholzen, Franz von Sickingen (wie Anm. 22), S. 274 („dem von Schwarzenberg“); vgl. auch Anm. 35.

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Johann von Sötern, verschwägert, dessen Erbe, die gleichnamige Herrschaft Sötern, er noch im Februar 1522 zusammen mit dem damaligen Kallenfelser Mit-Ganerben Nikolaus von Hagen übernahm.92 Bechtolf von Flersheim, der Schwager Sickingens, ein weiterer Drachenfelser Ganerbe, führte während und nach der Trierer Fehde Unterhandlungen mit den Fürsten, soll sich aber bei der Fehde selbst, wie auch sein Bruder Friedrich, zurückgehalten haben.93 Mit einem weiteren Unterstützer Sickingens während der Belagerung von Landstuhl schließlich war der Drachenfelser Ganerbe von 1510, Friedrich von Schauenburg, verwandt.94 Nicht ungewöhnlich waren Bündnisse zwischen benachbarten Ganerbenburgen einer Region, so dass auf nächsthöherer Ebene ein regionales Netz von Ganerbengemeinschaften entstehen konnte.95 So hatten sich 1493 die Gemeiner der Burg Drachenfels mit denen von (Stein)Kallenfels zur gegenseitigen Unterstützung im Kriegsfall zusammengeschlossen.96 Nachdem schon sein Vater Schweickard dieser Ganerbschaft angehört hatte und die Mitgliedschaft dann auf Franz von Sickingen übergegangen war, der 1508 dort erstmals nachweisbar ist, gehörte dieser auch zu den 26 Gemeinern von Kallenfels, die den neuen Burgfrieden von 1514 abschlossen.97 Neben Bernhard von Flersheim und Heinrich von Schwarzenberg, die auch Ganerben zu Drachenfels waren, war mit Johann Hilchin von Lorch ein weiterer der engsten Kampfgenossen Sickingens unter den Kallenfelser Ganerben.98 Zum zentralen Unterstützerfeld Sickingens zählte weiterhin der Kallenfelser Ganerbe Melchior von Rüdesheim, der zwischen 1507 und 1512 auch der Schwiegervater Johann Hilchins von Lorch war, bevor dieser eine Tochter Adam Vogts von Hunolstein, eines anderen Kallenfelser Ganerben, heiratete.99 Melchior bezeichnete Franz von Sickingen 1521 als „meins sondernn lieben Hauptmans und freindt“.100 92

Landesarchiv Speyer, Bestand C 59 Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin, Akten Herrschaft Sötern-Hunoltstein, Sachakte 296: Konfirmationsbrief Kaiser Maximilians I. für Johann von Sötern über die Schenkung der Burg Sötern (1505); Landesarchiv Speyer, Bestand C 58 Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin, Urkunden 12: Herrschaft Sötern-Hunoltstein, Urkunde 247 (12.2.1522 zu Sötern): Heinrich von Schwarzenberg, Ritter und Nikolaus von Hagen, Schwäger, erscheinen gemeinsam als Erben der Herrschaft Sötern: http://www.archivdatenbank.lharlp.de/ (24.02.2018); Nikolaus von Hagen war 1523 bei der Sühne der Kallenfelser Ganerben Baumeister dieser Burg (siehe Anm. 97). 93 Flersheimer Chronik, hg. Waltz (wie Anm. 55), S. 72–75, 83; neben Bechtolf gehörte auch Bernhard von Flersheim aus der Monsheimer Linie zu den Ganerben. 94 Ein Melchior von Schauenburg wurde in Landstuhl gefangen genommen: Ernst Münch: Franz von Sickingens Thaten, Plane, Freunde und Ausgang, 1. Band. Stuttgart 1827, S. 363. 95 Vgl. zum Beispiel die Entwicklung in der Wetterau bei Schneider, Wetterauer Ganerbenverbände (wie Anm. 70), S. 539f. 96 Landesarchiv Speyer, Bestand C 58 Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin, Urkunde 64 (6.2.1493): http://www.archivdatenbank.lha-rlp.de/ (01.07.2016). 97 Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 53C046 Reichsherrschaft Steinkallenfels, Urkundenverweis 025: http://www.archivdatenbank.lha-rlp.de/ (24.02.2018); Druck der Urkunde: Paul Wigand: Wetzlarische Beiträge für Geschichte und Rechtsalterthümer 2 (1845), S. 150–173. 98 F. Otto: Johann Hilchin von Lorch. In: Nassauische Annalen 24 (1892), S. 1–19; Scholzen, Franz von Sickingen (wie Anm. 22), S. 206, 238, 273; Fehdebrief Johann Hilchins an den Rat von Trier: Münch, Franz von Sickingens Thaten, 2. Band (wie Anm. 22), Nr. CXVIII, S. 197. 99 Otto, Johann Hilchin (wie Anm. 98), S. 2f. 100 Münch, Franz von Sickingens Thaten, 3. Band (wie Anm. 65), Nr. X, S. 17.

Gesellschaften – Einungen – Ganerbschaften – Netzwerke

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Das prominenteste Mitglied der Kallenfelser Gemeinschaft von 1514 war wohl Dieter Kämmerer von Worms genannt Dalberg (†1530). Der zu Wallhausen (bei Bad Kreuznach) gesessene Ritter entstammte einer der bedeutendsten Familien der kurpfälzischen Klientel.101 Ohne selbst als aktiver Fehderitter aufzutreten, stand er mit Sickingen während dessen Unternehmungen in finanziellen Verbindungen102 und führte die Verhandlungen im Interesse der überlebenden Sickinger nach der Eroberung der Ebernburg.103 Von Ökolampad wurde er im Juni 1522 als wahrer Christ bezeichnet.104 RESÜMEE Die prosopographische Untersuchung105 zweier Ganerbengemeinschaften, denen Franz von Sickingen nachweislich seit 1504 beziehungsweise 1508 angehörte, hat eine markante Schnittmenge der Mitglieder mit einigen seiner wichtigsten Mitstreiter in seinen späteren Fehden aufzeigen können. Die auch durch Konnubium verbundenen Angehörigen adliger Fehdenetzwerke schlossen sich offensichtlich bevorzugt – wenn auch nicht immer106 – denselben Ganerbengemeinschaften an. Bei gemeinsamen Fehden konnten sie, wie hier geschehen, auf diese Burgen zurückgreifen. Doch kann man die beiden Ganerbschaften Drachenfels und Steinkallen101 Siehe Kurt Andermann (Hg.): Ritteradel im Alten Reich. Die Kämmerer von Worms genannt von Dalberg, Epfendorf 2009, insbesondere den Beitrag dess.: Der Aufstieg der Kämmerer von Worms im späten Mittelalter, ebd., S. 13–34 mit Stammtafelauszug S. 19; erhaltenes Epitaph im Schloss Wallhausen: DI 34, Bad Kreuznach, Nr. 274 (Eberhard J. Nikitsch). In: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di034mz03k0027403 (24.02.2018). 102 Scholzen, Franz von Sickingen (wie Anm. 22), S. 274. 103 Flersheimer Chronik, hg. Waltz (wie Anm. 55), S. 83, 85–87. 104 Münch, Franz von Sickingens Thaten, 2. Band (wie Anm. 22), Nr. XCVI S. 129. 105 Diese Untersuchung konnte eine Materialsammlung nutzen, die von Herrn Gabriel Eggert M.A. (Mainz) zur Vorbereitung der Ausstellung ‚Ritter! Tod! Teufel?‘ im Landesmuseum Mainz im Jahr 2015 entstanden ist; auf dieser Sammlung beruht auch der Beitrag von Mathias Müller: Karten: 1. Das Netzwerk Franz von Sickingens / 2. Ritterschaft und Reformation im Südwesten. In: Ritter! Tod! Teufel? (wie Anm. 56), Kat. Nr. 2.17, S. 143–147. 106 So gehörten die Ritter von Dahn zu Altdahn, Neudahn und Tannstein (gelegen wie der Drachenfels im Dahner Felsenland, vgl. Anm. 73), die unter den wichtigsten Unterstützern Sickingens in der Trierer Fehde waren und bei denen besonders Heinrich von Dahn, ein entschiedener früher Förderer der Reformation in seiner Herrschaft, bereits 1520 einen evangelischen Prediger dort aufnahm, offenbar keiner der Ganerbengemeinschaften an, in denen Sickingen Mitglied war. Immerhin wird aber Ludwig von Dahn (†1519) 1492 als Ganerbe zu Steinkallenfels erwähnt: Ohlmann, Ganerbenburg (wie Anm. 74), S. 22. Zudem hatten die Dahner im 15. und 16. Jahrhundert Rechte an der Burg Wartenstein, in der Sickingens engster Verbündeter Heinrich von Schwarzenberg saß (vgl. Anm. 91); vgl. zu den Dahnern Martin Armgart: Prozesse der Herren von Dahn am Reichskammergericht – Exempel einer neuen Quelle der Niederadelsforschung. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 103 (2005), S. 187–227, hier bes. S. 195–197; vgl. auch Stefan Grathoff: Die Dahner Burgen und ihre Besitzer, http://www. burgenlexikon.eu/index.php?id=178 (24.02.2018). Ich danke Herrn Burkhart Ulrich M.A., Kaiserslautern, der eine größere Arbeit zu den Herren von Dahn und ihrer Rolle für die frühe Reformation vorbereitet, für Hinweise.

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fels keinesfalls als Personenverbände bezeichnen, aus denen Sickingen seine Fehdehelfer rekrutiert hätte. Dazu war ihre Mitgliedschaft im Ganzen zu heterogen. Weder die einflussreiche pfälzische Klientel noch lokale Kleinadlige, die den Ganerbenburgen traditioneller Weise angehörten, ließen sich von Sickingen ohne weiteres für seine Unternehmungen vereinnahmen. Wenn die beiden prominenten Ganerben Hans Landschad von Steinach und Dieter Kämmerer von Dalberg, beide der kurpfälzischen Gefolgschaft zugehörig, früh Sympathie für die Reformation zeigten, muss offen bleiben, ob dies auch mit ihren Berührungen zu Sickingen zusammenhing. Zu dessen aktiven Fehdehelfern gehörten sie jedenfalls nicht. Wohl aber war Dieter Kämmerer von Dalberg zusammen mit den Flersheimern dem engeren Netzwerk Franz von Sickingens zuzurechnen. Heinrich von Schwarzenberg und Melchior von Rüdesheim, die den Ganerbschaften Steinkallenfels beziehungsweise Drachenfels angehörten und wichtige Fehdehelfer Sickingens waren, waren markanter Weise auch die Hauptleute der großen Landauer Einung von 1522 für die Region Hunsrück und Nahe. Schwarzenberg war zudem damit beauftragt, die Siegel nachträglich beitretender Einungsmitglieder auf seiner Burg Wartenstein oder auf Kallenfels entgegen zu nehmen. Zudem war Sickingens Schwager und enger Verbündeter Friedrich von Flersheim neben Philipp Kämmerer von Worms, dem Neffen Dieters, des Ganerben zu Steinkallenfels, Beauftragter der Landauer Einung für den Rheingau.107 Es hat also auch zwischen Sickingens Ganerbengemeinschaften beziehungsweise Fehdenetzwerken und der Führungsebene der großen Landauer Einung von 1522 personale Verknüpfungen gegeben. Im Ganzen stand diese aber in einem anderen Zusammenhang. Sickingen spielte auch auf dem Feld der Vergesellschaftung des Adels auf mehreren Klaviaturen. Abgesehen von dem allgemeinen Prestige, das die Hauptmannsfunktion im Landauer Bund mit sich brachte, bot ihm diese Einung einen potenziell viel weiteren Rahmen als eine einzelne Ganerbschaft, um Einfluss zu nehmen auf die Meinungsbildung in der Ritterschaft und den Umgang mit Konflikten in der Region. Denn gegenüber früheren Ansichten wurde in diesem Beitrag die These entwickelt, dass der Landauer Bund ein standespolitisch wie auch militärisch wirksames Instrument in der Hand ihres Hauptmanns hätte werden können. Allerdings sollte Franz von Sickingen keine Zeit mehr bleiben, die Effektivität der Einung, ein am Rhein zuvor kaum praktiziertes Werkzeug konföderativer adliger Einungspolitik, tatsächlich zu erproben.

107 Die Beauftragten werden genannt: Flugschriften, hg. Schottenloher (wie Anm. 22), S. 34f.; vgl. oben bei Anm. 91, 93, 99, 100; siehe auch die Anm. 101 zitierte Stammtafel der Kämmerer von Worms.

FEHDEPRAXIS IN DER ERSTEN HÄLFTE DES 16. JAHRHUNDERTS Die Sickingen-Fehden im Vergleich mit anderen Fehden Christine Reinle „Practicabatur in illis diebus lex injustitiae et violentia, quae tandem communi principum decreto abrogata est. Haec privatis istis seditionibus et guerris fomitem et incendium subministrabat. Nam si alicui civium cujusvis civitatis, sive in rebus suis seu in corpore, illatum fuisset quodcumque nocumentum, et super hoc jure forensi non usque quaque sibi ex aequo satisfactum quereretur, hic talis confestim ad aliquem Comitem aut Baronem, spreto ordinario judice, confugiens, et de illato sibi damno vel inuria querimoniam faciens, jus suum super eo, quod sibi competere causabatur, tali patrono vendicandum, vindicandumque assignabat. Mox ille hujuscemodi occasione accepta, mittens nuntium, profitebatur se publicum illius civitatis hostem, nec a depraedatione cessaturum, quoadusque adversa pars in causa sibi tradita conveniret. Hinc jam nulli civium talis civitatis tuta peregrinatio supererat. Nempe tales latrunculi, vias obsidentes, praestolabantur transitum eorum, ut ipsos rebus suis exspoliatos, ad loca opportuna, multa pecunia tandem redimendos pertraherent [...]“.1

Auf den ersten Blick würde man nicht denken, dass sich dieses Zitat des Benediktinermönchs und St. Maximiner Chronisten Johann Scheckmann auf die Zeit nach 1495 bezieht, schien doch der auf dem Wormser Reichstag 1495 erlassene „Ewige Landfriede“ schon seinem Namen nach eine auf Dauer gestellte Friedensordnung zu verheißen. War nicht die jahrhundertealte Berechtigung zur Fehdeführung abgeschafft worden? Waren 1495 nicht auch Reformen in die Wege geleitet worden, die eine Beendigung der Fehde begünstigte? So ist zunächst die Einrichtung des Reichskammergerichts zu nennen, durch die die Defizite der Reichsgerichtsbarkeit behoben werden sollten. Auch an die Versuche, das Reichskammergericht durch die Einführung des Gemeinen Pfennigs (1495) und die Reichsmatrikel (1507) finanziell abzusichern, an die Einführung einer Exekutionsordnung, der sogenannten „Handhabung des Friedens und Rechtes“ (1495), an das zeitweilige Walten des Reichsregiments (1500–1502, 1521–1531), an die Errichtung von Reichskreisen (1500/1512), an den 1522 erfolgten Erlass einer Reichsexekutionsordnung sowie 1

Johannes Scheckmann: Chronicon Abbatiae Sancti Maximini apud Treviros, hg. von Ernst Münch: Franz von Sickingens Thaten, Pläne, Freunde und Ausgang, 3 Bde. Stuttgart u. Tübingen 1827–1829, hier Bd. 3, S. 128f.; auch zitiert bei Louis Ferdinand Frhr. von Eberstein: Fehde Mangold’s von Eberstein zum Brandenstein gegen die Reichsstadt Nürnberg 1516– 1522. Charakterbild der rechtlichen und wirthschaftlichen Zustände im deutschen Reiche unmittelbar vor dem grossen Bauernkriege, 2. Aufl.. Zugleich enthaltend: Zweite Folge der „Urkundlichen Nachträge etc.“. Dresden 1879, S. 3 Anm. * (dort aus: David Friedrich Strauss: Ulrich von Hutten, Bd. 2. Leipzig 1858, S. 75f. Anm. 1); anzitiert außerdem in: Joseph Frey: Die Fehde der Herren von Rosenberg auf Boxberg mit dem Schwäbischen Bund und ihre Nachwirkungen (1523–1555), Diss. masch. Tübingen 1924, S. 1. Das obige Zitat folgt in Orthographie und Interpunktion Münchs Fassung.

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an die Aktualisierung des Landfriedens im Jahre 1521 ist zu denken.2 Stand nicht mit dem Schwäbischen Bund außerdem ein Instrument bereit, dem ebenfalls eine Kompetenz zur Sanktion von Landfriedensbrüchen zugeschrieben wurde?3 Und dennoch weiß jeder, der sich mit der Reichsgeschichte des beginnenden 16. Jahrhunderts beschäftigt, dass es weiterhin zahllose Fehden gab. Nicht nur Franz von Sickingen, der auf der hier veranstalteten Tagung eine zentrale Figur darstellt, oder sein nicht minder bekannter zeitweiliger Mitstreiter Götz von Berlichingen, sondern eine große Zahl von Befehdern vom Hochadel über den Niederadel bis hin zu Städtern und Bauern legen davon Zeugnis ab. Auch der Benediktiner Scheckmann schildert, wenngleich in anklagendem Ton, klassische Fehdemechanismen. So nennt er individuelle Streitigkeiten und behauptete Rechtsverweigerung als Auslöser einer Fehde, die Abkehr der tatsächlich oder vermeintlich Geschädigten vom ordentlichen Gericht sowie deren Hinwendung zu adligen Gönnern, die das postulierte Unrecht zu rächen versprachen, die Ansage von Feindschaft, die Bedrohung der Wege, den Zugriff auf Personen der Gegenseite sowie Raub und Lösegelderpressung als Methoden der Fehdeführung. Dieses Muster beruhte noch immer auf dem Gedanken, dass das eigenmächtige gewaltsame Geltendmachen von Rechtsansprüchen legitim war, sofern ein rechter Grund vorlag, Eigenmacht subsidiär (das heißt erst nach vergeblichem Bemühen um einen [schieds-]gerichtlichen Ausgleich) praktiziert wurde und die Regeln der Absage eingehalten worden waren. Zweck der Fehde war es, den Gegner zur Einlassung auf den eigenen Standpunkt zu zwingen. Fehdehandlungen zielten demnach im 15. Jahrhundert primär auf wirtschaftliche Schädigung, nicht auf die physische Vernichtung des adligen Gegners. Auch wenn für die einzelnen Fehden, die hier angesprochen werden, die Fehdegründe erwogen werden sollen, ist es hier nicht der Ort, auf einer grundsätzlichen Ebene über die vielfältigen Gründe nachzudenken, die zu einer Persistenz des Denkens in den Kategorien der Fehde führten. Angedeutet sei nur, dass der Gang an ein Gericht zugleich die Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des Gerichtsherrn darstellte. Er stellte damit für den um Unabhängigkeit ringenden Teil des Niederadels 2

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Adolf Laufs: Art. Reichsreform. In: Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 1. Aufl., Bd. 4. Berlin 1990, Sp. 732–739, hier Sp. 737f.; Ders.: Art. Reichsregiment, ebd. Sp. 739–742; Peter Ritzmann: „Plackerey in teutschen Landen“. Untersuchungen zur Fehdetätigkeit des fränkischen Adels im frühen 16. Jahrhundert und ihrer Bekämpfung durch den Schwäbischen Bund und die Reichsstadt Nürnberg, insbesondere am Beispiel des Hans Thomas von Absberg und seiner Auseinandersetzung mit den Grafen von Oettingen (1520–1531). München 1995, hier S. 13f., 185–192; Horst Carl: Art. Landfrieden. In: Albrecht Cordes u.a. (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., 3. Bd., 19. Lief. Berlin 2014, Sp. 483–505, hier Sp. 499. Horst Carl: Der Schwäbische Bund. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformationszeit (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 24). Leinfelden-Echterdingen 2000, passim, bes. S. 474–476; Ralf Fuchs: Das Einungswesen zur Zeit Karls V.: Der Schwäbische Bund und der Schmalkaldische Bund. In: Stephan Diller (Hg.): Kaiser Karl V. und seine Zeit. Katalog zu den Ausstellungen der Bibliothek Otto Schäfer, Schweinfurt, des Stadtarchivs Schweinfurt sowie des Fördervereins und der Forschungsstiftung für vergleichende europäische Überseegeschichte Bamberg. Bamberg 2000, S. 97–103, hier S. 98.

Fehdepraxis in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts

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einen unerwünschten Abhängigkeitsindikator dar, während das Ausüben von Eigenmacht – eben Fehde – auch politische Unabhängigkeit signalisierte. Darüber hinaus standen Gerichte oft genug im Ruf der Parteilichkeit; zudem war die Justizausübung politisch beeinflusst. Bei den Reichsgerichten ließen Erreichbarkeit und Tagungsfrequenz vor 1495 zu wünschen übrig, und auch nach 1495 wurde noch ein schleppender Prozessgang beklagt. Darüber hinaus war die Exekution von Gerichtsurteilen nicht sichergestellt.4 Nicht verschwiegen werden soll außerdem, dass Fehdebereitschaft mindestens beim Adel mit „lust“ am Konflikt5 einherging und das Ausüben zur Eigenmacht auch jenseits des Adels durch soziale Normen abgedeckt gewesen zu sein scheint.6 Auch offene Verachtung für den rechtlichen Austrag sowie für den Landfrieden ist belegt.7 Wie „ewig“ der Ewige Reichslandfriede sein würde, war umso weniger klar, als schnell offensichtlich wurde, dass die (Nicht-)Verfolgung von Landfriedensbrüchen stärker von politischer Opportunität als von rechtlichen Grundsatzerwägungen abhing. Selbst die „Constitutio Criminalis Carolina“, die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (1532) ging noch davon aus, dass jemand rechtmäßig zur 4

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Fortdauernde Defizite der Rechtspflege wurden auch von einem Sympathisanten Sickingens vorgebracht, der dessen fortgesetzte Landfriedensbrüche zu rechtfertigen versuchte, vgl. N.N.: Dialogus so Franciscus von Sickingen vor des Himels Pforten mit Sant Peter und dem Ritter Sant Jörgen gehalten ... In: Otto Schade: Satiren und Pasquillen der Reformationszeit, 3 Bde. Hannover 1863, hier Bd. 2, S. 45–59 und Anmerkungen S. 293–294, hier S. 53–55. Weitere Gravamina nennt Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 273f. Zu weiteren Klagen über das Reichskammergericht vgl. die Beschwerdeschrift der am 25.11.1522 in Schweinfurt versammelten Ritterschaft an die Stände vom 29.12.1522, in: Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., Bd. 3., bearb. von Adolf Wrede. Gotha 1901, Nr. 113 S. 695–726, hier Art. 33–38, sowie mit weiteren Beschwerden über die Gerichtsbarkeit Nr. 19, 25, 28, S. 705, 707–712; Hermann Wiesflecker: Kaiser Maximilian I., Bd. 4. München 1981, S. 287. So schreibt Götz von Berlichingen: „Hilt auch solchen anschlag meinen freundenn, vnd dem haubtman, den ich bey mir hett, der auch mein naher freundt wahr, fur, vnnd meint nit annderst, dann es sollt inen wie mir, die sachenn wollgefallenn, vnnd wie dann billich gewest wehr, ein lust darzu gehabt habenn, dann da wehr ehr vnnd gut zuerlangen gewest, vnnd wollt ich vff allenn seitten zu ruhe vnnd fridenn khommen sein.“ Helgard Ulmschneider (Hg.): Götz von Berlichingen: Mein Fehd und Handlungen (Forschungen aus Württembergisch-Franken 17). Sigmaringen 1981, S. 96; ferner: Helgard Ulmschneider: Götz von Berlichingen. Ein adeliges Leben der deutschen Renaissance. Sigmaringen 1974, S. 93. Christine Reinle: Bauernfehden. Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich, besonders in den bayerischen Herzogtümern (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 170). Stuttgart 2003. So sagten Fehdehelfer des Mangold von Eberstein, die zugleich Knechte des Cunz von Rosenberg waren, in Anspielung auf den Wormser Landfrieden von 1521 zu einem Gefangenen, den sie in den Stock legten: „Das ist der landtfrid, den der kayser zu Wurms [...] gemacht hat“. Ein Knecht ließ sich sogar zu der Äußerung hinreißen, „er wolt, das er den kayser im stock hett.“ Dazu Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), S. 51. Hans Jörg von Absberg, dem Vater des berüchtigten Fehdeführers Hans Thomas von Absberg, wurde der Satz zugeschrieben: „Ich hab den Grafen (und dem Bund) den Rechten an den Ars gehenkt“. Dazu Joseph Baader: Die Fehde des Hanns Thomas von Absberg wider den schwäbischen Bund. Ein Beitrag zur Culturgeschichte des sechszehnten Jahrhunderts. München 1880, S. 12.

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Fehde gedrungen worden sein könnte.8 Auch wenn Fehdeführer nun das Stigma des Landfriedensbrechers trugen – befriedet war das Reich nach 1495 noch lange nicht. Eine knappe Generation später, in den 1510er bis 1530er Jahren, noch genauer: in den Jahren 1522/1523, dem Jahr von Sickingens Trierer Raubzug und dem anschließenden Kriegszug des hessischen Landgrafen sowie des Pfälzer und des Trierer Kurfürsten gegen Sickingen und seine Unterstützer, kam es sogar zu einer dramatischen Zuspitzung. In diesem Beitrag soll die Fehdepraxis jener Zeit vergleichend in den Blick genommen werden, um Sickingens Fehdeführung einordnen und abgrenzen zu können. Dafür werden sechs Fehdeführer untersucht, deren Fehdeaktivitäten mit Ausnahme eines Falles in den genannten Jahren erhöhter Fehdeaktivität liegen. Analysiert werden die Fehde des Moritz und des Philipp von Guttenberg gegen Markgraf Friedrich von Brandenburg (1497–1502), des Hans Thomas von Rosenberg gegen den Schwäbischen Bund und dessen Hauptexponenten sowie die Kurpfalz,9 des Mangold von Eberstein gegen Nürnberg (1516/1519–1522), des Hans Thomas von Absberg gegen den Schwäbischen Bund und insbesondere gegen die Reichsstadt Nürnberg (ab 1520) sowie die Fehden des Götz von Berlichingen und des Franz von Sickingen. Dabei werden im Zuge einer kursorischen Vorstellung der Fehden die Fehdegründe für Guttenberg- und die Rosenbergfehde ausführlicher benannt, für Eberstein, Absberg und Sickingen hingegen nur kurz skizziert. Bei Götz von Berlichingen, der ausschließlich Gönnerfehden führte,10 wird auf eine Darlegung der von der Forschung vielbehandelten Fehdegründe und -verläufe verzichtet. Als zweiter Punkt werden die Durchführungsmodalitäten der Fehden näher in den Blick genommen. Hierbei interessieren die Praktiken, die zur Anwendung kamen, die Größe der handelnden Gruppen und die Infrastruktur der Fehden (Rückzugsorte, logistische Unterstützung und Netzwerke). Ausgeblendet wird hingegen die Informationsbeschaffung. Weiterhin wird die Möglichkeit der Fehdeführer, finanzielle und personelle Ressourcen zu nutzen, thematisiert. In einem Ausblick werden die Fehdekarrieren sowie die Verbindungsstränge und Kooperationen zwischen den Fehdeführern angedeutet. Deren Kenntnis bietet die Basis zur Bewertung der sozialgeschichtlichen Fundierung von Fehdeführung vor und nach 1500. Aus Platzgründen muss eine Analyse der Begründungszusammenhänge, Rechtfertigungsstrategien und Ideologisierungen der Befehder unterbleiben, obwohl die Quellen eine solche Analyse ermöglichen würden. Die Ergebnisse werden schließlich in einigen Thesen gebündelt.

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Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina), hg. und erläutert von Gustav Radbruch. 6. durchges. Aufl. hg. v. Arthur Kaufmann. Stuttgart 1975, Art. 129 S. 86. Im Gegensatz zur unrechtmäßigen Fehde sollte die Fehde, zu der man rechtmäßig gedrängt worden sei, nicht „peinlich“, sondern „arbiträr bestraft werden“, Frank Göttmann: Götz von Berlichingen – überlebter Strauchritter oder moderner Raubunternehmer? In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 46 (1986), S. 83–98, hier S. 89 Anm. 34. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 9. Vgl. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 49.

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Begonnen sei mit der Guttenbergfehde.11 Ihren Ausgangspunkt nahm sie in der 1494 geäußerten Forderung des Markgrafen Friedrich von Brandenburg, Öffnungsrecht für Altguttenberg zu erlangen, als Philipp von Guttenberg in hartem Dissens mit Teilen seines Geschlechts und insbesondere mit dem Senior der Familie, Christoph von Guttenberg, auf gemeinsamem Grund und Boden sukzessive den Neubau von Neuguttenberg (Gem. Guttenberg, Landkreis Kulmbach, Oberfranken) errichtete (seit 1482), was der Markgraf mit Argwohn sah.12 Altguttenberg, ein freies Eigen der fränkischen Adelsfamilie, war nämlich seit 1343 mit einem ewigen Öffnungsrecht des Markgrafen belegt, was der Markgraf nun zu aktualisieren gedachte (seit ca. 1489). Im Zuge der Streitigkeiten, die auf ein tiefes innerfamiliäres Zerwürfnis verweisen, trug außerdem Philipps Gegner, Christoph zu Guttenberg, seinen Teil an der Ganerbenburg dem Markgrafen zu Lehen auf (1490). Philipp antwortete mit dem Lehnsauftrag seiner Anteile an Altguttenberg sowie von Neuguttenberg an Herzog Georg von Bayern-Landshut, ein weiteres Familienmitglied wurde durch Lehnsauftrag Vasall des Bamberger Bischofs (1492; 1495). Spätestens jetzt, wo die territorialpolitischen Rivalen, vor allem die Wittelsbacher, ins Spiel kamen, zu denen der in anderer Angelegenheit geächtete Philipp seine Beziehungen durch Aufnahme einer bayerischen Besatzung auf Neuguttenberg und durch Übernahme eines Amtes in der wittelsbachischen Oberpfalz ausbaute, intervenierte der Markgraf militärisch. Auf die Nachricht von einem weiteren militärischen Ausbau Neuguttenbergs hin erschien er mit einer Armee vor Neuguttenberg, verlangte ein Öffnungsrecht für Altguttenberg, wies ein Rechtgebot Philipps zurück, weil er nicht Rechte zu erklagen gedächte, die ihm ohnehin zustünden, und erbot sich lediglich, nach (!) Zugestehen der Öffnung Philipps Klage vor seinen Räten oder vor dem Reichskammergericht zu verhandeln.13 Vergeblich schalteten sich der bayerische Herzog und der Bamberger Bischof ein. Die markgräflichen Amtleute erklärten den Guttenberg die Fehde, und auf den bei einem weiteren Verhandlungstag geäußerten Vorwurf Philipps von Guttenberg hin, der Markgraf wende Gewalt an, steigerte der Zoller, der den Vorwurf der „vergewaltigung des adels“14 entrüstet zurückwies, seine Forderungen: Er wollte ganz Altguttenberg übertragen und seine Schäden und Unkosten erstattet bekommen. Das verweigerte Öffnungsrecht müsse abgedient werden und die Guttenberg müssten sich nach geleisteter Abbitte verpflichten, sich nie mehr in dieser Weise gegen den Markgrafen und seine Nachfolger zu verhalten. Philipp von Guttenberg beharrte hingegen auf einem Rechtsaustrag vor der markgräflichen Ritterschaft. Er und sein Verwandter Moritz sahen sich nach Rupprecht nämlich „als unabhängige Herrschaftsträger, die mit Gewalt von einem Mächtigeren ihrer Rechte entsetzt wurden.“15 Bedroht durch die markgräfliche Armee, räum11

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Eine mustergültige Untersuchung dieser Fehde erfolgte durch Klaus Rupprecht: Ritterschaftliche Herrschaftswahrung in Franken: Die Geschichte derer von Guttenberg im Spätmittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte R 9, 42). Neustadt/Aisch 1994, 72–99. Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 73, 77. Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 78, 81, 83, 84. Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 86. Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 87.

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ten die Guttenberg beide Burgen. Altguttenberg besetzte der Markgraf, in Neuguttenberg verblieb die bayerische Garnison, ohne aber gewaltsam in das Geschehen einzugreifen. In der Folge begann Moritz von Guttenberg eine Fehde gegen den Markgrafen. Dazu überfiel er das Kastenamt in Castell, er legte einen Brand und nahm einen Amtsträger gefangen. In seinem Fehdebrief beklagte er, der Markgraf handle „wider Recht mit Gewalt gegen den Adel“;16 er habe ihn gewaltsam von seinem Erbe vertrieben und sein Rechtgebot auf die markgräflichen Räte und den fränkischen Adel nicht angenommen. Der Markgraf wiederum verteidigte sich gegenüber dem Adel aller Rangstufen mit seinem Rechtgebot auf seine eigenen Räte und auf den König, das Moritz ausschlüge. Umstritten war in der Folge, ob erst verhandelt würde, wenn die Guttenberg ihr Eigentum zurückerhalten hätten, und wer ihre Sache verhören solle. Parallel dazu kam es zu einzelnen Fehdehandlungen, in erster Linie ‚Brandschatzungen’ und Kidnapping gegen Lösegelderpressung. Dabei konnten Moritz und seine jüngeren Vettern Wolf und Hans VI., die ihn gelegentlich unterstützten, die „territorialpolitische Konkurrenz zwischen dem Markgrafen und dem Hochstift Bamberg“17 ausnutzen. Philipp von Guttenberg gab ihm außerdem infrastrukturelle Unterstützung von der Burg Schellenberg in der Oberpfalz aus, die er dort gekauft hatte. Nachdem markgräfliche Spione, die Philipp Tag und Nacht observierten, nachweisen konnten, dass er Moritzens Gefangene versteckt hielt, gingen die Markgräflichen offenbar mit Erlaubnis Pfalzgraf Otto II. gegen Schellenberg vor. Sie erzwangen im Juli 1497 die Übergabe der Burg, die sie zerstörten. Philipp von Guttenberg wurde als „enthalter und mittäter“18 des Moriz in harte Haft auf der Plassenburg genommen. Der bayerische Herzog Georg der Reiche beließ es bei halbherzigen Protesten, Philipps Frau Walpurga blieb beim König, dem der Markgraf ein zu wichtiger politischer Partner war, erfolglos. Der fränkische Adel erzwang zwar 1500 Verhandlungen, konnte Philipp aber auch nicht helfen. Vermutlich im Gefängnis gefoltert, starb er 1500 in markgräflichem Gewahrsam, wohl an den Folgen der Haft. Moritz führte seine Fehde fort, nahm Gefangene und „brandschatzte“.19 Dabei berief er sich – fünf Jahre nach dem Erlass des Ewigen Landfriedens – auf sein Recht zur „Gegenwehr“,20 das durch Natur und Gesetz jedem zustände, der sein 16 17 18 19 20

Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 88. Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 88–97 zum Fortgang der Fehde; S. 91 (Zitat). Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 93. So Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 91, 96. Dem Kontext nach dürfte es sich aber um Brandlegungen, nicht um Brandschatzungen – also den Verzicht auf Brandlegung gegen Erpressen einer Abstandsumme – gehandelt haben. Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 97. Unter „Gegenwehr“ versteht man „berechtigte notwehr“, vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, s.v. Notwehr. http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&hitlist=&patternlist=&le mid=GG04621XGG04621 (17.02.2018); ferner Art. „Notwehr, Verteidigung“, vgl. Deutsches Rechtswörterbuch (DRW), hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 3, bearb. von Eberhard Freiherrn von Künßberg. Weimar 1935–1938, Sp. 1470 sowie s. v. Gegenwehr. http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw-cgi/zeige?term=Gegenwehr&index=lemma

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väterliches Gut verteidige. Es gelang ihm, den Markgrafen materiell erheblich zu schädigen, und auch die immateriellen Schäden, insbesondere die Imageschäden, waren beträchtlich. 1502 kam es endlich zu einem Ausgleich, der alle Züge eines Kompromisses trägt. In dessen Verlauf wurde das Öffnungsrecht für Altguttenberg bekräftigt. Darüber hinaus wurden jedoch interpretationsoffene Formulierungen gefunden. Die Burg wurde an die Familie Guttenberg zurückgegeben, während Moritz seinen Teil von Altguttenberg dem Markgrafen zu Lehen aufzutragen hatte. In einem Zusatzvertrag erhielten Moritz und andere Familienangehörige 1.700 Gulden Schadensersatz vom Markgrafen. Deren Zahlung wurde in der Folge aber auf die kirchlichen Institutionen der Markgrafschaft abgewälzt. 21 Bei der Guttenberg-Fehde handelte es sich also um eine klassische Adelsfehde: Nach geltend gemachter Rechtsverweigerung wurde mit den klassischen Mitteln der Schädigung um ein beanspruchtes Recht gekämpft, bis es zu einem Vergleich zwischen beiden Seiten kam. Die Tatsache, dass die Familie Guttenberg außerdem in einem anderen Konfliktfall – einem Streit um ihre Hochgerichtsrechte im Bistum Bamberg – erlebte, dass sie auch beim Reichskammergericht kein Gehör fand, muss, wie Rupprecht darlegt, dem fehdewilligen Teil der Familie den Rückgriff auf das altüberkommene Fehderecht nahegelegt haben.22 Die Forderung nach Restitution von Familienbesitz lag auch der Fehde des Hans Melchior und insbesondere des Hans Thomas und des Albrecht von Rosenberg zugrunde. 1512 hatten die Brüder Hans Thomas und Hans Melchior von Rosenberg Götz von Berlichingen bei seinem Forchheimer Überfall auf Nürnberger Kaufmannsgut unterstützt. Seit 1519 hatte Hans Melchior sich außerdem durch Übergriffe auf Kaufleute hervorgetan, was er teilweise mit seiner Helferrolle in einer Fehde Philipp von Rüdigheim begründete; als Folge traf ihn die Verhängung der Reichsacht23. Hans Thomas von Rosenberg trat hingegen 1516 und 152224 als Mitstreiter Franzens von Sickingen auf, ein weiteres Mitglied des „Clans“, Kunz von Rosenberg, war Fehdehelfer des Hans Thomas von Absberg und des Mangold von Eberstein.25 Wegen Hans Melchiors Taten wurde ihre Burg Boxberg (bei Lauda-

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taGegenwehr (17.02.2018). Da Notwehr nur zur unmittelbaren Gefahrenabwehr zulässig ist, sind deren Grenzen deutlich enger gesteckt als die der Fehde. Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 98f. Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 136. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 4; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 221–227; Helmut Neumaier: Albrecht von Rosenberg: Ein außergewöhnliches Adelsleben unter drei habsburgischen Kaisern. Münster 2011, S. 38. Zur Verwicklung in die Sickingen-Fehde in den genannten Jahren vgl. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 3; Heinrich Ulmann: Franz von Sickingen. Leipzig 1872, S. 44, 279; Reinhard Scholzen: Franz von Sickingen. Ein adeliges Leben im Spannungsfeld zwischen Städten und Territorien (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 9). Kaiserslautern 1996, S. 60; Neumaier, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 23), S. 38. Seit ca. 1524 agierte Hans Thomas von Rosenberg im Umfeld des Hans Thomas von Absberg, dazu Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 11. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 7, 8, 12, 13, 28; Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), S. 6, Nr. 19 S. 39, Nr. 20 S. 41f., Nr. 27 S. 50, Nr. 28 S. 52, Nr. 34 S. 57, Nr. 43 S. 72f.; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 129, 158, 222, 418. Zu den Verbindungen Mangolds von Ebersteins und Hans Thomas von Absbergs vgl. auch Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 43 S. 73. Kunz von Rosenberg gehörte zu einer anderen Linie des Hauses als Hans Thomas und Hans Melchior

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Königshofen, Main-Tauber-Kreis) eines der ersten Ziele der Landfriedensexekution des Schwäbischen Bundes, der 1523 gegen die Burgen der fränkischen Fehderitter vorging und sie zerstörte.26 Dies war anfechtbar, denn Hans Thomas von Rosenberg beteuerte seine Unschuld und erklärte ein Vorgehen gegen „seinen“ Boxberg wegen der Vergehen seines Bruders für unstatthaft. Dennoch blieben seine Einwendungen gegenüber dem Schwäbischen Bund, den Städten Nürnberg und Augsburg27 und seine Appelle an Reichsregiment und Reichstag erfolglos.28 Die Einlassungen des Hans Melchior, der sich 1524 auf sein Recht auf Gegenwehr gegen den Schwäbischen Bund „als den eigentlichen Landfriedensbrecher“ berief29, stießen ebenfalls auf keine Resonanz. Vielmehr wurde dem verklagten Schwäbischen Bund die rosenbergische Klageschrift zugestellt, damit dieser auf sie antworten solle. Nach Joseph Frey war der Bund damit in die Lage gebracht worden, Beklagter und Berufungsinstanz gleichermaßen zu sein.30 1524 begann Hans Melchior von Rosenberg seine Fehde mit der Gefangennahme eines Nürnbergers, der sich auf den Weg von Berlin nach Leipzig gemacht hatte. Er konnte seinen Gefangenen in der Folge auf braunschweigischen Schlössern verstecken.31 Nach Melchiors Tod führte Hans Thomas die Fehde fort. Da er

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von Rosenberg, nämlich vielleicht zur Linie Gnötzheim, vgl. Walther Möller: Stamm-Tafeln westdeutscher Adelsgeschlechter im Mittelalter. Bd. 2. Darmstadt 1933, Tafel LXXV. Mangolds Frau Margarethe war eine Rosenbergerin; laut Eberstein die Tochter eines Friedrich von Rosenberg und einer Elisabeth von Wolmarshausen. Die Nennung beider fehlt bei Möller, Stammtafeln, ebd. Mangolds Schwester Ottilie war die Mutter des berühmten Humanisten Ulrich von Hutten. Dazu Louis Ferdinand Frhr. von Eberstein: Entwurf einer zusammenhängenden Stammreihe des freifränkischen Geschlechts Eberstein von den in den ältesten Urkunden erscheinenden Vorvätern an bis zur Gegenwart. ... 3. Aufl.. Berlin 1887, Tafel 3 S. 33, S. 37. In Ebersteins Fehde spielte Kunz von Rosenberg, der „der frawen [Mangolds, CR] gar nahennder Vetter“ war, eine wichtige Rolle, und zwar vermutlich als Identifikationsfigur. Mangold von Eberstein soll von ihm gesagt haben: „[E]r ist vnnser aller vater!“ Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 43 S. 72 und S. 78. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 61; Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 5f.; Neumaier, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 23), S. 40; Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 3), S. 479 Anm. 288; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 329f. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 6f. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 10; Neumaier, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 23), S. 42. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 10. 1535 begründete Hans Thomas von Rosenberg seine Fehde ebenfalls mit dem Gedanken der Gegenwehr, zu der die Wegnahme des Boxbergs, die Verweigerung der Möglichkeit, seine Unschuld an der Ermordung des Grafen von Oettingen zu beweisen, und die Ablehnung von Rechtserbieten ihn genötigt hätten, Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 18f. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 10; vgl. auch Volker Press: Albrecht von Rosenberg. Reichsritter an der Schwelle der Zeiten. In: Mein Boxberg 20 (1985), S. 5–30, ND in: Franz Brendle, Anton Schindling (Hg.): Volker Press: Adel im Alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze (Frühneuzeit-Forschungen 4). Tübingen 1998, S. 357–382, hier S. 361. Zur Problematik, dass der Schwäbische Bund „Ankläger, Richter und Exekutor in einer Person“ war, vgl. auch Fuchs, Einungswesen (wie Anm. 3), S. 98. Joseph Baader (Hg.): Verhandlungen über Thomas von Absberg und seine Fehden gegen den Schwäbischen Bund 1519 bis 1530 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 114). Tübingen 1873, S. 143 Anm. 1; Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 11; Neumaier, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 23), S. 43.

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Boxberg verloren hatte, schloss er sich zeitweise Hans Thomas von Absberg an.32 Rosenberg selbst versuchte, hochkarätige Vertreter des Schwäbischen Bundes gefangenzunehmen, um seine politischen Forderungen – nämlich die Rückgabe des Boxberges – zu erreichen. Bekannt ist sein Kidnapping des jungen Sohnes des Jörg Truchseß von Waldburg 1529, für den er nach Jahren der Haft erst ein Lösegeld akzeptierte (1534), als dessen Vater, der politisch erpresst werden sollte, gestorben war (1531). Hans Thomas starb nach langer, immer wieder von Verhandlungen und fürstlicher Vermittlung unterbrochener Fehde, ohne das gewünschte Ziel zu erreichen.33 Sein Neffe Albrecht, der zunächst sein Auskommen im kaiserlichen Solddienst gefunden hatte, nahm 1544 die Fehde wieder auf und erreichte dank seiner Verdienste für die kaiserliche Seite im Schmalkaldischen Krieg 1548 die Rückgabe des Boxbergs, den er letztlich aber nicht halten konnte, sondern wieder an die Pfalz verkaufen musste (1561).34 Auch die Familie Rosenberg steht für das Weiterleben des klassischen Musters der Adelsfehde, in der eigene Interessen nach vermeintlicher Rechtsverweigerung durch Gewalthandlungen durchgesetzt werden sollten. Die Schädigung des Gegners war auch hier Druck- und Erzwingungsmittel. Restitutionsforderungen waren es auch, die Hans Thomas von Absberg, Mittelfranken) in eine Fehde mit dem Schwäbischen Bund verwickelten. Denn nachdem er 1520 zusammen mit Kunz von Rosenberg und anderen Helfern den Grafen Joachim von Oettingen wegen „alte[r] Ansprüche“35 seiner Familie in kidnapperischer Absicht überfallen und infolge von dessen Gegenwehr tödlich verwundet hatte, nahm der Schwäbische Bund auf Anrufen der Oettinger Grafen die absbergischen und rosenbergischen Besitzungen in Beschlag. Hans Thomas von Absberg wurde geächtet und vertrieben. Anstelle seines Vaters, der dies als markgräflicher Amtmann nicht wagte, führte Hans Thomas nun eine Fehde gegen den Schwäbischen Bund. Diese zog ihm und seinen Mitstreitern 1523 einen von der Forschung viel behandelten Straffeldzug des Schwäbischen Bundes zu, in dessen Zuge die Burgen vieler absbergischer Unterstützer zerstört und Hans Thomas zu einem unsteten Leben gezwungen wurde. Gleichwohl setzte er seine Fehde fort, bis er, isoliert und von fast allen Helfern verlassen, 1531 von einem jüdischen Hehler in Böhmen ermordet wurde, der mit ihm Geschäfte gemacht hatte, sich nun aber vermutlich das von Nürnberg ausgesetzte Kopfgeld auf Absberg verdienen wollte.36 32 33 34 35

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Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 11; Neumaier, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 23), S. 43. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 12–14, 17; Neumaier, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 23), S. 48; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 504f. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 63–151; Press, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 30), S. 357–382, hier S. 365, 369, 372; Neumaier, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 23). Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 7, der diese Ansprüche jedoch für vorgeschützt hält. Zur finanziellen Lage der Familie vgl. Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 109, 114f., 565. Rupprecht geht von einer Instrumentalisierung alter Forderungen infolge einer „drückende[n] Schuldenlast des Vaters“ aus: Klaus Rupprecht: Art. Absberg, Hans Thomas von. In: Michael Diefenbacher, Rudolf Endres (Hg.): Stadtlexikon Nürnberg, 2. verb. Aufl, Nürnberg 2000, S. 49–50, hier S. 49. Zu Absbergs Ermordung: Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2); S. 516; Dietrich Schmidtke: Ein Lied auf den Tod des Raubritters Hans Thomas von Absberg 1531 in einem Dorf bei Tachau/ Tachov. In: Dominique Fliegler, Václav Bok (Hg.): Deutsche Literatur des Mittelalters in Böh-

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In Teilen abweichend gestaltet sich das Auftreten des Mangold von Eberstein. Es entsprach dem eingangs von Scheckmann skizzierten Muster der Gönnerfehde.37 Denn Mangold von Eberstein nahm sich tatsächlicher oder vermeintlicher schuldrechtlicher Ansprüche einer Nürnberger Bürgerin, der Agathe Odheimer (beziehungsweise Odhamer), und ihrer Tochter Helena an, denen Nürnberg nach eigenem Bekunden das Recht verweigerte. Während die Frauen Eberstein mit der Wahrung ihrer Ansprüche beauftragten, betrachtete der Nürnberger Rat Agathe als eine „verpflichte[te] vnd vngeledigte[.] burgerin“38 und war mitnichten bereit, die von ihr heraufbeschworenen Fehdehandlungen mit Entgegenkommen zu honorieren. Mangold von Eberstein aber führte von seiner Burg Brandenstein (bei SchlüchternElm, Main-Kinzig-Kreis) aus Schläge gegen Nürnberg. Wie Götz von Berlichingen und Franz von Sickingen vertrat er den Typus der Ritter, die in fremden Angelegenheiten – gleichsam „sein sichel in ainen anderen scheidt“ legend,39 wie gegenüber Götz kritisch eingewandt wurde – aktiv wurden, ohne dabei ihren eigenen Vorteil zu vergessen. 1522 setzte eine halbherzige Strafexpedition, die Graf Georg von Wertheim im Auftrag des Reichsregiments gegen 3.000 Gulden Bezahlung unternahm, seinem Treiben ein Ende. Mangold von Eberstein zog sich zu Franz von Sickingen zurück und fiel auf dessen Trierer Raubzug vor St. Wendel.40 Wie Götz oder Mangold führte auch Franz von Sickingen Gönnerfehden. So trat er in der Wormser Fehde (ab 1513) als Gönner des zwangsexilierten Wormser Bürgers Balthasar Schlör auf, so übte er 1516 Repressalien für den Mainzer Buchdrucker Schöffer gegen französische Untertanen aus und so spielte er sich nach Scholzens These in seiner hessischen Fehde 1518 geradezu als altruistischer Helfer Dritter auf. Daneben agierte Franz von Sickingen aber auch in eigener Sache, so etwa gegenüber der Stadt Metz. Von Metz fühlte Sickingen sich beleidigt, weil die Stadt durch Aussetzen eines Kopfgeldes die Ermordung eines notorischen Landfriedensbrechers (Pierre Soufrey) veranlasst hatte, zu dessen Kompagnon Philipp Schluchterer der Ritter Beziehungen unterhielt. Ausgerechnet als Sickingen sich auf der Burg des Kompagnons aufhielt, wurde Soufrey liquidiert, was Sickingen einen Fehdevorwand bot.41 Auch bei seiner Großfehde gegen Kurtrier 1522 vertrat Sickingen eigene Interessen, beanspruchte er doch, um Lösegeld in der phantastischen Höhe von 5.000 Gulden (zuzüglich 150 Gulden Kostgeld) geprellt worden zu

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men und über Böhmen. Vorträge der internationalen Tagung, veranstaltet vom Institut für Germanistik der Pädagogischen Fakultät der Südböhmischen Universität České Budějovice, 8. bis 11. September 1999. Wien 2001, S. 361–382. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1); zusammenfassend: Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 153– 158. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), S. 6 und Nr. 10 S. 25. So eine Nürnberger Äußerung, zitiert bei Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 49; sinngemäß identisch, aber leicht abweichend zitiert bei Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), S. 6. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), S. 8f., S. 11, Nr. 44 S. 79f.; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 277–279. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 55–57, 97–99 zur Begründung der Wormser Fehde, S. 113, 130 (zur Fehde gegen Hessen), S. 111 (zur Ermordung Soufreys), S. 207 (zu den Ansprüchen Peter Schöffers).

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sein, das er den Opfern eines weiteren Fehdeführers vorgestreckt hatte und das er auf ausdrückliche Anordnung des Trierer Erzbischofs Richard von Greiffenklau, welcher ein konsequentes Vorgehen gegen Landfriedensbrecher anmahnte, erwartbarerweise nicht erhielt.42 In allen Fällen, auch im konfessionell-ideologisch aufgeladenen Trierer Fall, agierte Sickingen in den Bahnen des überkommenen Fehderechts. Im Unterschied zu allen bisher genannten Befehdern war Sickingen außerdem bekanntlich in der Lage, in großem Umfang Soldtruppen anzuwerben und politischen Einfluss auszuüben. Klammert man die Auftragskriegsführung Sickingens gegen Frankreich oder seine sogenannte ‚Absicherung’ der Königswahl 1519 aus, so können wir zu unserem ersten Punkt festhalten, dass es auch nach 1500 für alle Fehdeführer elementarer Bestandteil ihres Auftretens und gegebenenfalls sogar ihres Selbstverständnisses war, sich auf einen rechten Grund berufen oder diesen zumindest vorschützen43 zu können. Als zweiter Punkt der Argumentation sollen die Mechanismen untersucht werden, die in Fehden zum Einsatz kamen. Betrachtet sei zunächst die Absage, die zwingend erforderliche Ankündigung von Fehdehandlungen, durch die ansonsten kriminelle Praktiken wie Beutemachen oder Brandlegen vor 1495 als Schädigungshandlungen eingeordnet und der gerichtlichen Verfolgung entzogen wurden. Hier zeigt sich, gemessen an rechtlichen Kategorien, ein ziemlich problematisches Bild. Immerhin bemühte sich Sickingen, dessen Absage bei der Wormser Fehde erst nach seinem ersten Übergriff einging,44 in der Trierer Fehde wie schon bei der Fehde gegen Metz und Hessen45 um Einhaltung der Formen. Götz von Berlichingen war jedoch dafür bekannt, dass seine Absagen seinen Gegnern erst nach dem ersten Überfall bekannt wurden.46 Auch Absberg überfiel Graf Joachim ohne fristgerechte 42

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Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 204–207; Bericht des Trierer Stadtschreibers Johann Flade (Manuscript 2243 in der Stadtbibliothek zu Trier). In: Karl Hans Rendenbach: Die Fehde Franz von Sickingens gegen Trier (Historische Studien 224). Berlin 1933, S. 79–116, hier S. 83. Dass Sickingens Handlungsgrundlage gegenüber Kurtrier mehr als dürftig war, wusste auch sein Berater Balthasar Schlör, der seine rechtlichen und politischen Bedenken in einer ausführlichen Stellungnahme verbalisierte. Zugleich können die Ratschläge Schlörs an Sickingen als Ratschlag verstanden werden, dass zumindest der Anschein von Billigkeit der Fehde gegeben sein sollte. Dazu Wilhelm Günther (Hg.): Codex Diplomaticus Rheno-Mosellanus. UrkundenSammlung zur Geschichte der Rhein- und Mosellande, der Nahe- und Ahrgegend, und des Hundsrücken, des Meinfeldes und der Eifel, Teil 5. Coblenz 1826, Nr. 86/1, S. 202–208, hier S. 203; zum Schlör’schen Ratschlag vgl. auch Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 208–210. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 58. Auch Sickingens Viehraub bei Landau 1517 geschah unabgesagt; ebd. S. 77. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 111, 113, 204; Christine Reinle: Kat. Nr. 5 1. „Pfaffenkrieg“: Sickingen fordert den Erzbischof heraus. Fehdebrief des Franz von Sickingen an den Kurfürsten von Trier vom 27. August 1522. In: Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, hg. von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes GutenbergUniversität Mainz durch Wolfgang Breul und die Generaldirektion Kulturelles Erbe RheinlandPfalz. Regensburg 2015, hier S. 213. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 50f., 68, 93; Göttmann, Götz (wie Anm. 8), S. 85.

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Absage, da seine Fehdeankündigung drei Stunden nach dem Überfall eintraf.47 Mangold von Eberstein ließ Nürnberg zwar schon 1516 wissen, dass er die Sache der Odhaimerin zu vertreten gedenke; dieser Brief blieb jedoch ohne Unterschrift, was Nürnberg bemängelte.48 Die eigentliche Absage erfolgte 1519 durch Agathe Odhaimer in ihrem und ihrer Tochter Namen. Sie war eigenhändig abgefasst, hatte als Urheberin aber eine eigentlich persönlich nicht fehdefähige Frau. Auch scheinen sich die Verschleppung der ersten Opfer und die Zustellung des Fehdebriefs überschnitten zu haben.49 Die Familie Guttenberg mochte sich hingegen bei ihren Aktivitäten darauf berufen haben, dass es die markgräflichen Amtleute gewesen waren, die ihnen abgesagt hatten. Den eigenen Absagebrief hinterließ Moritz jedoch erst am Ort seines ersten Überfalls.50 Was die Fehdetechniken betrifft, ging gegenüber dem 15. Jahrhundert die Bedeutung von Brandstiftung und Viehraub51 deutlich zurück. Viehraub ist immerhin bei Sickingens Kriegszügen bezeugt.52 Das Ausrauben von Kaufmannzügen und das Vermarkten der Handelswaren ist für Götz von Berlichingen,53 Hans Thomas Absberg,54 Hans Thomas55 und Hans Melchior56 von Rosenberg sowie für Franz von Sickingen57 belegt, bei welchem auch Plünderungen eine erhebliche Rolle spielten. Es scheint jedoch, dass das Beutemachen insgesamt an Bedeutung verloren hat. Möglicherweise stießen die Befehder an gewisse strukturelle Grenzen. Denn das Verkaufen der Beute setzte funktionierende Sozialkontakte und Handlungsspielräume des Fehdeführers voraus: Beute musste abtransportiert werden, sie musste vor Rückeroberung und Beschlagnahme sicher sein, gegebenenfalls zwischengelagert werden58 und schließlich einen Käufer finden. Um herumziehende 47 48 49 50 51

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Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 10; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 131. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 1, 2, S. 16–18. In der Folge erklärte Mangold von Eberstein, er habe die Unterschrift nur „aus Irthum“ unterlassen, ebd. Nr. 3 S. 18–19, hier S. 19. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), S. 6, Nr. 6 S. 21; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 156f. Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 86, 88. Als Beispiele für Fehden, in denen Viehraub noch eine wichtige Rolle spielte, seien je eine von einer Person am unteren Rand des Adels beziehungsweise von einem Nichtadligen geführte Fehden genannt: Michael Zieg: „Da ich ein armer Geselle bin und anderen Leuten dienen muss“: Die Fehden des Martin Ziech gegen Frankfurt und Fulda. Ein Beitrag zum fränkischen Niederadel im Spätmittelalter. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 73 (2014 für 2013), S. 23–46; Ed[uard] Philippi: Die Fehde des Herrn Nickel von Minckwitz im Jahre 1528. In: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 3 (1866), S. 541–551, hier S. S. 545 (zur Auseinandersetzung des Schäfers Queis mit seinem Dienstherrn). Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 77, 123. Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 91 mit Anm. 220; Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 62, 64, 72f., 74f., 82; Klaus Rupprecht: Art. Berlichingen, Götz von. In: Stadtlexikon Nürnberg (wie Anm. 35), S. 136. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 103 (zum Jahr 1528); Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 97f., 473f. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 24. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 4. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 58, 70. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 72, 95 Anm. 3; Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 90; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 97. Als Rückzugsorte

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Heere bildete sich daher so etwas wie ein Marktbetrieb.59 Bis auf Sickingen agierten die hier interessierenden Fehdeführer wie etwa Götz von Berlichingen jedoch in Gruppen mittlerer Größe oder in Kleingruppen, die schnell zuschlugen und wieder verschwanden und die sich daher wahrscheinlich schlechter mit dem Wegtransport von Waren aufhalten konnten. Außerdem brauchten sie zur Beuteverwertung vermutlich Mittelsmänner in der Bevölkerung. Im ungünstigsten Fall war man, wie Hans Thomas von Absberg am Ende seiner „Karriere“, auf jüdische Hehler angewiesen.60 Vielleicht wegen mangelnder Absatzmöglichkeiten, vielleicht als Vorsichtsmaßnahme, vielleicht aber auch wegen einer nicht primär gewinnorientierten Handlungsmotivation töteten Absberg und Christoph Marschalk 1525, 1526 und 1530 sogar manche der erbeuteten Pferde ihrer Opfer.61 Gegenüber der Zeit vor 1495 gewannen jedoch Menschenraub und Lösegelderpressung – wie eingangs in Scheckmanns Fehdeschilderung angedeutet – an Bedeutung, wobei die Entführungsopfer selbstredend auch der Gegenstände beraubt wurden, die sie mit sich führten. Doch drängt sich der Eindruck auf, dass Übergriffe auf Kaufleute stärker auf deren Person als auf deren Waren zielten. Viele der Gefangengenommenen wurden in die Schlösser kooperierender Adelsfamilien verschleppt, nicht selten nächtens und unter Zurücklegen sehr weiter Strecken (etwa von Franken in die Oberpfalz oder nach Böhmen) und unter bewusstem Einbau von Umwegen.62 Bisweilen sind auch andere Haftorte – wie eine Mehlkiste in einem Gaden auf einem Kirchhof – belegt.63 In einzelnen Fällen wurden Gefangene auch an Kooperationspartner zur Vermarktung weitergereicht64. In der Regel versuchten die Täter, ihre Opfer (und deren Angehörige) über den Aufenthaltsort im Unklaren zu lassen, weswegen den Gekidnappten bei Transporten die Augen verbunden wurden.65 Auch die Täter offenbarten sich keineswegs immer. Bisweilen legten sie sich Pseudonyme zu, bisweilen gebrauchten sie – vermutlich zum Zweck der Desinformation – falsche Namen, die jedoch durchaus Namen eines Gruppenmitglieds sein konnten, bisweilen konnte das Opfer gar keine Auskunft darüber geben, von wem

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für Räuber und Beute werden z.B. der Boxberg oder der Reußenberg – letzterer eine Thüngen’sche Feste – genannt. Dazu auch Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 43 S. 79. Michael Jucker: Plündern und Brandschatzen: Kriegs- und Fehdepraxis im Spannungsfeld von Recht, Ökonomie und Symbolik. In: Julia Eulenstein, Christine Reinle, Michael Rothmann (Hg.): Fehdeführung im spätmittelalterlichen deutschen Reich. Zwischen adliger Handlungslogik und territorialer Verdichtung. Affalterbach 2013, S. 261–284, hier S. 272, 274. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 112 und passim; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 517. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 77, 81, 126. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 25, 66f. und passim; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 62, 91f., 176, 240f., Karte bei S. 243, 278f., 342, 408, 466, 510; Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 8 S. 22f., Nr. 13 S. 30, Nr. 17 S. 34f., Nr. 34 S. 57, Nr. 43 S. 69f.; Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 64f., 81, 86. Götz von Berlichingen hatte allerdings Probleme, Adlige dafür zu gewinnen, seine Gefangenen aufzunehmen, da dies als riskant galt; dazu Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 65. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 88f., 97. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 127; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 93, 510; Schmidtke, Lied (wie Anm. 36), S. 377; Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 7 S. 22. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 19, 22, 23, 24, 52, 68; Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 27 S. 51, Nr. 35 S. 59, Nr. 38 S. 63f.

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es gefangen genommen und anschließend gefangen gehalten worden war.66 Zu wessen Gunsten beziehungsweise um wessen Verschulden willen die Gefangennahme erfolgte, wurde den Gefangenen jedoch mitgeteilt.67 Um so sensibler achteten die Gefangenen auf Indizien, die es ihnen möglich machen sollten, ihren Aufenthaltsort und ihre Kidnapper zu identifizieren, wie zum Beispiel an Geschirr oder an Schlußsteinen angebrachte Wappen, auffällige körperliche Merkmale und regionalen Spracheinschlag, Kleidung oder Schmuck, Eigenschaften der Pferde etc.68 Was die Motivation für das Kidnapping betrifft, geraten bisweilen politische und häufiger finanzielle Motive in den Blick. So verband sich eine Gefangennahme teilweise mit politischen Forderungen wie bei Hans Thomas von Rosenberg oder auch Hans Thomas von Absberg; auch eine Erpressung der Heimatstadt, nicht der Familien der Gefangenen selbst konnte intendiert sein.69 Meistens wurden die Gefangenen überdies um Lösegeld geschatzt. Die Höhe des Lösegelds wies je nach Vermögenslage und Bedeutung des Gefangenen weite Spannen auf. Von 25 oder 70 Gulden ist ebenso die Rede70 wie von 200, 50071, 550 bis 600 Gulden, von 1.000, 1.200, 1.500 Gulden72 oder als Extremwert von 8.000 Gulden,73 die für die Freilassung des jungen Grafen von Waldburg an Hans Thomas von Rosenberg gezahlt wurden. Dies war trotz allem eine „kleine“ Summe im Vergleich zu den 25.000 Gulden, die Sickingen für die Einstellung der Fehde mit Metz kassierte, oder den 35.000 Gulden, die die Landgrafschaft Hessen ihm zusätzlich zu 14.842 Gulden und 12 Albus Brandschatzung zu zahlen hatte.74 Sich mit einem

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Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 25, 28, 121; Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 19 S. 39, Nr. 21 S. 42f., Nr. 38 S. 64, Nr. 43 S. 69. Auch Personen, die Gefangene aufnahmen und bewachten, versuchten, ihre Identität zu verheimlichen. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 57. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 8 S. 22, Nr. 15 S. 32, Nr. 22 S. 46, Nr. 34 S. 57, Nr. 38 S. 62, 65. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 30, 34, 37, 39f., 52f., 53, 82f., 100, 119f.; Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 13 S. 27f., 29, Nr. 14 S. 32, Nr. 19 S. 37, Nr. 20 S. 41f., Nr. 21 S. 44, Nr. 22 S. 45, 47, Nr. 27 S. 51, Nr. 34 S. 57, Nr. 35 S. 59f., Nr. 36 S. 60f., Nr. 37 S. 61f., Nr. 38 S. 65, Nr. 42 S. 68. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 50–57, S. 67. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 24 S. 48. Das Opfer, das flehentlich um die Zahlung von 70 Gulden bat, war zuvor gefoltert worden. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 50, 54, 67, 77. Im Fall des Nürnberger Gefangenen Geiger schien Absberg die Summe von 500 Gulden jedoch unehrenhaft gering zu sein (ebd. S. 67). Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 8 S. 24; Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 66, 83, 84, S. 97; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 344. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 14; Neumaier, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 23), S. 46. Weitere 6.000 Gulden erbrachten die Lösegelder für den Augsburger Patrizier Lukas Lang, den Bruder des Kardinals Matthäus Lang, für dessen Freilassung Hans Thomas von Rosenberg ursprünglich 20.000 Gulden verlangt hatte, dazu Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 17, 28. Eine Zahlung von 6.000 Gulden galt den Zeitgenossen als eine Summe, die zur Lösung eines Fürsten angemessen war: Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 61. Dementsprechend war das Lösegeld in Höhe von 5.000 Gulden, das Franz von Sickingen für zwei gefangene Trierer gegenüber deren Kidnapper vorgestreckt haben will (Scholzen, Sickingen [wie Anm. 24], S. 204), vollkommen unverhältnismäßig. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 112, 125, 129. Darüber hinaus zahlte der Rat der Stadt

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geringen Lösegeld zu begnügen, scheint als Indiz des Versagens oder der materiellen Not der Erpresser gegolten zu haben. Es war angeblich sogar ein Grund, sich schämen zu müssen, weswegen Hans Thomas von Absberg einem Entführungsopfer, dessen Freunde nur einen Teil der Lösegeldsumme aufbringen konnten oder wollten, mit Tötung drohte.75 Immer wieder berichten die Entführungsopfer Götzens, Ebersteins und Absbergs auch von miserablen, ja krankmachenden und demoralisierenden Haftbedingungen bis hin zur Folter, um das Lösegeld in die Höhe zu treiben.76 Mangold von Eberstein überwachte sogar persönlich, dass die Entführten flehentliche, mitleiderregende Bettelbriefe an ihre Verwandten schrieben und griff in die Abfassung der Texte ein.77 Die Forderungen durch Drohungen zu unterlegen war auch nötig, da immer wieder berichtet wird, wie Obrigkeiten Lösegeldzahlungen zu verhindern versuchten78 oder entlassene Gefangene, die für sich und ihre Mitgefangenen die Lösegelder aufbringen sollten, Fristen versäumten oder gar trotz geleisteter Eide keine Anstalten machten, Zahlungen zu organisieren und zu überbringen.79 Umgekehrt scheint die bezahlende Seite in einem Fall darauf bestanden zu haben, die Geisel vor der Lösegeldübergabe sehen zu können, um sich ein Bild von ihrem Gesundheitszustand zu machen.80 Was die Auswahl der Opfer betrifft, ist ein deutlicher Unterschied zwischen den Tätern sowie in Abhängigkeit vom Verlauf der Fehden festzustellen. Hans Thomas von Rosenberg versuchte, politisch wertvolle Gefangene zu machen,81 die man auch als Geiseln bezeichnen kann. Auch die Auswahl der Opfer zu Beginn der Absbergfehde war politisch motiviert.82 Je länger die Fehde währte, umso mehr trat

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Frankfurt 1518 4.000 Gulden, um nicht von Sickingen mit einer Fehde überzogen zu werden. Ebd. S. 131. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 67. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 56, 65–67; Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 19 S. 38 (Folter nach einem Fluchtversuch), Nr. 24 S. 48f., Nr. 25 S. 49, Nr. 27 S. 51, Nr. 34 S. 57, Nr. 35 S. 58, Nr. 38 S. 63f., Nr. 42 S. 68, Nr. 43 S. 71; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 175 mit Anm. 1, S. 351; Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 23f., 25, 56f., 67, 93, 121. So verlangte in der Fehde des Mangold von Eberstein nach Aussage eines Gefangenen der Edelmann im Schloss – dem Anschein nach Mangold selbst – durch seinen Diener, der Gefangene solle seine Bettelbriefe um Lösegeldzahlung „auf das hertest stellen“. Was dem Edelmann in dem Brief „nit gefallen“ habe, habe er „aus gethan vnd durchstrichen“. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 38 S. 64. Im Fall der Ebersteiner Fehde sind denn auch besonders flehentliche, ja sogar aggressive Bettelbriefe von den Opfern an ihre Verwandten geschrieben worden, ebd. Nr. 24 S. 47–49, Nr. 25 S. 49, Nr. 30 S. 53–54, Nr. 31 S. 54–55, Nr. 32 S. 55, Nr. 33 S. 56, Nr. 39 S. 65f., Nr. 40 S. 66f., Nr. 41 S. 67f. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 67; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 406, 408f. Zu den Modalitäten heimlichen Lösegeldtransfers vgl. Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 346–352. Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 84; Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 84. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 38 S. 64. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 11f. sowie Anmerkungsteil Anm. 33 S. 7. Dies gilt etwa für die gefangenen kaiserlichen Räte sowie die Bundesgesandten, die beim Überfall an der Knittlinger Steige 1521 gemacht wurden. Auch die Gefangennahme des Nürnberger Ratsherren Bernhard Baumgartner im April 1522 wird man so deuten dürfen. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 12, S. 16f., 20. Personen, denen Hans Thomas von Absberg die Hand abhauen ließ, um sein Pressionspotential zu erhöhen, wurden zu Beginn der Fehde nicht beraubt. Dies

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jedoch, wirtschaftlichen Bedürfnissen folgend, das finanzielle Moment in den Vordergrund.83 Mangold von Eberstein scheint seine Opfer, so lange sie Nürnberger waren oder Verbindungen zu Nürnberg unterhielten, beliebig festgesetzt zu haben; selbst vor Wallfahrern machte er nicht halt. Gleichwohl versuchte auch er, an Daten über wohlhabende Nürnberger zu kommen, um seine Maßnahmen optimieren zu können.84 Moritz von Guttenberg machte markgräfliche Männer zu Gefangenen und verschleppte sie in Philipps Schloss Schellenberg,85 während Sickingen sich gegenüber zwei von dritter Seite gefangenen Trierern als Retter aus deren Gefangenschaft aufspielte. Ob rechtlich-politische oder monetäre Interessen bei einem Kidnapping im Vordergrund standen, kann jedoch aus der Rückschau nicht sicher entschieden werden. Während die Art der Unterbringung der Gefangenen noch in Abhängigkeit von den Ressourcen des Kidnappers gestanden haben dürfte, waren meines Erachtens verschärfte Haftbedingungen bis hin zur Folter entweder ein Indiz für „Strafmaßnahmen“ nach einem Fluchtversuch oder aber für ein primär finanzielles Interesse. Ein solches finanzielles Interesse dürfte bei Mangold von Eberstein handlungsleitend gewesen sein. Denn obwohl dieser immer wieder sein – beziehungsweise Agathe Odhaimers – rechtliches Anliegen thematisierte,86 vergoss die Dame in ihrer Kammer reichlich Tränen: Sie fand es nämlich zum Gotterbarmen, dass die Nürnberger Gefangenen so viele Hunderte Gulden erlegen mussten, während ihr und ihrer Tochter nichts davon zuteil würde.87 Alles in allem dürfte die hohe Zahl von Entführungen zum einen für die schon oft beobachtete „Kommerzialisierung“88 der

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sollte wohl den politischen Charakter der Verstümmelungen als Einschüchterungsmaßnahme betonen. Dazu Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 36. So verwies der Mitstreiter des Hans Thomas von Absberg, Veit Scharpf, auf den finanziellen Bedarf, als Absberg ein Lösegeld von 500 Gulden für einen gefangenen Nürnberger als zu gering ablehnen und den Gefangenen töten wollte. Scharpf machte aber geltend: „Wir können an unseren Klauen nit saugen“. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 68. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 13 S. 27, 29. Nr. 14 S. 31, Nr. 19 S. 38 (zum Erpressen von Informationen von einem Gefangenen während einer Phase harter Haft), Nr. 24 S. 48, Nr. 27 S. 50. Auch Absberg verschaffte sich von seinen Gefangenen Informationen über neue potentielle Opfer. Dabei scheint sich ein ehemaliges Opfer als Informant zur Verfügung gestellt zu haben. Dazu Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 53, 73; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 262 Anm. 6, S. 331 Anm. 4, S. 343. Ein weiteres Opfer versuchte, als Denunziant „seiner eigenen ‚Schatzung’ zu entgehen“ (Ritzmann, Plackerey [wie Anm. 2], S. 463). Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 92. So soll Mangold von Eberstein gegenüber Gefangenen 1519 gesagt haben, er begehre keine Schatzung, sondern seine Opfer sollten Nürnberg dazu bewegen, dass Agathe Odhaimer zu einem Vertrag mit der Stadt komme. Als diese das als außer ihrer Macht stehend bezeichneten, habe Mangold von ihnen eine Schatzung verlangt. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 8 S. 23. Im konkreten Fall ging es um eine Schatzung in Höhe von 600 Gulden: Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 8 S. 24. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 111. Die Kommerzialisierung von Fehdehandlungen drückt sich paradigmatisch in dem von Helgard Ulmschneider geprägten Begriff des „Fehdeoder Raubunternehmer[s]“ aus, vgl. Ulmschneider, Einleitung. In: Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 23; Dies., Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 94. Der Gedanke wurde in der Folge immer wieder kontrovers erörtert, so z.B. von Göttmann, Götz (wie Anm. 8).

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Fehdepraxis sprechen, zum anderen nutzte sie die durch den Zwang zur Mobilität gegebene Vulnerabilität der Stadtbevölkerung aus.89 Da die Opfer sich unfreiwillig in die Nähe der Täter begaben, konnten diese auch die zum Teil weite Entfernung ihrer Stützpunkte vom eigentlichen Zielort ihrer feindseligen Bestrebungen überbrücken. Während Raub, insbesondere der Menschenraub, also ein wichtiges Instrument blieb, trat die Bedeutung der Brandlegung in den Hintergrund. In der Guttenbergfehde ist von Brand-„schatzung“ (gemeint ist aber wohl Brandlegung) die Rede.90 Götz von Berlichingen legte hingegen nur selten – und zwar als Racheakt – einen Brand.91 Auch Agathe Odhaimer drohte erst, als der Verlust des Brandensteins durch eine Exekutionsmaßnahme des Grafen Georg von Wertheim 1522 bevorstand, zwei Anhänger, die sich ihr verschrieben hätten, wollten nun erst recht „angreiffen vnd prennen“92 (was nach meiner Kenntnis aber nicht geschah). Sogar Absberg, dessen Brutalität sich im Lauf der Zeit exzessiv steigerte, verzichtete auf Brandstiftungen. Die Gründe für diese auffällige Verhaltensänderung sind nicht bekannt: Immerhin gehörte Brandlegung nicht nur, wie Markgraf Albrecht Achilles im 15. Jahrhundert zynisch geäußert hatte, zur Fehde wie das Magnifikat zur Vesper93, sondern Brandstiftung war bis in die frühe Neuzeit hinein auch ein Mittel, das schwächere gegen stärkere Gegner anwandten.94 Vielleicht legte die weite Entfernung der adligen Fehdereiter vom Ziel ihrer feindseligen Bemühungen ihnen gewisse Restriktionen auf. Dem steht jedoch die Furcht vor gedungenen Mordbrennern entgegen, die gerade im 16. Jahrhundert stark anschwoll. Vielleicht spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass heimliche Brandlegung als Mordbrand und als zutiefst verwerflich galt, während offene Brandlegung durch ein militärisches Kommando den meisten der hier behandelten Tätergruppen nicht möglich war. Eine Ausnahme bildete nur Franz von Sickingen, dessen Fehden die Dimension großer 89

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Nur starkes Geleit konnte diese Vulnerabilität abfedern. So kam Hans Thomas von Absberg an den Bundesherrn der Nürnberger, Christoph Kress, wegen dessen Geleitschutzes nicht heran. Dazu Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 54. Nürnberg leistete sich während der Befehdung durch Götz von Berlichingen ein teures und militärisch starkes Warengeleit: Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 73. Rupprecht, Herrschaftswahrung (wie Anm. 11), S. 91, 96. Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 110; Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 82. Im konkreten Fall verband sich der Wunsch, Rache zu nehmen, mit dem Versuch, den lokalen Amtmann zu einer unbedachten Handlung zu provozieren. Doch nahm Götz für sich in Anspruch, „nit ghernn gebrenndt“ zu haben (ebd.). Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 43 S. 76. Brandlegung wurde eindeutig mit dem Ziel eingesetzt, den Gegner zu ruinieren und „ein petler aus Im [zu] machen.“ Ebd. S. 74. Constantin Höfler (Hg.): Ritter Ludwig‘s von Eyb Denkwürdigkeiten brandenburgischer (hohenzollerischer) Fürsten (Quellensammlung für fränkische Geschichte, hg. von dem historischen Vereine zu Bamberg 1). Bayreuth 1849, S. 77. Christine Reinle: Überlegungen zu Eigenmacht und Fehde im spätmittelalterlichen Europa. Einführung in Fragestellung und Ergebnisse des Sammelbandes „Fehdehandeln und Fehdegruppen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa“. In: Mathis Prange, Christine Reinle unter redaktioneller Mitarbeit von Susanne V. Weber (Hg.): Fehdehandeln und Fehdegruppen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. Göttingen 2014, S. 9–38, hier S. 33.

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Kriegszüge hatten. Plünderung, Brand und Brandschatzung – letzteres als wichtige Einnahmequelle –, Belagerungen und Artillerieeinsatz säumten den Weg seiner Truppen. Ein letzter Punkt sei in Bezug auf die Fehdepraktiken noch angesprochen. Es lässt sich nämlich eine gewisse Tendenz zur Brutalisierung beobachten. Sichtbar wird diese in der Bereitschaft mancher Fehdeführer, die zum Mittel der Verstümmelung ihrer Opfer griffen. Teils geschah dies in dem Anspruch, Eidbruch zu strafen, teils dürfte aber auch der Gedanke obwaltet haben, durch Terror Zwang auf den Gegner auszuüben. So griff Hans Thomas von Absberg die Praxis seines Schwagers, des fränkischen Befehders Kunz Schott auf, der in seiner Fehde mit Nürnberg 1498/99–1501 Nürnberger Gefangenen eine Hand abgehauen hatte. 95 Absberg übernahm diese Praxis als Druckmittel, als 1521/1522 seine Verhandlungen mit Nürnberg gescheitert waren. Nun nahm er auch Nürnberger gefangen, die er nicht schatzte, sondern verstümmelte und nach der Verstümmelung als Warnung in ihre Heimatstadt zurückschickte. Noch weiter ging Absberg, als er als Rache für die Folter eines Geistlichen, der ihn unterstützt hatte, einen Kaplan König Ferdinands gefangennahm und kastrierte. (Die Logik hinter der Wahl des Opfers hat sich wohl nur ihm selbst erschlossen). Durch derartige Akte der Brutalität eskalierte die Absbergfehde weit über das übliche Maß hinaus; selbst manche seiner Anhänger missbilligten diese Handlungsweise offen.96 Insofern verwundert es nicht, wenn Mangold von Eberstein dem Rat seiner Frau (!) nicht folgte, die ihm nahelegte, eidbrüchigen Kaufleuten Hände und Füße abzuschlagen.97 Wie bereits angedeutet, stand die Wahl der Fehdepraktiken in enger Beziehung zu den Rahmenbedingungen der Fehdeführung. Viele der adligen Fehdeführer agierten nämlich mit Kleingruppen: Beim Überfall auf Graf Joachim von Oettingen war Hans Thomas von Absberg noch mit etwa fünfzig Pferden unterwegs.98 Nach seiner Vertreibung von seinem Besitz waren es drei bis zwölf Reiter, die Personen verschleppten.99 Auch bei Mangold von Eberstein waren in der Regel zwei bis vier Reiter im Einsatz.100 Götz von Berlichingen konnte hingegen in kurzer Zeit hundert bis zweihundert Reiter mobilisieren.101 Die Gruppengröße hing zum einen mit der 95 96 97

Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 73 Anm. 125. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 17f., 26–30, 38, 46, 74, 76f., 79 Anm. *, S. 49. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 43 S. 72. Agathe Odhaimer drohte ebenfalls in einem Schreiben an den Schwager eines Gefangenen, einen Pfarrer, damit, dass die Geisel ihre Hand verlieren könnte, ebd. Nr. 26 S. 49f. Auch Götz von Berlichingen drohte nur mit Händeabschlagen, vollzog es aber nicht: Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 97; Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 65. Hans Thomas von Rosenberg drohte 1536 nach dem Nichteinhalten von Vermittlungszusagen mit „Erstechen, Abhauen der Hände, Brand und Mord“. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 27. 98 Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 8, 10: Für den Übergriff auf den Grafen von Oettingen sammelte Absberg 50 Pferde; nach der Tat lagerte er mit 40 Pferden in Merkendorf. Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 130 nennt die Zahl von ca. 54 Tatbeteiligten. 99 Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 18, 21, 65, 70, 97. 100 Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 8 S. 22, Nr. 13 S. 27, Nr. 14 S. 31, Nr. 19 S. 35f., Nr. 20 S. 39, Nr. 22 S. 45, Nr. 29 S. 53, Nr. 34 S. 56, Nr. 38 S. 62, Nr. 43 S. 69. 101 Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 93; vgl. auch S. 62 und passim.

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Möglichkeit des Zugriffs auf Ressourcen zusammen. Hierbei spielte Finanzkraft die entscheidende Rolle, wie Sickingens Beispiel lehrt. Denn auch da, wo sich „Söldnerkontingente aus Klientel- und Patronagebeziehungen lokal vernetzter adliger Gewaltunternehmer“102 entwickelten, wo also Netzwerkstrukturen die Rekrutierung von Kriegern erleichterten, wie paradigmatisch ebenfalls bei Sickingen zu sehen ist, mussten die Krieger bezahlt werden.103 Zum anderen korrespondierte die Gruppengröße mit taktischen Erwägungen. So trug das Agieren in Kleingruppen der Tatsache Rechnung, dass Fehden nach 1495 unter dem Verdikt des Verbots standen. Darüber hinaus kamen Kleingruppen, die schnell und klandestin agieren konnten, zum Einsatz, wo ohnehin keine Möglichkeit bestand, größere Truppen aufzubieten, die einer militärischen Auseinandersetzung mit den werdenden Landesherren standgehalten hätten. Kleingruppen ermöglichten es außerdem, zur Taktik des raschen Überraschungsangriffs zu greifen, was bei großen Gruppen, die sich nicht mehr heimlich bewegen konnten, nicht möglich war.104 Ganz anders trat bekanntlich Sickingen auf: Er brachte ganze Heere unter Waffen. Gegen die Landgrafschaft Hessen sollen zwischen 8.000, gegebenenfalls sogar 12.000 Fußknechte und 500 bis 2.000 Reiter im Einsatz gewesen sein, gegen Frankfurt 30.000 Mann.105 Gleich, wie gesichert solche Zahlen sind: Dass es sich um erhebliche qualitative Unterschiede handelt, liegt auf der Hand. Die Größe einer solchen Truppe lässt sich auch daran erkennen, dass zur Strafexpedition des Reichs gegen den Landfriedensbrecher Sickingen nach dem Willen Kaiser Maximilians 1517 vierhundert Reiter und ebenso viele Fußknechte hätten aufgeboten werden sollen.106 Insofern war von den hier behandelten Fehdern nur Sickingen in der Lage, offen das feindliche Land zu durchziehen, zu plündern, Brandschatzungen zu erheben und gar Belagerungen und Artilleriebeschuss durchzuführen.107 Seine Fehden sprengten das adlige Maß, sie glichen Fürstenkriegen und setzten die Ressour102 Bernhard R. Kroener: Kriegswesen, Herrschaft und Gesellschaft 1300–1800 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 92). München 2013, S. 60. 103 Schlecht bezahlte Söldner konnten durch eigenmächtige räuberische Übergriffe die Chancen der Fehdeführer, in eigener Sache zu Erfolg zu kommen, gefährden. Dazu Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 110f.; Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 84. 104 Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 81 bietet einen Beleg dafür, dass eine zu große Gruppe nicht unbemerkt agieren konnte und daher in ihren Handlungsmöglichkeiten beeinträchtigt war. 105 Angaben zur Truppenstärke Sickingens während der Fehde gegen Hessen macht Wolfgang Breul: Das Trauma der frühen Jahre: Philipp von Hessen und Franz von Sickingen. In: Ebernburg-Hefte 46 (2012), S. 7–36 (= Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde, S. 547–576), hier S. 21 (561). Höhere Zahlen nennt auf der Basis an Hessen ergangener Warnungen Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 121. Zur Zahl der angeblich gegen Frankfurt zusammengebrachten Männer s. ebd. S. 131. Bei der Fehde gegen Worms soll Sickingen 1.100 Reiter und 6.000 Fußknechte, bei der gegen Metz 10.000 Mann aufgeboten haben, Ulmann, Sickingen (wie Anm. 24), S. 44, 97. 106 Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 67. 107 Zum Beschuss von Worms Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 61; zum Artillerieeinsatz vor Metz: Heinrich Michelant (Hg.): Gedenkbuch des Metzer Bürgers Philippe de Vigneuelles aus den Jahren 1471 bis 1522 (Bibliothek des Litterarischen Vereins Stuttgart 24). Stuttgart 1852,

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cen eines Kriegs- beziehungsweise Fehdeunternehmers voraus. Als solcher war Sickingen auch auf einer ganz anderen Verhandlungsbasis, wenn es um die Abwehr der Rechtsfolgen seiner Fehde beziehungsweise seiner Landfriedensbrüche ging. Wer jedoch damit rechnen musste, durch Streifen gefasst und im schlimmsten Fall einer peinlichen Strafe zugeführt zu werden, wählte, wie angedeutet, andere Handlungsstrategien: Er setzte auf das Überraschungsmoment, weswegen die verspätete Absage und – in den Worten Horst Carls – die „spektakuläre[n] Geleitsbrüche“ typisch wurden.108 Er musste über hohe Mobilität und eine rasche Fortbewegungsgeschwindigkeit verfügen109 – vielleicht ein Moment, das dem Viehraub Grenzen setzte. War die Ausgrenzung aus dem sozialen Umfeld weit fortgeschritten, musste er sich auch konspirativ, ja heimlich bewegen können und Vorsicht selbst gegenüber seinen Mitstreitern walten lassen.110 Neben Austragungstechniken, die an die Rahmenbedingungen angepasst waren, war für eine erfolgreiche Fehdetätigkeit ein Unterstützerumfeld von Nöten, das Rückzugsorte und heimliche Unterkunft (den sogenannten Unterschlupf) für den Fehder und seine Gefangenen bot und das, wenn nötig, für den Fehder bei Freund und Feind intervenierte sowie im Fall einer Gefangennahme um Gnade bat. Das fränkische Netzwerk war, worauf die Forschung schon öfter hingewiesen hat, räumlich weit ausgreifend und reichte bis in den Odenwald, die Oberpfalz und nach Böhmen. Ja selbst bis ins Braunschweigische konnte Hans Melchior von Rosenberg Helfer finden, bis weit in die nördliche Mitte Deutschlands hinein war Götz von Berlichingen handlungsfähig, wie sein Überfall auf den Grafen von Waldeck belegt.111 Doch lassen sich unter den Unterstützern nicht nur verschwägerte oder befreundete Niederadelsfamilien feststellen, sondern es griff auch niederadlige Standessolidarität gemäß der von Mangolds von Eberstein Frau ausgesprochenen Maxime: „[W]ir Edelleut laszen einander nit, da Richt euch eben nach, Ir müst halten vnd thun, was wir wollen“.112 Diese Haltung spiegelt sich auch in der zum Teil

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S. 345f.; zur Eroberung St. Wendels und der Belagerung Triers Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 219–222. Carl, Der Schwäbische Bund (wie Anm. 3), S. 466. Während Hans Melchior von Rosenberg sich gegen den Vorwurf des Geleitsbruchs wehrte (Frey, Rosenberg [wie Anm. 1], Anmerkungsteil S. 4 Anm. 30), drückt sich in den Worten eines Absberg-Helfers beim Übergriff auf den Doktor beider Rechte Leibold Jorian offene Verachtung für das Geleit aus: „Da schlag der Teufel zu: und wir scheißen auf das Geleit; dann es wird dir nichts helfen, sondern du mußt sterben“. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 32. Jorian büßte bei diesem Übergriff zwar nicht sein Leben ein, doch wurde ihm die Hand abgehauen. So z.B. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 19; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 26, 171; Ulmschneider, Einleitung. In: Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 19. Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 357, 418f., 423. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 84–90; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 346. Hans Thomas von Rosenberg konnte „offenbar Zuflucht in einer Reihe norddeutscher Schlösser“ nehmen, vgl. Press, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 30), S. 362. Möglich war ein solch weiträumiges Agieren auch, weil die Gewaltprofis Netzwerke hatten, innerhalb derer Namen und Adressen potentieller Helfer und Sympathisanten weitergegeben wurden. Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 100, 112. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 43 S. 72.

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wenig reflektierten Bereitschaft, Fehdedienste zu übernehmen, ohne den genauen Fehdegrund zu kennen.113 Waren die Verwandten, Freunde oder Sympathisanten als Amtleute für den Fürsten tätig oder saßen sie in den Domkapiteln, konnte ein Fehdeführer auch mit indirekter Begünstigung durch Unterlassen von Nacheile, Wegschauen und Tolerieren rechnen.114 Selbst solche Adligen, die gegen Befehder einschreiten mussten oder wollten, überlegten sich dies zweimal, weil sie beziehungsweise ihre Untergebenen mit Racheakten zu rechnen hatten. Sogar ein Vertreter des Grafenstandes, der bereits erwähnte Graf Georg von Wertheim, fürchtete die Rache der Fehderitter und ließ lieber ertappte Täter laufen, als seine Gebiete zu gefährden, „dann der gemain adel, zuuor die vmbligenden fürsten, trügen sunst vngnad vnd vngunst zu Ime, als wolt er der sein, der alle sachen wolt ausz Reutten. Man hett vor hundert Jarn den leutten auch genomen, es wurd Im an der letz schwer vnd vyl adels auf sich laden, das an Ime ausgeen wurd, wie Ime dann von ettlichen vom adel offennlich vnter augen gesagt sey worden“.115 Andere Vertreter des Hochadels wie der hasardierende Herzog Ulrich von Württemberg oder die fränkischen Zollern versuchten gar, sich politischen Rückhalt zu verschaffen, indem sie sich als „Liebhaber des Adels“116 gerierten. Nicht nur waren fürstliche Amtleute in die Erhebung von Löse113 Zur Anwerbepraxis bei Fehden: Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 418–420; Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 63f., 82; Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5) S. 39f., 83. Helfer Götzens bei einem seiner Überfälle behaupteten aufgrund der angedeuteten Anwerbetechniken nach Ulmschneiders Recherchen, sie hätten „inscii et sine dolo“ gehandelt. Auf höherer Ebene machten die Grafen von Fürstenberg und von Zollern, die Franz von Sickingen in dessen Trierer Fehde unterstützt hatten, im Januar 1523 gegenüber dem Reichsregiment geltend, sie hätten „Sickingen einen Reiterdienst getan, ohne zu wissen, daß dies dem Kaiser zuwider“ gewesen sei. Von nun an wollten sie nicht mehr gegen den Kaiser handeln. Johannes Volker Wagner: Graf Wilhelm von Fürstenberg 1491–1549 und die politisch-geistigen Mächte seiner Zeit (Pariser Historische Studien 4). Stuttgart 1966, S. 30. 114 Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 63, 68, 83. Bekanntlich stand auch der Mainzer Hofmeister Frowin von Hutten, der 1518 „auf Wunsch seines Herrn, des Kurfürsten von Mainz“ während der hessischen Fehde mit Sickingen verhandelt hatte, in starkem Verdacht, Sickingen bei dessen Trierer Fehde begünstigt zu haben, was ihn einem Straffeldzug Landgraf Philipps aussetzte. Auch sein Herr, der Mainzer Erzbischof, musste es durch eine hohe Schadensersatzzahlung an die siegreichen Kriegsfürsten büßen, dass er Sickingen hatte gewähren lassen. Das Verhalten des Erzbischofs wiederum sieht Winterhager u.a. durch die Dominanz des mittelrheinischen Adels im Mainzer Domkapitel motiviert, die dem Erzbischof Rücksichtnahme auf die Adelsnetzwerke abverlangte. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 234–239, 273, 275; Hanna, Hutten (wie Anm. 121), S. 130f. (Zitat), S. 135–138; Wilhelm Ernst Winterhager: Nr. 2.7. Erzbischof Albrecht von Mainz gibt Sickingen Rückendeckung. In: Ritter! Tod! Teufel? (wie Anm. 45), S. 130f. Zu Frowin von Hutten vgl. auch Georg-Wilhelm Hanna: Frowin von Hutten – Das Leben eines Ritters. In: G. Ulrich Großmann, Hans Ottomeyer (Hg.): Die Burg. Wissenschaftlicher Begleitband zu den Ausstellungen „Burg und Herrschaft“ und „Mythos Burg“. Dresden 2010, S. 226–235. 115 Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 17 S. 34; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 277–279. Nach erfolgter Strafexpedition gegen Mangold von Eberstein wurde Graf Georg von Wertheim von dessen Bruder Philipp gefangen genommen. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), Nr. 44 S. 80. Vgl. außerdem Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 88; Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 54, 72. 116 So ließ sich Herzog Ulrich von Württemberg als „liebhaber, uffenthalter und fürderer des

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geldern verstrickt117; auch Mömpelgard, wohin der aus Württemberg vertriebene Herzog Ulrich sich zurückgezogen hatte, war Aufenthaltsort von Fehdern118 und Übergabeort von Lösegeldern aus der Absbergfehde.119 In Hans Thomas von Rosenbergs (politischer) Angelegenheit traten außerdem Landgraf Philipp von Hessen und Herzog Ulrich als Vermittler auf. Bis ins Königreich Frankreich hinein spann Hans Thomas von Rosenberg seine Fäden.120 Auch auf einer anderen Ebene zeigt sich die Vernetzung des fehdeführenden Adels, und zwar in gegenseitiger Hilfestellung bei Fehden.121 Längst wurden die

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adels“ loben: Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 79. Zur Adelspolitik Ulrichs in den Jahren seiner Vertreibung vgl. auch Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 142– 145. Zur adelsfreundlichen Politik Markgraf Kasimirs von Brandenburg-Ansbach vgl. Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 153, 178. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 75f. In einem allgemeineren Sinn waren bayerische und markgräfliche Amtleute der Kooperation mit Hans Thomas von Absberg verdächtigt: Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 300f., 310, 357. Zum Problem i.g. Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 451. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 9; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 262, 329, 357; Neumaier, Albrecht von Rosenberg (wie Anm. 23), S. 43. Zur Rolle Herzog Ulrichs vgl. auch Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 75. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 50, 55, 66 mit Anm. *, 68; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 350, 357. Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 12; Anmerkungsteil Anm. 37 S. 18; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 506. Z.B. führten Hans Thomas von Rosenberg und Götz von Berlichingen Sickingen in dessen Fehde mit Worms ca. 70–80 Pferde zu, dazu Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 105; Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 79; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 60. In der Metzer Fehde kooperierte Sickingen mit Graf Robert II. von der Marck, Herrn zu Sedan, einem berüchtigten Söldnerführer, vgl. Ulmann, Sickingen (wie Anm. 24), S. 55f., 96f. Zu dessen Person vgl. H. Louchay: Marck, Robert II. de la. In: L’Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique (Hg.): Biographie Nationale Bd. 13. Brüssel 1894–1895, Sp. 542–547. Auch zwischen Philipp Schluchterer, dessen seit 1512 geführte Gönnerfehde für einen gewissen Pierre Soufrey am Anfang einer Eskalationskette stand, die schließlich in Sickingens Metzer Fehde mündete, und Franz von Sickingen bestanden Verbindungen, die vor die Metzer Fehde zurückreichten. So unterstützte, wie bereits Ulmann herausgedeutet hatte, Sickingen Schluchterer bereits 1515 bei dessen Aktionen gegen Metz und damit Jahre vor Beginn seiner eigenen Fehde gegen die Stadt, vgl. Vigneulles, Mémoires (wie Anm. 107), S. 284; Ulmann, Sickingen (wie Anm. 24), S. 94 Anm. 2; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 111. Da Schluchterer seinerseits 1514 – also vor Sickingens Eingreifen – schon 300 Reiter und 100 Mann zu Fuß aufgebracht hatte, muss er ebenfalls gute Beziehungen zu fehdeaffinen Kreisen unterhalten haben, dazu Vigneulles, Mémoires (wie Anm. 107), S. 268. Die Beziehungen zwischen Sickingen und Schluchterer waren jedoch vermutlich nicht nur durch das Kriegshandwerk bedingt, sondern sie dürfen sozialer Nähe geschuldet gewesen sein. So war ein Philipp Schluchterer 1483 unter den Personen, die den Ehevertrag von Sickingens Tante Elisabeth von Sickingen mit Konrad von Hutten beredeten (Georg-Wilhelm Hanna: Die Ritteradligen von Hutten, ihre soziale Stellung in Kirche und Staat bis zum Ende des Alten Reiches, Diss. Bamberg 2006, S. 442; Druck Hanau 2007 (Hanauer Geschichtsblätter 44), S. 562. 1511 ist außerdem ein Philipp Schluchterer als Baumeister der Ganerbenburg Wartenberg (Verbandsgemeinde Winnweiler, Donnersbergkreis) belegt. Es muss sich um den Verbündeten Sickingens gehandelt haben, denn Wartenberg galt 1516 während seiner eigenen Fehde mit Metz als Schluchterers Aufenthaltsort. Auch Franz von Sickingen konnte diese Burg in

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Beziehungen in der Forschung thematisiert, die Hans Thomas von Absberg und Mangold von Eberstein122, Götz von Berlichingen und Franz von Sickingen, aber auch Berlichingen und Absberg123 verbanden. Diese Beziehungen manifestierten sich häufig im Austausch von Fehdehelfern. Die Kinder Philipps von Guttenberg schließlich sind als Helfer Absbergs nachweisbar. Ferner unterstützte Berlichingen Sickingen unentgeltlich, weil er sich in gleicher Lage von diesem Hilfe erwartete.124 Aber auch zwischen Sickingen und anderen fränkischen Befehdern lassen sich Verbindungen aufweisen. Auf die Verbindung des Hans Thomas von Rosenberg zu Sickingen ist bereits hingewiesen worden.125 Mangold von Eberstein brach während seiner Fehde mit Nürnberg 1519 zur Königswahl nach Frankfurt auf, die

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seiner Wormser Fehde nutzen. Ulrich von Hutten soll sich vor seinem Übersiedeln nach Zürich auf der Burg Wartenberg aufgehalten haben. Im Dezember 1522 wurde die Burg im Zuge des Straffeldzugs der siegreichen Fürstenkoalition gegen die Anhänger Sickingens zerstört. Dazu Vigneulles, Mémoires (wie Anm. 107), S. 317; Martin Dolch, Uwe Welz: Wartenberg I. In: Jürgen Keddigkeit, Ulrich Burkhard, Rolf Übel im Auftrag des Instituts für pfälzische Geschichte und Volkskunde (Hg.): Pfälzisches Burgenlexikon Bd. 4.2 St–Z (Beiträge zur pfälzischen Geschichte, hg. vom Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde Kaiserslautern 12.4.2). Kaiserslautern 2007, S. 214–228, hier S. 222. Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 129, 158, 418. Götz von Berlichingen und Hans Thomas von Absberg dürften sich seit der Fehde des Hans von Geislingen gegen Nürnberg (1510–1513) gekannt haben, in der beide Geislingen unterstützten. In deren Rahmen waren Hans Thomas von Absberg sowie Hans Thomas von Rosenberg an dem von Götz von Berlichingen geleiteten Überfall von Forchheim auf Nürnberger Kaufleute beteiligt, dazu Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 91, 95, 98f.; Ulmschneider, Götz (wie Anm. 5), S. 59, 61, 68, 71. Die späteren Beziehungen zwischen Götz von Berlichingen und Hans Thomas von Absberg beschränkten sich nach bisherigem Kenntnisstand auf den Wechsel eines Fehdehelfers namens Eucharius Schilt von Götzens in Absbergs Dienst, der offenbar auch als Absberg’scher Helfer Aufenthalt, ja vielleicht sogar heimliche Unterstützung in Götzens Besitzungen in Anspruch nehmen konnte. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 131 Anm. 229; Baader, Absberg (wie Anm. 7), S. 108f. Göttmann, Götz (wie Anm. 8), S. 88 Anm. 27 verweist ohne Nennung von Namen pauschal auf Verbindungen zwischen Götz von Berlichingen und dem Kreis der Absberghelfer infolge von „Freund- und Verwandtschaft“. Seit 1519 wurde Götz in Möckmühl gefangen gehalten. Insofern konnte er sich weder an Sickingens Trierer Fehde 1522 beteiligen noch an jenen Übergriffen Hans Thomas von Absbergs, die 1523 die Strafexpedition des Schwäbischen Bundes nach sich zogen. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 131. Götz von Berlichingen, Mein Fehd (wie Anm. 5), S. 105; Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 79f. Vgl. außerdem S. 101f. Nach Götzens Gefangennahme durch den Schwäbischen Bund intervenierte Sickingen für Götz wegen der Modalitäten seiner Gefangenschaft. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 111f.; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 161. Unter den Verteidigern Nansteins befand sich ein Sohn des Götz von Berlichingen. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 267. Hans Thomas von Rosenberg unterstützte Sickingen 1516 bei dessen Fehde gegen Worms und 1522 gegen Kurtrier. Dazu Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 60; Ulmann, Sickingen (wie Anm. 24), S. 44, 279. Nach dem Scheitern seiner Klagen bei verschiedenen Instanzen wegen des Verlustes des Boxbergs hielt sich Hans Thomas von Rosenberg seit ca. 1524 zeitweilig bei Hans Thomas von Absberg auf, dazu Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 11. Eine einmalige Kooperation Hans Melchiors von Rosenberg mit Hans Thomas von Absberg kann außerdem plausibel gemacht werden. Dazu Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 346. Die Verbindungen dieser beiden Rosenberger zu Hans Thomas von Absberg sind folglich geringfügig.

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ja von Frundsberg und Sickingen militärisch „abgesichert“ wurde; möglicherweise datierten die Kontakte beider, die 1522 mit Ebersteins Rückzug zu Sickingen endeten, aus dieser Zeit.126 Philipp von Rüdigheim (Gem. Neuhaus, Main-KinzigKreis), in dessen Fehde Hans Melchior von Rosenberg 1519 tätig geworden war, wurde in der Folge Helfer Mangolds von Eberstein gegen Nürnberg. Seine Beziehungen zu Sickingen bestanden zu diesem Zeitpunkt schon. Denn unter den Bedingungen, die Sickingen 1518 Landgraf Philipp von Hessen zur Beendigung der hessischen Fehde oktroyierte, galt eine einem Streit, in den Philipp von Rüdigheim verwickelt war. Auch in dem Vertrag, durch den Sickingen nach der hessischen Fehde von einem weiteren Angriff auf Frankfurt Abstand nahm, intervenierte der Pfälzer ‚Warlord’ für eine Philipp von Rüdigheim betreffende Streitsache. Während des Zuges der Kriegsfürsten gegen Sickingen war Philipp von Rüdigheim unter den Verteidigern Nansteins.127 Verbindungen gab es auch auf der Ebene der Knechte. So diente Eucharius Schilt erst Götz von Berlichingen und Franz von Sickingen, bevor er sich Hans Thomas von Absberg anschloss.128 Falls Hans Jörg von Aschhausen und Hans Jörg von Asthausen identisch sind, was sehr wahrscheinlich ist, kann man außerdem die Spur eines Mündels des Götz von Berlichingen zu Hans Thomas von Absberg, zu Sickingen und nach Sickingens Ende zurück zu Absberg, nach Mömpelgard und zuletzt zu einem Leben als Heckenreiter auf eigene Rechnung verfolgen.129 126 Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 157. Mangold von Eberstein starb auf Sickingens Kriegszug gegen Kurtrier bei St. Wendel. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), S. 11, Nr. 44 S. 79f. 127 Zu Philipp von Rüdigheim: Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), S. 6, Nr. 13 S. 31, Nr. 38 S. 65; Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), S. 4; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 221; Wigand Lauze: Leben und Thaten des Durchleuchtigsten Fursten und Herren Philippi Magnanimi, Landgraffen zu Hessen, Bd. 1. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde. 2. Supplement. Hessische Chronik von Wigand Lauze. Zweiter Theil. Bd. 1. Kassel 1841, S. 26, 29; Ulmann, Sickingen (wie Anm. 24), S. 125; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 111, 267, 273, 275. Beim Straffeldzug des hessischen Landgrafen gegen die Unterstützer Sickingens im Oktober 1522 büßte Philipp von Rüdigheim den Ort Rückingen ein, der Gefangennahme konnte er sich jedoch durch Flucht entziehen, dazu Hanna, Hutten (wie Anm. 121), S. 137. Rüdigheim muss sich in der Folge auf den Nanstein begeben haben. So wurde er mit anderen Verteidigern der Burg gefangengenommen und vom hessischen Landgrafen in „’ritterliche Haft’“ gelegt, Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 297. Zum Leidwesen der Nürnberger räumte die hessische Seite den Städtern aber keine Möglichkeit ein, Rüdigheim wegen seiner Fehdetätigkeit zu Nürnbergs Lasten zu befragen. Zu einem von Ritzmann nicht genannten Zeitpunkt wurde Rüdigheim „trotz seiner Ächtung ... zum Diener Hessens“ angenommen, Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 296. So wurde Rüdigheims Fehdetätigkeit gegen Nürnberg, obwohl er durch einen Mittäter „schwer belastet“ worden war, wegen Landgraf „Philipps protektionistischer Haltung“ nicht sanktioniert. Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 297. 128 Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 108 führt an, Eucharius Schilt habe „längere Zeit bei Franz von Sickingen und Götz von Berlichingen ... gedient“, bevor er zu Absberg gekommen sei. 129 Zu seiner Person: Julius Hartmann, Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau, Stuttgart 1883, S. 366. Eingesehen bei:https://upload.wikimedia.org/wikipedia/ commons/a/aa/Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_366.jpg; (17.02.2018); Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 96, 130, 182, 184 Anm. 539, 236; Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 60, 83, 87f.; Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 300, 309, 326f., 405, 463, 501, Tab. 15b; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 272; Neumaier, Albrecht von

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Erst recht verwundert es nicht, dass Männer, die als Söldnerführer auftraten, enge Beziehungen zu Sickingen unterhielten. Zu nennen wäre nicht nur Graf Wilhelm von Fürstenberg130, Gangolf von Geroldseck131, Graf Robert von der Marck oder der von Fürstenberg angeworbene Konrad von Bemelburg132, dessen Karriere sich noch in den Anfängen befand, sondern auch Johann Hilchen von Lorch, den wir als Helfer und agent provocateur für Sickingen sehen, der aber selbst eine Karriere als Söldnerführer in Angriff nahm.133 Auch Hartmut von Kronberg, der bei

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Rosenberg (wie Anm. 23), S. 43. Hans Jörg von Aschhausen war mit Barbara von Rosenberg, der Cousine des Kunz von Rosenberg, verheiratet. Möller, Stammtafeln 2 (wie Anm. 25), Tafel LXXV. Hans Jörg von Aschhausens Schloss wurde im Juni 1523 durch den Schwäbischen Bund erobert, da Aschhausen sich geweigert hatte, sich vom Verdacht der Unterstützung Absbergs zu purgieren. Seine Fehdeaktivitäten im Umfeld der Absbergfehde fallen besonders in die Jahre 1526/1527. Zeitpunkt und Art der Unterstützung Sickingens sind unbekannt, doch taucht der Name eines Hans Jörg von Asthausen auf einer Liste der Unterstützer Sickingens auf, die von den Kriegsfürsten auf Burg Nanstein erbeutet wurde. Graf Wilhelm von Fürstenberg war, nach Fehdetätigkeit auf eigene Rechnung sowie kaiserlichen und württembergischen Diensten, 1521 als Söldnerführer erst in französische Dienste, dann in die Dienste Karls V. getreten. 1522 führte er im Kontext der Trierer Fehde für Franz von Sickingen Verhandlungen um Kredite und warb für ihn Truppen. 1529 bemühte er sich in Verhandlungen mit Hans Thomas von Rosenberg um die Freilassung des von diesem entführten Sohns des Truchsessen Georg von Waldburg. Dazu Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 199f., 211, 217, 266, 272, 277–280; Frey, Rosenberg (wie Anm. 1), Anmerkungsteil S. 6 Anm. 19; Wagner, Fürstenberg (wie Anm. 113), S. 12–32. Graf Gangolf von Geroldseck hatte 1516 die Fehde gegen den Herzog von Lothringen geführt, in die sich Franz von Sickingen unterstützend eingeschaltet hatte. Ulmann und Scholzen sehen in der Fehde eine Stellvertreterfehde, die zum Vorteil Kaiser Maximilians und mit englischen Subsidiengeldern geführt worden sei; die Zimmersche Chronik erweckt jedoch den Eindruck einer von Geroldseck selbst verantworteten Fehde. Im Zuge der Fehde geriet Geroldseck durch seine eigenen Söldner in eine Bedrängnis, aus der Sickingen ihn befreite. Trotz seiner Beziehungen zu Sickingen wurde Gangolf von Geroldseck von Kaiser Maximilian im Dezember 1516 zum obersten Hauptmann einer Strafexpedition gegen Sickingen ernannt, die jedoch nicht zustande kam. Während des Feldzugs an der Maas 1521 und während der Trierer Fehde unterstützte Graf Gangolf Franz von Sickingen. Otto Waltz (Hg.): Die Flersheimer Chronik. Zur Geschichte des XV. und XVI. Jahrhunderts. Leipzig 1874, S. 58; Karl August Barack (Hg.): Zimmersche Chronik, Bd. 2, 2. Aufl. Freiburg u. Tübingen 1881, S. 500–503; Flade, Bericht (wie Anm. 42), S. 84; Ulmann, Sickingen (wie Anm. 24), S. 48–54, 201, 287; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 64, 67, 211. Der später als Söldnerführer bekannte Konrad von Bemelburg wurde als Unterstützer Sickingens in der Trierer Fehde von Graf Wilhelm von Fürstenberg angeworben, Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 280. Johann Hilchen von Lorch gehörte wie Franz von Sickingen zu den Ganerben von Burg SteinKallenfels, dazu der Burgfriede der Ganerben des Schlosses Stein Callenfels 1514. In: Paul Wigand: Wetzlar’sche Beiträge für Geschichte und Rechtsalterthümer, Bd. 2. Halle 1845, S. 150–173, hier S. 173. Auf die Bedeutung der Ganerben von Stein-Kallenfels für die Fehdeführung Franzens von Sickingen wies bereits Ulmann, Sickingen (wie Anm. 24), S. 16 hin. 1510/1511 führte Johann Hilchen seine erste Fehde mit dem Rheingrafen Philipp, was ihm 1511 die Acht wegen Landfriedensbruchs eintrug. 1518 sagte er selbst dem hessischen Landgrafen wegen einer angeblich sechs Jahre zuvor erfolgten Rechtsverletzung ab; auf dieser Basis beteiligte er sich an Sickingens Fehde gegen Landgraf Philipp. Johann Hilchen von Lorch soll außerdem an der Landauer Versammlung des Jahres 1522 teilgenommen haben. Gegenüber

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kaum einer Fehde Sickingens fehlte, wurde meiner Kenntnis nach bis vor Kurzem nur protestantisch-apologetisch betrachtet134, konnte aber bereits in der Wormser Fehde dreihundert Reiter anwerben,135 was doch wohl den Verdacht nahelegt, dass dem Trierer Erzbischof machte Johann Hilchen Ansprüche aus zwei Konflikten geltend, auf deren Basis er im Rahmen der Trierer Fehde Sickingens wiederum eine eigene Fehdeerklärung abschickte. Seine Rolle im Vorfeld der Trierer Fehde mag, wie Scholzen in Anlehnung an Flades Bericht andeutet, die eines ‚agent provocateur’ gewesen sein. In der Fehde selbst amtierte Hilchen als Brandmeister. Zusammen mit Hans von Sickingen geriet Hilchen in Pfälzer Gefangenschaft, als er Sickingen von Stein-Kallenfels aus zu Hilfe kommen wollte. In der Folge suchte Johann Hilchen sein Glück im Dienst Kaiser Karls V. und König Ferdinands (1527– 1548), wo er es zu Vermögen brachte. Dabei war er u.a. mit Truppenanwerbung bei der Belagerung Wiens 1529 und im Schmalkaldischen Krieg 1547 befasst, wobei er 1529 400 Pferde, 1547 im Auftrag des kaiserlichen Feldherrn Graf Wilhelms von Nassau 60 Pferde zu stellen hatte. F[riedrich] Otto: Johann Hilchen von Lorch. In: Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung 24 (1892), S. 1–23; Lauze, Leben und Thaten (wie Anm. 127), S. 26, 30; Flersheimer Chronik (wie Anm. 131) S. 75f.; Flade, Bericht (wie Anm. 42), S. 81f., 85f., 101f.; Rendenbach (wie Anm. 42), S. 55, 57f.; Ulmann, Sickingen (wie Anm. 24), S. 115, 256 Anm. 1, Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 206f., 237f., 273–275. 134 Wilhelm Bogler: Hartmuth von Kronberg. Eine Charakterstudie aus der Reformationszeit (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 57), S. 6. Geradezu peinlich sind etwa die Ausführungen bei Helmut Bode: Hartmut XII. von Cronberg. Reichsritter der Reformationszeit. Mit Martin Luthers Missive an Hartmut und dem Hartmut-Kapitel aus dem „Adels-Spiegel“ des Cyriacus Spangenberg (1591/94). Frankfurt 1987, S. 54. Einen verdienstvollen modernen Zugriff bietet nun jedoch: Mathias Müller: Hartmut von Cronberg. Frühreformatorischer Flugschriftenautor und Bundesgenosse Sickingens. 106. reformationsgeschichtlicher Vortrag, Ebernburg, 3. Mai 2015. In: Franz von Sickingen und die ritterschaftliche Reformation. Festschrift für Hans-Joachim Bechtoldt (= Ebernburg-Hefte 49 [2015], zgl. Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 82 [2015], S. 97 (297)–123 (323)), der fragestellungsbedingt die Fehdeproblematik jedoch weitgehend ausblendet. Einschlägig ist hierfür bes. Anm. 22 S. 101 (301). 135 Flersheimer Chronik (wie Anm. 131), S. 58; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 60. Im Gegensatz zu Götz von Berlichingen und Hans Thomas von Rosenberg ist für Hartmut von Kronberg keine (!) Teilnahme an der Wormser Fehde auf eigene Kosten belegt. Irrig ist die diesbezügliche Angabe bei Bogler, Hartmuth von Kronberg (wie Anm. 134), S. 2. In der Lothringer Fehde führte Kronberg Sickingen 100 Reiter zu, dazu Flersheimer Chronik (wie Anm. 131), S. 58; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 64. In Sickingens hessischer Fehde unterstützte Kronberg Sickingen wiederum, dazu Lauze, Leben und Thaten (wie Anm. 127), S. 26; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 125. Begünstigte der Landgraf Philipp von Hessen abgetrotzten Sühne waren u.a. Kaspar und Hartmut von Kronberg selbst, die Güter zurückerhielten, welche sie als kurpfälzische Parteigänger im Landshuter Erbfolgekrieg verloren hatten, dazu Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 127; Bogler, Hartmuth von Kronberg (wie Anm. 134), S. 2; Bode, Hartmut (wie Anm. 134), S. 72; Wolfgang Ronner: Die Herren von Kronberg und ihre Reichslehen 1189–1704. Regesten und ergänzende Texte, hg. von der Stadt Kronberg im Taunus und der Stiftung Burg Kronberg. Frankfurt 1999, Nr. 3526 S. 772; Müller, Cronberg (wie Anm. 134), S. 101 (301) Anm. 22. Auch 1518 – also bei Sickingens Fehdezug gegen Metz und gegen Hessen – war Hartmut von Kronberg als „Geld und Waffenbeschaffer“ Sickingens tätig. Ronner, Die Herren von Kronberg (s.o.), Nr. 3525 S. 772. 1519 soll Hartmut von Kronberg für Sickingens Feldzug gegen Württemberg 300 Reiter angeworben haben, dazu Bogler, Hartmuth von Kronberg (wie Anm. 134), S. 18. Eine andere Zahl – nämlich 129 Pferde – nennt hingegen Ronner, Die Herren von Kronberg (s.o.), Nr. 3527 S. 772. In der Trierer Fehde beschaffte Kronberg Sickingen Kredite, darüber hinaus war ihm der Schutz der Ebern-

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auch er im Soldgeschäft aktiv war, denn einfache Ritter boten keine Truppen in dieser Mannstärke auf. Moderne Forschungen sind außerdem zu Nickel von Minckwitz wünschenswert, der in seinen späteren Jahren ein berüchtigter Fehdeführer war, der 1522 jedoch mit dem Versuch scheiterte, Sickingen Söldner aus dem Braunschweigischen zuzuführen.136 Ersichtlich beruhte das Fehdegeschäft auf dem Vorhandensein von Gewaltprofis, deren Lebensunterhalt und gegebenenfalls dominante Beschäftigung, ja sogar „Lebensform“ in einer Lebensphase die Kriegführung war. Den Aufstieg vom Fehdehelfer137 zum Fehdeführer und sogar zum Fehdeunternehmer schafften nur weburg anvertraut; Bogler, Hartmuth von Kronberg (wie Anm. 134), S. 2; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 198, 225, 244. Nach Sickingens Niederlage vor Trier und der eigenen Enteignung durch einen Rachefeldzug Landgraf Philipps im Oktober 1522 warb Hartmut von Kronberg vergeblich um militärische Hilfe für Sickingen in Böhmen und der Eidgenossenschaft. Flersheimer Chronik (wie Anm. 131), S. 77. Bogler, Hartmuth von Kronberg (wie Anm. 134), S. 5, 33f.; Müller, Cronberg (wie Anm. 134), S. 108 (308). Im Übrigen war bereits die Elterngeneration durch Fehdehilfe verbunden. So kooperierten Hartmuts Vater Johann von Kronberg und Franzens Vater Schwicker von Sickingen 1488/1489 bei Fehden. Dazu Ronner, Die Herren von Kronberg (s.o.), Nr. 3501f. S. 767. Die Verbindungen Hartmuts von Kronberg ins Milieu der (semi-)professionellen Fehdeführer bedürfen dringend einer Aufarbeitung. 136 Nickel (Niklas) von Minckwitz, Herr von Sonnenwalde in Sachsen, immatrikulierte sich 1503 an der Universität Wittenberg. 1521 ist er als Unterhändler zwischen Herzog Georg und Kurfürst Friedrich von Sachsen und dem französischen König nachweisbar. 1522 stand er mit Hartmut von Kronberg und Frowin von Hutten in einem brieflichen Kontakt, der sich um den geplanten Truppenzuzug für Franz von Sickingen drehte; doch scheiterte Minckwitz mit dem Versuch, Sickingen Kämpfer zuzuführen, die im Rahmen der Hildesheimer Stiftsfehde rekrutiert worden waren. Minckwitz wurde nämlich von Landgraf Philipp von Hessen gefangen genommen, der bei ihm nicht nur einen kompromittierenden Briefwechsel Sickingens mit dem Mainzer Hofmeister Frowin von Hutten beschlagnahmte, sondern auch den Chiffrierschlüssel für Sickingens geheime Korrespondenz. Bis Sommer 1523 wurde Minckwitz in hessischem Gewahrsam gehalten. Seit 1524 gerieten Nickel von Minckwitz, der im gleichen Jahr eine Gräfin Schlick heiratete, und sein Bruder wegen ihrer ab 1522 fassbaren aktiven Hinwendung zur Reformation unter politischen Druck. Die Gönnerfehde, die Minckwitz 1528 gegen den Bischof von Lebus mit 60–400 Reitern führte, endete mit einer Plünderung der Stadt Fürstenwalde und mit Sakrilegien und brachte Minckwitz 1530 in die Reichsacht. Seit 1528 ist Nickel von Minckwitz einerseits als hochmobiler Fehdeführer nachweisbar, andererseits als politischer Akteur mit diplomatischem Geschick, der gute Beziehungen zum ungarischen Gegenkönig Johann Zapolya unterhielt. Diese konnte er auch zum Ausbau seiner eigenen Stellung nutzen, da er sich als Unterhändler in schwierigen Missionen bewährte. 1534 wurde er zum Urfehdeschwur zugelassen und wieder in die Gnade König Ferdinands aufgenommen. 1541 und 1543 betätigte Minckwitz sich als Söldnerführer. Dazu Ulmann, Sickingen (wie Anm. 24), S. 280, 292; Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 224 sowie in Ermangelung einer neueren wissenschaftlichen Monographie Günter H. Wiege: Nickel von Minckwitz. Ein Renaissanceleben. Frankfurt 1999. 137 Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 91–98 zu den Anfängen des Hans Thomas von Absberg als Fehdehelfer sowie als Gönner; Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 39– 45 zu Götzens frühen Einsätzen beim „Heckenreiter“ Hans Thalacker von Massenbach sowie in markgräflichem und bayerischen Dienst. – Der später bekannte Söldnerführer Graf Wilhelm von Fürstenberg begann seine militärische Laufbahn hingegen im Dienst Kaiser Maximilians gegen Venedig (1511). 1513 trat er in württembergischen, 1521 in französischen und kurz darauf in kaiserlichen Dienst. Dabei gilt seine Dienstnahme beim französischen König als Eintritt

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nige; Gewaltprofis, die ihre Gewaltkompetenz bei Bedarf jedoch zur Erwerbsquelle machen konnten, waren sie alle. Dies sollte zur Vorsicht gegenüber ideologischen Überhöhungen ihres Tuns mahnen, gleich ob diese Ideologisierungen gleichsam sozialkritisch wie bei Absberg und Eberstein138, als Appell an die Standessolidarität139 oder nationalistisch wie bei Sickingen140 oder gar konfessionell überhöht wie bei den Anhängern desselben daherkommen.141 Lediglich das Argument, die Feh-

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in das „berufsmäßige[.] Söldnertum“. In der Folge wechselte Fürstenberg immer wieder seinen Dienstherrn. In eigenen Angelegenheiten hatte Graf Wilhelm 1505 einen Konflikt durchzustehen, in dem die Gegenseite – Herzog Ulrich – Gewalt anwendete; in welchem Umfang der Graf seinerseits gewaltsam reagierte, muss offenbleiben. 1514 führte Fürstenberg eine (weitere?) eigene Fehde. Dazu: Sigmund Ritter von Riezler: Art. Fürstenberg, Graf Wilhelm v. In: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. v. der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 8 (1878), S. 228–232; Wagner, Fürstenberg (wie Anm. 113), S. 12–21 (Zitat S. 21), 27; Thomas Bergholz: Art. Fürstenberg, Wilhelm von. In: FriedrichWilhelm Bautz (Hg.): Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon Bd. 25. Herzberg 2005, Sp. 470–472. Auch am Beginn der Tätigkeit Franzens von Sickingen stand ein Solddienstvertrag mit dem Erzbischof von Mainz (1509), der aber offenbar nicht zu einem kriegerischen Einsatz Sickingens führte. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 42. Sowohl in Absbergs wie in Ebersteins Umfeld äußerten sich Knechte gegenüber gefangenen Städtern kritisch über deren Stadträte. Dies dürfte bezweckt haben, Unmut zwischen den Gefangenen (und ihren Angehörigen) sowie der städtischen Obrigkeit zu schüren und vielleicht sogar eine „Solidarisierung“ zwischen den Gefangenen und ihren Kidnappern – eine Art Stockholm-Syndrom – zu erzeugen. Baader, Fehde (wie Anm. 7), S. 95. Helfer Ebersteins reizten sogar zum Aufruhr mit den Worten: „Item‚ was seyt Ir hanntwercker fur thoret leut, das Ir In der gemain nit ains miteinander wert vnd schlacht die herrn im Rat zu tod, dan Ir seyt mer dann sie, vnd faht ein ander Regiment an, dann es kann sich nyemanndt vor Irem grossen gewalt vnd gut geregen und wollen alle menschen einthun’“. Eberstein, Fehde (wie Anm. 1), S. 30. In ähnlicher Weise äußerte sich ein Herr von Buchenau gegenüber einem Nürnberger Kaufmann, den Götz von Berlichingen ihm zur Bewachung übergeben hatte: Nürnberg werde einen ähnlichen Abstieg nehmen wie Erfurt. Die Kaufleute würden durch den Rat „verdorben“ und sollten die Räte „über das rathauß herab“ werfen, „so kompt ir auß der sach“. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 5), S. 67. So soll Sickingen auf dem Totenbett verlautbart haben, „das es nit allein oder zum wenigsten umb ine, sonnder umb die ganntz gemeine ritterschafft zu thuen sey, dieselbige von und umb ir adeliche freyheiten, gebreuch unnd herkhommen in beurische dienstbarkheit zu bringen etc.“. Flersheimer Chronik (wie Anm. 131), S. 80. Dazu auch Kurt Andermann: Dem Evangelium eine Öffnung? Überlegungen zu Franz von Sickingens Trierer Fehde. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 109 (2011), S. 65–86, hier S. 82. Auch die Tatsache, dass Sickingen zwar dem Trierer Erzbischof, nicht aber dessen Lehnsleuten absagte (Scholzen, Sickingen [wie Anm. 24], S. 204), kann als Versuch der Herstellung von Standessolidarität verstanden werden. Zur Standessolidarität als Hilfemotiv in Fehden vgl. außerdem Ritzmann, Plackerey (wie Anm. 2), S. 304. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 217. Unter den vielen Stimmen, die den ‚Warlord’ Franz von Sickingen zum Glaubenskämpfer stilisierten, sei hier sein Kampfgefährte Hartmut von Kronberg herausgehoben, dazu Bogler, Hartmuth von Kronberg (wie Anm. 134), S. 34f., 60, 63. Die aktuelle Forschung urteilt hier deutlich nüchterner. Zusammenfassend zur Einschätzung der reformatorischen Bestrebungen Sickingens und ihrer Motivation: Andermann, Evangelium (wie Anm. 139) S. 69; Thomas Kaufmann: Franz von Sickingen und die Herberge der Gerechtigkeit – Historie und Mythos. In: Ritter! Tod! Teufel? (wie Anm. 45), S. 49–56; Ders., Sickingen, Hutten, der Ebernburg-Kreis und die reformatorische Bewegung (wie Anm. 134), S. 35 (235)–96 (296), bes. S. 42f. (242f.)

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den der fränkischen Adligen seien als Abwehr fürstlicher Mediatisierungsansprüche aufgefasst worden, scheint mir plausibel, da entsprechende Befürchtungen auch unabhängig von Fehden auf breiter Front immer wieder geäußert wurden und, wie die Guttenbergfehde lehrt, auch einen für den Historiker nachvollziehbaren ‚Sitz im Leben’ hatten.142 Immerhin muss man es Sickingen aber auch hier lassen, dass er es am professionellsten verstand, seine eigenen Interessen ideologisch überhöht in öffentlichkeitswirksamer Weise zu „vermarkten“. Ziehen wir ein Fazit. 1. Die Motivation, noch nach 1500 Fehden zu führen, war vielfältig. Wie die Guttenbergfehde und die Rosenbergfehde zeigen, sind sehr wohl Fehden nachweisbar, deren Rechtsgrund nachvollziehbar und deren politisches Anliegen augenfällig ist. Daneben gibt es Fehden, die in starkem Verdacht dominanter Kommerzialität stehen müssen. Dies wurde von der Forschung mehrfach thematisiert und in Begriffe wie den des Raub- beziehungsweise Fehdeunternehmers gebracht. 2. Auch die erheblichen Unterschiede zwischen den Unternehmungen der fränkischen Ritterschaft und Kriegsunternehmern wie Sickingen sind der Forschung nicht verborgen geblieben. Unter anderem hat Scholzen sie zutreffend beobachtet, wenngleich er zu ihrer Erfassung untaugliche Begriffe vorschlug.143 Meines Erachtens führt jedoch die Begrifflichkeit Herfried Münklers weiter. Bei den Fehden der fränkischen Fehdereiter handelt es sich um asymmetrische Gewalt, bei der aufgrund eigener Schwäche Schlachten gemieden werden und Partisanentechniken zum Einsatz kommen.144 Die Unterstützung der umgebenden Bevölkerung – respektive besser: des adligen Netzwerks – ist dabei fest eingeplant. 3. Auch den Umschlag beziehungsweise die ‚Weiterentwicklung’ des Partisanenkriegs in den Terror lässt sich beobachten. Zwar scheinen mir nicht alle Kriterien Münklers – wie der Verzicht auf die Unterstützung des Umfelds und dessen Ersetzung durch Zwang, oder der Übergang von defensiven zu offensiven Zielen – gegeben, aber eine parallel zur eigenen Schwäche verstärkte Brutalizu Kronbergs Idealisierung der Umtriebe Sickingens, S. 51–54 (251–254), 57–59 (257–259) zum auch von den Zeitgenossen postulierten Zusammenhang zwischen z.T. gewaltbereiter Pfaffenfeindschaft und Trierer Fehde. 142 Zu diesen Mediatisierungstendenzen vgl. etwa die Beschwerdeschrift der am 25.11.1522 in Schweinfurt versammelten Ritterschaft (wie Anm. 4). Zur Fehdeführung als „Symbol ritterlicher Autonomie“ s. Göttmann, Götz (wie Anm. 8), S. 89. Zu Sickingens Fehdetätigkeit als Mittel der Verteidigung „ritterliche[r] Standesinteresse[n]“: Andermann, Evangelium (wie Anm. 139), S. 81. 143 Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 163–167. Zur Untauglichkeit des Begriffs „Raubritter“: Kurt Andermann: Raubritter – Raubfürsten – Raubbürger? Zur Kritik eines untauglichen Begriffs. In: Ders. (Hg.): „Raubritter“ oder „Rechtschaffene vom Adel“? Aspekte von Politik, Friede und Recht im späten Mittelalter (Oberrheinische Studien 14). Sigmaringen 1997, S. 9–29. 144 Zum Begriff: Herfried Münkler: Die neuen Kriege, 5. Aufl. Reinbek 2014, S. 11; Ders.: Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion. Weilerswist 2003, S. 253f.

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sierung, die auf Einschüchterung zielt, lässt sich zumindest bei Absberg sehr gut beobachten. Auch die Beliebigkeit, mit der Opfer ausgewählt werden, kann als Kriterium des Terrors betrachtet werden. 4. Dem steht der Typ des Fehdeunternehmers entgegen, wie wir ihn in der Person Sickingens greifen können. Im Sinne Münklers wird man ihn zwar keinen ‚Warlord’ nennen können (falls ‚Warlords’ dadurch charakterisiert sind, dass sie „die wichtigsten Attribute von Staatlichkeit für sich“ reklamieren145); wohl aber trifft das Kriterium zu, dass er – wie eben ‚Warlords’ – die Bevölkerung ausplünderte und ein genuines Interesse daran hatte, Konflikte weiterschwelen zu lassen, weil seine Einkünfte durch den Krieg generiert wurden.146 Für Sickingen hat Scholzen ja sogar die These aufgestellt, dass sein Erfolg wie bei einer Kettenbriefaktion daran hing, immer bedeutendere Gegner anzugreifen, um immer höhere Einnahmen zu erzielen, damit die Defizite der vorangegangenen Kampagne aufgefangen werden konnten.147 5. Dass Fehden gleich welcher Art weitergeführt werden konnten, hing aber auch mit der begründeten Erwartung der Fehdeführer zusammen, aus politischen Gründen einer Bestrafung entgehen zu können. Dieser Gesichtspunkt konnte hier nicht ausgeführt werden, ist für die Beurteilung der Fehdepraxis um und nach 1500 aber gleichwohl von eminenter Bedeutung.

145 Münkler, Die neuen Kriege (wie Anm. 144), S. 34. 146 Zur Ökonomie der ‚Warlords’ vgl. Münkler, Die neuen Kriege (wie Anm. 144), S. 33–36, 161– 173. 147 Scholzen, Sickingen (wie Anm. 24), S. 292f.

KAISER, REICH UND RITTERSCHAFT AM BEGINN DER FRÜHEN NEUZEIT Matthias Schnettger In den Jahrzehnten um 1500 waren die niederadligen Familien im Süden und Westen des Deutschen Reichs, die sich nicht der Landesherrschaft eines Fürsten unterworfen sahen, einer ganzen Reihe von Herausforderungen ausgesetzt: den Bestrebungen mancher Fürsten, die benachbarten Niederadligen und ihren Besitz der eigenen Territorialherrschaft zu unterwerfen, sozialen und ökonomischen Veränderungen, die das Selbstverständnis der Niederadligen tangierten und ihre Position in der Hierarchie des Reichs bedrohten, und einer Umgestaltung und Verfestigung der Reichsverfassung in einer Weise, wie sie in erster Linie den Vorstellungen der Fürsten entsprach.1 Die geistlichen und weltlichen Fürsten, Grafen und Herren, Prälaten und die Reichsstädte erhielten, anders als die Reichsritter, insbesondere durch die Institutionalisierung des Reichstags nun systematisch Anteil an der Reichsgewalt. Damit steht im Zusammenhang, dass einige Reichstage Beschlüsse fällten, die den Wünschen großer Teile der Ritterschaft diametral zuwiderliefen. Besondere Bedeutung hatte der 1495 in Worms beschlossene Ewige Landfriede, der das Fehdewesen kompromisslos ächtete und damit nicht nur die ritterlichen Rechts- und Ehrvorstellungen, sondern auch die Verdienstmöglichkeiten ritterlicher Fehdeunternehmer erheblich beeinträchtigte. Die vorgesehene Alternative, das Recht vor dem neugeschaffenen Reichskammergericht zu suchen, war für die Ritter umso weniger attraktiv, als die Kammergerichtsassessoren großenteils eben von den so misstrauisch betrachteten Fürsten ausgewählt wurden, von der mühsamen und schleppenden Institutionalisierung des Kammergerichts einmal ganz abgesehen. Schließlich trat die Reformation als weitere Herausforderung hinzu, die den Niederadligen manche Chancen bot, aber auch Risiken barg, indem sie jeden Herrschaftsträger nötigte, in der sich vollziehenden Glaubensspaltung Position zu beziehen, und ihn damit zugleich der Gefahr aussetzte, durch Fehlentscheidungen sich und seine Herrschaft Sanktionen von alt- beziehungsweise neugläubiger Seite auszusetzen. Trotz all dieser Herausforderungen oder gar Bedrohungen gelang es einer beachtlichen Zahl niederadliger Familien, sich in einem sich verändernden und institutionell verfestigenden Reich so zu positionieren, dass sie bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts eine reichsunmittelbare Stellung behaupten konnten. Vor dem Hintergrund dieses Szenarios hat der Beitrag zum Ziel, die Weichenstellungen des 16. Jahrhunderts zu skizzieren, die zur Herausbildung der frühneuzeitlichen Reichsritterschaft führten und letztlich deren Existenz bis zum Ende des 1

Die sehr unterschiedlichen Entwicklungen in Sachsen, Bayern und Franken beleuchtet Joachim Schneider: Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel. Ein landschaftlicher Vergleich. Stuttgart 2003.

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Alten Reichs prägten. Dies soll nicht in chronologischer Weise geschehen, sondern im Folgenden werden einige zentrale Aspekte in analytischer Trennung nacheinander behandelt. Zunächst wird das Verhältnis der Ritterschaft zum Römischen König beziehungsweise Kaiser als eine wesentliche Grundlage für die Herausbildung der frühneuzeitlichen, organisierten Reichsritterschaft umrissen. Anschließend richtet sich der Blick auf ebendiese Organisation und auf das Verhältnis der Ritter zu den ständischen Reichsinstitutionen, sodann auf das Verhältnis der Reichsritterschaft zu den Territorialstaaten. Zumindest kurz angeschnitten wird der wichtige Aspekt der Konfession, auch wenn er in zahlreichen anderen Beiträgen dieses Bandes in wesentlich vertiefter Form behandelt werden kann. Der Anspruch dieses Aufsatzes, der sich neben den grundlegenden Arbeiten von Volker Press2 auch auf eine Reihe jüngerer Studien, darunter Publikationen von Kurt Andermann und Richard Ninness,3 stützt, kann es nicht sein, substanzielle neue Erkenntnisse zur frühneuzeitlichen Reichsritterschaft beizutragen. Vielmehr soll eine problemorientierte Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Wissensstandes geleistet, sollen einige Desiderate benannt und mögliche künftige Wege der Forschung ausgelotet werden.

2

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Insbes. Volker Press: Kaiser Karl V., König Ferdinand und die Entstehung der Reichsritterschaft. Wiesbaden 1976 (2. Aufl. 1980); Ders.: Die Ritterschaft im Kraichgau zwischen Reich und Territorium 1500–1623. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 122 (1974), S. 35–98; Ders.: Die Reichsritterschaft im Reich der früheren Neuzeit. In: Nassauische Annalen 87 (1976), S. 101–122; Ders.: Adel, Reich und Reformation. In: Wolfgang J. Mommsen (Hg): Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland. Stuttgart 1979, S. 330–383 (auch in: Ders.: Das Alte Reich. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Wolfgang Kunisch in Verbindung mit Stephanie Blankenhorn. Berlin 22000, S. 329–380); Ders.: Reichsritterschaften. In: Kurt Jeserich u.a. (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches. Stuttgart 1983, S. 679–689; Ders.: Kaiser und Reichsritterschaft. In: Rudolf Endres (Hg.): Adel in der Frühneuzeit. Ein regionaler Vergleich. Köln u. Wien 1991, S. 163–194. Kurt Andermann: Ritterschaft und Konfession. Beobachtungen zu einem alten Thema. In: Ders., Sönke Lorenz (Hg.): Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Drittes Symposion „Adel, Ritter, Ritterschaft vom Hochmittelalter bis zum Modernen Verfassungsstaat“. Ostfildern 2005, S. 93–104; Ders.: Der Reichsritterkanton Kraichgau. Grundlinien seines Bestands und seiner Verfassung. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 160 (2012), S. 191–338; Ders.: Die Reichsritterschaft in der Ortenau. Zur Entwicklung ihres Mitglieder- und Güterbestands. In: Joachim Brüser, Konrad Krimm (Hg.): Die Ortenauer Reichsritterschaft am Ende des Alten Reiches. Ostfildern 2015, S. 11–47; Ders.: Reichsritterschaft. In: Historisches Lexikon Bayerns. http://www. historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Reichsritterschaft (15.03.2016); Richard J. Ninness: Volker Press’ „Adel, Reich und Reformation“ aus der Sicht des 21. Jahrhunderts und neue Perspektiven für die Erforschung der Reichsritterschaft. In: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 64 (2013), S. 109–125; Ders.: Im konfessionellen Niemandsland – neue Forschungsansätze zur Geschichte der Reichsritterschaft zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg. Das Vermächtnis von Volker Press. In: Historisches Jahrbuch 134 (2014), S. 142–164. Vgl. zusammenfassend auch Matthias Schnettger: Reich – Ritterschaft – Reformation. In: Wolfgang Breul (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation. Regensburg 2015, S. 29–36.

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I. DER RÖMISCHE KÖNIG, DER KAISER UND DIE REICHSRITTERSCHAFT Vor mittlerweile vier Jahrzehnten hat Volker Press die Grundzüge der Entwicklung der neuzeitlichen Reichsritterschaft überzeugend nachgezeichnet und dabei ihren Beziehungen zu König Ferdinand I. und Kaiser Karl V. größte Bedeutung zugesprochen.4 Er hat gezeigt, wie in der Situation nach dem Ende des Schwäbischen Bundes, der letzten großen überständischen Allianz, in der die Ritter zumindest anfänglich eine Führungsrolle hatten einnehmen können, vor dem Hintergrund wachsender konfessioneller Spannungen und einer sich verändernden beziehungsweise verfestigenden Reichsverfassung, in deren neuen Institutionen der reichsunmittelbaren Ritterschaft keine aktive mitgestaltende Rolle zugedacht war,5 die engere Anlehnung an den König beziehungsweise Kaiser für diejenigen Niederadligen, die sich der Eingliederung in die entstehenden Territorialstaaten entziehen wollten, an Attraktivität gewann. Während die verschiedenen Ritterschaften zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Fürsten einerseits und den König beziehungsweise Kaiser andererseits noch virtuos gegeneinander ausgespielt beziehungsweise sich ihrer einseitigen Vereinnahmung durch den Verweis auf die Verpflichtungen gegenüber der jeweils anderen Seite zu entziehen gewusst hatten, wurde eine solche Politik der freien Hand nach der Katastrophe des Ritterkriegs (1522/23) und dem Ende des zumindest den südwestdeutschen Ritterschaften eine gewisse Sicherheit bietenden Schwäbischen Bundes immer heikler. Gerade für diese Ritter bedeutete ebenso wie für die Habsburger die 1534 erfolgte Wiedereinsetzung des 1519 vom Schwäbischen Bund vertriebenen Herzogs Ulrich von Württemberg – und zwar mit Waffenhilfe des nur von Fürsten und Städten gebildeten Schmalkaldischen Bundes – eine neue sicherheitspolitische Herausforderung. König und Kaiser sowie Ritter hatten hier also gemeinsame Interessen. Weniger ausgeprägt war das bei den fränkischen Rittern der Fall, doch auch diese sahen sich in den 1530er Jahren neuen territorialpolitischen Offensiven der benachbarten Fürsten ausgesetzt. Damit gewannen für die Ritter Vorstellungen an Attraktivität, wie sie schon Ulrich von Hutten um 1520 artikuliert hatte, wenn er den Kaiser zur „Gegenautorität gegen den bedrohlich nahen Fürsten“ stilisierte.6 Als entscheidendes auslösendes Moment für die Formierung der Reichsritterschaft kam aber die Gewährung von Türkenhilfen in Form eines Gemeinen Pfennigs durch den Speyerer Reichstag von 1542 hinzu, woraus die Frage resultierte beziehungsweise sich mit immer größerer Dringlichkeit stellte, in welcher Weise die Ritter an den Reichslasten zu beteiligen seien. Die meisten Niederadligen im Reich führten ihre Steuern an den Fürsten ab, dessen Herrschaft sie unterstanden, ja, das Besteuerungsrecht war eines der wichtigsten Elemente der sich formieren4 5

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Press, Kaiser Karl V. (wie Anm. 2). Die Diskussion, ob die Ritter nicht doch noch, wie die Grafen und Herren, Sitz und Stimme im Reichstag sowie in den Reichskreisen erhalten sollten, war in den 1530er Jahren noch keineswegs abgeschlossen; vgl. Press, Reichsritterschaft im Reich (wie Anm. 2), S. 122. Bekanntlich blieb es aber auf Dauer dabei, dass sie nicht an diesen Institutionen partizipierten. Vgl. Press, Adel (wie Anm. 2), S. 61.

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den fürstlichen Landeshoheit. In diesem Sinne hätte die Zahlung der Türkensteuern über einen benachbarten Fürsten für diejenigen Ritter, die die Reichsunmittelbarkeit beanspruchten, den Anfang des Wegs in die Landsässigkeit bedeuten können. Von daher gewann der Passus des Speyerer Reichsabschieds, der Verhandlungen über die Türkensteuer mit den Ritterschaften in Schwaben, Franken und am Rheinstrom vorsah, Weichenstellungscharakter: Er erkannte zum einen den Sonderstatus dieser Ritterschaften an, die eben nicht, wie die anderen Niederadligen, den Gemeinen Pfennig an einen Fürsten abzuführen hatten, gestand ihnen, die ja nicht mit Sitz und Stimme auf dem Reichstag vertreten waren, zum zweiten ein Verhandlungsrecht zu, bekräftigte, zum dritten, aber gleichzeitig ihre grundsätzliche Steuerpflicht gegenüber dem Reich, der sie sich in der Vergangenheit oft genug mit Erfolg entzogen hatten.7 Von größter Bedeutung war dann, dass es dem Römischen König Ferdinand durch geschickte Verhandlungsführung gelang, Versammlungen der verschiedenen Ritterschaften die Zustimmung zu Steuerzahlungen direkt an den König abzuringen, wobei auch die Abwesenden an die Beschlüsse gebunden waren. Wichtig war, dass es nicht bei einer einmaligen Steuerleistung blieb. Indem in den Folgejahren weitere Türkenhilfen beschlossen wurden, etablierte sich die Verknüpfung der Zahlung von sogenannten „Subsidia charitativa“ (Charitativsubsidien) an den Kaiser mit dem Status der Reichsunmittelbarkeit, die für die frühneuzeitliche Reichsritterschaft konstitutiv wurde. So wurde in den 1540er Jahren durch Ferdinand I. und Karl V. ein besonderes, dabei höchst ungleiches Verhältnis zwischen Reichsoberhaupt und Reichsritterschaft begründet, das für beide Partner größte Bedeutung gewinnen sollte. Dies wäre freilich kaum denkbar gewesen, hätten nicht schon seit Langem enge Beziehungen zwischen Rittern und Reichsoberhäuptern beziehungsweise den in Schwaben reich begüterten österreichischen Erzherzögen bestanden. Nun aber wurde das kaiserliche Patronat auf alle in der Reichsritterschaft organisierten Niederadligen als Korporation ausgeweitet. Das bedeutet nicht, dass die individuellen Patronagebeziehungen, deren Ursprünge für manche Ritterschaften bis weit ins Mittelalter zurückzuverfolgen sind, einfach in der neuen reichsritterschaftlichen Organisation aufgingen. Vielmehr bestanden oftmals besondere Nahverhältnisse bestimmter Ritterschaften oder einzelner Familien zum Haus Habsburg fort oder wurden neuangeknüpft.8 7

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Vgl. Press, Kaiser Karl V. (wie Anm. 2), S. 41–50. In der Zeit Maximilians I. hatten die Ritter Steuerzahlungen regelmäßig unter Berufung auf ihr angebliches Privileg verweigert, dem Reich mit der Waffe zu dienen. 1501 hatten die fränkischen Ritter sogar eine Einung zur Abwehr von Reichssteuerforderungen geschlossen. 1532 hatten die fränkischen und schwäbischen Ritter zwar eine Türkenhilfe bewilligt, aber dieser Ausnahmefall führte noch nicht zu einer Institutionalisierung. Hier wären besonders die Kantone Donau und Hegau-Bodensee-Allgäu zu nennen. Vgl. Ludwig Ohngemach: Ehingen als Sitz des Ritterkantons Donau. Reichsunmittelbare Adelskorporation und österreichische Landstadt. In: Mark Hengerer, Elmar Kuhn, Peter Blickle (Hg.): Adel im Wandel. Oberschwaben von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Bd. 2. Ostfildern 2006, S. 573–590; Wolfgang Wüst: Die Adelskurien. Zwischen vorderösterreichischer Landsässigkeit, ständischer Autonomie und Reichsfreiheit. Die „Insassen“ in der Markgrafschaft Baden, die „Anstösser“ in der Landvogtei Schwaben und die Hegauer Reichsritter in der Landgraf-

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Mit gutem Grund also wird die Reichsritterschaft als Teil der kaiserlichen Klientel im frühneuzeitlichen Reich betrachtet.9 Für die Dauerhaftigkeit dieses Verhältnisses war neben der sich herausbildenden reichsritterschaftlichen Organisation die dynastische Kontinuität des Kaisertums im Haus Habsburg hilfreich. Wesentlich war zudem, dass dieses Patronageverhältnis im 16. Jahrhundert durch eine Reihe von kaiserlichen Privilegien zugunsten der verschiedenen Ritterschaften, die regelmäßig von den jeweiligen Reichsoberhäuptern bestätigt oder noch erweitert wurden, auf eine feste Grundlage gestellt wurde, die sich – trotz zeitweiliger Entfremdungen und mancher Beeinträchtigungen im Einzelnen – bis in die letzten Jahre des Alten Reichs als tragfähig erwies. Von besonderer Bedeutung war etwa das Privileg Maximilians II. von 1566, das den ritterlichen Besitzstand gegen Entfremdungen aller Art sichern sollte, durchaus auch aus kaiserlichem Eigeninteresse, um die Charitativsubsidien der Ritter auf Dauer zu gewährleisten.10 Für eine weitere Erforschung des Verhältnisses zwischen Kaiser und Reichsritterschaft wäre es vielversprechend, diese kaiserlichen Privilegien genauer in den Blick zu nehmen. Denn sie waren eine wesentliche normative Grundlage für die Stellung der Ritter im Reich und gleichzeitig ein wichtiges Mittel für den Kaiser, um seine Schutzherrschaft über die Ritter auszuüben – oder sich zumindest als Beschützer in Szene zu setzen. Mit Blick auf die Privilegien, die zum weitaus größten Teil freilich nicht die gesamte Ritterschaft, sondern einzelne Kreise, Kantone oder auch Familien begünstigten, könnte man sogar diskutieren, ob das Verhältnis des Kaisers zur Reichsritterschaft besser als mit dem Begriff „Patronage“ mit dem eine größere Verbindlichkeit implizierenden Terminus „Protektion“ zu erfassen wäre, wie ihn Christian Windler in anderen Kontexten kürzlich stark gemacht hat.11 Der kaiserliche Schutz konnte freilich zur kaiserlichen Schutzherrschaft mutieren, wenn das Reichsoberhaupt seine Hoheitsrechte über die Ritter besonders nachdrücklich zur Geltung brachte. Immer wieder ist zu beobachten, dass die Kaiser ihre exklusive Oberhoheit über die Ritter eifersüchtig zu verteidigen suchten. Eine im thematischen Kontext dieses Bandes besonders wichtige Episode ist die anfängliche Opposition Ferdinands I. gegen eine Einbeziehung der Reichsritter in den Augsburger Religionsfrieden mit dem Argument, sie seien „lautt jrer habenden freyheiten vnd jren loblichen alten herkhomen nach allein romischen keysern

9 10 11

schaft Nellenburg. Ein Vergleich. In: Irmgard Christa Becker (Hg.): Vorderösterreich: „Nur die Schwanzfeder des Kaiseradlers?“ Die Habsburger im deutschen Südwesten. Ulm 1999, S. 189–195. Vgl. Press, Kaiser und Reichsritterschaft (wie Anm. 2); Ders.: Patronat und Klientel im Heiligen Römischen Reich. In: Antoni Mączak unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner (Hg.): Klientelsysteme im Europa der Frühen Neuzeit. München 1988, S. 19–46. Vgl. Press, Reichsritterschaft im Reich (wie Anm. 2), S. 114 f.; Ders.: Reichsritterschaft. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4. Berlin 1990, Sp. 743–748, hier Sp. 745. Vgl. Tilman Haug, Nadir Weber, Christian Windler (Hg.): Protegierte und Protektoren. Asymmetrische politische Beziehungen zwischen Partnerschaft und Dominanz (16. bis frühes 20. Jahrhundert). Köln, Weimar, Wien 2016, darin insbes. die Einleitung der Herausgeber, S. 9–27.

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vnderworffen“.12 Und auch als es bei den Westfälischen Friedensverhandlungen um eine Aufnahme der Ritter unter die Reichsstände mit Sitz und Stimme im Reichstag ging, leistete die kaiserliche Seite vorsichtigen, hinhaltenden Widerstand, um die exklusive Bindung der Ritter an das Reichsoberhaupt zu sichern.13 Dennoch gilt: Im 16. Jahrhundert wurden die Ritter in der Tat zur kaiserlichen und des Reichs freien Ritterschaft – und blieben es bis zum Ende des Alten Reichs. In diesem Zusammenhang wäre es interessant nachzuverfolgen, inwiefern die Vorstellungen der Ritter von Reich und Kaiser beziehungsweise von ihrem Verhältnis zum Kaiser durch ihre Organisation als Reichsritterschaft beeinflusst wurden.14 Das Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsrittern würde aber, wenn man lediglich die Reichsritterschaft als Ganzes in den Blick nähme, nur unzureichend erfasst. Vielmehr sind daneben die spezifischen Beziehungen einzelner Reichsritter beziehungsweise reichsritterlicher Familien in den Blick zu nehmen, die in sehr unterschiedlicher Weise die kaiserlichen Patronageressourcen in Anspruch nahmen respektive damit bedacht wurden. Diese Ressourcen konnten von größter Bedeutung für die Ritterfamilien sein, indem ihnen, um mit Bourdieu zu sprechen, so immer wieder neues ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital zugeführt und so auch das (übergeordnete) symbolische Kapital der Familie vermehrt und ihre Stellung in der Adelsgesellschaft des Heiligen Römischen Reiches verbessert werden konnte. Mit anderen Worten: Die allen Rittern geltende kaiserliche Protektion konnte durch spezifische Patronageverhältnisse ergänzt werden. So gab es ursprünglich reichsritterliche Familien, wie etwa die Neipperg, die dank der kaiserlichen Patronage den Aufstieg in den Grafenstand erreichten, umfangreiche Güter in den habsburgischen Territorien erwarben und ganz oder teilweise ihren Wirkungsschwerpunkt nach Österreich verlagerten.15 Ein Preis, der von evangelischen Rittern in der Regel früher oder später für einen Aufstieg im kaiserlichen Dienst zu zahlen war, war die Konversion zum Katholizismus. Im Allgemeinen allerdings spielten die Reichsritter am Kaiserhof selbst – so jedenfalls die Vermutung von Volker Press – eine weniger prominente Rolle als der hochadlige Reichsadel. Insbesondere die oberschwäbischen Ritter orientierten sich eher nach Innsbruck, wo, mit Unterbrechungen, von 1564 bis 1665 eine habsburgi12 13 14

15

Zitiert nach Ninness, Niemandsland (wie Anm. 3), S. 149. Vgl. Berthold Sutter: Kaisertreue oder rationale Überlebensstrategie? Die Reichsritterschaft als habsburgische Klientel im Reich. In: Heinz Duchhardt, Matthias Schnettger (Hg.): Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum. Mainz 1999, S. 257–307, hier S. 270. Reichsritterliche Vorstellungen von Kaiser und Reich werden zum Beispiel fassbar in Publikationen wie Privilegiensammlungen, und hier nicht zuletzt in den Einleitungstexten sowie Frontispizien. Regelmäßig wird hier eine enge Verbindung von kaiserlichem Doppeladler und den Wappen der Ritterkantone dargestellt. Beispiele bei Andermann, Reichsritterschaft Kraichgau (wie Anm. 3). Vgl. zu den Neipperg Kurt Andermann (Hg.): Neipperg. Ministerialen – Reichsritter – Hocharistokraten. Epfendorf 2014, darin bes. Ders.: Herrschaftsverdichtung und Selbstbehauptung. Die Neipperg vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, S. 69–93; Horst Carl: Paladine des Kaisers. Militärische Karrieren und der Aufstieg der Familie Neipperg am Wiener Hof im 18. Jahrhundert, S. 115–137; William D. Godsey: Strategie und Zufall. Der österreichische Aufstieg des Hauses Neipperg (18.–20. Jahrhundert), S. 163–180.

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sche Nebenlinie ihren Sitz hatte, deren Einfluss über die vorderösterreichischen Besitzungen bis weit in den deutschen Südwesten hineinreichte.16 Nicht immer entwickelte sich das Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsritterschaft harmonisch und konfliktfrei. Immer wieder kam es auf beiden Seiten zu Enttäuschungen und bisweilen daraus resultierenden Entfremdungen, wohl am weitgehendsten während des Dreißigjährigen Krieges. Ein strukturelles Problem für die Ritter war – nicht nur damals –, dass sie den Kaiser meist nötiger brauchten als er sie. Die Erhaltung der Ritter und ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit lag zwar stets im Interesse des habsburgischen Reichsoberhauptes, wurde im Fall von Zielkonflikten jedoch regelmäßig anderen Rücksichten nachgeordnet.17 Um das Verhältnis zwischen Kaiser und Ritterschaft tiefer auszuloten, könnten Fallstudien zu einzelnen Familien oder auch Kantonen hilfreich sein. Wie wirkte sich der kaiserliche Schutz im Einzelnen aus, durch die Erteilung von Privilegien, durch Interzession im Fall von Konflikten, durch Bereitstellung unterschiedlicher Ressourcen? Auf welche Institutionen und Netzwerke konnten sich die Ritter zur Verfolgung ihrer Interessen am Kaiserhof stützen? Was wurde vom Kaiser erwartet beziehungsweise wie wurden seine Leistungen bewertet? Besonders nützlich könnten in diesem Zusammenhang auch Längsschnittstudien sein, die es ermöglichen würden, mittel- und langfristige Entwicklungen genauer zu erfassen. II. DIE REICHSRITTERSCHAFTLICHE ORGANISATION – RITTER UND REICHSINSTITUTIONEN Die Herausbildung der frühneuzeitlichen Organisation der Reichsritterschaft hängt, wie bereits kurz ausgeführt, eng mit den finanziellen Forderungen des Kaisers zusammen. Volker Press hat es folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „die Steuern zwangen die Ritter, sich quasi-territorial zu organisieren“.18 Die neue Organisation konnte aber an ältere Strukturen anknüpfen.19 Die frühneuzeitlichen Juristen sprachen in diesem Zusammenhang dem Privileg König Sigismunds von 1422 eine besondere Bedeutung zu, das derartige Zusammenschlüsse ausdrücklich billigte. Mehr oder weniger langlebige regionale Zusammenschlüsse von Rittern hatte es im spätmittelalterlichen Reich einige gegeben, daneben aber auch Verbindungen mit anderen mindermächtigen Herrschaftsträgern, insbesondere Grafen und Herren, ferner manchmal auch Prälaten sowie Reichsstädten. Der bedeutendste dieser Zusammenschlüsse war fraglos der 1488 auf Initiative Kaiser Friedrichs III. gegründete Schwäbische Bund, dessen Kern wiederum die ältere, Prälaten, Grafen und 16 17 18 19

Vgl. Press, Patronat (wie Anm. 9), S. 38; Ohngemach, Ehingen (wie Anm. 8); Wüst, Adelskurien (wie Anm. 8). Vgl. Press, Kaiser und Reichsritterschaft (wie Anm. 2); Sutter, Kaisertreue (wie Anm. 13); Ninness, Volker Press’ (wie Anm. 3), S. 121–123. Press, Kaiser Karl V. (wie Anm. 2), S. 49. Für die fränkische Ritterschaft wird die Transformation beschrieben von Cord Ulrichs: Vom Lehnhof zur Reichsritterschaft. Strukturen des fränkischen Niederadels am Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit. Stuttgart 1997.

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Ritter umfassende Gesellschaft zum St. Jörgen-Schild bildete. Volker Press sieht die Bedeutung des Schwäbischen Bundes für die südwestdeutschen Ritter nicht nur auf der sicherheitspolitischen Ebene, sondern im Hinblick auf die Entstehung der frühneuzeitlichen Reichsritterschaft auch in der Kaisernähe und darin, dass sie durch den Bund „in neue konstantere Formen politischen Zusammenlebens eingeübt“ wurden.20 Auch dass unter dem Dach des Schwäbischen Bundes der ritterliche Sonderbund erhalten blieb, weist auf die Entwicklung zur frühneuzeitlichen Reichsritterschaft hin, die sich nun abseits der hochadligen, geistlichen und städtischen Reichsstände organisierte. Denn erst seit den 1540er Jahren schufen sich die Ritter nach und nach eine dauerhafte Organisation, die in erster Linie dazu diente, die Steuerzahlungen an das Reichsoberhaupt zu regeln. Das geschah zunächst auf regionaler Ebene. Dazu schlossen sich alle nicht der Landeshoheit eines Fürsten unterstehenden Ritter einer Gegend in einem Ritterort oder -kanton zusammen.21 Dabei wurden die in Schwaben, Franken und am Rhein vorgefundenen Strukturen im Licht der neuen Erfordernisse fortgeschrieben. In Schwaben bestanden die vier Ritterorte des Schwäbischen Bundes fort, und die fränkischen Ritterorte beziehungsweise -kantone bauten auf etablierten Adelsgesellschaften auf. Die rheinische Ritterschaft, die in der Reichsburg Friedberg ein wichtiges Zentrum besaß, gliederte sich erst später in Ritterorte. Es wäre vor dem Hintergrund dieser Unterschiede interessant, den Weg von den alten Einungen zu den neuen Strukturen noch genauer zu verfolgen. Die Ritterorte bildeten stets die wichtigsten Organisationseinheiten der Reichsritterschaft. Sie übernahmen über die Steuererhebung und -verwaltung hinaus nach und nach weitere wichtige Aufgaben und schufen sich neue Organe, die wie die Ausschüsse der rascheren Beschlussfassung dienten oder wie die Hauptmänner mit den beigeordneten Ritterräten Exekutivaufgaben übernahmen. Trotz vieler Gemeinsamkeiten bewahrten die einzelnen Ritterorte aber dauerhaft Besonderheiten. Das unterstreicht, dass die ritterschaftliche Organisation keine am Reißbrett entworfene, den Rittern von oben auferlegte Struktur war, sondern sich auf der Basis und vielfach unter Erhaltung des Bestehenden zur Erreichung konkreter Ziele entwickelte. Seit den 1560er Jahren schlossen sich die Ritterorte in den Kreisen Schwaben, am Rheinstrom und Franken zusammen,22 und 1577 fand in Schwäbisch Gmünd erstmals ein Generalkorrespondenztag aller Reichsritterschaften statt. Die kantonsübergreifende Kooperation konnte den Rittern die Durchsetzung ihrer Interessen erleichtern. Die Ritterorte blieben aber dauerhaft wichtiger, was auch daraus er20 21 22

Press, Kaiser Karl V. (wie Anm. 2), S. 18; zum Schwäbischen Bund ausführlich Horst Carl: Der Schwäbische Bund 1488–1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation. Leinfelden-Echterdingen 2000. Die Mitglieder eines Kantons und vor allem ihre Güter wurden allerdings kaum je vollständig in einer Matrikel erfasst. Vgl. für den Kanton Kraichgau Andermann, Reichsritterkanton Kraichgau (wie Anm. 3), S. 300–302. Schwaben: Orte Hegau-Bodensee-Allgäu, Donau, Neckar-Schwarzwald-Donau, Kocher und Kraichgau; am Rheinstrom: Orte Ober-, Mittel- und Niederrhein; Franken: Orte Odenwald, Rhön-Werra, Baunach, Steigerwald, Altmühl und Gebirg. Der im 17. Jahrhundert im Zuge der französischen Expansion untergegangene Ort Unterelsass gehörte keinem Ritterkreis an.

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sichtlich wird, dass allein hier eine wirkliche institutionelle Verfestigung zu beobachten ist.23 Es wäre zu verfolgen, ob und inwieweit die organisatorische Verdichtung einer stärkeren Standessolidarität der Reichsritter Vorschub leistete. Was sich auf Kantonsebene feststellen lässt, sind Bemühungen, in finanzielle Not geratene Standesgenossen wieder wirtschaftlich zu stabilisieren. Das geschah auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse, um sich selbst vor Mehrbelastungen im Rahmen der Charitativsubsidien zu schützen. Gleichzeitig gibt es aber auch Beispiele dafür, dass Ritter ihre Güter (und zwar auch gegen ausdrückliche kaiserliche Verbote) an Fürsten veräußerten und so die Substanz der ritterschaftlichen Besitzungen schmälerten,24 und dafür, dass sich in den Grafenstand aufgestiegene Familien innerhalb einiger Generationen von ihren ritterlichen Wurzeln entfernten. Dass die Ritter sich als Reichsritterschaft organisierten, schloss ebenso wenig wie ihr Misstrauen gegenüber den um 1500 wesentlich nach den fürstlichen Vorstellungen neugeschaffenen Reichsinstitutionen prinzipiell und von vornherein ihre Partizipation an diesen Einrichtungen aus. So war die Ritterschaft in den kurzzeitig amtierenden Reichsregimentern (1500–1502, 1521–1530) mit eigenen Deputierten vertreten. Dagegen erlangte sie niemals Sitz und Stimme im Reichstag. Diskutiert wurde darüber aber immer wieder. Modelle, wie eine solche Einbeziehung hätte organisiert werden können, gab es ja mit den Kuriatstimmen der Prälaten und Grafen durchaus. Eine mögliche Einbeziehung der Ritter in die Reichskreise wurde ebenfalls lange erwogen. So betrieb in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Herzog von Württemberg die Eingliederung der Ritter in den Schwäbischen Reichskreis, der sich diese allerdings verweigerten. Doch auch die Kaiser, die in einer solchen Einbindung in die reichsständischen Institutionen eine Gefährdung ihres exklusiven Verhältnisses zu der Reichsritterschaft erblickten, torpedierten derartige Initiativen regelmäßig. Es war also keine zu einem bestimmten Zeitpunkt ein für 23

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Vgl. im Überblick Andermann, Reichsritterschaft (wie Anm. 3); Horst Carl: Der lange Weg zur Reichsritterschaft. Adelige Einungspolitik am Neckar und Schwarzwald vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. In: Ders. (Hg.): Gelungene Anpassung? Adelige Antworten auf gesellschaftliche Wandlungsvorgänge vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Ostfildern 2005, S. 27–66; Gabriele Haug-Moritz: Ritterschaftliche Organisation zwischen Westfälischem Frieden (1648) und Ende des Alten Reiches (1806). In: Kurt Andermann (Hg.): Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Ostfildern 2005, S. 9–21. Außerdem existieren für einige Kantone Pionierstudien, z. B. Dieter Hellstern: Der Ritterkanton Neckar-Schwarzwald 1560–1805. Untersuchungen über die Korporationsverfassung, die Funktionen der Ritterkantons und die Mitgliedsfamilien. Tübingen 1971; Thomas Schulz: Der Kanton Kocher der schwäbischen Reichsritterschaft 1542–1805. Entstehung, Geschichte, Verfassung und Mitgliederstruktur eines korporativen Adelsverbandes im System des alten Reiches. Esslingen 1986; Andermann, Kanton Kraichgau (wie Anm. 3); Helmut Neumaier: „Daß wir kein anderes Haupt oder von Gott eingesetzte zeitliche Obrigkeit haben“. Ort Odenwald der fränkischen Reichsritterschaft von den Anfängen bis zum Dreißigjährigen Krieg. Stuttgart u.a. 2005. Vgl. Sutter, Kaisertreue (wie Anm. 13), S. 278–281; Andreas Flurschütz da Cruz: Der Verkauf der reichsritterlichen Ganerbenburg Rothenberg an Bayern 1661. Johann II. Wolf von Wolfsthal als Doppelagent zwischen Kurfürsten und Standesgenossen. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 100 (2013), S. 271–296.

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allemal getroffene Entscheidung, sondern ein langwieriger Prozess, der dazu führte, dass die Reichsritterschaft als Korporation nicht an den ständischen Reichsinstitutionen partizipierte,25 ein Prozess, der es durchaus verdiente, noch genauer ausgeleuchtet zu werden. Auch wenn die Reichsritterschaft als Korporation keinen Anteil an Reichstag und Reichskammergericht erhielt, spielten diese für die Ritter eine hervorragende Rolle: Reichstage verabschiedeten Gesetze und beschlossen Steuern, die auch für die Reichsritter Geltung hatten. Daher versuchten Ritter immer wieder Einfluss auf ihre Beschlüsse zu nehmen. Vor allem aber arrangierten sich die Ritter aufs Beste mit dem ursprünglich so misstrauisch beäugten Reichskammergericht. Sie wurden zwar niemals an der Ernennung der Assessoren beteiligt; unter dem Gerichtspersonal waren sie dagegen sehr wohl vertreten. Zudem nahmen sie das Reichskammergericht, in wachsendem Maße auch den kaiserlichen Reichshofrat, intensiv in Anspruch, um auf juristischem Wege ihre Positionen gegenüber den Fürsten zu verteidigen. Schon der alte Götz von Berlichingen wusste die „Wohltat der Appellation“ zu nutzen, um fürstliche Übergriffe abzuwehren.26 III. REICHSRITTERSCHAFT UND TERRITORIALSTAATEN Eine Herausforderung für die Ritter in den Jahrzehnten um 1500 waren, wie eingangs erwähnt, die expandierenden Territorialstaaten. Expansion meint hier zum einen geographische Ausdehnung, zum anderen aber staatliche Verdichtung durch Schaffung neuer Institutionen und Zurückdrängung intermediärer Gewalten. Auch hier handelte es sich um eine äußerst langfristige Entwicklung, die bis zum Ende des Alten Reichs noch nicht zum Abschluss kommen sollte und in den einzelnen Fürstentümern zudem höchst unterschiedlich und keineswegs immer linear verlief. Während im Norden und Osten des Reichs der Niederadel im Verlauf des Spätmittelalters unter die Landesherrschaft der dortigen Fürsten gekommen war, stellte sich die Situation im Süden und Westen um 1500 offener dar.27 Auch hier gab es zahlreiche, nicht zuletzt lehnsrechtliche, Verbindungen zwischen Ritterschaft und Fürsten, die zum Ansatzpunkt für eine Mediatisierung des Niederadels werden konnten. Andererseits waren manche Fürsten nicht in der Lage oder auch nicht willens, ihre Landesherrschaft auf die Ritter und ihre Güter auszudehnen. Insbesondere die Kurfürsten von der Pfalz setzten traditionell mehr auf den Aufbau einer ausgedehnten Klientel unter Grafen und Rittern als auf deren Unterwerfung unter ihre Territorialherrschaft. 25 26

27

Vgl. Schulz, Kanton Kocher (wie Anm. 23), S. 33–35, 95–106. Vgl. Volker Press: Götz von Berlichingen (ca. 1480–1562) – vom „Raubritter“ zum Reichsritter. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 40 (1981), S. 305–326, Zitat S. 320; Raimund J. Weber: Die neue Instanz. Prozesse vor dem Reichskammergericht am Beispiel der Herren von Berlichingen und ihrer Anrainer an der unteren Jagst und am Neckar. In: Peter Schiffer (Hg.): Aufbruch in die Neuzeit. Das nördliche Württemberg im 16. Jahrhundert. Ostfildern 2012, S. 27–43. Vgl. Schneider, Niederadel (wie Anm. 1).

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Auch war die Unterordnung unter einen Fürsten kein irreversibler Prozess. Besonders deutlich lässt sich dies am Beispiel Württemberg nachvollziehen. Hier waren die Ritter im 15. Jahrhundert für mehrere Jahrzehnte im Landtag vertreten, schieden aber vor 1514 definitiv aus dem Herzogtum aus. Ihre endgültige Mediatisierung erfolgte dann erst im 19. Jahrhundert. In anderen Territorien blieb die Lage sehr lange offen. In Kurtrier zum Beispiel partizipierte die Ritterschaft erst seit 1576 endgültig nicht mehr an den Landständen.28 Die Option, dass sich die Ritter beziehungsweise Ritterschaften und Fürstenstaaten als gleichberechtigte Akteure auf Reichsebene entgegentreten könnten, erledigte sich dagegen in den 1520er Jahren. Signifikant sind hier die gescheiterte Fehde Sickingens gegen Kurtrier 1522/23 und die gleichzeitig stattfindende Strafexpedition des Schwäbischen Bundes gegen einige niederadlige fränkische Landfriedensbrecher um Hans Thomas von Absberg, deren Burgen ebenfalls gebrochen wurden. In zwei exponierten Fällen wurde nun ernst gemacht mit der 1495 durch den Ewigen Landfrieden verhängten Ächtung des Rechtsmittels der Fehde. So wurden den Rittern die Spielregeln der Fürsten und Reichsstände für Rechtsstreitigkeiten und Konfliktlösung aufgezwungen. Auch die von einigen Rittern, darunter Ulrich von Hutten und Götz von Berlichingen, zeitweise erwogene Kooperation von Niederadel und Bauern gegen die Fürsten wurde kurz darauf im Bauernkrieg obsolet.29 Künftig ging es nicht mehr um eine Konfrontation zwischen potentiell Gleichmächtigen, sondern um die Abwehr von fürstlichen Übergriffen, nunmehr aber in der Regel nicht mehr mit Waffen, sondern mit Hilfe der Reichsgerichte. Es gab zwar noch Ausläufer des ritterlichen Fehdewesens – besonders spektakulär war in den 1550er Jahren die Konfrontation zwischen Wilhelm von Grumbach und dem Würzburger Fürstbischof Melchior Zobel von Giebelstadt,30 aber diese bestätigten letztlich nur die Entscheidungen der 1520er Jahre. Man könnte die Weichenstellung von 1522/23 für das Verhältnis von Rittern und Fürstenstaaten aber auch anders akzentuieren: Indem sich eine zunehmend obsolet gewordene Option endgültig erledigt hatte, war der Weg für ein konstruktives, für beide Seiten profitables Miteinander wieder offen. Die Konfrontation war ja nur ein Aspekt des fürstlich-ritterlichen Verhältnisses. Insgesamt dominierte ein mehr oder weniger gedeihliches Miteinander, denn der Adel stellte sich darauf ein, dass er „existenziell auf die Sicherung seiner sozialen Existenz durch den Fürstenstaat angewiesen war“.31 28

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Bis zum 18. Jahrhundert musste sie aber vor den Reichsgerichten um ihre Reichsunmittelbarkeit prozessieren. Vgl. Richard Laufner: Die Landstände von Kurtrier im 17. und 18. Jahrhundert. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 32 (1968), S. 290–317; allgemein Press, Kaiser Karl V. (wie Anm. 2), S. 20f. Vgl. allgemein zu diesem Themenkomplex jetzt die Beiträge in Wolfgang Breul (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation. Regensburg 2015. Vgl. Volker Press: Wilhelm von Grumbach und die deutsche Adelskrise der 1560er Jahre. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 113 (1977), S. 396–431. Press, Berlichingen (wie Anm. 26), S. 319. Ein Fall wie der des Götz von Berlichingen, der zeit seines Lebens nicht zum fürstlichen Hofmann wurde, wohl aber in den 1540er Jahren in den kaiserlichen Militärdienst eintrat (ebd., S. 323), ist sicher nicht zu verallgemeinern.

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Denn wie schon im Spätmittelalter war auch während der gesamten Frühen Neuzeit der Fürstendienst für viele Ritter eine lohnende Option. Auch die Ritter, die sich dauerhaft ihre Reichsunmittelbarkeit bewahrten, standen häufig im Dienst benachbarter Fürsten, nicht selten ihrer Lehnsherren. Lange übte der Heidelberger Hof der Pfälzer Kurfürsten eine besondere Anziehungskraft auf den regionalen Niederadel aus, bis sich aufgrund des Übertritts des Kurhauses zum Calvinismus viele Ritter aus dem kurpfälzischen Orbis lösten.32 Ein völliger Abbruch der Beziehungen war aber für eine Reihe von Ritterfamilien schon deswegen schwierig, weil sie Vasallen der Pfälzer Kurfürsten waren. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage der Bedeutung der Lehnsbeziehungen für die Ritter, die nicht selten ja gleich mehrere Lehnsherren hatten. Die deutsche Frühneuzeitforschung hat dem Reichslehnswesen in den letzten Jahren größere Aufmerksamkeit gewidmet, hatte dabei aber zumeist die kaiserliche Spitze der Lehnspyramide im Blick. Es wäre weiterführend, auch die Lehnssysteme etwa der Kurfürsten von der Pfalz noch genauer zu untersuchen oder den Aspekt der Mehrfachvasallitäten aus ritterlicher Perspektive zu beleuchten.33 Es wäre schon interessant zu wissen, welche Lehnsbeziehungen überhaupt bestanden, aber auch zu verfolgen, in welchen Formen sich in der Frühen Neuzeit Neu- und Wiederbelehnungen vollzogen, welchen Stellenwert bei der Investitur ein spezifisches Zeremoniell einnahm, ob und wie es sich veränderte, ob es Zeremonialstreitigkeiten gab oder ob sich die Investituren, ähnlich wie bei den Reichshofratslehen, in Richtung von Verwaltungsakten entwickelten. Wie hoch waren die Kosten für die ritterlichen Vasallen, welche Prärogativen beanspruchte der Lehnsherr und wie setzte er sie durch? Ein anderer durch die Forschung noch zu vertiefender Aspekt könnte der Umgang der Ritter mit multiplen beziehungsweise wechselnden Loyalitäten sein. Aus dem frühen 16. Jahrhundert sind insbesondere mit Franz von Sickingen und Götz von Berlichingen einige Persönlichkeiten bekannt, die hier im Laufe ihres Lebens eine bemerkenswerte Flexibilität bewiesen.34 Wie aber stellte sich die Situation seit den 1520er Jahren für die Masse ihrer Standesgenossen dar? Welche Rolle spielten nach der Herausbildung der Reichsritterschaft neben dem kaiserlichen Schutzherrn andere, alte oder auch neuangeknüpfte Verpflichtungen? Wie dauerhaft waren diese? Auf die Probleme, die aus der Vernachlässigung eines zweiten Lehnsherrn 32

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Vgl. Kurt Andermann: Die Integration des Ritteradels in den Pfälzer Hof. In: Jörg Peltzer (Hg.): Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte? Regensburg 2013, S. 231–244; Press, Patronat (wie Anm. 9), S. 24–26; Christophe Duhamelle: L’héritage collectif. La noblesse d’église rhénane, 17e et 18e siècles. Paris 1998, S. 53; für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges Franz Maier: Die Reichsritterschaft im Pfälzer Raum während des Dreißigjährigen Kriegs. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 108 (2010), S. 491–506. Ansätze für solche Untersuchungen finden sich aber schon z.B. bei Press, Patronat (wie Anm. 9), S. 24–26; Andermann, Integration (wie Anm. 32). Vgl. Wolfgang Breul: Das Trauma der frühen Jahre. Philipp von Hessen und Franz von Sickingen. In: Ebernburg-Hefte 46 (2012), S. 547–576; Ders., Ritter! (wie Anm. 29); bzw. Press, Berlichingen (wie Anm. 26); zu den Berlichingen auch Kurt Andermann: Berlichingen. Portrait der scheinbar bekanntesten Familie des fränkischen Ritteradels. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 73 (2014), S. 187–200.

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beziehungsweise seines Hofes zugunsten eines anderen resultieren konnten, hat schon Volker Press hingewiesen.35 Ein ganz eigentümliches Verhältnis entwickelte sich in der Frühen Neuzeit zwischen der katholischen Reichsritterschaft und den Hochstiften an Rhein und Main. Auch dieses besondere Verhältnis war im Mittelalter grundgelegt, intensivierte sich seit dem 16. Jahrhundert aber in der Weise, dass die Reichsritterschaft nahezu ein Monopol auf die hohen Pfründen in diesen geistlichen Territorien errang. Die Hochstifte konnten für die Ritter insbesondere dann geradezu zu Patronagezentren avancieren, wenn ein Verwandter Bischof geworden war. Seine engere oder weitere Verwandtschaft wurde dann sozusagen zu seiner „geborene[n] Klientel“.36 Ob man allerdings die geistlichen Fürstentümer geradezu als „Adelsrepubliken“ bezeichnen sollte,37 wäre dann doch mit einem Fragezeichen zu versehen. Eine andere Gruppe von Reichsständen, nämlich die Reichsstädte, wurde von der Forschung traditionell vor allem als Konkurrenz der Ritter wahrgenommen, die sich um 1500 der Herausforderung durch die ökonomischen Aufsteiger aus dem Stadtbürgertum, die zudem vielfach noch einen Bildungsvorsprung besaßen, ausgesetzt gesehen hätten. Dies wird unterdessen differenzierter bewertet. Jedenfalls fiel nach dem erzwungenen Verzicht der Ritter auf die Fehde ein wichtiges Konfliktfeld weg, sodass einer ritterlich-städtischen Kooperation der Weg geebnet wurde. Trotz andauernder Reibungspunkte scheint diese seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer wichtiger geworden zu sein. Press hat in diesem Zusammenhang auf die organisatorische Schützenhilfe von bürgerlichen, aus Reichsstädten stammenden Juristen bei der Einrichtung einiger Ritterkantone verwiesen und von einer „neue[n] Symbiose von Adel und Stadt“ gesprochen.38 Auch diese wäre noch genauer zu untersuchen. Schließlich wäre zu fragen, inwieweit man bei reichsritterschaftlichen Herrschaften von territorialen Strukturen sprechen kann.39 Von Götz von Berlichingen 35

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Vgl. Press, Patronat (wie Anm. 9), S. 19. Für einige prominente Familien, z.B. die Dalberg und die Walderdorff, sind wir allerdings schon recht gut über ihre Netzwerke informiert. Vgl. etwa Karl Murk: „Damit der Splendor erhalten werde“. Beziehungsnetze und Versorgungsstrategien der Dalberg im 17. und 18. Jahrhundert. In: Kurt Andermann (Hg.): Ritteradel im Alten Reich. Die Kämmerer von Worms genannt Dalberg. Darmstadt 2009, S. 185–201; Christophe Duhamelle: Allianzfeld und Familienpolitik der von Walderdorff. In: Friedhelm Jürgensmeier (Hg.): Die von Walderdorff. Acht Jahrhunderte Wechselbeziehungen zwischen Region – Reich – Kirche und einem rheinischen Adelsgeschlecht. Köln 1998, S. 125–144. Press, Patronat (wie Anm. 9), S. 30. Ninness, Niemandsland (wie Anm. 3), S. 151. Vgl. Press, Berlichingen (wie Anm. 26), S. 324. Vgl. allgemein Volker Press: „Korporative“ oder individuelle Landesherrschaft der Reichsritter? In: Erwin Riedenauer (Hg.): Landeshoheit. Beiträge zur Entstehung, Ausformung und Typologie eines Verfassungselements des Römisch-Deutschen Reiches. München 1994, S. 93– 112; für Fallbeispiele bzw. Einzelaspekte etwa Klaus Rupprecht: Herrschaftsintensivierung und Verwaltungsausbau ritterschaftlicher Familien Frankens im 16. Jahrhundert. Das Beispiel Guttenberg. In: Kurt Andermann (Hg.): Rittersitze. Facetten adligen Lebens im Alten Reich. Tübingen 2002, S. 111–139; Marina Heller: Hochgericht und Kriminalität in der Reichsritterschaft. Das Beispiel der Herrschaft Sugenheim. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 65 (2005), S. 105–133; Gerhard Rechter: Judenschutz als reichsritterschaftliche Statuspolitik.

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ist bekannt, dass er sich um eine Herrschaftsintensivierung bemühte, Dorf- und Kirchenordnungen erließ,40 und kürzlich wurde für die Ganerbschaft Schlüpf (heute Gemeinde Boxberg) die Inanspruchnahme von iura episcopalia durch ritterliche Patronatsherren untersucht und mit gutem Grund darauf hingewiesen, dass dies auch eine „herrschaftslegitimierende und -stabilisierende“ Funktion hatte.41 Kann man aber so weit gehen, bei einzelnen ritterlichen Herrschaften von protostaatlichen Strukturen zu sprechen? IV. REICHSRITTERSCHAFT UND KONFESSION In diesem Band wird intensiv beleuchtet, welche Rolle die Reichsritterschaft für die Reformation gespielt hat und wie sich verschiedene Gruppen des Niederadels im Heiligen Römischen Reich zur beziehungsweise in der Glaubensfrage positionierten. Dennoch scheint es erforderlich, diesen Gesichtspunkt auch im vorliegenden Beitrag kurz anzusprechen. Denn das Reich, seine Institutionen und Normen waren von erheblicher Bedeutung für die Handlungsspielräume und Entscheidungen der Ritter in der Glaubensfrage. Jüngst hat Richard Ninness die Auffassungen von Volker Press bezüglich der Haltung der Reichsritter zur Reformation im Wesentlichen bestätigt und auch die von Press vorgeschlagene Annahme von drei unterschiedlich geprägten Phasen übernommen,42 jedoch geringfügig modifiziert. Danach war die erste Phase bei den meisten Rittern von vorsichtiger Zurückhaltung geprägt. Feurige Unterstützer Luthers wie Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen waren die Ausnahme.43 Auch in der zweiten Phase, seit der zweiten Hälfte der 1520er Jahre, verhielten sich die meisten Ritter abwartend, nicht nur aus Vorsicht, sondern auch aus Misstrauen gegenüber den mit Luther verbundenen Fürsten und aus Loyalität gegenüber dem

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Die Familien Crailsheim und Seckendorff als Fallbeispiele. In: Stefan Ehrenpreis (Hg.): Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte. München 2013, S. 179–193. Vgl. Press, Berlichingen (wie Anm. 26), S. 323. Vgl. Helmut Neumaier: Iura episcopalia evangelischer Reichsritter? – Die Ganerbschaft Schlüpf als Fallstudie. In: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 7 (2013), S. 232–252, Zitat S. 250. Vgl. Press, Adel (wie Anm. 2). Press kommt zu deutlich differenzierteren Ergebnissen als die (in ihrer Zeit gleichwohl wichtige) Studie von Erwin Riedenauer: Reichsritterschaft und Konfession. In: Hellmuth Rössler (Hg.): Deutscher Adel 1554–1740. Darmstadt 1965, S. 1–63. Vgl. auch Wolfgang Wüst: Reformation und Konfessionalisierung in der fränkischen Reichsritterschaft. Zwischen territorialer Modernisierung und patriarchalischer Politik. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 95 (2002), S. 409–446; sowie die weiterführenden Überlegungen von Kurt Andermann: Ritterschaft und Konfession. Beobachtungen zu einem alten Thema (Hg.), Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Ostfildern 2005, S. 93–104. Vgl. Volker Press: Franz von Sickingen, Wortführer des Adels, Vorkämpfer der Reformation und Freund Huttens. In: Peter Laub (Bearb.): Ulrich von Hutten. Ritter, Humanist, Publizist, 1488–1523. Ausstellungskatalog. Kassel 1988, S. 293–305; Kurt Andermann: Dem Evangelium eine Öffnung? Überlegungen zu Franz von Sickingens Trierer Fehde. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 109 (2011), S. 65–86.

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altgläubigen Kaiser. Während des Interims hingegen – und nicht erst nach dem Augsburger Religionsfrieden – macht Ninness eine stärkere Hinwendung von Rittern zur Reformation aus, auch wenn sich nach der Klärung der reichsrechtlichen Lage 1555 die Zahl derjenigen, die sich offen zum Luthertum bekannten, noch einmal signifikant erhöhte.44 Denn der Augsburger Religionsfrieden gestand ausdrücklich auch den Reichsrittern die Entscheidung zwischen altem Glauben und Confessio Augustana zu. Ob dies auch ein Reformationsrecht in den ritterschaftlichen Herrschaften einschließen sollte, ging aus Artikel 26 des Reichsabschieds nicht eindeutig hervor; die Ritter jedenfalls nahmen es in Anspruch.45 Die Positionierungen der Reichsritter zur Glaubensfrage weisen im Zeitalter der Reformation trotz einiger Besonderheiten also zahlreiche Parallelen zur Haltung des Hochadels auf. Eine signifikant unterschiedliche Entwicklung ist dagegen in den Jahrzehnten nach dem Augsburger Religionsfrieden zu beobachten, als sich viele Reichsritter dem angeblichen Zwang zur Konfessionalisierung offenbar entzogen. Richard Ninness hat für die Reichsritterschaft in dieser Zeit den schon von Volker Press verwendeten Begriff „konfessionelles Niemandsland“ aufgegriffen. Scharf gezogene konfessionelle Grenzen innerhalb der Reichsritterschaften ließen sich kaum ausmachen. Eine Reihe von Familien lasse sich nicht einmal eindeutig einer bestimmten Konfession zuordnen. Und selbst wenn das der Fall sei, sei es nicht selten gewesen, dass lutherische Ritter sich in katholischen Stiftskirchen bestatten ließen oder sich um kirchliche Pfründen bewarben. Das reichsrechtlich prekäre Bekenntnis zum Calvinismus scheint dagegen nur geringe Anziehungskraft auf die Ritter besessen zu haben.46 Andererseits boten manche von ihnen radikalprotestantischen Gruppierungen wie Täufern und Schwenckfeldianern Zuflucht, nahmen vielfach auch Juden in ihren Herrschaften auf und leisteten so einen Beitrag zur konfessionellen Vielfalt des Alten Reiches.47 Nicht verschwiegen werden sollte, dass es für die Ritter (ganz abgesehen von individuellen Glaubensüberzeugungen) auch manche Gründe gab, bei der alten Kirche zu bleiben. Hier ist an prominenter Stelle die Zugriffsmöglichkeit auf die großenteils an das katholische Bekenntnis geknüpften reichskirchlichen Pfründen zu nennen, aber es ist auch daran zu erinnern, dass für diejenigen evangelischen Ritter, die in kaiserlichen Diensten standen, eine Konversion wenn nicht unabdingbar, so doch fraglos karrierefördernd war. Während seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts die Konfessionsparteien im Reich immer deutlicher in eine Konfrontation gerieten und schließlich der konfessionelle Konflikt eine Reichsinstitution nach der anderen lahmlegte, hatten konfessionelle Unterschiede bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges keine Auswir44 45 46

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Vgl. Ninness, Niemandsland (wie Anm. 3), S. 143–148. Vgl. Ninness, Niemandsland (wie Anm. 3), S. 149. Sogar die sich traditionell auf die Kurpfalz hin orientierenden Ritterfamilien schreckten großenteils vor dem Übergang zum Calvinismus zurück, selbst wenn dadurch alte Klientelverhältnisse zur Disposition gestellt wurden. S.o. S. 92. – Vgl. Ninness, Niemandsland (wie Anm. 3), S. 148–160. Andermann, Reichsritterkanton Kraichgau (wie Anm. 3), S. 318 f., betont dagegen das frühzeitige entschiedene Votum der Kraichgauer Ritter für die Reformation. Vgl. Rechter, Judenschutz (wie Anm. 39).

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kungen auf die reichsritterschaftliche Organisation.48 Auch wenn wir schon einiges über die konfessionellen Positionierungen der Ritterschaften wissen,49 wäre es spannend, noch genauere Einblicke in die konfessionellen Verhältnisse reichsritterlicher Familien und Herrschaften zu gewinnen. Gerade angesichts der skizzierten Vielfalt und Uneindeutigkeiten könnten derartige Untersuchungen nicht nur einen Beitrag zur Geschichte der Reichsritterschaft, sondern zu der gegenwärtig intensiv geführten Diskussion um Konfessionalisierung, Interkonfessionalität, Transkonfessionalität und innerkonfessionelle Pluralität oder auch konfessionelle Ambiguität leisten.50 V. SCHLUSS Verglichen mit den fürstlichen Territorialstaaten, den Reichsstädten, aber auch den zentralen Reichsinstitutionen wie Reichstag und Reichskammergericht ist trotz der Forschungen jüngeren und jüngsten Datums unser Kenntnisstand zur Reichsritterschaft noch immer defizitär. Es wäre höchst wünschenswert, wenn diese Defizite nicht zuletzt durch weitere monographische Studien – nicht zuletzt Qualifikationsarbeiten – behoben würden, denn manche der genannten Themenfelder dürften nur so angemessen aufgearbeitet werden können. Vielleicht sind gerade die Reichsritter besonders geeignete Fallbeispiele, um, wie das in jüngerer Zeit verstärkt gefordert wird, durch akteurszentrierte51 Studien weiter zu einer neuen Dimension der Reichsgeschichte vorzustoßen, die weniger das Reich des Kaisers, das Reich der Fürsten und das Reich der Institutionen, sondern das Reich „vor Ort“ in das Zentrum der Betrachtung stellt.

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Vgl. Ninness, Niemandsland (wie Anm. 3), S. 156–160. Vgl. für die Zeit nach dem Westfälischen Frieden jetzt ausführlich Andreas Flurschütz da Cruz: Zwischen Füchsen und Wölfen. Konfession, Klientel und Konflikte in der fränkischen Reichsritterschaft nach dem Westfälischen Frieden. Konstanz 2014. Kaspar von Greyerz [u.a.] (Hg.): Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Gütersloh 2003; Andreas Pietsch, Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.): Konfessionelle Ambiguität. Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit. Gütersloh 2013. Dabei gilt es, auch die Akteurinnen zu beachten. Auf das Desiderat, verstärkt auch die Frauen der Reichsritter in der Forschung zu berücksichtigen, hat zu Recht Ninness, Niemandsland (wie Anm. 3), S. 161, hingewiesen.

DIE RITTER IN LUTHERS BRIEFWECHSEL (1520–1523) Matthieu Arnold Luthers Briefwechsel ist eine wichtige Quelle, nicht nur um das Leben des Reformators zu rekonstruieren und sein Denken präziser zu fassen,1 sondern auch, um seine Beziehungen zu seinen Zeitgenossen und seinen Einfluss auf das Geistesleben seiner Zeit gründlich zu erforschen. In den Jahren 1520 bis 1521 hatte Martin Luther besondere Beziehungen zu Vertretern der Ritterschaft, insbesondere zu Ulrich von Hutten.2 Da der Reformator durch die Fürsten – in erster Linie den sächsischen Kurfürsten – unterstützt wurde und da letztlich der von Hutten und Sickingen intendierte Aufstand der Ritter scheiterte, werden diese Kontakte zur Ritterschaft leider allzu oft vernachlässigt.3 Umso wichtiger erscheint die Behandlung des Themas „Ritterschaft und Reformation“. Im vorliegenden Aufsatz werden wir uns auf die Zeitspanne 1520 bis 1523 beschränken. I. DIE RITTER IN LUTHERS BRIEFWECHSEL IN DEN JAHREN 1520 BIS 15214 Nicht Luthers Kritik am Ablass, sondern erst die am Papsttum „im Zusammenhang mit der Leipziger Disputation“ hatte Hutten auf den Augustinermönch aufmerksam gemacht5. Diese Kritik und die Forderung einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern übten Luther und Hutten, der Anfang 1520 seinen scharfen Dialog „Vadiscus oder Trias Romana“ veröffentlichte. Hutten hatte sich die humanistische Kritik der Kirche zu eigen gemacht und verteidigte die Interessen des Reichs gegenüber Rom. Für einen Biographen Huttens konnte der Reichsritter „schon insofern in Luther einen Bundesgenossen sehen, [... als] seine Reform im christlichen Sinne einen Teil der Fesseln löste, die das Leben des deutschen Volkes einengten“6. Ende Februar 1520 bekam Luther Huttens Ausgabe der „Donatio Constantini“ in die Hand, was ihn zu der Auffassung führte, der Papst sei der Antichrist.7 Zur selben Zeit übermittelte Hutten durch Melanchthon ein Schutzangebot Franz von 1 2 3 4 5 6 7

Siehe Matthieu Arnold: La correspondance de Luther. Mainz 1996; Gerhard Ebeling: Luthers Seelsorge an seinen Briefen dargestellt. Tübingen 1997. Siehe Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1. Stuttgart 21983, S. 352. Siehe aber Heinz Schilling: Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. München 22013, S. 244–246; Matthieu Arnold: Martin Luther. Paris 2017, S. 292–294. Siehe Johannes Schilling: Hutten und Luther. In: Ders.: Das Evangelium in der Geschichte der Frömmigkeit. Kirchengeschichtliche Aufsätze. Leipzig 2016, S. 152–161 (149–172). Siehe J. Schilling, ebd., S. 353. Hajo Holborn: Ulrich von Hutten. Göttingen 1968, S. 126. Siehe WA Br Nr. 257: 2, 48, 20–49, 29 (an Spalatin, 24.2.1520).

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Sickingens, das Anfang Juni wiederholt wurde. (Insgesamt sind vier lateinische Briefe Huttens an Luther erhalten, zwei von 1520 und zwei von 1521; drei dieser Schreiben wurden durch zeitgenössische Drucke verbreitet.)8 Bereits am 20. Januar 1520 hatte Hutten – von Mainz aus – einen kurzen Brief an Melanchthon geschickt, in dem er darauf hinwies, Sickingen habe Reuchlins Gegner genötigt, nicht nur den Gelehrten in Frieden zu lassen, sondern sogar Geld zu zahlen. Was er für Reuchlin getan habe, werde er auch für Luther tun können.9 Dieser erste Brief wurde aber nicht zugestellt, sodass Hutten am 28. Februar von der väterlichen Burg aus erneut schrieb. Wenn Luther in Bedrängnis sein sollte, möge er bei niemand anderem als bei Sickingen Zuflucht suchen; von dort aus werde er alle seine Feinde verspotten können. Im Übrigen teilte Sickingen Melanchthon mit, jetzt würden seine Dialoge gedruckt („Trias Romana“), die gegen den Papst und die „römischen Erpresser“ gerichtet seien.10 Auf diesen Brief schickte Luther eine etwas verspätete Antwort. Er habe an dem Angebot der Ritterschaft, für seinen Schutz zu sorgen, nicht etwa kein Interesse, aber er habe, wie ein Brief vom 20. April 1520 an Wolfgang Capito beweist, schlicht keinen Briefboten finden können.11 Capitos Antwort von Ende April ist leider nicht überliefert. Am 13. Mai 1520 konnte Luther Spalatin mitteilen, ein Bote Silvester von Schaumbergs habe ihm zwei Tage zuvor mündlich ein Anerbieten des Ritters überbracht, dieser wolle ihm eine Zuflucht in Franken verschaffen, falls er sich in Wittenberg nicht mehr sicher fühle; dieses Angebot wolle er nicht verachten, auch wenn er keinen anderen Beschützer als Christus selbst beanspruchen wolle.12 Am 20. Juli übermittelte er dieselbe Nachricht an Wenzel Link,13 und am 3. August 1520 schrieb er an einen Augustiner in Magdeburg über die Schutzangebote Sickingens und Schaumbergs.14 Am 31. Mai schickte Luther an Spalatin Briefe für Hutten und Sickingen, die leider nicht erhalten sind.15 Der Brief vom 4. Juni 1520, den Hutten aus Mainz abgeschickt hatte, kann schwerlich schon eine Antwort auf Luthers Brief vom 31. Mai sein. In seiner Antwort bezieht sich der Ritter auf kein Schreiben des Reformators. Dieser hatte schon 8 9 10 11 12

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Siehe J. Schilling, Hutten und Luther (wie Anm. 4), S. 153. Mehrere Briefe Luthers an Hutten sind verloren (siehe ebd., S. 158). Siehe MBW Nr. 72: T1, 163, 4–10. Siehe MBW Nr. 74 : T1, 165, 4–19. WA Br Nr. 282: 2, 94, 30f.; vgl. Nr. 284 : 2, 98, 5f. WA Br Nr. 287: 2, 103, 19–22: „Habui ante biduum Nuncium ex Syluestro de Schawenberg, nobili franco, cuius & filiolum hic philippo commendauit, promittente securam tutelam, si quoquo modo princeps mei causa periclitaretur. Quod vt non contemno, ita nolo nisi Christo protectore niti, qui forte & hunc ei spiritum dedit.“ Siehe auch S. 104, Anm. 6. „Dedit ad me literas Sylvester de Schauenberg, Franciae nobilis, rogans, ne in Bohemian aut alio, sed ad se confugiam, si dirae Romanenses praevaluerint, pollicitus tutelam eximiam centenorum nobilium equitum Franciae. Itaque contemptus est furor Romanus tandem et Germanis. Idem fecit Franciscus Siccingerus.“ (WA Br Nr. 314: 2, 146, 8–12.) „Franciscus Sickingerus per Huttenum promittit tutelam mihi contra omnes hostes. Idem facit Sylvester de Schawenberg, cum nobilibus Franciae, cuius literas pluchras habeo ad me.“ (WA Br Nr. 323: 2, 162, 10–13; an Johannes Voigt.) Vgl. WA Br Nr. 291: 2, 111, 4f.

Die Ritter in Luthers Briefwechsel (1520–1523)

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am 5. Mai Spalatin mitgeteilt: „Hutteno, fabritio [Capito], pelicano, Erasmo scriptum est ab vtroque nostrum [Luther und Melanchthon] & multis aliis“.16 „Es lebe die Freiheit! Ulrich von Hutten, Ritter Ulrich von Hutten grüßt Martin Luther, den Theologen“,17 so der Gruß Huttens. Das Thema der Freiheit entwickelt Hutten in seinem Brief: „Verfechten wir die gemeinsame Freiheit, befreien wir das schon lange unterdrückte Vaterland.“18 „Mit der nunmehr alten ‘deutschen Freiheit’ hatte Hutten“ – so Georg Schmidt – „[im Jahre 1520] sein Thema gefunden […]. Die den Deutschen von den Römern entzogene Freiheit ist das Leitmotiv, um das sich Huttens rhetorischer Kampf für Freiheit und Einheit des deutschen Vaterlandes rankt.“19 Dieser Brief Huttens ist voller Bibelzitate, insbesondere Zitate aus den Psalmen, die er auf Luther bezieht, so z.B. Ps. 93, 21 u. 23 in der Vulgata : „De te dicent enim pii omnes : ‚Captabant animam iusti et sanguinem innocentem condemnabant; sed reddet illis iniquitatem ipsorum, et in malitia eorum disperdet eos Dominus deus noster.’“20 Hutten teilte Luther das Gerücht von dessen bevorstehender Bannung mit.21 Eck habe ihn, Hutten, als Parteigänger Luthers angeklagt, was aber nicht falsch sei: „semper enim in iis, quae intellexi, tecum sensi“.22 Er ermutigte den Reformator zur Standhaftigkeit: „Tu confirmare et robustus esto, nec vacilla!“23 Er begebe sich heute zu Ferdinand von Habsburg und werde für ihre gemeinsamen Interessen alles tun, was er könne.24 Am selben Tag schrieb Hutten an Petrus Mosellanus in Leipzig und forderte ihn auf, Luther zu ermutigen: „Luther scripsi, sed pro opportunitate breviter. Excitate hominem, si languet. Iuvate, si laborat. Circumsistite, si nutat. Fulcite, si labat. Consolamini, si moeret. Praesidium est illi Francisco [Sickingen], si non satis confidit istis defensoribus [den sächsischen Fürsten].“25 Eine Woche später, am 11. Juni 1520, schrieb Silvester von Schaumberg einen Brief an Luther, in dem er sich konkreter als Hutten ausdrückte. Von „vielen Personen, die dennoch auch gelahrt und der Lernung angehängt haben“, habe er gehört, dass Luthers „Lehre und Meinung auf die heilige, göttliche Schrift gegründet sein soll“.26 Trotzdem und obwohl Luther sich bereit erklärt habe, sich einem Konzil 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

WA Br Nr 284: 2, 98, 5–6. „Vive libertas. Ulrichus de Hutten eques Martino Luthero theologo, salutem.“ (WA Br Nr. 295: 2, 116, 1f.) J. Schilling, Hutten und Luther (wie Anm. 4), übersetzt: „[…] wünscht dem Theologen Martin Luther Heil“. Vindicemus communem libertatem, liberemus oppressam diu iam patriam. (WA Br Nr. 295: 2, 117, 29s.) Georg Schmidt: Luthers Freiheitsvorstellungen in ihrem sozialen und rhetorischen Kontext (1517–1521). In: Dieter Korsch, Volker Leppin (Hg.): Martin Luther – Biographie und Theologie. Tübingen 2010, S. 19 (9–30). WA Br Nr 295: 2, 116, 10–12. „Ferunt excommunicatum te“ (ebd., 116, 8f.) Ebd., 22s. Ebd., 26s. „Quicquid ibi potero, nostro bono, non cessabo.“ (Ebd., 117, 36.) WA Br Nr. 295: ebd., 118, Anm. 13. WA Br Nr. 298: 2, 121, 5–7.

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(„gemein christenlich Berufung“) oder einem Gelehrtenschiedsgericht („unverdächtiger, verständiger, frommer Männer Recht“) zu unterwerfen, „sollet ihr doch daruber Gefahr euers Leibes gewarten, und geursacht werden, euch zu frembden Nation, und besondern zu den Behmen zu tun.“27 Deshalb bat er Luther – auch wenn die Kurfürsten, die Fürsten und „ander Obrigkeit“ nicht mehr bereit seien, ihn zu unterstützen –, doch nicht zu den Böhmen zu flüchten, er, Schaumberg, wolle „hundert vom Adel […] (ob Gott woll!) aufbringen“, und so Luther „gegen [seine] Widerwärtigen vor Gefahr schützen“, bis dieser von einem Konzil oder von einem Gelehrtenausschuss gehört werde.28 Am 11. September teilte Luther Spalatin mit, Erzbischof Albrecht von Mainz habe ein Mandat gegen Huttens Bücher von den Kanzeln verkünden lassen, man dürfe seine Bücher gegen den Papst weder lesen noch drucken und gleiches gelte auch von ähnlichen Büchern, „wobei“ – so Luther – „er heimlich auf die meinigen zielt“.29 Dieselbe Information wiederholte Luther seinem Freund am 3. Oktober30. Als Luther Mitte November 1520 von Spalatin die deutsche Übersetzung der Bulle, die sein Freund gefertigt hatte, erhielt, schrieb er ihm: „Gaudeo Huttenum prodiisse, atque vtinam Marinum [= Marinus Caracciolo] oder Aleander intercepisset.“31 Seinen zweiten erhaltenen Brief schickte Hutten Luther, dem „niemals besiegten Herold des göttlichen Wortes (Verbi divini praeconi invictissimo)“,32 am 9. Dezember 1520 von der Ebernburg; vier Tage zuvor hatte der Humanist Crotus Rubianus den Reformator ermahnt, sich nicht zum Martyrium zu drängen.33 Seit dem letzten Brief Huttens war Luthers Adelsschrift Mitte August erschienen, und einen guten Monat später hatte Hutten seine „Clagschrift […] an alle stend Deütscher nation“ veröffentlicht.34 In seinem Brief vom 9. Dezember stellte Hutten sich als derjenige vor, der Sikkingen auf Luthers Seite gehalten habe.35 Es mangele nicht an Versuchen, Sickingen, dessen Ansehen beim Kaiser gewachsen war, im Sinn des traditionellen Glaubens zu beeinflussen36. Die Schriften des Reformators – oder die Huttens – lasse Sickingen sich aber bei Tisch vorlesen und er sei von Luthers Lehre begeistert.37 Hutten hoffte auf ein künftiges Konzil, ein Hinweis auf Luthers Schrift „An den 27 28 29

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Ebd., 121, 9–14. Ebd., 122, 22–27. „Malorum causa accidit, quod Episcopus Moguntinus per conciones mandavit, Hutteno nomine expresso, libros eius contra Romanum Pontificem neque legi neque emi sub excommunicationis sententia, adiecto in fine, eandem sententiam de similibus libris, ubi meos occulte taxat.“ (WA Br Nr. 337: 2, 185, 22–25; vgl. ebd., 186, Anm. 9 u. 10.) Siehe WA Br Nr. 340: 2, 192, 38–41. WA Br Nr. 352: 2, 213, 8f. (13.11.1520). WA Br Nr. 360: 2, 230, 1. Interim dicentem te : ‘Si Deus pro nobis, quis contra nos?’ [Röm. 8, 31, ein Zitat, das auch Hutten gebrauchen wird] non aliter quidem audire volumus, quam quod ipse quoque de vita tua curam suscipias. [WA Br Nr. 358: 2, 227, 16–18; 5.12.1520] Siehe Schmidt: Luthers Freiheitsvorstellungen (wie Anm. 19), S. 21: „Der gemeinsame Gegner heißt Rom. Es ist von daher verständlich, daß Hutten in Luther einen Verbündeten vermutete.“ Siehe WA Br Nr. 360: 2, 231, 8–11. Siehe Holborn, Ulrich von Hutten (wie Anm. 6), S. 138. Siehe WA Br Nr. 360: 2, 231, 12–19.

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christlichen Adel…“. In Bezug auf Karl V. gebe es leider wenig Hoffnung, insbesondere wegen des Einflusses von dessen Beichtvater Glapion.38 Hutten schickte Luther nicht nur die Banndrohungsbulle, sondern auch seine neuesten Schriften, „Dialogi Huttenici novi perquam festivi. Bulla vel Bullicida“, ein Dialog, in dem die deutsche Freiheit mit der Bulle kämpft, „In incendium Lutherianum exclamatio“, „Eyn Klag über den Luterischen Brandt zu Mentz“, „eine Aufforderung, gegen die Verbrennung von Luthers Schriften aufzutreten“,39 und „Klag und Vermahnung“, seine erste und sehr lange deutsche Schrift vom September 1520. Hutten bedauerte, dass Luther seinerseits ihm nichts geschickt habe, beispielsweise sein „Adversus execrabilem Antichristi Bullam“.40 An Spalatin habe er geschrieben, um sich zu erkundigen, wie weit man sich auf den sächsischen Kurfürsten verlassen könne, ob er etwa zur Anwendung von Gewalt bereit sei, um Luthers Sache zu verteidigen?41 Schon zwei Monate zuvor, am 11. September 1520, hatte Hutten Friedrich von Sachsen aufgefordert, sich an die Spitze des Kampfs gegen die Romanisten und für die Freiheit „unser[es] vaterland[es] Teütsch Nation“42 zu stellen. Im August hatte Hutten Luther geschrieben, er wolle die Romanisten mit Schrift und Waffen bekämpfen;43 jetzt gestand er dem Reformator zu, bisher habe er nichts Gewaltsames unternommen.44 Er ermahnte Luther neuerlich zur Standhaftigkeit: „Tu te confirma et constanti animo veritati adhaere“,45 ohne aber dabei biblische Zitate zu verwenden. Zwischen den beiden Briefen Huttens hatte Sickingen Anfang November 1520 Luther seine Unterstützung versprochen: „[…] [Ich habe] auch gerne verstanden, daß euer Gemüt dahin gericht ist, die christliche Wahrheit anzuzeigen und derselben anzuhangen; und bin wohl geneigt, euch in solchem meines Vermögens Förderung und Gunst zu beweisen.“46 Seinerseits hatte Hutten am 25. November an Martin Bucer einen Brief geschrieben, der Parallelen zu dem Brief an Luther vom 9. Dezember 1520 aufweist;47 dem Dominikaner teilte der Ritter mit, „die Ritterschaft [nobilibus]“ sei lutherfreundlich gesinnt, so dass die Verbrennung der Bücher Luthers in Köln – beinahe – große Unruhen bewirkt habe.48 38 39 40 41

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Siehe ebd., 35; 38–41. Holborn, Ulrich von Hutten (wie Anm. 6), S. 142. WA Br Nr. 360: 2, 232, 50–56. Siehe ebd., 69–73. Wahrscheinlich hat Spalatin diesen Brief vernichtet: siehe Paul Kalkoff: Ulrich von Hutten und die Reformation. 1920, S. 231. Siehe auch Irmgard Höss: Georg Spalatin 1484–1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation. Weimar 21989, S. 186. Hutten, Deutsche Schriften, hg. v. Heinz Mettke. Leipzig 1972–1974, Bd. 2, S. 99 (98–112). WA Br Nr. 337: 2, 185, 16–18: „Hutten literas ad me dedit ingenti spiritu aestuantes in Romanum Pontificem, scribens se iam et literis et armis in tyrannidem sacerdotalem ruere“ (an Spalatin, 11.9.1520). Siehe WA Br Nr. 360: 2, 232, 71–73: „non tibi enim uni hoc cognitum utile videtur, sed iis etiam, qui manum opponere et arma huic negotio volent.“ Ebd., 231, 37f. WA Br Nr. 349: 2, 208, 6–9; 3.11.1520. Siehe Martin Bucer: Correspondance, Bd. 1: Jusqu’en 1524, hg. v. Jean Rott. Leiden 1979 [= BCor], Nr. 20: 1, 125f. und S. 126, Anm. 15. Siehe BCor Nr. 20: 1, 126, 21–24.

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In der Bannbulle „Decet romanum pontificem“ vom 3. Januar 1521 wurden außer Luther lediglich drei Personen namentlich als schuldig hervorgehoben, die beiden Nürnberger Lazarus Spengler und Willibald Pirckheimer und mit ihnen Ulrich von Hutten49. Am 16. Januar 1521 schickte Luther an Spalatin den Brief vom 9. Dezember 1520: „Quid Huttenus petat, vides.“ Seinerseits wolle er nicht, dass man für das Evangelium mit Gewalt und Mord kämpfe. Das habe er – in einem leider verlorenen Brief – an Hutten geschrieben. Den Antichrist könne man durch das Wort besiegen.50 Dieser Brief kündigte ein Thema an, das Luther während seiner Wartburgzeit und nach seiner Rückkehr nach Wittenberg im März 1522 – unter anderem in seinen Invokavitpredigten – besonders entwickelte, man solle das Wort allein wirken lassen.51 Am 9. Februar schrieb Luther am Schluss eines Briefes an Johannes von Staupitz, in dem er seinen ehemaligen Beichtvater heftig ermahnt hatte, Christus öffentlich und mutig zu bekennen, dass Hutten und andere tapfer für ihn schrieben52. Er hob also das Verhalten des Reichsritters im Gegensatz zur Haltung Staupitz‘ hervor. Als Ende März das „Sequestrationsmandat“ veröffentlicht wurde, das Luther wie einen Gebannten behandelte, obwohl er am 6. März nach Worms zitiert worden war, veröffentlichte Hutten seine „Invektiven“ gegen die Nuntien und die Prälaten, die Luther bekämpften.53 „Hutten stellte Luther als den Prediger der Wahrheit und untadeligen Menschen dar und machte darauf aufmerksam, daß dem Evangelium die Verteidiger und der Freiheit die Rächer nicht fehlen würden.“54 Der Ritter drohte also den Priestern mit Fehde.55 Auch den Kaiser ließ er wissen, dass durch die Angriffe auf Luther die Freiheit niedergetreten würde, und er sprach sich gegen ein Edikt gegen Luther aus. Sein Schreiben, in dem er verlangte, dass man Luther nicht ungehört verdammen sollte, blieb nicht ohne Wirkung. Karl V. bemühte sich, Hutten und Sickingen durch eine Pension zu binden. Andererseits gelang es Glapion Anfang April, die Ritter zu überzeugen, dass Luther auf die Ebernburg – statt nach Worms eingeladen werden sollte, damit man noch gründlich über seine Lehre diskutieren könne. Martin Bucer, der damals Sikkingens Kaplan war, sollte den Mittelsmann spielen.56 Bucer hatte selbst auf der 49 50 51

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Siehe Holborn, Ulrich von Hutten (wie Anm. 6), S. 135; Brecht, Martin Luther, Bd. I (wie Anm. 2), S. 407. WA Br Nr. 368: 2, 249, 12–15. Siehe J. Schilling, Luther und Hutten (wie Anm. 4): „Die Scheidung lag in der Gewaltfrage: non vi, sed verbo – nicht mit Gewalt, sondern mit dem Wort sollte für die Sache des Evangeliums gestritten werden.“ (S. 161.) – Siehe auch Arnold, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 267– 272. „Huttenus et multi alii fortiter scribunt pro me, et parantur indies cantica, quae Babylonem istam parum delectabunt.“ (WA Br Nr. 376: 2, 264, 51f.) Siehe auch WA Br Nr. 366: 2, 246, 27f. (an Staupitz, 14.1.1521): „Huttenus bullam postillavit salsissmis notis in papam, et varia in hanc rem meditatur“; WA Br Nr. 374: 2, 258, 6–8 (an Link, 3.2[?].1521): „alia non sunt apud nos nova, nam Hutteni opera in hanc rem edita credo apud vos esse“. Siehe Brecht, Martin Luther, Bd. I (wie Anm. 2), S. 426. Brecht, ebd., S. 426. Holborn, Ulrich von Hutten (wie Anm. 6), S. 51. Siehe Matthieu Arnold: Martin Bucer und Franz von Sickingen. In: Wolfgang Breul (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation. Regensburg 2015, S. 187–188.

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Ebernburg Zuflucht gefunden, nachdem Sickingen ihm durch Hutten schon am 2. Dezember 1520 seine Hilfe angeboten hatte.57 „De Francisco“, schrieb der künftige Straßburger Reformator an Beatus Rhenanus am 5. April 1521, „hoc tibi persuadeas unum esse, qui cum euangelica pietate indicibilique humanitate animum et spiritum vere germanicum coniunxerit.“58 Es gelang Glapion, Bucer für seine Pläne zu gewinnen.59 Bucer, der also überzeugt war, dass eine Verständigung zwischen Luther und dem Kaiser möglich war, überbrachte dem Reformator die Einladung auf die Ebernburg am 15. April in Oppenheim. Wie wir wissen, ließ Luther sich darauf aber nicht ein. Trotzdem schrieb Hutten ihm am 17. April 1521 einen kurzen Brief voller biblischer Zitate (nicht weniger als achtzehn in 28 Zeilen, davon dreizehn aus den Psalmen), in dem er Luther, „den immer unbesiegten Evangelisten (Euangelista invictissimus)60“, wissen ließ, er würde ihm bis zum letzten Atemzug anhängen: „Confortare et robustus esto. […] De me non debes unquam dubitare, dum quidem constas tibi, ad ultimum usque spiritum adhaerebo.“61 Einige Tage später, kurz vor Luthers Abreise, antwortete Hutten (zwischen dem 20. und dem 25. April?) auf einen verlorenen Brief Luthers; dieser hatte ihm geschrieben, dass geheime Verhandlungen mit ihm stattgefunden hatten. Hutten lobte ihn wegen seiner standhaften Antwort in Worms und abermals ermutigte er den „immer unbesiegten Evangelisten“: „Ac tu, optime pater, animo confortare ne te convellendum praebe! […] Sed usque in finem persevera!“62 Um die Dämonen zu bekämpfen, brauche man jetzt, so Hutten, Schwerter, Bögen, Pfeile und sogar Kanonen.63 Luther sei nicht allein, und er dürfe mit Huttens und Sickingens Beistand rechnen: „Non carebis defensoribus, neque deerunt unquam vindices tibi.“64 Danach tauschte Luther mit Hutten keine Briefe mehr aus. Luther widmete Sickingen Anfang Juni 1521 seine Schrift, „Von der Beicht, ob die der Papst Macht habe zu gebieten“65 als Zeichen seiner Dankbarkeit für „vielfältige ewr trostung und erbieten mir unwirdigen geschehen“.66 Am 22. Mai 1523 erhielt Luther die Nachricht von Sickingens Tod. Er kommentierte sie knapp mit Psalm 7 [Vulgata], 57 58 59 60 61 62 63 64

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Siehe BCor Nr. 22: 1, 132, 18f. BCor Nr. 31: 1, 147, 21–23. „Et iam hoc: si Lutherus sua intelligat, ut ego interpretatus sum, nihil est de quo queretur de Luthero Caesar, et puto non multum a sensu eius aberrasse me. Disputauimus diem totum.“ (BCor Nr. 32: 1, 152, 20–153, 23; an Spalatin, 9 [oder 10?].4.1521.) WA Br Nr. 397: 301, 1. Ebd., 301, 8–10. WA Br Nr. 399 : 2, 304, 7f. 17. „Opus video esse gladiis et arcubus, sagittis et bombardis, ut obsistatur cacadaemonum vesaniae.“ (Ebd., 304, 6f.) Ebd., 304, 10f. Vgl. 304, 24. J. Schilling, Luther und Hutten (wie Anm. 4), S. 154, hat den Inhalt sämtlicher Briefe Huttens an Luther treffend bezeichnet: „In den Briefen selbst nimmt Hutten lebhaften Anteil an Luthers Geschick und ermutigt ihn zum Durchhalten, teilt ihm auch allerhand über sich selbst und Sickingen sowie über Ereignisse in seinem Umkreis mit, übersendet seine neuesten Schriften und kündigt nächstens erscheinende an. Vor allem versichert er ihn immer wieder seines unverbrüchlichen Beistands.“ Siehe WA Br Nr. 414 = WA 8, 138–140. WA 8, 139, 25f.

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12: „Francisci Sickingen heri audivi et legi veram et miserabilem historiam. Deus iustus, sed mirabilis iudex.“67 II. HARTMUT VON CRONBERG Am 12. Mai 1521 kündigte Luther seinem Freund Melanchthon an, Hartmut von Cronberg habe das ihm vom Kaiser ausgesetzte Jahresgehalt aufgekündigt, weil er nicht mehr dem dienen wolle, der auf die „Gottlosen (impii)“ höre.68 Unmittelbar davor schrieb Luther von dem „grausamen Edikt“, das Aleander gegen ihn und seine Bücher vorbereite.69 Das tapfere Verhalten des Ritters war für Luther ein Anlass, Gottes Herrschaft zu preisen.70 Nach seiner Rückkehr von der Wartburg schrieb Luther wahrscheinlich Ende März 1522 an Hartmut von Cronberg eine „Missive“, um ihn zu stärken.71 Cronberg war darüber hoch erfreut: „Es hat der christlich von Gott gesendet Doctor Martinus mir ein Schrift getan, die sunder Zweifel aus christlichem gutem Grund kommen ist […]“.72 Luther schickte er einen langen Brief – wahrscheinlich hatte er angefangen, ihn zu schreiben, bevor er Luthers Missive durch Hans von Berlepsch zugesandt bekam.73 Bemerkenswert ist, dass in diesem vom 12. April an „[s]eine[n] Bruder in Christo“ gerichteten Brief Hartmut von Cronberg auf seinen adligen Stand anspielt, um die erfreuliche lutherische Botschaft des Heils durch den Glauben auszudrücken: „Ich bin des gewiß, das mein Adel vnd reichtumb, vnd ob ich auch gleich von der Edelsten keyserlichen geburt der welt geboren, Auch ob ich eyn herr aller reych vnd reichtumb der gantzen welt were, so ist solchs doch alles vor eynem schaten vnd eyn nichtigkeyt zurechnen gegen dem warhafftigen Adel vnd reichtumb des aller geringsten cristen, der in den hern Christum recht glaubt vnd mit gantzem hertzen in got vertrawet.“74 Huttens Briefe an Luther waren eher appellative Briefe, in denen der Reichsritter den Reformator zu ermutigen suchte. Cronbergs Brief zeugt stattdessen von einer theologischen Rezeption der Schriften Luthers – und nicht lediglich jener Schriften, die die Prälaten angegriffen hatten. Wie in seinen Schriften an seine Untertanen, die eine positive und tröstliche Rezeption von Luthers Schriften bezeugt,75 legte Cronberg den Akzent auf den Glauben, auf die Reue und auf die Liebe zum Nächsten: „Dann wie wol ych mich befinde voller gebrechlichkeit vnnd sünde, so hab ich doch von der sellbigen wegen keyn erschrecken oder forcht, ych laß mir 67 68 69 70 71 72 73 74 75

WA Br Nr. 615: 3, 71, 6f. (an Spalatin). WA Br Nr. 407: 2, 333, 29f. Siehe ebd., 23–25. Siehe ebd., 32f. Siehe WA Br Nr. 466 = WA 10 II, 53–60. Brief vom 15. April 1521 an Hans von Dolzig und an Spalatin (WA Br Nr. 475: 2, 497; Einleitung). Siehe WA Br Nr. 475: 2, 497 (Einleitung). WA Br Nr. 475:2, 498, 26–32. Siehe Thomas Hohenberger: Lutherische Rechtfertigungslehre in den reformatorischen Flugschriften der Jahre 1521–22. Tübingen 1996, S. 240f.; Miriam Usher Chrisman: Conflicting Visions of Reform. German Lay Propaganda Pamphlets, 1519–1530. New Jersey 1996, S. 81f.

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benügen [= begnügen], das mir so(e)lche meine gebrechen von hertzen leid sind. Aber ich wil den gu(o)etigen gott teglich bitten vnd dem selbigen vertruwen, er wird durch sein go(e)ttlich barmhertzikeyt solche meine gebrechlichkeyt vnd den mangell meines glaubens von mir nemen, nach seinem go(e)ttlichen willen […]. Gott helff bald, damit ych in volkumend liebe gegen gott vnd dem nechsten wachsen mo(e)ge, yn wellichem stuck ych noch grossen mangell in mir befind.“76 Seine Schrift wurde bald darauf mit der Missive Luthers mehrmals gedruckt.77 Am 25. Februar 1523 konnte Luther Spalatin mitteilen, er habe im Kloster Hartmut von Cronberg zusammen mit dem Grafen Albrecht von Mansfeld empfangen78. Niemals vorher hatte Luther in seinem Briefwechsel von Cronberg in Verbindung mit der Niederlage der Ritter und der Einnahme von seiner Burg erwähnt. In dem Brief an Spalatin urteilte Luther positiv über den Ritter: „Vir tanta passus adhuc satis firmus in fide stat.“79. Hartmut von Cronberg begegnet dann lange nicht mehr in Martin Luthers Briefwechsel. Im Jahr 1535 wird er aber von Luther dreimal erwähnt, weil er auf der Suche nach seiner Schwester nach Wittenberg gekommen war. FAZIT In den entscheidenden Jahren 1520 und 1521 spielten die Ritter in Luthers Leben eine nicht unwesentliche Rolle, wie sein Briefwechsel bezeugt. Die Neuigkeiten, die der Reformator seinem Vertrauten Spalatin mitteilte, zeigen, dass er an Huttens Schriften Interesse hatte, und vor allem, dass ihm die Reichsritter Hutten und Sickingen eine wichtige Alternative offerieren konnten; falls der Kurfürst von Sachsen ihm nicht mehr beistehen würde, wollten sie ihn unterstützen und ihm eine Zuflucht bieten.80 Sicher dachte Luther während der Monate, in denen er mehrmals anbot, Wittenberg zu verlassen, eben daran, um den Kurfürsten nicht in Verlegenheit zu bringen. Wahrscheinlich teilte er Spalatin alle diese Nachrichten mit und übermittelte ihm die Briefe Huttens, auch um damit Druck auf seinen Beschützer Friedrich den Weisen auszuüben. Diese Tatsache dürfte für die Biografie des Reformators wichtiger sein als die Frage, ob Hutten je ein echter Anhänger Luthers gewesen ist. Die ältere Forschung, so beispielsweise Paul Kalkoff, aber auch Biografen wie Martin Brecht81 haben Hutten eher negativ betrachtet. In den entscheidenden Jahren 1520 und 1521 konnte sich Luther also mit dem Gedanken trösten und ermutigen, dass er in seinem Kampf gegen das Papsttum 76 77 78 79 80 81

WA Br Nr. 475: 2, 499, 68–77. Siehe WA Br Nr. 475: 2, 497 (Einleitung). „D. Hartmannus Cronenbergius iunctus Alberto comiti nobiscum est; & vtrumque in Monasterio prandio excepimus.“ (WA Br Nr. 584: 3, 30, 10–12.) Ebd., Z. 12. Siehe auch in diesem Sinne J. Schilling, Luther und Hutten (wie Anm. 4), S. 161. Siehe z.B. Brecht, Martin Luther, Bd. I (wie Anm. 2), S. 353: „[…] über Aufreihungen von Bibelzitaten kamen seine Briefe, mit denen er auf Luther eingehen wollte, nicht wesentlich hinaus.“

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nicht allein war und dass er im Notfall mit dem Beistand der Reichsritter rechnen durfte. Gegenüber Staupitz hob er den Mut der Reichsritter hervor. Umso bedeutender erscheint die Tatsache, dass Hutten in Luthers Tischreden niemals Erwähnung findet. Lediglich von Sickingen ist die Rede, aber auch von diesem fast immer nur im Zusammenhang mit den Ereignissen in Oppenheim 1521. In diesen Tischreden stellt Luther sich als derjenige dar, der trotz Bucers Versuch, ihn auf die Ebernburg einzuladen, doch nach Worms gegangen ist.82 Ein Jahrzehnt nach diesen Ereignissen war für seine Selbstinszenierung in den Tischreden eher die Tatsache von Bedeutung, dass er sich 1521 nicht von seinem großen Ziel hatte abbringen lassen, als dass die Reichsritter ihm damals ihre Hilfe angeboten hatten.

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A propinquis obviam veniebat Butzerus, subornatus a confessore caesaris, ne intrarem, nisi vellem comburi, sed concederem ad Franciscum de Sichungen. Ingredior, accipior in hospitium consiliatorum ducis. (WA TR Nr. 3357a: 3, 282, 10–12 (27.9.1533); Postquam appropinquassem Wormatiae et in Oppenheim pervenissem, Martinus Bucerus me accessit ingressum dissuadens, den der Glapion, des keisers beichtvater, wer bey ihm gewest, ihn gebeten micht tzu verwarnen, daß ich soltte hintziehen, dan ich würde verbrandt werden; solt mich in der nehe bey Francisco von Sickingen auffhalten, qui promptus fuit me suscipere. Das theten die bösewichter alle darumb, das ich nicht soltte compariren, dan wo ich drey tage verharret hett, so wer mein geleitte ausgewest. (Nr. 3357b : 3, 285, 5–11). Vgl. WA TR Nr. 5107: 4, 666, 19–667, 3 (2.8.1540); Nr. 4342b: 5, 69, 4–14 (Sommer 1540); Nr. 5375b: 5, 101, 10–15 (Sommer 1540).

RITTERSCHAFT UND REFORMATION BEI FRANZ VON SICKINGEN Wolfgang Breul I. EINLEITUNG Mit der Niederlage und dem Tod Franz von Sickingens „endete das letzte große Aufgebot der Ritter gegen die Landeshoheit; seitdem schied die Ritterschaft als bedeutende Kraft aus dem politischen Geschehen aus“, schreibt Hans-Jürgen Goertz in seiner 1987 erstmals erschienen Reformationsgeschichte „Pfaffenhaß und groß Geschrei“.1 Sie sieht den Antiklerikalismus als wesentliches Movens der frühen reformatorischen Bewegung. Daher formuliert Goertz in seinem Kapitel zum „frühen Lauf der reformatorischen Botschaft“ weiter: „Die Anhänger Sickingens und Huttens sahen in der antiklerikal-reformatorischen Bewegung eine Chance, nicht nur eine Fehde, sondern einen Aufstand mit dem Ziel einer politischen und kirchlichen Neuordnung des Reichs gegen die Landesfürsten und die altgläubige Geistlichkeit zu gewinnen“. Dass Goertz diese Verknüpfung für richtig hält, lässt er am Schluss seines Kapitels erkennen: „Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen war es für kurze Zeit im Aufbruch der Reformation gelungen, Politik und Religion aus einer Wurzel zu begreifen und für eine Erneuerung von Reich und Kirche zu kämpfen“2. Diese von einer täuferischen Perspektive bestimmte Reformationsdeutung, die einige Jahre durchaus einen gewissen Einfluss auf die Debatte hatte, kann auch als ein letztes Aufflackern einer im Grunde überlebten Deutung der Sickingschen Fehde gegen Trier3 gesehen werden, die im moderneren Gewand des Antiklerikalis1 2 3

Hans-Jürgen Goertz: Pfaffenhaß und groß Geschrei. München 1987, S. 109. Goertz, ebd. Eine ähnliche Deutung lässt noch die aktuelle Luther-Biographie von Heinz Schilling erkennen, die auch Landauer Einung und Trierer Fehde von ihrem Leitmotiv der „Rebellion“ her deutet. Die Landauer Union sieht Schilling als religiösen „Bund zur Förderung der Reformation und politische Kampf- und Schutzallianz gegen den sich formierenden Fürstenstaat in einem“, Heinz Schilling: Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie. München 2012, S. 246. Deutlich differenzierter zeigt sich demgegenüber die alte Arbeit von Heinrich Ulmann: Franz von Sickingen. Nach meistens ungedr. Quellen. Leipzig 1872: Einen direkten Zusammenhang zwischen der Landauer Einung vom Sommer 1522 und der Fehde gegen Trier lehnt er ab und bringt die Behauptung einer Adelsverschwörung mit altgläubiger Polemik (Latomus) in Verbindung; vgl. Ulmann, Sickingen (s.o.), S. 255–257. Die These von einem „Aufstand der Reichsritter“ findet sich gleichwohl in vielen Überblicksdarstellungen zur Reformation; exemplarisch seien erwähnt Johannes Wallmann: Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation. Tübingen 52000, S. 55f.; differenzierter, aber an der Grundthese festhaltend Bernd Moeller: Deutschland im Zeitalter der Reformation (Deutsche Geschichte 5). Göttingen 21981, S. 81f.

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mus4 daherkommt. Goertz nennt in den Fußnoten des Kapitels auch die Aufsätze von Volker Press.5 Hätte er sich mit diesen Beiträgen tatsächlich argumentativ auseinandergesetzt, wäre ihm die leichtfüßige Deutung als „Aufstand der Reichsritter“ sicherlich schwerer gefallen. Press zeichnet insbesondere in seinem Beitrag in den „Ebernburgheften“6 ein deutlich genaueres Bild und eine andere Interpretation der Landauer Einung von 1522. Zuletzt hat Kurt Andermann differenzierte und anregende Überlegungen zur Bedeutung der reformatorischen Haltung für Sickingens Trierer Fehde angestellt.7 An diese und andere Beiträge anknüpfend soll nachfolgend nach Sickingens Haltung zur Reformation gefragt werden. Zunächst aber ist Sickingens Aufstieg auf die reichspolitische Bühne nachzuzeichnen. II. SICKINGENS AUFSTIEG Sickingens Aufstieg, der ihn für einige Jahre zu einem der führenden poliltischen und militärischen Akteure im Südwesten des Reichs werden ließ, basiert auf dem Erwerb eines weit gestreuten Besitzes in dieser Region durch seine Vorfahren.8 Für diese Entwicklung war die Anlehnung an und die Unterstützung durch die Pfalzgrafen ein wichtiger Faktor. Sie ist seit 1326 greifbar und erreichte unter Ruprecht III. (1398–1410, König seit 1400) ihren Höhepunkt9. Den Anfang des Besitzerwerbs bildeten häufig Bestallungen, denen die Erlangung von Lehen und Pfandschaften 4

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In der erwähnten Reformationsmonographie hat Hans-Jürgen Goertz seine These erstmals umfassend entwickelt; vgl. auch Ders.: Religiöse Bewegungen in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 20). München 1993; Ders.: Antiklerikalismus und Reformation. Sozialgeschichtliche Untersuchungen. Göttingen 1995. Der Ansatz blieb in der Forschung nicht ohne Echo; vgl. Peter A. Dykema, Heiko A. Oberman (Hg.): Anticlericalism in Late Medieval and Early Modern Europe. Leiden u.a. 1993. In späteren Jahren nahm Goertz den Begriff des „Antiklerikalismus“ zugunsten eines vom Gedanken der „Radikalität“ der Reformation bestimmten Konzepts zurück; vgl. Hans-Jürgen Goertz: Die Radikalität reformatorischer Bewegungen. Plädoyer für ein kulturgeschichtliches Konzept. In: Ders., James M. Stayer (Hg.): Radikalität und Dissent im 16. Jahrhundert (Radicalism and Dissent in the Sixteenth Century) (Zeitschrift für historische Forschung. Beihefte 27). Berlin 2002, S. 29–42; Ders.: Radikalität der Reformation. Aufsätze und Abhandlungen (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 93). Göttingen 2007. Vgl. Volker Press: Adel im Alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze, hg. v. Franz Brendle und Anton Schindling (Frühneuzeit-Forschungen 4). Tübingen 1998. Volker Press: Ein Ritter zwischen Rebellion und Reformation. Franz von Sickingen (1481– 1523). In: Ebernburghefte 17 (1983), S. 151–177. Kurt Andermann: Dem Evangelium eine Öffnung? Überlegungen zu Franz von Sickingens Trierer Fehde. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 109 (2011), S. 65–86. Detaillierte Kenntnis dieser Entwicklung verdankt die Forschung der gründlichen Studie von Harold H. Kehrer: The von Sickingen and the German Princes 1262–1523. Diss. phil., Boston University 1977; Ders.: Die Familie von Sickingen und die deutschen Fürsten 1262–1523. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 127 (1979), S. 71–158; 129 (1981), S. 82–188. Die in den Quellen erwähnten Beziehungen der Sickinger zur Kurzpfalz stiegen bereits in den letzten Jahren der Regentschaft Ruprechts I. sprunghaft an, gewannen auch unter Ruprecht II. weiter an Intensität und verdichteten sich unter Ruprecht III. weiter; vgl. Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 87–89. Die Dienste der Sickinger wurden unter dem Königtum Ruprechts III. mit Pfälzischen Lehen vergolten.

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folgten. Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts hatte die Swickersche Linie der Familie ausgedehnte Pfandschaften in der südlichen Pfalz und östlich des Neckars in ihrer Verfügung.10 Nur ein kleiner Teil dieser Pfandschaften konnte in dauerhaften Besitz umgewandelt werden; gleichwohl zeigt dies die beachtlichen Aktivitäten des Hauptstamms der Familie und ihre wirtschaftliche Kraft, „die in engem Zusammenhang zu sehen ist mit der Entwicklung der Territorialstaaten am Mittel- und Oberrhein“.11 Der Schwerpunkt der Eigengüter, Lehen und Pfandschaften lag im Gebiet zwischen Mainz und Nahe und links der Nahe.12 Um 1400 gehörten die Sickinger bereits zu den führenden Familien am kurpfälzischen Hof und sie blieben es auch im 15. Jahrhundert. Die von erheblichen Unsicherheiten geprägte Zeit nach dem Tod Ruprechts III. brachte ihnen ebenso wie den anderen führenden Familien des Niederadels einen Zuwachs an Einfluss und Verantwortlichkeiten im Umfeld des Kurfürstenhofs. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wuchs unter den Kurfürsten Friedrich I. und Philipp allerdings auch die Abhängigkeit vom Wittelsbacher Hof. Insbesondere dem Großvater Reinhard (VIII., gest. 1472) und dem Vater Schweikhard (VIII., gest. 1505?) war es gelungen, die pekuniäre Situation der Swickerischen Linie der Familie13 durch den Erwerb von Bergbaurechten14 und vor allem einträgliche Heiraten zu verbessern: Reinhard VIII. hatte (zwischen 1442 und 1445) Schonett, die mit reichem Erbe ausgestattete Tochter von Trabold von Sien und Margreth von Nack, geheiratet. Damit gelangten umfangreiche Güter im Bereich von Nahe und Mosel in den Familienbesitz. 1448 konnte er Anteile der Herrschaft Ebernburg, von Schloss, Stadt und drei Dörfern, erwerben.15 Reinhards Sohn Schweikhard hatte (vor Januar 1466) Margarethe Puller von Hohenburg geehelicht, die Haupterbin ausgedehnter Besitzungen im Wasgau und im Unterelsass.16 Die Ebernburg hatte sich schon unter Reinhard zum Zentrum der Familie entwickelt; Schweikhard baute diese Position aus, indem er fernen Besitz für den Erwerb von Gütern in der Naheregion verkaufte. Wie sein Vater wurde er zum Amtmann des Pfälzer Teils der Ebernburg bestellt. Durch den Erwerb von Pfandschaften für die ihm noch nicht gehörenden Anteile der Ebernburg gelangte er 1482 in deren Voll-

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Harold H. Kehrer zählt in seiner Studie „62 Burgen oder Teile davon, 17 Städte oder Teile davon und 99 Dörfer oder Teile davon mit den zugehörigen Rechten“, Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil I, S. 90; vgl. Teil II, S. 85–106. Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil I, S. 91. Vgl. die Karten bei Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil I, S. 108–110. Vgl. die Stammtafel bei Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil I, S. 97. Z.B. nahe der Ebernburg; vgl. Hans-Joachim Bechtoldt: Bergwerke als Grundlage von Sickingens Aufstieg. In: Wolfgang Breul, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland Pfalz (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, Ausstellungskatalog. Regensburg 2015, S. 127; Ders.: Aspekte des Finanzwesens des Franz von Sickingen. Verträge im Kontext des Silberbergbaus in der Umgebung der Ebernburg im frühen 16. Jahrhundert. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 33 (2007), S. 175–212. Vgl. Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 120–122. Schweikhard musste allerdings sehr um die Erbansprüche kämpfen; vgl. Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 123–126.

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besitz, während er zeitgleich den Besitz im Kraichgau weiter auflöste.17 Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass Reinhard und Schweikhard von Sickingen vor allem durch die Heiraten Besitzungen im Raum Mosel, Pfalz und Unterelsass erworben hatten, die „vielen Herrschaften des Hochadels nicht“18 nachstanden. Zugleich konnte Schweikhard durch seine Fehdeführung (Kölner Fehde, 1488–1497) auch sein militärisches und politisches Ansehen steigern. So wurde er unter Kurfürst Philipp von der Pfalz wiederholt mit diplomatischen Missionen betraut und nahm wichtige Positionen am Hof ein.19 Darüber hinaus hatte die Familie eine größere Zahl von Ämtern in der Territorialverwaltung zwischen Main, Rhein und Nahe in Besitz.20 Es erscheint daher angemessen, dass Harold H. Kehrer Reinhard und Schweikhard von Sickingen als Wegbereiter ihres Enkels bzw. Sohns Franz bezeichnet.21 Als Schweikhard VIII. gegen Ende des bayrisch-pfälzischen Erbfolgekriegs starb, setzte Franz die insgesamt umsichtige Politik von Vater und Großvater zunächst fort. In dieses Bild passt auch die noch vor 1500 geschlossene Ehe mit Hedwig, Tochter des Hans von Flersheim, die zwar keinen großen Zugewinn an Gütern brachte, wohl aber die Verflechtung mit dem regionalen Adel stärkte.22 Wie sein Vater übernahm Franz von Sickingen pfälzische Ämter und Funktionen, doch hatte sich die Verbindung zum pfälzischen Regenten offensichtlich gelockert, denn er ist zu dieser Zeit auch in Diensten anderer Fürsten zu finden.23 Dies dürfte nicht nur mit der Schwäche der Kurpfalz nach der Niederlage von 1504/05 zu erklären sein, sondern auch auf ein gestiegenes Selbstbewusstsein weisen, das Sickingen selbständiger agieren ließ. Seine Position als Amtmann von Kreuznach gab Sickingen zwischen Sommer 1513 und dem Beginn seiner Fehde gegen die Stadt Worms Anfang 1515 auf. Bis zum Beginn seiner Fehdeführung im großen Stil konnte er seine Besitzungen nicht mehr nennenswert erweitern. Dazu könnte auch die Verpflichtung aus dem väterlichen Erbe beigetragen haben, beim Tod seiner Mutter (1507) für seine fünf Schwestern 9.000 fl. als Aussteuer und Erbschaft aufzubringen.24 Gleichwohl war er noch immer gut betucht.25

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Vgl. Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 127f. Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 128. Vgl. Press, Ritter (wie Anm. 6), S. 152; Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 97–106, 129–131. Vgl. die Karte bei Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil I, S. 111 und die anschließenden Erläuterungen. Vgl. Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 120. Vgl. Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 136. Ein weiteres Indiz für das nicht mehr ungetrübte Verhältnis zur Kurpfalz ist die Übernahme von Beistandsverpflichtungen, welche einen Angriff des Pfälzer Kurfürsten nicht mehr ausnahmen; vgl. insgesamt Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 139f. Vgl. Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, 135. Dies zeigen sprichwörtlich die Schneider-Rechnungen dieser Jahre; vgl. Reinhard Scholzen: Franz von Sickingen. Ein adeliges Leben im Spannungsfeld zwischen Städten und Territorien (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 9). Kaiserslautern 1996, S. 40, unter Bezug auf StAM, Best. 3, Nr. 110, f. 49–51.

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III. SICKINGENS FEHDEN Ende 1514 änderte Franz von Sickingen sein politisches und militärisches Verhalten grundlegend. Die Neuartigkeit seiner Fehdeführung und die Geschichte ihres Verlaufs sind hinlänglich beschrieben worden.26 Unklar sind jedoch weiterhin die Motive. Sickingens Übergang zur hypertrophen Fehdeführung allein mit dem Tod seiner Frau Hedwig am 9. Januar 1515 in Verbindung zu bringen, überzeugt schon deshalb nicht, weil er die Vorbereitungen seiner ersten großen Fehde (mit der Reichsstadt Worms) schon im Herbst 1514 begann. Wenn die Schilderungen der Flersheimer Chronik ein gewisses Maß an Zuverlässigkeit beanspruchen können, dann wird man auch politische Motive in Anschlag bringen müssen. Sie schildert ein Gespräch zwischen Sickingen und seinem Schwager Philipp von Flersheim, dem Auftraggeber der Chronik, beim Ritt zur Ebernburg. Beim Anblick der Hauptburg lässt ihn die Flersheimer Chronik sagen: „Schwager, man muess das [sc. die Ebernburg] ein dapffern bau … sein lassen, unnd solt ich nit etwas mehr thuen, dann gebauet haben, das wurdt mir verechtlich sein“. Mit Blick auf offene Forderungen aus den Fehden seines Vaters Schweikhard heißt es weiter: „Soll ich nun etwas gegen den fursten anfahen, so sein die vom adel, meine freundt, der fursten lehenmenner, der khan ich nit geniessen. … Nun bin ich ganntz entschlossen, mich Balthasers Schlörs gegen denen von Wormbss anzunemmen unnd dermassen, das ich, ob gott will, durch das die sachen dahin arbeiten will, das ich ohne einigen krieg unnd schwertschlagen mein annder forderung zu vertrag bringen“.27 Es liegt nahe, die neue Form der Fehdeführung, die den Rahmen üblicher adliger „Rechtsdurchsetzung mit Waffengewalt“28 hinsichtlich des Umfangs der eingesetzten Truppen und der dabei eingetriebenen Forderungen bei weitem sprengte, auch in diesem Horizont zu deuten. Angesichts des Ausbaus territorialer Macht durch die Fürsten und der Veränderungen in ihrer politischen Administration29 stießen die Bemühungen des Niederadels durch Ämter, Dienstleistungen und Kreditgaben für die Fürsten ihren Besitz und ihre Einflusszonen auszuweiten, zunehmend an Grenzen. Sickingens Ausweitung der Fehde erscheint in dieser Perspektive als Versuch, diese 26

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Hier sei lediglich auf die vorzügliche vergleichende Darstellung von Christine Reinle in diesem Band verwiesen, Christine Reinle: Fehdepraxis in der ersten Hälfte des 16. Jahrhhunderts. Die Sickingen-Fehden im Vergleich mit anderen Fehden (Lit.). Verlauf und Charakteristik von Sickingens Fehdeführung habe ich in einem Überblicksbeitrag beschrieben; vgl. Wolfgang Breul: Sickingens Fehden. In: Ders., Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland Pfalz (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, Ausstellungskatalog. Regensburg 2015, S. 59–66. Zu Sickingens Fehde mit der Landgrafschaft Hessen vgl. meinen Beitrag Wolfgang Breul: Das Trauma der frühen Jahre: Philipp von Hessen und Franz von Sickingen. In: Ebernburghefte 46 (2012), S. 7–36. Otto Waltz (Bearb.): Die Flersheimer Chronik. Zur Geschichte des 15. und 16. Jahrhunderts. Zum ersten Mal nach vollständigen Handschriften herausgegeben. Leipzig 1874, S. 54. Arno Buschmann: Gewalt und Frieden – zur Entwicklung der inneren Friedensordnung in Europa. In: Johann J. Hagen, Peter Mader (Hg.): Gewalt und Recht. Ringvorlesung zum 30-jährigen Bestehen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg. Frankfurt am Main 1997, S. 11–33, S. 12. Vgl. Kurt Andermann: Das alte Herkommen bewahren. Zur Situation des Ritteradels in Südwestdeutschland am Ende des Mittelalters, Ebernburghefte 49 (2015), S. 15–33, S. 19–26.

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Grenzen zu sprengen und mit hohem Geldeinsatz30 militärisch auf der Ebene von Fürsten zu agieren. Dass diese Form der Fehdeführung auf hohe Einnahmen zielte, widerspricht nicht einer politischen Deutung. Sickingens Status war angesichts der hohen Kosten der Fehdeführung fragil, der Versuch, mit den expandierenden Territorialmächten konkurrieren zu wollen, riskant. Explizit formuliert hat er ihn offensichtlich erst im Kontext der Trierer Fehde 1522.31 Sickingens Möglichkeiten ruhten auf seiner pekuniären Potenz32 und seinen Qualitäten als Heerführer. Sickingens neue Form der Fehdeführung war nicht von Beginn an erfolgreich. Die Wormser Fehde zog sich in die Länge, belastete die Stadt zwar erheblich, führte aber bis 1517 nicht zu einer Entscheidung. Erst als der Kaiser nach mehreren vergeblichen Versuchen, eine Landfriedensexekution gegen Sickingen zu organisieren, eine Verständigung mit Sickingen suchte, ihn begnadigte und in seine Dienste nahm, war der Konflikt entschieden. Sickingen wurde für seinen Landfriedensbruch nicht belangt und die Stadt Worms für die erlittenen Verluste nicht entschädigt. Die Annäherung an den Kaiser gab Sickingen größere Freiheiten für seine Fehdeführung. Die Fehden gegen die Reichsstädte Metz und Frankfurt am Main sowie die Landgrafschaft Hessen waren für Sickingen trotz des hohen Einsatzes einträglich.33 Insbesondere der Erfolg gegen die mächtige Landgrafschaft erhöhte Sickingens Prestige34, der Gegner war geschickt gewählt.35 Sickingen stand auf dem Höhe30 31 32

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Voraussetzung für Sickingens Erfolg war nach Scholzen, Sickingen (wie Anm. 25), S. 31, eine „für die Zeit bemerkenswert beständige finanzielle Liquidität, verbunden mit einer permanent verfügbaren ansehnlichen Streitmacht“. Vgl. Andermann, Öffnung (wie Anm. 7), S. 76 (Lit.). Dies wurde deutlich als Kaiser Karl V. Franz von Sickingen 1520/21 hohe Beträge schuldig blieb. Die Ansprüche Sickingens resultierten aus a. einem verabredeten Sold von 3.000 fl. jährlich über die Dauer von fünf Jahren für seinen Dienst als kaiserlicher Rat, Kämmerling und Diener, zu dem er im Herbst 1520 bestellt worden war, b. einem Kredit Sickingens an den Kaiser über 20.000 fl. „ohne einige underpfanndt oder verzinsung“ (Waltz, Flersheimer Chronik (wie Anm. 27), S. 69) und schließlich c. aus den Kosten eines von Karl V. beauftragten und von Sickingen vorfinanzierten Feldzugs gegen dessen früheren Bundesgenossen Robert von der Mark in Höhe von 76.500 fl., die ihm neben dem Ersatz von Kupfer für zerstörte Geschütze zugesagt worden waren. Die Flersheimer Chronik berichtet: „Unnd ist er, Franntz, zu Key. Mat. gehen Prüssel [Brüssel] geritten, daselbst viel zeit vergeblich gelegen, zuletzt der bezalung halben ein abschiedt nemmen muessen unnd kein gelt empfanngen; und ist ime damals biss uber die 96.000 fl. darfur Franntz versprochen, schuldig blieben, das ime nach gelegenheit unnd beschehener seiner treuen dienst nit wenig beschwerlich gewesen“, Waltz, Flersheimer Chronik (wie Anm. 27), S. 70f. Sickingens waghalsiger Zug gegen Trier dürfte nicht zuletzt den Versuch darstellen, neben der politischen auch die pekuniäre Situation zu verbessern; s.u. S. 121. Vgl. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 25), S. 34f. Auf dem Höhepunkt seines Fehdeerfolgs ließ Sickingen 1519 einen kostbaren teilvergoldeten Stapelbecher aus Silber herstellen; er trug unter anderem die Inschrift „EX MILITIA PARTIS FRANCISCVS DE SICKINGEN ME FIERI FECIT 1519“, vgl. den Katalog „Ritter! Tod! Teufel?“ (wie Anm. 14), S. 140f. Sickingen war spätestens 1518/19 zu einem wichtigen Akteur auf der Reichsebene aufgestiegen. Das zeigt insbesondere die wiederholte kaiserliche Indienstnahme durch Maximilian I. und Karl V. Vgl. Breul, Fehden (wie Anm. 26), S. 63f. Ohne den Status eines Fürsten und ohne verlässliche pekuniäre Potenz blieb diese Position aber abhängig vom Kriegsglück und von der politischen Großwetterlage. Das eigentlich sehr viel potentere Territorium war durch den frühen Tod von Landgraf Wil-

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punkt seines politischen Einflusses, als er 1519 an der Strafexpedition gegen Herzog Ulrich von Württemberg teilnahm. Dort lernte er Ulrich von Hutten kennen. IV. SICKINGEN UND DIE FRÜHREFORMATORISCHE BEWEGUNG Die Namenswahl Schweikhards VIII. und seiner Frau für ihren Sohn fügt sich in die Hinweise, die zu ihrer Frömmigkeit überliefert sind. Franz(iscus) knüpfte an dieses elterliche Erbe an, indem er einerseits an der Frömmigkeit der römischen Kirche partizipierte und andererseits Kontakt zu Vertretern des Humanismus (am Heidelberger Hof) pflegte. So vollendete er 1510 die von Schweikhard begonnene Wiederaufrichtung der Augustinerklause in Trombach und stattete sie aufwändig mit Grundbesitz aus.36 Dort sollten acht Schwestern nach der Franziskanerregel leben, für zwei dieser Pfründen behielt er seiner Familie das Reservationsrecht vor. Auch mit der Adelskirche blieb Franz von Sickingen in seiner Heirat mit Hedwig von Flersheim verflochten. Der Bruder seiner Braut, Philipp von Flersheim, setzte in diesen Jahren zu einer Karriere in der Reichskirche und in der Reichspolitik an, die ihn schließlich 1529 auf den Speyerer Bischofsstuhl führte.37 Daneben teilte Franz von Sickingen auch die in ihrem Ausmaß nicht sicher zu taxierenden astrologischen Interessen seines Vaters.38 Auch das Begräbnis seiner Frau bei den

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helm II. und den nachfolgenden Streitigkeiten um die vormundschaftliche Regierung geschwächt. Sickingen konnte zudem auf verdeckte Unterstützung aus dem hessischen Adel hoffen und machte sich partiell dessen Forderungen zu eigen; vgl. Breul, Trauma (wie Anm. 26). Vgl. den Beitrag von Steffen Krieb in diesem Band; Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 146f.; Press, Ritter (wie Anm. 6), S. 164. Vgl. Hans Ammerich: Philipp Freiherr von Flersheim,. In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 386; Steffen Krieb: „Unnd maihne, das das kheinem ritter nie wiederfahren sey, als mir“. Die Briefe Friedrichs von Flersheim als Selbstzeugnisse. In: Heinz-Dieter Heimann, Pierre Monet (Hg.): Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts. Bochum 2004, S. 135–146; Gerhard Fouquet: Das Speyerer Domkapitel im späten Mittelalter (ca. 1350–1540). Adlige Freundschaft, fürstliche Patronage und päpstliche Klientel Bd. II (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 57,2). Mainz 1987, S. 502–506 (Nr. 143); Ders.: Pfälzer Niederadel am Königshof und an Fürstenhöfen im späten Mittelalter. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 108 (2019, S. 399–413, 407–413; Hermine Stiefenhöfer: Philipp von Flersheim, Bischof von Speyer (1529–1552) und Gefürsteter Propst von Weißenburg 1456–1552. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformation und der deutschen Westmark. Speyer 1941. Eckhard Bernstein: „Homo mysticarum rerum percupidus …“: Franz von Sickingens Interesse an Magie und Astrologie und sein Verhältnis zum historischen Faustus. In: Frank Baron, Richard Auernheimer (Hg.): War Dr. Faustus in Kreuznach? Realität und Fiktion im Faust-Bild des Abtes Johannes Trithemius (Bad Kreuznacher Symposien III). Alzey 2003, S. 109–141. Dazu gehörte auch, wenn die polemisch formulierte Nachricht des Johannes Trithemius zutrifft, eine vorübergehende Anstellung des „Dr. Faust“ alias Mag. Georg Sabellicus in Kreuznach durch Sickingen, dem Trithemius nachsagt, ein „homo mysticatu[m] rerum percupidus“ zu sein, Johannes Trithemius: Epistolae familiares libri duo ad diuersos Germaniae Principes, Episcopos, ac eruditione praestantes uiros … Hagenau 1536, S. 312–314 (Brief an Johannes Virdung, 1507 Aug. 20), S. 313; vgl. Winfried Dotzauer: War Dr. Johann Faust in Kreuznach? Der Brief des Abtes Johannes Trithemius an den Mathematiker Johann Virdung vom 20. August

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Kreuznacher Franziskanern und die aufwändige Gestaltung der Gedächtnisfeiern39 lassen erkennen, dass sich Sickingen zunächst in den üblichen Bahnen spätmittelalterlicher Religiosität bewegte. Eine Änderung ergab sich vermutlich erst in der Begegnung mit Ulrich von Hutten. Die beiden adligen Standesgenossen hatten sich 1519 – vereint in der Gegnerschaft zu Herzog Ulrich von Württemberg – bei der Strafexpedition des Schwäbischen Bundes und Herzog Wilhelms von Bayern gegen den württembergischen Herzog40 kennen- und schätzen gelernt. Zunächst unterstützte Sickingen den Humanisten in seinem Engagement im Reuchlin-Streit, bedrohte die Kölner Dominikaner mit Fehde und setzte sich – als diese Drohung mit einer Täuschung unterlaufen wurde – beim Kaiser und beim sächsischen Kurfürsten für den Stuttgarter Hebraisten ein.41 Sickingens Engagement in dieser Sache war ohne Aussicht auf einen eigenen materiellen Vorteil.42 Hutten hat sich verglichen mit anderen Humanisten43 erst recht spät der Luthersache zugewandt. Anfangs hielt er sie für das übliche Theologengezänk, das den humanistischen Bildungsinteressen hinderlich sei. Sein Wunsch an die Streitparteien in der Ablasssache formulierte er in einem Brief an den Grafen Hermann von Neuenahr (1492–1530) am 3. April 1518: „Consumite, ut consumamini invicem … Ac faxit deus Opt. Max. ut intereant et emoriantur qui surgentibus impedimento sunt literis, quo aliquando enascantur viva pulcherrimarum virtutum, quae toties isti conterunt, pantaria“.44 Erst nach der Leipziger Disputation vom Sommer 1519 begann sich Huttens Haltung zu ändern und bereits wenige Monate später scheint er auch Sickingen für die Luthersache gewonnen zu haben. Am 20. Januar bot er Phil-

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1507. In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 66/67 (1999/2000), S. 453–486, wiederabgedruckt in Baron, Auernheimer, Dr. Faustus (s.o.), S. 143–183. Vgl. Andermann, Öffnung (wie Anm. 7), S. 73; Waltz, Flersheimer Chronik (wie Anm. 27), S. 53. Horst Carl: Der Schwäbische Bund. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformationszeit (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 24). Leinfelden-Echterdingen 2000, S. 443–451. Vgl. Martin Treu: Johannes Reuchlin, Ulrich von Hutten und die Frage der politischen Gewalt. In: Stefan Rhein (Hg.): Reuchlin und die politischen Kräfte seiner Zeit (Pforzheimer Reuchlinschriften 5). Sigmaringen 1998, S. 133–145, S. 142f. Vgl. Kehrer, Familie (wie Anm. 8), Teil II, S. 147f.; vgl. Press, Ritter (wie Anm. 6), S. 165. Vgl. exemplarisch zum Erfurter Humanistenkreis, mit dem Hutten in Verbindung stand, Wolfgang Breul: Fulda und Erfurt. Der Einfluß des Humanismus auf die Reichsabtei Fulda am Vorabend der Reformation. In: Fuldaer Geschichtsblätter 75 (1999), S. 69–132, S. 89–103, 115–131; Eckhard Bernstein: Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 2). Köln u.a. 2014; Ders.: Der Erfurter Humanistenkreis am Schnittpunkt von Humanismus und Reformation. Das Rektoratsblatt des Crotus Rubeanus. In: Pirckheimer Jahrbuch 12 (1997): Der polnische Humanismus und die europäischen Sodalitäten, S. 137–165; Leif Grane: Martinus noster. Luther in the German Reform movement 1518–1521 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Religionsgeschichte 155). Mainz 1994, S. 149f. Eduard Böcking: Ulrichs von Hutten Schriften, Bd. I: Briefe von 1516 bis 1520. Leipzig 1859, Neudr. Aalen 1963, S. 167; Johannes Schilling: Hutten, Luther und die Reformation. In: Ritter! Tod! Teufel? (wie Anm. 14), S. 39–46, S. 40.

Ritterschaft und Reformation bei Franz von Sickingen

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ipp Melanchthon erstmals den Schutz seines Standeskollegen für Luther an.45 Er habe auch Reuchlin geholfen. Da dieser erste Brief seinen Adressaten nicht erreicht hatte, wiederholte Hutten am 28. Februar 1520 das Angebot mit genauen Instruktionen zum Vorgehen.46 Nachdem Luther auf die Aufforderung, sich auf dem schnellsten Weg in die Obhut Sickingens zu begeben, nicht reagiert hatte, riskierte Hutten am 4. Juni 1520 ein direktes Schreiben an ihn. Der mit einem Ausruf auf die Freiheit beginnende Brief bezieht sich am Schluss auf Huttens frühere Anläufe zur Kontaktaufnahme über Melanchthon. Auch hier lässt er Vorsicht walten, der Name Sickingen bleibt unter einem Siglum verborgen. „N.“ habe ihn drei- oder viermal aufgefordert, an ihn zu schreiben. Luther solle angesichts der bedrohlichen Situation zu ihm kommen, wenn er nicht mehr sicher sei, „N.“ wolle ihn energisch gegen alle Feinde verteidigen.47 Damit ist deutlich, dass seit Anfang 1520 aus dem Unterstützer Reuchlins auch ein Parteigänger in der „causa Lutheri“ geworden ist. Huttens Schreiben vom 4. Juni erwähnt bereits Gerüchte von dem bevorstehenden Bannurteil gegen Luther48 und erwähnt die negativen Urteile der Kölner und Löwener Theologen zur Leipziger Disputation.49 Sickingen dürfte sich also bewusst gewesen sein, dass eine Exkommunikation Luthers drohte. Irgendwelche Vorteile konnte er in dieser Situation von einer Unterstützung des Wittenbergers kaum erwarten, wenn man von der Sympathie in den humanistischen Sodalitäten einmal absieht. Nachdem Ulrich von Hutten im September 1520 aus den Diensten Albrechts von Brandenburg ausgeschieden war und für die nächsten Monate überwiegend sein Domizil auf der Ebernburg einrichtete50, setzten er und Sickingen ihre Werbung um Luther fort. Die Bemühungen und Winkelzüge im unmittelbaren Vorfeld von Luthers Auftritt auf dem Reichstag in Worms im April 1521 sind vielfach dargestellt worden51 und müssen hier nicht noch einmal aufgerollt werden. Wie auch

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„Lutherum amat Franciscus, primum quia bonus sibi ut ceteris videtur et ob id invisus illis, deinde quia eum ex comitibus de Solmis quidam commendavit literis“. Hutten an Melanchthon, Mainz, 20. Jan. 1520, Melanchthons Briefwechsel, Abt. Texte, Bd. 1, Stuttgart – Bad Cannstatt 1991, Nr. 72, S. 163f., hier S. 163,14–17. Der erste Brief war an den Absender zurückgekommen. Vgl. Hutten an Melanchthon, Steckelberg, 28. Feb. 1520, Melanchthons Briefwechsel, Texte 1, Nr. 74, S. 164f., hier S. 165, 3f. Vgl. WA.B 2, 117,36–39. Hutten, der sich zu dieser Zeit noch in Diensten Erzbischof Albrechts von Brandenburg befand, war durch den Mainzer Gesandten von Rom über die dortigen Beratungen bestens unterrichtet; vgl. Traudel Himmighöfer: Ulrich von Hutten stellt sich an die Seite des vom päpstlichen Bann bedrohten Luther. In: Ritter! Tod! Teufel? (wie Anm. 14), S. 160f. Wahrscheinlich hat Luther selbst diesen Brief veröffentlichen lassen; vgl. WA.B 2, S. 115–118, Nr. 295; Thomas Kaufmann: Sickingen, Hutten, der Ebernburg-Kreis und die reformatorische Bewegung. In: Ebernburghefte 49 (2015), S. 35–96, S. 44f. 30. Aug. 1519 (Köln), 7. Nov. 1519 (Löwen); vgl. WA.B 2, S. 117,31–33. Vgl. auch WA 6, S. (170) 174–180, Luthers Erwiderung, a.a.o., S. 181–195. In Humanistenkreisen spottete man über das Lehrurteil der Kölner und Löwener; vgl. Reinhard Schwarz: Luther (KIG 3/I). Göttingen 1986, S. 74f. Vgl. Kaufmann, Ebernburg-Kreis (wie Anm. 48), S. 46. Zuletzt durch Wolf-Friedrich Schäufele: „Herberge der Gerechtigkeit“ oder „Wartburg des

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immer man die Vorgänge bewertet, dokumentieren sie doch ein fortgesetztes Interesse Sickingens am Wittenberger Reformator. Dass sich dieses Interesse nicht nur auf Luther bezog, sondern auf reformatorische Anliegen wird daran deutlich, dass Sickingen auch anderen später wichtigen reformatorischen Theologen Asyl auf der Ebernburg bot. Thomas Kaufmann hat die Bedeutung dieser Episoden in den Biographien später führender Reformatoren und die Stellung der Ebernburg in einem gründlichen Aufsatz ausführlich analysiert52, sodass die Darstellung hier auf eine kurze Skizze beschränkt bleiben kann. Mit Martin Bucer (1491–1551) kam Anfang 1521 einer der später führenden reformatorischen Theologen wesentlich durch Huttens Mitwirken auf die Ebernburg, weil er in der Schlussphase seines Prozesses um die Entbindung von den Ordensgelübden (im März 1521)53 sich nicht mehr in den Dominikanerkonventen aufhalten wollte. Nach einer zwischenzeitlichen Tätigkeit als Hofkaplan bei Pfalzgraf Friedrich kehrte er im Frühjahr 1522 ein zweites Mal in Sickingens Dienste zurück und versah vom Frühsommer bis zum November 1522 die Pfarrstelle in Landstuhl.54 Caspar Aquila (1488–1560), der spätere thüringische Reformator in Saalfeld (ab 1527) hatte Sickingen bereits 1515 als Feldprediger in der Fehde gegen Worms gedient. Im Frühjahr 1521 trat er für etwas mehr als zwei Jahre wieder in Sickingens Dienste, zunächst als Lehrer, später wieder als Feldprediger. Anders als die übrigen Ebernburgtheologen blieb er auch während der Trierer Fehde in Sickingens Umfeld bis zur Kapitulation am 6. Juni 1523 auf der Ebernburg.55 Von April bis September 1522 hielt sich Johannes Oekolampad (Hausschein, Husygen) auf der Ebernburg auf, das Ausmaß der mit ihm in der Forschung verbundenen ersten Änderungen der traditionellen gottesdienstlichen Formen ist aufgrund widersprüchlicher Quellenaussagen schwer zu taxieren.56 Thomas Kaufmann bilanziert Sickingens Personalpolitik im Umfeld der Ebernburg zurückhaltend: „In keinem Falle lässt sich eine strategische Anwerbung gelehrter Theologen durch Sickingen nachweisen; sie kamen und gingen auf eigene Initiative; allerdings ist erkennbar, dass er ihre Ausbildung im Geiste reformatorischer Theologie durch Wittenberger Studienaufenthalte förderte“.57 Auch wenn bezüglich der adligen Publizistik der frühen

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Westens“? Die Ebernburg in Luthers Tischreden. In: Ebernburghefte 46 (2012), S. 69–76, bes. S. 71–74. Vgl. hier und nachfolgend Kaufmann, Ebernburg-Kreis (wie Anm. 48), bes. S. 63–84. Vgl. Thomas Kaufmann: Franz von Sickingen und die Herberge der Gerechtigkeit – Historie und Mythos. In: Ritter! Tod! Teufel? (wie Anm. 14), S. 49–56, S. 52f.; vgl. Martin Greschat, Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit (1491–1551), Münster 22009, S. 49–51. Vgl. Greschat, Bucer (wie Anm. 53), S. 53f. Vgl. Georg Biundo: Kaspar Aquila (Veröffentlichungen des Vereins für Pfälzische Kirchengeschichte 10). Grünstadt/Pfalz 1963, S. 23–25. Vgl. Kaufmann, Ebernburg-Kreis (wie Anm. 48), S. 75–79. Zu Oekolampad vgl. Wolf-Friedrich Schäufele: Johannes Oekolampad. In: Irene Dingel, Volker Leppin (Hg.): Das Reformatorenlexikon. Darmstadt 2014, S. 189–193; Amy Nelson Burnett: The Reformation in Basel. In: Dies., Emidio Campi (Hg.): A Companion tot he Swiss Reformation 1519–1575, Zürich 2016, S. 170–216, S. 185–188, 193–198; Ernst Staehelin: Das theologische Lebenswerk Johannes Oekolampads (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 21). Leipzig 1939, ND New York u.a. 1971. Kaufmann, Ebernburg-Kreis (wie Anm. 48), S. 82.

Ritterschaft und Reformation bei Franz von Sickingen

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Reformation noch einige Unklarheiten bestehen58, ist doch erkennbar, dass die Ebernburgtheologen im Zeitraum 1520 bis 1522 für eine erhebliche Zahl an reformatorischen Publikationen in den umliegenden Druckorten Worms und Speyer sowie Straßburg und Augsburg sorgten.59 In diesem Zusammenhang wurden – auch unter dem Einfluss Ulrich von Huttens – „Gewaltphantasien“60 in den frühreformatorischen Diskurs eingeführt, die sich aus dem ritterschaftlichen Selbstverständnis als Teil der weltlichen Obrigkeit und der wachsenden Potenz der frühneuzeitlichen Territorialfürsten gegenüber dem Niederadel gespeist haben dürften. Unter den Ebernburgtheologen kommt Johannes Schwebel eine besondere Rolle zu, weil er bei der einzigen programmatischen Flugschrift unter dem Namen Sickingens vermutlich nicht nur bei dem von ihm unterzeichneten Vorwort die Feder geführt hat61: Sickingens Sendbrief an Dieter von Handschuhsheim ist im „Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts“ (VD 16) in acht Ausgaben nachgewiesen. VD16: S 6309. Ain | sendbrieff so der Edel vnd | Ernuest Franciscus von Sickingen seim Schwe|her/ dem Edlen vnd Ernuesten Junck|her Diethern vo[n] Henschuchßheim | zu vnderrichtung etlicher arti=| ckel Christliches gelaube[n]s | kurtzlich zugeschickt | hat. Anno M.D. XXij. [Augsburg: Nadler]. VD16: S 6310. Ain sendbrieff so der Edel | vnd Ernuest Franciscus von Sickingen | seim schwäher/ dem Edlen vn[d] Ern=| uesten Junnckher: Diethern | vin Henschuchßheim/ | zu[r] vnderichtung | ettlicher arti=| ckel Christ|liches | Gelaubens | kurtzlich zugeschickt hat. || M.D.XXII. [Augsburg: Melchior Ramminger] VD16: S 6311. Eyn Send brieff so der Edel | vnd Ernuest Franciscus von Sickingen/ sey=| sem schweher/ dem Edlen vnd ernuesten | juncker Diethern vo[n] Henschußheim | zu vnderziehung etzlicher artickel | christliches glaube[n]s/ zugeschickt | hadt. Nemlich von. | Beyd gestalt des sacrame[n]ts | Von dem Meszhalten. | Von den Orden leüten. | Von der Eerung der heylige[n] | Abthuung der Bildung [!], s.l. 1522. [Bamberg bzw. Coburg: Georg Erlinger bzw. Aegidius Fellenfürst] VD16: S 6312. Eyn Send brieff so der Edel | vnd Ernuest Franciscus von Sickingen/ sey=| sem schweher/ dem Edlen vnd ernuesten | juncker Diethern vo[n] Henschußheim | zu vnderziehung etzlicher artickel | christliches glaube[n]s/ zugeschickt | hadt. Nemlich von. | Beyd gestalt des sacrame[n]ts | Von dem Meszhalten. | Von den Orden leüten. | Von der Eerung der heylige[n] | Abthuung der Bildung [!], s.l. 1522. [Bamberg bzw. Coburg: Georg Erlinger bzw. Aegidius Fellenfürst] VD16: S 6313. Eynsendbrieff/ so der | Edel vnnd Ernuest Franciscus von Sickingen/ | seinem schweher/ dem Edlen vnd Ernue=| sten juncker Diethern von Henschuß=| heym/ zu vnderrichtung etzli= |cher artickel Christ=| liches glaubens | kürtzlich zu=||geschickt | hadt. [Erfurt: Michel Buchfürer 1522] VD16: S 6314. Eynsendbriff/ wye der Edel vnnd | Ernuest Franciscus von Syckingen/ seynem | schweher geschriben hat/ dem Edlen vnnd | Ernuestẽ iuncker Ditterichen von Hent|schuszheym tzu einer freuntlichenn | vnderrichtung etzlicher artickel | Christliches glaubenß. Erfurt: Wolfgang Stürme 1522. 58 59 60 61

Vgl. Kaufmann, Ebernburg-Kreis (wie Anm. 48), S. 85f. Anm. 221. Vgl. Kaufmann, Ebernburg-Kreis (wie Anm. 48), S. 86; Hans-Jürgen Goertz: Adel versus Klerus. Antiklerikale Polemik in Flugschriften des Adels. In: Ders.: Antiklerikalismus und Reformation. Göttingen 1995, S. 45–65, 126–129. Kaufmann, Ebernburg-Kreis (wie Anm. 48), S. 90. Ulrich Oelschläger: Der Sendbrief Franz von Sickingens an seinen Verwandten Dieter von Handschuhsheim. In: Ebernburghefte 4 (1970), S. 71–85.

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Wolfgang Breul VD16: S 6315. Ein sendbrieff/ so der Edel vnd | Ernuest Franciscus von Sickingen/ seinem | schweher/ dem Edlen vnnd ernuesten | iuncker Diethern von Henschuchß=| heym/ zu der vnderrichtung etzlicher | artickel Christliches glau=| bens/ kürtzlingen zuge=| schickt hadt., Straßburg: Johann Knobloch d.Ä. 1522. VD16: S 6316. Eyn Sendbrieff/ ßo | der Edel vnd Ernuest Franciscus von | Sickingen/ seynem Schweher/ dem | Edlen vnnd ernuesten Juncker | Diethern vo[n] Henschuchßheym | zu vnterrichtu[n]g etlicher Ar|tikel Christliches glau|bens/ kürtzlingen | tzu geschickt | hatt. | Missiue Hartmuts | von Cronenberg an Franciscu | von Sickingen|, Wittenberg: Johann Rhau-Grunenberg 1522.

Der aus Pforzheim stammende spätere Reformator Zweibrückens62 kam im Juni 1522 in die „Herberge der Gerechtigkeit“. Schwebels mögliche Federführung bei der Abfassung des „Sendbriefs“ steht allerdings zu den programmatischen Aussagen des Vorworts in Spannung, wenn er dort schreibt: „Aber das spil hat sich gar verkeret/ vorzeitten lernet ma[n] das gesatz gottes vo[n] den prieso tern/ ietzundt wer vo[n] nöten/ das sie zu den leyen in die schul gingen/ vnnd von ienen die 63 bibel lerneten lesen.“

Dieser Rollentausch zwischen Laien und Priestern hat für Schwebel darin seinen Grund, dass die Bischöfe ihr Amt in der Gegenwart nicht mehr auftragsgemäß versehen. o

„Verzeiten haben die Bischoff gebraucht das schwert des wort gottes/ zu der seel heyl. Vnd o weltlicher gewalt das zeitlich schwert zu straff der bösen. Jetzundt verlassen die bischoff dz wort gottes/ ja wöllen das mit weltlichem schwerdt vnd gewalt tirannisch vndertrucken.“64

Das Versäumnis der Bischöfe wird aber kompensiert durch die Träger des weltlichen Schwerts, die früher ihr Amt oft missbraucht hätten, nun aber zu Anwälten des Wortes Gottes geworden seien. „Aber die bißher das schwert gebraucht haben/ auch wie der mertheyl fürgibt vnbillich vnd o tyrannischer weyß/ diese zeygen ietzundt an guten gru[n]dt ihres fürnemens vn[d] erbarer o meynu[n]g neme[n]t an das wort gottes suchen mer lob/ vnd eer gottes dan zeitlichen gwalt o vn[d] gut/ Die gesehenden werden blindt/ vnd die blinde[n] gesehendt/ so wunderbarlich ist gott in seinen wercken.“65

Diese Vorstellung von den Laien, die priesterliche Aufgaben wahrnehmen, knüpft an die programmatischen Aussagen in Luthers knapp zwei Jahre zuvor erschienener Schrift „An den christlichen Adel“ an. Der legitimatorische Umkehrschluss vom Versagen der Bischöfe entspricht frühreformatorischer Polemik gegen den Priesterstand, wie ihn besonders deutlich Ulrich von Hutten formuliert hatte.66 Im Vorwort des Sendschreibens laufen diese Aussagen selbstverständlich auf dessen nominel62 63 64 65 66

Fritz Jung: Johannes Schwebel, der Reformator von Zweibrücken, Kaiserslautern 1910; Schwebel übernahm im Oktober 1522 die von Bucer verlassene Pfarrei Landstuhl bis zum April des nachfolgenden Jahres. Im Folgenden wird zitiert nach der Ausgabe VD16: S 6315, Bl. Aiir. Sickingen, Sendbrief, Bl. Aiir. Sickingen, Sendbrief (wie Anm. 63), Bl. Aiir-v. Vgl. Heiko Wulfert: Die Kritik an Papsttum und Kurie bei Ulrich von Hutten (Rostocker theologische Studien 21). Berlin, Münster 2009; zum Priestertum aller Gläubigen vgl. Thomas Kaufmann: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (Kommentare zu Schriften Luthers 3). Tübingen 2014, bes. S. 80–116.

Ritterschaft und Reformation bei Franz von Sickingen

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len Verfasser zu. Franz von Sickingen wird als der Laie und als der Träger des „zeitlichen Schwerts“ vorgestellt, der nun das Wort und die Ehre Gottes sucht. Das Sendschreiben behandelt fünf Themen, die der Adressat Diether von Handschuhsheim, Schwiegervater seines Sohnes Schweikhard, gegen die Lehre Luthers hegt: (1) die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt, (2) die Messreform, (3) den Austritt von Mönchen und Nonnen aus ihren Klöstern samt der Zölibatspflicht, (4) die Heiligenverehrung und (5) die angebliche Aufforderung zur Zerstörung der Bilder in der Kirche. Abschließend warnt der Verfasser vor einer abwartenden Haltung, die sich doch nicht „vff die ware seligkeyt“67 richtet. Die reformatorische Position wird mit ausführlichen Schriftbelegen begründet, die eine theologische Verfasserschaft oder Mitverfasserschaft nahelegen. Sickingens Sendbrief erinnert an einen anderen, drei Jahre später erschienenen Sendbrieff, der ebenfalls aus der Feder eines prominenten politischen Akteurs der frühen Reformationszeit stammt. Sein nomineller Verfasser war Sickingen auf eigentümliche Weise verbunden, der hessische Landgraf Philipp. Auch hier richtet sich das in vier unterschiedlichen Drucken erschienene öffentliche Schreiben an einen Vertreter altgläubiger Positionen, nämlich den Guardian des Marburger Franziskanerklosters Nikolaus Ferber. Hans Schneider hat in seiner gründlichen Analyse dieser Flugschrift68 betont, dass diese nicht nur dazu diente, die Zuwendung des hessischen Regenten zur Reformation publik zu machen, sondern zugleich die Überlegenheit dieser Haltung zu demonstrieren, indem ein Laie einen gelehrten Theologen belehrt. Sie war somit ein Beleg für das „Priestertum aller Gläubigen“, die Mündigerklärung der Laien in der Kirche.69 Mutatis mutandis gilt dies auch für Sickingens Sendbrief. Das Vorwort Schwebels spitzt mit seiner programmatischen Formulierung vom Rollentausch zwischen Laien und Priestern Luthers Parole zu, wenn sie den Priestern ihr Priestersein aberkennt. Schneider weist auf einen weiteren bedenkenswerten Aspekt hin. Auch der hessische Sendbrief wurde vermutlich ähnlich wie bei Sickingen von einem Prädikanten aus der Umgebung Philipps verfasst. Es sei übliche Kanzleipraxis, durch die Ausfertigung aber werde der Landgraf im rechtlichen Sinn zum Autor.70 In diesem Sinn muss auch Franz von Sickingen als Verfasser des Sendbriefs an Diether von Handschuhsheim gelten, auch wenn er, wie es wahrscheinlich ist, von Johannes Schwebel konzipiert wurde. Durch die Publikation unter seinem Namen wurde Sickingen zum Autor des Sendbriefs.

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Sickingen, Sendbrief (wie Anm. 63), Bl. C1v. Hans Schneider: Die reformatorischen Anfänge Landgraf Philipps von Hessen im Spiegel einer Flugschrift. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 42 (1992), S. 131–166. Vgl. Schneider, Anfänge (wie Anm. 68), S. 158, unter Bezug auf Bernd Moeller: Art. „Flugschriften der Reformationszeit“. In: Theologische Realenzyklopädie Bd. 11 (1983), S. 240– 246, S. 243. Vgl. Schneider, Anfänge (wie Anm. 68), S. 157.

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V. RITTERSCHAFT UND REFORMATION BEI FRANZ VON SICKINGEN Bis zu seiner Begegnung mit Ulrich von Hutten im Württembergzug 1519 lässt der in der tradierten Frömmigkeit seiner Eltern aufgewachsene Franz(iscus) von Sickingen keine Abwendung von der römischen Kirche erkennen. Die Wiedererrichtung der Augustinerklause Trombach und die großzügige Ausstattung des Konvents ebenso wie die aufwändige Totenmemoria für seine Anfang 1515 verstorbene Frau zeigen, dass Sickingen sich engagiert in den Bahnen tradierter Frömmigkeitspraxis bewegte, nachdem er an die Spitze der Familie getreten war. Auch die über mehrere Jahre erfolgreiche expansive Fehdeführung zeigt keine Hinweise auf ein gespanntes Verhältnis zur römischen Kirche oder Übergriffe gegen geistliche Fürstentümer der Reichskirche. Wie bei vielen Humanisten der jüngeren Generation71 führte auch bei Sickingen der Weg zu reformatorischen Ideen über den Humanismus und insbesondere den Reuchlin-Streit. Sein schreibender und antreibender Standesgenosse Ulrich von Hutten dürfte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, sowohl bei der Vermittlung reformatorischer Ideen als auch der Kontakte nach Wittenberg und zu jungen Anhängern der neuen Theologie, von denen einige auf der Ebernburg zwischen 1520 und 1522 Zuflucht fanden. Zwar kann die von Hutten als „Herberge der Gerechtigkeit“ apostrophierte Ebernburg72 angesichts der divergierenden Präsenzzeiten der Ebernburgtheologen kaum als ein Strategiezentrum der frühen Reformation im Südwesten bezeichnet werden, sondern fungierte eher als eine Zuflucht für frühe reformatorische Prediger und Theologen – mit dem Beginn der schon länger vorbereiteten Trierer Fehde im Spätsommer 1522 ging auch dieser Schutzraum verloren. Als das zeitweilig wohl „regsamste publizistische Aktionszentrum Oberdeutschlands“73 kommt ihr aber gleichwohl Bedeutung für die Reformation im Südwesten zu. Trotz dieser zurückhaltenden Einschätzung erscheint es nicht unbegründet mit Thomas Kaufmann, von Ansätzen einer früh gescheiterten „Adelsreformation“74 zu sprechen. Politische und religiöse Motive, die im 16. Jahrhundert ohnehin kaum sauber voneinander zu unterscheiden sind, wurden bei Sickingen und den mit den ihm verbundenen und mit Luthers Theologie und Reformprogramm sympathisierenden Ritterschaftsvertretern amalgamiert und über den Schutz reformatorischer Theologen hinaus auch über eine gewaltsame Durchsetzung von Reformen nachgedacht, wobei wiederum Hutten eine treibende Kraft war.75 Ritterschaft und Refor71 72 73 74 75

Vgl. Bernd Moeller: Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation. In: Ders.: Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische Aufsätze, hg. v. Johannes Schilling. Göttingen 1991, S. 98–110. Vgl. Böcking, Ulrichs von Hutten Schriften I (wie Anm. 44), S. 448 (Vorrede zum „Gesprächsbüchlein“); Kaufmann, Herberge (wie Anm. 53), S. 49; Schäufele, Herberge (wie Anm. 51). Kaufmann, Ebernburg-Kreis (wie Anm. 48), S. 90. Vgl. ebd. Vgl. die Ausführungen zur frühreformatorischen ritterschaftlichen Publizistik bei Kaufmann, Ebernburg-Kreis (wie Anm. 48), S. 86–89. Die Verschmelzung religiöser, politischer und sozialer Motive in der Figur Sickingens zeigt bereits ein wenige Monate nach seinem Tod wohl noch 1523 in Speyer anonym erschienener Dialog. Er wird darin als ein „verordneter Vollzieher

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mation waren im Denken Sickingens und Huttens – und auch bei anderen niederadligen Autoren – miteinander verbunden. Sickingens Engagement für die Reformation fiel allerdings zeitlich mit einer deutlichen Verschlechterung seiner finanziellen Situation zusammen. Kaiser Karl V. hatte sich große Summen von Sickingen geliehen bzw. ihm zugesagt und blieb sie schuldig.76 Sickingens finanzielle Möglichkeiten waren daher beschränkt und seine militärische Aktionsfähigkeit gelähmt.77 Die Trierer Fehde dürfte vor allem als Versuch zu sehen sein, unter einer neuen reichspolitischen Konstellation mit einem gewagten militärischen Unternehmen pekuniär wie politisch die eigene Situation zu verbessern. Unabhängig von seinen politischen und finanziellen Motiven hat sich Sickingen mit der Veröffentlichung des Sendbriefs an Diether von Handschuhsheim unter seinem Namen wichtige Überzeugungen reformatorischer Theologie und Kirchenkritik zu eigen gemacht. Zu den Themen communio sub utraque, Messreform, Klosteraustritt, Zölibatspflicht und Heiligenverehrung positioniert er sich unter Heranziehung biblischer Belege klar und warnt vor einer abwartenden Haltung in der Frage der Reform. Allerdings sind diese Aussagen nicht mit politischen oder gar ritterschaftlichen Anliegen verknüpft. Der Sendbrief an Diether von Handschuhsheim argumentiert allgemein reformatorisch, er ist keinesfalls ein Programm einer ritterschaftlichen Reformation. Es handelt sich um Aussagen eines frommen Laien, die auch von Personen aus anderem Stand hätten formuliert werden können. Lediglich das Vorwort Schwebels bezieht sich explizit auf die Verantwortung der Inhaber des weltlichen Schwerts. Verknüpfungen zwischen ritterschaftlichen und reformatorischen Anliegen waren also möglich, wie die begleitende Publizistik zum Trierer Feldzug 1522/23 zeigt.78 Ansätze zu einer frühen, aber auch früh gescheiterten ritterschaftlichen Reformation hat es auch auf der Ebernburg gegeben. Von einer organsierten „Adelsre-

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der Gerechtigkeit“ bezeichnet. Im Gespräch mit Petrus und mit dem heiligen Georg, dem Schutzpatron der Ritter, wird Sickingen hier als ein irdischer Streiter für soziale und politische Gerechtigkeit präsentiert, der nun an der Himmelspforte seinen gerechten Lohn empfangen möchte. Der „Dyalogus“ kritisiert in scharfer Polemik das Verhalten der Fürsten, Kaufleute, Städte und der „Vinanzer“, die immer neue Steuern erheben wollen. Sickingen wird als Anwalt nicht nur der Ritter, sondern auch des gemeinen Mannes charakterisiert: „Frantz / Wann es der gebrauch bey dießem thorhütter were / wie sunst an künig oder der Fürsten hoefen ettwan geweßen ist. So würd ich on vereerung oder schanckung nitt ingelassen / doch will ich mich anzeygen vnd melden. Sanct Peter: Wen[n] vernym ich an der pfortte[n]. Frantz / Ich bin Franciscus vo[n] sickingen / ein verordneter volzieher der gerechtickeyt. Peter. ein volzieher d[er] gerechtickeyt / Sag mir / welcher gerechtickeyt. Frantz. ja / der gerechtickeyt / so vil [weit] man der auff erden gehaben kan. Peter. Findet man dann noch ettwas der gleychen“, Dyalogus der Rede vnnd gesprech / So Franciscus von Sickingen / vor des him[m]els pfortten/ mit sant Peter / vnd dem Ritter sant Jörgen gehalten. Zuuor und ehe dan[n] er inngelassen ist worden, [Speyer ca. 1523] [VD16 D 1321], Bl. Aiir. S.o. Anm. 32. So musste Sickingen bspw. in Straßburg Ende 1521 um Aufschub für die Rückzahlung eines Kredits in Höhe von 10.000 fl. bitten; vgl. Scholzen, Sickingen (wie Anm. 25), S. 194. Vgl. Heinrich von Kettenbach: Ain vermanung Juncker Frantzen von Sickingen zu seynem hör als er wolt ziehen wider den bischoff vonn Tryrer auß byllicher sach vnnd raitzung …, [Augs-

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formation“ waren diese wenigen Verknüpfungen und Anfänge aber weit entfernt – und erst recht von einem „Aufstand der Reichsritter“.

burg: Ramminger] 1523 [VD16, K 838]; wiederabgedruckt in: Otto Clemen: Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation, Bd. 2. Halle 1907–1911, S. 202–213.

HARTMUTH VON CRONBERG Frühreformatorischer Flugschriftenautor und Bundesgenosse Sickingens Mathias Müller EINLEITUNG „Sturmtruppen der Reformation“, so bezeichnete Arnold Berger 1931 die Flugschriften der Jahre 1520–1525.1 Klingt Bergers Vergleich in heutiger Zeit durchaus befremdlich, so zeigt das Bild doch deutlich, wie wichtig sie für die frühe Phase der Reformation waren. In der Tat stellten Flugschriften das Medium dar, welches reformatorisches Gedankengut in Windeseile über weite Gebiete des Reiches verbreitete. Die von Hans-Joachim Köhler dargelegten statistischen Erhebungen zur Flugschriftenproduktion zeigen dies deutlich.2 In den fünf Jahren bis 1525 entstanden über 5.000 Drucke. Ihre Bedeutung für die reformatorische Öffentlichkeit begründet sich nicht zuletzt darin, dass sie fast ausschließlich in Deutsch abgefasst sind und somit vom „gemeinen Mann“ verstanden wurden. Mit Luther wurden die Flugschriften zu einem Massenmedium. Er kann mit 287 Schriften in 1.737 Ausgaben allein bis zum Jahr 1525 als der bedeutendste Flugschriftenautor der Reformationszeit angesehen werden. Diese Breitenwirksamkeit zeigt sich besonders deutlich an der Adelsschrift. Im August 1520 erstmalig gedruckt, erreichte sie binnen kurzer Zeit 14 Nachdrucke. Die darin von Luther begründete Idee des Priestertums aller Gläubigen war ein Hauptgrund für deren Popularität, denn es sprach große Teile der Bevölkerung direkt an und führte dazu, dass viele die Gedanken Luthers übernahmen.3 Diese reformatorische Bewegung war eine heterogene Formation und erfasste sowohl den geistlichen als auch den weltlichen Stand. Es fanden sich in ihr Vertreter aus allen gesellschaftlichen Schichten – Männer und Frauen. Die reformatorischen Gedanken wirkten nicht nur unter den Einwohnern der Städte, sondern auch unter der Landbevölkerung. Viele dieser Personen griffen nun selbst zur Feder und traten öffentlich für die Reformation ein. Die 1 2

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Vgl. Arnold Berger: Sturmtruppen der Reformation. Flugschriften der Jahre 1520–1525 (Deutsche Literatur Reihe 9, Reformation 2). Leipzig 1931. Hans-Joachim Köhler hat grundlegende Arbeit nicht nur bei der Erschließung der Flugschriften des 16. Jahrhunderts, sondern auch bei deren statistischer Auswertung geleistet. Es seien hier v.a. erwähnt: Hans-Joachim Köhler: Bibliographie der Flugschriften des 16. Jahrhunderts. Teil 1: Das frühe 16. Jahrhundert, 3 Bde. Tübingen 1991–1996; Ders.: Erste Schritte zu einem Meinungsprofil der frühen Reformationszeit. In: Volker Press, Dieter Stievermann (Hg.): Martin Luther. Probleme seiner Zeit (Spätmittelalter und frühe Neuzeit 16). Stuttgart 1986, S. 244– 281; Ders.: Fragestellungen und Methode zur Interpretation frühneuzeitlicher Flugschriften. In: Ders. (Hg.): Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit (Spätmittelalter und frühe Neuzeit 13). Stuttgart 1981, S. 1–28. Interessant ist, dass die Adelsschrift nur im unmittelbaren zeitlichen Umkreis ihres Erscheinens

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Autorschaft ist dabei so heterogen wie die reformatorische Bewegung selbst. Neben Priestern und Mönchen wurden gerade auch Laien, neben Gelehrten auch Handwerker, wie z.B. Hans Sachs, neben Männern auch Frauen, wie z.B. Argula von Grumbach oder Katharina Zell, schriftstellerisch tätig.4 Zudem ist in der Flugschriftenpublizistik der frühen Reformationszeit – vor allem in den Jahren 1521/22 – zu beobachten, dass es verstärkt auch zu pseudonymen bzw. anonymen Veröffentlichungen kam.5 An der Flugschriftenpublizistik dieser Zeit wird deutlich, wie stark die Laien von den Gedanken Luthers bewegt wurden. Unter Berufung auf die Idee des allgemeinen Priestertums nahmen Christen ihre Verantwortung für die Erneuerung der Kirche wahr. Die Laien sahen sich gegenüber der Geistlichkeit zu eigenen Urteilen und Kritik an der Kirche autorisiert und fassten dies als Handlungsaufforderung auf.6 Dieser Prozess ließ auch den Adel nicht unberührt. Hier bildete ebenfalls Luthers Schrift – nicht nur durch die programmatische Nennung des christlichen Adels deutscher Nation im Titel, sondern vor allem durch die in ihr vorgenommene Verbindung reformatorischer Gedanken mit den sog. Gravamina der deutschen Nation7 – den Auslöser dafür, dass Vertreter des Adels für die Luthersache gewonnen wurden und sich für den Wittenberger Reformator einzusetzen begannen. Dass man bei der Verbindung zwischen Adel und Reformation zunächst an Franz von Sickingen

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publizistisches Interesse gefunden hat. Umso bedeutender ist es, wie groß dieses Interesse mit insgesamt 15 Drucken war. Kaufmann konstatiert daher: „Wohl kaum eine andere Lutherschrift wurde in einem kürzeren Zeitintervall intensiver wahrgenommen und schneller in den allgemeinen Gang der Ereignisse integriert als diese.“ Thomas Kaufmann: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (Kommentare zu Schriften Luthers 3). Tübingen 2014, S. 34. Vgl. hierzu auch Armin Kohnle: Martin Luthers Adelsschrift und ihre Rezeption. Beobachtungen am Beispiel einer „reformatorischen Hauptschrift“. In: Enno Bünz [u.a.] (Hg.): Buch und Reformation. Beiträge zur Buch- und Bibliotheksgeschichte Mitteldeutschlands im 16. Jahrhundert (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in SachsenAnhalt 16). Leipzig 2014, S. 69–85, hier S. 71–77. Zur Bedeutung von Handwerkern als Flugschriftenautoren vgl. Martin Arnold: Handwerker als theologische Schriftsteller. Studien zu Flugschriften der frühen Reformation (1523–1525) (Göttinger Theologische Arbeiten 42). Göttingen 1990. Zur Bedeutung von Frauen als Flugschriftenautorinnen in der frühen Reformation vgl. Dorothee Kommer: Reformatorische Flugschriften von Frauen. Flugschriftenautorinnen der frühen Reformationszeit und ihre Sicht von Geistlichkeit (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 40). Leipzig 2013. Dabei zählt die fränkische Adlige Argula von Grumbach mit acht Flugschriften in 29 Auflagen zu den produktivsten Schriftstellerinnen, lediglich übertroffen durch Katharina Zell, die Frau des ersten Reformators Straßburgs Matthäus Zell, deren Werk mit nur fünf Flugschriften zwar zahlenmäßig geringer, jedoch deutlich theologisch reflektierter ist. Zu Argula von Grumbach vgl. Peter Matheson: Argula von Grumbach. Eine Biographie. Göttingen 2014; Silke Halbach: Argula von Grumbach als Verfasserin reformatorischer Flugschriften (Europäische Hochschulschriften Reihe 23, Theologie 468). Frankfurt u.a. 1992. Zu Katharina Zell vgl. Elsie Anne McKee: Katharina Schütz Zell. Vol. 1: The Life and Thought of a Sixteenth-Century Reformer, Vol. 2: The Writings. A Critical Edition (Studies in medieval and reformation thought 69). Leiden [u.a.] 1999. Zur anonymen Verfasserschaft von Flugschriften vgl. Thomas Kaufmann: Anonyme Flugschriften der frühen Reformation. In: Ders.: Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 67). Tübingen 2012, S. 356–435. Vgl. Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation. Frankfurt u. Leipzig 2009, S. 300–303. Zu den Gravamina vgl. Eike Wolgast: Art. Gravamina nationis germanicae. In: Theologische

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und Ulrich von Hutten denkt, liegt auf der Hand und ist berechtigt, denn gerade letzterer fungierte als Multiplikator der Luthersache innerhalb der Ritterschaft. Ihm gelang es, die Anliegen der Ritterschaft mit den Gedanken der Reformation, allerdings in eigener Weise, zu verbinden.8 Die reformatorische Bewegung erfasste aber auch weitere niederadlige Personen,9 wobei die Aufnahme des Gedankengutes in unterschiedlicher Weise erfolgte und vor allem von persönlichen Interessen der jeweiligen Akteure geleitet war. Gerade in den Jahren zwischen 1520 und 1530 gab es spontane, individuell unterschiedliche Aktionen einzelner Ritter, die von der Abfassung reformatorischer Flugschriften über die Aufnahme verfolgter Prediger bis zu Schulgründungen reichen konnten.10 Dabei können auch eigene machtpolitische Interessen – wie dies z.B. bei Sickingen anzunehmen ist – im Hintergrund gestanden haben.11 Die Aufnahme reformatorischen Gedankengutes in der Ritterschaft war somit vielschichtig und different. Aus dieser Gruppe soll hier nun eine Person näher dargestellt werden, die mit den bekannten Akteuren Sickingen und Hutten, der Ebernburg und den dortigen Ereignissen in enger Verbindung stand und durch ihr eigenes Eintreten für die Luthersache in den Jahren zwischen 1521 und 1523 heraussticht: Hartmuth von Cronberg. Er war einer der produktivsten niederadligen Flugschriftenautoren und nahm damit in diesen Jahren aktiv an der Gestaltung der reformatorischen Öffentlichkeit teil.12 Auch Luther hat Cronberg geschätzt und geachtet, wie eine briefliche Äußerung an Spalatin aus dem Frühjahr 1523 zeigt: „Hartmuth von Cronberg ist mit dem Grafen von Mansfeld bei uns und beide haben wir im Kloster zum Frühstück empfangen. Der Mann der schon so viel gelitten, steht noch merkwürdig fest im Glauben.“13 8 9

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Realenzyklopädie 14 (1986), S. 131–134. Vgl. Volker Press: Ulrich von Hutten und seine Zeit. In: Franz Brendle [u.a.] (Hg.): Adel im Alten Reich (Frühneuzeit-Forschungen 4). Tübingen 1998, S. 299–318, hier S. 310–313. Vgl. hierzu Victor D. Thiessen: Noblesʼ Reformation. The Reception and Adaption of Reformation Ideas in the Pamphlets of Noble Writers from 1520 to 1530, Queen´s University, Diss. Kingston 1998. Thiessen zeigt in seiner Studie deutlich auf, dass auch im niederen Adel die reformatorischen Gedanken aufgenommen und eigenständig verarbeitet wurden. Ein Zentrum dieser niederadligen Flugschriftenproduktion lokalisiert er im Südwesten des Reiches. Ebd., S. 112f. Dass die Aufnahme des reformatorischen Gedankengutes vielfältig war und sich über einen größeren Zeitraum erstreckte, zeigt Volker Press. Er unterscheidet hierbei drei Phasen. Die erste Phase bis 1530 ist vor allem durch spontane Aktionen einzelner Niederadliger geprägt. In der zweiten Phase orientieren sich die Adligen, die sich der Reformation zuwenden, stärker an den territorialen und reichspolitischen Rahmenbedingungen. In der dritten Phase ab 1555 führen die im Religionsfrieden getroffenen Bestimmungen auch im niederen Adel zu einer Konfessionsbildung. Vgl. Volker Press: Adel, Reich und Reformation. In: Ders.: Das Alte Reich, Ausgewählte Aufsätze (Historische Forschungen 59). Berlin 1997, S. 329–378, hier besonders S. 341, 376–378. Vgl. Kurt Andermann: Dem Evangelium eine Öffnung? Überlegungen zu Franz von Sickingens Trierer Fehde. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 109 (2011), S. 65–86. Zum Terminus der reformatorischen Öffentlichkeit vgl. Rainer Wohlfeil: Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation. München 1982, S.123–133. Luther an Spalatin, Wittenberg, 25. Februar 1523, WA.B 2, Nr. 584, S. 29f: „D. Harttmannus Cronbergius iunctus Alberto comiti nobicum est, & vutrumque in Monasterio prandio excepimus. Vir tanta passus ad huc satis firmus in fide stat.“

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Das Leben und Werk des Ritters fand im ausgehenden 19. Jahrhundert größere Beachtung, was sich daran zeigt, dass seine Schriften erstmalig ediert und sein Leben und Werk Gegenstand von Untersuchungen wurden.14 Den Ausgangspunkt dieses Interesses stellt dabei die Erwähnung Cronbergs im zweiten Band von Leopold von Rankes Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation dar. Für diesen war der Ritter „der erste, im Stil einer späteren Zeit fromme, vollkommen überzeugte Lutheraner“15 gewesen. Dieses Urteil, in dem eine deutliche Hochachtung zum Ausdruck kommt, muss aber aus seiner Zeit heraus verstanden und im heutigen Licht kritisch untersucht werden. Die zunehmende Beachtung Cronbergs erklärt sich vor allem aus dem generellen gesteigerten Interesse an der Ritterschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert. Dabei ging es oft um eine Glorifizierung der Ritter als „Vorkämpfer deutscher Einheit und Größe“, wie auf dem Sockel des HuttenSickingen-Denkmals unterhalb der Ebernburg zu lesen ist.16 In der neueren Forschung ist Cronberg bislang eher wenig beachtet worden. Zwar findet sich immer wieder der Hinweis auf Cronberg und seine Schriften – so z.B. bei Thiessens Untersuchung zur niederadligen Flugschriftenliteratur –, tiefer gehende wissenschaftliche Untersuchungen liegen jedoch noch nicht vor, sodass für Cronbergs Biographie vor allem auf Boglers Arbeit von 1897 zurückgegriffen werden muss.17 Angesichts dieses Forschungsstands bedürfen Person und Werk des produktivsten ritterschaftlichen Flugschriftenautors einer gründlicheren Untersuchung. Was veranlasste ihn, für die Sache Luthers einzutreten, wie ging er dabei vor, und welche Konsequenzen ergaben sich daraus für ihn? Zunächst werden nachfolgend die Person Cronbergs und sein Leben näher dargestellt. Im zweiten Teil wird auf die Grundgedanken in den Flugschriften eingegangen. Abschließend werden exemplarisch zwei seiner Flugschriften genauer dargestellt, seine Sendbriefe an Kaiser Karl V. und Franz von Sickingen, seine ersten Schriften aus dem Jahr 1521.

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Die Edition der Flugschriften Cronbergs wurde durch Eduard Kück vorgenommen: Eduard Kück (Hg.): Die Schriften Hartmuths von Cronberg (Flugschriften aus der Reformationszeit 14). Halle 1899. Diese Edition ist auch für die hier vorliegende Arbeit die Textgrundlage. Soweit nicht anders ausgewiesen, wird diese für die Quellenangabe zugrunde gelegt. Wilhelm Bogler veröffentlichte bereits zwei Jahre vor Kücks Edition eine umfangreiche Biographie. Vgl. Wilhelm Bogler: Hartmuth von Kronberg. Eine Charakterstudie aus der Reformationszeit (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 57). Halle 1897. Leopold von Rancke: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Zweiter Band (Ranke Gesamtausgabe. Erste Reihe Siebentes Werk). München 1925, S. 81. An der Person Sickingens wird dies besonders deutlich. Vgl. Anton Neugebauer: Franz heiss ich, Franz pleib ich. Die Nachwirkungen Sickingens. In: Wolfgang Breul [u.a.] (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation. Regensburg 2015, S. 255–257, hier 256f. In diese Sichtweise reiht sich auch die Biographie Boglers ein. Für Thiessen sind Cronbergs Flugschriften eine zentrale Quelle seiner Arbeit. Vgl. Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9). Die Arbeit von Helmut Bode ist eher populär gehalten und genügt nicht in jeder Hinsicht wissenschaftlichen Standards. Vgl. Helmut Bode: Hartmut XII. von Cronberg. Reichsritter der Reformationszeit. Frankfurt 1987.

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1. ZUR PERSON HARTMUTHS XII. VON CRONBERG Hartmuth der XII. von Cronberg wurde 1488 in Oppenheim als Sohn Johanns VII. von Cronberg geboren, der zu dieser Zeit pfälzischer Amtmann in der Stadt am Rhein war. Stammsitz der Cronberger war der gleichnamige Ort Kronberg unweit von Frankfurt am Rande des Taunus. Hartmuth selbst entstammt der Manneslinie – dem Kronenstamm –, und war ab 1506 dessen Senior. Das Adelsgeschlecht existierte bis 1704 und erlosch mit Johann Nikolaus.18 Über Hartmuths Jugend können keine sicheren Angaben gemacht werden. Seine Ausbildung dürfte er am kurpfälzischen Hof in Heidelberg erhalten haben.19 Cronbergs Schicksal ist eng mit dem seines Vetters Franz von Sickingen verbunden.20 Seit dem Beginn der Sickingenschen Fehdeunternehmungen stand Hartmuth diesem zur Seite, unterstützte ihn aktiv mit Geld und Truppen und zählte zu dessen engstem Vertrautenkreis.21 Cronbergs Unterstützung war allerdings nicht uneigennützig; vor allem bei Sickingens Fehde gegen die Landgrafschaft Hessen standen auch eigene Interessen im Hintergrund.22 1.1 Cronbergs Übernahme reformatorischer Gedanken Die Verbindung von Cronberg zu Sickingen spielte auch bei der Übernahme reformatorischen Gedankengutes eine bedeutende Rolle. Wann Cronberg sich den reformatorischen Gedanken öffnete, ist nicht genau zu bestimmen. Da Sickingen 1519 mit Ulrich von Hutten in Kontakt kam und durch ihn für Luthers Ideen gewonnen 18 19 20 21

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Zur Genealogie derer von Cronberg vgl. Wolfgang Ronner: Stammtafel der Ritter, Herren und Grafen von Kronberg. Kronberg 1981, sowie Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 1. Zu den biographischen Angaben vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 1. Der Verwandtschaftsgrad war nahe. Hartmuths Großmutter Elisabeth von Sickingen war Franz von Sickingens Tante. Als Beispiel sei hier auf Sickingens erste Fehde gegen die Stadt Worms verwiesen. Cronberg unterstütze seinen Vetter dabei aktiv, indem er Truppen „ohne Entgelt“ angeworben hatte. Letztlich waren es 300 Reisige, die er aus eigenen Mitteln bezahlte. Können die wirtschaftlichen Verhältnisse Cronbergs nicht genau dargelegt werden, verdeutlicht das Beispiel m.E., dass er über ein nicht unerhebliches Kapital verfügen konnte. Vgl. hierzu Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 1–2. Es zeigt sich also auch hier, dass das Bild eines verarmten Ritteradels am Beginn der Frühen Neuzeit nicht pauschal angewendet werden kann und unter der Ritterschaft im Südwesten des Reiches mehrere Familien über einen beträchtlichen Wohlstand verfügten, der es ihnen z.B. ermöglichte als Kreditgeber zu fungieren. Vgl. Kurt Andermann: Die ritterliche Lebenswelt im Übergang zur Frühen Neuzeit. In: Breul, Ritter! Tod! Teufel? (wie Anm. 16), S. 19–26, hier S. 19f. Cronberg erhoffte sich aus der Fehde einen eigenen Nutzen. Dabei ging es um das Hofgut Wasserbiblos (in der Nähe von Riedstadt). Hatte die Familie Cronberg dieses seit 1468 teilweise als Lehen, geriet sie 1504 durch die Auswirkungen des Landshuter Erbfolgekrieges in Lehensabhängigkeit zur Landgrafschaft Hessen. Der Fehdezug Sickingens bot für Cronberg somit die Möglichkeit, die Verhältnisse in seinem Sinne zu verändern. Vgl. Christoph Strohm (Hg.): Martin Bucers deutsche Schriften, Bd. 16: Nachträge 1531–1541. Gütersloh 2013, S. 451 und 455.

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wurde, dürfte auch für Cronbergs Hinwendung zur Reformation ein Zeitraum um 1520 angenommen werden. Ab 1520 begann Cronberg die Schriften Luthers zu lesen.23 Während bei Sickingen durchaus bezweifelt werden kann, in welchem Umfang er sich der Reformation angeschlossen hat und ob dahinter nicht auch eigene machtpolitische Ziele standen,24 wird bei Cronberg deutlich, dass er zu einem eifrigen Unterstützer Luthers avancierte. Dabei ist vor allem die Beziehung zu Sickingen entscheidend. Besonders von dem sog. Ebernburgkreis, also den Theologen Bucer, Oecolampad, Schwebel und Aquila, denen Sickingen Zuflucht bot, dürfte Cronberg weitere Impulse erhalten haben. Mit diesen stand auch Cronberg durch seine regelmäßigen Aufenthalte auf der Ebernburg in regem Austausch.25 Einige Kontakte, die er dabei knüpfte, sollten über viele Jahre bestehen bleiben und auch später für ihn wichtig sein, so vor allem zu Johannes Oecolampad und Martin Bucer. 1.2 Öffentliches Wirken Cronbergs öffentliches Eintreten für die Luthersache begann mit einem demonstrativen Schritt. Nach dem Wormser Reichstag von 1521 verzichtete er auf sein vom Kaiser verliehenes Gehalt von 200 Gulden. Luther beschreibt dies in einem Brief an Melanchthon folgendermaßen: „Hartmann von Cronberg hat das kaiserliche Gehalt von 200 Gulden aufgegeben, dieser will nicht länger dem dienen, der auf diese Ungläubigen hört.“26 23

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Ein genauer Zeitpunkt ist hier nicht auszumachen. Man kann m.E. mit Bode den Ausgangspunkt in das Jahr 1519 legen. Für die Bekanntschaft mit Hutten kämen somit zum einen der Feldzug gegen Herzog Ulrich von Württemberg und zum anderen das Feldlager in Höchst anlässlich der Kaiserwahl in Frankfurt in Betracht. Vgl. Bode, Kronberg (wie Anm. 17), S. 7 sowie Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9), S. 36f. Luthers Schriften waren für Cronberg durch die Nähe zu Frankfurt und die dortige Buchmesse leicht zu beziehen. Vgl. Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9), S. 105. Auf diesen Punkt macht Kurt Andermann aufmerksam. Sickingen ist in erster Linie als Repräsentant der Ritterschaft und in seinen Handlungen ein Verteidiger ihrer bedrohten Rechte. Zu diesem Zweck machte er auch die Reformation nutzbar. Dies soll nicht in Abrede stellen, dass sich Sickingen persönlich den Gedanken Luthers öffnete und verfolgten Anhängern Schutz bot, wehrt aber der Ansicht, dass es sich bei ihm um einen Vorkämpfer der Reformation handelt. Vgl. Andermann, Evangelium (wie Anm. 11), S. 83–86. Generell muss gesagt werden, dass eine zu klare Trennung zwischen politischem Handeln und religiösen Überzeugungen nicht gezogen werden kann. Das Politische war ebenso religiös wie das Religiöse politisch. Obgleich Kaufmann die Sicht der Ebernburg als „Herberge der Gerechtigkeit“ treffend relativiert und dargelegt hat, dass die benannten Theologen zu unterschiedlichen Zeiten auf der Ebernburg weilten (vgl. Thomas Kaufmann: Franz von Sickingen und die Herberge der Gerechtigkeit – Historie und Mythos. In: Breul, Ritter! Tod! Teufel? (wie Anm. 16), S. 49–56, sowie den Beitrag in diesem Heft), kam Cronberg aufgrund seiner dortigen Aufenthalte mit allen hier genannten Personen in Kontakt. Auch können seine Flugschriften, wie unten gezeigt werden wird, in eine inhaltliche Nähe zu Flugschriften, die von der Ebernburg ausgehen, gebracht werden. Luther an Melanchthon, Wartburg, 12. Mai 1521, WA.B 2, Nr. 407, S. 332–334: „Hartmannus Cronenbergius renuntiavit Caesari stipendium 200 aureorum nummorum, nolens servire ei, qui impios iostos audiat.“

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Das Zitat verdeutlicht zugleich, dass Cronberg schon 1521 Luther bekannt war. Der Ritter stand in der folgenden Zeit mit dem Wittenberger Reformator selbst in Kontakt, wie der Briefwechsel Luthers belegt. Dieser sollte, wenn auch nur sporadisch, über Jahre hinweg bestehen bleiben.27 Zudem pflegte Cronberg weitere Beziehungen in die Stadt an der Elbe. Zu nennen wären hier Hans von Dolzig, dem er seine ersten Sendschreiben zuschickte, und Georg Spalatin. Dieser widmete u.a. auch Cronberg im Mai 1521 eine von ihm ins Deutsche übertragene Väterübersetzung Oecolampads. Cronbergs letzte Schrift aus dem Jahr 1525 wiederum ist ein Trostbrief, den er Georg Spalatin gewidmet hatte.28 In der Korrespondenz mit Luther gibt Cronberg auch Auskunft über die Ereignisse auf der Ebernburg, an denen er regen Anteil nahm. Er war es, der im Juni 1522 über die auf der Ebernburg vorgenommenen Veränderungen im Gottesdienst nach Wittenberg berichtete: „Alle Tage leset man zu Ebernbergk ein Stuck der Episteln und Evangelii und der Meß zu teutsch, und nach der Meß ein Propheten, desgleichen abends zur Salve-Zeit. Item das Wort Gottes nimpt ziemlicher Maß an etlichen Orten bei uns zu.“29 Treibende Kraft hinter diesen beschriebenen Veränderungen war allerdings nicht Oecolampad, der Kaplan der Ebernburg. Es waren vielmehr die sich auf der Burg aufhaltenden Ritter – somit vermutlich auch Hartmuth von Cronberg. Die Laien drängten folglich den Geistlichen, die Änderung in der Liturgie vorzunehmen.30 Dass Cronberg, einmal für die Luthersache gewonnen, für diese im Weiteren eintrat, belegen folgende beiden Beispiele. 1.3 Die Aufnahme Michael Stifels in Kronberg im Jahr 1522 Ähnlich wie Sickingen bot auch Cronberg Anhängern Luthers einen Zufluchtsort. Im selben Brief, in dem er über die Änderungen auf der Ebernburg berichtet, findet sich folgender Hinweis: „Ich will euch nit verhalten, nachdem mein Prediger, zu Cronbergk das Buchlin, das ihr De abroganda missa habt lassen ußgehen, mir geteuscht hat, und dann ich verhoff, Nutz bringen soll, so dasselbig in Druck komme, habe herumb solichs zu drucken verschickt an einem evangelischen Doctor mit einer Schrift, welcher ich euch in Abschrift schick.“31 27

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Der letzte Brief Cronbergs an Luther entstammt dem Frühjahr 1540. Vgl. WA.B 18, Nr. 4360 (= 3458a), S. 195–200: Cronberg an Luther, Schmalkalden, zwischen 5. und 10. April 1540. Daneben ist auf die Begebenheiten um Cronbergs Schwester Lorche hinzuweisen, die sich zu Luther flüchtete, nachdem sie einen Juden geheiratet hatte und dieser ermordet worden war. Die Gegebenheit ließ Cronberg 1535 ebenfalls mit Luther in Kontakt treten. Ausführlich dargestellt bei Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 65–68. Vgl. Widmung Spalatins, Worms, 21. Juli 1521. In: Ernst Staehelin: Briefe und Akten zum Leben Oekolampads. Zum vierhundertjährigen Jubiläum der Reformation (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 10), Bd. 1: 1499–1526. Leipzig 1927, Nr. 106, S. 150– 151. Zum Trostbrief Cronbergs siehe Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. 157–160. Cronberg an Luther, Ebernburg, 14. August 1522, WA.B 2, Nr. 530 S. 588. Vgl. Kaufmann, Franz von Sickingen (wie Anm. 25), S. 55. Brief Cronbergs an Luther, Ebernburg, 14. August 1522 (wie Anm. 29), S. 587. Um wen es sich

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Cronberg hat somit auch in seinen eigenen Besitzungen einen reformatorischen Prediger angestellt. Es handelt sich um Michael Stifel (1487–1567). Der aus Esslingen stammende und im dortigen Augustinereremitenkloster lebende Stifel trat mit seiner Schrift Von der Christfertigen rechtgründten Leer Doctoris Martini Luthers/ ain überauß schön kunstlich Lied sampt seiner neben auslegung im Frühjahr 1522 entschieden für die Reformation ein.32 Infolgedessen kam es zu heftiger Kritik an dieser Schrift; vor allem durch den Elsässer Thomas Murner. Stifel reagierte darauf zunächst sehr scharfsinnig mit einer Gegenschrift Wider Doctor Murnars falsch erdycht Lyed.33 Ende Mai 1522 musste er aus Esslingen fliehen und fand Aufnahme bei Hartmuth von Cronberg. Hier wirkte er zum einen als Prediger. Noch im Jahr 1522 erschien seine Predigt über Mt 25,14–30 – das Gleichnis von den anvertrauten Talenten – bei Johann Schott in Straßburg im Druck.34 Die Drucklegung der Predigt geschah auf Ansinnen Cronbergs; dies geht aus dem Vorwort Stifels hervor. Darin dankt er dem Ritter für seine Hilfe, dass er ihn „nit sucht zu hinderen in verkündung göttlicher worheit […] sunder mich in göttlicher geschrift noch aller notdurfft übt und fürdert“35. Neben der Predigttätigkeit in Kronberg hat Michael Stifel, wie aus dem oben zitierten Brief hervorgeht, auch Luthers Schrift De abroganda Missa für Cronberg ins Deutsche übersetzt. Cronberg erwog, diese drucken zu lassen. Offenbar kannte er zu diesem Zeitpunkt nur die lateinische Schrift, weshalb er eine Übersetzung davon hatte anfertigen lassen. Die schon vorliegende deutsche Bearbeitung Vom Missbrauch der Messen muss ihm daher bis dato unbekannt gewesen sein.36 Vermutlich ist er, nachdem er von der Übersetzung erfahren hatte, von seinem Druckvorhaben zurückgetreten. Jedenfalls wurde Stifels Übersetzung nie gedruckt. Das im Brief erwähnte Vorwort Cronbergs sowie die Übersetzung Stifels sind leider nicht mehr erhalten. Die Wirkungszeit Stifels in Kronberg beschränkte sich aufgrund der äußeren Umstände, d.h. der Ereignisse, die über Hartmuth von Cronberg hereinbrechen sollten, nur auf wenige Monate von Mai bis Oktober 1522. Danach zog er weiter nach Wittenberg, wo es Luther im März 1523 gelang, ihm eine Hofpredigerstelle bei dem Mansfelder Grafen Albrecht zu vermitteln.37

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bei dem erwähnten evangelischen Doktor handelt, ist nicht zu ermitteln. Die Flugschrift ist in zwei Drucken überliefert, die beide aus dem Jahr 1522 stammen: in Augsburg bei Erhard Oeglin (VD 16 S 9019), in Straßburg bei Johann Knobloch (VD S 9020). Stifels Erwiderung auf die Kritik Murners erschien 1522 bei Reinhard Beck in Straßburg (VD S 9025). Vgl. Michael Stifel: Euangeliũ || von den zehen || pfunden Matthei. am || xxv. mitt sch[oe]ner || christlicher vß=||legung || Michael Sty||fels von || Esszlingen.||, VD16 S 9011. Ebd. Bl. A1r. Luther verfasste De abroganda Missa im November 1521 – die Vorrede datiert auf den ersten des Monats. Die deutsche Bearbeitung ist in unmittelbarem zeitlichen Umfeld der lateinischen Schrift geschehen, was am Datum der Vorrede, dem 25. November, deutlich wird. Beide Ausgaben lagen Anfang 1522 gedruckt vor. Vgl. WA 8 S. 407–409; 479, WA.B. 2, S. 588. Vgl. zu Stifel: Daniel Heinz: Art. Stifel, Michael. In: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon XVI (1999), Sp. 1468–1472, sowie Matthias Aubel: Michael Stifel. Ein Mathematiker im Zeitalter des Humanismus und der Reformation (Algorismus 72). Augsburg 2008, S. 69–76. Die Anstellung erfolgte somit nur wenige Tage später als der Besuch Cronbergs und des Mans-

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Das Beispiel zeigt, dass Cronberg nicht nur am sog. Ebernburgkreis partizipierte, sondern auch in seiner eigenen Herrschaft einem verfolgten reformatorischen Prediger Zuflucht bot und dadurch die Ausbreitung des Wortes Gottes förderte. Dies geschah allerdings in kleinerem Umfang und auch in einer durch die äußeren Umstände bestimmten zeitlichen Begrenzung zwischen Mai und Oktober 1522. Obwohl die Erwähnung von De abroganda Missa und die Verbindung zur Ebernburg es nahe legen würden, wurden Veränderungen am Gottesdienst, wie sie Cronberg für die Ebernburg berichtet, in Kronberg selbst offensichtlich nicht vorgenommen. Dies könnte dadurch zu erklären sein, dass Kronberg der ganzen Familie, nicht Hartmuth allein, gehörte.38 1.4 Die Auseinandersetzungen in Frankfurt mit Peter Meyer Schon im Frühjahr 1522 griff Cronberg aktiv in die Geschehnisse um den Barfüßermönch Hartmann Ibach im benachbarten Frankfurt ein.39 Ibach predigte in der Invokavitwoche in der Katharinenkirche insgesamt dreimal gegen den Zölibat, geistliche Pfründe und Almosen sowie gegen die Heiligenverehrung. Seine Gegner, allen voran Peter Meyer, Pfarrherr zu St. Bartholomä, gingen schon nach dessen erster Predigt am 9. März gegen ihn vor und protestierten beim Rat der Stadt sowie beim Mainzer Domkapitel. Ibach wurde daraufhin jedes weitere Predigen unter40 sagt. Nur kurze Zeit später ergriffen zunächst die Ritter Marx Lösch von Mölnheim, Georg von Stockheim und Emmerich von Reifenstein beim Frankfurter Rat Partei für den Angefeindeten. Erfolg hatte deren Schreiben, das am 18. März im Rat verlesen wurde, zunächst nicht. Der Rat erklärte, dass er nicht befugt sei, Ibach das Predigen wieder zu gestatten. Dies wäre Aufgabe der geistlichen Obrigkeit.41 Auch wenn Cronberg erst am folgenden Sonntag aktiv in die Auseinandersetzung eingriff, war er schon vorher nicht unbeteiligt. Zwar hat er den oben genannten Brief nicht unterschrieben, aber darunter findet sich auch sein Siegel. Am 16. und 17. März schickte Cronberg dann selbst zwei an die Bürgermeister und den Rat adressierte Schreiben nach Frankfurt. Zudem wurde ein drittes, an die Bürger der Stadt Frankfurt gerichtetes Schreiben, das ebenfalls auf den 16. März datiert, einen Tag später durch einen Diener Cronbergs öffentlich in der Stadt angeschlagen.42

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felder Grafen bei Luther am 24. Februar 1523. Dieser könnte somit in enger Verbindung zu der Stellenübernahme Stifels in Mansfeld gesehen werden (s.o. Anm. 13). Vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 4. Zu der Vita Hartmann Ibachs vgl. Eduard Wintzer: Hartmann Ibach von Marburg, einer der ersten Reformationsprediger Hessens. In: Zeitschrift für Hessische Geschichte und Landeskunde 44 (1910), S. 115–187. Vgl. zu den Vorgängen in Frankfurt, ebd., S.121–137 sowie Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. XXXIVf. Vgl. Wintzer, Ibach (wie Anm. 39), S. 132. Vgl. zu den genannten Schreiben: Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. 77–82. Cronberg berichtet dies im zweiten Brief an den Rat der Stadt, dem auch das öffentliche Schreiben beigelegt wurde. Zum einen fordere ihn die Wahrheit des Evangeliums dazu auf, diese auch zu verkün-

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Aus diesem öffentlichen Schreiben geht Cronbergs Haltung deutlich hervor. Er will damit der Öffentlichkeit anzeigen, dass die Geistlichkeit nicht nach dem Evangelium handle. Dadurch, dass die vier Ritter für Ibach eintraten, kam es unter den Einwohnern Frankfurts zu einem Aufruhr. Ibach hatte Frankfurt schon Mitte März 1522 verlassen und hielt sich zunächst für kurze Zeit bei Cronberg auf, ehe er nach Wittenberg weiterzog.43 Der durch diesen Vorfall ausgelöste Streit war damit aber noch nicht beigelegt, denn neben Cronberg und den drei Taunusrittern trat Ende März auch Ulrich von Hutten in die Auseinandersetzungen ein. Dessen harsche Attacken galten vor allem Peter Meyer, dem er wegen seiner Agitation nach Leib und Gut trachten wollte. Auch der Stadt Frankfurt drohte er mit Fehde, sollte sie diesen „Teufelsapostel“ weiterhin bei sich halten.44 Wie Hutten wandte sich auch Cronberg persönlich an Peter Meyer. In einem Brief vom Pfingstmontag (9. Juni) warf er Meyer vor, dass dieser die Predigt eines von Cronberg nach Frankfurt geschickten Predigers – man könnte hier an Stifel denken – nicht erlaubt habe. Zudem forderte er Meyer auf, seine falsche Lehre zu unterlassen und sich zum Wort Gottes zu bekehren. Er solle darüber hinaus anhand der Heiligen Schrift belegen, warum dem päpstlichen Regiment zu folgen sei, obwohl dieses doch gerade offensichtlich gegen das Evangelium handle. Nachdem Meyer in seinem Antwortschreiben die Anschuldigungen zurückgewiesen hatte, wiederholte Cronberg in einem zweiten Brief die Forderungen mit Nachdruck. Die Angriffe auf Meyer gewannen dabei deutlich an Schärfe. Er hielt Meyer weiterhin vor, nicht evangeliumsgemäß zu predigen. Zwar würde er ihn als einen Bruder annehmen, sollte dieser von seinen Irrungen ablassen, zum Schluss betont er aber: „Wo ir aber sollichs nit thun werdent, so warnn ich euch und geb euch zuuerstehene […] das alle Menschen zw Franckfurdt wissen und halten mogen, auß worhafftigem grundt, das ir ein sollicher valscher verfürer seytt, wie hie vornnen gemelt ist und dass allermeniglich mit gutem gewissen gegen euch mit der that zwhanndlen erlaupt würd, so wie sich gegen einen reissenden wolff, geystlichen diepp und morder mit Worten und Werken zwhanndlen gepürdt.“45 Aus beiden Schreiben – die in der Auseinandersetzung gewechselten Briefe wurden danach von Cronberg in den Druck gegeben –46 wird deutlich, dass Cronberg bei aller inhaltlichen Nähe zu Huttens „Pfaffenkrieg“ doch anders vorgeht als dieser und Meyer nicht persönlich die Fehde erklärt. Er sieht vielmehr den Rat und die Bürger in der Pflicht. Zudem räumt er die Möglichkeit ein, dass Meyer sich zum Wort Gottes bekehrt.

43 44 45 46

den, zum anderen „darmit die veynnd des heyligen evangelii sehen unnd merken mogen, das ich meyner Schriften keyn scheue trage.“ Ebd., S. 79. Vgl. Wintzer, Ibach (wie Anm. 39), S. 137f. Vgl. Paul Kalkoff: Ulrich von Hutten und die Reformation. Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und der Entscheidungsjahre der Reformation (1517–1523) (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 4). Leipzig 1920, S. 433f. Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. 90f. Vgl. ebd., S. XXXVI.

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Auch dieses Beispiel zeigt, dass Cronberg nicht nur an den Geschehnissen um Sickingen partizipierte, sondern auch in seinen eigenen Besitzungen und in deren nahem Umfeld für die Reformation eingetreten ist. In dieser Auseinandersetzung mit Peter Meyer kommt zudem sein Selbstverständnis zum Ausdruck. Im Sinne der Idee des Priestertums aller Gläubigen sieht er sich durch das Evangelium zu eigenen Urteilen und Kritik gegenüber der Kirche autorisiert. Der Laie Cronberg beansprucht somit gegenüber dem Geistlichen Meyer, das richtige Verständnis des Evangeliums zu besitzen und demgemäß zu handeln. 1.5 Die Folgen der Trierer Fehde Sickingens für Cronberg Da Cronberg ein eifriger Unterstützer Franz von Sickingens bei dessen Fehdeunternehmungen war, ist es nur folgerichtig, dass er auch in dessen letzter Fehde gegen Kurtrier zu finden ist. Auch diese wurde von ihm nun als ein Handeln für das Evangelium, für die Reformation und gegen die Geistlichkeit verstanden. In diesem Sinne schrieb er im August 1522 an Spalatin, dass Sickingen dem Evangelium „eine Thür öffnen wolle“47. Diese letzte Fehde sollte auch für Cronberg weitreichende Folgen haben. Persönlich nahm er zwar nicht am Fehdezug teil, warb aber im Vorfeld Truppen für Sickingen an und verwaltete während der Fehde die Ebernburg. Durch seine aktive Beteiligung war er nach dem Scheitern des Fehdezuges selbst von den Strafhandlungen der Gegner betroffen. Anfang Oktober 1522 formierten die Kurfürsten von Trier und der Pfalz sowie der Landgraf von Hessen ihre Truppen. Anstatt sofort gegen Sickingen vorzugehen, wandten sie sich zunächst gegen dessen Unterstützer und damit schon im Oktober gegen Cronberg. Dieser hatte Ende September die Ebernburg verlassen und war nach Kronberg geeilt, um Vorkehrungen für die Verteidigung zu treffen. Die Belagerung seiner Burg begann schon kurze Zeit später. Der drohenden Gefangennahme konnte er sich nur durch Flucht entziehen. Einen Tag nach seiner Flucht konnten die Belagerten nicht mehr standhalten und übergaben die Burg. Die cronbergischen Besitzungen fielen an den Landgrafen Philipp von Hessen. Dabei ist bedeutend, dass nicht nur Cronberg seinen Besitz verlor – Cronberg hatte nur einen Teilbesitz an der Stadt –, sondern zugleich auch die weiteren Mitglieder der Familie.48

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Vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 60. Dies sollte für die spätere Rückgabe des Besitzes noch eine Rolle spielen, da die ebenfalls betroffenen Familienmitglieder die Verhandlungen mit Philipp erschwerten, weil sie ebenfalls berücksichtigt werden mussten. Vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 4. Zum Vorgehen gegen Cronberg vgl. Wolfgang Ronner: Landgraf Philipp von Hessen, die Herren von Kronberg und ihre Stadt 1522–1541. In: Norbert Stieniczka (Hg.): „Mit dem Glauben Staat machen“. Beiträge zum Evangelischen Philipps-Jahr 2004 (Quellen und Studien zur Hessischen Kirchengeschichte 12). Darmstadt u. Kassel 2005, S. 69–76, hier S. 69f.

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1.6 Cronbergs Exilszeit und seine Beziehungen nach Straßburg Für Cronberg begann daraufhin eine 19 Jahre dauernde Zeit des Exils. Ab Ende November 1522 hielt er sich zusammen mit Hutten und Oecolampad in Basel auf, wie aus einem Brief Glareans an Zwingli zu schließen ist.49 Trotz des Verlustes seines Besitzes war Cronberg weiterhin für Sickingen aktiv und weilte als dessen Vertrauter im Januar 1523 auf dem Rittertag in Schweinfurt, wie aus einem Brief Sickingens an die dort versammelten Ritter hervorgeht.50 Danach begab er sich über Wittenberg nach Böhmen. Der dortige Aufenthalt liegt bislang noch weitgehend im Dunkeln.51 Anhand der kurzen Erwähnung in der Flersheimer Chronik könnte angenommen werden, dass es sich bei dieser Reise um einen Auftrag Sickingens gehandelt haben könnte. In diese Richtung weisen auch der Sendbrief an die Böhmen52 und zwei Briefe Cronbergs aus dem Frühsommer 1523 an Ludwig von Hutten und Franz von Sickingens Sohn Schweiker. Er berichtet darin zum einen über seine Situation und entschuldigt sich zum anderen, nicht genug für seinen Vetter getan zu haben. Cronberg war zum Zeitpunkt der Abfassung der Briefe also über den Tod seines Vetters Franz informiert, der am 7. Mai 1523 kurz nach der Belagerung der Burg Nanstein verstorben war.53 Danach begab sich Cronberg wieder nach Basel. Die Stadt am Rhein stellte für die kommenden Jahre den Ort seines Exils dar, jedoch reiste er von dort auch mehrfach ins Reich. Sein Hauptaugenmerk lag in den folgenden Jahren auf der Wiedererlangung seiner 1522 verlorenen Besitzungen. Die Bemühungen waren langwierig und anfangs nicht erfolgreich. Erst im Laufe der Zeit verbesserte sich durch die direkten Verhandlungen mit Philipp von Hessen die Situation.54 49 50 51

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Glarean an Zwingli, Basel, 28. November 1522, In: Emil Egli [u.a.] (Hg.): Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, Bd. 7 (Corpus Reformatorum 94). Leipzig 1911, Nr. 252, S. 622–624. Vgl. Schreiben Franz von Sickingens an die Ritterversammlung von Schweinfurt, Januar 1523, Sickingen-Museum Landstuhl. Seinen Zeitgenossen war der Aufenthalt bekannt. Caspar Hedio schrieb z.B. an Zwingli nach Zürich: „Hartmudius Bremiam concessit, quid estis accturus nescio“, Hedio an Zwingli, Mainz, 4. April 1523. In: Emil Egli [u.a.] (Hg.): Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, Bd. 8 (Corpus Reformatorum 95). Leipzig 1914, Nr. 292, S. 55–56. Bei Bremiam handelt es sich m.E. um einen Übertragungsfehler. Korrekt muss es Boemiam heißen. Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. 124–134, vor allem S. 127–131. Die beiden Briefe liegen in gedruckter Form vor und vermögen die Intentionen Cronbergs zu erhellen, vgl. hierzu: Martin Treu: Wir seynd hie in gottesz gewalt… Zwei unbekannte Briefe Hartmut von Cronbergs aus dem Sommer 1523. In: Ebernburg-Hefte 23 (1989), S. 113–124 = Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 56 (1989), S. 285–296. Erste Annährungen gab es seit dem Jahr 1528. Streitpunkt war vor allem, dass Philipp die Rückgabe des Reichslehens Kronberg, welches 1522 an Hessen gefallen war, verweigerte. Auch die Mandate des Kaisers blieben ohne Erfolg. An der Lehensfrage scheiterte auch ein möglicher Ausgleich zwischen Philipp und Cronberg vom 22.04.1539, da der Kaiser auf der Rückgabe des Reichslehens bestand. Vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 48–49. Zu den Annäherungsversuchen vgl.: Friedrich Küch (Hg.): Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen. Inventar der Bestände, Bd. 1 (Publikationen aus den königlichpreußischen Staatsarchiven 78). Leipzig 1904, Nr. 229, Nr. 270, Nr. 408, Nr. 436 sowie Nr. 483. Vgl. auch: Ronner, Landgraf (wie Anm. 48), S. 74–76.

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Von großer Bedeutung wurden dabei vor allem seine Beziehungen nach Straßburg und zu den dortigen Reformatoren. Straßburg hatte für ihn schon in den vorhergehenden Jahren eine bedeutende Stellung eingenommen. Cronberg gab hier einige seiner Sendschreiben, wie z.B. die Briefe in der Auseinandersetzung um Peter Meyer oder auch seine Antwort auf Luthers Missive, erstmalig in den Druck.55 Die Vertreter der Straßburger Reformation waren ihm ebenfalls schon seit längerer Zeit bekannt. Zu Wolfgang Capito und Caspar Hedio hatte er schon in deren Mainzer Wirkungszeit Kontakte gepflegt. Auch danach blieben diese Kontakte bestehen. Capito berichtete z.B. am 23. Januar 1526 Oecolampad von einem Besuch Cronbergs.56 Später traten zwei weitere Personen in den Mittelpunkt der Beziehungen Cronbergs nach Straßburg. Nach Bogler ist es Martin Bucer, der eine zentrale Position einnimmt. Bucer war Cronberg schon lange bekannt. Zudem ermöglichten Bucers Beziehungen und Nähe zu Philipp von Hessen seit 1539 direkt für Cronberg zu werben. Mehrfach ist der Fall in der Korrespondenz der beiden angesprochen. Der Straßburger pocht dabei vor allem auf Cronbergs Standfestigkeit im Glauben. Cronberg sei, so Bucer, ein frommer Mann, der lange hart gebüßt hätte und in dieser 57 Zeit weiterhin für das Evangelium gestritten habe. Eine weitere Person, die für Cronberg in seiner Situation wichtig war und an die er sich schon 1537 wandte, wird von Bogler allerdings nicht erwähnt. Es handelt sich dabei um den in der Reichspolitik versierten und weit vernetzten Straßburger Stettmeister Jakob Sturm.58 In Sturm fand Cronberg einen einflussreichen Unterstützer. Dies belegen zwei Briefe Cronbergs aus dem Jahre 1537 an ihn.59 Sie verdeutlichen, dass Cronberg zunächst bei Sturm um Unterstützung anfragte. Die Briefe stehen im zeitlichen Kontext der Versammlung des Schmalkaldischen Bundes. Der erste Brief Cronbergs datiert auf den Montag nach Estomihi 1537.60 Cronberg bat Sturm darin, für ihn bei Philipp von Hessen um einen Ausgleich und die Rückgabe des Besitzes zu werben. Dass sich Sturm für Cronberg einsetzte, verdeutlicht der zweite Brief vom Dienstag nach Invokavit. Darin bedankte sich Cronberg 55 56

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Vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S.17; Kück, Cronberg (wie Anm. 14), XIX. XXXVII. Vgl. Capito an Oecolampad, Straßburg, 23. Januar 1526. In: Staehelin, Briefe und Akten (wie Anm. 28), Nr. 327, S. 453–459, hier S. 457: „Hartmudius de Kronberg hodie cum nostro communi amico, qui tuas pertulit, domi mee pransus est et multas horas produxit colloquium, quo minus spatii est ad scribendum.“ Zu den Beziehungen zu Capito und Hedio vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 57f. Bogler sieht Bucer als die Schlüsselfigur in den Verhandlungen zwischen Cronberg und Philipp, die schließlich einen Ausgleich herbeiführte. Vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 49– 56. Cronberg ist mehrfach in der Korrespondenz erwähnt. Um einen Ausgleich wirbt Bucer erstmals am 28. Mai 1539 in einem Brief an Philipp und nach dessen Antwort erneut am 7. Juli. Vgl. Bucer an Landgraf Philipp, Straßburg, 28.Mai 1539 und Bucer an Landgraf Philipp, Straßburg 7. Juli 1539. In: Max Lenz (Hg.): Briefwechsel Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen mit Bucer, Bd. 1 (Publikationen aus den königlich-preußischen Staatsarchiven 5). Leipzig 1880, Nr. 24, S. 68–70, sowie Nr. 27, S. 93. Zu Jakob Sturm vgl. Erich Wennecke: Art. Jakob Sturm. In: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon XI (1996), Sp. 141–145; Thomas A. Brady: Protestant Politics: Jacob Sturm (1489–1553) and the German Reformation (Studies in german histories). New Jersey 1995. Dies geht aus den unter Bestand AA 461 zu findenden Akten im Stadtarchiv Straßburg hervor. Vgl. Cronberg an Sturm, [ohne Ort], Montag nach Estomihi 1537, AA 461 Bl. 1.

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zunächst für die erfahrene Unterstützung, von der ihm sein Sohn berichtet hatte. Zudem schilderte er erneut seine Situation und bat schließlich Sturm nochmals, die Unterstützung fortzuführen.61 Im Jahr 1541 hatten die langwierigen Bemühungen schließlich Erfolg. Die Cronberger erhielten ihren Besitz endlich wieder zurück, jedoch mit der Einschränkung, dass es sich nun nicht mehr um ein Reichslehen, sondern um ein Afterlehen Hessens handelte, das verbunden war mit einer ewigen Erböffnung.62 Trotz des erzielten Ausgleichs blieb das Verhältnis zwischen Cronberg und dem Landgrafen weiterhin gespannt. Deutlich wird dies letztlich im Schmalkaldischen Krieg. Hartmuth und der älteste Sohn blieben zwar neutral, jedoch standen die beiden jüngeren Söhne als Reiterführer in kaiserlichen Diensten. Hierbei dürfte die persönliche Lage von größerer Bedeutung gewesen sein als der konfessionelle Unterschied. Nach der Gefangennahme Philipps wurde nämlich der 1541 geschlossene Vertrag gelöst und das Reichslehen wieder hergestellt. Die Verhältnisse waren somit 1546 wieder vollständig restituiert.63 Hartmuth Cronberg starb drei Jahre später am 7. August 1549 in Kronberg und wurde in der dortigen Schlosskirche beigesetzt.64 2. DAS LITERARISCHE SCHAFFEN CRONBERGS Mit 15 gedruckten Schriften ist Cronberg einer der produktivsten niederadligen Flugschriftenautoren der Reformationszeit.65 Wie auch bei anderen niederadligen Flugschriftenautoren wählt er für seine Schriften die weit verbreitete Form des Sendbriefes.66 Cronberg gab einige seiner Schriften, wie bereits erwähnt, in Straßburg in den Druck. Weitere Druckorte sind zudem Wittenberg, Augsburg, Basel, Nürnberg, Erfurt und Zwickau. Die mehrfachen Nachdrucke seiner Sendbriefe verdeutlichen, dass diese in kurzer Zeit eine weite Verbreitung erfahren haben. Allerdings ist die zeitliche Aus-

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Cronberg an Sturm, [ohne Ort], Dienstag nach Invocavit 1537, AA 461 Bl. 5v–6r. Vgl. hierzu Bucers Vorschlag zur Einigung zwischen Hartmuth von Kronberg und Philipp von Hessen bei Besitzansprüchen, 20. Juli 1540. In: Strohm, Martin Bucers deutsche Schriften (wie Anm. 22), S. 449–458. Vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 56–57. Vgl. ebd., S.6. Kück zählt in seiner Edition 16 Schriften. Darunter summiert er auch die anonym verfassten Statuten der Himmlischen (Cronbergischen) Brüderschaft vom Mai 1522. Allerdings handelt es sich dabei um ein handschriftliches Schreiben, welches nicht in den Druck gegeben wurde. Aus diesem Grund wurde es in obiger Zählung nicht berücksichtigt. Vgl. Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. XXXII–XXXIV. Bei der Zählung wurden die Schriften an Papst Leo, an die Einwohner von Cronberg sowie an Jakob Körbel nicht als einzelne Drucke, sondern als gemeinsame Druckschrift gewertet, da sie nur gemeinsam gedruckt wurden. Vgl. ebd. S. XXI–XXV. Aus der Vielfalt der Textsorten und -formen in der reformatorischen Publizistik heben sich neben Predigten und Dialogen als drittes vor allem Briefe deutlich ab. Vgl. Johannes Schwitalla: Flugschrift (Grundlagen der Medienkommunikation 7). Tübingen 1999, S. 43–45.

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dehnung der Drucke gering. Alle Nachdrucke entstehen in zeitlicher Nähe zum jeweiligen Erstdruck und haben ihre Wirkung damit nur unmittelbar entfaltet. Der Verlust seines Besitzes hat auf die Produktivität Cronbergs zunächst keine Auswirkungen.67 Seine persönliche Situation wird nun aber stärker in den Schriften thematisiert, am ausführlichsten in der Schrift an die Böhmen.68 Bei den in den Sendbriefen angesprochenen Adressaten zeigt sich ein weiter Kreis, der sowohl Personen aus dem Umfeld und Bekanntenkreis, wie z.B. Franz von Sickingen, Walther von Cronberg, die Einwohner von Kronberg, als auch Personen mit herausgehobener Stellung, wie z.B. Kaiser Karl V. oder Papst Leo X., den Rat von Straßburg oder das Reichsregiment, umfasst.69 Die Wahl des Adressaten eines Sendbriefes hat programmatischen Charakter, da dadurch die Stoßrichtung schon vorgegeben wird.70 Zwar können einige Briefe zunächst auch als private Schreiben gedacht gewesen sein, so z.B. die oben dargestellten Briefe an Peter Meyer, aber auch diese waren m.E. letztlich für die Öffentlichkeit bestimmt, weil sie zentrale Fragen behandeln. Die meisten der Schriften Cronbergs entstanden in einem Zeitraum von etwas mehr als 2 Jahren zwischen Ende 1521 und Januar 1524. Lediglich der erwähnte Trostbrief an Spalatin entstammt dem Jahr 1525. Danach ist Cronberg nicht mehr literarisch in Erscheinung getreten. Nach Bogler ist dieser Befund damit zu erklären, dass Cronberg in seiner literarischen Tätigkeit, vor allem nach dem Verlust seines Besitzes, planmäßig vorgegangen sei. Die Adressaten zeigten, dass er sich an alle politischen Instanzen des Reiches gewendet habe. Es gäbe somit einfach keine weiteren Adressaten mehr, an die er noch zusätzlich hätte schreiben können.71 Diese Deutung des Befundes ist aber kritisch zu beurteilen. M.E. gibt es andere Gründe, die Cronbergs „Verstummen“ erklären und die nicht primär im Adressatenkreis der Schriften zu suchen sind. Zum einen muss die persönliche Situation Cronbergs beachtet werden. Wie gesagt, geht er in seinen späten Flugschriften auf diese ein. In der Folgezeit bemüht er sich verstärkt, seine verlorenen Besitzungen wieder zurückzugewinnen. Dass Cronbergs literarische Tätigkeit hierbei hinderlich sein konnte, zeigt sich schon daran, wie kritisch diese von seinen Zeitgenossen gesehen wurde, was ein Brief Caspar Hedios an Nesen aus dem Jahr 1523 belegt. Darin erklärt Hedio, dass es deutlich besser um Cronbergs Situation bestellt wäre, wenn er sich der Schriftstellerei enthielte; dies sei auch der Wunsch seiner Verwandten.72 In die gleiche Richtung zielt auch die Reaktion auf ein Schreiben an das Reichsregiment, das Cronberg im September 1522 noch von der Ebernburg nach Nürnberg sandte. Dieses wurde scharf zurückgewiesen: Niemand könne dem Regiment vorwerfen, es verhindere das Evangelium.73 67 68 69 70 71 72 73

Nimmt man als Stichtag den 14. Oktober 1522 an, so sind vor diesem Datum sechs, danach weitere neun Flugschriften in den Druck gegangen. Vgl. Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. 124–134. Vgl. hierzu die Einleitungen der jeweiligen Schriften bei Kück, ebd., S. XIV–LIX. Vgl. Schwittalla, Flugschrift (wie Anm. 66), S. 33f. Vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 43. Vgl. ebd., S. 13. Vgl. Armin Kohnle: Reichstag und Reformation. Kaiserliche und Ständische Religionspolitik

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Zum anderen nahm die Flugschriftenproduktion mit dem Jahr 1525 generell deutlich ab.74 Die Ereignisse des Jahres, vor allem der Bauernkrieg, trugen dazu bei, dass die Reformation in gelenkte Bahnen gebracht wurde. Das laikale Moment, welches in den Anfangsjahren die reformatorische Öffentlichkeit mitbestimmt hatte, wurde zugunsten der Theologen wieder deutlich zurückgedrängt.75 Seit den 1525 aufbrechenden Streitigkeiten innerhalb des reformatorischen Lagers sind es hauptsächlich Theologen, die zu den Streitpunkten öffentlich Stellung nehmen. Dieser allgemeine Befund lässt sich auch an den niederadligen Flugschriftenautoren veranschaulichen. Bis zum Ende des Jahrzehnts finden sich von ihnen nur noch vereinzelte Spuren innerhalb der Flugschriftenpublizistik.76 Dass Cronberg nach 1525 nicht mehr literarisch aktiv war, reiht sich somit in den generellen Wandel ein und ist keine Besonderheit. Cronbergs Interesse an theologischen Streitigkeiten ist zudem gering. Für ihn als Laien sind die Streitpunkte und Positionen nach eigener Aussage oft nicht verständlich, wie folgendes Zitat aus dem Jahre 1528, auf der Höhe des Abendmahlsstreites, belegt: „Ich habe von der Zweiung halber, die unsere Gelehrten im Nachtmahle des Herrn haben, aller Teile gelehrte Meinung viel gelesen und gehört. Aber ich bekenne frei, daß mir die Meinung von aller Parteien nicht verständlich ist; es vermags mein verstant in mainungen nit erraichen.“77 2.1 Das Wort Gottes als Zentrum der Schriften Cronbergs Was aber war die Antriebskraft, die Cronberg in den Jahren zuvor so produktiv werden ließ? Anhand seiner frühen Schriften wird deutlich, dass es ihm vor allem um das Eintreten für Luther, der in diesen sogar noch namentlich erwähnt wurde, und dessen Lehre ging. Von großer Bedeutung sind daher für Cronberg dessen Schriften, allen voran die Adelsschrift. Die oben beschriebene Wirkung der Autorisierung der Laien gegenüber der Geistlichkeit, aktiv an der Veränderung des Kirchenwesens teilzunehmen und sich eigene Urteile zu bilden, zeigt sich auch bei ihm.78 Im Zentrum steht daher für Cronberg das Evangelium als das Wort Gottes, nach dem es sich zu richten gilt. Für Cronberg stellt es den „lebendigen Brunnen“79 dar, an den Luther die Christen geführt habe. Es sei klar und deutlich und zeige auf, dass

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von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 72). Gütersloh 2001, S. 114; Ernst Wülcker [u.a.] (Hg.): Des Kursächsischen Rathes Hans von der Planitz Berichte aus dem Reichsregiment in Nürnberg 1521–1523 (Schriften der Königlich Sächsischen Kommission für Geschichte 3). Leipzig 1899, S. 221, Anm. 1. Vgl. hierzu die Statistischen Erhebungen in Köhler, Erste Schritte (wie Anm. 2), S. 269f. Vgl. Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 6), S. 304. Vgl. hierzu Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9), S.142; Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 6), S. 486. Zitiert nach Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 14. Vgl. Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 6), S. 272. Das Bild des lebendigen Brunnens für das Evangelium findet sich des Öfteren in den Schriften Cronbergs. Als Beispiele seien hier der Brief an die Bürger in Frankfurt oder der Sendbrief an Kaiser Karl V. genannt.

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das Heil nur durch Jesus Christus erworben werde und die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden geschehe. Aus diesem Grund dürfe die Verkündigung des Wortes Gottes auch nicht unterdrückt oder durch andere Lehren verdunkelt werden. Das Verständnis des Evangeliums sei daher gerade nicht an den geistlichen Stand gebunden. Jedem sei es möglich, das Evangelium zu verstehen, man müsse nur dafür sein Herz öffnen. Neben der Bibel lässt Cronberg, ganz im Sinne anderer reformatorischer Flugschriften, keine weitere Norm gelten. 2.2 Angriffe auf die Geistlichkeit und den Papst Aus dem dargelegten Verständnis des Evangeliums resultiert die für Cronbergs Schriften charakteristische feindschaftliche Haltung gegenüber der Geistlichkeit, wie sie z.B. in den Briefen an Peter Meyer augenscheinlich zu Tage tritt.80 Diese kann als Antiklerikalismus bezeichnet werden.81 Seine Argumentationsweise differiert dabei nur sehr wenig und kann wie folgt beschrieben werden: Die Wahrheit des Evangeliums sei für die Geistlichkeit aufgrund ihres Standes im Grunde leicht zu erkennen. Deren Unverständnis gründe sich daher nicht auf Unwissen, sondern auf Ignoranz gegenüber dieser Wahrheit. Cronberg will herausstellen, dass die Geist80 81

Thiessen hat diese Haltung gegenüber der Geistlichkeit ausführlich dargelegt. Er bezeichnet diese als „agressive attitude to church reform“. Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9), S. 140. Der Begriff Antiklerikalismus ist seit seiner Einführung von Goertz nicht unumstritten und wird unterschiedlich gefüllt. Vgl. zu der Debatte um den Begriff: Olaf Mörke: Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung (Enzyklopädie deutscher Geschichte 74). München 2011, S. 121–125. Goertz sieht im Antiklerikalismus das Bindeglied zwischen der Kirchenkritik des ausgehenden Mittelalters und den Anfängen der Reformation, da in der Reformation die Kirchenkritik aufgenommen und in ein kohärentes System gebündelt würde, an dessen Ende die Forderung steht, das klerikale System abzuschaffen. Vgl. Hans Jürgen Goertz: Pfaffenhaß und groß Geschrei. Die reformatorischen Bewegungen in Deutschland 1517–1529. München 1987, S. 52–68. Kann diese Sichtweise m.E. zu Recht kritisiert werden, so bietet es sich dennoch an, den Antiklerikalismusbegriff weiterhin zu benutzen, im Sinne eines „Agent of Change“, Peter Dykema, Heiko A. Oberman: Anticlericalism in Late Medieval and early modern Europe (Studies in medieval and reformation thought LI). Leiden [u.a.] 1993, S. IX–XI, oder, wie es Scribner definiert: „Antiklerikalismus [impliziert] eine Wahrnehmung der Macht (und eine Reaktion auf sie), die vom Klerus als besonderer sozialer Gruppe ausgelöst wurde, eine Macht die sich in der ökonomischen, politischen, legalen, sozialen, sexuellen und sakralen Sphäre des Alltagslebens ausdrückte.“ Robert W. Scribner: Religion und Kultur in Deutschland 1400–1800 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 175). Göttingen 2002, S. 177. Mit dem Begriff soll also beschrieben werden, wie es von einem Umschlagen einer inneren theologischen Überzeugung zu einer konkreten äußeren Handlung kommt. In diesem Sinne kann das in der Adelsschrift dargelegte Priestertum aller Gläubigen als ein Katalysator angesehen werden, der Prozesse in Gang setzte, die eine Neuformulierung des Verhältnisses zwischen Geistlichkeit und Laien zum Ziel hatten. Das Konzept des Antiklerikalismus zielt damit auf die laikale Verarbeitung eines theologischen Konstrukts. Diese Verarbeitung konnte vielgestaltig sein und sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen zeigen. Bei Cronberg äußerte sie sich in der offenen Kritik an der Geistlichkeit in seinen Flugschriften. Vgl. Mörke, Reformation (s.o.), S. 125.

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lichkeit weiterhin auf ihrer Position beharrt, um damit ihre Macht zu sichern. Dass sie die Christen absichtlich von der Wahrheit des Evangeliums abzuführen versuche, mache es nur noch schlimmer. Die Geistlichkeit kommt also nach Cronberg nicht nur ihrer eigentlichen Aufgabe, die Menschen zum Evangelium zu führen, nicht mehr nach, sondern handelt sogar gegen diese.82 Cronberg gebraucht für die Geistlichkeit die bekannten biblischen Bilder der Wölfe, die in den Schafstall Christi eingedrungen sind, oder die der Wölfe im Schafspelz.83 Sie werden zudem als Räuber, Diebe und Mörder charakterisiert, denen es nicht um das Seelenheil der Christen, sondern um ihre eigene zeitliche Pracht gehe. Cronberg nimmt hier den gängigen Vorwurf auf, dass die Geistlichkeit nicht dem „gemeinen Nutzen“ diene, sondern aus Eigennutz handle.84 Neben der Geistlichkeit im Allgemeinen richten sich seine Angriffe vor allem speziell gegen das Papsttum. Dieses wird von ihm als verderbt und teuflisch dargestellt. In ihm sieht er die Wurzel allen Übels. Daher ist er Papst für ihn nicht als vicarius christi anzusehen, sondern vielmehr als vicarius diaboli, oder anders gesagt, als der Antichrist, eine Ansicht, die er aus der Lektüre der Adelsschrift übernommen hat.85 Dies zeigt nach Cronberg, dass sich die Verhältnisse umgekehrt haben. Die Geistlichkeit und der Papst kommen ihrer standesgemäßen Aufgabe, die Menschen zu Christus zu führen, nicht nach und sehen nur auf ihren eigenen Nutzen. Den Laien wiederum sei durch Luthers Werk die Augen geöffnet worden, sodass sie die Wahrheit des Evangeliums nun selbst erkennen. Diese stehe auf Seiten der Laien, die die eigentlichen Träger des Evangeliums sind. Das Urteil über die Verkehrtheit des geistigen Standes und der Hochachtung der Laien ist keine Besonderheit Cronbergs, sondern findet sich auch in anderen Flugschriften der Zeit.86 Beispielhaft sei hier auf eine Schrift verwiesen, die im engeren Umfeld Cronbergs entstanden ist: In gleicher Weise argumentiert auch Johann Schwebel in seiner Vorrede zu Sickingens Sendbrief an Dieter von Handschuhsheim aus dem Frühjahr 1522. Darin charakterisiert er die Zustände ebenfalls als auf den Kopf gestellt. Das Spiel habe sich völlig umgekehrt. Hätte man früher das Gesetz Gottes von den Priestern gelernt, wäre es jetzt vonnöten, dass diese zu den Laien in die Schule gingen. Hätten früher die Bischöfe das Schwert des Wortes Gottes (also das Evangelium) gebraucht, wollen diese nun das Evangelium mit dem 82 83 84 85 86

Vgl. Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 6), S. 308. Vgl. hierzu z.B. die Briefe der Frankfurter Auseinandersetzung. Das Bild findet sich häufig in niederadligen Flugschriften. Vgl. Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9), S. 271. Der Hinweis auf den „gemeinen Nutzen“ ist ein gebräuchlicher Terminus in den Flugschriften der Zeit und findet sich in sämtlichen Schriften Cronbergs. Als Quelle dürfte hier die Adelsschrift angesehen werden. Vgl. Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9), S. 227–229, 311. Vgl. zu der Identifikation des Papstes mit dem Antichristen: Kaufmann, Adel (wie Anm. 3), S. 19–24. Vgl. Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 6), S. 308. In ähnlicher Weise zeigt sich dies auch an der Figur des einfältigen, verständigen Bauern Karsthans. Auch er ist im Sinne des Priestertums aller Gläubigen ein Träger des Evangeliums und belehrt daher die unverständigen Pfaffen. Vgl. Bernd Möller: Art.: Flugschriften der Reformationszeit. In: Theologische Realenzyklopädie 11 (1983), S. 240–246, hier S. 243.

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weltlichen Schwert unterdrücken, wohingegen die, die das weltliche Schwert bislang gebraucht haben, nun das Wort Gottes annehmen.87 Wie Cronberg sieht also auch Schwebel die Laien als die Träger des Evangeliums. Aufgrund des unverständigen Verhaltens der Geistlichkeit fordert Cronberg, wie schon das Beispiel in Frankfurt gezeigt hat, dass gegen diese vorgegangen werden müsse. Allerdings bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass Cronberg dieses Recht dem „gemeinen Mann“ selbst zugesteht. Sind die Laien zwar nach Cronberg die Träger des Evangeliums, sieht er gegenüber der Geistlichkeit die Obrigkeit in der Pflicht. Von den Untertanen fordert er die Unterwerfung unter diese. Die weltliche Gewalt erstreckt sich somit für ihn auch über die Geistlichkeit.88 Obgleich es von ihm nicht intendiert war, den „gemeinen Mann“ zum Aufruhr aufzurufen oder die Ordnung zu stürzen, kann seinen Aussagen dieses radikale Moment dennoch nicht abgesprochen werden. So verwundert es wenig, dass es in Frankfurt nach der Veröffentlichung der Schreiben zu Tumulten unter der Bevölkerung kam. Anders als Hutten möchte Cronberg nicht selbst gewaltsam gegen die Geistlichkeit vorgehen oder die Fehde ansagen. Das Momentum des „Pfaffenkrieges“ tragen seine Schriften dennoch in sich, da er die Obrigkeit zu einem harten, sofortigen Vorgehen gegen die uneinsichtige Geistlichkeit aufruft. 2.3 Einfacher, zirkulärer Aufbau der Schriften Bei allem Enthusiasmus für das Evangelium und der daraus erwachsenden Feindschaft gegenüber der Geistlichkeit hat Cronberg selbst kein großes Interesse an einer ausschweifenden theologischen Argumentation. Der Aufbau und die Sprache der Schriften Cronbergs sind einfach gehalten. Die Gedankengänge werden meist nicht stringent entfaltet, sondern kreisen vielmehr um das Kernthema, welches immer wieder neu zu erklären versucht wird. Hierin zeigt sich m.E., dass Cronberg keine tiefergehende Ausbildung, schon gar keine humanistische oder theologische, erfahren hatte. Auffällig ist auch, dass er in seiner Darlegung nur sehr wenige Schriftbelege verwendet. Dies wurde schon von seinen Weggefährten wie z.B. Spalatin deutlich bemängelt.89 Zentral für Cronberg sind das Evangelium und der aus ihm gewonnene Glaube. Um diesen Kern kreisen seine Ausführungen. Andere theologische Streitpunkte treten deutlich zurück oder werden nicht behandelt. Obwohl er z.B. des Öfteren Kritik übt an der Praxis der Wallfahrten und Zeremonien, die die Wahrheit des Evangeliums verdunkelten und die Menschen von dieser abführten,90 kann er sie im Sendbrief an die Einwohner von Kronberg auch folgendermaßen beurteilen: 87 88 89 90

Vgl. Ulrich Oelschläger: Der Sendbrief Franz von Sickingens an seinen Verwandten Dieter von Handschuchsheim. In: Ebernburg-Hefte 4 (1970), S. 71–85 = Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 37/38 (1970/71), S. 710–724. hier S. 77f. (bzw. S. 716f.) Vgl. Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9), S. 205, 321, 336. Vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14), S. 60. Hier sei an die Auseinandersetzung mit Peter Meyer erinnert. Cronberg vertritt dabei eindeutig

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Mathias Müller „Wir wollen der heyligenn Vatter unnd der menschen uff setzung mit dem kirchen gebreng also gut lassen seyn, als es ymmer seyn magk, Szo mogenn wir doch nit laugken [= leugnen], das wir sollichs, auch in der lieben heyligen anrueffen, wallfarten und andern der gleychen, tzu vill vertrawens gesetzt haben, und dardurch in den vinsteren Nebel gefuret worden, […] szo sollen und wollen wir, dieselbigen eusserlichen werck nit szo hart tzu gemuets nehmen, Als ob die selbigen tzu unßer seligkeyt gehortenn. […] Auch daß wir nit tun sollen was uns gut dunckt, oder was die menschen gutdunckt, sunder was uns Christus heysset und gebeut, das sollen wir thun; hierumb mogen wir die Ceremonien odder kirchen gebreng so ser die tzymmilich geschehen, dulden und bleyben lassen, Szo lang wir bessers berichtet werden, aber wir sollen nichts darauf bawhen.“91

Die Zeremonien könnten somit für Cronberg durchaus beibehalten werden, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie keine Heilsnotwendigkeit besitzen. Das Heil gründe sich einzig und allein auf Jesus Christus. Auf keinen Fall seien sie daher der Verkündigung des Evangeliums gleichzusetzen. Cronbergs Schriften könnte man aufgrund des Aufbaus und der behandelten Themen somit vorwerfen, dass sie keine „theologische Tiefenstruktur“ aufweisen. Weitere theologische Fragen und Probleme neben dem Kernthema der Annahme des Evangeliums behandelt er nur sehr eingeschränkt. Im weiter oben angeführten Zitat zum Abendmahlsstreit räumt er selbst ein, die theologischen Streitigkeiten nicht zu verstehen. Für ihn ist der Text im Neuen Testament klar und deutlich. Wichtiger als die Frage der Präsenz Christi ist für Cronberg vielmehr, dass der Genuss von Brot und Wein im Glauben geschieht.92 Man kann daher durchaus fragen, wie viel er wirklich von Luthers Theologie verstanden hat. Bevor hier aber vorschnell ein Urteil über Cronbergs Schaffen als einfach, oder wie Bogler schreibt, „naiv“ gefällt wird, muss doch vielmehr ein anderer Aspekt herausgestellt werden.93 Es handelt sich bei Cronberg um einen Laien, der, geleitet von der aus den Schriften Luthers gewonnenen Erkenntnis des Priestertums aller Gläubigen einerseits und der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden andererseits, in die Öffentlichkeit trat. Diese Grundgedanken haben ihn vollkommen erfasst. Von diesen autorisiert, für das Evangelium und die Sache Luthers Partei zu ergreifen, wurde er zu einem der produktivsten Flugschriftenautoren. 3. DIE SENDBRIEFE AN FRANZ VON SICKINGEN UND KARL V. Anhand der beiden Sendbriefe an Franz von Sickingen und Kaiser Karl V. können diese eben dargelegten Grundgedanken der Schriften Cronbergs, die zentrale Bedeutung des Evangeliums sowie die sich daraus ableitende feindliche Haltung gegenüber der Geistlichkeit, näher dargestellt werden. Der Brief an Sickingen ist datiert auf den 13. Oktober 1521. Um dieses Datum dürfte auch der Brief an Kaiser

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die Meinung, dass diese Praktiken nicht zum Heil führen würden. In gleicher Weise findet sich dies auch z.B. im Sendbrief an Sickingen. Vgl. Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. 11. Ebd, S. 43–44. Vgl. Bogler, Kronberg (wie Anm. 14) S. 14–15. Vgl. ebd., S. 9.

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Karl V. abgefasst sein. Die inhaltlichen Übereinstimmungen beider Briefe, die sich an mehreren Stellen auch durch gleiche Wortwahl zeigen, lassen auf eine zeitgleiche Abfassung schließen. Darauf weisen auch die äußeren Umstände hin. Sickingen, der sich seit Herbst 1520 dem Kaiser angenähert hatte, war im Sommer 1521 in kaiserlichen Diensten in einem Feldzug gegen Franz I. von Frankreich an der Maaß.94 Es ist möglich, dass Cronberg diese Nähe seines Vetters zum Kaiser als Anlass nahm, beide Briefe zu verfassen. Der Druck der Briefe erfolgte erst geraume Zeit später und war zunächst nicht von Cronberg selbst veranlasst. Am 2. November 1521 schickte er die beiden Schriften in Kopie an seinen Vertrauten Hans von Dolzig nach Wittenberg. Dort wurden sie bei Melchior Lotter gedruckt.95 In dem Sendbrief an Sickingen96 fällt auf, dass Cronberg seinen Vetter lediglich am Anfang und Ende des Briefes erwähnt. Schon nach der Anrede wechselt sein Blickwinkel. Mit der Bezeichnung Sickingens als Diener lenkt Cronberg den Blick auf Kaiser Karl V., auf den er seine Hoffnung setzt, weil dieser „durch die gnade gottis grosser und mehr wirken mag zu gotis ehre lob und widderaufrichtung des gemeinen nutz und mehrung der gantzen Christenheit.“97 Cronberg sieht also trotz des negativen Ausgangs des Wormser Reichstages immer noch die Möglichkeit, den Kaiser umzustimmen und für die Sache Luthers zu gewinnen. In seiner Argumentation geht es Cronberg zunächst darum, das Werk und die Leistung Martin Luthers herauszustellen. Dabei sieht er den vom Heiligen Geist geleiteten Luther als ein Werkzeug Gottes oder als neuen Daniel. Luther habe die „warhafftig Antichristus verfurung“, indem er auf die aus dem Evangelium gewonnene Gnade hingewiesen hat, offen dargelegt.98 Für Cronberg besteht diese Verführung darin, den menschlichen Werken anzuhängen und in diesen die Seligkeit zu suchen. 94 95

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Vgl. Wolfgang Breul: Sickingens Fehden. In: Ders., Ritter! Tod! Teufel? (wie Anm. 16), S. 59– 66, hier S. 64. Dies geschah, wie Kück annimmt, ohne das Wissen Cronbergs. Hans von Dolzig veranlasste zusammen mit Bernhard von Hirschfeld den Druck, wobei sie eine eigene Vorrede, adressiert an Joachim Pappenheim, hinzufügten. Der genannte Pappenheim hatte sich schon seit Längerem neu herausgegebene Schriften Luthers erbeten. Dies wurde nun zum Anlass genommen, Cronbergs Schreiben in den Druck zu geben. Der Druck selbst trägt weder Ort noch Jahreszahl, es kann aber angenommen werden, dass dieser im Dezember 1521 veranstaltet wurde. Daneben existieren von den beiden Schriften weitere Drucke. Der Sendbrief an Kaiser Karl wurde zudem Anfang 1522 bei Beck in Straßburg unter dem Titel Eyn hüpsch Cristenliche und Goetliche erinnerung und warnung / so kayserlicher Maiestat vō eynem iren Kayserlichen Maiestat armen Reütlerlyn und vndertheinigem diener beschickt (VD 16 C 5928) gedruckt. Allerdings handelt es sich hierbei um einen anonymen Druck, der, wie Kück vermutet, von Cronberg selbst initiiert wurde. Der Sendbrief an Sickingen liegt außer in dem erwähnten Druck bei Lotter nochmals in einem Druck zusammen mit dem Sendbrief Sickingens an Dieter von Handschuhsheim bei Rhau-Grunenberg (VD 16 S 6316) vor, der in die Mitte des Jahres 1522 zu datieren ist. Vgl. Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. XIV–XX. Abgedruckt bei Kück, ebd., S. 9–17. Ebd., S. 9. Ebd., S. 9f. Die Aussage, dass Luther für das Heil der Christen von entscheidender Bedeutung ist, ist innerhalb der Flugschriftenpublizistik häufig zu finden. Vgl. Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 6), S. 308.

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Die Anschuldigung, durch eigene Werke gerecht werden zu wollen, betreffe ausnahmslos jeden Menschen. Darin zeige sich die Sündigkeit eines jeden einzelnen. Die wahre Geistlichkeit besteht nach Cronberg nicht in äußerlichen Dingen, sondern darin, die im Evangelium dargebotene Gnade anzunehmen und Christus nachzufolgen. In diese alle Menschen betreffenden Aussagen mischt Cronberg bereits eine deutliche Polemik gegen den Papst und die Geistlichkeit: „Wie wol der Bapst als das oberst Antichristus heubt mit seinen Bischöfen pfaffen und munchen herin vornemlich Antichirstus und seine iungern seint mugen“99, so könne sich keiner dafür entschuldigen, dieser Verführung, menschlichen Gesetzen anzuhängen, nicht erlegen zu sein. Durch Stiftungen, Klöster und Wallfahrten würde die geistliche Ware für Geld verkauft und die Menschen in einer Werksgerechtigkeit gefangen gehalten, was nach Cronberg ein „grawlicher grewel“ sei.100 Die Gerechtigkeit komme nicht aus diesen menschlichen Werken, sondern allein durch Christus. Der Papst sei, weil er ganz erblindet und ohne Erkenntnis sei, daher zum vicarius diaboli geworden. Obwohl das Papsttum somit als vollkommen korrumpiert charakterisiert wird, besteht nach Cronberg auch für den Papst weiterhin die Möglichkeit, die Wahrheit im Evangelium zu erkennen und sich zu ändern. Am Ende des Schreibens legt Cronberg dar, dass er mit diesem auch dem Papst und seinen Anhängern zum Besten dienen und gegen ihr „antichristliches Regiment“ vorgehen wolle.101 Dass eine Änderung möglich sei, zeigt sich für Cronberg daran, dass sich schon einige Bischöfe zu Luther bekannt hätten.102 In dieser Situation setzt Cronberg die Hoffnungen in den Kaiser, der alle Geistlichen in seinen Gebieten auf die Seite des Evangeliums bringen könne, wenn er sich die Sache nur recht zu Herzen nehmen würde. Er sieht ihn zum Handeln aufgefordert, sogar verpflichtet: „So mocht der keyser durch den gewalt ym heyligen Evangelio durch Christum geben, nach aller nodturfft, und mit der that handeln.“103 Da es auch für den Papst grundsätzlich noch möglich sei, sich zu bekehren, solle der Kaiser ihn zunächst dazu ermahnen, von seinem Irrtum abzulassen, sich auf den Weg Christi führen zu lassen und damit sein Amt wieder recht zu verrichten. Im Folgenden fordert Cronberg, dass die Missstände in der Kirche durch den Kaiser oder ein Konzil abgeschafft werden sollten.104 Für den Fall, dass der Papst sich widersetzt und sich nicht zum Evangelium bekehrt, hat „der Kayser recht fug und ist fur got schuldig mit aller seiner macht gegen den Bapst zu handeln als gegen einen abtrennigen Ketzer und Antichristus.“105 Dem Kaiser wird hier nicht nur das Recht zum Handeln zugesprochen, sondern er wird in die Pflicht genommen. Das Mittel, das hierbei ergriffen werden soll, ist die Einziehung der geistlichen Güter. Diese könnten „nach aller nodturfft“ gebraucht

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Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. 11. Ebd., S. 12. Vgl. ebd., S. 16. Die Aussagen dazu bleiben allerdings sehr vage und Cronberg benennt keine konkreten Personen. Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. 13. Vgl. ebd., S. 13. Ebd., S. 14.

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werden; ein Ratschlag, der sich des Öfteren im Text findet.106 Für Cronberg soll keine Unterscheidung gemacht werden zwischen geistlichen und weltlichen/leiblichen Gütern. Eine solche Unterscheidung gründe sich nämlich nicht auf das Evangelium. Cronberg nennt daher diese geistlichen Güter auch „antichristliche guter“107. Diese hätten keine besondere Stellung und seien nicht exklusiv der Kirche vorbehalten, sondern: „wilcher mensch deren durch die gnade gottis erlangt, der mag sie mit gottis hulff behalten“108. Im Folgenden lenkt Cronberg den Blick wieder kurz auf das Evangelium. Da dies die eigentliche Waffe gegen den Antichrist sei, fordert er die freie Predigt desselben. Auch der Kaiser solle das Evangelium ergreifen und gottesfürchtig sein. Wenn er in diesem Sinne handle, werde es ein Nutzen für seine Regentschaft und das Reich sein. Die Untertanen sollen deshalb auch beten, denn: soviel „weiter der Herr von Gott abweicht, soviel weiter weicht das volk von dem Herren“109. Die Forderungen der Annahme des Evangeliums werden von Cronberg mit einer Dringlichkeit formuliert, die durch die eschatologische Sichtweise, am Ende der Zeiten zu leben, hervorgerufen wird. Daher sei nun der Zeitpunkt gekommen, Partei zu ergreifen und nicht länger zu warten.110 Cronberg schließt das Schreiben mit der Aussage, dass er damit allen, auch dem Papst und seinen Anhängern zum Besten dienen wolle. Auch diesen steht noch die Möglichkeit zur Umkehr zum Evangelium offen. Sollte er, so Cronberg abschließend, deswegen Verfolgung oder gar den Tod erleiden, die Menschen und der Papst aber dadurch zur Wahrheit gebracht werden, so wolle er dies gerne mit der Hilfe Gottes auf sich nehmen.111 Cronbergs Sendbrief an den Kaiser weist, obwohl der Inhalt der gleiche ist, einen deutlich geänderten Aufbau auf.112 Die Polemik gegen die Geistlichkeit, die im Sendbrief an Sickingen stark ausgeführt ist, setzt erst sehr viel später ein. Den ersten Teil des Briefes durchziehen vielmehr die Themen der Gottesfurcht und der Annahme des Evangeliums.113 Diese Topoi werden im Sendbrief an Sickingen erst später erwähnt. Hier wird ihnen mehr Raum gegeben. Karls Kaiserwürde wird von Cronberg als eine göttliche Berufung charakterisiert. Dieser sei nicht nur ein Knecht, sondern auch ein Kind Gottes. Als solches sei der Kaiser diesem die gerechte Gottesfurcht schuldig. Zwar behandelt Cronberg die Gottesfurcht auch im Sendbrief an Sickingen, aber sie wird hier nun deutlich stärker thematisiert und bildet zudem eine Rahmung der Kernaussagen des Briefes. Für Cronberg gehört die Gottesfurcht essentiell zu dem Titel eines christlichen Kaisers dazu. Aus ihr ergibt sich auch ein zweifacher Nutzen sowohl für den Kaiser als auch für das Reich. Daher solle sich der Kaiser auf diese besinnen und nicht aus menschlicher Furcht dem 106 107 108 109 110

Vgl. ebd., S. 14–16. Ebd., S. 14. Ebd., S. 16. Ebd., S. 15. Vgl. Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9), S. 296f. sowie Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 6), S. 307. 111 Vgl. Kück, Cronberg (wie Anm. 14), S. 16f. 112 Abgedruckt bei Kück, ebd., S. 1–8. 113 Vgl. ebd., S. 1–4.

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Papst folgen, der das Wort Gottes unterdrücke.114 Vielmehr fordert Cronberg: „Gib raum dem waren knecht gottes doctor Luthern das wort gottes zu predigen, welcher viel tausend menschen zu dem waren brunnen Christum Jesum gefüret hat.“115 Cronberg tritt somit hier für Luther und die freie Predigt des Evangeliums ein. Zudem verweist er darauf, dass die Anhänger Luthers schon zu einer beachtlichen Zahl angewachsen sind. Diese Ausführungen münden in die werbende Aufforderung, dass auch der Kaiser aus dem lebendigen Brunnen des Evangeliums trinken solle. Dadurch würde er bewegt, alle – auch den Papst – zu diesem zu führen.116 Deutlich stärker als im Sendbrief an Sickingen wird der sich daraus ergebende Nutzen für den Kaiser herausgestellt. Die Werbung wird ebenfalls mit Dringlichkeit formuliert. In dieser Schrift liegt der Fokus aber viel stärker auf dem Evangelium und dem mit seiner Annahme verbundenen Nutzen. Erst nach diesen Ausführungen setzt die Polemik gegen den Papst ein. Der Kaiser solle diesem anzeigen, dass er vicarius diaboli ist. Cronberg kehrt das verwendete Bild nun ins Gegenteil. Anstatt eines lebendigen Brunnens – wie es das Evangelium ist – gleiche das päpstliche Gesetz einer „stinkenden faulen pfitz“, aus welcher der Papst die Menschen trinken lasse. Auch „wir schlechten Layen“117, so schreibt er weiter, würden dies nun vor Augen sehen und verstehen. Das Verständnis des Evangeliums ist nach Cronberg nicht dem geistlichen Stand vorbehalten. Die Trägerschaft des Evangeliums sei von der Geistlichkeit auf die Laien übergegangen. Aufgrund der Tatsache, dass der Papst das Wort Gottes weiterhin unterdrücke, müsse der Kaiser handeln. Die im Sendbrief an Sickingen dargelegten Anweisungen gegen den Papst und die Kleriker fallen hier allerdings deutlich kürzer aus. Inhaltlich sind sie jedoch gleich. Man solle den Papst und die Geistlichkeit zuerst ermahnen, auf den Weg des Evangeliums zurückzukehren. Sollte dies allerdings keinen Erfolg haben, sei gegen diese vorzugehen wie gegen Ketzer und Antichristen.118 Durch den geänderten Aufbau erhält das Schreiben einen werbenden Charakter, während die Schrift an Sickingen durch einen kämpferischen Ton geprägt ist. In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Befund interessant. Die Forderung der Einziehung und Nutzung der geistlichen Güter, die im Sendbrief an Sickingen als zentrales Instrument beschrieben wird, bleibt im Sendbrief an Kaiser Karl unerwähnt. In den kurzen Anweisungen wird der Kaiser lediglich zum Handeln aufgefordert. Dieser auffällige Befund lässt sich m.E. durch den Blick auf die Adressaten klären, weil diese für einen Sendbrief programmatisch gewählt werden. Schreibt Cronberg einen Sendbrief an Kaiser Karl V., so kann dies auch so verstanden werden, dass dadurch das ganze Reich angesprochen wird. Zudem schreibt er damit an eine Person, die noch für das Evangelium und die Sache Luthers gewonnen werden soll. Dies erklärt den geänderten Aufbau sowie den werbenden Charakter. Stellt Cronberg hingegen einen Brief unter den Adressaten Sickingen, wird damit m.E. 114 115 116 117 118

Vgl. ebd., S. 4. Ebd., S. 3. Vgl. ebd., S. 3–5. Ebd., S. 5 (auch das vorhergehende Zitat). Vgl. ebd., S.6.

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primär eine andere Gruppe angesprochen, die Ritterschaft, da es sich bei Sickingen um einen Standesgenossen handelt. Daher kommen hier auch Aspekte, die die Ritterschaft betreffen, in den Blick. Implizit bietet das Eintreten für Luther und die Reformation nach Cronberg auch den Rittern die Möglichkeit, ihre politische Situation zu verbessern, indem sie sich der geistlichen Güter bemächtigen. Wieder sei hier an Cronbergs Sichtweise auf Sickingens Fehde gegen Trier erinnert. Cronberg verbindet damit ein ritterschaftliches Anliegen, die Wahrung der Eigenständigkeit, mit den Gedanken des Evangeliums.119 Ein Vorbild kann m.E. in Luthers Adelsschrift gesehen werden. Auch sie sprach in ihrem Titel ausdrücklich den Adel an und machte die Reformation für diesen politisch attraktiv.120 Cronbergs Aussagen in seinem Sendbrief an Sickingen können daher als Interpretation der Adelsschrift verstanden werden. Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung ist beiden Schriften gemeinsam, dass Cronberg darin für das sofortige Handeln für das Evangelium aufruft und für dessen Annahme wirbt. Daraus ergeben sich konkrete Handlungsforderungen gegenüber dem Papst und der Geistlichkeit. Da diese weiterhin die Wahrheit des Evangeliums verdunkeln würden, müsse gegen sie vorgegangen werden. Ein antiklerikaler Ton durchzieht beide Schriften, jedoch ist er in dem Sendbrief an Sickingen stärker ausgeprägt. 4. ZUSAMMENFASSUNG Die reformatorische Bewegung hat auch in der Ritterschaft Anhänger gefunden, die öffentlich für die Luthersache eintraten. Cronberg ist hier zwar nur ein Beispiel. Auch andere Ritter traten öffentlich in Flugschriften in Erscheinung, so z.B. Hans Landschad von Steinach oder Wilhelm von Isenburg. Cronbergs Produktivität überragt die der anderen Akteure aber deutlich. Das Handeln Cronbergs geschah m.E. aus persönlicher Überzeugung und aus einer Glaubenshaltung heraus, nicht aus Kalkül. Dennoch können, wie das Beispiel der geistlichen Güter gezeigt hat, auch ritterschaftliche Anliegen von ihm mitgedacht werden. Es geht ihm aber primär um die existentielle Frage des Heils. Er ist erfasst von der Lehre Luthers, vor allem vom Priestertum aller Gläubigen und von der aus dem Evangelium gewonnenen Rechtfertigung allein aus Gnaden. Als Richtschnur gilt ihm nur noch das Evangelium. An diesem sei alles zu prüfen, auch das Verhalten des geistlichen Standes. Ausdrücklich spricht er diese Urteilsfähigkeit den Laien als Träger des Evangeliums zu. Diese Erkenntnis trieb ihn zum Handeln und vor allem zum Schreiben an und ließ ihn zu einem der produktivsten ritterschaftlichen Flugschriftenautoren in den frühen Jahren der Reformation werden.

119 Auch nach 1522 wurde diese Forderung weiter von ihm aufrechterhalten, jedoch modifiziert, indem er die Gewaltforderung abmilderte. Vgl. Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9), S. 315f. 120 Vgl. Kaufmann, Franz von Sickingen (wie Anm. 25), S. 49–56, hier S. 52, vgl. auch Thiessen, Noblesʼ Reformation (wie Anm. 9), S. 312.

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Hartmuth von Cronberg ist damit ein Beispiel dafür, dass den Laien in den Anfangsjahren der Reformation für deren Verbreitung und Durchsetzung eine bedeutende Rolle zukam. Durch die Aussagen in Luthers Adelsschrift geleitet, erhob er, wie viele andere, seine Stimme. Die Laien machten sich daran, das Kirchenwesen zu verändern. Dass Cronberg nach 1525 nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten ist, bedeutet nicht, dass er einen Wandel vollzogen hätte. Er konzentrierte sich danach darauf, seinen Besitz wieder zurückzuerlangen, was sich noch 16 Jahre hinziehen sollte. Den Überzeugungen, die ihn 1521 zur Feder greifen ließen, ist er, das zeigen seine zahlreichen Kontakte nach Wittenberg und Straßburg, aber über die Jahre hinweg treu geblieben.

VERBUM DOMINI MANET IN AETERNUM Ritterschaft und Reformation im Umkreis des Kraichgaus Kurt Andermann Über dem Tor des Schlosses zu Königsbach im äußersten Südwesten des Kraichgaus prangt das Allianzwappen Venningen-Frundsberg und darüber der Vers Jesaja 40,8: „VERBUM DOMINI [M]ANET IN ETERNUM“1 – Wahlspruch Kurfürst Friedrichs des Weisen von Sachsen (†1525)2 und Herzog Christophs von Württemberg (†1568),3 Appell auf zahlreichen Kirchenglocken,4 Mahnung an der Turmuhr der Schwarzen Kirche im siebenbürgischen Kronstadt (Mitte 16. Jahrhundert)5 sowie als Bekenntnis auf der Hofkleidung und als Drohung auf Prunkwaffen des sächsischen Kurfürsten.6 Auf diese zu seiner Zeit nachgerade provozierende Art bekannte sich als entschiedener Lutheraner der Ritter Erasmus von Venningen (†1589), Herr zu Königsbach und Neidenstein, auf mehreren Reichstagen Vertreter der Kraichgauer Ritterschaft.7 Ämter und Würden in der pfälzischen Territorialverwaltung und am Heidelberger Hof gaben ihm großes Ansehen und politischen Einfluss. Unter Kurfürst Ottheinrich, der in der Kurpfalz endgültig die Reformation einführte,8 stieg 1 2 3

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Renate Neumüllers-Klauser: Die Inschriften des Enzkreises bis 1650 (Die Deutschen Inschriften 22 – Heidelberger Reihe 8). München 1983, Nr. 258. Ingetraut Ludolphy: Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen 1463 bis 1525. Leipzig 2007, S. 383. Felix Heinzer: Klosterreform und mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten (Mittellateinische Studien und Texte 39). Leiden 2008, S. 141; Eberhard Fritz: Herzog Christoph von Württemberg (1515–1568). In: Siegfried Hermle (Hg.): Reformationsgeschichte Württembergs in Porträts. Holzgerlingen 1999, S. 227–253. 1541 ev. Stiftskirche in Stuttgart, 1542 ev. Marien-Kirche in Oldendorf (Westfalen), 1547 ev. Alexander-Kirche in Oerlinghausen (Lippe), 1548 ev. Kirche in Wolframs (Kostelec, Tschechien), 1554 ev. St. Marien-Kirche in Rostock, 1555 ev. Kirche in Eberswalde (Uckermark), 1556 ev. St. Vincentius-Kirche in Husby (Schleswig), 1569 ev. St. Niklas-Kirche in Ehrenfriedersdorf (Sachsen), 1570 ev. Stephanus-Kirche in Deilinghofen (Sauerland), 1574 ev. MariaMagdalenen-Kirche in Fulkum (Ostfriesland), 1596 ev. Kirche in Niebel (Brandenburg) – die Beispiele, die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben, wurden am 24. Dezember 2014 im Internet ermittelt. http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kronstadt,_verbum_domini_manet_in_aeternum_1. jpeg (29.10.2014). Yvonne Fritz: Von Einheit und Widerstand. „V.D.M.I.AE.“ als Devise im Ringen um den rechten Glauben. In: Churfürstliche Guardie. Die sächsischen Kurfürsten und ihre Leibgarden im Zeitalter der Reformation, hg. von der Rüstkammer, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, dem Landkreis Nordsachsen und der Großen Kreisstadt Torgau. Dresden 2012, S. 19–22. Meinhold Lurz: Die Freiherren von Venningen (Heimatverein Kraichgau, Sonderveröffentlichung 17). Sinsheim 1997, S. 771–776. Eike Wolgast: Die reformatorische Bewegung in der Kurpfalz bis zum Regierungsantritt Ott-

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er über das wichtige Amt eines Vogts zu Heidelberg bis zum Hofrichter der Pfalz auf, musste indes 1561 unter dem calvinistisch gesinnten Kurfürsten Friedrich III. aus konfessionellen Gründen seinen Abschied nehmen.9 Verheiratet war er mit Siguna von Frundsberg, einer Tochter des legendären Landsknechtsführers und dessen zweiter Gemahlin Anna von Lodron, ebenfalls einer in der Wolle gefärbten Lutheranerin.10 1551, als Erasmus von Venningen sein und seiner Ehefrau lutherisches Bekenntnis für jedermann sichtbar außen über dem Tor seines Schlosses in Königsbach anbringen ließ, bedurfte es dazu einigen Muts. Nur wenige Jahre davor hatte die protestantische Sache im Schmalkaldischen Krieg eine verheerende Niederlage erlitten, und auf dem Höhepunkt seiner Macht setzte Kaiser Karl V. beim sogenannten Geharnischten Reichstag in Augsburg 1548 das protestantischerseits abgelehnte Interim durch. Die neuerliche Wende des Kurfürsten Moritz von Sachsen, der rettende Passauer Vertrag von 155211 und der die Wogen glättende Augsburger Religionsfrieden von 155512 waren damals noch nicht vorherzusehen. Einen evangelischen Prediger setzte Erasmus von Venningen in seinem Dorf Königsbach, dessen Pfarrei dem Benediktinerinnenkloster Frauenalb inkorporiert war, freilich erst 1554 ein.13 Auch war er im Kraichgau bei weitem nicht der einzige und schon gar nicht der erste Anhänger Luthers. Vielmehr hatten die Lehren des Reformators aus Mitteldeutschland im Ritteradel der Landschaft zwischen Odenwald und Schwarzwald schon seit Beginn der 1520er Jahre eine starke Resonanz gefunden und wurden von der hierzuland besonders zahlreichen Ritterschaft in ihren Miniaturherrschaften auch sogleich umgesetzt. Das alles ist längst bekannt und hat in der Forschungsliteratur vielfachen Niederschlag gefunden.14 Im Folgenden

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heinrichs 1556. In: Udo Wennemuth (Hg.): 450 Jahre Reformation in Baden und Kurpfalz (Veröffentlichungen zur badischen Kirchen- und Religionsgeschichte 1). Stuttgart 2009, S. 25–44. Volker Press: Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559 bis 1619 (Kieler historische Studien 7). Stuttgart 1970, S. 82, 207f. und 231f. Friedrich Zoepfl: Frundsberg, Georg von. In: Neue Deutsche Biographie Bd. 5. Berlin 1961, S. 670f.; Reinhard Baumann: Georg von Frundsberg. Der Vater der Landsknechte und Feldhauptmann von Tirol. Eine gesellschaftsgeschichtliche Biographie. München 1984; Reinhard Baumann: Anna von Lodron. Ein adeliges Frauenleben in der Reformationszeit (SchlernSchriften 365). Innsbruck 2015; Detlev Schwennicke: Europäische Stammtafeln. Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten, Neue Folge Bd. 16: Bayern und Franken. Berlin 1995, Tfl. 12. Volker Henning Drecoll: Der Passauer Vertrag (1552). Einleitung und Edition (Arbeiten zur Kirchengeschichte 79). Berlin u.a. 2000. Heinz Schilling/Heribert Smolinsky (Hg.): Der Augsburger Religionsfriede 1555 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 206). Gütersloh 2007. Moritz Gmelin: Urkundenarchiv des Klosters Frauenalb. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 25 (1873), S. 321–388, hier S. 3484-387. Martin Brecht: Die deutsche Ritterschaft und die Reformation. In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte 37/38 (1970/71), S. 302–312; Martin Brecht: Die Bedeutung der Herren von Gemmingen für die Reformation im pfälzisch-fränkischen Bereich. In: Württembergisch Franken 58 (1974), S. 109–119; Dieter Frhr. Göler von Ravensburg: Geschichte der Reformation im Kraichgau. In: Kraichgau. Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung 5 (1977), S. 83– 103; Bernd Röcker: Reichsritterschaft und Reformation – die Bedeutung der Herren von Gemmingen für die Ausbreitung der Reformation im Kraichgau. In: Kraichgau. Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung 8 (1983), S. 89–106; Martin Brecht/Hermann Ehmer: Südwest-

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sei daher weniger die vor allem von Martin Brecht und Hermann Ehmer schon wiederholt präsentierte theologisch-prosopographische Sicht auf die Reformation im Kraichgau gewählt, als vielmehr – der zentralen Fragestellung dieses Bandes entsprechend – eine primär ritteradlig-sozial- und verfassungsgeschichtliche. Seit dem 14. Jahrhundert hatte der kurfürstliche, von 1400 bis 1410 tatsächlich königliche und danach weiterhin quasikönigliche Hof der Pfalzgrafen in Heidelberg auf den Adel der Region eine besonders große, weit und breit unübertroffene Attraktivität;15 die Domkapitel von Speyer und Worms waren faktisch „Filialhöfe“ des Pfälzers.16 So kann es nicht wundernehmen, wenn verschiedentlich nachgeborene, für den geistlichen Stand bestimmte Söhne adliger Familien an der Heidelberger Universität studierten,17 und es mag daher wohl sein, dass unter den Zuhörern, die am 26. April 1518 in der Heidelberger Artistenfakultät Martin Luthers Disputation erlebten, sich auch der eine oder andere Kraichgauer Adelsspross befand. Aber unabhängig davon, ob Angehörige der Ritterschaft persönlich zugegen waren, war Luthers Heidelberger Disputation für die Rezeption der Reformation im Kraichgau und weit darüber hinaus gewissermaßen die Initialzündung,18 jedenfalls kam die weitaus überwiegende Mehrzahl, der reformatorischen Prediger, die bald darauf im Kraichgau und anderwärts in Südwestdeutschland wirkten, von der Universität Heidelberg, und es ist anzunehmen, dass sie durch das dort eindrucksvoll Erlebte für Luther und die Reformation gewonnen wurden, darunter Martin Bucer aus Schlettstadt, Johannes Brenz aus Weil der Stadt, Erhard Schnepf aus Heilbronn, Martin Frecht aus Ulm, Franciscus Irenicus aus Ettlingen und Theobald Billican aus dem südlichen Speyergau.19

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deutsche Reformationsgeschichte. Zur Einführung der Reformation im Herzogtum Württemberg 1534. Stuttgart 1984, S. 386–389; Hermann Ehmer: Die Kraichgauer Ritterschaft und die Reformation. In: Stefan Rhein (Hg.): Die Kraichgauer Ritterschaft in der frühen Neuzeit (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 3). Sigmaringen 1993, S. 173–195; Klaus Gassner: So ist das Creutz das recht Panier. Die Anfänge der Reformation im Kraichgau. Ubstadt-Weiher 1994; Gerhard Kiesow: Von Rittern und Predigern. Die Herren von Gemmingen und die Reformation im Kraichgau. Ubstadt-Weiher 1997; Kurt Andermann: Ritterschaft und Konfession. Beobachtungen zu einem alten Thema. In: Kurt Andermann/Sönke Lorenz (Hg.): Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 56). Ostfildern 2005, S. 93–104; Hermann Ehmer: Die Reformation in Schwaigern. Kraichgauer Ritter als Vorkämpfer der Lehren Martin Luthers. In: Kurt Andermann (Hg.): Neipperg. Ministerialen, Reichsritter, Hocharistokraten (Kraichtaler Kolloquien 9). Epfendorf 2014, S. 95–113. Kurt Andermann: Die Integration des Ritteradels in den pfälzischen Hof. In: Jörg Peltzer/Bernd Schneidmüller/Stefan WeinfurterAlfried Wieczorek (Hg.): Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte? Regensburg 2013, S. 231–244. Gerhard Fouquet: Das Speyerer Domkapitel im späten Mittelalter (ca. 1350–1540). Adlige Freundschaft, fürstliche Patronage und päpstliche Klientel (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 57), 2 Bde. Mainz 1987; Johann Friedrich Schannat: Historia episcopatus Wormatiensis, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1734, hier Bd. 1, S. 73–108. Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 175, Anm. 11. Wolgast, Reformatorische Bewegung (wie Anm. 8), S. 28f. Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 174–176; Ehmer, Reformation in Schwaigern (wie Anm. 14), S. 97.

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Was freilich die Heidelberger akademische Jugend begeisterte, traf bei den Fürsten der Region zunächst noch auf mehr oder minder starke Vorbehalte.20 Mit Rücksicht auf seine dynastischen Interessen wollte der Pfälzer Kurfürst es sich weder mit dem Kaiser noch mit dem Papst verderben und schwankte noch auf lange Sicht zwischen Ablehnung und Zweideutigkeit.21 Der Markgraf von Baden verhielt sich, da er aufgrund der neuen Lehre eine Erosion der kirchlichen und in deren Folge eine Erschütterung der politischen Ordnung befürchtete, zunächst ebenfalls ablehnend.22 Württemberg stand, nachdem 1519 der Schwäbische Bund den ungestümen Herzog Ulrich vertrieben hatte, seit 1520 unter habsburgischer Herrschaft und blieb daher der Reformation ohnehin verschlossen.23 Im Hochstift Speyer wurde zwar der Weihbischof Anton Engelbrecht 1524 evangelisch, jedoch verhielt sich der Diözesanbischof und Landesherr Pfalzgraf Georg entsprechend seinem kurfürstlichen Bruder in Heidelberg abwartend, und gleiches gilt für den Wormser Bischof Heinrich, ebenfalls ein Bruder des Pfälzer Kurfürsten.24 Der Bauernaufstand von 1525 schien die fürstlichen Vorbehalte gegenüber kirchlichen Neuerungen nur zu bestätigen. Allein die Reichsstädte spielten in der frühen Ausbreitung der Reformation eine große Rolle, darunter namentlich Schwäbisch Hall, Weil der Stadt, Heilbronn und Wimpfen; jedoch durften auch sie den auf der Durchsetzung des Wormser Edikts insistierenden Kaiser nicht über Gebühr provozieren, zumal dieser respektive sein nicht minder romtreuer Bruder Ferdinand ihnen als Landesherren Württembergs seit 1520 territorial bedrohlich nah gerückt waren.25 Eigene Wege ging der Ritteradel. Im Kraichgau, in den Schütterzonen zwischen und im Gemenge mit den fürstlichen Territorien, saß eine zahlreiche Ritterschaft, deren herrschaftliche Miniaturgebilde im Übergang vom hohen zum späten Mittelalter durch den Ausfall der Reichsgewalt einerseits und verschiedener regionaler Herrschaftsträger andererseits entstanden waren und die sich begünstigt durch die Konkurrenz unter den benachbarten Großen einer weitgehenden Autonomie erfreuen konnten.26 Bedroht wurde diese Autonomie seit dem ausgehenden 15. Jahr20 21 22 23 24 25 26

Anton Schindling/Walter Ziegler (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und der Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500 bis 1650, Bd. 5: Der Südwesten (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 53). Münster i.W. 1993. Wolgast, Reformatorische Bewegung (wie Anm. 8), S. 29–39. Armin Kohnle: Die Einführung der Reformation in der Markgrafschaft Baden. Eine Bestandsaufnahme nach 450 Jahren. In: Wennemuth, 450 Jahre Reformation (wie Anm. 8), S. 45–74, hier S. 48–52. Brecht/Ehmer, Südwestdeutsche Reformationsgeschichte (wie Anm. 14), S. 89–96. Wolgast, Reformatorische Bewegung (wie Anm. 8), S. 33. Brecht/Ehmer, Südwestdeutsche Reformationsgeschichte (wie Anm. 14), S. 61–84; Bernd Möller: Die Reformation in den Städten. In: Wennemuth, 450 Jahre Reformation (wie Anm. 8), S. 9–24. Meinrad Schaab: Die Ministerialität der Kirchen, des Pfalzgrafen, des Reiches und des Adels am unteren Neckar und im Kraichgau. In: Friedrich Ludwig Wagner (Hg.): Ministerialität im Pfälzer Raum (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 64). Speyer 1975, S. 95–121; Hans-Georg Hofacker: Die schwäbischen Reichslandvogteien im späten Mittelalter (Spätmittelalter und frühe Neuzeit 8). Stuttgart 1980; Kurt Andermann: Der Kraichgau – eine Landschaft dazwischen. In: Kurt Andermann/Christian Wie-

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hundert nicht allein durch die allenthalben zunehmende territoriale Verdichtung,27 sondern auch durch den seitens der fürstlichen Stände betriebenen Wandel in der Reichsverfassung, der mit dem Verbot der herkömmlichen bewaffneten Selbsthilfe und mit der bis dato unerhörten Forderung einer allgemeinen Reichssteuer die hergebrachte Eigenständigkeit der Ritterschaft massiv in Frage stellte.28 Derart bedrängt, besann man sich im Ritteradel auf schon früher bewährte Formen der Vergesellschaftung und des Einungswesens,29 so vor allem mit dem Landauer Rittertag vom August 1522, auf dem der allseits bewunderte Franz von Sickingen zum Hauptmann des Adels um Mittel- und Oberrhein gewählt wurde.30 Und angesichts der allgemeinen Unsicherheit erscheint es auch nur folgerichtig, wenn freiheitliches Gedankengut, wie Luther es bereits 1518 in Heidelberg geäußert und 1520 mit seiner Schrift ‚Von der Freiheit eines Christenmenschen‘ neuerlich besonders eindrucksvoll verbreitet hatte, bei der in puncto Unmittelbarkeit hochsensiblen Ritterschaft auf fruchtbaren Boden fiel. Die von ihr auf politischem Gebiet beanspruchte Autonomie fand in der von Martin Luther dem gläubigen Christenmenschen verheißenen Unmittelbarkeit zu Gott – sola gratia, sola fide, sola scriptura – eine scheinbar logische Entsprechung auf dem Gebiet der Religion. Das war ein schlüs-

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land (Hg.): Der Kraichgau. Facetten der Geschichte einer Landschaft (Kraichtaler Kolloquien 6). Epfendorf 2008, S. 11–25. Peter Moraw: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490. Berlin 1985; A. Gustav Kolb: Die Kraichgauer Ritterschaft unter der Regierung des Kurfürsten Philipp von der Pfalz. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte Neue Folge 19 (1910), S. 1–154; Volker Press: Die Ritterschaft im Kraichgau zwischen Reich und Territorium 1500 bis 1623. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 122 (1974), S. 35–98; Kurt Andermann: Zwischen adliger Herrschaft, fürstlichem Dienst und drohender Landsässigkeit. Die Vettern Engelhard und Wilhelm von Neipperg. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 146 (1998), S. 159–196. Peter Schmid: Der Gemeine Pfennig von 1495. Vorgeschichte und Entstehung, verfassungsgeschichtliche, politische und finanzielle Bedeutung (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 34). Göttingen 1989, S. 399–407; Ingrid Scheurmann (Hg.): Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht 1495 bis 1806 [Ausstellungskatalog]. Mainz 1994; Dieter Mertens: Der Wormser Reichstag von 1495 und seine Auswirkungen. In: Peter Schiffer (Hg.): Aufbruch in die Neuzeit. Das nördliche Württemberg im 16. Jahrhundert (Forschungen aus Württembergisch Franken 53). Ostfildern 2012, S. 13–21; Christian Wieland: Nach der Fehde. Studien zur Interaktion von Adel und Rechtssystem am Beginn der Neuzeit. Bayern 1500 bis 1600 (Frühneuzeit-Forschungen 20). Epfendorf 2014. Konrad Ruser: Zur Geschichte der Gesellschaften von Herren, Rittern und Knechten in Süddeutschland während des 14. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 35/35 (1975/76), S. 1–100; Andreas Ranft: Adelsgesellschaften. Gruppenbildung und Genossenschaft im spätmittelalterlichen Reich (Kieler Historische Studien 38). Sigmaringen 1994, hier v.a. S. 179–182; Kurt Andermann: Das alte Herkommen bewahren. Zur Situation des Ritteradels in Südwestdeutschland am Ende des Mittelalters. In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 82 (2015), S. 215–233. Ernst Münch: Franz von Sickingens Thaten, Pläne, Freunde und Ausgang, 3 Bde. Stuttgart und Tübingen 1827–1829, hier Bd. 2, S. 188–193; Karl Schottenloher: Flugschriften zur Ritterschaftsbewegung des Jahres 1523 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 53). Münster 1929, S. 30–37.

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siges Konzept, das im Ritteradel umso bereitwilliger rezipiert worden sein dürfte, je tiefer von Fall zu Fall die bereits davor gelebte Frömmigkeit war. Ein gutes Beispiel dafür bieten die von Gemmingen zu Guttenberg.31 Dieser Ast eines schon im 14. Jahrhundert weitverzweigten Geschlechts war besonders wohlhabend und seit 1449 im Besitz der stattlichen, ehedem weinsbergischen Burg Guttenberg über dem Neckar.32 Die im ausgehenden Mittelalter allgemein zu beobachtende Heilssehnsucht und Heilsangst findet bei den Guttenberger Gemmingen ihren Ausdruck nicht allein in den üblichen Seelgerätstiftungen,33 sondern darüber hinaus in einer Vielzahl von frommen Werken,34 in der Teilhabe an mehreren klösterlichen Gebetsgemeinschaften,35 in der Gründung einer Pfarrei36 samt üppiger künstlerischer Ausstattung der dazugehörigen Kirche37 sowie nicht zuletzt – bereits 1512 – in der Stiftung einer Prädikaturpfründe am Stammort Gemmingen, deren Inhaber von allen sonstigen, ihn von seinem Predigtauftrag ablenkenden Geschäften in Pfarrei und Landkapitel ausdrücklich befreit sein sollte.38 Als 1522 der in der Nachfolge Johannes Oekolampads in Weinsberg predigende Lutheraner Erhard Schnepf39 von der damals österreichischen Landesherrschaft in Württemberg vertrieben wurde, fand er Zuflucht bei Dietrich von Gemmingen (†1526) auf Burg Guttenberg und wirkte dort als evangelischer Pfarrer, bis er im Jahr darauf ins be-

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Carl Wilhelm Friedrich Ludwig Stocker: Chronik der Familie von Gemmingen und ihrer Besitzungen, 3 Bde. Heidelberg und Heilbronn 1865–1880, hier Bd. 1; Carl Wilhelm Friedrich Ludwig Stocker: Familien-Chronik der Freiherren von Gemmingen. Heilbronn 1895, hier S. 49– 75; Kiesow, Von Rittern und Predigern (wie Anm. 14). G. Ulrich Grossmann/Hans-Heinrich Häffner: Burg Guttenberg am Neckar (Burgen, Schlösser und Wehrbauten in Mitteleuropa 16). Regensburg 2007; Kurt Andermann: Guttenberg über dem Neckar. In: Werner Paravicini (Hg.), Jan Hirschbiegel/Anna Paulina Orlowska/Jörg Wettlaufer (Bearbb.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich: Grafen und Herren (Residenzenforschung 15,IV), 2 Bde. Ostfildern 2012, hier Bd. 2, S. 1637f. Generallandesarchiv Karlsruhe N Mone 47 fol. 128–132. Kurt Andermann: Die Urkunden des Freiherrlich von Gemmingen’schen Archivs auf Burg Guttenberg über dem Neckar (Regesten) 1353 bis 1802 (Heimatverein Kraichgau e.V., Sonderdruck 6). Sinsheim 1990, Nr. 50 (1491) und 56 (1497); Staatsarchiv Darmstadt A1 Nr. 241/348 (1495); Stadtarchiv Bad Wimpfen, Ukunden Nr. 174 (1512). Andermann, Urkunden Gemmingen Guttenberg (wie Anm. 34), Nr. 18 (1441); Kurt Andermann: Die Urkunden der Freiherrlich von Gemmingen’schen Archive aus Gemmingen und Fürfeld. Regesten 1331 bis 1849 (Heimatverein Kraichgau e.V., Sonderveröffentlichung 37). Ubstadt-Weiher 2011, Nr. 256 (1446). Andermann, Urkunden Gemmingen Guttenberg (wie Anm. 34), Nr. 37 (1469). Kiesow, Von Rittern und Predigern (wie Anm. 14), S. 34–36; Regine Wagenblast: Die Burgkirche Guttenberg und deren mittelalterliche Ausstattung. Beispiel einer heute evangelischen Pfarrkirche mit ihren vorreformatorischen Bildwerken, vor allem der Tonapostel aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. In: Württembergisch Franken 83 (1999), S. 65–178; Hans Ottomeyer/Hans-Jörg Czech: Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen [Katalog des Deutschen Historischen Museums in Berlin]. Berlin 2007, S. 34f. Andermann, Urkunden Gemmingen und Fürfeld (wie Anm. 35), Nr. 48–56 (1512/14). Hermann Ehmer: Erhard Schnepf. Ein Lebensbild. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 87 (1987), S. 72–126; Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 179; Kiesow, Von Rittern und Predigern (wie Anm. 14), S. 51f.

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nachbarte Wimpfen berufen und von Kaspar Gräter40 abgelöst wurde. Inhaber der Prädikaturpfründe in Gemmingen, bei Dietrichs Bruder Wolf (†1555), war zum Ärger des Speyrer Domkapitels, dem das Patronatsrecht über die dortige Pfarrei zustand, bereits seit 1521 Bernhard Griebler,41 auf den später Franciscus Irenicus42 folgte, und bei Philipp (†1544), dem dritten der gemmingischen Brüder, predigte, ebenfalls seit 1521, in Fürfeld Martinus Germanus.43 David Chytraeus zufolge war Dietrich von Gemmingen zu Guttenberg unter den Kraichgauer Rittern der allererste, der sich vielerlei Schwierigkeiten zum Trotz (inter varias difficultates, minas et insidias hostium) zu der neuen Lehre (veram Evangelii doctrinam) bekannte und nach allen Seiten entsprechende Verbindungen pflegte.44 So war es auch nur folgerichtig, dass er, als in der reformatorischen Bewegung das Abendmahlsverständnis kontrovers diskutiert wurde, auf Weihnachten 1525 die Kontrahenten, darunter Johannes Brenz, zu einem Religionsgespräch auf seine Burg einlud, aber schließlich kam die erhoffte Versöhnung doch nicht zustande, unter anderem weil Martin Bucer, Wolfgang Capito und andere Straßburger witterungsbedingt absagen mussten und sich durch den Heidelberger Humanisten Simon Grynaeus45 vertreten ließen.46 Rund ein Vierteljahrhundert nach Dietrich von Gemmingens Tod ließ sein Sohn Philipp dem Vater ein Grabdenkmal errichten, dessen Inschrift den Verstorbenen als frommen, ehrliebenden und gottesfürchtigen Mann, als „libhaber gotlichs wortz und fürderer ewangelischer cristlicher ler“47 rühmt. Entsprechende Grabinschriften wurden auch für Weirich von Gemmingen-

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Heinrich Fausel: Gräter, Kaspar. In: Neue Deutsche Biographie, Bd. 6 (1964), S. 717; Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 179. Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 180; Kiesow, Von Rittern und Predigern (wie Anm. 14), S. 52. Günther Cordes: Franciscus Irenicus aus Ettlingen. Aus dem Leben eines Humanisten und Reformators. In: Alfons Schäfer (Hg.): Festschrift für Günther Haselier (Oberrheinische Studien 3). Karlsruhe 1975, S. 353–371; Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 180; Kiesow, Von Rittern und Predigern (wie Anm. 14), S. 74–76. Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 180; Kiesow, Von Rittern und Predigern (wie Anm. 14), S. 53. David Chytraeus: De Creichgoia. Faksimile der Ausgabe Wittenberg 1561 mit Übersetzung und Nachwort (Heimatverein Kraichgau e.V., Sonderveröffentlichung 21), hg. und übersetzt von Reinhard Düchting/Boris Körkel. Ubstadt-Weiher 1999, S. 29–31; Gerhard Fouquet: David Chytraeus und seine ‚Oratio de Creichgoia‘. In: Andermann/Wieland (wie Anm. 26), S. 27–47. Friedrich Wilhelm Bautz: Grynäus, Simon. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 2 (1990), Sp. 377. Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 180–182. Ernst Cucuel/Heinrich Köllenberger: Die Inschriften der Landkreise Mosbach, Buchen und Miltenberg (Die Deutschen Inschriften 8 – Heidelberger Reihe 3). Stuttgart 1964, Nr. 225; Rudolf Vierengel/Helmut Hartmann: Ergänzungen zu dem Inschriftenband Mosbach, Buchen und Miltenberg. In: Aschaffenburger Jahrbuch für Geschichte, Landeskunde und Kunst des Untermaingebietes 6 (1979), S. 37–125, hier S. 74.

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Michelfeld (†1548),48 einen Neffen Franz von Sickingens, für Philipp von Helmstatt (†1563)49 und für Hans Landschad von Steinach formuliert.50 Hans Landschad (†1531)51 war neben den Gemmingen gewiss einer der eifrigsten Förderer der neuen Lehre im Umkreis des Kraichgaus.52 Wiewohl akademisch nicht gebildet, war er ein eifriger Leser von Luthers Schriften und schickte selbstverfasste, mahnende Missiven sowohl an den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen (1520) als auch an den Pfälzer Kurfürsten Ludwig V. (1522). 1524 ließ er eine weitere Schrift drucken mit dem Titel ‚Ursach warumb etlich harttnickichen dem auffgehend evangelio so zuo wider sindt‘.53 Bei diesen seinen Aktivitäten stand Hans Landschad mit den Straßburger Theologen Martin Bucer54 und Otto Brunfels55 in Verbindung, und aus Straßburg kam damals auch der eigentlich im bischöflich speyrischen Lauterburg beheimatete Jakob Otter,56 der 1524 in Landschads Auftrag Neckarsteinach der Reformation zuführte. Es wären noch zahlreiche weitere Angehörige des Ritteradels im Kraichgau zu nennen, die der Reformation ebenfalls frühzeitig zugetan waren, darunter nament-

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Renate Neumüllers-Klauser/Anneliese Seeliger-Zeiss: Die Inschriften des Rhein-Neckar-Kreises (II). Ehemaliger Landkreis Mannheim, ehemaliger Landkreis Sinsheim (nördlicher Teil) (Die Deutschen Inschriften 16 – Heidelberger Reihe 6). München 1977, Nr. 285. Neumüllers-Klauser/Seeliger-Zeiss, Inschriften Rhein-Neckar-Kreis (wie Anm. 48), Nr. 280f.; Peter Beisel: Philipp von Helmstatt, ein kleiner Renaissancefürst in Bischofsheim. In: Villa Biscovesheim Neckarbischofsheim 988 bis 1988, hg. vom Verein für Heimatpflege. Neckarbischofsheim 1988, S. 107–119. Sebastian Scholz: Die Inschriften des Landkreises Bergstraße (Die Deutschen Inschriften 38 – Mainzer Reihe 4). Wiesbaden 1994, Nr. 160. Robert Irschlinger: Die Aufzeichnungen des Hans Ulrich Landschad von Steinach über sein Geschlecht. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 86 (1934), S. 205–258, hier S. 244–247; Robert Irschlinger: Zur Geschichte der Herren von Steinach und der Landschaden von Steinach. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 86 (1934), S. 421–508, hier Stammtafel 3; Friedhelm Langendörfer: Die Landschaden von Steinach. Zur Geschichte einer Familie des niederen Adels im Mittelalter und der frühen Neuzeit (Geschichtsblätter Kreis Bergstraße, Einzelschriften 1). Heppenheim a.d.B. 1971, S. 10–12; Erhard/Elisabeth Hinz: Die Wappen der Herren und der Landschaden von Steinach. Ubstadt-Weiher 2012, S. 88–90. Das Folgende nach Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 180–182, und Wolgast, Reformatorische Bewegung (wie Anm. 8), S. 31–34. Georg Berbig: Ein Brief des Ritters Hans Landschad zu Steinach an Kurfürst Friedrich den Weisen. In: Archiv für Reformationsgeschichte 2 (1904/05), S. 391–395; Gustav Adolf Benrath: Zwei Flugschriften des Reichsritters Hans Landschad von Steinach von 1522 und 1524. In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 40 (1973), S. 257–287. Matthieu Arnold: Bucer, Martin. In: Volker Leppin/Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Das LutherLexikon. Regensburg 2014, S. 125f.; Johannes Schneider: Ein Brief Martin Butzers an den Ritter Hans Landschad von Steinach über das heilige Abendmahl. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde NF 3 (1906), S. 105–116. Heinrich Grimm: Brunfels, Otto. In: Neue Deutsche Biographie, Bd. 2 (1955), S. 677f. Hermann Ehmer: Otter, Jakob. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 6 (1993), Sp. 1344f.

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lich Bernhard Göler von Ravensburg57 sowie die von Flehingen,58 von Mentzingen59 und von Neipperg;60 indes sind mit ihrem Bekenntnis selbstverständlich nicht alle so spektakulär hervorgetreten wie die Gemmingen und Hans Landschad von Steinach. Götz von Berlichingen (†1562)61 saß zwar nicht im Kraichgau selbst, war aber jenseits des Neckars ein unmittelbarer Nachbar Dietrich von Gemmingens, und auch er hat in seiner Herrschaft Hornberg die Reformation schon sehr früh eingeführt. Während seines Einlagers als Gefangener des Schwäbischen Bundes in Heilbronn in den Jahren 1519 bis 1522 hatte er den dortigen Reformator Johann Lachmann62 kennengelernt, und derart präpariert, entließ er sogleich nach seiner Rückkehr auf Burg Hornberg den bisherigen Pfarrer von Neckarzimmern, den er kurzerhand für unfähig erklärte, und ersetzte ihn durch Georg Amerbach aus Würzburg,63 der sodann in der Pfarrei Neckarzimmern die Reformation einführte.64 In seinem Testament vom August 1550 lässt Götz keinen Zweifel an seinem lutherischen Bekenntnis und verpflichtete seine Erben ausdrücklich auf die markgräflich ansbachische Kirchenordnung von 1533.65 Angesichts dessen mag Götzens spätere Beisetzung im Zisterzienserkloster Schöntal an der Jagst erstaunen. Aber selbstverständlich ist sie nicht etwa als Rückkehr zur römischen Kirche zu verstehen, sondern war, indem sie den Verstorbenen in die jahrhundertealte Tradition seiner Familie, seiner „eltern“ (Vorfahren),66 stellte – man vergegenwärtige sich die eindrucksvolle Reihe ganzfigürlicher berlichingischer Rittergrabmäler im Schöntaler Kreuzgang!67 –, allein seinem ritteradligen Selbstverständnis geschuldet.68

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Ernst A. von Göler: Bernhard Göler. Ein Ritterleben aus der Reformationszeit (Evangelischer Schriftenverein für Baden, Hausbibliothek 5). Karlsruhe 1888; Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 192. Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 183; Gassner, Creutz (wie Anm. 14), S. 74f. Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 183; Gassner, Creutz (wie Anm. 14), S. 73f. Ehmer, Die Reformation in Schwaigern (wie Anm. 14), passim. Helgard Ulmschneider: Götz von Berlichingen. Ein adeliges Leben in der deutschen Renaissance. Sigmaringen 1974; Volker Press: Götz von Berlichingen (ca. 1480 bis 1562). Vom „Raubritter“ zum Reichsritter. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 40 (1981), S. 305–326; Kurt Andermann: Götz von Berlichingen (um 1480–1562). Adliger Grundherr und Reichsritter. In: Erich Schneider (Hg.): Fränkische Lebensbilder 20. Neustadt a.d.A. 2004, S. 17–37. Hartmut Lohmann: Lachmann, Johann. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 4 (1992), Sp. 934f. Heinrich Neu: Pfarrerbuch der evangelischen Kirche Badens von der Reformation bis zur Gegenwart, 2 Bde. Lahr 1938–1939, hier Bd. 2, S. 20. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 61), S. 221f.; Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 185–188; Wolgast, Reformatorische Bewegung (wie Anm. 8), S. 29. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 61), S. 287f. Ulmschneider, Götz von Berlichingen (wie Anm. 61), S. 287. Harald Drös: Die Inschriften des Hohenlohekreises (Die deutschen Inschriften 73 – Heidelberger Reihe 16). Wiesbaden 2008, passim. Kurt Andermann: Berlichingen. Portrait der scheinbar bekanntesten Familie des fränkischen Ritteradels. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 73 (2014), S. 187–200, hier S. 194f.

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Kurt Andermann

Eine Besonderheit der ritterschaftlichen Reformation im Kraichgau war nicht zuletzt die Lateinschule in Gemmingen,69 über die freilich leider nur Fragmentarisches bekannt ist. Zum einen bringt sie den schon älteren Willen der dortigen ritteradligen Ganerben zum Ausdruck, ihren Stammsitz zur Stadt fortzuentwickeln,70 und zum anderen gibt sie einmal mehr beredtes Zeugnis vom entschieden reformatorischen Willen der Brüder Dietrich, Wolf und Philipp von Gemmingen. Dotiert mit der bereits 1512 gestifteten Prädikaturpfründe, wurde sie zunächst von Bernhard Griebler, seit 1531 von Franciscus Irenicus geleitet und hatte für den Kraichgau offensichtlich eine Mittelpunktsfunktion, die sogar auf die nahe Reichsstadt Heilbronn ausstrahlte.71 Der Kraichgauer Ritter Peter von Mentzingen ermöglichte den Söhnen seines Patronatspfarrers Matthäus Kochhaf – den späteren Humanisten und Theologen David und Nathan Chytraeus72 –, sich an der Gemminger Lateinschule auf ihre Universitätsstudien in Tübingen und Wittenberg beziehungsweise Rostock vorzubereiten. Beide Brüder wirkten später als Professoren an der Universität Rostock, David sogar als deren Rektor. Dass die Familien des Ritteradels im Kraichgau verwandtschaftlich aufs engste miteinander verflochten waren, kann nicht weiter erstaunen. Gleichwohl fällt auf, wie nah insbesondere die hauptsächlichen Protagonisten der frühen Reformation einander durch Abstammung und Verschwägerung verbunden waren, und David Chytraeus hebt diese familiäre Nähe in seiner Oratio ‚De Creichgoia‘ auch eigens hervor.73 Den Kern dieser Gruppe bildeten die Brüder Dietrich, Wolf und Philipp von Gemmingen. Dass sie einem seit langem besonders frommen Elternhaus entstammten, war Chytraeus möglicherweise gar nicht bewusst. Ihr Vater Blicker (†1515) hatte ein Kanonikat am Stift Wimpfen und ließ sich laisieren, als nach dem frühen Tod zweier älterer Brüder der Gemmingen-Guttenberger Mannesstamm zu erlöschen drohte. In der nächsten Generation schien dieselbe Gefahr neuerlich zu drohen, bevor der erhoffte Kindersegen sich schließlich einstellte. Offenbar damals stiftete die Familie in die Guttenberger Burgkapelle und Pfarrkirche einen Bildteppich, der mit Mariae Verkündigung, Mariae Heimsuchung, Christi Geburt und der Anbetung der heiligen drei Könige74 den sehnlichen Kinderwunsch Blicker von Gemmingens und seiner Ehefrau Anna Kämmerer von Worms genannt von Dalberg 69 70

71 72

73 74

Hermann Ehmer: Ländliches Schulwesen in Südwestdeutschland während der frühen Neuzeit. In: Ulrich Andermann/Kurt Andermann (Hg.): Regionale Aspekte des frühen Schulwesens (Kraichtaler Kolloquien 2). Tübingen 2000, S. 75–106, hier S. 76. Der Landkreis Heilbronn (Baden-Württemberg – Das Land in seinen Kreisen), bearb. von der Abteilung Fachprogramme und Bildungsarbeit des Landesarchivs Baden-Württemberg, hg. vom Landesarchiv Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Heilbronn, 2 Bde. Ostfildern 2010, hier Bd. 1, S. 514–518. Chytraeus, De Creichgoia (wie Anm. 44), S. 6, 25 und 30; Cordes, Franciscus Irenicus (wie Anm. 42), S. 368 f.; Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 191. Karl-Heinz Glaser/Hanno Lietz/Stefan Rhein (Hg.): David und Nathan Chytraeus. Humanismus im konfessionellen Zeitalter. Ubstadt-Weiher 1993; Karl-Heinz Glaser/Steffen Stuth (Hg.): David Chytraeus (1530–1600). Norddeutscher Humanismus in Europa. Beiträge zum Wirken des Kraichgauer Gelehrten. Ubstadt-Weiher 2000; vgl. auch Anm. 44. Chytraeus, De Creichgoia (wie Anm. 44), S. 27–30. Ottomeyer/Czech, Deutsche Geschichte (wie Anm. 37), S. 34f.

Ritterschaft und Reformation im Umkreis des Kraichgaus

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augenfällig macht. Blicker und Anna starben indes noch bevor an die Reformation zu denken war. Ob auch die Familie von Dietrichs Gemahlin Ursula von Nippenburg zum Kreis von Luthers Anhängern im Kraichgau gehörte, ist nicht bekannt, aber die Tatsache, dass ihr Vater Philipp (†1526) als Hofmeister und Erbschenk Herzog Ulrich von Württemberg nahestand, könnte darauf hindeuten.75 Übrigens war auch Hans Landschads erste, allerdings schon 1503 verstorbene Ehefrau Lucia eine Nippenburg, vielleicht sogar Ursulas Schwester.76 Auffällig ist weiterhin, dass Hans Landschads Schwester Margarethe mit Philipp Marschalk von Ostheim aus der Rhön vermählt war, und gleich zwei dieser Ehe entsprossene Töchter, Anna und Agnes, hernach die evangelisch-glaubensfesten Brüder Wolf und Philipp von Gemmingen zu Gemmingen und zu Fürfeld heirateten.77 Nach Philipp von Gemmingens Tod ehelichte Agnes Marschalk den ebenfalls verwitweten Philipp von Helmstatt, der in erster Ehe Margarethe von Neipperg hatte, eine Schwester jenes Ludwig von Neipperg, der in den 1520er Jahren an der Einführung der Reformation in Schwaigern maßgeblich beteiligt war.78 Von Dietrich von Gemmingens Kindern hatte Philipp, mit dem Beinamen der Weise, in zweiter Ehe eine Tochter des auf seinem Grabmal als standhafter Bekenner der evangelischen Lehre gerühmten Weirich von Gemmingen-Michelfeld und dessen Gemahlin Benedicta von Nippenburg zur Frau, das heißt eine Großnichte Franz von Sickingens.79 Von Dietrichs Töchtern hatte Ursula den Mosbacher Vogt Philipp von Bettendorff, einen Bruder des Wormser Bischofs Dietrich von Bettendorff (1552–1580),80 über dessen Haltung zur Reformation allerdings nichts Nähe75

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78 79 80

Beschreibung des Oberamts Ludwigsburg, hg. von dem königlichen statistisch-topographischen Bureau. Stuttgart 1859, S. 321f.; Gerhard Graf Leutrum von Ertingen: Die gräflich Leutrum’sche Frauenkirche zu Unterriexingen. Mit einem Überblick über die Geschichte des Dorfes. Stuttgart 1891, S. 148–158; Reinhold Rau: Beiträge zur Genealogie und Geschichte der Herren von Nippenburg. In: Ludwigsburger Geschichtsblätter 23 (1971), S. 7–38, hier S. 9; Willi Müller: Die Herren von – und die zu Nippenburg. In: Hie gut Württemberg. Beilage zur Ludwigsburger Kreiszeitung 32 (1981), Nr. 11/12; Anneliese Seeliger-Zeiss, Hans Ulrich Schäfer: Die Inschriften des Landkreises Ludwigsburg (Die Deutschen Inschriften 25 – Heidelberger Reihe 9). Wiesbaden 1986, S. 462–464. – Für seine Hilfe bei der Literaturbeschaffung danke ich Prof. Dr. Stephan Molitor, Ludwigsburg. Irschlinger, Aufzeichnungen (wie Anm. 51), S. 244; Scholz, Inschriften Landkreis Bergstraße (wie Anm. 50), Nr. 88, 159 und 160. Johann Gottfried Biedermann: Geschlechtsregister der reichsfrey unmittelbaren Ritterschaft Landes zu Francken löblichen Orts Rhön und Werra. Bayreuth 1749, Tfl. 340; Irschlinger, Geschichte (wie Anm. 51), Stammtafel 2; Rudolf M. Kloos: Nachlass Marschalk von Ostheim. Urkunden (Bayerische Archivinventare 38). Neustadt a.d.A. 1974, Stammtafel im Anhang; Stocker, Chronik (wie Anm. 31), Bd. 1/1, S. 82, und Bd. 1/2, S. 66; Stocker, Familien-Chronik (wie Anm. 31), S. 57 und 67. Walther Möller: Stamm-Tafeln westdeutscher Adels-Geschlechter im Mittelalter, 3 Bde. und 2 Bde. Neue Folge. Darmstadt 1922–1951, hier Bd. 3, Tfl. 134; Ehmer, Reformation in Schwaigern (wie Anm. 14), S. 108f. Stocker, Chronik (wie Anm. 31), Bd. 1/1, S. 47, und Bd. 2/1, S. 53f.; vgl. auch Anm. 48. Burkhard Keilmann: Bettendorff, Dietrich von. In: Erwin Gatz (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648. Ein biographisches Lexikon. Berlin 1996, S. 52f.

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res bekannt ist;81 Margarethe hatte Peter von Mentzingen (†1565), den Mäzen der Gebrüder Chytraeus; und Anna hatte Christoph Landschad von Steinach (†1587), einen Sohn des bereits mehrfach erwähnten Lutheraners Hans Landschad.82 Christophs Bruder Hans Blicker Landschad (†1583) war übrigens mit Anna Elisabeth, einer Tochter des evangelischen Philipp von Helmstatt, verheiratet.83 Der eingangs erwähnte Erasmus von Venningen und Bernhard Göler von Ravensburg sind in diesem verwandtschaftlichen Koordinatensystem nicht unmittelbar zu verorten, aber zum weiteren Verwandtschaftskreis der Gemmingen, Landschad und Mentzingen gehörten selbstverständlich auch sie. Überhaupt wird man davon ausgehen können, dass um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Kraichgauer Ritterschaft, deren damaligen Bestand David Chytraeus auf rund sechzig Familien schätzt,84 so gut wie ausnahmslos evangelisch war, und eben darauf ist auch zurückzuführen, dass eine Visitationskommission 1556 den adligen Amtsträgern am Heidelberger Hof und in der pfälzischen Territorialverwaltung eine für die Ausbreitung der Reformation in Kurpfalz entscheidende Rolle bescheinigte.85 Demnach könnte man die ritterschaftliche Reformation im Kraichgau im Wesentlichen für eine Familien- und Nachbarschaftsangelegenheit halten, was bei einem derart kleinräumigen Gebiet gar nicht weiter erstaunen mag und eigentlich nicht zuletzt dem typisch adligen Gruppenverhalten entspricht, zumal in einer Zeit politischer Bedrängnis. Aber es gab auch „Außenseiter“ wie Dieter von Handschuhsheim – nota bene: Ehemann von Dietrich von Gemmingens Schwester Gertrud –, der auf seinem alten Glauben beharrte und den Franz von Sickingen mit einem eigens zu diesem Zweck verfassten Sendschreiben bekehren wollte.86 Nur der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch vermerkt, dass von Dieters drei Töchtern eine mit dem nachmaligen Lutheraner Weirich von Gemmingen in Michelfeld verheiratet war und eine andere mit Sickingens ältestem Sohn Schweickard.87 Dieser familiär-konspirative, in seinem Verlauf von der territorialen Konkurrenz der benachbarten Territorien profitierende Beginn der ritterschaftlichen Reformation im Kraichgau erklärt gewiss auch, dass die neue Lehre dort nicht nur besonders früh rezipiert wurde, sondern ungeachtet mancherlei Krisen auf Dauer Bestand hatte. Im benachbarten Odenwald und Bauland, unter politisch etwas anderen 81 82 83 84 85 86 87

Wilhelm Frhr. von Bettendorff: Die ehemals reichsunmittelbaren Reichsfreiherren von Bettendorff. Nußloch 1940 (masch. Manuskript in der Bibliothek des Generallandesarchivs Karlsruhe Nk190), S. 58. Johann Gottfried Biedermann: Geschlechts-Register der reichsfrey unmittelbaren Ritterschaft Landes zu Francken löblichen Orts Ottenwald. Kulmbach 1751, Tfl. 65; Irschlinger, Geschichte (wie Anm. 51), Stammtafel 2. Möller, Stamm-Tafeln (wie Anm. 78), Bd. 3, Tfl. 134; Irschlinger, Geschichte (wie Anm. 51), Stammtafel 3. Chytraeus, De Creichgoia (wie Anm. 44), S. 22. Wolgast, Reformatorische Bewegung (wie Anm. 8), S. 37. Möller, Stamm-Tafeln (wie Anm. 78), Bd. 2, Tfl. 77; Ulrich Oelschläger: Der Sendbrief Franz von Sickingens an seinen Verwandten Dieter von Handschuhsheim. In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 37/38 (1970/71), S. 710–724. Möller, Stamm-Tafeln (wie Anm. 78), Bd. 1, Tfl. 28.

Ritterschaft und Reformation im Umkreis des Kraichgaus

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Voraussetzungen,88 wagten die ritteradligen Vettern der Kraichgauer erst nach 1555, im Schutz des Augsburger Religionsfriedens, sich offen zum Luthertum zu bekennen,89 und links des Rheins verhielt es sich nicht viel anders.90 Aber auch im Kraichgau und seiner unmittelbaren Umgebung stellten sich den lutherisch gesinnten Rittern bei ihren Reformationen allerlei Widerstände entgegen.91 Auf Druck König Ferdinands und des Pfälzer Kurfürsten musste 1527 Hans Landschad von Steinach seinen evangelischen Prediger Jakob Otter wieder entlassen.92 Wolf von Gemmingen soll Ende 1546 in Heilbronn von Kaiser Karl V. höchstselbst ermahnt worden sein, bei der katholischen Religion zu bleiben, und darauf mannhaft geantwortet haben:93 „Ob ihm wohl leid wäre, Ihre Kaiserliche Majestät als sein nächst Gott oberstes Haupt und Herrn zu betrüben oder etwas zuwider zu handeln, so wollte er doch solches eher tun, als Gott zu erzürnen und seine reine Lehre abzuschaffen“. Die Authentizität dieses nachgerade klassischen Bekenntnisses zu problematisieren erscheint müßig. Entscheidend bleibt, dass der Schmalkaldische Krieg das bis dahin Erreichte zwar vorübergehend gefährdete,94 aber nicht mehr zu revidieren vermochte. Einmal mehr bewährte sich die territoriale Gemengelage unter den Bedingungen divergierender fürstlicher Interessen.95 So wurde der Kraichgau vor allem unter dem Einfluss seiner Ritterschaft zu einer in großen Teilen evangelischen Landschaft. Zwar kehrten vom 17. bis ins 19. Jahrhundert aus allerlei Gründen viele der ritterschaftlichen Familien zum alten Glauben zurück, allen voran die Sickingen, später die Helmstatt, Venningen, Neipperg und Mentzingen,96 aber die Guttenberger Gemmingen, von denen um 1520 die Kraichgauer Reformation ihren Ausgang nahm, sind ebenso wie die Göler von Ravensburg noch heute evangelisch. Und bis zu ihrer Mediatisierung am Ende des Alten Reiches musste im Kanton Kraichgau der freien Reichsritterschaft unangesehen der Konfession zwar jeder der Ritter seine Matrikularbeiträge entrichten, ein 88 89 90 91 92 93 94 95 96

Der Neckar-Odenwald-Kreis, bearb. von der Abteilung Landesbeschreibung des Generallandesarchivs Karlsruhe, hg. von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Neckar-Odenwald-Kreis, 2 Bde. Sigmaringen 1992, hier Bd. 1, S. 77–92. Helmut Neumaier: Reformation und Gegenreformation im Bauland unter besonderer Berücksichtigung der Ritterschaft (Forschungen aus Württembergisch Franken 13). Schwäbisch Hall 1978. Paul Warmbrunn: Zwischen Gewissensentscheidung, dynastischem Denken und Machtpolitik. Facetten konfessioneller Stellungnahme des Pfälzer Adels in der frühen Neuzeit. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 108 (2010), S. 475–490. Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 191–195. Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 191f.; Wolgast, Reformatorische Bewegung (wie Anm. 8), S. 34. Stocker, Chronik (wie Anm. 31), Bd. 1/2, S. 65; vgl. auch Karl Friedrich Vierordt: Geschichte der evangelischen Kirche im Großherzogthum Baden, 2 Bde. Karlsruhe 1847–1856, hier Bd. 1, S. 365. Frhr. Göler von Ravensburg, Geschichte der Reformation im Kraichgau (wie Anm. 14), S. 102. Ehmer, Kraichgauer Ritterschaft (wie Anm. 14), S. 193f. Kurt Andermann: „...und das Katholische wächst auch“. Die Gründung des Kraichgauer Adeligen Damenstifts im Kontext der konfessionellen und sozialen Entwicklung um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. In: Kraichgau. Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung 13 (1993), S. 95–103, hier S. 98f.; Ines Peper: Konversionen im Umkreis des Wiener Hofes um 1700 (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 55). Wien u.a. 2010.

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Amt in der ritterschaftlichen Organisation, vom Ritterdirektor bis hinunter zum letzten Kanzleidiener, konnte freilich nur wahrnehmen, wer Lutheraner war.97 Verbum Domini manet in aeternum!

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Kurt Andermann: Der Reichsritterkanton Kraichgau. Grundlinien seines Bestands und seiner Verfassung. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 160 (2012), S. 291–338, hier S. 321.

DIE ELSÄSSISCHE RITTERSCHAFT UND DIE REFORMATION Marc Lienhard DIE SITUATION DER ELSÄSSISCHEN RITTERSCHAFT1 Die elsässische Ritterschaft lebte vor allem im Unterelsass, die Mehrzahl in der Umgebung Straßburgs. Im Oberelsass waren die Ritter fast alle landsässig geworden. Im Unterelsass gab es eine ganze Anzahl von Reichsrittern, deren Ahnen oder sie selbst Reichslehen oder Reichseinkünfte für geleistete Dienste oder durch Kauf erworben hatten. Zum Teil waren sie auch Lehensträger der elsässischen Territorialherren. Sie verfügten meistens über ein oder zwei Dörfer. Sie waren direkt dem Kaiser und Reich untergeordnet, mussten aber dafür bestimmte Abgaben entrichten und waren nicht auf dem Reichstag vertreten. Kennzeichnend für die elsässische Situation war, dass die Grenzen zwischen der Stadt Straßburg und dem Land fließend waren und leicht zu überschreiten, möglicherweise leichter als in anderen Regionen des Reiches. So kam es, dass etliche der elsässischen Ritter wohl über eine Herrschaft auf dem Land verfügten, aber doch in Straßburg wohnten und zum Teil als Vollbürger im Magistrat hohe politische Funktionen ausübten. Für die Zeit zwischen 1520 und 1550 trifft das zu für Hans Bock von Gerstheim, für Ludwig Böcklin von Böcklinsau, Hans und Reimbold Spender und Reinhard Wurmser von Vendenheim. Ihre Zahl war aber im Vergleich zu früheren Zeiten zurückgegangen. Andere Ritter bewohnten ein Schloss, das in ihrer Herrschaft lag, zugleich verfügten sie in Straßburg über einen Hof, in dem sie einen Teil des Jahres lebten und gegebenenfalls auch Zuflucht fanden. Sie genossen den Status von Ausbürgern. Die Stadt gewährte ihnen Schutz und Schirm, aber sie mussten dafür bestimmte Steuern entrichten. Im Jahr 1547 mussten sich auf Befehl des Kaisers die verschiedenen Reichsritter, die auf dem Land oder in Straßburg wohnten, zur unterelsässischen Reichsritterschaft zusammenschließen, deren Rechte und Freiheiten 1550 durch ein kaiserliches Privileg festgelegt wurden. Auch im Elsass war die wirtschaftliche, politische und soziale Lage der Ritter zu Beginn des 16. Jahrhunderts nicht besonders günstig. Der Aufstieg der territorialen Mächte bedrohte ihre Unabhängigkeit, wobei allerdings zu bemerken ist, dass das Elsass ein Mosaik von mehr oder weniger starken Territorialmächten war, keine von ihnen beherrschte das gesamte Gebiet. Doch auch im Elsass gab es eine Krise des Ritterturms. Ihre militärische Funktion hatten viele zugunsten von Söldnertrup1

Vgl. Alfred Overmann: Die Reichsritterschaft im Unterelsaß bis zum Beginn des dreißigjährigen Krieges. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 50 (1896), S. 570–637, und 51 (1897), S. 41–42; Philippe Dollinger: Patriciat noble et patriciat bourgeois. In: Revue d‘Alsace 90 (1950/51), S. 52–82.

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pen und durch das Aufkommen neuer Waffen eingebüßt. Die wirtschaftliche Entwicklung und das Aufkommen eines städtischen Kapitalismus verringerten ihr Einkommen. Im Bauernkrieg standen sie zwischen den Fronten. Die Stellen in der Verwaltung waren je länger je mehr gelehrten Juristen vorbehalten. Die Bemühungen des Reiches um den Landfrieden und die Vorrangstellung des römischen Rechts verdrängten immer mehr die Praxis der Fehde, die in früheren Zeiten ein Mittel war, um die Ansprüche der Ritter durchzusetzen. In Konflikt gerieten auch einige mit den kirchlichen Institutionen. Zwar boten die reichen Kapitel und ihre Pfründen, in Straßburg zum Beispiel, immer noch eine Möglichkeit, den Nachkommen eine gesicherte Existenz zu verschaffen. Zugleich gab es aber auch immer wieder Konflikte zwischen den Rittern und den Ansprüchen der kirchlichen Institutionen in den Ortschaften, über die sie verfügten, wie wir gleich sehen werden. So ist es gut zu verstehen, dass viele Ritter aufhorchten, als Luther seine Stimme erhob und an den christlichen Adel deutscher Nation appellierte, um Veränderungen in Kirche und Gesellschaft in die Hand zu nehmen. Von den vierzehn Drucken dieser Schrift in den Jahren 1520/1521 sind zwei in Straßburg erschienen, zwei in Basel und vier in Augsburg. In derselben Zeit wurde auch Luthers ‚Sermon von dem Bann‘ zweimal in Straßburg neu gedruckt. Auch damit war ein Thema angeschnitten, das die elsässischen Reichsritter beschäftigte. Sie wurden aber auch von den Schriften einiger nicht elsässischer Standesgenossen angeregt, welche sich auf irgendeine Weise Luther angeschlossen hatten und in enger Verbindung zu Straßburg standen. Hier sind vor allem Ulrich von Hutten und Hartmut von Kronberg zu nennen. Nach den ersten Kontakten mit den Straßburger Humanisten, die sich auf den ReuchlinStreit bezogen, vertieften sich die Beziehungen ab 1520. Straßburger Drucker, vorwiegend Johannes Schott, druckten die Flugschriften, die Hutten bis zu seinem frühen Tod 1523 veröffentlichte und in denen er für Luther Stellung nahm, die Exzesse der kirchlichen Machtausübung kritisierte, die Autorität der Konzile über diejenige der Päpste stellte und die Rechte des Reiches gegenüber den römischen Machenschaften gegen die evangelische Bewegung hervorhob. Er nahm Stellung für Luther, den er in einer Appellation an den Kaiser verteidigte, er widersetzte sich dem Edikt von Worms. Kurz vor seinem Tod entzweite er sich auch noch mit Erasmus. Hartmut von Kronberg, der sich 1520 der evangelischen Bewegung angeschlossen hatte, ließ einige seiner Schriften in Straßburg drucken oder wieder abdrucken. Sie nahmen auf einfache Weise Luthers Gedanken auf, betonten besonders auch die Nächstenliebe. In einer anonym erschienenen Appellation an den Magistrat von Straßburg vom Januar 1523 begrüßte Kronberg den Fortschritt des Evangeliums in der Stadt, beschwor den Niedergang des Papsttums, das das Reich unterdrücken wollte. Er bat den Rat weiterhin, Matthäus Zell, den evangelisch eingestellten Münsterpfarrer, gegen die Feinde des Evangeliums zu unterstützen.

Die elsässische Ritterschaft und die Reformation

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ZWEI AUSSERGEWÖHNLICHE RITTER: MATTHIAS WURM UND ECKHART ZUM DRÜBEL Im Unterschied zu den meisten ihrer Zeitgenossen haben diese beiden elsässischen Ritter, ähnlich wie Hutten und Kronberg, Schriften hinterlassen, die es ermöglichen, sich ein Bild von der Situation der elsässischen Ritterschaft und ihrem Verhältnis zur Reformation zu machen. 1. Matthias Wurm2 Für Matthias Wurm und seinen Bruder, die Söhne des gleichnamigen Matthias Wurm, wurde 1521 das kaiserliche Lehen, die Hälfte des Dorfs Geudertheim, erneuert. Ein jahrelanger Streit war zwischen den Brüdern Wurm und den Klosterfrauen von Sankt Nikolaus in undis von Straßburg entstanden, die auch Rechte in Geudertheim besaßen, aber der Familie Wurm tributpflichtig waren. Sie hatten die Zahlungen aus nicht bekannten Gründen eingestellt. Ihrerseits zahlten die Brüder Wurm nicht mehr die jährliche Rente von drei Gulden für ihre Schwester, die in Sankt Nikolaus in undis eingetreten war. Ein erster Prozess wurde nicht ohne Druck von verschiedenen Seiten 1522 zu Ende gebracht; der andere Prozess betreffend die Pension für die Schwester dauerte länger. Wurm wurde wegen des Vorenthalts kirchlicher Güter mit dem Kirchenbann belegt, er musste auf sein Straßburger Bürgerrecht verzichten damit die Stadt nicht mit dem Interdikt belegt wurde. Dazu nahm er Stellung in einer ersten reformatorischen Schrift: ‚Balaams Eselin. Von dem Bann: dass er umb geldschult oder andere geringe Sachen, nit mög christlich gefällt werden. Und das aller geistlicher Stand schuldig ist, der weltlichen Oberkeit zu gehorsamen, ob sie Christen wollen sein‘ (1523). Mit dieser Schrift wollte Wurm beweisen, dass der Bann eingesetzt sei, um Sünder zur Buße zu rufen, aber nicht um Geldschulden einzutreiben. Wurm versteht sich selbst als der Esel, mit Bileam ist die verblendete Geistlichkeit gemeint, und der Engel, der verbietet weiterzugehen, ist das Wort Gottes. Im selben Jahr trug er der Öffentlichkeit noch einmal seine Beschwerden vor durch eine ‚Appellation Mathis Wurmen von Geydertheim von dem ungegrundten bann, für ein frey Christlich Concilium, so nest künfftig‘. Sein zweites großes Anliegen betraf die Klostergelübde. Auch hier war er persönlich betroffen: Nach einer ersten gedruckten Schrift, ‚Ain christlich schreiben, so ain evangelischer bruder seiner schwester, einer closterjunckfrawen, zu geschicket‘, befasste er sich noch einmal mit der Frage in einem längeren Traktat: ‚Trost Clostergefangener. Grundt und ursach darumb menckglich sein kind, geschwister oder freund uß den Clöstern nemen, die jungen hynfürter darein zu kommen verhüten, und die alten so im Unglauben darin bleiben, absterben lassen, christlich mag und soll.‘ 2

Vgl. Timotheus Wilhelm Röhrich: Mittheilungen aus der Geschichte der evangelischen Kirche des Elsasses, Bd. 2. Straßburg 1855, S. 6–18; Jean Rott: De quelques pamphlétaires nobles. In: Francis Rapp, Georges Livet (Hg.): Grandes Figures de l’humanisme alsacien, Courants, Milieux, Destins. Strasbourg 1978, S. 135–144, zu Wurm S. 139–144.

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Mit Bibelversen suchte er zu beweisen, dass niemand die Keuschheit geloben könne, dass das Klostergelübde der Armut und des Gehorsams nicht nach Gottes Wort geschehe, dass man der Heiligen Glauben, aber nicht allen ihren Werken nachfolgen solle. Das Klosterwesen sei auf Sand gebaut. Nicht die selbst erfundenen Werke und selbstgemachte Pein bewirkten die Seligkeit, sondern der lebendige Glaube an Christus allein. Doch Wurms Schwester ließ sich nicht überzeugen und blieb im Kloster bis dieses aufgelöst wurde, obwohl auch sie Lutherschriften gelesen hatte, die sie aber als Neuerungen verwarf. Wurm war mit Jakob Kornkauf, dem Dorfpfarrer von Geudertheim, in Konflikt geraten. Dieser hatte auf der Kanzel die verschiedenen Vorladungen Wurms vor den Offizial bekanntgeben müssen. Er ließ wissen, dass, wenn der gebannte Ritter die Kirche betreten würde, er seine Predigt unterbrechen würde. In einer ‚Wahrhaftigen Verantwortung‘ von 1523 bestritt Wurm den Vorwurf des Pfarrers, dass er ihm das Predigen verboten habe. Da aber Kornkauf sich weiterhin über den „Deutschen Doktor“ wie er Wurm bezeichnete, beschwerte und den neuen Glauben angriff, der in Geudertheim Einzug gehalten hatte, veröffentlichte Wurm noch vier andere Schriften gegen ihn, in denen er dem schlechten Klerus das Evangelium entgegenstellte, das sich unter den Obrigkeiten der größeren Städte wie Straßburg Bahn gebrochen habe. Er wandte sich gegen die Lehren der römischen Kirche über Fasten, Beichte, Konzil, Kirchenregierung und Heiligenbilder und verwarf die Ohrenbeichte. Mit der Problematik von Glauben und Werken befasste sich die letzte Streitschrift. Gegen die Verdienstlichkeit der guten Werke, wie sie Kornkauf gepredigt hatte, bemühte sich Wurm in einem kurzen Kommentar von Jakobus 2 zu beweisen, dass „der rechte Glaube wirket Hoffnung und Liebe, die den Nächsten wiedergeltet, was Gott uns gutes, ohne Verdienst aus Gnaden gethan hat.“ Sogar zur Prädestination äußerte er sich, die er wie Luther und Augustin verstand. Von Antworten des Dorfpfarrers ist nichts bekannt. 2. Eckhart zum Drübel3 Der andere Ritter, um 1480 geboren, war Eckhart zum Drübel. Seine Ahnen, die zum niederen Adel gehörten, hatten schon im 14. Jahrhundert wichtige Funktionen in der Straßburger Stadtregierung ausgeübt. Eckhart hatte sich nach einem mehrjährigen Kriegsdienst auf sein Schloss in Hindisheim, 18 Kilometer südlich von Straßburg, zurückgezogen, das er als Reichslehen erhalten hatte. Er war auch Lehensträger des Straßburger Bischofs. In dessen Auftrag übte er die Vogtei über das stark verschuldete Kloster von Eschau aus. Von der evangelischen Bewegung erfasst, griff er 1523 zur Feder und veröffentlichte die erste seiner neun Schriften: ‚Ein demütige ermahnung an Ein gantze ge3

Dazu Röhrich, Mittheilungen (wie Anm. 2), S. 19–60; maßgeblich ist die Dissertation von Gustave Koch: Eckhart zum Drübel, témoin de la Réforme en Alsace, Biographie, textes et traductions (Travaux de la Faculté de Théologie Protestante de Strasbourg 1). Strasbourg 1989, 171 S.

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meine Christenheit […]. Da gloriam deo. Man sol in der Kirchen nitt mitt Geld umb gon.‘ Zunächst betont er: „Ich Eckhart zum Drübel bin gar nit Luther noch drieb, bin aber ein Christ und Ley“. Dann schreibt er, dass er in den verschiedenen Ländern, die er durchwandert hatte, „Dürckey, Wallachey, Rüssen, Podol etc. aber nie kein Nacion befunden noch gehört, die ihrem Gott, Hymmel, Helle, Fegfeüer und ire Seckt und Sacramenten umb Gelt achten, kauffen unn verkauffen, als wir über Gott armen Christen. Alle Ding sint verkaufft in der kristlichen Kirchen, […] derselbig Mensch, so Gelt uff den Altar tregtt sündiget inn Gott, indem er lot („lässt) sin gantzen Glauben, Hoffnung und Verdrawen, so er in Gott haben soll, als ein volkummener Krist, lath („lässt“) er sencken und vallen“. Er meint, mit Geld Gottes Barmherzigkeit erkaufen zu können. Christus und das Geld sollen nicht zusammenwohnen. „Man soll den Priesteren ire Leibs Narung noch Nodurfft un nit zu argem [zum Bösen] überflüssig geben und reichen. Das soll man aber uszwendig der Kirchen thun und inn der Kirchen soll mann nit mit Gelt umbgan.“ Als in Straßburg die evangelische Bewegung um sich griff und vom Rat unterstützt wurde, veröffentlichte Eckhart 1524 eine zweite Schrift: ‚Ein Christelich lob und Vermanung an die hochberühmpte christeliche statt Strassburg, von wegen des heyligen worts gottes, das sye (wie sye angefangen) standthafftig darbey beleybe‘. Eckhart rühmt den Ratsbeschluss vom 1. Dezember 1523, der die Predigt des Evangeliums freigegeben hatte. Er möchte als Edelmann, so schreibt er, „aus angeborener Natur und Eigenschaft so viel lieber solche christlich zierten und Tugenden bei dem Adel finden, hören und sehen, dass sie in solchen guten christlichen Werken die ersten und nit die letzten wären oder gar dahinten blieben; wie zu Christus Zeiten Herodes, Pilatus und Kaiphas getan haben. Ach der Adel soll vor und nit nachgehen in allen Tugenden, solches ist sein Amt und angeborene Natur deshalben ist und heißt er edel.“ Er beklagt, dass „etliche Kleinstädte in der Nähe das Licht der Wahrheit weder sehen noch kennen wollen; zudem auch etliche ihre christliche Burger, denen Gott die Gnade gunnt, zwingen in Turm, stöcken und pflöcken, mit Gewalt davon zwingen und dringen wöllen, das doch gar wider Gott und christlich Natur ist“. Wieder kritisiert er die Geldgier des Klerus, auch dessen Poltern und Schelten auf der Kanzel „womit sie die Leut und auch mich selbst aus der Kirche jagen und treiben. Ich höre über alle Saitenspiel das Evangelium mit fleiß und von Herzen gern, so es mit Fleiß und mit herzlicher treuer Meinung geprediget wird.“ Er ermahnt auch den Bischof von Straßburg, seinen Lehnsherren, dem Evangelium keine Gewalt anzutun. „O du frummer Luther unn steifer [tapferer] geystlicher Ritter Christi, mein besunder, lieber, christlicher Frünt, Patron und Bruder in Christo etc. Ja freilich hat er vil luther [lauter] gemacht das lange Zeit trieb ist gewesen. Wer kann in aber überwinden mit dem geistlichen Schwert der götlichen Geschrift, der trett herfür. Ich siech [sehe] noch keinen“. Eckhart macht einige praktische Vorschläge, wie zum Beispiel nur eine kaiserliche Münze in Deutschland einzuführen. Andere betreffen den Handel und das wirtschaftliche Leben. Von seinem Freund und Standesgenossen Wurm war er aufgefordert worden, auch seine beiden Töchter aus den Klöstern zu nehmen. Nach seiner Meinung soll man doch die Mönche und Nonnen, die in den Klöstern bleiben wollen, darin lassen, aber keine neuen mehr aufnehmen,

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auch die Geldwirtschaft in der Kirche austilgen und der Pfründenjagd wehren. Schließlich drückt er sein Bedauern aus, dass die Bauern so geschickt in weltlichen Dingen, aber in geistlichen Dingen so unverständig seien. Eine ausführliche Schrift hat Eckhart 1528 veröffentlicht: ‚Ein vetterliche, getruge, gute zucht, lere, und bericht, Christlich zuleben unnd sterben, an meine kynder und alle frumme Christen.‘ Er empfiehlt seinen Kindern, der Lehre der Kirche, das heißt der Straßburger Münstergemeinde, treu zu bleiben. Mehrere Stellen bringen seine evangelische Überzeugung zum Ausdruck: „Ich setz allein mein Credo und gantz Vertrawen auf sein Gnad und Verdienst, unn gar nit auff mein eygen Werck.“ Seinen Kindern empfiehlt er, die Heilige Schrift zu lesen. „Da liegt und steckt das Recht Christlich Fundament, die andern lasst fallen.“ Er bittet, dass man in seiner Sterbestunde keine Mönche, Priester, Beginen an sein Totenbett lasse und ihm auch kein Götzenbild zeige oder eine Kerze in die Hand stecke. Darüber hinaus gibt er seinen Kindern noch verschiedene praktische Ratschläge für ihr Leben. Zum Schluss rechtfertigt er sein Auftreten und dasjenige anderer Laien: Sie hätten durchaus auch das Recht, das Evangelium zu verkündigen. Neben einer „Practica“, die anonym erschienen ist, die ihm aber wohl zuzuschreiben ist und astronomische Voraussagen und Überlegungen zum ersten Glaubensartikel enthält, veröffentlichte Eckhart im Jahr 1534 sein eigenes Glaubensbekenntnis, das leider nur in Auszügen von Röhrich erhalten ist. „Ob ich als Kind getauft wurde oder wenn ich es erst in meinem Alter sein sollte, so wäre ich zufrieden“. Im Abendmahl „empfange ich Leib und Blut Christi als die wahre Nahrung meiner Seele.“ Er setzt sich für Toleranz ein und empfiehlt als einziges Fundament die Schrift. Bemerkenswert ist die letzte seiner bekannten Schriften, eine Erbauungsschrift: „Bericht und anzeyge, zu lob und eeren, und preisz Gottes, aller menschen und Creaturen, […] Hab Gott lieb vor allen dingen, so mag und würt dir nit misslingen“. Das Lob der Schöpfung kommt in dieser Schrift schön zum Ausdruck. Der zweite Teil enthält verschiedene Gebete, unter anderem Luthers Morgen- und Abendsegen. III. SCHLUSSBEMERKUNGEN UND PERSPEKTIVEN Über die Ausbildung der beiden Ritter Matthias Wurm und Eckhart zum Drübel wissen wir kaum etwas. Im Unterschied zu einem anderen Ritter, Hans Bock von Gerstheim, haben sie keine Universität besucht, aber die Publikationen der beiden machen es möglich, sich ein Bild von ihrer Bildung zu machen. Anscheinend konnten sie kaum Latein. Wurm bittet den Ortspfarrer von Geudertheim, ihm nicht lateinisch zu antworten. Geschrieben haben sie selbst nur deutsch. Von einer Verbindung mit dem Humanismus ist im Unterschied zu Hutten kaum etwas bei den beiden zu spüren. Eckhart hat sich von Erasmus distanziert. Hier ist eine Nähe zum späten Hutten festzustellen. Im Unterschied aber zu Hutten fehlt bei den beiden jede Verehrung des Reiches. Aufgefallen ist schon den Zeitgenossen ihre Belesenheit. Von Wurm heißt es, dass viele deutsche Bücher in seinem Besitz waren. Der Dorfpriester Kornkauf

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verargt es ihm, dass er die „deutschen Bücher“ lese. Niemand sonst in Geudertheim habe so viele Bücher wie Wurm und das sei gegen des Kaisers Mandat von Worms. Die Schriften von Wurm und Eckhart geben auch Auskunft über den Weg der beiden Ritter zur Reformation. Am Anfang stand die Kritik an der Simonie, also am Haschen nach Geld in der Kirche und an der Käuflichkeit der geistlichen Güter oder Pfründen. Hinzu kamen bei Wurm Konflikte mit kirchlichen Institutionen. Es stellte sich die Frage des Banns, von dem Wurm persönlich betroffen war. Auch die Frage des Mönchtums hatte für die beiden Ritter eine persönliche Relevanz. Hinzuweisen ist auch auf die Bibellektüre der beiden Ritter und die persönliche Lektüre von Lutherschriften. Auffallend ist, wie die beiden mit Bibelzitaten argumentieren. Ihre Ausführungen sind eng verwandt mit Luthers Gedanken. Das trifft auch auf den einen oder anderen Ritter zu, wie zum Beispiel Hans Bock von Gerstheim, von dem es heißt, dass er ein eifriger Leser theologischer Bücher gewesen sei. Besonders auffallend und wohl einzigartig für die elsässische Ritterschaft sind die theologischen Ausführungen von Wurm und Eckhart. Wer von den anderen Rittern dachte schon daran, sich über die Rechtfertigung oder gar über die Prädestination zu äußern? Das konfessionelle Profil der Ritter ist noch wenig untersucht und auch nicht immer klar zu erkennen. Auch bei Eckhart zum Drübel bleiben Fragen offen. Er musste sich verteidigen, weil er seine Kinder nicht als Säuglinge taufen ließ. Er vertrat die Meinung, dass Christus keinen Unterschied zwischen einem Säugling und einem zehnjährigen Kind macht.4 Den Täufern gegenüber scheint er Abstand zu wahren. „Die täufer vermeinen ihre heiligkeit in dem vor der welt zu beweisen, wenn sie niemand grüßen, danken und wie stettige, unvernünftige ochsen in aller unfreundlichkeit gegen andre menschliche creaturen gottes leben“.5 In seiner Schrift von 1528 klagt Eckhart über die Rotten und Sekten in der evangelischen Christenheit, die auf die Unterschiede zwischen Luther, Zwingli und den Täufern zurückgehen. Spiritualistische Töne werden hörbar, die ihn vielleicht in die Nähe Schwenckfelds gerückt haben. So schreibt er in derselben Schrift von der Kirche, dass sie weder in Rom noch beim großen Kirchturm in Straßburg oder in Klöstern zu finden sei, sondern „wo frumm, glaubig Christen zusammen kommen, es sei in wilden Welden oder Felden, da ist die rechte christelich Kirch. Es ligt nicht am Holz, Stein, Bildwerck etc. Es ligt alles am Glauben und der Liebe zu Gott und dem Nechsten“.6 Fraglich ist die von Röhrich vertretene Meinung, dass auch antitrinitarische Tendenzen bei ihm zu finden seien. Andere Ritter haben sich, trotz ihres Anschlusses an die evangelische Bewegung, nicht klar zu theologischen und konfessionellen Fragen geäußert. Interessant ist auch die Frage, wie sich die elsässischen Ritter im Bauernkrieg verhielten.7 Wurm wurde schon zu Beginn des Jahres 1525 die Verbindung mit den Bauern vorgeworfen, weil er einen evangelischen Prädikanten geleitet hatte. Wurm vertritt die Meinung, dass der Aufstand auf den Mangel an evangelischen Pfarrern 4 5 6 7

Koch, Eckhart zum Drübel (wie Anm. 3), S. 158. Ebd. S. 128–130. Ebd. S. 70. Vgl. Rott, pamphlétaires (wie Anm. 2), S. 143–144.

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zurückzuführen sei. Als die Aufständischen den Treueeid von ihm verlangten, berief er sich auf den Eid, den er dem Kaiser und der Stadt Straßburg geleistet hatte. Er musste ihn aber in Molsheim leisten, wobei er allerdings den Kaiser und Straßburg in seinen Treueeid einbezog. Seine Ermahnung zur Mäßigung blieb erfolglos. Er gab zu, dass die Bibel die Auflösung der Klöster befehle, nicht aber diejenige der weltlichen Obrigkeit. Die solle die notwendigen Reformen durchführen. Am 16. Mai wurde er nach Zabern beordert zum Kampf gegen den Herzog von Lothringen, eine ausländische Macht. Angesichts der hoffnungslosen Situation riet er aber dazu, den Widerstand aufzugeben und die Truppe aufzulösen. Auch Eckhart zum Drübel bemühte sich, mäßigend zu wirken, unter anderem durch eine Schrift, die am 9. April 1525 erschien: ‚Eine Christlich, bryederlich, treüwliche warnung vor auffrur unnd trostlich bestendig bey dem Euangelio zu beharren an ein gemeyn leyschafft sampt und sunder‘. Doch auch dieser Aufruf stieß auf taube Ohren. Erhalten ist der schriftliche Rat Eckharts an eine Äbtissin von Andlau, Hohenburg oder Niedermünster, sich auf ihr Bürgerrecht in Straßburg zu berufen als Schutz gegenüber den Bauern für ihre Person und ihren Besitz.8 Wie ist die Rolle darzustellen, welche die Ritter bei der Einführung der Reformation gespielt haben? Hier wird man zunächst unterscheiden müssen zwischen der Wirksamkeit einiger von ihnen im Straßburger Stadtrat und dem Wirken der Mehrzahl in den Ortschaften, in denen sie die Herrschaft ausübten. In seiner Untersuchung zum Verhältnis der Straßburger Oberschicht zu der Reformation9 erwähnt Thomas Brady in der prosopographischen Aufstellung fünf Ritter, die neben anderen Konstoflern im Straßburger Stadtrat saßen und dort zwischen 1520 und 1555 eine gewisse Rolle, unter anderem als Stettmeister, gespielt haben. Es war der schon erwähnte Hans Bock von Gerstheim, Ludwig Böcklin von Böcklinsau, Hans Spender, Reimbold Spender und Bernhard Wurmser von Vendenheim. Sie hatten alle auch Lehen in der umliegenden Landschaft, vor allem bischöfliche Lehen. Drei von ihnen haben sich für die Reformation eingesetzt. Wie haben sich die elsässischen Ritter in ihren verschiedenen Lehen und in ihren allodialen Herrschaftsgebieten verhalten? Die Zahl der ritterschaftlichen Dörfer hat immer wieder gewechselt. Von den ungefähr neunzig Ortschaften, die dazugehörten, war bis zum Jahr 1580 etwa die Hälfte evangelisch geworden. Laut Johann Adam10 waren es „die begütertsten und einflussreichsten“.11 Die konfessionelle Zugehörigkeit hat auch gewechselt, je nach den einzelnen Personen oder den Umständen. Diejenigen, die sich nicht der evangelischen Bewegung anschlossen, hatten auch ihre Gründe. Im Anschluss an Francis Rapp ist Brady diesen Gründen in seiner schon erwähnten Untersuchung nachgegangen.12 Seine Hinweise beziehen sich al8 9 10 11 12

Koch, Eckhart zum Drübel (wie Anm. 3), S. 10f. Thomas Brady: Ruling Class. Regime and Reformation at Strasbourg 1520–1555. Leiden 1978, S. 297–359. Johannes Adam: Evangelische Kirchengeschichte der elsaessischen Territorien bis zur Französischen Revolution. Straßburg 1928, S. 497–550. Ebd. S. 498. Vgl. Anm. 9.

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lerdings auf das Patriziat insgesamt und nicht speziell auf die Ritterschaft. Er weist darauf hin, dass ikonoklastische Praktiken eine Frömmigkeit antasteten, die auf Generationen zurückging. Mit der Auflösung der Klöster zerbrachen auch die gefühlsmäßigen und finanziellen Verbindungen zwischen der Aristokratie und den religiösen Orden. Wir wissen von dem Ritter Ludwig Völtsch,13 der Angehörige bei den Franziskanern hatte. Als Thomas Murner im Juni 1524 in einer öffentlichen Vorlesung die evangelischen Auffassungen der Messe bekämpfte und fast handgreiflich von ungefähr zweihundert Zuhörern angegriffen wurde, ist Völtsch ihm mit sechzig Begleitern zu Hilfe gekommen. Danach hören wir aber nichts mehr von Völtsch. Vom politischen Leben hat er sich anscheinend ganz zurückgezogen. Wie haben nun die evangelisch gesinnten Ritter sich verhalten? Wie haben sie sich für die Reformation eingesetzt? Ich muss mich auf einige allgemeine Hinweise beschränken und verweise auf Adams Ausführungen.14 Eine Anzahl von Rittern hatte sich, wie Wurm und Eckhart zum Drübel, der evangelischen Bewegung angeschlossen. Sie bemühten sich im Lauf des Jahrhunderts, den evangelischen Gottesdienst in ihrer Herrschaft einzuführen. Dabei mussten sie aber zwei Hindernisse überwinden. An manchen Orten wie in Geudertheim waren sie nicht die einzigen Herren oder übten ihre Herrschaft nur über einen Teil des Dorfs aus. Deshalb konnte, wie in Geudertheim, der altgläubige Pfarrer noch einige Zeit im Amt bleiben. An anderer Stelle übten sie wohl die Herrschaft aus, aber die Ernennung des Pfarrers lag in anderen Händen, beim Bischof zum Beispiel, oder bei den Domherren. Doch gelang es mit der Zeit, in etwa 45 Gemeinden den evangelischen Gottesdienst einzuführen. Dieser wurde entweder durch evangelisch gesinnte Pfarrer gefeiert, die meistens in Straßburg ausgebildet worden waren, oder durch Seminaristen, die aus Straßburg kamen. Das gottesdienstliche Leben richtete sich ganz nach den Straßburger Verhältnissen. Als Eckhart vom Hindisheimer Leutpriester gebeten wurde, das Seelbuch und die zu feiernden Messen wieder in Geltung zu setzen, berief er sich auf die Straßburger Münstergemeinde. Soviel wir wissen hat er dies nicht getan. Der Augsburger Religionsfrieden vom Jahr 1555 hatte der Ritterschaft das Reformationsrecht zugestanden. Die Frage war aber, ob dieses Recht nur ihren Eigenbesitz betraf oder auch ihren Lehnsbesitz. Bis zum bischöflichen Krieg am Ende des 16. Jahrhunderts wurde ihr beides auch nicht bestritten. Aber nach dem Krieg machte der Bischof geltend, dass kein Vasall das Recht habe, ohne Einverständnis seines Lehnsherrn „das Exercitium augsburgischer Confession einzuführen“.15 Er verweigerte fortan seinen Konsens. Er stellte auch den Konsens, der von seinen Vorgängern gegeben worden war, in Frage und bezeichnete ihn als Unrecht. Das führte zu langwierigen Verhandlungen, in denen sich die Ritterschaft bemühte, ihr vermeintlich gutes Recht aufrechtzuerhalten. Ihre Bestrebungen scheiterten aber. Dörfer wie Osthausen, Achenheim, Schäffolsheim und Fessenheim, in denen die Ritterschaft die Reformation eingeführt hatte, wurden wieder katholisch. Noch 13 14 15

Dies wird von Bucer erwähnt in seiner Schrift De Caena dominica, Martini Buceri: Opera Latina, Bd. 1, S. 56. Vgl. Anm. 10. Adam, Kirchengeschichte (wie Anm. 10), S. 498–499.

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schwerwiegender wurden die Probleme, die der Dreißigjährige Krieg und der Anschluss des Elsass an Frankreich mit sich brachten.

DIE RITTERSCHAFT IN DER RHÖN UND DIE REFORMATION Berthold Jäger* Die Rhön, ein Mittelgebirge in der Mitte des heutigen Deutschland, begrenzt von den Flüssen Fulda, Werra, Fränkische Saale, Main und (Schmale) Sinn, ist seit dem frühen Mittelalter einer Vielzahl von Herrschaftseinflüssen ausgesetzt gewesen. Die Klöster Fulda und Hersfeld, das Bistum Würzburg sowie die Grafen von Henneberg bewiesen dabei den längsten Atem und teilten die Gebirgslandschaft samt ihren Ausläufern unter sich auf.1 Sie waren allerdings nicht die einzigen Herrschaftsträger in der Rhön. An den Rändern der sich ausbildenden Territorialstaaten, zum Teil aber auch mitten in landesherrlichem Gebiet, vermochten es die größtenteils aus der Ministerialität der einzelnen Herrscher hervorgegangenen Ritter – unter Ausnutzung der Rivalität der Landesfürsten – eine starke Stellung zu erlangen und zu behaupten. An der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit sind die beiden geistlichen Territorien Würzburg und Fulda prinzipiell vergleichbar: Beide hatten konzentrierten grundherrlichen Besitz als Sprungbrett für eine mehr oder weniger umfassende, weltliche Herrschaft genutzt – und diese im 15. und 16. Jahrhundert, dem Beispiel weltlicher Fürstentümer folgend und dem Stand von „Staatlichkeit“ dieser Zeit entsprechend, in relativ überschaubaren Formen organisiert. Sie waren und blieben aber ungeschlossene Territorien mit vielen ritterschaftlichen Einsprengseln. Dem niederen Adel war unabhängig von der Größe seiner Besitzungen, der Qualität seiner lokalen Herrschaftsrechte und seiner wirtschaftlichen Potenz eine – wenngleich privilegierte – Untertanenrolle zugedacht und zugewiesen. Als Mitglieder der sich in beiden geistlichen Fürstentümern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ausbildenden und verfestigenden landständischen Organisation trugen die *

1

Überarbeitete und mit Anmerkungen versehene Vortragsfassung. Der vorliegende Beitrag berührt sich in manchen Passagen – z.T. wörtlich – mit meinem Aufsatz: Die Rhön in der Frühen Neuzeit. Eine Skizze zur Territorial- und Konfessionsgeschichte, vornehmlich des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Thomas Heiler, Udo Lange, Gregor K. Stasch, Frank Verse (Hg.): Die Rhön. Geschichte einer Landschaft (Vonderau Museum Fulda – Kataloge 41). Petersberg 2015, S. 251–283. Unter Verweis auf diesen Beitrag sowie die dessen zweitem Teil zugrundeliegenden Aufsätze – Berthold Jäger: Zwischen Reformation und Gegenreformation. Das Stift Fulda in der Mitte des 16. Jahrhunderts. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 60 (2008), S. 133–171; ders.: Zwischen Restauration, Reformation und Vermittlungstheologie. Die religiöse Situation in der Fürstabtei Fulda in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: 500 Jahre Reformation in Hessen und Thüringen. Hessische Heimat 60 (2010) und Heimat Thüringen 17 (2010) [gemeinsame Ausgabe], S. 53–56 – wird im Folgenden nur die wichtigste bzw. neuere Literatur zitiert. Zur Territorialisierung der Rhön zusammenfassend: Jäger, Rhön (wie Anm. *), S. 253–263.

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Ritter, im Verein mit Städten und Ämtern (in Würzburg, wo sich das Domkapitel in der Rolle des Mit-Regenten gefällt) beziehungsweise mit Stiftskapitel und Städten (in Fulda), durch Steuerbewilligungen zur Herrschaftssicherung bei und erlangten eine gewisse Herrschaftsteilhabe – komplementär (oder auch als Ersatz) zum traditionellen Fürstendienst als Räte und Amtleute. Aus der Rolle als Landstand zogen sich die Würzburger Ritter bereits Mitte des 16. Jahrhunderts wieder zurück (endgültig dann 1566), indem sie den 1542 eingeräumten Weg der Steuerlieferung an den Kaiser über eine eigene ritterschaftliche statt über eine landesherrliche Kasse in Anspruch nahmen und sich dadurch die Reichsunmittelbarkeit sicherten.2 Die Fuldaer Ritter vollzogen diesen Schritt nicht mit, verschliefen ihn geradezu, blieben in Taten noch rund hundert Jahre primär Landsassen, reklamierten verbal für sich aber fast ebenso lang Immediatität. Erst 1656 gelang es, den fuldischen Fürstabt im sogenannten Würzburger Vertrag zur Anerkennung der Reichsunmittelbarkeit der fuldischen Ritter zu bringen.3 Die „Staatlichkeit“ im Henneberger Herrschaftsbereich war wohl etwas weniger ausgeprägt, was mit der Teilung des Hauses in zunächst drei, dann zwei Linien zusammenhängen mag, aber auch hier gab es das Bestreben der Herrschaft, die Landsässigkeit der Ritter als gegeben anzusehen und ihnen wenig mehr als eine 2

3

Zur Formierung der Reichsritterschaft allgemein: Volker Press: Kaiser Karl V., König Ferdinand und die Entstehung der Reichsritterschaft (Institut für Europäische Geschichte Mainz. Vorträge 60). 2. Aufl. Wiesbaden 1980. Vgl. auch ders.: Die Reichsritterschaft im Reich der Frühen Neuzeit. In: Nassauische Annalen 87 (1976), S. 101–122; Nachdr. in: ders.: Adel im Alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze. Hg. von Franz Brendle, Anton Schindling. Tübingen 1998 (Frühneuzeit-Forschungen 4), S. 205–232. Zur Entwicklung in Würzburg: Helmut Neumaier: Zwischen Adelsspital und Reichsbefreiter Ritterschaft. Der Ablösungsprozess der Ritterschaft vom Hochstift Würzburg im 16. Jahrhundert. In: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 68 (2006), S. 261–270. Zur Entwicklung des Verhältnisses Fuldische Landesherrschaft – Buchische Ritterschaft, auf das im Folgenden immer wieder zurückzukommen sein wird, vgl. Berthold Jäger: Das geistliche Fürstentum Fulda in der Frühen Neuzeit: Landesherrschaft, Landstände und fürstliche Verwaltung. Ein Beitrag zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte kleiner Territorien des Alten Reiches (Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde 39). Marburg 1986, S. 9–138, 194–202; ders.: Der „Würzburger Vergleich“ vom 15. Mai 1656 zwischen dem Stift Fulda und der Buchischen Ritterschaft. Die Verhandlungen aus der Sicht der fuldischen Unterhändler. In: Fuldaer Geschichtsblätter 67 (1991), S. 27–57; Rüdiger Teuner: Die fuldische Ritterschaft 1510–1656 (Rechtshistorische Studien 18). Frankfurt am Main, Bern 1982; Alexander Jendorff: „Dem Eisenhut dienen, aber unter dem Bischofshut wohnen“. Niederadel und Landesherrschaft im Hochstift Fulda und im Hessen der Frühen Neuzeit. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 62 (2012), S. 83–124, hier S. 84–113; kürzere Fassung: ders.: „Hessischer“ Niederadel und fuldische „Landes“-Herrschaft in der Frühen Neuzeit. In: Sebastian Zwies (Hg.): Das Kloster Fulda und seine Urkunden. Moderne archivische Erschließung und ihre Perspektiven für die historische Forschung (Fuldaer Studien, 19). Freiburg, Basel, Wien 2014, S. 251–267. Jendorff betrachtet die Entwicklung der „Abtsherrschaft“ und des Zusammenwirkens von fürstäbtlichem Landesherr und Niederadel bei der Organisation von Herrschaft und Verwaltung im Lichte seiner an Gerrit Walther anknüpfenden These als Weg von einer Regierung à la „Ganerbenburg“ hin zum „Hof-Staat“ des Ancien Régime, als Transformation einer „Adelsrepublik“ in ein sich auf Repräsentation reduzierendes höfisches System, an dem einzelne Adelsfamilien teilhatten.

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herrschaftstützende Rolle zuzuweisen. Die Landstände formierten sich etwas später als in Würzburg und Fulda,4 spielten aber nach dem Aussterben der Henneberger 1583 und dem Anfall des Territoriums an Sachsen, dessen verschiedene Linien zunächst eine gemeinschaftliche Regierung einsetzten, gewissermaßen die Rolle des Interessenvertreters der Einheimischen. Die Fürstabtei Hersfeld schließlich war von den vier Territorien das am wenigsten weit entwickelte und spielte im 16. Jahrhundert eine eher bescheidene Rolle im Rhöngebiet, obwohl man hier anfangs über geschlossene Güterkomplexe verfügte und dadurch gegenüber den Konkurrenten eigentlich einen Startvorteil hatte. Von Hessen und Henneberg beziehungsweise Sachsen sozusagen in die Zange genommen, aber auch seitens Fulda bedrängt, wurden dem Stift immer mehr Ämter entfremdet.5 Nach einer kurzfristigen Integration in das Stift Fulda 1513 bis 1515 geriet Hersfeld immer stärker in den Sog der Landgrafschaft Hessen, die seit 1432 die Vogtei über das Stift ausübte, es sich 1606 einverleibte und säkularisierte. Niederadlige Hersfelder Lehnsleute wurden ebenso wie die Stadt Hersfeld unter die hessischen Landstände aufgenommen und analog zur althessischen Ritterschaft als Landsassen betrachtet und behandelt. Die Ritterschaft in den vier genannten Territorien stand somit vor der existentiellen Frage, ob landsässig oder immediat; und dieses Problem wurde parallel zur Ausbreitung der Reformation virulent, verknüpfte sich in vielen Fällen mit dieser. Der Rhöner Niederadel war zudem territorienübergreifend in das Klientelsystem der Landesfürsten einbezogen, Mehrfachvasallität war gang und gäbe. Mitglieder der Fuldaer, der so genannten Buchischen Ritterschaft gehörten oft auch zum würzburgischen und hennebergischen Lehensverband, Fuldaer und Hersfelder Vasallen waren vielfach identisch. Die wichtigsten Familien der Rhöner Ritterschaft gehörten fast alle – sei es mit ihren Hauptburgen, sei es mit Nebenburgen und über Nebenlinien – zur Buchischen Ritterschaft. Ich möchte mir dies im Folgenden zunutze machen und mich auf diese Buchische Ritterschaft beschränken. Meine Wahl ist aber auch auf den Buchischen Adel gefallen, weil er im Vergleich etwa zu den in der Rhön begüterten würzburgischen Vasallen zum einen den komplizierteren Weg in die Reichsunmittelbarkeit gegangen ist, zum anderen weil er mit dem kurzzeitigen Versuch, einen vermittelnden Weg zwischen den entstehenden Konfessionen zu finden, konfrontiert wurde. Zunächst seien noch die wichtigsten Familien der Buchischen Ritterschaft benannt, dann soll kurz auf die religiöse Entwicklung in den (Hoch-)Stiften Fulda, Würzburg, Hersfeld und in der Grafschaft Henneberg eingegangen werden, vor allem um den Spielraum der Ritter zu umreißen, und vor diesem Hintergrund schließlich das Verhältnis Buchische Ritterschaft – Reformation skizziert werden. Zu den Ritterfamilien: In den Randbereichen des fuldischen Territoriums konnten die von Schlitz gen. von Görtz, die Riedesel zu Eisenbach, die von der Tann, die 4 5

Johannes Mötsch: Abt Johann III. von Fulda (1516–1541) und die Entstehung der hennebergischen Landstände. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 64 (2012), S. 135–138. Zur territorialen Entwicklung Hersfelds einschlägig: Elisabeth Ziegler: Das Territorium der Reichsabtei Hersfeld von seinen Anfängen bis 1821(Schriften des Instituts für Geschichtliche Landeskunde von Hessen und Nassau 7). Marburg 1939.

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von Mansbach, die von Buchenau, die von Haun (in Burghaun), die von Trümbach/ Trübenbach (in Wehrda), die von Boyneburg (in Lengsfeld), die von Völkershausen, die von Ebersberg gen. von Weyhers (in Gersfeld) und im nördlichen Spessart die von Hutten (im Huttischen Grund um Soden und Salmünster) sowie die von Thüngen (mit etwa achtzig Ortschaften und mehreren Burgen oder Schlössern, die zudem mit der „Thüngenschen Cent“ über die Hochgerichtsbarkeit verfügten) eigene Herrschaften aufbauen; innerhalb eines landesherrlichen Amtes gar lag die adlige Patrimonialherrschaft der ehemaligen Ministerialenfamilie von Eberstein, das Vogteiamt Schackau.6 Es gab darüber hinaus eine größere Zahl weiterer Rittersitze. Deren Inhaber verfügten allerdings über weitaus weniger Grundbesitz, oft besaßen sie nur ihre Burg und die Verfügungsgewalt über einige wenige abhängige Bauern, meist noch verstreut über ein paar Dörfer.7 6

7

Der Grad der „Selbständigkeit“ gegenüber Fulda war innerhalb dieser Herrschaften abgestuft: die von Schlitz gen. von Görtz, die Riedesel, die von der Tann, die von Ebersberg gen. von Weyhers und die von Thüngen erreichten eine gewissen Grad an „staatlicher Autonomie“; dieser blieb den anderen Ritterfamilien verwehrt, sie „lagen eindeutig in der fuldischen Macht- und Interessensphäre“. Aus diesem letzteren Kreis konnten sich die ritterschaftlichen Patrimonialgerichte Schackau, Buchenau, Mansbach und Wehrda sowie Völkershausen und der „Huttische Grund“ etwas absetzen. Siehe dazu Anneliese Hofemann: Studien zur Entwicklung des Territoriums der Reichsabtei Fulda und seiner Ämter (Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde 25). Marburg 1958, S. 175–185, 149f., Zitate: S. 178 (Hofemann spricht hier von „volle[r] staatliche[r] Autonomie“) bzw. 177; zu Buchenau ausführlicher: Hubertus Frhr. von Wilmowsky: Die Geschichte der Ritterschaft Buchenau von ihren Anfängen bis zum Wiener Kongreß. In: Fuldaer Geschichtsblätter 40 (1964), S. 1–47. Zu den Schlitz gen. von Görtz zuletzt zusammenfassend: Jürgen Braungart: Von Edelfreien über Ministeriale der Abtei Fulda zu Grafen des Heiligen Römisches Reiches. In: 1200 Jahre Schlitz. Festschrift zum 1200-jährigen Jubiläum der Stadt Schlitz und ihrer Stadtkirche. Hg. vom Magistrat der Stadt Schlitz. Schlitz 2011, S. 15–24; zu den Riedesel aus dem siebenbändigen Werk „Die Riedesel zu Eisenbach. Geschichte des Geschlechts der Riedesel Freiherrn zu Eisenbach, Erbmarschälle zu Hessen“ (1923–2004) die Bde. 1–3 (bis 1593), bearb. von Eduard Edwin Becker (1923–1927) und 4 (1593–1713), bearb. von Fritz Zschaeck (1957); Fritz Zschaeck: Die Riedesel und ihr Verhältnis zu Fulda. Eine Zusammenstellung und Ergänzung von Karl Weber. Bad Salzschlirf 1994 (Zur Geschichte von Bad Salzschlirf [3]); zu den von der Tann: Hans Körner: Die Freiherren von und zu der Tann. In: Die Rhön. Land im Herzen Deutschlands. Hg. vom Rhönklub e.V., Fulda. Redigiert von Hans Kleiner. Fulda 1992, S. 86–97; Teilnachdr.: Hans Körner: Die Freiherren von und zu der Tann. Aus der Geschichte einer Rhöner Adelsfamilie vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert (Auszüge). In: Auf den Spuren derer von der Tann. Eberhard von der Tann (1495–1574). Bauherr, Reformator, Reichsritter. Anlässlich der Ausstellung der Stadt Tann (Rhön) Tanner Geschichte erleben: „Eberhard von der Tann“, August – November 2008 im Obergeschoss des Naturkundemuseums. Hg., zsgestellt u. gestaltet von Volker Brinkmann. Tann 2008, S. 53–59; Christian Peter: Barocke Lebenskultur auf einem buchischen Adelssitz. Die reichsritterschaftliche „Residenz“ Tann um 1700. In: Alessandra Sorbello Staub, Berthold Jäger, Thomas Heiler, Michael Imhof (Hg.): Fulda in den Künsten. Festgabe für Gregor K. Stasch zum 65. Geburtstag. Petersberg 2015, S. 145–155; zu den von Völkershausen: Johannes Mötsch: Die Herren von Völkershausen und das Stift Fulda. In: Fuldaer Geschichtsblätter 72 (1996), S. 73–96. Zur Ritterschaft des Stifts Fulda und ihren landtagsfähigen Adelssitzen siehe Jäger, Geistliches Fürstentum (wie Anm. 3), S. 373–411. Über die bisher genannten Burgen oder Schlösser hinaus befanden sich weitere von Fulda zu Lehen gehende Adelssitze in Borsch, Brückenau, Burghaun, Buttlar, Diedorf, Dipperz, Eichenzell, Eiterfeld, Geisa, Großenlüder, Großentaft, Herbstein, Langenschwarz, Lauterbach, Leibolz, Lengsfeld, Mittelkalbach, Motzlar, Müs, Niederbieber, Nieder-

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Unter den wichtigsten würzburgischen Lehensträgern im Rhöngebiet waren neben den bereits als fuldische Vasallen genannten Familien von Thüngen, von Ebersberg gen. von Weyhers, von der Tann und von Hutten vor allem die von Erthal und die der hennebergischen Dienstmannschaft entstammenden von Bibra.8 Die neben den Bibra wichtigsten ritterschaftlichen hennebergischen Lehnsleute konzentrierten sich mit ihren Burggütern – seien es Eigengüter oder fuldische, würzburgische und hennebergische Lehen – in Ostheim vor der Rhön: hier hatten etwa die Marschalk oder Schenk von Ostheim, die von Stein zum Altenstein, die von der Tann und die von Stein zu Nord- und Ostheim repräsentative Adelssitze9 und bildeten eine Ganerbschaft; als weitere Familien wären zu nennen die von Völkershausen oder die von Herda zu Brandenburg, beide wiederum auch fuldische Lehnsträger. Bedeutsame Hersfelder Vasallengeschlechter waren unter anderem die von Buchenau, von Mansbach und von Haun – alle nicht zufällig im Grenzbereich zwischen Hersfeld und Fulda ansässig.

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kalbach, Oberbimbach, Obererthal, Poppenhausen, Römershag, Salmünster, Sarrod, Schildeck, Soden, Sodenberg (Kilianstein), Steinau/Fulda, Stolzenberg/Soden, Ürzell, Ufhausen, Untereschenbach, Uttrichshausen, Vacha, Wenigentaft, Werberg, Weyhers und Windheim. Über einige Familien liegen neuere Darstellungen zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte – zum Teil auch mit Hinweisen zur Einstellung einzelner Familienmitglieder zur Reformation – vor. Vgl. Rudolf Frhr. von Thüngen: Das reichsritterliche Geschlecht der Freiherrn von Thüngen. Forschungen zu seiner Familiengeschichte, Bde. 1–2 (Lutzische Linie), 3.1–2 (Andreasische Linie, u.d.T.: Das reichsritterliche Geschlecht der Freiherren von Thüngen) (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte 9.43). Würzburg 1926 (Nachdr. 1997) [1–2], 1997–1999 [3.1–2]; Joseph Morsel: La noblesse contre le prince. L‘espace social des Thüngen à la fin du Moyen Âge (Franconie, v. 1250–1525) (Beihefte der Francia 49). Stuttgart 2000; Georg-Wilhelm Hanna: Ministerialität, Macht und Mediatisierung. Die Ritteradligen von Hutten, ihre soziale Stellung in Kirche und Staat bis zum Ende des Alten Reiches (Hanauer Geschichtsblätter 44). Hanau 2007; Online-Version der Fassung Phil. Diss. Bamberg 2006 u.d.T.: Die Ritteradligen von Hutten, ihre soziale Stellung in Kirche und Staat bis zum Ende des Alten Reiches. URN: urn:nbn:de:bvb:473-opus-1058 (16.03.2016); Martin Stingl: Reichsfreiheit und Fürstendienst. Die Dienstbeziehungen der Bibra 1500 bis 1806 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte 9.41). Neustadt a. d. Aisch 1994; Werner Wagenhöfer: Die Bibra. Studien und Materialien zur Genealogie und zur Besitzgeschichte einer fränkischen Niederadelsfamilie im Spätmittelalter (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte 9.45). Neustadt a. d. Aisch 1998. Zu den Verbindungen der von Hutten mit Fulda: Berthold Jäger: Die Beziehungen zwischen dem geistlichen Fürstentum Fulda und der Familie von Hutten. In: Peter Laub (Bearb.): Ulrich von Hutten. Ritter, Humanist, Publizist. 1488–1523. Katalog zur Ausstellung des Landes Hessen anläßlich des 500. Geburtstages. Melsungen 1988, S. 87–101. Andreas Pampuch, Hugo Schmidt, Georg Trost (Schriftl.): Ostheim vor der Rhön und seine Burgen. Ostheim v. d. Rhön 1961; Gerhard Schätzlein, Ingo von Berchem: Die Adelsfamilie von Stein und Ostheim v. d. Rhön. Einblicke in die Entwicklung einer fränkisch-thüringischen Kleinstadt im Zusammenleben ihrer Bewohner mit den adeligen Ganerben vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Mellrichstadt 2008 [Selbstverl.]; Ingo von Berchem, Gerhard Schätzlein: Die Nordheimer Linie der Freiherren von Stein zu Nord- und Ostheim. Zweiter Teil der Familiengeschichte der fränkischen Adelsfamilie. Ostheim v. d. Rhön 2013 [Selbstverl.].

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I. DIE TERRITORIALHERREN DER RHÖN UND DIE REFORMATORISCHE BEWEGUNG In allen vier Territorien, die die Rhön unter sich aufgeteilt hatten, fand die reformatorische Lehre schon früh sehr viel Anklang; evangelische Prediger wirkten seit Beginn der 1520er Jahre vor allem in den Städten – genannt seien nur Würzburg, Münnerstadt, Neustadt an der Saale; Fulda, Hammelburg10, Hünfeld, Geisa; Hersfeld. Nach anfänglichem Zögern aber entschlossen sich Bischof Konrad von Thüngen (1519–1540) in Würzburg und Koadjutor Johann von Henneberg (1516/1521– 1529, Fürstabt 1529–1541) in Fulda, auch Graf Wilhelm IV. von HennebergSchleusingen, Johanns Vater (!), ab 1526, als die Umsetzung des Wormser Edikts von 1521 mit seiner Verurteilung Luthers den einzelnen Reichsständen in die Hände gelegt wurde, zu einer anti-lutherischen Linie. In Kauf nahmen sie dadurch die Hinwendung eines Teils der Bevölkerung zu radikal-reformatorischen Kräften, etwa den Täufern im Stift Fulda (mit dem Zentrum in Großenbach bei Hünfeld), die auch im Hersfeldischen (vor allem in Sorga) unter der Leitung Melchior Rincks Konventikel zustande brachten11. Für alle drei Fürsten aber waren neben persönlicher Einstellung in erster Linie politische Gesichtspunkte ausschlaggebend: der Rückhalt an mächtigen katholischen Reichsständen, die das Überleben der Adelskirche als Versorgungsinstitut sichern konnten, die Angst vor beutehungrigen weltlichen Nachbarn und die Rücksicht auf Familienangehörige auf dem Fürstenthron, am Hof oder in der Regierung und Verwaltung eines geistlichen Territoriums. Freilich zeigte sich in der Folgezeit auch in den „obrigkeitlich altgläubig geführte[n]“12 Stiften Würzburg und Fulda, dass unter der Hand breite Schichten evangelisches Gedankengut aufgenommen hatten – durch Bücherlektüre, durch den Besuch von Gottesdiensten in protestantischen Nachbarterritorien und durch die Duldung von faktisch evangelischen Pfarrern im Amt seitens der bischöflichen oder der fürstäbtlichen Behörden. Zumindest Johann von Henneberg in Fulda13 steuerte letztlich einen 10

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Zur Einführung eines evangelischen Kirchenwesens in dieser Stadt vgl. die eindrucksvolle Arbeit von Johannes Merz: Georg Horn (1542–1603) und seine Historia über die Reformation in Hammelburg. Studien zu Leben, Werk und Umwelt des Autors und Edition der Historia (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte 1.5). Neustadt a.d. Aisch 1992. Vgl. dazu Heinrich Beulshausen: Die Geschichte der osthessischen Täufergemeinden. 2 Bde (Beiträge zur deutschen Philologie 53/1–2). Gießen 1981; Ruth Weiß: Die Herkunft der osthessischen Täufer. In: Archiv für Reformationsgeschichte 50 (1959), S. 1–16, 182–199. Zu Rinck: Wolfgang Breul-Kunkel: Melchior Rinck: Humanist – evangelischer Prediger – Täuferführer im Hersfelder Raum. In: Mitteilungen des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde N.F. 42 (2003), S. 5–10; ders.: Vom Humanismus zum Täufertum. Das Studium des hessischen Täuferführers Melchior Rinck an der Leipziger Artistenfakultät. In: Archiv für Reformationsgeschichte 93 (2002), S. 26–42. Walter Ziegler: Würzburg. In: Anton Schindling, Walter Ziegler (Hg.): Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 4 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 52). Münster 1992, S. 98–126, hier S. 114. Wolfgang Breul: Abt wider Willen. Johann III. von Henneberg (1503–1541) in der Reichsabtei Fulda. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 55 (2003), S. 227–258.

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„unklaren Kurs zwischen formeller Katholizität und Duldung evangelischer Predigt und Praxis“14 und gab dadurch der evangelischen Lehre Raum zur Entfaltung.15 In Fulda fällt aber nicht nur das Lavieren auf, sondern auch der Versuch, eine Vermittlungstheologie zu etablieren, während sich gleichzeitig Würzburg untätig präsentierte und der Hinwendung zur Reformation weitgehend Raum ließ,16 Graf Wilhelm von Henneberg-Schleusingen (obwohl selbst zeitlebens katholisch) unter dem Einfluss seines Sohnes Georg Ernst einen Mitstreiter Martin Luthers, Johann Forster, für die Einführung der Reformation engagierte,17 und auch für HennebergRömhild das Luthertum bestimmend wurde. Da zudem die hersfeldischen Teile der (Vorder-)Rhön früh zur Reformation übergegangen waren,18 war um die Mitte des 16. Jahrhunderts wohl der überwiegende Teil der Rhönbevölkerung „an der Oberfläche lutherisch geprägt“.19

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Ders.: Herrschaftskrise, Reformation und Bauernaufstand – die Stadt Fulda unter der Regentschaft des Johann von Henneberg (1516/21–1541), in: Geschichte der Stadt Fulda, Hg.: Fuldaer Geschichtsverein. Red.: Wolfgang Hamberger, Thomas Heiler, Werner Kirchhoff: Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches. Fulda 2009, S. 244–272, Zitat S. 271. Zu den Anfängen der Reformation Fulda grundlegend: Wolfgang Breul-Kunkel: Herrschaftskrise und Reformation. Die Reichsabteien Fulda und Hersfeld ca. 1500–1525 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 71). Gütersloh 2000, S. 164–247; vgl. auch ders.: Fulda und Erfurt. Der Einfluß des Humanismus auf die Reichsabtei Fulda am Vorabend der Reformation. In: Fuldaer Geschichtsblätter 75 (1999), S. 69–132; Wolfgang Breul: Das Evangelium klar, lauter und rein. Die Anfänge des Protestantismus in der Reichsabtei Fulda. In: 200 Jahre evangelische Gemeinde in Fulda. Hg. von Evangelische Gesamtgemeinde Fulda. Fulda 2003, S. 15–26; ders., Herrschaftskrise, Reformation und Bauernaufstand (wie Anm. 14). Skizzierung der Entwicklung bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts: Johannes Merz: Fulda. In: Schindling, Ziegler (Hg.), Territorien (wie Anm. 12), Bd. 4, S. 129–145; für das 16. Jahrhundert: Jäger, Zwischen Reformation und Gegenreformation (wie Anm. *); ders., Zwischen Restauration, Reformation und Vermittlungstheologie (wie Anm. *). Ziegler, Würzburg (wie Anm. 12). Karl Zeitel: Die Reformation im Henneberger Land von den Anfängen bis zur Annahme der Augsburgischen Konfession durch Wilhelm von Henneberg nach zeitgenössischen Zeugnissen. Hildburghausen 1994; Joachim Sölter: Zum Kirchenregiment des Grafen Georg Ernst von Henneberg-Schleusingen. In: Wissenschaftliche Festschrift zum Jubiläum „900 Jahre Henneberger Land, 1096–1996“ (Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 11). Hg. in Verbindung mit dem Hennebergischen Museum Kloster Veßra, Kloster Veßra, Meiningen. Münnerstadt 1996, S. 271–292. Zu den Anfängen der Reformation in Hersfeld wieder grundlegend: Breul-Kunkel, Herrschaftskrise und Reformation (wie Anm. 15), S. 164–208. Formulierung von W. Wüst bezogen auf die fränkische Ritterschaft um die Mitte des 16. Jahrhunderts: Wolfgang Wüst: Konfessionalisierungsparadigma in der fränkischen Reichsritterschaft. Patriarchalische Politik und herrschaftliche Innovation. In: Helmut Baier, Erik Soder von Güldenstubbe (Hg.): „Bei dem Text des Heiligen Evangelii wollen wir bleiben“. Reformation und katholische Reform in Franken. Über Kirchenreformer in den Bistümern und Hochstiften Bamberg und Würzburg. Das Haus Thüngen als Exponent der Reichsritterschaft in Franken (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 82). Neustadt a.d. Aisch 2004, S. 112– 145, hier S. 112.

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In Fulda erließ Philipp Schenck zu Schweinsberg (1541–1550)20, der Nachfolger Johanns von Henneberg, 1542 auf der Grundlage eines Gutachtens21 von Georg Witzel (1501–1573)22, der von der evangelischen Kirche zur katholischen zurückgekehrt war, eine Kirchen- und Reformordnung23. In ihr gestattete er den Kommunionempfang unter beiderlei Gestalt und die deutsche Sprache im Gottesdienst; ebenso tolerierte er die Priesterehe – was in der Folgezeit offenkundig reichlich ausgenutzt wurde. Gerrit Walther hat den „radikal technische[n], ganz formale[n] Ansatz“ der Reformordnung hervorgehoben: „Die Entscheidung über die positiven Glaubensinhalte scheint aufschiebbar. Man überläßt sie Kaiser und Papst und sucht einstweilen nur das Äußere von Ritus und Gottesdienst zu ordnen. Man behandelt Glauben als ein Problem der Organisation.“24 Inhaltlich ist nach Walther „das wichtigste Ziel der Ordnung [...] ihre völlige dogmatische Undefinierbarkeit“. Dies sei „kein Mangel, sondern ihr mühsam erkämpftes, entscheidendes politisches Ziel.“ Philipps Kirchenordnung verfolgte nämlich einen doppelten Zweck, die Offenhaltung der Situation durch Verzicht auf dogmatische Festlegungen und die Wahrung der Entscheidungsgewalt des Abts. Man gibt einerseits protestantischen Forderungen nach, hält andererseits am Katholischen als „vage Norm“ fest – und sichert sich durch die bewusste Zulassung „konkurrierende[r] Deutungen“ die Rolle als Schiedsrichter25. So blieb über weite Strecken des 16. Jahrhunderts die religiöse Situation im Stiftsgebiet offen, lebten entschiedene Altgläubige, Lutheraner und Anhänger der 20

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Hans Georg Schenck zu Schweinsberg: Philipp Schenck zu Schweinsberg, Fürstabt von Fulda 1541–1550. Zugleich eine familiengeschichtliche Studie über die Beziehungen der Schencken zu Schweinsberg zum Hochstift Fulda im 16. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte der Freiherrn Schenck zu Schweinsberg). Dransfeld 1986 [Selbstverl.]. Druck: Gregor Richter: Die Schriften Georg Witzels. Bibliographisch bearbeitet. Nebst einigen bisher ungedruckten Reformationsgutachten und Briefen Witzels (Veröffentlichungen des Fuldaer Geschichtsvereins, 10). Fulda 1913, S. 134–152. Vgl. auch Werner Kathrein: Ein Reformgutachten Georg Witzels (1501–1573) für Herzog Georg den Bärtigen von Sachsen aus dem Jahr 1538 und seine Beziehung zu dem Gutachten Witzels für den Fuldaer Abt Philipp Schenck zu Schweinsberg 1542. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 44 (1992), S. 343–379. Zu ihm zuletzt: Barbara Henze: Aus Liebe zur Kirche Reform. Die Bemühungen Georg Witzels (1501–1573) um die Kircheneinheit (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 133). Münster 1995; Werner Kathrein: Georg Witzel (1501–1573) und das Hochstift Fulda: In: Fuldaer Geschichtsblätter 77 (2001), S. 29–56; Werner Kathrein, Karlheinz Diez, Barbara Henze, Cornelius Roth: Im Dienst um die Einheit und die Reform der Kirche. Zum Leben und Werk Georg Witzels (Fuldaer Hochschulschriften 43). Frankfurt am Main 2003; Berthold Jäger: Der „Fuldaer“ Georg Witzel. Prolegomena zu einer Erschließung der in Fuldaer Bibliotheken vorhandenen Drucke eines Theologen der Kircheneinheit aus dem 16. Jahrhundert. In: Gedenkschrift für Jochen Bepler (Jahrbuch Kirchliches Buch- und Bibliothekswesen NF 3, 2015). Regensburg 2016, S. 145–209, hier S. 145–184. Druck: Georg Pfeilschifter (Hg.): Acta reformationis catholicae ecclesiam Germaniae concernantia saeculi XVI. Die Reformverhandlungen des deutschen Episkopats von 1520 bis 1570, Bd. 4/2. Regensburg 1971, S. 229–243 (deutsche und lateinische Version). Gerrit Walther: Abt Balthasars Mission. Politische Mentalitäten, Gegenreformation und eine Adelsverschwörung im Hochstift (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 67). Fulda, Göttingen 2002, S. 111. Ebd., S. 113.

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offiziell zur religiösen Norm erhobenen Witzelschen Versöhnungstheologie nahezu einträchtig nebeneinander und konnten sich zudem – bis auf Fundamentalisten – in der Reformordnung Schenck zu Schweinsbergs aufgehoben fühlen.26 Durch das Augsburger Interim, mit dem Kaiser Karl V. 1548 den Versuch unternahm, mittels eines Reichstagsbeschlusses den evangelischen Reichsständen eine Anpassung an den katholischen Kultus und die katholische Lehre unter Zugeständnis von Laienkelch und Priesterehe abzuverlangen, mochten sich Fürstabt Philipp und sein theologischer Berater in ihrer Position gewissermaßen bestätigt fühlen. Der Fürstabt ließ das Interim denn auch im Oktober 1548 in der Stadtpfarrkirche zu Fulda und in der fast durchgängig dem Luthertum anhängenden Landstadt Hammelburg vor dem Rathaus verkünden27 – jedoch ohne dadurch die eigene Kirchenordnung außer Kraft zu setzen. Die konfessionelle Unentschiedenheit blieb – wenngleich mit leichten Akzentverschiebungen – unter den beiden nachfolgenden Fürstäbten gewahrt. In der Wahlkapitulation vom 30. Januar 1550, mit der die Stiftskapitulare den neugewählten Fürstabt Wolfgang Dietrich von Ussigheim (1550–1558) auf seine Regierungsführung festzulegen suchten, ging es allein um die hergebrachten (Vor-) Rechte des Kapitels. Die Religionsfrage wurde völlig ausgeklammert, wohl weil man wie selbstverständlich den Kompromiss-Kurs von Philipp Schenck zu Schweinsberg fortzuführen gedachte, vielleicht aber auch, weil man sich nicht eindeutig festlegen und ein mögliches Problem aussitzen wollte. Ussigheim interpretierte die Schencksche Kirchenordnung mehr im altgläubigen Sinn, instrumentalisierte sie jedoch, um die Protestanten zu beruhigen. Sein Nachfolger Wolfgang Schutzbar gen. Milchling (1558–1567) hingegen, protestantisch erzogen, aber unter Karrieregesichtspunkten konvertiert, scheute die offene Protestantisierung des Stifts Fulda, ließ die neue Lehre wachsen ohne sie offiziell zu fördern. So unterblieb eine konfessionelle Homogenisierung. Zu einem Paradigmenwechsel kam es dann unter dem 1570 gewählten Fürstabt Balthasar von Dernbach. Mit geradezu missionarischem Eifer betrieb er – in Ausführung der Beschlüsse des Trienter Konzils – die Rekatholisierung des Stifts28, kümmerte sich nicht mehr im Geringsten um die Kirchenordnung Abt Philipps, ja, verachtete deren Kompromisscharakter. Wie er machten auch die von ihm zur Unterstützung seiner Religionspolitik 1571 „angeworbenen“ Jesuiten29 keinen Unter26

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Deren unveränderte Gültigkeit bis in die 70er Jahre des 16. Jahrhunderts weist für die Stadtpfarrkirche in Fulda nach: Werner Kathrein: Zwischen Reform und Reformation. Zur Geschichte der Fuldaer Stadtpfarrei im 16. Jahrhundert. In: Walter Heinemeyer, Berthold Jäger (Hg.): Fulda in seiner Geschichte. Landschaft, Reichsabtei, Stadt (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 57). Fulda, Marburg 1995, S. 439–459; ders.: Der Streit um die Messe in der Reformationszeit und seine Auswirkungen im Hochstift Fulda. In: Fuldaer Geschichtsblätter 82 (2006), S. 60–86. Otto Schaffrath: Fürstabt Balthasar von Dermbach [!] und seine Zeit. Studien zur Geschichte der Gegenreformation in Fulda (44. Veröffentlichung des Fuldaer Geschichtsvereins). Fulda 1967, S. 72; Merz, Georg Horn (wie Anm. 10), S. 88f. Vgl. Walther, Abt Balthasars Mission (wie Anm. 24). Zum Wirken der Jesuiten in Fulda zuletzt: ders., Abt Balthasars Mission (wie Anm. 24), S. 217–248.

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schied zwischen Lutheranern und Anhängern der Vermittlungstheologie, scherten alle Nicht-Altgläubigen über einen Kamm. Dernbach verband seine Religionspolitik zudem mit einer ausgeprägten Territorialisierungspolitik, d.h. dem Bemühen um die Stärkung seiner landesherrlichen Rechte, und einer Politik der kirchlichen Verselbständigung gegenüber den Diözesanbischöfen in Würzburg und Mainz durch päpstlicherseits erlangte Privilegien zur Ausübung quasi-bischöflicher Rechte.30 Er brachte damit nicht nur die um ihren Einfluss auf die Stiftsregierung ringenden protestantischen Ritter, einige im Konkubinat lebende Stiftskapitulare und etliche neugläubige städtische Ratsherren gegen sich auf, sondern vor allem seinen Würzburger Nachbarn und geistlichen Jurisdiktionsherren, Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn (1583–1617), der wenig später auch in seinem Hochstift zum radikalen Gegenreformator werden sollte. In Echters Umgebung schmiedete man Pläne, sich das unruhige Stift Fulda unter Ausnutzung der internen Opposition gänzlich einzuverleiben – wodurch die traditionellen Gegensätze zwischen den beiden geistlichen Territorien auf eine neue Ebene gehoben wurden. In der Tat wurde Dernbach während eines längeren Aufenthalts in Hammelburg im Juni 1576 abgesetzt31. Echter hatte in Vorverhandlungen den fuldischen Rittern Reichsunmittelbarkeit zugesagt und sie damit auf seine Seite gezogen, der spätere Vorkämpfer der Gegenreformation gerierte sich als Steigbügelhalter für die Konsolidierung eines evangelischen Kirchenwesens in den ritterschaftlichen Gebieten! Echters Regentschaft in Fulda aber wurde vom Kaiserhof unterbunden und die Regierung einem Administrator übertragen. In seiner zweiten Regierungsperiode 1602 bis 1606 verwirklichte Dernbach, der 1604 weitere quasi-episkopale Rechte vom Papst erlangte32, die (zumindest äußerliche) Rekatholisierung konsequent und rigoros – mit Hilfe eines Konsistoriums und der vor allem durch ihre Schule und das angegliederte, von vielen Söhnen protestantischer Adliger besuchte Päpstliche Seminar sowie über die Erwachsenenkatechese wirkenden Jesuiten. Die protestantische Bevölkerung wurde vor die Alternative gestellt: entweder Bekenntnis zum tridentinischen Katholizismus oder Auswanderung; allein in Hammelburg verließen 100 Familien ihre Stadt. Hexenprozesse, obwohl prinzipiell nicht gegen Andersgläubige gerichtet und also kein bloßes Instrument der Gegenreformation,33 schüchterten viele zusätzlich ein. 30

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Für Fuldas Bemühungen um quasi-bischöfliche und bischöfliche Rechte einschlägig: Hubert Hack: Der Rechtsstreit zwischen dem Fürstbischof von Würzburg und dem Fürstabt von Fulda an der Römischen Kurie um die geistliche Hoheit im Gebiet des Stifts Fulda (1688–1717) (Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und der Diözese Fulda 18). Fulda 1956, hier S. 26–29; zu den Anfängen dieser Bestrebungen: Wolfgang Breul: Die Fuldaer Bemühungen um eine Erhebung der Reichsabtei zum Bistum 1531–1540. In: Fuldaer Geschichtsblätter 79 (2003), S. 47–83. Einzelheiten bei Walther, Abt Balthasars Mission (wie Anm. 24), S. 411–496, der die Dramatik der Ereignisse in anschaulicher Weise vergegenwärtigt. Hack, Rechtsstreit (wie Anm. 30), S. 36–39. Hierzu zuletzt: Berthold Jäger: Die Hexenverfolgungen im geistlichen Fürstentum Fulda. In: Brennen, brennen muss die Hex‘. Hexenverfolgung in der Rhön. 50. Kulturtagung [des Rhönklubs] im Hotel Milseburg am 15.,16. März 2014. Hg. vom Hauptvorstand des Rhönklubs, Red. Gerhilde und Heribert Kramm. Fulda 2014, S. 23–43.

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Balthasars zweiter Nachfolger, der Konvertit Johann Bernhard Schenck zu Schweinsberg (1623–1632)34, war bestrebt, nach der teilweise nur oberflächlich erfolgten Rekatholisierung des Stiftsgebietes die innere Glaubensfestigung zu erreichen und auch die ritterschaftlichen Gebiete zur Römischen Kirche zurückzuführen. Es sollte ein letzter, am entschiedenen Widerstand des buchischen Niederadels scheiternder Versuch zur flächendeckenden Umwälzung der religiösen Verhältnisse sein – worauf noch zurückzukommen sein wird. Auch im Fürstbistum Würzburg kam es seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert namentlich unter den Fürstbischöfen Friedrich von Wirsberg (1558–1573), Julius Echter von Mespelbrunn (1573–1617), Johann Gottfried von Aschhausen (1617–1622), Johann Adolf von Ehrenberg (1623– 1631) und Franz von Hatzfeld (1631–1642) zu massiven gegenreformatorischen Maßnahmen gegenüber Städten und Ritterschaft;35 so wurden etwa in Münnerstadt 1587 rund 80 Bürger und ihre Familien von Echter gezwungen, die Stadt zu verlassen und ihre Güter zu verkaufen – ein mit dem Exodus der Hammelburger Protestanten 1604 vergleichbarer kultureller und wirtschaftlicher Verlust. Solche Aktionen fehlten im nun sächsischen Henneberger Land gänzlich, während die Bevölkerung des 1606 an Hessen gefallenen Hersfeld mit Maßnahmen von Landgraf Moritz dem Gelehrten zur Einführung der „zweiten Reformation“ konfrontiert wurde.36 II. DIE BUCHISCHE RITTERSCHAFT UND DIE REFORMATION

Christoph Bauer konstatiert für den Vorabend der Reformation eine „gesteigerte Religiosität“ in den Reihen des fränkischen Niederadels, gleichzeitig aber auch eine „geringe theologische Bildung“ und demzufolge „pragmatisches Verhalten“ in Glaubensfragen.37 Dies wird man auch bei der Buchischen Ritterschaft voraussetzen dürfen. Die 1492 auf Bitten seiner Ritterschaft von Fürstabt Johann II. von Henneberg (1472–1513) gegründete, strikt standesbezogene und horizontal strukturierte Simplizius-Gesellschaft38 hatte sowohl eine religiöse als auch eine politische Zielsetzung: „ein stärker als bislang religiös ausgerichtetes Leben ihrer Mitglieder, 34 35 36

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Georg Ignaz Komp: Fürstabt Johann Bernhard Schenk zu Schweinsberg, der zweite Restaurator des Katholizismus im Hochstifte Fulda (1623–1632). Fulda 1878. Zusammenfassend: Hanna Brommer: Rekatholisierung mit und ohne System. Die Hochstifte Würzburg und Bamberg im Vergleich (ca. 1555–1700). Göttingen 2014. Gerhard Menk: Hersfelder Widerstände gegen die Einführung der „Zweiten Reformation“ durch Landgraf Moritz von Hessen-Kassel. In: Heimatkalender und Wegweiser Kreis HersfeldRotenburg 36 (1992), S. 39–48; Beate E(lisabeth) Schwarz: Die zweite Reformation in HessenKassel und der Widerstand in der Hersfelder Stadtkirchengemeinde über das Brotbrechen beim Abendmahl 1609. In: Mein Heimatland. Zeitschrift für Geschichte, Volks- und Heimatkunde [Hersfeld] 48 (2009), S. 9–12. Christoph Bauer: Die Reichsritterschaft in Franken. In: Schindling, Ziegler (Hg.), Territorien (wie Anm. 12), S. 182–213, hier S. 194. Hierzu zuletzt: Berthold Jäger: Heilige instrumentalisieren, Heilige propagieren. In: Gregor K. Stasch (Hg.): ... und am Anfang steht ein Mord. Fulda – Ort von Heiligen. Begleitband zur Ausstellung Vonderau Museum 24. Februar bis 17. April 2016 (Vonderau Museum – Kataloge 44). Petersberg 2016, S. 55–75, hier S. 66–69.

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die sich der Leitung eines geistlichen Oberhauptes anvertrauen“ und den „Schulterschluss“ mit dem Lehns- und Landesherrn39 – der letztlich temporär bleiben sollte.40 Persönliche Frömmigkeit fand ihren Ausdruck vor allem in der Stiftung von Seelenmessen, wohl auch in der Ausstattung von Burgkapellen, weniger im Besitz von theologischen Büchern. Persönliche Glaubensüberzeugungen aber waren nicht immer ausschlaggebend bei der Beantwortung der Frage, wie man sich als Niederadliger gegenüber den reformatorischen Gedanken und einer Neuordnung des Kirchenwesens verhalten sollte.41 Selbstverständlich entsprach eine eigenverantwortliche konfessionelle Entscheidung der herkömmlichen Adelsfreiheit; doch galt es auch Rücksicht zu nehmen auf Standes- oder Familieninteressen, die sich aus Lehns- und Dienstbeziehungen, aus Loyalitätsverpflichtungen zu einem mächtige(re)n Landesherrn, aus Versorgungsmöglichkeiten in geistlichen oder militärischen Institutionen, in politischer Hinsicht vor allem aus der Beantwortung der Frage, ob Landsassiat (mit der Möglichkeit über das Steuerbewilligungsrecht Einfluss auf die Landesherrschaft zu nehmen) oder Zugehörigkeit zur reichsfreien Ritterschaft (und damit – allerdings formale – Unabhängigkeit) ergaben. Konfessionelle Neuorientierung bedeutete einerseits „Aufgabe von Chancen und Ressourcen in der alten Kirche“, andererseits die Erweiterung der Herrschaftsfunktionen mittels des Patronatsrechts, d.h. „die untrennbare Verknüpfung von Herrschaft im weltlichen und kirchlichen Bereich“.42 Pragmatisches Denken und Handeln in puncto Glaubensbekenntnis war also ge39 40 41

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Ders., Heilige instrumentalisieren (wie Anm. 38), S. 67. 1510 wurde dieser „Schulterschluss“ durch eine ritterschaftsinterne Einung praktisch „kassiert“. Vgl. dazu ders., Geistliches Fürstentum (wie Anm. 3), S. 28, 167f.; Teuner, Fuldische Ritterschaft (wie Anm. 3), S. 49–52. Zu den Bedingungen adliger Konfessionsentscheidungen vgl. die Ausführungen von Gerrit Walther: Glaube, Freiheit und Kalkül. Zur Frage von „Anpassung und Mobilität“ bei adligen Konfessionsentscheidungen im 16. Jahrhundert. In: Horst Carl, Sönke Lorenz (Hg.): Gelungene Anpassung? Adelige Antworten auf gesellschaftliche Wandlungsvorgänge vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Zweites Symposion „Adel, Ritter, Reichsritterschaft vom Hochmittelalter bis zum modernen Verfassungsstaat“ (24./25. Mai 2001, Schloß Weitenburg) (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 53). Ostfildern 2005, S. 185–200; Richard Ninness: Die Saat des Zwiespalts. Reichsritterschaft und konfessionelle Bündnispolitik vor dem Dreißigjährigen Krieg. In: Eckhart Conze, Alexander Jendorff, Heide Wunder (Hg.): Adel in Hessen. Herrschaft, Selbstverständnis und Lebensführung vom 15. bis ins 20. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 70). Marburg 2010, S. 251–267; Alexander Jendorff: Eigensinn in geschwinden Zeiten. Adeliges Selbstverständnis und adeliges Handeln in den strukturellen Veränderungsprozessen vom 14. bis zum 18. Jahrhundert. In: Historisches Jahrbuch 131 (2011), S. 215–261, hier S. 245–258. Vgl. auch ders.: Eigenmacht und Eigensinn. Zum Verhältnis von Kollektivität und Individualität im alteuropäischen Adel. In: Historische Zeitschrift 292 (2011), S. 613–644; ders.: Niederadel und Reformation in Hessen: eine Konflikt- oder Konsensgeschichte?. In: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 64 (2013), S. 17–65. Ders., Eigensinn in geschwinden Zeiten (wie Anm. 41), S. 250 (erstes Zitat) bzw. Hanskarl Frhr. von Thüngen: Einige Daten aus der Herrschaft Thüngen. Vom 12. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Aufbau und Entwicklung bis zur Reformation. In: Baier, Soder von Güldenstubbe (Hg.), „Bei dem Text des Heiligen Evangelii“ (wie Anm. 19), S. 11–37, hier S. 29 (zweites Zitat).

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fragt. „Individuelle Selbstbestimmung der konfessionellen Identität und die kollektive Sicherung der materiellen Ressourcen“ gingen auch für die Buchischen Ritter „Hand in Hand und bewährten sich systemisch“.43 Zudem trug der Ritter Verantwortung für seine eigenen Untertanen, fungierte als deren „Obrigkeit und Protektor“44. Ebenso sollte nicht übersehen werden, dass konfessioneller Pluralismus mancherseits auch eine bewußte (!) religiöse Indifferenz zur Folge hatte beziehungsweise sich viele Familien die Option für beide Konfessionen aufrechterhielten, „interfamiliär“, „intrafamiliär“, „intragenerationell“, „intergenerationell“.45 So erklärt es sich, dass protestantische Ritterfamilien nicht nur aus dem hessischen, sondern auch aus dem fuldischen oder fränkischen Adel im ausgehenden 16. und im 17./18. Jahrhundert ihre Söhne in die Obhut des von den Jesuiten getragenen Päpstlichen Seminars in Fulda gaben – wohl wissend, dass diese Jünglinge einem dauerhaften Konversionsdruck ausgesetzt waren, aber eben auch kühl kalkulierend, dass sich ihnen nach einem Bekenntniswechsel die Möglichkeit ergeben würde, einen Abtsstuhl zu besteigen (und dann Verwandte zu protegieren und zu versorgen). Am Rande mag auch die Überlegung mitgespielt haben, dass auf diesem Wege die Protestantisierung des Stifts Fulda gelingen könnte. Beispiele für eigensinnlich effektive Konversionen bieten die Fuldaer Fürstäbte Johann Friedrich von Schwalbach (1606–1622) und Johann Bernhard Schenck zu Schweinsberg (1623–1632), ersterer religiös indifferent und im Gegensatz zu den Vorschriften der „Amtskirche“ lebend, letzterer ein entschiedener Gegenreformator und einer der sprichwörtlichen „neuen Besen, die gut kehren“. Nominell eindeutig alt- oder neugläubige Familien erhielten sich Versorgungsoptionen dadurch, dass einige ihrer Mitglieder der interfamiliären Minderheits-Konfession anhingen; starben diese aus, sprangen andere mittels Konversion in die Bresche – prosopographische Forschungen bringen hier mehr zu Tage als aus bisher bekanntem Quellenmaterial ersichtlich ist.46 Und solange die Zulassung zu Stifts- oder Domkapiteln noch nicht von einem klaren Bekenntnis zur tridentinisch-katholischen Kirche abhängig war – dies wurde erst seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts vorgeschrieben –, konnten sogar Krypto-Protestanten in solche Positionen gelangen. Bevor auf das Verhältnis Buchische Ritterschaft und Reformation konkreter eingegangen werden soll, noch eine Bemerkung zur Quellenbasis: Wir wissen recht wenig über die Reformation in den ritterschaftlichen Gebieten der Rhön. Viele „zukunftsweisende Konfessionsentscheidungen“ vollzogen sich hier wie andernorts – in den Worten Gerrit Walthers – „so diskret [...], dass der Historiker nur in seltenen Fällen feststellen kann, wann sie genau erfolgten und welche Familienmitglieder sich an ihnen beteiligten. Weniger in programmatischen Verlautbarungen nämlich wurde ihr neuer Glaube sichtbar als in kulturellen Manifestationen“: in der Errich43 44 45 46

Jendorff, Eigensinn in geschwinden Zeiten (wie Anm. 41), S. 251. Ebd., S. 247. Ebd., S. 252. Dies zeigt die Materialsammlung des Autors für eine Prosopographie der fuldischen Beamtenschaft 1472–1802. Ebenso die Arbeit von Heinzjürgen N. Reuschling: Die Regierung des Hochstifts Würzburg 1495–1642. Zentralbehörden und führende Gruppen eines geistlichen Staates (Forschungen zur fränkischen Kirchen- und Theologiegeschichte 10). Würzburg 1984.

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tung neuer, das evangelische Bekenntnis widerspiegelnder Kirchen, der Anstellung eigener Pfarrer, der Ausgestaltung von Familiengrablegen, der Gründung von Schulen und Hospitälern, dem Aufbau eigener Bibliotheken.47 Doch selbst wenn sich solche Aktivitäten aufspüren lassen, ist Quellenkritik gefragt: Nicht jede Hinwendung eines Adligen zum neuen Glauben ist gleichbedeutend mit der Einführung eines evangelischen Kirchenwesens in seiner Ritterherrschaft. Für Letzteres muss man im Besitz des Patronatsrechts sein und dem zuständigen Bischof einen Kandidaten präsentieren (und umgekehrt einen nicht genehmen Kandidaten ablehnen) dürfen.48 Und nicht jede Einsetzung eines protestantischen Predigers hat den Übertritt eines großen oder des größten Teiles der abhängigen Untertanen und Gläubigen zur Folge. Zum anderen ist nicht jeder verheiratete Pfarrer evangelisch gesinnt. Im Stift Fulda wird die Durchsetzung des Zölibats erst Ende des 16. Jahrhunderts in Angriff genommen; vorher waren viele katholische Pfarrer von Amtsbrüdern eingesegnet worden und hatten ganz legal Frauen und Kinder49 – was offenkundig auch damit zusammenhängt, dass die Reformationsordnung von 1542 den Zölibat nicht ausdrücklich festgeschrieben hatte. Nur wenn ein Pfarrer das Evangelium „klar und lauter“ verkündete, war er definitiv ein Protestant. Wie verworren sich die Verhältnisse gestalten konnten, sei an einem Beispiel illustriert. Am Rande der Rhön, im Grenzbereich zwischen Fulda, Hessen und Mainz, waren einzelne Mitglieder der Familie von Schlitz gen. von Görtz – sie stellte die Erbmarschälle des Stifts Fulda – seit 1546 protestantisch gesinnt. Werner von Schlitz konnte – freilich ohne rechtliche Befugnis – 1548 den Ortspfarrer dazu bewegen, vom katholischen Ritus abzulassen. 1563 erhielt der protestantisch erzogene, aber zum Katholizismus zurückgekehrte Johann Eustachius50 vom Fuldaer Abt das Patronatsrecht, mittels dessen wiederum sein katholisch aufgewachsener Sohn Wilhelm Balthasar die Reformation in seinem Territorium 1612 offiziell einführte – nachdem sein (vielleicht bloß formell) katholischer Vater als Kollator nur protestantische Pfarrer eingesetzt hatte51 –, selbst aber in Diensten katholischer 47 48

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Walther, Glaube, Freiheit und Kalkül (wie Anm. 41), S. 188f. Olga Weckenbrock: Von Interessen und Pflichten. Der Osnabrücker Adel und das Kirchenpatronat im Reformationszeitalter. In: Susanne Tauss, Ulrich Winzer (Hg.): Miteinander leben? Reformation und Konfession im Fürstbistum Osnabrück 1500 bis 1700. Beiträge der wissenschaftlichen Tagung vom 3. bis 5. März 2016. Münster, New York 2017, S. 199–212. Berthold Jäger: Dr. Balthasar Wiegand (ca. 1545–1610), fuldischer Generalvikar und Kanzler. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 45 (1993), S. 141–211, hier S. 158–160 mit Anm. 101. Fuldischer Hofmarschall und Hofrat seit 1560, Amtmann zu Burghaun 1571–1575 und zu Fürsteneck 1575–1579, während der Besetzung des Stifts Fulda 1576/77 durch Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn würzburgischer Statthalter in Fulda, seit 1580 würzburgischer Amtmann zu Neustadt an der Saale, Hofrat und Hofmeister, 1587–1597 Statthalter der kaiserlichen Administration des Stifts Fulda und fuldischer Rat, nach katholischem Zeremoniell bestattet in der Fuldaer Stiftskirche. Vgl. Reuschling, Regierung des Hochstifts Würzburg (wie Anm. 46), S. 311f. Ludwig Achenbach: Buchische Ritterschaft und Reformation am Beispiel der Herren von Schlitz gen. von Görtz. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 47 (1995), S. 189–214; vgl. auch: 1200 Jahre Schlitz (wie Anm. 6), darin: Käthe und Johannes Wildner: Aspekte der Schlitzer Kirchengeschichte, S. 25–30, hier S. 27–29; Jürgen Braungart: Von Edelfreien über Ministeriale

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Fürsten blieb (Fulda und Mainz) und Anführer einer auf Ausgleich mit dem Stift Fulda bedachten Fraktion innerhalb der fuldischen Ritterschaft wurde. Aber es gibt auch eindeutige(re) und zudem frühere Quellenbelege, wenngleich die Anfangsjahre der Reformation als städtisch-bürgerliche und zum Teil bäuerliche Bewegung seitens der überwiegenden Zahl der Buchischen Ritter mit Zurückhaltung beobachtet wurden. So äußerte sich die Ritterschaft auf dem Rittertag vom 1. April 1527 offiziell nicht zur Bitte des fuldischen Koadjutors Johann von Henneberg um eine Stellungnahme zur religiösen Situation im Stift Fulda, wohingegen sich die Städte in der gleichen Angelegenheit dezidiert für die Beibehaltung neu eingeführter Zeremonien aussprachen.52 Wohl schon 1529/30, spätestens aber seit 1533 unterhielt die im hessisch-fuldischen Grenzgebiet begüterte und herrschaftliche Rechte mit der Landgrafschaft Hessen teilende Familie von Trubenbach (Trübenbach, Trümbach) in Rhina einen evangelischen Prädikanten – auch mit Geldern beziehungsweise Zinseinkünften, die eigentlich für das Seelengedächtnis ihrer Vorfahren gedacht waren.53 Rhina war der kirchliche Hauptort der Ritterherrschaft, die Ritter hatten ihren Burgsitz in Wehrda. Letzterer Ort wurde 1567 mit dem Umbau und der Erweiterung einer 1476 erstmals erwähnten kleinen Kirche zu einer „wehrhaften Kirchenburg“ und mit der Bestellung eines eigenen Prädikanten54 auch „kirchliches Zentrum“ des adligen Patrimonialgerichts.

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der Abtei Fulda zu Grafen des Heiligen Römisches Reiches, S. 15–24, hier S. 18–20, 23f. sowie jetzt vor allem J. Friedrich Battenberg: Eustachius von Schlitz und die Reformation in der Herrschaft Schlitz. In: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 64 (2013), S. 89–107, der die irenische Grundeinstellung von Eustachius betont und „deutliche Anzeichen“ dafür geltend macht, „dass Eustachius trotz seiner wohl kaum bestreitbaren Katholizität eine Position zwischen, wenn nicht gar über den konfessionellen Parteiungen einnahm“ (S. 105). Jäger, Geistliches Fürstentum (wie Anm. 3), S. 241. Harald Neuber: Haunetaler Geschichte. Haunetal 1992, S. 116; ders.: Rhina im Spiegel seiner christlich-jüdischen Vergangenheit. Haunetal-Rhina 2005, S. 45–47. Dieter Großmann: Protestantischer Kirchenbau im Hersfelder Gebiet bzw. im Kreis Hersfeld. Wehrda. In: Mein Heimatland. Geschichte, Volks- und Heimatkunde [Hersfeld] 16 (1954/55), S. 82f. [Nachdr. in: ders.: Protestantischer Kirchenbau, Marburg an der Lahn 1996 (Beiträge zur hessischen Geschichte 11), S. 182–186]; Erwin Sturm: Die Bau- und Kunstdenkmale des Kreises Hünfeld (Die Bau- und Kunstdenkmale des Fuldaer Landes 2). Fulda 1971, S. 431–437; Neuber, Haunetaler Geschichte (wie Anm. 53), S. 91f., 94; Victor Sabo: Im Zeichen der drei Rosen. Die Patronatskirche in Haunetal-Wehrda. Vom Umbau einer vormals ostwärts ausgerichteten Chorturmkirche zu einer wehrhaften Burg mit Grablege und einzigartiger, welscher Turmhaube. In: Mein Heimatland. Zeitschrift für Geschichte, Volks- und Heimatkunde [Hersfeld] 48 (2009), S. 33–36. „Bauherr“ der Kirche war der wie sein Vater Karl (1495/96–1556) dem Protestantismus anhängende Lukas von Trümbach (1515–1570), fuldischer Rat und Amtmann zu Burghaun seit spätestens 1553 und bis mindestens 1567 (Materialsammlung des Autors), der für sich und seine Gemahlin vom Bildhauer Valentin Hep ein prachtvolles Epitaph anfertigen ließ. In seinem Testament vom 4. Juni 1567 verfügte er: „Nachdem bißdoher alhir zu Werda kein Pfarher heußlich gewonet noch sich betragen können, und dan die hohe Notturft erfordert, auch Got der Her selbst gebotten und bevolen hat, das sein Reich am ersten gesucht werden sol, und eß nun an dem, das man albereit eine Neue Kirchen dieses Orts zu erbauen angefangen, auch hinfuro ein Christlicher, tüchtiger Seelsorger das Wort Gottes rein und lauter furzutragen und die

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1534 schuf der Lutherfreund Eberhard von der Tann (1495–1574)55 die Voraussetzungen für die Einführung der Reformation in seiner Grundherrschaft mit der Berufung eines evangelischen Predigers und kurz darauf mit der Einstellung von lutherisch gesinnten Lehrern. Eberhard hielt allerdings daran fest, die Zustimmung zur Bestellung von Predigern in Fulda zu erbitten; noch 1562 war dies der Fall.56 Weithin sichtbar dokumentiert wurde der neue Glaube 1563 mit dem Bau einer neuen Kirche – nicht wie sonst meist üblich mit der Umwidmung einer katholischen in eine protestantische Kirche.57 Balthasar von Steinau-Steinrück in Poppenhausen und Wüstensachsen und Balthasar von Ebersberg gen. von Weyhers in Gersfeld58 folgten 1537 mit der Anstellung des ehemaligen Wollwebers Markus Sebander (genannt Eidmann) aus Steinau an der Straße, welcher über seine bis 1546 reichende Tätigkeit einen kurzen Bericht verfasst hat.59 Die drei Adligen stützten sich auf das Eigenkirchenrecht und die daraus abgeleitete Befugnis zur Präsentation von Geistlichen. Gleiches taten die hauptsächlich im würzburgischen Einflussbereich begüterten Herren von Thüngen, die aber auch Besitzungen im fuldischen Teil der Rhön hatten und 1546 die von Steinau-Steinrück in Poppenhausen und Wüstensachsen beerbten. Gerade die von Thüngen avancierten zu Vorreitern in der Etablierung des neuen Glaubens in ihren verstreuten Herrschaftsgebieten,60 obwohl auch sie in der eigenen Familie ihre Katholiken hatten.61

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heyligen hochwirdigen Sacramenta [...] zu administriren und zu reichen, anhero gegen Werda verordnet werden soll.“ (Hessisches Staatsarchiv Marburg, R IX: von Trümbach, 1567 Juni 4) Zu ihm siehe jetzt die Dissertation von Johann Peter Altmann: Reichsritter und Reformation. Eine Untersuchung über die Rolle des reichsfreien niederen Adels am Beispiel derer von der Tann. Phil. Diss. Frankfurt am Main 2014; Online-Version: Univ.-Bibl. Frankfurt am Main, URN: urn:nbn:de:hebis:30:3–355582 (11.02.2015) sowie Horst Nieder: Die Geschichte der Familie von der Tann in der Reformationszeit. Petersberg 2015. Vgl. auch ders.: Eberhard von der Tann – Politiker und Gesandter im Dienste der Reformation. In: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 64 (2013), S. 67–87. Walther, Abt Balthasars Mission (wie Anm. 24), S. 388 Anm. 296. Altmann, Reichsritter und Reformation (wie Anm. 55), S. 121f.; vgl. auch Johann Rüppel: Eine feste Burg ist unser Gott. Von der evangelischen Gemeinde in Tann und ihren Pfarrern. In: Joachim S. Hohmann (Hg.): Wir in Tann. 800 Jahre Stadtgeschichte. Hünfeld 1997, S. 240–267, hier S. 240–244; ders.: Die Einführung der Reformation durch Eberhard von der Tann. In: Auf den Spuren derer von der Tann (wie Anm. 6), S. 9–12. Letzterer nach Fritz Luckhard ein Freund von Fürstabt Johann III., fuldischer Hofmarschall 1540–1542, als fuldischer Hofrat 1540–1551 und als Amtmann zu Brückenau 1540–1547 nachgewiesen; vgl. Fritz Luckhard: Das „Obere Schloß“ zu Gersfeld, eine Burg des Ebersberger Rittergeschlechts. In: Fuldaer Geschichtsblätter 36 (1960), S. 104–124, hier S. 120. Dominikus Heller: Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda, 5 Hefte. Fulda 1956–1958, hier Heft 4, S. 497, 514–516 (mit Zitaten aus Sebanders Bericht). Sebanders vollständiger Bericht in: Rudolf Jung (Bearb.): Frankfurter Chroniken und annalistische Aufzeichnungen der Reformationszeit. Nebst einer Darstellung der Frankfurter Belagerung von 1552 (Quellen zur Frankfurter Geschichte 2). Frankfurt am Main 1888. Einzelheiten dazu in: Christoph Bauer: Die Einführung der Reformation, die Ausgestaltung des evangelischen Kirchenwesens und die Auswirkungen der Gegenreformation im Gebiet der Herren von Thüngen (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 60). Neustadt a.d. Aisch 1985; Baier, Soder von Güldenstubbe (Hg.), „Bei dem Text des Heiligen Evangelii wollen wir bleiben“ (wie Anm. 19). Am bekanntesten ist wohl der Würzburger Domdechant und nachmalige Bamberger Fürstbi-

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Das waren zwar zunächst einmal Einzelaktionen. Dennoch muss vor allem das Beispiel Eberhards von der Tann, der durch seine persönliche Freundschaft mit Martin Luther, seine Vertrautheit mit den Kurfürsten Johann dem Beständigen und Johann Friedrich dem Großmütigen von Sachsen und durch seine umfassenden Dienste als fürstlicher Rat und seine diplomatischen Aktivitäten für die Ernestiner der geborene Anführer der Rhöner Ritterschaft und sicherlich einigen Standesgenossen ein Vorbild war, ansteckend gewesen sein. Was vom (nur kurzfristigen) Wirken des zwar standesbewussten, jedoch eher als Einzelkämpfer publizistisch agierenden Ulrich von Hutten (1488–1523) trotz seiner unstreitigen Bedeutung für die „Sturmjahre der Reformation“62 wohl nicht behauptet werden kann. Jedenfalls gilt auch für Konversionen Erwin Riedenauers Einschätzung, der „Einfluss des jeweiligen Familien- und Freundeskreises“ sei „schwer nachzuweisen, aber vermutlich doch recht wichtig“.63 Frühe Hinwendungen einzelner Ritter bedeuteten natürlich nicht automatisch, dass der Rest der Familie nachzog. Bemerkenswerte Beispiele hierfür liefern die von Erthal und die von Hutten. Burkhard von Erthal (1491/92–1553/54) und Bernhard von Hutten zu Birkenfeld (1474–1539) gehörten Christoph Bauer zufolge zu den frühesten Anhängern der Reformation im fränkischen Niederadel64 – auch wenn Burkhard von Erthal den endgültigen Bekenntniswechsel wohl vermied.65

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schof Neidhard von Thüngen, der in letzterem Amt gegenreformatorische Züge zeigte, in ersterem Amt sich als geschickter Politiker, Widerpart wie Mitspieler von Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn erwies, aber durchaus für weltliche Gelüste empfänglich war. Zu ihm siehe Rudolf Frhr. von Thüngen, Geschlecht der Freiherrn von Thüngen (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 366–397; Otto Schaffrath: Ein Bamberger Fürstbischof aus Wüstensachsen. Neithard von Thüngen (1591–1598). In: Buchenblätter 43 (1970), S. 114f.; Dieter J. Weiß: Das exemte Bistum Bamberg, Bd. 3. Die Bischofsreihe von 1522 bis 1693 (Germania Sacra N.F. 38,1). Berlin, New York 2000, S. 258–304; Walther, Abt Balthasars Mission (wie Anm. 24), S. 374–378. Vgl. dazu Volker Press: Ulrich von Hutten, Reichsritter und Humanist 1488–1523. In Nassauische Annalen 85 (1974), S. 71–86; Nachdr. in: ders., Adel im Alten Reich (wie Anm. 2), S. 299– 318; Gerrit Walther: Ulrich von Hutten – seine Zeit und seine Beziehungen zu Fulda. Jahresgabe der Freunde und Förderer der Hochschul- und Landesbibliothek Fulda e.V., Fulda 2015. Zu Hutten als national-reformatorischem und papstkritischem Autor zuletzt: Arnold Becker: Ulrichs von Hutten polemische Dialoge im Spannungsfeld von Humanismus und Politik (Super alta perennis 15). Göttingen, Bonn 2013; Heiko Wulfert: Die Kritik an Papsttum und Kurie bei Ulrich von Hutten (1488–1523) (Rostocker theologische Studien 21). Berlin, Münster 2009; zu Huttens Differenzen mit Erasmus von Rotterdam über die „Causa Lutheri“ vgl. Monique Samuel-Scheyder: Ulrich von Hutten et Érasme. In: Ulrich von Hutten, Expostulatio. La traduction allemande, parue à Strasbourg en 1523; accompagnée du texte latin, paru à Strasbourg en 1523 (Notulae Erasmianae 10). Hg. u. übers. von ders. Hg. von Alexandre Vanautgaerden. Turnhout 2012, S. 9–130. Erwin Riedenauer: Die Konfessionsfrage in der fränkischen Reichsritterschaft. Fragen und Thesen. In: Baier, Soder von Güldenstubbe (Hg.), „Bei dem Text des Heiligen Evangelii wollen wir bleiben“ (wie Anm. 19), S. 101–111, hier S. 104. Bauer, Reichsritterschaft (wie Anm. 37), S. 197. Nach Martin Balduin Kittel: Geschichte der freiherrlichen Familie von und zu Erthal. Aus den Quellen dargestellt. In: Archiv des Historischen Vereines für Unterfranken und Aschaffenburg 17/2–3 (1865), S. 97–225, hier S. 116, stand er bei Kaiser Karl V. hoch im Kurs und übermittelte diesem auf Verlangen diskrete Informationen über die Glaubenseinstellungen fränkischer Ritter – „obgleich mit seiner Familie streng am Glauben seiner Väter haltend“. Andererseits lehnte er es als fuldischer Schultheiß zu Hammelburg aus Gewissensgründen 1549 ab, einer

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Burkhards Sohn Johann Georg von Erthal (1520–1583), zeitweilig fuldischer Rat und Schultheiß zu Hammelburg (ca. 1560–1570), bekannte sich hingegen als würzburgischer Statthalter im okkupierten Fulda 1576 offen zum Protestantismus.66 Dennoch galten die Erthal als besonders resistent gegenüber dem neuen Glauben; dass weitere Familienmitglieder zum Protestantismus übergetreten waren, erfährt man nur im Zusammenhang mit der Konversion zweier Frauen dieses Geschlechts.67 Bernhard von Hutten zu Birkenfeld, verheiratet mit der Rhönerin Gertraud von Ebersberg gen. von Weyhers, sorgte erfolgreich für die Ausbreitung der reformatorischen Lehre in seiner Herrschaft in den Haßbergen (abseits der Rhön); sein Sohn Moritz (1502–1552) aber wählte die geistliche Karriere (beziehungsweise wurde vom Vater dafür ausersehen) und stieg 1539 zum Bischof von Eichstätt auf.68 Er entschied sich frühzeitig für das „alte runzlige Mütterchen“, als das er die katholische Kirche 1526 bezeichnete. Gleichzeitig warnte er seinen Vater vor einem allzu offenen Eintreten für die Reformation – bei gleichzeitiger Anerkennung einer großen Reformbedürftigkeit auf katholischer Seite: Er sollte sich „nit zw ser auff die andern Seitten hencken“ und mit seiner wahren Meinung „ein wenig hinter dem Berg“69 halten. Wilhelm von Hutten (1509–1554), der jüngste Bruder von Moritz, etablierte sich hingegen durch Ausbildung am kursächsischen und Dienste am mansfeldischen Hof auf der evangelischen Seite. Unter seinen Söhnen Georg Ludwig (um 1545–1613), wie der Vater in kurpfälzischen Diensten, und Bernhard (um 1546–1613), brandenburg-ansbachischer Hofmarschall, entwickelte sich Birkenfeld dann zu einem Zentrum der evangelischen Lehre; und der fränkische Hauptstamm der Hutten blieb fortan beim reformatorischen Bekenntnis.70 Anders sah es bei der Stolzenberger Linie aus, die zusammen mit der Steckelberger Linie, der der Dichter Ulrich von Hutten entstammte, auch in die Rhön hineinwirkte. Johann der Reiche von Hutten zu Stolzenberg (1552–1617), dessen Be-

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Anweisung der Regierung Folge zu leisten und Hammelburger Bürger, die die Teilnahme am katholischen Gottesdienst verweigerten, zu bestrafen; vgl. (Philipp Jacob) Doell: Geschichtliche und statistische Nachrichten über die Stadt Hammelburg und Schloß Saaleck. In: Archiv des Historischen Vereins für Unterfranken und Aschaffenburg 22 (1874), S. 263–552, hier S. 366. „Karrieredaten“ für Fulda nach der Materialsammlung des Autors. Zum „Religionsbekenntnis“: Hermann Frhr. von Egloffstein: Fürstabt Balthasar von Dermbach [!] und die katholische Restauration im Hochstift Fulda 1570–1606. München 1890, S. 65. Hammelburger Convertiten aus dem fränkischen Adel. In: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 97 (1886), S. 790–794, hier S. 790–793. Karl Ried: Moritz von Hutten, Fürstbischof von Eichstätt (1539–1552) und die Glaubensspaltung. Auf Grund archivalischer Quellen bearbeitet (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 43/44). Münster i.W. 1925; Ernst Reiter: Moritz von Hutten (1503/1539–1552), Bischof und Fürst von Eichstätt. In: Fränkische Lebensbilder. Neue Folge der Lebensläufe aus Franken. Bd. 20. Hg. von Erich Schneider. Neustadt a.d. Aisch 2004, S. 51–67; Hanna, Ritteradlige von Hutten (wie Anm. 8), S. 474–482. Beide Zitate nach Gisela Schmitt: Alte und neue Welt: Die Beziehungen des Joachim Camerarius zum Konquistador Philipp von Hutten. In: Rainer Kößling, Günter Wartenberg (Hg.): Joachim Camerarius (Leipziger Studien zur klassischen Philologie 1). Tübingen 2003, S. 303– 335, hier S. 307. Hanna, Ritteradlige von Hutten (wie Anm. 8), S. 467, 487, 487–490, 492–502, 561f.

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sitzungen in Soden, Salmünster und Umgebung neben fuldischen vor allem kurmainzischen Einflüssen ausgesetzt waren, erklärte zwar, „wie sein Vater Valentin und seine verstorbenen Vettern der augspurgischen Confession zugetan“ zu sein;71 sein Versuch 1597, dem lutherischen Bekenntnis zum Durchbruch in Soden und Salmünster zu verhelfen, indem er neben Familienangehörigen und seinem Gesinde auch auswärtige Personen an lutherischen Gottesdiensten im Schloss Soden und in der Kapelle der Burg Stolzenberg teilnehmen ließ, wurde aber bereits in den Ansätzen erstickt – der katholische Pfarrer Göbel verwahrte sich gegen ein exercitium religionis publicum. Es blieb für Johann und seine Familie bei Privatgottesdiensten. Johann war unter dem Einfluss seiner Mutter Margarethe, einer Schwester des Mainzer Erzbischofs Daniel Brendel von Homburg (1555–1582), altgläubig erzogen worden und hatte auch nach katholischem Ritus geheiratet. Vielleicht im Zuge der Auseinandersetzungen der Buchischen Ritter mit Fürstabt Balthasar von Dernbach ab 1570 hatte sich Johann, der eine führende Stellung im Kreis der Abtsgegner einnahm und Mitglied des Ausschusses der Ritterschaft war, dem evangelischen Bekenntnis zugewandt.72 Mehrheitlich aber blieb das in vier Hauptstämme verzweigte und über wirtschaftliche Potenz verfügende sowie den Bischofssitzen von Mainz, Würzburg und Speyer verbundene Geschlecht der Hutten katholisch. Es ist nicht bekannt, dass in den ritterschaftlichen Gebieten Maßnahmen zur Einführung der Reformation ergriffen worden wären, weil sie auf Forderungen der Bevölkerung zurückgingen – obwohl sicherlich auch ritterschaftliche Hintersassen zu den Zuhörern etwa des 1523 im Müntzerschen Sinne predigenden „Dipperzer Christus“ gehörten und seinen aufrührerischen Reden im Bauernkrieg Folge leisteten. Konkrete Reformierungsmaßnahmen konnten in jedem Fall nur von den Rittern, näherhin den Senioren der Familienverbände, ausgehen. Bei vielen von ihnen lässt sich „eine wohlwollende Aufgeschlossenheit für die neue Lehre erkennen und das Bedürfnis, Gottes Wort frei zu machen von menschlicher Interpretation, verbunden mit dem Bestreben, den notwendig erscheinenden Reformen ohne Aufruhr Eingang zu verschaffen.“73 Diese Einstellung ging in manchen Fällen auch einher mit patriarchalischem Denken und einem gewissen Verantwortungsbewusstsein für das Seelenheil der Untertanen74. Religöses Eiferertum allerdings war den Rittern weitgehend fremd. Auch kannte man die theologischen Differenzen zwischen „altem“ und „neuem Glauben“ zu wenig, ein Kommunikationsproblem zwischen Theologen und Laien ist unübersehbar. 71

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Auszug aus dem „alten Pfarrbuch“ von Salmünster im Archiv des Bischöflichen Generalvikariats Fulda (Diözesanarchiv), zitiert nach Hanna, Ritteradlige von Hutten (wie Anm. 8), S. 562, 141. Zum Autor der Pfarrchronik: Damasus Fuchs: Johannes Haal, Pfarrer in Salmünster 1603– 1609. In: Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und der Diözese Fulda, Bd. 4, Fulda 1907, S. 45–52. Hanna, Ritteradlige von Hutten (wie Anm. 8), S. 141f., 136f., 562; ausführlicher: Damasus Fuchs: Geschichte des Kollegiatstiftes und der Pfarrei zu den Hl. Aposteln Peter und Paulus Salmünster (Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und der Diözese Fulda 8). Fulda 1912; Reprint Bad Soden-Salmünster 1978, S. 48f. Zu von Johann von Hutten veranlassten bzw. geduldeten Störungen katholischen Gottesdienstes ebd., S. 46f. Riedenauer, Konfessionsfrage (wie Anm. 63), S. 104. Diesen Aspekt hebt Bauer, Einführung (wie Anm. 60), S. 192 hervor.

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Hinzu kommt, dass es den meisten ritterschaftlichen Konvertiten wahrscheinlich eher um Reformen im ursprünglichen Sinne Luthers ging als um Reformation, vor allem nicht um Reformation im Sinne von Säkularisation. Zu lebendig war und blieb die Vorstellung, dass Klöster und Stifte zur Versorgung adliger Söhne und Töchter unverändert wichtig waren: sie sollten „nicht eingezogen, sondern reformiert und weiter zum Unterhalt des Adels verwendet werden.“75 Eine standesgemäße Versorgung entlastete zudem die auf den Burgsitzen verbleibenden Familienangehörigen, sicherte ihren sozialen Status und versprach über die geistlichen Verwandten auch politische und wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten76. Schließlich ist ein weiterer Aspekt nicht zu vernachlässigen: „Da die Reformation auch eine sehr kostspielige Maßnahme war, stellte das ‚ius reformandi‘ eben nur die Voraussetzung für das ‚reformieren‘ dar. Das Kapital bzw. die regelmäßigen Einkünfte für die neuen Pfarreien mußte der Reformator selbst aufbringen. [...] So bedurfte es einer wirtschaftlich gesunden Herrschaft, um den Schritt zur Reformation zu wagen.“77 Doch noch einmal zurück zu den reformatorischen Aktivitäten des Buchischen Adels Mitte des 16. Jahrhunderts. Auf dem Landtag vom 3. November 1541 baten protestantische Ritter den neuen Fürstabt Philipp Schenck zu Schweinsberg um Belassung der von ihnen angestellten Prediger im Amt78. Das kann als Indiz dafür gelten, dass nun, wie in anderen Ritterherrschaften, auf eher spontane Einzelaktionen wie die Berufung protestantischer Prediger eine Phase der „Orientierung im territorialen und reichspolitischen Rahmen“ folgte, „wo die reformatorische Bewegung zunehmend strukturiert wurde“79, und in der wohl auch die Fuldaer Kirchenordnung von 1542 die Hinwendung weiterer Ritter zur Reformation nicht verhindern konnte – selbst wenn sie insgesamt gesehen die religiös-konfessionelle Situa75 76 77 78

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Riedenauer, Konfessionsfrage (wie Anm. 63), S. 105. Bauer, Einführung (wie Anm. 60), S. 191. Thüngen, Einige Daten (wie Anm. 42), S. 29. Jäger, Geistliches Fürstentum (wie Anm. 3), S. 241. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass sich die Kantone der fränkischen Reichsritter 1539 nicht zu einer Stellungnahme zu den Religionsstreitigkeiten bewegen konnten. Vgl. Helmut Neumaier: Reformation und Gegenreformation im Bauland unter besonderer Berücksichtigung der Ritterschaft (Forschungen aus Württembergisch-Franken 13). Schwäbisch-Hall 1978, S. 91. Volker Press: Adel, Reich und Reformation. In: Wolfgang J. Mommsen, Peter Alter, Robert W. Scribner (Hg.): Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland – The Urban Classes, the Nobility and the Reformation. Studies on the Social History of the Reformation in England and Germany (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 5). Stuttgart 1979, S. 330–383, hier S. 343. Zu den bahnbrechenden Forschungen von Press zur Geschichte der Reichsritterschaft und zur konfessionellen Orientierung des Niederadels vgl. Franz Brendle, Anton Schindling: Volker Press (1939–1993). Ständeforscher und Historiker des Adels im Alten Reich. In: Press, Adel im Alten Reich (wie Anm. 2), S. 9–40; Richard J. Ninness: Im konfessionellen Niemandsland – Neue Forschungsansätze zur Geschichte der Reichsritterschaft zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg. Das Vermächtnis von Volker Press. In: Historisches Jahrbuch 134 (2014), S. 142–164; ders.: Volker Press‘ „Adel, Reich und Reformation“ aus der Sicht des 21. Jahrhunderts und neue Perspektiven für die Erforschung der Reichsritterschaft. In: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 64 (2013), S. 109–125.

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tion offenzuhalten vermochte. Nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555, der den Landesherren die konfessionelle Entscheidungsbefugnis zuerkannt hatte (cuius regio, eius religio), dürften zusätzliche Ritter – nicht nur für sich persönlich, sondern auch für ihre Hintersassen (!) – den Schritt hin zur evangelischen Konfession vollzogen haben. Dies lässt sich jedenfalls aus dem Bau neuer evangelischer Kirchen, etwa in den zwischen Fulda und Hessen(-Kassel) lavierenden Herrschaften Buchenau (1568–1573, mit Filialkirchen in Bodes 1576 und Erdmannrode 1573)80 oder Mansbach (1569)81 sowie aus den Reaktionen auf die gegenreformatorischen Maßnahmen Abt Balthasars ab 1570 erschließen. Namentlich gilt dies für die Einrichtung des Jesuitengymnasiums in Fulda, auf die Ritterschaft und Städte mit der Wiederholung alter Forderungen nach Etablierung einer evangelischen Schule antworteten, sowie die Absetzung mehrerer protestantischer Prediger und ihre Ersetzung durch (zumindest äußerlich) tridentinisch-katholische, unverheiratete Geistliche82. Insgesamt wird man das reformatorische Vorgehen der Buchischen Ritter wegen der Rücksichtnahme auf kirchliche Pfründen, wegen des Angewiesenseins auf Fürstendienste in katholischen Territorien, wegen der Orientierung an dem die ritterschaftliche Rechtsstellung gewährleistenden katholischen Reichsoberhaupt und wegen der geringen Durchsetzungsmöglichkeiten eines evangelischen Summepiskopats angesichts der geringen Größe der meisten niederadligen Herrschaftsbereiche am ehesten als „Reformation des ‚milten und mitleren weges‘“ charakterisieren

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Dieter Großmann: Protestantischer Kirchenbau in Buchenau. In: Mein Heimatland. Zeitschrift für Geschichte, Volks- und Heimatkunde [Hersfeld] 16 (1954/55), S. 78–80. [Nachdruck in: ders., Protestantischer Kirchenbau (wie Anm. 54), S. 95–101]; Sturm, Bau- und Kunstdenkmale des Kreises Hünfeld (wie Anm. 54), S. 45–47 (Buchenau), 40 (Bodes), 96 (Erdmannrode); Peter Schaaf: Buchenau. Geschichte – Bauwerke. Hg. Von Interessengemeinschaft Buchenau. Fulda 2003, S. 61–69; Harald Neuber: Die Geschichte des Dorfes Bodes. Festschrift zur 600-Jahr-Feier (1396–1996). Hauneck 1996, S. 151–155. Neuber konstatiert wohl zutreffend: „Diese Baumaßnahmen konnten nur ausgeführt werden, nachdem der evangelische Glaube sich seit seiner Einführung schon soweit im Kirchspiel Buchenau gefestigt hatte, daß man es wagen konnte, die religiöse Überzeugung auch äußerlich in Neubauten zu dokumentieren. Demnach dürften die Bodeser wohl spätestens in der Mitte des 16. Jahrhunderts mit ihren ritterschaftlichen Herren zum evangelischen Glauben übergetreten sein.“ (S. 152). Bauherr der drei Kirchen war Eberhard von Buchenau (gest. um 1595, nicht 1584, wie oft behauptet), der sich wegen der Tätigkeit der Jesuiten Jesuiten in Fulda mit Fürstabt Balthasar überwarf, von diesem aber gleichwohl Geld für einen Neubau des Schlosses in Buchenau erhielt (und den halben Neubau dafür verpfändete) und der später in fuldischen Diensten als Amtmann zu Burghaun (1590–1595) erscheint. Zum Schlossbau vgl. K. A. Gerlich: Die Schlösser von Buchenau. In: Buchenblätter 45 (1972), S. 13f., 18, hier S. 18; Angaben zu Eberhard von Buchenau, der für sich und seine Familie ein Grabmal in der neuen Kirche in Buchenau errichtete, nach der Materialsammlung des Autors. Dieter Großmann: Protestantischer Kirchenbau im Hersfelder Gebiet bzw. im Kreis Hersfeld. Mansbach. In: Mein Heimatland. Zeitschrift für Geschichte, Volks- und Heimatkunde [Hersfeld] 15 (1952/53), S. 70f. [Nachdruck in: ders., Protestantischer Kirchenbau (wie Anm. 54), S. 110–112; Sturm, Bau- und Kunstdenkmale des Kreises Hünfeld (wie Anm. 54), S. 241–245. Jäger, Geistliches Fürstentum (wie Anm. 3), S. 34f. Zahlreiche Beispiele für die Absetzung lutherischer Prediger bei Schaffrath, Fürstabt Balthasar von Dermbach (wie Anm. 27), S. 119–129.

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können.83 Auch lassen sich zwar überall einzelne auf konfessionalisierte Identitätsbindung zielende Maßnahmen ausmachen – besonders deutlich in der (exzeptionellen) Thüngenschen Kirchenordnung von 156484 –, nicht aber das von Wolfgang Wüst formulierte Gesamtpaket zur „Messung“ der Konfessionsentwicklung: 1. „Schaffung eines klaren Glaubensbekenntnisses (Confessio)“ und Verpflichtung darauf, 2. zuverlässige Instrumentalisierung des „einmal gewählte[n] oder bestimmte[n] Konfessionsbekenntnis[ses] [...] in Stadt und Land“, d.h. „Konfessionszwang [...] über die erfolgreiche soziale Disziplinierung durch die Fürsten- und Kirchendiener“, 3. „planmäßige Propaganda“ und „Indoktrination der Menschen durch Predigt, Bilder, Katechismus, Lieder, Gerichtsprozesse und durch eine Flut an Gesetzen, die auch Kirchengebote zum Kanon staatlichen Handels erhoben“, 4. „Ausbau des Bildungswesens“ nicht nur im Bereich von „Universitäten, Ritterakademien und Lateinschulen“, sondern auch in Bezug auf „Volks-, Kinder- und Elementarbildung“, 5. „Entwicklung eigene[r] Kontrollverfahren“ wie Visitationen, Kirchenzucht oder spezielle Policey-Verordnungen, 6. Betonung von Symbolik und Riten der Glaubensgemeinschaften, etwa durch „Kontrolle der Teilnahme an Beichte und Abendmahl“ und klare Abgrenzung von den anderen Bekenntnissen, 7. „sprachliche, schriftliche und kalendarische Veränderungen“.85 Und so blieb das Verhalten der Ritterschaft in Buchen noch eine Zeit lang zwiespältig: Dass die Reichsritter durch den Religionsfrieden 1555 in der Wahl ihres Bekenntnisses den Reichsständen gleichgestellt waren – wofür sich bei den Reichstagsverhandlungen Eberhard von der Tann als sächsischer Rat besonders eingesetzt hatte86 – und dass ein Teil der fränkischen Reichsritter dies in der Folgezeit (um 1560/70) zur Festigung eines evangelischen Kirchenwesens nutzte, sahen die Buchischen Ritter zwar, zumal wenn sie mit ihren übrigen Besitzungen im Gebiet des Ritterkantons Rhön-Werra begütert und dadurch sogar Mitglieder der Reichsritterschaft waren; sie ahmten dieses Verhalten teilweise nach, reklamierten aber trotzdem keine Reichsunmittelbarkeit für sich und ihre Besitztümer im geistlichen Fürstentum Fulda. Als Landsassen betrachteten sie sich auch nach der Belebung der Diskussion um die so genannte Declaratio Ferdinandea 1573/74 – jene geheime Nebenabrede des Augsburger Religionsfriedens, in der dem protestantischen landsässigen Adel, den Städten und Gemeinden in geistlichen Territorien die Ausübung ihres Bekenntnisses zugestanden worden war, wenn diese schon länger der Confessio Augustana anhingen. Zunächst wollten sie in den Genuss dieses Nebenabschiedes kommen; als aber auf dem Kurfürstentag im Oktober 1575 keine offizielle Anerkennung der Declaratio erreicht wurde, änderten die fuldischen Ritter ihr Vorge83

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Wüst, Konfessionalisierungsparadigma (wie Anm. 19), S. 113. Begriff geprägt von Andreas Gössner: Weltliche Kirchenhoheit und reichsstädtische Reformation. Die Ausburger Ratspolitik des „milten und mitleren weges“ 1520–1534. Anhang: Edition des Gutachtens von Konrad Peutinger zur Religionsfrage 1533 (Colloquia Augustana 11). Berlin 1999. Druck: Emil Sehling (Hg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 11: Bayern, Teil 1: Franken. Tübingen 1961, S. 727–744. Wüst, Konfessionalisierungsparadigma (wie Anm. 19), S. 117–125. Zur Rolle Eberhards von der Tann bei den Verhandlungen über den Religionsfrieden insgesamt: Altmann, Reichsritter und Reformation (wie Anm. 55), S. 304–325; Nieder, Geschichte (wie Anm. 55), S. 129–136.

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hen. Mit Unterstützung der Fränkischen Ritterschaft begaben sie sich auf einen Weg, der durch vielfältige Kompromisse, Erpressungen und Niederlagen gekennzeichnet war, aber nach 80 Jahren (1656) zum Ziel führen sollte, in die Reichsunmittelbarkeit, als „Buchisches Quartier“ im Ritterkanton Rhön-Werra87. Für den Zusammenhalt der Buchischen Ritter in der Immediatätsfrage war mitentscheidend, dass nach der Amtsenthebung Abt Balthasars 1576 auch unter der kaiserlichen Administration die (zum Teil gewaltsame) Ersetzung reformatorischer Prediger durch katholische Priester in ritterschaftlichen Dörfern fortgeführt wurde. Mit welch harten Bandagen dabei gekämpft wurde, zeigen die Auseinandersetzungen in Niederkalbach; hier legte sich die fuldische Regierung mit einem der profilitiertesten Ritter überhaupt an – dem später als Marschall und Rat in kurpfälzischen Diensten am Heidelberger Hof wirkenden Wolf Dietrich von Mörle gen. Böhm zu Ürzell (gest. 1603), der mit der ebenfalls protestantischen Elisabeth von Trümbach aus Wehrda (1554–1622) verheiratet war. Auch in Niederkalbach hatten die von Ebersberg gen. von Weyhers (oder ihre Nachfolger, Mitglieder der Familien von der Tann, von Thüngen, von Mörle gen. Böhm und Schenck von Schweinsberg) – gestützt auf das Eigenkirchenrecht – einen protestantischen Prediger bestellt. Auf die Absetzung des Predigers 1575 reagierte Wolf Dietrich mit der Behinderung gottesdienstlicher Handlungen des neu installierten katholischen Priesters und der neuerlichen Bestellung eines evangelischen Predigers. Dass die Administration des Stifts Fulda Mörles Anspruch auf das Eigenkirchenrecht glatt bestritt und 1578 darauf beharrte, dass es nach kaiserlichem Willen bei den unter Dernbach eingeführten Religionsverhältnissen bleiben sollte, ändert nichts an der Tatsache, dass die Regierung sich gegenüber dem machtbewussten Adligen gegenüber meist in der Defensive befand und zum Reagieren gezwungen war. Selbst eine gewaltsame Öffnung des Niederkalbacher Gotteshauses für katholischen Gottesdienst oder genaue Anweisungen für die Friedhofsgestaltung im Ort wusste Mörle zu konterkarieren.88 Und in Abstimmung mit den anderen von Rekatholisierungsmaßnahmen betroffe87

88

Dieser Weg ist nachgezeichnet bei Jäger, Geistliches Fürstentum (wie Anm. 3), S. 42–114; ders., „Würzburger Vergleich“ (wie Anm. 3); Teuner, Fuldische Ritterschaft (wie Anm. 3). Zum Kanton-Rhön-Werra siehe: Hans Körner: Der Kanton Rhön-Werra der Reichsritterschaft in Franken. In: Josef-Hans Sauer (Hg.): Land der offenen Fernen. Die Rhön im Wandel der Zeiten. Fulda 1976, S. 53–113; Erwin Riedenauer: Fränkische Reichsritterschaft und römisch-deutsches Reich. Elemente einer politischen Symbiose. In: Erich Schneider (Hg.): Nachdenken über fränkische Geschichte. Vorträge aus Anlass des 100. Gründungsjubiläums der Gesellschaft für fränkische Geschichte vom 16.–19. September 2004 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte 9.50). Neustadt a. d. Aisch 2005, S. 155–278; Quellendokumentation betr. den Kanton Rhön-Werra: S. 205–211, 217–220, 222–225, 227f., 238f., 242f., 248f., 251–253, 255, 259, 268; Dieter Wunder: Neuer Adel und Alter Adel in der Landgrafschaft Hessen-Kassel und im Kanton Rhön-Werra der fränkischen Reichsritterschaft (1650– 1750) – Integration und Exklusivität. In: Conze, Jendorff, Wunder (Hg.), Adel in Hessen (wie Anm. 41), S. 329–371, hier S. 340–354. Näheres bei Jäger, Dr. Balthasar Wiegand (wie Anm. 49), S. 177f.; vgl. auch Otto Schaffrath: Der Kampf der Fliedener Pfarrer um die Filiale Niederkalbach. In: Buchenblätter 46 (1973), S. 17f., 23, 26f., 30f. Zur Rolle Mörles in kurpfälzischen Diensten siehe Volker Press: Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619 (Kieler historische Studien 7). Stuttgart 1970, S. 342f., 351, 395, 403, 446.

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nen Rittern ließ er eine „Gegründete Ausführung“ aufsetzen, „daß die Fuldische Ritterschafft in den Buchen, als freye zu dem ort Rön und Werrn in Francken gehörige vom adel, gut, fug und macht hat, vermög religionsfriden in ihren dörfern die religion zu bestellen“.89 Fuldas gegenreformatorische Bestrebungen verstärkten sich nach der Wiedereinsetzung Balthasars von Dernbach 1602, ja erreichten eine neue Dimension. Dernbach wollte die Ritterschaft zur Erb- und Landhuldigung zwingen und damit zur Anerkennung der Landsässigkeit – was von dieser unter Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Reichsritterschaft abgelehnt wurde. Auch einen unter Vermittlung hessischer Adliger ausgearbeiteten Kompromiss, wonach die Buchischen Ritter durch Eid den Abt als „von Gott vorgesetzten rechten und regierenden Fürsten“ anerkannten, aber nicht als „rechte[n] Herrn und regierende[n] Landesfürst]en]“, wollten nicht alle Ritter hinnehmen. Beide Seiten interpretierten in der Folgezeit die Eidesformel in ihrem Sinne – Landsassiat beziehungsweise Reichsunmittelbarkeit –, doch sah sich die Ritterschaft angesichts der strengen Haltung Balthasars gegenüber protestantischen Untertanen, die nach Verweigerung der Osterkommunion 1603 zur Auswanderung genötigt wurden, veranlasst, für sich selbst wenigstens das Recht der freien Religionsausübung und der Pfarrbestellung in einer Vereinbarung festhalten zu lassen. Dernbach stimmte dem in einem mit Ritterschaft und Stiftskapitel am 20. März 1604 geschlossenen Vertrag zu, weil er zwar von den Rittern nicht als Landesfürst anerkannt wurde, die Ritter sich aber verpflichteten, in persönlichen und dinglichen Klagen ihr Recht vor dem Gericht des Abtes zu suchen, den Vormundschaftseid auf der fürstlichen Kanzlei zu leisten und die Rittersteuer an das Stift zu zahlen. Das war im Prinzip schon eine Unterwerfung. In der Folgezeit sollte sich zeigen, wie Dernbach den Vertrag von 1604 auslegte: Zwar hütete sich der Abt, gegen protestantische Ritter selbst vorzugehen, doch entsetzte er – als Ausfluss landesherrlicher Rechte über die Ritter und in klarer Missachtung des jenen 1604 zugestandenen Pfarrbestellungsrechts – die protestantischen Pfarrer in den ritterschaftlichen Gemeinden; zudem drängte er Diener und Untertanen des Adels zur Konversion zum Katholizismus und beanspruchte, jetzt als Quasi-Bischof agierend, die geistliche Jurisdiktion in Ehesachen über die Ritter. Auch wandte er sich gegen die Aufnahme religiöser Emigranten durch die Ritterschaft90. Mit Dernbachs religiös eher indifferentem Nachfolger Johann Friedrich von Schwalbach (1606–1622) hingegen schloss ein Ausschuss der Ritter am 15. Dezember 1607 einen Vergleich, der sich inhaltlich mit dem Vertrag von 1604 deckte und diesem wieder zur Geltung verhelfen sollte. Schwalbach bat 1611 den Ritterausschuss sogar um eine Stellungnahme, ob Fulda der katholischen Liga beitreten solle, woraufhin der Ausschuss Bedenken gegen einen Beitritt geltend machte – wegen der Kosten, wegen des sich dann verstärkenden Gegensatzes zu den benach89 90

Johann Stephan Burgermeister (Hg.). Codex Diplomaticus Equestris oder Reichs-Ritter-Archiv, Bd. 1. Ulm 1721, S. 1061–1068; inhaltliche Zusammenfassung bei Teuner, Fuldische Ritterschaft (wie Anm. 3), S. 63f. Vgl. Jäger, Geistliches Fürstentum (wie Anm. 3), S. 72–75 (einige Formulierungen wurden wörtlich übernommen).

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barten protestantischen Reichsständen und weil es besser sei, nicht auf PartikularUnionen, sondern auf das durch den Kaiser verkörperte Reichsganze zu setzen91. Zur gleichen Zeit intensivierte die Buchische Ritterschaft ihre Bemühungen um Exemtion vom Stift Fulda durch die Erarbeitung einer Ordnung und durch die Anlage einer eigenen Matrikel 1610, die in aller Stille in diejenige des Ritterkantons Rhön-Werra inkorporiert werden sollte. In die Matrikel trugen etwa fünfzig Adlige mit eigener Hand ihre im Stift Fulda gelegenen adligen Güter, Lehen wie Eigengüter, ein92. Die Zusammenlegung der Matrikeln erfolgte 1613, ebenso die Anerkennung des Buchischen Quartiers als viertem Quartier des Kantons Rhön-Werra. Auch wenn Johann Friedrich von Schwalbach in den folgenden Jahren immer wieder einmal den Katholiken herauskehrte, sollten die einschneidendsten gegenreformatorischen Maßnahmen einem weiteren Konvertiten auf dem Fuldaer Abtsthron, Johann Bernhard Schenck zu Schweinsberg (1623–1632), vorbehalten bleiben. Um die Ritter zur Abführung von Beitragszahlungen für die katholische Liga und zu einem Unterwerfungsvertrag vom 29. Juni 1627 zu zwingen, hielt er kaiserliche Truppenführer zur Einquartierung in ritterschaftlichen Gebieten an. Zwar akzeptierten die vertragsbereiten Ritter – das waren längst nicht alle – in dem Vertrag keineswegs die Landesherrschaft des Abtes in vollem Umfang und sahen in dem Abt lediglich ihren Lehensherrn. Doch verzichteten sie auf Vorrechte der Verträge von 1604 und 1607: die Religionsfreiheit und die Pfarrbestellung! Und boten damit Johann Bernhard die Möglichkeit, nach ersten zaghaften Rekatholisierungsmaßnahmen 1624 vier Jahre später in vollem Umfang zuzuschlagen. Im März 1628 setzte der Fürstabt sechzehn katholische Priester sowie katholische Schulmeister in evangelisch gewordenen ritterschaftlichen Orten ab, zum Teil im Einvernehmen mit dem eigentlichen geistlichen Ordinarius, dem Bischof von Würzburg, der später in gleicher Weise gegen fränkische Reichsritter und deren Untertanen vorging. Nachträglich gestützt wurden diese Maßnahmen durch das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. vom 6. März 1629, welches die Rekatholisierung aller seit 1552 protestantisch gewordenen geistlichen Güter gestattete. Betroffen von den Maßnahmen des Abtes waren in erster Linie die Familien von Buchenau, von Mansbach, von Schlitz gen. von Görtz, Riedesel zu Eisenbach, von Trümbach, von der Tann, von Thüngen und von Völkershausen.93 Gegenreformatorische Aktionen der Würzburger Fürstbischöfe tangierten wiederum die von Thüngen in hohem Maße.94 Durch das Vorgehen des Fuldaer Abtes waren die Kompromisswilligen unter den Rittern desavouiert, der Rest desillusioniert. Einzeln wie als Korporation wurde man jetzt aktiv. Auf die Klage der Fränkischen Reichsritterschaft verfügte der 91 92 93

94

Ebd., S. 76f. Anm. 384. Ebd., S. 77–79. Zusammenfassend: Jäger, Geistliches Fürstentum (wie Anm. 3), S. 86–88; zu Schencks Rekatholisierungsbestrebungen in den Thüngenschen Gebieten und zum Widerstand der Adligen: Bauer, Einführung (wie Anm. 60), S. 64–73, 82f.; Wüst, Konfessionalisierungsparadigma (wie Anm. 19), S. 112–145, hier S. 140–142. Bauer, Einführung (wie Anm. 60), S. 52–64, 80–82; Wüst, Konfessionalisierungsparadigma (wie Anm. 19), S. 137–142; Andreas Flurschütz da Cruz: Zwischen Füchsen und Wölfen. Konfession, Klientel und Konflikte in der fränkischen Reichsritterschaft nach dem Westfälischen Frieden (Konflikte und Kultur 29). Konstanz 2014, S. 346–350.

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Reichshofrat am 19. Oktober 1629 die Entfernung der katholischen Pfarrer, akzeptierte wenig später aber das Argument der Gegenseite, es sei doch zweifelhaft, „wie weit die freien Ritterschaften im Reich sich des Religionsfriedens zu bedienen, ob nur für sich, ihre Personen, oder auch für ihre Pfarrer und Untertanen ...“95. Diese Interpretation des Augsburger Religionsfriedens entsprach freilich dessen Wortlaut – allerdings nicht der jahrzehntelang geübten Praxis. Wohl deshalb verständigten sich die Ritter auf einem Konvent am 20. November 1631 auf die Ausübung des ius reformandi und die Einsetzung evangelischer Prediger. Freilich unterblieben Anstrengungen in dieser Richtung vorerst, weil Ende 1631 schwedische Truppen das Stift Fulda besetzten und es anschließend dem Landgrafen Wilhelm V. von HessenKassel überließen. Jetzt mussten viele fuldische Ritter Erfahrungen mit einem protestantischen, in diesem Fall calvinistischen, Landesherren machen, der in seinem eigenen Territorium nur landsässige Adlige kannte, keine reichsunmittelbaren, und der gegenüber seiner Landeskirche ein strenges Regiment ausübte. Die Ritter nahmen die auf Einführung des Calvinismus im besetzten Stiftsgebiet zielenden Maßnahmen, die auch ihre Pfarrer und ihre Untertanen betrafen, indem etwa die Pfarrer verpflichtet wurden, sich dem Konsistorium in Kassel in allen Fragen zu unterwerfen, mit Missvergnügen zu Kenntnis. Landgraf und Regierung aber zielten noch auf mehr, sie wollten den Rittern wohl das exercitium religionis Augustanae confessionis zugestehen, auch ihnen ihre im Amt befindlichen lutherischen Prediger belassen, doch beanspruchten sie das Recht zur Bestätigung präsentierter Pfarrer – das sie aus dem ius superioritatis ableiteten. Keinesfalls sollte es den Rittern freistehen können, Pfarrer nach Belieben ein- oder abzusetzen. Der pro-lutherisch eingestellten schwedischen Regierung gegenüber verstiegen sich die hessen-kasselischen Räte zu der Behauptung, das Recht zur Einführung und Bestätigung von Pfarrern in den Händen der Ritterschaft würde den Boden für Häresien und Sektenbildungen bereiten, Wirren und Aufstände hervorrufen. Barsch wurden die Ritter angewiesen, sich mit der wiedererlangten Religionsfreiheit für ihre Personen und ihre Familien zu begnügen – und die Calvinisierung ihrer Untertanen hinzunehmen.96 Auch wenn die hessen-kasselische Regierung in Fulda nur eine zweijährige Episode blieb, konnten die Erfahrungen mit einer calvinistischen Obrigkeit so kurz nach dem Rekatholisierungsversuch Abt Johann Bernhards die Ritter nur in der Absicht bestärken, dem Fuldaer Fürstabt, der seinem Kapitel gerade erst das Adelsmonopol dauerhaft gesichert hatte,97 die Reichsunmittelbarkeit abzutrotzen und 95 96

97

Zitiert bei Riedenauer, Konfessionsfrage (wie Anm. 63), S. 109. Vgl. Jäger, Geistliches Fürstentum (wie Anm. 3), S. 89–102; zur Besetzung Fuldas: Ullrich Christoph Hanke: Fulda in Hessens Hand. Die Besetzung des Stifts Fulda durch Hessen-Kassel (1631/32–1634) (68. Veröffentlichung des Fuldaer Geschichtsvereins). Fulda 2007; detailliert zur Calvinisierung der „Beamtenschaft“: Berthold Jäger: Amt und Konfession. Zur Personalund Religionspolitik der hessen-kasselischen Regierung in Fulda während des Dreißigjährigen Krieges 1631–1634. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 59 (2007), S. 251–323. Siehe dazu: Markus Naumann: Monastische Reformbemühungen und adelig-ständische Beharrungstendenzen in der Fürstabtei Fulda im 17. Jahrhundert. Unter besonderer Berücksichtigung von Kontakten zu Schweizer Klöstern und zur Fürstabtei Kempten. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 49 (1997), S. 99–131; ders.: Erneuerungsbemühungen in den adeligen

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sich indirekt das ius reformandi zu sichern. Erst jetzt gab man die jahrzehntelang betriebene Schaukelpolitik auf, erst jetzt nahm man die Hilfe der Reichsritterschaft in Franken wirklich an und stieß letztere nicht mehr vor den Kopf. Da im Osnabrücker Teil des Westfälischen Friedensvertragswerks von 1648 das ius reformandi als Ausfluss der Landeshoheit deklariert wurde, musste es besonders attraktiv erscheinen, die aus der „konfessionsrechtliche[n] Gleichstellung mit den Reichsständen“ hergeleitete „(korporative) Landeshoheit der Reichsritterschaft“98 mit-genießen zu können. Und das im Friedensvertrag festgelegte „Normaljahr“ 1624, dessen damals bestehende konfessionellen Verhältnisse nicht mehr veränderbar sein sollten, kam den Buchischen Rittern zusätzlich entgegen. Doch wollte man Garantien nicht nur durch „Reichs-Grundgesetze“, sondern auch durch den Lehnsherrn (und nicht mehr Landesherrn) in Fulda: Westfälischer Frieden und Würzburger Vertrag zusammen sicherten dem überwiegenden Teil der fuldischen Ritterschaft und ihren Untertanen die protestantisch-konfessionelle Orientierung – und schlossen zudem vereinzelte weitere Protestantisierungen de facto nicht aus.

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Benediktinerabteien Kempten und Fulda unter den Fürstäbten Roman Giel von Gielsberg, Joachim von Gravenegg und Bernhard Gustav von Baden-Durlach. In: Allgäuer Geschichtsfreund 97 (1997), S. 11–68. Erwin Riedenauer: Reichsritterschaft und Konfession. In: Helmuth Rößler (Hg.): Deutscher Adel 1555–1740. Büdinger Gespräche 1964 (Schriften zur Problematik der deutschen Führungsschichten in der Neuzeit 2). Darmstadt 1965, S. 1–63, hier S. 3; Nachdr. in: ders.: Fränkische Landesgeschichte und historische Landeskunde. Grundsätzliches, Methodisches, Exemplarisches (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 134). Hg. von Alfred Wendehorst. München 2001, S. 197–239, hier S. 199; ders., Konfessionsfrage (wie Anm. 63), S. 102; ihm folgend, ohne Kenntlichmachung der Zitate: Bauer, Einführung (wie Anm. 60), S. 90; ders., Reichsritterschaft (wie Anm. 37), S. 209.

DER OBERSÄCHSISCH-THÜRINGISCHE NIEDERADEL IN DER FRÜHZEIT DER REFORMATION (1520–1525) Uwe Schirmer VORBEMERKUNGEN Im Kurfürstentum Sachsen, das zwischen der Leipziger Teilung von 1485 und dem Schmalkaldischen Krieg weite Teile der heutigen Freistaaten Sachsen und Thüringen umschloss, breitete sich die Reformation sehr früh und überaus erfolgreich aus. Die Festsetzung der evangelischen Lehre im ernestinischen Kursachsen muss natürlich mit Luthers Wirken vor Ort, dem Tun seiner Weggefährten sowie mit der überregionalen Anziehungskraft ihrer Wirkungsstätte, der Universität Wittenberg, erklärt werden. Als weitere Gründe sind die regierenden Fürsten, Kurfürst Friedrich der Weise (1486–1525) und sein Bruder Johann (1525–1532), der 1525 seinem Bruder als Kurfürst folgte, anzuführen. Bekanntlich haben die abwartende und zaudernde Duldsamkeit Friedrichs des Weisen sowie die aktive und frühzeitige Förderung der neuen Lehre durch Herzog Johann die Ausbreitung der Reformation begünstigt.1 Ausdrücklich sind beide Fürsten zu nennen, da das ernestinische Kurfürstentum seit dem Jahr 1513 mutschiert war. Die Mutschierung war eine „innere Landes- und Verwaltungsteilung“, ohne die Einheit landständischer Verfassung aufzugeben. Folglich blieben die Stände und der Landtag als politisches Organ und als Korrektiv fürstlicher Staatsführung institutionell vereint. Ausdrücklich belegen das die Land- und Ausschusstage, die in den Jahren 1514, 1517, 1519, 1523 und 1525 stattgefunden haben.2 Infolge der Mutschierung von 1513 hatte Kurfürst Friedrich die innenpolitische Regierungsgewalt über den Kurkreis um Wittenberg und über jene Regionen, die zur Mark Meißen sowie zum Oster- und Vogtland gehörten. Herzog Johann regierte hingegen in Franken und Thüringen. Infolge der Mutschierung war es jedoch auch zu einer Kompetenzteilung hinsichtlich des landesherrlichen Kirchenregiments gekommen. Seit 1513 hatte ein jeder Fürst in dem von ihm verwalteten Landesteil diesbezüglich eigene Verantwortung und Befehlsgewalt.3 1

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Zu Kurfürst Friedrich III. vgl. Bernd Stephan: „Ein itzlichs Werck lobt seinen Meister“. Friedrich der Weise, Bildung und Künste (LStRLO 24). Leipzig 2014, S. 105–153. Vgl. zu Kurfürst Johann Doreen von Oertzen Becker: Kurfürst Johann der Beständige und die Reformation (1513–1532). Kirchenpolitik zwischen Friedrich dem Weisen und Johann Friedrich dem Großmütigen (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, Bd. 7), Köln et al. 2017. Ernst Müller: Die Mutschierung von 1513 im ernestinischen Sachsen. In: JbRegG 14 (1987), S. 173–183; Carl August Hugo Burkhardt (Hg.): Ernestinische Landtagsakten. Die Landtage von 1487–1532 (Thüringische Geschichtsquellen, NF Bd. 5). Jena 1902. Das bipolare kursächsisch-landesherrliche Kirchenregiment von 1513 bis 1525 spiegelt sich

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Jedoch helfen weder das fürstliche Kirchenregiment, noch allein die Person Luthers oder die Anziehungskraft der Leucorea sowie das bloße Tun der beiden wettinischen Fürsten, umfassend zu erklären, warum das gesamte kursächsische Territorium zwischen Coburg und Eisenach im Südwesten und Westen sowie Wittenberg und Zwickau im Nordosten und Osten derart bleibend von den Ideen der Wittenberger Reformatoren ergriffen wurde. Alternativ formuliert: Welche weiteren Gründe sind anzuführen, um die soziale, politische und religiöse Dynamik der Jahre von 1519/20 bis 1525 zu deuten und verständlich zu machen? Zur Lösung des Problems geraten zwangsläufig die kursächsisch-ernestinischen Landstände und damit auch und vor allem der Niederadel ins Zentrum der Betrachtung. Zu den Landständen gehörten (1.) die Grafen, Herren und Prälaten, (2.) der Niederadel und (3.) die Vertreter der Städte. Die landständische Verfassung hatte sich im Herrschaftsbereich der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen beziehungsweise der späteren Kurfürsten von Sachsen seit dem 13. Jahrhundert herausgebildet. Einen ersten Abschluss fand diese Entwicklung 1438. Nach der Leipziger Teilung von 1485 gewann der sozial- und verfassungsgeschichtliche Prozess neuerlich an Dynamik, trieben doch die Stände – besonders der Niederadel – die Herausbildung und Festigung landesherrschaftlicher Gewalt sowie den Formationsprozess frühmoderner Staatsbildung entscheidend mit voran. Sie trugen einerseits als Vasallen und Herrschaftsträger der Landesfürsten maßgeblich zur Herrschaftsverdichtung bei, anderseits organisierten sie die Erhebung und Verwaltung außerordentlicher Sonderabgaben, welche die Liquidität der Fürsten gewährleisteten. Ohne Stände keine frühmoderne Steuerverfassung, ohne Steuer kein Staat. Mit den Schlagworten Landfriedenssicherung, Herrschaftsverwirklichung, Sicherung der öffentlichen Ordnung, Mitsprache beim Münzwesen sowie der Gesetzgebung können die wichtigsten Beratungs- und Tätigkeitsfelder der Stände umschrieben werden.4 Nicht zuletzt hatten die Stände als zentrales Scharnier innerhalb der Nachrichtenübermittlung zwischen der landesfürstlichen Kanzlei und jenen Untertanen,

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vor allem in der völlig unterschiedlichen Quellenüberlieferung wider. Vgl. Paul Kirn: Friedrich der Weise und die Kirche. Seine Kirchenpolitik vor und nach Luthers Hervortreten im Jahre 1517. Dargestellt nach den Akten im Thüringischen Staatsarchiv zu Weimar. Leipzig 1926; Uwe Schirmer: Unerschlossene Quellen zur Reformationsgeschichte: Kirchenrechnungen aus dem ernestinischen Kursachsen (1514–1547). In: Winfried Müller (Hg.): Perspektiven der Reformationsforschung in Sachsen. Ehrenkolloquium zum 80. Geburtstag von Karlheinz Blaschke. Dresden 2008, S. 107–123, hier S. 112–119; Uwe Schirmer: Die Ausbreitung der Reformation im Spiegel serieller Quellen. Beobachtungen aus dem thüringisch-osterländischen Raum (1517–1525). In: Werner Greiling et al. (Hg.): Der Altar von Lucas Cranach dem Älteren in Neustadt an der Orla und die Kirchenverhältnisse im Zeitalter der Reformation (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 3). Köln et al. 2014, S. 247–267, hier S. 259; Uwe Schirmer: Quellen aus dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar zur Kirchenpolitik der ernestinischen Kurfürsten und Herzöge Friedrich und Johann (1517–1532). In: Michael Beyer et al. (Hg.): Zur Kirche gehört mehr als ein Kruzifix. Studien zur mitteldeutschen Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte. Festgabe für Gerhard Graf zum 65. Geburtstag (Herbergen der Christenheit, Sonderband 13). Leipzig 2008, S. 77–87. Herbert Helbig: Der wettinische Ständestaat. Untersuchungen zur Geschichte des Ständewesens und der landständischen Verfassung in Mitteldeutschland bis 1485 (Mitteldeutsche Forschungen 4). Köln u. Wien 21980, S. 396–407.

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die in den entlegensten Weilern des Territoriums beheimatet waren, eine entscheidende Stellung. Sie waren es vor allem, die die Mandate, Beschlüsse und Anweisungen der Fürsten vor Ort bekanntgaben und für ihre Umsetzung sorgten. Es sei vorweggenommen, dass sie dieser Aufgabe nur nachkommen konnten, weil sie als Inhaber der Obergerichtsbarkeit über die Exekutive und als Patronatsherren über ein gewisses Informationsmonopol verfügt haben.5 Es waren die lokalen Herrschaftsvertreter, die mittels ihrer Patronatsherrschaft die Geistlichkeit anweisen konnten, landesherrliche Mandate von der Kirchenkanzel zu verkünden – oder sie sorgten dafür, dass die Veröffentlichung unliebsamer Nachrichten unterblieb. Ein Beispiel aus der Frühzeit der Reformation mag dies illustrieren. Die gegen Luther gerichtete Bannandrohungsbulle Exsurge domine war am 15. Juni 1520 in der päpstlichen Kanzlei ausgefertigt worden. Die Ausfertigung verblieb im Vatikanischen Archiv; drei beglaubigte Reinschriften erhielten Johann Eck und Hieronymus Aleander, die sie Erzherzog Ferdinand und Herzog Georg von Sachsen übergaben; die dritte Bulle war für Kurfürst Friedrich von Sachsen bestimmt. Die drei sollten für die Veröffentlichung in ihren Territorien sorgen. Friedrich der Weise wies die Bulle jedoch zurück. Im Juni 1520 fertigte zudem der römische Buchdrucker Jacopo Mazzocchi eine stattliche Anzahl von Nachdrucken der Bulle. Die Auflagenhöhe wird auf etwa vier- bis fünfhundert geschätzt. Diese Drucke nahmen Eck und Aleander mit ins Reich und ließen sie über die Diözesanstruktur verteilen. In Mitteldeutschland veranlassten die Bischöfe von Meißen, Merseburg und Brandenburg die Veröffentlichung; dies geschah bis Ende September 1520.6 In Naumburg wurde gezögert. Die Publikation in den drei genannten Bistümern sowie das Zaudern in Naumburg lässt sich gut mit den konkreten Herrschaftsverhältnissen jenseits idealtypischer Kommunikationsstrukturen erklären, denn das ernestinische Kursachsen beanspruchte seit 1485 die Oberherrschaft über das Naumburger Hochstift. Der Bischof von Naumburg beziehungsweise der Propst des dortigen Domstifts wurden stets zu den ernestinisch-kursächsischen Landtagen eingeladen – widerwillig folgte das Domkapitel den Vorladungen. Die Stadt Wittenberg mit ihrem Umland gehörte hinsichtlich der Kirchenorganisation zum Bistum Brandenburg.7 Der Bischof ließ die Bulle in Brandenburg verkünden, was ihm in seiner gesamten Diözese jedoch nicht gelang. Im kursächsischen Amt Wittenberg lagen die Patronatsrechte sämtlicher Kirchen beim Landesherrn sowie bei den Stadträten, beim Niederadel oder bei der Universität.8 Sie alle 5

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Uwe Schirmer: Kurfürst Friedrich der Weise (1486–1525). Sein politisches Handeln zwischen Pragmatismus, Demut und Frömmigkeit. In: „Dieweil die weltliche Gewalt von Gott geordnet ist…“ – Reformation und Politik. Wittenberger Sonntagsvorlesungen 2014. Wittenberg 2014, S. 28–68, hier S. 40f. Hans Beschorner: Die sogenannte Bannbulle und ihre angebliche Verbrennung durch Luther am 10. Dezember 1520. In: Forschungen aus mitteldeutschen Archiven. Zum 60. Geburtstag von Hellmut Kretzschmar. Berlin 1953, S. 315–327, hier S. 319f.; Paul Kalkhoff: Die Bulle „Exsurge“. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 35 (1914), S. 166–203, hier S. 186–194. Fritz Bünger, Gottfried Wentz (Bearb.): Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg. Das Bistum Brandenburg (Germania Sacra, 3. Band, 2. Teil). Berlin 1941. Otto Oppermann: Das sächsische Amt Wittenberg im Anfang des 16. Jahrhunderts. Dargestellt auf Grund eines Erbbuches vom Jahre 1513. Leipzig 1897; Karl Pallas (Hg.): Die Registraturen

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– Landstände und Kurfürst – unterließen als Patronatsherren im Wittenberger Raum die Bekanntmachung weitestgehend. Die Weigerung, die Bulle zu veröffentlichen, ist besonders gut am Beispiel der Universität Wittenberg nachzuzeichnen, aber auch beim Niederadel.9 Realpolitische Herrschafts- und Kommunikationsstrukturen waren demnach effizienter als der römische Machtapparat vor Ort. Der Kurfürst nutzte dabei ein Instrumentarium, über das er seit Jahrzehnten verfügte. Infolge der Ein- und Anbindung des Niederadels in das landesfürstliche Herrschaftssystem (zumeist über die Vergabe mehr oder weniger gut dotierter Verwaltungsstellen in der Lokal- oder gar Zentralverwaltung), konnte er mit Unterstützung und Billigung des Adels auf dessen lokale Herrschaftsstrukturen zurückgreifen. Der Niederadel als lokaler Gerichtsherr vor Ort hatte nicht nur die Polizeigewalt, sondern er war zugleich auch stets Patronatsherr über die Dorfkirche. Als Patronatsherr hegte er zugleich stets das bischöfliche Sendgericht, welches im Auftrag des Diözesanbischofs im Allgemeinen einmal jährlich einberufen wurde.10 Zwar wäre es dem Brandenburger Bischof möglich gewesen, die Bannandrohungsbulle durch cursores, nuntii oder pedelli verlesen zu lassen, aber dies hätte den Widerstand des adligen Patronatsherrn, der eben das Gericht zu hegen hatte, hervorrufen können.11 Die enge Verbindung zwischen Landesfürst und Niederadel ist nicht nur verfassungsrechtlich oder politisch erklärbar, also mit dem Lehnswesen oder dem Hofund Fürstendienst des Adels. Ebenso wichtig erscheinen die sozialen Kontakte zwischen dem Fürsten und seinem Landesadel. Beispielsweise versahen viele vom Adel in jungen Jahren ihren Dienst am Hof, wo sie als Höflinge symbolisches Kapital akkumulierten. Die Anbahnung für diese Stellungen hatten ihre zumeist einflussreichen Eltern eingefädelt. Viele der jungen Adligen knüpften am Hof nicht nur Kontakte zur Fürstenfamilie, sondern sie fanden hier auch ihren Partner fürs Leben. Ferner ist auf die höfischen Feste und Turniere oder auf die Reisen des Fürsten, wozu ihn stets Dutzende Hoch- und Niederadlige begleiteten, zu verweisen. Dementsprechend waren jene Adligen, die politische Verantwortung für den Landesherrn trugen, keine Personen dritten oder vierten Ranges. Im Gegenteil. Sie entstammten einflussreichen Familien, die über Generationen hinweg den Wettinern gedient hatten. Sie gehörten zu einem funktionsfähigen Netzwerk. Familie und

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der Kirchenvisitationen im ehemaligen sächsischen Kurkreise (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen, Bd. 41, Abt. II/1). Halle/Saale 1906. Walter Friedensburg (Hg.): Urkundenbuch der Universität Wittenberg, Teil 1 (1502–1611) (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, Neue Reihe Bd. 3). Magdeburg 1926, S. 107f. (Nrr. 95, 97f.). Karl Heinz Quirin: Herrschaft und Gemeinde nach mitteldeutschen Quellen des 12. bis 18. Jahrhunderts (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft, Heft 2). Göttingen 1952, S. 40. Die Quellenlage zu dieser Problematik ist ohnehin äußerst spärlich. Vgl. Georg May: Die geistliche Gerichtsbarkeit des Erzbischofs von Mainz im Thüringen des späten Mittelalters. Das Generalgericht zu Erfurt (Erfurter Theologische Studien 2). Leipzig 1956; vgl. auch Enno Bünz: „Des Pfarrers Untertanen?“. Die Bauern und ihre Kirche im späten Mittelalter. In: Kurt Andermann, Oliver Auge (Hg.): Dorf und Gemeinde. Grundstrukturen der ländlichen Gesellschaft in Spätmittelalter und Frühneuzeit (Kraichtaler Kolloquien 8). Epfendorf 2012, S. 153– 191, hier besonders S. 190.

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Verwandtschaft, Bildung, Geld und Beziehungen waren ausschlaggebend. Zentrum dieses Systems waren der Fürstenhof sowie teilweise die Zentralverwaltung. Dies belegen auch Querverbindungen zwischen den höchsten landesherrlichen Funktionsträgern und einflussreichen landständischen Vertretern. Die Vernetzung des einheimischen Adels mit dem Fürstenhof sowie der landesherrlichen und landständischen Verwaltung kann nicht zuletzt anhand der finanziellen Verflechtungen nachgewiesen werden. Die Stände waren der wichtigste Kreditgeber des Landesherrn.12 Die Mandats- und Gesetzessammlung der ernestinischen Stände in den Archiven dokumentieren eindrucksvoll, welche politischen und gesellschaftlichen Sphären durch die Stände bestimmt beziehungsweise mitbestimmt wurden. Jedoch ist auch festzustellen, dass beispielsweise Glaube und Religion ausschließlich in Bezug auf die inneren Verhältnisse behandelt wurden. Der politische Einfluss der Stände beschränkte sich vorrangig auf die Innenpolitik. Dies gilt nicht zuletzt für die Jahre nach 1520/21, als sich Luthers Lehre rasch ausbreitete und sie sich vielerorts mit sozialen Forderungen und antiklerikalem Protest verband. Das Für und Wider zur Wittenberger Lehre und die damit verbundenen Implikationen waren Gegenstand lebhafter Debatten und riefen die Landstände auf den Plan. DIE KURSÄCHSISCHEN LANDSTÄNDE DIE 1. KURIE: GRAFEN, HERREN, PRÄLATEN Die kursächsisch-ernestinischen Landstände waren in drei Kammern (Kurien) unterteilt.13 In der ersten Kurie saßen die Grafen, Herren und Prälaten, wobei die Universität Wittenberg durch den Propst des Allerheiligenstifts vertreten wurde. Die Bischöfe waren nicht landständisch, jedoch wurden sie dann und wann zu den Landtagen eingeladen. Konkret betraf dies den Bischof von Naumburg. Gelegentlich schickte er einen Vertreter; üblicherweise jedoch vertrat der Naumburger Dompropst oder der Dekan die Angelegenheiten des Hochstifts. Nahm der Bischof dennoch persönlich an einer Landtagssitzung teil, so verwies er stets auf seine (vermeintliche) Reichsunmittelbarkeit. Auf diese pochten vereinzelt auch die ebenfalls zur ersten Kurie gehörigen Grafen und Herren. Realpolitisch oszillierten sie zwischen Reichs- und Landstandschaft. Es sprengte den Rahmen dieses Beitrags, die exakte verfassungsrechtliche Stellung der etwa sechzehn bis achtzehn Grafen und Herren detailliert nachzuzeichnen. Während man den Grafen von Schwarzburg zu Arnstadt, Blankenburg, Rudolstadt und Ilmenau sowie dem Grafen von Schwarzburg zu Leutenberg eher Reichsstandschaft zubilligen möchte, muss man den Grafen von Gleichen zu Gleichen, den Grafen von Gleichen zu Gräfentonna, Blankenhain, Ehrenstein und Remda sowie zu Schauenforst, dem Burggrafen von Kirchberg, den Herren von Gera zu Gera, den Herren von Gera zu Schleiz und zu Lobenstein, den Reußen zu Plauen mit Greiz und Kranichfeld, denen von Dohna zu Auer12 13

Einzelbeispiele: Uwe Schirmer: Kursächsische Staatsfinanzen (1456–1656). Strukturen – Verfassung – Funktionseliten (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 28). Stuttgart 2006, S. 331–389. Vgl. Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2).

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bach, den Herren von Weida zu Wildenfels sowie dem Herrn von Wildenfels zu Breitenbach eher kursächsische Landstandschaft zuweisen. Die an dieser Stelle vorgenommene vage Zuteilung bezieht sich auf die Regierungszeiten der Kurfürsten Friedrich und Johann. Zweifellos ist es noch die Zeit eines offenen Verfassungszustands, der sich jedoch zunehmend verfestigte. So ordnete zum Beispiel Kurfürst Johann 1532 an, achtzehn gedruckte Ausschreiben (brif uf gros form) an die Grafen und Herren zu senden, um sie auf diese Weise für den nächst anstehenden Landtag einzuladen.14 Jedoch sei nochmals betont, dass nicht jeder Graf oder Herr der Einladung auch stets Folge leistete. Obgleich sich dieser Beitrag thematisch mit der Stellung des Niederadels zur Reformation auseinanderzusetzen hat, sollte auch auf das Verhalten des mitteldeutschen Hochadels hinsichtlich der Ausbreitung der lutherischen Lehre verwiesen werden. Der Forschungsstand dazu erscheint wenig befriedigend. An neueren Arbeiten liegen einzig ein umfangreicher Sammelband über die Grafen von Mansfeld sowie eine stattliche verfassungsgeschichtliche Arbeit über die Grafen von Stolberg vor.15 Beide Dynastien hatten Anfang des 16. Jahrhunderts mehr oder weniger die Oberhoheit des sächsischen Herzogs Georg anerkannt. Zu nennen wären ebenfalls die gefürsteten Grafen von Henneberg, die sich jedoch erfolgreich den wettinischen Hegemonialansprüchen widersetzten.16 Diejenigen vom Hochadel, die seitens der Kurfürsten zur sächsisch-ernestinischen Gefolgschaft gerechnet wurden, schlossen sich – obgleich mit gewissen Verzögerungen – letztlich doch der Reformation an. Ausdrücklich sind die Grafen von Schwarzburg, die Grafen von Gleichen sowie die Herren von Gera und die mit diesen verwandten Reußen zu Plauen zu nennen.17 Die 14

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Zur Einladung von 1532 Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 264 (Nr. 480); sowie Karlheinz Blaschke: Die wettinischen Länder von der Leipziger Teilung 1485 bis zum Naumburger Vertrag 1554. In: Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen. Leipzig u. Dresden 2010, S. 22f., vgl. auch das Kartenblatt im Maßstab 1: 650 000; Uwe Schirmer: Die ernestinischen Stände zwischen 1485 und 1572. In: Harald Mittelsdorf (Red.): Landstände in Thüringen – Vorparlamentarische Strukturen und politische Kultur im Alten Reich (Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen 27). Erfurt 2008, S. 23–50, hier S. 30–33. Armin Kohnle, Siegfried Bräuer (Hg.): Von Grafen und Predigern. Zur Reformationsgeschichte des Mansfelder Landes (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 17). Leipzig 2014; Jörg Brückner: Zwischen Reichsstandschaft und Standesherrschaft. Die Grafen von Stolberg und ihr Verhältnis zu den Landgrafen von Thüringen und späteren Herzögen, Kurfürsten bzw. Königen von Sachsen (1210–1815) (Veröffentlichungen des Landesheimatbundes Sachsen-Anhalt 2). Halle/Saale 2005. Johannes Mötsch: Die Grafen von Henneberg-Schleusingen und ihre Städte. In: Joachim Emig et al. (Hg.): Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (1470–1525/30) (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 1). Köln et al. 2013, S. 191–210; ferner: Eckart Henning: Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen im Zeitalter der Reformation (Mitteldeutsche Forschungen 88). Köln 1981; Paul Köhler: Die Einführung der Reformation in den Hennebergischen Landen. In: Thüringer kirchliche Studien II (Aus zwölf Jahrhunderten). Berlin 1971, S. 119–130. Gustav Einicke: Zwanzig Jahre Schwarzburgische Reformationsgeschichte 1521–1541. Nach urkundlichen Quellen (2 Bände). Nordhausen 1904, 1909; Reinhold Jauernig: Die Einführung der Reformation in den Reußischen Landen (Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte 2). Gotha 1932/33.

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Beispiele der Schwarzburg, Gleichen und Reuß signalisieren, dass das offizielle Bekenntnis für oder gegen Luther letztlich in hohem Maße von realpolitischen Konstellationen abhängig war. Die Grafen und Herren, bei denen die ernestinischen Wettiner die Zugehörigkeit zur Landstandschaft einforderten, schlossen sich nach 1525/29 der Reformation an. Hingegen bekannte sich der albertinische Hochadel treu zum katholischen Herzog Georg. Anzuführen wären die Grafen von Beichlingen, von Hohnstein, von Stolberg, teilweise die Grafen von Mansfeld, der Burggraf von Leisnig, Hans Bircke von der Daube, die Schenken zu Tautenberg, die Herren von Schönburg sowie nicht zuletzt die Grafen von Schwarzburg-Sondershausen.18 Nur wenige Ausnahmen – beispielsweise Graf Albrecht VII. von Mansfeld – folgten ihrem Gewissen und schlossen sich der Reformation an, wobei ihre Entscheidungen durchaus von inneren dynastischen Konflikten – so wie bei den Wettinern letztlich selbst – verstärkt wurden. Unabhängig von Einzelbeispielen ist es jedoch lehrreich, wie die verfassungsrechtlich-politischen Realitäten sich im reformatorischen Bekenntnis spiegelten. Eindeutig treten dabei die Kurfürsten Friedrich und Johann einerseits sowie Herzog Georg von Sachsen anderseits als unumstrittene Hegemonen des mitteldeutschen Raumes hervor. Mehr oder minder war der zu ihrer Gefolgschaft gehörige Hochadel weitestgehend loyal, auch in der Glaubensfrage. Auf diese Weise erkannten sie nicht zuletzt die Hegemonie der fürstlichen Landesherren an.19 Ein Beispiel aus dem Schwarzburger Grafenhaus mag die komplizierte Gemengelage verdeutlichen. Seit 1496 war die Grafschaft Schwarzburg-Blankenburg in die Linien Arnstadt und Sondershausen-Frankenhausen geteilt. Daneben existierte als dritte Linie Schwarzburg-Leutenberg, die 1564 erlosch. Während der regierende Herr von Schwarzburg-Arnstadt, Graf Günther XXXIX., bis zu seinem Tod im Jahr 1531 katholisch blieb und sich der ausbreitenden Reformation widersetzte – jedoch bei weitem nicht so energisch wie Herzog Georg, sympathisierte sein Sohn, Graf Heinrich XXXII., offen mit Luthers Lehre. Als der Vater seinem Sohn 1527 Amt und Residenz in Rudolstadt zuwies, duldete Graf Heinrich still und leise die Ausbreitung der Reformation. Und nach des Vaters Tod 1531 wurde schließlich in der Grafschaft Schwarzburg-Rudolstadt die Reformation förmlich eingeführt. Die Einführung wurde maßgeblich von der territorialen Gemengelage beeinflusst, umschloss doch das ernestinische Kursachsen große Teile der Grafschaft.20 Ebenso problematisch war die Situation in Schwarzburg-Sondershausen, wo die Linien Sondershausen und Frankenhausen bestanden. In der Herrschaft Frankenhausen regierte Graf Heinrich XXXIV., der der Reformation offen gegenüber18

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Woldemar Goerlitz: Staat und Stände unter den Herzögen Albrecht und Georg 1485–1539 (Aus den Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte 32). Leipzig 1928, S. 559. – Die Herren von Querfurt waren 1496 mit Brun XI., der zu den albertinischen Ständen gehört hatte, ausgestorben. Dieter Stievermann: Die Wettiner als Hegemonen im mitteldeutschen Raum um 1500. In: Jörg Rogge et al. (Hg.): Hochadlige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600): Formen – Legitimation – Repräsentation (Quellen und Forschungen zur Sächsischen Geschichte 23). Stuttgart 2003, S. 179–393. Einicke, Schwarzburgische Reformationsgeschichte (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 399.

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stand und ihre Ausbreitung duldete. In den anderen Herrschaftsgebieten regierte Graf Günther XL., der sich – aufgrund der starken Lehnsherrschaft Herzog Georgs und der unmittelbaren Nachbarschaft des albertinischen Sachsen – deutlich zurückhalten musste. Der katholische Herzog Georg von Sachsen verstand es als Oberlehnsherr, seine Lehnsherrschaft über die gesamte Grafschaft Schwarzburg-Sondershausen-Frankenhausen ganz und gar durchzusetzen, so dass erst infolge des Todes des Herzogs 1539 in diesem Territorium die Reformation endgültig eingeführt werden konnte. Ähnlich verworren waren die Verhältnisse in SchwarzburgLeutenberg, wo indes der ernestinische Einfluss dominierte und Graf Johann Heinrich in seinem Territorium nach 1527 teilweise eine evangelische Kirchenvisitation erdulden musste.21 Zur ersten Kurie gehörten auch die Äbte, Pröpste und Vorsteher verschiedener Klosterhöfe. Im Zuge der Leipziger Teilung von 1485 wurden dem ernestinischen Kurfürstentum Sachsen nachfolgende Stifte, Klöster, Propsteien, Komtureien und Höfe zugewiesen. Die 1485 aufgelisteten Institutionen sowie die zum Naumburger Landtag von 1498 eingeladenen Dignitäre geben einen Einblick über die Besetzung der kursächsisch-ernestinischen „Prälatenbank“.22 Im Einzelnen werden genannt: der Präzeptor der Antoniter zu Lichtenburg, der Propst des Allheiligenstifts zu Wittenberg, das Nonnenkloster zu Oberweimar (OCist), der Abt zu Reinhardsbrunn (OSB), der Propst zu St. Katharinen vor Eisenach (OCist), der Abt zu Georgenthal (OCist), das Nonnenkloster zu Ichtershausen (OCist), das Nonnenkloster zum Heiligen Kreuz zu Gotha (OCist), der Propst des Benediktinerinnenklosters Heusdorf, das Kloster zu Mildenfurth (OPraem), das Nonnenkloster zu Cronschwitz (OP), das Nonnenkloster zu (Stadt-)Roda (OCist), der Abt zu Bürgel (OSB), das AugustinerChorfrauenstift zu Lausnitz, der Abt zu Saalfeld (OSB), der Abt zu Mönchenröden (OSB), das Nonnenkloster Sonnefeld bei Coburg (OCist), das Kloster zu Grünhain (OCist), das Stift Unserer Lieben Frau auf dem Berge vor Altenburg (CanA), das Nonnenkloster zu Altenburg (OSMM), der Deutsche Hof zu Altenburg, das Kloster zu Buch (OCist), das Nonnenkloster zu Nimbschen (OCist), das Nonnenkloster Sitzenroda (OSB), das Nonnenkloster zu Frankenhausen (OCist), der Komtur zu Plauen, der Abt zu St. Georg vor Naumburg (OSB), der Propst zu St. Moritz vor Naumburg (CanA) sowie die Klosterhöfe zu Wallichen, Lidelaw bei Altenburg, zu Roda, Amelgostewitz, Grawtitz, der Schweithof bei Coburg und schließlich das Spital zu Weimar. Bezüglich der Auflistung geht es nicht allein um die Vollständigkeit der Landtagskurie; vielmehr ist darauf zu verweisen, dass sich die geistlichen Gemeinschaften größtenteils aus dem einheimischen Niederadel rekrutierten. Die eingeladenen Pröpste, Äbte, Komture und Priore begegneten somit bei den landständischen Zusammenkünften ihren Verwandten, mit denen sie versippt und verschwägert waren. Gelegentlich – am Beispiel des Nonnenklosters Nimbschen wird dies zu zeigen sein – waren die Konvente bereits frühzeitig von der evangelischen Bewegung erfasst worden. Die aus dem obersächsisch-thüringischen Raum stam21 22

Einicke, Schwarzburgische Reformationsgeschichte (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 388f., Bd. 2, S. 106–113. Blaschke, Die wettinischen Länder von der Leipziger Teilung (wie Anm. 14), S. 27; Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 29–33 (Nr. 64).

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menden Grafen und Herren – dies sei abschließend betont – gaben ihre Zöglinge um 1500 nicht in diese geistlichen Institutionen, die letztlich unter der Vogtei der Landesherren standen. Sie bevorzugten die angesehenen Stifte in Erfurt oder die Dom- beziehungsweise Damenstifte zu Halberstadt, Magdeburg oder Quedlinburg. DIE KURSÄCHSISCHEN LANDSTÄNDE DIE 2. KURIE: RITTERSCHAFT (SCHRIFTSÄSSIGER ADEL) In der zweiten Kurie saß die Ritterschaft, also der schriftsässige Niederadel. Dies waren jene vom Adel, die grundsätzlich über die Obergerichtsbarkeit in ihren Rittergutsherrschaften verfügten. Zugang zum Landtag hatten sie allein durch den Besitz des entsprechenden schriftsässigen Ritterguts. Infolge ihrer Obergerichtsherrschaft übten sie die örtliche Polizeigewalt aus und hatten oft die Patronatsrechte über die in ihren Herrschaften befindlichen Kirchen inne. Nicht wenige schriftsässige Niederadlige waren zudem Herren über Klein- beziehungsweise Ackerbürgerstädte, die sogenannten Patrimonialstädte. Dem schriftsässigen Adel stand ferner das Privileg zu, sich auf direktem Wege schriftlich an den Landesfürsten zu wenden. Daher rühren auch die Bezeichnungen „schriftsässig“, „kanzleischriftsässig“ oder einfach nur „Schriftsassen“. Direkten Zugang zum kursächsisch-ernestinischen Landtag hatten etwa 165 bis 180 schriftsässige Niederadlige.23 Die Angaben über die personelle Stärke dieser äußerst wirkmächtigen Sozialformation müssen vage bleiben, da der landständische Formationsprozess noch nicht abgeschlossen war. Es herrschte noch ein offener Verfassungszustand vor. Beispielsweise konnten schriftsässige Grundund Gerichtsherrschaften geteilt werden, so dass dann selbstverständlich beide Inhaber der Güter zum Landtag eingeladen wurden. Zu Reduzierungen konnte es kommen, wenn eine Linie einer Familie ausstarb und infolgedessen ein schriftsässiges Rittergut in einem anderen aufging. Dergleichen kann beispielsweise bei der ostthüringischen Familie von Brandenstein rekonstruiert werden.24 Die schwankende Zahl der Landtagsteilnehmer ist auch mit einer nicht vollends ausgeprägten überregionalen Identität erklärbar. Vor allem der fränkische Adel aus der Coburger Pflege fühlte sich nicht zu den Kurfürsten von Sachsen, ihren Ständetagen sowie zum „ernestinischen“ Adel hingezogen, sondern orientierte sich viel stärker an der fränkischen Reichsritterschaft. Die fränkischen Ritter besuchten ihre Adelstage und hielten sich – sofern dies möglich war – von den kursächsischen Landtagen fern. In diesem Zusammenhang wäre beispielsweise der im Zusammenhang mit Luthers Adelsschrift genannte Silvester von Schaumberg zu Schaumberg (bei Schalkau) anzuführen. Er wurde – wie auch seine Brüder, Vettern und Ganerben – fast regelmäßig zu den Ständetagen geladen, nahm jedoch nur gelegentlich 23 24

Blaschke, Die wettinischen Länder von der Leipziger Teilung (wie Anm. 14), S. 21–50 (jedoch ohne die Vertreter des Kurkreises); Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), passim. Bernd Wiefel: Zur Geschichte der Herren von Brandenstein auf Ranis (kurz gefasst, neu bearbeitet und ergänzt). Olbernhau 22006; Wieland Held: Das Adelsgeschlecht der Brandenstein im 16. Jahrhundert. In: VSWG 80 (1993), S. 175–196.

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teil.25 Im Unterschied zur fränkischen Ritterschaft besuchten der Niederadel des Kurkreises um Wittenberg sowie der aus Thüringen, Meißen und dem Oster- und Vogtland regelmäßig die Ständetage. Und das aus gutem Grund. Es war dem Niederadel durchaus bewusst, dass er auf diesen Zusammenkünften seine Interessen artikulieren konnte. Wie erwähnt, war die Ritterschaft in der zweiten Kurie versammelt. Maßgeblich bestimmte sie den Geschäftsgang auf den Landtagen. Ihre Präsenz und ihr politisches Handeln sowie die letztlich offen demonstrierte Loyalität gegenüber den Landesfürsten gewann noch zusätzlich an Gewicht, da sich die Grafen, Herren und Prälaten zumeist vertreten ließen und zu keiner Zeit einen derartigen Corpsgeist an den Tag legten wie der Niederadel. Wenn es eine tatsächlich ernstzunehmende politische Konkurrenz für den Niederadel auf den Landtagen gab, dann waren es einzig und allein die Vertreter der Städte.26 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es neben dem schriftsässigen Adel eine Vielzahl Adliger gab, die nicht über die Obergerichtsbarkeit in ihren Grundherrschaften verfügten. Folglich hatten sie keinen direkten Zugang zum Landtag. Durch ein kompliziertes Auswahlverfahren wurde es ihnen jedoch ermöglicht, die Landtage zu besuchen. In den zeitgenössischen Quellen werden sie als Amtssassen bezeichnet. Auf ihren heimatlichen Rittergütern waren sie der Befehlsgewalt der landesfürstlichen Amtleute unterstellt, zumindest hinsichtlich der zentralen Anweisungen aus der fürstlichen Kanzlei. Die Obergerichtsbarkeit in den amtssässigen Grundherrschaften lag in der Regel beim Landesherrn, der diese von seinen Amtleuten wahrnehmen ließ. Die Amtleute wiederum rekrutierten sich aus dem einheimischen schriftsässigen Adel. Im ernestinischen Kurfürstentum Sachsen und im albertinischen Herzogtum gab es insgesamt rund siebzig Ämter. Deren Verwaltung oblag jeweils einem vom Landesherrn eingesetzten Amtmann.27 Die Anzahl der sogenannten Amtssassen im gesamten Kurfürstentum kann nur geschätzt werden. Ihre Zahl überstieg die der Schriftsassen um ein Vielfaches. Schätzungsweise dürften es mehr als vierhundert amtssässige Niederadlige gewesen sein. Für die Ausbreitung und Einführung der Reformation ist nicht unwichtig, dass der schriftsässige und der amtssässige Niederadel über die Patronatsrechte in seinen Grundherrschaften verfügte. Ihm gebührte die Präsentation der Pfarrgeistlichkeit; die Investitur nahm selbstverständlich der jeweilige Diözesanbischof vor. Es sei vorweggenommen, dass sich die rund 175 Schriftsassen sowie die etwa vierhundert Amtssassen – wie auch fast alle landesherrlichen Stadträte – zwischen 1521/22 und 1525 größtenteils der Reformation anschlossen. Die Sympathie und Offenheit gegenüber Luthers Lehre darf indes nicht ausschließlich aus individueller Frömmigkeit und persönlichem Bekenntnis erklärt werden. Nicht zu unterschätzen 25 26 27

Friedrich Kipp: Silvester von Schaumberg, der Freund Luthers. Ein Lebensbild aus der Reformationszeit (Quellen und Darstellungen aus der Geschichte des Reformationsjahrhunderts 17). Leipzig 1911, S. 125f.; Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), passim. Beispielhaft: Ulf Molzahn: Adel und frühmoderne Staatlichkeit. Eine prosopographische Untersuchung zum politischen Wirken einer territorialen Führungsschicht in der frühen Neuzeit (1541–1622), Phil. Diss. Leipzig 2005 (Masch.). Verzeichnis der ernestinischen und albertinischen Ämter samt der einzelnen Amtleute bei Schirmer, Kursächsische Staatsfinanzen (1456–1656) (wie Anm. 12), S. 898, 903, 908.

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ist der Gruppenzwang, der von den Integrationskräften des politischen Systems ausging. Diese These korrespondiert mit neueren Forschungen zur Sozialgeschichte des mitteldeutschen Niederadels sowie zur spätmittelalterlichen kursächsischen Verwaltungs-, Verfassungs- und Ständegeschichte, in denen herausgearbeitet wurde, dass sich das politische System der Kurfürsten von Sachsen auf den schriftsässigen Niederadel gründete.28 Zwar stand der Niederadel im Lehnssystem unterhalb der Grafen und Herren, aber auf den Landtagen sowie in der landesfürstlichen Verwaltung nahm er als Meinungsführer und Multiplikator eine unbestrittene Führungsposition ein. Die Loyalität des Niederadels gegenüber dem Landesherrn war konstituierender und integraler Bestandteil des politischen Systems. So verwundert es nicht, dass sich viele vom Niederadel früh der Reformation anschlossen. Freilich gab es auch adligen Widerstand gegen die Reformation, allerdings war es nicht die breite Masse des Adels, die sich deren Ausbreitung und Einführung widersetzte.29 Diesbezüglich überrascht es nun nicht, dass diejenigen, die sich gegen die Reformation aussprachen, keinen Zugang zu den Hof- und Dienstämtern hatten. Es waren Männer – wie beispielsweise Andreas von Teutleben auf Laucha, Kunz von Lissa zu Boilstedt, Georg Metzsch zu Schönfeld (bei Greiz) oder Götz von Wolfersdorf zu Endschütz –, die man nicht einmal als Hinterbänkler bezeichnen möchte. Sie standen fernab vom System; diese Freiheit verstanden sie aber auch souverän zu nutzen. DIE KURSÄCHSISCHEN LANDSTÄNDE DIE 3. KURIE: STÄDTE In der dritten Kammer beziehungsweise Kurie versammelten sich die landesherrlichen Städte. Zum ernestinischen Kurfürstentum gehörten etwa 75 landesherrliche Städte, die zumeist auch die Obergerichtsbarkeit hatten. Abermals ist zu betonen, dass sich die Städtekurie ebenfalls noch nicht endgültig formiert hatte. Zum Landtag nach Jena 1511 wurden insgesamt 77 Städte eingeladen: 22 aus dem Kurkreis um Wittenberg, 24 aus Thüringen, 23 aus Meißen und dem Vogtland sowie zehn aus Franken. Neben den relativ großen und wirtschaftlich bedeutenden Städten wie Gotha, Eisenach, Altenburg, Coburg, Torgau oder Zwickau wurden jedoch auch relativ unbedeutende Kommunen einbestellt, beispielsweise Auma, Pausa, Jessen an der Elster oder Neustadt auf der Heide.30 Die großen thüringischen Städte Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen wurden gelegentlich zu den Landtagen zitiert. Ungeachtet 28

29

30

Christian Hesse: Amtsträger der Fürsten im spätmittelalterlichen Reich. Die Funktionseliten der lokalen Verwaltung in Bayern, Hessen, Sachsen und Württemberg 1350–1515 (Schriften der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 70). Göttingen 2005; Joachim Schneider: Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel. Ein landschaftlicher Vergleich (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 52). Stuttgart 2003. Vgl. zum Beispiel Rudolf Herrmann: Thüringische Kirchengeschichte, Bd. 2. Jena 1947, S. 79; ferner Martin Sladeczek: Zwischen Widerstand und Trägerschaft. Der niedere Adel Thüringens als Akteur der frühen Reformation. In: Olga Weckenbrock (Hg.): Ritterschaft und Reformation (REFO 500 Academic Studies). Göttingen 2016 (im Druck). Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 79–86 (Nr. 142).

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aller Vorladungen bestanden sie jedoch auf ihrer Unabhängigkeit beziehungsweise Reichsstandschaft. Jene Städte, die unter der Herrschaft eines Grafen oder Herrn standen, gehörten ebenfalls nicht der Städtekurie an. Ihre Gesamtzahl ist schwer einzuschätzen. Beispielsweise hatten die Grafen von Schwarzburg die Herrschaft über zwölf Städte, darunter über Arnstadt oder über das vermögende Frankenhausen.31 Wie erwähnt, unterstand die Masse der Klein- oder Ackerbürgerstädte hochoder niederadligen Herren. Hinsichtlich der frühen Festsetzung der Reformation muss nicht explizit darauf verwiesen werden, dass sich in den meisten Städten Luthers Lehre bereits seit 1521/22 ausgebreitet hat. Die sozialen und politischen Träger dieses Prozesses waren die Stadträte und/oder die städtischen Ober- und Mittelschichten. Begünstigt wurde diese Entwicklung nicht zuletzt durch die unmittelbare Nähe zu Wittenberg, Erfurt oder Mühlhausen. Allerdings nahmen nicht wenige Städte wie Altenburg, Gotha, Zwickau oder Torgau selbst eine Vorreiterrolle ein. Da das weite und umfassende Thema Stadt und Reformation nicht Gegenstand dieses Beitrags ist, mögen diese wenigen Anmerkungen zu den kursächsischen Städten genügen.32 LANDSTÄNDE UND REFORMATION: DER ALTENBURGER LANDTAG VOM 3. BIS 7. MAI 1523 Der Altenburger Landtag vom Mai 1523 stellt eine Zäsur hinsichtlich der Einführung der Reformation im Kurfürstentum Sachsen dar. Die Einberufung der landständischen Zusammenkunft gründete sich freilich auf fiskalische Zwänge, denn im Dezember 1518 hatten die Stände auf dem Landtag zu Jena der Erhebung einer Tranksteuer mit einer Laufzeit von vier Jahren zugestimmt.33 Folglich endete das Steuermandat zum Jahreswechsel 1522/23, so dass sich die Räte Herzog Johanns Ende des Jahres 1522 in einem Gutachten zur finanziellen Lage äußerten. Indirekt indizierten sie, dass die finanziellen Probleme nur mittels Steuern und damit verbunden durch die Einberufung der Stände zu lösen seien. In ihrer eingehenden Stellungnahme führten sie die vermeintlichen Ursachen für die schwierige finanzielle Lage an; über die aktuelle kirchenpolitische Situation im Land verloren sie indes keine Worte.34 Annähernd ähnlich ist die Korrespondenz zwischen Kurfürst Fried31

32 33 34

Hans Eberhardt: Die Bevölkerungsentwicklung schwarzburgischer Städte vom 15.–19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der thüringischen Kleinstadt. In: Weite Welt und breites Leben. Festschrift zum 80. Geburtstag von Karl Bulling (Zentralblatt für Bibliothekswesen, Beiheft 82). Leipzig 1966, S. 149–178. Vgl.: Emig, Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (wie Anm. 16); Werner Mägdefrau, Frank Gratz: Die Anfänge der Reformation und die thüringischen Städte. Frankfurt am Main 1996. Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 132 (Nr. 237). Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 141–143 (Nr. 260). – Burkhardt datiert das Schreiben auf Anfang Februar 1523. In dem Gutachten ist jedoch ausdrücklich davon die Rede, einen Landtag vierzehn Tage nach Weihnachten einzuberufen. Hierbei kann nur das Weihnachtsfest 1522 gemeint sein; folglich haben die Räte jenes Gutachten im November oder Dezember 1522 verfasst.

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rich und Herzog Johann strukturiert. In ihr wird die Frage nach Ort und Termin des abzuhaltenden Landtages erörtert oder wie die versammelten Stände zu versorgen seien. Stillschweigend gingen sie davon aus, dass die Stände neue Steuern bewilligen würden. Unangenehm erschien ihnen einzig der Umstand, ihre eigene finanzielle Lage offenlegen zu müssen. Daher favorisierten sie die Einbestellung eines vereidigten Landtagsausschusses.35 Außerdem erwogen sie, die Grafen, Herren und Prälaten nicht mit einzubestellen.36 Hinter dieser Absicht verbarg sich ihre Sorge, ihre komplizierte finanzielle Situation könnte an die Öffentlichkeit gelangen. Immerhin wurde das kursächsische Fürstenpaar im Reich als außerordentlich finanzstark wahrgenommen. Hinter den Kulissen sah es freilich – vor allem infolge starker Einbrüche beim erzgebirgischen Silberbergbau – anders aus.37 Die Nichteinbestellung der Prälaten wurde verworfen. Die Grafen und Herren blieben hingegen tatsächlich unberücksichtigt; zumindest war kein einziger von ihnen in Altenburg zugegen.38 Vor allem Herzog Johann trieb die Einberufung des Landtags voran. Es muss offen bleiben, ob sein auffällig engagiertes Handeln mit seinen Haushaltsproblemen (infolge der Mutschierung waren die landesfürstlichen Finanzen geteilt), mit der angespannten politischen Situation im Reich (zeitgleich tagte das Zweite Nürnberger Reichsregiment), mit der zunehmenden Unpässlichkeit des gealterten Kurfürsten Friedrich oder aber mit der kirchenpolitischen Situation im Lande zu erklären ist. Auf alle Fälle ahnte der Herzog, dass der bevorstehende Landtag – trotz der Absenz von Grafen und Herren – auf außerordentliche Resonanz stoßen könnte, denn er orderte Speisen und Getränke für sechshundert Personen auf acht Mahlzeiten, also für vier Tage.39 Offensichtlich mutmaßte er, dass es nicht allein um fiskalische Angelegenheiten gehen werde. Hinsichtlich der Diskussionen sollte er Recht behalten, bezüglich der Versorgung lag er indes falsch, denn an der ersten Mahlzeit nach dem Eröffnungsgottesdienst am Sonntag Cantate nahmen 705 Personen teil. Die hohe Zahl der teilnehmenden Ritterschaft – es waren 176 Niederadlige zugegen;40 der fränkische Adel war indes schwach vertreten – gibt durchaus die Bedeutung der Zusammenkunft zu erkennen. Mäßig vertreten waren hingegen die Städte mit 52 und die geistlichen Institutionen mit 28 Delegationen, wobei zu erwähnen ist, dass auch die zu den albertinischen Ständen gehörigen Pröpste der Chorherrenstifte von St. Thomas zu Leipzig und vom Petersberg bei Halle anwesend waren. Ihre Teilnahme deutet auf die evangelische Bewegung hin. Da im Allgemeinen jede Stadt mit zwei Delegierten und die Prälaten und die Ritterschaft mit ihrem Dienstpersonal vertreten waren, musste eine entsprechend hohe Zahl an spei35 36 37 38 39 40

Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 143–145 (Nr. 261–264). Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 144 (Nr. 262). Schirmer, Kursächsische Staatsfinanzen (1456–1656) (wie Anm. 12), S. 328–357. Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 147f. (Nr. 273). Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 145 (Nr. 266). Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 18, fol. 61r–66v (nach der gestempelten Foliierung Püschels von 1920). – Dass die Anzahl der anwesenden schriftsässigen Ritter fast identisch ist mit den Angaben aus den Leipziger Teilungsurkunden von 1485 ist Zufall. Wie erwähnt wurde, verfestigte sich das Procedere über die Teilnahme an den Landtagssitzungen erst im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts.

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senden Gästen eingeplant werden. Als am Donnerstag nach Cantate der Landtag erfolgreich geschlossen wurde, hatte das kurfürstliche Küchenpersonal zum Morgenmahl noch 671 Landtagsteilnehmer zu verköstigen.41 Kurzum: der Ständetag war sehr gut besucht; vor allem sticht die starke Präsenz des sächsischen, thüringischen und meißnischen Niederadels hervor. Bereits am Sonnabend, am 2. Mai 1523, hatte Herzog Johann seinen Bruder schriftlich gebeten, ihm doch seine Meinung hinsichtlich der übergebenen Gravamina der Landschaft mitzuteilen.42 Es war ungewöhnlich, dass sich die Stände vor der Eröffnung des Landtags schriftlich an den Fürsten wandten. Im Allgemeinen geschah dies erst nach der Landtagseröffnung, die traditionell mit dem Verlesen der fürstlichen Proposition begann. Danach zogen sich die Stände in ihre Kurien zurück, um separat über die Anliegen, Forderungen und Wünsche des Fürsten zu beraten. Ihre Replik war indes ein gemeinsames Werk, das in hohem Maße auf Konsens ausgerichtet war. Zum einen mussten die Stände Einvernehmen untereinander herstellen, zum anderen wurde stets ein Kompromiss zur Proposition des Fürsten gesucht. Innerhalb der komplexen Gemengelage zwischen den Landesfürsten einerseits und den drei Kurien der Grafen, Herren und Prälaten, der Ritterschaft und den Städten andererseits war jedoch der Antagonismus zwischen dem Hoch- und Niederadel auf der einen Seite und den Städten auf der anderen Seite grundsätzlich an stärksten ausgeprägt. Ständespezifische Widersprüche überlagerten somit die Landtagsdiskussionen. Jedoch gilt diese Feststellung nicht für die Altenburger Zusammenkunft von 1523, denn es sind mehrere separate Beschwerdeschriften der Prälaten und vor allem des Niederadels aus den einzelnen Landesteilen überliefert. Die Städte haben sich offenbar komplett zurückgehalten. Offenbar hing ihre nachsichtige Enthaltung mit der Virulenz der lutherischen Lehre im ernestinischen Kursachsen zusammen. Leider bleibt die Chronologie der übergebenen oder verlesenen Gravamina der einzelnen Stände unklar. Wahrscheinlich gab die Beschwerdeschrift der „Kapläne, Äbte, Dechanten, Domherren, Stifter und Klöster“ den Anlass, offen über die kirchenpolitische Lage im Lande zu diskutieren. Notizen des Hans von Dolzig deuten jedenfalls vage darauf hin, dass die Prälaten die Diskussion eröffneten. Sie benennen unter einer Vielzahl von Monita die „Aufreizung der Leute durch die Amtleute zum Ungehorsam“ sowie „die Verspottung der Geistlichkeit und die Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit was alles „aus der prediger unformlicher, aufrurlicher lere, aus dem unzimlichen schmähen und schelten, so uf den canzeln über die geistlichen ausgehe“.43 Der fürstlichen Antwort nach zu urteilen, wurden die Beschwerden auf dem Landtag öffentlich kundgetan, denn ausdrücklich und verärgert betonen Friedrich und Johann, „derwegen dann auch von unnoten gewest were, solchs sache auf gemainen landtag furzutragen“.44 41 42 43 44

Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 149f. (Nr. 274–276). Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 147 (Nr. 272). Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 154f. (Nr. 283). Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 155, 165 (Nr. 284, 295); Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 19, fol. 105v (nach Püschels gestempelter Foliierung).

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Die Landtagsverhandlungen sind bis ins letzte Detail nicht mehr rekonstruierbar, da viele Schriftstücke undatiert sind. Einen Rekonstruktionsversuch des Verhandlungsgangs des Landtags von 1523 unternahm Carl August Hugo Burkhardt Ende des 19. Jahrhunderts. Er ordnete sechzig einzelne Briefe, Bedenken und Monita, Futterlisten, Einladungsschreiben, Teilnehmerverzeichnisse und dergleichen mehr.45 38 dieser Stücke hat er nach der von ihm vorgenommenen chronologischen Reihung 1902 in den ernestinischen Landtagsakten ediert, ohne jedoch auf die vielfältigen Korrekturen sowie Rand- und Interlinearglossen, die sich vor allem auf den landesherrlichen Schreiben finden lassen, hinzuweisen. Zwischen 1914 und 1920 wurden die zum 1523er Landtag gehörenden Akten neu bewertet und in drei Einzelbände (EGA, Reg. Q18, Q19, Q20) mittels Fadenheftung eingebunden, wobei die von Burkhardt vorgenommene Chronologie verworfen wurde. Vermutlich hat die Neubewertung der Staatsarchivar Püschel vorgenommen. Letztlich ließ er die drei neu entstandenen Aktenbände mittels Stempel neu foliieren. Daher sind alle Quellenstücke mit voneinander abweichenden Blattzahlen foliiert, mit dunkelbrauner Tinte (vermutlich aus dem 16. Jahrhundert), mit Bleistift (vielleicht von Burkhardt) und mit schwarzen Stempelziffern durch Püschel.46 Püschels Aktenneubewertung erleichtert nicht unbedingt den Versuch, den Gang der Landtagsverhandlung zu rekonstruieren. Vor allem geht es um die Frage, wann und in welchem Kontext die Landstände die virulente evangelische Bewegung auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ein Rekonstruktionsversuch der Verhandlungen müsste sich auf die komplette Neuedition der Akten gründen; die vor über hundert Jahren vorgelegte Edition ist dafür größtenteils ungeeignet.47 Ungeachtet der schwierigen Überlieferung können die während beziehungsweise nach Abschluss des Landtags vorgebrachten Beschwerden und Stellungnahmen aus den Akten destilliert werden. Hinsichtlich der weiteren Ausbreitung der evangelischen Bewegung im ernestinischen Kurfürstentum Sachsen während des späten Frühjahrs und Sommers 1523 mag es jedoch als (fast) unwesentlich erscheinen, ob die landständischen Gravamina am 4. oder 6. Mai oder gar erst nach Abschluss des Landtages kundgetan wurden. Entscheidend ist, dass sich vor allem die Ritterschaft eindeutig zu den kirchenpolitischen Vorgängen im Lande geäußert hat und dass die beiden Fürsten schriftlich darauf reagiert haben. Ein Ergebnis des Landtags war, dass die Stände, insbesondere der Niederadel, die finanziellen Wünsche der Fürsten befürworteten. Sie stimmten der Verlängerung der Tranksteuer für weitere acht Jahre zu.48 Im Gegenzug nahmen Kurfürst Friedrich und Herzog Johann billigend die landständischen Beschwerden zur 45 46 47 48

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 18, fol. 1r f. (Inhaltsverzeichnis des Landtages 1523, nach der Handschrift von Carl August Hugo Burkhardt). Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 18–Q 20 (Landtag zu Altenburg). – Die nachfolgenden Blatt- und Seitenangaben orientieren sich an Püschels gestempelter Foliierung. Vgl. dazu: Kirn, Friedrich der Weise (wie Anm. 3), S. 156f.; Ernst Müller: Zur Neuordnung des Kirchenwesens im Kurfürstentum Sachsen um 1525. In: JbRegG 11 (1984), S. 175–186, hier S. 175f. Schirmer, Kursächsische Staatsfinanzen (1456–1656) (wie Anm. 12), S. 347.

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Kenntnis und versicherten, sie abzustellen. Und schließlich verständigten sich die Fürsten und die Stände auf die Einbestellung eines Ausschusses, der die unerledigten Monita des Landtags von Jena (1518) und des beschlossenen Altenburger Landtags abarbeiten sollte. Ferner besaß er die Hoheit und Verantwortung über die einzukassierenden Steuern. Von den ersten personellen Vorschlägen der Stände bis hin zur endgültigen Zusammensetzung des Ausschusses, den die Fürsten billigten, gab es vielerlei Veränderungen, die an dieser Stelle nicht rekonstruiert werden können.49 Für diesen Beitrag erscheinen allein die ursprünglichen Vorschläge der Ritterschaft als relevant, weil sie von nicht wenigen Adligen eingebracht wurden, die in jenen Tagen bereits der Reformation anhingen (Felix von Brandenstein, Heinrich von Einsiedel, Sebastian von Kötteritzsch, Rudolf von der Planitz). Konkret bestimmte die Ritterschaft folgende Personen aus ihren Reihen für den Ausschuss:50 Aus dem Kurkreis Siegmund von Brandenstein zu Neudeck, Georg von Hondorf zu Schmerkendorf, Hans von Kanitz zu Treben und Matthias Löser zu Lebusa; aus Thüringen Sebastian Marschall von Pappenheim zu Gräfenthal, Siegmund von Holbach zu Kunitz (bei Jena), Felix von Brandenstein zu Ranis und Heinrich von Bünau zu Tannroda an der Ilm; aus dem Land Meißen Heinrich von Einsiedel zu Gnandstein, Heinrich von Maltitz zu Kaufungen, Wolf von Schaderitz zu Langenleuba und Sebastian von Kötteritzsch zu Sitten; aus dem Vogtland Rudolf von der Planitz zur Wiesenburg, Götz von Wolfersdorf zu Endschütz, Apel von Tettau zu Syrau und Albrecht Rabe. Die Vorschläge spiegeln nicht nur die regionale Struktur der Stände wider, sie weisen wahrscheinlich auch auf die adligen Wortführer sowie auf die frühen Sympathisanten Luthers unter den Vertretern der Ritterschaft hin. Größtenteils wurden die Vorgeschlagenen tatsächlich in den Ausschuss berufen, der – wie gesagt – von den beiden Fürsten gebilligt wurde. Für Friedrich und Johann scheint indessen besonders wichtig gewesen zu sein, dass alle Mitglieder des Ausschusses, die zudem vereidigt wurden, das ihnen anvertraute Herrschaftswissen über den Zustand der Landesfinanzen vertraulich behandeln würden. In den schließlich bestellten Ausschuss wurden Personen aller drei Kurien aus allen kursächsischen Landesteilen (Sachsen, Meißen, Thüringen, Vogtland und Franken) delegiert.51 Rein zahlenmäßig war der Niederadel eindeutig in der Mehrzahl. Mehr noch: Die niederadligen Delegierten gehörten ausnahmslos zu jener Führungsschicht, die in der landesherrlichen Verwaltung sowie im landständischen Netzwerk Schlüsselpositionen einnahm. Obendrein muss man ihr ein gutes bis sehr gutes Verhältnis zu den Fürsten zubilligen.52 Bezüglich der Landtagsverhandlungen sind neben den bereits angeführten Monita der Prälaten vor allem die Gravamina des Niederadels bemerkenswert. Es ist 49 50 51 52

Vgl. die Personallisten in den Ständeakten: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 20, fol. 286r–287v, 288r, 291r–293v, 303r–304v. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 20, fol. 286r–287v. Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 153f., 166f. (Nr. 281, 282, 296, 297). Zur Bewertung und machtpolitischen Stellung dieser Personengruppe: Uwe Schirmer: Untersuchungen zur Herrschaftspraxis der Kurfürsten und Herzöge von Sachsen (1485–1513). Institutionen und Funktionseliten. In: Rogge, Hochadlige Herrschaft (wie Anm. 19), S. 305–378; Schirmer, Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 12), S. 331–334, 363f.

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hervorzuheben, dass der Niederadel seine lokalen und individuellen Beschwerden (vorerst) nicht geschlossen und vereint vortrug, sondern separat nach seiner regionalen Herkunft und landsmannschaftlichen Zugehörigkeit. Daher lassen sich in den Akten die Gravamina der Ritterschaft in Sachsen (sc. Kurkreis), der Schriftsassen und Amtsverwandten (sc. Amtssassen) im Lande Meißen, nämlich Altenburg, Torgau, Düben, Eilenburg, Grimma, Borna, Colditz und Leisnig, der Vogtländer sowie die der thüringischen Ritterschaft finden.53 Ausschlaggebend sind freilich die „Beschwerde-Artikel“ der landtagsfähigen Ritterschaft im Hinblick auf die sich ausbreitende Lutherische Lehre. Wann, wo und von wem die „Beschwerde-Artikel“ verfasst wurden, ist unbekannt. Sie erscheinen allein als zentrales Dokument der gesamten, auf dem Landtag vertretenen Ritterschaft.54 Der Text ist mit „Anfänglich die Artikel zu göttlichem Lobe und Ehre“ überschrieben und setzt nach der Präambel im ersten Artikel mit dem Luther-Wort „… denn es ist ein frei Werk um den Glauben, dazu man niemand zwingen kann“ ein. Zwar werden weder Luther noch seine dem Herzog Johann gewidmete Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ erwähnt,55 doch dürfte es den Adressaten, namentlich dem in Thüringen regierenden Herzog Johann, bei der Lektüre deutlich geworden sein, welche kirchenpolitischen Absichten der kursächsische Niederadel hegte. Die „Beschwerde-Artikel“ der Ritterschaft gliedern sich in fünf Punkte. Sie mögen knapp paraphrasiert und erläutert werden, um die Ansichten des Niederadels zu der sich ausbreitenden lutherischen Lehre einschließlich der damit verbundenen Probleme kundzutun. Eingangs kritisiert die Ritterschaft die Verfolgung der Geistlichen, die sich zum „göttlichen reinen Wort“ bekannten. Ausdrücklich werden die Bischöfe als diejenigen genannt, welche die Prediger, die „Gottes Wort christlich führen“, verfolgen und nicht schützen und schirmen. Offenkundig spielte die Ritterschaft mit diesem Artikel auf die Visitationsreise des Meißner Bischofs Johann VII. im Jahr 1522 durch Kursachsen und die antilutherischen Bemühungen des Merseburger Bischofs Adolf von Anhalt an. Beide Bischöfe haben 1522 und 1523 energisch versucht, die evangelische Lehre in den kursächsischen Ämtern Torgau, Eilenburg, Grimma, Borna und Colditz zurückzudrängen.56 Luthers Lehre fand vor allem auf dem flachen Lande bei nicht wenigen vom Adel Rückhalt. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Unter dem zweiten Punkt fordert der Niederadel, gegen die Prediger vorzugehen, die „wider Gottes Wort ihre Lehre verkünden (furwenden) in Irrtum des Glaubens und christlicher Liebe“. Es muss offenbleiben, ob damit die radikalen Reformatoren gemeint waren, die sich nicht der Deutungshoheit der Wittenberger 53 54 55 56

Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 155f., 158, 162 (Nr. 285, 287, 289, 294). Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 160f. (Nr. 292); Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 18, fol. 105r–106v. Kirn, Friedrich der Weise (wie Anm. 3), S. 156f.; Müller, Neuordnung (wie Anm. 47), S. 175f. Karl Pallas: Die Versuche des Bischofs Adolf von Merseburg, den kirchlichen Neuerungen innerhalb seiner Diözese entgegenzutreten (…) 1521–1525. In: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen 25 (1927), S. 1–54; Ders.: Briefe und Akten zur Visitationsreise des Bischofs Johann VII. von Meißen im Kurfürstentum Sachsen 1522. In: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen 6 (1909), S. 25–80.

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Theologie unterwarfen, also jene Prediger, die Luther späterhin als „Schwärmer“ stigmatisierte. Oberflächlich betrachtet könnten Karlstadt, Müntzer, Reinhardt in Jena, Strauß in Eisenach, der Prediger Niklas in Neustadt an der Orla oder auch anfänglich Stein in Weimar gemeint sein. Allerdings sind sie alle erst nach dem Altenburger Landtag im thüringischen Herrschaftsgebiet des Herzogs aktiv geworden, so dass es schwierig ist, konkrete Personen zu benennen. Wahrscheinlich zielten die Autoren der „Beschwerde-Artikel“ auf die Ereignisse in Wittenberg mit Karlstadt oder in Zwickau mit Müntzer ab, denn es wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich hervorgehoben, dass die sich im Irrtum des Glaubens befindlichen Prediger zur „Einführung von Ärgernis, unchristlichem Gehorsam des gemeinen unverständigen Mannes“ Anlass gäben und ihn „zur Aufruhr“ anstifteten.57 Gegen sie gelte es, tatkräftig einzuschreiten. Dies erscheint insofern bemerkenswert, als dies deutlich zu belegen scheint, dass es bereits im Frühjahr 1523 eine breite Ablehnung unter dem Niederadel gegenüber jenen „alternativen Reformatoren“ beziehungsweise „Schwärmern“ gab, die sich nicht der Wittenberger Theologie anschließen wollten. Im dritten Punkt knüpfen die Autoren der Artikel indirekt abermals an das Wirken sogenannter „Schwärmer“ an, ohne sie indes ausdrücklich zu erwähnen. Es wird einzig angemahnt, alle Städte und Dörfer mit „christlichen Predigern“ zu versorgen, damit dem „Ungehorsam der mutwilligen Untertanen aus göttlichem Wort zuvorgekommen werde“58. Aus diesen Worten scheint die Sorge zu sprechen, die Untertanen könnten aus der Verkündigung des lauteren Evangeliums soziale Forderungen ableiten. Mancher vom Adel – wie die in Altenburg stattlich vertretene Ritterschaft aus Ostthüringen – wird vielleicht den Pfarrer Johann Schweitzer aus Großbockeda aus dem kursächsischen Amt Kahla vor Augen gehabt haben, der im Februar 1523 zum Pfaffenstürmen aufgerufen haben soll.59 Im vierten Artikel wurden Forderungen artikuliert, dass man erledigte geistliche Lehen im nächst gelegenen Amt anzeigen solle. Es ist nicht ersichtlich, ob sich dieses Anliegen gegen die auf dem Pfründenmarkt herrschenden Praktiken der Pfründenvergabe richtete oder ob man bereits an die infolge der sich ausbreitenden evangelischen Bewegung verlassenen Pfarreien und Altarlehen dachte. Wahrscheinlich wird die Ritterschaft auf die gängigen Mechanismen des Pfründenmarktes abgezielt haben. Entscheidend ist, dass sie die weltliche Verwaltung der Einkünfte aus den unbesetzten geistlichen Lehen bis zu einem Konzilsbeschluss vorschlug, um die Erträge „Elenden und Notdürftigen“ zukommen zu lassen. Die Verwaltung sollte in den Kreisen – also in den landständischen Verwaltungsstrukturen! – Verordneten übertragen werden. Die Autoren der „Beschwerde-Artikel“ indizierten damit eindeutig, dass eine solche Sequestration in den Zuständigkeitsbereich

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Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 161 (Nr. 292). Müller, Neuordnung (wie Anm. 47), S. 176; Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 18, fol. 105v. Günther Franz, Walther Peter Fuchs (Hg.): Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland (Aus den Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte), Bd. 2. Jena 1942, S. 7 (Nr. 1088).

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der Stände zu fallen habe.60 Bekanntlich billigte Kurfürst Johann Friedrich erst im Jahr 1532 den Ständen das Recht zu, die Kirchengüter unter ihre Verwaltung zu stellen; der Netzwerker im Hintergrund war übrigens hierbei Hans von Dolzig.61 Der Passus „bis zu einem Beschlusse des Konzils“ lässt es hingegen als naheliegend erscheinen, dass der oder die Autoren mit dem am Kurfürstenhof kursierenden Herrschaftswissen gut vertraut waren, denn der Vorschlag, die Causa Lutheri mittels eines Konzils zu lösen, wurde wiederholt im Nürnberger Reichsregiment aufgegriffen. Hans von der Planitz berichtete dem Kurfürsten Friedrich in seinem Schreiben vom 19. Januar 1523 darüber.62 Unter dem 6. März 1523 erging schließlich in Ausführung der Beschlüsse des Reichstags ein Mandat des Reichsregiments unter dem Namen des Kaisers an die Reichsstände, in dem verordnet wurde, wie es bis zu dem in Aussicht gestellten Konzil mit der Religion zu halten sei. Unter anderem wurden die Reichsstände angewiesen – also auch Herzog Johann und Kurfürst Friedrich –, dass Luther und seine Anhänger zwischenzeitlich nichts Neues schreiben oder drucken lassen sollten. Das Mandat wurde dem Kurfürsten während des Altenburger Landtags am 6. oder 7. Mai zugestellt.63 Der letzte Artikel weist gleichfalls auf Probleme des Niederadels hin, denn es wird die Klosterflucht der Mönche und Nonnen thematisiert. Die Abkehr vom monastischen Leben steht indes nicht grundsätzlich zur Disposition, sondern vielmehr die Frage der gesellschaftlichen Reintegration des ehemaligen Regularklerus, insbesondere die Wiedereingliederung der Nonnen. Zwar hüllt die Ritterschaft ihre Sorge in euphemistische Worte,64 aber letztlich scheint sich der Niederadel vor allem um den standesgemäßen Lebensunterhalt der geflohenen Mönche und Nonnen gesorgt zu haben. Bemerkenswert ist ein nachträglich angefügter Zusatz, der nach Abschluss des Landtages verfasst wurde. Der Nachtrag ist fraglos ein Indiz, dass der Text auf dem Landtag vorgetragen wurde, denn ausdrücklich wird der landständische Ausschuss benannt. Inhaltlich knüpft der Zusatz an den fünften Artikel an, der ihn ergänzt und präzisiert, denn es wird die Hoffart entlaufener Nonnen kritisiert. Zusatz des Ausschusses: „Nachdem dann auch das gerucht und zum theil vor augen, daß sich der geistlichen weiber etwas meher, dann die notdurft oder inen geziemen will, sich mit uberflussiger, scheibarlichen cleidungen unde zieret beladen sollen, daraus dem gemeynen und unverstendigen manne vhil ergernus entstehe, welchs der ausschuß der lantschaft, so vhil als muglich, verhuten will, ist derhalben gedachts, ausschuß unterthenigs bitten, e. cf. G. wollen in demselbigen 60 61 62 63 64

Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 161 (Nr. 292); Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 18, fol. 106r. Schirmer, Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 12), S. 396–407. Ernst Wülcker, Hans Virck (Hg.): Des kursächsischen Rates Hans von der Planitz Berichte aus dem Reichsregiment in Nürnberg 1521–1523 (Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte 3). Leipzig 1899, S. 331 (Nr. 141). Irmgard Höss: Georg Spalatin 1484–1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation. 2. durchges. und erw. Aufl., Weimar 1989, S. 247f. „Die unwesenheit mit dem unschicklichen, unerbaren und unnottorftigen außlaufen der geistlichen in clostern uf ein christlich mas und wege. Davon zu ratschlagen und unchristlich ergernus zuverhutten.“ Vgl.: Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 161 (Nr. 292); Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 18, fol. 106v.

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gnediges einsehen haben, damit solches abgestallt“.65 Die Vermutung Ernst Müllers, dass die Kritik auf „den Kleiderluxus der Pfarrfrauen“ abzielte, scheint haltlos zu sein,66 denn im Frühjahr 1523 gab es nur wenige Geistliche, die bereits in den Ehestand getreten waren.67 Und sicherlich wird der landständische Ausschuss auch nicht an die eine oder andere Haushälterin, Köchin oder Konkubine des alten Pfarrklerus gedacht haben, da der Passus frei von Invektiven und Polemik ist. Es steht zu vermuten, dass der dem landständischen Ausschuss angehörende Autor entlaufene Nonnen vor Augen hatte, die gelegentlich tatsächlich als Damen adliger Herkunft und nicht als demütige Dienerinnen Gottes wahrgenommen wurden. Im Frühjahr und Frühsommer 1523 war die Zahl der geflohenen Nonnen freilich noch überschaubar und so ist zu mutmaßen, dass die Ritterschaft die aus den Klöstern Nimbschen und Sornzig (beide bei Grimma) geflohenen Zisterzienserinnen vor Augen hatte. Bekanntermaßen fanden sie in Wittenberg Zuflucht. Die „Beschwerde-Artikel“ der kursächsischen Ritterschaft wurden unzweifelhaft im Umfeld des Altenburger Landtages verfasst. Unklar bleiben die Autorschaft und die Frage, ob die Ritterschaft die Artikel innerhalb ihrer Kurie diskutiert und verabschiedet hat. Diese Ungewissheit wirft die Frage auf, ob letztlich im Hintergrund – so wie bei den Steuer- und Finanzverhandlungen – landesherrliche Räte bei der Entstehung der „Beschwerde-Artikel“ mitgewirkt haben. Somit bleibt ebenfalls unbekannt, ob die ersten fünf Artikel dem Kurfürsten Friedrich vor dem Landtag zugespielt worden sein könnten. Dass der Inhalt der „Beschwerde-Artikel“ offenkundig Bezüge zu den konkreten Vorgängen im Lande aufwies, kann zumindest ernsthaft erwogen werden. Nochmals sei auf die im Frühjahr 1523 erschienene Lutherschrift „Von weltlicher Obrigkeit“, auf die Visitationsreisen der Meißner und Merseburger Bischöfe 1522 und 1523 durch Teile Kursachsens, auf das Wirken Karlstadts und Müntzers oder Martin Reinharts in Jena und Johann Schweitzers im Amt Kahla, auf die Beschlüsse des Nürnberger Reichsregiments vom März 1523 oder eben auf die Flucht der Nonnen aus Nimbschen zu Ostern 1523 verwiesen. Der oder die Autoren haben also nicht nur auf anschauliche Beispiele bei ihrer Niederschrift zurückgegriffen, sie hatten auch Zugang zu Herrschaftswissen. Eines kann indes als gesichert gelten: Große Teile des landtagsfähigen Niederadels in Kursachsen haben mit wohlwollender Anteilnahme die Ausbreitung der Reformation verfolgt. Mehr noch, sie haben durch ihr aktives Mitwirken dafür gesorgt, dass die Reformation sich weiter ausbreiten und festsetzen konnte. Die „Beschwerde-Artikel“ der Ritterschaft verfehlten ihre Wirkung nicht. Nachdrücklich belegt dies die Antwort des Kurfürsten Friedrich und des Herzogs Johann auf die Gravamina der Stände, die zum Teil zuerst auf dem Landtag zu Jena (1518) sowie auf dem Altenburger Landtag vorgetragen wurden. Die auf den Landtagen vorgebrachten landständischen Gravamina über Missstände im Territorium 65 66 67

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 18, fol. 106v. Müller, Neuordnung (wie Anm. 47), S. 176. Vgl. die Übersicht (jedoch ohne Jahresangabe) der verehelichten Geistlichen bis ca. 1525 bei: Georg von Hirschfeld: Die Beziehungen Luthers und seiner Gemahlin, Katharina von Bora, zur Familie von Hirschfeld. In: Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte 2 (1883), S. 86–314, hier S. 122.

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hatten eine Tradition, die ins 15. Jahrhundert zurückreichte. Immer wieder brachten die Stände allgemeine Landesgebrechen bei ihrer Zusammenkunft mit den Fürsten zur Sprache. Die dabei geführten Diskussionen zielten stets auf die Beseitigung der Missstände, wenngleich nicht wenige von ihnen immer wieder aufs Neue angeprangert werden mussten. Das landständische Vortragsrecht der Gravamina und die Zusage der Fürsten, die Lösung der Probleme anzupacken, prägten zunehmend den Verhandlungsgang auf den Ständetagen. Dieses Procedere verfestigte sich von Landtag zu Landtag und wurde schließlich zur Norm. Und so wurden landständische Zugeständnisse – wie beispielsweise die Steuerbewilligungen – an feste landesfürstliche Zusagen gebunden, die Beschwerden auch tatsächlich abzustellen.68 Auf Grundlage des skizzierten Procedere mussten Kurfürst Friedrich und Herzog Johann reagieren. Ihre über dreißig Punkte umfassende Antwort ist in der kursächsischen Ständegeschichte ein Novum.69 Die Artikel 1 und 2 sowie die Rückschlüsse aus dem Artikel 14 lassen erkennen, dass sich beide Fürsten ausdrücklich mit den „Beschwerde-Artikeln“ befasst hatten. Besonders gilt das für den Umgang mit den „falschen Predigern“, wobei die Stände wohl vorrangig an die von Luther attackierten „Schwärmer“ gedacht haben werden. Die Fürsten mahnten hingegen recht indifferent, „aufrührerische Prediger zu verhören“ und ihnen die Verkündigung zu untersagen. Hierbei spielte ihnen das am 6. März 1523 vom Reichsregiment erlassene Mandat in die Hände. Mit Befehl vom 25. Mai 1523 hatten Friedrich und Johann ihre Amtleute sowie den schriftsässigen Adel und die Städte angewiesen, das kaiserliche Mandat von allen Kanzeln verlesen zu lassen und öffentlich anzuschlagen.70 An dieser Stelle könnte man tatsächlich meinen, Kurfürst Friedrich und Herzog Johann hätten sich Ende Mai 1523 in festem und unbeirrtem Einklang mit dem Kaiser und der römischen Kirche befunden. Der weitere Kontext offenbart jedoch, dass die Fürsten, in gemeinsamer Absprache mit ihren Räten und besonders mit Georg Spalatin, geschickt lavierten und die Forderung der Ritterschaft hinsichtlich der „Schwärmer“ mit dem kaiserlichen Mandat verbanden.71 Berechtigte Vermutungen Ernst Müllers, wonach vor allem Herzog Johann und seine unmittelbare Umgebung in Weimar auf eine obrigkeitliche Lösung der anstehenden kirchlichen Fragen drängten, liegen nahe, sind indes schwer zu belegen.72 Letztlich haben Kurfürst Friedrich und Herzog Johann eine deutliche Stellungnahme –wie sie ihr Vetter, der sächsische Herzog Georg, stets anmahnte – vermieden. Allerdings billigten sie indirekt die „Beschwerde-Artikel“ der Ritterschaft, nämlich in der Weise, dass sie einerseits die eschatologisch-chiliastischen Ableger der radikalen frühreformatorischen Theologie zurückwiesen. Diese Ablehnung 68 69 70

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Molzahn, Adel und frühmoderne Staatlichkeit (wie Anm. 26), S. 122f. Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 162–166 (Nr. 295); Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Q 19, fol. 12r–14r, 20r–23r, 37r–46v (teilweise korrigierte Konzepte). Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. N 22, fol. 1r: Mandat des Kurfürst Friedrichs III. und Herzog Johanns, Montag in den Pfingstheiligen Tagen 1523 (Einblattdruck); ebd. fol. 3r: Mandat des Kaisers vom 6. März 1523 (Plakatdruck); Müller, Neuordnung (wie Anm. 47), S. 177. Höss, Georg Spalatin (wie Anm. 63), S. 249. Müller, Neuordnung (wie Anm. 47), S. 178.

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gründete sich im Mai 1523 jedoch noch nicht auf einen Konsens der Fürstenbrüder; dieser wurde vielleicht erst im Juli 1524 nach Müntzers Fürstenpredigt in Allstedt erzielt.73 Andererseits vermieden die ernestinischen Fürsten im Frühjahr 1523 jede deutliche Positionierung zur inzwischen allerorten in ihren Territorien festgesetzten lutherischen Lehre; sie tolerierten diese stillschweigend. Mit ihrer letztlich passiven Duldung von Luthers Lehre überließen der Kurfürst und sein Bruder die kirchenpolitische Gestaltungsfreiheit den städtischen und niederadligen Patronatsherren. Die Publikation des kaiserlichen Mandats lag durchaus im Interesse der Ritterschaft, da in ihm die aufrührerischen Prediger deutlich stigmatisiert wurden. Einer weiteren Ausbreitung der Reformation in Verbindung mit einer obrigkeitlichen Aufsicht stand also nichts mehr im Wege. Die allgemeine und stillschweigende Tolerierung der Wittenberger Theologie kann als das wichtigste Ergebnis des Altenburger Landtags angesehen werden. Wenn man sich synoptisch die sogenannte Einführung der Reformation in den kursächsisch-ernestinischen Städten sowie in den vielen Rittergutsherrschaften insgesamt vor Augen hält, fallen die Veränderungen vor allem nach Cantate 1523 signifikant ins Auge.74 Insofern gab der Landtag einen leisen, letztlich aber nicht zu überhörenden Startschuss zu reformatorischen Veränderungen, die indes bei den lokalen Obrigkeiten lagen. Und dies waren die Stadträte und noch viel stärker der Niederadel. Infolge des Altenburger Landtags setzte sich in Kursachsen allmählich eine Reformation von oben durch. Die in der Forschung gelegentlich ventilierte Frage nach dem „Wildwuchs“, der „Ausbreitung“ beziehungsweise „Einführung“ der Reformation, nach der Reformation „von unten“ oder der „von oben“ oder nach dem vermeintlichen Gegensatz von „Gemeindereformation“ und „Fürstenreformation“ soll an dieser Stelle nicht vertieft werden.75 Gemeinhin gelten bei diesen Debatten der Bauernkrieg und das Jahr 1525 als Zäsur. In Kursachsen, dem hinsichtlich des Reformationsprozesses fraglos wichtigsten Territorium des Alten Reiches, wird stets – und nicht zu Unrecht – auf den 17. August 1525 verwiesen. An diesem Tag erließ Kurfürst Johann, sein Bruder Friedrich war im Mai verstorben, von Weimar aus den Befehl, das „Evangelium lauter und rein und ohne menschlichen Zusatz zu predigen“.76 73

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Quellen zu Thomas Müntzer, bearb. von Wieland Held und Siegfried Hoyer, Thomas-MüntzerAusgabe. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 3. Leipzig 2004, S. 139–170 (Nr. 91–110); Thomas Müntzer Briefwechsel, bearb. und kommentiert von Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch, Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 2. Leipzig 2010, S. 259–263 (Nr. 79). Eine Synopse hinsichtlich der Ausbreitung und Einführung der lutherischen Reformation in den niederadligen Grundherrschaften Kursachsens ist ein Desiderat landesgeschichtlicher Arbeit. Entsprechende Vorstudien haben an der Professur für Landesgeschichte der FriedrichSchiller-Universität Jena begonnen. Karlheinz Blaschke: Einführung oder Ausbreitung der Reformation? Triebkräfte und Entwicklungsstufen in der Reformationsgeschichte Sachsens. In: Herbergen der Christenheit 18 (1991/92), S. 26–32; Berndt Hamm: Reformation „von unten“ und Reformation „von oben“. In: Archiv für Reformationsgeschichte. Sonderband: Die Reformation in Deutschland und Europa. Interpretationen und Debatten. Heidelberg 1993, S. 256–293, hier vor allem 285f.; Helmar Junghans: Plädoyer für „Wildwuchs der Reformation“ als Metapher. In: Luther-Jahrbuch 65 (1998), S. 101–108. Volker Graupner: Städtisches und kirchliches Leben in Weimar kurz vor und während der Frühreformation. In: Emig, Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (wie Anm. 16),

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Seine Anweisung ließ der Kurfürst in einer Auflagenhöhe von sechshundert Exemplaren drucken und unter den Geistlichen im gesamten Kurfürstentum verteilen. Kurfürst Johann selbst und seine engsten politischen Berater stellten sich somit an die Spitze der evangelischen Bewegung, deren obrigkeitlicher Charakter nun wohl nicht mehr in Abrede zu stellen ist. Freilich war das politische System Kursachsens bezüglich der Herrschaftsverwirklichung vielschichtig. Integraler Bestandteil des gesamten Systems waren die Stände; vor allem die Ritterschaft und die Städte. Und sie waren es, die seit dem Altenburger Landtag vom Mai 1523 die obrigkeitliche Einführung der Reformation in Kursachsen vorantrieben. Dass damit noch lange nicht die „wildwuchernde Reformation von unten“ beendet war, zeigen die Ereignisse in Orlamünde, Kahla, Neustadt an der Orla, Jena oder Allstedt.77 Allerdings gerieten die dort wirkenden radikal-alternativen Prediger immer stärker unter Aufsicht der Obrigkeit. Zwangsläufig forderten die nun offen ausgetragenen Konflikte Martin Luther heraus, so dass er schließlich im August 1524 zu seiner berühmten Visitationsreise nach Ostthüringen aufbrach.78 EINZELBEISPIELE: DIE WIRKMACHT DES SCHRIFTSÄSSIGEN NIEDERADELS Die politische Stellung des obersächsisch-thüringischen Niederadels während der Frühzeit der Reformation im ernestinischen Kurfürstentum sowie im albertinischen Herzogtum wurde bisher kaum vergleichend bearbeitet.79 Zwar liegen nicht wenige

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S. 385–410, hier S. 408; Otto Clemen: Zur Einführung der Reformation in Weimar. In: ARG 2 (1905), S. 186–189 (Wiederabdruck in: Ders.: Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897–1944), hg. v. Ernst Koch, Bd. II (1904–1907). Leipzig 1983, S. 218–221. Volkmar Joestel: Ostthüringen und Karlstadt. Soziale Bewegung und Reformation im mittleren Saaletal am Vorabend des Bauernkrieges (1522–1524). Berlin 1996; Enno Bünz: Die Reformation in Neustadt an der Orla. Voraussetzungen und Verlauf (1518–1527). In: Emig, Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (wie Anm. 16), S. 359–384; Martin Wähler: Die Einführung der Reformation in Orlamünde. Erfurt 1918; Christian Tschesch: Die Einführung der Reformation in Saalfeld. In: Thüringer kirchliche Studien II (Aus zwölf Jahrhunderten. Einundzwanzig Beiträge zur thüringischen Kirchengeschichte). Berlin 1971, S. 85–99. Hans-Peter Hasse: Luthers Visitationsreise in Thüringen im August 1524: Jena – Kahla – Neustadt an der Orla – Orlamünde. In: Greiling, Altar von Lucas Cranach (wie Anm. 3), S. 169– 202; Joachim Bauer: Landesherrschaft und Reformation. Die ersten Visitationen im SaaleOrla-Raum. In: ebd., S. 219–232. Vgl. vor allem: Christian Winter: Evangelischer Adel – altgläubiger Landesherr. Anhänger der Reformation im albertinischen Adel vor 1539 und ihr Konflikt mit Herzog Georg von Sachsen. In: NASG. 81 (2010), S. 249–262; Alexander Jendorff: Religion und niederadliger Eigensinn. Konfessionsbildung, ständische Selbstbehauptung und Fürstenherrschaft im Werra-Weser-Gebiet während des langen 16. Jahrhunderts (Beiträge zur Reformationsgeschichte in Thüringen 2). Jena 2015; Stephan Umbach: Hans von Gräfendorf zu Knau und die Reformation. Jena 2016 (Masch.-Msc. Universität Jena); Christoph Volkmar: Was hatte der Niederadel in Mitteldeutschland durch die Reformation zu verlieren? In: Werner Greiling et al. (Hg.): Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470–1620 (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 4). Köln, Weimar, Wien 2015, S. 373–400, hier besonders S. 379–381.

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umfangreiche Untersuchungen über einzelne spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Adelsgeschlechter oder Rittergutsherrschaften vor, aber eine komparative Analyse hinsichtlich der Jahre von 1520 bis 1525 steht bislang aus. Die offenkundigen Desiderata scheinen nicht mit der Quellenlage erklärbar zu sein, denn zumindest aus landesfürstlicher Perspektive ist die Überlieferung recht gut. Neben dem sehr umfangreichen Archivgut ist zudem auf die äußerst komplexe, vielschichtige, jedoch oft auch ältere Literatur über einzelne Adelsfamilien zu verweisen.80 Welche Möglichkeiten sich aus der intensiven Beschäftigung mit den Quellen ergeben können, haben die neueren Forschungen über den obersächsisch-thüringischen Niederadel gezeigt.81 Im Rahmen dieses Beitrags ist es nicht möglich, Biogramme von rund hundertfünfzig bis zweihundert schriftsässigen Niederadligen einschließlich ihrer kirchenpolitischen Aktivitäten nach 1517/20 zu präsentieren, ganz zu schweigen von den rund vierhundert amtssässigen Niederadligen, die sich in diesen Jahren ebenfalls deutlich positioniert haben. Hinsichtlich der ernestinischen und albertinischen Zentralverwaltung wurden etwa sechzig biographische Kurzbeschreibungen der wirkmächtigsten Funktionsträger der Jahre von 1485 bis 1513 erstellt. Es handelt sich fast ausnahmslos um Niederadlige, die über eine schriftsässige Rittergutsherrschaft verfügten oder aus diesen sozialen Kreisen stammten.82 Wiederkehrende biographische Merkmale und Kennzeichen sind die regionale Herkunft sowie der Kontakt zum Fürsten und die Karriere am Hof oder in der landesherrlichen Verwaltung. Förderlich dafür waren Bildung und Manier, so dass sich bei vielen Niederadligen Bildungsreisen, Universitätsbesuche und die Vernetzung in humanistischen Kreisen nachweisen lassen. Nicht wenige Niederadlige begleiteten die Fürsten auf ihren Reisen zu Reichstagen oder auf Wallfahrten zu heiligen Stätten. Nahezu alle von ihnen nahmen an großen Turnieren und/oder Fürstenhochzeiten teil. Gelang der Sprung in den Fürstendienst, vermehrten sich Geld-, Kredit- und Pfandgeschäfte, wobei der Niederadel fast generell als Gläubiger auftrat. Typisch für die obersächsischen Verhältnisse war ferner das Engagement im erzgebirgischen Silberbergbau. Alle niederadligen Familien besaßen selbstverständlich ertragreiche Grundherrschaften, die sich von Umfang und Gewinn her betrachtet durchaus mit mancher Graf- oder Standesherrschaft ver80

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Unverzichtbare Standardwerke: Fritz Fischer: Ahnenreihenwerk der Geschwister Fischer (zahlreiche Abteilungen, Bände und Ergänzungen). (Masch.–Manuskript) Rüningen 1967– 1981; Richard Freiherr von Mansberg: Erbarmannschaft wettinischer Lande, Bd. I–IV. Dresden 1903–1908; Otto Posse: Die Siegel des Adels der Wettiner Lande bis zum Jahre 1500, Bände I–V. Dresden 1903–1917. Vgl.: Martina Schattkowsky: Zwischen Rittergut, Residenz und Reich. Die Lebenswelt des kursächsischen Landadligen Christoph von Loß auf Schleinitz (1574–1620) (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 20). Leipzig 2007; Schneider, Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel (wie Anm. 28); Hesse, Amtsträger der Fürsten (wie Anm. 28); Schirmer, Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 52). Schirmer, Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 52), S. 343–378. – Es sei nochmals herausgestrichen, dass die Schriftsassen a) direkt mit dem Landesfürsten bzw. dessen Kanzlei kommunizieren konnten, dass sie b) über die Obergerichtsbarkeit in ihren Grundherrschaften verfügten und dass sie c) grundsätzlich zu den kursächsischen Landtagen eingeladen worden sind.

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gleichen konnten. Wie bereits erwähnt, war diese Funktions- und Führungsschicht in hohem Maße versippt und verschwägert. Dieses äußerst engmaschige und belastbare Netzwerk bildete die Voraussetzung, sukzessive eine Symbiose mit der Fürstenherrschaft einzugehen, so dass die niederadlige Führungsschicht im thüringischobersächsischen Raum unterhalb der Fürstenherrschaft faktisch alleinherrschend war, obgleich sie vom Status und aus der Perspektive des dominierenden Lehnsrechts den untersten Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie einzunehmen hatte. Die Quellenlage über den Niederadel ist aus der Sicht der landesfürstlichen Überlieferung als gut zu bewerten. Schwieriger ist es, adlige Selbstzeugnisse anzuführen. Überschaut man dazu die jüngsten Veröffentlichungen, so ist zu sehen, dass das Gros der Bestände erst im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts und noch später einsetzt.83 Alternativ formuliert: Burg- und Rittergutsarchive mit reichhaltigem Material aus dem Spätmittelalter oder der Frühzeit der Reformation sind selten. Eine fast einzigartige Ausnahme bildet das um die 14.000 Schriftstücke umfassende Burgarchiv der Familie von Einsiedel auf Gnandstein, dessen Bestand im 14. Jahrhundert einsetzt. Es wurde im Jahr 1935 der Universität Leipzig übergeben und befindet sich heute im Staatsarchiv Leipzig. Die glänzende Überlieferung erschien bereits im 18. Jahrhundert als bemerkenswert, so dass der Mencke-Schüler und spätere Rektor der Universität Leipzig, Johann Erhard Kapp (1696–1756), zwischen 1727 und 1731 eine vierbändige Edition besorgte, die sich allein auf das Archiv der Burg Gnandstein gründet.84 Auf dieses Material, besonders auf den Briefwechsel der Einsiedel mit Luther, Spalatin und Melanchthon, wies Anfang der 1970er Jahre Elisabeth Werl hin.85 Die in der Frühzeit der Reformation wirkmächtigen Akteure der Familie von Einsiedel stammen von dem Ritter Heinrich von Einsiedel ab (um 1435–1507), der zu den wichtigsten Beratern der Kürfürsten und Herzöge von Sachsen zählte. Er war dreimal verheiratet.86 Seine Söhne, Haugold (1462/63–1522) aus erster Ehe, sowie Heinrich Hildebrand (1497–1557) und Heinrich Abraham (1504–1568) aus dritter Ehe, bekannten sich trotz mancher Widerstände frühzeitig zu Luthers Lehre. Alle drei hatten sich an Universitäten inskribiert, Haugold in Leipzig und Ingolstadt, seine beiden Halbbrüder ebenfalls in Leipzig. Die drei Brüder wohnten 1519 der Leipziger Disputation bei und waren seit dieser Zeit Anhänger Luthers. Haugold 83

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Jörg Brückner, Andreas Erb, Christoph Volkmar (Bearb.): Adelsarchive im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt. Übersicht über die Bestände (Veröffentlichung der staatlichen Archivverwaltung des Landes Sachsen-Anhalt. Reihe A: Quellen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 20). Magdeburg 2012; Volkmar, Niederadel in Mitteldeutschland (wie Anm. 79), S. 379–387. Johann Erhard Kapp: Kleine Nachlese einiger größtentheils noch ungedruckter, und sonderlich zur Erläuterung der Reformationsgeschichte nützlicher Urkunden. 4 Bände. Leipzig 1727– 1733. Elisabeth Werl: Die Familie von Einsiedel auf Gnandstein während der Reformationszeit und ihre Beziehungen zu Luther, Spalatin und Melanchthon. In: Herbergen der Christenheit 9 (1973/74), S. 47–63. Biographische Details: Werl, Familie von Einsiedel (wie Anm. 85), S. 48f.; Schirmer, Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 52), S. 354f.; Markus Cottin: Haubold von Einsiedel – Lebensbild eines adeligen Klerikers. In: Birgit Richter (Hg.): Die Familie von Einsiedel. Stand, Aufgaben und Perspektiven der Forschung. Leipzig 2007, S. 75–91.

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(Haubold) von Einsiedel, der mit reichen Pfründen an den Dom- und Stiftskirchen zu Merseburg, Naumburg und Zeitz ausgestattet war,87 gehörte als Präzeptor zu dem kleinen, aber feinen humanistisch gesinnten Hofstaat, der die Herzöge Otto und Ernst von Braunschweig-Lüneburg seit dem Wintersemester 1511/12 in Wittenberg begleitete und umgab. Neben ihm zählten auch Georg Spalatin, Johannes von Hirschfeld und Hans von Lindenau zu Machern zu diesem Kreis.88 Im Jahr 1507 hatte Haugold nach des Vaters Tod die Herrschaft in Gnandstein übernommen und war zum Vormund über seine beiden Halbbrüder bestellt worden. Zugleich war er für Kurfürst Friedrich als Hofrat in diplomatischen Diensten tätig. Unter anderem nahm er in dessen Auftrag die Goldene Rose des Papstes aus den Händen Karl von Miltitz‘ entgegen. Spätestens im Herbst 1520 lernten Luther und Einsiedel sich persönlich schätzen, denn im November rühmte Luther in einem Brief an Spalatin den Naumburger Domherrn.89 Im Januar 1521 widmete er seine Schrift „Auf des Bocks zu Leipzig Antwort“ Haugold von Einsiedel.90 Einsiedel genoss nicht allein das Vertrauen des Kurfürsten, sondern auch Respekt und Anerkennung seitens des Weimarer Kanzlers Dr. Beyer, aber auch von Seiten Karlstadts, Melanchthons und Spalatins. Tatkräftig agierte er während der Wittenberger Unruhen 1521/22 und widersetzte sich, gemeinsam mit Spalatin, energisch den Zwickauer Propheten.91 Zwischen dem 15. Mai und dem 10. Oktober 1522 ist er, der als „erster Lutheraner seines Geschlechts“ bezeichnet wird, verstorben.92 Die Einsiedel zu Gnandstein wurden aufgrund ihres umfangreichen Besitzes bei der Leipziger Landesteilung von 1485 nicht einer einzigen Linie zugeteilt. Sie, wie auch die Familien Spiegel oder von Hopfgarten, waren sowohl den ernestinischen als auch den albertinischen Fürsten untertänig.93 Folglich hatten sie die Landstandschaft in beiden Territorien. Zur Grundherrschaft der Familie von Gnandstein gehörten circa fünfzig Dörfer. In der weit ausgreifenden Rittergutsherrschaft beförderten Heinrich Hildebrand und Heinrich Abraham von Einsiedel von Anbeginn energisch die lutherische Lehre. Auf ihrer Stammburg wurde seit 1522 evangelischer Gottesdient gefeiert. Das Bekenntnis der Einsiedel zu Luther führte zwangsläufig zum Konflikt mit Herzog Georg, der – wie auch der Kurfürst – ihr Lehnsherr war. Als nun das im Jahr 1522 zur Herrschaft gelangte Brüderpaar lutherische Pfarrer einsetzte, deren Vermählung tolerierte oder die Veränderungen im Gottesdienst duldete, rief dies den Widerstand Georgs hervor. Der Herzog drohte nicht nur, ihnen die Lehen zu entziehen, sondern er befahl obendrein, dass ihre Untertanen die grundherrlichen Zinse nicht an sie, sondern an ihn zu liefern hätten. Das Brüderpaar widerstand bis zum Lebensende des Herzogs in ausdauernder Treue all diesen Anfeindungen, obgleich Herzog Georg zwischen 1527 und 1533 vielfach versuchte, 87 88 89 90 91 92 93

Heinz Wiessner: Das Bistum Naumburg (Germania Sacra, N. F. 35, 1,2). Berlin 1997, Bd. 2, S. 1091f. Höss, Georg Spalatin (wie Anm. 63), S. 61f. WA Briefwechsel, 2. Bd., S. 214 (13. Nov. 1520). WA Werke, 7. Bd., S. 262–265. Höss, Georg Spalatin (wie Anm. 63), S. 216f. Genealogisches Handbuch des Adels 66 (1977), S. 83–93, hier S. 85. Winter, Evangelischer Adel (wie Anm. 79), S. 257–260.

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sie von ihren Gütern zu verdrängen. Die politische Gemengelage, der schützende Zuspruch der Kurfürsten Johann und Johann Friedrich sowie nicht wenige Trostschreiben von Luther, Melanchthon und Spalatin halfen denen von Einsiedel in diesen schwierigen Jahren, dem heftigen Druck zu widerstehen.94 Mit den Familien Spiegel und von Hopfgarten verhielt es sich ähnlich, wenngleich die Konflikte mit Herzog Georg wegen ihres lutherischen Bekenntnisses erst in den 1530er Jahren virulent wurden. Unabhängig davon blieben sie – trotz massiver Drohungen des altgläubigen Herzogs – ebenfalls bei ihrem evangelischen Bekenntnis.95 Bei aller Wirkmacht des Niederadels ist daran zu erinnern, dass der Landesfürst das letzte Wort haben konnte. Abermals ist auf die Duldsamkeit Friedrichs des Weisen oder, wie bei denen von Einsiedel, auf das Wirken der beiden Kurfürsten im Hintergrund zu verweisen. Um beispielhaft zu sehen, wie in der Frühzeit der Reformation das Zusammenspiel von zentraler Fürstenherrschaft und lokaler Adelsherrschaft funktionieren konnte, lohnt ein Blick in die Abendstunden des 4. Mai 1521. Als Luther auf Geheiß des Kurfürsten Friedrich auf die Wartburg entführt wurde, waren neben seinem Reisebegleiter Nikolaus von Amsdorff und Friedrichs Geheimsekretär Georg Spalatin noch vier weitere Personen in die Entführung eingeweiht: Burkhardt Hundt zu Wenkheim auf Altenstein, Hans von Berlepsch zu Seebach, Friedrich von Thun zu Weißenburg und Philipp von Feilitzsch zu Sachsgrün.96 Alle vier verfügten demnach über schriftsässige Rittergutsherrschaften und gehörten dem fränkisch-thüringischen Niederadel an. Hundt war ein enger Vertrauter des Kurfürsten und mit dem Altenstein in der Nähe der Wartburg begütert. Berlepsch war der Burghauptmann der Wartburg. Beide hatten die Entführung inszeniert. Thun und Feilitzsch weilten zu dieser Zeit noch in Worms, sie wussten indes Bescheid. Es ist aufschlussreich zu sehen, wie die vier in ihren eigenen Herrschaften mit der neuen Lehre umgingen. Friedrich von Thun wurde um 1470 auf Burg Obernitz (Amt Saalfeld) geboren.97 Seit 1488 gehörte er zu den Mitbesitzern der Weißenburg oberhalb der Saale. Ob der am Hofe des Erzbischofs von Magdeburg zwischen 1492 und 1495 erwähnte Hofmarschall mit ihm identisch ist, bleibt ungewiss.98 Seit 1507 ist er als Vertrauter, 94 95 96

97 98

Werl, Familie von Einsiedel (wie Anm. 85), S. 50–56. Werl, Familie von Einsiedel (wie Anm. 85), S. 54; Winter, Evangelischer Adel (wie Anm. 79), S. 261f. Höss, Georg Spalatin (wie Anm. 63), S. 200. Der dritte Reisebegleiter Luthers, sein Ordensbruder Johann Petzensteiner, scheint nicht eingeweiht gewesen zu sein (ebd.). Unklar bleibt, ob die engsten Sekretäre des Fürsten (Hieronymus Rudlauf, Hans Feyl) Bescheid wussten. Bernd Stephan, der wohl beste Kenner der Materie, bejaht diese Frage (vgl. Stephan, Friedrich der Weise (wie Anm. 1), S. 37.). Indes sollte bedacht werden, dass Spalatin faktisch stets als Geheimsekretär fungiert hat. Insofern bedurfte es keiner weiteren Mitwisser. – Die verfassungsrechtliche Qualität der Burgen Altenstein, Seebach und Weißenburg ist eindeutig. Sachsgrün erscheint jedoch nur 1511 im Zusammenhang mit dem Ständetag und der Nennung des Philipp von Feilitzsch als landtagsfähig. Nachfolgendes vor allem nach: Freiherr von Thüna: Friedrich von Thun. Kurfürst Friedrichs des Weisen Rat und Hauptmann zu Weimar. In: ZThürG 14 (1889), S. 323–374. Michael Scholz: Residenz, Hof und Verwaltung der Erzbischöfe von Magdeburg in Halle in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Residenzenforschung 7). Sigmaringen 1998, S. 329.

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enger Berater und Wegbegleiter des Kurfürsten Friedrich vielfach bezeugt. Unter anderem diente er als Richter am gemeinsamen wettinischen Oberhofgericht, als Amtmann von Altenburg sowie späterhin als Hauptmann von Weimar. Friedrich von Thun tritt als Testamentszeuge im (zweiten) Legat Friedrichs des Weisen von 1517 und ein Jahr zuvor als Zeuge im Testament Herzog Johanns auf.99 Thun begleitete zwischen 1509 und 1522 den Kurfürsten wiederholt zu Reichstagen, erschien mehrfach als kursächsischer Gesandter am Hof des Kaisers und vermittelte in den Erfurter Wirren (1509–1512), bei den Vormundschaftskämpfen in Hessen (1514) sowie im Streit zwischen der ernestinischen und der albertinischen Linie, wobei er hier selbstverständlich kursächsische Interessen vertrat. Trotzdem scheint er von Herzog Georg respektiert worden zu sein. Dafür sprechen nicht allein die Einladungen zu den Fürstenhochzeiten nach Freiberg (1512) und Dresden (1523), sondern vor allem die vertrauliche Unterredung zwischen dem Herzog und Thun im Dezember 1523 über die Luther-Sache.100 In den landständischen Gremien nahm er als Verordneter der thüringischen Ritterschaft im Großen Ausschuss auf den Landtagen der Jahre 1531 und 1537 teil.101 Erbfälle führten dazu, dass Friedrich von Thun zwischen 1501 und 1524 in den alleinigen Besitz der einst aufgeteilten Familiengüter gelangte, die er von den Kurfürsten von Sachsen und den Grafen von Mansfeld zu Lehen bekam. Es waren die Burgen und Herrschaften zu Obernitz, Weißenburg und Lauenstein.102 Damit verfügte er über einen imposanten und geschlossenen Güterkomplex im thüringischfränkischen Grenzraum. Sein Stammsitz blieb die Weißenburg. Verheiratet war er mit Anna von Feilitzsch, die eine Schwester oder Tochter des Philipp von Feilitzsch war. Trotz der vertraulichen Bindung zu den Herzögen und Kurfürsten Friedrich und Johann sowie des Bekenntnisses zu Luther führte Friedrich von Thun wohl nicht vor 1525 die neue Lehre in seiner Herrschaft ein, im Gegenteil. Als die Bürger von Ludwigstadt 1525 eigenmächtig einen neugläubigen Pfarrer einsetzen, fühle er sich als Patronatsherr übergangen. Nur ihm allein stand die Kollatur zu. Offenbar ist es in seiner Herrschaft Lauenstein erst infolge der Kirchenvisitation von 1528 zu reformatorischen Veränderungen gekommen.103 Im Vergleich mit der Familie von Einsiedel scheint sich Friedrich von Thun, der 1537 verstorben sein muss, hinsichtlich der Einführung der Reformation jedenfalls zurückgehalten zu haben. Neben Friedrich von Thun und Hans von der Planitz war es vor allem Philipp von Feilitzsch, der im Auftrag des Kurfürsten Friedrich als Diplomat in auswärtigen Angelegenheiten aktiv war. Philipp von Feilitzsch hatte um 1473 das Licht der Welt erblickt. In seiner Jugend studierte er an den Universitäten zu Erfurt und Leipzig. 99 100 101 102

Freiherr von Thüna, Friedrich von Thun (wie Anm. 97), 341. Freiherr von Thüna, Friedrich von Thun (wie Anm. 97), 354f. Schirmer, Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 12), S. 400. Ernst Koch (Hg.): Das Lehnbuch des Abtes Georgius Thun zu Saalfeld 1497–1526 (5. Supplementheft der Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Altertumskunde). Jena 1913, S. XLf. 103 Helmut Demattio: Die Herrschaft Lauenstein bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Die herrschafts- und verfassungsgeschichtliche Entwicklung einer Rodungsherrschaft im Thüringer Wald (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe 3). Jena 1997, S. 100.

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Begüterter war er im Vogtland, wo er auf Sachsgrün residierte.104 Die verfassungsrechtliche Stellung dieses Guts war nicht eindeutig geklärt. Allein im Jahr 1511 wird Philipp von Feilitzsch als Inhaber des Ritterguts „Sachengrün“ zum landtagsfähigen Adel gerechnet.105 Nach dem Besuch der Universitäten und einem Aufenthalt am Hof des böhmischen Königs Wladislaus stand er in Diensten des Markgrafen Georg von Brandenburg-Ansbach, als dessen Hofmeister er im Jahr 1509 erscheint. Seit 1511 weilte Feilitzsch, wohl im Auftrag des Markgrafen, als auswärtiger Rat im Ordensland Preußen. Relativ spät gelang es ihm, am kursächsischen Hof Fuß zu fassen. Anfang des Jahres 1514 erscheint er erstmals in einem landständischen Gremium als Gewährsmann der Vogtländer, zwei Jahre später wird er als kursächsischer Rat bezeichnet.106 Seit 1519 wird er als Amtmann von Zwickau und Weida erwähnt, ohne jedoch einer Präsenzpflicht folgen zu müssen. Vielmehr scheint der Kurfürst ihm diese Stellung übertragen zu haben, um ihn – der vor allem auf den Reichstagen anwesend war – angemessen versorgen zu können.107 Der Aufstieg in der kursächsischen Verwaltung und die Übertragung auswärtiger Angelegenheiten scheinen mit Feilitzsch‘ humanistischer Bildung sowie mit den zuvor gewonnenen Erfahrungen am Hof des böhmischen Königs, am Markgrafenhof in Ansbach und im Deutschordensland erklärbar zu sein. Zwischen 1519 und 1526 hat er als kursächsischer Vertreter zusammen mit von Thun und von der Planitz fast jeder Reichsversammlung beigewohnt. Während der Bauernunruhen in Franken soll er sich (inzwischen über fünfzig Jahre alt!) aktiv an deren Niederschlagung beteiligt haben. Über eine tatkräftige Förderung der Lehre Luthers in seiner Herrschaft ist nichts bekannt. Nach 1532 ist er verstorben.108 Burkhardt Hundt von Wenkheim auf Altenstein war der Sohn des 1509 verstorbenen Hans Hundt von Wenkheim, der zu den einflussreichsten Räten des Kurfürsten Friedrich gehört hatte. Burkhardt Hundt erscheint im Jahr 1518 als Berater und Rentmeister des Herzogs Johann.109 1521 wird er als dessen Hofmarschall zu Weimar erwähnt. Fraglos gehörte Hundt zu den vertrauten Räten des Herzogs und späteren Kurfürsten. Dass er nicht zuletzt das Vertrauen Friedrichs genoss, belegt sein Mitwirken an Luthers Entführung, von welcher Herzog Johann vorerst nichts wusste. Hundt wird man in die Entführung mit eingeweiht haben, weil ihm die Burg Altenstein gehörte, die in unmittelbarer Nähe der Wartburg und des Entführungsorts lag. Zwischen dem Kurfürsten Friedrich beziehungsweise Spalatin und Luther wird es wohl abgesprochen gewesen sein, dass des Reformators Reiseroute am Abend des 4. Mai nach dem Dorf Möhra, aus dem Luthers Vorfahren stammten, führen sollte. Vom Altenstein bis zum Ort der Entführung war es nur ein Katzensprung. Nach dem Regierungsantritt des Kurfürsten Johann im Mai 1525 stieg 104 Wilhelm Freiherr von Feilitzsch: Geschichte und Genealogie der Freiherrlichen Familie von Feilitzsch. Neustadt an der Aisch 1875, S. 156–160. 105 Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 83 (Nr. 142). 106 Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 97 (Nr. 162), S.119 (Nr. 205). 107 Gerhard Schmidt: Das Amt Weida mit besonderer Berücksichtigung seiner inneren Verhältnisse in den Jahren 1411–1618. Phil. Dissertation, Universität Jena 1950 (Maschinenschrift), S. 27. 108 Feilitzsch, Geschichte der Familie von Feilitzsch (wie Anm. 104), S. 157. 109 ThürHStA Weimar, Reg. Rr 1–316, Nr. 3, fol. 7v.

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Hundt zu einem der engsten Berater des Fürsten auf. 1530 nahm er als kursächsischer Delegierter am Reichstag zu Augsburg teil. Ihn benannte Johann für den landständischen Ausschusstag zu Torgau im Jahr 1531 als fürstlichen Vertrauensmann in das Gremium, das mit der Sequestration der Geistlichen Güter in Kursachsen betraut wurde.110 Über eine frühe Einführung der Reformation in seiner Herrschaft um Altenstein ist – wie auch bei Thun und Feilitzsch – nichts bekannt. Der vierte, der in Luthers Entführung eingeweiht war, war Hans von Berlepsch. Die aus Hessen stammende Familie hatte im 14. Jahrhundert Besitz in Thüringen erworben. Hans wurde vermutlich um 1480 in Witzenhausen geboren. Nach anfänglichem Dienst in der landgräflich-hessischen Verwaltung wechselte er spätestens 1514 zu Herzog Johann über.111 Seit 1517 war er Burghauptmann der Wartburg.112 Im selben Jahr gelangte er in Besitz der schriftsässigen Burg Seebach, die im albertinischen Amt Langensalza lag. Mit Inbesitznahme der Burg, die einst denen von Seebach zu Seebach gehört hatte, stieg er in den landtagsfähigen Adel des Herzogtums Sachsen auf.113 1523 heiratete er in zweiter Ehe Beate von Ebeleben. Während des Bauernkrieges verließ Hans von Berlepsch die Wartburg, um in seiner eigenen, vom Bauernkrieg bedrohten Herrschaft präsent zu sein. Seebach wie auch die umliegenden Herrschaften östlich des Hainichs wurden damals schwer heimgesucht. Trotzdem setzte Kurfürst Johann den Burghauptmann im Sommer 1525 wegen Ungehorsams ab. Danach fand Berlepsch eine Dienstanstellung bei den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg. Von 1529 bis 1531 war er als Hauptmann im Stift Quedlinburg tätig, schließlich als Amtmann zu Heldrungen, das den Grafen von Mansfeld gehörte. 1533 ist er verstorben. Wie erwähnt, lag seine Burg und Herrschaft im albertinischen Amt Langensalza, so dass der Ausbreitung der lutherischen Lehre objektiv Grenzen gesetzt waren. Gleichwohl kam es in Langensalza und im Umland, besonders aufgrund der Nähe zur Reichsstadt Mühlhausen, immer wieder aufs Neue zu „häretischen Störungen und Umtrieben“, doch wurden diese vom Amtmann zu Langensalza oder vom dortigen Stadtrat anzeigt und energisch bekämpft.114 Eine wie auch immer geartete Unterstützung der lutherischen Lehre durch Berlepsch ist nicht nachweisbar und wohl – vor allem infolge der Erfahrungen des Jahres 1525 – auch nicht anzunehmen. Wie dargelegt, hielt sich nicht nur der abgesetzte Burghauptmann hinsichtlich der Förderung der lutherischen Lehre vor Ort zurück. Auch Thun, Feilitzsch und Hundt engagierten sich in den Anfangsjahren – soweit man dies aufgrund der fragmentarischen Quellenlage beurteilen kann – kaum. Wenn man ihre auswärtigen 110 Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 2), S. 230 (Nr. 422), S. 234 (Nr. 425). 111 Otto Böcher: Martin Luther und Hans von Berlepsch. In: Genealogisches Jahrbuch 33/34 (1995), S. 113–133. 112 Erich Debes: Das Amt Wartburg im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts. Eisenach 1926, S. 14. 113 Woldemar Goerlitz: Staat und Stände unter den Herzögen Albrecht und Georg 1485–1539 (Aus den Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte 32). Leipzig 1928, S. 570f. 114 Auf die Vielzahl der Belege muss verzichtet werden. Vgl.: Felician Gess: Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen (2 Bände) (Mitteldeutsche Forschungen. Sonderreihe, Bd. 6/1,2). Köln et al. 1985 (Nachdruck der Erstausgabe von 1905) sowie: Heiko Jadatz, Christian Winter (Hg.): Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen. Dritter Band 1528–1534. Köln 2010; Vierter Band 1535–1539. Köln 2012.

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Dienste und vielleicht auch ihr Herrschaftswissen in Betracht zieht, darf man vermuten, dass sie durchaus bewusst gezögert haben. Ähnliches ließe sich über Hans von der Planitz (um 1473/74–1535) sagen, der zwar völlig selbstlos seinen Fürsten diente,115 dem aber vor dem Herrschaftsantritt des Kurfürsten Johann ebenfalls keine willentliche Förderung der neuen Lehre nachgewiesen werden kann. War also die Familie von Einsiedel zu Gnandstein eine Ausnahme? Bei der Erörterung dieses Problems lohnt es sich, einzelne Schattierungen näher auszuleuchten. Silvester von Schaumberg, der sich durch seinen Besitz im fränkischen Teil Kursachsens in Abhängigkeit von den Wettinern befand und dem unter anderen die schriftsässige Burg Schalkau gehörte, schickte beispielsweise seinen Sohn Ambrosius ganz bewusst nach Wittenberg zum Studium. Dort inskribierte er sich am 10. Mai 1520.116 Silvester von Schaumberg war es auch, der über seinen Sohn Ambrosius dem Wittenberger Professor das Angebot antrug, Luther könne – so er sich in Wittenberg nicht mehr sicher fühle – jederzeit Zuflucht bei der fränkischen Ritterschaft nehmen.117 Schaumbergs Offerte sowie Angebote von Hutten und Sickingen mögen Luther letztlich im Frühsommer 1520 bewogen haben, seine Adelsschrift in relativ kurzer Zeit niederzuschreiben.118 Silvester von Schaumberg setzte sich trotz des dargebrachten Schutzangebotes gegenüber Luther als Amtmann zu Münnerstadt und als Patronatsherr in seiner eigenen Herrschaft anfänglich ebenfalls nicht übermäßig für die neue Lehre vor Ort ein. Zumindest fehlen diesbezüglich sämtliche Nachrichten und dort, wo sie – wie in Thundorf, südöstlich von Münnerstadt – vermeintlich vorliegen, halten sie einer näheren Überprüfung nicht stand. Mehr noch: Silvester von Schaumberg ließ nach dem Tod seiner Frau im Jahr 1525 ein Epitaph anfertigen, auf dem die Verstorbene mit Rosenkranz abgebildet ist. Treffender sind sein religiöser Zwiespalt und die mentale Dichotomie, in der sich der Ritter befand, wohl kaum darstellbar. Es kommt hinzu, dass er sich – wie auch andere fränkische Adlige – aufgrund der unmissverständlichen Haltung des gefürsteten Grafen Wilhelm IV. von Henneberg-Schleusingen zurückhielt.119 Insofern könnte die regionalpolitische Gemengelage, die sich nicht zuletzt auf den Widerspruch zwischen Kursachsen und Henneberg gründete, ausschlaggebend gewesen sein für das Zaudern und das Lavieren Schaumbergs. Ähnlich wird es sich mit Thun, Feilitzsch, Hundt, von der Planitz und anderen verhalten haben. 115 Alle Angaben nach: Ernst Wülcker, Hans Virck (Hg.): Des kursächsischen Rates Hans von der Planitz Berichte aus dem Reichsregiment in Nürnberg 1521–1523 (Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte 3). Leipzig 1899; Richard Freytag: Dr. Hans Edler von der Planitz. In: Mitteilungen des Altertumsvereins zu Plauen i. Vogtland 22 (1912), S. 137–192; Johannes Reimers: Dr. Hans Edler von der Planitz. Ritter, kursächsischer Rat und Amtmann zu Grimma († 1535). In: HCh 2 (1957), S. 88–116. 116 Carl Eduard Förstemann (Hg.): Album Academiae Vitenbergensis. Leipzig 1841, S. 142. 117 Kipp, Silvester von Schaumberg (wie Anm. 25), S. 142. Kipp kann schlüssig erklären, dass Ambrosius von Schaumberg sehr wahrscheinlich Luther das Schutzangebot mündlich angetragen hat. (Vgl. ebd.). 118 Thomas Kaufmann: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (Kommentare zu den Schriften Luthers 3). Tübingen 2014, S. 12. 119 Kipp, Silvester von Schaumberg (wie Anm. 25), S. 169f., 176, 196; Henning, Gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen (wie Anm. 16), S. 93–99 et passim.

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Tief im Osten des Kurfürstentums sah es freilich anders aus. Unter dem Schutz Friedrichs des Weisen engagierten sich einige vom Niederadel schon früh für Luther. So wäre neben den bereits erwähnten von Einsiedel auch auf die Familie von Lindenau zu verweisen. Sie besaß Rittergüter in Machern, Polenz, Ammelshain, Thammenhain und Zeititz.120 Ihr östlich von Leipzig gelegener Besitz war weitgehend zwischen dem abertinisch und dem Wurzener Stiftsgebiet des Meißner Bischofs eingeklemmt. Die geistliche Aufsicht über den Klerus in ihren Kirchen oblag dem Merseburger Bischof. Nach 1500 hatte Albrecht von Lindenau das schriftsässige Rittergut Machern inne, das als Stammsitz dieses Familienzweigs anzusehen ist. Er förderte die humanistischen Neigungen seines Sohnes Heinrich, der zu dem bereits erwähnten Kreis junger Gelehrter im Umfeld der Herzöge von Braunschweig-Lünbeburg gehörte. Wie erwähnt, ließen sie sich im Wintersemester 1511/12 in Wittenberg nieder.121 Es war Zufall, dass sich gleichzeitig der Augustinermönch Konrad Kluge an der Leucorea immatrikuliert hatte.122 Auf Vermittlung Heinrich von Lindenaus kam Kluge 1521 nach Machern und feierte in der dortigen Pfarrkirche unter dem Schutz des Patronatsherrn und gegen den Widerstand des Bischofs evangelischen Gottesdienst. Der Merseburger Bischof beschwerte sich zu Beginn des Jahres 1522 bei Kurfürst Friedrich. Dieser entgegnete daraufhin dem Bischof ironisch, er sei zu alt, um ein Theologe zu werden und das Bischofsamt auszuüben.123 Gleichwohl sprach sich der Kurfürst gegen die Eigenmächtigkeit des von Lindenau aus, worauf sich Albrecht von Lindenau schriftlich an den bereits mehrfach erwähnten kursächsischen Rat Haugold von Einsiedel wandte. Das Schreiben datiert vom 28. April 1522 und wurde in Lochau aufgesetzt.124 Aus dem Brief erfährt man, dass Albrecht von Lindenau in höchstem Maße erfreut sei, für seine Kinder einen solchen Mann (sc. Kluge) als Hauslehrer gewonnen zu haben. Ausdrücklich erwähnt er seinen Sohn Heinrich, der täglich mit Kluge in der Heiligen Schrift lese. Auch predige Kluge in ganz anderer Weise als der (altgläubige) Pfarrer „dem Volke die Wahrheit und die evangelische Lehre“. Dies sähen „er selbst und seine Bauern sehr gern“.125 Der Brief wurde in Lochau verfasst, weil Albrecht von Lindenau als Hofjunker und Mundschenk am Hof des Kurfürsten anwesend war. Lindenau gehörte zwar nicht zu jenen Räten, die wie von der Planitz, Thun oder Feilitzsch als Bevollmächtigte des Fürsten auf den Reichsversammlungen Verantwortung zu tragen hatten, dafür hatte er tagtäglich Zugang zu Friedrich. Er war es, der den Kurfürsten 1521 als vertrauter Gefolgsmann nach Worms begleitete und dort, neben Bernhard von Hirschfeld, Johannes (Hans) Schott und Caspar Speth, vor Worms Luther entgegen

120 Fischer, Ahnenreihenwerk (wie Anm. 80), Bände 4/III und 4/XXI, unfol. 121 Förstemann, Album Academiae Vitenbergensis (wie Anm. 116), S. 38. 122 Heiko Jadatz: Wittenberger Reformation im Leipziger Land. Dorfgemeinden im Spiegel der evangelischen Kirchenvisitation des 16. Jahrhunderts (Herbergen der Christenheit, Sonderband 10). Leipzig 2007, S. 36. 123 Pallas, Versuche des Bischofs von Merseburg (wie Anm. 56), S. 4, 14. 124 Pallas, Versuche des Bischofs von Merseburg (wie Anm. 56), S. 4, 14. 125 Pallas, Versuche des Bischofs von Merseburg (wie Anm. 56), S. 4, 14.

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ritt und diesen sicher in die Stadt geleitete.126 Lindenau sowie die genannten Schott und Speth waren nicht nur in Worms zugegen, sie gehörten auch zum fürstlichen Hoflager, das sich in den letzten Lebensjahren des Fürsten oft in Lochau aufhielt. Daher war der Brief vom 28. April in Lochau verfasst worden. Mehr noch: Die erhaltene Lochauer Tischordnung aus dem Jahr 1523 weist Lindenau, Schott und Speth als Tischgenossen aus. An ihrer Tafel saßen allein noch die beiden illegitimen Söhne des Kurfürsten, Fritz und Sebastian sowie der kurfürstliche Sekretär Hans Feyl.127 Dass diese Tischgenossenschaft über fast alle Interna des Kurfürsten Bescheid wusste, dürfte anzunehmen sein. Am nächsten Tisch, an dem die jungen Adligen speisten, hatten Albrecht von Lindenaus jüngste Söhne Friedrich und Wolf Platz zu nehmen.128 So spricht nicht allein der politische Werdegang Albrecht von Lindenaus für sein vertrautes Verhältnis zum sächsischen Kurfürsten, sondern auch die Tatsache, dass er und zwei seiner Söhne zum engsten Kreis des landesfürstlichen Hofs gehörten. Es sei dahingestellt, ob es Albrechts Vertrautheit war, die ihm hinsichtlich des entlaufenen Mönchs Kluge so selbstgewiss hat handeln lassen, aber letztlich scheinen die rekonstruierbaren Befunde dafür zu sprechen. Ein Cousin Albrechts war Wilhelm von Lindenau, dem das Rittergut Polenz gehörte. Es lag unweit von Machern, südöstlich von Leipzig. Hier hatte Wilhelm im Jahr 1522 Johann Kreß als evangelischen Pfarrer eingesetzt. Kreß war wie Kluge Augustinereremit gewesen und hatte ebenfalls in Wittenberg studiert.129 Vielleicht ist er ebenfalls durch die Vermittlung Heinrich von Lindenaus nach Polenz gekommen. Als der Merseburger Bischof während seiner Visitationsreise im Jahr 1524 in Grimma, dem Sitz des kursächsischen Amts, die aus seiner Sicht häretischen Geistlichen und widerspenstigen Patronatsherren befragte, stand auch Wilhelm von Lindenau Rede und Antwort. Selbstbewusst entgegnet Lindenau dem Bischof, dass „was wider Gots wordt nicht sey, dorinne wold ehr dem bischoff gern gehorssam leysten, aber im wordt will ehr frey stehen“.130 Zwar wurden Kluge und Kreß wie auch zwei andere lutherische Geistliche aus Großbuch und Schönbach im August 1524 ihres Amtes formal enthoben, aber die bischöfliche Verfügung blieb folgenlos, da sich die geistliche Exekutive nicht gegen die von Lindenau beziehungsweise gegen den kursächsischen Amtmann durchzusetzen vermochte.

126 Samuel Schneider: Nachrichten von dem adelich Lindenauischen Geschlechte, ältere Linie zu Machern. In: Sammlung vermischter Nachrichten zur sächsischen Geschichte 6 (1771), S. 169–220, hier S. 192. 127 Hans Feyl (Feyel) folgte Hieronymus Rudlauf (Rudolf) als Kanzleisekretär nach. Rudlauf versah dieses Amt von ca. 1512 bis zu seinem Tod im Jahr 1523. Am 17. April 1523 trat er noch als Taufpate auf; folglich kann die Lochauer Tischordnung erst danach verfasst worden sein. Vgl.: Höss, Georg Spalatin (wie Anm. 63), S. 224; Stephan, Friedrich der Weise (wie Anm. 1), S. 37. 128 Fritz Stoy: Friedrich des Weisen Hoflager in Lochau in seinem letzten Lebensjahre. In: Forschung und Leben. Heimatblätter des Schönburgbundes. Arbeitsgemeinschaft für Heimatpflege im Regierungsbezirk Merseburg 2 (1928), S. 276–290, hier S. 281. 129 Pallas, Versuche des Bischofs von Merseburg (wie Anm. 56), S. 19f.; Jadatz, Wittenberger Reformation im Leipziger Land (wie Anm. 122), S. 36. 130 Zitiert nach: Jadatz, Wittenberger Reformation im Leipziger Land (wie Anm. 122), S. 36.

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Das enge Netzwerk zwischen Fürst und Fürstenhof, Humanismus und Universität sowie zentraler Verwaltung und lokaler Herrschaft wird nicht zuletzt bei dem bereits genannten Heinrich von Lindenau sichtbar. Wie erwähnt, hatte er in Wittenberg studiert und die Herzöge von Braunschweig als humanistisch gebildeter Höfling begleitet. Heinrich von Lindenau trat im November 1524 in den Ehestand. Bemerkenswert sind die Herkunft der Braut und der Geistliche, der ihnen den Segen gab. Am 1. November 1524 heiratete Heinrich von Lindenau Gertrud von Schellenberg, welche zu Pfingsten 1523 aus dem Zisterzienserinnenkloster Nimbschen entflohen war. Die Trauung, die wahrscheinlich in Machern stattfand, hatte kein geringerer als Georg Spalatin vorgenommen.131 Spalatin war es auch, der schon im Frühjahr 1523 ein Kind des bereits seit 1522 verheirateten Pfarrers von Lochau, Franz Günther, getauft hatte. Die Taufe fand am 17. April 1523 statt. Der frisch verheiratete Vater hatte die Gevatterschaft sogar dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen angetragen, der sich indes durch seinen Kanzleisekretär Hieronymus Rudlauf vertreten ließ. Allein die Tatsache, dass es der Kurfürst billigend in Kauf nahm, dass sich in seiner unmittelbaren Lochauer Umgebung Priester, die das Zölibat gebrochen hatten, erdreisteten, ihm auch noch die Patenschaft für das aus dieser Verbindung stammende Kind anzutragen, offenbart die generelle Grundstimmung am kursächsischen Hof sowie in dessen Umkreis. Die Krönung war letztlich, dass des Fürsten Geheimsekretär die Taufe vornahm und dass letztlich der vertraute Kanzleisekretär des Fürsten, eben Hieronymus Rudlauf, als Pate auftrat.132 Deutlicher lassen sich die im Umbruch befindlichen kirchenrechtlichen Veränderungen in Kursachsen kaum belegen. Dass dies nicht zuletzt ein Ansporn für all jene war, die mit Luther sympathisierten, liegt auf der Hand. NIEDERADEL UND KLOSTERFLUCHT: DIE FLUCHT DER NONNEN ZU NIMBSCHEN UND SORNZIG In der Nacht auf den Ostersonntag des Jahres 1523 flohen neun Nonnen aus dem Zisterzienserinnenkloster Nimbschen, südlich von Grimma an der Mulde gelegen. Wenige Wochen später, zum Pfingstfest 1523, verließen abermals drei Ordenspersonen ihren Konvent.133 Und im nahen Kloster Sornzig hatten sich Ende April 1523 ebenfalls sechs Nonnen zur Flucht entschlossen. Als Fluchthelfer agierten Personen adligen und bürgerlichen Standes. Im Prinzip waren alle geflohenen Nonnen niederadliger Herkunft. Sie entstammten größtenteils dem amtssässigen Adel. Ihre Fluchtpunkte waren Wittenberg und Torgau. Abermals lassen sich niederadlige Beziehungen rekonstruieren. Zu den am Abend des 4. April 1523 mit Hilfe des Torgauer Ratsherrn Leonhard Koppe und des Niederadligen Wolf von Dommitzsch zu Dom131 Höss, Georg Spalatin (wie Anm. 63), S. 224; Hirschfeld, Beziehungen Luthers (wie Anm. 67), S. 138. 132 Höss, Georg Spalatin (wie Anm. 63), S. 224; Stephan, Friedrich der Weise (wie Anm. 1), S. 37. 133 Anne-Kathrin Köhler: Geschichte des Klosters Nimbschen. Von der Gründung 1243 bis zu seinem Ende 1536/1542 (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 7). Leipzig 2003, S. 117–121.

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mitzsch aus Nimbschen geflohenen Nonnen gehörte Katharina von Bora, die Tochter des Hans von Bora auf Lippendorf (Amt Borna). Der Herkunftsort war lange Zeit umstritten, doch zeigt vor allem der Vergleich hinsichtlich der regionalen Herkunft der anderen Nonnen – die ebenfalls alle aus der näheren Umgebung von Nimbschen stammten –, dass nur das amtssässige Rittergut Lippendorf in Betracht zu ziehen ist. Wie allgemein bekannt, hat sich Katharina am 13. Juni 1525 mit Luther vermählt.134 Elisabeth von Canitz war die Tochter des Hieronymus von Canitz auf Thallwitz. Das Rittergut lag im Stiftsgebiet Wurzen. Im Jahr 1527 bot Luther Elisabeth an, nach Wittenberg zu kommen und die Mädchenschule zu leiten. Doch dies lehnte sie offenbar ab. Sie blieb unverheiratet. Lonatha von Golsen war ebenfalls adligen Standes. Ihre familiäre und lokale Herkunft ist ungeklärt. Als sie ins Kloster eintrat, lebten Familienangehörige im nahen . Dort vermählte sie sich am 24. August 1523 im Haus ihrer Schwester mit einem Pfarrer, der jedoch im September 1523 von einem Schäfer erschlagen wurde.135 Die vierte Nonne, die in der Osternacht floh, war Ave Große. Sie stammte aus dem schriftsässigen Schloss Trebsen (Amt Grimma). Ihr Vater war Friedrich Große der Jüngere. Ave trat erst 1538 in den Stand der Ehe. Ihre gleichnamige Tante gehörte ebenfalls dem Konvent in Nimbschen an. Sie war vorzüglich ausgestattet und blieb bis etwa 1537 im Kloster. Danach soll sie sich im Alter von mehr als siebzig Jahren verheiratet haben. Ein Bruder der Ave Große (der Jüngeren) gehörte als Mönch zum Chemnitzer Benediktinerkloster, aus dem er, wahrscheinlich spätestens im März 1523, floh.136 Ave von Schönfeld und Margaretha von Schönfeld waren Töchter des Georg von Schönfeld auf Wölkau und Löbnitz, im albertinischen Amt Delitzsch. Beide Schwestern wurden im Jahr 1515 im Kloster eingesegnet. Ave von Schönfeld war 1524 Luther zur Frau bestimmt worden, aber bekanntermaßen zerschlug sich die Sache. Im selben Jahr heiratete sie den Arzt und Apotheker Basilius Axt. Ihre Schwester Margaretha vermählte sich mit einem von Garsebüttel aus dem Braunschweigischen.137 Magdalena von Staupitz kam aus dem amtssässigen Rittergut Motterwitz (Amt Leisnig). Sie wurde nach 1530 Vorsteherin der Mädchenschule in Grimma, dort verheiratete sie sich 1537 mit einem Bürger. Magdalena war eine Schwester (oder Nichte) des Johann von Staupitz.138 Schließlich sind noch zwei Nonnen aus der Familie von Zeschau anzuführen, Veronika und Margaretha. Ihre Familie war ebenfalls in der Nähe von Nimbschen begütert. Vater Heinrich von Zeschau besaß das amtssässige Rittergut Obernitzschka, südlich von Wurzen im Amt Grimma. Ihr Cousin, Hans von Zeschau, diente als Verwalter des Nonnenklosters Sornzig. Wolfgang von Zeschau, ein Cousin der beiden Zisterzienserinnen, war Subprior im Grimmaer Augustiner-Eremitenkonvent, aus dem er vor dem 6. April 1523 austrat. Über das Schicksal der beiden Schwestern ist nichts Näheres bekannt.139 134 Köhler, Kloster Nimbschen (wie Anm. 133), S. 241. 135 Hirschfeld, Beziehungen Luthers (wie Anm. 67), S. 131. 136 Hirschfeld, Beziehungen Luthers (wie Anm. 67), S. 132; Gess, Akten und Briefe (wie Anm. 114), Bd. 1, S. 480f. 137 Hirschfeld, Beziehungen Luthers (wie Anm. 67), S. 135. 138 Hirschfeld, Beziehungen Luthers (wie Anm. 67), S. 132f. 139 Köhler, Kloster Nimbschen (wie Anm. 133), S. 242; abweichende Angaben zu den Verwandt-

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Am Pfingstmontag 1523 verließen abermals drei Nonnen das Zisterzienserinnenkloster Nimbschen. Die Umstände ihrer Flucht erscheinen noch bemerkenswerter als die der Osternacht. Darüber informiert der Abt des Zisterzienserkonvents Pforte. Er schrieb am 9. Juni 1523 an Kurfürst Friedrich den Weisen und berichtete ihm als erstes von der Flucht der Nonnen zu Ostern. Schließlich informiert er den Fürsten: „Auch haben sich etzliche vom adell und der freuntschafft hier nochmals an dem nehsten pfingstmontage drey personen, ihre kinder und schwestern, widder der eptischin und yrer samplung wille hirauß zcu nehmen umderstanden, welche sie auch also mit ynen hinweg gefhuret“.140 Demnach hatten sich einige Adlige mit ihren Freunden vor dem Kloster eingefunden, um ihre Kinder und Schwestern gegen den ausdrücklichen Widerstand der Äbtissin und des Konvents zum Verlassen des Klosters zu ermutigen. Nach dem Bericht des Abts folgten drei Nonnen der Aufforderung. Im Unterschied zur Flucht vom 4. April ist aber nicht gesichert, wer diesmal zu den Geflüchteten gehörte. In Erwägung zieht man neun Personen.141 Bis auf Brigitta Bräutigam, die Tochter eines vermögenden Leipziger Kaufmanns und Rittergutsbesitzers, entstammen die anderen abermals alle dem einheimischen Niederadel. Als erstes sei Gertrud von Schellenberg angeführt. Ihr Vater war Leutold oder Ulrich von Schellenberg auf Nieder-Grauschwitz (bei Mutzschen). Das Rittergut war amtssässig. Gertrud war von ihrer verwitweten Mutter Elisabeth 1521 ins Kloster gegeben worden. Wie erwähnt, heiratete sie 1524 Heinrich von Lindenau. Diese Tatsache lässt eine Flucht zu Pfingsten als sehr wahrscheinlich erscheinen.142 Elisabeth von Gaudlitz; die Familie von Gaudlitz saß auf dem Gut Nischwitz im Stiftsgebiet Wurzen. Elisabeth heiratete zwischen 1526 und 1529 den Grimmaer Bürger Bastian Gulmann.143 Barbara von Plaußig war die Tochter des Heinrich von Plaußig, der das Rittergut Kühnitzsch im Wurzener Stiftsgebiet besaß. Ihr Bruder Christoph handelte im Jahr 1526 als ihr Vormund.144 In Betracht zu ziehen ist aber auch Anna von Haubitz. Sie war die Tochter des Caspar von Haubitz auf Flößberg (Amt Borna). Das Rittergut war schriftsässig und Caspar ist auf den kursächsischen Landtagen vielfach nachweisbar. Seine Tochter Anna soll nach ihrer Flucht nach Flößberg zurückgekehrt sein.145 Margarethe (von) Löser; die Familie Löser war im Kurkreis sowie im Amt Torgau begütert. Wahrscheinlich stammte sie von dort. Allerdings ist anzunehmen, dass Margarethe im Kloster verstorben ist. Und letztlich ist zumindest in Erwägung zu ziehen, dass Dorothea, Katharina und/oder Martha von Schönfeld flohen. In Anbetracht ihrer Herkunft erscheint dies jedoch als wenig wahrscheinlich. Die drei Nonnen stammten aus der Herrschaft Löbnitz, die zum albertinischen Herzogtum gehörte. Ihr Inhaber war

140 141 142 143 144 145

schaftsverhältnissen bei: Mansberg, Erbarmannschaft wettinische Lande (wie Anm. 80), Bd. 1: Das Osterland. Dresden 1903, S. 454. Codex diplomaticus Saxoniae regiae, II. Hauptteil, Bd. 15: Urkundenbuch der Stadt Grimma und des Klosters Nimbschen, hg. v. Ludwig Schmidt. Leipzig 1895, S. 336 (Nr. 476). Köhler, Kloster Nimbschen (wie Anm. 133), S. 119. Hirschfeld, Beziehungen Luthers (wie Anm. 67), S. 138; Köhler, Kloster Nimbschen (wie Anm. 133), S. 247. Hirschfeld, Beziehungen Luthers (wie Anm. 67), S. 138. Köhler, Kloster Nimbschen (wie Anm. 133), S. 246. Hirschfeld, Beziehungen Luthers (wie Anm. 67), S. 139f.

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Georg von Schönfeld, ein Vasall Herzog Georgs von Sachsen. Er dürfte als Fluchthelfer kaum in Frage kommen. So spricht vieles dafür, dass vor allem jene Familienväter mit ihrem Anhang am Pfingstmontag 1523 vor dem Kloster erschienen waren, die im ernestinischen Kursachsen begütert waren und die ihre Lehen vom sächsischen Kurfürsten trugen, also die von Schellenberg, von Haubitz oder Löser. Es war ein bis dahin landesweit einmaliger Vorgang. Wie der Niederadel sein Handeln legitimierte, ist schwer zu beurteilen. Jedoch könnte das überaus selbstbewusste Auftreten des Niederadels mit den Ergebnissen, die auf dem Landtag zu Altenburg Anfang Mai 1523 erzielt wurden, erklärt werden. Es wurde bereits erwähnt, dass sich unter den neun Nonnen, die in der Osternacht 1523 aus dem Kloster Nimbschen flohen, auch Veronika und Margaretha von Zeschau befanden. Ihr Cousin Hans von Zeschau war Vorsteher des Klosters Sornzig.146 Es ist möglich, jedoch nicht zu beweisen, dass über ihn die Nachricht von der Flucht der Nonnen aus Nimbschen ins knapp zwanzig Kilometer entfernte Sornzig getragen wurde. Gesichert ist hingegen, dass am 28. April 1523 sechs Nonnen das Kloster Sornzig verließen. Es waren Katharina von Kitzscher, Hedwig von Leutzsch, Margaretha, Mechthild und Agnes von Heynitz sowie Christine von Honsberg.147 Auch sie gehörten allesamt niederadligen Familien aus der näheren Umgebung an. Christine von Honsberg stammte von dem schriftsässigen Gut Leuben (Amt Oschatz). 1522/23 saßen ihre Brüder Wolf und Nickel von Honsberg zu Leuben als Vasallen Herzog Georgs auf diesem Gut. Es ist überliefert, dass sich Christine nach ihrer Flucht mit einem Gregor Pennewitz verheiratete. Pennewitz versuchte 1525 vor dem gemeinsamen wettinischen Oberhofgericht erfolglos, eine Mitgift von den Brüdern Christine von Honsbergs zu erstreiten. Aufgrund der Klosterflucht seiner Frau wurde Pennewitz‘ Klage abgewiesen.148 Leider lässt sich allein für Christine von Honsberg nachweisen, dass sie sich verehelichte. Ansonsten ist es kaum möglich, den weiteren Lebensweg der geflohenen Nonnen zu rekonstruieren. Katharina von Kitzscher scheint eine Enkelin oder die Tochter des Georg von Kitzscher (1429–1495) gewesen zu sein. Er war seit 1474 mit dem Gut Kitzscher (Amt Borna) belehnt. 1483 trat er als Hauptmann zu Zeitz in die Dienste des Bischofs von Naumburg. Nach dem Tod Georg von Kitzschers im Jahr 1495 wurde das amtssässige Rittergut seinen sieben Söhnen zu Lehen übertragen.149 Ob Katharina nach 1523 Unterschlupf bei ihnen in Kitzscher fand, bleibt unklar. Gleichfalls ungeklärt ist das Schicksal der Hedwig von Leutzsch, die aus den amtssässigen Rittergütern Plaußig oder Portitz stammen könnte. Beide Güter lagen östlich von Leipzig. Da Hedwig nicht einmal in der Familiengenealogie auftaucht, ist jedoch auch dies ungewiss.150 Es ist ebenfalls schwierig, Lebensdaten für Margaretha, Mechthild und Agnes von Heynitz nachzuweisen. Die drei Frauen müssen nicht im 146 Köhler, Kloster Nimbschen (wie Anm. 133), S. 242. – Der Konvent in Sornzig hat hinsichtlich seiner Ordenszugehörigkeit zwischen Zisterziensern und Benediktinern geschwankt. 147 Gess, Akten und Briefe (wie Anm. 114), Bd. 1, S. 539. 148 Fischer, Ahnenreihenwerk (wie Anm. 80), Band 4/XV, unfol.; Gess, Akten und Briefe (wie Anm. 114), Bd. 2, S. 397f. 149 Fischer, Ahnenreihenwerk (wie Anm. 80), Band 4/XIX, unfol. 150 Fischer, Ahnenreihenwerk (wie Anm. 80), Band 4/XXII, unfol.

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ersten oder zweiten Grad miteinander verwandt gewesen sein. Das Geschlecht der von Heynitz war in den Ämtern Grimma, Oschatz und Meißen reich begütert und weitverzweigt. Nicht wenige Töchter aus diesen Familien kamen in den Nonnenklöstern der näheren Umgebung unter. Gesichert ist allein, dass sich zwei nicht namentlich genannte Töchter des Heinrich von Heynitz († um 1507) auf Heynitz und Wunschwitz (schriftsässig im Amt Meißen) im Jahr 1528 mit Hans von Luttitz und Hieronymus Adam verheirateten.151 Der völlig unbekannte von Luttitz und der offenkundig bürgerliche Adam weisen auf nicht standesgemäße Verheiratungen hin, so dass man an nicht makellose Ehefrauen, das heißt an geflohene Nonnen, denken könnte. Da, wie gesagt, über das Schicksal der aus Sornzig geflohenen Nonnen fast nichts bekannt ist, ist es kaum möglich, weitere Überlegungen anzustellen. Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass faktisch alle aus Nimbschen und Sornzig geflohenen Nonnen des Jahres 1523 niederadliger Herkunft waren. Spektakulär erscheint vor allem der Abschied jener Zisterzienserinnen, die am Pfingstmontag dem Konvent in Nimbschen den Rücken gekehrt haben. Außergewöhnlich ist dabei vor allem das selbstbewusste Auftreten ihrer Väter oder Brüder, die der Äbtissin offenbar unverhohlen Gewalt angedroht haben. Ihr selbstsicheres Auftreten kann durchaus mit den Ergebnissen des Altenburger Landtags vom Mai 1523 erklärt werden. ZUSAMMENFASSUNG Das ernestinische Kurfürstentum Sachsen war – wie der mitteldeutsche Raum insgesamt – von einem dichten Netz an niederadligen Grund- und Gerichtsherrschaften überzogen. Im Kurfürstentum gab es rund 175 schriftsässige Adelsherrschaften sowie etwa vierhundert amtssässige Rittergüter. Der soziale, kulturelle und verfassungsrechtliche Orientierungspunkt für den gesamten Niederadel waren der kurfürstliche Hof sowie die landesherrliche Lokal- und Zentralverwaltung. Eine humanistische Bildung war eine Voraussetzung, um in der fürstlichen Verwaltung bestallt zu werden. Aus diesem Grund bezogen viele vom Niederadel die oberitalienischen, aber auch nordalpinen Universitäten. Davon blieb selbstverständlich auch die neugegründete Universität Wittenberg nicht unberührt. Einige von ihnen, wie Ambrosius von Schaumberg oder Heinrich von Lindenau, kamen an der Leucorea mit lutherischem Gedankengut in Verbindung. Sie und vor allem auch jene vom Adel, die am Fürstenhof oder in der Zentralverwaltung dienten und somit über Herrschaftswissen verfügten, trugen in nicht geringem Maße zur Entstehung einer reformatorischen Öffentlichkeit jenseits der Städte und Druckerpressen bei. Das zentrale und beherrschende Forum des Niederadels, insbesondere des schriftsässigen Adels, waren die Ständeversammlungen. Aufgrund fiskalischer Zwänge sahen sich Kurfürst Friedrich der Weise und Herzog Johann zum Jahreswechsel 1522/23 gezwungen, ihre Landschaft zu einem Ständetag einzuladen. Der Landtag fand vom 3. bis zum 7. Mai 1523 in Altenburg statt. Vor allem der auffällig geschlossen anwesende schriftsässige Niederadel nutzte diesen Ständetag 151 Fischer, Ahnenreihenwerk (wie Anm. 80), Band 4/XVI, unfol.

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als Forum, um über die inzwischen allerorts virulente reformatorische Bewegung zu diskutieren. Als zentrales Diskussionspapier legte die vereinigte Ritterschaft die sogenannten „Beschwerde-Artikel“ vor. Die „Beschwerde-Artikel“ stellen ein eindeutiges Bekenntnis zur gemäßigten evangelischen Bewegung Wittenberger Prägung dar. Kurfürst Friedrich und Herzog Johann billigten die Artikel. Die Tolerierung der „Beschwerde-Artikel“ seitens der Landesfürsten kann und darf mit den finanziellen Zugeständnissen der Stände, die sie den Fürsten in Altenburg zugesichert haben, nicht aufgerechnet werden. Vielmehr scheinen in den „Beschwerde-Artikeln“ die kirchen- und religionspolitischen Vorstellungen der beiden ernestinischen Fürsten unterschwellig mitzuschwingen. Ihr Mitwirken beziehungsweise das ihrer Hofräte an der Entstehung der Artikel ist indes nicht nachzuweisen, jedoch anzunehmen. Der Altenburger Landtag wurde erfolgreich beschlossen. Für die Fürsten war die weitere Verlängerung der Tranksteuer ein wichtiger fiskalischer Erfolg. Für die landesherrlichen Städte sowie vor allem für den Niederadel war es ein nicht zu unterschätzender Durchbruch und Verhandlungserfolg, dass die beiden Fürsten zusicherten, alle von den Landständen vorgetragenen Monita abzustellen. Darunter fielen auch die in den „Beschwerde-Artikeln“ vorgetragenen Missstände. Insofern gab der Altenburger Landtag vom Mai 1523 einen nicht zu überhörenden Startschuss zu kirchenrechtlichen und somit letztlich reformatorischen Veränderungen, die jedoch in die Hände der lokalen Obrigkeiten gelegt wurden. Dies waren die Stadträte und noch viel stärker der Niederadel, der auf dem flachen Land größtenteils die Patronatsherrschaft über die vielen Dorfkirchen hatte. In der Folgezeit hielt vor allem der Niederadel als Patronatsherr schützend seine Hand über die ersten evangelischen Prediger. Und dort, wo die katholischen Bischöfe von Meißen und Merseburg die kirchlichen Veränderungen in den niederadligen Rittergutsherrschaften bei den Fürsten scharf anprangerten, hielten sich Kurfürst Friedrich und Herzog Johann spürbar und merklich zurück. Diese Zurückhaltung erscheint nicht allein als eine Tolerierung der kirchenrechtlichen Veränderungen, sondern auch und vor allem als eine Anerkennung des verfassungsrechtlichen Status quo. Der rechtliche Verfassungszustand des politischen Systems im ernestinischen Kursachsen gebot es, Rücksicht auf die Landstände zu nehmen. Dass sich die kirchen- und religionspolitische Rücksichtnahme der Fürsten gegenüber ihrem Niederadel auf einen breiten und wohlwollenden Konsens gründete, ist unbedingt herauszustreichen. Eine erst noch zu erarbeitende Synopse über geordnete kirchenrechtliche Veränderungen im ernestinischen Kursachsen dürfte verdeutlichen, dass es vor der offiziellen Einführung der lutherischen Reformation durch Kurfürst Johann im August 1525 bereits obrigkeitliche Maßnahmen, Neuerungen und Reformen gab, die augenscheinlich nach Abschluss des Altenburger Landtags im Mai 1523 eingesetzt haben. Insofern breitete sich in Kursachsen nach dem Landtag zu Altenburg eine „kommunale Reformation“ beziehungsweise eine „Gemeindereformation“ aus, die fast ausschließlich von den Stadträten und vom Niederadel als den Inhabern der Patronatsherrschaft getragen wurde. Der Bauernkrieg vom Frühjahr 1525 unterbrach diese Entwicklung jäh, so dass – wie angedeutet – Kurfürst Johann am 17. August 1525 von Weimar aus die Einführung der Reformation verkünden ließ.

DIE REFORMATION IN DÄNEMARK UND SCHLESWIGHOLSTEIN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DEN ADEL Mikkel Leth Jespersen I. EINLEITUNG Schon die frühmittelalterliche Geschichte des Königreichs Dänemarks ist mit den Ereignissen in den südlichen Grenz- und Nachbarregionen des Landes eng verknüpft: mit Sønderjylland, das später zum Herzogtum Schleswig wurde und mit den Gebieten südlich davon, die später zur Grafschaft Holstein wurden. Im Laufe des Spätmittelalters entwickelten sich diese Verhältnisse zu einem Machtkampf um das Herzogtum Schleswig zwischen dem dänisch-nordischen Königshaus und den holsteinischen Grafen. 1460 fand dieser Konflikt eine vorläufige Lösung, als das nun vereinigte Schleswig-Holstein unter die Herrschaft des nordischen Unionskönigs Christian I. fiel. Christian war König im Norden, dagegen (nur) Landesherr im Herzogtum Schleswig (einem dänischen Lehen) und in der Grafschaft Holstein (einem deutschen Lehen). 1474 erreichte Christian beim römisch-deutschen Kaiser eine Umwandlung der Grafschaft Holstein in ein Herzogtum Holstein, bei dessen formeller Vereinigung mit der Grafschaft Stormarn und der Bauernrepublik Dithmarschen. Die politische Elite in jedem der drei nordischen Reiche wurde von einem Reichsrat repräsentiert, der sich aus Bischöfen und einer ausgewählten Gruppe von führenden Adelsgeschlechtern zusammensetzte. Im Laufe des 15. Jahrhunderts bekam auch Schleswig-Holstein einen gemeinsamen Rat, der aus den Bischöfen von Schleswig und Lübeck und aus profilierten Mitgliedern der schleswig-holsteinischen Ritterschaft bestand.1 Es war innerhalb dieser komplizierten politischen Konstruktion, dass König Christian III. die endgültigen Reformationen in der Doppeltmonarchie DänemarkNorwegen 1536/37 und in den Herzogtümern Schleswig und Holstein 1542 durchsetzte.2 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – das heißt am Beginn der dänischen Geschichtsforschung – entstand eine engagierte Diskussion über die Machtverteilung im Dänemark des 16. Jahrhunderts. Die Diskussion ging von der These aus, dass ein fundamentaler Gegensatz zwischen König und Aristokratie bestanden ha1

2

Carsten Porskrog Rasmussen: Delene og helheden. Statsdannelse i det dansk-ledede monarki ca. 1380–1700“. In: Mikkel Leth Jespersen, Jeppe Büchert Netterstrøm, Helle I.M. Sigh, Bertel Nygaard, Torben K. Nielsen, Bo Poulsen (Hg.): På sporet af staten. Dansk statsdannelse mellem middelalder og enevælde, Den Jyske Historiker, Nr. 116, juni 2007, S. 34. Bjørn Poulsen: Hertugdømmets dannelse 700–1544. In: Hans Schultz Hansen, Lars N. Henningsen, Carsten Porskrog Rasmussen (Hg): Sønderjyllands Historie. Indtil 1815, Bd. 1. Aabenraa 2008, S. 185.

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be.3 Diese Annahme hat auch die schleswig-holsteinische Geschichtsforschung geprägt.4 Neuere Forschungen haben jedoch ergeben, dass eher eine Interessengemeinschaft als ein Interessengegensatz bestanden hat, nämlich dergestalt, dass der Adel (in Dänemark) und die Ritterschaft (in Schleswig-Holstein) die fürstlichen Interessen unterstützt haben, und zwar im Interesse von Privilegien, die für ihre gemeinsamen Anliegen in Politik und Ökonomie von Bedeutung waren, und die den Adel von den niederen Ständen abgrenzten.5 In den Zeiten, in denen der Adel im Fürsten keinen einigenden Rückhalt hatte, entstand mehrmals eine Art Bürgerkrieg, wenn die Aristokraten nicht bald einen Fürsten wählten. Wenn gar keine Zusammenarbeit zustande kam, konnte die Situation auch zur Absetzung des Fürsten führen.6 Bei genauerem Studium der Reformationszeit von um 1520 bis um 1540 lassen sich alle erwähnten Varianten verifizieren. Aber am Ende der Ereignisse zeigte es sich, dass die fürstliche Seite in diesem Streit der klare Gewinner war, wobei auf der anderen Seite der Adel in Dänemark und in Schleswig-Holstein sich jeweils zu einem festgefügten Stand mit eindeutigen Privilegien entwickelt hatte. Die nachfolgenden Ausführungen werden diese Aspekte im Verlauf der Reformation in Dänemark und Schleswig-Holstein und ihre Bedeutung für die Position des Adels herausarbeiten. II. DER DÄNISCHE ADEL IM SPÄTEN MITTELALTER Im späten Mittelalter bestand die weltliche Oberschicht in Dänemark aus einer bunt zusammengewürfelten Schar von Rittern und Schildknappen. Diese werden unter anderem als „velbyrdige“, („wohlgeborene“), und als „gute“ Leute bezeichnet. In der königlichen Handfeste von 1513 wurde der dänische Adel direkt „Ritterschaft“ genannt.7 Das war aber keine Bezeichnung, die sich einbürgerte, obgleich der Stand sehr wohl den norddeutschen Ritterschaften ähnelte. Dafür setzte sich mehr und mehr der Begriff „Adel“ durch, nachdem dieser um 1500 bereits als Standesbezeichnung eingeführt worden war. In den folgenden Ausführungen wird der Begriff „Adel“ aus Traditionsgründen auch für frühere Zeiten verwendet. Einige Geschlechter stammten von mittelalterlichen „Herremænd“ ab, andere wurden vom König im Laufe des 15. Jahrhunderts geadelt. Das war der sogenannte 3 4 5 6

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Kristian Erslev: Konge og Lensmand i det sextende Aarhundrede. Kopenhagen 1970 (Nachdruck der Original Ausgabe von 1879). Kai Fuhrmann: Die Ritterschaft als politische Korporation in den Herzogtümern Schleswig und Holstein von 1460 bis 1721. Kiel 2002. Hillay Zmora: Monarchy, Aristocracy and the State in Europe 1300–1800. London 2001, S. 1. Mikkel Leth Jespersen: Die politische Partizipation der Ritterschaft im Frühneuzeitlichen Schleswig-Holstein. In: Oliver Auge, Burchard Büsing (red.): Der Vertrag von Ripen 1460 und die Anfänge der politischen Partizipation in Schleswig-Holstein, im Reich und in Nordeuropa. Ostfildern 2012, S. 141–154. König Christians II. Handfeste siehe: Samling af Danske Kongers Haandfæstninger og andre lignende Acter, Selskabet for Udgivelse af Kilder til Dansk Historie (Hg.). Kopenhagen 1974, Nr. 16.

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Briefadel, der von fürstlichen Abgaben befreit war und dessen Vertreter als Belohnung für treue Dienste gegenüber dem König ein Wappen erhielten und führen konnten.8 Eine stattliche Zahl der spätmittelalterlichen Bischöfe ging aus dem Adel hervor. Einige Adelsgeschlechter erreichten fast eine monopolartige Anwartschaft auf den Bischofssitz in der Landschaft, in der sie begütert waren.9 Die Lebensführung der Bischöfe unterschied sich nicht wesentlich von derjenigen der mächtigen Adelsgeschlechter. Sie waren im Umkreis der Königsmacht politisch aktiv und lokal fochten sie ihre Fehden aus wie weltliche Aristokraten.10 Im Zusammenhang mit der Reformation 1536 wurde auch behauptet, dass die Bischöfe nicht bischöflich gelebt hätten, dass sie, statt Gottes Wort den gewöhnlichen Sterblichen zu predigen und zu lehren, sich mehr als weltlicher Stand aufgeführt hätten. Das war natürlich nicht zuletzt ein Vorwand, der die Abschaffung der weltlichen Macht der Bischöfe begründen sollte. Aber es war auch so, dass die Vorwürfe zum großen Teil zutrafen. Andere hohe kirchliche Ämter, wie Klostervorsteher, Pröpste und Domherren wurden ebenfalls mit Adligen besetzt; diese stammten dann allerdings überwiegend aus dem Kleinadel.11 Aber es waren bei weitem nicht alle Adligen, die so leben konnten wie die Bischöfe und die weltlichen Reichsräte, die den König wählten, große Güter hatten und als Lehnsleute auf den königlichen Schlössern amtierten.12 Der dänische Adelshistoriker Troels Dahlerup konnte um 1970 nachweisen, dass ein bedeutender Anteil des dänischen Adels im späten Mittelalter ein Marginal- oder Klienteladel war.13 Diese Adligen konnten ihren freien Stand nur im Dienst als Schildknappen oder Gutsverwalter bei mächtigen Herren bewahren. Einige hohe Herren haben die Nobilitierung ihrer Klienten direkt beim König in die Wege geleitet. Bei repräsentativen Anlässen ritten die Klienten im Gefolge ihrer Herren. Ebenso waren sie gehalten, die Angelegenheiten ihrer Herren mit dem Schwert oder vor Gericht mit dem Gesetzbuch in der Hand zu verteidigen, je nachdem wie die Situation es erforderte.14 Der dänische Adel war somit sehr vielschichtig, aber er war auch untereinander durch vertikale Patron-Klient-Verhältnisse verbunden. Fluktuation gehörte zum Stand und für die unteren Schichten der Adelspyramide war die Bewahrung der 8 9 10

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Troels Dahlerup: De fire stænder. In: Olaf Olsen (Hg.): Gyldendal og Politikens Danmarks historie, 1400–1500, Bd. 6. Kopenhagen 1989, S. 100–124 Zum Beispiel über die Bischöfe in Ripen siehe Troels Dahlerup: Nepotisme som administrativt system. Ribe stift i senmiddelalderen. In: Carsten Due Nielsen (Hg.): Struktur og Funktion. Festskrift til Erling Ladevig Petersen. Odense 1994, S. 61–72. Jeppe Büchert Netterstrøm: Øvrighederne, bønderne og fejden i Danmarks senmiddelalder. In: Agnes S. Arnósdóttir, Per Ingesman, Bjørn Poulsen (Hg.): Konge, kirke og samfund. De to øvrighedsmagter i dansk senmiddelalder. Aarhus 2007, S. 301ff; Mikkel Leth Jespersen: Dronning Christine og kong Hans. Len, magt og fromhed i dansk senmiddelalder“. In: Historisk Tidsskrift 106 (2006), S. 10. Dahlerup, De fire stænder (wie Anm. 8), S. 137. Harry Christensen: Len og magt i Danmark 1439–1481. De danske slotslens besiddelsesforhold analyseret til belysning af magtrelationerne mellem konge og adel. Med særligt henblik på opgøret i slutningen af 1460’erne. Aarhus 1983. Troels Dahlerup: Indledning om senmiddelalderen. In: Per Ingesman, Jens Villiam Jensen (Hg.): Riget magten og æren. Den danske adel 1350–1660. Aarhus 2001, S. 18. Dahlerup, De fire stænder (wie Anm. 8), S. 118 und 270.

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Zugehörigkeit zum Adel kein Selbstläufer; Auf- und Abstieg gingen Hand in Hand.15 Zur Zeit der Reformation 1536 kann der dänische Adel auf 173 Familien und 388 erwachsene Männer beziffert werden.16 III. DIE SCHLESWIG-HOLSTEINISCHE RITTERSCHAFT Bei einem Vergleich der dänischen und schleswig-holsteinischen Adelsvereinigungen gibt es Ähnlichkeiten und Unterschiede. Allerdings ist die Geschichte der schleswig-holsteinischen Ritterschaft bei weitem nicht so gründlich erforscht wie die des dänischen Adels, was bei einem direkten Vergleich zu einer Unausgewogenheit der Resultate führen muss. Der Begriff „der schleswig-holsteinischen Ritterschaft“ entstand in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und bezeichnete die Gruppe der Adelsgeschlechter im Umkreis des Grafen und Herzogs Adolf VIII. Nach Adolfs Tod im Jahr 1459 waren es die Repräsentanten der Ritterschaft, die mit dem dänischen König Christian I. am 5. März 1460 den sogenannten Vertrag von Ripen aushandelten.17 Mit dem Vertrag von Ripen festigten die schleswig-holsteinischen Stände ihre Position derart, dass zukünftig der dänische König als Landesherr in Schleswig-Holstein durch ständische Wahl bestätigt werden musste. Darüber hinaus erhielt die Ritterschaft Zollfreiheit für den Handel mit Waren für den eigenen Verbrauch, und gleichzeitig versprach der König, keine Ausländer als Lehnsleute auf seinen Schlössern einzusetzen.18 Dass nur Adlige als Amtmänner eingesetzt werden konnten, war wahrscheinlich selbstverständlich. Während der Abwesenheit des Landesherrn sollte das Land von einem Rat regiert werden, der aus den Bischöfen von Schleswig und Lübeck und aus zehn hervorragenden Adligen (je fünf aus Schleswig und Holstein) bestand. Diese Regelung ist als ein Vorläufer des schleswig-holsteinischen Landesrats zu sehen. Im 15. Jahrhundert waren nicht alle Adligen aus den beiden Herzogtümern Mitglieder der Ritterschaft. Diese bestand hauptsächlich aus holsteinischen und südschleswigschen Familien des Hochadels, die miteinander verwandt waren und große Ländereien besaßen. Eine eindeutige Abgrenzung zur Mitgliedschaft in der Ritterschaft bestand jedoch nicht.19 In den nördlichen Teilen des Herzogtums Schleswig gab es zwei besondere Gruppen von Adligen, die nicht zur Ritterschaft gehörten. Es waren zum einen die alten sønderjyske beziehungsweise dänischen Familien, die sich primär nach Dänemark orientierten, und zum anderen ein jünge15 16 17 18 19

Mikkel Leth Jespersen: Patron-klientforhold i dansk senmiddelalder. In: Fortid og Nutid. Tidsskrift for kultur og lokalhistorie (2006), S. 107–126. Knud Prange: Adelens omfang i middelalderen. In: Per Ingesman, Jens Villiam Jensen (Hg.): Riget magten og æren. Den danske adel 1350–1660. Aarhus 2001, S. 37. Henning von Rumohr (Hg.): Dat se bliven ewich tosamende ungedelt. Festschrift zur 500. Wiederkehr des Tages von Ripen am 5. Märtz. Neumünster 1960. von Rumohr, Dat se bliven ewich tosamende ungedelt (wie Anm. 17), S. 38. Vilhelm La Cour: Tidsrummet 1459–1544. In: Vilhelm La Cour, Knud Fabricius, Holger Hjelholdt, Hans Lund (Hg.): Sønderjyllands Historie. Fremstillet for det danske folk, Bd. 2, S. 276– 288.

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rer Briefadel, der sich primär auf dem Gebiet von Dienstleistungen profilierte. Der Briefadel orientierte sich dann auch hauptsächlich an den Bürgerschaften der Städte und der lokalen Bauernaristokratie. Der Adel in Nordschleswig ähnelte vor diesem Hintergrund dem dänischen Adel, zu dem auch gute Beziehungen bestanden.20 Nach dem Tod Christians I. (1481) wurde sein ältester Sohn Hans König in Dänemark. Die Herrschaft in Schleswig-Holstein musste er mit seinem jüngeren Bruder Friedrich teilen, der sich auf Schloss Gottorp bei Schleswig niederließ. Hier hielt er Hof und baute enge Verbindungen zu den führenden Mitgliedern der schleswig-holsteinischen Ritterschaft auf.21 Als der Sohn von König Hans, Christian II., nach zehn Jahren (1513–1523) als König von Dänemark und als Herzog in seiner Hälfte von Schleswig-Holstein abgesetzt worden war, war Friedrich bereit, seine Stellung mit zu übernehmen. Aus diesem Anlass wurde ihm durch den leitenden Prälaten und vom Großteil der Ritterschaft als alleinigem Herzog gehuldigt. Eine Liste über die Huldiger und Nichthuldiger von Friedrich zeigt, dass der schleswig-holsteinische Adel zu der Zeit aus 45 Geschlechtern mit 131 erwachsenen Männern bestand. Die Liste zeigt eine Entwicklung dahin, dass auch der Adel in Nordschleswig als Teil der Ritterschaft angesehen wurde.22 Wie in Dänemark waren auch in Schleswig-Holstein die Bischöfe die politisch führenden Zentralfiguren. Vom 15. Jahrhundert an wurden deren Posten vermehrt mit Adligen besetzt. Auf der Privilegienlade der Ritterschaft von 1504 sind die Wappen des Bischofs von Schleswig und des Bischofs von Lübeck zu sehen.23 Zu dieser Zeit war der Bischof in Schleswig (Ditlev Pogwisch) auch Mitglied der Ritterschaft; er wurde 1507 durch einen anderen Adligen abgelöst, nämlich Gottschalk von Ahlefeldt.24 In Lübeck hatte man von 1466 bis 1489 auch einen Bischof mit Beziehungen zur Ritterschaft gehabt, Albert Krummendieck. Im Vorfeld der Reformation sicherte sich der dänische König loyale schleswig-holsteinische Adlige für diesen Posten. IV. DIE REFORMATIONSZEIT Gleichzeitig mit der Absetzung Christians II. als dänischer Unionskönig und Herzog im Jahr 1523 entwickelte sich die lutherische Bewegung zu einem Hauptthema auf der politischen Tagesordnung. Abgesehen von den Bürgerschaften in den größeren Städten, einem Teil des Bauernstandes und einer verhältnismäßig kleinen Gruppe von Adligen hatte sich 20 21 22 23

24

Bjørn Poulsen: Den sene middelalder – tiden 1430–1544. In: Per Ethelberg, Nis Hardt, Bjørn Poulsen, Anne Birgitte Sørensen (Hg.): Det Sønderjyske Landbrugs Historie. Jernalder, vikingetid og middelalder, Bd. 1. Haderslev 2003, S. 643–649. Fuhrmann, Die Ritterschaft als politischen Korporation (wie Anm. 4), S. 81. Louis Bobe: Slægten Ahlefeldts Historie, Bd. 2. Kopenhagen 1912, Beilage, S. 38. Werner Paravicini: Ein Gegenstand beginnt zu sprechen: Die Privilegienlade der SchleswigHolsteinischen Ritterschaft vom Anfang des 16. Jahrhunderts. In: Oliver Auge, Burchard Büsing (Hg.): Der Vertrag von Ripen 1460 und die Anfänge der politischen Partizipation in Schleswig-Holstein, im Reich und in Nordeuropa. Ostfildern 2012, S. 465–507. Hans Valdemar Gregersen: Reformationen i Sønderjylland. Aabenraa 1986, S. 41–42.

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der König Christian II. mit fast allen möglichen politischen Akteuren angelegt. Unter seinen eindeutigen Feinden waren Anhänger der bestehenden Kirchenordnung. Im ersten Punkt der Handfeste des neuen Königs Friedrich I. vom 3. August 1523 wird geschildert, wie König Christian II. den Himmlischen Gott erzürnt, „viele einfache Untertanen verführt und einigen offenkundigen Ketzern erlaubt habe, sich in Kopenhagen aufzuhalten, die in ihren Predigten vor einfachen Menschen diese durch ihre Lehren gegen den heiligen christlichen Glauben aufgebracht und somit auch gegen die heilige römische Kirche, die geistliche Mutter aller christlichen Menschen gepredigt haben“. Im Zusatz dazu wurde festgehalten, dass Friedrich Luthers Schülern nicht erlauben dürfe, in seinem Reich zu predigen.25 In der Handfeste wurde weiterhin festgehalten, dass Friedrich seinen Sohn zu seinen Lebzeiten nicht zu seinem Nachfolger wählen lassen durfte. Wenn der König stürbe, sollte der Reichsrat die freie Wahl haben. Grund hierfür war, dass sich die dänischen Reichsräte völlig darüber im klaren waren, dass der Sohn Friedrichs, Christian III., von Luthers Lehre genauso ergriffen war wie sein Vetter Christian II., der von denselben Reichsräten abgesetzt worden war. Bald zeigte Friedrich I. durch Passivität und kleinere Initiativen, dass auch er von Luthers Lehre angetan war. Das wurde sehr deutlich, als er nicht eingriff, als sein Sohn Christian III., dem 1525 die nordschleswigschen Ämter Hadersleben und Törning überlassen worden waren, hier Luthers Lehre einführte und förderte. Der junge Herzog begann sogar damit, für seine Gebiete die Priester selbst einzusetzen. In der Dorfkirche von Bröns, die zu seinem Gebiet gehörte, entstanden in dieser Zeit zwei Wandmalereien, die eine harsche Kritik an den katholischen Geistlichen zum Ausdruck brachten. Diese entstanden, wenn auch nicht auf Veranlassung des Herzogs, so doch mit dessen Billigung.26 Erst als die Bauern in seinen Ämtern den Bischofszehnten nicht mehr bezahlen wollten, wurde er von seinem Vater zurechtgewiesen. Dieser wollte keinen Ableger der deutschen Bauernkriege in Schleswig haben. Aber Christian III. verfolgte seine Pläne unverdrossen weiter und ließ mit Hilfe von zugereisten Theologen aus Wittenberg für sein kleines Territorium eine Kirchenordnung ausarbeiten, die er 1528 einführte.27 Als Friedrich 1533 starb, wurde Christian III. zum regierenden Herzog von Schleswig-Holstein gewählt, und zwar für sich und seine drei jüngeren Halbbrüder. So leicht ging der Thronwechsel in Dänemark aber nicht vonstatten. Die mächtigen Bischöfe wollten Christian nur ungern auf dem Thron haben. Sie hätten seinen damals erst zwölf Jahre alten Halbbruder vorgezogen. Für diesen konnte aber auch keine Mehrheit gewonnen werden. Der Reichsrat beschloss daher, die Königswahl aufzuschieben. Das Reich endete dann in einem Bürgerkrieg (Grevens Fejde), den Christian III. mit großer Unterstützung der schleswig-holsteinischen Ritterschaft für sich entscheiden konnte.28

25 26 27 28

Samling af Danske Kongers Haandfæstninger (wie Anm. 7), S. 67 und 71. Erik Moltke, Elna Møller (Hg.): Danmarks Kirker udgivet af Nationalmuseet. Sønderjylland. Tønder Amt. Kopenhagen 1957, S. 1226–1227 Gregersen, Reformationen i Sønderjylland (wie Anm. 24), S. 122, Poulsen, Hertugdømmets dannelse 700–1544 (wie Anm. 2), S. 183.

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1536 wurde Christian III. zum König von Dänemark und Norwegen gekrönt und führte unmittelbar danach in beiden Ländern die Reformation ein. In der Handfeste Christians III. wurde Norwegens Status als selbständiges Reich aufgehoben. Norwegen wurde ein Landesteil, ein sogenannter „Ledemod“, im Dänischen Reich. Um einen Thronstreit, wie Christian III. ihn gerade erlebt hatte, zu vermeiden, ließ er seinen ältesten Sohn Friedrich zum Thronfolger von Dänemark-Norwegen wählen.29 In Schleswig-Holstein konnte der König die Reformation nicht unmittelbar einführen. Hier saß in Schleswig der alte Bischof Gottschalk Ahlefeldt, dem es mit Hilfe einer Gruppe aus der Ritterschaft gelang, den König von diesem Plan abzubringen. 1541 starb Bischof Ahlefeldt und ein Jahr später veröffentlichte Christian III. eine lutherische Kirchenordnung für Schleswig-Holstein.30 Damit war die Reformation in allen seinen Gebieten eingeführt. Die Kirche existierte nicht mehr als selbständiger Machtfaktor, und der Fürst blieb mehr als zuvor die verbindende Gestalt in der politischen Struktur. Aber welche Bedeutung hatte die Reformation für die Position des Adels? V. ALTE UND NEUE ÄMTER Sowohl in Dänemark als auch in Schleswig-Holstein gehörte die Absetzung der Bischöfe zu den markantesten Veränderungen in der damaligen Gesellschaft. Diese Neuregelung bedeutete für den Adel eine große Veränderung, da sämtliche Bischöfe aus der Zeit unmittelbar vor der Reformation dem Adel entstammten. Die Bischöfe saßen im Reichs- und Landesrat und wurden als führende Aristokraten angesehen. Nach der Reformation waren die Nachfolger der Bischöfe sogenannte Superintendenten, deren Arbeitsbereich rein geistlich definiert war, und sie waren in der Regel mit bürgerlichem Hintergrund aus dem Priesterstand in die neue Stellung übernommen worden. Die Absetzung der Bischöfe hatte aber auch Konsequenzen für die große Zahl der Kleinadligen, die in Diensten der Bischöfe standen. Die kleinadligen Vögte waren häufig Verwandte des Bischofs oder seine Klienten. So oder so konnten sie nur in Verbindung mit ihrem Dienst beim Bischof ihre adlige Position bewahren. Im Spätmittelalter gab es eine ganze Reihe derartiger kleinadliger Geschlechter in Dänemark und Nordschleswig, aber im Lauf der Zeit sanken sie wieder zurück in den Bauernstand. Die untersten Gruppen des Adels gehörten somit zu den größten Verlierern der Reformation.31 Dagegen kam der innere Kreis der Adligen weit besser aus der sich vollziehenden sozialen Umschichtung heraus. Denn ihnen kam das De-Facto-Monopol auf 29 30 31

Alex Wittendorf: På Guds og Herskabs nåde. 1500–1600. In: Olaf Olsen (Hg.): Gyldendal og Politikens Danmarkshistorie, Bd. 7. Kopenhagen 1989, S. 215; Rasmussen, Delene og helheden (wie Anm. 1) S. 50. Poulsen, Hertugdømmets dannelse 700–1544 (wie Anm. 2), S. 185. Henrik Fangel: Vesterbæk – en forsvundet hovedgård i Vestslesvig. Et bidrag til belysning af lavadelens krise i 1400- og 1500-årene. In: Aage Andersen, Per Ingesman, Erik Ulsig (Hg.): Festskrift til Troels Dahlerup på 60-årsdagen den 3. december 1985. Aarhus 1985, S. 209–230.

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Posten als fürstliche Räte und als Lehnsleute auf den fürstlichen Schlössern weiterhin zugute. Es war unter anderem das Adelsmonopol für diese Positionen, das König Christian II. mit seiner Politik herausgefordert hatte – und das hatte ihn seine Stellung gekostet. Als er nicht mehr im Amt war, (über)nahm die von ihm geschasste Aristokratie wieder den Reichsrat und erhielt ihre Lehen zurück: da „theilten und parthierten die Ritterschaft und Adel allen selber untereinander die Kronen Lehen und Güter aus und gaben Herzog Friederich, was sie wollten“, behaupteten einige Bürger.32 Christian III. hatte seine Lektion gelernt. Er forderte 1536 seine Lehnsleute nur in einem Punkt heraus, nämlich darin, dass die Lehen beim Tod des Lehnsmanns an die Krone zurückfallen sollten, und das galt auch in den Fällen, bei denen im Lehnbrief festgelegt war, dass sie erblich waren.33 Im Kreis um den König und die Herzöge hinterließ die Abschaffung der Bischöfe eine Leerstelle. In Dänemark wurde diese dadurch ausgefüllt, dass Christian III. Mitglieder aus dem Reichsrat mit den Titeln Reichshofmeister, Reichskanzler und Reichsmarschall bedachte, sogenannte Reichsbeamte schuf. Diese stammten alle aus den vornehmsten Geschlechtern des Adels.34 Nach 1536 hatte der Adel das Monopol auf Posten im Reichsrat und war so zum unangefochtenen ersten Stand im Reich aufgestiegen. In der älteren dänischen Historiographie wird die Periode von 1536–1660 deshalb als „Adelsvælden“ (Zeit der Adelsmacht) bezeichnet und das nicht ohne Grund. In Schleswig-Holstein gestaltete sich die Lage komplizierter. Hier hatte man bei der Reformation noch einen gemeinsamen Landesrat (Gesamtrat), der überwiegend aus Friedrichs I. alten Räten, dazu einem Hofmeister (Johann Rantzau), einem Landesmarschall (Iven Reventlow) und den beiden Bischöfen von Schleswig und von Lübeck bestand.35 Schon um 1543/44 wurde dieser Rat jedoch aufgelöst, und zwar in Verbindung mit der Dreiteilung Schleswig-Holsteins zwischen Christian III. und zweien seiner jüngeren Brüder. Danach nahm jeder der drei Brüder seine eigenen adligen Räte mit und der in Dänemark residierende König berief einen Statthalter zu seinem Repräsentanten in den Herzogtümern. Der gemeinsame Landesrat existierte nun nicht mehr, aber in den Herzogtümern, die nun unter drei Fürsten aufgeteilt waren, entwickelte sich die gesamte Ritterschaft in der politischen Konstruktion Schleswig-Holsteins zur verbindenden Kraft.36

32 33 34 35 36

Zitiert nach Erslev, Konge og Lensmand (wie Anm. 3), S. 55. Erslev, Konge og Lensmand (wie Anm. 3), S. 85. Wittendorf, På Guds og Herskabs nåde (wie Anm. 29), S. 212. Johanne Skovgaard: Tidsrummet 1544-c. 1600. In: Vilhelm La Cour, Knud Fabricius, Holger Hjelholdt, Hans Lund (Hg.): Sønderjyllands Historie. Fremstillet for det danske folk, Bd. 2, S. 348. Mikkel Leth Jespersen: Fyrste og folk. Hertug Hans den Ældres fyrstestat i 1500-tallets Slesvig-Holsten (1544–1580). Flensburg 2010, S. 98.

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VI. VOLLE RECHTSPRECHUNG, HALS- UND HANDGERICHTSBARKEIT Die eigentliche Stärke der schleswig-holsteinischen Ritterschaft lag aber nicht auf der zentralen politischen Ebene, sondern in der Stellung jedes einzelnen Adligen als Gutsbesitzer. Ein Eckpfeiler in dieser Position war die gesamte Rechtsprechung über die eigenen Untertanen und diese ging auf die Thronbesteigung Friedrichs I. im Jahr 1523/24 zurück. Während dessen Vorgänger Christian II. noch den dänischen Hochadel herausgefordert hatte, hatte Friedrich das Verhältnis zu den Aristokraten der beiden Herzogtümer sorgsam gepflegt. Daher unterstützten diese auch den Weg des Herzogs auf den dänischen Thron. Den Rückhalt in der Ritterschaft gab es jedoch nicht gratis. 1524 erließ Friedrich das sogenannte Große Privilegium für die Prälaten und die Ritterschaft in Schleswig-Holstein, das den Einwohnern der Herzogtümer für ihre gehorsamen Dienste, „die sie uns gegenwärtig in diesen unsern schweren Kriegsläuften bewiesen haben“ verliehen wurde.37 Danach folgte eine Reihe von Zugeständnissen an die Prälaten und die Ritterschaft. Dabei war das wesentlichste, dass die Gutsbesitzer die volle Rechtsprechung samt der Hals- und Handgerichtsbarkeit über die eigenen Bauern erhielten: „Die Bonden und Lansten in dem Herzogthume sollen kein Gericht oder Gewalt über die Prälaten und edele Leute haben, sie auch nicht verurteilen an ihrem eignen Leibe und Gut, oder auf einige Weise mit dänischem Landrecht verfolgen. Die Sand- und Grundeigner [Sandemänner] sollen nicht entscheiden über des Prälaten oder Edelmanns ihre Feldmarken, und eingehegtes Land, das sie im Besitz und im Gebrauch haben, oder behalten wollen. Die Prälaten und Ritterschaft in den vorbeschriebenen Fürstentümern Schleswig und Holstein sollen haben Hals und Hand und das höchste Gericht über ihre Untersassen und Diener, unmittelbar und ohne der Fürsten Einmischung oder Verhinderung durch sie (selbst) oder ihre Amtsleute oder Befehlshaber, mit Vorbehalt fürstlicher Obrigkeit und gemeiner Landfolge und auch fürstlicher Prärogativen“.38 Diese Bestimmung im Privileg führte eine weitreichende Gutsbesitzermacht in SchleswigHolstein ein. Die Prälaten und die Ritterschaft erhielten innerhalb der eigenen Gutsgrenzen die volle Polizei- und Gerichtshoheit. Dieser selbständige Gerichtsbezirk heißt auf Dänisch „birkeret“. Den Vorsitz führte ein Vogt, der richterliche und polizeiliche Befugnisse hatte und vom Hofbesitzer eingesetzt war.39 Es kann durchaus sein, dass in größeren und arrondierten Gutsgebieten diese Rechte auch schon vor der Reformationszeit bestanden. Genaueres ist darüber nicht bekannt. Aber dadurch, dass diese umfassenden Kompetenzen nun als festes Prinzip festgelegt wurden, war dies ein bedeutendes Zugeständnis an die Ritterschaft,

37 38 39

Friedrich Christoph Jensen, Dietrich Hermann Hegewisch (Hg.): Privilegien der SchleswigHolsteinischen Ritterschaft. Kiel 1797, S. 140. Jensen, Hegewisch, Privilegien (wie Anm. 37), S. 142ff. Carsten Porskrog Rasmussen: Ét hertugdømme – mange herrer 1544–1720. In: Hans Schultz Hansen, Lars N. Henningsen, Carsten Porskrog Rasmussen (Hg.): Sønderjyllands Historie. Indtil 1815, Bd. 1. Aabenraa 2008, S. 227.

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deren Mitglieder hiernach nur von den Herzögen und den Räten auf sogenannten Landrechtstagen belangt werden konnten.40 Im späten Mittelalter gab es die volle Gerichtsbarkeit (birkeret) in Dänemark auf einer Reihe kirchlicher und königlicher Güter, um die Mitte des 15. Jahrhunderts verlieh der König die volle Gerichtsbarkeit auch einzelnen Angehörigen des Adels auf deren Gütern, aber danach wurde dieses Privileg nicht mehr vergeben. Erst nach der Reformation wurde Adligen das birkeret für besondere Güter wieder verliehen. In Dänemark war die volle Gerichtsbarkeit nur mit bestimmten Gutshöfen verknüpft und war nie ein kollektives Privileg, das für den gesamten Adel gegolten hätte.41 Hier hatte der Adel nur ein kollektives Hals- und Handrecht über die ihm untergebenen Bauern. Verschiedene Historiker verknüpfen dieses Privileg mit den Handfesten verschiedener Könige.42 In vollständiger Form aber kommt die Formulierung wie „Hals- und Handrecht“ erst in der Handfeste Christians III. vom 30. Oktober 1536 vor: „Sammeledis schulle Dan. Riigis aadell nyde, brwge och behollde theres jordegoeds och thienere frij till ewiige tiidt mett hals, handt och ald andenn herlighedt och rettighedt…“.43 Der Erwerb des Hals- und Handrechts bedeutete für die Stellung der adligen Gutsherren in Dänemark eine wesentliche Stärkung. VII. FEHDERECHT Es waren nicht nur die eigenen Bauern, gegenüber denen der Adel persönliche judikative Befugnisse hatte. Seit dem Mittelalter gab es ein allgemeines Fehderecht, das im Königsreich Dänemark und im Herzogtum Schleswig in den sogenannten Landschaftsgesetzen aus dem 13. Jahrhundert reguliert war und im späten Mittelalter in eine Reihe kleinerer Verordnungen gefasst war. In der dänischen Geschichtsschreibung ist gründlich beleuchtet worden, wie Geistliche, Adlige, Bürger und Bauern Fehden führten und wie diese die genannten Regeln mehr oder minder beachteten.44 In Verbindung mit der Reformation schaffte Christian III. das Fehderecht für die dänischen Bauern mit einem Rezess von 1537 ab, indem er für Bauern die Todesstrafe einführte, wenn sie einen vorsätzlichen Mord begangen hatten. Dagegen erkannte der Reformationskönig das Fehderecht des Adels, wie dieses in der Handfeste von 1513 geregelt war, weiterhin an. Hier wurde vorgeschrieben, wie eine Fehde erklärt werden sollte, nämlich mittels Brief, der von zwei Adligen besiegelt 40 41 42

43 44

Jespersen, Die politische Partizipation der Ritterschaft (wie Anm. 6), S. 144–145. Henrik Lerdam: Birkeret og birkepatroner i dansk senmiddelalder. In: Agnes S. Arnósdóttir, Per Ingesman, Bjørn Poulsen (Hg.): Konge, kirke og samfund. De to øvrighedsmagter i dansk senmiddelalder. Aarhus 2007, S. 298. Die Handfeste von 1513 nach Jeppe Büchert Netterstrøm: Bondefejder i Danmark. In: Erik Opsahl (Hg.): Feider og fred i nordisk middelalder. Oslo 2007, S. 65; Die Handfeste von 1523 nach Lerdam, Birkeret og birkepatroner (wie Anm. 41), S. 297; Die Handfeste von 1536 nach Wittendorf, På Guds og Herskabs Nåde (wie Anm. 29), S. 213. Samling af Danske Kongers Haandfæstninger (wie Anm. 7), S. 84. Siehe z.B. Ole Fenger: Fejde og Mandebod. Studier over slægtsansvaret i germansk og gammeldansk ret. København 1971; Opsahl (Hg.), Feider og Fred (wie Anm. 42).

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sein musste.45 Die Anerkennung des Fehderechts ist nicht nur bemerkenswert an sich, weil es nach dem Ende des Bürgerkriegs für den König geradezu verführerisch gewesen sein dürfte, das Fehderecht des Adels abzuschaffen, sondern auch, weil die Fehden rein faktisch schon mit Friedrichs Handfeste von 1523 verboten worden waren. In dieser Handfeste wurde ein generelles Verbot von Fehden ausgesprochen und dazu aufgerufen, die bestehende Konflikte auf dem Rechtsweg zu lösen: „Item skall ingenn mannd feide den andenn, medhen huer thale then andenn tiill mett loghen“.46 Im Jahre 1536 versetzte also Christian III. die Gesetzgebung in dieser Hinsicht in die Zeit vor der Regierung seines Vaters zurück.47 Auf jeden Fall muss das persönliche Recht auf Selbstjustiz für den Adel als Stand, der immerhin für die Reichsverteidigung zuständig war, ein wichtiges symbolisches Element gewesen sein. Dass die Fehdepraxis des dänischen Adels nach der Reformation gleichwohl im Großen und Ganzen allmählich aufhörte, ist ein anderes Thema. In Schleswig-Holstein verlief diese Entwicklung ähnlich wie in Dänemark, aber da hier von den Herzögen keine Handfeste erlassen wurde, ist es schwer, genau herauszufinden, was in dieser Hinsicht im Zusammenhang mit der Reformation eigentlich geschehen ist. Es sieht aber doch so aus, dass Christian III. auch für Schleswig-Holstein ein Verbot der Bauernfehden erließ, denn in Verbindung mit der Teilung von 1544 führte er für Mord unter Bauern die Todesstrafe ein. Ein gleichzeitiges Verbot der Adelsfehde ist nicht bekannt. Aber es wird deutlich, dass Konflikte innerhalb des Adels, bei denen es um Mord ging, einen fehdeähnlichen Verlauf nahmen. Morde konnten in der Regel durch ein längeres Exil und eine finanzielle Wiedergutmachung an die Hinterbliebenen des Getöteten gesühnt werden. Vieles deutet aber auch darauf hin, dass die schleswig-holsteinische Ritterschaft ihr Fehderecht noch bis in die Zeit nach der Reformation behielt. Erst seit 1590 ist eine herzogliche Landesfriedensordnung bekannt, die explizit alle Formen der Fehde verbietet.48 VIII. DER GUTSGEWINN DES ADELS Sowohl in Schleswig als auch in Holstein gelang es den Mitgliedern der Ritterschaft, sich einen Teil der Güter einzuverleiben, die den geistlichen Institutionen im Lauf der Reformation weggenommen worden waren. Insgesamt gesehen war das aber nicht viel. Die diesbezügliche Entwicklung in Schleswig wurde in der Habilitationsschrift des dänischen Historikers Carsten Porskrog Rasmussen detailliert aufgearbeitet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der direkte Gewinn für den Adel im Zusam45 46 47 48

Samling af Danske Kongers Haandfæstninger (wie Anm. 7), S. 64. Samling af Danske Kongers Haandfæstninger (wie Anm. 7), S. 73. Samling af Danske Kongers Haandfæstninger (wie Anm. 7), S. 86. Mikkel Leth Jespersen: Die Fehdekultur in den Herzogtümern Schleswig und Holstein im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 134 (2009), S. 16–57; Ders.: „Den sidste adelsfejde på Sundeved – Blome vs. Uge“. In: Sønderjysk Månedsskrift 7 (2013), S. 265–273.

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menhang mit der Reformation auf 160 Bauernhöfe beziffert werden kann, was aber nur einen kleinen Teil der insgesamt 1.500 Höfe ausmacht, die den kirchlichen Institutionen in Verbindung mit der Reformation abgenommen worden waren.49 Die Güterumschichtungen in Holstein sind bisher nicht so gründlich untersucht worden wie die in Schleswig, aber nach einer Analyse von 1983 erhielt der Adel dort in Verbindung mit der Reformation 243 Bauernhöfe. Das ist wahrlich keine große Zahl. Es handelte sich dabei vorwiegend um altes Klostereigentum, das an den Adel überging.50 In den folgenden Jahren hielt die Umverteilung der Güter zwischen Landesherrn, Adel und Kirche in Schleswig-Holstein an. Eine grobe Schätzung für den Prozess ergibt, dass der Adel dabei seinen Anteil am Besitz von Höfen in Schleswig-Holstein von 21 Prozent im Jahr 1523 bis zum Ende des 16. Jahrhunderts auf 23 Prozent erhöhen konnte. Danach waren die Umwälzungen während der Reformation im Wesentlichen abgeschlossen. Für den Adel sprang dabei kein großer Gewinn heraus. Der große Gewinner in diesem Spiel war die Fürstenmacht.51 Ein wesentlicher Teil des geistlichen Eigentums in Schleswig-Holstein, der in Verbindung mit der Reformation nicht säkularisiert wurde, gehörte den früheren Damenklöstern Preetz, Itzehoe, Uetersen und St. Johannes zu Schleswig. Diese wurden in evangelische Damenstifte umfunktioniert, die dann von Adelswitwen und unverheirateten Adelstöchtern besetzt und von der Ritterschaft verwaltet wurden. Die Stifte hatten insgesamt 585 Höfe, die als Überführung von geistlichem Gut an die Ritterschaft betrachtet werden können, obgleich es ja schon vor der Reformation Adlige waren, die in diesen Klöstern das Sagen hatten.52 In Dänemark zog der König alle Klöster ein und der Gewinn für den Adel aus der Säkularisierung von Kirchengut bestand vermutlich nur in einem Anteil von ein paar Prozent am dänischen Vermögen. Meistens handelte es sich dabei um kleinere Güter (vikarie gods), die der Adel den geistlichen Institutionen als Gegenleistung für die Abhaltung von Messen übertragen hatte. Als die Messen eingestellt wurden, mussten die Güter an die Geschlechter zurückübertragen werden. In den Jahren nach der Reformation verwendete der König jedoch die früheren geistlichen Vermögen, die an die Krone gelangt waren, dazu, um Adlige zu belohnen und zu bezahlen. Dass Dänemark und Schleswig-Holstein politisch zusammenhingen, kann auch an der Gutspolitik nach 1580 abgelesen werden, als König Frederik II. schleswigsches Adelsgut mit königlichem Krongut in Dänemark vertauschte. Es handelte sich dabei um 325 Höfe. Insgesamt gesehen führten Tausch und Verkauf in diesen Jahren zu einer Vermehrung des adligen Anteils am dänischen Gutsbesitz von 40 auf 44 Prozent.53 49 50 51 52 53

Carsten Porskrog Rasmussen: Rentegods og hovedgårdsdrift. Godsstrukturer og godsøkonomi i hertugdømmet Slesvig 1524–1770. Haderslev 2002, Bd. 1, S. 103 und Anm. 138,139. Wolfgang Prange: Landesherrschaft, Adel und Kirche in Schleswig-Holstein 1523 und 1581. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 108 (1983), S. 51–90. Prange, Landesherrschaft, Adel und Kirche (wie Anm. 50), S. 89. Prange, Landesherrschaft, Adel und Kirche (wie Anm. 50), S. 88. Carsten Porskrog Rasmussen: Adelens godsrigdom 1490–1660. In: Per Ingesman, Jens Villiam Jensen (Hg.): Riget, Magten og Æren. Den Danske Adel 1350–1660, S. 499.

Die Reformation in Dänemark und Schleswig-Holstein

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IX. DIE ABSCHOTTUNG DES ADELS Sowohl in Dänemark als auch in Schleswig-Holstein bot die spätmittelalterliche Kirche für die Mitglieder des Adels ein breites Spektrum an Dienstmöglichkeiten. Einige hatten entscheidende Machtpositionen als Bischöfe oder Klostervorsteher, andere dienten der Kirche auf andere Weise und konnten dabei ihren adligen Stand mit den zugehörigen Freiheiten bewahren. Nach der Reformation waren nur noch die fürstlichen Ämter vorhanden, da die kirchliche Autorität weitgehend verschwunden war beziehungsweise sich verändert hatte, sodass die geistlichen Positionen für den Adel nicht mehr attraktiv waren. Außerdem waren der Adel und die Ritterschaft als Gutsherrenstand mit umfassenden Rechten gegenüber den eigenen Bauern gestärkt worden und das Recht, sich mit Gewalt selbst zu verteidigen, bestand weiterhin. Mit den erweiterten und formalisierten Privilegien für Ritterschaft und Adel entwickelte sich eine Tendenz zur Abschottung des Adelsstandes, und zwar dergestalt, dass nun Schildknappen und Vögte nicht mehr in den Adel aufgenommen werden konnten. Eine Begrenzung des Zugangs zum Adel wurde zum ersten Mal in der Handfeste von 1523 von Friedrich I. formuliert, in der festgehalten wurde, dass der Reichsrat eventuelle Nobilitierungen anerkennen musste: „Item skall vij icke giffue noghen mannd then friihed oc frelsze, som ridder oc suenne haffue, vthen mett menige righens radz raad, ville og samtycke, vthen noger forwerffuer thett szo erligen paa marckenn att hand er thett verd.“.54 Die Nobilitierungen wurden noch in den folgenden Jahren beibehalten, hörten aber seit 1530 ganz auf.55 In der Handfeste Christians III. von 1536 wurden die Formulierungen aus der Handfeste seines Vaters beibehalten, und damit war der dänische Adel, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, abgeschlossen. Auch wenn die dänische Handfeste für Schleswig-Holstein keine Gültigkeit hatte, hörten zur gleichen Zeit auch die Nobilitierungen in Schleswig-Holstein auf. Aus den Umbrüchen der Reformationszeit waren somit zwei soziale Gruppen entstanden – zum einen der dänische Adel und zum anderen die Ritterschaft –, die beide mit umfangreichen Privilegien für ihre Unterstützung der fürstlichen Macht belohnt wurden. Diese Regelung bildete letztlich in vieler Hinsicht die Grundlage für die Gesellschaftsordnung in Dänemark und in Schleswig-Holstein während der gesamten frühen Neuzeit

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Samling af Danske Kongers Haandfæstninger (wie Anm. 7), S. 74. Nils G. Bartholdy: Adels- og våbenbreve udstedt af danske (unions-)konger indtil 1536. København 2007, S. 56.

TOLERANZEDIKT, WAHLKAPITULATIONEN ODER RELIGIONSFRIEDEN? Der polnische Adel und die Warschauer Konföderation* Maciej Ptaszyński I. Während der langen königslosen Zeit nach dem Tod Sigismunds II. August aus der Dynastie Jagiellonen bereitete der Adel die Wahlbedingungen für den zukünftigen Herrscher vor. Neben der Wahlkapitulation wurde im Januar 1573 auf einer Zusammenkunft in Warschau ein weiteres Dokument vorgelegt. Es wurde die Warschauer Konföderation genannt, weil man Zusammenkünfte des Adels, die ohne den König durchgeführt wurden, traditionell als Konföderationen (lat. confoederatio) bezeichnete. Das schriftliche Abkommen des Adels sollte den Frieden im Land angesichts der Glaubensspaltung garantieren, unter anderem dadurch, dass es die freie Religionsausübung sicherte und den Protestanten Schutz vor Verfolgung gewährleistete.1 Als der neugewählte König mit der Bestätigung der Dokumente zunächst in Paris im August 1573, dann in Krakau im Februar 1574 zögerte, hörte er von den Anführern des Adels jedes Mal: „Wenn du nicht schwörst, so wirst du nicht regieren“ (si non iurabis, non regnabis).2 Dieser Aufsatz fragt nach den Gründen, weshalb die Adligen unbedingt darauf bestanden, dass der König die Artikel akzeptierte. Diese Frage betrifft sowohl den rechtlichen Status der Warschauer Konföderation, die in der Forschung als Wahlkapitulation, als Toleranzedikt oder als Religi* 1

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Die Vorbereitung des Aufsatzes wurde durch das Forschungsprojekt 2013/09/B/HS3/00604 von Narodowe Centrum Nauki gefördert. Der Forschungsstand und aktuelle Forschungsergebnisse besprochen in: Michael G. Müller: Dissidentes der religione Christianae in Polen-Litauen: Vom Interim (1552) zur Warschauer Konföderation (1573). In: Heinz Schilling, Heribert Smolinsky (Hg.): Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Wissenschaftliches Symposium aus Anlass des 450. Jahrestages des Friedensschlusses, Augsburg 21. bis 25. September 2005. Gütersloh 2007, S. 377–388; Michael G. Müller: ‘Nicht für die Religion selbst ist die Conföderation inter dissidentes eingerichtet...’ Bekenntnispolitik und Respublica-Verständnis in Polen-Litauern. In: Luise Schorn-Schütte (Hg.): Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. München 2004, S. 311–328; Stanisław Salmonowicz: Konfederacja warszawska. Warszawa 1985; Janusz T. Maciuszko: Konfederacja warszawska 1573 roku. Geneza, pierwsze lata obowiązywania. Warszawa 1984; Mirosław Korolko, Janusz Tazbir: Konfederacja warszawska 1573 r. Wielka karta polskiej tolerancji. Warszawa 1980; Stanislaw Grzybowski: The Warsaw Confederation of 1573 and Other Acts of Religious Tolerance in Europe. In: Acta Poloniae Historica 40 (1979), S. 75–96; Gottfried Schramm: Ein Meilenstein der Glaubensfreiheit. Der Stand der Forschung über Ursprung und Schicksal der Warschauer Konföderation von 1573. In: Zeitschrift für Ostforschung 24 (1975), S. 711–736. Über den Spruch: Wacław Sobieski: Si non iurabis, non regnabis. Spór o przysięgę królewską.

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onsfrieden interpretiert wird, als auch die Rolle des Adels, der während des Interregnums die Aufgaben des Souveräns übernahm. Es wird von der These ausgegangen, dass die Konföderation ein Ausdruck des adligen Standesbewusstseins war und sich gegen die konfessionellen Herrschaftsansprüche nicht allein der katholischen Kirche, sondern auch der Protestanten richtete. Um diese Fragen zu beantworten, müssen zuerst der Entstehungskontext der Konföderation rekonstruiert und der Inhalt der Wahlkapitulation erläutert werden. Dann ist nach der Bedeutung der Konföderation zu fragen, um schließlich in einem Fazit die Ergebnisse auf den Punkt zu bringen. II. Die Konföderation wurde zwar als politisches Bündnis geschlossen, ihre Entstehung wurzelt aber im zutiefst religiösen Kontext der königlichen Begräbniszeremonie. 1572 bis 1574 verabschiedete man sich nicht nur von einem König, sondern von einer ganzen Dynastie, die beinahe zweihundert Jahre lang in Polen und Litauen regiert hatte. Als Sigismund II. August aus dem Hause der Jagiellonen am 7. Juli 1572 starb, lebten noch Menschen, die den Tod seines Vaters Sigismund I. am 1. April 1548 bewusst erlebt hatten. Wegen langer Vorbereitungen wurde damals das Begräbnis des Königs erst knapp vier Monate später groß begangen.3 In Begleitung der Bischöfe und Stadtgeistlichen, der Angehörigen des Ältestenrats des Sejm (Senats) und Adligen, Herzog Albrecht von Preußen und von Gesandtschaften des Kaisers Karl V., des römischen Königs Ferdinand I., des Papstes, der Kürfürsten und zahlreicher kleinerer Herrscherhäuser wurde am 26. Juli 1548 der Leichnam vom Krakauer Schloss zum Dom getragen, wo er beigesetzt wurde. Den Gesandtschaften zog ein Ritter in königlichen Gewändern voraus und dahinter wurde die Leiche des Königs getragen. Dem Toten folgte die königliche Familie, angeführt von dem jungen Sigismund II. August. Am nächsten Tag wurde eine Prozession zu städtischen Kirchen und Friedhöfen unternommen. In vielen Reden und Predigten wurde der alte König als Muster der Tugendhaftigkeit gepriesen. Am 28. Juli fand im Dom die symbolische Regierungsübernahme statt. Nachdem der als alter König verkleidete Ritter sich auf die Trage hatte fallen lassen (apud feretrum cum impetu concidet), wurden dem jungen König die königlichen Insignien überreicht. Der königliche Helm, der Schild und das Schwert wurden auf den Altar gelegt, die königliche Lanze (hasta) wurde gebrochen. Die wichtigsten Beamten, der Kanzler und Vizekanzler, die die königliche Kanzlei geleitet hatten, sowie der Großmarschall

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In: Reformacja w Polsce 2 (1922), S. 54–70. Darüber vor allem: Julian Gołąb: Śmierć i pogrzeb króla polskiego Zygmunta I. In: Dwunaste Sprawozdanie Dyrekcji C.K. II Wyższej Szkoły Realnej w Krakowie za rok 1916. Kraków 1916, S. 1–48; vgl. Urszula Borkowska: Ceremoniał pogrzebowy królów polskich w XIVXVIII wieku. In: Jan Skarbek, Jan Ziółek (Hg.): Państwo. Kościół. Niepodległość. Lublin 1986, S. 133–160. Über den Tod Sigismunds I: Marek A. Janicki: Zgon króla Zygmunta I i znaczenie fiducji w jego pobożności. List Jana Benedyktowicza Solfy do Jana Dantyszka i królowej Bony do córki Izabeli. In: Studia Źródłoznawcze 37 (2000), S. 37–65.

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und der Hofmarschall, zerstörten ihre Amtsinsignien, Siegel und Stäbe. Diese rituelle Handlung wird für das Begräbnis Sigismunds I. in einer Ordo Funebris des Bischofs von Krakau und des Kanzlers Samuel Maciejowski zwar neu beschrieben, entsprach aber wahrscheinlich einer Tradition aus dem 15. Jahrhundert.4 Obwohl der König schon drei Monate zuvor, am 1. April 1548, gestorben war, wurden sowohl seine Präsenz als auch sein Tod während der Beisetzungszeremonien nochmals inszeniert. Der als König verkleidete Ritter, der hinter dem Sarg ritt, verkörperte das doppelte Wesen des Königs, das den Menschen überlebte. Bei der Regierungsübergabe war der König sogar in drei Personen anwesend. Sein toter Körper lag im Sarg, in Gestalt des verkleideten Ritters fiel er, und auf dem Königsthron saß er noch einmal in der Person des Nachfolgers. Dieser war eigentlich bereits ein mit Rechten ausgestatteter Herrscher, weil er schon 1529/30 als zehnjähriges Kind zum König gewählt und gekrönt worden war und dann, als er volljährig wurde, den königlichen Eid abgelegt hatte.5 Die königliche Präsenz war für die Gültigkeit der Rituale und für die damit kundgegebenen Entscheidungen erforderlich. Bei der Beisetzung Sigismunds II. August 24 Jahre später folgte man zwar demselben Ordo, aber die Situation war eine völlig andere. Da der König am 7. Juli 1572 in Knyszyn starb, mussten seine Eingeweide wegen des heißen Sommers rasch aus dem Körper entfernt und im benachbarten Königsschloss in Tykocin begraben werden.6 Im November 1573 wurde die Leiche unter großen Feierlichkeiten über Warschau weiter nach Krakau geführt, wo schließlich erst im Februar 1574 das Begräbnis organisiert wurde. Anderthalb Jahre war also der Leichnam des Königs nicht bestattet, und ebensolang wartete man auf die Wahl und den Amtsantritt des neuen Monarchen, dabei war die königliche Präsenz notwendig für das Wohlergehen des Landes und des Volkes. Polen-Litauen blieb also mehr als anderthalb Jahre ohne amtierenden König. Während des langen Interregnums ließen sich im Land apokalyptische Stimmen hören, die in vielen Aufzeichnungen und Berichten von Augenzeugen dokumentiert 4

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Ordo Pompe funebris Serenissimi Sigismundi Regis Poloniae, eine handschriftliche Fassung in: Biblioteka XX Czartoryskich, Krakau, Sign. 66; eine Abschrift in: Biblioteka Kórnicka, sygn. 241, S. 125–133; hg. in: Gołąb, Śmierć i pogrzeb (wie Anm. 3), S. 17. Vgl. auch die gedruckten Berichte: Petrus Royzius: Historia Funebris in obitu divi Sigismundi Sarmatiarum Regis, et ad Sigismundum Augustum filium admonitio. Cracoviae 1548; O Krzestianskim zesciu y Pogrzebie Krola Jego Miłosci Sigmunta Polskiego, pana nassego Miłosciwego [Krakau 1548]; Matthias Franconius: Von christlichen Abschidt auss diesem todlichen lebenn und begrebnus des durch leuchtigisteim Fürstenn unnd herrn herrn Sigemundtt Könige zu Polenn. Krockaw 1548. Über die Forschungsdebatte in: Ryszard Skowron: Ceremonial, Etiquette, Residence. Europeanism and Own Traditions at the Court of the Polish Kings 1370–1648. In: Werner Paravicini (Hg.): La cour de Bourgogne et l‘Europe. Le rayonnement et les limites d’un modele culturel. Ostfildern 2013, S. 773–784. Über die Wahl Sigismunds II August: Ludwik Kolankowski: Elekcya Zygmunta Augusta. In: Kwartalnik Historyczny 19 (1905), S. 531–558. Vgl. Ludwik Finkel: Elekcja Zygmunta I. Sprawy dynastii jagiellońskiej i unii polsko-litewskiej. Kraków 1910. Ausführlich beschrieben in: Wojciech Fałkowski: Majestat zmarłego króla – pogrzeb Zygmunta Augusta. In: Tadeusz Bernatowicz (Hg.): Polska i Europa w dobie nowożytnej. Warszawa 2009, S. 37–46. Wichtige Ergänzungen in der Rezension des Bandes von Marek A. Janicki in: Przegląd Historyczny 102 (2011), S. 511–523.

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sind.7 Anders als 24 Jahre zuvor wurden diesmal nicht nur die Tugenden des verstorbenen Herrschers gelobt, sondern auch seine Laster rücksichtslos kritisiert.8 Daher wurde der Tod des Königs in zahlreichen Flugschriften auch als Befreiung und Möglichkeit zur Landesreform dargestellt. Ein anonymer Verfasser behauptete sogar: „Unser großes Glück besteht darin, dass wir nach der Erneuerung der Freiheiten und Rechte der ganzen Welt zeigen, dass wir dank der Vorsehung Gottes weit anders als alle anderen Nationen [sind] und damit werden wir reich, dass wir zu der Zeit alle zusammen in diesem reichen Königreich Könige sind“.9 Eine Verfassungsreform schien also auch ohne den König möglich, indem die ganze Nation sich als Herrscher stilisierte. Diese Perspektive ging über die bisherigen Vorstellungen des Adels hinaus, die darin bestanden, die Gesetzgebung von der Genehmigung aller Stände, die im Parlament saßen, abhängig zu machen. Der in der unteren Parlamentskammer vertretene Adel erlangte zwar schon 1505 ein Privileg, wonach jedes neue Landesgesetz seiner Zustimmung bedurfte, aber dennoch kämpfte er im 16. Jahrhundert weiter gegen Versuche der Könige, Entscheidungen allein aus ihrem Rat zu treffen.10 Das 7

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Reinhold Heidenstein: Dzieje Polski od śmierci Zygmunta do r. 1594 ksiąg XII. Petersburg 1857, Bd. 1, S. 11, 13 („Dziwna obawa i troska o losy kraju osiadła wszystkich umysły… jakoby po śmierci jednego państwo całe razem z nim zaginąć miało“). Ähnliche Urteile bei anderen Historikern und Augenzeugen: Józef Turowski (Hg.): Kronika polska Marcina Bielskiego, Bd. 2. Sanok 1856, S. 1220–1223; Świętosław Orzelski: Interregni Poloniae Libros 1572– 1576, hg. v. Eduard Kuntze (Scriptores Rerum Polonicarum tomus XXII, Editionum Collegii Historici Academiae Litterarum Cracoviensis 75), Kraków 1917, S. 165–166. Vgl. dazu: Stanisław Płaza: Próby reform ustrojowych w czasie pierwszego bezkrólewia (1572–1574). Kraków 1969, S. 10–11; Stefan Gruszecki: Walka o władzę w Rzeczypospolitej Polskiej po wygaśnięciu dynastii Jagiellonów (1572–1573). Warszawa 1969, S. 10–11. Alexandre Petitot (Hg.): Mémoires de Jean Choisnïn, ou discours au vray de tout ce qui s‘est faict et passé pour l’entiere negociation de l‘election du roy de Pologne. In: Collection complète des Mémoires relatifs a l’histoire de France. Paris 1823, S. 28–29; Orzelski, Interregni (wie Anm. 7), S. 165–166; Alexander Kraushar: Nieznana relacya o śmierci Zygmunta Augusta (1572). In: Kwartalnik Historyczny 8 (1894), S. 437–440, hier: 440. Gdyżechmy przyszli na ten nieszczęsny wiek. In: Jan Czubek (Hg.): Pima polityczne z czasów pierwszego bezkrólewia. Kraków 1906, S. 147–160, hier: 147 („Gdyżechmy przyszli na ten nieszczęsny wiek, nie przeto mówię, nieszczęsny, żechmy są bez pana, bo to wielkie szczęście nasze, że wolności, swobody a prawa nasze odnowiemy, w nich się odrodzimy i onych skosztujemy, jako wielkie a zacne są z przodków naszych, które krwią szlachecką swą kupiwszy, do rąk nam podali a zwierzeli; wielkie szczęście nasze i w tym, że ponowiwszy wszytkich wolności, praw, swobód naszych, pokażemy się wszytkiemu światu, żechmy z przejrzenia Bożego daleko różni od wszytkich narodów i tym bogacichmy, że pod tym czasem razem wszyscy w tak możnej a bogatej Koronie jesteśmy królami“). Vgl. sehr ähnlich in: [Jan Dymitr Solikowski:] Prędka rada przed upadkiem. In: Ebd., S. 254 („Więtsza rzecz jest Rzeczpospolitą naprawić, mniejsza króla obrać“); vgl. Płaza, Próby reform (wie Anm. 7), S. 13–14. Ein zusammenfassender Überblick in: Wacław Uruszczak: Das Privileg im alten Königreich Polen (10. bis 18. Jahrhundert). In: Barbara Dölemeyer, Heinz Mohnhaup (Hg.): Das Privileg im europäischen Vergleich. Frankfurt/Main 1999, S. 253–274; Sławomir Baczewski: Szlachectwo. Studium z dziejów idei w piśmiennictwie polskim. Druga połowa XVI wieku – XVII wiek. Lublin 2009; Jarema Macieszewski: Szlachta polska i jej państwo. Warszawa 1986; Hans-Jürgen Bömelburg, Gabriele Haug-Moritz: Stand, Stände. In: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 12. Stuttgart 2010, Sp. 824–849.

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legislative Monopol des Reichstags (Sejm), auf dem der König zusammen mit den Amtsinhabern (Senatoren) und dem von den Landtagen gewählten Adel beriet, musste ständig betont und neu errungen werden. 1572/73 stellte sich also die Frage in umgekehrter Weise: Inwieweit dürfen die Stände ohne den König tagen 12und neues Recht verabschieden? Sigismund I. berief zwar 1529, 1534 bis 1535 und 1540 bis 1542 Reichstage ein, die in seiner Abwesenheit tagten, deren Entscheidungen blieben aber ohne königliche Bestätigung unverbindlich.11 Die in der zitierten Flugschrift verwendete Denkkonstruktion ließ aber auch offen, wer die „Nation der Herrscher“ überhaupt bilden sollte. Die Behauptung, dass alle Angehörigen der politischen Nation als Herrscher in der Republik fungierten, entsprach sehr viel mehr politischen Ansprüchen als der Realität. Seit der Verleihung der ersten Privilegien im 14. Jahrhundert bildete der Adel zwar de iure einen Stand, aber tatsächlich war seine Binnendifferenzierung enorm. Die politischen Spielräume wurden zum großen Teil durch den wohlhabenden Hochadel monopolisiert, dessen Oberschicht auch in der oberen Kammer des Parlaments (dem Senat) saß und den königlichen Rat bildete.12 Der Mittel- und Kleinadel, der die Abgeordnetenkammer bildete, gewann langsam an politischer Bedeutung, sodass die mächtigen Amtsinhaber und der Hochadel bereits um 1500 versuchten, ihre Politik in Anlehnung an den Mitteladel zu betreiben.13 Die Auseinandersetzungen zwischen Hoch- und Kleinadel gipfelten in Konflikten um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Ein Senator aus einer einflussreichen Familie, Rafał Leszczyński, verzichtete 1551 ebenso wie ein zweiter Clodius auf die Ämter, die ihm den Zugang zum Senat verbürgten, um in der Abgeordnetenkammer als Adelsführer Politik betreiben zu können.14 Symbolisch verkörpert wurde diese neue politische Rolle des Adels durch das Erscheinen des Königs auf dem Reichstag 1562/63 in der grauen Tracht des Adels.15 Während des Interreg11 12

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Anna Dembińska: Zygmunt I: zarys dziejów wewnętrzno-politycznych w latach 1540–1548. Poznań 1948, S. 12–13. Vgl. auch Wojciech Fałkowski: Sejmy bez króla, 1440 – 1446. In: Janusz Smołucha et al. (Hg.): Historia vero testis temporum. Kraków 2008, S. 235–255. Hans-Jürgen Bömelburg: Die polnisch-litauischen Magnaten als imperiales Personal und übergreifende Herrschaftselite. In: Stephan Wendehorst (Hg.): Die Anatomie frühneuzeitlicher Imperien. Herrschaftsmanagement jenseits von Staat und Nation: Institutionen, Personal und Techniken. Berlin 2015, S. 195–210; Hans-Jürgen Bömelburg: Die Magnaten: Avantgarde der Ständeverfassung oder oligarchische Clique? In: Joachim Bahlcke, Hans-Jürgen Bömelburg, Norbert Kersken (Hg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.-18. Jahrhundert. Leipzig 1996, S. 119–133. Dieses Programm ist vor allem mit den Gestalten des Kanzlers Krzesław Kurozwęcki und des Erzbischofs Jan Łaski verbunden. Irena Sułkowska-Kuraś: Kurozwęcki Krzesław. In: Polski Słownik Biograficzny, Bd. 16. Kraków 1971, S. 272–273; Wojciech Kujawski: Krzesław z Kurozwęk jako wielki kanclerz koronny i biskup włocławski. In: Studia z historii Kościoła w Polsce 8 (1987), S. 1–152; Wojciech Fałkowski: Elita władzy w Polsce za panowania Kazimierza Jagiellończyka. Warszawa 1992, S. 164–168; Zbigniew Zyglewski: Polityczna i aktotwórcza działalność kanclerza Krzesława z Kurozwęk i podkanclerzego Grzegorza z Lubrańca w latach 1484–1495. Bydgoszcz 2007; Piotr Tafiłowski: Jan Łaski (1456–1531), kanclerz koronny i prymas Polski. Warszawa 2007, S. 52–54. Maria Sipayłło: Leszczyński Rafał, Polski Słownik Biograficzny. Wrocław 1972, Bd. 17, S. 132–135. Joachim Bielski (Hg.): Kronika Polska Marcina Bielskiego. Kraków 1591, S. 612 („król do

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nums eskalierte die schon fast hundert Jahre währende Auseinandersetzung zwischen Kleinadel und Hochadel neuerlich. Um über die künftige Lage des Königreichs ohne Adel und ohne die Familie des Königs entscheiden zu können, trafen sofort nach dem Tod des Königs an vielen Orten Senatoren zusammen16. Die Devise „Erneuerung der Freiheiten“ war aber mehr als nur eine Floskel. In diesen Versammlungen wurde nämlich nicht nur über die Wahl des Königs diskutiert, sondern auch die Idee einer Kodifizierung der Grund- und Wahlrechte formuliert.17 Im Juli 1572 beschloss eine Gruppe von Senatoren in Łowicz, einen konfessionell gemischten Ausschuss von Senatoren zu berufen, der eine „Korrektur der Rechte“ vorbereiten sollte. Die correctio iurium, die seit mehr als fünfzig Jahren zu den Grundbegriffen der ständischen Politik gehört hatte, wurde jetzt zum ersten Mal in Abwesenheit des Königs formuliert.18 Diese Korrektur ging über die aus früheren Wahlen bekannten Auseinandersetzungen über die Formel der Rechtebestätigung hinaus.19 Der verstorbene König war im Land immer noch körperlich präsent und verlieh daher den Verhandlungen seine Autorität. Bei der Leiche des verstorbenen Königs in Knyszyn traten Senatoren aus Kleinpolen einen Monat später (24. bis 31. August 1572) zusammen, um einen Ausschuss zur Vorbereitung der verbesserten Rechte und Privilegien zu berufen.20 Es wurde aber nicht nur über die Korrektur der Rechte durch die Senatoren, sondern auch über die Vorbereitung neuer Gesetze unter Beteiligung des Adels gesprochen: „Vor der Wahl eines neuen Herrschers ist es nötig, unsere Rechte in eine richtige Ordnung zu bringen, unsere Freiheiten, wenn sie in irgendeinem Punkt verletzt worden sind, zu verbessern und, was ihnen noch fehlt, hinzuzufügen“21. Die Senatoren konnten aber nicht erreichen, den Klein- und Mit16

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Piotrkowa przyjechał dwór swój wszystek w szarzą ubrawszy, barwę tę ziemiańską nazywając“). Die Zusammenkünfte fanden statt in Łowicz (16–23.07), in Chróślin (14.08), in Knyszyn (24– 31.08), in Warschau (9.10), in Łomża (9.10), in Kaski (24.10–1.11), vgl. Ewa Dubas-Urwanowicz: Koronne zjazdy szlacheckie w dwóch pierwszych bezkrólewiach po śmierci Zygmunta Augusta. Białystok 1998, S. 91–92. Płaza, Próby reform (wie Anm. 7), S. 36–38; Gruszecki, Walka (wie Anm. 7), S. 53–55; Dubas-Urwanowicz, Koronne zjazdy (wie Anm. 16), S. 91–94. Grundlegende Untersuchung über die Tradition: Wacław Pociecha: Walka sejmowa o przywileje Kościoła w Polsce w latach 1520–1537. In: Reformacja w Polsce 2 (1922), S. 161–184. Zuletzt: Urszula Augustyniak (Hg.): Państwo świeckie czy księże? Spór o rolę duchowieństwa katolickiego w Rzeczypospolitej w czasach Zygmunta III Wazy. Wybór Tekstów. Warszawa 2013, S. 7–128. Wojciech Fałkowski: Potwierdzenie praw przez Kazimierza Jagiellończyka w 1453 r. In: Zenon Piech (Hg.): Miasta, ludzie, instytucje, znaki. Kraków 2008, S. 59–76; Grzegorz Błaszczyk: Burza koronacyjna. Dramatyczny fragment stosunków polsko-litewskich w XV wieku. Poznań 1998; Urszula Borkowska: Dynastia Jagiellonów w Polsce. Warszawa 2011, S. 36–78. Płaza, Próby reform (wie Anm. 7), S. 48–49, Fußn. 44; Gruszecki, Walka (wie Anm. 7), S. 76– 83; Dubas-Urwanowicz, Koronne zjazdy (wie Anm. 16), S. 40–41, 113. Über die Bedeutung der Leiche des Königs: Wojciech Fałkowski: Majestat zmarłego króla – pogrzeb Zygmunta Augusta. In: Tadeusz Bernatowicz (Hg.): Polska i Europa w dobie nowożytnej. Warszawa 2009, S. 37–46. Biblioteka XX. Czartoryskich, Kraków, Sign. 80, fol. 275–276, 291 („Iż pilna tego potrzeba przed obraniem nowego pana, abyśmy prawa swe w porządek słuszny wprawili i wolności naszych, jeśliby w czem naruszone były, poprawili i czegoby jeszcze potrzebowały, tego dołożyli“).

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teladel von der Wahl und von der Verfassungsdebatte auszuschließen. In den folgenden Monaten fanden in allen Provinzen Polen-Litauens Zusammenkünfte des Adels und Landtage statt, auf denen über die Kataloge der Rechte und Privilegien sowie über das Gerichts- und Militärwesen diskutiert wurde. III. Im Zuge der Vorbereitung der Königswahl und der Aushandlung der neuen Rechte trafen sich die Vertreter des Adelsstandes im Januar 1573 in Warschau. Es handelte sich nicht mehr um ein lokales Treffen der Senatoren oder des Adels, sondern um eine Zusammenkunft der Stände aus dem ganzen Land, um allgemeingültige Entscheidungen zu treffen. Das Recht, Land- und Reichstage einzuberufen, stand ausschließlich dem König zu, dessen Kanzlei vor jedem Reichstag Einladungen an die Senatoren, Beamten und den Adel schickte und die Tagesordnung festlegte. Um die Bezeichnung „Reichstag“ (Sejm) zu vermeiden, sprach man also von einer Konvokation (convocatio).22 Die Versammelten vereinbarten, über die Königswahl im April in Warschau zu entscheiden und jedem Adligen ein persönliches Recht zur Teilnahme zu gewährleisten (electio viritim). Im Rahmen der Wahlvorbereitung wurde darüber hinaus ein Dokument vorgelegt, das die Konfessionsfrage regelte. Den Text hatte zwischen dem 27. und dem 29. Januar 1573 ein gemischtkonfessioneller Ausschuss vorbereitet, von dem acht Mitglieder aus der höheren Kammer des Reichstags (dem Senat) und weitere acht aus der Abgeordnetenkammer stammten.23 Tonangebend beim Abschluss der Konföderation waren die protestantischen Adligen Jan Firlej (1521–1574) und Piotr Zborowski (gest. 1580), von denen der Tradition zufolge auch die Drohung stammt „si non iurabis, non regnabis“.24 Zum Vorsitzenden des Ausschusses wurde Bischof Stanisław Karnkowski (1520–1603) gewählt, der aber Warschau verließ, nachdem am 27. Januar die erste Fassung der Konföderation vorgelegt worden war.25 Trotz der Proteste der Bischöfe und des katholischen Adels aus Masowien wurde das Dokument am 29. Januar von der Mehrheit der Anwesenden angenommen. Da es sich nicht um einen Reichstag handelte, war Einstimmigkeit nicht erforderlich. Vor der Königswahl, die im April und Mai 1573 in Warschau stattfand, wurde die Konföderation von einer Reihe von Landtagen bestätigt. Dennoch löste sie einen heftigen Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken aus, der nach dem 28. April ausbrach und sogar die Königswahl störte. Angesichts der Gefahr, dass die Königswahl hätte scheitern können, sahen die Katholiken sich gezwungen, die Konföderation zu 22 23 24 25

Stanisław Grodzicki, Irena Dwornicka, Wacław Uruszczak (Hg.): Volumina Constitutionum. Warszawa 2005, Bd. 2, T. 1, Nr. LXXIV, S. 304–307; Władysław Konopczyński: Konwokacja. In: Studia historyczne ku czci Stanisława Kutrzeby, Bd. 1. Kraków 1938, S. 251. Ereignisse wurden detailliert dargestellt in: Mirosław Korolko: Klejnot swobodnego sumienia. Warszawa 1974, S. 41–57; Maciuszko, Konfederacja (wie Anm. 1), S. 138–149. Sobieski, Si non iurabis (wie Anm. 2). Halina Kowalska: Karnkowski Stanisław. In: Polski Słownik Biograficzny. Wrocław 1966– 1967, Bd. 12, S. 77–82.

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akzeptieren. Am 12. Mai wurde sie mit siebzehn Unterschriften und 206 Siegeln bestätigt und auf den 28. Januar 1573 rückdatiert.26 Die Rückdatierung des Dokuments könnte darauf hindeuten, dass die Entscheidungen des „Konvokationsreichstags“ und nicht die des Wahlreichstags als verbindlich angesehen wurden. Die Domkapitel und die katholischen Bischöfe verweigerten die Anerkennung der Konföderation. Aus dem Kreis der kirchlichen Oberhäupter setzte nur der Bischof von Krakau, Franciszek Krasiński, seine Unterschrift und sein Siegel unter die Urkunde.27 Die Debatte um die Konföderation und um die Verfassungsreform wurde dadurch beeinflusst und beschleunigt, dass sich um den polnischen Königsthron Vertreter großer europäischer Dynastien bewarben, nämlich Ernst von Habsburg, Ivan IV., „der Schreckliche“, und Heinrich von Valois, der spätere Heinrich III. von Frankreich. Der Text der Konföderation wurde wahrscheinlich unter dem Eindruck der Bartholomäusnacht in Frankreich (23./24. August 1572) entworfen. Heinrich von Valois (1551–1589), Herzog von Anjou, galt der hugenottischen Propaganda zufolge, die aus Frankreich und der Schweiz nach Polen gelangte, als Mitverantwortlicher für das Massaker.28 Was aber stand in dem Dokument, das zwischen dem 27. und 29. Januar vorbereitet und am 12. Mai 1573 verabschiedet wurde? Und weshalb waren die katholischen Bischöfe und Domkapitel so sehr empört? Gemäß der Konföderation verpflichteten sich alle Mitglieder der polnischen Nation, während des Interregnums Frieden, Gerechtigkeit, Ordnung und den Schutz der Republik zu bewahren und zu gewährleisten (Art. 1). Diese Verpflichtung betraf vor allem die Königswahl. Kein Stand durfte sich von den anderen lossagen, um eine separate Wahl zu veranstalten. Außerdem sollte der gemeinsam gewählte König nach seiner Wahl die grundlegenden Rechte bestätigen, zu denen auch die Forderung gehörte, den Frieden unter den vielen Konfessionen zu wahren (Art. 2). Weiterhin verpflichteten sich alle Unterzeichner, untereinander Frieden zu halten und in Angelegenheiten der Glaubensspaltung weder Blut zu vergießen noch vor Gericht zu gehen (Art. 3). Schließlich betonten die Verfasser, dass diese Bestimmungen den Befugnissen der Obrigkeit, 26

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Das Original befindet sich im Archiwum Główne Akt Dawnych w Warszawie, Zbiór dokumentów pergaminowych, Sign. 4467; eine gedruckte Fassung: Konstytucyje, statuta i przywileje na walnych sejmach koronnych od 1550 aż do roku 1578 uchwalone, Kraków 1579, fol 119v–120v. Der Text der Konföderation wurde mehrfach herausgegeben, zuletzt in: Volumina Constitutionum (wie Anm. 22), Bd. 2, T. 1, S. 306–307. Über die Siegel und Unterschriften: Włodzimierz Budka: Kto podpisał konfederację warszawską 1573 r. In: Reformacja w Polsce 1 (1921), S. 314–319. Vgl. auch die Informationen auf der Internetseite des Archivs: http://agad.gov.pl. Wacław Urban: Krasiński Franciszek, Polski Słownik Biograficzny. Wrocław 1970, Bd. 15, S. 171–175. Wacław Sobieski: Polska a hugenoci po Nocy św. Bartłomieja. Kraków 1910; Janusz Tazbir: Walezy w opinii jego poddanych. In: Przegląd Humanistyczny 33 (1989), S. 1–15; Ders.: Polskie echa Nocy św. Bartłomieja. In: Odrodzenie i Reformacja w Polsce 20 (1975), S. 20–43; Ewa Dubas-Urwanowicz: Polskie opinie o Hanryku Walezym. Oczekiwania a rzeczywistość. In: Przegląd Historyczny 81 (1990), S. 61–68; Maciej Serwański: Henryk III Walezy w Polsce. Stosunki polsko-francuskie w latach 1566–1576. Kraków 1976, S. 49–97; Robert M. Kingdon: Myths about the St. Bartholomew’s Day Massacre 1572–1576. Cambridge 1988; Marc P. Holt: The French Wars of Religion, 1562–1629. Cambridge 2005, S. 27–28.

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der die Jurisdiktion in geistlichen und weltlichen Dingen zustehe, nicht abträglich sein sollten (Art. 4). Rein formal war die Konföderation also keine Wahlkapitulation, das heißt kein Katalog der Bedingungen, deren Erfüllung ein zukünftiger Herrscher zusagen musste.29 Vielmehr war die Konföderation eine gegenseitige Verpflichtung der Stände, die Wahl reibungslos durchzuführen und dem neuen König eine Wahlkapitulation vorzulegen, im Unterschied zu den Articuli Henriciani und den Pacta Conventa, die auf dem Wahlreichstag im April 1573 verfasst wurden. Die Pacta Conventa beinhalteten die persönlichen Verpflichtungen Heinrichs, darunter Auslandsstipendien aus der königlichen Kasse für den Adel, finanzielle Unterstützung der Krakauer Universität, Rückzahlung der Schulden des verstorbenen Königs und Abschluss eines Vertrags zwischen Polen und Frankreich. In Heinrichs Artikeln wurden 22 Punkte zusammengefügt, die die Grundrechte der Republik in eher ungeordneter Form festlegten.30 Wer waren die Stände, die in der Arenga als Aussteller der Konföderation genannt werden? Die Verfasser bezeichnen sich selbst als „geistliche und weltliche Räte und ganze Ritterschaft und andere Stände der ganzen und ungeteilten Republik […], sowie die Städte der Krone“.31 Damit wird die gesamte polnische Nation zur Ausstellerin der Konföderation, worin eine gewisse Ähnlichkeit zum Konzept der „Nation der Herrscher“ zum Ausdruck kommt. Zu dieser politischen Nation gehörte hier vor allem der Adel. Mit den Räten sind sicherlich die Mitglieder der höheren Kammer des Reichstags (das heißt des Senats) gemeint. Der Ausdruck „geistliche Räte“ bezieht sich ausschließlich auf die katholischen Bischöfe, die eine Hälfte des Senats bildeten. „Ritterschaft und andere Stände der ganzen und nicht geteilten Republik“ bezeichnet den übrigen Adel. Als dritte Gruppe werden die königlichen, das heißt nicht dem Adel oder der Kirche unterstellten Städte genannt. Der deutsche Übersetzer der Konföderation bezeichnete die königlichen Städte kurzerhand als „Reichsstädte“, die Reichsunmittelbarkeit genossen.32 Unter den Ständen blieb der abwesende Monarch unberücksichtigt, aber über die königlichen Städte wurde dennoch entschieden.

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Heinz Duchhardt (Hg.): Wahlkapitulationen in Europa. Göttingen 2015, S. 9–10. Maciej Ptaszyński: Die polnischen Wahlkapitulationen des 16. Jahrhunderts und ihr Fortleben im 17. Jahrhundert. In: Duchhardt, Wahlkapitulationen (wie Anm. 29), S. 59–72. Die Originalfassung: „My Rady koronne, duchowne i świeckie i Rycerstwo wszytko i stany insze jednej a nierozdzielnej R. P. z Wielkiej i Małej Polski, Wielkiego Księstwa Litewskiego, Kijowa, Wołynia, Podliasza, z ziemie Ruskiej, Pruskiej, Pomorskiej, Zmodzkiej, Liffianczkiej i miasta koronne“. Die Deutsche Übersetzung der Warschauer Konföderation gedruckt: Confoederations Articul der Gesambten Polnischen Reichs Staende, welche anno 1573 bey wehrendem Interregno auff allgemeinen Landtage zu Warsaw geschlossen und unverbruechlicher Festhaltung offentlich und gantz eyferig beschworen worden, [Krakau 1573?]; Christian Preuße (Hg.): Die Warschauer Konföderation 1573. In: Themenportal Europäische Geschichte (2011). http://www.europa.clioonline.de/2011/Article=506 (28.09.2016). Über die Städte in Polen: Igor Kąkolewski: Sozialverfassung und adlige Privilegiensicherung. In: Michael G. Müller (Hg.): Polen in der europäischen Geschichte, Bd. 2: Frühe Neuzeit. Stuttgart 2017, S. 61–90, hier: 64–67.

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Trotz der Ablehnung durch die Bischöfe wurde das Dokument so stilisiert, als sei es mit einstimmiger Entscheidung der ganzen Gesellschaft zustande gekommen, was mit der Verwendung des Pronomens „wir“ und dem Republikbegriff hervorgehoben wurde.33 Das Republikkonzept, das schon seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im politischen Diskurs präsent war und in der Regierungszeit Sigismunds II. August einen absoluten Triumph feierte, wurde hier gebraucht, um der Souveränität der Stände Ausdruck zu geben.34 Im 16. Jahrhundert hatte der Republikbegriff noch keine explizit antimonarchische Bedeutung, und 1572/73 lassen sich in der Publizistik erstmals Stimmen vernehmen, die der Meinung waren, die Republik könne sich erst in Abwesenheit des Königs voll entfalten. Das antike Konzept wurde zwar der Ständegesellschaft angepasst, hatte aber immer einen gemeinschaftlichen Unterton, der alle Bürger für das Gemeinwohl des Landes verantwortlich machte. Deswegen beinhaltete es immer eine gewisse Skepsis gegenüber den Institutionen, mit Ausnahme des Parlaments, das allerdings eher als republikanischer Kommunikationsraum als als monarchische Institution wahrgenommen wurde. Vielleicht lag es ja gerade am republikanischen Denkrahmen, dass in der Konföderation weder die Kirchen als Institutionen noch die protestantischen Konfessionen oder der königliche Beamtenapparat eigens Erwähnung finden. Wegen der Abwesenheit der Institutionen neigte der Historiker Michael G. Müller zu der Feststellung, dass die Konföderation „allein auf das Prinzip der individuellen Glaubensfreiheit ausgerichtet“ war.35 Dieses Individualitätsprinzip muss sowohl ständebezogen als auch vorkonfessionell verstanden werden. Wenn also die Konföderation nur eine gegenseitige Verpflichtung der Stände war, die dazu diente, die Königswahl möglichst reibungslos zu vollziehen, stellt sich die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass die Konföderation als Wahlkapitulation verstanden wurde, und weshalb sie nach erfolgter Wahl ihre Geltung bewahrte. Darüber wurde am 17. Mai 1573 während des Wahlreichstags entschieden, als die Konföderation in den Articuli Henriciani erwähnt wurde. Im zweiten Punkt der Artikel heißt es nämlich, dass der König mit der Annahme der Artikel auch die Konföderation bestätige, die „angesichts [der Anzahl] der Dissidentis in religione“ beschlossen worden sei.36 In seinem Eid wurde dem König auch die Ver33 34

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Nicht für alle war dieses Konzept evident, was wieder die deutsche Übersetzung beweist, wo an Stelle des Republikbegriffs von den „Ständen dieses geeinigten und ungetrennten KoenigReichs“ die Rede war. Dorota Pietrzyk-Reeves: Ład rzeczypospolitej. Polska myśl polityczna XVI wieku a klasyczna tradycja republikańska. Warszawa 2012; Stanisław Kot: Wpływ starożytności klasycznej na teorye polityczne Andrzeja Frycza z Modrzewa. In: Rozprawy Akademii Umiejętności. Wydział Historyczno-Filozoficzny, Serie II, Bd. 29. Kraków 1911, S. 231–323; Maciej Ptaszyński: Republik, Politische Freiheit und Reformation in Polen. In: Beat Kümin (Hg.): Politische Freiheit und republikanische Kultur im Alten Europa. Historische Essays zum Gedenkjahr „Gersau 2014“. Vitznau/Schweiz 2014, S. 80–88: Michael Müller, Kolja Lichy: Die polnischlitauische respublica - ein verfassungsgeschichtlicher Sonderweg. In: Müller, Polen (wie Anm. 32), S. 791–816. Müller, „Nicht für die Religion selbst…“ (wie Anm. 1), S. 316. Articuli Henriciani. In: Archiwum Głównych Akt Dawnych, Metryka Koronna, Bd. 112, fol. 12r–17v; herausgegeben in: Volumina Constitutionum (wie Anm. 22), Bd. 2, T. 1, S. 326–329.

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pflichtung auferlegt, den Frieden und die Ruhe inter dissidentes de religione (zwischen den Dissidenten) zu bewahren.37 Die Konföderation wurde also zu einem Teil der Wahlkapitulation, indem ihre Bestätigung durch den König in Heinrichs Artikeln explizit verlangt und im königlichen Eid ausdrücklich vorausgesetzt wurde. Der Ablauf der Regierungsübernahme durch den neugewählten König Heinrich von Valois beweist, dass die Bestätigung der Konföderation keine Wahlbedingung sine qua non darstellte. Die französische Gesandtschaft, die sich für Heinrich um den polnischen Königsstuhl bewarb, musste im Mai 1573 alle Dokumente im Namen des zukünftigen Königs bestätigen. Ein Führer der Protestanten verlangte von der Gesandtschaft, neben der Wahlkapitulation auch die Konföderation zu bestätigen. Die Franzosen taten das aber mit der Bemerkung ab, darin gehe es um irrelevante Dinge.38 Anschließend wurde eine Delegation nach Paris geschickt, um von Heinrich eine zusätzliche Bestätigung der Wahlkapitulation zu erhalten. Die Delegation führte mit sich nach Paris die Articuli Henriciani, die Pacta Conventa, den königlichen Eid in der neuen Fassung, das heißt mit der Religionsfriedensklausel, sowie die sogenannten Postulata Polonica, die eine Verbesserung der Lage der Hugenotten in Frankreich verlangten.39 Nach langen Verhandlungen legte schließlich Heinrich den Eid im September 1573 in der Kathedrale Notre Dame in Paris ab. Als er dann im Februar 1574 nach Polen kam, musste er alle Dokumente erneut bestätigen. Während der Zeremonie der Eidesleistung in der Krakauer Schlosskirche schwor er den Eid nach der alten, mittelalterlichen Fassung, also ohne die Formel über den Frieden zwischen den im Glauben Divergierenden. Als die Anführer des Adels mit dem neuen Eid und den Articuli Henriciani zu ihm kamen, entstand in der Kirche große Unruhe. Sie wurde gestillt durch eine Erklärung, dass der König den neuen Eid und die Wahlkapitulation ebenfalls annehme.40 Tatsächlich, so scheint es, bestätigte der König am 20. Februar zwei Eidesfassungen, eine neue und eine alte, aber gewiss nicht die Warschauer Konföderation. Heinrichs kurze Regierung in Polen wurde dadurch aber weder gestört noch beeinträchtigt. Im April 1574 proklamierte der neue König eine Bestätigung der Rechte (confirmatio iurium), womit er auch öffentlich erklärte, die Entscheidung über die umstrittenen Artikel (contro-

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Eine ausführliche Besprechung in: Dariusz Makiłła: Artykuły Henrykowskie (1573–1576). Geneza – obowiązywanie – stosowanie. Studium historyczno-prawne. Warszawa 2012, S. 111–354. Iuramentum regis Poloniae. In: Emmanuel Henri Victurnien, marquis de Noailles: Henri de Valois et la Pologne en 1572. Paris 1863, Bd. 3, S. 464–465. Petitot, Mémoires (wie Anm. 8), S. 160–161; Gruszecki, Walka o władzę (wie Anm. 7), S. 272—273; Makiłła, Artykuły (wie Anm. 36), S. 14, 29, 51. Adam Przyboś, Roman Żelewski (Hg.): Diariusz poselstwa polskiego do Francji po Henryka Walezego w 1573 roku. Wrocław 1963, S. 148; Orzelski, Interregni (wie Anm. 7), S. 182; Postulata Polonica herausgegeben in: Sobieski, Polska a hugenoci (wie Anm. 28), S. 185–190; Paweł Skwarczyński: Rokowania polsko-litewsko-francuskie w Polsce i w Paryżu w 1573 r. Etap końcowy. In: Teki Historyczne 6 (1953–1954), S. 125–144; Płaza, Próby reform (wie Anm. 7), S. 129. Orzelski, Interregni (wie Anm. 3), S. 178–182; Wacław Sobieski (Hg.): Opis koronacji Henryka Walezego. In: Reformacja w Polsce 2 (1922), S. 132–138; Ders., Si non iurabis (wie Anm. 2), S. 55; Płaza, Próby reform (wie Anm. 7), S. 153.

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verses articulos), die nicht nur in Krakau, sondern bereits in Frankreich kontrovers waren, werde auf Landtagen getroffen.41 Angesichts dessen war die Konföderation also keine Wahlkapitulation, sie wurde weder als solche verabschiedet noch als solche verstanden. Weder Heinrichs Krönung noch seine Regierung wurden durch die Ablehnung der umstrittenen Punkte wirklich in Frage gestellt. Selbstverständlich konnte die Zeremonie von unzufriedenen Anführern des Adels gestört werden, aber danach gab die Ablehnung der Konföderation keinen Anlass mehr zu Widerstand. Ebenso wenig lässt sich die These vertreten, die Konföderation sei ein Religionsfrieden gewesen, es sei denn, dass man mit Eike Wolgast jedes politische Abkommen über Religionsfragen in der Reformationszeit derart bezeichnen wollte.42 Die konfessionelle Lage in Polen war zwar angespannt, aber es kam zu keinen militärischen Auseinandersetzungen, die mit einem Frieden hätten beigelegt werden müssen. Die ersten Wanderprediger gab es in Polen schon während der Frühreformation, aber erst seit dem Beginn der Herrschaft Sigismunds II. August wurden die Pastoren in städtischen und ländlichen Gemeinden offiziell als Pfarrer angestellt. Trotz der Proteste der katholischen Obrigkeit trafen sich seit 1550 die Vertreter der Gemeinden auf lokalen Synoden.43 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts genossen mehr als dreihundert protestantische Gemeinden auf adligen Gütern und in Städten relativ große Freiheit und Frieden trotz der antiprotestantischen Gesetzgebung der Jahre 1520 bis 1544. Die Gesetze gegen Häresie und gegen den Protestantismus wurden zwar nie aufgehoben, aber die weltliche Exekution der kirchlichen Urteile wurde durch Sigismund II. August ausgesetzt (1552, 1555/1556, 1563).44 Der König, der selbst lange Zeit unter protestantischem Einfluss stand, passte sich der Mehrheit der Reichstagsabgeordneten an, die in seiner Regierungszeit protestantisch war.45 Ähnlich wie im Heiligen Römischen Reich entschied man sich also für eine politische Lösung, um eine friedliche Koexistenz der Konfessionen zu ermöglichen. Weder der religiöse Dialog (wie Religionsgespräche), noch eine theologische via media (wie das Augsburger Interim von 1548), sondern ein politisches Abkommen sollte die politische Stabilität der Gesellschaft und der Institutionen

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Volumina Constitutionum (wie Anm. 22), Bd. 2, T. 1, Nr. 76, S. 332–334 („co się tknie controversos articulos, o ktorych nie tylko tu, ale ieszcze i we Francyi był niemały spór, tedy o nich na sejmikach powiatowych od Nas sprawę dostateczną weźmiecie“). Eike Wolgast: Religionsfrieden als politisches Problem der frühen Neuzeit. In: Historische Zeitschrift 282 (2006), S. 59–96. Synodalien der Reformierten Kirchen in: Maria Sipayłło (Hg.): Akta Synodów Różnowierczych w Polsce. Warszawa 1966, Bd. 1. Synodalien der lutherischen Kirchen in: Gottfried Smend (Hg.): Die Synoden der Kirche Augsburgischer Konfession in Großpolen im 16., 17. und 18. Jahrhundert. Posen 1930. Einen Überblick in: Maciej Ptaszyński: The Polish-Lithuanian Commonwealth. In: Graeme Murdock, Howard Louthan (Hg.): A Companion to the Reformation in Central Europe. Cambridge 2015, S. 40–67. Irena Kaniewska: Małopolska reprezentacja sejmowa za czasów Zygmunta Augusta 1548– 1572. Kraków 1974; Irena Kaniewska, Wacław Uruszczak, Marek Ferenc, Janusz Byliński (Hg.): Posłowie ziemscy koronni 1493–1600. Warszawa 2013.

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gewährleisten. Die Konföderation von 1573 war also in dieser Hinsicht lediglich eine Perpetuierung der früheren Beschlüsse und eine Sicherung des Status quo. Die Warschauer Konföderation hatte nur wenig Einfluss auf die Lage der protestantischen Gemeinden. Diese bezog sich weder auf Glaubensbekenntnisse noch auf Konfessionskirchen als Subjekte, sondern definierte die Religionsfreiheit in Kategorien der adligen und städtischen Ständefreiheiten. Das wird vor allem an den Stellen deutlich, wo die Subjekte der Konföderation mittels der vorkonfessionellen Begrifflichkeit beschrieben werden. Die Verfasser bezeichnen sich im polnischsprachigen Text lateinisch als dissidentes de religione oder, in einer anderen Fassung, als dissidentes in religione. Unabhängig von dem kleinen semantischen Unterschied zwischen „in“ und „de“ steht außer Zweifel, dass mit diesem Ausdruck nicht nur Protestanten gemeint waren, die im Begriff waren, sich vom Glauben beziehungsweise von der Kirche abzuspalten. Vielmehr ging es um Protestanten und Katholiken, die untereinander über die wahre Religion uneins waren. Der Begriff dissidentes war ein Versuch, der konfessionell heterogenen Gesellschaft rechtmäßige Autorität zu geben. Diese Bezeichnung war weit von „dem absoluten Wahrheitsanspruch“ der konfessionellen Kirchen entfernt, was nicht überraschen kann, da das Ziel des Dokuments ja nicht in der Wahrheitsfindung lag, sondern in der Herbeiführung und Bewahrung des Friedens, der Gerechtigkeit und der Ordnung sowie in der Verteidigung der Republik (pokoy, sprawiedliwość, porządek y obroną Rzeczypospolitey). Sicher kann man daraus ein Echo der Vereinbarungen hören, die seit Beginn der Reformation vorbereitet worden waren, um „die Glaubens- und Wahrheitsfrage in eine Rechtsfrage zu transformieren“46. Im Unterschied zu vielen früheren Verträgen, die in Europa geschlossen wurden, war die Gültigkeit der Konföderation nicht auf die Zeit bis zu einem nationalen oder einem Generalkonzil begrenzt, sondern nach der Bestätigung in den Wahlkapitulationen hatte das Dokument ähnlich wie der Religionsfrieden von St. Germain (1570) zeitlich unbegrenzt Geltung.47 Vielleicht kam hier aber auch wieder der vorkonfessionelle Republikanismus zur Sprache, der die politischen und gesellschaftlichen Normen autotelisch definiert. Mit dieser Auffassung waren weder überzeugte Katholiken noch überzeugte Protestanten wirklich zufrieden. Ein Augenzeuge der Debatten um die Konföderation und ihre Auslegung, Świętosław Orzelski (1549–1598), notierte: „Manche lobten die Konföderation, andere wollten sie nur auf die Augsburgische und die Römische Konfessionen begrenzen, noch andere wollten alle Sekten zulassen. Es gab auch solche […], die sie so auslegen wollten, dass die Augsburgische und die Römische Konfessionen für alle frei wären, aber die anderen [Bekenntnisse] nur dem Adel vorbehalten“.48 Die katholischen Bischöfe verlangten, den Artikel um eine Klausel salvis iuribus ecclesiae catholicae zu ergänzen. Jede Konfessionskirche wollte die Konföderation für sich gewinnen und das vorkonfessionelle Vokabular mit eigenen Inhalten füllen. 46 47 48

Zit. in: Wolgast, Religionsfrieden (wie Anm. 42), S. 60. Vgl. Wolgast, Religionsfrieden (wie Anm. 42), S. 76; Hugues Daussy: Le Parti Huguenot: chronique d‘une désillusion (1557–1572). Genève 2014, S. 725–730. Orzelski, Interregni (wie Anm. 7), S. 90–91.

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IV. Die Konföderation war also ursprünglich weder eine Wahlkapitulation noch ein Religionsfrieden, sondern einfach eine gegenseitige Verpflichtung der Stände, gültig allein für die königslose Zeit. Erst drei Jahre später, 1576, wurde die Konföderation durch den nächsten Herrscher öffentlich bestätigt und gewann damit grundlegenden Charakter für die politische Ordnung49. Unabhängig von der rechtlichen Lage wurde die Konföderation von den Protestanten immer als ein Privileg oder als ein Artikel der Wahlkapitulationen dargestellt. Seit 1576 führten die Protestanten auf Reichstagen einen zähen Kampf um den „Prozess der Konföderation“ (proces konfederacji), was wörtlich so viel bedeutet wie Exekution, also Ausführung und Inkrafttreten alter Gewohnheiten und Rechte.50 Unter Berufung auf die Konföderation setzte sich der protestantische Adel mit den wachsenden Ansprüchen der katholischen Kirche auseinander. Gegen Forderungen der Katholiken, die Konföderation um die Klausel salvis iuribus Ecclesiae Catholicae Romanae zu ergänzen, beharrten die Protestanten auf dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Ständegesellschaft, vor allem des Adelsstandes.51 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts schrieb Daniel Ernst Jablonski, ein Superintendent der Böhmischen Brüderunität in Polen und Hofprediger in Berlin: „Wer sind wir [= die Protestanten, M.P.]? fragt Ihr. Wir sind das Blut aus Eurem Blut, der Körper aus Eurem Körper, der Knochen aus Euren Knochen. Wir sind die Bürger eines gemeinsamen Vaterlandes, aufgrund von Geburt und Vorrechten durch denselben Schild wie Ihr geschützt“.52 Jablonski, selbst ein Enkelkind böhmischer Exulanten, verband in dem Satz die tiefe Überzeugung, dass der Adelsstand eine wörtlich gemeinte biologische Einheit bilde, mit dem alten Argument, dass alle Adligen die gleichen Rechte hätten. Die Warschauer Konföderation gehörte zu dem Katalog der adligen Privilegien, die Jablonski im Auftrag der protestantischen Kirchen zusammenstellte und drucken ließ.53 Alle Versuche, gegen die Konföderation vorzugehen, waren auch Verstöße gegen die Ordnung der Ständegesellschaft, die allerdings seit der Mitte des 17. Jahrhunderts immer stärker konfessionell geteilt war. Das Beharren auf vorkonfessioneller Standeseinheit und republikanischer Axiologie wird in der Forschung oft und irreführend als tolerant bezeichnet. Dabei 49 50 51 52

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Ptaszyński, Die polnischen Wahlkapitulationen (wie Anm. 30), 59–72; Korolko, Klejnot (wie Anm. 23), S. 77–90; Maciuszko, Konfederacja (wie Anm. 1), S. 190–206. Ein kurzer Überblick in: Maciej Ptaszyński: Das Ringen um Sicherheit der Protestanten in Polen-Litauen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Christoph Kampmann, Ulrich Niggemann (Hg.): Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm, Praxis, Repräsentation, Bd. 2. Wien 2013, S. 57–75. Die Debatten und Werke bei Korolko, Kofederacja (wie Anm. 23). Daniel Ernst Jablonski: Libellus Supplex Serenissimo et Potentissimo Principi ac Domino Augusto II. D. G. Regni Poloniae, Magno Duci Lithuaniae, &c, &c, &c. Ut et Congregatis in Comitiis Regni Anno 1718 Illustrissimis Reipublicae Ordinibus, humillime et reverenter exhibitus a Dissidentibus in Religione Christiana in Regno Poloniae et Magno Ducatu Lithuaniae, s.l. 1718, fol. 1v. Daniel Ernst Jablonski: Jura et libertates Dissidentium in Religione Christiana, in Regno Poloniae et M.D. Lithuaniae Ex Legibus Regni Et aliis Monumentis authenticis excerpta. Berlin 1708, S. 7.

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wurde schon oft darauf hingewiesen, dass die gegenseitige Verpflichtung, sich in Glaubensfragen der Gewaltanwendung zu enthalten, dem modernen Verständnis von Toleranz nicht entspricht.54 Die praktischen Folgen der Konföderation lassen sich am besten mit der bekannten Formel cuius regio eius religio beschreiben, obwohl die Schlüsselbegriffe regio und religio hier anders verstanden werden müssen: Die religio wird sehr allgemein, ohne konfessionelle Festlegung begriffen und die regio wird nicht auf die hierarchische Struktur des Heiligen Römischen Reiches, sondern auf den Bereich der Standesprivilegien bezogen. Trotzdem wurde die Konföderation im Lauf der Geschichte oft als tolerant oder toleranzfördernd dargestellt. Paradoxerweise stammt diese Einschätzung vor allem von katholischen Theologen, die gegen die Konföderation plädierten. Polnische Bischöfe und vor allem jesuitische Prediger kritisierten die Konföderation als „diabolische Freiheit“, die jedem das erlaubte, was er nur wollte.55 Diese schrankenlose Freiheit war auch eine Bedrohung für die politische Ordnung und grenzte an Rebellion. Den Begriff der „diabolischen Freiheit“ in Bezug auf die polnischen Libertates – einschließlich der Konföderation – benutzte auch Theodor Beza in seiner Korrespondenz.56 Solche negativen Urteile stammen aber auch von manchen protestantischen polnischen Theologen, etwa von Andreas Volanus, der sich in polemischen Schriften gegen die Duldung der Heterodoxie äußerte. Die Warschauer Konföderation war also weder ein Toleranzedikt noch eine Wahlkapitulation oder ein Religionsfrieden, obwohl sie von ihren Befürwortern wie auch von ihren Gegnern oft als solche dargestellt worden ist. Sie war ein temporäres Abkommen der Stände, das nach dem Ableben des Königs in Anlehnung an Ständefreiheiten und republikanische Vorstellungen angenommen wurde. Indem das Dokument von späteren Königen bestätigt wurde, gewann es die Gestalt eines Adelsprivilegs und wurde als solches in die Diskussionen einbezogen. Die im 17. Jahrhundert um die Konföderation geführten Debatten zeigen, wie die rechtliche Idee der Einheit des Adelsstandes durch konfessionelle Faktoren in Frage gestellt wurde und die gerade erworbene ständische Identität wegen der Reformation zerfiel. 54

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Die traditionelle, unkritische Verwendung des Toleranzbegriffs wurde sehr stark von Janusz Tazbir geprägt: Janusz Tazbir: Geschichte der polnischen Toleranz. Warszawa 1977; über die Warschauer Konföderation als ein Toleranzdenkmal zuletzt: Erich Bryner: Die religiöse Toleranz in Siebenbürgen und Polen-Litauen im Kontext der europäischen Kirchengeschichte. In: Christian Moser, Peter Opitz (Hg.): Bewegung und Beharrung. Aspekte des reformierten Protestantismus, 1520–1650. Festschrift für Emidio Campi. Leiden u. Boston 2009, S. 361–381. Kritisch über diese Forschungstradition in: Wolgast, Religionsfrieden (wie Anm. 39), S. 92– 95; Wojciech Kriegseisen: Stosunki wyznaniowe w relacjach państwo-kościół między reformacją a oświeceniem. Rzesza Niemiecka, Niderlandy Północne, Rzeczpospolita polsko-litewska. Warszawa 2010, S. 667; Karin Friedrich: Von der religiösen Toleranz zur gegenreformatorischen Konfessionalisierung: Konfessionelle, regionale und ständische Identitäten im Unionstaat. In: Müller, Polen (wie Anm. 32), S. 251–289, hier: 251–253. Piotr Skarga, Kazania Sejmowe, Janusz Tazbir, hg. v. Mirosław Korolko, Wrocław 1995, S. 129; Marek A. Janicki: Wolność i równość w języku prawno-politycznym oraz ideologii szlachty polskiej (od XIV do początku XVII w.). In: Jerzy Axer (Hg.): Łacina jako język elit. Warszawa 2004, S. 73–107, hier: S. 81. Zit. in: Korolko, Konfederacja (wie Anm. 23), S. 62.

DIE REFORMATION UND DER NIEDERE ADEL IN DEN BÖHMISCHEN LÄNDERN Václav Bůžek Die römische Kirche musste sich schon während der hussitischen Revolution in den zwanziger und dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts von den Kirchenreformatoren in den böhmischen Ländern scharfe Kritik anhören. Das Hauptergebnis der böhmischen Reformation war die Säkularisation umfangreicher kirchlicher Besitztümer zugunsten des Adels, der Ausschluss des Klerus aus dem Landtag im Königreich Böhmen und die erste dauerhafte konfessionelle Spaltung in Europa.1 I. DER KONFESSIONELLE DUALISMUS Obwohl es den Hussiten auf dem Kirchenkonzil von Basel nicht gelungen war, die Forderung des Laienkelchs, durch den die Kommunion sub utraque specie für alle Einwohner im Königreich Böhmen und in der Markgrafschaft Mähren verbindlich wurde, durchzusetzen, garantierte das Abkommen der Basler Kompaktaten von 1436 den Dualismus zweier Konfessionen.2 Der Utraquismus unterschied sich vom Katholizismus nicht nur durch das Austeilen der Kommunion,3 durch den Gebrauch der tschechischen Sprache bei weniger pompösen Gottesdiensten und durch die Forderung nach Armut der Geistlichen, sondern er lehnte das Zölibat der Priester ab und legte keine Beschränkungen für das religiöse Leben der Kinder fest. Die Ähnlichkeit des Utraquismus und des Katholizismus belegten dagegen die gleiche Meinung in Bezug auf den Inhalt der Transsubstantiation und auf die Rolle des Priesters als Mittelsmannes zwischen den Gläubigen und Gott. Für die Ordination ihrer Priester blieben die Utraquisten jedoch auf die Hierarchie der römischen Kirche angewiesen,4 obwohl das Prager Erzbistum seit 1471, als der Erzbischof Johann Rokycana gestorben war, unbesetzt blieb. Da er dem Utraquismus zugeneigt war, wurde er im Erzbischofsamt durch den Papst nie bestätigt. Die katholische Verwaltung übernahm daher das obere Konsistorium, das nach der Erneuerung des Prager Erzbistums 1561 1 2

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František Šmahel: Die Hussitische Revolution, Band III (Monumenta Germaniae Historica 43). Hannover 2002, S. 1691–2015. Šmahel, Die Hussitische Revolution (wie Anm. 1), Band III, S. 1641–1690; Václav Bůžek: Nobles: Between Religious Compromise and Revolt. In: Howard Louthan, Graeme Murdock (Hg.): A Companion to the Reformation in Central Europe (Brill´s Companions to the Christian Tradition 61). Leiden-Boston 2015, S. 316–337, hier S. 317–318. Der Begriff weist auf den Gebrauch des Laienkelchs hin, die Kommunion unter beiderlei Gestalt (sub utraque specie). Josef Macek: Víra a zbožnost jagellonského věku [Der Glaube und die Frömmigkeit des jagiellonischen Zeitalters]. Praha 2001, S. 61, 62, 67, 74–75, 258.

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wieder aufgelöst wurde.5 Zur Zentralbehörde der utraquistischen Kirchenverwaltung wurde das untere Konsistorium, das Johann Rokycana aus seiner Pfarrei bei der Teynkirche in Prag errichten ließ. Seine Tätigkeit setzte es auch nach der Erneuerung des Prager Erzbistums bis zum Jahr 1604 fort.6 Als der Papst im Jahre 1462 die Gültigkeit der Basler Kompaktaten aufgehoben hatte, endete der religiöse Dualismus nicht, da der König von Böhmen, ohne dabei auf die Meinung des Heiligen Stuhls Rücksicht zu nehmen, das Recht der Anhänger sowohl des Katholizismus als auch des Utraquismus auf eine individuelle Wahl der eigenen Konfession anerkannte. Im Jahre 1485 bestätigte der Kuttenberger Religionsfrieden, der vor dem Antritt der deutschen und schweizerischen Reformation keine vergleichbare Analogie in Europa hatte, die Gültigkeit der Basler Kompaktaten für das Königreich Böhmen.7 Die Religionsfreiheit für Utraquisten und Katholiken ungeachtet ihres sozialen Status wurde zwölf Jahre später im Tobitschauer Rechtsbuch für die Markgrafschaft Mähren gesetzlich festgelegt.8 Zur Bewahrung der Basler Kompaktaten verpflichteten sich die böhmischen Könige in ihren Wahlkapitulationen bis 1567, als sie aus der Sammlung der Landesprivilegien, denen jeder Bewerber um den böhmischen Thron vor der ständischen Wahl zustimmen musste, ausgelassen wurden.9 Nicht einbezogen in den Kuttenberger Religionsfrieden wurde die Brüderunität, die sich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre des 15. Jahrhunderts in Mähren, in Mittel- und Ostböhmen herauszubilden begann. Sie lehnte sowohl den Katholizismus als auch den Utraquismus ab, sie brachte das Recht auf freie Auslegung der Bibel zur Geltung und wählte auf ihren regelmäßigen Synoden eigene Geistliche. Seit den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts bekannten sich nach und nach auch Angehörige des höheren und niederen Adels zur Lehre der Böhmischen Brüder. Obwohl die Tätigkeit der Brüderunität durch das königliche Mandat von 1508 untersagt worden war, wirkten die Brüdergemeinden während des ganzen 16. Jahrhunderts in einigen Städten unter dem Schutz der toleranten adligen Obrigkeiten fort.10

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František Kavka, Anna Skýbová: Husitský epilog na koncilu tridentském a původní koncepce habsburské rekatolizace Čech. Počátky obnoveného pražského arcibiskupství 1561–1580 [Der hussitische Epilog auf dem Konzil in Trient und die ursprüngliche Konzeption der habsburgischen Rekatholisierung Böhmens. Die Anfänge des erneuerten Prager Erzbistums 1561–1580]. Praha 1969, S. 159–194. Jiří Rak: Vývoj utrakvistické správní organizace v době předbělohorské [Die Entwicklung der utraquistischen Verwaltungsorganisation in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg]. In: Sborník archivních prací 31 (1981), S. 179–206. Winfried Eberhard: Entstehungsbedingungen für öffentliche Toleranz am Beispiel des Kuttenberger Religionsfriedens von 1485. In: Communio Viatorum – A Theological Quarterly 29 (1986), S. 129–154. Die Befristung des Kuttenberger Religionsfriedens wurde zuerst auf 31 Jahre festgesetzt. Im Jahre 1512 wurde die ewige Geltung des Kuttenberger Friedens beschlossen. Macek, Víra a zbožnost (wie Anm. 4), S. 398–399. Sněmy české od léta 1526 až po naši dobu [Die böhmischen Landtage vom Jahre 1526 bis unsere Zeit], Band III. Praha 1884, S. 336–337, 381. Amedeo Molnár: Boleslavští Bratří [Die Bunzlauer Brüder]. Praha 1952, S. 120–137; Macek, Víra a zbožnost (wie Anm. 4), S. 286–334, 391–398; Winfried Eberhard: Monarchie und Widerstand. Zur politischen Oppositionsbildung im Herrschaftssystem Ferdinands I. in Böhmen (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 54). München 1985, S. 100–110.

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II. DIE ADLIGEN STÄNDE Sobald bei der Besetzung des wieder eröffneten Landgerichts in der Mitte der dreißiger Jahre des 15. Jahrhunderts der kriegerische Adel von weniger vornehmer Herkunft unter die Beisitzer aufgenommen war, stieß sein überhebliches Benehmen bei den altehrwürdigen Adelsfamilien, die während der Hussitenkriege ihren politischen Einfluss erheblich gestärkt hatten, auf Missbilligung.11 Im Hinblick auf den unterschiedlichen Grad an Vornehmheit, auf die Größe des Grundbesitzes und auf den Anteil an der Macht grenzten sich im Laufe einer langwierigen Auseinandersetzung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zwei Schichten des Adels voneinander ab. In den Jahren 1479/80 legten die Herren in Mähren Regeln für die Aufnahme niederer Edelleute in ihren Stand fest. Die Zuständigkeit für das Verfahren sollte bei fünfzehn alten und acht jüngeren mährischen Herrengeschlechtern liegen, deren Namen im Tobitschauer Rechtsbuch verzeichnet waren.12 Im Jahre 1497 beschlossen die Herren in Böhmen, über die Aufnahme neuer Mitglieder in den Herrenstand stets auf dem Landtag abzustimmen. Ein neuer Herr musste die vornehme Herkunft seines Geschlechtes bis ins vierte Glied der Vorfahren nachweisen und die Landrichter ersuchen, Aufzeichnungen seines freien Besitzes zu den Landtafeln zu nehmen. Diese Anforderungen wurden im Jahre 1500 in der Wladislawschen Landesordnung rechtlich verankert, in der darüber hinaus 47 Herrengeschlechter namentlich genannt wurden, denen die höchsten Ämter im Königreich Böhmen vorbehalten sein sollten.13 Zum Ritterstand konnte ein Mann gehören, dem der König ein Wappen verliehen hatte. Nach dieser Nobilitierung nahmen die übrigen Ritter ihn auf dem Landtag in ihren Stand auf. Der Zeremonie ging die Eintragung des freien Grundbesitzes in die Landtafeln voraus, die der neue Ritter mit Zustimmung der im Landgericht versammelten niederen Adligen vornahm.14 Beide Adelsstände hielten im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht nur den Anteil an der politischen Macht im Lande für ein unanfechtbares Privileg ihrer ständischen Rechte, sondern sie erklärten auch ihren Anspruch auf freie Ausübung ihrer Religion.15 Die einzelnen Herrschaften des höheren und niederen Adels stell11 12 13

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Josef Petráň: Skladba pohusitské aristokracie v Čechách [Die Zusammensetzung der Aristokratie in Böhmen in nachhussitischer Zeit]. In: Acta Universitatis Carolinae, Philosophica et historica 1, Studia historica 14 (1976), S. 9–80, hier S. 13–15. Josef Válka: Dějiny Moravy [Geschichte Mährens], Band I: Středověká Morava [Mähren im Mittelalter]. Brno 1991, S. 168–170. Josef Macek: Jagellonský věk v českých zemích (1471–1526) [Das Jagiellonische Zeitalter in den böhmischen Ländern (1471–1526)], Band II: Šlechta [Der Adel]. Praha 1994, S. 25–42; Václav Bůžek, Václav Grubhoffer, Libor Jan: Wandlungen des Adels in den böhmischen Ländern. In: Bohemia 54 (2014), S. 271–318, hier S. 290. Vladimír Klecanda: Přijímání do rytířského stavu v zemích českých a rakouských na počátku novověku [Die Aufnahme in den Ritterstand in den böhmischen und österreichischen Ländern zu Beginn der Neuzeit]. In: Časopis Archivní školy 6 (1928), S. 1–125; Bůžek, Grubhoffer, Jan, Wandlungen des Adels (wie Anm. 13), S. 290. Václav Bůžek, Zdeněk Vybíral: Freiheit in Böhmen und Mähren zwischen Hussitismus und Dreißigjährigem Krieg. In: Georg Schmidt, Martin van Gelderen, Christopher Snigula (Hg.): Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850). Frankfurt am Main 2006, S. 239–250.

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ten fast autonome Territorien dar, deren politische, ökonomische und kirchliche Verwaltung der jeweilige Grundherr innehatte. Der König und die höheren kirchlichen Autoritäten übten auf das religiöse Leben in den Herrschaften in adliger Hand in den böhmischen Ländern bis zum Anfang der Rekatholisierung auf gesamtstaatlicher Ebene in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts nur geringen Einfluss aus. Das konfessionelle Leben in ihren Herrschaften bestimmten die Angehörigen der beiden Adelsstände vor allem durch die Ausübung des Patronatsrechts, das den Obrigkeiten ermöglichte, den Repräsentanten der höheren Kirchenhierarchie geistliche Verwalter für die unbesetzten Benefizien in den einzelnen Pfarreien vorzuschlagen.16 Ihre Vorstellungen im Hinblick auf die Regeln der Liturgie und die Pflichten der Geistlichen konnten die Herren und Ritter in die Kirchenordnungen inkorporieren.17 Die vorliegende Studie setzt sich zum Ziel, die Rolle des niederen Adels bei der Verbreitung der religiösen Reformationsströmungen in den böhmischen Ländern seit Ende des 15. Jahrhunderts bis in die zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts zu erfassen. Wegen des besonderen religiösen Inhalts der böhmischen Reformation ist es unerlässlich, sich mit der Beziehung des niederen Adels als soziale Gruppe zum Utraquismus, Luthertum und zur Brüderunität zu befassen. Beachtung wird auch dem Lebensschicksal einiger religiös engagierter nichtkatholischer Ritter geschenkt, die nicht nur durch die Verbreitung der reformatorischen Ideen in ihren Herrschaften hervortraten, sondern die auch zu den bedeutenden Vertretern der ständischen Opposition in der Region und im Lande gehörten und gegen die religiösen und machtpolitischen Interessen der Habsburger auftraten. Auch wenn die Geschichte des niederen Adels in der tschechischen Historiographie keinesfalls am Rande des Forschungsinteresses stand,18 war es nicht nur die weite Streuung der Quellen, sondern auch die im Vergleich zum Hochadel scheinbar geringere gesellschaftliche Bedeutung des niederen Adels, die es lange Zeit nicht erlaubten, die Wandlung der religiösen Gesinnung der Ritter zu Beginn der Neuzeit komplexer zu betrachten. Die rechtliche wie auch politische Stellung des niederen Adels unter16

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Edward Rittner: Církevní právo kanonické [Das kanonische Recht], Band I. Praha 1887, S. 277– 312. Eine systematische Untersuchung in Hinblick auf die Umsetzung des Patronatsrechts in den Pfarreien in den Herrschaften des höheren und niederen Adels in den böhmischen Ländern steht bisher aus. Vgl. Petr Maťa: Vorkonfessionelles, überkonfessionelles, transkonfessionelles Christentum. Prolegomena zu einer Untersuchung der Konfessionalität des böhmischen und mährischen Hochadels zwischen Hussitismus und Zwangskatholisierung. In: Joachim Bahlcke, Karen Lambrecht, Hans-Christian Maner (Hg.): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelater und Früher Neuzeit. Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag. Leipzig 2006, S. 307–331, hier S. 328–330. Gemäß dem Kuttenberger Religionsfrieden durften die Herren und Ritter bei der Umsetzung des Patronatrechts in den Pfarreien in ihren Herrschaften auf ihre Untertanen keinen Druck ausüben, der sie zum Glaubenswechsel bringen sollte. Ähnliche Versuche zur Beschränkung des Patronatsrechts der Obrigkeiten standen allerdings nur auf dem Papier. Dazu Maťa, Vorkonfessionelles (wie Anm. 16), S. 328. Vgl. Josef Hrdlička, Jiří Just, Petr Zemek (Hg.): Evangelické církevní řády pro šlechtická panství v Čechách a na Moravě 1520–1620 [Evangelische Kirchenordnungen für adelige Herrschaften in Böhmen und Mähren zwischen 1520 und 1620] (Prameny k českým dějinám, Reihe B, Band VIII). České Budějovice 2017. Bůžek, Grubhoffer, Jan, Wandlungen des Adels (wie Anm. 13), S. 285–302.

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schied sich an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit in den böhmischen Ländern stark von der der Ritterschaft im römisch-deutschen Reich.19 III. DIE VERBREITUNG DES LUTHERTUMS IN NORDWESTBÖHMEN Als in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts die deutsche Reformation ausbrach, wurde im römisch-deutschen Reich den Lehren hussitischer Reformatoren kaum Beachtung geschenkt.20 Thomas Müntzer fand während seines Besuchs in Prag im Sommer 1521 für seine radikalen Ansichten bezüglich der Kirchenreform nur bei einigen Utraquisten aus den Reihen des niederen Adels, denen seine Vorstellungen über die Errichtung einer erneuerten apostolischen Kirche sehr nahe lagen, Verständnis.21 Martin Luther hielt die Hussiten zuerst für Ketzer, die er mit den Katharern und Waldensern gleichsetzte. Erst nachdem er sich mehr mit den Ideen der hussitischen Reformatoren vertraut gemacht hatte, begann er viele Berührungspunkte zwischen der böhmischen und deutschen Reformation zu entdecken. Im Jahre 1522 forderte er sogar den böhmischen utraquistischen Adel auf, das Vermächtnis von Johannes Hus vor dem erstarkenden Druck des Heiligen Stuhls zu verteidigen. Zu einer engeren Verbindung hussitischer Ideen mit den Vorstellungen des deutschen Reformators kam es jedoch nicht.22 Obwohl der alteingesessene utraquistische Adel über tschechische Übersetzungen ausgewählter Werke Martin Luthers verfügte, worum sich Ulrich Velenský von Mnichov und Burian Sobek von Kornice verdient machten, war er wegen der bestehenden erheblichen Meinungsverschiedenheiten auf eine schnelle Annahme der deutschen Reformation nicht vorbereitet.23 Wesentlich größeres Interesse weckte die reformatorische Lehre Martin Luthers zuerst unter den deutschsprachigen Adligen aus den Reihen des hohen und vor allem des niederen, aus Sachsen stammenden Adels,24 die sich nach der Verleihung des Inkolats und nach dem Ankauf freien Bodenbesitzes in den überwiegend katholischen Regionen im Grenzgebiet des Erzgebirges niederließen, wohin die Einflüsse 19

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Vgl. Volker Press: Adel, Reich und Reformation. In: Wolfgang J. Mommsen (Hg.): Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland. Stuttgart 1979, S. 330–283, hier S. 331, 335; Volker Press: Die Reichsritterschaft im Reich der Frühen Neuzeit. In: Franz Brendle, Anton Schindling in Verbindung mit Manfred Rudersdorf und Georg Schmidt (Hg.): Volker Press, Adel im alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze (Frühneuzeit-Forschungen 4). Tübingen 1998, S. 205–231, hier S. 206– 207; Richard J. Ninness: Im konfessionellen Niemandsland – neue Forschungsansätze zur Geschichte der Reichsritterschaft zwischen Reformation und Dreissigjährigem Krieg. Das Vermächtnis von Volker Press. In: Historisches Jahrbuch 134 (2014), S. 142–164. Winfried Eberhard: Die deutsche Reformation in Böhmen 1520–1620. In: Hans Rothe (Hg.): Deutsche in den Böhmischen Ländern (Studien zum Deutschtum im Osten 25). Köln – Wien – Weimar 1992, S. 103–123. Šmahel, Die Hussitische Revolution (wie Anm. 1), Band III, S. 1976–1983. Jiří Just, Zdeněk R. Nešpor, Ondřej Matějka et al.: Luteráni v českých zemích v proměnách staletí [Die Lutheraner in den böhmischen Ländern im Wandel der Jahrhunderte]. Praha 2009, S. 43–48. Ebd., S. 49–50. Siegfried Sieber: Geistige Beziehungen zwischen Böhmen und Sachsen zur Zeit der Reformation, Teil I: Pfarrer und Lehrer im 16. Jahrhundert. In: Bohemia 6 (1965), S. 146–172.

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der hussitischen Revolution zuvor nicht vorgedrungen waren. Zu den Hauptzentren der lutherischen Reformation wurden die Bergstädte Jáchymov (Joachimsthal) und Loket (Ellbogen) in der Herrschaft der wohlhabenden Grafen Schlick,25 die trotz ihres Grafentitels im böhmisch-sächsischen Grenzgebiet am Anfang fast in sozialer Isolation lebten, da die Reichstitulatur ihre Träger zur Präzedenz vor den einheimischen Herren nicht berechtigte.26 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gingen die Grafen Schlick Heiratsallianzen mit dem in Sachsen ansässigen Adel ein.27 Von dort aus luden sie dann in den dreißiger Jahren lutherische Prediger, Pfarrer, Lehrer, Künstler und Gelehrte ein. Die Einführung der Reformation wurde gleichzeitig durch den Erlass von ersten Kirchenordnungen für lutherische Kirchen in den Herrschaften in Nordwestböhmen, in denen sie ihr Patronatsrecht ausübten, begleitet.28 Zu den bedeutenden Verbreitern der lutherischen Reformation im böhmischsächsischen Grenzgebiet gehörten in den zwanziger Jahren die Ritter von Salhausen, die im Jahre 1515 aus der Mark Meißen ins südliche Erzgebirgsvorland gekommen waren.29 Fünf Jahre später berief Friedrich der Ältere von Salhausen den lutherischen Prediger Michael Coelius, der früher als Rektor der Schule in Döbeln und in Rochlitz gewirkt hatte, aus Sachsen in seine Herrschaft in Benešov nad Ploučnicí (Bensen). Als Hans von Salhausen im Jahre 1522 in Děčín (Tetschen) ansässig wurde, ging er bei der Verbreitung der Reformation genauso vor wie sein Bruder in Benešov nad Ploučnicí (Bensen). Er lud den lutherischen Prädikanten Dominik Beyer aus Freiberg nach Děčín (Tetschen) ein.30 Im Unterschied zu Benešov nad Ploučnicí (Bensen), wo sich die Anhänger der Reformation in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts um den lutherischen Pre25 26

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Mit der Zusammenfassung älterer Literatur bei Just, Nešpor, Matějka et al., Luteráni (wie Anm. 22), S. 51–52, 59–65. Václav Bůžek: Der Adel im böhmisch-sächsischen Grenzraum zu Beginn der Neuzeit. In: Martina Schattkowsky (Hg.): Die Familie von Bünau. Adelsherrschaften in Sachsen und Böhmen vom Mittelalter bis zur Neuzeit (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 27). Leipzig 2008, S. 73–94, hier S. 82–83. Bei der Untersuchung der Heiratsstrategien der Grafen Schlick im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts gehe ich von genealogischen Übersichten aus. Vgl. Frank Baron Freytag von Loringhoven: Europäische Stammtafeln. Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten, Band IV. Marburg 1975, Tafel 79 ff. Eine der überlieferten lutherischen Kirchenordnungen in den böhmischen Ländern stellt die Kirchenordnung für die Stadt Jáchymov/Joachimsthal von 1551 dar, deren Autor Johann Mathesius war. Dazu näher im Rahmen der Zusammenfassung der älteren Literatur bei Just, Nešpor, Matějka et al., Luteráni (wie Anm. 22), S. 62–63. Ähnlich bei Martin Arnold: Das Luthertum im böhmischen Adel. In: Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 22 (2014), S. 67–105, hier S. 75, 77, 80–81. Miloslav Košťál: Počátky luterské reformace na lužickém pomezí [Die Anfänge der lutherischen Reformation im Lausitzer Grenzgebiet]. In: Z minulosti Děčínska 2 (1974), S. 26–41, hier S. 28–30; Lenka Bobková: Rezidenční představy rytířů ze Salhausenu v severozápadních Čechách [Die Residenzvorstellungen der Ritter von Salhausen in Nordwestböhmen]. In: Václav Bůžek, Pavel Král (Hg.): Aristokratické rezidence a dvory v raném novověku [Die aristokratischen Residenzen und Höfe in der frühen Neuzeit] (Opera historica 7). České Budějovice 1999, S. 251–273, hier S. 253–256; Arnold, Das Luthertum (wie Anm. 29), S. 97.

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diger Sebastian Riemer versammelten,31 wurde ihre Verbreitung in Děčín (Tetschen) im Jahre 1534 zeitweilig unterbrochen. Damals verkaufte Hans von Salhausen die Herrschaft seinem katholisch gesinnten Schwager Rudolf von Bünau, der aus seinem Familiensitz Weesenstein in Sachsen nach Děčín (Tetschen) übersiedelte, da er die Ausbreitung des Luthertums fürchtete.32 Fünf Jahre darauf entstand auf Antrag Rudolfs von Bünau im Rittersaal des Schlosses in Děčín (Tetschen) eine Wandporträtgalerie (offensichtlich aus dem Umkreis von Lucas Cranach dem Älteren).33 Der sächsische Adlige wollte durch die Porträts von drei Generationen seiner ritterlichen Vorfahren im böhmischen Milieu die vornehme Herkunft seiner Familie, ihren katholischen Glauben und ihre Anbindung an den Hof der Herzöge von Sachsen, besonders Georgs des Bärtigen, in dessen Diensten er vor seiner Ankunft in Böhmen in Dresden gewirkt hatte, nachweisen. Unter den Porträts der vierzehn Kinder Rudolf von Bünaus fehlte jedoch das Bildnis seines erstgeborenen Sohnes Heinrichs des Älteren, der mit der katholischen Tradition gebrochen hatte, indem er sich kurz darauf der Reformation zuwandte. Die übrigen Nachkommen Rudolf von Bünaus kehrten dem katholischen Glauben erst nach dem Tod ihres Vaters vor der Mitte des 16. Jahrhunderts den Rücken. Sein Sohn Günther von Bünau förderte in den fünfziger und sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts die Verbreitung des Luthertums in Děčín (Tetschen) und in seinen anderen Herrschaften in Nordwestböhmen, wo er Schulen errichten ließ, an denen lutherische Lehrer aus Grimma, Meißen und aus anderen sächsischen Städten unterrichteten.34 IV. TÄUFER IN MÄHREN Insbesondere Mähren stellte ein Zentrum der Anhänger radikaler Reformationsströmungen dar, seien es die Verbreiter der zwinglianischen Lehre auf den Gütern Habrovany (Habrowan) und Luleč (Lultsch), die sich im Besitz des Ritters Johann Dubčanskýs von Zdenín befanden,35 oder die Täufer.36 Obwohl sich die Täufer in der Mitte der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts zuerst in den Herrschaften des Adels in Nordwest- und Südböhmen niederließen, begaben sie sich nach ihrer Vertreibung im Jahre 1528 nach Mähren, wo dank des starken Einflusses, dessen sich die Brüderunität bei den wohlhabenden und politisch einflussreichen Adligen erfreute, eine außerordentliche religiöse Toleranz herrschte.37 Da die mährischen Adligen den Glau31 32 33 34 35 36

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Košťál, Počátky luterské reformace (wie Anm. 30), S. 31. Ebd., S. 31; Bobková, Rezidenční představy rytířů ze Salhausenu (wie Anm. 30), S. 255; Arnold, Das Luthertum (wie Anm. 29), S. 81. Hana Slavíčková, Lubomír Sršeň: Die Renaissance-Porträts der Ritter von Bünau auf Schloss Tetschen (Děčín). In: Schattkowsky (Hg.), Die Familie von Bünau (wie Anm. 26), S. 461–482. Just, Nešpor, Matějka et al., Luteráni (wie Anm. 22), S. 71. Ebd., S. 57; Válka, Dějiny Moravy (wie Anm. 12), Band II, S. 17–18. Jaroslav Pánek: Moravští novokřtěnci (Společenské a politické postavení předbělohorských heretiků, sociálních reformátorů a pacifistů) [Die mährischen Täufer (Die soziale und politische Stellung der Häretiker, Sozialreformer und Pazifisten)]. In: Český časopis historický 92 (1994), S. 242–256. Vgl. Jaroslav Mezník: Tolerance na Moravě v 16. století [Toleranz in Mähren im 16. Jahrhun-

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ben als eine Gabe Gottes ansahen, die niemandem gegen seinen freien Willen aufgezwungen werden darf, lehnten sie es ab, die Anhänger einzelner christlicher Konfessionen zu verfolgen. Das hohe Maß an religiöser Toleranz der meisten mährischen Herren und Ritter ging seit Ende des 15. Jahrhunderts von ihrem Glauben an ein von dogmatischen Hindernissen befreites überkonfessionelles Christentum aus.38 Die ersten Täufer kamen im Jahre 1526 mit Balthasar Hubmaier nach Mähren. Nach seinem Tod beeinflussten in den dreißiger Jahren der aus Tirol zugewanderte Jacob Hutter und dessen Anhänger, die sogenannten Hutterischen Brüder, die religiöse Haltung der dortigen Täufer. Der mährische Adel lehnte es trotz des erstarkenden Drucks der Landesherren ab, die Täufer aus ihren Herrschaften zu vertreiben. Als es den mährischen Ständen im Jahre 1570 gelang, ihre regelmäßige Besteuerung durchzusetzen, wurden die Täufer zu ordentlichen Einwohnern der Markgrafschaft Mähren. Gemäß groben Schätzungen lebten in Mähren um 1600 ungefähr 20.000 Täufer (nicht einmal drei Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes). Die Täufer gründeten ihre Häuser vor allem in den Herrschaften des höheren und niederen Adels, die in Süd- und Südostmähren lagen. Sie betrieben die üblichen textil-, leder-, holz- und metallverarbeitenden Gewerbe. Sie traten nicht nur mit der künstlerischen Produktion von weißer Tafelkeramik, bekannt als Habener Fayence, von Messern oder Uhren hervor, sondern sie waren auch sehr gefragte Ärzte, Apotheker, Barbiere, Winzer und Gärtner. Die Sprachbarrieren der Täufer in Mähren verschwanden erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der Ankunft tschechischer Prediger. Zur Vertreibung der Täufer aus Mähren nach Oberungarn kam es erst im Jahre 1622, nachdem eine Verordnung erlassen worden war, kraft derer sie des Landes verwiesen wurden.39 V. DIE GEGENREFORMATORISCHEN BESTREBUNGEN DES KÖNIGS Obwohl in Böhmen ein Teil der utraquistischen Geistlichen der lutherischen Reformation zugetan war,40 scheiterten die Versuche der Gründung einer gemeinsamen

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dert]. In: Milan Machovec (Hg.): Problém tolerance v dějinách a perspektivě [Das Problem der Toleranz in der Geschichte und in der Perspektive]. Praha 1995, S. 76–85; Jaroslav Pánek: The Question of Tolerance in Bohemia and Moravia in the Age of the Reformation. In: Ole P. Grell, Bob Scribner (Hg.): Tolerance and intolerance in the European Reformation. Cambridge 1996, S. 231–248. Dazu Válka, Dějiny Moravy (wie Anm. 12), Band II, S. 13–19; Ders.: Politika a nadkonfesijní křesťanství Viléma a Jana z Pernštejna [Die Politik und das überkonfessionelle Christentum Wilhelms und Johanns von Pernstein]. In: Petr Vorel (Hg.): Pernštejnové v českých dějinách [Die Herren von Pernstein in der tschechischen Geschichte]. Pardubice 1995, S. 173–186; Ders.: Die „Politiques“: Konfessionelle Orientierung und politische Landesinteressen in Böhmen und Mähren (bis 1630). In: Joachim Bahlcke, Hans-Jürgen Bömelburg, Norbert Kersken (Hg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16. – 18. Jahrhundert. Leipzig 1996, S. 229–241, hier besonders S. 234–236. Pánek, Moravští novokřtěnci (wie Anm. 36), S. 242–256. Das hatte zur Folge, dass immer mehr utraquistische Geistliche und Gemeinden sich an Wittenberg orientierten. Die utraquistische Konfession begann sich nach und nach auszudifferenzieren. Einige Autoren sprechen in diesem Zusammenhang einerseits vom Neuutraquismus, ande-

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Kirchenorganisation mit einem eigenen Bischof im Jahre 1543.41 Die Ursache des Misserfolgs hing nicht nur mit der ablehnenden Haltung der Brüderunität zusammen, vielmehr war auch der Unwille der Herren und Ritter zu spüren, mit König Ferdinand I., der gegen die Vereinigung nichtkatholischer Bekenntnisse auftrat, in einen offenen Konflikt zu geraten. Obwohl sich der Landesherr bemühte, die weitere Verbreitung der Reformation zu verhindern, hielt er sich von machtpolitischen Eingriffen ziemlich lange fern. Erst in den fünfziger Jahren nutzte er die Niederlage der deutschen Protestanten im Schmalkaldischen Krieg zu wiederholten Angriffen, die gegen Herren und Ritter gerichtet waren, die in ihren Herrschaften den verbotenen Brüdergemeinden Schutz gewährten und lutherische Pfarrverwalter sowie Prediger förderten.42 Die Ermahnungen des Königs bezüglich des Verweises der lutherischen Prediger wurden immer an die gleichen Niederadligen in Nordböhmen adressiert, die langfristig zu den Anhängern der deutschen Reformation im Königreich Böhmen gehörten.43 Ein scharfer Konflikt brach in den Jahren 1556/58 zwischen Ferdinand I. und Friedrich von Salhausen aus, der sogar auf die Prager Burg vorgeladen wurde, wo er unter Haftandrohung versprechen musste, dass er die lutherischen Prediger aus Benešov nad Ploučnicí (Bensen) ausweisen werde.44 Trotz der gegenreformatorischen Bestrebungen des Königs ging die Zahl der lutherischen Prediger und Pfarrer in den Herrschaften des niederen Adels in Nordböhmen nach der Mitte des 16. Jahrhunderts nicht zurück.45 Zur deutschen Reformation bekannten sich die Nachkommen des Ritteradels, die aus Sachsen ins Königreich Böhmen gekommen waren, wie zum Beispiel die Ritter von Bünau, von Gersdorff, von der Oelsnitz, von Salhausen und von Steinbach.46 Sie wandten sich an Sachsen, indem sie um Entsendung von Superintendanten ersuchten, die die Verwaltung lutherischer Pfarrgemeinden unabhängig von dem unteren Konsistorium in Prag beaufsichtigen würden.47 Ob sich für das Luthertum zum gleichen Zeitpunkt auch weniger wohlhabende Ritter böhmischer Herkunft in Nordwestböhmen interessierten, die dann fünfzig Jahre später den Bau der lutherischen Salvator-

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rerseits vom Altutraquismus, der Gemeinsamkeiten mit der römischen Kirche aufwies. Dazu besonders Winfried Eberhard: Konfessionsbildung und Stände in Böhmen 1478–1530 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 38). München u.Wien 1981, S. 144–149; Zdeněk V. David: The Integrity of the Utraquist Church and the Problem of Neo-Utraquism. In: Zdeněk V. David, David R. Holeton (Hg.): The Bohemian Reformation and Religious Practice 5, Teil I. Praha 2005, S. 329–352. Josef Janáček: České dějiny. Doba předbělohorská 1526–1547 [Tschechische Geschichte. Die Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg], Teil I/2. Praha 1984, S. 150–152. Eberhard, Monarchie und Widerstand (wie Anm. 10), S. 399–499; Arnold, Das Luthertum (wie Anm. 29), S. 84. Karel Borový (Hg.): Jednání a dopisy konsistoře katolické i utrakvistické [Verhandlungen und Korrespondenzen des katholischen und utraquistischen Konsistoriums], Band I–II. Praha 1868–1869, Nr. 393, 409, 718, 741–742, 820. Ebd., Nr. 774; Just, Nešpor, Matějka et al., Luteráni (wie Anm. 22), S. 71–72. Besonders Eberhard, Die deutsche Reformation in Böhmen (wie Anm. 20), S. 113. Borový (Hg.), Jednání a dopisy konsistoře (wie Anm. 43), Band I–II, Nr. 520, 718, 741, 774, 820, 825. Ebd., Nr. 520; Just, Nešpor, Matějka et al., Luteráni (wie Anm. 22), S. 75–76.

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kirche in Prag durch finanzielle Schenkungen unterstützten, 48 konnte wegen der dürftigen Quellenlage nicht ermittelt werden. Auf jeden Fall stärkten einige dem Luthertum zugeneigte Angehörige aus dem niederen Adel in der Leitmeritzer und Saazer Region ihren politischen Einfluss, indem sie das Amt der Kreishauptmänner bekleideten.49 Unentbehrliche Voraussetzungen für ein wirksames Vorgehen Ferdinands I. gegen die Anhänger der Reformation stellten im Königreich Böhmen die Wiederherstellung der untergegangenen katholischen Kirchenorganisation und die Durchsetzung der Reformen des Konzils von Trient dar. Im Jahre 1556 kamen die ersten Jesuiten nach Böhmen. Ihr Collegium Clementinum in Prag erwarb sechs Jahre später den Status einer Universität, die als eine Ausbildungsstätte für Kleriker und eine Erziehungsanstalt für Adlige und Bürger diente.50 Zum Zentrum des gegenreformatorischen Drucks wurde das seit 1561 erneuerte Prager Erzbistum.51 Das politische Leben Böhmens und Mährens ordnete sich nach und nach dem Druck der konfessionell abgegrenzten adligen Gruppierungen unter.52 Die katholisch gesinnten Herren und Ritter suchten nach Wegen zu einem Konsens mit dem König, um größeren Anteil an der politischen Macht im Lande zu erreichen. Die adligen Anhänger der Reformation, zu denen die Utraquisten, Lutheraner und die böhmischen Brüder gehörten, strebten die Anerkennung ihres Glaubens und die Errichtung einer eigenen institutionellen Basis an.53 48

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Zum Beispiel Prokop Dvořecký von Olbramovice, Bohuslav, Christoph und Ulrich Hrobčický von Hrobčice, Jakub und Tobias Hruška von Březno, Adam, Albrecht und Burian Kaplíř von Sulevice, Georg Oudrcký von Oudrc, Jetřich Sekerka von Sedčice. Dazu vgl. Rudolf Schreiber (Hg.): Das Spenderbuch für den Bau der protestantischen Salvatorkirche in Prag (1610–1615) (Forschungen zur Geschichte und Landeskunde der Sudetenländer 111). Freilassing u. Salzburg 1956, S. 21– 71; Kai Wenzel: Konfese a chrámová architektura. Dva luteránské kostely v Praze v předvečer třicetileté války [Konfession und Kirchenbau. Zwei lutherische Gotteshäuser in Prag am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges] I. In: Pražský sborník historický 36 (2008), S. 31–103, hier S. 54–61. Zum Beispiel wiederholt in den sechziger und siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts bei Georg Hora von Ocelovice im Saazer Kreis. Dazu vgl. Borový (Hg.), Jednání a dopisy konsistoře (wie Anm. 43), Band I–II, Nr. 742; Petr Mareš: Obsazování úřadu krajského hejtmana v předbělohorském období a soupis krajských hejtmanů na základě dochovaných seznamů z let 1563/1564 – 1616/1617 [Die Besetzung des Kreishauptmannsamtes in der Zeit vor dem Weißen Berg und das Verzeichnis der Kreishauptmänner aufgrund der überlieferten Verzeichnisse aus den Jahren 1563/64 bis 1616/17]. Praha 2009, S. 222–223. Jaroslav Pánek: Maximilian II. als König von Böhmen. In: Friedrich Edelmayer, Alfred Kohler (Hg.): Kaiser Maximilian II. Kultur und Politik im 16. Jahrhundert (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 19). München u. Wien 1992, S. 55–69; Václav Bůžek: Ferdinand von Tirol zwischen Prag und Innsbruck. Der Adel aus den böhmischen Ländern auf dem Weg zu den Höfen der ersten Habsburger. Wien, Köln u.Weimar 2009, S. 111–151. Kavka, Skýbová, Husitský epilog (wie Anm. 5), S. 159–194. Václav Bůžek: From Compromise to Rebellion. Religion and Political Power of the Nobility in the First Century of the Habsburgs´ Reign in Bohemia and Moravia. In: Journal of Early Modern History 8 (2004), S. 31–45. Mit Verweisen auf die ältere Literatur Zdeněk Vybíral: Politická komunikace aristokratické společnosti českých zemí na počátku novověku [Die politische Kommunikation der aristokratischen Gesellschaft der böhmischen Länder zu Beginn der Neuzeit] (Monographia historica 6). České Budějovice 2005, S. 119–207.

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VI. DIE BÖHMISCHE KONFESSION VON 1575 Die über den Rahmen der aufgehobenen Basler Kompaktaten hinausreichende Religionsfreiheit sollte den adligen Nichtkatholiken im Jahre 1575 die Böhmische Konfession bestätigen, die sich an die Confessio Augustana anlehnte und diese um die hussitischen Ideen und Lehren der Brüderunität ergänzte.54 Eine wichtige Rolle als Mittelsmann spielte bei den Verhandlungen bezüglich der Glaubensfragen der gebildete Ritter Michal Španovský von Lisov, der sich bemühte, Kompromisse zwischen dem Glauben der Utraquisten, der Lutheraner und der Anhänger der Brüderunität zu finden. Auch wenn König Maximilian II. zuerst mündlich die Anerkennung der Böhmischen Konfession ausschließlich für den Herren- und Ritterstand versprochen hatte, entschied er sich schließlich dagegen und verbot sogar ihren Druck. Demzufolge stellten sich die nichtkatholisch gesinnten Herren und Ritter in Opposition zu den erstarkenden Rekatholisierungsbestrebungen der Habsburger und hörten nicht auf, die Errichtung einer einheitlichen Organisationsbasis nichtkatholischer Konfessionen anzustreben. Michael Španovský von Lisov veranlasste sogar den Druck der Böhmischen Konfession auf eigene Kosten.55 Sein Bruder Johann Španovský von Lisov erließ für die Anhänger der Reformation in seiner Herrschaft Pacov (Patzau) im Jahre 1581 eine Kirchenordnung.56 VII. DIE GELTENDMACHUNG DES PATRONATSRECHTS Obwohl die Verbreitung der lutherischen Reformation im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts im Königreich Böhmen nicht stark war, erschienen weiterhin verbindliche Instruktionen für das religiöse Leben in den Pfarrgemeinden in den adligen Herrschaften.57 Aufmerksamkeit verdient daher die Kirchenordnung, die elf Bestimmungen für die Herrschaft Rokytnice (Roketnitz) im Adlergebirge in Nordostböhmen mit überwiegend deutschsprachiger Bevölkerung beinhaltet. Diese Kirchenordnung erließ der lutherisch gesinnte Vertreter des niederen Adels Christopher Mauschwitz von Armenruhe im Jahre 1601.58 54

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Ferdinand Hrejsa: Česká konfesse, její vznik, podstata a dějiny [Die Böhmische Konfession, ihre Entstehung, ihr Wesen und ihre Geschichte]. Praha 1912; Jaroslav Pánek: Stavovská opozice a její zápas s Habsburky 1547–1577. K politické krizi feudální třídy v předbělohorském českém státě [Die ständische Opposition und ihr Kampf mit den Habsburgern 1547–1577. Zur polititischen Krise der feudalen Klasse im böhmischen Staat in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg]. Praha 1982, S. 101–119; Joachim Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration in Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburger Herrschaft (1526–1619) (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3). München 1994, S. 169–308. Václav Bůžek: Rytíři renesančních Čech [Die Ritter in Böhmen in der Renaissancezeit]. Praha 1995, S. 124–132. Hrejsa, Česká konfesse (wie Anm. 54), S. 355–357. Just, Nešpor, Matějka et al., Luteráni (wie Anm. 22), S. 89. Ebd.; Alfred Eckert: Fünf evangelische (vor allem lutherische) Kirchenordnungen in Böhmen zwischen 1522 und 1609. In: Bohemia 18 (1977), S. 35–50, hier S. 42–43.

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Diese Kirchenordnung verordnete den Kirchgängern eine obligatorische Registrierung beim Pfarrer und eine regelmäßige Teilnahme an den Sonntagsgottesdiensten, bei denen sie die ihnen vorher zugewiesenen Plätze in den Kirchenbänken einnehmen sollten. Wenn die Pfarrkinder ihre Pflichten verletzten, sollten sie mit einer Geldstrafe oder Inhaftierung bestraft werden. Die Pfarrer mussten außer ihrer üblichen Verpflichtungen als Seelsorger die Matrikel wie auch ein Verzeichnis von Gläubigen, die am Abendmahl in genau vorgeschriebener Art und Weise teilnahmen, führen. Die Kirchenordnung enthielt darüber hinaus Anweisungen zur Erteilung von Taufen und Trauungen, der Einführung der Wöchnerinnen und der Durchführung von Begräbnissen. Anfang Januar waren die Pfarrer verpflichtet, von der Kanzel die Namen aller in der Gemeinde im vergangenen Jahr vermählten, verstorbenen, neugeborenen und getauften Personen zu verkünden. Besondere Aufmerksamkeit wurde in der Kirchenordnung dem Ablauf und dem Anfang der Gebete in der Advents- und Fastenzeit gewidmet. Den Kirchgängern wurde verordnet, die Namen jener Personen, die gegen die Kirchenordnung verstießen, zu melden. Die Väter mussten stets zu Beginn des Jahres begabte junge Männer, die sich für das Studium vorbereiteten, in den Pfarrkirchen vorstellen. Die abschließende Verfügung der Kirchenordnung befasste sich mit liturgischen Fragen. Es wurde dort ausdrücklich festgehalten, dass während der Gottesdienste in der Herrschaft Rokytnice (Roketnitz) geistliche Lieder in tschechischer und deutscher Sprache gesungen werden sollten. In Hinblick auf Mähren verdient die Kirchenordnung für zwölf Pfarrgemeinden in der Herrschaft Sovinec (Eulenberg), die im Jahre 1616 der lutherisch gesinnte Angehörige des niederen Adels Johann der Ältere Kobylka von Kobylí erließ, eine nähere Betrachtung.59 In seiner normativen Instruktion, in der er nicht nur die Pflichten der evangelischen Pastoren formulierte, verordnete er auch den obrigkeitlichen Beamten, die Ordnung bei den Gottesdiensten zu beaufsichtigen. Auf die Einhaltung liturgischer Regeln in allen Pfarrgemeinden in der Herrschaft achtete ein von Johann dem Älteren Kobylka von Kobylí ernannter Kircheninspektor. Die Anhänger der deutschen Reformation aus dem niederen Adel bestätigten zur gleichen Zeit auch in Urkunden die Religionsprivilegien, die sie für die Städte in ihren Herrschaften, über die sie die Obergewalt innehatten, ausstellten, um dem Druck zum Glaubenswechsel der Untertanen vorzubeugen, falls eine neue Obrigkeit eine Herrschaft erwarb, die sich zu einer anderen Konfession bekannte. Michal Španovský von Lisov bürgte in einer Urkunde von 1596 dafür, dass die Bewohner der Stadt Pacov (Patzau) von einer neuen Obrigkeit in Zukunft nicht zur Abwendung von ihrem utraquistischen oder lutherischen Glauben gezwungen werden durften.60 Arkleb Prusinovský von Víckov verbürgte sich im Jahre 1607 in einer Urkunde für die Stadt Boleradice (Polehraditz), dass alle Besitzer der Stadt die dortige Pfarre im Rahmen des Patronatsrechts ausschließlich durch lutherische (evangelische), in Wittenberg oder Leipzig ordinierte Prediger besetzen würden. 59 60

Leoš Mlčák: Pozdně renesanční luterské kostely na sovineckém panství z let 1577–1610 [Die spätrenaissancezeitlichen Lutherkirchen in der Herrschaft Eulenberg aus den Jahren 1577– 1610]. In: Střední Morava 11 (2000), S. 47–57, hier S. 53. Hrejsa, Česká konfesse (wie Anm. 54), S. 355–357.

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Gleichzeitig legte er die Vorgaben fest, an die sich ein Geistlicher während des Gottesdiensts halten sollte.61 Zeugnis von den Verpflichtungen des lutherischen Geistlichen Urban Killers in der Herrschaft Děčín (Tetschen) legt ein Vertrag ab, den Heinrich der Ältere von Bünau im Jahre 1605 mit ihm schloss. Der Pfarrer verpflichtete sich zu einer verständlichen Auslegung des Evangeliums im Geiste der Confessio Augustana. Zu seinen Pflichten gehörten die Beaufsichtigung der lutherischen Pastoren in allen Pfarrgemeinden in der Herrschaft Děčín (Tetschen) und die Erziehung der Kinder der Untertanen. Für die Versehung des geistlichen Diensts bezog der Pastor jedes Vierteljahr eine Entlohnung in Gestalt von Geld und Naturalien. Von der Obrigkeit erhielt er ein Haus in Děčín (Tetschen) mit Gärten und Ländereien.62 In den Pfarrgemeinden in der Herrschaft Sovinec (Eulenberg) durften die Geistlichen gemäß der Kirchenordnung aus dem Jahre 1616 ihr Vermögen an ihre Ehefrauen und Kinder vermachen.63 Die Glaubensüberzeugung der Anhänger der deutschen Reformation spiegelte sich nicht nur in der inhaltlichen Zusammensetzung der Bibliotheken des niederen Adels in Nordböhmen, in denen die Schriften Martin Luthers und Philipp Melanchthons nicht fehlten,64 sondern sie wirkte sich im letzten Drittel des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch auf den Umbau und auf die Ausschmückung der Kapellen und Kirchen in den Herrschaften aus, in denen die Adligen über das Patronatsrecht verfügten. Im böhmisch-sächsischen Grenzgebiet veranlasste der Vizekanzler des Königreichs Böhmen, Georg Mehl von Strehlitz, schon um 1569 die künstlerische Ausgestaltung der Schlosskapelle St. Barbara in seiner Residenz Grabštejn (Grafenstein).65 Als Vorlage für die bildnerischen Darstellungen des Leidens Christi, des Jüngsten Gerichts und der vier Evangelisten dienten offensichtlich Motive aus dem Passionszyklus von Albrecht Dürer. So konnte sich der Gläubige dank des Engagements von gebildeten Angehörigen des niederen Adels in der lutherischen Kapelle mit Hilfe der Erläuterung durch die Predigt die ganze Lebensgeschichte von der Verkündigung und der Geburt an bis zur Festnahme, Geißelung, Grablegung, Auferstehung und Himmelfahrt ansehen und miterleben. Anfang der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts finanzierten Friedrich und Heinrich Abraham von Salhausen den Bau der lutherischen Kirche St. Wenzel in Valtířov (Waltersgrün). Dreißig Jahre später beschloss Friedrich von Salhausen den Umbau der Kirche St. Jakobs des Älteren in Svádov (Schwaden). Zur gleichen Zeit entstand ein neuer lutherischer Sakralraum im Auftrag Rudolf von Bünaus durch 61 62 63 64

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Just, Nešpor, Matějka et al., Luteráni (wie Anm. 22), S. 99. Ebd., S. 90; Arnold, Das Luthertum (wie Anm. 29), S. 102. Mlčák, Pozdně renesanční luterské kostely (wie Anm. 59), S. 53. Besonders Just, Nešpor, Matějka et al., Luteráni (wie Anm. 22), S. 102–105; Michaele Balášová: Kultura luterské šlechty v severozápadních Čechách na příkladu Štampachů ze Štampachu [Die Kultur des lutherischen Adels in Nordwestböhmen am Beispiel der Steinbacher von Steinbach]. In: Ústecký sborník (2005), S. 121–153, hier S.142–147. Dazu Milan Svoboda: Spása i zatracení na Grabštejně. Zámecká kaple svaté Barbory z roku 1569 [Rettung und Verdammnis auf Grafenstein. Die Schlosskapelle der Heiligen Barbara aus dem Jahre 1569]. In: Dějiny a současnost 37 (2015), Nr. 2, S. 28–29.

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den Umbau der gotischen Schlosskirche der Jungfrau Maria in Krásné Březno (Schönpriesen). In allen Fällen beteiligten sich an der künstlerischen Ausgestaltung von Altären, Kanzeln und Taufbecken Künstler aus Freiberg und Pirna.66 Bei der lutherischen Umgestaltung der inneren Ausstattung der St. Wenzelskirche in Roudníky (Raudnig), die offensichtlich auf Veranlassung Heinrich von Bünaus des Älteren um 1607 realisiert wurde, wurden die ursprünglichen Malereien am Altarretabel übermalt. Diese waren wahrscheinlich auf Auftrag der Ritter Vřesovec von Vřesovice in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts entstanden, als ein unbekannter Meister aus dem Prager Künstlerkreis das Altarretabel mit der Szene der Verbrennung des Magisters Johannes Hus geschmückt hatte. Sein Märtyrertod am Scheiterhaufen stellte die zentrale visuelle Repräsentation der utraquistischen Kirche in Böhmen in der Zeit nach den Hussitenkriegen dar.67 Die Demonstration der konfessionellen Identität und der vornehmen Herkunft der Ritter von Salhausen spiegelte sich in der Ausschmückung ihrer Familienbegräbniskapelle in der lutherischen Kirche zur Geburt der Jungfrau Maria in Benešov nad Ploučnicí (Bensen).68 Den Höhepunkt der symbolischen Ausschmückung der Kapelle bildet das Grabmal mit den knienden Figuren Wolf von Salhausens und seiner Gemahlin Maria von Salhausen geborener Bock, die dieses nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahre 1589 wahrscheinlich in Pirna oder in Meißen bestellte. Hinter den Elternfiguren befinden sich am Grabmal die Reliefe ihrer knienden Kinder. Hinter dem Vater Wolf sind seine drei Söhne Johann, Abraham und Wolf, hinter der Mutter Maria die drei Töchter Sabina, Marie und Barbara zu sehen. Im Hintergrund des Grabmals ist im Relief die Auferweckung des Lazarus dargestellt, im Grabmalaufsatz ist ein Relief mit der Auferstehung Christi angebracht, und in den Nischen sitzen die Evangelisten Johannes und Markus. Den mittleren Teil des Grabmals zieren Wappen verwandter Adelsfamilien, die aus dem lutherischen Sachsen stammten. Die Auferweckung von Lazarus verweist auf das Leben des Ritters Friedrich des Älteren von Salhausen, der das römisch-deutsche Reich verlassen, seine Familie nach Benešov nad Ploučnicí (Bensen) mitgenommen hatte und zum lutherischen Bekenntnis konvertiert war. Die Anwesenheit des Enkelsohnes Wolf, seiner Ehefrau, ihrer Kinder, beider Evangelisten und der Wappen des säschsischen Adels in der bildnerischen Ausgestaltung des Grabmals zeugen nicht nur von einer ununterbrochenen Tradition der lutherischen Glaubenshaltung der Ritter von Salhausen, sondern sie demonstrieren im böhmischen Milieu auch ihre vornehme Herkunft. Die Ausgestaltung der lutherischen Kirchen erfuhr zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch in den Herrschaften des niederen Adels in der Markgrafschaft Mähren 66 67

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Birgit Finger: Frömmigkeitsformen einer niederadligen Familie. Kirchen und Schlosskapellen der Herren von Bünau in Sachsen und Böhmen. In: Schattkowsky (Hg.), Die Familie von Bünau (wie Anm. 26), S. 383–412; Just, Nešpor, Matějka et al., Luteráni (wie Anm. 22), S. 114–115. Milena Bartlová: „Upálení sv. Jana Husa“ na malovaných křídlech utrakvistického oltáře z Roudník [Die Verbrennung des Hl. Johannes Hus auf den gemalten Flügeln des utraquistischen Altars aus Raudnig]. In: Umění 53 (2005), S. 427–443; Finger, Frömmigkeitsformen einer niederadligen Familie (wie Anm. 66), S. 408; Emanuel Poche: Umělecké památky Čech [Die Kunstdenkmäler Böhmens], Band III. Praha 1980, S. 248–249. Bobková, Rezidenční představy rytířů ze Salhausenu (wie Anm. 30), S. 266–268; Bůžek, Der Adel im böhmisch-sächsischen Grenzraum (wie Anm. 26), S. 88–89.

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einen Wandel. Dies belegen nicht nur die Umbauten der Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit in Běhařovice (Biharzowitz) in der südmährischen Herrschaft Tavíkovice (Tajkowitz), deren Besitzer Georg Teufel von Gundersdorf war, sondern auch der Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit in Prusinovice (Prusinowitz) auf den Gütern Arkleb Prusinovskýs von Vickov. In der Herrschaft Sovinec (Eulenberg) ließ Johann der Ältere Kobylka von Kobylí in den Jahren 1577 bis 1610 sieben einschiffige Renaissancepfarrkirchen, die dem Zweck des lutherischen Gottesdienstes dienten, umbauen. In der Dreikönigskirche in Břidličná (Friedland) an der Mohra, in der Kirche St. Jakob des Älteren in Dolní Moravice (Nieder Mohrau), in der St. Georgskirche in Lomnice (Lomnitz), in der die Kirche St. Kunhuta in Paseka (Passek), in der Kirche St. Johannes des Täufers in Rýžoviště (Braunseifen), in der Kirche des Erzengels Michael in Jiříkov (Girsig) und in der Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit in Velká Šťáhel ließ er Tafeln mit seinem Wappen anbringen. Durch diesen Schritt schrieb sich Johann der Ältere Kobylka von Kobylí dauerhaft als Anhänger des lutherischen Glaubens und als großzügiger Mäzen der lutherischen Geistlichen in den Pfarreien in seinen Herrschaften in das Gedächtnis der Familie und der Region ein.69 Anhand des Spenderbuchs stellt man fest, dass ungefähr fünfzig Angehörige des niederen Adels insbesondere aus den nordwestlichen und nordöstlichen Regionen des Königreichs Böhmen in den Jahren 1610 bis 1615 den Bau der lutherischen Salvatorkirche in der Prager Neustadt durch Geldspenden unterstützten.70 Finanzielle Schenkungen der bereits erwähnten Personen aus den Reihen des niederen Adels stellen keinen direkten Beweis ihres lutherischen Glaubens dar. Das Mäzenatentum der wohlhabenden Spender war eher ein Beleg für ihr nichtkatholisches Glaubensbekenntnis, denn es konnte sich nicht nur um die Anhänger des Luthertums handeln, sondern auch um solche des Utraquismus oder der Brüderunität.71 Die Salvatorkir69 70 71

Mlčák, Pozdně renesanční luterské kostely (wie Anm. 59), S. 47–57. Schreiber (Hg.), Das Spenderbuch (wie Anm. 48), S. 21–71. Die Spender aus dem niederen Adel, die die finanziellen Mittel für den Bau der lutherischen Salvatorkirche gaben, hatten ihren Grundbesitz vor allem im Leitmeritzer Kreis (Heinrich von Bünau, Prokop Dvořecký von Olbramovice, Adam Hrzán von Harasov, Tobias Hrzán von Harasov, Georg Oudrcký von Oudrc, Adam Kaplíř von Sulevice, Albrecht Kaplíř von Sulevice, Burian Kaplíř von Sulevice, Kašpar Kaplíř von Sulevice, Adam Georg Vřesovec von Vřesovice, Johann Vřesovec von Vřesovice, Johann Bořivoj Vřesovec von Vřesovice, Johann Wilhelm Kostomlatský von Vřesovice, Radslav Vřesovec von Vřesovice, Anton von Salhausen, Friedrich von Salhausen), im Saazer Kreis (Bernard von Oelsnitz, Jakub Hruška von Březno, Tobias Hruška von Březno, Bohuslav von Michalovice, Adam Georg Kokořovec von Kokořov, Jetřich Sekerka von Sedčice, Albrecht von Steinbach, Asmus Ältere von Steinbach, Brikcí von Steinbach, Johann von Steinbach, Johann Albrecht von Steinbach, Johann Reichard von Steinbach, Leonhard von Steinbach, Mathias von Steinbach, Wenzel der Ältere von Steinbach), weiter dann im Bunzlauer Kreis (Nikolas Vratislav von Bubno, Abraham von Gersdorff, Johann Abramus von Gersdorff), im Pilsner Kreis (Wenzel Chotek von Chotkov, Johann Wilhelm Kfelíř von Zaškov, Wolf Albrecht Pergler von Perglas) und in einigen Regionen in der Umgebung von Prag (Ulrich von Gersdorff, Blasius Griesbeck von Griesbach, Bohuslav Hrobčický von Hrobčice, Ulrich Hrobčický von Hrobčice, Christoph Hrobčický von Hrobčice, Johann Pernklo von Schönreit). Zur Schätzung ihres Vermögens besonders vgl. August Sedláček: Rozvržení sbírek a berní r. 1615 dle uzavření sněmu generálního nejvyššími berníky učiněné. Podle rukopisu desk

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che wurde zusammen mit der Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit auf der Prager Kleinseite zu den bedeutendsten Zentren des religiösen Lebens böhmischer und deutscher Lutheraner in Prag am Ausgang der rudolfinischen Epoche.72 VIII. DER NIEDERE ADEL IM KAMPF UM RELIGIÖSE UND STÄNDISCHE FREIHEITEN Obwohl Rudolf II. im Jahre 1602 die Gültigkeit des gegen die Brüderunität gerichteten königlichen Mandats bestätigte, das die Tätigkeit der Brüdergemeinden in den königlichen Städten und in den Herrschaften des Adels untersagte,73 wurde diese Verordnung nicht eingehalten. Dies belegt das religiöse Leben in Mladá Boleslav (Jungbunzlau), das zu Beginn des 17. Jahrhunderts der bedeutendste Sitz von Bischöfen der Brüderunität in Böhmen war. Die Analyse des Briefwechsels der Geistlichen mit dem Bischof der Brüderunität aus den Jahren 1610 bis 1618 zeigt deutlich, dass weniger wohlhabende als vielmehr sehr reiche Angehörige des niederen Adels, die besonders in Mittel-, Ost- und Nordböhmen Grundbesitz hatten, nicht aufhörten, sich der Brüderunität zuzuwenden.74 Unter den Adligen aus den Reihen des niederen Adels, die rege Kontakte mit den Geistlichen aus der Brüdergemeinde in Mladá Boleslav (Jungbunzlau) pflegten, ragt Šťastný Wenzel Pětipeský von Chýše hervor, der in der Umgebung über einen nicht sehr ausgedehnten Grundbesitz verfügte. Obwohl er seine Laufbahn nach früheren Kriegserfahrungen an der ungarischen Grenze im Jahre 1611 als Rittmeister im Heer der böhmischen Stände angefangen hatte, bekleidete er wiederholt das Amt des

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zemských [Die Steuer- und Sammlungsaufteilung aus dem Jahre 1615 nach den durch die höchsten Steuereinnehmer gemachten Beschlüssen des Generallandtags]. Praha 1869. Wenzel, Konfese a chrámová architektura (wie Anm. 48) I. In: Pražský sborník historický 36 (2008), S. 31–103; II. In: Pražský sborník historický 37 (2009), S. 7–66. Julius Glücklich: Mandát proti Bratřím z 2. září 1602 a jeho provádění v letech 1602–1604 [Das Mandat gegen die Brüder vom 2. September 1602 und seine Durchführung in den Jahren 1602 bis 1604]. In: Věstník Královské české společnosti nauk 1904. Praha 1905, S. 1–28. Im Bunzlauer, Čáslauer und Königsgrazer Kreis hatten ihren Grundbesitz Johann der Jüngere von Bubno, Niklas Vratislav von Bubno, Vladislav Bukovský von Hustířany, Karl der Ältere Čejka von Olbramovice, Johann Černhaus von Černhaus, Adam Linhart von Najenperk, Heinrich Kustoš von Zubří, Smil Lukavecký von Lukavec, Ulrich Jüngere Myška von Žlunice, Šťastný Wenzel Pětipeský von Chýše, Adam Studenecký von Pašíněves, Rudolf Zejdlic von Schönfeld; im Leitmeritzer, Pilsner und Saazer Kreis Zacharias Griesbeck von Griesbach, Johann Georg der Ältere Harant von Polžice, Wenzel Hochhauser von Hochhaus, Adam Hrzán von Harasov, Wenzel Hrzán von Harasov, Karl Kaplíř von Sulevice, Kašpar Kaplíř von Sulevice; in der Umgebung von Prag Peter Ježovský von Luby, Heinrich Otta von Los, Ulrich Sezima Skuhrovský von Skuhrov, Johann Benjamin Sluzský von Chlum. Die Korrespondenz gab heraus Jiří Just (Hg.): „Hned jsem k Vám dnes naschvalí poslíka svého vypravil.“ Kněžská korespondence Jednoty bratrské z českých diecézí z let 1610–1618. Archiv Matouše Konečného [„Hned jsem k Vám dnes naschválí poslíka svého vypravil.“ Die Korrespondenz der Geistlichen der Brüderunität aus den böhmischen Diözesen aus den Jahren 1610 bis 1618. Archiv Matouš´ Konečný], Band I/1. Praha 2011, besonders S. 71–245; zur Schätzung ihres Vermögens besonders Sedláček, Rozvržení sbírek (wie Anm. 71).

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Kreishauptmanns im Bunzlauer Kreis. Seit Mai 1618 brachte er seinen politischen Einfluss im ständischen Direktorium zur Geltung, wo er die Freiheiten der nichtkatholischen Stände des Königreichs Böhmen verteidigte. Nachdem er die Wahl Friedrichs V. von der Pfalz zum König von Böhmen unterstützt hatte, wirkte er an dessen Hof in Prag als Hofmarschall.75 Šťastný Wenzel Pětipeský von Chýše gehörte zu der zahlenmäßig kleinen Gruppe Niederadliger, die sich zur Lehre der Brüderunität bekannten und deren Glaube sie im Kampf um religiöse und politische Freiheiten der Stände im Königreich Böhmen in die Opposition zur Landespolitik führte.76 Die wesentlich besser organisierte Minderheit des katholischen Adels stand in Böhmen während des letzten Drittels des 16. Jahrhunderts den konfessionell uneinheitlichen und institutionell zersplitterten Anhängern des Utraquismus, des Luthertums und der Brüderunität, die eindeutig in der Mehrheit waren, gegenüber. Um ihre politische Position zu festigen, waren die dem katholischen Bekenntnis zugeneigten Herren und Ritter bereit, die Landesfreiheiten nichtkatholischer Stände zugunsten der Zentralisierungsinteressen des Königs zu opfern. Während jedoch für die nichtkatholischen Stände in Mähren nach ihrem Beitritt zur österreichisch-ungarischen Konföderation im Jahre 1608 Erzherzog Matthias ihre Religionsfreiheit garantierte, verbanden die Anhänger des Utraquismus, des Luthertums und der Brüderunität in Böhmen ihr weiteres Vorgehen mit der Treue gegenüber Rudolf II.77 Während des Bruderzwistes im Hause Habsburg schenkten die nichtkatholischen Herren und Ritter den wiederholten Bemühungen des Anführers der Calvinisten im römisch-deutschen Reich, Christian I. von Anhalt-Bernburg, der ein Bündnis zwischen der Union protestantischer Fürsten im Reich und den nichtkatholischen Ständen im Königreich Böhmen anstrebte, nur wenig Beachtung. Zum wichtigsten Vermittler von Nachrichten über die politische Haltung der Nichtkatholiken in Böhmen, besonders der Brüderunität, in die Zentren der calvinistischen Reformation in Amberg und Heidelberg wurde in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts auf Veranlassung des Anführers der nichtkatholischen Stände Peter Wok von Rosenberg, des-

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Miroslav Žitný (Hg.): Korespondence Šťastného Václava Pětipeského z Chýš a Egrberku z let 1600–1610 [Die Korrespondenz des Šťastný Wenzel Pětipeský von Chýše und Egerberg aus den Jahren 1600 bis 1610] (Prameny k českým dějinám 16. – 18. století, Reihe B, Band VII/1). České Budějovice 2015, S. 14–60; Ders. (Hg.): Korespondence Šťastného Václava Pětipeského z Chýš a Egrberku z let 1611–1621 [Die Korrespondenz des Šťastný Wenzel Pětipeský von Chýše und Egerberg aus den Jahren 1611 bis 1621] (Prameny k českým dějinám 16. – 18. století, Reihe B, Band VII/2). České Budějovice 2016. Im Prager Haus des Pětipeskýs versammelten sich die Angehörigen der Brüderunität schon in der Mitte der neunziger Jahre des 16. Jahrhunderts – dazu Olga Fejtová: Jednota bratrská v městech pražských v době předbělohorské a rejstřík členů pražského sboru [Die Brüderunität in den Prager Städten in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg und das Register der Prager Gemeinde]. Praha 2014, S. 23 Zu den politisch einflussreichsten Adligen aus dem niederen Adel, die sich zur Lehre der Brüderunität bekannten, gehörte seit dem Ende des 16. Jahrhunderts Wenzel Budovec von Budov. In den Herrenstand wurde er 1607 aufgenommen. Dazu besonders Noemi Rejchrtová: Václav Budovec z Budova [Wenzel Budovec von Budov]. Praha 1984. Bahlcke, Regionalismus und Staatsintegration (wie Anm. 54), S. 309–360; Václav Bůžek (Hg.): Ein Bruderzwist im Hause Habsburg (1608–1611) (Opera historica 14). České Budějovice 2010.

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sen deutscher Sekretär, Theobald Hock von Zweibrücken, aus den Reihen des niederen Adels stammte.78 Der rosenbergische Sekretär machte sich um die Verbreitung von Schriften calvinistischer Theologen aus dem Kreis am Hof der Pfälzer Kurfürsten in Heidelberg in den böhmischen Ländern verdient.79 Auf der Festung Žumberk (Sonnberg) in Südböhmen besaß er ungefähr zweihundert Bücher, unter denen vor allem juristische und theologische Werke überwogen. Obwohl unter den theologischen Schriften die Bücher lutherischer und vor allem calvinistischer Reformatoren, die in Amberg, Heidelberg, Tübingen und Wittenberg erschienen waren, nicht fehlten, besorgte sich Theobald Hock von Zweibrücken auch bedeutende katholische Werke.80 Im Jahre 1614 führte er in Einklang mit der Ausnutzung des Patronatsrechts in seiner Herrschaft das reformierte Bekenntnis ein. Aus der Einrichtung der Kirche St. Johannes des Täufers in Žumberk (Sonnberg) in Südböhmen ließ er Ausschmückung und liturgische Gegenstände, deren man sich bei der Feier katholischer Gottesdienste bediente, entfernen. Zugleich verbot er seinen Untertanen die Teilnahme an katholischen Gottesdiensten in den umliegenden Pfarrgemeinden.81 Rudolf II. unterzeichnete am 9. Juli 1609 den Majestätsbrief für die Religionsfreiheit, der die Gleichberechtigung des katholischen und des nichtkatholischen Bekenntnisses im Königreich Böhmen deklarierte.82 Die Urkunde hatte den Wortlaut, den Wenzel Budovec von Budov in Zusammenarbeit mit Peter Wok von Rosenberg gemäß der Böhmischen Konfession vorbereitet hatte.83 Sie gewährleistete allen Nichtkatholiken ohne soziale Unterschiede das Recht auf freie Ausübung ihres Glaubens. Unmittelbar nach dem Erlass des Majestätsbriefes suchten die An78

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Hans Georg Uflacker: Christian I. von Anhalt und Peter Wok von Rosenberg. Eine Untersuchung zur Vorgeschichte des pfälzischen Königtums in Böhmen. München 1926; Jaroslav Pánek: Poslední Rožmberkové – velmoži české renesance [Die letzten Rosenberger – die Magnaten der böhmischen Renaissance]. Praha 1989, S. 306–319; Václav Bůžek: Die Glaubensfreiheit im Denken und Alltagsleben des Peter Woks von Rosenberg. In: Jaroslava Hausenblasová, Jiří Mikulec, Martina Thomsen (Hg.): Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen. Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 46). Stuttgart 2014, S. 85–102. Vgl. Joachim Bahlcke: Gegenkräfte. Studien zur politischen Kultur und Gesellschaftsstruktur Ostmitteleuropas in der Frühen Neuzeit (Studien zur Ostmitteleuropaforschung 31). Marburg 2015, S. 171–175. Václav Bůžek: Zwischen Amberg und Wittingau. Politische Kommunikation in der Zeit des Bruderzwists im Haus Habsburg. In: Joachim Bahlcke, Albrecht Ernst (Hg.): Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung (Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte 5). Heidelberg, Ubstadt-Weiher u. Basel 2012, S. 241–259; Václav Bok: Die Bibliotheken von Theobald und Hans Höck von Zweibrücken nach einem Inventar von 1618. In: Ulman Weiß (Hg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag. Epfendorf am Neckar 2008, S. 341–356. Bůžek, Zwischen Amberg und Wittingau (wie Anm. 79), S. 258–259. Jaroslav Pánek: Der Majestätsbrief zur Religionsfreiheit von 1609 als historiographisches Problem. In: Hausenblasová, Mikulec, Thomsen (Hg.), Religion und Politik (wie Anm. 77), S. 239–260. Jiří Just: 9. 7. 1609. Rudolfův majestát. Světla a stíny náboženské svobody [9. 7. 1609. Der Majestätsbrief Rudolfs II. Licht und Schatten der Religionsfreiheit]. Praha 2009, S. 69–104.

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hänger des Utraquismus, des Luthertums und der Brüderunität nach Wegen zur Überbrückung der gegenseitigen dogmatischen Auseinandersetzungen.84 Die Zerstörung lutherischer Kirchen im böhmisch-sächsischen Grenzgebiet und andere Formen der Verletzung des Majestätsbriefes über die Religionsfreiheit gaben dem nichtkatholischen Adel den Anstoß zur offenen Rebellion gegen den König aus dem Haus Habsburg, die am 23. Mai 1618 mit dem Prager Fenstersturz in Gang gesetzt wurde. Die Regierung übernahm ein dreißigköpfiges Direktorium nichtkatholischer Herren und Ritter sowie der königlichen Städte.85 Unter seinen finanziellen Förderern ragte Adam Hrzán von Harasov hervor, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts der reichste Angehörige des niederen Adels im Königreich Böhmen war.86 In seinen Herrschaften in Ostböhmen unterstützte er nicht nur lutherische Geistliche, sondern pflegte gleichzeitig auch langjährige enge persönliche Kontakte zur Brüderunität. In der gemeinsamen Verfassung der Confoederatio Bohemica verankerten die nichtkatholischen Stände aus Böhmen, Mähren, Schlesien sowie der Ober- und Niederlausitz am 31. Juli 1619 die kollektive Revolte als Rechtsmittel des Widerstandes gegen den König, der ihre Glaubensfreiheit und ihre politischen Vorrechte verletzte. Durch die konsequente Durchsetzung ihres Rechts auf Widerstand auf ausgeprägt konfessioneller Basis und durch die Wahl des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zum König von Böhmen verweigerten sie den Habsburgern den Gehorsam.87 Der offene Aufstand der nichtkatholischen Stände gegen den König wurde durch ihre Niederlage in der Schlacht am Weißen Berg am 8. November 1620 beendet.88 Ferdinand II. nutzte seinen Sieg zu einer zügigen Disziplinierung der nichtkatholisch gesinnten Personen. Er erließ im Jahre 1627 für Böhmen und im Jahre 1628 für Mähren die Erneuerte Landesordnung, mit der die Habsburgerdynastie nicht nur die Erbfolge in den beiden Ländern für sich beanspruchte, sondern auch nur die katholische Konfession zuließ. Wenn die nichtkatholischen Herren und Ritter es ablehnten, in der vorgegebenen Frist zum Katholizismus zu konvertieren, sollte es zur Beschlagnahme ihres Vermögens und zur Exilierung kommen.89 84 85 86 87 88 89

Jiří Just: Die Neuordnung der nichtkatholischen Kirchenverwaltung in Böhmen nach dem Majestätsbrief: Ziele und Probleme. In: Hausenblasová, Mikulec, Thomsen (Hg.), Religion und Politik (wie Anm. 77), S. 143–154. Bahlcke, Regionalismus und Staatsintegration (wie Anm. 54), S. 400–416. Josef Janáček (Hg.): Pavel Skála ze Zhoře, Historie česká. Od defenestrace k Bílé hoře [Pavel Skála von Zhoř, Die böhmische Geschichte. Seit dem Fenstersturz zum Weißen Berg]. Praha 1984, S. 94, 389; Bůžek, Rytíři renesančních Čech (wie Anm. 55), S. 117–123. Bahlcke, Regionalismus und Staatsintegration (wie Anm. 54), S. 416–445. Josef Petráň, Lydia Petráňová: The White Mountain as a Symbol in Modern Czech History. In: Mikuláš Teich (Hg.): Bohemia in History. Cambridge 1998, S. 143–163; Olivier Chaline: La bataille de la Montagne Blanche, 8 novembre 1620: Un mystique chez les guerriers. Paris 1999. Václav Bůžek, Petr Maťa: Wandlungen des Adels in Böhmen und Mähren im Zeitalter des Absolutismus (1620–1740). In: Ronald G. Asch (Hg.): Der europäische Adel im Ancien Régime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (1600–1789). Köln, Weimar u. Wien 2001, S. 287–321; Lenka Bobková: Exulanti z Prahy a severozápadních Čech v Pirně v letech 1621–1639 [Die Exulanten aus Prag und Nordwestböhmen in Pirna in den Jahren 1621–1639]. Praha 1999.

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IX. DAS LEBEN IM KONFESSIONELLEN EXIL Johann Georg Harant von Polžice, Bořek Mateřovský von Mateřov, Václav Nosidlo von Geblice und einige weitere Niederadlige legten in ihren Memoiren persönlich Zeugnis ab von ihrem religiösen Exil. Obwohl sie sich darin mit dem Alltagsleben der Exulanten, der Schilderung von Wundern, Kriegsereignissen oder von religiösen Verhältnissen befassen, gehört ihre Aufmerksamkeit oft dem Schicksal ihrer nächsten Verwandten, die sie in Böhmen zurückließen. Das Verfassen von Memoiren wurde für die Exulanten zu einem Instrument, mit dem sie ihre Erinnerungen an das, was sie zu Hause erlebt hatten, präsent hielten. Dies half ihnen, die ersten Gefühle der Fremdheit im Exil zu überwinden. Ihre privaten Aufzeichnungen enthielten eine ganze Reihe von indirekten Warnungen vor der Überschätzung der Schwierigkeiten des irdischen Lebens, denn das Entscheidende für jeden Christen sei die Ankunft jenseits des Irdischen.90 Die große Mehrheit der wohlhabenderen katholischen Ritter hatte nach 1620 den Aufstieg in den Herrenstand geschafft, der jetzt wesentlich leichter fiel als davor. Der niedere Adel verlor in den böhmischen Ländern seinen einstigen politischen Einfluss und seine Vermögensgrundlage, er ging noch vor der Mitte des 18. Jahrhunderts unter.91 90

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Ferdinand Menčík (Hg.): Paměti Jana Jiřího Haranta z Polžic a z Bezdružic od roku 1624 do roku 1648 [Die Memoiren des Johann Georg Harant von Polžice und Bezdružice von 1624 bis 1648]. Praha 1897; Marie Ryantová: Těžké časy urozeného a statečného rytíře Bořka Mateřovského z Mateřova, exulanta v městě Pirně [Schwere Zeiten des hochgeborenen und tapferen Ritters Bořek Mateřovský von Mateřov, eines der Exulanten in Pirna]. In: Michaela Hrubá (Hg.): Víra nebo vlast? Exil v českých dějinách raného novověku [Glaube oder Heimat? Exil in der tschechischen Geschichte der frühen Neuzeit]. Ústí nad Labem 2001, S. 249–257; Martina Lisa: Die Chronik Václav Nosidlo von Geblice. Aufzeichnungen aus der böhmischen Exulantengemeinde in Pirna zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Edition und Übersetzung (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 47). Stuttgart 2014. Der westböhmische Ritter Johann Georg Harant von Polžice und Bezdružice begab sich 1628 nach Hof, das zur protestantischen Markgrafschaft Brandenburg-Kulmbach gehörte. Der Ritter Bořek Mateřovský von Mateřov musste im gleichen Jahr seine Güter in Ostböhmen verlassen. Von dort aus ging er nach Pirna in Sachsen. In derselben Stadt ließ sich zwei Jahre früher der ehemalige Leitmeritzer Bürger und Wappenträger Wenzel Nosidlo von Geblice nieder. Vgl. Bobková, Exulanti (wie Anm. 87). Bůžek, Grubhoffer, Jan, Wandlungen des Adels (wie Anm. 13), S. 298. Die neuen Möglichkeiten der Erforschung zu den Wandlungen des niederen Adels nach 1620 deuten an Ondřej Tikovský: S údělem prosebníka. Restituční úsilí šlechty českého severovýchodu potrestané pobělohorskými konfiskacemi [Mit dem Los eines Bittstellers. Restitutionsbemühungen des Adels aus dem Nordosten Böhmens, bestraft durch Konfiskationen nach der Schlacht am Weißen Berg]. Hradec Králové 2011; František Koreš: Moc, válka a společenský vzestup v dějinách rodu Robmhápů ze Suché od 16. do 18. století a jejich rodinné paměti [Macht, Krieg und der gesellschaftliche Aufstieg in der Geschichte des Adelsgeschlechts Robmháp von Suchá seit dem 16. bis zum 18. Jahrhundert und seine Familienmemoria]. In: Opera historica 16 (2015), S. 100–148. Mit den Ausdrucksformen der religiösen Identität der Herren und Ritter in den österreichischen Erbländern nach 1620 befasste sich Arndt Schreiber: Adeliger Habitus und konfessionelle Identität. Die protestantischen Herren und Ritter in den österreichischen Erblanden nach 1620 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 58). Wien u. München 2013.

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X. FAZIT Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass aufgrund der hussitischen Revolution und ihrer starken Nachwirkungen auf die politischen und konfessionellen Verhältnisse der Ablauf der Reformation in den böhmischen Ländern besondere Züge aufwies. Die Wiederherstellung des religiösen Lebens und die individuelle Wahl des Bekenntnisses ermöglichten den Herren und Rittern bis weit ins 16. Jahrhundert den Utraquismus und die Brüderunität zu unterstützen, die trotz des königlichen Verbots unter dem Schutz der adligen Obrigkeiten in ihren Herrschaften weiterhin lebendig war. Angesichts der geschilderten Umstände verbreitete sich die deutsche Reformation in den böhmischen Ländern langsam und verspätet. Die frühe lutherische Reformation in den nordböhmischen Herrschaften der Ritter von Salhausen und später der Ritter von Bünau war eine obrigkeitliche Reformation, die von den Grundherren unter Ausnutzung des Patronatsrechts in den Pfarreien in den Herrschaften mit überwiegend deutschsprachiger Bevölkerung durchgesetzt wurde.92 Beide ritterliche Familien waren in der Adelslandschaft des Königreichs Böhmen lange Zeit isoliert und fanden vor allem im lutherischen Sachsen sozialen Anschluss. Bei den alteingesessenen böhmischen Familien aus dem niederen Adel ist es sehr schwer, im religiösen Alltag die Grenze zwischen Utraquismus und Luthertum ohne weitere Forschungen genau zu ziehen.93 Durch die Eingliederung in die sozialen Netzwerke ausländischer Anhänger der Reformation konnten die alteingesessenen Niederadligen vor dem Ende des 16. Jahrhunderts vor allem in Nordböhmen und teilweise in Mähren zur Vermittlung der lutherischen und der calvinistischen Lehre beitragen. Die Reformation konnte der niedere Adel in den böhmischen Ländern durch die Ausübung des Patronatsrechts in seinen kleineren Herrschaften durchsetzen, indem er Prediger aus Sachsen einlud, lutherische (evangelische) Kirchenordnungen erließ und Kirchen und Kapellen umgestaltete.94 Obwohl die konfessionellen Verhältnisse vor allem von dem zugespitzten Dialog zwischen dem König und dem politisch einflussreichen Hochadel geprägt waren, standen auch die oppositionellen Angehörigen des niederen Adels nicht abseits im Kampf um die Religionsfreiheit für Utraquisten, Lutheraner und Brüderunität über die genehmigten Basler Kompaktaten hinaus.

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Vgl. Arnold, Luthertum (wie Anm. 29), S. 104. Vgl. Ferdinand Hrejsa: Luterství, kalvinismus a podobojí na Moravě před Bílou horou [Das Luthertum, der Kalvinismus und der Utraquismus in Mähren vor dem Weißen Berg]. In: Český časopis historický 44 (1938), S. 296–326, 474–485; Arnold Luthertum (wie Anm. 29), S. 85. Vgl. Arnold, Luthertum (wie Anm. 29), S. 104–105.

ZWISCHEN AUFSTIEG UND ÜBERDAUERN Der Adel in der Reformationsgeschichte in Ungarn András Korányi Die Anfänge der Reformation in Ungarn im 16. Jahrhundert gingen mit einer besonders turbulenten Phase der ungarischen Geschichte einher. Im innenpolitischen Bereich erlebte das Land eine permanente Vakuumsituation, die sich sowohl in wiederholten Spannungen in der Thronfolge als auch in Unruhen und Intrigen des Adels und der benachbarten Großmächte äußerte. Die militärische und politische Katastrophe in der Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich in der Schlacht zu Mohács 1526, die als Schlüsselereignis in der weiteren türkischen Eroberung des Landes gilt, brachte den Tod von König Ludwig II. und eine breite Vernichtung des ungarischen Adels und der Bischöfe mit sich. Dieses Ereignis lähmte unmittelbar das ganze politische System des Königreichs und bereitete das Zerfallen des Landes nach dem strategischen und politischen Zusammenbruch im Laufe des 16. Jahrhunderts vor. Innerhalb von hundert Jahren veränderte sich die historische Lage dramatisch. An die Stelle des stabilen und mächtigen mittelalterlichen Ungarn trat eine chaotische Konstellation von drei Gebieten, des osmanischen Eroberungsgebiets im Zentrum, des Fürstentums Siebenbürgen im Osten und des königlichen Ungarn unter der Herrschaft der Habsburger im Norden und Westen. Schon 1518 berichtete Johann Tetzel von der „traurigen“ Verbreitung der lutherischen Reformation in Ungarn in seinem Brief an Karl Miltitz. György Szakhmári, Erzbischof von Gran, gab 1521 einen Erlass aus, Luther und seine Lehre zu verpönen. Auch der Generalvikar des Franziskanerordens, in dem die lutherischen Thesen bald ein breites Echo fanden, warnte die Minderbrüder, contra pestem Lutheranae dogmatisationis regelmäßig Gebete zu halten. Die damnatae Lutheri opiniones wurden auf dem Landtag zu Ofen (Buda) 1523 öffentlich verurteilt und mit der poena capitis und der Einziehung des Vermögens bedroht. Obwohl wir von einigen Grausamkeiten gegen Lutheraner und gelegentlich auch von Hinrichtungen wissen, fällt es doch auf, dass dieses Gesetz von 1523 nicht mit voller Kraft durchgesetzt wurde. Vielleicht wollte der Landtag zu Rákos 1525 diese Anordnungen mit einem neuen Gesetz bekräftigen, in dem auch die Todesstrafe in einer härteren Form formuliert wurde: Lutherani omnes comburantur. Die wichtigste Frage aus unserer Sicht ist, in welchen Kreisen sich die damnatae Lutheri opiniones in diesen Jahren verbreiteten. Es sind zwei geschichtliche Wendepunkte, die uns in dieser ersten Phase der Reformation eine Zeitgrenze geben können, erstens die Schlacht zu Mohács 1526 und zweitens die Eroberung der königlichen Hauptstadt Ofen (Buda) durch die Osmanen 1541. Vor 1526 galt der königliche Hof zu Ofen (Buda) als ein Brennpunkt des lutherischen Einflusses. König Ludwig (Jagello) II. (1516–1526) heiratete 1516 Maria

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von Habsburg), die Enkeltochter Kaiser Maximilians. Diese Ehe rief allgemein Kritik unter den Adligen des Landes hervor, da sie als gefährlicher Akt verstanden wurde, durch den die Habsburger einen Zugriff auf den ungarischen Thron erlangen konnten. Die Zeitgenossen berichteten auch davon, dass die junge Königin starke Sympathie gegenüber Luthers Ideen zeige und einige ihrer Hofleute ganz offen für die neue Ketzerei Partei ergriffen. Ihre Zofe Katharina Pemfflinger wurde einerseits als ancilla Germanica, andererseits aber als latruncula und leona lutteriana bezeichnet. Dieser (doppelte) Verdacht wurde auch durch die engen Beziehungen verstärkt, die das königliche Paar mit Georg von Brandenburg pflegte,1 der bereits während Ludwigs Kindheit eine einflussreiche Rolle in der ungarischen Politik spielte und sich 1524 öffentlich als Lutheraner bekannte. Er verließ Ungarn schon 1525 und hatte einen schlechten Ruf als wankelmütiger Mann und unzuverlässiger Politiker. Dass Königin Maria Sympathie für Luther und seine Thesen empfand, zeigte sich auch nach dem Tod ihres Gemahls 1526, als Luther ihr ein Büchlein mit dem Titel „Vier tröstliche Psalmen an die Königin zu Ungarn“ schrieb. In diesen Auslegungen versuchte Luther die Witwe des ungarischen Königs nicht nur zu stärken, sondern sie auch für eine eindeutige Unterstützung der Reformation zu gewinnen: „E(ure) K(önigliche) M(ajestät) solte frisch und frohlich anhalten, das heylige Gotts wort ynn Hungernland zufoddern, weyl mir die gute mehr zukamen, das E(ure) K(önigliche) M(ajestät) dem Evangelio geneigt were und doch durch die gotlosen Bisschove (wilche ynn Hungern mechtig und fast das meiste drynnen haben sollen) seer verhindert und abgewendet wurde, also das sie auch etlich unschuldig blut haben vergissen lassen und grew widder die warheit Gottis getobet.“2 Maria verließ allerdings das Land 1527 und regierte zwischen 1531 und 1555 die Niederlande; so hatte sie keinen weiteren Einfluss auf Ungarn. Auch in anderer Hinsicht war die Reformation in Ungarn eng mit dem Deutschtum verbunden. Im deutschen Bürgertum war die Diskussion von Luthers 95 Thesen weit verbreitet, wie eine Quelle aus Oedenburg (Sopron) berichtet. Wie in den Städten Nordungarns hatten die Theologie und der Humanismus der Wittenberger Reformatoren auch in Siebenbürgen großen Einfluss auf die sächsische Bevölkerung. Dieser Einfluss wurde durch die peregrini (Stipendiaten) weiter vertieft, die nach Wittenberg wanderten, um dort bei Martin Luther und – vor allem bei Philipp Melanchthon zu studieren. In dieser ersten Phase der Reformation denken wir vor allem an Matthias Dévai (†1545), der schon zu seiner Zeit als „ungarischer Luther“ bezeichnet, 1529/30 in Wittenberg studiert hatte. Im selben Jahr tauchte er in Ofen (Buda) und in Kaschau (Kassa/Kosice) auf, wurde als Anhänger Luthers inhaftiert und nach Wien überstellt. Als er aus dem Kerker entlassen wurde, wirkte er unter dem Schutz und Patronat von mächtigen lutherischen Adligen wie Tamás Nádasdy in Sárvár (Westungarn) und Péter Perényi in Sárospatak (Nordostungarn),3 die uns 1

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Zoltán Csepregi: „Es laufft auch der Lutter in alle sachen uberall mitt…“ Brandenburgi György őrgróf (1484–1543) szerepe Boroszló város reformációjában. In: Heinz Daniel, Csaba Fazekas, Zoltán Rajki (Hg.): Ünnepi tanulmányok Szigeti Jenő 70. születésnapjára. Miskolc 2006, S. 54–62. http://medit.lutheran.hu/konyvek/konyv-1057 (18.12.2015). Martin Luther: Vier tröstliche Psalmen an die Königin zu Ungarn 1526. WA 19, 552–615. Tamás Nádasdy (†1562) spielte eine führende Rolle unter den Adligen: Er war Banus von

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ein gutes Beispiel dafür geben, wie die Reformation wichtige hochadlige Kreise schon vor 1541 erreichte.4 Trotz der Hinwendung einiger Hochadliger zum Luthertum und einer noch größeren Menge von Mittel- und Kleinadligen rief die unmittelbare Verbindung zwischen Reformation und Deutschtum auch elementare politische Kritik in den Reihen des ungarischen Adels hervor. In der kritischen geopolitischen Lage Ungarns erschien die Wittenberger Reformation als riskante Sache. Einerseits konnte ihre Verbreitung den deutschen Einfluss in Ungarn verstärken und zugleich die religiösen Unruhen nach Ungarn übertragen, andererseits aber konnte sie die finanzielle und militärische Unterstützung des deutschen Reiches und des Papsts im Kampf gegen das Osmanische Reich gefährden. Zu Recht schreibt Tibor Fabiny: „Diejenigen, die die historische Bedeutung der Reformation nicht verstanden haben oder sie nicht aus der Perspektive des wiederentdeckten Evangeliums gesehen haben, meinten, dass sie im Interesse des Landes wirken, wenn sie die Lutheraner als Ketzer deklarieren, verstärkt durch die Hoffnung auf die finanzielle Unterstützung des deutschen Reiches oder des apostolischen Stuhls. Luthers berühmtes Lied, das er nach der osmanischen Eroberung von Ofen (Buda) 1541 verfasste, spiegelt interessanterweise das gleiche Problem aus einer anderen Perspektive wider: Erhol uns Here by dunem Wordt / unde stüre des Pawest und Türcken mordt / De Ihesum Christum dynen Son / Störtzen wollen van dynem thron.“5 Dass diese Jahre in Ungarn und von den ungarischen Adligen als lebensgefährlich erlebt und die Religionsfragen in Seele und Herz intensiv bewegt wurden, vermittelt uns auch ein Bericht vom Sterben des bereits erwähnten Hochadligen Péter Perényi: „Nach der Formulierung seines Testaments hat er seinem Sohn ans Herz gelegt, das Amt des Patronats der in Ungarn hier und da schon glücklich ausgelegten und wahren Lehre [Martin Luthers] auf seinen Besitztümern treu zu pflegen, und ein persönliches Beispiel dafür zu geben, auch die Lehrer des Evangeliums vor allen Belästigungen durch ihre Gegnern zu schützen.“6 Die Mitte des 16. Jahrhunderts war in Ungarn eine Periode, die die Aufteilung des Landes zwischen den Osmanen, dem Fürstentum Siebenbürgen und dem königlichen Ungarn fast bis zum Ende des 17. Jahrhunderts fixierte. Die alten Strukturen waren noch nicht ganz aufgelöst, aber die kontroverse realpolitische Orientierungsfrage zwischen dem kaiserlichen Hof in Wien und der Pforte in Istanbul verschärfte

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Kroatien und Slawonien nach 1537, Landrichter nach 1542, Baron 1553 und Palatin des Königreiches Ungarn nach 1554. Péter Perényi (†1548 ) erbte als Sohn des Palatins Imre Perényi den Titel „Obergespan“ in Nord-Ost-Ungarn, erreichte das Kronhüteramt 1519 und wurde 1542 Kanzler von Kaiser Ferdinand. „Bereits in den Jahren nach der Katastrophe von Mohács finden wir die Familien Perényi, Drágffy, Török und Petrovics auf der Seiten der Reformation – von hunderten kleineren Besitzern ganz zu schweigen.“ Tibor Fabiny: Geschichte der lutherischen Kirche in Ungarn. Evangélikus Sajtóosztály. Budapest 1997 (48 Seiten, kürzere Version), S. 7. Tibor Fabiny: A Magyarországi Evangélikus Egyház rövid története. Evangélikus Sajtóosztály. Budapest 1997 (94 Seiten, längere Version), S. 10. Balázs Szikszai Fabricius vom Leben und Tode von Gábor Perényi. In: Imre Téglásy (Hg.): Sztárai Mihály – História Perényi Ferenc kiszabadulásáról. Szépirodalmi Könyvkiadó. Budapest 1985, S. 229–232.

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die inneren Konflikte der Mächtigen in allen diesen Gebieten. Die Folgen dieser Auseinandersetzungen nutzten türkische und österreichische Interessenkreise für ihre je eigenen Zwecke skrupellos aus. Auch die Religion war ein ständiges Spannungsfeld, in dem eine bunte Mischung von Katholiken und protestantischen Konfessionsrichtungen – wie Lutheraner, Calvinisten und Antitrinitarier – unter den unterschiedlichen Obrigkeiten, Habsburgern, Osmanen und den verschiedenen Konfessionen zugehörenden Fürsten in Siebenbürgen, nebeneinander lebten. Grundsätzlich können wir davon ausgehen, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung schon um 1550 von der einen oder anderen Form des Protestantismus betroffen war, dass sich aber diese reformatorische Vielfalt strukturell erst später, in den letzten zwei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, scharf konfessionell konturiert – auch konfrontativ – artikulierte. Ein wichtiger Aspekt der Reformationsforschung im Kontext dieser Epoche ist, inwiefern das zentrale Prinzip cuius regio, eius religio des Augsburger Religionsfriedens von 1555 in Ungarn rezipiert wurde. Im Rahmen einer Fallstudie analysierte Gabriella Erdélyi diesbezüglich das allgemeine Gesamtbild um 1560.7 In einem ersten Schritt parallelisierte sie die Teilnahme der Landesherren und der lokalen (städtischen) Gemeinden an den Klosterreformen im 15. Jahrhundert und an der Reformation der Pfarrgemeinden im 16. Jahrhundert. Das Ergebnis war eine Palette von Mitwirkung und Auseinandersetzung in beiden Zeitaltern, in denen sich aber die religiöse Motivation – statusbedingt und persönlich – als ebenso wichtig erwies wie die politischen und finanziellen Interessen der Beteiligten. Mit Blick auf das Reformationszeitalter konzentrierte Erdélyi sich auf ein charakteristisches Merkmal, nämlich auf die Wahl der Pfarrer und die Rolle der Landesherren sowie der Gemeinden in diesen Wahlen, und stellte eine repräsentative Menge von Daten aus Visitationsakten und anderen Quellen der Jahre 1559 bis 1561 nebeneinander. Die Ergebnisse sind überdeutlich und spiegeln die ungarische Realität der Zeit: In den Herrschaften von sieben, mit unterschiedlichen Konfessionen sympathisierenden Hochadligen sind auch unterschiedliche Verhältnisse bei den Pfarrstellen und auch im Allgemeinen in der Religionsfrage zu beobachten. Der katholische Ferenc Thurzó und der lutherische György Bebek bedienten sich ihrer Rechte als Landesherren und hielten ihre Besitztümer rein katholisch beziehungsweise lutherisch. In den anderen fünf Fällen sehen wir aber eine Mischung von Konfessionen in den Pfarrgemeinden, was erahnen lässt – so Erdélyi –, dass die lokalen Gemeinden einen größeren Entscheidungsspielraum hatten. Sie ergänzt dieses Bild noch mit einigen Auseinandersetzungen, in denen der Geistliche „was unwilling to serve the communion to his parishioners under both kinds“ (!),8 und deshalb von der Gemeinde vertrieben wurde. „The vitality of sacramental mentality is well reflected by the general demand of communion under both kinds. The widespread practice of people taking both the body and the blood of Christ irrespectively of their Catholic or Protestant sympathies was recorded by visitors with little astonish7 8

Gabriella Erdélyi: Lay Agency in Religious Change: the Role of Communities and Landlords in Reform and Reformation. In: Hungarian Historical Review 2, no. 1 (2013), S. 35–67. http:// real.mtak.hu/15680/ (18.12.2015). Erdélyi, Lay Agency (wie Anm. 7), S. 58.

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ment in the 1560s.“9 Aufgrund dieser repräsentativen Übersicht konkludiert Erdélyi: „This does not contradict the contention of historians according to which communal patronage and nomination rights remained an exemption throughout the fifteenth and sixteenth centuries in most parts of Europe. Nevertheless, several parish communities exerted influence over the choice of the parish priest as a natural consequence of their financial responsibilities in the maintenance of the parish church and the provision of a livelihood for the priest.“10 Im ungarischen Kontext können wir dies noch dahingehend ergänzen, dass diese Daten eine begrenzte Wirksamkeit der Patronatsrechte zu erkennen geben, stellen sie doch die privilegierte Bedeutung eines vielfältigen und noch weitgehend plausiblen Konfessionalisierungsprozesses dar, in dem das Prinzip cuius regio, eius religio schon bekannt war und teilweise praktiziert wurde, freilich in Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen. Trotz aller Einschränkungen in der Durchsetzung dieses Prinzips spielte seitdem das Patronatsrecht eine dominante Rolle im Protestantismus Ungarns. Anfang des 17. Jahrhunderts zeigten sich parallele Tendenzen – auf der einen Seite die konfessionelle Polarisierung des Protestantismus, auf der anderen Seite die allgemeine Stärkung der Gegenreformation –, die dazu führten, dass das Patronatsrecht der Territorialherren (und auch starker Territorialherrinnen!) zu einem zentralen Faktor in der Verteidigung der protestantischen Kirchen und auf der Synode in Zsolna (Sillein) 1610 institutionalisiert wurde. Diese Entwicklung verbreitete sich bis zur Festigung der Parität als Grundstruktur in der Gemeinde- und Kirchenleitung in den protestantischen Kirchenordnungen im Laufe des 18. Jahrhunderts.11 Nach den Anfängen der Reformation kam im mittleren Drittel des 16. Jahrhunderts eine zweite Generation von Reformatoren mit zunehmendem Engagement zum Zug. Diese Reformatoren – wie Gál Huszár (†1575), Leonhard Stöckel (†1560) und Péter Bornemissza (†1584) im königlichen Ungarn, Mihály Sztárai (†1575) unter der türkischen Herrschaft, sowie Johann Honterus (†1549) und Kaspar Heltai (†1574) in Siebenbürgen, um nur die wichtigsten zu nennen – brachten ein vertieftes Verständnis der reformatorischen Theologie und der humanistischen Bildung mit und legten Bekenntnisschriften, Bibelübersetzungen, Katechismen, Gesangbücher und dergleichen vor. Unter der Obhut von Landesherren und Stadträten wirkten sie häufig als Prediger und Erzieher, führten Schulreformen ein, ließen Bücher und Flugschriften drucken. Mehrheitlich studierten auch sie in Wittenberg und pflegten einen guten Kontakt zu den dortigen Reformatoren, vor allem zu Philipp Melanchthon. In ihren theologischen Werken, in erster Linie in ihren Bekenntnisschriften, folgten sie deutschen Mustern (Confessio Augustana),12 es gab aber auch 9 10 11

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Erdélyi, Lay Agency (wie Anm. 7), S. 62. Erdélyi, Lay Agency (wie Anm. 7), S. 53. An der Synode in Rózsahegy (Rosenberg) 1707 stand die Parität – eine parallele, gleichwertige Führungsposition von Pfarrern und Kuratoren (meistens Patronen) – in der Kirchenleitung im Vordergrund und an der Synode in Pest 1791 wurde sie definitiv als Grundprinzip ausgesprochen – dieses Mal mit einem besonderen Akzent auf dem nichtgeistlichen Element: die Leitung der Synode selbst wurde ohne die Beteiligung von Pfarrern zusammengestellt. Jenő Zoványi: A magyarországi protestantizmus története 1895-ig I–II. Attraktor Kiadó. MáriabesnyőGödöllő 2004, S. 197–200. Vgl. mit Zoltán Csepregi, Péter Kónya (Hg.): Drei lutherische Glaubensbekenntnisse aus Un-

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einige typische und charakteristische Hungarica in ihren Glaubensäußerungen, wie etwa die Verehrung Mariens und der Heiligen beziehungsweise der an diese gerichteten Fürbitten, oder auch einen stärkeren Akzent auf den historischen Erzählungen des Alten Testaments. Im Hintergrund ihrer Biographien tauchen immer wieder mächtige adlige Familien auf, die sie in ihrer Aktivität schützten und unterstützten, nicht selten auch unabhängig davon – wie Erdélyi zeigt –, zu welcher Konfession sie selbst neigten. In dieser Phase der Reformation entwickelte sich die tolerante Religionspolitik der Fürsten und Adligen von Siebenbürgen, die in ihrem Fürstentum allen Akteuren den Religionsfrieden in je eigener Weise sicherte. Wie im ganzen historischen Ungarn erreichte die lutherische Konfession um die Mitte des 16. Jahrhunderts auch in Siebenbürgen die Mehrheit der Bevölkerung. Fürst Johann Sigismund (1559–1571) schloss sich selbst dem Luthertum an; er war für seine humanistische Hochkultur und seine tolerante Art berühmt. Während seiner Minderjährigkeit legte der siebenbürgische Landtag 1557 die Gleichstellung der katholischen und lutherischen Konfessionen gesetzlich fest, sieben Jahre später wurde diese Toleranz auf die Reformierten ausgedehnt: „Die königlichen Städte, Landstädte und Dörfer hatten das Recht, sich zu jeder Religion zu entschließen, ihrer Konfession gemäß Prediger zu halten, Prediger von anderen Konfessionen zu entlassen.“13 Die Kommune durfte ihre Konfession bestimmen, diejenigen aber, die einer anderen Religion zugehörten, sollten wegziehen. Diese Regelung stand noch eindeutig unter dem Einfluss des Augsburger Religionsfriedens, allerdings mit der wesentlichen Ausdehnung auf die Reformierten sowie auf die Landstädte und Dörfer. Diese außergewöhnlich tolerante religionspolitische Annahme wurde beim Landtag zu Torda (Thorenburg) 1568 noch erweitert: „Der Prediger predige und verkündige an seinem Ort das Evangelium, jeder nach seiner Überzeugung, und wenn die Kommunität ihn haben will, gut, wenn aber nicht, niemand soll sie daran drängen. […] Dem Prediger soll weder von Superintendenten, noch von Anderen etwas zuleide getan werden, niemand soll wegen der Religion geschimpft werden […] weil der Glaube Gottes Geschenk ist.“14 Aufgrund dieses Gesetzes bestand Religionsfreiheit für vier Konfessionen: Katholiken, Lutheraner, Reformierte und Antitrinitarier,15 denen sich nun auch der Fürst anschloss. Es gab in Siebenbürgen also keine Staatsreligion und auch keine privilegierte Konfession. Ebenso ungewöhnlich war zu dieser Zeit, dass das Prinzip cuius regio, eius religio nicht mehr in Betracht gezogen wurde: „In jeder Stadt oder in jedem Dorf konnten mehrere Konfessionen nebeneinander leben, der Landesherr durfte nicht in die religiöse Zugehörigkeit seiner Untertanen eingreifen, nach diesem Gesetz durfte jeder oder jede sich

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garn. Prešovská Univerzita. Prešov 2013. Kálmán Benda: Az 1568. évi tordai országgyűlés és az erdélyi vallásszabadság. In: Erdélyi Múzeum (56) 3–4. (1994). http://epa.oszk.hu/00900/00979/00008/01benda.htm (18.12.2015). Sándor Szilágyi (Hg.): Erdélyi Országgyűlési Emlékek II. (1556 sept.–1576 jan.). Budapest 1876, S. 343. http://eda.eme.ro/bitstream/handle/10598/9070/EME_EOE_II.Kotet.pdf?sequence =5 (18.12.2015). Es fällt auf, dass die Orthodoxen – weitgehend identisch mit der Volksgruppe der Rumänen – nicht in diese breite Religionsfreiheit aufgenommen wurden.

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entscheiden, welcher Religion er oder sie folgt.“16 Mit diesen politischen Beschlüssen im Hintergrund kann nicht überraschen, dass alle vier Konfessionen im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts im fürstlichen Rat repräsentiert waren. Dieses singuläre Phänomen im religiösen Leben der Zeit wird in seiner historischen Bedeutung nicht verringert, wenn wir noch hinzufügen, dass die Entscheidung zu Torda trotz ihrer weitgehenden religiösen Konsequenzen nicht einem theologischen Kompromiss entstammte. Es war eher ein realpolitischer Kompromiss der unterschiedlichen Stände und gesellschaftlichen Kräfte des Landes, in dem die konfessionellen und theologischen Konflikte als Gefahr für die politisch labile Existenz des Fürstentums wahrgenommen wurden.17 Fazit: Im Gesamtbild der Reformationsgeschichte in Ungarn erscheinen unterschiedliche, ja schon ambivalente Phänomene. Nach der Katastrophe von Mohács verbreitete sich unter den Rahmenbedingungen der allgemeinen politischen Unsicherheit und chaotischer Machtverhältnisse die lutherische, seit den 1560er Jahren auch die reformierte und antitrinitarische Reformation im Land. Die adligen Familien spielten eine herausragende Rolle in den die Religion beziehungsweise das Miteinander der Religionen betreffenden Fragen unter den rasch wechselnden Rahmenbedingungen. In diesem Beitrag liegt der Fokus auf der Teilnahme der Adligen an diesem historischen Prozess. Das Prinzip cuius regio, eius religio und seine Verwirklichung half, dem realen Spielraum dieser Landesherren, zum Teil auch Landesherrinnen, etwas näher zu kommen. Das 16. Jahrhundert gilt – trotz aller Schwierigkeiten, Debatten und auch gelegentlichen Verfolgungen – als die Blütezeit des Protestantismus in Ungarn, die schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihr Ende finden sollte. Zwischen Aufstieg und Überdauern war die Perspektive der Protestanten im Ungarn der Reformationszeit; sie dachten vielleicht gar nicht daran, dass diese Perspektive schon im 17. Jahrhundert drastisch umformuliert wird: zwischen Vernichtung und Überdauern.

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Benda (wie Anm. 13). Die stabilisierenden Wirkungen dieser Regelung der Religion zeigten sich jahrzehntelang, als der religionspolitische Zwiespalt sowohl im lokalen wie auch im ostmitteleuropäischen Kontext als destabilisierende Waffe von machtpolitischen Intrigen wiederholt ausgespielt wurde.

ADEL UND REFORMATION IN DEN HABSBURGISCHEN ERBTERRITORIEN Arndt Schreiber Über die Verbreitung von illustrierten Flugschriften erfolgte die Rezeption reformatorischen Gedankenguts in den östlichen österreichischen Erblanden der Habsburger kaum später und nicht weniger intensiv als in anderen Teilen des Alten Reiches und fiel zunächst besonders in den Bergbauregionen und Städten auf fruchtbaren Boden. Bereits ab dem Jahr 1522 ergingen deshalb zahlreiche landesfürstliche Mandate, die wiederholt den Besitz, Erwerb und Verkauf sowie die Lektüre und Vervielfältigung aller Drucke und Schriften verboten, die von Martin Luther und seinen Anhängern stammten oder mit diesen offen sympathisierten. Da die lokalen Obrigkeiten Ferdinand I. von Anfang an bei der Durchsetzung dieser Vorschriften überwiegend die notwendige Unterstützung versagten, vermochte der Protestantismus innerhalb der im Rahmen dieses Aufsatzes untersuchten niederösterreichischen Ländergruppe nach 1550 am stärksten in Kärnten und im Land ob der Enns, bei einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung des Erzherzogtums Österreich unter der Enns und der Steiermark und im Vergleich zu diesen Territorien etwas schwächer ebenso im Herzogtum Krain Fuß zu fassen. Vor allem in seiner Funktion als Inhaber des Patronats beziehungsweise der Vogteirechte über die Pfarrkirchen spielte der landsässige Adel in diesem Prozess die ausschlaggebende Rolle und wurde auf seinen Grundherrschaften bereits seit den 1520er Jahren zum Träger der Reformation,1 während der größte Teil seiner deutschen Standesgenossen laut Volker Press „hinter den Fürsten, ihren bürgerlichen Räten, ihren Theologen und hinter den städtischen Magistraten bei weitem zurücktrat“.2 Mehrere historische Kontexte trugen wesentlich zu dieser Sonderstellung bei. Wie kaum in einer anderen Region des Reiches betrachteten sich die Herren und Ritter in den relativ städtearmen östlichen Erbterritorien der Habsburger als die autonomen Repräsentanten ihres jeweiligen Landes. Die Zentralmacht blieb hier angesichts der türkischen Bedrohung und der chronischen Ressourcenknappheit der Habsburger trotz mancher Erfolge Ferdinands I. lange Zeit unterentwickelt. Auf den zur Bewältigung dieser Probleme konsultierten Landtagen war der Adel gleich in zwei Kurien organisiert, von denen der Herrenstand sogar Vorrang vor den Prälaten genoss. Die reichsten Herren und Aufsteiger aus dem Ritterstand dienten ihren Landesfürsten nicht nur in administrativen und militärischen Ämtern, sondern auch als Kreditgeber und Heereslieferanten. Auf der wirtschaftlichen Basis ih1 2

Vgl. Rudolf Leeb: Der Kampf um den wahren Glauben – Reformation und Gegenreformation in Österreich. In: Ders., Maximilian Liebmann, Georg Scheibelreiter, Peter G. Tropper: Geschichte des Christentums in Österreich (Österreichische Geschichte). Wien 2003, S. 162ff. Volker Press: Adel, Reich und Reformation [1979]. In: Ders., Johannes Kunisch (Hg.): Das Alte Reich. Ausgewählte Aufsätze (Historische Forschungen 59). Berlin 1997, S. 329.

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rer leistungsfähigen Grundherrschaften und als unmittelbare Vasallen der kaiserlichen Dynastie empfanden sich daher zumindest die großen Barone den Reichsgrafen als durchaus ebenbürtig. So verwundert es nicht, dass die Masse der Adligen in den österreichischen Herzogtümern ihre Hinwendung zur Reformation bald als eines der Kernelemente ihrer ständischen Freiheiten verteidigte.3 Obwohl die Erforschung der Geschichte des Adelsprotestantismus auf dem Gebiet der gegenwärtigen Republik Österreich eine sehr lange Tradition besitzt,4 blenden die meisten einschlägigen Studien die Frühphase der Reformation in diesem Raum (ca. 1520 bis 1555) weitgehend aus und widmen sich stattdessen hauptsächlich der Periode zwischen den 1570er und 1650er Jahren.5 Lediglich Günter Scholz hat eine wichtige Monographie über den Anteil der innerösterreichischen Landstände an der Kirchenspaltung und Konfessionsbildung während der Regierungszeit Ferdinands I. vorgelegt.6 Die Fragestellung der Dissertation Konrad von Molt3

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Vgl. Ders., ebd., S. 372–375, und Ders.: Adel in den österreichisch-böhmischen Erblanden und im Reich zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert. In: Adel im Wandel. Politik – Kultur – Konfession 1500–1700. Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung auf der Rosenburg vom 12.5. bis 28.10.1990. Wien 1990, S. 20–22. Siehe dazu Rudolf Leeb: Zum wissenschaftlichen Profil der an der Fakultät lehrenden Kirchenhistoriker und zur österreichischen evangelischen Protestantengeschichtsschreibung. In: Karl Schwarz, Falk Wagner (Hg.): Zeitenwechsel und Beständigkeit. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien 1821–1996 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs 10). Wien 1997, S. 13–50. Zu nennen sind hier insbesondere die Untersuchungen von Paul Dedic: Der Kärntner Protestantismus vom Abschluß der „Hauptreformation“ bis zur Adelsemigration 1600–1629/30. In: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 58 (1937), S. 70–108; Ders.: Der Kärntner Protestantismus von der Adelsemigration bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts. In: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 59 (1938), S. 63–165; Otto Brunner: Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmhards von Hohberg 1612–1688. Salzburg 1949; Hans Sturmberger: Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation und des Landes ob der Enns (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 3). Linz 1953; Martin Bircher: Johann Wilhelm von Stubenberg (1619–1663) und sein Freundeskreis. Studien zur österreichischen Barockliteratur protestantischer Edelleute (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Neue Folge 25). Berlin 1968; Gustav Reingrabner: Adel und Reformation. Beiträge zur Geschichte des protestantischen Adels im Lande unter der Enns während des 16. und 17. Jahrhunderts (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 21). Wien 1976; Georg Heilingsetzer: Zwischen Bruderzwist und Aufstand in Böhmen. Der protestantische Adel des Landes ob der Enns zu Beginn des 17. Jahrhunderts. In: Ders., Bernd Euler-Rolle, Manfred Koller (Hg.): Schloß Weinberg im Lande ob der Enns. Linz 1991, S. 73–119; Regina Pörtner: The Counter-Reformation in Central Europe. Styria 1580–1630 (Oxford historical monographs). Oxford 2001; Karin J. MacHardy: War, Religion and Court Patronage in Habsburg Austria. The Social and Cultural Dimensions of Political Interaction, 1521–1622 (Studies in modern history). Houndmills 2003; Arno Strohmeyer: Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung. Widerstandsrecht bei den Österreichischen Ständen (1550–1650) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte 201, bzw. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 16). Mainz 2006; Arndt Schreiber: Adeliger Habitus und konfessionelle Identität. Die protestantischen Herren und Ritter in den österreichischen Erblanden nach 1620 (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 58). Wien 2013. Günter Scholz: Ständefreiheit und Gotteswort. Studien zum Anteil der Landstände an Glaubens-

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kes ist dementgegen wesentlich enger gefasst und konzentriert sich auf das politische und religiöse Umfeld des ersten evangelischen Landeshauptmanns der Steiermark.7 Die historische Entwicklung der reformatorischen Bewegung im Erzherzogtum Österreich ob der Enns skizzieren die beiden älteren Arbeiten von Karl Eder,8 für Niederösterreich existiert eine vergleichbare Darstellung bis heute nicht.9 Für eine gewisse Verbesserung des nach wie vor unbefriedigenden Forschungsstands hat zuletzt wenigstens die Veröffentlichung der durch Anton Albrecher edierten und kommentierten steirischen Visitationsprotokolle von 1528 gesorgt, welche für die habsburgischen Erblande jener Zeit einzigartig sein dürften und die beginnende Rezeption der lutherischen Lehre durch die dort lebenden Adligen mitunter relativ detailliert dokumentieren.10 Auf dieser bemerkenswerten Quelle sowie der oben angeführten Literatur basiert denn auch der folgende Beitrag, der nicht auf eigene Archivrecherchen zurückgreifen und deshalb nicht mehr als eine kurze Einführung in das eingangs umrissene Thema bieten kann. Zuerst werden dazu die wiederholten und nicht vor 1568 beziehungsweise 1572 erfolgreichen Bemühungen der (bald) mehrheitlich protestantischen Stände der fünf niederösterreichischen Territorien um die erzherzogliche Legalisierung der freien Ausübung ihres Glaubens nachvollzogen. Der zweite Abschnitt verlässt die korporative Ebene und wendet sich den für einzelne Herren und Ritter überlieferten Zeugnissen und plausiblen Motiven für ihre Abkehr von der alten Kirche zu. Im dritten Teil wird der Versuch unternommen, mögliche Ausprägungen des adligen Engagements für die Sache der Reformation – natürlich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit – anhand dreier biographischer Skizzen aufzuzeigen. Zum Schluss soll ein knapper Ausblick Desiderate für die zukünftige Forschung formulieren. LANDSTÄNDISCHE INITIATIVEN Schon im 15. Jahrhundert hatten die habsburgischen Kaiser Friedrich III. und Maximilian I. die landesherrliche Kirchenhoheit in ihren Territorien kontinuierlich erweitert, indem sie etwa zunehmend über Kirchengut verfügten, die geistliche Jurisdik-

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spaltung und Konfessionalisierung in Innerösterreich (1517–1564) (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 358). Frankfurt am Main 1994. Konrad von Moltke: Siegmund von Dietrichstein. Die Anfänge ständischer Institutionen und das Eindringen des Protestantismus in die Steiermark zur Zeit Maximilians I. und Ferdinands I. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 29). Göttingen 1970. Karl Eder: Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung. Die kirchlichen, religiösen und politischen Verhältnisse in Österreich ob der Enns 1490–1525 (Studien zur Reformationsgeschichte Oberösterreichs 1). Linz 1932, und Ders.: Glaubensspaltung und Landstände in Österreich ob der Enns 1525–1602 (Studien zur Reformationsgeschichte Oberösterreichs 2). Linz 1936. Einige wenige Anhaltspunkte bietet der Aufsatz von Gustav Reingrabner: Der evangelische Adel. In: Adel im Wandel. Politik – Kultur – Konfession 1500–1700. Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung auf der Rosenburg vom 12.5. bis 28.10.1990. Wien 1990, S. 195–209. Anton Albrecher: Die landesfürstliche Visitation und Inquisition von 1528 in der Steiermark. Edition der Texte und Darstellung der Aussagen über die kirchlichen Zustände (Quellen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 13). Graz 1997.

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tion einschränkten, Diözesansynoden überwachten oder die weltliche Gewalt an Kirchenvisitationen beteiligten. Die daraus resultierenden permanenten Kompetenzkonflikte mit den zuständigen Bischöfen in Salzburg, Passau, Laibach, Wien und Wiener Neustadt sowie dem Patriarchen von Aquileja förderten regelrecht die Ausbreitung jener bekannten kirchlichen Missstände, die von Luther und anderen Reformatoren später heftig angeprangert wurden. Die adligen Grundobrigkeiten nutzten diese andauernde Rivalität zwischen geistlicher und erzherzoglicher Kirchenkontrolle, um sich über eine extensive Auslegung ihrer Lehns- und Vogteirechte auf lokaler Ebene als die dritte kirchenpolitische Kraft zu etablieren. Parallel zu den ganz ähnlichen Bemühungen der Reichsstände und vieler deutscher Landstände fassten deshalb auch die niederösterreichischen Landschaften ihre Beschwerden über den Klerus und die in ihren Augen mangelhafte Seelsorge bereits in mehreren vorreformatorischen Religionsgravamina an die regierende Dynastie zusammen. Auf dem Innsbrucker Ausschusslandtag von 1518 erreichten ihre Klagen über die Geistlichkeit einen vorläufigen Höhepunkt. Erneut verlangten die dort versammelten Deputierten der habsburgischen Erbländer eine tiefgreifende Kirchenreform, deren Einleitung sie nun freilich nicht mehr primär von den Bischöfen, sondern durch den Kaiser als dem oberstem Vogt und Beschützer der Gotteshäuser erwarteten.11 Die erste kollektive Äußerung aus den Reihen des erbländischen Adels zu den Anliegen der Reformation stammt aus der Zeit des Bauernkriegs. In ihrem „Gutachten, die Empörung zu stillen“ für den Innsbrucker Ausschusslandtag von 1525 erklärten die obderennsischen Stände die jüngste Erhebung des gemeinen Mannes mit den falschen Predigten und Lehren, die irrtümlicherweise als das Wort Gottes bezeichnet würden. Dies habe die göttliche Barmherzigkeit ebenso verdunkelt wie die rechte Selbsterkenntnis des Menschen, woraus Eigennutz, Zwietracht und Aufruhr erwachsen seien. Sie baten Ferdinand I. deshalb, das heilige Evangelium künftig so „lauter“ verkünden zu lassen, wie es das Alte und Neue Testament geböten. Allein auf diesem Weg könnten die unterdrückte Nächstenliebe und der verlorene Gehorsam bei den Untertanen wiederhergestellt werden.12 Auf dem noch im selben Jahr wegen der drohenden Türkengefahr und steigenden erzherzoglichen Schuldenlast zur Gewährung einer zügigen Finanzhilfe nach Augsburg einberufenen Generallandtag schlossen sich dem Ruf nach Zulassung des „reinen Wortes Gottes ohne allen Zusatz“ und dafür geeigneten Predigern auch die Stände der innerösterreichischen Territorien und des Landes unter der Enns an.13 Als Erzherzog Ferdinand I. die steirischen Grundobrigkeiten auf ihrem Grazer Winterlandtag von 1527/28 überdies um Rat und Unterstützung bei der für ihn bislang völlig unbefriedigenden Exekution seiner Religionsmandate ersuchte, erhoben sie offen Anspruch auf das Recht einer prinzipiellen Mitarbeit am landesfürstlichen Gesetzgebungsprozess gegen tatsächliche oder vermeintliche Häresien. Die ihnen zugedachte Funktion eines lediglich Befehle empfangenden Ausführungsorgans lehnten die Herren und Ritter hingegen entschieden ab. Dieselbe Position zeigten sie kurz darauf bei der von 11 12 13

Vgl. Scholz, Ständefreiheit und Gotteswort (wie Anm. 6), S. 36–38 und 60–62, sowie Eder, Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung (wie Anm. 8), S. 373–375. Vgl. Eder, Glaubensspaltung und Landstände (wie Anm. 8), S. 8–10 (Zitat auf S. 9). Vgl. Scholz, Ständefreiheit und Gotteswort (wie Anm. 6), S. 129–131 (Zitat auf S. 129).

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Ferdinand angeordneten Visitation der steirischen Pfarreien und Klöster, die sie als schweren Eingriff in ihre adligen Freiheiten bewerteten und unter der Wortführung des Landeshauptmannes Sigmund von Dietrichstein (1480–1533) mit großem taktischem Geschick zum vorzeitigen Abbruch nötigten. Angesichts dieser Erfahrung begrenzten spätere Kirchenvisitatoren ihre Tätigkeit ganz auf die Pfarr- und Klostergeistlichkeit, während sie fortan auf die problematische Befragung von Standespersonen von vornherein verzichteten.14 In einem weiteren Schritt forderte der im Winter 1536/37 in Wien abgehaltene Ausschusslandtag der österreichischen Herzogtümer die Einstellung aller Gottesdienste nach dem Regensburger Reformkonvent von 1524, auf dem sich König Ferdinand I. und der päpstliche Legat Lorenzo Campeggio mit den Herzögen Ludwig und Wilhelm IV. von Bayern, dem Salzburger Erzbischof, Kardinal Matthäus Lang und anderen deutschen Bistümern auf eine dezidiert römisch-katholische Klerusund Kirchenreform sowie auf harte Maßnahmen gegen ketzerische Prediger geeinigt hatten. Als das habsburgische Heer am 10. Oktober 1537 von den Türken bei Esseg vernichtend geschlagen wurde, waren es erneut die Herren und Ritter des Landes ob der Enns, die sich auf ihrer ständischen Frühjahrstagung von 1538 zum ersten Mal ausdrücklich zu Grundpfeilern der lutherischen Lehre bekannten, ohne die Augsburgische Konfession dabei schon zu erwähnen. Sie betonten die alleinige Rechtfertigung vor Gott aus dem Glauben und begehrten das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Zugleich verurteilten die obderennsischen Stände die gegen sie verhängten Strafen, weil sie keine Zweifel hegten, völlig zu Recht eigenmächtig „wider offenbare Mißbräuche“ im Kirchenwesen vorgegangen zu sein. Auf dem im selben Jahr in Linz zusammengetretenen Ausschusslandtag sprachen sich angesichts der ungelösten Religionsfragen wiederum die Abgeordneten aller niederösterreichischen Landschaften für ein baldiges deutsches Nationalkonzil aus, um dem reinen göttlichen Wort den Weg in die Pfarren zu ebnen.15 Nach der Eroberung Ofens durch die Türken wagten sie bei Ferdinand einen erneuten Versuch, dem Augsburgischen Bekenntnis auch in ihren Territorien die gewünschte Legalität zu verschaffen. Zu Beginn des Prager Generallandtags von 1541/42 überreichten ihre Bevollmächtigten einen durch die obderennsischen Stände entworfenen „Ratschlag wegen der Religion“, der unter anderem das sola fide-Prinzip bekräftigte, den Laienkelch erbat und den letzten Sieg des türkischen Erbfeinds der Christenheit als die Strafe Gottes für die fortbestehende Unterdrückung des unverfälschten Evangeliums apostrophierte, womit sie ihren Landesherrn allerdings nicht umstimmen konnten. Auf dessen Verbot jeder Änderung und Neuerung reagierten sie 1542 mit einer zweiten gesamtständischen Supplikation und „Beschlussrede“, deren Bitte um Suspendierung des Wormser Edikts (1521) und der bisherigen antireformatorischen 14

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Vgl. Ders., ebd., S. 131–141; siehe dazu auch die einschlägigen Editionen von Albrecher, Visitation (wie Anm. 10); Rudolf Karl Höfer (Hg.): Die landesfürstliche Visitation der Pfarren und Klöster in der Steiermark in den Jahren 1544/45. Edition der Texte und Darstellung zu Nachrichten über das kirchliche Leben (Quellen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 14). Graz 1992, und Johann Rainer, Sabine Weiß: Die Visitation steirischer Klöster und Pfarren im Jahre 1581 (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 30). Graz 1977. Vgl. Eder, Glaubensspaltung und Landstände (wie Anm. 8), S. 51f. (Zitat auf S. 51).

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Patente, um Erlaubnis der lutherischen Predigt und um Schutz für die Prädikanten ganz unbeantwortet blieb.16 Vielmehr ließ Kaiser Karl V. nach dem Augsburger Reichstag von 1548 in allen Diözesen und Kirchenprovinzen Synoden durchführen, welche die aktuellen Verhältnisse dokumentieren und strenge Visitationen vorbereiten sollten. Die 55 Reformstatuten der daraufhin im Jahr 1549 abgehaltenen Salzburger Provinzialsynode beklagten jedoch vorrangig die massive Einmischung von Laien in innerkirchliche Angelegenheiten, was keineswegs nur den protestantischen Adel, sondern ebenso Ferdinand I. betraf und den lähmenden Streit um die miteinander konkurrierenden Überwachungsansprüche zwischen dem Klerus und den erzherzoglichen Behörden eher noch verschärfte. Die Stände der niederösterreichischen Ländergruppe präsentierten sich vor dieser Kulisse klarer denn je als Anhänger der Lehren Martin Luthers und Philipp Melanchthons, wiesen die als „vermeint“ abgewerteten geistlichen Gravamina zurück und rechtfertigten ihrerseits alle weltlichen Beschneidungen der kirchlichen Jurisdiktion mit ihren erneut aktualisierten Beschwerden über die seelsorgerischen Versäumnisse des Klerus.17 Obwohl er das ius reformandi allein ihrem altgläubigen Landesherrn einräumte, bedeutete der 1555 vom Reichstag in Augsburg verabschiedete Religionsfriede für die Protestanten in den österreichischen Erblanden eine nicht zu unterschätzende Zäsur. Darum beharrten die evangelischen Ständevertreter auf dem Wiener Ausschusslandtag von 1555/56 gegenüber Ferdinand I. darauf, ihre seit nunmehr drei Jahrzehnten vorgebrachten religionspolitischen Anliegen vor der dringend benötigten Türkenhilfe zu behandeln. Sie begründeten diese abermalige Initiative mit der Gewissensnot ihrer Familien und Untertanen, die nichts sehnlicher wünschten, als dem durch die Apostel gelehrten Gotteswort nachzuleben, das von der römischen Kirche schon vor tausend Jahren verletzt worden sei. Wie zuvor in Prag baten die prolutherischen Herren und Ritter ihren Landesfürsten, ihnen zu gestatten, „bey der reinen lehr des heiligen Evangelii, und warer Justification des Glaubens, auch das Hochwirdigste Sacrament unter beyderley gestalt, nach einsetzung Christi zu empfahen“ und „one furcht der straff zu gebrauchen“, wie es der Kaiser jüngst den protestierenden Reichsständen zugebilligt habe. Ihre Supplikation distanzierte sich dabei entschieden von sämtlichen Sekten, die den Artikeln des nun rechtlich anerkannten und damit von jedem Verdacht der Ketzerei befreiten Augsburgischen Bekenntnisses von 1530 ganz oder partiell widersprächen. Das Übel der „Türkennot“ komme allein vom Zorn Gottes über die geduldete Übertretung seines Wortes, den nur die Aufhebung der landesherrlichen Religionsmandate besänftigen könne. Die Delegierten Kärntens und des Landes ob der Enns wollten von der Erfüllung jener konfessionellen Forderungen sogar die Erhöhung ihres finanziellen Beitrages zum geplanten Feldzug gegen das Osmanische Reich abhängig machen. Eine derart schwerwiegende Drohung galt ihren Kollegen aus dem Herzogtum Krain, der Steiermark und dem Erzherzogtum Österreich unter der Enns aber als zu gefährlich und kontraproduktiv. Erzherzog Ferdinand I. verweigerte den supplizierenden Landständen unter 16 17

Vgl. Ders., ebd., S. 54–56, und Rudolf Leeb: Der Augsburger Religionsfriede und die österreichischen Länder. In: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 122 (2006), S. 24–27. Vgl. Ders., Glaubensspaltung und Landstände (wie Anm. 8), S. 68–72 (Zitat auf S. 69).

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Berufung auf die reichsrechtlichen Rahmenbestimmungen des Augsburger Religionsfriedens zwar erneut die verlangte Glaubensfreiheit, erklärte sich allerdings zum ersten Mal offiziell bereit, das von ihm zuletzt 1554 ausgesprochene Verbot des Laienkelchs zu suspendieren, was in der Praxis letztlich ebenso auf einen Verzicht auf die Vollstreckung aller seiner weiteren gegenreformatorischen Patente hinauslief.18 In den Jahren nach diesem minimalen Anfangserfolg unternahmen die evangelischen Stände der niederösterreichischen Territorien besonders ab der dynastischen Teilung von 1564 weitere voneinander getrennte Anläufe, um auch die formaljuristische landesfürstliche Anerkennung ihres Glaubensbekenntnisses zu erwirken. Zuerst lenkte angesichts seiner drückenden Schulden Maximilian II. ein und gewährte den Herren und Rittern des Landes unter der Enns gegen die Bezahlung von 2,5 Millionen Gulden mit der „Religionskonzession“ von 1568 die ungehinderte Ausübung der Confessio Augustana auf ihren Gütern, was er nach der hierfür ausbedungenen Ausarbeitung einer lutherischen Kirchenordnung durch den von der Landschaft damit beauftragten Rostocker Theologen David Chytraeus (1530–1600) mit seiner „Assekuration“ (1571) ratifizierte. Die obderennsischen Stände hatten für dieselben religionspolitischen Zugeständnisse 1,2 Millionen Gulden zu entrichten, beharrten aber auf einer eigenen Kirchenagende, die ihnen Maximilian ebenso verweigerte wie die daran gebundene Bestätigung ihrer neugewonnenen Glaubensfreiheit, was in der Zukunft für unterschiedliche Interpretationen des erteilten Privilegs und manche rechtliche Unklarheit sorgte. Dem evangelischen Adel in Innerösterreich wurde eine ähnliche „Pazifikation“ in Anbetracht der sich zuspitzenden Türkengefahr durch Erzherzog Karl erst 1572 mündlich zugesagt und im Brucker Libell von 1578 noch auf einige Städte ausgedehnt.19 Die lutherische Konfessionalisierung wie der Aufbau rudimentärer Kirchenstrukturen nach den Entwürfen Chytraeus’ lagen fortan ausschließlich in adliger Verantwortung und begannen flächendeckend nicht vor 1580, wenngleich beides mit der Bestallung protestantischer Landhausprediger und der Gründung von evangelischen Landschaftsschulen bereits in den 1540er Jahren eingesetzt hatte.20 Freilich darf man sich die dem Luthertum zuneigenden weltlichen Stände der niederösterreichischen Ländergruppe nicht als ein homogenes Aktionsbündnis vorstellen. Die von ihnen insgesamt recht vorsichtig angewandten Druckmittel bildeten oft nicht mehr als das Resultat des kleinsten gemeinsamen Nenners, der die territorial wie personell differierenden Lösungsansätze und Strömungen miteinan18

19 20

Vgl. Ders., ebd., S. 77–80; Scholz, Ständefreiheit und Gotteswort (wie Anm. 6), S. 161–165; Leeb, Augsburger Religionsfriede (wie Anm. 16), S. 33–37; Zitate aus Bernhard Raupach: Evangelisches Oesterreich, das ist, Historische Nachricht von den vornehmsten Schicksahlen der Evangelisch-Lutherischen Kirchen in dem Ertz-Hertzogthum Oesterreich: Aus bewährten Scribenten und glaubwürdigen Urkunden gesammlet, und in Ordnung gebracht. Hamburg 1732, Beylage III, S. 15 und 19. Vgl. Leeb, Kampf um den wahren Glauben (wie Anm. 1), S. 207–211. Vgl. Ders., ebd., S. 222–235, und Gernot Heiß: Konfession, Politik und Erziehung. Die Landschaftsschulen in den nieder- und innerösterreichischen Ländern vor dem Dreißigjährigen Krieg. In: Grete Klingenstein, Heinrich Lutz, Gerald Stourzh (Hg.): Bildung, Politik und Gesellschaft. Studien zur Geschichte des europäischen Bildungswesens vom 16. bis zum 20. Jahrhundert (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 5). Wien 1978, S. 22–27.

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der verband. So fällt vor allem auf, dass der obderennsische Adel seine religionspolitischen Forderungen an den Landesherrn von Anfang an früher und rigoroser als seine Glaubens- und Standesgenossen in Innerösterreich und im Land unter der Enns formulierte. Dies hatte seine Ursache zum einen in der größeren Entfernung von der Militärgrenze, welche die Furcht vor einer türkischen Invasion gegenüber den Landsassen jener habsburgischen Erblande verringerte, die sich mit dieser durchaus realen Bedrohung auf Grund ihrer geographischen Lage am „Hofzaun des Reiches“ fast täglich und sehr unmittelbar konfrontiert sahen. Zum anderen kämpften die Obderennser schon seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert um ihre territoriale Eigenständigkeit. Sie hatten zwar einen eigenen Landtag und Landeshauptmann, wurden aus dem Erzherzogtum Österreich allerdings formal nie herausgelöst, von Wien aus regiert und von den anderen Erbländern nie als gleichrangig anerkannt. Darum erblickten die oberösterreichischen Herren und Ritter in ihrer Vorreiterrolle bei den länderübergreifenden Bemühungen der evangelischen Stände um das freie Glaubensexerzitium wohl nicht zuletzt auch eine effektive Methode, ihre politische Isolation zu überwinden und ihren staatsrechtlichen Ansprüchen mehr Geltung zu verschaffen. Neben solchen territorialspezifischen Unterschieden existierten innerhalb der ständischen Adelskurien überall mindestens zwei idealtypische Gruppierungen, deren Mitglieder die Sache der Reformation entweder vehement verfochten oder eine moderatere Position bezogen.21 INDIVIDUELLE EBENE Die adlige Rezeption der reformatorischen Bewegung in den österreichischen Erblanden spiegeln die ausgewerteten Quellen bereits zu Beginn der 1520er Jahre wider. Am 21. Mai 1521 schrieb der kurz nach 1500 in den steirischen Ritterstand erhobene Hammerherr Sebald Pögl an den Mariazeller Pfarrer Ulrich Stübich, er habe vom Wormser Reichstag drei Berichte empfangen, die alle konstatierten, „vill gelertn und ander geben dem Luther seiner sach recht“, zahlreiche Edelleute schlössen sich seinetwegen zusammen und unter dem Volk ginge ein großes „murmbln“, sodass ein baldiger Aufruhr befürchtet werde. Die seinem Brief beigefügten „püchl“ weisen ihn zudem als interessierten Leser der damals reichlich kursierenden Flugschriften aus.22 Die im Erzherzogtum Österreich ob der Enns ansässigen Freiherren von Scherffenberg genehmigten die Stiftung eines Kaplans für die neue Allerheiligenkapelle auf ihrer Herrschaft Ort im gleichen Jahr nur unter der ausdrücklichen Bedingung, „das durch schikhung des allmechtigen gots in gemainer Christlicher kirchen verenderung beschäche“. Bleibe die erwartete Kirchenreform aus, solle das Geld für andere Zwecke, doch einzig und allein „zu wahrem Gottesdienst“ verwendet werden.23 Den vom Tod seiner Gemahlin Magdalena zutiefst betrübten Oberösterreicher Bartholomäus von Starhemberg überzeugte Martin Luther persönlich 21 22 23

Vgl. Scholz, Ständefreiheit und Gotteswort (wie Anm. 6), S. 168–170, und Eder, Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung (wie Anm. 8), S. 387–389. Vgl. Moltke, Siegmund von Dietrichstein (wie Anm. 7), S. 303–305 (Zitate auf S. 304). Zitiert nach Eder, Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung (wie Anm. 8), S. 403.

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mit seinem später sogar gedruckten Trostbrief vom 1. September 1524 offenbar von der Nutzlosigkeit der unzähligen Seelenmessen und Vigilien für die Verstorbene. Von der etwa zur gleichen Zeit einsetzenden intensiven Korrespondenz des Wittenberger Reformators mit Christoph und Dorothea Jörger, welche erheblich mehr als die heute größtenteils nur in ihrem Text überlieferten 22 Schreiben umfasst haben muss, wird weiter unten noch die Rede sein.24 Der im Land unter der Enns lebende und noch nicht prolutherisch gesinnte Baron Christoph von Zinzendorf informierte den Abt von Göttweig somit wohl richtig, als er ihm im Jahr 1526 mitteilte, dass viele seiner Standesgenossen im Begriff seien, „evangelisch“ zu werden.25 Bei der Suche nach plausiblen Erklärungen für dieses Phänomen geht die Forschung mittlerweile von einer komplexen Mischung aus religiösen, ökonomischen, politischen und sozialen Motiven aus, deren Bedeutung sich aber für einzelne Personen nicht seriös einschätzen lässt. Ohne jeden Zweifel erleichterte die Reformation dem Adel den Zugriff auf Kirchengüter beziehungsweise die schon früher angestrebte Ausweitung seiner Besetzungs-, Kontroll- und Vogteirechte über die örtlichen Pfarren. Darüber hinaus hoffte gerade in Zeiten häufiger Bauernunruhen sicherlich mancher Grundherr, die empörten Untertanen mit seiner öffentlichen Unterstützung der neuen Lehre oder durch seinen ostentativen Widerstand gegen kirchliche Abgaben und Stolgebühren von Zielen abbringen zu können, welche die bestehende ständische Ordnung ernsthaft gefährdet hätten. Dass die Berufung der adligen Zwischengewalten auf das reine Evangelium auch zur Eindämmung des parallel dazu forcierten landesfürstlichen Machtausbaus taugte, wurde oben bereits ausgeführt.26 Trotz alledem wäre es ein gravierender Fehler, das vom Adel häufig demonstrierte Desinteresse an theologischen Kontroversen als Indiz für konfessionelle Indifferenz zu werten.27 Gerrit Walther hat die Sorge um das Seelenheil und die Rechtfertigung vor Gott, die nicht allein den Familienangehörigen, sondern auch den Grundholden galt, sogar als den zentralen Beweggrund für dessen Bekenntnis zum Protestantismus herausgestrichen. Zugleich passte jener kämpferische Individualismus der freien Gewissensentscheidung, der sich nicht zuletzt in einer eigenen Kirche mit selbstgewählten Geistlichen ausdrückte, sehr gut zum herkömmlichen Ideal adliger Autonomie. Weil die Reformation alle Lebensbereiche betreffen und korrigieren sollte, erscheint bei ihrer Förderung durch den ersten Stand das Zusammenspiel religiöser und weltlicher Beweggründe keineswegs als Widerspruch, sondern geradezu als eine Notwendigkeit.28 24 25 26 27

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Vgl. Rudolf Leeb: Luthers Kontakte nach Oberösterreich. In: Ders., Karl Vocelka, Andreas Scheichl (Hg.): Renaissance und Reformation. Katalog zur Oberösterreichischen Landesausstellung 2010. Linz 2010, S. 51–53. Vgl. Reingrabner, Der evangelische Adel (wie Anm. 9), S. 196. Vgl. Scholz, Ständefreiheit und Gotteswort (wie Anm. 6), S. 60f. und 70f. So beispielsweise Kurt Andermann: Ritterschaft und Konfession – Beobachtungen zu einem alten Thema. In: Ders., Sönke Lorenz (Hg.): Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 56). Ostfildern 2005, S. 98. Vgl. Gerrit Walther: Glaube, Freiheit und Kalkül. Zur Frage von ‚Anpassung‘ und ‚Mobilität‘ bei adligen Konfessionsentscheidungen im 16. Jahrhundert. In: Horst Carl, Sönke Lorenz (Hg.): Gelungene Anpassung? Adelige Antworten auf gesellschaftliche Wandlungsvorgänge

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Ob beziehungsweise in welchem Maße einzelne Edelleute aus den österreichischen Erblanden zu reformatorischen Lehren tendierten, zeigt angesichts der dort bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts fehlenden klaren Trennlinien zwischen den sich erst herausbildenden Bekenntnissen am ehesten ihr konkretes Handeln.29 Für die frühe Reformation in der Steiermark stellt hierfür das Visitationsprotokoll von 1528 die bei weitem aussagekräftigste Quelle dar, die zwar manche Verhaltensweise vielleicht etwas vorschnell als „lutherisch“ einstuft, doch ebenso eine Reihe ziemlich eindeutiger Fälle dokumentiert, die vornehmlich aus dem niederen Adel stammen.30 So setzten Franz von Liechtenberg und Jörg von Triebeneck entlaufene Mönche als protestantische Schlosskapläne ein.31 Bernhard von Teuffenbach tat dies sogar mit einem Pfarrer, der vier Jahre zuvor wegen seiner reformatorischen Predigten in Wien verurteilt und zum Widerruf genötigt worden war.32 Jörg von Poppendorf las „den pawrn auß puechern“ vor und mochte keiner Messe beiwohnen, die ein Priester zelebrierte, den er als „ungeschickht“ kritisierte. Als seine Untertanen am Gründonnerstag und zu Mariae Verkündigung von diesem das Abendmahl empfangen wollten, ließ er sie aus der Kirche holen, um sie zur herrschaftlichen Jagd heranzuziehen.33 Der Landesverweser Adam von Hollenegg gab einem Informanten der Kommissare zu verstehen, dass er weder von der Messe noch von den Sakramenten und den Verdiensten der Heiligen etwas halte. Die „furpitten der selen“ bedeuteten ihm ebenso wenig und wenn er sterbe, solle man ihn bestatten, „wo man wöll“.34 Hans von Eibiswald sagte über die römische Kirche, „der ald tandt sei nichts“ und „wir wärn bisher vyl betrogen warden“. Wohl zur Abhilfe dessen hatte er den Nonnen des Frauenklosters in Admont nicht nur „lutrische puecher“ beschafft, sondern ihnen auch persönlich zur Flucht verholfen und dabei „die khlainadter und heylthumb […] bei der nacht anweckh gefuert“.35 Rochus von Trauttmansdorff rühmte sich wiederum, „er sey in etlichen jaren nit communiciert warden“.36 Gleich ihm gedachte die Gemahlin des Christoph von Lamberg, die „khein tag“ feierte und „khein heyling“ verehrte, das Abendmahl allein „in bayderley gestaldt“ anzunehmen.37 Zwei weibliche Mitglieder der Familien Kuenburg und Mörsberg verweigerten die Beichte „mit erkhlärung der sundt“. Zudem erkundigten sich beide „vilmal“ vor den Gottesdiensten, „wer predigen werdt“, und wenn ihnen der damit betraute Geistliche missfiel,

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vom 14. bis zum 16. Jahrhundert (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 53). Ostfildern 2005, S. 191–193. Konfessionelle Ausrichtung einiger steirischer Adelsgeschlechter in jener Epoche bei Scholz, Ständefreiheit und Gotteswort (wie Anm. 6), S. 209–211. Dabei dürfte das Protokoll die proreformatorischen Neigungen der Edelleute eher unter- als übertreiben, weil die meisten der befragten Geistlichen und Laien sicherlich mehr oder weniger schwerwiegende Konsequenzen zu befürchten hatten, falls sie ihre weltlichen Herren vor der Kommission denunzierten; vgl. Ders., ebd., S. 68f. Albrecher, Visitation (wie Anm. 10), S. 245 (49v). Albrecher, ebd., S. 341 (123r). Albrecher, ebd., S. 257 (56r). Albrecher, ebd., S. 354 (131r). Albrecher, ebd., S. 355 (131r). Albrecher, ebd., S. 351 (129v). Albrecher, ebd., S. 350 (129r).

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blieben sie der Kirche einfach fern.38 Eine Frau Altenhauser forderte ihre Grundholden auf, nur noch die Predigten ihres eigenen Kaplans zu besuchen, welcher vor der Gemeinde „seltzam ding“ sprach und den Leuten einschärfte, „wan man zu der meß lewt, so sollen sy di oren verschoppen“. Wollte einer der Bauern trotzdem zur Messe gehen, musste er seiner Herrin dafür einen Gulden bezahlen. Diese befahl ihren Untertanen ebenso, auf das Opfern und Seelgerät zu verzichten, ja „dem sacrament khain er zue thuen“, da sie am besten wisse, was „in nutz und guett wäre“.39 Auch Maximilian Steinbeiß wurde von dem örtlichen Pfarrer vorgeworfen, er „hab den paurn vorpredigt, sy sendt opfer und anders nit schuldig“.40 Andere Adlige wie Teuffenbach und der Landeshauptmann Sigmund von Dietrichstein missachteten nicht zuletzt die kirchlichen Fastengebote41, wobei die Frau von Kaindorf nicht einmal davor zurückschreckte, bekennende Altgläubige in der fleischlosen Zeit dazu einzuladen, mit ihr „ein prattnen khranabitvogl zu essen“.42 Außer mit derlei direkten Verstößen gegen die erzherzoglichen Religionsmandate erschwerten viele Standespersonen den Visitatoren die Arbeit, indem sie besondere Hilfsbereitschaft vortäuschten, verdächtige Bedienstete und Untertanen schützten oder die schriftlichen Anordnungen der Kommission völlig ignorierten.43 Christoph von Mindorf erschien beispielsweise „fur sich selbs auß aigner bewegnuß unerfordert“, als er erfuhr, dass sein lutherischer Schlosspfarrer in Feistritz bei Ilz visitiert würde. Er erklärte, diesen bereits selbst „geurlaubt“ zu haben, womit der Ritter das Problem als gelöst betrachtete. Kurz darauf wurde jedoch den Kommissaren „unter andern reden ausserhalb der inquisicion ungevärlich zugetragen“, dass er ebenso einen Hauslehrer für seine Kinder beschäftige, der „dyselbig verfuerischen sect lernen undt auspraitten sold“ wie der von ihm angeblich entlassene Kaplan. Als die sehr vorsichtig agierenden Visitatoren ihn deswegen ganz inoffiziell befragten, behauptete Mindorf, dass „er von bemelltn sein schuelmeister dergleichen nit wösst“, und erbot sich, denselben auf Verlangen zu stellen. Diese Anweisung wagten die Kommissare allerdings erst nach ihrer Weiterreise zu erteilen, was der Adlige mit einer dilatorischen schriftlichen Entschuldigung beantwortete.44 Die Gemahlin des abwesenden innerösterreichischen Obersten Feldhauptmanns Hans Katzianer (1491–1539) favorisierte demgegenüber eine weniger subtile Reaktion. Nachdem auf ihrer Herrschaft das landesfürstliche Visitationspatent verlesen worden war, ließ sie ihre Untertanen zusammenrufen und diesen befehlen, sich nicht darum zu kümmern.45 Das unübersehbar gewachsene Selbstbewusstsein der evangelischen Landesmitglieder als neue Kirchenherren soll Sebald Pögl zwei Jahre später gegenüber der geistlichen Obrigkeit mit der lapidaren Bemerkung re-

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Albrecher, ebd., S. 365 (138v). Albrecher, ebd., S. 348f. (127v–128r). Albrecher, ebd., S. 179 (9r). Albrecher, ebd., S. 341 (123r) und 353 (130r). Albrecher, ebd., S. 365 (138v). Vgl. Scholz, Ständefreiheit und Gotteswort (wie Anm. 6), S. 138f. Albrecher, Visitation (wie Anm. 10), S. 173 (5r–5v) und 281 (74v). Albrecher, ebd., S. 350 (129r).

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sümiert haben, „er sey selbst Babst und Bischof“, weshalb er seinen Pfarrern auch die Inhalte ihrer Predigten vorschrieb.46 Das adlige Engagement für die Sache der Reformation war damit freilich noch lange nicht erschöpft. In diesem Zusammenhang sind zum Beispiel ebenso die Brüder Jörg und Wolf von Perkheim zu erwähnen, die in ihrem Testament vom 15. November 1543 ihren gesamten Besitz im Erzherzogtum Österreich für den Fall ihres Ablebens ohne eheliche Erben für den Aufbau einer protestantischen Landschaftsschule verwendet wissen wollten.47 Ein wesentlich höheres Risiko gingen im Vergleich dazu die obderennsischen Freiherren Kasimir (1526–1565) und Paul Martin von Polheim (1525–1588) ein, die 1547 auf Seiten des Schmalkaldischen Bundes kämpften, von kaiserlichen Soldaten gefangen wurden und sich anschließend Ferdinand I. in schriftlicher Form unterwerfen mussten.48 DREI PERSONENBEISPIELE Für den hier behandelten Zeitraum existiert leider zu wenig einschlägige Literatur, um in größerem Stil das Verhältnis von Adel und Reformation in den niederösterreichischen Territorien mit Hilfe der Auswertung biographischer Daten zu untersuchen. Der Forschungsstand sowie der begrenzte Rahmen dieses Beitrags erlauben zumindest drei Porträtskizzen wichtiger Akteure aus Innerösterreich und dem Land ob der Enns, die überdies zwei verschiedene Generationen abdecken. Sigmund von Dietrichstein (1480–1533) erlebte und gestaltete die reformatorische Bewegung in ihrer frühesten Phase als steirischer Landeshauptmann. Wegen seiner umsichtigen Amtsführung genoss er bis zu seinem Rücktritt im Jahr 1529 selbst dann noch das Vertrauen Ferdinands I., wenn er den Vollzug der erzherzoglichen Religionsmandate verschleppte und auf seinen Herrschaften und Schlössern evangelische Geistliche beschäftigte. Mit seiner Unterstützung konnte Villach als die erste Stadt in den österreichischen Erblanden im Herbst 1526 die Reformation einführen. In Feistritz an der Drau beteiligte Dietrichstein sogar die Gemeinde bei der Wahl eines neuen Pfarrers, worin ihn vielleicht die einschneidende Erfahrung bestärkt hat, drei Jahre zuvor der Hinrichtung durch aufständische Bauern nur knapp entronnen zu sein. Seine Meisterschaft in der taktischen Anwendung politischer Formalismen entfaltete er nicht zuletzt bei den Verhandlungen über den Fortgang der bereits erwähnten Kirchenvisitation von 1528, der die ständischen Verordneten nicht hinnehmbare Verstöße gegen die Landesfreiheiten vorwarfen. Um der ehrenrührigen Vorladung, Befragung und Bestrafung von unter den Verdacht der „Ketzerei“ geratenen Standesgenossen vorzubeugen, verwickelte der Landeshauptmann die Kommissare in eine komplizierte Debatte über miteinander konkurrie46 47 48

Zitiert nach Moltke, Siegmund von Dietrichstein (wie Anm. 7), S. 305. Vgl. Max Doblinger: Jörg von Perkheim, ein ständischer Diplomat des 16. Jahrhunderts. In: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines 96 (1951), S. 95. Vgl. Walter Aspernig: Die Adelsfamilie Polheim und ihre Rolle in der konfessionellen Geschichte Oberösterreichs. In: Rudolf Leeb, Karl Vocelka, Andreas Scheichl (Hg.): Renaissance und Reformation. Katalog zur Oberösterreichischen Landesausstellung 2010. Linz 2010, S. 76.

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rende Normen und Vollmachten, die ihnen schließlich keine bessere Option ließ, als ihre Arbeit vorzeitig abzubrechen, „wyewol sy etlich von adel zu fadern gehabt hetten“.49 In ihren Aufzeichnungen attestierten die Visitatoren Sigmund von Dietrichstein, dass er früher zwar „ain guetter crist gewesen“, nunmehr aber „gantz verkhert“ sei und deshalb „am maisten der reformacion“ bedürfe. So habe der Landeshauptmann nicht nur die „dye lutrischen briester vill auffgehaldten und lassen predigen“, sondern auch gesagt, dass der heilige Petrus nie in Rom war. Als ein Informant der Kommission letzterem widersprach, wollte er ihn „zum Lutter schickhen“. Wie seine Gattin Barbara hielt Dietrichstein „nichts vom sacrament noch von der meß“. Außerdem habe er einen offenbar weiterhin der alten Kirche anhängenden Gesellpriester und dessen Mitarbeiter ermahnt, „sy sollen evangelisch sein“.50 In seinem Innsbrucker Testament vom 12. Februar 1532 wird denn auch kein Heiliger angerufen und von der Witwe statt des üblichen Seelgeräts lediglich ein „Gotsdienst ieres bedenckhens“ verlangt.51 Im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger Sigmund von Dietrichstein trat Hans Ungnad von Sonnegg (1493–1564) als Landeshauptmann der Steiermark (ab 1530) in 49

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Vgl. Moltke, Siegmund von Dietrichstein (wie Anm. 7), S. 240–250 und S. 314–351. Der vollständige Protokollvermerk dazu bei Albrecher, Visitation (wie Anm. 10), S. 405f. (167r–167v), lautet: „Als di commissari zu Grätz haben angefangen zu handlen erichtag des XIIII. julii biß auf den XXIII. julii, allso mit vleyß nach vermugen jerer commiß und instruction verfaren, ist der landßhaubtman her Sigmundt von Dietrichstein anhaym khumen und zw in begert. Hat in anzaygt, wye sich ain landschaft höchlich beschwär, das sy handln sollen, das wider ir freyheit sey. Des haben sy sich endtschuldigt, sy handletten nit anders dan nach vermugen yeres gewaldts. Darneben hat er gesagt, der verweser und die verordentten haben sein kheim (!) erwardt, sy haben auch willens gehabt hinweckh zu ziechen, so wyldt wär man an ir handlung. Auff solichs haben die commissari den haubtman yeren gewaldt furtragen auch ain sondern bevelch von khu. Mt. etc., darinen er befundt, das sy von khy. Mt. beschuldigt wurden, das sy mer zu mildt dan zu streng gehandelt hetten. Nach solichen hat er, landshaubtman, begert, so es nit wider sy, di commissari, wäre, so woldt er den von der landschafft jern gewaldt anzaygen, das sy allso bewilligt, wan sy solichen jern gewaldt yedem man gern zaygt haben, wer sein begert hatt. Des andern tag ist der landßhaubtmann wider zw in khumen, hat in anzaygt, di von der landtschafft wären auff jern gewaldt noch vyl strenger, dan es sey gantz wider ir freyhaydt. Deshalben wär sein ansinen, das sy IIII tag mit irer handlung soldten styl stehen, so wolle er solichs der khy. Mt. regierung zw vernemen geben, welle ungeverlich in der zeytt wider andtwurdt haben, doch möchten sy diweyll mit den geistlichen handln. Darauff was ir andtwurdt, wo er das wollt verandtwurtten, das sy styl soldten haldten, dan in sey bevolchen, furzufaren und nit stil zu stehen, hat er sich der verandtwurttung nit wellen annemen und vermaynt, sy sollen handln; diweil er das geschloß habe, woll er sy wol sychern. Hat darauff gesagt, man geb den saltzburgerischen di maist schuldt. Haben sy gesagt, sein gn. hab yern gewaldt gesechen, das sy miteinander handln, haben auch gesagt, si wurden mit dem vom adl zum tayl auch zw handln geduldt haben. Hat er geandtwurdt, seiner person halben sey er wyllig, sy soldten bei im guetten beschaidt finden. In solchen haben sy nit gewest zu handln, wyewol sy etlich von adel zu fadern gehabt hetten, dergeleychen von burgern und frauen nach vermugen dises register. So sendt sew allso darinnen verhindert worden, den allen di khy. Mt. facere woll wissen zu thuen, derselben sy sich undtertänigist bevelchen.“ Albrecher, ebd., S. 353 (130r–130v). Dietrichsteins Testament ist vollständig abgedruckt bei Karl Eder: Der steirische Landeshauptmann Siegmund von Dietrichstein (1480–1533). Beiträge zu seiner Biographie (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 21). Graz 1963, Anlage III, S. 124–127 (Zitat auf S. 124).

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Glaubenssachen wesentlich offener und resoluter auf. Sein sicherlich überdurchschnittlich ausgeprägtes religiöses Sendungsbewusstsein speiste sich neben dem allgegenwärtigen Streben nach lokaler Herrschaftsintensivierung vor allem aus der Türkengefahr, die er wie Martin Luther als göttliche Zuchtrute für den Götzendienst der römischen Kirche interpretierte und nach der katastrophalen Niederlage des ungarischen Heeres von Mohács (1526) in unterschiedlichen militärischen Funktionen (1542–1544 als Oberster Feldhauptmann) mehr oder weniger erfolgreich abzuwehren half. Um die Truppen des Sultans aus den von ihnen eroberten Gebieten mit vereinten Kräften zurückzudrängen, plädierte er 1541 im Interesse eines gleichmäßigen und für alle erträglichen Steuerflusses zum einen für die Vereinheitlichung der Gesetzgebung und Verwaltung in den habsburgischen Erbterritorien, was deren Stände außerordentlich befremdete. Zum anderen wiederholte Ungnad bei jeder Gelegenheit gegenüber Ferdinand I. seine Forderung nach dem unverfälschten Gotteswort und dem Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Da er stattdessen von seinem König und Erzherzog immer schärfer an seine exekutiven Pflichten bei der Durchsetzung der landesfürstlichen Religionspatente erinnert wurde, resignierte der Baron 1553 nicht nur von allen seinen Ämtern, sondern entschloss sich zwei Jahre später sogar zur Emigration nach Wittenberg, was über die Grenzen der Habsburgermonarchie hinaus großes Aufsehen erregte. Das Exil des Steirers in der kursächsischen Universitätsstadt endete jedoch bereits 1557, weil ihn der dauernde Streit der dortigen Theologen zutiefst enttäuschte. Seine Hoffnung, den Kurfürsten August von Sachsen und Philipp Melanchthon für ein neues politisches Bündnis der protestantischen Reichsstände zu gewinnen, blieb wohl nicht allein auf Grund der anhaltenden Differenzen unter den Augsburger Konfessionsverwandten ebenso unerfüllt. Er schrieb daraufhin an Herzog Christoph von Württemberg, der eine solche Einigungspolitik unterstützte, dem Freiherrn die erbetene Aufenthaltserlaubnis in seinem Land erteilte und ihn am 28. Dezember 1557 zu seinem Rat ernannte. Die letzten sechs Lebensjahre verbrachte Hans Ungnad im württembergischen Urach, das er ab 1561 gemeinsam mit dem slowenischen Reformator Primož Trubar (1508–1586) zum Standort einer „Windischen, Chrabatischen und Cirulischen Trukherey“ machte, deren 37 verlegte Werke in ca. 31.000 Exemplaren die südslawischen Völker durch die Verbreitung des „reinen Evangeliums“ in ihrer jeweiligen Muttersprache zum Protestantismus bekehren und auf diese Weise in ein glaubensfestes Bollwerk des Christentums gegen den türkischen Erbfeind verwandeln sollten. Da er ein Begräbnis unter Katholiken abgelehnt hatte, bestattete man ihn auf Geheiß des Herzogs in der Tübinger Stiftskirche.52 Christoph Jörger (1502–1578), der einem einflussreichen oberösterreichischen Rittergeschlecht entstammte, zählt bereits zur zweiten Generation jener erbländischen Adligen, die sich ab den 1520er Jahren der lutherischen Lehre zuwandten. Er verzichtete offenbar auf eine Karriere im Fürstendienst, obschon sein Vater Wolfgang (1462–1524) von 1513 bis 1521 Landeshauptmann in Österreich ob der Enns war. Diese bemerkenswerte Tatsache resultiert möglicherweise aus dem Umstand, 52

Vgl. Bernd Zimmermann: Landeshauptmann Hans Ungnad von Sonnegg (1493–1564). Ein Beitrag zu seiner Biographie. In: Gerhard Pferschy (Hg.): Siedlung, Macht und Wirtschaft. Festschrift Fritz Posch zum 70. Geburtstag (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives 12). Graz 1981, S. 203–214, und Scholz, Ständefreiheit und Gotteswort (wie Anm. 6), S. 101–106.

Adel und Reformation in den habsburgischen Erbterritorien

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dass ihn seine Eltern zur weiteren Erziehung 1521 an den Hof Friedrichs des Weisen nach Kursachsen geschickt hatten. Laut seinem vermutlich zwischen 1546 und 1556 als Beitrag zur Familienchronik verfassten „Bekhentnus“ wurde Jörger dort entgegen seinem ursprünglichen Gelübde, fest zum „Bapstlichen Glauben“ zu stehen und nicht zu den Lutheranern überzulaufen, „aus biblischer apostolischer Schrifft durch Gottes Werkhzeug, den gottseeligen Martin Lutters erleucht, vnd aus menschlicher Satzung zu der rechten Wahrheit gefüert“. Seit dieser von Christoph und seiner Mutter Dorothea (gest. 1556) als schicksalhaft empfundenen Begegnung pflegte der Reformator bis zu seinem Tod (1546) mit beiden einen ebenso ausgiebigen wie vertrauensvoll-freundschaftlichen Briefwechsel, der 1525 mit Michael Stiefel (gest. 1567) nicht nur einen der ersten Prädikanten nach Österreich brachte, sondern auch ganz persönliche und innerfamiliäre Probleme thematisierte. So folgte der Edelmann nach eigener Darstellung in erster Linie dem Rat Luthers, als er 1546 seinen seit 1543 bekleideten Posten im niederösterreichischen Regiment aufgab, weil die damit verbundene Pflicht zur Teilnahme an katholischen Zeremonien sein religiöses Gewissen zu stark belastete. Der Oberösterreicher verlagerte den Schwerpunkt seiner Tätigkeit schließlich in den für ihn offenbar weniger problematischen wirtschaftlichen Sektor und gehörte von 1558 bis 1564 der Neusohlerischen Schmelzkommission in verschiedenen Funktionen an. Von Christophs Söhnen haben Abraham und Ladislaus 1542 in Wittenberg studiert; Helmhard (1530–1594) war dagegen von seinem Vater schon im Jahr 1539 der „zucht vnd dienstbarkheit“ des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen anvertraut worden. Viel bemerkenswerter ist allerdings, dass Jörger den verstorbenen Reformator Martin Luther als „von Gott gesändte[n] Ritter“ und Vermittler der „höchste[n] vnaussprechliche[n] Wolthat“ regelrecht in die Ahnengalerie seiner Chronik einreihte, woraus er ohne jeden Zweifel eine besondere Verantwortung seines adligen Hauses für die Verbreitung und Erhaltung der Augsburgischen Konfession im Erzherzogtum Österreich ableitete. Dennoch wurde der überzeugte Protestant später für seine treuen Dienste durch Maximilian II. mit dem Titel eines kaiserlichen Rats (1569) belohnt, in den Freiherrenstand erhoben und mit dem für ihn und seine Erben neugeschaffenen Erblandhofmeisteramt ob der Enns (1572) belehnt.53 FAZIT UND AUSBLICK Die in Christoph Jörgers Vermächtnis und weiteren der oben zitierten Dokumente sehr deutlich zum Ausdruck kommende enge Verknüpfung von Adelsstolz und 53

Vgl. Heinrich Wurm: Die Jörger von Tollet (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 4). Linz 1955, S. 65–74 und 140–148; Elisabeth Gruber: Die Familie Jörger und ihre Rolle in der konfessionellen Geschichte Österreichs. In: Rudolf Leeb, Karl Vocelka, Andreas Scheichl (Hg.): Renaissance und Reformation. Katalog zur Oberösterreichischen Landesausstellung 2010. Linz 2010, S. 67f. (mit dem hier zuerst wiedergegebenen längeren Zitat aus Christoph Jörgers „Bekenntnis“ auf S. 67); Leeb, Luthers Kontakte nach Oberösterreich (wie Anm. 24), S. 52f.; Harald Tersch: Österreichische Selbstzeugnisse des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (1400– 1650). Eine Darstellung in Einzelbeiträgen. Wien 1998, S. 235–239 (übrige Zitate auf S. 237ff.).

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Glaubensfreiheit bildete am Ende denn auch den Hauptfaktor, der im Zusammenspiel mit der allgemeinen Türkenfurcht und der chronischen Finanzschwäche der Habsburger den Boden für jenen beachtlichen konfessionspolitischen Erfolg bereitete, der zuerst den donauösterreichischen (1568) und kurz darauf den innerösterreichischen (1572) Ständemitgliedern für ihre Familien die freie Entscheidung zwischen Luthertum und Katholizismus sowie das faktische ius reformandi über ihre Untertanen bescherte. In jenen mühsam erkämpften Religionsprivilegien sollte der protestantische Adel fortan ein unverzichtbares Statussymbol erblicken, das er fest und generationsübergreifend in seinen ständischen Habitus integrierte. Von Anbeginn barg diese Perspektive jedoch den Keim für einen – zuletzt in der Schlacht am Weißen Berg sogar gewaltsam ausgetragenen – Staatsbildungskonflikt mit dem streng katholischen Erzhaus Österreich, dessen Ausgang die evangelischen Herren und Ritter aller habsburgischen Erblande nach 1620 entweder ins Exil oder zur Konversion zwang, obwohl oder besser gerade weil sie genauso beharrlich und kompromisslos auf ihre religiöse Autonomie gepocht hatten wie ihre Vorfahren in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.54 Auf der anderen Seite wissen wir bedauerlicherweise viel zu wenig über die adlige Konfessionskultur in den fünf niederösterreichischen Territorien der Reformationszeit. In Anbetracht der dort bis um 1580 noch recht unscharfen Trennungslinien zwischen den zwei großen rivalisierenden Religionsgruppen hätte dieser produktive Forschungsansatz laut Thomas Kaufmann „den Formungsprozess einer bestimmten, bekenntnisgebundenen Auslegungsgestalt des christlichen Glaubens in die vielfältigen lebensweltlichen Ausprägungen und Kontexte hinein“ zu analysieren, „in denen der allenthalben wirksame Kirchenglaube präsent war“.55 Eine jüngst unter anderem zu dieser Fragestellung veröffentlichte Fallstudie hat gezeigt, dass ab den 1620er Jahren selbst sehr energisch für die Sache des Protestantismus Partei ergreifende Edelleute in der Habsburgermonarchie ihr sichtbares konfessionelles Auftreten überwiegend den häufig wechselnden sozialen Rollenmustern anpassten, denen sie zum Beispiel als Standespersonen, fürstliche Vasallen, militärische beziehungsweise zivile Amtsträger, Hofbesucher, Grundherren, Kirchenpatrone oder Nachbarn von Andersgläubigen genügen mussten, „ohne dies als Verrat an ihren etwaigen Überzeugungen zu empfinden“.56 Erst die systematische Auswertung vor allem der in den privaten und staatlichen Adelsarchiven Österreichs aufbewahrten Ego-Dokumente wird klären können, ob diese Erkenntnisse auch für die Reformationsepoche Gültigkeit beanspruchen dürfen. Zumindest das in dem begrenzten Rahmen dieses Aufsatzes nur punktuell beschriebene, aber relativ gut untersuchte Verhalten des steirischen Landeshauptmanns Sigmund von Dietrichstein scheint diese Vermutung zu bestätigen. 54 55 56

Siehe hierzu den Überblick von Thomas Winkelbauer: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter (Österreichische Geschichte 1522–1699), Bd. 1. Wien 2003, S. 55–68 und 73–78. Thomas Kaufmann: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur (Beiträge zur historischen Theologie 104). Tübingen 1998, S. 7. Vgl. Schreiber, Adeliger Habitus und konfessionelle Identität (wie Anm. 5), S. 49–82, Zitat aus Ronald G. Asch: Religiöse Selbstinszenierung im Zeitalter der Glaubenskriege. Adel und Konfession in Westeuropa. In: Historisches Jahrbuch 125 (2005), S. 71.

ORTSADEL UND LANDESHERR IN IHREM VERHÄLTNIS ZU DEN WALDENSERPRÄSENZEN im westlichen Alpenbogen, im Luberon und in Kalabrien im 15. und 16. Jahrhundert Lothar Vogel Im Rahmen des Konfessionalisierungs-Paradigmas hat die historische Forschung der letzten Jahrzehnte den Zusammenhang hervorgehoben, der zwischen der Reformation des 16. Jahrhunderts und der Ausbildung zentralisierter Staatlichkeit besteht. Aus dieser Sicht figuriert die Ritterschaft beziehungsweise der Niederadel, obwohl er frühe und wichtige Unterstützer der Reformation hervorgebracht hat, unter den politischen Verlierern dieses Prozesses. Wenn auch die Entwicklung des niederen Adels in der frühen Neuzeit nicht in einer einseitig negativen Perspektive beschrieben werden sollte, so bleibt doch richtig, dass das ius reformandi den Reichsständen zuwuchs und der niedere Adel die auf höherer Ebene getroffenen religionspolitischen Entscheidungen akzeptieren beziehungsweise sich mit ihnen arrangieren musste.1 Gegenstand der hier vorzustellenden Überlegungen sind die Beziehungen zwischen Waldensern, örtlichem Adel und Landesherrn im westlichen Alpenbogen, im französischen Luberon und in Kalabrien im Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit. Somit kommen Gebiete in den Blick, die teils zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation gehörten, teils außerhalb von diesem lagen. Die bei je unterschiedlichem Ergebnis für diese Territorien aufzuzeigenden Parallelismen machen deutlich, dass Spielarten der Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert über den Geltungsbereich der auf den Reichstagen von 1526 bis 1555 verabschiedeten Bestimmungen hinaus stattgefunden haben. I. DIE WALDENSER IM WESTLICHEN ALPENBOGEN Im westlichen Alpenbogen, das heißt in jenem Gebiet, in dem sich die bis heute so genannten „Waldensertäler“ befinden, sind als Waldenser definierte Gruppierungen seit dem Ende des 13. Jahrhunderts belegt.2 Von der Begrifflichkeit her ist festzu-

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Vgl. Dietmar Schiersner: Semper fidelis? Konfessionelle Spielräume und Selbstkonzepte im südwestdeutschen Adel der Frühen Neuzeit. In: Ronald G. Asch, Václav Bůžek, Volker Trugenberger (Hg.): Adel in Südwestdeutschland und Böhmen 1450–1850. Stuttgart 2013, S. 95–126; auf mittelfristig verbleibende erheblich weitere Spielräume des landständigen Adels unter habsburgischer Herrschaft verweist Josef Hradlička: Die Rolle des Adels im Prozess der Konfessionalisierung der böhmischen Länder am Anfang der Neuzeit. In: ebd., S. 77–94. Vgl. Grado G. Merlo: Su radici e origini della presenza eterodossa tra le Alpi occidentali. In:

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halten, dass aus Sicht der Inquisition höchst unterschiedliche Phänomene, bis hin zur Hexerei, als Waldensertum definiert werden konnten. Die Inquisitionsakten des 14. und 15. Jahrhunderts in dem zu behandelnden Raum erschließen jedoch eine religiöse Welt, die den Überzeugungen der „Armen von Lyon“ entspricht und in der Ablehnung des Schwörens, des Fegfeuers und des Ablasses sowie in der Idee eines Verfalls der Kirche durch die Konstantinische Schenkung zum Ausdruck kommt. Auf der Ebene religiöser Praxis zeichnete es die Waldenser aus, dass sie sich zu heimlichen Versammlungen trafen, bei denen nach apostolischem Vorbild zu zweit umherziehende Wanderprediger Belehrungen und das Bußsakrament erteilten. Dass in diesem Raum, wie in jedem anderen, auch Nachrichten über magische Praktiken in die Akten Eingang gefunden haben, darf nicht überraschen.3 1. Ortsadel und Waldenser im 14./15. Jahrhundert Von 1297 an ist das Vorgehen der Inquisition gegen Waldenser in den verschiedenen Alpentälern am westlichen Rand der Diözese Turin belegt. Was die weltliche Herrschaft betraf, so gehörten lediglich das obere Chisone- und Dora-Tal (Prevostur von Oulx) zum französischen Dauphiné, das übrige Gebiet hingegen zur Grafschaft (seit 1416 Herzogtum) Savoyen. Hier waren im Susa-Tal (S. Juste in Susa) und auf dem rechten Ufer des unteren Chisone-Tals (S. Maria in Pinerolo) klösterliche Ortsherrschaften bestimmend; die anderen Zonen hatten adlige Ortsherren, unter denen die Familie der Herren von Luserna am wichtigsten war; der Zweig der Manfredi kontrollierte das Pellice-Tal und Angrogna, jener der Rorenga Rorà und die angrenzenden Bereiche; der ursprünglich im oberen Pellice-Tal bestimmende Zweig der Bigliori hingegen befand sich auf dem Abstieg aus dem Adelsstand. Im Germanasca-Tal waren die Trucchietti von Perrero und auf dem linken Ufer des unteren Chisone-Tals und auf dem Sattel von Prarostino die Bersori begütert.4 Bis ins 16. Jahrhundert bestand in diesem Raum ein komplexes Beziehungsdreieck zwischen den Häretikern, der Inquisition und vor allem den weltlichen Ortsherren, auf deren Schutz und Kooperation die Inquisitoren angewiesen waren.

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Ders.: Valdesi e valdismi medievali. Itinerari e proposte di ricerca. Turin 1984, S. 27–41; Euan Cameron: Waldenses. Rejections of Holy Church in Medieval Europe. Malden 2000, S. 152. Dazu Grado G. Merlo: Eretici e inquisitori nella società piemontese del Trecento. Turin 1977; Luca Patria: «Sicut canis rediens ad vomitum». Lo spaesamento dei valdesi nel balivato sabaudo della diocesi di Torino fra Tre e Quattrocento. In: Marina Benedetti (Hg.): Valdesi medievali. Bilanci e prospetive di ricerca. Turin 2009, S. 121–161; Marina Benedetti: I margini dell‘eresia. Indagine su un processo inquisitoriale (Oulx, 1492). Spoleto 2013. Vgl. Augusto Armand Hugon: Popolo e chiesa alle Valli dal 1532 al 1561. In: Bollettino della Società di Studi Valdesi 110 (Dez. 1961), S. 7f.; Maria Ada Benedetto: Ricerche sugli ordinamenti dei domini del Delfinato nell‘alta valle di Susa. Turin 1973, S. 21; Alessandro Barbero: Il dominio dei signori di Luserna sulla Val Pellice (secoli XI–XIII). In: Bollettino storico-bibliografico subalpino 91 (1993), S. 657–690; Luca Patria: Prope suburbia Inferni: il costo umano e finanziario dell‘eresia nelle Alpi Cozie del Quattrocento. In: Raimondo Genre (Hg.): Presenze religiose, migrazioni e lingua occitana nell‘alta Val Chisone tra il ‘400 e il ‘500. Villaretto – Roure 2011, S. 13–53.

Ortsadel und Landesherr in ihrem Verhältnis zu den Waldenserpräsenzen

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Aus dem Jahre 1312 ist die Beschwerde eines Inquisitors über einen dem Dauphin unterstehenden Kastellan überliefert, der ihn an der Ausübung seines Amtes hinderte.5 Zwanzig Jahre später klagte Papst Johannes XXII. in einem Breve an den Franziskaner-Inquisitor in Marseille darüber, dass die Waldenser im unteren Chisoneund im Pellice-Tal die Waffen gegen den Inquisitor erhoben, den als Verräter verdächtigten Pfarrer von Angrogna ermordet und den Inquisitor schließlich in der Burg eines Kastellans belagert und aus ihr vertrieben hätten.6 In dem vor dem Taleingang gelegenen Bricherasio wurde 1374 sogar der Inquisitor selbst während der Predigt erschlagen.7 Zehn Jahre später führte auch im oberen Chisone-Tal der Auftritt des Inquisitors zu einem Aufstand.8 Die Deutung dieser Vorgänge kann von zwei in zentralen Passagen gleichlautenden Breven ausgehen, die Papst Gregor XI. im Jahre 1375 an den König von Frankreich und den Grafen von Savoyen richtete. In ihnen führte er das zahlreiche Vorhandensein von Häretikern im Dauphiné und in Savoyen darauf zurück, dass der Adel unter Hintanstellung der Gottesfurcht die Inquisition an der Ausübung ihres Amtes hindere.9 Zwischen dem Willen und der faktischen Möglichkeit, diese alpinen Gebiete zu kontrollieren, muss freilich unterschieden werden. Gerade für die Kastellane des unteren, savoyisch regierten Chisone-Tals belegen die Rechnungsbücher vor allem in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts regelmäßige (pekuniäre) Bestrafungen von Waldensern.10 Andererseits ist dokumentiert, dass es im Zusammenhang des Auftretens des Inquisitors 1384 ein Kastellan gewagt hatte, abgelegenere Bereiche seines Zuständigkeitsbereichs zu betreten – um mit abgeschnittenen Daumen von dort zurückzukehren.11 Die den päpstlichen Breven zugrundeliegende Argumentationsstrategie, den Landesherrn gegenüber dem Ortsadel für die Situation verantwortlich zu machen, bedeutet nicht, dass das Haus Savoyen seinerseits die Inquisition vorbehaltlos unterstützte; zwar autorisierte man pflichtgemäß die Inquisitoren, ihre operative Unterstützung blieb jedoch halbherzig.12 Noch 1461 reagierte der Savoyer in sehr formaler Weise, als im Susa-Tal ein Vize-Kastellan Häretiker gegenüber der Inquisition in Schutz genommen hatte.13 Wie in einem Brennspiegel wird diese Problematik in den Inquisitionsakten von 1387 aus Pinerolo erkennbar. Aus ihnen geht nicht nur hervor, dass führende Vertreter des savoyischen Hofs einem geständigen Waldenser für den Fall des Widerrufs Beistand zusagten.14 Angesichts der Erkenntnis, 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Merlo, Eretici e inquisitori (wie Anm. 3), S. 131. Konrad Eubel (Hg.): Bullarium franciscanum Romanorum Pontificum, Bd. 5. Rom 1898, S. 530 (Nr. 987); vgl. Marcaurelio Rorengo de‘ Luserna: Memorie historiche Dell‘introduttione dell‘Heresie Nelle Valli di Lucerna, Marchesato di Saluzzo, & altre di Piemonte. Turin 1649, S. 16f. So Rorengo, ebd., S. 17. Siehe Patria, Prope suburbia Inferni (wie Anm. 4), S. 32. Jean-Marie Vidal (Hg.): Bullaire de l‘Inquisition française au XIVe siècle et jusqu‘à la fin du Grand Schisme. Paris 1913, S. 408f. (Nr. 287) und 410f. (Nr. 289). Siehe Merlo, Eretici e inquisitori (wie Anm. 3), S. 80. Siehe Patria, Prope suburbia Inferni (wie Anm. 4), S. 32. Dazu zusammenfassend Merlo, Eretici e inquisitori (wie Anm. 3), S. 132. Siehe Patria, Prope suburbia Inferni (wie Anm. 4), S. 44. Girolamo Amati: Processus contra Valdenses in Lombardia superiori, anno 1387. In: Archivio Storico Italiano 2/1 (1865), S. 33f.; vgl. Merlo, Eretici e inquisitori (wie Anm. 3), S. 132f.

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dass im unteren Chisone-Tal ganze Kommunen dem Waldensertum anhingen,15 entschloss sich der Inquisitor, kommunale Vertreter und Vertrauensleute zum Verhör einzubestellen, „um euch, die Gemeinde und die Gesamtheit (vos et comune et universitatem) vom üblen Ruf, der Häresie und der Anschuldigung zu reinigen“. Anstatt dieser Vorladung Folge zu leisten, handelten die Kommunalvertreter jedoch mit denselben Vertretern des Hofs, die sich im soeben erwähnten Häresiefall eingeschaltet hatten, die Zahlung eines jährlichen Schutzgelds aus, um die Inquisition fernzuhalten – was den Inquisitor veranlasste, sich aus Pinerolo zurückzuziehen.16 Anders als zu Beginn des Jahrhunderts hatte es nun die Inquisition gar nicht mehr gewagt, die alpinen Täler auch nur aufzusuchen, und nach dem Misserfolg von 1387 sollten siebzig Jahre vergehen bis zu einer – nach heutigem Kenntnisstand dokumentierten – Wiederaufnahme der Häretikerverfolgung in diesem Raum. Da kein Vertreter des Ortsadels oder des Herzogshofs Sympathie für die religiösen Überzeugungen der Waldenser offenbarte, sind die Ursachen ihres Verhaltens auf pragmatischer Ebene zu suchen. Abgesehen von der nüchternen Einschätzung der Grenzen ihrer Machtmittel sind finanzielle Interessen zu bedenken, erforderte die Entrichtung der Abgaben seitens der Grundsässigen doch ein Mindestmaß an gesicherten Verhältnissen. Was die Vermögensstrafen betraf, die Häretikern auferlegt werden konnten, so profitierte davon der Landesherr, der die Inquisition autorisiert hatte; die örtlichen Amtsträger hingegen, auf denen in unmittelbarer Weise der Schutz der Inquisitoren und die Übernahme verurteilter Häretiker lasteten, kamen hingegen, wenn überhaupt, in den Genuss deutlich geringerer Einnahmen.17 Seitens der Waldenser erforderte die Erhaltung dieses status quo nicht nur die Anerkennung der Rechte ihrer weltlichen Herren, sondern auch – neben den heimlichen Versammlungen in Privathäusern – den Besuch der Pfarrkirche als Ort der Taufe ihrer Kinder, der jährlichen Beichte und gelegentlicher Teilnahme an der Messe.18 Um die Mitte des 15. Jahrhunderts geriet das damit umschriebene fragile Gleichgewicht allerdings ins Wanken. Nachdem im Jahre 1448 ein Aufstand den katholischen Klerus zur Flucht aus den Tälern veranlasst hatte, trat dem eintreffenden Inquisitor ein von Bewaffneten begleiteter Waldenserprediger entgegen, der ihn zur Disputation herausforderte. Das daraufhin verhängte Interdikt wurde 1453 von Papst Nikolaus V. aufgehoben, angeblich wegen der hohen Zahl an Personen, die dem Waldensertum abgeschworen hatten. Weitere Aufenthalte von Inquisitoren im Gebiet der Luserna in den Jahren 1457 und 1475, ein herzogliches Mandat des Folgejahrs, in dem den Amtsträgern streng befohlen wurde, die Inquisition zu unterstützen 15 16 17 18

Z.B. Sauze di Cesana: Amati, Processus (wie Anm. 14). In: Archivio Storico Italiano 1/2 (1865), S. 18; zu Pramollo und anderen Ortschaften vgl. Merlo, Eretici e inquisitori (wie Anm. 3), S. 81; zu Mattie Patria, Prope suburbia Inferni (wie Anm. 4), S. 44. Siehe Amati, Processus (wie Anm. 14), S. 50f.; vgl. Merlo, Eretici e inquisitori (wie Anm. 3), S. 132f. Nach Merlo, Eretici e inquisitori (wie Anm. 3), S. 137, hatten die Einnahmen der Ortsherren einen gewissen Umfang; Patria, Prope suburbia Inferni (wie Anm. 4), S. 29, Anm. 27, bewertet sie hingegen als minimal. Vgl. Merlo, Eretici e inquisitori (wie Anm. 3), S. 24; dazu vgl. Marina Benedetti: ‘Qualche poco di farina papale’: i Valdesi in chiesa. In: Giuseppina De Sandre Gasparini (Hg.): Fedeli in Chiesa (Quaderni di storia religiosa 6). Verona 1999, S. 117–153.

Ortsadel und Landesherr in ihrem Verhältnis zu den Waldenserpräsenzen

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(nicht ohne den Podestà von Luserna der Pflichtvergessenheit zu zeihen), und die Erhebung von 1483/84, die das persönliche Eingreifen des Herzogs erforderlich machte, zeigen jedoch, dass sich an der Situation wenig geändert hatte.19 Die Fiktion einer Rückkehr der Talbewohner zur Katholizität bot aber den örtlichen Autoritäten die Möglichkeit, ihr Verhältnis zu den Untertanen zu normalisieren. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an kam es zu einer Neuordnung der Beziehungen der adligen Ortsherren zu den Kommunen, bei der die religiöse Problematik völlig dissimuliert wurde. Die Herren von Luserna schlossen verschiedene affran­ camenti (Ablösungen) mit den faktisch von Waldensern bestimmten Kommunen ihres Bereichs ab, durch welche die Dienstbarkeiten der einzelnen Untertanen durch einen jährlichen, durch die Gemeinde zu leistenden Betrag abgelöst wurden. Dies erleichterte einerseits den Einzug der Abgaben und gab andererseits den Kommunen die Möglichkeit, sich definitiv als Körperschaften zu konstituieren, die durch einen sindaco vertreten wurden (Luserna, Angrogna, Bibbiana, Torre, Villar, Bobbio).20 Stellt man den affrancamenti das erwähnte herzogliche Ketzermandat von 1476 und die ebenfalls durch den Herzog erfolgte Niederschlagung des Aufstands 1484 gegenüber, so erweckt dies den Eindruck, dass der Ortsadel und besonders die Manfredi auf die Bewahrung des status quo, der Landesherr hingegen auf eine Stärkung seiner Position setzte,21 die sich nicht zuletzt in der – noch episodenhaften – Bekämpfung der Häresie ausdrückte. Trifft dies zu, so treten die beiden Dimensionen der weltlichen Gewalt hier in eine Dialektik, welche die Weichenstellungen des 16. Jahrhunderts antizipiert. Im Dauphiné fand in den Jahren 1487/88 ein regelrechter Kreuzzug gegen die Waldenser statt, der allerdings von Ortsadligen und nachrangigen königlichen Amtsträgern getragen wurde – in diesem Falle kam dem Königshof vor allem die Funktion anschließender Mediation zu, die bis 1509 zur Rehabilitation der waldensisch bestimmten Kommunen führte.22 Die Kontinuität der Verhältnisse geht auch daraus hervor, dass noch im Jahre 1520 der Turiner Erzbischof Claude de Seyssel in seiner Schrift gegen die Waldenser die mit Geldgier begründete Duldung (tolerantia) der weltlichen Herren als einen Grund ihres Fortbestehens angab.23 2. Die Folgen der Reformation Die Reformation des 16. Jahrhunderts, die sich in der zweiten Hälfte der 1520er Jahre auch in den französischsprachigen Gebieten der heutigen Westschweiz aus19 20 21 22 23

Dazu Pietro Rivoire: Storia dei Signori di Luserna (I). In: Bulletin de la Société d’Histoire Vaudoise 11 (April 1894), S. 77 und 80–83; Cameron, Waldenses (wie Anm. 2), S. 165f. Dazu Pietro Rivoire: Storia dei Signori di Luserna (II). In: Bulletin de la Société d’Histoire Vaudoise 13 (1896), S. 39–53; Armand Hugon, Popolo e chiesa (wie Anm. 4), S. 9–12. Vgl. Rivoire, Storia dei Signori di Luserna (I) (wie Anm. 19), S. 74f., wo auch belegt ist, dass der Herzog einzelne Untertanen der Täler unter seinen persönlichen Schutz nahm. Dazu Cameron, Waldenses (wie Anm. 2), S. 193–200. Transkription des ersten Kapitels der Schrift Adversus errores et sectam valdensium (Paris 1520) in Raimondo Genre (Hg.): Valdismo e cattolicesimo prima della Riforma (1488–1555). Villaretto – Roure 2010, S. 227.

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breitete, führte rasch zu einer irreversiblen Außerkraftsetzung des ohnehin prekären Gleichgewichts, das die Waldenserpräsenzen im westlichen Alpenraum getragen hatte. Die Reformation war vom Leitbild der öffentlichen und ungehinderten Proklamation des Gotteswortes geprägt, angesichts dessen klandestine Versammlungen defizitär wirkten. Seit 1526 sind Kontakte zwischen den westalpinen Waldensern und den Reformatoren belegt.24 Unter den Befürwortern einer Annäherung des Waldensertums an die Reformation ragte der humanistisch gebildete Prediger Georges Morel hervor, der im Jahre 1530 gemeinsam mit einem Kollegen eine Erkundungsreise zu den Reformatoren unternahm und diesen dabei die Waldenser als plebs vorstellte, der eine Körperschaft von doctores gegenüberstand. Unmittelbar beschreibt der Begriff plebs die Einfachheit und Unbildung dieser Bevölkerung; in ihr spiegelt sich auch die Gegenüberstellung von Klerus und Laien im kanonischen Recht. Dennoch erweckt diese nicht auf herrschaftliche Bindungen eingehende Situationsbeschreibung zugleich einen Eindruck einer religionspolitischen Autonomie.25 Das Protokoll der Predigerversammlung von Chanforan (1532), welche den Anschluss an die Prinzipien der Reformation beschloss, definiert das Gegenüber zu den Predigern dann als populo,26 ebenso wie die im Jahre 1535 gedruckte Olivetanus-Bibel die Waldenser, die das Projekt finanziert hatten, als peuple evangélicque preist.27 Im Sich-Anschließen an die Reformation gelangte die Waldenserpräsenz der Täler also zu einem Selbstverständnis als politisches Subjekt, unabhängig von den Herrschaftskonstellationen, in denen sie lebte, und über die kommunale Ebene hinaus. Bemerkenswert ist, dass eben diese Entwicklung zu einer Auseinandersetzung unter den örtlichen Adligen führte. Pantaleone Bersori, Herr von Roccapiatta bei Prarostino, hatte ebenfalls 1535 im Auftrag des Herzogs Waldenserprozessen in der Provence beigewohnt und dadurch Informationen über deren savoyische Verwandte gewonnen; anschließend ließ er sich vom Herzog die Vollmacht erteilen, diese gefangen zu nehmen und der Inquisition zuzuführen. Bei seinem Vorrücken (mit angeblich fünfhundert besoldeten Männern) traf er nicht nur auf die Posten, die um Chanforan die jährliche Versammlung schützten und ihn zurückschlugen, sondern griff auch noch auf Angrogna, das heißt das Gebiet der Luserna-Manfredi über, was die regierende Gräfin Bianca zu einem feierlichen Protest bewegte. Ein Teil des 24

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Zur Sendung des Barba Martin und zum Problem einer Versammlung in Laux 1526 vgl. Pawel Gajewski: Il passaggio alla Riforma e la scomparsa del Cattolicesimo in Val Chisone. In: Raimondo Genre (Hg.): Vicende religiose dell’alta Val Chisone. Villaretto – Roure 2005, S. 123–134. Primärer Bezugspunkt war die sich in der Romandie ausbreitende Reformation; vgl. Reinhard Bodenmann: Les perdants. Pierre Caroli et les débuts de la Réforme en Romandie. Turnhout 2016. Siehe Valdo Vinay: Le confessioni di fede dei Valdesi riformati. Con i documenti del dialogo fra la „prima“ e la „seconda“ Riforma. Turin 1975, S. 36. Ebd., S. 139 (ministri – populo); zur Interpretation der Versammlung vgl. Giovanni Gonnet: Chanforan e la storiografia valdese (Da Scipione Lentolo a Ernesto Comba, 1542–1932). In: Bollettino della Società di Studi Valdesi 154 (Januar 1984), S. 3–23; Gabriel Audisio: Chanforan 1532: Quel changement?, ebd., S. 25–38. Zitat in Augusto Armand Hugon: Storia dei Valdesi. II. Dall’adesione alla Riforma all’Emancipazione. Turin 1974, S. 11; zu dieser Bibel vgl. Giorgio Tourn: Pierre Robert Olivetan (1505– 1538). La Bible. Turin 2015.

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Ortsadels wollte also im Bündnis mit dem Landesherrn durch Ketzerbekämpfung seine Position auszubauen; ein anderer Teil, und zwar der renommierteste, suchte noch immer das Gleichgewicht mit der (bewaffneten!) waldensischen Präsenz zu bewahren.28 Die Macht der Ortsherren wurde jedoch noch weiter geschwächt, als im Jahre 1536 der König von Frankreich im Rahmen des französisch-habsburgischen Großkonflikts um Norditalien den Herzog von Savoyen aus den hier behandelten Gebieten vertrieb und in Turin ein Parlament zur Verwaltung des Piemonts einrichtete. Im Rahmen dieser Neuordnung erfolgte eine planvolle Zentralisierung der weltlichen Herrschaftsausübung, die im Jahre 1549 in der Schleifung von vier Herrensitzen im Pellice-Tal ihren symbolischen Ausdruck fand.29 Während die französische Krone in den 1540er Jahren rigoros und gewaltsam gegen die Waldenser im Luberon vorging (vgl. unten Kapitel 2.1), waren die Auswirkungen der gegenüber den Protestanten repressiven Religionspolitik auf die savoyischen Täler abgemildert. Nach einem gewaltsamem Eingriff des Vizekönigs René de Montjean im Jahre 1538, der eine diplomatische Intervention der protestantischen Reichsstände am französischen Hof zur Folge hatte,30 zeigten anschließend mehrere Militärgouverneure und auch der neue Vizekönig Guillaume de Bellay wenig Neigung, die Anhänger der Reformation zu verfolgen. Der Protestant Wilhelm von Fürstenberg ließ sogar Leutnants im Tal zurück, die sich offen für den Schutz der Waldenser einsetzten und die Rorenghi ins Exil zwangen.31 Erst nach der Thronbesteigung Heinrichs II. im Jahre 1547 verschärften sich die Auswirkungen der königlichen Religionspolitik auf die Täler. All dies änderte jedoch nichts daran, dass sich dort in den 1550er Jahren der Übergang zum öffentlichen Gottesdienst und zur Orientierung an der Theologie und Ordnung Genfs vollzog und der katholische Klerus sich aus dem Gebiet zurückzog; von einem Priester ist belegt, dass er ins reformierte Pfarramt überging.32 Es ist beobachtet worden, dass die in dieser Phase in den abgelegeneren Orten (Angrogna, Villar, Bobbio) errichteten reformierten Tempel im Ortskern lagen, während sie in Torre und Luserna in Randlage errichtet wurden; es ist naheliegend, darin einen Spiegel dafür zu sehen, ob sich eine Waldenserkommune geschlossen der Reformation anschloss oder das Waldensertum als kommunales Dissensphänomen 28 29 30 31

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Pierre Gilles: Histoire ecclésiastique des églises vaudoises de l’an 1160 au 1643 [1644], Bd. 1. Pinerolo 1881, S. 59–63; Rorengo, Memorie historiche (wie Anm. 6), S. 32f.; dazu Giovanni Jalla: Storia della Riforma in Piemonte (Nachdruck der Ausgabe 1914). Turin 1982, S. 39f. Dazu Jalla, ebd., S. 62; Armand Hugon, ebd., S. 13. Dazu Albert de Lange: I valdesi nella corrispondenza di Giovanni Calvino. In: Susanna Peyronel Rambaldi (Hg.): Giovanni Calvino e la Riforma in Italia. Influenze e conflitti. Turin 2011, S. 160f. Dazu Arturo Pascal: I valdesi e il Parlamento francese di Torino. Pinerolo 1912, S. 5; vgl. Rorengo, Memorie historiche (wie Anm. 6), S. 28. Zu Wilhelm von Fürstenberg vgl. Werner Thoma: Die Kirchenpolitik der Grafen von Fürstenberg im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1520–1660). Ein Beitrag zur Geschichte der Kirchenreform und Konfessionsbildung. Münster 1963, S. 21–29; Gabriel Audisio: Les vaudois du Luberon. Une minorité en Provence (1460– 1560). Mérindol 1984, S. 336f. Dazu Jalla, Storia della Riforma (wie Anm. 28), S. 54–90; Rivoire, Storia dei Signori di Luserna (II) (wie Anm. 20), S. 45.

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zu betrachten war.33 Augusto Armand Hugon hat aus diesen Beobachtungen im Jahre 1961 die These abgeleitet, dass der Übergang zum öffentlichen reformierten Kultus geradezu ein Bauernaufstand gewesen sei.34 Zu beachten bleibt aber, dass sich die Waldenser dabei nicht klassenhaft mit dem Adel, sondern mit der Zentralgewalt auseinandersetzten, deren Eingriff in die örtlichen Verhältnisse in dieser Phase eine relative Neuheit darstellte. Seit dem Dezember 1555 forderte das Turiner Parlament wiederholt die Einstellung des öffentlichen reformierten Gottesdienstes in den Tälern und drohte den Predigern, die als aus Genf eingetroffen bezeichnet wurden (was weitgehend zutreffend war), die Todesstrafe an.35 Auch ein Glaubensbekenntnis, das die Waldenser dem Parlament vorlegten, entschärfte die Spannungen nicht.36 Der an die sindaci der Kommunen und Familienväter gerichtete Befehl des Turiner Parlaments vom Juni 1557, namentlich genannte Prediger und Lehrer auszuliefern,37 belegt nicht nur die Transformation des Waldensertums in eine reformierte Kirche, sondern auch den definitiven Übergang der Religionssache an die Zentralgewalt. Ein Austrag dieser Auseinandersetzung fand nicht statt, da im Jahre 1559 im Rahmen des Friedensvertrags von Cateau-Cambrésis das Piemont dem Herzog von Savoyen zurückerstattet wurde. Allerdings zog auch der nun zurückkehrende Herzog Emanuele Filiberto die Religionsfrage unmittelbar an sich. Bereits im Januar 1560 versicherte er dem neugewählten Papst Pius IV. seine Entschlossenheit, die Täler und Genf (auf das Savoyen aufgrund von bischöflichen Vogteirechten Anspruch erhob) wieder dem Katholizismus zuzuführen; im Februar desselben Jahres verbat er per Edikt seinen Untertanen, die Prediger der Täler aufzusuchen.38 In der Tat gelang es den herzoglichen Kommissaren rasch, die Reformierten in der Ebene und auch im Susa-Tal in die Flucht zu schlagen oder zur Anpassung zu zwingen, so dass schließlich der Bereich des Pellice-, Germanasca- und Chisone-Tals verblieb.39 Durch die Vermittlung des Grafen Carlo Manfredi von Luserna, eines Sohnes der bereits erwähnten Bianca, der als Gouverneur von Mondovì in Diensten des Herzogs stand und aufgrund seiner Treue und militärischen Leistungen bei ihm hochangesehen war, und einiger anderer Adliger wandten sich „die Bewohner des Luserna-, Angrogna-, Perosa- und St. Martins-Tals sowie andere zahllose Bewohner im ganzen Land Piemont“ mit einer Bittschrift und einem eng an der Confessio Gallicana orientierten Glaubensbekenntnis an den Herzog, der allerdings jegliche

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So Armand Hugon, Popolo e chiesa (wie Anm. 4), S. 20. Ebd., S. 19f. Siehe Jalla, Storia della Riforma (wie Anm. 28), S. 80–85. Emidio Campi, Christian Moser: Waldensisches Glaubensbekenntnis vor dem Parlament von Turin 1556. In: Heiner Faulenbach, Eberhard Busch (Hg.): Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1/3. 1550–1558. Neukirchen-Vluyn 2007, S. 355–363; vgl. Scipione Lentolo: Historia delle crudeli persecutioni fatte ai tempi nostri [...] (hg. v. Teofilo Gay). Torre Pellice 1906, S. 80–87. Zum Charakter des Bekenntnisses vgl. Lothar Vogel: Confessioni di fede valdesi negli anni Quaranta e Cinquanta del XVI secolo. In: Protestantesimo 67 (2012), S. 111f. Jalla, Storia della Riforma (wie Anm. 28), S. 88. Ebd., S. 124f. Ebd., S. 125f.

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Fürsprache von sich fernhalten ließ.40 Auch in der Folgezeit wurde Carlo seitens der Waldenser der Täler wegen seiner modération als Ansprechpartner betrachtet, während andere Standesgenossen erklärten, der Häresie mit ihren Kräften nicht Herr zu werden und deshalb den Landesherrn ausdrücklich zum Eingreifen aufforderten.41 Der Familientradition der Rorenghi zufolge wäre es sogar die Initiative der Herren von Luserna gewesen, die den zurückkehrenden Herzog auf das Erfordernis aufmerksam gemacht hätte, in den Tälern gegen die Häretiker vorzugehen.42 Weiterhin lassen sich damit zwei unterschiedliche Strategien des Ortsadels verfolgen, die Manfredi als Verteidiger des örtlich verantworteten status quo, andere als Unterstützer einer vom Herzog vorangetriebenen religiösen Uniformierung. Der Herzog wählte schließlich nicht ortsansässige Adlige als Hauptleute der Militärexpedition, durch die er die Täler seinem Willen zu unterwerfen suchte.43 Nach der Beschreibung des aus Genf zu ihnen gelangten Scipione Lentolo suchten die Waldenser auf Betreiben der Prediger eine gewaltsame Auseinandersetzung mit dem legitimen weltlichen Herrn zu vermeiden und zogen sich ins Gebirge zurück. Allerdings empfand das waldensische „Volk“ (popolo), wie Lentolo schreibt, diese Reaktion als „sehr seltsam“ (forte strana). Die fest in der Theologie Luthers und Calvins44 verankerte Ablehnung des Widerstands gegenüber dem legitimen weltlichen Herrn (vgl. Röm 13,1) wurde offenbar als ungewohnter Gedanke wahrgenommen. Nach einigen Tagen stellten jedoch mehrere Pastoren die getroffene Entscheidung in Frage und forderten zum gewaltsamen Widerstand auf. Als Argument wurde dafür – neben der Einschätzung, dass der Herzog teuflisch verblendet, das heißt nicht bei sich selbst sei – vorgebracht, dass der popolo das Recht der Selbstverteidigung habe.45 Während der acht Monate dauernden Auseinandersetzung ließ der herzogliche Hauptmann die geschleiften Herrensitze als Garnisonen wiederherstellen. Sowohl der militärische Konflikt als auch zwischenzeitliche Friedensverhandlungen fanden nun zwischen dem Landesherrn beziehungsweise seinen Beauftragten und seinem sich als „Volk“ verstehenden waldensischen Gegenpart statt.46 Fer40 41 42 43 44 45 46

Emidio Campi: Bekenntnis der Waldenser, 1560 (Übersetzung der Confessio Gallicana, 1559/1571). In: Faulenbach, Busch (Hg.), Bekenntnisschriften (wie Anm. 36), Bd. 2/1. 1559– 1563, 2009, S. 31–56; vgl. Rorengo, Memorie historiche (wie Anm. 6), S. 39. Dazu Gilles, Histoire ecclésiastique (wie Anm. 28), S. 140f.; vgl. Jalla, Storia della Riforma (wie Anm. 28), S. 132. Zu den Trucchietti im Germanasca-Tal: Gilles, ebd., S. 144f. So Rorengo, Memorie historiche (wie Anm. 6), S. 39. Dazu Gilles, Histoire ecclésiastique (wie Anm. 28), S. 158f.; vgl. Jalla, Storia della Riforma (wie Anm. 28), S. 135. Vgl. Robert M. Kingdon: Kirche und Obrigkeit. In: Herman J. Selderhuis (Hg.): Calvin Handbuch. Tübingen 2008, S. 349–355. Lentolo, Historia (wie Anm. 36), S. 178; vgl. Armand Hugon, Storia dei Valdesi II (wie Anm. 27), S. 24. Dazu Jalla, Storia della Riforma (wie Anm. 28), S. 145–170; was die zeitgenössische Geschichtsschreibung zu diesem Krieg betrifft, so sei verwiesen auf Lentolo, Historia (wie Anm. 36); NN: Histoire memorable de la guerre faite par le Duc de Savoye contre ses subjectz des Vallées, hg. v. Enea Balmas, Vittorio Diena. Turin 1972; NN: Histoire des persecutions et guerres faites depuis lan 1555 iusques en lan 1561: Enea Balmas, Carlo Alberto Theiler (Hg.): Storia delle persecuzioni e guerre contro il popolo chiamato valdese [...]. Turin 1975 (Faksimile des französischen Originaldrucks von 1562 und italienische Übersetzung).

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ner schlossen die beiden unter savoyischer und französischer Herrschaft stehenden Komponenten dieses peuple im Januar 1561 eine Konföderation (alliance), die – bei formaler Anerkennung der jeweiligen „Oberen“ (ohne nähere Erläuterung) – kirchliche Gemeinschaft im Sinn des siebten Artikels des Augsburger Bekenntnisses und gegenseitige (militärische) Hilfe vorsah.47 Der Herzog reagierte darauf, indem er die Waldenser des Verbrechens sowohl an der göttlichen als auch an der weltlichen Majestät, das heißt als Häretiker und Rebellen zugleich, beschuldigte. Mit dieser Begründung erklärte er sämtliche Rechte und Privilegien, die sie genossen, für nichtig und übertrug sie Carlo Manfredi als ihrem „unmittelbaren Herrn“. Auf dessen Supplik hin überließ Emanuele Filiberto ihm zudem im Mai 1561 von den Waldensern konfiszierte Güter, was verdeutlicht, dass die Haltung der Manfredi nicht als Waldenser-Sympathisantentum missverstanden werden darf.48 Diese beiden zuletzt erwähnten Dokumente sind allein archivalisch und nicht über die waldensische Geschichtsschreibung überliefert. Man kann dies damit erklären, dass es sich um einen Schriftverkehr handelte, in den die Waldenser schlicht nicht eingebunden waren; andererseits jedoch wäre die Erwähnung dieser Stücke auch zu jener Loyalität in eine Spannung getreten, mit der das Haus Manfredi seitens der Waldenser gezeichnet wurde. Im Frühsommer 1561 führten schließlich sowohl die Entartung der militärischen Auseinandersetzung in einen Guerillakrieg als auch die Fürsprache Marguerites von Frankreich, der Gattin des Herzogs, zu direkten Friedensverhandlungen zwischen den Waldensern und dem Herzogshof, deren Ergebnis der Vertrag von Cavour war. Der Ortsadel wurde an diesen Verhandlungen nicht beteiligt. Neben der herzoglichen Vergebung für den ihm geleisteten Widerstand umfasste der Vertrag die Anerkennung eines Territoriums, in dem die öffentliche Ausübung des reformierten Gottesdienstes zugestanden wurde. Vom Vertrag ausgeschlossen blieben das – ohnehin nicht geschlossen waldensische – Torre sowie die von den Trucchietti regierten Ortschaften des Germanasca-Tals. Innerhalb des zugestandenen Bereichs akzeptierte das „Volk“ der Täler, das im Vertrag aus landesherrlicher Sicht lediglich als deren Einwohnerschaft (habitanti) bezeichnet wird, die Einrichtung einer herzoglichen Besatzung in Villar; das vereinbarte Kastell wurde allerdings schließlich im Jahre 1565 nicht im Ort, sondern oberhalb von ihm errichtet.49 Bis zur Gewährung der vollen Bürgerrechte im Jahre 1848 war dieser Vertrag, über zwei schwere Krisen des 17. Jahrhunderts hinweg, die Rechtsgrundlage für die Existenz einer reformierten Kirche in savoyischem Territorium. Durch diesen Vertrag hatte der Herzog trotz des unbefriedigenden Ausgangs des Krieges die Religionsfrage erfolgreich an sich gezogen. Offenkundig wird dies auch anhand seiner praktischen Umsetzung. Auf offizielle Einrede der Waldenser 47 48 49

Siehe NN, Histoire des persecutions (wie Anm. 46), S. 279f. (S. 109–111 des Drucks von 1562); Lentolo, Historia (wie Anm. 36), S. 198. Siehe Armand Hugon, Popolo e chiesa (wie Anm. 4), S. 31f. Transkription auf der Grundlage der im sabaudischen Archiv erhaltenen beiden Textzeugen in Jalla, Storia della Riforma (wie Anm. 28), S. 172–176; zur Überlieferung vgl. auch Daniele Tron: La definizione territoriale delle Valli valdesi dall’adesione alla Riforma alla Rivoluzione francese. In: Bollettino della Società di Studi Valdesi 189 (Dezember 2001), S. 7.

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hin präzisierte Emanuele Filiberto nachträglich, dass der Vertrag auch in den Herrschaften der Trucchietti Anwendung finde, und setzte damit die herzogliche Autorität gegenüber einem Ortsherrn durch, der die Unterdrückung der Häresie ostentativ unterstützt hatte.50 Was Carlo Manfredi betraf, so verbrachte dieser die letzten Jahre seines Lebens in einem erfolglosen Dauerkonflikt mit dem herzoglichen Befehlshaber der Festung oberhalb von Villar.51 Obwohl der Vertrag von Cavour in gewisser Hinsicht die von ihm angestrebte Duldung sanktioniert hatte, setzte er zugleich der eigenständigen status quo-Politik seines Hauses ein Ende. Insofern stellte die Selbstbehauptung der Waldenser für Herzog Emanuele Filiberto nur auf den ersten Blick eine Niederlage dar; der Friedensvertrag wurde zum Instrument einer direkten Herrschaft über dieses Territorium. Natürlich blieben die grundherrlichen Rechte der Ortsadligen und der Kommunen bestehen; sie wurden im Vertrag von Cavour und in daran anschließenden herzoglichen Dekreten ausdrücklich bestätigt. Ebenso setzte sich auch nach dem Vertrag von Cavour die Serie an Bestätigungen und Modifikationen der affrancamenti bis ins 17. Jahrhundert hinein fort.52 Die Erweiterung der herzoglichen Kompetenzen kam aber darin zum Ausdruck, dass nun der herzogliche Gouverneur zwar – aufgrund der Fürsprache der Herzogin – mit seinem Versuch scheiterte, gemeinsame Synoden der Waldenser des Dauphiné und Savoyens zu verbieten, dafür aber seine Teilnahme an diesen Synoden durchsetzte, was seitens der Waldenser als „Neuerung“ (nouveauté), das heißt als Bruch mit einer althergebrachten Freiheit, wahrgenommen wurde.53 Auch die Abhaltung gemeinsamer Synoden des französisch und savoyisch kontrollierten Territoriums ließ sich faktisch nicht durchsetzen. Künftig wachten die Konsistorien und, als Berufungsinstanz, die Synode unter herzoglicher Autorität über die Ehen und die Lebensführung des waldensischen peu­ ple, das heißt über Gegenstände, die einst der kirchlichen Gerichtsbarkeit anheimgefallen wären.54 Die nun an Calvin orientierte Theologie garantierte einerseits den Öffentlichkeitscharakter und die konfessionelle Selbstbehauptung der église des vallées und begründete andererseits ihre Loyalität gegenüber dem legitimen katholischen Landesherrn. Nur bemerkt sei, dass der savoyische Herzog nach seiner Rückkehr nicht nur in der Religionsfrage, sondern generell einen Zentralisierungskurs einschlug. So verzichtete er nach 1560 auch auf weitere Einberufungen seiner Landstände.55 Dies verdeutlicht nochmals, dass sich der Vertrag von Cavour in ein verändertes Gesamtkonzept von Herrschaftsausübung einfügt. 50 51 52 53 54

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Dazu Jalla, Storia della Riforma (wie Anm. 28), S. 181; Tron, La definizione territoriale (wie Anm. 49), S. 8. Dazu Andrea Merlotti: Luserna Manfredi, Carlo. In: Dizionario biografico degli italiani, Bd. 66. Rom 2006, S. 658. Vgl. Armand Hugon, Popolo e chiesa (wie Anm. 4), S. 32. So Gilles, Histoire ecclésiastique (wie Anm. 28), S. 397f.; vgl. Jean Jalla: Synodes vaudois de la Réformation à l’exil. In: Bulletin de la Société d’Histoire Vaudoise 19 (Mai 1902), S. 103. Vgl. dazu die Materialsammlung von Jalla, ebd., S. 93–133. Für die savoyischen Täler ist die Überlieferung überaus fragmentarisch; als fest etablierte Gewohnheit erscheint die Anwesenheit des herzoglichen Vertreters in der Synode von 1627: Jalla, ebd.. In: Bulletin de la Société d’Histoire Vaudoise 25 (1908), S. 27. Siehe Matthew Vester: Fiscal Commission, Consensus and Informal Representation. Taxation

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II. DIE WALDENSER IN DER PROVENCE UND IN KALABRIEN In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts siedelten sich Waldenser aus den Alpentälern – im Rahmen einer nicht auf sie allein begrenzten Migrationsbewegung – in schwach bevölkerten Regionen der Provence (im Luberon) und Kalabriens an. Auch in diesen Gebieten bezeichnet die Mitte des 16. Jahrhunderts eine Übergangsphase von einem pragmatisch bedingten grundherrlichen Schutz religiösen Dissenses zu landesherrlicher Religionspolitik. 1. In der Provence In Bezug auf die Provence hat Gabriel Audisio die Ansiedlung der Waldenser im Luberon in der zweiten Hälfte des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts analysiert. Grundlage dafür waren kollektive Ansiedlungs-Vereinbarungen, welche die Ortsherren mit ganzen Familien oder Sippenverbänden schlossen und die sich rechtlich im Rahmen der Erbleihe (Emphyteusis) bewegten. Diese sicherten einerseits der Grundherrschaft die aus einer Bewirtschaftung des Bodens ableitbaren Einnahmen und zum andern den Siedlern ein erhebliches Maß an Autonomie. Innerhalb eines breiteren Stroms von Einwanderung hatten sich dadurch unweit von Avignon Kommunen gebildet, in denen Waldenser eine bedeutende Minderheit oder gar die Mehrheit bildeten.56 Diese traten seit den 1530er Jahren verstärkt in den Fokus der Ketzerbekämpfung. Noch bei der inquisitorischen Kampagne des Dominikaners Jean de Roma in der Provence im Jahre 1532/33, die bei den Waldensern als außergewöhnlich willkürlich und gewaltsam in Erinnerung blieb, trat der Königshof, wie im Falle des Kreuzzugs von 1487/88, als mäßigende Instanz auf den Plan, unterband schließlich die Verfolgung und eröffnete einen Prozess gegen den Inquisitor.57 Seit der affaire des placards im Jahre 1534 leitete König Franz I. dann selbst Verfolgungsmaßnahmen gegen die Protestanten ein, die er im folgenden Jahr allerdings wieder aussetzte.58 Eine Zuspitzung des Konfliktes zwischen der ordentlichen kirchlichen und weltlichen Gewalt und den Waldensern trat ab 1535 im Luberon ein, als die bischöfliche Inquisition beim Versuch, einen Waldenserprediger festzunehmen, vor bewaffneter Gegenwehr zurückweichen musste. In den Folgejahren kam es in der Zone wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die nicht unabhängig von den Selbstbehauptungsbemühungen der Waldenser in den Alpentälern verstanden werden können, zumal gerade Wilhelm von Fürstenberg im Luberon Söldner anzuwerben suchte.59

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in the Savoyard Domains, 1559–1580. In: Parliaments, Estates and Representation 20 (2000), S. 59–74. Dazu Gabriel Audisio: Les vaudois du Luberon. Une minorité en Provence (1460–1560). Mérindol 1984; Ders.: Migrants vaudois. Dauphiné, Piémont, Provence. Turin 2011, S. 68/70. Audisio, Les vaudois (wie Anm. 56), S. 75–92. Ebd., S. 301f. Dazu Cameron, Waldenses (wie Anm. 2), S. 259.

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Im Jahre 1539 jedoch wies der König die Rechtsprechung über das Delikt der Häresie den weltlichen Tribunalen zu, das heißt er band die Inquisition – ähnlich wie es schon am Ende des 15. Jahrhunderts in Spanien geschehen war – an die weltliche Gewalt. Im November 1540 schließlich verurteilte ein Edikt des königlichen Parlaments von Aix-en-Provence die Bewohner mehrerer Ortschaften (unter ihnen Mérindol und Cabrières-d‘Aigues) summarisch als „beharrliche“ Häretiker und dekretierte ihre Hinrichtung sowie die Zerstörung ihrer Wohnorte.60 Es folgte jedoch eine mehr als vierjährige Phase von Verhandlungen, Glaubensbekenntnissen der Waldenser vor den Autoritäten und Suspendierungen des Edikts,61 bis der König im Februar 1545 seine Umsetzung in einem Kreuzzug befahl.62 Die anschließende blutige Verfolgung zerstörte das soziale Netz des Waldensertums im Luberon, führte aber nicht zu einer völligen Vernichtung des religiösen Dissenses. Ab den 1560er Jahren wird derselbe Raum zu einem Zentrum des französischen Hugenottentums mit zahlreichen konstituierten Ortskirchen (églises dressées).63 Dies ändert nichts daran, dass auch in dieser Zone die Verantwortlichkeit für den Umgang mit religiösem Dissens definitiv an die Zentralgewalt übergegangen war und die Evangelischen dieses Gebiets nun das Schicksal des französischen Protestantismus teilten. 2. In Kalabrien Parallel dazu verlief die Entwicklung in Kalabrien. Entgegen der frühneuzeitlichen Historiographie, die die Ankunft der Waldenser bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen lässt, ist ihre Präsenz aus archivalischen Quellen bislang erst für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts nachzuweisen.64 Bemerkenswert ist die Geschichtserzählung, die in der waldensischen Selbstdarstellung des 17. Jahrhunderts für die Ankunft in Kalabrien entwickelt worden ist. Demnach trafen die Auswanderer in der Gegend um Montalto und Guardia Piemontese auf unbewirtschaftetes fruchtbares Land, welches ihnen dann von den Ortsherren, den Spinelli, zu sehr günstigen Bedingungen überlassen wurde. Diese Vereinbarung kann, wenn man einige retro60 61

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Ebd., S. 260f.; Edition des Edikts: Audisio, Les vaudois (wie Anm. 56), S. 531–533. In dieser Phase entstehen die Bekenntnisse der Waldenser gegenüber dem Parlament in Aix, dem Kardinal Sadolet und dem König selbst: Emidio Campi, Christian Moser: Waldensisches Bekenntnis vor dem Parlament von Aix 1541. In: Faulenbach, Busch (Hg.), Bekenntnisschriften (wie Anm. 36), Bd. 1/2. 1535–1549, 2006, S. 223–227; Dies.: Waldensisches Bekenntnis vor Sadolet, ebd., S. 395–413; Dies.: Waldensisches Bekenntnis vor Franz I. 1543/1544, ebd., S. 415–420; zur theologiegeschichtlichen Einordnung vgl. auch Vogel, Confessioni di fede (wie Anm. 36), S. 89–123. Dazu Audisio, Les vaudois (wie Anm. 56), S. 357–407; Ders.: Procès-verbal d’un massacre. Le vaudois du Luberon (avril 1545). Aix-en-Provence 1992; Cameron, Waldenses (wie Anm. 2), S. 261f. Dazu Audisio, Les vaudois (wie Anm. 56), S. 409–429. Dazu Lothar Vogel: I valdesi di Calabria nella storiografia valdese seicentesca. Un’analisi dal punto di vista della «critica delle forme». In: Renata Ciaccio, Alfonso Tortora (Hg.): Valdismo Mediterraneo. Tra centro e periferia: sulla storia moderna dei valdesi di Calabria. Nocera Inferiore 2013, S. 257–278.

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spektive Idealisierungen abzieht, mit anderen zeitnahen Emphyteusis-Verträgen verglichen werden, die teils Orte betreffen, welche teils in die waldensische memo­ ria eingegangen sind, teils aber auch nicht. Wieder wird also deutlich, dass die Ankunft der Waldenser in diesem Bereich Teil einer umfassenderen Migrationsbewegung war. In der Erinnerung erscheinen die Ortsherren dabei als Beschützer, die die religiöse Andersartigkeit der Waldenser mit ihrer Herkunft aus einem fernen Land zu verteidigen suchten; zugleich ist überliefert, dass die Waldenser ihre Abgaben – und auch den Kirchenzehnten – treu beglichen.65 Erwähnt sei, dass diese Zone sich zugleich durch eine bedeutende jüdische Bevölkerungskomponente auszeichnete; gerade für Montalto sind um 1400 Juden belegt, die von Konvertitenfamilien aus Trani abstammten und vom Grafen von Montalto aufgenommen worden waren; im Zusammenhang dieses Umzugs waren sie offenbar zur Religion ihrer Vorfahren zurückgekehrt.66 All dies verdeutlicht, dass die Kontrolle der religiösen Verhältnisse recht prekär war. Was die Beziehungen der Neusiedler zum neapolitanischen Königshof betrifft, enthalten Akten der 1530er Jahre die Insertion einer von König Ferrante erteilten Steuerbefreiung von 1492; dieses Privileg gibt sich seinerseits als Bestätigung eines Gnadenerweises seines Vaters.67 Dennoch ist deutlich, dass vor dem Eingriff des französischen Königs Karl VIII. ins aragonische Königreich (1495) die Beziehungen zwischen Königshof und Siedlern wenig ausgeprägt waren. Erst bei seiner Rückkehr nahm Ferrante II. eine durchgreifende Neuordnung der Machtverhältnisse vor. Die Spinelli, die Grundherren der waldensischen Ansiedlungs-Narration, übernahmen übrigens erst in diesem Zusammenhang das Feudum von Guardia Piemontese.68 Durch die Ankunft des Predigers Gian Luigi Pascale fand dort 1559 das Genfer Leitbild einer église dressée mit öffentlichem Gottesdienst und klar definierter Ordnung auch unter den kalabrischen Waldensern Einzug. Nach Pascales Briefen wurde dies von den ärmeren Gemeindegliedern freudig begrüßt, während die reicheren Waldenser ihn aufforderten, den Ort zu verlassen.69 Nicht nur seitens der Ortsherren, sondern auch bei den Waldensern selbst gab es also Kräfte, die – erfolglos – auf die Bewahrung des status quo setzten. Salvatore Spinelli versuchte, die Predigt Pascales durch Ausweisung und, als er diese nicht befolgte, durch seine Verhaftung zu unterbinden. Zugleich bot er ihm die – nicht genutzte – Gelegenheit 65

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Dazu Vogel, ebd., S. 264–273; vgl. Jean Paul Perrin: Histoire des Vaudois. Genf 1618, S. 196– 201; Gilles, Histoire ecclésiastique (wie Anm. 27), S. 27–34; ein Beispiel dafür, dass Ortsherren in der Tat die religiöse Andersartigkeit der Siedler mit ihrer Herkunft aus einer fernen Region begründeten, findet sich in Francesco Barra: Note sugli insediamenti valdesi del Sub-appennino dauno-irpino. In: Alfonso Tortora (Hg.): Valdesi nel Mediterraneo. Tra medioevo e prima età moderna. Rom 2009, S. 84. Dazu Enzo Stancati: Gli Ultramontani. Storia dei Valdesi di Calabria. Cosenza 20082; Benjamin Scheller: Die Stadt der Neuchristen. Konvertierte Juden und ihre Nachkommen im Trani des Spätmittelalters zwischen Inklusion und Exklusion. Berlin 2013, S. 92–95. Siehe Alfonso Tortora: Nuove fonti sulle presenze valdesi nel Mezzogiorno d’Italia tra medioevo e prima età moderna. In: Ders. (Hg.), Valdesi nel Mediterraneo (wie Anm. 55), S. 59– 64. Dazu Stancati, Gli Ultramontani (wie Anm. 65), S. 83f. und 135. Ebd., S. 136.

Ortsadel und Landesherr in ihrem Verhältnis zu den Waldenserpräsenzen

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zur Flucht und gestaltete die Haftbedingungen möglichst annehmbar. Angesichts der Unbeirrbarkeit des Predigers erwiesen sich aber alle Versuche, das fragile Gleichgewicht der Waldenserpräsenz zu retten, als nutzlos. Vorausgegangene Beschwerden der Untertanen Spinellis beim Hof des Vizekönigs (Neapel war inzwischen mit Spanien in Personalunion verbunden) boten diesem eine offene Tür, um in die lokalen Verhältnisse einzugreifen.70 Damit war der Fall der kalabrischen Waldenser in die Hände der Territorialgewalt gelangt. Pascale wurde für seinen Prozess vor der Inquisition nach Neapel und schließlich nach Rom verbracht, wo er als Ketzer den Feuertod erleiden sollte. Die Bevölkerung der Waldenserkommunen wurde das Ziel eines vom Vizekönig autorisierten Kreuzzugs, der Inquisitor war einerseits Gesandter des Sant’Uffizio und andererseits ein Vertrauensmann des Vizekönigs. Bemerkt sei, dass der zeitliche Parallelismus zur Verfolgung in den Tälern nicht zufällig ist. Im Vertrag von Cateau-Cambrésis hatten sich Frankreich und das habsburgische Spanien feierlich zur Ketzerbekämpfung verpflichtet. Noch in dieser Lage meinte Salvatore Spinelli, seine Untertanen von der Flucht abhalten zu können, indem er ihnen seinen Schutz versprach. In Wirklichkeit griff die disziplinierende Macht der mit der Kirche verbundenen Staatsgewalt auf den schließlich geleisteten Widerstand hin mit einem Blutbad durch. Nach einer Quelle des 18. Jahrhunderts geht dabei die Einnahme von Guardia selbst auf eine List Spinellis zurück, was hieße, dass er sich im Verlauf der Operation voll auf die Linie des Vizekönigs begeben hätte.71 Die Waldenserpräsenz in dieser Zone wurde damit endgültig vernichtet und die Einheitlichkeit des öffentlichen religiösen Lebens wurde im Sinne Philipps II. abgesichert. Dies bedeutete auch, dass ein Adliger wie Spinelli zwar Ortsherr blieb, er aber religionspolitische Handlungsoptionen, die ihm bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts zur Verfügung gestanden hätten, verloren hatte. III. RÜCKBLICK Zusammenfassend bietet das Ergehen der Waldenserpräsenzen im Piemont, in der Provence und in Kalabrien ein eindrückliches Paradigma für die Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen der sich konsolidierenden Landesherrschaft und dem Ortsadel um die Mitte des 16. Jahrhunderts. In sämtlichen behandelten Fällen zerbrach das fragile und interessengeleitete Gleichgewicht zwischen religiösem Dissens und lokalen Machtträgern durch den normierenden Eingriff der Zentralgewalt, die die Vernichtung des Dissenses beziehungsweise, wo dies nicht möglich oder opportun war, seine Tolerierung durchsetzte. All dies bedeutete keine Entmachtung der Grundherren im Sinne einer Aufhebung ihrer traditionellen Rechte, wohl aber eine durch den religiösen Faktor vorangetragene Ausweitung landesherrlicher Machtausübung. Im Ganzen ist dies ein Beispiel dafür, dass im 16. Jahrhundert die Lebensverhältnisse uniformierter und sicher auch „öffentlicher“ wurden. 70 71

Ebd., S. 148–160. Ebd., S. 201f.

THE LESSER NOBILITY AND THE FRENCH REFORMATION Philip Benedict Few subjects within the history of the French Reformation have received more attention over the centuries than that of the nobility’s role within the movement, but the spotlight has usually been on the high aristocracy. No account of early French Protestantism can overlook Marguerite de Navarre, her daughter Jeanne d’Albret, Jeanne’s husband Antoine de Bourbon, or Antoine’s younger brother the prince of Condé. If the historical memory of France’s Protestant minority has enshrined any person as its hero in the way that Luther became the hero of the German Reformation, that person would be the Admiral Coligny, whose monument, not Calvin’s, stands outside the Temple de l’Oratoire in Paris. A deeply influential interpretation, most famously articulated by Lucien Romier in the early twentieth century and recently reiterated by Hugues Daussy in Le parti huguenot, argues that the movement only became politicized and seriously challenged public order when significant figures within the high nobility embraced the cause.1 But to shed comparative light on Franz von Sickingen and the German Reformation, the spotlight must be turned toward the lesser nobility, whose situation resembled more closely the Ritterschaft of the German Rhineland, but concerning which the secondary literature is considerably spottier. A few Protestant theologians or literary figures of lesser noble stock, notably Theodore Beza and Agrippa d’Aubigné, have been the object of a steady stream of scholarly studies.2 For a brief moment after 1980, the vogue for social history created a small boom in local studies of the nobility, some of which examined topics pertinent to the Reformation, chiefly how many noblemen opted for Protestantism and why.3 The same questions also shaped two excellent synthetic 1

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Lucien Romier: Le Royaume de Catherine de Médicis: la France à la veille des guerres de religion (Vol. 2). Paris 1925, p. 260–265; Hugues Daussy: Le parti huguenot. Chronique d’une désillusion (1557–1572). Geneva 2014, esp. p. 10 and passim. Also in this vein: Richard Nürnberger: Die Politisierung des Französischen Protestantismus: Calvin und die Anfänge des protestantischen Radikalismus. Tübingen 1948. Paul-F. Geisendorf: Théodore de Bèze. Geneva 1949; Scott M. Manetsch: Theodore Beza and the Quest for Peace in France, 1572–1598. Leiden 2000; Alain Dufour: Théodore de Bèze. Poète et théologien. Geneva 2006; Armand Garnier: Agrippa d’Aubigné et le Parti Protestant. Contribution à l’histoire de la Réforme en France. Paris 1928; André Thierry: Agrippa d’Aubigné, auteur de l’’Histoire universelle’. Lille 1982; Madeleine Lazard: Agrippa d’Aubigné. Paris 1998. Key studies in this genre are James B. Wood: The Nobility of the Election of Bayeux, 1463– 1666: Continuity through Change. Princeton 1980; Janine Garrisson-Estèbe: Protestants du Midi 1559–1598. Toulouse 1980, p. 22–28; Jean-Marie Constant: Nobles et paysans en Beauce aux XVIème et XVIIème siècles. Lille 1981; Kristen Neuschel: Word of Honor: Interpreting

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essays prepared for prior conference volumes by leading French specialists.4 This contribution proposes to identify and explore a wider range of issues concerning the role of the lesser French nobility in the religious upheavals of the sixteenth century. It will then recount in some detail the involvement of a single individual, Charles Dupuy, seigneur de Montbrun, whose adventurous life illustrates particularly well the ways in which at least one segment of the lesser nobility championed the Protestant cause. First, some background is in order. Students of the German nobility may find the picture of brawls, blood feuds and naked bullying that the studies of Stuart Carroll and Michel Nassiet have shown to typify aristocratic comportment in many provinces to be familiar.5 Nonetheless, sixteenth-century France differed from the territories across the Vosges in being a large, relatively centralized monarchy with a substantial administrative apparatus and an army actively at war for much of the century. French aristocrats thus differed from their German counterparts in that preferment derived more from attendance at court and was exercised more through formal institutions, offices and commands. The best analyses of the class distinguish three strata of unequal power and wealth: at the top, the great aristocrats who filled the key roles at court and in the army and built up extensive clientage networks through the influence that flowed from their ready access to the king; below them, the “noblesse seconde” of men exercising key command posts at the provincial level; and finally the great mass of those possessing noble status and privileges, constituting one to two per cent of the total population. This third group, our focus here, can in turn be divided into three categories based on its members’ principal activities and lifestyle: the military nobles who participated regularly in France’s numerous wars; the country gentlemen who directed most of their energies to the administration of the rural estates on which they lived; and an urban nobility that it is not yet appropriate to call the noblesse de robe, particularly numerous in the southern half of the kingdom, composed of town-dwelling gentlemen and those royal office-holders, lawyers and former merchants who had acquired a seigneurie and the status that went with it. The lesser nobility was thus itself diverse in lifestyle, education, and place of residence, perhaps more so that its Central European counterparts.6

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Noble Culture in Sixteenth-Century France. Ithaca 1989; Michel Cassan: Le temps des guerres de religion. Le cas du Limousin (vers 1530–vers 1630). Paris 1996, p. 92–102. Jean-Marie Constant: The Protestant Nobility in France during the Wars of Religion: A Leaven of Innovation in a Traditional World. In: Philip Benedict, Guido Marnef, Henk van Nierop, Marc Venard (Eds.): Reformation, Revolt and Civil War in France and the Netherlands 1555– 1585. Amsterdam 1999, p. 69–82; Hugues Daussy: Les élites face à la Réforme dans le royaume de France (ca. 1520–ca. 1570). In: Philip Benedict, Silvana Seidel Menchi, Alain Tallon (Eds.): La Réforme en France et en Italie. Contacts, comparaisons, contrastes. Rome 2007, p. 331–349. Stuart Carroll: Blood and Violence in Early Modern France. Oxford 2006; Michel Nassiet: La Violence, une histoire sociale. France XVIe–XVIIIe siècles. Seyssel 2011. The literature on the French nobility as a whole is too vast to be cited. For some studies that reveal particularly well the range of situations that characterized the estate in the sixteenth century, see Robert R. Harding: Anatomy of a Power Elite: The Provincial Governors of Early

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One stock image about the nobility and the Reformation in France is that it was only when leading members of the Bourbon and Châtillon families converted in the late 1550s that the aristocracy began to shape the movement in significant ways; before then, Protestant heresy was a phenomenon of clergymen, artisans and non-noble members of the urban elites. This may well be an illusion bred by over-reliance on the martyrological tradition. Already before 1550, non-schismatic evangelical currents circulated in the milieu of Marguerite of Navarre and were embraced by two prominent figures of the noblesse seconde, Anne de Parthenay and her husband Antoine de Pons, governor of Saintonge, both of whom were members of the entourage of Renée de France that was driven from Ferrara in the mid1540s for heterodoxy.7 Among Marguerite’s household officers was Jacques Groslot, seigneur de Champ-Baudouin, descended from a rich Orléans merchant family, whose good wishes were passed along to ‚Zwingli in a letter of 1524 and who later would lose his post as bailli of Orléans because of his heretical views.8 If few noblemen turn up in Crespin’s martyrology, this is because aristocrats usually received preferential treatment from the French courts in heresy cases. Despite this, heresy trials do turn up suspects from the second estate as early as 1530, when a group of noble men and women in Picardy were denounced to the Parlement of Paris for supporting schoolmasters and preachers who attacked purgatory, the cult of the saints, auricular confession, and the mandatory fasts of the church. One of them, the seigneur de Cardonnet, was accused of publicly advocating clerical marriage and of telling female religious who requested alms to get married instead.9 In 1542, two Norman noblemen were even put to death by the Parlements of Paris and Bordeaux for “blasphemous and heretical speech” and “seditious blasphemy”.10 If noblemen were under-represented among the early martyrs for the cause, they decidedly were not among refugees to Geneva. In 1549 that city’s authorities opened a special register to keep track of the refugees flooding in. Of the first five hundred subjects of the French king who swore the required oath to “live according to God

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Modern France. New Haven 1978; Laurent Bourquin: Noblesse seconde et pouvoir en Champagne aux XVIe et XVIIe siècles. Paris 1994; Ariane Boltanski: Les ducs de Nevers et l’État royal. Genèse d’un compromis (ca 1550–ca 1600). Geneva 2006; Malcolm Walsby: The Counts of Laval: Culture, Patronage and Religion in Fifteenth- and Sixteenth-Century France. Aldershot 2007; Jonathan Dewald: The Formation of a Provincial Nobility: The Magistrates of the Parlement of Rouen 1499–1610. Princeton 1980; Madeleine Foisil: Le Sire de Gouberville, un gentilhomme normand au XVIe siècle. Paris 1981. Emmanuel Rodocanachi: Renée de France, duchesse de Ferrare. Paris 1896, p. 140–152, 167– 173. Information kindly furnished by Jonathan Reid. On Marguerite of Navarre’s network more generally, see Jonathan Reid: King’s Sister – Queen of Dissent: Marguerite of Navarre (1492– 1549) and Her Evangelical Network. Leiden 2009, with references to Groslot at p. 259, 321n and 353n. William Monter: Judging the French Reformation: Heresy Trials by Sixteenth-Century Parlements. Cambridge MA 1999, esp. p. 188–190; Pierre Imbart de la Tour: Les origines de la Réforme. L‘évangélisme (1521–1538) (Vol. 3). Paris 1914, p. 377–378. Monter, Judging the French Reformation (as note 9), p. 93.

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and the holy evangelical reformation”, some 23, or 4.6 per cent, bore the honorifics “noble” or “écuyer”.11 The sources for the history of French Protestantism change radically after 1555, when Reformed churches multiplied, bound themselves together in an institutional network sharing a common confession of faith, started to keep good internal records, and could be observed by the authorities when they met. Only after this date do the criteria and sources for determining attachment to the cause become clear and abundant enough to permit confident statements about who and how many became Protestant. The most precise studies concerning this era show that in the bailliages of Vendôme (Ile-de-France), Etampes (Ile-de-France), and Chateau-du-Loir (Maine), around ten percent of all nobles joined the Reformed churches. In the Limousin 13 percent did so. In the Beauce the percentage was 26 percent, in the Quercy 36 percent, and in the élection of Bayeux (Normandy) 40 percent.12 Averaging these figures suggests that kingdom-wide perhaps one fifth of the nobility became Protestant. (The percentage of Protestants among the population as a whole is typically placed around one tenth.) These percentages should be understood not as applying at any one specific date, but as representing the fraction of noble individuals or families drawn to the movement at one point or another between 1555 and 1600. Conversion to the faith often followed pre-existing networks of marital inter-connection between families, resulting in regional and clan clusters of Protestant strength. At the same time the movement split many families. Children converted despite their parents’ opposition and brothers chose opposite religious camps, something that did not always overwrite family loyalty, as is shown by cases during the civil wars where Catholic noblemen helped out their Protestant kin when they were captured in battle or vice versa. A degree of correlation has been found in the Beauce between prior army service and Protestantism, suggesting either that the Huguenot cause may have provided an outlet for the martial impulses of the demobilized, as has been suggested by historians since at least the seventeenth century, or that something in the experience of battle and defeat prepared noblemen to conversion.13 What does not seem to have been the case is that those nobles who embraced Protestantism were disproportionately ones who had been impoverished by the inflation of the century and their inability to exercise effective estate management while away at war, as Romier famously suggested. In the élection of Bayeux, at least, the Huguenot nobles came disproportionately from the richer fifty per cent of the order.14 What is hardest to follow is exactly how Protestant ideas were first introduced and then spread within the networks of families that would become pillars of Protestantism. As is well known, women initiated the conversion of certain 11

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Calculated from Paul-F. Geisendorf (Ed.): Le livre des habitants de Genève I: 1549–1560. Geneva 1957, p. 1–28. The count does not include Pierre d’Airebaudouze, who is not identified in the register as noble although he is known to be related to an important seigneurial family of Anduze. Constant, Protestant Nobility in France (as in note 4), p. 70 and passim summarizes the previous studies and offers an excellent overview of the question. Constant, Nobles et paysans en Beauce (as in note 3), p. 322–329. Wood, Nobility of Bayeux (as in note 3), p. 163.

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lineages.15 In the Beauce certain cases suggest that attendance at the University of Orléans and ties to the house of Bourbon may have been important.16 As we will see, where we do have evidence about what brought lesser noblemen into the Protestant camp, it often seems tinged by fable. Once converted, lesser noblemen contributed to the great initial swell of Reformed church-building that saw upwards of a thousand congregations take shape in defiance of royal legislation between 1555 and 1572 – seven hundred of them in the three-years from 1560 to 1562 alone – by founding, sheltering or protecting local churches. In a handful of cases, a noble convert may simply have taken over the local pulpit himself. The hostile but often well informed Catholic historian of the “birth, rise and decline of the heresies of our century”, Florimond de Raemond, claimed that several seigneurs de fief declared themselves ministers without prior training by the Reformed church or the approval of its synods. “Thus did the Sieur de Cotondière near Falaise in Normandy,” he asserts; “thus too the Sieur de Rotes near Condé-sur-Noireau.”17 While no confirmation of these cases is to be found in that massive compilation of local church histories, the Histoire ecclésiastique des Eglises Réformées au Royaume de France, the work does note an inspirational sermon delivered in Poitiers in June 1561 by “Pierre Despres, surnamed the curé of Chiré ... gentleman and minister”, whom a letter to Calvin shows to have begun preaching several years previously on his own initiative. After some controversy, and despite being censured for celebrating the marriage of a neighboring gentleman to his late wife’s sister, the regional synod ultimately recognized him as a legitimate Reformed pastor. Another passage in the same work evokes a short-lived episode in the Beaujolais in which a local lord who would not long affiliate himself with the Reformed cause preached to an audience that included the parish curé and two other priests after the Huguenots briefly seized the area in the First Civil War. In Picardy in 1558, a letter from the Paris minister Jean Macard reveals, Jean de Poix, sieur de Séchelles, “presided” over the earliest gatherings of the faithful in Clermont and Luzarches, although what specific actions he took in that role – whether he led prayers, preached or even administered sacraments – is not specified.18 And at least one nobleman became a pastor on his own terres by following normative church procedures. Claude d’Arces, seigneur de Réaumont et Domène in Dauphiné, abandoned two comfortable clerical livings to flee to Geneva in 1559, studied and

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Nancy Lyman Roelker: The Appeal of Calvinism to French Noblewomen in the 16th Century. In: Journal of Interdisciplinary History 2 (1972), p. 168–195; David Nicholls: Social Change and Early Protestantism in France: Normandy 1520–62. In: European Studies Review 10 (1980), p. 291; Marc Seguin: Histoire de l’Aunis et de la Saintonge. Le début des temps modernes (1480–1610) (Vol. 3). La Crèche 2005, p. 261. Constant, Nobles et paysans en Beauce (as in note 3), p. 328. Florimond de Raemond: L’histoire de la naissance, progrez et decadence de l’hérésie de ce siècle. Rouen 1618, p. 988. [Theodore Beza]: Histoire ecclésiastique des Eglises Réformées au Royaume de France. Edited by G. Baum, Edouard Cunitz [henceforward HE]. Paris 1883–1889, Vol. 1, p. 846; Guillaume Baum, Édouard Cunitz and Édouard Reuss (Eds.): Joannis Calvini Opera quae supersunt omnia, [henceforward CO]. Brunswick and Berlin 1863–1900, Vol. 19, No. 3728.

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married there, then returned in late 1561 to his fief of Domène to serve as pastor of its church with the blessing of the Geneva Company of Pastors.19 Much more frequently, local lords initiated or participated in the creation of a new church and recruited a minister for it. Brittany was a province in which the aristocracy, both high and lesser, played a particularly important role in the growth of Protestantism, although the faith would never become strong there. The first preaching came under the protection of François d’Andelot, Coligny’s brother, who brought two ministers with him and had them preach when he travelled through the province in 1558. Churches quickly formed in the two largest cities, Nantes and Rennes. Elsewhere, most of the church building over the next years was concentrated in chateaus and seigneurial towns. Even Rennes’ church grew chiefly by winning converts from the petty nobility of the surrounding countryside.20 Other regions where noble initiative seems to have been particularly important in the creation of Reformed churches include Lower Poitou, Saintonge (where a majority of the second estate seems to have embraced the faith21), much of Southwestern France, the uplands of Dauphiné and Provence, and Lower Normandy. Scattered documents illuminate various roles played by noblemen in launching or advancing the creation of a local church. One revealing cluster concerns La FertéFrênel in Lower Normandy. The village lies about ninety kilometers to the southeast of Caen, where a church was formed in 1558 with two regents of the university (one a noble) acting as its first pastors. After the baron of La Ferté-Frênel, Nicolas de Hetteville, came into contact with Caen’s church, he repeatedly urged its ministers to come preach on his lands. Despite the distance, one traveled there for six weeks in 1561 and laid the first foundations for a church. The baron then wrote to Geneva to get the church a minister of its own “inasmuch as God has given me power over many men, and because in this way one of the most superstitious regions of the country can be won to Christ”. The Caen minister Jean Cousin also wrote, stressing that the baron was lord of eight parishes in the vicinity of his chateau and headed a household of eighty people. Geneva responded by sending the minister Claude de Creci.22 This is not the only case listed in the records of Geneva’s Company of Pastors where a pastor was dispatched to serve a nobleman. In Dauphiné the powerful baron of Sassenage played a role similar to that of the baron of La Ferté-Frênel. He is probably the «baron of Dauphiné» listed in Genevan records as having requested and received a pastor in 1561. Two years later, in May 1563, the pastor of Grenoble Etienne Noël passed along word to Geneva that the baron was “making a diligent reformation of all his lands”, but these were so extensive that he needed fourteen 19 20 21 22

Philip Benedict and Nicolas Fornerod: Les députés des Églises réformées à la cour en 1561– 1562. In: Revue Historique 315 (2013), p. 327–328. Philippe Le Noir: Histoire ecclésiastique de Bretagne depuis la Réformation jusqu’à l’édit de Nantes. Editedy by Benjamin Vaurigaud. Paris 1851, p. 5–31. Seguin, Histoire de l’Aunis et de la Saintonge (as in note 15), p. 260. HE (as in note 18), Vol. 1, p. 252; Hippolyte Aubert (Ed.): L’Organisation des Églises Réformées de France et la Compagnie des Pasteurs de Genève. In: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme [henceforward BSHPF] 46 (1897), p. 461–465; Peter Wilcox (Ed.): L’envoi de pasteurs aux Églises de France. Trois listes établies par Colladon (1561–1562). In: BSHPF 139 (1993), p. 366.

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pastors to serve them. Noël’s intervention was prompted by the fact that one of the two ministers then serving Sassenage had just written to warn that the baron’s wife and relatives were doing their best to lead him away from the true path. This made it urgent that Calvin himself write to exhort him to perseverance and send more trained preachers, Noël said.23 Four other cases of ministers sent not to a locality but to serve a nobleman also appear in the lists of pastors dispatched from Geneva in late 1561 and early 1562. Ministers were sent to “the gentleman of Champagne” (perhaps Jean Raguier, sieur d’Esternay, to whose fief of La Motte de Tilly the Reformed of Provins, Bray and Nogent-sur-Seine all journeyed to worship in 156124); “the seigneur of Bettancourt” (Antoine de Nettancourt, seigneur de Bettancourt in Lorraine); “Monsieur de Solier” (lord of several communities in the Marquisat of Saluzzo25); and “Monsieur de Montjoux (Jean de Forest dit de Vesc, sieur de Montjoux, “one of the leading gentlemen of the religion in Dauphiné”26). On these same lists Creci was noted as having been sent simply to “La Ferté-Fresnel”, which suggests that still other cases of ministers dispatched to serve noblemen lie hidden beneath the place names of which these lists are overwhelmingly composed.27 Documents from the Provençal village of Mouans and the nearby town of Grasse reveal that after first taking pastors into their own households and having them preach in their chateaus, noblemen could then back their obtaining use of the parish church. In fact, only a fraction of the first French Reformed ministers were trained in or passed through Geneva. Many were formed as “proposants” or “dia­ cres cathéchistes” in the larger urban churches inside the kingdom; it is also probable that some noblemen engaged preachers with evangelical leanings as household chaplains without these men having received any sort of formal training or ordination by the emerging network of Reformed synods. Roland de Grasse, baron of Bormes apparently obtained a minister through one of these avenues. Just before Christmas 1561, he then summoned the Catholic curé and three syndics of the village of Mouans to his chateau and informed them that he wanted to have “his” minister preach the word of God in the parish church, since his residence could no longer hold all the people attending the assemblies. The consuls granted the request on condition that no church furnishings be harmed and ongoing Catholic services in the building not be disrupted. Slightly over a week later the baron had a notarized document drawn up recording this agreement and attesting that the sharing of the church had begun without disturbance.28 23 24 25 26 27 28

Joseph Roman (Ed.): Documents sur la Réforme et les Guerres de Religion en Dauphiné. Grenoble 1890, p. 128; Wilcox, L’envoi de pasteurs (as in note 22), p. 354. Claude Haton: Mémoires (vol. 1). Edited by Laurent Bourquin. Paris 2001, p. 212; Benedict and Fornerod, Députés (as in note 19). HE (as in note 18), Vol. 2, p. 184. HE (as in note 18), Vol. 3, p. 303; Roman, Documents sur la Réforme en Dauphiné (as in note 23), p. 40–41. Other requests of noblemen for pastors may be found in CO (as in note 18), Vol. 18, col. 731; Aubert, Organisation des Églises Réformées (as in note 22), p. 458–459. Archives Départementales des Bouches du Rhòne (Aix-en-Provence), B 3328, Fo. 714v–716v, with complementary documents illuminating the context Fo. 716v–718v. This is not the only known of a sort of Simultankirche agreement being worked out locally in France in these years.

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Catholic sources also charge that Protestant lords used force to impel their tenants to attend Reformed services once they established them. Even Protestant histories admit that Charles Dupuy, seigneur de Montbrun, “tried by all means and forms of persuasion” to win his neighbors and subjects to the faith after a church took shape on his lands in Dauphiné in 1559 or early 1560. Catholic historians say he beat tenants into attending sermons and drove them off his lands if they would not join the church.29 Strikingly, the undated letter in Geneva’s archives, probably from late 1559 or early 1560, that requests a minister for Montbrun is signed not only by Dupuy-Montbrun, but also by thirteen other individuals identified as elders or deacons of what are presented as three distinct churches in the adjacent villages of Montbrun, Barret and Séderon. Did Dupuy-Montbrun have the power to force the inhabitants of three villages to establish consistories and sign on to his initiative, or might the request have arisen from a more widely shared desire for new order of services?30 Whether the lord forced his tenants to sign this document or tapped into wider discontent with the established church, the newly established Reformed church of Montbrun unquestionably depended on its seigneur’s presence and financial support. A pastor was found to serve the congregation, but in October 1560, following Dupuy-Montbrun’s flight from the region and the razing of his chateau, its consistory wrote of the “desolation” of the church and released its new pastor because it was no longer able to maintain him.31Another charge that Protestant nobles used force to push local villagers into Reformed worship comes from the bishopric of Luçon in Poitou, where Huguenot noblemen resisted the restoration of Catholicism decreed by the 1563 Peace of Amboise so vigorously that 39 parishes remained without services when the diocesan clergy complained about the situation in their bishopric a year later. According to their remonstrance, not only did these nobles allow “ministers of the new or so-called reformed religion” to preach publicly in their houses, in public marketplaces or even in parish churches; they “invit[ed] and even urg[ed] and forc[ed] those from all around to attend the sermons and sacraments administered in their fashion, even those who are not subject to their lordship.”32 Similar accusations are made against Jean Raguier, sieur d’Esternay in Champagne by the Catholic memorialist Claude Haton.33 However great the role of noblemen such as these may have been in establishing certain new Reformed churches and impelling souls to join them, noble initiative cannot be considered the most important trigger of the surge of church foundations between 1555 and 1572. Most early churches were established in cities. Even in the rural Beauce, where a quarter of all noble families ultimately embraced the 29

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Louis Regnier de La Planche: Histoire de l’Estat de France, tant de la Republique que de la Religion: sous le Regne de François II. n.p. 1576, p. 475; HE (as in note 18), Vol. 1, p. 400; Guy Allard: Les vies de Francois de Beaumont, Baron des Adrets. De Charles Dupuy, Seigneur de Montbrun et de Soffrey de Calignon, Chancelier de Navarre. Grenoble 1671, p. 10; Nicolas Chorier: Histoire générale de Dauphiné (Vol. 2) Lyon 1672 repr. Valence 1869, p. 545. Roman, Documents sur la Réforme en Dauphiné (as in note 23), p. 11–12. Bibliothèque de Genève, MS Français 402, piece 1, published in Ibid., p. 25–26. Charles Carrière (Ed.): Remontrances du clergé de Luçon en 1564. In: Revue de l‘Histoire de l‘Église de France 24 (1938), p. 463. Haton, Mémoires (as in note 24), vol. 2, p. 23–25.

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faith, the key figures in the initial dissemination of the movement were most often clerical converts and town-dwellers.34 For every request for a minister received in Geneva signed by a nobleman there are several signed primarily or exclusively by roturiers.35 For every Provins or Nogent-sur-Seine, where a small number of urban converts had to travel to a nearby seigneurie to worship, there was a Le Mans, whose surviving consistory register shows upwards of 25 noble converts from the surrounding countryside attaching themselves to an urban church.36 If coastal Bas-Poitou would remain a stronghold of rural Protestantism under noble protection down to the Revocation of the Edict of Nantes, the best explanations of why other areas such as the Cévennes, Normandy’s Pays de Caux, or the region of Moyen-Poitou between Niort and Saint-Maixent emerged as even more important centers of rural Protestantism accord as much or more weight to the presence of rural industry and important circuits of exchange with nearby cities.37 Often, what ensured the successful growth and continuity of a local church was the ability of lesser noblemen to work in tandem with nearby urban residents. The first pastor of Saintes was partially maintained at the expense of the gentlemen of the surrounding areas whose manors he often visited to preach.38 When a crowd attacked the houses of the first members of the church of Le Croisic, the faithful and their pastor took shelter in the chateau of Careil, belonging to Jean Du Bois (var. Du Bouays), sieur de Baulac.39 The church of Périgueux assembled in the townhouse of Jean Daiz, sieur de Mesmy.40 To return once again to the Beauce, churches formed here on the lands of Catholic lords as well as Protestant ones. Those protected by Protestant noblemen often drew just a small fraction of the local population.41 Early noble converts certainly pressured tenants to attend the Reformed services that they patronized, but the pressure did not always work, while ministers who preached in the countryside were delighted to find they could spontaneously attract listeners from

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Constant, Nobles et paysans en Beauce (as in note 3), p. 329–333. For examples: Aubert, Organisation des Églises Réformées (as in note 22), p. 456–458 (a letter signed by two noblemen, seven substantial peasants and nine men of unspecified status inhabiting nine villages in the vicinity of Sainte-Menehould in Champagne); CO (as in note 18), Vol. 18, No. 3468, 3511, Vol. 19, No. 3558, 3566, 3585, 3587, 3614. Philip Benedict and Nicolas Fornerod (Eds.): L’organisation et l’action des Églises réformées de France, 1557–1563: Synodes provinciaux et autres documents. Geneva 2012, p. 178–253. Emmanuel Le Roy Ladurie: Les paysans de Languedoc. Paris 1966, p. 349–351; Alain Molinier: Aux origines de la Réformation cévenole : In: Annales. Économies, Sociétés, Civilsations 34 (1984), p. 240–264; Nicholls, Social Change and Early Protestantism (as in note 15), p. 289; André Benoist: Les populations rurales du «Moyen-Poitou protestant» de 1640 à 1789. Economie, religion et société dans un groupe de paroisses de l’Election de Saint-Maixent, unpub. thèse de 3e cycle. Poitiers 1983, p. 224, 320. Bernard Palissy: Recette véritable. Edited by Frank Lestringant. Paris 1996, p. 215. HE (as in note 18), Vol. 1, p. 97; Le Noir, Histoire ecclésiastique de Bretagne (as in note 20), p. 12. For other instances of ministers sheltered in noble chateaux, see CO (as in note 18), Vol. 18, col. 717, vol. 19, cols. 103–105; Marcel Cauvin: Le protestantisme dans le Cotentin: Hérenguerville – Trelly – Contrières. In: BSHPF 113 (1967), p. 474 and n. 5. Bibliothèque nationale de France, Paris, MS Fonds Français 15875, fol. 407. Constant, Nobles et paysans en Beauce (as in note 3), p. 329–30, 334.

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leagues around.42 All in all, the phenomenon of seigneurial Protestantism appears to have been less important in winning converts to the faith in France than it was in those parts of Austria, Hungary or Poland where the Reformation also attracted a significant fraction of the population. What undergirded the phenomenal speed with which Reformed churches multiplied in France between 1560 and 1563 was the capacity of the consistorial-synodal form of church organization designed at the national synods of 1559 and 1560 to bring together in a cooperative effort noblemen and roturiers and to furnish them with ministers trained in both Geneva and France affirming the same confession of faith. Not that this system triumphed without encountering some resistance from noblemen who, having founded churches, expected to be able to control them, or at least to receive deferential treatment from them. In Brittany, where aristocratic leadership was so important in the initial establishment of the Reformed churches, the first regional assembly of congregations was not a provincial synod of pastors, elders and deacons of the sort specified by the national synod of 1559, but an assembly at the chateau of La Fonchaye convened by “several gentlemen and others having charge in the church” that adopted a system of ecclesiastical government controlled by an elected council of noblemen.43 Synods worried that noblemen might operate churches without regard for their collectively adopted rules of discipline. Thus, the April 1561 provincial synod of Berry felt compelled to decree that noblemen could have ministers in their houses only so long as they were duly approved by the leadership of nearby churches and signed the church’s confession of faith, just like all other pastors. The April 1562 national synod decreed that seigneurial churches must have consistories for church discipline like other Reformed churches, a decision reiterated by the 1563 provincial synod of the Ile-de-France, Champagne and Picardy.44 At least one nobleman failed to comply with these injunctions, for the 1565 provincial synod of Brittany had to issue what was clearly a second injunction to a minister preaching in the chateau of the comte de Maure to “submit to the general regulations (police générale) of the Reformed churches of this kingdom ... as he promised to do”.45 Insofar as can be determined, however, noble resistance to the consistorial-synodal form of church government was ultimately modest. The elected council of noblemen decreed for Brittany at La Fonchaye gave way in less than a year to the province’s integration within the consistorial-synodal network that had imposed itself throughout the rest of the kingdom. The problem of noblemen operating house churches without regard for the synodally-approved rules of church discipline attracted nothing like the degree of attention given to those whom the synods labeled “coureurs”, ministers who set themselves up in a locality without obtaining proper 42 43 44 45

CO (as in note 18), Vol. 19, col. 21. Le Noir, Histoire ecclésiastique de Bretagne (as in note 20), p. 37–38. Benedict and Fornerod, Organisation et action (as in note 36), p. 56; Jean Aymon (Ed.): Tous les Synodes Nationales des Eglises Reformées de France. The Hague 1710, p. 23–24; Rotterdam, Gemeentebibliotheek, Bibliotheek der Remonstrantsch-Gereformeerde, MS 404, p. 67. Jean-Yves Carluer: Deux synodes provinciaux bretons au XVIe siècle. In: BSHPF 135 (1989), p. 339.

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approval from the pastors of the surrounding area. Glenn Sunshine’s important account of the construction of Huguenot ecclesiastical institutions asserts that a large if unknown number of aristocratic house churches came into being that operated independently of the Reformed synodal network and its decrees. As evidence, he adduces the absence of representatives from such churches at most early synods.46 In fact, the rare minutes of these assemblies that survive do reveal the presence of delegates from noble house churches, and there is reason to believe that these sources would tend to obscure just how many churches met on noble lands after 1563.47 We have already seen that three separate consistories had been established in the vicinity of Montbrun before Dupuy-Montbrun requested a minister from Geneva. More uncertain is the question of just what sort of concessions the French Reformed churches were willing to make to aristocratic sensibilities within the parameters of the consistorial-synodal system. Consistory records from the earliest years of the churches survive for only two congregations, Le Mans and Nîmes. In the first of these congregations, whose members included many gentlemen from the surrounding area and not a few town-dwelling nobles from the local judiciary, a quite striking adaptation was made to ensure that gentlemen would not suffer the indignity of being censured for misbehavior by their social inferiors: at the moment when the congregation was initially divided into territorial sub-units for the purposes of church discipline, a special “canton” was created exclusively for the gens de justice and noblemen of the surrounding region, all of whose elders also came from their ranks.48 This was not done, however, in Nîmes, whose church also had many noble members. Which of these two models was more widely followed by other churches? We simply do not know. Nor have studies of consistorial discipline in France yet determined whether aristocratic misbehavior was treated with greater leniency in order to avoid offending key protectors. The outbreak of the civil wars increased noble leverage within the Reformed churches. While the January 1562 edict of toleration permitted Reformed worship anywhere within the kingdom except within the walls of walled cities, virtually all of later edicts, beginning with the April 1563 Peace of Amboise, restricted worship to a tiny number of towns in most provinces and to the lands of noblemen possessing rights of high justice. Many urban churches consequently had to move their meetings to the land of a nearby lord. A significant number of small churches may only have managed to survive the difficult years from 1563 to 1598 because of the 46 47

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Glenn S. Sunshine: Reforming French Protestantism: The Development of Huguenot Ecclesiastical Institutions, 1557–1572. Kirksville MO 2003, esp. p. 146–147. See, for instance, Bibliothèque nationale de France, MS Fonds Français 17294, fol. 254, the minutes of the 1564 provincial synod of Berry, which notes the presence of ministers and elders from three churches identified as being „of the house“ of a nobleman, as well as of delegates from Montargis. This last was the fief of Renée of Ferrara, but the document does not explicitly identify the church as meeting under her protection. More generally, many erstwhile urban congregations forced by the edicts of pacification from 1563 onward to assemble on noble lands continued to be identified by the name of their original location. Churches that met in seigneurial towns were also commonly identified by the town‘s name, not that of their noble patron. Benedict and Fornerod, Organisation et action (as in note 36), p. 179, 186–188.

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protection and financial support provided by men such as the seigneur de Tremilly in Champagne, who lodged the pastor of Vassy and the surrounding region in his house, provided his furniture, linens and tableware, and paid half of his salary.49 Under such conditions, the minister and consistory of the church in question would surely have taken pains to retain the lord’s good will. It seems telling that, in the immediate aftermath of the First Civil War, the colloquy of Aunis allowed seven local gentlemen to join its meeting by virtue of their rank alongside the ministers and elders of the district who normally attended, while the churches of Dauphiné invited the nobility of each colloquy to send one representative to the next provincial synod.50 Much remains to be learned, however, about the place of noblemen within Reformed churches that met under their protection. Finding and exploiting records that give insight into the inner workings of such churches is a priority for future research. The consistorial-synodal system adopted by the Reformed churches vested authority over ecclesiastical affairs in the hands of pastors, elders and deacons, who met together in the local consistory and delegated individuals from their ranks to attend meetings of regional colloquies and provincial synods. Noblemen occupied a small but far from insignificant place within these three church ministries. In his pioneering study of Geneva and the coming of the Wars of Religion in France, Robert Kingdon assembled biographical information about a sample of 88 early pastors who passed through Geneva. Of these, 10 were unquestionably noble and 4 were probably so, yielding a total of 16 per cent if the probable cases are counted.51 A larger data base of ministers active between 1555 and 1563 that I am compiling currently contains 511 individuals, about many of whom I know little more than their name. Twenty-seven, or just over 5 percent, can be said with confidence to come from the second estate. The actual percentage of noblemen among early pastors probably lies somewhere between the two extremes of 5 and 16 percent revealed by these calculations. Among early pastors of noble extraction were not only Theodore Beza, but also such other leading figures as two guiding lights of the church of Paris in its early years, Antoine de Chandieu, seigneur de La Roche and Chandieu, from an old Dauphiné family with lordships in several provinces, and François de Morel, sieur de Collonges, from the Angoumois, as well as the theologian Lambert Daneau, whose father was a petty noble and financial official in the Orléanais.52 Noble representation within the eldership and diaconate of certain churches was modestly higher. Three of the 15 original members of the consistory 49 50 51 52

Leonard Chester Jones: Simon Goulart 1543–1628. Geneva 1917, p. 361–371. Colloque de La Rochelle à Thairé (2 nov. 1564). In: BSHPF 44 (1895), p.473–474; Ulysse Chevalier: Annales de la ville de Romans pendant les guerres de religion de 1549 à 1599. Valence 1875, p. 35. Robert M. Kingdon: Geneva and the Coming of the Wars of Religion in France 1555–1563. Geneva 1956, p. 6. S.K. Barker: Protestantism, Poetry and Protest. The Vernacular Writings of Antoine de Chandieu (c. 1534–1591). Farnham 2009, p. 13–17; Kingdon, Geneva and the Coming (as in note 51), p. 6; Paul de Félice: Lambert Daneau (de Baugency-sur-Loire) pasteur et professeur en théologie 1530–1595. Paris 1882, esp. ch. 1; Olivier Fatio: Méthode et théologie. Lambert Daneau et les débuts de la scolastique réformée. Geneva 1976.

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of Buis-les-Baronnies (Dauphiné) were noble, as were 4 of the 16 original elders and deacons of Le Mans.53 But in thirteen churches of the Midi for which Janine Garrisson-Estèbe was able to determine the social composition of the consistory, nobles occupied just five per cent of the places.54 Members of the second estate occupied a far higher percentage of positions of military and political leadership within the cause. Indeed, this is where lesser noblemen would play the largest role in the story of the French Reformation, although nearly always, it must be stressed, in collaboration with members of the high aristocracy, of the clergy, and of the third estate. The first important moment of widespread Reformed political activism came during the short reign of Francis II (July 1559–December 1560), with the organization of a series of plots to seize control of the king, summon an Estates-General, and oust the house of Guise from its dominant position at court. The conspiracy of Amboise of March 1560 was the most notorious of these plots; it was not the only one, as schemes to seize important cities or move against the king continued into the fall.55 The prince of Condé and several lesser grandees, leading ministers and intellectuals in Geneva, Strasbourg, Paris and Orléans, and prominent figures from a number of urban churches were all involved in these conspiracies. Nevertheless, most of those most active in the recruitment and leadership of the troops raised in connection with these movements came from the lesser nobility.56 Even before these conspiracies, a petty nobleman of Provence, Paulon de Richieu, sieur de Mauvans, had assembled men from a number of churches in that province and begun a series of intermittent raids that would last for over a year. For the most daring of these, an incursion into the Papal Comtat Venaissin in August 1560, he joined forces with Dupuy-Montbrun, a kindred spirit from Dauphiné whose adventures will be recounted in more detail below. Not long after these plots and raids fizzled out and the underage Charles IX ascended to the throne, the second national synod, held at Poitiers in March 1561, decreed that each synodal province should name deputies to represent its interests at court and coordinate actions between the provinces. These deputies would soon become key decision makers for the cause alongside and in consultation with the leading Paris ministers, the great Protestant champions at court, and Calvin in Geneva. The group as a whole was about equally divided between lawyers and nobles, with a few of the latter coming from families of the noblesse seconde with strong court connections, and the bulk from the ranks of lesser squires.57 53 54 55 56

57

Roman, Documents sur la Réforme en Dauphiné (as in note 23), p. 115; Benedict and Fornerod, Organisation et action (as in note 36), p. 179, 181. Garrisson-Estèbe, Protestants du Midi (as in note 3), p. 95. Regnier de La Planche, Histoire de l’Estat de France (as in note 29) reveals the full extent of these plots. See also Lucien Romier: La conjuration d’Amboise. Paris 1923, p. 215–248. The fullest list of captains of the Amboise enterprise is to be found in Agrippa d’Aubigné: Histoire Universelle (vol. 1). Edited by André Thierry. Geneva 1981, p. 270–271. For more on leading noble conspirators, see Arlette Jouanna: Le devoir de révolte. La noblesse française et la gestation des l‘État moderne, 1559–1661. Paris 1989, p. 134–139; Daussy, Parti Huguenot (as in note 1), p. 140–143. Benedict and Fornerod, Députés (as in note 19), p. 311–14.

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Just as the military aspects of the conspiracies of 1560 offered lesser noblemen a role particularly conducive to their training and values, so too did the decision of churches and synods over the course of the year 1561 to create military structures for their defense and, so they claimed, that of the crown. Since these units were instituted and approved by consistories and synods within whose ranks noblemen were typically a small minority, the establishment of these military structures should not be seen as a case of noblemen imposing their martial inclinations on an otherwise peaceful movement. Nor were the units thus established composed exclusively of aristocrats. Nobles were, however, understood to have a particularly important role to play within them. When the December 1561 synod of Sainte-Foy named two “protectors” of the churches of Guyenne, both came from the lesser nobility of the region. (One was the sieur de Mesmy, who had previously hosted Reformed services in his town house in Périgueux and been actively involved in the conspiracies of 1560.)58 When, a month later, Le Mans’ church set about creating its militia and determining how many armed men it could raise in case of need, the elders of the urban cantons were instructed to draw up lists of all able-bodied men in their neighborhood who could serve; the church’s aristocratic members were convoked individually and asked how many men they could furnish at their own expense.59 When the First Civil War broke out a few months later, many soldiers for the Reformed cause were mobilized through this system. Most were ordinary towndwellers, but the three additional protectors known to have been named at this juncture were all noble.60 In December 1562, with most of Dauphiné firmly under Protestant control, a Huguenot-controlled meeting of the provincial estates that can be considered one of the first Protestant political assemblies created two councils, one military and one political, to oversee the war effort. The military council was exclusively noble in composition. Three of the twelve seats in the political council were reserved for men of this estate.61 Throughout the subsequent civil wars, most of the captains who profited from the troubles to achieve the greatest renown and power continued to stem from aristocratic families, but the militarization of the localities promoted by thirty-six years of intermittent civil war also gave growing numbers of roturiers the opportunity to emerge as military leaders. As fighting became endemic in the regions most evenly split between the two faiths, the captains of small garrisons grew in both numbers and power. Half of those identified for the Rouergue between 1560 and 1600 (some 300 in all, both Protestant and Catholic) hailed from the third estate. In the Protestant-dominated small town of Die in Dauphiné, several generations of the Gay family earned a good living as silk drapers in times of peace and military captains in times of war.62

58 59 60 61 62

HE (as in note 18), Vol. 1, p. 888 and also, for Mesmy, Vol. 1, p. 290, 894–895, Vol. 2, p. 893, 943. Benedict and Fornerod, Organisation et action (as in note 36), p. cvii–cix, 186–188, 244. HE (as in note 18), Vol. 2, p. 976, Vol. 3, p. 78. Benedict and Fornerod, Organisation et action (as in note 36), p. 268, 273n. Sylvie Desachy-Delclos: Les élites militaires en Rouergue au XVIe siècle. In: Annales du Midi

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The Protestant political assemblies that multiplied after 1573 on both the provincial and national level were likewise divided in composition between noblemen and towndwellers. Here, ministers also accounted for a significant minority of delegates. Janine Garrisson’s analysis of the social composition of some twelve Protestant political assemblies reveals the following breakdown:

1. Five Supra-Regional Assemblies 1573–1588 2. Seven Provincial Assemblies of Languedoc and Guyenne 1573–1597

Nobles Bourgeois Ministers 51% 29% 20% 33%

57%

10%63

The 1596 political assembly of the Protestants of Dauphiné was composed of three categories of representatives: nobles, of whom there were 27 (50%); pastors, of whom there were 12 (22%); and deputies of individual churches, 15 in total, of whom 6 were identified as “captains” (12.5%), 1 bore the honorific “sire” and hence was noble, and 8 bore the honorific “monsieur” and can be classified as bourgeois (18%).64 The fighting during the first three civil wars was waged both locally and nationally. While some nobles fought in their home provinces, others rallied to the standard raised by the Prince of Condé, who assembled a large army of native French troops through networks of aristocratic clientage, via the militias attached to the churches, and by drawing upon foreign allies and mercenaries.65 But not all noblemen who joined the Reformed church were prepared to take up arms for its defense. Stuart Carroll has recently underscored how significant a fraction of the very highest aristocrats who embraced Protestantism in the years of its initial expansion either remained neutral in the First Civil War or fought against the Association of the Prince of Condé. Over thirty years ago, Jean-Marie Constant showed that many lesser Protestant nobles of the Beauce abstained from fighting for the Huguenot cause.66 Political or military engagement in the cause did not necessarily follow from membership in a Reformed church, even if the bridge from one to the other was built by the political and military initiatives taken by the churches’ synods and deputies in 1561 and 1562, and ministers overwhelmingly urged believers to cross

63 64 65

66

108 (1996), p. 9–27, esp. p. 17; Jules Chevalier (Ed.): Mémoires des frères Gay pour servir à l›histoire des guerres de religion en Dauphiné. Montbéliard 1888, passim. Garrisson-Estèbe, Protestants du Midi (as in note 3), p. 205, 207. Roman, Documents sur la Réforme en Dauphiné (as in note 23), p. 703–705. The fullest list of those who fought for Condé in 1562 is David Potter (Ed.): The French Protestant Nobility in 1562: The ‘Associacion de Monseigneur le Prince de Condé’. In: French History 15 (2001), p. 307–328, analyzed in David Potter: «Alliance», «Clientèle» and Political Action in Early Modern France: the Prince de Condé’s Association in 1562. In: David Bates et al. (Eds.): Liens personnels, réseaux, solidarités en France et dans les Iles Britanniques (XIe– XXe siècles). Paris 2006, p. 199–219. Stuart Carroll: ‘Nager entre deux eaux’: The Princes and the Ambiguities of French Protestantism. In: Sixteenth Century Journal 44 (2013), p. 985–1018; Constant, Protestant Nobility in France (as in note 4), p. 72.

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it.67 In military and political affairs, as in the initial foundation of the Reformed churches, the key to such success as Protestantism had in France arose less from the engagement of any one group, than from its ability to construct a church and affiliated political institutions that mobilized in a common cause believers of different social backgrounds. Great noblemen at court, lesser noblemen in the provinces, important leadership elements in the cities, ministers both in France and Geneva, and allies abroad all made essential contributions. If there was one critical moment in the story of the French Reformation when members of the lesser nobility may have played a particularly decisive role in shaping the fate of the movement, that moment came just after the Saint Bartholomew’s Massacre, the time of greatest peril for the cause. Not only did the massacre kill thousands; it provoked the flight or abjuration of tens of thousands, temporarily eliminated or neutralized the high Protestant aristocracy as a political force, and precipitated the interdiction and closure of Reformed churches nearly throughout the kingdom. But as Genevan onlookers despaired and Catholic militants exulted at what they believed to be the final elimination of the faith, armed resistance began in a few pockets of Protestant strength. Two groups led this resistance: lesser noble local military chieftains in upland areas conducive to guerrilla warfare, and opinion leaders, some also of noble status, in walled cities such as La Rochelle, Montauban, Nìmes, Sancerre and Millau, who convinced their fellow townsmen to close the gates to royal authorities and disobey the order to cease worshipping. As La Rochelle and Nîmes withstood long sieges, the captains of the upland areas gradually drew cowed Protestants back into open support for the cause and captured new citadels. Supra-regional political assemblies knit the isolated pockets of resistance into a larger whole that spoke for the cause. The contemporary history that best recounts this crucial but scarcely studied moment in the story of the Protestant cause, La Popelinière’s History of France, fills much of a page with the names of the “leaders of the confederates in Languedoc and neighboring pays” in late 1573: Montbrun in Dauphiné, the Vicomte de Gourdon in Haut Quercy, the Vicomte Lomaigne in Bas Quercy, the Vicomte de Caumont in the Pays de Foix, Chavagnac in the Gevaudan, and on and on.68 Today, all of these men are obscure figures, even to specialists, although their memory would live on for centuries in the areas through which they rode and raided. They and the ministers and municipal leaders of towns such as Nîmes and La Rochelle were the key actors of the faith’s recovery from the brink of disaster, a recovery that advanced so quickly that in 1576 the Reformed even briefly regained the freedom to worship anywhere the kingdom. Reconstructing the biographies of all of these obscure captains would be a fascinating contribution to the history of the French Reformation. Here I can only look at the least obscure of them, Charles Dupuy, seigneur de Montbrun, whom we have already met several times in this essay, and who has the interest of having been in67

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Benedict and Fornerod, Organisation et action (as in note 36), p. lxxxiv–cxii; Philip Benedict: Prophets in Arms? Ministers in War, Ministers on War: France, 1562–74. In: Graeme Murdock, Penny Roberts and Andrew Spicer (Eds.): Ritual and Violence: Natalie Zemon Davis and Early Modern France (Past and Present Supplement 7). Oxford 2012, p. 163–96. Lancelot Voisin de La Popelinière: Histoire de France (Vol. 2). [La Rochelle] 1581, p. 191v.

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volved in both the agitation of 1560 and the Protestant resistance after Saint Bartholomew. Dupuy-Montbrun descended from a noble family that first appears in Dauphiné in the thirteenth century. His father, who fought in the Italian wars, was lord of seven seigneuries, all tiny, totaling just 140 families of vassals and yielding revenues of only 400 livres a year. His mother, Catherine Parisot de La Valette, came from a more distinguished family; her uncle was a grand master of the Order of Malta. Born around 1530, Charles was initiated in arms at his father’s side in the Italian wars, where he clearly imbibed the thirst to perform valiant acts against great odds so characteristic of his milieu. He too made an excellent marriage, wedding a great niece of the powerful Cardinal of Tournon whose dowry brought 8,000 livres but no additional land.69 Charles embraced Protestantism soon after returning from Italy in 1558. His seventeenth-century Catholic biographer Guy Allard tells a story about his conversion that must have originated in Reformed circles. As the story goes, Montbrun learned on his return that his sister had embraced the faith and run away to Geneva. He set out after her vowing to catch and punish her, but when he got to Geneva and heard its preachers, he was so touched that he himself converted and became a lifelong champion of the faith. On his return to Montbrun he demolished the chapel in his chateau, put an end to the mass in the parish church, and instituted Reformed preaching.70 This pious legend may have been promoted by the family to put the best possible light on a somewhat more tawdry reality revealed by a previously unremarked set of entries in Geneva’s consistory records. It seems that Charles’s sister, Jeanne Dupuy-Montbrun, moved to Geneva in 1557 largely to escape her husband, Gaspard de Theys, seigneur de Clelles, a serial adulterer of a type that was anything but rare among the nobility of the era who in one instance “debauched” a woman in Valence, paid compensation to her family for having done so, brought her back home, installed her in the family chateau, and fathered at least one child by her. After Jeanne had had enough and decamped to Geneva, Clelles followed her there in November 1557 and urged her to return home. She refused and over the next seventeen months was able to accumulate enough testimony in support of her accusations of debauchery and adultery against him to convince the consistory to grant her a divorce. She then remarried a noble Italian refugee, Giulio de Thiene.71 If Jeanne’s brother Charles came to Geneva after returning from Italy, it would have been amid this family drama. If he was attached to his sister, he could have seen her conversion as a liberation from a degrading situation and the Reformed church as an instrument for upholding his family’s honor.

69 70 71

Pierre-Henri Chaix: Promotion sociale et Réforme. Charles Du Puy de Montbrun. In: BSHPF 121 (1975), p. 470–475. Allard, Vies des Adrets, de Montbrun et de Calignon (as in note 23) p. 8–9. Archives d‘État de Genève, Registres du Consistoire, Vol. 12, fo. 113v, 155v; Vol. 14, fo. 123v–124, 126v–127v, 155, 159v; Vol. 15, fo. 22v, 24, 25, 44, 50v, 56, 132v, 137; Juridiction Pénale, K1, entry of 2 February 1559. I owe deep thanks to Jeffrey and Isabella Watt, the editors of Geneva‘s consistory registers during Calvin‘s lifetime, for bringing these documents to my attention and furnishing me with their as yet unpublished transcriptions of them.

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As we have seen, consistories soon formed in Montbrun and nearby Barret and Séderon, giving these communities the essential nucleus of a Reformed church. At some time probably late in 1559 or early in 1560, Charles signed a letter along with thirteen elders and deacons from the three communities requesting a pastor from Geneva for them. He probably also used his power over his vassals to force them to attend the church.72 He certainly quickly provoked a series of violent confrontations with the royal authorities of the provinces that would lead within a year to his own flight to Geneva and the dissipation of the church of Montbrun. According to Agrippa d’Aubigné, who wrote at some distance from the events in question, Dupuy-Montbrun was the captain of the conspiracy of Amboise for Dauphiné.73 There is, however, no evidence that he led troops to the Loire valley. Instead, he militated in his own province. ln April 1560 he was one of the noblemen bearing arms who protected the minister François de Saint-Paul as he preached from the porch of the Franciscan church of Montélimar, an incident that brought down the royal wrath on all involved. He refused a subsequent summons to appear before the Parlement of Grenoble, and when a royal provost was sent to arrest him in July, a confrontation ensued: Montbrun knocked the provost off his horse; he and his retainers captured the provost and his archer; and the king’s men spent several nights in the castle dungeon before being released. Now clearly an outlaw, Montbrun joined forces with the Protestants of nearby Provence and responded to a call for aid from co-religionists in the Comtat Venaissin by invading that papal territory and capturing Malaucène on August 7, bringing with him the pastor who had been sent from Geneva. Cities from Valence to Marseille were seized by fear that they would be attacked next. On August 21, the papal legate reported that Montbrun had occupied a third of the Comtat.74 The lieutenant governor of Dauphiné, Hector de Pardaillan, seigneur de La Motte-Gondrin, finally negotiated a pact with the occupiers promising them immunity from prosecution if they withdrew from the Comtat, put down their arms, and decided within a month whether they would return to the Roman church or sell their possessions and emigrate to a place where they could practice their faith. In Montbrun’s case, this pact broke down almost as soon as it was signed. According to Protestant sources, several of his men were killed by priests or refused entry into their communities. He rallied his men again in retaliation and seized several small towns in Dauphiné, harming no one “except the priests”. A much larger royal force

72 73 74

See above, p. xx. D’Aubigné, Histoire Universelle (as in note 55), Vol. 1, p. 271. Jean Lestocquoy (Ed.): Correspondance des nonces Lenzi et Gualterio, légation du cardinal Trivultio (1537–1561) (Acta Nuntiaturae Gallicae 14). Rome 1977, p. 251; François Joubert and Salomon de Merez: Mémoires de divers événements en Dauphiné notamment pendant les guerres de religion. Edited by Edmond Maignien. Grenoble 1886, p. 36–37; Alexandra D. Lublinskaya, Tamara Voronova and Elena Gourari (Eds.): Dokumenty po istorii Frantsii serediny XVI v. nachalo religioznykh voin (1559–1560)/ Documents pour servir à l’histoire de France au milieu du XVI siècle. Début des guerres de religion (1559–1560). Moscow 2013, p. 170– 171, 180–181; Regnier de La Planche, Histoire de l‘Estat de France (as in note 29), p. 474–497; HE (as in note 18), Vol. I, p. 400–414; Marc Venard: Réforme protestante, Réforme catholique dans la province d’Avignon au XVIe siècle. Paris 1993, p. 446–50.

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was now sent to apprehend him, so he fled across the mountains to Geneva and Bernese territory, leaving his chateau to be destroyed in his absence.75 Montbrun’s movements over the next eighteen months are unclear, but if the Histoire ecclesiastique is to be believed, he was back in Dauphiné by April 1562 and rode into Valence in the company of three other leading Huguenot nobles just in time for the lynching of the royal lieutenant general who had previously tried to arrest him and had ordered the destruction of his chateau, La Motte-Gondrin.76 This event announced the eruption of the First Civil War in Dauphiné. For the first eight months of the conflict, Montbrun was a key lieutenant of the man who took control of much of the wider region in the name of the king and the prince of Condé, the redoubtable baron Des Adrets. Des Adrets sent him to govern Chalon-sur-Saône when the Huguenots took that city in May, although he had to surrender it within a month when a much larger royal army approached. As “colonel of the companies raised in Dauphiné for the administration of the region in obedience to the King’s majesty,” he sent orders to the political and ecclesiastical officials of 24 churches and communities in the region of Montélimar in June ordering them to raise new troops on pain of death.77 In July, a detachment of men he commanded was responsible for one of the most proudly advertised brutalities of the conflict, meant to strike fear in the enemy by showing the level of violence that the cause was prepared to use. In revenge for a prior Catholic massacre of Protestants of Orange, no quarter was given the surrendering defenders of Mornas when that fortress in the Comtat was taken. Those killed or captured were thrown from the promontory overlooking the Rhone on which the citadel was located. Their corpses were loaded into a boat that was released to float down the river carrying a sign speared into one body reading “O you of Avignon let these bearers pass without paying; they already paid the toll at Mornas.”78 Montbrun continued to campaign in this fashion in close collaboration with Des Adrets for five more months. In December he was named to the military council created by the provincial Estates. When, soon thereafter, the Huguenots of Dauphiné became convinced that Des Adrets was about to sell out the cause and surrender, he turned against his former commander and led the mission to oust and arrest him. A second meeting of the provincial Estates confirmed his position in the military council.79 The March 1563 Peace of Amboise brought the First Civil War to an end, but it took months before the Protestants abandoned all of the cities they controlled in the Southeast; Montbrun was among the Protestant captains who resisted the restoration of Catholicism for the longest. Ultimately, however, he put down his arms, returned to his terres and sponsored the reconstruction of the local Reformed church 75 76 77 78 79

Regnier de La Planche, Histoire de l‘Estat de France (as in note 29), p. 582–591; HE (as in note 18), Vol. I, p. 411. HE (as in note 18), Vol. 3, p. 303; Allard and Chorier place his return to Dauphiné slightly later. Gabriel Brisard: Histoire du Baron des Adrets. Valence 1890, p. 136. Loys de Perussiis: Discours des guerres de la Comté de Venayscin et de la Provence: ensemble quelques incidents. Avignon 1563, p. 56. Protestant historians assert that Montbrun did not order the killing but could not control his troops thirsting for revenge. Benedict and Fornerod, Organisation et action (as in note 36), p. 268; Brisard, Histoire du Baron des Adrets (as in note 77), p. 73.

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that had been dispersed in 1560. With the renewal of civil war in 1567 he took up arms again. He fought in both the Second and Third Civil Wars, participating in the great battles of Jarnac and Moncontour, then leading his men back to Dauphiné to continue the fight there in the mountainous terrain he knew so well. His daring crossing of the Rhone under the nose of the baron de Gordes en route is the subject of the last scene of Tortorel and Perrissin’s pictorial account of the Wars Massacres and Troubles of Our Times. By 1570 he was the undisputed military leader of the Protestants of the province.80 In the aftermath of the Saint Bartholomew’s massacre, not a single urban church in Dauphiné dared to continue to assemble, and the local governor sought to ensure the loyalty of the Huguenot nobility as well. Montbrun would not submit. Going from chateau to chateau accompanied by several ministers, he gradually assembled enough men to begin in April 1573 to raid and pillage across the countryside, then to seize one after another the small towns and castles of Orpierre, Serres, Sahune, Condorcet, Nyons, Livron, Loriol, Dieulefit, Soyans and Chabeul. His exploits in holding off over 1500 Swiss troops with a relative handful of men reinforced his reputation for bravura. According to the great retailer of court gossip Brantôme, however, they also heightened a streak of independence that proved his undoing. When king Henry III commanded him to release some prisoners he had taken, he took offense at the tone of the missive. He was prepared to take orders from a monarch in peacetime, he reportedly told the king, but “in war when men have arms in hand and their fanny in the saddle, all are compagnons”. The king did not forget his presumption. After Montbrun was taken prisoner two years later, he was expeditiously tried and executed; his property was confiscated, and his descendants stripped of their nobility.81 The military and political leadership of the renascent Protestant movement in Dauphiné passed to François de Bonne de Lesdiguières, another lesser noblemen from a family of more recent vintage destined for an even longer and more successful military career than Montbrun’s that would ultimately lead him to the governorship of the province and a maréchal’s baton.82 As for Montbrun, he left behind a surprisingly positive reputation, especially after a clause in the 1576 Peace of Monsieur overturned his condemnation and rehabilitated his memory, allowing his family and descendants to recover their property and status.83 Military derring-do and success washed away a multitude of sins 80 81

82 83

Allard, Vies des Adrets, de Montbrun et de Calignon (as in note 23), p. 52–71; Philip Benedict: Graphic History: The Wars, Massacres and Troubles of Tortorel and Perrissin. Geneva 2007, p. 380–382. La Popelinière, Histoire de France (as in note 68), Vol. 2, fol. 108, 176, 193v–194; [Simon Goulard]: Recueil des choses mémorables avenues en France sous le regne de Henri II, François II, Charles IX, Henri III et Henri IV. „Heden“ 1603, p. 545–548; Chorier, Histoire de Dauphiné (as in note 31), p. 649, 651–670; Allard, Vies des Adrets, de Montbrun et de Calignon (as in note 23), p. 71–90; Pierre de Bourdeille de Brantôme: Oeuvres completes (vol. 5). Edited by Ludovic Lalanne. Paris 1884, p. 423–424. On Lesdiguières’ career and ascension, see Stéphane Gal: Lesdiguières. Prince des Alpes et connétable de France. Grenoble 2007. L’édit de Nantes et ses antécédents (1562–1598), electronic edition, Ecole des Chartes, Document 7, Article 35. http://elec.enc.sorbonne.fr/editsdepacification [2018 April 5].

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in early modern France. A cantique set to the tune of psalm 43 published in 1576 sang the deeds of this “good servant of God and of the king of France”, “the first to take up arms in Christ’s defense and to raise troops against the great Antichrist”. It called Montbrun humble, good-natured, humane, concerned only to advance the true religion, and “si bon François” that all “vrais Daulphinois” looked on him as a father.84 In that same year the Huguenot historian Louis Regnier de La Planche brought out an account of his initial prise d‘armes in 1560 that is a brilliant lawyer’s plea for the innocence of a client that all of the evidence would seem to condemn.85 The Catholic Brantôme praised the “brave” Montbrun as a “bon et grand capit­ aine”.86 A century later, when a local historian, also Catholic, set out to write the lives of the famous men of Dauphiné, Montbrun was the subject of one of his first lives.87 This brief evocation of one lesser nobleman’s contribution to the French Reformation puts some flesh and blood on the generalizations offered earlier on in this paper, but of course it also risks reinforcing an association against which that earlier portion warned, namely imagining the role of the lesser nobility in the French Reformation to be synonymous with military activity on its behalf. Elsewhere I have evoked another figure of the lesser nobility, Guillaume Roques, sieur de Clausonne, whose life course reminds us that lesser noblemen could serve the cause in other ways as well.88 A lawyer and member of the urban nobility from Nîmes, Roques first appeared on a larger stage when he acted as a spokesman for the church of Nîmes when it sought rights of worship at the 1561 Estates of Languedoc. He also attended the Estates General of Pontoise. During the First Civil War he was one of two men sent from Languedoc to attend a meeting of the Protestant-controlled Estates of Dauphiné in order to finalize an alliance between the two provinces. In the course of the debate at Montélimar, his intervention proved critical to defeating a proposed peace agreement negotiated between the Des Adrets and Nemours. In 1567 he took part in the Michelade, the massacre of the city’s leading Catholic political and ecclesiastical figures that followed the Huguenot takeover at the outbreak of the Second Civil War. When Nîmes vacillated about what to do after the Saint Bartholomew’s Massacre, Clausonne was one of those whose urgings to ignore the royal order to cease worship and to forbid the king’s lieutenant from entering the city swayed the city to embrace the path of armed resistance. He played an important role in the Protestant political assemblies of the next five years and finally was among the negotiators of the 1577 peace of Beaulieu that led to the establishment 84 85 86 87 88

Discours en forme de Cantique sur la vie et mort de Charles du Puy, seigneur de Montbrun et de Ferrassierres, Gentilhomme Daulphinois, bon serviteur de Dieu et de la Couronne de France, n.p. 1576. I would like to thank Mark Greengrass for furnishing me with a transcription of this work. Regnier de la Planche, Histoire de l‘Estat de France (as in note 29), p. 474–497, 569–591. The index of this work contains an entry for «Mombrun gentil-homme dauphinois et ses faits heroiques». Brantôme, Oeuvres complètes (as in note 78), Vol. 5, p. 422, 424. Allard, Vies des Adrets, de Montbrun et de Calignon (as in note 29), passim, esp. preface. Philip Benedict: French Protestants in the Service of the Crown, 1554–1612. In: Gerlinde Huber-Rebenich (Ed.): Jacques Bongars (1554–1612). Gelehrter und Diplomat im Zeitalter des Konfessionalismus. Tübingen 2016, p. 9.

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of the special bi-confessional tribunal in Castres, the so-called Chambre de l’Edit, of which he became co-president. No less militant than Dupuy-Montbrun, his service was chiefly oratorical, diplomatic and judicial. Of course, Theodore Beza’s life could illustrate still another critical role that lesser noblemen played in the cause. In short, the roles of the lesser nobility in the French Reformation were as diverse as the group itself. They were one constituent part of a movement that had such success as it had because it was able to provide a common cause and common institutions for a creed that appealed to a committed minority within several different sectors of French society.

PERSONENREGISTER A Absberg, von Hans Georg 59 Hans Melchior 57 Hans Thomas 54, 91 Adam Hieronymus 238 Johann 170 Adelsheim, von Christoph 16 Martin 15 Sebastian 16 Adrets, Baron des 351 Ahlefeldt, von Gottschalk 245 Albrecher Anton 303 Albret Jeanne 333 Aleander Hieronymus 100, 203 Allard Guy 349 Altenhauser 311 Amerbach Georg 157 Amsdorff Nikolaus 227 Andelot, de François 338 Andermann Kurt 82, 108 Andlau, Äbtissin von 170 Anhalt, Fürst von Adolf 217, 220, 226, 232–233, 239 Anhalt-Bernburg, Fürst von Christian I. 287 Aquila Caspar 116, 128 Aquileja, Patriarch von 304 Arces Claude 337 Aschhausen, von Hans Jörg 74 Aubigné, de Agrippa 333

Audisio Gabriel 328 Axt Basilius 235

B Baden, Markgrafen von 38, 152 Bamberg, Bischöfe von 55, 188–189 Bayern, Herzöge von 55 Georg 55–56 Ludwig 305 Wilhelm 114, 305 Bebek György 296 Beichlingen, Grafen von 207 Bellay, de Guillaume 323 Bemelburg, von Konrad 75 Berger Arnold 123 Berlepsch, von Hans 104, 227, 230 Berlichingen, von Götz 52–54, 57, 60–64, 67–68, 70, 72–74, 76, 78, 90–93, 157 Bersori von Luserna 318 Pantaleone 322 Bettendorff, von Dietrich 159 Philipp 159 Beyer Christian 226 Dominik 276 Beza Theodor 269, 333, 337, 344, 354 Bigliori von Luserna 318 Billican Theobald 151 Bircke von der Daube Hans 207 Blankenburg, Grafen von 205 Blankenhain, Grafen von 205 Bock Maria 284

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Personenregister

Bock von Gerstheim Hans 163, 168–170 Böcklin von Böcklinsau Ludwig 163, 170 Bogler 126, 135, 137, 142 Böhmen, Könige von 272, 287, 289 Wladislaus 229 Bois, du Jean 341 Bonne de Lesdiguières François 352 Bora, von Hans 235 Katharina 220, 235 Bornemissza Péter 297 Bourbon, de 335, 337 Antoine 333 Brady Thomas 170 Brandenburg, Markgrafen und Kurfürsten von Albrecht 71, 78, 100, 115 Albrecht Achilles 67 Friedrich 54–57 Georg 229, 294 Brandenstein, von 209 Felix 216 Siegmund 216 Braunschweig-Lüneburg, Herzöge von 230, 232, 234 Ernst 226 Otto 226 Bräutigam Brigitta 236 Brecht Martin 105, 151 Brenz Johannes 151, 155 Brunfels Otto 156 Bucer Martin 101–103, 106, 116, 118, 128, 135–136, 151, 155–156, 171 Budovec von Budov Wenzel 287–288 Bünau, von 279, 291 Günther 277 Heinrich 216, 283–285 Rudolf 277, 283 Burkhardt Carl August Hugo 212, 215

C Calvin Johannes 325, 327, 333, 337, 339, 345, 349 Campeggio Lorenzo 305 Canitz, von Elisabeth 235 Hans 216 Hieronymus 235 Capito Wolfgang 98–99, 135, 155 Caracciolo Marinus 100 Carroll Stuart 334, 347 Caumont, de Vicomte 348 Chandieu, de Antoine 344 Châtillon, de 335 Chytraeus David 155, 158, 160, 307 Nathan 158 Coelius Michael 276 Coligny, de Gaspard 333 Condé, Prinz von 333, 345, 347, 351 Constant Jean-Marie 347 Cousin Jean 338 Cranach Lucas der Ältere 277 Creci, de Claude 338–339 Crespin 335 Cronberg, von Hartmut 41, 75–79, 104–105, 123, 125–148, 164–165 Johann 77, 127 Johann Nikolaus 127 Walther 137

D Dahlerup Troels 243 Daiz Jean 341 Dalberg, von. siehe Kämmerer von Worms genannt von Dalberg

Personenregister Daneau Lambert 344 Dänemark, Könige von Christian I. 241, 244–245 Christian II. 242, 245–246, 248–249 Christian III. 241, 246–248, 250–251, 253 Friedrich I. 246, 253 Friedrich II. 245, 252 Hans 245 Daussy Hugues 333 Despres Pierre 337 Deutsches Reich (römisch-deutsches), Könige und Kaiser 56, 112, 163 Ferdinand I. 21, 68, 76–77, 83–85, 152, 161, 256, 272, 279–280, 295, 301–302, 304–306, 312, 314 Ferdinand II. 197, 289 Friedrich III. 37, 87, 303 Karl V. 23–24, 52–54, 75–76, 83–84, 101– 102, 112, 121, 126, 137–138, 142–143, 145–146, 150, 161, 181, 189, 256, 306 Maximilian I. 24, 46–48, 53, 69, 75, 77, 84, 112, 294, 303 Maximilian II. 85, 281, 307, 315 Rudolf II. 286–288 Ruprecht 108–109 Sigmund 39–40, 87, 255–257, 259, 264, 266 Dévai Matthias 294 Dietrichstein, von Abraham 315 Barbara 313 Dorothea 315 Christoph 315 Helmhard 315 Ladislaus 315 Sigmund 305, 311–313, 316 Dohna, Burggrafen zu 205 Dolzig, von Hans 129, 143, 214, 219 Dommitzsch, von Wolf 234 Drübel, zum Eckhart 165–171 Dubčanskýs von Zdenín Johann 277 Dupuy-Montbrun, de Charles 334, 340, 343, 345, 348–350, 353–354 Jeanne 349 Dürer Albrecht 283

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E Ebeleben, von Beate 230 Eberstein, von Mangold 51, 53–54, 57–58, 60, 62, 65–66, 68, 70–71, 73–74, 78 Eck Johann 99, 203 Eckbrecht von Dürckheim 38, 45 Eder Karl 303 Ehmer Hermann 151 Ehrenstein, Grafen von 205 Eibiswald, von Hans 310 Einsiedel, von Haugold 225–226, 232 Heinrich 216, 225 Heinrich Abraham 225–226 Heinrich Hildebrand 225–226 Engelbrecht Anton 152 Erasmus von Rotterdam 99, 164, 168, 189 Erdélyi Gabriella 296–298

F Fabiny Tibor 295 Feilitzsch, von Anna 228 Philipp 227–232 Ferber Nikolaus 119 Feyl Hans 227, 233 Filiberto, Herzog von Emanuele 324, 326–327 Firlej Jan 261 Flehingen, von 157 Flersheim, von Bechtolf 48 Bernhard 48 Friedrich 39–40, 50 Hans 110 Hedwig 15, 17–18, 22, 113 Philipp 17, 36, 40, 111, 113 Forest, de Jean 339

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Personenregister

France, de Renée 335 Frankreich, Könige von 319, 323, 335 Franz I. 143, 328 Franz II. 345 Heinrich II. 323 Heinrich III. 262–263, 265–266, 352 Karl VIII. 330 Karl IX. 345 Marguerite 326 Frecht Martin 151 Frey Joseph 58 Frundsberg, von Georg 150 Siguna 150 Fürstenberg, Graf von Wilhelm 71, 75, 77–78, 323, 328

G Garrisson-Estèbe Janine 345, 347 Garsebüttel, von 235 Gaudlitz, von 236 Elisabeth 236 Gay 346 Gemmingen, von 154, 156–157, 160–161 Blicker 158 Dietrich 154–155, 157–158, 160 Gertrud 160 Margarethe 160 Philipp 155, 158–159 Ursula 159 Weirich 155, 159–160 Wolf 155, 158–159, 161 Gera, von 205, 206 Germanus Martinus 155 Geroldseck, von Gangolf 75 Gersdorff, von 279, 285 Glapion Jean 101–103, 106 Glarean (Heinrich Loriti) 134 Gleichen, Grafen von 205–207 Goertz Hans-Jürgen 107–108, 139 Göler von Ravensburg Bernhard 157, 160–161 Golsen, von Lonatha 235

Göttweig, Abt von 309 Gourdon, Vicomte de 348 Grasse, de Roland 339 Gräter Kaspar 155 Greiffenclau von Vollrads Richard 61 Griebler Bernhard 155, 158 Groslot Jacques 335 Große Ave 235 Friedrich 235 Grumbach, von Argula 124 Wilhelm 91 Grynaeus Simon 155 Guise, von 345 Gulmann Bastian 236 Günther Franz 234 Guttenberg, von Christoph 55 Hans 56 Moritz 54, 56, 66 Philipp 54–56, 73 Walpurga 56 Wolf 56

H Hagen, von Nikolaus 48 Handschuhsheim, von Dieter 117, 119, 121, 140, 143, 160 Harant von Polžice Johann Georg 286, 290 Haton Claude 340 Haubitz, von 237 Anna 236 Caspar 236 Hedio Caspar 134–135, 137 Heideck, von Konrad 45 Helmstatt, von 16, 161 Alexander 46 Anna 160

Personenregister Mia 14, 21 Philipp 17, 156, 159–160 Raban 16 Heltai Kaspar 297 Henneberg-Schleusingen, Graf von Wilhelm IV. 178–179, 231 Hessen, Landgrafen von 23, 45, 54, 133 Philipp 71–72, 74–77, 119, 133–136 Wilhelm II. 112 Hetteville, de Nicolas 338 Heynitz, von 238 Agnes 237 Heinrich 238 Margaretha 237 Mechthild 237 Hilchen von Lorch Johann 48, 75–76 Hirschfeld, von Bernhard 143, 232 Johannes 226 Hock Theobald 288 Hohnstein, Grafen von 207 Holbach, von Siegmund 216 Hollenegg, von Adam 310 Holstein, Herzog von Adolf VIII. 244 Hondorf, von Georg 216 Honsberg, von Christine 237 Nickel 237 Wolf 237 Honterus Johann 297 Hopfgarten, von 226–227 Hrzán von Harasov Adam 285–286, 289 Hubmaier Balthasar 278 Hugon Augusto Armand 324 Hundt von Wenkheim Burkhardt 227, 229–231 Hans 229 Hus Johannes 275, 284 Huszár Gál 297

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Hutten, von 176–177, 189, 191, 231 Ludwig 134 Ulrich 7, 17, 58, 73, 83, 91, 94, 97–107, 114–118, 120–121, 125, 127–128, 132, 134, 141, 164–165, 168, 189–190, 231 Hutter Jacob 278

I/J Ibach Hartmann 131–132 Ilmenau, Grafen von 205 Irenicus Franciscus 151, 155, 158 Isenburg, Graf von Wilhelm 147 Jablonski Daniel Ernst 268 Jörger Christoph 309, 314–315 Dorothea 309 Wolfgang 314

K Kaindorf, von 311 Kalkoff Paul 105 Kämmerer von Worms genannt von Dalberg Anna 158 Dieter 49–50 Kanitz, von. siehe Canitz, von Kapp Johann Erhard 225 Karlstadt (Andreas Bodenstein) 218, 220, 226 Karnkowski Stanisław 261 Katzianer Hans 311 Kaufmann Thomas 36, 116, 120, 123, 128, 316 Kehrer Harold H. 35, 109–110 Killer Urban 283 Kingdon Robert 344 Kirchberg, Burggrafen von 205 Kitzscher, von Georg 237 Katharina 237

360 Kluge Konrad 232–233 Kobylka von Kobylí Johann 282, 285 Kochhaf Matthäus 158 Köhler Hans-Joachim 123 Koppe Leonhard 234 Kornkauf Jakob 166, 168 Kötteritzsch, von Sebastian 216 Kranich von Kirchheim 18 Krasiński Franciszek 262 Kreß Johann 233 Kronberg, von. siehe Cronberg, von Krummendieck Albert 245 Kuenburg, von 310 Kujawien, Bischof von Stanisław Karnkowski 261

L Lachmann Johann 157 Lamberg, von Christoph 310 Landschad von Steinach 13–16, 21, 160 Blicker XI. 14 Blicker XIV. 14, 19–21 Blicker XV. 46 Christoph 160 Dieter II. 14 Hans 46–47, 50, 147, 157, 159–161 Hans III. 21, 24–25, 46 Hans Blicker 160 Hans Ulrich 21–22, 24 Konrad IX. 14 Konrad X. 14 Lucia 159 Ulrich V. 14 Lang Matthäus 64, 305 Leisnig, Burggrafen von 207, 217 Lentolo Scipione 325 Leszczyński Rafał 259

Personenregister Leutzsch, von Hedwig 237 Lichtenberg, von 38 Liechtenberg, von Franz 310 Lindenau, von 232 Albrecht 232–233 Friedrich 233 Hans 226 Heinrich 232–234, 236, 238 Wilhelm 233 Wolf 233 Link Wenzel 98 Lissa, von Kunz 211 Lobenstein, zu 205 Lodron, von Anna 150 Lomaigne, Vicomte de 348 Lösch von Mölnheim Marx 131 Löser, von 236–237 Margarethe 236 Matthias 216 Lothringen, Herzöge von 75, 170 Lotter Melchior 143 Luther Martin 7, 9, 21, 25, 76, 94, 97–107, 115–116, 118–120, 123–131, 135, 138, 140, 142–144, 146–148, 150–151, 153, 156, 159, 164, 166–169, 178–179, 189, 192, 201–203, 205, 207, 209–210, 212, 216–219, 221–223, 225–232, 234–235, 246, 275, 283, 293–295, 301, 304, 306, 308, 314–315, 325, 333 Luttitz, von Hans 238

M Macard Jean 337 Maciejowski Samuel 257 Mainz, Erzbischof und Kurfürst von Albrecht von Brandenburg 71, 78, 100, 115 Maltitz, von Heinrich 216 Manfredi von Luserna, Grafen 318, 320–321, 325 Bianca 322, 324 Carlo 324

Personenregister Mansfeld, Graf von 125, 206–207, 228, 230 Albrecht 105, 130–131, 207 Marck, Graf von der Robert 72, 75 Marschalk Christoph 63 Marschalk von Ostheim 177 Agnes 159 Anna 159 Philipp 159 Marschall von Pappenheim Sebastian 216 Massenbach, von Hans genannt Talacker 46, 77 Mateřovský von Mateřov Bořek 290 Maure, Comte de 342 Mauschwitz von Armenruhe Christopher 281 Mazzocchi Jacopo 203 Mehl von Strehlitz Georg 283 Meißen, Bischof von Johann von Schleinitz 217 Melanchthon Philipp 97–99, 104, 115, 128, 225–227, 283, 294, 297, 306, 314 Mencke Lüder 225 Mentzingen, von 157, 160–161 Peter 158, 160 Merseburg, Bischof von Adolf von Anhalt 217, 220, 226, 232–233, 239 Metzsch, von Georg 211 Meyer Peter 131–133, 135, 137, 139, 141 Miltitz, von Karl 226, 293 Minckwitz, von Nickel 77 Mindorf, von Christoph 311 Moltke, von Konrad 302–303 Montalto, Grafen von 330 Montjean, de René 323 Morel, de François 344 Georges 322

Mörsberg, von 310 Mosbacher 159 Mosellanus Petrus 99 Müller Ernst 220–221 Michael G. 264 Münkler Herfried 79–80 Müntzer Thomas 218, 220, 222, 275 Murner Thomas 130, 171

N Nack, von Margrethe 109 Nádasdy Tamás 294 Nassiet Michel 334 Navarre, de Marguerite 333, 335 Neapel, Könige von 330 Ferrante II. 330 Neipperg, von 86, 157, 161 Ludwig 159 Margarethe 159 Nemours 353 Nesen 137 Nettancourt, de Antoine 339 Neuenahr, Graf von Hermann 114 Niklas (Nikolaus), Prediger 218 Ninness Richard 82, 94–96 Nippenburg, von Benedicta 159 Philipp 159 Ursula 159 Noël Etienne 338–339 Nosidlo von Geblice Václav 290

O Ochsenstein, von 38 Odheimer (Odhamer) Agathe 60 Helena 60

361

362

Personenregister

Oekolampad Johannes 116, 128–129, 134–135, 154 Oelsnitz, von der 279, 285 Oettingen, Graf von Joachim 58–59, 68 Oexle Otto Gerhard 11, 13 Orzelski Świętosław 267 Österreich, Erzherzöge von 84, 301 Ernst 262 Ferdinand 99, 203, 304, 306, 314 Karl 307 Maria 293 Matthias 287 siehe auch Deutsches Reich (römisch-deutsches), Kaiser und Könige Otter Jakob 21, 156, 161

P Papal Comtat Venaissin 345, 350–351 Päpste 97–98, 100, 103, 139–140, 144–147, 152, 164, 180, 182, 226, 256, 271–272, 295, 319 Gregor XI. 319 Johannes XXII. 319 Leo X. 136, 137 Nikolaus V. 320 Pius IV. 324 Pardaillan, de Hector 350 Parisot de La Valette Catherine 349 Parthenay, de Anne 335 Pascale Gian Luigi 330–331 Pemfflinger Katharina 294 Pennewitz Gregor 237 Perényi Péter 294, 295 Perkheim, von Jörg 312 Wolf 312 Perrero, von Trucchietti 318 Pětipeský von Chýše Šťastný Wenzel 286–287 Pfalz, Pfalzgrafen und Kurfürsten von der 14–16, 23, 32, 108, 133, 151, 288

Friedrich II. 116 Friedrich III. 22–23, 37, 150 Friedrich V. 287, 289 Georg 152 Heinrich 152 Ludwig V. 21, 150, 156 Ottheinrich 21–22, 149 Otto II. 56 Philipp 38, 110 Rudolf II. 14 Ruprecht III. 108–109 Pirckheimer Willibald 102 Planitz, von der Hans 219, 228–229, 231–232 Rudolf 216 Plausig, von Barbara 236 Christoph 236 Heinrich 236 Pögl Sebald 308, 311 Pogwisch Ditlev 245 Poix, de Jean 337 Polen, Könige von Sigismund I. 87, 256–257, 259 Sigismund II. August 255–257, 264, 266 Polheim, von Kasimir 312 Paul Martin 312 Pons, de Antoine 335 Poppendorf, von Jörg 310 Prag, Erzbischof von Johann Rokycana 271–272 Press Volker 82–83, 86–88, 93–95, 108, 192, 301 Preußen, Herzog von Albrecht 256 Prusinovský von Vickov Arkleb 282, 285 Puller von Hohenburg 18 Margarethe 15, 18, 22, 44, 109

R Rabe Albrecht 216 Raemond, de Florimond 337

Personenregister Raguier Jean 339, 340 Ramberg, von 45 Ranke, von Leopold 126 Rantzau, von Johann 248 Rapp Francis 170 Rasmussen Carsten Porskrog 251 Regnier de La Planche Louis 353 Reifenstein, von Emmerich 131 Reinhart Martin 218, 220 Remda, Grafen von 205 Reuchlin Johannes 98, 115, 120, 164 Reußen zu Plauen 205–206 Reventlow, von Iven 248 Rhenanus Beatus 103 Richieu, de Paulon 345 Riemer Sebastian 277 Röhrich Wilhelm 168–169 Rokycana Johann 271–272 Roma, de Jean 328 Romier Lucien 333, 336 Roques Guillaume 353 Rorenga von Luserna 318, 320, 323 Rosenberg, von 41, 46, 51, 59 Albrecht 57 Hans Melchior 57–58, 62, 70, 74 Hans Thomas 54, 57–59, 62, 64–65, 68, 70, 72–73, 75–76 Kunz 53, 57, 59, 75 Rotterdam, von Erasmus. siehe Erasmus von Rotterdam Rubianus Crotus 100 Rüdesheim, von Melchior 48, 50

363

Rüdigheim Philipp von 57, 74 Rudlauf Hieronymus 227, 233–234 Rudolstadt, Grafen von 205, 207 Rupprecht Klaus 55, 57, 59 Russland, Zar von Ivan IV. 262

S Sachs Hans 124 Sachsen, Herzöge und Kurfürsten von 32, 97, 99, 101, 105, 114, 149, 202, 206, 209, 211, 213, 225, 228, 233, 277 August 314 Friedrich 77, 101, 203, 234, 315 Friedrich der Weise 149, 156 Georg 180, 203, 206–208, 221, 237 Johann 201 Johann Friedrich 189, 315 Moritz 150 Saint-Paul, de François 350 Salhausen, von 276, 279, 284, 291 Abraham 284 Barbara 284 Friedrich 276, 279, 284–285 Hans 276–277 Heinrich Abraham 283 Johann 284 Maria 284 Marie 284 Sabina 284 Wolf 284 Saluzzo Marquis, de 339 Salzburg, Erzbischof von Matthäus Lang 64, 305 Sassenage, Baron de 338, 339 Savoyen, Grafen von 319, 323–324 Schaderitz, von Wolf 216 Schauenburg, von Friedrich 48 Schauenforst, Grafen zu 205 Schaumberg, von Ambrosius 231, 238 Silvester 98–100, 209, 231 Scheckmann Johann 51–52, 60, 63

364 Schellenberg, von 56, 237 Elisabeth 236 Gertrud 234, 236 Leutold 236 Ulrich 236 Schenken zu Tautenberg 207 Scherffenberg, von 308 Schilt Eucharius 73–74 Schleinitz, von Johann 217 Schleswig, Bischof von Ditlev Pogwisch 245 Schlick, Grafen von 77, 276 Schlör Balthasar 60–61, 111 Schluchterer von Erfenstein Philipp 60, 72 Schmidt Georg 99 Schmitt Sigrid 12 Schnepf Erhard 151, 154 Schöffer Peter 32, 60 Scholz Günter 302 Schönburg, von 207 Schönfeld, von Ave 235 Dorothea 236 Georg 211, 235, 237 Katharina 236 Margarethe 235 Martha 236 Schott Johann 130 Johannes 164 Johannes (Hans) 232, 233 Schott von Schottenstein Kunz 68 Schwarzburg, Grafen von 205–207, 212 Günther XI. 207 Günther XXXIX. 207 Schwarzenberg, von Heinrich 35, 47–50 Schwebel 128 Johann 140–141 Johannes 117–119, 121 Schweitzer Johann 220 Johann, Pfarrer 218

Personenregister Schwenckfeld 169 Kaspar 169 Seebach, Grafen von 230 Seyssel, de Claude 321 Sickingen, von 15 Franz 7, 15, 17–19, 22, 23, 27–29, 31–32, 34–36, 39–42, 44–45, 47–54, 57, 60–67, 69–80, 91–92, 94, 97–108, 110–121, 123, 125–129, 132–134, 137, 140, 142–143, 145–147, 153, 156, 159–161, 231, 333 Hans 23, 38, 76 Reinhard 15, 110 Ruprecht III. 108 Schweickard 15, 22, 44, 77, 110, 134, 160 Siebenbürgen, Fürst von Johann Sigismund 298 Sien, von Schonette 15, 18, 22, 109 Trabold 109 Sobek von Kornice Burian 275 Sötern, von Johann 48 Soufrey Pierre 60, 72 Spalatin Georg 98–102, 105, 125, 129, 133, 137, 141, 221, 225–227, 229, 234 Španovský von Lisov Johann 281 Michal 281, 282 Spender Hans 163, 170 Reimbold 163, 170 Spengler Lazarus 102 Speth Caspar 232–233 Speyer, Bischöfe von Anton Engelbrecht (Weihbischof) 152 Georg, Pfalzgraf 152 Philipp von Flersheim 17, 36, 39–40, 111, 113 Spiegel, von 226–227 Spieß Karl-Heinz 12 Spinelli, von 329–331 Salvatore 330–331 Starhemberg, von Bartholomäus 308 Magdalena 308 Staupitz, von Johann 102, 106, 235

Personenregister Magdalena 235 Steinbach, von 279, 285 Steinbeiß Maximilian 311 Stetten, von Anna 16 Stiefel Michael 129–132, 315 Stöckel Leonhard 297 Stockheim, von Georg 131 Stolberg, Grafen von 206–207 Straßburg, Bischöfe von 171 Eckhard zum Drübel 165–171 Strauß 218 Jacob 218 Stübich Ulrich 308 Sturm Jakob 135–136 Sunshine Glenn 343 Szakhmári György 293 Sztárai Mihály 297

T Tettau, von Apel 216 Tetzel Johann 293 Teufel von Gundersdorf Georg 285 Teuffenbach, von Bernhard 310–311 Teutleben, von Andreas 211 Theys, de Gaspard 349 Thiene, de Giulio 349 Thiessen 125–126, 128, 139 Thun, von Friedrich 227–232 Thurzó Ferenc 296 Tournon, Kardinal von 349 Tremilly, de 344 Triebeneck, von Jörg 310

365

Trier, Erzbischöfe und Kurfürsten von 23, 45, 54, 133 Richard Greiffenclau von Vollrads 61 Trubar Primož 314 Turin, Erzbischof von Claude de Seyssel 321

U/V Ungarn, Könige von Ludwig II. 293–294 Mathias 24 Ungnad von Sonnegg Hans 313–314 Valois, von Heinrich 262, 265 Velenský von Mnichov Ulrich 275 Venningen, von 161 Erasmus 149–150, 160 Ludwig 46 Vogt von Hunolstein Adam 48 Volanus Andreas 269 Völtsch Ludwig 171 Vřesovec von Vřesovice 284–285

W Waldburg, Grafen von 64, 75 Jörg 59 Waldeck, Grafen von 70 Walther Gerrit 174, 180, 185, 309 Weida, von 206, 229 Werl, von Elisabeth 225 Wertheim, Graf von Georg 60, 67, 71 Wildenfels, von 206 Windler Christian 85 Wok von Rosenberg Peter 287–288 Wolfersdorf, von Götz 211, 216 Wolfsberg, von 45 Wolgast Eike 266

366 Worms, Bischöfe von Dietrich von Bettendorf 159 Heinrich, Pfalzgraf 152 Wurm Matthias 165–169, 171 Wurmser von Vendenheim Reinhard 163 Würzburg, Bischof von Melchior Zobel von Giebelstadt 91 Württemberg, Herzöge von 89 Christoph 149, 314 Ulrich 71–72, 83, 113–114, 128, 159

Z Zajic Andreas 12 Zborowski Piotr 261

Personenregister Zeiskam, von 47 Rudolf 46 Zell Katharina 124 Matthäus 124, 164 Zeschau, von 235 Hans 235, 237 Heinrich 235 Margarethe 235, 237 Veronika 235, 237 Wolfgang 235 Zinzendorf, von Christoph 309 Zobel von Giebelstadt Melchior 91 Zweibrücken-Bitsch, Grafen von 38, 45 Zwingli Huldrych 134, 169, 335

ORTSREGISTER A Absberg (Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen) 54, 59, 65, 68, 72, 74–75, 78 Achenheim 171 Adlergebirge (Nordostböhmen) 281 Admont (Steiermark) 310 Aix-en-Provence 329, 339 Allstedt 222–223 Alpenbogen, westlicher 317 Altenburg 208, 211–223, 228, 237–240 Altenstein, Burg 228, 230 Altguttenberg 55–57 Alzey 45–47 Amberg 287–288 Amboise (Département Indre-et-Loire) 340, 343, 345, 350–351 Amelgostewitz, Klosterhof 208 Ammelshain 232 Angoumois (Département Charente) 344 Angrogna (Piemont) 318–319, 321–324 Ansbach 157, 190, 229 Aragon, Königreich 330 Arnstadt 207, 212 Augsburg 24, 32, 58, 64, 85, 95, 117, 121, 130, 136, 150, 161, 164, 171, 179, 181, 193–194, 198, 230, 255, 266–267, 296, 298, 304–307, 314–315, 326, Auma (Landkreis Greiz) 211 Aunis (Département Charente-Maritime) 337–338, 344 Avignon 328, 350–351

B Baden 84, 150, 152, 157, 161 Bamberg 29, 117, 183 Bistum 57, 179, 189 Hochstift 56, 179, 183 Barret (Département Charente) 340, 350 Basel 116, 134, 136, 164, 271 Bas-Poitou (historische Provinz Frankreichs) 341 Bas Quercy (Landschaft im Südwesten Frankreichs) 348 Baulac (Département Gironde) 341 Baunach (Landkreis Bamberg) 41, 88

Bayeux (Département Calvados) 333, 336 Beauce (Landschaft im Nordwesten Frankreichs) 333, 336–337, 340–341, 347 Beaujolais 337 Beaulieu 353 Běhařovice (Biharzowitz) 285 Benešov nad Ploučnicí (Bensen) 276, 279, 284 Berlin 58, 268 Bern, Territorium 351 Berry (Landschaft in Zentralfrankreich) 342–343 Bettancourt in Lothringen 339 Bibbiana (Piemont) 321 Biharzowitz. siehe Běhařovice Bistrica ob Dravi. siehe Freistritz an der Drau Bobbio (Pellice, Piemont) 321, 323 Böchingen im Speyergau 46 Böhmen 7, 9, 59–60, 63, 70, 77, 100, 134, 272–281, 283–291, 302, 317 Königreich 271–273, 279–281, 283, 285, 287–289, 291 Boleradice (Polehraditz) 282 Bordeaux 335 Bormes 339 Borna (Landkreis Leipzig) 217, 235, 237–238 Boxberg, Burg (Main-Tauber-Kreis) 57–59, 63, 73 Brandenburg 149, 190, 203–204, 290 Brandenstein, Burg (Main-Kinzig-Kreis) 60, 67 Braunschweig 58, 70, 77, 236 Bray 339 Bretagne 338, 341, 342 Bricherasio (Piemont) 319 Břidličná (Friedland) 285 Bröns (Herzogtum Schleswig) 246 Brüssel 112 Buch, Kloster (Sachsen) 208 Buis-les-Baronnies (Département Drôme) 345 Bürgel, Kloster (Thüringen) 208

C Cabrières-d‘Aigues (Département Vaucluse) 329 Caen (Département Calvados) 338

368

Ortsregister

Careil, Schloss (Département Loire-Atlantique) 341 Castell 56 Castres (Département Tarn) 354 Cateau-Cambrésis (Département Nord) 324, 331 Cavour (Piemont) 326–327 Cevennen 341 Chabeul 352 Chalon-sur-Saône (Département Saône-etLoire) 351 Champagne 335, 339–342, 344 Chandieu (Département Rhône) 344 Chanforan (heute Angrogna, Piemont) 322 Chateau-du-Loir (Département Sarthe) 336 Chavagnac (Département Dordogne) 348 Chemnitz 235 Chiré 337 Chisone-Tal 318–320, 322, 324 Clermont (-Ferrand) 337 Coburg 117, 202, 208–209, 211 Colditz 217, 235 Condé-sur-Noireau (Département Calvados) 337 Condorcet (Département Drôme) 352 Cronschwitz (Landkreis Greiz) 208

D Dahner Felsenland (Landkreis Südwestpfalz) 44, 49 Dänemark 7, 10, 241–253 Dauphiné 318–319, 321, 327–328, 337–340, 344–353 Děčín (Tetschen) 276–277, 283 Delitzsch, albertinisches Amt 235 Die (Dauphiné) 346 Dieulefit (Département Drôme) 352 Dithmarschen, Bauernrepublik 241 Döbeln (Landkreis Mittelsachsen) 276 Dolní Moravice (Nieder Mohrau) 285 Dora-Tal (Prevostur von Oulx) 318 Drachenfels, Ganerbenburg (Landkreis Südwestpfalz) 38, 44–50 Dresden 228, 277 Düben (Landkreis Wittenberg) 217

E Ebernburg 7, 15, 18–19, 22, 44, 49, 78, 100, 102–103, 109, 111, 115–116, 120–121, 125–126, 128–129, 131, 133, 137 Eilenburg 217 Eisenach 202, 208, 211, 218 Elbe 129

Elsass 9, 47, 130, 163–165, 169, 170 Unterelsass 15, 38, 88, 109–110, 163 Enns, Land ob der Enns 301–308, 312, 314–315 Enns, Land unter der Enns 306–309 Erblande, östliche österreichische 9, 290, 301–304, 306, 308, 310, 312, 316 Erfurt 78, 114, 136, 179, 204, 209, 211–212, 228–229 Erzgebirge 213, 225, 275 Erzgebirgsvorland, südliches 276 Eschau, Kloster (Elsass) 166 Esseg (Osijek, Kroatien) 305 Esslingen 130 Esztergom.. siehe Gran Etampes (Département Essonne) 336

F Falaise (Département Calvados) 337 Feistritz an der Drau (Bistrica ob Dravi, Slowenien) 312 Feistritz bei Ilz (Oststeiermark) 311 Ferrara 335, 343 Fessenheim 171 Flößberg (Amt Borna) 237 Forchheim 57, 73 Franken 8–9, 12, 28–31, 34, 37–38, 40, 42, 45–46, 55, 59, 63, 81, 84, 88, 93, 98, 150, 179, 183, 194–195, 199, 201, 211, 216, 229 Frankenhausen (Bad Frankenhausen) 207, 208, 212 Kloster 208 Frankfurt am Main 62, 65, 69, 73–74, 112, 127–128, 131–132, 138, 140–141, 188 Frankreich 7, 10, 61, 72, 172, 262–263, 265–266, 331, 333–345, 347–348, 350–353 Frauenalb, Benediktinerinnenkloster (Landkreis Karlsruhe) 150 Freiberg 228, 276, 284 Friedberg, Reichsburg 43, 88 Friedland an der Mohra. siehe Břidličná Fürfeld 154, 155, 159

G Gemmingen 154, 155, 158 Stammort 154 Genf 323–325, 330, 335–345, 348–351 Georgenthal (Landkreis Gotha) 208 Germanasca-Tal (Piemont) 318, 324–326 Geudertheim (Département Bas-Rhin) 165–166, 168–169, 171 Gevaudan (Region Département Lozère) 348

Ortsregister Girsig. siehe Jiříkov Gnandstein, Burg 225 Gotha 114, 208, 211–212 Gottorp, Schloss (Gottorf, in Schleswig) 245 Grabštejn (Grafenstein, Nordtschechien) 283 Gran (Esztergom) 293 Grasse (Département Alpes-Maritimes) 339 Grawtitz 208 Graz 304 Grenoble 338, 350 Grimma an der Mulde 217, 220, 231, 234–238, 277 Großbockeda (Saale-Holzland-Kreis) 218 Großbuch (Landkreis Leipzig) 234 Grünhain (Erzgebirgskreis) 208 Guardia Piemontese (Kalabrien) 329–331 Guttenberg, Burg über dem Neckar (NeckarOdenwald-Kreis) 154 Guyenne (altfranzösisches Herzogtum) 346–347

H Habrovany (Habrowan, Tschechien) 277 Habsburg 9, 31, 37–38, 57, 83–87, 99, 152, 262, 272, 281, 287–289, 293, 296, 301–305, 308, 314, 316–317, 323, 331 Haus 84, 85, 288, 289 Hadersleben (Haderslev, Region Syddanmark, Dänemark) 246 Halberstadt 209 Haut Quercy (Region um Figeac, Rocamadour und Cahors in Frankreich) 348 Heidelberg 13–14, 20, 29, 37, 92, 113, 127, 149–153, 155, 160, 195, 287–288 kurpfälzischer Hof 13, 92, 113, 127, 149, 160, 195 Heilbronn 151–152, 157–158, 161 Heldrungen 231 Henneberg 174–175, 177, 179, 183, 206, 232 Hessen 60–61, 69, 76, 134, 136, 174–175, 183–184, 186, 193, 198, 211, 228, 230 Landgrafschaft 64, 69, 111–112, 127, 175, 187, 195 Heusdorf, Kloster (Landkreis Weimarer Land) 208 Heynitz (Landkreis Meißen) 238 Hindisheim, Schloss 166, 171 Holstein, Grafschaft 241 Hornberg, Herrschaft 157 Hunsrück 15, 36, 50

369

I/J Ichtershausen, Kloster (Landkreis Gotha) 208 Ile-de-France 336, 342 Ingolstadt 226 Innsbruck 86, 280, 304, 313 Istanbul, Hohe Pforte 295 Italien 239, 323, 330, 334, 349 Jáchymov (Joachimsthal), Bergstadt 276 Jarnac (Département Charente) 352 Jena 211, 212, 216, 218, 220, 223, 229 Jessen an der Elster 211 Jiříkov (Girsig) 285 Joachimsthal. siehe Jáchymov

K Kahla, kursächsisches Amt 218, 220, 223 Kalabrien 317, 328–331 Kärnten 8, 301, 306 Kaschau. siehe Košice Kenzingen (Landkreis Emmendingen) 21 Kirn (Landkreis Bad Kreuznach) 44, 47 Kitzscher, Gut (Amt Borna) 237 Knyszyn 257, 260 Köln 101, 110, 114–115 Königsbach (Kraichgau) 149–150 Košice 294 Kraichgau 9, 15–16, 21, 23–24, 36–38, 46–47, 82, 86, 88–89, 95, 110, 149–162 Krain, Herzogtum 301, 306 Krakau 255–257, 263, 265–266 Krásné Březno (Schönpriesen), Schlosskirche 284 Kreuznach 15, 18–19, 22, 35, 44, 47, 49, 110, 113–114 Franziskanerkloster 15, 18, 22 Kronberg (Hochtaunuskreis) 127–131, 133–138, 141–142 Kronstadt (Siebenbürgen) 149 Kühnitzsch, Rittergut (Landkreis Leipzig) 236 Kurpfalz 17, 37, 39, 45–47, 49–50, 54, 76, 92, 95, 109–110, 149–151, 160, 190, 195 Hof 13, 109, 127, 195

L La Ferté-Frênel (Département Orne, Normandie) 338 La Fonchaye, Schloss 342 Laibach (Ljubljana) 304 La Motte-Gondrin, Schloss 351 Landau 32, 34–38, 40–42, 44, 46, 50, 61, 75, 107–108, 153

370

Ortsregister

Landstuhl 15, 22–24, 44, 48, 116, 118 siehe auch Nanstein. Langensalza, albertinisches Amt 230 Languedoc 341, 347–348, 353 La Rochelle 344, 348 Laucha 211 Lauenstein 228 Lausnitz 208 Lauterburg (Lauterbourg, Département BasRhin) 156 Le Croisic (Département Loire-Atlantique) 341 Leipzig 58, 97, 99, 114–115, 178, 201–202, 206, 208–209, 213, 225–226, 228, 232–233, 236–237, 282 Leisnig (Landkreis Mittelsachsen) 217, 235 Leitmeritzer Region (Litoměřice) 280, 285, 286, 290 Le Mans 341, 343, 345–346 Leuben, Gut (Amt Oschatz) 237 Lichtenburg, Antoniterkloster (Landkreis Wittenberg) 208 Lidelaw bei Altenburg, Klosterhof 208 Limousin (Region des Zentralmassivs, Frankreich) 334, 336 Linz 305 Lippendorf (Amt Borna) 235 Litauen 9, 255–257, 261, 268–269 Löbnitz 235, 236 Herrschaft 236 Lochau 232–234 Loire-Tal 350 Loket (Ellbogen), Bergstadt (Tschechien) 276 Lomnice (Lomnitz, Tschechien) 285 Loriol 352 Löwen 115 Łowicz (Lowitsch) 260 Lübeck 241, 244–245, 248 Luberon (Gebirgskette in Südfrankreich) 317, 323, 328–329 Luçon (Département Vendée) 340 Luleč (Lultsch, Tschechien) 277 Luzarches (Département Val-d’Oise) 337 Lyon 318

M Maaß, Fluss 143 Machern (Landkreis Leipzig) 232–234 Magdeburg 98, 203, 209, 227 Mähren, Markgrafschaft 271–273, 277–278, 280, 282, 284, 287, 289, 291 Main 93, 110, 112, 173, 180 Mainz 7, 10, 32, 49, 60, 71, 77–78, 98, 109,

131, 135, 182, 186–187, 191, 204 Malaucène (Département Vaucluse) 350 Malta 349 Mansfeld 130–131, 206 Marburg 119 Mariazell (Obersteiermark) 308 Marseille 319, 350 Masowien (Region um Warschau) 261 Maulbronn, Zisterzienserkloster 20 Meißen 203, 210–211, 216–217, 238, 277, 284 Markgrafschaft 201, 276 Mérindol (Département Vaucluse) 329 Merseburg 203, 217, 220, 226, 232–233, 239 Metz 60, 61, 64, 69, 72, 76, 112 Mildenfurth, Kloster (Landkreis Greiz) 208 Millau (Département Aveyron) 348 Mittelrhein 9, 88, 109, 153 Mladá Boleslav (Jungbunzlau, Mittelböhmen) 286 Mohács (Südungarn) 293, 295, 299, 314 Möhra (Wartburgkreis) 229 Molsheim (Département Bas-Rhin) 170 Mömpelgard (franz.: Montbéliard, Département Doubs) 72, 74 Mönchenröden, Kloster (Landkreis Coburg) 208 Moncontour (Département Côtes-d’Armor) 352 Mondovì (Piemont) 324 Montalto (Kalabrien) 329–330 Montauban (Département Tarn-et-Garonne) 348 Montélimar (Département Drôme) 350, 351, 353 Mornas (Département Vaucluse) 351 Mosel 109–110 Motterwitz, Rittergut (Amt Leisnig) 235 Mouans (DépartementAlpesMaritimes) 339 Moyen-Poitou, Region im Westen Frankreichs 341 Mühlhausen 211, 212, 230 Münnerstadt 178, 183, 231

N Nahe 7, 50, 109, 110 Nahe-Hunsrück-Gebiet 15 Nahetal 36 Nanstein, Burg 15, 22, 44, 73-75, 134 Nantes 338, 341, 352 Naumburg 203, 205, 206, 208, 226 Neapel 331 Neckar 14, 16, 31, 88–90, 109, 152, 154, 156–157, 161 Neckarbischofsheim (Rhein-Neckar-Kreis) 16, 156 Neckarsteinach (Kreis Bergstraße) 21–22, 25, 156 Pfarrkirche 14, 19–22, 25

Ortsregister Neckarzimmern (Neckar-Odenwald-Kreis) 157 Neidenstein (Rhein-Neckar-Kreis) 149 Neuguttenberg (Gem. Guttenberg, Landkreis Kulmbach) 55, 56 Neustadt an der Weinstraße 45 Liebfrauenstift 14 Pfarrkirche 14 Neustadt (auf der Heide, Landkreis Coburg) 211 Nieder-Grauschwitz, Rittergut (Landkreis Nordsachsen) 236 Niederlande 294 Niederlausitz 289 Nieder Mohrau. siehe Dolní Moravice Nimbschen, Kloster (bei Grimma, Landkreis Leipzig) 208, 220, 234–238 Nîmes 343, 348, 353 Niort (Départements Deux-Sèvres) 341 Nischwitz, Gut (Landkreis Leipzig) 236 Nogent-sur-Seine (Département Aube) 339, 341 Nordhausen 211 Nordschleswig 245–247 Normandie 336–338, 341 Norwegen 241, 247 Nürnberg 32, 41, 51–52, 54, 57–60, 62, 64–68, 73–74, 78, 102, 136–138, 213, 219–220, 231 Nyons (Département Drôme) 352

O Oberdeutschland 120 Oberelsass 9, 163 Oberlausitz 289 Obernitz, Burg (Amt Saalfeld) 227–228 Obernitzschka, Rittergut (Landkreis Leipzig) 235 Oberpfalz 55, 56, 63, 70 Oberrhein 7, 109, 153 Oberungarn 278 Oberweimar, Kloster, Stadtteil von Weimar 208 Odenwald 14–15, 28, 40–41, 70, 88–89, 150, 160–161 Oedenburg (Sopron) 294 Ofen (Buda) 293–295, 305 Oppenheim (Landkreis Mainz-Bingen) 47, 103, 106, 127 Orange (Département Vaucluse) 351 Orlamünde (Saale-Holzland-Kreis) 223 Orléanais (Landschaft um Orleans) 344 Orléans 335, 337, 345 Orpierre (Département Hautes-Alpe) 352 Ortenau (Landschaft am rechten Oberrhein) 36–38, 82 Osijek. siehe Esseg Osmanisches Reich 293, 295, 306

371

Osterland (historische Landschaft im heutigen Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt) 202, 210, 236 Österreich 84–87, 154, 273, 287, 290, 296, 301–312, 314–316 Erzherzogtum 301, 303, 306, 308, 312, 315 Niederösterreich 12–13, 301, 303–307, 312, 315–316 Osthausen (Département Bas-Rhin) 171

P Pacov (Patzau, Bezirk Pelhřimov, Tschechien) 281, 282 Paris 255, 265, 321, 333, 335, 337, 344–345 Paseka (Passek, östliches Tschechien) 285 Passau 150, 304 Pausa (Vogtlandkreis) 211 Pays de Caux (Region der Normandie) 341 Pays de Foix (Region des Pyrenäengebiets) 348 Pellice-Tal (Piemont) 318–319, 323–324 Périgueux (Département Dordogne) 341, 346 Perosa-Tal (Val Chisone, Piemont) 324 Petersberg bei Halle (Saalkreis) 213 Pfalz 11, 13–17, 21–24, 36–37, 39, 44, 46–47, 50, 59, 74, 76, 90, 92, 94, 108–110, 113, 127, 133, 149–151, 160–161, 288 südliche 36, 45, 109 Pfalz-Simmern 15, 37 Pfalz-Zweibrücken 37, 47 Pforzheim 118 Picardie 335, 337, 342 Piemont 318–319, 323–324, 328–331 Pirna 284, 289, 290 Plassenburg (bei Kulmbach) 56 Plauen 205–206, 208 Plaußig, Rittergut (heute Stadtteil von Leipzig) 237 Polehraditz. siehe Boleradice Poitiers (Départment Vienne) 337, 345 Poitou (Region im Westen Frankreichs) 338, 340, 341 Polen 7, 9, 256–258, 260–266, 268 Polenz, Rittergut (Landkreis Leipzig) 232–233 Pontoise (Départements Val-d’Oise) 353 Portitz, Rittergut (heute Stadtteil von Leipzig) 237 Prag 271–272, 275, 279–280, 284–287, 289, 305–306 Erzbistum 271–272, 280 Prarostino (Piemont) 318, 322 Preußen, Ordensland 229 Provence 322–323, 328, 331, 338, 345, 350–351 Provins (Département Seine-et-Marne) 339, 341 Prusinovice (Prusinowitz, Osttschechien) 285

372

Ortsregister

Q/R Quedlinburg 209 Stift 230 Quercy (Region im Südwesten Frankreichs) 336, 348 Rákos (heute Stadtteil von Budapest) 293 Reinhardsbrunn, Kloster (Landkreis Gotha) 208 Rennes (Départements Ille-et-Vilaine) 338 Rhein 7–8, 15, 24, 28, 32, 36–40, 46, 50, 71, 84, 88, 93, 109–110, 127, 134, 153, 161 Rheingau 36, 39–40, 50 Rheinland 333 Rhone 351–352 Rhön-Werra, Region und Ritterkanton 9, 41, 88, 159, 173, 175–179, 185–186, 188, 190, 194–195, 197 Ripen (dän. Ribe, Region Syddanmark, Dänemark) 242–245 Roccapiatta (Piemont) 322 Rochlitz (Landkreis Mittelsachsen) 276 Roda, Klosterhof (Saale-Holzland-Kreis) 208 Rokytnice (Roketnitz, Adlergebirge, Tschechien) 281–282 Rom 97–100, 100, 115, 164, 169, 204, 313, 331 Rorà (Piemont) 318 Rostock 149, 158, 307 Roudníky (Raudnig, am Fuß des Erzgebirges, Tschechien) 284 Rouergue (Département Aveyron) 346 Rüdigheim (Main-Kinzig-Kreis) 74 Rudolstadt 207 Rýžoviště (Braunseifen, Nordosten Tschechiens) 285

S Saalfeld 116, 208, 223, 227 Saazer Region (Nordwesten Tschechiens) 280, 285–286 Sachsen 9, 77, 81, 149, 175, 201–204, 208, 210–212, 215–217, 230, 238, 275–277, 279, 284, 290–291, 314–315 Albertinisches Sachsen, Herzogtum (Kurfürstentum ab 1547) 208, 210, 224, 232, 237 Ernestinisches Sachsen, Herzogtum (Kurfürstentum bis 1547) 201–203, 207, 214, 217, 221–223, 230, 232, 234, 237, 239–240, 315 Sachsgrün (Vogtlandkreis) 227, 229 Sahune (Département Drôme) 352 Sainte-Foy (Département Gironde) 346 Saintes (Département Charente-Maritime) 341

Saint-Maixent (Département Deux-Sèvres) 341 Saintonge (Historische Provinz im Westen Frankreichs) 335, 338 Salzburg 302, 304–306 Sancerre (Département Cher) 348 Sárospatak (Nordostungarn) 294 Sárvár (Westungarn) 294 Savoyen, Grafschaft (seit 1416 Herzogtum) 318–319, 324, 327 Schäffolsheim (Département Bas-Rhin) 171 Schalkau, Burg (Landkreis Sonneberg) 209, 231 Schellenberg, Burg (Oberpfalz, Landkreis Neustadt an der Waldnaab) 56, 66 Schlesien 289 Schleswig, Herzogtum 149, 241–242, 244–247, 249–252 Schleswig-Holstein 10, 241–242, 244–249, 251–253 Schlettstadt (franz.: Sélestat, Département BasRhin) 151 Schlüpf (heute Gemeinde Boxberg, Main-Tauber-Kreis), Ganerbschaft 94 Schönau im Odenwald, Zisterzienserkloster (Rhein-Neckar-Kreis) 14, 20, 22 Schönbach (Colditz, Landkreis Leipzig) 233 Schönpriesen. siehe Krásné Březno Schöntal an der Jagst, Zisterzienserkloster (Hohenlohekreis) 12, 157 Schwaben 8, 28, 30–31, 37–40, 84, 88 Schwäbisch Gmünd 88 Schwäbisch Hall 152 Schwaigern (Landkreis Heilbronn) 151, 157, 159 Schwarzburg-Blankenburg, Grafschaft 207 Schwarzburg-Leutenberg 207–208 Schwarzburg-Rudolstadt, Grafschaft 207 Schwarzwald 31, 88–89, 150 Schweinfurt 30, 34, 40–42, 53, 79, 134 Schweithof bei Coburg, Klosterhof 208 Schweiz 198, 262, 272 Westschweiz 321 Séderon (Département Drôme) 340, 350 Seebach, Burg (Unstrut-Hainich-Kreis) 227, 230 Serres (Département Hautes-Alpes) 352 Siebenbürgen, Fürstentum 10, 269, 293–298 Sitzenroda (Landkreis Nordsachsen) 208 Sønderjylland (Süderjütland, später Herzogtum Schleswig) 241, 244–245 Sondershausen-Frankenhausen 207–208, 212 Sonnefeld bei Coburg, Kloster 208 Sopron. siehe Oedenburg Sornzig, Kloster (Landkreis Nordsachsen) 220, 234–235, 237–238 Sötern, Herrschaft (Landkreis St. Wendel) 48

Ortsregister Sovinec (Eulenberg, im Nordwesten Tschechiens) 282–283, 285 Soyans, Burg (Département Drôme) 352 Spanien 329, 331 Speyer 16, 83–84, 113, 117, 120–121, 151–152, 191 Speyergau (mittelalterliche Grafschaft um Speyer) 46, 151 Steckelburg, Burg (Main-Kinzig-Kreis) 98 Steiermark 8, 301, 303, 305–306, 310, 313 Steinach am Neckar, Landschad, Burgen 14 Steinkallenfels, Burg (Landkreis Bad Kreuznach) 35, 44–45, 47–50 St. Germain (en Laye, Département Yvelines) 267 St. Martins-Tal 324 Stormarn, Grafschaft (Schleswig-Holstein) 241 Straßburg 103, 117–118, 121, 124, 130, 134–137, 143, 148, 155–156, 163–171 Sankt Nikolaus in undis, Kloster 165 Stuttgart 114, 149 St. Wendel (Saarland) 60, 70, 74 Susa-Tal (S. Juste in Susa, Piemont) 318–319, 324 Svádov (Schwaden, im Norden Tschechiens) 283

T Taunus 127, 132 Tavíkovice (Tajkowitz, im Süden Tschechiens) 285 Tetschen. siehe Děčín Thallwitz (Landkreis Leipzig) 235 Thammenhain (Landkreis Leipzig) 232 Thundorf (Landkreis Bad Kissingen) 231 Thüringen 9, 201, 204, 210–211, 216–218, 223, 230 Tirol 8, 278 Torda (Thorenburg, Siebenbürgen) 298–299 Torgau 211–212, 217, 230, 234, 236 Törning (Nordschleswig, Dänemark) 246 Torre (Torre Pellice, Piemont) 321, 323, 326 Trani (Apulien, Italien) 330 Trebsen, Schloss (Landkreis Leipzig) 235 Trient 181, 272, 280 Trier 34–35, 40–42, 44–45, 47–49, 54, 60–61, 64, 66, 70–71, 73, 75–79, 94, 107–108, 112, 116, 120–121, 125, 133, 147 Kurtrier 60, 61, 73, 74, 91, 133 Trombach, Klause/Kloster (nahe der Ebernburg, Landkreis Bad Kreuznach) 19, 113, 120 Tübingen 158, 288 Turin 318, 321, 323–324 Diözese 318 Tykocin, Königsschloss (Woiwodschaft Podlachien, Polen) 257

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U/V Ulm 151 Ungarn 7, 293–299 Valence (Département Drôme) 349–351 Valtířov (Waltersgrün, Westtschechien) 283 Vassy (Département Calvados) 344 Velká Šťáhel 285 Vendôme (Département Loir-et-Cher) 336 Villar (Piemont) 321, 323, 326, 327 Vogtland 201, 210–211, 216–217, 229

W Waldensertäler 317 Wallhausen (Landkreis Bad Kreuznach) 49 Wallichen, Klosterhof (Ortsteil von Erfurt) 208 Wallonie 22 Warschau 255, 257, 261, 263, 265, 267–269 Wartburg 102, 104, 115, 128, 227, 229–230 Wartenstein, Burg (Landkreis Bad Kreuznach) 35, 47, 49–50 Wasgau (südliche Westpfalz und angrenzende franz. Départments Bas-Rhin und Moselle) 15, 36, 38, 44, 109 Weesenstein (Landkreis Sächsische SchweizOsterzgebirge) 277 Weil der Stadt (Landkreis Böblingen) 151, 152 Weimar 208, 218, 221–223, 226–229, 239 Weinsberg (Landkreis Heilbronn) 154 Weißenburg, Burg oberhalb der Saale (Landkreis Saalfeld-Rudolstadt) 227, 228 Westrich (historische Region in der westlichen Pfalz, Saarland, Lothringen und Unterelsass) 36, 39 Wetterau (Landschaft und Landkreis im nördlichen Rhein-Main-Gebiet) 43, 48 Wien 76, 86, 161, 176, 202, 224, 268, 275, 279– 280, 289–290, 294–295, 304–306, 308, 310 Neustadt 304 Wimpfen 152, 155, 158 Stiftskirche 20 Windsheim (Landkreis Neustadt an der AischBad Windsheim) 39 Wittelsbacher Hof 109 Wittenberg 77, 98, 102, 105, 115–116, 118, 120, 125, 129–130, 132, 134, 136, 143, 148, 158, 201–205, 208, 210–212, 217–218, 220, 222, 226, 231–235, 239, 246, 278, 282, 288, 294–295, 297, 309, 314–315 Kurkreis 201, 211 Witzenhausen (Werra-Meißner-Kreis) 230 Wölkau (Landkreis Nordsachsen) 235

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Ortsregister

Worms 7, 31–32, 44, 49–51, 53, 60–61, 69, 72–73, 76, 81, 93, 102–103, 106, 110–112, 115–117, 127–129, 143, 151–153, 158–159, 164, 169, 178, 227, 232–233, 305, 308 Wunschwitz (Landkreis Meißen) 238 Württemberg 37, 46, 72, 75–77, 91, 114, 120, 151–152, 154, 211, 314 Würzburg 12, 29–31, 40, 157, 173–175, 177– 179, 182–183, 186, 188, 190–191, 195, 199 Wurzener Stiftsgebiet 232, 235–237

Z Zabern 170 Zeititz (Landkreis Leipzig) 232 Zeitz (Burgenlandkreis) 226 Zsolna (Sillein, Nordwestslowakei) 297 Žumberk (Sonnberg, Südtschechien) 288 Zweibrücken 45, 47, 118 Zwickau 136, 202, 211–212, 218, 226, 229

geschichtliche l andeskunde Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz

Begründet von Ludwig Petry und Johannes Bärmann, weitergeführt von Alois Gerlich und Franz Josef Felten, herausgegeben von Michael Matheus.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0072–4203

45. Peter Claus Hartmann (Hg.) Der Mainzer Kurfürst als Reichserzkanzler Funktionen, Aktivitäten, Ansprüche und Bedeutung des zweiten Mannes im Alten Reich 1997. VII, 229 S., geb. ISBN 978-3-515-06919-9 46. Kurt Düwel / Michael Matheus (Hg.) Kriegsende und Neubeginn Westdeutschland und Luxemburg zwischen 1944 und 1947 Alzeyer Kolloquium vom 27.–29. April 1995 1997. X, 258 S., geb. ISBN 978-3-515-06974-8 47. Peter Claus Hartmann (Hg.) Kurmainz, das Reichserzkanzleramt und das Reich Am Ende des Mittelalters und im 16. und 17. Jahrhundert 1998. VII, 266 S., geb. ISBN 978-3-515-07246-5 48. Hermann Sommer Zur Kur nach Ems Ein Beitrag zur Geschichte der Badereise von 1830 bis 1914 1999. XIII, 786 S., geb. ISBN 978-3-515-07341-7 49. Peter Heil Von der ländlichen Festungsstadt zur bügerlichen Kleinstadt Stadtumbau zwischen Deutschland und Frankreich. Landau, Haguenau, Selestat und Belfort zwischen 1871 und 1930 1999. XII, 213 S., geb. ISBN 978-3-515-07427-8 50. Michael Matheus / Walter G. Rödel (Hg.) Landesgeschichte und Historische Demographie 2000. VII, 194 S., 8 Abb., 27 Fig., 21 Tab., 3 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-07428-5 51. Michael Matheus (Hg.) Weinproduktion und Weinkonsum im Mittelalter

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2005. VII, 199 S., 1 Graph., 18 Abb., 10 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-06973-1 Hilmar Tilgner Lesegesellschaften an Mosel und Mittelrhein im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Aufklärung im Kurfürstentum Trier 2000. XIII, 546 S., 21 Tab., geb. ISBN 978-3-515-06945-8 Elmar Rettinger Die Umgebung der Stadt Mainz und ihre Bevölkerung vom 17. bis 19. Jahrhundert Ein historisch-demographischer Beitrag zur Sozialgeschichte ländlicher Regionen 2002. LXI, 507 S., 74 Graph., 2 Abb., 157 Tab., 6 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-07115-4 Peter Jeschke (Bearb.) Ländliche Rechtsquellen aus dem kurmainzischen Rheingau 2003. XLII, 604 S., geb. ISBN 978-3-515-08135-1 Michael Matheus / Walter G. Rödel (Hg.) Bausteine zur Mainzer Stadtgeschichte Mainzer Kolloquium 2000 2002. VII, 238 S., geb. ISBN 978-3-515-08176-4 Michael Matheus (Hg.) Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich Alzeyer Kolloquium 2005. XII, 260 S., 24 Abb., 2 Tab., geb. ISBN 978-3-515-08233-4 Hedwig Brüchert / Michael Matheus (Hg.) Zwangsarbeit in Rheinland-Pfalz während des Zweiten Weltkriegs Mainzer Kolloquium 2002 2005. VIII, 159 S., geb. ISBN 978-3-515-08279-2 Stefan Grathoff Mainzer Erzbischofsburgen

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2005. XIII, 590 S., geb. ISBN 978-3-515-08240-2 Brigitte Flug / Michael Matheus / Andreas Rehberg (Hg.) Kurie und Region Festschrift für Brigide Schwartz zum 65. Geburtstag 2005. 455 S., geb. ISBN 978-3-515-08467-3 Franz J. Felten / Pierre Monnet / Alain Saint-Denis (Hg.) Robert Folz (1910–1996) Mittler zwischen Frankreich und Deutschland. Actes du colloque „Idée d’Empire et royauté au Moyen Age: un regard francoallemand sur l’oeuvre de Robert Folz“, Dijon 2001 2007. XIII, 152 S., geb. ISBN 978-3-515-08935-7 Brigitte Flug Äußere Bindung und innere Ordnung Das Altmünsterkloster in Mainz in seiner Geschichte und Verfassung von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts 2006. X, 362 S., CD-ROM mit Urkundenbuch, geb. ISBN 978-3-515-08241-9 Sigrid Schmitt / Sabine Klapp (Hg.) Städtische Gesellschaft und Kirche im Spätmittelalter Kolloquium Dhaun 2004 2008. IX, 261 S., 28 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08573-1 Manfred Daunke Die nassauisch-preußische Weinbaudomäne im Rheingau 1806–1918 2006. XIV, 280 S., 11 Tab., geb. ISBN 978-3-515-08934-0 Meike Hensel-Grobe Das St.-Nikolaus-Hospital in Kues Studien zur Stiftung des Cusanus und seiner Familie (15.–17. Jahrhundert) 2007. VIII, 357 S., 4 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-08242-6 Gisela Schreiner Mädchenbildung in Kurmainz im 18. Jahrhundert Unter besonderer Berücksichtigung der Residenzstadt 2007. XIV, 267 S., geb. ISBN 978-3-515-09070-4 Rita Heuser Namen der Mainzer Straßen und Örtlichkeiten

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Sammlung, Deutung, sprachund motivgeschichtliche Auswertung 2008. XVI, 677 S., 2 Ktn., CD-ROM, geb. ISBN 978-3-515-08574-8 Thomas Frank / Michael Matheus / Sabine Reichert (Hg.) Wege zum Heil Pilger und heilige Orte an Mosel und Rhein 2009. 320 S., 71 Abb., 13 Tab., geb. ISBN 978-3-515-09165-7 Franz J. Felten / Harald Müller / Heidrun Ochs (Hg.) Landschaft(en) Begriffe – Formen – Implikationen 2012. VI, 405 S., 53 Abb., 3 Tab., geb. ISBN 978-3-515-08760-5 Joachim Schneider (Hg.) Kommunikationsnetze des Ritteradels im Reich um 1500 2012. VI, 232 S., 6 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10279-7 Markus Würz Kampfzeit unter französischen Bajonetten Die NSDAP in Rheinhessen in der Weimarer Republik 2012. VI, 270 S., 2 Abb. und 6 Tab., geb. ISBN 978-3-515-10288-9 Heidrun Ochs Gutenberg und sine frunde Studien zu patrizischen Familien im spätmittelalterlichen Mainz 2014. 566 S., 16 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10934-5 Franz J. Felten / Michael Matheus (Hg.) Rheinhessen – Identität – Geschichte – Kultur 2016. 197 S., 46 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11600-8 Joachim Schneider Eberhard Windeck und sein „Buch von Kaiser Sigmund“ Studien zu Entstehung, Funktion und Verbreitung einer Königschronik im 15. Jahrhundert 2018. 369 S., 1 Abb. und 4 Graph., geb. ISBN 978-3-515-12059-3 Ute Engelen / Michael Matheus (Hg.) Regionale Produzenten oder Global Player? Zur Internationalisierung der Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert 2018. 143 S., 54 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11916-0

Ritterschaft und Niederadel des Spätmittelalters und der Frühneuzeit rückten in den zurückliegenden Jahrzehnten immer mehr in den Fokus der Forschung, darunter Themen wie die Genese und Selbstbehauptung des Standes, seine Jenseitsvorsorge und Memorialpraxis, die Formen der Herrschaftsrepräsentation, soziale Netzwerke in Verwandtschaft, Adelsgesellschaften und Kirche, politisches Handeln sowie religiöses Engagement. Die Autorinnen und Autoren betrachten genau diese Themengebiete im Hinblick auf den mit der Reformation einhergehenden Umbruch. Dabei nehmen sie über die Kernregionen der ritterschaftlichen Reformation um Mittel- und Oberrhein, Sachsen und Thüringen hinausgehend weitere Gebiete des Heiligen Römischen Reiches in den Blick, insbesondere die Habsburgischen Erblande, Schleswig-Holstein und das Elsass. Aber auch Böhmen, Polen, Ungarn, Frankreich, Italien und Dänemark finden in den Beiträgen Berücksichtigung.

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ISBN 978-3-515-12258-0